Mylady rammt das Mörder-Trio Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Ein Auto, das ...
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Mylady rammt das Mörder-Trio Ein neuer Butler-Parker-Krimi mit Hochspannung und Humor von Günter Dönges
Ein Auto, das wahrscheinlich schon von Cäsar als hoffnungslos veraltet abgelehnt worden wäre, tauchte im Reigen des »Veteranen-Corso« auf. Ratternd und asthmatisch schnaufend rollte der offene Wagen an den völlig verdutzten Zuschauern vorüber, eingehüllt in blaue Wolken, die nicht nur aus dem Auspuff stammten. Der Motor klopfte schon nicht mehr. Unter der eckigen Haube schien sich ein Hammerwerk in voller Aktion zu befinden, das kurz vor einer Explosion stand. Die Karosse war längst in Schwingungen geraten und ließ die langen Kutschwagenfedern auf und ab hüpfen. Die Insassen dieser Art Riesenwiege zeigten dennoch Haltung, Vornehmheit und Würde. Am Steuer saß eine majestätisch aussehende Dame, die gut und gern ihre sechzig Jahre hinter sich hatte. Sie hatte sich ihren breitrandigen Hut mit einem Tuch unter dem energischen Kinn festgebunden, um dem Fahrtwind zu trotzen. Hin und wieder nahm die kühne Fahrerin ihre Lorgnette hoch und beobachtete durch die Gläser den weiteren Verlauf der Fahrbahn. Sobald die Dame am Lenkrad sich über den Kurs klar war, nahm sie abrupte Korrekturen des Schnauferls vor, was bei den zahlreichen Zuschauern prompt einiges
Entsetzen auslöste. Der Veteran auf Rädern schwenkte dann auf die Mauer zu, die die Straßen säumten, und brachte sie ins Wanken. Doch die Fahrerin beherrschte ihr Auto und zwang das Schnauferl durch geschickte Bremsmanöver zurück auf die Straßenmitte, steuerte gegen und nickte nach solch geglückten Unternehmungen ihrem Beifahrer triumphierend zu. Der Begleiter der Dame paßte in diesen Wagen, doch er übertrieb seine Anpassungsfähigkeit ein wenig. Mit dem Bambusgriff eines altväterlich gebundenen Regenschirms hielt er seine schwarze Melone auf dem Kopf fest, eine Maßnahme, die eigentlich durch nichts gerechtfertigt wurde, denn der Oldtimer fuhr mehr als langsam. Der Beifahrer trug einen schwarzen Zweireiher, einen Eckkragen und eine schwarze Krawatte, die alles andere als modisch geschlungen war. Er zeigte ein ausdrucksloses Pokergesicht und saß stocksteif auf seinem Sitz, als habe er einen Ladestock verschluckt. Die energische Fahrerin, die an die Walküre aus einer Wagneroper erinnerte, schaltete so etwas wie einen Schnellgang ein. Das ging nicht ohne ein ausgiebiges und verdächtiges Krachen und Schleifen vor sich. Danach blieb das
Schnauferl einen Moment stehen, sammelte sich offenbar und machte dann einen gewaltigen Satz nach vorn. Mit einem deutlichen Plus von etwa anderthalb Kilometer pro Stunde jagte das betagte Fahrzeug weiter. Die Zuschauer an den Straßenrändern belohnten diese Tat mit begeistertem Beifall und hielten anschließend den Atem an, um von den Auspuffwolken nicht erstickt zu werden. Der Oldtimer entschwand ihren Blicken und bog auf die Landstraße ein. Das eigentliche Rennen hatte begonnen! Lady Agatha Simpson hatte sich auf dieses Rennen sorgfältig vorbereitet. Es wurde vom Royal Automobile Club von Großbritannien ausgerichtet und stellte eine Neuauflage jenes denkwürdigen Rennens dar, das in grauer Vorzeit schon mal veranstaltet worden war. Damals war das Auto erst salonfähig geworden und schickte sich an, die Straßen der Welt zu erobern. Teilnehmen an der jetzigen Rallye durften nur Wagen aus jener Zeit, Automobilmarken, die nur noch Legende waren. Sie mußten sich selbstverständlich im Urzustand befinden und durften auf keinen Fall durch technische Tricks modernisiert worden sein. Diese Oldtimer-Rennen hatten es in sich, was die Streckenführung anbetraf. Sie verlangte den Veteranen auf Rädern und ihren Fahrern alles ab. Sie führte von dem kleinen Städtchen Kew bei London über Richmond Kingston, Staines, Windsor und Maidenhead bis nach Oxford. Die Strecke entsprach einer Länge von fast 110 Kilometern, für die Veteranen eine fast schon unglaublich lange Distanz. Sie führte in weitem Bo-
gen entlang der Themse und bot landschaftlich einmalig schöne Ausblicke. Lady Agatha war von der ersten Sekunde an vom Ehrgeiz erfaßt worden. Sie wollte dieses Rennen unbedingt gewinnen und setzte all ihre Hoffnungen auf den Oldtimer, der sich seit Jahren schon in ihrem Besitz befand. Es handelte sich um einen Grand-Victor, eine Marke, die nur noch in speziellen technischen Handbüchern geführt wurde. Die Räder und Speichen dieses Vehikels waren noch aus Holz gefertigt, die Reifen bestanden aus Hartgummi. Der Komfort war nicht gerade üppig, denn eine harte Holzbank schien dagegen weich und nachgiebig zu sein. Das alles ignorierte die ältere Dame jedoch. Sie hatte sich inzwischen eine uralte, aber passende Fahrerbrille aufgesetzt und beobachtete die Fahrbahn. Sie brauste mit dem Wagen in eine sanfte Kurve, die sich weit hinzog. Das Durchschnittstempo des Grand-Victor betrug nämlich nicht mehr als vielleicht zwölf bis fünfzehn Kilometer pro Stunde. »Wo bleiben die Angaben, Mr. Parker?« herrschte sie ihren Beifahrer an. »Mylady haben besondere Wünsche?« erkundigte sich Josuah Parker, seit Jahr und Tag bereits als Butler in Diensten der Lady tätig. »Wie nehme ich die Kurve, Mr. Parker! Wozu haben Sie sich schließlich das »Gebetbuch« angelegt?« Mylady sprach damit einem Brauch echter Rallyefahrer an, deren Beifahrer tatsächlich über ein »Gebetbuch« oder über eine »Bibel« verfügten. In diesen Büchern sind die zu fahrenden Strecken fast metergenau aufgezeichnet und enthalten detaillierte Angaben, die sich auf das jeweilige Tempo oder Schalten be-
ziehen. Die Beifahrer »beten« diesen Text herunter und informieren so den Fahrer über das, was er zu tun und wie er zu fahren hat. Solch ein »Gebetbuch« hatte auch Josuah Parker anlegen müssen, obwohl er es wegen der zu erreichenden Geschwindigkeit für völlig sinn- und nutzlos hielt. Lady Agatha bestand auf Informationen, die der Butler jetzt lieferte. »Dreißig Grad Rechtskurve«, >betete< Parker also herunter, wobei er sich äußerst albern vorkam. »Volle Geschwindigkeit, Mylady, aber bitte, den Motor möglichst nicht überdrehen.« Parker dachte natürlich an die Schwachbrüstigkeit und Empfindlichkeit des ehrwürdig alten Motors, doch Lady Agatha stieß eine Art Jauchzer aus und gab Vollgas. Der Oldtimer tuckerte auf die Rechtskurve zu, hoppelte dabei wie ein liebestoller Hase und entwickelte bedenkliche Tonfrequenzen. »Festhalten, Mr. Parker«, rief Agatha Simpson und zog den Oldtimer endlich konsequent in die harmlose Rechtskurve, deren Einfahrt allerdings durch hochstehende Sträucher verdeckt wurde. Parker tat Lady Agatha den Gefallen und hielt sich mit seinen schwarz behandschuhten Händen vorn an der versilberten Griffstange fest. Dazu legte er sich noch stilgerecht und ein wenig übertrieben in die Kurve. Sekunden später ließ der Butler sich allerdings weniger stilgerecht vorn auf der eckigen Kühlerhaube und suchte verzweifelt nach einem passenden Halt. Da er ihn nicht fand, rutschte er von der Kühlerhaube ab und landete auf dem links im Kotflügel stehenden Ersatzrad.
Lady Agatha schaute mißbilligend nach ihrem Butler und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Was soll denn das?« fragte sie grollend, während sie sich die schwere, altertümliche Fahrerbrille auf die Stirn schob. »Sie übertreiben wieder mal.« Butler Parker verzichtete auf eine Antwort. Er sah auf die Gestalt, die regungslos neben einem Oldtimer auf der Straße lag, Parker hatte den dringenden Verdacht, daß dieser Fahrer bereits tot war. * »Ich begreife das nicht«, sagte der »Tote«, der einen leicht verwirrten Eindruck machte. »Ich bekam plötzlich einen Schlag auf den Hinterkopf. Mehr weiß ich eigentlich nicht.« »Das ist aber nicht viel«, stellte Lady Simpson grimmig fest. »Geschah das während der Fahrt?« »Bei Vollgas sogar«, antwortete der Fahrer. »Es muß sich um mindestens zwanzig Kilometer pro Stunde gehandelt haben.« »Jetzt übertreiben Sie aber«, reagierte Lady Agatha sichtlich ironisch. »Ihr Vanguard schafft doch höchstens noch zehn Kilometer.« »Ich widerspreche entschieden«, entrüstete sich der vermeintliche Tote, der wieder seinen sehr lebendigen Eindruck machte. »Das gilt vielleicht für Ihren Victor, Mylady, aber nicht für meinen Vanguard. Es waren mindestens zwanzig Kilometer!« »Sie gehen das Rennen ohne Copiloten an?« wunderte sich Lady Simpson und lenkte eindeutig ab, um einerweite-
ren Debatte über Höchstgeschwindigkeiten aus dem Weg zu gehen. »Natürlich fahre ich allein, Mylady«, erklärte der Fahrer, der Stanley Hudson hieß und sein nicht gerade billiges Hobby auf dem Umweg über eine Süßwarenfabrik finanzierte, die ihm gehörte. »Ich brauche unterwegs keine Ablösung oder einen Butler.« Während er das mit einiger Herablassung sagte, maß er Josuah Parker mit abschätzendem Blick. »Darf ich mir die Freiheit nehmen, Sir, eine Frage zu stellen? « schaltete Parker sich ein. »Wenn es sich nicht vermeiden läßt? Ich will schließlich weiter.« »Den Anschluß schaffen Sie mit dieser müden Kutsche nie«, stichelte Agatha Simpson. »Das ist eine … Herausforderung.« Stanley Hudson besann sich im letzten Moment, wie prominent die Lady war. Und wie immens reich dazu. Sie war mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert. Ihr Einfluß reichte weit, da war es besser, sich ein wenig unter Kontrolle zu halten. »Sie sind sicher, Sir, einen derben Schlag gegen den Hinterkopf erhalten zu haben? Kann es sich unter Umständen um ein Wurfgeschoß gehandelt haben?« Parker ließ sich nicht aus dem Konzept bringen und brachte seine Frage an. »Ob Schlag oder Wurfgeschoß, was weiß denn ich?« Stanley Hudson kletterte in seinen Oldtimer. »Für mich kommt es auf dasselbe heraus, verstehen Sie? Ich habe kostbare Zeit verloren, ich muß weiter. Viel Erfolg, Mylady!« Als er saß, erinnerte er sich, daß seinem Oldtimer der Anlasser fehlte. Er stieg
also wieder aus und beschäftigte sich ausgiebig mit der Anwerfkurbel. Der Motor reagierte aber darauf überhaupt nicht, er schwieg beharrlich. »Ich kenne einen Schrottplatz, auf dem man Ihre Kutsche besonders schonend abwracken wird«, stichelte die Sechzigjährige wieder. Sie stieg würdevoll in ihren Wagen und nickte ihrem Butler gnädig zu. Josuah Parker beugte sich zur Kurbel des »Victor« hinunter und drehte kurz und ruckartig. Dann sprang er erstaunlich schnell und unter Verzicht auf jedwede Gelassenheit einen halben Schritt zurück und lauschte den Geräuschen, die der Motor von sich gab. Er knatterte, schien sich aus seiner Verankerung lösen zu wollen, brachte den gesamten Wagen in lange Schwingungen und lief dann plötzlich erfreulich rund. Parker nahm neben Mylady Platz und wappnete sich. Agatha Simpson mußte nämlich den ersten Gang einkuppeln und dazu einen langen Hebel aus bestem Schmiedestahl bewegen. Alles klappte ausgezeichnet. Victor machte einen Satz nach vorn, streckte sich und nahm dann Fahrt auf. Gleichzeitig aber hüllte er sich wieder in eine blauschwarze Rauchwolke und nebelte den Vanguard ausgiebig ein. »Was sagen Sie zu diesem blutigen Anfänger?« wollte Agatha Simpson dann wissen. »Er ist weder niedergeschlagen noch beworfen worden, wenn Sie mich fragen. Er ist einfach in der Kurve aus seinem Wagen gefallen. Dieser Mann hatte noch nie eine besondere Kurventechnik!« »Mylady werden verzeihen, wenn ich mir die Freiheit nehme, in diesem Fall zu widersprechen«, gab Josuah Parker
höflich zurück und präsentierte seiner Herrin einen Zettel. »Diese Botschaft befand sich in der Hand des besinnungslosen Mr. Hudson.« »Botschaft?« Agatha Simpson runzelte ausgiebig die Stirn und schaute ihren Butler an. Dadurch geriet ihr Victor sofort aus dem Kurs, denn seine Lenkung war mehr als defekt. »Der Straßengraben, Mylady«, erinnerte Parker diskret. »Wieso Straßengraben? Sprachen Sie eben nicht von einer Botschaft, Mr. Parker? Sie machen einen sehr zerstreuten Eindruck auf mich. Ist Ihnen nicht wohl?« »Der Straßengraben«, erinnerte der Butler noch mal. »Mylady nähern sich ihm mit Vehemenz.« »Ach so, das!« Agatha Simpson korrigierte den Kurs im letzten Moment, ohne aber auch nur die Spur einer gewissen Aufregung zu zeigen. »Lenken Sie mich gefälligst nicht immer ab. Was ist das mit der Botschaft?« »Im Grund, Mylady, handelt es sich um eine Mordandrohung.« . Diesmal hatte der Butler aufgepaßt. Als Lady Simpson vor freudiger Überraschung voll auf das Bremspedal trat, schob Parker sich nicht wieder auf die Motorhaube. Er hielt sich gründlich fest. »Eine Mordandrohung, Mylady«, wiederholte Parker. »Falls Mr. Stanley Hudson nicht bereit ist, in Richmond fünftausend Pfund zu zahlen, will der Mörder ihn durch einen gezielten Schuß an der Weiterfahrt hindern.« *
»Das kann doch nur ein geschmackloser Scherz sein«, sagte Agatha Simpson. »Davon sollten Mylady besser nicht ausgehen«, erwiderte Josuah Parker. »Hier scheint sich ein neuer Kriminalfall anzubahnen.« Die passionierte Detektivin war von dieser Aussicht offensichtlich recht angetan. . »Vielleicht sollte man Mr. Hudson warnen, Mylady«, schlug der Butler vor. »Der Vanguard passiert gerade die Kurve.« »Ich werde ihn stoppen.« Lady Simpson wartete die Antwort ihres Butlers gar nicht erst ab, stieg ein wenig mühsam aus dem Victor und baute sich mitten auf der Landstraße auf. Sie winkte mit den Armen und wollte Mr. Hudson veranlassen, das Bremspedal zu treten. Stanley Hudson jedoch schien das Gefühl zu haben, daß man ihn erneut belästigen wollte. Er tat daher so, als habe er nicht recht verstanden und winkte zurück. Dann fuhr er in elegantem Bogen um die verdutzte Lady herum und brauste weiter. Er wandte sich noch mal um und winkte erneut. »Dieser Trottel«, grollte die Detektivin. »Er fährt direkt seinem Tod entgegen. Mr. Parker, Mr. Parker!?« »Mylady?« Parker stand bereits dicht hinter seiner Herrin und lüftete erwartungsvoll die schwarze Melone. »Ihm nach«, befahl Agatha Simpson. »Wir werden alles aus dem Victor herausholen, Mr. Parker. Ich verlange genaue Angaben darüber, wie ich die nächsten Kurven nehmen muß.« Parker begab sich zurück an die Drehkurbel und versuchte ehrlich, den Motor wieder in Gang zu bringen, doch diesmal sperrte er sich. Wahrscheinlich war er der Ansicht, bereits genug geleistet zu
haben, kurz, er setzte sich nicht in Bewegung. »Lassen Sie sich endlich etwas einfallen«, fuhr die resolute Dame ihren Butler schließlich gereizt an. »Wo bleiben denn die übrigen Wagen?« »Möglicherweise ein Massensterben der Motoren, Mylady«, vermutete Parker gemessen. »»Warum haben Sie Hudson nicht rechtzeitig gewarnt?« Agatha Simpson war nervös geworden und sah Parker vorwurfsvoll an. »Ich muß bekennen, Mylady, daß ich den Text zu spät zu entziffern vermochte.« »Wie erreichen wir jetzt diesen Hudson, Mr. Parker?« »Falls Mylady einwilligen, könnte ich dort drüben vom Haus aus anrufen und die zuständigen Behörden verständigen. « »Tun Sie das. Normalerweise bin ich ja gegen Behörden, aber jetzt muß es wohl sein.« Parker lüftete noch mal seine schwarze Melone und machte sich dann auf den Weg zu dem einzelstehenden Landhaus, das von einer hohen Taxushecke umgeben war. Parker warf sich ehrlich vor, nicht rechtzeitig geschaltet zu haben. Er nahm diese Erpressung mit gleichzeitiger Mordandrohung sehr ernst. Hier hatte sich kein sogenannter Witzbold einen geschmacklosen Scherz geleistet. Er hatte die hohe Taxushecke erreicht, ging auf das Tor zu und eilte dann zum Haus. Es handelte sich um einen langgestreckten, einstöckigen Bau aus dicken Backsteinquadern. Dieses Haus machte auf den Butler leider einen recht verschlossenen und verlassenen Eindruck.
Und seine Annahme war richtig. Auf sein Klingelzeichen hin rührte sich nichts im Haus. Es blieb totenstill. Parker bemühte sich um die nächste Hausecke, um auf der Rückseite nach Bewohnern zu fahnden. Arglos ging er um diese Hausecke herum, passierte dann einen kleinen Vorbau, der wohl zur Küche gehörte – und ging in die Knie. Er tat das nicht freiwillig ... Irgendein harter Gegenstand landete schlagartig auf seiner schwarzen Melone und trieb ihm die Kopfbedeckung tief in die Stirn. Von der gewaltigen Wucht des Schlages wurde der Butler sogar ohne Übergang bewußtlos. Als seine Sinne sich endlich wieder regten, hatte er zuerst das Gefühl, tiefe Nacht sei um ihn herum. Dann allerdings ging ihm auf, daß die Innenseite der Melone seine Augen bedeckte. Parker, noch etwas benommen, zerrte die Kopfbedeckung hoch und nahm dankbar das Sonnenlicht zur Kenntnis. Er erhob sich und spielte einen Moment mit dem Gedanken, seinen angestaubten Zweireiher mit der kleinen Kleiderbürste wieder auf Hochglanz zu bringen. Natürlich führte er als Butler solch ein Instrument stets mit sich. In Anbetracht der allgemeinen Situation aber verzichtete er auf diesen Luxus und suchte weiter nach einer Möglichkeit, ins Haus zu kommen. Da war und blieb ja immer noch die Warnung, die er nach Richmond durchgeben wollte. Er kümmerte sich aus Zeitgründen nicht weiter um den Niederschlag, den er hatte erleiden müssen. Die Zeit drängte. Parker erreichte nichts. Unter einer Remise entdeckte er nur ein ziemlich verrostetes Fahrrad, das er
sicherheitshalber konfiszierte. Es machte noch einen einigermaßen brauchbaren Eindruck, wenn auch beide Reifen leider ohne Luft waren. Butler Parker schwang sich auf den Sattel und strampelte zurück zur Straße, um seine Herrin zu informieren. Die Fahrt war ziemlich anstrengend und unkomfortabel. Die luftleeren Reifen ließen jeden Stoß durch. Als Parker die Straße erreichte, vermißte er einen vertrauten Anblick. Der Victor samt Lady Simpson war verschwunden! * Die Detektivin donnerte mit ihrem Victor über die schmale Landstraße und machte sich natürlich keine weiteren Gedanken über ihren Butler. Ihr war es gelungen, den Motor doch noch anzuwerfen. Nun war sie auf dem Weg nach Richmond, um Stanley Hudson zu warnen. Sie befand sich allein auf weiter Flur. Die Streckenführung dieser OldtimerRallye war aus guten Gründen auf Landstraßen zweiter, dritter und vierter Ordnung verlegt worden. Mit normalem Straßenverkehr war hier im weiten Gelände nicht zu rechnen. Die Schnauferl blieben ganz unter sich. Die Landstraße schlängelte sich an einem schmalen Bach entlang und wurde zur Wiesenseite hin von einer Mauer aus Felssteinen begrenzt. Lady Simpson spähte nach vorn und hoffte, den Vanguard Mr. Hudsons bald zu sehen. Sie traute diesem Wagen nicht viel zu, mußte ihn also bald eingeholt haben. ..
Der Victor gab sich alle Mühe. Er schnaufte und ratterte pflichtgemäß und entwickelte eine Höchstgeschwindigkeit von fast achtzehneinhalb Kilometern pro Stunde. Der Fahrtwind spielte mit Myladys Hutkrempe und wirbelte den langen Shawl immer wieder vor die Autobrille. Agatha Simpson stopfte ihn gerade in das Kostüm, als ihr Blick rein zufällig in den riesigen Seitenspiegel fiel. Zu ihrer Überraschung und Freude entdeckte sie einen schnell näherkommenden Jeep, der wohl zur Rennleitung gehörte. Das bedeutete die Rettung für Stanley Hudson! Die Detektivin minderte die Geschwindigkeit des Victor und machte durch Winken auf sich aufmerksam. Der Jeep war inzwischen bereits heran und schob sich neben ihren Oldtimer. Zwei Männer saßen im Jeep, zwei Männer, deren Gesichter leider nicht zu erkennen waren. Sie trugen Jet-Helme, wie sie von Motorradfahrern benutzt werden, die Sonnenvisiere waren heruntergeklappt worden. Agatha Simpson bremste den Victor rigoros ab, ließ den Motor aber laufen. Sie beugte sich aus dem wesentlich höheren Chassis zu den beiden Fahrern hinunter und wollte sie informieren und veranlassen, im Eiltempo nach Richmond zu fahren, um Stanley Hudson zu warnen. Doch dann entdeckte sie etwas, was bei ihr höchsten Alarm auslöste. Der Beifahrer hielt einen BaseballSchläger in Händen, und dieses Sportgerät paßte ihrer Ansicht nach überhaupt nicht zur Ausrüstung der Rennsportleitung. Zudem richtete dieser Beifahrer sich schnell auf und wollte ihr
besagten Schläger gegen den Kopf schlagen. Nun, er wußte nicht, mit wem er es zu tun hatte ... Lady Simpson reagierte mit einer Schnelligkeit, die man der älteren Dame wirklich niemals zugetraut hätte. Sie duckte sich, ließ den Schläger knapp über ihren Hut hinwegzischen und langte ihrerseits nachdrücklich zu. Als Schlaginstrument benutzte sie ihren perlenbestickten Pompadour, einen Handbeutel aus bester victorianischer Zeit. In diesem Pompadour befand sich Myladys »Glücksbringer«, ein echtes Hufeisen, das nur unwesentlich in dünnen Schaumstoff gewickelt war. Myladys Schlag erwies sich als Volltreffer. Der »Glücksbringer« klatschte ins Gesicht des Beifahrers, der daraufhin von seiner Absicht ließ, Mylady mit dem Baseball-Schläger zu belästigen. Die Nase des Mannes verformte sich merklich. Der Getroffene fiel zurück gegen den Fahrer des Jeeps und behinderte ihn auf peinliche Art. Der Jeep geriet ins Schlingern, kam vom Kurs ab und hielt auf den nahen Straßengraben zu. Doch im letzten Augenblick konnte der Fahrer den Wagen noch herumreißen, gab Vollgas und jagte mit hochtourendem Motor davon. Agatha Simpson machte sich sofort an die Verfolgung und holte aus ihrem Victor heraus, was das Zeug hielt. Mit einer schon an Wahnsinn grenzenden Geschwindigkeit von neunzehneinhalb Kilometern pro Stunde raste der Oldtimer hinter den beiden Gangstern her, die mit ihrem Jeep längst hinter der nächsten Kurve verschwunden waren.
* »Sie waren auch schon schneller«, stellte Agatha Simpson mißmutig fest und sah ihren Butler kopfschüttelnd an. »Mylady mögen verzeihen«, entschuldigte sich Josuah Parker und stieg von seinem entliehenen Fahrrad. »Es gab Ärger mit der Fahrradkette. Und mit einem Angreifer, der meine bescheidene Wenigkeit leider überraschte.« Parker war in Richmond eingetroffen. Auf der Rückseite des Hotels befand sich der große Wagenpark, wo die Veteranen, die die erste Etappe geschafft hatten, abgestellt wurden. »Sie sind auch überfallen worden?« Interesse glomm in den Augen der älteren Dame auf. »Wie schön, Mr. Parker!« »Darf ich bescheiden fragen, ob Mylady Mr. Hudson warnen konnten?« »Ich habe ihn gewarnt, nachdem ich ihn überholt habe, Mr. Parker. Stellen Sie sich das mal vor, ich habe ihn mit meinem Victor überholt! Hudson war einem Schlaganfall nahe.« »Hat Mr. Hudson sich die Warnung und Mordandrohung zu Herzen genommen?« »Er hat mich ausgelacht.« Agatha Simpson schien sich daran nicht gern zu erinnern. »Er sprach von einem faulen Trick, den ich mir angeblich ausgedacht habe, um ihn an der Weiterfahrt zu hindern.« »Diese Annahme könnte sich als verhängnisvoll erweisen, Mylady.« »Er hat sich diesen Wisch mit der Mordandrohung angesehen und ihn dann zerrissen.«
»Ob ich mir erlauben darf, Mr. Hudson noch mal eindringlich zu warnen, Mylady?« »Ich werde Sie nicht daran hindern. Ich bin nämlich bereits gewarnt, Mr. Parker.« »Mylady wurden belästigt?« Parker sah seine Herrin konzentriert an. »Und ob, Mr. Parker! Und zwar von einem Baseball-Schläger. Nun, dieses Subjekt wird an mich denken! Ich habe ziemlich genau getroffen.« »Myladys flüchtige Bemerkungen erregen mein ehrliches Interesse.« Lady Agatha lächelte grimmig-versonnen, bevor sie ihrem Butler von dem Erlebnis auf der Landstraße berichtete. »Danach steht für mich fest, wie Hudson niedergeschlagen wurde«, schloß die Detektivin nachdrücklich. »Diese beiden Lümmel schoben sich mit ihrem Jeep an seinen Vanguard heran und knüppelten ihn nieder. Wahrscheinlich wollten sie das auch bei mir versuchen.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit schockiert.« Parker meinte es ehrlich. »Wie leicht kann es dabei zu einem tödlichen Unfall kommen!« »Ich habe bereits eine Theorie, Mr. Parker«, verkündete die resolute Dame mit ihrer schon mehr als baritonal gefärbten Stimme. »Auch ich sollte erpreßt werden. Man ist nur nicht mehr dazu gekommen, mir solch einen Wisch in die Hand zu drücken.« »Demnach müßten auch noch andere Teilnehmer der Rallye belästigt worden sein, Mylady.« »Oder werden das noch erleben, Mr. Parker. Und wissen Sie auch, warum man sich diese Rallye ausgesucht hat?« »Mylady werden sich dazu bereits eine Zusatztheorie gebildet haben.« Par-
ker war ein höflicher Mensch. Er ließ nicht erkennen, was er von dieser Theorie dachte. »Ich weiß Bescheid, Mr. Parker.« Agatha Simpsons Augen funkelten unternehmungslustig. »Sämtliche Teilnehmer dieser Oldtimer-Rallye sind nicht gerade mittellos zu nennen, oder?« »In der Tat, Mylady!« »Sehen Sie, und diese nicht gerade mittellosen Teilnehmer sollen ausgenommen werden wie die Gänse. Sehr raffiniert, finden Sie nicht auch?« Parker nickte langsam. Mochten die Theorien Myladys ansonsten auch stets recht gewagt sein, in diesem Fall aber schien Lady Simpsons Vermutung richtig zu sein. Die Besitzer dieser alten Wagen waren durchweg gut gestellt und konnten Erpressungsgelder in Höhe von fünftausend Pfund ohne weiteres zahlen, falls das der geforderte Durchschnittsbetrag darstellte. An der Oldtimer-Rallye beteiligten sich immerhin weit über fünfzig Teilnehmer. Da kam schon eine horrende Summe zusammen. »So, Mr. Parker, ich werde jetzt mal meine Fühler ausstrecken«, ließ die Detektivin sich vernehmen. »Ich werde feststellen, wer sonst noch belästigt worden ist. Sie können inzwischen den Wagen warten. Ich glaube, ich habe ihn ein wenig scharf herangenommen. Die Ventile haben sich ...« Agatha Simpson brachte ihren Satz nicht zu Ende, da sie abgelenkt wurde. Ein gellender, spitzer Schrei war nämlich plötzlich zu hören. Er kam von einem Oldtimer, der weit hinten an der Parkmauer abgestellt worden war. Es war ein Schrei, der Entsetzen und Grauen ausdrückte.
* »Ein Mord?« erkundigte sich Lady Simpson, als Parker zurückkehrte. »Ein Unglücksfall, Mylady.« »Und wer schrie so spitz?« Lady Agatha schüttelte vorwurfsvoll und indigniert den Kopf. »Mrs. Wemloke, Mylady, die Frau des Verunglückten. Sie konnte inzwischen beruhigt werden.« »Und was war passiert?« »Das, Mylady, wird wohl nur der Verunfallte näher beschreiben können«, erwiderte Parker. »Er befindet sich auf dem Weg ins Hospital und dürfte laut Auskunft der Ärzte vor einer Stunde nicht reden können. Er wurde, was interessant erscheinen mag, am Hinterkopf verletzt.« Agatha Simpson und Butler Parker befanden sich in der Bar des Hotels, wo die Rallye für den Rest des Tages gebucht hatte. Die Tagesstrecken für die Oldtimer waren sorgsam ausgewählt worden und betrugen pro Abschnitt nie mehr als dreißig bis fünfzig Kilometer. »Sie denken natürlich an den Baseball-Schläger, nicht wahr?« Lady Simpson schien keine Antwort zu erwarten. »Zuerst Mr. Hudson, dann der Versuch auf meinen Hinterkopf und jetzt Mr. Wemloke. Sie streiten hoffentlich nicht ab, Mr. Parker, daß es da einen engen Zusammenhang gibt, oder?« »Das, Mylady, würde ich mir niemals erlauben.« »Sonst noch etwas?« »In der Tat, Mylady. Da ich Gelegenheit hatte, Erste Hilfe zu leisten, konnte ich diese schriftliche Drohung und Aufforderung bergen.«
Während Parker noch sprach, reichte er seiner Herrin einen Zettel, wie ihn Mr. Stanley Hudson bereits erhalten hatte. Auch in diesem Fall wurden fünftausend Pfund verlangt, zahlbar umgehend und zwar ebenfalls hier in Richmond. »Was habe ich Ihnen gesagt, Mr. Parker? Hier handelt es sich um eine Art Massenerpressung.« Lady Agatha vibrierte vor Spannung und Aktivität. »Wissen Sie, warum diese beiden Lümmel mich attackieren wollten?« »Möglicherweise wollte man Mylady ebenfalls eine Zahlungsaufforderung überreichen«, umschrieb der Butler. »Worauf Sie sich verlassen können, Mr. Parker.« »Wären Mylady in der Lage, fünftausend Pfund sofort zu bezahlen?« Parker stellte eine entscheidende Frage. »Und wenn, Mylady, an wen und auf welche Art und Weise? Ein spezieller Übergabemodus ist auf beiden Zetteln nicht angegeben, wenn ich respektvoll darauf verweisen dürfte.« »Du lieber Himmel, sind Sie umständlich!« Agatha Simpson sah ihren Butler fast vernichtend an. »Das gehört eben zum zweiten Teil der jeweiligen Erpressung. Natürlich könnte ich umgehend fünftausend Pfund in bar auftreiben. Nichts leichter als das.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit überfordert.« »Ich gehe zur nächsten Bank, weise mich aus und bekomme das Geld«, redete die resolute Dame weiter. »Man wird sich sogar beeilen, mir solch eine Summe in die Hand zu drücken.« »Weil Mylady eine bekannte Persönlichkeit sind.« Parker deutete eine seiner knappen Verbeugungen an.
»Hudson und Wemloke sind das ebenfalls. Und alle anderen hier, die sich an der Rallye beteiligen. Nein, nein, Mr. Parker, das Bargeld ist kein Problem! Wir müssen herausfinden, wer im Lauf des Nachmittags zahlen wird – und wie er das besorgt.« »Die zuständige Polizei könnte eine diskrete Beschattung der Teilnehmer vornehmen, Mylady«, schlug Parker vor, obwohl er bereits im voraus wußte, daß seine Herrin darauf niemals einging. Er war sich aber diese Bemerkung schuldig, wie er glaubte. »Polizei!« Lady Agatha schnaubte verächtlich. »Phantasielose Männer in genormten Anzügen, Hüten und Mänteln werden überall herumstehen und diese Gangster zum Lachen bringen. Davon will ich nichts hören. Das ist unser Fall, falls Sie es noch nicht gemerkt haben sollten!« »Wie Mylady befehlen!« Parker senkte ergeben den Blick und unterdrückte einen Seufzer. »Und dieser Fall wird der Stoff für meinen geplanten Bestseller«, redete die selbstbewußte Dame weiter. »Ich spüre es in allen Fingerspitzen, Mr. Parker, daß hier der Kriminalroman meines Lebens auf mich wartet. Agatha Christie wird sich wundern und sich in Grund und Boden ärgern.« »Mylady haben bestimmte Befehle?« Parker ging auf den geplanten Bestseller erst gar nicht ein. Lady Agatha schrieb ihn schon seit fast einem Jahr, aber war über die erste Zeile noch nicht hinausgekommen. Sie ließ sich immer wieder ablenken und konnte sich für kein Thema entscheiden. »Handeln Sie nach Ihrem Gefühl«, ordnete die Detektivin an. »Entwickeln
Sie Eigeninitiative, Mr. Parker! Ich werde das ebenfalls tun.« »Darf ich mich erkühnen, Mylady zu warnen?« »Warnen?« Lady Agatha sah ihren Butler erstaunt an. »Mylady sollten an diese beiden Fahrer im Jeep denken. Sie werden sich möglicherweise rächen.« »Das möchte ich mir auch ausgebeten haben«, lautete die grimmige Antwort. »Ich wäre sehr enttäuscht, wenn man sich an mir nicht noch mal vergreifen würden!« * Butler Parker hatte das Sporthotel verlassen und lustwandelte gemessen über die Hauptstraße von Richmond. Sein Ziel war der kleine Marktplatz, der gleichzeitig das geschäftliche Zentrum bildete. Hier befanden sich auch die Banken der kleinen hübschen Stadt. Falls Myladys Vermutung richtig war, mußten hier früher oder später einige Teilnehmer der Oldtimer-Rallye auftauchen, um Geld abzuheben. Während seines Spaziergangs achtete Parker darauf, ob er verfolgt wurde. Er hatte seinen eigenen Niederschlag noch nicht vergessen und war davon überzeugt, daß er sich aus irgendeinem ihm noch unerfindlichen Grund mißliebig gemacht hatte. Als er den Marktplatz erreichte, entdeckte er drei Bankfilialen, die in schönen alten Häusern untergebracht waren. Sie lagen praktisch Tür an Tür und ließen sich leicht überwachen. Parker betrat eine nett und vertrauenswürdig aussehende Teestube, bestellte sich Tee, ein
wenig Gebäck und beschäftigte sich dann intensiv mit einer Landkarte, die er umständlich ausbreitete. Über den Rand dieser Karte hinweg beobachtete er die drei Eingänge auf der gegenüberliegenden Seite des Marktes. Der Butler brauchte nicht lange zu warten. Zuerst erschien ein gewisser Mr. Stallett, ein untersetzter Endfünfziger, der eindeutig Teilnehmer der Rallye war. Er schaute sich verstohlen nach allen Seiten um, als er die mittlere der drei Banken betrat. Fast unmittelbar danach tauchte Stanley Hudson auf. Er entschied sich für die linke der drei Banken und machte eine knappe Minute später Platz für Mr. Brakers, einen langen, fast dürren Mann, der gut und gern seine sechzig Jahre alt war und einen weiten, karierten Radmantel trug. Brakers hielt es mit der rechten der drei Banken. Daß diese Herren nicht den jüngsten Stand der Börsennotierungen studieren wollten, lag für den Butler auf der Hand. Sie hoben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit je fünftausend Pfund ab, um den Forderungen der Erpresser nachzukommen. Parker erhob sich. Er hatte die Absicht, sich an Stalletts Fersen zu heften, um die Formalitäten der Geldübergabe zu studieren. Mit etwas Glück konnte er dann einen der Erpresser sogar stellen und überwältigen. Parker wünschte sich ein schnelles Ende dieses Falles. Obwohl bisher nicht viel passiert war, konnten die Dinge doch jederzeit umschlagen und in einen ernsten Mord münden. Zu seiner peinlichen Überraschung aber mußte er diesen Versuch aufgeben.
Ihm wurde plötzlich schlecht. Er hatte nur wenige Schluck Tee getrunken, doch die mußten seinen Magen bereits nachhaltig verstimmt haben. Parker spürte einen penetranten Brechreiz in sich aufsteigen, stand hastig auf und ging natürlich nicht nach draußen. Er eilte zum Waschraum und bemühte sich um Würde. Dabei besaß er aber noch die Geistesgegenwart, sich die Gesichter der Gäste in der Teestube anzusehen. Ihm entging dabei nicht, daß ein etwa dreißigjähriger Mann ihn irgendwie spöttisch musterte. Mit Mühe und Not erreichte Parker den Waschraum. Ihm war völlig klar, daß man ihn elegant überlistet hatte. Ihm war jedoch zu übel, um sich darüber gründlich zu ärgern. Er hatte im Moment andere Dinge zu tun. * Der junge Mann schob sich vorsichtig ins Hotelzimmer und drückte die Tür leise hinter sich ins Schloß. Er schien sich seiner Sache ziemlich sicher zu sein, denn er pirschte sich auf Zehenspitzen an das Badezimmer heran, aus dem das Rauschen und Plätschern von Wasser zu vernehmen war. Er hatte diesen günstigen Zeitpunkt genau abgepaßt. Vom Korridor aus hatte er das Rauschen der Wasserleitung gehört, dann noch etwa zehn Minuten gewartet und ging jetzt zum Angriff über. Der Eindringling war etwa achtundzwanzig Jahre alt, schlank, von normaler Größe und zeigte eine leicht deformierte Nase. Trotz eines Jet-Helms war er von einem gewissen »Glücksbringer«
hart erwischt worden. Splitter des Sonnenvisiers hatten den Nasenrücken gründlich zerschrammt. Der Mann freute sich darauf, dieses alte Pferd, wie er Lady Agatha insgeheim und privat nannte, zur Rechenschaft zu ziehen. Er hatte sich bereits einige Bösartigkeiten überlegt, die alle davon ausgingen, daß dieses »alte Pferd« schließlich in der Badewanne saß. Diesen Nachmittag würde sie nie mehr im Leben vergessen, das wußte er bereits jetzt. .. Agatha Simpson war ahnungslos. Sie trällerte eine Melodie, plantschte wieder im Badewasser herum und behauptete dann, sie sei von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. So wenigstens lautete der Text des Chansons, das sie mit dunkler Baritonstimme von sich gab. Der Eindringling öffnete vorsichtig die Tür zum Badezimmer und spähte zur Wanne hinüber. Sein Opfer war sehr verschwenderisch mit einem Badeschaummittel umgegangen. Wahre Berge türmten sich aus der Wanne in die Höhe. Der neugierige Mann sah nur den Haarschopf der Sechzigjährigen. Er grinste wie ein Filmgangster, zog seinen kurzläufigen Revolver aus der Schulterhalfter und betrat dann schwungvoll die Fliesen. Er marschierte sofort zur Badewanne und schlug mit dem Lauf seiner Waffe auf den Haarschopf. Nicht besonders fest, denn die verrückte Lady sollte ja nicht ohnmächtig werden. Doch der Schlag entpuppte sich als eine Niete. Es handelte sich im wahrsten Sinn um einen Schlag ins Wasser. Revolver, Hand und Haarschopf versanken im Schaumgebirge, und gleichzeitig
kassierte der Mann einen derben Stoß, der seine Schulterblätter traf. Der Eindringling wußte nicht, wie ihm geschah. Er machte einen Satz nach vorn, hechtete mit dem Kopf voran ins Schaumgebirge, das übrigens betörend gut roch, und verschwand unter Wasser. Da er automatisch nach Luft schnappte, schluckte er eine gehörige Portion Badewasser, das nach Fichtennadeln schmeckte. Als er endlich wieder auftauchte, machte er einen benommenen Eindruck. »Sie Lümmel«, hörte er über sich, nahm entsetzt den Kopf hoch und sah in das grimmige Gesicht der resoluten Dame. Sie hielt eine langstielige Rückenbürste in der rechten Hand und klatschte dem Mann die Borsten ins Gesicht. Seine an sich schon mitgenommene Nase wurde erneut in Mitleidenschaft gezogen. Der Eindringling stöhnte und tauchte wider Willen erneut unter. Agatha Simpsons linke Hand lag auf seinem Kopf und verfügte über eine erstaunliche Kraft. Der ungebetene Besucher schluckte erneut eine Portion Wasser, kam wieder zurück an die Oberfläche und hustete und spuckte. Er schien sehr hilflos. »Sie Flegel!« Agatha Simpson grollte. »Wie können Sie sich unterstehen, eine Dame zu belästigen?« Sie ließ ihm keine Zeit, eine passende Ausrede zu finden oder sich zu äußern. Erneut verschwand sein Kopf unter Wasser. Der Mann strampelte wie besessen mit den Beinen im Wasser und glaubte, seine letzte Minute habe geschlagen. Er versuchte, gegen den Druck von Myladys Hand anzukommen, doch das erwies sich als hoffnungslos.
Nachdem die Detektivin ihm eine gute Magenfüllung verpaßt hatte, gestattete sie dem jungen Mann, wieder ans Tageslicht zu kommen. Er blieb schlaff, entnervt und ausgepumpt im Badewasser liegen und haderte mit seinem Schicksal. Ihm war inzwischen restlos klar, daß das »alte Pferd« ihn gründlich hereingelegt hatte. Wie ein Anfänger war er in eine ganz einfache Falle getappt. »Nun möchte ich etwas von Ihnen hören, junger Mann«, sagte Lady Agatha und spielte mit der langstieligen Badebürste. »Reden Sie einfach drauflos, ich werde die Spreu schon vom Weizen trennen.« Während sie noch sprach, rutschte ihr die Badebürste ein wenig aus der Hand, worauf die harten Borsten erneut ihre Spur über seinen Nasenrücken zogen. Der Mann, der in nichts an eine badende Venus erinnerte, quiekte auf und tauchte freiwillig unter. * Trotz seiner Übelkeit hatte Josuah Parker keineswegs die allgemeine Übersicht verloren. Im Umgang mit der Unterwelt erfahren, rechnete er mit einem Besuch im Waschraum. Obwohl ihm noch recht übel war, baute er sich hinter der Tür auf und wartete. Er brauchte es nicht lange zu tun. Die Tür öffnete sich, der Dreißigjährige trat ein und hielt sofort auf das eine der beiden Kabinette zu, in dem er den Butler vermutete. Sein Irrtum war durchaus verzeihlich, denn Josuah Parker hatte sich von seiner schwarzen Me-
lone getrennt und sie oben auf der Abschlußkante des Türrahmens abgelegt, daß der Eindruck entstand, er habe das Kabinett mit Beschlag gelegt. Der Dreißigjährige griff in die Innentasche des Jacketts und zog einen wenig schönen Gegenstand hervor: Es handelte sich um einen handfesten Totschläger, wie er in Gangsterkreisen gern verwendet wird. Parker war fair und hüstelte. Er wollte den Mann nicht einfach rücklings niederschlagen, das hätte seinem sehr entwickelten Feingefühl nicht entsprochen. Der Mann fuhr herum und sah bereits dicht vor sich den Bambusgriff eines altväterlich gebundenen Regenschirms. Bevor er ausweichen konnte, legte dieser Griff sich auf seine Stirn. Es gab einen dumpfen Laut, dann knickte der Mann mit weichen Knien ein und vergaß seine finsteren Absichten. Josuah Parker untersuchte den Mann, barg dessen Brieftasche und holte aus einer Schulterhalfter einen kurzläufigen Revolver, den er konfiszierte. Dann setzte er seine Melone auf und wartete, bis der Mann sich wieder rührte. Da er seinen Schlag mit dem Regenschirmgriff gut dosiert hatte, dauerte es nicht lange. »Ich bin sicher, daß Sie mich auf einem kleinen Spaziergang begleiten werden«, sagte Parker zu dem Dreißigjährigen. »Etwas frische Luft wird Ihnen sicher gut tun.« Diesen Eindruck hatte der Dreißigjährige ebenfalls. Als Mann aus der Branche war ihm klar, daß Widerstand im Moment nicht angebracht war. Er schob sich hoch, massierte seine Stirn und war noch recht schwach auf den Beinen, als
er zusammen mit Parker den Waschraum verließ. Der Butler dirigierte den Mann durch einen kurzen Korridor, der an der Teeküche vorbei in einen engen Hinterhof führte. Hier blieb sein Gefangener stehen und wurde störrisch. »Sie sollten sich keine unnötigen Chancen ausrechnen«, bat Parker in gewohnt höflicher Weise. »Ich möchte Ihnen mitteilen, daß ich in solch einem Fall hart durchgreifen werde.« »Was ... Was wollen Sie überhaupt?« brauste der Dreißigjährige auf. Er hatte sich noch weiter erholt. »Ein kleines Gespräch«, antwortete Parker gemessen. »Es gibt da einige Dinge, die der Aufklärung bedürfen.« Dieser Ansicht war der Dreißigjährige nicht. Er hatte den Butler gemustert und kam zu dem Schluß, daß dieser Mann kein ernsthafter Gegner war. Dazu sah Parker allerdings auch wirklich zu korrekt und zu konservativ aus. Der Dreißigjährige sprang den Butler aus dem Stand heraus an und wollte ihn mit einem Fausthieb zu Boden schicken. Der Mann legte sein ganzes Gewicht in diesen Schlag. Parker, roher Gewalt stets abhold, stach mit der Spitze seines Regenschirms zu. Die Zwinge senkte sich in die Magenpartie des Angreifers und verursachte dort einen äußerst schmerzhaften Reiz. Der Schläger kam nicht mehr dazu, seinen Schlag zu vollenden. Wie erstarrt blieb er stehen und erinnerte einen Augenblick an eine Statue. Dann fiel er vor Parker auf die Knie und keuchte. Er hatte das Gefühl, von einer Klinge durchbohrt worden zu sein.
»Sie vergeuden unnötig wertvolle Energie« stellte Josuah Parker vorwurfsvoll fest. »Nun, wir wollen die Dinge nicht auf die Spitze treiben.« »Wir. .. Wir sprechen uns noch«, drohte der Dreißigjährige kläglich und ohne jede Überzeugungskraft. »Mit Sicherheit«, antwortete Parker höflich. »Richten Sie Ihren Partnern aus, daß diese Massenerpressung sich im Endeffekt nicht auszahlen wird.« Parker lüftete grüßend seine schwarze Melone und ging zurück ins Haus. In der Tür blieb er noch mal kurz stehen und wandte sich zu dem Mann um, der sich wieder aufzurichten begann. »Ich bitte nachträglich um Vergebung«, entschuldigte sich Butler Parker. »Das Temperament muß mit meiner bescheidenen Wenigkeit durchgegangen sein. Schließlich dürften Sie meinen Tee vergällt, Mr. Hudson niedergeschlagen und Lady Simpson angegriffen haben. Von dem Angriff auf meine Wenigkeit ganz zu schweigen. Bei zukünftigen Begegnungen werde ich mich wohl ein wenig besser unter Kontrolle haben, hoffe ich.« Der Dreißigjährige sagte nichts. Er starrte den Butler an, als habe er es mit einer gespenstischen Erscheinung zu tun. So etwas war ihm noch nie über den Weg gelaufen. * »Ich habe diesem Lümmel die Freiheit geschenkt«, sagte Agatha Simpson, nachdem sie ihre Geschichte beendet hatte. »Er wird sich in den nächsten Tagen nicht besonders wohl fühlen.«
»Mylady konnten Informationen gewinnen?« erkundigte sich Josuah Parker. Er befand sich im Hotelzimmer seiner Herrin und war froh, daß sie diesen Besuch gut überstanden hatte. »Der Flegel heißt Ron Stansy«, sagte Lady Agatha. »Das geht auch aus dem Inhalt seiner Brieftasche hervor. Er arbeitet mit einem Ralph Baltow zusammen. « »Dies, Mylady, entspricht den Tatsachen«, erklärte Parker. »Den Namen Ralph Baltow fand ich in dieser Brieftasche hier.« »Sie hatten auch Kontakt mit diesen Lümmeln?« Parker berichtete nun seinerseits, was ihm widerfahren war. Dazu präsentierte er Agatha Simpson die Brieftasche des Mannes, den Totschläger und schließlich auch den kurzläufigen Revolver. »Was glauben Sie, Mr. Parker, sind das unsere Erpresser?« fragte Lady Simpson. »Wahrscheinlich handelt es sich nur um sogenannte Handlanger«, lautete Parkers Antwort. »Ralph Baltow besitzt keineswegs das Format, solch eine umfassende Erpressung durchzuführen.« »Ron Stansy ebenfalls nicht«, entschied Agatha Simpson. »Sie hätten ihn in der Badewanne sehen sollen, Mr. Parker. Überhaupt kein Durchsetzungsvermögen. Er behauptet übrigens, er und sein Freund Baltow hätten sich von einem Unbekannten anheuern lassen.« »Die übliche Ausrede, Mylady.« »Die ich in diesem Fall sogar glaube, Mr. Parker. Stansy und sein Freund Baltow hatten den Auftrag, diese Erpresserwische zu verteilen. Und zwar, hören Sie genau zu, an sämtliche Teilnehmer der Rallye. Dafür sollten sie je fünfhun-
dert Pfund bekommen. Die erste Hälfte konnten sie bereits kassieren, die zweite Hälfte sollten sie sich nach Erledigung ihres Auftrags postlagernd in London abholen. Am Postamt Picadilly Circus.« »Hat Mr. Ron Stansy zugegeben, Mr. Hudson und Mr. Wemloke niedergeschlagen zu haben?« »Nur zu gern, Mr. Parker. Das war nach seinem vierten Tauchversuch in der Badewanne. Er bestreitet aber entschieden, Sie am Landhaus erwischt zu haben. Davon hat er angeblich keine Ahnung.« »Und der fahrlässige Angriff auf Mylady?« »Geht auf das Konto von Stansy und Baltow. Das gestand er nach dem sechsten, nein, lassen Sie mich nicht lügen, nach dem siebten Schnelltauchen. Mehr war dann nicht mehr aus ihm herauszuholen. Er hatte wohl etwas zuviel Wasser geschluckt.« »Ich konnte die Herren Hudson, Stallett und Brakers beobachten, Mylady, als sie diverse Banken besuchten.« Parkers Gesicht drückte andeutungsweise Bedauern aus. »Ein plötzliches Unwohlsein, von dem ich bereits berichtete, hinderte mich leider daran, weitere Beobachtungen in dieser Hinsicht zu machen.« »Darauf kommt es jetzt auch gar nicht an.« Agatha Simpson winkte großzügig ab und verzichtete auf jede ironische Spitze. »Fest steht, daß wir es mit einem ganz raffinierten Täter zu tun haben. Ich hoffe, Sie sind nicht anderer Meinung.« »Ganz sicher nicht, Mylady.« »Schon allein die Liste der Teilnehmer an dieser Rallye bedeutet für diesen Mann ein Vermögen.« Agatha Simpson machte einen vergnügten Und animier-
ten Eindruck. »Jeder Teilnehmer an diesem Rennen wird die verlangten fünftausend Pfund liebend gern zahlen. Das heißt, von mir werden diese Gangster natürlich keinen einzigen Penny erhalten.« »Gewiß nicht, Mylady.« »Sie werden etwas bekommen, und zwar Zunder.« Agatha Simpson nickte grimmig. »Die Frage ist jetzt, wer sich diese Massenerpressung hat einfallen lassen.« »Das, Mylady, dürfte der Kern des Problems sein.« »Es muß sich um einen Burschen handeln, der Phantasie besitzt.« »Mylady finden meine bescheidene Zustimmung.« »Profi oder Amateur, Mr. Parker, das ist hier die Frage.« Sie sah ihren Butler fragend an. »Ich hoffe, Sie haben bereits eine Theorie entwickelt, oder?« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit frustriert«, lautete Parkers Antwort. »Beide Möglichkeiten sollte man wohl in Betracht ziehen, wenn, ich mir diesen Hinweis erlauben darf.« »Präzise wie immer.« Sie warf ihm einen geradezu vernichtenden Blick zu. »Sie legen sich immer erst dann fest, wenn ich den Fall geklärt habe, wie? Ich werde Ihnen jetzt mal eine Prognose stellen, Mr. Parker. Wir haben es mit einem begabten Amateur zu tun. Und dieser Amateur ist Mitglied der Rallye. Soll ich noch einen Schritt weitergehen?« »Mylady verdächtigen bereits eine bestimmte Person? « Parker wunderte sich bei Agatha Simpson grundsätzlich über nichts. »Unser Mann heißt Stanley Hudson«, behauptete die ältere Dame. »Ein Mann,
der einen Vanguard fährt, ist in meinen Augen charakterlich labil!« * Es war ausgerechnet dieser Mr. Hudson, der sich zu den fünftausend bereits gezahlten Pfund bekannte. »Zuerst habe ich das für einen schlechten Scherz gehalten«, sagte er zu Agatha Simpson, die ihn in die Hotelhalle zitiert hatte. »Nachdem aber Henry Wemloke eins über den Kopf bekommen hatte, ging mir ein Licht auf.« »Darf ich höflichst fragen, Sir, auf welche Art und Weise Sie die besagten fünftausend Pfund an den Erpresser übergaben?« Josuah Parker stand einen halben Schritt hinter Lady Simpson und wirkte respektvoll wie immer. »Da gibt's nicht viel zu erzählen.« Stanley Hudson wischte sich kleine Schweißperlen vor Aufregung und Angst von seiner Stirn. »Ich bekam natürlich anstandslos mein Geld, nachdem ich mich ausgewiesen hatte. Als ich es kassiert hatte, erschien eine kleine Frau, die mich um einen Kugelschreiber bat.« »Und anschließend um die fünftausend Pfund?« Agatha Simpsons Augen verengten sich. »Und um die fünftausend Pfund«, redete Stanley Hudson weiter. »Eine Riesenfrechheit, wenn ich daran denke. Sie fragte einfach danach, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt.« »Worauf Sie der besagten Person das Geld aushändigten, Sir?« wollte Parker sicherheitshalber wissen. »Natürlich. Ich spürte genau, daß sie Bescheid wußte. Sie ließ das Geld in
einer Handtasche verschwinden und war dann plötzlich weg.« »Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen, Sir?« »Sie kassierte anschließend noch Brakers ab. Das habe ich deutlich gesehen. Das war vor der Bank, aus der er 'rauskam. Sie sprach nur ein paar Worte mit ihm, und Brakers machte es so wie ich. Er drückte ihr einen dicken Umschlag in die Hand, den sie ebenfalls in der Handtasche verschwinden ließ.« »Warum sind Sie dieser Frau nicht nachgegangen?« grollte Agatha Simpson. »Richtig, davor warnte sie mich.« Stanley Hudson wischte sich weitere Schweißperlen von der Stirn. »Sie sagte, so etwas würde meiner Gesundheit nicht bekommen. Und da bin ich natürlich erst mal in der Bankvorhalle geblieben. Ich bin nicht gerade versessen darauf, umgebracht zu werden.« »Und wie verhielt sich Mr. Brakers?« Parkers Frage klang sanft. »Wie Stallett«, gab Hudson zurück. »Der ist wahrscheinlich ebenfalls abkassiert worden. Er und Brakers standen auf dem Platz vor den Banken und rührten sich nicht von der Stelle.« »Fünftausend Pfund innerhalb Weniger Minuten.« Lady Simpson nickte fast anerkennend. »Das kann man nur als gutes Geschäft bezeichnen.« »Wieso fünfzehntausend Pfund?« Hudson verzog sein Gesicht. »Sie, Stallett und Brakers«, meinte die Detektivin. »Oder kann ich plötzlich nicht mehr addieren?« »Nach uns erschienen noch Wilkins, McPherson und Hazeman vor den Banken«, berichtete Stanley Hudson weiter. »Sie dürften insgesamt noch mal fünf-
zehntausend Pfund abgehoben haben. Und dabei rede ich noch nicht mal von den Teilnehmern, die gerade vor einem Bankschalter stehen oder das noch planen.« »Darf ich mir eine weitere Frage erlauben, Sir?« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Von mir aus, Mr. Parker! Aber mehr kann ich Ihnen zu diesen Dingen nicht sagen.« »Haben Sie die Absicht, sich an die Polizei zu wenden, Sir? « »Ich bin doch kein Selbstmörder«, gab Hudson kopfschüttelnd und fast empört zurück. »Soll ich mich wegen fünftausend Pfund umbringen lassen? Das war' doch lächerlich. Das Geld kann ich leicht verschmerzen! Nein, nein, ich werde den Kopf einziehen und mich nicht rühren. Und ich werde sofort nach Hause zurück fahren. Diese Rallye ist für mich gestorben. War ein ziemlich teures und kurzes Vergnügen.« * Das »Massensterben« der Oldtimer sprach sich in Windeseile herum. Die Teilnehmer, die bereits ihre fünftausend Pfund gezahlt hatten, schützten technische Defekte an ihren vierrädrigen Veteranen vor und sahen sich außerstande, weiterhin am Rennen teilzunehmen. Noch vor Einbruch der Dunkelheit erschienen Transportwagen, die die Oldtimer übernahmen und abtransportierten. Die Fahrer fuhren selbstverständlich mit und hüteten sich ohne Ausnahme, die wahren Gründe für das Abbrechen ihrer Teilnahme preiszugeben. Sie alle standen noch unter dem
Eindruck der Drohung und wollten ihr Leben nicht gefährden. Die Rennleitung hatte die Presse zu einer kleinen Konferenz eingeladen und gab bekannt, die restlichen achtunddreißig Fahrer würden die VeteranenRallye natürlich fortsetzen. John Delgate, der verantwortliche Sekretär der Rennsportleitung, ein drahtiger Fünfziger, der an einen gerade pensionierten Major der Armee erinnerte, schien von den Erpressungen keine Ahnung zu haben. Er bedauerte wortreich den Ausfall der Veteranen und sprach den Ausgeschiedenen seine höchste Anerkennung aus. Lady Simpson und Butler Parker nahmen an der anschließenden Fahrerbesprechung nicht teil. Sie wußten ohnehin, daß es am kommenden Tag weiter nach Kingston und Staines gehen sollte. »Wir werden in der kommenden Nacht aufpassen müssen«, sagte die ältere Dame. »Mylady rechnen mit einem Zwischenfall?« wollte Parker wissen. »Was dachten denn Sie?« Sie sah ihn erstaunt an. »Natürlich wird es einen Zwischenfall geben. Wir haben uns bei diesen Gangstern doch ziemlich mißliebig gemacht, oder? « »Dem möchte ich allerdings beipflichten«, entgegnete Josuah Parker. »Mylady denken an die beiden Handlanger Stansy und Baltow? « »Und an diese kleine Frau, die das Geld kassierte«, meinte Agatha Simpson. »Schließlich sollte auch ich erpreßt werden.« »Sehr bedauerlich, Mylady, daß Mr. Hudson zur Person dieser Frau keine weiteren Angaben machen konnte.«
»War es überhaupt eine Frau? « Agatha Simpson blieb stehen und ließ ihren Pompadour kreisen. »Hat dieser Hudson uns vielleicht nur etwas vorgemacht?« »Mylady rechnen nach wie vor damit, daß Mr. Hudson der eigentliche Drahtzieher dieser Massenerpressung ist?« »Natürlich.« Sie sah ihn vernichtend an. »Wer sonst?« »Mr. Hudson hat das Sporthotel bereits verlassen, Mylady, wenn ich mir diesen bescheidenen Hinweis erlauben darf.« »Das besagt überhaupt nichts, Mr. Parker.« Sie ließ sich nicht von ihrem Standpunkt abbringen. »Mich führt man nicht hinters Licht, das sollten Sie inzwischen wissen. Ist Ihnen eigentlich nichts aufgefallen? Sind Sie nicht hellhörig geworden?« »Mylady sehen mich zerknirscht.« »Hudson war der einzige der Erpreßten, der sich trotz aller Drohungen traute, uns einige Details zu liefern.« »Ein bemerkenswerter Mut, Mylady.« »Schnickschnack, Mr. Parker! Eine bemerkenswerte Frechheit! Hudson wollte uns damit auf eine falsche Spür setzen. Ich wette, daß diese kleine Frau nur eine Erfindung ist. Er will beim nächsten Abkassieren in Kingston und Staines nicht gestört werden.« »Sie meinen, Mylady, er hätte selbst...?« »Papperlapapp, Mr. Parker, Sie sind heute wieder mal besonders schwerfällig. Nicht er, sondern ein weiterer Handlanger natürlich.« »Dies, Mylady, wird sich herausfinden lassen. Myladys Erlaubnis vorausgesetzt, war ich so frei, Miß Porter nach Kingston zu bitten.«
»Genau das wollte ich gerade sagen«, bekannte die Detektivin. »Kathy ist hier unbekannt. Sie sollte sich für die Banken in Kingston und Staines interessieren. « »Die erforderlichen Hinweise erlaubte ich mir bereits zu geben, Mylady. Miß Porter wurde von meiner bescheidenen Wenigkeit genau informiert und weiß, auf was sie zu achten hat.« Während ihrer Unterhaltung hatten Agatha Simpson und Butler Parker sich dem Wagenpark der Veteranen genähert, der von zwei Männern der technischen Leitung ein wenig oberflächlich bewacht wurde. »Hier ist gerade etwas für Sie abgegeben worden«, sagte einer der beiden jungen Männer und reichte dem Butler einen Brief, dessen brauner und steifer Umschlag sich in der Mitte beträchtlich ausbeulte. »Sie sind doch Mr. Parker, oder?« »Dies ist in der Tat mein Name«, antwortete Parker und nahm den Brief entgegen. »Von wem wurde er abgegeben, wenn ich fragen darf?« »Den brachte ein Dorfjunge vorbei. Vor knapp zwei oder drei Minuten.« Der Mann hob desinteressiert die Schultern. Parker lüftete höflich dankend seine schwarze Melone und wog den Brief nachdenklich in seiner schwarz behandschuhten Hand. »Was hat denn das zu bedeuten?« fragte Agatha Simpson und warf einen sehr mißtrauischen Blick auf den dicken Brief. »Nicht, daß da eine kleine Sprengladung drinsteckt!« »Genau das, Mylady, sind meine bescheidenen Befürchtungen«, antwortete Parker höflich und ohne jede Hast.
»Man sollte den Brief mit möglichst großer Vorsicht öffnen.« * Butler Parker nahm den Brief auch im übertragenen Sinn nicht auf die leichte Schulter. Er setzte seine schwarze Melone ab und legte ihn in die Wölbung, die, was nur Eingeweihte wußten, mit solidem Stahlblech gefüttert war. Falls der Brief frühzeitig hochging, war somit immerhin ein gewisser Schutz gegeben. »Mylady sollten meine Wenigkeit für einen Moment entschuldigen«, sagte er zu seiner Herrin. »Ich denke, ich werde das Schreiben dort hinter dem Steinwall zu öffnen versuchen.« »Das gefällt mir aber ganz und gar nicht«, antwortete Agatha Simpson nervös. »Sie wissen ja gar nicht, wie stark die Sprengladung ist.« »In wenigen Minuten wird diese Informationslücke sich mit Sicherheit schließen, Mylady«, gab Parker gemessen zurück. »Wenn Mylady sich jetzt ein wenig in Sicherheit und Deckung begeben würden . ..? « »Ich verbiete Ihnen, den Brief zu öffnen.« Lady Agatha hatte einen Entschluß gefaßt. Es war deutlich zu erkennen, daß sie sich um ihren Butler ehrlich sorgte. Die resolute Dame zeigte plötzlich Gefühle und schämte sich ihrer nicht. »Der Brief muß nicht unbedingt einen tödlichen Inhalt haben, Mylady.« »Das soll die Polizei feststellen.« Agatha Simpson schüttelte noch mal den Kopf.
»In diesem Fall, Mylady, würden die Behörden sich dieses Falles annehmen. « »Wenn schon!« Die Detektivin ließ sich nicht umstimmen. »Für meinen Bestseller werde ich schon noch einen anderen Stoff bekommen. Es muß ja nicht gerade dieser sein. Werfen Sie das schreckliche Ding weg, Mr. Parker! Ich bestehe darauf. Vielleicht hat es sogar einen raffinierten Zeitzünder.« Parker war gerührt, auch wenn er es natürlich um keinen Preis der Welt gezeigt hätte. Es war schließlich mehr als selten, daß Lady Agatha so deutlich zu erkennen gab, wie sehr sie ihn schätzte. Er tat ihr also den Gefallen und schleuderte den dicken Brief über den nahen Steinwall genau auf den Stamm einer Eiche. Sekundenbruchteile später gab es eine kleine, aber scharfe Detonation, einen grellen Feuerblitz und eine Luftdruckwelle. Agatha Simpson setzte sich ihren abenteuerlich aussehenden und jetzt verrutschten Hut wieder zurecht und sah Parker an. »Na bitte«, meinte sie dann und nickte. »Sie ahnungsloser Tor hätten natürlich den Brief geöffnet, nicht wahr? « »Unter Wahrung aller gebotenen Vorsicht, Mylady.« »Man muß eben auf Sie aufpassen, Mr. Parker.« Sie wirkte sehr erleichtert. »Erzählen Sie den beiden Wächtern eine nette Geschichte. Sie werden neugierig sein.« Das waren sie natürlich auch. Sie kamen herbeigerannt und stellten aufgeregt Fragen. Sie hatten die Detonation gehört und wollten wissen, was passiert war.
» Eine neue Benzinmischung für Myladys Oldtimer«, redete der Butler sich heraus. »Ich hege allerdings den Verdacht, daß die Alkoholbeimischung etwas zu stark ausgefallen ist, meine Herren. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.« »Und den Sprengstoff wollten Sie in den Motor kippen?« wunderte sich der erste Wärter. » Um den Victor ein wenig schneller zu machen.« Parker nickte und sah den Mann treuherzig an. »Damit hätte man glatt 'ne Rakete antreiben können«, meinte der zweite Mann fast anerkennend. »Ein Experiment, das man vergessen sollte«, entschuldigte sich Parker höflich. »Ich hoffe, die Herren nicht unnötig erschreckt zu haben.« »Fragen Sie das lieber die Eiche«, sagte der erste Mann und deutete auf den Baum. Der starke, knorrige Stamm wies eine häßliche Wunde auf. Die Rinde und das Holz waren tief aufgerissen. Es mußte sich um einen hochexplosiven Sprengstoff gehandelt haben. »Ich glaube, ich brauche jetzt einen Kreislaufbeschleuniger«, sagte Agatha Simpson mit leiser Stimme. Auch sie hatte die brandige Wunde im Baumstamm inzwischen gesehen. »Ich bin übrigens sehr gereizt, Mr. Parker. So kann man mit mir nicht umgehen!« * »Ich muß dauernd aufstoßen«, beschwerte sich Ron Stansy wehleidig. »Und immer nach Fichtennadeln.« »Mir stößt dieser verdammte Butler dauernd auf«, sagte Ralph Baltow wü-
tend. »Wie dieser Bursche mich behandelt! Sowas kann man doch nicht auf sich sitzen lassen.« »Also, was machen wir?« wollte Stansy wissen und rülpste wenig diskret. Er verzog sein Gesicht und hatte wieder das unangenehme Gefühl, sein Magen sei mit Fichtennadelwasser vollgepumpt. »Die Rechnung wird noch beglichen«, versprach Baltow. »Aber das hat noch Zeit, Ron. Jetzt müssen wir erst mal an die Moneten denken.« »Wir haben noch zehn Erpresserbriefe«, erinnerte Ron Stansy. »Und bevor wir die nicht abgesetzt haben, bekommen wir auch nicht die restlichen fünfhundert Pfund.« »Was sind schon fünfhundert Pfund?« Ralph Baltow verzog geringschätzig sein Gesicht. »Kannst du nicht rechnen?« »Nun sag schon endlich, worauf du hinaus willst?« Die beiden Ganoven befanden sich in einem kleinen Pub am alten Marktplatz von Richmond und hatten schon einige harte Getränke zu sich genommen. Sie waren dabei, ihre Niederlagen in zumindest halbe Siege umzumünzen. Ron Stansy und Ralph Baltow wohnten in London und hatten sich in Kreisen der Unterwelt einen gewissen Ruf erworben. Gegen Bezahlung übernahmen sie es, wildfremde Menschen zusammenzuschlagen. In der Wahl ihrer Mittel waren sie nicht zimperlich, Hauptsache, die Kasse stimmte. Sie waren tatsächlich anonym angeheuert worden und hatten auch fünfhundert Pfund bereits erhalten. Das war bisher leicht und schnell verdientes Geld gewesen. Mehr als die etwas ge-
waltsame »Zustellung« der Erpressungsschreiben hatte es für sie nicht gegeben. Nun aber hatten die Dinge sich erheblich geändert. Ihr Selbstbewußtsein war schwer angeschlagen worden. Ron Stansy hatte immer noch erhebliche Schwierigkeiten mit dem Fichtennadelextrakt, den Agatha Simpson ins Badewasser gegeben hatte. Und Ralph Baltow litt unter seiner blamablen Niederlage in der Teestube, die Parker ihm zugefügt hatte. »Wir haben rund zehn Briefe besorgt«, redete Baltow sich in Schwung und beugte sich vor. Und weitere zehn Briefe haben wir noch.« »Die sind wir schnell los. Und dann kassieren wir die restlichen fünfhundert Piepen.« Für Stansy war das ein klarer Fall. »Vorher befassen wir uns aber noch mit dieser schrulligen Alten und ihrem Butler.« »Die sind auf jeden Fall noch dran«, pflichtete Baltow seinem Partner bei. »Aber das hat noch Zeit, Ron. Wir steigen ein ins große Geschäft. Geht dir ein Licht auf?« »So ungefähr«, behauptete Stansy, der allerdings keine Ahnung hatte. »Die restlichen zehn Briefempfänger kassieren wir selbst ab«, meinte Baltow und grinste unternehmungslustig. »Warum wollen nicht wir mal richtig zulangen? Bisher scheint die Sache mit den Briefen doch prima funktioniert zu haben, oder? « »Rund ein Dutzend Fahrer sind mit ihren alten Mühlen abgehauen.« Stansy hatte das schließlich zusammen mit Baltow beobachtet. »Und die haben bestimmt je ihre fünftausend Pfund bezahlt«, vermutete Bal-
tow. »Der Rest geht jetzt an uns. Ist das nun 'ne Idee oder nicht?« »Mensch, Ralph!« Ron Stansy sah seinen Partner andächtig, bewundernd an. »Bei zehn Fahrern wären das ja fünfzigtausend Pfund!« »Kluges Kerlchen.« Baltow grinste. »Und unser Auftraggeber, Ralph? Wird der nicht dazwischen funken?« »Soll er doch! Dann funken wir zurück. »Und die alte Lady?« »Die scheint dir ja besonders im Magen zu liegen.« Baltow grinste anzüglich, worauf Stansy automatisch aufstoßen mußte und wieder diesen scheußlichen Fichtennadelgeschmack verspürte. »Und wie«, quetschte Stansy hervor. Ihm war speiübel. »Na schön, die nehmen wir uns in der kommenden Nacht mal vor, Ron. Und bei der Gelegenheit auch gleichzeitig ihren Butler. Die denken doch bestimmt, daß wir längst abgehauen sind.« * Es war weit nach Mitternacht. Josuah Parker hatte es sich unter Myladys »Victor« einigermaßen gemütlich gemacht und harrte der Dinge, die da seiner bescheidenen Ansicht nach früher oder später kommen mußten. Nach dem mißglückten Sprengstoffattentat wußte er, daß der oder die Erpresser eine andere und härtere Gangart angeschlagen hatten. Sie schienen zu wissen, von welchen Personen ihnen Gefahr drohte. Butler Parker war fest davon überzeugt, daß mit weiteren Anschlägen zu rechnen war.
Er hatte sich in die Lage der Erpresser versetzt. Welche Möglichkeiten boten sich ihnen, Mylady und ihn außer Gefecht zu setzen oder gar zu töten? War es nicht der »Victor«, der zu einem Attentat förmlich einlud? Man brauchte doch nur eine geschickt konstruierte Sprengstoffladung irgendwo unter dem Wagen anzubringen und dann auf die Detonation zu warten. Mit etwas Glück würde man dann nach erfolgter Detonation von einem bedauerlichen Unglücksfall reden. Viele dieser Veteranen neigten ja dazu, ungewöhnlich zu reagieren, wenn man sie belastete. Josuah Parker lag also unter dem »Victor« und horchte auf die Geräusche der Nacht. Im Sporthotel waren fast alle Lichter ausgegangen. Nur in der Eingangshalle brannten zwei Lampen, die auf dem Tisch der Rezeption standen. Aus den Lichtschächten des Souterrains drang ebenfalls schwacher Lichtschein nach draußen. Wahrscheinlich wurde in der Hotelküche bereits das Frühstück vorbereitet. Parker lag auf einem rollbaren Monteurrost und hatte eine Decke über sich gebreitet. Die Nacht war bisher erfreulicherweise nicht sonderlich kühl gewesen, doch nun änderte sich das. Von der Wiese hinter dem Steinwall her näherte sich eine feuchtkalte Nebelwand, die dem Butler zusätzlich noch die genaue Sicht nahm. Für ihn war das ein Signal, auf höchste Wachsamkeit umzuschalten. Die Gelegenheit war günstig, sich dem »Victor« zu nähern. Zudem schienen die beiden Monteure zu schlafen, die von der Rennsportleitung zur Bewachung des Wagenparks abkommandiert wor-
den waren. Parker hatte die Schritte der beiden Männer schon seit langer Zeit nicht mehr gehört. Doch plötzlich war ein feines Knirschen zu vernehmen. Parker war sofort ganz bei der Sache und wußte nur zu genau, was er da hörte. Nachdem er sich unter dem »Victor« verborgen hatte, hatte er einige Erdnüsse zu sich genommen und deren Schalen geschickt um den Wagen herum auf den Asphalt geworfen. Solch eine Schale war gerade mit Sicherheit zertreten worden. Butler Parker machte sich bereit, Myladys »Victor« zu verteidigen. * Ron Stansy und Ralph Baltow hatten nach alter Väter Sitte die Feuerleiter benutzt. Sie waren fast beleidigt, wie reibungslos und glatt dieser Weg war. Nicht die geringste Schwierigkeit stellte sich ihnen in den Weg. Von der Feuerleiter aus, die für jedes Hotel obligatorisch war, erreichten sie den schmalen, umlaufenden Balkon und brauchten sich nur noch an jene Fenster heranzupirschen, hinter denen Lady Simpson und Butler Parker schliefen. Die beiden Hotelzimmer, die sie ausbaldowert hatten, lagen nebeneinander. Nur noch ein paar Minuten, und sie konnten Rache für ihre peinlichen Niederlagen nehmen. Stansy und Baltow wollten zwar keine Morde begehen, das entsprach nicht ihrer Arbeitsmethode, doch sie wollten sehr kräftig zulangen und das örtliche Hospital mit zwei Langzeitpatienten versorgen.
Zuerst wollten sie sich Lady Agatha Simpson vornehmen. Stansy, der noch immer nach Fichtennadeln aufstieß, hatte darauf bestanden. Er wollte die alte Dame – das war sein fester Entschluß – in solch ein Bad tauchen und zwingen, von diesem verdammten Extrakt zu trinken, bis sie dicht vor dem Platzen stand. Baltow hatte eingewilligt und war mit dieser Reihenfolge einverstanden. Er war es auch, der das nur spaltbreit geöffnete Fenster leise hochschob und dann einladend zur Seite trat. »Dein Auftritt, Junge«, sagte er leise zu seinem Partner. »Zeig es ihr gründlich, Ron!« Ron nickte grimmig, holte tief Luft, tat noch einen leichten Rülpser und schwang dann sein linkes Bein über die Fensterbank ins Zimmer hinein. Er zog das zweite Bein nach, landete auf dem weichen Teppichboden und pirschte sich an das Bett heran, aus dem diskrete Schnarchtöne zu vernehmen waren. Die schrullige Alte hatte keine Ahnung, was ihr gleich blühen würde. Ron Stansy hielt einen kleinen Totschläger in der linken Hand, mit dem er kurz und nicht zu kräftig zulangen wollte. Er hatte das Bett erreicht, beugte sich über das hoch aufgeschüttete Kissen und ... hatte Sekundenbruchteile später das sichere Gefühl, als sei er von einem auskeilenden Pferd getreten worden. Bevor er seinen Partner warnen konnte, fiel er kopfüber ins Bett und entspannte. Ralph Baltow mißverstand diese dumpfen Geräusche. Er saß bereits auf der Fensterbank und war der irrigen Meinung, sein Partner Ron habe gerade für eine Vollbetäubung bei der alten Lady gesorgt.
»Alles in Butter?« rief er leise in die Dunkelheit des Zimmers hinein. Die Antwort war nicht deutlich zu verstehen, doch sie beruhigte ihn. Ron schien eine Art zustimmendes Brummen ausgestoßen zu haben. Leichtfüßig also marschierte Ralph Baltow zum Bett hinüber und sah, daß Ron sich tief über sein Opfer gebeugt hatte. Ja, er schien es im Moment sogar leicht zu würgen. »Mach' bloß keinen Unsinn!« Nein, an Mord lag ihm nicht. Er riß Ron an der Schulter hoch und merkte erst jetzt, daß da wohl doch einiges nicht stimmte. Ron bewegte sich wie eine leblose Gliederpuppe und verfügte eindeutig nicht mehr über einen eigenen Willen. »Sie Lümmel!« sagte in diesem Moment eine barsche, fast schon an einen Baß erinnernde Stimme. »Wie können Sie es wagen, bei einer Dame einzudringen?« »'tschuldigung«, erwiderte Baltow verblüfft und schuldbewußt. Er war herumgefahren und sah sich einer Art Nachtgespenst gegenüber, nämlich einer großen, majestätisch aussehenden Dame in einem wallenden, weißen Nachtgewand, das bis hinunter zu den Füßen reichte. Nach dieser ersten Verblüffung aber schaltete Ralph Baltow und wollte sich auf die Dame in Weiß stürzen. Noch war nicht alles verloren. Was für eine Chance hatte diese Alte wohl schon gegen ihn? Lady Simpson reagierte nur andeutungsweise, wie er sich später erinnerte. Sie nahm ihre linke Hand ruckartig hoch und donnerte dann ihren Pompadour gegen Baltows Kinn. Die Wirkung war verheerend.
Der Schläger blieb mitten in seiner geplanten Bewegung stocksteif stehen, sah Lady Agatha aus großen, geweiteten Augen verwirrt an, tat einen Seufzer und legte sich dann zu ihren Füßen nieder, ohne sich auf eine Diskussion einzulassen. »Dummköpfe«, stellte Agatha Simpson grollend, aber durchaus zufrieden fest. »Noch nicht trocken hinter den Ohren, und schon steigen diese Flegel ehrbaren Damen nach. Es ist doch einfach nicht zu glauben!« * Butler Parker sah ein Beinpaar dicht vor seinen Augen und ließ es passieren. Es handelte sich um Beine, die in weiten Hosen steckten, aber um Schuhe, die ungewöhnlich klein waren. Unwillkürlich dachte Josuah Parker an eine Damengröße. Das Beinpaar passierte ihn und tauchte wenig später am Heck des »Victor« wieder auf. Die beiden Schnappverschlüsse des Reisekoffers klickten diskret. Der Kofferraum des »Victor« wurde geöffnet. Es handelte sich tatsächlich um eine Art Koffer der auf zwei kräftigen Stahlbügeln befestigt war. Nach ein paar Minuten klickten die Schnappverschlüsse erneut, der Reisekoffer wurde geschlossen. Das Beinpaar erschien wieder in Parkers Augenhöhe und lud zum Zupacken ein. Butler Parker nutzte die Gunst der Sekunde. Mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms hakte er nach der rechten Wade des Beinpaars und zog dann energisch und ruckartig durch. Der Erfolg war frappierend.
Irgend etwas auf dem Asphalt neben dem »Victor« schlug einen Salto und landete krachend auf dem festen Untergrund. Parker stieß sich mit dem Fuß ab und rollte auf seinem Monteurbrett unter dem Wagen hervor. Dicht vor ihm auf dem Asphalt lag 'eine kleine, gedrungen wirkende Gestalt, die sich nicht bewegte. Parker wollte sich gerade erheben und diese Gestalt in Augenschein nehmen, als er ein »Plopp« hörte, das ihm überhaupt nicht gefiel. Bruchteile von Sekunden später jaulte ein Querschläger sehr laut von der Hausecke des Hotels weg in die Dunkelheit hinein. Ein zweites »Plopp«! Neben dem fahrbaren Monteurrost sprangen kleine Funken aus dem Asphalt. Das Geschoß jaulte in einem flachen Winkel hoch und vereinigte sich dann ebenfalls mit der Dunkelheit. Der nächste Schuß mußte ein Treffer werden, falls Parker sich nicht schleunigst hinwegbemühte. Und genau das tat er. Da er den Vorzug hatte, auf einem rollenden Untersatz zu liegen, benutzte er ihn auch geistesgegenwärtig. Er drückte sich mit der Schirmzwinge energisch ab und schlitterte auf den gut geölten Rollen des Monteurrostes über den Asphalt. Der dritte Schuß! Er lag daneben, da er dem unsichtbaren Schützen, der sich jenseits des Steinwalls aufhalten mußte, kein Ziel mehr bot. Parker stemmte die Schirmspitze noch mal in den Asphalt und ließ das Monteurbrett rotieren. Nun wurde der an sich gute Schütze restlos verwirrt. Er wußte nicht, auf was er zielen sollte. Parker, dessen schwarze Dienstkleidung fast mit dem schwarzen
Asphalt verschmolz, war kaum noch auszumachen. Er rollte her und hin, dann wieder hin und her. Mit einem letzten Stoß beförderte der Butler sich dann hinter die zweite Reihe der abgestellten Oldtimer und befand sich erst mal in Sicherheit. Natürlich war er jetzt sofort hoch. Er wollte die Flucht der kleinen und gedrungenen Person verhindern. Parker drehte den Griff seines UniversalRegenschirms um 90 Grad zur Seite und gab damit den Lauf seiner Geheimwaffe frei. Der Schirmstock war nämlich nichts anderes als eine Art Blasrohr, durch das er präparierte Pfeile verschießen konnte, die nicht länger waren als kleine Stricknadeln. Die Spitzen dieser Pfeile waren mit einem blitzartig wirkenden Lähmungsgift bestrichen, das Parker sich von Experten der Chemie hatte zusammenstellen lassen. Angetrieben wurden diese »Giftpfeile«, die keine gesundheitlichen Schäden hinterließen, von einer Kohlensäurepatrone, die sich im Schirmgriff befand. Leider konnte Josuah Parker sein Opfer nicht mehr sehen. Während seiner Karussellfahrt auf dem Asphalt war es bereits wieder zu sich gekommen und hatte sich schleunigst abgesetzt. Vielleicht aber lag es auch nur unter einem der Wagen, die in der ersten Reihe standen und wartete nun seinerseits darauf, einen gezielten Schuß abgeben zu können. Das Jaulen der Abpraller und Querschläger war im Hotel nicht unbemerkt geblieben. Überall flammte Licht hinter den Fenstern auf, die ersten aufgeregten oder ärgerlichen Rufe waren zu vernehmen. Man wollte schließlich wissen,
wer warum um diese Zeit solch einen Lärm machte. Aus dem Hotel kam der Nachtportier, der an der Hausecke mit dem Rennsportleiter zusammenstieß, was zu einer zusätzlichen Verwirrung führte. Josuah Parker hatte den Eindruck, daß doch nur neugierige Fragen gestellt werden würden. Er legte sich den Bambusgriff seines Universal-Regenschirms über den angewinkelten linken Unterarm, rückte sich die schwarze Melone zurecht und schritt von dannen, um Lady Agatha Bericht zu erstatten. * »Ich habe ihnen erlaubt, ein Bad zu nehmen«, sagte Lady Agatha und deutete auf das angrenzende Badezimmer. »Nein, Mr. Parker, stellen Sie keine Fragen. Ich schäme mich fast, daß diese Flegel mich belästigen wollten. Sie beherrschen noch nicht mal das ABC ihres Berufs.« »Dies, Mylady, war in meinem bescheidenen Fall ein wenig anders«, bekannte Josuah Parker, der die schwarze Melone natürlich bereits beim Betreten des Zimmers abgenommen hatte. »Wie Mylady wahrscheinlich zu hören beliebten, wurde auf meine Person geschossen.« »War das etwa alles?« staunte die ältere Dame. »Mitnichten, Mylady«, lautete seine Antwort. »Leider war es mir nicht vergönnt, einen bereits sicher gewähnten Täter in Verwahr zu nehmen, wenn ich es so ausdrücken darf.« Anschließend erstattete der Butler seinen Bericht. Als er vom Reisekoffer am
Heck des »Victor« sprach, glitzerten die Augen. »Eine Bombe mit Zeitzünder?« fragte sie. »Davon sollte man in der Tat ausgehen, Mylady«, erwiderte Josuah Parker. »Wahrscheinlich besitzt diese Sprengladung eine Art Rüttelzünder.« »Aha. Und wie funktioniert das?« »Nach einer gewissen Summe von Rüttel- und Schüttelbewegungen, Mylady, spricht der bewußte Zünder an, den man ganz nach Belieben einstellen kann.« »Eine Frechheit, meinen >Victor< in die Luft jagen zu wollen.« »Ich möchte mich erkühnen, Myladys Ansicht zu teilen.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. »Haben Sie diese Sprengladung bereits entfernt, Mr. Parker? « »Dazu war noch keine Zeit, Mylady, aber es wird mit Sicherheit noch nachgeholt werden.« »Nun gut, vergessen Sie's aber nicht, Mr. Parker. Sind Sie draußen auf dem Parkplatz erkannt worden?« »Vom Hotelpersonal ganz sicher nicht, Mylady. Wahrscheinlich entging meine Wenigkeit auch den Blicken der Rennleitung. Das Rollbrett, auf dem ich die Nacht zubrachte, erwies sich als ausgesprochen praktisch und schnell.« »Schade, daß Ihnen dieser Gangster entwischt ist.« Agatha Simpson schüttelte den Kopf. »Auf der anderen Seite wissen wir dadurch, daß wir es mit zwei weiteren Gangstern zu tun haben.« »Mit jener Person, die ich auf den Asphalt legte, Mylady, und mit der Person, die auf mich schoß.« Parker nickte zustimmend.
»Das Gesicht dieser Person auf dem Asphalt konnten Sie nicht erkennen?« »Die Umstände, Mylady, gestatteten es leider nicht.« »Halb so schlimm.« Die Detektivin gab sich versöhnlich, was recht selten war. »Diese beiden Gangster werden sich bestimmt wieder melden. Und dann werde ich die Dinge in die Hand nehmen.« »Sehr wohl, Mylady! Darf ich Myladys Aufmerksamkeit auf die beiden Badegäste lenken? Haben Mylady bestimmte Wünsche hinsichtlich der weiteren Behandlung der beiden nächtlichen Besucher?« »Sie sind lästig, finden Sie nicht auch, Mr. Parker?« »Konnten Mylady in Erfahrung bringen, aus welchem speziellen Grund dieser Doppelbesuch stattfand?« »Soweit bin ich noch nicht. Diese Schießerei lenkte mich ab. Kommen Sie, reden wir mit diesen beiden Lümmeln! Sie müßten inzwischen gut eingeweicht sein.« Parker ging voraus, öffnete die Tür zum Badezimmer und ließ Mylady eintreten. Dann schaute er zur Badewanne hinüber und gestattete sich den Luxus eines andeutungsweisen Lächelns. Die Herren Stansy und Baltow saßen brav wie Kleinkinder in der wohlgefüllten Badewanne, die sie nicht verlassen konnten. Mylady hatte die beiden Schläger mit Handschellen aus Parkers Privatbesitz an den Wasserarmaturen angeschlossen. Um Stansy und Baltow herum knisterte Badeschaum in Mengen. Es roch sehr intensiv nach Fichtennadelextrakt. Die beiden Gangster zogen unwillkürlich die Köpfe ein, als Lady Simpson
auf sie zumarschierte. Sie fürchteten wohl, von der resoluten Dame abgeschrubbt zu werden. »Ich erlaube mir, einen besonders guten Morgen zu wünschen«, begrüßte Parker die Gäste seiner Herrin und lüftete seine schwarze Melone. »Darf ich davon ausgehen, daß Sie eine Aussage machen wollen?« »Nur nichts überhasten, Mr. Parker.« Agatha Simpson hatte kurz die Temperatur des Badewassers geprüft. »Diese beiden Lümmel unterkühlen sich ja fast. Ich werde noch etwas heißes Wasser zugeben.« Ron Stansy und Ralph Baltow versicherten Lady Simpson fast gleichzeitig, das Badewasser habe die ideale Temperatur und sie seien durchaus bereit, einiges aus ihrem Leben und von ihren nächtlichen Plänen zu erzählen. Sie versicherten das hastig und mit Stimmen, die vor Angst und Sorge vibrierten. »Man sollte den Versicherungen der beiden Herren hinsichtlich der Temperatur vielleicht Glauben schenken«, sagte Josuah Parker zu Agatha Simpson. »Für den Zulauf heißen Wassers bleibt ja immer noch Zeit, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.« Stansy und Baltow sahen Butler Parker ausgesprochen dankbar an und schluchzten vor Freude. * Butler Parker befand sich auf dem Weg, die zehn Erpresserbriefe abzuholen. Die beiden Gangster Stansy und Baltow hatten mehr als bereitwillig ausgesagt, wo diese Schreiben zu finden wa-
ren. Sie hatten auch klargestellt, daß sie dieses Teilgeschäft auf eigene Rechnung hatten durchführen wollen. Der Morgen graute endgültig heran, als Butler Parker sich dem kleinen Gasthof näherte, in dem Stansy und Baltow ihre Einzelzimmer für die Nacht gemietet hatten. Vor diesem Gasthof entdeckte er den Jeep, den die beiden Gauner benutzt hatten, um Lady Agatha mit einem Baseball-Schläger zu belästigen. Die Angaben von Stansy und Baltow schienen also durchaus zu stimmen. Einer Persönlichkeit wie Butler Parker wäre es leichtgefallen, sich Zutritt ins Gasthaus zu verschaffen. Er hätte die Zimmer von Stansy und Baltow ohne Schwierigkeiten und regulär betreten können. Wenn Parker auftrat, verstummten alle Zweifel. In diesem Fall aber war der Butler vorsichtig. Er dachte natürlich an die Schüsse, die man recht rüde auf ihn abgefeuert hatte. Er ging von der Tatsache aus, daß solch ein Attentat sich jederzeit wiederholen konnte. Er rechnete ferner damit, daß der oder die Auftraggeber der beiden Gangster inzwischen längst wußten, was mit ihren beiden Handlangern im Zimmer der Lady passiert war. Warteten sie jetzt hier in der Nähe des Gasthofes auf Parkers Erscheinen? Lauerten sie vielleicht bereits in einem der beiden Zimmer auf ihn? Parker hatte sich die Lage der beiden Räume von Stansy und Baltow genau beschreiben lassen. Sie führten nach hinten in den kleinen Garten und befanden sich im Obergeschoß. Parker beschrieb einen weiten Bogen um den Gasthof, betrat den Garten und brachte sich hinter einem kleinen und niedrigen
Geräteschuppen in Position. Von hier aus beobachtete er erst mal die bewußten beiden Fenster. Auf eine Viertelstunde mehr oder weniger kam es ihm nicht an. Er wollte nur nicht ahnungslos in eine tödliche Falle tappen. Hinter den beiden Fenstern, die spaltbreit geöffnet waren, rührte sich nichts. Doch das besagte überhaupt nichts. Er hatte es schließlich mit raffinierten Gangstern zu tun, die ihr Handwerk verstanden. Auch sie verfügten wahrscheinlich über große Geduld. Butler Parker war nicht mit leeren Händen gekommen. Er hatte eine seiner speziellen Trickwaffen mitgenommen, nämlich eine Gabelschleuder oder Zwille, wie dieses Gerät genannt wird. Es handelte sich am ein Gerät, wie es von Halbwüchsigen immer wieder benutzt wird. Man verschoß mit ihr Kirschkerne, Murmeln oder kleine Steine. Je nach der Stärke der Gummistränge war solch eine Gabelschleuder eine im Grund gefährliche Waffe. Josuah Parker legte eine Tonmurmel in die Lederschlaufe der Gabelschleuder, trat ein wenig aus der Deckung hervor, strammte die beiden Gummistränge und schickte sein erstes Geschoß auf die Reise. Es war verblüffend, wie zielsicher er mit diesem Gerät umzugehen wußte. Die Tonmurmel zischte durch das Morgengrauen genau auf das linke der beiden Fenster zu, verschwand im Spalt des nur leicht angehobenen Schiebefensters und prallte dann gegen eine Wand. Die gebrannte Tonmasse der Murmel zerbrach und ließ sofort eine kleine, gelblich-weiße Nebelwolke hochwallen. Die zweite Tonmurmel verschwand im nächsten Zimmer und zerplatzte an
einer Schrankwand. Auch hier wiederholte sich das unheimliche Schauspiel. Aus der zerplatzten Tonmurmel stieg sofort eine Nebelwolke hoch, die es in sich hatte. * Die Gelegenheit, ins Gasthaus zu kommen, war mehr als günstig. Butler Parker hatte den kleinen Hintergarten verlassen und beobachtete die Vorderseite des Hauses. Aus beiden Zimmern war trotz der Tonmurmel kein gequältes Hüsteln nach außen gedrungen. Dies deutete darauf hin, daß sich in beiden Zimmern kein ungebetener Gast befand. Parker kannte nämlich die Wirkung der leichten Nebelwolken: sie lösten in jedem Fall bei einem Warmblüter, gleich welcher Konstruktion, zumindest einen Hustenreiz aus. Der Butler stand auf der gegenüberliegenden Straßenseite und war auf der Hut. Die Gefahr, aus dem Hinterhalt heraus beschossen zu werden, hatte sich nicht gemindert. Nun aber öffnete sich die Eingangstür des kleinen Gasthofes, und eine untersetzte, rundliche Putzfrau trat ins Freie. Sie hielt einen Mülleimer in der linken Hand, die sie auf einen vor dem Haus parkenden Lieferwagen trug. Diese Putzfrau, die nach Parkers Schätzung etwa vierzig Jahre alt war, hatte einen weißen Kittel an und das braune Haar hochgebunden. Sie machte auf ihn einen sehr geschäftigen Eindruck und war ganz bei der Sache. Parker konnte ungesehen ins Haus schlüpfen und sich in den Zimmern von Stansy und Baltow näher umsehen. Gegen den fälligen Hustenreiz vermochte
er sich zu schützen. In solchen Fällen benutzte Josuah Parker eine einfache Patrone, die aus einer Art Tauchretter stammte. Wenn er sich die Nase zuhielt oder gar zuklemmte und nur durch diese Spezialpatrone atmete, hatte sie den Effekt einer echten Gasmaske und schützte ihn vor Ärger. Parker hatte die Straße fast halb überquert und kümmerte sich nicht weiter um die rührige Putzfrau, die sich am kleinen Lieferwagen zu schaffen machte. Doch plötzlich hörte er ein leises, unterdrücktes und gequältes Hüsteln. Er spitzte sofort die Ohren, sah zur Putzfrau hinüber und hatte die richtige Erleuchtung. Sie machte ihm etwas vor. Nur sie konnte in einem der beiden Zimmer gewesen sein! Warum hustete sie nicht laut? Ihr mußte doch mit Sicherheit recht übel sein? Warum gab sie sich diesem Übelsein nicht hin? Warum verbarg sie ihren Zustand? Sie hatte den Mülleimer abgestellt und sah zu Parker herüber. Ihre Blicke kreuzten sich. Dann langte die kleine Rundliche in eine ihrer Schürzentaschen und wollte mit aller Schnelligkeit etwas hervorziehen. Ihre Hand aber verhedderte sich im Stoff der Kittelschürze, sie riß wütend an der Tasche und krümmte sich. Wahrscheinlich wurde sie von einem leichten Übelsein durchgeschüttelt. Parker ließ sich auf nichts ein. Er wußte, daß er sich in Lebensgefahr befand. Diese kleine, rundliche Frau war lebensgefährlich! Parker riß seinen Universal-Regenschirm hoch und richtete die Spitze auf seine Gegnerin, die nun von einem Hustenkrampf geschüttelt wurde und sich gegen den Aufbau des
Lieferwagens lehnen mußte. Sie hatte es aufgegeben, den bewußten Gegenstand aus der Tasche des Kittels zu zerren. Sie hatte dazu nicht mehr die Kraft und Konzentration. Parker schritt schneller als gewöhnlich auf die Rundliche zu, die sich halb umwendete und ihn ausgesprochen giftig anstarrte. Ihre grauen Augen schienen nach grün zu wechseln. »Darf ich Ihnen meine bescheidene Hilfe anbieten?« erkundigte sich Parker und lüftete höflich seine schwarze Melone. »Gehe ich recht in der Annahme, Madam, daß Ihnen ein wenig übel ist?« »Sie Miststück!« Die Frau sprach nicht flüssig. Zwischen den einzelnen Silben legte sie kleine Pausen sein. Ihr war wirklich übel. »Sie sehen mich bestürzt«, erwiderte Josuah Parker. »Mir scheint, ich habe mir Ihren Unmut zugezogen.« Sie war nicht in der Verfassung, Konversation zu machen, hustete wieder intensiv und merkte nicht, wie Parker in ihre Schürzentasche langte. Es war ein ausgewachsener Revolver, den der Butler barg, eine Waffe, die nicht unbedingt in die Schürzentasche einer Putzfrau gehörte. Auch die Ausdrucksweise der kleinen Rundlichen deutete daraufhin, daß die Frau zumindest einen schlechten Umgang hatte. »Darf ich mir erlauben, Ihnen meinen Arm zu leihen?« fragte Parker und bot der immer noch Hustenden seine Hilfe an. Selbst in solch einer Lage verlor Parker nichts von seiner Gemessenheit und Würde. Ihm war klar, daß er genau die Frau gefunden hatte, die die erpreßten Gelder in den drei Banken von Richmond kassiert hatte. Wahrscheinlich war sie darüber hinaus auch identisch mit
jener Person, der er auf dem Parkplatz der Oldtimer das Bein weggezogen hatte. Sie richtete sich mühsam auf, maß ihn mit haßerfülltem Blick und taumelte. Sie wollte etwas sagen, doch sie schaffte es nicht mehr. Sie stöhnte auf und faßte nach ihrer Brust. Parker entdeckte auf der weißen Kittelschürze einen roten Fleck, der sich blitzschnell ausweitete. Daraufhin riß Parker die Rundliche an sich, drehte sich um und zog gleichzeitig mit der freien linken Hand einen Spezial-Kugelschreiber aus einer seiner vielen Westentaschen. Er ließ ihn zu Boden fallen und atmete erst dann auf, als eine dichte Nebelwand förmlich emporschoß, die ihn und die angebliche Putzfrau vor weiterem Beschuß schützte. * »Du lieber Himmel, Mr. Parker, wo haben Sie denn die ganze Zeit gesteckt?« wunderte sich Agatha Simpson, die einen leicht ungeduldigen und verärgerten Eindruck machte. Sie saß am Steuer des »Victor«, der dem Rhythmus seiner stampfenden Kolben vibrierte und sich hin und wieder aufbäumte. »Die örtliche Polizeibehörde, Mylady, zeichnet sich offensichtlich durch Genauigkeit aus«, erwiderte Parker und stieg vorsichtig in den Oldtimer. »Darf ich mich erkühnen zu fragen, ob die Rallye fortgesetzt wird?« »Natürlich wird sie' fortgesetzt, Mr. Parker. Und wir haben eine Menge aufzuholen. Wir sind der letzte Wagen, der auf die Strecke geht.«
Sie löste die unförmige, lange und sehr solide Bremse, kuppelte ein und ließ ihren »Victor« anrollen. Mylady schob sich die riesige Autobrille vor die Augen und konzentrierte sich auf die Fahrbahn. Sie schien fest entschlossen zu sein, das vor ihr fahrende Feld der übrigen Oldtimer aufzurollen. »Erzählen Sie doch endlich«, grollte sie wenig später, als man Richmond hinter sich hatte. »Wie geht es dieser Frau? Wer ist sie?« »Mrs. Ethel Fellows geht es den Umständen entsprechend relativ gut«, antwortete Parker. Er mußte seine Stimme deutlich anheben, um die Arbeitsgeräusche der Kolben zu übertönen. »Der ihr zugedachte Schuß verfehlte erfreulicherweise das Herz. Die behandelnden Ärzte sind sicher, Mrs. Ethel Fellows durchbringen zu können.« »Wer ist diese Ethel Fellows, Mr. Parker?« Lady Agatha steuerte den »Victor« in eine an sich völlig harmlose Kurve, wogegen der Oldtimer sich aber zu sperren schien. Sie mußte ihm diese Richtungsänderung förmlich abringen. »Sie ist zweiundvierzig Jahre alt, Mylady, stammt aus London und seit vier Jahren verwitwet. Ihr Mann, Artie Fellows, war ein bekannter Tresorknacker, wie die Polizei sich ausdrückte.« »Das klingt aber sehr interessant.« Agatha Simpson nickte erfreut. »Nach dem Tod ihres Mannes übernahm Mrs. Ethel Fellows in Soho eine Teestube. Mehr war vorerst nicht zu erfahren. « »Hat sie irgendwelche Aussagen machen können?« »Nicht vor der Polizei, Mylady.«
»Aha!« Lady Simpson achtete nicht weiter auf die Streckenführung und schaute ihren Butler erwartungsvoll an. »Während meiner Fahrt zum Hospital delirierte Mrs. Ethel Fellows ein wenig«, berichtete Parker weiter. »In diesem Zusammenhang fielen einige Worte, die zu merken ich mir die Freiheit nahm.« »Was ich mir auch ausgebeten haben möchte.« Agatha Simpson achtete noch immer nicht auf die an sich recht schmale Fahrbahn und näherte sich mit ihrem »Victor« einem Chausseebaum, der stark und unnachgiebig aussah. »Der Baum, Mylady«, erinnerte Parker in seiner diskreten Art und Weise. »Sie sprach von einem Baum?« mißverstand die ältere Dame gründlich. »Von jenem Baum, Mylady.« Parker streckte seinen Arm ein wenig überstürzt vor und deutete mit dem Zeigefinger geradeaus, wo das Hindernis fast erreicht war. »Sind Sie etwa nervös?« wunderte sich Agatha Simpson und brachte den »Victor« wieder auf den richtigen Kurs, was nicht ganz einfach war. »Lenken Sie mich nicht immer ab, Mr. Parker! Welche Worte haben Sie von dieser Frau aufgeschnappt? « »Sie nannte den Vornamen >Derek<, Mylady, ohne allerdings den Nachnamen zu erwähnen. Ferner sprach Mrs. Fellows von einem >Schwein< und dann von einem gewissen >Mr. Hudson<, falls meine Sinne mich nicht trogen.« »Mr. Hudson?« Agatha Simpson verriß das Lenkrad und ließ ihren »Victor« auf eine Steinmauer rollen. Nein, er hatte sich nicht getäuscht.
Nur ein paar Meter vor dem Kühler des »Victor« lag ein Bündel Dynamitstäbe. Die Lunte, die bereits Feuer spuckte, war ungemein kurz. Parker hätte vielleicht Stellung bezogen, doch seine Aufmerksamkeit war sehr nachhaltig abgelenkt worden. Er beugte sich ein wenig vor, um besser zu sehen. Lady Agatha gestand später widerwillig, daß die Angst sie irgendwie gelähmt hatte. Als auch sie das Dynamitbündel auf der Straße sah, vermochte sie nicht zu reagieren. Sie schloß einfach die Augen und wollte nichts sehen. Daß sie etwas hören würde, war ihr vollkommen klar, nämlich das schreckliche Geräusch der Detonation. Parker hingegen reagierte geradezu meisterlich. Dem Drehbuchautor eines Kriminalfilms hätte kaum ein besserer Trick einfallen können. Josuah Parker setzte seinen Universal-Regenschirm in einer Art und Weise ein, die für Lady Agatha schockierend war. Parker rammte förmlich den Regenschirm auf die Schuhspitze von Lady Agathas Fuß, der das Gaspedal kontrollierte. Dann drückte Parker unnachgiebig und mit voller Wucht auf diesen Schuh, der seinerseits nun das Gaspedal voll durchtrat. Der Effekt war frappierend. Der ein wenig asthmatische »Victor« verschluckte sich zwar um ein Haar, machte dann aber einen gewaltigen Satz nach vorn und rumpelte in Höchstfahrt auf das Dynamitbündel zu. Parker griff, was Lady Agatha ihm normalerweise nie verziehen hätte, ins Steuer und visierte mit dem rechten Vorderrad das zischende und rauchende Bündel an. Dann konnte er sich aller-
dings nur noch auf sein Glück verlassen. Nun schloß auch Josuah Parker die Augen und wartete. Bruchteile von Sekunden später ging ein leichter Schlag durch den Oldtimer. Agatha Simpson wurde durchgeschüttelt, und auch Butler Parker merkte deutlich, daß sie ein hartes Hindernis überfahren hatten. Wann erfolgte die Detonation? Er öffnete wieder die Augen und sah links am Straßenrand die Einfahrt auf ein Grundstück. Das Tor, das in die hohe Bruchsteinmauer eingelassen war, schien nicht sonderlich breit zu sein. Dennoch ließ Parker es auf einen Versuch ankommen. Er schaute nicht zurück, denn dazu blieb keine Zeit. Er riß den »Victor« in eine geradezu lebensgefährlich enge Kurve, wischte mit dem Oldtimer durch das erfreulicherweise nur angelehnte Tor und brachte den jetzt aus allen Nähten keuchenden Veteranen dicht hinter der soliden und recht hohen Steinmauer zum Halten. »Ich möchte mir gestatten, Mylady zur gezeigten Geistesgegenwart zu beglückwünschen«, sagte Parker, während er sich mit seinen schwarz behandschuhten Zeigefingern die Ohren zuhielt. »Mylady sollten vielleicht die Trommelfelle schützen.« Die Detektivin warf sich mit wogender Brust über das große Lenkrad und folgte dem Rat ihres Butlers. Dann warteten Lady Agatha und Butler Parker auf die gewaltige Detonation, die einfach kommen mußte. Die aber nicht erfolgte! Parker gab probeweise seine Ohren frei und horchte zur Straße hinüber. Dann stieg er aus und schaute zu Lady
Simpson hoch, die sich schnaufend aufrichtete. »War das nicht ein Bündel Dynamit?« fragte sie mit leicht belegter Stimme. »In der Tat, Mylady«, erwiderte Parker, der seine Stimme und Gesten bereits wieder voll unter Kontrolle hatte. »Man scheint den Versuch unternommen zu haben, Mylady an der weiteren Teilnahme der Rallye hindern zu wollen. Falls es gestattet ist, werde ich nach dem Hindernis Ausschau halten.« Er ging zum Tor zurück, das ein wenig schief und deformiert in den Angeln hing, erreichte die Straße und suchte das Dynamitbündel. .. Es war nicht mehr vorhanden! Hindernis – und harmloser konnte keine Landstraße sein. Der oder die Attentäter hatten das Dynamitbündel wieder verschwinden lassen. Es schien sich in Luft aufgelöst zu haben. * Butler Parker ging zu der Stelle zurück, wo das gefährliche Zeug gelegen hatte. Natürlich war er auf der Hut. Im Hinterhalt konnten immer noch der oder die Attentäter liegen, um einen gezielten Schuß anzubringen. Man hatte es mit ausgekochten Profis zu tun, wie schon allein der Schuß auf Mrs. Ethel Fellows bewies. Parker überquerte die Straße und suchte das dortige Gelände ab. Es war unübersichtlich genug und bot leider viele Möglichkeiten, sich in einen Hinterhalt zu legen. Es gab hier Sträucher, Steinwälle und hohes Gras. Es dauerte fast fünf Minuten, bis Parker einigermaßen
sicher sein konnte. Dann ging er zurück zur Straße und suchte nach Spuren der tödlichen Sprengladung. Er hatte sie sich schließlich nicht nur eingebildet. Es dauerte nur ganz kurze Zeit, bis er klar sah. Der oder die Attentäter hatten das Dynamitbündel zwar wieder geborgen, doch ihnen war keine Zeit geblieben, alle Spuren zu verwischen. Parker entdeckte Brandspuren auf der Fahrbahn, die auf die brennende Lunte hinwiesen. Diese Brandspuren waren nur sehr oberflächlich verwischt worden. Und als Parker genauer suchte, fand er auch ein etwa daumenbreites Stück der Lunte, das wahrscheinlich weggeschleudert worden war. Butler Parker schritt zurück zum Tor in der Bruchsteinmauer und hörte Stimmen. Lady Agatha unterhielt sich lautstark mit einem Mann, dessen Organ ein wenig schrill und cholerisch wirkte. Der Gesprächspartner der Detektivin entsprach der Stimme: Der Mann war klein, schlank und sehr aufgeregt. Er deutete immer wieder auf das lädierte Tor und sprach von einem unersetzlichen Verlust, der ihm entstanden sei. »Gut, daß Sie kommen, Mr. Parker.« Lady Agatha wandte sich an ihren Butler. »Erklären Sie diesem Herrn, warum und weshalb wir die Straße verlassen haben!« »Wer ersetzt mir den Schaden?« Der kleine Choleriker musterte Parker grimmig und gereizt. »Wieso sind Sie hier auf meinem Grundstück? Das ist Privatbesitz? Ich verlange eine plausible Erklärung. « »Dieser Mann macht mich ärgerlich«, stellte Lady Agatha fest und ließ ihren Pompadour bereits wirbeln. Sie schien
drauf und dran zu sein, den Grundstücksbesitzer mit ihrem »Glücksbringer« zu behandeln. »Sie verlangen eine Erklärung, Sir?« erkundigte sich Parker würdevoll und gemessen. Sicherheitshalber schob er sich zwischen seine Herrin und den Grundstücksbesitzer. »Natürlich. Wie kommen Sie dazu ...?« »Diese Frage, Sir, stellten Sie bereits, falls meine Ohren mich nicht nachhaltig getäuscht haben sollten«, schickte Parker voraus und lüftete höflich die schwarze Melone. »Möchten Sie möglicherweise die Wahrheit und nichts als die Wahrheit erfahren?« »Worauf Sie sich verlassen können!« Die Stimme des Cholerikers war zwar noch schrill, aber nicht mehr so laut. Parkers Erscheinung machte Eindruck auf den Wütenden. »Nun denn, es sei!« Parker deutete eine knappe Verbeugung an und hob die Spitze seines altväterlich gebundenen Regenschirms, mit der er auf den hinteren Teil des Grundstücks deutete. »Darf ich unterstellen, Sir, daß dort Windsor liegt?« »Natürlich. Staines und Windsor.« »Damit ist die Frage im Grund bereits beantwortet«, redete Parker weiter. »Lady Simpson und meine bescheidene Wenigkeit wollen nach Windsor.« »Aber doch nicht durch meinen Park!« Der Choleriker sah den Butler entgeistert an. »Sagen Sie das nicht, Sir«, meinte Parker würdevoll. »Dies, so würde ich meinen, ist eine Frage der funktionellen Interpretationsflexibilität. « »Aha.« Der Choleriker schluckte.
»Von was?« wollte Lady Agatha wissen. Auch sie war plötzlich sehr beeindruckt. So hatte sie dieses Ausweichmanöver noch gar nicht betrachtet. »Oder, vielleicht noch präziser ausgedrückt, eine Frage der ambivalenten Programmierungsfluktuation«, stellte Parker sehr sachlich und überzeugend fest. »Sie verstehen, was ich meine, Sir?«. »Na .. . Na . .. Natürlich«, stotterte der Choleriker, der längst keiner mehr war. Er wollte nicht ungebildet erscheinen. »Ich möchte mir gestatten, Sie zu Ihrem Verständnis und zu Ihrer Kooperation zu beglückwünschen«, schloß Parker. »Das Sekretariat von Mylady wird übrigens den Schaden selbstverständlich selektiv und adäquat regulieren.« Während Parker noch redete, half er bereits der verdutzten Lady auf den Fahrersitz des »Victor«. Er stieg dann seinerseits in den Oldtimer und lüftete noch mal höflich seine schwarze Melone in Richtung Choleriker, dessen Gesicht einen ratlosen Ausdruck angenommen hatte. »Ich erlaube mir, auch im Namen von Mylady einen geruhsamen Tag zu wünschen«, rief er rechtzeitig, bevor der Oldtimer-Motor wieder zu spucken begann. »Gott schütze Sie, Sir! Sie können stolz auf sich sein!« * Lady Agatha war nicht ganz bei der Sache. Sie saß am Steuer des »Victor« und lenkte den Oldtimer über die Landstraße. Dabei schielte sie immer wieder verstohlen zu Parker hinüber. Nach etwa
fünf Minuten hielt sie den »Victor« jäh an. »Mylady?« erkundigte sich Parker gemessen. »Was war das für ein horrender Unsinn, den Sie da eben von sich gegeben haben?« wollte sie gereizt wissen. »Ich habe kein Wort verstanden.« »Darf ich mich erkühnen, Mylady ein Geständnis zu machen?« »Ich bestehe darauf«, erwiderte sie grimmig. »Meine bescheidene Wenigkeit sieht sich außerstande, Mylady, diesen Worten einen gemeinverständlichen Sinn zu geben«, sagte Parker. »Es handelte sich um eine Anhäufung gängiger Vokabeln und Begriffe, wie man sie von sogenannten Fachleuten täglich hört. Sie scheinen ihren Eindruck aber nicht zu verfehlen. « »Das kann man wohl sagen.« Lady Simpson lächelte jetzt. »Ich bekam bereits Minderwertigkeitskomplexe. Sagen Sie, Mr. Parker, was war nun mit diesem Dynamitbündel? Handelte es sich um eine Attrappe?« »Dies, Mylady, möchte ich ausschließen«, antwortete Butler Parker, während Lady Agatha ihren »Victor« wieder in Bewegung setzte. »Ich darf noch mal an den Schuß erinnern, der Mrs. Ethel Fellows traf. Hier wird eindeutig scharf geschossen.« »Und wieso hat uns diese Sprengladung nicht erwischt? Haben Sie wirklich die Lunte mit dem Vorderrad abgetrennt?« »Ein glücklicher Zufall, Mylady.« Parker blieb bescheiden wie üblich. »Wenn Sie mir nicht ins Lenkrad gegriffen hätten, wäre es kein Zufall gewesen«, behauptete die ältere Dame. »Ich
hatte natürlich ebenfalls vor, die Lunte abzutrennen.« » Selbstverständlich, Mylady.« »Eben.« Agatha Simpson nickte. »So leicht lasse ich mich nicht ins Bockshorn jagen.« »Sehr wohl, Mylady.« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos. »Wer paßt jetzt auf diese Ethel Fellows auf?« wollte Lady Agatha wissen. Sie war an einem Wechsel des Themas interessiert. »Die Polizei hat das übernommen, Mylady. « »Sollte man nicht Kathy auf diese Frau ansetzen?« »Miß Porter, Mylady, wird Kingston und Staines beobachten«, erinnerte Parker. »Auf den dortigen Banken werden mit einiger Wahrscheinlichkeit weitere Pfundbeträge abgehoben werden, die auf ihren Empfänger warten. Nachdem Mrs. Ethel Fellows als Kassiererin aus-gefallen ist, dürfte es wichtig sein zu erfahren, wer nun die Erpressungsgelder abholen wird.« »Weiß die Polizei inzwischen, um was es geht? Wieviel mußten Sie preisgeben, Mr. Parker?« »Die zehn Erpresserbriefe, Mylady, die die Herren Stansy und Baltow noch zu verteilen hatten, befinden sich in meinem Besitz«, berichtete Josuah Parker. »Mrs. Ethel Fellows hatte sie bei sich, als sie von dem Geschoß getroffen wurde.« »Galt der Schuß ihr oder Ihnen, Mr. Parker? « »Ich möchte annehmen, Mylady, daß meine bescheidene Wenigkeit aus dem Weg geräumt werden sollte«, entgegnete der Butler. »Und was die zehn Briefe anbetrifft, so möchte ich ferner meinen,
daß sie bereits ersetzt worden sind. Der oder die Erpresser werden bereits wieder am Werk sein.« »Und zwar ohne ihre Handlanger Stansy und Baltow.« Agatha Simpson lächelte versonnen. »Was wird man nur von mir denken, wenn man sie in meiner Badewanne findet?« »Myladys Ruf könnte unter Umständen in Gefahr geraten.« »Hoffentlich«, erwiderte Agatha Simpson und lachte amüsiert auf. »Ich habe nichts dagegen, daß man mich für einen männerverschlingenden Vamp hält, der seine Liebhaber mit Handschellen in der Badewanne konserviert.« * Unter den zahlreichen Zuschauern in Kingston befand sich eine attraktiv aussehende Frau von etwa fünfundzwanzig Jahren. Sie war langbeinig, hatte kastanienrotes Haar und ein ausdrucksvolles Gesicht. Sie trug Jeans, eine leichte Bluse und darüber eine Lammfellweste. Sie wirkte nicht gerade draufgängerisch, sondern erinnerte mehr an ein etwas scheues Reh. Sie hieß Kathy Porter, war die Gesellschafterin der Lady Simpson und die sehr gelehrige Assistentin Butler Parkers. Kathy Porter war eine Meisterin der Verwandlung. Innerhalb weniger Minuten konnte sie ganz nach Belieben in eine andere Person schlüpfen und Gegner dadurch immer wieder in die Irre führen. Butler Parker hatte ihr diese Kunst beigebracht. Darüber hinaus war Kathy Porter eine sehr dynamische Frau. In den Künsten
der Selbstverteidigung kannte sie sich bestens aus. Es gab kaum einen Trick, der ihr nicht bekannt war. Nach außen hin jedoch war sie scheu und zurückhaltend, was schon manchen Gangster zu völlig falschen Schlüssen verleitet hatte. Kathy Porter stand unter den vielen Zuschauern an der Hauptstraße von Kingston und genoß das Schauspiel der einfahrenden Oldtimer. Sie vermißte allerdings einen gewissen »Victor«, doch das beunruhigte sie nicht sonderlich. Lady Simpson und Butler Parker waren ein Gespann, das man nicht so leicht aus der Ruhe brachte. Kathy besaß da reichhaltige Erfahrungen. Die Oldtimer rollten auf das Grundstück eines kleinen Hotels, wo sie erst mal ausgiebig verschnauften. Die Fahrt von Richmond bis hierher hatte die alten Motoren ziemlich in Anspruch genommen. Als die Zuschauer sich verliefen, schlenderte Kathy ein Stück die Hauptstraße hinunter und nahm auf einer Bank Platz. Sie hatte Chips gekauft, knabberte sie und beobachtete dabei die beiden Bankfilialen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Sie wußte von Parker, der sie telefonisch informiert hatte, auf was sie zu achten hatte. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Rallyefahrer auf dem Platz erschienen. Sie vertraten sich die Beine, sahen sich das historische Städtchen an und genossen die Blicke der Normalbürger. Sie selbst fielen natürlich mehr als auf, trugen die Kleidung eines vergangenen Jahrhunderts und hatten sich so ihren alten Automodellen angepaßt. Ein älterer Herr – er mochte an die sechzig Jahre sein – der einen altmodisch geschnittenen Glencheckanzug
mit Knickerbockern trug, erschien vor der ersten Bankfiliale. Er machte einen nervösen Eindruck, schaute sich immer wieder nach allen Seiten um und verschwand dann in den Räumen. Kathy Porter war längst aufgestanden. Sie schlenderte über die Fahrbahn, knabberte Chips und sah derart desinteressiert und durchschnittlich aus, daß man sich wirklich nicht weiter um sie kümmerte. Sie erreichte die Bankfiliale, klemmte sich den Beutel mit den Chips unter den Arm und griff nach ihrer kleinen Handtasche, die nach Art eines Brustbeutels am Hals hing. Sie zählte einige Banknoten durch, schüttelte den Kopf und betrat die Schalterhalle. Der Sechzigjährige kassierte gerade einen ansehnlichen Betrag in großen Banknoten, die er fast achtlos zusammenrollte und in seiner linken Hand hielt. Sein Kopf war hochrot vor Aufregung. Daß dieser Mann unter einem inneren Druck stand, war ihm anzusehen. Und erneut schaute er sich selbst in der Schalterhalle nach allen Seiten um. Er ging zögernd zur Pendeltür, blieb stehen, schlenderte zurück und setzte sich dann an einen der drei Schreibtische. Kathy Porter stand vor einem Kassenschalter und ließ sich zwei Einpfundnoten einwechseln. Sie nahm sich viel Zeit, die Münzen in ihrer kleinen Handtasche zu verstauen und hielt den Sechzigjährigen unter Sichtkontrolle. Er stand plötzlich hastig auf, als habe er ein bestimmtes Zeichen bekommen. Nun ging er zielsicher und schnell auf die Pendeltür zu, gefolgt von Kathy, die weiterhin Chips knabberte und gelangweilt wirkte. Der Sechzigjährige stand in der Vorhalle und wirkte irritiert.
Der Mann ging auf die Eingangstür zu, schaute die Straße hinauf und hinunter und setzte sich prompt wieder in Bewegung, schnell, zielsicher und übereifrig. Er schien ein weiteres Zeichen erhalten zu haben. Kathy blieb ihm auf den Fersen. Man merkte ihr nicht an, daß sie den Sechzigjährigen beschattete. Sie war eine Touristin, nicht mehr und nicht weniger. Sie war fremd in der Stadt, sah sich neugierig um und befaßte sich unablässig mit knisternden Chips. Der Rallyefahrer im Glencheck steuerte auf einen Passanten zu, der eine Zeitung faltete. Der Sechzigjährige stoppte diesen Zeitungsträger und sprach ihn an. Dabei deutete er auf die kleine gotische Kirche im Hintergrund. Kathy ließ sich nicht täuschen. Sie sah deutlich, daß der Rallyefahrer dem Zeitungsträger die Rolle mit Banknoten in die Hand drückte. Dann wandte er sich brüsk ab und ging eilig weiter. Kathy überquerte die Straße und blieb vor einem Schaufenster stehen. Der Zeitungsträger, der jetzt die Banknoten besaß, schien keine Eile zu haben. An einem Blumenstand begutachtete er die Nelken. Nachdem er eine fürs Knopfloch gekauft und angesteckt hatte, marschierte er zur zweiten Bankfiliale und traf hier auf einen flott aussehenden Fünfziger, der eindeutig zu den Oldtimer-Fahrern gehörte, wie schon seine altertümliche Kleidung bewies. Hier wiederholte sich das neckische Spiel. Der Mann mit der Zeitung und der Nelke im Knopfloch wurde angesprochen, erteilte Auskunft und wedelte geschickt mit der Zeitung in der Luft, die
dann den Austausch einer weiteren Banknotenrolle kaschierte. Kathy Porter hatte genug gesehen. Sie wußte jetzt, an wen sie sich zu halten hatte. Es galt nun, ihr Äußeres zu ändern und diesem Mann auf den Fersen zu bleiben. Sie blieb allerdings wie erstarrt stehen, als ein harter Gegenstand sich gegen ihr Rückgrat preßte. Eine kühle, höfliche Stimme riet ihr dann, keinen Unsinn zu machen und brav in die nächste Straße zu gehen. Kathy Porter hielt sich an diese Empfehlung. Sie hatte keine Lust, ermordet zu werden! * Damit hatte Parker nicht gerechnet. Lady Agatha vollführte plötzlich eine Vollbremsung und stemmte ihre großen Füße gegen die Pedale. »Mylady haben Probleme, falls diese Frage gestattet ist?« erkundigte Parker sich ein wenig später. Er hatte die leicht verrutschte Melone zurechtgerückt und sah seine Herrin erwartungsvoll an. »Die Bombe«, sagte Lady Simpson mit gepreßter Stimme. »Die Bombe, Mylady?« »Die Bombe im Kofferraum, Mr. Parker.« Die Detektivin wirkte gequält. »Mylady hegen Befürchtungen?« »Hat sie nicht einen Rüttelzünder?« erinnerte Lady Agatha. »Sie haben vergessen, dieses schreckliche Ding aus dem Kofferraum zu nehmen.« »In der Tat, Mylady!« »Wollen Sie uns in die Luft jagen, Mr. Parker?« Nun grollte ihre Stimme be-
reits wieder, ein sicheres Zeichen dafür, daß sie sich erholt hatte. »Dies, Mylady, lag und liegt nicht in meiner Absicht«, antwortete Josuah Parker gemessen. »Ich vergaß mitzuteilen, daß ich mir die Freiheit nahm, den erwähnten Rüttelzünder zu entschärfen und wirkungslos zu machen.« »Und das erfahre ich erst jetzt? Mir ist fast das Herz stehengeblieben.« »Mylady mögen meine Nachlässigkeit verzeihen.« »Warum fahren wir dieses Höllending noch spazieren?« »Ich erlaube mir von der Tatsache auszugehen, Mylady, daß man nichts unnötig wegwerfen sollte. Vielleicht läßt die Ladung sich noch verwenden.« »Sie kann wirklich nicht hochgehen, Mr. Parker?« Sie musterte den Kofferraum sehr mißtrauisch. »Nach menschlichem Ermessen erscheint das ausgeschlossen, Mylady.« »Hoffentlich«, grollte sie, »sonst können Sie was erleben, Mr. Parker! Wissen Sie übrigens, daß wir wieder wertvolle Zeit verloren haben? Sämtliche Oldtimer werden längst in Kingston sein.« »Mylady sollten auf die Ausdauer des »Victor« setzen«, riet Josuah Parker der älteren Dame. »Im Endspurt wird er unschlagbar sein. Zudem erwarten uns mit Sicherheit bereits einige interessante Nachrichten. Miß Porter wird bestimmt bereits tätig geworden sein.« »Hoffentlich.« Sie brachte den Oldtimer wieder in Gang und zuckelte los. Der Veteran auf Rädern gab sich große Mühe, die schmale Landstraße zu fressen und jagte mit einer Höchstgeschwindigkeit von jetzt fünfzehn Kilo-
metern pro Stunde in eine weitere Kurve. Diesmal war Parker auf der Hut. Er wollte nicht noch mal auf der Kühlerhaube des Oldtimer landen. Er hatte genau mitbekommen, daß Lady Agatha willens war, diese Kurve mit Höchstfahrt zu nehmen. Parker versteifte sich in seinem reich verzierten Schalensitz und harrte der Dinge, die da kommen mußten. Erneut bremste Lady Agatha mit größtem Nachdruck. Diesmal bot sich dafür allerdings auch ein echter Grund an. Auf der Fahrbahn lagen die ansehnlichen Trümmer eines Holzgatters: Pfosten, Bohlen und Holzlatten. Sie waren sehr wirkungsvoll und geschickt als Hindernis aufgebaut worden und mußten jedes Fahrzeug zum Anhalten zwingen. Butler Parker rechnete mit einem Feuerüberfall und reagierte dementsprechend. Er setzte blitzschnell einen UniversalKugelschreiber ein, den er aus einer der vielen Westentaschen zog. Als dieses Schreibgerät auf dem Straßenbelag zerplatzte, stieg eine dichte Nebelwolke hoch, die innerhalb von Sekunden den Oldtimer, Lady Agatha und Butler Parker einhüllte. Wer immer auch die Absicht hatte, auf die Insassen des Veteranen zu schießen, hatte plötzlich kein Ziel mehr im Visier. Lady Agatha und ihr Butler waren verschwunden und im Moment nicht mehr auszumachen. * Am Steuer des kleinen Ford saß der Mann im Glencheckanzug.
Er grinste Kathy Porter fröhlich an und machte keinen sonderlich gefährlichen oder gar brutalen Eindruck. Er schien sich über Kathy nur zu amüsieren. »Komm 'rein, Süße«, rief er. »Wir haben uns bestimmt 'ne Menge zu erzählen.« Kathy folgte dieser Einladung. Hinter ihr stand der Mann, der sie zum Mitkommen »eingeladen« hatte. Sie hatte ihn bisher noch nicht gesehen. Er drückte sie mit sanfter Gewalt nach hinten in den Wagen und nahm dann neben ihr Platz. Nun konnte sie sein Gesicht studieren. Der Mann neben ihr war vielleicht knapp fünfundzwanzig Jahre alt, klein und schlank. Im Gegensatz zu dem Mann im Glencheck, der etwa 30 Jahre zu sein schien und eine normale Größe besaß, war dieser Revolverträger ein recht unangenehm aussehender Typ. Seine Augen waren kalt und wachsam. Der Mann im Glencheck hatte bereits die Fahrt aufgenommen und lenkte den kleinen Ford durch die Seitenstraße aus der Stadtmitte. Dabei sah er wiederholt in den Rückspiegel und vergewisserte sich, ob sie verfolgt wurden oder nicht. »Was soll das alles?« fragte Kathy, die eingeschüchtert tat. »Soll das eine Entführung sein?« »Sieht so aus, wie?« Der Mann im Glencheck lachte amüsiert. »Bei mir ist aber sicher nichts zu holen. Sie müssen mich verwechselt haben.« Kathy blieb bei ihrer Rolle. »Red keinen Stuß, Puppe«, fuhr der Mann sie an, der neben ihr saß. »Wir sind doch keine Anfänger.« »Wovon reden Sie eigentlich?« Kathy war die fleischgewordene Naivität.
»Für wen arbeitest du?« Der Mann neben ihr hatte längst seine Waffe ausgepackt. Es handelte sich um einen kurzläufigen Revolver, dessen Mündung auf Kathy gerichtet war. Der Mann war dabei, einen modernen Schalldämpfer aus der Innentasche seines Jacketts zu ziehen. Er spielte mit dem Zusatzgerät und wollte es sicher gleich aufschrauben. »Ich arbeite für Listons, Apparatebau in London«, schwindelte Kathy gekonnt. »Und im Moment habe ich Urlaub.« »Schon mal was von Lady Simpson oder einem Butler Parker gehört?« fragte der Mann im Glencheck gut gelaunt. »Natürlich nicht.« Kathy setzte sich steil auf. »Ich verstehe immer weniger.« »Das wird sich gleich entscheidend ändern, Süße«, beruhigte der Mann im Glencheck sie und grinste. »Sobald wir unter uns sind, wirst du schon reden.« »Sie verwechseln mich«, murmelte Kathy, die Panik vortäuschte. » Sie müssen mich verwechseln. Bitte, lassen Sie mich aussteigen!« »Halt den Rand, Puppe!« Der Mann neben ihr sah sie kühl an. »Uns machst du nichts vor.« »Wohin . . . Wohin bringen Sie mich?« Kathy sah sich wie gehetzt um. Sie befanden sich auf einer bereits recht unbelebten und schmalen Straße, die in Richtung Süden führte. Hier gab es weite Felder, kleine Waldgruppen und Bauernhäuser. »Wir haben da drüben 'n Wohnwagen stehen«, sagte der Mann im Glencheck. »Da sind wir ganz unter uns.« Kathy schluchzte und produzierte dicke Tränen. So etwas schaffte sie auf Anhieb. Sie blieb bei ihrer Rolle. Diese
beiden Gangster sollten sich sicher fühlen Und glauben, sie hätten leichtes Spiel mit ihr. Kathy Porter hätte durchaus zum Gegenangriff übergehen können. Der Mann neben ihr war außer Gefecht zu setzen, von dem Fahrer mal ganz zu schweigen. Kathy Porters Handkanten waren gefährliche Waffen, die sie zu handhaben wußte. Doch sie verzichtete auf einen Angriff. Irgendwie paßte es ihr, gekidnappt worden zu sein. Nun erfuhr sie wenigstens aus erster Hand, was die Erpresser planten. Die Fahrt dauerte nicht lange. Hinter einem Wäldchen befand sich ein Campingplatz für Wohnwagen. Es handelte sich um eine lange Wiese, die an einem schmalen und offensichtlich seichten Bach lag. Der Ford steuerte einen mittelgroßen, durchschnittlich aussehenden Wohnwagen an, der unmittelbar am Ufer stand. »Jetzt nehmen wir erst mal einen zur Brust«, meinte der Fahrer, als er ausstieg. Er nickte Kathy freundlich zu. »Wenn du Zicken machst, Süße, gibt's Ärger. Ist das klar?« Kathy Porter nickte eingeschüchtert, stieg aus und folgte dem Mann im Glencheck, der bereits die Tür des Wohnwagens aufschloß. Sie schaute sich verstohlen um. Der Campingplatz machte leider einen recht unbelebten Eindruck. Wahrscheinlich befanden sich die meisten Campingfreunde in der Stadt, um die Oldtimer zu bestaunen. Der Wohnwagen war normal eingerichtet und bot keine Überraschungen. Er war sauber aufgeräumt. Kathy wollte sich zu dem Mann umwenden, der hinter ihr war. Es war nämlich an der Zeit, die Initiative zu übernehmen. Nun woll-
te sie die Fragen stellen. Doch sie hatte Pech. Sie hatte sich noch nicht halb umgedreht, als ein harter, trockener Schlag ihren Hals traf. Kathy stöhnte, taumelte gegen die Wand des Wohnwagens und rutschte dann an dem hinter ihr stehenden Mann haltlos zu Boden. Bevor sie ohnmächtig wurde, wurde ihr leider noch klar, daß sie zu lange gewartet hatte. Aber ihr blieb keine Zeit mehr, sich zu ärgern! * »Wo ist denn die Straße?« fragte Lady Agatha verärgert. Umwallt von dichten Nebelschwaden, die von einem zweiten Spezial-Kugelschreiber noch genährt worden waren, vermochte sie wirklich nichts mehr zu sehen. »Darf ich mir erlauben, Mylady um Vollgas zu bitten?« »Und wie geht's weiter, Mr. Parker?« Während die Detektivin ihre Frage stellte, gab sie sofort Vollgas und hielt das große Lenkrad zusätzlich fest. »Geradeaus, Mylady!« Parkers Stimme klang höflich und gemessen wie immer, doch sein Gesicht drückte gespannte Erwartung aus. Er wußte nur zu gut, wie sehr sie sich in Lebensgefahr befanden. Parker rechnete jeden Moment damit, daß eine Bombe geworfen wurde. Er hatte das Dynamitbündel noch nicht vergessen, und auch nicht den Schuß, der wahrscheinlich ihm gegolten, Ethel Fellows aber getroffen hatte. Der »Victor« brüllte unter seiner Last förmlich auf und entwickelte plötzlich ein Temperament, als sei ihm bewußt,
um was es ging. Er warf sich förmlich nach vom und überstieg dann die an sich niedrige Straßensperre wie ein Panzer. Seine Reifen malmten über die Holztrümmer hinweg, die Federn ächzten und quietschten, die beiden Insassen wurden scheußlich durchgerüttelt. Dann war es geschafft. Der Oldtimer hatte das sperrige Hindernis bezwungen und zuckelte wieder über den normalen Straßenbelag. Daß drei der vier Pneus danach luftleer waren, konnte nicht weiter verwundern. »Sie haben meinen Victor auf dem Gewissen«, beschwerte sich Lady Agatha grollend bei Parker und wollte das Tempo drosseln. »Bitte, Mylady, Vollgas!« Parker verzichtete diesmal auf jede höfliche Umschreibung. Für ihn war die Gefahr noch längst nicht gebannt. Agatha Simpson seufzte und drückte das unförmige und große Gaspedal bis zum Anschlag durch. Der »Victor« machte einen weiteren Satz nach vorn, schien plötzlich zu schweben. Er erhob sich in die Lüfte, wie Lady Agatha später fest behauptete. Der Oldtimer wurde von einer gewaltigen Druckwelle erfaßt und zusätzlich beschleunigt. Er hing tatsächlich etwa dreieinhalb Zentimeter in der Luft, segelte gut und gern vier bis fünf Meter ohne Radkontakt weiter und landete dann wieder krachend auf dem Straßenbelag. Die schwere Detonation dröhnte in den Ohren der beiden Rallyefahrer und mißhandelte ihre Trommelfelle. Lady Agatha duckte sich und schaute sich dann entsetzt um. Über ihr und in den Nebelschwaden segelten Trümmerreste der Straßensperre. Latten, Pfosten und Schotter-
steine pfiffen wie kleine Granaten durch die Luft und näherten sich bedrohlich dem Oldtimer. Parker benutzte die Spitze seines Universal-Regenschirms erneut, um den »Victor« in Schwung zu halten. Er drückte mit der Zwinge auf Myladys Schuhspitze, worauf der Veteran auf jetzt restlos luftleeren Pneus nach vorn hastete, dabei asthmatisch pfiff und keuchte. Sie schafften es gerade noch. Dicht hinter dem Heck des Oldtimers regneten die Trümmer der Barrikade zurück auf die Straße und wirbelten Staubwolken hoch, die in dieser Dichte wohl ungewollt für zusätzliche Deckung sorgten. »Das muß ich mir ansehen!« Lady Agatha war ehrlich beeindruckt. »Ob das unser vermißtes Dynamitbündel gewesen ist, Mr. Parker?« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady«, gab der Butler zurück. Sein Gesicht war wieder ausdruckslos. »Eine intensive Besichtigung des Kraters sollte man vielleicht ein wenig verschieben, wenn ich mir diesen Rat erlauben darf. Noch ist die Gefahr das, was man akut nennen muß.« Auf luftleeren Reifen schaukelte der »Victor« weiter und gewann an Boden. Erst hinter der nächsten Straßenbiegung stoppte Lady Agatha. »Darf ich mir erlauben, Mylady einen Kreislaufbeschleuniger anzubieten?« erkundigte sich Parker, der die flache, lederbespannte Flasche bereits in Händen hielt und den Silberbecher abschraubte. »Darf ich mich erkühnen, ebenfalls etwas für meinen Kreislauf zu erbitten? Mir scheint, Mylady, daß man
gerade noch einer tödlichen Falle entkommen konnte.«
* Kathy Porter hörte Stimmen, die von weither kamen. Ihr Hals schmerzte scheußlich, und in ihren Gliedern war noch immer so etwas wie eine Lähmung. Sie erinnerte sich mühsam. Sie war von einem ihrer Entführer niedergeschlagen worden. Und sie mußte sich im Wohnwagen dieser beiden Gangster befinden. Sie hatte sich jedoch unter Kontrolle, öffnete weder die Augen, noch bewegte sie sich. Die beiden Gangster sollten glauben, daß sie noch ohnmächtig war. Insgeheim aber prüfte sie vorsichtig, ob sie gefesselt war. Zu ihrer Überraschung war das nicht der Fall. Die beiden Männer schienen sich sehr sicher zu fühlen. »Was machen wir mit der Puppe?« hörte Kathy die Stimme des jüngeren Mannes. »Das soll Derek entscheiden«, antwortete der Ältere, der den Glencheck trug. »Kann ja nicht mehr lange dauern, bis er zurückkommt.« »Ob die Sache geklappt hat?« »Diesmal bestimmt.« Der Mann im Glencheck lachte leise. »Das komische Pärchen segelt bestimmt längst durch die Wolken.« »Hoffentlich.« Skepsis war in der Stimme des Jüngeren. »Ich traue der Alten und ihrem Butler 'ne Menge Tricks zu.« Natürlich wußte Kathy, von wem hier die Rede war. Es ging um Lady Simpson und Butler Parker. Wahrscheinlich versuchte man erneut, sie auszuschalten.
Kathy machte sich deswegen aber keine unnötigen Sorgen. Der jüngere Mann lag vollkommen richtig: Lady Agatha und Butler Parker waren so leicht nicht außer Gefecht zu setzen. Aus der knappen Unterhaltung ging hervor, daß es da noch einen Derek gab, der sich mit Lady Simpson und Butler Parker befassen sollte. Kathy fragte sich insgeheim, ob sie die Rückkehr dieses dritten Mannes noch abwarten sollte. War er allein? Hatte er noch einen Begleiter? Wer war vor allen Dingen dieser Derek? Er schien der Anführer dieser Gruppe zu sein, denn er sollte ja über ihr Schicksal entscheiden. »Sieh mal nach, ob die Süße wieder auf´m Damm ist«, forderte der Mann im Glencheck seinen Partner auf. »Und verschnür sie, bevor sie Dummheiten macht.« Damit war die Entscheidung für Kathy Porter gefallen. Sie wollte sich auf keinen Fall binden lassen. Sie wartete, bis sie förmlich spürte, wie der Jüngere sich über sie beugte. Als sie schon fast die Wärme seiner Haut auf ihrem Gesicht verspürte, reagierte sie blitzschnell und konsequent. Mit der Handkante war sie noch schneller und härter als der Mann, der sie niedergeschlagen hatte. Wie ein scharfes Schwert schlug ihre Hand zu. Der Jüngere gab eine Art Gluckser von sich, verdrehte die Augen und fiel dann leider genau auf Kathy, die sich aufrichten wollte. Das Gewicht seines Körpers drückte die junge Dame für einen Moment zurück. Der Mann im Glencheck hatte Kathys Angriff gerade noch mitbekommen und reagierte prompt.
Er griff nach seiner Schulterhalfter und wollte mit Sicherheit eine Waffe hervorziehen. Er war schnell, aber nicht schnell genug . . . Kathy hatte sich bereits von dem gewichtigen Mann befreit und schleuderte dem verdutzten Glencheckträger ein Kissen an den Kopf, was ihn leicht aus dem Konzept brachte. Als er dann wieder im Bild war, stand Kathy Porter bereits dicht vor ihm und Untersuchte mit ihrer Handkante die mechanische Belastbarkeit seines Kinns. Der Mann im Glencheck blieb wie erstarrt stehen, sah Kathy aus großen, erstaunten Augen an, gurgelte nun ebenfalls und legte sich anschließend zu ihren Füßen nieder. Die Siegerin massierte sich die Handkante und schaute auf die beiden Gangster hinunter. Dann entwaffnete sie die Männer und suchte nach einem geeigneten Strick, um sie zu fesseln. Auf dem Abtropfbrett der kleinen Küche fand sie dünne, starke Kordel, genau das, was sie jetzt brauchte. Schnell und routiniert band sie ihre Gegner an Händen und Füßen, um dann ein Doppelpaket aus ihnen zu machen. Sie ließ die beiden Helden auf dem Boden des Wohnwagens liegen und wartete auf das Erscheinen des Mannes, dessen Vorname Derek war. Um sich die Zeit zu vertreiben, durchsuchte Kathy den Wohnwagen und wurde schnell fündig. In einer abgegriffen aussehenden Kühltasche entdeckte sie unter einem Handtuch die immerhin ansehnliche Summe von fast fünfzigtausend Pfund in großen und kleinen Scheinen.
Sie ließ sich etwas einfallen, um diese Summe erst mal verschwinden zu lassen. * Agatha Simpson brauchte zwei Kreislaufbeschleuniger, bis sie sich wieder entspannt fühlte. Der alte Kognak aus der flachen Flasche rötete ihre Wangen. Parker kam allerdings nicht in den Genuß seiner Erfrischung. Als er sich eingoß, landete dicht neben ihm ein Geschoß in der niedrigen Wagentür. Vom Abschuß war nichts zu hören gewesen. Der Schütze hatte mit Sicherheit einen modernen Schalldämpfer verwendet. Lady Agatha hatte diesen Einschuß in das kostbare Blech des »Victor« mitbekommen und reagierte erstaunlich schnell. Sie kuppelte den Gang ein und tuckerte mit dem Oldtimer noch tiefer in die Kurve. Parker stieg aus dem Wagen und entging so einem zweiten Schuß, der das Rückenpolster seines Ledersitzes aufriß. Lady Simpson steuerte das kostbare alte Gefährt hart neben einen dicken Chausseebaum und stieg dann ebenfalls aus. Sie wußte nicht recht, wo sie sich in Deckung bringen sollte. Ihren Butler konnte sie kaum fragen, er befand sich am Heck des »Victor« und schien dort den gesuchten Schutz gefunden zu haben. Lady Agatha war sehr gereizt. Es ging ihrer Ansicht nach zwar völlig in Ordnung, daß man auf sie schoß. Dagegen war nichts einzuwenden. Aber sie hielt es für eine Barbarei, daß man ihren alten Wagen so bedenkenlos lädierte.
Das war in ihren Augen bereits eine Art Kulturschande. Sie spielte mit dem Gedanken, den schützenden Baumstamm zu verlassen und den Angriff zu wagen. Sie mußte nur noch herausfinden, wo der Schütze sich versteckt hielt. Bevor die Detektivin jedoch eine Unvorsichtigkeit begehen konnte, kam es erneut zu einer Überraschung. Plötzlich griff eine Luftdruckwelle nach ihr und wirbelte sie ohne jede Achtung zu Boden. Lady Simpson landete im hohen Gras der Böschung, rollte auf die Seite und fluchte wie ein Kutscher, als sie im Niedrigwasser eines Drainagegrabens landete. Ihr sehr ungeniertes Fluchen ging unter in einer fast wütenden Detonation. Grasnarben, kleine Steine und viel Dreck wirbelten durch die Luft und prasselten dann auf Myladys Hut herunter. Sie duckte sich unwillkürlich und hatte für einen Moment den sicheren Eindruck, in nächster Nähe sei ein Vulkan ausgebrochen. Dadurch entging ihr, daß sie noch tiefer ins Wasser des Drainagegrabens geriet und zusätzlich einweichte. »Darf ich mich erkühnen, Mylady meine bescheidene, aber dennoch hilfreiche Hand zu leihen?« hörte sie dann irgendwann später die Stimme ihres Butlers, »Was soll die Frage?« Groll war in ihrer Stimme, Gereiztheit und Ärger. »Nun leihen Sie schon, Mr. Parker. Nun ist mir aber endgültig der Kragen geplatzt, das kann ich Ihnen sagen. Wenn ich den erwische, der diese Bombe geworfen hat...« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit in einer unglücklichen Position.« Parker half seiner Herrin aus dem
Drainagegraben, der übrigens recht schlammig war. »Mylady sehen den Bombenwerfer vor Mylady«, redete Parker weiter. »Soll das etwa heißen, daß Sie die Bombe...?« Sie redete nicht weiter, konnte es einfach nicht. Empörung brachte ihren mächtigen Busen in Erregung. »Dies, Mylady, soll es heißen,« Parker nickte andeutungsweise. »Ich sah darin das einzige Mittel, den Schützen zu vertreiben.« »Sie haben die Bombe mit dem Rüttelzünder ...?« Erneut sprach die ältere Dame ihren Satz nicht zu Ende. Ein kleines, schlammiges Rinnsal sickerte vom Hutrand auf ihre Nase. »In der Tat«, gestand Parker weiter. »Ich erlaubte mir, diesen Rüttelzünder umzufunktionieren und in einen Aufschlagzünder zu verwandeln, ein technischer Vorgang, der an sich eine Kleinigkeit in der Hand des Kundigen ist.« »Und? Hat es sich wenigstens gelohnt?« Sie wischte sich das schlammige Rinnsal von der, Nase und sah ihren Butler erwartungsvoll an. »Zwei Gestalten männlichen Geschlechts, Mylady, räumten das Feld«, berichtete Parker würdevoll. »Eine dieser Gestalten schien verletzt zu sein, sie humpelte beträchtlich, wenn mich nicht alles täuschte.« »Wenigstens etwas.« Lady Simpsons Unmut war bereits wieder verflossen. »Wissen Sie, was uns jetzt blüht, Mr. Parker?« »Mylady denken an eine bestimmte Sache?« »Man wird uns disqualifizieren«, entgegnete die Detektivin. »Wir sind längst nicht mehr in der vorgegebenen Zeit,
Mr. Parker. Für uns ist die Rallye beendet. « »Vielleicht nicht nur für Mylady«, mutmaßte Butler Parker, wobei seine Stimme einen leicht tröstenden Unterton annahm. »In Kingston dürften weitere Teilnehmer an dieser Wettfahrt aufgeben.« * Kathy Porter glaubte schon fast nicht mehr daran, daß dieser Derek erschien, als sie plötzlich vorn an der Einfahrt zum Campingplatz einen alten LandRover ausmachte, der genau auf den Wohnwagen zuhielt, in dem sie sich befand. Im Näherkommen sah sie, daß nur der Fahrer im Wagen war. Sein Gesicht konnte sie wegen der verdreckten Windschutzscheibe nicht ausmachen, aber darauf kam es im Moment gar nicht an. Der Fahrer würde ja aussteigen und sich zeigen. Kathy schaute auf die beiden Männer, die sie gefesselt und zusätzlich noch geknebelt hatte. Nein, sie waren nicht in der Lage, diesen Derek vorzeitig zu warnen. Daß es sich um diesen erwarteten Derek handelte, war so gut wie sicher für Kathy. Der Fahrer stieg aus. Er war etwa achtundzwanzig Jahre alt und dicklich, hatte ein rundes Gesicht, eine Stirnglatze und trug eine Brille. Wie ein Gangster sah er ganz sicher nicht aus. Er öffnete die Tür des Wohnwagens und rief nach einem »Freddy« und dann nach einem »Rob«.
Als er keine Antwort erhielt, betrat er den Wohnwagen und starrte auf Kathy, die einen Beuterevolver in Händen hielt. »Freddy und Rob sind verhindert«, sagte Kathy Porter lächelnd. »Sie sind Derek, nicht wahr? « »Derek?« Verblüffung war in der Stimme des Dicklichen, und das hätte Kathy eigentlich warnen müssen, doch sie fühlte sich zu sicher. »Derek«, wiederholte Kathy. »Klar, Derek«, bestätigte jetzt der Mann hastig und nickte. »Und wer sind Sie? Was tun Sie hier?« Während er noch redete, entdeckte er seine beiden Partner Freddy und Rob auf dem Boden des Wohnwagens. Natürlich sah er mit einem Blick, was hier vorgefallen war. Er schaute hoch zu Kathy und maß sie mit abschätzendem Blick. »Ich würde es nicht tun«, meinte Kathy gelassen. »Ich werde mich hüten«, gab der Mann zurück, den Kathy für Derek hielt. »Gegen 'ne Kanone habe ich keine Chance. Und mit sowas können Sie bestimmt umgehen, wie?« »Versuchen Sie nicht, das herauszufinden«, warnte Kathy. »Also, wer sind Sie? « fragte er laut und lehnte sich seitlich gegen den Türrahmen. »Eine .. . Konkurrentin«, antwortete Kathy Porter. »Ich finde, daß Sie eine gute Masche gefunden haben, großes Geld zu verdienen.« »Einzelgängerin?« fragte der Mann, den Kathy nach wie vor für Derek hielt. »So kann man sagen«, schwindelte Kathy. »Einzelgängerin, aber nicht ganz unerfahren.«
»Seit wann sind Sie hinter uns her?« fragte der Mann und lächelte. Er hatte ein recht lautes Organ, wie Kathy fand. »In Richmond ist mir ein Licht aufgegangen«, behauptete Kathy Porter. »Ihre beiden Freunde da wollten mir die Tour vermasseln.« »Freddy und Rob?« Der Mann an der Tür deutete auf die Gefesselten. »Sie fingen mich ab und schleppten mich hierher. Ich hatte nichts dagegen. Irgendwo muß ja die bisherige Beute sein.« »Haben Sie sie gefunden?« »Hätte die Suche sich denn gelohnt?« fragte Kathy Porter zurück. Sie war plötzlich mißtrauisch geworden. Dieser Mann redete fast noch lauter und aufdringlicher als vorher. Was bezweckte er damit? Was wollte er übertönen? Plötzlich spürte Kathy, daß sie sich in großer Gefahr befand. Sie wechselte ihren Standort und sah dann in Höhe der Oberschenkel des Mannes, den sie für Derek hielt, den Lauf einer schallgedämpften Waffe, deren Mündung auf sie gerichtet war. Kathy schoß! Aber nicht auf den Mann am Türrahmen, obwohl das eine Kleinigkeit gewesen wäre, was das Ziel anbetraf. Nein, sie setzte ihren Schuß in die Tür und feuerte blitzschnell einen zweiten Schuß auf die Schuhspitzen des Mannes. Der Gangster, den sie für Derek hielt, drückte sich ab und ließ sich nach hinten fallen. Er quetschte den Schalldämpfer der Waffe ab, die neben seinem Oberschenkel zu sehen war und lenkte diesen Schuß hinauf ins Dach des Wohnwagens. Dann war er verschwunden.
* »Sie sind einfach zu zartbesaitet, Kindchen«, tadelte Lady Simpson ihre Gesellschafterin. »Sie brauchten dieses Subjekt ja nicht gerade zu töten, aber eine ordentliche Fleischwunde wäre eigentlich passend gewesen.« Lady Agatha gab sich wieder mal grimmig und hartgesotten. Sie spielte gern diese Rolle, die ihrem wahren Wesen natürlich nicht entsprach. »Sie konnten sich also in Sicherheit bringen, Miß Porter«, erinnerte Butler Parker würdevoll. Er war an der Fortsetzung des Berichts interessiert. »Ich habe nicht lange überlegt«, erzählte Kathy weiter. »Ich bin sofort durch das rückwärtige Fenster nach draußen gestiegen, dann durch den Bach gelaufen und habe mich anschließend draußen im Kuschelgelände versteckt.« »Angriff ist immer noch die beste Verteidigung«, räsonierte die Detektivin und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Aber in der heutigen Jugend ist ja keine Kraft mehr.« »Suchten die Gangster nach Ihnen, Miß Porter?« Parker überhörte diese Bemerkung. »Sie versuchten es erst gar nicht, Mr. Parker«, verneinte Kathy Porter. »Nach ein paar Minuten, es mögen etwa zehn gewesen sein, fuhren sie einfach los.« »Mit dem Wohnwagen?« »Mit dem Wohnwagen, natürlich.« Kathy Porter lächelte. »Sie wollten ja die fünfzigtausend Pfund nicht auf dem Campingplatz zurücklassen. Inzwischen werden sie wissen, daß sie sich diese Mühe völlig umsonst gemacht haben.« »Und wo haben Sie das Geld versteckt, Kindchen?« erkundigte sich die
ältere Dame. Ihre Augen funkelten ein wenig habgierig. »Hoffentlich ist Ihnen etwas Intelligentes eingefallen.« »Ich habe es im Wohnwagen versteckt, Mylady.« Lady Agatha rang nach Luft und fächelte sich mit ihrem Pompadour frische Luft zu. Sie ließ sich in den Sessel fallen und sah Kathy Porter dann in einer Mischung aus Verzweiflung und Mitleid an. Dann wandte sie sich an ihren Butler. »Was sagen Sie dazu?« fragte sie anklagend. »Da gibt man sich nun alle erdenkliche Mühe, solch ein Kind auf den Ernst des Lebens vorzubereiten, und was ist das Resultat?« »Ein intelligenter Trick, Mylady, falls mir diese Bemerkung erlaubt ist«, erwiderte Josuah Parker würdevoll. »Im Wohnwagen werden die Herren die fehlenden fünfzigtausend Pfund mit einiger Sicherheit bestimmt nicht suchen.« »Aha.« Mehr sagte Lady Agatha nicht. Sie war ein wenig unsicher geworden, stand auf und marschierte durch das Hotelzimmer, in dem das Trio sich getroffen hatte. Von den Fenstern aus sah man hinunter auf den Marktplatz von Kingston. »Das dachte ich mir nämlich auch«, erklärte Kathy Porter und nickte Parker lächelnd zu. »Darauf kommen diese Gangster bestimmt nicht. Sie werden doch annehmen, daß ich das Geld in der Nähe des Stellplatzes des Wohnwagens versteckt habe, also werden sie zurückkommen und dort suchen.« »Und dabei von uns überrascht werden.« Agatha Simpson hatte sich bereits auf die neue Situation eingestellt. »Diese Idee, Kindchen, hätte von mir sein
können. Sehr gut, Kathy, Sie sind eine gelehrige Schülerin.« »Haben Sie sich die Kennzeichen des Wohnwagen und des Land-Rover aufgeschrieben?« fragte Parker die gelehrige Schülerin. »Aber natürlich, Mr. Parker.« Kathy lächelte amüsiert. »Auch das Kennzeichen des Ford, in dem die beiden Gangster mich zum Campingplatz brachten.« »Auf Kathy kann man sich eben verlassen« , stellte Lady Agatha fest und sah ihren Butler kopfschüttelnd an. »Was sollen solche banalen Fragen, Mr. Parker? Wahrscheinlich weiß sie sogar, wie die beiden Subjekte heißen.« »Damit kann ich leider nicht dienen«, antwortete Kathy bedauernd. »Sie hatten keine Papiere bei sich. Nur das hier.« Parker senkte diskret seinen Blick, als Kathy Porter ungeniert in den Ausschnitt ihrer Bluse griff und einen ganz normal aussehenden Kugelschreiber hervorholte. »Sie können wieder hochsehen, Mr. Parker«, mahnte die ältere Dame. »Du lieber Himmel, geben Sie sich immer züchtig!« »Diskretion, Mylady, ist Grundbestandteil meiner Profession«, stellte Josuah Parker würdevoll klar, während er gleichzeitig den Kugelschreiber in Empfang nahm. Er entdeckte natürlich sofort die fein eingravierte Werbeaufschrift. »Derek Lodger«, las er halblaut vor und richtete dann seinen Blick auf Lady Simpson. »Dieser Name wurde bereits im Zusammenhang mit den beiden Herren Stansy und Baltow genannt, Mylady .« »Die Lümmel in der Badewanne?« fragte Lady Agatha. Sie konnte sich im Moment nicht erinnern.
»Die beiden Herren, die Myladys Nachtruhe stören wollten.« Parker nickte. »Sie gaben an, in einer Firma Lodger tätig zu sein, die in London ihren Sitz hat.« »Was ist denn das für eine Firma?« fragte Kathy. »Ein Autoreparaturunternehmen«, entgegnete der Butler. »Da aber der Vorname >Derek< nicht fiel, wirkte dieser Hinweis unverdächtig.« »Diese Firma werde ich mir aus nächster Nähe ansehen«, ließ Lady Agatha sich grimmig vernehmen. »Das scheint ja eine Art Rattennest zu sein, Mr. Parker.« »Eine durchaus treffliche Umschreibung, Mylady«, räumte Parker ein. »Die Herren Stansy und Baltow sind dort beschäftigt. Offensichtlich aber auch die beiden Herren aus dem erwähnten Wohnwagen. Sie scheinen mit dieser Firma Lodger zumindest in Kontakt zu stehen.« »Worauf warten wir eigentlich noch?« Lady Simpson wirkte unternehmungslustig. »Warum wollen wir denn noch den Campingplatz beobachten? Diese Gangster werden sich doch mit Sicherheit an unsere Fersen heften, schon allein wegen der fünfzigtausend Pfund.« »Ein Argument, Mylady, dem ich mich voll und ganz anschließen möchte«, sagte Parker und wirkte ein wenig irritiert, als seine Herrin sehr energisch die Gardine zur Seite riß und nach unten auf den Marktplatz deutete. »Sehen Sie doch«, rief Lady Agatha interessiert und fast triumphierend. »Sehen Sie sich diesen Mann dort unten an, Mr. Parker!« »Sehr wohl, Mylady.« Parker kam dem Wunsch nach. Er blickte ebenfalls
nach unten und war ein wenig überrascht. Dort auf dem Parkplatz sah er Stanley Hudson, den Süßwarenfabrikanten, jenen Mann also, den Lady Simpson für den Drahtzieher der Erpresser hielt. * Die Rallye hatte ein jähes Ende genommen. John Delgate, der Organisator und Sekretär der Veranstaltung, hatte die restlichen Teilnehmer in einen kleinen Saal des Hotels gebeten und ihnen den Abbruch mitgeteilt. Der gute Mann stand offensichtlich vor einem Rätsel. Bis auf nur wenige Teilnehmer hatten alle übrigen Rallyefahrer ihm mitgeteilt, technische Mängel an ihren vierrädrigen Veteranen ließen eine Weiterfahrt einfach nicht mehr zu. Diese Teilnehmer sagten natürlich kein Wort darüber, daß ihnen fünftausend Pfund einfach zuviel Geld waren, um sich einer weiteren möglichen Erpressung auszuliefern. Agatha Simpson hatte Stanley Hudson in der Halle des Hotels gestellt. Sie hatte den Saal erst gar nicht betreten, sondern Butler Parker dorthin delegiert. Sie schaute Stanley Hudson süffisant an. »Erstaunlich, Mr. Hudson, daß Sie sich noch mal zurückgetraut haben«, meinte sie. »Wollen Sie nach Zahlung Ihrer fünftausend Pfund nicht schleunigst zurück nach London?« »Ich ... Ich habe mir die Sache eben anders überlegt«, erwiderte Stanley Hudson. »Keine Angst mehr?«
»Ich habe ja gezahlt und nehme an der Rallye nicht mehr teil. Ich glaube nicht, daß man mich noch mal erpressen wird.« »Waren Sie überhaupt in London?« Mylady fragte sehr direkt. Im Gegensatz zu Butler Parker verzichtete sie stets auf unnötige Höflichkeiten. »Nein, ich war nicht in London«, lautete die Antwort. »Ich bin in Richmond geblieben. Ich hatte einen leichten Unfall.« »Was Sie nicht sagen!« Agatha Simpson deutete auf das linke Bein ihres Gegenüber. »Danach wollte ich Sie gerade fragen. Sie ziehen das Bein etwas nach. Was ist Ihnen passiert? Sind Sie etwa von einer Detonation lädiert worden? « »Von einer .. . Detonation, Mylady?« Stanley Hudson schien kein Wort zu verstehen. »Detonation, Explosion, was weiß ich.« Lady Agathas Stimme klang ungeduldig. »Ich habe mir den Fuß verknackst, das ist alles.« Hudson lächelte ein wenig hilflos. »So etwas kann ja schließlich jedem passieren, nicht wahr?« »Jedem kann alles passieren«, stellte Agatha Simpson fest. »Sagen Sie, können Sie mit dem Namen Lodger etwas anfangen?« »Lodger? Nie gehört?« Die Antwort kam prompt und endgültig. »Sind Sie sicher?« »Vollkommen sicher, Mylady.« »Der Vorname Derek sagt Ihnen natürlich auch nichts, wie?« »In welch einem Zusammenhang müßte ich diesen Namen kennen, Mylady?«
»Im Zusammenhang mit Subjekten, die sich hier während der Rallye als Erpresser und Bombenleger betätigt haben. War das deutlich genug, Mr. Hudson?« »Ich verstehe kein Wort, Mylady. Entschuldigen Sie mich jetzt!« »Sie wissen auch nichts mit fünfzigtausend Pfund anzufangen, wie ich vermute?« »Geld kann man immer brauchen, Mylady.« Er lächelte abwesend und verbeugte sich. Er wandte sich ab und humpelte zum Ausgang hinüber. Er zog sein linkes Bein deutlich nach. Er schien sich den Fuß nachdrücklich verknackst zu haben. »Mylady hatten eine angeregte Unterhaltung? « hörte Lady Agatha hinter sich Parkers Stimme. Sie drehte sich langsam zu ihm um und sah ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Dieser Stanley Hudson ist unser Mann«, sagte sie bestimmt. »Ich spüre es ganz deutlich. Er will zum Beispiel den Namen Lodger nicht kennen. Das halte ich für eine ausgemachte Lüge.« »Dem möchte ich beipflichten, Mylady.« »Wie, Sie widersprechen nicht?« Agatha Simpson war einen Moment fassungslos, was man ihr deutlich ansah. »Mr. Hudson muß den Namen Lodger kennen«, redete der Butler weiter und ließ sich nichts anmerken. »Derek Lodger ist in Kreisen der Oldtimerbesitzer kein Unbekannter, Mylady. Seine Reparaturwerkstatt ist auf die Herrichtung und Pflege der Veteranen geradezu spezialisiert, wie man mir eben versicherte. « » Sieh an!« Lady Simpsons Augen funkelten animiert. »Das klingt doch
sehr gut, finden Sie nicht auch? Dieser Derek Lodger und Hudson arbeiten zusammen. Klarer kann eigentlich kein Fall liegen.« »Wie Mylady meinen.« Parker ließ sich, was diesen Punkt anbetraf, auf keine Debatte ein. »Warum streitet Hudson ab, Derek Lodger zu kennen?« fragte die Detektivin weiter. »Weil er mit ihm unter einer Decke steckt! Haben Sie mitbekommen, daß Hudson zudem humpelt? Wen konnten Sie nach dem Attentat beobachten? Doch zwei Männer, von denen einer humpelte! Und dieser Mann ist Stanley Hudson!« »Dies, Mylady, klingt in der Tat ungemein logisch und zwingend.« »Ich werde Ihnen noch weitere Beweise liefern.« Lady Agatha befand sich in ihrem Element. »Denken Sie an Kathy, als sie im Wohnwagen auf diesen Derek wartete! Aus dem Land-Rover stieg ein Mann, der gut auf den Beinen war. Aber im Land-Rover muß sich eine zweite Person befunden haben.« »Die, die auf Miß Porter schießen wollte.« Parker pflichtete seiner Herrin bei. »Jetzt sind Sie auf dem richtigen Weg, Mr. Parker. Es hat zwar wieder mal seine Zeit gedauert, aber ich will nicht ungeduldig sein. Dieser Mann im Wagen ist, Stanley Hudson gewesen. Und wissen Sie auch, warum Kathy ihn im Land-Rover nicht sehen konnte?« »Mylady werden einen weiteren Beweis anführen«, vermutete der Butler zurückhaltend. »Eben! Dieser zweite Mann, also Stanley Hudson, lag im Wagen, weil sein Bein nicht in Ordnung war. Begreifen Sie, Mr. Parker? Sie konnte ihn
nicht sehen und wäre beinahe von ihm überrascht worden. Du lieber Himmel, klarer kann kein Fall sein!« Parker konnte sich der wiederholten Argumentation nicht verschließen, was den zweiten Mann im Land-Rover anbetraf. Ja, er fragte sich sogar, ob Lady Simpson nicht vielleicht auf der ganzen Linie Recht hatte. Die Details fügten sich zu einem wirkungsvollen Ganzen. Bevor er sich näher äußern konnte, erschien Kathy. Im Auftrag Lady Simpsons hatte sie mit einer ganz bestimmten Person in London gesprochen. Es handelte sich dabei um einen hohen Beamten von Scotland Yard, der der Dame verpflichtet war. »Ich bringe gute Nachrichten«, sagte Kathy. »Und ich bringe Grüße von Superintendent McWarden.« »Geschenkt, Kindchen.« Lady Agatha war ungeduldig. »Kommen Sie endlich zu den guten Nachrichten!« »Der Wohnwagen, der Land-Rover und auch der Ford gehören einem Mr. Derek Lodger«, berichtete Kathy. »Die betreffenden Kennzeichen sind auf seinen Namen eingetragen.« »Na bitte!« Agatha Simpson sah Parker triumphierend an. »Ich wußte ja gleich, daß dieser Fall eigentlich schon gelöst ist. Der Rest ist doch nur noch eine lächerliche Kleinigkeit.« * Nach einem Rattennest sah die Firma Lodger wirklich nicht aus. Lady Simpson, Butler Parker und Kathy Porter befanden sich wieder in London. Sie hatten sich mit einem Taxi zu-
rück in die Millionenstadt bringen lassen. Der »Victor« wurde von einem Spezialunternehmen nachgebracht, doch dies kümmerte die ältere Dame kaum. Die Rallye war für sie bereits vergessen. Im Mittelpunkt ihres Interesses stand die Firma Lodger. Es war später Nachmittag geworden. Die Beleuchtung in den beiden großen Schauräumen war eingeschaltet, und zusätzliche Spots strahlten die ausgestellten Wagen an. Es handelte sich um ausgesucht alte Veteranen, die auf Hochglanz poliert waren. Es waren Modelle aus der grauen Vorzeit des Automobils, wahre Kostbarkeiten, die ein Vermögen wert sein mußten. »Sieht eigentlich recht akzeptabel aus«, fand die Detektivin, die zusammen mit Parker und Kathy Porter auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand. Das Trio hatte Parkers hochbeiniges Monstrum verlassen. Parkers Wagen konnte sich ebenfalls sehen lassen. Das ehemalige alte Londoner Taxi war nach den speziellen Wünschen des Butlers restauriert worden. Unter dem eckigen Aufbau, an dem nichts geändert worden war, befand sich nun ein erstklassiges Fahrgestell mit einer Radaufhängung, die der eines modernen Tourenrennsportwagens durchaus entsprach. Der Motor unter der ebenfalls eckigen Haube war ausgewechselt worden nach den Normen modernster Technik. Er war bärenstark und verlieh Parkers hochbeinigem Monstrum eine fast sagenhafte Geschwindigkeit. Parkers Monstrum auf Rädern war im Grund nichts anderes als eine Trickkiste auf Rädern. Dieser Wagen bot eine
Fülle technischer Überraschungen. In der Vergangenheit hatte schon mancher Gangster mit diesen Überraschungen Bekanntschaft gemacht. Diese Leute redeten noch heute davon, respektvoll, fluchend oder in dumpfer Traurigkeit. »Die Firma Derek Lodger ist durchaus renommiert, Mylady«, sagte Josuah Parker. »Ich möchte hinzufügen, daß Mr. Derek Lodger der Polizei bisher nicht bekannt wurde.« »Das hat überhaupt nichts zu besagen«, meinte die ältere Dame. »Gangster sehen nur in Kriminalfilmen wie Gangster aus. Und eine blendende Fassade hat mich noch nie getäuscht.« »Mylady, dort drüben ist die Teestube der Mrs. Ethel Fellows«, warf Kathy ein, die die Straße hinuntergesehen hatte. »Paßt das nicht wunderbar zusammen?« Agatha Simpson wirkte sehr animiert und unternehmungslustig. »Dort hinter der Fassade, Mr. Parker, ist der Plan zu dieser Erpressung ausgekocht worden. Und dort werden wir auch die Gangster finden.« »Denen man im Sinn einer gerichtlichen Beweisführung nichts beweisen kann, wenn ich Mylady höflichst darauf aufmerksam machen darf.« Parker blieb bei seiner Skepsis. Er war sich durchaus klar darüber, daß ihnen die Hände gebunden waren. Sie konnten etwas behaupten, jedoch nicht beweisen. Die Gangster brauchten die Angaben des Trios ja nur als wilde Phantasien abtun. »Papperlapapp, Mr. Parker, sie sind und bleiben ein Miesmacher«, beschwerte sich Lady Simpson. »Vergessen Sie nicht, daß diesen Subjekten runde fünfzigtausend Pfund fehlen. Das
wird sie schon aus ihrer Reserve locken, glauben Sie mir.« Lady Simpson wartete nicht, bis Butler Parker ihr die Tür zum Verkaufsraum geöffnet hatte. Stürmisch trat sie ein, ein altes Kampfroß, das kaum zu bremsen war. Lady Agatha fühlte sich in ihrem Element. Irgendwo im Hintergrund ertönte ein melodisches Glockensignal und meldete Kundschaft an. Man hörte Schritte, dann ein Räuspern, und Sekunden später erschien ein Mann, der das Trio verdutzt und ungläubig anstarrte. »Hallo«, rief Kathy dem Mann zu. Er war identisch mit dem, der den LandRover gefahren hatte. Seine dickliche Figur, die Brille und auch die Stirnglatze waren unverkennbar. »Guten Tag«, sagte der Mann, der sich von seiner Verblüffung bereits erholt hatte. »Bitte, was kann ich für Sie tun?« »Ist das der Mann, Kindchen?« Agatha Simpson sah ihre Gesellschafterin auffordernd an. »Das ist er«, bestätigte Kathy. »Bitte, wer soll ich sein?« Der Mann hatte sich völlig unter Kontrolle und lächelte irritiert. »Wie heißen Sie?« schnauzte die ältere Dame gereizt. »Mein Name ist Derek Lodger«, lautete die Antwort. »Ich verstehe Ihre Frage nicht, Madam.« »Lady Simpson«, warf Parker ein. »Aber das dürften Sie ja längst wissen.« »Waren Sie heute nicht in Kingston? « wollte Lady Agatha von dem Besitzer des Autosalons wissen. »Ganz sicher nicht«, gab Derek Lodger zurück. » Und dafür kann ich Zeugen beibringen, wenn Sie es wünschen. Um was geht es denn eigentlich? Sind
Sie sicher, nicht einer Verwechslung zu erliegen?« Er sah Kathy spöttisch-lächelnd an und war sich seiner Sache vollkommen sicher. Genau das hatte Josuah Parker befürchtet. Der Mann war garantiert derjenige, der für das Attentat verantwortlich zeichnete, doch wie sollte man ihm das beweisen? Aussage würde gegen Aussage stehen. »Sie haben Zeugen?« Agatha Simpson lächelte nicht spöttisch, sondern verächtlich. »Wahrscheinlich gekaufte Subjekte.« »Mylady, Sie sollten mich nicht beleidigen«, warnte Derek Lodger höflich. »Ich kann Ihnen die Zeugen gern beibringen. Freddy, Rob, kommt doch mal her!« Und wieder waren Schritte im Hintergrund zu vernehmen. Sekunden später erschienen die beiden Männer, die von Kathy Porter im Wohnwagen außer Gefecht gesetzt worden waren. Sie trugen wie Derek Lodger sportliche Anzüge und sahen recht harmlos aus. Sie schauten Derek Lodger erwartungsvoll an. »War ich heute in Kingston?« fragte Lodger sie. Sie wußten es genau, wie sie fast gleichzeitig sagten. Nein, ihr Chef war seit Monaten oder sogar Jahren nicht mehr in Kingston gewesen. Freddy und Rob waren bereit, darauf jeden gewünschten Eid abzulegen. Sie hatten ihn den ganzen Tag über in der Werkstatt oder im verglasten Büro gesehen. »Dann vermissen Sie auch nicht zufällig fünfzigtausend Pfund, „wie?« fragte die Detektivin leicht gereizt. »Fünfzigtausend Pfund vermißt man immer, Mylady«, gab Derek Lodger iro-
nisch zurück. »Als kleiner Unternehmer ist man immer knapp bei Kasse.« Freddy und Rob gingen unaufgefordert wieder zurück in den hinteren Teil des Hauses. Sekunden später erlosch plötzlich das Licht in der Verkaufsausstellung. Auch die Spots brannten nicht mehr. Es wurde überraschend dunkel, obwohl draußen noch Dämmerlicht herrschte. Parker war ehrlich überrascht, doch er ließ sich nichts anmerken. Er machte sich auf einen Einsatz bereit, denn er glaubte, Lodger würde jetzt und hier versuchen, an sein Geld zu kommen. Kathy Porter dachte kaum anders. Auch sie bereitete sich auf eine kleine Auseinandersetzung vor und schob sich sicherheitshalber an die Lady heran, um sie zu schützen. Nun, das wäre nicht notwendig gewesen, wie sich bald darauf zeigte. Parker und Kathy Porter hörten einen dumpfen Aufschlag, dann ein leichtes Aufstöhnen und schließlich sogar noch einen dumpfen Fall. Josuah Parker schaltete sofort seine Kugelschreiber-Taschenlampe ein. Der scharf gebündelte, starke Lichtstrahl suchte den Boden ab und blieb auf einer dort liegenden Gestalt haften, die sich nicht rührte. »Du lieber Himmel«, hörte man Lady Agathas Stimme fröhlich.« Mein Pompadour muß mir glatt aus der Hand gerutscht sein. Hoffentlich hat sich der Mann nichts getan.« Der Mann – Derek Lodger – stöhnte, richtete sich verwirrt auf, massierte sich das sicher schmerzende Kinn und blinzelte in das grelle Licht. »Das ... Das werden Sie mir bezahlen«, keuchte er dann mühsam.
»Was, junger Mann?« erkundigte sich Lady Simpson freundlich. »Sie ... Sie haben mich heimtückisch niedergeschlagen«, beschwerte sich Derek Lodger und zog sich an einem der Oldtimer langsam hoch. Er hielt sich die schmerzende Kinnlade. »Wie kommen Sie denn zu dieser beleidigenden und frechen Behauptung?« gab Lady Simpson erstaunt zurück. »Können Sie sie überhaupt beweisen, junger Mann? Es brannte doch kein Licht? Wer will da etwas gesehen haben!« * »Ich mußte es einfach tun«, sagte sie später, als sie wieder in Parkers hochbeinigem Monstrum saß. Sie machte einen sehr zufriedenen und entspannten Eindruck. »Dieses Subjekt hat mich bis aufs Blut gereizt.« »Warum wurde wohl das Licht ausgeschaltet?« fragte Kathy »Wenn es gestattet ist, möchte ich eine mögliche Erklärung anbieten«, ließ Butler Parker sich gemessen vernehmen. »Reden Sie schon endlich«, forderte die ältere Dame ungeduldig. »Man wollte testen, Mylady, ob Mylady mit der Polizei zusammenarbeiten«, sagte Parker. »Nach dem Ausschalten des Lichts wären anwesende Polizeibeamte mit Sicherheit auf dem Plan erschienen und hätten eingegriffen.« »Das klingt plausibel«, meinte Lady Agatha. »Demnach werden Lodger und seine Lümmel wohl bald zum Angriff übergehen?« »Damit sollte man rechnen, Mylady.«
»Sehr schön, Mr. Parker. Kindchen, drehen Sie sich um! Ich hoffe doch sehr, daß wir bereits verfolgt werden.« »Im Augenblick, Mylady, scheint das nicht der Fall zu sein. Aber Mr. Lodger dürfte inzwischen längst wissen, wo Mylady wohnen.« »Was ich mir auch ausgebeten haben möchte!« Mylady wollte ihre Auseinandersetzung mit den Gangstern haben. »Hoffentlich müssen wir nicht zu lange warten.« »Mr. Lodger wird sich mit Sicherheit viel Zeit lassen, Mylady«, vermutete Butler Parker. »Hat er denn keine Angst, daß diese Mrs. Ethel Fellows reden wird?« »Er scheint sich seiner Sache sicher zu sein, Mylady.« »Und warum? Hat er sie in der Hand? Was könnte diesen Flegel so sicher machen, Mr. Parker? Ich erwarte eine überzeugende Antwort!« »Sie könnte finanziell abhängig von ihm sein, Mylady.« »Sie ist schließlich ein Mitglied dieser Bande. Sie wird sich nicht freiwillig in Schwierigkeiten bringen«, fügte Kathy Porter als eine weitere mögliche Erklärung hinzu. »Zudem dürfe Mrs. Ethel Fellows klar sein, daß sie keineswegs absichtlich getroffen wurde«, schloß Parker. »Wahrscheinlich wartet sie geduldig auf die Teilung der Beute.« »Ich habe eine Idee«, verkündete die ältere Dame. Parker verdrehte leicht die Augen, sorgte aber dafür, daß dies nicht im Rückspiegel beobachtet wurde. Kathy Porter konnte im letzten Moment gerade noch einen Seufzer unterdrücken. Wenn
Lady Simpson eine Idee hatte, wurde es meist gefährlich und kompliziert. »Mylady wollen die Initiative ergreifen?« erkundigte sich Parker höflich. »Wir werden dieser Ethel Fellows einen Besuch im Hospital abstatten«, sagte die Detektivin. »Wir werden ihr schonend beibringen, Lodger habe das Land verlassen.« »Eine Anregung, die man weiter verfolgen sollte«, meinte Josuah Parker neutral. »Mrs. Fellows ist eine intelligente Frau«, sagte Kathy Porter. »Ob sie auf solch einen Trick hereinfallen wird?« »Die einfachen Tricks sind immer die besten«, entschied Lady Agatha. »Bis 'raus nach Richmond ist es nicht weit. Wir sollten sofort einen Versuchsballon starten, Mr. Parker.« »Wie Mylady wünschen.« Parker versuchte erst gar nicht, seine Herrin umzustimmen. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, darauf zu verzichten. Wenn Lady Simpson sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann war sie davon nicht mehr abzubringen. »Wie lange werden wir brauchen? « erkundigte sich die Detektivin und rückte sich zufrieden im Polster zurecht. »Mrs. Ethel Fellows liegt im Hospital von Kingston«, erklärte Josuah Parker. »Dies ist der letzte Stand meiner Information, Mrs. Fellows betreffend.« »Dann eben nach Kingston«, meinte Lady Agatha ungeduldig. »Behelligen Sie mich gefälligst nicht mit solchen Kleinigkeiten, Mr. Parker! Mich interessiert nur die große Linie.« Parker, der wiederholt in den Rückspiegel geschaut hatte, glaubte inzwischen zu wissen, daß man doch verfolgt wurde. Da war seit einigen Minuten ein
Morris hinter ihnen her, der tunlichst auf einer gewissen Distanz gehalten wurde. Wer am Steuer dieses Wagens saß, konnte er wegen der bereits eingeschalteten Scheinwerfer nicht ausmachen. Nun, das war vorerst auch unwichtig. Ihm genügte die Tatsache, daß die Gangster überraschend schnell aus ihrer Reserve hervorzukommen schienen. Fünfzigtausend Pfund waren doch ein Lockmittel, das sich sehen lassen konnte. Derek Lodger hatte angebissen. * Auf der Ausfallstraße nach Kew Gardens ließ Josuah Parker sich absichtlich überholen. Er fand eine Gelegenheit, die mehr als günstig war. Vor ihm fuhren auf der Schnellstraße zwei Taxis, die sich anschickten, einen Lastwagen zu überholen. Parker fädelte sich mit seinem hochbeinigen Monstrum in diesen Pulk ein, wischte um den Laster herum und bremste stark. Der nachkommende Morris und sein Fahrer ließen sich täuschen. Sie hatten den knappen Haken Parkers nicht mitbekommen. Der Morris gab Gas und hängte sich an eines der beiden Taxis. Nun sah Parker mehr .. . Er hatte genau mitbekommen, daß am Steuer des Morris ein Bekannter saß, nämlich Stanley Hudson. Der Fabrikant von Süßigkeiten war allein, und genau das verblüffte den Butler. Wollte Stanley Hudson auf eigene Rechnung kassieren? Sollte er wirklich zum Kreis der Täter gerechnet werden?
Agatha Simpson hatte nicht bemerkt, was sich da gerade quasi vor ihren Augen abgespielt hatte. Sie saß zufrieden auf dem Rücksitz und lächelte versonnen. Sie freute sich ganz eindeutig auf den großen Wirbel, mit dem sie in aller Kürze rechnete. Auch Kathy Porter hatte nicht gesehen, daß sie von Stanley Hudson überholt worden waren. Parker überlegte, wie er sich jetzt am besten verhielt. Inzwischen mußte Hudson ja gemerkt haben, daß er die Fährte verloren hatte. Oder wollte auch er nach Kingston, um dieser Ethel Fellows einen Besuch abzustatten? Parker sah diskret hinauf in den Rückspiegel. War Hudsons Überholen vielleicht nur ein raffiniertes Manöver, um von weiteren Verfolgern abzulenken? Parker war und blieb ein mißtrauischer Mensch, seine Gegner hatte er noch nie unterschätzt. Nun, in diesem Fall schien sein Mißtrauen jedoch nicht angebracht zu sein. Weitere Verfolger konnte der Butler nicht ausmachen. Wenig später entdeckte er Hudson. Der Süßwarenfabrikant stand neben seinem parkenden Wagen und hob jetzt winkend seinen rechten Arm. Er hatte Parkers Monstrum ausgemacht und versuchte es zu stoppen. »Das .. . Das ist doch dieser Hudson?« Agathe Simpson war auf den Winkenden aufmerksam geworden. Ihre Stimme klang sehr belebt. »Mr. Stanley Hudson«, bestätigte Parker und tat so, als sei das eine echte Neuigkeit für ihn. »Was will dieses Subjekt?« Lady Simpson beugte sich vor, um besser sehen zu können. Parker hatte die Fahrt des hochbeinigen Monstrums längst ge-
mindert, ließ den Wagen jetzt ausrollen und hielt an. Er öffnete das Wagenfenster nur spaltbreit. Er hatte etwas dagegen, daß man ihm möglicherweise ein Bündel Dynamit in den Wagen warf. »Sie wünschen, Sir?« fragte er durch diesen schmalen Spalt. »Ich muß Sie unbedingt sprechen«, sagte Stanley Hudson. Er wirkte aufgeregt. »Ich dachte schon, ich hätte Sie verloren.« »Was wollen Sie?« grollte die ältere Dame nach draußen. Ihre Stimme war deutlich zu vernehmen. »Bitte, Mylady, hören Sie mich an!« Hudson schien tatsächlich unter starkem Druck zu stehen. »Ist das eine Falle, Mr. Parker?« wollte die Detektivin wissen. »Mit letzter Sicherheit, Mylady, läßt sich diese Frage nicht verneinen«, gab Parker zurück. »Ich werde, wenn es gestattet ist, die Lage sondieren.« Er öffnete die Wagentür und stieg aus. Er ließ Stanley Hudson nicht aus den Augen. Er hatte seinen UniversalRegenschirm mitgenommen und war bereit, jede falsche oder verdächtige Bewegung im Keim zu ersticken. Hudson wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er ging auf Parker zu, sah die Straße hinauf und hatte offensichtlich Angst, von irgendwem gesehen zu werden. »Ich bin schon die ganze Zeit hinter Ihnen her«, sagte Hudson. »Ich habe Sie vor Lodgers Haus gesehen.« »Sie haben dieses Haus beobachtet?« »Bis Sie kamen.« Stanley Hudson nickte. »Und da ist mir dann ein Stein vom Herzen gefallen, das können Sie mir glauben.«
»Könnten Sie sich möglicherweise detaillierter erklären?« bat der Butler gemessen. Sein Mißtrauen blieb hell wach. »Es geht um meinen jüngeren Bruder«, sagte Stanley Hudson. »Lodger hält ihn gefangen. Und ich fürchte, daß er ihn umbringen wird, Mr. Parker.« »Ihr Bruder, Sir?« Parker blieb zurückhaltend. »Mein Bruder Derek«, lautete die verblüffende Antwort. »Er hat sich da auf eine Sache eingelassen, die ihm über den Kopf gewachsen ist.« * Kathy Porter litt Höllenqualen, doch sie zeigte sie nicht. Sie saß neben Agatha Simpson, die das Steuer des kleinen Morris führte. Die alte Dame, die sich als leidenschaftliche Autofahrerin bezeichnete, befand sich auf dem Weg nach Kingston. Sie wollte nach wie vor Mrs. Ethel Fellows besuchen und dort ihren kleinen Bluff anbringen. Sie hatte sich von ihrem Butler getrennt, der zusammen mit Stanley Hudson zurück in die City fuhr, um Stanleys Bruder Derek zu helfen. Lady Simpson setzte nach wie vor auf ihren Plan. Sie erhoffte sich von Ethel Fellows Beweise gegen Lodger. Myladys Fahrstil war sensationell. Sie ließ eine »Strecke« von schimpfenden und fluchenden Autofahrern hinter sich, von denen sich ein Teil sogar nachträglich diskret bekreuzigte. Agatha Simpsons Spezialität war eine Art Slalom beim Überholen, wobei sie überholte Wagen meist konsequent abdrängte
und zu gewagten Bremsmanövern verleitete. »Ist das ein müder Karren«, schimpfte sie. »Dagegen ist eine Schnecke ja noch erheblich schneller.« »Wir müssen gleich nach Kew Gardens abbiegen«, warnte Kathy. Sie war froh, daß sie die Sicherheitsgurte angelegt hatte. »Dort kommt bereits die Seitenstraße, Mylady. Die Einmündung ist sehr eng.« »Na und?« Agatha Simpson machte das überhaupt nichts aus. Sie ließ das Vollgas stehen und rauschte dann genußvoll in die Seitenstraße hinein. Der Morris schlitterte über den Asphalt, die Pneus quietschten und pfiffen, der Wagen rutschte gefährlich nahe an eine Verkehrsinsel heran. »Die Lichtsäule, Mylady!« Kathy Porters Stimme klang ein wenig schrill. »Wie kann man so etwas nur dorthin stellen«, wunderte sich die Fahrerin und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Das ist ja geradezu lebensgefährlich!« Sie schlitterte mit dem Morris gerade noch um die niedrige, stumpfe Säule herum, gab wieder Vollgas und jagte weiter in Richtung Kingston. Sie brannte darauf, Mrs. Ethel Fellows in die Zange zu nehmen. Irgendwie hatte sie nämlich das Gefühl, mit ihrem Butler im Wettstreit zu liegen. Sie gönnte es ihm nicht, daß er diesen Fall vielleicht früher löste als sie! * »Die ganze Geschichte ist schnell erzählt«, sagte Stanley Hudson mit müder .Stimme und lehnte sich zurück. Er befand sich auf dem Rücksitz des hochbei-
nigen Monstrums und konnte Parker nicht gefährlich werden. Die Trennscheibe zwischen Fahrer und Gast bestand aus schußsicherem Panzerglas. Zudem konnte Hudson ohne Parkers Erlaubnis überhaupt nicht aussteigen. Beide Seitentüren waren elektrisch verriegelt und hielten Hudson fest. »Sie wollten mir Ihre Geschichte erzählen, Sir«, erinnerte der Butler, als Hudson eine längere Pause einlegte. »Derek, also mein Bruder, arbeitet in meiner Firma«, begann Stanley Hudson. »Derek ist ein leichtsinniger Bursche, ewig in Geldschwierigkeiten, Mädchen, Pferderennen und so weiter, Sie verstehen, nicht wahr? Ich schickte ihn ein paar Mal mit meinem Oldtimer zu Lodger, und bei solch einer Gelegenheit müssen sie auf den Gedanken gekommen sein, die Besitzer solcher Oldtimer zu erpressen.« »Seit wann, Sir, wissen Sie, daß Ihr Bruder Derek einer der Erpresser ist?« fragte Parker. Er gestand sich ein, eine Unterlassungssünde begangen zu haben. Er hatte sich zu wenig um diesen Mr. Hudson gekümmert und keine Erkundigungen über ihn eingezogen. Gab es solch einen Bruder Derek? War diese Geschichte nur ein Vorwand, um ihn aufs Glatteis zu führen? »Ich weiß es erst seit ganz kurzer Zeit«, redete Stanley Hudson bereits weiter. »Er rief mich gestern an. Und darum bin ich ja zurück nach Kingston gekommen. Derek sagte mir, er sei böse am Bein verletzt worden, er brauche meine Hilfe. Bei der Gelegenheit legte er seine Karten auf den Tisch.« »Ihr Bruder befindet sich zur Zeit in der Gewalt des Mr. Derek Lodger?«
»Lodger hält ihn in seiner Firma fest. Und dabei müßte Derek unbedingt ins Hospital. Mit seinem Bein muß es recht böse aussehen. Er hat sich beim Zusammensetzen einer kleinen Sprengladung verletzt.« Parker wußte es besser, doch er sagte nichts. »Glauben Sie mir, Mr. Parker, Derek ist bestimmt nur eine Art Mitläufer«, redete Stanley Hudson schon wieder weiter. »Schlecht ist er nicht, nur eben leichtsinnig. Die Idee zu dieser Erpressung stammt mit Sicherheit von Derek Lodger.« »Kennen Sie seine beiden Angestellten Freddy und Rob?« »Natürlich, ich bin ja hin und wieder bei Lodger gewesen. Er wartet ja meinen Vanguard. Freddy und Rob sind meiner Meinung nach üble Typen.« »Sagen Ihnen die Namen Stansy und Baltow etwas?« »Wenn mich nicht alles täuscht, arbeiten die ebenfalls für Lodger, aber sicher bin ich mir da nicht. Hören Sie, Mr. Parker, wie wird diese ganze Geschichte ausgehen?« »Wie sollte ich Ihre Frage verstehen, Mr. Hudson?« »Mein Bruder wird ja wohl unter Anklage gestellt werden, nicht wahr?« »Mit letzter Sicherheit, Mr. Hudson.« »Haben Sie die Polizei bereits eingeschaltet?« »Dies ergab sich bisher noch nicht, Mr. Hudson.« »Derek sagte mir, Sie hätten die bisherige Beute von Lodger an sich gebracht. « »Ein freundlicher Zufall, der da mitspielte«, entgegnete der Butler höflich.
»Wo im Hause Lodger wird Ihr Bruder festgehalten?« »Das weiß ich leider nicht.« »Ich würde dringend raten, die Polizei zu verständigen, Mr. Hudson«, schlug Butler Parker vor. »Sie allein kann das Haus im Handstreich nehmen und einen möglichen Mord an Ihrem Bruder verhindern. « »Mord an meinem Bruder?« Panik war plötzlich in Hudsons Stimme. »Derek Lodger wird sicher versuchen, alle unbequemen Zeugen aus dem Weg zu räumen.« »Das wäre ja fürchterlich.« Stanley Hudson seufzte auf. »Dann doch besser die Polizei. Halten Sie bei der nächsten Telefonzelle, Mr. Parker! Dieser Anruf wird mir bestimmt nicht leicht fallen, das können Sie mir glauben. Meine Familie hat bisher noch nie etwas mit der Polizei zu tun gehabt.« Es dauerte nur wenige Minuten, bis eine Telefonzelle in Sicht kam. Parker hielt sein hochbeiniges Monstrum an, stieg aus und öffnete den hinteren Wagenschlag. Höflich lüftete er dazu seine schwarze Melone, um sie dann allerdings wieder blitzschnell zu senken. Er hatte einfach etwas dagegen, niedergeschossen zu werden ... * Kathy Porter atmete auf, als sie endlich den kleinen Morris verlassen konnte. Die Höllenfahrt durch die Dunkelheit war beendet, sie hatten das Hospital in Kingston erreicht. Lady Agatha zwängte ihre junonisch-füllige Figur aus dem Wagen und reckte sich.
»Schrecklich, diese Kleinwagen«, sagte sie dann tadelnd. »Wann wird man endlich mal Autos für normal gebaute Menschen konstruieren?« Agatha Simpson richtete sich auf und marschierte resolut zum Eingang des Hospitals. Dazu mußten sie und Kathy Porter erst den Parkplatz überqueren und dann durch eine Art Kleinpark vor dem Portal gehen. Sie befanden sich noch auf diesem Parkplatz, als die beiden Frauen plötzlich von voll eingeschalteten Scheinwerfern erfaßt wurden. Kathy fuhr herum und blinzelte in das Licht des Wagens, der schnell näherkam und direkt auf sie zuhielt. »Achtung, Mylady«, rief sie und warf sich mit aller Kraft gegen die ältere Dame. Kathy hatte blitzschnell begriffen. Das hier war ein mörderisches Attentat auf ihr Leben. Im Wagen mußten sich Gangster der Erpresserbande befinden. Agatha Simpson wich und wankte nicht. Sie war erheblich massiver als Kathy. Die Lady hatte inzwischen ebenfalls erkannt, daß man ihre Gesundheit nachhaltig schädigen wollte. Sie reagierte auf ihre Weise. Sie holte weit aus und schleuderte ihren Pompadour auf die beiden Scheinwerfer. Sie schleuderte damit auch ihren »Glücksbringer« durch die Luft, der haargenau auf der Windschutzscheibe landete. Berstend und splitternd zersprang das Glas. Der Wagen kam aus der Richtung, schlug eine Art Haken und rauschte gegen einen parkenden Wagen. Der Effekt war grandios.
Erneut splitterte Glas, Blech riß und kreischte beleidigt auf, ein Motor heulte wie besessen in höchsten Touren. »Treffer«, stellte die ältere Dame trocken fest. »Sehen wir doch mal nach, Kindchen, wie es dem Fahrer geht. Hoffentlich hat er sich die Sicherheitsgurte angelegt.« Er hatte, und sein Beifahrer war nicht weniger vorsichtig gewesen. Die beiden Männer auf den Vordersitzen aber waren mehr als benommen. Sie merkten gar nicht, was mit ihnen geschah. »Sind das nicht diese beiden Lümmel aus Lodgers Verkaufslokal?« fragte Agatha Simpson. »Freddy und Rob«, bestätigte Kathy Porter. »Sie müssen die ganze Zeit hinter uns gewesen sein, Mylady.« »Die hat dieses Subjekt von Lodger auf uns gehetzt«, sagte Lady Simpson grimmig. »Na, der kann sich auf was gefaßt machen, Kindchen. Holen Sie diesen scheußlichen Morris!« »Mylady?« Kathy wußte nicht, was Agatha Simpson plante. »Wir schaffen diese Lümmel erst mal weg«, ordnete die Detektivin an. »Nun beeilen Sie sich schon, man ist bereits auf uns aufmerksam geworden. Mrs. Ethel Fellows hat jetzt Zeit.« * »Ihrer Darstellung mangelte es keineswegs an einer gewissen Überzeugungskraft«, sagte Parker würdevoll, während Stanley Hudson sich stöhnend die leicht deformierte Hand hielt. Er wußte oder ahnte jetzt, daß Parkers Kopfbedeckung mehr war als nur eine Melone. Die Wölbung war mit erstklas-
sigem Stahlblech ausgefüttert und hart wie ein Schlagstock. »Sie .. . Sie haben meine Hand gebrochen«, stöhnte Stanley Hudson und starrte trübsinnig auf den Revolver, der ihm vor ein paar Sekunden noch gehört hatte. Nun befand er sich im Besitz des Butlers. »Es wird sich um eine mittelschwere Verstauchung handeln«, tröstete Parker ihn. »Steigen Sie wieder ein, Mr. Hudson! Bei der Gelegenheit gleich eine Frage: Einen Bruder namens Derek gibt es natürlich nicht, oder?« »Den gibt es nicht.« Stanley Hudson senkte den Kopf und stieg zurück in Parkers Wagen. Er schien jeden Gedanken an Widerstand aufgegeben zu haben. »Ihre Beinverletzung stammt von der Bombe, die Lady Simpson zugedacht war und die ich dann später an der Straßenbarrikade auf Sie und Lodger warf? « »Ja doch, das wissen Sie ja längst. Meine Hand!« . »Der geistige Urheber der Erpressungen sind Sie, Mr. Hudson?« »Das wissen Sie doch auch längst.« Hudson sprach mit gepreßter, etwas wehleidiger Stimme. »Und das Motiv, Mr. Hudson?« »Geldmangel. Meine Fabrik ist so gut wie erledigt. Ich brauchte neues Kapital. Fahren Sie mich doch endlich zu einem Arzt! Ich kann's vor Schmerzen kaum noch aushalten.« »Um jeden Verdacht von sich zu lenken, erpreßten Sie auch sich?« »Natürlich, das war doch der Trick.« Hudson stöhnte.
»Ich nehme dies alles mit einigem Unbehagen zur Kenntnis«, gestand Josuah Parker. »Wieso denn das?« wunderte sich Hudson. » Myladys Verdacht richtete sich gleich auf Ihre Person«, räumte Josuah Parker ein. »Ich hingegen sah wesentlich komplexere Zusammenhänge. Mylady wird triumphieren.« »Oder auch nicht!« »Wie darf ich das verstehen?« »Wir haben Freddy und Rob auf die beiden Frauen angesetzt. Die waren ein paar Wagen hinter meinem Morris.« »Das klingt nicht gut.« »Und ob! Freddy und Rob sind hartgesottene Burschen ...« »Die inzwischen wohl zu bedauern sind«, fand Josuah Parker. »Wieso denn das?« stöhnte Hudson. »Sie kennen Mylady nicht«, deutete der Butler diskret an. »Mylady kann sehr energisch sein. Aber lassen wir das. Wieso konnten Sie Mrs. Ethel Fellows für diese Erpressungen gewinnen?« »Das war Lodgers Idee«, redete Hudson stockend weiter. »Er kannte ihren Mann von früher her. Mrs. Fellows spielte sofort mit. Sie war die ideale Person, um die Pfundnoten in Empfang zu nehmen. Verdammt, alles hätte so wunderbar hingehauen, wenn Sie nicht gewesen wären!« »Ich kann Ihren Unmut durchaus verstehen«, erwiderte Butler Parker, »Ihr Plan war recht gut. So schnell kann man kein Geld in dieser Höhe verdienen.« »Für diese Oldtimerfahrer sind fünftausend Pfund gar nichts«, erregte sich Stanley Hudson und vergaß darüber fast seine schmerzende Hand. »Wo steckt
das Geld eigentlich? Es war wie vom Erdboden verschwunden.« »Sie lagen im Land-Rover, Mr. Hudson, als sie zum Wohnwagen zurückkehrten?« »Das wissen Sie doch auch längst.« »Ich wollte mich nur noch mal vergewissern«, entschuldigte sich Josuah Parker höflich. »Aber Ihr Geständnis, das ich gerade auf Kassettenband aufnehme, soll ja schließlich umfassend und ausführlich sein. So, und nun sollte man zurück zu Mr. Lodger fahren, wenn Sie erlauben.« * »Da sind Sie ja endlich«, raunzte Agatha Simpson ihren Butler an, der das große Verkaufslokal der Firma Lodger betrat. »Sie haben sich aber viel Zeit gelassen.« »Gewisse Umstände hinderten meine bescheidene Wenigkeit, früher zu kommen, Mylady. Hier haben sich inzwischen einige Dinge getan, wie ich vermuten darf?« »Ich habe mir dieses Subjekt Lodger mal gründlich vorgenommen«, gab die Detektivin zurück und deutete auf eine Tür, die in ein kleines Büro führte. »Er fühlt sich im Augenblick nicht besonders gut.« »Wie Mr. Stanley Hudson«, antwortete Josuah Parker. »Auch er leidet unter gewissen gesundheitlichen Schwierigkeiten. Mylady wurden unterwegs nicht belästigt?« »Erst vor dem Hospital in Kingston«, sagte die resolute Dame und lächelte freudig. »Diese beiden Lümmel Freddy und Rob wollten mich doch überfahren!
»Mylady haben den Superintendenten bereits informiert? « »Sogar mit Wonne.« Sie lachte laut. »Er wird gleich hier sein und wieder mit Vorwürfen kommen. Er möchte ja immer eingeschaltet werden. Aber glauben Sie, daß er diesen Fall so schnell gelöst hätte?« »Mitnichten, Mylady!« »Und wissen Sie auch, warum er das niemals schafft? Er hat keine Phantasie, Mr. Parker. Darin gleicht er Ihnen!« »Wie Mylady meinen.« »Das möchte ich mir auch ausgebeten haben. So, und ab morgen beginne ich mit meinem Bestseller, Mr. Parker. Nichts wird mich davon abhalten.« »Falls Mylady darauf bestehen, werde ich jede Störung von außen auszuschalten wissen.« »Nicht immer gleich übertreiben, Mr. Parker.« Sie sah ihn kopfschüttelnd an. »Falls sich natürlich ein neuer Fall ankündigt, werde ich meine Arbeit unterbrechen.« Parker verbeugte sich zustimmend und knapp. Er wußte aus Erfahrung, daß Mylady gute Gründe finden würde, die Niederschrift ihres geplanten Bestsellers zu verschieben. Es würde mit Sicherheit einen neuen Kriminalfall geben, daran zweifelte er nicht einen Moment.
Das muß man sich mal vorstellen! Nun, sie werden noch lange an diesen Versuch zurückdenken.« Parker schritt an Mylady vorbei und warf einen Blick in das kleine Büro. Freddy und Rob hockten auf Bürostühlen. Sie waren gefesselt und sahen recht mitgenommen aus. Ihre Gesichter wiesen eine Unzahl kleiner Schrammen auf. Auf dem Boden aber lag Derek Lodger, der von Kathy Porter verarztet wurde. Seine Nase war flach geworden und hing schief im Gesicht. Parker wußte sofort Bescheid. Hier hatte Myladys Pompadour wieder mal gründliche Arbeit geleistet. »Nun, Mr. Parker, was sagen Sie jetzt?« hörte er hinter sich die Stimme seiner Herrin. »Hat Hudson sein Geständnis abgelegt?« »In der Tat, Mylady«, erwiderte Parker. »Ich möchte mich erkühnen, Mylady zu beglückwünschen. Myladys Theorie erwies sich auf der ganzen Linie als vollkommen richtig.« »Natürlich«, sagte sie wie selbstverständlich. »Ich habe nicht einen Moment daran gezweifelt. Auch Lodger hat sein Geständnis abgelegt, ebenso diese beiden Lümmel dort auf den Stühlen. McWarden wird sich freuen, wieder einen gelösten Fall kassieren zu können.«
ENDE
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Günter Dönges schrieb für Sie den nächsten
Nr. 161
PARKER läßt die Lok entgleisen Als ihnen der Kragen platzte, legten sie Lady Agatha Simpson auf die Schienen und warteten darauf, daß sie von einer Lok endgültig zermalmt wurde. Ihrer Ansicht nach hatten Lady Agatha und Butler Parker sich doch zu sehr in Dinge eingemischt, die sie nichts angingen. Sie beschäftigten sich nämlich damit, wohlgefüllte Kassen von Supermärkten auszurauben, wobei Lady Simpson und Butler Parker ihnen ins Gehege kamen. Butler Parker ließ sich wie gewöhnlich nicht sonderlich aus der Rühe bringen. Ja, er trieb seine Gelassenheit sogar soweit, seine Herrin auf den Schienen liegen zu lassen. Er sah in aller Ruhe zu, wie die Lok sich näherte. Es gab da nichts, was ihn aus seiner Würde und Gemessenheit aufgeschreckt hätte. Daß er die Ermordung Lady Agathas verhinderte, versteht sich natürlich am Rande. Doch bis dahin mußte Butler Parker noch sehr aktiv werden und zu trickreichen Gegenmaßnahmen greifen. Günter Dönges verfaßte für den Zauberkreis-Verlag einen neuen Parker-Krimi, wie man ihn liebt: Humor, Witz und Hochspannung garantieren wieder Stunden der Entspannung.
Als Neuauflage erscheint Butler Parker Nr. 129
PARKER legt die »Katze« trocken ebenfalls von Günter Dönges.