Peter Sicking Leben ohne Fernsehen
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Leben ohne Fernsehen Eine qualitati...
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Peter Sicking Leben ohne Fernsehen
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Peter Sicking
Leben ohne Fernsehen Eine qualitative N ichtfe rnsehe rstud ie 3. Auflage
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Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet (Jber abrufbar.
Dissertation Universit~t M(Jnster, 1998
1. Auflage 1998 2. Auflage 2000 3. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten 9 Deutscher Universit~ts-Verlag und VS Verlag fLir Sozialwissenschaften I GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Christina M. Brian / Claudia Jeske Der Deutsche Universit~its-Verlag und der VS Verlag f(Jr Sozialwissenschaften sind Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de www.vs-verlag.de Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschi3tzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzul~ssig und strafbar. Das gilt insbesondere fiJr Vervielf~ltigungen, 0bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe yon aebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-aesetzgebung als frei zu betrachten w~ren und daher yon ledermann benutzt werden darften.
Umschlaggestaltung: K~inkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf s~urefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-6051-7
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Fiir Petra, Leon und Ellen
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Vorwort zur dritten Auflage
Zum Zeitpunkt der DurchRihnang der Nichtfemseherstudie lag die Zahl der Deutschen, die "nie femsehen", laut Allensbacher Markt- und Werbetr/iger Analyse (AWA) noch bei 1,14 Millionen bzw. 1,8% (AWA 1997). Mittlerweile hat sich der Anteil der Bundesbiirger fiber 14 Jahren, die ohne Femsehen leben, bei etwa 2,4% (1,57 Millionen) stabilisiert. Laut einer Umfrage der Zeitschrift "Das Haus" aus dem Jahre 2006 liegt die Zahl der Nichtfernseher in Deutschland gar bei 3%.* Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Nichtfemseher auch knapp zehn Jahre nach der ErstverSffentlichung der hier vorliegenden Nichtfemseherstudie eine wichtige Kategorie in der Rezipientenforschung bilden. Nach wie vor verweigem weit mehr als eine Million Deutsche dem Leitmedium Femsehen die Gefolgschaft. Und dies in einer Zeit, in der die elektronischen Massenmedien in einer rasanten Entwicklung begriffen sind. So geht der Trend eindeutig in die Richtung einer massiven Ausweitung des Angebotes bei einer zunehmenden Konvergenz der Medien Femsehen und Intemet. Die massenmediale Zukunft wird bestimmt sein von der MSglichkeit, audiovisuelle Programminhalte jederzeit und fiberall gezielt und mit den unterschiedlichsten Kommunikationsendgediten abzurufen. Interaktives Femsehen wird endgfiltig dazu fiihren, dass die rein passive Rezipientenrolle beim "klassischen" Femsehkonsum schon bald der Vergangenheit angehSren wird. Vor diesem Hintergrund wird die kommunikationswissenschaftliche Relevanz jener Rezipientengruppen, die sich systematisch dem Wirkungsbereich der elektronischen Leitmedien entziehen, erheblich zunehmen - nicht zuletzt als Kontrollgruppe zur kritischen Reflexion des Mainstreams in der Mediennutzung. Hier muss die ~ f t i g e Nichtfemseherforschung ansetzen.
Peter Sicking
* "Sehe nie fern" antworteten 2003, 2004 und 2005 jeweils 2,4% der Befragten im Rahrnen der Allensbacher Markt- und Werbetdiger-Analyse,kurz AWA, die j~.hrlich vom Institut Rir Dernoskopie Allensbaeh herausgegeben wird. Im Jahre 2006 stieg dort der Anteil der Nichtfernseher leicht auf 2,5% bzw. 1,61 Millionen (AWA 2006). Die IPSOS GmbH Rihrte 2006 Rir die Zeitschrift "Das Haus" (Hubert Burda Media / Internet Magazin Verlag, Ausgabe Oktober 2006) eine repdisentative Umfrage zur Fernsetmutztmgder deutschen Bfirgerinnen und Biirger fiber 14 Jahren durch. Unter dem Motto "Fernsehen - unser liebstes Kind?" entsehieden sieh dort 3% (oder 1,95 Millionen) der Befragten Rir die Antwortoption "Fernsehen spielt in meinem Leben keine Rolle - ich habe kein Ger~it und ieh will auch keins".
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Inhalt Einleitung .....................................................................................................................
I1
1. N i c h t f e r n s e h e r - eine v e r n a c h l i s s i g t e Kategorie in der Z u s c h a u e r f o r s c h u n g .. 13
1.1 Nichtfemseherforschung in der Bundesrepublik Deutschland ........................... 14 1.2 Ausl~-adische Nichtfernseherstudien ................................................................... 18 1.3 Ursachen fiir die kommunikationswissenschaftliche Vemachl~issigung der Nichtfemseher ...............................................................................................
22
1.4 Argumente Rir eine Nichtfemseherstudie ........................................................... 22
2. Die N i c h t f e r n s e h e r s t u d i e : T h e o r e t i s c h e r H i n t e r g r u n d , K o n z e p t i o n u n d Durchf'dhrung ..........................................................................................................
25
2.1 Der theoretische Hintergrund der Nichtfemseheruntersuchung ......................... 25 2.1.1 Der handlungstheoretische Orientierungsrahmen: Menschenbild und Handeln aus der Perspektive der ph~.nomenologischen Sozialtheorie ........ 27 2.1.2 Der lebensstiltheoretische Orientiertmgsrahmen: Ein empirisches Konzept zur Erfassung und Erforschung von Lebensweisen ...................... 32 2.2 Das handlungs- und lebensstiltheoretisch fundierte Konzept zur Analyse von Nichtfernsehem ............................................................................................
34
2.3 Die DurchFdhnmg der Nichtfemseherbefragung ................................................ 40
3. Die E r g e b n i s s e d e r N i c h t f e r n s e h e r s t u d i e .................. . ........................................... 45
3.1 Die Ergebnisse der qualitativen Nichtfernseherbefragung: SchluBfolgerungen aus den Leitfadeninterviews ................................................ 45 3.1.1 Der aktive Nichtfernseher ........................................................................... 47 3.1.1.1 Die ,,Steckbriefe". ................................................................................ 48 3.1.1.2 Nichtfernsehen ..................................................................................... 50 3.1.1.3 Allgemeines Alltagshandeln ................................................................ 65
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3.1.1.4 EvaluationfPerspektiven/Reaktionen ................................................... 80 3.1.1.5 Allgemeines Medienhandeln ................................................................ 86 3.1.1.6 Die Ergebnisse im Uberblick ............................................................... 99 3.1.2 Der bewuBt-reflektierte N i c h t f e m s e h e r ..................................................... 102 3.1.2.1 3.1.2.2 3.1.2.3 3.1.2.4 3.1.2.5 3.1.2.6
Die ,,Steckbriefe". .............................................................................. Nichtfemsehen ................................................................................... Allgemeines Alltagshandeln .............................................................. Evaluation/Perspektiven/Reaktionen ................................................. Allgemeines Medienhandeln .............................................................. Die Ergebnisse im Uberblick .............................................................
103 109 127 141 145 157
3.1.3 Der suchtgef'~trdete N i c h t f e m s e h e r .......................................................... 161 3.1.3.1 3.1.3.2 3.1.3.3 3.1.3.4 3.1.3.5 3.1.3.6
Die ,,Steckbriefe". .............................................................................. Nichtfemsehen ................................................................................... Allgemeines Alltagshandeln .............................................................. Evaluation/Perspektiven/Reaktionen ................................................. Allgemeines Medienhandeln .............................................................. Die Ergebnisse im Uberblick .............................................................
162 163 181 190 194 203
3.1.4 Einzelne Nichtfemsehertypen ................................................................... 207 3.1.4.1 Der harmoniebediirftige N i c h t f e m s e h e r ............................................ 207 3.1.4.2 Der miBtrauische N i c h t f e m s e h e r ....................................................... 214 3.1.5 Typiibergreifende Trends und G e m e i n s a m k e i t e n ...................................... 219 3.2 Die Ergebnisse der erg~_zenden F r a g e b o g e n e r h e b u n g .................................... 221 3.2.1 N i c h t f e m s e h e n ........................................................................................... 222 3.2.2 Mediennutzung/Medienausstattung ........................................................... 225 3.2.3 Demographie ............................................................................................. 227
4. F a z i t ........................................................................................................................ 2 3 5
A n m e r k u n g e n ............................................................................................................ 2 3 9
L i t e r a t u r v e r z e i c h n i s .................................................................................................. 249
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Einleitung Das Fernsehen hat seit seiner Einfftihnmg sowohl begeisterte Zustimmung als auch massive Kritik erfahren. Wurde es von den einen als Medium der A u f l d ~ g gefeiert, das als Forum 6ffentlicher Kommunikation zur Emanzipation seiner Zuschauer beitr/igt, so witterten die anderen im Femsehen eine ernste Bedrohung fiir die abendl/indische Kultur. Unermiidlich warnten die Kritiker des Femsehens vor den Gefahren des Femsehkomums, und nicht wenige forderten gar die gEnzliche Abschaffung des audiovisuellen Mediums ~. All il~en Bemiihungen zum Trotz hat sich das Femsehen in der Bundesrepublik Deutschland jedoch zum Leitmedium entwickelt, das die gesellschaftliche Realit~t in nahezu allen Bereichen durchdringt. Nur ein kleiner Prozentsatz der Bev61kenmg nimmt an tier sogenannten Femsehgesellschaft nicht teil. Er liegt in den alten Bundesl/indem bei zwei Prozent, in den neuen Bundesl/indem sind es ein Prozent der Einwolmer, die ihr Leben olme Femsehen gestalten2. Mag der Anteil der Nichtfemseher an der deutschen Bev61kerung auf den ersten Blick als iiberaus gering erscheinen, so handelt es sich dabei doch immerhin um cirka ein- bis eineinhalb Millionen Menschen, die in tier Bundesrepublik ohne Femsehen leben. 0her diese Menschen, die mit ihrer fernsehfreien Lebensweise die Forderungen der Femsehgegner konkret pralaizieren, liegen so gut wie keine kommunikationswissenschaftlich abgesicherten Kenntnisse vor. Seit Beginn tier Zuschauerforschung wurden von den bundesdeutschen MedienwissenschafUem und ihren Auftraggebem andere Priorit~ten gesetzt: die Erhebung quantitativer Fernselmutzungsdaten aus wirtschaftlichen Erw/igungen sowie die Beobachtung der sogenannten Vielseher aus vorwiegend kulturkritischer Perspektive. Nichtfemseher fanden in diesen Studien allenfalls beil/iufig als zu vemachl/issigende Restgr61]e eine Erw~ilmung. Tauchten sie dennoch in der kommunikatiomwissenschafUichen Diskussion auf, so wurden sie relativ unreflektiert und undifferenziert als ,,Fernsehverweigerer", ,,Fernsehasketen", ,,Nichtseher" und ,,Femsehabstinenzler" abgehandelt, olme die mannigfaltigen Ursachen und Auspr/igungen ihres spezifischen Handelns gebiihrend zu beriicksichtigen3. Vor dem Hintergrund sich ausdifferenzierender Lebens- und Mediennutzungsstile erscheint eine genauere Betrachttmg dieser vemachl/issigten Kategorie der Zuschauerforschung seit langem iiberf~illig. Zahlreiche kommunikationswissenschafUich hochinteressante Fragestellungen ergeben sich in bezug auf die Nichtfernseher als Antipoden tier Femsehgesellschait. Was sind das ftir Menschen, die in unserer Gesellschaft, in tier die Nutzung audiovisueller Massenmedien zu einem normalen und iiblichen Modus des Alltagshandelns geworden ist, dem Femsehen und seinen Angeboten den Riicken kehren? Wamm spielt das Femsehen in ihrem Leben keine Rolle? Womit besch~iftigen sich diese Menschen in ihrem Alltag, wie verbringen sie die Zeit, die ihre femsehenden Mitmemchen vor dem Bildschirm verbringen? Um diese und weitere Fragen einer Beantwortung n~erzubringen, wird in der bier vodiegenden Studie erstmals tier Versuch untemommen, Nichtfemseher aus kommu-
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12 nikationswissenschaftlicher Perspektive grfindlich und eingehend zu untersuchen. Zu diesem Zweck wurde ein handlungstheoretisch fundiertes Analysekonzept entwickelt, dab sich an den Ideen der ph~omenologisch begriindeten Lebenswelttheorie und der sozialwissenschaftlichen Lebensstiltheorie orientiert. Die Grundlage dieses Konzeptes bildet ein heuristisches Analysemodell, aus dem ein Katalog theoriegeleiteter Forschungsfragen abgeleitet wurde. Diese forschungsleitenden Fragen wurden in einen Leitfaden zur qualitativen Analyse tier Nichtfernseher und ihres spezifischen Handelns iiberfiihrt, mit dessen Hilfe dreiBig ausgew~ihlte Untersuchungsteilnehmer in mehrstimdigen Intensivinterviews befragt wurden. Weitere sechsundvierzig Nichtfernseher wurden anhand eines standardisierten Fragebogens untersucht, um die Ergebnisse aus den Interviews zu ergEnzen. Als Result,at dieser Bemiihungen liegt nun erstmalig eine Nichtfemseherstudie vor, in der nicht nur das Handeln der Betroffenen in ihrer lebensweltlichen Wirklichkeit beschrieben und erkl/irt wird. Dariiber hinaus wurde anhand der umfangreichen Ergebnisse eine Nichtfemsehertypologie erarbeitet, die einen differenzierten Blick auf die Nichtfemseher erlaubt und Riickschliisse auf die gesellschaftliche Verteilung der unterschiedlichen Nichtfemsehertypen zul/illt.
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1. Nichtfernseher- eine vernachlissigte Kategorie in der Zuschauerforschung
Seit der Einfiihnmg des ersten regelm~Sfigen Femsehprogrammbetriebs im Sendegebiet des NWDR z u m Weihnachtsfest 1952 mad dem gesamtbundesrepublikanischen Einstieg in die Femsehgesellschaft am 1. November 1954, als das Deutsche Fernsehen offiziell er6ffnet wurde, hat sich das Fernsehen zum bedeutendsten Massenmedium in der Bundesrepublik Deutschland entwickelt, dessen Reichweite 1996 noch vor den Medien H6rfunk und Tageszeitung bei 88% lag4. Die Ausstattung der bundesdeutschen Haushalte mit Femsehger/iten mad die Fiille empfangbarer Programmangebote werfen ein Schlaglicht auf den Stellenwert, den alas Femsehen mittlerweile in unserer Gesellschaft emmgen hat. So liegt die Versorgung der Bundesbiirger mit Femsehger~iten bereits seit Jahren bei 98%, und ein durchschnittlicher Haushalt ist heute in der Lage, zwischen dreil3ig unterschiedlichen Programmen auszuw~kden. Die neuen kabel- und satellitengestiitzten Signaliibertragungstechniken haben dazu beigetragen, dab rtmd 80% der Bundesbiirger nicht mehr auf die terrestrische Versorgung mit Fernsehprogrammen angewiesen sind s. Im Zeitalter des dualen Rundfunksystems ist Femsehen ftir die meisten Zuschauer rund um die Uhr verftigbar, mad der Femsehkonsum ist zu einem integralen Bestandteil des normalen Alltagshandelns geworden: ,,Fernsehen als Leitmedium der Massenkommunikation ist eine 'innere' Einheit mit dem Alltagsleben der Menschen eingegangen. [...] Femsehrezeption, Femseherlebnisse und die Bilder/Symbolik des Femsehens sind sinnvoller Teil des Soziallebens, der allt/iglichen Ereignisse mad der Lebensgestaltung." (Bachmair, 1992:S.144 und S.146.) F/Jr die Kommunikationswissenschaft waren das Femsehen, seine Programme und seine Zuschauer von Beginn an Objekte vielfiiltiger Forschungsbemiihungen und Analyseprojekte, wobei haupts~ichlich die Vielfernseherproblematik im Zentrum des forscherischen Interesses stand, wie Heinrich L6bbers nach einer Durchsicht entsprechender Forschungsergebnisse best~tigt6: ,,Fast ausschlieBlich sind es die Vielseher, die im Mittelpunkt des Interesses stehen mad bei denen versucht wird, Einfliisse mad Wirkungen des exzessiven Femsehkonsums auszumachen." (L6bbers, 1990: S.8) Deutlich weniger Aufmerksamkeit wird jedoch den Menschen gewidmet, die auf der entgegengesetzten Seite des m6glichen Umgangs mit dem Femsehen anzusiedeln sind - den Wenig- mad Nichtfernsehem: ,,Die anderen Gruppen werden allenfalls zu Vergleichszwecken herangezogen. Medienwissensehaftliche Studien, deren Hauptinteresse den Wenig- und Nicht-
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14 sehem gilt, vermiBt man bei der Durchsicht der einschl~igigen Literatur." (L6bbers, 1990: S.8)
1.1 Nichtfernseherforschung in der Bundesrepublik Deutschland
Besonders jene Menschen, die g~zlich ohne Femsehen leben, werden innerhalb der Kommunikationswissenschaft vemachl/issigt. In der Tat liegt - zumindest in der Bundesrepublik - bisher keine kommunikationswissenschaftlich fundierte Nichtfernseheruntersuchung vor. Bei seiner Bestandsaufnahme der bundesdeutschen Wenig- und Nichtfernseherforschung konnte Heinrich L6bbers lediglich eine eher journalistischpopul~irwissenschaftliche Ann/iherung an diese Thematik nachweisen. Die Ergebnisse dieser qualitativen Untersuchung, die yon dem Politologen Jeanpaul Goergen und der Psychologin Annelie Hillmer durchgefiihrt wurde, wurden 1981 in der Publikumszeitschriit Psychologie Heute ver6ffentlicht (Goergen & Hillmer, 1981). Die beiden Autoren hatten damals achtzehn Familien und zwei Alleinstehende, die freiwillig ohne Fernsehen leben, fiir eine Radiosendung des Senders Freies Berlin befragt 7. Dabei waren Jeanpaul Goergen und Annelie Hillmer zu folgenden Ergebnissen gekommen: 9 Die von ihnen befragten Nichtfernseher ziehen eine aktive Freizeitgestalttmg gegeniiber dem Fernsehkonsum prinzipiell vor. 9 Odgintire Erfahnmgen und zwischenmenschliche Kommunikationserlebnisse sind den Befragten wichtiger als Informationen aus zweiter Hand und medial vermittelte Kommunikationserfahnmgen. 9 Das Femsehen kann naeh Meinung der Niehtfemseher nur einen oberfl~iehliehen, ausschnitthaften Wirklichkeitseindruek vermitteln. 9 Die Nichtfernseher empfinden das Femsehen als Hemmsehuh ftir die zwischenmenschliche Kommunikation und das soziale Miteinander. 9 Den Nichtfernsehem fehlt die Zeit fiir etwaigen Fernsehkonsum. Alternative, kreativ-aktive T/itigkeiten bestimmen ihren Tagesablauf. 9 Das Femsehen wird von den Befragten als iiberfliissig empfunden. 9 Das Fernsehprogramm entspdcht nicht den Qualit~itsansprtichen der Befragten. 9 Einige Befragungsteilnehmer wollen sich durch ihre femsehfreie Lebensweise vor iiberm~f~igem Fernsehkonsum schiitzen.
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15 9 Fiir die Familien mit Kindem steht der Schutz der Kinder vor dem Femsehkonsum an erster Stelle als Grund Hit"ihre femsehfreie Lebensweise. 9 Einige Familien haben ihren Femsehapparat abgeschafft, um potentiellen Konfliktstoff, zum Beispiel bei der Programmauswahl, zu vermeiden. 9 Die betroffenen Kinder haben sich nach einer Eingew6hnungsphase mit der Abwesenheit des Femsehers abgefunden. 9 Die Familien ohne Femsehen sind in der Lage, innerfamiliale Probleme zu erkennen und im Gespr~ich zu 16sen. 9 Alle Befragungsteilnehmer F~len sich ausreichend informiert. Sie lesen regelm~ig Zeittmg, und viele von itmen h/Sren h~iufig Radio, das im Vergleich zum Femsehen besser bewertet wird, weil es nach ihren Erfahnmgen die Phantasie anregt. 9 Seitdem die Befragten ohne Femsehen leben, erleben sie ihren Alltag intensiver und bewul3ter. Das Leben ohne Fernsehen wird als interessanter und selbstbestimmter empfunden. 9 Die soziale Umgebung tier Nichtfemseher empfindet deren femsehfreie Lebensweise als Provokation und Bedrohung. Neben dieser Studie verweist L6bbers in seiner Darstellung bisheriger Nichtfemseheruntersuchungen noch auf eine Studie, die einige Jahre sp~iter von dem MedienwissenschafUer Volker Ronge durchgefdhrt wurde (Ronge, 1987). Dabei handelte es sich zwar nicht um eine reine Nichtfemseherstudie, doch konnte Ronge bei seiner Untersuchung einige wichtige Erkenntnisse fiber diese spezielle Kategorie der Zuschauerforschung zusammentragen. Ausgangspunkt seiner Untersuchung war die Hypothese, dab bestimmte ,,Wertwandeltypen", die einen altemativen, nonkonformistischen Lebensstil pflegen s, interpersonalen Kommunikationserlebnissen gegenfiber massenmedial vermittelter Kommunikation prinzipiell den Vorzug geben. Mit seiner Befragung veffolgte Ronge das Ziel, alas von ibm erwartete alternative Mediennutzungs- und Kommunikationsverhalten9 inhaltlich genauer zu bestimmen, den Zusammenhang von altemativen Wertvorstellungen und altemativem Mediennutzungs- und Kommunikationsverhalten zumindest bei seinen Untersuchungsteilnehmem nachzuweisen, und eventuelle Hinweise auf die Diffusion dieser altemativen Verhaltensweisen zu finden. Zu diesem Zweck befragte Ronge je ftinfzehn bei den Granen engagierte Personen, Rinfzehn Anh~gerinnen der Frauenbewegung, fiinfzehn Mitglieder von Selbsthilfegruppen und ftinfzehn in sogenannten Humandienstleistungsberufen besch~iftigte Personen. Bei seiner Teilnehmerauswahl ging Ronge
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16 davon aus, dal3 die Betroffenen mit einiger Sicherheit zu den wertwandelgepr~igten Bev61kertmgskreisen z~_len und sich somit in idealer Weise ftir seine Befragung eignen. Im Verlaufe seiner Untersuchung konnte Ronge dreizehn Untersuchungsteilnehmer isolieren, die aufgrund politisch-ideologischer Uberzeugungen bewufft ohne Femsehen leben. Besonders jene Gruppe zeichnete sich durch ein fiberaus abweichendes Mediennutzungs- und Kommunikationshandeln aus: ,,Den ExtremfaU 'altemativen Kommunikationsverhaltens' bildet [...] die bewufftstrategische Ablelmung der Massenmedien, in Sonderheit des Fernsehens; dies freilich nicht - wie z.T. bei der Einfiihrtmg des Fernsehens - aus bildungsbfirgerlicher Attitfide und Argumentation heraus, sondern auf dem Hintergrund neuer sozialer Werte, in denen die Mediatisierung der sozialen Beziehungen tier Menschen bedauert, politisch b e k ~ p f t und pers6nlich zu unterlaufen gesucht wird. Indem sich die 'neuen' Werte gegen die soziale Mediatisierung der Individuen richten, mfissen sie sich handlungsstrategisch gegen die Medien wenden. Der einzelne Andere wird im Falle des Wertwandels so ernst genommen, dab seine 'mediale Reduktion' (ebenso wie seine 'institutionelle Reduktion') fiir illegitim angesehen wird. Aus der unmittelbaren Kommunikation mit anderen werden Anspielung auf 'uses and gratifications' - Nutzen und emotionale Befriedigung bezogen. Im Verh~iltnis zur personalen Kommunikation erscheint die Mediennutzung als weniger wertvoll (im Sinne Beziehungs- und Verhaltenswerte), weniger interessant und weniger befriedigend." (Ronge, 1987: S.473) Mit diesem Befund hatte Ronge einen zentralen Motivkomplex fin" die Ablehnung des Femsehens eingekreist, der zumindest flit seine spezifisch wertwandelgepr~igten Untersuchungsteilnehmer als Grund flit die fernsehfreie Lebensweise an erster Stelle stand. Insgesamt konnte seine Studie jedoch keine weitergehenden Erkenntnisse fiber Nichtfemseher vermitteln, da der kommunikationswissenschaftliche Fokus hier auf eine spezielle Rezipientengruppe mit spezifischen Merkmalen (wertwandelgepr~igt, bestimmten sozialen Gruppierungen angeh6rend etc.) beschrEnkt blieb, und die bier vorgestellten Nichtfernseher eher zufiUlig als solche identifiziert wurden. Betrachtet man die beiden hier skizzierten Untersuchungen in ihrer Gesamtheit, so muff festgesteUt werden, daft doch viele Fragen fiber die Nichtfernseher als spezifischer Kategode der Rezipientenforschung - ztun Beispiel fiber die demographischen Eigenheiten der Betroffenen, ihre konkreten Mediennutzungsgewohnheiten oder ihre individuellen Wertvorstellungen und Oberzeugungen - often bleiben. Besonders die eher popul[irwissenschaftliche Umfrage Goergens und Hillmers verbleibt auf der Ebene einer relativ undifferenzierten Sammlung von Argumenten gegen das Fernsehen und Begriindungen fiir eine fernsehfreie Lebensweise.
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17 In den vergangenen zehn Jahren wurde das Thema Nichtfemseher - zumindest in der empirischen Kommunikationswissenschaft - gLrtzlich in den Hintergrund gedr[ingt. Jedenfalls liegt dem Verfasser keine aktuellere deutsche Nichtfemseheruntersuchung vor. Lediglich in der deutschen Publiktumpresse werden die Nichtfemseher und ihre unorthodoxe Lebensweise hin und wieder thematisiert. So widmete sich die Spiegel-Joumalisfm Beate Lakotta im Sommer 1995 aus AnlaB einer SpiegelSonderver/Sffentlichung fiber das Fernsehen in einem mehrseitigen Feature dieser exotischen Spezies (Lakotta, 1995). Um Einzelheiten fiber die besonderen Lebensumst~inde der Nichtfernseher zu erfahren, befragte Beate Lakotta mehrere Familien und alleinstehende Personen, die ihren Alltag ohne Femsehen gestalten- unter anderen auch den norddeutschen Liedermacher Hannes Wader, der am Ende einer lautstarken Auseinandersetzung mit seiner Ehefrau fiber seine Femsehsucht den Femsehapparat kurzerhand aus dem Fenster geworfen hare. Neben dem Selbstschutz vor fiberm~igem Femsehkonsum konnte die Autorin noch weitere Motive fiir die femsehfreie Lebensweise ihrer Gespr/ichspartner ausmachen. Als Hauptmotiv fiir die Abschaffung des Femsehapparates entpuppte sich dabei die Angst vieler Eltern, ihre Kinder k/Snnten unter dem EinfluB des Femsehens Schaden erleiden. Ebenso wie die von Goergen und Hillmer befragten Nichtfemseher zogen auch die Interviewpartner Lakottas aktive und kreative T~itigkeiten dem Fernsehkonsum vor. Als besonders st/Srend empfanden einige von ihnen den Zwang, den Tagesablauf nach dem Programmschema des Femsehens ausrichten zu mfissen. Nicht wenige warfen den Programmachem des Femsehens gezielte Desinformation und unlautere Manipulationsabsichten vor, die Programmangebote des Fernsehens selbst wurden als ,,Informationswirrwarr mit Werbepausen" (Lakotta, 1995: S.136) charakterisiert. Atmlich wie die Teilnehmer der ersten hier vorgestellten Umfrage empfinden auch die yon Lakotta befragten Nichtfemseher ihr Leben ohne Femsehen wesentlich interessanter als die Zeit, zu der sie noch regelm~iflig viele Stunden vor dem Bildschirm verbrachten. DaB insbesondere die Vielfemseher unter Lakottas Gespr/ichspartnem mit erheblichen Entzugserscheinungen zu kfimpfen hatten, verschwiegen diese jedoch nicht. Und auch mit den betroffenen Kindem gab es mitunter erhebliche Probleme. So f'mdet der e l f j ~ g e Schweriner Christoph die piidagogisch gutgemeinte MaBnahme seiner Eltem ,,total bl/~d" (Lakotta, 1995: S. 135). Der Junge ftihlt sich als AuBenseiter und st/SBtbei seinen Mitschfilem auf Unverstfindhis. Unter der Oberschdft Bei den Hummels soil der Dialog nicht verstummen portraitierte die Journalistin lngrid Ffiller in der Frankfurter Rundschau vom 25. Januar 1997 ein deutsches Nichtfernseherehepaar, das seit fiinfzehn Jahren ohne Femsehen lebt (Ffiller, 1997). Bei diesem Ehepaar war ein Gefiihl zunehmender Fernsehabh~ingigkeit der Auslfser ftir den Beginn ihrer femsehfreien Lebensweise. Die Autorin berichtet, dab die vielen gemeinsamen Stunden vor dem Fernsehapparat bei ihren Interviewpartnem mit den Jahren zu einem Geftihl der Leere gefiihrt hatten, die Kommunikation zwischen den Ehepartnem drohte g~_zlich zu verkfimmem. Zunehmend ~irgerten sie sich
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18 damals fiber die mangelhafte Qualit~it des Femsehprogramms, und oft hatten sie das Geftihl, vor dem Fernsehapparat ihre Lebenszeit zu vergeuden. Auch die Tatsache, dal3 ihre Kinder das Fernsehen spannender fanden als das wirldiche Leben, veranl~te die beiden Befragten, ihren Fernsehapparat endgiiltig abzuschaffen. Nach anf'~glichen Schwierigkeiten ist das Ehepaar heute mit seiner fernsehfreien Lebensweise iiberaus zufrieden. Eine Vielzahl an gemeinsamen Freizeitaktivit/iten wurde entwickelt, und der Migmut fiber den unbefriedigenden Femsehkonsum wurde durch ein GeRihl der Bereichertmg ersetzt.
1.2 AusHindische Nichtfernseherstudien
Nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, auch im Ausland werden die Nichtfemseher als spezifische Kategorie der Rezipientenforschung eher stiefmiitterlich behandelt l~ So sind die wenigen Untersuchungen, die auf diesem Gebiet durchgefiihrt wurden, gr6Btenteils veraltet. Eine frfihe Nichtfernseherstudie wurde bereits im Jahre 1960 in den Vereinigten Staaten von Amerika vorgelegt. Zu diesem Zeitpunkt besaflen bereits neun von zehn amerikanischen Haushalten ein Femsehger~it, und die Menschen ohne Femsehen zahlten schon damals zu den Ausnahmen. Anlafl genug ftir die Kommunikationswissenschaftler Bruce H. Westley und Joseph B. Mobius von tier University of Wisconsin, diese Menschen, die dem Siegeszug des audiovisuellen Mediums bisher widerstanden hatten, einer genaueren Betrachtung zu unterziehen (Wesfley & Mobius, 1960). Die beiden Wissenschafiler griffen dazu auf die Daten von 798 Interviews zurfick, die Ende der fiinfziger Jahre in Madison/Wisconsin durchgefiihrt wurden, urn die Affmit[it der Zuschauer zum ,,educational television" (ein nicht-kommerzielles Fernsehprogramm mit dem Schwerpunkt auf Bildungsprogrammen) zu iiberpriifen. 112 (14%) der damaligen Untersuchungsteilnehmer lebten zum Zeitpunkt der Befragung olme Femsehen. Deren sozio6konomischer Status, familiale Zusammensetzung, soziale Aktivit~ten und Mediennutzungsgewohnheiten wurden yon Westley und Mobius untersucht und mit den entsprechenden Daten der iibdgen Untersuchungsteilnehmer verglichen. Dabei kamen die beiden Kommunikationswissenschaftler zu dem Resultat, daft auf sozio6konomischer Ebene zwei deutlich voneinander unterscheidbare Nichtfemsehergruppen existierten - die Personen mit niedrigem Einkommen, die sich keinen Femsehapparat leisten konnten, an einem Ende der sozio6konomischen Skala, und die Personen mit hohem Einkommen und hoher beruflicher Qualifikation am anderen Ende. Vor allem jene Umersuchungsteilnehmer, die neben ihrer gehobenen beruflichen Position auch fiber einen fiberdurchschnittlichen Ausbildungsstand verfiigten, erwiesen sich als besonders skeptisch gegeniiber dem Femsehen und seinen Programmen: ,,Families headed by persons whose education carried them beyond college
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19 graduation are the most likely of all to be without television, and this difference is highly significant. It would appear that it is the ,,professional class" that is most likely to reject television." (Westley & Mobius, 1960: S.170) Hinsichtlich der smakatrellen Zusammensetzung der Nichtfemseherfamilien ergab sich ein lJberhang an Familien ohne Kinder im Alter von Rinf bis fiinfzehn Jahren. Au6erdem waren die Single-Haushalte in der Gruppe der Nichtfemseherhaushalte iiberrepr/isentiert. Demgegeniiber bes~en 97,5% der Familien mit mehr als einem Kind zwischen Rinf und fiinfzehn Jahren einen Femsehapparat. IJberrascht zeigten sich Westley und Mobius fiber den Befund, da6 das AusmaB der gesellschaftlich organisierten Aktivit~iten positiv mit dem Femsehbesitz der Untersuchungsteilnehmer korrelierte. Dieses Ergebnis fiihrten sic in erster Linie auf den beruflich bedingten Zeitmangel der ohne Fernsehen lebenden ,,Professionals" zuriick. In bezug auf die Mediennutzungsgewohnheiten der von ihnen untersuchten Nichtfernseher konnten Westley und Mobius feststellen, daft die Personen ohne Fernsehen auch Magazine und Zeitschriften im Vergleich zu den iJbrigen Untersuchungsteilnehmem nur in sehr geringem MaBe nutzten. Auch Zeittmgen wurden von ihnen weniger in Anspruch genommen. DaRir nutzten sie das Radio in besonderem MaBe als Informations- und Unterhaltungsmedium. Insgesamt miissen die Ergebnisse dieser Studie jedoch mit einiger Zurfickhaltung zur Kenntnis genommen werden, da sic in vielerlei Hinsicht nicht mehr auf die heutigen Verh~iltnisse iJbertragbar sind. So spielt beispielsweise der Anschaffungspreis eines Femsehapparates als Grund Rir eine fernsehlose Lebensgestaltung heutzutage sicherlich keine ma6gebliche Rolle mehr. Eine bedeutendere Nichtfemseherbefragung wurde indes Mitte der siebziger Jahre in Australien durchgefftihrt. Dort wurden 298 Nichtfernseherfamilien, die sich auf eine Anzeige in einer groBen Melbourner Tageszeitung gemeldet hatten, teils pers/Snlich und teils per standardisiertem Fragebogen zu ihrem Leben ohne Femsehen und den dahinter stehenden Motiven befragt (Edgar, 1977). Die zentralen Ergebnisse ihrer Nichtfernseheruntersuchung faBt die Autorin Patricia Edgar in wenigen Worten zusammen: ,,Some of them believe firmly that television 'fascination' is a real addiction that prevents active inner creativity by encouraging passivity and clich6 thinking; that it encourages conformity and materialism; that it manipulates; that by providing aggressive fantasies TV confuses and desensitizes. Television is also accused of threatening commtmity and family life by cutting off communication." (Edgar, 1977: S.73) Dariiber hinaus stellte Edgar fest, dab die Befragungsteilnehmer durchweg ein hohes Bildungsniveau und ein iiberdurchschnittliches Einkommen vorweisen konnten. Sechsundneunzig Prozent der yon ihr befragten Nichtfemseher gaben zu Protokoll,
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20 dab sie fiber eine grol3e Anzahl eigener Biicher verfiigen und regelm~il3ig Zeitungen und Zeitschriften rezipieren. Viele ihrer Gespr/ichsteilnehmer beherrschten ein Musikinstnnnent, was auf eine ausgepr~igte Neigung der Nichtfemseher zu kreativmusischen Freizeitaktivit/iten schlieBen l~13t. Die Kinder der von Edgar befragten Nichtfemseher erwiesen sich als ~iuflerst aktive Gruppe mit einem ausgepr/igten Hang zu aut3erh/iusigen Aktivit~iten und einem iiberdurchschnittlichen Interesse an Sport, Musik, Tanz, Theater und Literatur. Der 6sterreichische Psychologe und Freizeitforscher Hans Homegg erforschte in den sp/iten siebziger Jahren die Lebenszusammenh/inge von Nichtfemsehem in seinem Heimatland II. Er kam zu dem Ergebnis, dab sich unter den von ihm befragten Nicht' femsehem ausgesprochen viele Aufsteiger, Erfolgsmenschen und Probleml6ser befmden. Deren Freizeitverhalten beschreibt Homegg als aktiv lustbetont, was einen positiven EinfluB auf die Arbeitswelt und die private Umgebung der Betroffenen ausiibe. Homegg geht in seinen Schlul3folgenmgen so weit, die fernsehfreie Lebensweise nicht nur als eine typische Eigenschaft der Erfolgsmenschen zu sehen, sondem als eine grundlegende Voraussetzung fiir deren erfolgreiche Lebensfijhnmg. Nur durch zielbewuBte Aktivit~it nach klarer Erkenntnis der Sachlage und der zur VerFtigung stehenden Handlungsmfglichkeiten mit Hilfe der menschlichen Sinnesorgane ist nach Meinung Homeggs ein erfolgreiches Leben iiberhaupt mfiglich. Etwaiger Fernsehkonsum reduziert nach seiner Uberzeugung die Bereitschaft zur pers6nlichen Aktion, da sich die fernsehspezifische Ubertragungstechnik verzerrend auf die Sinneswahrnehmung auswirkt und die reale Erlebniswelt durch eine globale Illusion ersetzt wird. Auf der Gnmdlage umfangreicher Erhebungsdaten zur Mediennutzung und Medienausstattung der niederl~indischen Bev61kenmg (MASSAT 1989)t2 fiihrten Karsten Renckstorf und Paul Hendriks Vettehen zu Beginn der neunziger Jahre eine Vergleichsanalyse verschiedener Femsehnutzertypen dutch (Renckstorf & Vettehen, 199 l, 1994). Den analytischen Schwerpunkt legten Renckstorf und Vettehen dabei auf die zwanzig s ~ e l l e n Nichtfernseher, die sich unter den insgesamt 956 MASSAT-Teilnehmem befanden 13. Da fiber die gesch/itzten 400.000 niederl~indischen Nichtfemseher so gut wie keine Kenntnisse vorlagen, wollten die Autoren mit ihrer Studie zun/ichst grundlegende Erkenntnisse fiber diese spezifische Gruppe zusammentragen. Sic konzentrierten sich dabei auf die soziodemographischen Merkmale, die allgemeinen Lebensorientienmgen, die Freizeitgestaltung und die Mediennutzung der Untersuchungsteilnehmer. Gleich zu Beginn ihrer Analyse kamen Renckstorf und Vettehen zu einem Ergebnis, das ausschlieBlich auf die niederl/indischen Nichtfemseher zutfifft und eine weitere Differenzienmg der entsprechenden Nichtfemseherdatcn notwendig machte. Dabei handelte es sich um den Befund, dab 40% der yon ihnen untersuchten Nichtfemseher den in den Niederlanden verbreiteten calvinistischen Religionsgemeinschaiten angeh6ren und prim/ir aus religi6sen Griinden jeglichen Femsehkonsum ablehnen. Da sich diese Gruppe erheblich von den fibrigen
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21 Nichtfernsehem unterschied, wurden beide Nichtfemsehergruppen gesondert untersucht und beschrieben 14. Im Vergleich zu den non=calvinistischen Nichtfernsehem, die yon allen Untersuchungsteilnehmem das h/Schste Ausbildungsniveau und das h6chste Berufsprestige vorweisen konnten, bewegen sich die calvinistischen Nichtfemseher auf der unteren sozio6konomischen Skala. Ihr Ausbildungsniveau und ihr beruflicher Status sind generell niedrig, womit sie auf dieser Ebene eher den niederl~dischen Vielfemsehem als den Wenigfernsehem gleichen. Im Unterschied zu den noncalvinistischen Nichtfemsehem leben sie mehrheitlich in gr6Beren Familienverb~inden in l~ndlichen Gemeinden und favorisieren ldeine, auf dem rechten politischen Fliigel angesiedelte Parteien. In bezug auf die allgemeinen Lebensorientienmgen der von ihnen untersuchten Nichtfemseher stellten Renckstorf und Vettehen fest, dab die reformierten niederl~indischen Nichtfemseher im Vergleich zu den eher hedonistisch und gesellschat~skritisch eingestellten nichtreformierten Nichtfemsehem ein ausgepr~igtes Arbeitsethos vertreten und erh6hten Wert auf die Einbindung in lokale kulturelle und soziale Stntkturen legen. Zudem registrierten sie bei den non-calvinistischen Nichtfemsehem ein im Vergleich zu den calvinistischen Nichtfemsehern erhShtes politisches Interesse. Auch auf tier Ebene der Freizeitgestaltung ergaben sich erhebliche Unterschiede zwischen den beiden von Renckstorf und Vettehen untersuchten Nichtfemsehergruppierungen. So zeichneten sich die reformierten Nichtfemseher dutch h~iufige Kirchenbesuche und die Pr~iferenz entspannender T~itigkeiten im kleinen Kreise - z. B. wandern und radfahren mit Freunden oder Familienmitgliedem- aus. Im Gegensatz zu den gesellschafUich iiberaus aktiven nichtreformierten Nichtfemsehem geh/Srte keiner der calvinistischen Nichtfemseher einer Aktionsgruppe oder einer Interessengemeinschat~ an. Die Aktivit~ten der non-calvinistischen Nichtfemseher konzentrieren sich hingegen auf ihr gesellschat~spolitisches Engagement, sportliche Aktivit~iten lehnen zumindest die yon Renckstorf und Vettehen untersuchten nichtreformierten Teilnehrner generell at). Hinsichtlich der Mediennutzungsgewohnheiten der beiden Nichtfernsehergruppen konnten Renckstorf und Vettehen indes eine signifikante Gemeinsamkeit aufdecken. Sowohl die Calvinisten als auch die Nicht-Calvinisten unter den Nichtfemsehem nutzen auch das Radio deutlich weniger als die ihnen gegeniiberstehenden Fernsehnutzergruppierungen. Von den reformierten niederliindischen Nichtfernsehem wird oftensichtlich auch die Zeitung weniger in Anspruch genommen. Demgegen/Jber scheinen die nichtreformierten Nichtfemseher etwaige auf die Abwesenheit eines Femsehers zurfickzuRihrende Informationsdefizite durch vermehrte Zeitungslektiire zu kompensieren. Betrachtet man abschlieBend die vor allem in Deutschland eher diirftige Forschungslage mit gr6Btenteils veralteten Untersuchungsergebnissen fiber die Nichtfernseher, so muB mit Heinrich L6bbers resfimierend festgesteIlt werden:
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22 ,,Es mangelt an weiteren eingehenden Untersuchungen fiber diese Gruppe, die sich insbesondere mit den soziodemographischen Merkmalen, der Eigenart von Handlungskonzepten [...] und ihrem sonstigen Mediennutzungsverhalten besch~iftigen sollten." (L6bbers, 1990: S. 164)
1.3 Ursachen fiir die kommunikationswissenschaftliche Vernachliissigung der Nichtfernseher
Die eklatante Vemachl~issigung der Nichtfemseher in der Kommunikationswissenschaft wirft die Frage auf, worin eigentlich das Desinteresse an dieser spezifischen Kategorie der Zuschauerforschung begriindet sein mag. Zum einen ist es sicherlich die - im Vergleich zu den Fernsehnutzem - geringe Anzahl der Nichtfernseher, die sie als Objekte quantifizierender Forschungsmethoden a priori disqualifiziert und ihre (scheinbare) Bedeutungslosigkeit flit" kommunikationswissenschattliche Erkermtnisund Verwertungszusammenh~inge ausmacht. Zum anderen liegt die Erforschung dieser vermeintlich extremen Minderheit augenscheinlich nicht im Interesse einer grfiBtenteils von wirtschattlichen Belangen abh~.ngigen Zuschauerforschung, bei der letztendlich Einschaltquoten und Werbeblockreichweiten das Erkenntnisinteresse bestimmen. Dariiber hinaus ist es sicherlich so, dab sich die Durchschnitts- und Vielfemseherperspektive in der Zuschauerforschung quasi verselbst~indigt hat und die mannigfaltigen Forschungsergebnisse zu normalem und exzessivem Fernsehkonsum den Forscherblick fiir marginale Ph~nomene wie die Wenig- und Nichtfemseherproblematik verstellen.
1.4 Argumente fiir eine Nichtfernseherstudie
Allein die Tatsache, dab die Nichtfemseher als Kategorie der Zuschauerforschung bisher stark vemachl~issigt wurden, rechtfertigt bereits eine genauere Betrachtung dieser auBergewfhnlichen Spezies, um grundlegende Fakten fiber deren fernsehfreie Lebensweise in Erfahnmg zu bringen. Unter Berficksichtigung der neueren Erkenntnisse der Zuschauerforschung, dab Mediennutzung kein gleichgerichtetes Publikumsverhalten, sondem ein stark individualistisch gepr~igtes, von aktuellen Freizeit- und Wertetrends beeinfluBtes Handeln darstellt, bei dem pers6nliche Pr~iferenzen und individuelle kommunikative Grundorientierungen (Informationsorientierung versus Unterhaltungsorientienmg) ~5 ausschlaggebend sind, erscheint es angebracht, auch stark von der Norm abweichenden Femsehumgang zu untersuchen, um ein mfglichst umfassendes Spektrum individueller Femsehnutzungsmuster zu erfassen. Aktuelle Forschungsergebnisse fiber Nichtfemseher und ihr typisches Handeln kfnnen
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23 zur Oberpriifung bereits existierender Forschungsresultate herangezogen werden beziehungsweise diese erg~nzen, und nicht zuletzt best~de die M/Sglichkeit, mit fundierten Informationen fiber Nichtfemseher eine Kontrollgruppe zu formieren, die in tier Zuschauerforschung dazu beitragen k6nnte, Erkennmisse fiber andere Rezipientengruppen wie Viel- und Durchschnittsfemseher zu reflektieren und effizienter einzuordnen. Auflerdem k6nnten Einsichten in die altemativen Handlungsmuster der Nichtfemseher inspirierend auf die Entwiclder anwendungsorientierter medienp~idagogischer Konzepte einwirken. Und schlieBlich diJr~e auch Rir die diversen Femsehprogrammanbieter yon nicht unerheblichem Interesse sein, aus welchen Griinden etwa eineinhalb Millionen Menschen nicht Rir das Femsehen und seine Programme begeistert werden k6nnen. Mit der bier vorgestellten Nichtfemseherstudie soil ein Beitrag dazu geleistet werden, Nichtfemseher als Vertreter einer vemachl~issigten Rezipientenkategorie n~her kennenzulemen und in ihrer spezifischen Eigenheit der Kommunikationswissenschaft zug~glicher zu machen. Das vomehmliche Ziel dieser Nichtfemseherstudie soil sein, urs~ichliche Zusammenh~ge Rir die femsehfreie Lebensweise einzelner Individuen zu ergriJnden, alternative, vom Femsehen weitgehend unabhS.ngige Lebens- und Freizeitg e s t a l t t m g s s ~ e n vorzustellen und Lebensentwfirfen nachzuspiiren, in denen das Femsehen als Informations- und Unterhaltungsmedium keine Rolle (mehr) spielt.
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2. Die Nichtfernseherstudie: Theoretischer Hintergrund, Konzeption und Durchflihrung
Eine kleine, schwer zugiingliche Gruppe von Menschen, fiber deren yon der Norm abweichendes (Medien-) Handeln so gut wie keine aktuellen, gesicherten Erkenntnisse vorliegen, lfiBt sich nicht mit anonymisierenden, quantifizierenden Methoden, sondem lediglich mit Hilfe qualitativer, explorativer Verfahren ad/iquat untersuchen, will man ein H6chstmaB an Informationen fiber sie und ihre Lebens- und Alltagsgestalttmg aus erster Hand gewinnen 16. Gerade in der Grundlagenforschung sind direkte Aussagen aus der subjektiven Perspektive der Betroffenen dutch nichts zu ersetzen und an Validitiit und Tiefgang kaum zu fibertreffen. Aufgrund dieser l]berlegungen wurde auch bei der hier vorliegenden Nichtfemseherstudie ein qualitatives, handlungstheoretisch fundiertes Untersuchungsinsmunentarium zum Einsatz gebracht. H~iufig werden die theoretischen Hintergrundfiberlegungen, so sie denn fiberhaupt im Vorfeld einer Untersuchung angestellt wurden, nicht expliziert, geschweige denn kritisch hinterfragt. Eher ist es fiblich, im Rahmen qualitativer Forschungsprojekte darauf hinzuweisen, dab von einer ,,handlungstheoretischen Perspektive ''17 ausgegangen wird, ohne diese genauer kenntlich zu machen. Selbst die Offenlegung des konkreten praktischen Vorgehens im Forschungsprozel3 geh6rt nicht zu den Selbstverst~dlichkeiten in der qualitativen Forschungspraxis. Dabei garantiert gerade die gewissenhafte Explikation - auch der theoretischen Vorfiberlegungen - die gr613tmfgliche Objektivit~it im ForschungsprozeB. Im Rahmen dieser Studie kommen jedenfalls die theoretischen Hintergrundfiberlegungen detailliert zur Sprache, ebenso wie die konkreten Techniken, die zur Analyse der Nichtfemseher eingesetzt wurden.
2.1 Der theoretische Hintergrund der Nichtfernseheruntersuchung
Die theorefischen 0berlegungen zu dieser Studio wurden inspiriert durch die jiingeren Arbeiten zur handlungstheoretischen Perspektive in der publikumszentrierten Kommunikationswissenschaft ~s, in der die auf Alfred Schfitz mn'iickgehende, ph~inomenologisch begriindete Handlungstheode ~9 eine zunehmende Rolle spielt, sowie dutch die Diskussion des Lebensstilkonzeptes in den Sozialwissenschaften 2~ die mittlerweile auch Teile tier gegenw~tigen Kommunikatiomwissenschaft erfaBt hat2~. Auf handlungstheorefischer Ebene gabon vor allem die jfingsten Vorst611e Karsten Renckstorfs zur handlungstheoretischen Fundierung der Massenkommunikationsfor_ schtmg den Anstofl ftir die theoretische Konsolidierung dieser Nichtfemseherstudie, da Renckstorf in der Tradition des ,,Uses-and-Gratifications Approach" (Blumler & Katz 1974; Rosengren, Wormer & Palmgreen 1985) und in Weiterentwicldung seines
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26 eigenen ,,Nutzenansatzes" ein geschlossenes, elaboriertes und zur praktischen, vorzugsweise qualitativen Forschung anleitendes Referenzmodell zur Ermittlung von Folgen und Konsequenzen massenmedialer Kommunikationsprozesse22 entwickelt hat, in dem zusiitzlich zu den Implikationen des symbolischen Interaktionismus die Gedanken Schiitzem und seiner Adepten zur Erkl~ung menschlichen Handelns eine prominente Rolle einnehmen. umgebende Gesellschafi (einschlieBlich der Medien und anderer sozialer, politischer, kultureller und 6konomischer lnstitutionen etc.)
1 Definition der Situation
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individuelle und soziale Merkmale (einschlieBlich basaler menschlicher Bediirfnisse, psychologischer S ~ , sozialer Stellung, individueller I.,r etc.)
Handlungstheoretisch fundiertes Referenzmodell zur Ermittlung yon Folgen und Konsequenzen massenmedialer Kommunikationsprozesse. (QueUe: Renckstorf, 1989: S.
332) Mit diesem Referenzmodell, das die wesentlichen Gnmd~ge der ph~aomenologischen Sozialtheorie Alfred Schtitz' und der darauf aufbauenden neueren Wissenssoziologie berticksichtigt, kSnnen (Medien-) Handlungsakte vom Beginn ihrer sinn- und wahrnehrnungsgebundenen Entstehung his hin zu ihrer abschlieBenden Bewertung durch das handelnde Individuum analytisch in den Blick genommen werden. Sowohl bewuBteals auch unbewuBte Handlungsakte lassen sich prinzipiell mit diesem Modell aufschliisseln und motivatorisch zurfickverfolgen. Renckstorfs Referenzmodell und seine diesbeziiglichen theoretischen Ausfiihnmgen und Erl~iuterungen wurden jedoch nicht unveriindert Rir diese Nichtfernseherstudie iibemommen, da in seinem Modell der Fokus zu sehr auf der Analyse von Mediennutzung zum Zwecke der Informationsgewinnung liegt, und einige wesentliche Voraussetzungen und Bedingungen menschlichen Handelns aus der Perspektive der ph~omenologischen Handlungstheode keine ausreichende Berticksichtigung finden bzw. einiger Erg~z~amgen bediirfen. Star dessen wurde im Rahmen dieser Studie ein eigenes heuristisches Modell entwickelt, das sich
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27 auf handlungstheoretischer Ebene ausschlieBlich an der phfinomenologischen Sozialtheorie orientiert und zus~itzlich noch um einige zentrale Prinzipien der soziologischen Lebensstiltheorie erweitert wurde, um eine adequate Nichtfemseheranalyse zu gew~t~rleisten und den spezifischen Fragestellungen dieser Untersuchung gerecht zu werden.
2.1.1 Der handlungstheoretische Orientierungsrahmen: Menschenbiid und Handeln aus der Perspektive der phiinomenologischen Sozialtheorie
Das zentrale Thema der von Alfred Schfitz begriindeten, ph~omenologisch fundierten Handlungstheorie bildet das Handeln des Memchen in der allt~glichen Lebenswelt als prim~rem Sinnbereich und Bereich der Praxis. In dieser ,,Soziologie des Alltags" (Grathoff, 1978b: S.403) wird davon ausgegangen, daft der Ablauf menschlichen Handelns maggeblich durch die Strukturen der Lebenswelt (Raum-/Zeitdimensionen; biographische Pr~igung; (soziale) Mitwelt etc.) vorbedingt ist, und dab der subjektiven Sinnkonstitution individuellen Handelns - wie anderen Bew~tseinsgegenst~den auch - mit Hilfe ph~.nomenologischer Reduktionsmethoden nachgespfirt werden kann. Das Ziel dieser Theorie ist alas Verstehen memchlichen Handelns durch die ann~ihemde Rekonsmaktion seiner Ursachen, seines Sinnes und seines Zweckes, wobei die Analyse der subjektiven Interpretationen und Sinnsetzungen der handelnden Individuen im Vordergrund steht. Handeln bildet in dieser Perspektive nicht nur eine unabdingbare Grundvoraussetzung menschlicher Existenzsicherung, Handeln wird brier auch als die ,,Grundform des gesellschafllichen Daseins des Menschen" (Luckmann, 1992: S.4) schlechthin betrachtet. Die folgenden, hochverdichteten AusFtihnmgen beschreiben Genese und Ablauf menschlichen Handelns von tier Wahmehmung aktionsausl6sender (Umwelt-) Faktoren fiber interne Planungs- und Entscheidungsprozesse und darauffolgende, extem beobachtbare Handlungsakte bis lain zur abschlieBenden Bewertung des jeweiligen Handelns durch den Akteur selbst aus tier Perspektive tier ph~omenologisch begriindeten Handlungstheorie 23. Zunfichst werden die elementaren BewuStseinsvorg~ge, die vor und w~ihrend eines Handlungsaktes im Inneren des Handelnden ablaufen, sowie die generelle Sichtweise menschlichen (sozialen) Handelns aus dem Blickwinkel dieser speziellen Sozialtheorie geschildert, um anschlieflend die modellhaiten Vorstellungen der ph~omenologischen Handlungstheorie fiber den konkreten Ablauf des menschlichen Handelns und dessen sinnhaften Aufbau zu skizzieren. So ist das Bewufltsein des Menschen aus der Perspektive der ph~omenologischen Handlungstheorie nichts ,,an sich", sondem es ist stets Bewufltsein yon etwas. Diese Objektbezogenheit des Bew~tseim nennt Schfitz in Anlehnung an Franz Brentano und Edmund Husserl Intentionaliti~t:
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28 ,,Es gibt nicht so etwas wie Denken, Ffirchten, Phantasieren, Erinnem als solches; jedes Denken ist Denken von, jedes Ffirchten ist Ffirchten von, jedes Erinnern ist Erinnem von einem Gegenstand, der gedacht, gefiirchtet, erinnert wird." (Schfitz, 1971b: S.118) In einem kontinuierlichen Bewufltseinsstrom 16sen sich die jeweiligen BewttfltseinsgegenstEnde nacheinander ab. Das, was zum jetzigen Zeitpunkt im Bewugtsein vorherrscht und im n~ichsten Moment wieder das Bewufltsein verl~t, wird mit dem, was zuvor im Griff des BewuBtseins lag und dem nun folgenden Bewugtseinsgegenstand in fortlaufenden Synthesen verschmolzen. Diese Synthesen verlaufen automatisch und k6nnen vom Individuum nicht willentlich ausgeschaltet werden (Synthesen der retentiven, aktuellen und protentiven Phasen im inneren Zeitbewufltsein. Vgl. Luckmann, 1992- S.29). Die jeweiligen Bewufltseinsgegenst~de ~iugem sich als unmittelbare Wahrnehmung, Efinnertmg, phantasierende Vergegenwiirtigung, fiktive Vorstellung etc.. Sie manifestieren sich als jeweiliger thematischer Kern, als thematisches Feld, das den Kern umgibt und als Horizont, in dem das jeweilige thematische Feld steht. Thematische Keme k6nnen auch als Erlebnisse bezeiclmet werden. In Folge von freiwilligen oder (sozial) auferlegten Ich-Zuwendungen bilden sich im Ablauf der Erlebnisse einzelne Erfahrungen heraus. Diesen nun sch~irfer umrissenen Effahrtmgen kann vom Individuum im reflexiven Zugriff des Bewufltseins ein Sinn vediehen werden, indem sie nachtr~iglich in einen fiber ihre schlichte Aktualit~it hinausgehenden Zusammenhang gesetzt werden. Der Mensch ist jedoch auch in der Lage, sich bestimmten Erfahnmgen bereits im voraus zuzuwenden. Dabei handelt es sich um Erfahrungen, die in der Vorstellung des Menschen phantasierend vorweggenommen werden, um beispielsweise bestimmte Ziele zu erreichen. Derartige Effahrtmgen erhalten nicht erst nachtriiglieh, sondem bereits in ihrem aktuellen Verlaufeinen Sinn. Diese vorweggenommenen Effahrungen werden in der Terminologie der ph~inomenologisehen Handlungstheorie als Entwarfe bezeichnet, der zu einem Entwurf in Beziehung stehende Erfahrungsverlauf als Handeln, und das zum Abschlufl gekommene Handeln als Handlung. ,,Vorl~iufig sei festgehalten, dab Handlungen nicht wie Edebnisse und schlichte Erfahrungen von sich aus geschehen, sondem vom Handelnden ausgehen; sie sind 'motiviert'. Das die aktuelle Erfahrung steuemde Motiv ist die Erreichung eines Ziels; alas Ziel ist die im Entwurf vorweggenommene Erfahrtmg." (Luckmann, 1992: S.33) Menschliches Handeln wird hier - wie in den Handlungstheoden allgemein fiblich - als gewolltes, vorausgeplantes, an Zielen ausgerichtetes und somit in die Zttkunft eingreifendes Verhalten betrachtet. Ein groBer Teil menschlichen Handelns ist soziales Handeln, sofem es ,,seinem Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist" (Weber, 1972: S. 1). Im Rahmen der phEuomeno-
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29 logischen Handlungstheorie wird der Begriff des sozialen Handelns noch weiter pr~isiert: ,,Damit wir aber von sozialem Handeln sprechen k6nnen, genfigt es nicht, dab andere irgendwie mad irgendwo in den Sinn des Handelns einbezogen sind. Soziales Handeln ist dadurch gekennzeichnet, dab andere im thematischen Kem oder zumindest im thematischen Feld des Entwurfs au~eten." (Schfitz & Luckmann, 1984: S.99) Um sich nun- im wahrsten Sinne des Wortes - zu verwirklichen, mug tier Mensch seine allt/igliche Lebenswelt bewaltigen (Schiitz& Luckmann, 1979, S.26ff.), das heiBt, er mul3 die Probleme und Hindemisse iiberwinden, die sich ihm bei dem Versuch, seine Ziele zu erreichen mad seine Pl~.ne zu verwirldichen, in den Weg stellen. Dazu mug er handeln, allein schon, um durch die Befriedigung seiner elementaren Bediirfrdsse sein l]berleben zu sichem. In jedem Augenblick seines Lebens befindet er sich in einer spezifischen Situation, die er zuniichst mit Hilfe seines subjektiven Wissensvorrats definieren muB 24, bevor er sie handelnd bew/iltigen kann (Schiitz & Luckmann, 1979: S.148ff., Vgl. Schiitz, 1972: S.10), so sie denn eine Handlung erfordert. Dazu mug er alle Komponenten der Situation interpretieren und bestimmen sowie adequate Handlungsstrategien entwerfen und deren Ausfiihmng beschliel]en. Eine Situation besteht jedoch nicht ausschlieBlich aus ,,offenen" Elementen, die einer subjektiven Bestimmung bed/irfen, sondem sie ist teilweise unab/inderlich vorbestimmt durch die ontologische S ~ der Welt mad durch die subjektive Erfahrung der Lebenswelt durch alas Individuum. Dariiber hinaus ist jede Situation biographisch gepr~igt, das heiBt, sie hat ihre spezifische, dem Handelnden bekannte Vorgeschichte, und zu ilu'er Bew/iltigung steht dem Individuum ein spezifischer, biographisch artikulierter Vorrat an Gewohnhe itswissen (,,Fertigkeiten", ,,Gebrauchswissen", ,,Rezeptwissen") zur V erfiigung (Vgl. Schiitz & Luckmann, 1979: S.148f.). Diese Faktoren begrenzen die subjektive Interpretation beziehungsweise Definition der Situation erheblich und bedingen somit auch maBgeblich das situationsspezifische Handeln, alas sowohl als Durchfftihnmg als auch als Unterlassung stattfinden kann 25. Es ist unerheblich, ob alas Individuum eine Handlungssituation selbstentschieden bewiiltigen will, oder - aus welchen Griinden auch immer - bew/iltigen muff, um seine subjektiven Ziele zu erreichen. Aus der Perspektive tier ph/inomenologischen Handlungstheode steht es in jedem Fall vor tier Aufgabe, die Probleme, die sich ibm in der jeweiligen Situation stellen, zu lOsen. Als Probleme gelten in diesem Zusammenhang nicht nut konkrete Handlungshemmnisse, die sich beispielsweise als situationsspezifisehe Wissensdefizite manifestieren. Unter einem Problem kann hier auch eine Diskrepanz zwischen ,, ist" und ,,soil" oder, bei rein voluntaristischen Handlmagen, zwischen Wunsch und Wirklichkeit verstanden werden, welche der Mensch handelnd aufheben mug beziehungsweise will 26.
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30 Die meisten Probleme lassen sich routinemaflig, mit Hilfe bew~hrter Probleml6sungsstrategien l/Ssen, die in ~ihnlichen Situationen erprobt wurden und als typisierte, im individuellen Wissensvorrat sedimentierte Handlungsentwiirfe bei Bedarf abgerufen werden k/Snnen. Derartige Probleme erfordem keine bewuBte Situationsbestimmung, da alle offenen Situationselemente him'eichend interpretiert sind und die nStigen Handlungsstrategien automatisch zum Einsatz kommen. Diese Situationen bediirfen kaum der Aufmerksamkeit des Akteurs, ihre Probleme sind unproblematisch (Vgl. Berger & Luckmann, 1969: S.27). Eine Situation ist hingegen problematisch, wenn offene Elemente der Situation einer expliziten, erstmaligen oder aufgrund ver'~,aderter Rahmenbedingungen emeuten Auslegung bediirfen, oder wenn das Individuum auf keinen Probleml/Ssungstypus - quasi unbewugt - zuriickgreifen karm und bei voller Aufmerksamkeit einen problemad~iquaten L/Ssungsweg entwerfen und ausprobieren muB. Zweifelsohne ist ein elementares Ergebnis einer jeden Definition einer Handlungssituation, ob sie sich als problematisch oder als unproblematisch erweist, ob sie routinem~ig mit Hilfe des jeweiligen ,,Gebrauchswissens" oder ,,Rezeptwissens" bew/iltigt werden kann, oder ob dazu ein bewugt-expliziter LtisungsprozeB entwickelt werden mug. In beiden F/illen weist das Handeln jedenfalls eine zweidimensionale Motivstrukmr auf. Zum einen beruht das Handeln auf einem aktuell-prospektiven Um-zu-Motiv ('Ich nehme ein Bad, um meinen K/Srper zu reinigen'), zum anderen beruht es auf einem in die Vergangenheit verweisenden Weil-Motiv ( 'Ich nehme ein Bad, weil ich sarnstags immer ein Bad nehme'), das mit der Lebensgeschichte des Handelnden in einem Sinnzusammerthang steht (Vgl. Schiitz, 1971a: S.78ff. und Luckmann, 1992" S.56ff.). Die ftir das Verst~ndnis des Handelns weitaus bedeutenderen Weil-Motive lassen sich - und hier offenbart sich die spezifisch ph~nomenologische Betrachtungsweise der Sinnkonstitution menschlichen Handelns - theoretisch fiber feinste Ver~istelungen bis an ihren tiefsten Ursprung zuriickverfolgen: der grundlegenden Sorge um die eigene Verg~inglichkeit als ,,Triebfeder" menschlichen Handelns schlechthin: ,,Dies ist die urspriinglichste Erwartung, der alle anderen entstammen, - die vielen untereinander verschachtelten Systeme von Hoffnungen mad Beftirchtungen, von Wiinschen und Erftillungen, von Chancen und Wagnissen - die den Menschen dazu veranlassen, die Meisterung der Welt anzustreben, Hindemisse zu iiberwinden, Pl~e zu entwerfen und sie zu verwirklichen." (Schiitz, 1971b: S.262) Aus der grundlegenden Sorge leiten sich alle Interessen, Bedfirfnisse, Wichtigkeiten und Dringlichkeiten ab, die, zu individuellen Relevanzsystemen zusammengefaBt und im subjektiven Wissensvorrat gespeichert, das konkrete Handeln des Menschen motivieren. Diese subjektiven, biographisch einzigartigen Relevanzen bilden, in verschiedene Relevanzstrukturen aufgegliedert, den jeweiligen Hintergrund ftir den iibergeord-
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31 neten Lebensplan eines jeden Individuums und seine Bemfihungen, diesen Lebensplan zu verwirklichen. Hat sich das Individuum schliel]lich vor dem Hintergrund seiner individuellen Relevanzsetzungen und im Rfickgriff auf seinen subjektiven Wissensvorrat auf einen nach seinem Ermessen situationsadequaten Handlungsentwurf festgelegt und sich zur Durchfiihnmg dieses Entwurfs entschlossen, oder- tmbewul3t- einen passenden, typisierten Handlungsentwurf hervorgebracht, folgt ein externer Handlungsakt, der in einem abschliel]enden Evaluationsverfahren hinsichtlich seiner Tauglichkeit zur Probleml6sung beziehungsweise zur Erreichung des Handlungszieles fiberpriift und n6tigenfalls revidiert werden kann. Um das hier skizzierte Bild des Handelns aus der Perspektive der ph~inomenologischen Handlungstheorie abzurtmden, bedarf es noch einiger erg~lzender Anmerkungen fiber die Komplexit/it und strukturelle Verwobenheit des menschlichen Handelns innerhalb dieses Denkmodells, nicht zuletzt, um dem tiefgreifenden und umfassenden Charakter dieser Theorie Rechnung zu tragen. So muB noch einmal auf die komplizierte Eingebundenheit menschlichen Daseins und Handelns in die ontologischen und subjektiven Stnflam'en der Lebenswelt hingewiesen werden, die jeden Handlungsakt zu einem einzigartigen Ereignis macht. Vor allem die Verwobenheit menschlichen Handelns in ein sozial weitverzweigtes, intersubjektives Milieu mit ungez~alten zwischenmenschlichen Beziehungen und Abh~gigkeiten muB noch einmal als handlungspr/igender und handlungsleitender Faktor erw~_nt werden. Jeder Denk- und HandlungsprozeB ist zudem eingebtmden in ein vielfach verzahntes, fiber Generationen entwickeltes und tradiertes System aus intersubjektiven Relevanzund Wissensstrukturen, die als stabile soziale Objektivationen einen ,,gesellschafUichen Zaun" (Luckmann, 1992: S.5, Vgl. Berger & Luckmann, 1969: S.36ff.) bilden, innerhalb dessen Grenzen menschliches Handeln in der Regel stattfindet. Auch das menschliche Handeln selbst spielt sich weitaus komplizierter ab, als es die im Vorangegangenen dargestellte, zusammenfassende Skizze menschlicher Aktivit/it nahelegt. So gibt es ,,kleine" und ,,groBe" Handlungen (es ist schon von unterschiedlicher Tragweite, ob ich mir mein Frfihstficksbrot zubereite oder ein Eigenheim baue), einfache und komplizierte, es gibt Handlungen, die augenblicklich zu einem Resultat ffihren, mad langfristige Handlungen, die einem komplexen, weit in die Zukunft reichenden Entwurf folgen (zum Beispiel eine mehrmonatige Reise durch alle europ~iischen L~inder im n/ichsten Jahr). Es gibt sehwerwiegende Handlungen, die von vomherein einer bewuBt-expliziten Planung bedfirfen, um m6gliche Fehlschl/ige bereits im Vorfeld der Handlung auszuschlieBen, und Handlungen von gr6Bter Belanglosigkeit, deren Ausgang vollkommen irrelevant Rir die subjektive Lebensfiihnmg bleibt. Manthe Handlungsziele lassen sich mit einem einzigen Schritt erreichen, andere wiederum erfordem zahlreiche Zwischenschritte, bevor der Entwurf in die Tat umgesetzt werden kann. Einige Handlungen bedfirfen zus/itzlicher Handlungen, um ein fibergeordnetes Handlungsziel erreichen zu k6nnen. All diese Handlungsarten k6nnen natfirlich in
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32 beliebiger Kombination auRreten, und unz~alige Zwischenstufen bezfiglich der Gestalt des jeweiligen Handlungsaktes sind denkbar. So enthalten viele Handlungen sowohl routinisierte als auch bewuflt-explizite Zwischenhandlungen. Handlungsmotivierende Interessen und Bedfirfnisse k6nnen zudem in den seltensten F~illen isoliert betraehtet werden: ,,Das Verh/iltnis zwischen einem bestimmten Interesse und einem bestimmten Entwurf muB immer gegen den Hintergrund fibergreifender Handlungszusammenh~_nge und ganzer Interessenbiindel betrachtet werden." (Luckmann, 1992" S.67) Jedenfalls verdeutlichen diese abschlieflenden Bemerkungen fiber die vielfachen Verwicklungen menschlieher Aktivit/it, dab die ph/inomenologiseh orientierte Handlungstheorie durchaus bemfiht ist, ein realit~tsnahes Modell mensehliehen Handelns zu entwerfen, mit dessen Hilfe die alltagsweltliehen Lebens- und Handlungsprozesse besser verstanden werden kfnnen 2~. Sie eignet sieh daher aueh in besonderem Marie als theoretischer Odentiemngsrahmen bei tier Analyse des komplexen und vielf~iltig motivierten Nichtfernseherhandelns. Die Niehtfernseher werden aus dieser Perspektive als sinnhat~ handelnde, aktiv ibxen Alltag gestaltende Individuen betrachtet. Ihre individuellen lebensweltlichen Rahmenbedingungen und subjektiven Merkmale linden in dieser Konzeption eine angemessene Berfieksiehtigung. So erm6glicht dieses Denkmodell die Smakturierung eines anwendungsorientierten Analysekonzeptes, mit (lessen Hilfe die Ursachen und Entstehungsbedingungen der fernsehfreien Lebensweise der Betroffenen, ihre generelle Alltagsgestaltung und ihre absehlieflende Handlungsbewertung prinzipiell aufgeschlfisselt werden kfnnen.
2.1.2 Der lebensstiltheoretische Orientierungsrahmen: Ein empirisches Konzept zur Erfassung und Erforschung yon Lebensweisen
Eng verwandt mit dem handlungstheoretisehen Konzept der ,,Lebenswelt" als allt~iglir von Normen und Werten, Gewohnheiten, Routinen und Probleml6sungen gepr/igten Erfahnmgswelt, in der die Subjekte eingebunden sind in verschiedenste Familien-, Freizeit-, und A r b e i t s s ~ e n , ist alas Lebensstilkonzept, das im Zuge der Diskussion fiber Individualisierungsprozesse und Pluralisierungsprozesse von Lebensweisen eine spiirbare Renaissance erfahren hat. Die Lebensstiltheorie eignet sich vor allem zur genauen Besehreibung yon Gruppen, Milieus und Konsummustem (deskriptive Funktion), zur Analyse gesellsehattlieher Entwieklungstendenzen und neuer Trends, Formen und Stile (zeitdiagnostische Funktion), sowie zur altemativen Konzeptualisierung und Erkl~'tmg sozialer Differenzierung und sozialer Ungleichheit (theoretische Funktion) (Vgl. Mfiller, 1989: S.53). Sic eignet sich daher auch prinzipiell zur
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33 Analyse der Nichtfernseher und ihrer spezifischen, ~ d e s t in bezug auf ihre Mediennutzungsgewohrtheiten vom Gros ihrer Mitbfirger abweichenden Lebensfiihrtmg, und stellt in ihrer deskriptiven, differenzierenden Funktion eine ideale Erg~inzung zur ph~.nomenologischen Lebenswelttheorie dar. Im Laufe der vergangenen Jahre haben sich mehrere Ans~itze innerhalb der Lebensstilforschung herausgebildet, die hinsichtlich ihrer Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand und ihrer Gnmdannahmen fiber die Ursachen unterschiedlicher Lebensstile variieren28. Nennenswert ist hier in erster Linie der auf Pierre Bourdieu zurfickgehende klassentheoretische Ansatz, dessen Interesse sich auf das Verh~iltnis yon Kultur, Herrschaft und sozialer Ungleichheit richtet. Der klassentheoretische Ansatz geht davon aus, dab individuelle Klassenzugeh6rigkeit in erster Linie fiber verschiedene Lebensstile festzumachen ist. Von erw~menswerter Relevanz innerhalb der lebensstilorientierten Sozialforschung sind neben dem klassentheoretischen Ansatz noch der qualitativ-sozialstrukturelle Ansatz (Sobel, 1981, 1983), der Lebensstile anhand yon unterschiedlichen Konsummustern differenziert und definiert, der qualitative Lebensweltansatz (Becker & Nowak, 1982, 1985), dessen Ziel darin liegt, die Lebenswelten der Individuen fiber ihre subjektiven Lebenslagen und Lebensstile zu erfassen, und der Wertwandel-Ansatz (Mitchell, 1983, 1984), der auf der Hypothese beruht, daft sozialer Wandel nicht nur von technischen, politischen und 6konomischen Faktoren abh~ngt, sondem haupts~ichlich durch Wertwandel hervorgerufen wird. Als Ergebnis konkreter, empirischer Lebensstilforschung pr~isentieren sich zumeist unterschiedliche Lebensstiltypologien, die zur Erkl~amg sozialer Schichtungs- und Differenziertmgsph~inomene herangezogen werden. Vielversprechend ftir die Analyse der Nichtfemseher im Rahmen dieser Studie erscheinen die Uberlegungen Hartmut Lfidtkes (1989, 1990), der sowohl eine adequate Lebensstildef'mition anbietet als auch einen fiberzeugenden ,,Variablenpool" zusammengestellt hat, mit (lessen Hilfe Lebensstile auf praktisch-empirischer Forschungsebene erfagt werden k6nnen. Lfidtke definiert Lebensstil als ,,unverwechselbare Stntktur und Form der Lebensorganisation eines privaten Haushalts bzw. der in ibm lebenden Individuen", der in ,,biographischen Prozessen yon Versuch und Irrtum sowie des Vergleichs mit anderen Personen oder Gruppen entwickelt" wird, und einen ,,erprobten, bewiihrten und somit sinnvollen Gesamtzusammenhang von Alltagsroutinen, Symbolen, Verhaltensmustem und Bezugsgruppen" bildet (Lfidtke, 1990: S.434). Der mikrofkonomische Entstehungshintergrund von Lebensstilen wird von Lfidtke mit Hilfe der Lebensstilkonzeption Bannings (Banning, 1987) auf den Punkt gebracht. Dieser geht von einem PersOnlichkeitssystem als Ergebnis individueller Determinanten und soziokultureller Umweltfaktoren aus, das aus seinem Selbstbild, seinem Selbstkonzept und seinem Weltbild einen ,,erwiinschten Lebensstil" ableitet, der fiber komplexe kognitive Vergleichs-, Auswahl- und Entscheidungsprozesse zu einem ,,bediirfnisspezifisch erwfinschten Lebensstil" (Prfiferenz) gefiltert wird. Der ,,bediirfiusspezi-
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34 fisch erwiinschte Lebensstil" wird fiber zus~itzliche Gewichtungs- und Antizipationsprozesse in den ,,angestrebten Lebensstil" (Pr~idisposition) umgewandelt, aus dem schlieBlich im Bedingungsfeld gegebener Einschr~inkungen und situativer Rahmenbedingungen sowie in Abh~ingigkeit vonder individuellen Entscheidung fiir oder gegen m/Sgliche ,~imderungen der ,,realisierte Lebensstil" wird. Die Hauptftmktion eines spezifischen Lebensstils sieht Liidtke in der Vermittlung und Sicherung personaler und sozialer Identit~it. Der spezifische Lebensstil erlaubt es dem Individuum, routinem~ig die eigenen Interessen und Wertvorstellungen mit gr/SBtm6glicher Effizienz in die Realitiit umzusetzen und seine Identit~it zu stabilisieren. Nach attBen hin dient der individuelle Lebensstil der symbolischen Expression der eigenen Person und Sph~e gegenfber anderen mit der Erwartung von Respekt und Best~itigung. Der betont voluntaristisch-expressive Charakter von Lebensstilen legt es nach Meinung Lfdtkes nahe, zur empirischen Erfassung und Differenzierung von Lebensstilen in konkreten Forschungsprojekten typische Performanzmuster zu erheben. Diese ~iuBern sich vomehmlich durch die Ausstattung des Haushalts mit kulturellen Gftem und Dekorationsgegenst~den, durch deren Gebrauch und damit verbundene Geschmackspr~iferenzen, durch das Konsumverhalten, durch Freizeitverhalten und Hobbys, die Teilnahme am Kulturbetrieb, Emiihnmgsgewohnheiten, Mediengebrauch, das ~iuBere Erscheinungsbild, Freundes- und Bekanntenkreise und ~mlich gelagerte Indikatoren. In der hier skizzierten theoretischen und methodologischen Konzeption fiihrt Lfdtke zentrale Annahmen der unterschiedlichen gegenw~"tigen Lebensstilansiitze zusammen, um auf diese Weise den sozialwissenschaftlichen Fokus wieder verst~kt auf das sinnhaft und aktiv handelnde Subjekt in seiner individuellen Lebenswelt zu lenken. In diesem Anspruch offenbart sich auch die Niihe seines lebensstiltheoretischen Ansatzes z,ttr ph~inomenologischen Handlungstheorie: ,,Man kann leicht nachprffen, dab in dieser Definition der 'konzeptionelle Mainstream' der Lebensstildiskussion zu erfassen versucht wurde. In ihr kommt, im Verh~iltnis zum Imperialismus der Lagerungs-, Distributions-, Allokations-, allgemein: Smaka~konzepte in den Ungleichheitstheorien, vor allem die Perspektive des Akteurs bzw. des sozialen Handelns wieder zu ihrem Recht, nachdem die Individuen vomehmlich als Opfer abstrakter M~ichte der Smflaurreproduktion betrachtet worden sind." (Lfidtke, 1990: S.435)
2.2 Das handlungs- und iebensstiitheoretisch fundierte Konzept zur Analyse von Nichffernsehern
Zentrale Elemente der beiden im Vorangegangenen vorgestellten sozialwissenschaftlichen Theorien wurden zu einem heuristischen ModeU menschlichen Handelns und
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35 individueller Lebensfftihnmg kombiniert und der konkreten Nichtfernseheranalyse als theoretischer Orientierungsrahmen zugrunde gelegt29. Innerhalb des Modells bilden die ph~nomenologisch-handlungstheoretischen Grtmdannahmen den fibergeordneten, prim~en Theorierahmen, in den erg~inzende Bestandteile des Lebensstilkonzeptes integriert wurden. Diejenigen Theorieelemente, die als theoretische Hintergrundannahmen in das Analysekonzept zur Untersuchung der Nichtfemseher einflossen, lassen sich in Form einer zusammenh~agenden, aus interdependenten Teilgliedem bestehenden Abfolgekette zusammenfassen, die das Handeln der Nichtfemseher in seinen Entstehungsbedingungen, Erscheinungsformen und Konsequenzen modellhaf~ aufschliisselt. Am Anfang dieser Kette steht das Pers6nliehkeitssystem des Probanden, das als Ergebnis individueller Determinanten und soziosmtk~eller Faktoren zu betrachten ist. Jede Pers/~nlichkeit besitzt einen individuellen Wissensvorrat, auf den sie fortw~J~rend bei der Interpretation trod Bew~iltigung ihrer Umwelt - mehr oder weniger bewul3t zurfickgreift. Wichtigster Bestandteil dieses Wissensvorrats ist das individuelle Relevanzsystem, aus dem sich die handlungsleitenden Motive herleiten, die letztlich zu konkreten, externen Handlungen ffxihren. Das exteme Handeln ~iuBert sich als spezifisches Performanzmuster, das Rfickschlfisse auf den realisierten Lebensstil des zu untersuchenden Nichtfernsehers zul~t. Am Ende dieser Kette steht die Evaluation des individuellen Handelns und seiner lebensweltlichen Konsequenzen durch den Akteur selbst. Dieser Evaluationsprozel3 kann wiederum zu einer Revision des Handelns und damit auch des jeweiligen Lebensstils Ftihren, falls sich die bisherigen Handlungsstrategien als ungeeignet erweisen sollten. Alle Elemente dieser Kette mfissen immer unter dem jeweiligen Einflul3 stru~ureller und situativer Rahmenbedingungen betrachtet werden. Sowohl die jeweiligen ~iuBeren Bedingungsfaktoren als auch die individuellen psychischen und sozialen Charakteristika der Untersuchungspersonen mfissen im Forschungsprozel3 stets mitbedacht und in die Analyse einbezogen werden. Anhand dieses ModeUs l~iBt sich nun das Ph~omen des Nichtfernsehens als integraler Bestandteil des jeweiligen lebensweltlichen und lebensstilistischen Gesamtzusammenhangs untersuchen, ohne die Forschungsperspektive zu sehr auf das Nichtfernsehen als reinem Medienhandeln zu verengen. Die unsystematischen und unsmflcatderten Fragestellungen, die den Ausgangsptmkt dieser Untersuehung bildeten, wurden auf der Basis des hier entwickelten heuristischen Analysemodells theoretisch fundiert, pr'~isiert und anhand zentraler Untersuchungsdimensionen smtkan'iert und systematisiert. Dabei ergaben sich im ProzeB der theoretischen Reflexion noeh zus~itzliche Fragestellungen, die im Rahmen dieser Arbeit von Interesse sind und weitergehende Erkenntnisse fiber die Nichtfemseher versprechen. Die Ergebnisse der bisherigen Nichtfemsehefforschung wurden dabei ebenfalls berficksichtigt. Auf diese Weise entstand ein umfangreicher Katalog konkreter, forschungsleitender Fragen mit insgesamt vier analytischen Schwerpunkten. Auf der ersten Analyseebene werden konkrete Fragen zum NichOCernsehen und damit
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36 verbundenen Handlungs-, Motivations- und Einstellungssmflfmren gestellt. Das Erkenntnisinteresse richtet sich hier auch auf eventuelle friihere Femsehnutzungsgewohnheiten der Befragten und einen m/Sglichen Zusammenhang zwischen diesen Gewohnheiten und ihrer heutigen femsehfreien Lebensweise. Ein zweiter analytischer Schwerpunkt liegt auf dem allgemeinen Alltagshandeln der Nichtfernseher und den dahinter stehenden Wissens- und R e l e v a n z s ~ e n . Hier sind auch konkrete Fragen zu weitergehenden lebensstilistischen Eckdaten, die sich bereits in der empirischen Lebensstilforschung bew~ihrt haben, angesiedelt. Der dritte analytische Schwerpunkt liegt auf der Bewertung der fernsehfreien Lebensweise durch die Betroffenen selbst und den Perspektiven der Befragten im Hinblick auf die Fortsetzung ihrer spezifischen Lebensweise. Diesem analytischen Schwerpunkt wurde auch die Frage nach etwaigen Reaktionen aus dem sozialen Umfeld der Befragten auf deren femsehfreie Lebensweise zugeordnet. Neben diesen drei eng zusammenh~'agenden und vielfach verwobenen Analyseebenen besteht noch der ,,Sonderschwerpunkt" allgemeines Medienhandeln, in dem speziell Fragen zur nicht-femsehbezogenen Mediennutzung und Medienausstattung, zu Medienbediirfnissen, Medienerfahrungen und Medieneinstellungen der Untersuchungsteilnehmer sowie zu ihrer Bereitschaft zur kommunikativen Partizipation im Mittelpunkt stehen. Die konkreten forschungsleitenden Fragestellungen, die auf der Basis der vorangegangenen Oberlegungen entwickelt wurden, werden - in Zuordnung zu ihren jeweiligen analytischen Schwerpunkten und Untersuchungsdimensionen- auf den folgenden Seiten im einzelnen aufgefiihrt:
Nichtfernsehen Entstehungsbedingungen derfernsehfreien Lebensweise 9 Wie ist es dazu gekommen, dab die Nichtfemseher nicht (mehr) fernsehen, wie ist il~ Nichtfemsehen entstanden bzw. ,,gewachsen"? 9 Beruht ihre femsehfreie Lebensweise auf einer bewuBten Entscheidung, oder hat sie sich eher unreflektiert, quasi automatisch ergeben?
Frfihere Fernsehnutzung 9 Falls die Befragten fi'iiher femgesehen haben, wie gestaltete sich ihr Femsehnutzungshandeln? 9 Besteht m6glicherweise ein kausaler Zusammenhang zwischen dem fi'iiheren Femselmutzungsverhalten der Nichtfemseher und ihrer heutigen femsehfreien Lebensweise?
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Stellenwert des Nichtfernsehens 9 Welchen Stellenwert hat das Nichtfemsehen im Leben der Betroffenen? Ist die Femsehlosigkeit fftir die Befragten eher ein wichtiger, zentraler Aspekt im Rahmen ihrer Lebensgestaltung oder eher ein nebengeordneter, selbstverst~indlicher Faktor?
Einstellung zum Fernsehen 9 Wie ist die generelle Einstellung der Befragten gegeniiber dem Femsehen? Wird es prinzipiell trod kategorisch abgelehnt? Sind sie gar als ,,Fernsehverweigerer" zu bezeichnen?
Ursachen und Motive far die fernsehfreie Lebensweise 9 Warum sehen die Befragten nicht - oder nicht mehr - fern? Welche Beweggriinde und Ursachen stehen hinter ihrer femsehfreien Lebensweise?
Allgemeines AIItagshandeln Aktivitaten und Lebensgestaltung 9 Welchen T~itigkeiten gehen die Nichtfemseher (start dessen) nach, und warum? Ziehen sie diese gegeniiber dem Femsehkonsum bewuflt/prinzipiell vor, oder gehen sie ihnen eher unreflektiert nach? Inwieweit spielen berufliche, gesellschaftliche und familiale Rahmenbedingungen und Verpflichtungen in diesem Zusammenhang eine Rolle? 9 Wie sieht die generelle, allgemeine Lebensgestaltung der Nichtfemseher aus? Wie verhalten sie sich auf der Ebene signifikanter lebensstilistischer Handlungsfelder? 9 Gibt es lebensweltliche oder lebensstilistische Auff'~illigkeiten oder Besonderheiten im Alltag der Nichtfemseher? Gibt es auch auf anderen Ebenen, neben dem Nichtfemsehen, abweichende Verhaltensweisen in der Lebensgestaltung der Befragten? 9 Gibt es signifikante lebensweltliche und lebensstilistische Gemeinsamkeiten zwischen den Nichtfernsehem? 9 Gibt es gar einen ,,typischen" Nichtfernseher, der sich durch spezifische lebensweltlithe und lebensstilistische Merkmale auszeichnet? (Die Fragen zu den lebensweltlichen und lebensstilistischen Gemeinsamkeiten der Nichtfernseher beziehen sich nicht nur auf die konkrete Lebens- und Alltagsgestal-
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38 tung der Untersuchungsteilnehmer, sondem sind gleichzeitig als abergeordnete
Forschungsfragen zu betrachten.) Allgemeine handlungsbedingende Relevanzstrukturen 9 Welche Werte, l]berzeugungen, Weltanschauungen stehen hinter dem spezifischen Handeln der Befragten? 9 Welche Wiinsche, Bediirfnisse, Interessen und Ziele stehen hinter ihrem Handeln?
Evaluation/Perspektiven~eaktionen Vorteile der fernsehfreien Lebensweise 9 Gibt es positive Ver'Lndenmgen bzw. Vorteile durch die femsehfreie Lebensweise?
Nachteile der fernsehfreien Lebensweise 9 Gibt es negative Ver~derungen bzw. Nachteile aufgrund der femsehfreien Lebensweise?
Bewertung der fernsehfreien Lebensweise 9 Wie bewerten die Nichtfemseher ihre jetzige femsehfreie Lebensweise? Hat sie sich im Rahmen ihrer Alltagsgestaltung bew~trt? Haben die Befragten ihre femsehfreie Lebensgestaltung jemals iiberdacht oder bereut?
Perspektiven 9 Wollen die Befragten auch weiterhin ohne Femsehen leben?
Reaktionen yon auflen 9 Gab es Reaktionen - positiver wie negativer Art - aus der sozialen Umgebung der Nichtfemseher auf deren femsehfreie Lebensweise?
Allgemeines Medienhandeln Mediennutzung 9 Welche Massenmedien nutzen die Nichtfernseher, zu welchem Zweck und mit welcher Intensit~t? Welche Informationsquellen nutzen die Nichtfemseher, und welche
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39 Massenmedien nutzen sie zur Unterhaltung?
Medienausstattung 9 In welchem Marie sind die Nichtfernseherhaushalte mit Massenmedien und Kommunikationsendgediten ausgestattet?
Informations bedarfnis und Unterhaltungs bed~rfnis 9 Wie hoch ist das Informationsbedfirfnis der Nichtfemseher? 9 Wie hoch ist das medienbezogene Unterhalttmgsbedfirfnis der Nichtfemseher?
Lokale Informationen 9 Welche Rolle spielen lokale Informationen fiir die Befragten? 9 Wie beziehen die Nichtfemseher Informationen fiber die Vorg~age in ihrer lokalen Umgebung?
Medienerfahrungen und Medienerlebnisse 9 Gab es im fdiheren Mediennutzungsverhalten der Nichtfemseher relevante, das heutige Nutzungshandeln pr~igende oder beeinflussende Routinen oder Erlebnisse?
Kommunikative Partizipation 9 Nehmen die Nichtfemseher am 6ffentlichen, massenmedial vermittelten Kommunikationsprozefl teil? Auf der Grundlage dieser forschungsleitenden Fragestellungen wurde ein multidimensionaler LeiOCaden zur qualitativen Befragung der Nichtfernseher entworfen, mit dem Ziel, aussagekdiitige und vergleichbare Ergebnisse fiber die Befragten zu eflangen. Gleichwohl sollte der Leitfaden die Subjektivit~it der Untersuchungspersonen beriicksiehtigen und ein m6glichst offenes Vorgehen im BefragungsprozeB erlauben. Er wurde daher nicht als starres, forschungsleitendes Gerfist konzipiert, sondem als frei und spontan handtmbbarer, stichpunktartiger Fragenkatalog, der die Thematisierungs- und Artikulierungskompetenz tier zu untersuchenden Nichtfemseher nicht iiberm~ig beselmeidet. Selbstverst~dlich interessieren im Rahmen dieser Nichtfemseherstudie auch die demographischen Merkmale tier Befragten. So stellt sich die Frage nach etwaigen Auffdlligkeiten oder Besonderheiten im demographischen Profil der Nichtfernseher. Im
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40 Zusammenhang mit der Erforschung eventueller lebensweltlicher und lebensstilistischer Ubereinstimmungen unter den Nichtfernsehem muff darfiber hinaus auch nach demographischen Gemeinsamkeiten zwischen den Befragten gesucht werden. Zwar fliel3en zahlreiche Informationen fiber die demographischen Merkmale und die sozio6konomische Situation der Befragten automatisch in die Befragung mit ein, urn jedoch konkrete, vergleichbare und vor allem umfangreiche Angaben zur Demograpbie der Nichtfemseher zu erhalten, wurde ein standardisierter demograpbischer Fragebogen zur individuellen Beantwortung durch die Interviewteilnehmer zusammengestellt.
2.3 Die Durchfiihrung der Nichtfernseherbefragung
Bei der Planung und Durchfiihnmg der Nichtfemseherstudie wurden die grundlegenden Prinzipien der qualitativen Sozialforschung berficksichtigt 3~ So steht die Exploration und Inspektion neuer, aktueller Erkenntnisse fiber die Nichtfernseher und die Generienmg entsprechender Hypothesen im Vordergrund dieser Studie. Die aktuellen Einsichten fiber die Nichtfernseher er6ffnen zudem die Mfglichkeit einer kritischen Reflexion bereits existierender Forschungsergebnisse fiber diese spezifische Kategorie der Zuschauerforschung. Die Erftillung der klassischen Gfitekriterien sozialwissenschaftlicher Forschung wurde auch im Rahmen dieser Untersuchung angestrebt, allerdings unter den Vorzeichen der qualitativen, dem ,,interpretativen Paradigma TM verpflichteten Sozialforschung. Das Kfiterium der Vah'diti~t l ~ t sich dort - im Unterschied zur quantitativen Sozialforschung, bei der die Validit~it der Ergebnisse sich prim~ in der Einhaltung meBtechnischer Normen manifestiert - an der direkten N&he zum Untersuchungsgegemtand festmachen. Somit erwtichst die Gfiltigkeit tier erhobenen Befunde fiber die Nichtfernseher bier aus ihrer Qualit~t als ,,Wissen aus erster Hand", das in direktem, intensivem Kontakt mit den untersuchten Subjekten gewonnen wird. Die Reliabilitat des Untersuchungsdesigns und der Forschungsergebnisse wird bier nicht, wie im ,,normativen Paradigma" fiblich, aus der Genauigkeit, Stabilita't und Konstanz der MeBvorg~ge abgeleitet, sondern ergibt sich aus der Stimmigkeit und Angemessenheit des kompletten analytischen Instrumentariums zur Untersuchung der Nichtfernseher, das zudem im Detail expliziert wird. Anstelle einer von Distanz zum Untersuchungsgegenstand gepr~igten und mit Hilfe einer m6glichst invariaten Standardsituation im UntersuchungsprozeB verwirklichten Objektivitat, wie sie die quantitative Sozialforschung einfordert, wird im Rahmen dieser Nichtfernseheruntersuchung eine Objektivit~t angestrebt, bei der die Subjektivit~t des Forschers im Forschungsverlauf explizit einbezogen wird. Die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Untersuchung und ihrer Ergebnisse soil bier nicht im Sinne interindividueller Zuverl~sigkeit beziehungsweise Uberpriifbarkeit erreicht werden, sondem fiber eine gegenstandsbezogene Objektivit~it,
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41 die sich im Verlaufe des Forschungsprozesses entwickelt. Gerhard Kleining spricht in diesem Zusammenhang von einem ,,emergentistischen" Objektivit@sbegriff: ,,Die Notwendigkeit zum Bezug neuer Standpunkte und schlieBlich zur maximalen strukturellen Variation der Perspektiven und die Notwendigkeit der best~adigen Analyse der Daten auf Gemeinsamkeiten zur Erkenntnis der Strttkturelemente des Objekts bringt den Forscher von der subjektiven Warte im ProzeB der Forschung dem Gegenstand mit seinen eigenen Beziigen n~iher. Der AbschluB der Analyse, wenn sie erfolgreich ist, deckt die Sm&tur des Objektes auf. Sie ist nur ihm eigen, objektiv. Der Weg fiihrt also von einer subjektiven Betrachtungsweise durch den Prozef~ der Forschung und Analyse zur Objektivit~it. Qualitative Sozialforschung hat einen emergentistischen Objektivit~itsbegriff: Objektivit@ entsteht aus Subjektivit~it durch den ProzeB der Analyse." (Kleining, 1982: S.245f.) Die Reprasentativitat der erhobenen Befunde als Spiegelbild gesellschaftlicher Strukturen geh6rt nicht zu den vorrangigen Zielen der qualitativen Sozialforschung. Statt dessen begibt sich der qualitativ vorgehende SozialwissenschafUer auf die Suche nach dem Typischen: ,,Die statistisch abzusichemde Repdisentativit~t wird vom Begriff des 'Typischen' abgel6st. Die mit Hilfe qualitativer Erhebungs- und Interpretationsverfahren rekonstruierten Deutungs- und Handlungsmuster sollen 'typisch' sein Rir jene sozialen Gruppierungen, denen die Untersuchten angeh6ren." (Lamnek, 1988: S.175) Im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses vieler qualitativer Studien stehen somit die kollektiv geteilten Denk- und H a n d l u n g s s ~ e n der Befragten 32. In Analogie zu dieser Sichtweise basiert auch die Generalisierbarkeit der Befunde auf deren typischen Gehalt. So erfolgt die Generalisienmg der Ergebnisse in der qualitativen Sozialforschung nicht fiber Repdisentativit~t, sondem fiber Repdisentanz (Vgl. Lamnek, 1989:S.384 und Wahl, Honig & Gravenhorst, 1982: S.204). Die hier vorgestellte Nichtfemseherstudie bildet hinsichtlich dieser Prinzipien keine Ausnahme. In der konkreten Forschungspraxis implizieren die spezifischen methodologischen Vomussetzungen qualitativer Sozialforschung bereits bei der Populationswahl eine Veffahrensweise, die sich yon der im ,,normativen Paradigma" fiblichen, statistisch abgesicherten Zufallsstichprobe unterscheidet. Im Rahmen qualitativer Forschungsprojekte wird die Zufallsstichprobe abgel6st durch die auf Glaser und StrauB (Glaser & Straul], 1967, 1979) zurfiekgehende Technik des ,,theoretischen sampling", dab heiBt, die Untersuchungspersonen werden gezielt anhand theoretisch relevanter Faktoren ausgew~dt. Diese fiir den jeweiligen Forschungszusammenhang belangvollen Faktoren werden im Voffeld der Untersuchung genau definiert, urn den Kreis der potentiel-
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42 len Untersuchungsteilnehmer einzugrenzen und um die Fruchtbarkeit und Ergiebigkeit der Forschungsbemiihungen zu gew~rleisten. Ftir die Nichtfemseheranalyse wurde festgelegt, dab ausschliefllich Personen ff~r die Untersuchung in Frage kommen, die zum Zeitpunkt der Befragung seit mindestens drei Monaten freiwillig nicht (mehr) fernsehen. NichOCernseher, die dutch flit sie nicht kontrollierbare beziehungsweise unbeeinfluflbare Grfinde an etwaigem Fernsehkonsum gehindert werden (Kranke, Behinderte, Obdachlose, etc.), bleiben im Rahmen dieser Studie unber~icksichtigt, da nur die Analyse selbstbestimmten Nichtfernsehens interessante Ergebnisse im Sinne der spezifischen Zielsetzungen dieser Studie erbringen kann. Auf der Grundlage dieser Vorgabe wurde dann versucht, eine ausreichende Anzahl Nichtfernseher ausfindig zu machen, die bereit waren, an einer kommunikationswissenschafilichen Nichtfemseherstudie teilzunehmen. Die Suche nach geeigneten Untersuchungsteilnehmem beschr~.nk-te sich aus organisatodschen Griinden auf die nordrhein-westf'~ilische Universit~its- und Verwaltungsstadt Mtinster und die umliegenden St~dte und Gemeinden. Um die potentiellen Untersuchungsteilnehmer zu erreichen und zur Teilnahme an der Studie aufzufordem, wurden bei clrei unterschiedlichen Lokalsendern H/~rfunkinterviews durchgeRihrt, in denen die geplante Nichffernseherstudie kurz vorgestellt wurde. AttBerdem wurde im redaktionellen Teil eines regionalen Anzeigenblattes Rir die Mitwirkung an der Nichtfernseherstudie geworben. Daraufhin meldeten sich ftinfundachtzig Personen (47 Frauen/38 M~inner), die sich zur Teilnahme an der Nichtfemseheruntersuchung bereit erkl~,'ten. Zwei weitere m~nnliche Nichtfemseher wurden dem Veffasser fiber Dritte zugetragen, so dab insgesamt siebenunclachtzig Nichtfernseher (47 Frauen/40 M~inner) ermittelt werden konnten. In ersten Vorgespr~ichen, in denen bereits einige demographische Parameter tier Nichtfemseher festgehalten und die Ziele der Untersuchung im einzelnen vorgestellt wurden, erwiesen sich sechs tier potentiellen Untersuchungspersonen (2 Frauen/4 M~inner) als ungeeignet zur Teilnahme an der Nichtfernsehersmdie, cla sie die zuvor formulierten Voraussetzungen nicht erftillten. So verblieben einundachtzig Nichtfernseher (45 Frauen/36 M~_nner), die Rir die kommunikationswissenschaftliche Nichtfemseheruntersuchung zur Verftigung standen. Von diesen einundachtzig Personen wurden clreiBig (15 Frauen/15 M~mer) anhand bestimmter Merkmale (Geschlecht; Alter; Familienstand; Wohnort; Kinder im Haushalt; Dauer der femsehfreien Lebensweise) ausgew~hlt und zur Teilnahme an einem leitfadengestiitzten Intensivinterview gebeten 33. Die Auswahl der dreiflig Interviewteilnehmer erfolgte unter der Vorgabe, eine m/Sglichst breite demographische Streuung der Untersuchungsteilnehmer zu erreichert und eine gr~iBtm~igliche Varianz in der Dauer der femseh~eien Lebensweise abzudecken. Die dreiflig ausgew~tlten Nichtfernseher waxen ohne Ausnahme bereit, an einem Forschungsinterview teilzunehmen. Bevor die Interviews mit den dreil]ig ausgew~.hlten Untersuchungspersonen durchgefiihrt wurden, fand noch ein Pretest mit zwei dem Verfasser bekannten Nichtfemsehem statt, um den Leitfaden in seiner Praktikabilit/it zu iiberprtifen und zu optimieren 34. Die
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43 eigentliche qualitative Nichtfemseherbefragung wurde anschlieBend fiber einen Zeitraum von zweieinhalb Monaten durchgefiJhrt. Bis auf eine Ausnahme wurden alle Interviews in den pers6nlichen R~iumlichkeiten der Befragten gefiihrt, ein Interview fand am Arbeitsplatz des betreffenden Untersuchungsteilnehmers staR. Auf diese Weise konnte die Befragungssituation entkrampft und den Bedfirfnissen der Interviewpartner angepaBt werden. Vor jedem Interview wurden die Teilnehmer noch einmal mit einem standardisierten Gespr~ichseinleitungstext tiber den Sinn und Verlauf des Interviews informiert. Die Aufzeichnung der Interviews mit Hilfe eines Tonbandger~ites wttrde yon keinem der dreiflig Untersuchungsteilnehmer als st6rend empfunden. Alle Befragungsteilnehmer erwiesen sich als iiuBerst kooperativ, und die Interviews fanden durchweg in entspannter, freundlicher Atmosph~e statt. Der jeweilige Gespr~ichsverlauf richtete sich dabei nicht streng nach der S ~ des Leitfadens, sondern ergab sich zumeist aus den thematischen Relevanzsetzungen der Interviewteilnehmer. Nicht selten fiihrten die intensiven, tiefgreifenden Gespr~iche zu fiberaus emotionalen Momemen, die jedoch sowohl von Seiten der Befragten als auch von Seiten des Forschers als sehr positiv gewertet wurden. Die Dauer der Gespr~iche betrug im Durchschnitt zwei bis drei Stunden, einige Imerviews nahmen jedoch bis zu fiinf Stunden in Anspruch. Jeweils zum Ende des Forschungsgespr~ichs wurde den Interviewteilnehmern ein standardisierter demographischer Fragebogen tiberreicht, der von allen Befragten ausgeRillt wurde. In einigen Fiillen mugten unklare Sachverhalte noch nach AbschluB des Imerviews telefonisch abgekl~irt werden, weitere Gespr~ichstermine wurden jedoch nicht notwendig. Bei der Auswertung der Interviews wurde aus zeitlichen und arbeitstechnischen Gr/Jnden eine weitgehende t~konomisierung des Arbeitsprozesses angestrebt, die jedoch nicht zu einer Einschr~inkung tier Ffille und Aussagekraft der Ergebnisse fiihren sollte. Diese pragmatische Vorgehensweise wurde noch dadurch begiinstigt, dab die Zielsetzung der Studie mit ihren konkreten forschungsleitenden Fragestellungen keine aufwendigen Auswertungstechniken wie beispielsweise die objektive Hermeneutik Oevermanns (Oevermann, Allert, Konau & Krambeck, 1979, 1983) oder die historisch-rekonsmtktive Hermeneutik Soeffners (1979, 1982, 1989) notwendig machte. Statt dessen wurde bei der Auswerttmg der Nichtfemseherinterviews auf die methodologisch-praktischen Vorschliige zur Analyse qualitativen Datenmaterials von Lamnek (1989: S.104ff.) und Mfihlfeld, Windolf, Lampert & Krfiger (1981: S.335ff.) zuriickgegriffen. Die Auswertung tier Nichtfemseherinterviews verlief in mehreren Stufen, wobei die forschungsleitenden Fragen und der Interviewleitfaden die Interpretations- und Auswertungsgrundlage bildeten. Zun~chst wurden die Tonb~inder mit den Nichtfemseherinterviews in einem ersten Durchgang abgeh6rt und alle Textstellen notiert, die spontan als brauchbar ftir die Beantwortung tier Forschungsfragen eingestuft wurden. Bei einem zweiten Abh6rdurchlauf wurden die forschungsrelevanten Aussagen in einen standardisierten Auswertungsbogen35, der auf tier Basis der forschungsleitenden
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44 Fragen und des Leitfadens entwickelt wurde, transkribiert. W~ihrend dieser Auswertungsphase wurden zus~itzlich ,,harte" Daten und Befunde wie Ja/Nein-Entscheidungen, Bewertungen, Zeitangaben, fixe Merkmale etc. in den jeweiligen Auswertungsb6gen festgehalten. In einem dritten Arbeitsdurchgang wurden die pr~ignantesten Aussagen ausgew~tflt und in eine lesbare Form gebracht 36, ohne ihren Sinngehalt zu ver'~dem oder zu beeintr~ichtigen. Gleichzeitig wurden fiberflfissige und weniger aussagekr/iftige Aussagen ausgefiltert. SchlieBlich wurden auf der Basis tier einzelnen Interviews und der Auswertungsb6gen zu jedem Nichtfemseher zusammenfassende Essentials formuliert, in denen die Forschungsergebnisse und Aussageninterpretationen gebiindelt dargestellt wurden, um ein zusammenh~ngendes Bild des jeweiligen Untersuchungsteilnehmers zu erhalten. Im AnschluB an diese Phase tier Einzelanalyse effolgte die generalisierende Analyse, in tier fiber das einzelne Interview hinaus nach allgemeineren Erkenntnissen gesucht wurde. In dieser Auswertungsphase stand die Suche nach Gemeinsamkeiten der Nichtfemseher, die in allen oder in mehreren Interviews in Erscheinung traten, zentral. In weiteren Interpretations- und Analyseschritten wurde eine typisierende Generalisierung angestrebt, in tier auf der Basis der festgestellten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Untersuchungspersonen Syndrome oder Grundtendenzen ermittelt wurden, die fiir einige oder ftir alle Befragten typisch erschienen. Diese Bemfihungen sollten im Idealfall eine abschlieBende, fibergreifende Typenbildung erm6glichen, in der die lebemweltlichen und lebemstilistischen Eigenheiten der Betroffenen zutage treten. W~ihrend des gesamten Auswertungsprozesses wurden die einzelnen Analyseschritte st~indig fiberpriift und das gesamte Datenmaterial wiederholt kritisch gesichtet, um Fehlinterpretationen weitestgehend zu vermeiden und zu m6glichst umfassenden und zutreffenden Ergebnissen fiber den Forschungsgegenstand zu gelangen. Parallel zur qualitativen Befragung tier dreiflig ausgew~tflten Nichtfemseher wurde den fibdgen einundfiinzig Nichtfemsehem, die sich zur Teilnahme an tier Nichtfernseherstudie bereit erldErt batten, nach telefonischer Vereinbarung ein standardisierter Fragebogen mit ausgesuchten Fragen zum Nichtfemsehen, zur Mediennutzung und -ausstattung und zur Demographie zugeschickt, um die Ergebnisse tier qualitativen Analyse zu erg~,~zen und gegebenenfalls abzustfitzen. Dieser Fragebogen wurde von sechsundzwanzig weiblichen und zwanzig m~.nnlichen Untersuchungsteilnehmem ausgefiillt zttriJckgeschickt. Die Riicklaufquote bei der erg~.zenden schrittlichen Nichtfemseherbefragung betrug somit erfreuliche neunzig Prozent. Insgesamt standen damit forschungsrelevante Informationen fiber sechsundsiebzig Nichtfemseher (41 Frauen/35 M~inner) ftir diese Studie zur Verfiigung.
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3. Die Ergebnisse der Nichtfernseherstudie
Nachdem in den beiden vorangegangenen Kapiteln dieser Arbeit die theoretischen und forschungspraktischen Hintergrundbedingungen der Nichtfemseherstudie vorgestellt wurden, erfolgt nun die Priisentation der Forschungsergebnisse. Die Darstellung der Schlugfolgerungen aus den qualitativen Interviews steht dabei eindeutig im Vordergrund. Daran anschlieBend werden die Befunde aus der ergiinzenden, standardisierten Fragebogenerhebung und der Erhebung der demographischen Merkmale der Nichtfernseher aufgeffihrt und in Relation zu den Ergebnissen der qualitativen Nichtfemseheranalyse gesetzt.
3.1 Die Ergebnisse der qualitativen Nichtfernseherbefragung: Schluflfolgerungen aus den Leitfadeninterviews
Neben den vielen grundsiitzlichen Fragen zur Lebenswelt und zum Lebensstil der Nichtfernseher und den konkreten Fragen zu den Ursachen und Modalitiiten ihrer femsehfreien Lebensgestaltung steht auch im Rahmen dieser Studie die Frage nach dem ,,Typischen" zentra137. Weisen die befragten Nichtfemseher lebensweltliche beziehungsweise lebensstilistische Gemeinsamkeiten auf?. Gibt es gemeinsame Ursachen ffir ihre femsehfreie Lebensweise oder Parallelen in ihrer distanzierten Halttmg gegeniiber dem Femsehen? Ist gar ein spezifischer ,,Nichtfemsehertypus" erkennbar? Gleichzeitig mug nach den Unterschieden zwischen den hier untersuchten Nichtfemsehem gefragt werden, nicht zuletzt um eine artifizielle Homogenitiit in den Ergebnissen zu vermeiden (Vgl. Lamnek 1989, S.105). Bei allen Verallgemeinerungs- trod Generalisierungsbemiihungen handelt es sich bei den Befragten schlieBlich um unverwechselbare Individuen, deren exemplarischer Erkenntniswert nicht verkannt werden darf. Bei der Analyse der dreiBig Imensivinterviews ergab sich- trod dies ist als erstes und mithin zentrales Ergebnis festzuhalten - eine grobe Aufteilung des Samples in drei voneinander unterscheidbare, iibergeordnete Nichtfernsehertypen. Bei dieser Typenbildung handelt es sich freilich nicht um eine streng spezifizierende Einordnung der Nichtfemseher innerhalb enger typologischer Grenzen, sondern eher um eine relativ offene Gruppierung der Befragten mit Tendenzcharakter. Die mannigfaltigen Verwobenheiten und Uberschneidungen zwischen den drei festgestellten Nichtfemsehergruppen und die exemplarische Einzigartigkeit und unverwechselbare Individualitiit jedes einzelnen Befragten verbieten eine allzu strenge Kategorisierung der hier untersuchten Nichtfemseher und erfordem statt dessen eine sorgf~iltige Differenzierung. Dennoch sind die jeweiligen Gemeinsamkeiten signifikant und rechtfertigen eine typologische Einordnung der Betroffenen.
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46 Bei den drei fibergeordneten Nichtfemsehertypen handelt es sich um: 9 den aktiven Nichtfernsehertyp 9 den bewuflt-reflektierten Nichtfernsehertyp 9 den suchtgefiihrdeten Nichtfernsehertyp Dieses erste Ergebnis darfjedoch nicht dariiber hinwegt~iuschen, dab durchaus weitere Nichtfemsehertypen existieren, die keiner der drei hier festgestellten Gruppierungen zuzuordnen sind. So wurden in dieser Untersuchung zwei Nichtfemseher befragt, die selbst der hier erarbeiteten, relativ offenen Typologie nicht zugeordnet werden konnten und in ihrer Singularit~t ausschlieBlich exemplarischen Charakter aufweisen. Ein Indiz Rir die Notwendigkeit, mit Hilfe weiterer einschl~igiger Studien weitergehende Erkenntnisse fiber die Nichtfemseher zu sammeln. Ein Grol]teil der Nichtfemseher in der Bundesrepublik Deutschland geh6rt jedoch offensichtlich einer der drei erw~ihnten Nichtfernsehergruppierungen an. Daneben scheint es einige Einzeltypen mit vergleichsweise weniger h~iufigen Merkmalen zu geben, wie die geringe Anzahl der Einzeltypen in dieser Studie nahelegt. Ob auf dieser Ebene m6glicherweise noch weitere, zahlenm~iBig unauffiilligere Nichtfemsehergruppierungen mit typischen Gemeinsamkeiten existieren, kann nur die weitere Erforschung gr6Berer Nichtfemseherzahlen erhellen. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dab im Rahmen der hier vorliegenden Untersuchung drei fibergeordnete Nichtfemsehertypen und einige Einzeltypen identifiziert werden kormten. Auf den folgenden Seiten werden nun zun~ichst die drei iibergeordneten Nichtfemsehertypen in aller gebotenen Ausfiihrlichkeit vorgestellt. Alle forschungsleitenden Fragen werden - ftir jede Typengruppe gesondert- im Verlaufe dieser Darstellung beantwortet, wobei den Befunden, die ftir die jeweilige Typisierung besonders relevant sind, entsprechend viel Raum in der Darstellung einger~iumt wird. Ausgew~lte, exemplarisch-symptomatische Originalaussagen der Befragten sollen dabei die erhobenen Befunde belegen beziehungsweise illustrieren. Die Systematik der Ergebnisdarstellung richtet sich jeweils weitgehend nach dem in Kapitel 2.2 aufgestellten Katalog der forschungsleitenden Fragestellungen. Die dort aufgefiihrten iibergeordneten Analyseschwerpunkte Nichtfernsehen, allgemeines Alltagshandeln, Evaluation/Perspektiven/Reaktionen und allgemeines Medienhandeln eignen sich auch zur groben Smakttaferung der Ergebnisse. Sie sind freilich weder in der Analyse noch in der Ergebnisdarstellung exakt voneinander trennbar. So liegen zum Beispiel Motive und Ursachen fiir die femsehfreie Lebensweise der Nichtfernseher indirekt auch in den iJbergeordneten Relevanzstrukturen begrfindet, die das allgemeine Alltagshandeln der Befragten bedingen, und die Modalit~iten des allgemeinen Alltagshandelns spielen als Altemativen zum Femsehkonsum auch auf der Analyseebene Nichtfernsehen eine
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47 mabgebliche Rolle. Ffir eine strukturierte Ergebnisdarstellung, die sich an den ursprfinglichen forschungsleitenden Fragen orientiert, sind die fibergeordneten Analyseschwerpunkte dennoch hilfreich. Die einzelnen Untersuchungsteilnehmer werden - selbstverst/indlich mit ver/inderter Namensgebung -jeweils zu Anfang der generalisierenden Typbeschreibung kurz vorgestellt. Diese Vorgehensweise dient nicht nur dem Erkenntnisinteresse, sie ist auch ein Beitrag zur Wfirdigung der Individualit/it der an dieser Studie beteiligten Nichtfemseher, l]berdies wird es dem Leser auf diese Weise erm6glicht, die in der Darstellung zitierten Originalaussagen ihren Urhebem bildhafter zuzuordnen. Im AnschluB an die Darstellung der Ergebnisse zu den drei fibergeordneten Nichtfemsehertypen erfolgt die Auswertung der beiden Einzeltypenbefragungen in Form von zusammenfassenden Essentials. Am Ende der generalisierenden Analyse werden noch einmal fibergreifende Gemeinsamkeiten zusammengetragen, die fiir alle beteiligten Nichtfemseher typisch sind und fiber die hier ausgearbeitete Typologie hinausweisen.
3.1.1 Der aktive Nichtfernseher
Der erste Nichtfemsehertypus, der sich im Verlaufe des Forschungsprozesses herauskristallisiert hat, ist der des aktiven Nichtfernsehers. Alle Vertreter dieses Typs zeichnen sich durch ein hohes MaB an Aktivit~ten auf unterschiedlichen Ebenen aus, die, relativ unreflektiert, in einem derart starken MaBe das Leben der Betroffenen bestimmen, dab ihnen gar keine Zeit zum Femsehen bleibt. Im Leben dieser Menschen spielt der Femseher einfach keine Rolle, ihre Interessen sind auf anderen Ebenen angesiedelt. Der fiberaus aktive Lebensstil ist der gemeinsame Nenner dieser Menschen, gleichzeitig der mabgebliche Grund fiir ihre femsehfreie Lebensweise. Aus diesem Grunde wurde ihre Aktivit~it als iibergeordneter Typisierungsfaktor gew/ihlt. Gleichwohl sind auch auf vielen anderen Ebenen Gemeinsamkeiten zwischen den Mitgliedem dieser Gruppe erkennbar, die eine Typisierung rechtfertigen. Freilich bestehen auch zahllose Unterschiede zwischen den Mitgliedem dieser Gruppe. Bei der differenzierten Analyse der aktiven Nichtfemseher steUten sich sowohl individuelle Zfige und Charakteristika heraus, die nur einzelnen Nichtfemsehem dieses Typs zugeordnet werden konnten, als auch Gemeinsamkeiten zwischen nur einigen Mitgliedem, die nicht auf alle aktiven Nichtfemseher zutreffen und - auf verschiedenen Ebenen- durchaus Subtypen erkennen lassen. Dieser Befund triftl im fibrigen auch auf die anderen beiden fibergeordneten Nichtfemsehergruppierungen zu. Bevor die Ergebnisse der typisierenden Analyse nun im einzelnen vorgestellt werden, folgen zun~ichst die ,,Steckbriefe" der dreizehn aktiven Nichtfernseher. Die Reihenfolge ergibt sich dabei aus dem Alter der Betroffenen, begonnen wird mit dem jiingsten Vertreter dieses Nichtfernsehertyps. Alle Altersangaben und zeitlichen Daten beziehen sich auf den Zeitpunkt der Interviewfiihrung.
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3.1.1.1 Die .Steckbriefe"
Petra ist achtundzwanzig Jahre alt trod lebt seit kurzem mit ihrem Freund und Lebensgef'fihrten in einem kleinen Reihenhaus in einem Vorort von Mfinster. Sie studiert seit 1994 auf dem zweiten Bildungsweg Heilp~idagogik an der Fachhochschule, nachdem sie itw Beruf als Krankenschwester nicht mehr ausgeRillt hat. Petra lebt seit 1992 ohne Femsehen. In sechs Monaten beendet Birgit ihr Kunst- und Sportstudium. Die Neunundzwanzigj~trige will dann ihre im Studium erworbenen Kenntnisse als Lehrerin weitergeben. Seit sie il~ Eltemhaus in einem ldeinen Ort am Niederrhein im Winter 1986 verliel], um ihr Studium aufzunehmen, lebt sie ohne Femsehger/it. Sie wolmt allein in einem ldeinen Appartement am Stadtrand von Miinster.
Frank lebt, mit einer Unterbrechung von drei Monaten Dauer, seit 1984 ohne Fernsehen. Der DreiBigj~ihrige lebt mit drei weiteren Personen, die in Nachbarwohnungen zu Hause sind, in einer ,,Halb-Wohngemeinschaft" in einem groBen Appartementhaus in einem miknsterischen Vorort. Seit einigen Jahren arbeitet Frank als Wissenschaftlicher Mitarbeiter einer politischen Organisation.
Martina, dreiBig Jahre alt, fibt einen recht seltenen Beruf aus. Sie ist Metallblasinstrumentenbaumeisterin und arbeitet in einem ldeinen Handwerksbetrieb in Miinster. Vor zwei Jahren zog sie in ihre gem~tliche Wohnung am Rande Mfinsters und lebt seitdem ohne Femsehen. Bis zu diesem Zeitpunkt wohnte sie bei ihren Eltem unter, wie sie es selbst bezeichnet, ,,WG-Verh~Utnissen". Vor fiinfzehn Jahren verlieB Nadja ihr Heimatland Polen, wo sie auf einem groflen Gutshof mit zwei Geschwistem aufgewachsen war. Nun lebt die NeununddreiBigjahrige mit ihrem Ehemann in einem Eigenheim in Mfinster. In Polen hatte sie Germanistik und Philosophie studiert, in der Bundesrepublik absolvierte sie anschlieBend ein agrarwissenschaftliches Studium und erwarb zus~itzlich noch eine kaufm~.nnische Ausbildung. Seit einigen Wochen ist Nadja arbeitslos, vorher hatte sie eine Anstellung im kaufmannischen Bereich. Seit sie ihr Elternhaus vor ungefiihr zwanzig Jahren verlieB, sieht Nadja nun schon nicht mehr fern.
Christine hat im Gegensatz zu Nadja ihre ursprfingliche Staatsbfirgerschatt nie aufgegeben. Die einundvierzigj~.hdge Belgierin beschloss 1981 nach Deutschland zu ziehen, seit 1982 wohnt sie in der mfinstefischen Innenstadt. Die studierte Kunsthistorikedn lebt mit ihrem Ehemann und ihren beiden sieben und zehn Jahre alten Kindern in einer gediumigen Eigentumswohnung in einem Haus aus der Grfinderzeit und arbeitet als Denkmalpflegerin bei einer Landesbeh6rde. Christine hat rile einen eigenen
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49 Femseher besessen und sieht seit dem Beginn ihres Studiums in Belgien nicht mehr fern.
Thomas, Rinfundvierzig Jahre alt, lebt mit seiner zwei Jahre jiingeren Ehefrau in einem kleinen Ort im Mtinsterland, in dem das vorher im Siegerland beheimatete Paar Ende 1995 ein eigenes Haus erwarb. Der ehemalige Beamte ist, wie seine Ehefrau, seit einigen Jahren aus gesundheitlichen Grtinden friihpensioniert. Ihren Femseher meldeten sie 1985 ab. Renate lebt nach der Trennung von ihrem Ehemann allein in einem Haus in einem dfrflichen Vorort Miinsters. Ihre Kinder, beide tiber zwanzig Jahre alt, haben das Elternhaus bereits verlassen. Die Achtundvierzigj~arige arbeitet halbtags als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem medizinischen Institut in Miinster. Renate pflegt ihre femsehfreie Lebensweise nun bereits seit vierundzwanzig Jahren. Georg ist neunundvierzig Jahre alt, wirkt aber in seiner jugendlichen Erscheinung gut Rinfzehn Jahre jiJnger. Er wohnt mit seiner zehn Jahre jiingeren Ehefrau in einer Wohnung in seinem eigenen Mehrfamilienhaus in der Mitte Mtinsters. Im Laufe seines abwechslungsreichen Berufslebens erwarb Georg zwei Meistergrade, im Elektro- und im Mechanikerhandwerk. In einem festen Arbeitsverh~iltnis steht er jedoch nicht. Statt dessen geht er Gelegenheitsjobs nach und widmet sich bei Bedarf der Instandhaltung seines groBen Hauses. Seit seiner Jugend spielt Femsehen keine Rolle mehr in Georgs Leben. Lediglich w~ihrend seiner ersten Ehe existierte flit einige Jahre ein Femsehger~it im gemeinsamen Haushalt, das von ihm aber kaum genutzt wurde. Seit warm Uwe ohne Femsehen lebt, weifl er selbst nicht mehr so genau. Der vierundfiinfzigj~hrige Architekt, der in Miinster als Denkmalpfleger arbeitet, sch~itzt, dab er seit ungefiihr acht oder zehn Jahren kein Fernsehger~it mehr besitzt. Der Junggeselle wohnt allein in einer zentral gelegenen Mietwohnung in Miinster.
Luise ist siebenundRinfzig Jahre alt und lebt mit ihrem Ehemann seit 1976 in Miinster. Seit kurzem besitzt das Paar ein Einfamilienhaus in einem Vorort Miinsters. Die gebiirtige Rheinl~nderin arbeitet als Chemotechnikerin bei einer in Mtinster angesiedelten Landesbeh6rde. Luise geh6rt zu den wenigen Teilnehmem dieser Studie, die schon immer ohne Femsehen gelebt haben. In ihrem Eltemhaus, das sie 1958 verlieB, existierte bis zu diesem Zeitpunkt kein Ger~it, und in den darauffolgenden Jahren schafffe sie sich nie einen eigenen Femseher an. Lediglich auf Dienstreisen und Verwandtschaftsbesuchen hat sie Gelegenheit, sich ein Bild vonder bundesrepublikanischen Fernsehwelt zu machen. Auch Gerda lebt schon immer ohne Femsehen. In den achtundfiinfzig Jahren ihres Lebens hat es in ihrer h~iuslichen Umgebung noch nie einen Femsehapparat gegeben. Sie
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50 wohnt mit ihrem Ehemann und ihrer schwerbehinderten Tochter in einem Eigenheim in einem miinsterischen Vorort. Gerda war friiher als physikalisch-technische Assistentin an der Universit~it t~tig. 1975 gab sie ihren Beruf auf, um sich vermehrt ihrem Haushalt und der Pflege ihrer Tochter zu widmen. Werner ist erst im hohen Alter von zweiundsiebzig Jahren zum Nichtfemseher geworden. Das ist nun bereits drei Jahre her, als er mit seiner Frau aus einer Stadt am Rande des Ruhrgebietes zuriick nach Miinster zog, wo sie friiher schon einmal gelebt hatten. Wemer, von Beruf Rechtsanwalt und Notar, ist nur noch zweimal w/Schentlich in seiner Kanzlei t~itig, aus dem Berufsleben hat er sich weitgehend zuriickgezogen. Seine vier Kinder, sein ~iltester Sohn ist neununddreiflig Jahre alt, haben das Elternhaus seit langem verlassen. Mit seinen Rinfimdsiebzig Lebensjahren ist Wemer der ~ilteste Vertreter des aktiven Nichtfemsehertyps und gleichzeitig der letzte, der in dieser Reihe von Kurzbeschreibungen vorgestellt wird.
3.1.1.2 Nichtfernsehen
Entstehungsbedingungen der fernsehfreien Lebensweise
Die Personen, die im Rahmen dieser Studie befragt wurden, haben - bis auf wenige Ausnahmen - mehr oder weniger regelm~ig ferngesehen, bevor sie zu Nichtfernsehem wurden. Ihre femsehlose Lebensweise hat also irgendwann in il~er Vergangenheit begonnen, sofem sie nicht schon immer ohne Fernsehen gelebt haben. Im ersten Teil dieser Ergebnisdarstellung geht es zuniichst darum, wie die femsehfreie Lebensweise der Befragten zustande gekommen ist. Aus den vorangegangenen ,,Steckbriefen" der aktiven Nichtfemseher geht bereits hervor, dag zwei von ihnen zu den wenigen Untersuchungsteilnehmern gehfiren, die schon immer ohne Femsehen leben. Fiir die iibrigen Befragten hat sich die femsehfreie Lebensweise in der Regel ganz automatisch, ohne besonderen AnlaB oder EntscheidungsprozeB ergeben: ,,Daft ich fernsehfrei lebe, das hat sich so sukzessive entwickelt. "(Frank) ,, Und irgendwie haben wir uns nie einen Fernseher angeschafft. Wir konnten in diese Rolle so langsam reinwachsen. " (Christine) ,,Es hat sich so ganz allmdhlich ergeben. " (Uwe) Seine Entwicklung hin zum Nichtfemseher beschreibt Thomas genauer, wobei bereits deutlich wird, dab seine vielf'filtigen Aktivit~ten den Femsehkonsum immer mehr verdr~,agten. Thomas' Aussage ist symptomatisch fiir die Entstehung der femsehfreien Lebensweise der Mehrzah138 der aktiven Nichtfemseher: ,,Meine Frau und ich, wit haben so viele andere Freizeitaktivitaten entwickelt, so daft
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51 sowieso kaum Zeit zum Fernsehen blieb, und dadurch ergab sich, daft der Fernseher erstens aus dem Wohnzimmer in ein anderes Zimmer gestellt worden ist, oder nicht mehr als Wohnungsstack, M6bel et cetera angesehen wurde, und dann stand er also im Nebenraum, und dieser Nebenraum wurde nicht geheizt, so daft, wenn real eine far uns interessante Sendung gekommen ist, wir dann festgestellt haben, das Zimmer ist zu kalt, also bevor wir die Heizung anmachen, ach, so wichtig ist es auch nicht. So wurde das also immer weiter in den Hintergrund gerfickt, und irgendwann gab der Fernseher seinen Geist a u f und wir hatten also dann festgestellt, fiber ein halbes Jahr vielleicht, daft wit eigentlich fiberhaupt nichts vermiflten, und daraufhin haben wit das Fernsehen abgemeldet, entsorgt, und das war's dann. "
Gelegentlich gaben/iuBere Umst~inde - wie der Defekt an Thomas' Femsehger/it oder der Umzug in eine andere Wohnung - den letztendlichen Ausschlag Rir die Trennung der Betroffenen von ihrem Femsehger~it:
,,Das ergab sich einmal aus der Situation, well ich yon zu Hause auszog und selber keinen Fernseher besafl, und zum anderen machte ich mir auch keine Gedanken darfiber, mir einen anzuschaffen. " (Birgit) ,, Weshalb ich a u f das Fernsehen verzichtet habe, ist zun~chst ein ganz banaler Anlafl. Ich hatte keinen Platz hier in der neuen Wohnung, und da er mir nicht sonderlich am Herzen lag, stand er erst eine Weile hier herum, bis einer meiner S6hne kam und Bedarf anmeldete, und ich ihm den Apparat mitgab, und das Problem damit ffir reich erledigt war. "(Werner)
Eine halbwegs bewuBte Entscheidung gegen das Femsehen wurde nur von zwei Vertretern des aktiven Nichtfernsehertyps getroffen. Bei Martina war es eine Kombination aus ~iuBerem AnlaB und bewuBter Entscheidung, die den Weg fiir eine fernsehfreie Lebensfiihnmg er6ffnete. ,,Ieh lebe seit zwei Jahren ohne Fernsehen, das heiflt, solange ich bier in der Wohnung wohne. Dashing, ja, urs~chlich mit meinem Umzug zusammen, und dann hatte ich mich einfach entschieden, nein, einen Fernseher brauch ich nicht. Ich wollte einfach nicht, weil ich yon vornherein eigentlich sehr wenig ferngesehen babe, das heiflt, das beschrankte sich in der Regel a u f 'Tagesthemen' abends vielleicht real, vielleicht real ein Krimi, aber zu mehr bin ich auch so schon nicht gekommen. " Allerdings war dies auch keine langfristig gewachsene Entscheidung, sondem ein spontaner EntschluB w~ihl'end des Umzugs: ,, Das war spontan. Das hab ich gar nicht geplant in dem Sinne. " Etwas komplizierter liegt der Fall bei Petra. Auf der einen Seite hatte sie in ihren eigenen vier Wiinden bereits seit l~ingerem kein Femsehger~it mehr, da ihr Femsehkonsum im Laufe der Jahre zunehmend durch andere Besch~if~igungen ersetzt wurde. Andererseits sah sie immer dann, wenn sie ihren ehemaligen Freund besuchte, intensiv mit ihm, oft im Kreise seiner Familie, fern. Die Diskrepanz zwischen ihren eigenen Lebensvorstellungen und der passiven, femsehkonsumorientierten Lebensweise ihres
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52 Freundes fiihrte dann zu ihrer Entscheidung, sich von ihrem Freund - und damit auch von seinen Femsehgewohnheiten, die sich zunehmend auf sie zu fibertragen drohten, zu trennen: ,,Ich hab im Dezember '91 mit meinem Freund Schlufl gemacht. Mit dem hab ich viel Fernsehen geguckt, lch hab die ganze Zeit schon in Mfgnster gelebt und mein Freund in Steinfurt, und in dem Wohnheim, wo ich wohnte, hatte ich auch keinen Fernseher, da hab ich nie Lust zu gehabt, ja und von daher hatte sich das dann irgendwie erledigt. Ich hab dann auch nie wieder Lust gehabt, zu gucken. Bei ihm hab ich Fernseh geguckt, und im Wohnheim hab ich kein Fernseh geguckt. Das war schon so getrennte Welt, irgendwie. Und es kam mir iiberhaupt nicht in den Kopf mir einen Fernseher anzuschaffen, und ich war auch hinterher ganz schOn genervt von dem ganzen Fernsehgucken, und hab gesagt, ich will das nicht mehr. " Petras Aussage wirft ein Licht auf die m6glichen Partnerschaftskonflikte, die durch unterschiedliche Femsehroutinen und differierende Lebensgestalttmgsvorstellungen hervorgerufen werden k6nnen. In einem solchen Fall kann das Aufeinanderprallen verschiedener Relevanzsysteme zum Bruch der Beziehung ftihren, wie das Beispiel Petras belegt. Auch Georg kann von einer ~ihnlich gelagerten Episode in seinem Leben berichten: ,,lch war schon mal verheiratet ein paar Jahre, und da haben wit so einen Fernseher angeschafft. Ich will jetzt nicht sagen, daft meine Frau das wollte, sondern das ist schon lange her, und mir ist nicht mehr ganz klar, wie das zustande gekommen ist, jedenfalls war er eines Tages plOtzlich da, der Fernseher, und es entwickelte sich aber eigentlich im Laufe der Jahre auch wieder auseinander, unsere Beziehung, und wit haben uns dann getrennt, und in dieser Beziehung hat der Fernseher auch 'ne relativ grofle Rolle gespielt. Das war so 'ne Art Nebenbuhler far mich, und es gab also relativ haufig auch Zwistigkeiten. Sie wollte halt gerne den Abend mit dem Fernseher verbringen, und ich am liebsten mit was anderem, ja, und dann hat sie ihn natarlich mitgenommen, als wir uns getrennt haben, und ich ware nie auf die Idee gekommen, mir wieder einen anzuschaffen. " Im Regelfall gab es jedoch keine unterschiedlichen Meinungen fiber die femsehfreie Lebensgestaltung innerhalb der Partnerschaften oder Familien, in die einige der aktiven Nichtfernseher eingebunden sind, mit Ausnahme einiger kleinerer Unzufriedenheits~iuBerungen der jeweils betroffenen Kinder. Auch die neuen Partnerschaften Petras und Georgs warfen keinerlei derartige Probleme auf- die neuen Partner stehen ebenfalls voll hinter der Idee, fernsehfrei zu leben. Georgs jetzige Ehefrau hatte bereits den Entschlufl gefal3t, ihr Femsehger~it abzuschaffen, bevor die beiden sich kennenlemten. Petras jetziger Lebensgef'~ihrte besaB ebenfalls keinen Femseher, um sich vor fiberm~iBigem Femsehkonsum zu schiitzen. Emeute Partnerschaflsprobleme wegen unterschiedlicher Einstellungen zum Femsehen konnten so erst gar nicht entstehen.
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53 Frf~here Fernsehnutzung
Zur Vorgeschichte der femsehfreien Lebensweise geh/Srt auch das fr/ihere Femsehnutzungshandeln der Betroffenen. Bei Luise und Gerda eriibrigt sich eine Analyse fr/Jherer Femsehgewohnheiten, da sie noch rile in einem Haushalt gelebt haben, der mit einem Femsehger~it ausgestattet war. Die femsehlose Lebenszeit der fibrigen elf bier untersuchten Nichtfemseher liegt zwischen zwei Jahren und fiber zwanzig Jahren, wobei ihre Dauer nicht vom Lebensalter der Betroffenen abh~gt. Bei denjenigen aktiven Nichtfemsehem, die im Kindesalter mit einem Femsehger/it in tier Familie aufgewachsen sind, wurde der Femsehkonsum durchgehend restriktiv gehandhabt und oft kritisch von den Eltem begleitet: ,,Das war stark reglementiert. Also, der Fernseher war so eine grofle, hOlzerne Kiste, und die hatte ein Schlofl, und das wurde abgeschlossen. " (Georg) ,,Als wit janger waren, war das so, daft wir wohl nicht gucken durften, was wir wollten. "(Birgit) ,,Meine Eltern haben sich ziemlich lange dagegen gewehrt, einen Fernseher anzuschaffen. Von vornherein ist j a auch gesagt worden, daft wir als Kinder da nichts zu suchen haben, und nur hOchstens real nachmittags, und dann ist Schlufl. " (Nadja) ,,Da gab es nut Fernsehen, wenn auch meine Eltern gesehen haben. " (Uwe) ,,Meine Eltern haben immer ausgesucht, was ich gucken durfte, und wenn, haben sie eigentlich immer mitgesehen. " (Martina)
Mit den bier geschilderten, konsequenten medienerzieherischen Bemfihungen der Eltem wurde m/Sglicherweise ein wichtiger Grtmdstein fftil"die femsehfreie Lebensgestaltung der bier vorgestellten Nichtfemseher gelegt. Zumindest ist anzunehmen, dab sie den kritischen Umgang tier Nichtfemseher mit dem Femsehen erleichterten. UnabhEngig vom Alter der Befragten hat das Femsehen auch zu der Zeit, als sie noch fiber ein Ger/it verfiigen konnten, nur eine untergeordnete Rolle in ihrer Lebensfiihrung gespielt. Entweder lagen il~e Interessen auf anderen Ebenen, oder aber alternative T/itigkeiten und Verpflichtungen lieflen dem Femsehen zeitlich keinen Raum. Bei Renate w/iren beispielsweise die oben geschilderten medienerziehedschen MaBnahrnen der Eltem von vornherein sinnlos gewesen, denn ftir sie und ihre Geschwister war das Femsehen kein Anziehungspunkt: ,,Ich glaube, die haben wohl gemerkt, daft wir gar nicht so wild drauf waren. "
Die Bedeutungslosigkeit des Femsehens zieht sich wie ein roter Faden durch die noch von diesem Medium begleitete Vorgescbichte der jetzigen Nichtfemseher: ,,Das Fernsehen hat eigentlich nie 'he grofle Rolle gespielt. Ich war eigentlich nie ein bewuflter Fernseher. " (Georg) ,, Wir waren vielleicht eine Familie von denen, die dann auch real gesagt haben, so, jetzt machen wir die Kiste aus. " (Thomas) ,, Wir haben nie diesen Apparat als Dauereinrichtung laufen gehabt. Wir haben also
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54 immer ganz gezielt gesehen und das immer sehr in begrenztem Umfang gehalten."
(Wemer) ,,Ich hab mit Sicherheit sehr wenigferngesehen, lmmer schon wenig. " (Martina)
In Nadjas K.indheit und Jugend spielte das Femsehen ebenfalls keine Rolle: ,, Weil ichja auch nie Zeit dazu hatte, mir da irgend so einen BlOdsinn anzusehen. "
Mit dem Eintritt in die gynmasiale Oberstufe verlor auch fiir Birgit das Femsehen gLnzlich an Attraktivit~it, sie besch~iftigte sich start dessen mit anderen Dingen: ,, Und daraus ergab sich dann eben halt die Entwicklung, daft ich, also, ich hab sehr viel Sport gemacht dann, und hab mich mit Kunst beschafligt, und hab eben halt auch viel mit Freunden gemacht, und daran lag mir eben halt mehr, als vor "m Fernseher zu hocken, und da meine Zeit zu vergeuden. "
Auch fftir Petra war die femsehbetonte Zeit mit ihrem damaligen Freund nur eine begrenzte Phase in einem Leben, in dem das Fernsehen immer schon eine Nebenrolle spielte, denn vorher besch~iftigte sie sich in ihrer Freizeit haupts~ichlich mit dem Lesen von Biichem und aktivem Radsport: ,,Routine war das nicht. Routine wurde das erst, als ich mit meinem Freund zusammen war.
Lediglich Uwe hat regelm/iBig auch l~agere Abende vor der Mattscheibe verbracht. Wenn iiberhaupt von Programmpr~iferenzen bei der frfiheren Femsehnutzung der aktiven Nichtfernseher gesprochen werden kann, so lagen diese bei Nachrichtensendungen trod Magazinen (Wemer, Birgit, Martina, Uwe), anspruchsvollen Kindersendungen (Christine, Nadja), Sportsendungen (Petra, Uwe) und Landschafts- und Tiersendungen. Renate bevorzugte speziell •r das Femsehen produzierte Theaterstiicke, und Uwe rezipierte auch h~iufiger anspruchsvolle Spielfilme. Der Schwerpunkt bei den bevorzugten Programmen liegt hier jedoch eindeutig bei den nonfiktionalen Informationssendungen.
Stellenwert des Nichtfernsehens
Im Einldang mit der prozeBhaften, kaum reflektierten Entstehung der femsehlosen Lebensweise der aktiven Nichtfemseher und der geringen Bedeutung, die das Femsehen Rir die ehemaligen Femsehnutzer unter den Befragten hare, steht der Befund, dab auch das heutige Nichtfemsehen nur einen sekund;~ren Stellenwert in den Lebenszusammenh~ingen der aktiven Nichtfemseher einnimmt. Nicht femzusehen ist ein eher nebengeordneter, selbstverst~adlicher Faktor in der Lebensfiihnmg der meisten aktiven Nichtfemseher, wie die folgenden, symptomatischen Aussagen anschaulich belegen: ,,Ff~r mich ist das mein Leben, und ich denk gar nicht welter daraber nach, daft ich keinen Fernsehapparat habe. Also, ff~'r reich ist es wirklich nichts Besonderes."
(Renate)
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55 ,, Wenn jetzt nicht so 'n Anlafl ist, denkt man auch gar nicht so viel da dr~iber nach. "
(Luise) ,,Es ist far reich 'ne vOllige Nebensachlichkeit. "(Uwe)
Die Abwesenheit des Femsehers wird von den Befragten in der Regel nicht reflektiert, nicht femzusehen geh6rt zu den unbefragten Bestandteilen ihrer routinem~13igen Alltagsgestalttmg. Dies gilt in besonderem MaBe Rir die beiden Befragten, die schon immer ohne Fernsehen leben. Eine Ausnahme bildet hier Petra, die noch immer unter dem Eindruck der massiven Negativerfahrtmgen mit ihrem vielfemsehenden Expartner steht. Ohne Femsehen zu leben ist ein wichtiges, zentrales Element ihrer individuellen Lebensgestalttmg. Entsprechend h~iufig ist das Femsehen Gegenstand ihrer kritischen Reflexion: ,,Der Aspekt ist inzwischen far mich sehr bedeutungsvoll geworden. Ich beschdifiige mich da auch oft mit, so im Studium zum Beispiel. "
Einstellung zum Fernsehen
Der nebengeordnete Stellenwert des Nichtfemsehens in den LebensgeRigen der aktiven Nichtfemseher korrespondiert auch mit ihrer eher indifferenten Einstellung dem Femsehen gegeniiber. Niemand von ihnen lehnt alas Femsehen aus prinzipiellideologischen Erw/igungen generell ab, in der Tat wiirde sich nicht ein einziger der dreizehn aktiven Nichtfemseher als dezidierten Femsehverweigerer bezeichnen: ,,Auf keinen Fall warde ich reich so als militanten Fernsehverweigerer sehen. "
(Martina) ,,Also, wir sindjetzt nicht fanatische Nichtseher. "(Christine) ,, Total, hundertprozentig lehn ich das Fernsehen eigentlich nicht ab. Ich denke, wenn ich Gelegenheit h~itte, dann ward ich mir schon real was anschauen. " (Renate)
Statt dessen ist die Einstellung der Mehrzahl der Befragten zum Femsehen von einer distanziert-gleichgiiltigen Haltung gepr/igt: ,,Ich will nicht sagen, ich lehne es ab, sondern es hat sich irgendwie so erfibrigt, ich hab reich in eine andere Richtung entwickelt. " (Nadja) ,,Das ist mir vOllig egal. "(Gerda) ,jch kann nicht sagen, daft ich es ablehne. Ich vermiss das halt aberhaupt nicht. "
(Luise) In ~hnlieher Weise braehten auch Thomas und Wemer ihre indifferente Haltung gegeniiber dem Fernsehen zum Ausdruck. Femsehen spielt im Leben dieser Menschen offensiehtlieh einfach keine nennenswerte Rolle.
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56 Fiir Uwe hat das Femsehen sogar durchaus positive Aspekte zu bieten, die jedoch durch ein Programmangebot wieder relativiert werden, das seinen Anforderungen und Interessen nicht entspricht: ,,Ich bin kein Fernsehfeind, weil ich genau weifl, es hat auch Vorteile. Man kann 'ne Menge Informationen auch da rausziehen. Man muff es nur ganz sorgfMtig, denke ich, selektieren und genau wissen was man sehen will. Aber wenn ich mir mal 'ne Programmzeitschrift angucke, dann sind da j a nur einige wenige Sender, die auch nur ein halbwegs vern•nftiges Programm anbieten. "
Auch Birgit, Frank und Georg stehen dem Femsehen nicht grunds/itzlich feindlich gegeniiber. Im Unterschied dazu empfindet Petra jedoch wenigstens zeitweise eine heftige Abneigung gegeniiber dem Femsehen, nicht zuletzt wegen ihrer schlechten Erfahrungen mit diesem Medium. Dennoch wiirde auch sie sich nicht als iiberzeugten Femsehverweigerer bezeichnen: ,,Als Absoluter nicht. Aber ich bin oft sauer. "
Ursachen und Motive fiir die fernsehfreie Lebensweise
Schimmerten bereits einige Griinde ftir die femsehfreie Lebensweise der Befragten in den vorangegangenen Originalaussagen durch, so sollen auf den n~ichsten Seiten die Ursachen und Motive flit die Nichtnutzung des Fernsehens dutch die aktiven Nichtfernseher einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Die Motive ftir die femsehfreie Lebensweise der hier untersuchten Nichtfernseher ergaben sich einmal aus den Schilderungen der Befragten zu den unterschiedlichen Themenbereichen, zum anderen wttrden sie aber auch direkt als Argumente und Begriindungen ins Feld geftihrt beziehungsweise im Gespr~ich mit dem Interviewer best~itigt. Nicht wenige der nachfolgenden Motive ftir eine femsehfreie Lebensgestaltung wurden von den Befragten im Verlaufe der Interviews erstmals eingehend reflektiert. Ein weiteres Indiz ftir die eher marginale Relevanz des Fernsehens respektive des Nichtfemsehens im Leben der aktiven Nichtfemseher. Die Motive ftir die fernsehfreie Lebensweise der Befragten er6ffnen gleichzeitig Einsiehten in die dahinterstehenden individuellen Relevanzsysteme der Betroffenen, werden doch Interessenshierarchien und Handlungspriodt~iten in den Augerungen der Nichtfernseher sichtbar. Der Hauptgrund ftir die femsehfreie Lebensgestaltung der Vertreter dieses ersten iibergeordneten Nichtfernsehertyps liegt, wie bereits anfangs erw~mt, in ihrer iiberaus aktiven LebemRihnmg, die sich aus ihren spezifischen Interessen und Bediirfnissen ergibt. Dementsprechend dominieren in den Schilderungen der Befragten Begriindungen, Argumente und Motive, die auf diese aktive Lebensgestalttmg verweisen. So bezeichnen alle den Femsehkonsum unisono als zu passive Besch~iftigung. Friiheres Fernsehen - so es denn iiberhaupt stattfand - ging h~iufig mit anderen Besch~iftigungen
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57 einher, weil das alleinige Zuschauen einfach als zu langweilig empfunden wurde 39. AuBerdem wird der Mangel an k~irperlicher Bewegung, der mit dem Femsehkonsum einhergeht, allgemein beklagt: ,, Ich find's schon sehr passiv. " (Martina) ,,Es verfiihrt zur Passivitat und zum rein rezeptiven Denken und Aufnehmen."
(Wemer) ,,Ich bin sehr aktiv, und wenn ich den Fernseher eingeschaltet h~tte, oder einschalten wiirde, dann m~iflte ich davor sitzen, und, ja, ich bin eigentlich sehr aktiv und bin kaum zu Hause. " (Nadja) ,,Man kann sich j a noch nicht einmal richtig bewegen dabei. Man sitzt einfach nur rum." (Luise) ,,Man istja fixiert, man muff da sitzen, man kann nicht alles m6gliche andere machen, und ich muff immer viele andere Sachen machen, weil ich sonst einfach nicht den Haushalt oder alles mOgliche geregelt kriege. Und ich handarbeite ziemlich viel, also nicht nur stricken und stopfen oder so was, sondern ich n~he, ich mach so PatchworkSachen, oder ich klOppel oder so was, und da kann man nicht dabei fernsehen. "
(Gerda) ,, Wenn ich dann schon mal woanders gucke, dann les ich immer noch nebenbei oder roach Handarbeiten oder so. Also, alas reicht mir dann nicht. " (Christine) ,,Friiher hab ich halt immer vor'm Fernseher gestrickt. Ich konnte zwar nicht gut stricken, aber ich babe gestrickt. Und dieses Rumsitzen, das geht mir so auf den Senkel, das kann ich nicht. Und ich denk dann auch einfach, dieses Abschalten oder einfach nur Reinsaugen, alas liegt mir nicht. Es gibt bestimmt Leute, die k6nnen besser vielleicht passiv was aufnehmen, als daft die aktiv ihre Freizeit gestalten, entweder mit Sport oder so. Ich binja auch fast nur unterwegs. Also, mir liegt das nicht. " (Petra)
Auf Petras Differenzen mit ihrem ehemaligen Freund wurde ja bereits hingewiesen. Dessen passive, von ausufemdem Femsehkonsum bestimmte Lebensweise Rihrte ja sogar zur Trennung Petras von ihrem damaligen Partner: ,,Ich mein, wenn 'ne Beziehung auseinandergeht, dann gibt es immer ganz, ganz viele Aspekte, warum. Aber far reich war der eine Aspekt, daft es ein total lahmer Mensch ist. Das hat reich sehr, sehr viel genervt, diese Lahmigkeit, und da gehOrte auch dieses Fernsehgucken rein."
Dabei hatte Petra nichts unversucht gelassen, ihren Freund zu einer aktiveren Freizeitgestaltung zu bewegen: ,,Ich hab ibm einmal, das ist mir auch noch ziemlich gut in Erinnerung, hab ich ihm so zehn Sachen vorgeschlagen, die man machen kOnnte, aber dann haben wir doch wieder Fernsehen geguckt. Da war ich ziemlich sauer. "
Ein interessanter Aspekt ergibt sich aus Uwes Argumentation. In seiner Schilderung umreiBt er auf besonders treffende Weise den Untersehied zwischen Femsehkonsum und Buehrezeption und weist damit das Lesen- im Gegensatz zum Femsehen - klar als Aktivit~it aus. ,,Man li~flt alles a u f sich zukommen, das Fernsehen macht's schon mit einem, man
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58 braucht gar nicht mehr zu denken, Bilder sind da, Bewegung ist da, Ton ist da. Wenn ich ein Buch lese, muff ich die abstrakten Buchstaben umsetzen in Bilder im Kopf das brauch ich beim Fernsehen schon nicht mehr. lch hab es einfach als zu passiv auch empfunden, das ist fi~r mich schon ein ganz wichtiger Grund gewesen. "
Uwe zieht die LektiJre eines seiner zahllosen Biicher dem Femsehkonsum in jedem Falle vor. Bereits fi'iiher, als er noch ein Femsehger~it besaB, war er regelm~ig unzufrieden, wenn sein Lesebediirfnis mit seinen sporadischen Femsehabenden kollidierte" ,,Sie sehen es an den B~ichern, ich bin immer gern mit Bf~chern umgegangen, und das hat mich immer geargert an solchen Abenden, das war ein ganz wichtiger Grund, ich hatte immer Bacher, die ich auch lesen wollte, lesen muflte, oder meinte, lesen zu mf~ssen, und wenn ich 'nen Fernsehabend hatte, bin ich zu dem Buchlesen wieder f~berhaupt nicht gekommen. Das hat mich also immer sehr geargert, muff ich sagen. Das war ein ganz wesentlicher Grund, denk ich. "
Ebenso wie Uwe sind auch den iibrigen zw61f aktiven Nichtfernsehem andere T~itigkeiten wichtiger als femzusehen. Das Rir diesen Nichtfemsehertyp besonders bedeutsame Motiv der Pr~iferenz altemativer Besch~iftigungen gegeniiber dem Femsehkonsum ist ja auch bereits implizit in der Ablehnung des Femsehens als zu passiver T~itigkeit enthalten. In den vorangegangenen Originalaussagen klangen bereits einige der altemativen Besch~iftigungen an, die von den aktiven Nichtfemsehem gegeniiber dem passiven Konsumieren von Femsehsendungen pr~iferiert werden, so dab weitere Originalaussagen zu diesem Motiv an dieser Stelle unterbleiben k6nnen. Zudem werden die Aktivit~iten der einzelnen Befragten im weiteren Verlauf der Ergebnisdarstellung noch ausgiebig vorgestellt. Eng verbunden mit den vielf'~ltigen Freizeitaktivit~iten, aber auch mit der Eingebundenheit der Befragten in berufliche und private Verpflichtungen ist das Argument, keine Zeit zum Fernsehen zu haben, das von zehn der dreizehn aktiven Nichtfemseher angefiihrt wurde: ,,Ich w~flte gar nicht, wann ich soviel fernsehen sol#e, weil ich so meine Zeit immer ausgef~llt habe." (Gerda) ,,Mir bot letztens auch 'he Freundin einen Fernsehapparat an, den ich abgelehnt hab, well, ich weifl gar nicht, wann ich Fernseh gucken soil. Ich hab keine Zeit zum Fernsehgucken." (Birgit) ,,Ich hab immer zu viel vor, das ist mein Problem. " (Petra) ,,Ich hab j a auch satt und genug um die Ohren. Weil wir auch immer berufst~tig waren, und dann kommt man nach Hause, und dann hat man erst real sowieso noch allerhand zu tun und so, da liegtja immer sehr viel an. "(Christine)
Auch Uwes Freizeit beschr~inkt sich auf ein Minimum, das er, seinen Bedfirfnissen entsprechend, optimal ausfiillen will: ,,Das ist auch ein wichtiger Grund, weshalb ich mir sage, also, wenn ich schon so wenig Zeit habe, dann auch noch die Zeit mit Fernsehen zu verplempern. "
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59 Das Gefiihl, dutch etwaigen Femsehkonsum Zeit zu verschwenden, teilen alle iibrigen aktiven Nichtfemseher mit Uwe: ,,Ich hab immer so das Gefiihl gehabt, der nimmt mir zuviel Zeit weg, Zeit, die mir fi~r was anderes wichtig ist. Der saugt mir Lebenszeit weg. " (Renate) ,,Das ist verschwendete Zeit. " (Gerda) ,,Ich denk dann immer, dann verpaflt man so viel, wenn man Fernseh guckt. "
(Christine) ,,Das ist mir einfach zeitverschwenderisch, weil das ja auch fi2r ganz durchschnittliches beziehungsweise unterdurchschnittliches Publikum gemacht wird. " (Nadja) ,,Beim Fernsehen verbringt man schrecklich viel Zeit fiir dummes Zeug. " (Werner)
Lieber machen die aktiven Nichtfemseher eigene, authentische Lebenserfahrtmgen im Rahmen einer erlebnisbetonten Lebensgestaltung, wie die folgenden Originalaussagen belegen. Die ,,Ersatzrealit/it" des Fernsehens wird als lebensfem abgelehnt, der pers5nlich erreichbare Handlungsraum steht im Vordergrund: ,,Heute hatte ich Dienstreise, hab mir, glaube ich, sechs oder sieben Kirchen angeguckt. Ich habe da schon meine Reize und Erlebnisse, und begegne vielen Leuten, und das ist auch schOn. Das find ich auch so mit dem Fernsehen. Es gibt so Leute, die leben so dieses Ersatzleben. " (Christine) ,,Es gibt Dinge, die kann ich vielleicht so gar nicht erfahren. Wie es in anderen Ldndern aussieht oder wie 's da abgeht, aber im Grunde genommen finde ich die primaren Erfahrungen viel, viel wichtiger, da hab ich mehr von, weil im Grunde genommen leb ich ja in meiner Lebenswelt, da muff ich mich ja zurechtfinden, nicht irgendwo in 'net anderen Welt." (Petra) ,,lch hatte immer schon den Hang zu realen Dingen. Alles, was in irgendeiner Form kiinstlich ist, im weitesten Sinne, das hab ich immer schon verachtet, so ein biflchen. Ein kleines Beispiel, ein Modellboot, selbst wenn es das Schlachtschiff 'Tirpitz' ist, mit irgendwie unzahligen Geschiitztiirmen, das hab ich nicht mal angeguckt, aber ein uraltes, dreifligmal geflicktes Paddelboot, das war f a r mich das Gr6flte." (Georg) ,,Mir ist wirklich ganz wichtig, Dinge handelnd zu erfahren, also authentisch. "
(Birgit) ,,Noch lieber ist es mir, wie zum Beispiel auf dieser Indienreise, zu erleben, wie andere Menschen leben, in welchen Umstdnden, und dann meine eigene Umgebung und meine eigene Welt zu bedenken und kritisch auch dariiber nachzudenken, also, dies miteinander zu vergleichen, und zu sehen, wie gut ich's habe, und auch ein biflchen bescheidener zu werden. Das kann mir das Fernsehen nicht so vermitteln, das kann nur eigenes Erleben." (Renate)
Entsprechend wichtig sind den aktiven Nichtfemsehem prim~e Sozialkontakte und interpersonale Kommunikationserlebnisse. Dies wird auch bei der noch folgenden Darstellung der allgemeinen Lebensgestaltung der aktiven Nichtfernseher deutlich, so dab
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60 an dieser Stelle ein beispielhaftes Zitat aus den Interviews geniigen soil, um die Relevanz sozialer Kontakte Rir die aktiven Nichtfemseher zu illustrieren: ,,Ich liebe es, mit Menschen zusammen zu kommen, mit denen auch was zu machen. Das m# dem Fernsehprogramm, da lief nicht viel an Unterhaltung. " (Petra)
DaB bei den aktiven Nichtfemsehem h~iufig einfach kein Interesse am Femsehen besteht, wurde ja bereits bei der Betrachtung des friiheren Femsehnutzungsverhaltens der aktiven Nichtfemseher festgestellt. Dieses Desinteresse am Femsehen fftigt sich in die Reihe tier Beweggriinde, die auf die iJberaus aktive Lebensgestaltung der dreizehn bier vorgestellten Nichtfemseher verweisen, nahtlos ein. Das wird auch durch die folgenden Originalaussagen veranschaulicht, die noch einmal, quasi in Form von Motivationssyndromen, diejenigen Beweggriinde beleuchten, die Rir die aktiven Nichtfernseher typisch sind: ,,Also, ich denke, es sind zwei Sachen. Das eine ist einfach so die biographische Entwicklung, daft ich einfach auch so viel unternommen hab, und auch Lust hatte, mit anderen Menschen was zu unternehmen, daft es far reich einfach tote Zeit war, so schweigend nebeneinander zu sitzen und a u f so eine Mattscheibe zu gucken. Das war mir einfach zu langweilig, well ich einfach mehr Lust hatte, was mit anderen Leuten zu unternehmen. Die andere Sache hat sich erst so, ja, denk ieh, im Laufe meines Berufslebens entwickelt, daft ich einfach unheimlich viel lese. Also Tageszeitungen, Wochenzeitungen, Monatszeitschriften, das sind also ziemliche Berge an Sachen, die da so jeden Monat bei mir durchgehen." (Frank) ,,Ich bin den ganzen Abend beschaftigt, und ich frage reich dann immer, ob andere den Tag besser organisieren, oder woran das liegt. Das liegt einfach daran, daft ich mehr Zeit fiir andere Dinge haben will. Also, wenn ich nach Hause komme, ich koche jeden Abend fu'r reich, das ist auch etwas, worauf ich auch Weft lege. Allein dafar geht sehr viel Zeit drauf. Wenn ich mir natarlich nut ein Butterbrot schmieren warde und reich dann vor den Fernseher setzen wfirde, hart ich j a auch Zeit, fernzusehen. Und was eben auch "he Rolle spielt, viele Sachen im Fernsehen haben reich hie interessiert. Also diese damlichen Serien, da ist mir meine Zeit viel zu schade, und wenn reich was interessierte, kam das haufig sehr spat, daft ich auch sagte, also nee, um halb zwOlf f a n g ich nicht an, noch 'hen Film zu sehen, und dadurch hab ich dann auch entschieden, es hat keinen Sinn. " (Martina)
Neben den Motiven, die direkt mit der aktiven Lebensgestaltung der hier untersuchten Nichtfemseher verkniipft sind, gibt es noch weitere Beweggriinde fiir die femsehfreie Lebensweise der aktiven Nichtfemseher. An erster Stelle ist die Unzufriedenheit mit dem Fernsehprogramm zu nennen, die fiir alle aktiven Nichtfemseher gleiehermal]en gilt. Bei der Beurteilung des Femsehprogramms greifen die Befragten auf friihere Fernseherfahnmgen und gelegentliche auBerhtiusige Fernseherlebnisse, etwa bei Besuchen oder auf Dienstreisen, zuriick. Das von den Femsehanbietem ausgestrahlte Programmaterial geniigt dem durehweg hohen Qualit/itsanspruch der hier Befragten nicht.
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61 Einhellig beklagen sie ein niedriges Programmniveau und mangelhafte joumalistische Kompetenz bei der Aufbereitung aktueller Themen und Geschehnisse: ,, Man ist manchmal erschreckt, wie flach das ist. "(Thomas) ,,Ich hab gerne Sachen, die gut gemacht sind. Eigentlich mit allem, das ist mit Kleidung, mit Essen, mit MObeln. Ja, und das ist vielleicht auch, was mich nervt bei so Filmen." (Christine) ,,Kritischer Journalismus hat's immer schwer gehabt, bier in Deutschland, denke ich, und dem ist esjetzt viel schwerer gemacht worden. Heute, das istja alles so seicht. Da bin ich immer so watend, daft die Menschheit far so unintelligent gehalten wird, daft man ihrjeden Schwachsinn vorsetzen kann." (Renate) ,,Ich bin oft unterwegs, dienstlich, und dann bin ich in Hotels, und die haben immer Fernsehen, und dann drack ich auch mal, und da bin ich immer so entt~uscht, und manchmal bin ich schier hell entsetzt, wenn man da abends um elf, zwOlf aufs Zimmer kommt, das ist ja unglaublich, was da alles durch die ROhre flimmert. Derartig platt und durum, das istja furchtbar. " (Luise) ,,Ich habe fr~iher gelegentlich die Nachrichten der 'BBC' gehOrt, und das schwebt mir eigentlich immer als das Musterbeispiel vOllig objektiver und sachlicher Nachrichtengebung vor. Was mir bier am Fernsehen geboten wurde, sind irgendwelche Sprechblasen und dumme Lappalien. " (Wemer) ,,Das ist mehr als seicht. Effekthascherei. " (Nadja) ,, Substanzlos. " (Birgi0
Besonders harte Kritik miissen die privaten Programmanbieter fiber sich ergehen lassen, sower deren Angebote den Nichtfemsehern iiberhaupt bekannt sind 4~ Die diesbeziigliche AuBerung Thomas' soll an dieser Stelle ausreichen, tun die Bewertung der privaten Fernsehprogramme durch die aktiven Nichtfemseher zu charakterisieren: ,, Schwamm drfiber t. "
Elf der dreizehn befragten aktiven Nichtfemseher sind vor allem mit den dargebotenen Programminhalten unzufrieden. Im Vordergrund stand dabei der Vorwurf, das f'flctionale Femsehprogramm sei zu gewaltlastig, und im nonfiktionalen Bereich beherrsche ein nicht zu rechtfertigender Negativismus das Programmangebot. Das gewaltbetonte, negativ eingef'firbte Femsehprogramm wird als Belasttmg empfunden, vor tier sich viele der bier befragten Nichtfemseher durch ihre femsehfreie Lebensweise schiitzen wollen: ,,Ich w~rd mir so gewalttatige Filme nicht angucken. Da sch~tz ich reich schon vor, kann man sagen. " (Martina) ,,Ich w ~ d e mir hie irgendwelche Horrorfilme angucken. " (Nadja) ,,Diese brutalen Szenen und dieses Geschrei, das find ich so furchtbar. " (Luise) ,,Ich sag immer, das sind Blutfilme. Wenn solche Filme sind, dann guck ich die auch nicht, dann geh ich raus, auch wenn ich im Kino bin, dann geh ich einfach raus. "
(Petra) ,,Die Nachrichtensendungen, da frag ich reich, ob wir wirklich alles wissen m ~ s e n , ob
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62 ich wirklich, wenn in Moskau ein grofler Zugunfall ist, und da sterben zwanzig Leute, ob ich das wissen muff." (Christine) Zu viele unterhaltungsbetonte Elemente enth/ilt das Femsehprogramm fiir Georgs Geschmack - ein wesentlicher Grund fiir ihn, g/inzlich auf das Femsehen zu verzichten: ,,Das Fernsehprogramm besteht ja, glaub ich, zu siebzig oder achtzig Prozent aus Unterhaltung, und ich kann daraus so keinen rechten Spafl beziehen, aus Unterhaltung. " Fiir drei dieser elf Befragten sind vor allem die zahllosen Talkshows ein Grund fftir die negative Bewerttmg des Femsehprogramms. Renate bringt die Abneigung gegen diese Programmform auf den Punkt: ,, Was mich auch sauer macht, ist dieses stgindige Schielen nach den US-amerikanischen Sendeformen, daft das hier relativ kritiklos fibernommen wird, diese elenden Talk.shows, und alles wird zerredet. Jeder Aspekt des Lebens, und sei er noch so vulgar, primitiv oder banal wird durchgekaut, das ist wirklich ein Brei. " Ffinf der obengenannten Nichtfemseher sehen auch in der Fernsehwerbung einen programminhaltlichen Faktor, der das Femsehen ftir sie in Ungnade fallen 1/iflt. Stellvertretend fiir diese Gmppe kommt hier noch einmal Renate zu Wort: ,,Das ist 'ne Beleidigung. Also, dadurch fiihle ich mich beleidigt, und deswegen will ich mir das auch gar nicht antun. " Neben den massiven Vorbehalten gegen das Fernsehprogramm sind noch zwei weitere Ursachen fiir die fernsehlose Lebensgestaltung von jeweils mehreren aktiven Nichtfemsehem mitverantwortlich. So halten sechs der dreizehn Befragten das Fernsehen •r ~iugerst sozial- beziehungsweise familienfeindlieh. Zwei yon ihnen beriehten ausfiihrlicher fiber entspreehende Negativeffahrungen: ,,Ich denke mir, daft reich vielmehr abgeschreckt hat, so zu erleben, welche Auswirkungen das Fernsehen und das Zeitverbringen vor dem Fernseher in meiner Familie hatte. Bei uns wurde Tennis geguckt, einfach alles geguckt, auch an schOnen Sonntagnachmittagen, es wurde einfach wirklich viel ferngesehen, und je i~lter meine Geschwister wurden, so mehr intensivierte sich das eben halt auch, daft dann auch schon nachmittags ferngesehen wurde, und mein Erlebnis ist eben halt das gewesen, daft ich dadurch, obwohl ich ja in einer Familie wohnte mit sehr vielen Menschen, ich reich doch auch ziemlich einsam gefiihlt hab, also, daft ich gesehen hab, daft dieses Fernsehen eigentlich fiberhaupt nichts yon Miteinander hat, da jeder isoliert vor sitzt und was erlebt." (Birgit) Beruht Birgits Aversion gegen das Fernsehen als familienfeindlicher Institution auf fi'iiheren Erfahrungen im Kreise ihrer Familie, so ffihlt sieh Uwe ganz aktuell durch die Fernsehgewohnheiten seiner Freunde und Bekannten in der Pflege seiner sozialen Beziehungen eingeschr~tkt: ,,Ieh habe sehr viele Freunde in anderen St~dten, eben well ieh friiher woanders gelebt habe, und da hab ich wirklich manchmal so den Eindruck oder ich muff
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63 manchmal iiberlegen, wann rufst du dennjetzt eigentlich mal an. Zu bestimmten Zeiten hab ich das Gefiihl, da st~r ich, weil, ich hab beispielsweise Freunde in Belgien, bei denen weifl ich auch, daft da immer die Glotze laufi, da hab ich manches Mal das Gefahl, verdammt, jetzt hast du im falschen Moment angerufen, und dann hemmt einen das, fiberhaupt anzurufen. Das find ich also ganz schrecklich. "
Fiinf der Befragten berichten von friiheren negativen Femseherfahrungen, die sicherlich auch mit zu ihrer sp~iteren femsehfreien Lebensweise beigetragen haben, m6gen sie auch nicht so pr/isent sein wie die meisten zuvor genannten Motive. Im Vordergrund stehen hier traumatische Femseherlebnisse in der Kindheit der Betroffenen, die zu )imgsten und Alptr~iumen Ffihrten. Martina beschreibt sehr eindringlich eine solche Begebenheit: ,,Ich hab als Kind so 'n Erlebnis gehabt, da kam 'Emil und die Detektive' das duffle ich sehen, und da gab es eine Szene in dieser alten Verfilmung, da schli~ft der 3runge ein und hat einen Alptraum, und da hab ich furchtbare Angst gekriegt bei dieser filmischen Umsetzung, und dann hat mein Vater den Fernseher ausgemacht, und der wurde auch nicht wieder angemacht. " Seitdem reagiert Martina fiberaus sensibel auf nervenaufreibende Medieninhalte: ,,Ich will nicht sagen, daft ich Spannung nicht aushalte, abet ich erlebe sie starker als andere, das aufjeden Fall." Christines frfihere Negativerfahrung beruht zwar nicht auf eigenen Fernseherlebnissen, sie kann sich aber noch sehr lebhaft an das abschreckende Beispiel einer Kommilitonin erinnem, die aufgrund ihres iiberm~iBigen Fernsehkonsums an ihrem Studium scheiterte: ,,Irgendwie hab ich gedacht, die ist richtig s~iehtig. Die hat eigentlich ihr ganzes Studium dutch das Fernsehen verbraten. " Handelt es sich bei Gerda, Luise, Nadja, Wemer, Thomas und Frank eher um ,,klassische" Vertreter ihres Typs, hinter deren femsehfreier Lebensweise neben programmbezogenen Vorbehalten in erster Linie aktivit~itsverweisende Motive stehen, so werden yon den tibrigen aktiven Nichtfernsehem noch weitere individuelle Einzelgriinde angefiihrt beziehungsweise best~itigt, die zu ihrer femsetffreien Lebensweise mehr oder weniger beitrugen. So wird Georg vonder visuellen Pr~isentationsform des Femsehens sinn!ieh nicht angesprochen: ,,Ich bin vielleicht ein Fahl- und Riech- und HOrmensch. Far reich ist das nicht so attraktiv, ich gehe abrigens auch so gut wie nie ins Kino. " Renate Rihlt sich vom fest s ~ e r t e n Femsehprogramm in ihrer medienbezogenen Wahlfreiheit und Autonomie eingeschr~.nkt. Zudem st6flt sie das Erscheinungsbild der Femsehger~ite ab: ,,Ich krieg da was vorgesetzt. Schon allein dieses Glasding da im Zimmer zu haben, komische Farbe, so "he matte Farbe, wirklich 'he tote Farbe."
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64 P~idagogische Bedenken gegen das Femsehen spielen Rir Christine eine relevante Rolle: ,,Ich versuche, meinen Kindern beizubringen, daft sie eben unter anderem yon dieser Kiste nicht abhdngig sind, um ihre Zeit totzuschlagen. " Mit der Verbannung des Fernsehens aus ihrem Familienverbund will sie auch etwaigen Konflikten aus dem Weg gehen, die sich rund um den Fernsehkonsum ergeben k6nnten: ,,Jetzt darfst du das gucken, und das darfst du nicht gucken, also, ich hab keine Lust, mich jeden Tag dar~iber auseinanderzusetzen. Ich streit reich nicht gerne. " Mit seiner femsehfreien Lebensweise vermeidet Uwe physische Probleme, die w ~ rend seines friiheren Femsehkonsums regelm~ig auRraten - er ermiidete schnell vor dem laufenden Femsehgedit und bekam h~iufig Augensehmerzen. Die Abschaffung seines Femsehgedites soll ihn auch vor iiberm~igem Fernsehkonsum schiitzen, denn obwohl er nicht t~glich und rile tagsiiber femsah, hatte er h~iufig das Geffihl, zuviel fernzusehen: ,,Ich geh relativ frf~h ins Bett, well ich auch relativ frah aufstehe, aber trotzdem, wenn ich so drei Stunden davor gesessen hab, war mir das deutlich zu lang. Und dann fand ich das far reich, fiir meine VerhMtnisse zu viel. " Ebenso wie Renate wehrt sich auch Martina dagegen, ihren Tagesablauf nach dem Fernsehen ausrichten zu miissen: ,, Diese Fernsehprogramme sortieren den Ablauf des Abends. " Darfiber hinaus widerspdcht auch die inhaltliche Vorgegebenheit der Fernsehinhalte ihrem ausgepr~igten Selbstbestimmtmgsbedfirfiais: ,,Ich glaub, was reich am Fernsehen stOrt, ist, daft einem der gesamte Eindruck vorgegeben wird, also nicht nur der optische, sondern auch der akustische, und sogar manchmal die Interpretation auch vorgegeben wird, und das stOrt reich daran. Und ich hab auch viele Verfilmungen yon Bf~chern bewuflt nicht gesehen, well ich mir damit meine Vorstellung kaputtmache. " Petra hat sieh, wie bereits an anderer Stelle vermerkt wurde, intensiv mit dem Femsehen auseinandergesetzt, und neben den bereits genannten eine Reihe weiterer Motive und Argm~ente entwiekelt, die fiir ihre femsehfreie Lebensweise mitverantwortlieh sind. So sieht sie die Gefahr der Reizfiberflutung sowohl dureh die Inhalte des Fernsehens als aueh dutch deren Machart: ,,Die Bilder kommen so schnell aufeinander, da kann man sich gar nicht mehr yon lOsen. " Sie ist davon iiberzeugt, dab der Femsehkonsum die individuelle Phantasie zerst6rt und zu Realit~tsverlust ftihrt: ,,Da wird sehr oft 'ne helle Welt vermittelt, die es in der Realit~t eigentlich nicht gibt, und ich glaube auch, daft viele Leute den Bezug zur Realit~t verlieren durch Fernsehgucken, und dann nur noch die helle Welt vor Augen haben, und dann gar nicht mehr in der realen Welt zurechtkommen, oder die auch viele Ideale anstreben, urn a u f Deubel komm raus irgendwas zu erreichen, was durch das Fernsehen vermittelt wird. "
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65 Wann immer sie sich kritisch mit dem Femsehen auseinandersetzt, h/ilt sie den Femsehkonsum rein gefiihlsm/iBig fiir ein auch unter 6kologischen Gesichtspunkten fragwiirdiges Verhalten: ,,Ich bin vom Fernsehen immer in mein 6kologisches Bewufltsein abgeglitten. Dann hab ich sofort gedacht: Fernsehen - Auto."
Auch Birgit hat sich im Verlaufe ihres P~idagogikstudiums eingehender mit dem Femsehen besch/iftigt, zuletzt im Rahmen einer Seminarveranstaltung, in der sie mit groBem Interesse die grundlegenden medienp/idagogischen Ausfiihmngen Rainer Tulodzieckis (Tulodziecki, 1989) aufarbeitete. Die dort gesammelten Einsichten und die Erfahrungen, die sie in einer mehrj~trigen pers6nlichkeitsstabilisierenden Psychotherapie gemacht hat, haben sie zu der l]berzeugung gebracht, dab das Femsehen ein Hemmschuh ffir die individuelle Selbstfindung, BewuBtseinsbildung und Selbstverwirklichung sein kann: ,,Ich denke, daft dutch das Fernsehen doch etliche Bedfirfnisse kompensiert werden. Es ist einfach sehr bequem, sich vor den Fernsehapparat zu setzen und sich berieseln zu lassen und sich keine Gedanken machen zu mfissen, was man denn alternativ anstellen kOnnte. Und ftberhaupt das Bewufltsein, danach zu fragen, was sind denn eigentlich meine wirklichen Bedfirfnisse, das ist doch schon ein Bewufltsein, das doch sehr vielen Menschen abhanden gekommen ist. Es ist auch sehr schwer, sich etwas anderes vorzustellen, wenn man es nicht kennengelernt hat, wenn man nur ein Leben in diesem unbewuflten, ohnmdchtigen Zustand kennengelernt hat, ist es ganz schwierig, sich fiberhaupt 'nen anderen Lebensgeist, 'ne andere Motivation vorzustellen. ,,41
3.1.1.3 AIIgemeines Alltagshandeln
Aktivitdten und Lebensgestaltung
Der Alltag der Nichtfemseher unterscheidet sich von dem ,,normaler" Femsehkonsumenten allein schon dadurch, dab sich die Nichtfemseher, legt man die durchschnittliche Fernsehdauer bundesdeutscher Biirger zugrunde, zwei bis drei Stunden t/iglich mit etwas anderem besch/iftigen, als der gr6Bte Teil ihrer Mitbiirger 42. Hinzu kommt, dab sie - im Gegensatz zu ihren fernsehenden Mitmenschen - von einem ganzen Universum an handlungs- und meinungsgenerierenden Programminhalten weitgehend unerreicht bleiben (oder bleiben wollen), und sich auch aus diesem Gnmde auf vielen Ebenen des t/iglichen Lebens von ihren femsehenden Zeitgenossen unterscheiden. Bei den akfiven Nichtfernsehem zeigen sich diese Unterschiede in erster Linie in einer Lebensweise, die von mannigfaltigen Aktivit~iten gepr/igt ist, die gegeniiber dem eher passiven Fernsehkonsum prinzipiell vorgezogen werden beziehungsweise den Betroffenen gar keine Zeit zum Femsehen lassen. Einige dieser Aktivit/iten kamen in den
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66 vorangegangenen Schilderungen der aktiven Nichtfemseher bereits zur Sprache. Auf den folgenden Seiten folgt eine vertiefende Darstellung der allgemeinen Lebensgestaltung der aktiven Nichtfemseher, in der die unterschiedlichen Aktivit~iten und Performanzmuster der Befragten noch einmal detaillierter geschildert werden. Diese Darstellung bleibt nicht auf die Freizeitaktivit/iten der Befragten beschr/inkt, sondem bezieht auch allt/igliche berufliche, gesellschaftliche und familiale Gepflogenheiten und Verpflichtungen mit ein, um das hier pr~isentierte Bild fiber die lebensweltliche Wirklichkeit der Betroffenen abzunmden. Die Mediennutzungsaktivit/iten der Nichtfemseher kommen hier noch nicht detailliert zur Sprache, obschon sic einen bedeutenden Platz in den Lebenszusammenh/ingen der Untersuchungsteilnehmer einnehmen. Ihnen ist jeweils im weiteren Verlauf der Ergebnisdarstellung ein eigener Abschnitt gewidmet. Jeder der dreizehn Vertreter dieses ersten fibergeordneten Nichtfemsehertyps geht auf verschiedenen Ebenen gleich mehreren Aktivitfiten und Besch~iftigungen nach. Gleichwohl sind bei allen Befragten Interessensschwerpunkte auszumachen, so dab eine Gruppierung nach den jeweils dominierenden Aktivit/iten m/Sglich ist. Anhand der Hauptaktivit/iten der einzelnen Befragten lassen sich verschiedene Aktivit~itstypen festmachen- der kreativ-kanstlerische Typ, der sportliche Typ, der politisch/sozial engagierte Typ, der beruflich engagierte Typ, und, von einem einzelnen Nichtfernseher vertreten, der kulturell ambitionierte Typ. Bedingt durch die Vielfalt der Aktivit/iten, denen die einzelnen Befragten nachgehen, gibt es freilich zahllose Uberschneidungen zwischen den einzelnen Aktivit/itstypen, so dab diese Eingruppierung nicht allzu streng aufgefabt werden sollte. Ffir eine smakturierte Ubersicht fiber die Interessens- und Aktivit~itsschwerpunkte der Befragten ist sic jedoch unentbehrlich. Drei der aktiven Nichtfemseher, Gerda, Martina und Petra, sind dem kreativkiinstlerischen Typ ~zurechnen. Wie bereits aus den Begrfindungen Gerdas fiir ihre femsehfreie Lebensweise zu ersehen war, besch~iftigt sic sich gem mit Handarbeiten wie Stricken, Kl/Sppeln und Patch-Work. Auch das TSpfem geh/Srt zu ihren Hobbys, wie die vielen selbstget/Spferten Kunst- und Gebrauchsgegenst~inde in ihrem ger~iumigen Wohnzimmer verraten. Bis vor kurzem lud sic regelm~iBig Interessierte zu einem ,,T/Spfertreff" ein, der im Keller ihres Hauses abgehalten wurde. In den Sommermonaten widmet Gerda viel Zeit der liebevollen Gestaltung ihres sch/Snen Gartens: ,,Im Sommer bin ich da ganz sch6n beschafiigt, und es macht Spafl, und da brauch ich keinen Fernseher. Der st6rt mich dann h6chstens, oder wfgrde mich ablenken, oder er wf~rde sowieso nur dumm rumstehen und nicht eingeschaltet werden. "
Die Relevanz des kreativen Schaffens in ihrem Leben umschreibt Gerda mit einem einzigen Satz: ,, lch wfirde sagen, Kreativitat geht vor jedem anderen Kase, und das Fernsehen wiirde einenja nut blockieren."
Um sich fiir ihre arbeitsintensiven Hobbys fit zu halten, betreibt Gerda regelm~ig
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67 Gymnastik im ortsans/issigen Sportverein. In friiheren Jahren lag der Schwerpunkt ihrer Alltagst/itigkeit freilich auf der sehr zeitintensiven Pflege ihrer schwerbehinderten Tochter und der Organisation ihres Haushalts: ,,Ich hab sowieso fiir meine Tochter auch sehr viel Zeit gebraucht, und da hditte ein Fernseher auch nur gest6rt. "
Mittlerweile kann ihre Tochter die meisten Alltagsverrichtungen selbst~indig erledigen, so daft Gerda ihr nicht mehr so oft zur Hand gehen mul3. Auch Martinas Wohnungseinrichtung zeugt von ihrer Begeisterung flit kreatives Gestalten: ,, Was hier so hangt, das hab ich alles selber fotografiert oder gemalt. "
Systematisch arbeitet sie daran, ihre k/instlerischen F/ihigkeiten weiterzuentwickeln, wobei sie sich immer phasenweise auf eines ihrer kreativen Steckenpferde - Musik, Malerei und Fotografie - besonders konzentriert: ,,Dann mach ich also wirklich drei Abende nur das eine. Oder das ich mal am Wochenende 'nen Aktzeichenkurs mache und dann wirklich von Freitag bis Sonntag dahin gehe und dann zeichne. "
H/iufig besucht sie mit einer sachkundigen Freundin KunstaussteUungen und Museen, um sich in ihrer kiinstlerischen Arbeit inspirieren zu lassen. Obwohl sie erst zwischen achtzehn und neunzehn Uhr von ihrer Arbeitsstelle zuriickkommt, kocht sie jeden Abend flit" sich allein ein komplettes, vollwertiges Abendessen und findet zus/itzlich noch die Zeit, zwei- bis dreimal in der Woche zum Karatetraining zu gehen. ,,Irgendwie •t immer was. Ich bin total ausgelastet, da paflt oft nichts mehr rein. "
So beschreibt Petra ihren turbulenten Alltag, in dem viele unterschiedliche Aktivit/iten nebeneinander stehen. Sofem es ihr zeitintensives Fachhochschulstudium zul/iflt, besch~iftigt sie sich jedoch haupts/ichlich mit ihrem musikalischen Hobby, dem Querfl6tenspiel. Nicht ohne Stolz erw~.nt sie, dab sie in einem der besten sinfonischen Blasorchester Deutschlands mitspielt. Neben dem t/iglichen Oben zu Haus erh~ilt Petra noch einmal in der Woche F16tenunterricht. Zudem erteilt sie selbst regelm~iflig Unterricht auf ihrem Instrument. Einen erheblichen Teil ihrer Freizeit investiert Petra in sportliche Aktivit~ten. Die ehemalige aktive Radsportlerin f'fihrt regelmhl3ig lange Strecken auf ihrem Fahrrad, joggt gem und spielt h~iufig Squash. Bleibt dann noch Zeit, trifft sie sich gem mit Freunden und Bekannten oder versch6nert ihr Haus mit kreativem EinfaUsreichtum. Die Aktivit~ten yon Georg, Birgit und Thomas liegen haupts~ichlich auf den Ebenen Sport, Bewegung und Gestmdheitspflege. Georg legt sehr viel Wert darauf, seine Gesundheit durch regelmS.flige k6rperliche Bet~tigung zu erhalten: ,,Ich investier viel Geld in meine Gesundheit, also sprich viel Zeit, nicht Geld. Ich laufe viel, ich sitze zweimal in der Woche im Kajak, ich fahr viel Rad, auch mit 'nero Rennet. Wo ich das kann, wende ich die Zeit a u f far meine Gesundheit, nicht f a r Geld. "
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68 Georgs sportliche Aktivit/it soil jedoch nicht nur seiner Gesundheit dienen, sie bereitet ihm auch einfach sehr viel Spal3: ,,Mein einfachster Zeitvertreib ist laufen oder Fahrrad fahren. Kostet mich nichts, ich geh die Treppe hinunter, setz mich aufs Fahrrad und rolle irgendwie durchs Miinsterland, ist ff~r mich der sch6nste Zeitvertreib, so mit der sch6nste. "
Das Radfahren und damit verbunden die Pflege seiner Fahrr~ider, steht eindeutig an erster Stelle seiner Freizeitaktivit/iten: ,,Fahrrad ist Nummer eins. lch liebe Fahrrader, ich hab, glaub ich, neun StrUck, davon vier Wracks allerdings. Also, ich liebe Fahrrader und das Arbeiten am Fahrrad. "
Dariiber hinaus betreibt Georg noch alle m/Sglichen Wassersportarten: ,,Dann alles, was mit Wasser zu tun hat, also Kanu fahren, segeln, schwimmen, tauchen. "
Georgs Tagesablauf ist nicht durch feste Arbeits- und Freizeiten s ~ e r t . Seine unkonventionelle Lebensweise erm/Sglicht es ihm, jederzeit seinen sportlichen Neigungen nach~gehen: ,,Ich hab keine Arbeitszeit und keine Freizeit, weil ich selbsmndig bin. Manchmal zum Beispiel sitz ich morgens um acht im Boot flir zweieinhalb Stunden, manchmal arbeite ich schon im Sommer um sechs Uhr morgens, lch arbeite auch sonntags, aber manchmal, wenn ich was arbeiten miiflte, selbst wenn Zeitdruck da ist, aber die Sonne scheint so sch6n, und der Himmel ist so sch6n, dann setz ich mich aufs Fahrrad und fahr einfach. "
Georg, der sehr gem kocht, l~idt h~iufig G~iste zu sich ein. Geselligkeit hat neben dem Sport einen sehr hohen Stellenwert in seinem Leben, ebenso wie handwerkliche T~itigkeiten, denen er bei jeder Gelegenheit mit groBer Begeisterung nachgeht. Birgits Interessen liegen sowohl auf sportlichem als auch auf kreativ-k/instlerischem Gebiet. Sport und Kunst sind ihre Hobbys, beides studiert sie, um ihren Leidenschaften zttkiinftig auch beruflich nachgehen zu ktinnen. Aus ihren Schilderungen geht jedoch hervor, dab ihre Aktivit~iten mehr auf sportlicher denn auf kreativ-kiinstlerischer Ebene liegen, obwohl ihr Appartement mit zahllosen selbstgefertigten Gem~ilden, Graphiken und Kleinplastiken angefiillt ist: ,,Ich hab schon so bei mir gesp~rt, daft ich doch einen sehr starken Bewegungsdrang habe, nicht umsonst studier ich auch Sport, und interessier reich auch wirklich f~r viele Dinge, die mit Bewegung zu tun haben. Ich glaube, daft ich Bewegung brauche, um eben auch geistig auf der H6he zu bleiben. "
Neben ihren sportlichen und ldinstlefischen Aktivit~iten nimmt noch ihre Halbtagsbeschtiftigung als Sachbearbeiterin an der Universittit einen sehr hohen Stellenwert in ihrer Alltagsgestaltung ein. Diese Besch~ii~igung dientt Birgit nicht nur als Broterwerb, sie betrachtet il~en Arbeitsplatz gleichzeitig als wichtigen Erfahrungs- und Kommunikationsraum, tier zu ihrer Perstinlichkeitsbildung beitr~igt. Selbst ldinstlefisch verwertbare Erfahrungen macht sie dort: ,,Ich denke manchmal, dab das, was ich in dem Baro erlebe, zu den Sprechzeiten, die
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69 ich anbiete, ja doch auch sehr viel mit Performance im weitesten Sinne zu tun hat, weil mich da Menschen besuchen, die ihre Fragen haben, und jeder Mensch ist anders, und ich muff mich spontan dazu verhalten, wie die Menschen mir begegnen, und das bringt mir sehr viel persi~nlich. " Auch in ihrer Freizeit ist Birgit der Umgang mit anderen Menschen wichtig. Regelm/iBig untemimmt sie mit Freunden und Bekannten Kino-, Diskotheken- und Restaurantbesuche.
Seit sechs Jahren ist Thomas aufgrund einer chronischen Erkrankung friJhpensioniert. Bringt eine solche Behinderung fiir viele Betroffene automatisch eine Ausweitung des Fernsehkonsums mit sich, um die frei gewordenen zeitlichen Ressourcen anzufftillen, so ist bei Thomas der gegenteilige Fall eingetreten. Anstatt zu resignieren und sich in eine passive Lebensweise ztwiickzuziehen, hat Thomas zusammen mit seiner ebenfalls friihpensionierten Ehefrau eine Vielzahl an Aktivit/iten entwickelt, in deren Mittelpunkt sportliche beziehungsweise gesundheitsf'6rdernde T/itigkeiten stehen. Bereits vor seiner Pensionierung waren sportliche Aktivit/iten fiir Thomas an der Tagesordnung: ,,ln der Woche hatten wir verschiedene feste Termine, abends, sei es, durch meine Krankheit bedingt, die Gymnastik, die ich machen muflte, oder daft wir sportlich etwas gemacht haben, tanzen waren. Die anderen sportlichen Aktivitaten, das war bei mir noch das Tauchen, dann war bei uns abends immer noch ein Saunagang in der Woche angesagt, und so ergaben sich vielfaltige Aktivitaten, so daft ffir das Fernsehen keine Zeit und keine Lust blieb. " Seine grol]e Leidenschaft, das Radfahren, veranlaBte Thomas gar, nach seinem Ausscheiden aus dem Berufsleben seine Heimat im Siegerland zu verlassen und in das fahrradfreundliche Miinsterland zu ziehen: ,,Ja, das Fahrradfahren, das ist natfirlich auch eine wichtige Sache, das war, das kann man sagen, der entscheidende Grund eigentlich, hierhin zu fahren, lm Siegerland gibt's nur zwei MOglichkeiten fats Fahrradfahren, entweder schieben oder bremsen. " Mittlerweile ist Thomas dem Tumverein seines neuen Heimatortes beigetreten, und gemeinsam mit seiner Ehefrau besucht er regelm/iBig den 6rtlichen Tanzkreis, nicht zuletzt, um einen neuen Bekanntenkreis aufzubauen. Thomas nutzt seine zeitliche Ungebundenheit noch auf vielf'~iltige andere Weise. So studiert er seit einigen Jahren Politikwissenschaff, Psychologie und Wirtschaftspolitik an der Fachhochschule, ohne jedoch berufliche Ziele mit diesem Studium zu verfolgen: ,,Das Studium istjust for fun. " Als Griindungsmitglieder eines Kleinkunstvereins in ihrem neuen Heimatort zeigen Thomas und seine Ehefrau auch ein reges kultureUes Interesse, dem sie, sobald sie die miinsted~indische Kulturlandschaft ausreichend erforscht haben, vermehrt nachgehen wollen. Besondere Bedeuttmg hat fiir Thomas noch die ehrenamtliche Mitarbeit in einer Selbsthilfeorganisation, in der er sich in fiihrender Position fiir die Belange seiner Leidensgenossen einsetzt.
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70 Auch Luise und Frank setzen sich fiir ihre Mitmenschen ein. Ihr gesellschaftspolitisches Engagement nimmt eine zentrale Stellung in ihrem Leben ein. Sowohl auf beruflicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene sind sie st~indig bemiiht, ihre politischen und sozialen Ideale mnzusetzen. Luise vertritt als Vorsitzende eines gewerkschaftlichen Bezirksvorstandes rund zehntausend Gewerkschaftsmitglieder - eine Aufgabe, die ein enormes Arbeitspensum mit sich bringt und einen gefiillten Terminkalender garantiert. Nicht selten muB sie versuchen, sich von den vielen Anfordertmgen, die dort an sie herangetragen werden, abzugrenzen, um nicht zu sehr von diesem Amt vereinnahmt zu werden: ,, Wenn man nicht aufpaflt, macht man hinterher alles alleine, und dadurch bin ich da ganz schOn ausgelastet."
In der Regionalpolitik ist Luise als Unterbezirksausschuflmitglied einer groflen politischen Partei aktiv, eine Arbeit, die ihr ebenfalls sehr viel Freude bereitet: ,, Vor allen Dingen die ParteL das sind ganz nette Leute, das macht unheimlich Spafl, auch vielejunge Leute. Abet das kostet auch viel Zeit. "
All diese Aufgaben erfiillt Luise neben ihrer beruflichen Arbeit als Chemotechnikerin, und auch dort engagiert sie sich als Personalr~itin fiir ihre Mitarbeiter: ,, Und dann mach ich halt diese Personalratsarbeit ziemlich intensiv, ist schon fast 'n zweiter Beruf. Aber ich bin nicht freigestellt. Das ist ziemlich aufwendig. "
Besuchte Luise friiher gemeinsam mit ihrem Ehemann regelm/iBig Tanzveranstaltungen, so bleibt heute aufgrund ihres ausgepr~igten gesellschaftlich-politischen Engagements kein Freiraum mehr fiir derartige Unternehmungen: ,,Dadurch hab ich eigentlich so richtig Freizeit aberhaupt keine mehr."
Die Dominanz sozialpolitisch engagierten Handelns in ihrem Alltag empfindet sie jedoch nicht als st&end: ,,Irgendwie ist das auch ein Hobby."
Die freien Abende zwischen ihren vielf'~iltigen Verpflichtungen verbringt sie mit Gespr/ichen und Spazierg~ingen mit ihrem Ehemarm: ,,Dann sitzen wir im Garten oder wir gehen so dutch die Siedlung. Und die Leute sitzen alle vorm Fernseher, und wir haben alles ff~r uns. "
Als Mitglied im Bundesvorstand eines Biirgerrechtsverbandes und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter einer politischen Organisation er/Sffnet sich ftir Frank ein weites Operationsfeld, auf dem er seine gesellschaftspolitischen Ambitionen umsetzen kann. Eine Trennung zwischen Beruf und Privatleben findet bei Frank nicht statt. Statt dessen versucht er, auf allen Lebensebenen seinem Hauptinteresse, dem gesellschaftspolitischen Engagement, nachzugehen: ,,Die politische Arbeit im weitesten Sinne ist ein wichtiges lnteresse von mir, wo ich auch nicht mehr sagen kann, so, da hOrtjetzt B e r u f auf, und da fangt Hobby an."
Da Frank zur Zeit lediglich an drei Tagen in der Woche beruflich eingebunden ist, bleibt ihm, neben seiner politischen Arbeit und seinem gesellschaftlichen Engagement, noch geniigend Freizeit, um seinem ausgepr~igten Bewegungsdrang zu folgen:
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71 ,, Was fiir mich sehr wichtig ist, ist einfach so dieses Bewegung haben und drauflen sein, so alles, was mit radfahren, schwimmen und so zusammenhangt, da brauch ich einfach auch so meinen gewissen Level" Lassen die Witterungsverh~iltnisse eine ausgiebige sportliche Bet~itigung im Freien nicht mehr zu, verlegt Frank seine Aktivit~iten nach Innen, verbringt viel Zeit im Kreise seiner Freunde und Bekannten: ,,Im Winter verlagert sich das Ganze natf~rlich mehr. Der Winter ist so meine Sozialphase."
Bis vor kurzem lag auch Renates Aktivit/itsschwerpunkt auf politischer und gesellschaftlicher Ebene. Nach jahrelanger ehrenamtlicher T~itigkeit befmdet sie sich zur Zeit in einer Umorientierungsphase, in der sie sich neue Horizonte er6ffnen will. Aus diesem Grunde hat sie ihre ehrenamtlichen Aktivit/iten eingeschr~fitt und verbringt nun viel Zeit mit dem Lesen von Biichem und Zeitschriften, nicht zuletzt, um sich Impulse flit ihre zuldinftige Lebensgestaltung zu vermitteln: ,,Ich denke, zwanzig Jahre rumgerOdelt, jetzt darf ich's auch real 'n biflchen langsamer gehen lassen und gucken, was gefdllt mir denn so." Vorher investierte Renate als Unterbezirksvertreterin einer grogen politischen Partei viel Zeit und Energie in die Kommunalpolitik, wo sie noch immer aktiv ist: ,,Jetzt bin ich noch im Sportausschufl, als sachkundige Bfirgerin." Auch im aktivsportlichen Bereich stellte Renate ihre Kr/ifte dem Wohle der Allgemeinheit zur Verfiigung: ,,Ich hab frfiher auch noch viel Sport getrieben. Ich war im Sportverein als Obungsleiterin ttitig. Das hat auch Zeit in Anspruch genommen. Ich war auch 'he Zeit lang Gesch~ftsfi~hrerin, das war wirklich fast 'n Vierundzwanzig-Stunden-Job, da war ich also Tag und Nacht ansprechbar und hab gemacht und getan, das war sehr aufreibend." Heute b e s c h r ~ sich ihre sportliche Aktivit/it auf das Radfahren, Bodybuilding und Tanzen. G/inzlich zur Ruhe semen will Renate sich auch in Zukunft nicht. Weiteres soziales Engagement, etwa bei Amnesty International oder tihnlichen Bfirgerrechtsorganisationen, ist geplant, und auch ihrem Halbtagsjob als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im medizinischen Bereich will Renate weiterhin nachgehen. In Anbetracht ihres jahrzehntelangen gesellschaftlichen und politischen Einsatzes muB Renate, trotz ihrer derzeitigen ,,Denkpause", dem politisch/sozial engagierten Typ zugeordnet werden. Der Beruf ist fiir Christine und Uwe von zentraler Bedeutung und bildet fiir beide den Pol, der die jeweilige Lebensgestaltung entscheidend pr~igt. Uwes berufliehes Engagement als Denkmalpfleger geht weit fiber die fiblichen Verpflichtungen hinaus. Die Frage nach dem Spitzenplatz in seiner pers6nlichen Relevanzskala beantwortet Uwe eindeutig: ,,Ira Moment, solange ich den Beruf habe, zweifellos def. Und der macht mir auch Spafl. Ich beschtifiige mich auch dann feierabends noch damit. "
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72 Freie Zeit Rir etwaige Hobbys oder andere Besch~iftigungen bleibt Uwe kaum, zumal er seit drei Semestem in seinem Fachgebiet an der Fachhochschule unterrichtet. Auch diese T~itigkeit verlangt viel Zeit und Vorbereitungsarbeit. Die Wochenenden nutzt Uwe h~iufig fiir Kurzreisen zu architektonisch lohnenswerten Zielen und fill" Museumsbesuche, um auch dort fachbezogenes Anschauungsmaterial zu sichten. In den wenigen Stunden, die ihm neben seinen berufsbezogenen Aktivit~iten noch bleiben, besch~iftigt er sich gem mit einem seiner vielen Biicher, die zu Tausenden die Regale in seiner Wohnung anfiillen. Zuf'~illigerweise ist auch Christine im Bereich der Denkmalpflege t~itig. Ihre ganzt/igige berufliche T~itigkeit einzuschr~tken und sich statt dessen vorrangig mit der Organisation ihres vierk/Spfigen Haushalts zu besch~iftigen, kann sie sich nicht vorstellen: ,,Ff~r mich ist klar, ich arbeite ganze Tage, dadurch kann ich mir 'ne Haushaltshilfe leisten. Wenn ich jetzt 'n halben Tag zu Hause ware, ware ich mit der Zange nicht anzupacken. " Ebenso wie Rir Uwe bleibt auch Rir Christine das fachliche Interesse nicht auf den beruflichen Alltag beschr~inkt. Ihr Beruf kommt ihren kulturellen Neigungen in idealer Weise entgegen, und sie betrachtet ihn nicht nur als Broterwerb, sondem auch als pers/Snliche Passion: ,,Das istja fast eigentlich auch Hobby." Ihre karge Freizeit widmet sie in erster Linie ihren beiden schulpflichtigen Kindem und ihrem Ehemann. Dann legt sie sehr viel Wert auf eine sinnvolle Freizeitgestaltung auf hohem Niveau. Mit den Kindem wird gespielt, gebastelt und gelesen. In den Abendsttmden, wenn die Kinder bereits schlafen, geht sie regelm~ig mit ihrem Ehemann spazieren, um noch einmal die Tagesgeschehnisse Revue passieren zu lassen: ,,Ich weifl es nicht, ich denke mir nut, daft so ein Ehepaar, das abends vor dem Fernseher sitzt, da haben wit mehr von unserem Spaziergang. Wenn wit eine dreiviertel Stunde spazierengehen, oder "ne Stunde ist es meistens, dann unterhalten wit uns j a eine Stunde." H~iufig stehen Rir Christine und ihren Ehemann auch gemeinsame Leseabende oder Besuche im Tanzclub auf dem Programm. Wemers Hauptinteresse gait schon immer der Kultur. Aus wirtschaftlichen Erw~igungen machte er aber nicht sein Hobby zum Beruf, sondem zog statt dessen das Studium der Rechtswissenschaften vor. Neben seiner zeitraubenden Arbeit als Rechtsanwalt und Notar widmete er sich intensiv den bildenden Kiinsten, sowohl in ehrenamtlicher Funktion, als auch als Sammler vorwiegend zeitgenfssischer Graphik. Bis zum Alter von siebzig Jahren bekleidete er ein hohes, repr~isentatives Amt im westf'~ilischen Kulturbetrieb, das mit grol]em Arbeitsaufwand und zahllosen Verpflichtungen verbunden war. Noch heute pflegt er viele Beziehungen, die sich aus dieser T~itigkeit ergeben haben. H~iufig besucht er Museen, Ausstellungen und kunsthistorische Vortr~ige, und auch Theater- und Konzertbesuche finden in regelm/iBigen Abst~den statt. Da Wemer
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73 nur noch zweimal in tier Woche in seiner Soziet/it arbeitet, steht ihm jetzt ausreichend freie Zeit ftir die Lekt/ire seines umfangreichen Buchbestandes zur VerRigung. Auch dort liegt der Schwerpunkt auf kulturbezogener und historischer Sachliteratur: ,,Ja, das ist eben, Sie sehen hier, das sind Kataloge ron Museen, das sind die groflen Galerien, und da drfiben ist westfMische Geschichte, und das ist allgemeine deutsche Geschichte, das ist Preuflen. Liebhabereien mehr als genug auf diesem Gebiet. "
Regelm/il]iges Radfahren und Schwimmen bildet den ausgleichenden, gesundheitsff6rdemden Gegenpol zu Wemers vielfiiltigen geistigen Aktivit/iten. Nadja ist keinem der oben genannten Aktivit/itstypen schwerpunktm/il3ig zuzuordnen, da ihre vielen Interessen relativ gleichberechtigt nebeneinander stehen. In ihrer Vielseitigkeit verk6rpert sie eine Mischform der oben genannten Aktivit~itstypen: ,,Ich lese sehr viel, aber das ist meistens zwischendurch. Sonst, ja, die ganzen Urlaubs- und auch Wochenendaktivitaten, daft man irgendwelche Leute besucht, aber auch, bei gutem Wetter, radfahren und wandern und auch bergsteigen. Dann Kultur, es gibt ja auch kaum Veranstaltungen hier in M~inster, die ich dann auch auslassen wu'rde. Wir haben Theater-Abo, dann sind wir im Tanzclub, dann die ganzen Kabaretts, und, wie gesagt, ich bin politisch engagiert, da steht also jede Woche ein Tag dafi~r fest, dann gibt's j a auch also noch die Ausschuflsitzungen, und so weiter, da geh ich ja auch hin. Mein Mann ist in der Kirchengemeinde engagiert, da hat er j a auch zwei Abende in der Woche, wo er unterwegs ist. Also, im Grunde genommen, so die ganzen Abende in der Woche sind wir unterwegs. "
Ein weiteres Indiz Rir die Priorit~it aktiver Lebensgestaltung in den Relevanzhierarchien der aktiven Nichtfernseher liegt in ihrem Urlaubsverhalten. Jeder der dreizehn hier befragten Nichtfemseher legt Wert auf eine edebnisbetonte Urlaubsgestalttmg, niemand von ihnen kann sich vorstellen, die Ferien ausschlieBlich Rir einen Entspannungsurlaub zu nutzen: ,,Mich interessieren so die Stadte und die Landschafien. Vierzehn Tage am Strand, vOllig undenkbar. " (Uwe) ,,Da roach ich mir schon richtig Programm. Ich kOnnt es also nicht ertragen, an einem Oft zu sein und da immer nur am Strand auf und ab zu gehen, das ist Ode. " (Renate) ,,Meine li~ngste Reise waren dreizehn Monate, aber das war nicht weir, das war Frankreich, Spanien, Balearen, aber mit 'nero sehr alten Segelboot, wo man sehr genau f~berlegen muff, was man rut. Ich bin nicht an Weite interessiert, sondern an Intensitat." (Georg) ,,Also, nur rumhi~ngen kann ich nicht. Dann werd ich verr~ickt. " (Petra) ,, Wir haben noch nie in der Sonne gelegen. Wert wird auf Aktivitaten gelegt. " (Nadja)
Viele der bisher von den Befragten geschilderten Aktivit~iten sind mit prim~en Sozialkontakten und interpersonalen Kommunikationsakten verbunden. Diese werden yon den aktiven Nichtfemsehem gegen~ber parasozialen Kommunikationssituationen43,
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74 wie sie durch das Femsehen vermittelt werden, eindeutig vorgezogen. Die aktivit/itsbetonte, auf interpersonale Kommunikationserfahnmgen ausgerichtete Lebensweise der Befragten offenbart sich auch in ihrem hohen gesellschaftlichen Organisationsgrad. Zehn der dreizehn aktiven Nichtfemseher sind Mitglieder in Vereinen, ehrenamtlich t/itig sind immerhin sechs von ihnen. Die Berufst~itigen unter den aktiven Nichtfemsehem, die iibrigens ausnahmslos mit Freude ihrer Arbeit nachgehen, sch/itzen auch die zwischenmenschlichen Kontakte, die sich an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz ergeben, sehr. Bemerkenswert ist der hohe Stellenwert des Tanzens unter den aktiven Nichtfemsehem. Mit dieser Freizeitbesch~iftigung erftillen sie gleichzeitig soziale, sportliche, kulturelle und/isthetische Bediirfrtisse. Die bisherigen Ergebnisse lassen bereits tiefe Einblicke in die Lebensstile der Befragten zu. Signifikante lebensweltliche und lebensstilistische Besonderheiten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede wurden herausgearbeitet. Die folgenden Befunde zu einigen ausgew~ten lebensstilistischen Performanzmustem, deren Erhebung zus~itzlich in den Katalog der forschungsleitenden Fragestellungen zur Lebensgestaltung der Nichtfemseher aufgenommen wurde, runden dieses Bild ab. Der hohe Qualit~itsanspruch der aktiven Nichtfemseher, der sich bereits im Zusammenhang mit ihrer durchgehend negativen Beurteilung des Femsehprogrammangebots zeigte, ~iuBert sich auch in ihrem Konsumverhalten. Vorrangiges Kriterium bei der Anschaffung sowohl kleiner als auch gr/513erer Konsumgiiter ist deren Beschaffenheit und Wertbest~.ndigkeit, wie die entsprechenden Aussagen der Befragten belegen: ,,Die Qualitat ist fi~r mich entscheidend. "(Nadja) ,,Es muff schlicht wirken und langlebig sein." (Frank) ,,Bei einigen Sachen achtet man doch schon auf die Qualitat. " (Thomas) ,,Heute, wo ich mehr GeM zur Verfagung habe, da achte ich sehr viel mehr auf Qualitat. "(Uwe) Obwohl die qualitative Hochwertigkeit der von den aktiven Nichtfemsehem bevorzugten Produkte nicht selten h/Shere Anschaffungskosten verursacht, bezeichnen sich doch fast alle Befragten als sparsam und bescheiden. Die Mehrausgaben fiir qualitativ hochwertige Konsumgiiter werden durch die pragmatische, iiberlegte und zuriickhaltende Einkaufstaktik der Befragten kompensiert: ,,lch kaufe mit Sicherheit preisbewuflt ein, auf der anderen Seite gebe ich durchaus mehr Geld far Dinge aus, die ich far sinnvoll halte. Das heiflt, daft ich mit Sicherheit die Eier von frei laufenden Hf~hnern kaufen werde und hie irgendwelche anderen." (Martina) ,,Bevor wir uns irgendwas anschaffen, ~berleg ich auch vorher. Nicht, daft ich mir was anschaffe, und das liegt hinterher in der Ecke. " (Petra) ,, Wit verdienen nicht schlecht, und dafar sind wir eigentlich sehr bescheiden." (Christine) ,,Da bin ich sehr zurackhaltend. Doch, ich f~berlege mir das erst immer. " (Gerda)
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75 ,,Das trgigt m a n j a 'ne Weile mit sich herum. " (Wemer)
Luise bringt die beiden Kriterien, die das Kaufverhalten der aktiven Nichtfemseher im wesentlichen bestimmen, in der knappen Beschreibung ihres eigenen Konsumverhaltens noch einmal auf den Punkt: ,, Pragmatisch und qualitgitsbewuflt. "
Uwe hingegen gibt freimiitig zu, dab monet/ire lSrberlegungen bei seinen Kaufentscheidungen keine Rolle spielen: ,,Ich verplemper mein Geld, ich hab keine Beziehung zum Geld. "
Eine einheitliche Linie 1/iBt sich auch bei den Em/ihrungsgewohnheiten der aktiven Nichtfemseher beobachten. Bis auf drei Ausnahmen em~t~ren sich alle aktiven Nichtfemseher sehr bewuBt und auf qualitativ hohem Niveau. Georg und Renate sind Vegetarier, sieben weitere Befragte essen nur sehr wenig Fleisch. Neun der befragten aktiven Nichtfemseher e m ~ r e n sich vollwertig, zwei von ihnen verzehren dariiber hinaus auch keine zuckerhaltigen Lebensmittel. Birgit, Thomas und Uwe pflegen keine besonderen Em~.nmgsgewohnheiten. Im Einklang mit der recht gesunden, bewul]ten Em~hrungsweise der meisten aktiven Nichtfernseher steht auch ihr Verh/iltnis zum Tabakkonsum. Elf der dreizehn Befragten sind Nichtraucher. Wenn es um die medizinische Versorgung geht, verlassen sich sieben der aktiven Nichtfernseher lieber auf die Schulmedizin als auf die Heilwirkung der Homfopathie oder anderer naturheilkundlicher Behandlungsmethoden. Drei der Befragten konsultieren im Bedarfsfall einen Schulmediziner, der auch natuxheilkundliche Behandlungsmethoden anwendet, zwei weitere wenden sich im Krankheitsfall sowohl an einen Schulmediziner als auch an einen Naturheilkundler. Auch Thomas hat im Verlaufe seiner chronischen Erkrankung beide Heilverfahren ausprobiert, ist aber nach vielen Entt/iuschungen zu der l:lberzeugung gelangt, dab nur er selbst die effektivste Behandlungsmethode festlegen kann. Die Mehrzahl der aktiven Nichtfemseher beriicksichtigt in ihrer LebensRihnmg 6kologische Gesiehtspunkte. Bis auf eine Ausnahme besitzen alle aktiven Niehtfernseher ein naeh ihrer Einseh/itzung mittleres bis starkes Okologiebewugtsein, das auch - auf untersehiedliehe Weise - praktiziert wird: ,,Ich sortier meinen Mfill beispielsweise, ich hab kein Auto. Ich halt das schon ffir wichtig." (Uwe)
Martina, die ebenfalls aus 5kologischen Griinden kein Auto besitzt, setzt sich auch f'manziell und ideologisch fiir den Umweltschutz ein: ,, lch bin auch spendendes Mitglied bei 'Greenpeace ' "
Petra hat ihren PKW schon einmal w/ihrend einer Umweltaktion fiir vier Wochen abgemeldet, und auch Georg und seine Ehefrau haben schon einmal fiber einen Zeitraum von drei Jahren ohne Auto gelebt: ,, Wir fahren nahezu ausschliefllich Fahrrad Wir hassen das Auto beide. "
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76 Die Abfallvermeidung und Mfillsortierung ist fftir alle umweltbewul3ten Befragten eine Selbstverstfindlichkeit. Auch beim Einkauf werden 5kologische Erw/igungen beriicksichtigt. Nicht femzusehen ist offensichtlich nicht der einzige Faktor in der LebensRihnmg der aktiven Nichtfemseher, in dem sie vom GroBteil ihrer Mitbev61kerung abweichen. Betrachtet man die bisherigen Untersuchungsergebnisse, so lassen sich auf vielen Ebenen ihrer Alltagsgestaltung unkonventionelle Verhaltensweisen erkennen, die durchaus als typische lebensweltliche und lebensstilistische Eigenheiten gewertet werden k6nnen. Insgesamt weisen sie auf eine aktivit~its- und erlebnisbetonte, rationalpragmatische Lebensweise hin, in der die Pflege und Erhaltung der Lebensqualit~it im Mittelpunkt steht.
Allgemeine handlungsbedingende Relevanzstrukturen Die differenzierte Analyse der allgemeinen Alltagsaktivit~iten der aktiven Nichtfemseher er6ffnet gleichzeitig einen Einblick in ihre handlungsleitenden Relevanzsysteme, da sich in ihren Handlungs~iuflerungen ihre alltagsweltlichen Bedfirfnisse (erlebnisbetonte Alltagsgestaltung, hohe Lebensqualit~t, Gesundheit, Bewegung und sportliche Aktivit~iten, Geselligkeit und pfim~e Sozialkontakte, kreatives Gestalten, soziales und politisches Engagement, Bildung, berufliches Engagement) und Interessen (Kultur und Kunst, Gesellschaft und Politik, Familie, Beruf, Literatur, Wissenschait) offenbaren. Bereits in den konkreten Motiven der aktiven Nichtfemseher ftir ihre femsehfreie Lebensweise wurden diese Interessen und Bedfirfnisse in Teilen sichtbar. Neben den Bedfirfnissen und Interessen, die sich direkt in den konkreten Alltagshandlungen tier Befragten manifestieren, gibt es weitere fibergeordnete Relevanzen, die in alas Handeln tier Betroffenen einflieBen. Hier sind vor allem ihre Werte und Uberzeugungen, ihre Ziele und Zukunfispl~e, ihre religi6s-weltanschaulichen Odentierungen sowie ihre politischen Einstellungen zu nennen. Diese zentralen fibergeordneten Relevanzen wurden auch im Rahmen der hier vorliegenden Studie erhoben. Damit wird zwar keinesfalls das gesamte Spekmun der fibergeordneten Relevanzen abgedeckt, die Analyse dieser ausgew~alten Relevanzbereiche erm/Sglicht jedoch wertvolle Einsichten in die Pers/Snlichkeitssysteme der Nichtfernseher und erbringt letztlich auch weitere Aufschlfisse fiber die Grfinde Rir ihre femsehfreie Lebensweise. Als besonders kompliziert gestaltete sich der Versuch, die allgemeinen Grundwerte und 0berzeugungen der Befragten zu eruieren. Die Untersuchungsteilnehmer hatten in der Mehrzahl Probleme bei der spontanen Nennung ihrer Wertvorstellungen. Allgemeine Grundfiberzeugungen und Wertvorstellungen scheinen zumindest bei den aktiven Nichtfemsehem zu den Elementen des Wissensvorrats zu geh6ren, die, fiber lang-
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77 fristige Erfahnmgen und biographische Pr/igungen sedimentiert, eher tmbewugt und unreflektiert in die Alltagsgestaltung ihrer Tr/iger einflieSen. Jedenfalls gaben nicht wenige der Befragten an, daft sie sich aus AnlaB des Interviews zum ersten Mal vor die Aufgabe gestellt sahen, ihre Wertvorstellungen zum Ausdruck zu bringen. Als Ergebnis dieser Bemfihungen kann zumindest festgehalten werden, dab in den Relevanzsystemen der aktiven Nichtfernseher Wertvorstellungen dominieren, die im weitesten Sinne unter den Begriffen Mitmenschlichkeit beziehungsweise soziales Verhalten subsumiert werden k6nnen. Zehn der Befragten/iuBerten sich in dieser Richtung. Dieses typische Werteverst/indnis bildet m6glicherweise auch den Hintergrund ffir die ablehnende Haltung der meisten aktiven Nichtfemseher gegeniiber gewaltbetonten Medieninhalten, wie sie bereits im Abschnitt fiber die Motive ihrer femsehfreien Lebensweise festgestellt wttrde. Weitere Grundwerte, die von jeweils mehreren aktiven Nichtfemsehem vertreten werden, lassen sich mit den Begriffen Verantwortungsbewufltsein (Nadja, Christine, Renate, Uwe), Selbstachtung (Christine, Renate, Thomas) und Unabhangigkeit (Martina, Nadja, Georg) treffend umschreiben. Zwei der Befragten betrachten eine einfache, bescheidene Lebensfiihrung als grunds/itzliches Lebensprinzip (Gerda, Frank). AuBerdem ziihlen einige der Befragten noch Lebensfreude (Georg), Optimismus (Christine), Groflzf~gigkeit (Renate), Gerechtigkeit (Frank) und Toleranz (Nadja) zu den Grundprinzipien ihrer jeweiligen Lebensffihnmg. Im Vergleich zu den eher abstrakten Wertvorstellungen und Gnmdiiberzeugungen lieBen sich die konkreten Zukunffspl/ine der Befragten erheblich leichter erfassen. Im wesentlichen wollen die aktiven Nichtfemseher ihre bisherigen Aktivit/iten fortsetzen beziehungsweise noch ausweiten. Ein prim/ires Lebensziel, das von allen aktiven Nichtfernsehem gleichermaBen verfolgt wird, liegt in ihrer individuellen Selbstverwirklichung. Fiir Christine und Uwe ist der Beruf auch weiterhin der zukunftbestimmende Faktor. Ist Christine noch die erfolgreiche Erziehung ihrer beiden Kinder ein wichtiges Anliegen, so kann sich Uwe ganz seiner beruflichen Weiterentwicklung widmen. Sogar den Erwerb eines weiteren akademischen Titels in seinem Fachgebiet schlieBt er nicht aus" ,,Beispielsweise wollte ich immer real promovieren. Ob ich das dann auch noch mache, weifl ich nicht. " Nadja, seit einigen Wochen nicht mehr in ihrer ehemaligen Firma t/itig, will sich eine neue Anstellung suchen, in der sie ihr berufliches Engagement ad/iquat einbringen kann. Auch fiir Petra ist die berufliche Zufriedenheit- nach einem erfolgreich abgeschlossenen Studium- ein erstrebenswertes Ziel. Thomas will sein Studium und seine Verbandsarbeit auch zuldinitig erfolgreich und mit Engagement weiterftihren. Die weitere Erkundung seiner neuen Heimat und der Aufbau neuer sozialer Beziehungen geh6ren ebenfalls zu Thomas' l/ingerfristigen Planungen. Dariiber hinaus will er sich noch mit seiner Frau einige Reisetriiume erffillen. In Luises Zukunft wird ebenfalls das solzialpolitische Engagement weiterhin an erster Stelle stehen.
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78 Ihre eigenen Lebens- und Gliicksvorstellungen zu verwirklichen ist das Ziel von Birgit und Renate. Die Selbstverwirklichung soil bei beiden aber in einem harmonischen sozialen Rahmen stattfmden: ,, Mir ist es wirklich wichtig, so mein Gl~ck zu verwirklichen. Das, was ich mir so darunter vorstelle, ist, daft ich mit Menschen zusammenleben mOchte, die mich mOgen, die ich mag, und die auch aufrichtig sind. Speziell w~insche ich mir das auch, mit 'nero Partner zusammenleben zu kOnnen und auch Kinder zu haben und das auch an die Kinder weiter zu vermitteln. Also, das achte ich schon als 'ne sinnvolle Lebensaufgabe. " (Birgit) ,,Ich mOchte in Zukunfi auch auf reich selber horen. Mein eigenes Wf~nschen und Wollen in Einklang bringen mit dem anderer. " (Renate) Auch Gerda will sich nun, nachdem sie nicht mehr so viel Zeit fiir die Pflege ihrer Tochter aufwenden mug, vermehrt ihren eigenen Neigungen und Bediirfnissen widmen: ,,Ich bin jetzt achtundfanfzig, und ich hab das Berufsleben hinter mir, ich hab die Kindererziehung hinter mir, ich kann jetzt eigentlich so Sachen machen, wo ich meine, daft es Spafl macht, was Kreatives machen." Wemer will seine beruflichen Aktivit~iten in Zukunft auf ein Minimum reduzieren, um sich ganz seinen Liebhabereien zuwenden zu k/Srmen. Um sein kunsthistorisches Wissen zu vertiefen, will er demniichst im Rahmen des seit einigen Jahren angebotenen Altersstudiums Vorlesungen in historischer Landesgeschichte an der Universit/it belegen. Die Kenntnisse auf seinen Interessensgebieten m5chte auch Georg zukiinftig erweitem. Da er mit seiner derzeitigen Lebenssituation sehr zufrieden ist, beschr~.nken sich seine Pl~ine auf die Ausweitung seines Wissensbestandes: ,,Das einzige, was ich auJbauen will, ist Wissen, abet sonst m~cht ich eigentlich nirgends hin." Frank und Martina verfolgen zur Zeit keine konkreten Zuktmftspl~.ne, allerdings aus unterschiedlichen Griinden. Frank hat bei seiner T~itigkeit in der Aids-Hilfe Erfahrungen gemacht, die ihm die Unvorhersehbarkeit des menschlichen Daseins drastisch vor Augen fiihrten. Diese Erfahrtmgen haben ihn bei der eigenen l~-agerfristigen Lebensplanung vorsichtiger werden lassen, gleichzeitig empfindet er die Zwanglosigkeit seiner Zukunftsgestalttmg als befreiend: ,,lch plane nicht langfristig. Das tut sehr gut, einfach nur diese begrenzten Ziele zu haben. " Martina ist sich fiber ihre zukiinftige Lebensgestaltung noch nicht klar. Im Moment bef'mdet sie sich in einer Umbruchsituation, in der sie sich fiir ein Leben mit einem Partner oder ftir ein selbstbestimmtes, unabh~ingiges Leben entscheiden mug. So sieht sie sich momentan augerstande, konkrete Zukunftspl~-ae zu schmieden. Religi6se oder weltanschauliche Erw~igungen haben keinen nennenswerten Einflul3 auf die Alltagsgestaltung der meisten aktiven Nichtfemseher. Lediglich Rir Christine und Wemer ist die Einbindung in eine religi6se Gemeinschaft und die Teilhabe am
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79 kirchlichen Leben ein unverzichtbares Element ihrer Lebensfiihrung: ,,Ich gehOre der evangelischen Kirche an, mit meiner Frau, und ich gehe auch hin, well mir das etwas bedeutet. Dieses Gefi~hl, da so einen Grund oder doch so etwas wie Geborgenheit zu wissen, ist mir eigentlich immer sehr wichtig gewesen. " (Werner)
Sechs der dreizehn aktiven Nichtfernseher geh/Sren hingegen keiner Konfession an, und die fibrigen Befragten stehen ihrer jeweiligen Kirche eher kritisch gegenfiber. Wie stark politische l~erzeugungen in den Alltag der Betroffenen hineingreifen k6nnen, wurde bereits bei der Darstellung der verschiedenen Aktivit/itstypen sichtbar. Die politische Einstellung und die Bereitschaft, sich ftir politische Ziele aktiv einzusetzen, sind zweifelsfrei Faktoren, die bei der Betrachtung der fibergeordneten, handlungsbeeinflussenden Relevanzen berficksichtigt werden mfissen. Au6er den vier aktiven Nichtfemsehem, fiber deren politische Aktivit~iten bereits ausffihrlicher berichtet wurde, engagieren sich auch Gerda und Georg fiir politische Zielsetzungen, wenn sie die Notwendigkeit fiir ein derartiges Vorgehen verspfiren. So hat Gerda bereits mehrmals an Demonstrationen zu kontroversen politischen Themen teilgenommen, und Georg hat sich schon mehrfach auf kommunalpolitischer Ebene an Bfirgerinitiativen beteiligt: ,,Ich interessier mich auch stark fiir Politik, also engagier ich mich auch politisch. "
Die politische Heimat der meisten aktiven Nichtfernseher ist eher im linken Parteienspektrmn angesiedelt. Drei von ihnen sind Mitglied in der SPD, drei weitere Befragte bekennen sich zu den Gr~nen, und vier der Befragten bezeichnen sich als Anh~inger rot-grfiner Politik. Ein Befragter sieht seine Interessen am besten von den Christdemokraten vertreten. Ein aktiver Nichtfemseher steht allen politischen Parteien grunds/itzlich skeptisch gegenfiber. Alle wahlberechtigten aktiven Nichtfernseher gehen regelm/igig zur Wahl, drei der Befragten vergeben ihre Stimmen jeweils aus wahltaktischen Griinden an unterschiedliche Parteien. Christine besitzt noch ihre belgische Staatsbfirgerschaft und hat daher in der Bundesrepublik Deutschland kein Wahlrecht, womit sie auch ihr geringes Interesse an tier deutschen Politik erklart. Die Schildertmg der Alltagsgestaltung der aktiven Nichtfemseher und der dahinterstehenden Relevanz- und Motivationsstrukturen vermittelt profunde Einsichten in die Pers6nlichkeitssysteme und Lebenswelten der Befragten. Die mittelbaren und unmittelbaren Verflechtungen zwischen ihren allgemeinen Relevanzsetzungen und ihren allt/iglichen Handlungs~iugertmgen treten deutlich hervor. Sowohl gemeinsame, typische Linien als auch individuelle Merkmale wurden erkennbar, die in ihrer Gesamtheit die wesentlichen Gnmd~ge von Lebensentwfirfen aufzeigen, in denen kein Raum flit routinem~igen Fernsehkonsum besteht.
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3.1.1.4 Evaluation/Perspektiven/Reaktionen
Vorteile der fernsehfreien Lebensweise
Nicht fernzusehen ist eine Konsequenz aus den pers6nlichen Relevanzsetzungen der Befragten. Das Femsehen spielt in ihrem Leben keine Rolle, weil ihre Interessen und Bediirfnisse auf anderen Ebenen angesiedelt sind, und sie ihr Handeln nach diesen Relevanzsetzungen ausrichten. Das Nichtfemsehen hat wiederum selbst Auswirkungen auf die Lebemweise der Betroffenen, von denen der gr6Bere zeitliche Spielraum fiir andere T~itigkeiten von den aktiven Nichtfemsehem als gewichtigster Vorteil erachtet wird: ,,Der Vorteil liegt mit Sicherheit im Moment darin, daft ich mehr Zeit fiber habe, die ich freier einteilen kann." (Martina) ,,Ich hab mehr Zeit. " (Frank) ,,Ich schaff so nebenbei noch was, was andere vielleicht nicht schaffen. " (Gerda) ,,Ich hab viel mehr Zeit fiir andere Tatigkeiten, die mir wichtiger sind. " (Uwe) ,,Ich bin zufrieden und meine auch, daft ich etwas Zeit gewonnen habe, die ich rfickschauend, etwas zugespitzt, fiir unnfitzes Zeug verwandt habe. " (Wemer) Neben den zeitlichen Vorteilen, die von allen dreizehn aktiven Nichtfernsehem genannt wurden, sehen einige der Befragten noch weitere Vorziige in ihrer femsehfreien Lebensweise. So wird yon zwei aktiven Nichtfcrnsehem als besonders positiv empfunden, tile vom Femsehen abh~ingig gewesen zu sein. Zwei weitere Befragte sind der Meinung, dab die femsehfreie Lebensweise einen auflerordentlich positiven Effekt auf ihr Sozialleben hat: ,,Man unterhMt sich intensiver. "(Thomas) Thomas findet sein fernsehfreies Leben zudem viel abwechslungsreicher als die Zeit, in der er noch ein Femsehger~it besaB: ,, Wir finden das immer noch interessanter so als anders. " Christine betrachtet es als groBen Gewinn fiir die Harmonie innerhalb ihrer Familie, dab mit dem Femseher ein potentieller Konfliktfaktor aus ihrem Haushalt ausgeschlossen bleibt, und Martina ist wesentlich gelassener geworden, seitdem sie ohne Fernsehen lebt: ,,Ich geh viele Sachen ruhiger an." Als besonders vorteilhaft empfindet es Nadja, in ihrer eigenverantwortlichen Alltagsgestaltung vom Fernsehen weitgehend unbeeinfluBt bleiben zu kSnnen: ,,lch bin eigentlich in meiner Meinung ziemlich frei, dazu werde ich auch gezwungen, reich mit manchen Problemen selbst auseinanderzusetzen, das hare ich eigentlich so als Vorteil, und zweitens, ja, schon wieder eine arrogante Vorstellung, ich bin doch nicht darauf angewiesen, was mir die anderen an Vorgekautem auf den Tisch legen. "
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81 Nachteile der fernsehfreien Lebensweise
Die meisten der dreizehn aktiven Nichtfemseher sehen ausschlieglich Vorteile in ihrer femsehfreien Lebensweise. Drei der Befragten beklagen jedoch auch negative Auswirkungen ihrer femsehlosen Lebensgestaltung. Sie verspfiren Informationsdefizite gegenfiber ihren femsehenden Zeitgenossen. Zwei von ihnen vermissen zudem noch die visuelle Vermittlungskomponente des Femsehens, die ihnen friiher die bildliche Vorstellung massenmedial fibermittelter Inhalte erm6glichte: ,,In manchen Situationen erlebe ich das auch manchmal als Nachteil, well ich nicht informiert bin, well ich nicht mitreden kann. "(Birgit) ,,Ich bin natfirlich in manchen Dingen nicht ganz so informiert, und ich hab natfirlich nicht immer 'ne visuelle Vorstellung von den Dingen. " (Martina) ,,Ich kriege manche Informationen nicht. Und ich kriegja die Politiker, wenn sie sich die Hande schatteln im Fernsehen, seh ich ja nicht. Ab und zu ist ja real was in der Zeitung drin, die meisten kenne ich nicht vom Ansehen, nur die wichtigsten. Die anderen kenne ich nicht mehr. Also, es gibt schon auch Nachteile. " (Uwe)
Bewertung der fernsehfreien Lebensweise
Zehn der dreizehn befragten aktiven Nichtfemseher sind einschr~inkungslos mit ihrer femsehfreien Lebensweise zufrieden. Nicht femzusehen ist fiir sie zu einer bew/ihrten Routine geworden, die ihnen ihren aktiven Lebenswandel erlaubt und wesentlich zu ihrem Wohlbef'mden und zu ihrer Zufriedenheit beitr/igt: ,, Wir sind froh, das wir's gemacht haben. " (Christine) ,,Also, ich bin wirklich fest davon aberzeugt, daft es besser ist, keinen Fernseher zu haben." (Luise) ,,Es ist so, man hat irgendwie real drauf verzichtet, und stellt fest, man kommt auch ohne gut aus, und, tja, man lebt ganz gut damit und man ffihlt sich trotzdem oder deswegen glacklich." (Thomas)
Auch zwei der drei aktiven Nichtfemseher, die fiber gelegentliche Informationsdefizite klagten, bewerten ihre femsehlose Lebensfiihnmg im groflen und ganzen positiv. Die Informationsverluste werden als nicht gravierend empfunden und nach Meinung der Betroffenen durch die Vorteile der fernsehfreien Lebensweise mehr als aufgehoben. Lediglich Birgit empfindet die Informationsdefizite, die sich durch die Abwesenheit des Fernsehers ergeben, als derart beeintriichtigend, dab sie schon hiiufiger an der Zweckm/igigkeit ihrer femsehlosen Lebensfiihnmg gezweifelt hat. Die Zeit ohne Fernsehger/it hat jedoch auch sie, ebenso wie alle anderen hier befragten aktiven Nichtfemseher, noch nie bereut.
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82 Perspektiven
Als einzige der dreizehn aktiven Nichtfemseher will Birgit ihre femsehfreie Lebensweise in absehbarer Zeit aufgeben und sich ein Femsehger~it zulegen, mit dem sie dann gezielt Sendungen verfolgen und gegebenenfalls mit einem Videoger~it aufnehmen will. Sie zieht damit die Konsequenz aus ihrer Befiirchtung, ohne Femsehen auf zu viele interessante Informationen verzichten zu miissen. Auflerdem halt sie es - auch im Hinblick auf ihre zukiinftige Berufst~itigkeit als Lehrerin - fiir p~idagogisch fragwiirdig, sich dem Femsehen und seinen Programmen in der heutigen ,,Mediengesellschaft" g~inzlich zu verschlieBen: ,,lch bin momentan in der Situation, unter anderem eben halt auch deshalb, weil ich Lehrerin werden m6chte und schon auch eben mit Schalern zu tun hab, die fernsehen, daft ich mir doch in der ndchsten Zeit einen Fernseher anschaffen werde, um eben halt ausgewdhlt und wirklich bewuflt mal mitzukriegen, was laufl, und eben halt ausgewahlte Sendungen aufzunehmen, denn es gibt ja schon auch, zum Beispiel in diesem Sender 'Arte' ziemlich interessante Beitra'ge, die auch sch6n und informativ sein k6nnten. Also, es ist einfach so'n Gedanke, mit dem ich momentan spiele, und ich wfirde meine Kinder auch dahin erziehen wollen, daft ich denen doch erm6gliche, auszuwahlen, lch glaube, daft das 'ne bessere Haltung ist als es abzulehnen, in unserer heutigen Zeit. " Die Befiirchtung, dab das Femsehen eine dominierende Rolle in ihrer Lebensgestaltung einnehmen und ihre sportlich-kreativen Aktivit~iten verdr[ingen k/Snnte, hegt sie indes nicht: ,,Nee, das glaube ich nicht, weil ich denke, daft ich doch auch vieles durchschaut habe, und mein Leben wird auf jeden Fall sehr arbeitsreich sein, da wird nicht mehr viel Zeit fars Fernsehen abrigbleiben. " Neun der aktiven Nichtfemseher wollen nicht ausschlieBen, dab sie sich zu einem sp~iteren Zeitpunkt doch noch ein Femsehger~it anschaffen. Sie sind sich nicht sicher, ob sie ihre femsehfreie Lebensweise fiir den Rest ihres Lebens beibehalten wollen. Allerdings plant zur Zeit niemand von ihnen konkret die Anschaffung eines Femsehapparates, alle wollen vorerst bei ihrer femsehlosen Lebensgestaltung bleiben. Fiir Christine, Nadja, Renate und Wemer w ~ e n gesundheitliche Beeintr~ichtigungen beziehungsweise altersbedingte Mobilit~itseinschr~inkungen m/Sgliche Griinde fiir den Erwerb eines Femsehers: ,,Also, im Moment sehe ich keine Notwendigkeit, aber ich kann mir vorstellen, sollte ich einmal krankheitsbedingt oder sonstwie ans Bett gefesselt oder ans Haus gefesselt sein, warde sich das vielleicht dndern, ich will's nicht ausschlieflen. " (Nadja) ,,lch brauch's noch nicht. Und ich hoffe, daft ich's lange Zeit nicht brauche. Vielleicht, wenn ich mal bewegungsunfdhig ans Haus gefesselt bin, vielleicht dann mal. Aber ich k6nnte mir vorstellen, daft es dann auch immer nur sehr tempor~ir ware, also, ausge-
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83 suchtes Fernsehen, und daft es dann immer noch 'ne ganze Menge anderes gLibe, wie gesagt, Bacher und Zeitschriften, mit denen ich mir die Zeit vertreiben kOnnte." (Renate) ,,lch will das nicht ausschlieflen, lch will durchaus often lassen, daft, wenn man noch alter wird und vielleicht auch etwas Probleme mit den Augen bekommt, daft ich dann mal wieder so'nen Kasten aufstellen wfirde, und dann aber eben versuchen wfirde, gezielt Kulturprogramme oder mal Filme mir anzusehen. " (Wemer) Fiir Christine kommt noch hinzu, dab ihre Kinder m6glicherweise irgendwann die Anschaffung eines Femsehger/ites fordem, um wie die meisten ihrer Altersgenossen femsehen zu k6nnen: ,,lch weifl es nicht, ob es wirklich durchzuhalten ist nachher mit den Kindern, oder vielleicht, wenn man Rentner ist, mal ganz alt, ist es vielleicht doch ganz schOn, weifl ich nicht. " Jedenfalls stellt das Femsehen Rir diese vier aktiven Nichtfemseher eine letzte Bet/itigungsaltemative dar, wenn sie ihren gewohnten Aktivit~iten nicht mehr nachgehen k6nnen.
Frank und Thomas wiirden das Femsehen eventuell nutzen, wenn einmal die technischen M6glichkeiten zur autonomen zeitlichen und inhaltlichen Programmgestalmng, etwa im Rahmen digitaler Femsehiibertragung, existieren. Die angebotenen Programme miiBten jedoch ihren hohen Qualit/itsanspriichen geniigen44: ,,Ich waflte bisjetzt keinen Grund, das zu ~indern, aber vielleicht kommtja irgendwann die MOglichkeit, daft man die Programme selbst zusammensuchen kann, oder daft es ein Programm gibt, das unseren Vorstellungen entspricht, daft man sagt, ach, komm, dann kaufen wir real einen. " (Thomas) ,, Wenn es mOglich wird, sich irgendwie ein eigenes Fernsehprogramm ~ber Internet zusammenzustellen, kann ich mir gut vorstellen, wieder ins Fernsehen einzusteigen." (Frank) Martina, Georg und Uwe wollen sich generell nicht auf die Fortfftihnmg ihrer femsehfreien Lebensweise festlegen. Sie machen die Entscheidtmg, ob sie das Fernsehen noch einmal nutzen wollen, von situationsspezifischen Anspr/ichen und Bediirfnissen abh/ingig: ,,Ich weifl auch nicht, ob ich irgendwann real 'hen Fernseher haben werde. Mag sein, wenn ich mein, daft ich das brauche. Aber dann muff ich das auch so empfinden, daft ich den brauche. " (Martina) ,, Ob ich's a u f ewig so belasse, weifl ich nicht. " (Uwe) ,,Ich kann mir durchaus vorstellen, daft ich das mal benutzen werde. Wenn das Fernsehen mir etwas Attraktives bietet, werde ich es nutzen. " (Georg) Die drei iibrigen aktiven Nichtfemseher wollen ihre femsehfreie Lebensweise auch in Zukunf~ unter keinen Umst~aden aufgeben.
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84 Petra ist fiberzeugt, dab die Anschaffung eines Femsehger/ites emeut eine Beziehungskrise heraufbeschw6ren wiirde, da ihr Lebensgef'~u'te zu fiberm~igem Fernsehkonsum neigt. Um dieser Problematik vorzubeugen, will sic, in Obereinstimmung mit ihrem Freund, auch weiterhin ohne Femsehen leben: ,,Allein schon, well, mein Freund ist dann immer so hypnotisiert, und ich glaube, das wfirde ein Problem bringen zwischen uns beiden. Under weifl das eigentlich auch. " Luise und Gerda haben noch nie ein Femsehger/it besessen und sehen auch zuldinftig keine Veranlassung, sich einen Femseher zuzulegen. Ein Leben mit einem Femsehapparat im Hause ist fftir sie unvorstellbar, und auch an ihrem Lebensabend wollen sic sich lieber aktiv besch/iftigen als passiv vor der Mattscheibe zu sitzen: ,,Ich mi~cht auch keinen haben, wenn ich alt bin. Ich hab mit Sicherheit auch genug zu tun, wenn ich Rentnerin bin." (Luise)
Reaktionen von auflen
Wie kein anderes Medium ist das Femsehen in seiner Doppelfunktion als Unterhaltungs- und Informationsmedium in die alltagsweltliche Wirklichkeit seiner Rezipienten eingewoben und auf vielfiiltige Weise mit deren Denken und Handeln verschmolzen. Ffir die meisten Mitglieder unserer heutigen Gesellschaft ist der Femsehkonsum zu einer selbstverst~indlichen Alltagsroutine geworden. Nicht fernzusehen bedeutet gleichzeitig, von der gesellschaftlich verankerten Femsehroutine abzuweichen und, zumindest auf dieser Ebene, eine AuBenseiterrolle einzunehmen. Die Reaktionen aus dem sozialen Umfeld der aktiven Nichtfernseher auf deren devianten Umgang mit dem Femsehen sind mehrschichtig. Zwar fiihlt sich niemand der Befragten aufgrund seiner fernsehfreien Lebensweise sozial ausgegrenzt, jedoeh fiberwiegen in den Reaktionen von auBen Skepsis, Ablehnung und Unverst~ndnis gegenfiber der femsehlosen Lebensgestaltung der aktiven Nichtfemseher. H~iufig wird ihnen untersteUt, nicht ausreiehend fiber das Weltgeschehen informiert zu sein. Eine zufriedenstellende Lebensgestaltung ohne Femsehen wird ihnen off nicht zugetraut. Acht der befragten aktiven Nichtfernseher bedchten von derartigen Reaktionen aus ihrer sozialen Umgebung: ,,Die Leute k6nnen das fiberhaupt nicht verstehen, daft man keinen Fernseher hat. Dann kommen die Fragen: 'Ja, was machst Du denn, wie informierst Du Dich denn fiber das, was in der Welt lduft' und so, oder: 'Was machst Du denn mit Deiner ganzen Zeit? '. " (Petra) ,,Mir ist gestern noch gesagt worden: 'Wollt Ihr euch nicht doch noch 'n Fernsehgerdt anschaffen, also, da gibt's so sch6ne Sendungen, da ist die 'Seidenstrafle' und da gibt's die dritten Programme, Du weiflt gar nicht, was Du alles verpaflt, da gibt's so sch6ne Sachen, so sch6ne Natursendungen und so '. Ja klar, ich les dann aber viel
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85 lieber zum Beispiel so 'n Buch fiber die Schimpansen vonder Jane Goodall. " (Gerda) ,,Es ist far manche Leute nicht vorstellbar, und wenn sie so einen Fernsehsfichtigen haben, der dann also, ich sag jetzt mal, ich glaub mittwochs sind immer die Fuflballspiele, der kommt dann mittwochs abends nicht, weil er bei uns das Fuflballspiel nicht sehen kann. Das hat's schon gegeben, aber recht, recht selten. Also, deswegen ist bei uns keine Freundschafi oder Bekanntschafi kaputtgegangen. " (Thomas) ,,Ja, und dann sagen sie immer: 'Ja, das ist aber doch nichts ', also man miiflte unbedingt die Nachrichtensendungen sehen, und so." (Luise) ,,Also, viele in meinem Bekanntenkreis haben gesagt: 'Das hi~ltst Du nicht durch '. Und mir fehlt das Ding fiberhaupt nicht. Gerade, weil ich alleine wohne, haben viele gesagt: 'Mensch, da brauchst Du 'nen Fernseher, das geht nicht anders, t '. Viele k6nnen sich ein Leben ohne Fernsehen nicht vorstellen, und deswegen kommen solche Reaktionen." (Martina)
Frank kann sich gar an Situationen erinnem, in denen er im Bekanntenkreis wegen seiner fernsehfreien Lebensweise regelrecht angefeindet wurde. Bezeichnenderweise waren es vomehmlich Fernsehjournalisten, die seiner fernsehlosen Lebensgestaltung die heftigste Ablehnung entgegenbrachten: ,,Die aggressivsten Reaktionen krieg ich yon Fernsehjournalisten. Vor allem von einigen, die so in meinem Freundeskreis sind. Dann haben die halt wieder irgendeinen Beitrag gemacht, und so mit dem fiblichen Narziflmus: 'Na, wie fandest Du's denn?" und ich sag, ich hab keinen Fernseher, ich konnte es nicht sehen, die reagieren, wenn sie 's erst mitkriegen, aggressiv: 'Also, ich roach jetzt so 'ne tolle Sache und Du kannst es nicht bewundern, Du stellst damit auch unsere Freundschaft in Frage '. So mit dem ganz leichten Unterton, und wo dann teilweise richtige Bekehrungsversuche ansetzen, so, das maflte man j a doch, ist j a alles ganz toll und ganz wichtig. Und so im Freundes- und Bekanntenkreis, wenn das Leute mitkriegen, daft es dann halt irritierte Reaktionen gibt, so: 'Na ja, jeder hat seinen Spleen '. Manche Leute vergleichen sich dann auch und sagen: 'Ich kOnnte mir das fiberhaupt nicht so vorstellen, ich brauch einfach irgendwie abends so schon zum Abschalten mein Fernsehen '. " Viele Bekannte, Freunde und Kollegen der aktiven Nichtfemseher reagieren auch verwundert und erstaunt fiber deren fernsehlosen Lebenswandel. Nicht selten werden die Nichtfernseher als kudose Sonderlinge betrachtet: ,,Es ist schon ein paar Mal vorgekommen, daft die Leute das eigentlich als ganz merkwfirdig empfinden, und dann hat auch einmal eine Arbeitskollegin gesagt, als ich dann sagte, ich habe kein Fernsehen: 'Ach so, deswegen bist Du manchmal auch so komisch '." (Nadja) ,,Manche halten einen fiir einen Exoten. "(Uwe) ,, Viele Kinder sagen dann: 'Geht das denn fiberhaupt?'. So Jugendliche halt, die staunen immer. "(Christine) ,,Man wird manchmal bl6d angeguckt. "(Thomas)
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86 ,,Alle sagen ganz erstaunt: 'Wieso kein Fernsehen, das geht doch gar nicht '. " (Gerda)
Scheinbar ruff die Konfrontation mit Menschen, die ohne Femsehen leben, bei einigen Bekannten der aktiven Nichtfernseher auch ein schlechtes Gewissen oder Unbehagen fiber das eigene Femsehnutzungsverhalten hervor. Jedenfalls legen entsprechende Reaktionen aus dem sozialen Umfeld der Befragten diese Vermutung nahe. Vier der aktiven Nichtfemseher, Petra, Christine, Renate und Georg, kGnnen sich an Situationen erinnem, in denen ihre Gespr/ichspartner den eigenen Fernsehkonsum zu bagatellisieren beziehungsweise rechtfertigen versuchten: ,, Ganz toll ist immer, dafljeder sich verantwortet, warum er wohl einen Fernseher hat. Die sagen dann immer: 'Ich guck nicht viel'. " (Christine) ,,Ich hab immer das Gefi~hl, daft viele sich bemiifligt fi~hlen, ihr eigenes Fernsehen zu rechtfertigen." (Renate) ,,Das ist schon so, daft fast jeder sein Fernsehverhalten herunterspielt oder entschuldigt. Ganz ahnlich abrigens beim Fleischessen, wenn man sagt, man iflt kein Fleisch. "
(Georg) Renate berichtet als einzige der dreizehn aktiven Nichtfemseher auch fiber positive Reaktionen, die sich unter die fiberwiegend skeptischen AuBerungen aus ihrem sozialen Umfeld mischen: ,,Das geht: 'Ah, toll!' oder: 'Das kOnnt ich nicht, das hielt ich nicht aus ' "
3.1.1.5 Allgemeines Medienhandeln 45
Generelle Befunde zum Medienhandeln
Die Annahme, dab Nichtfemseher auch andere Massenmedien nur unterdurchschnittlich oder iiberhaupt nicht nutzen, tfifft zumindest auf die hier befragten alaiven Nichtfemseher nicht zu. Sie kGnnen sogar durchaus als recht rege Mediennutzer bezeiclmet werden. Auch der h~iufig ge~iuBerte Vorwurf, sie seien aufgrund ihrer femsehlosen Lebensweise uninformiert, wird von ilmen klar widerlegt. Ihr Informationsbedfirfnis ist im allgemeinen sehr stark ausgepr~igt. Printmedien und Radio werden von ilmen als Informationsquellen regelm~ig und intensiv in Anspruch genommen. Dem Radio wird dabei gegenfiber dem Fernsehen der groBe Vorteil zugesprochen, den Rezipienten nicht an alas Medium zu binden und zur Passivit~it zu verurteilen, sondem nebenbei andere Aktivit~ten, wie zum Beispiel Handarbeiten oder Haushaltst~itigkeiten, zuzulassen. Das Lesen von Zeittmgen, Zeitschriften und Bfichem wird, im Gegensatz zum Femsehen, als aktive Auseinandersetzung mit der Welt betrachtet und als freier, autonomer Mediennutzungsakt gesch~itzt, der nicht durch programminhaltliche oder zeitli-
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87 che Vorgaben unab~aderlich vorstrukturiert ist, sondern eine gezielte, selektierte und unabh~.ngige Informationsaufnahme erlaubt. Alle aktiven Nichtfemseher benutzen regelm~ffig das Radio, Tageszeitungen, fiberregionale Wochenzeittmgen oder politische Zeitschriften, um sich fiber das intemationale Weltgeschehen und fiberregionale Ereignisse zu informieren: ,,Ich hOre Rundfunk, ich lese jeden Tag zwei Tageszeitungen, ich lese die 'Zeit' als Wochenzeitung, das sind die wesentlichen Informationen politischer und allgemeiner Art." (Uwe) ,, (Jber die 'Zeit' hab ich natiirlich weltpolitisch, wirtschaftlich, schon 'hen gewissen Uberblick, und so das Tagesgeschehen krieg ich eigentlieh fiber die Nachrichten im Radio mit." (Martina) ,,Also, ich informier reich erst real dureh die Tageszeitung, dann hOr ich Radio, morgens vor allen Dingen, und ich les den 'Spiegel '. " (Renate) ,,Ich hOre jeden Morgen Radio, und dann kauf ich mir eben halt auch ab und zu den 'Spiegel', oder 'ne andere Zeitung, die 'Woche'oder die 'Zeit', je naehdem. " (Birgit) ,,Ich informier reich durch Lesen von Zeitungen. Und dann hOr ich Radio. " (Luise) ,,Da ist einmal das Radio, dann die fiberregionale Zeitung, die 'Siiddeutsche' ja, relativ regelmdflig wird dann irgendwie so 'Spiegel' und 'Stern' ab und zu real gekaufl, und jetzt kauf ich eigentlich auch sehr regelmaflig, fast jeden Tag, unsere Tageszeitung hier in M~inster. " (Nadja) ,,Ich krieg schon viel mit. Ich abonniere die 'WestfMischen Nachriehten' und wenn ieh zu Hause bin, dann hOr ich sehr viel Radio, und das ist dann ffir mieh nicht dieses Passive, well, da kann ich was bei machen. " (Petra) Uber die Geschehnisse auf lokaler Ebene informieren sich die aktiven Nichtfemseher haupts~ichlich mit Hilfe der 6rtlichen Tageszeitungen. Drei Befragte greifen auch gem auf die Programme des lokalen H6rfunksenders zuriick, um sich fiber die Ereignisse in ihrer nihheren Umgebung zu informieren. Birgit ist als einzige der befragten aktiven Nichtfemseher nicht so sehr an lokalen Informationen interessiert. Sie liest weder eine lokale Tageszeitung noch nutzt sie die Angebote des lokalen Radiosenders. Uber die Ereignisse in ihrer unmittelbaren Umgebung informiert sie sich in erster Linie fiber Gespr~iche mit Freunden und Bekannten. Wie die aktiven Nichtfemseher nun konkret mit den einzelnen Massenmedien umgehen, und welchen Relevanzstatus diese in ihren Lebenszusammenh~ingen einnehmen, wird auf den folgenden Seiten differenziert dargestellt. Die wichtigsten Massenmedien - Buch, Zeitung, Zeitschritt, Radio und Kinofilm- kommen dabei zur Sprache.
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88 B~icher
Fiir sechs der dreizehn aktiven Nichtfemseher hat das Lesen von Biichem einen sehr hohen Stellenwert46. Sie lesen t~iglich, wobei der Sachliteratur gegeniiber der Belletristik von allen Befragten eindeutig der Vorzug gegeben wird. Wemers Leseleidenschaft wurde bereits bei der Darstellung der Alltagsaktivit~iten der aktiven Nichtfemseher erw~mt. Seitdem er seine berufliche T~itigkeit weitgehend eingeschr~inkt hat, verbringt er jeden Tag viele Stunden mit der Lektiire seiner zahllosen Biicher, nicht selten kann er sich erst um Mittemacht von seiner umfangreichen Privatbibliothek trennen. Wemers Interesse gilt vor allem kulturellen und historischen Inhalten, Belletristik ist fiir ihn lediglich von sekund~er Relevanz. Nur selten greitt er zu vorwiegend klassischer- Unterhaltungsliteratur: ,, Belletristik ist mehr das Ressort meiner Frau, die mir gelegentlich auch was gibt, die liest g e m Gegenwartsliteratur. Sonst bin ich auch da etwas konservativ und schdtze Goethe und Thomas Mann."
Auch fiber Uwes Freude am Lesen wurde bereits an anderer Stelle berichtet. Seine ger~iumige Wohnung erinnert eher an eine gut sortierte Bibliothek als an eine typische Junggesellenbehausung. Die sp~lich m/Sblierten Wohn- und Arbeitsr~iume sind angeflint mit vollbestiickten Biicherregalen, die vom Fuflboden bis zur Decke reichen. In seiner kargen Freizeit liest er vor allem sachbezogene Literatur, die h~iufig auf seinem beruflichen Fachgebiet angesiedelt ist: ,,Leider wenig Belletristik, was ich sehr bedauere, aber die Zeit. "
Er liest t~glich, zumindest vor dem Schlafengehen nimmt er noch einmal ein Buch zur Hand, um den Tag mit seiner bevorzugten Freizeitbesch~iftigung ausklingen zu lassen: ,,lm Bett, abends, das letzte, bevor ich das Licht ausmache, ist immer noch, was zu lesen. "
Georg bescl~ftigt sich ebenfaUs ausgiebig mit sachbezogener Literatur, um sein ausgepr~igtes Informationsbediirfnis zu befriedigen. ,,lch les extrem viel, aber praktisch gar keine Belletristik. lch les also fast nur Sachbacher oder eben Information."
BiJcher eignen sich nach seiner Meinung wesentlich besser zur Informationsiibermittlung als audiovisuelle Massenmedien: ,, lch mein, das muff man auch sehen. Man macht einen Film zu einem Thema, und man bekommt ein Buch zu einem Thema in die Hand, die MOglichkeiten des Buches sind tausendmal besser. Also, intensiver, einfach. Man kriegt viel mehr Information, auch Hintergrundinformation, es bleibt kaum 'he Frage often. Seh ich einen Film zu einem Thema, dann sind das vielleicht schi~ne Bilder, abet die Information ist immer sehr df~rftig, weil, was will man in eine Stunde packen?"
Da Georg keinen Wert auf Unterhaltung legt und filmische Mittel nach seiner Uberzeugung fiir informative Zwecke ungeeignet sind, kann das Femsehen seine medienbezogenen AnspriJche gleich in zweifacher Hinsicht nicht erfiillen.
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89 Sein eigener Buchbestand reicht Georg h~iufig nicht aus, um seine vielschichtigen Wissensfragen hinreichend zu beantworten. Aus diesem Grund nimmt er regelm~iBig die Dienste der/Srtlichen Stadtbficherei in Anspruch. Renate hat vor einiger Zeit den gr~Bten Teil ihrer Bficher der Stadtbiicherei gespendet. Etwa vierhundert Exemplare, von denen sie sich nicht trennen wollte, hat sie behalten. Sie will zukfinftig weniger Bficher kaufen und nutzt statt dessen, ebenso wie Georg, regelm~iBig die st~idtische Bficherei, um sich mit Lesestoff einzudecken: ,,Da ich mir nicht alle BlUcher kaufen will und kann, babe ich mir gedacht, nimm ich doch die Bficherei, also unsere schOne Stadtbf~cherei, i~fter in ,4nspruch. " Wie ihre Vorg~inger liest auch Renate vorzugsweise Sachbiicher: ,,Ich ertapp reich dabei, daft ich mehr Fachliteratur und Sachliteratur kaufe als Belletristik. " DaB sich Frank im Rahmen seiner beruflichen und ehrenamtlichen T~itigkeiten kontinuierlich fiber aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen informieren muff, kommt seiner ausgepr~igten Leseleidenschaft in idealer Weise entgegen. Allerdings bedauert auch er zuweilen, dab ihm die Zeit zur Lektfire von Unterhaltungsliteratur fehlt. Lediglich im Urlaub f'mdet er die Ruhe, auch einmal einen Roman zu lesen: ,,Ich muff sehr viel an Fachlichem einfach lesen. Ich hab neben meinem Bert noch so einen Stapel, die noch durchgeguckt werden mfgssen, und komm auch halt viel weniger zum Lesen yon Belletristik, als ich's gerne mOchte. " Neben ihren vielen unterschiedlichen Freizeitaktivitfiten hat auch Petra schon immer gem gelesen: ,,Ich lese also sehr viele Bficher wohl, hab ich immer schon gemacht. " Bedingt durch ihre Umschulung muff Petra zur Zeit ebenfalls grol3e Mengen an fachlicher Literatur durcharbeiten, so dab sie kaum noch die Zeit zum Lesen von Unterhaltungsliteratur f'mdet: ,,Jetzt, durch das Studium, muff ich auch viel Fachliteratur lesen, und das reicht mir dann auch irgendwann. " Weitere ftinf der aktiven Nichtfemseher sind ebenfalls Vielleser, fiir sie hat die Literatur jedoch keinen derart hohen SteUenwert wie Rir die vorangegangenen sechs Befragten. Dennoch besch~iftigen sich auch Martina, Birgit, Nadja, Christine und Gerda fiberdurchschnittlich viel mit dem Lesen von Bfichem. Gerda kann jederzeit auf die umfangreiche Hausbibliothek ihres Ehemannes zttrfickgreifen. Sie liest zu gleichen Teilen Unterhaltungsliteratur und Sachbficher. Am liebsten liest sie vor dem Schlafengehen, urn sich von ihren Tagesaktivit~iten zu entspannen. Auch Birgit und Christine lesen sowohl Sachbficher als auch Unterhaltungsliteratur, ohne den Schwerpunkt auf eine der beiden Gattungen zu legen: ,,Ach, das ist ganz unterschiedlich. Ich les gern Krimis und Sachbficher, denk ich. Romane auch." (Birgit) ,,Seit einem Jahr oder so hab ich wieder Spafl am lesen. Ich hab auch wieder Zeit und les querbeet, so alles mOgliche." (Christine)
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90 Zu den Viellesem unter den aktiven Nichtfemsehem z~.lt auch Martina. Wenn sie sich in ihrer Freizeit nicht gerade mit einem ihrer musisch-kreativen Hobbys besch~iftigt, liest sie in einem ihrer Bficher. Sachbezogene Literatur nimmt sie, im Gegensatz zu unterhaltenden Bfichern, selten zur Hand: ,, Eigentlich les ich mehr Belletristik."
Nadja liest h~iufig, aber nicht t~iglich. Den Schwerpunkt ihrer Leset~itigkeit legt sie auf sachbezogene Literatur und Biographien: ,,lch les nur Sachliteratur, weil ich eigentlich so diese Romanwelt nicht so gut leiden mag. Neben so Sachbf~chern, wo ich mich so f~ber dies und jenes informiere, les ich unwahrscheinlich gerne Biographien."
Neben seinen vielen unterschiedlichen Alltagsaktivit~iten spielt das Lesen von Bfichem fftir Thomas nur eine zweitrangige Rolle. Wenn er allerdings zu einem Buch greift, was von Zeit zu Zeit vorkommt, sch~itzt er das Lesen als willkommene Abwechslung: ,, Wenn ich Zeit hab, dann les ich auch ganz g e m ein Buch. "
,~thnlich wie Thomas nimmt auch Luise nur selten ein Buch zur Hand. Ihr zeitintensives soziales und politisches Engagement und ihre berufliche Eingebundenheit erlauben es ihr nur gelegentlich, in Ruhe ein Buch zu lesen. Wann immer sich die Gelegenheit bietet, l~iBtsie sich jedoch gem von einem spannenden Roman fesseln: ,,lch lese eigentlich wenig, leider. Obwohl ich gerne ein Buch lese. Wenn ich dann real eins hab, dann bin ich auch gefangen."
Die Haushalte der aktiven Nichtfemseher sind mit Bfichem reichhaltig bestiickt. Einige der Befragten verFtigen gar fiber umfangreiche Privatbibliotheken, in denen sich auch zahlreiche bibliophile Kostbarkeiten befinden. In sieben Teilnehmerhaushalten befmden sich mehrere hundert Bficher, vier Befragte k6nnen fiber mehr als eintausend Druckwerke verRigen, und zwei der bier befragten aktiven Nichtfernseher kfnnen auf mehr als Rinftausend unterschiedliche Titel zurfickgreifen.
Aktuelle Printmedien
Uber die bedeutende Rolle von Tageszeitungen, fiberregionalen Wochenzeitungen und politischen Magazinen als Inforrnationsquellen ftir die aktiven Nichtfernseher wurde zu Beginn dieses Abschnitts bereits berichtet, so dab sich die Darstellung an dieser Stelle im wesentlichen auf einige Fakten zur Ausstattung der Befragten mit aktuellen Printmedien beschranken kann 47. Frank geh6rt nicht nur zu den aktiven Nichtfemsehem, in deren Lebenszusammenh~gen das Lesen von Bfichem einen sehr hohen Stellenwert einnimmt. Gleichzeitig bezieht er von allen Befragten die gr6Bte Anzahl an aktuellen Printmedien. Er ist
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91 Abonnent der Mfinsterschen Zeitung und der Frankfurter Rundschau. Die Westfgilischen Nachrichten teilt er sieh mit einem Wohnungsnachbam, den Spiegel und die Woche erwirbt er regelm~iflig selbst. Darfiber hinaus bezieht Frank noch drei TagesPressespiegel, um ~ seinen Beruf und seine ehrenamtliehe T~itigkeit ausreichend mit aktuellen Informationen versorgt zu sein. DaB Uwe die Zeit und zwei Tageszeitungen abonniert hat, wurde bereits erw~ant. Bei den beiden von ihrn abonnierten Tageszeitungen handelt es sich urn die Frankfurter Rundschau und um die lokale Mfinstersehe Zeitung. Thomas ist ebenfalls Zeit-Abonnent. Aueh die Westfalischen Nachrichten bezieht er t~glieh. Darfiber hinaus liest er regelm~iBig den Spiegel. Christine hat die Westfdlischen Nachrichten und die Zeit abonniert. Den Spiegel kauft aueh sie regelmfiBig. Werner teilt sich mit den Mitbewohnern seines Hauses die Westfalischen Naehrichten, die er in erster Linie dazu nutzt, um sich fiber die lokalen Ereignisse zu informieren: ,,Die haben wir zusammen mit unseren Unterbewohnern, und die f~berfliege ich morgens nach dem Frfihstf~ck, im wesentlichen den Lokalteil. " Von den beiden fiberregionalen Zeitungen, die er bezieht - er ist Abonnent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Zeit - liegt ihm besonders die Frankfurter Allgemeine am Herzen: ,, Wit haben die 'Frankfurter Zeitung' seit ewigen Zeiten, die 'Allgemeine ', und die informiert ja sehr gut, und da seh ich schon an der Oberschrift, ach, das interessiert mich. Mit der 'Frankfurter Allgemeinen' kann man sich ja auch festlesen, kann man j a auch drei Stunden oder vier Stunden dran lesen, aber dazu komme ich gar nichtjeden Tag." Gerdas Haushalt wird regelm~ig mit den Westfiilischen Nachrichten als lokaler Tageszeitung und der Zeit als fiberregionaler Wochenzeitung beliefert. Auch Luise bezieht eine Tageszeitung - in ihrem Falle die Miinstersche Zeitung- und die Zeit im Abonnement. Sie hebt besonders hervor, dab ihr die fotografischen Abbildungen in den Zeitungen eine visuelle Vorstellung der Ereignisse vermitteln: ,,Ich hab mir jetzt, als das jetzt das Thema hier mit dem Fernsehen war, fiberlegt, woher weiflt du eigentlich, wie Helmut Kohl aussieht oder Scharping oder so was, das weifl ich aus der Tageszeitung." Renate erhiilt t~iglieh die Westfgilischen Nachrichten und bezieht allw6ehentlieh den Spiegel als fiberregionales Informationsmedium. Neben der Sfiddeutschen Zeitung, die sie seit Jahren abonniert hat, erwirbt Nadja noch regelm~ig die Westfgilischen Nachrichten als lokales Informationsblatt. Wie bereits zu Anfang dieses Absehnitts erw~.hnt, liest sie- in unregelmiiBigen Zeitabst~aden - aueh den Spiegel, um sieh fiber das allgemeine Weltgesehehen auf dem laufenden zu harem Georg erhiilt die Zeit im Dauerbezug und kauft sieh von Zeit zu Zeit aueh einmal den Spiegel. Weitere Printmedien, die von seinen Mietern bezogen beziehungsweise erworben werden, werden yon Haushalt zu Haushalt weitergegeben und erreiehen so aueh Georg in unregelm~ifligen Absfiinden: ,,Alle Zeitungen hier im Haus kursieren immer yon einem zum anderen. "
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92 Jeweils nur ein aktuelles Druckmedium wird von Petra und Martina regelm/iBig gelesen. Petra bezieht t/iglich die Westfalischen Nachrichten, und Martina hat seit einigen Jahren die Zeit abonniert. Birgit ist die einzige unter den dreizehn Befragten, die aktuelle Printmedien weder dauerhaft bezieht noch regelm/iBig erwirbt. In unregelm/iBigen Zeitabst~inden ersteht sie eine fiberregionale Wochenzeitung oder ein politisches Magazin, um ihr Wissen fiber das Weltgeschehen zu vertiefen. So sind die meisten der aktiven Nichtfemseher mit aktuellen Druckmedien gut versorgt. Neun von ihnen beziehen eine der beiden lokalen Tageszeitungen im Abonnement, eine Befragte erwirbt t~iglich eine 6rtliche Tageszeitung im freien Verkauf. Eine fiberregionale Tageszeitung beziehen vier der Befragten t~iglich. Der Spiegel wird von einem aktiven Nichtfemseher abonniert und von vier weiteren regelm~iBig k~iuflich erworben. Eine besondere Stellung kommt der Zeit in diesem Zusammenhang zu. Die iiberregionale Wochenzeitung wird von acht der Befragten im Abonnement bezogen. Sie dient ihnen als tiefgrfindige Informationsquelle, die auch die Hintergrfinde der Ereignisse beleuchtet, und bildet in ihrer inhaltlichen Vielfalt und thematischen Bandbreite einen massenmedialen Ersatz Rir das abwesende Femsehen: ,,Da man ja nun kein Fernsehen mehr hatte, muflte man sich etwas anderweitig informieren. Deshalb haben wit die 'Zeit" abonniert, und die kam also regelmaflig jeden Donnerstag, und muflte bis dahin dann auch so durchstudiert werden. " (Thomas) ,,lch hab auf der anderen Seite gleichzeitig damit auch die 'Zeit' abonniert, weil ich gedacht habe, irgendwie muff ich mein politisches Wissen und das aktuelle auch bekommen, und nur fiber das Radio, reichte es mir nicht. Mit der "Zeit' bin ich die ganze Woche besch~ftigt, bis ich da ganz dutch bin. "(Martina)
Zeitschriften
Publikums- und Fachzeitschriften 48 werden von neun aktiven Nichtfemsehem regelm~iflig gelesen. Frank bezieht monatlich im Rahmen seiner beruflichen und ehrenamtlichen T~itigkeiten circa dreiBig verschiedene Publikums- und Fachzeitschriften, die schwerpunktm~ig auf den Ebenen der allgemeinen Politik und der Rechtspolitik angesiedelt shad. Auch unterhaltende Publikumszeitschriften und zielgruppenorientierte Informatiomzeitschriften finden sich unter den Monatszeitschriften, die Frank im Abonnement bezieht. Uwe kann aus dem Stegreif gar nicht alle Publikums- und Fachzeitschrii~en benennen, die er im Abonnement erh~ilt beziehungsweise regelm~ig erwirbt. Sieben verschiedene Titel fallen ibm spontan ein, er bezieht darfiber hinaus jedoch regelm~ig noch weitere Zeitschriften. Zu den Zeitschriften, die Uwe regelm~iBig liest, z~ihlen die Zeitschrift fiir Baugeschichte und Baukunst Architectura, die Zeitschrift Rir italienische Kultur der Gegenwart Zibaldone, das Fachblatt fiber Baukunst, Bautechnik und Bauwirtschaft Bauwelt und das Monatsheit der St~idte und Landschaf-
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93 ten Merian als Abonnementzeitschriften. Die Zeitschrift Essen und Trinken, das aktuelle italienische Magazin Adesso und das deutsche Magazin in franz6sischer Sprache Ecoute kauft er regelm/iBig am Zeitungskiosk. Renate hat neben der politischen Frauenzeitschrift Emma noch drei Test-Zeitschriften abonniert. Allmonatlich bezieht sie die Oko-Test (Magazin fiir Gesundheit und Umwelt) sowie die von der StiRung Warentest herausgegebenen Zeitschriften Test und Finanztest: ,,Das sind alles Sachen, die mich informieren, ich les die nicht immer von vorn bis hinten durch, aber ich hab doch gem das Gefahl, daft ich nachschlagen kann, wenn ich was wissen will. " Um sich ftir ihre Hobbys inspirieren zu lassen und fiber neueste Trends auf ihren Interessensgebieten informiert zu sein, hat Gerda die Gartenpraxis und eine spezielle Patchwork-Zeitschrift abonniert. Darfiber hinaus erwirbt sie regelm/iBig die Frauenzeitschrift Brigitte. Werner bezieht zwei spezielle Kunstzeitschriften, die ihn mit Hintergnmdwissen fiber die bildenden Kfinste und aktuellen Trends auf dem Kultursektor beliefern. Er bekommt regelm/iBig die Kunstchronik (Monatsschrift fiir Kunstwissenschaft, Museumswesen und Denkmalpflege) und das Kunstmagazin Art ins Haus geschickt. AuBerdem liest er etliche juristische Fachmagazine, die regelm/iBig an sein Anwaltsbiiro geschickt werden. Zwei popul~ccissenschaftliche Magazine hat Luise gemeinsam mit ihrem Ehemann abonniert. Ihr Interesse an naturwissenschaftlichen Fragestellungen hat sie vor einigen Jahren veranlal]t, das Spektrum der Wissenschafi und das Geo-Magazin dauerhaff zu beziehen. Nadja erwirbt in regelm/iBigen Zeitabst~inden als Erg~inzung zum Spiegel und zur Sfiddeutschen Zeitung noch den Stern, darfiber hinaus bezieht sie noch das Publik Forum (Zeitung kritischer Christen) im Abonnement. Um die neuesten Entwicklungen auf dem Wirtschaftssektor zu verfolgen, bezieht Thomas per Dauerauftrag die Neuen Wirtschaftsbriefe (Zeitschrift fiir Steuer- und Wirtschaftsrecht). Als Mitglied der Umweltschutzorganisation Greenpeace erh/ilt Martina in regelm~igen Abst~_nden das Greenpeace-Magazin (Magazin fiir Umwelt und Politik), das sie auch mit Interesse liest. Vier der Befragten abonnieren oder kaufen keine Publikums- oder Fachzeitschriften in regelm/iBigen Zeitabst~inden, ihr Interesse an Publikums- beziehungsweise Fachzeitschriften ist generell gering. Special-Interest-Magazine mit hohem Informationswert liegen in der Gunst der aktiven Nichtfernseher, die regelm~ig Magazine lesen, eindeutig vom. Unterhaltende Publikumszeitschritten und Illustrierte werden dagegen kaum von ihnen in Anspruch genommen. Hier sind Parallelen zur Buchrezeption der aktiven Nichtfemseher, die in der Mehrzahl Sachbiichern gegenfiber unterhaltender Literatur den Vorzug geben, klar erkennbar.
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94 HOrfunk
Auch das Radio wird von den meisten aktiven Nichtfemsehem in erster Linie zu Informationszwecken genutzt. Acht der Befragten h6ren bevorzugt aktuelle Nachrichten und informative Wortbeitr~ige. Die iibrigen Befragten sch~itzen eine bunte Mischung aus Musik- und Wortsendungen. In der allt~iglichen Lebensgestalttmg von vier der aktiven Nichtfemseher nimmt das Radio einen sehr hohen Stellenwert ein. Sie betrachten die Rezeption von Radiosendungen als einen unverzichtbaren Bestandteil ihrer allt~iglichen Lebensgestaltung, dem sie gem viel Zeit und Aufmerksamkeit widmen. Georg hat seine technische Ausriistung Rir den Radioempfang perfektioniert, ttm auch entferntere Sender st6rungsfrei und in bester Qualitiit zu empfangen: ,,Ich hab 'ne Satellitenanlage, die benutz ich ffirs Radio, hier far 'Radio Europa ', die 'Deutsche Welle " 'BBC' Das sind meine drei Sender."
Fiir ihn ist das Radio vor allen anderen Massenmedien das wichtigste Informationsmedium: ,,Radio ist ffgr mich, denke ich, die Information Nummer eins, wegen der Aktualitdt. Viele Dinge weifl ich eben auch gern direkt, zum Beispiel das Wetter."
Symptomatisch Rir die meisten Radioh6rer unter den aktiven Nichtfemsehem ist Georgs Wertsch~itzung der M6glichkeit, neben der H6rfunkrezeption noch anderen T~itigkeiten nachgehen zu k6nnen. Die relativ grol3e Bewegungsfreiheit bei der Rezeption von H6rfunkprogrammen wird als wesentlicher Vorteil des Radios gegeniiber dem Femsehen erachtet: ,,lch sitze eigentlich nie und hOre Radio, sondern ich tue immer irgend etwas und hOre dabei Radio, das heiflt, es nimmt mir meine Zeit nicht weg, es schmdlert nicht meine Zeit, die ich zur Verfiigung hab. Das ist wirklich der Grund, warum ich das Radio so liebe, neben der Aktualitdt. "
Auch Gerda ist eine eifrige Radioh6rerin. Um bestimmte Sendungen h6ren zu k6nnen, die sie aus Zeitgriinden nicht direkt verfolgen kann, nimmt sie diese sogar mit einem Tonbandger~it auf, um sie nachtr~iglich abzuh5ren. Sie interessiert sich vor allem Rir Wortbeitr~ige, die sie mit Hilfe einer speziellen Radioprogrammzeitschrift gezielt aussucht, und w~.hrend ihrer kreativen Aktivitfiten verfolgt: ,,lch hab wohl immer 'n Radio gehabt, und das Radio interessiert mich dann auch. Da hab ich auch wirklich das Programm. "
Die Rolle, die das Femsehen in den meisten bundesdeutschen Haushalten einnimmt, schreiben Thomas und seine Frau ihrem Radio zu. Es wird intensiv als Informationsund Unterhaltungsmedium genutzt und ersetzt so das seit Jahren abwesende Femsehen: ,, Uns liegt es, sowohl von der Musik her als eben auch von den Wortbeitrdgen her, da h6ren wir recht haufig. Radio ist sehr stark bei uns, wahrscheinlich wie bei vielen Leuten das Fernsehen. "
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95 Nadja h6rt bereits am friihen Morgen das Radioprogramm. Von sechs Uhr in der Frtihe bis um Mittemacht bleibt das Radio eingeschaltet. Wiihrend dieser Zeit wechseln sich Phasen intensiven Zuh6rens und begleitender Hintergrundberieselung ab. Den Tag beschliel]t Nadja regelm/iBig mit der Rezeption einer halbsttindigen Nachrichtensendung des Westdeutschen Rundfunks, in der ktwz vor Mittemacht noch einmal die wichtigsten Ereignisse des Tages zusammengefaBt werden. Petra, Martina, Birgit, Renate, Luise, Frank und Wemer sind ebenfalls rege Radionutzer. Sie widmen dem H6rfunk jedoch nicht so viel Zeit und Aufmerksamkeit wie die vier zuvor genannten aktiven Nichtfemseher. In der Mehrzahl benutzen sie das Radio als Hintergnmdkulisse, w~Ju'end sie sich mit anderweitigen Tiitigkeiten besch/iftigen. Dabei bevorzugen sie ein Mischprogramm aus Wortbeitr/igen und Musiksendungen: ,, Wahrend ich Hausarbeit mache, h6re ich oft so nebenbei. "(Martina) ,,So 'he M i s c h u n g f i n d ich immer ganz nett. Ich roach auch oft was nebenbei. " (Petra) ,,Ich hOr ganz g e m auch Radio, auch nicht immer ganz so schwere Musik, und das kann auch so'n biflchen Gedudel im Hintergrund sein, wenn ich hier fiber meinen Akten sitze. " (Wemer) ,, Wenn's lauft, h6r ich schon zu. Ich h6r auch gerne klassische Musik. " (Birgit)
Luise verfolgt ein bis anderthalb Sttmden tiiglich gezielt informative Wortbeitriige. Eine Hintergrundberieselung durch das Radio lehnt sie ab. Frank h6rt jeden Morgen Radio, um sich tiber die aktuellen Ereignisse zu informieren. Auch die halbsttindige Nachrichtenzusammenfassung des WDR vor Mittemacht verfolgt er regelm/iBig am Radio. AuBerdem nutzt er die H6rfunkangebote, wann immer er mit seinem PKW unterwegs ist: ,,Beim Autofahren hOr ich immer Radio."
Uwe und Christine nutzen das Radio nur selten. Uwe wiirde gem h~iufiger das Radioprogramm verfolgen, es mangelt ihm jedoch an der dafftir notwendigen Zeit: ,,lch glaube, da gibt's noch hochinteressante Sachen, ich wfirde ganz gerne mehr hOren. "
Christines Interesse am Radio h~ilt sich in Grenzen. Sie nutzt das Radio nur gelegentlich zu Informationszwecken oder um klassische Musik zu h6ren: ,,lch kann gut auch ohne Radio. Das heiflt, wenn ich hier abends sitze und lese, braucht nicht das Radio an zu sein. "
Manchmal fiihlt sie sich sogar durch den H6rfunkkonsum ihres Ehemannes gest6rt: ,,Ich sag dann immer: Mach die Kiste doch aus. "
Tontrager
Schallplatten und CDs sind fiir die meisten der dreizelm alaiven Nichtfemseher lediglich von untergeordneter Bedeutung. Neun der Befragten machen so gut wie nie
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96 Gebrauch von musikalischen Tontr/igem. Uwe verfftigt zwar iiber einen Bestand von ungef'~hr vierzehnhundert Tontr/igem, der etwa zu gleichen Teilen aus Schallplatten und Compact Discs besteht, aus Mangel an Zeit h6rt er diese jedoch h6chst selten. Zwei der aktiven Nichtfemseher h6ren h/iufiger Compact Discs oder Schallplatten. Nadja h6rt gem, je nach Befindlichkeit, Klassik- oder Popmusik. Eine besondere Vorliebe hegt sic fiir siidamerikanische Musik. Christine h6rt ausschlieBlich Schallplatten beziehungsweise CDs mit klassischer Musik. Im Unterschied dazu machen Thomas und Martina regen Gebrauch von ihren CDs beziehungsweise Schallplatten. Fiir sie ist die Hi-Fi-Anlage ein wichtiges Unterhalttmgsmedium, das regelm/iBig zum Einsatz kommt. Thomas sch/itzt vor allem seine umfangreiche Schallplattensammlung: ,,Es sind also so um die hundertvierzig Stack, und da sind, far unseren Geschmack, noch so viele Gute dabeL alte Schatzchen, die wit auch noch gern hOren, ob das nun Stones oder Beatles ist, was man fraher in der Jugend geh6rt hat, und ein paar Klassikplatten. " Erst vor kurzem hat er sich einen hochwertigen Schallplattenspieler angeschafft, um neben seinen Compact Discs auch weiterhin seine Schallplatten auf klanglich hohem Niveau genieBen zu kfnnen. Mehrmals in der Woche nutzt Martina ihren umfangreichen CD-Bestand, um bewuBt und intensiv Musik zu h6ren. Ihr musikalischer Geschmack ist vielf'filtig, eine besondere Vorliebe hegt sic jedoch fiir klassische Musik: ,,Das ist fastjeden zweiten Tag, daft ich mich richtig hinsetze und mal was hdre, ganz bewuflt. Entweder, ich hot Musik zum Abreagieren, dann muff ich manchmal auch den KopfhOrer aufsetzen, weil ich dann sehr laute Musik hOre, oder eher Klassik, das ist stimmungsabhangig, lch h6r immer viel Klassik. "
Kinofilm
Der Kinofilm als audiovisuelles Medium st6gt bei den aktiven Nichtfemsehem auf geteiltes Interesse. Sechs der Befragten gehen regelm~iflig ins Kino, die iibrigen sieben nutzen das Kino so gut wie iiberhaupt nicht. Allerdings wird das Kino insgesamt wesentlich positiver bewertet als das Femsehen. Die gr6Beren Dimensionen, in denen das Filmgeschehen pfiisentiert wird, werden lobend hervorgehoben, und der Kinobesuch wird als besonderes Ereignis, das in einer reizvollen Atmosph~ire stattfindet, gesch/itzt. Im Gegensatz zum Femsehen wird der Kinobesuch als soziale Aktivit/it betrachtet, die mit einem positiven Gemeinschaftserlebnis einhergeht, besonders dann, wenn man zusammen mit Freunden oder Bekannten einen Kinoabend verbringt. Die eifrigste Kinog~ingerin unter den aktiven Nichtfemsehem ist Renate. Wenigstens einmal in der Woche sieht sie sich einen Film im Kino an, den sie zuvor sorgfiiltig ausgew/ihlt hat:
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97 ,,lch geb immer siebzig Mark im Monat ffirs Kino aus. Die Zeit nehm ich mir gerne daffir. Ich finde die Atmosphare im Kino ganz schOn, und dieses grofle Format, und der Ton. Da lafl ich mich dann mal far zwei, drei Stunden a u f dem Sitz festnageln, dann hab ich abet auch was Gutes gehabt, was ich mir selber ausgesucht habe. Ich geh g e m ins Kino, und dann denk ich manchmal, das Geld, das ich da investiere, das ist weitaus besser angelegt, als ffir so 'nen Fernsehapparat. "
Martina geht ebenfalls recht h/iufig ins Kino, so oft wie Renate besucht sie die Lichtspielh/iuser ihrer Heimatstadt jedoch nicht: ,,Ich geh vielleicht alle zwei Wochen einmal ins Kino. "
Sie sch/itzt den Kinobesuch als intensives Kulturerlebnis, bei dem sie ihre Aufmerksamkeit uneingeschr/inkt dem Filmgeschehen widmen kann: ,, Wenn mich mal ein Film interessiert, gehe ich eigentlich lieber ins Kino, weil man sich dann voll a u f die Sache konzentriert und wirklichja nur die eine Sache macht. "
Drei- bis viermal im Monat sieht sich Nadja gemeinsam mit ihrem Ehemann einen Kinofilm an, den sie vorher anhand von Filmrezensionen ausgesucht haben. Sie erachtet das Kino als wertvolle kulturelle Einrichtung, das die Rezeption kiinstlerisch hochwertiger Filme mit angemessenen Darstellungsmitteln erlaubt: ,,Kino gehOrtja auch zu unserem Kulturerbe."
Auch Luise geht h/iufig mit ihrem Ehemann ins Kino. Sie genieBt es, sich durch einen anspruchsvollen Film unterhalten zu lassen und anschliel]end mit ihrem Mann das Gesehene noch einmal in gemiitlicher Atmosph~ire zu reflektieren: ,, Wir gehen oft freitags ins Kino, und so nach dem Kino, dann setzen wir uns noch irgendwo hin, also, wenn der Film schOn war, dann kann man sich noch ein biflchen unterhalten fiber den Film, und so, das ist j a beim Fernsehen nicht, da kommt j a immer sofort das ngichste. "
Obwohl Birgit relativ h/iufig ins Kino geht, betrachtet sie den Besuch im Lichtspielhaus immer noch als auBergew6hnliches Ereignis: ,,Far mich ist der Kinobesuch immer noch was Besonderes. Da kann ich mich auch noch so dran erfreuen, weil es eben halt auch jetzt nicht 'ne Routinebeschdfiigung ffir mich ist."
Ein bis zwei mal monatlich sieht sich Birgit, zumeist gemeinsam mit einigen Freunden, einen Film im Kino an. Darfiber hinaus besucht sie gelegentlich ein 6rtliches Kommunikations- und Begegnungszentrum, in dem in unregelm/il]igen Zeitabst~nden alternative Filmproduktionen angeboten werden. Vor ungef'~u" einem Jahr hat Christine den Kinofilm als Unterhalttmgsmedium fiir sich entdeckt. Seitdem geht sie mindestens einmal im Monat, entweder mit ihrem Ehemann oder ihren beiden Kindern, ins Kino. Dort will sie sieh ausschliefllich amiisieren und zerstreuen, Gewalt- und Problemfilme lehnt sie ab: ,,In letzter Zeit gehen wir auch mal Offer zum Kino, alle paar Wochen mal, aber nur so richtig entspannende Sachen. "
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98 Gerda, Frank tend Wemer sind gegeniJber dem Kinofilm als Unterhaltungsmedium zwar durchaus nicht abgeneigt, ein Besuch im Lichtspielhaus z~ihlt flit sie dennoch zu den ~iugerst seltenen Freizeitaktivit/iten. Statt dessen besch~iftigen sie sich vorrangig mit ihren gewohnten Liebhabereien und Hobbys. Zudem bevorzugen Frank und Werner das Theater gegeniiber dem Kino, wenn sie sich durch schauspielefische Darstellungen unterhalten lassen wollen. Zeitmangel ist der Gnmd, warum Petra und Uwe nur /iugerst selten ins Kino gehen. Beide Rihlen sich durch ihre vielfiiltigen Aktivit/iten und Verpflichtungen ausgelastet, so daft ein Kinobesuch fiir sie derzeit nicht in Frage kommt. Thomas und Georg hegen grunds~itzlich kein Interesse Rir das Kino. Thomas Rihlt sich durch das Kino nicht angesprochen, weil der passive Charakter der Filmrezeption seinem Tatendrang generell widerspricht. Gleich in zweifacher Hinsicht steht der Kinofilm im Widerspruch zu Georgs Interessen und Bediirfifissen - zum einen durch seine visuelle Pr~isentationsform und zum anderen durch seinen vorherrschenden Unterhaltungscharakter: ,,Das ist fiir reich doppelt uninteressant. Ja, und es sind eben Bilder. Irgendwie lockt mich das nicht. "
Computer
Im Rahmen einer zeitgem/igen Mediennutzungsanalyse mug auch der Umgang mit modemen Datenverarbeitungsanlagen beriicksichtigt werden. Computer halten als multifunktionale Kommunikationsapparaturen zunehmend Einzug in die bundesdeutschen Haushalte. Diesem Trend scheinen auch die aktiven Nichtfemseher zu folgen. Immerhin besitzen bereits sieben von ihnen einen eigenen Computer. Ein weiterer Befragter hat die baldige Anschaffung eines Computers geplant. Die privaten EDVAnlagen werden von den aktiven Nichtfemsehem iiberwiegend flit Textverarbeitungszwecke genutzt. Computerspiele werden nur yon einem Befragten sporadisch verwendet. Betrachtet man abschlieBend die Mediennutzungsgewohnheiten der aktiven Nichtfernseher in ihrer Gesamtheit, so lassen rich einige signifikante Gemeinsamkeiten ausmachen, die auf einen charakteristischen Mediennutzungsstil dieses Nichtfemsehertyps hinweisen. So nutzen die bier befragten aktiven Nichtfemseher vor allem Bticher und Zeitungen in hohem Umfang. In Anbetracht ihrer iiberaus regen Printmediennutzung k6nnen sie durchaus als Vielleser bezeichnet werden. Die Urspriinge dieser Leseleidenschaf~ lassen sich oftmals bis in die Kindheit tier Betroffenen zurtickverfolgen: ,,Ich hab als Kind frfiher sehr, sehr viel gelesen. Das kam auch daher, weil mein Bruder in der katholischen B~icherei ausgeholfen hat, und der hat dann immer Bficher mit
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99 nach Hause gebracht, und die hab ich dann auch verschlungen. " (Renate) ,,Ich habja fraher sehr viel gelesen im Internat. "(Christine) ,,Ich hab auch schon sehr viel Bficher gelesen als Jugendliche. "(Petra) ,,Als Kind hab ich sehr viel gelesen. Was ich sehr gern gelesen habe, waren so russische B~icher, alles aus Ruflland" (Luise) ,,Das Lesen spielte 'ne grofle Rolle. Also, ich hab sehr gerne gelesen, und ich hab mir die Bacher aber alle aus der Bacherei und so weiter holen mfissen, und meine Mutter hat si~mtliche Bficher mitgelesen. Die muflte ihren Lesekonsum nachholen. " (Gerda) ,,lch hab immer viel gelesen. " (Martina) ,,Ich hab als Kind, in der Zeit als ich krank war, sehr viel gelesen. "(Uwe)
Auch das Radio wird von den meisten aktiven Nichtfemsehem regelm/iBig in Anspruch genommen. Der H6rfunk hat allerdings im Gegensatz zu den obengenannten Printmedien nur fiir vier der Befragten einen sehr hohen Stellenwert im Rahmen ihrer individuellen Alltagsgestaltung. Allen Befragten gemeinsam ist wiederum, dab sie die Massenmedien in erster Linie als Informationsquellen verwenden. Die Unterhaltungsfimktion der Massenmedien spielt fiir die aktiven Nichtfemseher lediglich eine untergeordnete Rolle. Am Ende der Ausfiihnmgen zum Medienhandeln der aktiven Nichtfemseher sei noch auf einen interessanten Befund hingewiesen. Die Bereitschaft, sich in den 6ffentlichen, massenmedial transportierten Kommunikationsprozel3 einzuschalten, liegt bei den aktiven Nichtfemsehern auf einem fiberdurchschnittlich hohen Niveau. Sechs der Befragten haben schon einmal einen oder mehrere Leserbriefe geschrieben, und drei der aktiven Nichtfemseher haben bereits - jeweils im Rahmen ihrer beruflichen beziehungsweise ehrenamtlichen T/itigkeit - eigene Medienbeitr/ige produziert.
3.1.1.6 Die Ergebnisse im Uberblick
Auf den folgenden Seiten werden noch einmal die wichtigsten Erkenntnisse fiber die aktiven Nichtfemseher zusammengefaBt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Untersuchungsergebnissen, die auf alle beziehungsweise die Mehrzahl der Befragten zutreffen, und an denen sich tier Typus des aktiven Nichtfemsehers festmachen l~iBt. Ffir eine vollst~indige, differenzierte Erfassung tier Forschungsbefunde fiber die aktiven Nichtfemseher wird auf die vorangegangene, ausfiihrliche Ergebnisdarstellung verwiesen. Das Femsehen hat in der Vergangenheit der meisten aktiven Nichtfemseher nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Dementsprechend unreflektiert ist auch die femsehfreie Lebensweise der aktiven Nichtfemseher- quasi ,,automatisch" - entstanden. So ver-
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100 wundert es nicht, dab der Stellenwert des heutigen Nichtfemsehens in den Lebenszusammenh~ingen der aktiven Nichtfemseher lediglich sekund~ ist. Das distanzierte Verh/iltnis der aktiven Nichtfemseher zum Femsehen ~iul3ert sich auch in ihrer generellen Einstellung gegeniiber dem audiovisuellen Medium - nicht ein einziger der Befragten wiirde sich als prinzipiellen Femsehverweigerer bezeichnen. Die Motive fiir die femsehfreie Lebensgestaltung der aktiven Nichtfemseher liegen vor allem in ihrer iiberaus aktiven Lebensweise begriindet. Fernzusehen ist ihnen zu passiv, vor dem Femsehapparat zu sitzen wird als langweilig empfunden und die Bewegungslosigkeit, die mit dem Femsehkonsum einhergeht, beklagt. Aktivit~itsbetonte T/itigkeiten, die mit einer st~rkeren geistigen und k6rperlichen Involvierung einhergehen, sind den Befragten wichtiger als femzusehen. In der Mehrzahl geben die aktiven Nichtfemseher zu Protokoll, dab sie aufgrund ihrer vielf'~iltigen Aktivit/iten keine Zeit zum Femsehen finden wiirden, selbst wenn sie es wollten. Sie betrachten den Fernsehkonsum als Zeitverschwendung und machen statt dessen lieber authentische Erfahrungen im Rahmen einer erlebnisbetonten Lebensgestaltung. Neben den Motiven, die auf ihren aktiven Lebensstil verweisen, gibt es noch weitere Griinde ~ die femsehlose Lebensweise der aktiven Nichtfernseher. Viele dieser Motive wurden den Befragten erst bewuBt, als sie w~tu'end der Interviews mit verschiedenen mfglichen Griinden flit eine Ablehnung des Fernsehens konfrontiert wurden. Bei den weiteren Griinden Kir die femsehlose Lebensgestaltung der aktiven Nichtfemseher steht die iiberaus kritische Bewertung des Femsehprogramms an erster Stelle. Sowohl die Machart des Fernsehprogramms als auch die inhaltlichen Programmangebote werden durchgehend als minderwertig empfunden. AuBerdem wird das Femsehen als iiberaus sozial- beziehungsweise familienfeindlich erachtet. Teilweise haben die aktiven Nichtfernseher selbst negative Erfahrungen in dieser Hinsicht gemacht. Auch traumatische Femseherlebnisse im Kindesalter spielen als Ursache fiir die femsehfreie Lebensweise der aktiven Nichtfernseher eine grfBere Rolle. Der Alltag der aktiven Nichtfemseher ist gepr/igt von mannigfaltigen Aktivit/iten, wobei von den Befragten jeweils unterschiedliche Interessensschwerpunkte gesetzt werden. So lassen sich mehrere ,,Aktivitiitstypen" unterscheiden - der kreativkanstlerische Typ, der sportliche Typ, der politisch-sozial engagierte Typ, der beruflich engagierte Typ und der kulturell-ambitionierte Typ. T/itigkeiten, die mit prim/iren Sozialkontakten einhergehen, spielen in der Freizeit der aktiven Nichtfemseher eine grol3e Rolle. So sind beispielsweise die meisten der aktiven Nichtfemseher in Vereinen organisiert, nicht wenige engagieren sich auch auf ehrenamtlicher Ebene. Alle aktiven Nichtfemseher legen zudem erhfhten Wert auf eine erlebnisbetonte, aktive Urlaubsgestaltung. Auch auf weiteren Ebenen des alltiiglichen Lebens lassen sich lebensstilistische Besonderheiten und Gemeinsamkeiten der aktiven Nichtfernseher erkennen. So sind die aktiven Nichtfemseher in der Regel pragmatische, qualitiitsbewul3te Konsumenten, die vor allem bei der Em~trtmg groBen Wert auf ein hohes Qualit/itsniveau legen. Im
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101 Einklang mit ihrer recht bewufften, gesunden Em~u'ungsweise steht auch der Befund, dab - his auf zwei Ausnahmen - keiner der Befragten zur Zigarette greift. Sollten die aktiven Nichtfemseher doch einmal unter gesundheiflichen Beeintr~ichtigungen leiden, so vertrauen sie sich in tier Mehrzahl einem Schulmediziner an. Eine gemeinsame Linie l ~ t sich auch im ausgepr~igten Umweltbewufftsein der aktiven Nichtfemseher erkennen, das in der Regel auch praktiziert wird. Die Zukunftspl~ne tier aktiven Nichtfemseher sind auf die Fortsetzung beziehungsweise Ausweittmg ihrer Aktivitiiten ausgerichtet, alle streben mit ihren Handlungsiiufferungen die individuelle Selbstverwirklichung an. Bei den Werten trod Uberzeugungen, die den ethisch-moralischen Rahmen flit das allt/igliche Handeln der aktiven Nichtfernseher bilden, stehen Mitmenschlichkeit und soziales Verhalten im Vordergrund, wiihrend religi6s-weltanschauliche Orientierungen nur sehr begrenzt in das Handeln der aktiven Nichtfemseher einflief3en. In ihren politischen l]berzeugungen sind die aktiven Nichtfemseher eher dem linken Parteienspektnun zuzureclmen. Ihr politisches Handeln halten die aktiven Nichtfemseher in der Regel fiir einen wichtigen Beitrag zur Demokratie, alle Wahlberechtigten unter ihnen gehen regelm~ig zur Wahl. o.
Die aktiven Nichtfemseher betrachten den Zeitgewinn, den sie gegenfiber ihren fernsehenden Zeitgenossen verbuchen k/Snnen, als gr613ten Vorteil ihrer femsehlosen Lebensweise. Nachteile durch die Abwesenheit des Femsehers werden von ihnen in der Regel nicht verspfirt. Lediglich drei der Befragten klagen fiber gelegentliche Informationsdefizite. Die meisten aktiven Nichtfemseher bewerten ihre femsehfreie Lebensweise jedoch e i n s c h r ~ g s l o s positiv. Niemand der dreizehn Befragten hat bisher bereut, ohne Femsehen zu leben. Dennoch will sich die Mehrzahl der aktiven Nichtfemseher nicht auf eine unbegrenzte Fortsetzung ihrer femsehfreien Lebensweise festlegen. Allerdings plant nur ein Teilnehmer konkret die Anschaffung eines Femsehgeriites in naher Zukunfl. In den Reaktionen von auffen auf die femsehfreie Lebensweise der aktiven Nichtfemseher dominieren Skepsis, Ablehnung und Unverst~dnis. H~iufig werden die Befragten als sonderbare Exoten betrachtet und von ihren femsehenden Mitmenschen bel~ichelt. Ebenso wie bei der generellen AUtagsgestaltung, lassen sich auch auf der Ebene der Mediennutzung der aktiven Nichtfemseher zahlreiche Besonderheiten und Gemeinsamkeiten erkennen. So k6nnen die aktiven Nichtfemseher durchweg als rege Mediennutzer bezeichnet werden. Zu den bereits erw~mten Alltagsaktivit/iten muff noch das Lesen hinzugerechnet werden, alas von allen Befragten intensiv betrieben wird. Alle dreizehn aktiven Nichtfemseher verbringen viel Zeit mit der Rezeption von Bfichem oder mit dem Lesen von Tages- und Wochenzeitungen. Neun der Befragten greifen auch regelmiiBig zu Zeitschriflen. Im Gegensatz zum eher passiven Femsehen betrachten die aktiven Nichtfemseher das Lesen als (geistige) Aktivit~t, alas eigene Initiative erfordert und einen selbstbestimmten Rezeptionsmodus erlaubt. Auch
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102 der H6rfunk wird von den meisten aktiven Nichtfernsehern regelmiiBig genutzt. Die fibdgen Massenmedien - Tontr~iger und Kinofilm - spielen fiir die meisten aktiven Nichtfernseher eine eher nebengeordnete Rolle, obwohl einige der Befragten auch diese Medien in hohem MaBe nutzen. Die Mehrzahl der aktiven Nichtfernseher ist auch der Computertechnologie gegenfiber aufgeschlossen. Mehr als die Hiilfte der Befragten besitzt bereits einen eigenen Personal-Computer. In bezug auf die Nutzung der Massenmedien fiberwiegt in den Relevanzsystemen der aktiven Nichtfernseher klar das Informationsbedfirfnis gegenfiber dem Unterhaltungsbedfirfnis. Auch fiber die Geschehnisse auf lokaler Ebene wollen die meisten aktiven Nichtfemseher mit Hilfe der Massenmedien auf dem laufenden gehalten werden. Dementsprechend hoch ist auch der Grad der Informiertheit fiber die internationalen, nationalen und lokalen Ereignisse, den die Mehrzahl der aktiven Nichtfernseher fiir sich in Anspmch nirnmt. Die aktiven Nichtfernseher pflegen einen erlebnisbetonten, anspruchsvollen, von vielen unterschiedlichen Aktivit~iten bestimmten Lebensstil. Lebensqualit~t ist fiir sie gleichbedeutend mit Engagement, Betriebsamkeit und Erlebnisfreude, die sie auf hohem Niveau zu verwirklichen suchen. Das Fernsehen, das zu einem passiven Verweilen vor der Mattscheibe n6tigt und auf~er dem Ein- und Ausschalten des Ger~ites beziehungsweise dem Programmwechsel keine Rezipientenautonomie zul~t, findet bei den aktiven Nichtfernsehern keinen Zuspruch. Lediglich Massenmedien, die eigene Initiative und- zumindest geistig-imagin~ire - Aktivit~it erfordern, werden von ihnen rege genutzt.
3.1.2 Der bewuflt-reflektierte Nichtfernseher
Der zweite fibergeordnete Nichtfemsehertypus, der im Rahmen dieser Studie ermittelt werden konnte, ist der des bewuflt-reflektierten Nichtfemsehers. Nicht femzusehen ist ein Teil der fiberaus bewuBten, in vielfacher Hinsicht alternativen Lebensftihnmg der Menschen, die diesem Typ zuzuordnen sind. Das Fernsehen widerspricht in seiner Pr~isentationsform und in seinen Inhalten den Denk- und Handlungsweisen der bewuflt-reflektierten Nichtfernseher. Odgin~-authentische Lebenserfahrungen und palm,re Sozialerlebnisse werden von ilmen gegenfiber dem Femsehkonsum prinzipiell vorgezogen. Elf der dreiBig pers6nlich befragten Nichtfernseher sind diesem Nichtfemsehertyp zuzureclmen. Bei neun von ihnen wird die bewuflte Lebensweise dutch eine mehr oder weniger starke weltanschauliche Orientierung flankiert, die einen bewuBt-reflektierten, verantwortungsvollen und sinnhait-wahrnehrnenden Umgang mit der Welt nahelegt. Die beiden fibrigen Nichtfernseher dieses Typs realisieren ihre bewul3te Lebensweise ohne weltanschauliche Pr~igung im Rahmen einer lebensweltlichen Neuorientierung. So kann bereits zu Beginn dieser Ergebnisdarstellung grob zwischen
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103 zwei Subtypen des bewuBt-reflektierten Nichtfemsehertyps unterschieden werden dem weltanschaulich gepra'gten Typ und dem selbstbestimmten Lebensreformtyp. Die bew~te Pr~iferenz origin~-authentischer Prim/irerfahrtmgen durch die Betroffenen impliziert eine eher aktive Lebensweise, so dab auf dieser Ebene eine enge Verwandtschaft zwischen den aktiven Nichtfemsehem und den bewuflt-reflektierten Nichtfemsehem besteht. Die aktive Lebensweise ist hier jedoch nicht - wie bei den aktiven Nichtfemsehem - als vorrangige Ursache fiir die femsehfreie Lebensweise zu betrachten. Der Schwerpunkt in der folgenden Ergebnisdarstellung wird daher auch nicht so sehr auf den Alltagsaktivit~ten der Betroffenen liegen, sondem auf den Bedingungen und Hintergriinden ihrer bewuBt-reflektierten LebemRihnmg, die den Rahmen Rir ihre femsehfreie Lebensweise bilden. Um die folgenden Befunde besser in die Lebenszusammenh~ge der Befragten einordnen und verstehen zu k6nnen, wurden bereits in die ,,Steckbriefe" der bewuBtreflektierten Nichtfemseher weitergehende Einzelheiten fiber ihre spezifische Lebensweise aufgenommen. Die Vorwegnahme einiger zentraler Ergebnisse zu den individuellen R e l e v a n z s ~ r e n der Befragten war dabei unumg~inglich.
3.1.2.1 Die .Steckbriefe"
Seit dem Abschlufl ihrer Buchh~indlerlehre, die sie 1985 in der ehemaligen DDR begonnen hatte, lebt Judith ohne Femsehen. Die Siebenundzwanzigj~ihrige, die sich zur Zeit in Abendkursen auf das Abitur vorbereitet, lebt mit zwei befreundeten Mitbewohnem in einer Rohk6stler-Wohngemeinschatt im Herzen von Osnabriick. Judiths bewul]te Lebensweise beruht zum einen auf ihrer betont 6kologischen Weltanschauung, und zum anderen auf ihrem ausgepr~igten Interesse an Psychologie und Selbsterkenntnis. In ihrer Wohngemeinschaft existiert weder ein Auto noch ein Herd, beides wird aus/Skologischen beziehungsweise em~ihrtmgsbedingten Grfinden abgelehnt: ,,Ich steh schon voll hinter dieser Oko-Schiene. Ich bin wahrscheinlich so 'n hundertprozentiger Oko- Typ t. " Ihre intensive Auseinandersetzung mit der Psychologie spiegelt sich in ihrer bewuBtreflektierten, selbstbestimmten Lebensfiihnmg: ,,Es ist mir ganz wichtig, meinen Gefiihlen nachzukommen, das auszuleben, was so in mir ist, was ich merke. Also, ich bin keiner, der irgendwas wegdrf~ckt. Ich beschaftige reich natgirlich schon viel mit mir selber, weil ich so 'hen Hang zur Psychologie habe. Ich selber wollte eigentlich auch Psychologie studieren. " Im Einklang mit ihrer/Skologischen Grundfiberzeugung steht auch Judiths spirituelle Aff'mit~it zu natumahen Religionsphilosophien: ,,Ich glaube eher an Naturkrafl und so, und vielleicht Karma. Ich hab reich mit vielem beschaftigt, Buddhisten, Sannyasins und so weiter, und mache mir eigentlich so meinen eigenen Reim. "
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104 Anja, zweiunddreiBig Jahre alt, hat sich vor kurzem in einer miinsterl~adischen Kleinstadt im Dienstleistungsbereich selbst~indig gemacht. Die studierte P~idagogin lebt zusammen mit ihrem Ehemann seit zehn Jahren ohne Femsehen. Anja sieht die Wurzeln ihrer bewuBten Lebensweise bereits in ihrer Jugend verankert. Als Schnittstelle zu einer bewuBt-reflektierten Lebensffihnmg bezeichnet sie den Beginn ihrer vollwertigen Emiihnmgsweise" ,,Man fdngt in der Pubertdt mit bestimmten Fragestellungen an, auf die man mehr oder weniger zufriedenstellende Antworten bekommt, und daraus entwickelt sich einfach so 'n gewisses Verhalten, Kritik an gewissen Entwicklungen. Far mich war sicher bedeutender und entscheidender der Schritt zur Vollwerterni~hrung, weil da ja auch das Ablehnen von Umweltgiften und was weifl ich dranhdingt. Da hdngt also auch 'n ganz anderer Kontext mit dran. Gerade durch die Vollwerternahrung habe ich auch festgestellt, man wird viel bewuflter gegenaber der Umwelt, gegenaber der Umgebung. Das war 'ne ungeheure Bereicherung. " Einen starken EinfluB auf Anjas Denkweise hatten auch die Lehren und Ansichten der von Rudolf Steiner begriindeten Anthroposophie. Als Erg~inzung zu ihrer Lehrerausbildung erwarb sie noch eine Ausbildung zur Waldorfpiidagogin, um die anthroposophischen Grtmds~itze auch im Rahmen ihrer beruflichen T~itigkeit umsetzen zu k6nnen. Mittlerweile sieht sie die Anthroposophenbewegung zwar kritischer, dennoch ist sie noch immer vom Lebensbild der Anthroposophie gepdigt: ,,Es ist da, ich hab mich auch damit beschdftigt, ich weifl auch darum, aber es bestimmt im Moment nicht mein Handeln, in dem Sinne. "
Vor fiinf Jahren hat Heike ihren Fernsehapparat verkauft. Die vienmddreil3i~u'ige Sozialpiidagogin wohnt allein in einer gediumigen Wohnung auf dem Lande. Ihren heutigen Beruf hat sie fiber den zweiten Bildungsweg edangt, nachdem sie mehrere Jahre lang als Arzthelferin gearbeitet hatte. Heike geh~irt zu den beiden Befragten, die im Rahmen einer lebensweltlichen Neuorientierung zu einer bewuBten, selbstbestimm= ten Lebensweise gefunden haben. Der Grund fiir diese Umorientierung war in ihrem Falle eine gravierende gesundheitliche Krise, die vor acht Jahren zu einer Revision ihrer bisherigen Lebensprinzipien fiihrte: ,,Ich hab zehn dahre als Arzthelferin gearbeitet und hab mich dann entschlossen, mit siebenundzwanzig das Fachabitur zu machen und das Studium zu machen. Also, da ring eigentlich so mein Bewufltwerdungsprozefl an. Eigentlich dadurch, daft ich krank geworden bin und plOtzlich so dastand: Was machst du jetzt eigentlich so, und willst nicht so weiterleben, und welche Wansche hast du eigentlich in deinem Leben? Und mein gr6flter Wunsch oder einer meiner drei Wansche war halt, Sozialpadagogik zu studieren, und vorher hatte ich nicht so den Mut dazu, und dann, plOtzlich, binnen vierzehn Tagen, wuflte ich, so, das will ich jetzt, und hab dann angefangen, lch wollte nicht wissen, wie mein Leben ein Jahr spater aussieht. Also, ich hab so'n Stack Sicherheit losgelassen und bin in ein unsicheres Leben reingegangen. Ich hab die letzten Jahre sehr intensiv gelebt, oder, ich lebe sehr intensiv. "
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105 Weltanschauliche Erw~igungen spielen in ihrem bewuBt-selbstbestimmten Leben allenfalls eine nebengeordnete Rolle. Sabine stellt einen Sonderfall im Rahmen dieser Studie dar. Die achtunddreiBiKj/ihrige, selbst~dige Krankengymnastin lebt in einem Haushalt, in dem die iibrigen Familienmitglieder - ihr Ehemann und vier Kinder im Alter von fiinf bis dreizehn Jahren - regelm~ig femsehen. Sabine schlieBt sich- mittlerweile seit sechs Jahren - bewuBt und konsequent vom Fernsehkonsum ihrer Familie aus. Wenn der Femseher l~iufi, verlS.Bt sie den Raum, in dem sich der Femsehapparat bef'mdet, und besch~ifiigt sich mit anderen T~itigkeiten. Der ger~iumige, umgebaute Bauemhof, in dem sie mit ihrer Familie am Rande Miinsters wohnt, bietet dazu eine Vielzahl an M6glichkeiten. Obwohl sie in einem Haushalt lebt, in dem ein Femsehger/it existiert, wurde sie in den Kreis der Untersuchungsteilnehmer aufgenommen, denn yon allen Nichtfernsehem, die sich zur Teilnahme an dieser Studie bereit erkl~irt haben, ist Sabine die einzige, die unter derartigen Rahmenbedingungen ihre fernsehfreie Lebensweise praktiziert. Entsprechend einzigartige und interessante Erkenntnisse wurden von ihrem Fall erwartet. Den Beginn ihrer bewugten, selbstreflektierten Lebensftihnmg beschreibt Sabine sehr eindringlich: ,,Flit reich persOnlich war ein gravierender Einschnitt mit achtundzwanzig, und ich wfirde schon sagen, daft vorher mein Leben sehr viel unbewuflter war, also, da hab ich einfach sehr gut funktioniert. Da hat sich mein Bewufltsein entwickelt, und da hab ich SO'he Selbsterfahrungsgruppe mitgemacht, die schon ein oder zwei Erlebnisse beinhaltet hat, wofiir ich gnadenlos dankbar bin, mein ganzes Leben lang. Und ab dann hat sich eigentlich auch vieles erst entwickelt, auch Ern~ihrung und Fernsehen, also aberhaupt meinen Wert so zu sehen, zu sagen: Leute, ich kann reich entwickeln, und ich kann wirklich was machen, und ich hab 'he Sehnsucht, und ich hab 'he Suche, und ich will noch irgendwohin in meinem Leben.t Das ist da angefangen. Wenn das Erlebnis nicht gewesen ware, ich glaub, dann war ich heute wirklich anders drauf, mehr so wie die meisten Leute. " Seit dieser Zeit hat Sabine ihre bewuBte Lebensweise auf vielf'~iltige Art und Weise weiterentwickelt und manifestiert. Sie durchlief eine Ausbildung zur Ganzheitsp~idagogin, um ihre Erkenntnisse auch in ihrer Arbeit weitergeben zu k6nnen, trat einer Sufi-Gruppe bei und experimentierte mit fem6stlichen Heil- und Em~mmgsmethoden, um nut einige Eckpunkte dieses Entwicklungsprozesses zu erw~ihnen. Den st/irksten Einflu.6 auf ihre bewuBt-reflektierte Lebensweise hat jedoch ihre weltanschauliche Verankenmg in der Anthroposophie. ,,Das anthroposophische Menschenbild, also, da kann ich ganz viel yon finden, was meinem Bild entspricht. Die Waldorfpadagogik, die Inhalte und die Sachen, die die in der Schule machen, das find ich gut. Ich versuch dann halt auch alternativ, den Kindern was anzubieten. Gestern zum Beispiel haben wir hier in der Tenne Karneval gefeiert, in unserem Gruppenraum. Wit haben uns auf diesen Ursinn des Karnevals bezogen. Aus dem waldorfpadagogischen Gedankengut gibt's total gute Sachen, die
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106 man da machen kann, und hinter diesen Sachen steh ich absolut hinter, ja, und hinter dem Menschenbild, was Reinkarnation und die geistigen Ebenen angeht, da kann ich sehr viel wiederfinden, womit ich mich auch sonst, far mich, bewufltseinsmaflig auseinandersetze. " Bereits im Alter von siebzehn Jahren vedieB Andreas sein Elternhaus, um eine Lehre als Gartenbauer zu beginnen. Nach seiner Ausbildung verschlug es ihn nach Mfinster, wo er noch immer lebt. Nach einem mehrj~trigen Indologie- und Philosophiestudium, das ohne AbschluB blieb, arbeitet Andreas jetzt wieder saisonweise als G~irtner. Der v i e r z i g j ~ g e Andreas, der in einem gemiitlichen Zimmer in einer groBen Stadtvilla sein Zuhause hat, lebt nun schon seit zwanzig Jahren ohne Fernsehen. Andreas' weltanschauliche Pr~igung griindet sich auf dem indischen Yoga, einem nicht nur in seinem Ursprungsland weitverbreiteten philosophisch-religi6sen Meditationssystem. Seit zwanzig Jahren scheut Andreas weder Kosten noch Miihen, sein Bewufltsein, seine Wahmehmung und seine individuelle spirituelle Weiterentwicklung zu f'6rdem und zu pflegen. Allj~ahrlich reist er Ftir mehrere Monate nach Indien, um in einem Ashram, einer kloster~alichen, autarken Lebensgemeinschaft, an seinem Bewul3tseinsweg zu arbeiten: ,,Das Zentrale soil eben, das habe ich in Indien gelernt, das soil das eigene Selbsterkennen sein. Dafigr braucht man eine ruhige Position, nicht so'n Gehetzt-sein, dafar braucht man 'ne gesunde Ernahrung, Sfgchte und so sind fatal. Yoga ist ein psychologisch-geistiger Prozefl. Man geht bewuflt die Treppe rauf, oder die Hand bewuflt bewegen, all solche Dinge. Das ist viel interessanter als die ganzen kultischen Dinge. " In einem kleinen Ort im siidlichen Miinsterland wohnt Karin mit ihrem Ehemann und ihren beiden zehn und dreizehn Jahre alten Sfilmen. Dort hat die Familie vor kurzem ein neu gebautes Eigenheim bezogen. Die zweiundvierzigj~.hdge Sonderschulp~idagogin sieht seit 1989 nicht mehr fem. Neben Heike ist Karin die zweite Vertreterin des selbstbestimmten Lebensreformtyps, dessen Lebemweise nicht von einer weltanschaulichen Orientierung mitbestimmt wird. Ihr bewuflt-selbstbestimmter Lebensweg begann mit einer schweren Beziehungskrise, an deren Ende die Trennung von ihrem damaligen Partner und eine bewuBte Reflexion ihrer Lebensvorstellungen stand, die auf vielen Ebenen zu ver~derten Denk- und Handlungsweisen ftihrte. Der Kern ihrer Lebensneuorientierung beinhaltete die Besinnung auf Qualit~it und Tiefe in ihrer Alltagsgestaltung, und eine Abkehr von einer unreflektierten, eher oberfl~ichlichen Daseinsweise. Ihre neue Partnerschaft und die Verwirklichung eigener, ausgew~ihlter Interessen bilden das Zenmun ihrer heutigen LebensRihnmg. Rainer arbeitet als Arzt in seiner eigenen Praxis im Herzen von Miinster. Der zweiundvierzigj~.hrige Mediziner ist verheiratet und hat zwei T6chter im alter yon zwei und zehn Jahren. Bereits 1978, w~trend seines Studiums, verschenkte Rainer seinen Femseher. Seitdem geht er ununterbrochen seiner femsehfreien Lebensweise nach. Sein
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107 Interesse ~ r spirituelle und psychologische Zusammenh~ge pflegte Rainer bereits w~_rend seines Studiums: ,,Damals hab ich reich mit 6stlichen Dingen halt mehr beschdfiigt. Ich war mehrfach in Indien gewesen und hatte damals auch 'ne bestimmte Yoga-Technik, die ich t~glich praktizierte, von daher hatte ich schon bestimmte Fragen. Also, ich bin nicht einfach so ziellos durchs Studium gegangen. Wir hatten zum Beispiel w~hrend des Studiums einen sogenannten philosophischen Stammtisch gegrfindet, wo wir uns etwa alle zwei Wochen trafen. Das war mir wesentlich wichtiger als halt jetzt 'n Spielfilm abends oder so. " W~Jarend dieser Zeit bekam Rainer aueh erstmals Kontakt zu den inhaltliehen Grundziigen der Anthroposophie. Mittlerweile ist die Anthroposophie zu seiner spirituellweltanschaulichen Heimat geworden. Sie hilft ihrn dabei, seine Umwelt bewuBt und kontrolliert zu beobaehten und sie zu verstehen. Auch in seine medizinisehe T~itigkeit hat Rainer die Grundgedanken der Anthroposophie integriert. Die Anthroposophie er6ffnet ihm zudem die M6gliehkeit, sich religiSs-existenzialen Fragestellungen anzun~em: ,,Mit Hilfe der Anthroposophie bekomme ich langsam Kraft figr meine Fragen, die das Verhaltnis yon Wissen und Glauben angehen. " Norbert hat ebenfalls zwei Kinder, eine z w 6 1 f j ~ g e Tochter und einen •nfzehn Jahre alten Solm. Mit seiner Frau und seinen beiden Kindern bewolmt er ein Eigenheim in einer kleinen mfinsterl~adisehen Gemeinde. Norbert arbeitet bei einer miinsterischen Beh6rde im Bereich der Landsehaftspflege. Dort ist der vierundvierzigj~ihrige DiplomIngenieur ftir den Umweltsehutz zust~indig. Norbert lebt schon immer olme Fernsehen. In seinem Elternhaus existierte kein Femsehger~it, und sp~iter schaffte er sieh nieeinen eigenen Fernsehapparat an. Auch Norbert geh6rt zu den Anthroposophen unter den bewuBt-reflektierten Niehtfemsehem. Gleichzeitig hegt er ein ausgepr~igtes Interesse an psychologisehen Zusammenh~ingen und spirituellen Fragestellungen. Sein diesbeziigliches Wissensbedfirfnis wurde bereits in seiner frfihen Jugend geboren: ,,Das Buch 'Der ewige Tot' das ist yon Otto Erich Kiesel geschrieben, das ist ein TillEulenspiegel-Roman, in der Nachkriegszeit geschrieben, das hat mich iiberhaupt, mOcht ich mal sagen, auf diese ganze Ebene gebracht, daft ich reich zun~ichst real mit Mythen, mit Mystiken befaflt habe, daft ich dann also auch an die Anthroposophie gekommen bin, Psychologie oder Metaphysik, Spiritismus. Das hat den AuslOser dafiir gegeben. Das war wahrscheinlich der Schlfissel dazu, dieses Buch. Das haben meine Eltern vor mir versteckt, und dann hab ich's doch in die Finger gekriegt. Da war's passiert. " Doris lebte zunfichst bis zum Alter von sechsundzwanzig Jahren ohne Fernsehen. Nach ihrer Heirat erwarb ihr damaliger Ehemann ein Femsehger~it, das auch nach der Scheidung der beiden im Haushalt von Doris verblieb. Erst einige Jahre sp~iter, im Alter von achtunddreiBig Jahren, trennte sich Doris wieder von ihrem Fernsehapparat. Seitdem
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108 lebt die heute sechsundvierzig Jab_re are Kinder~.rztin wieder ununterbrochen olme Fernsehen. Doris wohnt mit einem neuen Lebenspartner und ihren vier Kindem im Alter von zwei bis siebzehn Jahren in einem Haus am Rande Miinsters. In ihrer Kindheit und Jugend besuchte Doris die Waldorfschule. In dieser Zeit wurde sie erheblich dureh die Waldorf-p~idagogik, die ein bew~tes und unverf'~ilschtes Welterfahren zum Erziehungsziel erhebt, beeinfluBt. Doch nieht nur ihre anthroposophische Pr~igung, die sieh bis in ihre heutige Lebensgestaltung fortgesetzt hat, trug zu ihrer bewuBtreflektierten Lebensweise bei. Es waren vor allem massive Lebenskrisen, die Doris zu einem bewuBt lebenden Mensehen gemaeht haben. Vor allem die Trennung von ihrem friiheren Ehemann und die lebensbedrohliche Krankheit ihres ~iltesten Solmes trugen dazu bei: ,,Ich hab mal ein sehr schOnes Buch gelesen fiber Krisen, und warum Lebenskrisen wichtig sind fiir einen selber, und da stand ein BiM drin, was ich mir gemerkt hab, was ich als sehr schOn fand, und das war das BiM yon den schwarzen VOgeln, die fiber einem kreisen, und die man als ganz bedrohlich empfindet in manchen Lebenssituationen, und man muff sehen lernen, daft diese schwarzen VOgeL wenn man richtig mit ihnen umgeht, unter ihren Flfigeln kostbare Geschenke tragen. Und das ist auch so. Also, zum Beispiel, dutch die Tatsache, daft mein Sohn so krank geworden ist, hab ich auch unheimlich viel Erfahrungen gemacht, unheimlich viel gelernt. Ffir reich, ffir meine Entwicklung ist auch unheimlich viel passiert. " Vor zwei Jahren hat Johannes, siebenundvierzig Jab.re alt, sein Femsehger~it abgeschafft. Der P[idagoge wohnt mit seiner Ehefrau und seinen vier Kindem, die zwisehen seehs und zw61f Jahren alt sind, in einem Eigenheim in einem d6rfliehen Vorort von Miinster. Aueh flit Johannes war eine schwere Erkrankung die Ursaehe ftir den Beginn seiner bewuBten, altemativen Lebensfiihnmg. Entt~iuseht yon den Prinzipien und Methoden der Sehulmedizin 16ste er sieh von seinem naturwissensehaftlieh gepriigten Weltbild, besehiiftigte sieh mit Natttrheilverfahren und im weiteren Verlauf aueh mit den Inhalten der Anthroposophie Rudolf Steiners. Mittlerweile bestimmt die anthroposophisehe Weltansehauung Johannes' Leben und das seiner Familie in wesentliehem Marie: ,,Man bemfiht sich um eine bestimmte Sache und versucht es zu verstehen und versucht, mit diesen Dingen zu leben. " Aueh auf beruflieher Ebene hat sich Johannes ftir den anthroposophischen Weg entsehieden. Der friihere Staatsschullehrer fiir Mathematik und Naturwissenschaften unterriehtet jetzt Gartenbau und Werken an der Waldorfsehule. Konsequenterweise hat Johannes aueh seine religi6se Heimat in der Anthroposophie gefunden, seit Jahren ist er aktives Mitglied in der Christengemeinsehaft, einer ,,Bewegung ftir religi6se Erneuerung" auf der Basis der Anthroposophie Rudolf Steiners. Der ~ilteste der bewuBt-reflektierten Nichtfemseher, Konstantin, ist zweiundsechzig Jahre alt. Aueh er geh6rt zu der seltenen Nichtfemseherspezies, die schon immer ohne
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109 Fernsehen gelebt hat. Konstantin lebt mit seiner Ehefrau - die beiden Kinder sind bereits erwachsen und haben das Elternhaus verlassen - in einem stattlichen ehemaligen Pastoratsgeb~iude in einem kleinen Ort im Miinsterland. Er hat das Haus erst vor kurzem erstanden und liebevoll renoviert. Konstantin ist in repr~isentativer Position bei einer groBen Genossenschaf~sbank in Miinster angestellt. Eine tiefe religi6se Verwurzelung bildet die Basis Rir Konstantins bewuBte, reflektierte Lebensweise. Als Mitglied einer traditionsreichen Adelsfamilie pflegt er seinen katholischen Glauben mit Oberzeugung: ,,Ich bin strenggl~ubiger Katholik und ~be meinen Glauben mit Enthusiasmus aus. " Glaube bedeutet fiir Konstantin gleichzeitig die Verpflichtung zur unverstellten, verantwortungsvollen und engagierten Auseinandersetzung mit dem Leben und mit der Welt: ,,Seit Jahrhunderten geht das yon den Eltern auf die Kinder fiber, und die Kinder werden darin erzogen, und sie leben darin. Wir haben eben einen Namen, der Jahrhunderte alt ist, Jahrhunderte bekannt ist, und in unseren Familien hat man oben gestanden und Verantwortung seit Jahrhunderten eben auch an hohen Stellen mitgetragen. " Die Mehrzahl der bewugt-reflektierten Nichtfemseher, die eine weltanschauliche Einbindung aufweisen, identifiziert sich - zumindest in Teilen- mit den Ansichten und Lehren der von Rudolf Steiner begriindeten Anthroposophie. Sie bilden innerhalb der Gruppe der weltanschaulich orientierten Nichtfemseher einen weiteren Subtypus, da sie sowohl von ihren Grundiiberzeugungen und Wertvorstellungen als auch von ihrer Lebensgestaltung her zahllose Gemeinsamkeiten aufweisen.
3.1.2.2 Nichtfernsehen
Entstehungsbedingungen der fernsehfreien Lebensweise
Der iiberwiegende Teil der bewuBt-reflektierten Nichtfemseher hat sich erwartungsgem~iB zu einem konkreten Zeitpunkt bewuBt gegen das Femsehen entschieden: ,,Damals hatte ich reich getrennt yon meinem damaligen Partner, der ist ausgezogen und hat den Fernseher mitgenommen. Und das sollte er aueh. Das hatte ich ihm auch herzlich angeraten, dieses Ger~t mitzunehmen. Das war sehr bewuflt, also, daft ich den Fernseher wirklich nicht mehr haben wollte. " (Karin) ,,Ich habe einfach gemerkt, es kommen zu viele Dinge auf mich zu, die reich vordergrandig interessieren, abet eigentlieh doeh nieht interessieren, und die es mir ersehweren, reich auf die Dinge zu konzentrieren, die mir einfach wichtiger sind. " (Rainer)
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110 ,,Dann haben wit uns irgendwann mal so gedacht, daft das vOllig schizophren ist vom Ansatz her, also, sich zu Tode zu langweilen, und dann haben wir gesagt, wir stellen ihn in den Keller und melden den ab, und wenn uns das Bedarfnis fiberkommt, dann kOnnen wir den jederzeit wieder rausholen und anmelden, kein Thema. Und da steht er heute noch. " (Anja) ,,Das war so vor fiinf Jahren in der Vorweihnachtszeit, da hab ich gedacht, ich mOchte eigentlich nur so kreatives Gestalten, und eine Freundin von mir hat keinen Fernseher, dadurch bin ich so'n Stfick noch mal inspiriert worden. Ich hab ihn weggetan, um bewuflt zu gucken: Wie ist es, wie ist es ohne Fernsehen?" (Heike) ,,ln der Anfangszeit, als wir verheiratet waren, hab ich immer noch mitgeguckt, und irgendwann hat es dann wirklich aufgehOrt. Am Anfang aus Zeitmangel, und dann war's einfach nicht mehr Thema, und dann ist es erst ein bewuflter Schritt geworden, daft ich's einfach nicht mehr wilL" (Sabine)
Auch die beiden Befragten, die schon immer ohne Femsehen leben, haben sich zu einem sp/iteren Zeitpunkt noch einmal bewuBt gegen das Femsehen entschieden. Als Norbert mit seiner Ehefrau die erste gemeinsame Wohnung bezog, beschlossen die beiden, kein Femsehger/it anzuschaffen: ,,Als meine Frau und ich zusammengezogen sind, das war 1973, waren wit uns einig, das wit keinen Fernseher haben wollen. Vielleicht kann man das so als einen Zeitpunkt nennen, wo wir die Entscheidung gefdllt haben. "
Zum Zeitpunkt ihrer EheschlieBung entschlossen sich auch Konstantin und seine Ehefrau gegen die Anschaffung eines Femsehers. Ein Femsehger/it, das ihnen Konstantins Mutter damals schenken wollte, lehnten sie ab: ,, Wit waren jung, wit konnten aberall hingehen, wit lebten mitten in Mfinster, und wir konnten ins Theater gehen, wir konnten ins Kino gehen, wit konnten in Konzerte gehen, wir hatten alles, was uns geboten wurde, da. Aber das Fernsehen wollten wir nicht. "
Ein weiteres Erlebnis best/irkte Konstantin in seiner femsehlosen Lebensweise und scharfte noch einmal sein diesbeziigliches BewuBtsein: ,, Wir haben in der ersten Zeit gar nicht gewuflt, daft wir einen Vorteil dadurch hatten, daft wir kein Fernsehen hatten. Wit wollten "s einfach nicht, weil wir glacklich waren und weil wit uns selber beschafiigen konnten, und wit hatten also immer gedacht, wenn die Kinder in die Schule kommen, dann massen wit ein Fernsehen haben, das geht nicht anders, denn sonst werden unsere Kinder benachteiligt sein. Die Kinder sind in die Grundschule gekommen, und es gab keine Schwierigkeiten, und wit haben nicht mehr daraber geredet. Dann haben wit gesagt: Abet wenn esjetzt aufs Gymnasium geht, dann gibt's Probleme, dann massen wit 'nen Fernseher haben. Und zuerst kam der ,lunge aufs Gymnasium, und in der Quinta, glaube ich, ging ein alter Lehrer in Pension, und der gab allen Kindern in der Klasse als Andenken ein Bild, und bei unserem Sohn stand darunter: 'Erhalte Dir Deine nicht mehr zu findende Phantasie! '. Da ist mir ein Licht aufgegangen, und von dem Moment an wuflte ich, daft ein Fernsehen wirklich nichts mehr im Haus zu suchen hat. Von dem Moment an war ich
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111 derjenige, der sicher war, daft der Weg, den ich beschritten hatte, eben in Wirklichkeit gut war, daft das ein guter Weg war. Das war also ein einschneidender Punkt. Da kam dann das Bewufltsein: Aha, es ist also etwas Gutes, nicht fernzusehen. " Bei zwei der bewuflt-reflektierten Nichtfemseher hat sich die femsehfreie Lebensweise eher sukzessive, als Teil ihres BewuBtwerdungsprozesses ergeben, ohne auf einen konkreten Anlafl zuriickzuftihren zu sein: ,,Es ist nicht so, daft ich jetzt mit einem Mal beschlossen hdtte, ich guck kein Fernseh mehr." (Judith) ,,Ich kann nicht sagen, daft ich's bewuflt abgelehnt hatte. Das erste, was ich bewuflt abgelehnt habe, war das Fleischessen. "(Andreas) Betrachtet man die Steckbriefe der bewuBt-reflektierten Nichtfemseher, so f'~illt eine demographische Besonderheit auf. Die Zahl der Familien mit Kindem ist in dieser Gruppe auBerordentlich hoch. Grfl3ere Konflikte bei der Durchsetzung der femsehfreien Lebensweise gab es jedoch in den meisten Familien nicht. Vor allem die Kinder der anthroposophisch orientierten Nichtfemseher sind mit ihrer femsehlosen Lebensweise durchaus zufrieden. Sie vermissen das Femsehen nicht, statt dessen haben sie eine Fillle an kreativen Aktivit~iten entwickelt, denen sie mit Begeisterung nachgehen. Lediglich Karin berichtet von regelm~iBigen Streitigkeiten mit ihren Kindem, wenn diese w~ihrend des Urlaubs das Femsehger~it im Ferienhaus nutzen wollen. Die gr6gten Femsehkonflikte gibt es erwartungsgem~ in Sabines Haushalt: ,,Es war schon viel Konfliktstoff so in der Familie, daft ich das ablehne, und mein Mann findet das eigentlich ganz gematlich vorm Fernseher, und macht das eigentlich gerne, und wir haben richtig Strefl gehabt, weil, ich hab immer 'nein' gesagt, mein Mann hat ~ia' gesagt. Wenn Streit entsteht, dann ist das eigentlich meistens wegen der Kinder."
Frahere Fernsehnutzung
Neun der elf bewugt-reflektierten Nichtfemseher haben- in unterschiedlichem Ausmall - femgesehen, bevor sie sich Ftir eine fernsehfreie Lebensweise entschieden. Ihre fernsehlose Lebenszeit liegt zwischen zwei und zwanzig Jahren. Eine kritische oder restfiktive Begleittmg ihres friihen Femsehkonsums durch die Eltem fand, anders als bei den aktiven Nichtfemsehem, in der Regel nicht statt. Lediglich Rainer berichtet yon anf'finglichen Versuchen seiner Eltem, seinen Fernsehkonsum zumindest inhaltlich zu fiberwachen: ,,Meine Eltern sind katholisch gepri~gt, dann wurde halt in der Kirchenzeitung nachgeguckt, welche Filme sind wohl fi~r Kinder unter zwOlf Jahren geeignet, und dann hat meine Mutter am Anfang sich einmal pro Woche mit mir irgend etwas angeschaut. Das
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112 hat sich dann nach und nach schon so durchgesetzt, daft ich dann mehr Fernseh geguckt habe. Ich bin dann manchmal vom Abendessen aufgestanden, um irgendeine Sendung zu sehen, die mich irgendwie interessierte, aber damals hatte ich schon so 'n Gefiihl: Eigentlich, jetzt sitzt du hier alleine, und die anderen sitzen beim Essen. Ist schon interessant, abet irgendwie bemerkte ich einen gewissen Zwiespalt, eigentlich. "
Die bewuflt-reflektierten Nichtfernseher unterscheiden sich auch in ihrem frfiheren Fernsehnutzungshandeln deutlich von den aktiven Nichtfernsehern. Fiir die meisten von ihnen war der Fernsehkonsum eine gewohnte Alltagsroutine, spezielle Selektionsverfahren bei der Programmauswahl wurden von ihnen in der Regel nicht praktiziert: ,, Vielleicht als ich zehn, elf war, kam der Fernseher ins Haus, und von da an haben wit jeden Abend ferngesehen. Um sieben Uhr oder nach dem Abendbrot wurde die Kiste angeschaltet, das war wie so 'n Ritual Ff~r die Ausbildung bin ich hier nach Mfinster gegangen, und wit haben dann hier unsere erste Wohnung gehabt, und da war's so, er kam von der Arbeit, und ich kam vonder Schule oder vom Praktikum, und dann wurde gegessen, und dann wurde die Flimmerkiste abends angemacht."
(Sabine) ,, Wenn die Kinder im Bett waren, dann hat man schon mal geguckt, oder beim Bgigeln eben den Fernseher angehabt. Oder abends um zehn Uhr noch mal geguckt, ob da was los ist, und dann bin ich so dahingedammert. Es war auch schon nicht mehr gezielt, daft ich gesagt habe, das ist dieser Film oder jener Film, den will ich sehen, sondern es war schon so dieses Berieselnlassen. "(Karin) ,,Mit Beginn der Nachrichten, und dann etwa zwei Stunden an 'nem Abend, an dem ich Zeit hatte, lch habe das gar nicht vom lnhalt abhangig gemacht, sondern das war einfach dann 'ne Art Entspannungssache. " (Johannes) ,,In meinem Elternhaus haben wit schon jeden Tag Fernsehen geguckt. Das war halt Bestandteil des Tages. " (Heike) ,,lch habe frf2her, als ich noch alleine gelebt hab, studiert hab, also, in Mainz gelebt habe damals normal oft ferngesehen. Da war ich so neunzehn bis zweiundzwanzig."
(Anja) Auch Judith hat vor ihrer Ausbildung regelm~ig ferngesehen: ,,Natiirlich, wie jeder. Erst mal nach Hause kommen, und wenn keiner zu Hause war, erst mal Fernseher an. Ich hatte ja eben auch noch WesOCernsehen, da hab ich natiirlich geguckt, wo was Gutes kam. Das war mir eigentlich egal, ob dasjetzt von da oder da war."
Doris und Andreas haben hingegen noch nie routinem~ig ferngesehen. Fiir sie spielte das Fernsehen schon immer eine untergeordnete Rolle. Doris begann erst im Alter von sechsundzwanzig Jahren gelegentlich fernzusehen. In den acht Jahren, in denen sie ein Femsehger~it besaB, nutzte sie dieses nur htichst selten. Andreas' Eltern erwarben erst Ende der sechziger Jahre ein Femsehgedit, fiir das er jedoch bereits damals nur ein geringes Interesse aufbrachte. Kurz darauf vedieB Andreas sein Elternhaus und stellte schlie61ich seinen Femsehkonsum gEnzlich ein.
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113 Stellenwert des Nichtfernsehens
Der Stellenwert des Nichtfemsehens ist - besonders bei einigen der anthroposophisch orientierten Nichtfemseher - hfher als bei den aktiven Nichtfemsehem. Das Femsehen wird im Rahmen der modemen Anthroposophie - auch in publizierter Form - kritisch reflektiert, selbst in der akademischen Kommunikationswissenschaft gibt es namhafte Experten, die sich aus anthroposophischer Perspektive kritisch mit dem Femsehen auseinandersetzen 49. Dementsprechend h/iufig ist das Femsehen auch ~ r die Mehrzahl der anthroposophisch orientierten Untersuchungsteilnehmer der Gegenstand kritischer Reflexion. So haben sich Sabine, Rainer, Norbert und Johannes intensiv mit dem Femsehen aus anthroposophischer Sicht besch/iftigt. Dabei griffen sie auch auf die Publikationen von Heinz Buddemeier (Buddemeier 1987, 1991, 1993) und Rainer Patzlaff (Patzlaff 1985, 1988) zuriick. Rainer und Johannes besuchten dariiber hinaus Vortr/ige Buddemeiers und Patzlaffs zum Thema Femsehen, die vonder Anthroposophischen Gesellschaft angeboten wurden: ,, Wit haben ein anthroposophisches kleines Bf~chlein f~ber die Gefdihrlichkeit des Fernsehens, da kommt das schon zum Ausdruck. " (Norbert) ,,Ich hab halt auch einiges gelesen daraber. " (Sabine) ,,Dann habe ich angefangen, mich damit zu beschaftigen, mit, in erster Linie, einem Herrn Buddemeier aus Bremen, den haben wit dann hier auch mal eingeladen, der mir sehr eingeleuchtet hat, und meine Frau hat mich auf das Buch aufmerksam gemacht, 'Illusion und Manipulation' von ihm, also, da hab ich halt angefangen, mich intensiver damit auseinanderzusetzen. "(Rainer) ,,Es gibt dann schon im Umfeld Vortrage zu Medienfragen, Buddemeier, Patzlaff, die also solche Vortra'ge bei uns gehalten haben, und die ich auch gehOrt habe, und die mir dann eigentlich das bestf~tigt haben, was ich mir eigentlich schon gedacht hatte, und man kriegt dann plOtzlich noch mal bewuflt gemacht, woran es denn nun wirklich liegt, was man da beobachtet hat. " (Johannes) Obwohl sich die vier oben erw~lnten Nichtfemseher h/iufiger mit den Wirkungen des Femsehens auseinandersetzen, ist ihre Fernsehlosigkeit kein iiberaus wichtiger Faktor im Rahmen ihrer Lebensgestaltung. Sie betrachten das Nichtfemsehen eher als einen gleichberechtigten Teil ihrer altemativen Lebensweise, ebenso wie die meisten der tibdgen bewuBt-reflektierten Nichtfernseher: ,,Ein zentraler Punkt ist das nicht, ich denk da gar nicht so oft drfiber nach. Das ist ein Teil des gesamten Lebensstils. " (Doris) ,,Das ist eine der Facetten, sicher nicht der Motor." (Anja) ,,Das ist irgendwann dazugekommen. Das hat sich entwickelt in meiner bewuflten Lebensweise bis hin zu dem Punkt, wo ich jetzt eben wirklich sagen kann, ich kann da auch gut drauf verzichten, ich will da auch drauf verzichten, ich will die Sachen, die
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114 damit zusammenhangen, bewuflt nicht mittragen und mit unterst~tzen. Es ist dazugekommen." (Sabine) ,,Es war ein Pf~nktchen mit. Das ist nicht so, jetzt ist der Fernseher weg undjetzt bin ich ein glficklicher Mensch. Da sind viele Dinge, ganz viele Elemente rundrum. Das war vor dem Fernseher auch, daft ich mich entwickelt habe. " (Heike)
Als vollkommen nebens~ichlich erachten Andreas und Konstantin die Abwesenheit des Femsehens in ihren Lebenszusammenh~ingen: ,,Da denk ich gar nicht drf~ber nach. " (Andreas) ,,Far uns ist das Fernsehen iiberhaupt kein Thema. "(Konstantin)
Ffir Karin ist das Nichtfemsehen indes zu einem zentralen Bestandteil ihrer individuellen Lebensfftihnmg geworden. H~iufig er6rtert sie ihre fernsehfreie Lebensweise mit ihrem Ehemann, und auch im Bereich ihrer piidagogischen T~itigkeit ist das Femsehen oft Diskussionsthema. Karin betrachtet die Abwesenheit des Fernsehers als eine wichtige Voraussetzung Rir ein zufriedenstellendes Alltagsleben und eine funktionierende Partnerschafi.
Einstellung zum Fernsehen
Die generelle Einstellung der bewuBt-reflektierten Nichtfernseher zum Femsehen ist mehrheitlich von einer mehr oder minder starken Ablehnung gepr~igt. Besonders die Befragten, die sich auch theoretisch intensiver mit den Wirkungen des Fernsehens auseinandergesetzt haben, halten das Femsehen ftir ein bedenkliches Massenmedium. Sieben der Befragten wfirden sich sogar als dezidierte Fernsehverweigerer bezeichnen. Die Ablehnungshaltung der meisten bewuBt-reflektierten Nichtfemseher wird besonders im Abschnitt fiber die Motive fiir ihre fernsehfreie Lebensweise evident, so dab an dieser Stelle weitere Ausftihnmgen unterbleiben k6nnen. Zwei der Befragten shad in ihrer ablehnenden Haltung gegenfiber dem Fernsehen jedoch eher zuriickhaltend: ,,Es ist nicht so, daft ich der totale Fernsehverweigerer ware." (Judith) ,,Ich verweigere nicht. Ich habe kein Fernsehen, aber wenn irgendwojemand Fernseh schaut, undes ist ein Film, dann guck ich mit, dann roach ich da kein grofles Tohuwabohu: Wie kannst Du nur fernsehen?. Das ist nicht so." (Heike)
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115 Ursachen und Motive f fir die fernsehfreie Lebensweise
Aus den folgenden Originalaussagen der bewuBt-reflektierten Nichtfemseher geht deutlich hervor, dab das Fernsehen ihren altemativen Lebensvorstellungen und 0berzeugungen grunds/itzlich widerspricht. Dieser Widerspruch ist der Hauptgrund fftir ihre femsehfreie Lebensweise: ,, Wir sind Vegetarier, ich hab Waldorfpi~dagogik gemacht, wir legen nicht so viel Wert auf ein tolles Auto, also solche Geschichten halt, die ja allgemein schon als 'Muff' im Leben einer erfolgreichen Familie angesehen werden. Also, dann pafit dazu dieser Fernseher, der paflt einfach noch oben drauf Wir gehen nicht zum Arzt, wir haben 'nen HomOopathen, all solche Geschichten. "(Anja) ,, So seit acht Jahren insgesamt beschaftige ich reich mit Gesundheit und ganzheitlicher Lebensffihrung, und bin halt auch mehr unterwegs, so a u f Fortbildung, ja, und ich hab einfach so 'n Stfick bewuflte Lebenseinstellung bekommen, und einfach auch real so den Mut, irgendwas auszuprobieren. 'Ne Weiterentwicklung ist ffir reich wichtig, immer real 'n biflchen was AuflergewOhnliches tun, das ist sicherlich auch mit dem Fernsehen so." (Heike) ,, Unsere Herzen sind eben vielleicht auch voll von anderen Dingen, die eben nicht so in der Welt sind, well wir der Ansicht sind, daft wir als strenggldubige Katholiken auch den Weg in die Ewigkeit gehen, und nicht: Da, an dem Scheidepunkt ist alles aus. Nein, far uns ist das hier die Vorbereitung a u f das ewige Leben, und so wie wir uns bier verhalten, wie wir uns bier benehmen, wie wir unsere Verantwortung uns und dem uns Anvertrauten gegenfiber wahrnehmen, so werden wir uns eben dann spgiter in der Ewigkeit wiederfinden. "(Konstantin) ,,Dahinter steckt schon der Gedanke, daft das Fernsehen, oder fiberhaupt viele Medien, daft das so 'ne Art Innenweltverschmutzung bewirkt, Verwirrung, daft es mitwirkt am Aufoau von Hindernissen ffir wirklich fruchtbare Weiterentwicklung. "(Andreas) ,,Far mich bedeutet das eine Hinwendung zu mehr Qualiti~t, vielleicht kann man das j a so sagen. 'Ne Hinwendung zu mehr Qualiti~t vom Fernsehen weg hei~t aber auch zu mehr Qualitdit in den Beziehungen. Also, es geht alles weg yon diesem: Oberfldichlich, es platschert alles so seicht. "(Karin) ,, Wenn du das Fernsehen dann in der Kette siehst von Computern und diesem Kommunikationszeitalter, das jetzt anbricht, wo du baM schon denjenigen, den du an tier Strippe hast, gleichzeitig a u f dem Fernseher sehen kannst, wo du quer fibern Globus kommunizieren kannst und mit dem Handy drau~en im Schnee stehst, unter dem Baum, dann find ieh 's katastrophal. Das, was den Leuten fibergebracht wird, ist katastrophal, und die Tatsache an sich ist katastrophal, dab man sich so abhdingig macht von so Sachen, daft man immer erreichbar ist per Telefon, daft man immer fibers Fernsehen wissen muff, was gerade angesagt ist. Das ist ffir reich 'he Art von Kommunikation, die ist so daneben, ich glaube da nicht dran. Und ich leb auch in dem Bewufltsein, was ist denn, wenn der Strom real weg ist? Ich versuch, auch mOglichst in dem Bereich
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116 natarlich zu leben. Ich rf~hr meinen Kuchen noch mit der Hand, ich benutze bewuflt den Krups nicht, weil ich denke, was soil das eigentlich?" (Sabine) ,,Er ist, glaub ich, sehr dominant, dieser Aspekt, daft ich gerne alles mOgliche selber noch erleben will Ich denke, es ist einfach wertvoile Lebenszeit, und ich bin gesund, ich kann nach drauflen gehen, ich muff jetzt nicht irgendwie mir 'ne Welt reinholen. "
(Judith) ,, Um jetzt noch mal aufs Fernsehen zuriickzukommen, vor diesem Hintergrund, vor diesem Erfahrungshintergrund, nachdem meine Anti-Fernseh-Entscheidung j a nun schon sehr viel alter ist, hat sich das fiir mich noch mal so relativiert. Wenn man sehr viele Erfahrungen gemacht hat und sieht, was ist Leben, und was ist wichtig im Leben, mein Gott, sich dann noch hinzusetzen und irgend so 'ne platte Talkshow anzugucken, dasist so unwichtig. " (Doris)
Besonders differenziert driicken zwei der anthroposophisch orientierten Nichtfemseher ihre Bedenken gegen das Femsehen aus. Auf der Basis ihrer intensiven theoretischen Auseinandersetzung mit dem Femsehen beschreiben sie sehr detailliert, wamm das Fernsehen ihren Lebensvorstellungen und weltanschaulichen Prinzipien sowohl inhaltlich als auch in seiner Pf~entationsform und Rezeptionsweise diametral entgegensteht. Dabei werden die unterschiedlichsten Einzelmotive sichtbar. Johannes beginnt seine anthroposophisch fundierte Argumentationskette gegen das Femsehen mit einem Hinweis auf die bewuBtseinsbet/iubende Wirkung des femsehspezifischen, optischen Rezeptionsvorgangs: ,, Unsere Sehaehse, die kreuzt sich, und damit stellen wir die Entfernung fest, und dieser Kreuzungspunkt hat was mit der Aufmerksamkeit zu tun, mit der konzentrierten Aufmerksamkeit. Man k6nnte sich den P u n ~ sozusagen ganz eng verbunden mit dem Ich des Menschen vorstellen. Dadureh, daft er spielt, habe ich eine Kontrolle ~ber meine Aufmerksamkeit, und bin mit meinem Ieh dabei. Und des ist beim Fernsehen nicht. Ieh habe eine Flache, und daist dieser Punkt a u f eine Stelle eingeschwenkt, ich habe keine Tiefenwahrnehmung, und in dem Augenbliek, wo clas Ieh dieser Konzentration enthoben wird, meldet es sieh ab, und ich fall in so 'he Art Trance, und ich bin dann mit meinem wirklichen, eehten, aufmerksamen Bewufltsein nicht mehr dabei. Das hare ich far ziemlieh bedenklich. " Fiir Johannes ist das Fernsehen nicht in der Lage, mit seinen Programmen ein realit/itsgerechtes, tier menschlichen Wahrnehmtmgsf'~aigkeit angemessenes Bild der Welt wiederzugeben: ,, Tierfilme sindja gar keine Tierfilme, das istja Unsinn! Das hatja mit Natur nichts zu tun. Alles, was an Leben dazugeh6rt, Ausdauer, Geduld, Vorsicht, alles nieht de, alles weg. Nicht nur die Programminhalte des Fernsehens lehnt Johannes als realit/itsfem ab, selbst die Obertragungstechnik des Femsehens kann seines Erachtens nur Unwahrheiten vermitteln: ,,Das Bild ist L~ige, was da ist. Es entsteht erstens kein Bild, sondern, wenn man genau c~
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117 hinguckt, 'ne Folge von Punkten. Das ist die erste Lfige. Das ndichste wgihre der Bildausschnitt, drittens jeder Wechsel der Perspektive. All diese Unwirklichkeiten, die da drin sitzen, das ist im Grunde genommen ja eine Frage der Unwahrheit. Es ist eine Unwahrheit, sie hat mit wahrer Erfahrung nichts zu tun. Wenn man zu einer bestimmten Wahrnehmungsf~ihigkeit gekommen ist, kann man das nicht mehr ertragen. " Ein derart mit M~ageln behaftetes Medium kann nach Johannes' Meinung in keiner Weise zu einer geistigen oder kulturellen Weiterentwicklung seiner Rezipienten beitragen: ,,All die ganzen Argumente: Das Volk hat eine M6glichkeit zu lernen, und da werden Informationen rfibergebracht. 1st doch alles Lfige.t Es kommt doch keine vernfinftige Information, das Volk hat doch fiberhaupt nichts davon gehabt, es gab weder 'ne Weiterbildung am Fernsehen, es gab kein Studium am Fernsehen, es gab nichts am Fernsehen, was irgendwo auch in der Kultur aufbauend ware. Wo kann man denn von einer Fernsehkultur sprechen? (]berhaupt nicht. " Letztlich ist das Femsehen fiir Johannes sogar ein Medium, das auch auf metaphysischer Ebene einen negativen Einflufl auf den Menschen ausiiben und ihn an seiner spirituell-bewuBtseinsm~igen Weiterentwicklung hindem kann: ,, Wenn ich jetzt der Meinung bin, und das k6nnte man als Anthroposoph sagen, hinter allen Dingen stehen Wesenheiten, dann k6nnte man vielleicht sagen, daft hinter der Idee des Fernsehens eine Wesenheit steht, die, sagen wir mal, nicht damonisch ist, abet bedenklich ist. Sie ist sicher nicht b6se in dem Sinne, abet sie ist bedenklich. Sie ist sehr leicht b6se. Ob es b6se wird oder nicht b6se wird, ist eine Frage meines Bewufltseins oder meines Einsatzes. In der Anthroposophie sieht man das BOse nicht so einseitig zwischen Gut und BOse, sondern ich habe schon eine Vorstellung von einer Zweigleisigkeit im B6sen. Als einfaches Beispiel, das Gegenteil von Geiz ist j a nicht Freigiebigkeit, sondern Verschwendungssucht. Die Freigiebigkeit steht in der Mitte zwischen dem Geiz und der Verschwendungssucht. Der Mut steht zwischen Feigheit, ja, undjetzt ist nicht Mut das Gegenteil, sondern Tollkfihnheit, das heij3t also, ich habe zwei extreme Dinge, die ich als b6se bezeichnen warde, und das Gute steht praktisch in der Mitte, in der Polaritgit dazwischen. Das eine nennt man luziferisch, das andere ahrimanisch. Das Ahrimanische ist also dies, was mit Geiz zu tun hat, mit allem was zusammenzieht, was verengt, was mit Macht zu tun hat, was mit Technik zu tun hat, und der andere Bereich, im luziferischen warde ich sagen, ist das, wo ich anfange, so ins Verstr6men zu gehen, so Verschwendungssucht, Tollkfihnheit, wo ich so aus mir herausgehe und nicht mehr die Mitte halte. Das ware das, was als Lage gemacht wird. Fernsehen hat von beidem was. Wit haben einmal die lnhalte, die sind meist in diesem wegziehenden Bereich, und das, was mich aber verengt, was mich beschrginkt, a u f den Ton, a u f diesen entsprechenden Bildabschnitt und all das, ist das genaue Gegenteil. lch werde praktisch zerrissen zwischen diesen beiden Polen. Und wenn man dann noch gezwungen wird, dutch diese Sache mit der Nah- und Ferneinstellung, sein lch auszuschalten, das kann man dann, wenn man das so definiert, als etwas Damonisches bezeichnen, denke ich schon. "
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118 Rainer greift in seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Femsehen auf die Grundlagen der bildenden Kunst zurfick, um seinen Bedenken gegentiber dem Femsehen Ausdruck zu verleihen. Dabei vertieft er noch einmal Johannes' kritische Ausfiihrungen tiber die bewuBtseinsbeeintr~ichtigende Wirkung der femsehspezifischen Ubertragungstechnik. Zun~ichst definiert Rainer alas Femsehbild als Anti-Bild, das eine bewuBte Auseinandersetzung mit dem Bildinhalt nicht z u l ~ t und gleichzeitig eine geistig-kulturelle Verflachung tier Gesellschaft widerspiegelt: ,,Inzwischen muff ich sagen, verstehe ich auch mehr, was beim Fernsehen oder ~berhaupt beim Film passiert, und da kommt mir die Auseinandersetzung mit der Kunst sehr entgegen, zu verstehen, was ein Bild ~iberhaupt ist, und welche Bedeutung Bilder eben fiir den Menschen haben. Also, ein Raum, in dem keine Bilder sind, der ist kahl. Da k6nnen Pflanzen drin stehen, aber wenn da keine Bilder drin sind, dann fehlt da irgend etwas, dann ist da etwas nicht ganz durchdrungen. Aber das sind dann stehende Bilder. Wenn man sich bier im Zimmer die Bilder so anguckt, dann sind wir auch dazu gekommen, die Bilder mal zu wechseln, und es ist unglaublich, wie alas einen Raum verandert. Aber das sind alles stehende Bilder, also, insofern, die Wirksamkeit yon Bildern ist fiir mich v6llig unbestritten, und ich interessiere mich zunehmend dafiir, wie man ~iberhaupt an die Wirkung eines Bildes, jetzt eines stehenden Bildes, bewufltseinsmi~flig drankommt. Da wird eben deutlich, daft das Fernsehen eigentlich ein Anti-Bild ist, weil es eben ein Bild ist, das man nicht festhalten kann, man laufi immer nur hinterher, aber man kann sich nicht mit dem Bild auseinandersetzen. Es findet keine Auseinandersetzung statt, und mir scheint alas ~berhaupt die zentrale Signatur auch unserer heutigen Gesellschaft zu sein, alas eben keine Auseinandersetzung stattfindet, sondern alles an der Oberflgiche in irgendeiner Weise dargestellt wird. " In einem weitergehenden Sehritt stellt Rainer seine Erkenntnisse und Beobaehtungen zu den physiologiseh-psyehologisehen Auswirkungen des Femsehens in einen kritisehen Zusammenhang mit der kulturell-seelisehen Entwieklung des Individuums: ,,Ich f a n g ~berhaupt erst an, den physiologischen Vorgang des Fernsehens beim Einzelmensehen zu erfragen und zu verstehen. Was bedeutet es fiir einen Mensehen, wenn er so paralysiert wird, daft er sich stundenlang nieht bewegt, die Stellung yon K o p f und R u m p f wird start, ieh waehe j a an der Tiefenschi~rfe auch a u f dadurch bin ich in einem Raumbewufltsein, ieh werde waeh in einem R~umlichen. Das Bewufltsein a u f dem Bildschirm wird verflaeht, es ist nut zweidimensional da. " Diese oberfl~iehliehe Zweidimensionalit~it, die eine perspektivisehe Erfahrtmg lediglieh vorgaukelt, entsprieht laut Rainer dem Anspruehsrtiveau der Renaissancemalerei, in der versueht wurde, mit Hilfe der Fluehtpunkttechnik naturalistiseh-perspektivische Abbilder der Welt zu sehaffen. In der Malerei hingegen sei sp~itestens seit Cdzanne die Zweidimensionalitfit zu einem bewufltseinserweitemden Stilmittel weiterentwiekelt worden, das es dem Betraehter erm6glieht, den Erlebnisraum des Malers quasi rekonstrtflctiv zu transzendieren, den ,,Innenraum des Bildes" zu betreten, und ihn somit .,
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119 freilich subjektiv eingef'~rbt - neu entstehen zu lassen, was, bei entsprechender BewuBtseinsleistung, zu einem tiefen Kulturerlebnis werden k6nne. Dementsprechend sei das Femsehen allein schon wegen seiner spezifisch medialen, pseudoperspektivischen Darstellungsweise - im Gegensatz zur Malerei - nicht in der Lage, an einer kulturellseelischen Weiterentwicklung des Menschen mitzuwirken, was letztlich auch seiner Entwicklung zu BewuBtsein und Selbstbestimmung entgegensteuere: ,, Und diese Verdichtung zur Fldche, was ein Akt der hOchsten Konzentration ist, da geht das Fernsehen sozusagen den Schritt raclov~rts, lnsofern verhindert Fernsehen seelische Entwicklung, und sogar allgemein-kulturelle Entwicklung, also jetzt vOllig unabhtingig von den Inhalten. " F/inde bereits durch die Darstellungsart des Femsehens eine Ausschalttmg des menschlichen Willens statt, so iibten erst recht die Inhalte selbst, die ja prim/Jr als Bilder ztan Zuschauer transportiert werden, einen enormen EinfluB auf den Zuschauer aus. So greifen nach Rainers Meinung Bilder aktiv in seelische Entwicklungen ein: ,,Die Seele hat offensichtlich einen Bildhunger, und Bilder haben eben eine unglaublithe Wirkung. " Als Beispiel fiir diese Wirkung erw~mt Rainer eine Begebenheit, die den EinfluB medial vermittelter Femsehbilder auf das Denken und Handeln der Rezipienten kraB beleuchtet: ,,Da komrnt rnir, nur als Erinnerung, bei rneinen Eltern, wenn am Weihnachtstag der Papst seinen Segen gesprochen hat, also Urbi et Orbi, haben sich rneine Eltern vor den Fernseher hingekniet, was rnir darnals schon abartig vorkarn." Zusammengenommen legen diese Eigenarten des Femsehens fiir Rainer den SchluB nahe, dab hinter dem Femsehen durchaus auch auf metaphysischer Ebene Kr/itte stehen, die einen negativen EinfluB auf die Entwicklung des Menschen ausfiben wollen. Damit schlieBt sich Rainer den Befftirchtungen Johannes', die ebenfalls in diese Richtung gehen, an: ,,Ich denke, wir haben die Paralysierung des Willens herausgearbeitet, wir haben Hinweise dafiir, daft Bilder fiir die Entwicklung eines Menschen zentrale Bedeutung haben kOnnen, und wir haben konkrete Beispiele gebracht, daft am Fernsehen der Mensch eben entmenscht wird. Insofern kann man dann schon sagen, das muff etwas zu tun haben rnit einer dern Ursprungsimpuls des Christenturns feindlich gesinnten Maeht. Insofern kOnnte man jetzt darauf sehlieflen, daft eben Widersacherrnachte damit was zu tun haben kOnnen. Irgendwann hat mir rnal jernand eine Dollarnote und eine Rubelnote nebeneinander gelegt, und ich habe dasselbe Symbol darauf entdeckt, dieses Dreieck mit dem Auge drin, da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Was ist, wenn eine Macht hinter beiden steckt, und das Wettr~ten halt gegenseitig hochjubelt? Also, wer gewinnt am meisten, muff man sichja fragen. Mit dieser Frage, denk ich rnir, kommt man dann schon weiter, urn an die Motoren dieser Fernsehentwicklung zu kommen. " Auch in den weiteren Motiven und Argumenten, die von den hier befragten bewuBt-
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120 reflektierten Nichtfemsehem gegen das Femsehen ins Feld geftihrt werden, kommt der Widerspruch zwischen ihren Lebensvorstellungen und dem Fernsehen immer wieder deutlich zum Ausdruck. Ebenso wie die vorangegangenen Kernaussagen verweisen sie mehrheitlich auf die spezifische Lebensweise tier Befragten, in der eine selbstbestimmte Alltagsgestaltung, authentische Lebenserfahrungen und eine bewul3te, unverstellte Wahrnehmung der Welt zentral stehen. So gaben alle elf bewugt-reflektierten Nichtfemseher an, dab sie authentische Origin~irerfahnmgen gegenfiber dem Femsehkonsum prinzipiell vorziehen. Ober das Femsehen vermittelte Inhalte werden als sekund~e Welterfahrung abgelehnt: ,,Die Details, die in Tier- und Natursendungen gezeigt werden, das erlebe ich niemals, das erlebe ich nut, wenn ich Fernsehen gucke. Das ist fitr reich vOllig verfremdend und so was willkfirlich welt Hergeholtes, das brauch ich nicht, will ich auch gar nicht haben." (Norbert) ,,Ich find eigenes Erleben, eigene Erfahrungen absolut wichtig. " (Sabine) ,,Ich gehe einfach wesentlich lieber raus, geh spazieren, guck mir einfach auch das an, was reich so umgibt, also, daft ich einfach einen Eindruck davon habe, wie meine Umgebung aussieht, wie sie sich gestaltet, was ich damit machen kann. " (Anja) ,,Ich halte das Fernsehen far etwas derartig Oberflachliches, das den Menschen kaputtmacht. Die kommen nicht mehr in die Tiefe rein, die haben das nut, das oberflachliche Sehen, wdhrend ich das in der Tiefe erlebe. Ich muff es mir erleben, erarbeiten. Ganz anders wie derjenige, der eben nut sein Fernsehen hat." (Konstantin) ,,Ich w~ird g e m selber was erleben, und seh das im Kontext auch zu dieser Yoga-Idee, daft der Mensch sich ja weiterentwickelt durch Erlebnisse, dutch Erfahrungen, und von daher halte ich diese ganze Welt der Medien fi~'r 'he tote Welt, letztendlich. Das ist nicht das Leben, ist nicht die Wirklichkeit. Die will ich doch erfahren. " (Andreas) ,,Es ist ein Leben aus zweiter Hand. Du kannst weder tasten, du kannst nicht riechen und nicht schmecken. Meine Sinneserfahrungen, dafitr leb ich ja, und ich geh lieber raus und erleb das sinnenhaft. " (Heike) ,,Ich denke mir, alles was da kommt, kOnnt'ste selber machen, und ich werd mir wahrscheinlich 'hen Fernseher anschaffen, wenn ich im Rollstuhl sitze oder so, und das nicht mehr erleben kann. Aber im Moment gibt es ftberall Detektivstories, Liebesgeschichten, Tiergeschichten, Politik, das kann 'ste alles so haben." (Judith)
Die bewugt-reflektierten Nichtfernseher besch~iftigen sich ausnahmslos lieber mit anderen Aktivit/iten, die ihren spezifischen Lebensvorstellungen entgegenkommen. Diese Aktivit~ten werden im Abschnitt fiber das allgemeine Alltagshandeln der bew~t-reflektierten Nichtfemseher noch im einzelnen vorgestellt, so dab an dieser Stelle auf weitergehende Schilderungen und Originalaussagen verzichtet werden kann. Ein weiteres Hauptmotiv, das von allen bewuBt-reflektierten Nichtfcmsehem gleichermaBen geteilt wird und gleichzeitig auf ihr ausgepr[igtes Bediirfnis nach odgin/iren Lebenserfahnmgen verweist, liegt in ihrer pdnzipiellen Pr/iferenz primmer, realer Sozialkontakte gegenfiber der einseitigen Kommunikationssituation vor dem Femseh-
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121 ger~it. Die kiinstliche Sozialwelt des Femsehens, die sich in Seifenopem, Genreserien und Spielfilmen, aber auch im mehr und mehr personenbezogenen Infotainmentbereich und auf tier Ebene tier Spiel- und Talkshows massenhaft pr~isentiert, wird von ihnen kategorisch abgelelmt: ,,Mir liegt an meinen Mitmenschen und an meiner Umgebung, und ich mOchte von denen etwas erfahren. Was interessiert mich dieser Schauspieler, der unter einem anderen Namen l(~ufi, und absolut keine Individualitat und Identitat hat? Was mit dem ist, was der far Probleme hat, interessiert reich tiberhaupt nicht, sondern ich mOchte wissen, was mit meinen Freunden, mit meinen Bekannten in meiner Umgebung ist. Und da verlier ich jedes Gesptir undjeden Sinn f~r, wenn ich fernsehe. " (Anja) ,,Ich bin lieber mit Menschen zusammen, aus erster Hand, und nicht so 'ne secondhand-Ware." (Heike) ,,Ich finde, das ist generell 'ne Sache, die ich auch nicht nur beim Fernsehen, auch bei Cassetten finde. Ich finde, es ist ganz wichtig, daft das vermittelnde Medium immer ein anderes Ich, ein anderes Individuum ist, ein anderer Mensch, und nicht nur 'ne Mattscheibe, oder 'he Cassette oder so was." (Doris)
Im Einklang mit der bewuBten, auf Begegnung ausgerichteten Lebensweise der bewuBt-reflektierten Nichtfemseher steht ihre Uberzeugung, dab alas Femsehen die zwischenmenschliche Kommunikation st6rt. Zehn tier Befragten halten das Femsehen flit ein sozial- beziehungsweise familienfeindliches Medium. Die gedankenweltliche Isolation des Individuums, selbst wenn es im Kreise seiner Familie oder gemeinsam mit Freunden femsieht, wird als sozialer Verlust beklagt: ,,Das Fernsehen ersetzt Begegnungen. Das Fernsehen ersetzt Familienleben. Es passiert eigentlich nichts mehr zwischen den Menschen. " (Rainer) ,,Ich denk, viele Leute kOnnen sich nicht mehr unterhalten. Das weifl ich auch von frtiher, so aus dem eigenen Elternhaus, wenn man vor dem Fernseher sail. Die Unterhaltung, die da ablieS die war j a nicht miteinander, sondern das waren so reingeworfene Kommentare zu dem, was man gerade sah. Das hatte abet keinen Bezug zu dem Menschen, neben dem man gerade sail." (Anja) ,,Ich denke, daft viele Ehepaare abends vor ihrem Fernseher liegen. Es ist, wenn sie nicht bewuflt damit umgehen, kommunikationshemmend. " (Heike) ,,Es verhindert, daft die Leute miteinander was machen, miteinander reden. " (Sabine) ,,Ich glaube, daft das Familienleben unter dem Fernsehen leidet, daft man mehr Zeit miteinander verbringt, daft man kommunikativer ist, wenn man keinen Fernseher hat. Auch yon Hausbesuchen weifl ich, daft Familien, die an sich finanziell ganz schlecht zu Furl sind, aber wo jedes Familienmitglied, bis hin zum vierj~ihrigen Kind, einen eigenen Fernseher hat, und diese eigenen Fernseher stehen konsequenterweise in einem jeweils einzelnen Zimmer, undjeder einzelne sitzt in seinem Zimmer vor seinem Fernseher, das ist dann der Gipfel. Damit kann man allen Konflikten aus dem Weg gehen und s~imtlicher Kommunikation auch. Dieser alte Spruch, der Fernseher macht aus dem Familienkreis 'nen Halbkreis, der istja bekannt." (Doris)
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122 Besonders fiir Karin war die kommunikationshemmende Wirkung des Femsehens ein mal3geblicher Grund, sich fiir immer von ihrem Femsehgedit zu verabschieden: ,,Natarlich gibt es dann die Situationen, gegen Ende einer Partnerschaft, wo beide so nut noch vorm Fernseher nebeneinander sitzen, und wo einem deutlich wird, daft dieser Fernseher 'ne Funktion hat, namlich einfach Gesprache zu vermeiden, sich abzulenken, irgendwie wegzutauchen, und das wollte ich nicht mehr. " Vor dem Hintergrund ihrer altemativen, auf origin~e Erfahrungen abzielenden Alltagsgestaltung, wiirden die meisten bewuBt-reflektierten Nichtfernseher etwaigen Femsehkonsum als Zeitverschwendung betrachten. Insgesamt vertreten neun der Befragten diesen Standpunkt: ,,Also, ich finde das vOllig vertane Zeit, man kann damit so tolle Sachen machen, wo man sich hinterher bereichert fiihlt, statt dessen setzt man sich vor diesen Kasten und laflt sich da irgendwie berieseln und so einlullen. " (Anja) ,,Ich hab gemerkt, ich kann meine Zeit sinnvoller nutzen. " (Heike) ,,Ffgr mich bedeutet es erst mal ganz viel, daft ich a u f keinen Fall irgendwie Zeit dutch Unnatzes oder Unsinniges verschenke. Dafigr halte ich das game. '" (Norbert) ,,Das Fernsehen warde mir Zeit stehlen. " (Andreas) ,,lch glaub so, das erste ist, daft ich denke, daft ich meine Zeit wesentlich sinnvoller ff~llen kann. Das ist fiir mich erst mal so 'n zentraler Punkt, daft ich denk, es gibt so viele sch6nere Sachen, die man machen kann, sinnvollere auch, als sich so 'nen stupiden Kram anzugucken." (Doris) ,,Es stiehlt einem die Zeit fiir Dinge, die kreativer sind, oder ff~r Dinge, die auch viel wichtiger sind, also, zum Beispiel, Beziehungen zu leben und nicht vorgefiihrt zu bekommen." (Karin) Die meisten bewuBt-reflektierten Nichtfemseher lehnen das Femsehen als Manipulationsinstrm ent, mit dem auf mehr oder weniger subtile Art die verschiedensten ideellen und materiellen Interessen zum Rezipienten transportiert werden sollen, entschieden ab. Dieses zentrale Motiv, das die fernsehfreie Lebensweise von neun der elf Befragten wesentlich mitbedingt, verweist ebenfalls stark auf ihre bewuBt-wachsame, selbstbestimmte Lebensweise. Bezeichnenderweise spielt es fiir die fernsehfreie Lebensweise der im vorangegangenen Kapitel vorgestellten aktiven Nichtfernseher keine Rolle. Hier wird ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen diesen beiden iibergeordneten Nichtfemsehertypen sichtbar: ,,Das Fernsehen ist auch ein perfektes Instrument, um irgendwelche Botschaften rauszuschicken. Und die Leute, die dran sitzen, an der Macht, die k6nnen das total gezielt benutzen, und ich glaube auch, daft die das tun. " (Sabine) ,,Fernsehen ist auch ein Stfick Gleichschaltung. " (Doris) ,,Es ist schon ein gigantisches AblenkungsmanOver, insofern ist es hoch politisch. Natarlich dient das auch der Ruhigstellung. " (Karin) ,,Alles wird magnetisch gleichgeschaltet. Eine weltweite Gleichschaltung yon unerhOr-
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123 ten Ausmaflen. Dieser Aspekt der Gleichschaltung, der scheint mir der wichtigste eigentlich zu sein. Also, ich halte die Gleichschaltung dutch das Fernsehen eigentlich far viel tiefgreifender als die Gleichschaltung im Dritten Reich. " (Rainer) ,,Der Deutsche sieht so aus, als wenn er so ein braver, zfichtiger, sich von oben leitender Mensch ware. Das Fernsehen unterstatzt das. " (Konstantin) ,, Daft das Gefiihl fiir die Gefahle der anderen abstumpfi und nicht mehr da ist, daft da so 'ne Brutalitat entsteht, davor hab ich in der Gesellschafi regelrecht Angst. Und diese Entwicklungen kOnnen schon zu schwierigen Situationen in unserer Gesellschafl fahren, um nicht zu sagen, fast schon eine Katastrophe. Das Fernsehen halte ich daffir verantwortlich, ganz entscheidend sogar, obwohl man eigentlich sagen muff, es sind andere, die dahinter stehen, die eigentlich die Verantwortlichen sind. " (Norbert) ,,Klar, du kannst j a Meinungen bilden damit. Das ist so 'ne Autoritgit, die von oben kommt, die fiberhaupt nicht bewiesen ist. " (Judith) ,,lch hab real als freier Mitarbeiter bei 'net Zeitung gearbeitet, und weifl einfach auch von daher schon, also, selbst da ist es ja schon Manipulation, welche Nachrichten nehm ich rein, und welche lafl ich raus, und das ist ja beim Fernsehen noch viel extremer mOglich, lnsofern ist es wirklich ein politisches Instrument auch. " (Anja)
Als Folge ihrer spezifischen, auf Wahrnehmung und konkretes Erleben ausgerichteten Lebensweise, pflegen auch die bewuBt-reflektierten Nichtfemseher einen eher aktiven, erlebnisbetonten Lebensstil. Andererseits neigen sie durchaus auch zu gelegentlicher Kontemplation. Jedenfalls ist ihre femsehfreie Lebensweise keineswegs, wie bei den aktiven Nichtfemsehem, haupts~ichlich auf ihre aktive Alltagsgestaltung zuriickzufi~ren. So spielt die mit dem Femsehkonsum einhergehende Rezipientenpassivit~it als bewufltes Ablehnungsmotiv auch nur eine untergeordnete Rolle fiir die femsehlose Lebensweise der bewugt-reflektierten Nichtfemseher. Lediglich vier von ihnen ~iuBerten sich in dieser Richtung. Dabei stand die Unzufriedenheit mit der k6rperlichen Bewegungsarmut w~ihrend des Femsehkonsums im Vordergrund: ,,Es macht den KOrper so arm an Bewegung, also, das ist wirklich ein Motiv, das lehn ich zutiefst ab. Ich denke, das ist nicht menschengerecht, das ist einfach nicht gut ff~r den Menschen." (Sabine) ,,Es macht 'n Stack bewegungslos, man sitzt oder liegt. Es macht faul. Nein, die Menschen machen sich faul dadurch. "(Heike)
Auch das Argument, keine Zeit flit etwaigen Femsehkonsum aufbringen zu k6nnen, ist Rir den bewuflt-reflektierten Nichtfemsehertyp lediglich von marginaler Relevanz. Lediglich drei der Befragten gaben an, daft sic aus Zeitmangel keine Gelegenheit zum Femsehkonsum f'~den, selbst wenn sie ein entsprechendes Bediirfnis verspiiren wiirden. In ihrer fiberaus kritischen Haltung gegenfiber den Femsehprogrammen liegen die aktiven und die bewuflt-rr Nichtfemseher hingegen wieder auf einer Linie. Bis auf Judith und Heike bezeichnen alle bewuflt-reflektierten Nichtfernseher die
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124 Qualit~it des ihnen bekannten Femsehprogramms iibereinstimmend als mangelhaft: ,,Da hab ich nur wenig Ahnung. Das meiste empfinde ich als ziemlich aufgesetzt und daneben. Das ist f~r mich keine Qualitat. " (Sabine) ,,Ich finde viele Sendungen unheimlich blOd, wenn ich die real mitkriege. " (Doris) ,,Ich mein, ich hab so 'nen kleinen Einblick gekriegt, was so angeboten wird, und das ist derart minderwertig, schon immer gewesen. Ich kenne kaum eine Sendung, die ich als gut bezeichnen kOnnte." (Norbert) ,,Das war dermaflen platt. Ansonsten kann ich halt zum Fernsehen nicht mehr so viel sagen." (Anja) ,,Das istja alles nur an der Oberflache." (Konstantin) ,, Und wenn ich dann real eine Fernsehsendung sehe, dann bin ich immer wieder erschrocken aber das Niveau, mit dem halt bestimmte Fragen im Fernsehen prasentiert werden. "(Rainer)
,~mlich wie viele der aktiven Nichtfernseher empf'mden auch vier der bewufltreflektierten Nichtfemseher das Fernsehprogramm als zu gewaltlastig und negativistisch. Auch sie wollen sich mit ihrer fernsehfrr Lebensweise einer etwaigen Belastung durch brutale oder grausame Fernsehbeitriige entziehen: ,, Was gerade Gewalt und Brutalit~t und Aggressivit~t beinhaltet, das wird so viel geboten heute, das finde ich ganz schrecklich, das lehn ich auch sehr strikt ab. " (Sabine) ,,Selbst an den Nachrichten haben wir kein Interesse. Nicht, weil wir uninteressiert sind, abet diese chaotischen und teilweise brutalen Szenen, die dargestellt werden, das muff ich nicht alles wissen, damit muff ich reich gar nicht belasten. " (Norbert) ,, Gewaltfilme, das h~tt ich mir nie angeguckt, das kann ich gar nicht sehen, also, dann wird mir ganz anders. Das ist was, wo ich den Fernseher immer schon ausgemacht habe." (Karin) ,,Ich habe jetzt noch Bilder vor Augen aus Nachrichtensendungen, die sich meiner Seele eingebrannt haben, wo sich Menschen aus einem brennenden Hotel aus dem zehnten Stock runterst~irzen. Im Fernsehen, unvorbereitet, wird der Mensch dann Teilhaber an so was." (Rainer)
Die h~iufige Unterbrechung des Femsehprogramms durch Werbespots ist fftir Judith, Sabine, Karin und Johannes ein weiterer Grund fiir ihre Aversion gegen das Femsehen: ,,Mit der IYerbung, das find ich absolut entsetziich, das ist auch ein grofles Motiv meiner Ablehnung. " (Sabine) ,,Dann auch noch das Zerreiflen durch die Werbung, das ist das Letzte. " (Johannes) ,,Daft es yon grerbung unterbrochen wird, das f i n d ich unmOglich. Das ist im Kino nicht." (Judith) ,,Das ist j a entsetzlich. Also, wenn wit das im Urlaub haben, und dann die Kinder so "hen Film da sehen, und dann kommt immer diese Werbeunterbrechung, das find ich ganz schrecklich. Wie 'ne Katastrophe." (Kadn)
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125 Ffir jeweils mehrere der Befragten spielt noch eine Reihe weiterer Ursachen und Motive eine mehr oder weniger groBe Rolle als Triebfeder Rir ihre femsehfreie Lebensweise. So geht Rir Judith, Heike und Sabine vom Fernsehen die Gefahr einer Reizfiberflutung aus, die den Rezipienten psychisch und physisch fiberfordert: ,,Ich hab gelesen, wieviel also jetzt rein physikalisch passiert, wie viele Bilder dieses Fernsehen aussendet, und wie das Gehirn eigentlich gar nicht in der Lage ist, so viele Bilder so schnell aufzunehmen, und wie das dann umschaltet auf so 'ne Frequenz, wo dein Gehirn nicht mehr so aktiv ist, wie wenn du mit H~nden und dem ganzen KOrper was tust, sondern das schaltet a u f andere Wellen um, und das ist fast wie so 'n Schlafzustand oder so was, und das sind so Sachen, seit ich das weifl, hat sich das noch viel mehr erhartet. Seitdem weifl ich, warum ich mich so dumpf gefiihlt hab, und so leer gefahlt hab, wenn ich 'nen Abend ferngesehen hab. Das ist genau diese Wirkung, daft du gar nicht mehr da bist. Du bist nicht wach in dieser Welt, du bist auch nicht mehr so handlungsaktiv dann." (Sabine) ,,Die Leute werden aberschattet." (Judith) ,, Wenn ich schau, empfinde ich das Programm als hektisch. Der eine Film ist noch nicht zu Ende, dann kommt schon wieder der Hinweis aufs nachste. Also, so 'ne Reizaberflutung, ffir die Augen und auch far die Ohren und fiirs Gehirn. " (Heike)
Anja, Norbert und Johannes beRirchten zudem gesundheitliche Beeintr~ichtigungen durch das Femsehen, die durch Strahlung oder Elektrosmog hervorgerufen werden k~innten. Konstantins p~idagogischen Vorbehalte gegenfiber dem Femsehen wurden bereits im Absehnitt fiber die Entstehungsbedingungen der femsehfreien Lebensweise der bewuBt-reflektierten Nichtfemseher deutlich. Ebenso wie Konstantin sind auch Karin und Doris davon fiberzeugt, d ~ sie ihre Kinder vor m/Sglichen Negativwirkungen des Femsehens bewahren mfissen: ,, Und was ich natarlich a u f keinen Fall wollte, ist, daft das so auch mit den Kindern weitergeht. Insofern ist es auch 'he padagogische Entscheidung. " (Karin) ,,Der dritte Punkt ist eben, daft ich auch denke, flit die Kinder ist es einfach nicht gut. Solche Dinge wie Raumempfinden, Gleichgewicht, KOrperbeherrschung, Oberflachensensibiliti~t, das sind j a alles Sinnesqualit~ten, die man entwickelt im Spiel, im kreativen Spiel Vor allen Dingen, der Bewegungsdrang der Kinder, der wird durchs Fernsehen j a v61lig unterdrackt. Wo das nicht statOqndet, da passiert ganz viel mit den Kindern." (Doris)
Der Befund der bisherigen bundesdeutschen Nichtfemseherforschung, dab Familien mit Kindem haupts~ichlich zum Schutz ihrer Kinder ohne Femsehen leben, tdfft jedoch zumindest auf die hier befragten Eltem nicht zu. Judith, Heike und Karin haben die Erfahnmg gemacht, dab sie sich leicht zu unkontrolliertem Fernsehkonsum verleiten lassen, wenn sie fiber ein Fernsehger/it verftigen
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126 k6nnen. Die Abschaffung des Femsehers ist somit auch eine wirkungsvolle Strategie der Betroffenen, sich der Versuchung, doch einen Teil der Freizeit vor dem Femsehapparat zu verbringen, g~xtzlich zu entledigen: ,,Ich wollte den Fernseher dann auch wirklich nicht mehr haben, weil ich reich auch zu dem Zeitpunkt so erkannt hatte als jemand, der in der Gefahr ist, das einfach so anzuschalten und so sich berieseln zu lassen, so diese Entspannung dann da zu finden, die man nOtig hat." (Karin) ,,Es ist sicherlich auch, daft ich keinen Fernseher hab, weil ich meine Schwache auch kenne, so 'nen Fernseher auch anzustellen, wenn er da ist. "(Heike) ,,Es gibt Sachen, die ich jetzt fiir reich gefahrlich finde, weil ich genau weifl, daft ich nur vierundzwanzig Stunden am Tag Zeit habe, abet auch viele andere Sachen reich interessieren, und ich weifl dann genau, wenn ich einmal davorsitze, dann kommt j a immer irgendwas, es gibt ja tausend Programme. Und ich bin eigentlich ein FilmFreak, und dann auch noch kulturell, kommt zwar nicht abermaflig viel, aber immer noch genug, daft ich da voll beschaftigt ware." (Judith)
Uber die bisher aufgefiihrten Motive und Ursachen hinaus wurden von mehreren Befragten noch einige Einzelgrfinde ftir ihre femseh/ose Lebensweise angefiihrt. So gab Andreas zu Protokoll, dab er sich noch rile besonders ftir das Fernsehen und seine Programme interessiert hat. Diese Aussage steht im Einklang mit der Bedeutungslosigkeit des Femsehens in Andreas' gesamtem Lebenszusammenhang: ,,Fernsehen interessiert reich nicht die Bohne. "
Technische Ger/ite widersprechen generell Heike's Sinn fiir .~,sthetik. Sie umgibt sich lieber mit natiirlichen Materialien, die sie zu kunstvollen Arrangements gestaltet. Elektronische Apparaturen verbannt sie weitestgehend aus ihrem unmittelbaren Wolmbereich: ,,Mich hat es genervt, daft dieser Fernseher bier stand. Ich wollte dieses technische Gerat nicht hier drin haben. Ich hab auch meine Anlage da hinterm Schrank. "
Doris wiirde sich durch die Mobilit~itseinsehr~ahmg, die zwangsl/iufig mit dem Femsehkonsum einhergeht, in ihrer pers6nlichen Autonomie zu sehr eingeschrw fiihlen: ,, Mir wird standig aufgedrangt, wo ich hingucken muff."
Mit diesem Argument, das auf Doris' Bediirfnis nach selbstbestimmter Lebensgestaltung verweist, findet die Darstellung der Motive und Ursachen ftir die femsehfreie Lebensweise tier in dieser Untersuchung befragten bewugt-reflektierten Nichtfemseher ihren AbschluB. Im Unterschied zu den alaiven Nichtfemsehem zeugen die Motive und Argumente der bewugt-reflektierten Nichtfernseher insgesamt von einer prinzipiellen Ablehmmgshaltung der meisten Befragten gegeniiber dem Fernsehen, die in teils intensiven Reflexionsprozessen entwickelt wurde. Sie begriinden ihre fernsehfreie Lebensweise differenzierter und mit grSllerer Vehemenz, die Anzahl der von ihnen angeRihrten Argumente und Motive iibersteigt die der aktiven Nichtfernseher und beriilm Lebensebenen,
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127 die von den aktiven Nichtfemsehem nicht mit dem Femsehen in Verbindung gebracht werden.
3.1.2.3 AIIgemeines Alltagshandeln
Aktivitdten und Lebensgestaltung
Die bewuBt-reflektierten Nichtfemseher gestalten ihren Alltag gezielt im Einklang mit ihren spezifischen Lebensvorstellungen. Sie erfiillen damit ihre Bedfirfnisse nach intensiver, authentischer Welterfahrtmg, autonomer Selbstbestimmung, pers6nlichkeitsbildender Selbsterkenntnis und spirituell-kultureller Weiterentwicklung -je nach ihren individuellen Interessen und Oberzeugungen. Oftmals haben sieh ihre Alltagsaktivit~iten erst aus ihrem BewuBtwerdungsprozeB heraus entwiekelt, bei einigen Befragten wttrde selbst der berufliche Werdegang dureh die bewuBte Reflexion beziehungsweise Revision ihrer Lebensprinzipien stark beeinfluBt. Im Vordergrund ihrer Alltagsgestaltung stehen eindeutig kreativ-musische Aktivit~ten sowie T~itigkeiten, die der Weiterentwicklung des Bewul3tseins und der individueUen Selbsffindung dienen. Ebenso wie die aktiven Niehtfemseher legen aueh die bewuBtreflektierten Niehtfernseher groBen Wert auf zwisehenmensehliehe Kontakte und prim~e Kommtmikationserfahrtmgen w~trend ihrer Alltagsaktivit~ten. Die anthroposophisch gepdigten Nichtfemseher orientieren sich in ihrer Alltagsgestaltung besonders stark an ihren weltanschaulichen Prinzipien. Die meisten von ihnen sind innerhalb tier Anthroposophenbewegung aktiv engagiert, zumindest nehmen sie rege am Geschehen an der Waldorfschule teil, sofem sie Kinder haben. So ist Johannes' gesamter Tagesablauf gepdigt von T/itigkeiten, die auf seiner Eingebundenheit in die Anthroposophische Gesellschaft beruhen. T~iglich verbringt er viele Stunden als Lehrer an der Waldorfschule, und auch seine Freizeit widmet er haupts~iehlich der F6rderung und Entfaltung des anthroposophischen Gedankenguts: ,,Ich arbeite sehr viel mit Eltern. Das warde ich jetzt einmal als Freizeitbeschaftigung betrachten, und zwar arbeite ich mit Eltern, die in der Werkstatt arbeiten wollen, handwerklich-kanstlerisch und therapeutisch. Ich hab einen Lesekreis, den ich auch als Freizeit betrachten kOnnte, wenn ich das so wollte. Mit zwOlf Leuten, wit lesen dann so bestimmte Sachen aus der Anthroposophie. Ich habe keine Hobby& die yon meinem Beruf sehr getrennt sind. Ich plastiziere, ich schnitze, ich arbeite gern im Garten, und ich lese sehr viel. "
Zudem engagiert sich Johannes aktiv in der amhroposophischen Christengemeinschaft: ,,Ich bin in einer Kirchengemeinde, und zwar der Christengemeinschafl, und in der Gemeinde haben wir natarlich auch gewisse Tatigkeiten. Ich bin im Baukreis, wir
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128 mfissen irgendwann mal ein Gemeindehaus bauen, und meine Frau ministriert und spielt in der Sonntagshandlungffir Kinder. "
Auch Rainers Alltag ist stark durch seine weltanschauliche Verankerung in der Anthroposophie gepr/igt. Nicht zuletzt wegen seiner weitgehenden Kenntnisse und Ambitionen auf dem Gebiet der Anthroposophie bekleidet Rainer ein hohes repr/isentatives Amt in der Anthroposophischen Gesellschaft seiner Heimatstadt. In seiner verbleibenden Freizeit besch~it~igt sich Rainer gem auf theoretischer Ebene mit kulturell-philosophischen Fragestellungen: ,,Da erarbeite ich mir Dinge, wo ich selber Fragen habe, zum Beispiel, dieses Thema des Bildes, wie wirkt ein Bild auf den Menschen. Ich beschaftige mich in der letzten Zeit auch mit der Kunst, also, habe tragende Erlebnisse, die fiberhaupt mit Kunsthistorie zunachst gar nichts zu tun haben. " In Erg~inzung zu seiner iiblichen Sprechsttmde in seiner eigenen Arztpraxis hat Rainer in seiner Freizeit noch eine ehrenamtliche Sprechsttmde in einer Behinderteneinrichtung ftir Erwachsene eingerichtet. AuBerdem ist er aktives Mitglied in einer Initiative fftir alternative Wohnformen: ,,Ich mache bei einem gZohnprojekt mit, wo wir versuchen wollen, fiber die anonymen Marktinteressen hinwegzukommen, und einfach sich Menschen zusammenfinden, die eben auch jetzt bauen wollen, abet dann eben selber mal den Rahmen abstecken, in dem sie bauen wollen, und nicht nur einfach das vorgegebene Reihenhaus dahin zu setzen. Also, auch da einfach eine Konvention zu erkennen und durch menschliche Initiative des Aufeinanderzugehens eine neue Form zu finden. Das ist ziemlich zeitintensiv, muff man sagen." Sabine versucht, in iln'er freien Zeit sowohl ihren vier Kindem gerecht zu werden, als auch ihr BewuBtsein und ihre ganzheitliche Lebensweise weiterzuentwickeln. Ihren Kindem versucht sie im Sinne der Waldorfp~idagogik eine wahrnehmungs- und bewuBtseinsf'drdemde Erziehung angedeihen zu lassen, die ilmen sp~iter eine selbstbestimmte Lebensftihnmg erm6glichen soil. Daftir nimmt sie gem in Kauf, h~iufig in die Aktivit~ten tier Waldoffschule mit einbezogen zu werden: ,,Das istja das Leben meiner Kinder. Das ist also ffir mich selbstverstandlich, daft ich aktiv da teilnehme, wo meine Kinder gerade sind, und was die erleben. " Regelm~ig trifft sie sich auch mit den Lehrem der Waldorfschule und anderen anthroposophisch orientierten Eltem. Zumindest einmal w6chentlich treibt sie mit einigen Waldorfp~idagogen und Eltem von Waldorfschiilem Sport: ,,Einmal in der Woche spielen wir halt Volleyball mit den Waldorfs, mit Eltern und Lehrern zusammen. " Da Sabine nur halbtags in ihrer Praxis t/itig ist, bleibt ihr neben den gemeinsamen Aktivit~iten mit ihren Kindem und ihrem Engagement in der Waldorfschule noch genfigend Zeit, ihren Neigungen und Interessen nachzugehen. Dann besch~iftigt sie sich am liebsten mit kreativ-musischen T~itigkeiten oder entspannt sich bei der Lektiire
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129 eines Buches. An ihren freien Abenden und Wochenenden nimmt sie regelm/iBig an WeiterbildungsmaBnahmen, Seminaren und Gruppentreffen teil, die auf ihre bewuBtganzheitliche Weiterentwicklung abzielen: ,,Ich trommel manchmal gerne. Ich hab 'he schOne, grofle Trommel, dann geh ich manchmal in die Tenne und trommel, oder ich leg mir gute Musik auf und hi~r gute Musik. Also, hier zu Hause macht's mir eigentlich mehr Spafl, reich so mit mir zu beschi~fiigen, in Ruhe, mit Musik oder B~ichern oder so. Und ich genehmige mir schon auch Zeiten, da ich weg bin yon zu Hause, das heiflt, ich bin so eine, die ab und zu real gerne am Wochenende auf ein Seminar geht oder so, wo ich das dann auch sehr geniefle, den Raum ff~r reich zu haben. "
Norbert widmet den gr6Bten Teil seiner Freizeit der Musik. In besonderem Mage sch/itzt er das Gemeinschaftserlebnis, das mit dem gemeinsamen Musizieren in einem 6rtlichen Kleinorchester einhergeht: ,,Das ist in letzter Zeit sicher schwerpunktmaflig auf die Musik ausgerichtet. Ich babe fr~her als Kind real Klavierunterricht gehabt, hab dann gar nichts mehr gemacht. Ich hab 1990 wieder mit Klavierunterricht angefangen und hab vier Jahre Unterricht gehabt. Das war auch interessant. In dieser Zeit hatte meine Frau FlOtenunterricht gehabt und stieg dann bier in den Posaunenchor ein, und das hat mir eigentlich ganz gut gefallen, auch die Gemeinschafl, die damit verbunden war, das gesellschaftliche Erlebnis, das Einbringen und die Kommunikation, auch die gemeinsamen Unternehmungen auflerhalb des Spielens und Ubens, und habe dann den direkten Vergleich gehabt zu den Klavierstunden, wo ich immer alleine gehockt habe, da hab ich gesehen, daft das mehr gibt, wenn man in der Gemeinschaft Musik macht, und hab dann vor eineinhalb Jahren angefangen, Posaunenunterricht zu nehmen, und bin dann im April auf das Tenorhorn umgestiegen, das ist mir leichter gefallen, und spieljetzt seit Oktober auch in dem Posaunenchor, und das maeht mir auch sehr viel Spafl. Da hab ich auch sehr viel Ubungszeit reingesteckt, und da sind auch sehr viele Kontakte entstanden. "
Norberts Interesse an der eigenen musisch-ldinstledschen Kreativit/it, die er auch als begeisterter Hobbyfotograf auslebt, ist sicherlich auch ein Ergebnis seiner weltanschaulichen Verwurzehmg in der Anthroposophie, die eigenes kiinstledsches Schaffen befiirwortet und einem rein rezeptiven Kunsterleben eher skeptisch gegeniibersteht. In seiner iibrigen Freizeit besch/iftigt Norbert sich gem mit einem weiteren Steckenpferd, der Psychologie: ,,Das ware auch noch ein Hobby."
Dariiber hinaus ist Norbert, der ein iiberaus aktives Alltagsleben fiihrt, noch in der Kommtmalpolitik t~tig: ,,Ich habe da drei Funktionen, Ortsverein, Rat und Ausschufl. "
Wie alle Eltem, deren Kinder zur Waldorfschule gehen, wird auch Norbert zudem h/iufig in die Aktivit/iten der Waldorfschule einbezogen: ,,Die Waldorfschule bindet einenja stark ein. "
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130 Der anthroposophische Hintergrund spiegelt sich auch in Doffs' Freizeitgestaltung wider. In ihrer kargen Freizeit, die sich auf zwanzig bis dreiBig Stunden in der Woche beschr~inkt, besch/iftigt sie sich haupts/ichlich mit T/itigkeiten, die im musischen beziehungsweise kreativ-gestalterischen Bereich anzusiedeln sind: ,,lch mache ein biflchen Musik. Ich habe frfiher mal Geige gespielt, da hab ich jetzt wieder mit angefangen. Ich treff mich mit Leuten zum Musikmachen. ich spiel in einem kleinen FlOten-Ensemble mit. Das hab ich mir jetzt gekaufl, das ist ein Psalter. Ich mach gerne irgendwas mit meinen Handen, ich mach ganz gerne Spielzeug fiir meine Kinder, diese Puppe hab ich zum Beispiel gemacht, lch les ganz gerne, ich geh gern raus, ich geh g e m spazieren, ich besuch gern Leute. lch mach sehr viel mit meinen Kindern. "
Anja bildet beziiglich ihrer Alltagsgestaltung eine Ausnahme im Vergleich zu den iibrigen anthroposophisch gepr~igten Nichtfemsehem. Sie betrachtet den anthroposophischen Weg mittlerweile mit wachsender Skepsis, da er in ihren Augen zu keinen greifbaren Ver~derungen in der Gesellschatt Rihrt. Statt dessen versucht sie, ihre bewugtseinsbildenden Ambitionen vor allem in ihrer p~idagogischen T/itigkeit umzusetzen: ,,lch hab das gerade bei den Anthroposophen auch oft erlebt, man kann sich da die KOpfe heifl reden und in den tollsten Spharen diskutieren und sich bewegen, und hat wirklich keinen Blick mehr ff~r das, was jetzt ansteht. Das, was sie tun kOnnen, das ist jetzt gefragt, und das mfiflte jetzt kommen, aber man tut's nicht, weil man diskutiert. Wenn man eben versucht, in seinem Gebiet zu wirken, und sei es, wenn man's nur dutch seine Vorbildfunktion tun kann, erreicht man wesentlich mehr. "
So investiert Anja ihre Zeit und ihre Energie haupts~ichlich in ihren Beruf als Zweigstellenleiterin einer namhaften Bildungseinrichtung. Die wenigen Stunden, die ihr w/Schentlich neben ihrer Arbeit bleiben, verbringt Anja am liebsten im FimeBstudio oder gemeinsam mit ihrem Ehemann in der freien Natur: ,, Wir legen beide Wert darauf, daft wit wenigstens einmal am Tag einfach mal rausgehen, spazierengehen. Am Wochenende machen wit gerne weite Spaziergange. "
Die drei iibrigen weltanschaulich gepr~igten Nichtfemseher, Judith, Andreas und Konstantin, gehen recht unterschiedlichen Alltagst~tigkeiten nach, wobei auch sie - zumindest teilweise - auf der Basis ihrer spirituellen beziehungsweise weltanschaulichen Verwurzelung handeln. Den fiberwiegenden Teil seiner freien Zeit investiert Andreas in die theoretische Reflexion und praktische Anwendung des Yoga. Ober Andreas' allj~.rliche, mehrmonatige Indienreisen, die er zu seiner spirituellen Weiterentwicklung nutzt, wurde bereits zu Beginn des Kapitels fiber die bew~t-reflektierten Nichtfemseher berichtet. Die saisonale Arbeitsweise als Gartenbauer erlaubt es Andreas, seine Weltanschauung in dieser intensiven Form zu pflegen. So pendelt er Jahr ftir Jahr zwischen zwei Welten, die sich kulturell, sozial und politisch extrem unterscheiden.
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131 In Deutschland verbringt Andreas seine fibrige Freizeit gem mit ausgiebigen SpaziergEngen, sportlicher Bet~itigung und Unternehmungen mit seinem Freund. Judiths Alltag ist durch ihren Halbtagsjob in einer Buchbinderei und ihren allabendlichen Schulbesuch bereits stark v o r s ~ e r t . Zudem arbeitet sie noch regelm~iBig auf dem Wochenmarkt, wo sie Produkte anbietet, die im Einklang mit ihrer 6kologischen Grundfiberzeugung stehen: ,,Ich arbeite noch am Bio-Stand a u f dem Markt. " Ihre Freizeit verbringt Judith haupts~ichlich mit der Lektiire vorwiegend psychologischer und spiritueller Literatur und der Pflege sozialer Kontakte. H~iufig sucht sie die 6ffentliche Bficherei auf, um sich fiber Neuerscheinungen zu informieren und aktuelle Zeitschriften zu lesen. Regelm~Big besucht sie ein st~idtisches Kommunikationszentrum, um mit Freunden und Bekannten zu reden, Musik zu h6ren und zu tanzen: ,, Wo eher Mtere Leute hingehen, also nicht so die Teenie-Disco. "
Ihre gesundheitsbetonte Em~flmmgsweise erg~lzt Judith noch durch verschiedene sportliche Aktivit~iten: ,,Ich springe Trampolin, und dann geh ich noch schwimmen, und Fahrrad fahren tu ich sowieso. "
Aufgrund seiner beruflichen Verpflichttmgen steht Konstantin nur sehr wenig freie Zeit zur Verftigung. H~iufige abendliche Veranstaltungen und Repr~isentationsaufgaben schr~inken seine frei verRigbare Zeit auf wenige Stunden in der Woche ein. Diese Stunden nutzt er haupts~ichlich Rir Gartenarbeiten auf seinem weitl~iufigen Grtmdstfick, fiir Bastel- und Renovierungsarbeiten. Regelm~ig nimmt er are, gebrechliche Menschen in seinem Haushalt auf, die er gemeinsam mit seiner Ehefrau betreut. Seine freien Abende verbringt er somit oft im Gespr~ich und im gemeinsamen Gebet mit den pflegebedfirftigen Senioren, die in seinem Haus Aufnahme gefunden haben. Bewegt berichtet er, wie die alten Menschen oflxnals in der neuen Umgebung, in der sie direkte menschliche Zuwendung erfahren, aufblfihen und zu neuer Lebenskraft zudJckfinden: ,, Genau das sind eben die Punkte, daft man immer wieder merkt, wie gut es ist, kein Fernsehen zu haben, daft die alten Leute, die hier eben im Haus sind, sich in der Familie wohl ffghlen, und den Zuspruch plOtzlich erleben, den sie vielleicht eben, weil sie ein Fernsehen hatten, zu Hause nicht vermiflt haben, oder eben mit dem Fernseher f~berspielt haben, daft die Sehnsucht nach dem Gesprach eben doch viel grOfler war, wie man meinte. "
Die beiden Nichtfemseher, die ihre bewuBt-reflektierte Lebensweise ohne weltanschauliehe Prfigung im Rahmen einer lebenswelfliehen Neuodentierung verwirklichen, gestalten ihren Alltag gezielt naeh ihren revidierten Relevanzvorstellungen. Karin legt dabei den gr61]ten Wert auf eine intakte, intensive Beziehung zu ihrem Lebenspartner, Heike strebt mit ihren Alltagsaktivit~iten eine ganzheitliche, bewul3te und gesundheitsbetonte Lebensweise an.
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132 Wenn Karin am fr/ihen Nachmittag von der Arbeit zttriickkehrt, ruht sie sich zun/ichst eine Weile aus, bevor sie sich mit ihren beiden S/Shnen besch/iftigt und ihren Haushalt versorgt. Die Abendstunden hat sie konsequent fiir ihren Ehemann reserviert: ,,Ab acht Uhr, das ist so fiir uns die Stunde Null, das heiflt immer: So, das ist unsere Zeit. "
Die Stunden mit ihrem Ehemann verbringt Karin mit ausgedehnten Spazierg~.ngen, Tanzkursbesuchen, intensiven Gespriichen und gemeinsamer Buchlektfire. Als Beispiel ~ r ihre ver~inderten Bedfirfnisse und Wertsetzungen, die im Gegensatz zu ihrer friiheren, eher oberfl~ichlichen und hektischen Lebensweise stehen, berichtet Karin von gemeinsamen Vorleseabenden mit ihrem Ehemann, die sie tief beeindruckt haben: ,, Oder auch so einen Vorleseabend zu haben, wo wit uns vorlesen. Das werde ich nie vergessen, als mir mein Mann die 'Wahlverwandtschaften' vorgelesen hat, von Goethe, das war toll, das war ganz toll. Und das find ich auch so zentrale Gegenerlebnisse, wo man sagen kann, das ist viel intensiver. "
Heike versucht, ihren Alltag m6glichst abwechslungsreich und erlebnisbetont zu gestalten. Kreativ-musische Aktivit~iten, bewuBtseins- und wahrnehmungsf'6rdemde T~itigkeiten und Untemehmungen im Freundes- und Bekanntenkreis stehen dabei im Vordergrund. Einen grol3en Teil ihrer Freizeit investiert Heike zudem in ihre T~itigkeit als Seminarleiterin fiir Kurse zur Wahmehmungsf'6rderung und Sinnentfaltung im Bereich der Erwachsenenbildung: ,,Jeder Tag sieht irgendwie anders aus. Ich besuche Leute, Freunde, ich gehe spazieten, im Wald, ich fotografiere gem, und ein grofler Teil meiner Freizeit ist, daft ich also einmal mich selber weiterbilde im Bereich Gesundheit, WahrnehmungsfOrderung, Psychologie, Padagogik, alles, was so in diesen Bereich fi~llt. Ich geb selber Seminare far Erzieherinnen und Lehrer im Bereich IYahrnehmungsforderung und, ja, ich geh lieber raus, male lieber, und hOre schOne Musik. "
In ihren Kursen setzt Heike ein Veffahren zur Wahmehmungsf'6rderung und Selbsterfahnmg ein, das sie selbst regelm~iBig praktiziert, um il~ Bew~tsein fiir sich und ihre Umwelt weiterzuentwickeln - das beidhandige Malen, bei dem die AusfiJhrenden mit beiden H~inden gleichzeitig groBformatige, spontansymmetrische Zeichnungen anfertigen, die auch Rfickschlfisse fiber die dahinterstehenden Pers6nlichkeiten zulassen: ,,Das beidhdndige Malen hat den Effekt, zu sehen, was alles in mir steckt, und wie ich reich entwickle im Laufe der Zeit. "
Heike interessiert sich auch fiJr asiatische Naturheilverfahren. Seit einiger Zeit bereitet sie sich auf ihre Priifung zur Reiki-Meisterin vor, die sie in KiJrze absolvieren will. Ihr k6rperliches Wohlbefinden unterstfitzt sie durch Feldenkrais-Gymnastik, die sie als ,,bewuflte Bewegung" bezeichnet, durch Reitsport und regelm~iges Tanzen, dem sie am liebsten im Freundeskreis nachgeht: ,,Ich tanze sehr gem. Ich geh sehr gerne raus, tanzen, entweder Disco oder Festivityten oder Standard. Wenn sich die Gelegenheit gibt, daft man mit mehreren rausgeht, oder zu zweit, dann bin ich mit dabei. "
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133 In ihrem Urlaubsverhalten unterscheiden sich die bewuBt-reflektierten Nichtfernseher yon den aktiven Nichtfernsehem. Jedenfalls l/iBt sich bei ihnen der Trend zu einem erlebnisbetonten Aktivurlaub nicht durchgehend feststellen. Entspannung im Urlaub ist den meisten bewuBt-reflektierten Nichtfemsehem zumindest ebenso wichtig wie die aktive Gestaltung ihrer Ferienzeit. Einige der Befragten legen nut wenig Wert auf Urlaubsreisen. In ihren Relevanzsystemen steht das Erleben ihrer Alltagswelt, die sie t~iglich umgibt, im Vordergrund: ,,Ich hab so viele R~ume, die ich in meiner Freizeit gar nicht so oft sehe, wie ich eigentlich mi~chte, und der Urlaub ist auch dazu da, die zu besuchen. " (Heike) ,,Ich k6nnte nicht sagen, daft ichjetzt so der Reisetyp ware." (Judith)
Mehrere der bew~t-reflektierten Nichtfemseher nennen ihre starke Eingebundenheit in berufliche beziehungsweise gesellschaftliche Verpflichtungen als Grund fiir ihr zuriickhaltendes Urlaubsverhalten: ,,Ich reise gern, babe aber keine Zeit daffir. " (Rainer) ,,Der Urlaub an sich ist eigentlich sehr eingeschrankt, einfach, weil ich pra'sent sein muff im Garten." (Johannes)
Lediglich zwei der befragten bewuBt-reflektierten Nichtfemseher legen groBen Wert auf regelm~igen Aktivurlaub. Anja nutzt jedes freie Wochenende, um gemeinsam mit il~em Ehemann mit dem Wohnmobil zu verreisen. Ihre Urlaube verbringen die beiden vorzugsweise innerhalb Europas: ,, Wir machen meistens so 'he Rundreise und kOnnen dann eben spontan entscheiden. Das ist far uns auch ganz wichtig, daft wir eben auch die Gegend kennenlernen und auch Kontakt zu den Menschen kriegen. "
Neben ihrem Familienurlaub, den sie regelm~ig auf einem Zeltplatz an der holl~.ndischen Nordseekiiste verlebt, verbringt Sabine allj~ihrlich noch einen privaten Alternativurlaub olme ihre Familie, den sie zur Selbstfindung und Meditation nutzt" ,,Einmal im Jahr fahr ich zum Beispiel in die Berge, zweitausend Meter hoch, da roach ich so'n Gruppenretreat mit, da kochen wir selber und machen Yoga und machen Meditation, und ansonsten ist Schweigen, und so miteinander sein, und drauflen in tier Natur und so. Also, ich schaff mir so meine Punkte, wo ich so auftanke. "
Ubereinstimmungen bestehen hingegen im Konsumverhalten der aktiven Nichtfernseher und der bewuBt-reflektierten Nichtfernseher. Ebenso wie die aktiven Nichtfernseher legen aueh die bewuBt-reflektierten Nichtfemseher ausnahmslos den gr/SBten Wert auf die qualitative Hochwertigkeit der Produkte, die sie erwerben. Judith, Anja, Sabine und Doris achten dariiber hinaus noch auf die ~ikologische Unbedenklichkeit der Waxen, die sie ftir sich beziehungsweise Rir ihre Familienmitglieder erstehen. ,,Ich bin eher qualit~itsorientiert. Ich versuche mittlerweile halt mi~glichst Sachen aus 6kologischem Anbau oder so zu kaufen. " (Judith) ,,Es hat sich im Laufe der Zeit schon so ein Bewufltsein entwickelt, auch fiber Ern~hrung. Also, auch bei Kleidung. Das ist bei uns schon, also, wir tragen keine
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134 Kunststoffsachen, sondern es wird Baumwolle getragen und Wolle oder auch Seide." (Sabine) ,, Wir kaufen auch nur im Oko-Laden ein. " (Anja) ,,Mein Konsumverhalten ist relativ umweltbewuflt, so daft ich also auch eher dazu neige, far irgendwas mehr GeM auszugeben, wenn ich weifl, es ist auf 'ne ehrliche Art und Weise produziert. Ieh kauf weitgehend im Bio-Laden oder auf dem Markt ein." (Doris) Die meisten der bewuBt-reflektierten Nichtfemseher bezeichnen rich - ebenso wie die Mehrzahl der aktiven Niehtfemseher - zudem als sparsame und iiberlegte K~iufer. Sieben tier Befragten nehmen diese eher ztufiekhaltende Konsumhaltung Rir sich in Ansprueh.
Auch in den Em~u'ungsgewohnheiten der bew~t-reflektierten Nichtfernseher gibt es Parallelen zu den aktiven Nichtfernsehem. Legten die aktiven Nichtfemseher bereits erh6hten Wert auf eine gesunde, qualitativ hochwertige Em~mmg, so ist dieser Anspruch bei den bewuBt-reflektierten Nichtfemsehem noch starker ausgepriigt. Judith, Anja, Sabine und Andreas em~.ren sich ausschliefllich vegetadsch. Heike, Doris, Karin, Norbert, Rainer und Johannes nehmen nut sehr selten Fleischprodukte zu sich. Neun der Befragten ern~laren sich konsequent vollwertig. Konstantin bezeichnet seine Ern~ihnmgsgewohnheiten als normal, auch er legt jedoch groBen Wert auf eine gesunde Em~nmg, in der der Verzehr ausschlieBlich frischen Gemfises einen Spitzenplatz einnimmt. Die bewuBte, gesundheitsbetonte Lebensweise der bewuflt-reflektierten Nichtfemseher f'mdet ihre Fortsetzung in ihrer ablehnenden Haltung gegenfiber gesundheitsgef'~u'denden Gemfl3mitteln. Bis auf eine Ausnahme sind alle Nichtfemseher dieses Typs Nichtraucher. Unter den bewuBt-reflektierten Nichtfernsehem befmden sich zwei Mediziner. Beide haben eine schulmedizinische Ausbildung absolviert, versuchen aber auch, in ihre Arbeit die Grunds[itze der Hom6opathie beziehungsweise tier Anthroposophie einzubeziehen: ,,Die Schulmedizin ist schon der Boden, von dem ich arbeite, und die HomOopathie spielt eine Rolle, die Pflanzenheilkunde spielt eine grOj3ere Rolle. Und die Ideen, die aus der Anthroposophie r~iberkommen, um iiberhaupt zu neuen medizinischen Dingen zu kommen, spielen eigentlich yon der Wichtigkeit her eine immer grOfler werdende Rolle." (Rainer) ,,Ich bin auch Schulmedizinerin. Ich hab 'he HomOopathie-Ausbildung gemacht und nutze auch die HomOopathie, die wende ich auch ta'glich an. Das ist aber auch so 'ne Sache, die sich bei mir erst entwickelt hat. Als ich angefangen hab mit der Praxis, da war bei mir die Maxime, so viel wie nOtig, so wenig wie mOglich, also, 'ne sanfie Schulmedizin zu machen mit viel Gespr~ichen und viel Zeit fiir die Patienten, und daraus hat sich das einfach entwickelt, mit der HomOopathie. " (Doffs)
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135 Selbstverst~indlich nehmen Doris und Rainer die oben skizzierten Behandlungsmethoden im Falle einer gesundheitlichen Beeintr~ichtigung auch fiir sich selbst in Anspruch. Johannes und Norbert suchen ihrerseits im Krankheitsfall ausschlieBlich anthroposophisch orientierte Mediziner auf, die auf Naturheilverfahren zuriickgreifen. Karin l~iBt ihre Kinder im Bedarfsfall in einem anthroposophischen Krankenhaus behandeln, sie selbst gibt jedoch der Schulmedizin den Vorzug. Judith, Anja und Sabine greifen im Krankheitsfall auf naturheilkundliche Behandlungsmethoden zurfick, alle iibrigen bewuflt-reflektierten Nichtfernseher konsultieren sowohl Schulmediziner als auch Naturheilkundler. Der Trend zu naturheilkundlichen Behandlungsmethoden, der bereits bei den aktiven Nichtfemsehem sichtbar wurde, ist bei den bewuflt-reflektierten Nichtfemsehern noch wesentlich stoker ausgepr~igt. Dieser Befund verweist noch einmal in besonderem Mabe auf den alternativen Lebensstil der bewuBt-reflektierten Nichtfemseher. Wie die meisten aktiven Nichtfemseher, bezeichnen sich auch die bew~t-reflektierten Nichtfemseher als umweltbewuBte Biirger. Ein stark ausgepr~igtes t3kologiebewul3tsein nehmen neun der Befragten fiir sich in Anspruch. Die beiden iibrigen bewuBtreflektierten Nichtfemseher bemiihen sich zwar ebenfalls um ein umweltfreundliches Alltagshandeln, messen diesem Aspekt im Rahmen ihrer Lebensprinzipien jedoch einen geringeren Stellenwert zu. Betrachtet man die Alltagsaktivit~iten der bewuflt-reflektierten Nichtfemseher in ihrer Gesamtheit, so wird deutlich, dab sie - oft auf der Basis weltanschaulicher Pdigung reflektiert und gezielt ihre Lebensvorstellungen verwirklichen. Nicht fernzusehen ist augenscheinlich ein Teil ihres bewuflt-altemativen, qualit~tsorientierten Lebensstils, mit dem sie auf ein intensives, unmittelbares und bewuBtes Wahrnehmen und Erleben ihrer Lebenswelt abzielen
Allgemeine handlungsbedingende Relevanzstrukturen
Die ausRihrlichen Persfnlichkeitsportr~its zu Beginn dieser Ergebnisdarstellung, die differenzierte Analyse der Motive der bewuBt-reflektierten Nichtfemseher Rir ihre fernsehfreie Lebensweise und die detaillierte Schilderung ihrer generellen Alltagsgestaltung erlauben bereits einen tiefen Einblick in die jeweiligen Relevanzsysteme der Befragten. Die erhobenen Befunde lassen ihre spezifischen Bediirfrtisse (prim~e und authentische Welterfahrtmg, Selbsterkenntnis, Sinnhafiigkeit, Spiritualit~it, BewuBtheit, Selbstbestimmung, LebensqualilSt, Gesundheit, menschliche Begegnung, kreativmusische Bet~tigung, gesellschaftliche Einbringung, Ganzheitlichkeit) und Interessen (Philosophie, Religion, Psychologie, Kunst und Kultur, Mensch und Natur, Familie, Beruf) immer wieder deutlich hervortreten.
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136 Auch die Gnmdfiberzeugungen, Wertvorstellungen und spirituell-religi6sen Orientierungen der bewuBt-reflektierten Nichtfemseher offenbaren sich in den bisherigen Ergebnissen auf vielfiiltige Weise. Sie sind eng mit ihren Bediirfnissen und Interessen verbunden und bilden die Basis fftir ihre spezifische, bewuBt-reflektierte, oftmals weltanschaulich fundierte LebensfiJhnmg. Weltanschauliche und religi6se Grundfiberzeugungen, die hohe Wertsch/itzung tier eigenen Pers6nlichkeit, der Anspruch auf ungehinderte Selbstentfaltung und eine prinzipielle Bejahung des Lebens mit all seinen positiven und negativen Ereignissen und Wendungen stehen hier im Vordergnmd. Darfiber hinaus wurden von den bewuBt-reflektierten Nichtfemsehem noch einige weitere Lebensprinzipien zur Sprache gebracht, die teilweise auch fiir einige der aktiven Nichtfemseher eine maBgebliche Rolle spielen. So ist fiir neun tier Befragten Mitmenschlichkeit ein zentraler Grundwert, den sie auch durch ihr allt~gliches Handeln zu verwirldichen suchen. Ffir Anja, Sabine und Karin ist die Toleranz gegenfiber den Mitmenschen ein weiterer zentraler Wert, Ehrlichkeit z~tlt fiir Anja und Konstantin zu den unverzichtbaren Lebensprinzipien. Fiir Judith ist der Respekt vor der Natur ein weiteres handlungsbestimmendes Gmndprinzip, und zu Konstantins Grundfiberzeugungen z~hlen, neben seiner tiefen religi6sen Verwurzelung, noch ein ausgep~gtes Verantwortungsbewufltsein, ein fest verankerter Familiensinn und die groBe Wertsch/itzung und Pflege altbew~tu'ter, fibeflieferter Tradition. In den Gespr/ichen fiber die Wertvorstellungen und Lebensprinzipien tier bewuBtreflektierten Nichtfemseher wurde noch einmal besonders deutlich, wie sehr die Befragten die Begegnung und den Gedankenaustausch mit ihren Mitmenschen sch/itzen. Es scheint dies ein Gnmdprinzip zu sein, das in wesentlichem MaBe fiir die femsehfreie Lebensweise der bewuBt-reflelaierten Nichtfemseher verantwortlich ist. Stellvertretend flit die vielen vergleichbaren .~uBenmgen soil bier noch einmal Doris zu Wort kommen: ,,Das Allerwichtigste ist mir sicherlich inzwischen menschlicher Kontakt. Das ist mir das Allerwichtigste. Es gibt ja dieses Marchen yon Goethe: 'Was ist herrlicher als GoM? Das Licht! Und was ist kOstlicher als GoM? Das Gesprach!'. Und das ist flit mich so ein Satz, den ich immer im K o p f habe. "
Die Grundfiberzeugungen und Wertvorstellungen der bewuBt-reflektierten Nichtfernseher spiegeln sich auch in ihren Zukunftsperspektiven und Zielvorstellungen. Auch ~ n f t i g wollen die Befragten ihren Bedfirfnissen und Interessen nachgehen und ihre individuellen Lebensvorstellungen verwirklichen. Rainer will, ausgehend yon den Gnmdgedanken der modemen Anthroposophie, auch weiterhin die Beantwortung seiner grunds~itzlichen kulturellen, philosophischen, psychologischen und medizinischen Fragestellungen anstreben. Sein Engagement in der Anthroposophischen Gesellschaft will er beibehalten. Ziel seiner Bemfihungen ist letztlich die Ann~iherung an einen altemativen, humanistischen Wissenschai~begriff: ,, Wirklich am Menschenbild zu arbeiten. Ich merke, daft ich immer mehr Fragen an das Menschenbild eigentlich habe, daft ich mit einem fertigen nieht zufrieden bin, was
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137 in der Anthroposophie dazu ff~hrt, daft ich f~berhaupt jetzt erst allmdhlich merke, was mit Anthroposophie gemeint ist. Also, wirklich ein Verstehen der menschlichen Gegebenheiten, und ein Gesp~r dafiir zu kriegen, wo das Menschliche in Gefahr gergit, ganz allgemein. Ich bin a u f der Suche nach einem neuen Wissenschafisbegriff weil der bisherige Wissenschaflsbegriff sich als nicht menschenfreundlich erweist. " Johannes m6chte zwar sein vielf'~iltiges Engagement auf der Ebene der Anthroposophie etwas einschr~inken, um sich h~iufiger seiner Familie widmen zu k6nnen, dennoch geh6rt zu seinen vorrangigen Zielen die Intensivierung seiner kiinstlerisch-therapeutischen Aktivit~iten: ,, Was mich sehr interessiert, oder ffir mich sehr wichtig ist, ist die Arbeit mit den Menschen, einmal schon als Lehrer, abet auch vermehrt in der letzten Zeit mit Erwachsenen, und da mit denen abet das Handwerklich-Kfinstlerische in ein Gesprach zu kommen, das fiber das hinausgeht, da zu Begegnungen zu kommen, das, denk ich, ist so 'ne Zielvorstellung fiir mich. Das geht nicht da los, wo jemand 'ne Psychose hat, oder 'ne Neurose, sondern es geht da los, wo jemand die Wahrnehmung neu ergreifen muff, und das ist ffir mich eine Aufgabe, wo ich sage, da kann ich dran arbeiten. " Eine ungetriibte, harmonische Welterfahnang erhofft sich Norbert von seiner Ztflamft, gepaart mit einem spirituellen und religi6sen Erkenntnis- und Stabilit~itsgewinn. Voraussetztmg Rir den Erfolg dieser Bestrebungen ist nach Norberts 0berzeugung neben der weiteren Auseinandersetzung mit religi6sen, philosophischen und psychologischen Zusammenh~-agen und Ph~inomenen die Bereitschaft, materielle Wiinsche zurfickzustellen und die Wahmehmungsf'~gkeit zu intensivieren und zu pflegen: ,,Ich finde es auch wichtig, daft man es sich auch einfach real so ganz schOn macht, daft man einen schOnen Urlaub macht, sich irgendwas ansieht, auch f a h i g ist, Eindracke wahrzunehmen, daft man nicht immer nut das Wollen an erster Stelle stellt, und danach denkt, wie kann ich das denn nun realisieren. Das sind j a diese vier Wesenselemente, danach fdngt man dann an, auf irgendwelche Gefiihle zu reagieren, meist auch noch a u f falsche, und die Wahrnehmung, das an erster Stelle eigentlich stehen sollte, das kOnnen die meisten gar nicht mehr. Die reine Wahrnehmung. Das ist der erste Schritt, und das ist der schwierigste. " In den n~ichsten Jahren will sich Sabine weiterhin intensiv um ihre vier Kinder kiimmere. Gleichzeitig will sie gezielt ihr 6kologisch-spirituelles BewuBtsein weiterentwickeln und auch ihre heilberuflichen Kenntnisse perfektionieren. Betrachtet sie zur Zeit noch die Familie als dominierendes Aufgabengebiet, so plant sie fftir die femere Zukunft die Konzentration ihrer Kr~ifte auf die Verwirklichung ihrer individuellen Vorstellung von einer ganzheitlichen, bewuBt-nati~lichen Lebensweise: ,,lm Moment ist mir die Familie noch sehr wichtig, lch tinde wichtig, daft die Kinder mOglichst heile aufwachsen, 'he gute Grundlage kriegen, um selber klar zu kommen, und parallel ist mir auch wichtig, meinen eigenen Weg weiterzuentwickeln. Also, ich mOchte noch sehr viel mehr Wissen lernen, in der KOrperarbeit, also Leute wirklich irgendwann letztendlich zu heilen. Also, es geht schon in die Richtung bei mir. Eigentlich so 'n ganzheitlicher Weg. Erfahrungen will ich immer weiter machen, das ist
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138 irgendwie ganz klar. Und auch in alles eintauchen, was da ist. Jetzt ist die Familie da, jetzt tauch ich hier ein, aber ich weifl schon von anderen Dingen, die sind. " Obwohl auch Doris' Alltag aufgrund ihrer familialen und beruflichen Verpflichtungen auf absehbare Zeit stark vorstrukturiert ist, will sie in zunehmendem MaBe ihre pers6nlichen Lebensvorstellungen verwirklichen. Die Ausweitung ihrer musisch-kreativen Aktivit~iten und die Intensivierung sozialer Beziehungen stehen dabei an der Spitze ihrer individueUen Relevanzsetzungen: ,,Meine Zukunfisperspektive ist einerseits, daft alles so weitergeht wie bisher, andererseits daft ich fiir mich selber ganz viel neue Dinge tun und erleben mOchte, sei es was Freunde angeht, sei es was Reisen angeht, ich hab jetzt angefangen Italienisch zu lernen, ich mOchte mit der Musik gerne weitermachen, ganz viel. Das ist so meine Zielvorstellung. " Anjas Ambitionen liegen haupts~ichlich auf beruflicher Ebene. In den n~ichsten Jahren will sie sich auf die erfolgreiche Fortsetzung ihrer p~idagogischen T[itigkeit und die Konsolidierung ihres Dienstleistungsbetriebes konzentrieren. Auf 15.ngere Sicht plant sie jedoch einen m6glichst frfihzeitigen Ausstieg aus ihrer Berufst[itigkeit, um gemeinsam mit ihrem Ehemann ihren altemativ-unabh~.ngigen Lebensstil zu pflegen: ,,MOglichst lange und m6glichst intensiv eben auch in diesem Beruf sein zu kOnnen, dann natarlich auch 'nen gewissen Erfolg zu haben, abet mehr Erfolg in Richtung auf nicht materiell, sondern auf innere Befriedigung. A u f die fernere Zukunft gerichtet, traumen wir beide davon, ich sag real, mOglichst frah in Rente zu gehen, und dann wirklich, es muff nicht unbedingt Deutschland sein, sondern wirklich dann irgendwo, wo man dieses Lebensgefahl nicht nur far den Urlaub hat." Andreas ist sich fiber seine Zukunftsplanung noch nicht ganz im klaren. Seit langem zieht er ernsthaft in Erw[igung, nach Indien auszuwandem und dort in seinem Ashram zu leben - eine Lebensperspektive, die ihm die Verwirklichung all seiner Wertvorstellungen und Lebensprinzipien erm6glichen wiirde, aber auch mit dem Verlust seiner hiesigen Sozialkontakte einherginge: ,,Soil ich nach Auroville gehen, wo das Leben sehr sinnvoll ware? Da soll so eine Art Stadtstaat gegrfindet werden mit besonderen Rechten. Interkulturell, suprakulturell, suprareligiOs, keine Religion mehr. Reines Yoga, also, soll heiflen, reine Bemahung a u f allen Ebenen. V6llig autark, vOllig Okologisch, vOllig antiautoritar. Natarlich schon auch strukturiert, aber alles soll in Freiheit und Konsens vonstatten gehen. Daran teilnehmen, das war so mein Ziel. " Judith ist fiberaus skeptisch, ob sich ihre Zukunftsvorstellungen iiberhaupt verwirklichen lassen. Eine lebenslange Berufst~itigkeit h~ilt sie sowohl unter sozialen als auch unter 6kologischen Gesichtspunkten fiir wenig sinnvoll, in ihrer Idealvorstellung wfirde sie statt dessen lieber als Hausfrau fiir das Wohl ihrer Familie sorgen: ,, Weil ich das gut finde. Diese Berufstatigkeit istja dadurch entstanden, daft man diese Rollen geteilt hat, daft man also jetzt seine Wasche dann in die Wascherei gibt, und alles mOgliche andere, was man fraher alles selbst gemacht hat, far seine Leute, das ist so 'he Arbeitsteilung. Ich glaube allerdings, daft einem das mehr Freude macht, wenn
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139 man das fiir Leute macht, die man gern hat, seine Familie. Deswegen find ich das nicht altmodisch, Hausfrau zu sein. Aber ich glaube, es ist eher nicht so gut zu realisieren, weil halt die Welt heutzutage etwas anders tickt. "
Einen ad~quaten Lebenspartner hat Judith bisher jedoch noch nicht gefunden, so dab sie vorerst an ihrer schulischen und beruflichen Weiterbildung festhalten will: ,,Da ich das nicht alleine machen kann, ist das natfirlich nichts, was ich jetzt direkt anstreben kann. Ich will mich auch nicht darauf verlassen, daft es sich entwickelt. Deswegen mach ich erst mal was anderes. "
Heike will auch in Zukunft bei ihrer erlebnisintensiven Alltagsgestaltung bleiben: ,,Naturerfahrung, Leben ausprobieren, auflergewOhnliche Dinge machen, Menschen kennenlernen. "
Dariiber hinaus will Heike in den kommenden Jahren noch einige konkrete Zielvorstellungen, die sich im wesentlichen auf ihre ztfldinftigen Wohn- und Partnerschafisverh/iltnisse beziehen, verwirklichen: ,,Es gibt sicherlich noch Dinge, die ich machen will, die ich vielleicht auch verandern will ich m6chte richtig auf dem Lande leben, richtig auf 'nem H o f vielleicht mit 'nero Partner, mit 'nero Kind."
Vor dem Hintergrund ihrer Krisenerfahrtmgen und Lebensver/indenmgen hat sich Karin die Pflege und Erhaltung ihrer Ehe und der damit verbundenen bewufltreflektierten Lebensweise zur vomehmlichen Lebensaufgabe gemacht: ,, Was ein Ziel ist, ist, mir diese Partnerschafi zu erhalten. Das ist mir bei meiner letzten Partnerschaft kein Ziel gewesen, deshalb kann ich das so ganz bewuflt sagen, da war mir das eigentlich mehr so studentisch egal. Es war so bewufltlos, will ich damit sagen. Es gab sicherlich Grfinde daft& daft es so war, abet es war so sehr bewufltlos, und das ist jetzt schon ganz anders. Also, es ist mir sehr wichtig, mir das zu erhalten, und das auf keinen Fall irgendwie zu gefahrden. "
Von den elf bewuBt-reflektierten Nichtfemsehem verfolgt lediglich Konstantin keine konkreten Zukunftspl/ine. Auf der Basis seiner religi6sen l]berzeugungen sieht er der Zukunfi mit einem gesunden Gottvertrauen entgegen: ,,Ich habe fiberhaupt keine Plane. Ich weifl nicht, wie lange der liebe Gott mich a u f dieser Erde halt, ich weifl nicht, wie lange ich gesund bleibe. "
,Mmlich wie bei den aktiven Nichtfemsehem sind die meisten der bewuBt-reflektierten Nichtfemseher dem linken Parteiempekmun zuzuordnen. Allerdings ist die Skepsis der bewuflt-reflektierten Nichtfemseher gegeniiber der Politik im Vergleich zu den aktiven Nichtfemsehem viel gr6Ber, w~rend ihre Ambitionen, aktiv am politischen Geschehen teilzunehmen, im Vergleich zu den aktiven Nichtfemsehem wesentlich geringer ausfallen. Fiinf der Befragten sympathisieren mit dem Bandnis 90~Die Granen, ein Befragter ist Mitglied der SPD. Ein Befragungsteilnehmer vergibt aus wahltaktischen Griinden seine Stimme unterschiedlichen Parteien, bevorzugt dabei aber die etablierten Linksparteien. Den Christdemokraten steht einer der Befragten nahe. Lediglich sechs der
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140 bewufft-reflektierten Nichtfemseher gehen regelm/iBig zur Wahl, ein politisches Amt bekleiden zwei der Befragten. Andreas, Rainer und Johannes bezeichnen sich sogar als entschiedene Nichtw~Jer: ,,Ich war real Mitglied der Griinen/Alternativen Liste, und hab in der Oko-Arbeit, fiinf Jahre etwa, mitgemacht, in einer Oko-AG, die dem Rat zugearbeitet hat. Ich fiihlte reich abet auch in der Liste immer so 'n biflchen isoliert, weil die meisten ja stratum links waren, und ich merkte, daft mir das auch nicht gefiel, dieses Starke, dieses Machtempfinden, das die hatten. Fr~iher hab ich die Grfinen gewahlt, und jetzt in letzter Zeit nicht mehr, also, gar nichts mehr gewdhlt. " (Andreas) ,,Ich wdhle aus dem Grunde nicht, weil ich keine Partei hab, die mir gefdllt."
(Johannes) Rainer bringt sein politisches Verweigerungsverhalten gar direkt mit seiner ablehnenden Haltung gegeniiber dem Femsehen in Verbindung: ,,Die Wahl ist wie der Fernsehumschaltknopf Wit kOnnen entscheiden. Wit haben Entscheidungsfreiheit zwischen dreiflig Programmen. Aber dadurch dndert sich nichts. "
Politische Arbeit muff nach Meinung Rainers in tier unmittelbaren Umgebung eines jeden Menschen beginnen, und daft sich nicht auf die gelegentliche Stimmabgabe zu festgelegten Wahlterminen beschr~_nken: ,,Ich engagiere reich ff~r eine Erwachsenen-Behinderteneinrichtung, auch in meiner Freigeit. Das ist, merke ich allmdhlich, ein eminent politischer Akt."
Ein ~mliches Politikverst~dnis vertreten auch Judith und Sabine: ,,Ich bin ein politischer Mensch in dem Sinne, als daft ich versuehe, in meiner Umwelt das zu bewirken, was mir mOglich ist. Wenn irgendwas ist in meiner Umgebung, dann guck ich nicht weg, sondern dann reagier ich und lmnn handeln. Was die grofle Politik angeht, da kfgmmer ich reich ehrlich gesagt nicht gang so viel drum. Ich bin in der Schule aktiv und bin Elternvertreterin, das ist so Politik, die ich mache. " (Sabine) ,,Ich bin jetzt nicht vorrangig auflenpolitisch interessiert. Ich interessier reich vor allem immer ff~r die Sachen, die hier so sind, mit Leuten was zu machen, die ich kenne und gern mag. Es wird nie was passieren, wenn nicht jeder bei sich selber guckt."
(Judith) Insgesamt verweisen die Relevanzsetzungen und Handlungs~iufferungen der bewufftreflektierten Nichtfemseher auf die Unvereinbarkeit ihrer spezifischen Lebensvorstellungen mit einer etwaigen routinem~igen Femsehnutzung. Ihr Streben nach einer unmittelbaren, bewufften Wahrnehmung der Welt und ihr ausgepdigtes Bediirfnis nach prim~en Natur- und Sozialerfahrtmgen kollidieren mit den Eigenheiten des Femsehens, das die Welt ausschlieglich vorselektiert, verfremdet und bruchstiickhaft pdisentieren kann.
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3.1.2. 4 Evaluation/Perspektiven/Reaktionen
Vorteile der fernsehfreien Lebensweise
Uberwog bei den aktiven Nichtfemsehem der Zeitgewinn als positive Ver~inderung, so schildem die bewuflt-reflektierten Nichtfemseher wesentlich differenzierter die positiven Ver~derungen und Vorteile, die sich durch ihre fernsehfreie Lebensweise ergeben haben. Der Zeitgewinn spielt dabei nur eine nebengeordnete Rolle, lediglich vier der Befragten nannten ihn als gr/SBten Vorteil ihrer fernsehlosen Alltagsgestaltung. Zu den weiteren positiven Ver~.ndenmgen, die yon den bewuflt-reflektierten Nichtfernsehern registriert wurden, z~ihlen das h/Shere BewuBtseins- und Wahmehmungsniveau, mit dem sie ihre Umwelt erleben, die intensivere Lebenserfahrung, die Steigerung ihrer individuellen Aktivit~it, eine gr/SBere zeitliche und gestalterische Autonomie und innere Freiheit, Zufriedenheit und innere Ruhe sowie die gr~JBere Harmonie in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen und die intensivere Begegnung mit ihren Mitmenschen: ,,Der Vorteil ist eine viel grOflere innere Freiheit, Dinge zu tun, Dinge, die ich rue, auch zu erleben, und ich fi~hl reich sehr viel reicher in meinen MOglichkeiten, was ich machen kann. Frf~her hatt ich sonst Langeweile, und hab vor Langeweile dann ferngesehen, undjetzt hab ich ganz viele Dinge, die ich statt dessen tue, die ich so gerne rue, und sei es Stoffpappchen far einen Jahreszeitentisch nahen. "(Sabine) ,,Ich bin aktiver geworden. " (Judith) ,,Ich roach sicherlich andere Dinge. Ich fotografiere, ich male, ich unternehme viel mit Freunden, ich bilde mich fort, ich hot mehr Musik. " (Heike) ,,Ich fi~hle reich auf jeden Fall bereichert dadureh, weil ich ganz andere GestaltungsmOglichkeiten habe, far mich, far mein Leben, flit meinen Alltag, und ich konkret das machen kann, wozu ich Lust habe, und was ich ff~r reich in dem Augenblick auch wichtig finde. So daft ich also far mich das ganz individuell einfaeh gestalten kann. " (Anja) ,Ich bin zufriedener. " (Andrcas) ,,Ich hab erkannt, daft ich 'ne ganze Zeit lang Zeit vergeudet habe, und die hab ich jetzt anders genutzt. Ich hab mehr gelesen zum Beispiel. " (Johannes) ,,Der gr6flte Vorteil ist ff~r reich der Zeitgewinn, mit, in meinen Augen, Mnnvoller verbrachter Zeit." (Karin) ,,Ein Vorteil ist ff2r reich, daft ich denk, ich hab einfach Zeit ff~r andere Sachen. Ich wfiflte wirlclich nicht, wann ich fernsehen sollte. Und ich glaub, daft ich ffir sehr viele Sachen sehr viel senMbler geworden bin. Und ich glaube, daft ich dadurch einfach mehr zwischenmenschliche Kontakte habe, a~ive, nicht passive. " (Doris)
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142 Nachteile der fernsehfreien Lebensweise
Lediglich Sabine verbindet mit ihrer femsehfreien Lebensweise auch nachteilige Ver~inderungen. Allerdings beklagt Sabine nicht etwa Verlustgefftihle oder Informationsdefizite, die unmittelbar aus der Beendigung ihres Femsehkonsums resultieren k6nnten. Sie leidet vielmehr unter der Kritik, die ihr die fibrigen Familienmitglieder wegen ihrer Femsehverweigenmg entgegenbringen: ,,Der Nachteil ist der, daft 'ne bestimmte Vorstellung meiner Familie yon mir dabei kaputtgeht. Also, meine Kinder finden, daft ich hinterm Mond lebe, und daft ich das eigentlich nicht machen kann, so, und daft ich reich doch bitteschOn dazu zu setzen hab, wenn die Familie fernsieht. Das ist ein Nachteil, eindeutig, ist auch 'ne Ausgrenzung. ~c
Bewertung der fernsehfreien Lebensweise
Ohne Ausnahme Rihlen sich die bewuflt-reflektierten Nichtfemseher durch il~e femsehfreie Lebensweise bereichert, sie empfinden ihr Leben als sinnvoll und erfiillt. Dies geht bereits aus den Aussagen der Befragten fiber die Vorteile ihrer fernsehlosen Lebensgestaltung deutlich hervor. Niemand yon ihnen vermiBt das Femsehen als Unterhaltungs- oder Informationsmedium. Alle sind mit ihrem femsehlosen Alltag fiberaus zufrieden, keiner der Befragten hat je seine Entscheidung, ohne Femsehen zu leben, in Frage gestellt oder bereut: ,,Da bin ich gang gl~icklich, da will ich auch nicht wieder hin zur~ick!" (Karin) ,,Ich habe nicht das Gefahl, heute, nachdem ich zweiunddreiflig Jahre verheiratet bin, daft ich etwas versi~umt habe. " (Konstantin) ,,Ich find's gut. Also, mir fehlt nichts. Ich g u c k j a auch viele Filme schon im Kino, und hab da kein Defizit. " (Judith) ,,Ich kann mit mir auch was anfangen, wenn ich keinen Fernseher hab. " (Doffs)
Auch Sabine betrachtet die gelegentlichen Konflikte innerhalb ihrer Familie nicht als so gravierend, als das sie die Vorteile ihrer femsehfreien Lebensweise aufwiegen k6nnten: ,,Ich fahle reich sehr viel reicher im Moment. Wenn ich far reich alleine leben warde, ich hatte sicherlich keinen Fernseher. "
Besonders eindrucksvoll beschreibt Konstantin die Erfftillung und Zufriedenheit, die er in seinem Leben ohne Femsehen gefunden hat: ,, Wissen Sie, es gibt Menschen, die von einem erfiillten Leben sprechen. Fraher hab ich immer gedacht, das gibt es nicht. Jetzt sag ich selber, ieh hatte ein erfalltes Leben. Und das ist nur erfiillt, weil ich eben kein Fernsehen hatte. Deswegen ist es erfiillt. Sonst hatte ich so viele Stunden, die ich eben nicht erfallt h~tte. Ieh kann Ihnen von
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143 jedem Tag im Leben meiner Kinder berichten. Ich habe sie erlebt, lch bin nicht so weit gekommen auf der Karriereleiter, aber ich bin glf~cklich!"
Perspektiven
Im Unterschied zu den aktiven Nichtfemsehem sind sich die meisten bewuBtreflektierten Nichtfemseher sicher, das sie auch weiterhin ohne Femsehen leben wollen. Die Frage, ob sie auch zukiinftig bei ihrer femsehfreien Lebensweise bleiben wollen, beantworteten neun der Befragten positiv: ,,Aufjeden Fall~" (Johannes) ,,Ja, sicher, und die wird auch noch vertiefi. " (Rainer) ,,Ich seh keinen Grund, warum nicht. Da denk ich gar nicht draber nach. " (Andreas) ,,Ja, klar!" (Doffs) ,,Aufjeden Fall~" (Anja) ,,Klar! Ich will auch nichts andern daran, also, mir garantiert keinen eigenen kaufen. "
(Judith) ,,da. Also, aufjeden Fall!" (Karin)
In den priignanten Antworten der bewugt-reflektierten Nichtfemseher spiegelt sich die Entschlossenheit und Uberzeugung, mit der sie an ihrer fernsehlosen Lebensfiihnmg festhalten wollen. Auch Sabine wiirde am liebsten daffir Sorge tragen, dab der Femsehapparat ihrer Familie aus dem eigentlichen Wohnbereich entfemt und in einem separaten Zimmer untergebracht wird, das nur selten betreten wird: ,,Also, mein generelles Bestreben istjetzt erst real, diese Kiste wieder nach oben in das Zimmer zu bringen. Als das Ding oben stand, das war aberhaupt nicht das Thema, die Kinder haben's nicht gesehen und haben's dann auch nicht in ihrem Bewufltsein gehabt, und das ist so mein Bestreben, daft das mOglichst wieder da zu verschwinden hat."
Lediglich zwei der Befragten sind sich nicht sicher, ob sie ihre femsehlose Lebensweise dauerhaft beibehalten wollen. Heike behiilt sich vor, zu einem spiiteren Zeitpunkt wieder ein Femsehgeriit anzuschaffen, tun ausgew~tllte Sendungen zu verfolgen. Zur Zeit will sie jedoch an ihrer Entscheidung, ohne Fernsehen zu leben, festhalten: ,,Das heiflt nicht, daft ich jetzt hie wieder 'hen Fernseher haben werde, das weifl ich nicht. Im Moment will ich keinen. "
Konstantin wiirde eventuell seine femsehlose Lebensweise aufgeben, wenn er wegen gesundheitlicher Beeintriichtigungen sein Haus nicht mehr verlassen k6nnte: ,, Wit sind froh, daft es uns so geht, wie es uns geht. Wit sind glf~cklich, und wir sind nicht dahinter her, eins zu haben. Obwohl es sicherlich einem passieren kann, daft wenn man eben nicht mehr in der Lage ist, rauszugehen, dann weifl ich nicht, was passiert. "
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144 Reaktionen von auflen
Die Reaktionen aus dem sozialen Umfeld der bewul3t-reflektierten Nichtfemseher auf deren femsehfreie Lebensweise weichen yon den Reaktionen ab, von denen die aktiven Nichtfemseher berichten. Der Grund fiir diese Abweichungen liegt sicherlich in den unterschiedlichen sozialen Beziehungsgeflechten, in denen sich die Vertreter dieser beiden fibergeordneten Nichtfemsehertypen bewegen. Es ist anzunehmen, dab die bew~t-reflektierten Nichtfemseher haupts~ichlieh mit ~.nlich bewuBt und reflektiert denkenden und handelnden Menschen interagieren, die zudem in ihren Wertvorstellungen und Lebensprinzipien mit den Befragten im wesentlichen fibereinstimmen. Jedenfalls bedchten vier der Befragten, dab in ihrem Freundes- und Bekanntenkreis das Femsehen beziehungsweise ihre femsehfreie Lebensweise als Gespdichsthema keine Rolle spielt. Sie berichten weder fiber positive noeh fiber negative Reaktionen auf ihre femsehlose Lebensgestaltung. In den ,~uBerungen aus der sozialen Umgebung der fibdgen sieben bew~treflektierten Nichtfernseher fiberwiegen Unglauben und Erstaunen fiber deren fernsehfreie Lebensgestaltung, aber auch Zustimmung und Bewunderung werden geiiuBert. Die femsehfreie Lebensweise der Nichtfemseher wird also nicht ausschlieBlich als Provokation und Bedrohung empfunden, wie in der bisherigen Niehtfemseherforschung angenommen wurde: ,, Wenn ich mit Leuten spreche, die wundern sich immer, daft wit keinen Fernseher haben: 'Was, noch hie 'nen Fernseher gehabt? Ist das mOglich, gibt es so was aberhaupt?' Und, vor allen Dingen, verblaffend ist dann in den meisten Fallen die zweite Reaktion: 'Eigentlich find ich das gut' "(Norbert) ,,Es wird oft bewundert." (Karin) ,,Heute werde ich darum beneidet, um die ausgefallte Zeit, um die erlebte Zeit."
(Konstantin) ,, Wenn ich sage, ich hab keinen Fernseher, meistens starren einen die Leute dann ganz entgeistert an, und sagen: 'Was, Sie haben keinen Fernseher? '. Also, ich hab schon offer erlebt, daft Leute das gar nicht glauben wollen, wenn ich sag, ich hab keinen Fernseher." (Doris) ,, Ganz viele sagen: 'KOnnt ich gar nicht/'. Aber auch schon real so Gesprtiche: 'So, ah ja, istja was Neues, und wie kommst Du damit Mar? '. "(Heike)
Anja und Kadn bedchten hingegen auch von negativen Reaktionen auf ihre femsehfreie Lebensweise. Aus Karins Bekanntenkreis wurden Vorwiirfe erhoben, die Kinder wfirden unter der Abwesenheit des Femsehgedites leiden: ,,Die Unterstellung istja immer, es warde den Kindern schaden. Also, sie warden in der Schule gefordert sein, daft sie da bestimmte Fernsehsendungen kennen. Sie warden verlacht, ausgelacht, wenn sie diese Fernsehsendungen alle nicht kennen. Aber
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145 dadurch, daft unsere Kinder hin und wieder was sehen, kOnnen sie da mitreden, in einem Marie, das vollkommen ausreicht. "
Anja ist mit ihrer femsehffeien Lebensweise bei einigen Nachbarn auf Ablehnung gestoBen. Zudem fiihlte sie sich durch wiederholte Aufforderungen der Gebiihreneinzugszentrale, ihren (freilich nicht vorhandenen) Femseher anzumelden, kujoniert und ausgegrenzt: ,, Wir haben also, gerade anfangs, jetzt seit einem Jahr nicht mehr, vonder GEZ immer ganz heftige Briefe bekommen, daft wit doch endlich unseren Fernseher anmelden sollen. Also, da stand nicht drin: 'Haben Sie vielleicht einen?' sondern, wir sollten unseren Fernseher jetzt anmelden. Da wird also gleich davon ausgegangen, man hat ihn, und versteckt ihn irgendwo. Und wit haben dann mehrmals eben entsprechend zurfickgeschrieben, und dann wieder 'nen bOsen Brief zurfickbekommen, und durch solche Sachen wird man in eine AuJ3enseiterposition gedrdngt. "
3.1.2. 5 Ailgemeines Medienhandeln
Generelle Befunde zum Medienhandeln
Das Mediennutzungsverhalten der bew~t-reflektierten Nichtfemseher unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht deutlich vom Mediennutzungsstil der aktiven Nichtfemseher. So ist beispielsweise das Bediirfnis der meisten bewuBt-reflektierten Nichtfemseher an aktuellen Informationen wesentlich schw~icher ausgepr~igt als das der aktiven Nichtfemseher. Zudem sind die bew~t-reflektierten Nichtfemseher in der Mehrzahl weniger an intemationalen Informationen interessiert als an lokalen Neuigkeiten und Informationen aus dem pers6nlichen sozialen Umfeld, oftmals sind pers6nliche Gespr~iche wichtigere Informationsquellen als die einschl~igigen Massenmedien. Aus einigen Aussagen spficht gar eine generelle Skepsis der Betroffenen gegeniiber allen aktuellen MassenmedienS~ ,,Es interessiert reich einfach nicht so. Ich hab im Moment genug mit dem zu tun, was ich unter Politik in meinem Umkreis verstehe, als daft ich reich sehr viel um das andere kammer. Ansonsten warde ich auf die Zeitung zurackgreifen und a u f Gesprdche."
(Sabine) ,,Ich muff nicht wissen, was fgberall in der Welt vorgeht." (Norbert) ,,Ich nehme so allgemeine Tendenzen wahr, das Gr6bste. Details interessieren reich nicht." (Andreas) ,,Ich trage weniger Ballast mit mir herum, weil das, wovon ich betroffen bin, und wofar ich mich interessiere, die Informationen hol ich mir auch, und dann weiJ3 ich daraber auch Bescheid. Mir werden auch wesentliche Informationen in der Sprechstunde zugetragen, die nicht in der Zeitung stehen. " (Rainer)
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146 ,,lch denke, so, a u f die Frage von manchen Menschen: 'Ja, kriegst Du denn aberhaupt alles mit?' dann denk ich immer, das, was ich an Wissen haben soil oder erfahren in meinem Leben, das werde ich auch bekommen. Das muff nicht immer aus Fernsehsendungen sein, das muff nichtjeweils die Nachrichten sein oder Tagespolitik, sondern ich krieg vieles kleine noch mehr mit als andere. Ich muff nicht wissen, was injedem kleinsten Land irgendwo los ist, und wenn ich's wissen muff, dann krieg ich's mit. Ich krieg mit, wenn meine Freundin irgendwas hat, oder wenn ich irgendwas hab. Und der Fernseher lenkt von sich ab. Die Leute brauchen sich nicht mit sich zu beschaftigen, und ich habe mich als so wichtig empfunden oder empfinde mich als so wichtig und als so wertvoll, mich mit mir zu beschdftigen, was 'nen positiven Einflufl auch a u f andere hat." (Heike) ,, Wir haben eigentlich ~iberhaupt keine Medien, die wir benutzen, aufler, daft ich 'ne Tageszeitung vom Nachbarn kriege, vom gestrigen Tag, aber im Grunde genommen komm ich auch ohne klar. Natf2rlich weifl ich, was in der Welt geschieht, daraber unterhdlt man sich, man hat ja Kontakte auch zu anderen Leuten. lch glaube, es ist eine Gefahr da drin, far die Gestaltung der eigenen naheren Umwelt, wenn man standig sein Augenmerk a u f die Katastrophe und a u f die Katastrophe richtet. Man wird mutlos, und man hat das Geffthl der Ohnmacht, und man vergiflt dann, in eigenen Beziehungen tatig zu werden. Ich denke, es hilft, erst einmal das Augenmerk auf die Dinge zu richten, die in der ndiheren Umgebung notwendig zu tun sind. " (Johannes)
Doris' Interesse am intemationalen und nationalen Tagesgeschehen ist ebenfalls nicht fiberdurchschnittlich ausgepr~igt. Obwohl sie nicht zu den intensiven Nutzem der aktuellen Massenmedien z~ihlt, fiihlt sie sich dennoch nicht uninformiert. Die Informationen, die sie mitbekommt, h~ilt sie ftir ausreichend: ,,lch les Zeitung, und ich hOr ein biflchen Radio. lch denke, ich krieg eigentlich genug mit. "
Anja, Karin und Konstantin verfolgen das allgemeine und politische Weltgeschehen hingegen mit regem Interesse. Sie greifen regelm~ig und intensiv auf die Angebote der Massenmedien zuriick, um sich fiber aktuelle Entwicklungen und Geschehnisse zu informieren, wobei Karin dariiber hinaus auch groflen Wert auf perstinliche Gespr~iche als Informatiomquellen legt: ,,Ich informier mich in erster Linie aber die Tageszeitung. Die les ich von vorne bis hinten und wieder zurack. " (Anja) ,,Ich lese sehr viele Zeitungen. Ober meinen Schreibtisch laufen eine ganze Reihe yon Wirtschaftsbli~ttern, von Fachzeitschriften, von Zeitungen, und ich hab hier meine Zeitungen." (Konstantin) ,,Ich bekomme meine Informationen vor allem aber Zeitung. Einmal gibt es das lokale Blattchen, und daraber hinaus haben wir die 'Frankfurter Rundschau'. Vieles lafl ich mir dann yon meinem Mann erzahlen, das ist sehr praktisch. Dann holen wir uns die "Zeit' nicht immer. In der Bacherei holen wir uns solche anderen Zeitungen, 'Kosmos' 'Natur' also, was so ist. Im Abo hab ich 'Oko-Test' Also, da informier ich
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147 mich hauptsachlich. Die zweite Quelle ist natiirlich das Radio. Also, ich bin eigentlich begeisterte RadiohOrerin." (Karin) Judiths ausgepdigtes Informationsbediirfnis ist Teil ihres Strebens nach lebensweltlicher Zufriedenheit, das sie auch in ihrem allgemeinen Mediennutzungshandeln zu verwirklichen sucht: ,,lch will reich selber irgendwie fortbewegen, in meinem Geist, und da nehm ich alles, was ich kriegen kann. Da hol ich im Radio was und erfahr was von Leuten selber und so. Das ist eigentlich mehr so 'n Mischmasch, was ich mir dann alles so raussuche, was ich brauche, was bestimmte Bedu'rfnisse bei mir befriedigt. Manche Sachen sind einfach nur Neugier, einfach optimal glf~cklich sein, dales ich alles, was in irgendeiner Weise dazu beitragen kann. "
Bacher
Ebenso wie die Mehrzahl der aktiven Nichtfemseher sind auch die meisten bewuBtreflektierten Nichtfemseher rege Buchleser. Sieben der Befragten lesen t~iglich, einige yon ilmen besch~iftigen sich mehrere Stunden am Tag mit ihren Biichem. Im Unterschied zu den Lesegewohnheiten tier aktiven Nichtfemseher bevorzugen jedoch nur drei der Befragten Sachliteratur gegeniiber anderen Literaturgattungen, der Unterhaltungswert der Literatur ist den meisten bewuBt-reflektierten Nichtfemsehem zumindest ebenso wichtig wie deren Informationswert, mehrere Befragte favorisieren allenfalls spirituelle und psychologische Literatur. Judith, Anja, Karin, Norbert, Rainer, Johannes, und Konstantin sind die eifrigsten Buchleser unter den elf bewuBt-reflektierten Nichtfemsehem. Sie verbringen jeweils einen groflen Teil ihrer freien Zeit mit der Lektiire von Biichem, fiir sie ist das Buch alas bevorzugte Massenmedium vor allen anderen Unterhaltungs- und Informationsmedien: ,,Ich lese eigentlich dauernd. A u f dem Klo haben wit B~cher liegen, so diverse Stapel. Wenn ich nach Hause komme, und ich hab nichts anderes zu tun, dann guck ich eigentlich meistens in B~icher. Ich kaufe sehr wenig Bacher, muff ich sagen. Fraher hab ich ganz viele Bacher gekaufi. Ich denke, das braucht man einfach nicht, weil, die gibt's auch kostenlos, und das find ich 'ne super Sache. Ich bin also voll begeistert von der Bibliothek. Ich hab da immer diverse B~icher, hin und zurack. Mich interessiert halt viel. Manchmal lese ich Sachbacher, dann wieder Romane, Esoterik, Gesundheit, ich mOchte gerne 'ne grofle Auswahl haben." (Judith) ,,Bacher sind das Wichtigste, mit Abstand. Das hier sind gerade zwei Bacher aus dem Anthroposophischen. Ich habe abet auch sehr viel psychologische Literatur gelesen, ja, schon fast zentnerweise. Ich hab da also derartig viele B~cher erstanden, und darabet hinaus hab ich reich aber gezielt auch mit der Anthroposophie beschafiigt, da
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148 oben stehen also ganze Reihen yon so was noch, und hab also sehr viel reich mit angewandter Psychologie besch~fiigt. Das ist, kann man sagen, auch ein Hobby."
(Norbert) ,,Mit Bachern beschdifiige ich reich unter Umst~nden bis zu vier Stunden am Tag. Ich lese nicht nur Anthroposophie, auch Sekundi~rliteratur. Abet auch naturwissenschaftliche Dinge, auch Romane, und so weiter. Also, quer dutch den Garten." (Johannes) ,,Ich les jeden Abend. Ich bin ganz viel in der Bacherei, und hol mir Bacher. Ich hab dies 'Funkkolleg Literatur' mitgemacht. Von der Gewerkschafl bekomm ich regelmdiflig Bacher zur Rezension geschickt, vorwiegend Kinder- und Jugendbacher. " (Karin) ,,Ich lese jeden Abend bier Bacher, ich lese jeden Abend, wenn ich ins Bett gehe. Ich lese eben verschiedene Bacher. Es kann auch real sein, daft ich in einer Nacht drei verschiedene Bacher anpacke, weil das eine nicht paflt, oder ich irgend etwas anderes suche. A u f meinem Nachttisch hab ich sicherlich ein Dutzend Bacher liegen, die reich interessieren, und wenn ich immer gefragt werde: 'Was mOchtest Du zum Geburtstag oder zu Weihnachten?' dann sag ich immer: Schenkt mir was SchOnes zu lesen. Ich lese auch real 'hen Roman, aber in der Hauptsache les ich eben gerne Naturgeschichten, ich lese natarlich auch Kriminalromane, auch das tue ich, abet sonst halte ich reich doch schon eher an die guten Tatsachen. " (Konstantin) ,,Die Umzugsleute sagen, die Leute sammeln Kleider oder die Leute sammeln Bacher. Ich gehOre eher zu den Bachersammlern. Ich kaufe mir leider mehr Bacher, als ich lesen kann. " (Rainer) ,,Far mich war lesen immer so was, so 'n grohlgefahl, so Geborgenheit, so ein biflchen was Eigenes. Also, was ganz, ganz Wichtiges. Das merk ich auch heute noch. Wenn ich mir 'nen schOnen Abend mache, dann heiflt das far mich, ich m6chte lesen, lch lese eben sehr gerne. Wo ich auch nur 'ne freie Minute hab, les ich auch, auch beim Zahneputzen. Schon eher Belletristik. Eigentlich, sonst, queerbeet, was mir so in die Finger kommt. "(Anja)
Andreas' Interesse an der Literatur ist zwar nicht so stark ausgepr/igt, wie das der sieben zuvor zitierten bew~t-reflektierten Nichtfemseher, dennoch widmet auch er einen Teil seiner Freizeit gem seinen Biichem, wobei seine Pr~iferenzen auf der Lektiire von sachbezogener Literatur und anspmchsvoller Lyrik liegen. Aullerdem studiert er regelmiiBig die Schriften der Begriinder seiner religiomphilosophischen Weltauffassung: ,,Ich lese eher Sachliteratur, Romane hab ich keine Zeit zu. Gedichte interessieren reich noch. " Fiir Heike, Sabine und Doris hat das Lesen von Biichem nur eine zweitrangige Bedeutung. Doris und Sabine lesen zwar gem, finden jedoch nur selten die Zeit dazu, und Heike besch/iffigt sich in ihrer Freizeit prinzipiell lieber mit anderen Dingen: ,,Ich les relativ wenig, well ich selten dazu komme. Ich les schon. Ich warde sagen, so in der Woche so zwei bis drei Stunden, komme ich insgesamt schon zum Lesen. Im Moment, zum Beispiel, les ich ein Buch aber das Leben des Buddha." (Sabine)
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149 ,,Ich les gern, ja. Ich les nicht so sehr viel. Das ist mehr 'ne Frage der Zeit und der Konzentration, weil, meine Lesezeit ist meistens abends um zehn, wenn alle Kinder im Bett sind. Ich wf~rde gerne mehr &sen. Ich les zu wenig. " (Doffs) ,,Also, ich bin nicht jemand, der sich abends hier hinsetzt und zwei Stunden lang ein Buch liest, das mach ich nicht. Eher treff ich mich mitjemandem, und wir unterhalten uns. Ich lese Fachliteratur, ansonsten les ich nicht gerne. " (Heike)
Ebenso wie die aktiven Nichtfemseher sind auch die bewuflt-reflektierten Nichtfemseher reichlich mit Biichem ausgestattet. Sechs der Befragten besitzen mehrere Hundert Bficher, zwei der bewuflt-reflektierten Nichtfemseher k6nnen fiber mehr als eintausend Bficher verfiigen, und drei weitere Befragte besitzen mehr als zweitausend verschiedene Buchexemplare. Die Wurzel Rir die heutige Leseleidenschaft der in dieser Studie untersuchten Nichtfernseher scheint in tier Tat in ihrer Kindheit und Jugend zu liegen, denn auch die meisten bewugt-reflektierten Nichtfemseher gaben an, bereits in jungen Jahren sehr viel gelesen zu haben. Zehn tier bewuBt-reflektierten Nichtfemseher ~iugerten sich fiber ihre fiJJhe Neigung zur Buchlektfire. Drei exemplarische Originalaussagen sollen an dieser Stelle geniigen, um die Parallelen zu den aktiven Nichtfemsehem zu verdeutlichen: ,,Es war schon so, daft ich von klein auf sehr gerne gelesen hab. Ich konnte auch relativ viel lesen, und ich wurde da auch sehr unterstf~tzt, das heiflt, ich hab auch viel Lesestoff gekriegt. Ich bin auch relativ frah dann an die Hausbibliothek rangelassen worden. "(Anja) ,,Das war schon immer so, also, ich hab schon frf~her viel gelesen. Wenn wir in Urlaub gefahren sind, dann war immer die erste Station erst real die Bibliothek aufsuchen und ein paar BlUcher mit nach Hause nehmen. " (Judith) ,,Ich hab sehr viel gelesen, frf~her. Die Eltern haben auch immer sehr viel gute Literatur besorgt, ich bin aberhaupt nicht mit Comics grofl geworden. " (Norbert)
Aktuelle Printmedien
Das im Vergleich zu den aktiven Nichtfemsehem deutlich geringere Bediirfnis der bewaflt-reflektierten Nichtfemseher an aktuellen intemationalen und nationalen Informationen spiegelt sich in ihrer Ausstattung mit Tageszeitungen, fiberregionalen Wochenzeitungen und politischen Magazinen sowie in der Intensit~it, mit der sic diese rezipieren. So nutzen die bewuflt-reflektierten Nichtfernseher aktuelle Printmedien in weitaus geringerem Umfang als die aktiven Nichtfernseher, die meisten von ihnen sind in erster Linie an Informationen fiber die lokalen und regionalen Geschehnisse interessiert.
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150 Fiinf der Befragten nutzen auger der lokalen Tageszeitung keine anderen aktuellen Druckmedien. Heike, die aktuelle Printmedien weder regelm~ig bezieht noch erwirbt, liest bisweilen in einer lokalen Tageszeitung, die an ihrem Arbeitsplatz ausliegt. Ffir sie haben aktuelle Druckmedien generell einen sehr geringen Stellenwert: ,,Ich les die Zeitung wohl in den Pausen, an der Arbeitsstelle. Nicht so, daft ich jetzt sagen wfirde, jetzt regelmi~fligjeden Tag. Ist nicht so wichtig. "
Rainer bezieht zwar eine lokale Tageszeittmg im Abonnement, liest sie aber ungem selbst: ,, Wit haben die Zeitung, die 'WestfMischen Nachrichten' hier, abonniert. Meine Frau bltittert sie einmal durch und erzdhlt mir manchmal abends davon."
Sabine nutzt die 6rtliehe Tageszeitung, die sie im Abonnement bezieht, vorwiegend als lokales Informationsblatt: ,, Wenn ich so die Zeitung lese, dann les ich wirklich auch eher den Lokalteil, und gukke, was da nun anliegt und was Sache ist, als daft ich jetzt die Katastrophenmeldungen aus aller Welt mir aufschlage. "
Wie bereits erw~mt, reieht Johannes die Tageszeitung vom Vortag als aktuelle Informationsquelle vollkommen aus. Um sich mit den wichtigsten Neuigkeiten vertraut zu machen, fiberfliegt er die Tageszeitung, wobei er den Sehwerpunkt auf die allgemeine und politische Befichterstattung legt: ,, Wichtig finde ich die ersten zwei Seiten. Der regionale Teil hier interessiert mich relativ wenig, da das fiber bestimmte Klischees nicht hinaus kommt. "
Auch Anja nutzt ausschlieBlich die lokale Tageszeittmg als aktuelles Druckmedium. Im Gegensatz zu Heike, Sabine, Rainer und Johannes liest sie diese jedoch mit gr6Bter Intemit~t und Aufmerksamkeit. In regelm~igen Abst~inden erwirbt Andreas eine lokale Tageszeitung, um sich einen groben Uberblick fiber das Weltgeschehen und die lokalen Ereignisse zu verschaffen. Sein haupts~ichliches Interesse gilt jedoch der kulturellen Befichterstattung: ,,Ich gucke die 'WestfMischen Nachrichten' dutch, abet eigentlich sehr, sehr schnell, also diagonal, eigentlich mehr so auf kulturelle Information." Darfiber hinaus erwirbt Andreas gelegentlich die Frankfurter Allgemeine Zeitung, an
der ilm haupts~ichlich der ausfiihrliche Feuilletonteil interessiert. Ebenso wie Sabine nutzt Doris die Tageszeitung in erster Linie, tun sich fiber die lokalen Geschehnisse auf dem laufenden zu harem ,,Nicht, weil ich die politisch so gut finde, aber weil da halt fiber Mfinster relativ viel drin steht. "
Zus~itzlich zu ihrem Tageszeitungsabonnement erwirbt Doris in unregelm~igen Zeitabst~inden eine iiberregionale Wochenzeitung oder ein politisches Magazin. In den fiberregionalen Pdntmedien interessiert sie, ebenso wie Andreas, vor allem die kulturelle Bedchterstattung: ,,Ich k a u f mir ab und zu mal 'ne Zeitung, zum Beispiel den 'Spiegel' oder die 'Zeit' Wenn ich 'ne fiberregionale Zeitung lese, guck ich ins Feuilleton."
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151 Nicht zuletzt, um flit seine kommunalpolitische Arbeit geriistet zu sein, liest Norbert regelm~iflig den Lokalteil in der Tageszeitung, die er als Abonnent t~iglich erh~ilt: ,,Ich bin bier im Rat, da ist das Lokale schon auch yon Interesse. Da muff ich auch einfach Informationen haben, sonst kann ich da schlecht mitreden. " Um sich eingehender fiber die nationalen und intemationalen politischen Ereignisse zu informieren, liest Norbert neben der lokalen Tageszeitung noch regelm~13ig den Spiegel. Die lokale Tageszeitung liest Judith nur sporadisch und oberfl~ichlich: ,,Ich hab keine Zeitung abonniert, aber in der Firma bringt eine Kollegin die Zeitung meistens mit, so daft ich da beim Fri2hst~ick real reingucke. " Als weitere Quelle flit lokale Informationen dient ihr gelegentlich das/Srtliche Informations- und Veranstaltungsmagazin Stadtblatt. Ausgesprochen rege nutzen Karin und Konstantin die aktuellen Printmedien, um sich mit Informationen lokaler und fiberregionaler Art zu versorgen. Karin bezieht sowohl eine lokale als auch eine iiberregionale Tageszeitung im Abonnement, darfiber hinaus erwirbt sie noch des/Sfteren die Zeit, um tiefergehende Hintergrundinformationen zu bestimmten Themen zu erhalten. Konstantin bezieht die Westfalischen Nachrichten, den Bayernkurier und den L "Osservatore Romano im Abonnement. Zus~itzlich wird er an seinem Arbeitsplatz mit verschiedenen aktuellen Printmedien und Ausschnittdiensten versorgt, die er mit groBem Interesse rezipiert: ,,Ich sauge es auf, was reich interessiert/"
Zeitschriften
Von den elf bew~t-reflektierten Nichtfernsehem lesen fiinf regelm[LI3ig Publikumsoder Fachzeitschriften. Rainer erh~ilt das Goetheanum (Wochenschrift fiir Anthroposophie), Die Drei (Anthroposophische Zeitschrift zur Emeuerung yon Wissenschaft, Kunst und sozialem Leben), den Merkurstab (Beitr~ige zu einer Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschattlichen Erkermtnissen) und die Kunstzeitschrift Vernissage ira Abonnement. Karin hat die alternative Testzeitschrift Oko-Test abonniert und leiht regelm~iflig die popul~'wissenschaftlichen Zeitschriften Kosmos (Handweiser fiir Naturfreunde und Zentralblatt fiir das naturwissenschaftliche Bildungs- und Sammelwesen) mad Bild der Wissenschaft (Zeitschrift fiber die Naturwissenschafien und die Technik in unserer Zeit) in ihrer/Srtlichen Bficherei aus. Konstantin liest ebenfalls mehrere Publikumszeitschrifien, die er spontan nicht alle betiteln kann: ,,Auflerdem haben wir noch eine Reihe weiterer Monatshefie im Abo. " Darfiber hinaus stehen ihm auch an seinem Arbeitsplatz verschiedene Zeitschriften zur Verfiigung. Andreas erwirbt von Zeit zu Zeit spezielle Fach- und Hobbyzeitschriften, die er in seine berufliche T[itigkeit als G~rtner mit einbeziehen kann:
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152 ,,Mehr so gisthetbwhe Sachen, 'House & Garden' "Decoration' so diese Richtung. "
Die eifrigste Zeitschrifienleserin unter den bewuBt-reflektierten Nichtfemsehem ist zweifellos Judith. Der Schwerpunkt ihres Interesses liegt dabei auf Zeitschriften, die sich thematisch mit altemativer Lebensweise, Natur und Umweltschutz, Psychologie und Esoterik auseinandersetzen. Aber auch Frauenzeitschrifien, Unterhaltungsmagazine mad Hobbyzeitschriften liest sie regelm~il3ig. Kfiuflich erwerben oder abonnieren will Judith jedoch keine der vielen unterschiedlichen Zeitschriflen, flit die sie sich interessiert. Statt dessen nutzt sie die Angebote der 6ffentlichen Biicherei, die jedem Besucher eine grofle Zeitschrifienauswahl kostenlos zur Verfiigung stellt: ,, Welche Zeitungen ich so lese, ist eben auch viel von dieser Oko-Szene, wo immer mal was Interessantes drin ist aber Leute, die halt irgendwelche Projekte machen, oder so. Das interessiert mich nat~irlich besonders, wo irgendwie noch was Neues ist. 'Stern' 'Brigitte" was so in der Bibliothek rumliegt. 'Kraut und Raben ', 'Oko-Test', 'Schrot und Korn ', 'Der Naturarzt', und so weiter, lch gucke eigentlich in fast alles rein, 'Psychologie Heute ', 'Esotera" 'Cosmopolitan" "Film '. Aber ich kaufe sie mir nicht. Also, es ist schon was, was zu mir gehOrt, lch weiJ3 genau, wenn ich auf 'ner einsamen Insel lebte, dann hatt ich ganz gern mal irgend 'he Zeitschrifl. "
HOrfunk
Auch in der Nutzung des H6rfunks sind die bewugt-reflektierten Nichtfemseher zuriickhaltender als die aktiven Nichtfemseher. Zwar nutzen sechs der Befragten das Radio recht h~iufig mad intensiv, als ausgesprochene H6rfimkliebhaber k6nnen jedoch nur zwei von itmen bezeichnet werden. Die iibrigen Rinf bewuBt-reflektierten Nichtfemseher nutzen das Radio entweder nur sehr selten oder iiberhaupt nicht. Fiir die Mehrzahl der Radionutzer mater den bewuflt-reflektierten Nichtfemsehern er~illt das Radio sowohl eine Informations- als auch eine Unterhaltmagsfimktion, Wortbeitriige sind ebemo beliebt wie Musiksendungen. Karin und Konstantin nutzen nicht nut die Printmedien sehr rege, fie sind auch passionierte Radioh6rer: ,,Ich hOre Nachrichten, ieh hdre Kommentare, detailliert direkt neben mir, und ich hOre Konzerte, ieh hOre gute Musik. Ich hOre furehtbar gerne Radio, und ich hOr im Auto immer Radio, und wenn ieh morgens in die Stadt fahre, h6re ich im Radio Musik, gute Musik, ich hOre also nicht Tingel-Tangel. " (Konstantin)
Im Unterschied zu Komtantin, der sowohl Wortbeitr~ige- als auch Musiksendungen sch~itzt, pl'~iferiert Karin reine Wortsendungen. Gezielt sucht sie diese in einer speziellen Radioprogrammzeitschrift, die sie regelm~ig im Abonnement bezieht, aus. Eine Hintergrmadberieselmag durch das Radio lehnt sie mittlerweile ab. Ebenso wie ihr Femsehnutzungsverhalten, hat Karin im Zuge ihrer lebensweltlichen
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153 Neuorientierung auch ihre Radionutzungsgewohnheiten grunds~itzlich ge~indert: ,,Ich bin vor allem ein Fan yon Wortbeitragen. Die hOre ich ganz gezielt. Das Radio laufi im Hintergrund aberhaupt nicht. Fraher war das anders, da lief immer 'WDR II'. Das weifl ich noch. Ich hab gar nicht hingehOrt, das lief einfach so."
Anja h6rt am liebsten den britischen Radiosender BFBS, nicht zuletzt tun ihre englischen Sprachkennmisse zu pflegen. Vorwiegend dient ihr das Radio jedoch als Hintergrtmdkulisse bei ihren Alltagsaktivit~iten: ,,Ich bore viel Radio, muff aber dazu sagen, daft ich am liebsten eigentlich 'BFBS' bore, weil ich da noch so'n biflchen meine Sprachkennmisse aufrechterhalten kann. Auch die Musik find ich ganz interessant. Je nach dem, was ich gerade tue, kann man sich ja nicht immer so auf die Wortbeitri~ge konzentrieren, und dann ist natarlich auch so 'he Berieselung yon hinten ganz nett. "
Heike, die kaum auf Printmedien zuriickgreift und auch nur selten eine lokale Tageszeitung liest, nutzt den H6rfunk in erster Linie, um sich fiber die Ereignisse in ihrer unmittelbaren Heimat zu informieren: ,,Das ist der lokale Sender hier, 'Radio RST' den hOr ich. Die anderen Sender hOr ich dann, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin und den lokalen Sender nicht mehr kriege. Radio li~ufi viel, teilweise auch nebenbei."
Judith und Andreas h6ren vorwiegend Musiksendungen am Radio: ,,Ich hOr eigentlich immer 'NDR H' weil da auch Musik kommt, ich hOr ganz gern Musik. Das laufl eigentlich eher im Hintergrund. " (Judith) ,,Also, ich hOr wirklich ausschliefllich klassische Musik. Ich schreib mir auch auf was interessant da ist. Wenn ich mit meinem Freund hier bin, dann kommt es haufiger vor, daft wir Klassik an haben, und dann ein Ratselspiel machen, was das ist. " (Andreas)
Ffir Sabine, Doris, Rainer, Norbert und Johannes hat der H6rfunk lediglich eine untergeordnete Bedeutung. Wenn Rainer mit seinem Auto zu Patientenbesuchen f'~ihrt, h6rt er gelegentlich eine zusammenfassende, halbstfindige Nachrichtensendung des Westdeutschen Rundfunks - weniger, um sich fiber die aktuellen Geschehnisse zu informieren, als sich ein Urteil fiber den Stil und die Sachlichkeit der Informationsprogramme im H6rfunk zu bilden: ,,Ich bore, wenn ich im Auto bin, das 'Echo des Tages' yon halb sieben his sieben. Wenn ich da gerade auf Besuchsfahrten bin, ist das 'ne Sendung, wo ich einfach mir am Stil der Nachrichtenabermittlung mir versuche ein Bild zu verschaffen. "
Doris und Norbert nutzen alas Radio ausschlieBlich, um gelegentlich informative Wortbeitr~ige und aktuelle Nachrichtensendungen zu verfolgen: ,,Ich bin nicht so 'n kontinuierlicher RadiohOrer. Wenn ich irgendwo im Auto unterwegs bin, dann hOr ich hauptsachlich real Nachrichten. Ich hOr ganz bewuflt nicht Hintergrund, well ich diese Hintergrundberieselung nicht ganstig finde. " (Doffs) ,,Nachrichten hOren wir im Radio." (Norbert)
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154 Sabine greift nur/iuBerst selten zum Einschaltknopf ihres Radios: ,, Ich hOrefast nie Radio."
Johannes steht dem Radio, wie auch dem Femsehen, grunds/itzlich skeptisch gegenfiber. Elektronische Medien sind aus seiner Sicht unvereinbar mit seinem spezifischen, bewuBt-reflektierten Lebensstil: ,,Zu dem ganzen bewuflten Leben, das wir ergreifen wollten, paflte das dann einfach nicht mehr. Das einzige Radio im Haus hat unser ZwOl~i~hriger, der muff jetzt natarlich eins haben zum Ausprobieren. Der muff also damit umgehen lernen. "
Tontrg~ger
Die Rezeption von musikalischen Tontr/igem spielt ffir die meisten bewuBtreflektierten Nichtfernseher lediglich eine untergeordnete Rolle. In diesem Punkt stimmen sie mit den Mediennutzungsgewohnheiten der aktiven Nichtfemseher fiberein. Lediglich Heike trod Sabine h6ren t/iglich und mit Begeisterung Musik fiber ihre Stereoanlage: ,,Normalerweise wfird jetzt hier 'ne CD laufen. Also, wenn ich zu Hause bin, und alleine bin, dann math ich mir gerne, wirklich absolut gerne, Musik an. Ich hOre gerne klassische Musik, ich hOre gerne Meditationsmusik, richtig gute Popmusik, die hot ich auch ab und an gerne, aber dann beweg ieh reich auch gerne dazu. " (Sabine) ,,Ich bin mit Musik grofl geworden. Die Bandbreite ist yon Disco-, Popmusik bis aber klassisehe Musik, Meditationsmusik, hOr ich alles. Ich denke, es ist so an der Zeit, jetzt far mich so die Anlage wieder ein biflchen hinter dem Schrank hervorzuholen. Sie ist mir wichtig, die Musik, und die Anlage. Abet einen Fernseher mOchte ich nicht haben." (Heike)
Judith und Doris h6ren zwar nicht t/iglich Musik von Tontr~igem, nutzen diese jedoch regelm/iBig: ,,Ich hOre viel Klassik und gute folkloristische Sachen, gute Chansons. Selten irgendwelche Rockmusik. Ich hOre haufiger, aber nichtjeden Tag." (Doris) ,,Also, 'hen CD-Spieler hab ich nicht, ich hab so 'hen Mini-Cassettenrecorder. Schallplatten hab ich auth. Das ist dann schon ein bewuflter Akt, das ist schon was anderes als real eben schnell das Radio angemaeht. " (Judith)
Die fibrigen bewugt-reflektierten Nichtfemseher legen keinen besonderen Wert auf die Nutzung von musikalischen Tontr/igem. Anja bevorzugt die Buchlekt/ire gegenfiber der Rezeption yon Schallplatten oder CDs: ,, CD hOr ich wohl gang gerne, aber da, muff ich sagen, haben wirjetzt auch so die Zeit nicht zu. Zu lesen geht mir einfach vor. "
Seitdem Norbert selber ein Musikinstrument spielt, hat sein Interesse an der Rezeption yon musikalischen Tontr~igem deutlich nachgelassen:
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155 ,, Wir haben auch 'nen CD-Spieler, obwohl auch das MusikhOren abgenommen hat. Wir machen sie lieber selbst inzwischen, das gibt uns wesentlich mehr. " Karin, Andreas, Rainer, Johannes und Konstantin besitzen keine Abspielger/ite fiir musikalische Tontr~iger. Andreas und Konstantin h6ren Musik ausschlieBlich im H6rfimk. Karin plant die Anschaffung einer Stereoanlage, die sie dann auch gelegentlich nutzen will. Rainer und Johannes bevorzugen prinzipiell ,,handgemachte" Musik gegeniiber musikalischen Tonkonserven: ,, Wir waren am Sonntag auf einem Konzert yon der Waldorfschule, yon der Musikschule. Da ist nun kein berfihmtes Orchester, und ich h~tte den, in Anff~hrungszeichen, erh6hten Musikgenuss sicher mit Quadro und den Wiener Philharmonikern. Die Frage ist aber, wo ich wirklich mehr erlebt habe. Ich habe diese Leute gesehen, ich kenne einen Teil yon denen, ich sehe deren Bewegung, ich habe die Atmosphere des Raumes, ich habe eine ganz andere Erlebnisqualitgit, die kann mir eine CD nicht vermitteln. Dieses asketische ist ein Moment, das irgendwo wichtig wird, wenn man sagt, wenn man Musik hOrt, ist das nicht eine Frage des Genusses, sondern eine Frage des Bewufltseins. "
Kinofilm
Die Mehrzahl der bewuBt-reflektierten Nichtfemseher interessiert sich nur am Rande Rir das Kino. Lediglich Judith ist eine begeisterte Kinog~gerin. Sie nutzt das Kino bewuBt, um sich ilia"ein paar Stunden aus dem Alltag zurfickzuziehen und in eine fiktive Welt einzutauchen. Nicht zuletzt, weil sie sich ihrer Affinit~it zu eskapistischen Verhaltensmustem durchaus bewuBt ist, hat sie das Femsehen aus ihrem Leben verbannt. Diese Neigung lebt sie im Kino kontrolliert aus: ,,Ich geh relativ oft ins Kino, vielleicht einmal die Woche, oder so. Das f i n d ich ganz sch6n, also, manchmal such ich das auch direkt, mal so dieses Abdriften in 'ne andere Welt. Von Zeit zu Zeit brauch ich das mal. Dann merk ich, jetzt m6chte ich mal was Sch6nes sehen, so im Kino, und nicht was, was einen furchtbar zum Heulen bringt, oder so was furchtbar Realistisches. Also, irgendwann m6chte ich einfach mal so Jubel, Trubel, Heiterkeit erleben. " Doris geht seit einiger Zeit wieder h/iufiger ins Kino, nachdem ihr jahrelang die Zeit fiir einen Besuch im Lichtspielhaus fehlte. Dort sieht sie sich gezielt anspruchsvolle Unterhaltungsfilme an. In der Regel besucht sie das Kino einmal im Monat: ,,Ich geh auch mal ins Kino, in der letzten Zeit ein biflchen 6tier wieder, abet das ist dann bewuflter, und dann nehm ich mir auch vor, was bestimmtes zu gucken. " Sabine und Heike sehen sich zwar nur einige Male im Jahr einen Film im Kino an, sie sch/Rzen dann aber die besondere Atmosph~e des dunklen, mit Zuschauem gefiillten Kinosaales und das soziale Miteinander, das mit einem Kinobesuch im Freundeskreis einhergeht:
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156 ,,Ich verbinde das mit 'nem schOnen Abend in Mfinster. Zu zweit oder mit mehreren "nen schOnen Abend daraus machen. Und es ist das Ambiente drumrum auch, ein schOnes Kino." (Heike) ,,Ins Kino geh ich auch wirklich manchmal ganz gern, weil, es ist ein ganz anderes Erlebnis." (Sabine)
Anja, Karin, Andreas, Norbert, Rainer und Konstantin gehen nur sehr selten ins Kino. Oft betr/igt der zeitliche Abstand, in dem sie sich einen Kinofilm ansehen, mehrere Jahre. Karin, Andreas und Norbert waxen nach Kinobesuchen mehrfach fiber die mangelhafte Qualit~it der gesehenen Filme entt~uscht. Johannes sieht sich prinzipiell keine Kinofilme an.
Computer
Im Unterschied zu den aktiven Nichtfernsehem, die in der Mehrzahl mit einem Personal-Computer ausgerfistet sind, besitzt keiner der elf bew~t-reflektierten Nichtfernseher eine eigene elektronische Datenverarbeitungsanlage fiir den privaten Gebrauch. Karins Ehemann und Doris' ~iltester Sohn besitzen zwar einen Computer, sowohl Karin als auch Doris verspfiren jedoch keinerlei Ambitionen, sich mit den elektronischen Rechnem ihrer Familienmitglieder auseinanderzusetzen. Aus den Aul3erungen der fibrigen bewul3t-reflektierten Nichtfemseher wird eine eher skeptische, abletmende Haltung deutlich. Einige der Befragten empfinden auch einfach Desinteresse gegenfiber den multifunktionalen Rechenmaschinen. Rainer hat schon des 6fteren mit dem Gedanken gespielt, sich einen Computer ~ r die Praxisarbeit zuzulegen. Bisher hat er seine Abneigung gegen die elektronischen Datenverarbeitungssysteme jedoch noch nicht ablegen k6nnen: ,,Ich habe einen groflen Widerwillen, muff ich sagen, undjeder Anlauf mich damit zu besch~fligen, hat in einer groflen Wut geendet. Aber ich denke doch, daft ich irgendwann die Wut aberwinden muff."
Norbert hat sieh bisher aueh erfolgreieh dagegen verwahrt, an seinem Arbeitsplatz einen Computer einzurichten: ,,Ich komme sehr gut ohne Computer aus. Ich habe mich bis jetzt gewehrt, einen zu nehmen. "
Judith, Heike und Andreas wollen sich auch zukfinftig lieber handschriftlich ausdriJkken, als einer seelenlosen Maschine diese Arbeit zu fiberlassen. In h6chstem MaBe sch~itzen sie die Handschrift als individuelles Ausdrucks- und Gestaltungsmittel, das die Pers6nlichkeit ihres Urhebers widerspiegelt: ,,Ich sehreibe gerne. Ich bin eher so, wahrscheinlich, etwas altmodisch diesbezf~glich. Ich mag gerne Papier und Faller und so. Und ich schreibe auch viele Briefe. Ich mag
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157 gerne den Prozefl des Schreibens auch. Das ist fiir m&h wie so 'n Ventil, wie f a r andere vielleicht Fuflball spielen oder so." (Judith) ,, Computer finde ich langweilig. Ich find es viel spannender, handschriftlich was zu machen. "(Andreas) ,,Ich denke, daft die menschliche Handschrift immer mehr verloren geht, und daft dadurch ein Stack Natarlichkeit verloren geht, und sie wird immer kostbarer. Wenn du demndchst einen Brief kriegst, handgeschrieben, dann wird es was Kostbares sein. Far mich ist so das Handschriftliche ganz wichtig. Das mOchte ich behalten und fOrdern. Kackelhaus hat immer gesagt, Schrift ist der kleinste Teil des Tanzes. " (Heike)
Der spezifische, bewul3t-reflektierte, auf authentische Lebenserfahrungen ausgerichtete Lebensstil der Befragten wirkt sich auch auf ihre Mediennutzungsgewohnheiten aus. Insgesamt sind die bewuBt-reflektierten Nichtfemseher zuriicldaaltender in der Mediennutzung, einige der Befragten stehen den Massenmedien grunds~itzlich skeptisch oder sogar ablelmend gegeniiber. Eine Ausnahme bildet bier das Buch, alas v o n d e r iiberwiegenden Zahl der Befragten als qualitativ hochwertiges Unterhalmngs- und Informationsmedium auBerordentlich gesch~itzt wird. Das Bediirfnis der bewuBtreflektierten Nichtfemseher nach aktuellen Informationen zum allgemeinen und politischen Weltgeschehen ist geringer als das der aktiven Nichtfemseher, daRir ist ihr Interesse an Informationen aus dem sozialen und geographischen Nahraum stoker ausgepdigt. Das persfnliche Gespr~ich dient vielen als prim~e Informationsquelle. Hier zeigt sich emeut die augerordentliche Relevanz sozialer Kontakte und origin~er Erlebnisse Rir die bewuflt-reflektierten Nichtfemseher. Generell ist die Ausstattung tier bewugt-reflektierten Nichtfemseher mit Massenmedien und Kommunikationsendger~iten geringer als die tier aktiven Nichtfemseher, die Angebote der elektronischen Medien werden von ihnen mehrheitlich weniger in Anspruch genommen. Im Unterschied zu den aktiven Nichtfemsehem nutzen die bewttl3treflektierten Nichtfemseher die Massenmedien nicht in erster Linie zu Informationszwecken, sondem zumindest ebensosehr in ihrer unterhaltenden Funktion. Die Beteiligung am /Sffentlichen KommunikationsprozeB ist hingegen auch bei den bewagt-reflektierten Nichtfemsehem auBerordentlich hoch. Sechs yon ihnen haben schon einmal einen Leserbrief geschrieben, zwei der Befragten haben bereits Erfahrung in der Produktion eigener Medienbeitr~ige.
3.1.2.6 Die Ergebnisse im Uberblick
Hinter der fernsehfreien Lebensweise der meisten bewuflt-reflektierten Nichtfemseher steht eine konkrete Entscheidung gegen das Femsehen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in il~er jeweiligen Biographie bewugt gefiiUt wurde. Dabei gab es in der Regel keine gr613eren Umtimmigkeiten in den Lebemgemeinschaften der Betroffenen fiber
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158 das Vorhaben, in Zukunft ohne Femsehen zu leben. Bevor es zu dieser Entscheidung kam, haben die bewuflt-reflektierten Nichtfernseher mehrheitlich routinem~ig femgesehen, wobei ihr Femsehnutzungshandeln nicht yon besonderen programminhaltlichen Vodieben gepdigt war. Mittlerweile ist fib- sie das N i c h t f e m s e h e n z u einer Alltagsroutine geworden, die, neben vielen anderen Handlungsroutinen, gleichberechtigt in die lebensweltliche Wirklichkeit der bewuBt-reflektierten Nichtfemseher integriert ist. Allerdings wird das Femsehen mit seinen Wirkungen, insbesondere von den anthroposophisch orientierten Nichtfemsehem, von Zeit zu Zeit thematisiert und kritisch reflektiert. Dabei greifen sie gelegentlich auch auf wissenschaftliche Publikationen zu diesem Thema zm'fick. Entsprechend ihrer bewuBten Entscheidung gegen das Fernsehen ist die Einstellung der meisten bewuflt-reflektierten Nichtfemseher zum Femsehen eher ablehnend und skeptisch. Der fiberwiegende Teil der Befragten wfirde sich gar als dezidierte Femsehverweigerer bezeichnen. Die Ursachen und Motive der bewuflt-reflektierten Nichtfemseher Rir ihre femsehlose Lebemweise sind eng mit ihren Interessen und Bedfirfnissen als handlungsleitende Relevanzen verknfipft. Femzusehen wiirde ihren Lebensvorstellungen, die auf eine bewu6te, origin~-authentische Wahrnehmung der Welt und ein intensives Erleben der Wirklichkeit ausgerichtet sind, in vielfacher Hinsicht widersprechen. So lelmen sie den Fernsehkonsum als sekund~e Welterfahnmg ab. Eigene, unvermittelte Erlebnisse und prim~e Sozialkontakte werden yon allen Befragten gegenfiber der vom Fernsehen vermittelten Pseudowirklichkeit prinzipieU vorgezogen. Die meisten bewufltreflektierten Nichtfemseher halten das Femsehen zudem fiir ein familien- und sozialfeindliches Massenmedium, das die zwischenmenschlichen Beziehungen aush6hlt und belastet. Etwaigen Femsehkonsum wiirde die fiberwiegende Zahl der Befragten als Zeitverschwendung betrachten. Die Mehrzahl tier bewuflt-reflektierten Nichtfemseher teilt dariiber hinaus die Uberzeugung, alas Fernsehen werde von den versehiedensten Interessengruppen gezielt als Manipulationsinstrument eingesetzt - ein weiterer maflgeblicher Grund Rir ihre fernsehlose Lebensweise. Auflerdem bewerten fast alle Teilnehmer alas Programm als qualitativ mangelhaft, die dargebotenen Inhalte werden als gewaltlastig und negativistisch kritisiert. Einige der Befragten werden auch yon der Werbeflut abgeschreckt, die alas Femsehprogramm zunehmend durchzieht. Zu den weiteren Motiven, die yon jeweils mehreren bewuflt-reflektierten Nichtfemsehem als zus~itzliche Griinde Rir ihre femsehfreie Lebensweise angefiihrt wurden, z ~ len die Ablehnung der mit dem Femsehkonsum einhergehenden Passivit@, die Gefahr einer psychischen und physiologischen Oberreizung dutch das Femsehen, sowie das Bedfirfrfis, sich selbst vor fiberm~igem oder unkontrolliertem Femsehkonsum zu schfitzen. Bei einigen bewuflt-reflektierten Nichtfemsehem spielten auch p~idagogische Erw~igungen eine nicht unerhebliche Rolle bei der Entscheidtmg, den Alltag femsehfrei zu gestalten. Besonders differenziert ~iuBerten sich die anthroposophisch oriemierten Nichtfemseher fiber die Griinde Rir ihre fernsehfreie Lebensweise. In ihren Augen versteUt das
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159 Femsehen die unmittelbare Wahrnehmung, l~ihmt - auch aufgrund seiner spezifischen Ubertragungstechnik - das Bewt~tsein und verhindert die geistige und kulturelle Weiterentwicklung des Menschen. Ein realit~tsgerechtes Bild der Welt kann das Femsehen nach ihrer Meinung nicht vermitteln, von den wirklich relevanten Vorg~.ngen in der unmittelbaren Handlungssp~ihre des Individuums lenkt es ihres Erachtens ab. Sogar auf metaphysischer Ebene vermuten die anthroposophisch orientierten Nichtfemseher Gefahren Rir den Zuschauer. Das Femsehen greift nach ihrer Uberzeugung in das Seelenleben der Zuschauer ein, schw/icht ihren Willen und begrenzt ihre M6glichkeiten zur Selbstbestimmung. Die bewuBt-reflektierten Nichtfemseher gestalten ihren Alltag weitgehend bewuBt im Einklang mit ihren spezifischen Bediirfnissen und Interessen. Musisch-kreative T~itigkeiten sowie bewuBtseins- und wahmehmungsf'6rdemde Aktivit~iten stehen dabei im Vordergrund, wobei einige der Befragten auch in ihrem Berufsleben ihre spezifischen Lebemvorstellungen zu verwirklichen suchen. Dariiber hinaus legen die Befragten groBen Wert auf ein reges, intensives Sozialleben. Die weltanschaulich gepr~igten Nichtfemseher beziehen h~iufig Aktivit~iten in ihre Tagesgestaltung ein, die unmittelbar aus ihrer weltanschaulichen Orientierung resultieren. Nicht alle bew~t-reflektierten Nichtfemseher fahren regelm/iBig in Urlaub, die Reisebegeisterung einiger Befragter h~ilt sich in Grenzen. Entspannung spielt in den Ferien der meisten Befragten eine zumindest ebenso groBe Rolle wie die aktive, erlebnisbetonte Gestaltung des Urlaubs. Sparsamkeit und Qualit~itsbewufltsein zeichnen das Konsumverhalten der bewuBtreflektierten Nichtfemseher aus. Die Umweltvertr~iglichkeit der Produkte ist Rir viele ein weiteres entscheidendes Kaufkfiterium. Auch in ihrer Em~.hnmg legen die Befragten grol3en Wert auf Qualit~it. In der Mehrzahl verfolgen sie eine gesundheitsbetonte, bewuBte Em~ihnmgsweise. Vier der Befragten em~.hren sich ausschlieBlich vegetarisch, die iibrigen streben in der iiberwiegenden Zahl eine vollwertige, fleischarme Em~mmg an. Bis auf eine Ausnahme sind alle bew~t-reflektierten Nichtfernseher Nichtraucher. Im Krankheitsfall ziehen die meisten bewuBt-reflektierten Nichtfernseher naturheilkundliche Verfahren gegeniiber schulmedizinischen Behandlungsmethoden vor. Die iiberwiegende Zahl der Befragten attestiert sich selbst ein ausgepr~igtes UmweltbewuBtsein, das auch in der allt~iglichen Lebensfiihnmg umgesetzt wird. Das allt~gliche Handeln der bewuBt-reflektierten Nichtfemseher wird maBgeblich von ihrem Bediirfnis nach authentischer, bewuBter Welterfahnmg und sinnhafier, selbstbestimmter Lebemerftillung bestimmt. Fiir die meisten Befragten sind diese Bediirfnisse eng verkniipfi mit ihrer jeweiligen weltanschaulich-spirituellen Grtmdiiberzeugung. Ihr Interesse gilt in erster Linie dem Menschen als Kultur- und Sozialwesen. Menschliche Begegnung bedeutet ihnen mehr als materieller Wohlstand, Mitmenschlichkeit ist fftir die meisten Befragten ein verpflichtender Grundwert. Auch zukiJnfiig wollen die bewuBt-reflektierten Nichtfemseher ihren Lebensprinzipien treu bleiben, ihre Zukunfts-
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160 pl/ine sind auf die Fortsetzung ihres altemativen Lebensstils ausgerichtet. Organisierter Politik und politischen Parteien stehen die meisten bewuBt-reflektierten Nichtfemseher eher skeptisch gegeniiber. Lediglich sechs von ihnen gehen regelm/iBig zur Wahl, drei der Befragten sind entschiedene Nichtw/ihler. Politisches Handeln in der unmittelbaren, allt/iglichen Handlungssph~e ist vielen Befragten wichtiger als der regelm/il3ige Umengang. In ihrer politischen Einstellung stehen die meisten Befragten eher den linken Parteien nahe. Die bewuBt-reflektierten Nichtfemseher verzeichnen eine Vielzahl an Vorteilen und positiven Ver'~inderungen durch ihre fernsehfreie Lebensweise. Neben dem Gewinn an zus/itzlich verftigbarer Zeit sch/itzen sie vor allem die Steigerung ihrer BewuBtseinsund Wahmehmungsleistung, die grSBere Autonomie und Freiheit in der Alltagsgestaltung, eine Zunahme an innerer Harmonie und Ruhe, die Belebung selbstbestimmter Aktivitiiten und die Intensivierung zwischenmenschlicher Beziehungen. Negative Auswirkungen oder Nachteile, die direkt auf die Abwesenheit des Femsehers zuriick~fiihren w~iren, versp'tirt keiner der Befragten, Informationsdefizite oder Verlustgefiihle werden nicht beklagt. Ohne Ausnahme bewerten die Befragten ihre fernsehlose Lebensweise iiberaus positiv. Das Leben ohne Femsehen empf'mden sie als sinnvoll und erftillt, die Abwesenheit des Femsehers wird als lebensweltliche Bereicherung begriiBt. Niemand der Befragten hat seine Entscheidung, ohne Fernsehen zu leben, je bereut. Die Mehrzahl der bewul3t-reflektierten Nichtfernseher will auch weiterhin ohne Femsehen leben. Niemand von ihnen plant in absehbarer Zeit die Anschaffung eines Femsehger/ites. Sofem die femsehfreie Lebensweise der bewuflt-reflektierten Nichtfernseher iiberhaupt in ihrem sozialen Umfeld thematisiert wird, ruft sie unterschiedliche Reaktionen hervor. Einige der Befragten berichten yon eher erstaunten und verwunderten Reaktionen aus ihrer sozialen Umgebung, aber auch Zustimmung und Interesse werden h/iufiger ge/iul3ert. Negative Reaktionen auf die fernsehfreie Lebens~hnmg der bewuBtreflektierten Nichtfernseher bleiben hingegen eher die Ausnahme. Mit Ausnahme des Buches iiben die Massenmedien generell keine iiberm~iBige Anziehungskraft auf die meisten bewuBt-reflektierten Nichtfemseher aus. Sie sind zwar iiberwiegend mit aktuellen Printmedien ausgestattet, nutzen diese in der Regel aber nicht sehr intensiv. Zeitschriften werden nut von wenigen Befragten regelm/iBig und in gr6Berer Auswahl gelesen. Etwa die H/ilfte der Befragten nutzt die Angebote des Hfrfunks lediglich selten oder nie, Kinofilme und musikalische Tontr/iger iiben ebenfalls nur sehr wenig Reiz auf die meisten bewul3t-reflektierten Nichtfemseher aus. Einen eigenen Personal-Computer besitzt keiner der elf bewtd3t-reflektierten Nichtfemseher. Das Informationsbediirfnis der meisten Befragten ist weniger auf aktuelle Nachrichten zum allgemeinen und politischen Weltgeschehen ausgerichtet, als auf lokale Informationen und persfnliche Mitteilungen aus ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld.
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161 Die lebemweltliche Wirklichkeit der bewuBt-reflektierten Nichtfemseher ist von ihrem Wunsch nach unverstellter, primmer Welterfahrung gepr~igt. Sie pflegen - h~iufig auf der Basis weltanschaulicher Grundiiberzeugungen - einen altemativen Lebensstil, der ihrem inneren Streben nach Selbstfindung und Selbstverwirklichung entgegenkommt. Das Fernsehen ist mit diesem Lebensstil nicht vereinbar, weil es die zeitlichen und intellektuellen Ressourcen der bewuBt-reflektierten Nichtfemseher an eine ausschnitthafte Kunstwirklichkeit binden wiirde, die im Widerspruch zu ihrem ausgepr~igten Bediirf-nis nach authentischer Lebenserfahrtmg steht.
3.1.3 Der suchtgef'~hrdete Nichtfernseher
Die vier Vertreter des dritten fibergeordneten Nichtfemsehertyps haben sich fiir ein Leben ohne Femsehen entschieden, weil sie mit ihrem frfiheren Femsehverhalten, das durchaus als Femsehsucht charakterisiert werden kann, /iberaus unzufrieden waren. Durch ihre femsehfreie Lebensweise wollen sie sich in erster Linie vor fiberm~igem, unkontrolliertem Femsehkonsum schiitzen, um ihre eigentlichen Lebensvorstellungen ungehindert verwirklichen zu k6nnen. Die suchtgef~hrdeten Nichtfemseher, die im Rahmen dieser Studie befragt wurden, geh6ren zu einer kleinen Gruppe von ehemaligen Extremfernsehem 51, denen die Problemhaftigkeit des eigenen Femselmutzungsverhaltens zun/ichst einmal bewuBt wurde, und die es darfiber hinaus - wenigstens zur Zeit des Interviews - geschafft haben, flit l~ngere Zeit ohne Femsehen zu leben. Ihnen gegeniiber steht eine uniibersehbare Anzahl suchtgeffihrdeter oder siichtiger Viel- und Extremfemseher, die ihr problematisches Femsehnutzungsverhalten weder realisieren noch findem wollen oder k6nnen. Die Ursache flit die Bemiihungen der suchtgeffihrdeten Nichtfernseher, ihr problematisches Handeln zu ver/indem, lag sicherlich in erster Linie in der grollen Diskrepanz zwischen ihren eigentlichen Lebensvorstellungen und ihrem vom iiberm/iBigen Femsehkonsum diktierten Alltag, die einen starken Leidensdmck bei den Betroffenen verursachte. Unabdingbare Voraussetzung fiir diesen WandlungsprozeB ist jedoch die F/ihigkeit zur kritischen Reflexion des eigenen Handelns und der Wille zur Optimierung der eigenen Lebenswirldichkeit, was allen vier Befragten ausnahmslos zugesprochen werden kann. Insofern bilden sie in der Menge der suchtgef'fihrdeten Viel- und Extremfemseher eine privilegierte Elite. In ihren Lebensvorstellungen, Bedfirfnissen und Ansprfichen linden sich viele Parallelen zu den zuvor vorgestellten aktiven und bewullt-reflektierten Nichtfernsehem, lebensstilistische .~dmlichkeiten linden sich in grol]er Zahl. Der Unterschied zwischen den beiden ersten iibergeordneten Nichtfernsehertypen und den suchtgef'fihrdeten Nichtfemsehem liegt jedoch darin, dab die suchtgef~.ba'deten Nichtfemseher - zumal in Krisensituationen - besonders stark zu eskapistischem Verhalten neigen und dann die Kraft zur Verwirklichung ihrer eigentlichen Lebensvorstellungen nicht aufbringen
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162 k6nnen. Zudem befinden sie sich noch sehr nahe an dem Wendepunkt, an dem sie sich von ihren gewohnten Femsehroutinen verabschiedeten. Die Trennung von ihren Fernsehgeriiten ist bei ihnen mit wesentlich gr/SBeren Problemen und Widerstiinden behaftet gewesen als bei den zuvor genannten Nichtfemsehertypen. Bei einigen Betroffenen ist der Losl6sungsprozeB vom Fernsehen offensichtlich auch noch nicht g~zlich abgeschlossen. So handelt es sich bei den suchtgef'~u'deten Nichtfemsehem um einen Sondertypus, bei dem die Typbezeichnung weniger auf den dahinterstehenden Lebensstil, als auf die prim~e Ursache ffir den Femsehverzicht tier Betroffenen und ihre latente Neigung zu problematischem Femsehnutzungsverhalten verweist. Ein besonderer Schwerpunkt in der folgenden Darstellung liegt auf den ,,Extremfemseherkarrieren" der Betroffenen, die yon den Befragten in bewegenden und teils erschtittemden Worten geschildert werden. Diese Vorgehensweise wurde nicht zuletzt gew~.hlt, um eine unriihmliche Facette der heutigen Medienwirklichkeit zu beleuchten, die in der aktuellen wissenschaitlichen Auseinandersetzung mit Massenkommunikation noch allzu hiiufig vemachliissigt wird.
3.1.3.1 Die .Steckbriefe"
Ellen ist dreiflig Jahre alt und arbeitet als Krankenschwester in Miinster. Gemeinsam mit ihren beiden Hunden bewohnt sie ein Appartement in einem kleinen miJnsterischen Vorort. Seit November 1995 lebt Ellen nun ohne Femsehen, nachdem sie bereits in friiheren Jahren mehrere fernsehfreie Zeitriiume durchlebte. Zum Zeitpunkt des Interviews bef'mdet sich Dirk, einunddreiBig Jab_re alt, in der Endphase seines Studiums, das er in den Fiichem Deutsch, Spanisch und Musik absolvierte. Auch Dirk, der sich mit zwei Mitbewohnem eine Wohnung im miinstedschen Stadtgebiet teilt, hat bereits mehrere fernsehfreie Perioden hinter sich. Im Unterschied zu den iibrigen Befragten befindet sich Dirk noch im Besitz eines Femsehgeriites, das er jedoch aus seinem unmittelbaren Lebensbereich entfemt und seit vier Monaten nicht mehr genutzt hat. Nach dem erfolgreichen Abschlug seines Studiums arbeitet Michael seit einigen Monaten als Sozialarbeiter. Mit seiner Lebensgef'Ahrtin lebt Michael, der ebenso wie Dirk einunddreiflig Jahre alt ist, in einer zentral gelegenen Wohnung in Miinster. Wie seine beiden Vorgiinger kann auch Michael auf mehrere fernsehfreie Phasen in seiner Biographie zurfickblicken. Momentan lebt er seit September 1995 wieder ohne Femsehen. Der Historiker Sebastian, neununddreiBig Jahre alt, lebt seit M[irz 1995 ohne Fernsehen. Sebastian arbeitet zur Zeit an der Fertigstellung seiner Dissertation. Gleichzeitig
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163 bietet er, gemeinsam mit einem Bekannten, historische Dienstleisttmgen im In- und Ausland an, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Nach seiner Scheidung wohnt Sebastian allein in einer kleinen Appartementwohnung am Rande Miinsters.
3.1.3.2 Nichtfernsehen
Entstehungsbedingungen der fernsehfreien Lebensweise
Dirk und Michael haben bereits mehrfach bewuBt versucht, ohne Femsehen zu leben. Auch seinen aktuellen Versuch, den Alltag ohne Femsehen zu gestalten, hat Dirk bewuBt eingeleitet, nachdem er eine Phase exzessiven Femsehkonsums durchlebt und durchlitten hatte. Ffir Michael begann die momentane Femsehabstinenz hingegen mit einem Defekt an seinem Femsehapparat. Michael verzichtete allerdings bewuBt auf die Reparatur des Femsehger/ites, um in seiner Lebensgestaltung nicht emeut durch ausufemden Femsehkonsum behindert zu werden. Seine Entscheidung, in Zukunft ohne Fernsehen zu leben, wurde durch den Beginn seiner T/itigkeit als Sozialarbeiter begiinstigt: ,,Derzeit leb ich ohne Fernsehen seit dem vierzehnten September. Ich weifl es deswegen, weil mein letzter Fernseher kaputtgegangen ist, am Abend, bevor ich meine neue Stelle angetreten hab, genau passend. " Der Ausl6ser fiir Ellens derzeitige femsehfreie Lebensweise war ironischerweise eine Fernsehsendung fiber suchtkranke Menschen, die ihr ihre eigene Femsehsucht erstmalig bewuBt machte: ,,Ich habe das deswegen gemacht, weil ich kurz vorher einen Fernsehbeitrag gesehen habe, der fiber Sfichte ging. Der wurde in der Schweiz aufgenommen, und es ging um Drogen, um ganz normale Heroin-Drogen. Die Leute in diesem Film haben geschildert, wie es ihnen geht, wie schlecht es ihnen geht, und mir kam das alles sehr bekannt vor. So ging es mir auch. Diese Hoffnung zu haben, daft es anders wird, aber nicht zu wissen, wie man's andern soil. Danach hab ich den Fernseher ausgemacht und fiberlegt, was mit mir fiberhaupt los ses weil ich ja schon aufgehOrt habe zu rauchen, und ganz viele Sachte versucht habe, loszuwerden. Und dann wurde mir halt immer klarer, also auch noch an diesem Abend, daft ich 'ne ziemlich ausgepragte Sucht haben muff, und daft ich was gemeinsam mit diesen Leuten habe, namlich, keine Freunde, also wenig Menschenkontakt, und da wurde mir klar, daft es der Fernseher ist. " In Ellens bewegender Schilderung offenbart sich bereits ein Hauptmotiv fiir ihren Wtmsch, ihr Leben ohne Fernsehen zu gestalten. Er liegt in dem Leidensdruck b e g r ~ det, der aus der Diskrepanz zwischen ihrem Bedfirfnis nach zwischenmenschlichen Beziehungen und ihrer isolierten, vom Fernsehen dominierten Lebensweise resultiert. ,~thnliche Uberlegungen werden auch in Sebastians AuBenmg deutlich. Er entschied
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164 sich aus Anlafl der anstehenden Installation eines Kabelfemsehanschlusses in seiner Wohnung fiir ein Leben ohne Femsehen: ,,Meine Lieblingsserie war die schlimmste yon allen, und die schlechteste von allen, das war 'California Clan'. Das lief irgendwann mittags, und die war so grottenschlecht/ Und ich merkte, daft ich gedanklich, nicht nur direkt danach, sondern auch Tage danach, daraber nachdachte, und zwar jetzt nicht im reflexiven Sinne, sondern eher so im mitfi~hlenden Sinne. Also, man hat eben dann Identifikatoren da, und his hin, daft man in der Kommunikation mit anderen Leuten darauf anspielte, und das fand ich zum Schlufl negativ. Und zwar taten sich da Realitaten auf, die im Prinzip ja virtuell waren, und damit wollte ich ja gar nicht umgehen, sondern ich wollte im Prinzip mit Menschen umgehen und nicht mit produzierten Sachen. Also, es war 'ne Form von Ersatzrealitat, oder Realitatsersatz. Das hab ich dann doch als negativ empfunden. Das war also auch die Entscheidung, daft ich da gang klar Schlufl mache. " Drei der vier Befragten leben allein, so dab in ihren Haushalten keine Diskussionen fiber das Ffir und Wider einer fernsehfreien Lebensgestaltung aufkommen konnten. Michael wurde in seinem Bestreben, ohne Femsehen zu leben, von seiner Lebensgef'flartin, die selbst nur ~iuBerst selten das Femsehen nutzte, massiv unterstfitzt: ,,Sie hat meinen Frust damit mitbekommen, zum Teil meine Wut darauf und auch meine Hilflosigkeit, und es gab auf jeden Fall auch Diskussionen daraber, Gesprache darf~ber. Es gab auch Hilfsangebote von ihr, von wegen: 'Lafl uns den doch abschaff e n ' Oder: 'Ich versteck Dir den' oder so."
Friihere Fernsehnutzung
In den Aussagen der suchtgef'~ttrdeten Nichtfernseher fiber ihr frfiheres Femsehnutzungshandeln kommen gleichzeitig zahlreiche Motive flit" ihre jetzige fernsehfreie Lebemweise zur Sprache, die untrennbar mit ihren ehemaligen Femselmutzungsgewohnheiten verbunden sind. AuBerdem er6ffnen die Beschreibungen der Betroffenen Einblieke in ihr frfiheres, von exzessivem Femsehkonsum dominiertes Alltagsleben, das sich erheblich von ilu'er jetzigen Lebemgestaltung unterscheidet. Dabei geben die Befragten auch aufschluBreiche Hinweise auf die Ursachen ihrer jeweiligen Femsehsucht. Deshalb wird den ehemaligen Femselmutzungsroutinen der suchtgef~ahrdeten Nichtfemseher auf den folgenden Seiten besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Nur auf diese Weise l ~ t sich die Diskrepanz zwischen tier frfiheren Lebemrealit/it der Betroffenen und ihren eigentlichen Lebensvorstellungen und Bedfirfnissen, die sie mit ihrer heutigen, femsehabstinenten Lebensfiihnmg zu verwirklichen suchen, in ihrer ganzen Tragweite effassen. Oflmals sprechen die bewegenden und teils erschfittemden Schildenmgen der Befragten fiir sich, so dab sie keiner weiteren Interpretation bedfirfen.
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165 In ihrer Kindheit und fi'fihen Jugend wurde der Fernsehkonsum der Befragten ausnahmslos streng fiberwacht, manchmal auch verboten. Dirk setzte sich jedoch des/~fteren fiber das Femsehverbot seiner Eltern hinweg: ,,Bei uns frf~her war das Fernsehen 'ne Sache, die wurde yon unseren Eltern verboten. Der stand aber immer da. Nun fuhren meine Eltern Offer weg, auf Messen, und dann war das fiir uns ein Fest, weil das erste, was war, wenn die weg waren, daft wir Kinder uns davor gesetzt haben, und den Fernseher angeschaltet haben. "
War der Vater zu Haus, so nutzte dieser das Fernsehen in exzessivem MaBe. Dieses Verhalten fief schlieBlich eine Oppositionshaltung in Dirk hervor, die ihn erstmalig dazu veranlaBte, seinen Fernsehkonsum vorfibergehend g[inzlich einzustellen: ,,Negativ aufgefallen ist mir das erst so mit zwOlf, dreizehn Jahren. Da merkte ich, daft mein Vater ungeheuer viel fern sah, und mir ging das auf die Nerven, wie der da im Sessel sail und nur Fernsehen guckte und nichts tat und sich bedienen liefl. Und irgendwie auch so 'n biflchen aus (]berheblichkeit, hab ich das dann ihm gegenfiber abgelehnt und hab mir dann da was drauf zugute gehalten, daft ich's eben nicht tue, daft ich das nicht brauche. "
Auch Ellens Eltem versuchten, ihre Kinder vom Bildschirm femztahalten: ,, Wir hatten keinen Fernseher. Also, ich sage immer, wir hatten keinen. Wir hatten keinen dastehen. Meine Eltern hatten einen im Schrank, in ihrem Raum, einen kleinen Schwarz-WeiJ3-Fernseher. Und das hat sich auch nicht gedndert bei meinen Eltern, bis ich ausgezogen bin."
Obwohl der Fernseher Rir die Kinder eigentlich verschlossen bleiben soUte, verschaffie sich Ellen gelegentlich Zugang zum Femsehapparat ihrer Eltern und sah, ebenso wie Dirk, gemeinsam mit ihrem Bruder heimlich fern. In Michaels Elternhaus wurde der Fernsehkonsum der Kinder streng iiberwacht. Es gab festgelegte Fernsehzeiten, und auch das Programm wurde von den Eltem diktiert. Fernsehverbote wurden gezielt als Bestrafungsmittel eingesetzt: ,,Fernsehkonsum wurde bei uns gang klar reguliert. Fernsehverbot, das war so das, wenn man nicht aufraumte. Es gab bestimmte Zeiten, also, nachmittags wurde bei uns so gut wie gar nicht geguckt. Das war was SchOnes, abet es wurde gang klar reguliert, es gab auch gang klar Verbote und auch abends Grengen, und bezaglich welche Filme gesehen werden durflen. "
Einerseits wurde das Femsehen durch seine Funktion als erzieherisches Druckmittel von Michaels Eltem aufgewertet, andererseits wurde es, insbesondere von seiner Mutter, massiv negativ besetzt: ,,Ich erinnere reich, daft racine Mutter so gang frfgh auch schon sagte: 'Das Fernsehen ist der grOflte Feind, das macht die Familien kaputt und die Menschen kaputt! '."
Die medienp~idagogische Inkonsequenz und Widersprfichlichkeit der Eltern, die sich in den Aussagen tier Befragten widerspiegelt, ist m~iglicherweise eine fi'fihe, sozialisationsgebundene Ursache ftir die sp~iteren Schwierigkeiten der suchtgef'fihrdeten Nichtfernseher im Umgang mit dem Femsehen. Zumindest bei Ellen, Dirk und Michael 1EBt sich diese Vermutung anstellen.
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166 Ebenso wie die ilbrigen suchtgef'~ihrdeten Nichtfemseher durfte auch Sebastian als Kind nur sehr wenig femsehen. Als Schiller wurde er von seinem Vater dazu angehalten, anstelle von unterhaltungsbetonten Programmin_halten die politische Berichterstattung im Femsehen zu verfolgen - eine medienp~idagogische Maflnahme, mit der Sebastian nicht nur negative Erinnertmgen verbindet: ,,Meine Eltern hatten eher einen sehr restriktiven Umgang mit dem Fernsehen. Ich hab zum Beispiel nie diese Sachen zugestanden bekommen, wie 'Bonanza'. Mein Vater war sehr politisch interessiert, wit haben also sehr viel Nachrichten gesehen, politische Magazine, und zum Beispiel alle Wahlkampfsendungen oder Wahlsendungen, rauf und runter. Da kann ich mich natarlich auch noch dran erinnern, an die tollen Szenen, wo Franz-Josef Straufl besoffen in M~inchen im Studio sail und yon da aus die 'Bonner Runde' anfurzte. " In schonungsloser Offenheit schilderten die Befragten ihr sp~iteres Fernsehnutzungsverhalten, das gepr~igt war yon Phasen exzessiven Fernsehkonsums, die, zumindest bei einigen Befragten, immer wieder durch verzweifelte Bemilhungen, ohne Femsehen zu leben, abgel6st wurden. Besonders in Krisensituationen neigten die Betroffenen dazu, sich in die Kunstwelten des Femsehens zu flilchten. Dirks Extremfemseherkarriere begann kurz vor seiner Reifeprtifung und verschlimmerte sich, nachdem er sein Eltemhaus verlieB und seine erste eigene Wohnung bezog. Damals hatte er sich von seiner Mutter einen Fernsehapparat schenken lassen, um sich mit Hilfe entsprechender Bildungsprogramme auf seine Abiturprilfungen vorzubereiten: ,, Weil dort a u f 'WDR III' viele Schulfunksendungen kamen, bei denen ich in Biologie, Mathe und Englisch irgendwie zu profitieren gehofft hatte. Und als ich dieses Ding hatte, war gar nicht schlecht. Dann bin ich ausgezogen yon zu Hause und hab sehr viel Fernsehen gesehen, ist mir auch noch nicht weiter aufgefallen, und irgendwann war ich in so einer Phase drin, wo ich selber nicht genau wuflte, wie es weiterging, und ich hatte auch Brassel privat. Und in dem Moment merkte ich, daft der Fernseher echt Teufelszeug ist, weil der einen immer weiter reinreiflt, man findet immer weniger die Initiative, ich bin immer seltener aufgestanden, und ich war auch ziemlich darnieder. Es klappte ziemlich wenig, ich hatte mit zu Hause .4rger, es kam kein Geld rein, ich hatte ,i{rger mit dem Vermieter, und dieser Versuch, das als Telekolleg zu nutzen, ist fehlgeschlagen. Und dann kam irgendwann 'ne Phase, ich weifl gar nicht mehr, wann das erste Mal, so vor ein paar Jahren, wo ich dann konsequent gesagt habe: Nee, wenn ich jetzt wieder umziehe, dann lafl ich den Fernseher eben im Keller yon meiner Oma, da bleibt der drin, dann nehm ich den erst gar nicht mit. Und dann ]cam meine Freundin, und, wie's so ist: 'Sollen wir nicht ins Kino gehen? Ach lafl uns doch Fernseh gucken ' Dann hab ich den also wiedergeholt, und dann stand der hier. Und dann ging mir das so a u f den Keks, daft der hier stand, dann hab ich ihn erst da oben einger~umt, abet dann, weil e r d a stand, hab ich ihn auch real des Ofteren angeschaltet, und dann immer mehr und immer mehr, u n d - wupps - war man wieder drin. Dann gab es das
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167 auch, daft ich den Fernseher nicht mehr ausgemacht hab, wenn ich ins Bett gegangen bin. Dann ist der geklaut worden, der Fernseher, und ich wollte gar keinen neuen haben. Es ist mir auch des i~fteren einer angeboten worden, aber, weil ich das yon mir weifl, hab ich das dann immer sein gelassen. Und der letzte, der war real auf dem Sperrm~ll, und den hat sich mein Nachbar geholt, und das war ein absoluter Fernsehhasser. Der hat auch erst wohl geguckt, und dann sagte er: 'Ich will den nicht mehr haben, hier, ich stell den bei Dir hin '. Ist 'n schwarz-weifler, der flimmert auch. Und, ja, dann hab ich da auch geguckt. Auch ziemlich lange wieder, weil, ich hatte ja schon lange nicht mehr geguckt. So war das bei mir, immer zeitweise. Dann kamen Phasen yon, ich weifl nicht, real ein paar Monate intensivster Fernsehschau, und dann wieder ein halbes Jahr gar nicht. Ich hatte frfiher auch schon Phasen, wo ich auch zum Teil ein Jahr lang den Fernseher gar nicht da hatte. " Im AnschluB an die Phasen exzessiven Fernsehkonsums hatte Dirk regelm~iBig mit Entw/Shnungserscheinungen zu k~anpfen, wie sie auch im Zusammenhang mit anderen Abh~ingigkeiten wie Drogen- oder Alkoholsucht immer wieder beobachtet werden: ,,Das ist auch noch so 'ne verrfickte Sache. Die erste Zeit, als ich aufgehi~rt hab, Fernseh zu gucken, das ist wie eine Sucht, das hat bei mir vier Wochen gedauert, bis ich nicht mehr den Drang hatte, jetzt real eben schnell 'ne kleine Sendung anzuschalten oder 'Tagesschau' zu gucken, oder so was." Dirks Neigung zu iiberm~iBiger Femsehrezeption in Krisenzeiten hatte den fatalen Effekt, dab sich seine Unzufriedenheit durch die - im Prinzip ungewollte - Intensivienmg seines Femsehkonsums noch versch~fte, was wiederum zu einer zus~itzlichen Ausweitung seiner Fernsehnutzung fiJhrte, um von der sich zuspitzenden Problemsituation abzulenken: ,,Ich merke, daft ich dann besonders anfdillig bin, wenn es mir nicht besonders gut geht, daft ich dann den Fernseher nicht sofort ausschalte, wenn ich das gesehen babe, was ich gesehen haben wollte. Und dann hat sich das automatisch und wie 'ne Spirale hochgeschraubt. " Ohne spezielle programminhaltliche Vorlieben zu hegen, ,,zappte ''52 sich Dirk durch das Programm, immer auf der Suche nach Sendungen, die auf sein Interesse stieBen. Die seltenen Pausen, die Dirk w~,hrend dieser BemiJhungen einlegte, riefen in ihm regelm~iBig eine innere Leere hervor, die er nur unter gr/SBten Anstrengungen sinnvoll zu ftillen wuflte: ,,Ich hab auch keine Zeitschrift, also, ich hab keine IT'ochenzeitung, so daft, wenn ich angestellt habe, jetzt sindja auch mehrere Sender vorhanden, also wird wohl irgendwo beim Zappen, werd ich irgendwas erwischen. Ich meine, ich zappe nicht, weil ich keine Fernbedienung habe, sondern ich dreh dann immer am Radchen, und hab dann alle Kandle durchgeguckt, und kam nix, ja, dann lief der eben 'ne halbe Stunde, his die ndichste Sendung anlief. Und dann war nix, dann lief der wieder 'he halbe Stunde. Also, wenn wirklich aberhaupt nix war, dann hab ich vielleicht auch schon mal ausgeschaltet, aber dann kam sofort die Frage auf." Ja, und was jetzt? Was jetzt? Dann muff
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168 man sich doch fiberwinden, was anderes dagegen zu setzen, man muff sich mtsachlich dann Gedanken machen, was man macht. Der Fernseher verlangt das nicht. " Unumwunden gibt Dirk schlieBlich Auskunft fiber das AusmaB seiner Femsehsucht. W/ihrend seiner exzessiven Sehphasen verbrachte er t/iglich weit mehr als zehn Stunden vor dem Fernsehapparat: ,,Das war sehr viel. Vierundzwanzig Stunden hat der Tag, davon hab ich vielleicht vierzehn Stunden geguckt. Das ist massives Suchtverhalten, ja. "
Bis zum Alter von neunzehn Jahren wuchs Ellen abgeschirmt vom Femsehapparat ihrer Eltem auf. Abgesehen von den seltenen, heimlichen Femsehgelegenheiten, die sich in ihrer Kindheit durch die gelegentliche Abwesen_heit ihrer Eltem ergaben, nutzte Ellen in diesen Jahren das Fernsehen fiberhaupt nicht. Ellens Extremfemseherlaufbahn begann ebenfalls in einer Krisensituation, kurz nachdem sie ihr Elternhaus verlassen hatte: ,, Dann hatte ich 'ne ziemliche Krise und hab mir den Fernseher geholt, vom Sperrmall einen, und hab sechs Wochen lang, glaub ich, aufler aufs Klo gehen, essen und einkaufen, nur Fernseh geguckt. Und ich hab gemerkt, der Fernseher macht reich krank, nach sechs Wochen, und hab reich gezwungen, ich konnte kaum noch alleine laufen, wieder nach drauflen zu gehen. " Bereits damals bemerkte Ellen negative Auswirkungen ihres iiberm/igigen Femsehkonsums, die sie dazu bewogen, ihren Femseher zun/ichst abzugeben. Etwa zwei Jahre sp~iter, mit Beginn ihrer n~ichsten Lebenskrise, setzte ihr unkontrollierter, exzessiver Femsehkonsum jedoch wieder ein: ,,Da hab ich mir wieder einen Fernseher geholt, gartz viel ferngesehen auth." So verbrachte sie die letzten Jahre immer im Wechsel zwischen Phasen exzessiven Femsehkomums in besonderen Krisensituationen und femsehfreien Perioden, in denen sie sich psychisch und physisch stabil fiihlte: ,,Ich habe "90 angefangen, als ich im Marz '90 hierhin gezogen bin, habe ich Fernsehen geguckt, sehr intensiv, als Suchtmittel. Habe es aufgehOrt im Golflcrieg, weil ich gedacht habe, der Krieg findet in meinem Wohnzimmer statt, das halte ich nicht aus, babe danach bewuflt reich verweigert. Da hab ich dann wieder aufgehOrt und bin in einen Schrebergarten gezogen, wo ich auch kein Fernsehen hatte, und habe eigentlich wieder angefangen, als mein Verlobter krank wurde, das war '93, zwei dahre spater. Das hat reich ziemlich umgehauen, well, dann hat mein KOrper ziemlich heflig reagiert, ich war eineinhalb Jahre krank, und da bin ich am Fernseher klebengeblieben. Also, ich hab fast nut noch Fernseh geguckt. Das war das einzige, was ich aberhaupt noch konnte, weil, Fernseh gucken kostet nicht viel Energie. Ein Buch lesen, da kriegte ich vielleicht die erste Zeile hin, war dann wieder sehr made, und ich brauchte danach Ablenkung. KOrperdepression, total. Da hab ioh halt mit zwei Sachten angefangen, mit dem Fernsehen und mit dem Nikotin, da in dieser Krankheitsphase, und hab dann eine Therapie gemacht, die reich aus diesem Chaos rausbegleitet hat." Die Phasen intensiven Fernsehkonsums gingen regelm/iflig mit einer starken sozialen
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169 Vereinzelung Ellens einher, w~J~rend sie in ihren femsehfreien Lebensphasen durchaus soziale Kontakte pflegte und auch ein reges Arbeitsleben Ftihrte: ,,Dann war ich mit anderen Dingen beschi~fiigt, hab gelebt. Also, Fernsehen kommt immer nur dann in mein Leben, wenn ich nicht lebe. " ,~hnlich wie Dirk besafl auch Ellen immer nur technisch iiberholte Schwarz-WeiBFemsehger~ite yon geringer Gr6Be: ,,Ich hatte nut so 'n kleines Schwarz-Weifl-Teil und wollte auch nie 'nen anderen haben, also, bunt wollte ich sowieso nie haben. Wenn, immer nut schwarz-wei./3, also, bunt kommt mir nicht ins Haus. " Wann immer Ellen ihre Aufmerksamkeit zunehmend dem Femsehprogramm widmete, richtete sich schon bald ihr gesamter Tagesablauf nach den Anfangszeiten der verschiedenen Unterhalttmgs- und Informationsangebote. Besondere programminhaltliche Vorlieben verfolgte Ellen nicht, allenfalls Musikprogramme stieBen bei ihr auf erhShtes Interesse: ,,Ich hab dann ziemlich schnell angefangen, meine privaten Termine nach der Programmzeitung zu sortieren. Also, wenn da ein wichtiger Film kam, hab ich die Verabredung gar nicht gelegt, oder so was. Ich bin nicht ans Telefon gegangen, habe alles queerbeet gesehen, aufler diese wirklich ganz duramen Sachen, wie 'Gl~cksrad" und so. Aber halt Serien, so, halt auch dumme Serien, warde ich sagen, so klischeehafie. ' V i v a ' f and ich ganz toll, ganz gefahrlich ff~r reich, also, den hatt ich vierundzwanzig Stunden gucken kOnnen, diesen Sender. Ich hab manchmal f i m f Stunden 'Viva" geguckt. " Ebenso wie Dirk verbrachte Ellen zu Spitzenzeiten fast den gesamten Tag vor dem Femsehger~it. Mindestens fiinf bis sechs Stunden sail Ellen jeden Tag vor dem Bildschirm, aber auch weir mehr als zehn Stunden t~iglichen Femsehkonsums waren nicht selten: ,,Ich hab im letzten Jahr taglich mindestens fi~nf, sechs Stunden geguckt. Dieses Frustgucken, daft ich wirklich fast vierundzwanzig Stunden geguekt habe, das habe ich nur in Phasen gemacht, wo mein Selbstbewufltsein zu meinen Ff~flen lag, also vOllig fertig war. Das kam vielleicht zweimal hintereinander in der Woche vor und dann vielleicht real drei, vier Wochen ~berhaupt nicht. Sonst habe ich bewuflt schon die Filme ausgesucht, habe aber, wenn keine Alternativen da waren, auch Schrott geguckt. " Von 1985 bis 1987 lebte Michael in Aachen, wo er seinen Zivildienst ableistete. Dort besaB er kein Fernsehger~it. W~tlrend tier folgenden zwei Jahrc lebte er in einer Wohngemeinschaft, wo er gelegentlich den Femseher seiner Mitbewolmerin mitbenutzte: ,,Da hab ich quasi so mitgeguckt. Das war yon '87 bis '89, hier in M~nster. " Einen eigenen Fernseher legte sich Michael erst in seiner n~ichsten Wolmgemeinschai~ zu, in tier er dreieinhalb Jahre verbrachte. W~hrend dieser Zeit begann Michael, mehr und mehr femzusehen. Nachdem er mit seiner Lebensgef'~u'tin eine erste gemeinsame Wohnung bezogen hatte, verschlimmerte sich seine Femsehsucht, und er bemiihte sich erstmalig, sein iiberm~iges Femsehnutzungsverhalten in den Griff zu bekommen:
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,,Dann bin ich mit meiner Freundin zusammengezogen, in 'he andere Wohnung, und dann hatt ich so 'hen alten Schwarz-Weifl-Fernseher, den hatt ich dann schon mitgenommen, beim Umzug. Und den hab ich dann irgendwann, hab ich dann abends oder nachts das Kabel abgekniffen, weil ich merkte, ich guck zuviel, und krieg ihn nicht mehr ausgestellt. Hab ihn dann in der selben Nacht noch in den Keller geschleppt. Far reich war das so 'n Befreiungsschlag. So Anfang, Mitte '93 muff das gewesen sein. Den hab ich dann vier, f a n f Wochen spater, kam ich nachts nach Hause, um ein, zwei Uhr, war wohl leicht angeschickert, und den hab ich dann nachts aus dem Keller wieder hochgeholt, und 'he Lasterklemme angeschlossen, damit ich wieder weitergucken konnte. Rackfallig geworden. " Als sein erster Fernsehapparat nicht mehr funktionierte, bekarn Michael von einem Bekarmten ein Ersatzgedit geschenkt - wiederum ein Schwarz-WeiB-Ger@, das dem Stand der Technik bereits seit langem nicht mehr entsprach: ,, Und was auch da schon war, und auch bei dem vorher, die Qualitat war mir nicht so wichtig. Also, zur Not auch 'n flimmerndes oder 'n Schneebild. Hauptsache, da bewegt sich was." Auch dieses Femsehger[it wurde von Michael mehnnals in den Keller verbannt, aber immer wieder an seinen alten Standort zurfickgebracht, wenn Michael seinem Verlangen nach Fernsehkonsum nicht mehr widerstehen konnte. SchlieBlich erreichte Michael einen Punkt in seinem iiberm/il]igen Femselmutzungsverhalten, an dem er sich zur endgiiltigen Zerst6rung seines Fernsehapparates entschlol], um seiner unkontrollierbaren Femsehsucht ein Ende zu setzen: ,, Und dann hab ich den irgendwann nachts, um zwei oder drei, war auch so 'n Abend, da hab ich lange geguckt, und dann noch 'n letztes Glas Wein getrunken, und noch 'ne Zigarette geraucht, und ich war's einfach aberdrassig, und dann bin ich noch 'n Stack spazierengegangen drauflen, wiedergekommen, und dann hab ich reich entschieden, ich roach ihn kaputt, ich will ihn endgaltig aus haben, und zwar so, daft ich ihn selber nicht wieder anmachen kann. Und es war auch so, zu merken, ich will ihn nicht nur so ausschalten, dab ich ihn nicht mehr ankriege, sondern auch, ich will diesen Fernseher zerstOren, weil er reich kaputtmacht. " In einem bewuflten, rituellen Akt zerlegte Michael seinen Fernseher, um sich endgiiltig von seiner Abh~gigkeit zu befreien: ,,Ich hab dann angefangen, hab ihn noch real angemacht, und es war gerade auch noch eine yon den Sendungen, die ich gerne gucke. Ja, und dann den wirklich ausschalten, Stecker raus, und dann hinten die Rackwand abzuschrauben und auseinanderzunehmen, und systematisch die Platine mit der Zange abbrechen, jedes Teil einzeln, Klack, Klack, Klack, ihn richtig auseinanderzunehmen, und es ging mir saugut dabei! " Obwohl sich Michael zun/ichst sicher war, in Zukunt't ohne Femsehen leben zu k6nnen, wurde er nach einigen Monaten erneut riickfiillig: ,,Ja, dann dachte ich, ich ware halbwegs clean. Ja, ich benutze Worte aus der Suchtproblematik, well ich far mich gemerkt hab, es ist bei mir 'he Suchtproblematik. Dann
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171 hab ich einen Fernseher geschenkt bekommen, von meinem Bruder, den hab ich dann auch noch dummerweise angemacht. Das muff jetzt schon mindestens ein Jahr her sein. Ja, und dann hatt ich dann wieder 'nen Fernseher, sogar mit Fernbedienung, das erste Mal. Den hab ich totgeguckt. Der hat nach zwei, drei Monaten aufgegeben, nachts urn eins oder um zwei. " Kurz darauf erhielt Michael von einem Bekannten erneut ein Femsehgeriit. Dieses Ger[it- sein bisher letzter Fernsehapparat- versagte schlieBlich seinen Dienst, einen Tag, bevor Michael seine neue Arbeitsstelle antreten muBte. Das Femsehen bot Michael in erster Linie einen Ersatz fiir soziale Kontakte. Um der Tristesse des Alltags zu entfliehen, sah Michael mit Vorliebe Spielfilme und Serien mit epischen Inhalten, die ihm die Mfglichkeit zur Teilhabe an einer fiktionalen Kunstrealit~it boten. Informationssendungen interessierten Michael hingegen nur am Rande: ,, Ffir reich ist Fernsehen, da sind Gesichter, da sind Menschen, die reden mit mir, oder die erzdhlen mir was, oder da passiert 'ne Geschichte, die ist interessanter, als das, was gerade da ist. So erlebe ich Fernsehen. Der Groflteil, was ich gesehen hab, sind Spielfilme. Spielfilme oder Serien, also, mehr Geschichten als Dokumentarfilme oder Sachinformationen. " Wie seine beiden Vorg~inger verbrachte auch Michael w~ihrend seiner Nutzungsphasen t~iglich zahlreiche Stunden vor dem Femsehapparat. Besonders in Zeiten starker seelischer Beanspruchung wuchs Michaels Neigung, w~ihrend seiner gesamten Freizeit fernzusehen: ,,Es ist nicht nur einfach, daft ich mich davorsetze, und 'ne viertel Stunde oder 'ne halbe Stunde oder 'ne Stunde gucke, sondern auch drei, vier, fans sechs Stunden gucken kann, und dann auch irgendwie spater rausgehe als gewollt, oder einfach hdngenbleibe davor, Termine rausschiebe und, und, und."
Sebastians friiheres Femsehnutzungshandeln unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von den Nutzungsgewohnheiten seiner drei Vorgiinger. Im Unterschied zu Ellen, Dirk und Michael durchlebte Sebastian nut eine einzige Phase exzessiver Femsehnutzung w~hrend einer pers6nlichen Lebenskrise. Diese Phase begann mit der Trenntmg von seiner Ehefrau im Jahre 1991 und endete im M ~ z 1995. Besonders w~ihrend der ersten zwei Jahre nach seiner Scheidung verfiel Sebastian in massives Femsehsuchtverhalten. Zunehmender Verdn~ fiber die mangelhafte Programmqualit~it und eine wachsende Unzufriedenheit fiber seine iiberm~ige Femsehnutzung Rihrten dann zu einer stetigen Abnahme seines Femsehkonsums, den er schlieBlich Anfang 1995 ganz einstellte. In den Jahren vor seiner Krise nutzte Sebastian das Fernsehen als ,,normaler" Femsehkomument mit einer Vorliebe ~ Informations- und Nachrichtensendungen: ,,Meine Frau hat damals sehr gerne das gesehen, was ich, als ich dann alleine war, sehr gerne gesehen habe, ndmlich Kitsch. leh habe vorher nie Kitsch gesehen. Ich war vielleicht fraher sehr rationalistisch mit solchen Sachen und hab reich damit gar nicht beschdftigt. Also, ich hab Fernsehen als Unterhaltung kaum wahrgenommen. Ff~r reich war Fernsehen Information, ein Medium der Auflddrung. "
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172 Nicht allein die Scheidung von seiner Ehefrau fiihrte zu Sebastians Lebenskrise und damit zu seinem vermehrten Femsehkonsum. Weitere lebensweltliche Ver~,nderungen trugen dazu bei, dab Sebastians Lebenssituation Anfang der neunziger Jahre immer problematischer wurde: ,,Ich hatte 'ne ziemlich starke, intensive Krise. D a s h i n g mit meiner Scheidung zusammen, das hing mit meinem Verdrufl auch an den Wissenschafien zusammen, und ich hab 'ne gewisse Zeit gebraucht, um da rauszukommen. Und dieser Umbruch, also, mit neuer Wohnung und zum Beispiel auch Computer und so, das h~ngt alles damit zusammen. Es war so'ne Zeit, da ging es mir sozial, psychisch und auch gesundheitlich nicht sehr gut. Also, es war die Sache mit dem Fernseher, daft das auch zum Teil da mit hineinkam, daft ich sicherlich vielleicht aus dieser Krisensymptomatik heraus dann zum Beispiel eher a u f der Couch gelegen hab, und hab Fernseh geguckt. " In dieser Zeit nutzte Sebastian das Fernsehen sowohl zu eskapistischen Zwecken, um seiner bedriickenden Lebensrealit~it zu entfliehen, als auch als therapeutisches Ventil fiir seine aufgestauten Emotionen. Die Spiegelung seiner eigenen Lebensrealit/it in den oftmals ~ i c h gelagerten Handlungszusammenh~_ngen der Serien und Spielfilme erm6glichte es ibm, seine eigenen Probleme zumindest wahrzunehmen und zu betrauera"
,,Ja, da hab ich gerne Sehrott geguckt, so B-Movies und Serien, das hab ich sehr genossen, das war so 'ne Art Realitditsflucht, man brauchte sich mit nichts zu beschi~ftigen. Aber ich habe auch Sachen dann an mir entdeckt, die ich dann auch zugelassen habe, also zum Beispiel, wo ich sehr skeptisch immer war, daft man sich identifiziert, oder daft man Gefiihle an sich heranlaflt. Es gab also dann hinterher, das hangt aber dann auch mit der Krisensituation und mit der Scheidung zusammen, wenn im Fernsehen zum Beispiel Situationen kamen, die durch die Situation einen Bezug auf meine Situation hatten, dann war ich sehr emotional sehr angerahrt. Das war so, daft ich zum Beispiel, was ich noch nie irgendwann, irgendwo vorher hatte, weder im Kino noch im Fernsehen, daft ich zum Beispiel geweint habe. Das war vOllig neu far mich. Da war auch dann das Medium Fernsehen ein Selbsterfahrungsinstrument. Das spricht in dem Sinne j a auch erst mal fiir das Medium." In erster Linie benutzte Sebastian das Fernsehen jedoch zur Kompensation seiner sozialen Probleme. Die idealisierte Scheinwelt des Fernsehens bildete ein willkommenes Gegengewicht zu seiner eigenen, bedriickenden Lebenswirklichkeit: ,,lch hab genossen, Fernseh zu gucken. Also, auch Schrott und Mall das befriedigte ganz gewisse Bedfirfnisse in mir. Heile Welt, super Beziehungen, es gibt zwar Probleme, aber die sind alle zu bewaltigen, das Ideal der Familie, die Familie steht zueinander. Das ist klar, alles, was man selbst nicht hat, wird dort einem vorgefiihrt. Die moderne Welt, die in sich sehr fragmentiert ist, ist dort noch die heile Welt, die eine Welt." Neben seiner Vorliebe fiir Seifenopem, Serien und Spielfilme weckten noch Sportund Nachrichtensendungen Sebastians besonderes Interesse:
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173 ,,Also, Fuflball hab ich exzessiv geguckt, da konnte man nebenbei auch noch was tun, und Tennis hab ich auch exzessiv geguckt. Ab sieben bis acht hab ich sicherlich vier Nachrichtensendungen hintereinander gesehen." H~iufig lief der Femseher, ohne dab Sebastian dem dargebotenen Programm seine ganze Aufmerksamkeit widmete. Mehrstiindiger, intensiver Femsehkonsum war jedoch auch Rir Sebastian keine Seltenheit: ,,Fernsehen gewann bei mirja dann auch so die Funktion der Hintergrundkulisse. Das waren so ganz gewisse Zeiten, wo ich dann wirklich so ff~nf, sechs Stunden hintereinander geguckt habe." Obwohl Sebastians Femsehkonsum w~ihrend der letzten Monate kontinuierlich abgenommen hatte, fiel ihm der endgfiltige Abschied von seinem Femsehger~it zun~ichst sehr schwer: ,,Ich hab damals, als ich's nicht mehr hatte, jeden Tag noch das Fernsehprogramm gelesen, dann hab ich anschlieflend immer die Fernsehkritiken gelesen, f~ber das, was ich nicht gesehen hab. Den Fernseher hab ich sicherlich noch ein paar Monate hier stehen gehabt. Das war irgendwie so 'n Einrichtungsgegenstand, von dem ich mich nicht trennen konnte. " Ein kurzzeitiger ,,Rfickfall" in frfihere Femsehgewohnheiten best~itigte Sebastian jedoch, mit der Verbannung des Femsehens aus seinem Alltag richtig gehandelt zu haben: ,,Ich hab mal das Haus meiner Schwester verwaltet, da war ich eine Woche, da hab ich einen ganzen Tag vorm Fernseher zugebracht. Da war ich allerdings abends so psychisch down wie selten. Ich fiihlte mich vOllig verdreckt und vermf~llt. Also, da hab ich wirklich von morgens bis abends alles durchgeguckt. Ich war so groggy, und da hab ich am nachsten Tag kein Fernsehen mehr geguckt. Es hat mich bestatigt darin, daft es mir nichts gebracht hat. lm Prinzip hab ich sogar neben mir selbst gestanden, und hab mich daraber kaputtgelacht, daft ich wieder eine Folge 'California Clan' geguckt habe, und dann hab ich gedacht: Mein Gott, was ist das ff~r ein Mist, den man sich da angetan hat!."
Stellenwert des Nichtfernsehens
Die vier suchtgeffihrdeten Nichtfemseher leben erst seit einigen Monaten ohne Fernsehen. Aufgrund der kurzen zeitlichen Distanz, die zwischen ihren frfiheren Fernsehnutzungsroutinen und ihrer heutigen Fernsehabstinenz liegt, reflektieren die suchtgeffihrdeten Nichtfernseher ihre fernsehfreie Lebensweise recht h~iufig. Nicht femzusehen ist noch kein selbstverst~dlicher Bestandteil ihrer Alltagsroutine. Diejenigen Befragten, die bereits in der Vergangenheit h~iufig ,,rfickf~illig" wurden trod nach mehreren Versuchen, ohne Fernsehen zu leben, wieder zu ihren gewohnten Femsehnutzungsroutinen zuriickkehrten, setzen sich besonders h~iufig mit ihrer Fernsehab-
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174 stinenz auseinander. Ffir diese Befragten ist das Femsehen beziehungsweise ihre heutige Femsehabstinenz ein ,,Lebemthema", das immer wieder auf ihre Tagesordnung zuriickkehrt. Michael untemahm sogar den Versuch, im Rahmen einer Psychotherapie seine Fernsehsucht zu bek~.mpfen. In seiner Schildemng dieser Bemfihungen erfffnet sich gleichzeitig der psychologische Motivationshintergrtmd ftir sein fiberm~3iges Femsehnutzungshandeln, der in ~tmlicher Form sichedich auch ftir viele andere Extremfemseher zutrifft: ,,Ich hab 'he Therapie gemacht. Vor zweieinhalb Jahren hab ich angefangen, erst ein dreiviertel Jahr Einzelsitzungen und dann ein und ein viertel dahr in der Gruppe. Ja, da war das auch ganz klar Thema, so mehrere Male, und fiir reich auch ein ganz bedeutendes Thema, dieses Suchtverhalten. Was far reich so 'n Ding war, war erst real zu lernen oder zu begreifen, ich krieg den Punkt gar nicht, wo ich eigentlich was anderes tun mOchte. Diese Momente, die sp~rte ich gar nicht. Da muflte ich erst mal lernen, zu sparen, wo sind die denn. Ein Gesp~ir dafiir zu kriegen, daft da etwas ist, ein innerliches Wiinschen, 'he Sehnsucht, ein Bed~fnis, was aber so geabt ist, es nicht zu spiiren, daft man das nachher nicht mehr wahrnimmt, statt dessen was anderes macht, mit einer Unzufriedenheit. Ich kann nicht leben und lerne, etwas anderes zu leben und werde dann langsam zu diesem anderen. " Michael hat im Rahmen dieser Therapie erkannt, dab er das Femsehen, ebenso wie andere Massenmedien, h~iufig zu Eskapismuszwecken nutzt, wenn er sich in einer Spannungssituation befindet. Nut die regelm/iBige Reflexion dieser Zusammenh~ge ermfglicht ibm die Kontrolle fiber seine eskapistischen Neigtmgen und damit letztlich die Fortffihnmg seiner femsehfreien Lebensweise: ,,Ich hab innerhalb dieser Therapie gelernt, ich hab einen wunderbar funktionierenden Mechanismus, wenn mir etwas unangenehm wird oder etwas bedrohlich wird, oder bestimmte Sachen, die ich nicht machen will, dann gehen meine Gedanken a u f ganz was anderes. Ich nehme das nachste St~ck zu lesen, und das ist egal, ob das 'he Zeitung, oder "n Buch, oder 'he Bedienungsanleitung ist, oder die Verpackung yon 'her Milcht~ite, und ich bin dann da voll drin, und kann reich dann auch ganz lange da drin verlieren. Der Fernseher ist das wunderbarste Medium dafiir. Da passiert immer was Neues, mittlerweile mit hier sechs zu empfangenden Programmen. Wenn ich gucke, dann zappe ich hin und her, das heiflt, ich kann, wenn's mal langweilig wird, und ich dann so merke, da kommt das andere wieder hoch, das Eigene - Zack, neues Programm. ~c
Die hochgradige Relevanz des Nichtfernsehens ftir die Befragten spiegelt sich auch in der Einsch~itzung ihrer Fernsehabstinenz als besonderer individueller Emmgenschafi. Im Unterschied zu den aktiven und den bewuflt-reflektierten Nichtfemsehem betrachten die suchtgef'ahrdeten Nichtfemseher ihre femsehfreie Lebensweise ausnahmslos als persfnliche Leistung.
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175 Einstellung zum Fernsehen
Die Einstellung der suchtgef'~trdeten Nichtfemseher zum Femsehen ist gespalten. Auf der einen Seite lehnen die Befragten das Femsehen entschieden ab, weil es sic bei der Verwirklichung ihrer eigentlichen Lebensvorstellungen behindert, auf der anderen Seite sch~itzen sic es noch in ihrer Erinnerung als Unterhaltungs- und Informationsmedium. Ihr Verh~iltnis zum Femsehen ist somit von einer Art ,,HaBliebe" gekennzeichnet, die oft zu inneren Auseinandersetzungen fiber die WeiterRihnmg der femsehfreien Lebensweise fiihrt. Diese Haltung der suchtgef'~.hrdeten Nichtfemseher wird auch noch einmal im Abschnitt fiber die Bewertung ihrer femsehfreien Lebensweise deutlich. Jedenfalls wiirde sich nur einer der Befragten - zum Zeitpunkt des Interviews - als entschiedener Femsehverweigerer bezeichnen. In den Aussagen der iibrigen Befragten spiegelt sich bereits ihre ambivalente Einstellung zum Femsehen wider, die im Verlauf der weiteren Darstellung noch deutlicher wird: ,,lch verstehe 'Verweigerer' daft ich Fernsehen ablehne. Das ist nicht so. Ich bin ein Nichtseher. Verweigerer, find ich immer, daft er Fernsehen ganz ablehnt. Das tu ich nicht." (Ellen) ,,Es ist bei mir nicht so, daft ich sag, ich will kein Fernsehen mehr gucken, sondern ich will nicht zuviel gucken. " (Michael) ,,Nein, ich warde mich nicht als Fernsehverweigerer bezeichnen, der wirklich jede Gelegenheit vermeidet, lch nutze Fernsehen in der Tat dann, wenn ich irgendwo mal sehen kann, allerdings mit nicht mehr groflem Vergnagen. " (Sebastian)
Ursachen und Motive fiir die fernsehfreie Lebensweise
In den bisherigen Schilderungen der suchtgef'~.hrdeten Nichtfemseher kamen bereits einige wichtige Motive und Ursachen fib" ihre femsehfreie Lebensweise zur Sprache. An erster Stelle ist sicherlich der Leidensdruek zu nennen, der dureh die Diskrepanz zwisehen ihren eigentlichen Lebensvorstellungen und ihrer yon exzessivem Fernsehkonsum dominierten, tats~ichlichen Lebensrealit~t hervorgerufen wurde. Als Konsequenz aus dieser Diskrepanz, und um sich vor weiterem, iiberm~iBigen Fernsehkonsum zu sehiitzen, wollen die suchtgef~ardeten Niehtfemseher in Zukunft lieber ohne Femsehen leben 53. Die Verkfimmerung sozialer Kontakte, die ungewollte Flucht in eine idealisierte Ersatzrealit~t, physisehe und psychisehe Beeintr~iehtigungen dutch den exzessiven Femsehkonsum sowie Unzufriedenheit mit der mangelnden Qualit~t der angebotenen Programme erwiesen sieh als weitere Griinde Rir die heutige fernsehfreie Lebensweise der Befragten. Auf den folgenden Seiten werden diese Griinde und Ursaehen noeh einmal anhand weiterer Originalaussagen vertieft und durch zus~itzliche Motive erg~inzt.
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176 Wie die aktiven und die bewuBt-reflektierten Nichtfemseher auch, verspiiren die suchtgef'~rdeten Nichtfemseher ein ausgepr~igtes Bediirfifis nach authentischen Lebenserfahrtmgen und prim~en Sozialkontakten. In den Zeiten exzessiver Femsehnutzung waren derartige Erlebnisse ~ir die Befragten allein schon aus zeitlichen Griinden nicht mOglich, da sic fast ihre gesamte Freizeit vor dem Femseher verbrachten. Die daraus resultierende Unzuffiedenheit war ~ alle Befragten ein zentrales Motiv, das Fernsehen aus ihrem Lebensalltag zu verbannen. Die Besch~iftigung mit einer fiktiven Ersatzrealit~t, die zu einer wachsenden sozialen Isolation der Befragten fiihrte und die Betroffenen in ihrer gesamten Lebensentfaltung massiv behinderte, wurde zunehmend als unertr~iglich empfunden: ,,Das hat mir damalsja aueh in dieser Krisenphase dann stark zu denken gegeben, wie man sieh exkludiert, wie man auf einmal aus der Welt heraustritt und so Scheinwelten mit sich und seinem Fernseher aufoaut, wo man gar keine Sozialbezage mehr pflegt oder auJbaut oder hat, odor die alle vor die Hunde gehen laJ3t. Deshalb auch meine Idee, das hab ieh also ziemlich schnell auch auf den Begriff gebracht, Ersatzrealitat und Realitatsersatz. Es ist beides, und das hab ich in der Tat als ausgesprochen bedrohlich empfunden." (Sebastian) ,,Es weekt Erinnerungen, es befriedigt Sehnsachte. Nur, es befriedigt oberfldichlich. Es ist nur 'ne sinnliche Erfahrung aber die Augen und die Ohren, ich spar's nicht auf der Haut. Es ist ein billiger Abklatsch. Wenn ich den Strand oder die Wellen da sehe, das ist schOn, ja, aber nicht ich gehe raus, ieh bin nicht da, und es hindert reich, indem es reich billig befriedigt, wirklieh rauszugehen. Das ist nur drei.Big Prozent Leben. Meine Wahrnehmungswelt wird erweitert durch Personen und Zusammenhange, die, wenn man Offers guckt, 'he Bedeutung haben. Wenn ich reich dadurch bewegen lasse, das ist absurd. Das war so 'n Ding, auch so in der Therapie, zu begreifen, ich hab Sehnsucht nach KOrperlichkeit, 'ne ganz alte Sehnsucht, die gar nicht mehr zu spf~ren war. Ich will berahren, und die ArsehlOcher kOnnen reich nicht berahren, in der Glotze!" (Michael) ,,Es ist alas Gefahl, immer weniger sich selbst zu leben, also, immer mehr sieh mit etwas zu beschafligen, das ursi~chlieh mit mir niehts zu tun hat. Daft auch meine Ideenwelt oder meine Vorschla'ge, meine Anregungen, die alle noch da sind, und die auch durch's Fernsehen, glaube ich, nicht getOtet werden kOnnen, die aber da sind, daj3 ich da nicht die MOglichkeit babe, sic auszuleben, wenn ich Fernseh gucke, klar, weil ich j a gebunden bin beim Sehen. Und es war daraber hinaus, dab ich merkte, daft es im Kreis lauft, well, ich war in der Zeit nicht zufrieden mit meiner Situation, hab den Fernseher angeschaltet und hab ihn auch nicht wieder ausgeschaltet, weil, wenn der Fernseher ausgeschaltet ist, macht sich plOtzlieh die Stille breit. Und es lief dann also immer welter, ieh wurde dadurch dann auch wieder unzufrieden, well ich reich selber nicht leben konnte, und sehaltete wieder den Fernseher ein, um die Unzufriedenheit zu aberspielen. 'No Illusion ist es natarlieh auf jeden Fall, klar. Ich hab auch sehr ungern Krimis zum Beispiel gesehen, well, das einzige was ich daraus gezogen babe, war Spannung wdihrend des Augenblicks, danach war ein Loeh, da war gar nichts mehr.
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177 Nichts, was mich noch getragen htitte f~ber die nachste Stunde hinweg oder meinetwegen auch noch aber den nachsten Tag, geschweige denn irgendwie weiter beeindruckt hdtte. Es war nichts, was mich weitergebracht hdtte in meinem persOnlichen Wollen oder Denken, oder Ideen oder was. Ich wollte auch ein intensives Erleben haben. Das konnte ich nicht haben f~bers Fernsehen. Das war immer nur aus zweiter Hand. "
(Dirk) Ellen beendete ihre letzte intensive Femsehphase zwar aus AnlaB der bereits erw~ihnten Fernsehsendung fiber Drogenabh~ingige, die ihr ihre eigene Femsehsucht erstmalig bewuBt machte. Der innere Reflexionsprozefl, der schlieBlich zu ihrer aktuellen, bewuflten Femsehabstinenz fiihrte, begann jedoch schon wesentlich friiher. So setzte sie sich bereits einige Monate vorher mit ihrer Neigung auseinander, sich mangels eigener Identit~it mit diversen Protagonisten aus Fernsehserien und Spielfilmen zu identifizieren, die sie w~ihrend ihrer Femsehrezeption beeindruckten. Ausgelfst durch den Tod ihres GroBvaters erkannte Ellen diese Zusammenh~ge und begab sich auf die Suche nach ihrer eigenen Pers/Snlichkeit. Die Ersatzidentifikation fiber die fiktiven Femsehpers/Snlichkeiten konnte sie seit diesem Ereignis nicht mehr akzeptieren: ,,Ich hab eigentlich, das bearbeite ich auch gerade so'n biflchen, immer im Schatten von anderen Leuten gelebt, zwar mit meiner Kraft, aber mit deren Bild, nie eine eigene Identitat gehabt. Das hab ich halt im Herbst, als mein Groflvater gestorben ist, gewuflt, daft es so ist, und seitdem arbeite ich daran, und zwei Monate spdter war der Fernseher weg. Der Fernseher gab mir erst mal die Identiti~t, ndmlich durch den Spielfilm, wie toll die Leute waren, man konnte sich mit denen identifizieren. "
Unter dem fibermiiBigen Fernsehkonsum der suchtgef'fihrdeten Nichtfernseher litten auch ihre engeren sozialen Beziehungen. Dirk und Michael berichten fiber Spannungen in ihren Partnerschaftsbeziehungen, die aus ihrem exzessiven Femsehnutzungshandeln resultierten: ,, Weil ich das auch so empfand, daft das langsam aueh so die Freundschafi kaputtmacht. Ich sah dann, daft da was dazwischen steht, und das war oft der Fernseher."
(Dirk) ,,Also, das ist sicher 'n Punkt, daft ich gemerkt habe, unsere Beziehung leidet darunter." (Michael)
DaB die suchtgefiihrdeten Nichtfemseher h~iufig gegen ihre eigentlichen Bedfirfnisse handelten und femsahen, anstatt soziale Kontakte zu pflegen oder ihre Freizeit mit anderen Aktivit/iten zu verbringen, fief in ihnen regelm/iBig die Befiirchtung hervor, kostbare Zeit vergeudet zu haben: ,, Was reich eigentlich daran unzufrieden macht, ist ein Gefiihl, die Zeit nicht genutzt zu haben. "(Dirk) ,,Das war mir auch so klar, ich verpasse durchs Fernsehgucken die Momente, wo ich eigentlich was anderes machen mOchte. " (Michael) ,,Selbst, daft man hinterher das katholische Ph~nomen des schlechten Gewissens hatte,
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178 daft man also zuviel gesehen hatte oder einfach Zeit vertrOdelt hat, daft man meint, man konnte die Zeit intensiver nutzen oder lesen oder Fuflball spielen oder so was. Das land ich auch nicht positiv." (Sebastian)
Als zu passiv empfand Dirk seinen t~iglichen Fernsehkonsum, und auch Ellen beFtirchtete, durch die h/iufige Nutzung ihres Fernsehapparates in eine vorwiegend inaktive Lebensweise abzugleiten: ,, Und ganz dramatisch eben hat mich die Inaktivitat gestOrt. " (Dirk) ,,Ich hab so manchmal das Gefiihl gehabt, daft der Fernseher durch dieses Energiefeld, das der ausstrahlt, daft der damit Energien abzapfi yon anderen, und daft man dadurch passiver wird. Und das hab ich gemerkt, je mehr ich Fernseh gucke, um so passiver werde ich. Ich hatte das Gefahl, der zieht mir Kraft weg. " (Ellen)
Von den vier suchtgef~ihrdeten Nichtfernsehern neigen Dirk und Michael am ehesten zu Riickfiillen, wenn sic eine Zeitlang olme Fernsehen gelebt haben. Freimiitig geben beide zu, nicht in der Lage zu sein, das Femsehen kontrolliert als Unterhaltungsbeziehungsweise Informationsmedium nutzen zu k/Snnen, weshalb sic vorerst lieber ganz aufjeglichen Fernsehkonsum verzichten wollen: ,,Ich find's toll, wenn jemand damit umgehen kann, aber ich krieg es zur Zeit schlecht bin. "(Michael) ,,Ich babe einen Freund, der kann damit umgehen. Ich kann's nicht. " (Dirk)
Besonders Michael litt unter seiner Unf'~_igkeit, zu gegebener Zeit den Ausschaltl~opf seines Fernsehger~ites zu bet~itigen: ,, Und was ich viel auch hatte, sind so Abende, die frustrierend waren einfach, wo ich vor 'm Fernseher hangengeblieben bin, daft ich merkte, ich bin in schlechter Stimmung, ich kann keinen sehen, ich mag reich selber nicht angucken im Spiegel, well ich einfach lang ~ber racine Grenzen gegangen bin."
Zwei der Befragten stehen dem Fernsehen skeptisch gegeniiber, weil sic gesundheitliche Sch~iden durch eventuelle Ger~iteemissionen beftirchten. Ellens bereits erw~ihnte Angst vor gesundheitlichen Beeintr~ichtigungen durch das Fernsehen hat ibxe Wurzeln in einer Begebenheit aus ihrer frfihesten Jugend, als sic im Anschl~ an einen Femsehnachmittag akut erkrankte: ,,Noch so 'he schlechte Kindheitserinnerung, die ich habe. Ich war fr~iher in Pflegefamilien, mit meinem Bruder zusammen, und da liefen auch Fernseher, und ich habe mich vor diesem Fernseher immer versteckt, well, das waren meistens Buntfernseher, und ich hatte das Gefiihl, daft die Strahlen mir nicht bekommen. Und als ich mal gesagt hab, das ist alles Quatsch, das ist alles Kinderkram, jetzt guckst du Fernsehen, da bin ich auch krank geworden, mit hoch Fieber. Und da hab ich gewuflt, Fernsehen macht krank. "
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179 Ebenso wie Ellen befftirehtete aueh Dirk negative Auswirkungen des exzessiven Fernsehkonsums auf seine Gesundheit. Entspreehende Negativerfahnmgen best~kten ilm in seinem Entschlul], nicht mehr fernsehen zu wollen: ,,Der Fernseher stand vor meinem Bert, und ich war vielleicht zwei Meter davon entfernt, und wenn das dann nachts noch lies auch wenn es nur bis zwei Uhr lies dann merlae ich doch am ndchsten Morgen, daft es auf den Organismus irgend einen Einflufl hatte, und zwar einen negativen. Ich hab Hautausschlage bekommen, ich nehme an, daft das elektrische Felder sind. " Alle vier suchtgef'~trdeten Nichtfemseher empfanden das angebotene Programm hhufig als mangelhaft. Ihren Frustrations- und Entt~iuschungserlebnissen mit minderwertigen Fernsehproduktionen standen jedoch auch zahlreiche positive Femseherlebnisse gegenfiber, die sic immer wieder an ihr Fernsehger~it fesselten. Dennoch trug der zunehmende Verdn~ fiber die dargebotene inhaltliche und gestalterische Programmqualit~t mit dazu bei, das sie sich schlieBlich gegen die Fortsetzung ihres exzessiven Femsehkonsums entschieden: ,,Es gab tolle Sendungen, von denen ich sehr, sehr profitiert habe, zum Beispiel 'Fliege '. Es gab franzOsische Filme, da fahlte ich mich auch Tage danach wie beflagelt. Es gab auch oft Tage, wo ich dachte: Mein Gott, was ist das ties und kam dadutch so in einen Bezug, entweder, daft ich noch nicht da war, wo ich eigentlich sein wollte, aber aufgezeigt bekommen habe, wo ieh hinkommen kOnnte. " (Dirk) ,, Und teilweise, daft das Programm Scheifle war, und daft ich dachte: Geh doch ins Kino, da laufen viel bessere Filme!. "(Michael) ,,Als ich diesen Fahrungsjob das halbe Jahr in diesem Pflegebf~ro hatte, da hatte ich einfach keine Zeit, hab sechzehn Stunden gearbeitet und hatte auch kein Interesse, Fernseh zu gucken. Da kam mir alles ziemlich banal vor, unwichtig, die Zusammenhange vOllig bescheuert, und das Drehbuch hatte man schon im vorhinaus durchschaut." (Ellen) Fiir Sebastian war die Unzufriedenheit fiber die Femsehprogrammqualit~it ein entscheidender Grund, sein Fernsehgerht abzuschaffen. Immer wieder hatte er sich zutiefst fiber die mangelhafte Qualit~it des Fernsehprogramms ge~gert: ,,Es ist wirklich ein Verdrufl gewesen. Ich fahlte reich vermallt, also, regelrecht vermallt. Wenn ich zum Beispiel zwei Stunden nachmittags irgendwelche Talkshows mir angeguckt hatte, fahlte ich reich kOrperlich und psychisch unwohl und hatte keine Lust mehr auf diese Belanglosigkeiten und auf den Seelenschrott irgendwelcher Menschen, die sich da auskotzten. Das wollte ich alles nicht mehr, das war 'he ganz bewuflte Entscheidung auch in der Tat dagegen. Also, mit dieser Vermallung, das hat mir wirklich weh getan. Ich kann reich noch daran erinnern, an diese bescheuerten Sendungen, wie 'Explosiv" und so weiter, was man da far einen Mist sehen muflte, wenn man sich das anschaute. Also, irgendwelche MassenmOrder wurden da vorgefahrt und irgendwelche kranken Menschen. Ich will das alles als Phanomen nicht leugnen, nur die Machart, das hatte nichts mit Auflkli~rung zu tun und
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180 nichts mit Reflexion, sondern mit Sensationalisierung und Brutalisierung und Voyeurismus und all solchen Sachen zu tun. Und das kotzte reich an, und das ist sicherlich 'ne Sache, wo ich mich dann wirklich nicht mehr stellen wollte. Bis hin zu der Schrowange, die jetzt als Journalistin gehandelt wird, was ja ein Witz ist. Die istja zu blOd, um gerade fiber die Strafle zu gehen. Und die hat 'ne Magazinsendung. Das ist unmOglich, so was."
Zus/itzlich zu den bisher genannten Grfinden gegen das Femsehen, die von allen beziehungsweise jeweils mehreren suchtgefiihrdeten Nichtfernsehem geteilt werden, wurden von Dirk, Michael und Sebastian noch einige weitere Einzelmotive Rir ihre femsehfreie Lebensweise angefiihrt. Dirk empfand die Fernselmachrichten h/iufig als nervliche Belastung, die sieh oR negativ auf seine abendliehe, harmonische Stimmung auswirkte. AuBerdem stellte er die Informationskompetenz der audiovisuellen Naehrichtensendungen zunehmend in Frage: ,,Mit dem 'Tagesschau'-Wissen kriegt man auch keinen Uberblick fiber das Weltgeschehen. Wenn man ein gutes Magazin hi~tte oder 'Geo' oder 'Natur' da sind Hintergrundinformationen dabei. Aber dieses Stfickwerk 'Tagesschau', das macht einen nut hibbelig und zerreiflt auch den Tag irgendwie, zerstOrt auch die abendliche Atmosphtire. " Michael beargw6hnt das Fernsehen als Manipulationsinstnu~ent, das die Zuschauer yon einer eigenverantwortlichen Lebensgestaltung und aktivem, politischen Handeln abh/ilt: ,,Ich kopple reich ab von meinem eigenen Tun. Das passiert ja alles im Fernsehen. So 'ne Abkopplung auch yon politischem Handeln, dem Wunsch, irgendwas zu veri~ndern, die eigenen Lebensumsti~nde zu verbessern. Und es gibt Leute dahinter, die das wissen, und die das nutzen. " Kein Motiv im eigentliehen Sinne, aber eine Ursache Rir die bisherige Best~indigkeit seiner aktueUen femsehfreien Lebensphase, sieht Michael in seiner Einbindung in feste Arbeitss~en: ,,Also, ich denke, das ist 'n ganz wichtiges Ding, weil, ich war vorher ein halbes Jahr arbeitslos, also zwischen Anerkennungsjahr und jetziger Arbeit, und in so 'net Zeit, ohne feste Strukturen, ohne, gerade auch tagsfiber, Menschen, die da sind, weil halt die anderen alle arbeiten, da ist 'n Fernseher sehr verlockend. Auch diese M6glichkeiten, ja, man kann ruhig abends spater gucken, ich kann morgens ausschlafen, wenn ich arbeitslos bin. So, und jetzt hingegen steh ich um sechs oder um sieben Uhr auf da geht das nicht, irgendwie drei, vier Abende hintereinander bis ein Uhr Fernseh gucken, oder so." Uber/ihnliehe Erfahnmgen hatte ja auch bereits Ellen berichtet, die w~trend ihrer anspmehsvollen T~itigkeit in einem Pflegebetrieb kein Interesse verspiirte, den Feierabend vor dem Fernsehger/it zu verbringen. Als Sebastian seine Freizeit noeh regelm~ig vor dem Femsehapparat verbrachte, ~
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181 verspfirte er neben seinem VerdmB fiber die mangelhafte Qualit~t des Femsehprogramms auch eine wachsende Unzufriedenheit angesichts eintfiniger Programmstndauren und zahlreicher Wiederholungen, die vor allem von den privaten Programmanbietern ausgestrahlt wurden. Die Langeweile, unter der Sebastian zunehmend litt, trug wesentlich dazu bei, dab er sich schlieBlich Kir ein Leben ohne Femsehen entschied: ,,Das Repetitive, das Wiederholende. Es passierte an sich nichts. Ich hatte so das Gefi~hl, ich erfahre nichts mehr. Das muff man sich einmal fiberlegen, was da passiert, an Wiederholung, an Langeweile. Das hat mich wirklich gestiJrt. Es kotzte mich schlichtweg an, zum Schlufl. " In den Motiven der suchtgeffihrdeten Nichtfemseher spiegeln sich ~nliche Relevanzsetzungen, Bedfirfnisse und Wfinsche wider, wie sie auch Rir die aktiven und bewuBtreflektierten Nichtfernseher gelten. Der Hiatus zwischen diesen Bedfirfnissen und der tats~ichlichen LebensKihrtmg der Betroffenen fiihrte zu einem unertr~iglichen Leidensdruck und schlieBlich zu dem EntschluB der Befragten, ohne Femsehen zu leben. Uber diesen Konflikthorizont hinausgehende Motive wurden bisher von den suchtgef'fihrdeten Nichtfemsehem kaum entwickelt. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich motivational von den aktiven und den bewuBt-reflektierten Nichtfemsehern, die mehrheitlich auf wesentlich l~aagere femsehfreie Zeitr~iume zurfickblicken k6nnen, in denen sich weitergehende Motive Rir ein Leben ohne Femsehen langsam entwickeln beziehungsweise manifestieren konnten.
3.1.3.3 Allgemeines AIItagshandeln
Aktivitdten und Lebensgestaltung
Seitdem die suchtgefiihrdeten Nichtfemseher ohne Femsehen leben, hat sich ihre Alltagsgestaltung grundlegend ge~dert. Die vielen Stunden, die sie friiher vor dem Bildschirm verbrachten, Rillen sie nun mit anderen Aktivit~ten, die ihren eigentlichen Bedfirfnissen und Interessen entgegenkommen. Dabei ist eine Neigung der Befragten zu musisch-kiinstlerischen und sozialen Aktivitiiten erkennbar. Seit einiger Zeit ist Ellen wieder in der Lage, regelm~iBig zu arbeiten. Da sie sich in erster Linie als Nachtschwester bet~itigt, braucht sie t~glich liingere Ruhephasen, in denen sie sich ftir ihre anstrengende Arbeit regenederen kann. In ihrer fibrigen Freizeit besch~fligt sich Ellen vorwiegend mit kreativen, musischen und handwerklichen T~itigkeiten. Sie beherrscht mehrere Musikinstnunente, besonders gem aber bet~itigt sich Ellen als Autorin Ideinerer lyrischer und epischer Werke. Die zus~itzliche Zeit, die ihr seit der Abschaffimg ihres Fernsehers zur Verfftigung steht, m6chte sie nutzen,
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182 um auch umfangreichere schriftstellerische Arbeiten zu verfassen: ,,Ich schreibe sehr viel. Ich bin seit meiner Kindheit ein Erzahler, ich erzahle gerne. Ich hab angefangen, aufzuschreiben, hab vor einiger Zeit meinen ersten Gedichtband rausgebracht, mOchte gerne Romane schreiben. Ich mOchte abet gerne anspruchsvolle Romane schreiben, wo man zum Beispiel die Seele der Menschen zwischen den Zeilen lesen kann. Da mOchte ich gerne hin. " Insgesamt ist Ellens Alltag in den letzten Monaten wesentlich abwechslungsreicher geworden. Ihre Sozialkontakte haben zugenommen, sie besch/iftigt sich mit bewuBtseins- und wahmehmungsf'6rdemden Meditationstechniken, und ihre kreativgestalterischen Aktivit~iten hat sie ausgeweitet: ,,Ich hab im September angefangen, Meditation zu erlernen. Ich telefoniere mehr, l~nger, schreibe viel mehr und habe Menschen kennengelernt seitdem. Ich niche sehr gerne, ich baue meine Sachen selber. Ich renoviere halt meine Sachen selber, und wenn ich hier was zu bauen habe, dann baue ich das. Ich repariere auch das Auto selber. Ich liebe Blumen und roach da gerne was mit. Ich lese viel. Ich fahre viel Fahrrad. A b e t mein richtiges Hobby ist eigentlich, reich mit dem Leben zu beschi~ftigen. Ich studiere das Leben halt nah an der Front, sag ich immer. " Michael hat seine sozialen Aktivit/iten ebenfalls stark ausgeweitet, seitdem er ohne Fernsehen lebt. In der Aufz~.lung seiner w6chentlichen Alltagsaktivit/iten nimmt das gesellige Beisammensein mit Freunden und Bekannten den Spitzenplatz ein: ,,Einen Abend in der Woche verbringe ich mit Freunden, daft wit uns irgendwo treffen und klOnen oder Spiele maehen oder so. Einen Abend verbringe ich meistens mit Alleinsein, wo ich mehr so a u f reich orientiert bin. Einen Abend in der Woche bleib ich, sch~tz ieh real, bleib ich irgendwo hi~ngen, bei 'nero Freund, oder ich bleib in irgend 'ner Kneipe hi~ngen. Das ich irgendwas mache, daft ich mich einfaeh treiben lasse. Normalerweise spiele ieh an einem Abend in der Woche Volleyball. Und das ist dann h~iufig auch noeh hinterher, daft wir zusammen 'n Bier trinken gehen, oder rausgehen. Samstags abends geh ich meistens los, mit meiner Freundin zusammen oder mit j e m a n d anderes. Am besten Tanzen, dann braueh ich Bewegung, und ieh will dann auch irgendwohin, wo Leute tanzen, wo auch Musik li~ufi, wo einfaeh mehr Sinnlichkeit ist. Und wo aueh Mensehen sind. " Seit einigen Wochen nimmt Michael in regelm~igen Abst~den an einem sogenannten ,,M/innerforum" teil, wo er mit Gleichgesinnten seine gesellschaftliche Rolle als Mann reflektiert und Veranstaltungen zu geschlechtsspezifischen Themen organisiert: ,,Ich will demni~chst real so zum Thema 'Wie nehme ich Kontakt auf?' oder 'Wie erlebe ieh das? ', real ein Workshop maehen, im Mi~nnerforum. Da bin ich jetzt seit Dezember Mitglied. Dieses M~nnerforum, das ist so'n Forum, das haben ein paar Leute vor zwei Jahren a u f die Beine gestellt, die aus verschiedenen Mi~nnergruppen kommen, oder auch so einfach Mi~nner, die zum Thema 'Alleinsein' 'Entwicklung des Mannes' und, und, und, in Mfinster was maohen wollen. Und das sind so dreiflig, fiinfunddreiflig Leute, die das dann organisieren. "
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183 Ebenso wie Ellen hat auch Michael eine musikalische Ausbildung erhalten. Er besitzt ein Klavier, auf dem er auch regelm~iflig spielt. Michael sch~itzt sein Insmmaent vor allem als musikalisches Ausdrucksmittel ftir innere Gefiihlsstimmungen: ,,lch spiel Klavier. lch spiel ffir reich den Blues am Klavier. "
Seitdem Dirk nicht mehr femsieht, investiert er den gr61]ten Teil seiner Freizeit in die Teilnahme an Aktionen und Seminaren der Free International University, einer Art ,,Gegenuniversit/it", die im Unterschied zu den konventionellen Universit~iten einen ganzheitlichen Ansatz vertritt und auch kiinstlerische und weltanschaulichphilosophische Elemente in den Wissenschafisalltag integrieren will. Wesentliches Merkmal dieser Einrichtung ist die Betonung und Pflege der sozialen Beziehungen zwischen ihren Mitgliedem als Grundlage einer zukunftssichemden, lebensnahen Wissenschaft: ,,Ich bin an der 'Free International University' die ist damals von Beuys gegrfindet worden und beschi~fiigt sich mit 'ner alternativen Form von Uni. Also, was kann man machen, um die Lebensanforderungen, auf die Uni eigentlich vorbereiten sol#e, auch an der Uni zu lehren? 1st es fiberhaupt noch sinnvoll, Seminare zu machen, sollte man nicht lieber Wochenendseminare anbieten, statt immer anonym zu so einem bestimmten Zeitpunkt da hin zu gehen, ohne sich kennenzulernen, ohne Mittagessen, ohne Abendessen, dann zwei Stunden da verbringen und nur alles fiber den K o p f aufnehmen? Oder sollte man nicht eher 'ne Universitat grfinden, wo man auf 'ne innere Reise geht, auch mal Autogenes Training zwischendurch macht, oder so? Oder, ich hab jetzt angefangen, ich m6chte gerne einen blauen Raum gestalten, eine blaue Installation. Alles ist blau, man hat nur diesen einen Blaueindruck. Das ist auch so eine Sache, daft die 'Free International University' sich nicht nut als Bildungswerk versteht, um vorzubereiten auf einen Beruf sondern quasi ein ldeengenerator sein will, der Konzepte entwirfi, fiber Kunst zum Beispiel, um das Weiterleben zu ermOglichen. Die 'Free International University' bietet natfirlich, eben auch mit diesem Bildung-alsLebensbildung-Aspekt, nicht nur solche Sachen, sondern im Moment bin ich zum Beispiel in einer Malgruppe. Ich mach auch so 'n paar schauspielerische Sachen, in letzter Zeit habe ich auch angefangen, Marchen zu erzdhlen. In der Uni kommen dann auch viele andere Kontakte noch zustande. Zum Beispiel, an diesem Wochenende werde ich wegfahren mit einem Kinderzirkus, das finde ich auch sehr spannend. Das sind also Kinder, die sich selber Zirkuskunststficke antrainiert haben, die auch mit einem Zirkusmenschen trainiert haben, aber ansonsten aus ganz normalen Familien staremen, und so 'ne kleine Tournee jetzt machen wollen. Oder, neulich haben wir ein Wochenende gestaltet, so unter einem schamanischen Aspekt, also, Chakren, Meditation, Psychodrama. 'Nen Brummkreis haben wir gemacht, haben uns darfiber unterhalten, was wir unter der 'Free International University' verstehen. Diese Kunstprojekte sind ffir reich ein Selbstverwirklichungsforum, diese therapeutischen Sachen roach ich deshalb, weil reich Menschen interessieren."
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184 Standen bei Ellen, Michael und Dirk musisch-kfinstlerische, soziale und bew~tseinsbildende Alltagsaktivit~iten im Vordergrund, so konzentriert sich Sebastian seit der Abschaffung seines Femsehger~ites vomehmlich auf die Fertigstellung seiner Dissertation und die Konsolidierung seiner beruflichen Existenzbedingungen: ,,lch arbeite sehr viel in Bibliotheken. lch bin im Jahr sicherlich zweL drei Monate unterwegs, in Archiven. Ich lese sehr viel, und ich schreibe sehr viel. Also, ich rezensier sehr viel und schreib Aufidtze und so weiter. "
Wie Sebastian riickblickend best/itigt, hat seine femsehfreie Lebensweise wesentlich zu seiner gesteigerten Produktivit~it bei der Fertigstellung seiner Doktorarbeit beigetragen: ,,Das hab ich mir auch davon versprochen. Das war sicherlich 'ne Entscheidung, daft ich geglaubt habe, nicht mehr Zeit zu vertr6deln, sondern sinnvoller far meine Arbeit zu nutzen, und heute warde ich sagen, daft das sicherlich der Fall ist. "
Um einen Ausgleich zu seiner Arbeit zu schaffen, geht Sebastian h~iufig spazieren und trift~ sich regelm/iBig mit Freunden und Bekannten: ,,Also, was ich sehr gerne mache, auch ganz bewuflt einstreue, ist, daft ich einmal am Tag mindestens eine Stunde spazierengehe. Und ich treffe mich relativ haufig mit Leuten, entweder zum Abendessen oder zum Mittagessen. "
Auch in den Urlaubsgewohnheiten der suchtgef'~trdeten Nichtfemseher wird ihr Bediirfnis nach zwischenmenschlichen Kontakten und einer aktiven Lebensgestaltung sichtbar. Ellen verreist zwar selten, aber wenn sic in Urlaub f'~ttrt, dann h~ilt sic sich meist Rir mehrere Monate in dem Land ihrer Wahl auf, um die dortigen kulturellen Gepflogenheiten kennenzulemen, und um Spracherfahnmgen zu sammeln: ,, Wenn ich in ein anderes Land reise, m6chte ich nicht nur mich entspannen, das kann ich auch zu Hause, sondern auch das Land kennenlernen. "
Bei Auslandsreisen stehen ilia" Dirk ebenfalls Lemerfahrungen im Vordergrund, reiner Erholungsurlaub kommt Rir ihn nicht in Frage: ,,lch habe selten Urlaube, die sch6n sind. Das sind meistens irgendwie Urlaube, wo ich mir was suche, zum Beispiel mach ich sehr viel Sprachurlaube. "
Michael legt ebenfalls groBen Wert auf erlebnisbetonte Urlaubsreisen. Mit dem Auto, per Anhalter oder mit der Bahn sucht er seine Reiseziele auf, wo er dann seinen Urlaub mSglichst abwechslungsreich gestaltet: ,, Urlaub ist wichtig. Findet einmal im Jahr statt. Eher reisen als nur Urlaub machen. Mir ist auch wichtig, was zu erleben und Menschen kennenzulernen. "
In friiheren Jahren ist auch Sebastian regelm~iBig in Urlaub gefahren. Aufgrund seiner beruflichen Verpflichtungen und der zeitraubenden Arbeit an seiner Dissertation findet er jedoch nicht mehr die Zeit Rir l~ingere Urlaubsreisen. Ebenso wie die meisten aktiven und bewuBt-reflektierten Nichtfemseher, sind auch die hier befragten suchtgef'~rdeten Nichtfemseher qualit/itsbewuBte, eher sparsame Konsumenten. Ellen und Michael legen zudem groBen Wert auf die 6kologische
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185 Unbedenklichkeit der Waren, fiir die sic sich beim Einkauf letztlich entscheiden. ,,Ich kaufe 6kologiebewuflt, abet auch markenbewuflt. Und ich bin eigentlich so ziemlich sparsam, denke ich." (Michael) ,,Ich lege groflen VVert a u f 6kologische Sachen, a u f echte Sachen. " (Ellen) ,,Ich bin in vielen Kaufen sehr preisbewuflt, qualitatsbewuflt, bei gr6fleren Sachen bin ich eher z6gerlich. " (Dirk) ,,lch bin da ausgesprochen zurfickhaltend, lch bin eher so 'n Typ, der eher ein Buch kaufi oder ins Kino geht, als sich ein siebtes T-Shirt zu kaufen. " (Sebastian)
Alle suchtgef'~.rdeten Nichtfemseher em/ihren sich sehr bewuflt und auf qualitativ hohem Niveau. Auch in diesem Punkt handeln sic/ihnlich wie die meisten aktiven und bewuBt-reflektierten Nichtfemseher, die im Rahmen dieser Studie befragt wurden: ,,lch esse relativ wenig Fleisch, also relativ viel Gemfise, Obst et cetera, das sehr viel bewuflter auch seit der Krise. Ich hab vorher auf solche Sachen kaum geachtet. "
(Sebastian) ,,Ich hab schon sehr frah zu Hause Vollwertkost oder gesunde Ernahrung kennengelernt und hab mich ein biflchen selber damit beschgifiigt, mit Vollwertkost. Ich k a u f seit acht Jahren kein Fleisch, aus politischen Grfinden, von daher lebe ich hier zu Hause eher vegetarisch. " (Michael) ,,Sehr bewuflt, natfirlich, 6kologisch, biomaflig, so, das ist meine Grundlage, wie ich mich ernahre. " (Ellen)
Unter den suchtgef'~trdeten Nichtfemsehem befinden sich, im Vergleich zu den aktiven und den bewuBt-reflektierten Nichtfemsehem, die meisten Raucher. Zwei der Befragten rauchen regelm~iBig Zigaretten, sie bezeichnen sich auch selbst als sfichtige Raucher. In ~ihnlicher Weise wie die Mehrzahl der iibrigen Nichtfemseher, die im Rahmen dieser Studie befragt wurden, stehen auch die suchtgef'~t~rdeten Nichtfernseher alternativen Behandlungsmethoden aufgeschlossen gegeniiber, wenn es um ihre medizinische Versorgung geht. Zumindest lehnen sie eine rein schulmedizinische Gesundheitsversorgung ab. Ellen hat selber eine Heilpraktikerausbildung absolviert, und die iibdgen Befragten konsultieren im Krankheitsfall Schulmediziner, die auch alternative Heilmethoden anwenden: ,,Es ist "he hom6opathisch arbeitende ,;l'rztin. Ich hab seit eineinhalb Jahren "he ganz starke Blickrichtung in Richtung Krankheit aus psychosomatischer Sicht. " (Michael) ,,Ich hab sehr viel Kontakt mit Hom6opathen, ich hab sehr viel Kontakt auch mit diesen alternativen Heilweisen, hab reich zum Beispiel real reikisieren lassen. " (Dirk) ,,Ich hab einen allgemeinen Arzt, der ist HomOopath und Steiner-Schiiler, wie heiflt das, Anthroposoph. Das war auch 'he ganz bewuflte Entscheidung in der Krise damals, also sowohl Therapie als auch ein Mediziner, der ein biflchen mehr kann als Naturwissenschafiler. Das war 'ne ganz klare Entscheidung." (Sebastian)
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186 Die suchtgef'fihrdeten Nichtfemseher halten sich schlief31ich, ebenso wie die meisten aktiven und bewuf3t-reflektierten Nichtfemseher, Ftir iiberaus umweltbewuBt, so dab auch in dieser Hinsicht un~bersehbare Gemeinsamkeiten zwischen den drei iibergeordneten Nichtfemsehertypen, die im Rahmen dieser Studie ermittelt werden konnten, bestehen. In ihrem Alltagshandeln versuchen die suchtgef'fihrdeten Nichtfemseher, ihr Okologiebewuf3tsein auf verschiedenen Ebenen des allt~iglichen Lebens, etwa im Haushalt oder beim Einkauf, auch praktisch umzusetzen. Michael hat dadJber hinaus aufgrund 5kologischer Bedenken ftir einen l~ingeren Zeitraum auf einen PKW verzichtet. Auflerdem vermeidet er Flugreisen, da diese in besonderem MaBe zur Verunreinigung der Erdatmosph~ire beitragen: ,, Wir fahren mit der Bahn in Urlaub, weil wir nicht fliegen wollen, aus Okologischen Granden. " Ellen verh~ilt sich auch bei der Einrichtung ihrer Wohnung iiberaus umweltbewuBt. Anstatt neue M6bel zu kaufen, restauriert sic alte, gebrauchte MSbel und Haushaltsgegenstfinde, die von ihren fi'iiheren Besitzern entsorgt wurden- eine originelle Form des Recycling, die zudem die mitunter hohen Anschaffungskosten fiir neues Mobiliar erspart: ,,Meine ganze Wohnung ist, aufler vielleicht vier Sachen, aus Sperrmf~llartikeln. Ich f i n d das sehr toll, weil, dann kann man die wieder zum Sperrmf~ll stellen, dann holt sich der nachste die ab. Und ich finde, die bringen 'he Geschichte mit." Die suchtgef'fihrdeten Nichtfemseher weisen zahlreiche lebensstilistische Parallelen sowohl zu den aktiven Nichtfemsehem als auch zu den bewuBt-reflektierten Nichtfemsehem auf. Vor allem in ihrer aktuellen Lebenssituation, in der sic ohne Fernsehen leben und ihre eigentlichen Lebensvorstellungen verwirklichen kfnnen, handeln die suchtgef'fihrdeten Nichtfernseher auf vielen Ebenen des alltfiglichen Lebens ~mlich wie ihre Vorgfinger. Analogien im allt~iglichen Handeln der suchtgef'fihrdeten Nichtfernseher zu den Performanzmustem der aktiven mad der bewuBt-reflektierten Nichtfernseher zeigen sich beispielsweise in der altemativen Lebensweise der Befragten und in ihrer aktiven, erlebnisbetonten Alltagsgestaltung. Die Neigung der Mehrzahl der suchtgef'fihrdeten Nichtfernseher zu musisch-kreativen Aktivit~iten und bewuBtseinsbildenden Freizeitbesch~iftigungen sowie ihr ausgepr~igtes Bediirfnis nach pdm~iren Sozialkontakten verweisen auf ihre Verwandtschat~ zu den bewuBt-reflektierten Nichtfemsehem. In ihrem Drang, ihren Alltag mfglichst aktiv zu gestalten, stehen sic den meisten der hier untersuchten aktiven Nichtfemseher kaum nach.
Allgemeine handlungsbedingende Relevanzstrukturen
DaB die suchtgeffihrdeten Nichtfemseher in ihrem Bediirfnis nach aktiver, selbstbestimmter Lebensgestaltung, authentischer Welterfahnang und sozialer Eingebundenheit
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187 im wesentlichen mit den aktiven und den bewuBt-reflektierten Nichtfernsehem iibereinstimmen, wurde bereits festgestellt. Diese Bediirfnisse spiegeln sich auch in ihren Grundiiberzeugungen und Wertvorstellungen wider. In den Aussagen der suchtgeffilu'deten Nichtfemseher zu ihren Wertvorstellungen und Lebensprinzipien wird iiberdies immer wieder deutlich, wie stark il~e friihere Fernsehsucht und die damit verbundene einseitige, isolierte Lebensfiihnmg mit il~en eigentlichen Lebensvorstellungen kollidierten: ,,Jeder Mensch hat das gleiehe Reeht auf Leben. Respekt vor sich und den anderen. Respekt vor der Verschiedenheit, 'ne gewisse Toleranz, 'ne Zartlichkeit dem anderen Menschen gegenaber. Jeder Mensch hat was ganz Besonderes zu erzahlen. Mitmenschlichkeit ist fiir mich so'n ganz wichtiger Weft, ist fiir mich was ganz Existentielles. lch glaube, es war das Schlimmste, keine Mitmenschlichkeit erleben zu diirfen, also keinen Kontakt haben zu diirfen. " (Michael) ,,Meine Grundwerte sind Freiheit und Verantwortung. Also, ich halte viel von selbstbestimmtem und selbstorganisiertem Leben." (Sebastian) ,,Meinen Idealvorstellungen entspricht ein selbstverantwortetes Leben. Und ich kann Oberflachlichkeit nicht leiden." (Dirk) ,,Daft ich das Geschenk Leben, das ich bekommen habe, nicht miflbrauchen mOchte, sondern ehren mOchte. Und das kann ich eigentlich nur, indem ich alles versuche, es mOglichst gut zu leben. Der Sinn des Lebens ist das Leben." (Ellen)
Die Zielvorstellungen und Zukunftswiinsche der Befragten zeigen, wie sehr itmen an einer WeiterRihnmg ihrer jetzigen, ihren eigentlichen Bediirfnissen entsprechenden Lebensweise, liegt. Aus ihren Worten spricht die Hoffnung, ihre Lebensvorstellungen realisieren zu k6nnen, ohne dabei durch krisenhafte Ereignisse oder einen Riickfall in l~maende Fernsehnutzungsgewohnheiten behindert zu werden: ,,Es gibt verschiedene Lebenstraume. Ich m6chte jemand sein, der, zum Beispiel in der Hochbegabtenpadagogik, anderen Leuten ihre M6glichkeiten aufzeigt. Wenn es um meine persOnlichen Sachen geht, ich warde zum Beispiel ganz gerne, friiher war ein Traum, Regisseur zu sein. Das find ich dann nicht verwerflich, die Programme zu machen. Das ist ein kreativer Akt. Ich w~rde auch ganz gerne in so ein Selbsterfahrungsteil gehen. Mich interessiert der Mensch, und ich babe ein breites Interesse darer." (Dirk) ,,Ich f a n d es toll, in dem jetzigen Leben, jetzt, was ich jetzt fiihre, his zu meinem irdischen Tod, alles das rund abzuschlieflen, mit dem ich reich so beschafiige. Aber ich denke manchmal, es ist zuviel." (Ellen) ,,Ich hab mir vorgenommen, die Teile mir alle wieder zu leben, mein Leben welter dabin auch auszurichten, daft ich zur Zeit 'he volle Stelle mache, was auch halt bedeutet: So, wie richte ieh denn den anderen Teil meines Lebens ein? Ich will reich mehr ausleben, das ist far reich ein ganz wichtiges Ziel. Ein persOnliches Ziel ist, die Seele alle Zeit often zu haben, alle Zeit ganz bei mir zu sein, reich zu sparen. " (Michael)
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188 ,,Es ist so, daft ich momentan fiberhaupt keine Beziehung haben mOchte, um Zeit far das zu haben, was ich machen mOchte. Es ist im Moment so'ne ganz bewuflte Entscheidung auf Disziplin, Arbeit und Askese, und auch da paflt das Fernsehen dann nicht rein. Das andere ist sicherlieh auch, daft ich nach dieser Phase von harter Arbeit und einer gewissen sozialen Situation da auch wieder raus will. Also, ich warde 'he Beziehung und 'ne Partnerschafi gar nicht mehr ausschlieflen, im Gegenteil, abet zu diesem Zeitpunkt schlichtweg nicht. Da hab ich gar keine Zeit zu. "(Sebastian)
Der EinfluB religi/Sser Uberzeugungen auf das allt~igliche Handeln der suchtgef'~ahrdeten Nichtfernseher h~ilt sich, ~anlich wie bei den aktiven Nichtfemsehem, in Grenzen. Michael Rihlt sich zwar dem christlichen Glauben verpflichtet, hat jedoch ein distanziert-kritisches Verh~iltnis zu seiner Kirche entwickelt, so dab er auf dieser Ebene keinen Aktivit~iten mehr nachgeht: ,,lch war kirchlich religi6s, und warde michjetzt als christlich religi6s bezeichnen. Ich hab meine religi6se Heimat verloren." (Michael)
Auch Sebastian bezeichnet sich als Christ, setzt sich aber zur Zeit nicht aktiv mit Glaubensfragen auseinander: ,,lch empfinde reich schon als Christ. Ich beschafiige mich im Moment abet nicht damit. "
Ellen steht den abendl~indischen Volkskirchen grunds~itzlich skeptisch gegeniiber: ,,lch bin in keiner Kirche und glaube an keinen Gott, so wie er in der Bibel steht. "
In problematischen Lebenssituationen bezieht sic Hoffnung aus ihrer Uberzeugung, das menschliche Schicksal unterliege karmischen Gesetzm~iBigkeiten: ,,Seitdem ich diese Meinung habe, komme ich auch mit Krisen besser klar."
Ebenso wie Ellen gehSrt auch Dirk keiner Religionsgemeinschaft an. In Glaubensfragen orientiert er sich eher an 5sflichen Religionsphilosophien, ansonsten spielen religi5se Erw~igungen im Rahmen seiner Alltagsgestaltung keine maBgebliche Rolle. Ellens heutige Neigung zu kreativ-musischen Alltagsaktivit~iten und einer bewuflten Reflexion ihrer Lebensumst~inde wurzelt in ihrer anthroposophischen Schulerziehung. In dieser Hinsicht kann sie durchaus zu den weltanschaulich gepr~igten Untersuchungsteilnehmem gez~ib.lt werden, in deren LebensRihnmg anthroposophische Prinzipien einflieBen: ,,lch warde sagen, ich hatte kein Gefi~hlselternhaus, und in der Schule soil man ja das Leben lernen. Meine Lehrer haben mir das Leben beigebracht. Das war kein Elternersatz, aber Familienersatz. Ich bin wahrscheinlich von der Waldorfschule sehr gepragt, und ich glaube, die Schule hat mein Menschsein bewahrt und auch sehr gepra'gt. Also, dieses Erdverbundensein. lch nahe sehr viel, das hab ich auch in der Schule gelernt. "
DaB ihre anthroposophische Schulerziehung in Richtung einer authentischen und bewuBten LebensRihnmg auch in kausalem Zusammenhang mit ihrer heutigen Distanz zum Femsehen steht, will Ellen nicht ausschlieBen:
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189 ,,Es kann sein, daft die Schule da ziemlich viel mit zu tun hat, das ware aber jetzt unterbewuflt. "
Die heutigen Relevanzsetzungen der suchtgef'~ahrdeten Nichtfernseher wurden in erheblichem MaBe auch durch die Erfahrungen mitbestimmt, die sie bei der Bew/iltigung ihrer pers6nlichen Lebenskrisen sammeln konnten. Drei der suchtgef~trdeten Nichtfernseher, Ellen, Michael und Sebastian, haben mit Hilfe einer Psychotherapie versucht, ihre Lebensprobleme in den Griff zu bekommen54. Psychotherapeutische MaBnahmen k6nnen zu einer Bew~tseinserweiterung und einer ver/inderten Sichtweise der eigenen Lebenssituation fiihren, die sich auf die gesamte Lebensgestaltung der Betroffenen auswirken. Die eigenen Interessen und Bedfirfnisse werden bewuBter wahrgenommen, und die gewohnten Handlungsroutinen k6nnen besser auf ihre Tauglichkeit fiir die Verwirklichung der eigenen Pers6nlichkeit iiberpriift und gegebenenfalls revidiert werden. Die kritische Reflexion der eigenen Lebenszusammenh/inge kann durchaus auch das Bewufltsein fiir das eigene Mediennutzungshandeln sch~.rfen und zu einer Ver'finderung oder Stabilisierung auch auf dieser Handlungsebene fiihren, sofem dadurch Vorteile fiir die eigene Pers6nlichkeitsentfaltung erwartet werden. Sebastian best/itigt diese Vermutungen: ,,Ich hab 'ne Therapie gemacht, anderthalb Jahre lang. Es war 'ne Gesprachs- und Verhaltenstherapie, die mir ausgezeichnet gefallen hat. Ich bin seit meiner Therapie nicht mehr so geneigt, was zuzulassen, was ich nicht will, und ich hab in dem Sinne nicht mehr zugelassen, daft Barbara Eligmann mich verseucht. "
Michael hat gar, wie bereits im Abschnitt fiber den Stellenwert des Nichtfemsehens fiir die suchtgef'~ardeten Nichtfemseher erw/ihnt wurde, seine Femsehsucht konkret im Rahmen seiner Psychotherapie thematisiert und gemeinsam mit seinem Therapeuten Strategien zur Eind/irnmung seines exzessiven Femsehkonsums entwickelt. DaB die mehrj/ihrige Psychotherapie auch bei Ellen den Schritt zu einer fernsehfreien Lebensgestaltung begiinstigte, ist anzunehmen. Die politischen Sympathien der suchtgefiihrdeten Nichtfemseher liegen mehrheitlich bei den Granen. Ellen und Michael w~hlen regelm/iBig das Bfindnis 90~Die Griinen. Auch Sebastian wiirde zur Zeit dieser Partei seine Stimme geben, obwohl er seit Jahren aus taktischen Grfinden unterschiedliche Parteien w~ihlt. Dirk lehnt alle politischen Parteien hingegen prinzipiell ab. Er ist iiberzeugt, gesellschaftliche Ver'finderungen eher durch kiinstlerische als dutch politische Aktivit/iten erreichen zu kfnnen: ,,lch setze mehr a u f Kultur. Ich denke auch, daft da mein politischer Ansatz ist. lch mOchte fiber Kunst, ohne grofl politisch einsteigen zu massen, bewege ich dadurch die Gehirne der Menschen, bewege ich dadurch das Erleben der Menschen. "
Sowohl in den heutigen Aktivitfiten der suchtgef'~tlrdeten Nichtfernseher als auch in ihren Relevanzsetzungen und Grundiiberzeugungen ~iuBert sich ihr Anspruch auf eine aktive, bewuBte Lebensweise, die sie zur Zeit il~es exzessiven Fernsehkonsums nicht verwirklichen konnten. Mit ihrer heutigen, femsehfreien Lebensweise erfiillen sie ihr
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190 ausgepr~igtes Bediirfnis nach authentischen Erlebnissen und prim~iren Sozialkontakten, so dab eine belastende Diskrepanz zwischen ihren eigentlichen Lebensvorstellungen und ihrer tats~ichlichen Lebensweise nicht mehr besteht.
3.1.3.4 Evaluation/Perspektiven/Reaktionen
Vorteile der fernsehfreien Lebensweise
Die vier suchtgef'fihrdeten Nichtfemseher verbinden mit ihrer femsehfreien Lebensweise zahlreiche Vorteile gegeniiber ihrer friiheren, von exzessivem Femsehkonsum dominierten LebensRihrung. Seit sie ohne Femsehen leben, Rihlen sie sich von einer lebensbeeintr~ichtigenden Abh~gigkeit befreit. Ihr geistiges und k6rperliches Wohlbef'mden hat deutlich zugenommen, seitdem sie wieder in tier Lage sind, il~e eigentlichen Bediirfnisse bewuflt wahrzunehmen und gezielt zu verwirklichen. Den Gewinn an frei verfiigbarer Zeit Rir andere Aktivit~iten und die Belebung ihrer sozialen Kontakte sch~itzen sie als groBe Bereicherung ihres Alltagslebens: ,,Das bringt mich erst mal auf 'nen ziemlich zentralen Punkt zu mir, daft ich erst mal von der Medienau]3enwelt nichts wissen will. Seitdem lerne ich Leute kennen, lch fiihre jetzt ein viel bewuflteres Leben. Keine strikte Einteilung des Tages, mein ganzer Alltag ist anders geplant auf einmal, ich krieg einen natfirlichen Lebensrhythmus. Das ist sehr angenehm. Ich bin sehr offen far viele Sachen. Und ich muff reich nicht mehr pausenlos argern, was fiir 'n Schrott im Fernsehen immer kommt, weil, war ja nur Schrott eigentlich drin. Und ich finde, die Luft istjetzt besser." (Ellen) ,,Ich genieJ3e wieder diese frei verfagbare Zeit, diese fruchtbaren Momente. Ich lebe mehr, ich nehme meine Bedgirfnisse viel starker wahr, ich lebe sie mehr aus, ich erlebe mehr Gefahl. Ich erlebe die bedrackenden Situationen deutlicher und die Eingeschrdnktheiten auch eines Lebens in der Stadt als Berufstdtiger. Das sind alles Vorteile. lch leb mehr Freude, ich leb mehr mit Freunden und Bekannten zusammen. Meine Welt ist klarer geworden. Ich leb, kurz und knapp, intensiver. " (Michael) ,,Es ist schOn. Es ist gematlich. Es ist richtig gematlich, lch lese und bin zufrieden. Also, es ist nicht ein Hohlsein, so'ne innere Leere wie beim Fernsehkonsum. A u f einmal hab ich hier den Raum freL und ich weifl, irgendwie ist ein Stiick Freiheit wiedergekommen, ein Stack von meiner Selbst wiedergekommen. " (Dirk) ,,lch fiihl reich zufrieden, ich ffihl mich kOrperlich wohler, psychisch und physisch wohler ohne Fernsehen, das muff ich schon sagen. Ich muff nicht mehr zu gewissen Zeiten auf einen gewissen Knopf dracken, ich muff nicht alles danach ausrichten. Ich lese seitdem viel mehr, und, was ich vOllig neu entdeckt habe, sind Zeitungen. Die les ich jetzt interessiert, und das find ich ausgesprochen angenehm. Das ist auch ein Zugewinn. " (Sebastian)
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191 Nachteile der fernsehfreien Lebensweise
Michael und Sebastian beklagen auch einige negative Ver'~nderungen, seitdem sic sich fiir ein Leben ohne Femsehen entschieden haben. Michael befiirchtet, auf wichtige Informationen verzichten zu mfissen, seit ihm kein Femsehger~it mehr zur Verfiigung steht. Darfiber hinaus vermiBt er gelegentlich die Mfglichkeit, mit Hilfe des Fernsehens den Bedrfickungen des Alltags zu entgehen: ,,lch wfirde gerne die Ablenkung mal zwischendurch haben, die Leichtigkeit, die durch das Fernsehgucken kommen kann, gerade far reich, far jemanden, der auch stark problemorientiert ist. Ein Nachteil ist auch, daft ich oft Informationen nicht mitbekomme, also, im politischen oder im kulturellen Geschehen. " Von den vier suchtgefiihrdeten Nichtfemsehem leidet Sebastian am st~irksten unter Verlustgefiihlen, seitdem er sich von seinem Femsehger~it verabschiedet hat. Er vermiBt die Informationsfunktion des Femsehens und bedauert, dab er bestimmte Sendungen, die er frfiher gem und regelm~iBig rezipierte, nicht mehr verfolgen kann. Zudem beklagt Sebastian, dab er bei Gespr~ichen im Freundeskreis fiber die Programminhalte des Fernsehens nicht mehr mitreden kann: ,,Das, was ich wirklich vermisse, ist das, was mit Informationen, mit AuJkldrung zusammenhdngt. Und da ich kein Fernseher mehr bin, hab ich ab und zu fiberhaupt keinen Gesprachsstoff mit manchen Leuten, weil man sehr viel eben fibers Fernsehen redet, und das fehlt jetzt zum BeispieL Ich vermifl es schon sehr. Es gibt zum Beispiel im Sport gewisse Sachen, manche Kinofilme, manche politischen Magazine, vor allem Nachrichten. Das ist einfach ein Verlust." Im Unterschied zu Michael und Sebastian berichten Ellen und Dirk fiber keinerlei nachteilige Ver'anderungen in ihrem Alltagsleben, seitdem sie ohne Femsehen leben.
Bewertung der fernsehfreien Lebensweise
Ellen und Dirk bewerten ihre fernsehfreie Lebensweise ausschlieBlich positiv. Uber nachteilige Ver'~indenmgen in ihrem Alltagsleben, die urs~ichlich auf die Trennung yon ihren Femsehgefiiten zuriickzuffihren w~en, k6nnen sie nicht berichten. Michael und Sebastian sind hingegen mit ihrem Leben ohne Femsehen nicht uneingeschr~_kt zufrieden. Obwohl sie in den letzten femsehfreien Monaten viele positive Erfahrungen sammelten, verspiiren sie doch noch recht h~iufig das Bedfirfnis, wenigstens gelegentlich wieder fernzusehen. Besonders Sebastian venniBt noch off den gewohnten Femsehkonsum, und verspfirt dann verst~kt den Wunsch, sich wieder ein Femsehger~it anzuschaffen. Die negativen Erinnerungen an die Frustrationserlebnisse, die seinen frfiheren Fernsehkonsum zunehmend begleiteten, haben ihn jedoch bisher yon einem
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192 derartigen Schritt abgehalten. Seinen Entschlul3, ohne Femsehen zu leben, hat Sebastian zwar bisweilen bedauert, aber, ebenso wie die ~ibrigen drei suchtgef'fihrdeten Nichtfemseher, noch nie emsthaft bereut: ,,Es ist auch 'ne Verlustgeschichte dabei, und die Verlustgeschichte ist eben dann auch sehr vielschichtig. Es ist aber den Preis wert, denke ich mir. "
Perspektiven
Obwohl Michael und Sebastian ihrer femsehfreien Lebensweise nicht nur positive Aspekte abgewinnen k6nnen, wollen sic doch auf absehbare Zeit an ihrer Entscheidung, ohne Femsehen zu leben, festhalten. Nicht festlegen wollen sic sich hingegen auf eine dauerhafte Fortsetzung ihrer Femsehabstinenz. Eine sp~itere Riickkehr zu einem dann jedoch mabvollen und kontrollierten Femsehkonsum wollen sic nicht ausschlieflen: ,,Ff~rs erste will ich dabei bleiben. Ich kOnnte mir aber gut vorstellen, so als Trockengelegter, sag ich mal, wenn ich das mal wieder im Griff hab, dann ward ich ja gerne auch real wieder dosiert fernsehen. " (Michael) ,,lch kann aber die Ldnge der Askese nichts sagen. Also, ich warde das vielleicht ganz spontan abet Nacht entscheiden. Abet ich seh das nicht kommen. "(Sebastian) Auch Ellen will zumindest vorl~iufig ihr Leben ohne Femsehen gestalten. In Krisenzeiten will sic jedoch unter Umst~.nden das Femsehen bewuflt als Ablenkungsmittel einsetzen, um auf diese Weise gr6Bere psychische Belastungen auszugleichen: ,,Ja, also, mindestens so, von dem Gefahl her, was ich habe, m6chte ich aufjeden Fall ein Jahr ohne Fernseher bleiben. Und danach m6chte ich eigentlich auch nicht wieder, kann mir das eigentlich auch nicht vorstellen in meiner Entwicklungsphase im Moment, daft ich das Fernsehen jemals wieder so benutzen werde, wie ich das jetzt benutzt habe, aufler, wenn ich das bewuflt als Suchtmittel einsetze. Mich argert das, wenn ich das unbewuflt mache. Also, bewuflt, das ist noch 'ne andere Sache. Aber ich fande es ganz schOn, wenn ich nicht mit der Sucht Fernsehen, sondern mit der Sucht allgemein lernen kOnnte umzugehen, um hinterher das Medium Fernsehen benutzen zu kOnnen, um mehr Informationen zu bekommen, die ich haben wollte. " Im Unterschied zu Ellen, Michael und Sebastian ist sich Dirk sicher, dab er nach seinen zahlreichen Riickf'~illen nun endgiiltig an seiner femsehfreien Lebensweise festhalten will. Am liebsten wiirde er seinen Femseher, den er inzwischen endgiiltig abgemeldet hat, auf spektakul~e Weise entsorgen, um so seinen aufgestauten Unmut iiber alas Femsehen noch einmal nachhaltig zu entladen und gleichzeitig einem emeuten Riickfall in eine Femsehabh~ingigkeit vorzubeugen: ,,Schon fraher habe ich mir immer so Szenarien ausgedacht, wie das denn wohl ist, wie ich das wohl organisiere, daft der Fernseher wegkommt. Zum Beispiel, in Berlin gibt's
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193 ja Offer diese Fensterstfirze mit der ganzen Bagage der Kinder, die schmeiflenjetzt den Fernseher runter, und damit ist das Thema dann yore Tisch, weil die Kinder merken: Ah, ein grofler Spafl kommt auf uns zu, da kOnnen wit was kaputtmachen. Und dann wissen sie aber auch irgendwie, die ganze Sache istjetzt ausgestanden, wir haben keinen Fernseher mehr, wit kOnnen nicht mehr gucken. Das ist bestimmt auch ein befreiender Akt, 'nen Fernseher runterschmeiflen zu kOnnen. Das befreit einen bestimmt ziemlich nachhaltig. So wfirde ich das auch gerne machen. Aber dann muff ich irgendwie ein Hoehhaus finden. Das muff riehtig gut scheppern.t"
Reaktionen yon auflen
Die Reaktionen aus der sozialen Umgebung der suchtgef'fllrdeten Nichtfemseher auf ihre Bemiihungen, ihr Leben ohne Femsehen einzurichten, reichen von Erstaunen fiber Skepsis bis bin zu Zustimmung, Verst~dnis und Ermutigung. Michael emtete vornehmlich positive Reaktionen auf die Abschaffung seines Femsehapparates: ,,Es gibt hauptsdchlich positive Reaktionen. Es gibt sehr lustige auch dazu. So im Freundes- und Bekanntenkreis verstandnisvolle. Auf der Arbeit eher irritierte Blicke. " Ellen und Sebastian wurden haupts~ichlich mit Erstaunen, Unglauben und Ablelmung konfrontiert, wann immer sie ihre femsehfreie Lebensweise gegeniiber ihren Mitmenschen offenbarten: ,, Viele Leute glauben das erst gar nicht, und man muff sich auch sehr rechtfertigen. Die Reaktionen sind oft geprf~gt von Erstaunen und von Unglauben beziehungsweise Unverstandnis." (Ellen) ,,Jeder war total erstaunt: 'Was ist denn mit Dir los? '." (Sebastian) In Dirks Freundes- und Bekanntenkreis wird generell nur sehr wenig femgesehen. Weder die programminhaltlichen Aspekte des Femsehens noch die individuellen Femsehgewohnheiten werden dort zum Gespr~ichsthema erhoben: ,,Ich bin auch eigentlich in 'ner Clique drin, die kaum Fernseh guckt. Also, wir unterhalten uns nie aber Fernsehen. Nie. "
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194 3.1.3.5 A llgemeines Medienh andeln
Generelle Befunde zum Medienhandeln
Die geringe Anzahl der hier befragten suchtgef'fihrdeten Nichtfemseher erschwert verallgemeinerbare Aussagen fiber ihren Umgang mit den fibrigen Massenmedien. Jedenfalls befinden sich unter den vier suchtgef'fihrdeten Untersuchungsteilnehmem sowohl sehr rege als auch sehr zurfickhaltende Mediermutzer, und auch in ihrer Einstellung zu den einzelnen Massenmedien ist keine einheifliche Linie zu erkennen. Die unterschiedlichen Mediennutzungsgewohnheiten der suchtgef~.hrdeten Nichtfernseher offenbaren sich bereits in ihrem jeweiligen Informationsbedfirfnis. Von den vier suchtgef'~ardeten Nichtfernsehem ist Sebastian am st~'ksten an intemationalen und nationalen Nachrichten und Informationen interessiert. Er nutzt regelm~ig mehrere Massenmedien, um sich fiber die Ereignisse im In- und Ausland zu informieren: ,,Ich habe eine Tageszeitung und eine W'ochenzeitung und habe einen Austauschverbund, oder wie man das nennen will. Also, 'ne Freundin von mir bezieht den 'Spiegel', und ich bezieh die 'Zeit', und das tauschen wir aus. " Michael und Dirk interessieren sich zwar auch Rir das aktuelle Weltgeschehen, informieren sich aber eher beil~iufig fiber die neuesten Entwicklungen, wobei Michael auf eine fiberregionale Tageszeitung zuriickgreift, und Dirk die Berichterstattung im H6rfimk und in einer fiberregionalen Wochenzeitung verfolgt. Ellens Interesse an Informationen fiber die aktuellen intemationalen und nationalen Geschehnisse ist fiberaus gering ausgepr~igt. Neueste politische und gesellschaftliche Entwicklungen registriert sic allenfalls am Rande, beispielsweise w~ihrend des Einkaufs, wenn sic am Zeitungsstand die Schlagzeilen der diversen Tages- und Wochenzeitungen fiberfliegt: ,,Mich interessieren die politischen Sachen nicht, die alltaglich passieren, sondern die Sachen, die in Zukunfl sind. Also, so Forschungssachen interessieren reich, psychologische Sachen interessieren mich. Ich denke, eine Revolution warde ich mitbekommen, wenn die hier statOqndet. "
Bfgcher
Das Lesen von Bfichem hat auch fiir die vier suchtgef~ktrdeten Nichtfemseher einen sehr hohen Stellenwert. Ebenso wie die meisten aktiven und bewul3t-reflektierten Nichtfernseher, sind auch die suchtgef~.rdeten Nichtfemseher ausgesprochene Vielleser. Die Zahl der Bficher, fiber die die Befragten in ihrem jeweiligen Haushalt ver~gen k/Snnen, liegt zwischen vierhundert und eintausend Exemplaren. Mit Ausnahme von
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195 Michael, der fast ausschlieBlich Romane liest, interessieren sich die suchtgef'ahrdeten Nichtfemseher sowohl for unterhaltende Literatur als auch for Sachliteratur, ohne einer der beiden Gattungen prinzipiell den Vorzug geben zu wollen. Ellen l ~ t sich ffth" ihre eigene literarische Arbeit gem durch die Lektiire niveauvoller Unterhaltungsliteramr inspirieren, greift jedoch in ihrer jetzigen Lebensphase vermehrt auf psychologische und therapeutische Sachbficher zuriick, um ihre Selbsterfahrungsbemiihungen theoretisch zu vertiefen: ,,Ich lese gerne geistig anspruchsvolle Literatur, aber in Romane verpackt, weil ich sie sehr angenehm zu lesen finde, lch lese gerne Autobiographien, so Marx, Engels, Rosa Luxemburg, habe viel von Heinrich Heine gelesen, habe eine Zeitlang Milan Kundera als meinen Lieblingsautor gehabt. Ich les im Moment eher so Bficher, die nicht in Romanform sind, sondern die eher fiber Heilen gehen. Also, fiber positives Denken, fiber Miflbrauch, das pack ich alles in diese geisteswissenschaftlichen, psychologischen Sachen rein. "(Ellen) Aufgrtmd seiner studentischen und beruflichen Aktivit/iten ist Sebastian gezwungen, in erster Linie historische Fachliteratur zu lesen. Regelm/il]ig nimmt er jedoch auch unterhaltende Literatur zur Hand, um sich von seiner Arbeit zu entspannen: ,,lch lese natfirlich viel ffir meine Arbeit, in dem Kontext. Und dann, seit der Krise, les ich jetzt sehr viel amerikanische Literatur, und zwar sowohl Updike et cetera als auch Krimis, und zwar nur Frauenkrimis, weil ich diese Mannerkrimis fiberhaupt nicht mag. Die sind mir zu brutal Ich hab auch die neue deutsche Literatur wieder entdeckt, also, so nach Handke, und so weiter. Im Durchschnitt les ich zwei-, dreimal in der Woche was anderes. Also, relativ intensiv. Ich nehm mir dann auch die Zeit daffir. " Seitdem Dirk nicht mehr femsieht, hat er seine Leseleidenschafi wieder entdeckt. Neben anspruchsvoller Unterhaltungsliteratur liest Dirk zur Zeit in erster Linie popul~irwissenschat~iiche Sachbiicher, beispielsweise fiber alternative Heilverfahren, Anthropologie oder Geomantie: ,,Im Moment les ich jeden Tag. lch hab viel zu viele Bficher, und ich hab auch vor einem Jahr neun Kisten davon auf dem Flohmarkt verkauft. Und dann hab ich mir selbet 'nen Buchstop verordnet, hab mir nichts mehr dazugekauft. Undjetzt, als ich dann so meine Phase hatte, hab ich 'nen sehr guten Romanzyklus gelesen, hab auch gemerkt, wieviel Spafl mir das macht. Dann hab ich bei der Inventurarbeit in einer Buchhandlung ausgeholfen und hab das alles umgesetzt in Bficher. Jetzt hab ich da zehn Bficher stehen, die ich schon seit zwei Jahren haben wollte, und wo ich jetzt sehr glficklich bin, daft ich die hab. Das ist zum Beispiel das 'Funkkolleg Anthropologie Heute ', das ist aber auch zum Beispiel 'Heilkunst in Afrika '. Ja, und dann ist das zum Beispiel das Buch fiber den Schloflpark Tfirnich, eins meiner Lieblingsbacher. Da wurde, weil dort ein Braunkohletagebau errichtet worden ist, der Grundwasserspiegel um zweihundertundachtzig Meter gesenkt, und der Schloflpark trocknete aus. Und da kam ein Kanstler, der Marko Pogacnik, und hat die Kraftlinien, die da entlang laufen, ausgependelt und hat auf diese Meridianlinien Akupunktursteine gesetzt, und die sind
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196 wunderschOn auch gestaltet. Ja, und heute •t der Park w&der gr~in, ich war da. " Michael hat seit seinem Eintritt in das Berufsleben seinen Buchkonsum zwar einschr~inken miissen, dennoch liest er t~iglich zumindest vor dem Schlafengehen noch einige Seiten, urn den Tag in Ruhe ausklingen zu lassen: ,,Ich les auch so jeden Abend noch zum Einschlafen. Das ist fiir mich das Beste, um auszusteigen aus dem Tag. Ich schlaf mit Licht ein, mit dem Buch in der Hand."
Bemerkenswert ist an dieser Stelle, d ~ die suchtgef'~ihrdeten Nichtfemseher mehrheitlich auch das Buch in exzessiver Weise als Eskapismusvehikel in Krisensituationen einsetzen. Im Unterschied zum extremen Fernsehkonsum wird der exzessive Buchkonsum von den Betroffenen jedoch nicht als sinnlose Zeitverschwendung bedauert. Bei der Buchlektfire unterbleibt das GeFtihl innerer Leere, unter dem die suchtgef'fihrdeten Nichtfernseher im AnschluB an ihre Fernsehexzesse regelm~iBig litten. Das Lesen wird, im Gegensatz zum Femsehen, als autonomer Handlungsakt und sinnvolle Aktivit~t gesch~itztSS: ,,Also, wenn ich Bacher lese, das hab ich fraher schon getan, kann man fast vergleichen wie Fernsehen, weil, dann leg ich reich auch hin, und bin dann auch weg, erst mal die ndchsten Stunden, mit dem positiven Faktor eben, daft es mich hinterher nicht reut." (Dirk) ,, Was ich sehr g e m tue ist in Krisenzeiten zu Lieblingsbf~chern zu greifen. Das tollste Heftchen, was ich habe, ist von Adalbert Stifler, 'Brigitta '. Da krieg ich das warmste Gefahl raber, wenn ich das lese, und das ist dann wie eine Sucht. Das Buch ist far mich eine Phantasiewelt, in die ich mich zurackziehen kann. " (Ellen) ,,Also, ich kenn das bei mir auch bei Bf~chern so. Bacher sind bei mir, alter noch als Fernsehen, so die Fluchten, also, schon fraher in meiner Biographie. Was beim Buch aber einfach mehr ist, die visuelle Vorstellung ist nOtig, und ich kann das Buch dirigieten, wahrend beim Fernsehen dirigiert das Fernsehen reich viel mehr. " (Michael) Die Wurzeln ftir die intensiven Leseaktivit~ten der suchtgef'fihrdeten Nichtfemseher liegen, wie auch bei den meisten aktiven und bew~t-reflektierten Nichtfemsehem, in tier Kindheit und friihen Jugend der Befragten: ,, Meine Mutter hat uns, und reich besonders, auch ganz stark ans Lesen rangefi~hrt. Es gab auch immer Bacher, und Bacher waren auch immer was ganz Kostbares. Das ist ihr auch immer ganz wichtig gewesen, uns ans Lesen heranzufahren, lch hab sehr viel gelesen, lch hab mir 'n Buch genommen, mich zurfgckgezogen und gelesen. Alles mOgliche. Irgendwann hab ich in der Bacherei versucht, das zu systematisieren, ich las die Regale einfach Buch ff~r Buch durch, und ich seh's fiir mich mittlerweile so, daft ich mich mit Bachern aus 'net lauten Familie rausziehen konnte, ja, in 'ne andere Welt einfach auch. "(Michael) ,,Schon als Kind hab ich die Nachte zum Lesen genutzt, hab Bacher verschlungen." (Ellen) ,,Ich hab immer schon viel gelesen, und Bacher haben mich immer schon sehr
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197 gepragt. Als Kind schon, lch hab zum Beispiel 'Krabat' von Otfried Preufller gelesen. 'Krabat' hat mich ziemlich mitgerissen, auch als Kind, und hat mich sogar verdndert, ja. " (Dirk)
Aktuelle Printmedien
Entsprechend ihrem unterschiedlichen Interesse an ak~ellen Nachrichten sind die suchtgef'~hrdeten Nichtfemseher mehr oder weniger reichhaltig mit aktuellen Printmedien ausgestattet. Um sein iiberaus ausgepr~igtes Bediirfnis nach aktuellen Informationen fiber das Weltgeschehen ad~quat stillen zu kfnnen, bezieht Sebastian die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Zeit im Abonnement. Dariiber hinaus liest er noch den Spiegel, den er allw6chentlich im Tausch gegen die Zeit von einer Freundin erh~ilt: ,,Ich lese eigentlich wirklich quer durch den Gemasegarten, also, regelmdflig allerdings nur 'Spiegel" 'Zeit' und "FAZ" Die "FAZ' les ich fast komplett, also, selbst den Wirtschafisteil, aber Sport les ich immer zuerst. Aber aberfliegen tu ich alles. " Michael erh~ilt seit sechs Jahren t~iglich die Tageszeitung, die er als alternatives Informationsmedium auBerordentlich sch~itzt: ,,Die 'TAZ' ist ein gutes Gegengewicht zur anderen Offentlichkeit. " Seitdem Michael ohne Femsehen lebt, erwirbt er in unregelm~ffigen Zeitabst~inden als Erg~inzung zu seinem TAZ-Abonnement noch den Spiegel oder den Stern als zus~itzlithe Informations- und Unterhaltungsmedien: ,,Durch dieses Ohne-Fernsehen-leben sag ich mir auch oft: Wenn du Lust hast, dich zu informieren, kauf dir einfach was. Da das bei mir so 'ne Mischung aus Unterhaltungsund Politikinteresse ist, hol ich mir eher den 'Stern ', aber auch den 'Spiegel' schon mal, ja. " Nachdem Dirk fr/iher regelm~iflig eine iiberregionale Tageszeitung zu lesen pflegte, beschr~nkt er sich heute auf den h~iufigen Erwerb der Zeit, die ihm als zusammenfassende Quelle fiir fundierte Informationen iiber das politische und gesellschaftliche Weltgeschehen dient: ,,Eine Tageszeitung habe ich nicht, lch lese oft die 'Zeit'. Tageszeitung habe ich dann irgendwann sein gelassen, weil, man mfiflte schon 'he sehr gute haben, die ist mir abet zu teuer und verschlingt auch viel zu viel Zeit. Die 'Zeit' kommt einmal wOchentlich raus, und dann habe ich auch die Hintergrundinformationen, die ich brauche, um mich mit einem Thema vertraut zu fiihlen. " Ellen erwirbt in unregelm~ifligen Zeitabst~inden den Spiegel am Zeitungskiosk, um sich zu ausgewS.hlten kulturellen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Themen zu informieren. Die ausfiihrliche politische Berichterstattung im Spiegel interessiert sic jedoch nicht: ,,Den 'Spiegel' les ich immer von hinten nach vorne, weil vorne die politischen, aktuellen Sachen drin stehen, die ich todlangweilig finde. Es ist wichtig, wet gestorben ist
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198 von den Groflen. Letztens waren astrologische Berichte drin, da bin ich sehr interessiert dran. "
Im Unterschied zu den meisten aktiven und bew~t-reflektierten Nichtfemsehem liest keiner der vier suchtgef'~tu'deten Nichtfemseher eine lokale Tageszeitung. Niemand von ihnen ist in besonderem MaBe an den politischen und gesellschattlichen Neuigkeiten aus der n~eren Umgebung interessiert. Um sich fiber die intemationalen und nationalen Ereignisse zu informieren, greifen die Befragten lieber auf die erw~mten fiberregionalen Periodika zurfick, da ihnen die allgemeine Berichterstattung der beiden lokalen Tageszeitungen miBf'fillt: ,,Ich les die 'FAZ', keine miinsterischen Zeitungen. Die find ich so df~nn." (Sebastian) ,,Die Tageszeitung find ich stinklangweilig. Ist far mich wie 'n Comic. Auch das Lokale interessiert reich aberhaupt nicht. " (Ellen) ,,Die Lokalzeitungen hier sind mir zu schlecht recherchiert. " (Dirk)
Zeitschriften
Sebastian nutzt nicht nur die aktuellen Printmedien wesentlich intensiver als die fibrigen drei suchtgef~rdeten Nichtfemseher, er ist auch der eifrigste Zeitschriftenleser unter den vier Vertretem dieses letzten fibergeordneten Nichtfernsehertyps. Er bezieht regelm~ig zwei historische Fachzeitschriften und ergreift dariiber hinaus jede sieh bietende Gelegenheit, in den unterschiedlichsten Magazinen und Publikumszeitschriften zu lesen: ,,Zeitschriften les ich aberall. Beim Zahnarzt, et cetera, in der Universitatsbibliothek. Und den Lesesaal in der neuen Stadtbibliothek babe ich mir jetzt auch angeeignet. Ich lese auch viele Frauenzeitschriften. " Ellen hat die alternative Testzeitschrift Oko-Test abonniert, um sich einen Oberbliek fiber die Palette umweltvertriiglicher Produkte zu verschaffen und die Entwicklungen auf dem Sektor tier Umweltpolitik zu verfolgen. Darfiber hinaus erwirbt sie gelegentlich die Hobbyzeitschrift Burda, die sie als Anregung ftir ihre N~arbeiten nutzt. Michael erwirbt neben den bereits erw~.hnten Publikationen noch regelm~ig das mfinsterische Obdachlosenmagazin Drauflen, um sich fiber die Situation in der heimischen Berberszene zu informieren und auf diese Weise seine Solidarit~t mit den Wohnungslosen zu bekunden. Dirks Interesse ftir Zeitschrilien ist eher gering, nut selten nimmt er eine Publikumszeitschriit zur Hand, wenn sich zuf'~illig eine Gelegenheit zur Zeitschrif~enlektfire bietet.
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199 HOrfunk
Der H6rfimk hat fiir zwei der suchtgef~.hrdeten Nichtfernseher eine wiehtige Rolle bei der Entw/Shnung vom Fernsehen gespielt. Sowohl Dirk als auch Ellen benutzten das Radio verstiirkt als Ersatz Rir das Fernsehen, nachdem sie ihren Femsehkonsum eingestellt hatten: ,, Um reich yore Fernsehen abzugewOhnen, brauchte ich unbedingt das Radio. Das war dann also mein zweites Standbein, und ich weifl, daft das beim Radio auch so ist, um soziale Nahe zu haben. " (Dirk) ,,Ich hab natarlieh erst real mehr Radio gehOrt, als der Fernseher weg war. " (Ellen) Ellen hat mittlerweile auch ihren Radiokonsum eingestellt, weft ihr die Verlagerung ihres Suchtverhaltens vom Femsehen auf das Radio sehr bald bcwugt wurde: ,,Als ich mit dem Fernsehen aufgehOrt hab, hab ich erst real Radio gemacht, 'WDR I" und das war so bis Silvester. Da hab ich bis fi~nf Uhr morgens die Silvesterparty gehOrt, und das war das letzte Mal, daft ich dann Radio gehOrt habe. Da war ich dann satt. In dieser Nacht ist mir bewuflt geworden, daft das Radio mein Kontakt nach drauflen ist. Ich hatte das zwar beim Fernsehen auch so gesehen, aber nicht ganz so bewuflt wie auf einmal mit diesem Radio. Also, wenn der Fernsehsprecher zu mir 'Guten Tag' sagte, sagte ich auch 'Guten Tag', weil ich so wenig Menschenkontakt hatte, daft mir das auch wichtig war. Und das ist mir ganz extrem am 1.1. jetzt aufgefallen mit dem Radio, daft ich reich mit denen unterhalte, auch in der Silvesternacht: 'Ach, das i s t j a nett" und 'Halli-Hallo' und so. Und das fand ich ziemlich komisch und auch ein biflchen sonderbar und hab es dann gelassen, und hatte auch keine Lust mehr zu hOren. Ich habe seitdem auch keine Nachrichten mehr gehOrt. " Dirk h/Srt hingegen noch immer sehr viel Radio. Ihm ist die Verlagerung seines Suchtverhaltens vom Femsehen auf das Radio auch durchaus bewuBt. Da die H~irfimkrezeption jedoeh im Unterschied zum Femsehen auch Nebent~itigkeiten erlaubt, und Dirk sich gegeniiber dem Femsehen weniger an das Radio gefesselt ffihlt, bereut er diese Nutzungsverlagerung nieht: ,,Also, das Radio ist fast so 'n zweites Suchtmittel. Auch immer bei meinen Umzf~gen hab ich gemerla, daft es immer erst dann Heimat geworden ist, wenn mein Plattenspielet und mein Radio da waren. Das li~uft am Tag sechs, sieben, acht, neun, zehn Stunden, vielleicht auch real nur fi~nf Stunden, und ich bezieh auch sehr viel Informationen f~bers Radio. Ist so 'n ahnlicher Suchtfaktor wie das Fernsehen, find ich nut nicht so schlimm wie "s Fernsehen. Macht einen nicht so tatenlos, und ich kann das auch gut abschalten, wenn ich weggehe. " Am liebsten h/Srt Dirk lS.ngere Wortbeitr~ige mit hohem Informationsgehalt auf den Sendem WDR III und WDR V: ,,Als HOrer interessieren reich Beitrage, die nut zweieinhalb Minuten dauern, nicht. "
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200 Michael und Sebastian benutzen das Radio allenfalls zur Hintergrundberieselung, wobei die Rezeption von Musiksendungen bei beiden Befragten im Vordergrund steht: ,,Hier im Haus hot ich sehr wenig, im Auto schon mal. Und auf der Arbeit h6r ich Radio mehr so als Hintergrund, meistens dann Musik. " (Michael) ,,Das Radio lauft bei mir eher so als Kulisse, ich treff da keine bewuflte WahL Ich nutz das nur far Musik, und ab und zu, wenn ich mal nachts nach Hause komme, h6r ich diese Sendung auf 'WDR H" ich weifl nicht, wie die heiflt, wo 'ne halbe Stunde Nachrichten noch real kommen. ,,56 (Sebastian)
Tontrdiger
Musikalische Tontr~iger werden lediglich von zwei der Befragten regelm~ig zum Einsatz gebracht. Seit kurzem benutzt Dirk seinen neuen Computer, um mit Hilfe des eingebauten CD-Rom-Laufwerkes Musik von Compact Discs zu h&en: ,,lch hab mir jetzt 'nen neuen Computer gekauft, und dann hab ich mir ein CD-Rom gekauft, und ich stell den Computer im Moment fast nur dann an, wenn ich 'ne CD h6ren will, und dann geht das fiber die Anlage. Mich interessiert meditative Musik, mich interessiert elektronische Musik, auch spirituelle Musik. " Sebastian fiberspielt regelm~iBig ausgew~ihlte Schallplatten, die er sich bei Freunden und Bekannten ausgeliehen hat, auf Tonbandcassetten. Auf diese Weise stellt er sich ein Musikprogramm nach seinem eigenen Geschmack zusammen: ,, CDs hab ich leider nicht. Ich nehme sehr viel Cassetten aufi Das ist dann allerdings immer sehr bewuflt. Also, ich kauf das selbst hie, wo ich irgendwo bin, guck ich mal, was ich aufnehmen k6nnte. Rockmusik oder Bach 'sche Orgelmusik zum Beispiel. Das tu ich schon, denn das ist Musik, die mir dann gefdllt, die ich auch far mich ausgesucht habe. " Michael und Ellen h6ren nur/iuBerst selten Musik von Tontr/igem. Ellen besitzt weder ein Abspielgeriit fiir Compact Discs noch einen analogen Schallplattenspieler. Seitdem sie auch ihr Radio nicht mehr einschaltet, h6rt sie gelegentlich Musik von Tonbandcassetten, die sic auf ihrem kleinen Radiorecorder abspielen kann: ,,Ich hab auch keinen CD-Player, ich hab ein siebzig Mark teures Radio mit Cassettenteil, das ist jetzt vier Jahre alt. Ich h6re sehr wenig Musik, weil, wenn ich Musik h6re, h6r ich sie bewuflt." Michael ist zwar ein ausgesprochener Musikliebhaber, er benutzt jedoch nur sporadisch seine heimische Stereoanlage, um Schallplatten oder CDs zu hfren. Statt dessen h~Srt er Musik lieber gemeinsam mit Freunden und Bekannten in der Diskothek oder bei Veranstaltungen mit authentischen Musikdarbietungen: ,, Schallplatten kaufen hab ich, glaub ich, vor acht Jahren mit aufgeh6rt. Cassetten hab ich auch, obwohl, mein Cassettenrecorder istjetzt schon seit einem Jahr kaputt. Musik
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201 spielt zwar 'ne sehr wichtige Rolle, aber witzigerweise tu ich sehr wenig dafar, um sie hier, in meinen eigenen Raumen, zu hOren. Also, Musik ist sehr, sehr wichtig, und ich verbinde auch viel mit meinen alten Platten. Aber ich tu sehr wenig dafar. "
Kinofilm
Die Vermutung liegt nahe, dab die suchtgef~i.hrdeten Nichtfemseher vermehrt ins Kino gehen, seitdem sie ohne Fernsehen leben, um auf diese Weise den - letztlich selbst gewollten- Verlust des eigenen audiovisuellen Mediums zumindest ansatzweise zu kompensieren. Bei Michael und Sebastian trifft diese Vermutung zu. Beide sind zu regen Kinog~.ngern geworden, seitdem sie sich ftir ein Leben ohne Fernsehen entschieden haben. Wenigstens einmal in der Woche nimmt Sebastian die Angebote der/Srtlichen Lichtspielh~iuser wahr, w~.hrend Michael alle drei bis vier Wochen ins Kino geht. Gezielt suchen sie sich hochwertige Filme aus den einschl/igigen Kinoprogrammen aus, die sie dann allein oder im Freundeskreis ansehen. Als besonders positiv gegeniiber dem Fernsehen wird die bessere Ton- und Bildqualit~it der Kinofilme hervorgehoben: ,,Ich geh auch mehr ins Kino seitdem, das ist vOllig klar. Find ich auch viel befriedigender, als 'nen Film im Fernsehen zu sehen. Ich mag das einfach, 'he grofle Leinwand, und der Ton. Das istja viel sehOner als Fernsehen. " (Sebastian) ,,Also, das merk ich, seit ich keinen Fernseher hab, daft ich eher auch ins Kino gehe. Ich hare das Medium Film ff~r 'he ganz tolle Sache. Genau wie ein gutes Buch ist ein guter Film far mich ein Stgick Kunst, und es ist etwas Bereicherndes in meinem Leben." (Michael) Wie seine beiden Vorg~nger sch/itzt auch Dirk den Kinofilm als wertvolles Kulturgut. Aufgrund seiner vielf'~iltigen Aktivit~ten im Rahmen der Free International University ist sein Filmkonsum jedoch stark zuriickgegangen: ,,Ich denke, das ist die KunsOCorm der heutigen Zeit. Es ist heute eigentlich so meinem modernen Verstandnis nach der Raum, in dem sich moderne Phantasien ausleben. Nicht mehr im Theater, nicht mehr in der Oper, nicht mehr in Gedichten. Kino ist lebendig und kraftvoll und hat auch MOglichkeiten, diese Vitalitat rf~berzubringen. Inzwischen geh ich allerdings nur noch selten ins Kino. " Ellen sieht sich nur ein- bis zweimal j~_rlich einen Film im Kino an. Ihr Interesse an Kinofilmen ist gering, obwohl auch sie den gelegentlichen Kinobesuch als willkommene Abwechslung sch~itzt: ,,Ich geh selten ins Kino, aber wenn ich gehe, dann geh ich gerne. "
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202 Computer
,~nlich wie die meisten aktiven Nichtfernseher stehen die suchtgef'fihrdeten Nichtfemseher der Computertechnologie sehr aufgeschlossen gegenfiber. Drei von ihnen besitzen einen eigenen Personalcomputer. Ellen benutzt einen tragbaren Laptop-Computer, um ihre literarischen Arbeiten mit Hilfe eines Textverarbeitungsprogrammes abzuspeichern und zu bearbeiten. Ihre Wahl fiel auf diese spezielle Ger~iteausfiihnmg, weil sie nicht mit einem herk6mmlichen, emittierenden R6hrenbildschirm ausgestattet ist: ,,Ich hab ein Laptop mit einem Bildschirm mit Fl~sigkristall, der nicht leuchtet. Der zieht keine Energie." Erst nachdem Sebastian seinen Femsehapparat abgeschafft hatte, besch~iftigte er sich intensiver mit der Computertechnologie. Ebenso wie Ellen benutzt er ausschlieBlich ein Textverarbeitungsprogramm, um seine diversen Aufzeichnungen und Publikationen anzufertigen. Computergestfitzte Anwendungsm6glichkeiten, die fiber die Eingabe und Bearbeitung von Schdfistficken hinausgehen, interessieren ihn nicht: ,,Ich hab den Computer entdeckt, da hab ich reich vorher auch nicht mit besch~fligt. Ich kann Textverarbeitung, darf~ber hinaus interessiert reich der aber nicht. Der muff funktionieren. Es verunsichert reich, wenn er nicht funktioniert. Und ich hab auch nur so Einflugschneisen, so Sachen, die ich beherrsche. Alles andere drum herum kann ich nicht. Ganz simpel, es mufl funktional sein. " Im Unterschied zu Ellen und Sebastian benutzt Dirk seinen Computer vorrangig fiir Computerspiele. Vor allem w~hrend der ersten femsehfreien Wochen verbrachte er viele Stunden vor seinem Rechner, urn die Trennung von seinem Femseher leichter fiberwinden zu k6nnen. In ~tmlicher Weise wie das Radio fungierte so auch der Computer flit Dirk zun~ichst als Uberbrfickungshilfe und Ersatzmedium, nachdem er seinen Fernsehkonsum vollst~dig eingestellt hatte. Als besonders positiv gegenfiber dem Femsehen empfindet Dirk die M6glichkeit, aktiv in das Spielgeschehen am Computer eingreifen zu k6nnen, wEhrend der Femsehkonsum nur eine rein passive Rezeptionshaltung erlaubt. AuBerdem fiillt ihm im Vergleich zum Femsehen ein maflvoller Urngang mit dem Computer erheblich leichter: ,,Nachdem ich den Fernseher weggestellt habe, hab ich auf dem Computer etwa einen Monat, anderthalb Monate ziemlich intensiv gespielt, und das hat mir auch besser gefallen als Fernsehen gucken, ist klar, weil man im Spiel mit dabei ist, man macht selber irgendwas. Sehr komplexe Spiele haben auch irgendwie 'nen Kreativitatswert, das vermittelt Erfolgserlebnisse. Der Computer war schon 'ne grofle Hilfe, und ich finde, yon der Qualiti~t her schdtz ich doch Computerspiele sehr viel hOher ein als nut stumpfes Fernsehgucken. Auch ist der Computer nicht so ein Suchtmittel wie ein Fernseher, weil, ich kann reich vom Computer wieder lOsen. Wenn ich das Spiel zu Ende habe, ist es zu Ende, basta, aus. Beim Fernseher li~uft es immer welter, und es kommt immer was
Neues.
"
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203 Michael besitzt zwar keinen eigenen Computer, wiirde sich jedoch geme ein derartiges Ger~it zulegen, um die vielfiiltigen M6glichkeiten der gegenwiirtigen Datenverarbeittmgstechnologie zu nutzen. Gleichzeitig ist ihm die Gefahr bewuBt, die fiir ihn von einem Computer als ,,Ersatzdroge" fiir das Femsehen ausgehen kfnnte: ,,Ich hatte gerne einen, hab aber keinen. Internet zum Beispiel, da war ich j a heiJ3 hinterher. Also, das wfirde reich sehr interessieren, und ich seh gleichzeitig ffir mich da 'ne FluchtmOglichkeit und Suchtgefahr. Also, ich kOnnte auch stundenlang und ndchtelang im lnternet surfen. " Ein gemeinsamer Mediennutzungsstil, der auf alle suchtgef'fihrdeten Nichtfemseher gleichermaBen zutr~ife, ist nicht erkennbar. Die Befragten sind je nach ihren Interessen und Bediirfifissen in unterschiedlichem MaBe mit Massenmedien und Kommunikationsendger~iten ausgestattet und nutzen diese mit unterschiedlicher Intensit~it. Auffallend ist jedoch ihre gemeinsame Affinit~it zu suchthaftem, eskapistischen Mediennutzungsverhalten, besonders in Krisenzeiten. Massenmedien vor allem in Belastungssituationen als Ablenkungsmittel einzusetzen, bleibt bei dieser Gruppe nach den bisherigen Erkenntnissen also nicht allein auf das Femsehen beschr~inkt. Eine weitere Gemeinsarnkeit, die die suchtgef'~.hrdeten Nichtfemseher iibrigens mit vielen aktiven und bewuflt-reflektierten Nichtfemsehem teilen, liegt in ihrer Bereitschaft zur aktiven Teilnahme am 6ffentlichen Kommunikationsprozeg. Immerhin haben drei der Befragten bereits Leserbriefe geschrieben, und zwei von ihnen k6nnen sogar Erfahnmgen in der Produktion eigener Medienbeitr/ige aufweisen.
3.1.3.6 Die Ergebnisse im Uberblick
Alle vier suchtgef'~hrdeten Nichtfemseher haben sich b e w ~ t fiir ein Leben ohne Femsehen entschieden, um sich vor weiterem iiberm/ifligen und unkontrollierten Femsehkonsum zu schiitzen. Fiir die H/ilfte der Befragten war dies nicht der erste Versuch, bewuflt aus der Abh~ingigkeit vom Femsehen auszusteigen. Sie hatten vor ihrer aktuellen femsehfreien Lebensphase schon mehrfach vergeblich versucht, ihre Femsehsucht durch vollst~ndige Abstinenz zu besiegen. Als Kinder und Jugendliche wurden die suchtgef'~trdeten Nichtfernseher von ihren Eltem mehrheitlich mit rigiden Fernsehverboten und inkonsequenten medienp~idagogischen Maflnahrnen konfrontiert, die m/Sglicherweise zu ihren spiiteren Problemen mit dem audiovisuellen Massenmedium beitrugen. Die meisten Befragten begannen als junge Erwachsene mit ihrem exzessiven Fernsehkonsum, der meist in pers6nlichen Lebenskfisen oder Belastungssituationen seinen Anfang nahrn. W~.hrend ihrer extremen Fernsehphasen verbrachten alle vier suchtgef'Llardeten Nichtfemseher t~glich viele Stunden vor dem Bildschirm, Femsehexzesse von bis zu vierzehn Stunden Dauer waren nicht selten. Eine besondere Programmauswahl trafen sie dabei in der Regel
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204 nicht. Um sich von ihren Alltagsproblemen abzulenken, verfolgten die Betroffenen auch anspruchslose und qualitativ minderwertige Femsehsendungen, die ihren eigentlichen Qualit/itsmaBst/iben grundlegend widersprachen. Off ,,zappten" sie zwischen den einzelnen Femsehprogrammen hin und her, tan auf diese Weise eine halbwegs interessante Sendung zu erwischen. Der gesamte Tagesablauf der suchtgefiihrdeten Nichtfemseher wurde von ihrem exzessiven Femsehnutzungshandeln dominiert, ihre sozialen Beziehungen verk/immerten unter diesen Lebensbedingungen zunehmend. Allen Betroffenen gemeinsam ist die Tendenz zu eskapistischem Femsehkonsum in Belastungssituationen. W~ihrend sich bei den meisten suchtgef'~tu'deten Nichtfernsehem Phasen intensiven Femsehkonsums und Perioden v/Slliger Femsehabstinenz abwechselten, durchlebte einer der Befragten lediglich eine einzige, mehrjiihrige Suchtphase w~arend einer substantiellen Lebenskrise. In den Jahren vor dieser Krise nutzte der betreffende Untersuchungsteilnehmer das Femsehen vorrangig als Informationsmedium, ohne jemals zu fiberm[iiligem oder unkontrolliertem Femsehkonsum zu neigen. In dieser Hinsicht unterscheidet er sich von den fibrigen hier untersuchten suchtgef'~n'deten Nichtfemsehern. Aufgrund der zeitlichen Niihe zum Beginn ihrer jeweiligen femsehfreien Lebensweise ist die Femsehabstinenz Ftir die suchtgef'fihrdeten Nichtfemseher noch ein aktuelles Thema, das zudem immer dann wieder verst~kt auf ihre Tagesordnung zurfickkehrt, wenn sie in Krisensituationen emeut in eine l~hmende Femsehabh~xtgigkeit abzugleiten drohen und ihre femsehfreie Lebensweise stabilisieren mfissen. DaB sic fiberhaupt den Absprung von ihren exzessiven Femsehnutztmgsgewohnheiten geschafft haben, wird von den suchtgef'~lu'deten Nichtfernsehem durchweg als individuelle Leistung betrachtet. Das heutige Verh/iltnis der suchtgefiihrdeten Nichtfemseher zum Femsehen ist einerseits yon positiven Erinnertmgen und Sehnsfichten gepr/igt, auf der anderen Seite lehnen die Befragten das Femsehen als Hindemis bei der Verwirklichung ihrer eigentlichen Lebensvorstellungen ab. Vor dem Hintergrund dieser ambivalenten Einstellung der Betroffenen gegenfiber dem Femsehen wiirde sich auch nut einer der Befragten als dezidierten Femsehverweigerer bezeichnen. Der Leidensdruck, der durch die Diskrepanz zwischen den eigentlichen Lebensvorstellungen der suchtgef'~lu'deten Nichtfemseher und ihrer tatsiichlichen, vom Femsehen dominierten Lebensweise entstand, war sicherlich der Hauptgrund fiir ihre Entscheidung, ohne Femsehen zu leben. Die Flucht in eine kiinstliche Ersatzwelt, die Identifikation mit fiktiven, unerreichbaren Idealtypen und das bedrfickende Bewufltsein, einer paralysierenden Abh~ngigkeit erlegen zu sein, waren flit sie nicht l[inger zu ertragen, so daft sie sich ftir die Abschaffung ihrer Femsehger/ite entschieden. Mit ihrer konsequenten Femsehabstinenz wollten sie der zunehmenden Verkiimmerung ihres Soziallebens und den wachsenden psychischen und physischen Beeintrfichtigungen durch den exzessiven Fernsehkonsum entgegenwirken. Anstatt den gr6Bten Teil ihrer Freizeit vor dem Femsehger/it zu verbringen, woUen die suchtgef'~tu'deten Nichtfemseher lieber authentische Lebenserfahrungen machen und reale zwischenmenschliche Beziehungen
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205 pflegen. Die zahllosen Stunden vor der Mattscheibe werden daher oft als vergeudete Zeit empfunden. Auch der zunehmende Verdn~ der Befragten fiber qualitativ mangelhafte Programminhalte trug zu ihrer Entscheidung bei, ihren Femsehkonsum g~inzlich einzustellen. Als stabilisierendes Element Rir die fernsehfreie Lebensweise der suchtgeffihrdeten Nichtfemseher erwies sich fibrigens ihre Einbindung in feste Arbeitsstrukturen, die ihnen zudem den Ausstieg aus ihren frfiheren Fernsehnutzungsgewohnheiten erleichterten. Seitdem die suchtgef'fihrdeten Nichtfemseher ohne Femsehen leben, hat sich ihre Alltagsgestaltung grundlegend ver~ndert. Die Zeit, die sie frfiher vor dem Femsehger~it verbrachten, ~llen sie nun mit vorwiegend musisch-kfinstlerischen, sozialen und bewu~tseinsf6rdemden Aktivit~iten. Einer der Befragten hat seine Femsehabstinenz bisher vorwiegend genutzt, um seine beruflichen Existenzgrundlagen zu konsolidieren. Das Bedfirfnis der suchtgefiihrdeten Nichtfemseher nach einer aktiven, erlebnisbetonten Lebensgestalttmg ~iuBert sich auch in ihrem Urlaubsverhalten. Sie verreisen zwar eher selten, ziehen dann jedoch eine individuelle, aktive Urlaubsgestaltung einem reinen Erholungsurlaub vor. Als Konsumenten handeln die suchtgeffihrdeten Nichtfemseher preis- und qualit~itsbewul]t. AuBerdem achten sie beim Einkauf mehrheitlich auf die 6kologische Unbedenklichkeit ihrer Erwerbungen. Bei der Em/ihmng legen die suchtgefiihrdeten Nichtfemseher ebenfalls groBen Wert auf Qualit/it. Sie em~ren sich bewugt und versuchen auch auf dieser Ebene 6kologische Gesichtspunkte zu berficksichtigen. Allerdings greifen zwei der Befragten auch regelm/il3ig zur Zigarette. Wenn es um ihre medizinische Versorgung geht, wollen sich die suchtgef'~tu'deten Nichtfemseher nicht allein auf die Behandlungsmethoden der Schulmedizin verlassen. Alternative Heilverfahren werden von ihnen zumindest gleichrangig in Anspruch genommen. Alle vier suchtgef'fihrdeten Nichtfernseher attestieren sich ein ausgepr/igtes 0kologiebewuBtsein, das sie nicht nur als aufmerksame Verbraucher praktizieren. Das Bedfirfnis nach aktiver, selbstbestimmter Lebensgestaltung, authentischer Welterfahrung und sozialer Interaktion steht in den fibergeordneten Relevanzgefiigen der suchtgeffi.hrdeten Nichtfernseher an oberster Stelle. Seitdem sie olme Fernsehen leben, sind sie in der Lage, diese Prinzipien im Rahmen ihrer Lebensgestaltung zu verwirklithen. Auch ~ f t i g wollen sie versuchen, ihr Leben im Einklang mit ihren eigentlichen Wertvorstellungen und Gnmdfiberzeugungen zu fiihren. Religi6se Erw/igungen spielen dabei nut eine untergeordnete Rolle. Das heutige Denken und Handeln der suchtgef~_rdeten Nichtfernseher wird vielmehr dutch ihre Krisenerfahnmgen wesentlich mitbestimmt. Vor allem die psychotherapeutischen Mal]nahmen, die von der Mehrzahl der Befragten zur Bew/iltigung ihrer Probleme in Anspruch genommen wurden, trugen zu einer bewuBten Optimierung ihrer Lebensumst~inde bei. In ihren politischen Uberzeugungen stehen die suchtgef'fihrdeten Nichtfemseher dem Bandnis 90~Die Granen nahe.
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206 Das psychische und physische Wohlbefinden der suchtgef'~.rdeten Nichtfemseher hat deutlich zugenommen, seitdem sie ohne Femsehen leben und ihre eigentlichen Lebensvorstellungen verwirklichen k6nnen. Nicht mehr durch ein bedriickendes SuchtbewuBtsein belastet zu sein, empfinden sie als groBe Erleichtemng. Sie edeben ihren Alltag intensiver als friiher und sind insgesamt zufriedener, seitdem sie sich von ihrer Femsehabh~ingigkeit befreit haben. Als weiteren wesentlichen Vorteil ihrer femsehfreien Lebensweise erachten die suchtgef'~Jardeten Nichtfemseher den enormen Zeitgewinn, der sich durch ihre konsequente Fernsehabstinenz ergibt. Die H/ilfte der Befragten verbindet jedoch auch erhebliche Nachteile mit ihrer fernsehfreien Lebensfiihrtmg. Im Vordergrund steht dabei die Befiirchtung, ohne Femsehen auf wichtige Informationen verzichten zu mfissen. Aber auch Vedustgefiihle und die fehlende M6glichkeit, sich in Belastungssituationen vom Femsehprogramm ablenken zu lassen, werden bisweilen beklagt. So sind auch nicht alle suchtgef'~n'deten Nichtfemseher mit ihrer femsehfreien Lebensweise uneingesehr~inkt zufrieden. Die bisherige Zeit ohne Femsehen hat jedoch noch niemand von ihnen ernsthatt bereut. Zumindest vorl~iufig wollen alle vier suchtgef'~.hrdeten Nichtfemseher auch an ihrer femsehfreien Lebensgestaltung festhalten. Die meisten von ihnen schlieBen jedoch die emeute Anschaffung eines Fernsehgedites zu einem sp~iteren Zeitpunkt nicht g~inzlich aus. Allerdings wollen sie dann einen Rfiekfall in problematische Femsehnutzungsgewohnheiten vermeiden und statt dessen bewuBt und maBvoll mit dem Femsehen umgehen. Thematisieren die suchtgef@trdeten Nichtfemseher ihre femsehlose Lebensfiihnmg in der (3ffentlichkeit, so werden sie mit den unterschiedlichsten Reaktionen konfrontiert, wobei das Spektmm der Kommentare von Zustimmung und Verst~indnis bis hin zu Verwunderung und Ablehnung reicht. Ihren individuellen Bedfirfnissen und Interessen entsprechend nutzen die vier suchtgef'fihrdeten Nichtfemseher die iibfigen Massenmedien in unterschiedlichem AusmaB. Nicht zuletzt wegen der gefingen Fallzahl ist ein einheitlicher Mediennutzungsstil in dieser Nichtfernsehergruppe nicht festzustellen. Aktuelle Printmedien und Zeitschriften nehmen die Befragten je nach ihren persfnlichen Vorlieben und Bediirfnissen mehr oder weniger stark in Anspruch. Auch beim Hfirfimk, bei musikalischen Tontr/igem und beim Kinofilm ergibt sich ein geteiltes Bild. Gemeimamkeiten liegen hingegen in ihrem Desinteresse an Informationen fiber die aktuellen lokalen Geschehnisse und in ihrer Begeisterung flit unterhaltende und sachbezogene Literatur. Auch ihre Bereitschaft zur Partizipation am 6ffentlichen KommunikationsprozeB ist ein gemeinsames Merkmal tier suchtgefiihrdeten Nichtfemseher. Als wichtigstes Ergebnis der Mediennutzungsanalyse kann festgehalten werden, daft die Affinit@ tier suchtgef'~rdeten Nichtfernseher zu exzessivem, eskapistischem Mediengebrauch nicht auf das Femsehen b e s c ~ bleibt, sondem auch fiir andere Massenmedien gilt. Allerdings empfinden die suchtgefiilu'deten Nichtfernseher die extreme Nutzung dieser Massenmedien im Vergleich zu ihrer frfiheren Femsehsucht als weniger belastend.
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207 Die Lebensweise der suchtgef~lrdeten Nichtfernseher hat sich seit dem Ausstieg aus ihren extremen Femsehroutinen zu einem eher altemativen, erlebnisbetonten Lebenssill verdichtet, mit dem sie ihrem innersten Bediirfrtis nach einem bewufften und authentischen Erleben der sie umgebenden Welt folgen k6nnen. Ohne Femsehen zu leben bildet fftir diesen Nichtfemsehertypus die Voraussetzung Rir eine zufriedenstellende, fruchtbare Lebensfiihnmg. Nur wenn sie ihrem Drang nach exzessiver Fernsehnutzung g~.zlich entsagen, k6nnen sic ihre eigentlichen Lebensvorstellungen verwirklichen. Ob sie auch in Zukunft der Versuchung widerstehen k6nnen, in pers6nlichen Belastungssituationen emeut in die bisweilen bet~iubende Scheinwelt des Femsehens abzutauchen, muff an dieser Stelle often bleiben.
3.1.4 Einzelne Nichtfernsehertypen
Zwei der dreiflig Nichtfemseher, die im Rahmen dieser Studie interviewt wurden, k6nnen keiner tier drei bisher vorgestellten Nichtfemsehergruppierungen zugeordnet werden. Weder in den Motiven Rir ihre femsehfreie Lebensweise noch in ihrer spezifischen Lebensftihrung entsprechen sic einem der drei iibergeordneten Nichtfemsehertypen, die im Verlaufe dieser Analyse ermittelt wurden. Gleichzeitig verweisen sie auf die Existenz weiterer Nichtfernsehertypen mit charakteristischen Merkmalen und Eigenschaften und auf die Notwendigkeit zus~itzlicher Forschungsbemiihungen in dieser Richtung. In Ab~aderung zttr bisherigen Darstellungsweise werden die Forschungsergebnisse zu den beiden einzelnen Nichtfemsehertypen in Form zusammenfassender Essentials vorgestellt. Die wichtigsten Befunde werden aber auch hier mit Hilfe markanter Originalaussagen der Betroffenen illustriert, um ein m6glichst lebendiges Bild der Befragten entstehen zu lassen. Jeweils zu Beginn der beiden Essentials werden die Untersuchungsteilnehmer wiederum kurz mit ihren wichtigsten demographischen Merkmalen vorgestellt.
3.1.4.1 Der harmoniebediirflige Nichtfernseher
Bernd ist siebenunddreiBig Jahre alt und arbeitet als F6rster in einer Kleinstadt im siidlichen Mfinsterland. Er lebt allein in einem Appartement, das er gleichzeitig als Wohnst~itte und Biiro nutzt. Einen eigenen Femseher hat Bemd zeit seines Lebens nicht besessen. Seine fernsehfreie Lebensweise hat sich zun~ichst ohne besonderen Anlab oder EntscheidungsprozeB ergeben und wurde erst sp~iter eingehender reflektiert. In Bemds Kindheit und Jugend spielte das Femsehen lediglich eine untergeordnete Rolle, was sicherlich zu seinem distanzierten Verh~iltnis zum Femsehen beigetragen hat:
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208 ,,Bei uns zu Hause hat der Fernseher nie im Wohnzimmer gestanden. Nie. Wir hatten immer so ein sogenanntes Fernsehzimmer, da stand die Flimmerkiste drin, und ein paar Stfihle, und da sail man da und guckte Fernsehen. Also, der Fernseher ist bei uns niemals Zentrum des Lebens gewesen, so wie es ja normalerweise ist, daft dieses blOde Ding On Wohnzimmer steht. Das ist, glaub ich, was ganz Besonderes auch, daft das Wohnzimmer immer frei war fiir andere Aktivitditen. Der Fernseher war niemals Mittelpunkt bei uns. " Nur w~ihrend eines Jahres sah Bemd h~iufiger fern, als er w~ihrend seiner Examensvorbereitung von Zeit zu Zeit den Fernseher seiner Freundin nutzte, um sieh vom Prfifungsstress abzulenken. Dann ~irgerte er sieh jedoch regelm~iBig fiber die dfirftige Qualit~it des Fernsehprogramms und bedauerte seinen Fernsehkonsum als vergeudete Zeit. Heute betraehtet Bernd seine Fernsehlosigkeit als selbstversfftndlichen Bestandteil seiner Lebensffihnmg. Nieht femzusehen ist als unbefragte Lebensroutine in seinen Alltag integriert und steht gleiehbereehtigt neben anderen gewohnten Handlungsroutinen. Als dezidierten Fernsehverweigerer wfirde sieh Bemd trotz seiner Vorbehalte gegen das Fernsehen nieht bezeiehnen: ,,Nee, fiberhaupt nicht. 'Ne Ideologie steht da absolut nicht hinter." War Bernds Verh~iltnis zum Femsehen in frfiheren Jahren eher von Desinteresse gepr~igt, so grfindet seine heutige fernsehfreie Lebensweise durchaus auf einem intensiven ReflexionsprozeB, in dem ihrn deutlieh bewuflt wurde, dab die h~iufigen Gewaltszenen und Katastrophenmeldungen, die das Fernsehprogramm sowohl im Unterhaltungs- als aueh im Informationsbereich dominieren, seinem sensiblen, harmoniebediirffigen Naturell gruncls~itzlich widerspreehen. In diesem Widerspruch liegt die Hauptursaehe ftir Bernds fernsehfreie Lebensfiihnmg begrfindet. Indem er jegliehen Femsehkonsurn vermeidet, versueht er konsequent, sieh vor einer Konfrontation mit gewaltbetonten Lindnegativistisehen Programminhalten zu schfitzen. Immer wieder tritt dieses Motiv in den Vordergrund seiner Ausftihnmgen: ,,Ich mOchte schlicht und ergreifend, und das ist auch far reich der Hauptgrund, das Fernsehen nicht zu haben, ich mOchte nicht standig in irgendeiner Weise nut negativen Dreck sehent. Ich will einfach nicht diese negativen Nachrichten, und dann auch noch 'Tatort' und Brutalitat und diesen Quatsch da sehen. Das interessiert reich nicht. Ich will's einfach nicht. Das ist mir derartig zuwider, daft mir das auf den Kreislauf geht. Herzschlag, erhOhte Frequenz, und das mag ich nicht. Ich will's nicht sehen. Die Welt ist brutal genug. Ich brauch diesen Mist nicht, und ich hab auch keine Lust, abends in der 'Tagesschau' da diese Leichen da zu sehen, also, wie vergewaltigte Frauen aussehen und zerrissene Gliedmaflen sind. Das muff ich nicht sehen. Da bin ich mit Sicherheit sehr sensibel. " Weitere Motive, die fiber die Ablehnung gewaltbetonter Fernsehpr~ nausgehen, wurden von Bemd aueh auf wiederholtes Nachfragen nicht genannt: ,,Es ist einfach nur wirklich, daft ich merke, daft mich das unruhig macht, und ich muff sagen, wenn ich real reingucke, daft das nur noch Sensation ist, Brutalitgit fiberwiegend, das muff ich nicht haben. "
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209 Als Saisonarbeiter steht Bernd in den Sommermonaten sehr viel freie Zeit zur Verfiigung, w~ihrend er von Oktober bis April iiberdurchschnittlich viel Zeit an seinem Arbeitsplatz verbringen muB. Nicht selten leidet er w/ihrend seiner arbeitsfreien Zeiten unter Einsamkeit und Langerweile, weil seine Freunde und Bekannten w~tu'end dieser Monate weiterhin il~er beruflichen T~itigkeit nachgehen mtissen, und beruflich bedingte Sozialkontakte ebenfalls entfallen. Diese Zeit mit Hilfe des Fernsehens zu tiberbriicken, h/ilt Bernd indes nicht ftir sinnvoll: ,,Dieses Sommerloch ist far reich persOnlich ein ganz grofles Problem, aber ich habe wirklich nie darfiber nachgedacht, dieses Problem mit dem Fernseher zu fidlen. Da probier ich dann doch lieber, was anderes zu maehen. Zum Beispiel, was ich mir jetzt fiberlegt hab, ich wollt mirjetzt 'hen Hund anschaffen und den auch ausbilden, ja, und dann geh ich mit dem Hund spazieren. Also, das fMlt mir eher ein, als daft ich mir eine Flimmerkiste hier reinstellen wfirde, und da reinstarre. " Seine Freizeit verbringt Bernd h/iufig gemeinsam mit seiner Freundin und deren Kindern, die freien Stunden zu Hause nutzt er ftir Sprachstudien, zur Buchlektiire oder auch einfach nur zttr Entspannung. Die Abendstunden verbringt Bernd h/iufig im Kreise seiner Freunde, mit denen er ausgeht oder das 6rtliche Kino besucht. Bernds gr6Bte Passion gilt jedoch der Jagd: ,,Ich bin dutch die Jagd zu meinem Beruf gekommen, und ich jage leidenschafilich gerne, da stehe ich zu, nut, ich stehe nicht zu der Art und Weise, wie manche Jager jagen. Das tue ich nicht, und da m6chte ich nicht mit identifiziert werden. Also, jagen ist far mich ganz wichtig, ich habe Bekannte im Harz, da fahr ich im Jahr sieben- oder achtmal hin, und dannjagen wit da ein ganzes Wochenende zusammen. " Die Diskrepanz zwischen seiner Gewaltsensibilit/it und seiner Jagdleidenschafi ist Bernd dabei durchaus bewuBt, sie scheint ihn jedoch in keiner Weise zu belasten: ,,Meine Freundin hat schon real gesagt: 'Menschenskind, Du schieflt selber Tiere tot, abet wenn im Kino auf der Leinwand was ist, dann kriegst Du dein Herzrasen hoch zehn '. Das ist ein Widerspruch, da leb ich auch gerne mit. " Ein weiteres Hobby, in das Bernd viel Zeit und Geld investiert, ist das Reisen. Die Wochenenden nutzt Bernd h/iufig fftir Kurzreisen, die er mit seinem eigenen PKW untemimmt: ,,Ich bin viel unterwegs, sagen wir's mal so. Ich hab ein Auto, fiinfzehn Monate gelaufen, sechzigtausend Kilometer. Also, das kommt auch dabei raus, wenn man kein Fernsehen guckt, man ist viel auf Achse. Also, am Wochenende fanjhundert, sechshundert oder achthundert Kilometer fahren, ist far mich aberhaupt kein Thema. " Auch Femreisen untemimmt Bernd mit steter Regelm~iBigkeit. Ausgiebig bereitet er sich auf seine Erlebnisreisen, die ihn bereits in viele Regionen der Welt gefiihrt haben, vor. Auch zur Zeit des Interviews war Bernd mit der Planung seiner vierten Australienreise besch~ifiigt. Einmal an seinem Reiseziel angekommen, erkundet Bemd Land und Leute am liebsten auf eigene Faust: ,,Ich pack meinen Rucksack voll, ich komm da an, ich hab 'hen Mietwagen da stehen, dann fahr ich los. Ins Landesinnere, irgendwohin."
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210 Als Konsument setzt Bemd ~ihnliche Priorit~iten wie die iibrigen Nichtfernseher, die im Rahmen dieser Studie befragt wurden. Auch Far ihn sind Qualit~it und Preiswiirdigkeit der Waren ausschlaggebend. Bei der Em~hrung geht Bemd ebenfalls mit den meisten hier befragten Nichtfemsehem konform. Ebenso wie die Mehrzahl tier iibrigen Nichtfemseher legt Bemd Wert auf eine bewttBte, m6glichst vollwertige Em~u'ung: ,,Ich geb mir schon Mf~he, mOglichst wenig Fleisch zu essen, und ich probiere auch, vollwertig zu kaufen. " Im Widerspruch zu seiner gesunden Em~ihrungsweise steht jedoch Bemds ausgepr~igter Hang zum Nikotinkonsum. Gesundheitliche Probleme l~iflt Bemd ausschliefllich von Schulmedizinem behandeln, naturheilkundlichen Behandlungsmethoden steht er eher skeptisch gegeniiber. Als F6rster betrachtet sich Bemd auch als aktiven Umweltschiitzer, sein Umweltbewufltsein bezeichnet er als iiberaus ausgepr~igt. Allerdings ist ibm auch bewuBt, dab er, beispielsweise als Autofahrer mit hoher Kilometerleistung, nicht unerhebliche 6kologische Sch~iden verursacht: ,,Ich versuche, mOglichst wenig Schaden a u f dieser Erde zu hinterlassen, abet daft ich Schaden hinterlasse, ist mir vOllig klar. " Bemd ist ein iiberaus harmoniebediirftiger Mensch. Ibm liegt auBerordentlich viel an einer guten Beziehung zu seinen Mitmenschen. Besonders wohl Rihlt er sich in einer fretmdlichen sozialen Umgebung, wie sic beispielsweise von seiner Freundin und deren beiden Kindem geschaffen wird. Mitmenschlichkeit ist Rir ihn ein zentraler Grundwert, auf dessen Basis er sein allt~igliches Leben auszurichten versucht: ,,Ich halte es ff~r ganz wichtig, daft man probiert, in seinem Bereich etwas menschlichef aufzutreten, als das jetzt vielleicht f~blich ist. Ich mOchte ein biflchen Sonnenschein in den Alltag bringen. " Bemd leidet zunehmend unter tier wachsenden sozialen K~ilte in tier ibm umgebenden Gesellschat~, die allgemeine Riicksichtslosigkeit unter seinen Mitmenschen h~ilt er ftir ein bedriickendes Problem. Schon hiiufiger hat er deshalb in Erw~igung gezogen, Deutschland zu verlassen und in Australien, dem er ein wesentlich freundlicheres soziales Klima bescheinigt, ein neues Leben zu beginnen. Der Verlust seiner beruflichen und sozialen Sicherheit, der unweigeflich mit einer Auswanderung verbunden w~e, hat itm jedoch bislang von einem derartigen Vorhaben abgehalten. Um sein Femweh dennoch zumindest partiell zu befriedigen, will Bemd auch in Zukunft Australien bereisen, sooft es ibm seine finanzielle und berufliche Situation erlaubt. Weltanschauliche oder religi6se Uberzeugungen haben keinen nennenswerten EinfluB auf Bernds Lebensgestaltung. Er h~ilt sich zwar im weitesten Sinne ftir einen gl~iubigen Menschen, setzt sich jedoch mit religi6sen Fragen kaum auseinander. Aus seiner Kirche ist er vor einiger Zeit ausgetreten. Weitaus gr6flere Auswirkungen auf Bemds gegenw~irtige Relevanzsetzungen hatte eine schwere pers6nliche Krise, die er w~.hrend der letzten Monate durchlebte. Nach der Trennung von seiner langj~ihrigen Lebensgef~.hrtin sah sich Bemd vor die Notwendigkeit gestellt, seine Lebensvorstellungen zu iiberdenken und neu zu ordnen. Noch immer ftihlt er sich in einer Umbruchsituation,
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211 die es ihm erschwert, konkrete Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Obwohl Bemd in dieser Krisensituation h~iufig unter groBen seelischen Belastungen stand, und auch Freunde ihm die Anschaffung eines Fernsehapparates empfahlen, lehnte Bernd es entschieden ab, sich in dieser Situation mit Hilfe des Femsehprogramms zu zerstreuen: ,,Selbst in dieser Umbruchsituation, wo ich sehr viele persOnliche Schwierigkeiten hatte in letzter Zeit, da dachte ich auch darf~ber nach, jetzt so 'he Flimmerkiste kOnnte auch 'he gewisse Erleichterung sein teilweise auch, aber ich hab selbst in dem kritischen letzten Jahr, was ich hinter mir habe, obwohl mir Freunde rieten: 'Mensch, schaff Dir doch so 'ne Flimmerkiste an, dann hast Du real was anderes und kommst aus Deinen Gedanken raus.t'. Das ist fi~r reich hie gewesen, eigentlich, also nie mein Wille gewesen. Selbst in dieser ganz kritischen Phase meines Lebens im letzten Jahr ist der Wille nach 'nero Fernseher nicht gekommen. " In seinen politischen l]berzeugungen steht Bernd keinem der unterschiedlichen politischen Lager nahe. Er geht regelm~iflig zur Wahl, entscheidet dann aber immer anhand sachbezogener Uberlegungen, welche politische Partei er mit seiner Stimme unterstiitzen will: ,,Ich probier schon, auf die Sache hin zu wahlen. Ich hab s~mtliche Parteien, aufler extrem rechts, schon gewahlt, und ich hab auch schon leere Stimmzettel abgegeben. " Bemd bewertet seine fernsehfreie Lebensweise im groBen und ganzen positiv. Nicht dutch ein gewaltbetontes Femsehprogramm belastet zu werden, empfmdet er als iiberaus angenehm. Dariiber hinaus betrachtet Bemd seine Unabh~ingigkeit von den zeitlithen Vorgegebenheiten des Fernsehprogramms als besonders positiven Aspekt seiner femsehfreien Lebensf-fihnmg: ,,Einen groflen Vorteil sehe ich auch darin, daft ich spontaner bin. Das geniefle ich auch. " Von Zeit zu Zeit empf'mdet Bemd die Abwesenheit eines Femsehger~ites jedoch auch als Nachteil, wenn er die M6glichkeit zur Rezeption von Tierfilmen und politischen Magazinsendungen, die er fiir durchaus sehenswert h~ilt, vermiBt: ,,Ich bereue allerdings, daft ich solche Sendungen, was reich interessiert, Natursendungen oder 'Monitor' hab ich auch real gelegentlich gerne geguckt, daft ich die nicht sehen kann." Dermoch will Bemd auch zukiinftig ohne Femsehen leben, um auch weiterhin die Vorteile genieBen zu k6nnen, die sich aus seiner fernsehfreien Lebensftihrtmg ergeben haben. Bemd steht nicht nur dem Femsehen, sondem auch allen anderen aktuellen Massenmedien skeptisch gegenfiber. Ebenso wie dem Femsehen wirft er auch den aktuellen Printmedien und dem Hfrfimk vor, einseitig negativ zu berichten. Sein Interesse an aktuellen Informationen ist folglich gering. Auch ftir Nachrichten aus seiner n~heren Umgebung interessiert sich Bemd nicht besonders. So liest er weder eine Tageszeittmg noch andere aktuelle Printmedien, das Radio dient ibm in erster Linie zur musikali-
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212 schen Unterhaltung. Zeitschriften stoBen bei ihm ebenfalls nicht auf Interesse. Auger einigen berufsbezogenen Fachpublikationen liest er keine Zeitschriften. In Bemds .4,uBenmgen fiber seine generelle Einstellung zu den aktuellen Massenmedien wird auch noch einmal seine fiberaus kritische Haltung gegenfiber dem Femsehen deutlich: ,,Ich fahre sehr viel Auto. Das Radio wird morgens angestellt, und abends, wenn ich den Wagen abstelle, ausgemacht. Den ganzen Tag fiber l~iufi das, und ich kriege auch schon im Radio dann mit, daft reich dieser stfindliehe Rhythmus der Nachrichten nervt, also, es ist mir zu viel dann. Das ist ja auch das, was durchs Fernsehen kommt, dieses Uberfluten. Ich habe auch keine Tageszeitung, well ich die genauso betrachte, wie das Fernsehen. Okay, das ist furchtbar sehlimm, wenn ich hOr, daft in Japan wieder ich weifl nicht wieviel Leute beim Erdbeben umgekommen sind, aber, was kann ich daran dndern? Das belastet michja nur, das belastetja auch meinen, ja, sagen wir real, Negativismus. Das ist grausam, was da li~ufl. Was kann ich daran machen? Dieses Negative, das beeinfluflt ja mein Denken, und wenn ich reich abends noch vor die Glotze setze und morgens noch Zeitung lese, dann brauch ich reich nicht zu wundern, wenn ich hinterher ein total negatives Weltbild habe. Ich kann ja an dieser Sache nichts gindern. Ich mOchte schlicht und ergreifend nicht tagtdglich fiberlastet werden, und ich hOre nur noch Radio, und das reicht mir auch, und ich schalte dann auch hdufig um auf den Englander, well ich dann schlicht und ergreifend was anderes hOr. " Zu Bfichem, musikalischen Tontr~igem und auch zum Kinofilm hat Bemd hingegen ein ausgesprochen positives Verh~iltnis. Diese Massenmedien nutzt er regelm~ig und gem. Den Kinofilm betrachtet Bernd durchaus als Ersatz fiir das fehlende Fernsehen. Im Vergleich zum Fernsehen sch~itzt er jedoch die besondere Atmosph~e des Kinos, die er am liebsten gemeinsam mit Freunden genieBt. Im Gegensatz zum Femsehkonsum betrachtet er den Besuch im Lichtspielhaus als bewuBten Mediermutzungsakt und als besonderes Ereignis: ,,Ich bin sehr intensiver Kinogdnger. Das ist vielleicht mein Ersatz, daft ich nicht Fernseh gucke. Ich geniefle das im Kino, finde die Atmosphdre eigentlich gut, man bereitet sich innerlich darauf vor, es ist nicht so wie, Klick, so 'n Ding einschalten und Ffifle hochlegen. Ich finde Kino wesentlich ansprechender, interessanter, unterhaltsamer, anregender als das Fernsehen." In ganz besonderem Mafle sch~itzt Bernd seine umfangreiche CD-Sammlung. Bemds Hi-Fi-Anlage erftillt mehr noch als das Kino eine Ersatzfunkfion fiir das fehlende Fernsehen. Fast t~glich verbringt Bernd mehrere Stunden mit der Rezeption seiner Tontr~iger, wobei er nicht selten seine lebhaite Vergangenheit Revue passieren liiBt: ,,Das MusikhOren spielt eine sehr grofle Rolle, eine extrem grofle. Also, das ist ffir reich ganz wichtig, ich kann reich also hier abends drei Stunden hinsetzen und Musik hOren, dann hot ich intensiv Musik, dann roach ich nichts anderes. Und das ist dann regelrecht auch schon hobbymdflig. Genesis, Peter Gabriel, aber auch ein paar Sachen Richtung Klassik, Pink Floyd dann auch. Ich lebe mit der Musik dann auch, was da steht, ist auch teilweise mein Leben, ja, sind Lebensabschnitte. Jede CD, die da steht, hat ihre Geschichte, so will ich das real sagen. "
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213 In seiner Freizeit greiit Bemd auch gem zu einem guten Buch, wobei er mit Vorliebe anspruchsvolle, in Romanform verfabte Reiseliteratur rezipiert. Bemds Leseleidenschaft begann iibrigens, wie auch bei den meisten anderen hier befragten Nichtfemsehem, in seiner friihen Jugend: ,,Ich habe in der Jugend sehr, sehr viel gelesen. Mein Vater hat mir auch viel vorgelesen, das roach ich mit den Kindern jetzt ~brigens auch. Lesen war immer sehr, sehr wichtigfi~r mich. " Der Computertechnologie steht Bernd eher skeptisch gegeniiber. Zwar muB er sich in n~ichster Zukunft aus beruflichen Griinden mit der Datenverarbeitungstechnik auseinandersetzen, attflerordenflich ambitioniert sieht er dieser Herausforderung jedoch nicht entgegen: ,,Ich hab ein gespaltenes VerhMtnis zu Computern, und ich hab auch null Ahnung. Mir fehlt persOnlich die Antenne dafar. " Als F6rster bekleidet Bernd ein 6ffentliches Amt. Aus diesem Grunde muB er gelegentlich in der Lokalpresse - beispielsweise in Form von Leserbriefen - zu bestimmten Sachthemen Stellung beziehen. Insofern nimmt Bernd auch am 6ffentlichen KommunikationsprozeB teil, obwohl er den aktuellen Massenmedien ansonsten eher kritisch gegeniibersteht. Bemds charakteristischer Lebensstil und seine spezifische Aversion gegen gewaltbetonte beziehungsweise negativistische Medieninhalte legen es nahe, ihn als harmoniebedfgrftigen NichOCernsehertyp zu bezeichnen. Aus tier vorangegangenen Ergebnisdarstellung geht deutlich hervor, dab er sich in wesentlichen Punkten von den bisher vorgestellten aktiven, bewuflt-reflektierten und suchtgeffltrdeten Nichtfemsehem unterscheidet. So fiihrt er seine femsehfreie Lebensweise einzig auf seine Abneigung gegen Gewaltszenen und eine negative Berichterstattung im Femsehen zuriick. Obwohl Bemd h~iufig mit seinem Auto unterwegs ist, gestaltet er seine Freizeit nicht iiberwiegend aktiv. Zahlreiche Stunden verbringt er beispielsweise mit musikalischen Zeitreisen in eine vermeintlich bessere Vergangenheit. Auch als suchtgef'~ihrdeter Nichtfernseher ist Bemd keinesfalls zu bezeichnen, da er selbst in extremen Krisensituationen keine Neigung zu eskapistischem Fernsehkonsum verspiirte. Dem bewuBtreflektierten Nichtfemsehertyp ist Bemd ebenfalls nicht eindeutig zuzuordnen, finden sich in seiner Lebensfiihnmg doch nur wenige Indizien, die auf einen bewuBtreflektierten, alternativen Lebensstil hindeuten. Vor diesem Hintergrund erscheint Bernds Charakterisierung als harmoniebediirftigen Nichtfemseher durchaus als gerechtfertigt. Sein harmoniebediirftiges Naturell zeigt sich im iibrigen auch in seinen humanistischen Wertvorstellungen und in seinem ausgepr~igten Bed/Jrfnis nach mensehenfreundlichen sozialen Rahmenbedingungen.
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214 3.1.4.2 Der mifltrauische Nichtfernseher
Mit seinen siebenundsiebzig Lebensjahren ist Heinrich der/ilteste Nichtfemseher, der im Rahmen dieser Studie befragt wurde. Der pensionierte Studiendirektor lebt gemeinsam mit seiner Ehefrau in einem Eigenheim in Miinster. Seine vier Kinder sind erwachsen und haben das elterliche Haus bereits vor Jahren verlassen. Heinrich hat noch nie im Leben ein Fernsehger/it besessen. Immer ein beruflich sehr engagierter Mann, der auch viel Zeit mit Familienaktivit/iten verbrachte, h/itte er in fi'iiheren Jahren kaum die Zeit ~ r etwaigen Femsehkonsum aufbringen k6nnen. Darfiber hinaus lehnte er das Femsehen bereits damals aus prinzipiellen Erw~igungen ab. Schon friih informierte er sich in femsehkritischen Ver/Sffenflichungen fiber das neue Medium und fand seine Position in dem Beitrag ,,Magie des Femsehens" von Fritz Leist (1958) gespiegelt, der auf die Gefahren einer nicht zu bew~iltigenden, wirldichkeitsfremden Bilderflut ~ir den Rezipienten hinweist. Heute stehen die prinzipiellen Bedenken Heinrichs gegen das Fernsehen, die in den vergangenen Jahren noch zugenommen haben, eindeutig im Vordergnmd als Triebfeder fiir seine femsehfreie Lebensweise. Diese Bedenken werden im weiteren Verlauf des Essentials noch im einzelnen vorgestellt. Konkrete Femseherfahrungen sammelte Heinrich im Verlaufe seines Lebens ausschlieBlich auf Dienst- oder Urlaubsreisen, wenn er die Gelegenheit zur Nutzung hoteleigener Femsehger/ite wahrnahm: ,,lch sehe nur hin und wieder mal, wenn wit unterwegs sind, auf unseren Reisen, in den Lokalen, in den Hotelzimmern, da stehen ja aberall Fernsehgerate, und meine Frau schaltet dann schon mal ein und guckt sich das an, oder ich hab auch schon mal hin und wieder zugehOrt. Also, so kleine Stippvisiten, so H@pchen hab ich schon vom Fernsehen geschnappt, hin und wieder." Nicht femzusehen geh6rt zu den zentralen Lebensprinzipien Heinrichs, die immer wieder aufs neue reflektiert und durch aktuelle Uberlegungen abgestiitzt werden. Um seine eigenen Bedenken zu best~itigen und um neue Argumente gegen das Femsehen aufzugreifen, verfolgt Heinrich die femsehkritische Berichterstattung in den Printmedien mit groBem Interesse 57. Ohne Zweifel z~.hlt Heinrich zu den dezidierten Femsehverweigerem, die das Femsehen gezielt aus ihrem Leben ausschliel]en: ,, lch bin an und far sich aus prinzipiellen Grfinden Gegner dieses Mediums. Und wenn die dauernd Halleluja-Gesange brachten, dann ward ich's Fernsehen ablehnent." Der Hauptgrund ftir Heinrichs heutige femsehfreie Lebensweise liegt in seinem tiefen MiBtrauen gegeniiber dem Femsehen und seinen Botschaften begriindet. Er betrachtet das Femsehen als politisches Manipulationsinstrument, mit dessen Hilfe die Stiitzpfeiler der gesellschafispolitischen Ordnung in der Bundesrepublik untergraben werden sollen. Dieser Argwohn Heinrichs gegeniiber audiovisuellen Massenmedien wurde bereits in seiner Kindheit geweckt, als ihm seine Mutter eine Informationsschrift fiber die vermeintlichen Gefahren des Kinos iibergab:
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215 ,,Meine Mutter hatte ein Heftchen, von 1918 oder 1919, 'Der Kinematograph, eine Volksgefahr' hiefl das Hefichen. Das hab ich auch damals gelesen. Jedenfalls, der Titel, der war sehr eindringlich. Und meine Mutter lehnte immer das Kinogehen ab. " Im Laufe der Jahrzehnte verfestigte sich Heinrichs Argwohn, so dab er heute ein ganzes Biindel an Argumenten gegen das Femsehen bereith~ilt. An erster Stelle steht dabei seine Uberzeugung, verschwfredsche Kreise wiirden das Femsehen zur Unterwanderung der herrschenden politischen, gesellschaftlichen und religi6sen Verh~iltnisse und zur Etablierung einer totalit~en Weltregierung miBbrauchen: ,,Das Fernsehen istja eine Art Neuauflage des Goebbels-Rundfunks, insofern, als hier in einer sehr subtilen und far die meisten Menschen unmerklichen Weise weltanschaulich-politische, pseudoreligiOse Impulse gesetzt werden, durch die die Menschen beeinfluflt werden und vielleicht in Richtung einer totalitdiren Weltregierung gestupst werden sollen, um mich mal so auszudracken. Das sind natarlich alles gefahlsmdflige Dinge, das laflt sich natarlich alles nicht beweisen, was da im Spiel ist, aber wenn man sich sehr umsieht und auch umh6rt und sehr viel erlebt hat im Leben, ich bin immerhin jetzt bald achtundsiebzig Jahre alt, dann tauscht man sich da vielleicht doch nicht so, wenn man an die Methoden der Manipulation denkt, lch habe das Gefahl, daft hier entgegen den lntentionen unserer Verfassung von kleinen, unkontrollierbaren Kreisen aus permanent und a u f sehr feine und sehr schwer nachweisbare Art und Weise die Massen in den Griff genommen werden in Richtung auf bestimmte politischweltanschauliche Linien, im Sinne einer freimaurerischen Allerweltsreligion und Allerweltsregierung, hinter der so etwas wie dieses Freimaurertum vielleicht stecken mag, oder, ja, so etwas wie die U.S.-Amerikaner, die ja auch sich einbilden, sie seien die Weltpolizisten und Weltbeglacker, und sie haben ihre imperialistischen Ambitionen immer sehr fein kombiniert, und zwar, subjektiv ganz ehrlich, mit Weltbeglackungsideen, mit dieser 1dee: 'Alle Menschen sind zum Lebensglack berufen, und wir massen ihnen dabei helfen '. " Heinrich vertritt eine iiberaus konservative politische Gesinnung. Aus dieser Perspektive wirfi er dem Fernsehen vor, ausschlieBlich und einseitig als Forum Rir linke und liberale politische Interessengruppen zu fungieren und damit den Bestand der kulturellen, sozialen und politischen Bedingungen in Deutschland zu gef'~.rden: ,, Wer die Nazizeit am eigenen Leibe verspart hat und diese Tendenzen der Zerst6rung des deutschen Volkes auf die rechtsradikale Weise, der hat auch ein feines Gespar dafar, wie das deutsche Volk von linksradikaler Weise, oder radikalliberalistischer Weise zersti~rt werden soil. Also, von daher habe ich Bedenken gegen das Fernsehen, weil das Fernsehen nie auch diese, sagen wir real nach dem Spruch 'Audiatur et altera pars', nicht die Gegenposition genauso zur Geltung kommen laflt, wie diese Positionen. " Heinrich ist iiberzeugt, dab auch die Regierungspolitiker in der Bundesrepublik das Fernsehen einsetzen, um entgegen demokratischer Gepflogenheiten ihre einseitigen Machtinteressen durch~setzen. Indem Heinrich jeglichen Femsehkonsum verweigert, will er sich diesen vermeintlichen Manipulationsbestrebungen konsequent entziehen:
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216 ,, Herr Kohl und Herr Geifller, und wie sie heiflen, Frau Sfissmuth, die machen far uns das Denken, und behaupten aber, es sei Demokratie. Die schreiben uns vor, was wir zu denken haben, und die haben eben den Kanal, das Fernsehen. Die haben auch da eben diese Verbindungen zu den Fernsehmachern, und die heizen uns ein, Tag und Nacht, damit wir auch das denken sollen, was die far uns stellvertretend, uns bevormundend denken. Das ist meine Meinung. " 0ber diese konkreten Manipulationsgef'~ardungen hinaus beftirchtet Heinrich, dab eventueller Femsehkonsum durch die Kraft der auf ihn einstr6menden Bilder zu einer Sch/idigung seines seelischen Gleichgewichts fftihren k6nnte: ,,Ich lehne das Fernsehen ab, well dieses Medium durch diese Intensitat der Bilder eine ungeheuerliche Machtigkeit entwickelt, die in meine Seele eindringt. Es ist sozusagen ein Angriff auf meinen innersten Personenkern. " Bew~a'te traditionelle Grundwerte werden nach Meinung Heinrichs durch die Inhalte des Femsehens demontiert und durch oberfl~ichliche, irrefiihrende Ersatzwerte substituiert, was zus/itzlich zu einem allgemeinen Verfall der SiRen in unserer Gesellschaft beitr/igt: ,,Die Welt der Werte, also, das Gute, Wahre, Sch6ne, Heilige, wird vom Fernsehen durch die Bank weg mit Faflen getreten. Effektiv. Was die da bieten, auf dem Gebiet, das sind Talmi-Dinge, das sind Ersatzideen, das ist fadenscheiniges Zeug. " In seinen Augen verfiihrt das Femsehen den Zuschauer zur AbhLngigkeit, indem es ihm die Illusion einer heilen Scheinwelt vermittelt und ihm die Flucht vor der Wirklichkeit erm6glicht: ,,Das ist 'ne Droge, das Fernsehen. In jedem Falle wird dem Menschen eine Welt vorgegaukelt, die ja so nicht existent ist. " Vor dem Hintergrund einer generellen Skepsis gegeniiber technischen Innovationen h~ilt Heinrich das Femsehen letztlich sogar fiir eine gr6Bere Bedrohung fiir die Menschheit, als sie durch die Existenz nuklearer Vemichtungswaffen besteht: ,,Ich bin der Meinung, nicht alles, was technisch m6glich ist, ist deswegen auch gut, und muff deswegen gemacht werden. Das Fernsehen ist meines Erachtens eine Errungenschafl der Technik, die gefahrlicher ist als die Atombombe. Man kann nur pers6nlich Zivilisationsaskese aben, daft ich selber sage: Ohne mich, das Fernsehen!." Abgesehen von diesen prinzipiell-ideologischen Bedenken bilden noch einige weitere Griinde den Motivationshintergrund ffir Heinrichs femsehfreie Lebensweise. So besch~iftigt er sich lieber mit seiner stattlichen Privatbibliothek als sich vor der Mattscheibe berieseln zu lassen. Wie bereits einige andere Nichtfernseher vor ihm, betrachtet auch Heinrich das Lesen von Biichem im Gegensatz zum Femsehen als eine Aktivit~t, die eigene Initiative und geistige Anstrengung erfordert. Die eher passive Rezeptionsweise beim Fernsehkonsum lehnt er ab: ,,Das Fernsehen verurteilt mich zur Passivitat. Wenn ich eben mal Dichter lese, Schriftsteller, was weifl ich wen, dann kann ich mir selber die Bilder aufbauen im Geiste, also, meine Phantasie wird angeregt und ich selbst werde produktiv, innerlich,
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217 wdhrend das Fernsehen mir diese Mahe erspart und dadurch den Menschen auch in dem Punkt entmf~ndigt. Er wird zur Passivitat verurteilt. " SchlieBlieh ist Heinrich, ebenso wie die meisten anderen hier untersuchten Nichtfemseller, mit dem dargebotenen Fernsehprogramm in keiner Weise zufrieden, so dab er auch aus diesem Grunde nicht daran interessiert ist, ein Femsehger~it zu besitzen. Femsehkonsum wiirde Heinrich denn auch als Zeitverschwendung betrachten: ,,Die Inhalte, die dort geboten werden, sindja auflerordentlich flach und vordergriindig. lch halte die Zeit auch ff~'r zu schade, um mich mit solchen ldppischen Dingen zu beschdfiigen wie die Inhalte des Fernsehens. "
Als Pension~ir kann sich Heinrich uneingeschr~inkt seinen Hobbys widmen. An erster Stelle steht seine umfangreiche Privatbibliothek, die mehr als achttausend B~inde z~alt und viele bibliophile Kostbarkeiten enth~ilt. Bis zu acht Stunden t~iglich besch~iftigt sich Heinrich mit seinen Bfichem, wobei er sich schwerpunktm~i!3ig dem Studium der neueren deutschen Geschichte widmet: ,,lch hab sehr viel GeM im Leben ff~r BlUcher ausgegeben, und das hab ich auch nicht bereut. Man erweitert ja stdndig seinen Horizont, und ich mache selbst Entdeckungsfahrten in meiner Bibliothek. lch habe reich sehr stark der Geschichtswissenschaft zugewandt, hauptsachlich der Geschichte des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts, dann natfirlich das alles verbunden durch philosophische und theologische Studien. " Bei ausgedehnten Spaziergiingen mit seiner Ehefrau pflegt Heinrich dann das Gelesene zu reflektieren und die ihn umgebende Natur zu genieBen. Wenn es um kostbare Bficher geht, ist Heinrich gem bereit, auch grfBere Geldsummen auszugeben. Ansonsten z~dt er eher zu den sparsamen Konsumenten, die wenig Wert auf Markenqualit/Jt und Modetrends legen. Wie die meisten hier befragten Nichtfernseher versucht auch Heindch, seine Lebensqualit~it durch eine bew~te, fleischarme Em~ihrtmg mit einem hohen Anteil an frischem Gemiise zu erhalten. Selten wird der Nichtraucher yon gesundheitlichen Problemen geplagt, die er dann ausschlieBlich von Schulmedizinem behandeln l ~ t . Okologische Erwiigungen flieBen in Heinrichs allt~igliches Handeln ein, ohne jedoch eine dominierende Rolle zu spielen. TraditioneUe, eher konservative Grundprinzipien und eine tiefe religi6se Verankerung bilden die Grundlage flit Heinrichs Relevanzsetzungen und Alltagshandlungen. Zeitlebens sah sich Heinrich verpflichtet, im Einklang mit seinen religi6sen Uberzeugungen als evangelischer Christ seinen beruflichen und familialen Aufgaben gerecht zu werden: ,, Wichtig ist mir, daft ich den Platz, auf den ich reich letztlich yon Gott gestellt fiihle, als Familienvater und als Mensch im Beruf mOglichst sauber und sachgerecht und getreulich ausfiille. Das war fiir reich immer mein Prinzip. " Heinrichs konservative Wertvorstellungen ~iuflem sich auch in seiner politischen .o
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218 Einstellung, die ja bereits an anderer Stelle kurz zur Sprache kam. Bis vor einigen Jahren war Heinrich Mitglied in der CDU, die er aus Unzufriedenheit iiber deren vermeintlich zu liberalen politischen Kurs verlieB: ,,Ich war in der CDU und bin dann nachher ausgetreten, weil die CDU die beste SPD geworden war, die wir je hatten, oder anders ausgedrackt, weil sie die patriotischen Belange nicht mehr vertreten haben. " Heinrich ist mit seiner femsehlosen LebensRihnmg fiberaus zufrieden. Als besonders positiv empfindet er, weitgehend unbehelligt von den vermeintlichen Manipulationsgefahren durch das Fernsehen zu bleiben und sich ungestfrt seinen Liebhabereien widmen zu k6nnen. Eventuelle Nachteile durch die Abwesenheit des Femsehens hat er nie empfunden, und obwohl er bereits mehrfach von Freunden und Bekannten zum Kauf eines Femsehger~ites gedr~gt wurde, will er auch zukiinffig an seiner femsehfreien Lebensweise festhalten: ,,Das ist wohl vorgekommen, daft die auch sagten: 'Ja, Du mf~fltest doch eigentlich auch Fernsehen haben, ach, das ist doch 'ne schOne Abwechslung'. Aber ich mOchte dabei bleiben." Obwohl Heinrich nicht femsieht und auch sein Radio nur sehr selten einschaltet, Rihlt er sich doch nicht uninformiert. Ibm dienen Zeitungen und Zeitschrifien als haupts/ichliche Informationsquellen fiber die aktuellen Ereignisse: ,, Wit leben nicht hinter dem Mond. Wit haben da schon 'ne Menge InformationsmOglichkeiten. Zum Beispiel lese ich mehrere Zeitungen. " AuBer einer lokalen Tageszeitung bezieht Heinrich noch die Welt im Abonnement, den Rheinischen Merkur und die Welt am Sonntag erwirbt er zudem regelm~iBig. Im Vergleich zum Buch spielen jedoch auch die aktuellen Pfintmedien Rir Heinrich nur eine untergeordnete Rolle, da sie in seinen Augen lediglich einen ~iuBerst oberfl~ichlichen Eindruck von den Weltgeschehnissen wiedergeben k6nnen: ,,Eine allzu ausgedehnte Zeitungslektf~re lohnt nicht, well man die Zeit dann verliert, und die Kraft fi~r Wertvolleres, Wesentlicheres. Wenn ich meinetwegen ein historisches Werk lese, da hab ich mehr davon, als wenn ich Zeitung lese. Die Zeitungslektf~re fordert nicht mein wesentliehes Menschentum. " Zeitschriften dienen Heinrich in erster Linie dazu, seine komervative politischweltanschauliche Position theoretisch zu reflektieren und thematisch zu aktualisieren. Als Abonnent bezieht er regelm~ig die Junge Freiheit (Deutsche Zeitung flit Politik und Kultur), Erneuerung und Abwehr (Monatsblatt der Notgemeinschai~ evangelischer Deutscher), Critic6n (Komervative Zeitschrift) und Idea (Informationsdienst der evangelischen Allianz). Wie bereits aus den vorausgegangenen Ausfftihnmgen hervorgegangen sein diirfle, steht Heinrich auch dem Kinofilm ~iuBerst skeptisch gegeniiber. Folglich geh6rt er zu den Nichtfernsehem, die neben dem Fernsehen auch das Kino verschm~ihen. Musikalische Tontr~iger kommen in Heinrichs Haushalt ebenfalls nicht zum Einsatz. AuBer
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219 einem tragbaren Radiorecorder besitzt er keine weiteren Abspielger~ite Fair musikalische Tontr~iger. Auch einen Computer besitzt Heinrich nicht, so dab er nur in bezug auf Printmedien als reger Mediennutzer bezeichnet werden kann. Am /Sffentlichen KommunikationsprozeB hat Heinrich rege teilgenommen. In Form von Leserbriefen iiuBerte er sich schon mehrmals zu verschiedenen aktuellen Themen, und in seiner Funktion als P~idagoge hat er bereits einige Medienbeitr~ige produziert, die in der 6rtlichen Presse ver5ffentlicht wurden. Heinrichs grunds~itzliches Mil3trauen gegenfiber audiovisuellen Massenmedien, das bereits in seiner Kindheit geweckt wurde, steht als Grund fiir seine femsehfreie Lebensweise eindeutig im Vordergrund. Fiir ilm birgt das Femsehen in erster Linie die Gefahr der Zerst/~rung der bestehenden Gesellschaftsordnung durch konspirative Kreise und linke politische Zirkel, die das Massenmedium Rir ihre Zwecke insmunentalisieren. Dutch seine konsequente Femsehverweigertmg will er sich den vermeintlichen Manipulationsversuchen des Femsehens beziehungsweise der dahinter stehenden Kl'~ifte entziehen. Dariiber hinaus betrachtet er die fiber das Fernsehen vermittelten Bilder und Botschaften als Angriff auf seine seelische Integrit~it. Vor diesem Motivationshintergrund erscheint es durchaus angebracht, Heinrich als mifltrauischen NichOrernsehertyp zu charakterisieren. Ebenso wie Bemd z~lt Heinrich somit zu denjenigen Nichtfemsehertypen, die den hier beschriebenen fibergeordneten Nichtfemsehergruppierungen nicht eindeutig zugeordnet werden k/Snnen und als Sonderf'~ille betrachtet werden mfissen.
3.1.5 TypUbergreifende Trends und Gemeinsamkeiten
In diesem Abschnitt sollen die typfibergreifenden Trends und Gemeinsamkeiten aufgezeigt werden, die auf alle beziehungsweise die Mehrzahl der in dieser Studie befragten Nichtfernseher zutreffen. Bei dieser Gelegenheit wird auch noch einmal die Verwandtschaft zwischen den unterschiedlichen Nichtfernsehertypen, die ja trotz aller Unterschiede durchaus besteht, deutlich. Die wohl wichtigste Gemeinsamkeit der bier befragten Nichtfernseher liegt in ihrem ausgepr~igten Bediirfnis nach authentischen Lebenserfahnmgen und prim~en Sozialbeziehungen, das auch gleichzeitig ein zentrales Motiv Rir die femsehfreie Lebensweiseder Betroffenen bildet. Anstatt in passiver Rezeptionshaltung vor dem Femsehger~it zu verharren, m6chten diese Menschen ihren Alltag lieber aktiv, kreativ und erlebnisbetont gestalten. Ihr Leben nach dem Programmschema des Fernsehens ausrichten zu mfissen, wfirden sie als gravierende Einschr~.nktmg bei der Entfaltung ihrer individuellen Lebensvorstellungen empfinden. In zahlreichen lebensstilistischen Merkmalen der Nichtfemseher spiegelt sich diese Grundhaltung wider. So legen beispielsweise die meisten der Befragten ausgesprochen groBen Wert auf eine aktive Urlaubsgestaltung,
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220 und zahlreiche Untersuchungsteilnehmer gehen in ihrer Freizeit gem zum Tanz, wo sie unter Gleichgesinnten sowohl ihre sozialen als auch ihre sportlichen Bediirfnisse befriedigen k/Snnen. Auch in ihren grunds/itzlichen Wertvorstellungen offenbart sich ihr Bediirfrtis nach menschlichem Kontakt und sozialer Harmonie. Diesen prinzipiellen Wertvorstellungen, die mit den Begriffen Mitmenschlichkeit und soziales Verhalten treffend umschrieben werden k/Snnen, kann das Femsehen mit seiner eingleisigen, parasozialen Kommunikationscharakteristik und seinem gewaltlastigen, oft als menschenverachtend empfundenen Programm nicht entsprechen. Die Programminhalte des Femsehens bilden noch in einem weiteren Punkt ein verbindendes Glied zwischen den bier befragten Nichtfernsehem. So sind die Befragten fast ausnahmslos mit den Programmangeboten des Femsehens unzufi'ieden. Dabei miBfiillt ihnen sowohl die Machart des Progranuns, die oftmals als unprofessionell und oberfl~ichlich kritisiert wird, als auch dessen inhaltliche Gestaltung. Dem hohen Qualit~itsanspruch der Nichtfemseher, der sich fibdgens auch in ihrem allgemeinen Konsumverhalten zeigt, genfigt das Femsehprogramm in keiner Weise. Auf der Ebene allgemeiner lebensstilistischer Performanzmuster lassen sich noch weitere Parallelen zwischen den Untersuchungsteilnehmem feststellen, die in ihrer Gesamtheit auf einen altemativen Lebensstil hinweisen, mit dem die Befragten ihr physisches und psychisches Wohlergehen auf hohem Niveau zu erhalten trachten. Fast alle em~J~ren sich bewuBt und gesundheitsbetont, nicht wenige der Befragten sind Vegetarier oder vermeiden andere, gesundheitsgef~.rdende Nahrtmgsmittel. Bis auf wenige Ausnahmen sind die bier befragten Nichtfernseher iiberzeugte Nichtraucher, und gegenfiber altemativen Heilverfahren wie der Hom/~opathie legen die Befragten eine auf~ergew6hnliche Offenheit an den Tag. Die fiberwiegende Zahl der Untersuchungsteilnehmer nimmt ein ausgepr~gtes Umweltbewul3tsein fiir sich in Anspruch, das auch im Alltagsleben weitgehend praktiziert wird. Dutch teilweise recht unkonventionelle M~nahmen versuchen die Betroffenen, auch auf dieser Ebene fiir bestm~gliche Lebensbedingungen zu sorgen. Konsequenterweise hat sich alas Fernsehen Rir diese Menschen als unvereinbar mit ihren spezifischen, alternativen Lebensvorstellungen erwiesen. Auch die politische Gesinnung der meisten Untersuchungsteilnehmer kennzeichnet sie als ,,Alternative", die auf zahlreichen Ebenen des Alltagslebens in Opposition zum gesellschaftlichen Mainstream stehen. In der Mehrheit sympathisieren die hier befragten Nichtfemseher mit dem Bfgndnis 90~Die Grfinen. Im Bereich der Mediennutzung liegt eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit der hier befragten Nichtfemseher in ihrer ausgesprochenen Leseleidenschaft. Die Haushalte aller Untersuchungsteilnehmer sind mit Bfichem fiberaus reichhaltig bes~ckt, und mit wenigen Ausnahmen greifen die Befragten gem und regelm~ig zum Buch. Ffir viele rangiert das Buch in der Hierarchie der von ihnen genutzten Massenmedien an erster
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221 Stelle, aufgrund seiner Informationstiefe und flexiblen Handhabbarkeit wird es gegenfiber dem Fernsehen prinzipiell vorgezogen. Erstaunlich ist auch, dab die hier befragten Nichtfemseher iiuBerst rege am 6ffentlichen KommunikationsprozeB teilnehmen. Die hohe Bereitschaft der Befragten zur kommunikativen Partizipation ist gleichzeitig ein weiterer Beweis dafiir, dab die konsequente Distanz ztun Femsehen nicht mit einer generellen Medienfeindlichkeit gleichgesetzt werden daft. Besonders in ihrem lokalen Handlungsraum nutzen viele Nichtfernseher die M6glichkeit, fiber die Massenmedien in einen 6ffentlichen Dialog einzutreten. AbschlieBend sei noch erw~Jmt, das die hier befragten Nichtfemseher mehrheitlich mit ihrer gegenw~irtigen allgemeinen Lebenssituation fiberaus zufrieden sind. Aus diesem Befund geht noch einmal deutlich hervor, dab ein Leben ohne Femsehen durchaus eine zufriedenstellende, bereichemde Alternative zu einem von regelm~i3igem Fernsehkonsum begleiteten Dasein darstellen kann.
3.2 Die Ergebnisse der ergiinzenden Fragebogenerhebung
Auf den folgenden Seiten werden die Ergebnisse der erg~inzenden Fragebogenerhebung, die parallel zur pers6nlichen Befragung der dreiBig ausgew~lten Nichtfernseher durchgefiihrt wurde, vorgestellt. Dabei kommen zun/ichst einige inhaltliche Fragestellungen zur Sprache, die auch bei den dreiBig pers6nlichen Nichtfemseherbefragungen eine zentrale Rolle einnahmen. Hier geht es in erster Linie um Fragen zu den Entstehungsbedingungen der femsehfreien Lebensweise der sechsundvierzig fibrigen Nichtfemseher und den dahinter stehenden M o t i v s ~ e n . Auch der Stellenwert des Nichtfemsehens fiir die schriftlich befragten Untersuchungsteilnehmer sowie ihre Bereitschaft zur Fortsetzung ihrer fernsehlosen Lebensweise werden an dieser Stelle beleuchtet. Ein weiterer Schwerpunkt der erg~lzenden Fragebogenerhebung liegt auf der Mediennutzung und der Medienausstattung der fibdgen Nichtfemseher. AbschlieBend werden die demographischen Eigenheiten der hier befragten Nichtfernseher pr'~entiert. Bei der Auswertung der demographischen Fragen wurden fibdgens auch die Daten tier dreiBig pers6nlich befragten Nichtfernseher berficksichtigt, um aus den Angaben aller sechsundsiebzig Untersuchungsteilnehmer ein demographisches Nichtfernseherprofil abzuleiten 5a. Aufgrund der eingeschr~inkten Flexibilit~it und - jedenfalls bezogen auf den hier erforschten Untersuchungsgegenstand - begrenzten Aussagekrait quantitativer Erhebungsinstrumente kann die erg~inzende Fragebogenerhebung freilich nur bedingt zu weiteren Erkenntnissen fiber die Nichtfemseher beitragen. Aus diesem Gnmde wurden nur einige zentrale Forschungsfragen, die mit Hilfe standardisierter Methoden einer ad~quaten Beantwortung n~ihergebracht werden k6nnen, aus dem umfangreichen
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222 Katalog der forschungsleitenden Fragestellungen ausgew~tflt, um die Erkenntnisse aus der qualitativen Nichtfernseherbefragung qua Triangulatiomverfahren abzustfitzen. Dennoch daft die Relevanz der erg~inzenden, standardisierten Nichtfernseherbefragung Rir den gesamten ErkennmisprozeB nicht untersch~itzt werden. Jede zus@zliche Information fiber die Nichtfemseher kann zu einem besseren Verst~dnis des charaktedstischen Nichtfemseherhandelns Rihren, und es w~ire unverzeihlich gewesen, auf die Befragung auch der nicht pers6nlich interviewten Nichtfemseher zu verzichten, zumal kaum gesicherte wissenschaftliche Kennmisse fiber diese spezifische Rezipientenkategorie vorliegen.
3.2.1 Nichtfernsehen
Bevor nun die Ergebnisse der schriftlichen Nichtfemseherbefragung im einzelnen vorgestellt werden, folgen zun~ichst noch einige Angaben zur Dauer tier femsehlosen Lebensweise aller sechsundsiebzig Untersuchungsteilnehmer. Wie bereits im Kapitel fiber die Durchfiihnmg der Nichtfemseherstudie erw~tmt wurde, war die Dauer tier femsehfreien Lebemweise tier Probanden ein entscheidendes Kritedum bei der Auswahl der dre~ig Interviewteilnehmer, um eine mfglichst groBe Bandbreite an unterschiedlichen Nichtfemsehereffahrungen abzudecken. Jedenfalls lag die femsehfreie Lebemdauer der Untersuchungsteilnehmer zwischen einigen Monaten und mehreren Jahrzehnten, wobei diejenigen Nichtfemseher, die schon immer ohne Fernsehen gelebt haben, auf die meisten femsehfreien Lebensjahre zurfickblicken kfnnen. Insgesamt lebten zum Zeitpunkt der Befragung zehn Untersuchungsteilnehmer (13,2%) seit weniger als einem Jahr ohne Femsehen. Zwischen einem und drei Jahren lebten acht tier Befragten (10,5%) fernsehfrei. Ebenso viele Untersuchungsteilnehmer (10,5%) lebten zwischen drei und fiinf Jahren olme Fernsehen. Ffinfzehn Untersuchungsteilnehmer (19,7%) sahen zum Zeitpunkt ihrer Befragung seit mehr als ftinf Jahren, aber nicht l~nger als zehn Jahre nicht mehr fern. Zwischen zehn und zwanzig Jahren lag die femsehlose Lebenszeit von achtzehn tier sechsundsiebzig Befragten (23,7%). Seit mehr als zwanzig Jahren lebten vier der Befragten (5,3%) bereits ohne Femsehen. Dreizelm Untersuchungsteilnehmer (17,1%) haben noch rile in einem femsehbestfickten Haushalt gelebt und kfnnen somit nut begrenzt auf eigene Femseherfahrungen zurfickgreifen. Von den sechsundvierzig schriftlich befragten Nichtfemsehem haben sich fftinfzehn (32,6%) zu einem konkreten Zeitpunkt fiir ein Leben ohne Fernsehen entschieden. Zwanzig von ihnen (43,5%) gaben an, dab sich ihre fernsehfreie Lebensweise ganz automatisch, ohne besonderen AnlaB oder EntscheidungsprozeB ergeben hat. Elf der schriftlich befragten Untersuchungsteilnehmer (23,9%) nannten ~iuBere Umst~inde als Ausl6ser fiir ihre fernsehfreie Lebensweise. Zum Vergleich: Von den dreiBig persSn-
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223 lich befragten Nichtfernsehem hatten sich sechzehn (53,3%) konkret fiir eine fernsehlose Lebensgestaltung entschieden. Hinsichtlich der spezifischen Beweggriinde Rir die femsehfreie Lebensweise der Untersuchungsteilnehmer best~tigen die Ergebnisse der Fragebogenerhebung die Erkenntnisse aus den Nichtfernseherinterviews. Aus den Angaben tier Fragebogemeilnehmer geht hervor, dab auch sie, ebenso wie die pers6nlich befragten Nichtfemseher, mehrheitlich erh6hten Wert auf eine aktive, erlebnisbetonte Lebensfiihnmg legen und aus diesem Grunde das Femsehen verschm/ihen. Authentische Lebenserfahrungen und prim/ire Sozialkontakte sind auch den schriftlich befragten Untersuchungsteilnehmem wichtiger als etwaiger Fernsehkonsum, der lediglich Erfahnmgen aus zweiter Hand vermitteln kann und ausschlieBlich parasoziale Kommunikationsbeziehungen zul~t. So gaben siebununddreiBig der sechsundvierzig Befragten (80,4%) an, dab ihnen andere Tiitigkeiten wichtiger sind als fernzusehen. ZweiunddreiBig Befragten (69,6%) bedeuten zwischenmenschliche Kontakte mehr als die einseitige Kommunikationssituation vor dem Femsehger/it, und dreiBig der schriftlich befragten Untersuchungsteilnehmer (65,2%) gaben an, alas sie lieber eigene, authentische Lebenserfahnmgen machen, als fiber das Femsehen vermittelte Inhalte aufzunehmen. F/infundzwanzig Befragte (54,3%) empf'lnden den Femsehkonsum generell als zu passive T/itigkeit, sie gestalten il~e Freizeit lieber aktiv und selbstbestimmt. Weitere dreiundzwanzig Untersuchungsteilnehmer (50,0%) halten das Femsehen ftir eine sozial- und familienfeindlithe Institution, die das gesellschaftliche und familiale Miteinander beeintr/ichtigt. Programminhaltliche Griinde machten zweiundzwanzig der sechsundvierzig schriftlich befragten Untersuchungspersonen (47,8%) ftir ihre femsehfreie Lebensweise geltend, und neunzehn der Befragten (41,3%) empfinden das dargebotene Femsehprogramm als niveaulos und yon mangelhafier journalistischer Qualit/it. Sechzehn Fragebogenteilnehmer (34,8%) fftihlen sich dem Angebot an optischen und akustischen Reizen, die yon zahllosen Programmanbietem nmd um die Uhr ausgestrahlt werden, nicht gewachsen. Sie beklagen die Reiziiberflutung, die nach ihrer Uberzeugung vom Femsehen ausgeht. Ein l~ermafl an Werbung im Fernsehprogramm verleidet vierzehn Befragten (30,4%) den Femsehkonsum. Zeitmangel wird von weiteren sechzehn Untersuchungsteilnehmem (34,8%) als mallgeblicher Grund Rir ihre fernsehfreie Lebensweise angegeben - ein Argument, das in engem Zusammenhang mit ihrem Bedfirfnis nach aktiver Alltagsgestaltung steht. Das sich unter den sechsundvierzig schrifilich befragten Nichtfemsehem auch einige suchtgeffihrdete Nichtfernseher bef'mden, l ~ t die Angabe yon zw/51f Befragten (26,1%) vermuten, als Konsequenz aus fibenniiBigem beziehungsweise unkontrolliertern Fernsehkonsum auf jeglichen Femsehkonsum verzichten zu wollen. Vierzehn Befragte (30,4%) woUen sich durch ihre fernsehfreie Lebensfiihnmg vor iiberm/iBigem beziehungsweise unkontrolliertem Fernsehkonsum schfitzen. Von den achtzelm Untersuchungsteilnehmem mit Kindern m/~chten elf (23,9% aller Fragebogenteilnehmer; 61,1% aller schriftlich befragten Eltern) ihre Spr~Blinge vor eventuellen negativen
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224 Auswirkungen des Femsehprogramms bewahren. Neun der Befragten (19,6%) bekundeten ein grunds~itzliches Desinteresse am Femsehen. Sechs Untersuchungsteilnehmer (13,1%) wollen sich durch il~e femsehfreie Lebensweise etwaigen politischen beziehungsweise weltanschaulichen Manipulationsversuchen entziehen, denen sie sich als Femsehkonsumenten ausgesetzt Rihlen wfirden. Von jeweils nur wenigen Befragten wurden noch einige weitere Motive fiir ihre fernsehfreie Lebensweise best~itigt. Dazu z~.Iten die Angst vor gesundheitlicher Beeintr~ichtigung durch die femsehspezifischen Ger~iteemissionen, ~isthetische Vorbehalte gegenfiber der ~iuBeren Erscheinungsform tier erh~iltlichen Fernsehger~ite, das Bedfirfnis, den Alltag unabh~gig von vorgegebenen Zeit- beziehungsweise Programmsmtkturen zu gestalten und f'manzielle Grfinde. Wie Rir die meisten pers6nlich befragten Nichtfemseher ist auch Rir den GroBteil der schrifilich befragten Untersuchungsteilnehmer die Femsehlosigkeit ein eher nebengeordneter, selbstverst~indlicher Faktor im Rahmen itu'er jeweiligen Lebensftihnmg. Lediglich elf der sechsundvierzig Fragebogenteilnehmer (23,9%) bezeichneten die Abwesenheit des Femsehens als zentralen Aspekt ihrer individuellen Lebensgestaltung. Mit diesem Ergebnis korrespondiert auch die generelle Einstellung tier schriftlich befragten Nichtfemseher zum Femsehen. Als dezidierte Femsehverweigerer wfirden sich lediglich sechzehn tier sechsundvierzig Befragten (34,8%) bezeichnen - ein Ergebnis, das in etwa auch bei den pers6nlich befragten Nichtfemsehem festgestellt wurde, von denen sich neun (30,0%) als entschiedene Femsehverweigerer bezeichnen wiirden. Zum Themenbereich Nichtfemsehen wurde den schriftlich befragten Untersuchungsteilnehmem abschlieBend noch die Frage gestellt, ob sie auch zukiinftig an ihrer femsehfreien Lebensweise festhalten wollen. Von den sechsundvierzig Befragten bejahten vierzig (87,0%) diese Frage, sechs Untersuchungsteilnehmer (13,0%) gaben an, dab sie sich zum Zeitpunkt der Befragung fiber die Fortsetzung ihrer fernsehfreien Lebensweise noch nicht sicher seien. Von den pers6nlich befragten Nichtfernsehem wollten zwar vierzehn (46,7%) die sp~itere Anschaffung eines Fernsehger~ites nicht g~lzlich ausschlieflen, vorerst wollen jedoch auch diese Befragten an ihrer femsehfreien Lebensgestaltung festhalten, so daft auch in diesem Punkt Ubereinstimmungen zwischen den pers6nlich befragten Nichtfemsehem und den Fragebogenteilnehmem festgestellt werden k6nnen.
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3.2.2 Mediennutzung~edienausstattung
Ebenso wie die pers6nlich befragten Nichtfemseher scheinen auch die schrifUich befragten Untersuchungsteilnehmer rege Buchleser zu sein. Jedenfalls legt die reichhaltige Ausstattung der Befragten mit Btichem diese Vermutung nahe. Lediglich zwei der sechsundvierzig Untersuchungsteilnehmer (4,3%) besitzen weniger als einhundert Biicher. Neunzehn von ihnen (41,3%) k/Snnen auf einhundert bis fftinfhundert unterschiedliche Titel zuriickgreifen. Zwischen ftinfhundert und eintausend Biichem besitzen zw/51f der Befragten (26,1%), und zelm Umersuchungsteilnehmer (21,7%) verRigen fiber einen Bestand von eimausend bis Rinfiausend Buchexemplaren. Eine umfangreiche Privatbibliothek mit mehr als fiinftausend Biichem besitzt einer der Fragebogenteilnehmer (2,2%). Zwei der sechsundvierzig Befragten (4,3%) machten keine Angaben fiber die Anzahl ihrer Biicher. Zum Vergleich: Zw~ilf der pers/~nlich befragten dreil3ig Umersuchungsteilnehmer (40,0%) besitzen zwischen einhundert und ftinfhundert Biichern, sieben (23,3%) zwischen Rinfhundert und eintausend, und acht (26,7%) zwischen eintausend und fiinftausend unterschiedlichen Titeln. Drei von ihnen (10,0%) verfiigen fiber mehr als fiinftausend Buchexemplare. Bei den iibrigen Printmedien ergibt sich ein etwas differenzierteres Bild. Lesen von den dreiBig pers6nlich befragten Umersuchungsteilnehmem einundzwanzig (70,0%) regelm~ig eine lokale Tageszeitung, so sind dies bei den schrifUieh befragten Nichtfemsehem siebenunddreiflig (80,4%) von sechsundvierzig. Dafiir lesen neun der pers6nlich befragten Nichtfernseher (30,0%) eine iiberregionale Tageszeitung, w~.hrend diese nut von aeht Fragebogenteilnehmem (17,4%) regelmiil3ig zur Hand genommen wird. Um sich eingehender fiber die politischen und gesellschaftliehen Gesehehnisse zu informieren, lesen dreiunzwanzig der schriftlich befragten Niehtfemseher (50,0%) iiberregionale Wochenzeitungen beziehungsweise politische Wochenzeitsehriften. In etwa gleichrangig ist die Bedeutung der iiberregionalen Wochenzeitungen und politischen Woehenzeitschriften fiir die pers6nlieh befragten Nichtfemseher, yon denen vierzehn (46,7%) regelm~ig zu diesen Publikationen greifen. Zeitschriften nehmen dreiunddreiBig der sechsundvierzig Fragebogenteilnehmer (71,7%) regelm~ffig zur Hand, wifllrend yon den pers6nlieh befragten Nichtfemsehem siebzehn (56,7%) regelm~ig Publikums- oder Faehzeitsehriften lesen. Zwei der seehsundvierzig Fragebogenteilnehmer (4,3%) lesen attBer Btichem keine weiteren Printmedien, w~hrend yon den pers6nlieh befragten Nichtfernsehem drei (10,0%) weder aktuelle Printmedien noeh Zeitsehriften rezipieren. Legt man die Gesamtheit der seehsundsiebzig Untersuehungsteilnehmer zugrunde, so lesen aehtundfiinfzig von ihnen (76,3%) regelmiiBig eine lokale Tageszeitung. Siebzehn von ihnen (22,4%) greifen regelm~iflig zu einer iiberregionalen Tageszeitung, und ungef'~.r die H~ilfte der Befragten (48,7%) liest regelm~ig eine tiberregionale Wochenzeitung oder politische Wochenzeitschrifi. Publiktuns- und Fachzeitschrifien
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226 werden von fiinfzig der Befragten (65,8%) regelm~iBig gelesen. Fiinf der insgesamt sechsundsiebzig Untersuchungsteilnehmer (6,6%) lesen weder aktuelle Printmedien noch Zeitschriften. Im Unterschied zu den persfnlich befragten Nichtfernsehem, die sich generell zu ihren individuellen HSrfunkgewohnheiten ~iu_Sem sollten, wurden die Fragebogenteilnehmer nach ihrer durchschnittlichen t~iglichen Hfrdauer gefragt. Diese lag bei zehn der Befragten (21,7%) unter dreiBig Minuten. Acht Untersuchungsteilnehmer (17,4%) hSren im Durchschnitt zwischen dreiBig Minuten und einer Stunde Radio, und zwischen einer und zwei Stunden schalten neun der sechsundvierzig schriftlich befragten Nichtfemseher (19,6%) ihr Radio ein. Mehr als zwei Stunden, aber weniger als fiinf Stunden hfren zwflf der Befragten (26,1%) im Durchschnitt pro Tag Radio. Bei drei Untersuchungsteilnehmem (6,5%) l~iutt das Radio t~glich l~nger als fiinf Stunden, ebenso viele Befragte (6,5%) nutzen die Angebote des H/Srfunks iiberhaupt nicht. Einer der sechsundvierzig schriftlich befragten Nichtfemseher (2,2%) machte keine Angaben zur Hfrfimknutzung. Betrachtet man die Untersuchungsteilnehmer, die im Durchschnitt mehr als eine Stunde am Tag Radio h/Sren, als regelm~ige Radionutzer, so z~_len bei den sechsundvierzig schrittlich befragten Nichtfemsehem zweiunddreiBig (69,6%) zu dieser Benutzergruppe, w~ihrend von den persSnlich befragten Nichtfemsehem neunzehn (63,3%) dieser Kategorie zuzurechnen sind. Der Anteil der regelm~ifligen RadiohSrer in den Teilnehmergruppierungen ist somit ann~ihemd gleich hoch. Auch beziiglich ihres Tontdigerkonsums wurden die Fragebogenteilnehmer nach ihrer durchschnittlichen t~iglichen Nutzungsdauer gefragt. Bei siebzehn der sechsundvierzig Befragten (37,0%) lag diese unter dreiBig Minuten. Zwischen einer halben und einer ganzen Stunde widmen acht der schriftlich befragten Untersuchungsteilnehmer (17,4%) ihren Tontdigem. Ein bis zwei Stunden pro Tag hSren elf der Befragten (23,9%) im Durchschnitt CDs, Schallplatten oder Cassetten, w~u'end drei Untersuchungsteilnehmer (6,5%) mehr als zwei Stunden am Tag Musik yon Tontr~igem rezipieren. Sechs von ihnen (13,0%) nutzen iiberhaupt keine Tontr~iger. Ein Untersuchungsteilnehmer (2,2%) machte keine Angaben fiber seiner Tontdigemutzung. Von den persSnlich befragten Nichtfemsehem greifen neunzehn (63,3%) selten oder nie zu Tontr~igem, w~larend elf von ihnen (36,7%) regelm~ig Musik von CDs, Schallplatten oder Tonbandcassetten hfren. Fiir die meisten Nichtfernseher sind musikalische Tontr~iger somit offensichtlich von eher zweitrangiger Bedeutung. Der Kinofilm wird von gut der H~ilfte der schriftlich befragten Untersuchungsteilnehmer nur in sehr beschr~.nktem Marie genutzt. Zwei von ihnen (4,3%) gehen nie ins Kino, dreiundzwanzig der Befragten (50,0%) suchen das Kino nur gelegentlich (bis zu viermal j~ihrlich) auf. Regelm~iBig (zwischen fiinf- und zwanzigmal im Jahr) besuchen zw61f der Fragebogenteilnehmer (26,1%) ein Lichtspielhaus, und neun Untersuchungsteilnehmer (19,6%) gehen h~iufig (6fter als zwanzigrnal im Jahr) ins Kino. Diese
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227 Zahlen entsprechen in etwa auch den Ergebnissen aus den Intensivinterviews. Auch die pers6nlich befragten Nichtfemseher interessieren sich nur knapp zur H~ilfte fiir das Kino, w~hrend vier von ihnen (13,3%) nie ins Kino gehen, und dreizehn der Befragten (43,3%) nur gelegentlich einen Film im Kino rezipieren. Von den fibrigen dreizehn Interviewpartnem suchen sieben (23,3%) regelm~ig ein Lichtspielhaus auf, sechs von ihnen (20,0%) gehen h~iufig ins Kino. Der Anteil der Computerbesitzer unter den schriftlich befragten Untersuchungsteilnehmem ist geringfiigig kleiner als bei den pers6nlich befragten Nichtfemsehem, groBe Abweichungen lassen sich jedoch auch hier nicht feststellen. Zw61f der insgesamt sechsundvierzig Fragebogenteilnehmer (26,1%) sind mit einer eigenen EDVAnlage ausgerfistet, w~.hrend von den pers6nlich befragten Nichtfemsehem zehn (33,3%) einen eigenen Computer besitzen. Rund ein Drittel der hier befragten Nichtfemseher ist also bereits mit einem Computer ausgestattet - ein Beleg ftir ihre prinzipielle Offenheit gegeniiber diesen modemen, multifunktionalen Kommunikationsmaschinen. Neben den Mediennutzungsgewohnheiten und der Medienausstattung wurde auch die Bereitschaft der schriftlich befragten Untersuchungsteilnehmer zur kommtmikativen Partizipation erhoben. Wie bei den pers6nlich befragten Nichtfemsehem liegt auch bei den Fragebogenteilnehmem die Bereitschaft zur Teilnahme am 6ffentlichen KommunikationsprozeB auf auBerordentlich hohem Niveau. Sechsundzwanzig der sechsundvierzig Befragten (56,5%) haben sich bereits mittels Leserbriefen oder eigenen Medienbeitr~igen in den 6ffentlichen KommunikationsprozeB eingeschaltet. Von den Interviewteilnehmem gaben neunzehn (63,3%) an, bereits Leserbriefe beziehungsweise eigene Medienbeitr~ige produziert zu haben. Insgesamt finden die bereits ausffihrlich dargestellten Befunde aus den Intensivinterviews in den Ergebnissen der erg~_rtzenden Fragebogenerhebung sowohl in bezug auf das spezifische Nichtfemseherhandeln der Befragten als auch hinsichtlich ihres allgemeinen Medienhandelns eine Best~itigung.
3.2.3 Demographie
Der standardisierte demographische Fragebogen, der den dreiBig pers6nlich befragten Nichtfemsehem im Anschlufl an die Intensivinterviews fiberreicht wurde, stimmt mit dem demographischen Teil des erganzenden Fragebogens, der den restlichen sechsundvierzig Untersuchungsteilnehmem zugeschickt wurde, fiberein. Auf diese Weise konnte ein aussagef'dhiges Datenaggregat fiber die demographischen Eigenheiten aller Untersuchungsteilnehmer erstellt werden. Im einzelnen wurden das Geschlecht, das
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228 Alter, die Nationalit~it, die Konfession, der Familienstand, der Ausbildungsstand, die Art der Berufst/itigkeit, das Einkommen und die Wohnverh~iltnisse der sechsundsiebzig Nichtfernseher erfragt 59. Zudem wurde bei dieser Gelegenheit die politische Einstellung der sechsundvierzig schriftlich befragten Nichtfemseher ermittelt. Einundvierzig (53,9%) der sechsundsiebzig Personen, die an dieser Nichtfernsehertmtersuchung teilgenommen haben, sind weiblichen Geschlechts, fiinfunddreiBig (46,1%) sind MLnner. Ein leichter Oberhang an weiblichen Untersuchungsteilnehmem ist also festzustellen. Dieser Uberhang vergr61]ert sich noch, wenn man die fftinfpotentiellen Untersuchungsteilnehmer, die ihren Fragebogen nicht zuriickgeschickt haben, in diese Ausz~ihlung mit einbezieht, denn von diesen sind vier weiblichen Geschlechts und lediglich einer m~innlichen Geschlechts. Eine krasse Pr~ivalenz des einen oder anderen Geschlechts unter den hier befragten Nichtfernsehem ist jedoch nicht gegeben, und es ist davon auszugehen, dab sich die Anzahl der weiblichen und m~innlichen Nichtfemseher in der Bev61kenmg in etwa die Waage h[Ut. Tabelle 1: Geschlecht der Untersuchungsteilnehmer gesamt
weiblich
mS,nnlich
Anzahl
41
35
76
%
53,9
46,1
100
Bei der Betrachtung der Alterssmaktur der bier befragten Nichtfernsehergruppe f'fillt auf, dab das Alter der iiberwiegenden Zahl der Untersuchungsteilnehmer zwischen sechsundzwanzig und fiinfzig Jahren liegt. Insgesamt siebenundfiinfzig (75,0%) der sechsundsiebzig Befragten shad dieser mittleren Altersgruppe zuzurer Zwischen sechsundzwanzig und dreiBig Jahren alt sind vierzehn (18,4%) der Befragten, dreizelm von ihnen (17,1%) shad zwischen einunddreiBig und fiinfunddreiBig Jahren air. Zehn Untersuchungsteilnehmer (13,2%) geh6ren zur Altersgruppe tier SechsunddreiBig- his Vierzigj~rigen, und dreizelm Befragte (17,1%) zur Gruppe der einundvierzig his fiinfundvierzig Jahre alten Untersuchungsteilnehmer. Sieben Nichtfernseher (9,2%) sind zwischen sechsundvierzig und ftinfzig Jahren alt. In tier Gruppe der Einundfiinfzig- bis Ffinfund~fzi~.hdgen finden sich lediglich zwei Untersuchungsteilnehmer (2,6%), w~hrend bei den Sechsundfiinfzig- his S e c h z i g j ~ g e n noch einmal ein Anstieg zu verzeichnen ist. Dieser Altersgruppe geh6ren neun (11,8%) der insgesamt sechsundsiebzig Befragten an. Zwischen einundsechzig und fiinfundsechzig Jahren sind wiedertma nut drei der Befragten (3,9%) air, und keiner von ilmen liegt mit seinem Lebensalter zwischen sechsundsechzig und siebzig Jahren. Das Alter dreier Untersuchungsteilnehmer (3,9%) liegt zwischen einundsiebzig und fiinfundsiebzig Jahren, und ein Teilnehmer (1,3%) ist zwischen sechsundsiebzig und achtzig Jahren alt. Lediglich ein Untersuchungsteilnehmer (1,3%) ist jiinger als fiinfundzwanzig Jahre, und in der
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229 Altersgruppe unter zwanzig Jahren findet sich keiner der hier untersuchten Nichtfemseher. Tabelle 2." Altersstruktur der Untersuchungsteilnehmer
Anzahl %
<25 26-30 Jab.re Jahre 1 14 1,3
18,4
31-35 Jahre 13
36-40 Jahre 10
41-45 Jahre 13
46-50 Jahre 7
51-55 Jahre 2
56-60 Jahre 9
17,1
13,2
17,1
9,2
2,6
11,8
61-65 66-70 Jab_re Jahre 3 3,9
-
71-75 Jahre 3
76-80 Jahre 1
gesamt
3,9
1,3
100
76
Bis auf zwei Ausnahmen sind alle sechsundsiebzig Untersuchungsteilnehmer deutscher Nationalit~it. Zwei der hier befragten Nichtfemseher (2,6%) stammen aus dem europ~iischen Ausland. Einer von ihnen ist belgischer, ein weiterer italienischer Staatsbiirger. Tabelle 3." Nationalitat der Untersuchungsteilnehmer deutsch %
7,
97,4
europ. Ausland ] 2,6
gesamt I
[70o I
Insgesamt fiinfzig (65,8%) der sechsundsiebzig hier befragten Nichtfemseher sind konfessionell gebunden. ZweiunddreiBig von ihnen (42,1%) sind r~Smisch-katholisch, und sechzehn (21,1%) evangelisch. Zwei der Befragten (2,6%) geh6ren anderen Religionsgemeinschaften an. Als konfessionslos bezeichneten sich sechsundzwanzig der Befragten (34,2%). Im Zusammenhang mit dieser Thematik wurden die Fragebogenteilnetmaer auch gefragt, ob sie der Anthroposophie Rudolf Steiners nahestehen. Neun (19,6%) der sechsundvierzig schriftlich befragten Untersuchungsteilnehmer bejahten diese Frage, womit der Anteil der anthroposophisch gepr~igten Nichtfemseher in beiden Teilnehmergruppen in etwa iibereinstimmt. Tabelle 4." Konfession der Untersuchungsteilnehmer Anzahl %
r6m.-kath. 32 42,1
evans. 16 21,1
andere Konf. 2 2,6
ohne Konf. 26 34,2
~esamt 76 100
Von den sechsundsiebzig Untersuchungsteilnehmem sind siebenunddreiBig (48,7%) verheiratet, ledig sind einunddreiflig (40,8%). Acht Untersuehungsteilnehmer (10,5%) sind gesehieden oder leben getrennt. In fiinfundzwanzig (32,9%) der sechsundsiebzig Teilnehmerhaushalte leben Kinder.
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230
Tabelle 5: Familienstand / Kinder im Haushalt der Untersuchungsteilnehmer verheiratet ledig geschieden/ gesamt Kinderim ~etr. lebend Haushalt Anzahl 37 3i 8 76 25 % 48,7 40,8 10,5 100 32,9
,
Die iiberwiegende Zahl der hier befragten Nichtfemseher kann einen hohen Ausbildungsstand vorweisen. So haben siebenundfiinfzig Untersuchungsteilnehmer (75,0%) die Hoch- oder Fachhochschulreife erlangt. Von diesen haben zweiundvierzig (55,3%) einen HochschulabschluB. Fiinfzehn der Befragten (19,7%) haben die Realschule oder eine gleichwertige Bildungseinrichtung abgeschlossen, und drei (3,9%) haben einen Volksschul- beziehungsweise Hauptschulabschlufl. Einer der Befragten (1,3%) machte keine Angaben fiber die Art seiner Schulausbildung.
Tabelle 6: Ausbildungsstand der Untersuchungsteilnehmer Volks-/ Hauptschule Anzahl 3 % 3,9
Realschule Hoch-/Fachhochschulreife 15 57 19,7 75,0
gesamt Hochschulkeine abschlufl Angabe 1 76 42 1,3 100 55,3
Etwa die H/ilfie der Befragten ist voll berufst/itig und arbeitet in einem fremden Betrieb. Insgesamt z~_len sechsunddreiBig der hier befragten Nichtfernseher (47,4%) zu dieser Arbeitnehmerkategorie. Sieben (9,2%) sind im eigenen Betrieb vollzeitbesch/iftigt. Teilweise berufst~tig in einem fremden Betrieb sind sechs der Befragten (7,9%), drei Untersuchungsteilnehmer (3,9%) gehen im eigenen Betrieb einer Teilzeitbeschiiftigung hath. Arbeitslos sind zwei der Befragten (2,6%), fiinf Teilnehmer (6,6%) stehen als Renmer beziehungsweise Pension~ nicht mehr aktiv im Arbeitsleben. Ein Befragter (1,3%) befindet sich noch in der Ausbildung. Von den acht Studenten (10,5%) unter den sechsundsiebzig Untersuchungsteilnehmem gehen sieben neben ihrem Studium noch einer Teilzeitbesch~iftigung nach. Ein Teilnehmer (1,3%) absolviert noch eine weiterfiihrende Schulausbildung, die er durch einen Teilzeitjob f'manziert. Als Hausfrau bezeichneten sich sieben Untersuchungsteilnehmerinnen (9,2%).
Tabelle 7: Berufliche Stellung der Untersuchungsteilnehmer voll berufst, in fremd, Betrieb Ariz. 36 % 47,4
roll teilw, berufst, berufst, in9 in fremd, Betrieb Betrieb 7 6 9,2 7,9
teilw, arbeits- Rentncr/ in Aus- Student wr Haus- gesamt berufst, los Pension~bilSchul- frau in r dung ausbild. Betrieb 3 2 5 1 8 1 7 76 3,9 2,6 6,6 1,3 10,5 1,3 9,2 100
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231 In bezug auf ihre Einkommensverh~iltnisse wurden die Untersuchungsteilnehmer sowohl nach ihrem pers6nlichen Nettoeinkommen als auch nach dem jeweiligen Haushaltsnettoeinkommen gefragt. Dabei zeigte sich, dab die bier untersuchten Nichtfemseher zwar fmanziell gut gestellt sind, zu den GroBverdienem z~ihlen sie jedoch mehrheiflich nicht. So mug keiner tier sechsundsiebzig Befragten mit einem Gehalt unter eintausend DM auskommen. Zwischen eintausend und zweitausend DM verdienen sechzehn der Befragten (21,1%). Der mittleren Lohngruppe (zwischen zweitausend und viertausend DM Nettoeinkommen monatlich) sind vierundzwanzig Untersuchungsteilnehmer (31,6%) zuzuordnen. Ebenso viele Teilnehmer (31,6%) geh6ren der oberen Lohngruppe (fiber viertausend DM monatliches Nettoeinkommen) an. Fiinf Befragte (6,6%) ver~gen fiber kein eigenes Einkommen. Keine Angaben zu ihrem pers6nlichen Monatseinkommen machten sieben Befragte (9,2%). Beim monatlichen Haushaltsnettoeinkommen verscbieben sich die Zahlen folgerichtig nach oben. Die monatliche Einkommensgrenze liegt lediglich in acht Haushalten (10,5%) unter der Zweitausendmarksgrenze. Zwischen zweitausend und viertausend DM stehen vienmdzwanzig (31,6%) der sechsundsiebzig Haushalte allmonatlich zur Ver~gung. SiebenunddreiBig Haushalte (48,7%) ver~gen fiber ein monatliches Nettoeinkommen von mehr als viertausend DM. Sieben Befragte (9,2%) machten keine Angaben zu den monatlichen Nettoeinnahmen ihres Haushalts. Tabelle 8: PersOnliches Nettoeinkommen der Untersuchungsteilnehmer
Anzahl %
01000DM -
10002000DM 16 21,1
20004000DM 24 31,6
fiber 4000DM 24 31,6
kein eig. Einkommen 5 6,6
keine Angabe 7 9,2
gesamt
keine Angabe 7 9,2
gesamt
76 100
Tabelle 9." Haushaltsnettoeinkommen der Untersuchungsteilnehmer
Anzahl %
O1000DM -
10002000DM 8 10,5
20004000DM 24 31,6
fiber 4000DM 37 48,7
kein eig. Einkommen -
76 100
Die meisten bier befragten Nichtfernseher wolmen in einer groBst~dtischen Umgebung. Zweiundvierzig der sechsundsiebzig Untersuchungsteilnehmer (55,3%) leben in einer GroBstadt mit einem vielfiiltigen Angebot an kulturellen Ereignissen und Freizeitaktivit~ten. In st~dtischen Vororten mit vorwiegend d6rflichem Charakter leben neunzehn der Befragten (25,0%). Acht Untersuchungsteilnehmer (10,5%) wolmen in einer Kleinstadt mit mehreren zelmtausend Einwohnem. In d6rflicher Umgebung leben sieben der bier untersuchten Nichtfemseher (9,2%). Dreiunddreigig (43,4%) der sechsundsiebzig Befragten besitzen Wolmeigentum. Von diesen Untersuchungsteilnehmem wolmen
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232 sechsundzwanzig (34,2%) in ihrem eigenen Haus, sieben Befragte (9,2%) leben in einer Eigentumswohnung. Von den fibrigen Untersuchungsteilnehmem, die kein Wohneigentum besitzen, leben drei (3,9%) in einem gemieteten Haus, siebenunddreiBig (48,7%) in einer Mietwohnung, und drei (3,9%) in einem gemieteten Zimmer. Einen eigenen Garten besitzen fftinfundvierzig (59,2%) der sechsundsiebzig Untersuchungsteilnehmer. Tabelle 10." Wohnort der Untersuchungsteilnehmer Anzahl %
Groflstadt 42 55,3
sfiidt.Vorort 19 25,0
Kl'einstadt
D7rf
10,5
9,2
l~esamt'
Tabelle 11: Wohnsituation der Untersuchungsteilnehmer
%
eigenes Haus 26 34,2
Eigentumswohnung 7 9,2
gemietetes Haus 3 3,9
Mietwohnun~ 37 48,7
gemietetes Zimmer 3 3,9
gesamt 76 100
Gartenbesitzer 45 59,2
Im Unterschied zu den pers6nlich befragten Nichtfernsehem, die w~ihrend der Interviews nach ihrer generellen politischen EinsteUung gefragt wurden, wurde den sechsundvierzig Fragebogenteilnehmem am SchluB der schriftlichen Befragung die sogenannte ,,Sonntagsfrage" gestellt, mit der die Befragten zu einer konkreten Aussage fiber die Partei ihrer Wahl aufgefordert wurden, sollte am darauffolgenden Sonntag die Bundestagswahl stattfinden. Die Sympathie der Nichtfernseher mit dem linken politischen Lager, die bereits bei den pers6nlich befragten Untersuchungsteilnehmem festgestellt wurde, l[iflt sich auch bei den schrifUich befragten Nichtfernsehem konstatieren. Sechzehn yon ihnen (34,8%) wfirden das Bandnis 90~Die Granen w~alen, wenn am kommenden Sonntag die Bundestagswahl stattf'mden wfirde. Ffinf der Befragten (10,9%) wiirden die SPD w~ihlen, w~arend ebenfalls ftinf der nicht pers6nlich befragten Nichtfernseher (10,9%) die CDU w~alen wfirden. Dreizehn von ihnen (28,3%) wiiBten zur Zeit nicht, welcher Partei sie am Wahltag ihre Stimme geben wfirden, und vier der schriftlich befragten Nichtfemseher (8,7%) wiJrden iiberhaupt nicht zur Wahl gehen. Keine Angaben zu ihrem Wahlverhalten machten drei der schrifUich befragten Untersuchungsteilnehmer (6,5%). Zur Erinnerung: Elf der pers6nlich befragten Nichtfernseher (36,7%) stehen dem Bf~ndnis 90~Die Granen nahe, vier von ihnen (13,3%) ftihlen sich am besten von den Sozialdemokraten vertreten, und ftinf der Befragten (16,7%) bewegen sich in ihrer politischen Einstellung zwischen dem roten und dem grfinen politischen Lager. Lediglich drei der interviewten Untersuchungsteilnehmer (10,0%) sympathisieren mit der CDU. Vier der Befragten (13,3%) bezeichneten sich als prinzipielle Nichtw~ler, die allen politischen Parteien grunds~itzlich skeptisch
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233 gegenfiberstehen, und zwei der pers6nlieh befragten Nichtfemseher (6,7%) stehen keiner Partei nahe - sie vergeben ihre Stimmen aus wahltaktischen Griinden an jeweils wechselnde Parteien6~ Betrachtet man abschlieBend die demographischen Merkmale der bier untersuchten Niehtfernseher in ihrer Gesamtheit, so l ~ t sich feststellen, da_8die Untersuehungsteilnehmer aueh auf dieser Ebene einige signifikante Gemeinsamkeiten teilen. So sind die meisten von ilmen zwisehen seehsundzwanzig und fiinfzig Jahren alt und geh6ren somit dem mittleren Altersspektrum an. In der Mehrzahl verfiigen sie fiber einen sehr hohen Ausbildungsstand, mehr als die H~ilfte yon ihnen kann einen Hoehsehulabschlufl vorweisen. Das hohe Bildungsniveau der bier befragten Nichtfemseher ist sichedich ein Faktor, der ihre femsehfreie Lebensweise wesentlich mitbedingt. Auf tier einen Seite bildet es die Voraussetzung zur Reflexion und eventuellen Revision der eigenen Lebensvorstellungen, auf der anderen Seite kann es als MaBstab bei der Beurteilung des Fernsehprogramms zur Ablehnung des doch oft seichten und einseitig unterhaltungs- und gewaltbetonten Programmangebots beitragen. Des weiteren fiillt die durehgehend gute f'manzielle Lage der Befragten auf. Rund aehtzig Prozent der Teilnehmerhaushalte kann fiber ein mittleres bis hohes monatliehes Nettoeinkommen verfiigen, mehr als ein Drittel der Befragten verffigt sogar fiber mehr als fiinftausend DM monatlieh. Die damit verbundene fmanzielle Flexibilit~it erm6glieht eine abwechslungsreiehe Freizeitgestaltung und die Wahmehmung oft kostspieliger kultureller Angebote als Altemativen zum Fernsehkonsmn. Zudem leben rund aehtzig Prozent der bier befragten Nichtfemseher in einer GroBstadt oder einem st~idtischen Vorort, so dab sie auf ein umfangreiehes Angebot an Freizeitgestaltungsm6glichkeiten zurfickgreifen k6nnen.
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4. Fazit
Eine Vielzahl an neuen und aktuellen Forschungsergebnissen fiber die Nichtfemseher und ihre spezifischen Verhaltensweisen konnte im Rahmen dieser Untersuchung zusammengetragen werden. Die Erkennmisse der bisherigen bundesdeutschen Nichtfemsehefforschung zu den Motiven fiir eine femsehfreie Lebensfiihnmg und den daraus resultierenden Konsequenzen erfuhren dabei im wesentlichen eine Best/itigung. Neben den zahlreichen konkreten Einzelergebnissen fiber die lebensweltlichen und lebensstilistischen Eigenheiten der Nichtfemseher stehen am Ende dieser Studie indes zwei fibergeordnete Befunde zentral. Erstens: Bei den Nichtfemsehern handelt es sich nicht um eine homogene Gruppe mit identischen Merkmalen und Beweggrfinden fiir ihre fernsehfreie Lebensweise. Vielmehr lassen sich zumindest drei fibergeordnete Nichtfernsehertypen mit spezifischen Mediennutzungs- und Lebensstilen voneinander unterscheiden. Diese drei Nichtfernsehertypen wurden jeweils nach ihren haupts~ichlichen Typisierungsmerkmalen benannt und als aktiver Nichtfernsehertyp, als bewuflt-reflektierter Nichtfernsehertyp und als suchtgef~ihrdeter Nichtfernsehertyp beschrieben. In den Lebenszusammenh~ingender aktiven Nichtfernseher spielt das Fernsehen keine Rolle. Nur selten denken diese Menschen fiber das Fernsehen und fiber ihre fernsehfreie Lebensweise naeh. Ihre Bediirfnisse und Interessen liegen augenscheinlich auf anderen Gebieten, und sie gestalten ihren Alltag derart aktiv und erlebnisbetont, dab keine Zeit fiir etwaigen Femsehkonsum fibfigbleibt. Die bewuflt-reflektierten Nichtfernseher hingegen lelmen das Fernsehen dezidiert ab, weil es ihren Lebens- und Wertvorstellungen prinzipiell widerspricht. Selbst eine selektive, zeitlich und thematisch eingegrenzte Nutzung des Fernsehens, die ja ebenfalls einer bewuBten Lebensftihnmg entsprechen wfirde, lehnen sie ab. In ihrer femsehkritischen, bewuBt ablehnenden Halttmg k/bnnen sie auch als Fernsehverweigerer bezeichnet werden. Die suchtgefahrdeten Nich~ernseher schlieBlich, die auf jeglichen Femsehkonsum verzichten, um sich vor unkontrollierter und fiberm~iger Fernselmutzung zu schfitzen, und nur bei konsequenter Fernsehenthaltsamkeit in tier Lage sind, ihre eigentlichen Lebensvorstellungen zu verwirklichen, k/bnnen auch treffend mit dem Begriff Fernsehabstinemler etikettiert werden. Eine differenziertere Betrachtung tier Nichtfernseher im Rahmen der kommunikationswissenschaitlichen Zuschauefforsehung ist somit m/bglich und auch notwendig. Uneinheitliche Nichtfernseherdef'mitionen und ungerechtfertigte Pauschalisierungen unter dem Nichtfernseherbegriff k/bnnen also zukiinftig unterbleiben. Zudem er/bffnen sich aufgrund der hier vorgenommenen Differenzierung neue Forsehungsperspektiven auf die Nichtfernseher, die zu einer Erweiterung und Vertiefung des Wissens fiber diese spezielle Kategorie tier rezipientenorientierten Kommunikationsforschung beitragen k/Snnen.
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236 Das zweite herausragende Resultat dieser Nichtfemseherstudie weist fiber die hier vorgestellte Nichtfemsehertypologie hinaus: Ungeachtet der zahlreichen Unterschiede zwischen den verschiedenen Nichtfemsehertypen gibt es auch einige signifikante Gemeinsamkeiten zwischen den bier befragten Nichtfemsehern, die sie als eigenst~indige Kategorie der Zuschauerforschung ausweisen. So legen alle hier befragten Nichtfemseher erh/Shten Wert auf eine selbstbestimmte, kreative AUtagsgestaltung und auf Authentizit@ in ihren Aktivit~ten und Lebenserfahrungen. Ihr Bedfirfrtis nach Geselligkeit und sozialer Harmonie und ihr hoher Qualit~itsanspruch spiegeln sich in nahezu allen Lebensbereichen. Mit seiner eingleisigen Kommunikationscharakteristik trod seinem oft als mangelhaft und niveaulos empfundenen Programm kann das Femsehen ihren spezifischen Bedfirfnissen und Interessen nicht gerecht werden. Sie pflegen alles in aUem einen durchaus als ,,altemativ" zu bezeichnenden Lebensstil, mit dem sie eine hohe Lebenszufriedenheit verbinden. Die fibdgen Massenmedien benutzen die hier befragten Nichtfernseher gezielt nach ihren Vorstellungen und Bedfirfnissen, wobei das Buch als Informations- und Unterhaltungsmedium eine prominente Rolle einnimmt. Ihre Bereitschaft zur kommunikativen Partizipation mittels Leserbriefen und selbstproduzierten Medienbeitr~gen liegt auf einem hohen Niveau und l ~ t auf ein reges gesellschaftspolitisches Interesse und Engagement schliegen. Darfiber hinaus gehfren die Untersuchungsteilnehmer mehrheitlich dem mittleren Altersspektrum an, verfiigen fiber ein hohes Bildungsniveau und k/Snnen auf ausreichende finanzielle Ressourcen zuriickgreifen. Die meisten von ihnen leben in der Stadt oder in stadtnahen Vororten, so dab ihnen ein vielfiiltiges Freizeitangebot zur Verfiigung steht. Es liegt an dieser Stelle nahe, die Nichtfemseher abschlieBend mit den Vielfemsehem, fiber die ja eine Ffille von gesicherten Erkenntnissen vorliegt, zu vergleichen, und diese knappe Gegenfiberstellung offenbart bereits deutliche Unterschiede zwischen den beiden Rezipientengruppen. Die Fernsehenthusiasten sind beispielsweise nur in gefingem Marie an einer akfiven und geistig anspruchsvollen Alltagsgestaltung interessiert, wie Winfried Schulz nach der Auswertung neuester Erhebungsdaten fiber die Vielfemseher im dualen Rundfimksystem resfimiert: ,,Die passive, rezeptive Bet~itigung des Fernsehens entspricht offenbar eher ihren Bedfirfnissen." (Schulz, 1997: S.96) In einem von Schulz erstellten Vielfemseherprofil werden die Unterschiede zwischen Nichtfernsehem und Vielfemsehem allenthalben sichtbar: ,,Vielseher neigen zu innerh~iuslichen Aktivit@en. Sie zeigen ein geringes Interesse an kulturellen und musischen Bet~tigungen. Das Femsehen sehen sie als besonders geeignet an, ihr Bedfirfnis nach Odentierung, Information und Teilhabe an der 0ffentlichkeit, vor allem aber nach Entspannung und Anregung zu befriedigen." (Schulz, 1997: S.98)
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237 Auch auf soziodemographischer Ebene weichen die Vielfemseher deutlich von den Nichtfernsehem ab, handelt es sich bei ihnen doch zumeist um Angeh/Srige der unteren sozialen Schichten mit niedrigem formalen Bildungsstand und unterdurchschnittlichem Einkommen. Altere alleinstehende Personen, Rentner und Arbeitslose linden sich besonders h~iufig unter den Vielfernsehem. Die offemichtlichen Merkmalsunterschiede zwischen den Nichtfemsehem und den Vielfemsehem konnten hier freilich nur angerissen werden. Ohne Zweifel liegen auch auf dieser Ebene noch viele Ansatzpunkte Rir kommunikationswissenschaftliche Forschungsprojekte, die zu einem besseren Verst~indnis der unterschiedlichen Femsehnutzungsstile beitragen k6nnen. Inwieweit diese Nichtfemseherstudie die gegenw~irtige Zuschauerforschung und insbesondere die Nichtfemseherforschung befruchtet, bleibt an dieser Stelle abzuwarten. Jedenfalls steht mit den Ergebnissen dieser Untersuchung ein reichhaltiger Fundus an wissenschaftlich gesicherten Daten und Erkenntnissen fiber die Nichtfemseher zur Verftigung. Damit konnte eine eklatante Wissensliicke in der kommunikationswissenschaftlichen Zuschauerforschung geschlossen werden.
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Anmerkungen
1
Zu den friihesten Kritikem des Fernsehens geh6rten Theodor W. Adomo und Max Horkheimer, die den Siegeszug des neuen audiovisuellen Massenmediums bereits in den vierziger Jahren prognostizierten und das Fernsehen noch vor seiner 6ffentlichen Einfahnmg als Teil einer seelenlosen und menschenveraehtenden Kulturindustrie brandmarkten: ,,Das Fernsehen zielt auf eine Synthese yon Radio und Film, die man aufl~lt, solange sieh die Interessenten noch nieht ganz geeinigt haben, deren unbegrenzte M6glichkeiten aber die Verarmung der iisthetischen Materialien so radikal zu steigern verspricht, dab die fliichtig getarnte Identit~it aller industriellen Kulturprodukte morgen sehon often triumphieren mag, hohnlachende Erfallung des Wagnerschen Traums vom Gesamtkunstwerk." (Horkheimer & Adomo, 1969: S.132) Wenige Jahre sp~iter ver6ffentlichte Giinther Anders in seinem kulturkritisehen Werk Die Antiquiertheit des Menschen unter dem Titel Die Welt als Phantom und Matrize eine unffassende Streitschrifi gegen den Rundfunk und das Fernsehen (Anders, 1956). In den anschlief~enden Jahren fibemahm zun~ichst die Medienpiidagogik die Hauptrolle im Kampf gegen das Femsehen. Im Rahmen der sogenannten Bewahrp~dagogik wurde in zahllosen Ver6ffentliehungen vor den negativen Auswirkungen des Fernsehkonsums - vor allem fib" Kinder und Jugendliche - gewamt. Obwohl alas Femsehen Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre an Akzeptanz gewann, verstummten die femsehkritischen Stimmen nicht. So pl~idierte beispielsweise Hans Magnus Enzensberger zu Beginn der siebziger Jahre far einen emanzipatorischen Mediengebrauch und verurteilte in seinem Baukasten zu einer 7heorie der Medien (Enzensberger, 1970) das damalige Femsehen als Instrument einer herrsehai~lichen BewaBtseinsindustrie, und Helmut Schmidt forderte einige Jahre sp~iter 6ffentlich die Einfahnmg eines femsehfreien Tages in tier Woche, um zu einem intensiveren gesellschafiliehen Miteinander zurfickzufmden (Schmiclt, 1978). Gr6Beren EinfluB auf die 6ffentliche Diskussion fiber die Gefahren des Femsehens hatten aueh die - eher popularwissenschai~lichen - femsehkritischen Ver6ffentlichungen aus den USA. Die amerikanischen Fernsehgegner sprachen plakativ von der Droge On Wohnzimmer (Winn, 1979), forderten: Schafft das Fernsehen ab (Mander, 1985) und argw6hnten: Wir amasieren uns zu 7ode (Postman, 1985). In Deutschland erlebte die Femsehkritik noch einreal einen H6hepunkt mit der Einfiihnmg des dualen Rundfunksystems und der damit verbundenen Programmausweitung. So bildete beispielsweise der 6ffentliche Widerstand gegen die neuen Verkabelungstechniken das Thema zahlreicher Ver6ffentlichungen (z.B. Eurich, 1980; Mohn, 1983 land Scheil, 1983). Ende der achtziger Jahre sprach Enzensberger noch einmal vom Nullmedium Femsehen, dem er nun jedoeh im Unterschied zu seiner frfiheren konstruktiven Kritik v611ige Inhalts- und Sinnlosigkeit vorwarf (Enzensberger, 1988). Eine weitere interessante femsehkritisehe Arbeit wurde ein Jahr sp~iter yon Peter Moritz ver6ffentlicht (Moritz, 1989). In seinem Versuch einer sozialphilosophischen Kritik- so der Untertitel seines Buches - entwiekelte Moritz die These, dab das Femsehen zu einem Verlust an substantieller Erfahrung fahrt und zur Passivit~it anleitet. Seine Uberlegungen stellte er ansehliel3end den fernsehkritisehen Positionen Adornos, Anders' und Enzensbergers gegenfiber. Die femsehkritischen Positionen der neunziger Jahre sind hinreichend dokumentiert im SpiegelSpecial TV Total. Macht und Magie des Fernsehenx (Spiegel-Special, 1995). Diese Auswahl an fernsehkritisehen Publikationen mag hier zunfichst genfigen, um einen Uberblick fiber die Kritik am Fernsehen in ihrem gesehichtlichen Werdegang zu vermitteln. 2
Diese Angaben basieren auf akmellen Berechnungen yon Harald Berens, Marie-Luise Kiefer und Arne Meder. In Ihrem Aufsatz Spezialisierung der Mediennutzung im dualen Rundfunksystem (Berens, Kiefer & Metier, 1997) nennen die Autoren die Anzahl der Personen fiber 14 Jahre, die in der Bundesrepublik Deutschland zumindest gelegentlich fernsehen. Dies sind in den alten BundesliJ~ndern 98 und in den neuen Bundesliindern 99 Prozent. Konkrete Nichtfernseherzahlen nennt die AUensbacher Markt- und Werbetr~iger-Analyse 1997 (Institut far Demoskopie AUensbach, 1997). Danaeh liegt
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240 die Zahl der rund 63,5 Millionen Bundesbfirger fiber 14 Jahre, die ,,rile femsehen" bei 1,8% bzw.l,14 Millionen. 3 Selbst in der Aufarbeitung dieser Thematik durch Heinrich L6bbers wird keine gebfihrende Differenziertmg des Nichtfemseherbegriffes vorgenommen. So z~ib_len dort Wenigfemseher zu den Nichtfemsehem mad ,,echte" Nichtfernseher werden pauschal als Femsehverweigerer bezeichnet (L6bbers, 1990). Auch Winfried Schulz bezeichnet die Nichtfemseher in seinen Vielfemseherstudien pauschal als Femsehverweigerer (Sehulz, 1986a: S.61). Zudem ordnet er sie ohne weitere Differenzierung den Wenigfernsehem z'u, die zwar seltener, aber dermoch regelrnfiBig femsehen (Schulz, 1986b, 1997). Karsten Renckstorf und Paul Hendriks Vettehen unterscheiden in ihrer Studie fiber niederl~adische Nichtfernseher zumindest zwischen inzidentiellen Nichtsehern, die gelegentlich femsehen, und srrukturellen Nichtsehern, die g~inzlich ohne Femsehen leben (Renckstorf & Vettehen, 1991, 1994). Im fibrigen ist eine korrekte Begriffsverwendung eine Grundvoraussetzung einer jeden ad~quaten Anniiherung an einen konkreten Forschungsgegenstand. Aus diesem Grunde wurde im Rahmen dieser Studie bewufft der Begriff Nichtfernseher zur Kennzeichnung der Untersuchungsteilnehmer gewiihlt. Die h~iufige Bezeichnung ,,Nichtseher" trifft den wahren Sachverhalt nicht und ist letztlich irreftihrend. 4
Wolfgang Darschin und Bemward Frank nennen diesen Wert als Ergebnis der GFK-Forschung des Jahres 1996 (Darschin & Frank, 1997: S.174).
5 Die Ausftihnmgen fiber die Versorgung dcr Bundesbiirger mit Femsehcmpfangsger~iten und Fernschprogrammen stfitzen sich auf die entsprcchenden Erhebungsdaten aus der Langzeitstudie Massenkommunikation von Klaus Berg und Marie-Luise Kiefcr, die seit 1996 in aktualisierterForm vorliegen (Berg & Kiefer, 1996). Eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse dieser Studie findct sich bei Kiefer (I996). 6 Ausgehend vonder amerikanischen Vielfernseherforschung George Gcrbners (Gerbner & Gross, 1976; Gerbner, 1978; Gerbncr et al.,1981. Zusammenfassend auch bei Burdach, 1987) istauch in der deutschen KommunikationswissenschaR das Vielfernseherph~inomen zunehmend zum Untersuchungsgegenstand erhoben worden. In zahlreichen Studien wird das Vielfernseherproblem explizit oder implizit thematisiert.Besonders intensiv haben sich Michael Buff (1985, 1997) und Winfried Schulz (1986a, 1986b, 1987, 1997) mit den deutschen Vielfemsehcrn auseinandergesetzt. Ffir einen etwaigen zttkfinRigenVcrgleich von Vielfernsehcrn und Nichtfernsehem auf der Basis der Ergebnisse dieser Nichtfemscherstudie stehen jedenfalls genfigend Vielfcrnseherdaten zur Verftigung. 7 Die Radiosendung fiber die von Goergen und Hillmer befragten Nichtfemseher wurde am 30. Oktoher 1981 vom SFB und am 12. Januar 1981 auch vom Westdeutschen Rundfunk, Drittes Programm ausgestrahlt. Auszfige aus den Intensivinterviews f'mden sich auch bei Eurich & WiJrzberg (1983" S.107ff.). 8 Der Typ des progressiven Postmaterialisten, der immaterielle Wertvorstellungen, soziale Anerkenhung und gesellschafUiche Anteilnahme besonders hoch schiitzt, wird erstmals yon Ronald Inglehart (1977, 1980, 1989) beschrieben und dem wertkonservativen Materialisten gegenfibergestellt. Nach Inglehart finden sich Postmaterialisten vermehrt in der Nachkriegsgeneration, da diese in relativem Wohlstand aufgewachsen ist und aufgrund dieser Erfahrungen verst~irkt zu den genannten Wertpriiferenzen neigt.
9
Unter dem Begriff des ,,Verhaltens" wird in dieser Nichtfernseherstudie grunds~itzlich ,,in umfassender Weise die Gesamtheit aller mfglichen Aktivit~iten und Unterlassungen von Organismen"
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241 (Hartfiel & Hillmann, 1982: S.783) verstanden, und nicht etwa wie in der verhaltenstheoretischen Soziologie (Homans, 1968, 1972; Opp, 1972, 1973) ein fiberwiegend gelemtes Reaktionsverhalten, das vomehmlich dutch iiuBere Reize und Stimuli ver~dert wird. 10 Die Ansicht, dab Nichtfemseher kommtmikationswissenschaftlich vemachliissigt werden, teilt auch Marilyn Jackson-Beeck, die sich Ende der siebziger Jahre mit dem Nichtfemseherphiinomen in den USA beschfiftigte: ,,Zero-level media use is rarely covered by contemporary research." (JacksonBeeck, 1977: S.65). Marilyn Jackson-Beecks Untersuchung mit dem vielversprechenden Titel The Nonviewers: Who Are They? kann leider nur bedingt zum Kenntnisstand fiber die Nichtfemseher beitragen, da sie in ihrer Studie alle Fernsehkonsumenten, die weniger als dreiBig Minuten tiiglich femsehen, ebenfalls - nach Meinung des Verfassers tmzuliissigerweise - als Nichtfemseher definierte. Aus diesem Grunde werden die Ergebnisse dieser Studie bier nicht weiter berficksichtigt. In vergleichbarer Weise defmieren auch James W. Tankard und Murray C. Harris die Nichtfemseher in ihrer Untersuchung A Discriminant Analysis of Television Viewers and Nonviewers (Tankard & Harris, 1980), so dab auch die Ergebnisse ihrer Studie keinen Eingang in die bier vorgestellte Ubersicht bisheriger Nicht fernseherforschung linden. 11
Leider liegt fiber diese Untersuchung nur ein zusammenfassender Bericht in der 6sterreichischen Zeitschrift Warum! vom September 1979 vor (N.N., 1979). Weder umfangreiehe Recherchen noch ein Telefonat mit der Witwe des mittlerweile verstorbenen Hans Hornegg f'6rderten weitere Ver6ffentlichungen zu dieser Studie zutage. 12
N~aeres zu dieser repr~isentativen Erhebung findet sich bei Arts, Hollander, Renckstorf, & Verschuren (1990). 13
Die fibrigen Untersuchungsteilnehmer teilten sich auf in j e ein Viertel Wenigfernseher, ein Viertel Vielfemseher, eine grol3e Gruppe von fast 50% Durchschnittsfemsehem sowie einigen inzidentiellen Nichtfernsehem, die im Unterschied zu den g~azlich femsehfreien strukturellen Nichtfernsehem gelegentlieh femsehen. 14
Um zu stabileren Aussagen fiber die calvinistischen Nichtfernseher zu gelangen, griffen Renckstorf mad Vettehen bei einigen Fragestellungen zusiitzlich noch auf die Erhebungsdaten einer Studie zur religi6sen Orientienmg in der holl~,adischen GeseUschaft in den achtziger Jahren zuriick, in der 97 Nichtfernseher registriert wurden. Diese Untersuchung mit 3003 Teilnehmem ist dokumentiert bei Felling, Peters & Schreuder (1987). 15
Vgl. Kiefer (1992: S.190). Berens, Kiefer und Meder unterscheiden zwischen informationsorientierten und unterhaltungsorientierten Femsehnutzern und den sogenarmten Mischnutzem, die in etwa zu gleichen Teilen Unterhaltungs- und Informationsangebote des Femsehens rezipieren (Berens, Kiefer & Meder, 1997). 16
Noch immer muB sich die qualitative Sozialforschung gegenfiber einer fibermiichtig erscheinenden quantitativen Sozialforschung behaupten. Dabei ist der Rfickgriff auf qualitative Untersuchungsmethoden in vielen Fallen der angemessenere beziehungsweise der e/nzige Weg, urn zu aussagefiibigen Ergebnissen zu gelangen, und die Stimmen mehren sieh, die fiir einen verst~kten Einsatz qualitativer Forschungsmethoden - auch in der Kommunikationswissenschai~ - pliidieren. Theoretische Konzepte und konkrete Beispiele qualitativer Sozialforschung in der Kornmunikationswissenschail linden sich bei Bachmair, Mohn & Mfiller-Dohm (I 985), bei Baacke & Kfibler (I 989) und bei Holly & Pfischel (1993).
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Zu den unterschiedlichen soziologischen HandlungsthHrien existiert ein reichhaltiger Literaturbestand. An dieser Stelle sei auf die zusammenfassenden Ver6ffentlichungen von Lenk (1977, 1978, 1979, 1980, 1981, 1984) und Miebach (1991) hingewiesen, die einen fundierten l]berblick fiber die verschiedenen handlungstheoretischen Ans/itze gew/iltrleisten. 18 Sr Will Teichert Anfang der siebziger Jahre Femsehrezeption als parasoziale Kommunikation konzipierte (Teichert, 1972, 1973) und Karsten Renckstoff den ,,symbolischen Interaktionismus" als handlungsthHretischen Unterbau seines ,,Nutzenansatzes" festschrieb (Renckstoff, 1973, 1977, 1984), hat es zahlreiche Bemiihungen gegeben, (Massen-) Kommunikationsforschung aus handlungstheoretischer Perspektive zu betreiben. Gemeinsame Pr'~misse dieser Arbeiten war und ist die Uberzeugung, dab der Umgang mit Massenmedien und ihren Inhalten als sinnhaftes und aktives allt~igliches Handeln verstanden wird, das am besten mit Hilfe interpretativer Verfahren analysiert werden kann. Der Akzent bei der Analyse alltiiglichen Medienhandelns liegt in der Regel hauptsiiehlich auf der Efforschung individueller Rezeptionsprozesse und konkreter Rezeptionssituationen, in denen sich der Rezipient mit massenmedialen lnhalten auseinandersetzt: ,,Die Medienrezeption wird in einem umfassenderen und realistischeren Bezugsrahmen gesehen. Sie ist ein Teil des Alltagslebens, welches sich an den Sinngebungen und Zielsetzungen der handelnden Mensehen orientiert. Sie stellt eine von verschiedenen Handlungsalternativen dar, unter denen die Mensehen aufgrund ihrer jeweiligen subjektiven Bef'mdlichkeit und Bediirfnislage auswahlen." (Hunziker, 1988: S.89) Zu den bundesdeutschen Kommunikationsforschern, die regelmaBig auf handlungsthHretischer Basis operieren, geh6ren neben anderen auch Dieter Baaeke, Uwe Sander und Ralf Vollbrecht, die den medienOkologischen Ansatz in der bundesrepublikanischen Kommunikationswissenschaft bekannt machten (Baacke, Sander & Vollbrecht, 1988, 1990a, 1990b, 1990c), Ben Bachmair, der sieh dem Fernsehen ala integralem Tell des Alltags, als ,,symbolischer Objektivation" im Rahmen allt/iglicher Lebensgestaltung widmet (Bachmair, 1990, 1992, 1994, 1996), Jan-Uwe Rogge, der seit Beginn der achtziger Jahre biographische Medienforschung betreibt (Rogge, 1982, 1985, 1988) sowie Michael Charlton und Klaus Neumann, die bereits seit Jahren auf der Grundlage des von ihnen entwickelten strukturanalytischen Ansatzes sowohl strukturelle als auch prozessuale Aspekte der Medienrezeption untersuchen (Charlton & Neumann, 1986, 1988, 1990, 1992). Von Neumarm und Charlton wurde Ende der achtziger Jahre auch eine ausgezeichnete Ubersicht iiber die handlungstheoretiseh orientierte Rezeptionsforschung in ihrer angelsiichsischen Verwurzelung erarbeitet (Neumann & Charlton, 1988). Die historischen Grundlagen und wesentlichen Prinzipien tier gegenwiirtigen handlungsthHretisch orientierten Kommunikationsforschung wurden ldirzlich noch einmal von Gerard T. Schoening und James A. Anderson (1995) in einem hervorragenden Aufsatz zusammengef~t. 19
Diese spezielle Spielart der soziologischen HandlungsthHrie, die sich neben dem von George Herbert Mead (Mead, 1934) begriindeten und von Herbert Blumer (Blumer, 1969, 1973) - vor allem methodologisch - weiterentwiekelten ,,symbolischen Interaktionismus" als zweiter handlungsthHretischer Hauptstrang (Grathoff, 1978a: S.67 und 1989: S.92) etablierte, wurde in den dreiBiger Jahren yon Alfred Schiitz (Schlitz, 1960) begriindet. Ausgehend von der ,,verstehenden Soziologie" Max W e b , s (Weber, 1972) und den philosophischen Schriften Edmund Husserls (Husserl, 1913, 1931) entwickelte Schiitz ein ModeU der ,,alltiiglichen Lebenswelt" als ,,sinnhaft-soziale Konstruktion, als konstitutive Leistung der im allfiiglichen Leben intersubjektiv handelnden Menschen" (Hartfiel & Hillmann, 1982: S.582f.), das nach Schiitz' Ted im Jahre 1959 von Peter Berger und vor allem von Thomas Luckmann 03erger & Luckmann, 1969; Schiitz & Luckmann, 1979, 1984; Luckmann, 1980, 1992) zu einer umfassend~en Wissenssoziologie und HandlungsthHrie weiter ausgebaut wurde. Auch die in der vorangegangenen Anmerkung genannten Kommunikationsforscher greifen bei ihrer Forschungsarbeit mehrheitlich auf zentrale Konzepte dieser HandlungsthHrie zurfick.
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Im Zusammenhang mit der zmaehmenden Ausdifferenzierung der Lebensstile mad vor dern Hintergrund einer anhaltenden Wertwandeldiskussion in den Sozialwissenschaften w~iehst die Bedeutung der soziologisehen Lebensstilforsehung, die vor allem durch ihren einflul3reichsten Protagonisten Pierre Bourdieu (Bourdieu, 1974, 1979, 1982, 1985) bekarmt wurde, kontinuierlieh. Zahlreiehe Forsehungsansiitze, die im weiteren Verlauf dieser Arbeit noeh erwahnt werden, wurden bisher im Rahmen der Lebensstilforsehung entwickelt, mad die Zahl der neuen Ans~itze w~ichst best~udig. 21
Die Medienforsehung reagiert bereits seit einigen Jahren auf die gesellschaftliehen Pluralisierunstendenzen, die sieh aueh in einer Ausdifferenziertmg der Mediennutzungsstile manifestieren: ,,Kommunikative Orientierungen, Wertorientierungen, soziale Milieus, in denen man lebt, Lebensstilelemente werden offenbar aueh zur Unterseheidung von Medienpublika wichtiger mad aussagefiihiger, da sich die 'Sp~re sozialstruktureller Unbestimmtheit' kontinuierlieh ausdehnt, Soziologen eine 'Destandardisierung' von Biographien mad Lebensverl~iufen, ein 'Zusammenwachsen der Bildmagssehichten' und generell die Pluralisierung von Lebensstilen registrieren, deren Entstehung weniger durch 6konomische und soziostmklurelle Faktoren als durch 'Mentalit~iten, Einstellungen, Pr~iferenzen und iihnliehes gesteuert' wird." (Kiefer, 1992: S.190) So f'mdet das soziologische Lebensstilkonzept - oft in Verbindung mit lebenswelttheoretischen Uberlegungen - zunehmend auch in der Kommtmikationswissenschaft Anwendung, so zum Beispiel bei J~ickel (1996), Krotz (1991), Mikos (1992) und Ruhrmann (1996), um nur einige Vertreter der neueren lebensstilorientierten Kommtmikationsforschung zu nennen. Damit wird dem Ergebnis der kontinuierlichen Medienforschung, dab die Pluralisierung der Lebensstile auch Auswirkungen auf den Medienkonsum der Rezipienten hat, in wachsendem Mal3e Rechnung getragen. 22
Im November 1987 wurde der Fachgruppe Kommmaikationswissenschaft an der Katholischen Universit~it Nijmegen, wo auch Karsten Renckstorf seiner wissenschaRlichen Tiitigkeit nachgeht, vom niedefliindisehen Voorlichtingsraad (einer staatlichen Institution zur Initiierung mad Steuermag yon 6ffentlichen Aufld&amgs- mad Informationskampagnen) mad der Werkgroep Publieksvoorlichting en Onderzoek (Werkgroep PVO) der Auflrag erteilt, ein multidisziplin~ires theoretisehes Referenzmodell zur empirischen Untersuehung des 6ffentlichen Informationsbedarfs zu entwiekeln, um die Nachfrage nach staatlichen Aufld~amgsangeboten in der niederlLudisehen Bev61kerung zu ermitteln. Einzelheiten zu diesem Referenzmodell linden sich bei Bosman, Hollander, Nelissen, Renckstorf, Wester & van Woerkum (1989). Auf der Basis dieses speziell auf die niederl~udisehe Voorliehtingsproblematik abgestimmten Modells entwickelte Renekstorf dann sein generelles handlungstheoretisch fundiertes Referenzrnodell fiir kommunikationswissenschaftliche Forschmag, das seither kontinuierlich weiterentwiekelt und empiriseh fiberpriifl wird (Renckstorf, 1989, 1994, 1995, 1996; Renckstorf & Nelissen, 1989; Renckstorf & Wester, 1989, 1992; Bosman et al., 1989; Frissen, 1992; Huysmans, 1993). Auf eine detaillierte Erl~iuterung des Referenzmodells zur Ermittlung von Folgen mad Konsequenzen massenmedialer Kommunikationsprozesse wird an dieser Stelle verziehtet. Entsprechende Ausfiihrtmgen zu Renckstorfs handlungstheoretisehem Ansatz linden sieh in der angegebenen Literatur. Aul3erdem kommen die wiehtigsten Elernente des Renekstorfsehen Modells noch in der folgenden Darstellung fiber die Grundprinzipien der ph~nomenologischen Handlungstheorie zur Sprache. 23
Grmadlage dieser Ausfiihnmgen sind neben den bereits erw~anten Werken von Schfitz (1960), Berger mad Luekmann (1969), Sehiitz mad Luckmarm (1979, 1984) mad Luekmann (1980, 1992) noch die folgenden Ver6ffentliehungen: Sehfitz (1971a, 1971b, 1972), Grathoff & Sprondel (1979), Esser (1991) und Welz (1996). 24 Das von William I. Thomas erstmals vorgestellte Konzept der Definition der Situation ist ein zentraler Bestandteil interpretativer Handlmagstheorien. Mit diesem Konzept tfiigt Thomas der Notwendigkeit einer jedem Handeln vorangehenden Situationsbestimmung Rechnung:
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244 ,,Die Situationsdefinition ist eine notwendige Voraussetzung fiir jeden Willensakt, denn unter gegebenen Bedingungen und mit einer gegebenen Kombination von Einstellungen wird eine unbegrenzte Vielzahl von Handlungen m6glich, und eine bestimmte Handlung kann nur dann auRreten, wenn diese Bedingungen in einer bestimmten Weise ausgew~Jalt, interpretiert und kombiniert werden und wenn eine gewisse Systematisienmg dieser Einstellungen erreicht wird, so dab eine yon ihnen zur vorherrschenden wird und die anderen iiberragt." (Thomas, 1965: S.85) 25
,,Handeln kann als Durchftihrtmg oder als Unterlassung auRreten, wobei eine bewugte Enthaltung vom Handeln selbstals Handeln betrachtetwird." (Schfitz,1971b: S.22) Diese definitorischeFacette mcnschlichcn Handclns ist nicht unwichtig ftirdie Analyse von Nichtfemschern, da die bier befragten Untersuchungsteilnehmcr sich durch cine bestimmte Form der Unterlassung (Nichtfemsehcn) auszeichncn, die dutch alternativeHandlungsmuster substituiertwird. 26
Einen ~ihnlichen Problembegriff vertritt auch Rosengren. In vielen Hillen sei der Begriff ,,requiremerit" (Bedfirfnis; Wunsch; Forderung) angemessener als der Begriff ,,Problem", so Rosengren in seinem viel beachteten modellhaRen UmriB des Uses-and-Gratifications Approach (Rosengren, 1974: S.275). 27
Freilich ist auch die ph~omenologische Handlungstheorie Alfred Schlitz'nicht ohne M~ingel und Unzul~inglichkeitcn, zumal sic von ihrem Begriinder - bedingt dutch seinen jiihcn Tod - nicht mehr vollst~indigausgearbeitetwerden konnte. So liegtnach Meinung des Verfassers ein Schwachpunkt in dcr auffallenden Ausrichtung der urspriinglichenpb.~omenologischen Handlungsthcorie am Rationalit~itsprinzip.Neucre Interpretationcnder ph~omenologischcn Handlungsthcorie, wie zum Beispiel durch Thomas Luckmann (1992), vcrsuchen jedoch, diese einseitigeAusrichtung zu fibctwinden, und auch im Rahrnen dieser Arbeit wurde die phfinomenologische Handlungstheorie ebenso wie bei Luckmann als univcrscllereTheorie mcnschlichen Handelns gehandhabt. 28
Ein vertiefender Uberblick fiber die folgenden Ans~itze fmdet sich bei Mfiller (1989: S.58ff.).
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Gleichwohl lassen sich mit diesem Modell auch andcrs gelagerte FragesteUungen theoretischfundieren. In seiner Universalit~it bleibt es nicht auf die Analyse der Nichtfemseher b e s c ~ , sondem eignet sich gcnerell flit qualitative Forschungsprojekte in tier Sozial- und Kommunikationswissenschaft, bei dcncn lebcnsweltliche und lebensstilistische Aspekte im Zentrum des Interesses stehen. 30
Dabei wurde insbesondere auf die Standardwerke zur qualitativen Sozialforschung von Lamnek (Lamnek, 1988, 1989) und Mayring (Mayring, 1990) zuriickgegdffen. Auch die Uberlegungen von Christel Hopf (Hopf, 1979, 1982) und Gerhard Kleining (I(deining, 1982) flosscn in die diesbeziiglichen Ausftihrungen mit ein. Besondere Aufrnerksamkeit bei der Planung und DurchRihnmg der Nichtfernseherstudie erfuhren auch die Ausftihnmgen Mafia Hirzingers zur biographischen Medienforschung (Hirzinger, 199 I). 31
In Abgrenzung vom ,,normativen" beziehungsweise ,,dispositionalen Paradigma" hat Thomas P. Wilson diesen Begriff als Etikett ~ir eine bestimmte Tradition soziologischer Theorien gcpriigt, in der davon ausgegangen wird, dab alle Interaktion als interpretativer Prozefl zu begreifen ist, in dem die Aktcure ihr Handeln an den (antizipierten) Handlungcn ihrer Mitmenschcn ausrichten (Wilson, 1973). 32
Hopf bezeichnet ,,kollektive Ph~inomene" als genuines Ziel des Anh~ingers qualitativer Sozialforschungsveffahren (Hopf 1982:S.312ff).
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Die Zahl der Interviewteilnehmer wurde auf dreiBig begrenzt, um den Rahmen dieser Studie nicht zu sprengen. Eine ausreichende Datertfiille ist bei dieser Teilnehmerzahl jedoch durchaus noch gew~arleistet. 34
Die beiden im Pretest befragten Nichtfemseher wurden ausdriicklich nicht aus dem Untersuchungssample rekrutiert, urn die Zahl der Untersuchungsteilnehmer nicht zu verringern. Das Untersuchungskonzept erwies sieh in diesem Pretest im groBen und ganzen als stimmig und praktikabel, so dab nur kleinere Ergiinzungen und Veriinderungen am Leitfaden vorgenommen werden muBten. 35
Dieser Auswertungsbogen sollte zur Okonomisierung der Auswertung beitragen und gleichzeitig eine bessere Vergleichbarkeit der erhobenen Befunde gew/ihrleisten. 36 Da im Rahmen dieser Studie nicht die Aufdeckung psychologisch relevanter Tiefenstrukturen in den Originalaussagen der Untersuchungsteilnehmer angestrebt wurde, sondem vielmehr die Erfassung des konkreten Aussagensinns auf inhaltlich-thematischer Ebene im Vordergrund stand, konnte auf eine exakte, wortw6rtliche Transkription der Interviewaussagen verzichtet werden (Vgl. Mayring, 1990: S.65). Statt dessen wurden die Originalaussagen der Befragten zugunsten einer besseren Lesbarkeit weitgehend in normales Schriftdeutsch fibertragen, wobei jedoch der Charakter der Alltagssprache der Interviewteilnehrner beibehalten wurde. Kleinere grammatikalische Unsauberkeiten im Ausdruck der Untersuchungsteilnehmer wurden dabei bewuflt in Kauf genommen und nicht korrigiert. 37
Mit den Worten Lamneks soil hier die methodologische StoBrichtung der qualitativen Sozialforschung noch einmal auf den Punkt gebracht werden: ,,In der qualitativen Forschung ist das Ziel in den Gemeinsarnkeiten (Typenbildung) zu suehen, wobei sich die Gemeinsamkeiten auf der Basis von Unterschieden ergeben." (Lamnek, 1988: S.225) 38
Quantifizierende Abgrenzungsbegriffe (z.B. die Mehrzahl, viele, die meisten, einige, lediglich zwei etc.) in den Ergebnisdarstellungen sind ftir die Dokumentation von Gemeinsarnkeiten beziehungsweise Unterschieden zwischen den Befragten unerl~iBlich. Befunde, die nut Einzeltypen oder nur einzelnen oder einigen wenigen Befragten zugeordnet werden k6nnen, besitzen selbstverstiindlich den gleichen wissenschafilichen Erkenntniswert wie typische Merkmale, die auf alle oder die Mehrzahl der Befragten zutreffen. 39 Dieser Befund entspricht den Erkenntnissen Horst Opaschowskis (1992, 1994, 1995), der im Rahmen seiner Freizeitstudien bereits seit Jahren beobachtet, dab der Femsehkonsum zunehmend als Sekund~alCivitiit abliiufi. W~hrend die Zuschauer ihre Aufmerksamkeit friiher voll und ganz auf die Rezeption des Femsehprogramms richteten, konzentriere sich heute nur noch ein Drittel der Femsehzuschauer auf das eingeschaltete Programm. 40
Zumindest die bier befragten Nichtfemseher betrachten die Programme des Privatfernsehens als niveaulos und beliebig austauschbar. Sie stimmen in dieser Hinsicht mit Gerhard Naeher (1993) iiberein, der die Privatsender als aussehlieBlich profitorientierte Anbieter von primitiven ,,Groschenprogrammen" eharakterisiert: ,,Das Privatfernsehen ist zum Milliardengeschiifi mit Einheitsware ohne publizistischen Anspruch verkommen, wobei der Kampf tim Einsehaltquoten zu immer flaeheren, schrilleren und diimmeren Sendungen fiihrt." (Naeher, 1993: S.9)
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Die zuletzt von Petra und Birgit angefiihrten Motive und Argumente sind offensichtlich einem bewuBten ReflexionsprozeB erwachsen. Somit tendieren Petra und Birgit zumindest auf der Motivebene
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246 zum zweiten iibergeordneten Nichtfemsehertypus, dem bewuBt-reflektierten Nichtfemseher. Ein augenscheinliches Indiz ftir die mannigfaltigen Verwobenheiten trod 13"berschneidungen zwischen den einzelnen fibergeordneten Nichtfernsehertypen. 42 Laut Klaus Berg und Marie-Luise Kiefcr lag die durchschnittliche Fernsehdauer der bundesdeutschen Biirger 1995 bei fund zweieinhalb Sttmden t~iglich(Berg & Kiefcr, 1996: S.49). Wolfgang Darschin und Bemward Frank crrechneten anhand der GFK-Ergebnisse des Jahrcs 1996 sogar eine durchschnittliche t~igliche Sehdauer von mehr als drei Stunden (183 Min.) (Darschin & Frank, 1997: S.175). 43
Die Quasi-Kommunikation zwischen Rezipient und elektronischen Massenmedien wurde erstmals MiRe dcr Rinfziger Jahre von Donald Horton und Richard R. Wohl als ,,parasozialeInteraktion" beschrieben (Horton & Wold, 1956).
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Die Vorstellungen dieser beiden Nichtfemseher k6nnten durchaus in nailer Zukunft Wirldichkeit werden, denn mit dem Einzug des digitalen Fernsehem wird eine Vielzahl an Spartenprogrammen zur individuellen Femsehnutzung zur Verftigung stehen. Knut Hickethier prognostiziert gar einen ,,qualitativen Sprung" auf der Ebene des Femsehprogrammangebotes, wenn die technischen Rahmenbedingungen fib" ein fl~ichendeckendes digitales Fernsehprogramm zur Verfdgung stehen (Hickethier, 1995:
s.53). 45
Richtete sich die formale Gestaltung der Ergebnisdarstellung bisher genau nach dem Schema, nach dem auch der Katalog der forschungsleitenden Fragestellungen stmkturiert wurde, so weicht die Darstellung der Befunde zum allgemeinen Medienhandeln und zur Medienausstattung der Nichtfernseher von diesem Schema ab. Aus pr/isentationstechnischen Griinden wurden die einzelnen Forschungsfragen gr6Btenteils zusammenh/ingend beantwortet und die Strukturierung des Ergebnismatedals anhand der verschiedenen Massenmedien vorgenommen. 46
Nicht zuletzt wegen seiner herausragenden Bedeutung ftir die Befragten wurde das Buch in der Reihenfolge der Ergebnisdarstellung zum Mediennutzungshandeln der Nichtfemseher an die erste Stelle gesetzt. Der Umgang mit Biichem ragt im Vergleich mit anderen Massenmedien am weitesten in die Vergangenheit der Befragten zuriick. Fiir die iiberwiegende Zahl der Nichtfernseher bestand der erste Medienkontakt in ihrer Biographie im Umgang mit Biichem. II"n"zukiinftiger Mediennutzungsstil wurde maBgeblich yon diesen Erfahnmgen beeinfluBt. AuBerdem hat das Lesen yon Biichem als kulturell pdigende Betiitigung einen weitaus gr6Beren ,,Tiefgang" als die Rezeption aktueller Periodika. 47 Als aktuelle Printmedien gelten im Rahmen dieser Untersuchung alle Periodika, die wenigstens einmal w6chentlich erscheinen und bei denen die aktuelle politische Berichterstattung im Vordergrund steht. Das sind: Alle lokalen und iiberregionalen Tageszeitungen sowie alle fiberregionalen Wochenzeitungen und politischen Wochenzeitschriften (z.B. Die Zeir, Der Spiegel etc.). Diese Vorgehensweise wurde gewiihlt, weil die bier untersuchten Nichtfemseher in erster Linie auf diese Printmedien zurfickgreifen, um sich fiber die aktuellen (politischen) Ereignisse zu informieren. Bei der Darstellung der Ergebnisse zur Zeitschriftennutzung der Nichtfernseher werden die politischen Magazine damn nicht mehr berficksichtigt. 48
Bei Noelle-Neumann, Schulz & WiLke (1996) werden FachzeitschriRen und PubliktunszeitschriRen pf~izise definiert. Allen Fachzeitschriften ist nach Noelle-Neumann et al. gemeinsam, ,,dab ihr Inhalt spezialisiert ist und clas sie sich in der Regel an einen kleinen, meist begrenzten Leserkreis wenden, folglich auch nur eine geringe Auflage erreichen, sieht man von den Bl~ittem der Organisationen mit
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247 sehr groflen Mitgliederzahlen (wie Kirchen, Gewerkschaflen, Automobilclubs) einmal ab." (NoelleNcumann et al., 1996: S.401). Unter dieser Definition wird auch in der bier vorliegenden Arbeit der Bereich der Fachzeitschrit~en zusammengefaBt. In gleieher Weise wird hier mit den Publikumszeitschrit~en verfahren, die laut Noelle-Neumann et al. ,,sieh weniger der Bildung und Unterriehtung, dafftr mehr der Besehiifligung ohne Anstrengung, der Unterhaltung oder Beratung widmerL" (Noelle-Neumann et al., 1996: S.403). Obwohl im Stern, ebenso wie im Spiegel und im Focus, auch fiber aktuelle politische Ereignisse berichtet wird, wird er im Rahmen dieser Arbeit nieht den aktuellen Printmedien zugeordnet, da er in seiner Themenbreite und Darstellungsform eher den Illustrierten und damit den vorwiegend unterhaltenden Publikumszeitschrit~en zuzureehnen ist. Aueh bei Noelle-Neumann et al. wird zwischen Spiegel und Focus als politisehen Informationsmagazinen und dem Stern als unterhaltungsbetontem Woehenblatt unterschieden (Noelle-Neumann et al., 1996:S.405 und S.408), so dab die hier vorgenommene Trennung legitim erscheint. 49
An erster Stelle ist bier Heinz Buddemeier zu nennen, der sich als Professor •r Medienwissenschaft am Studiengang Kunstp~idagogik/Visuelle Kommunikation der Universit~it Bremen bereits seit den siebziger Jahren auf der Grtmdlage der Anthroposophie Rudolf Steiners kritisch mit den Massenmedien auseinandersetzt. Auch Rainer Patzlaff besch~ifligt sich regelm~il3ig aus wissenschaftlichanthroposophiseher Perspektive mit Medienfragen. 50
Hier werden die zu Beginn dieser Arbeit vorgestellten Erkenntnisse Ronges fiber die von ihm untersuchten politisch-ideologisch motivierten Nichtfemseher in besonderern MaBe best~itigt (Siehe Ronge, 1987: S.473). Gleichzeitig wird bier deutlich, dab Ronge lediglieh einen bestimmten Nichtfernsehertypus - den bewuBt-reflektierten Fernsehverweigerer - im Visier hatte. 51
Winfried Schulz def'miert Extremfemseher als Femsehkonsumenten, die t~iglich sechs Stunden und mehr vor dem Bildschirm verbringen (Schulz, 1986a: S.61. Vgl. auch Schulz, 1997: S.93). Schulz geht davon aus, dab 7% der bundesdeutschen Femsehzuschauer zu den Extremfernsehem z~ihlen. 52
Durch die Ausweitung des Femsehprogrammangebotes hat das Ph~inomen des ,,Zapping" (schnelles Durchschalten der Kan~le beziehungsweise Senderwechsel bei Niehtgefallen des Programms, Werbeunterbreehungen etc.) deutlich zugenommen und ist mittlerweile auch zum Gegenstand kommunikationswissenschaftlicher Forschung geworden (zum Beispiel bei J~ickel, 1993 und Wiedemann, 1995). 53
Am Beispiel der suchtgef'ahrdeten Nichtfemseher wird der Umgang mit dem Femsehen als probleml6sendem Handeln in konkreten Belastungssituationen gleich in zweifacher Hinsicht besonders deutlieh. Zum einen wurde das Femsehen von ihnen in Krisenzeiten exzessiv genutzt, urn die jeweiligen Belastungsfaktoren zu verdrLqgen, zum anderen verzichten die Betroffenen heute auf jegliehen Fernsehkonsutn, weil ihr exzessives Femsehnutzungsverhalten selbst zu einer unertr~iglichen Belastungssituation gefiihrt hat. 54
Weft fast alle hier befragten suchtgef'~.lardeten Nichtfemseher psychotherapeutische Erfahnmgen aufweisen, f'mden sie an dieser Stelle zus~itzlieh besondere Erw~mung. Die psyehotherapeutischen Berniihungen der Betroffenen verweisen noch einmal deutlich auf ihre Reflexionsfiihigkeit trod auf ihren Willen, unerwfinschte Lebenssituationen auch mit Hilfe aufwendiger und unbequemer MaBnahmen abzuandern.
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DaB die Nichtfemseher das Lesen im Gegensatz zum Femsehen als aktiven, autonomen Handlungsakt begreifen, wurde bereits in den Ausffihnmgen mehrerer Niehtfemseher deutlich. An dieser Stelle sei noch einmal an die entsprechenden ~,ul3erungen Uwes auf S.55f. mad Heinriehs auf S.214f. erinnert. 56
Bei dieser Sendung handelt es sich um das ,,Echo des Tages".
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W~ib_rend des Interviews verwies der Teilnehmer beispielsweise auf einen Artikel aus der FAZ vom 12. Juni 1996 mit dem Titel Vaterlandslose Gesellschaft. Die zunehmende Bindungsschwache der Gesellschaft der Vereinigten Staaten, in dem der Autor Herbert Dittgen das Femsehen fi2r die um sich greifende soziale Teilnahrnslosigkeit der Biirger in den USA verantwortlieh macht (Dittgen, 1996).
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Lediglich die demographischen Daten wurden bei allen seehsundsiebzig Untersuehungsteilnehmem mittels eines standardisierten Fragebogens erhoben. Die jeweils angegebenen Vergleiehsdaten der dreiBig persfnlich befragten Niehtfernseher zum Nichtfernsehen mad zur Mediennutzmag mad Medienausstattung wurden hingegen aus den qualitativen Antworten dieser Befragtengruppe erreehnet. Aus diesem Grunde wurden aussehliefllich die demographischen, die gesarnte Teilnehmcrzahl betreffenden Erhebungsergebnisse aueh in Tabellen dargestellt, da nur auf dieser Ebene der erg~aazenden Fragebogenerhebung eine uneingeschriinkte Vergleiehbarkeit der Daten gegeben ist. 59
Die wichtigsten dernographischen Daten der dreiBig pers6nlich befragten Untersuchungsteilnehmer kamen bereits in der vorangegangenen, ausftihrliehen Ergebnisdarstellung zur Sprache, so dab eine nochmalige Trermung der Ergebnisse hier unterbleiben kann. 60
Die fehlenden 3,3% ergeben sich aus dan politischen Desinteresse eines ausl~indischen Untersuchungsteilnehmers ohne Wahlberechtigung in der Bundesrepublik Deutschland.
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Literaturverzeichnis
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