KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
HANS HARTMANN
Max Planck B E G R ...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
HANS HARTMANN
Max Planck B E G R Ü N D E R D E S ATOM Z E I T A L T ERS
VERLAG SEBASTIAN
LUX
MURNAU • MÖNCHEN • INNSBRUCK . BASEL
Max Planck, geboren im Jahre 1858, gestorben im Jahre 1947, ist als einer der größten Forscher und Denker in die Geschichte eingegangen. Er öffnete iveit das Tor in die bis dahin kaum betretene Welt der Atome. Er hat nicht die Atomkraft werke und Atomreaktoren gescliajfen, seine Leistung ist eine geistige Tat: Planck hat als erster die Gesetze erkannt und in Formeln gefaßt, nach denen sich das „innere Leben" in den Atomen abspielt. Andere haben auf seinen Erkenntnissen aufgebaut oder sie technisch ausgewertet. Von dem Menschen Max Planclt, dem Begründer des Atomzeitalters, bericlitet auf den folgenden Seiten einer, der ihm nahe gestanden hat. Von den Bildern und Erinnerungen aus Plancks Leben ausgehend, erschließt sich dem Leser auch ein erster Einblick in die Kleinstiveit der Natur.
Kriegsende 1945 Ende Januar des unheilvollen Jahres 1945 war der Gang durch Berlin zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Abentevier. Dumpf und gespannt zugleich lebten die Millionen Menschen der Reichshauptstadt dahin. Dumpf im Erleiden der täglichen Bombenangriffe, in unerträglicher Spannung aber zwischen der vagen Erwartung eines baldigen Kriegsendes und einem winzigen Rest künstlich angefachter Hoffnung: Verantwortungslose streuten Gerüchte aus von Geheimwaffen, die das Kriegsschicksal in letzter Minute zugunsten Deutschlands entscheiden würden. Flüsterpropaganda erfand Flugzeuge, „die in die feindlichen Bombengeschwader hineinfliegen und ihr Benzin zum Vereisen bringen, so daß sie zu Tausenden abstürzen mußten". Solche Phantasien wurden durch Andeutungen in Presse und Rundfunk bewußt genährt. Aber das Verhängnis war nicht mehr aufzuhalten. An einem der Tage des Januar gingen wir zum LangenbeckVirchow-Haus. Das Haus lag gegenüber der Charite mit ihren weltbekannten Universitätskliniken. Dort sollte eine Physikertagung stattfinden — es war wie das letzte Glimmen eines Flämmchens der Wissenschaft, gegen dessen Erlöschen wir uns verzweifelt aufbäumten. Jede Sekunde auf Alarm gefaßt, der die Tagung unmöglich machen würde, kam uns in Erinnerung, wie oft Max Planck in den vergangenen Jahren dieses Furchtbare vorausgesagt hatte. Diejenigen unter uns, die sich etwas von der Planckschen Klarheit des Geistes und der inneren Aufrichtigkeit der Seele bewahrt hatten, spürten: Jetzt ist es zu spät für trügerische Hoffnungen und Selbsttäuschungen. Jetzt kommt das Ende mit Schrecken, wirklich und unerbittlich! Aber wann? Vielleicht erst in Monaten? Wer konnte es wissen? Wie sehr hofften wir, Max Planck in dieser bedrückenden Stunde wiederzusehen! Denn gerade von seiner lauteren, nur der Wahrheit verpflichteten Persönlichkeit konnten wir Stärkung und Führung erwarten. Aber durften wir überhaupt damit rechnen, daß er kommen werde? Wußten wir doch, daß er schon seit anderthalb Jahren nicht mehr in Berlin lebte. Brandbomben hatten sein schönes, gepflegtes, von allem Prunk freies Haus im stillen Vorort Grunewald völlig vernichtet. Einige Monate hatten wir von dem bald 87 Jahre alten Geheimrat nichts mehr gehört. Wir wußten nur, daß 3
er mit seiner Frau als Flüchtling auf Gut Rogätz bei Magdeburg an der Elbe lebte. Wie mochte es ihm gehen? Truppenbewegungen überall, Alarmnachrichten jagten sich. Man sprach davon, die Amerikaner und die Russen würden sich nun bald an der Elbe vereinigen und dort die letzten Reste der deutschen Armee mit ungeheurer Übermacht an Flugzeugen, Panzern, Bomben und Geschützen niederkämpfen. Max Planck würde mitten in dieser Schreckenszone sein. Wir gingen an Trümmern vorbei. Noch schwelten beizender Rauch und die Glut der Zerstörungen aus der vergangenen Nacht durch die Straßen. Um so erstaunter stellten wir fest: Es waren zur Tagung fast hundert Physiker erschienen. Max Planck fanden wir nicht unter ihnen. Wer die gefährdeten Bahnstrecken kannte, auf denen die wenigen überfüllten Züge nur nachts verkehrten, der begriff, daß er den Strapazen nicht mehr gewachsen war. Aber Max Planck wollte doch seine Verbundenheit mit den Fachgenossen bekunden und hatte darum seine um fünfundzwanzig Jahre jüngere Frau Marga, die sich die Reise zutraute, entsandt, damit sie den Tagungsteilnehmern seine Grüße überbringe. Die Wiederbegegnung mit der schwergeprüften Frau war für uns alle, war für mich, der ich der Familie Planck seit vielen Jahren herzlich verbunden war, von einem dunklen Schicksal überschattet. „Ihr lebt sicher in großer Ungewißheit um Euren Sohn Erwin!" fragte ich Frau Planck. Plancks Sohn Erwin war im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli durch ein terroristisches Gericht zum Tode verurteilt worden, obwohl er in keinem Zusammenhang mit dem Anschlag auf Hitler stand; aber schon der Verdacht genügte in jener Zeit des Schreckens zu einem Schuldspruch. „Wir haben ein Gnadengesuch eingereicht", erwiderte Frau Planck. „Wir leben immer noch in der Zuversicht, daß es bewilligt werden wird. Schon um des Namens Planck willen; denn eine gewisse Rücksicht nimmt man wohl doch noch auf das Ausland." Ich konnte nur sagen: „Wie viele Menschen, sofern sei von dem Schrecklichen erfahren haben, mit Euch hoffen, wißt Ihr." Der Physiker-Kongreß dauerte nur einen Tag. Aber er wurde im Geiste Max Plancks, der als Senior der deutsehen Physiker unsichtbar bei uns war, durchgeführt: sachlich, nüchtern, nur vom Drang nach Wissenschaft und Erkenntnis beseelt. Noch tief bewegt von den Worten einer Frau und Mutter, aus denen die ganze Bangigkeit der zunächst Beteiligten, aber auch die furchtbare innere und äußere Not der Zeit sprach, vertiefte ich 4
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mich, heimgekehrt, in die letzten Briefe und Postkarten, die aus Rogätz gekommen waren. Da war die erste Nachricht Max Plancks vom 9. April 1944, einige Zeit, nachdem die Familie Berlin verlassen mußte. „Ich will hoffen, daß Ihr noch am Leben und gesund seid. Man kann ja heutzutage nicht viel weiter verlangen. Von uns kann ich dasselbe sagen, abgesehen von einem unangenehmen Muskelrheumatismus, der mich seit Monaten plagt. Am 15. Februar ist mein Haus im Grunewald den Phosphorkanistern zum Opfer gefallen. Mit ihm ist alles, was darin war, verbrannt, kein Stück konnte gerettet werden. Zum Glück waren wir nicht dabei. Aber Berlin ist vorläufig für mich nicht mehr zugänglich . . . Im übrigen müssen wir unser Leben sozusagen aus dem Nichts wieder aufbauen." Wie hart mußte den Mann, der so einfach und gar kein Mitleid heischend berichtet, die Vernichtung seines Hauses getroffen haben! Seit Jahrzehnten hatten zahllose bedeutende Menschen Eingang in dieses nun zerstörte Haus gefunden, sehr häufig beglückt von dem meisterhaften Klavierspiel des Hausherrn, der sich mit den besten Berufspianisten messen konnte. Bald darauf wieder eine Nachricht, sie trug das Datum vom 2. Mai 1944. „Euch beiden danke ich von Herzen für Eure freundlichen Geburtstagswünsche. Ich kann sie diesmal gut brauchen, da ich demnächst operiert werde und dann wohl auch längere Zeit arbeitsunfähig sein werde. Verzeiht daher die Kürze dieser Karte, die in keinem Verhältnis steht zu dem reichen Inhalt Eurer Mitteilungen , . . Mein Vortrag über ,Scheinprobleme der Wissenschaft1 ist fertig. Ob und wann ich ihn halte, steht noch in den Sternen." Noch einmal waltete in aller Not der Zeit ein gütiges Schicksal. Die von Sauerbruch vollzogene Operation verlief gut. Der nun 86jährige, der sich immer nach Tätigkeit sehnte, schrieb am 21. Juli, als die Kriegslage für Deutschland immer ungünstiger wurde und die Alliierten in Frankreich gelandet waren: „Die Operation ist glücklich überstanden, wenn es auch einige Wochen gedauert hat, bis ich die lästigen Folgen losgeworden bin. Mehr macht mir mein Rücken zu tun, in dem ich häufig rheumatische Beschweren habe. Doch das ist sekundärer Art . . . " Während fast täglich oder nächtlich englische und amerikanische Bombergeschwader über die Elbe brausten, arbeitete Max Planck an grundlegenden Fragen, die in gewissem Sinne einen Abschluß seiner Lebensarbeit sein sollten. Gerade weil er tiefer in die Geheimnisse des Weltalls, seine Gesetze und Zusammenhänge sah, kam 5
es ihm mehr und mehr darauf an, die Scheinprobleme von den echten Problemen zu sondern. Max Planck durfte diese Sonderung vornehmen, weil er ebenso wie Albert Einstein und Werner Heisenberg in den Gefilden der höheren Mathematik und Physik lebte, die als die unbestechlichsten und folgerichtigsten Wissenschaften Schein und Täuschung am sichersten durchschauen lassen. Von dem Gedanken an Max Plancks unbeirrte Geisteshaltung erfüllt, blätterte ich weiter in der vor mir liegenden Korrespondenz. Da war der Brief vom 3. Januar 1945 mit jener uns alle tief bestürzenden ersten Nachricht von der Verurteilung des Sohnes Erwin, des vierten Kindes aus der ersten Ehe. Die drei anderen Geschwister waren längst gestorben. Der älteste Sohn Karl, ein begabter junger Jurist, war am 26. Mai 1916 in der Schlacht um Verdun gefallen, die sechshunderttausend deutsche und vierhunderttausend französische Tote gekostet hatte. Nicht genug damit. 1917 und 1919 hatte Max Planck seine beiden Zwillingstöchter Grete und Emma verloren, sie starben beide bei der Geburt ihres ersten Kindes. Ihre Mutter war ihnen schon 1909 im Tode vorausgegangen. Und nun die neue Drohung des Schicksals: „. . . Wir leiden unter einer schweren Sorge. Unser Erwin ist vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, da einige der Attentäter zu seinem Bekanntenkreis gehörten. Das Urteil ist zwar noch nicht vollstreckt, und wir haben einige Hoffnung, daß das Begnadigungsgesuch, das von einflußreicher Seite unterstützt wird, Erfolg hat, aber einstweilen ist das Urteil noch vollkommen rechtskräftig, und wir fühlen das Damoklesschwert beständig über uns schweben. Aber wir dürfen deshalb nicht undankbar sein gegen das viele Gute, das uns vom Geschick gegönnt ist, und wollen den Mut und die Hoffnung nicht sinken lassen." Wie furchtbar mußten die Tage zwischen der Abfassung dieses Briefes und dem 23. Januar, als ich Frau Marga Planck auf dem Berliner Physikertag wiedersah, auf das Gemüt Max Plancks gewirkt haben! Wir bangten in der Erwartung der nächsten Nachricht. Sie kam drei Tage später, es war eine Karte von sechs Zeilen: „Aus tiefbetrübtem Herzen muß ich Euch die Mitteilung machen, daß das Urteil über meinen geliebten Sohn Erwin wider alles Hoffen und Erwarten am 23. dieses Monats vollstreckt worden ist. Ich werde ihn, der meine Freude und mein Stolz war, nie wiedersehen. Eurer Teilnahme bin ich sicher." Aber mit diesen persönlichen Schicksalen waren die Prüfungen für Max Planck noch nicht zu Ende. Während Deutschland weiterhin in Rauch und Flammen aufging, während das Leben des ein6
zelnen wie das der Hunderttausende nichts mehr wert war, zog sich das Kriegsgewitter auf beiden Seiten der Eibe zusammen. Von Osten kamen die Russen, von Westen die Amerikaner. Das Gut Rogätz wurde zu einem Brennpunkt, von West und Ost schoß die Artillerie im Kampf gegen die Deutschen in das Anwesen. Rogätz mußte eiligst von den Zivilisten geräumt werden. Man befahl ihnen, ihre letzten Habseligkeiten, die sie gerade noch zusammenraffen konnten, an sich zu nehmen; mit wenig Gepäck wurden sie auf einen Leiterwagen verladen, der sie in den nahen Wald fuhr. Seit dem schmerzlichen Ereignis der Hinrichtung seines Sohnes waren nun gerade drei Monate täglicher Trauer und Spannung vergangen. Der Frühling war noch nicht eingezogen, die Nächte waren kalt. Der 87jährige Max Planck war an diesem Tag und in dieser Nacht von seinen Schmerzen furchtbar gequält. Aber sein Geist war stark, sein Wille bändigte die Qual des körperlichen Leids. Mit Hilfe seiner Lebensgefährtin, die seit vierunddreißig Jahren in guten und bösen Tagen an seiner Seite gestanden und ihn auch auf all seinen Reisen ins In- und Ausland begleitet hatte, überstand er die gefährliche Flucht aus dem Granatenhagel. Beide mußten in der Kälte die Nacht im Freien verbringen. Am nächsten Tag war die unmittelbare Gefahr vorüber. Die Deutschen hatten kapituliert oder sich zurückgezogen; die Amerikaner hatten sich im Gut einquartiert. Wohin sollten sich die Flüchtlinge nun wenden? Gab es für den Mann, der sonst wie ein Fürst empfangen und gefeiert worden war, der freilich in allen Triumphen seine unbeschreiblich wohltuende Einfachheit der Gesinnung und des Sichgebens bewahrt hatte, wirklich keine Wohnstatt mehr auf dieser Erde? Als die Obdachlosen das Gut wieder aufsuchten, trat ein Melker an sie heran, während ringsumher amerikanische Soldaten und Offiziere lagerten. Keiner von ihnen ahnte, wer da übernächtig neben ihnen stand. Der Melker aber erbarmte sich der beiden alten Leute: „Kommen Sie zu mir, ein Fleckchen wird sich noch finden!" Es fand sich tatsächlich in einer winzigen, primitiven Kate. Selbst Max Planck, der Übertreibungen haßte. sprach in der Erinnerung an diese Behausung doch von „primitivsten Verhältnissen". Gerade daß die beiden noch einen Winkel zum Schlafen fanden und das Allernotwendigste, um nicht zu verhungern. Als sie endlich wenigstens ein Dach über sich hatten, wagte sich Frau Marga noch einmal ins Haupthaus zurück, um wenigstens das eine oder andere aus ihrer Wohnung zu retten. Der Name Planck
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sagte den fremden Soldaten nichts, aber sie ließen sich erweichen und erlaubten ihr, einiges von ihrem persönlichen Eigentum mitzunehmen und in die Kate des Melkers hinüberzutragen. Das linderte etwas die Not. Sie konnte ihrem leidenden Gatten wenigstens ein warmes Lager bereiten. Dieses Dasein, das nur ein Vegetieren war, dauerte vierzehn Tage. Was sollte werden? Noch gab es überall nur Unordnung, wilden Taumel, unerhörte persönliche Tragödien. Endlich zeigte sich ein Hoffnungsschimmer. Voller Sorge, jedoch ohne jede Postverbindung, fragten sich die Göttinger Verwandten Max Plancks, ob und wie er wohl die Schreckenstage überstanden habe. Göttingen war seit langer Zeit eine Stätte ersten Ranges für Physik und Mathematik mit wichtigen Instituten voll unersetzlicher wissenschaftlicher Geräte und Dokumente. Deshalb fand die Stadt vom ersten Tage der Besetzung an das Interesse von Wissenschaftlern aus den siegreichen Ländern. Unter ihnen befanden sich auch drei amerikanische Physiker, die in Uniform die Institute besichtigten, um sich die wichtigsten deutschen Forschungsergebnisse zu sichern. Physikprofessor Robert Pohl kam mit ihnen ins Gespräch und berichtete von der quälenden Ungewißheit um das Schicksal Max Plancks. Sofort erklärten sie sich bereit, das Ehepaar Planck aus der gefährdeten Zone herauszuholen. Sie fuhren ohne Verweilen nach Rogätz und sprachen beim Kommandanten im Herrenhause vor. „Hier soll es noch deutsche Zivilisten geben. Wissen Sie, wohin die Leute geflüchtet sind?" „Sehen Sie mal in der kleinen Hütte dort drüben nach!" Ein alter Mann trat ihnen unter der Tür entgegen: „Sind Sie Professor Max Planck?" „Das bin ich, und hier ist meine Frau." „Wir holen Sie ab. Bitte steigen Sie ein! Wir sollen Sie nach Göttingen bringen!"
* Vom Himmel strahlte wärmend die Maisonne, der Weg an sich war nicht allzu weit, aber infolge der Truppenbewegungen gab es immer wieder längere Aufenthalte. Jedoch das Gefühl, gerettet zu werden, war bei den beiden Menschen so stark, daß sie alle Mühsal geduldig ertrugen. So erreichten sie das Haus ihrer Verwandten in Göttingen, wo sie den Rest ihres Lebens verbringen konnten. Max Planck setzte sich noch im Mantel an den Flügel und intonierte mit fester Hand den. Choral „Nun danket alle Gott!" •Ein letztes freundliches Geschehnis beglückte seinen Lebensabend.
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Prof. Max Planck am Flügel
Im Sommer 1946 fand in England eine aus der ganzen Welt beschickte Feier für Max Plancks großen Vorgänger Isaac Newton statt, der im Jahre 1643 geboren war; man hatte wegen des Krieges die 300-Jahr-Feier auf 1946 verschoben. Ganz überraschend erreichte Max Planck in Göttingen die Einladung, an den Jubiläumsfeierlichkeiten teilzunehmen. Er war glücklich darüber, weil er zeit seines Lebens für die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit auf allen Gebieten der Wissenschaft, insbesondere der Physik, eingetreten war und weil er nach dem ersten Weltkrieg viele Jahre schmerzlich unter der Verfemung deutscher Gelehrter gelitten hatte. Die mit allen Mitteln gesteigerte Erbitterung hatte nach 1918 dahin geführt, daß man die deutschen Wissenschaftler nicht mehr zur Mitarbeit einlud, sie von Kongressen ausschloß und sie auch als Austauschprofessoren nicht mehr zuließ. Darüber hatte Max Planck fast zehn Jahre lang getrauert und dieser Trauer mündlich und schriftlich Ausdruck verliehen. Und jetzt, nach einer noch grauenvolleren Entzweiung der Völker, hatte es nur ein Jahr gedauert, bis man die Hände erstmals wieder zur Versöhnung ausstreckte. Eines Tages stand ein amerikanischer Wagen vor Plancks Haus in Göttingen und holte ihn und seine Frau ab. Der englische Leiter der Aerodynamischen Versuchsanstalt, Dr. Blount, geleitete die beiden; sie fuhren nach Hannover, stiegen dort in ein Militärflugzeug um und flogen nach London. Die Hauptfeiern fanden in der Universität Cambridge statt. Mit einem Schlag hob sich die Schranke, die in der Zeit der Gewaltherrschaft die deutschen Wissenschaftler isoliert hatte. Fast alle großen Physiker der Welt waren zugegen, sie schüttelten Max Planck die Hand, freuten sich, daß er noch verhältnismäßig gesund und frisch war, und gelobten sich redend oder schweigend, wieder zusammenzuarbeiten.
Kriegsende 1918 Von den Grundlagen des Geistigen her, mit Hilfe der „idealen Güter der Gedankenwelt" muß der Aufstieg aus den Trümmern und der Wiederaufbau des Zerstörten beginnen — das war Plancks Forderung. Schon einmal hatte der große Denker Max Planck diese Forderung erhoben, als Unheil über die Menschen unseres Volkes hereinbrach. Und auch damals erlebte Deutschland einen Zusammenbruch 10
ohnegleichen. Und auch damals war es die Zerstörung nach einem Weltkrieg. Wie gleichen sich die Ereignisse! Wir schlagen die Blätter der Lebenschronik Max Plancks um etwa drei Jahrzehnte zurück. Es ist November 1918. Wieder fluten, ausgeblutet und verelendet, deutsche Truppen von den Schlachtfeldern in Ost und West und Süd zurück in die Heimat. Das Hohenzollernhaus ist gestürzt, die Republik, die eine neue, vom Volk getragene und gesicherte Ordnung begründen soll, ist ausgerufen. Aber in vielen deutschen Städten nutzen Aufrührer das Unglück und die Verwirrung des Volkes aus, eine kommunistisch« Diktatur zu errichten. In Berlin haben sie sich des kaiserlichen Schlosses bemächtigt und suchen von dort aus ihre Herrschaft zu festigen. Mitten in diese Wirklichkeit hinein geht eines Tages der Gelehrte Max Planck. In weitem Umkreis um das Schloß gibt es täglich und stündlich Schießereien. In dem allgemeinen Wirrwarr, ohne geordnete Polizei oder schützende Militärmacht ist den gut verschanzten und mit Waffen ausgerüsteten Rebellen im Schloß nicht beizukommen. Max Planck schlägt sich zu dem einige Minuten vom Schloß entfernten Gebäude der Akademie der Wissenschaften durch. Er ist seit sechs Jahren einer ihrer Präsidenten, die man damals noch altmodisch Sekretare nennt. Schloß —, Schloßbrücke über die Spree —, Zeughaus mit den von Schlüter geschaffenen steinernen Bildern toter Krieger —, Universität —, Preußische Akademie der Wissenschaften — das ist die Reihenfolge der Bauten, an denen der Weg vorüberführt. Abwechselnd leitet jeweils einer der vier Präsidenten die Sitzungen der Gesamtakademie. Und mitten in dieser bedrohenden Umwelt ist wieder eine Sitzung fällig. Hätte Planck sie absagen sollen? Durfte er die Leuchten der Wissenschaft, die Mitglieder aller Zweige der Akademie, Sprachforscher und Philosophen, Juristen und Mediziner, Physiker und Chemiker der Gefahr aussetzen . . . ? Plancks Pflichtgefühl siegt, sein in sich ruhender Charakter läßt der Angst keinen Spielraum. Er hat um eine ständige Wache für die Akademie gebeten, um die vielseitige Tätigkeit an dieser bedeutendsten Stätte der Wissenschaft nicht unterbrechen zu müssen. So begibt er sich trotz Verkehrsstörungen, trotz Streikdrohung und Straßenkampf vom Grunewald zur Akademie und eröffnet die Sitzung mit einem Aufruf zur Fortsetzung der wissenschaftlichen Arbeit und mit einem mutigen Bekenntnis zur Freiheit: 11
„Niemand kann wissen, was die nächsten Stunden bringen. Aber wenn die Akademie jetzt ihre Sitzungen unterbrechen wollte in der Erwägung, daß es in dieser stürmischen Zeit auf etwas mehr oder weniger Wissenschaft nicht viel ankommt, so würde das nach meinem Empfinden das Verkehrteste sein, was sie tun könnte. Es wäre selbst dann verkehrt, wenn es sich um weniger kostbare Güter handeln würde, als die sind, welche die Akademie zu verwalten hat. Wenn im Innern schwere Krisen hereingebrochen sind und vielleicht noch schwerere bevorstehen, eins hat uns noch kein äußerer und innerer Feind genommen: Das ist die Stellung, welche die deutsche Wissenschaft in der Welt einnimmt. Wenn es wahr ist, was wir doch alle hoffen müssen und hoffen wollen, daß nach den Tagen des nationalen Unglücks wieder einmal bessere Zeiten anbrechen, so werden sie ihren Anfang nehmen von dem aus, was dem deutschen Volke als Bestes und Edelstes eigen ist: von den idealen Gütern der Gedankenwelt, denselben Gütern, die uns schon einmal, vor hundert Jahren, vor dem gänzlichen Zusammenbruch bewahrt haben."
Kriegsende 1871 Und wieder blenden wir in Plancks Leben einige Jahrzehnte zurück. Und wieder ist Krieg, und wieder kehren Truppen in die Heimat zurück; doch damals ist es eine Armee, die den Deutsch-Französischen Krieg der Jahre 1870 und 1871 siegreich beendet hat. Die Bilder sind freundlicher als die der Jahre 1918 und 1945. Max Planck, dessen Vater vier Jahre vorher, im Jahr 1867, als Professor der Rechtswissenschaft von Kiel nach München versetzt worden war, ist dreizehn Jahre alt und besucht das MaximiliansGymnasium in der von König Ludwig I. erbauten Prachtstraße, der Ludwigstraße. Sie führt wie ein ausgestreckter Arm von der Münchner Innenstadt, genauer gesagt, von der am Rande der Innenstadt erbauten Münchner Residenz, auf das noch ganz dörfliche Schwabing zu. Das Maximilians-Gymnasium, im Volksmund MaxGymnasium genannt, ist ein großes, graues, keineswegs anheimelndes Gebäude aus jener Zeit, die für die Schönheit von Schulbauten wie für die seelischen Vorgänge bei den Schülern nicht so hohes Verständnis zeigt, wie das heute der Fall ist. Die klassische Gelehrsamkeit mit Latein und Griechisch ist die Grundsäule der Ausbildung. Der „Ordinarius" versteht und lehrt die fünf Hauptfächer Latein, Griechisch, Deutsch, Geschichte und Geographie. Physik, 12
die nur in den vier obersten Klassen gelehrt wird, und Mathematik sind Nebenfächer. Aber gerade sie fesseln Max Planck am meisten. Am Tage der Rückkehr der Truppen bewegt sich auch Max Planck unter den Tausenden, die die Ludwigsstraße säumen. Die weißblauen Fahnen Bayerns flattern im Wind. Der Blick ist eingeengt durch die Fahnenmasten mit ihren Leinwandstreifen voller Sprüche und Bilder und durch das Blumen- und Grüngewinde, das von Straßenseite zu Straßenseite gezogen ist. Der Vater hat ihm die Erlaubnis gegeben, sich das Schauspiel anzusehen. Vor dem Vater haben er und seine Geschwister immer eine gewisse Scheu. Er ist zwar im Verkehr ein liebenswürdiger Mann, aber innerlich unzugänglich, unnahbar und auch recht ungesellig — kurz, ein Vertreter der betonten Autorität. Dagegen ist Max mit der Mutter menschlich viel näher verbunden. Sie ist es, die ihn in Wirklichkeit erzieht. Von ihr hat er das Temperament, die Heiterkeit, seinen stillen Sinn für Humor, eine warme Menschlichkeit, auch die gesellige Veranlagung und das Bedürfnis, sich einem Menschen mitzuteilen. Max Planck geht am Kriegsministerium vorbei. Dort hat man einen Aufbau aus der Kriegsbeute errichtet: Kanonen, Fahnen, Gewehre, Trommeln sollen die Bedeutung des Sieges symbolisieren. Aber seine Gedanken sind nicht auf das Festliche dieses Tages gestimmt. Vor wenigen Monaten, am 19. Dezember 1870, ist sein neunzehnjähriger Bruder Hermann bei Villeprevost in der Gegend von Orleans gefallen. Nun lebt Max noch mit zwei Brüdern und einer Schwester zu Hause. In der Ludwigsstraße findet der Schüler Planck einen Platz gegenüber dem Max-Gymnasium, und wenn er in die Zukunft sehen könnte, dann hätte er eine recht seltsame Vision. Da sähe er sich, fünf Jahre älter geworden, als Studenten der Physik im zweiten Semester durch das Tor ins Gymnasium gehen. Aber nicht mehr als SchüleT. Der Mathematik- und Physikprofessor ist erkrankt, und der Rektor des Gymnasiums schlägt in Erinnerung an die besondere Tüchtigkeit Max Plancks in Mathematik und Physik dem Ministerium vor, den jungen Studenten mit der Vertretung zu beauftragen. In den geheiligten Räumen des Königlich-Bayerischen Kultusministeriums brütet der zuständige Beamte über dem in der Geschichte des Schulwesens einzigartigen Aktenstück, das den Antrag des Rektors enthält. In einer glücklichen Anwandlung genehmigt er das Gesuch, und das Experiment bewährt sich aufs beste. Aber eine solch prophetische Vorschau auf seine Laufbahn wäre 13
für Max Planck an diesem Tage des Truppeneinzugs aus einem besonderen Grunde nicht möglich. Wie so manche, die später in ihrem Beruf den höchsten Gipfel erstiegen, lebt auch der junge Max Planck auf dem Gymnasium und noch in der ersten Zeit seines Studentseins in einem aufwühlenden Zwiespalt. Er ist äußerst musikalisch und schwankt in diesen Jahren, oh er sein Leben der Physik oder der Musik widmen soll. Als Schüler schon singt er Sopran in den Knabenchören der großen Aufführungen von Oratorien und Passionen, die in der Musikstadt München immer zu den Höhepunkten des Kulturlebens gehören. Nach dem Stimmbruch singt er Tenor. Er hat das absolute Gehör, die Fähigkeit, jeden erklingenden Ton in seiner tatsächlichen Tonhöhe zu bestimmen. Außerdem spielt er Orgel in den Gottesdiensten der Studentenkirche, später als Student ist er mehrere Jahre Dirigent des Orchestervereins und vertretungsweise auch des Oratorien- und Chorvereins. Im akademischen Gesangverein ist er zweiter Chormeister. Er komponiert auch kleine Singspiele, Lieder und andere Stücke. Bei vielen Veranstaltungen wirkt er mit und wird dabei schon früh mit namhaften Kulturschaffenden Münchens bekannt, mit dem Dichter Paul Heyse und den Malern Piloty und Kaulbach. Im Klavierspiel, das er später so meisterhaft beherrscht, ist er zunächst Autodidakt. Erst im dritten Studienjahr, das er in Berlin als Schüler von Helmholtz und Kirchhoff verbringt, nimmt er Klavierunterricht. Als er im letzten Studienjahr nach München zurückkehrt, studiert er bei Professor Rheinberger von der Musikakademie Kontrapunkt und Harmonielehre. Eigentlich hat er sich erst mit bestandenem Doktorexamen endgültig für den Lebensberuf entschieden, in dem er zum Höchsten berufen sein sollte.
1890: Der junge Planck glaubt nicht an Atome Die wissenschaftliche Laufbahn, die Max Planck zum Begründer des Atomzeitalters werden ließ, wies eine scheinbare Widersinnigkeit auf: Der junge Gelehrte glaubte nicht an Atome. Das ist eine der großen Überraschungen im Leben dieses Mannes. Denn, nachdem er im Jahre 1900 die „Quantentheorie" entwickelt hatte, erfuhr man überhaupt erst etwas über die Größenverhältnisse der Atome, lernte man sie exakt messen und ihre Zusammenhänge erforschen. Vorher wäre es unmöglich gewesen, zu erkennen, daß der Durchmesser eines Atomkerns nur etwa ein hundertmilliard14
Der Bücherfreund: Max Planck in seiner Bibliothek
stel Millimeter, der des Gesamtatoms etwa ein zehnmillionstel Millimeter mißt. Vorher wußte man nicht, was die Spektren eigentlich bedeuten, jene uns allen bekannten Wellenunterschiede in den verschiedenen Farben des Lichts, aber nicht nur des Lichts, sondern aller elektromagnetischen Erscheinungen, unter ihnen auch die der Röntgenstrahlen. Der Forscher, auf den die Aufhellung der Atomwelt zurückgeht, hat tatsächlich in den ersten zwanzig Jahren seiner wissenschaftlichen Tätigkeit nicht an Atome geglaubt, obwohl er sich schon in seiner Doktorarbeit vom Jahre 1879 „Über den zweiten Hauptsatz der Wärmetheorie" in die schwierigsten Fragen der physikalischen Welt eingearbeitet hatte. Auch seine Habilitationsschrift, die ihm den Eintritt in den Lehrkörper der Münchner Universität eröffnete, bejahte die Frage der Atome nicht. Er kam ihnen auch nicht näher, als er sich, unbeachtet von seinen Fachgenossen, neue geistige Werkzeuge schuf, die ihn in noch tiefere Bereiche der physikalischen Welt vordringen ließen. Er konnte sich nicht von der Existenz der Atome überzeugen, im Gegensatz zu den beiden Hauptvertretern der damaligen theoretischen Physik, Clausius und Boltzmann. „Boltzmann wußte recht wohl", so schreibt Planck darüber in seinen Lebenserinnerungen, „daß mein Standpunkt von dem seinigen doch wesentlich verschieden war. Insbesondere verdroß es ihn, daß ich der atomistischen Theorie, welche die Grundlage seiner ganzen Forschungsarbeit bildete, nicht nur gleichgültig, sondern sogar etwas ablehnend gegenüberstand." Und doch baute Max Planck auf der Arbeit der genannten Forscher auf. Selbst die Größten im Reiche der Wissenschaft kommen ja nicht wie mit einem Fallschirm vom Himmel herunter, sondern knüpfen irgendwo an die Arbeit ihrer Vorgänger an. Boltzmann war in größter Aufregung. Ein Schüler von Max Planck mit Namen Ernst Zermelo hatte auf einen wesentlichen Fehler in den Gedanken Boltzmanns über die Wärmelehre hingewiesen. In diesem Lesebogen ist freilich eine nähere physikalische Erklärung nicht möglich; wir müßten sonst lauter schwierige Begriffe, wie Entropie, Irreversibilität, molekulare Unordnung, Größe H verwenden. Boltzmann übertrug seinen Ärger über die Kritik auch auf Max Planck: „Er erwiderte", so bemerkt Max Planck, „dem jungen Zermelo mit beißender Schärfe, von der auch ein Teil mich selbst traf, weil doch die Zermelosche Arbeit mit meiner Genehmigung erschienen war. Auf diese Weise kam es, daß Boltzmann auch bei 16
späteren Gelegenheiten einen gereizten Ton gegen mich beibehielt, der erst in der letzten Zeit seines Lebens, als ich ihm von der a touristischen Begründung meines Strahlungsgesetzes berichtete, einer freundlichen Zustimmung wich." So kann es also auch in den geheiligten Bezirken der Wissenschaft zugehen: Streitigkeiten werden manchmal nicht ohne persönliche Verärgerung und Verunglimpfung ausgetragen. Jedoch stand Max Planck sein ganzes Leben lang turmhoch über den vielen anderen, die einen wissenschaftlichen Streit aufs Persönliche hinübergleiten ließen. Gelegenheit dazu hätte ei wahrhaft genug gehabt. Er ging ja nicht wie andere Forscher unangefochten ihren Weg zum Gipfel, wie etwa Wilhelm G. Röntgen oder auch Isaac Newton, der dreihundert Jahre vor Planck wesentliche Einblicke in die Gesetze der Natur gewonnen hatte. Freilich hatte man auch Röntgen etwas am Zeug flicken wollen, indem man sagte, nicht ihm, sondern seinem Institutsdiener verdanke man die Entdeckung der Röntgenstrahlen. Aber das waren Gerüchte, bei denen der Neid wohl eine Rolle spielte. Die wissenschaftlichen Kämpfe, in die Max Planck verwickelt wurde, bilden einen großen Teil seiner Lebensarbeit und haben ihn viel Kraft gekostet. Die Kämpfe führten vor allem in der Zeit, als er noch nicht an Atome glaubte, zu dramatischen Zuspitzungen und auch zu schweren persönlichen Enttäuschungen. Es begann damit, daß sein Lehrer, der Physikprofessor Jolly in München, und der ebenfalls dort wirkende weltberühmte Chemiker Adolf von Baeyer ihm die Freude an seinem Fach vergällten, zu dem er sich mit großer Begeisterung hingezogen fühlte: Das war die „theoretische", oder wie man genausogut sagen kann, die „mathematische Physik". Professor Jolly warnte Max Planck davor, sich noch viel mit diesen Wissenschaftszweigen zu befassen, denn was wolle er da noch erforschen? Das Gebäude der Physik stehe fertig und in sich geschlossen da, es seien höchstens noch Einzelheiten zu klären. Wie aber so häufig, wurde auch hier der Stolz des Fachgelehrten alsbald gedämpft. Es dauerte nicht lange, bis eine ganze Anzahl von Einbrüchen in das physikalische Denken des 19. Jahrunderts erfolgten. Vor allem waren es drei Entdeckungen, die dann unser ganzes Leben aufs entscheidendste verändert haben: die Entdeckung der drahtlosen Wellen, von denen das Jahrhundert des Rundfunks, des Radars, des Fernsehens und der Fernsteuerung seinen Ausgang genommen hat; die Entdeckung der Röntgenstrahlen, die der Medizin und Technik völlig neue Gebiete erschlossen und tiefste Ein17
blicke in die Welt des Allerkleinsten eröffnet haben, und die Auffindung der radioaktiven Stoffe. All dieses Neue konnte indes erst richtig verstanden werden durch Max Plancks Quantentheorie. Auch bei seiner Doktorprüfung ließ man Max Planck die Geringschätzung des von ihm gewählten Studiengebietes deutlich spüren. Noch im Alter stand Planck unter dem schmerzlichen Eindruck jenes Tages und bemerkte in der Rückbesinnung: „Doch habe ich gerade diese Prüfung in wenig angenehmer Erinnerung, da er (der Prüfende) mich ziemlich schnöde behandelte und durchblicken ließ, daß er die theoretische Physik für ein vollkommen überflüssiges Fach hielt." Ach, es „menschelte" selbst in den angeblich so hohen und hehren Gefilden der Wissenschaft! Auf dem dornigen Wege, den Max Planck in der geistigen Vorbereitung seiner Hauptlehren, des Strahlungsgesetzes und der Quantentheorie, in unerbittlicher Folgerichtigkeit Sehritt für Schritt gehen mußte, machte er noch eine weitere entmutigende Erfahrung. Die Göttinger Philosophische Fakultät hatte eine Preisaufgabe über das Thema „Das Prinzip der Erhaltung der Energie" ausgeschrieben. Das war ein Problem, das Max Planck aufs allerstärkste bewegte. Er beteiligte sich an dem Wettbewerb und erhielt den zweiten Preis. Außer seiner Arbeit waren nur zwei andere eingegangen, und das war ein Zeichen dafür, daß man damals im Taumel der physikalischen Neuentdeckungen nicht bereit war, sich mit den eigentlichen und tiefsten Fragen des Naturgeschehens zu beschäftigen, die den Entdeckungen zugrunde lagen. Die beiden anderen Arbeiten wurden nicht preisgekrönt, und doch sprach man Max Planck keinen ersten Preis zu. Des Rätsels Lösung brachte ein Satz aus der Beurteilung der Fakultät: „Die Fakultät muß endlich den Bemerkungen, durch welche sich der Verfasser mit dem ,Weberschen Gesetz' abzufinden sucht, ihre Zustimmung versagen." Damit hatte es folgende Bewandtnis: Wilhelm Weber war der Göttinger Professor der Physik, der die Entscheidung über die Preisverteilung in der Hauptsache zu treffen hatte. Er stand aber gerade damals mit dem großen Berliner Physiker Helmholtz, bei dem Max Planck studiert hatte, in einem scharfen wissenschaftlichen Streit. Max Planck hatte sieh in der Arbeit ausdrücklich auf die Seite von Helmholtz gestellt. Er zog aus diesem betrüblichen Erlebnis nur den einen Schluß, in seinem ganzen Leben und Wirken gegenüber Fachkollegen und Studenten jede persönliche Eitelkeit auszuschließen und nur den Weg der reinen Wahrheitsfindung zu gehen. 18
Max Planck war bei weitem nicht der einzige Physiker am Ende des 19. Jahrhunderts, der nicht an Atome glaubte. Die Mehrheit der Gelehrten war von dem gleichen Unglauben erfüllt. Nur die Chemiker waren seit dem Anfang des 19. Jahrunderts geneigt, Atome anzunehmen, wenigstens in den Gasen, für die der berühmte Dälton und in seinem Gefolge einige Franzosen Gesetze aufgestellt hatten, die man nur mit Hilfe der Atomvorstellungen verstehen konnte. Aber was, wie groß und wie schwer diese Atome eigentlich waren, wie sie wirkten, wie sie sich zu Elektrizität und Magnetismus verhielten, darüber wußte man kaum etwas Bestimmtes zu sagen. Gerade darauf aber wäre es angekommen. Unter den Physikern war Boltzmann, der Max Planck wegen seiner Verneinung der Atome so unfreundlich behandelt hatte, eine Ausnahme. Fast alle anderen beschäftigten sich nur mit der Ansammlung von Tatsachen, die durch das Experiment bestätigt wurden. Freilich hätten ohne diese Forschungsarbeit die theoretischen Physiker, wie Clausius, Boltzmann und Planck, ihre großen und umwälzenden Aufgaben nicht erfüllen können.
1900: Doch, es gibt Atome! Im Jahre 1900 kam die entscheidende Wendung auf fast allen Gebieten des Lebens und des Wissens. Diese Zeit vor und kurz nach der Jahrhundertwende hatte unerhört viel Neues gebracht: elektrisches Licht, Röntgenstrahlen, drahtlosen Funk und radioaktive Stoffe, Flugzeuge und Luftschiffe, immer kompliziertere Maschinen in der Technik, Apparate zur Feinmessung in einem früher nie für möglich gehaltenen Umfang, wichtige Neuerungen oder gar Wandlungen auf fast allen Gebieten der Medizin, ein ganz neues Verständnis für das Zusammenwirken von Leib und Seele, neue Richtungen in der Pädagogik, der Kinderheilkunde und Kinderpsychologie und vieles andere. Freilich verstärkten sich im Gegensatz dazu auch die Machtgier, der Rüstungswettstreit, die soziale Zerklüftung und die Abkehr von vielen überkommenen Werten. Max Planck veröffentlichte im Jahre 1900 sein Strahlungsgesetz und seine Quantenformel. Das war der Zeitpunkt, da er sich in heftigen seelischen Kämpfen und unter Aufgabe seiner bisherigen Ansichten davon überzeugen mußte, daß es doch Atome gab. Er hat damals, ohne die Tragweite seiner umstürzenden Erkenntnisse auch nur im entferntesten übersehen zu können, den Weg zum
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Atom und zur Atomforschung gebahnt. Und es ist einer der seltsamsten Fälle in der Geschichte der Wissenschaft, daß ein Mann, der trotz schwierigster und immer tiefer dringender Erforschung der Naturgeheimnisse nicht an Atome geglaubt hatte, sich unter dem Druck neuer Zusammenhänge entschloß, das Steuer völlig herumzuwerfen, die Existenz der Atome als gesichert anzusehen und nicht nur sich selber zu korrigieren, sondern auch alle Vorstellungen, die mau bisher von den kleinsten Teilchen gehabt hatte. Er tat das im Geiste jener echten, ehrlichen und zugleich wahrhaft demütigen Hingabe an die Forschung. Eine Anekdote, die Max Planck immer wieder gern im kleineren oder größeren Kreis von Freunden oder Forschern erzählte, erhellt am besten seine Einstellung zu dem, was sich in jener Zeit in ihm vollzogen hat. Es war wohl bei diesem zwar gütigen und stets hilfsbereiten, aber doch sehr ernsten, in sich gekehrten und in seiner Art nüchternen Mann die einzige Anekdote, die man von ihm horte. Sie handelt von einem berühmten Stammesgenossen, dem Philosophen Hegel, der ebenso wie Max Planck aus sehr altem schwäbischem Geschlecht stammte und vor über hundert Jahren das stolze und erhabene Haupt der deutschen Philosophie bildete. Hegel war ein umfassender Geist, schrieb über Gott und Welt, über Geschichte und Recht, über Logik und Erkenntnistheorie und — leider auch über Probleme der Naturforschung. Da er aber über manches, was zu seiner Zeit an neuen, bahnbrechenden naturwissenschaftlichen Erkenntnissen gewonnen wurde, nicht recht orientiert war, erfaßte er vieles Wesentliche nicht. Und daher unternahm er es, der Natur gewisse am Schreibtisch ausgetüftelte Gesetze zu diktieren, anstatt ehrfürchtig von den vielen neu gefundenen Tatsachen auszugehen. In Sternwarten, Laboratorien, in Reagenzgläsern und Prismen, mit immer feineren Meßgeräten und mit immer kühneren technischen Mitteln war dieses Neue erkannt worden. Max Plancks Hegel-Anekdote aber lautet so: Eines Tages kommt ein Physik-Professor zu Hegel und sagt zu ihm: Was Sie da über Naturphilosophie geschrieben haben^ Herr Professor Hegel, widerspricht aber den Tatsachen. Hegel erhob drohend den Finger und erwiderte; „Um so schlimmer für die Tatsachen!" Sein Gedankengebäude erschien ihm wichtiger als die Wahrheit der Tatsachen. Die richtige Antwort wäre gewesen: Sehr bedauerlich — wenn die Tatsachen gegen mich sprechen, muß ich eben meine bisherigen erdachten Lehrsätze in den Papierkorb wer20
Bei der Gedenkfeier zum 100. Geburtstag Max Plancks erläutert Professor Heisenberg die auf einen Bildschirm geworfene „Plancksche Formel" vom Jahr 1900
fen oder wenigstens stark verändern, ummodeln, erweitern oder was eben erforderlich ist, damit sie den Tatsachen gerecht werden. Max Planck gab diese Antwort und berichtigte sich. Es waren aufregende Vorgänge, die zu seiner Quantentheorie führten. Wir können sie hier nur in groben Zügen darstellen. Zwischen 1890 und 1900 stellten Physiker besonders in Berlin zahlreiche Versuche an, um die Energieverteilung hei der Ausstrahlung von Wärme auszurechnen und dafür eine Formel zu finden. Genau wie die Energie bei den Rundfunkstrahlen verschiedener Wellenlänge verschieden ist, so ist sie es auch bei den Wärmestrahlen. Auch sie sind keine einheitliche Strahlung, sondern Strahlen unterschiedlicher Wellenlänge und damit verschiedener Energie. Eine Formel, die der Münchner Professor Wilhelm Wien dafür aufgestellt hatte, erwies sich als falsch. Am 19. Oktober 1900 wurde darüber in der Sitzung der Berliner Physikalischen Gesellschaft debattiert. Max Planck hatte sich bereits näher orientiert und schlug der Versammlung eine neue, bessere Formel für das Strahlungsgesetz bei der Wärme vor. Er versprach, bis zur nächsten Sitzung in acht Wochen darüber nachzudenken und zu beweisen, daß sein Formelvorschlag keine theoretische Spielerlei und kein wirklichkeitsfremder Gedankenblitz sei, sondern einen physikalischen Sinn habe und ein bisher unbekanntes Stück Wirklichkeit erkläre. Aber sofort erhob sich Widerspruch. Seine Formel — das könne man schon jetzt sagen — stimme nicht mit den von den Physikern Rubens, Lummer und Pringsheim durchgeführten Messungen überein. Was sollte geschehen? Sollte Max Planck dem Beispiel Hegels folgen und sagen: Um so schlimmer für die Tatsachen! Nein, er war, wie so manches Mal in seinem Leben, seiner Sache so sicher, daß er meinte, die Wahrheit müsse sich schon durchsetzen. Und Planck sollte recht behalten. Er schrieb über diese entscheidenden Wochen an der Wende von der voratomaren Physik des 19. Jahrhunderts zur Physik des Atomzeitalters: „Am Morgen des nächsten Tages suchte mich der Kollege Rubens auf und erzählte, daß er nach dem Schluß der Sitzung noch in der nämlichen Nacht meine Formel mit seinen Messungsdaten genau verglichen und überall eine befriedigende Übereinstimmung gefunden habe. Auch Lummer und Pringsheim, die anfänglich Abweichungen festgestellt zu haben glaubten, zogen bald darauf ihren Widerspruch zurück, da, wie mir Pringsheim mündlich mitteilte, sich herausstellte, daß die gefundenen Abweichungen durch einen Rechenfehler verursacht waren. Durch spätere Messungen wurde dann
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die Formel wiederholt bestätigt, um so genauer, je feiner die experimentelle Methode arbeitete." So war die Bahn frei, Max Planck konnte weiterarbeiten, um den „physikalischen Sinn" seiner Formel zu finden, er brauchte von Seiten der Experimentalphysiker keine Einwände mehr zu befürchten. Acht Wochen lang vertiefte er sich angestrengt in diese Aufgabe. Er sprach manchmal davon, daß er keinem Menschen auch nur entfernt schildern könne, wie scharf und konzentriert er nachzudenken hatte. Er mußte die gesamte Physik und die gesamte Mathematik .vor seinem geistigen Auge gegenwärtig haben, um nicht irgendwo einen Fehler zu machen oder auch nur in die falsche Richtung gedrängt zu werden. Diese Wochen sind vergleichbar mit den Wochen genau fünf Jahre vorher, als Röntgen in seinem Laboratorium immer wieder vom Staunen in Zweifel und von Zweifeln in neues Staunen fiel, bis sich herausstellte: Eine neue, unbekannte, völlig unbegreifliche Wirklichkeit hatte sich ihm in den Strahlen erschlossen, den X-Strahlen, die wir Röntgenstrahlen nennen. So mußte auch Max Planck Tag für Tag gegen sich selbst und gegen alle bisherige Gelehrsamkeit ankämpfen, um das Unwahrscheinliche zu beweisen. Und dieser Beweis ergab sich ihm und denen, die ihm folgten, im weiteren Nachdenken über die „Formel". Sie besagte nicht mehr und nicht weniger, als daß die alte Energielehre — und alles Geschehen in der Natur, auch die Strahlung ist Ausfluß von Energie — fälsch war. Seit der Zeit der Römer hatte bis 1900 unangefochten der Leitsatz gegolten: „Natura non facit saltus", ,die Natur macht keine Sprünge', das Naturgeschehen erfolgt in einem ständigen Fluß, ein Energievorgang ist wie ein ununterbrochenes Band, ausstrahlende Wärme, ausstrahlendes Licht erreicht uns in einem stetigen Strom! Aber in Wirklichkeit war das ganz anders, und Max Planck hatte es bewiesen: Die Natur arbeitet keineswegs fließend, gleitend, so wie wir uns eine stetig fließende Quelle vorstellen. Vielmehr wirkt die Energie stoßweise, etwa wie ein Geiser, der von Zeit zu Zeit seine Wasser hervorbrechen läßt, sie wirkt in kleinsten Beträgen, in abzählbaren Energie„portionen", in Quanten (Quantum = Menge). Die Energiequanten, auch Wirkungsoder Elementarquanten genannt, reihen sich hei Energievorgängen, z. B. bei Strahlungen, in solch ungeheurer Zahl hintereinander, daß sie den Eindruck des ununterbrochenen Flusses erwecken, so wie etwa die schnell und in großer Zahl hintereinandergereihten Einzelbilder eines Films eine fortlaufende Handlung vortäuschen. Die gesamte Energie setzt sich aus allerkleinsten, nicht mehr weiter 23
teilbaren Energieeinheiten, Energiekörnchen, den Quanten, zusammen. Zwar kann der Menschengeist an noch kleinere Winzigkeiten denken, aber sie gibt es in der Natur nicht, kann es nicht geben; man kann das zwar nicht erklären, aber Planck hatte bewiesen, daß es tatsächlich so war. Man mußte es hinnehmen, es gehörte zu den Eigentümlichkeiten der wirkenden Natur. Gewiß suchte man nach anschaulichen Bildern und Gleichnissen für diese Wirklichkeit, aber wer hätte für diese rätselhafte Tatsache zureichende Bilder finden können! Sie entzieht sich im letzten unserer Anschauung. Denn dieses allerkleinste Wirkungsquantum ist so unvorstellbar klein, daß wir geradezu fassungslos vor der Kleinheit der von Max Planck genannten Zahl stehen. Man muß nämlich eine an sich schon winzige Energiesumme nochmals durch tausend Quatrillionen, das ist eine 1 mit 27 Nullen, teilen und das Ergebnis jeweils mit der Anzahl der Energieschwingungen je Sekunde multiplizieren. Dann hat man das die gesamte Natur beherrschende Plancksche Energiequantum, das seiner Theorie, der Quantentheorie, den Namen gegeben hat. Diese kleinsten Mengen wirken überall, milliardenfach in jeder millionstel Sekunde im ganzen Weltall, bei jeder Wärmeabgabe und Wärmeaufnahme, bei der Aussendung des Lichts, bei den Energien draußen in der Natur ebenso wie drinnen in unserem Körper. Aus der Tatsache, daß die Energie nur in solch winzigsten Quanten besteht, mußte geschlossen werden, daß auch die Materie, das Stoffliche, sich aus winzigsten Teilchen zusammensetzt. Es mußte auch Atome geben, denn die Energiequanten waren nur denkbar im Zusammenhang mit ihnen; heute weißt man, daß Materie und Energie sogar ineinander übergehen, daß aus Energie Materie und aus Materie Energie werden kann.
Nach 1900: Das Atomzeitalter Zweifel, Verblüffung, Ahnung einer ungehuren Umwälzung, dann wieder vorsichtige Zurückhaltung —• das waren die Kennzeichen für die Stellungnahme der Physiker zur Quantentheorie in den nächsten Jahren. In seiner Darstellung der Ereignisse sagt Max Planck, indem er auf die Messungen zum Beweise der Quantentheorie zu sprechen kommt: „Mit diesem Ergebnis konnte ich also leidlich zufrieden sein. In der physikalischen Öffentlichkeit sah es freilich etwas anders aus. 24
Grab des Nobelpreisträgers auf dem Göttinger Stadtfriedhof. Unter den Blumen zeigt der Stein die berühmte „Formel" Die Berechnung des Elementarquantums, des Wirk.ungsquantums, aus Wärmestrahlungen wurde sogar stellenweise nicht recht ernst genommen. Aber ich ließ mich durch solche Zweifel nicht irre machen." Und nach einem weiteren Hinweis auf experimentelle Beweise der Quantentheorie spricht er von seiner „großen Überraschung und Freude", daß zwei Physiker „bei ihren Versuchen .. . eine Methode zu ihrer Messung fanden, wie man sie sich direkter nicht wünschen kann. Damit war auch der letzte Zweifel an der Realität (an dem Vorhandensein) des Wirkungsquantums verschwunden." Rasch wuchs die Zahl der Beweise für die Richtigkeit der Quantentheorie. Sie bestanden immer wieder in Messungen und den darauf sich gründenden neuen Theorien über den Aufbau des Atoms und über die Wirkungen der Energie innerhalb des Atoms. Ganz 23
entscheidend war es, daß fünf Jahre nach jenen dramatischen Ereignissen, die zunächst fern von aller Öffentlichkeit zur Quantentheorie geführt hatten, Max Planck durch den großen Physiker und Denker Albert Einstein Unterstützung fand. Einstein machte ihn nämlich darauf aufmerksam, daß angesichts bestimmter Vorgänge beim Licht die Quantentheorie nicht nur für die Wärmestrahlen, sondern auch für die Lichtstrahlen und wohl überhaupt für alle elektromagnetischen Vorgänge gelten mußte. Das war im Jahre 1905. Aber es dauerte doch noch über zehn Jahre, bis Max Plancks Entdeckung als so sicher und damit als so bahnbrechend angesehen wurde, daß sich nun auch die äußeren Anerkennungen und Ehrungen in immer größerer Fülle häuften. Die wichtigste war die Verleihung des Nobelpreises für Physik im Jahre 1919; es war der Nobelpreis für 1918, da die Auszeichnung dieses Jahres wegen der Kriegsereignisse nicht zur Verteilung gekommen war. Da die Physik nur durch internationale Zusammenarbeit weiter ausgebaut werden kann, wurden im Laufe der Jahre alle Kulturländer auf den Begründer der Atomforschung aufmerksam. Wir sehen vor uns im Geiste das gemeinsame Band, das die Wissenschaftler in aller Welt verknüpft, wenn wir die Namen der wissenschaftlichen Akademien nennen, die Max Planck zu ihrem Mitglied ernannt haben: Upsala, Berlin, Göttingen, München, Wien, Kopenhagen, Dublin, Boston, Rom, Stockholm, Turin, London, Washington und Amsterdam. Planck war auch Kanzler des Ordens Pour le Merite der Friedensklasse, der höchsten deutschen Auszeichnung für Verdienste um die Wissenschaft und die Kunst. Die Quanten- und Atomforschung führte in der Folge zu einer seltsamen Entwicklung, die Max Planck im Jahre 1900 nicht hatte vorausahnen können. Zunächst versuchte man noch, sich anschauliche Bilder vom Atom und den in ihm wirksamen und von ihm ausstrahlenden Energien zu schaffen. Der Vergleich des Atoms mit einem Planetensystem wurde durch den Engländer Rutherford und dann unter besonderer Anwendung der Quantentheorie von dem Dänen Niels Bohr um 1912 durchgeführt. Gewiß konnten dadurch die Grundlagen für die Atomphysik und überhaupt für das Atomzeitalter entscheidend weiter ausgebaut werden, und auch heute noch tut diese anschauliche Vorstellung in gewisser Weise ihre Dienste, aber die Atomphysiker arbeiten langst mit einer merkwürdigen Mischung anschaulicher und unanschaulich-mathematiseher Denkweisen. Diese Entwicklung hat Max Planck jahrzehntelang bis zu seinem 26
Tode im Jahre 1947 aufmerksam verfolgt und mit eigenen Ideen bereichert. Er füllte sein Lehramt an der Berliner Universität bis 1926 aus, ließ sich dann im normalen Pensionsalter der Universitätslehrer von seinen Professorenpflichten entbinden. Er widmete sich weiterhin seinen Arbeiten über Atomphysik und ebenso den mannigfachen Ämtern, mit denen man ihn betraut hatte. Aus seiner Lehramtslätigkeit ist uns eine Vorlesungsstunde in besonderer Erinnerung, da sie bezeichnend ist für die Bescheidenheit des großen Forschers. Die Studenten der Physik besuchten bei Max Planck in jenen Jahren das Kolleg über die Wärmelehre. Der Professor betrat das Katheder. Er schilderte die Schwierigkeiten, in welche die Wärmelehre am Ende des 19. Jahrhunderts geraten war. Dann nahm er die Kreide und schrieb die Tafel voll schwieriger mathematischer Formeln, so als ob er selbst völlig unbeteiligt an der Weiterentwicklung der Wärmelehre gewesen wäre. Daraus leitete er rein gedanklich die Quantentheorie ab. Das ereignete sich in einer Zeit, in der die Quantentheorie völlig gesichert war und alle Welt in Max Planck den Begründer der Atomforschung sab. Kein Wort sagte er davon, daß er das Verdienst daran habe. Ein Professor, der ein neues Zeitalter heraufführt und seinen Studenten nicht mitteilt, daß er selbst es war, der den Sprung ins Dunkle gewagt hat, ist gewiß eine einzigartige Erscheinung. Wenn er auf dem Katheder stand, bannte sein kluger, durchdringender, von innerer Beteiligung an seiner großen Sache zeugender Blick seine Hörer. Er war stets höchst einfach gekleidet und ließ sich nie von der Mode beeinflussen, mochte es sich um Schuhe oder Krawatte handeln. Als er in hohem Alter in Budapest einen Vortrag hielt und man zu seinen Ehren einen feierlichen Empfang veranstaltete, ließ ihn der Saaldiener nicht eintreten, da er keinen Frack anhatte, wie es die Einladung vorschrieb. Nie hätte der Diener in diesem so gar nicht auffallenden Manne die Hauptperson des Abends vermutet. Und mit einem Achselzucken Heß Planck seine Frau allein hineingehen und sah sich Budapest bei Nacht an. Planck ordnete sich in die Geschichte der Physik ein, so als ob er gleichsam in einer Karawane hinter seinen Vordermännern und vor den Nachfolgern wandere. Diese Haltung bezeugte er auch bei der Feier seines 60. Geburtstages am 26. April 1918. Vier der berühmtesten deutschen Physiker, Emil Warburg, der Präsident der Physikalisch-Technischen Reichstanstalt, Max von Laue, Arnold Sommerfeld und Albert Einstein würdigten in Ansprachen seine Verdienste. Einsteins Rede war geradezu ein Meisterstück der Einfüh27
lung in das Wesen und in das Weltbild des Sechzigjährigen und leuchtete tief hinein in die menschlichen und philosophischen Probleme, die durch ihn aufgeworfen worden waren. In seiner Antwort lehnte Max Planck alles Lob und jedes besondere Verdienst ab: „Denken Sie sich einen Bergknappen", sagte er u. a., „der jahrelang mit Einsetzung seiner ganzen Kraft nach edlen Erzen schürft und dem es bei seiner Arbeit eines Tages begegnet, daß er eine Ader gediegenen Goldes anschlägt, die sich bei näherer Untersuchung noch unendlich ergiebiger erweist, als irgend jemand im voraus vermuten konnte. Wäre er selber nicht auf den Schatz gestoßen, so wäre das unfehlbar kurz darauf einem seiner Mitarbeiter geglückt." Und in derselben Antwortrede erklärte er: „Als die wichtigste Sache, als dasjenige Ziel, was ich in meinem ganzen wissenschaftlichen Streben als Motto voraussetzen möchte, erschien mir immer die möglichste Vereinfachung und Vereinheitlichung der physikalischen Weltanschauung, und als vornehmstes Mittel zur Erreichung dieses Zieles die Versöhnung des Gegensätzlichen durch gegenseitige Befruchtung und Verschmelzung. Denn bei zwei entgegengesetzten einander bekämpfenden Anschauungen oder Theorien enthält gewöhnlich jede der beiden einen gesunden, unvergänglichen Kern, und es kommt nur darauf an, diesen herauszuschälen und das entbehrliche, allerdings sehr oft stark in den Vordergrund tretende und sich als unentbehrlich gebärdende Beiwerk als solches zu erkennen und abzustreifen." Wir haben manchmal im Gespräch mit Max Planck bestritten, daß wirklich „unfehlbar kurz darauf" ein anderer die Quantentheorie gefunden hätte, falls es ihm nicht selbst geglückt wäre; das Genie sei nicht einfach ersetzbar durch die Zwangsläufigkeit der Entwicklung und weil „die Zeit eben reif" sei. Aber Max Planck gab nicht nach, und so endete das freundschaftliche Gespräch immer in der gleichen Weise. Abgesehen von seinen physikalischen Forschungsarbeiten war Max Planck bis zu seinem Lebensende vor allem durch zwei tief ins Menschliche und in die Beziehung des Menschen zur Natur führende Fragen bewegt. Die erste und wichtigste war das bestürzende Bewußtsein, daß er als Begründer der Atomphysik nicht ganz unschuldig war — wenn man diesen Ausdruck hier überhaupt gebrauchen darf — an der Auffindung der ungeheuren im Atom schlummernden Kräfte durch Otto Hahn und Fritz Straßmann im Jahre 1938. Mit stärkster Erschütterung hat Max Planck im Sommer 1945 noch den Abwurf der zwei Atombomben über Japan erlebt. Von 28
da an hat er schriftlich und mündlich genauso wie die anderen großen deutschen Physiker die Mächtigen dieser Welt beschworen, sie möchten in dieser Grundentscheidung der heutigen Menschheit nicht den Weg der satanischen Zerstörung gehen. Vielmehr sollten sie die Atomkraft zum Segen der Menschheit anwenden. Vor dem Tode Max Plancks am 4. Oktober 1947 waren dazu erst die Anzeichen sichtbar. Heute wissen wir mehr: In den Atomreaktoren und Atomkraftwerken kann nicht nur für die reine Forschung und Erkenntnis der Welt ungeheuer viel geleistet werden, sondern auch für Technik, Wirtschaft und Medizin. Nicht viel weniger bewegte ihn aber die andere Frage, ob die neue „mathematische, unanschauliche Physik" das lebendige Verhältnis des Menschen zur Natur nicht zerstöre; denn immer mehr erwies es sich, daß alle Dinge und Vorgänge in der Natur auf reine Strahlen, Wellen, Elementarteilchen zurückzuführen sind und vielleicht in einer einzigen Formel gedeutet • werden können. Max Planck hat naturgemäß alle Versuche, für das Gesamtgeschehen der Natur eine letzte zusammenfassende Weltformel zu finden, mit größter Anteilnahme begleitet. Zwar versuchte er lange nach 1900 noch, die neue Atomphysik in das frühere physikalische Weltbild einzubauen, aber er erkannte dann, daß es ihm nicht gelingen konnte. Es liegt eine gewisse Tragik in der Art, wie er diese Arbeit seinen Nachfolgern übertrug. Er schließt seine Darstellung über die Auffindung des Wirkungsquantums, die ein wichtiges weltgeschichtliches Dokument darstellt, mit folgenden geradezu schmerzlich berührenden Worten: „Die Natur der Energieelemente (Wirkungsquanten) blieb ungeklärt. Durch mehrere Jahre hindurch machte ich immer wieder Versuche, das Wirkungsquantum irgendwie in das System der klassischen Physik einzubauen. Aber es ist mir das nicht gelungen. Vielmehr blieb die Ausgestaltung der Quantenphysik bekanntlich jüngeren Kräften vorbehalten, von denen ich hier, chronologisch geordnet, nur die Namen von A. Einstein, N. Bohr, M. Born, P. Jordan, W. Heisenberg, L. de Broglie, E. Schrödinger, W. A. M. Dirac nenne, während sich um den mathematischen Aufbau der Theorie unter den deutschen Physikern in erster Linie A. Sommerfeld, um die Förderung des physikalischen Verständnisses Cl. Schaefer verdient gemacht hat." Daß Einstein im Jahre 1949 glaubte, eine Weltformel der genannten Art gefunden zu haben, hat Max Planck nicht mehr erlebt. Und das war wohl besser so, denn Einstein hat noch vor seinem 29
Tode am 15. April 1955 bekannt, die Formel sei nicht richtig. So hat Max Planck die Enttäuschung seines Freundes nicht mehr miterleben müssen. Im Jahre 1958 hat sein Schüler und Nachfolger Werner Heisenberg wiederum eine Weltformel aufgestellt, auf deren Bestätigung oder Nichtbestätigung die physikalische Welt wartet. Davon aber, daß Max Planck durch die „Mathematisierung der Physik" unser unmittelbares Verhältnis zur Natur zerstört habe, kann keine Rede sein. Er selbst war ein leidenschaftlicher Naturfreund, der bis in sein höchstes Alter gern in den Bergen weilte. Für alle Farbigkeit und allen Glanz der Schöpfung war er sein ganzes Leben lang aufnahmebereit, obwohl er wußte, daß die Natur in ihrem atomhaften Innersten außerordentlich kompliziert und nur schwer, oftmals allein unter Zuhilfenahme von mathematischen Formeln zugänglich war. Er drückte das 1937 mit folgenden Worten aus: „Wer die . . . mathematische Kompliziertheit der modernen Atomistik als einen Mangel hinstellt, der behoben werden könnte, wenn man auf die primitiveren, leichter zu handhabenden Anschauungen . . . zurückgreift, der beweist damit nur, daß ihm das tiefere Verständnis für das Wesen der Probleme, mit denen die gegenwärtige Physik zu kämpfen hat, fremd geblieben ist. Wohl ist die heutige Theorie schwierig und unbequem, aber diese unerfreuliche Eigenschaft ist keineswegs von den Theoretikern ersonnen, um ihre mathematischen Akrobatenkunststücke besser zur Schau tragen zu können, sondern sie hat sich nach vielfachen vergeblichen Versuchen zwangsläufig als ein letzter, gewissermaßen verzweifelter Ausweg erwiesen aus dem Dickicht der Rätsel und scheinbaren Widersprüche, welche gerade die experimentelle Forschung den Theoretikern zu lösen aufgegeben hat. Daß dieser Ausweg ins Freie führt, dafür haben uns die neueren Erfahrungen Beweise in Hülle und Fülle geliefert, und wir dürfen daher getrost sagen, daß zu keiner Zeit die theoretische Physik wirklichkeitsnäher war als gegenwärtig." Dabei war sich Max Planck der Grenzen alles Menschlichen und insbesondere der menschlichen Erkenntnisse stets bewußt. Gewiß, es war vieles Neue entdeckt und erkannt worden, aber es war immer nur ein kleines Stück vorwärts, unendlich viel mehr blieb noch Geheimnis. Als Max Planck als Präsident der Preußischen Akademie der Wissenschaften seinen Schüler, Freund und Weggefährten Max von Laue in die Akademie aufnahm und seine besonderen Verdienste würdigte, erklärte er, daß das „Reich der ungelösten Rätsel" 30
noch unermeßlich sei. Darum bekannte er sich zu dem Wort Goethes: „Das schönste Glück des denkenden Menschen ist, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren." Gerade darum hatte er auch das größte Verständnis für alle die, die sich dem letzten Weltgeheimnis nur in innerer Ehrfurcht zu nahen wagen. Ja er rechnete sich selbst zu diesen Menschen. In seinem häufig im In- und Ausland gehaltenen Vortrag „Naturwissenschaft und Religion" sagte er, daß es einen doppelten Weg zum Ewigen gebe, den des Naturforschers, der sich der Wahrheit nur immer mehr annähert, und den des religiösen Menschen. Max Planck ging beide Wege, um das „Unerforschliche ruhig zu verehren". Er sagte: „Für den religiösen Menschen ist Gott unmittelbar . . . gegeben. Der Naturforscher dagegen versucht sich auf dem Wege der .. . Forschung Gott und seiner Weltordnung als dem höchsten, ewig unerreichbaren Ziele nach Möglichkeit anzunähern. Wenn also beide, Religion und Naturwissenschaft, zu ihrer Betätigung des Glaubens an Gott bedürfen, so steht Gott für die eine am Anfang, für die andere am Ende des Denkens. Der einen bedeutet er das Fundament, der anderen die Krone des Aufbaues jeglicher wissenschaftlicher Betrachtung." So hat Max Planck nicht nur über die Probleme seiner Fachwissenschaft nachgedacht, er sah, was er forschend erfaßte oder erahnte, in großen Zusammenhängen. Indem er in die Bereiche seines Forschens die gesamte Weltordnung einbezog, wurde er zum Philosophen. Daß Max Planck wie Einstein ein philosophischer Denker war, hat einer der bedeutendsten Männer aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts in einer Weise bejaht, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt. Es war Adolf von Harnack, sein Kollege an der Berliner Universität und Vorgänger in der Präsidentschaft der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, ein Mann, der als Theologe, Geschichtsforscher und Kenner der Kulturen größten Ruf in aller Welt genoß. Er erklärte: „Man klagt darüber, daß unsere Generation keine Philosophen habe. Mit Unrecht: Die Philosophen sitzen jetzt nur in der anderen Fakultät. Sie heißen Planck und Einstein." Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Fotos: dpa-Bild, Ullstein-Bilderdienst L u x - L e s e b o g e n 281 (Physik) — H e f t p r e i s 25 P f g . Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig oder können dort nachbestellt werden — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München
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