Bettina Daser Mensch oder Kostenfaktor?
Bettina Daser
Mensch oder Kostenfaktor? Über die Haltbarkeit psychologischer...
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Bettina Daser Mensch oder Kostenfaktor?
Bettina Daser
Mensch oder Kostenfaktor? Über die Haltbarkeit psychologischer Verträge im Outsourcing-Prozess
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
D 30
. 1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Katrin Emmerich / Tilmann Ziegenhain VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16543-1
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis
Geleitwort ............................................................................................................ 9
1
Einleitung ............................................................................................... 11
2
Entgrenzung der Arbeit ........................................................................15 2.1 Das Normalarbeitsverhältnis als Referenzfolie ............................... 18 2.1.1 Die Arbeitszeit: schützende Grenzen im Auflösungsprozess.......... 22 2.1.2 Aktives Zeithandeln als Erfordernis entgrenzter Arbeitszeiten ...... 26 2.2 Entgrenzung von Organisation und Arbeitsorganisation ................ 29 2.2.1 Dezentralisierung und Vermarktlichung ......................................... 29 2.2.2 Indirekte Steuerung, Selbstorganisation und Ergebnisorientierung 31 2.3 Entgrenzung aus der Perspektive des Subjekts ............................... 39 2.3.1 Macht in Organisationen.................................................................43 2.3.2 Entgrenzung der Anforderungen: Anerkennung und ......................... Leistungspräsentation .....................................................................44 2.3.3 Entgrenzung der Arbeitsbeziehungen: Kooperation und ................... Konkurrenz ..................................................................................... 49 2.3.4 Entgrenzung der Emotionen: Emotionsregulation in ......................... Konkurrenzsituationen.................................................................... 55 2.3.5 Entgrenzung der Arbeitsbelastung: Bewältigungsverhalten ........... 57 2.3.6 Schlüsselqualifikationen für die Arbeit unter entgrenzten ................. Arbeitsbedingungen ........................................................................ 64
3
Normalität der Entgrenzung - Beratungsunternehmen als .................. entgrenzter Arbeitskontext ...................................................................67 Beratungsunternehmen als Forschungsgegenstand ......................... 69 3.1 3.1.1 Historische Entwicklung der Beratungsbranche ............................. 72
6
Inhaltsverzeichnis 3.1.2 Beratung und Professionalisierung ................................................. 73 3.2
IT-Consulting .................................................................................. 74
3.3 Die Struktur und Arbeitsorganisation von Beratungsunternehmen.76 3.3.1 Die Beschäftigungsstruktur, Rekrutierung und Fluktuation in .......... großen Beratungsunternehmen ....................................................... 76 3.3.2 Arbeitsorganisation und Arbeitsbedingungen in großen .................... Beratungsunternehmen ................................................................... 78 3.3.3 Dezentralisierung und Vermarktlichung in ........................................ Beratungsunternehmen ................................................................... 80 3.3.4 Indirekte Steuerung und Selbstorganisation in ................................... Beratungsunternehmen ................................................................... 82 Beratungsunternehmen aus Perspektive des Subjekts..................... 83 Anerkennung................................................................................... 83 Kooperation und Konkurrenz.......................................................... 85 Entgrenzte Anforderungen: steter Erfolgsdruck gefährdet die............ Gesundheit ...................................................................................... 86 3.4.4 Bewältigungsstrategien von Beratern ............................................. 88
3.4 3.4.1 3.4.2 3.4.3
3.5
4
Schlussfolgerung............................................................................. 90
Outsourcing............................................................................................ 93 4.1
Beschleunigte Entgrenzung aus soziologischer und ........................... sozialpsychologischer Perspektive ................................................. 94 4.1.1 Beschleunigte Entgrenzung als Statuspassage ................................ 98
4.2 Zum Hintergrund von Outsourcing ............................................... 100 4.2.1 Zum Begriff des Outsourcing ....................................................... 101 4.3 Die Entwicklung von Outsourcing in der Bankenwirtschaft.........105 4.4
Outsourcing der Software-Wartung in der Bankenwirtschaft ....... 107
4.5 4.6
Der Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing....................... 109 Chancen und Risiken von Outsourcing aus ........................................ betriebswirtschaftlicher Perspektive ............................................. 112
Inhaltsverzeichnis 4.7
7
Chancen und Risiken von Outsourcing für die Beschäftigten............. aus soziologischer und sozialpsychologischer Perspektive.......... 116
Der psychologische Vertrag................................................................127
5
5.1 5.2 5.2.1 5.2.2
Die begriffliche Entwicklung des psychologischen Vertrags........129 Zentrale Argumentationslinien gegenwärtiger Forschung ............ 135 Gegenwärtige Forschung .............................................................. 137 Qualitative Studien zum Bruch des psychologischen Vertrags.....138
5.3
Psychologische Verträge in entgrenzten ............................................ Beschäftigungsverhältnissen......................................................... 141
Methodisches Vorgehen ......................................................................147
6 6.1
Die Rolle der Forscherin im Forschungsprojekt ........................... 147
6.2 Interviewsituation.......................................................................... 149 6.2.1 Das halbstrukturierte Leitfadeninterview......................................150 6.3 Auswertung ................................................................................... 151 6.3.1 Inhaltsanalyse................................................................................ 153 6.3.2 Beziehungswünsche und Beziehungsangebote im Interview........ 153 6.4
7
Zusammenfassung der methodischen Überlegungen .................... 155
Ergebnisse der Untersuchung.............................................................159 7.1
Das fokale Unternehmen: Administration Services GmbH ................ (AS GmbH)................................................................................... 159 Der Beratungsbereich als dominierender Bereich im.......................... Beratungsunternehmen..................................................................161
Einzelfallanalysen .........................................................................176 7.2 7.2.1 Michaela D.: „…ich bin realistisch, ich bin idealistisch, ich ............. bin pessimistisch, ich bin optimistisch“ ........................................176 7.2.2 Elisabeth F.: „…ich bin ja nur ein kleines Licht“ ......................... 193
8
Inhaltsverzeichnis 7.2.3 Christoph H.: „…ich bin ja so eigentlich ganz zufrieden auch“ ...197 7.2.4 Sandra E.: „Ich hab schon den [Beratungsunternehmen]- .................. Stempel“ ....................................................................................... 199 7.2.5 Christine I.: „…was du da für Chancen auf dem Arbeitsmarkt ......... hast, kannst du vergessen“ ............................................................ 203 7.2.6 Herbert B.: „…ich bin an für sich ein Qualitäter“......................... 209 7.2.7 Stefan G.: „ich bin ein statistisches Datum“ .................................211 7.2.8 Friedrich J.: „…jetzt machen wir das Mikrofon aus und dann .......... kann ich dir was anderes erzählen“............................................... 226 7.2.9 Kerstin A.: „…wirklich unsere Aufgabe war es, die Leute gut ......... und behütet bei [Beratungsunternehmen] einzuführen“................ 229 7.2.10 Konrad C.: „…im schönen grauen Anzug, immer schön ................... wichtig, immer schön mit Druck auf irgendwas zukommend“..... 236 7.3
Der psychologische Vertrag – verbindende Elemente .................. 252
7.4
Die Berücksichtigung psychologischer Verträge im .......................... Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing.............................. 259
8
Schluss ..................................................................................................261
9
Literaturverzeichnis ............................................................................263
Geleitwort
Der neo-liberale Umbau der modernen Gesellschaft hat das „Normalarbeitsverhältnis“ mit seinen Erwartungen der Arbeitnehmer/innen an die Fürsorge ihrer Arbeitgeber nachhaltig erschüttert. Zwar ist dieses Verhältnis, wie Frau Daser zeigt, aufs Ganze gesehen von Anfang an mehr eine regulative Idee als empirische Wirklichkeit, als solche aber wirkmächtig, weil sie einen berechtigten Legitimationsanspruch markiert, der einer hemmungslosen Verwertung von Arbeitskraft zu widerstehen verspricht, was zu einer Befriedung des fundamentalen Interessenkonflikts von Arbeit und Kapital beiträgt. In dem Maße nun, wie unternehmerisches Handeln zu einer Norm aufsteigt, deren Geltungsbereich auch auf Arbeitnehmer ausgreift, was in Konzepten wie dem „Arbeitskraftunternehmer“ zum Ausdruck kommt, wird die Grenze zwischen Arbeitsrolle und Person geschliffen, die eine fordistische Arbeitsorganisation wahrt. Die entsprechenden Stichworte sind „Entgrenzung von Arbeit“ und „Subjektivierung von Arbeit“. Damit gewinnt der „Geist des Kapitalismus“ eine bis dato unerreichte psychische Tiefendimension. Herrschaftsstrategisch gesprochen, soll eine „methodische Lebensführung“ durchgesetzt werden, in der die Arbeitnehmer/innen die reibungslose Transformation von Arbeitskraft in Arbeitsleistung als permanente – existenzielle – Bewährung, euphemistisch als „Herausforderung“ deklariert, erleben. Geht Fremdzwang in Selbstzwang, Ausbeutung in Selbstausbeutung über, wird Herrschaft unsichtbar, weil und in dem Maße wie Überlastungen der physischen und psychischen Kräfte als persönliches Versagen attribuiert werden. Dieser Wandel des Sozialcharakters erfolgt zum einen nicht in allen Branchen mit demselben Nachdruck und insofern ungleichzeitig; zum anderen ist längst nicht ausgemacht, wie der „Arbeitskraftunternehmer“ seinen Lebensstil verkraftet und ob er nicht ständig in der Gefahr lebt, als „erschöpftes Selbst“ zu enden. Frau Daser beschreibt die IT-Beratung in weltweit operierenden Unternehmen als eine der Branchen, in der sozialcharakterologischer Wandel vorbereitet und – wenn man so will – das Hinausschieben von Belastungsgrenzen ausprobiert wird. Zudem deutet sie an, dass dieses Ausprobieren vielleicht eine geschlechtsspezifische Dimension hat, da es vor allem junge Männer mit einer „heroischen Männlichkeit“ (oder entsprechend identifizierte Frauen) seien, für die solche Belastungsproben einen narzisstischen Gewinn abwerfen.
10
Geleitwort
Für ihre empirische Untersuchung wählt Frau Daser einen Outsourcingprozess, in dem mit IT beschäftigte Arbeitnehmer/innen einer traditionellen, an der regulativen Idee des „Normalarbeitsverhältnisses“ orientierten Bank an ein Beratungsunternehmen übergehen, zu dessen praktizierter Unternehmensphilosophie die Entgrenzung und Subjektivierung von Arbeit gehört. Zu Recht vermutet Frau Daser, dass eine solche – zumeist abrupte – Veränderung in der Unternehmenskultur traumatogene Belastungen zur Folge haben kann. Welche der outgesourcten Arbeitnehmer/innen diesen „Unternehmenskultur-Schock“ wie bewältigt, ist dann die Frage, deren Beantwortung interessiert. Dabei vermeidet Frau Daser von Anfang an einen nahe liegenden Reduktionismus: weder lassen sich Erleben und Handeln der betroffenen Personen lediglich individualpsychologisch noch lediglich organisationssoziologisch erklären, vielmehr bedarf es – in der Tradition psychoanalytischer Sozialpsychologie – einer sorgfältigen (fallspezifischen) Rekonstruktion des Wechselspiels zwischen strukturellen Vorgaben der Arbeitsorganisation und deren individueller, mehr oder weniger eigensinniger Aneignung. Besonders bedeutsam sind dabei die Selbstdeutungen, mit denen die Betroffenen ihre Emotionen regulieren. Dazu gehören die Enttäuschung, vom Herkunftsunternehmen outgesourct worden zu sein, die Angst, sich im neuen Unternehmen nicht zu bewähren und nach Ablaufen des gesetzlichen Kündigungsschutzes dann doch noch den Arbeitsplatz zu verlieren, aber auch die Angstlust, mit den genuinen IT-Berater/innen – erfolgreich – zu konkurrieren. Unter den Untersuchungen, die es bisher über Outsourcing gibt, gehört die Untersuchung, die Frau Daser vorlegt, mit ihrer konsequenten Thematisierung der psychosozialen Folgen für die Betroffenen zweifellos zu den stärksten. Denn erst, wenn die Betroffenen die Möglichkeit erhalten, sich gemäß ihrer eigenen Relevanzstrukturen auszusprechen, was immer auch heißt: vielleicht erstmals handlungsentlastet nachzudenken, gelingt es das – emphatisch gesprochen – Arbeitsleid sichtbar zu machen, von dem alle – die Betroffenen eingeschlossen – erwarten, dass es im Tagesgeschäft unsichtbar gehalten wird. Prof. Dr. Dr. Rolf Haubl
1 Einleitung Einleitung
Über die Entgrenzung von Arbeit und Leben existieren bereits zahlreiche, insbesondere arbeits- und industriesoziologische Beiträge, die Veränderungen in Organisationen fokussieren, ohne jedoch die psychosozialen Auswirkungen dieser Veränderungen auf Beschäftigung in den Blick zu nehmen. Sozialpsychologische Beiträge berücksichtigen zwar die Perspektive von Beschäftigten, vernachlässigen jedoch in vielen Fällen den organisationalen und gesellschaftlichen Rahmen, in den Entgrenzungs-Prozesse eingebettet sind. Diese Forschungslücke möchte die vorliegende Arbeit schließen, indem sie sich mit der Dynamik von organisationalen Veränderungen und psychosozialen Strukturen auseinandersetzt. Im Fokus der Betrachtung steht die Verbindung arbeits- und industriesoziologischer Argumentationsstränge mit sozialpsychologischen Argumentationslinien, um die üblicherweise separat vorgenommene Analyse von Organisationen und psychosozialen Strukturen zusammenzuführen. Die derzeit zu beobachtenden Veränderungen von Beschäftigungsverhältnissen werfen Fragen auf, die neben den formalen Arbeitsbedingungen insbesondere unausgesprochene, mehr oder minder bewusste Aspekte von Beschäftigungsverhältnissen betreffen. In soziologischen Beiträgen ist von Prekarisierungsängsten die Rede, wenn es darum geht, die emotionale Bedeutung abnehmender Arbeitsplatzsicherheit begrifflich zu fassen (vgl. Dörre 2005, Kraemer 2006), die mit einer Entgrenzung von Arbeit und Leben einhergeht. Zugleich scheinen die derzeit zu beobachtenden Veränderungen von Arbeit mit Chancen für Beschäftigte verbunden zu sein. So wird unter dem Stichwort „normative Subjektivierung“ (Baethge 1991) das Bedürfnis von Beschäftigten thematisiert, die eigene Tätigkeit als erfüllend und sinnhaft zu erleben. Was als Chance der Selbstverwirklichung erscheint, kann sich in das Gegenteil verkehren, sobald die damit verbundenen Arbeitsanforderungen, die durch Ansprüche an sich selbst verstärkt werden, dazu führen, dass das „erschöpfte Selbst“ (Ehrenberg 2004) mit Depressionen reagiert, möglicherweise um den überfordernden Anforderungen Grenzen zu setzen. Die Beschreibung der Art und Weise, in der psychische Dispositionen, die berufliche Sozialisation sowie organisationale Erwartungsstrukturen ineinandergreifen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Dynamik gewissermaßen hinter dem Rücken der Akteure vollzieht, die sie somit nicht explizieren
12
Einleitung
können. Folglich erfordert die Annäherung an Phänomene wie Prekarisierungsangst oder zunehmende Erschöpfungssymptome analytische Methoden, die sich nicht auf den manifesten Gehalt von Rahmenbedingungen konzentrieren, sondern Erwartungen, Wünschen und Hoffnungen der Beschäftigten Raum geben. Nur so kann eine Annäherung an die Veränderung von Arbeitsbeziehungen gelingen, von der auch so genannte Normalarbeitsverhältnisse zunehmend erfasst werden. So verweist der Begriff der Prekarisierungsangst auf eine Veränderung, die sich begrifflich kaum fassen lässt. Schließlich besteht der Arbeitsvertrag scheinbar unverändert fort und dennoch scheint ein wesentlicher Teil des Beschäftigungsverhältnisses in Frage gestellt: Ermöglicht berufliches Engagement berufliche Chancen? Befinden sich die mit einem Beschäftigungsverhältnis verbundenen Rechte und Pflichten in einer Balance, die als gerecht empfunden werden kann? Wo verläuft die Grenze von Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung? Macht es Sinn, darauf zu vertrauen, dass berufliches Engagement durch Arbeitsplatzsicherheit honoriert wird? Diese Fragen stellen sich insbesondere dann, wenn sich Arbeitsbeziehungen in Folge von Rationalisierungsmaßnahmen wie Outsourcing verändern. Schließlich stellt Outsourcing die Grenzen in Frage, die Beschäftigte vor dem Zugriff des Unternehmens schützen. Und das nicht in einem schleichenden Prozess, der derzeit für nahezu alle Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland zu beobachten ist, in dem die Standards von Arbeitsverhältnissen nach und nach erodieren. Im Gegenteil: Outsourcing stellt eine Zäsur dar, die die Arbeitsverhältnisse der vom Outsourcing Betroffenen von einem Tag auf den nächsten gravierend verändert. Eine solche beschleunigte Entgrenzung ist insbesondere in den Fällen wahrscheinlich, in denen das auslagernde Unternehmen über wesentlich höhere Standards der sozialen Sicherung als das übernehmende Unternehmen verfügt. Für die Analyse der veränderten Arbeitsbedingungen von Beschäftigten, die im Rahmen von Outsourcing zu einem anderen Unternehmen transferiert werden, bietet sich der „psychologische Vertrag“ als heuristisches Mittel an, um das empirische Terrain zu erschließen. Dem methodischen Vorgehen liegt die Annahme zu Grunde, dass die Beziehung von Beschäftigten zu den Unternehmen, für die sie tätig sind, nicht allein über die Analyse formaler Arbeitsbedingungen verstanden werden kann. Vielmehr erfordert eine ganzheitliche Betrachtung von Beschäftigungsverhältnissen die Berücksichtigung der subjektiven Wahrnehmung eines Beschäftigten von seinem Beschäftigungsverhältnis, das sich in dem psychologischen Vertrag spiegelt, der ihn mit dem Unternehmen über den formalen Arbeitsvertrag hinaus verbindet. Demnach stellt der psychologische Vertrag ein konstitutives Element von Arbeitsverhältnissen dar und prägt die Beziehung von Beschäftigtem und Organisation nachhaltig.
Einleitung
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Im empirischen Teil der Arbeit wird der Frage nachgegangen, wie sich ein Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing auf den psychologischen Vertrag der Beschäftigten auswirkt, an den das Unternehmen, das die Beschäftigten übernimmt, auf eine spezifische Art und Weise anknüpft. Im Fokus der Betrachtung steht die Beziehung der im übernehmenden Unternehmen etablierten Erwartungsstrukturen zu den Erwartungen, Hoffnungen und Wünschen der transferierten Beschäftigten. Es gilt zu fragen, inwieweit es dem übernehmenden Unternehmen gelingen kann, ein Arbeitsbeziehungs-Angebot zu formulieren, das von den transferierten Beschäftigten wahrgenommen und bestenfalls positiv gewertet werden kann. Denkbar wäre, dass der Versuch, eine bereits bestehende Arbeitsbeziehung aktiv gestalten zu wollen, zwangsläufig zum Scheitern verurteilt ist, da der alte – aber noch bestehende – psychologische Vertrag den Veränderungsbestrebungen des Managements widersteht und seine Wirkmächtigkeit trotz der Bemühungen des neuen Arbeitgebers mitnichten einbüßt. Im Unterschied zu anderen Beiträgen zum Thema Outsourcing wird hier die Perspektive der Beschäftigten in den Blick genommen, deren Beschäftigungsverhältnisse im Zuge eines Personaltransfers im Rahmen von Outsourcing zu einem Unternehmen transferiert werden, für das entgrenzte Arbeitsbedingungen charakteristisch sind. Da die Arbeitsbedingungen des übernehmenden Unternehmens im Vergleich zu den Arbeitsbedingungen des Ursprungsunternehmens als entgrenzt zu bezeichnen sind, kann von einem Prozess der beschleunigten Entgrenzung gesprochen werden. Schließlich vollzieht sich die Veränderung der Arbeitsbedingungen in Folge von Outsourcing nicht schleichend, sondern gewissermaßen von einem Tag auf den anderen. Bisher wird diese Perspektive in der Outsourcing-Literatur zu Gunsten der ökonomischen Perspektive vernachlässigt. Im Fokus der Betrachtung steht hier die Frage, wie Beschäftigte einen Transfer ihres Beschäftigungsverhältnisses im Rahmen von Outsourcing erleben und bewältigen und wie es gelingen kann, sich in einem neuen Arbeitskontext zurechtzufinden. Die vorliegende Arbeit ist folgendermaßen aufgebaut: Ausgehend vom Normalarbeitsverhältnis, das als Referenzfolie für derzeit zu beobachtende Entgrenzungsprozesse dient, werden in Kapitel 2 zentrale Begriffe eingeführt, mit denen der Prozess der Entgrenzung begrifflich gefasst werden kann. Während die Begriffe Dezentralisierung, Vermarktlichung und Selbstorganisation für die Beschreibung von organisationalen Entgrenzungsprozessen von Bedeutung sind, bieten sich Anerkennung und Leistungspräsentation sowie Kooperation und Konkurrenz an, um die Entgrenzung von Arbeitsanforderungen und -beziehungen zu beschreiben, die Beschäftigte derzeit erleben.
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Einleitung
In Kapitel 3 werden die in Kapitel 2 erarbeiteten Begriffe, mit denen Entgrenzung gefasst werden kann, auf den Arbeitskontext von Beratungsunternehmen übertragen, die als prototypisches Umfeld entgrenzter Arbeitsbedingungen erscheinen und ihre Beschäftigten mit hohen Anforderungen konfrontieren, die sowohl die konkrete Aufgabenstellung, als auch die physische und psychische Belastbarkeit von Beschäftigten betreffen. In Kapitel 4 erfolgt zunächst eine begriffliche Annäherung an eine beschleunigte Entgrenzung aus soziologischer und sozialpsychologischer Perspektive, um anschließend Outsourcing als eine Rationalisierungsmaßnahme vorzustellen, mit deren Hilfe nach den Prinzipien der Dezentralisierung und Vermarktlichung Organisationsgrenzen in Frage gestellt und neu gestaltet werden. Neben einer Begriffsklärung erfolgen die Darstellung der Bedeutung von Outsourcing für die Bankwirtschaft, der Ablauf eines Personaltransfers im Rahmen von Outsourcing sowie eine Gegenüberstellung von Chancen und Risiken von Outsourcing aus der Perspektive der Beschäftigten. In Kapitel 5 wird das Konzept des psychologischen Vertrags vorgestellt, das im Anschluss an Argyris (1960) als eine Erwartungsstruktur von (mehr oder weniger bewussten) impliziten Erwartungen der Beschäftigten in Bezug auf die mit ihrem Beschäftigungsverhältnis verbundenen Rechte und Pflichten, die sie gegenüber der Organisation haben, verstanden wird. In Kapitel 6 wird der methodische Rahmen der Arbeit vorgestellt, der den Ansatz der qualitativen Inhaltsanalyse mit der Methode des psychoanalytisch inspirierten szenisch-hermeneutischen Verstehens verbindet. Während mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse die Wahrnehmung der formalen Arbeitsbedingungen durch die transferierten Beschäftigten eruiert werden soll, dient das szenisch-hermeneutische Verstehen der Analyse der Beziehungsdynamik im Interview, die Hinweise auf latente Anteile des psychologischen Vertrags geben kann. Schließlich werden in Kapitel 7 die Ergebnisse der Forschungsarbeit festgehalten. Es erfolgt zunächst eine Beschreibung des Tochterunternehmens, zu dem die befragten Beschäftigten transferiert werden, sowie des Beratungsunternehmens, unter dessen Dach das Tochterunternehmen gegründet wurde, um die transferierten Beschäftigten zu übernehmen. Im Anschluss an die Analyse der formalen Arbeitsbedingungen aus Perspektive der transferierten Beschäftigten werden deren psychologische Verträge sowie ihr Verhältnis zu den Erwartungsstrukturen des neuen Unternehmens in den Blick genommen.
2 Entgrenzung der Arbeit Entgrenzung der Arbeit
Die vorliegende Untersuchung knüpft an die soziologische Debatte um die Entgrenzung von Arbeit und Leben an. Im Unterschied zu anderen Beiträgen zu dieser Debatte, welche sich im Wesentlichen auf die Analyse von Veränderungen in Organisationen konzentrieren und die psychosozialen Auswirkungen auf Beschäftigte eher benennen als theoretisch fassen (vgl. Voß 1998), soll hier die Dynamik von organisationalen Veränderungen und psychosozialen Strukturen in den Blick genommen werden. Im Fokus der Betrachtung steht die Verbindung arbeits- und industriesoziologischer Argumentationsstränge mit sozialpsychologischen Argumentationslinien, um die üblicherweise separat vorgenommene Analyse von Organisationen und psychosozialen Strukturen zusammenzuführen. Ausgangspunkt bilden hierbei arbeits- und industriesoziologische Überlegungen zur Entgrenzung von Arbeit und Leben. Mit dem Begriff der Entgrenzung wird die gegenwärtig zu beobachtende Veränderung von abhängiger Beschäftigung als ein Auflösungsprozess thematisiert, von dem bisher gültige Normalitätsmuster erfasst werden. Unter der Chiffre Erosion der Grenze zwischen Arbeit und Leben werden Auflösungsprozesse auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Dimensionen beschrieben. Als Referenzfolie dient das Normalarbeitsverhältnis, das auch als Prototyp der institutionellen Verfasstheit von abhängiger Beschäftigung, die für den Fordismus-Taylorismus der Nachkriegsphase in Deutschland charakteristisch ist, verstanden werden kann. Kratzer (2003) weist darauf hin, dass der Begriff der Entgrenzung in der arbeits- und industriesoziologischen Debatte über Veränderungen in der Arbeitswelt häufig Verwendung findet, um eine Tendenz der proklamierten Veränderungen zu markieren. Er schlägt folgende Annäherung an den Entgrenzungsbegriff vor (Kratzer 2003, S. 38f.): „Den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Ansätze, Veränderung von Arbeit als Entgrenzung zu beschreiben und zu interpretieren, bildet die Vorstellung, dass Grenzziehungen, die für die institutionelle Verfasstheit von Arbeit im FordismusTaylorismus typisch und strukturbildend waren, erodieren: Ob auf der Ebene der gesellschaftlichen Regulation, der organisationalen Grenzen von Betrieben oder Unternehmen, der vertikalen und horizontalen Trennlinien innerhalb von Organisationen, der Grenzen von internen und externen Arbeitsmärkten, des Verhältnisses von Person und Arbeitskraft oder von Arbeitswelt und Lebenswelt – auf jeder Ebene ste-
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Entgrenzung der Arbeit hen vertraute Abgrenzungen, Trennungen, Differenzierungen zur Disposition. Es geht um einen grundlegenden Wandel von Erwerbsarbeit, in dem Ökonomie und Gesellschaft, Betrieb und Markt, Unternehmen und Arbeitskraft, Arbeit und Leben – gerade durch Prozesse der Entgrenzung in neuartiger Weise aufeinander bezogen sind.“
Wenn Kratzer hier „den kleinsten gemeinsamen Nenner“ der Entgrenzung benennt, so wird deutlich, wie umfassend, oder gar schillernd dieser Begriff ist, der Kratzer zufolge den Anspruch erhebt, „einen grundlegenden Wandel von Erwerbsarbeit“ zu benennen. Den Wandel von Erwerbsarbeit mit Hilfe des Begriffs der Entgrenzung nicht nur zu benennen, sondern darüber hinaus theoretisch zu fassen, wird jedoch gerade durch den Anspruch erschwert, einem so umfassenden Phänomen wie dem Wandel von Arbeit gerecht zu werden. Der Begriff gewinnt allerdings an Trennschärfe, sobald die Ebenen, auf denen sich die Entgrenzung zugleich vollzieht, getrennt voneinander betrachtet werden. In Anlehnung an Wolf und Mayer-Ahuja (2002) bietet sich die Betrachtung folgender Ebenen an: Auf übergeordneter Ebene verändert sich die gesetzliche Regulierung von Arbeitsverhältnissen; zudem verliert das Normalarbeitsverhältnis seine normierende Wirkung, da es zunehmend von a-typischen Beschäftigungsformen ergänzt, partiell auch verdrängt wird. Auf der organisationalen Ebene lässt sich eine Tendenz zur externen und internen Flexibilisierung der Organisation verzeichnen, die die Grenzen der Organisation nach innen und außen in Frage stellt, wie Beschäftigte von Unternehmen leidvoll erfahren müssen, in denen die Unternehmensstruktur durch Dezentralisierung, Fusionen oder Outsourcing verändert wird. Kennzeichnend für den Prozess der Entgrenzung ist zudem, dass Arbeitszeitregimes ihre verlässliche Qualität verlieren und Flexibilisierungsprozessen unterworfen sind. Selbst die Grenzen des Arbeitsorts werden durch Projektarbeit, Leiharbeit und In- oder Outsourcing zur Disposition gestellt. Von den Veränderungen der Erwerbsarbeit bleiben auch Freizeit und Familienarbeit nicht unberührt, was unter dem Stichwort der „reflexiven Lebensführung“ (Hildebrandt u. Linne 2000) diskutiert wird. Angesichts dieser Bandbreite von Veränderungen, die unter dem Stichwort Entgrenzung thematisiert werden, erscheint Entgrenzung „als leitende Tendenz der derzeitigen Veränderung der Arbeitsverhältnisse insgesamt [...], die alle sozialen Ebenen der Verfassung von Arbeit betrifft: übernationale und gesamtgesellschaftliche Strukturen von Arbeit, die Betriebsorganisation nach außen und innen, Arbeitsplatzstrukturen und das unmittelbare Arbeitshandeln sowie schließlich insbesondere auch die Arbeitssubjekte, d.h. ihre Persönlichkeitseigenschaften (v.a. die Qualifikationen) sowie ihre Lebensverhältnisse“ (Voß 1998, S. 474).
Entgrenzung der Arbeit
17
Wenn es um die Neuheit von Entgrenzungsprozessen geht, so wird häufig mit Bezugnahme auf die Phasen der Vor- und Frühindustrialisierung darauf verwiesen, dass auch zu dieser Zeit Arbeitsverhältnisse kaum reguliert und formalisiert waren (vgl. Promberger 2005). Die damaligen Arbeitsverhältnisse waren instabil und mit ausgeprägten physischen Belastungen verbunden. Zudem lässt sich eine große Mobilität der industriellen Arbeiter nachweisen, die in vielen Fällen nur in einer bestimmten Saison, über mehrere Jahre oder in einer bestimmten Lebensphase in der Industrie tätig waren, um anschließend in ihre angestammte ländliche Umgebung zurückzukehren. Ausschlaggebend für die Wanderbewegungen waren Jahreszeiten, die längerfristige räumliche Mobilität war durch Wirtschaftskrisen oder biographische Phasen der Arbeiter motiviert (vgl. Promberger 2005). Die im historischen Verlauf hart erkämpften1 und sukzessiv etablierten Grenzen zum Schutz der Arbeitnehmer, die in Form des Normalarbeitsverhältnisses ihre optimale Schutzfunktion entfalteten, befinden sich derzeit in einem Auflösungsprozess. Neu ist hierbei, im Unterschied zu anderen historischen Phasen, dass Auflösungsprozesse vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Individualisierungsprozesse (Beck, U. u. Beck-Gernsheim 1994) nicht mehr als Kollektivschicksal erscheinen, sondern individuell verarbeitet werden müssen (Jurczyk u. Voß 2000). Die unterschiedlichen Ebenen, auf denen sich der Prozess der Entgrenzung vollzieht, sind miteinander verwoben, weshalb eine fokussierte Betrachtung immer verkürzt erscheinen muss. Kratzer (2003) schlägt vor, Entgrenzung als ein betriebliches Rationalisierungsprojekt zu begreifen, dessen Rahmen übergreifende Reorganisationsprozesse bilden. In diesem Verständnis geht die treibende Kraft der Veränderung von Organisationen aus, sie erscheinen als Ausgangspunkt von Entgrenzungsprozessen. Als Indiz für diese These mag der Umstand gelten, dass Organisationen von Entgrenzungsprozessen profitieren und sie zum Teil direkt forcieren, da sie den Zugriff auf „bislang nur begrenzt zugängliche Ressourcen und Potenziale von Arbeitskraft [ermöglichen, zu denen] vor allem das Flexibilitäts- und Steuerungspotenzial der Subjekte sowie die kommunikativen Fähigkeiten und empathischen Eigenschaften von Subjektivität und die bislang gegen den Betrieb abgegrenzten zeitlichen, räumlichen und sozialen Ressourcen der Lebenswelt der Beschäftigten“ zählen (Kratzer 2003, S. 39 Herv. i. O.).
1 Für die historische Entwicklung der Arbeitszeitpolitik als zentraler Aspekt des Normalarbeitsverhältnisses siehe Rinderspacher (2000) und Promberger (2005).
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Entgrenzung der Arbeit
In der Debatte um die Entgrenzung von Arbeit und Leben wird gemeinhin auf ein spezifisches Beschäftigungsmodell rekurriert, dessen (schützende) Begrenzungen derzeit einem Auflösungsprozess unterworfen sind. Die Auflösung einer historischen Form von Normalarbeit wird unter dem Chiffre Erosion des Normalarbeitsverhältnisses diskutiert und ist für die Entgrenzungs-Debatte von zentraler Bedeutung.
2.1 Das Normalarbeitsverhältnis als Referenzfolie Die Entgrenzung von Arbeit ist ein seit längerer Zeit beobachtbarer Prozess, der eine historische Form von Normalarbeit nachhaltig verändert, die für einen Großteil der (männlichen) Beschäftigten (der Stammbelegschaft)2 in der Nachkriegsphase in Deutschland als normal galt3. Die Bezeichnung „normal“ trägt diese Form der Arbeit deshalb, da sie mit einem Arbeitsverhältnis verbunden ist, das nicht nur eine individuelle Rechtsbeziehung, sondern auch ein „gesamtgesellschaftliches Arrangement der Produktion und Reproduktion der Menschen“ darstellt (Mückenberger 1986, S. 34). Zudem gilt es als Prototyp eines Beschäftigungsverhältnisses fordistisch-tayloristischer Prägung4 (Alda 2005). Gemeint ist das Normalarbeitsverhältnis, für das spezifische Grenzen bzw. Grenzziehungen charakteristisch sind. Aufgrund der charakteristischen Grenzziehungen eignet sich das Normalarbeitsverhältnis als Referenzfolie für die derzeit zu beobachtenden Entgrenzungsprozesse. Zudem orientiert sich die (betriebliche) Regulierung von Arbeitsbeziehungen noch immer mehr oder weniger explizit am Normalarbeitsverhältnis, dem somit eine Funktion als Leitbild zukommt. Die empirische Relevanz des Normalarbeitsverhältnisses ist im Verhältnis zu seiner Funktion als Leitbild eher gering einzustufen (Mückenberger 1989). Schließlich gab es neben ihm seit seiner Etablierung in der Nachkriegsphase in Deutschland immer große Bereiche gesellschaftlicher Arbeit, die als a-typische 2 So sind erstens Frauen in Normalarbeitsverhältnissen unter- und in Teilzeitverhältnissen überrepräsentiert. Zweitens sind Angehörige der Randbelegschaft häufig sowohl von betrieblichen Fortbildungsangeboten als auch vom internen Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Ähnliches gilt für Saisonarbeiter (vgl. Kraemer 2006). Zur Kritik am Normalarbeitsverhältnis aus feministischer Perspektive siehe Mayer-Ahuja (2002) und Osterland (1990). 3 Eng verbunden mit dem Konzept des Normalarbeitsverhältnisses ist das Konzept der Normalbiographie (Kohli 1985). 4 Auf Taylor ([1913] 1977) gehen die Ideen der hochgradigen Arbeitsteilung, Motivation über positive Lohnanreize und die konsequente Trennung von ausführenden und dispositiven Tätigkeiten zurück (für eine kritische Würdigung siehe Bravermann 1977). Diese Ideen der Produktionsgestaltung wurden später von Ford aufgegriffen und weiter entwickelt. Zudem wusste Ford den „Zusammenhang zwischen Lohnerhöhung, der Produktionssteigerung und dem Anstieg des Konsums“ zur Steigerung der Gewinne zu nutzen (Castel 2000, S. 294).
Das Normalarbeitsverhältnis als Referenzfolie
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Formen von abhängiger Beschäftigung verrichtet oder erst gar nicht als Arbeit anerkannt wurden (vgl. Mückenberger 1989; Schulze Buschoff 2002). Charakteristisch für das Normalarbeitsverhältnis ist der hohe Standard spezifischer Sicherheitsgarantien und Rechtsansprüche, weshalb ihm eine „Schutzfunktion“ zugesprochen wird (Mückenberger 1989, S. 213). Neben der Schutzfunktion erfüllt es eine „Antriebsfunktion“ gegenüber denjenigen, die auf abhängige Beschäftigung angewiesen sind. Das Normalarbeitsverhältnis ist folglich untrennbar mit der arbeitgeberseitig eingeforderten Unterordnung in betriebliche Hierarchien sowie mit der Einschränkung der individuellen Handlungs- und Dispositionsspielräume verbunden (vgl. Kratzer 2003). Als weitere Funktion des Normalarbeitsverhältnisses ist die „Selektionsfunktion“ gemäß dem Kriterium der Beschäftigungskontinuität zu nennen (Mückenberger 1989, S. 213). Schließlich bietet das Normalarbeitsverhältnis nicht allen Arbeitstätigen gleichermaßen materielle Sicherheit, sondern bevorzugt jene, die eine lange Betriebszugehörigkeit und somit eine bestimmte Anzahl anrechnungsfähiger Versicherungsjahre vorweisen können. Seine optimale Schutzfunktion entfaltet es demnach nur für diejenigen Beschäftigten, die in einem Normalarbeitsverhältnis beschäftigt sind. Das ist insbesondere der männliche, in Vollzeit arbeitende Angehörige der Kernbelegschaft eines Großunternehmens, wiederum in Abhängigkeit von seiner Qualifikation und der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit (Mückenberger 1986). Auf die Schutz- und Selektionsfunktion hebt auch die Definition des Normalarbeitsverhältnisses von Kraemer (2006, S. 663) ab: „Ein derartiges ‚Normalarbeitsverhältnis‘ garantiert gesetzliche Schutzrechte, kollektive Tarifleistungen und betriebliche Vergünstigungen (Betriebsrenten, Sozialpläne, Qualifizierungsmaßnahmen), wobei hervorzuheben ist, dass das Niveau der sozialen Absicherung mit Dauer der Betriebszugehörigkeit (Senioritätsprinzip) und der Kontinuität der Erwerbsbiografie (Sozialversicherungsansprüche) zunimmt“.
Trotz seines exklusiven Charakters gehen vom Normalarbeitsverhältnis auch für diejenigen Beschäftigten positive Impulse aus, die a-typisch beschäftigt sind. Zumindest unter den Bedingungen der Prosperität profitieren auch weniger stark geschützte Beschäftigungsgruppen von seinen Standards, da die Rahmenbedingungen ihrer Arbeitsverhältnisse zwar nicht gleichrangig mit denen des Normalarbeitsverhältnisses sind, zumindest aber auf sie rekurrieren (Mayer-Ahuja 2002; Mückenberger 1986). Im Vergleich zu anderen Formen abhängiger Beschäftigung gilt es demnach als die bestgeschützte Arbeitsform, die allerdings von den Standards der sozialen Sicherung abhängt und folglich nur relativ, jedoch nicht absolut zu definieren ist. Daher schlägt Bosch (1986, S. 165) vor, das Normalarbeitsverhältnis als eine „stabile, sozial abgesicherte, abhängige Vollzeitbeschäftigung, deren Rahmenbe-
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dingungen (Arbeitszeit, Löhne, Transferleistungen) kollektivvertraglich oder arbeits- bzw. sozialrechtlich auf einem Mindestniveau geregelt sind“, zu definieren. Er schlägt im Vergleich zu Kraemer (2006) ein weiter gefasstes Verständnis des Normalarbeitsverhältnisses vor und betont dessen Bedeutung für die Festlegung eines generellen „Mindestniveaus“ arbeits- und sozialrechtlicher Standards. Mit Kraemer (2006) liegen dem Normalarbeitsverhältnis sozial generalisierte Erwartungsmuster zu Grunde, die mit einem spezifischen Arbeitnehmerstatus verbunden sind. Die mit dem Normalarbeitsverhältnis verbundenen Erwartungen können folgendermaßen skizziert werden: Es wird als unbefristetes Arbeitsverhältnis verstanden, deren Unbefristung als selbstverständlich angesehen wird. Tatsächlich verspricht das Normalarbeitsverhältnis biografische Planungssicherheit als Basis für die Familiengründung und Investition in eine Immobilie. Diese Planungssicherheit der Beschäftigten unterstützen Unternehmen nicht ohne Grund. Schließlich ist ohne eine langfristige Perspektive im Unternehmen die „Herausbildung von (mit Betrieb und Produkt verknüpftem) ‚Produzentenstolz‘“ nicht denkbar, von dem sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber profitieren (Mayer-Ahuja 2002, S. 34). Ein weiteres Charakteristikum des Normalarbeitsverhältnisses stellt das Arbeitszeitregime der „Normalarbeitszeit“ dar, das auf eine Vollzeitbeschäftigung ausgelegt ist. Die Entlohnung im Rahmen eines Normalarbeitsverhältnisses basiert auf der zur Verfügung gestellten Arbeitszeit und enthält nur geringe oder keine variablen Anteile. Üblicherweise bietet das Gehalt den (männlichen) Beschäftigten und ihrer Familie materielle Sicherheit. Vergütet werden zudem Zeiten der Nichtarbeit, beispielsweise aufgrund von Krankheit oder Kurzarbeit und der Investition in die Arbeitskraft in Form von Qualifizierungsmaßnahmen und Gesundheitsschutz (Bosch 2001). Da eine Tätigkeit im Rahmen eines Normalarbeitsverhältnisses idealtypisch an einem festen Arbeitsort ausgeführt wird, sind die Mobilitätsanforderungen eher gering. Zudem steht das Normalarbeitsverhältnis für den Zugang zu (groß)betrieblichen Karrierechancen über den internen Arbeitsmarkt (Mückenberger 1986). Das Normalarbeitsverhältnis ist als ein (berufslebens-) langes und stabiles Arrangement angelegt und könne daher mit der „bürgerlichen Heirat“ verglichen werden (Rosa 2005, S. 361). Gerade wegen seiner langfristigen Ausrichtung wird es von stabilen und mehr oder weniger explizit formulierten wechselseitigen Erwartungshaltungen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer flankiert. So profitieren Organisationen von einem stabilen Beschäftigungsverhältnis dahingehend, dass sie von ihren Beschäftigten ein gewisses Maß an Loyalität gegenüber der Organisation erwarten können. Umgekehrt verpflichtet sich der Arbeitgeber nach dem Ende der Probezeit dazu, im Falle einer Kündigung die Betriebszugehörigkeit von Beschäftigten zu berücksichtigen und eine Sozialauswahl zu treffen. Diese zum Teil impliziten gegenseitigen Erwartungen von Arbeitgeber und Ar-
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beitnehmer ergänzen und stabilisieren den formalen Arbeitsvertrag in Form eines psychologischen Vertrags5, auf den ich in Kapitel 5 eingehe. Wenn das Normalarbeitsverhältnis derzeit einem Auflösungsprozess unterworfen ist und, wie unter Abschnitt 2.2 ausgeführt, Organisationsgrenzen auf vielfältige Weise in Frage gestellt werden, so liegt die Vermutung nahe, dass davon auch der psychologische Vertrag nicht unberührt bleibt, insbesondere dann, wenn „arbeitsvertragliche durch handelsvertragliche Bindungen mit einem Dienstleister ersetzt werden“ (Boltanski u. Chiapello 2003, S. 293) und somit die langfristige Perspektive verloren geht. Als Mückenberger 1986 den Artikel „Zur Rolle des Normalarbeitsverhältnisses bei der sozialstaatlichen Umverteilung von Risiken“ veröffentlichte, begann sich der Begriff des Normalarbeitsverhältnisses gerade zu etablieren. Zugleich war bereits von seiner Krise die Rede. Daran wird deutlich, dass erst durch die Krise, die durch das Ende der seit 1957 (Mayer-Ahuja 2002) anhaltenden Vollbeschäftigung ausgelöst wurde, die zuvor empfundene Selbstverständlichkeit des Normalarbeitsverhältnisses als Garant für wachsenden Wohlstand ins Bewusstsein gelangte (Mückenberger 1986). Wie bereits angedeutet, war das Normalarbeitsverhältnis auch zu dieser Zeit im oben beschriebenen Umfang eher Fiktion oder handlungsleitende Bezugsgröße als empirische Realität (vgl. Mückenberger 1986; Promberger 2005). Auch diejenigen Arbeitsverhältnisse, die dem Normalarbeitsverhältnis qualitativ nahe kamen, erfüllten selbst zur Blütezeit des Normalarbeitsverhältnisses nur selten alle die von Kraemer (2006) genannten Kriterien. Allein das oft genannte Kriterium der Normalarbeitszeit ist derart eng gesteckt, dass bereits 1995 nur eine Minderheit der Beschäftigten „normal“ arbeitete (Kratzer, Fuchs, Wagner u. Sauer 2005; Neuberger 1997). Daher vertritt beispielsweise Wagner (2000) die Ansicht, dass ein weniger enges und flexibleres Verständnis vom Normalarbeitsverhältnis angebracht ist, da andernfalls sein Niedergang nur noch als Tatsache hingenommen werden kann: „Es liegt auf der Hand: Je detaillierter und stringenter die Merkmale für das Normalarbeitsverhältnis gefasst werden und je mehr diese Elemente als konstitutiv angesehen werden, desto leichter ist es, empirisch seine Auflösung zu begründen“ (Wagner 2000, S. 209). Dass das Normalarbeitsverhältnis derzeit von einer Vielzahl unterschiedlicher, teils prekärer Beschäftigungsverhältnisse ergänzt und möglicherweise sogar 5 Raeder und Grote (2004, S. 62) verstehen unter einem psychologischen Vertrag den „Austausch von Angeboten und Erwartungen der Beschäftigungsbeziehung, die über den juristischen Arbeitsvertrag hinaus bestehen“. So kann Personalabbau in Unternehmen die Loyalität der Arbeitnehmer negativ beeinflussen, da diese das Gefühl haben, dass der psychologische Vertrag, der den Tausch von Arbeitsplatzsicherheit gegen Loyalität einschließt, von der Arbeitgeberseite gekündigt wurde.
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verdrängt wird, scheint unbestritten6 (vgl. Alda 2005). Das Ausmaß, die Geschwindigkeit und vor allem die Richtung des Wandels von Beschäftigung sind noch immer nicht abzusehen, und es ist zu bezweifeln, dass sich in Bezug auf Beschäftigungsverhältnisse in absehbarer Zeit eine neue Übersichtlichkeit einstellen wird. Folglich lässt sich vermuten, dass die Worte von Brose (2000, S. 15) noch immer zutreffend sind: "Die industrielle Arbeitsgesellschaft gerät in eine Krise, aber die Richtung ihrer Transformation ist noch weitgehend unbestimmt, der Weg in die neue Arbeitsgesellschaft also einigermaßen verschlungen."
2.1.1 Die Arbeitszeit: schützende Grenzen im Auflösungsprozess In der soziologischen Debatte um die Entgrenzung von Arbeit und Leben stellt die Arbeitszeit eine wichtige Dimension dar. Sie bildet den Rahmen der Arbeitstätigkeit, da sie Arbeit von Nicht-Arbeit trennt und der Arbeitsbelastung temporale Grenzen setzt. Diese Grenzen schützen den Beschäftigten vor kurzfristigen oder zu umfassenden temporalen Zugriffen des Arbeitgebers und ermöglichen eine verlässliche Gestaltung von Reproduktion und Freizeit. Zudem bestimmt sie die Feinstruktur des Arbeitsalltags. Die Arbeitszeitstrukturen in Organisationen unterscheiden sich unter quantitativen und qualitativen Aspekten. Quantitativ lässt sich Arbeitszeit in Bezug auf die Chronometrie (Dauer), die Chronologie (Lage) sowie die Chronomorphie (Verteilung) beschreiben (Neuberger 1997, S. 231ff.). Mit Hilfe der Dimension der Chronometrie wird ein Arbeitsvolumen, also eine bestimmte Anzahl von zu erbringenden Arbeitsstunden pro Zeiteinheit bestimmt. Als Zeiteinheit bieten sich der Tag, die Woche, der Monat, das Jahr sowie das Arbeitsleben an. Das (arbeitsvertraglich oder tarifrechtlich) bestimmte Arbeitsvolumen stellt der Beschäftigte der Organisation gegen Lohn oder Gehalt zur Verfügung. Strukturiert wird das Arbeitsvolumen zum einen durch die Chronologie, die die Lage der Arbeitsstunden im Kontinuum einer Bezugseinheit bestimmt. Als mögliche Ausprägungen können ein fester Arbeitsbeginn um 9 Uhr in Verbindung mit einem festen Ende um 17 Uhr, Schichtarbeit, bei der Arbeitsanfang und -ende von Woche zu Woche von früh auf spät wechselt, sowie Gleitzeit, die um eine so ge6 Auf Basis der derzeit zur Verfügung stehenden Daten lässt sich konstatieren, dass a-typische Beschäftigung in Form von geringfügiger und befristeter Beschäftigung sowie Leiharbeit etwa die Hälfte der Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland ausmacht (vgl. Alda 2005). Aufgrund dieser offensichtlichen Verschiebung hin zu a-typischer Beschäftigung bereits von „Brasilianisierung“ (Beck 1999) zu sprechen, scheint jedoch verfrüht.
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nannte Kernarbeitszeit variiert, gelten. Zum anderen gibt die Chronomorphie dem Arbeitsvolumen eine konkrete Gestalt: Ein Arbeitsvolumen kann gleichmäßig auf einen zeitlichen Referenzrahmen verteilt werden, also beispielsweise auf fünf Tage in der Woche. Alternativ wird das Arbeitsvolumen auf drei Tage oder sechs Tage die Woche verteilt oder als Saisonarbeit nur in bestimmten Monaten des Jahres erbracht. Charakteristisch für die Normalarbeitszeit7 als zentrales Element des Normalarbeitsverhältnisses ist ein hoher Grad an Strukturierung in Form eines festen arbeitszeitlichen Rahmens. So sind Arbeitsbeginn und Arbeitsende, die Pausen sowie die Strukturierung des Arbeitsalltags klar vorgegeben und unterliegen der betrieblichen Kontrolle. Chronometrie, Chronologie und Chronomorphie stellen die Hauptdimensionen der Arbeitszeitflexibilisierung dar. In der Dimension der Chronometrie wird Arbeitszeitflexibilisierung durch eine Abweichung vom Standardvolumen eines Normalarbeitsverhältnisses erreicht. In Bezug auf die Chronologie besteht eine Flexibilisierung in der Variation von Arbeitsbeginn und -ende mit dem Ziel, (verlängerte) Betriebsnutzungszeiten und (verkürzte) individuelle Arbeitszeiten zu entkoppeln. Eine Arbeitszeitflexibilisierung in Bezug auf die Chronomorphie impliziert neue Arbeitszeit-Verteilungsmuster. Neuberger (1997, S. 234, Herv. i. O.) fasst die Unterschiede folgendermaßen zusammen: „Bei der Flexibilisierung der Chronometrie geht es somit um die Verlängerung oder Verkürzung einer vorgegebenen Zeitstrecke, bei der chronologischen Flexibilisierung wird eine an sich fixe Zeitstrecke auf einem Kontinuum hin- und herbewegt (sodass sich Anfangs- und Endzeitpunkte ändern), bei der Variation der Chronomorphie wird das Zeitvolumen gegliedert und auf dem Bezugszeitkontinuum unterschiedlich arrangiert.“
Die Feinstruktur des Arbeitsalltags lässt sich neben quantitativen Aspekten auch unter qualitativen Aspekten unterscheiden. So differieren Organisationen in Bezug auf die Intensität der Nutzung des vereinbarten Arbeitsvolumens. Wie in Abschnitt 2.2.2 erläutert, steht die Intensität der betrieblichen Nutzung von Arbeitszeit in einem engen Verhältnis zu der Art der Arbeitsorganisation: erfolgt die Kontrolle indirekt anhand von Arbeitsergebnissen, für die ein (knapper) zeitlicher Rahmen vorgegeben ist, so ist eine Steigerung der Arbeitsintensität, insbesondere kurz vor dem vereinbarten Abgabetermin, wahrscheinlich. Anders verhält es sich, wenn konkrete (kleinteilige) Arbeitsschritte vorgegeben und kontrol-
7 Der achtstündige Arbeitstag wurde 1918 erstmals als „Normalarbeitszeit“ gesetzlich festgelegt. 1923 wurde er jedoch wieder abgeschafft und 1927 durch eine Kompromissformel ergänzt (MayerAhuja 2002).
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liert werden, da die Verantwortung für die zeitliche Strukturierung des Arbeitsvolumens dann eher dem Vorgesetzten als dem Beschäftigten obliegt. Als Normalarbeitszeit wird gemeinhin eine kontinuierliche und stabile Vollzeitbeschäftigung mit einem Volumen von 35-40 Wochenstunden bezeichnet (vgl. Neuberger 1997, S. 181). Die Wochenarbeitszeit verteilt sich mit einem stabilen Muster auf fünf Tage in der Woche, z.B. Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr, und variiert weder in Bezug auf den Monat noch auf das Jahr8. Bei Nacht-, Samstags-, Feiertags-, Sonntags- oder Schichtarbeit würde man in diesem Sinne von Abweichungen von der Normalarbeitszeit sprechen. Allerdings trügt der Begriff der Normalarbeitszeit, da dieses Arbeitszeitmodell inzwischen nicht mehr dominiert. Bereits 1995 arbeiteten nur noch 17% aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer „normal“ (Neuberger 1997, S. 183 f.). Zudem stellen Kratzer und Fuchs (2005) eine Entkoppelung von vertraglicher und tatsächlicher Arbeitszeit fest, die insbesondere bei den höher qualifizierten Berufsgruppen dazu führt, dass die tatsächliche Arbeitszeit die vertragliche Arbeitszeit deutlich überschreitet. Verstärkt wird diese Tendenz durch eine zunehmende Etablierung von Vertrauensarbeitszeit, die zwar eine Vereinbarung eines Arbeitsvolumens vorsieht, ohne jedoch die Arbeitszeit zu erfassen oder auszuwerten (Böhm, Herrmann u. Trinczek 2004). In Kombination mit (zeitlich) ambitionierten Arbeitsvorgaben führt die Nicht-Kontrolle der Arbeitszeit eher zu einer Extensivierung als zu einer Verkürzung der Arbeitszeit. Die Normalarbeitszeit wird von einigen Beschäftigten jedoch auch als starres „Zeitkorsett“ wahrgenommen (Rinderspacher 2000, S. 72), das nicht ohne Weiteres mit außerbetrieblichen Zeitbedarfen in Einklang zu bringen ist (vgl. auch Teriet 1977). Deshalb haben insbesondere frauenpolitische Forderungen den Anstoß zu Modellen wie Teilzeit oder „Sabbaticals“ gegeben (Rinderspacher 2000, S. 71), motiviert durch die Hoffnung der weiblichen Beschäftigten, die Arbeitszeit besser an private temporale Erfordernisse anpassen zu können. Mit der zunehmenden Entkoppelung von Betriebsnutzungszeiten und individueller Arbeitszeit, die zu einer Ausweitung der Betriebsnutzungszeiten führte, gewannen alternative Arbeitszeitmodelle jedoch vermehrt für die Arbeitgeber an Attraktivität. Daraus resultierte eine vielfältige Ausgestaltung von Arbeitszeitmodellen9 in Organisationen, die sich weniger an Arbeitnehmerinteressen als vielmehr an Betriebserfordernissen orientieren.
8 Mehrarbeit war im Rahmen von Normalarbeitsverhältnissen immer möglich, musste jedoch von den Unternehmen durch die Zahlung von Zuschlägen erkauft werden (Promberger 2005). 9 Schulze Buschoff (2002, S. 8ff.) unterscheidet allein elf „Grundmuster flexibler Arbeitszeitgestaltung“, von den mittlerweile klassischen Formen Teilzeit, Schichtarbeit und Gleitzeit bis zu amorphen und selbst bestimmten Gestaltungsmodi.
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Mit Schulze Buschoff (2002) können jedoch sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer von variablen, Zeitkonten gesteuerten Arbeitszeiten profitieren, sofern Arbeitnehmer über den Auf- und Abbau der Arbeitszeitkonten mitbestimmen können (vgl. Seifert 2000). Gegen die Flexibilisierung der Arbeitszeit spricht hingegen die Befürchtung vieler Beschäftigter, dass durch flexible Arbeitszeiten etablierte Arbeitszeitstrukturen erodieren und folglich ihre Schutzfunktion gegenüber betrieblichen Zugriffen verlieren. Eine häufige Variante der Normalarbeitszeit ist die Gleitzeit. Sie ermöglicht die Anpassung der Arbeitszeit an betriebliche Schwankungen und führt häufig neben einer Flexibilisierung10 auch zu einer Extensivierung der Arbeitszeit, da mit der Flexibilisierung von Arbeitszeit auch häufig die Tendenz zu Mehrarbeit verbunden ist (Kratzer 2003, S.127). Im Unterschied zur Vertrauensarbeitszeit werden die geleisteten Arbeitsstunden erfasst und können üblicherweise zu einem späteren Zeitpunkt in Freizeit gewandelt werden, es sei denn, die angesammelten Stunden verfallen in einem vorgegebenen Zeitraum aufgrund einer hohen Arbeitslast, die dem Umwandeln angesammelter Arbeitsstunden in Freizeit entgegensteht. Den Beschäftigten bietet Gleitzeit den Vorteil, über Arbeitsbeginn und -ende sowie über die Verwendung angesammelter Arbeitsstunden verhandeln zu können und somit an Zeitsouveränität zu gewinnen. Wird Zeitsouveränität jedoch als die Möglichkeit definiert, eigenständig über die Verteilung der eigenen Lebenszeit für den Zweck der Erwerbstätigkeit zu entscheiden (Teriet 1977), so gibt es wohl neben den so genannten Zeitpionieren (Hörning, Gerhardt u. Michailow 1990) nur wenige Menschen, die wirklich zeitsouverän sind. Der selbstbestimmte Umgang mit der Zeit ist für den Großteil der Beschäftigten „weithin ein Mythos geblieben“ (Rinderspacher 2000, S. 91f.). Trotz der vielfältigen Versuche, eine Balance zwischen Marktanpassung und Zeitsouveränität zu finden, erscheint das verlässliche Zeitmuster von Normalarbeitszeit aus der Perspektive von Beschäftigten noch immer als vorteilhaft. Schließlich ist der Koordinations- und Organisationsaufwand im beruflichen und privaten Alltag auf Basis eines stabilen Arbeits- und Lebensrhythmus deutlich geringer als im Rahmen von flexibilisierten Arbeitszeitmodellen. Hinzu kommt, dass nach einer Phase der kontinuierlichen Verkürzung der kollektiven Wochenarbeitszeit – ein Ziel der Arbeitnehmer, das von Arbeitgebern über Jahrzehnte mitgetragen wurde11 (Rinderspacher 2000) – nun wieder eine Verlängerung der 10 Flexibilisierung bezieht sich auf die Art und Weise des betrieblichen Zugriffs auf Arbeitskraft, der nun weniger standardisiert und in Regelwerke eingebettet erfolgt. Als Beispiel kann hier die abnehmende Bedeutung von Arbeitszeitregimes gelten, die durch eine Vielzahl von „Arbeitszeiten“ überlagert werden, die dem betrieblichen Ziel eines zeitlich flexiblen Einsatzes von Arbeitskraft dienen. 11 Neben Lohnerhöhungen sind Arbeitszeitverkürzungen ein probates Mittel, um Beschäftigte an den Gewinnen der Produktivitätssteigerung zu beteiligen (vgl. Rinderspacher 2000), die gemeinhin auf Basis von Rationalisierungs- und Intensivierungsinteressen realisiert wurden (Promberger 2005).
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Wochenarbeitszeit zu beobachten ist. Die empirischen Ergebnisse von Kratzer (2003, S. 104ff.) ergeben mehrere Ursachen von Mehrarbeit: Veränderte Marktanforderungen, die den Umfang einzelner Arbeitsschritte vergrößern; Tendenz zur Projektarbeit, die zusätzlich zu den üblichen Aufgaben zu leisten ist; Partizipation an Reorganisationsprojekten; arbeitgeberseitig forcierte Aufgabenintegration, durch die Aufgaben reicher, aber eben auch zeitaufwändiger werden; dynamische Qualifikationsanforderungen; Einarbeitung neuer Mitarbeiter sowie gestiegene Reportinganforderungen.
2.1.2 Aktives Zeithandeln als Erfordernis entgrenzter Arbeitszeiten Im Rahmen des Normalarbeitsverhältnisses wurden feste Arbeitszeitstrukturen als herrschaftliche, d.h. autonomes Handeln und Selbstverwirklichung begrenzende Vorgaben kritisiert. Die schützende und handlungsermöglichende Funktion von festen Arbeitszeitstrukturen gerät nun vor dem Hintergrund wachsender Anforderungen an eine Selbststrukturierung der Arbeit wieder stärker in den Blick. Eine Annäherung an den Begriff des „aktiven Zeithandelns“ (Jurczyk u. Voß 2000) erfordert zunächst eine Explikation des Verständnisses von Zeit. Mit Elias (1988, S. IX) kann Zeit als ein im Prozess der Zivilisation entwickeltes „Mittel der Orientierung in der sozialen Welt“ verstanden werden, das „der Regulierung im Zusammenleben der Menschen“ dient. Durch die Formierung gesellschaftlich verbindlicher Zeitordnungen wird die Koordination und Synchronisation sozialen Lebens unterstützt. Dieser Prozess der Formierung von Zeitordnungen hält bis heute an, da die Anforderungen an Zeit als Orientierungs- und Regulierungsmittel immer höher werden. Verschiedene Zeitinstitutionen stellen als „sozial standardisierte Geschehensabläufe“ Bezugsrahmen dar, deren „gleichmäßig wiederkehrende Ablaufmuster“ uns ermöglichen, individuelle und soziale Geschehensabläufe zu vergleichen und zeitlich zu verorten (Elias 1988, S. VII, XII). Zeit ist nach diesem Verständnis nicht natürlich gegeben, sondern erfüllt eine soziale Funktion und entwickelt sich entsprechend der Anforderungen und Werthaltungen einer Gesellschaft. Dabei gilt es zu betonen, dass zeitliche Werthaltungen, die heute als selbstverständlich erscheinen, nicht immer selbstverständlich waren. So wurde die Zeitdisziplin, wie sie derzeit beispielsweise in Form von Pünktlichkeit bei Beschäftigten vorausgesetzt wird, zu Beginn der Industrialisierung gewaltsam gegen einen subsistenzwirtschaftlichen Umgang mit der Zeit durchgesetzt (Rinderspacher 2000; Steinert u. Treiber 2005; Thompson 1973).
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Mit der Erosion von Arbeitszeitstrukturen verlieren auch etablierte Zeitnormen an Bedeutung. So tritt beispielsweise die Anforderung der Pünktlichkeit gegenüber der Anforderung, das Arbeitshandeln eigenverantwortlich zu strukturieren, zurück. Diese Anforderung setzt voraus, dass Beschäftigte zu aktivem Zeithandeln fähig sind. Mit Jurczyk und Voß (2000, S. 153f.) bedeutet aktives „Zeithandeln [...] die Vielfalt natürlicher, gesellschaftlicher und subjektiver (d.h. auch psychischer und körperlicher) Zeiten in einer je eigenen Zeitordnung zu integrieren". Die individuelle Gestaltungsleistung einer eigenen Zeitordnung gewinnt umso mehr an Bedeutung, je weiter die Erosion zeitlicher Strukturen durch Flexibilisierungs- und Deregulierungsprozesse fortgeschritten ist. Zeithandeln ist daher nicht unbedingt strategisch angelegt, es kann sich auch um eine Strukturierungsleistung handeln, die als Reaktion darauf zu verstehen ist, dass zeitliche Institutionen ihre prägende Kraft verlieren und auf wechselnde Arbeitsanforderungen mit spontanintuitivem Handeln reagiert werden muss. Jürgens (2003, S. 47) grenzt Zeithandeln deshalb von Zeitmanagement ab, das im Sinne eines strategischen Gestaltungswillens voraussetzungsvoller ist. Möglicherweise handelt es sich bei aktivem Zeithandeln um eine Anforderung, die einen Großteil der Beschäftigten zu überfordern droht (Jurczyk u. Voß 2000). Folglich könne nur eine bestimmte Gruppe von Beschäftigten von entgrenzten Arbeitszeiten profitieren, nämlich diejenige, die Jurczyk und Voß (2000, S. 195) als „Turboarbeitskräfte des Turbokapitalismus“ bezeichnen. Diese Beschäftigten würden über genügend Verhandlungsmacht gegenüber ihrem Arbeitgeber verfügen, um ihre individuellen Zeitinteressen durchzusetzen. Zum anderen würden sie die „kunstvolle Zeitkultur“ beherrschen, für die, so könnte man annehmen, ein strategischer Umgang mit Zeit förderlich ist. Als ein Element des strategischen Zeithandelns kann die Markierung von und der Umgang mit Ungeduld verstanden werden (vgl. Pfadenhauer 2003). Schließlich gehört die Erfahrung der Diskrepanz zwischen der individuellen Zeitbudgetierung und der Widerständigkeit von Kunden, Vorgesetzten und Kollegen zum Arbeitsalltag, die nur bewältigt werden kann, wenn die Interaktion mit anderen entsprechend der Arbeitserfordernisse professionell koordiniert wird. Da aktives Zeithandeln eine Bedingung für den Gewinn an Zeitsouveränität unter flexibilisierten (Arbeitszeit-) Bedingungen darstellt und, wie gerade ausgeführt, voraussetzungsvoll ist, gewinnt die Mehrheit der Arbeitnehmer durch flexibilisierte Arbeitsverhältnisse nicht an Zeitsouveränität (Jurczyk u. Voß 2000). Im Gegenteil, für sie bedeutet das Aufweichen stabiler Zeitordnungen einen Verlust, da es ihnen im Vergleich zu den „Turboarbeitskräften“ an der Fähigkeit des aktiven Zeithandelns sowie an der notwendigen Verhandlungsmacht mangelt, um ihre Arbeitszeit nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten und eine eigene Zeitordnung entwickeln zu können. Sie sind den Flexibilisie-
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rungswünschen der Unternehmen ausgeliefert und von den steigenden Anforderungen eher über- als herausgefordert, was sie im Alltag zu einer reaktiven „temporalen Bastelei“ zwingt (Jurczyk u. Voß 2000, S. 196f.). Wenn eine (weitgehend) eigenständige Gestaltung des Arbeitsvollzuges vermehrt zu den (üblichen) Arbeitsanforderungen gehört, so deutet sich eine neue Dimension sozialer Ungleichheit an. Schließlich verfügen nur wenige Beschäftigte über die Fähigkeit, nicht nur den Arbeitsvollzug eigenständig zu planen, sondern auch zu kontrollieren sowie sich spontanintuitiv mit unvorhergesehenen Veränderungen im Arbeitsablauf zu arrangieren (Jürgens 2003). Diese Fähigkeit des aktiven Zeithandelns könnte jedoch, wie bereits angedeutet, zu einer Qualifikation werden, die für die Gestaltung des Arbeitsalltags entscheidend ist, um der arbeitgeberseitig forcierten Flexibilisierung, Extensivierung und Intensivierung der Arbeitszeit durch eigene Strukturierungsleistungen begegnen zu können. Im Unterschied zu den Überlegungen von Jurczyk und Voß (2000) ist das Szenario, das Seifert (2000) entwickelt, optimistischer. In seiner Analyse flexibler Arbeitszeitformen geht er davon aus, dass die Rolle der gestaltenden Kraft zwar zunehmend von Arbeitgebern und ihren Verbänden übernommen wird und Gewerkschaften in diesem Prozess an Einfluss verlieren. Zudem zeichne sich eine klare Tendenz zur Unterschreitung der Standards des Normalarbeitsverhältnisses ab. Daraus folgt aus seiner Perspektive jedoch nicht, dass sich ökonomische Kosten-Nutzen-Kalküle ungebrochen durchsetzen und kein Spielraum für außerbetriebliche Zeitanforderungen bleibt. Er schlägt den Begriff der „kontrollierten Flexibilität“ als neues Leitbild vor, da sich die beobachtete Flexibilisierung der Normalarbeitszeit nicht in völlig unkontrollierten Bahnen vollziehe, sondern sowohl tarifvertraglich als auch betrieblich gestaltet würde und nach wie vor Einflussmöglichkeiten für Arbeitnehmer biete. Dabei schließt er nicht aus, dass von der im Vergleich zur Normalarbeitszeit größeren Gestaltungsoffenheit von Arbeitszeitkonten manche Beschäftigte profitieren und sich für andere die Arbeits(zeit)bedingungen eher verschlechtern. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die erweiterten Möglichkeiten zur Gestaltung der eigenen Arbeitszeit (bestimmter Beschäftigtengruppen) partiell Chancen für eine bessere Vereinbarung von Arbeit und Leben bieten. Zugleich sind sie mit Strukturierungsanforderungen oder gar -zwängen verbunden, aus denen neuartige Risiken und Belastungen resultieren.
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2.2 Entgrenzung von Organisation und Arbeitsorganisation 2.2.1 Dezentralisierung und Vermarktlichung Im Konzernkapitalismus (Boltanski u. Chiapello 2003, S. 57) fordistischtayloristischer Prägung wurde die Größe eines Unternehmens anhand von Umsatz- und Beschäftigtenzahlen als Symbol für Stärke und Stabilität demonstriert. Sie war ein Synonym für gewinnträchtige Skaleneffekte sowie für die Durchsetzungsfähigkeit am Absatzmarkt und ermöglichte den Unternehmen, die Produktionsabläufe gegen die Unwägbarkeiten des Marktes abzuschotten und Nachfrageschwankungen auszugleichen. Aus heutiger Sicht betrachtet, erscheinen Unternehmensstrategien, die auf Größe setzen, nicht mehr angemessen. Im Gegenteil: in einem globalisierten Wirtschaftsraum12 können Nachfrageschwankungen eine Dynamik entwickeln, die sich allein über Größe nicht bewältigen lässt. Erfolg versprechender erscheint eine Strategie, die die Optimierung der Reaktionsfähigkeit und somit die Flexibilisierung von Unternehmensstrukturen vorantreibt. Diese Strategie verspricht Handlungsfähigkeit auch unter schwankenden Wettbewerbsbedingungen. Dezentralisierung ist das Stichwort, mit dem die Form der betrieblichen Reorganisation begrifflich gefasst werden kann, die die Erhöhung der Flexibilität mittels der Schwächung zentraler hierarchischer Kontroll- und Herrschaftsstrukturen vorsieht (vgl. Kratzer 2003). Arbeits- und industriesoziologisch ist mit Dezentralisierung „die Verlagerung von Kompetenzen jedweder Art von einer zentralen Unternehmensinstanz auf ausführende Stellen“ gemeint (Hirsch-Kreinsen 1995, S. 424). Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass von dieser Form der Reorganisation sowohl verschiedene Organisationsebenen als auch die Arbeitsorganisation betroffen sind, und der Dezentralisierungsprozess zu durchaus widersprüchlichen Ergebnissen führen kann. Beispielsweise werden redundante Funktionen der dezentralen Einheiten wieder in zentralen Einheiten zusammengefasst, mithin re-zentralisiert. Empirisch lassen sich drei Typen der Dezentralisierung ausmachen: erstens die strategische Dezentralisierung, zweitens die operative Dezentralisierung, und drittens Mischformen aus strategischer und operativer Dezentralisierung (HirschKreinsen 1995). Der erste Typus der strategischen Dezentralisierung impliziert eine Reorganisation der Organisation im Zuge einer Kompetenzverlagerung auf neudefinierte Organisationseinheiten sowie die Externalisierung bestimmter Funktionen in Folge einer Verringerung der Fertigungstiefe. Mit operativer De12 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden Entgrenzungsprozesse in Deutschland thematisiert. Die Wirkung von Globalisierung auf die deutsche Wirtschaft bleibt weitgehend außen vor. Den Zusammenhang von Dezentralisierung und Globalisierung erläutern Dörre, Elk-Anders und Speidel (1997).
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zentralisierung ist eine Kompetenzverlagerung entlang der organisationalen Hierarchie gemeint, die eine Reintegration von planenden und ausführenden Tätigkeiten bewirken kann. Der dritte Typus, die Mischform, verbindet die beiden ausgeführten Typen und ist empirisch möglicherweise häufiger nachzuweisen als die reinen Formen der strategischen oder operativen Dezentralisierung. Seit Beginn der 1990er Jahre lässt sich ein Prozess der Verantwortungsverlagerung von bereichsübergreifenden Hierarchien hin zu dezentralen Organisationseinheiten beobachten. So genannte Profit-Center sind ein empirisches Ergebnis von Dezentralisierung, sie stehen für den Wandel von integrierten Bereichen zu eigenständigen Teilbereichen einer Organisation, denen die Verantwortung für Kosten und Verluste sowie für die erwirtschafteten Gewinne obliegt. Mit Dezentralisierung ist ein Flexibilisierungsprinzip benannt, das eng mit einem weiteren Prinzip verknüpft ist, nämlich dem der Vermarktlichung. Wie bereits angedeutet, soll nun nicht nur die Größe des Unternehmens verringert werden, auch die Abschottung gegenüber dem Markt gilt es zumindest partiell aufzuheben, um die Anpassungsfähigkeit an veränderte Wettbewerbsbedingungen zu erhöhen. Die Grenzen von Innen und Außen werden durchlässiger, um auf diese Weise den Markt als Impulsgeber einer „permanenten Reorganisation der Binnenstruktur“ nutzen zu können (Sauer, Boes u. Kratzer 2005, S. 324). Mit Vermarktlichung ist jedoch nicht nur die Durchlässigkeit von Unternehmen gegenüber dem Markt gemeint. Der Begriff steht zudem für ein Steuerungsprinzip, das die Koordination dezentraler Organisationsstrukturen ermöglichen soll, mithin hierarchische Kontrolle durch marktliche Sanktion ersetzt (Kratzer 2003). Vermarktlichung entfaltet ihre Wirkung als Steuerungsprinzip, indem sie die Organisation durchdringt und selbst ihre kleinste Einheit, die Beschäftigten, erreicht, deren Beschäftigungsverhältnisse sich dadurch nachhaltig verändern. Für die Beschäftigten resultiert aus der Dezentralisierung, dass der interne Arbeitsmarkt nicht mehr wie im fordistisch-tayloristisch geprägten Großunternehmen überwiegend Vorteile im Sinne von Karrieremöglichkeiten bietet. Denn in einer dezentralisierten Organisation, die über das Prinzip der Vermarktlichung gesteuert wird, wird der interne Arbeitsmarkt zum Sinnbild für die Konkurrenz unter den Beschäftigten, denen er stets nicht nur Karrierechancen, sondern zugleich die eigene Ersetzbarkeit vor Augen hält (vgl. Abschnitt 2.3.3). Die Konkurrenzsituation wird durch den Umstand verschärft, dass nicht nur die Beziehungen unterschiedlicher Organisationbereiche als Kunden-LieferantenBeziehung markiert werden, sondern auch die Beziehungen der Beschäftigten, die in diesem Rahmen interagieren. So tritt zur drohenden Ersetzbarkeit die Kundenorientierung hinzu, die Beschäftigte mit der Anforderung konfrontiert, die Wünsche eines Kunden zu erfüllen, der dazu neigt, weitaus höheren Druck im Sinne einer Ergebnisorientierung auszuüben, als von einem Vorgesetzten im
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Fordismus-Taylorismus zu erwarten gewesen wäre. Vermarktlichung steht demnach für das Prinzip, den Markt, von dem sich Organisationen bislang nach außen hin abgegrenzt haben, in die Organisation eindringen zu lassen, ihn gewissermaßen zu internalisieren (Moldaschl 1998). Mit den Prinzipien der Dezentralisierung und der Vermarktlichung sind weitere Begriffe verbunden, die es zu benennen und auszuführen gilt: indirekte Steuerung, Selbstorganisation und Ergebnisorientierung auf der Ebene der Arbeitsorganisation, die auf der Ebene konkreter Arbeitsbeziehungen die Anforderung generieren, den eigenen Marktwert nicht nur zu erkennen, sondern erfolgreich in Szene zu setzen, um die eigenen Ressourcen, Optionen, Privilegien sowie die eigene Reputation zu erhalten oder zu steigern. Beschäftigten werden demnach neue Schlüsselqualifikationen abverlangt, die sich mit den Stichworten Employability und Kompetenzdarstellungskompetenz begrifflich fassen lassen.
2.2.2 Indirekte Steuerung, Selbstorganisation und Ergebnisorientierung Selbstorganisation kann als eine Ergänzung der Prinzipien der Dezentralisierung und Vermarktlichung aufgefasst werden. Zum einen befördert sie die Tendenz zu Dezentralisierung und Vermarktlichung, da beispielsweise die Etablierung von Gruppenarbeit eine Veränderung von Kontrolle dahingehend bewirkt, dass zentrale Hierarchien partiell in Frage gestellt und angepasst werden (vgl. Gerst 2004). Zum anderen ergibt sich ihre Notwendigkeit aus der Reorganisation von Organisationsstrukturen, die in den letzten beiden Jahrzehnten gemäß der Prinzipien Dezentralisierung und Vermarktlichung umgesetzt wurden. Beispiele für Reorganisationsmaßnahmen, die dieser Stoßrichtung folgen, sind die Abflachung von Hierarchien, die Ausweitung indirekter Steuerung sowie die Verantwortungsverlagerung auf untere Hierarchieebenen. Diese Maßnahmen stehen zum einen für eine zunehmende Flexibilisierung, die Organisationen eine Steigerung der Anpassungsfähigkeit nach außen ermöglicht und daher aus Managementperspektive wünschenswert ist. Zum anderen stehen sie jedoch für die Notwendigkeit, nach innen die Kontroll- und Herrschaftsstrukturen grundlegend zu überdenken, da bisherige Steuerungsmodi fordistisch-tayloristischer Prägung nicht mehr greifen, mithin ein Kontrollverlust des Managements droht. Wenn Leistung demnach nicht mehr ohne Weiteres über standardisierte Arbeitsvorgaben und direkte Kontrolle sichergestellt werden kann, ist eine partielle Umkehrung der Logik fordistisch-tayloristischer Prinzipien unumgänglich. Diese Umkehrung geht mit einer steigenden Bedeutung von Selbstorganisation einher, die eine
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Stärkung der Eigenverantwortung von Beschäftigten impliziert und zugleich mehrere Dimensionen der Arbeitsorganisation betrifft. Als erste Dimension ist die Arbeitszeit zu nennen, auf die ich in Abschnitt 2.1.1 eingegangen bin. Sie bezieht sich auf das Arbeitsvolumen, das der Organisation insgesamt zur Verfügung steht und auf die Nutzung dieses Arbeitsvolumens, also auf den konkreten Arbeitseinsatz der Beschäftigten. Die Koordination des Arbeitseinsatzes von Beschäftigten verändert sich nun dahingehend, dass die verhältnismäßig starre Organisation der Arbeitszeit flexibleren Absprachen weicht, die Beschäftigte unabhängig von ihren Vorgesetzten untereinander treffen sollen. Sie nimmt idealtypisch die Form kollegialer Absprachen an, unter der Maßgabe, als Arbeitseinheit stets erreichbar zu sein. Diese Form der Arbeitszeitkoordination mag aus Sicht der Beschäftigten vorteilhaft sein, sofern sich die Zeitbedürfnisse der Beschäftigten komplementär zueinander verhalten. Andernfalls ist mit Interessenkonflikten zu rechnen, die unter Umständen zu Lasten des schwächsten Gruppenmitglieds ausgetragen werden13. Eine weitere Dimension betrifft das Verhältnis von planenden und ausführenden Tätigkeiten sowie die Etablierung modifizierter Steuerungsmodi. Was das Verhältnis von planenden und ausführenden Tätigkeiten betrifft, so lässt sich eine Tendenz zur (Re-)Integration planender Funktionen in ausführende Prozesse verzeichnen. Daraus resultiert eine Art Jobenrichment in Form einer vertikalen Erweiterung von Aufgabengebieten auf den unteren Hierarchieebenen. Ein Beispiel: klassische Managementaufgaben wie die Priorisierung von Arbeitsaufgaben werden Beschäftigten übertragen, obwohl das Bestimmen der richtigen Reihenfolge durch den Umstand erschwert wird, dass Aufgaben zunehmend in Inhalt, Umfang und Dringlichkeit variieren. Ähnliches gilt für den Umgang mit schwankendem Arbeitsaufwand, der nun ebenfalls weniger durch eine vom Vorgesetzten vorgegebene Umverteilung erfolgt als vielmehr in Eigenregie von den Beschäftigten bewältigt werden muss. Insgesamt lässt sich durch die fortschreitende Internalisierung des Marktes von einer veränderten innerorganisationalen Dynamik sprechen, durch die Arbeitsprozesse vermehrt ihre stabile Qualität verlieren (Sauer u. a. 2005). Beschäftigte sind auf die Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft ihrer Kollegen angewiesen, wollen sie die Anforderungen bewältigen, die aus einer flexiblen Koordination von Arbeitsaufgaben und Arbeitszeit, aus einer steten Umgestaltung von Arbeitsprozessen sowie aus der zunehmenden Bedeutung von Projektaufgaben gegenüber Linienaufgaben entstehen. 13 Für die teilautonome Gruppenarbeit benennt Gerst (2004, S. 194) eine Gruppe von Beschäftigten als „Verlierer in einer Gewinnerkonstellation“. Im Unterschied zu den anderen Gruppenmitgliedern erleben sie die Gruppenarbeit nicht als entlastend und können nicht in gleichem Maße von erweiterten Handlungsspielräumen profitieren. Möglicherweise handelt es sich hierbei um weniger durchsetzungsstarke Beschäftigte, die in der Gruppe von anderen dominiert werden.
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Zudem wurden in den letzten beiden Jahrzehnten Steuerungsmodi forciert, die indirekte Steuerungsmechanismen gegenüber direkten Steuerungsmechanismen privilegieren und im Vergleich zur hierarchisch-bürokratischen Steuerung zugleich abstrakter und subjektiver sind. Abstrakter sind diese Steuerungsmodi deshalb, da sie auf ökonomischen Kennzahlen basierend Rahmenbedingungen vorgeben, die zunächst heruntergebrochen und konkretisiert werden müssen, um für den Arbeitsalltag eine handlungsleitende Qualität zu erhalten. Aus ihrer Bezugsgröße, den Beschäftigten, ergibt sich der Zuwachs an Subjektivität dieser Steuerungsmodi: aus übergreifenden Organisations- oder Bereichszielen werden Ziele, für die konkrete Personen verantwortlich gemacht werden. Mit indirekter Steuerung ist demnach nicht der vollständige Verzicht auf Steuerung gemeint, sondern deren Formwandel. Direkte Vorgaben und Kontrollen sowie organisationsübergreifende Formen der Regulierung treten gegenüber der Bestimmung des Kontextes individueller Leistungserbringung in den Hintergrund. Mögliche Ausprägungen indirekter Steuerungsmodi sind Zielvereinbarungen, Meilensteinpläne im Rahmen von Projektarbeit, Budgetvorgaben, informationstechnologisch gesteuerte Arbeitsabläufe sowie Richtlinien seitens des Qualitätsmanagements. Die indirekte Steuerung durch ökonomische und technische Zwänge, auch „Kontextsteuerung“14 genannt (Moldaschl u. Schultz-Wild 1994), zielt nicht nur auf die dezentralen Einheiten einer Organisation, sondern hat zudem die Beschäftigten im Blick. Das hat zur Folge, dass die Handlungsspielräume der Beschäftigten durch technische Zwänge eine Begrenzung erfahren und gemäß einer Ergebnisorientierung nicht die Ausführung einer Aufgabe, sondern die Arbeitsergebnisse zur Bewertung ihrer Arbeitsleistung herangezogen werden. Grundlage dieser Leistungsbewertung stellen Zielvereinbarungen dar, die im Rahmen von Jahresgesprächen getroffen werden. In letzter Konsequenz obliegt es demnach den Beschäftigten, vereinbarten Zielen gerecht zu werden. Auf die Ziele selbst haben sie allerdings nur begrenzten Einfluss, sowohl was die Festlegung betrifft als auch in Bezug auf die Faktoren, die für eine Zielerreichung förderlich oder hinderlich sind. Honoriert wird der persönliche Zielerreichungsgrad mittels variabler Lohn- und Gehaltsbestandteile in Abhängigkeit davon, wie weitsichtig und durchsetzungsstark Beschäftigte in individuellen Beurteilungsund Aushandlungssystemen agieren können. Die Verantwortung für Planungsunsicherheiten oder Schwierigkeiten in der Ausführung wird somit, zumindest partiell, den Beschäftigten angelastet. Disziplinierend wirkt die indirekte Steuerung unter anderem durch nicht oder nur partiell genutzte Möglichkeiten der Informationstechnologie. So werden 14 Für die Auswirkungen von indirekter Kontextsteuerung im Rahmen von Gruppenarbeit siehe Gerst (2004).
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die computergestützt produzierten Arbeitsergebnisse von Angestellten nicht nur nahezu vollständig erfasst, sondern zum Teil auch in Bezug auf Qualität und Arbeitstempo ausgewertet (Matuschek, Arnold u. Voß 2007)15. Diese Kontrollmöglichkeit ist den Beschäftigten prinzipiell bekannt. Was sie nicht wissen, ist, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form die Informationstechnologien tatsächlich zu diesem Zweck genutzt werden. Trotzdem, vielleicht aber auch gerade deswegen, fühlen sie sich stets überwacht und kontrollieren sich selbst, wodurch Fremdzwang zu Selbstzwang16 und Angst zur Machtressource wird17 (Haubl 2005b). Informationstechnologien dienen somit nicht nur der Arbeitserleichterung, sondern als Basis einer Kontrollapparatur, die zum Teil Züge eines Panoptikums hat (Foucault 1976). Wenn Fremdzwang und Selbstzwang beispielsweise in der Gestalt von Sachzwängen ineinander übergehen, sind psychische Prozesse von Bedeutung, die als Internalisierung von Rollenerwartungen beschrieben werden können (vgl. Parin 1978). Die Identifikation mit einer Rolle fungiert als ein mehr oder minder bewusster Anpassungsmechanismus, der dem Beschäftigten ein Gefühl von Kontrolle vermittelt und ihn zugleich einer kritischen Distanz zur Rolle und zu den mit ihr verbundenen Leistungserwartungen beraubt. Die Internalisierung von Rollenerwartungen ermöglicht es Beschäftigten, ihr Handeln als selbstbestimmt zu erleben. Als Voraussetzung für eine Identifikation mit der Rolle nennt Parin (1978, S. 100f.) die „aktive Anpassung an die übernehmenden sozialen Rollen und libidinöse und aggressive Erlebnisse, die von den Rollenzuschreibungen und Rollenerwartungen der Umwelt im Individuum ausgelöst werden“.
An dieser Stelle wird deutlich, weshalb die Vermutung nahe liegt, dass es sich bei Selbstorganisation nicht um eine zufällige Folge von Dezentralisierung und Vermarktlichung handelt. Es ist eher anzunehmen, dass alle drei Konzepte ineinandergreifen, einander bedingen und gegenseitig forcieren. Die kombinierte 15 Matuschek u. a. (2007, S. 151f.) beschreiben die Wirkmächtigkeit technisch basierter Kontrolle im Call-Center. Vorgesetzte verfügen über computergestützte Leistungsparameter ihrer Mitarbeiter, die sie regelmäßig, von den Mitarbeitern unbemerkt, abrufen. Hin und wieder üben sie auf Basis der Daten Kritik. Wirksam ist das Kontrollsystem jedoch die ganze Zeit, da die Mitarbeiter nicht wissen, wann sie kontrolliert werden. 16 Für den Aspekt der Affektkontrolle zeichnet Elias (1976) den Übergang von Fremdzwang zu Selbstzwang nach. Den Prozess der Internalisierung von Fremdzwängen weist er zudem für das Thema Zeit nach (Elias 1988). 17 Insbesondere die Angst zu versagen spielt hier eine große Rolle (vgl. Abschnitte 2.3.1 Macht in Organisationen, 2.3.3 Entgrenzung der Arbeitsbeziehungen: Kooperation und Konkurrenz sowie Abschnitt 2.3.4 Entgrenzung der Emotionen: Emotionsregulation in Konkurrenzsituationen).
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Umsetzung dieser drei Konzepte ermöglicht Organisationen wiederum eine Erweiterung des Zugriffs auf Beschäftigte. Aus diesem Grund konzeptualisiert Kratzer (2003) Selbstorganisation als einen Baustein einer übergreifenden betrieblichen Rationalisierungsstrategie, die Entgrenzungsprozesse befördert, um diejenigen Potenziale der Beschäftigten für betriebliche Zwecke zu heben, die sich fordistisch-tayloristischen Zugriffsversuchen als unzugänglich erwiesen haben. Die implizite Nutzung von Subjektivität weicht demnach zunehmend einer expliziten Nutzung der „Problemlösungskompetenz, des Flexibilitätspotenzials sowie der Steuerungsfunktionalität“ von Subjektivität, die an die oben erwähnten Rahmenbedingungen rückgebunden werden (Kratzer 2001, S. 4). Selbstorganisation basiert demnach auf einer spezifischen Lösung des Transformationsproblems: der Beschäftigte motiviert sich selbst zur Leistungserbringung, anstatt nur sein Arbeitsvermögen für eine bestimmte Zeit zur Verfügung zu stellen. Somit lässt sich konstatieren, dass derzeit Arbeitsformen durchgesetzt werden, die die etablierte betriebliche Fremdkontrolle in Selbstkontrolle wandeln (vgl. Elias 1976). Diesen Vorgang machen Organisationen ihren Beschäftigten mit der Aussicht auf mehr Selbstverantwortung schmackhaft und verschleiern damit, dass sich die Arbeitsbedingungen, wenn überhaupt, nur bedingt zu Gunsten der Beschäftigten verändern. Der proklamierte Autonomiegewinn wird somit zu einer Art moralischem Deckmantel, weshalb Haubl (2007f, S. 14) diese Argumentation als „institutionalisierten Zynismus“ bezeichnet. Welche Implikationen Selbstorganisation für Beschäftigte hat, soll im Folgenden ausgeführt werden. In seiner Studie „Arbeitskraft in Entgrenzung. Grenzenlose Anforderungen, erweiterte Spielräume, begrenzte Ressourcen“ untersucht Kratzer (2003) die Implikationen und Folgen von Selbstorganisation für Beschäftigte. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Beschäftigte Selbstorganisation als verhältnismäßig neuartige Anforderung wahrnehmen, für deren Bewertung sie die Anforderungen heranziehen, die im Rahmen von Normalarbeit fordistisch-tayloristischer Prägung gestellt wurden. Die von ihm befragten Beschäftigten stehen der Selbstorganisation ambivalent gegenüber. Einerseits vermissen sie retrospektiv die entlastende Wirkung von traditionellen Grenzziehungen, die vor allem in Bezug auf Zeit größere Spielräume boten. Diese Spielräume, so erinnern die befragten Beschäftigten, ermöglichten qualitativ hochwertige Ergebnisse und waren der Pflege sozialer Beziehungen am Arbeitsplatz zuträglich. Andererseits werden die Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume, die Selbstorganisation ermöglicht, von den Beschäftigten geschätzt. Kratzer (2003) resümiert, dass aus Perspektive der von ihm befragten Beschäftigten die Vorteile der Selbstorganisation über-
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wiegen18. Dennoch wünschen sie sich dahingehend arbeitsorganisatorische Korrekturen, dass sich die proklamierten Spielräume in echte Spielräume wandeln. Denn der zentrale Kritikpunkt der befragten Beschäftigten bezieht sich auf die Rahmenbedingungen, die derart eng gesteckt seien, dass von Spielräumen nicht die Rede sein könne. Oft würden die verfügbaren Ressourcen nicht ausreichen, um einer Aufgabe gerecht zu werden. Dann müsse, um die Arbeitsqualität zu halten, mit Lebensqualität bezahlt werden (Kratzer 2003, S. 202), da die eigene Zeit eine Ressource darstellt, über die im Unterschied zu den anderen Ressourcen tatsächlich nach eigener Maßgabe verfügt werden kann. Die Nutzung der eigenen Zeit geht allerdings zu Lasten der Lebensqualität, wenn durch Flexibilisierung der Arbeitszeit die Anforderungen an die Koordination privater Verpflichtungen steigen, und wenn durch Extensivierung19 der Arbeitszeit die Arbeitswelt beginnt, die Lebenswelt für sich einzunehmen. Doch auch mittels Intensivierung der Arbeitszeit wird nicht nur der mögliche Output erhöht, sondern zugleich die Lebensqualität derart beeinträchtigt, dass Beschäftigte, erschöpft von ihrer Arbeit, die Nicht-Arbeitszeit nur noch für Reproduktionszwecke nutzen können, ohne über Freizeit im Sinne von freier Zeit zu verfügen. Dieses Dilemma, den Anforderungen nicht zu genügen, sie jedoch auch nicht ändern zu können, veranschaulicht Kratzer (2003, S. 203, Herv. i. O.) anhand der Unterscheidung von „Freiheit und Zwang“ und „erzwungener Freiheit“, die beide mögliche Ausgestaltungen von Selbstorganisation darstellen. Während die erste Form von Selbstorganisation positiv konnotiert ist, da sie Anforderungen umfasst, die prinzipiell bewältigbar sind, ist die zweite Form eher negativ konnotiert. Ihre „zentrale Anforderung [besteht] letztendlich darin – und nur darin – […], das tendenziell Unmögliche auf eigene Kosten doch noch möglich zu machen.“ Um dieser Arbeitssituation: zu hohe Anforderungen, die trotz der Unerreichbarkeit bestehen bleiben, nicht dauerhaft mit grenzenlosem „(Selbst-) Einsatz aller subjektiven Ressourcen“ (Kratzer 2003, S. 204) begegnen zu müssen, fordern die Beschäftigten in der Studie eine Kurskorrektur. Die Gestaltungsund Entscheidungsspielräume sollen dorthin verlagert werden, wo sie eigentlich hingehören, nämlich auf die Ebene des Managements. Kratzer (2003) merkt kritisch an, dass es wohl zu den Gesetzen der Selbstorganisation gehöre, eine solche Forderung nur hinter vorgehaltener Hand und nicht offensiv zu stellen. Dass Beschäftigte nicht aktiv gegen Selbstorganisation Stellung beziehen, ist 18 Kotthoff (2001) kommt für hochqualifizierte Angestellte zu einem ähnlichen Ergebnis: sie empfinden ihre vermarktlichten Arbeitsbedingungen deshalb nicht als Selbstausbeutung, weil mit ihnen in ihrer Wahrnehmung eine privilegierte Art der Lebensführung verbunden ist. 19 Die Klärung der Begriffe Extensivierung und Intensivierung findet sich in Abschnitt 2.1.1 Die Arbeitszeit: schützende Grenzen im Auflösungsprozess.
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möglicherweise dem Umstand geschuldet, dass die Hoffnung, entgegen der bereits gemachten Erfahrung mit Selbstorganisation, bestehen bleibt, Autonomie im Sinne größerer Gestaltungsspielräume in den Arbeitsprozessen etablieren zu können. Zum anderen bietet sich folgende These an: Möglicherweise fühlen sich die Beschäftigten durch die ihnen übertragene Verantwortung narzisstisch erhöht und wollen deshalb an ihr festhalten, auch wenn sie ahnen, dass mit der ihnen übertragenen Verantwortung nicht die entsprechenden Entscheidungsbefugnisse verbunden sind. Führt man diese Überlegung weiter, dass Beschäftigte unter Umständen bereit sind, mehr Verantwortung zu übernehmen, als auf Basis der ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen und Entscheidungsbefugnisse gerechtfertigt erscheint, so lässt sich Selbstorganisation mit dem Konzept der SelbstRationalisierung verbinden, das noch konsequenter auf die Verantwortungsübernahme der Beschäftigten setzt. Es knüpft an dem Umstand an, dass Beschäftigte in ihren Ressourcen begrenzt und daher empfänglich für Konzepte sind, die versprechen, ihr Dilemma durch eine bessere Nutzung ihrer knappen Ressourcen zu lösen. Vielleicht, so die Hoffnung, ist es möglich, durch einen optimalen Einsatz von Ressourcen den Anforderungen doch noch gerecht werden zu können, also das Unmögliche möglich zu machen20. Negativ gewendet lässt es sich als ein Bestandteil eines soliden Fundaments verstehen, auf dem die „Freiheit zur Selbstausbeutung“ aufbaut (Kratzer 2003, S. 202). Im Anschluss an Böhle (2003, S. 128, Herv. i. O.) rückt das Konzept der Selbst-Rationalisierung „die autonome, eigenverantwortliche Selbststeuerung und -regulierung der Arbeitstätigkeit nach den Prinzipien rationalen Handelns“ ins Zentrum der Betrachtung. Er rekurriert auf Webers Unterscheidung zwischen zweckrationalem und wertrationalem21 Handeln, wobei er unter zweckrationalem Handeln eine „spezifische Funktionalisierung und Instrumentalisierung rationalen Handelns für ökonomische Zwecke“ (Böhle 2003, S. 127, Herv. i.O.) versteht. Mit diesem Verständnis knüpft das Konzept der Selbst-Rationalisierung nahtlos an frühere Rationalisierungskonzepte an. Auch der zentrale Gegenstand von Rationalisierung ist weitgehend unverändert geblieben, schließlich bezieht sich Selbst-Rationalisierung wie frühere Formen der Rationalisierung auf Zeit. 20 An diese Hoffnung knüpft eine wachsende Selbst-Management-Literatur an, von der als prominentes Beispiel der Bestseller „simplify your life“ (Küstenmacher u. Seiwert 2004) erwähnt werden soll, der bereits im Titel die Hoffnung zahlreicher Beschäftigter bedient, mit einfachen Techniken Herr eines überfordernden Arbeitskontextes zu werden. Das Versprechen auf „ein Leben in Balance“ mit Hilfe von Selbstmanagement gibt Seiwert (2001) zudem in einer weiteren Publikation. 21 Als wertrational bezeichnet Weber (1922) jenes Handeln, das „durch bewussten Glauben an den – ethischen, ästhetischen, religiösen oder wie immer sonst zu deutenden – unbedingten Eigenwert eines bestimmten Sichverhaltens rein als solchen und unabhängig vom Erfolg“ orientiert ist (1922 im Nachdruck, S. 32, Herv. i.O.).
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Neu ist jedoch, dass diese Rationalisierung in Eigenregie durch die Beschäftigten erfolgen soll. Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass sich die Stellung des Subjekts im Arbeitsprozess dahingehend verändert, dass es vom fordistischtayloristischen Objekt der Rationalisierung zum Subjekt der Rationalisierung avanciert (vgl. Gerst 2004). Setzte die „wissenschaftliche Betriebsführung“ (Taylor [1913] 1977) ein Verständnis vom Arbeitshandeln als weder autonom noch selbstverantwortlich voraus, so werden nun Aufgaben, die selbstverantwortliches Handeln erfordern, zunehmend an Beschäftigte delegiert, die aufgefordert sind, unternehmerisch zu handeln und die Nutzung ihrer eigenen Arbeitskraft zu managen. Motivational abgesichert ist diese Form der Selbstorganisation über die Angst vor einem persönlichen Versagen, wie die Ergebnisse von Kratzer (2003) belegen (vgl. auch Haubl 2007f). Als Gewinner einer solchen Tendenz zur Selbstorganisation erscheinen die Hochqualifizierten, die den Abbau von Hierarchiestufen und die Übertragung von Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheiten positiv für sich nutzen können und eigenverantwortliches Arbeiten schätzen (Kratzer 2003). Es bleibt jedoch kritisch anzumerken, dass auch unter der Prämisse, dass Hochqualifizierte durch Selbstorganisation viel Bestätigung aus ihrer Arbeit ziehen können, Schattenseiten der gewonnenen Handlungsspielräume existieren. Zu ihnen gehört das Risiko, durch Selbstorganisationsanforderungen überfordert zu werden und eventuell zu scheitern (vgl. Gerst 2004). Beschäftigte, so lässt sich festhalten, sind im Rahmen von Selbstorganisation gefordert, den eigenen Arbeitstag zu strukturieren, mithin den Einsatz der eigenen Arbeitskraft zu managen. Diese arbeitsorganisatorische Veränderung konfrontiert Beschäftigte unweigerlich mit der Herausforderung, sowohl kognitiv als auch emotional einen anderen Umgang mit Arbeit zu finden. Dazu gehört auch, gegebenenfalls eine Verantwortungsdelegation zurückzuweisen oder auf zu knapp kalkulierte Ressourcen aufmerksam zu machen. Ressourcen können in mehrerer Hinsicht knapp sein: Beschäftigten mangelt es an Zeit, Budget, fachlicher oder emotionaler Unterstützung durch Vorgesetzte und Kollegen oder an Macht, um ein Vorhaben auch gegen Widerstand aus anderen Organisationsbereichen durchzusetzen, die von der Umsetzung einer Arbeitsaufgabe betroffen sind. Selbstorganisation bedeutet dann nicht, darauf zu vertrauen, vom Vorgesetzten mit den Ressourcen ausgestattet zu werden, die zur Erfüllung einer Aufgabe unabdingbar sind. Vielmehr geht es darum, Arbeitsbedingungen einzufordern, die eine Aufgabenerfüllung ermöglichen. Was in Bezug auf „objektive“ Arbeitsbedingungen bereits Verhandlungsgeschick erfordert, nämlich mit guten Argumenten für notwendige Ressourcen zu kämpfen, ist auf einer „subjektiven“ Ebene weitaus schwieriger. Das liegt darin
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begründet, dass es nicht so leicht ist, einzuschätzen, welche fachlichen und vor allem emotionalen Ressourcen von Nöten sind, um einer Aufgabe gerecht zu werden. Zudem erfordert die Einschätzung der eigenen (Bewältigungs-) Ressourcen möglicherweise das Eingeständnis, nicht über die nötigen Ressourcen zu verfügen und mit dieser Erkenntnis angemessen umzugehen. Folgt man dieser Annahme, so ist davon auszugehen, dass Selbstorganisation, soll sie nicht selbstschädigend wirken, ein gewisses Maß an Selbstreflexion erfordert, um die eigenen Schwächen und Stärken sowie die eigenen Belastungsgrenzen zu erkennen. Andernfalls besteht die Gefahr, Anforderungen zu unterschätzen und sich bei dem Versuch, ihnen gerecht zu werden, zu überfordern. Dieser Gefahr kann jedoch nur dann sinnvoll begegnet werden, wenn es Beschäftigten als legitim erscheint, sich vor Überforderung zu schützen. Nicht selten ist es im Gegenteil der Fall, dass Beschäftigte notwendigen Selbstschutz nicht als legitim sondern als mangelnde Belastbarkeit empfinden, die es zu rechtfertigen gilt (Daser 2007, S. 255). In der Debatte um die Entgrenzung von Arbeit und Leben werden die neuartigen Anforderungen von Arbeit unter entgrenzten Bedingungen benannt, mit denen Beschäftigte konfrontiert werden. Darüber hinaus verweisen einige Beiträge auf das Überforderungspotenzial entgrenzter Arbeitsbedingungen (vgl. diesen Abschnitt und Abschnitt 2.1.2). Unklar bleibt jedoch, wie sich diese Arbeitsbedingungen konkret auf die Arbeitssituation von Beschäftigten auswirken und mit welchen (Bewältigungs-) Anstrengungen diese versuchen, den neuartigen Anforderungen gerecht zu werden. Zudem bietet es sich an, die gemeinhin in der Entgrenzungs-Debatte eingenommene Perspektive um Fragen nach hilfreichen Qualifikationen und Ressourcen zu erweitern, mittels derer Beschäftigte unter entgrenzten Arbeitsbedingungen bestehen können, sowie eine Betrachtung der (psychischen) Risiken, die für Beschäftigte aus entgrenzten Arbeitsbedingungen resultieren.
2.3 Entgrenzung aus der Perspektive des Subjekts Wenn im Folgenden die Perspektive des Subjekts im Arbeitsprozess beleuchtet werden soll, kann das nicht ohne Bezugnahme auf eine Debatte geschehen, die derzeit ähnlich wie die Debatte um die Entgrenzung von Arbeit und Leben wichtige Impulse für die übergreifende Debatte um den Wandel von Arbeit in der Arbeits- und Industriesoziologie liefert. Die Rede ist von der „Subjektivierung der Arbeit“, ein Stichwort, unter dem die (nicht ganz neue)22 Entdeckung des 22 Im Rahmen der „labor process-debate“ wurde der subjektive Faktor in Zusammenhang mit kontrolltheoretischen Fragen diskutiert (vgl. Bravermann 1977).
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Subjekts in der Arbeitswelt thematisiert wird. Im Vergleich zur EntgrenzungsDebatte ist die Debatte um die Subjektivierung von Arbeit von mehr Ambivalenz geprägt: So hat es den Anschein, als würden die thematisierten Veränderungen in der Arbeitswelt nicht nur benannt, sondern darüber hinaus partiell forciert, da sie von einigen Beschäftigten (zumindest in einigen Berufsgruppen) im Sinne einer Bereicherung des Arbeitsalltags durchaus auch gewollt sind. Schließlich impliziert die Subjektivierung von Arbeit neben der Notwendigkeit auch die Möglichkeit, Subjektives in den Arbeitsprozess einzubringen. Subjektivierung von Arbeit hat also zwei Seiten, die aus Sicht der Arbeitnehmer nicht gleichermaßen positiv konnotiert sind. Der Begriff der Möglichkeit impliziert die Chance für Arbeitnehmer, am Arbeitsplatz nicht nur die eigene materielle Existenz zu sichern, sondern sich darüber hinaus selbst zu verwirklichen. Baehtge (1991) benennt mit „normativer Subjektivierung“ das Phänomen, dass Arbeitnehmer zunehmend solche Möglichkeiten, sich als ganze Person in den Arbeitsprozess einzubringen, einfordern. Dahinter stehe der Wunsch, die eigene Aufgabe in einem größeren Kontext eingebettet zu sehen und als sinnvoll zu erleben. Mit Subjektivierung von Arbeit wird zunächst eine veränderte Nachfrage nach Subjektivität im Arbeitsprozess beschrieben. Grundsätzlich neu ist der Subjektivitätsbedarf von Organisationen nicht, es wurde vielfach darauf hingewiesen, dass Arbeitsprozesse nur bedingt plan- und kontrollierbar und daher ohne kompensatorische Leistungen von Arbeitnehmern nicht zu bewältigen sind. Ein reibungsloser Ablauf, so zahlreiche Autoren, ist nur dann möglich, wenn den Planungslücken und Störungen im Arbeitsprozess durch subjektive Ergänzungen der Beschäftigten begegnet werde (vgl. Kocyba 2000; Wolf 1999). Da dem Subjekt jedoch lange misstraut und unterstellt wurde, es neige dazu, Leistung vorzuenthalten oder sich widerständig zu zeigen, wurden die Spielräume der Arbeitshandelnden auf Anpassungsmöglichkeiten in der Arbeitsausführung beschränkt. Das traf insbesondere für Arbeiter in der Industrie zu, deren Subjektivität, überspitzt formuliert, „nicht als produktive Potenz, sondern letztlich als zu eliminierende Störgröße [galt]“ (Kocyba 2000, S. 127). Daher wurde dem verberuflichten Arbeitnehmer, der über standardisierte Qualifikationen verfügen sollte, nicht nur Loyalität gegenüber seinem Unternehmen abverlangt, sondern auch die Bereitschaft, sich in ein bestehendes System einzufügen (Deutschmann 2002, S. 230f.). Relativ hohe Löhne entschädigten für die Monotonie der Arbeit und die begrenzten Dispositionsspielräume. Die Veränderung, die die Debatte um Subjektivierung von Arbeit benennt, ist ein sowohl quantitativer als auch qualitativer Wandel des Bedarfs an Subjektivität im Arbeitsprozess, der nun, so einige Autoren, weit über reine Anpassungsleistungen hinausgeht (vgl. Böhle 2003). Als Extremfall einer Reintegrati-
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on planender und ausführender Tätigkeiten, mithin als Delegation von Managementaufgaben an die ausführende Ebene, erscheinen komplexe Anforderungen an Beschäftigte, die mit den Stichworten Selbstkontrolle, Selbstorganisation und Selbstrationalisierung benannt werden, die ein neuer Typ von Arbeitskraft, der „Arbeitskraftunternehmer“ (Voß u. Pongratz 1998), leisten soll. Die Debatte um Subjektivierung von Arbeit knüpft an die Debatten um Individualisierung und Flexibilisierung23 an. Individualisierung kann als ein langfristiger Prozess und als Leitkonzept der Modernisierung24 verstanden werden (vgl. Burkhart 1994). Die Debatte um Individualisierungsprozesse geht über Fragen der betrieblichen Arbeitsorganisation hinaus und betrifft die Rolle des Individuums in modernen Gesellschaften (Beck u. Beck-Gernsheim 1994). Die These ist, dass sich traditionale Zusammenhänge auflösen und ehemals von Religion, Tradition oder vom Staat vorgegebene soziale Lebensformen wie soziale Klassen oder die Kleinfamilie an Bedeutung verlieren. Daraus folgt eine Pluralisierung der Lebensformen, wodurch das Neue an der gegenwärtigen Entwicklung sichtbar wird: Zunehmend mehr Menschen werden von einem systematischen Individualisierungsschub erfasst, den Beck und Beck-Gernsheim (1990) als Nebenfolge langfristiger Modernisierungsprozesse in westlichen Industriegesellschaften erachten. Die daraus resultierenden „riskanten Freiheiten“ (Beck u. Beck-Gernsheim 1994) entstehen aus einer dynamischen Mischung von Emanzipation und Anomie: So führe Individualisierung nicht nur zur Befreiung von kollektiven Verpflichtungen, sondern erzeuge auch Momente der Regellosigkeit bis hin zur Gesetzlosigkeit.
23 Sowohl die Auflösung von institutionellen Grenzen als auch der veränderte Bedarf an Subjektivität im Arbeitsprozess werden in einem engen Zusammenhang mit zunehmenden Flexibilitätsanforderungen seitens der Unternehmen thematisiert. Die Anforderungen an externe Flexibilität steigen seit Ende der 1970er Jahre aufgrund veränderter Marktbedingungen: durch einen Rückgang der Nachfrage nach standardisierten Produkten, zunehmenden Nachfrageschwankungen sowie einer globalen Konkurrenz, die den Preisdruck auf viele Produkte erhöht. Die Unsicherheit, die aus instabilen Marktbedingungen resultiert, geben Unternehmen in Form von befristeten oder atypischen Beschäftigungsverhältnissen sowie flexibler Gestaltung von Arbeitszeiten an ihre Beschäftigten weiter. Externe Flexibilitätsanforderungen werden demnach in geringerem Ausmaß durch die Unternehmen abgefedert, sondern vermehrt mit interner Flexibilität beantwortet. Das äußert sich nicht nur durch einen Rückgang der Arbeitsplatzsicherheit, sondern schlägt sich zudem in Form instabiler Arbeitsinhalte nieder, die aufgrund der Vielfalt an Variationen desselben Produkts sowie kurzer Produktlebenszyklen regelmäßigen Veränderungen unterworfen sind (vgl. Abschnitt 2.2). 24 Beck und Beck-Gernsheim (1990) betonen, dass Individualisierung an sich nichts Neues ist: Foucault (1986) hat sie für die alten Griechen und Elias (1976) für die höfische Kultur des Mittelalters nachgewiesen. Auch Weber (1905 im Nachdruck) beschreibt eine Freisetzung aus der traditionellen Heilsgewissheit, denn die innerweltliche Askese des Calvinismus sah eine individuelle Selbstbehauptung auf Basis einer methodischen Lebensführung vor.
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Die neuen Freiheiten gehen mit neuen Risiken einher, und die Gestaltungsmöglichkeiten sind mit Gestaltungszwängen verbunden. Dem „Homo Optionis“ (Beck u. Beck-Gernsheim 1994) ist eine selbstverantwortliche Gestaltung des eigenen Lebens nicht nur gestattet, es wird sogar von ihm, gestützt durch Sicherungssysteme, gefordert. Fragen der Identität, Religion, Ehe, Elternschaft und sozialen Bindungen sind nicht nur entscheidbar, sondern auch entscheidungsund rechtfertigungspflichtig, wodurch der Homo Optionis unter Handlungsdruck gerät. Wenn die eigene Biographie traditionalen Vorgaben entrissen ist und die Normalbiographie mit ihren Implikationen für das Arbeits- und Privatleben ihren verbindlichen Charakter einbüßt, muss die Zukunft individuell gestaltet werden (vgl. die Ausführungen zum Thema Beschleunigung in Anlehnung an Rosa 2005 in Abschnitt 4.1). Eine Folge dieser Veränderung ist, dass es für Jugendliche derzeit nahezu unmöglich ist, ihre Berufsbiographie langfristig zu planen, wie Keup, Straus und Straus (2000) ausführen. Die Jugendlichen versuchen daher, so die Autoren, Planungsunsicherheiten durch die Investition in mehrere Ausbildungen abzufedern. Die Strategie lautet, sich nicht auf eine Option zu konzentrieren, sondern zugleich mehrere zu verfolgen. Dabei besteht die Gefahr mangelnder Selbstsorge, da der Versuch, mehreren beruflichen Optionen gerecht zu werden, mehr Ressourcen bindet als die Konzentration auf eine Option (Haubl u. Daser 2008). Positiv gewendet kann die eigene Bildungs- und Berufsbiographie als Projekt der Selbstverwirklichung geplant und selbstverantwortlich durchlaufen werden, ohne den Zwang, sich im Rahmen von (Geschlechts-)Rollenidentitäten zu verhalten. Negativ gewendet gilt es anzumerken, dass durch den Prozess der Individualisierung kein „zwangloses“ Leben gewonnen wird. Vielmehr entstehen neue Abhängigkeiten, wie die vom Arbeitsmarkt, die eine Anpassung an Bedingungen erfordern, die sich dem individuellen Zugriff entziehen. Ein marktkonformes Leben zu führen, bedeutet, überspitzt formuliert, ohne Rücksicht auf soziale Bindungen mobil, flexibel, leistungs- und konkurrenzfähig zu agieren (Beck u. Beck-Gernsheim 1994). Geht man davon aus, das Routinisierung und Institutionalisierung eine entlastende Wirkung haben, dann wird deutlich, dass die Erosion von Routinen und Institutionen zwangsläufig mit Belastungen für Beschäftigte einhergeht, die es auszudifferenzieren gilt.
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2.3.1 Macht in Organisationen Zunächst gilt es jedoch, Macht25 begrifflich zu fassen und für die weitere Betrachtung der Folgewirkungen von Entgrenzungsprozessen in Organisationen nutzbar zu machen. Im Fokus der Betrachtung steht die Frage, wie Handeln in Organisationen durch wen ermöglicht, begrenzt oder verhindert wird. Als Basis bietet sich die wohl bekannteste und am häufigsten rezipierte Definition von Weber (Weber 1922 im Nachdruck, S. 62, Herv. i. O.) an: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“
Wenn Weber (Weber 1922 im Nachdruck) Macht als „Chance“ definiert, so lässt sich vermuten, dass Machtprozesse zunächst als ergebnisoffen zu betrachten sind, also auch die Möglichkeit des Scheiterns besteht. Wie in Abschnitt 2.3.3 „Entgrenzung der Arbeitsbeziehungen: Kooperation und Konkurrenz“ ausgeführt werden wird, sind Konkurrenzsituationen, in denen Macht eine wesentliche Rolle spielt, von Ungewissheit, Widersprüchen und Intransparenz geprägt. Deshalb ist die kognitive Durchdringung von Konkurrenzsituationen oder gar ihre Steuerung üblicherweise keinem der beteiligten Akteure möglich (vgl. Paris 2005). Es gibt demnach im Umgang mit Macht keine Erfolgsgarantie. Das mag damit zusammenhängen, dass es sich bei Macht um ein Beziehungsphänomen handelt. Das bedeutet, dass Macht asymmetrisch, nicht jedoch einseitig ist und beide Seiten aufeinander einwirken können, wenn die Machtressourcen26 auch ungleich verteilt sein mögen. Die Formen von Widerstand oder anders formuliert, von Gegenmacht, sind ebenso vielfältig und ergebnisoffen wie Bemächtigungsversuche. Eine ausführliche Darstellung unterschiedlicher Arten von Bemächtigungs- und Widerstandsanstrengungen findet sich bei Neuberger (1995, S. 124 ff.). Bei Macht handelt es sich um ein konstitutives Element von Arbeitsbeziehungen. Neben formeller (Positions-) Macht gibt es die informelle Macht, die in ihrem Anspruch nicht immer explizit formuliert ist. Macht existiert jedoch auch als Teil von Routinen, von (Emotions-) Regeln (vgl. Abschnitt 2.3.4) und findet ihren Ausdruck beispielsweise in Reorganisationsmaßnahmen (vgl. Abschnitt 25 Einen Überblick soziologischer und psychoanalytischer Theorien der Macht bietet Schülein (2007). 26 Mit Machtressource ist die „Grundlage sozialer Macht“ (Neuberger, O. 1995, S. 133) gemeint. Machtressourcen sind unabdingbar in der Beeinflussung anderer. Beispiele sind positive Sanktionsmöglichkeiten mittels Geld, Status, Liebe und negative Sanktionsmöglichkeiten mittels Abmahnung und Degradierung.
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2.2). Als solche ist Macht partiell unsichtbar (vgl. Foucault 1976), was es schwierig macht, sich gegen Macht zur Wehr zu setzen. Besonders wirkungsvoll ist Macht, wenn sie an das Selbstverständnis der Beschäftigten als karriereorientiert, leistungsfähig und belastbar anknüpft (vgl. Abschnitt 2.3.5). Die Vorstellung, eine Person würde als „Machthaber“ (Haubl 2005a, S. 54) Untergebene gezielt beeinflussen, greift zu kurz. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Organisationsmitglieder in eine „dynamische Matrix wechselseitiger Bemächtigungsversuche eingebunden“ (Haubl 2005a, S. 55) sind, in der sie sowohl von Gleichrangigen, Untergebenen sowie Vorgesetzen mit Bemächtigungsversuchen konfrontiert werden. Zur Seite, nach unten sowie nach oben richten wiederum Organisationsmitglieder die eigenen Bemächtigungsversuche. In den Worten von Foucault (1978, S. 82) lässt sich die Wirkungsweise von Macht in Organisationen folgendermaßen beschreiben: „Die Macht funktioniert und wird ausgeübt über eine netzförmige Organisation. Und die Individuen zirkulieren nicht nur in ihren Maschen, sondern sind stets auch in einer Position, in der sie diese Macht zugleich erfahren und ausüben; sie sind niemals die unbewegliche und bewusste Zielscheibe dieser Macht, sie sind stets ihre Verbindungselemente. Mit anderen Worten: die Macht wird nicht auf die Individuen angewandt, sie geht durch sie hindurch“.
Im Unterschied zu einem Arbeitskontext fordistisch-tayloristischer Prägung wirkt Macht in einem entgrenzten Arbeitskontext weniger über Fremdbestimmung in Form von direkter Sanktion und Kontrolle. Vielmehr entfaltet sie Ihre Wirkung als fremdbestimmte Selbstkontrolle (vgl. Abschnitt 2.2.2): Den Beschäftigten wird ein (kennzahlengestützter) Rahmen vorgegeben, in dem sie sich „frei“ bewegen können, solange sie die gewünschten Ergebnisse erreichen. Motivational abgestützt wird diese Form der Macht durch die Angst der Beschäftigten vor persönlichem Versagen (vgl. Abschnitte 2.3.3 und 2.3.4).
2.3.2 Entgrenzung der Anforderungen: Anerkennung und Leistungspräsentation Im Abschnitt 2.2.2 „Indirekte Steuerung, Selbstorganisation und Ergebnisorientierung“ wurde bereits deutlich, welche große Bedeutung dem Leistungsprinzip in Organisationen beigemessen wird. Neckel und Dröge (2002) weisen darauf hin, dass der Begriff der Leistung im gewöhnlichen Sprachgebrauch zwar vielfältige Verwendung findet, sich bei genauerer Betrachtung jedoch als widersprüchlich und unscharf erweist und sich einer allgemeingültigen Definition entzieht. Das bedeutet, dass der Leistungsbegriff zwar von fundamentaler Bedeu-
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tung für die Betrachtung von Organisationen ist, ohne jedoch klar umrissen zu sein. Mit Hilfe einer historischen Betrachtung lassen sich Tendenzen ausmachen, was als Leistung zu einer bestimmten Zeit anerkannt wird. Der Begriff der Tendenz ist bewusst gewählt und soll verdeutlichen, dass zum einen stets verschiedene Anerkennungsformen nebeneinander existieren und zum anderen bestimmte Anerkennungsformen von anderen in den Hintergrund gedrängt werden können und dennoch fortbestehen. Folglich ist weniger von einer Verdrängung historisch älterer Anerkennungsformen durch neue Formen zu sprechen, als vielmehr von einer Ergänzung oder Überlagerung. Voswinkel (2002) schlägt zwei Formen von Anerkennung27 vor, die für Arbeitsbeziehungen in bestimmten historischen Phasen prägend sind. Für die Anerkennungsverhältnisse im Fordismus-Taylorismus beschreibt er die in der abhängigen Beschäftigung eingenommene Stellung als konstitutiv. Würdigung, als die prägende Form der Anerkennung im Fordismus-Taylorismus, setzt, da reziprok angelegt, die Zugehörigkeit zu einer Organisation, beispielsweise einem Unternehmen, voraus. Im Rahmen dieser Zugehörigkeit erfahren Beschäftigte Anerkennung in Form von Würdigung der erbrachten Leistung, die nicht über dem Durchschnitt liegen muss. Zudem können sie von einer Würdigung ihres Engagements ausgehen, sofern es im Zeichen von Pflichterfüllung und Opferbereitschaft steht. Würdigung kann somit als eine Form von Anerkennung verstanden werden, die Pflichtbewusstsein sowie Loyalität in Form der Bereitschaft, einen kontinuierlichen Beitrag zur Wertschöpfung zu leisten, belohnt. Sie findet ihren institutionellen Ausdruck in Betriebsjubiläen, Betriebsausflügen und dem Senioritätsprinzip, das einen Zuwachs an betrieblichen Privilegien mit steigender Betriebszugehörigkeit vorsieht. So genannte Schonarbeitsplätze können als Beispiel institutionell verankerter Würdigung angeführt werden: Durch sie wird eine lebenslange Betriebszugehörigkeit von Beschäftigten mit dem Zugeständnis honoriert, einen physisch weniger belastenden Arbeitsplatz zu erhalten, sobald die physische Leistungsfähigkeit nachlässt. Neben diesen expliziten Formen nimmt sie auch implizite Gestalten an, die den betrieblichen Alltag prägen, ohne dass auf sie ein formeller Anspruch bestehen würde. Als Beispiel sind informelle Aushandlungen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern zu nennen, die familiäre Verhältnisse berücksichtigen, oder die Toleranz von Vorgesetzten gegenüber auftretenden Fehlern sowie die Anerkennung von Erfahrungswissen. Fehlende Würdigung kommt insbesondere in Krisensituationen zum Ausdruck, wenn beispielsweise in Zeiten der Rezession Beschäftigte nicht als Zuge27 Voswinkel (2002, S. 67) betrachtet Anerkennung „als das Medium sozialer Integration, das gesellschaftliche Normen und Werte in die Identitäten der Subjekte übersetzt.“ Für die Identitätsbildung, die auf Intersubjektivität basiert, ist sie von zentraler Bedeutung.
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hörige eines Unternehmens, sondern als Kostenfaktor wahrgenommen werden. Aus dieser Haltung gegenüber Beschäftigten heraus werden Entlassungen als Sachzwang legitimiert, ohne die Opfer, die ein Beschäftigter zuvor, beispielsweise in Form unbezahlter Mehrarbeit für ein Unternehmen, erbracht hat, anzuerkennen. Würdigung, so Voswinkel (2002), darf jedoch nicht mit patriarchaler Fürsorge verwechselt werden, die entmündigende Züge hat und den Anspruch der Beschäftigten auf Selbstbestimmung negiert. Im Gegensatz zur Fürsorge steht Würdigung im Zeichen einer „Betriebsbürgerschaft“ (Kotthoff 1994), die auf Kooperation und Betriebsvereinbarungen basiert. Würdigung setzt keine herausragende Leistung voraus und wird im Fordismus-Taylorismus auch den Beschäftigten zu Teil, die einer einfachen, harten, mit Lärm, Hitze und Schmutz verbundenen Arbeit nachgehen. Der geringe soziale Status und die Schwere der Arbeit werden auf diese Weise gemildert. Die Würdigung der Arbeit soll jedoch nicht über die Entwertung dieser Arbeit hinwegtäuschen, die ebenso Teil des fordistisch-tayloristischen Arbeitsregimes ist. Sie äußert sich in rigide strukturierten Arbeitsprozessen, die nur wenig Raum für Selbstbestimmung bieten, in denen Subjektivität nur „stillschweigend“ als Voraussetzung eines reibungslosen Arbeitsablaufs anerkannt wird (Kocyba 2000, S. 128f.). Zusammenfassend lässt sich Würdigung als eine Form der Anerkennung beschreiben, die die in den Arbeitsprozess eingebrachte Qualifikation und den Aufwand hervorhebt. Auch Bemühungen, die nicht zum Erfolg führen oder keine herausragenden Leistungen produzieren, erfahren Würdigung. Seit Beginn der 1980er Jahre droht die Würdigung als eine Form der Anerkennung von abhängiger Beschäftigung von einer anderen Anerkennungsform überlagert zu werden. Gemeint ist Bewunderung (Voswinkel 2002), eine Form der Anerkennung, die den Erfolg zum Hauptkriterium erhebt. Sie ist dem Aufwand und der Qualifikation gegenüber gleichgültig und honoriert nur das Ergebnis. Die Arbeit, die hohes Prestige verleiht, eine herausragende Leistung darstellt und als beruflicher Erfolg gewertet werden kann, bietet Anlass zur Bewunderung. Im Gegensatz zum gewürdigten Beschäftigten konzeptualisiert sich der potenziell bewunderte Beschäftigte als autonom. Den „Arbeitskraftunternehmer“, den Voß und Pongratz 1998 in die Debatte eingebracht haben, könnte man als Idealtyp eines bewunderten Beschäftigten interpretieren. Ihm wird selbstverantwortliches Handeln abverlangt sowie die eigenständige Gestaltung seines Arbeitsalltages. Darüber hinaus soll er über die Fähigkeiten „zur kontinuierlichen individuellen Sinnfindung und Motivierung, einschließlich der Fähigkeit zur Mobilisierung und Kultivierung tiefliegender emotionaler und kreativer Ressourcen“ (Voß 1998, S. 484) verfügen. Was ihm zugestanden wird, ist eine Büh-
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ne, auf der er seine Arbeitsleistung in Szene setzen und vermarkten kann. Wenn ihm das gelingt, eröffnen sich ihm zahlreiche Karrieremöglichkeiten. Bewunderte Leistung lebt von der Inszenierung. Das bedeutet, dass eine Leistung auch dann als solche bewundert werden kann, wenn hinter der strategischen Präsentation keine Leistung im eigentlichen Sinne steht, da bereits die gelungene Inszenierung von Leistung bewundernswert ist. Somit bietet es sich an, Leistung als Darstellungsproblem zu verstehen, woraus sich ein prinzipieller Selbstinszenierungszwang in Organisationen ableiten lässt. Schließlich können nur diejenigen Organisationsmitglieder, denen es gelingt, ihre Leistungen als solche zu präsentieren, einen Anspruch auf Bewunderung geltend machen. Dieser Prämisse folgend beschreibt Pfadenhauer (2003, S. 279, herv. i.O.) Professionalität als "Inszenierungsleistung", die eine bestimmte Kompetenz erfordert, nämlich Kompetenzdarstellungskompetenz: "Es hängt nicht davon ab, ob der, der als kompetent dargestellt wird, tatsächlich kompetent ist – außer eben dafür, Kompetenz – wofür auch immer – glaubhaft darzustellen". Pfadenhauer (2003) führt die Bedeutsamkeit der gelungenen Inszenierung auf den Umstand zurück, dass Professionalität keine unmittelbar sichtbare Qualität einer Person oder einer Berufsgruppe ist und daher nur über die entsprechende Darstellung sichtbar wird. Was Pfadenhauer (2003, S. 116) aus berufssoziologischer Sicht für den Professionellen als Notwendigkeit beschreibt, nämlich über „Kompetenzdarstellungskompetenz“ zu verfügen, ist auch für die Anerkennungsfrage relevant. Im Anschluss an ihre Überlegungen lässt sich demnach konstatieren, dass ein „darstellungskompetenter Kompetenzdarsteller“ in der Lage ist, Kompetenz auf eine Art und Weise darzustellen, die ihm Anerkennung in Form von Bewunderung sichert. Ob der als kompetent Anerkannte tatsächlich kompetent ist oder Kompetenz nur glaubhaft darstellen kann, ist in Bezug auf die zu erwartende Anerkennung zweitrangig. Wichtig ist, die Kompetenzdarstellung tatsächlich glaubhaft zu machen, was voraussetzt, Bewährungsproben als solche zu erkennen, Traditionen und Routinen zu beherrschen und letztlich das Richtige zur richtigen Zeit zu tun. Denn nur eine glaubhafte Kompetenzdarstellung erweckt den Eindruck von Kompetenz, der darin besteht, sich selbst als Zeuge einer Qualität wahrzunehmen, die zwar nicht unmittelbar sichtbar, aber dennoch über ihre Präsentation erfahrbar und bewundernswert erscheint. Der darstellungskompetente Kompetenzdarsteller (Pfadenhauer 2003) zeichnet sich dadurch aus, dass er in der Lage ist, die Erwartungen und Wünsche derer zu erfüllen, denen er seine Kompetenz glaubhaft darstellen will. Als Handlungsorientierung dienen ihm die Erwartungen seines Umfelds, was bedeutet, dass er seine eigenen Überzeugungen hinten anstellen muss, wenn sie nicht mit den Erwartungen anderer konform gehen. Möglicherweise erfordert eine solche Anpassungsleistung die Abweichung von authentischem Verhalten und rückt in
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die Nähe von „Impression Management“ (Neuberger 1995, S. 155f.), einer mikropolitischen Taktik28, die vor der Täuschung des Gegenübers nicht zurückschreckt. Denn die Wahrung eines Images ist auf die bewundernde Zustimmung seines Gegenübers angewiesen (vgl. Goffman 1994). Ein Begriff, der in seiner inhaltlichen Bestimmung Ähnlichkeiten mit dem Begriff der Kompetenzdarstellungskompetenz aufweist, ist der Begriff des „symbolischen Kapitals“ (Bourdieu 1987, S. 257ff.). Er verleiht den von Bourdieu eingeführten primären Kapitalformen, dem ökonomischen, dem kulturellen und dem sozialen Kapital, ihren eigentlichen Wert, da er die gesellschaftliche Wertschätzung dieser primären Ressourcen repräsentiert. Das symbolische Kapital kann demnach als evaluative Kapitalisierung der primären Kapitalformen verstanden werden. Im Unterschied zur Kompetenzdarstellungskompetenz handelt es sich bei symbolischem Kapital um eine Art Veredelung der Ressourcen, wohingegen die Kompetenzdarstellungskompetenz, zumindest theoretisch, auch ohne Kompetenzen auskommt, die über die Kompetenz, Kompetenz darzustellen, hinausgehen. Steht die Kompetenzdarstellungskompetenz für die Fähigkeit, retrospektiv eine bereits erbrachte Leistung in Szene zu setzen, so steht der Begriff der Employability für die Kompetenz, Leistungsfähigkeit darzustellen, mithin Leistung zu versprechen. Mit Boltanski und Chiapello (2003, S. 161f.) steht die Bedeutung von Employability in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Durchdringungsgrad des Vermarktlichungsprinzips in einer Organisation. Je stärker Beschäftigungsverhältnisse Marktgesetzen unterworfen sind, umso schwächer ist die institutionelle Bindung von Beschäftigungsverhältnissen ausgeprägt, wodurch wiederum die Bedeutung von Employability zunimmt. Unter Employability kann das „Kompetenz- und Flexibilitätsniveau“ (Boltanski u. Chiapello 2003, S. 139) eines Beschäftigten verstanden werden, mithin die Fähigkeit, „flexibel zwischen unterschiedlichsten Aufgaben und Positionen zu wechseln“ (Deutschmann 2002, S. 252). Eine gute Employability erhöht die Wahrscheinlichkeit, innerhalb oder außerhalb eines Unternehmens eine attraktive Anstellung zu finden (vgl. auch Willke 1999). Employability steht jedoch nicht nur für die Fähigkeit, sich selbst als leistungsfähig darzustellen, sondern stellt zugleich eine Anerkennungsform dar. Wenn eine Organisation seinen Beschäftigten Möglichkeiten bietet, die eigenen Kompetenzen und das eigene Beziehungsnetz über eine ihm zugewiesene Aufgabe auszubauen, so hilft es den Beschäftigten, den eigenen Marktwert 28 Mit mikropolitischer Taktik ist ein bewusster Versuch der Einflussnahme auf Kollegen, Mitarbeiter und Vorgesetzte u. a. gemeint. Argumentiert wird aus der Akteursperspektive: Ein Akteur in einer Organisation bedient sich mikropolitischer Taktiken, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen (vgl. Neuberger 1995).
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und damit ihre Employability zu steigern. Die üblicherweise von Beschäftigten gewünschte und im Fordismus-Taylorismus von Unternehmen vielfach gewährte Arbeitsplatzsicherheit wird, so eine mögliche Schlussfolgerung, durch eine neue Form der Anerkennung ersetzt: die Attraktivität für einen anderen Arbeitgeber, die die Wahrscheinlichkeit, eine neue Anstellung zu finden, erhöht. Diese Form der Anerkennung schützt zwar nicht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, sie schützt jedoch vor Arbeitslosigkeit, indem der Beschäftigte aufgrund seiner Employability ohne Weiteres einen alternativen Arbeitsplatz finden kann. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Würdigung eine Form der Anerkennung darstellt, von der mehr Beschäftigte dauerhaft profitieren können als von Bewunderung, da sie im Vergleich zu Bewunderung weniger voraussetzungsvoll ist. Daher stellt es aus Sicht der Beschäftigten einen Verlust dar, wenn Würdigung als Form der Anerkennung von Bewunderung in den Hintergrund gedrängt wird. Als Indiz für einen Bedeutungsgewinn von Bewunderung zu Lasten von Würdigung mag das in Abschnitt 2.2.2 „Indirekte Steuerung, Selbstorganisation und Ergebnisorientierung“ ausgeführte Phänomen gelten, dass Beschäftigte dazu neigen, Selbstschutz als Versagen zu erleben. Denn es verdeutlicht, dass sich Beschäftigte bereits darauf eingestellt haben, dass sie nicht für ihre Opferbereitschaft, sondern für Belastbarkeit Anerkennung erfahren und richten deshalb ihr Verhalten eher an der Chance auf Bewunderung als an der Chance auf Würdigung aus. Denn ein Beschäftigter, der sich derart für seine Aufgaben engagiert, dass er um seine Gesundheit fürchten muss, hat Anspruch auf Würdigung. Einen Anspruch auf Bewunderung hat er jedoch nur dann, wenn er seine Ressourcen ökonomisch einsetzt und eine Überforderung vermeidet. Gemäß dem Prinzip der Vermarktlichung, dem die Bewunderung als Anerkennungsform näher liegt als Würdigung, ist es demnach sinnvoll, Kompetenz darzustellen, ohne die eigenen Ressourcen dabei über Gebühr zu strapazieren.
2.3.3 Entgrenzung der Arbeitsbeziehungen: Kooperation und Konkurrenz Wie bereits angedeutet, wirken sich die Prinzipien der Dezentralisierung, Vermarktlichung und Selbstorganisation auf Arbeitsbeziehungen dergestalt aus, dass sie den Aspekt der Konkurrenz gegenüber dem Aspekt der Kooperation stärken (vgl. Abschnitte 2.2.1 und 2.2.2). Eine ausgeprägte Beziehungsorientierung im Arbeitskontext erscheint allerdings noch immer als funktional, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Es geht vermehrt um eine instrumentelle Nutzung von Beziehungen, die einer steten (zweckorientierten) Investition in Kontakte bedarf, für die Sympathie als förderlich, jedoch nicht als notwendig erscheint und die für Authentizität nur wenig Raum lässt (vgl. Haubl 2008).
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Das gilt insbesondere für eine so genannte „network society“ (Castells 2000), für die angenommen werden kann, dass Arbeitsbeziehungen in einen Kontext eingebettet sind, der sich über die Organisation hinaus erstreckt. Kennzeichnend für eine so genannte Netzwerkgesellschaft ist, dass Organisationsgrenzen flexibel gehandhabt werden und neben einer hierarchischen Ordnung von oben nach unten insbesondere das Kriterium drinnen oder draußen eine Rolle spielt (Kraus 2007, S. 25). Denn während eine Hierarchie den Organisationsmitgliedern relativ stabile Positionen zuweist, ist in Netzwerken die Pflege von Beziehungen, also das Networking, eine zentrale Aufgabe, die stets aufrechterhalten werden muss, um die eigene berufliche Position zu stabilisieren. Drinnen sind jene Personen, die über einen (exklusiven) Zugang zu Ressourcen und Kontakten verfügen, die für andere Personen von Wert sind. Folglich sind jene draußen, die einem Netzwerk keinen Nutzen bieten, der für das Netzwerk einen Mehrwert darstellt. Wenn es nun darum geht, möglichst viele tragfähige Beziehungen zu schließen, bekommt Konkurrenz eine andere Bedeutung. Sie wird diffuser und vielfältiger, entscheidend sind weniger feste Instanzen als vielmehr diejenigen Akteure, die als Knotenpunkte verschiedene Netzwerke verbinden können und somit über Macht verfügen. Freund und Feind, wichtige und marginale Akteure sind maximal temporär bestimmbar, denn die Konstellation kann sich jederzeit verändern und mit ihr die Machtverhältnisse. Mag die Vorstellung der vollständigen Auflösung von Organisationsgrenzen in übergreifenden Netzwerken utopisch erscheinen, so können die derzeit stattfindenden Entgrenzungsprozesse dennoch als Bewegung in diese Richtung aufgefasst werden. Schließlich bedeutet die von Unternehmensberatern proklamierte Konzentration auf Kernkompetenzen nichts anderes, als die Organisationsgrenzen nach innen und außen in Frage zu stellen und neu zu ordnen. Einige große Konzerne haben sich bereits in diese Richtung verändert: sie ersetzen eigenes Personal langfristig durch die Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter, bedienen sich mittelfristiger Reorganisationsstrategien wie dem Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing und scheinen insgesamt was Personal, Immobilien und eingesetzte Ressourcen betrifft, eher zu schrumpfen als zu wachsen. Wenn Umsatz und Gewinn dieser Unternehmen jedoch stabil bleiben, so lässt sich vermuten, dass das Schrumpfen durch Kooperation mit anderen Unternehmen kompensiert und im Netzwerk über Organisationsgrenzen hinaus zusammengearbeitet wird. Möglicherweise führen flexiblere Organisationsgrenzen zu einer schwächeren institutionellen Einbettung von Konkurrenzsituationen und gleichzeitig zu einer stärkeren Betonung inszenatorischer Anteile, wodurch Mit-Konkurrenten benachteiligt würden, denen es an inszenatorischen Fähigkeiten mangelt.
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Boltanski und Chiapello (2003, S. 155) skizzieren das Entstehen einer neuen Polis, der projektbasierten Polis. In dieser Rechtfertigungsordnung, die frühere Poleis derzeit überlagert, kann die „Aktivität“ als Äquivalenzmaß bezeichnet werden. Aktivität zeigt sich über die Initiierung von neuen Projekten oder über die Beteiligung an bereits bestehenden Projekten. Für beide Formen der Aktivität sind Netzwerke von zentraler Bedeutung, da persönliche Kontakte üblicherweise den Zugang zu Ressourcen ermöglichen oder verhindern, die es für Aktivität braucht. So bedingen sich Netzwerke und Projekte gegenseitig: Projekte wirken netzerweiternd, während ein möglichst großes Netzwerk Projektoptionen eröffnet, unter denen bestenfalls gewählt werden kann. Der Wert eines Beschäftigten bemisst sich dann zum einen in Bezug auf die Fähigkeit, Netzwerke aufbauen zu können, also mit anderen in Kontakt zu treten und tragfähige Beziehungen zu generieren. Zum anderen über Fähigkeiten, auf denen Projektarbeit basiert. Dazu gehört die Begeisterungsfähigkeit, die den Einstieg in ein Projekt und das Engagement während eines Projekts erleichtert, gepaart mit einer gewissen emotionalen Distanz, die das Ergreifen neuer Optionen ermöglicht, sobald ein Projekt dem Ende zu geht oder an Attraktivität verliert (vgl. Abschnitt 2.3.4) Wenn beruflicher Erfolg für den Selbstwert von zentraler Bedeutung ist, jedoch als ein knappes Gut nicht für jeden erreichbar ist, liegt die Vermutung nahe, dass Beschäftigte von einer bestimmten Angst begleitet in der Arbeitswelt agieren: der Angst persönlich zu versagen (Haubl 2007a; vgl. auch Ulich, Haußer u. Mayring 1985). Dieser Angst begegnen einige Beschäftigte mit einer Intensivierung ihres Arbeitseinsatzes und übersehen dabei, dass beruflicher Erfolg genau wie beruflicher Misserfolg nicht nur von der persönlichen Leistung abhängt, sondern von mehreren anderen Einflussfaktoren, wie dem Arbeitskontext, den Leistungen anderer sowie günstigen Gelegenheiten. Die persönliche Zuschreibung von Erfolg oder Misserfolg greift daher meist zu kurz. Gemäß dem Prinzip der Vermarktlichung lässt sich dennoch eine Ausbreitung von Personalbeurteilungssystemen beobachten, deren zentrale Aufgabe gerade in der persönlichen Zuschreibung von Erfolg und Misserfolg besteht, um eine Basis für die Verteilung von Boni, Gehaltserhöhungen und dergleichen zu bieten. Solche Bewertungssysteme forcieren ein konkurrentes Verhalten unter Kollegen und machen die Arbeitswelt zu einem Ort, der bestenfalls von ehrgeizig-stimulierender Rivalität dominiert wird, schlimmstenfalls jedoch von feindlich-schädigender Rivalität (vgl. Haubl 2001). Davon bleiben andere Lebensbereiche nicht unberührt, in denen gleichermaßen rivalisiert wird, wodurch Konkurrenzkämpfe zum Lebensinhalt werden können. Sofern sich ein großer Teil der Bevölkerung einer steten Konkurrenz ausgesetzt fühlt, macht es Sinn von einer „Konkurrenzgesellschaft“ (Haubl 2001, S. 139) zu sprechen, als deren Zentrum das Arbeitsleben bezeichnet werden kann.
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Konkurrenzsituationen stellen in Organisationen sowie erweiterten beruflichen Kontexten einen notwendigen Selektionsmechanismus dar (Haubl 2007f). Sie bieten Beschäftigten eine Gelegenheit, sich über den Vergleich mit Kollegen in Bezug auf die eigenen Schwächen und Stärken einzuschätzen. Ihre eigentliche Selektionswirkung entfalten Konkurrenzsituationen allerdings über die Vergleichsmöglichkeit, die sie organisationalen und überorganisationalen Entscheidungsinstanzen bieten: denn auf Basis solcher Vergleiche entwickeln Vorgesetzte und mögliche Auftraggeber einen Eindruck von den Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter oder potenziellen Vertragspartnern, welcher wiederum nicht unerheblich für deren Karriere, ihr Gehalt sowie das Selbstwertgefühl ist, für die der berufliche Erfolg von zentraler Bedeutung ist. Konkurrenzsituationen in Organisation entstehen „auf einem Feld sozialen Handelns, das durch Organisationsstrukturen, gruppendynamische Prozesse und Persönlichkeitsmerkmale von Beschäftigten abgesteckt ist.“ (Haubl 2007f, S. 9). Dass es Konkurrenzsituationen gibt, ist nicht neu. Die Qualität von Konkurrenzsituationen verändert sich jedoch in dem Maße, in dem ihre institutionelle Einbettung schwächer wird. Hirsch-Kreinsen (1995, S. 429) verweist im Zusammenhang mit den Auswirkungen von Dezentralisierung auf die Binnenstruktur von Organisationen auf eine „desintegrierende Wirkung der internen Konkurrenz“, die zur Stärkung von Bereichsegoismen führe und Kooperationsbemühungen hintertreibe. Unverändert ist hingegen der Zweck von Konkurrenzsituationen für die Organisation geblieben. So mögen sie in Bezug auf Inhalt und Form von Organisation zu Organisation variieren, gemeinhin haben alle Konkurrenzsituationen jedoch die Funktion, Beschäftigte zu selektieren und sie darüber hinaus entsprechend der Organisationskultur zu sozialisieren. Wie Konkurrenzsituationen erlebt werden, ist für das betriebliche Klima von zentraler Bedeutung. Werden Aufstiegshoffnungen von Beschäftigten mehrere Male enttäuscht, so besteht die Gefahr einer „inneren Kündigung“ (Haubl 2001, S. 219) dieser Beschäftigten. Als Folge dieser inneren Kündigung neigen Beschäftigte dazu, sich nur noch bedingt in den Arbeitsalltag einzubringen, mithin jede Eigeninitiative zu vermeiden und die Verantwortung für die eigene Tätigkeit von sich zu weisen. Haubl (2007f) versteht Konkurrenz in Organisationen als eine Beziehungsform zwischen mehreren Organisationsmitgliedern, die sich mehr oder weniger gut kennen und mehr oder weniger bewusst miteinander um knappe Güter kämpfen. Charakteristisch für knappe Güter ist, dass sie von vielen begehrt, jedoch nicht von allen erreicht werden können. Im Fall von Beratungsunternehmen handelt es sich bei prestigeträchtigen Projekteinsätzen, Beförderungen, Gehaltsboni sowie vielversprechenden Kontakten zu Personen an Netzwerk-Knotenpunkten um knappe Güter.
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In der Konkurrenz um knappe Güter greifen Organisationsmitglieder auf Ressourcen zurück, von denen sie sich versprechen, dass sie hilfreich sind, um sich das begehrte Gut anzueignen. Wer über mehr Ressourcen als seine MitKonkurrenten verfügt, hat gute Chancen, gegen sie im Kampf um das begehrte Gut zu gewinnen. Typisches Charakteristikum von Konkurrenzsituationen ist jedoch, dass im Vornherein weder Gewinner noch Verlierer feststehen. Mehr noch: es ist nicht einmal sicher, dass sich durch eine Konkurrenzsituation eine bestehende Beziehungskonstellation überhaupt verändert (Schubert 2007). Haubl (2007f) weist zu Recht auf die Komplexität von Konkurrenzsituationen in Organisationen hin: meistens laufen unzählige Konkurrenzkämpfe gleichzeitig ab, die sich gegenseitig bedingen und nur selten leicht von allen Beteiligten zu durchschauen sind. Die Intransparenz von Konkurrenzsituationen kann für manche Beteiligte nachteilig sein, andere können wiederum von ihr profitieren, sofern sie einen Informationsvorsprung vor ihren Mit-Konkurrenten haben. Entscheidungsinstanzen sind meist auch nur bedingt an der Transparenz von Konkurrenzsituationen interessiert, da diese den Legitimationsdruck von Selektionsentscheidungen erhöht und somit ihre Handlungsspielräume begrenzt. Sobald eine Konkurrenzsituation für alle Beteiligten durchschaubar wird, ist sie gemeinhin entschieden. Denn das Aufrechterhalten der Konkurrenz lohnt sich für die Konkurrenten nur so lange, wie unklar ist, wer über die machtvolleren Ressourcen verfügt. Entscheidend für eine Konkurrenzsituation sind, neben der jeweiligen Ressourcenausstattung der Konkurrenten, die an der Selektionsentscheidung beteiligten Instanzen. Eine privilegierte Beziehung zu einer Entscheidungsinstanz stellt wiederum eine mögliche Ressource dar, mittels derer Konkurrenten besiegt werden können. Zudem empfiehlt es sich nicht, nur die offiziellen Leistungskriterien zu kennen, sondern auch die, die auf informeller Ebene in der Organisation kursieren. Wie bereits oben ausgeführt, ist die Anerkennung von Leistung oder Leistungsbereitschaft mit spezifischen Problemen behaftet. Zunächst muss festgelegt werden, welchen Kriterien eine Leistung genügen muss, um anschließend zu erkennen, welches Verhalten oder Arbeitsergebnis den definierten Leistungskriterien entspricht. Wenn, wie in Abschnitt 2.3.2 „Entgrenzung der Anforderungen: Anerkennung und Leistungspräsentation“ dargelegt, Leistung präsentiert werden muss, um als solche erkennbar zu werden, ist die eigentliche Leistung von der inszenatorischen Leistung weder für die Entscheidungsinstanz noch für die Mit-Konkurrenten zu unterscheiden. Folglich sind darstellungskompetente Kompetenzdarsteller (Pfadenhauer 2003) möglicherweise auch dann im Vorteil, wenn sie ihren Mit-Konkurrenten nicht in Bezug auf ihre Fachkompetenz überlegen sind.
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Die bisherigen Ausführungen zu Konkurrenzsituationen mögen zu der Vermutung verleiten, man könne organisationales Handeln mit einem einfachen Freund-Feind-Schema erschließen: Organisationsmitglieder konkurrieren miteinander oder unterstützen einander in der Konkurrenz mit anderen Organisationsmitgliedern. Tatsächlich schließen sich Konkurrenz und Kooperation gegenseitig nicht zwangsläufig aus. Im Idealfall ist ehrgeizig-stimulierende Rivalität (Haubl 2001) für alle Beteiligten vorteilhaft: wer sich im Vergleich mit anderen verbessern will und dabei seine primäre Arbeitsaufgabe vorantreibt, schadet zunächst weder sich, seinen Mit-Konkurrenten noch der Organisation. Vorausgesetzt, der Ehrgeiz einer Person ist ihren Fähigkeiten angemessen und entwickelt sich nicht zu einem „krankhaften Ehrgeiz“ (Haubl 2001, S. 135) oder gar einem tyrannischen Siegeswillen (Haubl 2001, S. 141), der weder vor der Schädigung anderer noch vor Selbstschädigung zurückschreckt. Weniger Angst als konkurrente Beziehungen erzeugen kooperative Beziehungen, wenn sie auch nicht zwangsläufig weniger konflikthaft sind. Wirklich trennscharf sind die beiden Konzepte ohnehin nur theoretisch, empirisch wahrscheinlicher sind Situationen, in denen Gewinne und Verluste nicht gleichverteilt sind, in denen jedoch auch keiner vollkommen leer ausgeht, wie es im Rahmen reiner Konkurrenz denkbar wäre. Als eine Form von Kooperation in beruflichen Kontexten, die konkurrente Aspekte enthält, ist das Zweckbündnis zu verstehen. Es sieht eine befristete Kooperation von Konkurrenten vor, die auf diese Weise ihre jeweiligen Ressourcen schonen. Schließlich droht eine permanente Konkurrenz mit jedem möglichen Mit-Konkurrenten auf lange Sicht, die zur Verfügung stehenden Ressourcen zu übersteigen. Es ist demnach selbst in einem konkurrenten Umfeld sinnvoll, zumindest zeitweise ein Stillhalteabkommen zu treffen, von dem beide Seiten profitieren können. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Konkurrenzsituation entschieden ist und Sieger und Verlierer anschließend kooperieren müssen. Haben beide die Entscheidung als verfahrensgerecht erlebt, fällt es ihnen leichter, sich zu begegnen, unabhängig davon, ob sie von der Entscheidung profitieren oder nicht (vgl. Haubl 2007d). Andernfalls besteht die Gefahr, dass der unterlegene Mit-Konkurrent feindselig-schädigend rivalisiert und folglich von der Konkurrenzsituation nicht ablassen kann (vgl. Haubl 2001). Feindselig-schädigende Rivalität hat weniger die Verbesserung der beruflichen Situation zum Ziel, sondern bündelt alle Energie, um dem Rivalen zu schaden, koste es was es wolle. Geht es jedoch nur darum, den (ehemaligen) Mit-Konkurrenten zu sabotieren, gerät die primäre Aufgabe und das Wohl der Organisation aus dem Blick. Während über die Ausführungen Haubls (2007f) tendenziell eher die feindlichen Aspekte in Konkurrenzsituationen deutlich werden, hebt Schubert (2007) die lustvolle Seite der Konkurrenz hervor und betont, dass es in Konkurrenzsitu-
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ationen für die Beteiligten nicht nur etwas zu verlieren, sondern auch etwas zu gewinnen gibt. Zudem seien Konkurrenzbeziehungen sehr intensiv und würden Möglichkeiten zur Selbstreflexion bieten. In der Konkurrenz mit anderen würden sich zudem Maßstäbe herausbilden, an denen sich der Einzelne messen kann. Dieser These folgend würden Konkurrenzsituationen im Arbeitskontext Orientierung in Bezug auf Qualitätsstandards in der Arbeit bieten, die es anzustreben gelte. Trotz der positiven Aspekte, die in Konkurrenzsituationen neben aller Destruktivität enthalten sind, benötigen sie einen sachlichen Rahmen als Legitimation. So bietet sich für einige Berufsgruppen der fachliche Diskurs an, um sich selbst über die Zugehörigkeit zur „richtigen“ Schule zu erhöhen und Vertreter anderer Schulen zu entwerten, um auf diese Weise ungestraft der eigenen „Konkurrenz-Lust“ nachzugehen (Schubert 2007, S. 7). Konkurrenzsituationen erzeugen, so lässt sich festhalten, starke Emotionen, die es im Arbeitsalltag zu regulieren gilt. Andernfalls würden Organisationsmitglieder zum Spielball ihrer Emotionen und somit ihrer Handlungsfähigkeit beraubt.
2.3.4 Entgrenzung der Emotionen: Emotionsregulation in Konkurrenzsituationen Der Prozess der Entgrenzung von Arbeit und Leben verändert Arbeitskontexte dahingehend, dass neue Schlüsselqualifikationen hinzu kommen und andere verdrängen. Neben dem aktiven Zeithandeln (Abschnitt 2.1.2) und der Kompetenzdarstellungskompetenz (Abschnitt 2.3.2) erfordern subjektivierte Arbeitsbedingungen eine weitere Schlüsselqualifikation: die gekonnte Emotionsregulation, mithin die professionelle Erzeugung von vorteilhaften emotionalen Situationen. Eine Instrumentalisierung der eigenen Emotionalität wird insbesondere den Beschäftigten abverlangt, die im direkten Kontakt zu Kunden stehen. Für Konkurrenzsituationen ist ein professioneller Umgang mit den eigenen und fremden Emotionen allerdings auch von großer Bedeutung. Schließlich basieren sie auf Aggression (Haubl 2007f). Je häufiger sich Organisationsmitglieder einer Konkurrenzsituation stellen müssen, so könnte man folgern, umso wahrscheinlicher ist die Zunahme von Aggression im Arbeitsprozess gegen andere und gegen sich selbst. Aggression gegen andere muss allerdings nicht destruktiv sein, sie kann auch der Selbstbehauptung dienen, die notwendig ist, sobald Organisationsmitglieder in Konkurrenzsituationen in die Defensive gedrängt werden. Aggression wenden Organisationsmitglieder dann gegen sich selbst, wenn sie die Möglichkeit einer Niederlage antizipieren oder bereits unterlegen sind. Im
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ersten Fall spornt die Angst vor Versagen möglicherweise an, sofern das Organisationsmitglied die an ihn herangetragene Anforderung, permanent leistungsfähig und -willig zu sein, verinnerlicht hat (Haubl 2007f). Im zweiten Fall hat die Aggression gegen sich selbst die Funktion einer Selbstbestrafung, den unbedingten Willen zum Erfolg vorausgesetzt. In beiden skizzierten Fällen bedroht die Niederlage das Selbstwertgefühl, im ersten Fall die antizipierte, im zweiten Fall die tatsächliche Niederlage. Alternativ könnte das Organisationsmitglied den (antizipierten) Misserfolg ungünstigen Kontextbedingungen zuschreiben oder die Ansprüche an sich selbst reduzieren, was möglicherweise zur Stabilisierung des Selbstwertgefühls beitragen könnte. Ist eine Entlastung des Selbstwertgefühls jedoch nicht möglich, so bleibt dem Organisationsmitglied nur die Möglichkeit, den Ängsten mit einer Anstrengungssteigerung zu begegnen. Da sich Anstrengungen jedoch nicht bis in das Unermessliche steigern lassen und ein Versagen somit unvermeidlich erscheint, neigt das „erschöpfte Selbst“ (Ehrenberg 2004) dazu, alle Anstrengungen aufzugeben. Konkurrenzsituationen, so eine mögliche Schlussfolgerung der Überlegungen, begünstigen narzisstische Depressionen bei denjenigen, die das Gefühl entwickelt haben, gegen ihre Mit-Konkurrenten nicht bestehen zu können (Haubl 2007f). Die Depression legitimiert das Einstellen der Karrierebemühungen und besänftigt zugleich die Mit-Konkurrenten. Depressionen, so könnte man folgern, kommt in manchen Fällen die Funktion zu, vor eigenen überhöhten Leistungserwartungen oder denen der anderen zu schützen. Alternativ wäre ein bewusster Umgang mit den Aggressionen anderer sowie der Aggressionen gegen sich selbst denkbar. Voraussetzung wäre eine realistische Einschätzung der Kosten, die eine Zielerreichung erfordert, sowie die Möglichkeit, auf die Erreichung eines (Karriere-) Ziels verzichten zu können, mithin unabhängig von Anerkennungsformen zu werden, die einen (zu) hohen Einsatz erfordern oder ein zu großes Kränkungspotenzial beinhalten. Denn gerade das (emotionale) Festhalten an schwierigen Situationen im Arbeitskontext erhöht die Wahrscheinlichkeit einer narzisstischen Kränkung. Zudem ermöglichen eine (emotionale) Distanz zum organisationalen Geschehen sowie ein bewusster Umgang mit (negativen) Emotionen Spielräume, um (bewusste) Aggression von Mit-Konkurrenten von Sachzwängen zu unterscheiden. Wer nicht jeden Widerstand als Angriff der eigenen Person erlebt, erhält sich die Möglichkeit, auf Basis sachlicher Argumente zu agieren, Mitstreiter zu mobilisieren und mit (vermeintlichen) Gegnern ins Gespräch zu kommen. In Organisationen sind explizite sowie implizite Emotionsregeln wirksam. Dabei hat jede Profession ihre eigenen Regeln, die von allen Angehörigen dieser Profession als selbstverständlich anerkannt werden (vgl. Rastetter 2008, S. 55). Während Pädagogen untereinander empathisches Verhalten voraussetzen, er-
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scheinen karriereorientierte Leitungskräfte eher dann als unprofessionell, wenn sie andere Emotionen als (wohl dosierten) Ärger zeigen. So werden Leitungskräfte mit Aggressionshemmung leicht von Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten in Frage gestellt und müssen um ihre formale Stellung in der Organisation fürchten (Haubl 2007b). Der bewusste Umgang mit Emotionen kann auch als „Emotionsarbeit“ bezeichnet werden (Hochschild 1990). Insbesondere dann, wenn er nicht nur dem Selbstschutz dient, sondern eingesetzt wird, um ein bestimmtes (organisational) erwünschtes Ergebnis zu erzielen. Dabei ist Tiefenhandeln wirksamer als Oberflächenhandeln, da die bewusste Darstellung eines Gefühlsausdrucks durch Anpassung von Mimik, Tonfall und Gestik gespielt erscheinen kann. Tiefenhandeln erfordert „echte“ Gefühle, die mit bestimmten Techniken hervorgerufen werden können (vgl. Rastetter 2008). Zu diesen Techniken gehört die körperliche Entspannung, um negative Gefühle zu lösen, die Konzentration auf das angestrebte Ziel, die durch Empathie für das Gegenüber erleichtert werden kann, sowie das Hervorrufen mentaler Bilder, die das Gefühl erzeugen, die der Arbeitskontext erfordert. Emotionsarbeit ist sowohl als Oberflächenhandeln als auch als Tiefenhandeln mit psychischen Belastungen verbunden. Während Oberflächenhandeln zu emotionalen Dissonanzen führen kann, da das dargestellte Gefühl nicht mit der tatsächlichen emotionalen Situation übereinstimmt, birgt Tiefenhandeln andere Risiken. Werden Gefühle dauerhaft organisationalen Emotionsregeln durch die Beeinflussung der eigenen Gefühlswelt angepasst, droht die Entfremdung von den eigenen Gefühlen. Schließlich lassen sich erzeugte Gefühle auf Dauer nicht mehr von echten Gefühlen unterscheiden (Rastetter 1999).
2.3.5 Entgrenzung der Arbeitsbelastung: Bewältigungsverhalten Neben der Bewältigung unangenehmer Gefühle und der Produktion zweckdienlicher Gefühle erfordern entgrenzte Beschäftigungsverhältnisse einen bewussten Umgang mit den Belastungen, die aus der Erosion von Grenzen im Arbeitsprozess entstehen. In den vorangegangenen Abschnitten wurde auf mehreren Ebenen Veränderungen von abhängiger Beschäftigung thematisiert, die Beschäftigte mit spezifischen neuartigen Anforderungen, Herausforderungen und Überforderungen konfrontieren. Betrachtet wurden zum einen langfristige Veränderungen, die zu einer schleichenden Anpassung von Beschäftigungsverhältnissen führen. Als ein Beispiel kann hier der Wandel von einem verhältnismäßig starren Arbeitszeitregime zu flexiblen und individualisierten Arbeitszeiten gelten, der sich bereits zu Beginn der 1980er Jahre andeutete und bis heute anhält. Zum anderen
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wurden Reorganisationsmaßnahmen im Dienste von Dezentralisierung und Vermarktlichung in den Blick genommen, die zu kurzfristig wirksamen und tiefen Einschnitten in das Beschäftigungsverhältnis Einzelner sowie ganzer Belegschaften führen können. Als eine solche Maßnahme wird Outsourcing in Kapitel 4 vorgestellt. Unabhängig davon, ob sich Veränderungen über Nacht oder über einen längeren Zeitraum vollziehen, wirken sie auf die von den Veränderungen betroffenen Beschäftigten möglicherweise belastend, in manchen Fällen sicher auch entlastend. In den meisten Fällen ist allerdings von einer ambivalenten Situation für die Beschäftigten auszugehen, da Veränderungen in der Regel sowohl positive als auch negative Aspekte beinhalten. Das gilt auch für Entgrenzungsprozesse, die den Beschäftigten einerseits den Umgang mit wachsender Unsicherheit und Unbestimmtheit zumuten, andererseits in manchen Fällen auch Autonomiegewinne ermöglichen. Aus der Ambivalenz gegenüber den thematisierten Veränderungen in Organisationen resultiert der Wunsch vieler Beschäftigter, eben nicht die Uhr zurückzudrehen und Arbeitsbedingungen fordistisch-tayloristischer Prägung wiederherzustellen, sondern den Arbeitskontext derart anzupassen, dass die jeweilig positiven Aspekte unterschiedlicher Arbeitsregimes gebündelt werden. So ist in Bezug auf die Arbeitszeit weder ein starres Arbeitszeitregime im Interesse aller Beschäftigten noch die derzeitigen Angebote der Arbeitszeitflexibilisierung, da sie gemeinhin mit hohen Flexibilitätsanforderungen und Zeitdruck verbunden sind (vgl. Abschnitt 2.1.1). Vergleichbares lässt sich für die Organisationsebene konstatieren: eine starre Hierarchie, die Positionsveränderungen erschwert oder gar verhindert, ist aus der Perspektive von Beschäftigten ebenso wenig attraktiv wie eine stete Reorganisation, die permanent jede organisatorische Zuordnung zur Disposition stellt (vgl. Abschnitt 2.2.1). Für die Ebene der Arbeitsorganisation lässt sich kurz gefasst ein Wandel von Fremdbestimmung zu fremdbestimmter Selbstbestimmung29 konstatieren, der Handlungsspielräume der Beschäftigten nicht nur erweitert, sondern auch eigenverantwortliches Handeln einfordert (vgl. Abschnitt 2.2.2). Als ebenso zweischneidig ist die Veränderung auf der Ebene konkreter Arbeitsanforderungen zu beurteilen, da die Tendenz zu gestiegenem Leistungs- und Erfolgsdruck zwar erfreulicherweise die Sichtbarkeit der Beschäftigten in einer ehemals anonymen Belegschaft erhöht, zugleich jedoch Beschäftigte auch überfordern kann (vgl. Abschnitt 2.3.2). Es lässt sich vermuten, dass Entgrenzungsprozesse den derzeitigen Trend einer Verschiebung arbeitsbedingter gesundheitlicher Risiken von physischen Belastungen zu psychischen und mentalen Belastungen verstärken (vgl. Brödner 29 Ein weiteres Stichwort ist „fremdorganisierte Selbstorganisation“ (Pongratz u. Voß 2003).
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2002). Von dieser Veränderung sind auch diejenigen Berufsgruppen betroffen, deren Arbeitsbedingungen bisher als privilegiert galten, wie etwa hochqualifizierte Fachkräfte, die nun vermehrt unter Ermüdungs- und Erschöpfungszuständen leiden (Haubl 2007c, 2007e). Wie Beschäftigte mit Belastungen auf den jeweiligen Ebenen umgehen, hängt auch davon ab, welche Bewältigungsressourcen ihnen in einer bestimmten Situation zur Verfügung stehen. Denn neben der Art, der Dauer und der objektiven Schwere einer Belastung ist das Bewältigungsverhalten, mithin die Wahrnehmung und Verarbeitung von Belastungsmomenten, für den Ausgang einer kritischen Situation von großer Bedeutung. Bewältigungsverhalten, auch Coping genannt, wird in den Situationen relevant, in denen gewohnte Verhaltensweisen versagen und Unsicherheit über die angemessene Reaktion sowie über das Vorhandensein der dazu notwendigen Ressourcen besteht (vgl. van Dick 1999). Mit Bewältigungsverhalten ist demnach eine adaptive Auseinandersetzung mit kritischen Situationen gemeint (Rüger, Blomert u. Förster 1990), die sowohl der Emotionsregulation dient als auch einen konstruktiven Beitrag zur Veränderung einer belastenden Situation leisten kann. Die Bewältigung belastender Erlebnisse ist jedoch komplex. Deshalb sind „mechanistisch geprägten Vorstellung[en]“ (Brödner 2002, S. 20) über Belastungen am Arbeitsplatz, die eine einfach Kausalkette aus Arbeitsbedingungen, psychischen Belastungen und daraus resultierender Beanspruchung herstellen, nur wenig hilfreich. Obwohl reizorientierte Modelle lange Zeit dominierten, hat sich die Fokussierung auf arbeitsbezogene Belastungsmomente, auch Stressoren genannt, als zu eng und die Vorstellung von passiv leidenden Personen als unangemessen erwiesen. Daher verlagerte sich der Fokus nach und nach von „objektiven“ Belastungsmomenten hin zu den „subjektiven“ Formen der Bewertung und Verarbeitung von Belastungen, angeregt durch die Stress- und Bewältigungstheorie von Lazarus und Mitarbeitern (Rüger u. a. 1990). Lazarus und Mitarbeiter fokussieren im Rahmen ihrer Forschung belastungsbedingte Erkrankungen und bieten mit ihrer kognitionspsychologischen Theorie einen Rahmen, um die Entstehung, den Verlauf sowie die Auswirkungen auf soziale Kontakte einer belastungsbedingten Erkrankung zu verstehen. Bewältigungsverhalten definieren Lazarus und Launier (Lazarus u. Launier 1978, S. 311)30 als „das Gesamt der sowohl aktionsorientierten wie intrapsychischen Anstrengungen, die ein Individuum unternimmt, um externale und internale Anforderungen, die seine Ressourcen beanspruchen oder übersteigen, zu bewältigen (d.h. zu meistern, tolerieren, reduzieren, minimieren)“. Für den Ausgang einer kritischen Situation erachten die Autoren weniger die Anzahl und Schwere 30 Zitiert in (Rüger u. a. 1990, S. 19).
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belastender Ereignisse als zentral als vielmehr die Art der kognitiven Verarbeitung der belastenden Situation und der daraus resultierenden Bewältigungsanstrengungen. Teil der Emotionstheorie von Lazarus ist das transaktionale Bewältigungsmodell. Es stellt das einflussreichste Konzept zum Bewältigungsverhalten dar und wird deshalb kurz vorgestellt (vgl. Rüger u. a. 1990). In den Überlegungen von Lazarus nimmt die subjektive Bewertung einer Situation (engl. appraisal) in Relation zur eigenen Person einen zentralen Stellenwert ein. Den Bewertungsprozess beschreibt er als zwei ineinandergreifende dynamische Vorgänge. Auf Basis des „first appraisals“ beurteilt eine Person, ob die Situation für das eigene Wohlergehen bedrohlich ist oder nicht. Stuft die Person eine Situation als bedrohlich ein, so ist im Folgenden das Auftreten von Bewältigungsverhalten wahrscheinlich. Über die Beschaffenheit des Bewältigungsverhaltens entscheidet das „second appraisal“ (Lazarus 1966). Inhalt des sekundären Bewertungsvorgangs ist die Evaluierung der vorhandenen Ressourcen in Bezug auf die Frage, inwieweit sie zur Bewältigung der Bedrohung hilfreich sein können und ob die als Erfolg versprechend wahrgenommenen Bewältigungsmöglichkeiten als legitim zu erachten sind. Auf psychisch belastende Situationen am Arbeitsplatz bezogen, können die Annahmen von Lazarus (1966) folgendermaßen interpretiert werden: Reorganisationsmaßnahmen, die zu einer Veränderung von Arbeitsbedingungen dahingehend führen, dass der Verantwortungsbereich von Beschäftigten erweitert wird, können in einer primären Bewertung als mehr oder weniger bedrohlich für die eigene Arbeitssituation beurteilt werden. Als wenig bedrohlich eingestuft, beinträchtigen sie die Tätigkeit kaum. In den Fällen, in denen sie als bedrohlich eingestuft werden, macht es in Bezug auf die belastende Qualität dieser Reorganisationsmaßnahme einen Unterschied, wie Beschäftigte ihre eigenen Bewältigungsressourcen im Rahmen einer sekundären Bewertung in dieser konkreten Situation einschätzen. Vertrauen sie auf ihre eigenen Fähigkeiten und glauben, der gestiegenen Verantwortung gewachsen zu sein, werden ihre künftigen Arbeitsergebnisse möglicherweise besser werden, während für die Kollegen, die sich vor einem Verantwortungszuwachs fürchten, eine Verschlechterung der Arbeitsleistung anzunehmen ist31. 31 Als ein weiteres Beispiel für eine belastende Situation am Arbeitsplatz ist die Androhung arbeitsrechtlicher Schritte durch einen Vorgesetzten denkbar. Während diese Situation auf manche Beschäftigte aktivierend wirkt und sie dazu motiviert, sich Rat bei einem Anwalt zu suchen, neigen andere Beschäftigte zu einem destruktiven Verhalten, das den Konflikt eskalieren lässt. Eine lähmende Wirkung ist dann denkbar, wenn Beschäftigte glauben, nichts gegen eine solche Androhung ausrichten zu können. Diese interindividuellen Differenzen im Bewältigungsverhalten lassen sich über die Einschätzung der Kontrollierbarkeit durch die Beschäftigten erklären. Während die „aktiven“ Beschäftigten die Androhung arbeitsrechtlicher Schritte im Rahmen der sekundären Bewertung als
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Möglicherweise ist die kognitive Verarbeitung dieser kritischen Situation für die Arbeitsqualität sogar bedeutsamer als die fachlichen und methodischen Fähigkeiten, über die ein Beschäftigter tatsächlich verfügt. Sie ist auf jeden Fall ausschlaggebend für das Selbstwertgefühl: Diejenigen Beschäftigten, die ihre Ressourcen als ausreichend einstufen, können ihr Selbstwertgefühl durch die Veränderung am Arbeitsplatz möglicherweise stärken, während für diejenigen Beschäftigten, deren Urteil über die eigenen Bewältigungsressourcen negativ ausfällt, eher eine Schwächung des Selbstwertgefühls angenommen werden kann. Demnach wirken sich belastende Faktoren auf unterschiedliche Personen unterschiedlich aus, je nachdem, wie diese Personen die belastenden Faktoren bewerten und wie sie ihnen begegnen. So mag eine Person eine bestimmte Art der psychischen Belastung als herausfordernd erleben, während eine andere Person durch dieselbe Belastung eine ernst zu nehmende Beeinträchtigung erfährt. Demnach löst nicht das Ereignis selbst, sondern vielmehr dessen subjektive (primäre) Bewertung eine Belastung und die damit verbundenen negativen Emotionen aus. Folgt man dieser Überlegung, so sind die Auswirkungen einer realen Bedrohung von einer (fälschlicherweise) antizipierten Bedrohung kaum zu unterscheiden, da beide geeignet sind, Bewältigungsverhalten auszulösen. Trotz zahlreicher Studien sind Aussagen über Erfolg versprechende Bewältigungsstrategien für bestimmte belastende Situationen bisher nicht zu treffen (Rüger u. a. 1990; Ulich u. a. 1985). Selbst für eine konkrete Person sind Vorhersagen schwierig, da das Bewältigungsverhalten einer Person üblicherweise von Belastungssituation zu Belastungssituation variiert. Somit ist daran zu zweifeln, dass für bestimmte Situationen ein „one best way“ für alle Betroffenen existiert oder dass es Personen gibt, die über einen in sich konsistenten Bewältigungsstil verfügen (Rüger u. a. 1990). Kritisch anzumerken ist, dass Lazarus (1966) nicht-rationale Anteile im Bewältigungsverhalten zwar nicht negiert, allerdings konzeptualisiert er Bewältigungsverhalten als kognitiven, also bewusstseinsnahen Prozess, was emotionale Reaktionen ohne einen mehr oder minder bewussten Bewertungsvorgang unwahrscheinlich macht. Zudem spielen Motive in seiner Theorie eine (zu) große Rolle (Lazarus 1991). Es entsteht der Eindruck, als habe Bewältigungsverhalten instrumentellen Charakter und diene eher der Zielverfolgung als dem Schutz des Selbstwerts. Dann wäre Bewältigungsverhalten nur in den Situationen relevant, in denen es tatsächlich etwas „Reales“ zu gewinnen oder verlieren gibt. Somit prinzipiell lösbar wahrnehmen, verzichten die resignierenden Beschäftigten aufgrund ihrer Beurteilung der Situation als unveränderlich nicht zu aktiver Problemlösung, sondern präferieren selbstbezogene Bewältigungsversuche, die dem emotionalen Gleichgewicht dienen (vgl. Ulich u. a. 1985, S. 244; van Dick 1999).
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erscheint Bewältigungsverhalten als planvolle Bemühung, eine konkrete PersonUmwelt-Beziehung möglichst vorteilhaft zu gestalten (problemorientierte Bewältigung) oder zumindest als positiv wahrnehmen zu können (emotionsorientierte Bewältigung). Interessant an der Theorie von Lazarus und Mitarbeitern ist das Verständnis von Person und belastender Situation als Austauschbeziehung, in der das Bewältigungsverhalten über seinen prozesshaften Charakter Optionen eröffnet, einen positiven Ausgang herbeizuführen. Wenn das Verhalten einer Person auf die belastende Situation zurückwirkt, macht es Sinn, den Erhalt von Handlungsfähigkeit und Problemlösekompetenz in belastenden Situationen in den Blick zu nehmen. Als Ergänzung des Bewältigungsmodells von Lazarus (1966) eignet sich das im Rahmen einer „handlungstheoretisch orientierten psychoanalytischen IchPsychologie“ entwickelte Modell von Haan, da es kognitionspsychologische und psychoanalytische Ansätze verbindet (Rüger 1990, S. 13). Im Bewältigungsmodell von Haan (1963)32 nehmen Abwehrmechanismen33 mehr Raum ein und werden nicht wie bei Lazarus als Teil von Coping sondern als komplementär zu Coping konzipiert. Während Abwehrmechanismen in ihrem Modell intrapsychisch den Selbstwert stabilisieren, entfalten Konflikt- und Problemlösefunktionen ihre Wirkung nach außen. In einem Modell werden verschiedenen IchFunktionen34 jeweils paarweise Abwehrmechanismen und Copingprozesse zugeordnet, die gemeinsam die jeweilige Ich-Funktion ermöglichen. Später fügt Haan (1969) einen dritten Verarbeitungsmodus, den der Ich-Fragmentierung hinzu. Ausschlaggebend für die Wahl des Modus ist wie bei Lazarus (1966) die mehr oder minder bewusste Bewertung der eigenen Ressourcen in Bezug auf die Anforderungen, die eine kritische Situation an eine Person stellt. Es besteht eine Hierarchie der Modi in der folgenden Reihenfolge: Bewältigung, Abwehr und Fragmentierung. In den Worten von Haan (1977, S. 42, zitiert in Rüger u.a. 1990): „The person will cope if he can, defend if he must, and fragments if he is forced“. Bei der Bewertung einer Situation als herausfordernd oder gar bedrohlich spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Für den Arbeitskontext sind neben der situationsspezifischen Kontrollerwartung auch die Höhe materieller und sozioemotionaler Gratifikationen, Motive und Einstellungen zu nennen (vgl. Kaluza 2005; Lindenberger 2002). Ulich u. a. (1985, S. 174) führen neben der Kontrollerwartung das Selbstvertrauen sowie das Vorhandensein sozialer Unterstützung 32 Zitiert in Rüger u. a. 1990, S. 28ff.. 33 vgl. Anna Freud (1977). 34 Ich-Funktionen: Diskrimination, freischwebendes Denken, kausales Denken, aufgeschobenes Reagieren, sensibles Wahrnehmen, Umkehren des inneren Zeitablaufes, selektives Wahrnehmen, Umlenken von Affekten und Einschränkung von Affektausdruck (dt. Übersetzung von Heim 1979).
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als hilfreiche Faktoren an. Kaluza (2005) betont, dass es für eine erfolgreiche Bewältigung von Belastungen hilfreich sein kann, die Auseinandersetzung mit der belastenden Situation als sinnvoll zu erleben, z.B. als Teil einer größeren Prüfung, deren Bestehen eine Verbesserung der Lebensumstände verspricht. Zusammenfassend lässt sich festhalten, das Bewältigungsverhalten in kritischen Situationen relevant wird und sich aus problembezogenen und selbstbezogenen Komponenten zusammensetzt. Bewältigungsverhalten kann als ein Prozess verstanden werden, in dem sich Person und Situation wechselseitig durch Vermittlungs- und Rückkopplungsprozesse beeinflussen. Des Weiteren verändern sich Einschätzungen, Emotionen und Verhalten im Laufe des Bewältigungsprozesses; es findet ein Kräftespiel zwischen Anforderung und Bewältigungsressourcen statt (Jerusalem 1990, S. 15; Ulich 2005, S. 459). Bewältigung ist nicht notwendigerweise zielorientiert oder zweckmäßig, sondern kann durchaus auch unbewusst, rigide und realitätsverzerrend sein. So konzipieren auch die hier rezipierten Ansätze von Lazarus (1966) und Haan (1977) Coping als bewusstseinsnah, jedoch nicht als intentional oder gar kontrollierbar. Verhaltensdispositionen sind für das Bewältigungsverhalten ebenso relevant wie die Kontextbedingungen einer belastenden Situation, wobei die prozesshafte Dynamik von Person und Situation im Vordergrund steht und eine Determination des Bewältigungsverhaltens durch Dispositionen oder Kontextbedingungen ausgeschlossen wird. Inwieweit Bewältigungsverhalten gelernt werden kann, ist nicht abschließend zu klären. Gezeigt wurde jedoch, dass „Fähigkeiten zur strategischen Persönlichkeitsentwicklung und -stabilisierung und zur Bewältigung psychischer und sozialer Probleme bzw. zur Leistungsregulation und Belastungsverarbeitung“ (Voß 1998, S. 483f.) notwendig sind, um in entgrenzten Arbeitskontexten bestehen zu können. Neben den von Voß (1998) genannten personalen Ressourcen sind kognitive Überzeugungen, die den Arbeitskontext als sinnhaft erleben lassen, sowie eine positive Kontrollerwartung zu nennen (vgl. Brödner 2002). Auf organisationaler Ebene sind ein Handlungsspielraum, der dem Verantwortungsniveau entspricht, zeitliche Puffer, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten sowie ein verlässlicher Rahmen hilfreich, der Partizipation, Kooperation und Kommunikation ermöglicht. Als Vermittlung der personalen und der organisationalen Ebene dienen soziale Ressourcen, zu denen unterstützende Vorgesetzte und Kollegen als Quelle von Vertrauen und Anerkennung zählen sowie die Unterstützung durch Familie und Freunde. Zudem bieten einige Organisationen ihren (leitenden) Angestellten Unterstützung durch regelmäßiges Coaching an. Aus einer kritischen Perspektive lässt sich jedoch fragen, welche Berechtigung Hilfsmitteln wie Coaching zukommt, deren Aufgabe möglicherweise letztlich darin besteht, die Arbeitsfähigkeit derart zu erhalten, dass mit Hilfe Dritter für ein Mindestmaß an (psychischer) Stabilität
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gesorgt wird (vgl. Haubl u. Daser 2008). Schließlich trägt der Einsatz von Coaching zu einer Personalisierung von strukturellen Problemen bei und hintertreibt zudem möglicherweise notwendige Diskussionen in Organisationen über (zu) knappe Arbeitsressourcen. Anstatt (zu) hohen Leistungsdruck als mangelnde Ressourcen-Ausstattung und folglich als organisationales Problem zu verstehen, werden dessen Folgewirkungen als psychisches Leiden gerahmt und behandelt. Der Gewinn für Organisationen besteht darin, dass Beschäftigte, angeregt durch die Hoffnung auf Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung, im Foucault’schen Sinne (2004) „ihre Selbstverhältnisse affirmativ im Sinne der Arbeitsanforderungen […] formen“ (Rau 2008, S. 163). Souverän das flexible (Arbeits-) Leben zu meistern, bedeutet dann, Bewältigungsverhalten als „Technologien des Selbst“ (Foucault 2004) zum Wohle der Organisation anzuwenden, anstatt Widerstand gegen (zu) hohe Anforderungen zu leisten. Auf diese Weise wird Fremddisziplinierung durch Selbstdisziplinierung gemildert, allerdings um den Preis der Selbstausbeutung.
2.3.6 Schlüsselqualifikationen für die Arbeit unter entgrenzten Arbeitsbedingungen In den vorigen Abschnitten wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass die Arbeit unter entgrenzten Arbeitsbedingungen Beschäftigte mit neuartigen Anforderungen konfrontiert, für deren Bewältigung verschiedene Kompetenzen als hilfreich erscheinen. Genannt wurden aktives Zeithandeln (Abschnitt 2.1.2), Kompetenzdarstellungskompetenz (Abschnitt 2.3.2), gekonnte Emotionsregulation (Abschnitt 2.3.4) sowie lösungsorientiertes Bewältigungsverhalten (Abschnitt 2.3.5). Wenn die Arbeit unter entgrenzten Bedingungen Qualifikationen und Kompetenzen erfordert, die sich deutlich von denen fordistisch-tayloristischer Prägung unterscheiden und die Arbeitsaufgaben, nicht zuletzt aufgrund der Integration planender und ausführender Tätigkeiten, komplexer sind und zudem in Bezug auf Form, Inhalt und Umfang stärker variieren, so ist anzunehmen, dass die Auflösung stark arbeitsteiliger Strukturen Beschäftigte nicht nur fachlich und methodisch fordert, sondern vor allem in Bezug auf soziale und kommunikative Kompetenzen. Mit Voß (1998, S. 484) lässt sich konstatieren, dass es sich bei den geforderten Kompetenzen um „basale Lebens- und Persönlichkeitskompetenzen“ handelt. Somit bietet sich die Schlussfolgerung an, dass die den Beschäftigten abverlangten Schlüsselqualifikationen tiefer in die psychosoziale Integrität von Personen eingreifen als jemals zuvor. Fraglich ist dann, welcher Art schützende Begrenzungen im Arbeitskontext sein können, wenn die Nutzung und
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Bearbeitung der Psyche arbeitgeberseitig nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern möglicherweise sogar gewollt ist. Mit Steinert und Treiber (2005, S. 13) lässt sich im Fall von entgrenzten Beschäftigungsverhältnissen daher im Unterschied zu Beschäftigungsverhältnissen fordistisch-tayloristischer Prägung nicht mehr von Herrschaft durch Unterdrückung sprechen, sondern vielmehr von Herrschaft durch Überforderung: „Zwang zu einer Autonomie, die viele nicht bewältigen, ist stärker als die Verhinderung von Initiativen. […] Disziplin wird noch immer und mehr denn je als „methodische Lebensführung“ verlangt, aber wir müssen sie uns als ArbeitskraftUnternehmer selbst aufzwingen. Niemand tut das von außen – und viele wünschen sich, die alte industrielle Disziplin könnte noch immer gegen die alte Sicherheit des Wohlfahrtsstaats getauscht werden.“
Die Überforderung besteht darin, als Beschäftigter willens und fähig sein, die eigene Arbeit vermehrt selbst zu organisieren, mit wechselnden Kollegen und Vorgesetzten zu kooperieren sowie mit veränderten Kontextbedingungen und wachsender Unsicherheit umzugehen. Zugleich gilt es die gestiegene Verantwortung und den allgegenwärtigen Zeitdruck zu ertragen, was nur gelingen kann, wenn Beschäftigte fähig sind, den Mangel an organisatorischer Stabilität zumindest partiell durch eigene (Strukturierungs-) Leistung zu kompensieren, mithin über geeignete Bewältigungsressourcen verfügen. Nur dann können sie Herausforderungen als solche wahrnehmen, die „neben der Antizipation eines möglichen Scheiterns vor allem die subjektiv wahrgenommene Chance der erfolgreichen Bewältigung und damit verbunden eine Steigerung von Kompetenz, Selbstwertgefühl und Selbstständigkeit [implizieren]“ (Rüger, Blomert u. Förster 1990, S. 20). Als Prototyp entgrenzter Arbeitsbedingungen und als Kontrastfolie zum in Abschnitt 2.1 vorgestellten Normalarbeitsverhältnis sollen im Folgenden Beschäftigungsverhältnisse in Beratungsunternehmen in den Blick genommen werden.
3 Normalität der Entgrenzung – Beratungsunternehmen als entgrenzter Arbeitskontext Normalität der Entgrenzung
Beschäftigte großer Beratungsunternehmen werden neben Beschäftigten der ITBranche35 und Selbstständigen oft als Beispiel genannt, wenn es darum geht, das Typische am „Typus des Arbeitskraftunternehmer[s] als neuer Grundform der Ware Arbeitskraft“ auszumachen, den Voß und Pongratz (1998, S. 140) in die soziologische Debatte um Veränderungen in der Arbeitswelt eingebracht haben. Der Arbeitskraftunternehmer, so die These der Autoren, stellt die Form von Arbeitskraft dar, die neuen betrieblichen Strategien der Nutzung der Ware Arbeitskraft entspricht. So verfüge der verberuflichte Arbeitnehmer36 nicht über die notwendigen Qualifikationen, um unter entgrenzten Arbeitsbedingungen zu arbeiten, für die eine Abweichung vom klassischen Normalarbeitsverhältnis dahingehend charakteristisch ist, dass dessen Standards an sozialer Sicherung unterschritten werden. Die Arbeitsbedingungen von Beratern, Beschäftigten der ITBranche und Selbstständigen haben somit eine Art Modellcharakter für zukünftige Entwicklungen in der Arbeitswelt. Ähnlich argumentiert Boes (2003, S. 3), wenn er der IT-Industrie eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung von Arbeit zuschreibt: „Die IT- Industrie hat in den öffentlichen und auch in den wissenschaftlichen Diskursen zur Zukunft der Arbeit mittlerweile den Platz eingenommen, den die Automobilindustrie in den 70er und 80er Jahren als Protagonist des Aufstiegs und Niedergangs des fordistisch-tayloristischen Produktionsmodells inne hatte.“
35 IT steht für Informationstechnologie 36 Faust (2002) geht im Unterschied zu Voß und Pongratz (1998) davon aus, dass auch der verberuflichte Arbeitnehmer unternehmerisch mit der eigenen Arbeitskraft umgeht. Im Vergleich zum Arbeitskraftunternehmer mögen die unternehmerischen Anteile der Tätigkeit allerdings eher gering ausfallen. Der hochqualifizierte Angestellte (Kotthoff 1997) kommt dem Konzept des Arbeitskraftunternehmers relativ nah, was die Annahmen zur Anforderung, eigenverantwortlich zu handeln, betrifft. Insgesamt, das ergeben auch die empirischen Ergebnisse von Pongratz und Voß (2003) , handelt es sich beim Arbeitskraftunternehmer eher um ein Angestelltenphänomen, wie Gerst (2004) bemerkt.
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Empirische Studien zum Arbeitskraftunternehmer konzentrieren sich bisher, dieser Argumentationslinie folgend, auf die ehemals boomende „New Economy“, um nach Indizien zu suchen, die für eine Etablierung des Arbeitskraftunternehmers sprechen, wobei von einer voreiligen Generalisierung der empirischen Befunde in diesen Branchen insofern Abstand zu nehmen ist, als ihr Vorbildcharakter für andere Branchen nicht mit einer vollständigen Etablierung der dort üblichen Arbeitsbedingungen kurzgeschlossen werden darf (vgl. Boes 2003). Im Sammelband von Pongratz und Voß (2004) „Typisch Arbeitskraftunternehmer? Befunde der empirischen Arbeitsforschung“ finden sich zahlreiche Beiträge, die die Arbeitskraftunternehmer-These der Herausgeber für Branchen stützen, in denen überdurchschnittlich viele hochqualifizierte Beschäftigte und Selbstständige tätig sind37. Kennzeichnend für diese Branchen sind Beschäftigungsverhältnisse, die einer selbstständigen Tätigkeit sehr nahe kommen, was die Eigenverantwortung für den Erhalt des Arbeitsplatzes betrifft. Ebenso charakteristisch für diese Branchen scheint die Haltung der Beschäftigten zu sein, auf Beschäftigungssicherheit im eigentlichen Sinne zu verzichten und nicht auf traditionelle Formen der Interessenvertretung zurückzugreifen (vgl. Menez u. Springer 2003). Möglicherweise ist ihr Selbstverständnis als Erwerbstätige mit ihrem Verständnis von Gewerkschaften nicht zu vereinbaren, wie Kotthoff (2001, S. 13) feststellt, „weil sie die Organisation der Arbeiter und unteren Angestellten ist, und deshalb nicht die Identität der beitragsorientierten firmenloyalen, unternehmerisch eingestellten Leistungsträger und Intrapreneure verkörpert. Die Gewerkschaft verkörpert für sie ein Milieu, in dem die Identität des arbeitenden Menschen mit Entfremdung, Verelendung, mangelnder Anerkennung und mit darauf basierendem Protest und Gegenmacht in Verbindung gebracht wird. In einer solchen Verbindung möchten sich die HQA [hochqualifizierte Angestellte, Anm. d. Verf.] nicht wiederfinden“.
Sie vertreten ihre Interessen lieber selbst38 und vertrauen auf ihr Netzwerk, um sich mit dessen Hilfe neue Optionen zu eröffnen, sobald sich ein Beschäftigungsverhältnis oder Projekt dem Ende nähert (vgl. die Ausführungen von Boltanski und Chiapello zur projektbasierten Polis, 2003 S. 147ff.). Ähnliche Formen der beruflichen Absicherung beschreiben Eikhof und Haunschild (2004) für die Welt des Theaters, in der die Reputation in der Community sowie Kontakte zu potenziellen Auftraggebern wie Regisseuren und Dramaturgen für das weitere 37 Die Studie zum Arbeitskraftunternehmer von Pongratz u. Voß 2003 nimmt explizit nicht die Berufsgruppen, denen ein Modellcharakter unterstellt wird, in den Blick. 38 Dass die Vertretung eigener Interessen unter entgrenzten Bedingungen gelingen kann, bezweifelt Peters (2002), der dahingehend eine Selbsttäuschung unterstellt, als die eigenen Interessen gerade für diese Beschäftigtengruppen so schwer zu bestimmen seien.
Beratungsunternehmen als Forschungsgegenstand
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Fortkommen entscheidend sind. Obwohl die strategische Nutzung solcher Beziehungen verpönt ist, gehört sie zum Arbeitsalltag in der Theaterbranche dazu. Im Folgenden werde ich näher auf die Arbeitsbedingungen in (großen) Beratungsunternehmen eingehen, wobei eine bestimmte Form der Beratung fokussiert werden soll, nämlich IT-Consulting. Gegenstand von IT-Consulting ist die Informationstechnologie, zu der große Beratungsunternehmen nicht nur Beratung anbieten, sondern darüber hinaus die Konzeption und Implementierung von Soft- und Hardware-Systemen. Die folgenden Ausführungen beziehen sich zum Teil auf die Beratungsbranche allgemein, sind jedoch vor allem für ITConsulting von hoher Relevanz. Die Aspekte, in denen sich IT-Consulting von anderen Beratungsformen unterscheiden, werden hervorgehoben.
3.1 Beratungsunternehmen als Forschungsgegenstand Trotz ihrer proklamierten Relevanz für künftige Entwicklungen in der Arbeitswelt sind Beratungsunternehmen eine wenig beforschte Branche, zumindest was die konkreten Arbeitsbedingungen betrifft (Ausnahmen stellen die Studie von Kratzer 2003 und die Studie von Eichmann u. Hofbauer 2008 dar). Diskutiert werden eher die Implikationen einer „beratenen Gesellschaft“ (Schützeichel u. Brüsemeister 2004), von der aufgrund der wachsenden Einflussmöglichkeiten von beratenden Berufen zu sprechen ist. So wird beispielsweise der starke Einfluss von Unternehmensberatungen als ein wesentlicher Faktor ausgemacht, wenn Ursachen für den Trend zur Ökonomisierung in der Arbeitswelt gesucht werden. Und das nicht ohne Grund, da Strategie- und Managementberatungen Konzepte wie das einer „wertorientierten Unternehmensführung“ proklamieren, die nachweislich Kapitalmarktinteressen stärken (Becker 2001, S. 42). Stellvertretend für alle Managementberatungen ist die Unternehmensberatung McKinsey zu einem Chiffre für Ökonomisierung geworden (vgl. Faust 2000). Einige Autoren vertreten die These, die Unternehmensberater würden mit ihrem zweckrationalen Streben nach Effizienz sämtliche Organisationen, politische und kirchliche Organisationen eingeschlossen, unterwandern. Während einige Autoren differenziert die Rolle von Beratung für gesellschaftliche Veränderungen in den Blick nehmen (vgl. Faust 2000; Resch 2005), neigen andere Autoren zu einer polarisierenden Darstellung (Kurbjuweit 2003). Faust (2000, S. 61) spricht von einem gestiegenen Beratungsbedarf, der im Allgemeinen auf „die steigende Komplexität und Dynamik der organisatorischen Umwelt und die damit verbundene Unsicherheitsbelastung der Akteure“ zurückgeführt werde. Demnach verspreche man sich eine Komplexitätsreduktion sowie handlungsanleitende Lösungen von Beratern als Unterstützung, um der (gefühlten) Entschei-
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dungsunsicherheit zu begegnen. Die Berater, so bemerkt Faust (2000) kritisch, können allerdings nur bedingt einen Beitrag zur Lösung von Organisationsproblemen leisten, da ihnen die Distanz zu der Problematik fehlt, die sie zum Teil, durch zu einem früheren Zeitpunkt empfohlene Reorganisationsmaßnahmen, selbst induziert haben. Zudem würden sie die Unsicherheit in Organisationen eher schüren als ihr konstruktiv begegnen, da sie von einer anhaltenden Unsicherheit ihrer Klientel in Form von langfristigen lukrativen Beratungsverträgen profitieren würden. Zudem seien (zu) große Versprechungen ein genuiner Bestandteil von Auftragsakquisitionen. Die Hoffnung der beratenen Leitungskräfte auf Komplexitätsreduktion durch „Supra-Experten“ sei, so der Autor, überzogen (Faust 2000, S. 63). Staehle (1991, S. 27) bringt den schlechten Ruf der Strategieberater folgendermaßen auf den Punkt: „Der Unternehmensberater hinterläßt eine Zusammenschrift der internationalen Managementliteratur und verabschiedet sich auf dem Höhepunkt der innerbetrieblichen Verunsicherung“. Diese Beschreibung ist sicher etwas überzeichnet, macht jedoch deutlich, welche nicht ganz unbegründeten Befürchtungen diejenigen haben, die von Strategieberatern beraten werden oder vielmehr Gegenstand einer solchen Beratung sind. Dass Berater derart machtvolle Akteure in Organisationen sind, wie von Faust (2000) und Staehle (1991) dargestellt, bezweifeln Armbrüster und Kieser (2001, S. 706) in ihrer Analyse von forschungsorientierter Literatur über Managementberatungen. In ihrer Wahrnehmung werden die Einflussmöglichkeiten von Beratern häufig überschätzt: „Während prominenten Beratern oder höheren Mitarbeitern großer Beratungsfirmen in der Öffentlichkeit eine Definitionsmacht über bestimmte wirtschaftliche Fragestellungen zugebilligt wird, die durchaus in Konkurrenz zur Rolle von Akademikern steht, so müssen dieselben Berater auf der anderen Seite mit der Gefahr leben, im Beratungsprojekt zum Erfüllungsgehilfen des unmittelbaren Auftraggebers zu werden, wenn sie nicht den Auftrag oder die langfristige Kundenbeziehung verlieren wollen.“
Armbrüster und Kieser (2001) heben in ihrer Argumentation auf die finanzielle Abhängigkeit der Berater vom Auftraggeber ab, die derart stark sei, dass sich manche Berater im Verhältnis zum Kunden gar wie eine „Prostituierte“ fühlen würden (Ashford 1998, S. xiv). Aufgrund der finanziellen Abhängigkeit schätzen Armbrüster und Kieser (2001) die Einflussmöglichkeiten der Berater auf Entscheidungen in Organisationen sowie auf wirtschaftliche Entwicklungen als eher gering ein. Unabhängig von den jeweiligen Machtverhältnissen von Beratern und Organisationen im Beratungsprozess ist jedoch festzuhalten, dass sich aus dem
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Zusammenwirken von Beratern und Organisationen eine besondere Dynamik entfaltet, die nicht ohne Einfluss auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen bleibt. Fraglich ist jedoch, ob dieser Einfluss förderlich ist oder, wie Faust (2000) annimmt, die ohnehin bestehenden Probleme weiter verschärft. Möglicherweise ist der Nutzen von Beratern eher symbolischer Art und besteht darin, Entscheidungen des Managements zu legitimieren sowie gegenüber den Shareholdern die gewünschte Aktivität zu signalisieren, wie Armbrüster und Kieser (2001) vermuten. An der Evaluation von Beratungsleistungen sind, so resümiert Moldaschl (2005), im Zweifel nur ein paar wenige Wissenschaftler interessiert, weshalb sich bis heute nur wenig über den tatsächlichen Nutzen von Beratung sagen lässt. Doch gerade dieser Umstand, den Nutzen von Beratung letztlich nicht beurteilen zu können (Armbrüster u. Kieser 2001), verleiht den Beratungsunternehmen etwas Mystisches. Daran kann auch eine „populär-enthüllungsorientierte“ Literatur (Armbrüster u. Kieser 2001) mit Titeln wie „Die grosse Abzocke. Die skandalösen Praktiken der Unternehmensberater“ von Neil Glass (2006), „Versager im Dreiteiler. Wie Unternehmensberater die Wirtschaft ruinieren“ (Steppan 2003) oder „Wir schlafen nicht“ von Kathrin Röggla (2006) nichts ändern, die ohnehin den Mythos weniger enthüllt als vielmehr pflegt. Diese Bücher erfüllen allerdings eine wichtige Funktion als Sprachrohr derer, die die von großen Beratungsunternehmen und Strategieberatern forcierte Schnelllebigkeit gleichermaßen faszinierend wie empörend finden und fürchten, dass sie alle Inseln der Langsamkeit eliminiert. Doch auch die betriebswirtschaftlich geprägte praxisorientierte Literatur „von und für (angehende) Unternehmensberater/innen“ (Eichmann u. Hofbauer 2008, S.9), die mit einer Tendenz zum Euphemismus den (Miss-)Erfolg von Beratungsprojekten sowie Formen der Managementberatung beschreibt, verschafft nur oberflächliche Eindrücke über den Alltag von Unternehmensberatern. Mit ihrer Studie „Man braucht sehr hohes Energieniveau. Zum Arbeitsalltag von UnternehmensberaterInnen“ (2008) versuchen die Soziologen Eichmann und Hofbauer diese Lücke zu schließen und für Österreich die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in Unternehmensberatungen zu explorieren. Dabei nehmen sie auch Karriereverläufe und Belastungsmuster in unterschiedlichen Beratungsfeldern in den Blick. Auf Basis dieser Studie soll im Anschluss an eine historische Betrachtung der Beratungsbranche im Einzelnen untersucht werden, inwieweit sich das in Kapitel 2 erarbeitete analytische Raster auf den Arbeitskontext von Beratungsunternehmen anwenden lässt. Im Zentrum der Betrachtung steht die Frage, welche Schlüsselqualifikationen die Arbeit unter entgrenzten Bedingungen erfordert und
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wie Beschäftigte in einem „prototypischen“ Umfeld entgrenzter Arbeitsbedingungen den hohen Anforderungen, die an sie gestellt werden, begegnen.
3.1.1 Historische Entwicklung der Beratungsbranche Die Autoren machen eingangs in ihrer historischen Betrachtung drei Generationen von Beratung aus. Alle drei Generationen basieren auf einer zweckrationalen39 Herangehensweise, aus der eine eindeutige Optimierungsempfehlung für die beratene Organisation hervorgeht, die auf Expertenwissen rekurriert. Die erste Unternehmensberatung wurde von Arthur D. Little 1886 in Cambridge, Massachusetts gegründet (Hartenstein, Billing, Schawel u. Grein 2000). Sie zählt zu der Generation von Beratungsunternehmen, deren Beratungsansätze im Wesentlichen auf Taylors „Grundsätze[n] wissenschaftlicher Betriebsführung“ basieren. Die Beratungsform der ersten Generation hat den optimalen Einsatz von Produktionsressourcen und Arbeitskraft zum Ziel und wird seit Beginn des letzten Jahrhunderts vornehmlich von Ingenieuren angeboten. Die erste große Beratungswelle lässt sich für die USA in den 1920er Jahren nachweisen, als aus den Organisationsabteilungen großer amerikanischer Unternehmen wie General Electric und Ford Beratungsunternehmen entstanden. Nach dem Zweiten Weltkrieg boten diese Beratungsunternehmen ihre Leistungen auch in Europa an (vgl. Hartenstein u. a. 2000). Unter dem Stichwort „Unternehmensstrategie und Aufbauorganisation“ hat seit den 1960er Jahren die Management- und Strategieberatung an Bedeutung gewonnen, um Mitte der 1980er Jahre von der dritten Generation, der Informations- und Kommunikationstechnologie- Beratung in den Hintergrund gedrängt zu werden. Mit Faust (2000) lässt sich ergänzen, dass die Managementberatung in den 1960er Jahren sehr langsam wuchs. So hatte beispielsweise McKinsey 1965 lediglich fünf Berater in ganz Europa unter Vertrag, während 1997 allein in Deutschland 1250 Berater für McKinsey tätig waren. Das zunächst relativ langsame Wachstum der Beratungsbranche führt Faust (2000, S. 74f.) auf die institutionelle Einbettung des Kapitalismus in Deutschland zurück. Solange von einem „kooperativen“ oder „koordinierten“ Kapitalismus zu sprechen ist, ist die Herausbildung von organisationsübergreifenden Netzwerken wahrscheinlich, die einen Erfahrungsaustausch ermöglichen, der andernfalls als „best practices“ von Beratungen eingekauft werden muss. Folglich sind die seit den 1980er Jahren beobachteten Entgrenzungsprozesse im Zusammenhang mit der zunehmenden 39 Im Gegensatz dazu plädiert Argyris (2000) für eine wertrationale Beratung, die Leitungskräfte zu Offenheit, Vertrauen und konstruktiven Auseinandersetzungen zum Wohle der Organisation inspiriert.
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Bedeutung von Beratung zu sehen: sie begünstigen eine Tendenz zum „Konkurrenzkapitalismus“ nach dem Vorbild der USA, der die Bereitschaft zur Kooperation schmälert und somit kostenlosen Erfahrungsaustausch zu Gunsten der Beratungsunternehmen unwahrscheinlicher macht. Das große Wachstum der Beratungsbranche mit zweistelligen Zuwachsraten insbesondere in den 1990er Jahren mag für diese Entwicklung als Indiz gelten. Seit dem Jahr 2000 stagniert die Beratungsbranche jedoch, zum Teil sind auch Schrumpfungsprozesse zu verzeichnen (vgl. Hartenstein u. a. 2000). Dieser Tendenz versuchen Beratungsunternehmen mit dem Angebot entgegenzuwirken, nicht nur strategisch zu beraten, sondern zudem die Implementierung der empfohlenen Maßnahmen zu begleiten. Wegen dem aus Planungsunsicherheiten resultierenden finanziellen Risiko bieten Beratungsunternehmen vermehrt eine Risikobeteiligung als Erfolgsgarantie an (vgl. Hartenstein u. a. 2000).
3.1.2 Beratung und Professionalisierung Allen drei skizzierten Generationen von Beratung ist die Dominanz durch Akademiker gemein, dennoch kann bei Beratung trotz des hohen Qualifikationsniveaus der Erwerbstätigen nicht von einer Profession im eigentlichen Sinne gesprochen werden (Rudolph 2004). Denn „Unternehmensberater“ ist keine geschützte Berufsbezeichnung, was bedeutet, dass weder der Berufszugang noch die Berufsausübung (gesetzlich) geregelt oder das Tätigkeitsfeld von Beratung klar umrissen ist. Deshalb kann niemand daran gehindert werden, auch ohne Qualifikationsnachweis beratend tätig zu werden. Den Berufszugang zu regeln, ist jedoch nicht leicht, da bestimmte Voraussetzungen nicht gegeben sind. So fehlt beispielsweise ein Fundus von Expertenwissen, der im Rahmen einer obligatorischen Ausbildung vermittelt werden und als Maßstab für die Beurteilung professioneller Praxis dienen könnte. Zudem wird die berufliche Interessenvertretung von Verbänden wahrgenommen, die sich nur auf eine relativ schwach ausgeprägte Bindung der Mitglieder berufen können und keinesfalls mit der Interessenvertretung von Berufen wie beispielsweise den Ärzten vergleichbar sind. So ist der Organisationsgrad im Bundesverband deutscher Unternehmensberater (BDU) relativ gering, obwohl es sich hierbei um den wichtigsten Verband für Berater in Deutschland handelt. Ohne der Beratungsbranche jegliche Professionalisierungsbemühungen absprechen zu wollen, die in den letzten Jahren aufgrund der nachlassenden Nachfrage sicher zugenommen haben, so lässt sich doch festhalten, dass das Interesse an einer Reglementierung des Berufsstands seitens der Berater eher gering ist. Nissen (2007) nimmt eine optimistischere Perspektive ein, was die zukünftige Professionalisierungsbestrebungen
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von Beratungsunternehmen betrifft und verweist darauf, dass sich der Beratungsmarkt in den letzten Jahren aufgrund eines steigenden Wettbewerbsdrucks zugunsten der beratenen Unternehmen verändere. Zudem würden vor allem große Unternehmen dazu neigen, die Selektion von Beratern transparenter zu gestalten und der bisherigen Praxis, auf persönliche Beziehungen und Reputation zu setzen, entgegen zu wirken. Seine These ist, dass Beratungsunternehmen mittelfristig nicht ohne verstärkte Professionalisierungsbemühungen auskommen, wollen sie trotz der gestiegenen Ansprüche der Kunden im Markt bestehen. Seines Erachtens könne die Etablierung von Qualitätsmanagementmethoden einer Professionalisierung von Beratung dienlich sein. Im selben Sammelband weisen Barchewitz und Armbrüster (2007) jedoch auf die Qualitätsungewissheit hin, die ein immanenter Bestandteil eines jeden Auswahlprozesses ist. Bei der Auswahl eines Beratungsunternehmens komme es somit trotz aller Versachlichungsbemühungen auf Vertrauen, Weiterempfehlung und Reputation an. Auch Armbrüster und Kieser (2001, S. 705f.) kommen zu dem Ergebnis, dass statt eines „Preisoder Qualitätsmechanismus“ ein „Reputations- und Netzwerkstrukturmechanismus“ existiert. Dieser Überlegung folgend mag es wenig überraschen, dass die Zugehörigkeit zu einem großen Beratungsunternehmen nach wie vor ein weit verbreitetes Gütekriterium darstellt, da diese jeweils für eine bestimmte Art und Qualität von Beratung bekannt sind, was nicht zuletzt dem „Reputationsmanagement“ dieser Beratungen geschuldet ist (Eichmann u. Hofbauer 2008, S. 20, vgl. auch Faust 2000). So gilt den Autoren zufolge Boston Consulting als „kreativ“, während McKinsey „harte“ kostenorientierte Beratung verspricht. Dieses Label ist auch über die aktive Zugehörigkeit zu diesen Beratungen hinaus wirksam. Insbesondere den McKinsey-Mitarbeitern wird eine besondere Loyalität über die aktive Zugehörigkeit hinaus nachgesagt, die sich durch die arbeitslebenslange Förderung anderer Ex-McKinsey-Mitarbeiter zeigt. Als Beispiel mag der ehemalige McKinsey-Mann und im Jahr 2008 zurückgetretene Post-Chef Klaus Zumwinkel gelten, der einige ehemalige McKinsey-Berater in seiner Führungsriege versammelt hat (Steppan 2003).
3.2 IT-Consulting Bevor die Beschäftigungsstruktur und Arbeitsorganisation von großen Beratungsunternehmen erläutert werden, soll IT-Consulting als fokale Beratungsform dieser Arbeit vorgestellt werden. IT-Consulting ist eine Beratungsform, die sich auf Informationstechnologie bezieht und seit Beginn der 1990er Jahre einen Boom erfährt, der sich seit 2001 etwas abgeschwächt hat. IT-Consulting ist um-
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setzungsnah, was bedeutet, dass sich die Beratung zum Thema Hard- und Software nur schwer von der Programmierung von Software abgrenzen lässt. Der ITConsultant kann demnach als ein Software-Experte beschrieben werden, der die Erwartungen an einen Berater erfüllen muss. Das bedeutet, dass von ihm ein überzeugendes Auftreten verlangt wird und er über kommunikative Fähigkeiten verfügen muss. Zudem sollte er in der Lage sein, die von ihm erbrachte Beratungsleistung als Mehrwert für den Kunden darzustellen. Reibungslose Projektarbeit mit dem Kunden erfordert zudem die Beherrschung von Moderationstechniken, mit der möglichen Konflikten über die Art der Umsetzung begegnet werden kann. Diese Anforderung, zugleich Software-Experte und Berater sein zu müssen, veranschaulichen Eichmann und Hofbauer (2008, S. 64) mit Hilfe eines Zitats, in dem der Befragte seine Rekrutierungskriterien erläutert und die Bedeutung kommunikativer Fähigkeiten sowie einer strukturierten Arbeitsweise hervorhebt: „…bei den Programmierern die Skills weniger in Richtung Kommunikation gehen, also die haben weniger kommunikative Skills. Aber natürlich müssen’s auch Leute sein, mit denen man halbwegs gut reden kann und mit denen man halbwegs zurechtkommt. […] Der Job ist einfach, Workshops abzuhalten, mit dem Kunden gemeinsam ein Konzept auszuarbeiten, also da geht’s schon darum, dass man strukturiert arbeitet.“
Auch für IT-Consultants ist der eigene Marktwert von Bedeutung, deshalb versuchen erfahrene Berater, weniger auf das schnell veraltete Fachwissen im Softwarebereich zu setzen, als vielmehr ihre Beratungs- und Projektmanagementkompetenz auszubauen, um nicht fürchten zu müssen, aufgrund der beständig neuen Softwareentwicklung den fachlichen Anschluss zu verlieren: „Zum einen ist es so, dass wir nur ein Produkt produzieren, wenn das mal weg ist, dann gibt es nichts mehr. Zum anderen bekommt man in dieser Firma eine gewisse Erfahrung, sowohl fachlich als auch was Consulting angeht, zumindest in meinem Fall, das kann ich glaube ich schon verkaufen. […] Man könnte auch, vor allem im Consultingbereich, in vielen anderen Firmen sehr einfach Jobs finden.“
Die Beratung im Bereich Informationstechnologie baut auf einem dynamischen Wissen auf, das ein stetes Aneignen von neuem Wissen erfordert, will man umsetzungsnah beraten. Als Alternative bietet sich an, IT-Consulting als einen Einstieg in die Beratung zu begreifen und mehr auf Projektmanagement zu bauen, um sich anschließend neu orientieren und die IT-Branche verlassen zu können. Den IT-Consultants wird unterstellt, derart verliebt in Technik zu sein, dass sie mit Kollegen und Kunden nicht umgehen können. Anders formuliert: noch stär-
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ker als in anderen Beratungsbereichen geht es im IT-Consulting um die Balance von erforderlichem Fachwissen und sozialen Kompetenzen, die eine reibungslose Betreuung von Projekten ermöglicht.
3.3 Die Struktur und Arbeitsorganisation von Beratungsunternehmen 3.3.1 Die Beschäftigungsstruktur, Rekrutierung und Fluktuation in großen Beratungsunternehmen Was die Beschäftigtenstruktur betrifft, so sind in den großen Beratungen hauptsächlich junge, hochqualifizierte Männer mit überdurchschnittlichen Studienergebnissen tätig, während Frauen insbesondere in der IT-Beratung kaum vertreten sind (Eichmann u. Hofbauer 2008). Akademische Berufseinsteiger versprechen sich von der Tätigkeit für eine Beratung einen optimalen Karrierestart und werden zudem von den attraktiven Verdienstmöglichkeiten und dem elitären Bild großer Unternehmensberatungen in der Öffentlichkeit angelockt (vgl. Hartenstein u. a. 2000). Tatsächlich dient eine Tätigkeit in einem renommierten Beratungsunternehmen in vielen Fällen als Karrieresprungbrett: bereits nach wenigen Jahren wechselt ein Großteil abgehender Berater auf die Kundenseite oder macht sich auf Basis der geknüpften Kontakte selbstständig. Insgesamt ist die Fluktuation in den großen Beratungsunternehmen sehr hoch. Die Zugehörigkeit wird trotz ihrer Kürze von Berufsanfängern als äußerst lehrreich beschrieben, da in einem Beratungsunternehmen aufgrund der Projektarbeit beim Kunden vor Ort eine intensive Aneignung von Berufserfahrung durch learning by doing und training on the job mit Hilfe erfahrener Kollegen möglich ist. Aus Perspektive des Beratungsnachwuchses besteht der Zweck einer solchen Tätigkeit darin, als Teil eines Beratungsprojektes in einem großen Kundenunternehmen Praxiserfahrung zu generieren und sich durch die möglichst frühe Leitung von Projektteams für spätere Managementaufgaben zu empfehlen. Dabei gilt es zu beachten, dass Beratungsunternehmen hierarchisch organisiert sind und von oben nach unten nicht nur die Berufserfahrung, sondern auch der Erfolgsdruck weitergegeben wird. Schließlich hängt auch die Beförderung von Projektleitern, auch Promotion genannt, von der Leistung des Projektteams ab, und es kann nicht jeder promotet, also befördert werden. Während die Karriere von Projektmanagern vom Erfolg des Projekts und der Sicherstellung von Nachfolgeprojekten abhängt, werden die Karriereaussichten des Beratungsnachwuchses von der eigenen Nützlichkeit für die Zielerreichung des Projektmanagers bestimmt, die es zu inszenieren gilt, um gegen die Konkurrenz bestehen zu können und befördert zu werden (Eichmann u. Hofbauer, 2008, S. 72):
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„Natürlich ist unter den Unternehmensberatern immer sehr hoher Druck in dem Sinne auch… grow or go … das ist schon so, dass natürlich die oberen Chefs, die vielleicht noch nicht Partner sind, die eine Riege drunter jetzt sind, Partner werden wollen. Und die natürlich den Druck, den die spüren, um Partner zu werden, schon nach unten weitergeben. Dadurch ist der Druck natürlich schon sehr hart. Und zudem ist es so, dass wir natürlich, nicht jeder kann promotet werden, und dadurch ist so ein bisschen Ellbogenverhalten schon da….“
Aufgrund der hohen Fluktuation und der Wissensintensität der Tätigkeit ist die Suche und Auswahl geeigneter Kandidaten, den High Potentials, besonders wichtig. Mit High Potentials sind diejenigen Kandidaten gemeint, denen zugetraut wird, in absehbarer Zeit in Leitungspositionen aufzusteigen. Von ihnen wird erwartet, dass sie sich im Beratungsalltag als High Performer erweisen, da sie durch ihren Studienabschluss überdurchschnittliche Leistungsfähigkeit signalisieren (vgl. Haubl 2007f). Das Risiko für diese „Vorschusslorbeeren“ trägt das Beratungsunternehmen nicht allein, wie an der hohen Fluktuation sichtbar wird. Mittels regelmäßiger Bewährungsproben wird geprüft, ob der Beratungsnachwuchs nicht nur talentiert, sondern auch fähig ist, sich mittelfristig im Berateralltag durchzusetzen. Abstrakte Rekrutierungskriterien wie überdurchschnittliche Studienabschlüsse verweisen auf einen weiteren wichtigen Aspekt der Personalpolitik von Beratungsunternehmen. Während in anderen Branchen ein unmittelbarer Bedarf in Form einer zu besetzenden Stelle gegeben sein muss, der mit einer nach fachlichen Qualifikationen ausgewählten Person gedeckt wird, ist die Personalpolitik in Beratungsunternehmen auf „Personalvorhaltung“ ausgerichtet (Kratzer 2003, S. 96). Beratungsnachwuchs wird demnach nicht für konkrete Projekteinsätze, sondern anhand abstrakter Kriterien, die auf eine beliebige Einsatzfähigkeit schließen lassen, für zukünftige, noch zu akquirierende Projekte rekrutiert. Diese Personalpolitik ist möglicherweise neben der hohen Fluktuation dem Umstand geschuldet, dass kaum unmittelbar passfähige Qualifikationen für eine Tätigkeit als Berater existieren (vgl. Kratzer 2003). Von prominenten Beratungsunternehmen versprechen sich Hochschulabsolventen die besten Karrierechancen. Daher können prominente Beratungsunternehmen unter einer großen Zahl von Bewerbern wählen und die Messlatte entsprechend hoch legen (Eichmann u. Hofbauer, 2008, S. 72): „…Also das ist bei [XY] ganz strikt. Sie haben eine Liste von Universitäten, dort wissen sie, welcher Jahrgang, welches Studium, was für eine Note man haben muss. Man muss zu den besten fünf Prozent eines Jahres gehören.“
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Das Auswahlverfahren ist als eine Bewährungsprobe zu beschreiben, die den Bewerber systematisch mit jenen Belastungen konfrontiert, mit denen er im Berateralltag rechnen muss. Die Bewerber, die sich als außergewöhnlich belastbar erweisen, sollen aus der Masse der Bewerber herausgefiltert werden (vgl. Hartenstein u. a. 2000). Solche Auswahlverfahren sind insofern praxisnah, als sich eine Tätigkeit für ein Beratungsunternehmen üblicherweise tatsächlich als kräftezehrend herausstellt. Das erfahren die Berufsanfänger nach ihrer Einstellung, sobald sie mit der so genannten Up-or-Out-Policy konfrontiert werden (Eichmann u. Hofbauer, 2008, S. 33), die den Leistungsdruck aufrecht erhält: der Nachwuchs wird gefördert, solange er die gewünschte Leistung erbringt. Folglich steht er unter ständiger Beobachtung der Vorgesetzten, die prüfen, ob sich der Beraternachwuchs bewährt. An die Förderung sind somit „Erwartungen gegenüber den Beratern geknüpft, aus deren Nichterfüllung Konsequenzen folgen. Der Berater, der eine bestimmte Karrierestufe in einer vorgegebenen Zeitspanne nicht erreicht, muss das Unternehmen verlassen“ (Daser 2007, S. 268).
3.3.2 Arbeitsorganisation und Arbeitsbedingungen in großen Beratungsunternehmen Wie im vorigen Abschnitt beschrieben gilt in großen Beratungsunternehmen das Up-or-Out-Prinzip, das in einem gegebenen Zeitrahmen gewisse Karriereschritte voraussetzt. Andernfalls wird dem Berater nahe gelegt, das Unternehmen zu verlassen. An diesem Prinzip wird deutlich, dass der nach außen hin vermittelte Eindruck, Beratungsunternehmen hätten flache Hierarchien, täuscht. Denn nach innen sind die wenigen Karrierelevel ausdifferenziert und jede Sprosse der Karriereleiter ist mit klaren Pflichten und Privilegien versehen und in eine übergreifende Befehlsstruktur von oben nach unten eingebettet. Beratungsunternehmen sind pyramidal aufgebaut: unten viele Neueinsteiger mit der Hoffnung, eines Tages Partner zu werden, und oben wenige Partner, die als Unternehmer unter dem Dach der Organisation stets darauf bedacht sind, durch den optimalen Einsatz des hoffnungsvollen Beratungsnachwuchses ihre Marge zu steigern. Die Wahrscheinlichkeit, eines Tages Partner zu werden und somit an der Spitze der Pyramide zu stehen, ist recht gering. Die breite Basis des Beratungsnachwuchses steigt mehr oder weniger freiwillig bereits auf den unteren Karrierestufen wieder aus. Die aufstiegs- und beteiligungsorientierte Anreizstruktur sorgt trotz der offenbar geringen Chancen, ganz nach oben aufzusteigen, für eine anhaltende Motivation, es dennoch zu versuchen und den versprochenen Karriereweg im Blick zu behalten. Die Aufrechterhaltung der Anreizstruktur erfordert gut dotierte
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Beratungsprojekte, für deren Durchführung insbesondere der noch gering entlohnte Nachwuchs herangezogen wird (vgl. Eichmann u. Hofbauer 2008). Die Gewinnspanne dieser Projekte ergibt sich aus der Differenz der vom Kunden bezahlten Tageshonorare und den Gehältern der Nachwuchskräfte. Diese sind im Vergleich zu den Gehältern der Partner ohnehin gering und werden durch Extensivierung der Arbeitszeit gewissermaßen weiter gedrückt. Etwas schärfer formuliert könnte man von einer „Praxis des ‚Verschleißens‘ junger Mitarbeiter/innen“ sprechen (Eichmann u. Hofbauer 2008, S. 78). Immerhin werden die unteren Karrierelevel in großen Beratungsunternehmen im Gegensatz zu den Beschäftigten in kleinen Beratungsunternehmen von der Verpflichtung, neue Projekte zu akquirieren, entlastet. Doch ganz ohne Akquise geht es nicht: sie müssen sich gegenüber einem Projektmanager als geeignet „verkaufen“, der ihre Arbeitsleistung wiederum dem Kunden verkauft. Was die Arbeitszeiten und die Arbeitsbelastung betrifft, so gelten Beratungsunternehmen als einer Effizienz- und Erfolgsorientierung sowohl gegenüber dem Kunden als auch gegenüber den eigenen Beschäftigten verpflichtet. Gemäß dem Prinzip der Vermarktlichung befinden sich die Beschäftigten in einer permanenten Konkurrenzsituation um prestigeträchtige Projekteinsätze und sind daher gehalten, sich durch ein hohes zeitliches Engagement, stete Mobilitätsbereitschaft und Flexibilität für herausfordernde Aufgaben zu empfehlen, mithin Akquise in eigener Sache zu betreiben. Was die Entscheidungsspielräume im Arbeitsvollzug betrifft, so sind diese in großen Beratungsunternehmen eher klein. Es gehört zum guten Ton, zu behaupten, „freiwillig“ mehr als 40 Stunden in der Woche zu arbeiten und das Privatleben beruflichen Erfordernissen nachzuordnen. Schließlich gilt es als gemeinsames Ziel, die Anforderungen des Kunden zu erfüllen, weshalb dem Projektmanagement zugestanden wird, über die Dauer und den Inhalt der Arbeitszeit zu entscheiden. Allerdings ahnen die Führungskräfte der Beratungsunternehmen, dass die gefühlte Freiwilligkeit eher eine Mischung aus Selbst- und Fremdzwang ist und mit Autonomie im eigentlichen Sinne nicht viel zu tun hat. Widerstand gegen das Modell der prinzipiellen Verfügbarkeit, die von einer Befehlsstruktur mit nahezu militärischem Charakter gerahmt wird, so zeigt das folgende Zitat, ist ohnehin zwecklos (Eichmann u. Hofbauer 2008, S. 100): „Als Projektleiter bin ich autonom, weil ich entscheide das und ich entscheide halt jeden Tag neu, dass ich heute wieder 13 bis 14 Stunden arbeite. Und ich entscheide jede Woche auf’s Neue, dass ich 70 Stunden arbeite. In dem Augenblick, wo ich das nicht mehr mache, wär’s aber ein Problem. Ein normaler Mitarbeiter, der noch nicht Projektleiter ist, hat diese autonome Entscheidungsmöglichkeit kaum. Was ihm zugemutet wird und wie lange er zu arbeiten hat, entscheidet dann schon der Projektleiter. Und der Projektleiter sagt dann zum Beispiel: ‚Heute machen wir schon um
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Normalität der Entgrenzung sieben Uhr zu‘ und gehen dann nachher irgendwo weg am Abend. Oder der Projektleiter sagt: ‚Tut mir leid, aber die Besprechung morgen ist wichtig, wir sind nicht fertig, heute wird bis Mitternacht gearbeitet.‘ Da hat er so gut wie keinen Einfluss drauf … danach muss er sich richten.“
Der hier zitierte Projektleiter macht deutlich, dass seine Mitarbeiter keine Wahl haben, wenn er sie bittet, Mehrarbeit zu leisten. Die für sich selbst proklamierte Freiheit, täglich mehr als zehn Stunden zu arbeiten, klingt jedoch nach einer bestimmten Form von Freiheit, die er und seine Mitarbeiter haben, nämlich die, das Unternehmen zu verlassen. Die Freiheit, regelmäßig nach acht Stunden die Arbeitswelt gegen die Lebenswelt zu tauschen, besteht demnach nicht.
3.3.3 Dezentralisierung und Vermarktlichung in Beratungsunternehmen Kratzer (2003) hat in seiner Studie Beschäftigte eines Unternehmens befragt, das IT-Consulting anbietet. Obwohl die Belegschaft mit 55 Beschäftigten überschaubar ist, versteht sich das Unternehmen lediglich als Dachorganisation von fünf autonom agierenden Unternehmen. Vier dieser fünf Unternehmen bedienen jeweils unterschiedliche Branchen und ein Unternehmen bietet Verwaltungsdienstleistungen für die anderen Unternehmen an. Das hat, so nimmt Kratzer (2003) an, praktische Gründe: sollen die Arbeitsbedingungen in einem Bereich angepasst werden, so sind die anderen Bereiche davon nicht betroffen. So lassen sich beispielsweise Gehaltssteigerungen im einen Unternehmen durchsetzen, während in einem anderen das Gehalt stagniert. Einstellungen im einen Unternehmen sind trotz Entlassungen in einem anderen Unternehmen möglich. Durch diese dezentrale Form der Organisation, die mehrere Unternehmen unter dem Dach einer übergreifenden Organisation vorsieht, können einzelne Bereiche autonom agieren, ohne auf andere Bereiche Rücksicht nehmen zu müssen. Damit deutet sich neben der Dezentralisierung bereits das zweite Prinzip der Vermarktlichung an: derart deutliche Grenzziehungen innerhalb eines Unternehmens stärken die Kundenorientierung dahingehend, dass der Kollege aus einem anderen Unternehmensbereich an sich kein Kollege ist, da er für ein anderes Unternehmen, wenn auch unter der gleichen Dachorganisation, arbeitet. Aus dieser Organisationsform resultiert eine klarere Rollenzuteilung: Die beiden begegnen sich in einem Kunden-Lieferanten-Verhältnis, das eher von emotionaler Distanz als von Solidarität unter Kollegen geprägt ist. Darüber hinaus schildert Kratzer (2003) den Berateralltag als sehr „kundennah“. Denn die Beschäftigten sind im Rahmen von Projekten vor Ort beim Kunden tätig und kommen nicht umhin, sich seinen Problemen zu widmen, da sie für die Lösung dieser Probleme bezahlt werden. Zudem erfordert eine funktionale
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Implementierung einer Software-Lösung eine detaillierte Kenntnis der Problemlage des Kunden. Bemerkenswert ist das Firmencredo „active friend“ des Unternehmens, für das die befragten Beschäftigten tätig sind (Kratzer 2003, S. 86). Es rekurriert auf ein Programm, das die Unternehmenskultur nach innen und nach außen stärken soll. Dieses Programm proklamiert einen Umgang unter Kollegen, der dem unter Freunden ähnelt, also aufmerksam sein, Kollegen helfen usw. Während der Beratungsnachwuchs von diesem Programm beeindruckt ist, glaubt Kratzer (2003) bei den älteren Beschäftigten eine Skepsis wahrzunehmen, die auf mögliche Umsetzungsschwierigkeiten des Programms verweist. Schließlich soll das Credo „active friend“ den Prinzipien der Dezentralisierung und Vermarktlichung entgegenwirken und wird zugleich von diesen Prinzipien in Frage gestellt: kollegiale Beziehungspflege und formale Beziehungsabgrenzung stehen in einem Spannungsverhältnis, das sich womöglich nur zu Lasten der Beschäftigten auflösen lässt. Die Gestaltung von Lieferanten-Kunden-Beziehungen, so zeigen die Ergebnisse von Kratzer (2003), ist insbesondere dann schwierig, wenn sie nur wenig formalisiert sind. Die befragten Beschäftigten haben in der Beziehungsgestaltung zwar gewisse Freiheitsgrade, ihnen wird jedoch aufgelastet, die Kundenwünsche und die Vorgaben des Unternehmens in Einklang zu bringen, mithin die Grenze zwischen Kunde und Unternehmen in Selbstorganisation permanent auszuhandeln. Denn die Wünsche des Kunden nach einer qualitativ wertvollen und umfassenden Lösung stehen den Budgetvorstellungen des Unternehmens entgegen. Die Aufgabe der Beschäftigten besteht daher bei der Umsetzung der SoftwareLösung darin, weder zu stark die Position des Kunden noch die des Unternehmens einzunehmen. Verbunden mit dem Firmencredo „active friend“, nämlich zu jedem eine freundschaftliche Beziehung zu pflegen, sind die Erwartungen des Kunden und die des Unternehmens nicht leicht zu integrieren. Der Versuch, beiden gerecht zu werden, kann dabei auch zu Lasten des Beschäftigten gehen: Möglicherweise entsprechen die kundenseitigen Erwartungen seinen eigenen Qualitätsansprüchen, die in einem systematischen Konflikt mit den Ökonomisierungsbestrebungen seines Arbeitgebers stehen. Dann muss er akzeptieren, dass das Budget erschöpft ist und er eigentlich nichts mehr für den Kunden tun kann. Es sei denn, er streckt das Budget durch unbezahlte Mehrarbeit, was bedeutet, seine Freizeit zu opfern, um Konflikte mit der einen oder anderen Seite zu vermeiden. Doch auch für das Unternehmen sind mit dem engen Kontakt von Beschäftigtem und Kunden Risiken verbunden, da die Zusammenarbeit eventuell so gut funktioniert, dass der Kunde den Beschäftigten abwerben will. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine starke institutionelle Einbettung von Arbeitsbeziehungen die Beschäftigten davon entlastet, die Arbeitsbedingungen mit dem Kunden, den Kollegen und Vorgesetzten immer wie-
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der neu auszuhandeln. Auf der anderen Seite erweckt die Darstellung von Kratzer (2003) den Eindruck, dass gerade dieser Drahtseilakt die Tätigkeit für die Beschäftigten attraktiv macht und sie nur ungern auf die Optionen verzichten würden, die sich daraus ergeben: nämlich die Wahl zu haben, zwischen einer Tätigkeit als IT-Consultant und der eines kundenseitig beschäftigten ITExperten. Die Ausführungen von Kratzer (2003) beziehen sich im Unterschied zu denen von Eichmann und Hofbauer (2008) auf ein kleines Beratungsunternehmen. Sie sind aber in Bezug auf das Prinzip der Vermarktlichung insoweit vergleichbar, als auch Beschäftigte großer Beratungsunternehmen vorwiegend Projektarbeit beim Kunden vor Ort leisten und gleichermaßen mit der Erwartungshaltung des Kunden und des Arbeitgebers sowie mit der Versuchung konfrontiert werden, zum Kunden zu wechseln. Was die Darstellung der dezentralen Organisation betrifft, so lässt sich ergänzen, dass auch große Beratungsunternehmen vornehmlich als mehrere Unternehmen unter einer Dachorganisation organisiert sind, wie ein Blick auf die Homepage beispielsweise von Accenture, einem großen IT-Beratungsunternehmen, verrät.
3.3.4 Indirekte Steuerung und Selbstorganisation in Beratungsunternehmen Aus dem Prinzip der indirekten Steuerung resultiert, so zeigen die Ergebnisse von Kratzer (2003), sehr oft eine Überlastung personeller Ressourcen. Offenkundig sind sich alle befragten Beschäftigten darin einig, dass die an sie gestellten Anforderungen in einem Missverhältnis zu den Ressourcen stehen, die ihnen zur Bewältigung zur Verfügung stehen. Diesen Umstand führt Kratzer (2003, S. 89) auf die Tatsache zurück, dass „die Akquisition von Aufträgen oder die Entscheidung über die Art und Weise der Erfüllung von Kundenanforderungen zunächst offensichtlich nicht an die Frage nach den vorhandenen Kapazitäten gekoppelt wird“. Das macht den eigentlichen Unterschied zu klassischen Formen der Steuerung aus, die als kapazitätsorientiert bezeichnet werden können und bei denen eben diese Abstimmung von Arbeitsaufwand und Ressourcen in der Hand des Managements liegt. Die indirekte Steuerung entlastet demnach das Management von dieser Aufgabe und belastet zugleich die Beschäftigten, die trotz des mangelnden Einflusses auf Akquisitionen, die dem Management obliegen, den Arbeitsaufwand bewältigen müssen, der aus den Akquisitionen resultiert. Selbstorganisation bekommt dann eine zynische Note, da sie sich, wie in Abschnitt 2.2.2 ausgeführt, derart gestaltet, dass unerreichbare Vorgaben zu Lasten der eigenen Lebensqualität erfüllt werden müssen.
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3.4 Beratungsunternehmen aus Perspektive des Subjekts In den vorigen Abschnitten wurde deutlich, dass es sich bei (großen) Beratungsunternehmen um ein Arbeitsumfeld handelt, das Beschäftigten sowohl Entwicklungsmöglichkeiten bietet als auch eine bestimmte Form der Leistungserbringung erfordert, die es weiter auszudifferenzieren gilt.
3.4.1 Anerkennung Wie unter Punkt 2.2.2 zum Thema Selbstorganisation ausgeführt, können Extensivierung, Intensivierung und Flexibilisierung der Arbeitszeit als Preis für Autonomiegewinne verstanden werden. Zudem gilt insbesondere in der Beraterbranche Stress als Statussymbol (vgl. Kratzer 2003). Als legitime Projektunterbrechungen können jedoch Weiterbildungsangebote in großen Beratungsunternehmen gelten, die aller Rhetorik zum Trotz weniger der Kompetenzerweiterung dienen, als vielmehr eine willkommene Leerzeit zwischen zwei Beratungsprojekten legitimieren. Der luxuriöse „Arbeits-Urlaub“, wie Eichmann und Hofbauer (2008, S. 79) die in großen Beratungsunternehmen angebotenen standardisierten Weiterbildungsangebote nennen, bietet für mehrere Wochen im Jahr eine legitime Erholungspause und stellt darüber hinaus eine Form der Anerkennung dar. Schließlich bieten Beratungsunternehmen ihren Beschäftigten auf diese Weise Erholung auf hohem Niveau und erkennen zumindest implizit an, dass eine Tätigkeit als Berater psychisch und physisch belastend ist und ein Mindestmaß an (arbeitgeberseitig kontrollierter) Regeneration erfordert. Werden auf großen Unternehmensberatungstagungen Workshops zum Thema „Work and Leisure in Harmony"40 angeboten, so verführt das zu der Annahme, das von PricewaterhouseCoopers vorgestellte Maßnahmenpaket diene tatsächlich der verbesserten Vereinbarkeit von Arbeitswelt und Lebenswelt. Tatsächlich symbolisieren diese Angebote nur das Dilemma der Beschäftigten, das, wie von Kratzer (2003) ausgeführt, darin besteht, um die überhöhten Anforderungen an ihre Person zu wissen, sie jedoch nicht ändern zu können. Zugleich fühlen sie sich dadurch geschmeichelt, dass ihnen diese Anforderungen nicht nur zugemutet, sondern auch zugetraut werden und zumindest geringe Erfolgschancen bestehen. Beratungsunternehmen kokettieren mit diesem Dilemma, indem sie die (zu) hohen Anforderungen, die sie an ihre Beschäftigten stellen, charmant als Erfolg versprechende Herausforderung ausgeben. Zudem stehen demjenigen,
40 Aus PERSONALmagazin, Ausgabe 9/2001, S. 77.
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der ihnen gerecht wird, mehrere Gratifikationen in Aussicht: Bonuszahlungen, Beförderung, interessante Projekte und Bewunderung. Letztlich motiviert die wichtigste Währung Employability in Beratungsunternehmen dazu, über die eigenen Leistungs- und Belastungsgrenzen hinauszugehen: der eigene Marktwert auf dem internen und externen Arbeitsmarkt steigt. Oder anders ausgedrückt: die Employability, als Index für die eigene Leistungsfähigkeit und somit für die Attraktivität für neue Arbeits- oder Auftraggeber, wird gesteigert. Das öffnet zum einen im Beratungsunternehmen Türen, macht es jedoch auch leichter, auf die Kundenseite zu wechseln oder sich selbstständig zu machen. Zusammenfassend lassen sich folgende Aspekte als Elemente der Würdigung deuten: zum einen die Weiterbildungsangebote, die jedem Beschäftigten in Beratungsunternehmen in regelmäßigen Abständen zustehen, vorausgesetzt, sie dienen, wie angenommen, eher der Regeneration als der Kompetenzerweiterung. Zum anderen lässt sich eine Art Senioritätsprinzip ausmachen: Diejenigen Berater, die befördert werden, dürfen sich die Arbeitsleistung ihrer Mitarbeiter zu Nutze machen und verzeichnen einen Zugewinn an Privilegien (vgl. Abschnitt 3.3.2). Von steigender Arbeitsplatzsicherheit mit zunehmender Betriebszugehörigkeit kann jedoch keine Rede sein, da sich alle Beschäftigten einer Evaluation ihrer Arbeitsleistung stellen müssen, unabhängig von ihrem jeweiligen Karrierelevel. Anerkennung in Beratungsunternehmen hebt allerdings eher auf Bewunderung ab und lässt nur wenig Raum für Würdigung. Doch auch in Beratungsunternehmen stellt Bewunderung ein knappes Gut dar. Schließlich werden Belastbarkeit, Flexibilität, Mobilität, die Bereitschaft zu Mehrarbeit, die Anpassung an hierarchische Strukturen sowie die Fähigkeit zur Selbstorganisation vorausgesetzt. Nur die Leistungen, die deutlich über dem Durchschnitt der Leistung anderer liegen, erfahren Bewunderung in Form von Beförderungen, Gehaltsboni, attraktiven Projekteinsätzen sowie Verantwortungs- und Gestaltungszuwächsen. In Anlehnung an Boltanski und Chiapello (2003) lässt sich vermuten, dass sich die Wertigkeit von Beschäftigten in großen Unternehmensberatungen an ihrer Aktivität ermessen lässt. Schließlich repräsentiert Aktivität zugleich mehrere bewundernswerte Charakteristika eines Berater-Idealtypus: Belastbarkeit, Leistungsfähigkeit, Teamfähigkeit, Problemlösekompetenz und anderes mehr. Wer aktiv ist, so die Annahme, verfügt über die benannten Fähigkeiten, da Scheitern nach dem Prinzip „Up-Or-Out“ unweigerlich zu Inaktivität führt. Es bleibt kritisch anzumerken, dass die Anerkennung von Aktivität Leistungsgerechtigkeit unterstellt, eine Annahme, die sich in vielen Fällen als realitätsfern erweisen mag.
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3.4.2 Kooperation und Konkurrenz Große Beratungsunternehmen bieten ihre Dienstleistung gemeinhin großen Kundenorganisationen an. Kleine und mittelständische Unternehmen können sich weder finanziell die Inanspruchnahme des Angebots der großen Beratungsunternehmen leisten noch von deren Größe profitieren, da ihr Beratungsbedarf in den meisten Fällen mit einer geringen Anzahl von Beratern gedeckt werden kann. Aus der Perspektive großer Kundenorganisationen ist es jedoch wertvoll, wenn für ein Beratungsprojekt eine große Anzahl von Beratern zur Verfügung steht. Schließlich werden Berater häufig in den Projekten eingesetzt, die der Kunde prinzipiell selbst durchführen könnte, wenn er über die notwendigen PersonalRessourcen verfügen würde, um das Projekt im definierten Zeitrahmen umzusetzen. Insgesamt erscheint es kostengünstiger, Berater für einen begrenzten Zeitraum zu engagieren, als die eigenen Personalkapazitäten aufzustocken (vgl. Hartenstein u. a. 2000). Daher werden für Reorganisationsmaßnahmen oder die Einführung eines neuen Informationstechnologie-Systems oftmals mehrere Duzend Berater eingesetzt (Treichler u. Wiemann 2004). Die Arbeit in großen Projekten setzt ein Mindestmaß an Kooperation voraus, um die gemeinsame Aufgabe bewältigen zu können. Schließlich erfordert Projektarbeit, dass sich die Beschäftigten innerhalb kürzester Zeit auf neue Kollegen einstellen und mit ihnen produktiv zusammenarbeiten. Da die Projektteams jedoch nur temporär gemeinsam agieren und anschließend wieder völlig neu zusammengesetzt werden, ist die Teambindung nicht sehr stark ausgeprägt. Dieser These kann erwidert werden, dass eng gesteckte Termine eine intensive Zusammenarbeit bis in späte Abendstunden hinein erfordern und sich die Berater in einer fremden Stadt ohne sozialen Anschluss befinden. Sie lernen sich demnach gegenseitig auch in kurzer Zeit verhältnismäßig gut kennen, was das Gemeinschaftsgefühl stärken kann. Für ein Zweckbündnis und gegen eine starke Betonung der Beziehungsebene spricht jedoch, dass letztlich nicht die Teamarbeit zur Bewertung des Einzelnen herangezogen wird, sondern die Einzelleistung im Team, woraus eine Tendenz zum Ellbogenverhalten resultiert, das die Beraterkollegen emotional auf Distanz hält (Eichmann u. Hofbauer 2008, vgl. auch Ashford 1998). Die stete Variation der Projektmitarbeiter in Teams erweist sich letztlich als sehr funktional, da sie nicht nur die Etablierung fester Bindungen hintertreibt, sondern gleichsam einer ruinösen Konkurrenz unter Kollegen indirekt Grenzen setzt. Schließlich ist nicht ausgeschlossen, dass der Mit-Konkurrent von heute bereits morgen ein Teamkollege ist, mit dem man sich arrangieren muss. Zudem gilt es als unprofessionell, Konflikte mit Beraterkollegen zu haben oder gar auf die vermittelnde Hilfe der Projektleitung angewiesen zu sein. Schließlich will jeder
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Berater als teamfähig wahrgenommen werden, um sich nicht die Chance auf einen weiteren Projekteinsatz zu verbauen (vgl. Hartenstein u. a. 2000).
3.4.3 Entgrenzte Anforderungen: steter Erfolgsdruck gefährdet die Gesundheit In ihrer explorativen Studie kommen Eichmann und Hofbauer (2008) zu dem Ergebnis, dass gute fachliche Kenntnisse ein Rekrutierungskriterium darstellen, die in Form von überdurchschnittlichen Studienabschlüssen vorausgesetzt werden. Für das Überleben in der Beratung ist die Schlüsselqualifikation jedoch eine andere: Belastbarkeit. Über eine robuste physische und psychische Grundkonstitution zu verfügen, stellt demnach ein zentrales Selektionskriterium dar. Denn während in den meisten anderen Branchen das Normalarbeitsverhältnis zumindest noch als Leitbild wirksam ist und zeitliche, emotionale sowie körperliche Belastungen unterhalb des Managementlevels einer Begrenzung unterliegen, scheint die „Grundtendenz zur Überforderung“ (Eichmann und Hofbauer 2008, S. 84) geradezu ein Markenzeichen von Beratungsunternehmen zu sein. Zum einen ist ein überdurchschnittliches Engagement ein gutes Argument, um stattliche Honorare durchzusetzen. Zum anderen wirkt ein elitärer Hauch nach innen motivierend und verleiht einer strukturell angelegten personellen Unterbesetzung den Glanz eines Heldenmythos. Knappe Personalressourcen, so zeigt die Studie von Kratzer (2003), gehören zum Berateralltag dazu und äußern sich in der regelmäßig wiederkehrenden Erfordernis, Mehrarbeit zu leisten. Die Vorstellung eines „heldenhaften“ Arbeitseinsatzes verleitet Eichmann und Hofbauer (2008, S. 84) zufolge insbesondere junge und männliche Berater zur kalkulierten Selbstdarstellung als „Adrenalin-Junkies“, die damit eben diesen Mythos grenzenloser Belastbarkeit zelebrieren. Sie behaupten, „einen gewissen Adrenalinkick zu brauchen, um überhaupt einmal auf die richtige ‚Betriebstemperatur‘ zu kommen, [um somit] die eigene Leistungsfähigkeit und damit die eigene Karrierewürdigkeit hervorheben [zu können]“. Folgt man diesen Überlegungen, so mögen ambitionierte Projektpläne zum Alltag von Beratern gehören. Ein Berateralltag, so verdeutlicht die Darstellung der Autoren, ist jedoch auch nicht ohne die entsprechende Inszenierung von Zeitund Erfolgsdruck vorstellbar. Demnach ist es möglicherweise realistisch, anzunehmen, dass der tatsächliche Zeitdruck geringer als der zur Schau gestellte Zeitdruck ist. Wichtiges Element dieser Inszenierung eines Lebens an der Grenze der Belastbarkeit ist es, die Herausforderung zu betonen und die Möglichkeit des Scheiterns auszublenden. Ein solches Leben muss anstrengend sein und Spaß machen, ganz so, als befinde man sich auf einem großen Abenteuerspielplatz.
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Eine Beraterin schildert ihre berufliche Situation folgendermaßen (Eichmann u. Hofbauer 2008, S. 87f.): „Intensives Arbeiten mit dem Kunden, permanente Interaktion und Problemlösung und ja, sehr herausfordernd, spannend, anstrengend, aber eben herausfordernd und toll. […] Ich bin drauf gekommen, wenn ich zehn Tage beim Kunden bin, also zum Beispiel zwei dreitägige Trainings und dann noch vier Beratungstage, dann ist das ein sehr anstrengender Monat… das ist aber die Obergrenze, mehr halte ich nicht aus.“
Dieses Zitat zeigt, wie Sachzwänge zwar auf persönliche Entscheidungen zurückzuführen sind, nämlich darauf, einen Beratungsauftrag angenommen zu haben. Zugleich entwickeln sie eine Eigendynamik, die die Beraterin zu überfordern droht. Denn ein Rücktritt von Vereinbarungen oder krank zu sein, scheinen auch dann als Optionen nicht zur Disposition zu stehen, wenn Belastungsgrenzen erreicht oder überschritten werden. Gesundheitliche Einbußen, so könnte man folgern, sind leichter zu verkraften als eine Rufschädigung, die aus einem abgesagten Auftrag resultieren könnte. Eine dauerhafte Ignoranz eigener Regenerationsbedürfnisse ist jedoch nicht ganz ungefährlich. Schließlich besteht die Gefahr, durch eine nahezu grenzenlose Leistungsbereitschaft an die Grenze der Belastbarkeit zu stoßen (Boes 2003). So sind „Burn-Out“-Symptome inzwischen nicht mehr nur bei Managern und in psychosozialen Berufen anzutreffen, sondern auch in der IT-Branche weit verbreitet. Als weitere Belastung sind die hohen Mobilitätsanforderungen durch den Einsatz vor Ort beim Kunden zu nennen. Die von Eichmann und Hofbauer (2008) befragten Berater schildern übereinstimmend, dass sie einen Großteil ihrer Zeit mit Reisen verbringen, was sie, außer zu Beginn ihrer Karriere, nicht als reizvoll, sondern als unangenehm empfinden. Nicht zu unterschätzen sei auch die Belastung, die aus dem Umgang mit dem Kunden entsteht, der sich über das Honorar das Recht zu erkaufen glaubt, den Berater zum Sündenbock zu machen, sobald Fehler auftreten. Hinzu kommen kundenseitige Konflikte, in die der Berater hineingezogen wird, sowie überzogene Erwartungshaltungen. Die stattlichen Honorare erscheinen in diesem Zusammenhang als eine Art Schmerzensgeld für die Aggression, der sich Berater durch ihre Tätigkeit beim Kunden vor Ort ausgesetzt fühlen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Schwierigkeit, einmal zugesagte Aufträge abzulehnen, hohe Mobilitätsanforderungen, Zeitdruck sowie die nicht immer ganz reibungslose Zusammenarbeit mit dem Kunden belastend wirken.
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3.4.4 Bewältigungsstrategien von Beratern Wenn, wie im vorigen Abschnitt ausgeführt, die Beratungstätigkeit als sowohl psychisch als auch physisch herausfordernde Tätigkeit beschrieben werden kann, so stellt sich die Frage, wie Berater diesen Belastungen begegnen. Diese Frage ist insbesondere deshalb von Interesse, da Belastungen in der Wahrnehmung von Beratern wahrscheinlich ambivalent besetzt sind. Zum einen sind diese Belastungen kräftezehrend, zum anderen gehören sie zum Markenzeichen eines Beraters dazu, da sie potenziellen Kunden und Mit-Konkurrenten die eigene Leistungsfähigkeit signalisieren. Daher ist es wahrscheinlich, dass ausgedehnte Arbeitszeiten und Zeitdruck hingenommen werden, um den gewünschten Eindruck aufrecht zu halten und eben nicht zu versuchen, die Arbeitsbelastung einzudämmen. Damit wäre eine erste Bewältigungsstrategie benannt: Die Belastungen der Beratertätigkeit aufgrund ihrer inszenatorischen Qualität positiv zu bewerten und als Chance für „Impression Management“ zu nutzen, was bedeutet, Belastungen werbewirksam zur Schau zu stellen (Neuberger 1995, S. 155f.). Im Dienste der Selbstdarstellung können Zeitdruck und Mobilitätsanforderungen als (übertriebene) Leistungspräsentation genutzt werden, wodurch die Bewältigung der Belastung durch Intellektualisierung (vgl. Rüger u. a. 1990) mit einer mikropolitischen Taktik, dem Impression Management, Hand in Hand geht. Es lässt sich jedoch vermuten, dass der permanenten Aktivität noch andere Motive zu Grunde liegen, die den von Eichmann und Hofbauer (2008, S. 118) befragten Beratern mehr oder minder bewusst sein mögen. Permanente Aktivität ist als Symbol für Vitalität nicht nur in der Außendarstellung von Bedeutung, sondern auch für das Selbstwertgefühl. Einen „Adrenalinkick“ zu brauchen, wie Eichmann und Hofbauer (2008, S. S. 84) für junge, männliche Berater angeben, kann im Umkehrschluss bedeuten, sich nur dann lebendig zu fühlen, wenn ein gewisses Reizniveau erreicht ist. Dieses gilt es dann, trotz aller Belastungen und möglicher Erschöpfungserscheinungen, aufrecht zu erhalten, da eine nachlassende Aktivität, überspitzt formuliert, als (beruflich) lebensbedrohlich wahrgenommen wird (vgl. Abschnitt 2.3.4). Für diese These spricht, dass die von Eichmann und Hofbauer (2008) befragten Berater alle (freiwillig) mehr als 40 Stunden die Woche arbeiten, manche sogar mehr als 60 Stunden. Nach Stress und Formen der Bewältigung befragt, so deuten die Autoren an, hat sich ein Großteil der Befragten eher defensiv verhalten. Vielleicht um die eigene Arbeits- und Lebensweise nicht hinterfragen zu müssen, vielleicht weil sie sich tatsächlich kaum mit diesen Fragen befassen und schlichtweg keine Antwort parat haben. Auffällig ist jedoch, dass sich nur einer der Befragten als besonders auskunftsfreudig erweist, nämlich derjenige, der vor kurzem gekündigt hat, also zumindest für kurze Zeit aus dem Geschäft ausge-
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stiegen ist. Als Bewältigungsstrategie formuliert, erscheint das Verhalten als eine mehr oder weniger bewusste Vermeidung von Selbstreflexion. Umgekehrt formuliert: Selbstreflexion basiert auf Entschleunigung, vor der es sich zu schützen gilt, soll die Aktivität auf einem hohen Niveau aufrecht erhalten werden. Mit den Kontextbedingungen einer Beratungstätigkeit, so eine mögliche Folgerung, können sich die Befragten nur dann auseinandersetzen, wenn sie gerade nicht als Berater tätig sind. Andernfalls berauben sie sich der schützenden Ignoranz gegenüber den Arbeitsbedingungen und schränken ihre Arbeitsfähigkeit ein. Oder sie fürchten, dass sie, einmal ausgebremst, nie mehr in Fahrt kommen und somit ihre (berufliche) Daseinsberechtigung verlieren (vgl. Haubl u. Daser 2008). Da die von Eichmann und Hofbauer (2008) befragten Berater von sich aus keine Bewältigungsstrategien benennen, versuchen die Autoren mögliche Formen der Bewältigung aus anderen Antworten zu erschließen. Sie gehen dabei der Frage nach, inwieweit die von ihnen befragten Berater in der Lage sind, abzuschalten, wenn sie nicht arbeiten. Da die Arbeitszeiten bei allen Befragten umfangreich sind, ist der in Frage kommende Zeitraum ohnehin eher klein. Doch auch dieser wird kaum genutzt. So berichten einige der Befragten davon, dass sie sich am Wochenende Arbeit mit nach Hause nehmen. Die Gedanken an die Arbeit, insbesondere dann, wenn Probleme auftauchen, scheinen ein fester Bestandteil des Lebens zu sein. Einer der zweiundzwanzig Befragten von Eichmann und Hofbauer (2008), der aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung als „alter Hase“ gelten kann, berichtet von Kollegen, die derart belastet sind, dass sie von ihren Sorgen bis in den Schlaf verfolgt werden. Er selbst versteht sich als jemand, der gut abschalten kann. Betrachtet man seine Äußerungen insgesamt, so entsteht der Eindruck, dass er sich diese Haltung im Laufe seines Berufslebens erarbeiten musste. Diese These wird durch den Umstand gestützt, dass sich insbesondere unter den älteren Befragten diejenigen befinden, die versuchen, den Belastungen entgegenzuwirken, und über eine Gelassenheit verfügen, die ihnen eine größere Distanz zum Leistungsdruck ermöglicht und sie Misserfolge besser verkraften lässt. Möglicherweise ist dieses Verhalten auch ein Zugeständnis an eine nachlassende Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter, die einen zu großen Arbeitseinsatz erschwert. Positiv gewendet würden dann jugendlicher Ehrgeiz und Arbeitseinsatz von Routine und Erfahrungswissen sukzessive überlagert. Festzuhalten bleibt, dass Belastungen und daraus resultierende gesundheitliche Einbußen sowie der weitgehende Verzicht auf Freizeit untrennbar mit der Tätigkeit eines Beraters verbunden scheinen. Inwieweit es Beratern gelingt, Belastungen zu kompensieren, bleibt, zumindest was die Untersuchung von Eichmann und Hofbauer (2008) betrifft, ihr Geheimnis. Anscheinend gehört es zum Selbstverständnis der befragten Berater dazu, diese Dinge mit sich selbst
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auszumachen und sich keiner Unterstützung von außen zu bedienen. Die von Eichmann und Hofbauer (2008) dargestellten Äußerungen der Berater lassen jedoch hypothetische Schlüsse über deren Bewältigungsstrategien zu: Rationalisierung, Beschönigung, Leistungsinszenierung sowie der Verzicht auf Selbstreflexion41.
3.5 Schlussfolgerung Beratungsunternehmen stellen einen besonderen Arbeitskontext dar. Sie erscheinen als prototypisches Umfeld entgrenzter Arbeitsbedingungen und konfrontieren ihre Beschäftigten mit hohen Anforderungen und Herausforderungen nicht nur in Bezug auf die konkrete Aufgabenstellung, sondern auch in Bezug auf ihre physische und psychische Belastung. Einschränkend ist festzuhalten, dass konkurrentes Verhalten in jeder Organisation vorkommt und kein auf Beratungsunternehmen begrenztes Phänomen darstellt. Verschärft wird die Konkurrenzsituation in Beratungsunternehmen jedoch durch das Up-or-Out-Prinzip, das nicht nur zu Konkurrenz einlädt, sondern die individuelle Existenzberechtigung im Unternehmen mit dem Bestehen von Konkurrenzsituationen verknüpft. Daraus resultiert ein Leistungsdruck, der den Leistungsdruck in anderen Organisationen möglicherweise übersteigt. Andererseits stellen Beratungsunternehmen ein inspirierendes Umfeld mit zahlreichen Anerkennungs-, Entwicklungs- und Karrierechancen dar. Die Tätigkeit für ein Beratungsunternehmen wird zudem gemeinhin sehr gut vergütet. Wie groß und beständig der Zeitdruck in der Projektarbeit ist, hängt auch von der jeweiligen Phase ab, in der sich ein Projekt befindet. So mögen Phasen wie der Projektabschluss von einem ausgeprägten Zeitdruck gekennzeichnet sein, während beispielsweise die Anlaufphase große zeitliche Spielräume lässt. Zum anderen ist von der Inszenierung von Zeitdruck auszugehen, was das Urteil darüber erschwert. Die Grenzziehung zwischen Arbeit und Leben, herausfordernden und überfordernden Anforderungen, erreichbaren und nicht-erreichbaren Projektzielen und Terminen obliegt weitestgehend den Beschäftigten selbst. Inwieweit ihnen diese Grenzziehung gelingt, hängt von mehreren Faktoren ab: von ihrer Verhandlungsmacht, für die ihre Employability, also ihr Wert als Beschäftigtem für das Unternehmen, ausschlaggebend ist; von ihrer Visibility, also von ihrer Sicht41 Bewältigungsverhalten von Abwehrmechanismen zu trennen, ist nicht immer ganz leicht. Rationalisierung ist beispielsweise eher zu den Abwehrmechanismen zu rechnen. Für eine systematische Aufarbeitung der Abwehrmechnismen siehe Blackman (2004): 101 Defenses. How the Mind Shields Itself. New York and Hove: Brunner-Routledge.
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barkeit für Entscheider im Unternehmen und letztlich von ihrer Einstellung zu Karriere und beruflichem Erfolg. Ohne (emotionale) Distanz zum Projekt, zu den Aufgaben, zu Kollegen und Vorgesetzten ist die Wahrscheinlichkeit, zu scheitern, relativ hoch (vgl. Abschnitt 2.3.4). Zugleich muss der Kontakt zu Personen gehalten werden, die als „Knotenpunkte“ im Netzwerk agieren (vgl. Abschnitt 2.3.3). Um die Balance von emotionaler Distanz und Nähe halten zu können, ist eine gelungene Emotionsregulation unabdingbar. Sollte den Beschäftigten in Beratungsunternehmen tatsächlich eine Vorreiterrolle in Bezug auf künftige Arbeitsbedingungen zukommen, so lässt sich resümieren, dass dies für einen Großteil der Beschäftigten mit neuartigen psychischen Belastungen verbunden ist. Insbesondere dann, wenn die (begrenzten) Handlungs- und Gestaltungsspielräume nicht als Autonomiegewinn erlebt und die Inszenierung von Belastbarkeit nicht libidinös besetzt werden kann. Wenn die Vermutung richtig ist, dass Berater aufgrund ihrer Karriereorientierung auf die erfolgreiche Bewältigung von Bewährungsproben nicht nur in bestimmten (beruflichen) Phasen angewiesen sind, sondern ihr (Berufs-) Leben als chancenreiche und immerwährende Bewährungsprobe ansehen, so stellt sich die Frage, wie Beschäftigte derart entgrenzten Arbeitsbedingungen begegnen, die mangels Karriereorientierung und –chancen nicht von allgegenwärtigen Bewährungsproben profitieren können. Diese Frage wird in Kapitel 7 „Ergebnisse der Untersuchung“ vertieft. Zunächst gilt es jedoch, Outsourcing als Rahmen einer für betroffene Beschäftigte gravierenden Veränderung ihrer Beschäftigungsverhältnisse vom Normalarbeitsverhältnis zum Berateralltag unter entgrenzten Arbeitsbedingungen in den Blick zu nehmen.
4 Outsourcing
Outsourcing wird in der vorliegenden Arbeit als ein Management-Instrument verstanden, mit dessen Hilfe nach den Prinzipien der Dezentralisierung und Vermarktlichung Organisationsgrenzen in Frage gestellt und neu gestaltet werden. Outsourcing wird zudem vom Management zahlreicher Unternehmen zur Neugestaltung von Beschäftigung genutzt, verbunden mit dem Ziel, den Arbeitskräfteeinsatz zu flexibilisieren und die Personalkosten zu reduzieren. Somit kann Outsourcing auch als Rationalisierungsstrategie bezeichnet werden. Üblicherweise wird Outsourcing jedoch nicht als Rationalisierungsstrategie, sondern als beschäftigungssichernde Wandlung von Beschäftigungsformen thematisiert. Im Folgenden wird jedoch zu zeigen sein, dass von Outsourcing negative Beschäftigungseffekte ausgehen können und die oftmals angeführte Bestandssicherung von Arbeitsverhältnissen eine zeitlich stark begrenzte Reichweite hat (vgl. Abschnitt 4.5). Dass Outsourcing derzeit nicht als Rationalisierungsstrategie thematisiert wird, mag auf den Umstand zurückzuführen sein, dass Soziologen zwar über die notwendigen Analyse-Instrumente verfügen, um Outsourcing als solche in den Blick zu nehmen, Outsourcing bisher allerdings nur sehr begrenzt als relevanten Forschungsgegenstand wahrnehmen. Betriebswissenschaftler befassen sich hingegen eingehend mit dem Thema, jedoch unter anderen Aspekten. Im Vordergrund betriebswirtschaftlicher Analysen stehen die Kosten- und Gewinneffekte der Outsourcing-Praxis. Die Perspektive von Beschäftigten wird von betriebswirtschaftlicher Literatur eher vernachlässigt. Für die Berücksichtigung der Perspektive von Beschäftigten spricht jedoch, dass Outsourcing eine Form von Entgrenzung darstellt, die vom Standpunkt Beschäftigter aus betrachtet eben nicht, wie von Wolf und Mayer-Ahuja (2002) konstatiert, lediglich zu einer Variation unternehmerischer Grenzen führt. Schließlich haben die Grenzen der Ursprungsorganisation in Folge von Outsourcing für Beschäftigte, die zu einem anderen Unternehmen transferiert werden, einen ausschließenden Charakter. Finden die transferierten Beschäftigten bei ihrem neuen Arbeitgeber zudem Arbeitsbedingungen vor, die weniger durch klare Grenzziehungen charakterisiert sind als die ihres früheren Arbeitgebers, so erleben sie eine Entgrenzung der besonderen Art: Denn sie vollzieht sich nicht, wie gemeinhin beschrieben, schleichend über Jahrzehnte, sondern quasi über Nacht und ist somit als beschleunigte Entgrenzung zu bezeichnen. Outsourcing
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als Form beschleunigter Entgrenzung eröffnet den betroffenen Beschäftigten im Zweifel keine neuen Freiräume, sondern lässt organisatorische Grenzen näher an das Privatleben oder an das Subjekt heranrücken. Schließlich dient Outsourcing der Redefinition eben jener Grenzen, die Beschäftigte vor dem Zugriff des Unternehmens schützen. Davon sind zugleich mehrere Ebenen betroffen: zur Disposition für betriebliche Veränderungen stehen das Arbeitszeitregime, der Arbeitsort sowie der Verantwortungsbereich der Beschäftigten. Auf allen Ebenen ist eine Neugestaltung gemäß betrieblicher Interessen wahrscheinlich, wohingegen die Interessen der Beschäftigten nur wenig Berücksichtigung finden. Dabei hat es den Anschein, als würden Organisationsgrenzen, einmal in Bewegung geraten, nicht in einen neuen stabilen Zustand wechseln, sondern als seien sie einem dauerhaften Veränderungsprozess unterworfen, so dass von einer „Permanenz der Reorganisation“ gesprochen werden kann (Sauer u. a. 2005, S. 323). So machen Hendrix u. a. (2003) auf Pendelbewegungen zwischen De- und Re-Zentralisierung aufmerksam, die für eine widersprüchliche und vorläufige Neuordnung von Organisationsgrenzen sprechen. In diesem Kontext sehen die Autoren in Outsourcing ein Instrument, mittels dessen einer speziellen Organisationsform Auftrieb verliehen wird: Die Organisation der Zukunft agiere mit einer kleinen Kernbelegschaft, die sich mit einem Netzwerk von freien Mitarbeitern und Zulieferern auf Vertragsbasis ergänze. Die Basis eines „virtualisierten“ Unternehmens würden veränderungsflexible Informationssysteme bilden, die zur Steuerung vernetzter Organisationen eingesetzt werden könnten (Sauer u. a. 2005, S. 325). Folgt man diesen Überlegungen, so wäre es denkbar, dass die fordistisch-tayloristisch geprägte Großorganisation langfristig an Bedeutung verliert.
4.1 Beschleunigte Entgrenzung aus soziologischer und sozialpsychologischer Perspektive Beschleunigte Entgrenzung Das Normalarbeitsverhältnis wurde in Abschnitt 2.1 als Referenzfolie eingeführt, um anhand seiner schützenden Begrenzungen zu zeigen, welche Grenzen sich derzeit im Auflösungsprozess befinden. Die Beschäftigungsverhältnisse in Beratungsunternehmen wurden in Kapitel 3 als Prototyp entgrenzter Beschäftigungsverhältnisse in den Blick genommen. Es konnte gezeigt werden, dass sich die Arbeitsbedingungen im Normalarbeitsverhältnis grundlegend von denen unterscheiden, die in der Beratungsbranche üblich sind. Während dem Normalarbeitsverhältnis eine Schutzfunktion zukommt, scheinen schützende Begrenzungen in der Beratungsbranche weniger vorhanden und möglicherweise von Beschäftigten auch weniger gewollt zu sein.
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Wenn nun die Annahme richtig ist, dass Beschäftigungsverhältnisse der Beratungsbranche als prototypisch für künftige Beschäftigungsverhältnisse zu erachten sind, stellt sich die Frage, wie der (sukzessive) Wandel derzeitiger Arbeitsbedingungen von Beschäftigten aufgenommen und bewältigt wird, die sich zu einem früheren Zeitpunkt bewusst für ein Beschäftigungsverhältnis entschieden haben, das auf die schützenden Begrenzungen des Normalarbeitsverhältnisses rekurriert, mithin weniger reich an Chancen, aber auch an Risiken als ein Beschäftigungsverhältnis in der Beratungsbranche ist. Dann würde sich der Wandel gegen den Willen der Beschäftigten vollziehen und wäre keinesfalls mit einer „normativen Subjektivierung“ (Baethge 1991) gleichzusetzen. Im Gegenteil: die Veränderung würde als ein Verlust schützender Begrenzungen wahrgenommen, und die Risiken von entgrenzten Arbeitsbedingungen würden in der Perspektive der betroffenen Beschäftigten die Chancen deutlich überwiegen. Verschärft würde ein solcher Prozess der Entgrenzung, wenn er sich nicht, wie gemeinhin beschrieben, als ein langfristiger Prozess über mehrere Jahre, im Hinblick auf manche Aspekte sogar über mehrere Jahrzehnte vollzöge, wie das Beispiel der Arbeitszeitflexibilisierung zeigt (vgl. Abschnitt 2.1.1), sondern innerhalb von wenigen Monaten vonstatten ginge. Für Beschäftigte, deren Beschäftigungsverhältnisse im Rahmen von Outsourcing zu einem anderen Unternehmen transferiert werden, stellt sich die daraus resultierende Veränderung ihrer Beschäftigungsverhältnisse als ein Prozess der Entgrenzung dar, der sich in kürzester Zeit vollzieht. Somit kann ein Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing als ein Prozess der beschleunigten Entgrenzung bezeichnet werden. Bevor nun in den folgenden Abschnitten ausgeführt werden soll, wie eine solche nachhaltige Veränderung von Beschäftigungsbedingungen mittels eines Personaltransfers im Rahmen von Outsourcing innerhalb weniger Monate umgesetzt wird, soll der Frage nachgegangen werden, welcher Art die psychischen Risiken sind, die aus einer beschleunigten Entgrenzung resultieren können. Wie Borscheid (2004, S. 17) ausgehend von der durch Langsamkeit geprägten „Zeit des Dorfes“ zeigt, ist Beschleunigung ein Prinzip, das zwischen dem späten 14. Jahrhundert und dem 16. Jahrhundert an Bedeutung gewinnt (Borscheid 2004, S. 30). Eng verknüpft mit dem Fortschrittsglauben hat sich in der Moderne „die Liebe zur Bewegung zum Gesetz der Beschleunigung“ gewandelt (Rosa 2005, S. 71). Viele Autoren sind sich darin einig, dass Beschleunigung mit negativen Effekten einher geht und proklamieren daher Phasen der Entschleunigung als natürlichen Bestandteil des (Arbeits-)Lebens, um sowohl die Umwelt als auch den Menschen zu entlasten (Adam, Geißler u. Held 1998; Henckel 2001). Andere Autoren sind in Bezug auf die Einflussmöglichkeiten auf einen allgegenwärtigen Zeitdruck skeptisch und plädieren deshalb für eine (kriti-
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sche) Distanz zum üblichen Umgang mit der Zeit, die einen selbstbestimmten Umgang mit der Zeit ermöglicht, der weniger auf beruflichen Erfolg als vielmehr auf die Steigerung der Lebensqualität abhebt: Zeitwohlstand wird in der Perspektive von „Zeitpionieren“ (Hörning u. a. 1990) zur Alternative zu materiellem Wohlstand. Zeitwohlstand ist jedoch ein Privileg der Beschäftigten, die sich nicht nur von (zu) hohen beruflichen Erwartungen distanzieren können (vgl. Abschnitt 2.3.4), sondern auch auf Basis einer materiellen Existenzsicherung offensiv für ihre Zeitinteressen eintreten können, sich also nur bedingt im Arbeitsleben ein- und unterordnen müssen. Mit der Ausgestaltung von „Eigenzeit“, die im Zeichen von Lebensqualität steht, befasst sich auch Nowotny (1989). Die beschriebenen „intentionalen Bemühungen“ zur bewussten Entschleunigung als Reaktionen auf den Beschleunigungsdruck und seine Auswirkungen bezeichnet Rosa (2005, S. 146) als „ideologisch begründete Bewegungen“, die er als Kategorie der Beharrung von einer anderen Form intentionaler Entschleunigung unterscheidet: von „Verlangsamungsbestrebungen, die zum Ziel haben, die (individuelle und soziale) Funktions- und Akzelerationsfähigkeit aufrechtzuerhalten oder noch zu befördern, also letztlich selbst Strategien der Beschleunigung darstellen“. Während Autoren der ersten Kategorie tatsächlich für eine entschleunigte Lebensform eintreten, proklamieren Autoren der zweiten Kategorie „Entschleunigungsoasen“ wie Meditationskurse oder Aufenthalte in Klöstern als (temporale) Orte der Regeneration, um anschließend „das schnelle Berufs-, Beziehungs- und Alltagsleben […] umso erfolgreicher, d.h. schneller, zu bewältigen“ (Rosa 2005, S. 149). Als Vertreter der zweiten Kategorie können Küstenmacher und Seiwert (2004) gelten, die zum Zweck einer optimalen ZeitBewirtschaftung versprechen, den zeitlich herausfordernden Alltag mit einfachen Techniken zu rationalisieren, wodurch wertvolle Phasen der Entschleunigung im Alltag ermöglicht werden können. Rosa (2005, S. 153) stellt Beharrung als ein wichtiges „Komplementärprinzip“ der Beschleunigung dar, mithin als Rahmen oder gar Basis jeglicher Beschleunigungsbestrebungen der Moderne. So würden beispielsweise stabile Arbeitszeit-Regimes „Erwartungssicherheiten, Planungsstabilitäten und Berechenbarkeiten [schaffen], die als Grundlage der wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Beschleunigung […] betrachtet werden müssen“ (Rosa 2005, S. 150). Wenn demnach eine „Balanceverschiebung zwischen den Elementen der Beharrung und der Bewegung zugunsten der Letzeren“ (Rosa 2005, S. 153) zu beobachten ist, bedeutet das in der Lesart von Rosa (2005), dass die Elemente der Beharrung ihre stabilisierende Wirkung für Beschleunigungsprozesse verlieren, was wiederum eine wirtschaftliche Rezession auslösen könnte. Damit liefert Rosa (2005) der Entgrenzungsdebatte ein wichtiges Argument: die Beseitigung aller Geschwindigkeitsbarrieren, zu denen auch die schützenden
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Begrenzungen von Beschäftigungsverhältnisse gehören, ist möglicherweise kontraproduktiv, da es die Basis von Beschleunigungsprozessen in Frage stellt. Letztlich kann Beschleunigung als moderner Leitwert aufgefasst werden, in dessen Dienst Zeit optimal genutzt werden soll. Schließlich stellt Zeit aufgrund der befristeten Existenz des Menschen ein knappes Gut dar, wie Weinrich (2004) zeigt. Allerdings können Momente der intensiven Zeiterfahrung nicht nur belastend, sondern auch bereichernd sein, wie Csikszentmihalyi (2005) für das Erlebnis des Flow beschreibt. Wenn nun, wie in Abschnitt 2.3.5 ausgeführt, angenommen werden kann, dass der Prozess der Entgrenzung von Arbeit und Leben mit neuartigen Belastungen für Beschäftigte verbunden ist, so liegt die Vermutung nahe, dass eine beschleunigte Form der Entgrenzung die dargestellte Belastungssituation verschärft. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass die Bewältigung einer beschleunigten Entgrenzung nicht allen Beschäftigten gleichermaßen gelingt, sondern davon auszugehen ist, dass bestimmte Typen von Beschäftigten eher dazu in der Lage sind als andere. Möglicherweise gelingt es insbesondere denjenigen Beschäftigten, sich mit einer beschleunigten Entgrenzung zu arrangieren, die über ein postmodernes Selbst (Rosa 2005, S. 362f.) verfügen, das sich durch eine „situative Identität“ auszeichnet. Diese Identitätsformation grenzt Rosa von der „zeitstabilen Identität“ der „klassischen Moderne“ ab, die er als kohärent und kontinuierlich beschreibt: „Die narrative Repräsentation der Verknüpfung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft behält die Form einer Fortschritts- und Entwicklungsgeschichte, die einen rekonstruierbaren, sinnstiftenden Zielhorizont enthält“ (Rosa 2005, S. 360). Im Unterschied zu einer Normalbiographie (Kohli 1985, S. 6ff.), die einen chronologischen Ablauf der Phasen Ausbildung, Erwerbsarbeit und Rente vorsieht, wobei die unterschiedlichen Phasen aufeinander aufbauen und eine (geschlechts-) rollengefestigte Identität ermöglichen, erscheinen die Identitätsbausteine des postmodernen Selbst als frei kombinierbar und beliebig revidierbar. Für Beschäftigte bedeutet das, dass die Berufswahl in Folge eigener oder fremder Veränderungswünsche jederzeit zur Disposition steht. Gemäß dieser These sind Menschen gezwungen, in unterschiedlichen Situationen den Sinn ihres Handelns neu zu bestimmen und sich dennoch ein Identitätsgefühl zu bewahren. Das gelingt, so Rosa euphemistisch, wenn nur einzelne Identitätsmerkmale von Situation zu Situation verändert, andere jedoch beibehalten werden. Es scheint also notwendig, auf einen stabilen Selbstentwurf zu verzichten und sich gegenüber inhaltlichen Bestimmungen des Arbeits- und Berufslebens indifferent zu zeigen, um sich den aktuellen Flexibilitätsanforderungen in Arbeitskontexten anzupassen. Eine langfristige Planung sowie die Entwicklung verbindlicher Zukunftsperspektiven scheinen nicht möglich zu sein.
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Diesen Überlegungen von Rosa (2005) hält Haubl (2004) kritisch entgegen, dass es sich bei dem Wunsch, „jederzeit neu anfangen zu können“ um eine „Illusion“ handelt. Mag die Vorstellung, beliebige Facetten zu bedienen, auch verlockend sein, so steht zu befürchten, dass das Bestreben nach einer flexiblen Identität letztlich die Integrität der Identität bedroht, mithin der Verlust eines stabilen Identitätsgefühls zu befürchten ist, der mit fortschreitendem Alter und nachlassenden Kräften zu einer gesundheitsrelevanten psychosozialen Belastung werden kann. Folgt man jedoch den Überlegungen Rosas (2005), so haben insbesondere drei Typen von Menschen, zumindest theoretisch, gute Chancen auf Erfolg: der „Drifter“ (Sennett 1998), der „zeitjonglierende Spieler“ (Hörning, Ahrens u. Gerhardt 1997) sowie der „homo optionis“ (Beck u. Beck-Gernsheim 2004)42. Alle drei verzichten auf eine prinzipienorientierte Lebensführung, um der sich stets umschichtenden Gegenwart flexibel begegnen zu können und eben doch, wie von Haubl (2004) kritisch in Frage gestellt, jederzeit neu anzufangen.
4.1.1 Beschleunigte Entgrenzung als Statuspassage Wenn der Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing zu einer Organisation, für die entgrenzte Arbeitsbedingungen charakteristisch sind, als beschleunigte Entgrenzung bezeichnet werden kann, so stellt sich die Frage, wie der Übergang zu dieser Organisation vonstatten geht. Schließlich wahren Organisationen ihre Grenzen nach außen, wobei sich ein neues Organisationsmitglied an der Grenze von innen und außen befindet, die es im Rahmen einer Statuspassage zu überwinden gilt. Einer formalen Aufnahme in die Organisation muss eine Aufnahme auf informeller Ebene folgen (Haubl 2003). Andernfalls bleibt das neue Mitglied randständig und wird nicht zu einem vollwertigen Mitglied der Organisation. Kennzeichnend für die soziale Integration neuer Mitglieder sind so genannte Initiationsriten, mittels derer Organisationsmitglieder den Übergang eines neuen Mitglieds von außen nach innen markieren (vgl. der in Beratungsunternehmen übliche „Belastungstest“ von Nachwuchsberatern, der in Abschnitt 3.3.1 dargestellt wird). Dieser Übergang verläuft in drei Phasen: (erzwungene) Aufgabe des alten Status, gefolgt von einer Phase der Unsicherheit, in der der alte Status seine orientierende Wirkung verliert, der neue Status jedoch noch nicht erreicht ist, und zuletzt der neue Status als Organisationsmitglied, der wieder Orientierungssicherheit bietet. 42 Vgl. Abschnitt 2.3
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Initiationsriten beinhalten gemeinhin eine symbolische Erniedrigung des Neulings, der den Angriff auf seine Würde ohne Widerstand über sich ergehen lassen muss, um auf diese Weise die Autorität der Gruppe, die ihn aufnimmt, anzuerkennen (Haubl 2003). Tut er das nicht, so muss er um seine Integration fürchten. Während der Neuling den Wunsch hegt, die Phase der Orientierungsunsicherheit möglichst schnell zu überwinden, neigen die Organisationsmitglieder dazu, diese Phase eine gewisse Zeit lang aufrecht zu erhalten, da sie Aufschluss darüber gibt, wie er mit der von ihnen initiierten Unsicherheit umgeht. Sie gibt zudem Auskunft darüber, ob der Neue bereit und fähig ist, sich der etablierten Kultur der Organisation anzupassen (Haubl 2003). Mit Kultur sind hier bestimmte Muster des Denkens, Fühlens und Handelns gemeint, die ein Organisationsmitglied übernehmen muss, um zu einer Organisation dazuzugehören (vgl. Haubl 2002). Denn die Mitglieder der Organisation, die mit diesen Mustern identifiziert sind, erwarten, dass sich das neue Organisationsmitglied an den bestehenden Mustern orientiert und den anderen Organisationsmitgliedern Erwartungssicherheit gewährt. Wer zu einer Organisation gehören will, muss sich nicht nur formal anpassen, sondern auf gewisse Weise ein anderer Mensch werden. Diese Veränderung wird durch ein organisationsspezifisches Ritual initiiert, das auf die zentralen Probleme der Organisation verweist (vgl. Haubl 2003). Im Fall von Beratungsunternehmen wird im Rahmen der Initiation zum einen die physische und psychische Belastungsfähigkeit von Nachwuchsberatern sowie ihre Kompetenzdarstellungskompetenz geprüft (vgl. Abschnitt 2.3.2). Dabei handelt es sich um die Qualifikationen, die im Rahmen von Projektarbeit beim Kunden vor Ort notwendig sind, um im dynamischen Berateralltag zu bestehen. Der Frage, inwieweit es Beschäftigten, die im Rahmen von Outsourcing zu einem Beratungsunternehmen transferiert werden, gelingen kann, den dynamischen Berateralltag zu bewältigen, wird in Kapitel 7 nachgegangen. Zunächst soll jedoch zum genaueren Verständnis des Outsourcing-Konzepts sein Entstehungskontext, der Begriff sowie die Outsourcing-Praxis in der Bankenbranche, die für die vorliegende Untersuchung von zentraler Bedeutung ist, beleuchtet werden. Die Darstellung der in der Betriebswirtschaftslehre angeführten strategischen Hintergründe von Outsourcing soll im Anschluss durch die Darstellung möglicher Konsequenzen von Outsourcing für Beschäftigte ergänzt werden.
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4.2 Zum Hintergrund von Outsourcing Outsourcing ist ein Managementkonzept, dessen Entstehung auf die Mitte der 1980er Jahre zurückgeführt werden kann43. Es knüpft an Rationalisierungskonzepte an, die im Zeichen einer diversifizierten Qualitätsproduktion stehen und gegenüber der Massenproduktion mehr Flexibilität und Innovationsfähigkeit versprechen (vgl. Kern u. Schumann 1984; Piore u. Sabel 1985). Die Reduzierung der Fertigungstiefe stellt ein solches Rationalisierungskonzept dar und zeichnet sich dadurch aus, dass es das ganze Unternehmen zum Gegenstand hat und zu Kooperationen über die Unternehmensgrenzen hinaus führt (Hendrix u. a. 2003). Schließlich impliziert die Konzentration auf das Kerngeschäft, dass Leistungen, die bislang selbst erbracht worden sind, jedoch nur wenig zum Gewinn beitragen, an andere Unternehmen vergeben und von diesen dauerhaft bezogen werden (vgl. Willke 1999). Die Entscheidung großer Unternehmen der Industrie, sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren, verschiebt einen großen Teil der Wertschöpfungskette an die Zulieferindustrie, deren Bedeutung für die Qualität des Endprodukts dadurch zunimmt. Mit der Delegation der (Teil-) Verantwortung für das Endprodukt von großen Organisationen auf die Zulieferindustrie sind jedoch nicht zwangsläufig erweiterte Verhandlungsspielräume für Zulieferunternehmen verbunden. Stattdessen führt die stärkere Einbindung der Zulieferindustrie eher zu einem Verdrängungswettbewerb, da Kundenorganisationen aufgrund der erhöhten Kooperationsanforderungen die Anzahl der Zulieferer reduzieren. Je weniger einzelne Schritte der Produktion für die Konzerne profitabel erscheinen, umso größer wird der Anteil der Zulieferer am Endprodukt. Im Extremfall bedeutet das die Abschaffung der konzerneigenen Produktion und die Beschränkung auf den Vertrieb der Produkte44. Die Reduzierung der Fertigungstiefe seitens der Großunternehmen der Automobilindustrie verschärft auf nationaler Ebene die Freisetzungsdynamik früherer Rationalisierungsprozesse, die nur teilweise durch einen gestiegenen Personalbedarf der Zulieferer aufgefangen wird. Ähnliche Beschäftigungseffekte lassen sich für die Bankenbranche nachzeichnen (vgl. Abschnitt 4.3). 43 Hendrix u. a. (2003) datieren zwar die ersten Outsourcing-Bewegungen auf den Beginn des 19. Jahrhunderts, da es bereits zu diesem Zeitpunkt Ausgliederungen randständiger Tätigkeiten bei britischen Großunternehmen zum Zweck der Nutzung von Spezialisierungsvorteilen gab. Da diese jedoch Einzelphänomene darstellen, die gesamtwirtschaftlich nur wenig Bedeutung haben, ist der eigentliche Ursprung von Outsourcing wesentlich später zu datieren. 44 Beispiele für die Vergabe der vollständigen Produktion von Modellen finden sich in der Automobilindustrie unter anderem bei Daimler: Die Mercedes-Limousine CLK wird von Karmann produziert und auch die Produktion der Allrad-Version der E-Klasse hat Daimler fremd vergeben (managermagazin.de, 06.10.2005).
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Die Verschlankung von Organisationen gemäß der Prinzipien Dezentralisierung und Vermarktlichung kann als ein prägendes Rationalisierungskonzept der 1990er Jahre bezeichnet werden (Deutschmann 2002). Vor diesem Hintergrund erscheint Outsourcing als konsequente Fortführung betrieblicher Rationalisierungskonzepte, die „durch eine planvolle Variation der betrieblichen oder unternehmerischen Grenzen eine Erweiterung der Handlungsoptionen beabsichtigt[en], um vorteilhafte Marktpositionen zu erlangen“ (Hendrix u. a. 2003, S. 10).
4.2.1 Zum Begriff des Outsourcing Outsourcing ist ein angloamerikanisches Kunstwort, das sich aus den Begriffen „outside“, „resource“ und „using“ zusammensetzt (Schober 2004, Hendrix u. a. 2003)45. Die Begriffe deuten an, was unter Outsourcing gemeinhin verstanden wird, nämlich der „Ersatz der Eigenerstellung einer bestimmten Leistung durch den Fremdbezug bzw. Beschaffung von außerhalb der outsourcenden Unternehmung“ (Franze 1998, S. 12). Die Formulierung „Ersatz der Eigenerstellung durch Fremdbezug“ beinhaltet, dass bestimmte, bisher intern erbrachte Leistungen nach dem Outsourcing nicht mehr intern erbracht, sondern von extern bezogen werden.
45 Andere Autoren führen Outsourcing auf outside (außerhalb) und sourcing (Beschaffung) zurück (vgl. Achenbach u. a. 2004). Allen Definitionen ist jedoch der Bezug auf die Beschaffung von außerhalb des Unternehmens gemein.
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In der Praxis haben sich unterschiedliche Formen des Outsourcing46 etabliert: 1. Ausgliederung a) Ausgliederung von Unternehmensbereichen an ein Tochterunternehmen b) Ausgliederung von Unternehmensbereichen an ein anderes Unternehmen, an dem das ausgliedernde Unternehmen beteiligt ist 2. Auslagerung a) selektives Outsourcing, d.h. Auslagerung einer bestimmten Tätigkeit an ein anderes Unternehmen b) komplettes Outsourcing, d.h. vollständige Auslagerung eines Bereichs inklusive Transfer von Ressourcen und Aufträgen c) Business Process Outsourcing, d.h. Auslagerung eines Geschäftsprozesses, für dessen Ausführung das übernehmende Unternehmen die Verantwortung übernimmt.
Business Process Outsourcing, d.h. Auslagerung eines Geschäftsprozesses, für dessen Ausführung das übernehmende Unternehmen die Verantwortung übernimmt. Die Ausgliederung basiert auf einer Umstrukturierung des ausgliedernden Unternehmens und setzt eine finanzielle Beteiligung des ausgliedernden Unternehmens am ausgegliederten Unternehmen voraus. Eine finanzielle Beteiligung am ausgegliederten Bereich ergibt sich zum einen bei der Gründung eines Tochterunternehmens, sofern dieses im Besitz des ausgliedernden Unternehmens verbleibt. Als Alternative bietet sich die Integration des ausgegliederten Bereichs in ein Unternehmen, an dem eine Beteiligung besteht, an (Schober 2004). Der Ausgliederung steht die Auslagerung gegenüber, die keine finanzielle Beteiligung des auslagernden Unternehmens vorsieht. Abhängig vom inhaltlichen Umfang der Auslagerung wird zwischen selektivem Outsourcing, komplettem Outsourcing und Business Process Outsourcing unterschieden (vgl. Schober 2004, Küchler 2004). Selektives Outsourcing liegt dann vor, wenn ein bestimmter Teil eines Bereichs fremd vergeben wird. Als Beispiel kann der User-Helpdesk als Teil der 46 Von Outsourcing lässt sich Offshoring dahingehend unterscheiden, dass es eine Verlagerung von Teilen der Wertschöpfungskette in Länder mit niedrigeren Lohnkosten als Deutschland vorsieht. Wie sich IT-Arbeitsverhältnisse im Rahmen von Offshoring in Indien gestalten, stellt beispielsweise Mayer-Ahuja (2006) dar.
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Informationstechnologie gelten, der für die Bearbeitung von Anfragen der Benutzer eines Systems zuständig ist. Leistungen, die im Rahmen von selektivem Outsourcing fremd vergeben werden, sind von anderen Leistungen in diesem Bereich klar abgrenzbar. Alternativ kann ein auslagerndes Unternehmen den ganzen Leistungsbereich der Informationstechnologie auslagern (komplettes Outsourcing). Von diesen Formen der Fremdvergabe unterscheidet sich das Business Process Outsourcing hinsichtlich der Intensität der partnerschaftlichen Verbindung zur Leistungserbringung zwischen dem auslagernden Unternehmen und dem externen Dienstleister. Während es sich bei dem selektiven und dem kompletten Outsourcing um Formen der Fremdvergabe handelt, bei der die Leistungserbringung des externen Dienstleisters eine geringe Einbindung des auslagernden Unternehmens erfordert, ist die Verzahnung der beiden Unternehmen im Fall von Business Process Outsourcing enger: neben der datenverarbeitenden Unterstützung übernimmt der externe Dienstleister weitere Teile des Arbeitsablaufs des Geschäftsprozesses. Daraus resultiert, dass der externe Dienstleister zwar die Verantwortung für den ausgelagerten Geschäftsprozess übernimmt, dieser jedoch mit anderen Geschäftsprozessen im Ursprungsunternehmen verbunden bleibt (vgl. Küchler 2004; Schober 2004). Als Beispiel ist hier die Verwaltung von Gehaltsprozessen zu nennen, die auf sensitive Daten des Ursprungsunternehmens angewiesen und ohne Anbindung an andere Bereiche der Personalverwaltung undenkbar ist. Trotz der Notwendigkeit, eng mit dem externen Dienstleister zusammen zu arbeiten, bietet sich dieser Geschäftsprozess zur Auslagerung an, da er sich durch eine starke gesetzgeberische Normierung auszeichnet, aus der ein großes Standardisierungspotenzial resultiert (Küchler 2004). Hochgradig standardisierte Prozesse bieten aus ökonomischer Sicht zudem den Vorteil, dass sie sich digitalisieren und automatisieren lassen, worin der Ratgeber-Literatur zufolge das größte Wertschöpfungspotenzial von Outsourcing liegt (vgl. Scholtissek 2004). Anders formuliert: eigentlich ist die Flexibilisierung von Verwaltungskosten nur ein Baustein eines größeren Rationalisierungsprojekts. Tatsächlich soll menschliche Arbeitskraft, soweit möglich, durch technische Innovationen ersetzt werden. Daher wird Outsourcing von kritischen Stimmen häufig als eine Downsizing-Maßnahme bezeichnet (vgl. Wüstner 2006). Was den Nutzen von Outsourcing betrifft, so ist in der betriebswirtschaftlichen Literatur kein in sich konsistenter Begründungszusammenhang auszumachen. Vorherrschend sind zwei Argumentationslinien, die zum einen dem Ziel der Entlastung, zum anderen dem Ziel der Erweiterung des Unternehmens folgen. Unter die Zielrichtung Entlastung können mehrere Strategien subsumiert werden: Neben der Kostenreduktion und der Risikominimierung dient auch die Konzentration auf das Kerngeschäft der Entlastung des Unternehmens.
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Eine Konzentration auf das Kerngeschäft oder die Kernkompetenz eines Unternehmens impliziert die Frage, welche Bereiche eines Unternehmens unverzichtbar sind und erhalten bleiben sollen, und welche Bereiche für den Erfolg eines Unternehmens von geringerer Bedeutung sind und demnach ausgegliedert oder ausgelagert47 werden können (vgl. Achenbach, Moormann u. Schober 2004; Bleicher, Fischer, Gensior u. Steiner 2003) . Zum Kerngeschäft werden die Bereiche gezählt, die eine hohe Unternehmensspezifität aufweisen und dem Unternehmen ein Alleinstellungsmerkmal verschaffen. Kennzeichnend für solche Bereiche ist der Einsatz von Ressourcen, die für den Kunden erkennbar wertvoll und von der Konkurrenz nicht leicht zu imitieren sind und somit eine klare Abgrenzung von den Unternehmen ermöglichen, die nicht über diese Ressourcen verfügen (vgl. Bleicher u. a. 2003). Von Outsourcing-Bestrebungen sind auch solche Aufgaben ausgeschlossen, die der Kontrolle und Koordination des Unternehmens dienen. Abgesehen von diesen beiden Einschränkungen, stehen aus Sicht der Outsourcing-Befürworter prinzipiell alle Funktionen und Leistungen eines Unternehmens zur Disposition: „Fokus on what gives your company its competitive edge, outsource the rest“ (Hofmann 2001, S. 41). Manche Autoren halten gar das Kerngeschäft für verzichtbar und raten zu einer Beschränkung auf das zweite Kriterium. Sie propagieren das virtuelle Unternehmen, das nur die Koordination der dezentralisierten Wertkette48 zur Aufgabe hat (vgl. Meyer u. Hemken 2004; Scholtissek 2004). Unter dem Stichwort Erweiterung wird die Generierung von so genannten Wertschöpfungspartnerschaften thematisiert. So versprechen sich manche Unternehmen von einer Kooperation mit einem oder mehreren Unternehmen durch die Bündelung von Ressourcen eine bessere Positionierung am Markt als im Alleingang (Schober 2004). Aus der Darstellung wird deutlich, dass die Bereiche, die für ein Outsourcing in der unternehmerischen Praxis in Betracht kommen, ein sehr heterogenes Leistungsspektrum umfassen und dass der Komplexitätsgrad der outgesourcten Tätigkeiten von Teilschritten über Geschäftsprozesse bis zur vollständigen Auslagerung von Bereichen variiert. Folgende unternehmerische Strategien werden zur Legitimation von Outsourcing-Entscheidungen herangezogen: Konzentration auf das Kerngeschäft, Kostenreduktion und Risikominimierung. Die Fragen, in 47 Da das empirische Material, auf das sich die vorliegende Untersuchung stützt, im Rahmen einer Auslagerung erhoben wurde, wird im Folgenden die Outsourcing-Form der Ausgliederung nachrangig behandelt und der Begriff Auslagerung als Synonym für Outsourcing verwendet. 48 Das Konzept der Wertkette geht auf Michael Porter zurück, der es als ein Instrument zur Diagnose von Wettbewerbsvorteilen entwickelte. Die Unterteilung der Wertkette in primäre und sekundäre Aktivitäten und die anschließende Beurteilung des strategischen Werts dieser Aktivitäten soll eine Entscheidung dazu ermöglichen, ob diese Aktivitäten weiterhin intern oder extern erbracht werden sollen (vgl. Schober 2004).
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wieweit Outsourcing-Entscheidungen letztlich als rational zu bezeichnen sind und ob sie statt einer langfristigen Strategie nicht in einigen Fällen auf eine kurzfristige Überlebenssicherung abzielen, lassen Raum für Diskussionen. Laut den Ergebnissen der Studie von Hendrix u. a. (2003, S. 53) werden „strategische und kompetenzorientierte Aspekte von Outsourcing zwar in der betriebswirtschaftlichen Ratgeber-Literatur favorisiert […], [festzustellen ist,] dass jedoch von Seiten der organisationalen EntscheidungsträgerInnen hauptsächlich EntlastungsÜberlegungen zugrunde gelegt werden“.
4.3 Die Entwicklung von Outsourcing in der Bankenwirtschaft Um die Entwicklung darzustellen, die in der Bankenwirtschaft den Weg zu Outsourcing geebnet hat, bietet sich ein Blick auf das Ende des letzten Jahrhunderts an: Zu dieser Zeit stand es gut um die Finanzwirtschaft, die durch das Konjunktur- und Börsenhoch prosperierte. Die Banken konzentrierten sich auf ihr Wachstum im In- und Ausland und setzten ihre finanziellen Ressourcen für Akquisitionen und Fusionen zwischen Banken ein (vgl. Schober 2004). Als im Jahr 2000 der weltweite Abschwung einsetzte, brach das Geschäftsvolumen im Bereich Fusionen und Akquisitionen um bis zu 60% ein, zudem sanken die Kreditvolumina und die Risikovorsorge musste erhöht werden. Dadurch gingen die Einnahmen der Banken drastisch zurück, die darauf nicht vorbereitet waren, sondern im Gegenteil während der Boomjahre hohe Investitionen in Infrastruktur und Personal getätigt hatten. Durch diese Investitionen in Infrastruktur und Personal sind Kapazitäten entstanden, die nun im Abschwung nicht mehr ausgelastet waren, woraus ein hoher Kostendruck resultierte. Zudem erhöhte sich der Wettbewerbsdruck durch die Etablierung von Direktbanken, die im Vergleich zu traditionellen Filialbanken wesentlich günstigere Konditionen anbieten können (Meyer u. Hemken 2004). Die Banken reagierten mit einem drastischen Personalabbau: Zwischen 2001 und 2003 haben allein die Deutsche Bank, die Dresdner Bank, die HypoVereinsbank und die Commerzbank zusammen 43.600 Stellen abgebaut (Schober 2004, S. 24). Für die Deutsche Bank lässt sich folgende Beschäftigungsentwicklung nachzeichnen: im Mai 2002 beschäftigte die Deutsche Bank ca. 85.000 Mitarbeiter in Vollzeit, im Jahr 2005 waren es noch 65.000 Mitarbeiter, weitere Stellenstreichungen sind geplant, trotz steigender Gewinne (Manager-Magazin.de vom 03.02.2005 und vom 10.02.2005). Im Fokus steht die Kostenreduktion, um "im Weltkonzert ganz vorne mitspielen" zu können (ManagerMagazin.de vom 10.02.2005). Mit diesen Worten rechtfertigt der Vorstandschef der Deutschen Bank Josef Ackermann in einem Brief an die Mitarbeiter die vorgenommenen Stellenstreichungen. Selbst Manager-Magazin.de, das selten eine
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kritische Haltung gegenüber Leitungskräften einnimmt, reagiert auf die Pläne, trotz steigender Gewinne weiter Stellen abzubauen, mit dem Titel „So geht es nicht, Herr Ackermann!“, um darauf hinzuweisen, dass sich Unternehmen nicht aus der sozialen Verantwortung stehlen dürfen (08.02.2005). Da die durch den Personalabbau erreichte Kostensenkung nicht auszureichen schien, suchten die Banken nach weiteren Kostensenkungspotenzialen und richteten ihren Fokus auf die unternehmensinterne Wertschöpfungskette. Dabei stellte sich heraus, dass durchschnittlich über 80% der angebotenen Leistungen intern erbracht wurden – im Vergleich zur Automobilbranche eine hohe Quote, die, wie oben ausgeführt, bereits in den 1980er Jahren ihre Wertschöpfungstiefe zu senken begann und zu diesem Zeitpunkt bereits weniger als 50% ihrer Produkte in Eigenproduktion herstellte (vgl. Meyer u. Hemken 2004). Das neue Kostenbewusstsein in den Banken ermöglichte es Outsouring-Befürwortern, einen Großteil der in den Banken erbrachten Leistungen in Frage zu stellen und die Auslagerung als kostengünstige Alternative zur unternehmensinternen Leistungserstellung zu propagieren. Diese Überlegungen lösten einen Prozess der Dekonstruktion der Wertschöpfungskette innerhalb von Banken aus (vgl. Schober 2004). Den Outsourcing-Bestrebungen in der Bankwirtschaft sind jedoch insofern Grenzen gesetzt, als sie besonderen Regelungen unterliegen, die in § 25a des KWG (Gesetz über das Kreditwesen) festgelegt sind (Meyer u. Hemken 2004). Den Regelungen zufolge ist die Auslagerung von Bereichen, die für die Durchführung der Bankgeschäfte wesentlich sind, nur dann zulässig, wenn „weder die Ordnungsmäßigkeit dieser Geschäfte oder Dienstleistungen noch die Steuerungsoder Kontrollmöglichkeiten der Geschäftsleitung, noch die Prüfungsrechte und Kontrollmöglichkeiten der Bundesanstalt“ beeinträchtigt werden (Auszug aus dem Absatz 2 des § 25a KWG zt. n. Meyer u. Hemken 2004, S. 75). Besonderen Wert wird in den weiteren Ausführungen auf die vertragliche Sicherung der Weisungsbefugnisse und den Erhalt von Kontrollmöglichkeiten gelegt. Ferner sind Banken verpflichtet, „die Absicht der Auslagerung sowie ihren Vollzug der Bundesanstalt und der Deutschen Bundesbank unverzüglich anzuzeigen“ (Auszug aus dem Absatz 2 des § 25a KWG zt. n. Meyer u. Hemken 2004, S. 75). Zudem erfordert das Bankgeheimnis die Vertraulichkeit von Kundendaten, auf die sich ein externer Dienstleister verpflichten muss (vgl. Lochte-Holtgreven 2004). Ähnliche Regelungen finden sich im Wertpapierhandelsgesetz (WpHG § 33 Abs. 2). Gemäß dieser Regelungen ist Bankinstituten Outsourcing nur mit der Auflage besonderer Vorsichtsmaßnahmen gestattet, die die Stabilität des Bankinstituts sichern. Die rechtliche Regulierung mag Outsourcing-Vorhaben für Banken komplizierter gestalten, letztlich verringern sie jedoch nicht die Quantität von Outsourcing-Prozessen in der Bankenbranche.
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4.4 Outsourcing der Software-Wartung in der Bankenwirtschaft In der Bankenwirtschaft werden sowohl unterstützende als auch primäre Aktivitäten ausgelagert. Zu den unterstützenden Aktivitäten zählen die Informationstechnologie (IT) und der Einkauf, zwei Bereiche, die beispielsweise von der Deutschen Bank zu einem großen Teil ausgelagert wurden (Schober 2004). Beim Zahlungsverkehr und der Wertpapierabwicklung handelt es sich hingegen um primäre Aktivitäten. Sie sind direkt mit der Leistungserstellung verbunden und kommen dennoch für Outsourcing in Betracht, da sie als kostenintensive Bereiche gelten, die nur wenig Gewinn versprechen. Zudem sind sie weitgehend standardisiert und somit von externen Dienstleistern leicht zu reproduzieren (vgl. Szivek 2004). Die vorliegende Untersuchung nimmt eine selektive Auslagerung von Tätigkeiten in den Blick, die dem Erhalt und der Pflege von VerwaltungsSoftware49 einer Bank dienen. Diese Form der Auslagerung wird üblicherweise mit IT-Outsourcing50 bezeichnet. Der Studie von Hendrix u. a. (2003) zufolge werden Bereiche der Informationstechnologie seltener ausgelagert als andere Unternehmensbereiche. Eine schriftliche Befragung auslagernder Unternehmen ergab, dass nach Infrastruktur-Dienstleistungen, Bereichen der Produktion und Verarbeitung, dem Rechnungswesen und dem Personalwesen IT-Outsourcing an fünfter Stelle rangiert. Im Fokus von IT-Outsourcing stehen neben der SoftwareWartung die Software-Entwicklung, die Bereitstellung der benötigten Hardware, die Internet- und Netzwerkbetreuung, sowie die Unterstützung der SoftwareAnwender. Was die Motive von IT-Outsourcing betrifft, so stellen Hendrix u. a. (2003) eine Vermischung von Erweiterungs- und Entlastungsmotiven fest: Die befragten Unternehmen geben an, die Möglichkeit der Qualitätssteigerung durch das Outsourcing von informationstechnischen Dienstleistungen noch höher zu bewerten als die Möglichkeit der Kostenreduktion. Die Erhöhung von Qualitätsstandards ergibt sich vor allem in Gestalt vertraglich definierter und kontrollierbarer „Service Level Agreements“51, zu denen beispielsweise die Reaktions- und 49 Die Wartung von Software umfasst in erster Linie die Beseitigung von Fehlern in der Software und die Anpassung der Schnittstellen zu anderen Programmen, wenn sich diese verändern. Als erweiterte Wartung im Bankensektor können Tätigkeiten bezeichnet werden, die der Anpassung der Software an neue gesetzliche Regelungen, Bestimmungen der Bankenaufsicht und Ähnlichem dienen (vgl. Lochte-Holtgreven 2004). 50 Der Begriff IT-Outsourcing bezieht sich hier nur auf den Inhalt der ausgelagerten Tätigkeiten. ITOutsourcing umfasst neben der hier fokussierten selektiven Auslagerung auch alle anderen vorgestellten Formen des Outsourcing (Ausgliederung, komplettes und Business Process Outsourcing). 51 Ein IT-Outsourcing-Vertrag umfasst neben einem Rahmenvertrag, der die grundlegenden Rechte und Pflichten der Outsourcing-Partner regelt, die Service Level Agreements (SLA) in denen der
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Herstellzeiten gehören. Als kostenreduzierend erweist sich zudem die genaue Festlegung des Leistungsumfangs, wodurch der Einfluss der Software-Anwender begrenzt und nicht notwendige Software-Anpassungen verhindert werden können. So genannte „Nice-to-have-Änderungen“, die aus Gefälligkeit unter Kollegen vorgenommen werden, entfallen dann und entlasten durch ihren Wegfall das IT-Budget (Lochte-Holtgreven 2004, S. 212). Kostenreduzierend wirkt sich zudem die Standardisierung der Wartungsprozesse beim Anbieter aus: Wartungsaufträge werden nicht nach Gefälligkeit unter Kollegen, sondern nach definierten Kriterien priorisiert, die Bearbeitung nach vereinbarten Standards durchgeführt und dokumentiert, so dass auch Dritte das Vorgehen in der Pflege und Entwicklung von Software nachvollziehen können (vgl. Schumann u. Severidt 2004). Durch die ausführliche Dokumentation wird die Wartung der Software vereinfacht und zugleich eine höhere Verfügbarkeit der Software gewährleistet. Das Outsourcing-Motiv der Risikoverlagerung wird von den OutsourcingAnbietern stärker hervorgehoben als von den auslagernden Unternehmen selbst. Das mag mit den unterschiedlichen Perspektiven zusammenhängen: Während aus Sicht der Anbieter eine Verlagerung des unternehmerischen Risikos durchaus positiv konnotiert ist, da sie eine Garantie für eine langfristige Beziehung darstellt, schmälert gerade die entstehende Abhängigkeit zwischen den Outsourcing-Partnern die Attraktivität einer Risikoverlagerung aus Sicht der auslagernden Unternehmen. Outsourcing, so lässt sich zusammenfassend festhalten, ist ein Instrument, dass Unternehmen einsetzen, um Kosten nicht nur zu reduzieren, sondern auch um fixe Kosten in variable Kosten zu verwandeln. Dabei stehen insbesondere die Personalkosten zur Disposition: Ein flexibler Arbeitskräfteeinsatz, der leistungsbezogen vergütet wird, gilt als wichtiger Schritt zu einer gesteigerten Marktfähigkeit von Unternehmen. Daher neigen Unternehmen dazu, nicht nur Bereiche oder Tätigkeiten, sondern zugleich die Beschäftigungsverhältnisse der Beschäftigten auszulagern, die diese Tätigkeiten bisher ausführten. Zugleich werden durch Outsourcing informelle Regelungen innerhalb der outsourcenden Organisation in Frage gestellt, wie das Beispiel der „Nice-to-have-Änderungen“ zeigt. Denn durch das Unterbinden eines kollegialen Verhaltens über den formal festgelegten Umfang hinaus, werden auf den ersten Blick Kosten gespart. Auf den zweiten Blick zeigt sich möglicherweise, dass sich das soziale Gefüge innerhalb der outsourcenden Organisation auf eine Art und Weise verändert, die kooperatives Verhalten erschwert.
genaue Umfang der Einzelleistungen festgelegt ist, die Teil des Outsourcing werden. Zudem enthalten die SLA Zeitpläne, Verfügbarkeiten, Reaktionszeiten und Sanktionen, für den Fall von Abweichungen von der vereinbarten Leistung seitens des Dienstleisters (Bräutigam, P. 2004).
Der Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing
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Die Auswirkungen von Outsourcing innerhalb der outsourcenden Organisation sollen hier jedoch nicht weiter verfolgt werden. Stattdessen wird im Folgenden der Personaltransfer nach § 613a BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) als der Weg dargestellt, den outsourcende Organisationen üblicherweise wählen, um Beschäftigungsverhältnisse zu einer anderen Organisation zu transferieren.
4.5 Der Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing Outsourcing stellt eine Kooperationsbeziehung dar, die eine präzise Grenzziehung zwischen dem auslagernden Unternehmen und dem externen OutsourcingPartner erfordert. Als Ebenen, auf denen eine Grenzziehung notwendig ist, wurden bisher Leistungsbereiche, das unternehmerische Risiko, die finanzielle Beteiligung sowie die Infrastruktur thematisiert. Eine weitere Ebene, die es zu beleuchten gilt, stellt die Ebene der Beschäftigungsverhältnisse dar. Denn mit Outsourcing, so wurde mehrfach angedeutet, ist häufig eine Externalisierung von Beschäftigungsverhältnissen verbunden. Neben der Reduktion von Personalkosten, so die Ergebnisse der Studie von Hendrix u. a. (2003, S. 53), stellt die Flexibilisierung des Arbeitskräfteeinsatzes ein wichtiges Outsourcing-Motiv dar. Die Studie ergibt weiterhin, dass der Personalabbau im Zuge von Outsourcing im Mittelstand im Vergleich zu Großunternehmen auf größeren Widerstand trifft und insbesondere inhabergeführte mittelständische Unternehmen seltener zu dieser Maßnahme greifen. Diesen Unterschied führen die Autoren auf die Shareholder-Value-Orientierung52 der Großunternehmen zurück, die die Tendenz, Beschäftigte als Kostenfaktor zu betrachten, verstärkt. Outsourcing führt dazu, dass bestimmte Tätigkeiten im auslagernden Unternehmen wegfallen. Die Frage des Umgangs mit den Beschäftigten, die diese Tätigkeiten bisher ausgeführt haben, wird unterschiedlich beantwortet. Während einige Unternehmen die betroffenen Beschäftigten direkt betriebsbedingt kündigen, wählen andere Unternehmen den Weg, sie dergestalt zum Teil des Outsourcing zu machen, dass ihre Beschäftigungsverhältnisse zu dem Dienstleister transferiert werden, dem die Ausführung der Tätigkeiten überantwortet wird. Auf 52 Mit Becker (2001, S. 1) „steht der Begriff des „Shareholder Value“ im engeren Sinne für die Kapitalrendite der Aktionäre, die sich aus der Aktienkursentwicklung sowie den Dividenden und Sonderzahlungen für das investierte Eigenkapital ergibt“. Am Shareholder Value orientierte Managementkonzepte forcieren auf Basis finanzwirtschaftlicher Kennziffern eine transparente Geschäftsberichtserstattung und postulieren eine aktienkursbasierte Entlohnung des leitenden Managements, die zu einer Unternehmensführung anregen soll, die zu einer überdurchschnittlichen Steigerung des Börsenwerts des Unternehmens führt. Profitieren würden davon sowohl die Aktionäre, als auch die Beschäftigten, da die Orientierung am Shareholder Value vor feindlichen Übernahmen schützt und die Wettbewerbsfähigkeit sichert.
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Outsourcing
diese Art wird die Beschäftigung gesichert, wenn auch nur, wie noch auszuführen sein wird, für eine begrenzte Zeit. Die Grenzziehung im Fall eines Personaltransfers im Rahmen von Outsourcing beginnt sehr früh im Outsourcing-Prozess mit der Abgrenzung der auszulagernden Betriebseinheit im Ursprungsunternehmen. Diese Abgrenzung ist notwendig, da in Deutschland nicht beliebige Einheiten einer Organisation, sondern nur feste Betriebseinheiten mit Hilfe eines Betriebs(teil)übergangs nach § 613a BGB ausgelagert werden dürfen. In den meisten Fällen besteht eine solche Betriebseinheit vor der Outsourcing-Entscheidung noch nicht oder ist nur unzureichend vom Rest des Unternehmens abgegrenzt und genügt daher den gesetzlichen Anforderungen nicht. Ein Betriebsteil im Sinne des § 613a BGB ist „eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen [...], die eine wirtschaftliche Tätigkeit mit bestimmter Zielsetzung verfolgt.“ Wird diese Tätigkeit fremd vergeben und der zugehörige Betriebsteil mit den wesentlichen Betriebsgütern an ein anderes Unternehmen überantwortet, ist die Folge, „dass sämtliche Arbeitsverhältnisse, die diesem Betrieb(steil) angehören, automatisch mit allen Rechten und Pflichten auf den Erwerber übergehen“ (Mahr 2004, S. 371f.). Ein solcher Übergang ist bei allen beschriebenen Formen des Outsourcings möglich. Anders formuliert: Der Betriebs(teil)übergang nach § 613a BGB ist ein rechtlich abgesicherter Weg, der daher von den meisten Unternehmen in Deutschland beschritten wird, die beabsichtigen, nicht nur die Verantwortung für bestimmte Tätigkeiten und die dafür notwendige Infrastruktur an einen externen Dienstleister zu übergeben, sondern auch die Beschäftigungsverhältnisse der Beschäftigten zu dem externen Dienstleister zu transferieren, die vor dem Outsourcing für die auszulagernden Tätigkeiten zuständig waren. Die Absicht, einen solchen Personaltransfer durchzuführen, begründen die Akteure mit der Notwendigkeit eines Know-how-Transfers, der über die schriftliche Dokumentation der auszulagernden Tätigkeiten hinausgeht (vgl. Hendrix u. a. 2003). Denn die Tätigkeiten sind oft nur unzureichend dokumentiert und ohne das Erfahrungswissen der ausführenden Beschäftigten nur schwer nachvollziehbar (Küchler 2004). Im Hinblick auf die Arbeitsplatzsicherheit ist zu bemerken, dass der gesetzlich garantierte Bestandsschutz der Beschäftigungsverhältnisse bei Betriebs(teil)übergängen nur ein Jahr gilt (§ 613a BGB). Deshalb befürchten Beschäftigte, deren Beschäftigungsverhältnis im Rahmen von Outsourcing zu einem anderen Arbeitgeber transferiert wird, „eine langfristige Verschlechterung ihrer sozialen Absicherung in der ausgegliederten Gesellschaft“ (Heinzl 1993, S. 72). Vor dem Personaltransfer ist das auslagernde Unternehmen verpflichtet, die betroffenen Beschäftigten rechtzeitig und umfassend über den Personaltransfer zu informieren. Unter Berücksichtigung der einmonatigen Erklärungsfrist der
Der Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing
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Beschäftigten53 muss die Unterrichtung mindestens einen Monat vor dem Übergang den betroffenen Beschäftigten zugehen. Die Unterrichtung enthält den Zeitpunkt, den Grund, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für den Arbeitnehmer sowie die geplanten Maßnahmen. Ist die Unterrichtung unvollständig, so verlängert sich das Widerspruchsrecht der Beschäftigten bis zu einer ordnungsgemäßen Unterrichtung (eine ausführliche Darstellung der juristischen Details findet sich bei Mahr 2004). Innerhalb eines Jahres dürfen die Arbeitsverhältnisse vom Dienstleister laut § 613a BGB nicht zu Ungunsten der transferierten Beschäftigten geändert werden (vgl. Meyer u. Hemken 2004). Zum Schutz der Arbeitnehmerinteressen sind ferner die Veränderungsmöglichkeiten des übernehmenden Unternehmens direkt nach dem Übergang stark begrenzt. Es ist verpflichtet, zunächst die Identität der Einheit zu wahren. Das bedeutet, dass er vorerst keine wesentlichen Änderungen an der Art des Unternehmens, den materiellen und immateriellen Aktiva, der Organisationsstruktur und den Tätigkeiten vornehmen darf. Der Betrieb(steil) muss demnach zunächst in der Gestalt fortgeführt werden, die er vor dem Übergang hatte. In einem Großteil der Outsourcing-Verträge ist ein Bestandsschutz vereinbart, der über die gesetzliche Frist von einem Jahr hinaus geht (vgl. Mahr 2004). In die Vorbereitung des Übergangs ist die Arbeitnehmervertretung eingebunden. Sie sorgt dafür, dass die Beschäftigungsverhältnisse möglichst unverändert transferiert werden. Damit ist gemeint, dass die Betriebszugehörigkeit, die Kündigungsfristen sowie die Urlaubs- und Gehaltsansprüche auch nach dem Transfer erhalten bleiben. Obwohl gemäß § 613a BGB keine Veränderung der transferierten Arbeitsverhältnisse durch den Transfer zulässig ist, sollte die Arbeitnehmervertretung prüfen, ob die Interpretationsspielräume des Inhalts der transferierten Arbeitsverhältnisse nicht vom Ursprungsunternehmen zu Lasten der transferierten Beschäftigten genutzt werden. Der institutionalisierten Gegenmacht sind jedoch Grenzen gesetzt: Den Transfer an sich kann eine Arbeitnehmervertretung nicht verhindern. Dieser ist individualrechtlich im Sinne eines Widerspruchsrechts für den einzelnen Beschäftigten gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses geregelt. Gemäß § 613a BGB kann ein Betroffener innerhalb eines Monats Widerspruch gegen den Übergang einlegen (Meyer u. Hemken 2004). Für den Fall eines Widerspruchs sollte der Beschäftigte allerdings über berufliche Alternativen verfügen. Denn er muss damit rechnen, von seinem bisherigen Arbeitgeber betriebsbedingt gekündigt zu werden (Mahr 2004, S. 379), da die Betriebseinheit, für die er gearbeitet hat, nicht mehr existiert.
53 Innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung kann ein Beschäftigter gegen den Transfer seines Beschäftigungsverhältnisses Widerspruch einlegen.
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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Gesetzgeber in Antizipation der Entgrenzungsdynamik von Outsourcing den Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing stark reglementiert. Wie wirksam der Schutz durch § 613a BGB tatsächlich ist, lässt sich allerdings nur schwer beurteilen. Denn es hat den Anschein, als würden outsourcende sowie übernehmende Organisationen Mittel und Wege finden, die rechtlich verankerten Schutzmechanismen zu umgehen. Möglicherweise dient der § 613a BGB sogar als Legitimationsgrundlage für Beschäftigungsverlagerungen, bei denen es sich aufgrund des befristeten Bestandsschutzes letztlich um Personalabbau handelt.
4.6 Chancen und Risiken von Outsourcing aus betriebswirtschaftlicher Perspektive Chancen und Risiken von Outsourcing – betriebswirtschaftlich Eine Sichtung der betriebswirtschaftlichen Fachliteratur zum Thema legt nahe, dass Outsourcing sowie die zu Grunde liegenden Motive und Ziele vom Standpunkt der Autoren aus betrachtet keiner kritischen Reflexion bedürfen. Ein Großteil der Fachliteratur richtet sich an Outsourcing-Entscheider und besteht aus affirmativen Beschreibungen der gängigen Outsourcing-Praxis (vgl. Bräutigam 2004 für IT-Outsourcing, Achenbach u. a. 2004 für Outsourcing in der Bankwirtschaft). Die Fachliteratur lässt sich nach dem Outsourcing-Gegenstand, der Outsourcing-Form und der Branche, in der Outsourcing durchgeführt wird, unterteilen. Ausführlich behandelt werden beispielsweise die Gestaltung von Outsourcing-Verträgen, der Transfer von Infrastruktur, finanzielle Aspekte sowie die technischen Anforderungen an einen unternehmensübergreifenden Datenaustausch zwischen den Outsourcing-Partnern. Im Vordergrund stehen die Vorteile des Outsourcings, sowie die Darstellung der konkreten Vorgehensweise aus rechtlicher, technischer und wirtschaftlicher Sicht im Outsourcing-Prozess. Risiken werden nur am Rande thematisiert und in der Wahrnehmung der Autoren durch die Chancen des Outsourcings aufgewogen. Dabei scheinen die Risiken in Bezug auf den Outsourcing-Gegenstand, die Outsourcing-Form oder die Branche des auslagernden Unternehmens kaum zu variieren. Daher finden sich nur wenige Hinweise auf die spezifische Problematik eines Personaltransfers im Rahmen eines selektiven IT-Outsourcing in der Bankenwirtschaft. Als Ausnahme ist Koppe (2004, S. 253) zu nennen, der die Integration von ehemaligen Mitarbeitern einer Bank in ein Unternehmen der ITBranche als nicht ganz unproblematisch darstellt: „... [Man sah] sich mit der Herausforderung konfrontiert, zwei unterschiedliche Unternehmenskulturen mit über 800 Mitarbeitern aus den Bereichen Customer Care &
Chancen und Risiken von Outsourcing – betriebswirtschaftlich
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Support der Deutschen Bank in das Unternehmen GFIM mit 200 Mitarbeitern zu integrieren: Die Unternehmenskultur auf Seiten GFIM bestand aus eher kreativ und spontan geprägten jungen IT-Spezialisten, die das Arbeiten in flachen Hierarchien gewohnt waren. Auf Seiten CC&S fand sich hingegen eine tendenziell hierarchische, auf Sicherheit bedachte und konservative Unternehmenskultur, dominiert von einer Belegschaft aus ausgebildeten Bankern mit Expertenwissen.“
Aus diesem Zitat geht hervor, dass sich die Beschäftigten der Bank von denen des EDV-Unternehmens unter anderem im Hinblick auf den Zeithorizont unterscheiden. Bankmitarbeiter sind „gut ausgebildet“ und „auf Sicherheit bedacht“, was für eine langfristige berufliche Orientierung unter Berücksichtigung der Vergangenheit spricht. Im Gegensatz dazu werden die Mitarbeiter des EDVUnternehmens als „kreativ“ und „spontan“, also an der Gegenwart orientiert, beschrieben. Im Folgenden geht Koppe zwar nicht weiter auf mögliche Lösungsansätze in Bezug auf Integrationsschwierigkeiten ein. Dennoch benennt er zumindest die Problematik. Andere Bezugnahmen auf die Risiken von Outsourcing sind allgemeiner gefasst und nicht auf die Auslagerung von Beschäftigten einer Bank zu einem Unternehmen der IT-Branche bezogen. So werden die Auswirkungen auf die im auslagernden Unternehmen verbleibenden Arbeitnehmer als Risiko von Outsourcing benannt, die, wenn auch eher am Rande, als Motivationsproblem thematisiert werden: Auslagernden Unternehmen wird empfohlen, die Karriereambitionen der verbleibenden Arbeitnehmer nicht zu vernachlässigen, um Abwanderungstendenzen und einem damit einhergehenden Know-how-Verlust vorzubeugen. Zudem ist von einem „erhöhten Frustrationspotenzial im Personalstamm“ (Meyer u. Hemken 2004, S. 72) die Rede. Das bedeutet, dass Outsourcing möglicherweise auch diejenigen Beschäftigten belastet, die (zunächst) nicht direkt von dieser Maßnahme betroffen sind. Somit verfehlen die der Rationalisierungsmaßnahme zu Grunde liegenden Effizienzbestrebungen insoweit die gewünschte Wirkung, als die verbleibenden Beschäftigten demotiviert werden. Auf die Befürchtungen der Beschäftigten, die aufgrund von Outsourcing zu einem anderen Unternehmen transferiert werden, wird zwar Bezug genommen, deren Situation aber nicht angemessen theoretisch gefasst und kritisch diskutiert. Stattdessen wird angenommen, dass die Risiken des Personaltransfers durch berufliche Chancen beim neuen Arbeitgeber für die Beschäftigten aufgewogen werden. Daher findet es Küchler (2004, S. 74) bemerkenswert, dass Zentraleuropäer der Auslagerung ihres eigenen Arbeitsplatzes skeptisch gegenüber stehen54: 54 Küchler (2004) ignoriert in seiner Aussage den Umstand, dass US-amerikanische Beschäftigte im Unterschied zu deutschen Beschäftigten deshalb nicht um den Bestand ihrer sozialen Rechte fürchten, weil ihre Arbeitsverhältnisse weniger stark geschützt sind. Schließlich kann man nicht verlieren, was man nicht hat.
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Outsourcing „Im Gegensatz zu den anglo-amerikanischen Kulturkreisen – wo ein Outsourcing von den beteiligten Mitarbeitern begrüßt wird, da sie in ein Unternehmen kommen, das ihre Profession im Leistungsfokus hat – wird in Zentraleuropa ein solches Vorhaben zunächst meistens mit Skepsis aufgenommen, da die Mitarbeiter um den Bestand ihrer erworbenen sozialen Rechte und Gewohnheiten fürchten“.
Diese Sorge der Mitarbeiter ist nicht unberechtigt, bedenkt man die Tatsache, dass einige der Unternehmen, die die Übernahme von Beschäftigten anbieten, kein Interesse am Erhalt der übernommenen Einheit haben, wie der Fall von BenQ zeigt. Die von Siemens übernommene Einheit wurde unter der Leitung von BenQ insolvent, wodurch die betroffenen Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verloren haben. Mit einem Verweis auf diesen Fall warnt Ver.di vor einem Verkauf einer Telekom-Sparte an einen Spezialanbieter, da dessen Fortbestehen ungewiss sei (Manager-Magazin vom 18.10.2007). Ein Verkauf der Technikeinheit VTS der Telekom an Nokia Siemens Networks bietet sich auf den ersten Blick wegen der Ähnlichkeit der Tätigkeiten an. Eine genauere Prüfung der Umstände zeigt jedoch, dass Siemens sein Engagement an Nokia Siemens Networks derzeit in Frage stellt und daher eine Insolvenz des übernahmewilligen Unternehmens zu befürchten ist. Als Risiken von Outsourcing, die sich auf die Outsourcing-Partnerschaft mit einem externen Dienstleister beziehen, nennen einige Autoren die Gefahr von Qualitätsunsicherheiten und die Abhängigkeit von einem externen Dienstleister. So gäbe es zwar immer die Alternative, die ausgelagerten Einheiten wieder zu integrieren, eine Reintegration einmal ausgelagerter Leistungen oder ein Wechsel des Outsourcing-Partners führt jedoch zu einem hohen finanziellen Aufwand. Damit verbunden ist die Befürchtung des Managements auslagernder Unternehmen, die Kontrolle über den ausgelagerten Bereich zu verlieren, da nach dem Outsourcing die Einflussmöglichkeiten des auslagernden Unternehmens auf diesen Bereich oft geringer als von ihm gewünscht sind (Meyer u. Hemken 2004). In Bezug auf die Kontrollmöglichkeiten lautet die Empfehlung der Ratgeber-Literatur, bereits bei Abschluss des Rahmenvertrags die Handlungsspielräume des Dienstleisters mit den Einflussmöglichkeiten des Ursprungsunternehmens abzuwiegen, um den Interessen beider Unternehmen gerecht zu werden. Im Service-Level-Agreement werden zudem klar definierte Eskalationswege und Sanktionsmaßnahmen festgelegt und durch regelmäßige Kommunikation der Outsourcing-Partner ergänzt (Meyer u. Hemken 2004). Szivek (2004, S. 51) spricht von einem Reputationsrisiko auslagernder Banken, das darin liegt, dass Fehler eines externen Dienstleisters oder durch ihn verschuldete Systemausfälle der Informationstechnologie zu „fluchtartigen Kapitalbewegungen“ führen können.
Chancen und Risiken von Outsourcing – betriebswirtschaftlich
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Wesentlich ausführlicher als die Risiken werden in der OutsourcingLiteratur die Chancen für Unternehmen beleuchtet: Outsourcing verspricht, die Transparenz in der Kostenstruktur zu erhöhen und zugleich die Kosten zu senken (Meyer u. Hemken 2004). Zudem erübrigen sich Investitionen in neue Technologien, sofern die Infrastruktur in den Verantwortungsbereich eines externen Dienstleisters übergeht. Das spart nicht nur Kosten, sondern dient auch der Risikominimierung oder, schärfer formuliert, dem Risikotransfer zum übernehmenden Unternehmen. Denn durch Outsourcing gehen nicht nur Tätigkeiten, sondern auch die Verantwortung für Infrastruktur, Gebäude, Technik und Mitarbeiter an einen externen Dienstleister über (Hendrix u. a. 2003). Schwächere Varianten implizieren eine Aufteilung des unternehmerischen Risikos in Form von Risikopartnerschaften zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Als weitere Vorteile werden weniger gebundenes Kapital und eine flachere Hierarchie genannt, die schnelle und flexible Entscheidungsprozesse ermöglichen (Meyer u. Hemken 2004). Führen Autoren der Outsourcing-Fachliteratur Argumente dieser Art an, so entsteht der Eindruck, dass eine kurzfristige Kostenreduktion im Vordergrund steht, deren Zweckmäßigkeit von ihnen nicht in Frage gestellt wird. Dabei sind alternative Betrachtungsweisen denkbar: Sie könnten Faktoren beleuchten, die die Stabilität von auslagernden Unternehmen bedrohen oder die Ziele und die möglichen Konsequenzen von Outsourcing-Konzepten kritisch reflektieren. Offen bleibt, ob der Mangel an kritischen Stimmen in der OutsourcingFachliteratur die Werthaltung der Autoren widerspiegelt oder ein Zugeständnis an ihre Zielgruppe, das Management von Outsourcing-affinen Unternehmen, darstellt. Hauptkriterium für eine erfolgreiche Unternehmensführung stellt gemäß einer Orientierung am Shareholder-Value (Reppaport 1995) seit Mitte der 1990er Jahre die überdurchschnittliche Steigerung der Kapitalrendite des Eigenkapitals und somit der Aktionäre dar. Die lange Zeit dominierende Orientierung an Wachstum und Stabilität scheint durch eine kurzfristige Gewinnorientierung in den Hintergrund gedrängt zu werden (Becker 2001). Eine stete Steigerung von Gewinnen und Kapitalrenditen ist allerdings nur denkbar, wenn auch die Kostenstruktur eines Unternehmens permanent in Frage gestellt wird. Durch diesen Perspektivenwechsel verändert sich die Wertigkeit von Arbeitskraft, die vom Standpunkt einer kurzfristigen Gewinnorientierung aus betrachtet nur dann wertvoll ist, wenn über sie kurzfristig und flexibel verfügt werden kann (Hendrix u. a. 2003). In der ökonomischen Verwertungslogik gesprochen, lohnen sich Investitionen in eigenes Humankapital aus Sicht der Unternehmen nicht mehr. Denn Personal verursacht fixe Kosten, die sich aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht kurzfristig einer schwankenden Nachfrage anpassen lassen. Daraus folgt, dass
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Outsourcing
Unternehmen zunehmend fremdes Humankapital präferieren, das sie kurzfristig einsetzen können, ohne langfristig gebunden zu sein. Konsequent gedacht, müssten sich Unternehmen, die dieser Logik folgen, von ihrem Personal trennen. Tatsächlich suchen Unternehmen derzeit nach Instrumenten, die Flexibilisierung der Verfügbarkeit über Arbeitskraft voran zu treiben. Als ein solches Instrument kann Outsourcing verstanden werden (vgl. Wüstner 2006). Wenig überraschend ist, dass die in der Outsourcing-Literatur vorherrschende ökonomische Argumentationslinie hauptsächlich der Verwertungslogik folgt. Kritisch ist diese Perspektive aber in Zusammenhang mit den Themen, die den Umgang mit Beschäftigten betreffen. Denn der Versuch, die Integration oder Exklusion von Beschäftigten gewinnmaximierend zu gestalten, ignoriert den Umstand, dass solche Prozesse eine Eigendynamik entwickeln können, die sich einer direkten Steuerung entzieht. Wenn die Gestaltung von Beschäftigungsverhältnissen demnach komplizierter ist, als das betriebswirtschaftliche Ansätze üblicherweise konzeptualisieren, könnte eine mögliche Folge von Rationalisierungsmaßnahmen nicht die Senkung, sondern, im Gegenteil, die Erhöhung von Kosten sein. Dass die Auswirkungen von Outsourcing auf das soziale Gefüge betriebswirtschaftlich nicht bedacht werden, ist zudem insoweit bedenklich, als Organisationen auf ein Mindestmaß an kollegialer Kooperation angewiesen sind.
4.7 Chancen und Risiken von Outsourcing für die Beschäftigten aus soziologischer und sozialpsychologischer Perspektive Chancen und Risiken von Outsourcing für die Beschäftigten Wie im vorigen Abschnitt ausgeführt, besteht die Outsourcing-Literatur zu einem großen Teil aus betriebswirtschaftlicher Fachliteratur, die einer ökonomischen Verwertungslogik folgt und die möglichen Konsequenzen von Outsourcing für die Beschäftigten kaum thematisiert. Bis auf wenige Ausnahmen stehen auch in wissenschaftlichen Studien über Outsourcing betriebswirtschaftliche Fragen im Zentrum. Die Perspektive der Beschäftigten, die von Outsourcing betroffen sind, wird bisher kaum beachtet (vgl. Daser 2007). Ausnahmen stellen zwei soziologische Studien dar sowie ein Beitrag der Psychologin Seewald (2003) über eine beratende Begleitung eines Personaltransfers im Rahmen von IT-Outsourcing. Die Studie von Bleicher u. a. (2003) beleuchtet die Bedeutung von Unternehmensausgliederungen für Beschäftigung, Arbeitsbeziehungen und Mitbestimmungsträger; die Studie von Hendrix u. a. (2003) geht der Frage nach, ob die Neugestaltung von Organisationsgrenzen zu einer inhaltlichen, zeitlichen und sozialen Entgrenzung von Arbeit führt. Aufgrund der thematischen Nähe zur vorliegenden Untersuchung werden der Text von Seewald (2003) sowie die Stu-
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dien von Bleicher u. a. (2003) und Hendrix u. a. (2003) im Folgenden vorgestellt. Die Psychologin Seewald (2003) rückt die Auswirkungen eines Personaltransfers im Rahmen von Outsourcing auf die transferierten Beschäftigten in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung. Sie hat in der Funktion einer Beraterin die Integration von Beschäftigten begleitet, die im Bereich der Informationstechnologie eines Luft- und Raumfahrttechnologie-Konzerns beschäftigt waren und deren Beschäftigungsverhältnisse im Rahmen von Outsourcing zu Hewlett und Packard transferiert wurden. Anhand einer Rückblende auf ihre Beratertätigkeit für Hewlett und Packard führt sie aus, welche Konsequenzen aus dieser Form der Unternehmensreorganisation für die Beschäftigten resultieren und welche Herangehensweise hilfreich sein kann, um den Beschäftigten die Integration im neuen Unternehmen zu erleichtern. Als Konsequenzen des Outsourcing benennt Seewald (2003 S. 42) den unfreiwilligen Transfer in eine neue IT-Consulting Abteilung von Hewlett und Packard, in ihren Worten „den Wechsel in die Rolle des externen Dienstleisters und in die neue Rolle als IT Consultant“. Als externe Dienstleister werden die transferierten Beschäftigten damit konfrontiert, dass ihre ehemaligen Kollegen nun ihre Kunden sind. Zudem müssen sie sich aufgrund des veränderten Aufgabengebiets mit neuen Anforderungen auseinandersetzen. Diesen Rollenwechsel, so argumentiert die Autorin, gelte es zu begleiten, damit er gelingen und der im Outsourcing-Vertrag festgelegte Service durch diese Beschäftigten erbracht werden kann. Sie betont den Bedarf an kollektiver und individueller Information, dem auf formellem, jedoch auch auf informellem Wege Rechnung getragen werden soll. Er betrifft folgende Fragen der Beschäftigten: Was ist mein eigener Anteil daran, dass ich zu einem anderen Unternehmen transferiert wurde? Was kommt auf mich zu? Wie vertrauenswürdig ist der neue Arbeitgeber? Was wird jetzt von mir erwartet? Was bin ich eigentlich wert? Da diese Fragen die Beschäftigten verunsichern, müssen Wege gefunden werden, um ihnen konstruktiv zu begegnen. Eine Möglichkeit besteht darin, sich den Umstand zu Nutze zu machen, dass die transferierten Beschäftigten ihr Arbeitsumfeld besser kennen als ihr neuer Arbeitgeber. Daher ist es auch aus strategischen Gründen geboten, sie in die Gestaltung der Arbeitsabläufe einzubinden und ihnen somit zugleich eine Möglichkeit zu bieten, sich verantwortlich handelnd einzubringen. So wird zum einen ihr Wissen genutzt und zum anderen ein Beitrag zur Stabilisierung ihres Selbstwertgefühls geleistet. Eine Einbindung der betroffenen Beschäftigten in die Gestaltungsprozesse des neuen Arbeitgebers erhöht zudem die Wahrscheinlichkeit, dass diese das Gefühl, ihre berufliche Entwicklung beeinflussen zu können, erhalten und nicht fürchten, dem neuen Arbeitgeber hilflos ausgeliefert zu sein. Seewald (2003) schlägt eine Überprüfung der Normen und Verhal-
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tensweisen, der Leistungsanforderungen und Gütemaßstäbe vor, in die sowohl das neue Management als auch die transferierten Beschäftigten eingebunden sein sollen. Sie untermauert ihre Argumentation mit einem schlagkräftigen Argument, dem weder der neue noch der alte Arbeitgeber widersprechen können: „wir sehen darin die Vorbedingungen für ein gutes Leistungsergebnis der neuen Mitarbeiter, um den Kunden möglichst von Anfang an zufrieden zu stellen“ (Seewald 2003 S. 45). Und das ist durchaus ernst gemeint: Seewald verfolgt mit ihrer Vorgehensweise zwei Ziele. Im Vordergrund steht zwar die Aufrechterhaltung des IT-Services für den Kunden, zugleich geht es ihr jedoch auch darum, den transferierten Beschäftigten den Abschied vom alten Arbeitgeber und den Übergang zum neuen Arbeitgeber zu erleichtern sowie die notwendigen Rahmenbedingungen im neuen Unternehmen zu schaffen, die eine gelungene Integration der transferierten Beschäftigten ermöglichen. Denn gut informierte Mitarbeiter, die sich gegenüber dem neuen Management offen äußern und aktiv am Integrationsprozess beteiligen, so die Argumentation Seewalds (2003, S. 46), sind für einen gelungenen Integrationsprozess unabdingbar, weshalb sie betont, dass „dem formellen Neubeginn der informelle Neubeginn folgen muss“. Als eine Schwierigkeit nennt sie die im neuen Unternehmen übliche Form der personenbezogenen Leistungsbemessung, die Druck auf die transferierten Beschäftigten erzeugt und von ihnen nur schwer akzeptiert wird. Das gilt auch für das Kostenbewusstsein des neuen Arbeitgebers, das den Druck weiter erhöht. Der Druck hintertreibt die Anstrengungen Seewalds (2003), die aus dem Outsourcing resultierende Unsicherheit zu reduzieren. Erschwerend kommen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Kunden und ehemaligen Arbeitgebers der Beschäftigten hinzu. Daher bleiben die Beschäftigten in Bezug auf ihre mittelfristigen Zukunftsperspektiven skeptisch. Seewalds (2003) Ansatz, den Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing zu begleiten, ist sinnvoll und sollte in allen Outsourcing-Prozessen berücksichtigt werden. Kritisch anzumerken bleibt jedoch, dass die von ihr präsentierte Kausalkette, mehr Information – mehr Einbindung der transferierten Beschäftigten – mehr Leistung, der Komplexität eines Personaltransfers nicht gerecht wird und wichtige Einflussfaktoren unberücksichtigt lässt. Ihre Vorgehensweise unterstellt die Bereitschaft der Beschäftigten, sich aktiv in den Integrationsprozess einzubringen. Es wäre jedoch auch denkbar, dass der Personaltransfer, der gegen den Willen der Beschäftigten durchgesetzt wird, Emotionen wie Wut, Enttäuschung und Trauer auslöst, so dass die Beschäftigten zunächst dem Anspruch Seewalds (2003), sich aktiv am Integrationsprozess zu beteiligen, nicht genügen können. Es ist zudem vorstellbar, dass die Beschäftigten dem neuen Arbeitgeber skeptisch gegenüber stehen und zunächst abwarten wollen, ob er sich als vertrauenswürdig erweist, bevor sie sich auf Integrationsbemühungen einlassen oder
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diese durch eigenes Zutun unterstützen. Seewald selbst liefert Indizien, die die These stützen, dass eine aktive Beteiligung nicht allen Beschäftigten von Anfang an möglich ist: nur knapp ein Viertel der Beschäftigten nutzt das Angebot, sich von Beginn an in Arbeitsgruppen an der Gestaltung der Arbeitsprozesse zu beteiligen. Trotz der anfänglich geringen Beteiligung der transferierten Beschäftigten leisten die Arbeitsgruppen anscheinend einen wichtigen Beitrag zum Integrationsprozess. Denn die dort gewonnenen Erkenntnisse finden über den „Flurfunk“ Verbreitung und helfen die Unsicherheit auch der Beschäftigten zu reduzieren, die nicht an den Arbeitsgruppen teilnehmen. Zusammenfassend ist der Beitrag von Seewald (2003) als ein Versuch zu würdigen, die Auswirkungen von Outsourcing auf Beschäftigte nicht nur als schwerwiegend anzuerkennen, sondern ihnen darüber hinaus konstruktiv zu begegnen. Es bleibt jedoch anzumerken, dass Integrationsbemühungen im neuen Unternehmen wahrscheinlich nur bedingt über den Verlust des alten Beschäftigungsverhältnisses hinweg helfen können. Zudem brauchen die Beschäftigten genügend Zeit um ein Vertrauensverhältnis zum neuen Arbeitgeber aufzubauen. Dieser Prozess lässt sich nicht beliebig beschleunigen (Haubl 2005c). In einer Studie, die sowohl mit Hilfe quantitativer als auch qualitativer Methoden durchgeführt wurde, befassen sich die Industriesoziologen Bleicher, Fischer, Gensior und Steiner (2002) mit Outsourcing in der ostdeutschen Bergbauund Energiewirtschaft. Die Autoren untersuchen Unternehmen, die im Rahmen von Outsourcing Beschäftigte an so genannte Auslagerungsbetriebe transferieren. Hier möchte ich auf die Ergebnisse der quantitativen Befragung von Geschäftsführern ausgegliederter Betriebe Bezug nehmen. Im Fokus der Betrachtung steht die Frage, „inwieweit Unternehmensreorganisation und Outsourcing einem schleichenden Umbau oder gar einer Erosion des Tarifsystems Vorschub leisten“ (Bleicher u. a. 2002, S. 403). Trotz der negativen Beschäftigungseffekte bietet Outsourcing im Unterschied zu den Alternativen betriebsbedingte Kündigung, Vorruhestandsregelung oder Übernahme in Beschäftigungsgesellschaften zumindest die Chance auf eine längerfristige Beschäftigung. Was die langfristige Perspektive betrifft, so geben Bleicher u. a. (2002) zu bedenken, dass die Übernahme der Beschäftigten für das übernehmende Unternehmen nur bedingt attraktiv ist. Denn der Vorteil von Outsourcing für das auslagernde Unternehmen besteht darin, dass es das Problem der hohen Lohnkosten und der Tarifbindung an einen externen Dienstleister delegieren kann, indem es an die Auftragsvergabe die Bedingung der Personalübernahme knüpft. Es entsteht, so Bleicher u. a. (2002, S. 405), langfristig betrachtet ein „Drehtür“-Effekt für die übernommenen Beschäftigten: Der Dienstleister übernimmt die Beschäftigten nur deshalb, weil daran die Auftragsvergabe – und damit sein geschäftliches Überleben – geknüpft ist. Für einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren ga-
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rantiert das auslagernde Unternehmen ein bestimmtes Auftragsvolumen. Im Gegenzug bietet der Dienstleister für diesen Zeitraum Beschäftigungssicherheit. Sobald die Auslastungsgarantie des Ursprungsunternehmens erlischt, ist mit einer „Unterauslastung der Kapazitäten“ (Bleicher u. a. 2002, S. 405) zu rechnen. Diese Situation wird dadurch verschärft, dass der Dienstleister zur Sicherung seiner Existenz einen neuen Outsourcing-Auftrag übernimmt, der wiederum die Übernahme transferierter Beschäftigter impliziert. Das führt zur betriebsbedingten Entlassung der übernommenen Beschäftigten des früheren OutsourcingVertrags, deren Beschäftigungsgarantie nun keinen Bestand mehr hat. Mit Bleicher u. a. (2002) können folgende Auswirkungen von Outsourcing auf die Arbeitsbeziehungen festgestellt werden: Die transferierten Beschäftigten müssen erstens mit einem erheblichen Einkommensverlust rechnen, sofern der Personaltransfer ein Tarifvertragswechsel nach sich zieht; zweitens führt Outsourcing zu einer Schwächung der betrieblichen Interessenvertretung, die zudem meist konsensorientiert agiert; drittens müssen die Beschäftigten mit einer Flexibilisierung von Arbeitsbedingungen in Form von Überstunden, Kurzarbeit oder gar Lohnzurückhaltungen rechnen. Insgesamt ist demnach eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die im Rahmen von Outsourcing transferierten Beschäftigten zu konstatieren. Die Autoren schließen mit der Bemerkung, dass Outsourcing durchaus auch positive Beschäftigungseffekte hat, da es die Stabilität des Ursprungsunternehmens sichert und die Hoffnung besteht, dass die neu entstehenden Auslagerungsbetriebe die Basis eines wachsenden Mittelstands bilden könnten, der in Ostdeutschland bisher noch nicht sehr stark ausgeprägt ist. Bezogen auf die Fragestellung der vorliegenden Untersuchung kann festgehalten werden, dass die von Outsourcing betroffenen Beschäftigten zu Recht eine Verschlechterung ihrer formalen Arbeitsbedingungen und ihrer Beschäftigungssicherheit fürchten. Im Anschluss an die Befunde von Bleicher u. a. (2002) ist zu fragen, wie sich Outsourcing aus der Perspektive der transferierten Beschäftigten darstellt und welche Auswirkungen auf die Qualität der Arbeitsbeziehungen zu erwarten sind. Auf der Basis ihrer Ergebnisse ist keine Aussage in Bezug darauf möglich, wie sich die Verschlechterung der formalen Arbeitsbedingungen auf die Beziehung zwischen Beschäftigten und Ursprungsunternehmen und zwischen Beschäftigten und Auslagerungsunternehmen auswirkt. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass sich für die Beschäftigten die Arbeitsbedingungen nicht nur formal, sondern auch emotional verändern und der Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing ein kritisches Lebensereignis55 darstellt, das zu bewältigen ist. Denn mit dem Personaltransfer ist nicht nur ein Statusverlust verbun55 Ein kritisches Lebensereignis stellt eine äußere Veränderung dar, die „die Person zu bestimmten Umorientierungen, Bewältigungen, Wiederanpassungen“ (Ulich u. a. 1985, S. 35) herausfordert und eine Krise auslösen kann (vgl. auch Kieselbach u. Mader 2005).
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den, er löst zudem Angst vor einem weiteren, diesmal endgültigen Arbeitsplatzverlust aus und beeinträchtigt das Gefühl, die eigene Berufsbiographie selbstbestimmt gestalten zu können, um nur einige mögliche Konsequenzen zu nennen56. Inwieweit sich trotz des belastenden Transfers die Erwartungen, Hoffnungen und Wünsche der Beschäftigten, die sie im Ursprungsunternehmen entwickelt haben, im Verhältnis zum Auslagerungsunternehmen als wirksam zeigen, ist eine weitere Frage, die sich nicht auf Basis der Studie von Bleicher u. a. (2002) beurteilen lässt. Die Folgen unternehmensübergreifender Kooperation für Arbeitskräfte thematisieren die Arbeitssoziologen Hendrix, Abendroth und Wachtler (2003) am Beispiel von Outsourcing. Sie gehen der Frage nach, inwieweit die Flexibilisierung organisationaler Grenzen im Zuge von Outsourcing die Flexibilisierung und Deregulierung von Arbeitsbedingungen nach sich zieht. Dabei stellen die Autoren fest, dass es kaum möglich ist, die Beschäftigungswirkungen von Outsourcing von den Auswirkungen anderer Reorganisationsmaßnahmen analytisch zu trennen: Outsourcing erscheint in ihrer Darstellung als eine Maßnahme in einem ganzen Paket von Reorganisationsmaßnahmen, das an die Rationalisierungen der 1990er Jahre anschließt. Geringere Arbeitsplatzsicherheit und eine breite Palette an veränderten Arbeitsformen, die die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten tendenziell verschlechtern, sind die Folge. Die Ergebnisse von Hendrix u. a. (2003) zeigen, dass der Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing oft eine Schwächung der tariflichen Bindung bewirkt, da die auslagernden Unternehmen im Gegensatz zu den übernehmenden Unternehmen tariflich gebunden sind. Die übernehmenden Unternehmen greifen auch eher auf atypische Beschäftigungsmodelle wie geringfügige und befristete Beschäftigung oder Scheinselbstständigkeit zurück. Sie geben die Unsicherheit schwankender Auftragsvolumen seitens der auslagernden Unternehmen in Form von Externalisierung von Beschäftigungsrisiken und Prekarisierung von Beschäftigungsverhältnissen an die transferierten Beschäftigten weiter. Daher liegt die Vermutung nahe, dass Outsourcing zur Erosion des Normalarbeitsverhältnisses beiträgt. In Bezug auf Arbeitszeitmodelle stellen Hendrix u. a. (2003) in ihrer Studie fest, dass an Outsourcing beteiligte Unternehmen im Vergleich zu anderen Unternehmen überdurchschnittlich oft auf Maßnahmen der flexiblen Arbeitszeitgestaltung zurückgreifen. Insbesondere bei Mitarbeitern von IT-Dienstleistern wird vorausgesetzt, dass sie bereit sind, die Grenze zwischen Arbeitszeit und Privatle56 Zudem ist es schwierig eine neue berufliche Lebensperspektive aufzubauen, da die alte nicht freiwillig aufgegeben wurde. Das hängt damit zusammen, dass die neue Beschäftigung den Verlust der vorigen Beschäftigung nicht aufheben kann, wenn die Bedingungen, unter der sie statt findet, negativ bewertet werden und die Beschäftigten mit ihrer neuen Aufgabe nicht ohne Weiteres Sinn verbinden können (vgl. Ulich u. a. 1985, S. 149).
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ben zu lockern. Das liegt unter anderem an der Umwandlung von Schichtbetrieb in Rufbereitschaft, die stärker in das Privatleben der Mitarbeiter eindringt. Die Autoren verstehen solche Veränderungen als eine Risikoverlagerung auf die Beschäftigten. Die transferierten Beschäftigten werden nicht nur mit zeitlichen, sondern auch mit hohen örtlichen Flexibilitätsanforderungen und verstärkten Anforderungen an die Selbstorganisation konfrontiert. In Anlehnung an die Ergebnisse der Studie von Hendrix u. a. (2003) sind die Auswirkungen von Outsourcing auf Beschäftigte als widersprüchlich zu bewerten. Zum einen ist es nicht auszuschließen, dass durch Outsourcing sowohl in den auslagernden als auch in den übernehmenden Unternehmen, durch die Redefinition von Tätigkeits- und Anforderungsprofilen, Tätigkeiten entstehen können, die im Vergleich zu den bisher ausgeführten Tätigkeiten als umfassender, anspruchsvoller, autonomer oder besser entlohnt beschrieben werden können. Das gilt insbesondere für die Tätigkeitsprofile hoch qualifizierter, junger und männlicher Beschäftigter. Zugleich besteht jedoch die Gefahr der Entstehung von weniger qualifizierten Tätigkeiten, die weniger Dispositionsspielräume bieten und geringer entlohnt werden, wovon insbesondere ältere, schlecht qualifizierte Beschäftigte und Frauen betroffen sind. Die durch Outsourcing veränderten Rahmenbedingungen betreffen demnach nicht alle Beschäftigten gleichermaßen, sondern gemäß der traditionellen Kategorien gesellschaftlicher Positionierungen, nämlich Qualifikation, Alter und Geschlecht. Die Gestaltung der eigenen Arbeitsmarktfähigkeit gewinnt durch Outsourcing an Bedeutung und lässt die transferierten Beschäftigten ein Scheitern als ein persönliches Scheitern wahrnehmen, trotz ihrer beschränkten Einflussmöglichkeiten auf die betrieblichen Kontextbedingungen. Die Studie von Hendrix u. a. (2003) zeigt eindrücklich, wie sich die Kontextbedingungen für einen Großteil der Beschäftigten verschlechtern, deren Beschäftigungsverhältnisse im Rahmen von Outsourcing zu einem anderen Unternehmen transferiert werden. Wie in der Studie von Bleicher u. a. (2003) werden die betroffenen Beschäftigten leider nicht dazu befragt, auf welche Weise sich die Beschäftigungsverhältnisse für sie emotional verändern und inwieweit es gelingen kann, im neuen Unternehmen Sicherheit zu gewinnen. Die drei Beiträge verdeutlichen, dass Outsourcing nicht nur unter technischen, wirtschaftlichen und juristischen Aspekten interessant ist. Es ist wichtig, sich auch mit den möglichen Konsequenzen auf Beschäftigte auseinander zu setzen. Und sei es nur, um deren Leistungsfähigkeit zu erhalten, die aufgrund der Integrationsschwierigkeiten im neuen Unternehmen bedroht ist. Die Perspektive der Beschäftigten, die im Rahmen von Outsourcing zu einem anderen Unternehmen transferiert werden, möchte ich um die Perspektive derer erweitern, die im auslagernden Unternehmen bleiben. Dafür sprechen zwei
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Gründe: Zum einen soll neben der Betrachtung möglicher Konsequenzen für die transferierten Beschäftigten die Situation der im Unternehmen verbleibenden Beschäftigten nicht ganz aus dem Blick geraten, die, wenn auch in anderer Form, ebenfalls von Outsourcing betroffen sind. Zum anderen werden die im auslagernden Unternehmen verbleibenden Beschäftigten zu den kundenseitigen Ansprechpartnern von transferierten Beschäftigten. Veränderungen der Arbeitssituation im auslagernden Unternehmen wirken demnach auf die Situation von transferierten Beschäftigten zurück, die in Folge von Outsourcing in der Rolle des Dienstleisters für ihren ehemaligen Arbeitgeber tätig sind. Trotz der für sie einschneidenden Veränderung ihrer Arbeitssituation sind sie weiterhin auf die Kooperation ihrer ehemaligen Kollegen angewiesen, die ihnen nun als Repräsentanten des Kunden gegenüber treten. Es liegt nahe, eine Beeinflussung ihrer Zusammenarbeit durch die Veränderungen anzunehmen, die Outsourcing für die jeweils andere Seite bewirkt hat. Für die im auslagernden Unternehmen verbliebenen Beschäftigten steht an erster Stelle die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz. Das mag angesichts der Tatsache, dass ihre Beschäftigungsverhältnisse nicht an ein anderes Unternehmen transferiert wurden, verwundern. Die Arbeitsplatzunsicherheit entsteht jedoch aus der Signalwirkung von Outsourcing: Die Hoffnung, für das Unternehmen unentbehrlich zu sein, wird durch Outsourcing geschwächt. Denn Outsourcing symbolisiert die Ersetzbarkeit von Beschäftigten, unabhängig von ihrer Qualifikation oder ihrem Verhalten. Verstärkt wird die daraus resultierende Unsicherheit durch weitere Reorganisationsmaßnahmen im auslagernden Unternehmen, die, wie Ergebnisse der Studie von Hendrix u. a. (2003) zeigen, im Vergleich zu anderen Unternehmen eine überdurchschnittlich starke Tendenz zu organisatorischen Änderungen aufweisen. Outsourcing findet demnach häufig in einem Kontext von Rationalisierungs- und Reorganisationsmaßnahmen statt und rückt daher in die Nähe von Downsizing (vgl. Wüstner 2006). Die Auswirkungen von Downsizing auf die in der Organisation verbleibenden Beschäftigten beschreibt Stein (2003) eindrücklich anhand von Fallvignetten aus der eigenen Forschung und Beratungspraxis im US-amerikanischen Gesundheitswesen. Im Unterschied zu Beschäftigten in Deutschland sind Beschäftigte in den USA gesetzlich nicht gegen Kündigungen geschützt (Streeck 2004). Daher sind Kündigungen in den USA jederzeit in großem Umfang möglich und entfalten im Fall von Massenentlassungen in einer Organisation eine besondere Dramatik: Um Sabotageakte zu verhindern, werden in einigen Organisationen gekündigte Beschäftigte von Sicherheitskräften aufgefordert, sofort ihren Schreibtisch zu leeren und umgehend das Unternehmen zu verlassen. Sie geleiten sie zu ihrem Auto, unter der Beobachtung derer, die nicht gekündigt wurden und im Unternehmen verbleiben. Werden viele Beschäftigte zugleich entlassen und von
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Sicherheitskräften aus dem Unternehmen „entfernt“, so wirkt die Situation bedrohlich auf die Verbliebenen. Wie bedrohlich die Erfahrung von Massenentlassungen in der eigenen Organisation wirkt, manifestiert sich, so Stein (2003), in den Bildern, Worten und Metaphern die in Erfahrungsberichten verwendet werden, um die davon ausgelösten Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Besonders auffällig sind bei der Analyse dieser Erfahrungsberichte die immer wieder auftauchenden metaphorischen Verweise auf den Holocaust. Der Vergleich ist ohne Zweifel unangemessen, da ein drohender Arbeitsplatzverlust nicht mit einer Bedrohung von Leib und Leben gleichgesetzt werden darf. Ernst zu nehmen ist jedoch die Angst, die der Gebrauch dieser Metaphern zum Ausdruck bringt: Die Angst vor einem möglichen Arbeitsplatzverlust, die allein durch den Umstand, nicht Teil des derzeitigen Personalabbaus zu sein, nicht besänftigt werden kann. Denn die verbliebenen Beschäftigten kommen nicht umhin, den nächsten Personalabbau zu antizipieren. Sie fürchten, Teil der nächsten Massenentlassung und durch den Arbeitsplatzverlust ihrer Existenzsicherung beraubt zu werden. Berücksichtigt man die Auswirkungen sowohl auf die Entlassenen als auch auf diejenigen, die im Unternehmen verbleiben, so fordert Downsizing einen (zu) hohen Preis. Denn die propagierten Verheißungen gesteigerter Effizienz und steigender Gewinne werden nur selten wahr und können die Entlassungen nicht rechtfertigen. Die den Rationalisierungsmaßnahmen zu Grunde liegenden Motive, so folgert Stein (2003), sind weit weniger rational, als von den Akteuren dargestellt. In seiner Perspektive erscheint Downsizing als eine symbolische Opferhandlung, die als ökonomisch notwendige Maßnahme zur Sicherung der Organisation inszeniert wird. In Anlehnung an die Überlegungen Steins (2003) ist davon auszugehen, dass Outsourcing die Entstehung einer Misstrauenskultur im auslagernden Unternehmen befördert. Denn die Angst um den eigenen Arbeitsplatz erzeugt ein Misstrauen gegenüber dem eigenen Arbeitgeber, das sehr wahrscheinlich auf die Arbeitsbeziehungen übergeht (Haubl 2005). Das gilt insbesondere dann, wenn Outsourcing zu neuen Formen der Inklusion und Exklusion von Beschäftigten führt: Arbeitnehmer, die vor dem Outsourcing gemeinsam in einem Bereich gearbeitet haben, werden durch Outsourcing getrennt, wenn ein Bereich nicht komplett ausgelagert wird, sondern ein selektives Outsourcing stattfindet. Dann generiert Outsourcing eine neue Grenze, die zwischen den Beschäftigten, die im Rahmen von Outsourcing Teil eines Personaltransfers wurden, und ihren ehemaligen Kollegen verläuft. Nach dem Outsourcing begegnen sich demnach ehemals gleichberechtigte Kollegen in der Rolle des Dienstleisters und Kunden und wissen nicht, wie sie sich in den neuen Rollen gegenüber den ehemaligen Kollegen verhalten sollen (Küchler 2004, S. 66).
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Dörre (2005) nennt Outsourcing als eine von mehreren Maßnahmen, die Unternehmen zur Steigerung ihrer externen Flexibilität durchführen. Unternehmen, die ihre externe Flexibilität erhöhen wollen, versuchen damit sowohl auf schwankende Wettbewerbsbedingungen zu reagieren als auch den Gewinnerwartungen von Finanzmarktakteuren zu genügen. Die Unsicherheit des Marktes wird in die Unternehmen hinein verlagert und bietet eine Legitimation für Rationalisierungskonzepte, die eine extensive Arbeitskraftnutzung vorantreiben. „Unter den Bedingungen finanzmarktgetriebener Akkumulation gelten Löhne, Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen als Restgröße, die flexibel an Markterfordernisse angepasst werden muss.“ (Dörre, K. 2005, S. 251). Nun führt Outsourcing zunächst nicht zwangsläufig zu einer Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse57 im auslagernden Unternehmen. Dennoch sind die subjektiven Wirkungen von Outsourcing nicht zu unterschätzen, die bis tief in die „Zone der Integration“ (Castel 2000, S. 360), in der sich die Beschäftigten eines auslagernden Unternehmens gemeinhin (noch) befinden, hineinreichen. Für die transferierten Beschäftigten gilt, dass sich durch einen Personaltransfer ihre Verhandlungsmacht verringert und die Sorge um den Arbeitsplatz aufgrund des begrenzten Bestandsschutzes durchaus berechtigt ist (vgl. Abschnitt 4.5). Die Sicherheit des Arbeitsplatzes ist nach dem Personaltransfer am ehesten für die Beschäftigten gewährleistet, die „ungeheuer flexibel und hochmotiviert“ (Aussage eines Management-Vertreters eines IT-Dienstleisters in Hendrix u. a. 2003, S. 139) seien. Gefährdet seien hingegen diejenigen, die „nicht mehr trainierbar sind“. Diese Einschätzung, die Hendrix u. a. (2003) zufolge durchaus repräsentativ für die von ihnen befragten Management-Vertreter ist, verweist auf eine Individualisierung der Einflussfaktoren von Weiterbeschäftigung. Vorausgesetzt werden neben Flexibilität und Eigeninitiative die Fähigkeit, die eigene Arbeitsfähigkeit trotz betrieblicher Reorganisationsmaßnahmen aufrecht zu erhalten (Hendrix u. a. 2003). Die Autoren gehen davon aus, dass eine an den genannten Kriterien ausgerichtete Erwartungshaltung seitens der übernehmenden Unternehmen auf lange Sicht eine Exklusion bestimmter Beschäftigungsgruppen wahrscheinlicher macht. In Anschluss an die Argumentation von Dörre (2005) und Castel (2000) wird deutlich, dass immer mehr Beschäftigte um den Erhalt ihres Arbeitsplatzes fürchten (müssen), mithin von einer „Prekarisierungsangst“ ergriffen werden (Bude u. Lantermann 2006; Kraemer 2006). Es lohnt sich daher, die Qualität von Arbeitsbeziehungen in den Blick zu nehmen, wofür sich der psychologische Vertrag als Analyse-Instrument anbietet. 57 Unter einem prekären Arbeitsverhältnis wird gemeinhin ein Arbeitsverhältnis verstanden, das deutlich unter einem Einkommens-, Schutz- und Integrationsniveau liegt, das in der Gegenwartsgesellschaft als Standard definiert ist (vgl. Dörre 2005; Kraemer 2006).
5 Der psychologische Vertrag
In der deutschsprachigen Forschungslandschaft bisher nur wenig rezipiert, wird der psychologische Vertrag seit Ende der 1980er Jahre vor allem im angloamerikanischen Raum als Erklärungsmodell für psychosoziale Auswirkungen von Reorganisations- und Rationalisierungsmaßnahmen wie Fusionen, Downsizing sowie Outsourcing herangezogen (vgl. Greene, Ackers u. Black 2001; Ho, Ang u. Straub 2003; Koh, Ang u. Straub 2004). Der Begriff des psychologischen Vertrags geht auf den Begriff „psychological work contract“ zurück, den Argyris (1960, S. 96) einführt, um im Rahmen einer Organisationsanalyse eine implizite Übereinkunft über die Zusammenarbeit von Arbeitern mit ihren Vorarbeitern zu beschreiben. In den folgenden Jahren wird das organisationspsychologische Konzept eines impliziten Arbeitsvertrags, der den formalen Arbeitsvertrag ergänzt, von Schein (1978, 1980), Kotter (1973) sowie Nicholson und Johns (1985) aufgegriffen. Eine breitere Aufmerksamkeit erlangt der psychologische Vertrag durch die Beiträge der Psychologin Rousseau (Robinson u. Rousseau 1994; Rousseau 1989, 1995, 1998), die an Argyris (1960) anknüpft und dem Konzept einen veränderten Akzent gibt: Im Vordergrund steht das Transformationsproblem, für das die (Arbeits-) Beziehungsebene als zentral erachtet wird und das gerade in Phasen steter Reorganisation an Brisanz gewinnt. Schließlich löst die Infragestellung organisationaler Grenzen Ängste aus, die eben jene Kräfte binden, die zur Bewältigung des Arbeitsalltags vonnöten sind. Im deutschsprachigen Raum befassen sich bisher nur wenige Autoren mit dem psychologischen Vertrag. Zu nennen sind Raeder und Grote (2000, 2001, 2004; Grote u. Raeder 2003), Weiss und Udris (2001), Kalkowski (2004), Stahlmann, Wendt-Kleinberg und Weyrather (2004), Rigotti und Mohr (Rigotti u. Mohr 2004; Rigotti, Otto u. Mohr 2007), Bräutigam und Liebig (2006) sowie Kirpal und Mefebue (2007). Dem Konzept des psychologischen Vertrags liegt die Annahme zu Grunde, dass ein formaler Arbeitsvertrag58 aufgrund der Komplexität von Beschäfti58 Üblicherweise hat ein formaler Arbeitsvertrag Art und Ort der Tätigkeit, Kündigungsschutz und Urlaubsanspruch zum Inhalt und wird in einigen Fällen durch schriftliche und mündliche Regelungen ergänzt, die unter anderem Arbeitszeiten, Verantwortungsbereiche und weitere Details betreffen. Letztlich sind diese Regelungen immer lückenhaft, da es gemeinhin aufgrund der Komplexität von Beschäftigungsverhältnissen nicht gelingen kann, alle Eventualitäten zu antizipieren und durch
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gungsverhältnissen nicht alle relevanten Aspekte eines Beschäftigungsverhältnisses umfassend regeln kann und folglich immer von (unausgesprochenen) Erwartungen in Bezug auf den Inhalt der Austauschbeziehung seitens des Beschäftigen und der Repräsentanten der Organisation flankiert wird. Die Vorstellungen von einer gerechten Austauschbeziehung sind, so die Annahme, für die konkrete Ausgestaltung von Beschäftigungsverhältnissen konstitutiv. Es besteht demnach weitgehend Einigkeit in Bezug auf die Bedeutung von psychologischen Verträgen für Beschäftigungsverhältnisse, die insbesondere bei langfristigen Beschäftigungsverhältnissen eine stabilisierende Wirkung haben können. Zudem wird dem psychologischen Vertrag eine Aussagekraft in Bezug auf die Güte eines Beschäftigungsverhältnisses aus Perspektive des Beschäftigten zugesprochen. Eine allgemeingültige Definition des Begriffs „psychologischer Vertrag“ liegt bisher allerdings nicht vor (vgl. Conway u. Briner 2005). Während einige Autoren im Anschluss an Rousseau den psychologischen Vertrag als ein kognitives Modell und weniger als eine Beziehung erachten, betonen andere Autoren den Aspekt der Reziprozität59 für die Beziehung von Beschäftigten und Organisation. Im ersten Fall wird der psychologische Vertrag als ein Bündel der Vorstellungen oder Wahrnehmungen eines (oder mehrerer) Beschäftigten in Bezug auf die ihm (oder ihnen) gemachten Versprechen seitens der Repräsentanten der Organisation verstanden. Der psychologische Vertrag ist in diesem Verständnis von den beruflichen Erfahrungen in einer Organisation geprägt, ohne jedoch tatsächlich auf Gegenseitigkeit zu beruhen und für die Repräsentanten der Organisation verbindlich zu sein. So bleibt die (symbolische) Interaktion zwischen dem Beschäftigten und den Repräsentanten der Organisation, für die er tätig ist, eher randständig. Im zweiten Fall steht die als mehr oder weniger gerecht empfundene Austauschbeziehung von Beschäftigtem und Organisation, die auf einem gewissen Maß an Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung basiert, im Fokus der Betrachtung. Auch hier stellt sich die Frage, inwieweit der psychologische Vertrag, auch wegen seiner impliziten Anteile als verbindlich, mithin als Vertrag im eigentlichen Sinne zu betrachten ist. Zudem gibt es Uneinigkeit in Bezug auf den abstrakten Inhalt des psychologischen Vertrags, bei dem es sich entweder um Erwartungen (Kotter 1973), um aus Versprechen abgeleitete Verpflichtungen (Rousseau 1995) oder sowohl Erwartungen als auch Verpflichtungen (Levinson 1972; McLean Parks, Kidder u. Gallagher 1998) handelt. Regelungen vorab zu bestimmen. Zudem beinhalten Regeln gemeinhin einen Interpretationsspielraum und müssen auf eine konkrete (Arbeits-) Situation angewandt werden. 59 Auf Gouldner (1960) geht die Vorstellung einer universellen Reziprozitätsnorm zurück, die bei einer Leistung durch Ego bei Alter eine Verpflichtung zu Dankbarkeit und Ausgleich der entgegengenommenen Leistung erzeuge.
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Weitgehend ungeklärt ist zudem das Verhältnis des psychologischen Vertrages zu anderen Konzepten der Arbeits- und Organisationspsychologie wie Arbeitszufriedenheit und Commitment sowie zu sozialen Austausch-Theorien (vgl. Blau 1964), Gerechtigkeit (Adams 1965; Geurts, Schaufeli u. Rutte 1999) oder dem psychoanalytischen Konzept des Arbeitsbündnisses (Greenson 1967). Vor dem Hintergrund zahlreicher konzeptioneller Differenzen ist es durchaus nachvollziehbar, dass Guest (1998) seinen Beitrag zum Konzept der Frage „Is the psychological contract worth taking seriously?“ widmet. Im Folgenden sollen die begriffliche Entwicklung kurz dargestellt sowie unterschiedliche Definitionen des psychologischen Vertrags auf ihren Nutzen für die Analyse von Beschäftigungsverhältnissen geprüft werden, die im Rahmen von Outsourcing einer beschleunigten Entgrenzung unterliegen (vgl. Kapitel 4).
5.1 Die begriffliche Entwicklung des psychologischen Vertrags Das Konzept des psychologischen Vertrags60 ist im Umfeld der humanistischen Psychologie der späten 1950er Jahre entstanden61. Diese kann mit Boltanski und Chiapello (2003, S. 132) als ein wichtiger Impulsgeber des ManagementDiskurses zu dieser Zeit gewertet werden, der sich mit der Frage der Motivation von Beschäftigten auseinander setzt. So würden sich die Empfehlungen in der Management-Literatur auf das Bedürfnis der Beschäftigten nach (Arbeitsplatz-) Sicherheit beziehen, weil eine stillschweigende Garantie der Arbeitsplatzsicherheit in Anlehnung an die Maslow‘sche Bedürfnispyramide (1970) eine Voraussetzung für den Zugriff auf die Selbstverwirklichungspotenziale der Beschäftigten darstelle. Der Organisationspsychologe Argyris62 (1960) beschäftigt sich ebenfalls mit Leitungsfragen, wobei der Akzent eher auf der Gesundheit von Beschäftigten und Organisation liegt, als auf der Lösung des Transformationsproblems. Die Überlegungen von Argyris (1960) basieren auf der Vorstellung, dass die Bedürfnisse der Beschäftigten ihr Verhältnis zu der Organisation, für die sie tätig sind, maßgeblich bestimmen würden, wobei das Bedürfnis nach Wachstum und Reife als zentral zu erachten sei. Sofern das Management das Bedürfnis der Beschäftigten nach Initiative und Entwicklungsmöglichkeiten respektiere, so würden die 60 Eine umfassende Darstellung der Entwicklung des Konzepts bieten Conway und Briner (2005). 61 Auch Menninger und Holzmann (1958) weisen in ihrer Betrachtung des Arbeitsbündnisses zwischen Therapeut und Patient auf die mehr oder weniger bewussten impliziten Anteile von unterschiedlichen (vertraglichen) Beziehungen hin, ohne jedoch den Begriff „psychologischer Vertrag“ zu verwenden oder den Arbeitskontext in Organisationen in den Blick zu nehmen. 62 Argyris gilt als einer der Begründer der Organisationsentwicklung und prägte den Begriff der „lernenden Organisation“ (Argyris u. Schön 1978, 1999).
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Beschäftigten im Gegenzug die Wachstumsinteressen ihrer Organisation respektieren. Folglich sei ein gemeinsames Wachstum von Organisation und Beschäftigten anzustreben, was in der Praxis jedoch nicht in jedem Fall gelinge. Argyris (1960, S. 96) untersucht US-amerikanische Industrie-Unternehmen in Bezug auf die Folgewirkungen veränderter Produktionsanforderungen. Er verwendet den Begriff „psychological work contract“ als Beschreibung einer impliziten Übereinkunft zwischen Arbeitern und ihrem Vorarbeiter: „Since the foremen realize the employees in this system will tend to produce optimally under passive leadership, and since the employees agree, a relationship may be hypothesized to evolve between the employees and the foremen which might be called the „psychological work contract.“ The employee will maintain high production, low grievances, etc., if the foremen guarantee and respect the norms of the employee informal culture (i.e., let the employees alone, make certain they make adequate wages, and have secure jobs). This is precisely what the employees need.”
Der beschriebene psychologische Vertrag berücksichtigt die Bedürfnisse der Arbeiter und stellt eine spezifische Tauschbeziehung zwischen Arbeitern und ihrem Vorarbeiter dar: Der Vorarbeiter gewährleistet die Rahmenbedingungen, die die Arbeiter benötigen, um sich auf ihre Arbeit konzentrieren zu können, und sieht von einem kontrollierenden Eingriff in den Arbeitsprozess ab. Im Gegenzug halten die Arbeiter eine hohe Produktivität aufrecht. Die Kooperation zwischen Arbeitern und Vorarbeitern beruht demnach auf einer „passiven Leitung“, die den persönlichen Kontakt zwischen Vorarbeiter und Arbeitern nur in Ausnahmen vorsieht, wie die weiteren Ausführungen von Argyris (1960, S. 96) zeigen: Ein Vorarbeiter, der versucht, auf die konkrete Ausgestaltung der Arbeitsabläufe direkt einzuwirken, muss damit rechnen, dass Produktivitätsziele, für die er gegenüber dem Management Verantwortung trägt, nicht erreicht werden. Umgekehrt müssen Arbeiter, die viel Ausschuss produzieren oder die Produktionsziele nicht erreichen, fürchten, vom Vorarbeiter nicht mehr abgeschirmt und folglich vom höheren Management belangt zu werden. Als Machtressource (vgl. Abschnitt 2.3.1) des Vorarbeiters gegenüber den Arbeitern kann demnach das mehr oder weniger starke Abschirmen gegenüber dem Management gewertet werden. Seine einzige Sanktionsmöglichkeit besteht darin, den Druck, den das Management auf ihn ausübt, (mehr oder weniger stark) an die Arbeiter weiterzugeben. Umgekehrt ist er auf die Kooperation der Arbeiter angewiesen, um die Produktivität aufrecht zu erhalten, für die er die Verantwortung trägt. Anhand der Fallbeschreibung von Argyris (1960) wird deutlich, dass sich die Verhaltensweisen von Arbeitern und Vorarbeitern zu einem alltagspraktischen Arrangement verfestigen, das, einmal etabliert, weder von Vorarbeitern noch von Arbeitern ohne Weiteres in Frage gestellt werden kann. Es ist selbst
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dann wirksam, wenn einige Arbeiter oder der Vorarbeiter mit diesem Arrangement unzufrieden sind. Letztlich profitieren jedoch beide Seiten davon, weil die Begrenzung der jeweiligen Handlungsspielräume das Verhalten berechenbar macht und den Druck auf die Akteure reguliert63. Für Argyris (1960) ist der psychologische Vertrag eine von mehreren möglichen Perspektiven, mittels derer er sich dem Forschungsgegenstand „Verhalten in Organisationen“ nähert. Um das Verhalten in Organisationen zu verstehen, so der Autor, ist es von Bedeutung, sowohl die formale Organisation als auch die Menschen, die dort arbeiten, in den Blick zu nehmen. An den Prinzipien der wissenschaftlichen Betriebsführung (Taylor [1913] 1977) kritisiert er ihre mangelnde Kongruenz mit den Bedürfnissen gesunder Individuen. Anstatt die berufliche Selbstverwirklichung der Beschäftigten als Impuls für Kreativität und Produktivität für die Organisation nutzbar zu machen, würde die bürokratische Organisation die Beschäftigten infantilisieren, indem sie sie systematisch an der Entwicklung hindere. Mehr noch: Sie forciere unreifes Verhalten, was bei den Beschäftigten zu Frustration, Apathie und Aggression führen könne, da sie sich in ihrem Bestreben nach Autonomie und Entwicklung eingeschränkt fühlen würden. Während sich reife Persönlichkeiten ungern infan63 Wie Argyris weiter ausführt, schließt der psychologische Vertrag die Vorgesetzten der Vorarbeiter ein, die um die passive Haltung der Vorarbeiter wissen und versuchen, sie durch Ausübung von Druck als Führungskräfte zu aktivieren. Das gelingt jedoch nicht, da die Vorarbeiter keine Möglichkeit sehen, sich erfolgreich gegen die Arbeiter durchzusetzen. Im Gegenteil, sie weigern sich nicht nur, auf die Arbeiter direkt einzuwirken, sondern versuchen darüber hinaus, alle Entscheidungen dem Management zu überlassen. Da das Management nicht auf die Führungsfähigkeiten der Vorarbeiter vertraut, fühlt es sich gezwungen, selbst den Output der Arbeiter zu kontrollieren, indem es in der Produktion präsent ist und das persönliche Gespräch zu den Arbeitern sucht. Die Vorgesetzten der Vorarbeiter führen zu diesem Zweck kurze, freundliche Gespräche mit den Arbeitern, die sich dadurch geschmeichelt fühlen. Sie empfinden die Besuche des Managements in erster Linie nicht als Kontrolle, sondern als Wertschätzung ihrer Person, obwohl die Gespräche selten länger als 90 Sekunden dauern. Denn der freundliche, wenn auch zeitlich begrenzte, persönliche Kontakt zum Management lässt sie hoffen, gut behandelt und nicht gekündigt zu werden. In den Worten von Argyris bestätigen die Besuche des Managers den Arbeiter in dem Gefühl, dass dieser „still loves him“ (1960, S. 100) und darin, dass der psychologische Vertrag weiterhin besteht. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Arbeiter und Vorarbeiter einen Nichtangriffspakt geschlossen haben, der durch die Kontrollbesuche des Managements bestätigt wird. So behält das Management die Kontrolle und muss sich nicht auf die Vorarbeiter verlassen, diese können sich (zu) großer Verantwortung entziehen und die Arbeiter erfahren durch die Kontrolle des Managements die gewünschte Wertschätzung. Dennoch sind Vorarbeiter und Manager mit der Situation unzufrieden: Die Vorarbeiter wünschen sich einen höheren Status, mehr Einfluss und weniger Druck seitens des Managements. Das Management wünscht sich aktivere und eigenständigere Vorarbeiter, sehen sich jedoch auch nicht in der Lage, diese durch Delegation von Führungsverantwortung zu fördern, da sie die Vorarbeiter als führungsschwach erleben.
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tilisieren ließen, würde es unreife Persönlichkeiten frustrieren, wenn von ihnen eigenverantwortliches Handeln gefordert würde (Argyris 1960, S. 19). Der Ansatz von Argyris (1960) unterscheidet sich von späteren Herangehensweisen dahingehend, dass er den psychologischen Vertrag in einem konkreten Arbeitskontext verortet, der Arbeiter und das untere sowie das mittlere Management einschließt. Die Fokussierung auf das Geflecht dieser Arbeitsbeziehungen ermöglicht ihm die Berücksichtigung der Frage nach der Legitimation von Macht. Levinson (1972; Levinson, Price, Munden u. Solley 1962) und Schein (1978, 1980) verwenden den Begriff des psychologischen Vertrags im Zusammenhang mit der Mitarbeiterzufriedenheit und -motivation. Während Levinson (1972; Levinson u. a. 1962) in seiner Definition auf die mehr oder minder bewussten impliziten Anteile des psychologischen Vertrags abhebt, betont Schein (1980) die Bedeutung der alltäglichen Aushandlungsprozesse für den psychologischen Vertrag (vgl. Conway u. Briner 2005). Die Autoren stimmen darin überein, dass insbesondere die unausgesprochenen Anteile des Beschäftigungsverhältnisses in Form eines psychologischen Vertrags für die Gestaltung der (Arbeits-) Beziehungen von großer Bedeutung sind, wie an der Definition des psychologischen Vertrags von Schein (1980, S. 22) deutlich wird: “The notion of a psychological contract implies that there is an unwritten set of expectations operating at all the times between every member of an organization and the various managers and others in that organization.”
Die Definition von Kotter (1973, S. 92) hebt auch auf den impliziten Charakter der gegenseitigen Erwartungen in Arbeitsbeziehungen ab, die er allerdings weniger als Beziehungsgeflecht konzeptualisiert, sondern vielmehr als eine spezifische Beziehung eines Beschäftigten zu der Organisation, für die er tätig ist: “An implicit contract between an individual and his organization which specifies what each expect to give and receive from each other in the relationship.”
Levinson (1972; Levinson u. a. 1962) erachtet die Erfüllung eines auf die Bedürfnisse der Beschäftigten sowie der Organisation ausgerichteten psychologischen Vertrags als Ausdruck einer gelungenen Reziprozität, die er als förderlich für die (psychische) Gesundheit der Beschäftigten beschreibt. Ein Bruch des psychologischen Vertrags hat seiner Ansicht nach eine gesundheitsbeeinträchtigende Wirkung. Als eine Dimension des psychologischen Vertrags nennt er die Würdigung der von Beschäftigten geleisteten Arbeit (vgl. Abschnitt 2.3.2). Levinson (1972, S. 291) definiert den psychologischen Vertrag folgendermaßen:
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"The psychological contract is a set of mutual obligations and expectations between employees and organization that arises out of the needs of both. Some aspects of the contract are conscious, for example, the return of loyalty and service for guaranteed employment; some are unconscious, for example, the expectation that a manager will be able to move up and achieve rank and the expectation of the company that the manager will defend and protect it."
Gerade weil Levinson (1972) die impliziten Anteile des psychologischen Vertrags betont, liegt die Vermutung nahe, dass der psychologische Vertrag weniger auf (expliziten) Verpflichtungen basiert, als vielmehr auf unausgesprochenen Erwartungen, denen allerdings ein verpflichtender Charakter zukommt, der insbesondere in Folge von Erwartungs-Enttäuschungen deutlich wird. In seinem Verständnis prägen jedoch nicht nur die Erfahrungen mit Repräsentanten der Organisation den psychologischen Vertrag der Beschäftigten, sondern auch die Beziehungen zu den Kunden. Das bedeutet, dass Beschäftigte in ein vielfältiges Beziehungsnetz eingebettet sind, in dem sich die Anforderungen der Organisation partiell nur schwer von denen der Kunden trennen lassen, was zu einer Rollenüberlastung führen kann (vgl. das Beispiel „active friend“ in Abschnitt 3.3.3). In Anlehnung an Argyris (1960), Levinson (1972) und Schein (1980) soll hier unter einem psychologischen Vertrag eine Erwartungsstruktur von (mehr oder weniger bewussten) impliziten Erwartungen der Beschäftigten in Bezug auf die mit ihrem Beschäftigungsverhältnis verbundenen Rechte und Pflichten, die sie gegenüber der Organisation haben, verstanden werden. Die impliziten Erwartungen basieren auf emotional gewerteten, mehr oder minder stark reflektierten und interpretierten positiven sowie negativen beruflichen Erfahrungen in der Organisation und prägen sie zugleich. Von zentraler Bedeutung für den psychologischen Vertrag ist die emotionale Bindung von Beschäftigten zu ihren Kollegen, Vorgesetzten und Mitarbeitern, die durch die alltägliche Interaktion intensiviert, allerdings auch geschwächt werden kann. Aus der täglichen Interaktion entsteht ein Netz gegenseitiger Erwartungen der Organisationsmitglieder aneinander, in das die Erwartungen jedes einzelnen Organisationsmitglieds eingebettet sind. Ob der psychologische Vertrag als erfüllt erachtet wird, hängt mit der empfundenen Balance aus unausgesprochenen Rechten und Pflichten zusammen. Ein Bruch des psychologischen Vertrags liegt somit dann vor, wenn der Beschäftigte der Ansicht ist, trotz der Erfüllung der Pflichten nicht mit den entsprechenden Rechten ausgestattet zu sein, mithin die (Austausch-) Beziehung als unfair erlebt. Solange Rechte und Pflichten im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses als ausgewogen empfunden werden, stabilisiert der psychologische Vertrag das Beschäftigungsverhältnis und entfaltet seine Wirksamkeit gewissermaßen hinter dem Rücken der Beteiligten. In den Worten von Rousseau (1995, S. 141): „We
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know a contract has been kept, when neither party is surprised by the behavior of the other.” Aus Perspektive des Arbeitgebers haben psychologische Verträge die Funktion, den Beschäftigten emotional an die Organisation, für die er tätig ist, zu binden. Die emotionale Verbundenheit mit der Organisation motiviert den Beschäftigten, sich für die Belange der Organisation einzusetzen, mithin das Transformationsproblem selbst zu lösen (vgl. Abschnitt 2.2.2). Deshalb versuchen Organisationen auf vielfältige Weise, die emotionale Verbundenheit mit der Organisation zu stärken, indem sie beispielsweise für ihre familienfreundliche Personalpolitik werben. Während die eine Imagebroschüre auf eine reale Praxis verweisen mag, kommt einer anderen möglicherweise ein instrumenteller Charakter zu, der sich beispielsweise dann manifestiert, wenn das „familienfreundliche“ Unternehmen familienunfreundliche Arbeitszeiten einführt oder den Betriebskindergarten aus Kostengründen schließt. Zudem decken sich die Erfahrungen der Beschäftigten in den meisten Fällen nur zum Teil mit dem vom Unternehmen forcierten Image. Solange die positiven Erfahrungen überwiegen, wird das Image nicht in Frage gestellt, wie am Beispiel „active friend“ (Kratzer 2003, S. 86) deutlich wird (vgl. Abschnitt 3.3.3). Das Firmencredo dient als Projektionsfläche für den Wunsch der Beschäftigten nach Zugehörigkeit. Dass dieses Firmencredo Gemeinschaft eher simuliert als symbolisiert, wissen die langjährigen Beschäftigten. Auf Juniorberater hat das Credo jedoch eine motivierende Wirkung, da die relevanten Erfahrungen fehlen, die als Indiz für den instrumentellen Charakter des Firmencredos dienen können. Aus Perspektive des Beschäftigten kommt dem psychologischen Vertrag die Regulierung der Arbeitsintensität, der (vermeintlichen) Befriedigung des Bedürfnisses nach Anerkennung und Zugehörigkeit sowie der Sicherung des Arbeitsplatzes zu. Psychologische Verträge entwickeln sich durch die alltägliche Interaktion der Organisationsmitglieder und der Interpretation der (teilnehmenden) Beobachtung durch die Organisationsmitglieder. Sie gewinnen gemeinhin mit zunehmender Dauer der Betriebszugehörigkeit an Stabilität, sofern die positiven, Vertrauen bildenden Erfahrungen im Arbeitskontext überwiegen. Sobald jedoch wesentliche Bestandteile des psychologischen Vertrags in Frage gestellt sind, mithin das Verhalten der anderen Seite negativ „überrascht“, gerät möglicherweise der ganze psychologische Vertrag ins Wanken. Gegenwärtig wird die Debatte um den psychologischen Vertrag von einer Herangehensweise dominiert, die sich von dem hier im Anschluss an Argyris (1960) formulierten Verständnis unterscheidet.
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5.2 Zentrale Argumentationslinien gegenwärtiger Forschung Der Ansatz von Rousseau gilt als der einflussreichste Beitrag zur Debatte um den psychologischen Vertrag und soll deshalb kurz vorgestellt werden. Ihr Beitrag „Psychological and Implied Contracts in Organizations“ im Jahr 1989 bescherte dem psychologischen Vertrag nicht nur eine wachsende Aufmerksamkeit in Forschung und Praxis, sondern löste zudem eine konzeptuelle Trendwende hin zu bewusstseinsnahen kognitiven Modellen aus. Möglicherweise sorgte er gerade deswegen für Aufsehen, da Rousseau (1989) den psychologischen Vertrag unter (forschungs-) praktischen Aspekten rekonzeptualisierte. Die zahlreichen quantitativen Studien, die im Anschluss an Rousseau (1989) erscheinen, können als Indiz dafür gelten, dass der psychologische Vertrag vermutlich auch deswegen vor Rousseau (1989) nicht von mehr Autoren aufgegriffen wurde, da sich die frühen Definitionen insbesondere für quantitative Studien als unpraktisch erwiesen haben (vgl. Conway u. Briner 2005, S. 15). Im Anschluss an Rousseau (1989, 1995, 1998; Robinson u. Rousseau 1994) werden gegenwärtig die Versprechen, von denen der Beschäftigte annimmt, sie seinem Arbeitgeber gemacht und von ihm erhalten zu haben sowie die gegenseitigen Verpflichtungen, die der Beschäftigte aus den gemachten Versprechen ableitet, in den Blick genommen. So reduziert sich der emotional gewertete, nicht vollständig bewusstseinsnahe Anteil von psychologischen Verträgen auf mehr oder weniger realitätsangemessene individuelle Interpretationen der mündlichen und schriftlichen Vereinbarungen, die der Beschäftigte mit Repräsentanten der Organisation getroffen hat. Möglicherweise ist es insbesondere forschungspraktischen Motiven geschuldet, dass der psychologische Vertrag nun sehr bewusstseinsnah konzipiert wird und somit in die Nähe eines mündlichen Vertrags rückt. Organisationen werden in dieser Argumentationslinie eher als Impulsgeber für den psychologischen Vertrag und weniger als Vertragspartner, für den die Erwartungen der Beschäftigten einen verbindlichen Charakter haben, verstanden. Der psychologische Vertrag ist demnach nicht mehr die Ausgestaltung unterschiedlicher Erwartungen von miteinander interagierenden Organisationsmitgliedern sondern ein individuelles Phänomen „existing in the eye of the beholder“ (Conway u. Briner 2005, S. 14: “The psychological contract is individual beliefs, shaped by the organization, regarding terms of an exchange agreement between individuals and their organization.” (Rousseau 1995, S. 9, Herv. i. O.)
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Anhand der ursprünglichen Definition von Rousseau (1989, S. 123, Herv. i. O.) wird deutlich, dass sich das Verständnis vom psychologischen Vertrag dahingehend verändert hat, dass er vornehmlich den „deal“ abbildet, den der Beschäftigte mit der Organisation, für die er tätig ist, glaubt, geschlossen zu haben: “The term psychological contract refers to an individual's beliefs regarding the terms and conditions of a reciprocal exchange agreement between that focal person and another party. Key issues here include the belief that a promise has been made and a consideration offered in exchange for it, binding the parties to some set of reciprocal obligations.”
Die Definition von McLean Parks u. a. (1998, S. 698 Herv. i. O.) zeigt deutlich, dass sich das Verständnis vom psychologischen Vertrag auch im Hinblick auf die Annahmen über die Art der treibenden Kräfte des Verhaltens in Organisationen geändert hat. Während Argyris (1960) und Levinson (1972) die Bedeutung von (mehr oder weniger bewussten) Bedürfnissen für das Verhalten in Organisationen hervorheben, scheinen in der Perspektive gegenwärtiger Beiträge eher Nutzenkalküle das Verhalten von Beschäftigten zu bestimmen: “We define the psychological contract between an employer and employee in terms of the idiosyncratic set of reciprocal expectations held by employees concerning their obligations (i.e., what they will do for the employer) and their entitlements (i.e., what they expect to receive in return). These psychological contracts are important - they specify how an employee `defines the deal' - and whether or not the employee feels that `the deal' has been honored or violated.”
Wie bereits angedeutet, wird dem psychologischen Vertrag gegenwärtig weniger Verbindlichkeit zugesprochen als in den Beiträgen von Argyris (1960) oder Schein (1972). So scheint der Inhalt des psychologischen Vertrags nicht auf die (unausgesprochene) Akzeptanz von Repräsentanten der Organisation angewiesen zu sein, wie die folgende Definition von Morrison und Robinson (1997, S. 229) zeigt: “…a psychological contract is commonly defined as an employee’s beliefs about the reciprocal obligations between that employee and his or her organization, where these obligations are based on perceived promises and are not necessarily recognized by agents of the organization.”
Der psychologische Vertrag wird gegenwärtig als überwiegend bewusstseinsnah konzeptualisiert, als eine Vorstellung eines Beschäftigten von seinen Arbeitsbedingungen, die von den Versprechen seitens der Repräsentanten der Organisation gerahmt werden. In dieser Lesart verliert der psychologische Vertrag meines
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Erachtens den Charme, der ihm in seiner ursprünglichen Fassung zu Grunde liegt: Organisationsmitglieder agieren eingebettet in ein Netz von Erwartungen, die Organisationsmitglieder aneinander haben, und gestalten es mehr oder weniger bewusst durch ihre Wünsche und Erwartungen mit. Die Vermutung einer, hinter dem Rücken der Beteiligten ablaufenden, interaktiven Konstitution der Beziehungspraxis liegt folglich nahe. Die Wirkmächtigkeit des psychologischen Vertrags ergibt sich aus dem Umstand, nicht expliziert, jedoch von den Organisationsmitgliedern zum großen Teil (unausgesprochen) akzeptiert zu werden, ohne dass sie die Erwartungen, denen sie zu entsprechen suchen, im Einzelnen benennen oder von ihrer eigenen Werthaltung unterscheiden könnten.
5.2.1 Gegenwärtige Forschung Seit dem Beitrag von Rousseau im Jahr 1989 sind über 100, zumeist empirische Beiträge erschienen (vgl. Conway u. Briner 2005). Neben zahlreichen quantitativen Studien (vgl. Conway u. Briner 2002b; De Vos, Buyens u. Schalk 2003; Kickul, Lester u. Finkl 2002; Manning u. Kidd 1997; Raja, Johns u. Ntalianis 2004; Robinson, Kraatz u. Rousseau 1994; Robinson u. Morrison 2000) sind auch einige qualitative Studien erschienen (Conway u. Briner 2002a; Greene u. a. 2001; Kirpal u. Mefebue 2007; Koh u. a. 2004; Stahlmann u. a. 2004). Ein Großteil der Beiträge zum psychologischen Vertrag befasst sich mit dem Bruch64 (engl. breach) des psychologischen Vertrags, der im Unterschied zur Vertragsverletzung65 (engl. violation) tiefer in das Beschäftigungsverhältnis eingreift oder gar mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses verbunden ist. Die Beiträge setzen den erlebten Bruch des psychologischen Vertrags in Beziehung zu „arbeitsbezogenen Einstellungen, wie Arbeitszufriedenheit, Commitment oder Kündigungsabsicht und proaktivem organisationalem Verhalten wie dem Organizational Citizenship Behavior“ (Rigotti u. a. 2007, S. 228). Rigotti u. a. (2007) machen darauf aufmerksam, dass in den Beiträgen nur selten psychische Risiken thematisiert würden, obwohl sich der psychologische Vertrag als Determinante psychischer Belastungen im Arbeitskontext anbiete. Zudem würde mangelnde Reziprozität in Beschäftigungsverhältnissen nicht nur im Rahmen psychologischer Verträge thematisiert, sondern würde zudem als bedeutender Stressor in Stressmodellen gelten (vgl. Abschnitt 2.3.5). 64 Einen Überblick bieten Conway und Briner (2005); (vgl. auch Edwards, Rust, McKinley u. Moon 2003; Paul, Niehoff u. Turnley 2000). In der Forschung erweisen sich die Konzepte breach und violation nicht als trennscharf (vgl. Rigotti u. a. 2007) 65 Siehe Conway und Briner (2005) (vgl. auch Morrison u. Robinson 1997; Robinson, S. u. Rousseau 1994).
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Der psychologische Vertrag
Eine schleichende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen führt seltener zu einer Interpretation als Bruch des psychologischen Vertrags seitens der Beschäftigten (vgl. Rousseau 1995, S. 143f.). Umfassende Reorganisationsmaßnahmen wie Outsourcing oder die Aufweichung von impliziten Arbeitsplatzgarantien in Form eines Versprechens „a job for a life“ hin zur Betonung der Bedeutung von Employability (vgl. Abschnitt 2.3.2) würden die psychologischen Verträge eher grundlegend verändern. Radikale Veränderungen der Beschäftigungsverhältnisse bezeichnet Rousseau als Transformation (1995, S. 143). Die Akzeptanz solcher Veränderungen steige, so die Autorin, mit dem Angebot von Partizipation am Veränderungsprozess. Mit Rigotti u. a. (2007) handelt es sich bei der Mehrheit der empirischen Studien, die zum Zusammenhang von psychologischen Verträgen mit psychosozialem Befinden von Beschäftigten herangezogen werden können, um quantitative Erhebungen der Selbsteinschätzung Beschäftigter. Um kausale Zusammenhänge zwischen dem Erfüllungsgrad psychologischer Verträge, arbeitsbezogener Einstellungen und dem Wohlbefinden ausmachen zu können, bedarf es, so die Autoren, zusätzlicher Längsschnittstudien66. Zu prüfen ist nun, ob mittels des psychologischen Vertrags Erkenntnisse zu den psychosozialen Auswirkungen von Outsourcing möglich sind, die über die bereits referierten Zusammenhänge in Abschnitt 4.7 „Chancen und Risiken von Outsourcing für die Beschäftigten aus soziologischer und sozialpsychologischer Perspektive“ hinausgehen.
5.2.2 Qualitative Studien zum Bruch des psychologischen Vertrags In diesem Abschnitt sollen die Studien von Ho, Ang und Straub (2003) sowie von Greene, Ackers und Black (2001) in den Blick genommen werden. Beide Studien eignen sich gut, um das in Anschluss an Argyris (1960) entwickelte Verständnis vom psychologischen Vertrag zu vertiefen (vgl. Abschnitt 5.1). In der Studie von Ho u. a. (2003) wird die (Arbeits-) Beziehung von Managern eines Unternehmens der Informationstechnologie zu ihren ehemaligen Mitarbeitern untersucht, deren Beschäftigungsverhältnisse im Rahmen von Outsourcing zu einem IT-Dienstleister transferiert wurden67. Als Beschäftigte des IT66 Die Studie von Conway und Briner (2002a) zählt zu den wenigen qualitativen Längsschnittstudien zum Thema psychologischer Vertrag. 67 19 zufällig ausgewählte Manager des Ursprungsunternehmens wurden zwei Wochen lang von den Forschern begleitet, zudem gab es mit 6-7 von ihnen Gruppendiskussionen über die Auswirkungen des Outsourcing auf ihren Arbeitskontext.
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Dienstleisters arbeiten sie weiterhin mit ihren ehemaligen Vorgesetzten zusammen. Die Arbeitsbeziehungen bestehen demnach fort, unterliegen jedoch einem Wandel, da die ehemalige Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehung formal in Folge des Outsourcings zu einer Kunden-Lieferanten-Beziehung geworden ist. Auf informeller Ebene entzieht sich die Arbeitsbeziehung jedoch der Veränderung, da die Manager durch die Veränderung formal an Status und Einflussmöglichkeiten verlieren, sich ihre Privilegien jedoch erhalten wollen. Obwohl sie ihren ehemaligen Beschäftigten gegenüber nicht mehr weisungsbefugt sind, versuchen sie weiterhin kontrollierend auf den Arbeitsprozess einzuwirken, anstatt, wie im Outsourcing-Vertrag festgelegt, die Arbeitsergebnisse zu kontrollieren. Zudem ist der Leistungsumfang nach dem Outsourcing in einem Service-LevelAgreement klar definiert (vgl. Abschnitt 4.4). Das bedeutet, dass die Manager nicht mehr wie vor dem Outsourcing administrative Tätigkeiten an ihre ehemaligen Mitarbeiter delegieren können, da dies nicht zum vereinbarten Leistungsumfang gehört. Wie schwierig es aus Perspektive der Manager ist, die ehemals umfassenden Erwartungen an die ehemaligen Beschäftigten gemäß der neuen formalen Beziehung zu reduzieren, verdeutlicht das folgende Zitat eines Managers: „It’s like getting a divorce but still staying in the same house“ (Ho u. a. 2003, S. 71). Das Zitat verdeutlicht die mangelnde emotionale Distanz der Manager in der Arbeitsbeziehung zu ihren ehemaligen Mitarbeitern. Kognitiv haben sie die formale Veränderung längst verarbeitet. Emotional bleiben sie jedoch in ihrer ehemaligen Rolle verhaftet. Deshalb fällt es ihnen schwer, den vertraglich limitierten Zugriff auf ihre ehemaligen Beschäftigten zu akzeptieren. Die Manager sprechen von „a lot of emotions that go with the change of relationship from subordinate to contractor” (Ho u. a., S. 71). Sie wissen, dass die Aufgaben, deren Erfüllung sie sich wünschen, nicht zum Leistungsumfang gehören und folglich ihre Erwartungen an die ehemaligen Mitarbeiter nicht angemessen sind. Dennoch erleben sie die legitime Grenzziehung ihrer ehemaligen Mitarbeiter als Leistungsverweigerung. Die starken negativen Emotionen legen die Vermutung nahe, dass die Beschränkung des Machtbereichs der Manager, die aus dem Outsourcing der operativen Ebene resultiert, eine narzisstische Kränkung beinhaltet, die es zu bewältigen gilt. Retrospektiv erscheinen den Managern die Beziehungen zu den ehemaligen Mitarbeitern als besonders vertraut, nahezu freundschaftlich. Wobei die „Freundschaft“ von Managern und Beschäftigten möglicherweise in einer bedingungslosen Unterstützung seitens der Mitarbeiter bestand. Die Verweigerung von Aufgaben über den vertraglich vereinbarten Umfang hinaus erscheint vor diesem Hintergrund als einseitiger Freundschaftsbruch durch die ehemaligen Mitarbeiter.
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Diese profitieren möglicherweise von der Veränderung: Während den Managern das Personal und folglich die Möglichkeit zu delegieren entzogen wurde, erleben die ehemaligen Mitarbeiter möglicherweise den umgekehrten Effekt einer Aufgabenbereicherung. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Manager des auslagernden Unternehmens durch das Outsourcing an Status und Einfluss auf ihre ehemaligen Mitarbeiter verlieren, die nun in der Rolle als Lieferant für sie tätig sind. Die Anpassung der Beziehungsebene an die formalen Gegebenheiten erweist sich für die Manager als schwierig, weshalb sie mit Wut sowohl auf die grenzziehende Haltung der ehemaligen Mitarbeiter als auch auf die eigenen unangemessenen (Beziehungs-) Ansprüche reagieren. Dass die Anpassung des psychologischen Vertrags insbesondere dann schwierig ist, wenn die neuen Arbeitsbedingungen im Vergleich zu den früheren Arbeitsbedingungen als Verschlechterung erachtet werden, bestätigen auch die Ergebnisse von Greene u. a. (2001), die in einer Fallstudie die Auswirkungen eines Firmenaufkaufs für die Beschäftigen untersuchen. Die neuen Eigner des Unternehmens führen in der Produktion Gruppenarbeit ein, um die Kooperation der Arbeiter untereinander und gegenüber dem Management zu stärken. Tatsächlich führen die Veränderungen nicht zum gewünschten Effekt, sondern rufen Widerstand bei den Arbeitern hervor, da diese an der Stück-Vergütung in Akkord festhalten wollen. Diese Haltung wertet das neue Management als Egoismus und versucht, einen Perspektivenwechsel anzuregen, indem sie Gehaltszuwächse durch ein neues Bonus-System versprechen, das jedoch die Kooperationsbereitschaft unter den Arbeitern eher zu schwächen als zu stärken scheint. Anstatt sich wie zuvor gegenseitig in der Erreichung der Akkord-Ziele zu unterstützen, herrsche nun Misstrauen unter den Arbeitern, da der eigene Lohn von der Leistung der anderen Gruppenmitglieder abhängt. Den ehemaligen psychologischen Vertrag beschreiben die Autoren als "a concern for employee welfare and a wider social responsibility" seitens des Managements in Verbindung mit "loyality to the employer and willingness to go "out of my way" in order to make the company a success" seitens der Arbeiter (Greene u. a. 2001, S. 231). Im Zuge der Restrukturierung durch die neuen Eigner, so die Autoren, sei das ehemalige patriarchal geprägte Gemeinschaftsgefühl einer „Wir-Rhetorik“ seitens des neuen Managements gewichen, die die Arbeiter nicht als Person wertschätzte, sondern an deren ökonomisches Nutzenkalkül appellierte. Zudem habe das neue Management das (kostenintensive) soziale Engagement im Ort des Unternehmens eingestellt und damit (unbeabsichtigt) signalisiert, nicht an den Belangen der Arbeiter, die im Ort wohnen und arbeiten, interessiert zu sein.
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Eine Anpassung des psychologischen Vertrags kann demnach nur dann gelingen, wenn das Angebot Gratifikationen enthält, die die Beschäftigten als Gewinn erleben. Andernfalls scheint die Etablierung neuer Arbeitsbedingungen als eher schwierig. Beide Studien, so lässt sich zusammenfassen, nehmen die (hierarchische) Arbeitsbeziehung in Organisationen in den Blick und betonen die veränderungsresistenten Elemente, die insbesondere dann ihre Wirkung entfalten, wenn sich Arbeitsbedingungen in der Wahrnehmung der Beschäftigten zu ihren Ungunsten verändern. Zudem verdeutlichen die Studien, dass die Vorstellung eines „homo oeconomicus“, der einem reinen Nutzenkalkül folgt, zu kurz greift und die Bedeutung des Bedürfnisses nach Einfluss und Geltung, wie in der ersten Studie, sowie nach Würdigung und Zugehörigkeit, wie in der zweiten Studie, nicht zu unterschätzen ist. Die Studie von Kirpal und Mefebue (2007) untersucht die Auswirkungen gegenwärtig beobachtbarer Prozesse der Entgrenzung (vgl. Kapitel 2) auf die Beschäftigungsverhältnisse von Fachkräften. Traditionell verspreche der psychologische Vertrag Arbeitsplatzsicherheit sowie Karrieremöglichkeiten im (Groß-) Unternehmen (vgl. Abschnitt 2.1). Anhand eines Fallbeispiels aus der Telekommunikationsbranche zeigen die Autorinnen, dass Prozesse der Flexibilisierung traditionelle psychologische Verträge nachhaltig verändern. Ihre Studie ergibt, dass Beschäftigte zunehmend mit der Anforderung konfrontiert werden, ihren Arbeitsplatz zu sichern und zugleich, als weiteres sicherndes Moment, ihre Employability zu steigern (vgl. Abschnitt 2.3.2). Zudem sei eine beruflich-identitätsbezogene Kontinuität in Eigenleistung herzustellen. Im Zuge von Prozessen der Entgrenzung steige die Wahrscheinlichkeit, dass der traditionelle psychologische Vertrag an Verbindlichkeit sowohl seitens der Repräsentanten der Organisation als auch seitens der Beschäftigten einbüßt. Der Bruch des psychologischen Vertrags schwäche die Eigeninitiative der Beschäftigten sowie ihre Loyalität gegenüber der Organisation, für die sie tätig sind. Die Ergebnisse der Studie von Kirpal und Mefebue (2007) zeigen, dass die gegenwärtig zu beobachtenden Prozesse der Entgrenzung Beschäftigungsverhältnisse nachhaltig verändern, die derzeit noch auf das Normalarbeitsverhältnis rekurrieren (vgl. Abschnitt 2.1).
5.3 Psychologische Verträge in entgrenzten Beschäftigungsverhältnissen Es gilt nun zu fragen, wie sich ein Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing auf psychologische Verträge auswirkt und welche Gestalt psychologische Verträge in entgrenzten Beschäftigungsverhältnissen möglicherweise annehmen.
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Der psychologische Vertrag
Wie die Studien von Greene u. a. (2001) und Ho u. a. (2003) zeigen, erweisen sich psychologische Verträge als veränderungsresistent, insbesondere dann, wenn sich Arbeitsbedingungen zu Ungunsten der Beschäftigten verändern. Zudem können die Ergebnisse der Studien als Indiz dafür gelten, dass eine Verschlechterung von Arbeitsbedingungen nicht zwangsläufig zu einer Schwächung des psychologischen Vertrags führt oder gar das Verhalten der Beschäftigten derart beeinflussen würde, dass Nutzenkalküle dominieren. Es hat eher den Anschein, als würde die Wirkmächtigkeit mehr oder minder bewusster Erwartungen, Wünsche und Werthaltungen fortwirken, selbst dann, wenn anhand formaler Rahmenbedingungen zu erkennen ist, dass sie im Veränderungsprozess nur wenig Berücksichtigung finden werden. So wissen die von Ho u. a. (2003) befragten Manager um die Unangemessenheit ihrer Erwartung, ihre ehemaligen Mitarbeiter würden sich trotz der veränderten Rahmenbedingungen uneingeschränkt für sie einsetzen, und geben die Erwartungshaltung dennoch nicht auf. Auch die Arbeiter bei Greene u. a. (2001) ahnen, dass die neuen Eigner nicht an den bisher üblichen paternalistischen Leitungsstil anknüpfen werden, der ein Engagement für die Arbeiter über den Arbeitskontext hinaus vorsieht. Doch anstatt diesen Umstand zu akzeptieren und sich mit den Veränderungen zu arrangieren, halten sie an ihrem Wunsch, auf die gewohnte Art und Weise als (Arbeits-) Subjekte gewürdigt zu werden, fest. Der psychologische Vertrag stellt somit ein komplexes Netz miteinander verbundener, einander bedingender und verstärkender Erwartungen von Organisationsmitgliedern unterschiedlicher Ranghöhe dar. Folglich verändert er sich auch dann nicht zwangsläufig, wenn er den (veränderten) Rahmenbedingungen nicht angemessen ist. Möglicherweise greift er so tief in die psychosoziale Struktur ein, dass er sich einer (gezielten) Einflussnahme entzieht. Für einen Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing ist demnach anzunehmen, dass der psychologische Vertrag, der sich im Ursprungsunternehmen vor dem Outsourcing herausgebildet hat, fortwirkt. Möglicherweise versuchen die Beschäftigten, deren Beschäftigungsverhältnisse im Zuge eines Personaltransfers an ein anderes Unternehmen transferiert werden, am psychologischen Vertrag festzuhalten, mithin den Transfer des Beschäftigungsverhältnisses um den mit ihm verknüpften psychologischen Vertrag zu erweitern. Das Festhalten am gewohnten psychologischen Vertrag mag den Beschäftigten mehr oder minder bewusst sein. Möglicherweise können sie sich eine andere Austauschbeziehung als die bisher gewohnte nicht vorstellen und halten sie deshalb für die einzig denkbare oder zumindest die beste Lösung eines gerechten Austauschs zwischen Beschäftigten und Arbeitgeber. Es ist somit ein gewisses Maß an Selbstreflexion erforderlich, um sich den alten psychologischen Vertrag bewusst zu vergegenwärtigen und auf seine Angemessenheit im neuen Unternehmen zu prüfen.
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Aus der Perspektive der Beschäftigten, die um die Erfordernis wissen, gewohnte Verhaltensweisen anzupassen, mag es von Bedeutung sein, welcher Art der „deal“ ist, der im neuen Unternehmen als selbstverständlich gilt. Die Vermutung liegt nahe, dass die Akzeptanz eines veränderten Angebots von dem Wert der damit verbundenen Gratifikationen für die Beschäftigten abhängt. Weiterhin ist anzunehmen, dass es nicht ohne Weiteres möglich ist, zu erheben, welcher Art Gratifikationen sein müssen, um den Verlust eines früheren psychologischen Vertrags zu mildern. So mag die Einbindung von Beschäftigten in den Veränderungsprozess, von dem sie betroffen sind, beim Management die Illusion erwecken, damit Widerstände gegen den Veränderungsprozess auszuräumen. Möglicherweise scheitert der Versuch einer konstruktiven Gestaltung von fremdinduzierten Veränderungen nicht nur an den faktisch geringen Einflussmöglichkeiten, sondern auch daran, eine als gerecht empfundene Balance aus Rechten und Pflichten nicht künstlich herstellen zu können. Unter anderem deshalb, weil Vertrauen bildende Prozesse zeitintensiv sind und nicht beliebig beschleunigt werden können (Haubl 2005c). Zum anderen ist es wahrscheinlich, dass sich die derzeit ausbildenden Arrangements nicht als überwiegend vorteilhaft für Beschäftigte erweisen werden, mithin der Verlust der im Normalarbeitsverhältnis verankerten Schutzmechanismen nicht durch die Etablierung neuartiger Grenzen aufgefangen werden kann. Mit Boltanski und Chiapello (2003) sind allerdings sowohl pessimistische als auch optimistische Szenarien einer projektbasierten Polis denkbar (vgl. Abschnitt 2.3.2). So würde das Großunternehmen, das die industrielle Polis dominiere, zu Gunsten des Netzwerks an Bedeutung verlieren (vgl. Abschnitt 2.3.2), welches Opportunisten weniger effektiv begrenze als das Großunternehmen. Andererseits sei Netzgerechtigkeit denkbar, sofern Wertigkeitsträger, die sich durch Aktivität und Mobilität auszeichnen, nicht opportunistisch agieren würden. Denn der „Vernetzer“ (Boltanski u. Chiapello 2003, S. 392) profitiere von der Förderung seiner Projektmitarbeiter, da er sein Netzwerk langfristig um diejenigen erweitern könne, denen er kooperativ begegnet und deren Employability er sichert (vgl. Abschnitt 2.3.2). Er setze daher auf Allgemeinwohl, Vertrauen und übernehme Verantwortung für seine Projektmitarbeiter und forciere zudem eine gelungene Reziprozität, um das Projekt erfolgreich abzuschließen und den eigenen Wert im Netzwerk zu steigern. Als pessimistisches Szenario bietet sich die (unfreiwillige) Zusammenarbeit mit einem Netzopportunisten an. Dieser habe nur den (kurzfristigen) Eigennutz im Blick, missbrauche Vertrauen, honoriere Leistung nicht durch Gegenleistung und halte Verpflichtungen nicht ein. Während im Fall des Vernetzers Projektmitarbeiter von dessen Statusgewinn profitieren, baue im Fall des Opportunisten das „Glück der Großen“ auf dem „Unglück der Kleinen“ auf (Boltanski u. Chiapello 2003, S. 416).
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In Kapitel 2 wurde gezeigt, dass die gemachten Versprechen in Bezug auf humanere Arbeit und größere Gestaltungsmöglichkeiten, die Raum für private (Zeit-) Interessen lassen, in vielen Fällen aufgrund von Rentabilitätskriterien, ausgedünnter Personaldecke und verschärftem (globalem) Wettbewerb nicht zu halten sind. Während die von Großunternehmen gewährte Arbeitsplatzsicherheit aufgrund von Personalflexibilisierungsstrategien wie Outsourcing spürbar nachlässt, wie in Kapitel 4 „Outsourcing“ dargestellt wurde, scheinen die Arbeitsanforderungen weiter zu steigen (vgl. Abschnitt 2.3). Neben der seit jeher geforderten Loyalität gegenüber dem Unternehmen wird der betriebliche Zugriff auf Flexibilitäts- und Steuerungspotenziale, kommunikative Fähigkeiten und empathische Eigenschaften der Beschäftigten erweitert. Während entlastende Routinen und kollektive (Arbeits-) Zeitnormen an Bedeutung verlieren, steigt die Komplexität von Tätigkeiten (nicht nur) hochqualifizierter Beschäftigter. Gemäß einer „normativen Subjektivierung“ (Baethge 1991) wird dieser Prozess (unfreiwillig) durch das Bestreben der Beschäftigten nach als sinnhaft empfundener Arbeit verstärkt. So geht der Erhalt von Arbeitsqualität nicht selten zu Lasten der Lebensqualität von Beschäftigten (vgl. Abschnitt 2.2.2), die, aufgrund (zu) hoher beruflicher Ansprüche an sich selbst, zu Selbstausbeutung neigen. Möglicherweise ist eine bewusste Reflexion der Arbeitsbedingungen und des damit verbundenen psychologischen Vertrags hilfreich und eine Aushandlung der Arbeitsbedingungen möglich. Als notwendig erscheint eine aktive Grenzziehung seitens der Beschäftigten, um unangemessene betriebliche Zugriffsversuche in ihre Schranken zu weisen. Einer aktiven Abgrenzung steht jedoch das Bedürfnis nach Zugehörigkeit entgegen, das sich in manchen Fällen in der Bereitschaft (unbezahlter) Mehrarbeit manifestiert. So ist im Anschluss an Argyris (1960) davon auszugehen, dass Bedürfnisse nach wie vor eine große Rolle in der Gestaltung von Arbeitsbeziehungen spielen. Der Wunsch nach Anerkennung Die Bedeutung von Bedürfnissen für die Gestaltung von Arbeitsbeziehungen mag eine Erklärung für die Trägheit von psychologischen Verträgen bieten, auf die im vorigen Abschnitt hingewiesen wurde. Schließlich, so steht zu vermuten, sind die der Gestaltung von Arbeitsbeziehungen zu Grunde liegenden Motive nur mehr oder minder bewusst. Zudem ist von Motivlagen auszugehen, für die eine Mischung aus teilweise komplementären, jedoch auch widersprüchlichen Motiven charakteristisch ist. Das bedeutet, dass Organisationsmitglieder auf manifester Ebene möglicherweise durchaus bereit und fähig sind, sich gegebenen Anerkennungsstrukturen anzupassen. Dennoch bleibt der Wunsch, als (Arbeits-) Subjekt unabhängig vom Erfolg der beruflichen Anstrengungen anerkannt zu werden, erhalten.
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So mag ein Juniorberater kompetenzdarstellungskompetent (Pfadenhauer 2003) nach Bewunderung streben, da er die Anforderungen einer Arbeit unter entgrenzten Bedingungen akzeptiert. Möglicherweise ist er hin und wieder „selbstinszenierungsmüde“ und sehnt sich insgeheim nach einer Würdigung seiner Opferbereitschaft, die auch jene Anstrengungen anerkennt, die nicht (unmittelbar) zum (sichtbaren) Erfolg führen und dennoch sein Commitment zum Projekt und zu der Organisation, für die er tätig ist, zum Ausdruck bringen. Wenn demnach anzunehmen ist, dass Berater nicht allzeit Freude an einer (gelungenen) Selbstinszenierung empfinden, so lässt sich vermuten, dass der Wunsch, bewundert zu werden, trotz der Tendenz zur „normativen Subjektivierung“ (Baethge 1991), bei vielen Beschäftigten schwächer als der Wunsch, gewürdigt zu werden, ausgeprägt ist. Selbstorganisation oder der Wunsch nach verlässlichen Strukturen Ähnliches gilt für die Dimension der Selbstorganisation, die nicht nur mit hohen narzisstischen Gratifikationen, sondern auch mit psychischen und physischen Belastungen verbunden ist. Möglicherweise sind Beschäftigte zwar zunehmend zu aktivem Zeithandeln fähig und können den Arbeitsalltag selbst strukturieren, fürchten jedoch die Verantwortung, die mit den erweiterten Handlungsspielräumen verbunden ist. Daher hegen sie möglicherweise den Wunsch nach einer festen und entlastenden (Zeit-) Struktur, die dem Arbeitsalltag einen verlässlichen Rahmen bietet. In der Wahrnehmung anderer Beschäftigter mögen erweiterte Handlungsspielräume gar weniger positiv konnotiert sein, da sie mit Arbeit weniger die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung als vielmehr die Sicherung ihrer materiellen Existenz verbinden und somit nicht von den Gratifikationen profitieren können, die Selbstorganisation bereit hält. Eigenverantwortung oder der Wunsch nach Fürsorge Die Ergebnisse von Kratzer (2003, S. 203), die in Abschnitt 2.2.2 „Indirekte Steuerung, Selbstorganisation und Ergebnisorientierung“ ausgeführt werden, zeigen, dass Selbstorganisation von Beschäftigten als ein Prinzip geschätzt wird, das Gestaltungsspielräume ermöglicht. Jedoch nur in der Ausgestaltung „Freiheit und Zwang“, wobei Selbstorganisation in Form einer „erzwungenen Freiheit“ wahrscheinlicher ist. Die beiden Formen der Selbstorganisation verbindet eine spezielle Form des Zwangs, der seine Wirksamkeit darüber entfaltet, dass er zum Teil verinnerlicht ist und folglich nur wenig Fremdkontrolle erfordert. Beschäftigte sind demnach aufgefordert, in Eigenverantwortung die eigenen psychischen und physischen Belastungsgrenzen zu wahren und im Einzelfall die Bedeutung angestrebter beruflicher Ziele mit dem Grad an Erschöpfung abzuwägen. Voraussetzung für eine angemessene Grenzziehung ist, dem eigenen Körper Belas-
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tungsgrenzen zuzugestehen, was ambitionierten Beschäftigten nicht immer gelingt (Haubl u. Daser 2008). Gerade in einem solchen Fall kommt der Wunsch nach einem Vorgesetzten zum Tragen, der Anforderungen gemäß der eigenen Fähigkeiten und Ressourcen dosiert, mithin ein „Genug“ bestimmt, das eine Reduktion der Anstrengungen (temporär) legitimiert. Konkurrenz oder der Wunsch nach Zugehörigkeit Wie in Abschnitt 2.3.3 „Entgrenzung der Arbeitsbeziehungen: Kooperation und Konkurrenz“ erläutert, führt eine Variation organisatorischer Grenzen zu einer Stärkung konkurrenter Anteile in Arbeitsbeziehungen, die es gemäß der Arbeitsanforderungen (emotional) zu gestalten gilt. Wie Schuster (2007) betont, beinhalten Konkurrenzsituationen lustvolle Momente des sich selbst Ausprobierens, des (spielerischen) Vergleichs mit Gleichgesinnten. Eine stete (emotionale) Investition in Kontakte, um die eigene Position in der Konkurrenz um knappe Güter zu stabilisieren, erfordert jedoch Emotionsarbeit, die, sofern sie authentisch wirken soll, möglicherweise die Manipulation eigener und fremder Gefühle impliziert (vgl. Abschnitt 2.3.4). Emotionsarbeit erschwert demnach die Unterscheidung von „echten“ und „simulierten“ Gefühlen und stärkt möglicherweise die Sehnsucht nach „echten“ Gefühlen, „echter“ Sympathie und einer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, die das gemeinsame Erleben „echter“ Gefühle zulässt und eben keine Emotionsarbeit von ihren Mitgliedern verlangt. Nun mag es illusorisch sein, sich die Erfüllung derartiger Emotionswünsche vom Arbeitskontext zu erhoffen. Dennoch lassen sich solche Wünsche für den Arbeitskontext nachweisen, wie das Zitat des Managers zeigt, der die emotionale Bedeutung von Outsourcing mit der einer Scheidung vergleicht (Ho u. a. 2003, S. 71).
6 Methodisches Vorgehen
Die Datenbasis der empirischen Untersuchung bezieht sich auf eine Gruppe von ehemaligen Beschäftigten des IT-Bereichs einer Bank, deren Beschäftigungsverhältnisse im Zuge eines Personaltransfers im Rahmen von Outsourcing an ein für diesen Zweck gegründetes Tochterunternehmen eines Beratungsunternehmens transferiert wurden. Aus dieser Gruppe wurden mit Unterstützung des Managements des Tochterunternehmens 30 Personen per Email angeschrieben, von denen sich acht Personen zum Interview bereit erklärten. Um die Perspektive der Repräsentanten des neuen Unternehmens berücksichtigen zu können, wurden zudem zwei Personen interviewt, denen als Berater68 die Aufgabe zukam, den Outsourcing-Prozess zu begleiten. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist die Generierung von exemplarischem Wissen zum Forschungsgegenstand, ohne jedoch Anspruch auf Repräsentativität zu erheben.
6.1 Die Rolle der Forscherin im Forschungsprojekt Die Forscherin war wenige Jahre für das Beratungsunternehmen als Juniorberaterin tätig, ließ sich anschließend für das Promotionsvorhaben freistellen, um im Jahr 2006 ihr Beschäftigungsverhältnis mit dem Beratungsunternehmen zu beenden. Mit diesem Hintergrund begegnet sie den Befragten zugleich als Vertraute und als Fremde. So wird sie in dem Anschreiben, in dem die Beschäftigten um ihre Unterstützung des Promotionsvorhabens der Forscherin durch ein Interview gebeten werden, als Kollegin aus einer anderen Stadt vorgestellt, die mittels einer internen Email-Adresse kontaktiert werden kann. Mit dem Stichwort „Kollegin“ werden zugleich mehrere Informationen vermittelt: Sie ist als eine Insiderin zu betrachten, die mit der Kultur des Beratungsunternehmens vertraut ist und folglich die Begrifflichkeiten, Formen des Umgangs sowie den Gegenstand der 68 Der Mutterkonzern ist in die Bereiche Beratung, Software-Produktion und Dienstleistungen untergliedert. Die Berater, die den Outsourcing-Prozess begleitet haben, gehören dem Bereich Beratung an, während das neu gegründete Tochterunternehmen dem Bereich Dienstleistungen zugeordnet ist.
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Methodisches Vorgehen
Beratung kennt. Da sie eine Kollegin ist, bietet sich das im Beratungsunternehmen übliche „Du“ in der Kontaktaufnahme und im Rahmen des Interviews an. Zudem wirkt sie durch diese Information als vertrauenswürdig, mithin als „eine von uns“. Der Umstand, dass sie um die Interviews im Rahmen einer Dissertation bittet, sorgt hingegen für emotionale Distanz zur Forscherin, da es in diesem Beratungsunternehmen nicht üblich ist, die Tätigkeit für eine Promotion zu unterbrechen. Zudem ist sie zu diesem Zweck freigestellt, was bedeutet, dass sie sich in einer Art „schwebender“ Zugehörigkeit befindet, da sie weder im Unternehmen beschäftigt noch ihr Verhältnis zum Unternehmen beendet ist. Aus der Perspektive der beiden Berater, die im Interview über die Begleitung des Outsourcing-Prozesses Auskunft geben, verstärkt sich das Fremdheitsgefühl über Fragen, die unbeantwortet im Raum stehen: Warum zieht die Forscherin den Bereich Wissenschaft dem Bereich Beratung vor? In welchem hierarchischen Verhältnis stehen Wissenschaft und Wirtschaft? Ist sie (mental) noch eine von uns? Zu welchem Zweck wird sie die zur Verfügung gestellten Informationen nutzen? Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen kommt insbesondere im Interview mit dem männlichen Berater zum Tragen, da er sich seiner eigenen Position im Beratungsunternehmen dahin gehend ungewiss ist, als die Anforderung im Raum steht, zum Tochterunternehmen zu wechseln, was er, so steht zu vermuten, als Abstieg empfinden würde. Die befragte Beraterin hingegen ist in ihrer Rolle gefestigt. Für sie ist die Gründung einer GmbH zum Zweck der Integration von transferierten Beschäftigten sowie die Begleitung eines Outsourcing-Prozesses ein Projekt, das interessant und lehrreich, wahrscheinlich jedoch einmalig ist. Schließlich hat sie, wie sie betont, alles Wesentliche zum Thema erfahren und sucht im Anschluss an dieses Projekt nach neuen fachlichen Herausforderungen, da es andernfalls „leider auch redundant“ wird (Z. 1688). Das Verhältnis zu den Beschäftigten, deren Beschäftigungsverhältnis im Zuge von Outsourcing transferiert wurde, lässt sich an die Zugehörigkeitsfrage anknüpfend beschreiben: Dass die Forscherin auf eine (mehr oder minder transparente) Art und Weise mit dem Beratungsunternehmen verbunden ist, zeigt sich durch die Darstellung ihres Forschungsinteresses in einer Email, die den Beschäftigten mit der Bitte, sich an den Interviews zu beteiligen, zugeht. So wird sie den Beschäftigten als eine Kollegin vorgestellt, ohne Angabe ihres Beschäftigungsstatus oder Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bereich des Unternehmens. Im Unterschied zu den beiden Beratern haben die transferierten Beschäftigten, so deutet sich in den Interviews an, ihren Status im Unternehmen wahrscheinlich nicht über die Personaldatenbank, auf die alle Beschäftigten Zugriff haben, eruiert. Folglich ist die Begegnung von einer gewissen Unsicherheit der Befragten wie auch der Forscherin geprägt, da auf beiden Seiten Unklarheit be-
Interviewsituation
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steht, in welcher Rolle agiert werden soll: Benötigt die Forscherin die Unterstützung eines Kollegen, der ihr zu einem Thema Auskunft gibt, dann erscheint der Befragte als Experte. Begegnen sich Befragter und Forscherin als Kollegen unterschiedlicher Geschäftsbereiche, dann wäre von einem anderen Über- und Unterordnungsverhältnis auszugehen, da die Forscherin dem Bereich zugeordnet ist, der als dominanter Bereich im Unternehmen gilt. Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass sie als Forscherin wahrgenommen wird, die über Vorerfahrungen im Feld verfügt, ohne diesem Feld jedoch über das Forschungsinteresse hinaus verbunden zu sein. Die Vermutung liegt nahe, dass sich in der Begegnung von Befragtem und Forscherin ein Verhältnis herausbildete, das Züge von allen skizzierten Möglichkeiten trägt.
6.2 Interviewsituation Fast alle Interviews wurden in den Räumen des Beratungsunternehmens geführt69. Neben dem Befragten und der Forscherin war eine Praktikantin anwesend, die an allen Interviews teilnahm, ohne jedoch selbst Fragen zu stellen. Ihre Beobachtungen und Eindrücke während des Interviews fasste sie in einem Protokoll zusammen. Als Studentin der Psychologie verfügte sie über eine große emotionale Distanz zur Beratung und zu dem Kontext, in dem Beratung stattfindet. Mit dieser Haltung unterstützte sie den Reflexionsprozess der Forscherin, die den Kontext aufgrund ihrer früheren Tätigkeit als Nachwuchsberaterin als weniger fremd empfunden hat. Es gelang nicht in jedem Fall, eine gute Rückzugsmöglichkeit für die Interviews zu finden, da es sich bei den Räumen im Beratungsunternehmen im Wesentlichen um Großraumbüros handelt. Schallschutz boten die Besprechungsräume, die jedoch aufgrund ihrer hohen Glasanteile von außen einzusehen sind und nicht den gewünschten visuellen Schutz bieten. Die Gespräche wurden digital aufgezeichnet und anschließend auf einem mittleren Transkriptionsniveau verschriftet und in Bezug auf Namen und Alter der Befragten, Namen der angesprochenen Organisationen sowie Orte und Tätigkeiten anonymisiert. Inhalt der halbstrukturierten Leitfaden-Interviews waren nach einleitenden Fragen zur Ausbildung und beruflichen Erfahrungen vor dem Eintritt in die Bank, die Beschreibung der Arbeitsbedingungen in der Bank, der Personaltransfer zum neuen Arbeitgeber sowie die Arbeitsbedingungen im neuen Unterneh69 Ein Interview fand in einem Kundenunternehmen statt, in dem die Befragte zum Zeitpunkt des Interviews auf einem Projekt eingesetzt war. Ein anderes Interview fand in dem Büro der Forscherin an der Universität Frankfurt statt.
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Methodisches Vorgehen
men. Dabei stand die Frage im Vordergrund, mit welchen neuartigen Anforderungen die Befragten im neuen Unternehmen konfrontiert werden und welche Faktoren für die Bewältigung des Personaltransfers im Rahmen von Outsourcing förderlich oder hinderlich sind. Abschließend wurden die Unternehmenskultur der Bank im Vergleich zu der des Beratungsunternehmens und die daraus resultierenden Integrationsschwierigkeiten im neuen Unternehmen thematisiert.
6.2.1 Das halbstrukturierte Leitfadeninterview Das halbstrukturierte Leitfadeninterview stellt einen Kompromiss zwischen strukturierten und offenen Interviews dar und impliziert eine mittlere Strukturierungsqualität seitens des Befragten sowie des Forschers (Marotzki 2003). So dienen offene Fragen in Form eines Leitfadens als Orientierung im Interview und stellen sicher, dass bestimmte Themenbereiche angesprochen werden, was wiederum ein gewisses Maß an Vergleichbarkeit in der Analyse des Materials ermöglicht. Diese Fragen, die auf den theoretischen Vorannahmen des Forschers basieren, werden jedoch flexibel gehandhabt, was bedeutet, dass sie in ihrer Formulierung und Reihenfolge gemäß des Gesprächsflusses variiert werden und Raum für narrative Passagen geben (Bock 1992). Ausgehend von der Annahme, dass sich implizite Bestandteile von Lebensentwürfen eher in narrativen Passagen manifestieren, gilt es, Erzählanreize zu generieren, die den Befragten anregen, den Forscher an seiner Erfahrungswelt teilhaben zu lassen (Flick 1999). Lediglich der Gesprächseinstieg, in dem der Forscher sich und sein Forschungsvorhaben vorstellt, sollte standardisiert erfolgen. Als grobe Struktur des Interviews bietet sich eine Entwicklung von allgemeinen zu speziellen, von konkreten zu abstrakten sowie von unpersönlichen zu intimeren Fragen an. Brisante oder intime Fragen sollten eher in der zweiten Hälfte, jedoch nicht am Ende des Interviews gestellt werden. In der zweiten Hälfte des Interviews besteht gemeinhin eine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre, die das Stellen von Fragen erlaubt, auf die der Befragte vielleicht zunächst ablehnend reagiert und nicht offen geantwortet hätte. Dieser Prozess verläuft nicht immer linear, in manchen Fällen empfiehlt es sich, brisante und weniger brisante Fragen abzuwechseln und gewissermaßen in Schleifen an Tiefe zu gewinnen. Für eine vertrauensvolle Interviewatmosphäre ist es von zentraler Bedeutung, dass der Abbau der Anfangsspannung beim Befragten und der Interviewerin gelingt und sich die Interviewerin einfühlsam auf die Lebenswelt des Befragten einlassen kann, ohne jedoch die notwendige Distanz zu verlieren (Bock 1992). Insgesamt gilt es, das Interview gemäß dem Forschungsinteresse zu gestalten und Raum für Unerwartetes zu
Auswertung
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lassen sowie narrative Anteile des Interviews je nach Relevanz zum Forschungsgegenstand zu fördern oder zu begrenzen.
6.3 Auswertung Die vorliegende Untersuchung bedient sich mehrerer Auswertungsmethoden. Neben einem inhaltsanalytischen Vorgehen (vgl. Mayring 2003), mit dessen Hilfe theoriegeleitet nach Hinweisen auf die konkrete Ausgestaltung des psychologischen Vertrags der transferierten Beschäftigten gesucht wird, greift die Forscherin auf die Methode des psychoanalytisch inspirierten szenisch70hermeneutischen71 Verstehens zurück, um die Beziehungsdynamik in den Forschungsgesprächen nachzuzeichnen (Haubl 1999). In der Beziehungsdynamik zwischen Forscherin und Befragtem, so die Annahme, spiegeln sich latente Aspekte des Forschungsgegenstands (vgl. Schorn 2000). So liegt die Vermutung nahe, dass die im Forschungsgespräch gemachten Beziehungsangebote und wünsche eine Annäherung an die impliziten Anteile des psychologischen Vertrags ermöglichen, die bei einer ausschließlichen Berücksichtigung manifester Inhalte verborgen bleiben (Leithäuser u. Volmerg 1988). Das ist auf den Umstand zurückzuführen, dass sich Muster der (beruflichen) Interaktion wie andere Beziehungsmuster partiell der (bewussten) Wahrnehmung der Befragten entziehen, weshalb man sie nicht danach fragen kann. Folglich empfiehlt sich ein methodischer Zugang, der über Umwege Hypothesen über die mehr oder minder bewusste Gestaltung von Arbeitsbeziehungen erlaubt. Zudem, so zeigte sich im Verlauf der Forschungsgespräche, ist insbesondere für die Fragen zu Erleben und Bewältigung des Transfers die Berücksichtigung latenter Sinngehalte bei der Auswertung von Bedeutung. Sie entstehen in den narrativen Interviewteilen auf mehreren Ebenen: Die aktive Erinnerung und Schilderung der Ereignisse löst bei den Befragten Gefühle aus, die sich weniger 70 Der Begriff des szenischen Verstehens geht auf Lorenzer (1970) zurück und benennt zunächst eine Methode der Psychoanalyse zur Erschließung latenter Sinngehalte der Erzählung von Patienten unter Rückgriff auf das Unbewusste des Analytikers. Als Methode der Sozialwissenschaften bezieht sich szenisches Verstehen auf eine Forschungsperspektive, die sich das Spannungsverhältnis von manifesten und latenten Sinngehalten zu Nutze macht, um auf unterdrückte Wünsche, Ängste und Phantasien zu schließen. Dabei bildet sich im Forschungsprozess eine sinnlich-bildhafte Gestalt heraus, die auf das eigene Erleben des Forschers rekurriert (vgl. König 2003). 71 Hermeneutik als Lehre vom Verstehen grenzt sich von naturalistischen Zugängen folgendermaßen ab: „die Interpretation eines Sachverhalts [erfolgt] unter der Perspektive, daß er als Korrelat spezifisch menschlicher Symbolformen, Sinnbedürfnisse, Handlungsziele etc. gegeben ist: Das Deuten muß nicht nur gedeutet, sondern auch als Deuten gedeutet werden. Dann und nur dann, wenn diese methodische Einstellung eingenommen wird, ist der Gebrauch des Prädikats „hermeneutisch“ und vergleichbarer Termini sinnvoll“ (Jung 2002, S. 23f.).
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Methodisches Vorgehen
sprachlich als vielmehr in nonverbalen Äußerungen sowie in der Beziehungsdynamik zwischen Forscherin und Befragten manifestieren. Auch die Forscherin ist emotional involviert: Sie reagiert sowohl auf die manifesten Inhalte des Interviews, als auch auf den emotionalen Ausdruck des Gegenübers. In einigen Fällen divergieren der verbale und der emotionale Gehalt im Interview, was bei der Forscherin zu einer Irritation führen kann. Eine solche Irritation entsteht beispielsweise, wenn ein Befragter während der Äußerung eines sehr bedrückenden Erlebnisses lacht. Möglicherweise bringt er auf diese Weise seine Ambivalenz gegenüber dem Geschilderten zum Ausdruck und gibt somit wertvolle Hinweise auf die emotionale Bedeutung des Erlebten. Als weiteres Beispiel lässt sich die Angst einiger Befragter anführen, den Anforderungen des neuen Arbeitgebers nicht entsprechen zu können, die sich ebenfalls vornehmlich nonverbal manifestiert. Die ursprünglich starke Orientierung an manifesten Gehalten führte dazu, dass keine Affektprotokolle der Forscherin vorliegen. Stattdessen greift die Forscherin auf die Protokolle der Praktikantin zurück, die alle Interviews begleitete, in denen zumindest stichwortartig die Eindrücke der jeweiligen Interviews dokumentiert sind. Auffällig ist, dass in den Interviews trotz des brisanten Themas nur wenige emotional geprägte Stellen zu finden sind. Das mag auch an der Geschwindigkeit liegen, die den Gesprächen inne wohnt. So ist die Gesprächsführung auf den ersten Blick als kurz angebunden und fordernd zu beschreiben, was zum einen auf den engen Zeitrahmen der Interviews und die Markierung von Ungeduld der Befragten zurückzuführen ist, zum anderen jedoch dem Ehrgeiz der Forscherin geschuldet sein mag, in kurzer Zeit möglichst viel über den Forschungsgegenstand zu erfahren, mithin den als knapp empfundenen Zeitrahmen der Interviews optimal zu nutzen. Auf den zweiten Blick bietet sich jedoch auch folgende Interpretation an: Es entsteht der Eindruck, als verbünden sich Forscherin und Befragte gemeinsam gegen das Unaussprechliche, gegen die Aggression und die Entwertung, die ein Outsourcing-Prozess auslösen kann, und geben ihm im Interview zu Gunsten von vertrauten „harten Fakten“ keinen Raum. Vielleicht aus Angst die Emotionen, einmal angesprochen, nicht mehr kontrollieren zu können. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Emotionen im Material nicht enthalten sind. Im Gegenteil: So hat die Analyse des Materials sowohl bei der Forscherin als auch bei den wissenschaftlichen Kolleginnen, mit denen das Material diskutiert wurde, starke Emotionen ausgelöst, die in Diskussionsprotokollen festgehalten, in der Analyse des Materials berücksichtigt wurden. Sie füllen möglicherweise partiell die emotionalen Leerstellen im Interviewmaterial.
Auswertung
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6.3.1 Inhaltsanalyse Die qualitative Inhaltsanalyse stellt eine standardisierte Methode zur Analyse von Interviewtranskripten dar, die klassifikatorische und sinnrekonstruierende Elemente verbindet (Mayring 2003). Der Autor schlägt ausgehend von einer theoretisch entwickelten Fragestellung eine systematische, mehrstufige Abfolge von Analyseschritten vor, die eine sukzessive Verdichtung des Interviewmaterials ermöglicht. Die qualitative Inhaltsanalyse schließt ein induktives Vorgehen nicht aus, bevorzugt jedoch ein deduktives Vorgehen, das aufgrund seiner theoretischen Herleitung als systematischer erscheint. Im Vordergrund steht das Kategoriensystem, das es anhand theoretischer Vorannahmen und unter Einbezug des empirischen Materials zu entwickeln gilt. Als drei Grundverfahren werden die Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung genannt: Mit Zusammenfassung ist eine Reduktion des Materials auf die wesentlichen Inhalte gemeint; als Explikation bezeichnet Mayring (2003) das Heranziehen von zusätzlichem Material, das das Verständnis erweitert; mittels der Strukturierung werden im Rahmen einer Querschnittsbetrachtung relevante Aspekte aus dem Material herausgefiltert oder das Material mit Hilfe bestimmter Kriterien eingeschätzt. Mayring (2003) hebt die Bedeutung des Gegenstandsbezugs hervor, die eine flexible Handhabung der Methode rechtfertige. Steht der Forschungsgegenstand im Vordergrund, so gilt es weniger, die Forschungssituation zu standardisieren oder den Forscher als mögliche Fehlerquelle zu kontrollieren. Vielmehr muss es gelingen, einer spezifischen Forschungssituation methodisch gerecht zu werden, mithin ihre ausgesprochenen und unausgesprochenen Regeln in die methodische Herangehensweise zu integrieren.
6.3.2 Beziehungswünsche und Beziehungsangebote im Interview Wie einleitend erwähnt, kann davon ausgegangen werden, dass alles, was im Beziehungsraum des Forschungsgesprächs geschieht, einen Bezug zum Forschungsthema hat (vgl. Tietel 2000). Methodisch gesehen kommt der Interpretation der Beziehungsdynamik die Aufgabe zu, diesen Bezug plausibel und nachvollziehbar herzuleiten. In diesem Verständnis erscheinen affektive Reaktionen des Forschers im Interview sowie in der Analyse des Materials nicht als ein Mangel an Distanz zum Forschungsgegenstand oder als ein Versagen des Forschers, sondern als eine nützliche Informationsquelle (vgl. Wellendorf 1996). Im Verlauf des Interviews entwickelt sich im Idealfall eine Gesprächsatmosphäre, die den Befragten zu einer offenen Erzählung einlädt, in der die vielfältigen Aspekte der Erfahrung und des Erlebens des Befragten zum Ausdruck kom-
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Methodisches Vorgehen
men. Für die Gestaltung der Atmosphäre im Gespräch ist es von Vorteil, wenn es dem Forscher gelingt, sich auf die Erlebnisperspektive des Befragten einzulassen und sich der Befragte die (fremde) Perspektive des Forschers derart zunutze macht, dass er mit dessen Hilfe das eigene Erleben reflektieren kann. Es steht zu vermuten, dass auf Basis einer entspannten und vertrauensvollen Gesprächsatmosphäre auch solche Erlebnisse besprechbar werden, die der Befragte als belastend erlebt. Zudem erfordert das Explizieren von Selbstverständlichem einen geschützten Raum, der dem Befragten eine Balance aus kritischer Distanz zu und empathischer Bestätigung von eigenen Lebensentwürfen ermöglicht. Der Berücksichtigung der Beziehungsdynamik im Interview liegt die Annahme zu Grunde, dass die Forscherin als Fremde von außen Anforderungen an die Befragten heranträgt, die sich in diesem Moment in ihrem Arbeitskontext befinden, da das Interview in den Räumen des Beratungsunternehmens stattfindet. Folglich, so steht zu vermuten, lässt sich über die Art und Weise, wie Befragte auf die Anforderungen reagieren, mit denen die Forscherin sie konfrontiert, auf die Art und Weise schließen, wie sie anderen Anforderungen im Arbeitskontext begegnen. Die Analyse des Beziehungsraums eröffnet somit einen Zugang zur spezifischen Dynamik von Beschäftigungsverhältnissen aus psychischen Dispositionen und sozialen Entwürfen der Befragten, die sich mit Erwartungsstrukturen im Arbeitskontext mischen. Das mehr oder minder bewusste Verständnis vom Beschäftigungsverhältnis der Beschäftigten zeigt sich unter anderem in dem Versuch, die Rahmenbedingungen des Interviews gemäß ihrer Vorstellungen und Wünsche (mit) zu gestalten, indem sie auf manche Fragen bereitwillig eingehen und sie ausführlich beantworten, andere Fragen hingegen eher knapp oder gar nicht beantworten. Die Beziehungsdynamik kann demnach als Projektionsfläche für latente (Arbeits-) Beziehungswünsche und Abgrenzungsbedürfnisse verstanden werden. In der Art und Weise wie der Befragte den Fragen des Forschers begegnet, zeigt sich, mit welchen durch implizite Normen und Regeln strukturierte Beziehungserwartungen der Befragte üblicherweise konfrontiert ist: Hebt seine berufliche Sozialisation auf das Agieren im Rahmen konkreter Vorgaben ab, so wird er möglicherweise bestrebt sein, ein „zufriedenstellender“ Gesprächspartner zu sein, mithin die Fragen „richtig“ und umfassend zu beantworten, da er dem Forscher das Recht zubilligt, ihn als Informationsquelle zu nutzen. Wird sein Arbeitsalltag hingegen von der Anforderung bestimmt, eigenständig zu arbeiten, so wird er das Forschungsinteresse des Forschers möglicherweise kritisch hinterfragen und gegebenenfalls als unangemessen zurückweisen. Wenn die Vermutung richtig ist, dass sich in der Beziehungsdynamik von Forscher und Befragtem die Beziehungswünsche, -forderungen und Beziehungserwartungen des Befragten spiegeln, so scheint es insbesondere bei der Betrach-
Zusammenfassung der methodischen Überlegungen
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tung der impliziten oder verborgenen Anteile des psychologischen Vertrags als angemessen, den Beziehungsraum im Interview in den Blick zu nehmen.
6.4 Zusammenfassung der methodischen Überlegungen Zusammenfassend lässt sich das methodische Vorgehen folgendermaßen beschreiben: In einem ersten Schritt wird das übernehmende Beratungsunternehmen sowie das neu gegründete Tochterunternehmen AS GmbH vorgestellt. In diesem Schritt finden folgende Materialien Verwendung: a.
b.
Ein Forschungstagebuch72, das die Forscherin während ihrer Tätigkeit als Juniorberaterin für das Beratungsunternehmen erstellt hat, um die im Beratungsunternehmen gesammelten beruflichen Eindrücke festzuhalten und zu verarbeiten. Vier Gesprächsprotokolle über die Arbeitsbedingungen im Beratungsunternehmen mit ehemaligen Beratungskollegen der Forscherin, die zur gleichen Zeit wie sie im Beratungsunternehmen tätig waren. Die gemeinsame Reflexion über die spezifischen Bedingungen und Herausforderungen einer Beratertätigkeit ermöglichte es, den unterschiedlichen Facetten des Kontextes besser gerecht zu werden. Während Beraterin A. und B. noch im Bera-
72 Die Auswertung eines Forschungstagebuchs ist mit den Chancen und Risiken verbunden, die gemeinhin mit einer teilnehmende Beobachtung (vgl. Merkens 1992; Zelditch 1993) assoziiert werden. Während sich der teilnehmende Beobachter in einem Feld bewegt, um Antworten auf vorab entwickelte Forschungsfragen zu finden, die im Verlauf der teilnehmenden Beobachtung präzisiert werden, lagen die Feld-Beobachtungen bereits vor dem Beginn des Promotionsvorhabens in schriftlicher Form vor. Mit Beobachtung wird eine „zielgerichtete, aufmerksame und systematische Wahrnehmung bezeichnet“ (vgl. Merkens 1992, S. 218). Die Summe der unterschiedlichen Empfindungen, die während der Beobachtung auftreten, ergibt eine Gestalt, die durch die (zufällige) Wiederholung von bereits aufgetretenen Konfigurationen an Schärfe gewinnt. Während die teilnehmende Beobachtung über eine passive Wahrnehmung hinaus geht, die sich in Folge gemachter Erfahrungen zu einer aktiven Suche nach Mustern wandelt, kam dem ausgewerteten Forschungstagebuch die Funktion zu, die im Beratungsunternehmen gesammelten beruflichen Eindrücke der Forscherin festzuhalten und zu verarbeiten. Das Forschungstagebuch enthält neben ungefilterten Eindrücken auch Interpretationen der beruflichen Erlebnisse und gibt keinesfalls ungebrochen die Realität einer Beratertätigkeit wieder (vgl. Merkens 1992). Als „alltägliches Verstehen“ unterscheidet es sich von „wissenschaftlicher Beobachtung“ dahingehend, dass es eher als „pragmatisch, emotional-teilnehmend“ und weniger als „kognitiv-betrachtend und analytisch“ zu beschreiben ist, wobei es zu betonen gilt, dass Sinnverstehen beide Elemente erfordert (Lamnek 2005, S. 552). Begrifflich kann die Erfassung beruflicher Erfahrungswerte im Rahmen eines Tagebuchs als unstrukturierte Beobachtung mit hohem Partizipationsgrad gefasst werden.
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c.
Methodisches Vorgehen tungsunternehmen beschäftigt sind, arbeiten Berater C. und Beraterin D. inzwischen für andere Organisationen. Die Interviews mit Konrad C. und Kerstin A., zwei Beratern, die den Outsourcing-Prozess begleitet haben.
In einem zweiten Schritt werden auf Basis der zehn anonymisierten Interviewtranskripte inhaltsanalytisch inspiriert dichte Beschreibungen der Einzelfälle erstellt, die mittels der Berücksichtigung theoretisch hergeleiteter Kategorien eine Annäherung an die Wahrnehmung der Beschäftigten von den formalen Arbeitsbedingungen in der AS GmbH ermöglichen. Ausführlich und detailliert werden Michaela D., Stefan G. und Konrad C. dargestellt, während die anderen Interviews eher im Hinblick auf ihre Besonderheit betrachtet werden, wobei die Wahrnehmung der formalen Arbeitsbedingungen zum Teil zusammengefasst wird. Die drei ausführlich beschriebenen Interviews ergeben gemeinsam ein spannungsreiches Beziehungsdreieck: Michaela D. versucht trotz des Outsourcings ihr Beschäftigungsverhältnis positiv zu werten und konstruktiv zu gestalten; Stefan G. wirkt durch das Outsourcing in seinen Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt und pendelt zwischen dem Versuch, sich auf irgendeine Art und Weise einzubringen und Resignation. Konrad C. beschreibt als Repräsentant des übernehmenden Unternehmens den Outsourcing-Prozess, wobei seine Werthaltungen, die er an die transferierten Beschäftigten heranträgt, deutlich zum Ausdruck kommen. Ähnlich wie Michaela D. versuchen auch Elisabeth F., Christoph H., Sandra E. und Christine I. das Beste aus ihrer beruflichen Situation zu machen. Die Interviews von Herbert B. und Friedrich J. lassen sich in Bezug auf die belastende Wirkung von Outsourcing mit dem Interview von Stefan G. vergleichen, während Kerstin A. als Repräsentantin des Mutterkonzerns mit Konrad C. vergleichbar ist. Die Analyse der Interviewtranskripte erfolgt anhand folgender Kriterien: a.
b. c.
d.
Selbstorganisation: Wird der Arbeitstag vornehmlich durch Vorgaben strukturiert oder besteht die Notwendigkeit, die Struktur in Eigenleistung zu bestimmen? Leistung und Anerkennung: Welcher Beitrag der Befragten wird in welcher Form als Leistung anerkannt? (Emotionale) Bedeutung des Personaltransfers im Rahmen von Outsourcing: Mit welchen Begriffen fasst der Befragte den Personaltransfer und wie beschreibt er sein Erleben retrospektiv? Emotionsregulation und Bewältigungsverhalten: Wie begegnet der Befragte den Anforderungen im neuen Unternehmen?
Zusammenfassung der methodischen Überlegungen
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In einem dritten Schritt erfolgt eine Analyse des Beziehungsraums im Interview anhand der Eingangssequenz, um Hinweise auf Beziehungswünsche, forderungen, und -erwartungen zu erheben, die Aufschluss über die latenten Anteile des psychologischen Vertrags geben können. Dem Vorgehen liegt die Annahme zu Grunde, dass sich im Interview und insbesondere in der Eingangssequenz auf zugespitzte Weise die Struktur und Dynamik der Organisation in der Forschungssituation entfaltet. Die Protokolle der Praktikantin, die sowohl die Rahmenbedingungen des Interviews, Notizen zur Beziehungsdynamik im Interview als auch zu spezifischen Merkmalen der Befragten enthalten, werden als Ergänzung hinzugezogen. Zudem wurde die Analyse der Eingangssequenz der Interviews „Konrad C.“, „Michaela D.“ und „Stefan G.“ jeweils mit drei wissenschaftlichen Kolleginnen diskutiert, um mehrere mögliche Perspektiven auf den Beziehungsraum für eine differenziertere Darstellung nutzbar zu machen. Die Gespräche wurden in Ergebnisprotokollen festgehalten. In einem vierten Schritt werden die ersten drei Schritte zu einer Darstellung des individuellen psychologischen Vertrags der Beschäftigten zusammengefasst sowie im Rahmen der Betrachtung der psychologischen Verträge von Kerstin A. und Konrad C. mit psychologischen Verträgen von Beratern in Beziehung gesetzt. Die Schritte zwei bis vier werden in der Darstellung der Analyse zu Einzelfallbeschreibungen zusammengefasst. In einem fünften Schritt sollen Hypothesen darüber gebildet werden, wie die psychologischen Verträge der transferierten Beschäftigten mit denen der Berater ineinandergreifen und sich gegenseitig beeinflussen (vgl. Abschnitt 7.3). Abschließend werden in einem sechsten Schritt Überlegungen dazu ausgeführt, wie mittels der Berücksichtigung psychologischer Verträge im Rahmen eines Personaltransfer im Zuge von Outsourcing das Beschäftigungsverhältnis von Beschäftigten und neuem Arbeitgeber derart gestaltet werden kann, dass sich die psychosozialen Folgewirkungen von Outsourcing weniger belastend für die transferierten Beschäftigten gestalten (vgl. Abschnitt 7.4).
7 Ergebnisse der Untersuchung
Im Zuge des Personaltransfers im Rahmen von Outsourcing werden die Beschäftigungsverhältnisse der Befragten zu einem Tochterunternehmen eines Beratungsunternehmens transferiert. Das Beratungsunternehmen dominiert den Arbeitskontext der Befragten, da Beschäftigte des Beratungsunternehmens den Outsourcing-Prozess vorbereiten und begleiten sowie das Tochterunternehmen „AS GmbH“ gründen. Darüber hinaus leiten ehemalige Berater die AS GmbH. Daher soll im Folgenden zum einen das im Rahmen des OutsourcingProzesses gegründete Tochterunternehmen AS GmbH sowie der Beratungsbereich der Dachorganisation vorgestellt werden.
7.1 Das fokale Unternehmen: Administration Services GmbH (AS GmbH) Der Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing, der in der vorliegenden Untersuchung in den Blick genommen wird, findet zwischen einer Bank (Ursprungsunternehmen) und einem Beratungsunternehmen statt. Das Beratungsunternehmen übernimmt die transferierten Beschäftigten jedoch nicht direkt, sondern gründet ein Tochterunternehmen, in das die Beschäftigten nach dem Outsourcing integriert werden. Das neu gegründete Tochterunternehmen „Administration Services GmbH73“ übernimmt die Aufgaben, für die die transferierten Beschäftigten vor dem Outsourcing in der Bank zuständig waren: Die technische Unterstützung einer Software, die in einer bestimmten Fachabteilung der Bank eingesetzt wurde, d.h. die Wartung der dort eingesetzten Software. Zudem waren die Beschäftigten Ansprechpartner der Nutzer dieser Software und haben die Software entsprechend den Anforderungen ihrer Nutzer erweitert und entwickelt. Seit dem Outsourcing ist die AS GmbH für die Wartung und Entwicklung der Software zuständig, die Bedingungen haben sich jedoch gravierend geändert. Während die Beschäftigten in der Bank auf Zuruf gearbeitet haben, so ist nun jeder Service, auf den die Bank Anspruch hat, in einem so genannten Service Level Agreement festgelegt (vgl. Abschnitt 4.4). Darin ist vertraglich definiert, welche Leistungen der Dienstleister für das Ursprungsunternehmen erbringen 73 Der Name der Organisation wurde geändert.
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Ergebnisse der Untersuchung
muss und welche Anfragen des Kunden der Dienstleister ablehnen oder zusätzlich vergüten kann. Die Beschäftigten der Fachabteilung sind dadurch in ihrem Machtbereich sehr stark eingeschränkt, da die Beschäftigten der AS GmbH nun alle Anfragen ablehnen (müssen), die im Service Level Agreement nicht vorgesehen sind (vgl. Abschnitt 4.4). Somit entfallen auch die „Nice-to-have“ Änderungen, die vor dem Outsourcing aus Gefälligkeit für Kollegen vorgenommen wurden (vgl. Abschnitt 4.4). Zudem ist die Erbringung der Dienstleistung nun stark formalisiert: Statt einer mündlichen Bitte muss nun eine schriftliche Anfrage vorliegen, die geprüft und gegebenenfalls ausgeführt und anschließend ausführlich dokumentiert wird, um möglichen Reklamationen begegnen zu können. Aus Kollegen einer Fachabteilung, die Kollegen aus der IT-Abteilung um Unterstützung bitten, sind nun Kunde und Lieferant geworden, die in einer stärker formalisierten Art und Weise zusammenarbeiten (sollen). Das verläuft nicht ganz reibungslos, da der Kunde zwar König ist, sich jedoch an die Vorgaben des Service Level Agreements halten muss. Die Grenzziehung fällt den transferierten Beschäftigten nicht leicht, da die ehemaligen Kollegen als Kunden viel Druck auf sie ausüben und dabei zum Teil an die ehemalige Kollegenbeziehung anknüpfen, zum Teil jedoch eine künstliche emotionale Distanz erzeugen. So berichten Befragte von Kunden, die ihnen das ehemals etablierte „Du“ entzogen haben, da sie nun als Lieferanten nicht mehr zur Ursprungsorganisation gehören würden (Interview mit Michaela D). Formal haben sich die transferierten Beschäftigungsverhältnisse bis auf den Arbeitgeber und den Arbeitsort nicht verändert: Die Arbeitsverträge bestehen zu gleichem Gehalt fort, selbst die betriebliche Altersvorsorge wird erhalten. Durch den Transfer zur AS GmbH, einem Tochterunternehmen unter dem Dach eines Beratungsunternehmens, für das, wie in Kapitel 3 beschrieben, entgrenzte Arbeitsbedingungen charakteristisch sind, verändert sich jedoch der organisatorische Rahmen, auf den die Praktiken der Vorgesetzten rekurrieren. Schließlich gehen die entscheidenden Impulse vom Beratungsbereich des Unternehmens aus, aus dem auch fast alle Vorgesetzten der AS GmbH stammen. Eine Ausnahme stellt Friedrich J. dar, der als ehemalige Leitungskraft der Bank auch nach dem Outsourcing eine Leitungsfunktion inne hat. Das Beratungsunternehmen bestimmt die Arbeitsbedingungen in der AS GmbH in mehrfacher Hinsicht: Erstens ist das Management der AS GmbH als Berater sozialisiert und versucht die dort üblichen Prinzipien auf die AS GmbH zu übertragen; zweitens hat das Management des Beratungsunternehmens den Outsourcing-Vertrag mit dem Ursprungsunternehmen ausgehandelt und bestimmt auf diese Weise den Tätigkeitsbereich der AS GmbH; drittens legt das Management des Beratungsunternehmens die Kosten- und Gewinnziele der AS
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GmbH fest, die möglicherweise für den mittelfristigen Bestand des Tochterunternehmens von zentraler Bedeutung sind. Das Beratungsunternehmen ist als großes Beratungsunternehmen zu bezeichnen, das neben IT-Consulting auch die klassischen Beratungsformen anbietet und in drei Bereiche gegliedert ist: Der wichtigste Bereich ist die Beratung74. Die dort beschäftigten Berater erbringen Beratungsleistungen für externe Kunden und sind dort vor Ort für eine begrenzte Zeit eingesetzt. Den beiden anderen Geschäftsbereichen „Software-Produktion“ und „Dienstleistungen“ kommt eine unterstützende Funktion für den Beratungsbereich des Unternehmens zu. In ihnen sind wesentlich mehr Beschäftigte tätig als im Beratungsbereich. Während der eine Geschäftsbereich „Software-Produktion“ damit befasst ist, Software zu programmieren, die im Rahmen der Beratungs-Projekte zum Einsatz kommt, ist der andere Geschäftsbereich „Dienstleistungen“ nicht in die Projektarbeit der Berater eingebunden. In diesem Bereich ist unter anderem Insourcing, das Gegenstück zu Outsourcing angesiedelt. Dieser Bereich übernimmt die Aufgaben, Prozesse oder ganze Abteilungen, die ein Kunde auslagern möchte. Ist im Zuge eines Outsourcing-Prozesses ein Personaltransfer vorgesehen, so wird zu diesem Zweck ein Tochterunternehmen gegründet, in das die ehemaligen Beschäftigten des auslagernden Unternehmens transferiert werden. Die Beschäftigten der Geschäftsbereiche „Software-Produktion“ und „Dienstleistungen“ werden gemeinhin nicht mit Mobilitätsanforderungen konfrontiert, da sie einem festen Standort zugeordnet sind und nicht beim Kunden vor Ort arbeiten. Der Beratungsbereich als dominierender Bereich im Beratungsunternehmen Wie bereits ausgeführt, dominiert der Beratungsbereich die beiden anderen Geschäftsbereiche und soll deshalb im Folgenden dargestellt werden. Für den Beratungsbereich ist die Projektarbeit beim Kunden charakteristisch, die hohe Mobilitätsanforderungen impliziert. Denn das Projekt, auf dem ein Berater eingesetzt wird, ist nur selten in der Nähe seines eigentlichen Arbeitsorts. Oftmals finden Projekteinsätze in anderen Ländern Europas, Asiens oder in US-Amerika statt. In diesem Geschäftsbereich gilt das Prinzip „Up-orOut“75, was bedeutet, dass die Existenzberechtigung im Unternehmen an eine anhaltend erfolgreiche Karriere geknüpft ist (vgl. Abschnitt 3.3.1). Folglich kön74 Entgegen der Darstellung in Abschnitt 4.1.1 verzeichnet das Beratungsunternehmen seit 2007 wieder Zuwachsraten. 75 Beraterin D. ergänzt um „In-and-Out“: Wie in Abschnitt 4.3.1 erläutert, werden Nachwuchsberater im Rahmen einer „Personalvorhaltung“ eingestellt. Das bedeutet, dass oftmals mehr Nachwuchsberater eingestellt als tatsächlich gebraucht werden. Üblicherweise wird dann das Ende der Probezeit genutzt, um sich von den Nachwuchsberatern zu trennen, die bis zu diesem Zeitpunkt keinen überzeugenden Projekteinsatz hatten.
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Ergebnisse der Untersuchung
nen Beschäftigte nur solange als Berater im Unternehmen tätig sein, wie sie im Rahmen bestimmter zeitlicher Fristen befördert werden. Es existieren im Unterschied zu den anderen beiden Geschäftsbereichen keine so genannten „landing positions“, auf denen ein langfristiger Verbleib möglich ist. Deshalb wechseln einige Berater nach einer gewissen Zeit in einen der beiden anderen Geschäftsbereiche, in denen das „Up-or-Out“-Prinzip nur in abgeschwächter Form praktiziert wird. Die Tätigkeit als Berater erfordert aufgrund der wechselnden Aufgaben ein hohes Maß an Flexibilität. Üblicherweise werden Projekteinsätze und Aufgabenstellungen auf den unteren Karrierelevels durch das Management zugeteilt, ohne die Wünsche und Neigungen der Nachwuchsberater zu berücksichtigen. Es wird davon ausgegangen, dass die High Potentials in der Lage sind, sich in unterschiedliche Aufgabenstellungen in kurzer Zeit einzuarbeiten und sie zu bewältigen (vgl. Abschnitt 3.3.1), unabhängig davon, ob es sich um das Programmieren oder Testen von Software oder um die Begleitung eines Outsourcing-Prozesses handelt. Die jeweilige Aufgabe wird im Rahmen strenger Zeitvorgaben vom Beschäftigten eigenständig organisiert. Teil der Aufgabenbewältigung ist die Schätzung des Arbeitsaufwandes in Zeit, die auch in den Fällen erfolgen muss, in denen der Beschäftigte nicht über die erforderliche Erfahrung mit der Aufgabe verfügt. Diese Schätzung hat verbindlichen Charakter und wird anhand von wöchentlichen oder gar täglichen Statusberichten geprüft. Diese Statusberichte enthalten die abgearbeiteten Aufgaben pro Zeiteinheit (Tag oder Woche), die anstehenden Aufgaben sowie eine Einschätzung, ob eine fristgerechte Erledigung der Aufgabe möglich ist: „also ich sag jetzt etwas, das ist eigentlich selbstverständlich, wie Ehrlichkeit, also man sagt wo man steht im Status, aber das ist hier was Wichtiges unserer Kultur. Wir lernen von klein auf, dass man wöchentlich 'nen Status schreibt und was man da reinschreibt, so funktionieren wir, so ticken wir“ (Interview Konrad C., Z. 673).
Am Ende des Zitats betont der Befragte die Bedeutung eines regelmäßigen und ehrlichen Statusberichts mit den Worten: „so funktionieren wir, so ticken wir“. In dieser Aussage sind mehrere Informationen enthalten: Erstens, wer so nicht tickt, hat im Beratungsunternehmen keinen Platz; zweitens, wir ticken alle so, weil wir das von „klein auf“ im Beratungsunternehmen lernen, was bedeutet, dass der Beraternachwuchs zunächst als „klein“ wahrgenommen wird und sich mit einer im Beratungsunternehmen üblichen beruflichen Sozialisation arrangieren muss, um in die Rolle eines Beraters hineinzuwachsen. Diesen Prozess nimmt der Befragte möglicherweise als gegeben hin, weil er selbst als Berufsanfänger in das Beratungsunternehmen eingestiegen ist und folglich von Beginn seiner Karriere an mit diesen Anforderungen konfrontiert wurde, die er wahr-
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scheinlich inzwischen verinnerlicht hat. Und drittens deutet die Wortwahl auf ein eher technisch gefärbtes Bild von sich und seinen Kollegen hin, denn „funktionieren“ und „ticken“ sind Begriffe, die gemeinhin für Maschinen und nicht für Menschen verwendet werden. Berater, so deutet sich im Zitat an, sind zu Beginn ihrer Karriere im Beratungsunternehmen „klein“ um sich von „klein auf“, das Beratungsgeschäft anzueignen. Möglicherweise werden deshalb bevorzugt Hochschulabsolventen eingestellt, da sie im Vergleich zu Bewerbern mit Berufspraxis nicht so sehr durch Vorerfahrungen geprägt und somit formbarer sind. Die Karriere im Beraterunternehmen beginnt typischerweise nach Abschluss des Studiums im Alter von etwa 25 Jahren. Da in einem festen Rhythmus von zwei bis drei Jahren Beförderungen vorgesehen sind, lässt sich im Allgemeinen am Alter eines Beraters sein Karrierelevel ablesen. Der höchste Karrierelevel ist der des Partners, den nur wenige derer erreichen, die auf dem untersten Level des Beratungsunternehmens angefangen haben (vgl. Abschnitt 3.3.2). Diejenigen, die Partner werden, haben im Laufe ihrer Karriere im Unternehmen viel Kapital akkumuliert und können daher ihre Karriere früh beenden. Folglich sind auch Partner selten älter als 45 Jahre. Konsequent gedacht, ist demnach von einem Senioritätsprinzip auszugehen, das sich ab einem bestimmten Alter ins Gegenteil verkehrt: Beschäftigte ab 40 sind entweder (noch wenige Jahre) als Partner oder in einem der beiden anderen, weniger privilegierten, Geschäftsbereiche beschäftigt. Zusammenfassend können die Anforderungen an Berater in diesem Beratungsunternehmen folgendermaßen beschrieben werden: Sie sollen jung, dynamisch, karriereorientiert, flexibel, kompetent, kompetenzdarstellungskompetent und zu Selbstorganisation fähig sein. Das Leistungsprinzip kann als übergeordnetes Prinzip bezeichnet werden, da es sowohl das Arbeitshandeln als auch das Privatleben von Beratern dominiert. In Ergänzung zu der Darstellung in Kapitel 3 „Normalität der Entgrenzung: Beratungsunternehmen als entgrenzter Arbeitskontext“ soll im Folgenden auf die Punkte Rekrutierung, Leistungsanforderungen, Umgang mit der Zeit, Beförderungen und Fluktuation eingegangen und ein allgemeiner psychologischer Vertrag von Beratern formuliert werden. Rekrutierung Bei diesem Beratungsunternehmen bewerben sich größtenteils junge, männliche, beruflich ambitionierte Hochschulabsolventen betriebswirtschaftlicher Studiengänge mit dem Schwerpunkt Informationstechnologie (vgl. Abschnitt 3.3.1). Die meisten von ihnen ahnen bereits vor der Bewerbung, welcher Art die Arbeitsbedingungen sind, auf die sie bereit sind, sich einzulassen. So gilt es bereits als Auszeichnung, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, da das
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Ergebnisse der Untersuchung
Beratungsunternehmen aus Perspektive beruflich ambitionierter Berufsanfänger als attraktiver Arbeitgeber gilt, der für seine strengen Selektionskriterien bekannt ist. Im Bewerbungsverfahren wird der Eindruck einer psychisch und physisch herausfordernden Tätigkeit nicht nur bestätigt, sondern bewusst als Selektionsmechanismus verwendet. So wird mittels der von Personalabteilungen entwickelten Personalauswahlsysteme sehr viel Druck auf die Bewerber ausgeübt, um zum einen die Bewerber einer Belastungsprobe zu unterziehen und zum anderen ihr Verhalten bei starker Belastung zu eruieren (vgl. Hartenstein u. a. 2000). Ein wichtiges Selektionskriterium ist beispielsweise, wie ein Bewerber auf eine Aufgabe reagiert, die im gegebenen zeitlichen Rahmen vom Umfang her nicht zu bewältigen ist. Reagiert er mit Gelassenheit und arbeitet einen Teil der Aufgabe ab oder lässt er sich aus der Ruhe bringen und seiner Handlungsfähigkeit berauben. Erfolgreichen Bewerbern76 wird bereits am ersten Tag eine umfangreiche (technische) Ausstattung zur Verfügung gestellt, die seine umgehende „Einsatzfähigkeit“ auf Projekten gewährleisten soll: Mobiltelefon, Notebook, Kreditkarte, ein Ausweis, der zur Teilnahme an einem Vielfliegerprogramm berechtigt, ein Wörterbuch der im Beratungsunternehmen gängigen Begriffe sowie das Buch „The 7 Habits of Highly Effective People: Powerful Lessons in Personal Change“ (Covey 1989). Der erste Tag im Beratungsunternehmen stellt eine ausgedehnte Einführungsveranstaltung dar, die der unternehmensspezifischen Sozialisation der Neueinsteiger dient: Unternehmensangehörige machen den Beraternachwuchs mit der Abrechnung geleisteter Arbeitsstunden und angefallener Reisekosten vertraut und vermitteln die Prinzipien der Projektarbeit. Zu diesen Prinzipien gehört neben der Frage der angemessenen Kleidung, auch „Dress-Code“ genannt, die Frage der Einordnung in die Projekt-Hierarchie und die des angemessenen Verhaltens gegenüber den Kunden. Der Rahmen der Veranstaltung verweist sowohl auf die zu erwartenden luxuriösen Arbeitsbedingungen als auch auf eine wesentliche Anforderung, die mit einer Karriere vom Juniorberater zum Partner verknüpft ist: die bedingungslose Anpassung an etablierte Arbeits- und Organisationsprinzipien. Möglicherweise werden im Beratungsbereich vornehmlich deshalb Hochschulabsolventen eingestellt, weil sie aufgrund ihrer geringen Praxiserfahrung formbarer und bereit sind, sich in strenge hierarchische Organisationsstruktur ohne allzu kritisches Hinterfragen einzufügen. Vor dem ersten Projekteinsatz werden im Rahmen eines mehrere Wochen umfassenden Trainingsprogramms Programmierkenntnisse unter den Arbeitsbedingungen von Projektarbeit vermittelt, wie sie im Beratungsunternehmen üblich 76 Die Ausführungen basieren auf der Auswertung des Forschungstagebuchs. Möglicherweise hat sich das Verfahren inzwischen verändert.
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ist. Diese einführenden Wochen können als eine Art Initiationsritus (vgl. Abschnitt 4.1.1) bezeichnet werden: Unter Leistungs- und Zeitdruck gesetzt, müssen die Nachwuchsberater Aufgaben erfüllen, wobei eine kollegiale Unterstützung offiziell untersagt ist. Das Setting sieht vor, dass in einem „Projektteam“ mehrere Nachwuchsberater eine Software programmieren, die sich aus den Ergebnissen aller Projektmitglieder zusammensetzt. Das Arbeitsende hängt folglich von der Leistung der Projektmitglieder ab, was zu einem großen Gruppendruck führt, unter dem insbesondere das „schwächste“ Projektmitglied zu leiden hat. Während die Arbeitsumgebung als durchaus luxuriös zu bezeichnen ist, ist der Druck insbesondere auf die Nachwuchsberater, die über keine informationstechnologischen Vorkenntnisse verfügen, sehr groß. Der Erfolgsdruck wird allerdings durch die Erfahrung „verdeckter“ Kooperation durch Kollegen gemildert, die über fundierte informationstechnologische Kenntnisse verfügen. Voraussetzung für diese informelle (und offiziell untersagte) Unterstützung ist jedoch, dass zum hilfesuchenden Kollegen eine emotionale Bindung besteht, weshalb der Netzwerkpflege bereits vor dem ersten „echten“ Projekteinsatz eine große Bedeutung zukommt. In einigen Fällen ziehen Nachwuchsberater in dieser Phase eine Kündigung in Betracht, die sie jedoch als beschämende Niederlage erleben würden und sie deshalb unter Umständen zu Lasten der psychischen und physischen Gesundheit vermeiden. Möglicherweise besteht der Zweck einer (über-) fordernden Arbeitsatmosphäre darin, dem Beraternachwuchs seine Ersetzbarkeit vor Augen zu führen, ihn an ein hohes Reizniveau zu gewöhnen und die Konkurrenz gegenüber der Kooperation als dominierendes Prinzip zu stärken (vgl. Abschnitt 2.3.3). Daher vertreten viele Juniorberater zu Beginn der Karriere (aus Selbstschutz) die Ansicht, sie wollten nur zwei oder drei Jahre im Beratungsunternehmen bleiben, um anschließend in die Industrie zu wechseln. Nach etwa zwei oder drei Jahren lässt sich jedoch ein Einstellungswandel verzeichnen, wie Beraterin B. beobachtet. Sobald nach dieser Zeit die erste Karrierestufe genommen ist, keimt die Hoffnung auf eine längerfristige Perspektive im Beratungsunternehmen und darauf, vielleicht doch Partner zu werden. Leistungsanforderungen Das Beratungsunternehmen ist für seine hohen Leistungsanforderungen bekannt. Sie bestehen im Rahmen von Projektarbeit darin, erstens jede zugewiesene Aufgabe anzunehmen, auch wenn sie der eigenen Neigung und den eigenen Fähigkeiten nicht entspricht; zweitens mobil zu sein, also Projekteinsätze zu akzeptieren, die weit vom Wohnort entfernt stattfinden; drittens unter Zeitdruck zu arbeiten, der insbesondere in der Phase des Projektabschlusses hoch ist. So brüsten sich in der Phase des Projektabschlusses manche Berater damit, mehrere Tage
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am Stück nicht geschlafen zu haben. Zu Projektbeginn sind jedoch auch Phasen üblich, in denen gegenüber dem Kunden Aktivität „simuliert“ werden muss, da nicht alle Berater von Beginn an mit ihren Aufgaben ausgelastet sind. Der äußere (zeitliche) Rahmen, der in der Projektarbeit für die Bewältigung von Aufgaben gesteckt wird, ist eng. So scheint es auch in diesem Beratungsunternehmen üblich zu sein, Projekte nur mit kleinen zeitlichen oder finanziellen Puffern zu planen, so dass weder in Bezug auf Termine noch auf Budgets große Spielräume bleiben. Im Gegenteil: In manchen Fällen ist bereits zum Planungszeitpunkt mit Mehrarbeit zu rechnen, da das Projektmanagement dem Kunden sehr eng kalkulierte Projekte anbietet, um ins Geschäft zu kommen, wohl wissend, dass die Vorgaben ohne entsprechende (unvergütete) Mehrarbeit nicht zu bewältigen sind. Die konkrete Umsetzung, für die (zu) knappe Ressourcen zur Verfügung stehen, liegt dann in der Verantwortung der Beschäftigten. Sobald in der konkreten Projektarbeit unvorhergesehene Probleme auftreten, die über gewöhnliche Planungsunsicherheiten hinausgehen, sind die bereits mehrarbeitenden Beschäftigten gezwungen, noch mehr zu arbeiten, um vereinbarte Termine zu halten77. Deshalb bestehen die proklamierten Handlungsspielräume der Beschäftigten im Wesentlichen darin, sich selbst noch mehr Leistung abzuverlangen. Die typische Art und Weise, mit (zu) hohen Anforderungen im Arbeitsalltag umzugehen, verdeutlicht das Mail des ehemaligen Beraterkollegen C. der Forscherin: „…das Hamsterrad dreht sich weiter und ich bin noch immer überzeugt davon, dass ich es durch schnelleres Laufen bezwingen kann ... ;-)“
Das angedeutete Augenzwinkern am Ende des Zitats „;-)“ verweist auf die mehr oder minder bewusste Auseinandersetzung des Beraters mit den belastenden Momenten seiner Arbeit. Es gehört jedoch zum Selbstverständnis eines Beraters, mit den belastenden Seiten der Tätigkeit als Berater zu kokettieren, da sie eben auch als Ausdruck der eigenen (beruflichen) Bedeutsamkeit wahrgenommen werden können. Leistungsstark und belastbar zu sein, weder privat noch beruflich Probleme zu haben, zugleich jede Herausforderung anzunehmen, und sei die Chance, zu bestehen, noch so gering, gehört demnach zum Selbstverständnis eines Beraters 77 Zur Veranschaulichung ein Zitat aus dem Forschungstagebuch: „Habe einige Male die Nerven verloren. P. hat sehr viel Druck auf mich ausgeübt.“ „Müssen die [deadline] ums Verrecken schaffen“. Wollte mir zumindest theoretisch die Möglichkeit offen halten, daß es nicht klappt. Wollte er mir nicht zugestehen. B. schon, habe ihn darauf angesprochen, er sagt, ich müsse mich nicht auf der Bahre reintragen lassen.“
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und wird jedem Neueinsteiger vermittelt. Wer sein Privatleben nicht der Arbeit unterordnet, braucht dafür insbesondere in bestimmten Phasen des Projekts gute Gründe. Denn wenn die Arbeitslast im Projekt hoch ist, gelten nur einschneidende Ereignisse wie der Tod von nahen Angehörigen oder die Einlieferung des eigenen Kindes in ein Krankenhaus als legitim. Aber auch in solchen Fällen ist die Geduld der Vorgesetzten begrenzt, wie im folgenden Zitat deutlich wird: „Wir haben 'ne Kollegin in den USA, deren Tochter ist schwer krank. Als die im Krankenhaus war und 'ne schwere Operation hatte, ist das selbstverständlich, dass man [sich um sie kümmert], dafür haben wir alle Verständnis. Nur wenn jemand jede Woche mit irgendwelchen privaten Dingen ankommt, muss man auch mal den Mut haben zu sagen, bring dein Privatleben in den Griff, das ist auch keine Sozialveranstaltung hier.“ (Interview mit Konrad C., Z. 779 ff.)
Das Zitat bringt die als selbstverständlich vorausgesetzte Haltung zum Ausdruck, dem Privatleben stehe es nicht zu, das Arbeitsleben zu beeinträchtigen. In die andere Richtung sind die Grenzen wohl als durchlässiger zu beschreiben. Je höher ein Berater in der Hierarchie aufsteigt, umso größer wird sein Einfluss auf die Art und den Ort des eigenen Projekteinsatzes, der gemeinhin mit einer größeren Verantwortung verbunden ist. Mit den größeren Gestaltungs- und Handlungsspielräumen ist jedoch nicht nur eine größere Verantwortung verbunden, sondern auch das Risiko, an der übertragenen Verantwortung zu scheitern und das Unternehmen verlassen zu müssen. Zu der geringen Arbeitsplatzsicherheit tritt ein steter Kampf um eine besondere, in Abschnitt 2.3.2 eingeführte Form der Anerkennung hinzu: Berater leben von der Bewunderung, die ihnen Gehaltserhöhungen und Boni ermöglicht. Daher gilt es, eigene Erfolge in Szene zu setzen und Misserfolge Kollegen anzulasten, mithin ein darstellungskompetenter Kompetenzdarsteller zu sein. Beraterin B. fügt einschränkend hinzu, dass Misserfolge eine Sogwirkung entfalten können: Wer versuche, sie anderen anzulasten, begebe sich in die Gefahr, der mangelnden Hilfestellung bezichtigt zu werden und den eigenen Ruf zu schädigen. Was die Motivation der Mitarbeiter betrifft, so schildert Beraterin B., dass die Hierarchie gemeinhin nicht direkt ausgespielt würde, um Beschäftigte zu Mehrarbeit anzuregen. Tatsächlich würde subtiler argumentiert. Sie führt folgende Beispiele an, die an das Verantwortungs- und Pflichtgefühl der Beschäftigten appellieren sollen: „wenn du das mit deinem Gewissen vereinbaren kannst“, „wenn du meinst, fertig zu sein, kannst du gerne gehen“. Als zweite Argumentationslinie werden mögliche Gratifikationen verwandt und auf Karrierechancen verwiesen: „nur wenn du jetzt Leistung zeigst, wirst du auf einem richtig interessanten Projekt eingesetzt und kannst zeigen was in dir steckt“. Zudem wirke ein
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„unterschwellige[r] Gruppenzwang“, der den Beschäftigten das Gefühl vermittele, dass „alle das ‚freiwillig‘ [und] ohne Murren [machen], nur ich will nicht“. Wenn ein Kollege nicht mit Projektarbeit ausgelastet ist, so liegt der Verdacht nahe, dass er über keine besonderen Fähigkeiten verfügt, da er andernfalls einen entsprechenden zeit- und energieraubenden Projekteinsatz hätte. Sich für ein ausgewogenes Verhältnis von Arbeit und Leben einzusetzen, gilt nicht als anerkennungswürdig und wird von Kollegen leicht als mangelnde Belastbarkeit missverstanden. Schließlich stellt beispielsweise die Rettung eines nahezu aussichtslosen Projekts ein Gütesiegel dar, das dem Beschäftigten zahlreiche Optionen eröffnet. Andererseits ist bei den Aufgaben, die die schönsten Lorbeeren versprechen, auch mit einer hohen Wahrscheinlichkeit des Scheiterns zu rechnen. Deshalb gilt es, sofern der eigene Projekteinsatz beeinflussbar ist, die Chancen und Risiken abzuwägen. Der Normalfall ist jedoch, zumindest auf den unteren Hierarchie-Ebenen, dass keine Möglichkeit besteht, einen riskanten Projekteinsatz abzulehnen. Dann bleibt dem Beschäftigten keine Wahl, als sich die gestellte Aufgabe schönzureden und das Beste zu geben. Beraterin A. möchte an dieser Stelle ergänzt wissen, dass ein paar ihrer Kollegen ihr Arbeitsvolumen auf 80% reduziert haben, beispielsweise, da sie Vater geworden sind. Das sei nur deshalb möglich, weil sich in den Köpfen der Berater derzeit „was bewege“ und die kollegiale Akzeptanz für den Wunsch nach mehr Privatleben steige. Zum anderen sei die verbesserte Durchsetzbarkeit von Grenzziehungen gegenüber der Arbeit auch darauf zurückzuführen, dass die Tageshonorare sinken und sich die Art der Verrechnung gegenüber dem Kunden zu seinen Gunsten verändert: Die lange Zeit etablierte Form „Time and Material“ werde durch Festpreisangebote ergänzt, die teilweise eine Risikobeteiligung seitens der Beratungsunternehmen vorsehen. Mit „Time and Material“ ist gemeint, dass die Beratungsleistung gemäß der angefallenen Stunden honoriert wird. Vergrößert sich der Arbeitsaufwand während des Projekts, muss der Kunde die Mehrkosten tragen. Bei Festpreisprojekten hingegen muss das Beratungsunternehmen den entstandenen Mehraufwand selbst tragen. Aufgrund der gestiegenen Risikobeteiligung von Beratungsunternehmen sei ein Berater, der nicht rund um die Uhr zu Verfügung steht, gegenüber dem Kunden leichter vertretbar. Umgang mit der Zeit Zeit gilt im Beratungsunternehmen als wichtigste Ressource und ist folglich sparsam einzusetzen. Daher gilt ein kurzangebundener Ton und die Markierung von Ungeduld nicht als unhöflich, sondern als Ausdruck des Respekts vor der Zeitknappheit des anderen78 (vgl. Abschnitt 2.1.2). Persönliche oder telefonische 78 Nicht unüblich sind Emails mit folgendem Inhalt: Hi, fyi, Name des Absenders, wobei fyi für „for your information“ steht. Im Anhang befindet sich üblicherweise ein Dokument, dass zur Kenntnis
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Gespräche werden üblicherweise mit der Frage „hast du eine Minute?“79 eingeleitet. Nur in seltenen Fällen wird dieser Frage ablehnend begegnet, da im Rahmen von Projektarbeit jeder Berater auf die Kooperationsbereitschaft seiner Kollegen angewiesen ist: „…man kann wirklich, was ich als faszinierend finde, man kann jeden anrufen, du, sagt mal, ich hab' gehört, du bist Experte in, weiß ich was [Fachgebiet X], und dann hat derjenige auch wirklich-, also entweder er sagt, du, pass' auf, ruf' mich in 'ner halben Stunde an oder so, aber er hat prinzipiell erst mal Zeit für einen und er hat-, die Hilfsbereitschaft ist da. Das ist 'ne Kultur, die ich bei der [Bank] sehr vermisst habe.“ (Interview Stefan G, Z. 314ff.). Es lässt sich von einer spezifischen Form der Hilfsbereitschaft sprechen: Auch unter Zeitdruck ist jeder Berater üblicherweise ansprechbar und hilfsbereit und reagiert zeitnah auf Email-Anfragen. Vorausgesetzt, der Hilfe suchende Kollege beansprucht nur wenige Minuten der eigenen Zeit. Daher wird das Anliegen kurz und knapp formuliert; nicht auf den Punkt zu kommen gilt, wie das mehrmalige Stellen der gleichen Frage, als Ausweis von Inkompetenz. Die Anforderungen an die eigenständige Gestaltung des Arbeitstages zur Bewältigung der übertragenen Aufgaben sind hoch. Wie das folgende Zitat aus dem Forschungstagebuch zeigt, werden diese Anforderungen nicht nur akzeptiert sondern in Folge einer mehr oder minder gezielten „Gehirnwäsche“ verinnerlicht, woraus eine Art mehr oder minder bewusste vorauseilende Zurichtung des eigenen Arbeitsvermögens resultiert: „Bin wohl noch zu unkoordiniert. Muß mir besser überlegen und einteilen, was ich den Tag über mache, damit ich mich nicht verzettele und nicht zu meinen [Aufgaben] komme, die wohl Basis meiner Beurteilung sein werden. Schön, wenn man helfen kann und einen jeder mag u. fragen kann, hilft aber in der Kernfrage nicht weiter.“ Die Fokussierung auf das „Wesentliche“ gilt als zentral und wird dem Beraternachwuchs intensiv vermittelt, wie anhand des Zitats deutlich wird. Auf der anderen Seite sind (längere) Gespräche in der Teeküche des Kunden über den ungerechten Projektleiter, einen unfähigen Kollegen oder einen attraktiven Kollegen durchaus an der Tagesordnung. Diese werden jedoch unterbrochen, sobald ein ranghöherer Berater oder ein Kunde die Teeküche betritt. Da Projektarbeit in vielen Fällen im Großraumbüro stattfindet, gibt es neben der Teeküche nur wenige Rückzugsmöglichkeiten, weshalb private (Telefon-) Gespräche gemeinhin in (unbelegten) Besprechungsräumen oder auf dem Gang
genommen werden soll. Die Aufforderung das Dokument weiter zu bearbeiten, wird meist mit „asap“ ergänzt, was „as soon as possible“ bedeutet. 79 Im Beratungsunternehmen ist hierarchieübergreifend das Du üblich.
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geführt werden. Beraterkollegen in ihrer Arbeit nicht zu stören, gilt als wichtiges Prinzip80. Die räumliche Nähe, die Arbeit unter Zeitdruck sowie die Abhängigkeit von der Leistung der Kollegen für einen erfolgreichen Projektabschluss erzeugen in vielen Fällen ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl, wie Beraterin A. betont. Das Gemeinschaftsgefühl stärke die kollegiale Hilfsbereitschaft und gebe den Anstoß zu privaten Aktivitäten mit Kollegen des Projekts über die so genannten „social events“ hinaus, die für einen regelmäßigen Kontakt außerhalb der Arbeitszeit sorgen. Sie bieten den Rahmen, um ein neues Projektmitglied willkommen zu heißen oder einen Berater, der das Projekt verlässt, zu verabschieden. Zudem werden erfolgreiche Projektabschlüsse sowie Beförderungen von Projektmitgliedern mit einem großen Fest gefeiert. Promotion Die Beförderung, auch Promotion genannt, ist für Berater ein wichtiges Element ihrer Tätigkeit. Als bestandene Bewährungsprobe bestätigt sie den Berater, der befördert wurde, darin, weiterhin das Potenzial zum Aufstieg zu haben, was als Voraussetzung dafür gilt, im Beratungsunternehmen tätig zu bleiben. Wem das Aufstiegs-Potenzial von offizieller Seite abgesprochen wird, muss üblicherweise das Unternehmen verlassen. Ausschlaggebend für eine Karriere im Beratungsunternehmen sind die im Personalbeurteilungssystem verankerten regelmäßigen Leistungsbewertungen, die für jeden Mitarbeiter im Rahmen der Beratungsprojekte durch seine Vorgesetzten erstellt werden. Die Jahresbewertung basiert auf vier Einzelbewertungen und liegt der Beförderungsentscheidung zu Grunde, die im Rhythmus von etwa zwei bis drei Jahren ansteht. Neben der Jahresbewertung spiele „Vitamin B“ eine wichtige Rolle bei Beförderungsentscheidungen, wie Beraterin B. hinzufügt, und man müsse einfach „Glück haben“. Zudem sei die wirtschaftliche Situation des Beratungsunternehmens entscheidend: In guten Jahren sei es leichter, befördert zu werden, als in schlechten Jahren. Die Voraussetzung für eine Beförderung ist, besser bewertet zu werden als der Durchschnitt der anderen Berater auf dem gleichen Karrierelevel. Die Bewährungssituation ist demnach eine Konkurrenzsituation, da es stets mehrere Berater gibt, die zu einer Beförderung anstehen und versuchen, sich gegenseitig den Aufstieg streitig zu machen (vgl. Abschnitt 2.3.3).
80 Auf ihrem ersten Projekteinsatz speicherte die Forscherin einen Besprechungs-Termin in ihrem Mobiltelefon, um ihn keinesfalls zu verpassen. Zum Zeitpunkt des Termins löste das Mobiltelefon in ihrer Abwesenheit einen Alarm aus, da sie nicht im Raum war. Die Vorgesetzten, die wie alle anderen Beschäftigten in diesem Großraumbüro arbeiteten, kritisierten sie heftig für diese Unachtsamkeit, die sie selbst als beschämend erlebt hat (Szene aus dem Forschungstagebuch).
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Das Beförderungssystem ist so konstruiert, dass jedes Jahr ein gewisser Teil der Berater das Unternehmen verlassen muss: Für jede Bewertungsrunde gibt es prozentuale Vorgaben, die im Vorfeld festlegen, wie viele Berater auf einem bestimmten Karrierelevel der besten von vier Bewertungskategorien zugeordnet werden und somit die Chance auf Beförderung erhalten. Zudem wird der prozentuale Anteil derer bestimmt, die der niedrigsten Bewertungskategorie angehören sollen und folglich zeitnah das Unternehmen verlassen müssen81. Das bedeutet, dass Beschäftigte im Rahmen des Systems nicht absolut, sondern in Konkurrenz zum Kollegen bewertet werden. In guten Jahren ist demnach die Beförderung mit niedrigeren Leistungen82 als in schlechten Jahren möglich, da dann die Quoten entsprechend angepasst werden: Möglicherweise ist im Vorfeld festgelegt, dass 20% der Beschäftigten das Unternehmen verlassen müssen. Im Anschluss daran gilt es, die „schlechtesten“ 20% der Beschäftigten zu bestimmen. Daran wird deutlich, dass Beschäftigte in Beratungsunternehmen in regelmäßigen Abständen mit der Möglichkeit der Kündigung konfrontiert werden. Dieser Umstand führt in vielen Fällen zu einer Intensivierung der begrenzten Zeit im Beratungsunternehmen, die sich auf das Bestreben der Beschäftigten zurückführen lässt, in kurzer Zeit das Maximum an Berufserfahrung und persönlichen Kontakten zu generieren, um so von ihrer Zugehörigkeit zum Beratungsunternehmen profitieren zu können. Das bedeutet, dass eine ausgeprägte Karriereorientierung bei den Beschäftigten des Beratungsunternehmens vorausgesetzt werden kann, die sie dazu motiviert, der Arbeit einen hohen Stellenwert zu verleihen und private Belange nachrangig zu behandeln. Einer der Befragten veranschaulicht diese Einstellung anhand einer Erinnerung an ein Gespräch mit einer Vorgesetzten zu Beginn seiner Karriere in der Beratung:
81 Im Forschungstagebuch wird eine Szene beschrieben, wie Beschäftigten begegnet wird, deren Leistung als weniger gut eingeschätzt wird. Das Zitat veranschaulicht den schleichenden Prozess des „Fallengelassen-Werdens“ zunächst durch das Management und anschließend durch die Kollegen: „Abends [Projekt-] Stammtisch. Als M., N. und ich dort ankommen, ist nur A. da. [Er wird im auslaufenden Projekt nicht mehr gebraucht und ist für das neue Projekt nicht gebucht.] Am Abend versucht er die Manager u. Partner, die später kommen, auf einen Job anzusprechen. Laut M. ist keiner auf ihn eingegangen – kein gutes Zeichen. D. [die Personalreferentin] hat ihn gebeten, Urlaub zu nehmen – noch schlechteres Zeichen. Glaube, er erkennt den Ernst der Lage nicht.“ 82 Die Auswertung des Forschungstagebuchs ergibt, dass sich am Ende der Probezeit die wirtschaftliche Situation verschlechterte, weshalb einige Nachwuchsberater gekündigt wurden. Beraterin D.: „Da ist es aus mit der Berufselite, ruckzuck in die Arbeitslosigkeit.“ Bei der Rückgabe der technischen Ausstattung treffen gekündigte Nachwuchsberater möglicherweise auf die neu eingestellten Nachwuchsberater, die ihre technische Ausstattung erhalten, was sie als irritierend empfinden. Schließlich wird als Kündigungsgrund die Notwendigkeit, Personal abzubauen, genannt.
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Ergebnisse der Untersuchung „…mir hat mal eine Managerin ganz am Anfang gesagt, ich gehöre der Firma montags sieben bis freitags sieben. Und es kann sein, dass du zwischendrin Zeit hast, ins Kino zu gehen oder dich mit Freunden zu treffen, aber es kann genauso gut sein, dass im Projekt gesagt wird, das klappt heute nicht.“(Interview Konrad C., Z. 1111 ff.)
Wenn der Befragte davon spricht, an Werktagen „der Firma zu gehören“, so bringt er damit die Erwartungshaltung seitens des Managements zum Ausdruck, der Beraternachwuchs habe ein großes Engagement für das Unternehmen zu zeigen. Es deutet sich jedoch auch an, dass der Verzicht auf Freizeit auf eine bestimmte Art und Weise honoriert wird, da der Befragte andernfalls womöglich nicht zu Mehrarbeit bereit gewesen wäre. Es lässt sich vermuten, dass die Arbeit im Beratungsunternehmen nicht nur mit einem hohen Erfolgsdruck, sondern auch mit Erfolgserlebnissen verbunden ist, die, darauf wurde bereits hingewiesen, gemeinsam mit Kollegen als besondere Momente gewürdigt werden. Zudem vermitteln die vier Leistungsbewertungen im Jahr regelmäßig einen Eindruck der eigenen Karriereaussichten im Unternehmen und werden im Fall einer positiven Bewertung als Erfolg wahrgenommen. Die permanente Konkurrenzsituation führt möglicherweise dazu, dass Beschäftigte sich als Angehörige eines exklusiven und elitären Kreises empfinden und die Vorstellung entwickeln, gegen jede Konkurrenz bestehen zu können. Diese Vorstellung, die mehr oder weniger realistisch sein mag, stärkt das Selbstbewusstsein und motiviert die Beschäftigten, beständig Höchstleistungen zu erbringen. Bewältigung Wie in Abschnitt 3.4.4 beschrieben, ist die Tätigkeit als Berater mit psychischen und physischen Belastungen verbunden, ein Umstand, der auch im untersuchten Beratungsunternehmen kaum thematisiert wird. Schließlich möchten Berater als leistungsfähig wahrgenommen werden und vermeiden deshalb insbesondere gegenüber Vorgesetzten die Erwähnung von Belastungssymptomen, die folglich euphemistisch gerahmt werden. Anstatt über Erschöpfungserscheinungen zu sprechen, wird beispielsweise die geleistete Mehrarbeit hervorgehoben, die durch die Chargeability zum Ausdruck kommt. Chargeability steht für den Auslastungsgrad der Berater: Werden einem Kunden acht Arbeitsstunden eines Beraters pro Tag in Rechnung gestellt, so hat der Berater eine Chargeability von 100%. Werte, die deutlich über 100% liegen, gelten als Ausweis von Aktivität und werden gegenüber Kollegen und Vorgesetzten kommuniziert. Möglicherweise entfalten nicht nur der Erfolgsdruck, sondern auch die erlebten Erfolge eine Sogwirkung, da sie eine Art „Adrenalin-Rausch“ bewirken, der als angenehm erlebt wird.
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Auf die Frage, mit welchen Bewältigungsanstrengungen Berater den Anforderungen begegnen, haben mir Beraterin A. und Beraterin B. dankenswerter Weise ein paar Hinweise gegeben. Beraterin B. versucht, von vornherein ihr Arbeitspensum auf acht Stunden zu begrenzen. Zu diesem Zweck arbeite sie konzentriert, vermeide lange (und nicht für die Aufgabe erforderliche) Gespräche mit Kollegen und Kunden und verzichte auf eine gemeinsame Mittagspause mit den Kollegen. Aufgrund ihres Verhaltens würde sie von jüngeren Kollegen und Kunden in manchen Fällen als unfreundlich erlebt, während ältere Kollegen Verständnis für ihre abweisende Haltung haben und selbst zu diesem Verhalten neigen. Ihrer Ansicht nach ist eine konsequente Grenzziehung notwendig, die unter anderem darin besteht, Zeiträume zu bestimmen, in denen ein betrieblicher Zugriff nicht möglich ist. Dennoch würden insbesondere Vorgesetzte immer wieder versuchen, diese geschützten Zeiträume in Frage zu stellen, auch wenn sie letztlich eine klare Grenzziehung akzeptieren würden. Man dürfe sich im Kampf um Karrierechancen nicht erpressen lassen und müsse darauf vertrauen, dass eine Grenzziehung nicht das Karriere-Ende bedeute. Wer nicht für sich selbst sorgt, so könnte man folgern, erfährt keine schützende Begrenzung. Mehr noch: Die Vermutung liegt nahe, dass Vorgesetzte in Beratungsunternehmen die lebensgeschichtlichen Vorprägungen ihrer Mitarbeiter nutzen und beispielsweise deren ohnehin stark ausgeprägte Leistungsorientierung forcieren, um sie zu Höchstleistungen zu motivieren. Vor diesem Hintergrund wirkt ein möglicher Aufruf zur Selbstsorge seitens der Vorgesetzten zynisch, wissen sie doch um die Schwierigkeit, den eigenen Leistungsethos zu begrenzen. Dass sie zeitliche Grenzen ziehen kann, so Beraterin B., hänge mit mehreren Faktoren zusammen: Erstens, sei ab dem dritten Karrierelevel die Ersetzbarkeit nicht mehr so stark ausgeprägt, weshalb zeitliche Verfügbarkeit im Unterschied zu den unteren beiden Leveln nicht mehr so stark gefragt sei; zweitens, wisse sie aufgrund ihrer mehrjährigen Berufserfahrung im Unternehmen wichtige Termine von weniger wichtigen Terminen zu unterscheiden und könne künstlich erzeugte Dringlichkeiten von „echten“ Dringlichkeiten unterscheiden, zudem kenne sie Möglichkeiten, sich dem Druck zu entziehen oder schnelle Lösungen zu finden. Als dritten Faktor nennt sie ihre Fähigkeit, sich gut von der Arbeit abzugrenzen, die sich im Laufe ihrer Tätigkeit verbessert hat. So würde sie am Wochenende bewusst weder Emails noch Anrufe beantworten. Sie habe die Einstellung entwickelt, dass die Tätigkeit „einen nicht kaputt machen“ dürfe, dass es im Zweifel also besser sei, den Arbeitsplatz anstatt die Gesundheit zu gefährden. Sie beschreibt ihre Bewältigungsanstrengungen als „bewusstes Verdrängen“ von Erfolgsdruck und problematischen Aufgabenstellungen, sobald sie den Arbeitsort verlässt. Diese Strategie kommt der in Abschnitt 3.4.4 erwähnten Vermeidung von Reflexion nahe. Beide Strategien basieren auf dem Ausblenden
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belastender Arbeitsbedingungen, das, so Beraterin B., zur entlastenden Routine werden kann. Beraterin A. beschreibt das Abschalten am Wochenende als ein Ritual: Am Freitagabend „konzentriere [sie] sich noch ein mal richtig“ und notiere alles, was sie am Montag weiter verfolgen muss. Sie plane den Beginn der Folgewoche detailliert und schließe damit die vergangene Woche ab. Anschließend denke sie nicht mehr an die Arbeit und könne das Wochenende über gut abschalten. Ihre Schlussfolgerung ist, dass Abschalten mit den richtigen Techniken möglich sei, welche jedoch nicht alle ihrer Kollegen beherrschen würden, was zu interindividuellen Unterschieden in Bezug auf die Fähigkeit, Abschalten zu können, führen würde. Fluktuation Die Fluktuation im Beratungsbereich des Beratungsunternehmens ist sehr hoch. Das lässt sich anhand einer Software belegen, die im Beratungsunternehmen unter der Hand von Kollegen weitergeben wird, wie Beraterin B. berichtet. Sie errechnet auf Basis der Datenbank, die alle aktiven und ehemaligen Beschäftigten verwaltet, wie groß die Fluktuation seit dem Zeitpunkt des eigenen Eintritts in das Unternehmen ist. Für Beraterin B., die seit acht Jahren für das Beratungsunternehmen tätig ist, ergibt das Programm eine Fluktuation von ca. 84%. Für einen ihrer Kollegen, der seit zwei Jahren im Unternehmen tätig ist, eine Fluktuation von ca. 20%. Die Existenz einer solchen Software verweist auf das Bedürfnis der Beschäftigten, die Fluktuation auf informeller Ebene zu thematisieren, ohne sie jedoch zu einem offiziellen Thema zu machen. Beraterin B. gibt zwei wesentliche Gründe für ein frühes Ausscheiden aus dem Beratungsunternehmen an: Zum einen hätten einige Nachwuchsberater überzogene Erwartungen in Bezug auf die ihnen übertragene Verantwortung und den Status, den sie bei Eintritt in das Beratungsunternehmen inne haben. Welchen Status sie tatsächlich im Beratungsunternehmen haben, wird ihnen bewusst, sobald sie versuchen, ihre Kontextbedingungen zu ändern und dabei feststellen müssen, dass sie entweder mit unangenehmen Vorgesetzten und Projekten zurechtkommen oder das Unternehmen verlassen müssen. Zum anderen würden Hochschulabsolventen das eigene Freizeitbedürfnis unterschätzen und nach einer Weile feststellen, dass eine berufliche Karriere nicht alles im Leben ist. Psychologischer Vertrag Im Anschluss an die Ausführungen über den Beratungsbereich wird nun ein psychologischer Vertrag formuliert, der die Arbeit im Beratungsbereich bestimmt. Darüber hinaus, so lässt sich vermuten, beeinflusst er mehr oder weniger explizit die Arbeitsbedingungen in den anderen beiden Geschäftsbereichen, zu
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denen die AS GmbH gehört, in die die Beschäftigungsverhältnisse der Befragten im Rahmen von Outsourcing transferiert wurden. Berater, die vornehmlich aufgrund ihrer Karriereorientierung eine Tätigkeit als Berater ausüben, erhalten das Angebot, im Beratungsunternehmen selbst Karriere zu machen, oder mittels attraktiver Projekteinsätze und nützlicher Kundenkontakte den eigenen Marktwert für die Beschäftigung in einem anderen Unternehmen oder für eine potenzielle Selbstständigkeit zu steigern. Zudem wird die Tätigkeit als Berater gut vergütet und ist mit Privilegien verbunden, die aus den hohen Mobilitätsanforderungen resultieren (vergünstigte Hotel-, Mietwagenund Reisekosten auch zur privaten Nutzung). Als weitere wichtige Gratifikation kann der Ausweis der Leistungsfähigkeit genannt werden, der darin besteht, für das Beratungsunternehmen tätig zu sein, also für eine bestimmte Zeit den hohen Anforderungen gerecht werden zu können. Neben der narzisstischen Gratifikation hat eine Tätigkeit für ein Beratungsunternehmen die Qualität eines „Gütesiegels“, das auch nach der Tätigkeit für das Beratungsunternehmen von Wert ist, da es von vielen anderen Organisationen als solches anerkannt wird. Diese Zuschreibung erfolgt nicht ohne Grund: Tatsächlich verzeichnen Beschäftigte im Beratungsunternehmen aufgrund der vielschichtigen Tätigkeit einen Zuwachs an methodischen und fachlichen Kompetenzen, der auch bei einer Tätigkeit für eine andere Organisation von Nutzen sein kann. Zudem stärken Erfolgserlebnisse das Selbstbewusstsein. Die Hoffnung auf eine Karriere unter luxuriösen Bedingungen ist zudem durchaus berechtigt, erfordert jedoch neben der Flexibilität, Mobilität, Fähigkeit zur Selbstorganisation, Durchsetzungsfähigkeit, der Begeisterungsfähigkeit und kommunikativen Fähigkeiten auch eine robuste psychische und physische Grundkonstitution sowie eine gewisse emotionale Distanz zur Organisation, um die Gefahr des „Verschleißens“83 einzugrenzen. Das Motto des Beratungsunternehmens „work hard and party hard“ ist dabei als Plädoyer zu verstehen, der Arbeit nicht zu viel Bedeutung zuzuschreiben, mithin ihr spielerisch zu begegnen und sie als Wettkampfsituation zu begreifen, von der alle Beteiligten profitieren können (vgl. Abschnitt 2.3.3). Schließlich beinhalten Konkurrenzsituationen lustvolle Momente des sich selbst Ausprobierens, die gemeinsam mit Gleichgesinnten erlebt und zelebriert werden. Zudem generiert die intensive Zusammenarbeit im Rahmen der Projektarbeit eine emotionale Nähe zu Kollegen und Vorgesetzten, aus denen neben „Vitamin B“ emotionale Verbundenheit entstehen kann, die über das Beschäftigungsverhältnis hinaus Bestand hat. Andererseits symbolisiert das Motto das anhaltend hohe Reizniveau, das notwendig erscheint, um als Berater tätig zu sein (vgl. Abschnitt 3.4.4).
83 Vgl. Abschnitt 4.3.2
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Das Beschäftigungsverhältnis bietet demnach eine breite Palette beruflicher Erfahrungen: Neben attraktiven Projekteinsätzen, die gemeinsam mit sympathischen Kollegen als sinnhaft erlebt werden können und der fachlichen Entwicklung dienen, erleben Berater auch Projekteinsätze, bei denen die Aufgabe ein hohes berufliches Risiko beinhaltet und die Kooperation mit Kollegen impliziert, die nicht als kooperativ zu beschreiben sind. Die Hoffnung auf das nächste attraktive Projekt mit netten Kollegen führt neben der narzisstischen Gratifikation, auch unter „widrigen Umständen“ leistungsfähig zu sein und sich als Angehöriger einer Berufselite zu empfinden, zur Akzeptanz belastender Arbeitsbedingungen.
7.2 Einzelfallanalysen Im Folgenden sollen alle Interviews als Einzelfallanalysen vorgestellt werden. Besonders ausführlich und detailliert werden die Gespräche mit Michaela D., Stefan G. und Konrad C. dargestellt, die in einem Spannungsverhältnis stehen, an dem sich einige Facetten eines Personaltransfers im Rahmen von Outsourcing sowie der Arbeitsbedingungen in der AS GmbH aufzeigen lassen. Die übrigen Interviews werden entsprechend ihrer jeweiligen Besonderheit, jedoch weniger ausführlich, dargestellt. 7.2.1 Michaela D.: „…ich bin realistisch, ich bin idealistisch, ich bin pessimistisch, ich bin optimistisch“84 Michaela D.85 ist eine große Frau mittleren Alters, deren Erwerbsbiographie einige Diskontinuitäten aufweist. Sie ist vor dem Outsourcing erst wenige Jahre für die Bank tätig gewesen, weshalb ihre emotionale Bindung zur Bank weniger stark ausgeprägt ist. Dennoch hätte sie die Bank aus freien Stücken nicht verlassen, vor allem nicht, um anschließend für ein Beratungsunternehmen zu arbeiten. Ihr Vorverständnis vom Beratungsunternehmen formuliert sie retrospektiv folgendermaßen: „Ähm, Consulting-Firma, die alle ausnutzt. Ähm, Männer in Grau, die alle aus demselben Muster [sind], und so Sachen.“ (Z. 119f.). Im Vergleich zu anderen Befragten gelingt ihr die Bewältigung des Personaltransfers gut und sie findet sich im neuen Unternehmen zurecht. Möglicherweise hilft ihr dabei ihre Bereitschaft, sich auf neue Situationen einzulassen. Es ist jedoch auch denkbar, dass sie den Anspruch an sich selbst hat, sich nicht von (negativen) Emotionen leiten zu lassen, sondern „rational“ zu agieren. Sie ist hoch motiviert 84 Z. 523 85 Der Name wurde geändert.
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und will im neuen Unternehmen beruflich erfolgreich sein sowie ein neues berufliches Zuhause finden. Selbstorganisation Begrifflich fasst Michaela D. die Anforderung der Selbstorganisation als „mündig“ (Z. 135) sein, was für sie ambivalent besetzt ist, da sie ein großes Engagement erfordert. Schließlich „…ist es sehr bequem, in 'ner großen Firma zu sein, sich nicht irgendwie buchen zu müssen und nicht bestimmte Anforderungen zu haben. Und man kriegt Aufgaben und man erledigt seine Aufgaben.“ (Z. 129f.). Andererseits will sie mitdenken, gefördert werden, gestalten sowie sich mit ihrer Tätigkeit und der Organisation, für die sie tätig ist, identifizieren können. Als besonders anspruchsvoll empfindet sie die Anforderung, für die eigene Chargeability86 verantwortlich zu sein, die sie zugleich als besonders dringlich empfindet. In der Kombination aus bedeutsam und schwer zu erfüllen, rückt sie in die Nähe von Überforderung. Schließlich will Michaela D. den Anforderungen des neuen Arbeitgebers gerecht werden und fürchtet daher, ihn zu enttäuschen und folglich ihre Arbeitsbeziehung zu gefährden, wenn sie nicht durch Aufträge von Kunden ausgelastet ist. Sie betont, dass sie sich trotz des Zeitdrucks und der genauen Vorgaben als eine mündige Mitarbeiterin empfindet, deren Mitdenken von ihren Vorgesetzten als wertvoll erachtet wird. Sie kann jederzeit an ihnen Kritik üben und beschreibt sie als zugänglich und lösungsorientiert. So erinnert sie eine Situation, in der ein Vorgesetzter sie bei Seite nimmt, da sie einen Fehler verursacht hat. Er beginnt das Gespräch mit einer Schuldzuweisung, bricht den begonnen Satz jedoch ab, um mit ihr gemeinsam über eine Lösung des Problems nachzudenken. Das hat sie sehr beeindruckt. Von ihren Vorgesetzten als kompetent und entwicklungsfähig wahrgenommen zu werden, ist für sie von großer Bedeutung. Michaela D. berichtet von ausgedehnten Arbeitszeiten, die gemäß der betrieblichen Erfordernisse zwischen acht und zehn Stunden variieren. Bei einem großen Arbeitsvolumen ist es im neuen Unternehmen üblich, mehr als zehn Stunden zu arbeiten und die zusätzlichen Stunden an einem anderen Tag im Zeiterfassungsprogramm zu erfassen. Durch diese Spielräume in der Zeiterfassung wird die Vergütung der geleisteten Arbeitszeit gesichert und somit ein finanzieller Anreiz geschaffen, Mehrarbeit zu leisten. Angewiesen wird Mehrarbeit von den Vorgesetzten nicht direkt. Sie kommunizieren ihren Mitarbeitern sogar, dass sie auf ihre Belastungsgrenzen achten sollen. Gleichzeitig ahnt Michaela D., dass sie in der Organisation nur dann ihren Arbeitsplatz erhalten und Karriere machen kann, wenn sie bereit ist, Mehrarbeit zu leisten. Dennoch hofft 86 Chargeability steht für den individuellen Auslastungsgrad von Beschäftigten im Beratungsunternehmen (siehe nächsten Abschnitt „Leistung und Anerkennung“).
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sie, dass sich das Arbeitspensum wie bei ihrem früheren Arbeitgeber nach einer Weile verringert oder der Vorgesetzte sie vor Überlastung schützt, beispielsweise indem er Aufgaben anders einteilt. Sie musste allerdings enttäuscht feststellen, dass sie auf sich allein gestellt ist, wenn es um den Schutz vor zu großer Arbeitslast geht. So berichtet sie von einer Phase, in der sie mehrere Monate bis zu vierzehn Stunden täglich arbeitete, um ihre Leistungsbereitschaft unter Beweis zu stellen, in der Hoffnung, dass ihr Engagement durch eine Reduktion des Arbeitspensums belohnt würde: „Da bin ich gerne flexibel in dem, dass ich sag', okay, ich bleib' länger und wir lösen das, aber dann als Ausgleich krieg' ich dann Zeit. Es gab 'ne Zeit am Anfang, wo mir das sehr, sehr schwer war zu machen, und irgendwann mal war ich in Tränen (lacht), was nicht üblich bei mir ist in der Arbeit. Und, ähm, da wurde einiges bewegt, damit ich zumindest drei zusammenhängende freie Tage hatte (lacht), um mal ein bisschen abzuspannen, also fünf mit dem Wochenende.“ (Z. 181ff.).
Anhand des Zitats wird deutlich, dass sie aufgrund der mehrere Monate andauernden Mehrarbeit Anzeichen von Erschöpfung spürte und dennoch Hemmungen hatte, aktiv den betrieblichen Zugriff zu begrenzen. Möglicherweise vertraute sie auf das wohlmeinende Urteil ihres Vorgesetzten in Bezug auf die Arbeitslast, die ihr zuzumuten ist. Umgekehrt mag ihr Vorgesetzter davon ausgegangen sein, dass Michaela D., sofern notwendig, die Erledigung weiterer Aufgaben ablehnen würde, um ihre Gesundheit zu schützen. Eine andere Lesart ist, dass er auf ihr Bedürfnis nach Anerkennung und ihr daraus resultierendes Bestreben, seinen Anforderungen gerecht zu werden, spekulierte und es für seine Zwecke nutzbar machte, indem er das ihr zugewiesene Arbeitsvolumen nicht reduzierte. Letztlich führt der Umstand, dass sie die Arbeitsbelastung nicht länger ertragen kann, dazu, freie Zeit für Regeneration einzufordern. Die Forderung nach freier Zeit mag ihr als ein Eingeständnis mangelnder Belastbarkeit erschienen sein. Deshalb freut sie sich sehr darüber, dass sie mit ihrer Forderung nach Freizeit keine Ablehnung erfährt, sondern „einiges bewegt“ wurde, was sie möglicherweise als Würdigung ihres Engagements empfindet. Selbstorganisation bedeutet für Michaela D. demnach, durch die Anregung von Vorgesetzten lösungsorientiert mitzudenken und somit gefordert und gefördert zu werden, was sie als positiv empfindet. Negativ gewendet bedeutet Selbstorganisation in ihrer Perspektive, für das eigene Arbeitsvolumen Verantwortung zu tragen, zudem eigenverantwortlich eine Balance zwischen dem Anspruch der Vorgesetzten, immer mit Kundenaufträgen ausgelastet zu sein, und einer ausreichenden Selbstsorge herzustellen.
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Leistung und Anerkennung Als zentrale Leistungs-Begriffe sind Chargeability, Mobilität und Flexibilität zu nennen, die im Folgenden ausgeführt werden. Chargeability Wie in den Abschnitten 2.3.3 und 3.4.1 ausgeführt, kann Aktivität als ein Äquivalenzmaß für Leistung verstanden werden. Im Beratungsunternehmen wird Aktivität durch die Chargeability erfasst, die ausdrückt, zu welchem Anteil die Arbeitszeit von einem Kunden in Anspruch genommen wird. Lassen sich acht Stunden täglich einem Kunden in Rechnung stellen, so beträgt die Chargeability 100%. Es besteht die Erwartungshaltung seitens des Managements, dass die Chargeability der Beschäftigten über 100% liegt. Wie viel Prozent mehr als hundert Prozent letztlich zu Anerkennung führen, bleibt offen. Möglicherweise hängt es davon ab, wie viel Prozent mehr die Kollegen anbieten, die somit als Konkurrenten um den höchsten Grad an Aktivität erscheinen. Chargeability als Ausweis der Leistungsbereitschaft und Belastbarkeit stellt jedoch nur eine zeitlich begrenzte Chance auf Anerkennung dar, es sei denn, der hohe Grad an Aktivität kann über eine längere Zeit aufrecht erhalten werden, was neben der physischen und psychischen Grundkonstitution des Beschäftigten von der Nachfrage der Arbeitskraft abhängt, die nur bedingt beeinflussbar ist. Michaela D. findet die Berechnung eines Auslastungsgrads für Beschäftigte als Ausdruck ihres Marktwerts gleichermaßen irritierend und beängstigend. Aus früheren Beschäftigungsverhältnissen ist ihr eine solche Anforderung unbekannt, weshalb sie nicht genau weiß, wie sie sich dazu verhalten soll. Wie groß der Druck in dieser Richtung ist, verdeutlicht sich im Interview daran, dass sie auf die Frage der Interviewerin „Gibt's solche Dinge, die man darf, wo man Spielraum hat, und andere Dinge, wo man weiß, das darf ich auf keinen Fall tun?“ nach einer kurzen Pause verlegend lachend antwortet „Nicht chargeable sein?“. Auf der einen Seite empfindet sie die Anforderung, für die eigene Chargeability zu sorgen, als zu hoch, auf der anderen Seite fürchtet sie, dass nicht chargeable zu sein, ihre Karriere im Unternehmen gefährden könnte. Aus diesem Grund kann sie nicht mehr so entspannt wie früher Kollegen an deren Arbeitsplatz besuchen und mit ihnen plaudern, wenn sie einmal nichts zu tun hat. Inzwischen bekommt sie in Ruhephasen ein schlechtes Gewissen und fürchtet, dass ein Ausruhen zu einer schlechten Beurteilung führt. Sie will auf jeden Fall vermeiden, dass sie längere Zeit kein Projekt hat, was ihr bisher gelungen ist. Zur Sicherheit macht sie sich mit dem webbasierten internen Arbeitsmarkt vertraut, um sich gegebenenfalls anderen Projekten im Unternehmen anzubieten und ihre Bereitschaft, flexibel zwischen unterschiedlichsten Aufgaben und Positionen zu wechseln, zu signalisieren.
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Allein die Möglichkeit, nicht immer ausgelastet zu sein, löst bei ihr Versagensängste aus. Bisher verfügt sie noch über keine konkrete Erfahrung mit einer niedrigen Auslastung. Wahrscheinlich wirkt diese Situation gerade deshalb so bedrohlich, weil sie sich einer konkreten Validierung entzieht. Ihr bleibt nur die Spekulation darüber, wie lange es ihr Arbeitgeber dulden würde, wenn sie nicht „chargeable“ (Z. 396) wäre. Sollte sie jemals kein Projekt haben, plant sie, ihre Arbeitskraft umgehend über den internen Arbeitsmarkt anzubieten. Nach zwei Wochen erfolgloser Suche, so vermutet sie, würde sie selbst unruhig werden, da sie weiß, dass sie jeden Tag beschäftigt sein sollte. Frau D. nimmt an, dass ihre Vorgesetzten nach ca. vier Wochen auf ihre mangelnde Auslastung aufmerksam würden und Konsequenzen folgen könnten. Als vorbeugende Maßnahme versucht sie, Mängel im IT-System des Kunden auszumachen, die sie durch einen bezahlten Auftrag füllen könnte. Es fällt ihr nicht leicht, zu beurteilen, wie viel Verantwortung sie selbst in Bezug auf ihre Auslastung tatsächlich trägt. Ist es eine Managementaufgabe, sie zu beschäftigen, oder liegt diese Aufgabe in ihrem eigenen Verantwortungsbereich? Sie ist sich in dieser Frage nicht sicher: „Das ist-, glaub' ich, geht hin und her. Manchmal wird's dargestellt oder das Gefühl kommt auf, dass ich allein verantwortlich bin, was eigentlich nicht wahr ist. Und, ähm, es ist aber auch klar, dass nicht unbedingt [Vorgesetzter] ausschließlich dafür verantwortlich ist, nämlich ich kann auch Verantwortung übernehmen und sagen, da sehe ich 'ne Chance, hallo, alle [Bank], ihr könnt ja mal da das und das, ich seh' da 'ne Lücke. Oh ja! Und dann hab' ich noch was zu tun, und bin somit mehr chargeable“. (Z. 390ff.).
Trotz leichter Zweifel fühlt sie sich zumindest mitverantwortlich, wenn es um die Nutzbarkeit ihres Arbeitsvermögens geht. Mobilität Ein weiterer Antrieb für Michaela D., im Fall mangelnder Auslastung Selbstmarketing zu betreiben, ist das Risiko, bei einer passiven Haltung in anderen Städten Deutschlands oder gar im Ausland auf Projekten eingesetzt zu werden. Sie weiß von Kollegen, die nicht durch Aufträge des früheren Arbeitgebers ausgelastet sind und auf Projekten arbeiten müssen, die nicht in der Nähe ihres Wohnortes liegen. Ihr missfällt die Vorstellung, nur am Wochenende zu Hause zu sein. Trotz ihrer eindeutigen Präferenzen hätte sie Hemmungen, ein Projektangebot in einer fremden Stadt abzulehnen, da sie glaubt, dass die Anzahl der vom Management tolerierten Ablehnungen begrenzt ist:
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„Und da ist ein bisschen das Gefühl-, ich schildere mal jetzt einfach, ich hab' jetzt keinen Auftrag, ich bin nicht chargeable, da krieg' ich angeboten, du, du könntest mal nach [Ausland]. Und ich sag', nee, das ist mir zu weit für drei Monate und dann nur am Wochenende heim. 'Ne Woche später krieg' ich 'n Angebot, na ja, du könntest nach H-Stadt. Und ich so: puh, eigentlich will ich nicht so weit weg von zu Hause. Und ich bin immer noch nicht chargeable. Was passiert? Krieg' ich ein drittes Angebot oder-?“ (Z. 595f.).
Das Management kommuniziert zwar, dass die Vereinbarkeit von Arbeit und Leben respektiert und kein Mitarbeiter gegen seinen Willen an einen weit entfernten Arbeitsort gesendet wird. Michaela D. fürchtet dennoch, dass die Ablehnung mehrerer Projektangebote nicht zu einem weiteren Angebot, sondern letztlich zur Kündigung führt. Diese Unsicherheit führt zu ambivalenten Gefühlen gegenüber ihrem neuen Arbeitgeber. Sie wird wie eine Beraterin eingesetzt und fühlt sich dabei „missbraucht, gefördert, geschickt, gesendet, gekürt“ (Z. 498). Sie lacht bei dieser Äußerung, was den Eindruck verstärkt, dass sie sich von einem Erwerbsleben als Beraterin überfordert fühlt. Verantwortung für Arbeitsergebnisse Seit dem Outsourcing ist die individuelle Verantwortung für formale Termine gestiegen. Sie werden zwar zwischen dem Vorgesetzten von Michaela D. und dem Kunden vereinbart, bevor dieser ihre Leistung in Anspruch nimmt. Dennoch trägt auch sie indirekt die Verantwortung für gemachte Zusagen. Denn mit der Vereinbarung des Zeitbudgets wird gleichzeitig die Vergütung festgelegt, da der Stundensatz durch den Servicevertrag vorgegeben ist. Wenn sie nun mehr Zeit benötigt, als an den Kunden verrechnet werden kann, entstehen ihrem Arbeitgeber möglicherweise Verluste. Folglich fühlt sie sich dazu veranlasst, die zeitlichen Vorgaben einzuhalten oder gar zu unterbieten. Nur wenn sie in der Planung nicht berücksichtigte Unwägbarkeiten durch Arbeitsintensivierungen und Improvisationsgeschick selbst ausgleicht, kann sie vermeiden, sich für Abweichungen von der Zeitvorgabe rechtfertigen zu müssen. Auf die Frage, wie es ihren Vorgesetzten gelingt, sie zu steuern, hat Frau D. zwei Antworten. Zum einen fürchtet sie die Konsequenzen einer mangelnden Auslastung. Zum anderen hat sie den Anspruch an sich selbst, sich der neuen Umgebung möglichst schnell anzupassen. Dazu gehört auch, die Rahmenbedingungen zu akzeptieren und den Erwartungen ihres neuen Arbeitgebers zu entsprechen. Je besser ihr das gelingt, desto größer ist ihre Hoffnung, dauerhaft im Unternehmen Fuß zu fassen und Karriere zu machen, was sie sich wünscht, da sie sich selbst als ehrgeizig beschreibt.
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Karriere Auch wenn sie hinsichtlich ihrer Karrieremöglichkeiten viel Zuversicht ausstrahlt, klingt doch an, dass sie um ihre begrenzten beruflichen Chancen aufgrund ihres Alters weiß. Dennoch will sie versuchen, sich über ihre Leistung bemerkbar zu machen. Sie hofft, innerhalb eines halben Jahres mehr Projektverantwortung zu bekommen und sich für eine Beförderung zu empfehlen. Bis diese eintritt, können allerdings Jahre vergehen. Das liegt unter anderem daran, dass für sie, im Unterschied zu den Beratern im Unternehmen, kein konkreter Entwicklungspfad vorgesehen ist. Auf der einen Seite hat das für sie auch entlastende Wirkung, da sie weiß, dass ein solcher Entwicklungspfad an Erwartungen gegenüber den Beratern geknüpft ist, aus deren Nichterfüllung Konsequenzen folgen (vgl. Abschnitt 7.1). Auf der anderen Seite hat ein nicht klar vorgezeichneter Karriereweg den Nachteil, dass sie diesen für sich selbst nur erahnen kann. Möglicherweise stellen sich ihre Karrierehoffnungen auch deswegen als wenig realistisch heraus, weil ihr Arbeitsplatz bedroht ist, sobald das Ursprungsunternehmen ihren jetzigen Arbeitgeber nicht mehr mit Aufträgen versorgt und der Bestandsschutz erlischt (vgl. Abschnitte 4.5 und 4.7). Bedeutung des Personaltransfers im Rahmen von Outsourcing Michaela D. hat nicht den größten Teil ihres Erwerbslebens in der Bank verbracht, sondern mehrere Male den Arbeitgeber gewechselt. Daher sei sie im Unterschied zu denjenigen Kollegen, die für die Bank seit über zwanzig Jahren tätig sind, „vertraut mit Wechseln“ (Z. 45). Einen Arbeitgeberwechsel findet sie notwendig, wenn die (atmosphärischen) Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen, mithin die Vertrauensbeziehung in Frage steht. So verhält es sich auch in der Phase vor dem Personaltransfer: Sie beschreibt die Atmosphäre als „angespannt und schwierig“ (Z. 55), spricht von „Messer[n], die rumflogen“ (Z. 54) und spürt, wie sich eine „Scheidung“ (Z. 60) anbahnt, in die sie in dem Moment emotional einwilligt, als sie der Bank nicht mehr „traute“ (Z. 76). Möglicherweise schließt sie in dem Moment emotional mit ihrem alten Beschäftigungsverhältnis ab, in dem sie erfährt, dass die Zusicherung ihres Vorgesetzten, es würde kein Outsourcing geben, (bewusst) falsch war: „Das Schwierige war, ähm, ich hatte eine Email von meinem Chef, das ich groß gemacht hab' und auf die Wand gehängt hab', wo drinstand, mir sind keine Outsourcing-Bestrebungen bekannt, ein Monat bevor es erläutert wurde, dass wir outgesourct werden“ (Z. 1332ff.). Sie erlebt es als Vertrauensbruch, dass ihr Vorgesetzter sie möglicherweise trotz besseren Wissens falsch informiert hat. Folglich wird ihr Wunsch, in der Bank zu verbleiben, schwächer, und sie betont, sich selbst für einen Wechsel entschieden zu haben, bevor sie erfuhr, ob sie zu den transferierten Beschäftigten gehören würde. So hätte sie möglicher-
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weise abgelehnt, in der Bank zu bleiben: „Wenn sie mich unbedingt behalten würden, dann weiß ich nicht, ob ich damit einverstanden gewesen wäre“ (Z. 91f). Im Interview deutet sich an, dass ihre ablehnende Haltung gegenüber dem alten Beschäftigungsverhältnis mit den aus ihrer Perspektive als mehr oder weniger (moralisch) legitim empfundenen Rollen zusammenhängt, die im OutsourcingProzess eingenommen werden können. So möchte sie nicht „rechtfertigen [müssen], dass es gut war, outzusourcen“ (Z. 109f.). Sie beschließt, sich auf den neuen Arbeitgeber einzulassen, und sucht nach Indizien, die für ihn sprechen. Aus dem Umstand, dass das Beratungsunternehmen in mehrere Bereiche gegliedert ist, leitet sie eine große Bandbreite an Möglichkeiten ab, ein neues berufliches „Zuhause“ (Z. 739) zu finden, also eine Tätigkeit, mit der sie sich identifizieren kann. Sie ist bestrebt, positiv zu denken und motiviert sich selbst dazu, auf ihre Stärken zu vertrauen: „Und ich hab' einfach mal gedacht, gut, ich trau' mir selber, dass ich gut bin“ (Z. 82). Ihr positives Denken kommt auch durch ihre differenzierte Beurteilung des Verhaltens ihrer ehemaligen Vorgesetzten zum Ausdruck. So nimmt sie beispielsweise Bemühungen seitens ihres Bereichsleiters wahr, beim neuen Arbeitgeber für gute Arbeitsbedingungen nach dem Transfer zu sorgen. Auch den Betriebsrat beschreibt sie als hilfreich in der Phase vor dem Übergang. Die ersten Tage im neuen Unternehmen sind von einer Unsicherheit im Umgang miteinander geprägt. Sie verwendet das Bild von der „Katze im Sack“ (Z. 508), da weder sie noch das Unternehmen abschätzen können, was sie von der jeweils anderen Seite zu erwarten haben. Um sich dem neuen Unternehmen anzunähern, versucht sie, die Firmenkultur, die Strukturen des Unternehmens sowie die an sie gestellten Erwartungen als Mitarbeiterin kognitiv und emotional zu eruieren. Dabei erachtet sie den im Unternehmen verwendeten Wortschatz als Schlüssel zur Alltagspraxis. Wenn sie sich diesen aneignet, so ihre Annahme, nimmt sie ein Stück Firmenkultur auf und versteht sie besser: „Ich bemühe mich, die […], ich liebe Sprache. Und Sprache beschreibt Realität (I: Ja). Teilweise, nimm's mir nicht übel (lacht), aber teilweise mein' ich, dass die Uni einem so vorbereitet, indem dass sie das Sprachgut, somit die Konzepte, vermittelt. Und dann geht man raus und lernt, was dahintersteckt und wie man die zu handhaben hat im Beruf (I: Hhm). Und [kurze Pause] auch in jeder Firma gibt's eine Realität (I: Hhm), die beschrieben wird mit den Wörtern, die sie benutzen (I: Hhm). Und somit, um diese Realität zu lernen und mit umzugehen, lern' ich auch die Wörter, den Wortschatz.“ (Z. 765f.).
Über den spezifischen Sprachgebrauch in einer Organisation, so könnte man folgern, vermitteln sich in ihrer Wahrnehmung unausgesprochene Prämissen der Alltagspraxis. Diese gilt es sich proaktiv anzueignen, um sich der neuen Organi-
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sation möglichst schnell zugehörig fühlen und eine entsprechende Identität aufbauen zu können. Dieser Prozess, der als Statuspassage beschrieben werden kann (vgl. Abschnitt 4.1.1), ist zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht abgeschlossen. So beschreibt sie sich selbst als weder dem alten noch dem neuen Arbeitgeber ganz zugehörig: „Ich bin keine Bänkler mehr, ich bin Neu[Beratungsunternehmen], würde ich sagen, nämlich da sind Strukturen und Wege und Sachen, die ich einfach noch nicht weiß“ (Z. 674). Abschließend soll hervorgehoben werden, dass Michaela D. in der Beschreibung ihres ehemaligen und derzeitigen Beschäftigungsverhältnisses sowie des Personaltransfers im Wesentlichen Begriffe verwendet, die gemeinhin mit persönlichen (Paar-) Beziehungen assoziiert werden. Zugleich vermittelt sie mit ihrer offenen und ausführlichen Schilderung früherer Arbeitgeberwechsel eine gewisse Abgeklärtheit, als wisse sie um die Begrenztheit aller (Arbeits-) Beziehungen, die es als gegeben hinzunehmen gilt. Sie begegnet ihren Emotionen mit Kognitionen, indem sie versucht, mit der alten Arbeitsbeziehung abzuschließen und sich auf die Chancen der neuen Arbeitsbeziehung zu konzentrieren. Emotionsregulation und Bewältigungsverhalten Im vorigen Abschnitt wurde bereits deutlich, dass es für Michaela D. von großer Bedeutung ist, in ihrer Tätigkeit ein (emotionales) Zuhause zu finden, das sie positiv besetzen und mit dem sie sich identifizieren kann. Folglich sind ihre Bewältigungsstrategien darauf ausgerichtet, sich ein solches Zuhause zu schaffen, indem sie, so steht zu vermuten, vorauseilend das eigene Arbeitsvermögen gemäß der Erwartungen ihrer Vorgesetzten zurichtet und somit auf ähnliche Weise wie insbesondere junge Berater agiert, wie im Abschnitt 7.1 dargestellt wird. Dabei ist sie durchaus bereit, „blauäugig“ (Z. 981f.) Vorschusslorbeeren zu verteilen, um sich und dem Gegenüber einen guten Start zu ermöglichen, indem sie sich auf die Chancen konzentriert. Den Verlust des ehemaligen Beschäftigungsverhältnisses rahmt sie hingegen als eigene, bewusst gefällte und sinnvolle Entscheidung, wodurch sie sich möglicherweise das Gefühl erhält, die Kontrolle über den Prozess zu haben. In ihrem Bestreben, sich ihr berufliches Zuhause über die Anpassung an den Arbeitskontext zu schaffen, trennt sie oftmals nicht zwischen den Anforderungen ihrer Vorgesetzten und dem Anspruch an sich selbst. Es entsteht der Eindruck, als gingen fremde und eigene Ansprüche ineinander über, als sei eine kritische Distanz zu den an ihre Rolle gerichteten Leistungsanforderungen nicht möglich, da diese Teil von ihr sind. Einerseits ist das ihrem Bedürfnis, sich als selbstbestimmt wahrzunehmen, zuträglich (vgl. Abschnitt 2.2.2), andererseits besteht die Gefahr der Überforderung: Die Vermutung liegt nahe, dass sie Leistungsanforde-
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rungen, die sie nur zu Lasten ihrer Gesundheit erfüllen kann, nicht als (unangemessenen) Fremdzwang wahrnimmt, sondern den notwendigen Selbstschutz eher als Eingeständnis mangelnder Belastbarkeit erlebt und sich dafür schämt, den Erwartungen ihrer Vorgesetzten nicht gerecht zu werden. Sie lässt sich jedoch nur bedingt zur Selbstausbeutung verführen. Möglicherweise kommt dabei ihr Gespür für Situationen zum Tragen, das ihr signalisiert, sobald sie sich vom Gegenüber abgrenzen und sich somit schützen muss. Ihr „Bauchgefühl“ scheint immer wieder Impulse zu setzten, sich auch mit den negativen Aspekten ihrer Situation auseinander zu setzen. Das äußert sich im Forschungsgespräch zum einen dadurch, dass sie sehr offen auf die Fragen und Thesen der Interviewerin eingeht. Sie ist an der Sichtweise der Interviewerin interessiert, auch wenn diese ihre positive Einschätzung in Frage stellen könnte. Zum anderen jedoch dadurch, dass sie Grenzen zieht, indem sie beispielsweise während des Gesprächs einfordert, dass die Forscherin ihr Forschungsanliegen expliziert oder die gewünschte Anonymität zusichert. Ihre Selbsteinschätzung als realistisch, idealistisch, pessimistisch und optimistisch (Z. 523) verweist auf ihre Fähigkeit, Ambivalenzen zu integrieren. Das hilft ihr im Umgang mit Kollegen, da sie als freundliche und fröhliche Person wahrgenommen wird, mit der es auch mal „kracht“ (Z. 1116), was sich jedoch in einem persönlichen Gespräch klären lässt. In kollegialen Beziehungen zu Gleichrangigen fällt es ihr im Vergleich zu den Beziehungen zu Vorgesetzten leicht, Grenzen zu ziehen, um sich selbst zu schützen. Die Anerkennung von Kollegen scheint für Michaela D. von geringerer Bedeutung zu sein. Den „deal“ beschreibt Michaela D. folgendermaßen: „ich erfülle diese Wünsche, die mir vorgelebt werden“ (Z. 422f). Im Gegenzug erhofft sie sich, gefördert und mit anspruchsvollen Aufgaben betraut zu werden. Abschließend ist festzuhalten, dass sich Michaela D. mit ihrem optimistischen Blick nach vorne, der auf ihre Karriere gerichtet ist, nicht von den schlechten Erfahrungen der Vergangenheit beirren lässt. Sollte sich jedoch ihr Karrierewunsch als unrealistisch herausstellen, könnte sich das destabilisierend auf sie auswirken. Beziehungsraum im Interview Das Interview mit Michaela D. findet an ihrem derzeitigen (Projekt-) Arbeitsplatz bei ihrem Kunden vor Ort statt. Die Praktikantin und die Forscherin erhalten am Empfang einen Besucherausweis und werden zum Aufzug begleitet. Zwei Stockwerke höher werden sie von Michaela D. in Empfang genommen. Das Gebäude enthält, ähnlich wie das Gebäude des Beratungsunternehmens, einen großen Glasanteil. So lässt sich das Büro, in dem wir das Interview führen, von außen einsehen. In dem Raum steht ein weiterer Schreibtisch, der jedoch nicht
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besetzt ist. Die Befragte sitzt an ihrem Schreibtisch, die Praktikantin und die Forscherin gegenüber. Nach einem kurzen Smalltalk beginnt das Interview mit dem Einschalten des Aufzeichnungsgeräts. Die Eingangssequenz ist sehr kurz und beinhaltet weder die Klärung der Fragestellung noch die Zusicherung von Anonymität, die die Befragte jedoch im Verlauf des Gesprächs einfordert. Möglicherweise hat sich die Forscherin darauf verlassen, dass das Anschreiben des Managements der AS GmbH alle notwendigen Informationen enthält und folglich kein Bedarf besteht, diese Punkte zu besprechen. Sie übersieht dabei, dass die Abklärung dieser Punkte für den Gesprächseinstieg von großer Bedeutung ist, da die Befragte auf diese Weise um ihr Einverständnis gebeten wird und somit das Gefühl erhält, auch Nein sagen zu können. Möglicherweise ist die Vermeidung dieser Punkte dem Umstand geschuldet, dass die Forscherin ein Nein fürchtet, mithin, mehr oder minder bewusst, die Klärung dieser Punkte meidet, um eine Infragestellung des Interviews zu verhindern. Zunächst erscheint ihre Vorgehensweise als unproblematisch, da die Befragte bereitwillig von ihrer Erwerbsbiographie berichtet. Etwas später will sie diese beiden Punkte jedoch geklärt wissen. Die beiden Szenen, in denen sie diese Punkte anspricht, erscheinen als wichtige Ergänzung der kurzen Eingangssequenz und werden aus diesem Grund zusätzlich zur Eingangsszene betrachtet. Z. 7-10: I: Also erst noch mal vielen Dank, dass du mitmachst beim Interview. A: Kein Problem, gerne. I: Und ich möchte dich bitten, mir erst mal kurz deinen beruflichen Werdegang bis heute zu erzählen.
Die Forscherin beginnt das Gespräch mit einem Dank für die Bereitschaft zu einem Interview. Nachdem Michaela D. mit „kein Problem, gerne“ antwortet, beginnt die Forscherin mit der ersten Frage. Zunächst erscheint der Einstieg in das Gespräch als geglückt, da Michaela D. bereitwillig einen Einblick in ihre beruflichen Stationen bis zum Interview gewährt. Nach einer gewissen Gesprächsdauer, die sowohl von einer umfassenden Auskunftsbereitschaft der Befragten sowie von gegenseitigen Unterbrechungen der Forscherin und der Befragten geprägt ist, unterbricht die Befragte den Dialog und nimmt die Metaebene ein, um das Forschungsanliegen zu klären (Z. 457-484). Möglicherweise war sie bereits zu Beginn des Gesprächs unsicher in Bezug auf den Sinn und Zweck des Interviews, ohne dass die Forscherin ihre Unsicherheit bemerkt hätte. Aus ihrer Perspektive erfolgt die Nachfrage unvermittelt.
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I: Und wenn du länger dafür brauchen würdest, dann würde man vielleicht auch noch mal auf deine Lernkurve schauen und sehen, du bist eigentlich schon viel weiter? A: Und müsstest es eigentlich schneller machen können, ja. Kurze Anfrage: Hab' ich richtig in Erinnerung, wir haben über [flexible Arbeitszeiten] eigentlich reden wollen oder ist das-, oder hat sich der Fokus geändert oder hab' ich den Fokus falsch in Erinnerung? I: Also für mich geht es um den Umgang mit Zeit (A: Okay), um den Fokus Zeit und, ein bisschen globaler gefasst, dass ich mir vorstelle, dass die Kultur, also die Art, Arbeit zu strukturieren, mit Arbeit umzugehen, bei der [Bank] ein Stück weit anders ist als es bei [Beratungsunternehmen] der Fall ist (A: Okay). Und dass es für mich sehr schön ist, dass du beides erlebt hast und ein bisschen spiegeln kannst (A lacht)-. A: Okay. Also wenn ich ein bisschen mehr den Fokus hab', dann kann ich auch ein bisschen mehr strukturiert darüber nachdenken. I: (unterbricht) Ja, dann weißt du, in welcheA: (unterbricht) Wie die Antworten-, was von Informationen du für die Antworten brauchst. I: Okay. Ähm, jetzt hab' ich kurz ein bisschen meinen Faden verloren. A: (3-4 Worte ?) (lacht). Es ging momentan darum, dass es keine Zeit gibt zu experimentieren. I: Genau, genau. Wenn wir noch mal 'nen kleinen Schritt zurückgehen. Hattest du noch bei der [Bank] sitzend irgendeine Befürchtung, was dir vielleicht bei [Beratungsunternehmen] passieren könnte oder was-? Du hast gesagt, positiv dachtest du, du wirst mehr gefördert, du kriegst neue Aufgaben. Gab's auch Negativgedanken, die du hattest, ähm, wo du denkst, du gehst dort hin und es tut dir nicht gut? A: Sicher. Das hing auch mit den verschiedenen, ähm, Informationen, die im Netz rumgeistern- […]
An dieser Stelle mag Michaela D. bewusst geworden sein, dass sie die Forscherin bereitwillig an ihrer Lebenswelt teilhaben lässt, ohne jedoch ihr genaues Forschungsanliegen zu kennen, was auch bedeutet, ihre Motive nicht einschätzen zu können. Sie bittet die Forscherin daher mit einer sehr vorsichtigen Formulierung, ihr Anliegen zu explizieren. Mit den Worten „hab‘ ich richtig in Erinnerung“ eröffnet sie die Frage, um sie mit den Worten „oder hat sich der Fokus geändert oder hab' ich den Fokus falsch in Erinnerung“ zu enden. Sie drückt dadurch ihre Unsicherheit und Ambivalenz gegenüber der Forschungsbeziehung aus. Zum einen mag ihr an dieser Stelle tatsächlich ein Zweifel dahin gehend gekommen sein, ob das Besprochene mit dem Themenbezug im Anschreiben vereinbar ist. Die Nachfrage lässt sich jedoch auch als Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der Forscherin deuten, dessen Thematisierung ihr schwerfallen mag, da die Gesprächsatmosphäre bis zu diesem Zeitpunkt als vertrauensvoll und offen zu beschreiben ist. Möglicherweise möchte sie in ihrem Wunsch Ernst
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genommen werden, als Entgegenkommen für ihre Offenheit und ihr Engagement, mithin für ihre Offenheit mit einem Angebot eines geschützten Raumes gewürdigt zu werden. Die Forscherin lässt sich auf die Bitte ein und stellt ihr Forschungsanliegen etwas abstrakt als ein Interesse am „Umgang mit Zeit“ vor. Anschließend führt sie ihre These ein, es gäbe in der Bank eine andere Art, mit Zeit umzugehen, als im Beratungsunternehmen und spricht die Befragte als Expertin für die Zeitkultur sowohl der Bank als auch des Beratungsunternehmens an: „Und dass es für mich sehr schön ist, dass du beides erlebt hast und ein bisschen spiegeln kannst“. Die Befragte lacht und deutet sofort ihre Gesprächsbereitschaft an, verbunden mit der Aussage „Okay. Also wenn ich ein bisschen mehr den Fokus hab', dann kann ich auch ein bisschen mehr strukturiert darüber nachdenken“, die als nicht erforderliche Rechtfertigung ihrer Nachfrage erscheint. Schließlich ist es ihr gutes Recht, zu erfahren, worin das Anliegen der Forscherin besteht. Umgekehrt scheint eine Entschuldigung der Forscherin dahin gehend angebracht, ihr Anliegen eingangs nicht formuliert zu haben. Stattdessen nimmt die Forscherin das Angebot der Befragten auf, die Nachfrage als Bitte um Unterstützung zu verstehen, der sie gerne nachkommt. Es entsteht der Eindruck, als einigten sich Befragte und Forscherin darauf, die Nachfrage der Befragten zwar als legitim, jedoch als unnötig zu deuten. Im Anschluss daran ist die Forscherin auf die Unterstützung der Befragten angewiesen, da sie den Faden verloren hat. Die Befragte greift lachend den Gesprächsfaden wieder auf, was die Forscherin mit den Worten „genau, genau. Wenn wir noch mal 'nen kleinen Schritt zurückgehen“ dankbar aufnimmt, um kurz inne zu halten und im Anschluss die nächste Frage zu stellen. Die folgenden Sequenzen sind von der ursprünglich positiven Atmosphäre bestimmt, bis der Befragten wieder Zweifel in Bezug auf die Legitimität der Fragen der Forscherin zu kommen scheinen (Z. 551-586). An dieser Stelle geht es um die Vermutung der Befragten, dass die Aufträge ihres ehemaligen Arbeitgebers und derzeitig einzigem Kunden, versiegen könnten, was durchaus ein heikles Thema darstellt. Zusicherung der Anonymität A: Wir sehen, dass-, dass es einfach Aufgaben gibt, die wir nicht kriegen. I: Hhm. Also von denen ihr denkt, die müssten eigentlich in eurem Bereich liegen? A: Ja. I: Und wer macht die dann, wisst ihr das? A: Ähm, andere Firmen oder die [Bank]. (2) I: Hhm, hhm. A: Ich habe mal kurz Bedenken, die ich mal ansagen will. Ähm, niemand hat mit mir gesprochen, um zu sagen, wo ihr liegt in der Firma. Und ich will jetzt nicht Firmeninterna, ich will einfach sagen, dass das-
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I: (unterbricht) Mir gegenüber jetzt? A: Ja (I: Okay). Oder dass die nach außen gehen. Ich bin auch richtig offen momentan. I: (unterbricht) Okay, okay, das ist auch gut so. Ich will dich jetzt nur bestätigen, also, ähm, was du sagst, ist sowieso anonym, das taucht in der Form nicht aufA: (unterbricht) Weder Firma noch mein Name? I: Genau. Also ich sammele Material (A: Ja) und aus dem Material versuche ich, ähm, mir was zu bauen, ein besseres Verständnis zu bauen. Es kann sein, dass ich dich-, dass man teilweise zitiert, aber niemals so, dass du erkennbar wärst (A: Okay) oder dass irgendwas ist, was ich dich jetzt über Interna frage, darf ich zum einen, das habe ich mit Betriebsrat und [Geschäftsleitung] abgeklärt (A: Okay), und zum andern taucht das nirgends auf, sondern das gibt mir den Rahmen, um zu verstehen, was passiert (A: Okay). Also nichts, was du sagst, fällt auf dich zurück, das ist ganz wichtig. A: Ist auch nicht, dass es auf mich zurückfällt, sondern auch nicht auf meine Firma? I: Auf beide nicht, auf beide nicht, das ist ganz wichtig. A: Ja, das ist mir sehr, sehr wichtig. I1: Und bin völlig draußen, ich bin Uni. I: Genau, aber sie hat eben auch ein Schweigegelübde, weil das so ist, wenn man an so was forscht, dann ist das, was man erfährt, abgeschlossen, das geht niemanden was an. A: Gut. Ich war mir relativ sicher, sonst wäre ich nicht in Kontakt mit [Manager] und der hätte das nicht gesagt, aber ich wollt's einfach noch mal bestätigen, dassI: (unterbricht) Es ist richtig, das nachzufragen, und da ist voller Schutz für [Beratungsunternehmen] und für dich (beide lachen). A: Und [Bank]? I: Und [Bank] natürlich auch. Also wir waren da stehen geblieben, dass du die Befürchtung hast oder dass es für dich Indizien gibt, die darauf hinweisen, dass der Kontakt auslaufen könnte, also dass, ähmA: (unterbricht) Dass wir verhungert werden.
Im Anschluss an die Frage der Forscherin, wer denn nun die Aufträge übernähme, die der AS GmbH entzogen würden, formuliert die Befragte erneut vorsichtig Bedenken mit den Worten: „Ich habe mal kurz Bedenken, die ich mal ansagen will. Ähm, niemand hat mit mir gesprochen, um zu sagen, wo ihr liegt in der Firma. Und ich will jetzt nicht Firmeninterna, ich will einfach sagen, dass das-“. Mit „mal kurz“ schwächt sie ihre Bedenken ab, die sowohl berechtigt als auch tiefergehend sind. Denn die Forscherin hat versäumt, ihren Status im Beratungsunternehmen und ihr Verhältnis zum Beratungsunternehmen zu explizieren, da sie sich darauf verlassen hat, die Angaben im Anschreiben des Managements seien ausreichend und würden weitere Fragen erübrigen. Nun fürchtet die Befragte, sich der Preisgabe von Insiderwissen gegenüber Fremden schuldig zu machen. Die Forscherin unterbricht sie mit der Frage „Mir gegenüber jetzt?“
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und bringt damit ihr Erstaunen darüber zum Ausdruck, dass die Befragte zum zweiten Mal die Legitimität ihrer Motive in Frage stellt. Die Befragte fährt mit dem Hinweis auf ihre Offenheit fort, die an dieser Stelle als Verletzlichkeit erscheint, die eines besonderen Schutzes bedarf: „Oder dass die nach außen gehen. Ich bin auch richtig offen momentan“. Die Forscherin bestätigt die Befragte umgehend in ihrem Anliegen, einen geschützten Raum für derart offene Informationen zu fordern und wird dabei erneut von der Befragten unterbrochen, die nachhakt, ob die zugesagte Anonymität sowohl für ihren Namen als auch für den des Unternehmens gelte. Da sich die Forscherin möglicherweise grundsätzlich in Frage gestellt fühlt, führt sie die Methode der Erhebung und Auswertung aus und beruft sich auf Absprachen mit dem Betriebsrat und der Geschäftsleitung der AS GmbH, möglicherweise um mit dem Verweis auf die Absprachen mit Betriebsrat und Geschäftsleitung ihre Position im Interview zu stärken. Dabei wird sie immer wieder durch ein „Okay“ der Befragten unterbrochen, deren Bedenken durch die Ausführungen der Forscherin nachzulassen scheinen. Während die Forscherin annimmt, die Befragte fürchte um ihre eigene Anonymität, betont diese, es gehe ihr eher um die Anonymität der Organisation. Woraufhin die Forscherin mit „Auf beide nicht, auf beide nicht, das ist ganz wichtig“ antwortet, um die Bedenken der Befragten zu zerstreuen und zugleich als legitim zu markieren. Die Praktikantin, der die Gesprächssituation in diesem Moment als heikel erschienen sein mag, äußert sich zum ersten Mal im Gespräch mit den Worten „Und bin völlig draußen, ich bin Uni“, was die Forscherin mit dem Hinweis auf ein „Schweigegelübde“ bekräftigt. Daraufhin scheinen die Bedenken der Befragten ausgeräumt, was sie mit den Worten „Gut. Ich war mir relativ sicher…“ zum Ausdruck bringt um anschließend ihre Bereitschaft zum Interview mit der Anregung der Unternehmensleitung der AS GmbH zu begründen, mithin ihre Gesprächsbereitschaft und indirekt ihre Bitte um Anonymität zu rechtfertigen. Wieder bestätigt die Forscherin die Legitimität ihrer Frage und beide lachen, möglicherweise um den geäußerten Zweifeln ihre destruktive Wirkung zu nehmen, woraufhin die Befragte noch einmal nachhakt und fragt, ob der Schutz auch für die Bank gelte. Die Forscherin bestätigt, dass auch die Bank nicht namentlich erwähnt wird und fährt mit der nächsten Frage nach Indizien dafür fort, dass die Aufträge des ehemaligen Arbeitgebers weniger werden könnten. Michaela D. antwortet bestätigend mit „Dass wir verhungert werden“ und verweist somit auf ihre mehrfache Enttäuschung in Bezug auf Arbeitsbeziehungen, die sie zu mehr Vorsicht gegenüber anderen, was die Forscherin einschließt, veranlasst. Auch in diesem Fall erfolgt die Nachfrage der Befragten aus Perspektive der Forscherin unvermittelt, da sie die Gesprächsatmosphäre als vertrauensvoll empfindet und die Zweifel der Befragten nicht nachvollziehen kann. Vielleicht fürchtet die Befragte, sich von einer geschickten Interviewführung zu Aussagen
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verleiten zu lassen, die gegen das Unternehmen eingesetzt werden könnten. Dann hätte sie „blauäugig“ vertraut, wie sie es selbst beschreibt, und hätte dadurch versehentlich dem Unternehmen und indirekt sich selbst geschadet. So steht das Bedürfnis, die Forscherin an ihrer Lebenswelt teilhaben zu lassen, im Widerspruch zu dem Bedürfnis, schützende Grenzen für sich, das Beratungsunternehmen und die Bank zu ziehen. Der psychologische Vertrag von Michaela D. Auf ihren Arbeitskontext übertragen könnte das bedeuten, dass Michaela D. ihrem Arbeitgeber Vorschusslorbeeren gewährt, deren Angemessenheit sie jedoch immer wieder in Frage stellt. Schließlich lässt sich nicht ausschließen, dass sie sich in ihrem Gegenüber täuscht, der nur den Eindruck von Vertrauenswürdigkeit erweckt haben könnte, ohne tatsächlich vertrauenswürdig zu sein. So öffnet sie sich gegenüber der Forscherin und expliziert ihre Gefühlslage, obwohl zentrale Fragen wie das Forschungsanliegen und die Anonymität zunächst ungeklärt bleiben. Dass sie im Gesprächsverlauf auf diese beiden Aspekte zu sprechen kommt, spricht für ihr (verzögert zum Tragen kommendes) Bedürfnis nach Sicherheit, das ihr Bedürfnis nach einer guten Atmosphäre in Arbeitsbeziehungen begrenzt. Während sie dem Bedürfnis nach einer gelungenen Arbeitsbeziehung mit Offenheit und dem Versuch, den Erwartungen des Gegenübers gerecht zu werden, begegnet, bedient sie ihr Sicherheitsbedürfnis mit der (temporären) Begrenzung ihrer ausgeprägten Beziehungsorientierung. Das Sicherheitsbedürfnis bringt sie jedoch weder aggressiv noch fordernd, sondern eher fragend, um Verständnis bittend, zum Ausdruck. Die Vermutung liegt nahe, dass die Abfolge von Vorschusslorbeeren und Prüfung des Gegenübers spiralförmig erfolgt, wobei sowohl eine Bewegung nach oben sowie eine Abwärtsbewegung denkbar sind: Hätte sie die Erläuterungen der Forscherin in Bezug auf ihre Nachfragen als unbefriedigend empfunden, hätte das möglicherweise ihre Bereitschaft eingeschränkt, auf die Fragen der Forscherin weiterhin offen zu antworten. Die Forscherin begegnet ihr sowohl freundlich als auch fordernd und expliziert nur so viel von ihrer Rolle im Forschungsprozess, wie die Befragte einfordert. Möglicherweise lassen sich hier Parallelen zu dem Verhalten ziehen, das die neuen Vorgesetzten ihr gegenüber zeigen: Sie formulieren ihre Anforderungen auf eine Art und Weise, die dazu einlädt, im Zweifel mehr Leistung zu bringen, als angemessen und der Gesundheit zuträglich erscheint. Auch die Forscherin wählt einen direkten Einstieg in das Gespräch, mithin eine unvermittelte Abfrage von Informationen, die die Befragte zunächst möglicherweise weniger bereitwillig liefert als von der Forscherin wahrgenommen. So bleibt ihr Klärungsbedürfnis solange unbefriedigt, bis sie es gegenüber der Forscherin äußert. Erst mit Zeitverzug bringt sie ihre Zweifel an der Legitimität des Anliegens der
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Forscherin zum Ausdruck: Entspricht es der Vereinbarung und gewährt es ihr den notwendigen Schutz? Ähnliche Fragen mag sie mit ihrer Tätigkeit verbinden, die Züge einer Beratertätigkeit trägt, obwohl sie einem Geschäftsbereich zugeordnet ist, der sich vornehmlich mit der Erfüllung von Aufträgen ihres ehemaligen Arbeitgebers beschäftigt. Zudem wird ihre Bereitschaft, den Erwartungen der Vorgesetzten zu genügen, nicht mit dem gewünschten Schutz vor Überforderung belohnt, sondern eher mit einer Erweiterung der Anforderungen beantwortet. Ähnlich ergeht es ihr im Forschungsgespräch: So wird sie nicht nur zu ihrer Person befragt, sondern auch zu ihrem ehemaligen und derzeitigen Arbeitgeber, zu der Sichtweise von Kollegen sowie zu möglichen Konkurrenten der AS GmbH, was ihr als maßlos erscheinen mag und sie zu einer Grenzziehung herausfordert. Das bewirkt jedoch keine Veränderung bei der Forscherin, die weiterhin offensiv Fragen stellt, ohne zu bedenken, wie die Befragte zu ihrem Forschungsinteresse stehen mag. Bedenken werden durch Bestätigung, eine schnelle Gesprächsführung und ein Festhalten an der Ausrichtung der Fragen ausgeräumt oder vielmehr beiseite geschoben. Dadurch erscheinen die Bedenken der Befragten trotz ihrer Berechtigung als unangebracht. Ähnlich mag es ihr mit ihren Bedenken in Bezug auf das Arbeitsvolumen ergehen. Dennoch ist die Gesprächsatmosphäre nicht nur wegen der Offenheit der Befragten gut. So werden Ängste der Befragten angesprochen und von einem gemeinsamen Lachen gemildert, dem die Funktion zukommt, den Erlebnissen den Schrecken zu nehmen, mithin das Unaussprechliche aus dem Gespräch zu bannen. Michaela D. hat gelernt, sich die Strategien des Gegenübers anzueignen und für sich nutzbar zu machen. So gibt sie gegen Ende des Interviews zwar nonverbal und dennoch deutlich zu verstehen, dass ihre zeitlichen Ressourcen für das Interview erschöpft sind. Sie markiert ihre Ungeduld, um das Gespräch zu beenden, was sich in der Äußerung der Forscherin manifestiert: „Eine letzte Frage, ich seh' schon-„ und von ihr mit „Ja, es […] langsam-„ beantwortet wird (Z. 1386). So wie die Vorgesetzten ihrer Forderung nach Freizeit nachgeben, so akzeptiert die Forscherin, wenn auch ungern, das Ende eines Gespräches, dass sie als aufschlussreich empfunden hat und gerne noch ausgedehnt hätte. So zeigt sich, dass sowohl gegenüber Vorgesetzten als auch gegenüber der Forscherin eine klare Grenzziehung notwendig ist, da es andernfalls keine Grenzen gibt. Denn sowohl Vorgesetzte als auch die Forscherin hoffen, dass es einer Begrenzung ihrer Ansprüche nicht bedarf und Michaela D. gewillt und fähig ist, ihren umfangreichen Ansprüchen gerecht zu werden.
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7.2.2 Elisabeth F.: „…ich bin ja nur ein kleines Licht“87 Elisabeth F. ist vor dem Personaltransfer beinahe zwanzig Jahre für die Bank tätig gewesen. Den größten Teil der Zeit war sie im IT-Bereich an Standort 1 beschäftigt, der aufgrund von Reorganisationsmaßnahmen jedoch geschlossen wurde. Sie wechselte anschließend zu Standort 2, der den Personaltransfer wenige Jahre später vornahm. In dieser Zeit werden einige Reorganisationsmaßnahmen umgesetzt, die unter anderem dazu führen, dass sie im Abstand weniger Monate neue Vorgesetzte erhält. Es entsteht der Eindruck, als habe zu diesem Zeitpunkt ihr Beschäftigungsverhältnis seine stabile Qualität verloren und als sei der Personaltransfer nur der Schlusspunkt eines Prozesses, der sich seit dem Standortwechsel angedeutet hat. Dieser Prozess ist gekennzeichnet von einer großen Unzufriedenheit der Beschäftigten, wie eine Umfrage, die zu dieser Zeit durchgeführt wurde, bestätigte. In ihrer Wahrnehmung wurden die aufkommenden Probleme nur verschoben und nicht gelöst. Ob die Leute „da unten“ (Z. 106), zu denen sie sich selbst zählt, zufrieden sind, habe das Management des zweiten Standorts der Bank nicht interessiert. Sie fühlt sich nicht sehr wohl und ist möglicherweise aus diesem Grund weder überrascht noch enttäuscht, als sie erfährt, dass sie Teil des Outsourcings werden würde: „nö, ich habe damit gerechnet, weil das war klar eigentlich von der ganzen Struktur her, wer was macht und wer rübergeht“ (Z. 421ff.).
Im neuen Unternehmen scheint sie sich jedoch noch nicht gut zurechtzufinden, was sie im wesentlichen auf zwei Punkte zurückführt, die beide mit dem Outsourcing-Vertrag zusammenhängen: Erstens sei es aufgrund des OutsourcingVertrags nicht mehr möglich, Aufgaben in kollegialer Absprache zu erledigen. So sei der direkte Austausch auf operativer Ebene zwischen den transferierten Beschäftigten und den Beschäftigten, die in der Bank verblieben sind, nicht erwünscht. Stattdessen solle „eskaliert“ werden (Z. 883), was bedeutet, dass auftretende Probleme auf Ebene der Vorgesetzten der beiden Unternehmen gelöst werden sollen: „die [Bank] sollte uns was schicken, was wir brauchen, und hat es aber nicht getan. Und hat das nach zweimaligen Aufforderungen auch nicht getan. Und dann wird es normal eskaliert an den nächst höheren Chef. Und da hab' ich dann zu meiner Chefin gesagt, hör' auf, das ist Quatsch, noch hab' ich mit dem Mann ein gutes Verhältnis, ich gesteh' jedem zu, dass er auch mal Fehler macht, ja, und er hat auch vielleicht nicht dran gedacht, lass' mich mit ihm noch mal sprechen. Und dann: Äh, seh' ich 87 Z. 150, der Name wurde geändert.
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Ergebnisse der Untersuchung nicht ein, den haben wir jetzt schon oft genug gebeten, irgendwas zu schicken. Und da hab' ich gesagt, sorry nee, mach' ich nicht. Und da hab' ich den angerufen, innerhalb fünf Minuten hab' ich das Dokument gehabt. Ich mein', auch drüben bei [Fachabteilung] sind die manchmal im Stress und vergessen das auch, auch mancher mit drei Mails, ja. Und ich denk', da muss nicht eskaliert werden. Aber das ist so hier manchmal ein richtig schönes Lieblingswort: Es muss eskaliert werden“ (Z. 881ff.).
Hier deutet sich bereits ein durchgängiges Prinzip an: Anstatt sich den Prämissen im neuen Unternehmen unhinterfragt anzupassen, versucht sie, ihren eigenen Weg zu finden, der die Arbeitsbeziehungen zu Kollegen schont und sie nicht mit mehr Verantwortung belastet, als sie zu tragen bereit ist. Schließlich sei sie „ja nur ein kleines Licht“ (Z. 150) und folglich nicht bereit, sehr viel Verantwortung zu übernehmen. Dass sie ihren Arbeitsplatz nicht für sicher hält, äußert sie offen: „Mich tät's sehr-, vielleicht ist es übertrieben, aber mich tät's nicht wundern, wenn morgen mir mein Chef sagt, hej, hier Abfindungsvertrag“ (Z. 565f.). Zweitens erfordere der Outsourcing-Vertrag viel Bürokratie, die in ihrer Wahrnehmung die Arbeitsprozesse eher verlangsame als beschleunige. Anstatt wie bisher auf Basis einer Email- oder Telefonanfrage Aufgaben zu erledigen, seien nun zahlreiche Formulare auf beiden Seiten auszufüllen, bevor sie mit der Arbeit beginnen könne: „der Verwaltungsaufwand, den wir hier haben, ist einfach zu hoch. Wir müssen das ausfüllen, wir müssen das ausfüllen, wir müssen das ausfüllen. Ich muss für eine [Anfrage], die ich in zehn Minuten bearbeite, zehn Formulare, jetzt mal grob übertrieben, ja, ausfüllen. Da ist kein Verhältnis mehr da.“ (Z. 827).
Zahlreiche Versuche ihrerseits, das Management zu einer Reduzierung des Umfangs an Formularen anzuregen, seien bereits gescheitert. Zudem würden mehrere Standorte in unterschiedlichen Zeitzonen kooperieren, was die Erledigung von Aufgaben weiter verzögere: „Wenn früher Passwort-, anrufen, zack, innerhalb von zehn Minuten war's erledigt, heute Passwort zurücksetzen, ja, ähm, zum Beispiel Passwort für Deutschland, ähm, haben bis vor kurzem Kollegen hier gemacht, ist aber jetzt auch nach [Asien], und [Asien] ist sechs Stunden voraus, ja, also die Zeitverschiebung muss auch noch berücksichtigt werden. Und innerhalb einer Stunde sollten-, einem Tag sollten die [Anfragen] dann gelöst sein. Aber, sorry, wenn ich seh', früher zehn Minuten, heute einen Tag, das sind für mich keine Verhältnisse. Und wenn man dann zehnmal mit dem Argument kommt, in [Asien] sind die Arbeitskräfte billiger wie hier in Deutschland, sorry.“ (Z. 233).
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Zudem beschreibt sie die Beschäftigten des neuen Arbeitgebers als „steif“. Möglicherweise hält sie die Arbeitsorientierung der Berater für zu stark ausgeprägt und die Berater selbst für engstirnig, da sie die Arbeit derart straff organisieren würden, das kein Raum für kollegialen Austausch bleibe, der, so Elisabeth F., allerdings den Zusammenhalt stärke und Lösungen auf dem kurzen Dienstweg ermögliche, was zu einem reibungslosen Arbeitsablauf beitrage: „[Beratungsunternehmen]-Leuten, weil für uns waren die irgendwie steif. Wir hatten so-, also was heißt ich, wir sind morgens in [Stadt]-, wir haben unsere Emails gecheckt, haben geguckt, was anfällt, und je nachdem, wenn nichts besonderes war, sind wir runter zum Kaffee trinken gegangen mal so 'ne Viertelstunde oder was, ja, von mir aus auch mal 'ne halbe Stunde, hat auch keiner was gesagt, ja. Es sind ja nicht nur-, hier, ich hab' gestern mit meinem Freund das gemacht, ich hab' das gemacht, sondern es wurden ja auch allgemeine Gespräche da unten geführt über Arbeit oder sonst irgendwas. Oder, hej, ich hab' das Problem von der Kollegin im nächsten Büro, kannst du mir da mal helfen oder weißt du, was ich da machen muss, und das war eine schöne Kommunikation. Ja, und dann kommt man hierher-. Oder es gab halt, es hört sich jetzt vielleicht blöd an, aber wenn irgendeiner Geburtstag hatte, geheiratet hatte oder sonst was, ja, dann gab's halt einen Kuchen mal für alle und dann war man halt mal zehn Minuten zusammengesessen und hat halt mal 'nen Kuchen gegessen und sich mit denjenigen gefreut und mal kurz unterhalten. Weil, ich denk' mal, auch wenn sich das jetzt blöd anhören mag, aber es fördert die Kommunikation innerhalb mal. Aber da wird hier, glaub' ich, kein Wert drauf gelegt“ (Z. 293ff.). Zudem herrsche im Beratungsunternehmen eine „gewisse Arroganz“ vor (Z. 680).
Selbstorganisation Die Selbstorganisationsanforderungen scheinen in ihrem Arbeitsbereich nicht sehr hoch zu sein, da sie klare Aufgaben zugewiesen bekommt, die in einer vorgegebenen Zeit abzuarbeiten sind. Die Priorisierung der Aufgaben obliegt ihren Vorgesetzten. Als Anforderung benennt sie jedoch, dass die Unterstützung, insbesondere die technische Unterstützung, nicht sehr groß sei und erwartet werde, dass sie keine IT-Probleme habe und sich alle erforderlichen Informationen selbst beschaffe. Leistung und Anerkennung Sie empfindet Berater als schwer zugänglich und als zu sehr auf ihre Tätigkeit fixiert, was die Zusammenarbeit mit ihnen erschwere. Das wirke sich auch auf ihre Tätigkeit aus, da die Vorgesetzten hauptsächlich ehemalige Berater sind, die sie nicht nur sehr stark kontrollieren, sondern ihr implizit eine mangelnde Arbeitsmoral vorwerfen würden: „und hier wird genau geguckt, was machst du, arbeitest du auch nicht zu lange an irgendwas oder zu kurz und gehst du auch
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nicht um-, wie kannst du um vier gehen, um vier ist noch taghell draußen, also bitte, hier ist noch genug Arbeit da“ (Z. 339). Sie lässt sich jedoch nicht unter Druck setzen, wie sie deutlich zum Ausdruck bringt: „Wenn ich um vier nach Hause gehen will, dann geh' ich um vier nach Hause. Wenn's meine Arbeit zulässt, hab' ich da gar kein Problem damit“ (Z. 364). Wenn allerdings in Ausnahmefällen ein größeres Arbeitsvolumen abzuarbeiten sei, sei sie bereit, länger zu bleiben. Letztlich will sie jedoch ihr Privatleben vor der Arbeit schützen, die im Wesentlichen der Sicherung ihrer materiellen Existenz dienen soll. Daher betont sie: „ich bin ein Mensch, ich lebe und ich lebe nicht nur für die Arbeit“ (Z. 358). Sie merkt kritisch an, dass „schüchterne“ Menschen (Z. 698) im Beratungsunternehmen kaum Karrierechancen hätten, da es wichtig sei, sich zu verkaufen. Wem es an Kompetenzdarstellungskompetenz mangele, so entsteht der Eindruck, habe kaum Chancen als kompetent wahrgenommen zu werden. Emotionsregulation und Bewältigungsverhalten Im Interview erweckt sie den Eindruck, als gäbe es derzeit keine Ereignisse, die sie als belastend empfindet. Das mag auf den Umstand zurückzuführen sein, dass sie eine große emotionale Distanz zu ihrem Beschäftigungsverhältnis eingenommen hat und gegenüber den in der AS GmbH etablierten Erwartungsstrukturen klare Grenzen zieht und sich als „kleines Licht“ nicht zu viel Verantwortung aufbürden lässt. Beziehungsraum im Interview Elisabeth F. nimmt kein Blatt vor den Mund, was im Interview auf unterschiedliche Weise zum Tragen kommt. So erzählt sie offen von ihren Erlebnissen und Eindrücken sowohl im ehemaligen als auch im neuen Unternehmen und neigt nicht dazu, ihre Darstellung zu beschönigen. Sie wirkt authentisch und versucht nicht, sich gegenüber der Forscherin anders darzustellen, als sie ist. Sie grenzt sich sowohl gegenüber der Forscherin als auch gegenüber Vorgesetzten, so zeigen ihre Schilderungen, deutlich ab. Wenn beispielsweise ihre Vorgesetzte der Ansicht ist, dass sie Unstimmigkeiten mit ihrem Gegenüber in der Bank nicht direkt klären soll, weil sie mit dessen Vorgesetzten sprechen will, so wählt sie dennoch den direkten Weg, wohl wissend, dass sie das gegen den Willen der Vorgesetzten tut. Der psychologische Vertrag von Elisabeth F. Dem Interview mit Elisabeth F. ist zu entnehmen, dass sie ihr Beschäftigungsverhältnis als sehr gut empfunden hat, bis zu den Zeitpunkt, als ihr Arbeitgeber begann, Reorganisationsmaßnahmen in Standort 1 durchzuführen, die letztlich zum Wegfall ihres dortigen Arbeitsplatzes geführt haben. Bis zu dem Zeitpunkt
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hat sie ihre Arbeitsbeziehungen als positiv und ihre Tätigkeit als sinnvoll und erfüllend wahrgenommen. Wahrscheinlich war auch in dieser Zeit ihre Karriereorientierung und ihre Tendenz, sich unterzuordnen, nicht sehr stark ausgeprägt. Seitdem hat sich ihr Beschäftigungsverhältnis jedoch in mehrerer Hinsicht gravierend verändert. So mag sich seit diesem Zeitpunkt aufgrund mehrerer Reorganisationsmaßnahmen nicht mehr das Gefühl von Arbeitsplatzsicherheit eingestellt haben, das sie durch die Rationalisierungsmaßnahme, die ihren Arbeitsplatz entfallen ließ, verloren hat. Wahrscheinlich entsprachen die Tätigkeiten, die ihr anschließend zugewiesen wurden, nicht gleichermaßen ihren Vorstellungen wie zur Zeit ihrer Tätigkeit für Standort 1. Zudem liegt die Vermutung nahe, dass sie sich seit dem ersten Arbeitsplatzverlust dem Unternehmen nicht mehr in gleicher Weise zugehörig gefühlt hat. Mehr noch: Es hat den Anschein, als würde sie nun gewissermaßen mit allem rechnen und wäre auch von einem Abfindungsangebot nicht überrascht. Sie gibt an, damit leben zu können, was möglicherweise bedeutet, dass sie sich damit abgefunden hat, dass ihr Beschäftigungsverhältnis nicht mehr die Qualität erreichen wird, die es während ihrer Tätigkeit für Standort 1 hatte. Ihr Bestreben, ihren Arbeitsplatz aktiv mitzugestalten und sich in ihrer Arbeit einzubringen, hat sie sich erhalten. Zudem zeigt sie sich offen und gesprächsbereit, ohne dabei zu sehr bemüht zu sein, den Erwartungen des Gegenübers gerecht zu werden. Sie lässt sich nicht unter Druck setzen, bewahrt ihren eigenen Kopf auch gegen Widerstand ihrer Vorgesetzten und wirkt dabei sehr authentisch. Sie wünscht sich die Anerkennung des Gegenübers, ohne sich dafür verbiegen zu wollen. 7.2.3 Christoph H.: „…ich bin ja so eigentlich ganz zufrieden auch“88 Der Einstieg in das Interview ist sehr direkt, was in diesem Fall an Christoph H. liegt, der die Ansicht vertritt, dass das Interview ja nichts „so Hochtrabendes“ sein wird (Z. 14). Danach gefragt, was ihm im Umgang mit Zeit wichtig ist, gibt er an, dass das Wichtigste die Zeit mit Familie und Freunden und er ein „Fanatiker von Pünktlichkeit“ ist. In der Bank wäre er gerne geblieben, denn „da hätt' ich jetzt Altersteilzeit machen können“ (Z. 918f.), was im neuen Unternehmen nicht üblich ist. Im Gespräch mit Christoph H. entwickelt sich der Eindruck, dass er sich gut mit beruflichen Veränderungen arrangieren kann, selbst dann, wenn sie nicht von ihm initiiert werden. Aufgrund seiner distanzierten Haltung zu seinem Beschäftigungsverhältnis hat er keinen Zweifel daran, dass er Teil des Outsourcings 88 Z. 828f., der Name wurde geändert.
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werden würde, als er ein Jahr vor dem Personaltransfer von der anstehenden Maßnahme erfuhr. Nur denjenigen Kollegen, die es nicht „wahrhaben“ wollten (Z. 212), sei es zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar gewesen, dass sie ihren Arbeitsplatz in der Bank verlieren werden. Als Einziger der Befragten hebt er hervor, dass die Arbeitsumgebung in der AS GmbH schöner sei als in der Bank und seine Tätigkeit leichter geworden sei: „Ah ja, gut, so vom-, vom Gebäude her, von dem ganzen Tun, Kaffee gibt's umsonst, das Wasser gibt's umsonst (lacht), war's schon besser. Aber theoretisch hat sich bei mir von der ganzen Arbeit überhaupt nichts geändert, ich mach' jetzt nach wie vor das gleiche wie bei der [Bank] auch. Halt für mich ist es jetzt sogar einfacher, weil jetzt jemand für mich arbeitet in [Asien], halt die praktisch diese Umsetzung machen, die ich da halt denen zukommen lasse“ (Z. 257ff.). Etwas später im Forschungsgespräch erwähnt er, dass sein Herz an der Programmierung hänge: „also ich bin eigentlich mehr Entwickler vom Herzen her“ (Z. 829). Wenn er demnach seine neue Tätigkeit positiv rahmen kann, obwohl gerade der Teil entfallen ist, der ihm am Herzen liegt, so stärkt das die These, dass er sich beruflich mit Veränderungen arrangieren kann, weil er die Erwerbstätigkeit nicht als Mittelpunkt seines Lebens begreift. Auch wenn nun der Druck größer sei als zuvor, kommt er mit den Anforderungen gut zu Recht: „der Druck hat sich 'n bisschen erhöht, aber wohl kommt der Druck ja immer von dem Kunden jetzt. Ist klar, also früher in der [Bank], da ist das eigentlich 'n bisschen gemächlicher hergegangen, aber seitdem die logischerweise da dafür bezahlen müssen und wir halt den Service leisten müssen, und da ist natürlich der Termindruck ist 'n bisschen höher geworden“ (Z. 334ff.). Insgesamt, so sagt er, lohne es sich nicht, sich zu viele Gedanken über die Zukunft zu machen, die er nicht vorhersehen kann: „Ja, gut, man kann eigentlich nur Plänchen machen, wie man sich's vornimmt, aber wie-, das Leben spielt ja meistens 'n bisschen anders und in der IT-Branche hier, da ist es ja-, da geht's ja rasant schnell so alles miteinander“ (Z. 894ff.). Beziehungsraum im Interview Im Unterschied zu den anderen Befragten legt Christoph H. keinen besonderen Wert auf einführende Worte oder die Zusicherung von Anonymität. Er sagt, was er zu sagen hat, beschönigt nicht, dramatisiert nicht und steht zu dem, was er denkt. Er begegnet der Forscherin offen und freundlich, gibt jedoch auch klar zu erkennen, dass er über einige Punkte, die sie anspricht, nicht nachgedacht hat, da er sie als unproblematisch erlebt. Als Beispiel kann der Umgang mit ehemaligen Kollegen benannt werden, die in der Bank verblieben sind. In seiner Darstellung wirkt der Personaltransfer als ein Ereignis, dem keine große Bedeutung zukommt.
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Der psychologische Vertrag von Christoph H. Christoph H. kann sich mit unterschiedlichen beruflichen Kontextbedingungen gut arrangieren, ohne sich anzupassen. Möglicherweise beherrscht er sein Fachgebiet gut, weshalb er nicht wie einige seiner Kollegen um seinen Arbeitsplatz fürchten muss. Es ist jedoch auch denkbar, dass er mit seinem Zweckoptimismus eine Schicksalsergebenheit zum Ausdruck bringt: da er die Zukunft nicht antizipieren kann, verzichtet er darauf, sich Sorgen zu machen. Solange er seine Tätigkeit als sinnvoll erleben kann, bleibt er optimistisch, auch wenn sie sich ein wenig zu seinen Ungunsten verändert hat, da die Programmierung, die ihm am Herzen liegt, entfallen ist. Insgesamt versucht er, der Arbeit keine zu große Bedeutung beizumessen, um genügend Zeit und Energie für Familie und Freunde aufbringen zu können, die, so sagt er, das Wichtigste in seinem Leben sind. 7.2.4 Sandra E.: „Ich hab schon den [Beratungsunternehmen]-Stempel“89 Sandra E. sagt von sich selbst, sie habe schon den [Beratungsunternehmen]Stempel. Das wird auch darüber deutlich, dass sie auf die Frage, ob ihr Team sich aus Personen von der Bank oder vom Beratungsunternehmen zusammensetzt, wie selbstverständlich das Beratungsunternehmen angibt. Erst auf Nachfrage gibt sie an, dass diese Kollegen, wie sie, ursprünglich von der Bank kommen. Die Prägung durch diesen Stempel erscheint jedoch als nicht besonders stark. Der Wechsel ist ihr aus mehreren Gründen nicht leicht gefallen. Sie betont zwar, froh zu sein, überhaupt eine Arbeit zu haben, wegen ihrer „monatliche[n] Verpflichtung“ (Z. 598), der sie nachkommen muss. Die Mitteilung „man ist nicht mehr zu gebrauchen, die Position ist nicht mehr da“ habe schon „wehgetan“, nachdem sie etwa 10 Jahre für die Bank tätig gewesen ist. Während ihrer Urlaubszeit habe sie von dem Personaltransfer erfahren. Mit Kollegen habe sie sich nicht ausgetauscht, schließlich seien die konkreten Namen unter Verschluss gehalten worden. Am Organigramm habe man es jedoch erkennen können, da die Namen der transferierenden Beschäftigten gelöscht wurden: „Ah, das war, wie gesagt, [vertraulich], nur für mich oder für uns. Und ich wusste nicht, was mit dem anderen Kollegen los ist, und, ähm zum Anfang an. Und dann nachher gab's schon eine neue sogenannte [Organigramm], und mit der neuen [Organigramm], der Namen ist nicht mehr drauf oder mein Namen ist nicht mehr drauf und andere Kollegennamen waren nicht mehr drauf, so man weiß sofort, aha, ich 89 Z. 375, der Name wurde geändert.
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bin nicht mehr drin“ (Z. 35ff.). Sie wäre gerne in der Bank geblieben. Über ihren exklusiven Zugang zum Personalsystem, das sie betreut hat, erfährt sie jedoch, dass auch andere IT-Bereiche der Bank ausgelagert werden. Sie stellt fest, „die Zukunft mit dem IT ist nicht in der [Bank]“ (Z. 590) und findet sich damit ab, dass sie die Bank verlassen muss. Als belastend hebt sie hervor, dass das Beratungsunternehmen sie nicht als Person gewollt habe, sondern als Teil einer Gruppe, die von der Bank zusammengestellt wurde. So entwickelt sie möglicherweise das Gefühl, von der Bank als Person nicht mehr gewollt zu werden, was durch den neuen Arbeitsplatz nur bedingt kompensiert werden kann, da sie dort (zunächst) keine Person, sondern Teil eines „Blocks“ , in anderen Worten, eines „Transfer-Pakets“ ist: „Gefreut hab' ich, weil ich hab' einen, ähm, eine Arbeit, das habe ich schon gefreut. Am Ende, bei der [Bank], es hat schon wehgetan, weil man sagt mir von Vornherein, man ist nicht mehr zu gebrauchen, die Position ist nicht mehr da. Und das ist schon hart zu hören, wenn man sagt, tut mir leid, Ihre Position ist nicht mehr hier. Das ist schon hart nach langen Jahren. [Beratungsunternehmen], auch ein bisschen traurig, weil ich war nicht gewählt als Person bei [Beratungsunternehmen], ich war gewählt als ein-, als Block, als ganze-, derjenige wird outgesourct bei der [Bank] als ein Block. Und [Beratungsunternehmen] hat nicht gewählt, okay, sie haben-, sagen wir mal, wir sind [Anzahl] hier gekommen, [Anzahl] Kollegen, sie haben nicht gesagt, okay, diese Person nehm' ich, diese Person nehm' ich nicht oder-, wir waren nicht gewählt bei [Beratungsunternehmen]. Ich glaube, es ist eine ganz andere, ähm, Thema, ob man ist gewählt, man hat sich beworben.“ (Z. 524ff.).
Zum ersten Mal in ihrem Erwerbsleben, so betont sie mehrmals, habe sie sich nicht beworben. Das ist für sie von großer Bedeutung, schließlich, so könnte man folgern, kann sie sich nicht angenommen fühlen, wenn das Gegenüber keine andere Wahl hatte, als sie zu übernehmen. Das Ritual einer gegenseitigen Bestätigung der (Arbeits-) Beziehung fehlt, was sie belastet. Mit dem neuen Arbeitsplatz hat sie sich inzwischen arrangiert und betont die positiven Aspekte. So sei das Beratungsunternehmen „schon eine starke Firma“ (Z. 549). Ihr gefällt, dass das Unternehmen international ausgerichtet ist und sie mit Kollegen in Asien und US-Amerika zusammenarbeitet. Da sie einen Migrationshintergrund hat, empfindet sie es als Bereicherung, mit unterschiedlichen Kulturen zu kooperieren. Es deutet sich an, dass sie hier über Herrschaftswissen verfügt, da sie im Unterschied zu ihren Kollegen eher den richtigen Ton im Umgang insbesondere mit den asiatischen Kollegen trifft. Sie betont lachend „Und der Ton, der Ton macht viel Musik, da muss man schon achten“ (Z. 250). So hat sie ihren Platz als Vermittlerin unterschiedlicher Kulturen gefunden, was sie sichtlich genießt. Denn sie vermittelt zudem zwischen Unternehmenskulturen
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und beschreibt sich als „wie eine Brücke zwischen [Bank] und [Beratungsunternehmen], so sehe ich mich“ (Z. 62f.). Das betont sie mehrfach und hebt hervor, dass diese Funktion sie ausfülle: „Ja, wie gesagt, ich fühle mich wie eine Brücke und genieß' auch diese- ja, ich fühle mich schon glücklich, das zu machen“ (Z. 264f.). Selbstorganisation Die Anforderungen an eine eigenständige Strukturierung des Arbeitsalltags scheinen in ihrem Fall eher gering zu sein. Sie bearbeitet klar vorgegebene Aufgaben, so genannte „Tickets“ (Z. 75), die im Allgemeinen nur mit einer mittleren Priorität versehen sind, was eine Bearbeitungszeit von zwei Tagen bedeutet. Diesen zeitlichen Rahmen, den ihr Vorgesetzter mit dem Kunden vereinbart, findet sie unproblematisch, obwohl auch sie auf Nachfrage der Forscherin andeutet, den Moment zu fürchten, in dem sie einen vereinbarten Termin nicht halten kann, „Ähm, toi, toi, toi, ist alles gut gegangen (beide lachen). Aber, es ist schon, wenn du es nicht einhältst, ist es schlecht für die [Bank], weil der Kunde wartet.“ (Z. 121). Leistung und Anerkennung Im Vergleich zu ihrem ehemaligen Beschäftigungsverhältnis sei nun über die Bearbeitung der Tickets transparenter, mit welchen Aufgaben sie ihren Arbeitstag verbringt: „Früher bei der [Bank], wenn ich bekomm' ein Email, ich mach' die Arbeit. Und manchmal mein Chef oder mein Vorgesetzter weiß nicht, was ich gemacht habe von dem Tag. Aber heute, man sieht, was für eine Ticket hab' ich denn gearbeitet, man hat einen klaren Blick“ (Z. 81). Ihren Auslastungsgrad erfahre ihr Vorgesetzter über eine Auswertung, in der die zuvor in Bezug auf den Zeitumfang geschätzten, von ihr bearbeiteten Tickets mit ihrer Anwesenheitszeit verglichen werden. Das findet sie unproblematisch. In ihrer Wahrnehmung geben die Kontrollmechanismen ihrer Arbeit eine klare, entlastende Struktur: „Die [Beratungsunternehmen], sie sind mehr deutlicher. Bei [Beratungsunternehmen] es gibt das sogenannte, ich weiß nicht, ob Sie das gehört haben, das sogenannte [Verfahren], das ist sogenannte Prozess, was man folgen, wenn man in einem Projekt ist. Und es gibt Step by Step und es (geht) bei [Meilenstein], ob das gemacht ist. Ähm, bei der [Bank], es ist nicht so pingelig, man hat die sogenannte-, manchmal dieser [Meilenstein] fehlt. Und deswegen läuft das, finde ich, sauberer bei [Beratungsunternehmen] als bei der [Bank]“ (Z. 655ff.).
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Zudem sei es entlastend, wenn „deutlich“ kommuniziert werde und das konkrete Vorgehen nachvollziehbar sei. Sie findet die Arbeitsprozesse im Beratungsunternehmen demnach „sauberer“ organisiert als in der Bank. Anerkennung erfährt sie über ihre Funktion als „Brücke“ unterschiedlicher Kulturen und Unternehmenskulturen. Es gibt ihr ein gutes Gefühl, über einen (exklusiven) Zugang zu unterschiedlichen Personen zu verfügen, die ihren einfühlenden und kenntnisreichen Umgang schätzen. Chargeability Ähnlich wie die Selbstorganisation spielt auch die Chargeability in ihrem Arbeitsalltag keine große Rolle, da in ihrem Aufgabenfeld ein stabiles und überschaubares Arbeitsvolumen anfällt. Sie spürt somit keinen Druck, ihre Anwesenheitszeit zu rechtfertigen. Das geschieht gewissermaßen automatisch über die Auswertungen, die ihr Vorgesetzter regelmäßig erhält, in denen festgehalten ist, dass sie durch ein regelmäßig anfallendes Arbeitsvolumen ausgelastet wird. Mobilität Sie arbeitet bei der Bank vor Ort und in seltenen Fällen im Gebäude des Beratungsunternehmens. Beide Standorte sind nicht weit voneinander entfernt, weshalb von eher geringen Mobilitätsanforderungen auszugehen ist. Verantwortung für Arbeitsergebnisse und Karriere Die Verantwortung für ihre Arbeitsergebnisse trägt im Wesentlichen ihr Vorgesetzter, der über die Priorisierung von Aufgaben ihren Arbeitstag strukturiert. Sie ist nicht als ambitioniert zu beschreiben, ihr einziger Karrierewunsch besteht darin, zu einem anderen Standort in ihrem Heimatland transferiert zu werden. Das habe sie ihren Vorgesetzten kommuniziert, die sie jedoch aufgrund ihrer Sprachkenntnisse wahrscheinlich nicht gehen lassen möchten. Bewältigung des Personaltransfers Wie bereits ausgeführt, ist es für Sandra E. belastend, dass ihr Arbeitsplatz in der Bank gestrichen und sie dort nicht mehr gebraucht wird. Zudem hätte sie sich gewünscht, vom neuen Arbeitgeber „tatsächlich“ gewollt zu sein. Inzwischen hat sie jedoch als „Brücke“ eine Funktion gefunden, die sie gerne erfüllt und in der sie Anerkennung erfährt. Es entsteht der Eindruck, als erleichtere sie sich den Transfer durch die Betonung positiver Aspekte, die einen optimistischen Blick in die Zukunft ermöglichen und die Vergangenheit verblassen lassen. Insgesamt erscheint ihr Verhältnis zum ehemaligen und neuen Arbeitgeber als wesentlich distanzierter als das ihrer transferierten Kollegen, auch wenn sie davon spricht, bereits den Stempel des Beratungsunternehmens zu tragen. Letztlich, so deutet
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sie an, gehe es um die Sicherung ihrer materiellen Existenz, für die man eben einen Arbeitsplatz benötige. Beziehungsraum im Interview Der Einstieg in das Gespräch ist sehr kurz und erscheint unproblematisch. Sie gibt bereitwillig Auskunft, scheint jedoch an manchen Stellen im Gespräch über die problematisierende Haltung der Forscherin irritiert zu sein, worauf sie mit einer Relativierung der Problemstellungen und einer Betonung positiver Aspekte reagiert. Sie will, so entsteht der Eindruck, mit dem Personaltransfer abschließen und sich mit dem neuen Arbeitgeber arrangieren. Das positive Bild vom neuen Arbeitgeber, in dem der Arbeitsalltag als klar strukturiert und unproblematischer erscheint, schützt sie gewissermaßen vor den Fragen der Forscherin, die in ihren Fragen auf die von anderen Befragten angesprochenen kritischen Punkte rekurriert. Eine Lesart ist, dass sie der Forscherin unausgesprochen vermittelt, dass es letztlich keinen Sinn mache, retrospektiv über den Verlust eines Beschäftigungsverhältnisses zu lamentieren, da er nicht rückgängig zu machen ist und folglich nur ein optimistischer Blick in die Zukunft bleibt. Der psychologische Vertrag von Sandra E. Sandra E. wünscht sich ein Beschäftigungsverhältnis, das vor allem ihre materielle Existenz sichert. Findet sie darüber hinaus einen Weg, Anerkennung zu erfahren und ihre Tätigkeit als sinnvoll zu erleben, empfindet sie das als positiv. Sie begegnet der Forscherin, wie wahrscheinlich auch ihren Kollegen und Vorgesetzten, sehr freundlich, wahrt jedoch auch sehr bewusst ihre Grenzen, indem sie, nach kritischen Punkten befragt, auf positive Aspekte verweist und den Arbeitsalltag sowie die Arbeitsbeziehungen zu neuen und ehemaligen Kollegen als unproblematisch darstellt. So scheint sie sich gut vor (zu) hohen Anforderungen schützen zu können, mithin als Jemand, der sich nicht zur Selbstausbeutung verführen lässt, sondern freundlich, aber bestimmt, Anforderungen begegnet, die sie als unangemessen empfindet.
7.2.5 Christine I.: „…was du da für Chancen auf dem Arbeitsmarkt hast, kannst du vergessen“90 Christine I. wirkt im Gespräch verunsichert und zögert oft, bevor sie antwortet. Zunächst will sie wissen, welcher Art die Arbeit ist, in deren Rahmen die Interviews stattfinden. Anschließend erzählt sie offen und ausführlich von ihrer Kar90 Z. 203ff., der Name wurde geändert.
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riere in der Bank, der sie über dreißig Jahre angehörte. Als sie nach mehreren Jahren in einer anderen Stadt in ihre Heimatstadt zurückkehrt, muss sie feststellen, dass in dem Bereich, dem sie ehemals zugeordnet war, kein Arbeitsplatz mehr für sie frei ist, da alle operativen Stellen gestrichen wurden. Sie erhält das Angebot, in den IT-Bereich zu wechseln, der ihre Fachabteilung unterstützt. Da sie glaubt, keine andere Wahl zu haben, nimmt sie das Angebot an: „Was wollte ich also machen? Leben muss ich, also muss ich mich umorientieren und bin eben in diesen IT-lastigen Bereich gegangen“ (Z. 60ff.). Nach weiteren Umstrukturierungen befindet sie sich schließlich in der Gruppe, die im Rahmen eines Personaltransfers zur AS GmbH transferiert wird. Obwohl offiziell kommuniziert wird, dass sich die Beschäftigten auch gegen den Transfer ihres Beschäftigungsverhältnisses entscheiden können, wird ihr lediglich mitgeteilt, dass sie zu gehen habe. Man habe ihr diese Entscheidung als Sachzwang „verkauft“ (Z. 129), der darin bestehe, dass sie nicht über die notwendigen Qualifikationen verfüge, um Teil der Gruppe zu sein, die in der Bank verbleibt. Retrospektiv nimmt sie an, dass sich die Arbeitsbedingungen auch für ihre Kollegen verschlechtern werden, die in der Bank verblieben sind. Sie geht davon aus, dass sich die „Schlagzahl“ (Z. 789) erhöhe, was sie auf Globalisierungsprozesse zurück führt. Der Druck in der Bank würde demnach steigen, was ihre Attraktivität als Arbeitgeber im Vergleich zu früher schmälere: „da saß man ja ganz früher in 'nem ziemlich guten Nest drin“ (Z. 792f.). Insgesamt, so glaubt sie, nähern sich die Arbeitsbedingungen des ehemaligen und neuen Arbeitgebers an. Sie sei nicht mit „feindseligen“ Gefühlen (Z. 169) zum neuen Unternehmen gewechselt, sondern bemühe sich, ihm „grundsätzlich positiv“ zu begegnen, da es nun „halt so“ sei, dass sie nach über dreißig Jahren in der Bank für ein anderes Unternehmen arbeiten musste: Die Geschäftsleitung der AS GmbH, „die haben das auch sehr, sehr gut dargestellt, also die haben sich auch wirklich sehr viel Mühe gegeben, und das hat bei mir natürlich auch 'n bisschen das Bild geprägt, ist ja eigentlich gar nicht so schlimm. Und, und, ja, klar, man ging mit gemischten Gefühlen hin, mit Erwartungshaltungen, man weiß ja, was sich da so alles aufbaut, aber die Grundeinstellung war eigentlich doch positiv“ (Z. 174ff.). Den Übergang empfindet sie gewissermaßen als Entlastung, da der „Ballast“ (Z. 181) des ehemaligen Beschäftigungsverhältnisses wegfiel: „gut, jetzt hast du alles Alte hinter dir gelassen mehr oder weniger, und jetzt machst du einen Neuanfang, und sieh' das als Chance, so, anders wirst du verrückt“ (Z. 182f.). Zudem fürchtet sie, aufgrund ihres Alters keine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Das bewegt sie zu einem Wechsel zur AS GmbH, ohne jedoch den neuen Arbeitsplatz als sicher zu empfinden: „Und insofern mag es natürlich auch sein, dass so Befürchtungen eben auch hochkommen, zu sagen, okay, wie lang hält das jetzt und wie lang ist die Auftragslage und was passiert,
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wenn du rausfällst. Weil ihr wisst ja selber, wie die Chance ist, wenn du [Alter] bist, da sind ja zwei Jahre her, was du da für Chancen auf dem Arbeitsmarkt hast, kannst du vergessen“ (Z. 200ff.). Als vollkommen neue Situation beschreibt sie das Verhältnis zu den ehemaligen Kollegen, die nun den Kunden repräsentieren, für den sie als Dienstleisterin fungiert: „Du bist natürlich in 'ner vollkommen neuen Situation, du bist-, auf einmal bist du jetzt nicht mehr der Mitarbeiter des Unternehmens, das jetzt dein Kunde ist. So, und je nachdem was du-, in dem Vergleich, in dem Zusammenhang jetzt mal gesehen, ist es interessant, mit welchen Leuten du vorher zusammengearbeitet hast. Es gibt sicherlich welche, die sagen jetzt, du bist ja jetzt mein Anbieter, ich bin ja schließlich dein Kunde, ich bin dein Kunde. Und, ähm, da gab's halt den einen oder anderen Mitarbeiter, der halt da irgendwie das nicht so ganz begriffen hat, dass man trotzdem mittlerweile zusammenarbeitet. Ich hatte das Glück, mit den Leuten gut zusammenzuarbeiten, das heißt also, wir haben 'ne gute-, ein gutes Miteinander aufgebaut, also da kam nie irgendwelcher Ärger auf. Das war schon mal die Situation, ja, die geänderte Situation für jeden von uns halt entsprechend, dass ich ja jetzt nicht mehr der Kollege bin des Kunden, sondern dass ich jetzt plötzlich 'n Dienstleister bin, das war 'ne Umstellung“ (Z. 239ff.).
Das im Beratungsunternehmen übliche „Du“ empfindet sie als unüblich, hofft jedoch, dass es „das eine oder andere Herz“ öffnet (Z. 255f.). Man habe gleich am ersten Tag auf das „Du“ hingewiesen und angeboten, dass man es auch ablehnen könne. Sie betont jedoch, dass es ein Angebot war, das man nicht ablehnen konnte: „Natürlich macht das keiner in 'ner Gruppe (lacht).“ (Z. 261f.). Als Positiv wertet sie, dass ihre Vorgesetzten im neuen Unternehmen zugänglicher seien als in der Bank, da man dort zunächst einen Termin vereinbaren musste und nicht ohne Weiteres direkten Zugang fand: „Ähm, aus der letzten Abteilung hierher war's für mich natürlich wieder eine Umstellung, offene Türen auch an vorgesetzter Stelle zu finden. Also du kannst da jederzeit reinplatzen, merkst eben auch schon, wenn er keine Zeit hat, aber, ähm, es war irgendwie für mich persönlich jetzt in der letzten Abteilung, wo ich war, bedrückender“ (Z. 284ff.). Chargeability Als wesentliche Veränderung im neuen Beschäftigungsverhältnis benennt sie die Anforderung, sich verrechnen zu müssen: „Na, deine Zeit, die du am Tag zur Verfügung hast, die musst du ja irgendwie verwenden, für irgendwas musst du die ja aufgewendet haben. Und wenn du jetzt zwei Stunden in der Küche warst und hast Tee getrunken, da musst du ja irgendwie sagen, ja, hm, was hab' ich jetzt mit der Zeit gemacht. Ähm, eigentlich solltest du ja acht
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Ergebnisse der Untersuchung Stunden ausgelastet sein für irgendwas, und im Idealfall ist es, dass du dich auf 'n Projekt verbuchst, also auf 'nen Kunden oder wie auch immer. Oder du sagst, ich hab' Mittagspause gehabt oder-, das verrechnest du ja in der Zeit, oder ich hab' an dem Tag Urlaub oder ich hab', ähm, Überstunden genommen oder so was. Das heißt, du musst deine acht Stunden, sag' ich mal, des Tages musst du in der Zeiterfassung dokumentieren. Das gab's zwar in dem Bereich in der [Bank] auch irgendwo, ähm, die letzten Jahre, aber es ist natürlich hier-, ähm, ist es natürlich noch viel weitergehend, wenn du so willst, weil du bist ja Dienstleister, du musst ja irgendwas tun, sonst rentierst du dich ja nicht. Also da kommt so auch dieser-, dieser [Berater]Gedanke 'n bisschen durch, du musst ja für irgendwas da gewesen sein und musst diese Zeit für irgendwas verwendet haben.“ (Z. 343ff.).
Dass sie sich „rentieren“ soll, dem Unternehmen einen Nutzen bringen soll, nimmt sie als gegeben hin. Als Ursprung einer solchen Philosophie, die auf den Nutzen von Beschäftigten abhebt, macht sie den Mutterkonzern aus, der vom Beratungs-Bereich geprägt ist. Ihr selbst, so entsteht der Eindruck, leuchtet diese Philosophie nicht ein. Sie hat jedoch gelernt, sich damit zu arrangieren, da ihr bewusst ist, dass sie immer ausgelastet sein sollte. Nichts zu tun zu haben sollte „nicht so oft vorkommen“ (Z. 389f.). „Eigeninitiative“ sei gerne gesehen, „du musst dich also irgendwie selber auch dran halten, dass du was tust“ (Z. 464f.). Da die Aufgabe, die sie für die Bank erfüllt hat, nach Asien verlagert wurde, ist sie bereits mit der Situation konfrontiert gewesen, sich selbst um eine Aufgabe bemühen zu müssen, was ihr gelungen sei: „weil meine Tätigkeit ist dann-, die ist dann weggegangen im Sommer, im August, die ging nach [Asien], nach [Asien], wie alles, wie vieles (beide lachen), ja, dann hätt' ich jetzt ohne Arbeit da gestanden. Und da hatte ich eigentlich keine Lust dazu, und da bin ich halt einfach mal in diese Datenbank gegangen und hab' was gefunden, was mich interessiert hat, und es hat halt auch geklappt. Ähm, ein Problem ist halt bei mir persönlich jetzt, weil ich bin also im Moment auch überhaupt nicht mobil, das heißt, ich muss mich schon in dem Raum hier bewegen.“ (Z. 272ff.). An dieser Stelle im Gespräch deutet sie an, dass sie private Verpflichtungen hat, denen sie nachkommen muss. Sie will sie nicht benennen; da sie keine Kinder hat, liegt die Vermutung jedoch nahe, dass sie einen nahen Familienangehörigen pflegt. Leistung und Anerkennung Da ihre Aufgabe, die sie für die Bank erfüllt hat, nach Asien verlagert wurde, wird sie nun vermehrt in Projekte eingebunden, die sehr stark von Beratern dominiert würden. Der Vergleich zwischen ihrer Arbeitsweise und dem Vorgehen der Berater fällt ihr nicht leicht, sehr wahrscheinlich deshalb, da es kaum möglich ist, den Unterschied wertneutral zu benennen. Daher ringt sie um die richtige Beschreibung, die sie als Beschäftigte nicht gegenüber den Beratern entwertet.
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An diesem Zitat wird deutlich, dass sie mit der Anforderung konfrontiert wird, sich den Prämissen der Berater anzupassen, ohne genau zu wissen, wie sie dieser Anforderung begegnen soll: „die haben natürlich das Bestreben, von Null auf Hundert zu kommen, wenn die in ein neues Projekt kommen, von Null auf Hundert. Ähm, die gehen wesentlich-, aggressiv ist das falsche Wort, aktiver, nee, aktiv ist auch falsch, das würde heißen, wir sind inaktiv, ähm, die gehen zielgerichteter (lacht), noch zielgerichteter auf 'ne Aufgabe zu. Die sind-, die sitzen eben hier und wollen schon gleich, ähm, direkt in die Aufgabe einsteigen. Die haben Vorgaben, die haben ihre-, also die haben gewisse Vorgaben, die haben, ähm, bestimmte [Richtlinien], die sie haben und nach denen sie dann auch vorgehen, die haben also [Richtlinien] Vorgehensweisen, die sie dann auch machen. Ja, und es-, also ich hab' das in den letzten Projekten 'n bisschen gemerkt, dass der eine oder andere [Berater] eben auch glaubt, sie sei-, ja, es ist 'ne bessere Sache als [Geschäftsbereich Dienstleistungen] vielleicht. Das kann aber auch subjektiv sein.“ (Z. 532ff.).
„Von Null auf Hundert“ erscheint als der Begriff, mit dem die Vorgehensweise von Beratern zu beschreiben ist. Auf Nachfrage gibt sie an, selbst den Anspruch an sich zu haben, sich schnell mit neuen Aufgaben zurechtzufinden. Daher findet sie die Arroganz, mit der ihr manche Berater begegnen, unangebracht. Sie beschreibt Berater als „Zigeunertruppe“ (Z. 566), die mal hier und mal da auftauche, also hohen Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen genüge und demnach zur Arbeit anders als sie eingestellt sei. Berater würden sich als „Königstruppe“ fühlen (Z. 568) und ihr das Gefühl geben, nicht gleichwertig zu sein. Die Bezeichnung „Zigeunertruppe“ verweist jedoch darauf, dass sie Beratern mit Skepsis begegnet. Möglicherweise empfindet sie sie nicht nur als arrogant, sondern sieht in ihnen Blender, die sich zur Schau stellen, ohne jedoch tatsächlich so viel zu leisten, wie sie vorgeben. Andererseits möchte sie den Werthaltungen im neuen Unternehmen positiv begegnen und sie sich zumindest teilweise aneignen, möglicherweise um kognitive und emotionale Dissonanzen zu vermeiden. Sie betont, dass sie nicht alle über einen „Kamm scheren“ will (Z. 532), was bedeutet, dass ihr manche Berater auf gleicher Augenhöhe begegnen und sich nicht als etwas Besseres darstellen. Als Anerkennung empfindet sie den Umstand, dass sie sich in Projekte einbringen kann und demnach nicht nutzlos für ihren Arbeitgeber ist. Das gelinge nicht allen ihren Kollegen, deren Aufgaben, wie ihre, nach Asien verlagert wurden. Für diese Kollegen stelle sich die Frage, „wie lang du das aushältst für dich persönlich, oder ob du jemand bist, der überhaupt nirgends wo mehr einsetzbar ist. Dann wird sich natürlich die Unternehmensleitung Gedanken machen, was sie mit dir dann fürderhin tut, was sicherlich auch irgendwo natürlich ist, weil
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kein Unternehmen kann sich Leute leisten, die da sitzen und sich freuen, wenn sie irgendwann mal was bekommen vielleicht, also nichts zu tun haben“ (Z. 727ff.). Zugleich schmerzt es sie, dass sie möglicherweise in absehbarer Zeit Zeugin eines weiteren Personalabbaus werden könnte, zumal sie sich in die Situation der Kollegen hineinversetzen kann. Emotionsregulation und Bewältigungsverhalten Um nicht „verrückt“ zu werden, ist sie bestrebt, dem neuen Beschäftigungsverhältnis eine Chance zu geben und einen Neuanfang zu wagen. Schließlich, so sieht sie ein, ist an dem Umstand, dass sie nach dreißig Jahren Betriebszugehörigkeit ihren Arbeitsplatz verloren hat, nichts zu ändern. Sie versucht demnach, ihre Emotionen über einen kognitiven Zugang zu regulieren, gewissermaßen rational zu agieren, um nicht von Emotionen wie Trauer, Wut und Angst ihrer Handlungsfähigkeit beraubt zu werden. Zudem scheint sie in ihrem privaten Umfeld emotional gefordert zu sein, weshalb sie mit ihren Kräften ökonomisch umgehen muss, um sich selbst vor einer möglichen Überforderung zu schützen. Beziehungsraum im Interview Die Gesprächsatmosphäre ist als bedrückend zu beschreiben, was dem Umstand geschuldet sein mag, dass der Übergang für die Befragte ein kritisches Ereignis darstellt, das ihre Bewältigungsressourcen in Anspruch nimmt und folglich sowohl ein Leidensdruck besteht, der sich zum einen im Bedürfnis, den negativen Emotionen Raum zu geben, äußert und zum anderen in dem Bedürfnis, sich selbst vor eben diesen Emotionen zu schützen, um dem derzeitigen Beschäftigungsverhältnis positiv begegnen zu können. Sie begegnet der Forscherin zurückhaltend, wenn auch nicht unfreundlich. Sie zieht gegenüber der Forscherin klare Grenzen, indem sie beispielsweise keine Antwort auf die Frage nach ihren privaten Verpflichtungen gibt, die sie zeitlich und emotional stark einbinden. Vermutlich begegnet sie ihren Vorgesetzten in Fragen dieser Art auch eher restriktiv, insbesondere wenn es um Mehrarbeit geht, die ihr nur unter großem Organisationsaufwand möglich ist. Der psychologische Vertrag von Christine I. Christine I. versucht der Enttäuschung über den erzwungenen Arbeitgeberwechsel rational zu begegnen. Sie müsse schließlich leben, wie sie sagt, was für sie bedeutet, das Beste aus ihrer beruflichen Situation machen zu wollen. Derzeit geht sie davon aus, dass ihre Qualifikationen für den neuen Arbeitgeber von Nutzen sind. Zudem versucht sie, sich aktiv um mögliche Projekteinsätze zu bemühen, um nicht, wie Kollegen, ohne Aufgabe zu sein. Zum einen würde sie es nicht dauerhaft ohne Aufgabe aushalten, was auf ihr Bedürfnis verweist, ihre
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Tätigkeit als sinnvoll wahrzunehmen. Zum anderen fürchtet sie, dass ihr Arbeitsplatz gefährdet ist, sobald sie kein neues Projekt findet. Die Vermutung liegt nahe, dass der Personaltransfer eine emotionale Distanz zu ihrem Beschäftigungsverhältnis bewirkt hat, die ihr zuvor fremd gewesen ist. Ihr Versuch, das Beste daraus zu machen, ist jedoch durchaus ernst gemeint. Sie versucht, die im Unternehmen forcierte Leistungsorientierung positiv zu besetzen und Aufgaben zu finden, denen sie genügen kann. Auf diese Weise erhält sie sich nicht nur die Sicherung ihrer materiellen Existenz, sondern auch ein Gefühl von Zugehörigkeit und Anerkennung. 7.2.6 Herbert B.: „…ich bin an für sich ein Qualitäter“91 Herbert B. wirkt im Gespräch aufgebracht, sein Leidensdruck ist deutlich zu spüren, der zum einen aus der Kränkung resultiert, vom ehemaligen Arbeitgeber nicht mehr gewollt zu sein, und zum anderen auf die Arbeitsbedingungen im neuen Unternehmen zurückzuführen ist. Er will zwar keinesfalls „vier Stunden plauschen“ (Z. 1), da er, wie sich später herausstellt, mit der Anforderung konfrontiert ist, seine Zeit ökonomisch einzusetzen. Er zeigt sich dennoch als gesprächsbereit und bietet sich als auskunftsfreudigen Gesprächspartner an. Er ist über zehn Jahre für die Bank mit dem Schwerpunkt Organisation und Methoden tätig gewesen und hat dabei mehrere Bereiche durchlaufen. Zuletzt sei er der IT-Abteilung zugeordnet worden, die später das Outsourcing durchgeführt hat, um „auszuprobieren, wie [seine Funktion] in der Linie funktioniert“ (Z. 183). In seiner Wahrnehmung wurde er demnach diesem Bereich zugeordnet, um sein Wissen um Methoden und Organisation für die Linienorganisation nutzbar zu machen: „dass der Laden dann hinterher aufgelöst wird, das konnt‘ man nicht, das konnt‘ man vorher nicht wissen, ja“ (Z. 185f.). Er nimmt an, dass der Bereichsleiter die transferierten Beschäftigten weniger nach Kompetenzprofilen als vielmehr in Relation zu deren Loyalität ihm gegenüber ausgewählt hat. Nun werde er wie ein Berater auf verschiedenen Projekten eingesetzt (Z. 30). Obwohl er „an sich ein Qualitäter“ sei (Z. 41), werde er nicht mit qualitätsprüfenden Aufgaben betraut, sondern gewissermaßen fachfremd eingesetzt. Er sei von der Tätigkeit in der Bank „geprägt“ (Z. 367) und habe folglich Schwierigkeiten mit den Umgangsformen im neuen Unternehmen, die sich signifikant von den gewohnten Umgangsformen unterscheiden würden. Er wünscht sich, als „zumindestens mal gleich ebenbürtiger Partner“ (Z. 521) wahrgenommen zu werden und legt großen Wert auf einen respektvollen Umgang. Er bedauert, dass 91 Z. 41, Name wurde geändert.
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„jeder hier nur für sich selbst verantwortlich“ sei (Z. 822f.), und es somit an einer Gemeinwohlorientierung mangele. Zudem werde die Effizienz gegenüber der Qualität zu stark hervorgehoben, weshalb ihm manches Arbeitsergebnis als nicht ausgereift erscheint, da die nötige Zeit fehlt, um qualitativ hochwertige Ergebnisse zu erzielen: „… ich hab den Eindruck gewonnen, wenn man jetzt in einem Projekt arbeitet, dass es primär erstmal darum geht, ein Ergebnis zu erzeugen. Ob dieses Ergebnis gut oder schlecht ist, ist ein anderer Punkt, und wie ich zu dem Ergebnis komme und in welcher Zeit ich zu diesem Ergebnis komme, ist auch ein n andern Punkt, ähm, weil ich hab ja irgendwo n Kunde, der hat’ne Vorgabe gemacht der will zum Zeitpunkt X irgendetwas haben und ich hab den Eindruck hier gewonnen, dass erst mal nur da drum geht, dieses Ergebnis zu liefern. Ich sag jetzt mal ganz vorsichtig, egal wie. Egal wie und egal in welcher Qualität“ (Z. 955f.).
Der im Unternehmen etablierte Umgang mit der Zeit beeinträchtige jedoch nicht seine Freizeit, die er vor betrieblichem Zugriff zu schützen wisse. Beziehungsraum im Interview Herbert B. ist sehr bemüht, sich auf das Interview einzulassen und die gewünschte Auskunft zu geben. An manchen Stellen wirkt er defensiv und gibt an, dass die Zusammenarbeit im neuen Unternehmen noch nicht lange genug andauere, um verlässliche Aussagen zu treffen. Möglicherweise handelt es sich hierbei um Aspekte, die aus seiner Sicht insoweit heikel sind, als er fürchten könnte, dass seine Aussagen an die Geschäftsleitung der AS GmbH weitergegeben werden. Erst nach dem Abschalten des Mikrophons benennt er das Outsourcing als erschütterndes Erlebnis und gibt an, sehr große Angst gehabt zu haben und noch immer nicht glauben zu können, dass sich die Bank ihm gegenüber so verhalten habe. Er fürchtet, dass ihm ein weiterer Arbeitsplatzverlust bevorstehe: „wenn einem einmal so etwas passiert ist, dann passiert es wieder“. Zudem traue er dem „Laden“ nicht, allein schon deshalb nicht, da „die“ beim Outsourcing mitgemacht haben. Bei der Bank sei der „menschliche Faktor“ weg. Dass er im Nachgespräch so deutliche Worte findet, verweist auf seine Befürchtung, der Inhalt des Interviews könne gegen ihn verwendet werden. Der psychologische Vertrag von Herbert B. Herbert B. bezeichnet den Personaltransfer als erschütterndes Erlebnis, allerdings erst, nachdem das Mikrophon ausgeschaltet wurde. Daran wird deutlich, dass er stark verunsichert ist und um seinen Arbeitsplatz fürchtet, zugleich jedoch ein großes Bedürfnis hat, dieses Erlebnis zu thematisieren, Raum für seine Enttäuschung und Wut zu finden. Bisher sei alles korrekt verlaufen, das neue Unter-
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nehmen habe sich an alle Absprachen gehalten. Wie seine Situation jedoch in drei Jahren aussieht, vermag er nicht zu sagen. Er hofft, dass die sukzessiv entfallenden Aufträge der Bank durch andere Aufträge aufgefangen werden. Die Angst, seinen Arbeitsplatz endgültig zu verlieren und keinen adäquaten Arbeitsplatz zu finden, ist deutlich zu spüren. Dennoch ist er nicht bereit, sich den Erwartungsstrukturen im neuen Unternehmen zu beugen, die ihm sehr fremd sind. Er möchte sich einbringen, dabei jedoch nicht von der Art und Weise zu arbeiten, die er gewohnt ist, abweichen. Sein Wunsch, vom Gegenüber anerkannt zu werden, ist spürbar. Sich dafür verbiegen will er jedoch nicht. 7.2.7 Stefan G.: „ich bin ein statistisches Datum“92 Stefan G.93 ist im Unterschied zu Michaela D. seit seiner Ausbildung für die Bank tätig gewesen. Er beschreibt sich selbst als einer Generation zugehörig, die „40 Jahre bei Siemens“ (Z. 125) in Ordnung findet und folglich davon ausgeht, dass sie dem Unternehmen von Beginn der Ausbildung bis zur Rente angehört, es sei denn, dass etwas Gravierendes passiert. In seiner Wahrnehmung hat er in der Bank keine überragende Karriere gemacht, aber immer wieder Aufgaben erfüllt, die ihm Freude bereitet und ihn herausgefordert haben. Er fühlt sich mit der Bank, die seine berufliche Heimat darstellte, emotional sehr stark verbunden. Daher ist er völlig vor den Kopf gestoßen, als er erfährt, dass er Teil des Outsourcings werden soll. Zunächst will er es nicht wahrhaben, bis sich die Indizien für das Outsourcing so weit verdichten, dass es als sicher anzunehmen ist. Selbst in diesem Stadium lässt er sich von der Bestätigung seines Vorgesetzten, dass sein Bereich nicht von Outsourcing betroffen sein wird, beruhigen. Stefan G. ist im Gespräch offen und freundlich und erzählt bereitwillig. Möglicherweise hat das Interview auch eine entlastende Funktion für ihn. Selbstorganisation: „…man muss ja versuchen, sich selber verrechnen zu können…“94 Selbstorganisation, so zeigen alle Interviews, wird als ein Prinzip anerkannt, dass Eigenverantwortung erfordert. Insbesondere im Fall von Stefan G. wird es in Bezug auf die Frage, was konkret Inhalt von eigenverantwortlichem Handeln sein kann, jedoch diffus. Selbstorganisation steht in Verbindung mit einem Verständnis von Impulsen oder Initiative, Begriffe, die Stefan G. oft verwendet, obwohl er mit seiner Vorstellung von initiativem Verhalten bisher nur wenige 92 Z. 10 93 Der Name wurde geändert. 94 Z. 255
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Erfolge im neuen Unternehmen verzeichnen konnte, wie noch zu zeigen sein wird. Den Gegenstand von Eigenverantwortung bestimmt er folgendermaßen: „…man ist selber für sich verantwortlich in jeder Beziehung, ob das Leistung ist, ob das Ausbildung ist und so weiter, ja, man hat 'nen Chef, man hat-, also [Mentor], aber im Endeffekt muss man sich selber darum kümmern, weil wenn ich keine Impulse gebe und wenn ich-, und vor allen Dingen, wenn ich auch nicht die Leistung, die erforderliche Leistung bringe, ist es ganz schnell, dass Maßnahmen ergriffen werden, beziehungsweise wenn ich keine Impulse bringe, dass dann auch gewisse Ausbildung und so weiter nicht passieren“ (Z. 217).
Stefan G. glaubt, Impulse bringen zu müssen. Welcher Art und auf welches Ziel sie ausgerichtet sein sollen, erscheint in seiner Darstellung nahezu beliebig. Als eigeninitiativ wertgeschätzt zu werden, ist für ihn jedoch von großer Bedeutung. Er erhebt die Eigeninitiative zum Schlüsselkriterium, wenn er nach den Unterschieden zwischen Bank und Beratungsunternehmen befragt wird: „Bei der [Bank] ist eher der Fokus, mach' deinen Job und mach' ihn möglichst gut, bei [Beratungsunternehmen] ist der Fokus eher, überleg' doch mal, was du für den Kunden noch tun kannst. Kreativität, Innovation, 'n bisschen über den eigenen Schatten springen, das sind so Sachen, die bei [Beratungsunternehmen] regelrecht gefordert sind und die bei der [Bank] spätestens nach dem dritten Versuch irgendwo in der Frustration (lacht) versanden. Außer man-, es ist sein Job, jetzt zu sagen, okay, Sie sind jetzt dafür da, die Abteilung umzubauen, dann darf man so was wieder machen, aber ansonsten als normaler [Vorgesetzter eines kleinen Teams], wenn man sagt, können wir die ganze Sache-, hat mal jemand daran gedacht, die ganze Sache radikal anders anzugehen, ach, Herr [G.], damit kommt man doch nie durch (lacht), und damit ist der Fall dann erledigt, während es bei [Beratungsunternehmen] mehr oder weniger erfragt ist, so zu denken.“ (Z. 529).
Während im Beratungsunternehmen Kreativität und Innovation nicht gebremst sondern gefördert werden und es positiv konnotiert ist, „'n bisschen über den eigenen Schatten [zu] springen“, seien seine Versuche in der Bank, eigeninitiativ zu agieren, „in der Frustration versande[t]“. Diese starke Polarisierung der beiden Unternehmen verweist möglicherweise auf sein Bedürfnis, emotionale Nähe zum neuen Arbeitgeber herzustellen. Denn, dass Initiative in jedem Fall gefördert wird, so weiß er inzwischen aus eigener Erfahrung, stimmt so nicht. So sind seine Versuche, mitzudenken, bisher auf wenig positive Resonanz gestoßen. Im Gegenteil: Ihm ist trotz seiner Bemühungen von der Geschäftsleitung signalisiert worden, dass er nicht gut zum Unternehmen passe und eigentlich ein zu hohes Gehalt beziehe, das sich durch seine Leistung nicht rechtfertigen lasse. Es steht zu vermuten, dass nicht Initiative per se im neuen Unternehmen als wertvoll
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erachtet wird, sondern jene, die zu einem sichtbaren Erfolg in Form von Kundenaufträgen führt. An seinem Fall wird auch deutlich, dass aus der Anforderung immer chargeable zu sein, sich nicht der Umkehrschluss herleiten lässt, der Arbeitsplatz sei nicht gefährdet, solange Beschäftigte in Projektarbeit eingebunden und somit chargeable sind. Wie Stefan G. erfahren muss, gilt diese Regel nicht: „…ich war der Meinung, solange wie ich im Projekt bin und ich konnte mich voll verrechnen-“ (Z. 359), denn er wird, wie bereits erwähnt, zu einem Gespräch gebeten, in dem sein Status als Beschäftigter, wenn letztlich auch ohne Konsequenzen, in Frage gestellt wird. Leistung und Anerkennung: „…was leisten, um die Anerkennung zu kriegen, und das ist dann 'ne echte Anerkennung“95 Stefan G. unterscheidet zwischen „echter“ Anerkennung und „unechter“ Anerkennung. So müsse man im neuen Unternehmen zwar Initiative zeigen und „was leisten“, um Anerkennung zu erhalten, die sei dann aber echt. Beispielsweise wenn es gelinge, Aufträge beim Kunden zu generieren. Als „unecht“ bezeichnet er die im Senioritätsprinzip verankerte Würdigung von Loyalität und Engagement. Diese könne man „ersitz[en]“, was bedeutet, dass dafür keine Leistung im eigentlichen Sinn notwendig ist: „Ich meine, es geht nicht-, [Bank] hat man oft, dass Leute-, der ist jetzt schon zwanzig Jahre dabei, na mein Gott, der muss doch Direktor jetzt werden, das ist so wie im öffentlichen Dienst halt, man muss halt älter werden, um dann die Beförderung zu kriegen. Das hab' ich bei [Beratungsunternehmen] noch gar nicht festgestellt, im Gegenteil, es muss wirklich-, man muss sich was-, man was leisten, um die Anerkennung zu kriegen, und das ist dann 'ne echte Anerkennung, das ist nicht irgend 'n Rang, den man-, den man dann sich ersitzt, sondern wirklich aus Eigeninitiative, aus-, indem man dem Kunden einfach noch mal aufzeigt in seinem Bereich, Mensch, hier können wir was besser machen und vielleicht Geschäft dadurch generiert, idealerweise, da-, ähm, ich glaube, das ist der Weg bei [Beratungsunternehmen], das sehe ich unter Initiative dann auch“ (Z. 554).
Möglicherweise ist das die Argumentation, die eindringlich im neuen Unternehmen unterbreitet wird. Denn seine Äußerung wirkt ein wenig so, als sage er das zwar aus Überzeugung, aber eher aus einer Überzeugung heraus, dass man das so zu denken habe, will man im neuen Unternehmen dazu gehören. Letztlich scheint er vom Inhalt der Argumentation weniger überzeugt, mehr noch: Es entsteht der Eindruck, als sei ihm der Inhalt der Argumentation fremd und bleibe 95 Z. 558f.
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äußerlich, während er die Bedeutung, so zu argumentieren möglicherweise verinnerlicht hat. Mobilität Mobilität ist für Stefan G. ambivalent besetzt. Einerseits war er bereits im europäischen Ausland tätig und findet einige Städte außerhalb von Deutschland attraktiv. Andererseits ist für ihn sein Privatleben von großer Bedeutung: „…weil auf der einen Seite, ich mag ja so was, […] ich würd' gerne mal nach Rom oder so oder Moskau würde mich auch mal reizen, aber, ähm, auf der andern Seite vom rein-, die Herausforderung und auch diesen kulturellen Kontakt, den würde ich gerne-, den würde ich gern bunt gemischt haben. Auf der andern Seite, ich bin, wie gesagt, glücklich verheiratet […] a) meine Frau dann wenigstens die Woche über nicht zu sehen und b) ich hätte schon gerne-, also idealerweise hätte ich doch gerne 'nen Weg vor mir, den man so beschreitet. Und dieses Projekt-Hopping, das ist ganz witzig, aber ich bin jetzt über [Alter] und vielleicht bin ich dazu schon 'n bisschen zu alt, ich weiß es nicht, oder vielleicht bin ich auch bloß zu verknöchert, ich hab' keine Ahnung, aber ich hätte doch gerne jetzt für meine letzten zwanzig Arbeitsjahre oder so wenigstens mal gerne 'ne Idee und 'n Weg vor mir liegen, wie's sein könnte, dass es nicht so wird, ist völlig klar, aber-. […]. Auf der andern Seite, wenn ich mir jetzt vorstelle, zwanzig Jahre lang nach [Sitz des Beratungsunternehmens] an ein und denselben Schreibtisch zu gehen und ein und denselben PC anzumachen, das wär' mir auch nichts (lacht).“ (Z. 1224).
Neben der Auswirkung auf das Privatleben hat er dahingehend Zweifel, ob er nicht einfach „schon 'n bisschen zu alt“ oder „zu verknöchert“ ist, um von einem Projekt zum nächsten zu „hoppen“, was jeweils eine große Umstellung für ihn bedeuten würde. Zudem wünscht er sich eine klare Zukunftsperspektive, was er mit den Worten „hätte ich doch gerne 'nen Weg vor mir“ beschreibt, um hinzuzufügen, dass er wohl ohne Zukunftsperspektive zurecht kommen muss. Wenn dieser Weg durch berufliche Abwechslung gekennzeichnet wäre, würde er das positiv werten. Schließlich ist er auch schon vor dem Outsourcing gerne in unterschiedlichen Positionen an unterschiedlichen Orten tätig gewesen. Implizit deutet sich die Angst vor zu hohen Mobilitätsanforderungen an, zu denen es anscheinend nur die Alternative von eintöniger und ortsgebundener Arbeit gibt. Die Bestimmung eines angenehmen Niveaus an Mobilität und Aktivität scheint er sich zu wünschen, jedoch nicht realisieren zu können. Es entsteht der Eindruck, als hätte er die Wahl zwischen einem zu hohen und einem zu niedrigen Reizniveau, als könne er zwischen Über- und Unterforderung wählen, ohne jedoch eine klare Zukunftsperspektive entwickeln zu können. Mehr noch: er muss, um seinen Arbeitsplatz zu sichern, auf ein (überforderndes) Projekt hoffen, da andernfalls
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langfristig weniger mit Unterforderung als vielmehr mit einem Arbeitsplatzverlust zu rechnen ist. So steht sein Bedürfnis, aus privaten Gründen in der Nähe seines Wohnorts arbeiten zu wollen, im Widerspruch zu seinem (existenziellen) Bedürfnis auf (arbeitsplatzsichernden) Projekten eingesetzt zu werden. So stellt sich die Frage, wie groß der Einsatz ist, den er für das Gefühl der Arbeitsplatzsicherheit bereit ist, zu akzeptieren: Einschränkungen im privaten Bereich durch Mobilitätsanforderungen? Die Ausübung von Tätigkeiten, die seiner Qualifikation nicht angemessen erscheinen? Möglicherweise ist sein Bedürfnis, eine neue berufliche Heimat zu finden, derart stark ausgeprägt, dass er für das neue Unternehmen unbedingt „von Wert“ sein will, was er mit „chargeable“ gleichsetzt. So begründet er seinen letzten Projekteinsatz im europäischen Ausland mit „ich wollte mich ja auch verrechnen können“ und empfindet den Umstand, im Moment keiner konkreten, „verrechenbaren“ Tätigkeit nachgehen zu können, als äußerst unangenehm. So mag es ihm nicht recht gelingen, Arbeit und Leben in eine erträgliche Balance zu bringen, da die arbeitsplatzsichernde Projektarbeit mit Belastungen im privaten Bereich einhergeht, sich nicht verrechnen zu können, jedoch als unerträglich erscheint: „ich wollte mich ja auch verrechnen können, und das hab' ich-, also so-, wie soll ich sagen, ich bin im Moment auch in der Phase, ich tingele mal hier 'n bisschen rum, mach' da mal 'n bisschen Ausbildung, aber dass ich jetzt sagen kann, ich kann mich jetzt zu hundert Prozent verrechnen, ist, um Gottes willen, weit weg davon. Und in dem Moment, wo mir jetzt ein Projekt angeboten wird und sei's in [Stadt in Europa], nehm' ich's, auch wenn wir jetzt gesagt haben, also diese Monate, so schön [andere Stadt in Europa] war, aber es war natürlich ganz schön belastend“ (Z. 891).
„Ganz schön belastend“ ist folglich sowohl die Projektarbeit in einer Stadt außerhalb Deutschlands als auch der berufliche Schwebezustand, in dem er sich momentan befindet, da er nur ein bisschen „rumtingelt“ und sich nicht über Projektarbeit beweisen kann. Letztlich möchte er jedoch lieber reisen müssen, als sich nicht zugehörig zu fühlen, wofür es notwendig ist, auf Projekten eingesetzt zu sein. Aktivität: „du musst was bringen, um dazu zu gehören“ (Z. 358) Stefan G. weiß um die Anforderung, sich aktiv einzubringen. Er findet das „logisch“, das sei „eigentlich überall“ so. Aus diesem Grund entwickelt er gemeinsam mit einer Kollegin Ideen, die er in einer Präsentation aufbereitet. Seine Kollegin hat dem Geschäftsleiter „das Ding“ (Z. 365) präsentiert, was gut angekommen sei. Doch das erhoffte Lob bleibt aus. Er wird zwar zum Gespräch mit dem Geschäftsleiter gebeten, der Inhalt des Gesprächs ist jedoch ein anderer:
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Ergebnisse der Untersuchung „Und ich hatte wirklich gedacht, als er mich zum Gespräch holte, dass er jetzt sagt, du, ich hab' mir das überlegt, helf' mir da mal bei der Umsetzung, das war eigentlich meine Erwartung (lacht), ähm, und das war dann eher doch im Gegenteil, ähm, so nach dem Motto, du passt hier nicht so richtig rein. Und also er hat mir auch gleich gesagt, er hätte es bei [Beratungsunternehmen] Mutter versucht, und ich sei auch zu teuer (lacht), um mich da intern weiter zu verkaufen.“ (Z. 365f.).
Das Zitat verdeutlicht, dass er zwar um die Bedeutung von Aktivität weiß, sie inhaltlich aber nicht so fassen kann, dass die Umsetzung zum Erfolg führen würde. So stärkt nur eine bestimmte Form von Aktivität die Position im Unternehmen, die ihm jedoch fremd ist. Möglicherweise steht er zu diesem Zeitpunkt längst auf einer Abschussliste, weshalb seine Bemühungen letztlich keinen Unterschied machen. Denn sobald das Management Beschäftigte als weniger leistungsfähig oder flexibel einschätzt, als sie es erwarten würden, werden weitere Schritte anscheinend sehr schnell eingeleitet. Auffällig ist hier der Verweis auf die [Beratungsunternehmen]Mutter. Schließlich ist die Erwartungshaltung gegenüber Müttern gemeinhin von der Hoffnung geprägt, als Person Anerkennung zu finden, unabhängig von der erbrachten Leistung. Möglicherweise fühlt er sich stiefmütterlich behandelt, da seine Bemühungen, sich einzubringen, nicht gewürdigt werden. Mehr noch: wenn selbst die [Beratungsunternehmen]Mutter seinen Status als Beschäftigter in Frage stellt, besteht wohl wenig Hoffnung, sich von einem Kostenfaktor zu einem gewürdigten (Arbeits-) Subjekt zu wandeln. Sein Lachen verstärkt den Eindruck, dass er diese Szene als entwertend empfunden haben mag. Trotz dieser negativen Erfahrung neigt er zu einer Idealisierung des Leistungsprinzips, wie die folgende Äußerung verdeutlicht: „und bei [Bank] stelle ich fest, dass es da jede Menge U-Boote gibt, Leute, die seit Jahren innerlich gekündigt haben, ihren Job abfackeln, erledigen, mit dem-, wie soll ich sagen, mit dem Einsatz, mit dem man gerade so wegkommt, glaub' ich, ist 'ne gute Formulierung. Und das reicht bei [Beratungsunternehmen] auf gar keinen Fall. Das halte ich nicht für negativ (lacht)“ (Z. 577ff.). Die entwertende Erfahrung, möglicherweise auch im neuen Unternehmen kein langfristiges Zuhause zu finden, und die Leistungsorientierung stehen gewissermaßen unverbunden nebeneinander. Denn es steht zu vermuten, dass die Entwertung, die er durch seine Vorgesetzten im neuen Unternehmen erlebt hat, sein Selbstwertgefühl beeinträchtigt. Es entsteht der Eindruck, als hoffe er, dass eine Idealisierung des Leistungsprinzips mit einer Aneignung des Leistungsprinzips verbunden ist. Nun bieten sich mehrere Interpretationen an: Insgeheim fürchtet er, selbst ein solches „U-Boot“ zu sein oder zumindest als solches wahrgenommen zu werden. Dann ist es von großer Bedeutung, eine emotionale Distanz zu anderen Personen aufzubauen, auf die eine solche Bezeichnung zutreffen
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könnte, mithin sich von ihnen abzugrenzen, um sich selbst als leistungsfähig wahrzunehmen. Möglicherweise avancieren die Manager, die für das Beratungsunternehmen tätig sind, in seiner Wahrnehmung zu Vorbildern, denen es, will er dazugehören, unhinterfragt nachzueifern gilt. Dass Begriffe wie Initiative, Impulse, Chargeability zunächst inhaltsleer sind, sofern sie keinen Sachbezug haben, übersieht er möglicherweise in seinem aktiven Bemühen die gewünschte Aktivität zu entfalten. Eine andere Lesart wäre, dass er das im Beratungsunternehmen übliche „impression management“ mehr oder minder bewusst übernommen hat und nun phasenweise gegenüber der Forscherin praktiziert, was als Strategie jedoch brüchig wirkt. Möglicherweise hat er sich auch nur das Vokabular, nicht jedoch die innere Haltung, die mit ihm gemeinhin assoziiert wird, angeeignet. Das würde die These, dass er zwar die Dringlichkeit von Chargeability, Initiative und Leistung verinnerlicht hat, ohne jedoch ihre eigentliche Bedeutung durchdrungen zu haben, stützen. Letztlich steht zu vermuten, dass er die an ihn herangetragenen Anforderungen nicht mit dem negativen Feedback, das er erhalten hat, verknüpft. So schützt er sein Selbstwertgefühl mit der Hoffnung auf einen neuen Vorgesetzten, der seine Qualitäten zu schätzen weiß. (Emotionale) Bedeutung des Personaltransfers im Rahmen von Outsourcing Der Bitte der Forscherin, etwas zum Übergang zu erzählen, begegnet Stefan G. mit einer sehr emotionalen Zusammenfassung der Geschehnisse, wobei er auf die Enttäuschung abhebt, gewissermaßen um einen sicheren Arbeitsplatz bei einem attraktiven Arbeitgeber betrogen worden zu sein: „Also Gerüchte gab's schon länger, ähm, da passiert was, es wird was ausgegründet. Dann kam irgendwann mal eine E-Mail von meinem Chef, die sagte, macht euch keine Sorgen, es ist, ähm-, wir sind persönlich nicht-, unser Bereich ist persönlich nicht von dem Übergang in irgendeiner Form betroffen. Das war dann drei Wochen, bevor es bekannt gegeben wurde, dass wir übergehen. Emotional erst mal Schock, ähm, da ist immer dieses Gefühl des nicht gewollt seins bei solchen Übergängen. Ähm, die, die Sache ist auch relativ schlecht gemanagt worden von der [Bank], weil die Leute, die-. Also der [Vorgesetzte in der Bank], der die Sache da mehr oder weniger getrieben hat oder zumindest nach außen hin verteidigt hat, hatte auch nicht alle Argumente zusammen, und es ist einfach von der Personalführung her nicht geschickt gemacht gewesen, dass man die Leute erst mal einkauft in die Sache, um was es eigentlich geht. Weil wir haben uns doch-, also zumindest ich hab' mich, ähm, mehr so wie so 'n Lämmchen gefunden, was dann so nach und nach zur Schlachtbank gezerrt wurde. Das Gute war, was mich damals aufgebaut hat in den Gesprächen, dann kamen dann endlich mal [Beratungsunternehmen] oder beziehungsweise die Leute, die das dann machen wollten, das war der [Name Manager] und die [Name Manager]. Die [Name Manager], die kannte ich aus [Stadt in Europa], mehr vom Vorbeigehen, aber wir kannten uns gegenseitig unsere Gesichter und
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Ergebnisse der Untersuchung haben so mehr Vieraugengespräche geführt. Und damit hat die Sache für mich dann doch 'n persönliches Gesicht gekriegt, ja, das war jetzt nicht mehr diese anonyme graue Masse [Beratungsunternehmen], die uns da schlucken will oder-, und [Name Manager] hat-, wir haben sehr gute Gespräche geführt und dadurch bin ich dann doch williger rübergegangen, als ich-, als es am Anfang-, wie soll ich sagen, als ich am Anfang das Gefühl hatte.“ (Z. 64-84)
Stefan G. beginnt mit dem Hinweis auf Gerüchte, die es schon längere Zeit vor dem Outsourcing gegeben habe. Mit den Worten „Da passiert was, es wird was ausgegründet“, benennt er zum einen den Inhalt der Gerüchte, zum anderen bringt er seine Unsicherheit zum Ausdruck, die diese Gerüchte erzeugen. Da es Gerüchte und keine Fakten sind, kann er sich nicht darauf einstellen, ihnen keine Bedeutung zuzuweisen. Seine Hoffnung ist, dass sich die Gerüchte als falsch und seine Bedenken als unberechtigt herausstellen. Folglich nimmt er das beruhigende Statement des Vorgesetzten „macht euch keine Sorgen“ wörtlich und vertraut darauf, dass er nicht von einem möglichen Outsourcing-Prozess betroffen sein würde. Aus diesem Grund ist er trotz aller Indizien, die darauf hinweisen, dass er Teil des Outsourcings werden könnte, „schockiert“ als ihm keine andere Wahl bleibt, als diesen Umstand anzuerkennen. Er will nicht wahrhaben, dass er tatsächlich seinen Arbeitsplatz in der Bank verlieren könnte. Vor allem das „Gefühl des nicht gewollt seins“ belastet ihn, womit er die emotionale Bedeutung seines Beschäftigungsverhältnisses zum Ausdruck bringt, die es in die Nähe einer persönlichen Beziehung rücken lässt. Emotionale Distanz generiert er im Anschluss über die Äußerung, „die, die Sache ist auch relativ schlecht gemanagt worden“. So hätte er sich gewünscht, dass die Argumente, mit denen dieser Einschnitt begründet wird, fundiert und nachvollziehbar sind. Als sei der Bruch einer Arbeitsbeziehung leichter zu verkraften, wenn er als Opfer für eine gute und wichtige Sache gedeutet werden könnte. Andernfalls erscheint sein Opfer als sinnlos und es ist nicht zu rechtfertigen, dass er sich „ähm, mehr so wie so 'n Lämmchen gefunden [hat], was dann so nach und nach zur Schlachtbank gezerrt wurde“. Die Bedrohung seines Arbeitsplatzes erscheint in dieser Darstellung als Bedrohung seiner leiblichen Existenz, obwohl seine materielle Sicherheit zunächst nicht in Frage steht, da sein Beschäftigungsverhältnis nicht gekündigt, sondern zu einem anderen Arbeitgeber transferiert wird. Zudem ist es für ihn von großer Bedeutung, wie sein soziales Umfeld seinen Arbeitsplatz bewertet. Er unterscheidet die soziale Resonanz eines Arbeitsplatzes bei der Bank und bei dem Beratungsunternehmen mit den Worten: „…wenn man so im Gespräch gesagt hat, wo arbeitest du, bei der [Bank], oh, oh!“ während die Reaktion auf das Beratungsunternehmen eher folgendermaßen aussehe: „…bei [Beratungsunternehmen], was ist denn das“ (Z. 1282ff.). Während er mit seinem
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ehemaligen Beschäftigungsverhältnis positive Resonanz erhalten hat, wirkt der Wechsel auch unter sozialen Aspekten wie ein Abstieg. Die Entwertung seiner bisherigen Arbeitsbeziehung, mit der eine Entwertung seiner Person verknüpft scheint, wird durch Gespräche mit Leitungskräften des Beratungsunternehmens gemildert. Die Vieraugengespräche mit einer Managerin des Beratungsunternehmens, die er aus seiner Zeit im Ausland kennt, geben ihm das Gefühl, als Person wertgeschätzt zu werden. So hat nicht nur „die Sache für mich dann doch 'n persönliches Gesicht gekriegt“, sondern auch er scheint als ganze Person, nicht nur als Fall wahrgenommen zu werden. Das mildert seine Angst, von einer „anonyme[n] graue[n] Masse“ geschluckt zu werden. Folglich ist er „dann doch williger rübergegangen, als ich-, als es am Anfang-, wie soll ich sagen, als ich am Anfang das Gefühl hatte“. Der drohende Verlust seines Arbeitsplatzes ist mit einem emotionalen Verlust an Zugehörigkeit verbunden, er fühlt sich zu einem Fall degradiert. Schließlich hätte er aus eigener Initiative sein Beschäftigungsverhältnis keinesfalls beendet und nicht angenommen, dass er nicht (mehr) gut genug für den Arbeitgeber sei, den er schätzt, wie an einem anderen Zitat deutlich wird: „Das ist was, also ich hätte damals nicht gedacht, dass ich den Arbeitgeber noch mal wechsele, als ich da angefangen habe. Ich gehör' noch zu der Generation oder zum Mind Set, die sagt, vierzig Jahre bei Siemens ist in Ordnung. Und, ähm, ich weiß, dass es nicht mehr zeitgemäß ist (lacht). Aber dann, wenn sich der Arbeitgeber entscheidet, sich von einem zu trennen, das ist also innerlich fast wie 'ne Kündigung, wenn man-, also für mich zumindest gewesen. Ich sollte halt-, ich war nicht mehr gut genug für den Arbeitgeber, für den Arbeitgeber. Und vielleicht war's nicht ganz so schlimm wie Kündigung, aber zumindest wurde ich-, hatte ich mich am Anfang abgeschoben gefühlt, also muss ich sagen“ (Z. 122ff.).
Erst das (zufällige) Wiedersehen mit einer Managerin des Beratungsunternehmens gibt ihm seine Würde als (Arbeits-) Person zurück. In diesem Gefühl als ganze Person gewürdigt zu werden, fühlt er sich durch die (technischen) Rahmenbedingungen des neuen Arbeitskontextes bestätigt. So erlebt er das Management des Beratungsunternehmens als freundlich und bemüht, ihm einen sanften Einstieg in das Unternehmen zu ermöglichen. Die ersten Begegnungen mit Repräsentanten des Beratungsunternehmens beschreibt er folgendermaßen: „Ähm, [Beratungsunternehmen] hat sich uns vorgestellt, ungefragt, große Veranstaltung gemacht. Ähm, immer versucht-, ähm, es sind so Kleinigkeiten wie man kriegt 'ne Handmappe in die Hand, da steht der Name drauf, da ist, weiß ich nicht, so 'n Ledermäppchen oder so was drin, so, ähm, wie soll ich sagen, nichts großartiges, aber man hat uns vorher gezeigt, wir legen Wert auf euch.“ (Z. 169ff.). Die Vermutung liegt nahe, dass er in seinem Bestre-
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ben, als Person wahrgenommen zu werden, seine Rahmenbedingungen entsprechend deutet. So glaubt er in seiner Nutzerkennung des IT-Systems ein Stück Menschlichkeit zu erkennen: „ich hab' bei [Beratungsunternehmen] kein [Nutzerkennung]-Kürzel, ich logge mich mit meinem Namen ein, das ist weltweit mein[e] [Nutzerkennung]-, und das ist 'ne Sache, die lässt meiner Meinung nach, also lässt für mich tief blicken oder blicken auf die Art und Weise, wie man da als Person behandelt wird“ (Z. 201ff.). Die Möglichkeit, dass die Form der Nutzerkennung lediglich technischen Rahmenbedingungen geschuldet ist, blendet er aus. Zu groß ist sein Bedürfnis, Hinweise auszumachen, die belegen, dass er eine neue berufliche Heimat gefunden hat, in der er als Person gewürdigt wird. Emotionsregulation und Bewältigungsverhalten Sein Bedürfnis nach einem beruflichen Zuhause ist ähnlich wie bei Michaela D. sehr stark ausgeprägt. Es erscheint im Vergleich zu ihr jedoch als voraussetzungsvoller: Während sich ihre Bewältigungsanstrengungen darauf richten, sich die Prämissen des neuen Arbeitgebers anzueignen, um sich entsprechend seiner Erwartungen verhalten und folglich anerkannt zu werden, erhebt er mehr oder minder bewusst den Anspruch auf Würdigung seiner Loyalität und seiner Bereitschaft, sich für das Unternehmen zu engagieren, und rekurriert folglich auf einen psychologischen Vertrag fordistisch-tayloristischer Prägung (vgl. Abschnitt 2.3.2). Er bietet demnach, überspitzt formuliert, keine vorauseilende Zurichtung des eigenen Arbeitsvermögens an, was im Fall von Michaela D. vermutet werden kann. Stattdessen richten sich seine Anstrengungen eher auf die Gestaltung der Beziehung zu Vorgesetzten, von denen er sich das Angebot einer neuen emotionalen Heimat erhofft sowie auf die Suche nach Hinweisen, die seiner Hoffnung, als Person gewürdigt zu werden, Nahrung geben. Er spürt den Erfolgsdruck, der von der Anforderung, stets auf Projekten eingesetzt zu sein, ausgeht. Dieser Druck scheint ihn jedoch weniger zu aktivieren, sondern entfaltet vielmehr eine lähmende Wirkung. Als emotionaler Anker erscheint die Hoffnung, dass gleich „das Telefon klingelt“ (Z. 1208). Er hofft auf einen „rettenden“ Anruf eines Projektmanagers, der ihn für eine passende Aufgabe sucht, obwohl er weiß, dass die Erwartungshaltung seitens des Managements besteht, sich proaktiv um einen Projekteinsatz zu bemühen. Die Hoffnung, dass einer der Vorgesetzten im neuen Unternehmen seine Qualitäten zu schätzen weiß, dem er nur noch begegnen muss, scheint sein Selbstwertgefühl zu stabilisieren. Möglicherweise hat er innerlich gekündigt und überlässt folglich jede Initiative seinem Arbeitgeber.
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Belastende Erlebnisse scheint er über den Austausch mit anderen, so auch mit der Forscherin, zu bewältigen. Es ist denkbar, dass sie ihre belastende Wirkung verlieren, sobald sie (mehrmals) ausgesprochen werden. Seine Bewältigungsstrategien richten sich darauf, kein Fall zu sein. So schlägt er zu Beginn des Interviews vor, er sei ein „statistisches Datum“ (Z. 10), möglicherweise weil er fürchtet, dass es so sein könnte, und zugleich hofft, die Forscherin widerlege umgehend seinen Verdacht. Eine andere Lesart ist, dass er hofft, dass die Akzeptanz von fremdbestimmten Rahmenbedingungen, was im Fall eines Interviews die Akzeptanz, zu Material zu werden, bedeuten könnte sowie die bereitwillige Erbringung der gewünschten Leistung, nämlich Informationen zu bieten, zu Anerkennung führt. Tatsächlich, so zeigt sich, geht seine Strategie im Interview dahingehend auf, als er und die Forscherin eine Ebene finden, auf der sie gemeinsam über Fehlleistungen lachen können (er bezeichnet sich als ledig, obwohl er verheiratet ist), Unaussprechliches mit einem Lachen weggeschoben werden kann und er Empathie für sein Erleben erfährt. Beziehungsraum im Interview Z. 8-61 I1: Also ganz kurz nur zum Interview, das ist klar, was du sagst, wird vertraulich behandelt, das wird anonymisiert undA: (unterbricht) Ich bin ein statistisches Datum (lacht). I1: Ein statistisches Datum? A: Ja. I1: Genau, insofern kann man das sagen. (??) immer noch mit vorgeben, weil, nicht dass du irgendwie Befürchtungen hast, dass das, was du sagst, dir Schwierigkeiten macht. A: Ich hab' noch eins, der-, ich hab' gefragt, ob ich teilnehmen darf, unsere Geschäftsleitung, und der [Name Manager] hat gesagt, ja, herzlich gerne, ist es möglich 'ne Kopie von der Dissertation zu kriegen, wenn sie fertig ist. Da hab' ich gesagt, ich frage, hab' ich hiermit getan. I1: Wir sind mit [Geschäftsleitung] und mit dem hatte ich da längst schon drüber gesprochen, genau. Aber, wie gesagt, meine Dissertation ist was ganz Komprimiertes und hat letzten Endes nicht mehr viel mit dem zu tun, was du mal gesagt hast. A: Ich dachte es mir, aber- (lacht). I1: Ich find's immer wichtig, das noch mit zu sagen. Okay. Also erst 'n paar allgemeine Dinge, Alter, Familienstand? A: [Alter] noch, ledig, Entschuldigung, verheiratet (Lachen), peinlich, lass' das nicht meine Frau hören. I2: Noch nicht lange? A: Bitte? I2: Noch nicht lange?
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Ergebnisse der Untersuchung A: Doch, seit [mehreren Jahren], aber irgendwie-, nee, gut. Also verheiratet, glücklich verheiratet (lacht). Und, ähm, ja, seit [Mitte der 1980er Jahre] bei der [Bank] und seit [Mitte der 1990er Jahre] jetzt bei [Beratungsunternehmen]. I1: Seit [Mitte der 1990er Jahre] schon? A: Ja, ja, seit dem Übergang [Anfang des neuen Jahrtausends], was ist denn heute los mit mir, Entschuldigung, [Anfang des neuen Jahrtausends]. I1: Fängst du noch mal von vorne an und gibt's mir so 'n bisschen 'nen Überblick über deinen Werdegang. A: [Mitte der 1980er Jahre] habe ich bei der [Bank in Stadt X] angefangen, Ausbildung zum Bankkaufmann […] Und dann kam irgendwann das Angebot aus der Personalabteilung, ob ich nicht ein virtuelles Team leiten wollte, was über mehrere Städte verteilt, immer so zwei Leute, an einer Aufgabe sitzt. Und das hatte mich dann gereizt und deswegen bin ich die Personalabteilung gegangen. Und da bin ich dann mit verkauft worden, dadurch bin ich in den [Projektname-Deal] gekommen, der dann in die Ausgründung gemündet hat zu [Beratungsunternehmen]. Und da von-, also da hab' ich bisher-, ich bin, wie gesagt, kein [Kernkompetenz der AS GmbH]fachmann, deswegen hab' ich da immer 'n bisschen Schwierigkeiten, da auch meinen Platz zu finden, und hab' da so-, ja, ich helfe aus in den Projekten. Ich war letztes Jahr [sieben Monate] in [Stadt in Europa], weil ich hab' [Programmiersprache] in meinem Lebenslauf stehen und die haben 'nen [Programmiersprache]Programmierer gesucht dringend, Hände ringend, und da hab' ich dann mal sieben Monate lang wieder [Programmiersprache] programmiert, nach zehn Jahren wieder, war auch mal wieder witzig. Und aber ich-, wie gesagt, im Moment suche ich auch grade wieder 'n Projekt, auf das ich mich verrechnen kann. Das ist so der Werdegang.
Die Forscherin eröffnet das Interview mit den Worten: „Also ganz kurz nur zum Interview, das ist klar, was du sagst, wird vertraulich behandelt, das wird anonymisiert und-“. Sie bringt damit zum Ausdruck, dass aus ihrer Perspektive ein vertrauensvoller Umgang im Gespräch vorausgesetzt werden kann, sie es jedoch als einer vertrauensvollen Gesprächsatmosphäre zuträglich empfindet, gesondert auf die Anonymität hinzuweisen. Der Befragte unterbricht ihre Ausführung mit den Worten: „Ich bin ein statistisches Datum“ und lacht. Auf den ersten Blick wirkt diese Äußerung verwirrend. Sie könnte einerseits bedeuten, dass er damit sein Wissen über Forschung präsentiert, ihm die üblichen Prozeduren demnach vertraut sind und nicht erwähnt werden müssen. Andererseits wirkt der Bezug auf Statistik in einem qualitativen Interview befremdend. Die Äußerung erweckt auf den zweiten Blick eher den Eindruck, als würde er durch das Gespräch mit der Forscherin zu unpersönlichem Datenmaterial, das in einem aggregierten Datenmaterial auf- oder vielmehr untergeht. Mehr oder minder bewusst unterstellt er der Forscherin, in ihm keine Person, sondern Forschungsmaterial zu sehen. Wie an späterer Stelle deutlich wird, handelt es sich tatsächlich um seine zentrale Befürchtung, nicht als Person sondern als Fall, als Nummer oder als
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Kostenfaktor betrachtet zu werden. An dieser Stelle versteht die Forscherin den Hintergrund der Frage noch nicht und hakt nach: „Ein statistisches Datum?“, was er mit einem „Ja“ bestätigt. Wahrscheinlich versteht die Forscherin den Einwurf des Befragten als scherzhaft formulierte Zustimmung zu den Rahmenbedingungen und bekräftigt ihren ursprünglichen Versuch dem Gespräch einen schützenden Rahmen zu geben, mit den Worten: „nicht dass du irgendwie Befürchtungen hast, dass das, was du sagst, dir Schwierigkeiten macht.“ Dieser Punkt erscheint als geklärt, da der Befragte im Anschluss auf die Bitte der Geschäftsleitung der AS GmbH verweist, man möge ihr ein Exemplar der Dissertation zur Verfügung stellen. Mit der Formulierung „Da hab‘ ich gesagt, ich frage, hab‘ ich hiermit getan“ deutet er an, dass es ihm wichtig erscheint, der Bitte der Geschäftsleitung nachzukommen, mithin von der Forscherin in der „korrekten“ Ausführung der Bitte bestätigt zu werden. Die Forscherin wird von dieser Aussage auf einer anderen Ebene berührt. So glaubt sie den Rahmen des Interviews in Frage gestellt, weshalb sie auf den Kontakt zur Geschäftsleitung verweist, um das Interview zu legitimieren. Erneut betont sie, dass das Material anonymisiert werde, was möglicherweise dem Umstand geschuldet ist, dass sie Stefan G. als unsicher erlebt. Diese Vermutung der Forscherin scheint richtig zu sein, da der Befragte antwortet: „Ich dachte es mir, aber-“ und etwas verlegen lacht, woraufhin die Forscherin ihn unterbricht und erneut auf die Bedeutung der Zusicherung von Anonymität hinweist. Mit einem „Okay“ schließt sie diesen Teil des Gesprächs ab, da sie diesen Punkt nun für geklärt hält. Die Forscherin beginnt mit der ersten inhaltlichen Frage nach Alter und Familienstand. Der Befragte antwortet mit „[Angabe Alter] noch, ledig, Entschuldigung, verheiratet (Lachen), peinlich, lass' das nicht meine Frau hören“. Bei der Angabe seines Familienstands handelt es sich offensichtlich um einen Anachronismus, den er mit einem Lachen und einem scherzhaft formulierten „lass‘ das nicht meine Frau hören“ wegzuschieben sucht. Wenn wie bereits angedeutet, die Befürchtung besteht, nicht als Person wahrgenommen zu werden, so könnte sich hier daran anschließend das Bedürfnis zeigen, von der Forscherin nicht nur als Person, sondern auch als Mann wahrgenommen zu werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, sich selbst als ledig zu konzeptualisieren. Eine andere Möglichkeit besteht hingegen darin, dass er in Folge des Outsourcings Schwierigkeiten hat, sich in Arbeitsbeziehungen zu verorten. Schließlich, so könnte man vermuten, kann der Transfer zu einem anderen Arbeitgeber als Bruch einer Beziehung verstanden werden, die bis zu diesem Zeitpunkt als gefestigt erachtet wurde. Diesem Verständnis folgend würde er sich nun in einer Art Arbeitsbeziehungs-Schwebezustand befinden, da er sich weder seinem ehemaligen noch seinem neuen Arbeitgeber zugehörig fühlen kann. Die Aussage, ledig zu sein, könnte demnach auch auf die Arbeitsbeziehungsebene rekurrieren,
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obwohl in diesem Fall die Eigenschaft „geschieden“ passender wäre. Die Forscherin interpretiert die Aussage im Interview als ein Indiz dafür, dass der Befragte noch nicht lange verheiratet ist und sich deshalb zunächst als ledig darstellt. Sie fragt: „Noch nicht lange?“, was er jedoch nicht versteht und mit einem „Bitte?“ nachfragt, wie diese Frage gemeint ist. Statt einer Explikation wiederholt die Forscherin die Frage, woraufhin er die These der Forscherin, erst seit kurzem verheiratet zu sein, verneint: „Doch, seit [mehreren Jahren], aber irgendwie- nee, gut. Also verheiratet, glücklich verheiratet (lacht).“ Er setzt zu einer Erklärung an, die er jedoch abbricht. Stattdessen betont er lachend, glücklich verheiratet zu sein und fährt mit der Angabe fort, seit wann er für die Bank und das Beratungsunternehmen tätig ist. Die direkte Überleitung von Heirat zu Beruf stützt die bereits formulierte These, dass er sein bisheriges Beschäftigungsverhältnis bis zum Outsourcing als eheähnlich96 und folglich unkündbar empfunden hat: „Und, ähm, ja, seit [Mitte der 1980er Jahre] bei der [Bank] und seit [Mitte der 1990er Jahre] jetzt bei [Beratungsunternehmen].“ Die Forscherin fragt irritiert: „Seit [Mitte der 1990er Jahre] schon?“ und deutet mit dem „schon“ an, dass sie den Übergang später datieren würde. Er bestätigt ihre Vermutung, dass der Übergang erst später stattgefunden hat, mit der Äußerung: „Ja, ja, seit dem Übergang [Anfang des neuen Jahrtausends], was ist denn heute los mit mir, Entschuldigung, [Anfang des neuen Jahrtausends].“ Mit „ja, ja“ bringt er die Ungeduld sich selbst gegenüber zum Ausdruck, bestätigt, dass der Übergang erst nach dem Jahr 2000 stattgefunden hat und fragt mehr sich selbst als die Forscherin, was „denn heute“ mit ihm „los“ sei, um sich anschließend bei der Forscherin für seine unpräzisen Angaben zu entschuldigen. Seine Schwierigkeit, sich zeitlich zu verorten, stärkt wiederum die These, dass er sich in einer Art beruflichem Schwebezustand befindet, den er als belastend empfindet und der jegliche, somit auch zeitliche, Verortung erschwert. Die Forscherin knüpft mehr oder minder bewusst an seine Entschuldigung für sein vermeintliches Fehlverhalten an und bittet ihn, „noch mal von vorne“ zu beginnen und ihr einen Überblick über seinen Werdegang zu „geben“. Sie begegnet ihm wohlwollend, markiert jedoch mit den Worten „noch mal von vorne“, die mit einem Schüler-Lehrer-Verhältnis assoziiert werden können, eine Art Über- und Unterordnungsverhältnis, das er unwidersprochen stehen lässt. Er schildert seine beruflichen Stationen in der Bank, um relativ unvermittelt auf den Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing zu sprechen zu kommen: „Und dann kam irgendwann das Angebot aus der Personalabteilung, ob ich nicht ein virtuelles Team leiten wollte…“. Dieses Angebot, zum ersten Mal in seiner Karriere Leitungsverantwortung zu erhalten, findet er reizvoll, weshalb er einwilligt. Wie sich herausstellt, entpuppt sich das 96 Wie in Abschnitt 3.1 ausgeführt, liegt der Vergleich des Normalarbeitsverhältnisses mit einer „bürgerlichen Heirat“ als langfristiges, quasi unkündbares Arrangement nahe.
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attraktive Angebot als Falle, da er in Folge seiner Zusage „mit verkauft“ wird. Seitdem versucht er mehr oder weniger erfolgreich, „meinen Platz“ zu finden, was ihm nicht leicht fällt, da er auf dem Gebiet der AS GmbH kein Fachmann ist. Er werde auf Projekten im europäischen Ausland eingesetzt, die „Hände ringend“ nach Programmierern suchen würden, die wie er über bestimmte Programmierkenntnisse verfügten. Das habe er „auch mal wieder witzig“ gefunden, was als Indiz dafür gelten kann, dass er diese Form der Projektarbeit als Übergangslösung erachtet. Er schließt mit der Feststellung, dass er „im Moment […] grade wieder ’n Projekt sucht“, auf das er sich „verrechnen kann“ und benennt damit die zentrale Anforderung, für die eigene Auslastung mit Kundenprojekten zu sorgen, die er als Anspruch an sich selbst formuliert. Er schließt den Kreis mit den Worten „Das ist so der Werdegang“, um anzudeuten, dass er somit die Bitte der Forscherin, etwas über seinen Werdegang zu erzählen, umfassend nachgekommen ist, mithin ein auskunftsbereiter und folglich wertvoller Gesprächspartner ist. Der psychologische Vertrag von Stefan G. Überträgt man die in der Analyse der Eingangssequenz hergeleiteten Schlussfolgerungen auf seinen Arbeitskontext, so zeichnet sich folgendes Bild ab: Er fürchtet um seinen Status als Person, den er durch das Outsourcing in Frage gestellt sieht, da der Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing ihn gefühlsmäßig zu einem Fall oder zu einem Kostenfaktor degradiert. Aus einem positiv konnotierten lebenslangen Arrangement mit der Bank ist ein Beschäftigungsverhältnis geworden, das ihm zwar seine materielle Existenz sichert, ihm jedoch seine Zugehörigkeit zum ehemaligen Arbeitgeber nimmt, ohne ihm eine (befriedigende) neue Zugehörigkeit zuzuweisen. Auf diese Kränkung reagiert er mit einem Oszillieren zwischen flexibler Anpassung, die sich in der Bereitschaft äußert, auf Projekten als Programmierer tätig zu sein, was er nicht als seine Kernkompetenz empfindet, und passivem Rückzug, in der Hoffnung, dass das Telefon klingelt und sich eine gute Chance bietet, um im neuen Unternehmen Karriere zu machen. Möglicherweise lässt sich aus dem Umstand, dass er, trotz einer möglichen Entwertung durch die Forscherin, nur ein „statistisches Datum“ zu sein, gesprächsbereit bleibt, schließen, dass er den möglichen Entwertungen seitens der Repräsentanten des neuen Arbeitgebers nicht mit Konfrontation begegnet. Vielmehr, so steht zu vermuten, hofft er, dass in dem „Leitungskräfte-Karussell“ ständig wechselnder Leitungskräfte eine Person auftaucht, die ihn als (Arbeits-) Subjekt zu würdigen weiß. Bis zu diesem Zeitpunkt zeigt er sich weiterhin offen und leistungsbereit, was im Interview dadurch zum Tragen kommt, dass er sich auf das Gespräch einlässt und alle Fragen der Forscherin offen und umfassend beantwortet. Die Art und Weise wie er die Fragen beantwortet, lässt vermuten,
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dass er zum einen bemüht ist, den (Interview-) Anforderungen gerecht zu werden, zugleich die Interview-Situation für sich zu nutzen weiß, um sich seiner Situation klarer zu werden, durch die Forscherin Anerkennung zu erfahren sowie seiner Enttäuschung und seiner Wut Raum zu geben. Letztlich, so hat es den Anschein, bietet er sich als anpassungsfähiger Mitarbeiter an, obwohl ihm kognitiv präsent ist, dass der neue Arbeitgeber ein hohes Maß an eigenverantwortlichem Handeln verlangt und somit sehr wahrscheinlich seine Bereitschaft, sich unterzuordnen, nicht zu würdigen weiß. So kann er die Erwartungsstrukturen des Beratungsunternehmens benennen, die darin bestehen, dass er aufgefordert ist, eine geeignete Qualifizierungsmaßnahme für sich zu eruieren, sich dafür einzusetzen, dass er darin unterstützt wird, um sich anschließend um einen karrierefördernden Projekteinsatz zu bemühen. In seinen eigenen Worten: „Ja, sicher, sicher, weil wenn ich dasitze und warte bis ich vermittelt werde, kann ich eventuell lange sitzen. Und dann wiederum, das würde natürlich meine Halbwertzeit bei der Firma drastisch beschränken“ (Z. 1525). Trotz der kognitiven Präsenz des Wissens knüpft er nicht daran an, sondern bleibt hinter dem geforderten Aktivitätsniveau zurück, weshalb sich seine Karrierewünsche im Beratungsunternehmen möglicherweise nicht erfüllen werden. Es scheint, als bleibe sein Wissen um die Erwartungsstrukturen im Beratungsunternehmen abstrakt, als könne er es nicht für sich nutzbar machen.
7.2.8 Friedrich J.: „…jetzt machen wir das Mikrofon aus und dann kann ich dir was anderes erzählen“97 Gleich zu Beginn des Interviews sagt er: „Da würde ich sagen, jetzt machen wir das Mikrofon aus und dann kann ich dir was anderes erzählen“ (Z. 8). Auf diese Äußerung geht die Forscherin zwar nicht direkt ein, wählt jedoch zunächst einen abstrakteren Fokus und fragt, was ihm im Umgang mit der Zeit wichtig ist. Die Antwort von Friedrich J. verweist auf die Enttäuschung, die ihm der Personaltransfer bereitet haben mag und die seine Arbeitseinstellung fundamental zu verändern scheint: „dass ich vielleicht im privaten Bereich mehr machen möchte, ähm, gegenüber dem als junger Mensch. Als junger Mensch möchtest du dich irgendwo profilieren, deine Karriere machen, und ich denk', das verschiebt sich im Laufe der Zeit oder im Laufe deines Lebens“ (Z. 17ff.). Mit diesen Worten beschreibt er seine Karriereorientierung als begrenzt und deutet an, dass er nicht (mehr) bereit ist, seine Prioritäten gemäß betrieblicher Anforderungen zu setzen, sondern Grenzen zieht, um sein Privatleben vor betrieblichem Zugriff zu schüt97 Z. 8, der Name wurde geändert.
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zen. Als „Zeit rauben“ bezeichnet er die Anforderung, „dass du mehr arbeiten sollst als, ähm, du in deinem normalen Zeitrahmen schaffst, den du als Arbeitsvertrag hast, dass von dir erwartet wird, dass du mehr leistest, ähm, das tut im Prinzip die Firma. Die Firma zeigt sich durch die Chefs, die über dir stehen, die dir deine Arbeit zuweisen, oder der Kunde oder dass nicht genügend Leute auf ein Projekt gesetzt werden, um eine größere Marge zu machen, und, und, und. Das sind alles oder das können alles Aspekte sein, die dir deine Zeit rauben. Oder in Besprechungen, wenn da Leute meinen, sie müssen sich episch ausdrücken, was man in viel kürzerer Zeit machen kann, oder ständig irgendwelche Phrasen wiederholen, das sind Punkte, die einem Zeit rauben“ (Z. 29ff.). „Zeiträubern“ versucht er wahrscheinlich aus einem bestimmten Grund klare Grenzen zu setzen: Er hat den Personaltransfer vorbereitet und erst kurz vor dem Übergang erfahren, dass auch sein Beschäftigungsverhältnis transferiert werden soll. Bis zu diesem Zeitpunkt hat er „nicht geglaubt, dass es mich betreffen wird“ (Z. 111f.). Der Transfer stellt für ihn eine Degradierung dar, weil er nun im Vergleich zu früher weniger Personal- und Budgetverantwortung hat. Zudem fühlt er sich in seinem Handlungsspielraum sehr stark eingegrenzt, da sehr vieles „wesentlich restriktiver gehandhabt und sehr, sehr viel formalistischer“ (Z. 155f.) gehandhabt wird. Der Formalismus gehe zu Lasten seiner Privatzeit, da der vorgegebene Zeitrahmen in vielen Fällen für die eigentliche Arbeit reiche, jedoch zu eng gesteckt sei, wenn man den erforderlichen „Formalismus“ hinzu addiere: „es sind zwar sehr viele Reports und Statistiken und all die Ding mit dabei, die du erledigen sollst, aber du bekommst im Prinzip nicht die Zeit dafür. Es wird einfach erwartet, aber die Zeiten, die geschätzt sind, um was zu realisieren, ein Projekt zu erstellen, die geben das eigentlich nicht her, was an Formalismus und, ja, drum herum erwartet wird“ (Z. 162ff.). Leistung und Anerkennung So leistete er zwar im Rahmen seiner Tätigkeit in der Bank ebenfalls unvergütete Mehrarbeit. Nun sei jedoch der Druck höher, da IT in der AS GmbH im Unterschied zu einer Bank zum Kerngeschäft gehöre und das Unternehmen damit Geld verdienen müsse. Ein weiterer Grund sei, dass der Mutterkonzern ein Beratungsunternehmen ist und mit seinen Erwartungsstrukturen die AS GmbH präge. Während von einem Up-or-Out-Prinzip in der AS GmbH nicht zu sprechen sei, habe sich die Erwartungshaltung durchgesetzt, dass Beschäftigte mehr leisten, als von ihnen prinzipiell erwartet werden könne. Das führt er auf den gemeinhin eng gesteckten Projektrahmen zurück, den es einzuhalten gilt, da bereits Abweichungen von 5% dazu führen, dass eine Rechtfertigung verlangt wird. Mit den Prinzipien eines Beratungsunternehmens ist er vertraut, schließlich haben Berater als so genannte Externe vor dem Transfer auch für ihn gearbeitet.
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Dass er selbst einer von ihnen werden könnte, hätte er zu diesem Zeitpunkt ausgeschlossen: „Ich sag' mal, die Externen innerhalb der [Bank], die wurden von uns damals ausgebeutet, weil wir gesagt haben, die können arbeiten, okay, wenn wir um sechs gehen, dann sollen die halt noch bis zehn sitzen, ja, dafür zahlen wir 'nen guten Tageslohn und dann erwarten wir auch das Ergebnis. Und so ist Mentalität, wenn du Externe beschäftigst. Und das hat sich jetzt eben gedreht, jetzt bin ich auch ein Externer“ (Z. 322).
Es wird deutlich, dass er nun unter den Mechanismen leidet, von denen er im Rahmen seiner ehemaligen Tätigkeit profitiert hat. Gerade weil er diese Mechanismen so gut kennt, fällt es ihm schwer, sich in seine neue Rolle einzufügen. Er kompensiert seine Degradierung zum Teil dadurch, das er sich nun die Freiheit nimmt, sich entweder bewusst für unbezahlte Mehrarbeit zu entscheiden, weil ihm ein Projekt wichtig ist, oder sich bewusst gegen Mehrarbeit zu entscheiden und seine Zeit für Privates zu nutzen. Beziehungsraum im Interview Friedrich J. stellt gleich zu Beginn des Interviews klar, dass er „Zeiträubern“ ablehnend begegnet, wodurch er gegenüber der Forscherin eine klare (Zeit-) Grenze zieht und signalisiert, dass das Gespräch effizient zu verlaufen habe. Er ist demnach gewöhnt, so könnte eine mögliche Schlussfolgerung lauten, die Rahmenbedingungen zu bestimmen. Im Verlauf des Gesprächs kristallisiert sich heraus, dass sein eigentliches Interesse darin besteht zu erfahren, wie seine Mitarbeiter mit Zeit umgehen, wie es sich für sie anfühlt, wenn er ihnen ein größeres Arbeitsvolumen zumutet als vertraglich geregelt ist. Er betont, dass er die Ergebnisse der Dissertation gerne einsehen möchte. Zudem würde er gerne seine These validieren, ob sich der Umgang mit der Zeit im Verlauf des Lebens verändere. Er tritt im Gespräch sehr dominant auf und signalisiert häufig, dass er glaubt, zu einem bestimmten Punkt umfassend Auskunft gegeben zu haben und ihn nicht weiter vertiefen will. Mit dieser Strategie ist er insoweit erfolgreich, als die Forscherin versucht, ihre Fragen so zu stellen, dass eine Antwort von ihm zu erwarten ist. Die Atmosphäre im Gespräch ist als bedrückend zu beschreiben, sowohl der Forscherin als auch dem Befragten ist das Thema unangenehm. Das Gespräch ist im Vergleich zu den anderen Gesprächen sehr kurz. Unter anderem deshalb, da der Befragte einige Fragen abblockt, und zwischen dem Bedürfnis, seiner Wut und seiner Trauer Raum zu geben und dem Versuch, belastende Ereignisse von sich fern zu halten und letztlich nicht viel von sich Preis zu geben, hin und her schwankt.
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Der psychologische Vertrag von Friedrich J. Seine Tätigkeit in der Bank hat Friedrich J. sehr ungern aufgegeben. Möglicherweise deshalb, da er wusste, was ihn im Beratungsunternehmen erwartet. Zudem erweist sich der Transfer für ihn als ein Karriereknick, dem er nun mit einem begrenzten Arbeitszeitvolumen begegnet. Seine Enttäuschung darüber, ungewollt Teil eines „deals“ geworden zu sein, den er selbst vorbereitet hat, ist deutlich zu spüren. Er ist zwar motiviert, das Beste aus seinem neuen Arbeitsplatz zu machen. Es ist jedoch auch deutlich zu spüren, dass ihn dieser Karriereknick mit Wut erfüllt, die er nur zum Teil darüber kompensieren kann, dass er sich und seinem Team mehr Leistung abverlangt, als vertraglich vereinbart ist, oder bewusst die gewünschte (Mehr-) Leistung zurückhält.
7.2.9 Kerstin A.: „…wirklich unsere Aufgabe war es, die Leute gut und behütet bei [Beratungsunternehmen] einzuführen“98 Kerstin A. ist eine Beraterin, die im Rahmen des Projekts „Begleitung des Personaltransfers im Rahmen von Outsourcing“ für begrenzte Zeit in den Outsourcing-Prozess eingebunden ist. Die Forscherin kommt mit ihr nicht über das allgemeine Anschreiben der Geschäftsleitung von AS GmbH, sondern im Rahmen einer Veranstaltung des Beratungsunternehmens in Kontakt. Kerstin A. ist im Projekt dafür zuständig, die Rahmenbedingungen für den Personaltransfer zu schaffen. So gründet sie im Auftrag des Beratungsunternehmens das Tochterunternehmen, wird mit dem Aufsetzen der Arbeitsverträge für die transferierten Beschäftigten betraut und gestaltet die Arbeitsplatzbedingungen vor Ort für die transferierten Beschäftigten. Sie ist bemüht, den Transfer so „angenehm und reibungslos wie möglich zu gestalten“ (Z. 110) und Kontextbedingungen zu generieren, die möglichst viel Sicherheit bieten, da sie ahnt, dass der Transfer ein einschneidendes Erlebnis darstellt, da die transferierten Beschäftigten, „…die, wie gesagt, jetzt 25 Jahre dabei waren, aus ihrer bestehenden Struktur rausgerissen wurden in Anführungsstrichen und ne ganz andere reingepresst wurden, so war’s ja im Prinzip und ähm, ich denk mal, ja, das war also garantiert schwierig…“ (Z. 773ff.). Aus diesem Grund versucht sie, Rahmenbedingungen zu etablieren, die so viel Sicherheit wie möglich vermitteln: „es hört sich, es hört sich wirklich banal an, aber es sind halt so Sachen, die, die, ich glaub wenn man einen Menschen aus so’nem Trott in Anführungsstrichen rausreißt, dann muss man dem einfach so viel Sicherheit wie möglich geben damit er sich ein98 Z. 1602, der Name wurde geändert.
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Ergebnisse der Untersuchung fach an die neue Situation gewöhnt und da muss man gerade diese Banalitäten muss man da einfach alle, weißt du, alle aus der Welt schaffen, dass alles sicher ist, sie mussten ihre [Zutrittskarten] haben, dass waren auch, wie viele Fragen wir bekommen haben ob sie denn auch essen können, am ersten Tag mit der Karte, also sprich, dass das alles funktioniert, das, weißt du, das waren auch Probleme mit denen die sich beschäftigt haben.“ (Z. 944ff.).
Ihre Formulierungen verweisen darauf, dass es ihr nicht leicht fällt, Personen wertzuschätzen, die ein derart ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis haben. Sie weiß zwar, wie man dieses Sicherheitsbedürfnis bedienen kann und begreift es als Schlüssel für einen reibungslosen Übergang, mithin als Voraussetzung, um ihrer Aufgabe, den Personaltransfer zu begleiten, gerecht zu werden. Mit den Worten „weißt du“ bringt sie zum Ausdruck, dass sie vermutet, dass auch der Forscherin ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis fremd ist. Ihre Ausführungen erscheinen als eine Art „Gebrauchsanweisung“ für den Umgang mit Menschen, die anders als sie und die Forscherin, eben sicherheitsbedürftig sind. Im Vorfeld sind ihr zunächst nur die Vertragsbedingungen der transferierten Beschäftigten im ehemaligen und neuen Unternehmen bekannt, die Namen der Beschäftigten kennt sie jedoch nicht. Erst sehr kurz vor dem eigentlichen Übergang erfährt sie die Namen und lernt einige von ihnen bei Informationsveranstaltungen des Beratungsunternehmens in der Bank kennen. Sie hat „wahnsinnig viel Mühe reingesteckt“ (Z. 187), um die transferierten Beschäftigten im neuen Unternehmen willkommen zu heißen. So versucht sie, die im Beratungsunternehmen übliche Einführungsveranstaltung an die „speziellen Bedürfnisse“ der transferierten Beschäftigten anzupassen und stellt ein „welcome package“ für sie zusammen, das ihnen vor ihrem ersten Arbeitstag im neuen Unternehmen per Post zugeht, um sie von einem Transfer zum Beratungsunternehmen zu überzeugen: „da ham wir auch wirklich wahnsinnig viel Mühe reingesteckt, mit, sind alles so kleine [Werbegeschenke], oder mal ‘nen Kuli, dann ‘nen Anstecker, hört sich wirklich alles sehr banal an aber das wirkt extrem, und ähm ham dann sämtliche Informationen Agenda, von den verschiedenen [Einführungs-]veranstaltungen bekommen, die Möglichkeit direkt sich’n Parkplatz zu reservieren mit ‘nem Anmeldeformular das war eigentlich auch, also ist nicht üblich das haben wir dann alles in dieses welcome package reingepackt, alles ist sehr auf die Mitarbeiter zugeschnitten, also keine allgemeinen Standardbriefe und ähm als dann im Prinzip der [Übergang] war am [Datum], hatten sie eine [Einführungsveranstaltung], aber natürlich komplett äh wirklich umgestellt.“ (Z. 187ff.).
Die Darstellung von Kerstin A. verdeutlicht, dass auf mehreren Ebenen versucht wurde, den Transfer für die transferierten Beschäftigten angenehmer und somit
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möglicherweise auch effizienter zu gestalten. Kleine Werbegeschenke seien zwar „banale“ Aufmerksamkeiten, würden jedoch „extrem“ wirken. Ergänzt wurde das Willkommenspaket durch Vorabinformationen zum Ablauf des Übergangs, aus denen ersichtlich wurde, wie die ersten Tage im neuen Unternehmen ablaufen würden. Anders als im sonst üblichen Prozedere bestand die Möglichkeit für die transferierten Beschäftigten, einen Parkplatz zu reservieren, was möglicherweise von den transferierten Beschäftigten als ein Angebot gedeutet werden sollte, im neuen Unternehmen ein Zuhause zu finden. Dieses Willkommenspaket war persönlich gehalten, möglicherweise ein weiterer mehr oder weniger gezielter Versuch, den transferierten Beschäftigten das Gefühl zu vermitteln, als Person willkommen zu sein und eben nicht als Fall oder als Nummer wahrgenommen zu werden, wie von Stefan G. befürchtet. In der Art und Weise, wie sie das Willkommenspaket beschreibt, wird deutlich, dass sie sich ernsthaft überlegt hat, wie sie den transferierten Beschäftigten den Übergang in das neue Unternehmen erleichtern kann. Es wird jedoch auch deutlich, dass ihre Bemühungen auf einen bestimmten Zweck, der als reibungsloser Übergang benannt werden kann, ausgerichtet sind. Zudem werden die transferierten Beschäftigten als andersartige Beschäftigte dargestellt, da sie ein Willkommenspaket erhalten, das ein paar Extras enthält, die Sicherheit vermitteln sollen, die den anderen Beschäftigten des Beratungsunternehmens nicht zukommen. Andererseits wird ihnen die technische Ausrüstung vorenthalten, die den Beratern bei Eintritt zur Verfügung gestellt wird, um mobil auf Projekten eingesetzt werden zu können. Um den Unterschied zwischen Beratern und Nicht-Beratern zunächst bedeckt zu halten, werden die Kollegen, die im Rahmen der Einführungsveranstaltung die Alltagspraxis im Unternehmen vermitteln sollten, auf die fehlenden Statussymbole hingewiesen, die demnach nicht erwähnt werden sollten: „…wie gesagt, die waren teilweise eh nicht alle so wahnsinnig glücklich, wie man das kommuniziert, sie haben keine Firmenkreditkarte bekommen, sprich das musste dementsprechend auch extrem gut mit den jeweiligen ähm, wie sag ich da, Abteilungen, also sei es jetzt äh [Einkauf] oder die Leute die [Zeiterfassungsprogramm] vorstellen, dass man die dementsprechend auch [vorbereitet] hat und man gesagt hat, bitte sagt nicht, wenn ihr eure Firmenkreditkarte nutzt dann nanana, oder [rechnet] eure Firmentelefonrechnung [ab].“ (Z. 205ff.).
Den transferierten Beschäftigten sollte, so könnte man folgern, das Gefühl vermittelt werden, nicht nur dazuzugehören, sondern die gleichen Kontextbedingungen zu haben wie die anderen Beschäftigten des Beratungsunternehmens. Der Hinweis, dass Kreditkarte oder Mobiltelefon nicht erwähnt werden sollten, kann jedoch auch als Konfliktvermeidungsstrategie gedeutet werden. In ihrer Wahrnehmung sind die Bemühungen, den Transfer „angenehm“ zu gestalten, von den
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transferierten Beschäftigten gut aufgenommen worden. Das bestätige eine Umfrage, die im Anschluss an den Transfer durchgeführt wurde. Das Vorgehen von Kerstin A. und ihren Kollegen ist manifest darauf ausgelegt, die Arbeitsfähigkeit der transferierten Beschäftigten im neuen Unternehmen wieder herzustellen. Implizit verweist es jedoch auf eine unausgesprochene Anerkennung des Transfers als kritisches Ereignis, in dem es hilfreich ist, eine Zukunftsperspektive und das Gefühl zu erhalten, nicht ausgeliefert zu sein, sondern zumindest partiell Kontrolle über den Prozess zu behalten. Andernfalls ist möglicherweise die Arbeitsfähigkeit bedroht, die sie wieder herstellen möchte: „und ähm als sie dann wirklich den [Tag des Übergangs] hatten, dann ham das auch meiner Meinung nach auch in der Umfrage auf waren die meisten Leute, so was weiß ich extrem bewusst, was, also was mit ihnen geschieht, was passiert, was die Zukunft ist, z.B. wie die Vision jetzt von [AS GmbH], das haben wir halt auch versucht zu betonen, damit die Leute wissen, was wir überhaupt in Zukunft machen möchten“ (Z. 344ff.).
Als problematisch erweist sich, dass im Beratungsunternehmen das „Du“ als Anrede üblich ist, während in der Bank das „Sie“ etabliert und das „Du“ insbesondere gegenüber Vorgesetzten die Ausnahme ist. Somit entfällt aus Sicht der transferierten Beschäftigten ein wichtiges Instrument, mit dessen Hilfe die Nähe und Distanz zu Kollegen und Vorgesetzten ausbalanciert werden kann. Es scheint jedoch nur als ein Symbol für einen tiefgreifenden Unterschied zu fungieren, wie das folgende Zitat verdeutlicht: „wenn man dann, in, in so’ne Firma wie [Beratungsunternehmen] kommt, ist das schon also glaub ich’ne extreme Umstellung und, wie gesagt, diese Duzkultur, da waren alle extrem, extremst verwundert und so, wir haben’s auch extra, weil wir das sozusagen gemerkt haben, ähm, sie haben’s zwar nie gesagt, aber man merkt’s ja eigentlich, sag ich mal, wie die Leute sich verhalten haben dann auch bei den ähm [Einführungs-] Veranstaltungen, die Leute zunächst gesiezt und haben dann, das haben wir dann den Trainern und den Präsentatoren überlassen, ähm, entweder am Anfang zu sagen, ich duze euch, wenn das für euch ok ist, wer das nicht mag, soll es sagen und so ist es dann auch eigentlich, […] ja das war, das war auf jeden Fall schwer für die Leute sich da einzufinden, generell dieses, sag ich mal extrem offenen in Anführungsstrichen, auch dass man den Vorgesetzten gegenüber, dass man den schon immer duzt, das war jetzt schon’ne Katastrophe, sag ich mal, also das hat die Leute dann absolut aus dem Konzept gebracht, und ähm dass man halt auch ohne jetzt ‘nen Termin drei Wochen vorher zu machen, dass man halt zu seinem [Vorgesetzten] geht und sagt, hör mal so und so isses, oder das und das passt mir nicht oder das war halt, ex, war alles neu.“ (Z. 710ff.).
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Kerstin A. merkt den transferierten Beschäftigten demnach an, dass ihnen das „Du“ unangenehm ist, und versucht, ihnen entgegenzukommen, indem sie die Trainer der Einführungsveranstaltung auf diesen Unterschied hinweist und sie bittet, darauf Bezug zu nehmen. Die Art und Weise, wie sie auf den Unterschied Bezug nehmen, verweist auf größere Differenzen im Umgang miteinander. Denn die Aussage „ich duze euch, wenn das für euch ok ist“ impliziert, dass die Beschäftigten eine Wahl haben, das „Du“ abzulehnen. Zum anderen impliziert sie, dass die transferierten Beschäftigten, die sich in einer verunsichernden Statuspassage befinden, in der Lage sind, den im Beratungsunternehmen etablierten Umgangsformen kritisch zu begegnen und das Angebot abzulehnen. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass eine solche Aussage von den transferierten Beschäftigten als eine Mitteilung wahrgenommen wird, dass das „Du“ zu gelten habe, ohne jedoch tatsächlich mitbestimmen zu können, wie das Gespräch mit Christine I. bestätigt. Als echte „Katastrophe“ erweist sich jedoch die präsentierte Offenheit der Vorgesetzten, die sich als zugänglich und jederzeit ansprechbar darstellen. Zugleich mögen die Vorgesetzten mit ihrem druckvollen Auftreten signalisiert haben, dass es sehr wohl Grenzen gibt, die es zu beachten gilt. Die Verunsicherung besteht nun darin, eine klare Grenzziehung über das „Sie“ und die zuvor übliche Terminvereinbarung verloren zu haben, ohne mit den im Beratungsunternehmen etablierten Mechanismen der Grenzziehung vertraut zu sein. Wie der weitere Integrationsprozess vonstatten ging, vermag Kerstin A. nicht zu sagen, da sie kurz darauf das Projekt verlassen hat. Für ihre Karriere sei das der richtige Zeitpunkt gewesen, schließlich habe sie ihre Aufgabe, „die Leute gut und behütet bei [Beratungsunternehmen] einzuführen“, erfüllt und nicht gewusst, wie ihre Aufgabe anschließend hätte aussehen können. Es lässt sich jedoch vermuten, dass sie das Projekt in dem Moment verlassen hat, in dem der eigentliche Integrationsprozess begann, der darin besteht, gemeinsam den organisationalen Alltag zu bewältigen: „…das hört sich immer so melancholisch an, aber es war halt der Zeitpunkt dann auch zu gehen. Also unsere Rolle definitiv nicht […] langfristig angelegt war, wirklich unsere Aufgabe war es die Leute gut und behütet bei [Beratungsunternehmen] einzuführen […] im Prinzip war das, es war dann ein schöner Abschluss. Es war halt zum ersten Mal, dass man wirklich auch sieht, so jetzt ist unser Tag X und der Tag ist sehr gut gelaufen, man hat, ich bin dann, wie gesagt, eine Woche danach noch auf dem Projekt und hab dann noch diese [Umfrage] gemacht und nur noch so ein bisschen, was halt so alles noch anfiel, ähm das war halt irgendwie dann, es war ein ganz guter Zeitpunkt, weil, weißt du, da war’s vorbei im Prinzip, die Leute waren da, denen ging’s gut, alles lief und da war unser, unsere Aufgabe erledigt, und dann sind wir, ich hätte auch nicht gewusst was ich da jetzt noch großartig, hätte machen sollen“ (Z. 1599ff.).
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Deshalb lehnt sie das Angebot ab, aus dem Beratungsbereich zur AS GmbH zu transferieren, und erwähnt einen Beraterkollegen, der das Angebot angenommen habe, inzwischen jedoch nicht mehr im Unternehmen sei. Damit deutet sie an, dass die Ablehnung des Angebots für ihre Karriere die richtige Entscheidung gewesen ist. Beziehungsraum im Interview Für die Herleitung impliziter Anteile des psychologischen Vertrags der Beschäftigten wurde die Beziehungsdynamik in den Interviews mit den transferierten Beschäftigten als Bezugspunkt verwendet. Diesem Vorgehen lag die Annahme zu Grunde, dass die Forscherin, als Fremde, Anforderungen an die Befragten heranträgt, denen sie möglicherweise auf ähnliche Art und Weise begegnen wie den Anforderungen im neuen Unternehmen. Diese These wird dadurch gestützt, dass die Umgangsformen der Forscherin zum Zeitpunkt der Interviews sehr stark von den Umgangsformen im Unternehmen geprägt war, somit die Art und Weise, die Befragten mit Anforderungen zu konfrontieren, Ähnlichkeit mit der Art und Weise gehabt haben mag, mit der ihnen die Vorgesetzten begegnen, was die Eingangsszene im Interview mit Kerstin A. belegt. Es zeigt sich, dass eine kurze und knappe Art des Umgangs zwischen Beratern nicht verhandelt werden muss und wenige Worte genügen, um eine tragfähige Gesprächsbeziehung zu etablieren, wie der weitere Gesprächsverlauf zeigt: Z. 1-6 I: ok, also es wäre schön, wenn du ein bisschen vom Projekt erzählen kannst A: hmh I: und was du für eine Rolle da hattest A: mhm, fange ich einfach mal an, ja? I: genau A: Projekt war ja [Projekt-Name], [Projekt-Aufgabe] also…
An dieser Sequenz wird deutlich, dass der direkte Einstieg in das Interview aus der Perspektive der Befragten als unproblematisch erscheint, die ihrerseits die Forscherin bereits in der Mitte des ersten Satzes mit einem „hmh“ in ihrem Vorgehen bestätigt. Die Befragte beginnt mit „mhm, fange ich einfach mal an, ja?“ und bringt damit ihre Bereitschaft zum Ausdruck, über ihre Erfahrungen Auskunft zu geben. Sie wird darin mit einem „genau“ der Forscherin bestätigt, um anschließend die Details ihres Projekteinsatzes auszuführen. Dabei verwendet sie das im Beratungsunternehmen übliche Vokabular und geht davon aus, dass der Forscherin sowohl die verwendeten Begriffe, als auch die erwähnten ProjektNamen bekannt sind. Der folgende Gesprächsverlauf ist von einigen längeren Passagen der Befragten gekennzeichnet. Insgesamt überwiegt jedoch eine Ge-
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sprächsform, in der sich Forscherin und Befragte häufig gegenseitig unterbrechen, sobald sie verstehen, worauf die andere hinaus will. Die gegenseitigen Unterbrechungen erscheinen nicht als störend, es entsteht vielmehr eine Gesprächsatmosphäre, die von Gemeinsamkeiten geprägt ist, in der einige Aspekte nicht expliziert werden, da sie sowohl der Forscherin als auch der Befragten vertraut sind. Das ist auf den Umstand zurückzuführen, dass Forscherin und Befragte sich nicht nur als (ehemalige) Kolleginnen begegnen, sondern zudem offensichtlich über ähnliche Projekterfahrungen im Beratungsunternehmen verfügen. Der psychologische Vertrag von Kerstin A. Auf den Arbeitskontext bezogen kann vermutet werden, dass Kerstin A. gewohnt ist, Kollegen offen zu begegnen und sich schnell auf eine intensive Arbeitsbeziehung einzulassen. Das kann als Indiz dafür gelten, dass im Beratungsunternehmen nur wenig Zeit darauf verwendet wird, Kollegen kennenzulernen und einzuschätzen, möglicherweise, weil die Arbeitsbeziehungen insgesamt von kurzer Dauer sind und es somit erforderlich erscheint, sich kurzfristig mit unterschiedlichen Kollegen zu arrangieren. Möglicherweise wird dieser kurze Prozess des Kennenlernens durch den Umstand gestützt, dass tatsächlich einige Ähnlichkeiten zwischen den Beratern bestehen. So beginnen alle Berater in einem ähnlichen Alter ihre Karriere im Beratungsunternehmen in einer Einstiegsposition, nachdem sie (üblicherweise) ein betriebswirtschaftliches Studium abgeschlossen haben. Im Rahmen des Studiums wird möglicherweise bereits eine gewisse Karriereorientierung sowie das passende Vokabular vermittelt, an die die berufliche Sozialisation im Beratungsunternehmen nahtlos anknüpft. Beschäftigte, deren berufliche Sozialisation anders verläuft, mögen daher das etablierte Vokabular sowie die allgemeinen Umgangsformen irritierend finden. Diese These wird durch die Analyse verschiedener Eingangssequenzen gestützt, die auf einen (zu) schnellen Gesprächseinstieg der Forscherin verweisen, der nur im Forschungsgespräch mit gleichrangigen Beratern wie Kerstin A. angemessen scheint. Kerstin A. ist an einem breiten Aufgabenspektrum interessiert und findet es langweilig, sich mehrere Male mit einer bestimmten Aufgabenstellung zu befassen. So möchte sie beispielsweise kein zweites Mal ein Unternehmen gründen, da ihr im Anschluss an das Projekt das Procedere bekannt ist. Im Interview finden sich keine Hinweise darauf, dass sie Routine als entlastend empfinden würde. Im Gegenteil: Sie ist bereits auf einem anderen Projekt in einer anderen Stadt eingesetzt und möglicherweise mit einer Aufgabe betraut, zu der sie keine Erfahrungswerte vorweisen kann, was ihre Tätigkeit in ihrer Perspektive attraktiv erscheinen lässt. Sie ist motiviert, ihre Aufgaben gut und effizient und somit
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karriereförderlich zu lösen. Zudem erweckt sie den Eindruck, dass es für sie durchaus von Bedeutung ist, ihre Tätigkeit als sinnvoll zu erleben. Vor diesem Hintergrund dient die Gestaltung eines „reibungslosen“ Übergangs zum einen den Interessen der Organisation, für die sie tätig ist, zum anderen, so steht zu vermuten, will sie sich das Gefühl erhalten, die transferierten Beschäftigten tatsächlich willkommen geheißen zu haben, was bedeutet, ihnen eine realistische Chance im Unternehmen zuzubilligen, obwohl sie um die Unterschiede zwischen ihnen und dem im Unternehmen etablierten Idealtyp von Arbeitskraft weiß. 7.2.10 Konrad C.99: „…im schönen grauen Anzug, immer schön wichtig, immer schön mit Druck auf irgendwas zukommend“100 Konrad C. ist als Manager für das Beratungsunternehmen tätig, unter dessen Dach das Tochterunternehmen AS GmbH gegründet wurde, das die von der Bank transferierten Beschäftigten übernommen hat. Er ist als Berater seit einigen Jahren im Beratungsunternehmen beschäftigt. Wahrscheinlich hat er seine Karriere im Beratungsunternehmen als Nachwuchsberater begonnen. Als Manager befindet er sich auf einem Karrierelevel, mit dem üblicherweise eine Budgetund Personalverantwortung auf Projekten gegenüber dem Kunden sowie dem eigenen Unternehmen verbunden ist. Seit ein paar Jahren finden seine Projekteinsätze intern statt. Zuletzt hatte er in den USA mit Beschäftigten des Beratungsunternehmens zu tun, die dem Geschäftsbereich Softwareprogrammierung zugeordnet sind. So konnte er bereits Erfahrungen mit Beschäftigten sammeln, die keine Berater sind. Aus seiner Perspektive sind Berater als sehr leistungsfähig zu beschreiben: Sie sind flexibel, wissbegierig, neugierig auf neue Erfahrungen, lernen schneller als andere Beschäftigte, sie sind karriereorientiert und verfügen über die Fähigkeiten, die man als Leitungskraft benötigt. Das unterscheide sie von anderen Beschäftigten, was er am Beispiel des Lernens expliziert: Benötige ein Berater drei Monate um etwas zu lernen, so benötige ein „Nicht-Berater“ ein bis eineinhalb Jahre. Von diesen „Nicht-Beratern“101 grenzt er wiederum die transferierten Beschäftigten ab, die in der von ihm präsentierten Hierarchie an dritter Stelle anzusiedeln sind.
99 Der Name wurde geändert. 100 Z. 43f. 101 Vergleichbar mit der Wahrnehmung von Konrad C. erscheint der Ansatz, der an manchen Business Schools vertreten wird. So wird in Oestrich-Winkel den Studierenden vermittelt, sie sollen „Bloß kein Niedrigleister werden!" und deshalb niemals ausruhen, nachlassen und entspannen. Es gelte, den Minderleister in sich selbst zu unterdrücken, um der Konkurrenz nicht zu unterliegen, die nur darauf warte (Friedrichs 2008).
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Zum Zeitpunkt des Personaltransfers ist sein Wissen über die Beschäftigten, die transferiert werden, gering. So kennt er weder deren Namen noch hat er sie persönlich kennengelernt. Lediglich der Outsourcing-Vertrag liegt ihm vor, den er sich aufgrund seines Umfangs von mehr als 300 Seiten nicht zeitnah aneignen kann. Aus diesem Grund kann er vorab nicht einschätzen, auf wen er sich einzustellen hat, während er beginnt, die Arbeitsplätze der transferierten Beschäftigten einzurichten. Ihm ist wichtig, die neuen Kollegen willkommen zu heißen und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie den neuen Arbeitsplatz nicht gleich wieder verlieren werden: „Ich glaube, die größte Schwierigkeit am Anfang war ihre Angst vor der Kündigung. Ähm, das ist ja was sehr Einschneidendes, so 'n Betriebsübergang. Ähm, für die Leute ist es sehr irrational, wie die da darauf reagierten ganz zu Anfang, die [Bank] will mich nicht mehr, ähm, jetzt ist [Beratungsunternehmen], was ist [Beratungsunternehmen]. 'ne Consulting-Firma, Consultants sind, viel verdienen, schnell, viel Druck, viel Arbeit, ein neuer Arbeitgeber. Ähm, ich glaube, da war 'ne große Angst da. Das war, glaub' ich, das größte Problem für die Leute, dass man ihnen erst mal so 'n bisschen die Angst nimmt. […] Ähm, dann die neue Umgebung, das ist hier auch dieses ganze Umfeld, in dem wir uns bewegen, da sind sehr viele Consultants unterwegs. Die sind alle, ähm, im schönen grauen Anzug, immer schön wichtig, immer schön mit Druck auf irgendwas zukommend, [Endprodukte], diese englischen Worte, die da reinkommen, das erzeugt 'ne ganze Menge Druck. Und, ich glaub', wir sehen jetzt auch mehr als am Anfang, dass die Leute, die wir übernommen haben, verschiedene Qualitäten haben, einige sind besser als andere. Ähm, und ich glaube, wenn man sich selber einschätzt, weiß man, wo man stark und wo man nicht stark ist, und man hat einfach die Sorge, ob das die richtigen [Kompetenzen] sind, brauch' mich [Beratungsunternehmen] weiterhin.“ (Z. 34f.).
Zugleich erscheinen ihm die Reaktionen der transferierten Beschäftigten als „irrational“, die sich damit auseinander setzten, dass die „[Bank] mich nicht mehr will“. Es hat den Anschein, als sei es ihm fremd, über die Beziehungsebene von Arbeitsverhältnissen zu reflektieren. Wenn er das tut, dann eher instrumentell, um die Arbeitsfähigkeit der transferierten Beschäftigten wieder herzustellen, nachdem das Outsourcing für die Beschäftigten „ein Schlag in die Magengrube“ (Z. 984) gewesen sei. Zu diesem Zweck erscheint es ihm sinnvoll, „dass man ihnen erst mal so 'n bisschen die Angst nimmt“. Wobei diese Formulierung der emotionalen Bedeutung des Personaltransfers nicht gerecht zu werden scheint, zieht man die Beschreibungen der transferierten Beschäftigten hinzu, die hier von „Scheidung“ (Michaela D.) sprechen oder sich gar wie ein „geopfertes Lämmchen“ fühlen (Stefan G.). Diese Äußerung spricht dafür, dass er keine Vorstellung davon hat, wie „einschneidend“ die transferierten Beschäftigten diese Maßnahme tatsächlich empfunden haben.
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Neben der Angst nennt er die neue Umgebung als wesentliche Veränderung, denn „da sind sehr viele Consultants unterwegs“. Charakteristisch für „Consultants“ sei es, „im schönen grauen Anzug, immer schön wichtig, immer schön mit Druck auf irgendwas zukommend“ zu sein. Auffällig ist die Wiederholung des Wortes schön, das in diesem Zusammenhang als unpassend erscheint, da er es als Steigerung des Gesagten verwendet. Was genau er mit „immer schön wichtig, immer schön mit Druck auf irgendwas zukommend“ meint, expliziert er nicht. Es wird jedoch deutlich, dass er davon ausgeht, dass die Begegnung mit einem „Consultant“ aus Perspektive der transferierten Beschäftigten beeindruckend, wenn nicht gar beängstigend sein muss. In seiner Darstellung erscheinen „Consultants“ als eine Art furchteinflößende „Turbo-Arbeitskraft“ vor der „normale“ Beschäftigte zurückschrecken. Die transferierten Beschäftigten beschreibt er im Vergleich zu den Beratern als weniger homogene Gruppe. Sie hätten „verschiedene Qualitäten, einige sind besser als andere“. Möglicherweise würde er selbst seine Haltung gegenüber den transferierten Beschäftigten als wertschätzend beschreiben, wobei eben manche „besser als andere“ seien. Tatsächlich enthält diese Darstellung der Kompetenzen der transferierten Beschäftigten, insbesondere im Vergleich zu den „Consultants“ eine Entwertung. Seine Schlussfolgerung ist, dass die transferierten Beschäftigten aufgrund ihrer Selbsteinschätzung um die Differenz wissen und Angst haben, weil sie erkennen, dass sie dem Vergleich mit „Consultants“ nicht standhalten können. Eine andere Lesart ist jedoch, dass sich die transferierten Beschäftigten gegenüber den Beratern nicht als minderwertig empfinden, sondern fürchten, dass deren druckvolles Auftreten zu weiteren unangenehmen Konsequenzen für ihr Beschäftigungsverhältnis führen könnte. Seine Äußerung wirkt arrogant, da er ausschließt, dass Berater und andere Beschäftigte als gleichwertig zu erachten sind. So ist die „Sorge, ob das die richtigen [Kompetenzen] sind“, als Sorge zu verstehen, keine Berater-Kompetenzen zu haben, die in seiner Darstellung als die einzig richtigen erscheinen. Denn wenn man keine Berater-Kompetenzen hat, so lässt sich dem Schluss der Äußerung entnehmen, sei die Frage berechtigt, ob das Beratungsunternehmen „einen braucht“. Zudem ist er sich sicher, dass die transferierten Beschäftigten BeraterKompetenzen für erstrebenswert halten und sie sich mit seiner Hilfe aneignen wollen. Von ihrer Aufnahmefähigkeit ist er hingegen enttäuscht: „Der erste Tag, den sie bei uns hatten, war 'ne Veranstaltung, 'nen ganzen Tag, wo wir nur über dieses Modell gesprochen haben. Und wir haben später nach einigen Tagen auch das Feedback bekommen, die erste Stunde haben 'se noch aufgepasst und danach haben sie's einfach über sich ergehen lassen. Und da waren dann auch so Dinge drin, wie funktionieren wir jetzt in der Arbeit, [Zeiterfassungsprogramm], [technische Unterstützung], die Telefonnummern und all diese Dinge, die man ir-
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gendwann braucht. Und [Zeiterfassungsprogramm], hat sich dann nach 'nem Monat rausgestellt, nach zwei Wochen, wo sie das das erste Mal machen mussten, euch wurde doch gesagt, wie's geht. Ja, ja, das ist irgendwo in der (Präsentation)-, also wie soll ich's jetzt machen. Und wie dosiert man das jetzt? Wir versuchen, das- die Dinge vorauszuplanen, den Leuten auch so in Bröckchen zu servieren, dass sie's dann auch erst verarbeiten können, ähm, bevor sie wieder das Neue lernen.“ (Z. 124ff.).
In diesem Zitat schildert Konrad C., wie er und seine Kollegen versucht haben, den transferierten Beschäftigten das Wissen, das sie für den Alltag im Beratungsunternehmen benötigen, an einem Tag zu vermitteln. Zu seinem Bedauern stellt er fest, dass die transferierten Beschäftigten nicht, wie erhofft, nach dieser Einführung sofort einsatzbereit sind, sondern vielmehr nach einer Stunde nicht mehr „aufgepasst“ haben. Folglich verfügen sie nicht über das relevante Wissen, das er mit „wie funktionieren wir jetzt in der Arbeit“ umschreibt und sind auf die Unterstützung von ihm und seinen Kollegen angewiesen, wie sich nach und nach herausstellt. So beherrschen sie beispielsweise das Zeiterfassungsprogramm nicht, obwohl ihnen „doch gesagt“ wurde, „wie’s geht“. Zudem seien sie nicht, wie erhofft, bereit, sich das Wissen über die Präsentation anzueignen, sondern würden seine Unterstützung fordern. Daher wirkt seine Frage „Und wie dosiert man das jetzt?“ ein wenig hilflos. Er versuche, alles „so in Bröckchen zu servieren“, um die transferierten Beschäftigten nicht zu überfordern. Zudem betont er, dass sie das Wissen erst verarbeiten müssen, bevor sie „wieder das Neue lernen“. Er präsentiert sich als „nachsichtigen“ und „großzügigen“ Lehrer, dessen Geduld unermesslich scheint. So wird auch in diesem Zitat deutlich, dass er die transferierten Beschäftigten keinesfalls als gleichrangig erachtet. Etwas milder formuliert er sein Urteil in dem folgenden Zitat, indem er ihre Lernbereitschaft herausstellt, die sich in vielen Fragen äußere. Zudem bringt er seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die transferierten Beschäftigten sich nach und nach im Alltagsgeschäft das relevante Wissen aneignen werden: „Und man muss auch sagen, die Leute, die wir bekommen haben, das sind ja keine dummen Leute gewesen, ja die sind ja nun auch hier und haben auch eigene Gedanken und haben auch gesagt, so, wie sieht's denn aus, und haben viele Fragen gestellt. Und das meiste lernt man so durch learning by doing“ (Z. 648ff.).
Entgegen seiner Erwartung ist die Ambivalenz der Beschäftigten gegenüber ehemaligen und neuen Erwartungsstrukturen relativ groß. Es fällt ihnen nicht leicht, sich den im Beratungsunternehmen üblichen Prämissen anzupassen, was Konrad C. als „Reibungsverluste“ beschreibt:
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Ergebnisse der Untersuchung „Aber Reibungsverluste gab's natürlich schon, die waren natürlich hin- und hergerissen zwischen dem, wie sie's früher gemacht haben und wie sie's jetzt machen sollten.“ (Z. 412f.).
Die Reibungsverluste seien auch dem Umstand geschuldet, dass es sich nicht um einen freiwilligen Arbeitgeberwechsel gehandelt hat: „Viele sehnen sich noch auf ihrem alten Arbeitsplatz zurück, wobei man ja ganz klar sagen muss, den alten Arbeitsplatz haben sie sich vielleicht ausgesucht, den neuen, der wurde ihnen übergestülpt“ (Z. 1010ff.).
Wertvoll ist in seiner Wahrnehmung das Wissen der transferierten Beschäftigten in Bezug auf die Software, die sie ehemals in der Bank und nun von der AS GmbH aus für die Bank betreuen. Dieses Wissen eignet er sich an, indem er als „Coach“ eine Gruppenleiterin betreut, die im Rahmen des Personaltransfers zur AS GmbH transferiert wurde: „Für uns war es neu, die [Software] zu lernen, für uns war's neu, die Kollegen kennen zu lernen. Für die andere Person war's neu, die Art und Weise, wie wir arbeiten, zu lernen. Und also ich muss sagen, ich hatte ein sehr gutes Verhältnis mit meinem Schützling“ (Z. 317f.).
Inzwischen betreut er seinen „Schützling“ nicht mehr, sondern hat organisatorische Aufgaben übernommen. Wie lange er für das neu gegründete Tochterunternehmen tätig sein wird, ist zum Zeitpunkt des Interviews ungewiss. Er habe das Angebot erhalten, vom Bereich Beratungen zum Bereich Dienstleistungen, dem das Tochterunternehmen zugeordnet ist, zu wechseln. Für die AS GmbH wäre seine Arbeitskraft dann kostengünstiger. Er ist sich der Tatsache bewusst, dass er als Berater sehr teuer für das Tochterunternehmen ist. Wechseln will er aus freien Stücken jedoch nicht, da es sich in seiner Wahrnehmung um einen Abstieg handeln würde. Wie lange jedoch die Zahlungsbereitschaft der AS GmbH besteht, kann er selbst nicht sagen, und fürchtet, dass er seinen Status als Berater verlieren könnte. Eine Auseinandersetzung mit einem möglichen Karriereknick versucht er zu vermeiden. Warum er einen solchen Wechsel als Karriereknick empfinden würde, wird deutlich, wenn er die Beschäftigten im Bereich Dienstleistungen im Vergleich zu Beratern beschreibt: „…das sind andere Leute. Das sind nicht die, die, ähm, Hochschulabsolventen, die herkommen und große Consulting-Karriere machen wollen, schnell viele verschiedene Tätigkeiten durchführen wollen, Erfahrungen sammeln, [Leitungs]-Fähigkeiten et cetera, sondern das sind Leute, die haben eigentlich-, die sind auch 'n bisschen gesetzter vielleicht vom Alter, aber auch von der-, von der Einstellung her. Die wollen
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ihren Job machen, die kommen morgens um neun und wollen abends um fünf oder um sechs nach Hause gehen, ja. Und wenn zwischendrin weniger zu tun ist, hej, wen stört's. Und diesen Leuten fällt es schon ein bisschen schwer, sich an neue Dinge zu gewöhnen. Und, ähm, meine Erfahrung aus [USA Standort 1] war auch die, dass es 'ne Zeit dauert, bis sich-, bis man sich verändert, also Change für die Leute ist sehr schwierig, ist für alle schwierig, aber ich glaub', für die Leute aus dem Consulting ist es einfacher, weil die 'ne Freude daran haben, immer mal was Neues auszuprobieren.“ (Zeile 130 ff.).
Berater, so scheint es, dienen ihm als Referenzfolie, um einen Idealtyp von Arbeitskraft zu beschreiben, an dem sich andere Beschäftigte messen lassen müssen. So zählt er zunächst auf, was diese Beschäftigten nicht sind: „sind nicht die, die, ähm, Hochschulabsolventen, die herkommen und große Consulting-Karriere machen wollen, schnell viele verschiedene Tätigkeiten durchführen wollen, Erfahrungen sammeln, [Leitungs]-Fähigkeiten“. Sie verfügen demnach über keinen Hochschulabschluss, sind nicht karriereorientiert und nicht an einem breiten Aufgabenspektrum interessiert, auf dessen Basis Leitungsfähigkeiten erlernt werden können. Damit expliziert er zwar nicht, was sie sind, aber es wird deutlich, dass sie anders als Berater sind, mithin dem hohen Standard der Berater nicht gerecht werden können. Anschließend beschreibt er sie als „gesetzter“, nicht nur „vom Alter“, sondern von der „Einstellung her“. Als Erklärung führt er an, dass sie „ihren Job machen“ und nicht mehr als acht oder neun Stunden am Tag arbeiten wollen und auch dann zufrieden seien, wenn es mal nichts zu tun gäbe. Folglich sind sie aufgrund ihrer „geringen“ Ansprüche, im Unterschied zu ihm selbst, nicht als ambitioniert zu beschreiben. Einer von ihnen zu werden, und sei es als Leitungskraft, empfindet er als unzumutbar, da es einem Stillstand oder gar Rückschritt gleichkommt. Welche Bedeutung hat Selbstorganisation in der AS GmbH? Selbstorganisation setzt Konrad C. mit Selbstständigkeit gleich, der er eine große Bedeutung beimisst. Sie komme insbesondere bei wechselnden Aufgabeninhalten zum Tragen, die es sich in Eigenleistung anzueignen gilt. Darüber hinaus verbindet er Selbstständigkeit mit eigenverantwortlichem Engagement über die eigentliche Aufgabe hinaus, was er als „auffangen“ bezeichnet: „Selbständigkeit ist. Die Leute haben früher ein und dasselbe gemacht in der [Bank]. Und bei uns in [Beratungsunternehmen] [Bereich Beratung] und anderen Bereichen, da erwartet man, dass die Leute selbständig sind. Also sie sagen, da hab' ich noch 'n Bedarf, etwas zu tun, ähm, ich fange was auf, was ein anderer fallen lässt, ohne zu sagen, das geht dich nichts an. Das sind die Punkte, die ich erwarte.“ (Z. 569ff.).
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Wichtig sei zudem, nicht um Hilfe, sondern um einen Rat zu bitten (Z. 909f.). Das bedeutet, dass die Ausführung der übertragenen Aufgabe letztlich immer beim Beschäftigten bleibt und das Arbeitsvolumen nicht reduziert wird. Es würden jedoch Hinweise gegeben, wie ein vorgegebenes Arbeitsvolumen schneller bewältigt werden kann. Im Idealfall bedeutet selbstständiges Arbeiten im Beratungsunternehmen, ein vorgegebenes Arbeitsvolumen in einer bestimmten Zeit zu erledigen. Sofern es den Beschäftigten gelingt, die Verantwortung für bestimmte Aufgaben zu übernehmen, werde die Anwesenheitszeit nicht kontrolliert. Dafür müssten sie sich flexibel zeigen und gegebenenfalls weitere Aufgaben übernehmen, wenn etwas Dringendes anfalle. Das gelte jedoch nicht für Beschäftigte mit privaten Verpflichtungen, wobei er ins Stottern gerät, als würde ihm der Umgang mit diesen Beschäftigten schwer fallen: „ich hoffe, sie haben auch gelernt, dass es mir vollkommen egal ist, wann sie kommen und wann sie gehen. Ich möchte nicht-, ich hab' denen auch gesagt, ihr müsst nicht sagen, dass ihr heute früher nach Hause geht, es ist mir ganz egal, ich kontrolliere euch nicht, da ist ein Vertrauen da, das ist auch unsere Kultur, die Arbeit muss gemacht werden. Aber ich erwarte auch, dass wenn ich euch bitte, mal was zu machen, was bis morgen fertig sein muss, dass ihr da auch 'ne gewisse Flexibilität habt. Man muss das jetzt wieder auch 'n bisschen differenzieren, weil manche Leute haben Kinder, die von der Schule abgeholt werden müssen, das kann man nicht so einfach-, da muss man einfach verschieden-.“ (Z: 919ff.).
Wenn Beschäftigte nicht bereit sind, die Erledigung eines gewissen Arbeitspensums eigenständig zu gestalten, nimmt die von ihm ausgeübte Kontrolle jedoch rigide Züge an: „…ich gucke, ob sie im Internet surfen während der Zeit, ob sie da frei haben. Ich guck', ob sie morgens rechtzeitig zur Arbeit kommen, ähm, abends, ob sie gehen. Dann ich guck' auch, ob sie zwischendrin auch noch Zeit haben, Kaffee zu trinken, ich guck', ob sie-, ob ich Rückmeldungen kriege, dass sie ihre Arbeit nicht machen. Ich schau' mir ihre [Zeiterfassung] an, die mir angeben, ob sie in den Schätzungen mit drin liegen, die von anderen gemacht wurden, oder nicht. Und all das kombiniert, gibt dir dann 'n Feedback dafür, ob die Leute, ähm, okay in der Zeit sind oder nicht. Oder wenn man ihnen zuhört, ob sie irgendwie gehetzt klingen oder ob sie Zeit haben“ (Z. 898ff.).
Selbstorganisation bedeutet demnach, flexibel auf verschiedene Arbeitsinhalte sowie Arbeitsvolumina zu reagieren und in Eigenregie zu bewältigen. Als Unterstützung bietet er einen Rat an, wobei die Verantwortung für die Ausführung beim Beschäftigten bleibe.
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Leistung und Anerkennung Die Zeiterfassung in der AS GmbH sieht vor, dass jede Anwesenheitsstunde auf eine bestimmte Aufgabe verbucht wird, was einfach sei, wenn es viel zu tun gibt: „…Wir haben ja die Aufgabe, die Leute arbeiten acht Stunden am Tag, sie müssen acht Stunden verbuchen, auf was verbuch' ich mich. Und es ist, wenn man viel zu tun hat, ist es relativ einfach…“ (Z. 63f.).
Das bedeutet, dass die Beschäftigten aufgefordert sind, im Einzelnen darzulegen, mit welchen Tätigkeiten sie sich befassen, mithin über ihre Anwesenheitszeit Rechenschaft abzulegen. Wird die Arbeit schneller als vorgesehen erledigt, so wertet er das als positiv. Somit stehen zwei Anforderungen im Raum, die es auszubalancieren gilt: Immer eine Aufgabe zu haben, auf die die eigene Arbeitszeit verrechnet werden kann und dennoch schnell arbeiten, um das Budget zu schonen, mit dem Risiko, anschließend keine Aufgabe zu haben, auf die man sich verrechnen kann. So solle man immer „die Hosen runterlassen“ (Z. 94) und dem Vorgesetzten sagen „ich hab' nichts mehr zu tun oder ich hab' zu viel zu tun“ (Z. 84), mithin das jeweilige Arbeitsvolumen transparent und sich selbst als leistungsfähig und -willig gegenüber den Vorgesetzten darstellen. Letztlich ist jedoch anzustreben, den Vorgesetzten in seiner Kontrollfunktion dahingehend zu ersetzen, dass der Zeitbedarf eines vorgegebenen Arbeitsvolumens selbst präzise geschätzt und eingehalten werden kann. Im nächsten Zitat wird deutlich, mit welchen Anforderungen Konrad C. die transferierten Beschäftigten konfrontiert, die unter seiner Leitung arbeiten. So sei es wichtig, Prioritäten setzen und mehrere Aufgaben gleichzeitig bearbeiten zu können, ohne dabei den Überblick zu verlieren. Wie die Passage verdeutlicht, steht die Belastbarkeit der Beschäftigten im Vordergrund, die es systematisch auszubauen gälte (vgl. Abschnitt 3.4.4), indem das Arbeitsvolumen sukzessive erhöht wird, bis der Beschäftigte „stöhnt“: „Und das ist etwas, was man den Leuten beibringen muss und ihnen auch erklären, warum man die Prioritäten jetzt so setzt und nicht anders. […] Und es ist eine Mitarbeiterin in meinem ehemaligen Team, auf die bin ich besonders stolz, die hat früher, ähm, sehr eindimensional gearbeitet, dieselben Sachen, das hat sie okay gemacht, und die macht sie auch jetzt zum Teil noch. Aber sie hat auch andere Dinge, und ich hab' ihr immer mehr zugeworfen, auch mal um so 'n bisschen zu sehen, wie weit kann man ihr denn was geben. Man muss ja auch sehen, wie weit sind die Leute belastbar, wie lange haben sie Spaß an der Sache, et cetera. Und die hat 'ne Menge aufgefangen, bevor sie angefangen hat zu stöhnen. Und, ähm, klar es hat nicht alles toll geklappt […]. Und das ist auch diese Art von Feedback, wo man sagen kann, und bleib' so flexibel, das ist das wichtigste bei [Beratungsunternehmen], dass du be-
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Ergebnisse der Untersuchung reit bist, neue Sachen zu machen, und damit bist du wertvoll für die Firma“ (Z. 779ff.).
Als Repräsentant des neuen Arbeitgebers signalisiert er den transferierten Beschäftigten, dass sie unterschiedliche Aufgaben auffangen und mit ihnen jonglieren können müssen. Dabei ist es durchaus gewollt, dass sie bei der Bewältigung schwankender Arbeitslast und Arbeitsinhalte an ihre Belastungsgrenzen stoßen. Vermutlich geht er davon aus, dass sie, auf diese Weise mit herausfordernden Aufgaben konfrontiert, ihre Belastungsgrenzen erweitern. Die Möglichkeit einer Überforderung schließt er nicht aus, signalisiert jedoch, dass es in der Verantwortung der Beschäftigten liege, zu „stöhnen“ und damit die drohende Überforderung zum Ausdruck zu bringen und sie zu begrenzen. Insgesamt entsteht der Eindruck von einem Arbeitskontext, der den Beschäftigten eine große Verantwortung aufbürdet. Zum einen sollen sie mit einer großen Bandbreite von unterschiedlichen Aufgaben zu Recht kommen, die es in einem schwankenden Arbeitsvolumen zu bewältigen gilt. Eine (entlastende) Routine von Aufgaben ist folglich nicht vorgesehen, was er gegenüber den Beschäftigten als positiv darstellt. Schließlich seien wechselnde Anforderungen die Basis von beruflicher Entwicklung. Möglichen Überforderungen müssen Beschäftigte in Eigenverantwortung begegnen, indem sie ihrem Vorgesetzten signalisieren, dass ihre Kapazitäten erschöpft sind. Möglicherweise spekuliert er dabei auf ihr Bedürfnis nach Anerkennung, das sie dazu anregen könnte, den Anforderungen auch zu Lasten ihrer Gesundheit gerecht zu werden. Beziehungsraum im Interview Der Befragte erscheint etwas verspätet am Interviewort, einem Besprechungsraum im Gebäude des Beratungsunternehmens. Er kündigt an, dass er einen Termin und daher nicht viel Zeit für das Interview hat. Die Forscherin und der Befragte einigen sich auf eine Unterbrechung des Interviews, damit der Befragte seinen Termin wahrnehmen kann. Anschließend soll das Interview fortgeführt werden. Seine Körperhaltung im Interview ist überwiegend sehr entspannt, er lehnt sich zurück und beantwortet die Fragen mit einer Form von Vertrautheit, die ein wenig aufgesetzt wirkt. Nach der kurzen Verständigung über das Vorgehen beginnt die Forscherin die Aufnahme des Gesprächs.
Z. 6-33: I: Genau geht es mir um den Übergang der Leute aus [AS GmbH] von der [Bank] zu uns. Und so weit ich weiß, warst du ja auch am Anfang, glaube ich, mit dabei. Und ich wollte dich fragen, was deine Rolle oder deine Aufgabe dort war?
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A: Okay. Also ich bin hier noch im [Beratungsbereich], also ich bin nicht Teil von [AS GmbH]. Und am Anfang kam ich dazu relativ spät eigentlich, 'nen halben Monat vor dem Übergang. I: Hhm. A: Meine Aufgabe war es, das [Team beim Kunden vor Ort], also das Team, was für [AS GmbH], ähm, beim Kunden, bei der [Bank] vor Ort ist, ähm, aufzubauen, zu definieren, was die tun, den ersten Kontakt auch für den Kunden darzustellen. I: Hhm. Okay. A: Kannst du mir noch 'n bisschen sagen, um was es genauer geht dabei, bei dem Übergang? Was ist das Ziel der Dissertation? I: Also das Ziel der Dissertation ist, so 'ne Art Best Practice zu finden für den Übergang. Und unter dem ganz speziellen Fokus, und zwar dem Fokus Zeit, weil ich denke, dass wir bei [Beratungsunternehmen] doch anders mit Zeit umgehen als man das in andern Unternehmen tut. A: Dann lass' mich noch was dazu sagen zum Anfang. Ich gehör' ja auch zu denen, was wir so das [gehobene] Management-Team nennen und deswegen war die Rolle natürlich eine Rolle mit dem [Team beim Kunden vor Ort], aber darüber hinaus-. Wir haben das ja auch noch nicht so häufig gemacht, ähm, Betriebsübergänge, Leute aufzunehmen, die so in Massen von anderen Kunden hier herkommen. Ich weiß, [Beratungsunternehmen] hatte auch früher schon die Tradition, Leute, ähm, diese [Beschäftigte mit Berufserfahrung] zu übernehmen, also Leute einzubinden in unserer Kultur, aber das ist natürlich jetzt 'ne massenhaftere Geschichte. Und uns fehlen so 'n bisschen die Leitbilder mit der existierenden [Beratungsunternehmen]Geschichte und -Kultur. Und das war natürlich für uns alle auch wichtig, den Leute da 'n Arbeitsplatz, 'n Arbeitsklima, 'ne Kultur zur Verfügung zu stellen, sie auch anzuleiten, wie [Zeiterfassung]. Das sind ja alles Dinge, das muss man erst mal verstehen und lernen, ähm, wie das hier funktioniert. Das ist schon 'n bisschen anders als in den traditionelleren Firmen.
Durch die Ankündigung des Befragten, nicht viel Zeit für das Interview anbieten zu können, ist die Forscherin etwas verunsichert und steigt unvermittelt in das Interview ein. Möglicherweise fürchtet sie, dass er das Interview ganz ablehnen könnte. Sie scheint das Gefühl zu haben, schnell beginnen zu müssen, um die wenige Zeit, die er anbieten kann, effizient zu nutzen. Daher versäumt sie, dem Befragten zu erläutern, worin ihr Forschungsinteresse besteht und was sie von dem Befragten erfahren möchte. Sie eröffnet das Interview mit einer etwas unglücklichen Formulierung: „Genau geht es mir um den Übergang der Leute aus [AS GmbH] von der [Bank] zu uns.“ Unglücklich deshalb, da sie mit dieser Formulierung wenig Distanz sowohl zum Forschungsgegenstand als auch zum Befragten signalisiert. Sie spricht davon, dass es ihr „um den Übergang“ gehe. Alternativ hätte sie auf den persönlichen Bezug verzichten und den Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing allgemeiner als forschungsrelevantes Phänomen einführen können. Interessant ist hier auch, dass sie den Personaltransfer
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im Rahmen von Outsourcing verkürzt mit „Übergang der Leute“ bezeichnet, obwohl es sich um den Beginn des Interviews handelt und daher nicht davon ausgegangen werden kann, dass ein Einverständnis in Bezug auf die verwendeten Begriffe besteht. Besonders irritieren mag an dieser Stelle die Formulierung „zu uns“, da die Nennung der AS GmbH oder des Beratungsunternehmens als übernehmende Organisation zu erwarten gewesen wäre. Implizit bietet sie sich dem Befragten mit dieser Formulierung als Expertin zum Thema Outsourcing an, die sich mit ihm als einem anderen Experten zum Thema austauscht und daher ein gemeinsames Grundverständnis voraussetzen kann. Mehr noch, sie weist sich als Angehörige des Unternehmens aus, dem auch der Befragte angehört und betont die Gemeinsamkeiten von Forscherin und Befragtem, anstatt ihm die Expertenrolle zu überlassen und als Forscherin zu agieren, die ein Interesse an einem ihr bisher unbekannten Forschungsgegenstand hat. Dieses Verhalten ist möglicherweise dem Umstand geschuldet, dass es sich bei einem Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing um ein brisantes Thema handelt, weshalb zu befürchten steht, dass der Befragte Hemmungen hat, offen über das Thema zu sprechen. Diesen antizipierten Hemmungen begegnet sie mit einem Beziehungsangebot, das an eine Gemeinsamkeit von Forscherin und Befragtem anknüpft, nämlich die Zugehörigkeit zum Unternehmen, das die transferierten Beschäftigten in ein neu gegründetes Tochterunternehmen übernimmt. Das mag durch die Hoffnung motiviert sein, auf diese Weise das Vertrauen des Befragten zu gewinnen und ihn zu einem offenen Erzählen über seine Erfahrungen mit dem Personaltransfer anregen zu können. Nach der kurzen Darstellung ihres Forschungsinteresses stellt die Forscherin fest, dass er „am Anfang mit dabei“ war. Diese Feststellung rahmt sie mit „so weit ich weiß“ und „glaube ich“ und bringt dadurch ihre Unsicherheit in Bezug auf seine Rolle im Rahmen des Outsourcings sowie in Bezug auf ihre und seine Rolle im Forschungsgespräch zum Ausdruck, da sie nicht so recht zu wissen scheint, wie sie einen passenden Erzählanreiz generieren soll. Anschließend fragt sie den Befragten nach seiner „Rolle“ oder „Aufgabe“, die er in diesem Zusammenhang hatte. Das „wir“ des einleitenden Satzes wird durch das „du“ in der Frage nach der Aufgabe verstärkt. So bietet sie dem Befragten eine vertrauensvolle Gesprächsebene an, die jedoch durch Zweifel flankiert wird, die sich manifest auf seine Funktion im Outsourcing-Prozess beziehen, implizit jedoch auch die Ambivalenz der Forscherin gegenüber den Rahmenbedingungen des Forschungsgesprächs sichtbar macht. Denn obwohl beide dem Unternehmensbereich Consulting zugeordnet sind, kennen sie sich nicht persönlich. Die gemeinsamen Anknüpfungspunkte sind somit zu Beginn des Interviews eher abstrakter Natur und noch nicht gefestigt, die Rollen im Forschungsgespräch noch diffus.
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Der Befragte reagiert defensiv mit einem „Okay“, dem eine kurze Pause folgt. „Also ich bin hier noch im [Beratungsbereich], also ich bin nicht Teil von [AS GmbH]“, beginnt er seine Rolle zu erklären. Seinem anfänglichen Zögern folgt eine Antwort, die eine Abgrenzung enthält. Er sei „im Beratungsbereich“ und nicht „Teil“ des neu gegründeten Tochterunternehmens, welches die transferierten Beschäftigten übernommen hat. Damit antwortet er zunächst nicht auf die Frage der Forscherin nach seiner Aufgabe in Bezug auf den Personaltransfer. Stattdessen macht er deutlich, dass ihm das „uns“ der Forscherin zu unspezifisch ist und er sich sowohl von ihr als auch von den Beschäftigten abgrenzen möchte, die für andere Geschäftsbereiche des Unternehmens tätig sind. Möglicherweise gelingt es ihm nicht, im gewünschten Maße die Rolle der Forscherin einzuschätzen, da sie sich als Forschende und damit als Fremde, zugleich jedoch als Angehörige seines Unternehmens präsentiert. In dieser Interpretationslinie wirkt der Versuch, die eigene Rolle zu definieren, als eine Abgrenzung in Bezug auf die wahrgenommene Rollenkonfusion der Forscherin. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass er sich von den transferierten Beschäftigten abgrenzen will, da er davon spricht, „noch“ dem Beratungsbereich anzugehören, dem auch die Forscherin angehört. Das gelingt ihm nur zum Teil, denn die Formulierung „noch“ verweist auf mögliche Zweifel an der Dauerhaftigkeit dieser Zuordnung. Der zweite Satz enthält eine weitere, nämlich zeitliche Abgrenzung, indem er der Feststellung der Forscherin widerspricht, von Anfang an dabei gewesen zu sein. Er sagt, dass er „am Anfang relativ spät“ dazu kam „eigentlich“. Mit der wagen Berichtigung der Feststellung der Forscherin signalisiert er ihr, dass es sich um seine Geschichte handelt, die er, nicht aber sie, kennt. Nach einem „hhm“ der Forscherin fährt er fort und beschreibt seine Aufgabe folgendermaßen: „Meine Aufgabe war es, das [Team beim Kunden vor Ort], also das Team, was für [AS GmbH], ähm, beim Kunden, bei der [Bank] vor Ort ist, ähm, aufzubauen, zu definieren, was die tun, den ersten Kontakt auch für den Kunden darzustellen“. Diese Antwort widerspricht seiner vorhergehenden Aussage, nicht von Anfang an am Übergang beteiligt gewesen zu sein. Denn nun gibt er an, das Beraterteam, das bei der Bank vor Ort tätig war, aufgebaut zu haben. Die Forscherin ist mit dieser Auskunft nicht zufrieden und äußert ein „Hhm. Okay.“, kann ihn damit jedoch nicht zu einer freieren Erzählung bewegen. Stattdessen löst er sich zunächst aus seiner Rolle als Befragter und spricht die Forscherin auf ihr Forschungsanliegen an, indem er fragt, worum es ihr eigentlich bei „dem Übergang“ geht. Wobei er mit seiner Frage wohl weniger den Übergang selbst als das Forschungsgespräch meint. Das verdeutlicht er mit der Frage nach dem Ziel der Dissertation. Diese Reaktion lässt sich zum einen als die Bitte verstehen, die Aufgabenstellung im Forschungsgespräch klarer zu definieren und darzulegen, was die Forscherin von dem Befragten erfahren möchte. Es ist jedoch auch möglich, dass er die Forsche-
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rin mit der Frage auffordert, die eigene Rolle zu definieren und etwas von sich preiszugeben, bevor er selbst das tut. Die Forscherin formuliert folgendes Ziel: „… so’ne Art Best Practice zu finden für den Übergang. Und unter dem ganz speziellen Fokus, und zwar dem Fokus Zeit, weil ich denke, dass wir bei [Beratungsunternehmen] doch anders mit Zeit umgehen als man das in andern Unternehmen tut“. Mit dieser Äußerung antwortet sie auf mehreren Ebenen. Sie beantwortet seine Frage nach dem Ziel der Dissertation mit der Angabe, Best Practices „finden“ zu wollen, und betont damit, in ihm einen Experten zu sehen, der in der Lage ist, Erfolgsfaktoren für einen Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing zu benennen. Zudem knüpft sie mit dem Begriff „Best Practice“ an das im Beratungsunternehmen übliche Vokabular an, das die Suche nach Lösungen gegenüber der Thematisierung von Problemen hervorhebt. Sie ergänzt ihre Aussage mit dem Hinweis auf den Zeitfokus ihrer Dissertation und stellt die These auf, dass “wir bei [Beratungsunternehmen]“ anders mit Zeit umgehen, als es in anderen Unternehmen üblich ist. Sie bietet somit wieder die Grenzziehung „wir bei [Beratungsunternehmen]“ gegenüber anderen, genauer, den transferierten Beschäftigten an, die keine Erfahrung mit dem Zeitumgang haben, wie er im [Beratungsunternehmen] üblich ist. Somit erhebt sie das Beratungsunternehmen zu einer Vergleichsfolie, an der sich andere Beschäftigte oder Unternehmen zu messen haben. Mit dieser Antwort scheint sie das Interesse des Befragten geweckt und zugleich sein Misstrauen gedämpft zu haben. Er markiert nun den eigentlichen Beginn des Interviews, indem er sagt: „dann lass’ mich noch was dazu sagen zum Anfang“. Nun lädt er dazu ein, gemeinsam den Anfang zu eruieren. Damit ist vermutlich sowohl der Anfang des Personaltransfers und seiner Beteiligung daran gemeint als auch der Anfang des Interviews, also die Suche nach einer gemeinsamen Basis von Forscherin und Befragtem, die ein Gespräch über seine Erfahrungen mit dem Personaltransfer erlaubt. Er beginnt, sich auf das Interview einzulassen. Wieder betont er seine Zugehörigkeit zum Beratungsbereich, mehr noch, zum Management des Beratungsbereichs, dem eine tragende Rolle im Outsourcing-Prozess zukommt. Seine Bereitschaft, gemeinsam mit der Forscherin über den Outsourcing-Prozess zu reflektieren, deutet er mit den Worten an „Wir haben das ja auch noch nicht so häufig gemacht, ähm, Betriebsübergänge, Leute aufzunehmen, die so in Massen von anderen Kunden hier herkommen“. Die Äußerung endet mit dem Hinweis auf die „Massen“, die von Kunden übernommen werden. Er markiert damit einen deutlichen Unterschied zu den anderen Beschäftigten mit Berufserfahrung, die als Einzelne und eben nicht in einer Gruppe in das Unternehmen eintreten und deutet mit den Worten „Leute einzubinden in unserer Kultur“ mögliche Integrationsschwierigkeiten an, die auftreten, wenn Beschäftigte hinzukommen, die keine Berufsanfänger sind und sich in
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ihrem Vorverständnis von Arbeit als Gruppe gegenseitig bestärken, also nicht im gewünschten Maße formbar sind (vgl. Abschnitt 7.1, Stichwort Rekrutierung). Anstatt jedoch auf mangelnde Einflussmöglichkeiten abzuheben, betont er zunächst, was das Beratungsunternehmen den transferierten Beschäftigten zu bieten hat: „'n Arbeitsplatz, 'n Arbeitsklima, 'ne Kultur“, um anschließend darauf hinzuweisen, dass man die Beschäftigten anleiten müsse, wenn es darum geht, das Spezifische der Alltagspraxis im Beratungsunternehmen zu „verstehen und lernen“, wobei er Verstehen und Aneignen gleichsetzt und somit gewissermaßen ihre berufliche Vorprägung negiert. Zum Abschluss betont er die Differenz des Beratungsunternehmens zu „traditionelleren Firmen“. In der Eingangsszene spiegelt sich die Positionierung des Befragten sowohl gegenüber der Forscherin als Ungleicher unter Gleichen, da er einen höheren Status im Beratungsunternehmen als die Forscherin besitzt, als auch gegenüber den transferierten Beschäftigten. Wobei letztere Abgrenzung als die bedeutendere Abgrenzung erscheint. Schließlich, so verdeutlicht sich im Verlauf des Interviews, erodiert diese Grenze, da ihm nahe gelegt wurde, vom Beratungsbereich zum Geschäftsbereich zu transferieren, dem die AS GmbH zugeordnet ist. Ein solcher Transfer, so deutet sich weniger über seine Äußerungen als vielmehr über seine wiederholten starken Abgrenzungsversuche gegenüber „NichtBeratern“ an, bedeutet für ihn ein Abstieg, den er vermeiden möchte. An sich gäbe es vielfältige Emotionen, die thematisiert werden könnten: Die Befürchtung der Forscherin, die Balance aus Fremdheit und Vertrautheit nicht halten zu können sowie mit der Anforderung konfrontiert zu werden, zum Vorgehen des Beratungsunternehmens Stellung beziehen zu müssen. Seitens des Befragten ist die Befürchtung, beruflich abzusteigen, sowie die empfundene sowie forcierte Fremdheit gegenüber den transferierten Beschäftigten zu nennen. Tatsächlich wirkt das Gespräch insgesamt sehr sachlich und distanziert, als würde es für die Kommunikation von Enttäuschung, Angst oder Trauer keinen Raum geben. Das ist möglicherweise auf den Umstand zurückzuführen, dass die Thematisierung negativer Emotionen den im Beratungsunternehmen etablierten Emotionsregeln widersprechen würde (Abschnitt 2.3.4). An der Beziehungsdynamik lassen sich weitere Prämissen des Beratungsunternehmens explizieren: Erstens, sind Statusunterschiede von großer Bedeutung, weshalb die Darstellung des eigenen Status in Abgrenzung zur Forscherin und zu den transferierten Beschäftigten wichtig ist; zweitens wird bereits die Abgrenzung zu „NichtBeratern“ deutlich, denen gegenüber sich Berater als überlegen fühlen, was im weiteren Verlauf des Interviews noch deutlicher zum Tragen kommt; drittens ist das im Beratungsunternehmen etablierte Vokabular als sach- und weniger beziehungsorientiert zu beschreiben, in dem einige technische Begriffe Verwendung
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finden, die eine emotionale Distanz zu Vorgängen ermöglichen, aus denen unangenehme Konsequenzen für Beschäftigte resultieren können. Der psychologische Vertrag von Konrad C. Konrad C. ist bewusst, dass es im Beratungsunternehmen von zentraler Bedeutung ist, als leistungsstark wahrgenommen zu werden, und folglich die Kommunikation von Schwächen einem beruflichen „Selbstmord“ gleichkommen kann. Um Leistung glaubhaft darzustellen, muss er den Gegenstand seiner Aufgabe ernst nehmen. Das bedeutet in seinem Fall, daran glauben zu müssen, dass die Gründung der AS GmbH sowie die Übernahme der transferierten Beschäftigten sinnvoll ist, mithin eine wirtschaftliche Chance für das Tochterunternehmen im Beratungsunternehmen, von dem es finanziell abhängt, besteht. Daher bemüht er sich um die Integration der transferierten Beschäftigten in der AS GmbH, die sehr stark von der Kultur des Mutterkonzerns und insbesondere vom Beratungsbereich geprägt ist. Er unterbreitet ihnen das durchaus ernst gemeinte Angebot, in der AS GmbH ein neues (berufliches) Zuhause zu finden, nachdem der ehemalige Arbeitgeber ihnen die Zugehörigkeit genommen hat. Dieses Angebot ist jedoch mit der Anforderung verbunden, sich den Prämissen des Beratungsunternehmens anzupassen und das eigene Arbeitsvermögen entsprechend seiner Vorstellungen und mit seiner Unterstützung zuzurichten, was jedoch eine Selbstaufgabe der transferierten Beschäftigten implizieren könnte. So kann sein Verhalten gegenüber den transferierten Beschäftigten als fürsorglich und zugleich arrogant beschrieben werden. Denn er signalisiert ihnen mit seiner Aufforderung, sich den Prämissen des Beratungsunternehmens anzupassen, dass sie nicht über die Qualitäten verfügen, die im Beratungsunternehmen als anerkennungswürdig erscheinen. Als „Nicht-Berater“ kommt ihnen nur dann eine Berechtigung im Beratungsunternehmen zu, wenn sie bereit sind, sich anzupassen. Dass er sich von ihnen sehr stark abgrenzt, ist zudem dem Umstand geschuldet, dass er sich möglicherweise in seinem eigenen Status nicht sicher ist und fürchtet, dass seine Position als Berater und Leitungskraft in Gefahr sein könnte. Diese Abgrenzung, so ist zu vermuten, verhindert, dass er in den „Sog“ von „Nicht-Beratern“ gerät, mithin seine Zugehörigkeit zu der Gruppe schützt, der er um jeden Preis angehören möchte. In dieser Lesart erscheint es plausibel, dass er die Leistungsphilosophie des Beratungsunternehmens vehement vertritt, um seine eigene Angst vor dem möglichen beruflichen Abstieg zu mildern. Die transferierten Beschäftigten als Arbeits-Subjekte zu würdigen und keine drastische Anpassung an die Erwartungsstrukturen des Beratungsunternehmens zu fordern, mag ihm zudem aufgrund der eigenen jahrelangen Anpassungsbestrebungen schwierig erscheinen. Schließlich würden seine eigenen Anstrengungen unnötig in Frage gestellt, wäre es legitim, sich nicht anzupassen. Mögli-
Einzelfallanalysen
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cherweise fühlt er sich durch das Angebot, zu einem anderen Geschäftsbereit zu transferieren, in Bezug auf die eigene Leistungsstärke hinterfragt, was seine Großzügigkeit gegenüber den transferierten Beschäftigten weiter schmälern dürfte. Für den psychologischen Vertrag, den er den transferierten Beschäftigten anbietet, bedeutet das, dass er die Bedeutung bestimmter erwünschter Verhaltensweisen hervorhebt, mithin bemüht ist, ihnen den Idealtyp eines Beraters zu vermitteln, den es nachzuahmen gilt. Wohl wissend, dass selbst er Schwierigkeiten hat, diesen Vorstellungen zu entsprechen, und es folglich einigen der transferierten Beschäftigten nicht gelingen kann, sich entsprechend diesem Idealtyp zu verhalten. Mehr oder minder bewusst fordert er sie somit dazu auf, das Unmögliche möglich zu machen (vgl. Abschnitt 2.2.2) und einem Typ von Arbeitskraft zu entsprechen, dem sie sehr wahrscheinlich auch mit gutem Willen nicht entsprechen können. Diesen Umstand, zu einer unrealistischen Anpassung anzuregen, beschönigt er in Anlehnung an den US-amerikanischen Mythos, der impliziert, dass mit der richtigen Einstellung und Leistungsbereitschaft letztlich alles machbar sei. Aus der Perspektive der transferierten Beschäftigten erscheint die Aufforderung, sich anzupassen, folglich als eine Bestätigung darin, dass sie es schaffen können, wenn sie nur wollen, mithin über ein größeres Potenzial verfügen, als sie selbst glauben. Mit diesem Deutungsangebot wird mehr oder minder bewusst an das Bedürfnis der transferierten Beschäftigten angeknüpft, eine neue berufliche Heimat zu finden. Daher bemühen sich einige von ihnen, wie beispielsweise Michaela D., „echte“ Berater zu werden und sich die Verhaltensweisen anzueignen, die mit einem „echten“ Berater assoziiert werden und sich mit den folgenden Stichworten benennen lassen: Selbstorganisation, Karriereorientierung, Leistungsfähigkeit, Flexibilität und anderes mehr. Sie ahnen jedoch, dass ihrer Anpassungsfähigkeit Grenzen gesetzt sind und mögen sich daher fragen, weshalb sie sich derartigen Erwartungsstrukturen anpassen sollen, die mit ihren Erwartungen nicht zu vereinbaren sind, mithin ein Tauschverhältnis anbieten, in der das Tauschangebot als mäßig attraktiv erscheint: Ein Arbeitsvolumen, das neben Prestige auch psychische und physische Belastungen verspricht; interessante Projekteinsätze, die mit (zu) hohen Mobilitätsanforderungen verbunden sind; berufliche Chancen, die mit (zu) großen beruflichen Risiken verbunden sind; eine Anerkennungsform, die auf Bewunderung abhebt und sich gegenüber einem Engagement, das nicht zu direkt sichtbarem Erfolg führt, als ignorant erweist sowie ein Umfeld, in dem gleichermaßen herausfordernde wie überfordernde Anforderungen üblich sind und Konkurrenz gegenüber Kooperation dominiert. Eine aktive Auseinandersetzung mit der Attraktivität des angebotenen psychologischen Vertrags sowie eine Realitätsprüfung in Bezug auf die Überein-
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Ergebnisse der Untersuchung
stimmung vorhandener und geforderter Kompetenzen wird möglicherweise sowohl von den Repräsentanten des Beratungsunternehmens als auch von den transferierten Beschäftigten vermieden, um nicht die Zusammenarbeit per se in Frage stellen zu müssen, sondern gemeinsam eine Scheinwelt zu generieren, die wirklich ist, weil sie wirkt.
7.3 Der psychologische Vertrag - verbindende Elemente Berufliche Heimat Der Verlust einer beruflichen Heimat wird von allen Befragten auf unterschiedliche Art und Weise thematisiert. Während Michaela D. von einer Scheidung spricht, fühlt sich Stefan G. als „Lämmchen“ geopfert und Sandra E. betont, ein Beschäftigungsverhältnis verloren zu haben, dass sie aktiv mittels einer Bewerbung angestrebt hat, während der Transfer zu einem erzwungenen Wechsel führt. Dieser erzwungene Wechsel wird von allen Befragten als schmerzhaft und belastend erlebt, was sich insbesondere bei der gemeinsamen Interpretation mit wissenschaftlichen Kolleginnen aus dem Fachbereich Gesellschaftswissenschaften in der Bandbreite negativer Emotionen zeigt, die zu Tage treten. Neben Wut äußern sich Gefühle der Trauer, mit empathischen Gefühlen für die Befragten mischen sich Aggressionen dahingehend, weshalb sie den Transfer passiv hinnehmen und kaum Widerstand leisten, zu wenig für sich selbst sorgen oder nur bedingt für bessere Arbeitsbedingungen im neuen Unternehmen eintreten. Diese Emotionen verweisen auf die Bedeutung des Interviews als Übertragungsraum, in dem Gefühle zum Ausdruck kommen, die von den Befragten nicht, oder nur bedingt, expliziert und in Worte gefasst werden können. Normative Subjektivierung Im Fall von Michaela D. scheint das Bedürfnis einer normativen Subjektivierung am stärksten ausgeprägt zu sein. So finden sich zahlreiche Hinweise dafür, dass sie bestrebt ist, sowohl ihren neuen Arbeitgeber als auch ihre Tätigkeit positiv zu besetzen, mithin ihre Tätigkeit als erfüllend und sinnvoll zu erleben. Weniger stark ausgeprägt, aber dennoch vorhanden, scheint das Bedürfnis bei Sandra E. zu sein, die sich als „Brücke“ unterschiedlicher Kulturen sichtlich wohl fühlt. Friedrich J. hingegen wird aus seinem ehemaligen Beschäftigungsverhältnis viel Bestätigung bezogen und den Transfer möglicherweise als desillusionierend empfunden haben. Ähnlich wie bei Christine I., die sich fachlich in der Bank entwickeln konnte, rückt aufgrund dieser Enttäuschung das Privatleben als Ort der Bestätigung wieder stärker in den Blick. Möglicherweise ist das Privatleben von Christine I. der Auslöser für einen Wechsel zurück in die Heimatstadt gewe-
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sen. So deutet sich im Gespräch um Mehrarbeit unter der Woche sowie am Wochenende an, dass dies für sie mit großem Organisationsaufwand verbunden ist. Da sie keine Kinder hat, liegt die Vermutung nahe, dass sie in die Pflege eines nahen Angehörigen eingebunden ist. So mag die Notwendigkeit, sich stärker im privaten Bereich zu engagieren, mit dem Verlust einer bestätigenden Tätigkeit einher gegangen sein, was ihr Bedürfnis, ihre Tätigkeit als sinnvoll zu erleben, beeinträchtigt haben mag. Christoph H. hingegen scheint sich seine Freude an seiner Tätigkeit bewahrt zu haben, die sich nur leicht verändert hat. Auf der anderen Seite neigt er dazu, der Arbeit einen begrenzten Raum in seinem Leben zuzuweisen, da seine Familie für ihn an erster Stelle steht. Sicherung der materiellen Existenz Arbeit, so zeigen die Interviews, ist mit einem Bedürfnis nach Anerkennung und einem Gefühl der Zugehörigkeit verbunden. Für den Großteil der Befragten ist anzunehmen, dass sie wie Stefan G. Anerkennung eher in Form von Würdigung anstreben und ihnen Bewunderung fremd ist, wie am Beispiel von Elisabeth F. deutlich wird, die als engagiert wahrgenommen werden, sich jedoch nicht als engagiert darstellen und verkaufen will. Als Kontrast ist Friedrich J. zu nennen, der als ehemalige Leitungskraft der Bank sehr wohl um die Bedeutung inszenatorischer Anteile für die Arbeit weiß und über eine ausgeprägte Kompetenzdarstellungskompetenz verfügt. In seinem Fall ist anzunehmen, dass er aufgrund der einschneidenden Erfahrung sein berufliches Engagement reduziert. Erscheint die Zugehörigkeit als brüchig, so neigen die Befragten dazu, sich auf eine Arbeitseinstellung zurückzuziehen, die die Sicherung der materiellen Existenz vor möglichen Selbstverwirklichungsbestrebungen betont. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht bereit sind, mehr ihn ihrem Beschäftigungsverhältnis zu sehen als die Sicherung ihrer materiellen Existenz. Im Gegenteil: Einen sicheren und bestätigenden Arbeitskontext vorausgesetzt, ist für alle Befragten anzunehmen, dass sie bereit sind, sich bis zu einem gewissen Grad mit dem Arbeitgeber zu identifizieren. Mehr noch: Es hat den Anschein, als hätten alle Befragten das Bedürfnis, sich mehr oder weniger stark mit dem Arbeitgeber zu identifizieren, was gewissermaßen mit der Suche nach einer beruflichen Heimat gleichgesetzt werden kann. Die Unsicherheit des Arbeitsplatzes, der Verlust des ehemaligen Beschäftigungsverhältnisses sowie das Gefühl, vom neuen Arbeitgeber als Person nicht gewollt zu sein, hintertreiben jedoch ein Engagement, das zu einer starken Identifikation mit dem Arbeitgeber führen könnte. Konkurrenz Alle Befragten benennen einen in Vergleich zum früheren Beschäftigungsverhältnis gestiegenen Leistungsdruck, der auf zwei Faktoren zurückzuführen sei:
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Ergebnisse der Untersuchung
Zum einen sind die Beschäftigen nun für einen Dienstleister tätig und müssen sich als Dienstleister „rentieren“ (Christine I.), da sie keine Funktion mehr erfüllen, der per se eine Berechtigung zukommt. Zum anderen ist die AS GmbH zwar nicht direkt dem Beratungsbereich zugeordnet, jedoch stark von den dort etablierten Erwartungsstrukturen geprägt. Der Begriff Chargeability bringt deutlich zum Ausdruck, was das für die Beschäftigten bedeutet: sie müssen sich auf eine Aufgabe „verrechnen“ können, die einem Kunden in Rechnung gestellt werden kann. Ausgelastet zu sein wird demnach zum Schlüsselkriterium erhoben, das über den Wert der Beschäftigten Auskunft zu geben scheint. Schließlich wird mit Chargeability nicht nur der Umstand, beschäftigt zu sein, assoziiert sondern eben auch leistungsfähig, leistungsbereit, flexibel, mobil und motiviert zu sein sowie über für das Unternehmen nützliche Qualifikationen zu verfügen. Chargeability gilt somit als Äquivalent zu Aktivität, einem Maßstab, der für den BeratungsBereich des Unternehmens von zentraler Bedeutung ist. Leistung und Anerkennung Leistung, das bestätigen alle Befragten, ist im neuen Unternehmen von großer Bedeutung. Dabei ist möglicherweise von einem Leistungsmythos zu sprechen, der in mehrerer Hinsicht inhaltsleer erscheint. So ist allen Beschäftigten der Druck anzumerken, der auf sie ausgeübt wird. Sie sollen für ihre eigene Beschäftigung sorgen, ihren Arbeitsalltag eigenständig organisieren, was auch bedeutet, mögliche Problemstellungen ohne fremde Hilfe zu bewältigen und dabei initiativ zu agieren und Impulse zu setzen. Umgekehrt fühlen sie sich in Richtlinien eingebunden, die ihnen einen engen Korridor weisen und ihnen zahlreiche Formalitäten aufbürden (Elisabeth F.), die neben den üblichen Aufgaben kaum zu bewältigen sind (Friedrich J.). Was bedeutet nun Initiative in einem Arbeitskontext, der Anforderungen stellt, die ohnehin zeitlich kaum zu bewältigen sind, in dem jede Arbeitsstunde durch eine Aufgabenzuordnung gerechtfertigt werden muss und die Art und Weise, wie Aufgaben zu erledigen sind, stark reglementiert ist? Die Befragten haben darauf keine Antwort. Sie wissen nur, dass es von großer Bedeutung ist, ihren Vorgesetzten, die eine berufliche Sozialisation als Berater erfahren haben, nachzueifern, mithin ihnen ähnlich zu werden. Denn, so bietet sich eine Schlussfolgerung an, je ähnlicher sie einem Berater werden, umso sicherer ist ihr Arbeitsplatz, der aufgrund von Aufgabenverlagerungen nach Asien derzeit unsicher erscheint. Diese Philosophie, die ein Großteil der Befragten unhinterfragt mehr oder minder ausgeprägt übernimmt, beinhaltet jedoch einen Wiederspruch, wie viele der Befragten ahnen. Denn sie verweist nicht auf Arbeitsplatzsicherheit im eigentlichen Sinne, sondern auf die Möglichkeit, sich trotz permanent drohendem Arbeitsplatzverlust sicher fühlen zu können, da das sukzessiv ausgebaute Quali-
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fikationsprofil den Wert auf dem internen und externen Arbeitsmarkt steigert und Beschäftigte für andere Arbeitgeber attraktiv macht. Diese Philosophie ist jedoch auf Berater ausgelegt, die ihre Karriere im Alter von Anfang zwanzig beginnen, um Mitte oder Ende dreißig zu einem Arbeitgeber zu wechseln, der mehr Sicherheit verspricht oder sich alternativ als Partner des Beratungsunternehmens eine finanzielle Absicherung zu erarbeiten, die ein frühes Karriereende ermöglicht. Vor diesem Hintergrund erscheint es als zynisch, diese Philosophie Beschäftigten anzubieten, deren Alter im Durchschnitt bei über fünfzig Jahren liegt, die gemäß der Philosophie demnach weder intern noch extern Karriere machen werden. Dass sich Beschäftigte auf dieses Angebot, den im Beratungsunternehmen gelebten Leistungsmythos zu idealisieren, einlassen, mag dem Umstand geschuldet sein, dass ihnen suggeriert wird, dass eine Entsprechung des Typus „Berater“ Zugehörigkeit zum Unternehmen verspricht. Zum einen, so wurde mehrfach angedeutet, erweist sich die Zugehörigkeit zu einem Beratungsunternehmen gemeinhin als brüchig. Zum anderen ist sowohl den transferierten Beschäftigten als auch den Repräsentanten des Beratungsunternehmens mehr oder minder bewusst, dass die transferierten Beschäftigten trotz aller Anstrengungen diesem Idealtypus nicht werden entsprechen können. Das Bedürfnis, eine neue berufliche Heimat zu finden, mag sie jedoch daran festhalten lassen, ihre Anstrengungen, doch eines Tages diesem Typus zu entsprechen, aufrechtzuerhalten oder gar zu steigern. Kompetenzdarstellungskompetenz Berater, so zeigen die Gespräche mit den transferierten Beschäftigten, inszenieren sich als „Königstruppe“ (Christine I.), die von einem Projekt zum nächsten wechseln, um dort möglichst schnell „von Null auf Hundert“ (Christine I.) zu kommen, sich das notwendige Wissen anzueignen, effizient eine Aufgabe zu erledigen und dabei möglichst das zugewiesene Zeit- und Personalbudget nicht zu erschöpfen. Was den Anspruch an sich selbst betrifft, einer Aufgabe gerecht zu werden, würden sie sich von den Beschäftigten jedoch nicht unterscheiden. Der wesentliche Unterschied sei auch nicht in der Geschwindigkeit der Wissensaneignung zu suchen, vielmehr stehe der inszenatorische Charakter im Vordergrund. Demnach spielt weniger die effiziente Erledigung eine Rolle als vielmehr die Darstellung der Aufgabenbewältigung als effizient. Wer „schüchtern“ sei (Elisabeth F.), habe kaum eine Chance, Karriere zu machen, da es eben nicht nur um Leistung, sondern um die Inszenierung von Leistung gehe. Berater treten daher mit einem gewissen arroganten Gestus auf, stets bereit, ihre Kompetenzen in Szene zu setzen.
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Karriereorientierung Die Karriereorientierung ist bei den Befragten unterschiedlich stark ausgeprägt. Während Michaela D. an eine Karriere im neuen Unternehmen glaubt und eine Beförderung anstrebt, ist im Fall von Friedrich J. anzunehmen, dass er bis zum Personaltransfer nicht nur als karriereorientiert zu bezeichnen war, sondern tatsächlich Karriere gemacht hat. Stefan G. und Herbert B. sind zwischen der Angst vor einem Arbeitsplatzverlust und der Hoffnung auf (weitere) Karriereschritte hin und her gerissen, während Elisabeth E. womöglich nie karriereorientiert gewesen ist. Der berufliche Werdegang von Christine I. kann als Fachkarriere beschrieben werden, die ihr zum Teil Führungsverantwortung beschert hat. Seit dem Transfer, den sie, ähnlich wie Friedrich J., als Karriereknick erlebt haben mag, glaubt sie nicht mehr an weitere Karriereschritte. Für Sandra E. ist anzunehmen, dass sie nur als begrenzt karriereorientiert zu beschreiben ist. Sie hofft jedoch auf einen Wechsel innerhalb des Mutterkonzerns in ihr Heimatland. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Karriereorientierung der Befragten als weniger stark ausgeprägt zu beschreiben ist. Üblicherweise knüpfen die Erwartungsstrukturen insbesondere im Mutterkonzern der AS GmbH jedoch an eine Karriereorientierung an, da im Gegenzug zu einem großen Engagement, das sich in einer hohen Chargeability und der Bereitschaft, flexibel zwischen unterschiedlichen Aufgaben zu wechseln, mobil zu sein sowie ein schwankendes Arbeitsvolumen zu bewältigen, die Aussicht auf Karriere geboten wird. Möglicherweise wissen die Repräsentanten der AS GmbH um die schwache Ausprägung dieses Anknüpfungspunkts. Die Vermutung liegt nahe, dass stattdessen an das Bedürfnis, eine berufliche Heimat zu finden, angeknüpft wird. Bruch des psychologischen Vertrags Auf den ersten Blick entwickelt sich der Eindruck, dass sich der Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing für einige Befragte als belastender darstellt als für andere. So gibt Elisabeth F. an, nicht überrascht gewesen zu sein, Teil des Outsourcings zu werden, während Stefan G. seine Erfahrungen drastisch, mit dem Gefühl geopfert zu werden, beschreibt. Auf den zweiten Blick wird jedoch deutlich, dass der Unterschied nicht über den Bezug zum Arbeitgeber ausgemacht werden kann, der mehr oder weniger stark ausgeprägt ist. Es ist vielmehr anzunehmen, dass bereits im Vorfeld des Outsourcings einige Umstrukturierungsmaßnahmen stattgefunden haben, die den psychologischen Vertrag in Frage stellten: Elisabeth F. verlor ihren Arbeitsplatz an Standort 1, Christine I. arbeitete für mehrere Jahre in den neuen Bundesländern, um nach der Rückkehr in ihre Heimatstadt keinen Arbeitsplatz mehr vorzufinden, Herbert B. wurde einer anderen Abteilung zugeordnet, Sandra E. erfährt durch ihren exklusiven Zugang zu
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den Personalverwaltungssystemen, dass die Informationstechnologie in der Bank komplett in Frage steht. Dass die IT und mit ihr die transferierten Beschäftigten in der Bank keine Zukunft haben, erfahren alle Befragten auf verschiedene Art und Weise zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Diese Erfahrung, so entsteht der Eindruck, ist jedoch für alle Befragten ein einschneidendes Erlebnis, das eine nachhaltige Veränderung des psychologischen Vertrags bewirkt: indem generell die Einstellung zur Arbeit in Frage gestellt wird, was Friedrich J. als schwächer werdende Karriereorientierung beschreibt und bei Elisabeth F., Sandra E. und Christine I. in Form der Betonung, letztlich biete ein Arbeitsplatz die Sicherung der materiellen Existenz, nicht mehr und nicht weniger, zum Tragen kommt. Für alle Befragten kann somit angenommen werden, dass der Verlust des Arbeitsplatzes in der Bank trotz der Weiterbeschäftigung in der AS GmbH einen Bruch des psychologischen Vertrags darstellt, der unterschiedliche Bewältigungsanstrengungen auslöst: Sandra E., Christine I., Christoph H. und Michaela D. versuchen, den Transfer als Chance zu deuten, und konzentrieren sich darauf, die Erwartungsstrukturen im neuen Unternehmen zu verstehen und sich entsprechend zu verhalten, um ihren Platz, oder drastischer formuliert: eine berufliche Existenzberechtigung, zu finden. Herbert B., Stefan G. und Elisabeth F. neigen dazu, sich nicht gemäß der etablierten Prämissen anzupassen, sondern hoffen entweder auf einen Vorgesetzten, der ihre Qualitäten zu würdigen weiß (Herbert B. und Stefan G.) oder haben soweit mit ihrem Beschäftigungsverhältnis abgeschlossen, dass sie mit der steten Gefahr des Arbeitsplatzverlustes leben können (Elisabeth F.). Sandra E. und Christine I. wiederum betonen, dass sie auf regelmäßige Einkünfte angewiesen sind und sich aus diesem Grund (bedingt) anpassungsbereit zeigen. Elisabeth F. und Christine I. sind in Bezug auf ihre starke Begrenzung des zeitlichen Zugriffs ihres Unternehmens zu vergleichen, die auf eine andere Ähnlichkeit der beiden verweist. So liegt die Vermutung nahe, dass beide nicht (mehr) sehr stark mit ihrem Beschäftigungsverhältnis identifiziert sind, sich lediglich damit arrangieren, ohne zu sehr auf eine neue berufliche Heimat zu hoffen. Ob eine solche Bruch-Erfahrung partiell kompensiert werden kann, mag von der Möglichkeit abhängen, im neuen Unternehmen eine berufliche Heimat zu finden. Während Michaela D. und Sandra E. davon ausgehen, gute Chancen im neuen Unternehmen zu haben, und Sandra E. als „Brücke“ unterschiedlicher Kulturen und Michaela D. als „Stimmungsbarometer“ ihren Platz gefunden haben, mangelt es Stefan G. und Elisabeth F. an bestätigenden Erfahrungen im neuen beruflichen Kontext. Im Fall von Friedrich J. zeigt sich hingegen, dass er zwar fähig ist, die Erwartungsstrukturen im neuen Unternehmen zu durchschauen und sich anzupassen. Da die Erfahrung, gegen seinen Willen den Arbeitgeber wechseln zu müssen, obwohl er den Transfer vorbereitet hat, kränkend und be-
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lastend ist, scheint er sich mehr oder minder bewusst dazu entschieden zu haben, dem Arbeitsleben aber insgesamt weniger Raum zu geben. Psychosoziale Auswirkungen einer Bruch-Erfahrung Wenn die Vermutung richtig ist, dass alle Befragten mehr oder weniger intensiv einen Bruch des psychologischen Vertrags erlebt haben, den sie kaum durch die Angebote im neuen Unternehmen kompensieren können, ist anzunehmen, dass der psychologische Vertrag, der sich mit der AS GmbH und dem Mutterkonzern herausbilden kann, vorbelastet ist: Sehr wahrscheinlich ist die Bereitschaft, das Privatleben betrieblichen Erfordernissen unterzuordnen, gering. So deuten mehrere Beschäftigte an, nur bedingt zu Mehrarbeit bereit zu sein, obwohl der Leistungsdruck insgesamt gestiegen sein mag. Zudem ist die Bereitschaft, sich in den Arbeitsprozess einzubringen, bei einem Großteil der Beschäftigten zurückgegangen. Während einige Befragte wie Elisabeth F. offensiv das Vorgehen in der AS GmbH in Frage stellen und ihren eigenen Weg suchen, neigen andere dazu, sich wie Sandra E. den formenden Einflussnahmen der Vorgesetzten zu entziehen, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, sie leisteten Widerstand. Im Anschluss an Seewald (2003) lässt sich folglich vermuten, dass die Arbeitsfähigkeit ähnlich wie die Bereitschaft zum Engagement durch einen Bruch des psychologischen Vertrags im Rahmen von Outsourcing beeinträchtigt wird. Aus diesem Grund muss es im Interesse des ehemaligen und neuen Arbeitgebers liegen, einen Beitrag zur Stabilisierung des Beschäftigungsverhältnisses zu leisten, der ein Mindestmaß an Arbeitsplatzsicherheit und Zugehörigkeitsgefühl ermöglicht und den transferierten Beschäftigten das Gefühl erhält, die Kontrolle über das eigene Erwerbsleben zu haben. Vorausgesetzt, der neue Arbeitgeber ist tatsächlich daran interessiert, sich das Arbeitsvermögen der transferierten Beschäftigten nutzbar zu machen. Es wäre jedoch auch denkbar, dass Outsourcing als beschleunigte Entgrenzung auf eine mangelnde Wertschätzung der transferierten Beschäftigten sowohl in der Bank als auch in der AS GmbH verweist, deren Aufgaben letztlich nach Asien verlagert werden. Die Vermutung liegt nahe, dass Outsourcing eine Selektionsfunktion zukommt: Diejenigen Beschäftigten, die sich mit einem entgrenzten Arbeitskontext arrangieren können, erhalten eine neue, wenn auch brüchige berufliche Heimat. Das Beschäftigungsverhältnis der anderen Beschäftigten wird möglicherweise nach Auslaufen des im Rahmen von Outsourcing gewährten Bestandsschutzes in Frage stehen.
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7.4 Die Berücksichtigung psychologischer Verträge im Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing Die Berücksichtigung psychologischer Verträge im Personaltransfer Selbst wenn Arbeitsverträge juristisch gesehen durch Outsourcing nur in wenigen Punkten berührt werden und sich faktisch durch einen Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing nur der Arbeitgeber und der Arbeitsort ändern, wird das Beschäftigungsverhältnis in einem wesentlichen Punkt in Frage gestellt. Schließlich konnte gezeigt werden, dass sich die Erfahrung eines Vertragsbruchs weniger auf die formalen Aspekte des Beschäftigungsverhältnisses bezieht als vielmehr auf unausgesprochene, mehr oder minder bewusste „Vertragsbestandteile“ des Beschäftigungsverhältnisses. Am deutlichsten lässt sich das am Beispiel der beruflichen Heimat zeigen: So haben sich alle Befragten auch deswegen tatkräftig für ihren ehemaligen Arbeitgeber engagiert, da sie auf ihre Zugehörigkeit zum Unternehmen vertrauten. Diese Zugehörigkeit nun in Frage gestellt zu sehen, greift tiefer in psychosozialen Strukturen ein, als vom ehemaligen und neuen Arbeitgeber wahrgenommen werden mag. Zudem machen sie im neuen Unternehmen die Erfahrung, dass Engagement allein nicht ausreicht; es muss die richtige Art von Engagement sein, für das die Stichworte Impulse und Initiative genannt wurden, die jedoch inhaltlich nur unzureichend gefüllt sind. Zudem müssen die etablierten Erwartungsstrukturen im ehemaligen und neuen Unternehmen Anknüpfungspunkte haben, die eine (den neuen Kontextbedingungen angepasste) Fortführung des psychologischen Vertrags ermöglichen und ihn nicht komplett in Frage stellen. Wenn die Vermutung richtig ist, dass die Prämissen im Beratungsunternehmen auf junge, karriereorientierte Hochschulabsolventen ausgerichtet sind, so muss ein anderes Angebot formuliert werden, von dem Beschäftigte profitieren können, auf die diese Beschreibung zwar nicht zutrifft, die jedoch über andere Qualitäten verfügen. Die Erwartungsstrukturen in einem Unternehmen auszumachen und zudem zu prüfen, inwieweit Anknüpfungspunkte an bereits vorhandene psychologische Verträge bestehen, ist jedoch voraussetzungsvoll. Möglicherweise könnte bereits der Versuch des Managements des übernehmenden Unternehmens, sich auf einen derartigen Findungsprozess einzulassen, einen Unterschied machen, der den transferierten Beschäftigten das Gefühl gibt, ein ernstgemeintes Angebot zu erhalten und als (Arbeits-) Subjekt „gewollt“ zu werden.
8 Schluss
Die Untersuchung eines Personaltransfers im Rahmen von Outsourcing hat gezeigt, dass der Outsourcing-Prozess begrifflich als beschleunigte Entgrenzung gefasst werden kann, sofern der Transfer zu einem Unternehmen vonstatten geht, dessen Arbeitsbedingungen im Vergleich zum Ursprungsunternehmen als entgrenzt bezeichnet werden können. Schließlich erfährt der Kontext, in den die betrachteten Beschäftigungsverhältnisse eingebettet sind, gewissermaßen über Nacht eine gravierende Veränderung, die mehrere Dimensionen betrifft. So konnte gezeigt werden, dass sich in Folge eines Personaltransfers im Rahmen von Outsourcing die Arbeitsanforderungen, Arbeitsbeziehungen, Arbeitsbelastung sowie die Qualifikationen ändern, die der Arbeitskontext erfordert. Diese Veränderungen in den Blick zu nehmen, gelingt insbesondere mit Hilfe des psychologischen Vertrags, der die Analyse psychosozialer Auswirkungen eines Personaltransfers im Rahmen von Outsourcing ermöglicht. Dabei wurde sowohl eine Psychologisierung, die zu sehr auf die individuellen Dispositionen der Beschäftigten abhebt, als auch eine zu abstrakte Auseinandersetzung mit Beschäftigungsverhältnissen vermieden, die keinen Raum für das emotionale Erleben eines solchen Prozesses der beschleunigten Entgrenzung lässt. Einerseits wurde die Bedeutung psychologischer Verträge als konstitutives Element von Beschäftigungsverhältnissen hervorgehoben und gezeigt, dass Beschäftigungsverhältnisse nicht nur formale Arbeitsbedingungen umfassen, sondern darüber hinaus als Projektionsfläche für Erwartungen, Wünsche und Bedürfnisse von Beschäftigten fungieren. Dabei handelt es sich aus Perspektive von Leitungskräften nicht etwa um eine nicht intendierte Nebenfolge, sondern um einen Mechanismus, der Unternehmen die Loyalität und das Engagement der Beschäftigten im vermeintlichen Tausch gegen Arbeitsplatzsicherheit und Zugehörigkeit zum Unternehmen sichert. Wie brüchig dieses Arrangement letztlich ist, kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn Beschäftigungsverhältnisse durch einschneidende Veränderungen wie ein Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing in Frage gestellt werden. Andererseits konnte gezeigt werden, dass formale Arbeitsbedingungen interpretationsbedürftig sind und neuen Organisationsmitgliedern vermittelt werden müssen, da sie von Beschäftigten nicht per se als sinnhaft wahrgenommen werden und ihnen das im Unternehmen etablierte Vokabular möglicherweise als
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Schluss
inhaltsleer erscheinen mag. Zudem werden formale Arbeitsbedingungen von unausgesprochenen, mehr oder minder bewussten Erwartungen der organisationalen Akteure flankiert, die von organisationalen Normen und Regeln geprägt sind und zugleich auf sie zurückwirken. Wenn die Vermutung richtig ist, dass insbesondere unausgesprochene, mehr oder minder bewusste Erwartungen die Alltagspraxis prägen, so gilt es, Methoden zu finden, mittels derer eine Annäherung an implizite Anteile von psychologischen Verträgen gelingen kann. Als ein solches Analyseinstrument wurde der Beziehungsraum im Interview vorgestellt, in dem sich sowohl psychische Dispositionen als auch soziale (Erwerbs-) Lebensentwürfe spiegeln, die in organisationsübergreifende Erwartungsstrukturen eingebettet sind. Es wurde deutlich, dass über die Analyse des Beziehungsraums im Interview gezeigt werden kann, welche Belastungen mit einem Personaltransfer im Rahmen von Outsourcing verbunden sind und welcher Art die Bewältigungsanstrengungen sind, die transferierte Beschäftigte mehr oder minder bewusst einsetzen, um den Auswirkungen des Outsourcing-Prozesses zu begegnen. Abschließend soll festgehalten werden, dass Outsourcing als eine Rationalisierungsstrategie verstanden werden kann, die derzeit zu einer nachhaltigen Veränderung von Beschäftigung beiträgt. Die Perspektive der Beschäftigten gilt es, bei der Betrachtung solcher Prozesse kritisch einzubeziehen, um einen ganzheitlichen Eindruck von den sich derzeitig vollziehenden Prozessen der Entgrenzung von Arbeit zu erhalten.
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