R U D O L F O.IRMER
DER C H R O N I S T E U R O P A S
VERLAG
SEBASTIAN
URNAU • MÜNCHEN
•
LUX
INNSBRUCK
. BASEL
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R U D O L F O.IRMER
DER C H R O N I S T E U R O P A S
VERLAG
SEBASTIAN
URNAU • MÜNCHEN
•
LUX
INNSBRUCK
. BASEL
Für zahlreiche Slädte — von den Niederlanden bis in die Schweiz, von Schlesien bis zum Rhein — ist ein „Merian", ein Kupferstich oder eine Radierung von Meister Matthaus Merian dem Älteren und seinen Mitarbeitern, die einzige bildhafte Erinnerung an die eigene Vergangenheit vor mehr als dreihundert Jahren. In der verhängnisvollen .Zeit des Dreißigjährigen Krieges, während rings um ihn Städte und Dörfer und unzählige Kulturdenkmäler in Schutt und Asche sanken, rettete dieser Heimat- und Menschenfreund in Tausenden von Ansichten das Gesamtbild der mitteleuropäischen Lande, so wie es sich vor der Zerbombung, Rrandscliatzung und Verwahrlosung dargeboten hatte. Meister Merian war ein Sohn der Stadt Basel.
Kleinbasel, im Jahre 1623 . . . W e n n man über die halb steinerne, halb hölzerne Rheinbrücke von Großbasel in das mauerumvvehrte Kleinbasel hinüberwanderte, fand man das Merianische Haus hinter dem Rheintor an der unteren Rheingasse. Seit der Sägemüller und Ratsherr Walter Merian gestorben war, hatte das Anwesen sich sehr verändert. Kaum etwas erinnerte noch an die einstige gewerbliche Bestimmung. Die Holzlegen, wo die geschälten und längsgeschnittenen Stämme zum Austrocknen gelagert hatten, waren leer, die Werkstatt lag verwaist. Denn der begabte Sohn Matthäus Merian hatte noch zu Lebzeiten und mit wohlwollender Zustimmung des Vaters ein anderes Handwerk erlernt, zu dem ihn Fertigkeit und innere Neigung mit Ungestüm hindrängten. Als Sechzehnjähriger hatte Matthäus zum erstenmal für längere Zeit das Elternhaus und Basel verlassen, um in Zürich bei dem Kupferstecher und Glasmaler Dietrich Meyer als Stecher2
lehrling in Vertrag zu treten. Auf Zürich waren nach dem Zunftbrauch der Zeit ertragreiche Wanderjahre gefolgt. In Straßburg war er dem Kupferstecher Brentel bei der Ausmalung einer Bilderfolge zu Ehren des verstorbenen Herzogs Heinrich von Lothringen zur Hand gegangen. Auch in Nancy und Paris hatte er sich in den Werkstätten seines Berufes umgesehen und sich überall unterwegs seiner angeborenen Liebe zur Welt und Umwelt und seiner schier unbezwinglichen Schaulust hingegeben. Neuigkeitshungrig wie alle kunstbeflissenen Zeitgenossen, hatte es ihn auch nach dem Süden getrieben. Als er aber dorthin unterwegs gewesen war, hatte er umkehren müssen, da Italien sich gegen den Zuzug von jedermann sperrte; denn es hieß, in Oberdeutschland gehe die Pest um, und es half kein Bitten und Beschwören: jeder, der von der deutsehen Seite kam, galt als verdächtig. So hatte er sich nach Norden gewandt.
* Matthäus Merian konnte auf bewegte, arbeitsvolle und ergiebige Jahre in Augsburg, Stuttgart, Antwerpen, Lüttich, Köln, abermals in Paris und zuletzt in Oppenheim zurückblicken. In Oppenheim hatte er sich die schöne Maria Magdalena de Bry angetraut, Tochter des dortigen Buchdruckers und Kupferstichhändlers de Bry, dessen geschätzter Mitarbeiter er zuletzt gewesen war. Mit ihr war er im Frühjahr 1620 nach Basel heimgekehrt, um in der Sägemühle des inzwischen verstorbenen Vaters die Meisterwerkstatt einzurichten.
Ein Brief aus Frankfurt An einem Herbsttag des Jahres 1623 — schaffensfrohe und menschlich glückliche Jahre in der Heimat lagen hinter ihm — sah sich Meister Matthäus Merian vor eine neue große Entscheidung gestellt. Er legte den Stichel beiseite. Zurückgelehnt saß er vor dem breiten Zeichentisch der Kupferstecherstube des Vaterhauses und dachte nach. Nichts verriet in dem schmalen Gesicht des eben Dreißigjährigen, daß das zerknitterte Schreiben, das von Frankfurt gekommen war, Schwerwiegendes enthielt. Mat-
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thäus Merian wußte sein feines Künstlergesicht mit den dunklen Augen, die gütig in die Welt blickten, zuchtvoll zu beherrschen. Bedächtig strich er das widerspenstige Haar über die hohe Stirn zurück. Er brauchte Zeit, um mit sich ins reine zu kommen. Er schaute in seiner Stube rundum. Sie erwies sich als geräumig und sauber geordnet. Unter dem linken Fenster stand die Handpresse, auf der er seine Bildblätter zur Probe vordruckte, daneben der Ablagelisch mit blanken Kupferplatten, großen Zeichenpapierbogen, fertigen Plänen und sorgfältig durchgearbeiteten Ansichten von Städten, Parklandschaften und Alpenmotiven, darunter malerische Stiche aus der Umgebung Basels und den Altkantonen der Eidgenossenschaft. Erinnerungsreiche Stücke aus der nahen und weiten Welt hatten sich in seiner Stube versammelt. Die Erfahrungen der Reise- und Studienjahre hatten in den Blättern ihren Niederschlag gefunden. Wie er es bei den flämischen und wallonischen Zeichnern gelernt hatte, daß in Landschaftsbildern Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund kunstvoll und doch für den Beschauer unmerklich gegeneinander abgestuft sein müßten, das hatte er sorgsam beachtet und auch, daß hineinkomponierte Baumgruppen, ein Waldstück oder hervorgehobene Bauten den Bildern Relief und bühnenmäßige Tiefe verliehen. Ein zweiter großer Tisch neben dem Arbeitsplatz zeigte die vielen Werkzeuge vor, die der junge Meister der Kupfersteeherkunst und der Kupferradierung brauchte: Grabstichel, Punzen und Hämmer für die Punzen, Graviernadeln und Schabeisen, allerlei Säuren und Wässerchen in Flaschen, Wachs und Harz und was dergleichen erforderlich war, um die zeichnerischem Vorlagen vom Papier auf die Kupferplatte zu bringen. Matthäus Merian erhob den Blick und sah durch das Fenster vor sich, auf dessen hölzernem Brett die roten Geranien verschwenderisch blühten. Schräg gegenüber, hoch über dem Rhein gelegen, ragte das zweitürmige gotische Münster über die Uferfront Großbasels. Im Rathaus drüben, das sich durch seinen Dachreiter zu erkennen gab, war einst sein Vater ein- und ausgegangen, ein achtbarer, wohlsituierter Mann. Wie schade, daß Vater Merian des Matthäus Eheliebste nicht
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Teilansicht des fürstlichen Gartens in Stuttgart (früher Merian-Stieh)
mehr kennengelernt hatte, und nicht die Kinder: Susanna Barhara, die jetzt Vierjährige, nicht den Stammhalter der Familie, den kleinen eben zwei Jahre alt gewordenen Matthäus den „Jüngeren", und die zweite Tochter, Margarete, die noch in der Wiege lag. Matthäus beugte sich wieder über den schicksalsschweren Brief. Er enthielt als erstes die Mitteilung, daß Maria Magdalenas Vater, der Kupferstecher und Buchhändler Johann Theodor de Bry in Frankfurt selig im Herrn entschlafen sei; Wilhelm Fetzer, der vor Jahren Maria Magdalenas Oppenheimer Schwester geehelicht hatte, teilte es mit. Der Anzeige des Todes aber war noch ein Weiteres angefügt. Schwager Wilhelm Fetzer bat in eindringlichen Worten seinen Anverwandten Matthäus aus Basel, er möge bald schon mit seiner Familie nach Frankfurt übersiedeln. Die Witwe de Brys komme mit dem Geschäft nicht zurecht, manche Verlagswerke seien ausverkauft und müßten neu aufgelegt werden. Auch fehle es in Frankfurt an guten Kupferstechern. Frankfurt! Auch diese Stadt kannte Matthäus Merian aus seinen Wander Jahren: die Freie Reichsstadt, Wahlort der deutschen Könige und Krönungsstadt der deutschen Kaiser, seit dem 14. Jahrhundert mit königlichen Privilegien für die Warenmessen ausgestattet, jenen Großhandelstagen von europäischer Bedeutung, die noch immer die Messen von Leipzig, Frankfurt a. d. Oder und Braunschweig weit überflügelten. Was Merian am meisten berührte, war die Tatsache, daß Frankfurt auch Ort der wichtigsten Buchhandelsmcsse war, wo sich alljährlich mehrmals die Verleger, Buchhändler, Bücherreisenden, Papicrhändler und Buchbinder trafen und Bargeschäfte und Austausch betrieben. Auch Vertreter von Universitäten, Privatgelehrte, Schriftsteller und Dichter stellten sich auf den Messeplätzen ein. Ja, Frankfurt konnte schon locken! Zwar waren die Zeitläufte nicht dazu angetan, allzuvieles zu wagen. Der Bürgerkrieg — den man später den Dreißigjährigen Krieg nennen wird — tobte, den Schauplatz von Böhmen in den Westen verlagernd, durch die Lande am Rhein; vergangenes J a h r waren die verwilderten Söldnerhaufen bis in die Nähe Frankfurts gekommen; westlich
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der Stadt, bei Höchst, hatte eine große Schlacht stattgefunden. Aber Merian wußte, daß die Reichsstadt Vorsorge gegen Überfälle traf und den Bau fester Bastionen plante, die einige Sicherheit versprachen. Merian hörte die Gattin in der Nebenstube hantieren und rief sie zu sich herüber. „Lies das hier, Maria!" sagte er, als sie sich zu ihm setzte. „Ein Brief von Schwager Fetzer! Es ist eine traurige Nachricht. Dein Vater . . . " Auch ohne daß er es aussprach, wußte sie, daß, was sie lange befürchtet hatte, eingetreten war: Vater de Bry war gestorben. „ W i r haben es erwarten müssen . . .", sagte er nur. Viel mehr wurde zwischen ihnen nicht gesprochen. Sie verstanden einer den andern auch so — im Glück und im Leid. „Und du meinst, daß wir wieder einmal wandern müssen?" sagte sie nach einer Weile. „Vielleicht ist es ein Wink des Schicksals", erwiderte er. Matthäus Merian sah in seiner Basler Wirksamkeit nicht die Erfüllung seiner großen Sehnsucht. Zwar schätzte ihn seine Vaterstadt als einen Mann, dem man Bedeutendes zutraute, seitdem er den „Großen Plan", ein vierteiliges Vogelschaubild Basels rechts und links des Rheinstromes, zur vollen Zufriedenheit der Stadtväter in Kupfer gestochen hatte. Gebäude, Straßen, Plätze und Gäßchen hatte er maßstabgerecht eingepaßt, die bemerkenswertesten Bauten wohl hervorhebend. Das alles war mit sparsamer Staffage belebt und von oben her gesehen, die Schiffe und Fuhrwerke, die Reiter, Bauern und Bürgersleute. Was ihm sein Vorgänger Hans Bock sehr unvollkommen und steifledern als Stadtplan hinterlassen, das hatte er in dieser Neuzeichnung mit Leben und Wirklichkeit angefüllt. Des Lobes voll waren seine Mitbürger auch über die Jagd- und Schlachtenbilder, die historischen Szenen, die er zeichnete und vom Kupfer druckte, die Kalender mit den belebten Monatsleisten und den Jahreszeitbildern. Man fand großen Beifall dafür, und es fehlte auch nicht an Käufern — aber das Große, das er erstrebte, bedeutete das alles nicht.
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Die Welt aus der Vogelschau Der große Wurf! Matthäus Merian nahm die Mappen vom Tisch und aus den Regalen und sah noch einmal prüfend die Folge der Zeichnungen, Stiche und Radierungen durch, die künstlerische Ausbeute von sieben Wanderjahren und Lebensstationen. Wie ein Bildberichterstatter hatte er die Motive gesammelt. Er hatte wirkliche Zeitdokumente zusammengetragen, alle Geschehnisse verfolgt und alle Sehenswürdigkeiten ins Bild verwandelt: Feste und feierliche Einzüge, fürstliche Jagdszenen, Wälder und Schloßgärten, Klöster und Burgen, Kirchen, kleine und große Städte, Tal gründe und Mühlen, große Volksmengen und Landsknechtshaufen, herzogliche Leichenbegängnisse und höfische Kindstaufen, und immer wieder Landschaften mit menschlichen und von Menschen belebten Siedlungen. Auch einiges aus seiner Lehrzeit bei Dietrich Meyer in Zürich war noch darunter, erste unbeholfene Versuche, dann mit zunehmenden Jahren Arbeiten mit zügigerem Strich und Stich, die schon die eigene Handschrift verrieten. Mit dem Züricher Meister verband ihn mehr als das Verhältnis des Lehrherrn zum Lernenden. Die vier Jahre einer strengen, aber nachwirkenden Schule in der Werkstatt Dietrich Meyers waren, als er Zürich verlassen hatte, in eine Lebensfreundschaft ausgemündet. Jahr um Jahr gedachte Merian Meister Dietrichs an den Festtagen in einem herzlich und dankbar gehaltenen Brief, und mehr als einmal ging ein „Präsentli", ein kleines Geschenk, nach Zürich und wurde mit einem freundlichen Schreiben erwidert. Die Dankbarkeit halte neben dem Herzens- auch einen äußeren Grund; denn Meister Dietrich Meyer hatte ihn, als er die Strebsamkeit und hohe Begabung des Schülers erkannte, mit höchst eigenen Werkstattgeheimnissen bekannt gemacht, unter anderem auch mit dem bis dahin streng gehüteten Rezept des rechten Ätzgrundes. Ein paar Blätter aus jener frühen Zeit betrachtete Merian mit besonderer Aufmerksamkeit. Hier hatte er sich zum ersten Mal in der von früheren Meistern bereits geübten Sehweise aus der Vogelflughöhe versucht, die alles so viel lebendiger und gegenständlicher machte und etwa eine Stadt nicht mehr in ihrem 8
Paßstraße im F.ngadin am Inn mit der Festung Finstermünz
Grundriß wie eine Landkarte, sondern im schrägen Draufblick und in ihrem Formenaufbau wiedergab. Auf diesen gezeichneten Plätzen, Landwegen und in diesen Gärten konnte der Beschauer gleichsam promenieren gehen, von Nachbar- zu Nachbarhaus, vom Rathaus zum Münster und durch verwinkelte Gassen von Stadttor zu Stadttor. Auch dem einfachsten Menschen waren diese Vogelsichtbilder begreiflicher, anschaulicher, lebenserfüllter als die nüchternen, flächigen Stadtpläne. Meister Merian brauchte gar nicht mehr auf Türme oder Berge zu steigen, um solch plastische Draufsichten zu erzielen. Wo es die örtlichen Gegebenheiten nicht zuließen, gelang es ihm, aus der Verbindung von Stadtplan, Gebäude- und Stadtansicht und Stadtbeschreibung zu den gleichen räumlichen Wirkungen zu kommen. Seine Vorstellungskraft war so groß, daß er selbst von nie gesehenen
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Städten an Hand ihrer Beschreibung, ihres Grundrisses und der Architekturbilder der vernehmlichsten Bauten Vogelschauansichten hervorzaubern konnte. Das könnte der große Wurf werden, wenn er unter Benutzung des schon reichlich Vorhandenen und des noch zu Erarbeitenden möglichst viel von der Welt in dieser Abbildlingstechnik wiedergeben und in Druckwerken niederlegen würde. Frankfurt wäre der geeignete Ort mit seinen reichen Buchbeständen, weitgreifenden Verbindungen und seinem erfahrenen Buchdruckerstand. Schon lange bewegte ihn dieser Gedanke: ein Bildwerk aller Städte und Sehenswürdigkeiten landauf und landab herauszugeben; schon auf seinen Studienreisen hatte er davon geträumt — deshalb war ihm dieser Brief aus Frankfurt trotz seines traurigen Inhalts wie ein Anruf.
Die Entdeckung der Landschaft Matthäus Merians Plan eines großen geographischen Abbildungswerkes mit Landschaftsbildern wies eine Vorgeschichte auf, die Jahrhunderte zurückreichte. Seit dem Niedergang der römischen Kunst hatte es fast ein Jahrtausend lang keine Landschaftsmalerei und keine Landschaftszeichnungen mehr gegeben. Für den Künstler des frühen und hohen Mittelalters stand der Mensch in seiner Hinwendung zum Ewigen im Mittelpunkt allen Schaffens. In den Buchmalereien, Wandbildern und den gemalten Glas- . fenstern wurde die menschliche Figur in Beziehung zu den göttlichen und heiligen Gestalten gebracht. Kaiser und Könige, Fürsten, Bischöfe und Äbte erschienen in den Bildern als die Vertreter göttlichen Auftrages. Die himmlischen Gestalten, die Engel und Heiligen, waren, um sie weihevoll hervortreten zu lassen, meist auf Goldgrund gestellt. Das Weltliche berührte sie nicht. Wenn einmal Vögel, Fische, Pflanzen, Blüten und Blumen oder auch Säuren und Bogen gezeigt wurden, so sollten auch sie nur der Verherrlichung Gottes oder als Symbole dienen. Erst als die Handschriften mit weltlichen Stoffen, mit Sagen,' Minneliedern und Spielen, häufiger wurden, begannen sich die 10
Bildflächen zu beleben. Im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts wurde in den „Carmina Burana", einer Sammlung von lebensfrohen Liedern fahrender Scholaren, zum ersten Male eine Landschaft wiedergegeben. Der Buchmaler hatte zur Illustration eines Gedichtes ein Stück Wald abgebildet, in dem er sein Frohlocken über die Sommerzeit, über den Klang der Vogelstimmen, über die Pracht der Waldbäume zum Ausdruck bringen wollte. Aber nur zaghaft folgten andere. Erst seit dem 14. J a h r h u n dert, als man den Tiefenraum entdeckte und perspektivisch zu zeichnen und zu malen begann, wurde der Mensch immer mehr in Zusammenhang mit seiner Umgebung, der belebten und landschaftlichen Natur, gesehen. Es waren zuerst Landschaften der Phantasie, in denen sich die menschlichen Figuren bewegten. Im Jahre 1444 benutzte der Schwabe Konrad Witz, einer der größten unter den altdeutschen Malern, in seinem Bild vom Fischzug Petri erstmals auch eine wirkliche Landschaft als Hintergrund, den Genfer See. Mit den großen Meistern Leonardo da Vinci, Albrecht Dürer, Albrecht Altdorfer und Wolf Huber wurden dann Landschaftsdarstellungen ohne die Anwesenheit von Menschen selbständige Bilder. Auch die Entwicklung der technischen Künste gehörte zur Vorgeschichte des Merianschen Lebensplanes. Schon in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, lange vor Gutenberg, hatten sich den Malern und Zeichnern die Drucker beigesellt. Es war die Zeit, als zum ersten Male in Europa Papiermühlen den neuen, wundersamen Beschreibstoff Papier herzustellen begannen. Damals verbreitete sich auch die Formschneidekunst, die Kunst des Holzschnittes und des Holzschnittdruckes, mit dem man auf Papier Bilder und Texte beliebig vervielfältigen konnte. Vorher hatte man die Holzmodeln nur dazu benutzt, gleichförmige Muster auf Tapeten zu drucken oder Umrisse auf Stoffe als Linien und Anhaltspunkte für die Stickerinnen. Handschriftenmaler verwendeten manchmal auch einen holzgeschnittenen Stempel, um gleichartige Konturen für Initialen oder Zierleisten zu erhalten, die sie dann mit Farbe ausfüllten. Jetzt aber druckte man Bilder und Texte; eine Serie von Holzschnittblättern konnte auch buchmäßig zusammengebunden werden zu sogenannten Blockbüchern. 11
Es waren die Vorläufer des mit beweglichen Lettern gedruckten Buches, das erst Gutenberg geschaffen hat. Holzschnittblätter blieben auch nach der Erfindung des Buchdrucks die Anschauungsbilder des kleinen Mannes. Der Bauer auf dem Land, der Bürger in der Stadt, die oft nicht lesen konnten, erbauten sich an frommen Darstellungen. Der gesteigerte Sinn für die Geschehnisse in der Welt verlangte auch nach Bildern von dem, was draußen vor sich ging. Zum Andachtsbild kam das Zeitbild mit kurzen beschreibenden Texten von fernen Ländern, von Erfindungen, Reisen und Entdeckungen. Jetzt zeigten die Blätter exotische Pflanzen und Tiere, Naturwunder, historische Geschehnisse, Bildnisse von Persönlichkeiten, von denen alle Welt sprach; auch das Flugblatt zur politischen oder religiösen Beeinflussung fand in dieser Zeit weite Verbreitung. Durch Buchdruck- und Holzschnittkunst traten die Menschen aus der begrenzten Enge ihres bisherigen Weltbildes heraus; in ersten großen Landschaftsbildwerken, in denen sich die technische Kunst Gutenbergs und die der Holzschneider zur schönen Einheit verbanden, kam die weite Welt dem Erlebnishungrigen gleichsam ins Haus. 1493 brachte der Nürnberger Stadtschreiber und Stadtarzt Hartmann Schedel seine große illustrierte Weltchronik heraus, mit über zweitausend Schnitten der Holzschnittmeister Pleydenwurf und Wolgemut, des Lehrers von Albrecht Dürer. In diesem Abbildungswerk sah man, wenn auch nicht immer wirklichkeitsgetreu und oft allzu phantasievoll und vereinfachend, fremde Städte und historische Begebenheiten, von denen man so viel gehört und gelesen hatte. Fünfzig Jahre später, um die Mitte des 16. Jahrhunderts, veröffentlichte Sebastian Münster, Professor der hebräischen Sprache, der Mathematik und Geographie in Heidelberg, seine große „Cosmographie", die erste allgemeinverständliche, bebilderte Erdkunde für weitere Kreise. Münster berichtete darin aus aller Welt und gab eine „Beschreibung aller Länder, Herrschaften und vornehmsten Stätten des ganzen Erdbodens". Seine „Cosinographie" erlebte vierzig Auflagen. Nicht minder berühmt wurde das „Theatrum urbiurn", die ,Schaubühne der Städte', des Kölner Verlegers Georg Braun und seines Mitarbeiters Hohenberg, 12
deren Lebens- und Wirkenszeit in Merians frühe Jahre hineinreichten.
Bürger der Freien Reichsstadt Solchen Vorbildern wollte Matthäus Merian nacheifern und sie. wenn möglich, an Vielzahl der Bilder, in der Lebendigkeit und Vollständigkeit der Darstellung übertreffen. Und Frankfurt sollte der neue Schauplatz seines Schaffens und seiner Erfolge sein. So löste er 1624 den Basler Haushalt und die Werkstatt auf und siedelte mit Frau und Kindern in die Mainstadt über. Das Verlagshaus des verstorbenen Schwiegervaters, in dem er wirken sollte, lag im Schatten des Frankfurter Domes. Es war von de Bry vor Jahren von einem Konrad Heidelberger gekauft worden. Das stattliche Anwesen an der Ecke der Schüppengasse hatte den Erkennungsnamen „Zum Birnbaum" und trug diesen Baum eingemeißelt über der eichenen Tür, da es Hausnummern noch nicht gab. W a r der Hausname dem Pflanzenreich entnommen, so stammten die beiden Lebewesen auf dem Firmenschild aus dem Tierreich: Das Schild zeigte einen Storch mit einer Schlange im Schnabel. Dieses Verlagszeichen sollte bald weithin bekannt werden. Den Buch- und Kupferstichhandel, die Kupferstecherwerkstatt und -druckerei betrieb Merian zunächst mit seinem Schwager Wilhelm Fetzer zusammen. Mit Eifer ging er ans Werk. Aber sein großes Vorhaben, den „großen Wurf", mußte er vorerst noch zurückstellen. Tagesarbeit fiel an, termingebundene Aufträge mußten fristgerecht erledigt werden. Und die wachsende Familie stellte höhere Anforderungen; denn die Kinderschar mehrte sich: Zu den Basler Mädels und dem Buben kamen die „Frankfurter": Maria-Elisabeth, Caspar, Maria Magdalena, Joachim und Jakob, zusammen ihrer acht, die dank dem gesunden Erziehungsinn ihrer Mutter kräftig heranwuchsen und dank der väterlichen Obsorge und einem angeborenen Talent alle sicher ihren Weg ins Leben zu gehen wußten. Ganz heimisch fühlte sich Matthäus Merian in der Frankfurter 14
Altstadt erst, als er auch amtlich sozusagen die Brücken hinter sieh abgebrochen hatte und vollwertiges Mitglied der Freien Reichsstadt geworden war. Bei dem neuen Mitbürger bestellte man schön gestochene Bildnisse, auch Jagdbilder mußte er zeichnen und in Kupfer stechen und Einblattdrucke mit hübschen Landschaften und weiten Fernsichten herstellen. Die erste größere geschlossene Arbeit, die er in Frankfurt herausbrachte, war eine Folge von Bilderinnerungen an seine Reisen. Dann setzte er ein Werk fort, das er schon in Basel begonnen hatte und von dem der erste Band in Straßburg erschienen war. Es war eine reich bebilderte Bibel, für die er die meisten Stiche selber schaffte, während er zu den späteren Großwerken mehr und mehr tüchtige Gesellen und auch große Meister der Kupferstecher- und Radierkunst heranzog. Die Bilderbibcl wurde zum volkstümlichen Hausbuch vieler Generationen. Der junge Rembrandt erfreute sich an ihr, Goethe liebte sie, und noch im 19. Jahrhundert dienten viele der 258 Stiche den Bibelillustratoren als Vorlage. Auch wo Merian sich an Gemälde etwa von Raffael oder Tintoretto angelehnt . h a t t e , war doch alles von seinem Gemüt her und durch deutsche Landschaften poesievoll verklärt. Viel Aufsehen erregten auch seine Stiche aus der Neuen Welt, für die er sich von überallher die interessantesten Vorlagen besorgt hatte. Der Erfolg dieser Sammlung und seiner Bilderbibel gab ihm den Mut zu einer „Historischen Chronika oder Besehreibung der vornehmsten Geschichten von Anfang der Welt bis 1619". Obwohl bei diesem großen W e r k viele fremde Hände beteiligt waren, spürte man doch überall die Schule und den Geist des Meisters. Die „Chronika" war so groß gedacht und angelegt, daß normalerweise ihre Anschaffung nur hochbegüterten Käufern und Interessenten möglich gewesen wäre. Deshalb gab Merian diese illustrierte Weltgeschichte in einzelnen Lieferungen heraus, deren Preis vielen erschwinglich war. Noch waren die Zeichner, Stecher und Radierer emsig dabei, die Blätter für dieses W e r k herzustellen, als schon ein neues, nicht minder großes Werk in Angriff genommen wurde. Es war gleichsam die Fortsetzung der „Chronika". Unter dem Namen „Thestrum Europaeum", ,Schaubühne Europas', führte Merian die 15
Schauplätze und Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges in Bildern vor. Merian hatte einiges selber miterlebt. Der Krieg war erneut bis in die mainfränkischen Lande vorgedrungen. Bei Oppenheim waren die Heerhaufen aufeinandergeprallt, und der Schwedenkönig Gustav Adolf hatte Einzug in Frankfurt gehalten. So war es ihm möglich, manches aus eigener Anschauung wiederzugeben. Für anderes, besonders für so weltbewegende Geschehnisse wie die Ermordung Wallensteins, beschaffte er sich Schilderungen und Augenzeugenberichte. Ober hundert Jahre sollte an diesem zuletzt einundzwanzig Bände umfassenden Werk gearbeitet werden. Nur an der Anfertigung der ersten Bände konnte Merian selber noch Anteil nehmen. Aber jetzt drängte es ihn, trieben die Zeitereignisse ihn, dem Vorkriegsdeutschland das bleibende Denkmal zu setzen. Doch ehe wir uns diesem seinem berühmtesten Werk, dem „großen Wurf", zuwenden, wollen wir dem Verlagshaus Matthäus Merian zu Frankfurt einen Besuch abstatten, um dem Meister und seinen Mitarbeitern bei ihrer Arbeit über die Schulter zu blicken.
Kupferstecher und Radierer Im Obergeschoß des Hauses reihen sich die Plätze für die Zeichner, die Stecher und Radierer und die Gassen der Setzer aneinander. Dicht auf dicht stehen die Druckerpressen. Während im Textdruck seit Gutenberg sich nur wenig verändert hatte, w a r im Bilderdruck fast alles anders geworden. Bilder in Holzschnittmanier herzustellen, daran dachte man kaum noch, seit man von Kupferplatten zu drucken verstand. Beim Holzschnitt war alles viel schwieriger gewesen. Wenn die Bildvorlage auf den Holzschnittstock gezeichnet war, mußte rechts und links der Linien der Holzgrund aus dem Stock herausgeschnitten werden, damit nur die Striche und Linien Farbe aufnahmen. Die fasrige Natur des Holzes ließ es nicht zu, daß die Striche zu nahe nebeneinander gesetzt wurden. Die Liniensprache mußte großzügig sein, die Bildfläche blieb lichter, innerhalb der Umrißlniien konnte die Schattierung nur behutsam und 18
sparsam verteilt werden. Holzschnitte tönte man deshalb gern mit verschiedenen Farben, damit sich die Figuren vom Hintergrund schärfer abhoben und Haare, Gesichter und Gewandteile sich deutlicher unterschieden. Beim Kupferstich war das anders. Die ersten Kupferstecher vor zweihundert Jahren waren bei den Goldschmieden in die Lehre gegangen und hatten von ihnen auch die Werkzeuge übernommen: Stichel, Punze und Schaber. Auf einem der Tische im Kupferstechersaal liegt das W e r k zeug eines der Stechergesellen. Er nimmt eine glatlpolierte Kupferplatte zur Hand und den vierkantigen, vorn abgeschrägten Stahlstift, den Grabstichel, der in einem pilzförmigen, hölzernen Griff steckt und gut in der inneren Handfläche liegt. Auf die Kupferplatte ist mit Graphitstrichen bereits ein Bild aufgetragen, eine Frau mit einem faltenreichen Gewand. Der Kupferstecher drückt sorgfältig, aber kräftig mit dem stählernen Stichel auf die Metallplatte und furcht die Umrisse der Frauenfigur ein. Bald schon können wir das werdende Bild erkennen, die Körperform, die Falten des Gewandes, die Schattcnstellen, die durch dichtere, parallele oder gekreuzte Strichlagcn erzielt werden. Die feinsten Striche werden mit der „kalten Nadel" eingeritzt, einem bleistiftdicken, scharf zugespitztem Stichel. Schatten kann der Kupferstecher auch durch Punkte erzeugen, die er nicht einzeln aus der Platte herauszustechen braucht, sondern die er gleich flächenweise mit dem Punzeisen einhämmern kann. Mit einem Schabeisen streift der Stecher zum Abschluß die zackigen Ränder, die beim Einritzen herausgetreten sind, weg. Dann schwärzt er die Kupferplatte kräftig mit Druckfarbe ein und wischt sie wieder ab. Die Farbe bleibt in den eingegrabenen Linien und Punktvertiefungen haften, während die nichtgeritzten glatten Stellen wieder blank werden. Der Geselle geht zur Druckpresse hinüber, legt die Kupferplatte auf den Drucktisch, deckt Druckpapier und Filz darüber und dreht das Sternrad: eine Walze preßt Papier und Kupferplatte gegeneinander und befördert das Papier weiter. So kann Bogen um Bogen der Presse zugeführt werden. 19
Die Kupferstecher aber sind bei diesem Verfahren nicht stehengeblieben. Die Künstler und handwerklichen Zeichner verlangten nach noch größerer Freiheit und Feinheit in der Linien- und Strichführung. Auf der harten Metallplatte ließ sich nicht freizügig arbeiten, sie setzte dem Stichel zuviel Widerstand entgegen. Die Erfindung des Ätzgrundes aber half weiter. Die Kupferplatte sah nun nicht mehr blank aus wie Kupfer, sondern weiß. Der Kupferstecher sagt uns, daß es ein Oberzug aus Wachs und Harz sei und sonstigen Beigaben. Herstellung und Zusammensetzung seien das Geheimnis der Werkstatt. Die weiß überzogene Platte wird mit schwarzem Ruß überstrichen und hierauf die Zeichnung in ihren Umrissen aufgetragen. Der Geselle nimmt die Radiernadel zur Hand und bewegt sie wie eine Zeichenfeder entlang der aufgepausten Linien über den schwarzen Grund. Einmal drückt er die Nadel stärker, das andere Mal schwächer auf. Und wir erkennen, wie an den mit der Nadel bearbeiteten Stellen das rote Kupfer durch die Wachsschicht glänzt. Der Radierer hat überall an diesen Stellen die Wachsschicht entfernt. Vorsichtig nimmt er die Kupferplatte, legt sie in ein Bad, das er aus ätzenden Chemikalien in einer großen flachen Schale zubereitet hat. Die Säure beginnt sich in das Kupfer hineinzufressen, dort, wo es die Radiernadel freigelegt hat. Die wachsbedeckten, ätzfesten Teile der Kupferplatte bleiben unversehrt. Nach Abschluß des Ätzens kann der Ätzgrund, die Wachsschicht, entfernt werden. Und nun verläuft das Drucken wie bei dem normalen Kupferstich. Aber die Linien sind viel feiner. Stellen, die nicht genügend scharf und tief sind, kann der Radierer im Säurebad nachätzen, indem er die übrige Fläche vorübergehend wieder mit einem schützenden Firnis überdeckt, er kann aber auch mit der „kalten N a d e l " Linien nachziehen oder das Linienspiel ergänzen. Mit der Radierung werden viele malerische Wirkungen erzielt, die beim Kupferstich nicht möglich waren. Licht und Schatten konnten abgestufter sein, auch flüchtige Eindrücke ließen sich wiedergeben.
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Der Wiener Stepbansdom (Merianstich aus der Topographia, 1649)
4 Jhr
habt recht, Merian!"
Man schrieb das Jahr 1540. Schon zweiundzwanzig Jahre wütete der furchtbare Krieg. Die Druckerei des Schwagers in Oppenheim war zerstört. Wilhelm Fetzer war aus dem Frankfurter Betrieb ausgeschieden, und so hatte Merian die Verantwortung für den gesamten ehemaligen Besitz des Johann Theodor de Bry allein zu tragen. Meister Matthäus saß in dem malerisch ausgestatteten Kontor in der Schüppengasse zu Frankfurt einem Besucher gegenüber, den er als wichtigsten Mitarbeiter für seine Länder- und Städtebeschreibung von Deutschland nnd den Nachbargebieten gewinnen wollte. Die Herausgabe der ersten Bände, für die er die Abbildungen, Zeichnungen, Stiche und Radierungen bereits beisammen und geordnet hatte, war vorbereitet. Nun erwartete er von seinem Besucher, dem weitgereisten Schriftsteller, Historiker und Geographen Martin Zeiller, daß er zu den einzelnen Bildern die Texte verfassen werde. Marlin Zeiller, vier Lebensjahre älter als Matthäus Merian, stammte aus der sonnigen Steiermark. Dort war sein Vater protestantischer Prediger gewesen, bis ihn die Maßnahmen des Kaisers Ferdinand aus der österreichischen Heimat vertrieben hatten. Von Ulm aus, das ihm vorübergehend zur Heimat geworden war, hatte sein Sohn Martin als Erzieher die Kinder reicher Eltern auf Reisen begleitet. Er stand im einundfünfzigsten Lebensjahre, als er mit Merian in Frankfurt zusammentraf. „Keiner kann sich rühmen, so weit herumgekommen zu sein wie Ihr, Meister' Zeiller", sagte Matthäus Merian. „ I h r habt die alten Codices studiert und Handbücher vieler denkwürdiger Sachen verfaßt. Euer Kopf ist eine wahre Schatzkammer. Es muß Euch ein Leichtes sein, zu den Bildern die trefflichsten Besehreibungen zu geben.'' Zuversichtlich blickte Merian zu dem stattlichen, seit Jugend an einäugigen Manne hinüber, der ihm gegenüber saß. „ I h r müget recht haben, Merian", entgegnete Zeiller. „Aber habt Ihr auch genügend bedacht, was Ihr da unternehmen wollt? Seht Euch um, der Krieg ist noch immer nicht zu Ende, und es 22
sieht auch nicht danach aus, als ob er bald ein Ende finden werde. W e r wird Euch die Bände, die I h r nicht billig herstellen könnt, abkaufen? Mit den Bildern, die Ihr in Eurem ,Theatruni Europaeum' zeigtet, war das etwas anderes. Die Leute sind begierig auf Neuigkeiten; aber für romantische Konterfeis von Städten und Schlössern, die heute vielfach nur noch Ruinen sind — wer könnte sich dafür e r w ä r m e n ? " Statt eine Antwort zu geben, breitete Merian einige seiner schönsten Städtebilder vor dem Besucher aus: die Ansicht von Augsburg, mit seiner alten Umwallung und den neueren Festungswällen, darüber das herrliche Rathaus und der Perlachbau, das altertümliche Ulm mit seinem unvollendeten Münsterturm, die Burg Hohentwiel auf dem hohen vulkanischen Bergkegel, Blätter mit den Ansichten von Breisaeh, Colmar, Hagenau, Straßburg, und dann sein großes Panorama von Frankfurt, eines seiner h e r r lichsten Stücke, das er seinerzeit für den Rat der Reichsstadt zum Dank für die Bewilligung des Wohnrechtes und die Zuerkennung des Bürgerbriefes angefertigt hatte. Martin Zeiller war überrascht. „ J a , ich glaube doch, daß I h r recht habt, Merian", sagte er, als er Blatt um Blatt eingehend betrachtet hatte. „Nicht nur die Kriegsgreuel und Schlachtentriumphe sollte man den Menschen zeigen — auch dieses hier! Was wir verloren haben, wird die Sehnsucht nach der Wiederkehr friedlicher Zustände nur noch wachsen lassen, was noch erhalten ist, wird wie ein Aufruf an alle Gutwilligen sein, es vor dem drohenden Untergang zu bewahren. Die Aufgabe, die Ihr mir da stellt, ist nicht leicht. Aber ich möchte es wagen. Gut, Meister Merian, ich übernehme den Auftrag!" „ I h r werdet's gewiß nicht bereuen, Zeiller", erwiderte Merian beglückt. „Ich glaube, daß es auch gutes Geld bringen wird. Ich habe vorgesorgt. Vor zwei Jahren gab ich, wie Ihr wißt, die ,Archontologia Cosmica' heraus, das Buch der Altertümer. Meine Vertreter, die sich trotz des Krieges durch die Land© schlugen, vernahmen ein gutes Echo. Natürlich können wir das neue Werk, das daraus hervorgehen soll, nicht mehr ,Gosmica' nennen. Ich habe schon einen anderen Namen dafür, ,Topographia', ,Länderbeschreibung'. Nicht nur Bilder sollen da hinein,
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sondern auch Landkarten und Grundrisse. Es soll ein schön anzuschauendes geographisches Sammelwerk werden, und wir werden es in Einzelteilen ausliefern wie das ,Theatrum Europaeum'. Der billigste Band soll schon für zwei bis drei Taler zu haben sein." So begann, während Merian und seine Mitarbeiter die Städte und Ortschaften zeichneten und radierten, die Residenzen und Schlösser, die Burgen und Märkte, die Prunkgärten und Wasserspiele, die Edelhöfe und Stadtpaläste, die Stifte und Klöster, die Brücken und Brunnen, die Seen und Bäder, die Gebirge und die Paßstraßen, die Stadt- und Länderpläne und die Grundrisse von Festungen und Städten — während das alles getan wurde, begann Martin Zeiller die Texte zu verfassen. Es wurde ein Mosaik buntester Berichte und Erzählungen, aus Hunderten Quellen zusammengetragen. Die Zeit liebte es, von unerhörten Taten, von wunderbaren Geschehnissen, kuriosen Vorfällen, von menschlichem Glück und Unheil zu lesen. Zeiller, obwohl selber in W u n d e r gläubigkeit befangen, bot den Lesern neben den phantastischen Merkwürdigkeiten doch vieles geschichtliche, wirtschaftskundliche und beschreibende Material, damit sie ,,und ihre Nachkommen erkennen mögen, was für Unterschiede es zwischen Krieg und Frieden habe". Der Vielbelesenc hob manch wertvollen Schatz aus alten Chroniken und bereicherte seine Texte damit. Zwei Jahre nach der Unterredung der beiden Männer lag der erste Band der „Topographia" Merians vor, der Band der Schweiz. Der „Große W u r f ' wurde Wirklichkeit.
Die Reiehsherrlichkeit J a h r auf J a h r folgten jetzt die Bände: Schwaben, das Elsaß, Bayern, die Pfalz, Mainz, Trier, Köln, Hessen, Westfalen, Franken, Österreich. In Frankfurt arbeitete man, auf Jahre hinaus vorplanend, in einer Arbeitsbesessenheit, die uns noch heute erstaunen läßt. Immer wieder drängte Meister Merian. Mancher Unzulänglichkeit war er sich bewußt. Er forderte deshalb in der Einführung zu den Bänden von seinen Lesern Nachsicht und kri-
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In einer Druckerei des 17. Jahrhunderts (nach Abraham von Wcrdt) tische Mithilfe, wenn in dem einen oder dem anderen wider Erwarten etwas übersehen oder nicht richtig erfaßt worden sein sollte; denn man könne nicht selbst den Augenschein aller Orte einnehmen, sondern müsse sich des mündlichen oder schriftlichen Berichtes anderer, aber vornehmer und beglaubigter Personen bedienen und auch der vorausgegangenen Bücher und Traktate anderer Städtezeichner. Doch Jebe er, weil Irren und Fehlen menschlich sei, in der tröstlichen Zuversicht, es werde von 25
dem großgünstigen Leser alles zum Besten ausgelegt. Meister Merian versprach, daß er beglaubigte neuere Mitteilungen gern den künftigen Auflagen der Werke einfügen wolle. Merian besaß gewiß Hunderte von Zeichenblättern, Skizzen und Vorlagen aus den Landschaften links und rechts des Rheins bis über Paris hinaus nach Westen und bis zu den Niederlanden hinunter. Er konnte auch geübte Zeichner hinausschicken, um weiteres Erreichbare unter den Graphit- oder Silberstift nehmen zu lassen. Auch er selber scheute trotz der Kriegsgefahren weite Reisen nicht, nach Dresden etwa oder nach Prag. Aber wo sollte er zum Beispiel aus Livland eigen geschaute Bilder herbekommen? Er mußte sie sich beschaffen. Schreiben gingen hinaus, in denen er die Bürgermeister der Städte, die Besitzer der Schlösser, die Kanzleien der Fürsten, die Klöster und die kleinen Landesherren bat, sie möchten ihm Nachrichten und Ansichten aus ihren Ländern zukommen lassen. Ein fast modern anmutender Nachrichtendienst setzte ein, obwohl noch immer die Heerhaufen des Großen Krieges kreuz und quer durch die Lande zogen, so daß Merian in der Vorrede zu einem der Bände flehte: „Man möge Gott ohne Unterlaß demütig ersuchen, daß er die gefaßte Zornesrute in das Feuer werfen und uns den edlen und goldenen Frieden wieder aus Gnaden bescheren wolle." Merian bat nicht umsonst. Von allen Seiten liefen beschreibende Berichte und Ansichten, Stadtgrundrisse und die beliebten Blicke aus der Vogelschau ein. Stadtschreiber und Pfarrer, vor allem in den Städten, legten einen herzlichen Eifer an den Tag, und, was Merian am wichtigsten dünkte, sie schickten keine Bilder von Ruinen, sondern auf seine Bitten hin alles so, wie es vor den Zerstörungen des Großen Krieges ausgesehen hatte. Er kümmerte sich selber um den umfangreichen Briefwechsel. Mit Sorgfalt studierte er alle Schreiben durch, und selbst das war oft, bei der Umständlichkeit der damaligen brieflichen Ausdrucksweise, keine leichte Arbeit. Das einkommende Textmaterial wanderte zu Martin Zeiller. Er war dem Werke das, was wir heute einen Redakteur oder einen Verlagslektor nennen, er sichtete die Eingänge, trug hin26
zu, was ihm aus eigener Anschauung oder aus anderen Quellen bekannt war, und schrieb und schrieb. Dber allem schwebte Meister Merian. Er legte den genauen Plan für die weiteren Bände fest und sorgte dafür, daß Bild und Text rechtzeitig zur Druckerei gingen. Die Beschaffung gleichmäßig guten Papiers — in dieser Zeit keine leichte Sache — war ebenfalls seine Aufgabe. Und immer noch fand der Verleger; Kaufmann und Druckereileiter Merian Zeit, die Radiernadel in die Hand zu nehmen. Das meiste aber mußte jetzt von andern gemacht werden. Es soll des Kreises der Mitarbeiter gedacht werden, die ihn umgaben oder die er, sofern sie nicht in Frankfurt wohnten, mit Aufgaben betraute. Obenan standen bekannte Kupferradierer, wie der unermüdliche und geniale, aus Prag stammende Wenzel Hollar, der Frankfurter Joachim von Sandrart und Merians Sohn Caspar Merian. Auch zwei Söhne seines einstigen Lehrmeisters Dietrich Meyer aus Zürich beschäftigte er eine Zeitlang und über zwanzig andere, deren Namen auf den Kupfern zu finden sind. Zur damaligen Zeit war eine solche Arbeitsgemeinschaft für ein umfassendes Werk eine Seltenheit. Aber der beispiellose Erfolg gab Merian recht und bewies, daß die Menschen geradezu nach den Bildern verlangten, die ihnen die einstige Herrlichkeit des Heiligen Römischen Reiches, vor allem die der zerstörten gotischen Städtearchitektur, vor Augen führten. Hier entstand noch einmal das versunkene Deutschland, so wie es der Italiener Äneas Sylvius beschrieben hatte: „überall sehen wir bebaute Äcker, Getreidefluren, Weinberge, ländliche und vorstädtische Blumen- und Obstgärten, überall schöne Gebäude, bezaubernde Landhäuser, Schlösser auf den Bergen, ummauerte Städte . . . Kein Land in Europa hat bessere und anmutigere Städte als Deutschland. Ihr Äußeres ist frisch und neu, es ist, als wären sie erst vorgestern fertig geworden."
Hoehberiihmt als Verleger und Bildzeichner Von 1642 bis 1650, bis zu Merians Tod, erschienen die Bildfolgen von zwanzig Landschaften, von der Schweiz bis Schle27
sien. Es waren die Bände für die west- und ost- und die mitteldeutschen Lande; aber andere waren bereits vorbereitet, als der Tod dem Meister den Stichel aus der Hand nahm. Neben der ungeheuren beruflichen Last hatte Matthäus Merian in den letzten Lebensjahren harte Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Krankheiten erschütterten seine Gesundheit. Maria Magdalena starb, er mußte seinen acht Kindern eine neue Mutter suchen. Er fand sie in Sybilla Heiny, die aus einem bekannten Frankfurter Verlagshaus stammte. Sie schenkte ihm noch zwei Kinder, als jüngstes die Tochter Sybilla Merian, die mit ihren Stiefbrüdern Matthäus Merian dem „Jüngeren" und mit Caspar Merian zu den berühmtesten Mitgliedern der Künstlerfamilie Merian zählt. Zwei Jahre nach dem Ende des Großen Krieges, am 19. Juni 1650, starb Matthäus Merian, während er sich in Bad Schwalbach einer Badekur unterzog. Drei Tage danach bewegte sich der Leichenzug durch Frankfurts Straßen. Wie man so sagt: Die ganze Stadt geleitete den berühmten Kupferstecher zu Grabe. Frankfurt verlor „seinen ersten Künstler und einen seiner treuesten Bürger", Deutschland verlor „Zierde vind Licht aller teutschen Künstler". Freunde und Mitarbeiter widmeten Merian zum Nachruf ein Kunstblatt, das nur noch in wenigen Exemplaren vorhanden ist. Darauf sieht der Betrachter das friedliche Antlitz des stets leutseligen Mannes. In der Hand hält er einen Kupferstich mit der Darstellung des Urteils Salomons aus seiner Bilderbibel. Lateinische Lobsprüche auf Vorder- und Rückseite des Kunstblattes fassen das Wirken Merians zusammen. Sie gipfeln in der schlichten Charakterisierung „Bibliopolae et iconographus celeber", ,Hochberühmt als Verleger und Bildzeichncr'. Als der Eintrag in das Totenbuch der Stadt Frankfurt für Matthäus Merian erfolgte, wurde kein Begräbnisort angegeben, doch kommt für die damalige Zeit nur der Peterskirchhof in Frage. Die Grabstätte ist nicht bekannt, der Peterskirchhof ist verschwunden. Die Schüppengasse wich 1938 der Altstadtsanierung, das Bry-Meriansche Haus fiel 1944 den Fliegerbomben des zweiten Weltkrieges zum Opfer. So halten in Frankfurt nur die
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Merianstraße und der Mcrianplatz das Andenken an den b e rühmten Mann wach. Mit Tatkraft und im Sinne des Vaters führten die beiden ältesten Söhne Merians und seine langjährigen Mitarbeiter das blühende Unternehmen weiter; die Erscheinungsdaten der folgenden Bände verraten, daß nicht der geringste Stillstand eintrat. Auch das „Theatrum Europaeum", die große illustrierte Zeitchronik der Haupt- und Staatsaktionen eines ganzen J a h r h u n derts, wurde fortgesetzt, sie umfaßte zuletzt einundzwanzig Folianten. Die „Topographia" konnte nach sechsundvierzig Jahren mit Band 31, dem Bildband Rom, abgeschlossen werden. Sie enthielt 2142 einzelne Ansichten und Darstellungen und 92 Landkarten. Inzwischen hatten einige Bände und viele Einzelblätter bereits mehrfache Auflagen erlebt. Der Buch- und Kunstverlag „Matthaei Merians Seel. E r b e n " erlosch im Jahre 1727. Ein J a h r zuvor hatte ein großer Brand den größten Teil der Verlagswerke zerstört; es war aber auch niemand mehr da, der das Unternehmen mit dem erforderlichen Weitblick und der nötigen wirtschaftlichen Befähigung hätte weiterführen können.
Chronist Europas Doch das Hauptwerk, die „Topographia", ist noch immer lebendig, Meriansche Stadtansichten gehören zu den bestbekannten und meistveröffentlichten Städtebildern aus älterer Zeit. Die „Topographia", deren Originalbände in großen Bibliotheken und Archiven und bei Privatsammlern geborgen liegen, hat nicht nur in Einzelabbildungen, sondern auch als Gesamtwerk eine Wiedergeburt erlebt. Photographen haben nach den Originalvorlagen Blatt um Blatt in der ursprünglichen Größe von 2 6 x 1 5 Zentimetern aufgenommen. Die Photoblätter wanderten zur Herstellung von Druckstöcken in die Ätzereien moderner Druckereien. Man druckte die Blätter dann auf schweres Papier, das den Eindruck des alten Papiers, wie es Merian verwendet hatte, ähnlich wiedergibt, und fügte sie zu Bänden zusammen, die genau den alten Bänden entsprechen. 29
Eine solche völlig ähnliche Nachbildung und Druckwiedergabe eines Originalwerkes mit Hilfe der Photographie nennt man Faksimile-Druck. Durch ihn können wir, obwohl nicht der Originalsatz oder die Originalkupferplatten, sondern nur die gedruckten Blätter zugrunde liegen, doch die Schönheit und Atmosphäre des Meisterwerkes erspüren, und jede größere Bibliothek ist in der Lage, aus ihren Regalen Merians „Topographia" auszuleihen. So haben wir Gelegenheit zu einem aufschlußreichen, lohnenden kulturgeschichtlichen Studium Deutschlands und Mitteleuropas in der Zeit zwischen Gotik und Barock, als Merian jung war. Die Welt vor dem Dreißigjährigen Krieg, Deutschland nach dem Ausgang des Mittelalters, die Bauzeit der deutschen Gotik treten noch einmal vor unser Auge: die stolzen Burgen, die kunstvollen Lustgärten der fürstlichen Residenzen, die prunkenden Schlösser, die altdeutschen Städte. Oftmals zeigt Merian eine Stadt erst von fern mit ihren Häuserfluchten, den ragenden Türmen, trotzigen Mauern und der umgebenden Landschaft. Dann geht er hinein und bildet die Vielgestalt des mittelalterlichen Wohnhauses, des Kaufmannshauses, des Rathauses, der Kirchen ab. Bis ins kleinste sind die Zeichnungen ausgeführt. Die Bilder gewinnen oft zusätzliches Leben durch die vielerlei Gestalten, die er je nach Zweck und Tätigkeit hineinzeichnen läßt. W i r blättern an Hand eines Faksimiledrucks in der Reihenfolge der Entstehung die Bände durch und erkennen, daß Merian im ersten Band, der Schweiz, noch nicht von der damals üblichen steifen Form loskommt; doch schon im zweiten Band „Schwab e n " ist das geschwunden. Man merkt nun, wie er seinen Stil, seine „Handschrift", gefunden hat, die oft auch da zu erkennen ist, wo die Bände Zeichnungen von Mitarbeitern enthalten. Die Bände Schwaben, Franken, Elsaß, Rheinische Kurfürstentümer ragen in der Gesamtreihe hervor. Matthäus Merian hat diese Blätter zumeist nach eigener Anschauung und Beobachtimg auf seinen Wanderungen gezeichnet, und sie zeigen zudem die schönsten und reichsten Städte des damaligen Deutschland. Das größte Einzelblatt, das Merian jemals gestochen hat, ist das Stadtbild von Heidelberg. Im Original mißt das Blatt über einen Meter. Heidelberg ist vom Heiligen Berge aus gesehen mit 30
einem solchen Formenreichtum, daß dieses Blatt Merians als das beste und sorgfältigste aller Abbildungen des alten Heidelberg gilt. Er schuf es bereits 1620 und verkleinerte es später auf das Druckformat der „Topographia". Der originellste Stich stellt den Pferdemarkt von Buttstädt bei Erfurt in Thüringen dar. Bis zum zweiten Weltkrieg besaß dieser Pferdemarkt seine Berühmtheit. Merian wird kaum jemals in Buttstädt gewesen sein. So hat er den „Polnischen Pferdem a r k t " — die polnischen Händler waren hier stets in der Überzahl — sicherlich nach einer ihm von dem Bürgermeister in Buttstädt übersandten Vorlage gezeichnet, doch so einfühlend richtig, daß derjenige, der einmal das Markttreiben vor den Toren der Stadt beobachtet hat, von der Wirkliehkeitstreue selbst in Einzelzügen überrascht ist. „Topographia . . ., das ist Beschreibung der vornehmsten und bekanntesten Stätte und Plätze in dem hochwohllöblichen Churfürstentum . . .", so und ähnlich lauten die Titel zu den Bänden des Matthäus Merian. Eine spätere Zeit gab dem Gesamtwerk, dem berühmtesten unter den siebenundachtzig Bildwerken Merians, den Namen „Topographia Germaniae", Ortsbeschreibung Deutschlands', obwohl es weit über die deutschen Grenzen hinausgreift. Es ist insgesamt eine Leistung hohen Kunstsinnes aus einer Zeit des allgemeinen Kulturzerfalls und eine Geschichtsquelle ersten Ranges. Mit Recht hat man den Kupferstecher, Radierer und Verleger Matthäus Merian den „Chronisten Europas" genannt.
Unischlaggcstaltung: Karlheinz Dobsky Bild auf dem Umschlag: Matthäus Merian, in Kupfer gestochen von seinem Sohn Matthäus Merian dem Jüngeren. Auf der Umschlagseite 2: Am Wolfgangsee in dem oberösterreichischen Salzkammcrgut
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