Jan J. Moreno
Nächtliches Gefecht Drohend lag die Zweimastgaleere des Sultans von Golkonda vor dem schmalen Kanal, dem...
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Jan J. Moreno
Nächtliches Gefecht Drohend lag die Zweimastgaleere des Sultans von Golkonda vor dem schmalen Kanal, dem einzigen Zugang zur Bucht. Der mächtige Rammsporn zeigte auf die „Cabo Mondego", die portugiesische Karavelle, die elf Tonnen Gold und Silber geladen hatte - ein Schatz, der für den Mogulkaiser Akbar bestimmt gewesen war. Aber Drawida Shastri, ein Vetter des Sultans und dessen erklärter Todfeind, hatte ihn in Madras an sich gebracht. Mit einer Elefantenkarawane waren Gold und Silber abtransportiert worden doch nur bis zu einem Küstenschiff nahe Madras. Dort hatten die Inder den Schatz auf die „Cabo Mondego " umgeladen und auf dem schnelleren Seeweg bis zur Höhe von Gudur verfrachtet, wo erneut Elefanten warteten. Zufällig wurde die „Cabo Mondego" entdeckt, bevor der Schatz auf die Elefanten umgeladen werden konnte, und die enge Bucht vor Gudur wurde zur Falle..,
Die Hauptpersonen des Romans: Drawida Shastri - als der falsche Sultan von Golkonda merkt, daß es ihm an den Kragen gehen könnte, setzt er sich schleunigst ab. Sultan von Golkonda - er ist sehr erzürnt, als er feststellen muß, daß ihm sein gerissener Vetter entwischt ist. Luis de Xira - die Freude, einen Gold- und Silberschatz an Bord zu haben, bleibt für den Kapitän der „Cabo Mondego" nur ein kurzer Traum. Edwin Carberry - empfängt eine Spillspake ins Kreuz und wird darauf fuchsteufelswild. Philip Hasard Killigrew - führt seine Arwenacks zum Angriff auf die portugiesische Karavelle, und da fliegen die Fetzen.
1. Die über Jahre hinweg angestaute Verbitterung hatte ihm den Entschluß leichtfallen lassen, den für den Mogulkaiser Akbar bestimmten Schatz an sich zu bringen. Falls der Sultan dabei sein Gesicht verlor, hieß das, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Shastri wandte sich nicht um, als er leise Schritte vernahm. Schon die Art, wie sich der Mann hinter ihm bewegte, verriet den Portugiesen. Jeder Inder hätte respektvollen Abstand gewahrt und wäre nicht bis auf Tuchfühlung neben ihn getreten. Shastri mußte an sich halten, um nicht loszubrüllen. Er war erregt, aber weder Zorn noch Wut waren gute Ratgeber. Er brauchte die Portugiesen, war zumindest im Moment mehr denn je auf sie angewiesen und durfte sie folglich nicht durch unbedachte Äußerungen gegen sich aufbringen. Was wußten die hellhäutigen Fremden schon von den Sitten und Gebräuchen seines Landes? Ihr Augen-
merk war doch nur darauf ausgerichtet, möglichst schnell hohen Profit zu erzielen. Sie handelten mit allem, was Gewinn versprach, und schreckten nicht davor zurück, sich gegenseitig zu den Fischen zu schicken. Unwillkürlich verglich Shastri die Portugiesen mit dem Sultan und seinem Heer. Sich selbst nahm er dabei geflissentlich aus. „Der Sultan will den Kampf um jeden Preis", sagte der Mann, der dicht hinter ihm stand. An der Stimme erkannte Shastri Luis de Xira, den Kapitän der Karavelle. De Xira war ein erfahrener Mann. Trotz seiner fünfzig Jahre wirkte er noch kräftig und ausdauernd. Er war hager, seine von Wind und Wetter gegerbte Haut schimmerte wie Pergament. Die dunkelbraunen, tief in den Höhlen liegenden Augen verliehen dem Gesicht sehr viel Leben. Sein großer Schnauzbart, ebenso wie das schon schütter werdende Haupthaar, war weiß und schwarz und grau. Keine dieser Farben dominierte, vielmehr gingen sie fließend ineinander über.
5 De Xira war schweigsam und wirkte oft sogar ein wenig verkniffen. Wer ihn näher kannte, wußte, daß dies mit seiner heiseren Stimme zusammenhing. Der Degen eines Gegners hatte vor zwei Jahrzehnten seinen Hals durchbohrt - zu sehen waren heute zwar nur mehr zwei kleine, von wildem Fleisch umwucherte Narben, doch der heisere, gelegentlich krächzende Klang seiner Stimme was als Andenken an jenes Duell geblieben. Drawida Shastri spie verächtlich aus. „Mein Vetter wird sich den Schädel einrennen. Was nutzen ihm seine zwanzig Geschütze und die Rudersklaven, solange er die schlechteren Leute an Bord hat? Laß deinen Stückmeister Kettenkugeln laden, Kapitän, dann werden wir ihre Riemen zersplittern und sie in die tiefste aller Höllen schicken. Der Sultan kann keinen Vorteil erringen." Luis de Xira seufzte ergeben. Er trat neben Shastri ans Schanzkleid und stützte sich am Handlauf ab. Hinter der Brandung, gerade eine halbe Meile entfernt, lauerte die Galeere wie ein beutegieriges Raubtier, offenbar bereit, jeden Augenblick zuzuschlagen. „Ich sehe die Situation anders", sagte der Kapitän. „Der Sultan kann es sich leisten, die Nacht abzuwarten. Mit Hilfe der Rudersklaven wird er sein Schiff gegen den Wind manövrieren und uns rammen." „Nein!" erwiderte Shastri selbstsicher. „Genau das tut er nicht." Flüchtig trafen sich ihre Blicke. Luis de Xira wirkte irritiert, schließlich hatte er sich eben noch in den glühendsten Farben ausgemalt, wie er
als Kapitän der Galeere vorgehen würde. Die Überlegenheit der Galeere lag eindeutig in der besseren Manövrierfähigkeit und dem mächtigen Rammsporn begründet. „Ich kann über den Sultan vieles sagen, aber leider nicht, daß er dumm ist", erklärte Shastri. „Er weiß, daß wir das Gold noch an Bord haben, die Elefanten waren bisher nicht nahe genug heran, und den letzten Versuch hat er vereitelt. Wenn er uns rammt, läuft er Gefahr, die ,Cabo Mondego' zu versenken - und mit ihr den schier unermeßlichen Schatz." Der Kapitän zuckte mit den Schultern. „Dann versucht er eben zu entern, besonders groß ist der Unterschied nicht." „Die beste Verteidigung ist immer noch der eigene Angriff." Drawida Shastri blickte zu den langen Wimpeln hinauf, die von den Masttoppen wehten. Der Wind stand ziemlich genau aus westlicher Richtung. „Wenn der Sultan gnädig gestimmt ist, wird er jedem von uns nur die Augen ausstechen oder die Hände abschlagen lassen, wenn nicht, läßt er uns köpfen. Natürlich nur, wenn er uns erwischt." „Davon war nie die Rede", knurrte de Xira. „Ich sagte, daß unser Vorhaben nicht einfach wird." „... daß der Sultan uns bestimmt nicht einholen würde, ehe die Elefanten mit dem Schatz im Dschungel verschwunden seien und nichts und niemand etwas beweisen könnte." „Das war ein Irrtum", erwiderte Shastri. „Ich bin darüber nicht minder verärgert, Capitán."
6 „Wie viele Soldaten befinden sich auf der Galeere?" „Ich weiß nicht", gestand Shastri. „Für gewöhnlich um die dreißig Mann, aber ebensogut kann es jetzt die dreifache Anzahl sein." „Die Rudersklaven nicht mitgezählt?" Der Inder lachte spöttisch. „Mein Vetter wird sich hüten, auch nur einen der Sklaven von den Ketten zu befreien - er wäre seines Lebens nicht mehr sicher. Die Kerle, die auf den Ruderbänken sitzen, sind Mörder, Diebe und anderes Gesindel, die würden eher auf unserer Seite kämpfen als für den Sultan." Aber darauf verlassen können wir uns nicht." Shastri winkte lässig ab. „Wir müssen den Sultan und seine Soldaten überraschen. Er glaubt, uns in der Falle zu haben und denkt vermutlich gar nicht daran, daß wir den Spieß umdrehen könnten." Mittlerweile hatte sich der Himmel über dem Dschungel blutrot gefärbt. Die Sonne war hinter den Baumriesen verschwunden, nur noch vereinzelt brachen Strahlenfinger durch Lücken im Laubdach und huschten irrlichternd über die Bucht und die küstennahe See. Im Bereich des Südufers, entlang der weitläufigen, sumpfigen Bachmündung, schimmerte das Wasser wie flüssiges Blei. Zum Kanal hin färbte es sich golden, und weiter draußen nahm es eine dunklere, rote Farbe an. Der Wind wehte beständig aus Westen. Drawida Shastri ballte die Hände zu Fäusten.
„Du kriegst mich nicht, Vetter!" Wie einen Fluch stieß er die Worte zwischen den Zähnen hervor. „Wenn du glaubst, ich gebe auf, täuschst du dich. In meinen Adern fließt schließlich das gleiche Blut wie in deinen." Im Osten näherte sich die Nacht mit Riesenschritten. Dicht über der Kimm glitzerten die ersten Sterne. Prüfend sog Kapitän Luis de Xira die Luft ein. Ein leichter Schwefelgeruch war unverkennbar, lastete aber erst seit wenigen Augenblicken über der Küste. „Ein Gewitter zieht auf", erklärte er. „In ein, zwei Stunden haben wir den heftigsten Wolkenbruch." „Um so besser." Hoch erhobenen Hauptes, die Hände immer noch zu Fäusten geballt, stand Drawida Shastri am Schanzkleid und starrte zu der Galeere hinüber. „Ich will, daß der Stückmeister alle Geschütze lädt. Er soll soviel Pulver nehmen, wie er gerade noch verantworten kann. Die ,Cabo Mondego' muß einen Angriff unternehmen." „Die Galeere blockiert den Kanal, wir haben keine Chance, an ihr vorbei das freie Meer zu erreichen. Selbst die stümperhafteste Geschützbedienung kann auf eine Distanz von dreißig bis vierzig Schritte nicht danebenschießen." „Ich verlange nicht, daß die Karavelle in den Kanal einläuft", sagte Shastri. „Sie soll vielmehr im letzten Moment abdrehen und eine Breitseite auf die Galeere abfeuern. Mit viel Glück genügen die sechs Kanonen einer Batterie, um der ,Stern von Indien' größere Schäden zuzufügen. Daß deine Männer zu zielen verstehen, Capitán, haben sie bewiesen.
7 Während der Sultan genug zu tun hat, den vermeintlichen Ausbruchsversuch abzuwehren, werden meine Männer und ich ihn von da angreifen, von wo er es am wenigsten erwartet, nämlich von See her." De Xira zog überrascht die Brauen hoch. Er wollte spontan etwas sagen, schwieg dann aber, um sich nicht Shastris Unwillen zuzuziehen. Wenn er es recht bedachte, war das Angebot des Inders verlockend und außerdem wirklich der einzige Weg, den Sultan und seine Soldaten loszuwerden. . Nur hätte er nie angenommen, daß sich Drawida Shastri an einem solchen Unternehmen selbst beteiligen würde. Der Kapitän glaubte, über einige Menschenkenntnis zu verfügen, und Shastri war für ihn stets einer der skrupellosen Männer gewesen, die bedenkenlos andere für sich über die Klinge springen ließen. „Warum so nachdenklich?" fragte der Inder. „Mein Plan ist gut, und meine Leute schwimmen ausgezeichnet. Niemand wird uns sehen, wenn wir die Galeere entern." „Die Gefahr ..." Shastri lachte hell. „Haben nicht die Götter längst bewiesen, daß sie mich beschützen? Die schwarze Kali hat mir geholfen, den Schatz zu erlangen, und Schiwa war es, der den Verrat meines Vertrauten Dilip Rangini aufdeckte." „Trotzdem ..." Der Kapitän zeigte sich hartnäckig. Warum, wußte er selbst nicht genau zu sagen, aber irgendwie hatte er das Gefühl, daß es nicht gut war, wenn er die Inder allein ziehen ließ. „Solange wir nur eine Breitseite abfeuern, werden nicht alle Männer an Deck gebraucht,
bei deinem Vorhaben kann jedoch jede Faust entscheidend sein." „Die Fehde zwischen dem Sultan und mir ist unsere ureigenste Angelegenheit", widersprach Shastri heftig. „Sie wird zwischen uns Indern ausgetragen, ohne daß sich Fremde einmischen." Die Betonung des Wortes „Fremde" ließ de Xira zusammenzucken, Drawida Shastri hatte es hart, beinahe verächtlich ausgesprochen. Ebenso schroff erwiderte er: „Egal, wer den Kampf weswegen begonnen hat oder weiterführt, wir von der ,Cabo Mondego' stecken mittendrin. Selbst wenn wir wollten, könnten wir nicht mehr zurück." Shastri drehte auf dem Absatz um und schickte sich an, zur Kuhl abzuentern. „Ich rufe meine Leute zusammen. Wir gehen von Bord, sobald wir von der Galeere nicht mehr beobachtet werden können." Unwillig zog er die Stirn in Falten, als ihm der Kapitän die Hand auf die Schulter legte und ihn sanft, aber nachdrücklich, zurückhielt. „Was ist noch? Wir haben alles gesagt, was zu bereden war." „Zwischen uns besteht eine Vereinbarung, Drawida, und ich halte meinen Teil ein. Dazu gehört, daß sich meine Männer nicht nur aus der Ferne am Angriff auf die ,Stern von Indien' beteiligen. Unser beider Ziel ist es, den Sultan loszuwerden, wenngleich aus unterschiedlichsten Gründen. Deshalb gebe ich dir einige kampferprobte Männer zur Seite." Der Inder vollführte eine entschieden ablehnende Handbewegung. „Greift mit der Karavelle an und
8 der übelsten Räuberbanden der Südostküste Indiens wäre ihm das beinahe gelungen. Den Verrat hatte er jedoch mit dem Leben bezahlt - da Shastri Sinn für Details hatte, in Sichtweite des englischen Dreimasters, der die elf Tonnen Gold und Silber nach Madras gebracht hatte. Sogar in den letzten Augenblicken seines Lebens, ehe sein Kopf unter dem Richtschwert fiel, war Rangini noch überzeugt gewesen, daß die Elefantenkarawane, auf die der Schatz umgeladen wurde, ins Landesinnere ziehen würde. Tatsächlich aber hatte zu jenem Zeitpunkt die „Cabo Mondego" schon nördlich von Madras vor Anker gelegen, um das Gold zu übernehmen. Die Engländer waren zu vertrauensselig gewesen. Aber wie hätten sie erkennen sollen, ohne den * Spuren der Karawane zu folgen, daß Drawida Shastri nicht der Sultan Seine Neider und Gegner konnten war, als der er sich ausgegeben hatte. Alle diese Gedanken schossen dem Drawida Shastri viel nachsagen, doch keinesfalls, daß er nicht flexibel Inder durch den Kopf, während er reagierte. Er hängte sein Fähnchen seine Soldaten musterte, die sich auf nicht nur nach dem Wind, denn das der Kuhl versammelten. Jeder von ihwäre einfach gewesen. Er schaffte es nen war ein guter Kämpfer, im Umoftmals sogar, eben dieses sprich- gang mit Säbel oder Krummdolch gewörtliche Fähnchen gegen die stärk- übt, einige verstanden auch, Muskeste Brise flattern zu lassen - in der ten und Steinschloßpistolen treffsiHoffnung, der Wind werde drehen. cher zu handhaben. Nur mußten sie Das war meist auch der Fall. Anders die langläufigen Feuerwaffen zurückausgedrückt: Drawida Shastri, jung lassen. und heißblütig, hatte einen Riecher Luis de Xira hätte zweifellos Verfür unvorhersehbare Ereignisse. dacht geschöpft. Niemand konnte so Deshalb war selbst sein Vertrauter, verrückt sein, mit einer geladenen Dilip Rangini, nicht in alle Pläne ein- Muskete die Brandung zu durchgeweiht worden. Zu Recht, wie sich schwimmen und auch noch zu hoffen, daß die Waffe funktionsfähig blieb. vor Madras herausgestellt hatte. Rangini hatte ihn um das Gold be- Trotz seiner mehrjährigen Bekannttrügen wollen. Zusammen mit einer schaft mit Shastri, die immerhin zu lenkt die Aufmerksamkeit des Sultans und seiner Wachen ab, das ist für mich die größte Hilfe." Capitán Luis de Xira lächelte verbindlich. „Für einen Scheinangriff brauche ich nicht die ganze Mannschaft, und der versprochene Anteil am Schatz ist mir einige Ausfälle wert." „Die Anteile der Toten...?" „... fallen zu zwei Dritteln dem Kapitän zu." „Unter diesen Umständen darf ich das großzügige Angebot wohl nicht ausschlagen." Der spöttische Zug, der Shastris Mundwinkel umspielte, ließ nicht erkennen, wie er die Bemerkung meinte. Jetzt war es de Xira, der unnahbar wirkte wie eine verwitterte Statue.
9 beiderseitigem Nutzen war, legte der Kapitän bestimmt nicht seine Hand für den Inder ins Feuer. Von der Karavelle aus war nur noch ein Streifen fahler Brandung zu sehen. Die Galeere des Sultans mit dem hochtrabenden Namen „Stern von Indien" war inzwischen von der Nacht verschluckt worden. Eine düstere, bedrückende Stimmung breitete sich aus. Nur wenige Sterne funkelten über der Kimm, der Rest des Firmaments verdunkelte sich zusehends. Während jedoch in großer Höhe die Wolkenbänke schnell nach Osten trieben, flaute der Wind über dem Wasser ab. Innerhalb weniger Augenblicke hingen die Wimpel schlaff von den Masten. Über dem Dschungel wetterleuchtete es. Drawida Shastri musterte die fünf Portugiesen, die de Xira für das Unternehmen abgestellt hatte. Sie waren kräftige, bärtige Burschen, und wo sie hinlangten, wuchs gewiß kein Gras mehr. Die Gesichter hatten sie mit einem Gemisch aus Asche, Ruß und ranzigem Fett geschwärzt, das auch nicht vom Salzwasser schnell abgewaschen werden konnte. „Deine Leute sind in der Nacht so unsichtbar wie Schatten", sagte Shastri zum Kapitän, „aber sie verraten sich durch ihren Gestank. Mein Vetter wittert sie dreißig Schritte gegen den Wind." „Ich kann dafür sorgen, daß dir das ranzige Fett auf den Zwieback gestrichen wird", entgegnete de Xira schroff. „So schlimm wie eure Elefanten stinken meine Männer noch lange nicht." Ihr Verhältnis hatte sich während
der letzten Stunden zunehmend verändert und war inzwischen von einer deutlichen Spannung geprägt, die sowohl auf de Xira als auch auf Shastri herausfordernd wirkte. Sie entstammten verschiedenen, einander fremden Kulturen, dennoch ähnelten sich ihre Charaktere in mancher Hinsicht verblüffend. Jeder verfolgte seine eigenen Ziele, hatte Geheimnisse vor dem anderen und dachte schon gar nicht daran, nachzugeben. Sie benutzten sich gegenseitig, weil sie aufeinander angewiesen waren, und gerade das Wissen darum ließ sie immer häufiger aggressiv reagieren. Auf der Karavelle brannte nur die große Hecklaterne. Der Docht war indessen so weit zurückgeschraubt, daß die kleine, flackernde Flamme kaum ausreichte, das Achterdeck zu erhellen. Was auf der Kuhl geschah, blieb im Dunkeln verborgen. Kein noch so scharfes Auge, nicht mal, wenn es mit einem Spektiv bewaffnet war, konnte von der Galeere aus mehr als vage Umrisse erkennen. Shastri gab das Zeichen zum Aufbruch. Schon vorher hatten seine Inder Taue über das Steuerbordschanzkleid geworfen, an denen sie sich nun in das Brackwasser der Bucht gleiten ließen. Langsam strebten sie dem östlichen Rand des sumpfigen Mündungsdeltas zu. Die meisten trugen nur dunkle Wikkelhosen und ihren Turban. Mit den nackten Oberkörpern und ihrer geschmeidigen Art, zu schwimmen, erinnerten sie an einen Fischschwarm, der nur gelegentlich die Wasseroberfläche durchbricht. Die Portugiesen hingegen hielten es
10 nicht für erforderlich, die leichten Schnürschuhe abzulegen. Sie hatten weite Pluderhosen an und trugen außerdem Leinenhemden. Beim Anblick ihrer Waffen schüttelte Shastri unwillkürlich den Kopf. Gegen die in den Gürteln steckenden Dolche hatte er nichts einzuwenden, aber die schweren Schiffshauer waren beim Schwimmen mehr als hinderlich. „Imposant", sagte er. „Deine Männer werden absaufen wie eiserne Karnickel." Luis de Xira musterte forschend den Inder. Er verschänkte die Arme vor der Brust und lehnte sich an eine der geladenen und feuerbereiten Culverinen. „Die Mannschaft ist nicht groß", sagte er überlegen, „da muß jeder überall seinen Mann stehen. Meine Mission in Indien ist rein privater Natur, und ich bin froh, mehrere ehemalige Seesoldaten an Bord zu haben, die zuzupacken verstehen. Sie schaffen es bis zur Galeere, darauf kannst du dich verlassen." „Ich schätze keinen der fünf älter als fünfundzwanzig. Werden portugiesische Soldaten schon so jung entlassen?" „Spielt das eine Rolle?" Drawida Shastri schürzte die Lippen, dann spie er gezielt in die nächste wassergefüllte Pütz. „Deserteure sind mir zuwider", erwiderte er. „Ja, mein Freund", de Xira zuckte mit den Schultern, „daran läßt sich nun mal nicht rütteln. Du hast früher nie danach gefragt, warum also plötzlich dieser Umschwung?" Drawida Shastri überging die Frage geflissentlich.
„Es wird Zeit", sagte er. „Lange genug habe ich den Moment herbeigesehnt, in dem ich endlich meinem Vetter als Sieger gegenüberstehe, in dem er vor mir auf den Knien liegt und um Gnade winselt. Aber ich werde ihn nicht töten, o nein, das wäre zu einfach. Er soll erfahren, was es heißt, gedemütigt zu werden." Er hatte sich in Zorn geredet und schwang sich mit einem kräftigen Satz übers Schanzkleid. Unmittelbar vor ihm enterten die fünf Portugiesen ab. Seinen kostbaren Turban hatte er nicht abgelegt. Von der Karavelle aus war Shastri länger zu sehen als die anderen, aber letztlich verschlang auch ihn die Dunkelheit. 2. Mit der lautlosen Geschmeidigkeit des erfahrenen Jägers huschte Kokoka durchs Dickicht. Das Buschwerk begann bei den Dünen, reichte bis unmittelbar an den Kanal und zog sich südlich um die Bucht, bis in dem sumpfigen Bachdelta nur noch Schilf und hohe Gräser wuchsen. Inzwischen beglückwünschte sich Kokoka zu seinem Entschluß, der Spur der Elefanten im Dschungel gefolgt zu sein. Daß sich hier, auf der Höhe von Gudur, aber immer noch weit von der Stadt entfernt, Geschehnisse größerer Tragweite anbahnten, war ihm mittlerweile ziemlich klar. Das große, geruderte Prunkschiff gehörte dem Sultan von Golkonda, daran gab es für ihn keinen Zweifel mehr. Auf dem Dreimaster hatte er je-
11 doch ebenfalls Inder erspäht. Einer von ihnen, schlank und hochgewachsen, war, der Kleidung nach zu schließen, zumindest ein Radscha. Vergeblich zerbrach sich Kokoda den Kopf, wer der Mann sein mochte, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Sultan hatte. Kokoka hatte den Sultan vor zwei Jahren gesehen, und er verfügte über ein ausgezeichnetes Gedächtnis, was Gesichter betraf, von seinen scharfen Augen ganz zu schweigen, die den kleinsten Vogel im Laubdach des Dschungels entdeckten. Die Galeere hatte zuletzt angegriffen, als sich die Elefanten dem Dreimaster näherten. Bis zum Bauch im Wasser waren die Dickhäuter vom Bach her durch die Bucht gestapft, aber dann hatten die Kanonenkugeln der Galeere eine Panik ausgelöst. Schrill trompetend war das Leittier davongestürmt, gefolgt von den anderen, die den Stachelstöcken und Fußtritten ihrer Mahouts nicht mehr gehorchten und blindlings ans Ufer flohen. Im ersten Erschrecken darüber hatte Kokoka nicht verstanden, daß ein Mann wie der Sultan auf Elefanten schießen ließ, doch nach und nach hatte er erkannt, daß die schweren Steinkugeln so gezielt worden waren, daß sie die Tiere nicht verletzten. Kokoka kannte die Textstellen der Veden, die von der Erschaffung der Elefanten als einem heiligen Vorgang redeten: Nachdem die Sonne aus einem goldenen Ei entstanden war, nahm der Schöpfer feierlich die beiden glühenden halben Schalen des Eies, das ihm von brahmanischen Weisen gezeigt worden war, und sang
sieben Verse. Daraufhin wurden aus einer Schale der Elefant Airavata und nach ihm sieben weitere geboren. Aus der anderen Schale wuchsen acht Elefantenkühe hervor, die zu ihren Gefährtinnen bestimmt waren. Im Laufe der Jahre zogen die mit Klugheit und Kraft gesegneten Elefanten und ihre zahlreichen Nachkommen durch die Urwälder und über die Berge der Welt. Sie zogen in den Kampf zwischen den Göttern und Dämonen, als Reittiere die den Herren der Weltgegenden dienten, Indra, Agni und allen weiteren. Eines Tages jedoch liefen sie voller Schrecken zu Brahma, der, dies erkennend, den Geist Must erschuf. Als Must mit den Tieren eins geworden war, vernichteten sie das Heer der Dämonen und zogen mit Indra und den übrigen jeder in seine besondere Weltgegend. Das kosmische Ei war von großer Hitze geprägt, und die Elefanten waren aus ihm heraus geboren worden. Da sie von Geburt an unter der Hitze litten, freuten sie sich, wenn sie mit kaltem Wasser, Schlamm oder Staub überschüttet wurden, und darum war Wasser für die Dickhäuter lebensnotwendig, und es galt, sie mit großem Eifer zu pflegen. Wenn der Sultan also trotz allem auf die Tiere schießen ließ, mußte für ihn sehr viel auf dem Spiel stehen. Kokoka war durchtrieben und von einer bestimmten Gewitztheit, die das Leben in der Abgeschiedenheit des Dschungels mit sich brachte. Von Zeit zu Zeit mußte er sich auch wieder unter Menschen behaupten können, und er hatte gewiß kein Interesse daran, sich beim Verkauf seiner
12 Vogelbälge von Kaufleuten und anderem Gesindel übers Ohr hauen zu lassen. Wenn jemand anderen die Rupien aus den Taschen zog, wollte er derjenige sein, der das tat. Deshalb folgerte der Jäger, daß auf dem Dreimaster Dinge lagerten, die auf den Rücken der Elefanten abtransportiert werden sollten, die aber auch der Sultan für sich haben wollte - sehr wahrscheinlich sehr wertvolle Dinge. Gold, dachte Kokoka, Perlen und edle Steine. Er wußte nicht, wie genau er mit seinen Vermutungen die Wahrheit traf. Zum Glück waren die aufgeschreckten Dickhäuter nicht in seine Richtung gestürmt, sonst hätte er sein sicheres Versteck aufgeben müssen und wäre womöglich entdeckt worden. Seine Jagd war überaus erfolgreich gewesen. Wenn er jetzt die Vogelbälge nahm und nach Madras ging, hatte er für die nächsten Jahre keine Sorgen. Die mit Sand gefüllten Bälge hingen derzeit an einem Gerüst, das er aus Treibholzstangen in den Dünen aufgerichtet hatte. Selbst der heftigste Sturm konnte es nicht umwerfen. Die schleierartigen Reiherfedern würden ebensoviel Geld einbringen wie die prächtig bunten Gefieder der Paradiesvögel. Doch Kokoka versprach sich inzwischen noch größeren Reichtum. Vielleicht würde er nie wieder in den Dschungel gehen müssen, den er gleichermaßen heftig liebte und verfluchte. Sein Vater war am Biß einer Giftschlange gestorben, er selbst trug seitdem langschäftige Lederstiefel,
aber das Leben war mühsam und ebenso von der Angst geprägt, irgendwann einem reißenden Tiger gegenüberzustehen. Um wieviel angenehmer war es, reich zu sein, eine Herde Wasserbüffel zu besitzen und im Schatten des eigenen Hauses die Zeit zu verbringen. Wenn sich Schätze an Bord des fremden Schiffes befanden, würde er es herausfinden. „Bei der schwarzen Kali!" stieß er gepreßt zwischen den Zähnen hervor. „Ich hole mir meinen Anteil!" Zu seiner Überraschung zog sich die Galeere des Sultans wieder bis vor die Passage zurück. Die Geschütze verstummten, nur noch das wilde Trompeten der Elefanten klang aus größerer Entfernung herüber. Danach mußte Kokoka lange warten. Erst als die Nacht hereinbrach, versammelten sich Bewaffnete auf dem Mitteldeck des Dreimasters. Kokoka, der zuletzt etwas schläfrig vor sich hingedöst hatte, war sofort wieder hellwach. Als Inder und einige Portugiesen das Schiff verließen, hämmerte sein Herz wie verrückt in der Brust. Nicht weiter als dreißig Schritte von ihm entfernt gingen die Männer an Land. Sie redeten darüber, daß sie die Galeere überfallen und versenken wollten und der Sultan bestimmt nicht mit einem derartigen Angriff rechne. Kokoka folgte dem Trupp ohne großen Abstand. Die Männer fühlten sich sicher, sie schauten nicht nach rechts oder links, sondern bewegten sich zielstrebig in Richtung Strand, den sie rund vierhundert Schritte südlich der Passage erreichen wür-
13 den. Von der Galeere aus waren sie dort keinesfalls zu sehen. Sie waren nicht gerade wenige, trotzdem fragte sich Kokoka, ob sie gegen die Soldaten des Sultans Erfolg haben würden. Es erschien ihm zumindest sehr vermessen, die „Stern von Indien" auf diese Weise anzugreifen. Aber was gleich darauf geschah, ließ alle Überlegungen überflüssig werden. * Als Drawida Shastri durch den Schlamm ans Ufer watete, fiel allmählich die Beklemmung von ihm ab, die er empfand, seit die Prunkgaleere erschienen war. Zugleich wuchs die Enttäuschung darüber, daß der Sultan von Golkonda wieder einmal den längeren Arm hatte. Vielleicht hätte er versuchen sollen, die „Cabo Mondego" zu sprengen und die elf Tonnen Gold und Silber auf den Grund der Bucht zu schicken. Je intensiver er darüber nachdachte, desto verlockender erschien ihm diese Möglichkeit. Der Sultan sollte den Schatz jedenfalls nicht haben, Akbar würde ihn für sein Versagen mit dem Entzug aller Ämter und Würden bestrafen, falls er ihn nicht gleich, einer Laune folgend, köpfen ließ. Aber wenn er die Pulverkammer der Karavelle in Brand setzte, war das Gold zwangsläufig auch für ihn verloren, und damit wollte sich Shastri noch nicht abfinden. Er hatte viel riskiert und sein Vermögen für die Trägerelefanten ausgegeben, not-
falls würde er bis zum letzten Mann kämpfen. Doch zunächst sollten die Portugiesen, die ebenfalls sehr viel zu verlieren hatten, ihre Haut zu Markte tragen. Das Wetterleuchten war stärker geworden und dehnte sich nach Süden und Norden aus, als wolle es die kleine, unbedeutende Bucht einkreisen. Der erste Donner rollte über den Dschungel heran. Im flackernden Widerschein sah Shastri, daß ihm Nahinda Zeichen gab. Er nickte knapp. Von den Dünen verwehter Sand bedeckte den Boden, das Buschwerk wurde lichter. Von einzelnen Palmen abgesehen, wuchsen zwischen den höheren Dünen nur karger Strandhafer und verkrüppelte Ginsterbüsche. Die Flut lief auf, das Rauschen der Brandung wurde lauter, und in der Luft hing der unverkennbare Geruch von Salzwasser und frischem Seegras. Die ersten Blitze zuckten jetzt über das Firmament. Zurückblickend sah Shastri, daß auf der Karavelle Fock und Besan gesetzt wurden, er glaubte sogar, das Knarren des Ankerspill zu hören. Langsam, als sei sie schon viel zu lange ihrer Freiheit beraubt, schwang die „Cabo Mondego" herum und richtete den Bug auf die enge Passage. Die Rechte des Inders verkrampfte sich um den Knauf des gebogenen Dolches, den er unter seiner Kleidung hervorzog. Mit zwei blitzschnellen, weit ausgreifenden Schritten holte er den Portugiesen ein, der vor ihm ging. Die Klinge zuckte hoch, durchtrennte gedankenschnell Haut und Sehnen und färbte sich dunkel.
14 Der stämmige Mann verharrte mit- und mit aller Kraft deren er fähig ten im Schritt. Er riß noch abweh- war, zuzuschlagen. Ein kurzer, heiserer Schrei, eine rend die Arme hoch und wollte sich umwenden, aber er schaffte es nicht entsetzte, abwehrende Bewegung, mehr und stürzte bäuchlings in den dann wurde der Inder von der Wucht des Hiebes nahezu zweigeteilt. Sand. Die Klinge mit beiden Händen halDie anderen Inder handelten gleichzeitig. Zwei weitere Portugie- tend und die Arme angewinkelt, wirsen wurden von ihnen ebenfalls hin- belte der Portugiese herum. Der terrücks erdolcht, ohne daß ihnen nur Schiffshauer beschrieb einen Dreider Hauch einer Chance blieb, sich viertelkreis, und die beiden Burschen aus Shastris Gefolgschaft, die das zur Wehr zu setzen. Pech hatten, innerhalb dieses Kreises Der Zufall wollte es, daß sich einer zu stehen, taumelten mit klaffenden der beiden am weitesten vorn gehen- Brustwunden zurück. den Portugiesen in dem Moment um„Na los doch, ihr Affen!" schrie der wandte, als er von einem barhäupti- Portugiese Hindi. „Ich zeige euch, gen, vollbärtigen Kerl angesprungen was gespieltaufwird!" wurde. Instinktiv riß er die Arme Ein Dolch bohrte sich in seinen hoch und wehrte den Dolch ab, der Rücken. Dennoch hielt er sich aufsein Herz durchbohren sollte. Die recht und parierte einen Säbelhieb Klinge hinterließ lediglich eine mit erstaunlicher Geschicklichkeit. Fleischwunde quer über seinen UnEin zweiter Wurfdolch traf ihn unterarm bis zum Ellenbogen. terhalb des Rippenbogens. Eine VerEr begriff schneller als sein Kame- wünschung auf den Lippen, zerrte er rad, der den Stahl zwischen den Rip- die Klinge heraus. Für die Dauer eipen spürte und nur noch schwach mit nes Herzschlags sah es so aus, als dem Schiffshauer versuchte, sein Le- könne ihm nichts und niemand etwas ben zu verteidigen. Ob seine Schreie anhaben, aber dann ging ein Ruck gegen den wiederauffrischenden durch seinen Körper, ein gequältes Wind auf der Karavelle zu hören wa- Stöhnen rang sich über seine Lippen ren und richtig gedeutet wurden, und er taumelte. blieb dahingestellt. Nach einem kurDer schwere Schiffshauer fiel in zen Schlagabtausch schwieg der den Sand, er achtete nicht darauf, Mann ohnehin für immer. sondern torkelte weiter, die nächste Düne hinauf. Nach zehn Schritten Der letzte der fünf ehemaligen Seesackte er in die Knie, versuchte versoldaten versuchte, sein Leben so geblich, sich noch einmal aufzurichteuer wie möglich zu verkaufen. ten, und als er schließlich zusamTrotz der klaffenden Armwunde menbrach und die kurze Böschung rammte er dem angreifenden Inder hinunterrollte, war er offenbar schon den Ellenbogen in den Nacken, so daß der barhäuptige Bursche taumelte. tot. Die kurze Zeitspanne genügte ihm, Einer der beiden verwundeten Inmit dem Schiffshauer erbarmungslos der starb kurz darauf. Die Verletzung
15 des anderen war nicht ganz so schlimm, wie es zunächst ausgesehen hatte. Die Klinge war an den Rippen abgeprallt und weit weniger tief eingedrungen als bei dem Toten. Mit Blättern, die sie von einigen Büschen abschlugen, und dem Stoff eines aufgewickelten Turbans wurde der Mann verbunden. Wenn sich kein Wundbrand einstellte, hatte er gute Aussichten, in wenigen Tagen wieder wohlauf zu sein. Mittlerweile hatte die Karavelle, unter Fock und Besan laufend, die Passage erreicht. Drawida Shastri bedauerte zutiefst, daß er wegen der Dünen die „Stern von Indien" nicht sehen konnte, aber der Strand war ohnehin nicht sein Ziel gewesen. Er ahnte, daß die „Cabo Mondego" auf verlorenem Posten stand, dazu kannte er seinen Vetter zu gut. Der Sultan von Golkonda reagierte zumeist wütend, ehe er zu überlegen begann und letztlich berechnend handelte. Er hatte also die Arwenacks, die die elf Tonnen Gold und Silber dem Falschen übergeben hatten, zunächst als seine persönlichen Feinde behandelt und an die Ruderbänke gekettet. Daß die Engländer im Sinne der Anklage unschuldig waren, war ihm vermutlich schon wenig später klargeworden, und irgendwann hatte er den eigentlich gar nicht so wahnwitzigen Gedanken gefaßt, die Engländer für sich die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen. Sie nur als Rudersklaven einzusetzen, hieß, ihre Fähigkeiten weit unter Wert zu verplempern. Shastri hatte die Fremden kennengelernt, deshalb konnte er sich gut
vorstellen, was an Bord der „Stern von Indien" vorgefallen war. Die Galeere mit seinen Männern anzugreifen, wagte er zumindest vorerst nicht. Er wollte eine günstigere Gelegenheit abwarten. Sein Plan, das Gold nach Kankinada zu schaffen, war durch die Ereignisse verhindert worden. Im Moment empfand er mehr als nur Unbehagen, wenn er an seinen gnadenlosen Vetter dachte. Für ihn, Shastri, war es zunächst wichtig, sein Leben und seine Gesundheit zu retten. Gebannt sah er zu, wie die „Cabo Mondego" zum Angriff segelte. Blitze flackerten über das Firmament. Unmittelbar darauf zuckte das Mündungsfeuer der Culverinen durch die Nacht. Der rollende Donner vermischte sich mit dem Dröhnen der Geschütze. * „Seltsam", murmelte Luis de Xira, nachdem die Inder an Land verschwunden Waren, Drawida hat nicht gesagt, wann wir angreifen sollen." „Sobald wir Schußposition erreichen", erwiderte Nicolao Lamego, der Stückmeister der „Cabo Mondego". Er war ein mürrischer, aber tüchtiger Mann um die Vierzig, und vor allem ein exzellenter Schütze. „Shastri wird die Verwirrung der Inder ausnutzen." De Xira zuckte mit den Schultern. „Bei nur sechs Culverinen ist die Ablenkung nicht sehr groß. Oder siehst du das anders?" „Ganz und gar nicht." Nicolao fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Aber von mir aus können der Sultan
16 und sein Prunkschiff zur Hölle fahren." „Wir müssen damit rechnen, daß die Inder das Feuer erwidern." „Und wenn schon." Nicolao Lamego lachte spöttisch. „In der Dunkelheit und auf größte Schußdistanz trifft keiner von denen." Die Flut stieg. Sonderlich groß war der Geleitenunterschied zwar nicht, dennoch zerrte die Karavelle zunehmend heftiger am Ankertau. De Xira winkte seinen Ersten Offizier zu sich heran. „Laß Segel setzen, Alvaro! Wir laufen langsam auf den Kanal zu." Der Erste gab die Befehle weiter. Der Anker wurde aufgeholt und die Hecklaterne gelöscht. Die Fock blähte sich im Wind. Nur Augenblicke später entfaltete sich das Besansegel. Die Mannschaft stand bereit. In der engen Bucht erforderten die Segelmanöver höchste Präzision, sollte die „Cabo Mondego" nicht auflaufen. Der Wind wehte denkbar ungünstig und erforderte ein Kreuzen auf Biegen und Brechen. Kapitän de Xira ertappte sich dabei, daß er mit einem Ausbruchsversuch liebäugelte. Das Überraschungsmoment war auf seiner Seite, und wenn Drawidas Männer rechtzeitig angriffen, konnte der Sultan womöglich nur einen Teil seiner Geschütze gegen die fliehende Karavelle einsetzen. Unwillkürlich versteifte sich de Xira, sein Blick huschte übers Achterdeck und verlor sich in der zunehmend häufiger von Blitzen erhellten Nacht. Er lauschte, aber da war nichts mehr außer dem Raunen des
Windes im Rigg und dem Rauschen der noch schwachen Bugwelle. Dabei hatte er geglaubt, einen Schrei gehört zu haben. Einen Todesschrei. Luis de Xira wußte, wie Menschen in Todesnot schrien. „Hast du das auch gehört?" fragte er seinen Ersten. Alvaro Belmonte war viel zu beschäftigt gewesen. Er schüttelte den Kopf, erkundigte sich aber dennoch: „Was gehört?" „Ein Schrei, von Steuerbord, von den Dünen her." „Ich weiß nicht, Capitán. Vielleicht ein Seevogel, den die Inder aufgescheucht haben..." Ein dröhnender Donnerschlag übertönte jedes weitere Wort. Und wenn schon, sagte sich de Xira. Falls wirklich Soldaten des Sultans an Land gegangen waren, um ihrerseits die ahnungslosen Portugiesen anzugreifen, konnten sie der Karavelle nicht gefährlich werden. Dann waren sie mit Shastri aneinandergeraten und lieferten sich mit seinen Leuten einen Kampf auf Leben und Tod. Die schmale Passage rückte näher. Auf beiden Decks der „Stern von Indien" brannten Fackeln und Feuerschalen. Wollte der Sultan die Männer der „Cabo Mondego" in falsche Zuversicht wiegen, oder war er von seinem Sieg überzeugt? Auch auf der Karavelle war plötzlich wieder rötlicher Glutschein zu sehen. Zwei Männer schleppten ein Kohlebecken den Steuerbordniedergang hinauf. Nicolao Lamego hantierte im Vorschiff noch an einer Culverine und korrigierte den Höhenwinkel des
17 Rohres. Endlich war er mit seiner Arbeit zufrieden und richtete sich auf. „Capitán?" „Du hast Feuererlaubnis nach eigenem Ermessen", sagte de Xira. „Schieß die Galeere in Grund und Boden." „Ein frommer Wunsch." Hinter Nicolao standen acht Mann bereit, die gezündeten Geschütze zu kühlen, auszuputzen und neu zu laden. Wie viele Kugeln der Stückmeister zum Gegner hinüberbrachte, hing nicht zuletzt von ihrer Schnelligkeit ab. Dröhnend, in einer Wolke von ätzendem Pulverdampf, entlud sich die erste Culverine. Da der Qualm zur Galeere hin abzog, war die Wirkung des Schusses nicht nachzuprüfen. Nicolao Lamego fluchte verhalten. Als erfahrener Stückmeister hatte er aber genau das vorher gewußt und dementsprechend seine Rohre ausgerichtet. Er war überzeugt davon, daß die Kugeln gut im Ziel lagen. Wahrscheinlich kriegten der Sultan von Golkonda und seine überheblichen Kerle das Zittern. Zwischen der zweiten und der dritten Lafette stehend - von der Back aus gerechnet -, zündete Nicolao beide Stücke unmittelbar hintereinander. Der Klang der Pulverexplosionen verschmolz zu einem einzigen ohrenbetäubenden Donnern, das grelle Mündungsfeuer wurde eins mit dem Flackern eines vielfach verzweigten Blitzes, der nahezu lotrecht zwischen beiden Schiffen aus den Wolken niederfuhr und an der Nordseite des Kanals in eine einsam aufragende Palme einschlug. Vorübergehend wurde der mäch-
tige Baum zu einer gespenstisch glühenden Erscheinung. Es sah so aus, als werde er von blauweißem Elmsfeuer umtanzt, doch schon Augenblicke später fiel die Krone gleich einem gekappten Mast. Die Palme wurde zur weithin sichtbaren Fackel, die auch der einsetzende Regen nicht löschen konnte. Noch erwiderte niemand auf der „Stern von Indien" das Geschützfeuer, als hätte der Angriff den Sultan und seine Soldaten überrascht. Obwohl die Karavelle schon anluvte, um gegen den Wind aufzukreuzen, wartete Nicolao Lamego an.den beiden letzten Culverinen. Erst kurz bevor das Ziel aus der Visierlinie auswanderten!, senkte er die glimmende Lunte auf die Zündlöcher. Da hatte er endlich durch den verwehenden Qualm hindurch einen Blick auf die Galeere erhascht, die von den Ruderern nahezu auf der Stelle gedreht worden war und nun ihre Steuerbordseite der Bucht zuwandte. Augenblicke später brach ein Steinhagel über die Portugiesen herein. Zehnmal blitzte es auf der „Stern von Indien" auf. Zwei Steinkugeln durchschlugen das achtere Schanzkleid der Karavelle und sorgten für einen Splitterregen. An Backbord stiegen schäumende Fontänen aus dem bislang nur schwach bewegten Wasser der Bucht, und ein weiteres Geschoß stanzte ein Loch in das Besansegel, das daraufhin bis zum Liek einriß. Der Stückmeister erwiderte das Feuer mit den Backbord-Culverinen, doch brachte er wegen des schlechten Winkels keinen Treffer an. Die Einschläge lagen rund dreißig Schritte vor der Galeere.
18 3. Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, hatte dem Sultan versprochen, das Gold zurückzuholen, das sich zur Zeit im Besitz Drawida Shastris und der Portugiesen befand. „In den nächsten vierundzwanzig Stunden haben wir es wieder", hatte er gesagt und hinzugefügt, so wahr er ein Killigrew sei. Das war am Nachmittag gewesen. Sehr viel war seitdem nicht passiert. Bilalama, der Mann, mit dem sich die Zwillinge angefreundet hatten, war unverrichteter Dinge aus dem Dschungel an Bord zurückgekehrt. Er hatte den geflüchteten Istaran Nawab verfolgt, ihn aber nicht eingeholt. Daß er, obwohl bis vor Stunden noch Rudersklave, aus freiem Willen zur Galeere zurückgeschwommen war, hatte der Sultan ohne sichtbare Regung akzeptiert. Bilalama war ein Mann mit guter Ausbildung und ebensolchen Umgangsformen. Die Zwillinge hatten von Anfang an nicht verstanden, daß ausgerechnet er dazu verurteilt sein sollte, sein Leben auf den harten Ruderbänken der Galeere und in eisernen Ketten zu beschließen. Die Geschichte, die er ihnen erzählt hatte, schien der Wahrheit zu entsprechen. Jedenfalls glaubten sie ihm, und der Sultan war inzwischen zumindest nachdenklich geworden. Istaran war der Anführer der Palastwachen, Bilalama hatte die Reiter befehligt und war für die Elefanten verantwortlich gewesen. Aber wie sooft im Leben hatte sein Gegenspieler mehr Macht und Reichtum angestrebt und viele Männer bestochen,
die später all das, was Istaran selbst getan hatte, Bilalama in die Schuhe schoben und gegen ihn aussagten. Die Lügen der Zeugen hatten bewirkt, daß Bilalama seine Ämter und seine Besitztümer verloren hatte und als Sklave auf die Galeere verbannt worden war. Die ungeheuren Strapazen überlebte keiner sehr lange. Bilalama hatte sich jedoch mit Gleichgültigkeit gewappnet - bis zu jenem Tag, als der Sultan an Bord erschienen war, um Madras anzulaufen. Die Nähe von Istaran Nawab in seinem Gefolge auf dem Schiff hatte Bilalamas Haß von neuem auflodern lassen. Die beiden hatten sich gegenseitig belauert, und als Bilalama endlich zusammen mit den Arwenacks von den Ketten befreit worden war, hatte sich Istaran zu der Torheit hinreißen lassen, ihn vor aller Augen hinterrücks erdolchen zu wollen. Jung Philip hatte den feigen Mordversuch im letzten Moment vereitelt, und Istaran war kurzerhand über Bord gesprungen. Inzwischen war die Nacht hereingebrochen. Die Arwenacks saßen auf dem Oberdeck beieinander und sprachen ihr Vorgehen noch einmal eingehend durch. Viel hing davon ab, sie durften sich keinen Fehlschlag erlauben. Der Sultan wollte das Gold, das sein Vetter Drawida Shastri mit einem Trick an sich gebracht hatte, und er würde den Engländern nur dann verzeihen und ihnen Handelskonzessionen zusichern, wenn sie ihren Fehler ausbügelten. Immerhin hatten sie Shastri den Schatz ausgehändigt, ohne sich zu überzeugen, ob er wirklich der Sultan
19 von Golkonda war. Shastris Auftreten mit einer prächtigen Elefantenkarawane hatte niemanden daran zweifeln lassen, er sei der richtige Sultan. Gerade die Arwenacks traf diese Leichtgläubigkeit hart, waren sie doch sonst diejenigen, die andere auf ähnliche Weise hinters Licht führten. Zuletzt hatten sie im Atlantik den Spaniern einen Konvoi von Schatzschiffen aus der Neuen Welt abgenommen und nach London entführt, indem sie sich selbst als Spanier ausgaben. Aber was Drawida betraf, hatten sie tatsächlich den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Die Arwenacks stärkten sich. Sie hatten ein reichliches und wohlschmeckendes Abendessen erhalten, eine „Henkersmahlzeit", wie Edwin Carberry maulte, was ihn jedoch keineswegs davon abhielt, kräftig zuzulangen. „Für den Rest meines Lebens jeden Tag drei solche Mahlzeiten, und der Sultan könnte mich überreden, seiner Leibwache beizutreten." Er leckte sich alle zehn Finger ab. „Das sind ja ganz neue Töne", stellte der Kutscher unumwunden fest. „Du solltest froh sein, Ed, daß Mac in Madras zurückgeblieben ist. Die Bemerkung würde er dir irgendwann heimzahlen." „Und du?" „Ich werd's ihm nicht sagen." Carberry winkte ab. „Du weißt genau, was ich meine, mein Freund. Also stell dich nicht dümmer..." „Keinen Streit!" mahnte der Seewolf. „Überschüssige Kräfte dürft ihr an den Portugiesen abreagieren. Ich denke, daß wir sie bald am Hals haben."
„Wie das?" fragte der Profos verblüfft. „Sie haben soeben die Hecklaterne gelöscht. Gibt es ein besseres Zeichen, daß sie uns zuvorkommen wollen?" „Hast recht, Sir." Carberry kratzte sich verlegen den Hinterkopf. „Die Rübenschweine wollen uns tatsächlich angreifen. Na, die sollen was erleben." Hasard wandte sich an Bilalama: „Sag Rameshand Bescheid, mein Freund. Shastri und die Portugiesen versuchen einen Ausbruch.". Rameshand war der Kapitän der Galeere. Er warf nur einen forschenden Blick in die Bucht und ordnete Gefechtsbereitschaft an. Nahezu alle Geschützmannschaften wurden von Arwenacks verstärkt, die, wo es sprachliche Barrieren gab, den Indern zumindest zeigten, wie sie die verschiedenen Kaliber laden und ausrichten mußten. Denn daß der bunt zusammengewürfelte Haufen Leibgardisten des Sultans den gut gedrillten portugiesischen Geschützmannschaften in jeder Hinsicht unterlegen war, lag auf der Hand. Dan O'Flynn, Don Juan de Alcazar und Hasard ließen unterdessen die Bucht nicht aus den Augen. Im flakkernden Widerschein des Wetterleuchtens erkannten sie, daß auf der Karavelle Segel gesetzt wurden. „Die haben die elf Tonnen Gold und Silber noch nicht entladen", sagte Don Juan. „Ich hätte nicht geglaubt, daß sie unter diesen Umständen die Flucht versuchen. Schließlich müssen sie wissen, daß die ,Stern von Indien' schneller und wendiger ist."
20 „Wie würdest du an ihrer Stelle handeln?" stellte Dan O'Flynn die Gegenfrage. Don Juan wurde der sicher nicht einfachen Antwort enthoben, denn der Sultan erschien endlich an Deck. Bei Anbruch der Nacht war der Baldachin auf dem Achterdeck von eifrigen Dienern zusammengerollt worden, aber die mit Stoff bespannten Stühle standen noch da. Ächzend ließ sich der Sultan auf einen der Stühle sinken und streckte die Beine aus und verschränkte die Hände vor dem Bauch. Abwartend musterte er den Seewolf. Er sagte nichts und blickte Hasard nur forschend an. Der Kapitän der Arwenacks hielt dem durchdringenden Blick mühelos stand und erwiderte ihn sogar. Für ihn gab es keinen Grund, vor dem Inder zu Kreuze zu kriechen. „Der Dreimaster versucht zu fliehen?" fragte der Sultan schließlich, ungehalten, wie es den Anschein hatte. Hasards Schulterzucken veranlaßte ihn, irritiert die Brauen hochzuziehen. „Was denn?" „Die Portugiesen werden ihr weiteres Vorgehen an unserer Schnelligkeit ausrichten. Letztlich bedeutet das, sie nehmen uns unter Feuer." Wie zur Bestätigung des Gesagten blitzte in der Dunkelheit das Mündungsfeuer einer Kanone auf. Eine Vollkugel orgelte heran und zauberte fünf Schritte vor dem Bug der Galeere eine Fontäne aus der See. Zwei weitere Schüsse folgten. Von den vorderen Riemen an Backbord erklang ein Splittern, die andere Ku-
gel richtete auf der Back Schäden an und zerspellte Schanzkleid und Balustade. „Rameshand!" rief der Sultan erregt. „Warum schießen wir nicht zurück? Dreißig Stockhiebe, falls unser Meister aller Geschütze auf der faulen Haut liegt!" „Die Männer an den Kanonen haben den Befehl, noch zu warten", sagte der Kapitän der Galeere, wobei er sich ehrfürchtig verbeugte. „Befehl?" Der Sultan reagierte überaus verblüfft. „Ich habe keinen solchen Befehl gegeben." „Sir Hasard..." Der Sultan hörte schon nicht mehr hin. Schnaubend wandte er sich dem Seewolf zu. „Mir scheint, dein Kopf sitzt sehr locker auf den Schultern, Engländer. Wenn du ihn verlieren willst, mach nur so weiter." Der Seewolf zeigte sich unbeeindruckt. „Meine Anordnung erfolgte zum Besten des Schiffes und deiner Mannschaft." Jäh sprang der Sultan auf, stemmte die Fäuste in die Hüfte und rief über Deck: „Die Ruderer sollen beidrehen! Wir feuern eine Breitseite in die Bucht!" An Hasard gewandt, fuhr er wütend fort: „Ich habe dich und deine Männer nicht von den Ketten befreien lassen, damit du übermütig wirst. Solange sich das Gold für Akbar nicht in meinem Besitz befindet, hast du nichts zu sagen, oder du verlierst für deine Frechheiten die Zunge." Der Seewolf wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch der Gesichtsausdruck des Inders warnte ihn. Also schwieg er lieber, wenngleich das Ma-
21 növer der „Stern von Indien" unter den gegebenen Umständen als Riesendummheit zu bezeichnen war. Bislang hatte die Galeere den portugiesischen Kanonieren nur die schmale Bugansicht dargeboten, aber sobald sie ihre Breitseite der Bucht zuwandte, würde die Trefferanzahl ungleich höher werden. Es dauerte in der Tat nur wenige Augenblicke, bis auf der Karavelle die fünfte und sechste Culverine gezündet wurden. Beide Geschosse schlugen ins Oberdeck der Galeere ein. Im Vorschiff wurden zwei Männer von umherfliegenden armlangen Holzsplittern getroffen und schwer verwundet, achtern kappte eine Kugel zwei Pfosten des Baldachins. Der Sultan konnte von Glück sprechen, daß er nicht getroffen wurde. Erst war er so bleich wie eine frisch gekalkte Wand, dann lief er puterrot an und befahl, zurückzuschießen. Den Seewolf anzusehen, vermied er geflissentlich. Die „Stern von Indien" erbebte unter dem unregelmäßigen Abschuß von zehn Geschützen. * „Die Segel weg, verdammt, beeilt euch gefälligst! Fallen Anker!" Die Karavelle hatte ihren alten Liegeplatz vor der Bachmündung wieder erreicht. Momentan war sie durch die Dünen und das dichte Buschwerk der direkten Beobachtung von der Galeere aus entzogen. Kapitän de Xira ließ die Laternen wieder an Deck holen und nach Schäden suchen. Die Zimmerleute begannen mit dem Ausbessern des Schanzkleids,
das Besansegel wurde abgeschlagen und durch neues Tuch ersetzt. Es war wieder ruhig geworden. Nur das Gewitter hielt an. Offenbar dachte der Sultan von Golkonda nicht daran, den Portugiesen zu folgen. Da die Karavelle die Bucht nur durch den schmalen Kanal verlassen konnte, hatte er alle Zeit der Welt auf seiner Seite. De Xira verharrte eine Stunde lang regungslos auf dem Achterdeck. Inzwischen war er überzeugt, daß Drawida Shastris Mission gescheitert war, andernfalls hätte der Inder längst ein Zeichen gegeben oder die Galeere in die Bucht rudern lassen. „Elf Tonnen Gold und Silber warten auf uns", sagte Alvaro Belmonte unvermittelt. „Wenn dieses verdammte Prunkschiff nicht wäre, hätten wir für immer ausgesorgt." „Du willst Drawida betrügen?" fragte der Kapitän überrascht. Der Erste zeigte eine geringschätzige Geste. „Wenn es für uns von Vorteil ist", erwiderte er. „Außerdem, scheint mir, war ihm wenig Erfolg beschieden. Die Galeere sollte längst in seiner Hand sein." „Angenommen, Drawida Shastri und seine Männer sind tot", de Xira sagte das nicht ohne Genugtuung, „dann haben wir nur noch den Sultan gegen uns." „Auf was warten wir?" „Auf einen genialen Einfall. Im Morgengrauen werden die Elefanten zurückkehren, um den Schatz zu übernehmen, falls der Sultan nicht vorher handelt. Wir müssen also in den nächsten Stunden einen Weg finden, wie wir den Indem gefahrlos entwischen können."
22 „Oder wie wir sie schnell loswerden." Alvaro Belmonte sagte das leichthin. Der Kapitän kannte ihn jedoch gut genug, um zu wissen, daß der Erste nicht einfach nur daherredete, ohne vorher ausgiebig nachgedacht zu haben. In dem Fall bedeutete es wohl, daß er einen brauchbaren Vorschlag hatte, gegen die „Stern von Indien" vorzugehen. „Heraus mit der Sprache!" forderte de Xira den Ersten Offizier auf. „Was alle betrifft, sollen auch alle hören." „Wir müssen eins der Boote opfern." „Ein Brander?" Der Kapitän schüttelte den Kopf. „Das klappt nicht. Die Galeere ist zu wendig. Bis das brennende Boot aufläuft, verholen die Inder sonstwohin. Und den Schutz der Nacht können wir ohnehin nicht ausnutzen." „Natürlich können wir", widersprach Belmonte heftig. „Bis die Inder mitkriegen, was gespielt wird, ist es für ihr schönes Schiff längst zu spät, weil wir die Jolle bis zum Dollbord mit Pulverfässern vollstopfen. Die Heiden werden eine Himmelfahrt erleben, daß es nur so kracht." „Nicht dumm." De Xira nickte zufrieden. „Wenn das klappt, sind wir mit einem Schlag alle Sorgen los und wenn nicht, konnten wir den Inder vielleicht Respekt einflößen." Belmonte zeigte sich zuversichtlich, dabei war gerade er eher weniger wagemutig als de Xira. Aber elf Tonnen Gold und Silber bedeuteten auch für ihn ein ausreichendes Motiv. Dafür hätte er, wenn es sein mußte, sein Innerstes nach außen gekrempelt. Die Männer auf der „Cabo Mon-
dego" arbeiteten schnell und zielstrebig. Von der Pulverkammer im Achterschiff zur Kuhl bildeten sie eine Kette und reichten Fäßchen um Fäßchen sowie einige Dutzend Leinenkartuschen nach oben. Die kleinere der beiden Jollen wurde bis dicht unters Dollbord mit Pulver vollgeladen. Als Schutz vor Spritzwasser verzurrten die Männer mehrere Persennings. Nur die mittlere Ruderducht blieb frei. Zwei Decksleute übernahmen die Aufgabe, das Boot durch die Passage und die Brandung zur Galeere zu pullen. Ihnen blieb, nachdem sie mehrere Lunten angesteckt hatten, Zeit genug, über Bord zu springen und sich schwimmend in Sicherheit zu bringen. Die Explosion der Jolle sollte den Rumpf der „Stern von Indien" aufreißen und das Prunkschiff auf Tiefe schicken. „Versucht, so nahe wie möglich an die Galeere ranzukommen!" schärfte der Kapitän den Männern ein. „Alles hängt also von euch ab, denn einen zweiten Versuch werden wir mit Sicherheit nicht haben." Das Boot wurde abgefiert. Es lag tief im Wasser, doch die Gefahr, daß es vollschlagen oder kentern könnte, bestand noch nicht. Wenn die Rudergasten einiges Geschick bewiesen, war die Brandungswelle mühelos zu meistern. Die beiden Decksleute, die de Xira ausgewählt hatte, verstanden es, die Riemen zu handhaben. Inzwischen tobte das Gewitter über der Bucht. Blitze erhellten wie Blendlaternen jeweüs für Bruchteile eines Augenblicks die Szenerie, und der nicht enden wollende Donner verschluckte jedes andere Geräusch.
23 warte auf eine bessere Gelegenheit, zuzuschlagen." Die Karavelle lag wieder vor Anker. Für Luis de Xira und seine Mannschaft würde die Nacht noch sehr lang werden, da sie ständig mit einem Angriff des Sultans rechnen mußten. Shastri beneidete sie gewiß nicht um das zermürbende Warten. Irgendwann, vermutlich in den frühen Morgenstunden, würden ihnen vor Müdigkeit und Erschöpfung die Augen zufallen. Drawida Shastri bedachte die Karavelle mit einem letzten bedauernden Blick, bevor er das Kommando zum Aufbruch gab. Der Regen fiel gleichmäßig, die Sicht reichte trotz der unablässig übers Firmament zuckenden Blitze nicht sehr weit. Auf den eigenen Spuren gingen die Inder entlang des Südufers der Bucht * zurück zu der sumpfigen Bachmündung, wo die Elefanten nach Südwe„Sie haben keine Chance", sagte sten verschwunden waren. WahrDrawida Shastri im Brustton der scheinlich lagerten die Tiere und ihre Überzeugung. „Die Cabo Mondego' Treiber in der Nähe des Baches. Wähwird niemals an der Galeere vorbei rend der Nacht konnten sie ohnehin das freie Meer erreichen." nichts unternehmen. Die Frage stellte „Das heißt, du gibst das Gold end- sich, ob die Mahouts überhaupt noch gültig auf?" fragte Nahinda. einmal das Risiko eingingen, sich von Der Vetter des Sultans von Gol- der Galeere aus beschießen zu lassen. konda schüttelte den Kopf. „Du soll- Wenn die Tiere erneut in Panik gerietest wissen, daß ich nicht freiwillig ten, war das wohl das Schlechteste, verzichte - ich müßte schon Ketten was geschehen konnte. an Händen und Füßen haben oder das Drawida Shastri verfügte über 27 Richtschwert im Nacken spüren." Mann, bei den Elefanten warteten „Warum greifen wir dann nicht an weitere Krieger. Er traute sich zu, und unterstützen die Portugiesen?" noch einmal in das Geschehen einzu„Weil ich es für taktisch klüger greifen - zu einem Zeitpunkt allerhalte, vorübergehend das Feld zu räu- dings, da niemand mehr mit ihm men. Sollen sich unsere 'Freunde' ru- rechnen würde. hig gegenseitig ans Leder gehen, da„Die Rache ist mein..." Daß er unbei können wir nur gewinnen. Ich willkürlich laut geredet hatte, wurde Böig peitschten Regenschauer von Westen heran, aber noch war die Nässe erträglich. Allerdings sah es so aus, als würde ein heftiger Wolkenbruch nicht mehr lange auf sich warten lassen. Der bevorstehende sintflutartige Regen hätte das Vorhaben kaum erleichtert, und was der Sultan plante, darüber konnte de Xira nur Vermutungen anstellen. Vielleicht wurde auf der „Stern von Indien" just in dem Augenblick der Entschluß gefaßt, in die Bucht einzulaufen und die Karavelle anzugreifen. „Zum Teufel mit dem Sultan und seinem Pack", sagte Kapitän Luis de Xira und ballte die Hände zu Fäusten. „Wir haben den Schatz, und wir behalten ihn."
24 ihm erst bewußt, als Nahinda verwirrt nach seinen Absichten fragte. „Du wirst es erfahren, sobald die Zeit da ist", antwortete Shastri schroff. „Vorerst genügt, daß ich allein meine Pläne kenne. Wer nichts weiß, kann nichts verraten." Nahinda wollte protestieren, doch Shastri schnitt ihm mit einer herrischen Handbewegung das Wort ab. Der Boden wurde morastig. Schmale, schlammige Rinnsale mündeten in die Bucht, Schilf und mannshohe Gräser waren die beherrschenden Pflanzen. Kleinere Wasserläufe versickerten im Boden, andere plätscherten munter dahin. Ein stickiger Modergeruch lag in der Luft, während des Regens wahrscheinlich noch deutlicher wahrzunehmen als sonst. Rund hundert Schritte vom Ufer entfernt, wurde der Untergrund trügerisch. Die Inder bewegten sich hintereinander und mit der gebotenen Vorsicht. Weiter westlich gab es wieder festeren Boden, dort waren die Elefanten zum Wasser getrieben worden. Die Nacht und der grelle, blendende Widerschein der Blitze ließen das Gelände doppelt tückisch erscheinen. Alles wirkte wie in unablässiger Bewegung begriffen, schlammige Blasen stiegen aus der Tiefe des Bodens, zerplatzten mit sattem Geräusch und setzten Gerüche wie von faulenden Eiern frei. Einen sicheren Weg zu finden, fiel schwer. Auf Shastris Weisung übernahm Nahinda die Führung. Zweimal mußte er umkehren und nach einem neuen Pfad suchen, weil vor ihm brackige Wasserflächen schimmer-
ten, die nur auf den ersten Blick festen Boden ähnelten. Sobald er Äste, Dreck oder eine Handvoll Steine hineinwarf, liefen Wellen konzentrisch auseinander. Vermutlich wäre es einfacher gewesen, das Bachdelta im Süden zu umgehen, aber daran hatte vorher niemand gedacht, abgesehen davon, daß Shastri die Karavelle im Auge behalten wollte, soweit dies eben möglich war. Als der Regen stärker wurde und der Trupp plötzlich mitten im Sumpf auf einer schwankenden Scholle stand, war es für Selbstvorwürfe zu spät. Das Gewitter gewann noch einmal an Heftigkeit, nachdem es eben erst so ausgesehen hatte, als würde das Unwetter abflauen. Ringsum zuckten die Blitze in ununterbrochener Folge, und die Schatten, die das grelle, nahezu weiße Licht zeichnete, sprangen wild hin und her. Wasserschlangen flohen vor den Eindringlingen. Nicht sehr weit entfernt trompetete ein Elefant, doch zu sehen war keiner der grauen Riesen. Urplötzlich geschah, was abzusehen gewesen war. Das Stück scheinbar festen Bodens, das Nahinda betreten hatte, sackte unter ihm weg so schnell, daß ihm keine Zeit blieb, zu reagieren. Jäh stand er bis über die Knie in einer blubbernden, stinkenden, zähflüssigen Masse, die sich gierig um seine Beine schloß und ihn tiefer sacken ließ. Die beiden Männer, die Nahinda dicht gefolgt waren, mußten zurückweichen, wollten sie nicht ebenfalls von der in Bewegung geratenen Masse verschluckt werden. Vergeblich streckten sie ihm noch die Arme
25 hin, zwischen seinen Händen und ih- ter nahm er alles viel deutlicher wahr. Jedes noch so leise Geräusch ren fehlten höchstens zwei Ellen. Die Anstrengung ließ Nahinda wei- dröhnte in seinen Ohren wie Donnerter absinken. Schmatzend umfloß der hall, und jeder Blitz wurde zur Sonnenglut, die ihn zu verbrennen Moorboden seine Hüfte. „Schafft Äste nach vorn!" rief je- drohte. Widerliche Laufkäfer kletterten an mand. „Alles was aufzutreiben ist!" seinen Armen hoch und tasteten mit Einer eisernen Fessel gleich umihren Freßwerkzeugen nach seinem schloß der Schlamm Nahindas Leib. Gesicht. Vergeblich versuchte NaEr fror und schwitzte abwechselnd, hinda, sie mit heftigen Kopf bewegunund die Furcht, jämmerlich in der Masse zu ersticken, überlagerte alle gen abzuschütteln. Er erreichte damit nur, daß die Übelkeit schneller von anderen Gedanken. ihm Besitz ergriff. Aschadhara, ein hagerer, nur aus Haut und Knochen bestehender Kerl, „Wir haben einen stärkeren Ast!" schob ihm einen Ast zu. Aschadhara, rief Aschadhara. „Halte aus!" selbst ein Fliegengewicht, konnte sich Nahinda erschrak. Sein Kopf war auf dem unsicheren Boden weiter nach vorn gesunken und berührte die nach vorn wagen als die anderen. zähflüssige Masse, die ihm bis unter Nahinda spürte die tödliche Fessel die Achseln reichte. In wenigen Auinzwischen schon an seinen Rippen. genblicken würde er nicht mal mehr „Du schaffst es", raunte Aschad- die Arme bewegen können, dann war hara. „Nur noch ein paar Fingerbreit, er endgültig zum Ersticken oder Erdann hast du den Ast." trinken verurteilt, das eine nicht besNahinda dachte an den Tod. Der ser als das andere. stinkende Schlamm, vom Regen auf„Na, los doch, greif zu! Oder willst gewühlt, spritzte ihm ins Gesicht und du nicht gerettet werden?" verursachte ein unangenehmes JukAschadhara schob ihm das knorken auf der Haut. rige Holz zwischen die Finger. InAuf einmal spürte er das Holz zwi- stinktiv klammerte sich Nahinda schen den Fingern und klammerte fest. Er hatte jegliches Zeitgefühl versich daran fest. Mit der anderen Rand loren und spürte nur, wie die zähe versuchte er, sich abzustoßen. Masse langsam zurückwich und ihm „Gut so", lobte Aschadhara. „Du das Atmen wieder leichterfiel. Selbst schaffst es." konnte er nichts anderes tun, als sich Tatsächlich löste sich der mörde- festzuhalten und Schiwa anzurufen. rische Druck, der schon um Nahindas Endlich spürte er wieder festen BoBrustkorb lag. Doch der Sumpf den, feuchtes Gras und Moos unter wollte sein Opfer nicht freigeben. sich. Gierig sog er die Luft in seine Gräßlich knackend, zerbrach der Ast. gequälten Lungen. Augenblicke später war ein schmetAschadhara rief etwas nach hinten, was Nahinda nicht verstand, weil das ternder Donnerschlag zu vernehmen, Blut wie ein Wasserfall durch seine lauter als alles zuvor. Schläfen rauschte. Augenblicke späIm Osten, gut eine halbe Meile hin-
26 „Papperlapapp", unterbrach der Profos schroff. Aber was so ein richtiger dickschädeliger Ire war wie O'Higgins, der ließ sich davon nicht aus der Fassung bringen. „... nach dem Gesetz des Zufalls kann niemand immer nur Glück haben", erklärte er unumwunden. „Irgendwann gibt es eben den ersten Reinfall." „Oh, natürlich." Carberry hob die Stimme. „Wir werden regelrecht vom Glück verfolgt, seit wir in London abgelegt haben. Soll ich dir aufzählen, Mann, was auf der Reise alles los war?" Er übersah Higgys Kopf schütteln geflissentlich und begann, die einzelnen Stationen an den Fingern abzuzählen: „Begonnen hat unser Unglück schon damit, daß kein Mensch vor Plymouth Anker werfen und un4. serem guten alten Freund Nathaniel Plymson einen Höflichkeitsbesuch Die Arwenacks bereiteten sich darabstatten wollte. Dabei wäre das auf vor, elf Tonnen Gold und Silber zurückzuerobern. Daß es nicht ein- doch das Mindeste gewesen..." fach sein würde, war jedem klar, aber O'Higgins räusperte sich gequält. was den Erfolg ihrer Mission betraf, Abgesehen davon, daß Edwin Carzeigten sie sich zuversichtlich. berry höchst selten derart lange Re„Wir können unsere gute alte Lissy den schwang, wie es jetzt den Annicht schmählich im Stich lassen", schein hatte, verdrehte er die Tatsagte der Profos inbrünstig. „Sie sache auf höchst eigenwillige Weise. würde uns nie verzeihen, sollten aus- Schließlich hatten die Arwenacks gerechnet wir die geplanten Handels- Plymsons Kneipe den üblichen Bebeziehungen mit Indien vermasseln." such abgestattet und wieder einmal „Inder sind keine Spanier", be- sehr viel Kleinholz zurückgelassen. „... meine Herzkrankheit hätte merkte Mac O'Higgins treffend, was ihm einen erstaunten Augenauf- eine ernste Warnung sein sollen. Wer schlag des Profosen eintrug. kann sich schon einen Profos mit kalputtem Herzen vorstellen?" „Was soll das heißen, was, wie?" fragte Carberry. „Mit den Dons sind „Soll höchst ungesund sein", murwir bislang immer fertiggeworden." melte Ferris Tucker. Einige der Um„Eben", sagte Higgy. „Nach dem stehenden lachten verhalten. Immer Gesetz des Zufalls..." mehr Männer wurden darauf aufter dem Trupp, raste eine Glutsäule in den Himmel. Nahindas Benommenheit war wie weggewischt - trotz aller Schwäche konnte er einen Blitzschlag recht gut von einer Explosion unterscheiden. „Die Karavelle?" fragte jemand. Doch die Explosion hatte sich mit einiger Wahrscheinlichkeit außerhalb der Passage ereignet. „Falls es die ,Stern von Indien' erwischt hat, sind wir ab sofort reiche Leute!" jubelte Aschadhara. „Was wollen wir mehr?" „Wahrlich ein verlockender Gedanke", erwiderte Drawida Shastri. „Die Gewißheit, daß es den Sultan oder sein Schiff erwischt hat, wäre mir einiges wert."
28 merksam, daß Carberry mit dem Eifer eines Fischverkäufers seinen Monolog hielt. „Danach die Sache mit Old Donegal und den Zwillingen - sie hätten im Sturm absaufen können. Oder stellt euch vor, sie hätten gemeinsam von der giftigen Fischleber gegessen, oder die Strömung hätte sie nicht nach Ascension getrieben. Jämmerlich verdurstet wären sie." Der Profos schüttelte sich. „Ein gräßlicher Tod - besonders für Old Donegal." „Was du erzählst, wissen wir alle", sagte Paddy Rogers gelangweilt. „Wir waren schließlich dabei." „Laß Ed doch ausreden", schimpfte Batuti. „Er erzählt so schön. Ich könnte ihm stundenlang zuhören." Einige Männer murrten, andere, die den Wink mit der Spiere verstanden hatten, grinsten anzüglich. Nur der Profos achtete nicht darauf. „Higgy spricht von einem ersten Reinfall. Wenn ihr mich fragt, die hatten wir in den letzten Monaten dutzendweise. Es wird Zeit, daß sich endlich einiges für uns bessert." Al Conroy, der Stückmeister der Arwenacks, fuhr genau da fort, wo der Profos aufgehört hatte. Carberry hatte mit dem Aufzählen am linken Daumen begonnen und war bis zum Mittelfinger gelangt - Al begann beim Ringfinger, den er demonstrativ in die Höhe reckte. „Old Donegal und die Zwillinge sind trotz ihres Mißgeschicks nach Indien gelangt und haben zu uns aufgeschlossen. In Surat..." „In Surat hätte alles zu Ende sein können. Wenn ich nur daran denke, wie übel uns der Stinkstiefel Ruthland mitgespielt hat. Und dann auch
noch César Garcia mit seiner ,Aguila'! Alles Lumpenpack scheint sich vor der indischen Westküste zu einem Stelldichein versammelt zu haben, das geht mit der ,Respectable' weiter und endet bei Drawida Shastri, dem falschen Sultan." Der Seewolf, der sich bislang im Hintergrund gehalten und lediglich amüsiert zugehört hatte, hob beschwichtigend die Arme. Immerhin waren die Arwenacks drauf und dran, Partei zu ergreifen. Die einen für Carberry, die anderen für Mac O'Higgins. Letztlich ging der Streit um des Kaisers Bart. „Man kann alles von zwei Seiten sehen", sagte der Seewolf mahnend. „Nur sollten dabei nicht Ursachen und Wirkung verwechselt werden." „Bitte was?" fragte der Profos. „Ursache und Wirkung", erwiderte Hasard nachsichtig. „Das ist ungefähr so, als würdest du ein Schiff vom Kiel aus auftakeln." „Wer versucht schon so einen Blödsinn?" „Nun ja", bemerkte Ferris Tucker, jedoch nicht so leise, daß es Carberry überhört hätte. „Wenn du Holzbohrwurm gleich außenbords im Wasser zappelst, spürst du etliche Wirkungen: dann wirst du nämlich naß und sauber zugleich und irgendwann runzlig. Es gibt auch mehrere Ursachen dafür, angefangen damit, daß du mich gereizt hast bis hin zu der Tatsache, daß ich zugeschlagen habe." „Löst du auf diese Weise alle deine Probleme, Ed?" „Ich habe keine." Selbstgefällig rieb sich der Profos die Pratzen.
29 „Das eben klang anders", sagte Hasard. „Ich habe nur eine Aufzählung aller wichtigen Ereignisse versucht, Sir, und ich wollte Higgy verklaren, daß wir gegen eine anhaltende Pechsträhne ankämpfen müssen. Ist es nicht so?" „Wir waren schon schlechter dran." Der Seewolf schwang sich auf eine Luke und ließ seinen Blick über die versammelten Arwenacks schweifen. Lediglich fünf Mann fehlten, die in Madras auf der Schebecke zurückgeblieben waren: Mac Pellew, der Zweitkoch, Big Old Shane, der frühere Schmied von Arwenack, Old Donegal Daniel O'Flynn, Will Thorne, der Segelmacher, und Clinton Wingfield, der neue Moses an Bord. Vorübergehend peitschte der Regen heftiger heran. Die Männer, die ohnehin längst keinen trockenen Faden mehr am Leib hatten, störte das nicht weiter. Der Regen war warm, und sie fühlten sich wie in einem der öffentlichen Londoner Badehäuser, die in den wenigen Jahren ihres Bestehens einen regen Zuspruch verzeichneten. Die Schiffsplanken waren noch aufgeheizt von der Hitze des Tages, und ein Großteil des Wassers verdampfte und trieb in Dunstschleiern über Deck. Das Gewitter tobte sich über der Küste aus. Hasard hatte jedoch den Eindruck, daß die Blitze nicht mehr so dicht aus dem wolkenverhangenen Himmel niederfuhren wie noch vor einer halben Stunde. „Wir bilden zwei Gruppen", sagte er übergangslos. „Die einen gehen von Bord, bevor die Galeere den Kanal durchquert, und versuchen, die
Karavelle von Land her zu entern, die anderen bleiben auf der ,Stern von Indien' und koordinieren den Angriff. Al, dein Platz ist selbstverständlich an Bord, bei den Geschützen. Dan und die Zwillinge helfen dir, außerdem will ich Batuti als Bogenschützen, Luke Morgan und Gary Andrews als zweite Angriffswelle sehen. Ihr führt die Inder an. Noch Fragen?" „Solange Al oder die Zwillinge an den Kanonen stehen, laufe ich nicht gern durch die Visierlinie, und sei es nur aus Versehen." Mit dem Einwand hatte Blacky die Lacher auf seiner Seite. Aber er war noch nicht fertig. „Im Gegensatz zu den Indern treffen die drei", sagte er. „Wir feuern zwei Breitseiten auf die Decks der Karavelle", erklärte der Stückmeister, „danach ziele ich nur noch auf den Rumpf. Wenn du aufenterst, solltest du das zweckmäßigerweise in Feuerlee tun." „Sehr sinnig", bemerkte Blacky. „Auf die Idee wäre ich von selbst nie gekommen." * „Da ist etwas!" rief Dan O'Flynn in die Pause zwischen zwei Donnerschlägen. „Recht voraus!" Um von den Blitzen nicht geblendet zu werden, hielt er die Augen mit der rechten Hand beschattet. Mit der Linken deutete er in die angegebene Richtung. „Ich sehe nichts", bemerkte Philip junior. „Vielleicht Treibgut", sagte sein Zwillingsbruder. „Ein Boot", entgegnete Dan.
30 Ein neuer, vielfach verästelter Blitz zerriß die Nacht. Obwohl die Zwillinge konzentriert aufs Wasser starrten, sahen sie herzlich wenig. „Es ist eine Jolle", bekräftigte Dan O'Flynn. „Nicht sehr groß, aber sie treibt eindeutig vor dem Wind durch die Passage." Er hatte die schärfsten Augen der Arwenacks. Wenn andere schon den Kieker benutzten, brauchte er die Augen nur ein bißchen zusammenzukneifen. „Das können nur die Portugiesen sein, diese Rübenschweine", sagte der Profos. „Die glauben, sie könnten uns bei dem Wetter eins überziehen." „Mal ehrlich, Ed, würdest du nicht auf denselben Gedanken verfallen?" frage Al Conroy. „Wie viele von den Halunken sind es?" wollte der Profos wissen, ohne darauf einzugehen. Dan O'Flynn zuckte mit den Schultern. „Besonders groß ist das Boot nicht", erwiderte er. „Siehst du sie, oder siehst du sie nicht, Junge?" fragte Ferris Tucker. „Immerhin ist es ein Unterschied, ob wir uns sechs von den Halunken teilen müssen oder zehn und mehr." „Wer spricht von teilen?" ereiferte sich der Profos. „Es genügt, wenn ich mir die Kerle zur Brust nehme." „Egoist", schimpfte der Schiffszimmermann. „Holzfloh", entgegnete der Profos wenig geistreich. „Warum schlagt ihr euch nicht?" erkundigte sich Dan O'Flynn wie beiläufig. „Wenn ich richtig sehe, sitzen nämlich nur zwei Portugiesen in dem Boot."
„Du täuschst dich", sagte Carberry zuversichtlich. „Das ist unmöglich, töricht und dumm." „Wenn die mit nur zwei Mann angreifen, müssen sie verrückt sein", pflichtete Ferris Tucker bei. „Vielleicht schicken die Portugiesen Unterhändler", sagte Piet Straaten. „Ich meine, es wäre doch immerhin möglich. Sie müssen einsehen, daß sie die Bucht nicht verlassen können." „Als Unterhändler sollten die Kerle eine weiße Fahne bei sich haben", erklärte Dan. „Ich sehe nicht mal ein Boot", maulte Carberry. Wie die anderen starrte er sich schier die Augen aus, erreichte damit aber nur, daß alles was weiter als hundert Yards entfernt war, zu verschwimmen begann. „Paß auf, Mister Profos, vielleicht geht's so besser." Dan packte kurzerhand zu und drehte den mächtigen Schädel mit dem Rammkinn in die genaue Richtung. „Du siehst die beiden Palmen? Gut! Zwei Strich Steuerbord, der fahle Schatten, das ist die Jolle." Carberry stieß ein überraschtes Grunzen aus. „Donnerwetter", entfuhr es ihm. Da schwamm tatsächlich etwas auf dem Wasser. Aber keineswegs hätte er behaupten können, daß es sich um eine Jolle mit zwei Insassen handelte. Von einem treibenden Baumstamm bis hin zum Salzwasserkrokodil wäre alles möglich gewesen. „Zwei Mann", sagte Dan. „Sie pullen jetzt kräftiger und halten genau auf die Galeere zu. Wenn ich das richtig sehe, ist ein Großteil des Bootes mit Persenning abgedeckt."
31 „Vielleicht verstecken sich die anderen Burschen darunter", sagte Carberry hoffnungsvoll. „Warum sollten sie?" erwiderte Matt Davies. „Weil sie uns überraschen wollen." „Für einen Angriff wären sie trotzdem zu wenige." „Zu was dann die Persennings?" „Was weiß ich? Vielleicht wollen sich die beiden in der Brandung keine nassen Füße holen." „Der Gedanke ist gar nicht so dumm", sagte Hasard. „Die Abdekkung schützt vor Spritzwasser. Ich frage euch, was soll da nicht naß werden?" „Musketen", sagte Dan. „Fein gemahlene Holzkohle", erklärte Jung Philip. „Allerdings vermischt mit Salpeter und Schwefel." „Solche Rübenschweine!" entfuhr es dem Profos. „Wir sollten die Kerle samt ihrem Schwarzpulver in die Luft jagen." „Wenn ich mir vorstelle, wie viele Fäßchen da nebeneinander verstaut sind, dürfen wir die Jolle nicht näher als bis auf hundert Yards heranlassen", sagte Al Conroy warnend. „Sonst fliegt uns mit Sicherheit was um die Ohren." „Paß auf, Dan! Ich will wissen, wie sie reagieren." Der Seewolf legte seinen sechschüssigen Radschloßdrehling auf die Jolle an und drückte ab. Zwei Schüsse zerrissen die Pause zwischen zwei Donnerschlägen. Natürlich trafen die Kugeln wegen der zu großen Distanz nicht, doch die beiden Bootsgasten bemerkten das fahle Mündungsfeuer und hörten die Pulverexplosionen.
Statt abzudrehen, legten sie sich noch kräftiger in die Riemen. „Die Burschen wollen was von uns", sagte AIlConroy. „Bei der Jungfräulichkeit meiner Großmutter, das spüre ich in den Knochen." „Hattest du überhaupt eine Großmutter?" fragte der Profos anzüglich. „Vielleicht mehr als du", erwiderte der Stückmeister. Jack Finnegan kicherte anzüglich: „Al meint bestimmt Großväter, anders geht es auch nicht." „Ich meine, wir sollten den Kerlen was aufs Dach geben, bevor sie unangenehm werden", sagte Al Conroy. Carberry nickte zufrieden und rieb sich schon mal vorsorglich die mächtigen Pranken. „Ganz deiner Ansicht", sagte er. „Schwimmen wir raus?" „Ich erledige das auf meine Weise, Mister Carberry." „Was hast du gegen eine freundschaftliche Keilerei, Al?" Der Stückmeister der Arwenacks nahm sich eine der geladenen Kanonen der Steuerbordbatterie vor und scheuchte die indische Bedienungsmannschaft mit herrischen Handbewegungen zur Seite. Routinemäßig überzeugte er sich davon, daß der Zündkanal mit feinem Pulver gefüllt und die Ladung gut verdämmt war. „Das sind Portugiesen, Ed", sagte er. „Wenn die auf die Idee verfallen, uns in den Himmel zu schicken, brauchen sie nur einen Schuß ins Pulver abzugeben." „Dann schmoren sie aber selbst im Jenseits." „Das tun sie vermutlich ohnehin bald."
32 Carberry verzog sein Rammkinn zu einem furchteinflößenden Grinsen. „Wenn du schon mit dem Kanönchen ballern mußt, Al, schick die Kerle nicht zu den Engeln, sondern zu den anderen Burschen, du weißt schon, die mit den Hörnern und dem Bocksfuß." Al Conroy zielte lange. Er nahm dabei in Kauf, daß sich die Jolle um mehr als hundert Yards näherte, doch einen Fehlschuß durfte er sich nicht erlauben. Als er dann die Lunte senkte, war er überzeugt, den richtigen Schußwinkel gefunden zu haben. Die Wirkung war ungeheuerlich. Die vom Abschuß erhitzte Steinkugel rasierte das Dollbord im Bug der Jolle und schlug hinter der ersten Ducht ein. Eine grelle, blendende Feuerlohe raste in die Höhe. Im ersten Moment konnte man glauben, ein Blitz hätte eingeschlagen, doch dann erklang der Donner einer verheerenden Explosion. Das Boot wurde in Gedankenschnelle auseinandergeblasen. Glühende Trümmer fetzten nach allen Seiten davon, etliche prallten gegen den Rumpf der Galeere oder fielen auf die oberen Decks. Im Nu züngelten kleinere Brandherde auf, die jedoch alle sehr schnell mit Decken ausgeschlagen oder mit Salzwasser aus den neben den Geschützen bereitstehenden hölzernen Eimern gelöscht wurden. „Sie haben es versucht", sagte Jack Finnegan kopfschüttelnd. „Diese lausigen Portugiesen wollten uns tatsächlich ins Jenseits befördern. Na ja, so schnell werden sie nicht wieder aufkreuzen."
„Der nächste Zug geht an uns", bemerkte Hasard. An Rameshand, den Kapitän der „Stern von Indien", gewandt, sagte er: „Wir sollten angreifen. Einen besseren Zeitpunkt gibt es nicht." * Kokoka, der Fallensteller und Vogeljäger, verstand immer weniger. Die Inder, von denen er zunächst geglaubt hatte, sie wollten die Galeere des Sultans angreifen, dachten gar nicht daran, sich in Gefahr zu begeben. Sie hatten die fünf Portugiesen, offenbar Männer des Dreimasters, hinterrücks ermordert und zogen sich zurück. Kokoka beschloß, den Männern zu folgen. Er wollte wissen, was gespielt wurde, und der Verdacht, daß es um sehr viel Geld ging, ließ sich nicht von der Hand weisen. Allerdings war ihm der Spatz in der Hand lieber als die Taube auf dem Dach - zumindest, solange er der Taube noch nicht habhaft werden konnte. Deshalb kehrte er erst zu den Dünen zurück, um seine Jagdbeute zu holen. Die kostbaren Vogelbälge durfte er nicht zurücklassen, schon gar nicht das farbenprächtige Gefieder der Paradiesvögel. Ob er sofort aufbrach oder erst in einer Stunde, spielte keine sehr große Rolle. Er wußte, daß er die Spuren der Verfolgten nicht verlieren konnte, schließlich verstand er sich aufs Auffinden von Fährten. Die Explosion im Brandungsgürtel interessierte ihn nicht. Über die Dünen hinweg konnte er ohnehin nur einen Teil der Feuerlohe sehen. Um
33 mehr zu erkennen, hätte er schon näher an den Strand gehen müssen. Doch sein Ziel lag nahezu in der entgegengesetzten Richtung. Er folgte den Indern, weil er herausfinden wollte, was hinter dem undurchschaubaren Geschehen steckte. Kokoka traf während seiner Exkursion durch den Dschungel höchst selten auf Menschen - diesmal war so ziemlich alles anders. Er hatte mehr und schönere Vögel erlegt, als sonst, und er war offensichtlich einem Geheimnis auf der Spur. Die Fremden, die sich entlang der Küsten und inzwischen auch schon im Landesinneren tummelten, brachten die alten Normen in vielerlei Hinsicht durcheinander. Allmählich wurde der Regen lästig. Kokoka hatte zwar die wertvollsten Bälge in wachsgetränkten Leinensäckchen verstaut, doch auch darin litten die Federn. Er hatte längst keinen trockenen Faden mehr am Leib, und das unaufhörliche Flackern der Blitze und das Donnergrollen, gelegentlich durchbrochen vom ohrenbetäubenden Schmettern eines nahen Einschlags, zermürbten ihn. Es war alles andere als angenehm, unter diesen Bedingungen durch das sumpfiger werdende Gelände zu stapfen. Aber spätestens ein bis zwei Stunden nach Mitternacht würde das Gewitter abflauen. Das war während dieser Jahreszeit üblich. Niederschlag fiel hauptsächlich von Oktober bis Dezember, und die aus Nordwesten aufziehenden Regenböen tobten sich überwiegend während der ersten Nachthälfte aus. Kokoka hatte seine Landsleute aus
den Augen verloren, doch das von ihnen niedergetrampelte Gras richtete sich nur langsam wieder auf. Wo Fußspuren zu sehen waren, füllten sie sich mit einer brackigen, übelriechenden braunen Brühe, die aus der Tiefe heraufquoll. Kokoka spürte, daß der Untergrund trügerisch wurde. Ein leichtes Zittern des Bodens verriet ihm, daß die von Wasserläufen unterspülte Erdschicht kaum mehr dicker als eine Elle war. Im Wechsel zwischen flackerndem Lichtschein und Dunkelheit entdeckte er die Stelle, wo Nahinda fast versunken wäre. Nahezu rechtwinklig bogen davor die Spuren ab. Auch Kokoka hielt es inzwischen für sicherer, das Delta im Süden zu umgehen. Der Dreimaster der Portugiesen war im Dunst verschwunden. Wenn sich der Jäger umwandte, konnte er die Umrisse des großen Schiffes nur noch vage erahnen, sobald ein Blitz die träge in der Luft hängenden Nebelschleier aufriß. Das Erdreich, das noch immer die Hitze des vergangenen Tages spüren ließ, dampfte vor Nässe. Es roch nach Lehm, nach Moor und verschiedenen Kräutern, deren teils süßliches Aroma betäubend wirkte. Und überall wimmelte es inzwischen von aufgescheuchtem Getier, das vergeblich vor den Wassermassen zu fliehen versuchte. Wenig später, nachdem Kokoka den äußersten Wasserarm durchwatet hatte, bis über die Hüften in der mittlerweile ebenfalls schlammigen Flut stehend, wurde das Gelände felsiger. Die Inder hatten ihren Weg bachaufwärts fortgesetzt.
34 Kokoka erkannte verschiedene Merkmale wieder - hier eine Baumgruppe, dort eine Fläche verbrannter Vegetation, die wahrscheinlich durch Blitzschlag vor nicht allzu langer Zeit Feuer gefangen hatte. Nach weniger als zweihundert Schritten stieß er auf die Fährte der Elefantenkarawane, die von Süden her zur Bucht führte. Bis hier war er den Dickhäutern und ihren Mahouts schon gefolgt, dann aber zum Strand und den Dünen abgebogen. Vorübergehend verlor er die Fußspuren auf dem festgetrampelten Erdreich. Da er jedoch annahm, daß seine Landsleute nicht zur Bucht zurück wollten, blieb er bei der eingeschlagenen Richtung. In das schier unaufhörliche Grollen des Gewitters mischten sich wieder andere Geräusche: Kanonendonner. Auch ohne zu sehen, was in der Bucht geschah, wußte Kokoka, daß der Dreimaster und die Galeere des Sultans miteinander im Gefecht lagen. Er glaubte sogar, den Klang verschiedener Geschütze herauszuhören. Entweder war die Galeere in die Bucht eingedrungen, oder die Portugiesen versuchten, der Falle zu entrinnen, in der sie gefangen waren. Kokoka ließ sich vorübergehend ablenken. Als er bemerkte, daß die Verfolgten ebenfalls den Kanonendonner gehört hatten und an einer mit Geröll und Sand aufgeschwemmten Biegung des Baches lagerten, lagen die letzten Büsche schon hinter ihm. Zum Glück blickte keiner der Männer in seine Richtung, vielmehr versuchten sie zu erkennen, was in der Bucht geschah. Sofort huschte der Jä-
ger zurück in die Deckung dichten Blattwerks. Unablässig dröhnte das Geschützfeuer. Kokoka ließ sich in die Hocke nieder, lauschte und versuchte herauszufinden, ob Inder oder Portugiesen gewannen. Er hatte beide Schiffe gesehen - die wendige und gut bestückte Galeere des Sultans ebenso wie die plumpere und auf den Wind angewiesene Karavelle, die aber zweifellos über die größeren Geschütze und die besseren Geschützmeister verfügte. Obwohl Kokoka kein Freund kriegerischer Handlungen war, hätte er dem Gefecht gern aus größerer Nähe beigewohnt. Vorherzusagen, wer der Sieger sein würde, hielt er für nahezu unmöglich. Vergeblich versuchte er mehr zu erkennen als nur ein gelegentliches fahles Aufflackern, das ihm den ungefähren Standort der Schiffe verriet. Die Galeere des Sultans war zweifellos in die Bucht eingelaufen und setzte den Portugiesen hart zu. Plötzlich fühlte er sich beobachtet. Ein brennendes Kribbeln im Nacken zwang ihn, sich umzuwenden. Der Mann, der etwa drei Schritte hinter ihm stand und dessen ringgeschmückte Rechte einen Dolch umklammert hielt, gehörte nicht zu den Verfolgten. Kokoka konnte sich jedenfalls nicht entsinnen, ihn zuvor gesehen zu haben. Die herrschaftliche Kleidung, die jetzt allerdings verdreckt war und jede Form verloren hatte, wäre ihm zweifellos aufgefallen. Der Mann musterte ihn starr und ausdruckslos - ungefähr so, wie die
35 Schlange ein Kaninchen anstarrt, bevor sie zuschlägt. Kokoka griff nach dem Haumesser, das in seinem Gürtel steckte. Aber noch während sich seine Finger um den Knauf schlossen, wußte er, daß er zu langsam reagiert hatte. 5. Alle waren bereit. Es gab wohl niemanden an Bord der „Stern von Indien", der dem bevorstehenden Gefecht nicht entgegengefiebert hätte, wenngleich die Motive dafür sehr unterschiedlich waren. Die Arwenacks wollten elf Tonnen Gold und Silber zurückerobern. Der lange Weg von Bombay nach Madras und alle Gefahren, die sie überwund e n hatten, sollten nicht umsonst geIwesen sein. Der Schatz des Maharadschas von Bombay war für den Mogulkaiser Akbar bestimmt, von der Übergabe hingen die erbetenen Handelsbeziehungen für England ab. Bilalama, der ehemals die Reiter des Sultans angeführt hatte und für dessen Elefanten verantwortlich gewesen war, sowie einige andere Inder, denen die Ketten der Rudersklaven abgenommen worden waren, mußten sich rehabilitieren. Dafür waren sie bereit, ihr Leben einzusetzen, denn was sie auf den Ruderbänken unter Deck erwartete, hatten sie mittlerweile zur Genüge ausgekostet. Im Grunde blieb ihnen nur die Wahl zwischen einem schnellen Tod im Kampf oder der anschließenden Freiheit und dem qualvollen Dahinsiechen in der stickigen Enge der Decks, von den Peitschen der Aufseher zu
immer neuen unmenschlichen Leistungen angetrieben. Den Soldaten des Sultans war egal, für was sie kämpften, sie hätten jeden anderen Befehl ihres Herrn ebenso gründlich befolgt. Der Sultan von Golkonda selbst, dem die Nässe an Deck sehr schnell zuwider geworden war, hatte den Baldachin wieder aufbauen lassen und sich unter den Regenschutz zurückgezogen. Da sich der Regen auf der bunt bestickten Plane sammelte, war ein Diener unablässig damit beschäftigt, das Wasser seitlich abzuleiten. Mit einer knappen Handbewegung winkte der Sultan den Kapitän zu sich heran. „Laß langsam Fahrt aufnehmen, Rameshand. Wir laufen in die Bucht ein." Der Kapitän gab den Befehl weiter. Gleich darauf wurde es unter Deck lebendig. Peitschen knallten und ließen unwillkürlich jeden zusammenzucken, der schon einmal auf den Ruderbänken angekettet gewesen war. Kaum hörbar tauchten die Riemenblätter ein. Sie drehten das große Prunkschiff so, daß der Bug mit dem mächtigen Rammsporn auf die Passage zeigte. Dumpfer Trommelschlag bestimmte den Takt, in dem sich die Ruderer bewegten. Noch konnten sie die Riemen bedächtig durchziehen, doch die Schlagzahl steigerte sich, je weiter sich die „Stern von Indien" dem Kanal näherte. Weiter als bis fünfzig Yards gegen den Wind war die Trommel bestimmt nicht zu hören. „Beide Batterien feuerbereit!" mel-
36 dete Al Conroy. „Wehrlos ist das Schiffchen zumindest nicht." Die Karavelle der Portugiesen blieb noch im Dunst und hinter den Regenschleiern verschwunden. Aber das konnte sich jeden Moment ändern. Zuerst tauchten jedoch die Konturen der Büsche beidseits des Kanals aus der Düsternis auf. Philip Hasard Killigrew nickte dem Profos auffordernd zu. Edwin Carberry verzog daraufhin sein Narbengesicht zu einem zustimmenden Grinsen, stemmte die Fäuste in die Seite und rief halblaut über die Kuhl der Galeere zu: „Es ist soweit, Kerls! Wir entern an Backbord ab, und dann zeigen wir den Turbanaffen, wie gut Engländer zu kämpfen verstehen. Wir holen uns zurück, was uns mit Lug und Trug abgenommen wurde." „Für unsere königliche Lissy tun wir alles", pflichtete Pete Ballie bei. Ferris Tucker, der rothaarige Riese, sagte nur ein Wort: „Ar-we-nack!" Begeistert fielen die anderen in den Schlachtruf ein. „Ar-we-nack!" hallte es über das Schiff, leiser jedoch als sonst. Niemand wollte die Portugiesen auf der Dreimast-Karavelle frühzeitig warnen. Rameshand befahl, die Galeere zu stoppen. Augenblicke später wurden die Riemen eingetaucht und gegen die Fahrtrichtung bewegt. Im Nu war die ohnehin nur geringe Geschwindigkeit nahezu aufgezehrt. Die Arwenacks enterten ab - lautlose Schemen, die nach wenigen Schwimmzügen das Ufer erreichten und die niedrige Böschung hinaufkletterten. Dreiundzwanzig zu allem
entschlossene Männer, die den Teufel im Leib hatten. Sie trugen Messer und Schiffshauer, aber etliche auch Pistolen. Des Seewolfs Radschloßdrehling war jedoch die einzige mehrschüssige Feuerwaffe. Auf der Galeere wartete Rameshand, bis die Engländer in der Nacht verschwunden waren. Erst dann ließ er wieder Fahrt aufnehmen. * Lautlos, mit aufgegeiten Segeln und nur von der Muskelkraft der Rudersklaven vorwärts getrieben, glitt die „Stern von Indien" etwas schneller als im Schrittempo in die Bucht. Nebel hing über der sanft gekräuselten Wasserfläche. Er beschränkte die Sicht auf ein Minimum und wurde gelegentlich von einer grell zuckenden Entladung durchbrochen. Gespenstisch hohl war das Rauschen und Glucksen der schwachen Bugwelle zu vernehmen. Auch das Geräusch der eintauchenden Riemen klang anders als sonst. Dan O'Flynn stand auf der Back vor dem Fockmast und starrte sich die Augen aus. Bevor der Nebel aufgezogen war, hatte die Karavelle ihren alten Liegeplatz wieder angelaufen, die Frage war nur, ob sie da tatsächlich noch ankerte. Die Portugiesen konnten ebensogut weiter nach Norden verholt haben und dort mit ausgerannten Geschützen lauern. Aber Hasard ging davon aus, daß dem nicht so war. Dan gab Handzeichen zur Kuhl. Die Zwillinge übersetzten dem Kapitän, und Rameshand erteilte den Auf-
37 sehern Befehle, inzwischen jedoch im Flüsterton. Einem Raubvogel gleich pirschte sich die „Stern von Indien" an ihr Opfer heran. Dan O'Flynn verwarf den Vergleich sofort wieder. Ein Raubvogel segelte mit ausgebreiteten Schwingen, auf der Galeere hing hingegen alles Tuch im Gai. Das Schiff war demnach eher einer Raubkatze zu vergleichen, die auf lautlosen Sohlen anpirschte. Plötzlich hallten Stimmen über das Wasser. Portugiesische Laute! Dan verstand nicht, was sie sagten, doch die Männer mußten schon sehr nahe sein. Warnend hob er die Hand. Auf der Kuhl hatte offenbar noch niemand etwas gehört. Backbord voraus zeichneten sich schemenhaft die Umrisse des Dreimasters ab. Dan gab das Zeichen zum Beidrehen, doch da war es schon zu spät. Die Portugiesen hatten ihrerseits die Galeere entdeckt, und ihre aufgeregten Schreie waren weithin zu vernehmen. Lauthals brüllte Al Conroy zu der Karavelle hinüber: „Der Sultan will nur den Schatz! Gebt ihn heraus, dann wird euch freier Abzug zugesichert!" Die Antwort bestand in einer Reihe wüster Flüche und Verwünschungen. Die Portugiesen wünschten den Sultan in die tiefste Hölle, wo er im eigenen Saft schmoren möge. „Die wollen es nicht anders", sagte Hasard junior. „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied", bemerkte sein Zwillingsbruder.
Al Conroy sagte nichts, er zuckte lediglich mit den Schultern und griff nach einem Luntensack. Langsam schob sich die Silhouette der Karavelle vor die Rohrmündungen der nach Steuerbord abdrehenden „Stern von Indien". Die glimmende Lunte schwebte eine Handbreite über dem Zündloch, bis der Stückmeister der Arwenacks endlich mit dem Ziel in der Verlängerung des Zündlochs zufrieden war. „Feuer!" befahl er den anderen Geschützmannschaften und senkte die eigene Lunte. Das Pulver hatte bei weitem nicht die gewohnte Qualität, außerdem hatte es inzwischen Feuchtigkeit gezogen. Eine mehrere Fuß lange, dunkle Flammenzunge zuckte aus der Rohrmündung, gefolgt von fettem schwarzen Qualm, der die Augen tränen ließ und zum Husten reizte. In unregelmäßigen Abständen spien auch die anderen Kanonen ihre Steinkugeln aus. Von der Karavelle her erklangen splitternde, berstende Geräusche und wütendes Geheul, ohne daß schon ersichtlich gewesen wäre, welche Schäden die Geschosse anrichteten. Die bronzenen Geschützrohre wurden gekühlt, gereinigt und neu geladen. Wo die Arwenacks den Indern zur Hand gingen, geschah das in Windeseile, bei den anderen Geschützen waren bis dahin noch nicht mal die Pulverrückstände sorgfältig entfernt. An den Zündkanal dachte keiner der Soldaten. Sofern glühende Rückstände vorhanden waren, konnte eine derartige Schlamperei beim Neuladen zur Katastrophe führen. Mehrfach hatte Al
38 Conroy Berichte gehört, nach denen Seeleute von frühzeitig abbrennenden Pulverladungen über Bord gefegt und anschließend in etlichen hundert Yards Entfernung völlig zerfetzt wiedergefunden worden waren. Er hatte plötzlich das Gefühl, daß sich die Galeere auf der Stelle drehte. Tatsächlich wurden die Riemen der Backbord- und der Steuerbordseite gegeneinander bewegt, und die „Stern von Indien" drehte nach Backbord. Keine noch so gute Crew konnte ein Segelschiff, gleich welcher Art, in ebenso kurzer Zeit auf den anderen Bug bringen. Die Geschütze der Steuerbordbatterie gelangten so ebenfalls zum Einsatz. Gleichzeitig schossen die Portugiesen zurück. Ihre Culverinen dröhnten hintereinander auf, und schon krachte das erste SiebzehnpfünderGeschoß in die Heckaufbauten der Galeere. Holzsplitter knickten eine der Stützen des Baldachins, die sich daraufhin neigte und unter dem Gewicht des schon wieder angesammelten Regenwassers ganz brach. Der Schwall ergoß sich neben dem Sultan auf die Planken und durchnäßte ihn erneut. Zwei weitere Kugeln zerspellten die Balustrade, richteten aber keinen großen Schaden an, ein viertes Geschoß fegte durchs Rigg und klatschte erst weit hinter der Galeere ins Wasser. Die beiden letzten Kugeln hämmerten im vorderen Bereich der Küul und der Back durchs Schanzkleid. Während die eine gegen eine feuerbereite Kanone prallte und die Lafette umwarf, wobei eins der beiden Räder
zu Bruch ging, wirbelte die andere einen Inder außenbords. Der Mann war vermutlich auf der Stelle tot. Neben der Lafette hatte ein kupferner Kessel mit glühenden Holzkohlen gestanden, der Kessel war umgekippt, und die Kohlen lagen im Umkreis von mehreren Schritten verstreut. Nur weil das Regenwasser noch die Planken bedeckte, erlosch die Glut zischend. Lediglich an zwei Stellen züngelten kleine Flammen auf, die jedoch wegen des Regens und Seewassers aus einer Pütz ebenfalls rasch in sich zusammenfielen. Schon zu Beginn des Gewitters hatte Al Conroy dafür gesorgt, daß die Kanonen mit Planen abgedeckt wurden. Als er jetzt eigenhändig eine der Persennings entfernte, mußte er feststellen, daß sie keineswegs dichthielt. In dünnen Rinnsalen lief das Wasser über das Bronzerohr und tropfte ebenso in die Mündung wie ins Zündloch. Die heftige Verwünschung, die ihm auf den Lippen lag, schluckte der Stückmeister unausgesprochen hinunter. Es half nichts, Schuldzuweisungen zu verteüen, er mußte die Situation zum Besten wenden und konnte nur hoffen, daß die Geschütze nicht der Reihe nach ausfielen. Die Luft dampfte vor Nässe, und es war ohnehin fraglich, ob die nachgeladenen Stücke der Backbordbatterie so funktionierten, wie er es erhoffte. Als er die unruhig glimmende Glut aufs Zündloch hielt, geschah jedenfalls herzlich wenig. Al hantierte derart mit Nachdruck, daß ein Teil der Lunte abbrach und flackernd auf dem durchnäßten Pulver liegenblieb.
39 Im nächsten Moment gab es eine kleine Stichflamme, Rauch kräuselte hoch. In Gedanken verfolgte der Stückmeister die Glut, wie sie sich den Zündkanal entlangfraß. Doch nichts geschah. Die erhoffte dröhnende Explosion blieb aus. Ungehalten warf Al Conroy den Luntenstock ins Kohlebecken zurück. Von den zehn Geschützen der Steuerbordbatterie zündeten nur sechs, und bei zweien davon brannte die Pulverladung eher ab, so daß die Kugeln auf halbem Weg zwischen der „Stern von Indien" und der Karavelle, ohne Schaden anzurichten, ins Wasser klatschten. Besonders groß war die erwartete Wuhling bei den Portugiesen demnach nicht, zumal sich erwies, daß ihren Culverinen die schlechte Witterung weitaus weniger schadete als den einfachen Kanonen des Sultans. Trotz des Regens schafften sie es, alle sechs Stücke neu zu laden und abzufeuern. Die Einschläge hinterließen auf der Galeere eine Menge Kleinholz, angefangen von zersplitterten Riemenschäften über durchlöcherte Rumpfplanken bis hin zu geknickten filigran geschnitzten und vergoldeten Pfosten der Balustrade und des Schanzkleids. Aber erst als eine zweite Stütze des Baldachins im wahrsten Sinne des Wortes abrasiert wurde, reagierte der Sultan und gab den Befehl zum Abdrehen. Die Rudersklaven mochten erleichert sein, denn jeder Treffer dicht über der Wasserlinie konfrontierte sie mit dem Tod. Auf den Bänken angekettet, hatten sie keine Chance,
Holzsplittern auszuweichen, die wie Speere Fleisch und Knochen durchdrangen. Deshalb legten sie sich mit aller Kraft in die Riemen, als es galt, die Galeere aus der unmittelbaren Gefahrenzone zurückzupullen. „Verdammt noch mal, Rameshand", schnaubte Gary Andrews, schon bevor die Galeere dem portugiesischen Dreimaster nur noch das schmale Heck zuwandte und in eine undurchdringlich scheinende Nebelwand vorstieß, „wir können unsere Leute nicht im Stich lassen. Hast du vergessen, was auf dem Spiel steht?" Der Kapitän zeigte mit keiner Miene, was er dachte, „Der Befehl des Sultans ist unantastbar", erwiderte er. »Außerdem steht es euch frei, über, Bord zu springen und in den bevorstehenden Enterkampf einzugreifen," „Du..." Gary war drauf .nd dran, dem Kapitän ans Leder zu gehen,; doch zwei Soldaten sprangen dazwischen und bedrohten ihn unmißverständlich mit ihren Säbeln» „Schon gut, Freunde." Gary Andrews, auf der Schebecke der Seewölfe Vormann am Fockmast, ließ die Arme hängen. „Ich habe nicht die Absicht, Rameshand zu seinen Ahnen zu schicken." Die Inder verstanden nicht oder zumindest nur teilweise. Jedenfalls hielten sie ihre Waffen weiterhin auf ihn gerichtet. „Seid ihr immer so stur?" fragte er bissig. Jung Hasard unterbrach ihn schroff. „Der Sultan sagt, daß wir uns aus taktischen Gründen zurückziehen", übersetzte er. „Die Portugiesen
40 sollen glauben, einen Sieg errungen zu haben." „Das haben sie auch", sagte Al Conroy eisig. „Mit derart minderwertigem Material, das schon beim schwächsten Regen ausfällt, lassen sich keine Gefechte bestreiten." „Ich entsinne mich, daß wir auf der Schebecke ähnliche Probleme hatten", sagte Dan O'Flynn. „Vor Surat mußten wir sogar die Culverinen entladen und trocknen." „Das war im Monsun", erwiderte der Stückmeister, „noch dazu unter anderen Voraussetzungen." Er wandte sich an die Zwillinge: „Verklart dem Sultan, daß ich noch eine Breitseite abfeuern will. Dann werden wir sehen, ob sein Material überhaupt einen Schuß Pulver wert ist." Zweihundertfünfzig bis dreihundert Yards betrug mittlerweile die Distanz zwischen beiden Schiffen. Die Dreimast-Karavelle war nicht viel mehr als ein Schemen, ein Geisterschiff, das im Gewitter nach Opfern suchte. Zumindest Old Donegal hätte diese Behauptungen mit Nachdruck vertreten und das Unheimliche daran herausgestrichen - aber er weilte in Madras. Der Sultan palaverte mit den Zwillingen. Seine Haltung und seine Gesten ließen erkennen, daß er nicht gewillt war, den Wünschen der Engländer nachzugeben. Trotzdem redeten die beiden weiter auf ihn ein, bis er ihnen schließlich mit einer herrischen Handbewegung das Wort abschnitt, sich an Rameshand wandte und ihn aufforderte, den Kurs nochmals zu ändern.
„Wie habt ihr ihn rumgekriegt?" erkundigte sich Al Conroy. „Seine Kanonen seien nicht viel mehr wert als der Kuhmist in den Gassen einer Stadt", erklärte Philip junior. „Das haben wir dem Sultan gesagt. Man muß nur wissen, wie man einen wie ihn anzupacken hat. Einen wunden Punkt hat wohl jeder, und der Sultan ist eben eitel." Die Galeere drehte nach Norden ab, so daß sie der fast schon im Dunst verschwundenen Karavelle wieder die Backbordseite zuwandte. An Steuerbord wurde der Kanal sichtbar. „Ich denke, der Sultan hätte auch ohne eure Intervention den Kurs ändern lassen", sagte der Stückmeister. „Er will die Passage blockieren." Gleich darauf bestätigte sich seine Vermutung. Die „Stern von Indien" legte sich quer zur Windrichtung und zur Strömung, und die Abdrift wurde von den Rudersklaven ausgeglichen. Die Gefahr, auf Legerwall zu geraten, war für die Galeere damit praktisch nicht vorhanden. Was die Tauglichkeit der Kanonen betraf, behielt Al Conroy recht. Von den zehn Geschützen zündeten drei überhaupt nicht, weil das Pulver mittlerweile völlig durchnäßt war, bei weiteren drei Stücken brannte die Ladung lediglich mit dichter Rauchentwicklung ab, und nur der Rest funktionierte einwandfrei. Die Situation blieb ziemlich kläglich, zumal die Steinkugeln die Karavelle nicht erreichten, sondern Dutzende Yards vorher ins Wasser klatschten. *
41 Philip Hasard Killigrew und Don Juan de Alcazar führten die Männer unmittelbar am Ufer entlang. Der Regen hatte den Boden glitschig werden lassen, und es war nicht immer leicht, schnell auszuschreiten und sicheren Stand zu bewahren. Carberry glaubte, das Trompeten von Elefanten zu hören, das mit dem Wind heranwehte, doch da keiner seine Behauptung bestätigte, war er letztlich selbst der Ansicht, sich getäuscht zu haben. „Du hörst Elefanten, weil du insgeheim darauf wartest", sagte der Kutscher. „Die Angst, wir könnten zu spät kommen und der Schatz wäre schon auf die Elefanten umgeladen, beflügelt deine Gedanken." „Angst?" erwiderte der Profos geringschätzig. „Pah! Das ist wohl der größte Stuß, den ich heute gehört habe." Er wollte noch viel mehr sagen und dem Kutscher gehörig den Kopf waschen, doch daraus wurde nichts. Sam Roskill stolperte nämlich fast über eine Leiche. Der Tote war ein Portugiese und gehörte zweifellos zur Mannschaft der Karavelle. Jemand hatte ihm die Kehle durchgeschnitten und ihn einfach liegenlassen. Die Arwenacks brauchten nicht lange zu suchen, bis sie vier weitere Portugiesen und zwei Inder fanden, indes war kaum anzunehmen, daß sich die Männer gegenseitig umgebracht hatten. „Sehr lange sind sie noch nicht tot", sagte der Feldscher. „Drei oder vier Stunden vielleicht, denn die Starre ist noch nicht richtig eingetreten." „Sieht so aus, als hätten wir einen unbekannten Helfer", sagte Ben
Brighton. „Dabei stellt sich die Frage, was die Portugiesen an Land wollten." „Wahrscheinlich das gleiche wie wir." Don Juan de Alcazar blickte sich suchend um. Zu sehen war jedoch herzlich wenig. „Du meinst, sie wollten uns angreifen?" „Jemand ist ihnen zuvorgekommen." „Die toten Inder könnten zu Drawida Shastris Leuten gehört haben", sagte Hasard. „Und seht euch die Portugiesen genauer an: drei von ihnen wurde, aus welchem Grund auch immer, die Kehle durchgeschnitten. Aber wer läßt schon Fremde so nahe an sich heran? Aus dem Hinterhalt tötet man mit einer Kugel, einem Pfeil oder mit Wurfmessern, aber nicht auf diese Weise." „Du meinst, Täter und Opfer kannten sich." Edwin Carberry nickte zustimmend. Ihm war anzusehen, daß ihm der Gedanke gar nicht so abwegig erschien. Ohne zu zögern, fuhr er fort: „So ein kleiner Goldschatz versetzt mitunter sogar die sanftmütigsten Lämmer in Raserei. Ich kann mir vorstellen, daß Drawida Shastri höchst ungern teilt, andererseits werden die Portugiesen ihre Dienste nicht aus reiner Nächstenliebe angeboten haben. So was tut heutzutage kein Mensch mehr." „Wenn sich die Kerle auf der Karavelle tatsächlich gegenseitig umbringen, zu was stehen wir dann überhaupt noch hier?" fragte Ferris Tukker. „Sehen wir lieber nach, ob es für uns noch was zu tun gibt." „Warte gefälligst!" forderte der Kutscher. „Wir können die Toten
42 nicht begraben, deshalb will ich wenigstens ein paar Worte für ihr Seelenheil sprechen. Wo immer sie jetzt sein mögen, im Paradies oder in der Hölle, der Herr stehe ihnen bei." „Amen", murmelten die Arwenacks. An Stelle von Kirchenglocken erklang Kanonendonner. Durch den Dunst und die Regenschleier zeichnete sich fahles Mündungsfeuer ab. „Die Galeere greift an", sagte Smoky völlig überflüssig, denn jeder konnte das Dröhnen der Culverinen auf der Karavelle und der einfacheren Geschütze auf der „Stern von Indien" auseinanderhalten. Die Entfernung zu schätzen, war wegen des Nebels schwierig. Aber die Galeere stand ungefähr dreihundert Yards entfernt. Die Karavelle lag noch ein Stück voraus und näher am Ufer vor Anker. Das wurde deutlich, als die Portugiesen das Feuer erwiderten. „Vorwärts, Männer!" befahl der Seewolf. „Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren." Im Laufschritt hasteten sie weiter, verfolgt vom Dröhnen der Schiffsgeschütze. Endlich zeichnete sich rechterhand die Silhouette des Dreimasters ab, während die Galeere des Sultans wieder im Dunst verschwand. „Wir müssen gut hundertfünfzig Yards weit schwimmen", sagte Sam Roskill. „Wenn das unsere Pistolen trocken überstehen, gebe ich anschließend einen aus." „Wir nehmen dich beim Wort, Sam." Matt Davies grinste breit und reckte seine rechte Kunsthand mit dem geschliffenen Haken in die Höhe.
„Das hier ist besser als Pulver und all das andere Zeug." Nur noch wenige Schüsse fielen. Die Einschläge lagen zu kurz und rissen lediglich schäumende Fontänen aus dem Wasser. „Sie drehen ab", sagte Don Juan überrascht, der neben Hasard, Carberry und Ben Brighton die Männer anführte. „Der Sultan flieht." „Vielleicht glaubt er, daß er genug getan habe", schnaubte Carberry. „Ich sage euch, der läßt andere für sich die Kastanien aus dem Feuer holen, aber den Ruhm erntet er." „Al, die Zwillinge und die anderen würden das nie zulassen", erwiderte Ben Brighton. Der Seewolf hielt den Radschloßdrehling, den er des Regens wegen ohnehin in ein Stück wachsgetränkten Leinens eingewickelt hatte, mit der rechten Hand hoch. In gewisser Weise schwamm er wie ein Frosch und stieß sich vor allem mit den Beinen ab. „So dumm ist der Rückzug gar nicht!" rief er dem Profos zu. „Die Portugiesen starren sich wahrscheinlich die Augen aus, um den nächsten Angriff der Galeere rechtzeitig zu erkennen. Die Richtung zum Ufer lassen sie dabei völlig außer acht." Die Karavelle wuchs rasch größer vor ihnen auf - ein bedrohlich wirkender Koloß vor dem Hintergrund des noch gelegentlich von Blitzen erhellten Himmels. Knatternd entfaltete sich soeben das Focksegel im Wind, der Anker hob sich triefend und mit Schlamm und Pflanzenresten behängt, aus dem Wasser. Langsam drehte das Schiff nach Backbord.
44 Die Absicht des Kapitäns war klar, er nutzte die Gelegenheit, dem Sultan zu folgen und endlich durch den Kanal die offene See zu erreichen. Der Dunst war dabei sein Verbündeter, verbarg er doch das Manöver lange genug vor den Indern. Zum Glück waren die Arwenacks schon nahe heran. Aus dem Wasser heraus schleuderte Carberry einen Enterhaken in die Rüsten der Großwanten, wozu es Kraft und einer ruhigen Hand bedurfte. Kein Laut war zu vernehmen. Als sich das dünne Tau straffte, enterte der Seewolf als erster auf. Zweiundzwanzig Arwenacks folgten ihm, einige benutzten ebenfalls das Tau als Hilfe, die anderen zogen sich an den glitschigen Berghölzern bis zu den Rüsten hinauf. Keiner der Portugiesen wurde aufmerksam. Unmittelbar unterhalb des Schanzkleids kauerten die Mannen eng beieinander und wartet auf das Zeichen zum Angriff, 6. Kokoka starrte auf den Dolch und die ringgeschmückte Hand, die das Heft fest umschlossen hielt. Der Mann wollte ihn grundlos töten. Oder hatte er einen Grund? Noch ehe der Jäger und Fallensteller das Haumesser aus dem Gürtel ziehen konnte, schnellte der Angreifer vor. Kokoka warf sich ebenso schnell zur Seite. Die Klinge, die sonst sein Herz durchbohrt hätte, schrammte
nur über die linke Schulter und hinterließ außer brennenden Schmerzen eine blutende Fleischwunde. Kokoka spürte, daß es warm über seine Brust rann. Der Angreifer reagierte wütend und überrascht zugleich und hackte mit dem Dolch blindlings auf sein Opfer ein. Kokoka mußte sich herumwälzen, wollte er nicht abermals getroffen werden, aber dadurch vereitelte er selbst den Versuch, das Haumesser endlich aus dem Gürtel zu ziehen. Dichtes Gestrüpp behinderte ihn. Der Angreifer triumphierte, aber da ertastete Kokoka Sand und schleuderte dem Gegner eine Handvoll ins Gesicht. Vorübergehend schlug der Kerl halb blind um sich. Kokoka schaffte es endlich, sich aufzurichten und das Haumesser zu ziehen, mit dem er sich unter anderen Umständen Giftschlangen vom Leib hielt. Auf zwei Schritte Entfernung standen sie sich gegenüber. Das Dröhnen der Kanonen hatte aufgehört. Aus den Augenwinkeln bemerkte Kokoka, daß die Inder, die er vorhin noch in der Nähe gesehen hatte, verschwunden waren. Von ihnen hatte er also keinen Beistand zu erwarten. „Was willst du von mir?" stieß er keuchend hervor. Sein Gegner lachte hell, als brauche er das große Haumesser nicht zu fürchten. „Deine Beute, dein Leben, am besten alles." Kokoka führte zwei blitzschnelle Hiebe, denen der Angreifer jedoch geschickt auswich.
45 „Deine Kleidung will ich auch." Der Kerl lachte spöttisch. Obwohl ihn das Gesagte zutiefst aufwühlte, zwang sich Kokoka zur Ruhe. Die geschmeidigen Bewegungen seines Gegners verrieten den geübten Kämpfer. Kokoka schnellte vor, doch das Haumesser stieß ins Leere, weil der andere ebenso blitzschnell um die eigene Achse wirbelte, wobei seine Klinge tief in Kokokas Oberarm eindrang. Der Jäger schrie auf. „Willst du mehr wissen? Ja?" Kokoka taumelte. Vorübergehend wurde ihm schwarz vor Augen. Er hatte Mühe, den Waffenarm zu heben, geschweige denn, zuzustoßen. „Du bist ein Niemand, für mich nur Mittel zum Zweck. Dein Pech, daß ich mein Aussehen verändern muß." Die Schmerzen wurden schier unerträglich, Kokoka hatte kaum noch die Kraft, die Klinge zu halten. Mit beiden Händen führte er jetzt das Haumesser, trotzdem zuckten seine Hiebe ins Leere. Mit jedem Pulsschlag quoll Blut aus der Armwunde. Das Geheimnis, dem er hatte nachspüren wollen, wurde für ihn zum tödlichen Verhängnis. Kokoka wußte, daß er den Arm abbinden mußte, um zu überleben, doch der Gegner ließ ihm keine Gelegenheit dafür. „Das Schiff,..", stieß er keuchend hervor. „Viel Gold?" Heiseres Lachen antwortete ihm. „Mehr Gold, als du dir jemals vorstellen kannst, der Schatz eines Maharadschas." „Ich will ihn nicht." „Du brauchst ihn nicht mehr." Ein harter Schlag traf Kokokas
rechte Brust und riß ihn rückwärts von den Beinen. Keuchend, auf nassem Moos liegend, begriff er noch, daß der andere das Messer geworfen hatte. Der Mann redete auf ihn ein, aber seine Stimme klang wie aus weiter Ferne. Kokoka hatte Mühe, die Augen offenzuhalten. Er war plötzlich unendlich müde. Alles begann sich um ihn zu drehen. Ein unwiderstehlicher Sog zerrte ihn hinunter in die undurchdringliche Schwärze des Vergessens. Kokokas Wahrnehmungen erloschen von einem Moment zum anderen. * „Vorwärts!" rief der Seewolf halblaut aus. Die ahnungslosen Portugiesen an Bord der „Cabo" Mondego" wußten nicht, wie ihnen geschah, als sie sich urplötzlich fast zwei Dutzend „Ar-wenack!" brüllenden Kerlen gegenübersahen, die sich behende an Steuerbord über die Verschanzung schwangen. Bis sie sich von dem Schock erholt hatten, lagen die ersten von ihnen schon bewußtlos auf den Planken, von eisenharten Fäusten niedergestreckt. Natürlich wußten die Portugiesen von den Engländern. Drawida Shastri hatte nicht verschwiegen, wie er sie übers Ohr gehauen und ihnen Gold und Silber abgenommen hatte. Daß sie jetzt ausgerechnet von diesen Engländern überfallen wurden, war de Xiras Mannschaft sofort klar. Die Männer setzten sich erbittert zur Wehr. Jene, die den Anker aufge-
46 hievt hatten, zogen die Spaken aus dem Spill und droschen damit auf die Arwenacks ein. Ein solcher Hieb traf Carberry zwischen die Schulterblätter und trieb ihn unbarmherzig von der Back nach achtern. Jeden anderen hätte der Schlag sofort gefällt, der Profos fing sich aber schon nach wenigen Schritten wieder und wandte sich bedächtig um. Sein Rammkinn war trotzig vorgereckt, die Nasenflügel bebten, die Stirn lag in schweren Falten. Dazu breitete er die mächtigen Pranken aus, als wolle er gleich ein halbes Dutzend Portugiesen umarmen. „Du lausiger Affenarsch", sagte er gollend, „wenn's mich hinten juckt, kratze ich mich selbst, klar?" Der Portugiese, selbst ein Bär von einem Mann, kapierte nicht. Er starrte dem Profos nur ungläubig entgegen, weil er nicht begriff, warum sein Schlag derart wirkungslos blieb. Mit beiden Händen hob er die Spake, um nochmals zuzuschlagen. „Tu bloß den Zahnstocher weg", sagte Carberry warnend. „Weißt du, wie leicht du dir damit alle Zähne ausschlagen kannst?" Das wußte der Portugiese noch nicht. Er hatte nichts Eiligeres zu tun, als dem Profos der Arwenacks das massive Kantholz an den Schädel zu donnern. Zumindest versuchte er es. Sein Pech war, daß Carberry den Hieb abfing und den Schwung ausnutzte, um ihn von den Füßen zu hebeln. Bevor er sich's versah, wirbelte er im Halbkreis herum und krachte mit dem Kopf voran gegen die Back, wo er benommen zu Boden sank. Mit glasigem Blick beobachtete er,
wie Carberry an der Spake Schwarze Magie walten ließ - zumindest ging in sein umnebeltes Gehirn nicht hinein, daß ein normaler Mensch eine Hartholzspake über dem Knie zerbrechen konnte. Der Engländer hielt gleich darauf jedenfalls zwei Hälften in Händen und stürzte sich mitten hinein ins größte Getümmel. Zahlenmäßig waren die Portugiesen um ein paar Mann überlegen, was von der Entschlossenheit der Arwenacks jedoch ausgeglichen wurde. Die „Cabo Mondego" war trotzdem keine leichte Beute für die Engländer. Schußwaffen wurden kaum eingesetzt, was letztlich daran lag, daß nur die Offiziere Pistolen bei sich trugen. Als ein bärtiger Kerl von der Balustrade des Achterdecks her mit der Steinschloßpistole auf den Seewolf anlegte, feuerten Ben Brighton und Bill nahezu gleichzeitig. Bills Pistole versagte dabei kläglich, während Bens Pulverladung verzögert abbrannte und die Kugel deshalb weit am Ziel vorbeiging. Ihr einziger Erfolg war der, daß sich der Bärtige in Deckung warf und sein Schuß ungezielt ins Leere ging. Mit zwei weit ausgreifenden Sätzen war Ben Brighton am achteren Niedergang. Die nutzlos gewordene Pistole schleuderte er einem Portugiesen ins Gesicht, der sich ihm entgegenstellte, dann warf er sich auf den Offizier, der keine Zeit mehr fand, den Degen zu ziehen. Ineinander verkrallt, wälzten sie sich über das Achterdeck, aber keiner schaffte es, die Oberhand zu erringen, bis sie gemeinsam den Niedergang hinabkollerten. Danach war Ben als erster wieder auf den Beinen.
47 Inzwischen stellte sich heraus, daß das imprägnierte Tuch Hasards Radschloßdrehling trockengehalten hatte. Der Seewolf kämpfte mit dem Degen in der rechten Hand und der Pistole in der linken. Den ersten Schuß feuerte er ab, als Sven Nyberg, keine drei Schritte vor ihm, in Bedrängnis geriet. Ein kahlköpfiger, dunkelhäutiger Bursche griff mit einer doppelschneidigen Axt an, wie sie vor Jahrhunderten von den Wikingern verwendet worden waren. Hasards Kugel zerschmetterte ihm das Schlüsselbein und verschaffte dem Dänen genügend Luft. Der zweite Schuß holte einen Portugiesen aus den Großwanten, ehe er seine Wurf messer schleudern konnte. Das Klirren der Degen und anderen Blankwaffen, die hart aufeinanderprallten, das Keuchen, Fluchen und Schimpfen der Verteidiger ebenso wie der Angreifer, das Stampfen nackter Füße an Deck alles das vermischte sich zu einer schrecklichen Melodie. Es gab Verwundete auf beiden Seiten, aber zunächst kaum Tote. Die Kämpfe verlagerten sich auch unter Deck. Einige Portugiesen, die geglaubt hatten, sich von den Engländern lösen und Feuerwaffen nach oben holen zu können, wurden von Ferris Tucker, Matt Davies und Jan Ranse verfolgt und vor der achtern liegenden Waffenkammer gestellt. Während Tucker seinen Gegner ziemlich rasch ins Reich der Träume schickte, hatten die beiden anderen einige Mühe, die Oberhand zu behalten. Matt wurde mit dem Ende eines Luntenstocks attackiert, an dem die
Raumnadel zum Anstechen von Kartuschen angebracht war. Nachdem der Portugiese zum drittenmal erfolglos zugestoßen hatte, drehte Matt kurzerhand den Spieß um und hackte den scharfen Haken seiner Handprothese ins Holz des Luntenstocks. Der Portugiese war für einen Augenblick so verblüfft, daß ihm Matt mit einem einzigen harten Ruck den Stock entreißen konnte. Dann zog er dem Kerl die Rückseite des Hakens durchs Gesicht. Erstickt gurgelnd, preßte der Portugiese die Hände vors Gesicht. Der Schlag war überaus schmerzhaft gewesen, aber in keiner Weise lebensgefährlich. Während der nächsten Wochen und Monate würde eine in vielen Farben schimmernde, stark angeschwollene Narbe zu sehen sein, die den Mann gewiß nicht in einen Adonis verwandelte. Matt, dem das Jammern des Portugiesen gehörig auf die Nerven ging, schlug noch einmal zu. Diesmal mit der zur Faust geballten linken Hand, die er dem Mann an die Schläfe schmetterte. Danach war nur noch der von oben herabdringende Kampflärm zu hören. * Schrittweise eroberten die Arwenacks die „Cabo Mondego", zuerst besetzten sie die Kuhl, danach die Back. Jemand hatte gleich zu Anfang das Fockfall gekappt und dafür gesorgt, daß die Rah aus dem Rack brach und mit verheerender Wucht an Deck aufschlug. Kaum im Begriff, Fahrt aufzunehmen, hatte der Verlust des Focksegels die Karavelle querschla-
48 gen lassen, und nun driftete sie langsam vor dem Wind in Richtung auf die Passage zu, wobei die Krängung nach Backbord leicht zunahm. Erst als Piet Straaten das Spill des Bugankers löste und der Anker dröhnend abrauschte, wurde die „Cabo Mondego" gestoppt Ächzend drehte sie in den Wind. Lediglich drei Portugiesen waren gefallen, ein knappes Dutzend hatte es vorgezogen, das Heil in der Flucht zu suchen und war außenbords verschwunden, der Rest aber hatte sich auf das Achterdeck zurückgezogen und war im Begriff, sich dort oben zu verschanzen. Der Teufel mochte wissen, wo sie die Drehbasse her hatten, die sie in aller Eile auf dem Handlauf an Backbord montierten. Mit Kugeln und Kammerstücken waren sie ebenfalls gut versorgt, das kriegten die Arwenacks zu spüren, kaum daß sie über die Niedergänge nach oben stürmten. Das erste Einpfünder-Geschoß zertrümmerte den Handlauf und die obersten Stufen des Steuerbord-Niedergangs. Don Juan de Alcazar und Mac O'Higgins zogen gerade noch rechtzeitig den Kopf ein. Mac landete jedoch äußert unsanft vor der untersten Trittstufe auf seinem Achtersteven, und der Spanier klatschte zu allem Überfluß wie reifes Fallobst von oben auf ihn hinunter. Der nächste, der den Kopf in die Höhe reckte, wurde von zwei Pistolenschüssen empfangen. „He, ihr Affen!" brüllte Carberry. „Werft die Waffen weg! Ihr habt ohnehin keine Chance mehr." „Komm doch und hol dir, was du willst."
Hasard hielt den Profos im letzten Moment zurück, ehe er aufentern konnte. „Die Kerle haben die bessere Position da oben." „Du willst sie hoffentlich nicht gewähren lassen, Sir." „Zuerst müssen wir herausfinden, wo sie plötzlich die Waffen her haben. Gibt es eine Luke, die unter Deck führt?" „Nichts dergleichen." Carberry schüttelte heftig den Kopf. „Hinter dem Besanmast gibt es ein paar lose Planken", sagte Paddy Rogers. „Ich habe es zufällig gesehen. Vielleicht waren da die Waffen verborgen." „Natürlich waren sie das", ereiferte sich Jack Finnegan. „Mann, Paddy, warum sagst du das nicht gleich? Dann hätten wir den Ärger nicht." „Hab's nicht für wichtig gehalten", murmelte der dickliche und für gewöhnlich gutmütige Paddy Rogers. Daß seine Überlegungen häufig ein wenig schwerfällig abliefen, war ein offenes Geheimnis. Eben hatte er wieder den besten Beweis dafür geliefert. Das trockene Blaffen eines zweiten Drehbassenschusses beendete die Diskussion in einem Splitterhagel. Die Portugiesen hatten auf die Querbalustrade gefeuert. „Ein Königreich für eine Flaschenbombe", sagte Ferris Tucker. „Meinetwegen auch für zwei. Die Burschen würden sich gehörig wundern." „Wenn wir wenigstens ein paar alte Rumflaschen hätten." Sam Roskill seufzte ergeben. „Sie brauchen ja nicht mal leer zu sein."
49 „Senhor Capitán!" rief der Seewolf. „Übergeben Sie das Schiff, oder wir sehen uns gezwungen, Sie auszuräuchern!" „Genau das werden Sie nicht tun, Sir Hasard." Daß der Portugiese den Namen des Seewolfs kannte, bewies, daß Drawida Shastri mit ihm gesprochen hatte. „Sie riskieren es nicht, elf Tonnen Gold und Silber zu versenken." Also doch. Der Kapitän der Karavelle kam nicht mehr umhin, die Tatsachen einzugestehen. Befehlsgewohnt fügte er hinzu: „Sie und Ihre Leute verlassen jetzt das Schiff, Sir Hasard. Falls nicht, bereiten Sie sich darauf vor, daß wir Ihnen gehörig einheizen werden." Unter den augenblicklichen Umständen konnten sich die Arwenacks nicht mal mehr bis zum Großmast vorwagen, ohne daß ihnen Blei um die Köpfe schwirrte. Daß sie versäumt hatten, das Achterdeck rechtzeitig zu besetzen, rächte sich jetzt. Nur nahe an den achteren Aufbauten befanden sie sich im toten Winkel der Drehbasse und der Handfeuerwaffen, mußten jedoch ständig auf neue Überraschungen gefaßt sein. „Sie haben keine bessere Position als wir, Capitán!" rief Hasard. „Warum versuchen wir nicht, uns zu einigen?" Er gab seinen Männern Zeichen, daß sie versuchen sollten, von a u ß e n aufs Achterdeck vorzudringen. Zweifellos war die Aufmerksamkeit der Portugiesen momentan nur nach vorn gerichtet. Carberry grinste breit, ehe er, eng an den Niedergang gepreßt, ans Schanzkleid huschte. Die Backbord-
seite war dem Land zugewandt und bot demzufolge die besseren Bedingungen. Ferris Tucker, Bob Grey, Stenmark und Sam Roskill folgten dem Profos. „Sie wollen teilen, Engländer?" erklang es spöttisch. „Ich frage mich aber, warum ich mich auf einen solchen Handel einlassen sollte." „Ist Ihnen Ihr Leben nichts wert, Capitán? Und was ist mit dem Leben Ihrer Männer?" „Scheren Sie sich zum Teufel, Engländer! Das Gold bleibt auf der ,Cabo Mondego'." „Es gehört dem Sultan von Golkonda, der es an Akbar übergeben wird." Lautes Gelächter brandete vom Achterdeck herab. „Sie sind noch verrückter, als ich dachte, Sir Hasard!" rief der Kapitän. Ein verhaltenes Poltern folgte. Der Neigung des Achterdecks folgend, rollte etwas an Steuerbord auf den Niedergang zu. Im nächsten Moment hüpfte ein kleines Fäßchen die Stufen hinunter. Die Arwenacks begriffen schnell. Es bedurfte keines Befehls, daß sie sich, wo sie gerade standen, zu Boden warfen. In dem Fäßchen war zweifellos Pulver. Ein bis zwei Pfund, mehr faßte es nicht, doch die Explosion genügte zweifellos, etliche Männer zu verletzen. Ihr Glück war, daß sich der einzige eiserne Reif löste, der die Dauben zusammenhielt. Das Fäßchen kullerte auf der Kuhl noch drei Schritte weit und fiel dann auseinander - nur Augenblicke, bevor die Lunte abge-
50 anderen gegen die Portugiesen und Drawida Shastris Soldaten kämpfen." Vergeblich versuchten sie, den Sultan umzustimmen, aber ihm ging es zuallererst nur darum, die Schäden an der Galeere zu sichten. „Wenn Hoheit wie ein geprügelter Hund den Schwanz einzieht und kneift, gehen wir eben von Bord", erklärte Batuti. Doch auch daraus wurde nichts. Die Wachen des Sultans stellten sich ihnen unmißverständlich entgegen. „Ihr Engländer habt den Schatz verloren", sagte der Sultan zynisch, „also sollt ihr auch zuerst den Kopf hinhalten. Ich habe mit der ,Stern von Indien' überhaupt nur angegriffen, weil ich die Mühe anerkenne, die es bedeutet, von Bombay bis Madras zu segeln." „Mühe?" erwiderte Jung Philip erregt. „Wir haben mehrfach unser Leben eingesetzt." „Was spielt dann einmal mehr noch für eine Rolle?" Phüip war drauf und dran, dem Sultan an die Kehle zu springen, ob* wohl er einen solchen Angriff zweiKeiner der Arwenacks an Bord der fellos mit dem Leben bezahlt hätte. Galeere war damit zufrieden, daß die Nur mühsam beherrschte er sich. „Stern von Indien" das Gefecht „Laß uns wenigstens zur Karavelle scheute und lediglich den Kanal blok- übersetzen!" verlangte er, jede stankierte. Die Karavelle der Portugiesen desgemäße Anrede außer acht laswar wieder aus der Sicht verschwun- send. den, und nur gelegentlich schimmer„Sorgt dafür, daß die Geschütze ten ihre Mastspitzen durch den Ne- der Galeere wieder richtig zünden bel. je eher, desto besser für eure Leute." „Es ist zum Haare ausraufen." „Wir greifen also nochmals an?" Philip junior knurrte wütend und Nichtssagend hob der Sultan die drückte damit aus, was jeder von ih- Hände. nen empfand. „Wir sitzen auf dem „Zeitweise ist der Kerl so arrogant, verdammten Kahn fest, während die daß ich ihm am liebsten in den Hinbrannt war. Teile des Pulvers sogen sofort die Feuchtigkeit von den Planken auf, statt der befürchteten Explosion war nur ein scharfes Zischen zu vernehmen. Eine grelle Stichflamme zuckte auf, gefolgt von einer riesigen schwarz-grauen Qualmwolke. Unter dem Rauch leckten Flammen gierig nach allen Seiten. „Sie nehmen uns die Arbeit ab, Capitán!" rief der Seewolf. „Hoffentlich erwarten Sie nicht, daß wir das Feuer löschen!" Er erhielt keine Antwort. Den Grund dafür erkannten die Arwenacks gleich darauf. Aus dem immer noch träge über der Bucht hängenden Dunst, der nur hin und wieder von der herrschenden schwachen Prise verwirbelt wurde, brach die „Stern von Indien" hervor. Gleichmäßig tauchten die Riemen ein und trieben das Schiff vorwärts. Der Abstand zwischen der Galeere und der „Cabo Mondego" schrumpfte schnell. Bei weniger als zweihundert Yards sprachen drüben die Kanonen.
51 tern treten würde", schimpfte Batuti. „Er behandelt uns nach wie vor wie Rudersklaven." „Wer weiß", erwiderte Luke Morgan. „Falls wir den Schatz nicht wieder herbeischaffen, landen wir erneut auf den Ruderbänken." Sie hätten es nicht zugegeben, doch jeder von ihnen war erregt. Sogar der sonst beherrschte und ruhige Al Conroy brüllte die Inder an, als sie eine Persenning nicht so anbrachten, wie er es für richtig hielt. Die Zeit brannte ihnen unter den Nägeln, als sie ein Rohr nach dem anderen ausputzten, mit Werg, alten Lumpen und brennenden Pechfakkeln trockneten und sogar den Zündkanal reinigten. Wenigstens flaute der Regen weiter ab. Die Inder verfügten kaum über Kartuschen. Das Pulver mußte noch lose ins Rohr geschaufelt werden. Obwohl ihm der Guß der Kanonen nicht geheuer erschien, nahm Al Conroy ein großzügiges Maß, gerade so viel, daß die bronzenen Rohre die Zündung noch überstehen mußten. Er arbeitete im Schutz einer der wenigen nicht löcherigen Persennings, die von Dienern hochgehalten wurde. Die Arwenacks schufteten wie die Berserker, trotzdem brauchten sie mehr als eine halbe Stunde, bis sie die zehn Geschütze einer Breitseite klariert hatten. Zu ihrer Überraschung wirkte der Sultan mittlerweile viel versöhnlicher. Er erteilte Rameshand den Angriffsbefehl. Die Ruderer unter Deck - noch waren genügend Männer angekettet schwitzten vermutlich Blut und Wasser, als sie das schwere Schiff aus
dem Stand heraus mit hoher Schlagzahl beschleunigten. Der Taktschläger forderte ihnen das Äußerste ab. Schnell wurde die Karavelle sichtbar. Sie lag nicht mehr so nahe am Ufer wie zuvor, hatte aber erneut Anker geworfen. „Sieht nicht so aus, als würde an Bord noch gekämpft", sagte Gary Andrews. Dan O'Flynn hatte sich vom Kapitän dessen Spektiv geben lassen. Das Fernrohr war von miserbaler Qualität, als hätte jemand versucht, die Linsen mit grobkörnigem Sand zu polieren. Dan verstand nur zu gut, warum es der Kapitän bisher so gut wie nie benutzt hatte. Trotzdem erkannte er, daß sich auf dem Achterdeck der Karavelle fast zwanzig Männer verschanzt hatten. „Und?" fragte Luke Morgan. „Wie sieht's aus, Dan?" Dan O'Flynn schob das Spektiv wieder zusammen, weil es keinen Sinn hatte, damit Einzelheiten erkennen zu wollen. Zögernd wandte er sich zu den wartenden Arwenacks um. „Die Portugiesen haben das Achterdeck besetzt. Von unseren Leuten ist nichts zu sehen. Ich vermute, daß sie vor den Niedergängen Deckung gesucht haben." „Offenbar wird es Zeit, daß wir wieder mitmischen", sagte Al Conroy. „Rameshand soll beidrehen lassen." Die Zwillinge übersetzten dem Kapitän, der wiederum den Sultan informierte. Seine Hoheit nickte zustimmend. Al Conroy visierte da bereits über den wulstigen Rand des ersten Ge-
52 Schutzes hinweg die Karavelle an. Noch während die Galeere drehte, zündete er. Die Kugel schlug jedoch nicht in das achtere Schanzkleid ein, sondern raste knapp darüber hinweg und verfehlte auch den Besanmast nur um Haaresbreite. Wirkungslos klatschte sie hinter den Portugiesen ins Wasser» „Etwas tiefer halten als sonst!" rief Al Conroy den Zwillingen zu, die sich schon an den nächsten beiden Stükken versuchten. „Es muß an dem geringeren Gewicht der Steinkugeln liegen." Mittlerweile hatte die Galeere die Drehung beendet und lag nun ruhig auf dem Wasser. Nur die sanfte, langgezogene Dünung war noch bemerkbar. Hundertfünfzig Yards Distanz. Die Zwillinge zündeten ihre Kanonen nahezu gleichzeitig. Während polternd die zweirädrigen Lafetten zurücksprangen und der beißende Pulverdampf übers Deck wirbelte, erklang von der „Cabo Mondego" ein lautes Splittern und Krachen. Im Schanzkleid und dicht darunter im Achterkastell gähnten plötzlich zwei ausgezackte Löcher. Danach ging es Schlag auf Schlag. Alle zehn Geschütze funktionierten einwandfrei, und über das Achterschiff der Karavelle tobte ein wahrer Splitterregen hinweg. Die Steuerbordverschanzung wurde fast völlig aufgerissen, nur noch geknickte Pfosten und zerfetzte Planken ragten danach in die Höhe. Auch der Mast hatte einiges abgekriegt und stand sichtbar schräg, nach Backbord geneigt. Die Portugiesen antworteten mit ei-
nem einzigen Drehbassenschuß, der die Galeere nicht erreichte, und feuerten völlig sinnlos aus ihren Musketen. Inzwischen züngelten auf der Kuhl Flammen auf. Zweifellos waren die Portugiesen dafür verantwortlich, die angesichts zweier Gegner in der Wahl ihrer Mittel nicht mehr kleinlich waren. „Die wollen unsere Leute ausräuchern", sagte Dan O'Flynn entsetzt. „Vom Achterdeck aus und mit ihren Musketen sind sie eindeutig überlegen." „Wir müssen rammen!" Zuerst war Dan von Luke Morgans Forderung überrascht, doch so unbedacht war der Vorschlag nicht. Außerdem hatte Rameshand schon seine Befehle erteilt. Die „Stern von Indien" schwenkte nach Backbord und nahm Fahrt auf. Der Rammsporn zielte auf das Heck der Karavelle. 7. Nachdem es zunächst so ausgesehen hatte, als würden die Flammen erlöschen, leckte die Glut plötzlich an mehreren aufgeschossenen Tauen entlang und sprang auf die trockene Innenseite des Schanzkleids über. Kurz darauf war auch der Niedergang in Flammen gehüllt. Die Arwenacks mußten nach mittschiffs ausweichen, durften sich aber noch immer nicht auf die Kuhl hinaus wagen, weil trotz des Angriffs der Galeere die Potugiesen über ihnen lauerten. Hasard, der nach oben zum Achterdeck sicherte, jagte die letzten vier Kugeln aus dem Lauf seines Rad-
53 schloßdrehlings, als er hinter der zerstörten Balustrade eine Bewegung bemerkte. Unmittelbar darauf folgte eine heftige Detonation. Allem Anschein nach hatte ein Portugiese ein zweites Pulverfaß nach unten werfen wollen und sich dabei, von Hasards Kugeln getroffen, selbst ins Jenseits befördert. „Achtung!" rief Ben Brighton im selben Moment. „Die Galeere liegt auf Rammkurs." Das Prunkschiff des Sultans von Golkonda näherte sich mit schneller Fahrt. Hatten die Arwenacks bis eben noch angenommen, die Galeere würde längsseits gehen, so erwies sich diese Vermutung jäh als trügerisch. Wieder fielen auf dem Achterdeck Schüsse, aber die Portugiesen hätten nicht mal mehr mit ihren Culverinen das Unheil aufhalten können, geschweige denn mit Musketen und Pistolen. Unaufhaltsam glitt die „Stern von Indien" heran. Die Karavelle wurde ruckartig angehoben, als sich der mächtige Rammsporn ins Achterschiff bohrte. Weit legte sich die „Cabo Mondego" nach Backbord über, verharrte eine Weile mit starker Krängung und glitt dann zögernd, von einem anhaltenden gräßlichen Splittern und Kreischen begleitet, langsam annähernd in die Ausgangslage zurück. Ein klein wenig der Schräglage blieb jedoch erhalten. Wer von den Männern an Bord nicht im letzten Moment noch festen Halt gefunden hatte, war mit unwiderstehlicher Wucht von den Beinen gefegt worden.
Die Karavelle stöhnte und ächzte wie ein waidwundes Tier, und irgendwo tief aus ihrem Innern erklang ein lauter werdendes Gurgeln und Plätschern. Der Rammsporn hatte die Bordwand bis unter die Wasserlinie eingedrückt, und jetzt ergossen sich die Fluten unaufhaltsam in die unteren Räume. Die Portugiesen flohen. Von Deck der Galeere aus folgte ihnen ein Kugel- und Pfeilhagel. Später wurden einige Tote im Wasser treibend entdeckt, doch die Mehrzahl der Männer entwischte vorerst in den nahen Dschungel. * Mit vereinten Kräften wurde das Feuer auf der Karavelle schnell gelöscht. Während einige Arwenacks mit den zur Genüge vorhandenen Pützen Wasser aufholten, enterte auf der anderen Seite der Kuhl ein triefender Meermann auf. In der spärlichen Helligkeit und mit einem zotteligen grünen Fell behängt, wirkte er tatsächlich wie einer jener Unholde, die in den Tiefen der Ozeane ihr Unwesen trieben, und von denen zumindest Old Donegal Daniel O'Flynn manche Schauergeschichte zu erzählen wußte. Nur sein wüstes Schimpfen verriet ihn. Welcher Meermann wußte schon, daß es in der Welt der Menschen „hinterhältige Rübenschweine" und „Affenärsche" gab?" Mit einer unwilligen Bewegung wischte sich Edwin Carberry den Tang und das Seegras aus dem Gesicht und von den Schultern und
54 reckte trotzig das Rammkinn. Hinter ihm schwangen sich Ferris Tucker, Bob Grey, Stenmark und Sam Roskill an Deck. Wütend starrte Carberry zu der Galeere hinüber. „Eine Sauerei ist das!" schimpfte er. „Ich möchte wissen, wer sich bei einer solchen Ramming noch außenbords festhalten kann." Er entdeckte den Seewolf inmitten seiner Männer und steuerte zielstrebig auf ihn zu. „Weißt du schon, Sir, was der Sultan plant? Will er das Gold samt der Karavelle versenken, oder was?" „Wahrscheinlich nicht, Ed", erwiderte Hasard. „Eher lag es in seiner Absicht, uns beizustehen." „Du kannst sagen, was du willst, ich traue ihm nicht über den Weg. Was geschieht denn, wenn das Gold absäuft? Beenden wir dann unser Leben als Galeerensträflinge?" „Reg dich wieder ab, Mister Profos", sagte Ferris Tucker. „Wenn mich nicht alles täuscht, will der Sultan zu uns überwechseln. Das ist doch schon ein gutes Zeichen." „Du solltest den Tag nicht vor dem Abend loben, Ferris", maulte der Profos. „Was heißt Abend? Mitternacht ist gerade erst seit zwei Stunden vorbei." „Eben." Der Profos grinste plötzlich. „Genau deshalb sage ich es ja." Irritiert fuhr sich der Schiffszimmermann mit der Hand durch seine rote Haarpracht. Im stillen begann er sich zu fragen, welche Probleme Carberry für den neuen Tag noch voraussah - sie hatten schließlich schon genug Ärger hinter sich. Der Sultan von Golkonda betrat die
„Cabo Mondego" über eine von der Galeere hinübergeschobene Stelling. Er sah sich ausgiebig um, ehe er auf den Seewolf zuging. „Wo ist mein verräterischer Vetter?" fragte er schroff. Hasard zuckte mit den Schultern, eine Geste, die dem Sultan die Zornesröte ins Gesicht trieb. „Drawida Shastri hat es offenbar vorgezogen, rechtzeitig das sinkende Schiff zu verlassen." „Wir haben nur gegen Portugiesen gekämpft", pflichtete Ben Brighton bei. „Von den Indern, die uns in Surat aufs Kreuz gelegt haben, war nicht eine Nasenspitze zu sehen." Der Sultan holte tief Luft, dann brüllte er seine Leute an, daß schier die Masten wackelten. Weder die Zwillinge noch Dan O'Flynn verstanden nur einen Bruchteil dessen, was er in höchster Erregung von sich gab. Der Name Drawida fiel mehrmals, wahrscheinlich in keinem besonders angenehmen Zusammenhang, denn die Gesten und die Mimik des Sultans deuteten darauf hin, daß er seinem Vetter liebend gern die Kehle durchgeschnitten hätte. „Dieser Shastri ist ein ausgekochter Halunke", raunte Don Juan. „Er weiß genau, warum er sich rechtzeitig abgesetzt hat." Ein deutlich spürbarer Ruck durchlief die „Cabo Mondego". Sie sackte ein Stückchen weiter ab. Knirschend rieben die Planken am Rammsporn der Galeere. „Wir müssen das Gold umladen", drängte Hasard. „Wer weiß, wie lange die Karavelle noch durchhält. Das Leck abzudichten, ist jedenfalls unmöglich!"
55 „Wie viele Männer können Sie entbehren?" fragte der Sultan übergangslos. „Alle werden mit anpacken." „Davon rede ich nicht. Drawida ist in den Dschungel geflohen - ich muß ihn finden." „Ihr Vetter ist Ihnen mehr wert als das Gold des Maharadschas?" fragte der Seewolf verblüfft. „Für den Schatz sind Sie und Ihre Mannschaft verantwortlich, Kapitän, solange er sich nicht an Bord meines Schiffes befindet." „Dann bedauere ich, nicht einen Mann abstellen zu können. Die Karavelle hat Schlagseite, wir müssen uns mit dem Umstauen der Ladung beeilen." „Fürchten Sie nicht, wieder als Rudersklave angekettet zu werden, Sir Hasard?" Der Seewolf hielt dem durchdringenden Blick des Sultans mühelos stand. Seine eisblauen Augen erwiderten den Blick so, daß der Inder nach einer Weile sogar zu lächeln begann. „Ich fange an, Sie zu verstehen, Kapitän. Trotzdem kann ich von meiner Forderung nicht abweichen." Er musterte die Arwenacks der Reihe nach und zeigte auf Carberry, Batuti, Stenmark, Sam Roskill, Blacky und Nils Larsen. „Ihr erhaltet Musketen sowie genügend Pulver und Kugeln. Gemeinsam mit meinen Soldaten werdet ihr Drawida Shastri jagen und zurückbringen. * Grell loderte das Feuer in der Esse. Das Zischen des Blasebalgs, der die
Glut unaufhörlich von neuem anfachte, erinnerte an den rasselnden Atem eines Dämons. Das Dröhnen der Schmiedehämmer wurde lauter. Jede Erschütterung war inzwischen körperlich spürbar und verursachte stechende Schmerzen. Vergeblich kämpfte er dagegen an und versuchte, die Geräusche und den Schmerz aus seinen Gedanken zu verdrängen. Er schaffte es nicht. Wild droschen die Hämmer auf den Amboß ein. Funken sprühten nach allen Seiten. „Nein!" wollte er schreien. „Hört auf damit!" Doch nur ein klägliches Stöhnen drang über seine Lippen. Das Pochen und Dröhnen unter der Schädeldecke trieb ihn zum Wahnsinn. Der Klang der eigenen Stimme erschreckte ihn. Was war geschehen? Wirre Erinnerungsfetzen wirbelten in seinen Gedanken durcheinander da war ein Gesicht, das sich hohnlachend über ihn beugte, und aus den Augen schossen Dolche auf ihn zu. Vergeblich versuchte er, dem scharf geschliffenen Stahl zu entrinnen. Gold! hämmerte es erbarmungslos in seinem Schädel. Gold...! Er wälzte sich mühsam herum. Nässe kühlte plötzlich sein Gesicht, und auf den Lippen spürte er den Geschmack von feuchtem Erdreich. Die Glut in der Esse, die er eben noch zu sehen glaubte, veränderte sich, sie wurde zur ausgedehnten Lache einer roten Flüssigkeit, die Moos und Erde vor ihm bedeckte. Der Anblick des eigenen Blutes brachte die Erinnerung vollends zurück.
56 Aber vielleicht war er doch tot, und die Götter stellten ihn nur auf die Probe. Bei der Überlegung angelangt, stockte Kokoka vorübergehend der Atem, er verschluckte sich und mußte krampfhaft husten, wobei die Schmerzen in der rechten Brust so stark wurden, daß er erneut die Besinnung verlor. Als er zum zweitenmal erwachte, war alles anders. Der Jäger wußte, daß er unwahrscheinliches Glück gehabt hatte. Die Schulterwunde war unerheblich. Gefährlicher erschien schon der Messerstich in die rechte Seite, doch die Klinge war offenbar an den Rippen abgeglitten und hatte ihn nicht ernsthaft verletzt, obwohl ihm jeder Atemzug leichte Übelkeit bereitete. Trotzdem fühlte er sich jetzt schon besser als vor wenigen Augenblicken. An der Armwunde hätte er verbluten können. Sein Leben verdankte er offenbar einzig und allein der Tatsache, daß er mit dem ganzen Körpergewicht auf dem Arm gelegen hatte. Die zuvor klaffende Wunde war zusammengedrückt worden und hatte sich, mittlerweile mit Blut und Schlamm dick verkrustet. Kokoka mußte lediglich hastige Bewegungen vermeiden, damit die dicke Schicht nicht aufbrach. Er war fast nackt. Seine Kleidung war spurlos verschwunden, darüber hinaus auch seine Jagdbeute. Taumelnd richtete er sich auf. Wieder mußte er gegen die aufwallende Übelkeit ankämpfen, und diesmal blieb er Sieger. Nur wenige Schritte entfernt fand er die Kleidung des Mannes, der ihn überfallen und niedergestochen
hatte. Offenbar hatte der Fremde die Sachen getauscht. Aber warum? Seine Stoffe waren wertvoller als Kokokas abgewetzte, dreckverschmierte Hosen und das einfache Hemd. Das Gesicht des Mannes würde er nie vergessen. Während er die fremden Sachen anzog, schwor er Rache. Bei allem, was ihm heilig war, er würde den Mann finden und zur Rechenschaft ziehen. Aber vorerst war er noch zu schwach, um weite Strecken zurückzulegen oder sich gar auf einen zweiten Kampf einzulassen. In dem Zustand und ohne Waffen durfte er ebensowenig wagen, den Dschungel zu durchqueren. Der einzige Weg, den er gehen konnte, führte am Strand entlang. Irgendwann würden ihn Fischer entdecken und an Bord nehmen, oder er konnte sich einem vorbeifahrenden großen Schiff bemerkbar machen. Obwohl Kokoka alle Besitztümer verloren hatte, war er zuversichtlich. Das kostbare Gut, sein Leben, hatte er noch. Er brauchte lange, bis er den nahen Bach erreichte, aber dann schöpfte er mit der hohlen Hand und trank gierig, als wäre er am Verdursten. Belebend rann das klare Wasser durch seine Kehle. In der Nähe lagen Kokosnüsse. Kokoka schlug eine davon mit einem kantigen Stein auf. Wahrscheinlich mußte er einige Tage am Rand der Bucht ausharren, bis er sich halbwegs gestärkt fühlte. Die Gewißheit, daß er weder verdursten noch ohne Hilfsmittel verhungern würde, erfüllte ihn mit Zuversicht.
57 Daran, daß seine Armwunde infiziert sein könnte, dachte er nicht. Solche Überlegungen schob er vorerst noch weit von sich, denn selbst gegen Wundbrand waren Kräuter gewachsen. Er aß das halbe Fleisch der Kokosnuß. Wenig später fielen ihm die Augen zu, und er schlief tief und traumlos. Als er erwachte, zog der neue Morgen über die Bucht herauf. * Gegen drei Uhr nachts verhallte der letzte Donner. Die Wolkendecke riß an mehreren Stellen gleichzeitig auf und gab den Blick auf einen sternenübersäten Himmel frei, nachdem sich auch der Nebel aufgelöst hatte. Nur vereinzelt trieben noch Dunstschwaden dicht über dem Wasser. Wenig später schüttete der Mond seinen fahlen Schein über die Bucht aus. Die „Cabo Mondego" hing nach wie vor am Rammsporn der Galeere. Mit größer werdender Schlagseite drohte sie jedoch abzurutschen, und es war nur eine Frage der Zeit, wann sie auf Tiefe ging. Der Wassereinbruch ließ sich nicht stoppen. Während kaum mehr als hundert Schritte entfernt eine Sandbank zu sehen war und die Karavelle dort schon auf Grund gelegen hätte, ergaben Lotungen an ihrem neuen Ankerplatz eine Wassertiefe von mehr als dreißig Yards. Es würde unmöglich sein, Gold und Silber aus der Tiefe zu bergen. Eine Vielzahl von Laternen verwandelte auf den beiden Schiffen die
Nacht zum Tag. Arwenacks und Inder arbeiteten Hand in Hand, denn es war gewiß keine leichte Aufgabe, elf Tonnen in Form von Barren und Gebrauchsgegenständen sowie kleinen Skulpturen aus den Laderäumen der „Cabo Mondego" an Deck zu holen und mittels an der Großrah angeschlagener Taljen auf die „Stern von Indien" umzuladen. Im untersten Deck der Karavelle stand das Wasser mittlerweile fast hüfthoch. Damit das Schiff nicht weiterhin mit derselben Schnelligkeit I wie bisher absackte, hatte der Seewolf ein zusätzliches Leichtern befohlen. Fünf Arwenacks warfen Geschütze und Lafetten sowie alles, was nicht niet- und nagelfest war, über Bord. Bald schwammen Kisten und Fässer in großer Zahl sowie alle zwölf Lafetten mit der auflaufenden Flut landwärts. Der Erfolg der Maßnahme war begrenzt, doch zumindest für etwas länger als eine Stunde veränderte sich der Wasserstand außenbords nicht, wie die von Bill angebrachten Markierungen mit weißer Farbe bewiesen. Danach sackte die „Cabo Mondego" jedoch erneut ab - etwas mehr als einen Inch in jeder Viertelstunde. Endlich überstrahlte die Helligkeit des heraufziehenden Tages den Schein der Laternen. Die Hälfte des Schatzes war inzwischen auf der „Stern von Indien" verstaut, ohne daß sich Zwischenfälle ereignet hätten. Die Schlagseite der Karavelle war nun deutlich wahrzunehmen, die Decks lagen um mindestens fünfzehn Grad nach Backbord geneigt. Es war
58 nicht mehr leicht, ohne Halt mit den schweren Lasten an Deck zu klettern, deshalb wurden Manntaue überall da gespannt, wo es nötig wurde. Ein stetes Knistern und Knacken, ein Plätschern, Raunen und Rumoren erfüllte den Schiffsrumpf, als erzähle die „Cabo Mondego" kurz vor ihrem Ende von ihrem sicherlich bewegten Leben. Mancher Arwenack hielt kurz inne und lauschte den vielfältigen Geräuschen. Es war ein verbreiteter Aberglaube unter den Seeleuten, Schiffe als etwas Lebendiges zu betrachten, zumeist als einen guten Freund, der vor den Unbilden der See und vor Naturgewalten schützte. Die Karavelle lag im Todeskampf und starb stückweise. Wer jetzt noch die unteren Decks betreten wollte, mußte schwimmen. Das Wasser stand bereits bis knapp zwei Ellen unter den Deckenbalken. Aus den betreffenden Laderäumen waren Gold und Süber längst heraufgeholt worden. Gegen neun Uhr wurde die Schräglage des Schiffes schon so bedrohlich, daß der Besanmast ohne ersichtlichen Grund fünf Fuß über den Dekkenplanken splitterte und samt der Rahrute über Bord stürzte. Die meisten Taue brachen und zuckten angreifenden Schlangen gleich über das Achterdeck, doch Teile des Riggs hielten den Mast in einer instabilen Lage. „Kappt Wanten und Stage und dann über Bord mit dem Zeug!" befahl der Seewolf. Der Mast hatte schon vorher eine unnatürliche Neigung nach Backbord aufgewiesen, die durch den Ramm-
stoß der Galeere stärker geworden war. An dem Vorfall gab es demnach nichts zu deuteln. Zwei Stunden später wurde die letzte Kiste mit goldenen Götterstatuen auf der Kuhl der „Stern von Indien" abgefiert. Das Wrack der Karavelle hing inzwischen schwer am Rammsporn der Galeere und drohte das Prunkschiff des Sultans zu beschädigen, wenn nicht gar mit sich in die Tiefe zu ziehen. Mit schweren Äxten schlugen indische Seeleute auf die Planken und Verstrebungen der Karavelle ein. Auf dem schmalen Rammsporn stehend, fanden sie keinen besonders guten Halt, doch Rameshand ließ sie mit Tauen über den Fockmast sichern. Die Ruderer auf beiden Decks hatten das schwerste Stück Arbeit zu erledigen. Von den Aufsehern angetrieben, legten sie sich mit aller Kraft in die Riemen. Knirschend schrammte der Rammsporn über dicke Planken. Doch die Schiffe lösten sich nur um Fingerbreite voneinander. Rameshand schickte Männer mit Äxten auch auf die Karavelle. Die Bucht hallte wider von den wuchtigen Schlägen und dem Splittern von Holz. Unablässig tauchten die Riemenblätter ein und drückten das Prunkschiff nach achtern, und endlich, begleitet von einem durch Mark und Bein gehenden Kreischen, löste sich die Galeere. „Verbrennt das Portugiesenschiff!" befahl der Sultan. „Sein Ende soll weithin sichtbar sein." Rameshand ließ die Galeere in Luv-
59 position verholen. Anschließend setzten fünf seiner Seeleute mit einem kleinen Beiboot zur Karavelle über. Sie mannten etliche Fässer an Bord, deren dunklen, zähflüssigen Inhalt sie wahllos in Luken und über Niedergänge ausschütteten. Einer steckte eine Pechfackel in Brand und warf sie, als sie hell aufloderte, in die Ladeluke auf der Kuhl. Es dauerte nicht lange, bis dichter Qualm aufstieg. Das Öl hatte Feuer gefangen. Gierig züngelten wenig später die ersten Flammen in die Höhe. Die Inder gingen mit ihrer Jolle gerade an der Galeere längsseits. Von da an dauerte es nicht mehr lange, bis die Kuhl lichterloh brannte. Schweigend stand der Sultan von Golkonda auf dem Achterdeck der „Stern von Indien" und starrte zu dem brennenden Schiff hinüber, dessen Takelage trotz der noch vorherrschenden Nässe wie ein glühendes Spinnennetz aufriß. Kleine Explosionen im Innern ließen die „Cabo Mondego" jäh tiefer absacken. Asche, Glut und Fetzen brennenden Segeltuchs wirbelten hoch und trieben langsam dem Kanal entgegen. Obwohl die Galeere in sicherer Entfernung von mehr als zweihundert Yards lag, war die sengende Hitze dort noch deutlich zu spüren. Nicht nur an Bord der „Stern von Indien" verfolgte jeder das Ende der Karavelle, auch aus dem Uferdikkicht wurde das Geschehen beobachtet. Das Gesicht des Mannes war schlammverkrustet, seine Wangen wirkten unnatürlich aufgedunsen, und ein schlecht gebundener Turban hing ihm fast bis über die Augen. Er
trug einfache, ebenfalls dreckige Kleidung, in seinem Gürtel steckten ein Dolch sowie ein langes Haumesser. Seine Hände ruhten auf den Griffen beider Waffen. Neben ihm, scheinbar achtlos zur Seite geworfen, lagen etliche Dutzend farbenprächtiger Vogelbälge. Der Mann war Istaran Nawab, bis vor kurzem noch Anführer der Palastwache des Sultans. In seinen Augen brannte ein verzehrendes Feuer, ähnlich dem, das auf der Karavelle wütete. 8. Während der Nacht in pflanzenüberwuchertem, teil morastigem Gelände Spuren zu finden, von denen keiner wußte, wo sie begannen, war ein mühsames Unterfangen. Mit blakenden Fackeln und in breiter Front rückte die Leibgarde des Sultans vom Ankerplatz der Karavelle her nach Süden vor. An der linken Flanke des Trupps, schon am Rande eines kleinen Sumpfgebiets, kämpften sich die Arwenacks durch dichtes Buschwerk. Bilalama war bei ihnen. Der noch immer nicht mit letzter Konsequenz rehabilitierte Inder gab die Hoffnung nicht auf, seinen Todfeind Istaran aufzuspüren. Daran änderte auch die Meinung der Arwenacks herzlich wenig, daß der Gesuchte bestimmt die Beine in die Hand genommen hatte. Schließlich war ihm Bilalama schon einmal bis in den Dschungel gefolgt, ohne ihn jedoch einzuholen. Um die nach dem Rammstoß der
60 Galeere geflohenen Portugiesen kümmerte sich die Leibgarde des Sultans nur am Rande. Ohne ihr Schiff waren die Seeleute ohnehin verloren und würden über kurz oder lang den Gefahren des Waldes erliegen. Was wußten sie schon von Giftschlangen, die im Dickicht nur ein geübtes Auge rechtzeitig erkannte, oder von hungrigen Tigern, die, wenn sie einmal Menschenfleisch geschmeckt hatten, zu reißenden Bestien wurden? Die Portugiesen waren in verschiedene Richtungen geflohen und hatten sich rücksichtslos mit den Blankwaffen durchs Uferdickicht geschlagen. Ihnen zu folgen, wäre selbst unter den gegebenen Umständen leicht gewesen. Aber Sonder, der Anführer der Leibgarde, wollte Drawida Shastri. Der Vetter des Sultans war indes nicht so unvorsichtig, eine deutliche Fährte zu hinterlassen. „Weißt du, wo wir den falschen Sultan nie suchen würden?" fragte Carberry unvermittelt den mißmutig neben ihm durch knöcheltiefen Schlamm stapfenden Stenmark. „Bei den Elefanten." „Vielleicht", erwiderte der Schwede wortkarg. „Glaubst du, mich interessiert, ob der Sultan seine Rache kriegt?" Carberry überhörte den unterschwellig anklingenden Vorwurf geflissentlich. „Die Dickhäuter hinterlassen einen sogar für Blinde unübersehbaren Trampelpfad", sagte er. „Kann schon sein", murmelte Stenmark, der sich nicht der Mühe unterzog, nachzudenken, auf was Carberry hinauswollte.
„Es ist so", bekräftigte Carberry, „du kannst dich auf deinen Profos getrost verlassen. Die Elefanten und ihre Treiber gehören zu Shastri, möglicherweise sind es sogar dieselben Tiere, denen in Madras das Gold aufgeladen wurde. Ich weiß nicht, ob sie an Schnelligkeit mit einem Segelschiff mithalten können, aber ohne die Lasten ist es sicher denkbar." „Drawida Shastri wäre töricht, würde er zu den Elefanten und ihren Treibern aufschließen." „Warum?" fragte Carberry. „Weil... Er muß sich klar darüber sein, daß ihn dort jeder zuerst suchen wird." „So klar ist das nicht. Sonder scheint kein Interesse an den Tieren zu haben." „Weil er ebenfalls weiß, daß Shastri die Herde meidet." „Das ist eben der Denkfehler", behauptete Carberry. „Vielleicht sitzt der Halunke schon im Nacken eines der Dickhäuter und läßt sich grinsend durch den Dschungel tragen." „Dann holen wir ihn ohnehin nicht ein. Warum sich also den Kopf zerbrechen, Ed? Momentan habe ich von dem Schatz und dem Hickhack drumherum den Kanal gestrichen voll. Da ist mir eine spanische Silbergaleone hundertmal lieber." Edwin Carberry schnalzte genießerisch mit der Zunge. „Da hast du allerdings recht", bestätigte er. „Bei den Spaniern weiß man wenigstens, woran man ist und muß nicht ständig Rücksicht nehmen, bloß weil die Lissy ein Handelsabkommen will. Sind wir wirklich noch freie Korsaren?" Stenmark überlegte lange.
61 „Doch", erwiderte er nach einer Weile, „ich denke schon. Solange uns niemand dreinredet, welchen Kurs wir zu steuern haben." Der Profos seufzte tief und inbrünstig. „Ich freue mich auf die Karibik, Sten, auf das Wiedersehen mit unseren Freunden vom Bund der Korsaren, auf die spanischen Geleitzüge, die es zu rupfen gilt, auf..." Er wurde jäh in seiner Schwärmerei unterbrochen, denn Sonder rief alle Männer zu sich. Sie waren auf einen breiten Pfad gestoßen, den die Elefanten hinterlassen hatten. Im Fackelschein erkannten sie, daß die Spur nicht zur Bucht führte, sondern in südwestliche Richtung von ihr fort. Stenmark grinste breit. „Was sagst du jetzt?" fragte er den Profos. „Abwarten", erwiderte Carberry. „Der Mann kann nicht so dumm sein, den Elefanten zu folgen." „Und wenn er es doch tut?" „Blödsinn." „Wollen wir wetten? Fünf Buddeln Rum." „Die hast du nicht." „Ich müßte sie Mac entsteißen." Das Narbengesicht Carberrys klärte sich auf wie der Vollmond, wenn er hinter einer Wolkenbank hervorlugt. „In Ordnung", sagte er. „Die Wette halte ich mit." Falls dem Schweden nun doch ein wenig mulmig im Magen wurde, verstand er jedenfalls geschickt, das zu verbergen. Obwohl der Profos ihn durchdringend musterte. Edwin Carberry war sich seiner Sache völlig sicher. Aber dieser Zu-
stand hielt nur für wenige Augenblicke an. Sein Narbengesicht wurde länger, als die Leibgardisten tatsächlich dem Trampelpfad folgten. Stenmark bemühte sich, seine Genugtuung nicht allzu deutlich zu zeigen. Dazu gehörte auch die Frage, wie es Mister Carberry wohl anstellen würde, dem Zweitkoch gleich fünf Flaschen Rum zu „entsteißen." * Der Trampelpfad führte nicht wie erwartet in den Urwald, sondern entlang des schmalen Streifen niedrigerer Vegetation zwischen dem nahen Bach und dem Waldrand. Besonders eilig schienen es die Mahouts dennoch nicht gehabt zu haben. Im Morgengrauen wurde deutlicher sichtbar, daß die Tiere normal ausgeschritten waren. Der Schein der aufgehenden Sonne zeigte ein üppiges Pflanzendickicht ringsum. Das Gewitter und der langanhaltende Regen während der Nacht hatten keine Schäden hinterlassen, im lockeren Erdreich war das Wasser längst versickert. Irgendwo vor ihnen, von einem ausgedehnten Palmenhain verborgen, trompetete ein Elefant. Weitere Tiere stimmten ein. Die Inder, nun nicht mehr auf die Fackeln angewiesen, die sie auf nacktem Erdreich gelöscht hatten, schritten schneller aus. Keiner der Arwenacks verstand, was sie sich zuriefen. Jenseits des Hains floß der Bach in einer weiten Schleife durch leicht hügeliges Gelände. Eine ausgedehnte Sandbank lag noch im Schatten der
62 Bäume. Dahinter wurde das Wasser tiefer. Die Elefantenherde badete. Etliche Tiere standen nahezu gänzlich im Wasser und nur ihre Rüssel ragten noch über die Oberfläche, andere suhlten sich im feinen Ufer sand. Einige Treiber säuberten die Dickhäuter, indem sie sie mit Blättern und feinem Astwerk abrieben. Obwohl die Mahouts den anrückenden Trupp zweifellos schon bemerkt hatten, griffen sie nicht zu den Waffen. Sie hielten nicht mal in ihrer Arbeit inne. Edwin Carberry fand, daß die Szene etwas Geruhsames, beinahe Idyllisches an sich hatte. Er spürte aber auch die Gefahr, die sich drohend aufbaute. Was immer Sonder und die Elefantentreiber miteinander redeten, die Seewölfe verstanden nur einen Bruchteil davon, und das wenige ergab keinen Sinn. „Wir hätten daran denken sollen, Dan oder die Zwillinge mitzunehmen", sagte Blacky. „Warum hast du nicht die HindiSprache gelernt?" fragte Nils Larsen. „Die Frage kann ich wohl guten Gewissens zurückgeben", erwiderte Blacky ärgerlich. Auf einen Wink ihres Anführers hin brachten die Männer der Leibgarde die Musketen in Anschlag. Als ob die Elefanten die Veränderung spürten, wurden sie unruhig. Ein besonders großer Bulle peitschte mit dem Rüssel aufs Wasser ein und riß danach mit den mächtigen Stoßzähnen die Uferböschung auf. „Wenn der Bursche losstürmt, hilft
nur noch eine Culverine", meinte Sam Roskill. „Oder ein gut gezielter Schuß zwischen die Augen", erwiderte der Profos. „Wenn der Koloß angreift, hast nicht mal mehr du eine ruhige Hand", erwiderte Sam Roskill. Allem Anschein nach hatte Sonder keinen Erfolg zu verzeichnen, denn er und seine Männer zogen sich nach einer Weile zurück. Daß Drawida Shastri und seine Leute nicht bei der Herde waren, konnten sie mit eigenen Augen sehen. Aus den Gesten der Mahouts folgerten die Arwenacks, daß sie behaupteten, dem Gesuchten nie begegnet zu sein. „Die erklären, daß ihre Anwesenheit in der Bucht und die Annäherung an die Karavelle rein zufällig waren, und Sonder muß ihnen glauben", sagte Batuti. „Wenn er auf die Leute schießen läßt, bringt ihn das keinen Schritt weiter. Der Sultan wird toben." Sonders Blicke sprachen Bände. Er war wütend, wurde infolgedessen unberechenbar und trieb seine Leute zu immer größerer Eile an. Die Arwenacks mußten Schritt halten, ob ihnen das gefiel oder nicht. Sonder wollte einen Erfolg vorweisen. Da er Drawida Shastri ohnehin nicht mehr einholen konnte, entlud sich sein angestauter Zorn über die drei Portugiesen, denen sie unvermittelt gegenüberstanden. Die Männer erweckten nicht den Anschein, als hätten sie den Rest der Nacht ruhiger verbracht als auf der Karavelle - ihre Kleidung war zerfetzt, sie bluteten aus einer Vielzahl kleiner Wunden und waren am Ende ihrer Kräfte.
63 Die blutigen Schiffshauer, die sie in Händen hielten, redeten eine deutliche Sprache. Einer der Männer rief mit schriller Stimme, daß im Dschungel der Teufel wohne, mit glühenden Augen und messerscharfen Krallen. Sonder erwies sich als keinen Deut besser als die wilden Tiere, von denen die Rede war. Für ihn waren auch die Protugiesen Verräter, denn sie hatten sich mit Drawida Shastri verbündet. Ohne jede Regung hob er seine Muskete und drückte ab. Die beiden anderen Männer hatten ebenfalls keine Chance. * Kurz bevor die Sonne ihren höchsten Stand erreichte, kehrte der Trupp zur Bucht zurück. Schon von weitem war die auf der Karavelle tobende Feuerbrunst zu sehen gewesen. Das Schiff sank bereits, die Explosion der Pulverkammer hatte das Heck weiter aufgerissen, und nun war das endgültige Ende nur noch eine Sache weniger Augenblicke. Ein letztes Zittern durchlief den Rumpf, als sich der Bug aufbäumte und steil aus dem Wasser stieg, dann ging die „Cabo Mondego" nahezu lautlos achteraus auf Tiefe. „Aus und vorbei", kommentierte Nils Larsen. „Der Sultan greift hart durch." Er ließ einen überraschten Ausruf folgen: „Was ist denn das für einer?" „Sieht aus wie ein Vogeljäger", sagte Batuti. Der Mann, der nur wenige Dutzend Yards entfernt das Uferdickicht verlassen hatte, näherte sich mit weit
ausgreifenden Schritten. Noch war keiner der Inder aufmerksam geworden, die weiter vorn standen und zur Galeere blickten, wo soeben zwei Boote ablegten. „Der will was von uns." „Eher von Bilalama." Edwin Carberrys Vermutung erwies sich als richtig, jedoch dachte er sich noch wenig dabei, als er sie aussprach. Im letzten Moment, bevor der mit Vogelbälgen beladene Fremde ihn erreichte, wandte sich Bilalama um. Er schien instinktiv zu spüren, daß sich ihm jemand näherte. Die Arwenacks erkannten noch immer nicht, wen sie vor sich hatten, da warf sich Bilalama schon zur Seite. Die Klinge eines Haumessers verfehlte ihn nur um Haaresbreite. Achtlos ließ der Angreifer seine farbenprächtige Last fallen und holte zum zweiten, tödlichen Hieb aus. Bilalama schrie auf. Abermals war er schneller, duckte sich unter dem Waffenarm und hebelte den Mann über sich hinweg. Hoch spritzte das brackige Uferwasser auf. Mit weit ausgreifenden Sätzen hetzte Bilalama zur Seite und riß seinen Dolch aus dem Gürtel. Doch der Angreifer folgte ihm nicht. Bäuchlings lag er in dem gerade eine Elle tiefen Wasser, das sich langsam rot färbte. Er war tot, denn er war so unglücklich gefallen, daß er sich das Haumesser selbst zwischen die Rippen gerammt hatte. Zögernd trat Bilalama wieder näher. Dann, als koste es ihn unendliche Überwindung, drehte er den Toten um. Das Wasser löste den Lehm aus
64 dem Gesicht des Mannes und ließ die zur Grimasse verzerrten Züge erkennen. „Istaran Nawab hat sich selbst gerichtet", sagte Bilalama tonlos. „Nun
wird mir der Sultan glauben müssen." Ohne noch einen Blick an den Toten zu .verschwenden, schritt er auf die Boote zu, die soeben anlegten...
Nächste Woche erscheint SEEWÖLFE Band 705
Die Ratten von Madras von Sean Beaufort Sie tauchten von der See- und von der Landseite her auf - die Ratten von Madras. Und es waren nicht mehr als fünf Arwenacks, die ihre Schebecke zu verteidigen versuchten und sich wie die Teufel wehrten. Mac Pellew stand im Eingang seiner Kombüse und hieb wild um sich, in der Linken die leergeschossene Pistole, in der Rechten ein Rundholz. Wieder krachte ein Schuß. Will Thorne hatte ihn abgefeuert und einen Angreifer in die Schulter getroffen. Das Messer, das dieser Kerl auf Big Old Shane hatte schleudern wollen, überschlug sich in der Luft und traf einen anderen Inder. Old Shane bückte sich unter einem Stein, der dicht über seinen Kopf sauste. Dann packte der riesige Graubart eine Spillspake, sprang in die Nähe des Ruderstandes und bewegte das Holz wie eine Sense im Halbkreis vor sich her. Der erste Rundschlag wirbelte fünf Angreifer von den Beinen, und Old Shane setzte nach...