Dana Mietzner / Dieter Wagner (Hrsg.) New Market Intelligence
GABLER RESEARCH Innovation und Technologie im modernen ...
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Dana Mietzner / Dieter Wagner (Hrsg.) New Market Intelligence
GABLER RESEARCH Innovation und Technologie im modernen Management Herausgegeben von Prof. Dr. Dieter Wagner und Dr. Dana Mietzner
Innovation und Technologie sind die Schlüsselfaktoren für den Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft. Damit einhergehende neue Entwicklungen in den Wirtschaftsund Sozialwissenschaften sollen durch diese Schriftenreihe zur Diskussion gestellt werden. Die Reihe bietet ein Forum für theoriegeleitete, anwendungsorientierte und interdisziplinär ausgerichtete wissenschaftliche Arbeiten, die der Weiterentwicklung des Wissens über Innovation und Technologie dienen. Im Mittelpunkt stehen die Identifizierung neuer Herausforderungen an das Management und das Wechselspiel mit dem wirtschaftlichen und politischen Umfeld eines Unternehmens. Die Reihe steht in engem Zusammenhang mit den Forschungsaktivitäten des Instituts für Gründung und Innovation der Universität Potsdam (CEIP), der zentralen wissenschaftlichen Einrichtung der Universität Potsdam, die mit dem Brandenburgischen Institut für Existenzgründung und Mittelstandsförderung (BIEM) verbunden ist.
Dana Mietzner / Dieter Wagner (Hrsg.)
New Market Intelligence Identifizieren und Evaluieren von Auslandsmärkten für Dienstleistungen in der roten Biotechnologie
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Ute Wrasmann | Britta Göhrisch-Radmacher Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2342-4
Vorwort Das vorliegende Buch liefert einen Überblick zu Ergebnissen aus dem Forschungsprojekt New Market Intelligence (NMI), das am Institut für Gründung und Innovation der Universität Potsdam im Zeitraum von November 2005 bis September 2009 durchgeführt wurde. Im Forschungsprojekt untersuchte das Team um Professor Dr. Guido Reger die strategische Vorausschau neuer Märkte und Geschäftsmöglichkeiten sowie das Internationalisierungsverhalten von Dienstleistungsanbietern in der so genannten „roten“ Biotechnologie. Das Projektteam wurde dabei von Projektpartnern, wie dem DECHEMA e.V./ Verband deutscher Biotechnologie-Unternehmen, BioTOP BerlinBrandenburg sowie Unternehmen der Biotechnologie, wie z.B. der BioGenes GmbH, der JPT Technologies GmbH, der GALAB Technologies GmbH, der ProBioGen AG, den Impfstoffwerken Dessau-Tornau sowie weiteren Verbänden und Unternehmen der Pharmaindustrie unterstützt. Das Projekt liefert nicht nur einen Beitrag für die Dienstleistungsforschung͕ sondern insbesondere für das strategische und internationale Management von kleinen und mittleren Biotechnologieunternehmen, die sich in einem globalen und dynamischen Wettbewerbsumfeld besonderen Herausforderungen gegenübersehen. Das Projektteam entwickelt u.a. auf der Grundlage einer Systematisierung von Dienstleistungen in der roten Biotechnologie, einem sehr fundierten Literaturüberblick, Experteninterviews und Expertenworkshops sowie auf Basis von Fallstudien mit 30 Biotechnologieunternehmen in Deutschland, Muster, die das Internationalisierungsverhalten sowie das Vorgehen in der strategischen Vorausschau neuer Märkte und Geschäftsmöglichkeiten charakterisieren, Managementempfehlungen erlauben und Grundlage bilden für die Ableitung eines New Market Intelligence Tools. Insgesamt betrachtet liefert diese Publikation einen fundierten Überblick für das Management von Biotechnologieunternehmen, die mit den Herausforderungen und Veränderungen systematisch umgehen wollen, um frühzeitig Chancen und Risiken zu
VI
Vorwort
identifizieren und die Unternehmens- und Internationalisierungsstrategie darauf auszurichten. Der vorliegende Sammelband leistet zudem einen wissenschaftlichen Beitrag zum internationalen und strategischen Management, der für Studierende und Wissenschaftler im Technologie-, Gründungs- und Innovationsmanagement gleichermaßen interessant ist. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle meinem geschätzten Kollegen Univ.Professor Dr. oec. Guido Reger, der das Projekt initiierte und begleitete und damit einen wichtigen Grundstein für weitere Forschungsarbeiten am BIEM CEIP legte. Mit dem viel zu frühen Tod von Guido Reger hat die „Innovations- und Gründungsszene“ einen besonders begeisterten Mitstreiter verloren. Ich bin dankbar für sein unermüdliches Wirken und die Zusammenarbeit mit ihm und werde mich nach Kräften bemühen, seine Ideen fortzuführen. Univ.-Professor Dr. rer. pol. Dieter Wagner Direktor am Institut für Gründung und Innovation der Universität Potsdam, Vizepräsident der Universität Potsdam für Wissens- und Technologietransfer
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................ ͘͘͘ /y
Einführung .................................................................................................................... ...1
Dienstleistungen in der roten Biotechnologie (DLrBT) .................................................. 4 Michael Nolting und Dana Mietzner Strategische VorausschaƵ͗ Begriff - Prozess - Methoden .......................................... ͘45 Dana Mietzner
Die Ɛtrategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen ................................... 75 Dana Mietzner
Internationalisierung von jungen High-Tech KMU..................................................... 127 Michael Nolting
Das Biotechnologiecluster in Singapur ..................................................................... ͘173 Michael Nolting und Guido Reger
New Market Intelligence – Ein Tool in der strategischen Vorausschau .................͘.. 21ϭ Dana Mietzner und Jan-Peter Hagenmüller AutorenƵŶĚ,ĞƌĂƵƐŐĞďĞƌ ………………………………………………………………………………..…. 239
Abkürzungsverzeichnis CRM
Customer Relationship Management
CIA
Cross-Impact Analyse
DLrBT
Dienstleistungen in der roten Biotechnologie
et al.
und andere
f.
folgende Seite
FDA
Food and Drug Administration
ff.
folgenden Seiten
FuE
Forschung und Entwicklung
GBN
Global Business Network
GMP
Good Manufacturing Practice
i.S.
im Sinne
KMU
Kleine und mittlere Unternehmen
M&A
Mergers & Acquisition
MEG
Market Entrance Guide
NMI
New Market Intelligence
PLZ
Produktlebenszyklus
SGD
Singapur-Dollar
TIA
Trend Impact Analyse
TRIZ
Theorie des erfinderischen Problemlösens oder Theorie zur Lösung erfinderischer Probleme
u. g.
unten genannte(n)
u. U.
unter Umständen
vgl.
vergleiche
Einführung Im Mittelpunkt des Projektes New Market Intelligence (NMI) stehen die strategische Vorausschau und das Internationalisierungsverhalten von Biotechnologieunternehmen in Deutschland. Ausgangspunkt für eine systematische Bestandsaufnahme zum Internationalisierungsverhalten von Dienstleistungsanbietern in der roten Biotechnologie (DLrBT) war eine tiefe Literaturrecherche sowie eine Dokumentenanalyse, die einen Überblick ermöglichte zu den wichtigsten Charakteristika der Dienstleistungen (vgl. Beitrag Dienstleistungen in der roten Biotechnologie (DLrBT)). Ausgehend von der im Projekt entwickelten Arbeitsdefinition für „Dienstleistungen in der roten Biotechnologie“ (DLrBT), wurde eine Datenbank aufgebaut, in der Unternehmen mit spezifischen, für das Projekt relevanten, Parametern erfasst wurden, die die Grundlage für die weitere Bestandsaufnahme bildeten. Unter DLrBT betrachten wir im Projekt alle gewinnorientierten Aktivitäten, die eine Integration von externen Faktoren erfordern, bei denen Methoden zur Anwendung kommen, die von der OECD 2005 als „Biotechnologische Techniken“ definiert sind und die im weiteren Sinne medizinische Anwendungen zum Ziel haben. Die Entwicklung der Arbeitsdefinition, der Aufbau und die Kategorienbildung der Datenbank erfolgten in enger Abstimmung mit den Projektpartnern. Auf Grundlage der entwickelten Datenbank konnten geeignete Unternehmen für die Durchführung von insgesamt 30 Fallstudien gewonnen werden. Ziel der Durchführung von Fallstudien war es, die Praxis der Internationalisierung (Internationalisierungsverhalten) und Muster in der Internationalsierung zu identifizieren und Managementimplikationen abzuleiten (vgl. Beitrag Internationalisierung von jungen High-Tech KMU). Im Rahmen der Fallstudienarbeit wurden Interviews mit Entscheidungsträgern durchgeführt sowie eine Dokumentenanalyse durch die Auswertung einschlägiger Websites, Fachzeitschriften, Geschäftsberichten, Creditreformdaten, Daten des elektronischen Bundesanzeigers sowie Reports vorgenommen.
2
Einführung
Die Untersuchung leistet einen Beitrag zur Erklärung der Internationalisierung von jungen Biotechnologieunternehmen. Die Forschungsleitfrage, dass Biotechnologieunternehmen aufgrund der globalen Markt- und Branchenstrukturen überwiegend ein so genanntes Born-Global-Verhalten zeigen, konnte dabei nicht bestätigt werden. Zum einen führen nahezu identische Markt- und Branchenstrukturen zu unterschiedlichen Internationalisierungsmustern, zum anderen dominieren stufenartige Internationalisierungsmuster. Die Abweichungen des stufenartigen Verhaltens von der Prozesstheorie nach Johanson und Vahlne haben dabei ihre Ursache in den Markt- und Branchenstrukturen. Globale Nischenmärkte erlauben keine Markteintrittsformen in die Zielmärkte mit hohen Vertriebsgemeinkosten und ebenso kann auf kulturell entfernte Leadmärkte nicht verzichtet werden. Stattdessen werden kooperative Marktbearbeitungsformen (Distributionspartnerschaften) eingesetzt. Hinsichtlich der Reihenfolge des Ländermarkteintritts spielen überwiegend emergente Entwicklungen gekoppelt mit rationalen Überlegungen eine Rolle. Das Marktwissen ist daher als Regulator der internationalen Ausdehnung nachrangig (vgl. Beitrag Internationalisierung von jungen High-Tech KMU. Ausgangspunkt für eine systematische Bestandsaufnahme zu Methoden und Prozessen der Früherkennung von neuen Märkten und Geschäftsmöglichkeiten, war eine tiefe Literaturrecherche, die einen Überblick ermöglicht zu Klassifizierungen und Typologien der Methoden der strategischen Vorausschau (vgl. Beitrag Strategische Vorausschau, Begriff - Prozess - Methoden), eine Systematisierung von Ansätzen zur Entwicklung von Szenarien sowie die Prüfung der Anwendung von Früherkennungsmethoden in DLrBT. In einem zweiten Schritt wurden 30 Fallstudien in Biotechnologieunternehmen durchgeführt. Des Weiteren erfolgte eine Dokumentenanalyse durch die Auswertung einschlägiger Websites, Fachzeitschriften, Geschäftsberichten, Creditreformdaten, Daten des elektronischen Bundesanzeigers sowie Reports. Ziel der Durchführung von Fallstudien war es, die Praxis der strategischen Vorausschau in den Unternehmen zu ermitteln, Muster zu identifizieren und die Anforderungen an ein New Market Intelligence Tool systematisch herauszuarbeiten (vgl. Beitrag Die Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen). Es konnten sechs unterschiedliche Muster zur Praxis der strategischen in Biotechnologieunternehmen identifiziert werden, die es erlauben das Vorgehen, angewandte Methoden und Gründe für das gewählte Vorgehen dezidiert zu betrachten. Als An-
Einführung
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forderungen an Methoden und Prozesse der strategischen Vorausschau wurde der spezifische Informationsbedarf der Branche ermittelt. Generelle Trendextrapolationen oder Reports von Analysten wurden als ungenügend eingeschätzt. Eine weitere Anforderung ist, dass spezifische Informationen und eine individualisierte Informationsbasis in einem nächsten Schritt mit Methoden der strategischen Planung verknüpft werden sollten und zudem in das operative Geschäft integriert werden müssen. Dabei besteht kein Bedarf an neuen Methoden sondern an einfacheren und effizienten Ansätzen, die den Erfordernissen der Branche angepasst sind. Somit konnten im Rahmen der Fallstudien in Biotechnologieunternehmen Anforderungen an ein Früherkennungstool aus Sicht der Unternehmen ermittelt und den in der Literatur diskutierten Ansätzen gegenübergestellt werden. Dieses Vorgehen ermöglichte das Ableiten von Anforderungen und Eigenschaften des New Market Intelligence (NMI) Tools sowie die Ableitung konkreter Funktionalitäten. Entsprechend den ermittelten Anforderungen und Funktionen wurde ein New Market Intelligence Tool als eine Softwarelösung entwickelt, die in Form einer WebApplikation für kleine und mittlere Dienstleistungsunternehmen in der roten Biotechnologie realisiert wurde (vgl. Beitrag New Market Intelligence - Ein Tool in der strategischen Vorausschau). Neben klassischen Internet-Portal-Funktionen, die die allgemeinen Informations- und Kommunikationsanforderungen abdecken, werden für Unternehmen individualisierbare Spezialdienste angeboten, die den Früherkennungsprozess ganzheitlich unterstützen. Dazu gehören z.B. Web-Content-MiningDienste, die dabei unterstützen, unternehmensrelevante Informationen aus dem Internet, als auch solche aus informellen Quellen beispielweise von Gatekeepern, gesammelt und effizient wieder auffindbar zu hinterlegen. Darüber hinaus ermöglicht das Tool eine Verknüpfung zu Szenarioanalysen, wodurch insbesondere die Identifikation von Zukunftsmärkten sichergestellt werden soll.
Dienstleistungen in der roten Biotechnologie (DLrBT) Michael Nolting und Dana Mietzner
Inhaltsverzeichnis
1
Die Einteilung der Dienstleistungen - Vorgehen ........................................................ 7
2
Definition der „Dienstleistungen in der roten Biotechnologie“ .................................. 9 2.1 Definition des Begriffes „Dienstleistung“ ................................................................. 9 2.2 Definition des Begriffes „Biotechnologie“.............................................................. 10 2.3 Definition des Begriffes „rot“ ................................................................................. 11 2.4 Resultierende Arbeitsdefinition ............................................................................. 12
3
Einteilung der Dienstleistungen in der roten Biotechnologie ................................... 13 3.1 Arzneimittelentwicklung ........................................................................................ 14 3.1.1 Methoden der Grundlagenforschung ................................................................. 15 3.1.2 Drug Discovery und Development ...................................................................... 17 3.1.3 Präklinische Entwicklung ..................................................................................... 19 3.2 Auftragsproduktion ................................................................................................ 20 3.2.1 Herstellung von Antikörpern ............................................................................... 21 3.2.2 Herstellung rekombinanter Proteine .................................................................. 21 3.2.3 Fermentation und Biotransformation chemisch komplexer Moleküle .............. 21 3.2.4 Peptidsynthese .................................................................................................... 21
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Michael Nolting und Dana Mietzner
3.2.5 Herstellung von Nukleinsäuren ........................................................................... 22 3.2.6 Herstellung von Therapeutika ............................................................................. 23 3.2.7 Herstellung von Werkzeugen für Forschung und Entwicklung ........................... 25 3.3 Auftragsentwicklung............................................................................................... 25 3.3.1 Auftragsentwicklung von Diagnostika ................................................................. 26 3.3.2 Auftragsentwicklung von Medizinprodukten und biomedizinischen Materialien .......................................................................................................... 26 3.3.3 Auftragsentwicklung von Testsystemen (Assays) ............................................... 26 3.3.4 Auftragsentwicklung von Werkzeugen für FuE ................................................... 28 3.3.5 Prozessentwicklung ............................................................................................. 28 3.4 Analytik .................................................................................................................. . 28 3.4.1 In vitro Diagnostik ................................................................................................ 29 3.4.2 Analytik von Medizinprodukten und biomedizinischen Stoffen ......................... 31 3.4.3 Arzneimittelanalytik ............................................................................................ 31 3.5 Bioinformatik .......................................................................................................... 31 3.5.1 Analyse experimenteller Daten ........................................................................... 32 3.5.2 Genom- und Sequenzanalyse .............................................................................. 33 3.5.3 Unterstützung der Arzneimittelentwicklung ....................................................... 33 3.5.4 Auftragsentwicklung von Software ..................................................................... 33 3.6 Sonstige Dienstleistungen ...................................................................................... 33 3.7 Zusammenfassung .................................................................................................. 34
Literaturverzeichnis ......................................................................................................... 43
Dienstleistungen in der roten Biotechnologie (DLrBT)
1
7
Die Einteilung der Dienstleistungen - Vorgehen
Um einen Überblick zu den von deutschen Biotechnologieunternehmen angebotenen Dienstleistungen zu gewinnen und eine fundierte Bestandsaufnahme durchführen zu können, wurde eine Datenbank erstellt, die die Ergebnisse einer Analyse der Webseiten von Biotechnologiefirmen systematisch darstellt. Der Vorteil dieses heuristischen Vorgehens liegt in der einfachen Verfügbarkeit sehr umfangreichen Datenmaterials, der Nachteil ist die fehlende Neutralität der Darstellung, da Webseiten auch als Marketinginstrument genutzt werden. Die Webseiten der einzelnen Biotechnologiefirmen werden im Hinblick auf das dargestellte Leistungsspektrum untersucht. Wenn mindestens eine der Leistungen durch die Arbeitsdefinition „Dienstleistung in der roten Biotechnologie“ abgedeckt ist, werden die Stammdaten der betreffenden Firma, deren Dienstleistungen und weitere, frei zugängliche Informationen in der Datenbank erfasst. Anhand des Materials werden zwei Möglichkeiten der Abstraktion gesehen: nach Anwendung bzw. Kundennutzen (Wofür werden Dienstleistungen angeboten?) und nach Methoden bzw. Techniken (Womit werden Dienstleistungen erstellt?). Im Zuge der Bearbeitung des Materials wird jedoch offenkundig, dass sich die Dienstleistungen häufig nicht eindeutig nach Anwendung und Methode aufgliedern lassen. Es kommt daher in mehreren Fällen vor, dass Anwendungen und Methoden gleichberechtigt in der Auflistung der Dienstleistungen geführt werden. Nach diesem ersten Abstraktionsschritt wird das Material sortiert und in Gruppen mit vorläufigen Überschriften sortiert, die das gemeinsame Merkmal beschreiben. Diese Merkmale stellen Verallgemeinerungen dar, die aus dem Material weitestgehend empirisch hervorgegangen sind. Am Ende des Sortierungsprozesses werden die deskriptiven Überschriften in Kategoriennamen umgewandelt. Abschließend werden die Indikatoren der Kategorien miteinander verglichen und die Logik des Systems insbesondere im Hinblick auf Überlappungen zwischen den Kategorien geprüft und gegebenenfalls angepasst. Es war jedoch nicht möglich, das Kategoriensystem so zu wählen, dass Überlappungen für jeden Einzelfall völlig auszuschließen sind. Die Erstellung der Datenbank ist Ausgangspunkt für eine Systematisierung und Kategorisierung der „Dienstleistungen in der roten Biotechnologie“.
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Michael Nolting und Dana Mietzner
Die Ergebnisse dieser Datenanalyse sind quantifizierbar (vgl. Darstellung 1) Insgesamt werden in der Datenbank 321 Firmen erfasst, die Dienstleistungen in der roten Biotechnologie anbieten. Die Leistungen der Firmen können den Oberkategorien Arzneimittelentwicklung, Auftragsproduktion, Auftragsentwicklung, Analytik, Bioinformatik und sonstige Dienstleistungen zugeordnet werden. Diese Kategorien und ihre Unterkategorien werden in Kapitel 3 näher erläutert. Die meisten Firmen sind in den Kategorien Arzneimittelentwicklung (302 Firmen), Auftragsproduktion (132 Firmen) und Auftragsentwicklungen (191 Firmen) tätig. Es handelt sich hierbei um Mehrfachnennungen. Die detaillierte Analyse der Unterkategorien in Kapitel 3 ermöglicht Rückschlüsse auf die Aktivitätsfelder der Unternehmen in der roten Biotechnologie.
Darstellung 1: Ergebnisse der Datenanalyse zur Kategorisierung von Dienstleistungen in der roten Biotechnologie auf der obersten Kategorienebene
Während man unter der Biotechnologie bis vor wenigen Jahren ausschließlich biologische Produktionsprozesse sowie die Gentechnologie verstand, ist der Begriff Biotechnologie heute im internationalen Sprachgebrauch Synonym für alle den Lebenswissenschaften (Biologie und Chemie z.T. auch Physik) zuzuordnenden Technologien zur Entwicklung und Herstellung verschiedenster Produkte in den Wachstumsbran-
Dienstleistungen in der roten Biotechnologie (DLrBT)
9
chen Pharma, Diagnostik, Gesundheit, Ernährung, Pflanzenschutz und Umwelt (vgl. BioTOP, 2005, 1). Die Boston Consulting Group (BCG) erwartet für die Dekade von 2000-2010 ein Wachstum der globalen Wertschöpfung durch die Biotechnologie von 136 Milliarden US-Dollar auf 433 Milliarden US-Dollar p.a. (vgl. Boston, 2001, 1) Dieses Wachstum entfällt hauptsächlich auf die Bereiche Pharma, Diagnostik und Ernährung. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sich die Umsetzung von Methoden der Biotechnologie in Dienstleistungen wie Sequenzierung, Peptidsynthese oder Auftragsproduktion mit einem Vorlauf von mehreren Jahren vollzieht. Der Anteil entsprechender Dienstleistungen an dieser Wertschöpfung ist daher wesentlich geringer. 2
Definition der „Dienstleistungen in der roten Biotechnologie“
Die Definition des Untersuchungsgegenstandes „Dienstleistungen in der roten Biotechnologie“ ergibt sich aus der Schnittmenge der Definitionen der Begriffe „Dienstleistungen“, „rot“ und „Biotechnologie“. Eine weitere Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes erfolgt durch den Zweck (hier: gewinnorientierte Unternehmungen) der Dienstleistungen in der roten Biotechnologie (DLrBT). Die Gewinnorientierung wird anhand der Rechtsform des Dienstleisters festgestellt, d.h. die Untersuchungsobjekte sind Kapital- und Personengesellschaften. Schließlich wird der Untersuchungsgegenstand noch hinsichtlich seiner Lokalisation eingegrenzt. Es werden nur die in Deutschland erstellten Dienstleistungen berücksichtigt. Dabei ist nicht der Hauptsitz des Dienstleisters, sondern der Erstellungsort der Dienstleistung relevant. 2.1
Definition des Begriffes „Dienstleistung“
Die Definition des Begriffes erfolgt in der Literatur äußerst uneinheitlich (vgl. Meyer, 1998, 5-9). Eine häufig verwendete Definition ist die Kombination aus drei Definitionsansätzen, der prozessorientierten, der potenzialorientierten und der ergebnisorientierten Definition der Dienstleistung (vgl. Meffert et al., 1995, 27). Für diese Untersuchung wird die „Integration des externen Faktors“ als konstitutives Merkmal der Dienstleistung angesehen, das von vielen Autoren unterstützt wird. Der externe Faktor „ist das Leistungsobjekt, auf das im Zuge der Dienstleistung eingewirkt wird“, d.h. externe Faktoren sind „materielle und immaterielle Güter des Abnehmers, seine Beteiligungsakte in Form von Arbeitsleistungen und Zeit“ (Frietzsche et al.,
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Michael Nolting und Dana Mietzner
2001, 14, 75). Die „Integration des externen Faktors“ kann anhand der Dienstleistung „Kryokonservierung von biologischen Proben“ verdeutlicht werden: das Leistungsobjekt sind die biologischen Proben, die vom Leistungsempfänger eingebracht werden und an denen die Dienstleistung (Kryokonservierung) erbracht wird. 2.2
Definition des Begriffes „Biotechnologie“
Die hier verwendete Definition der Biotechnologie richtet sich nach der Definition der OECD (vgl. OECD, 2005, 9). Die OECD gibt zwei Definitionen vor: eine allgemeine, beschreibende Definition der Biotechnologie (Single definition) und eine Listendefinition, in der alle Methoden der Biotechnologie benannt werden (List-based definition). Die Methoden der Biotechnologie sind im Überblick in der nachfolgenden Darstellung 2 aufgeführt. Die Single definition beschreibt die Biotechnologie als „The application of science and technology to living organisms, as well as parts, products and models thereof, to alter living or non-living materials for the production of knowledge, goods and services” (OECD, 2005, 9). Methode der Biotechnologie
Definition
DNA / RNA
Genomics, pharmacogenomics, gene probes, genetic engineering, DNA / RNA sequencing / synthesis / amplification, gene expression profiling, and use of antisense technology.
Proteins and other molecules
Sequencing / synthesis / engineering of proteins and peptides (including large molecule hormones); improved delivery methods for large molecule drugs; proteomics, protein isolation and purification, signaling, identification of cell receptors.
Cell and tissue culture and engineering
Cell / tissue culture, tissue engineering (including tissue scaffolds and biomedical engineering), cellular fusion, vaccine / immune stimulants, embryo manipulation.
Process biotechnology techniques
Fermentation using bioreactors, bioprocessing, bioleaching, biopulping, biobleaching, biodesul-
Dienstleistungen in der roten Biotechnologie (DLrBT)
Methode der Biotechnologie
11
Definition phurisation, bioremediation, biofiltration and phytoremediation.
Gene and RNA vectors Bioinformatics
Gene therapy, viral vectors. Construction of databases on genomes, protein sequences; modelling complex biological processes, including systems biology.
Nanobiotechnology
Applies the tools and processes of nano / microfabrication to build devices for studying biosystems and applications in drug delivery, diagnostics etc.”
Darstellung 2: Methoden der Biotechnologie
Die OECD entwickelte diese Definitionen, um die statistische Erhebung von Biotechnologischen Aktivitäten in den Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen. An ihnen richten sich die Definitionen der Biotechnologie verschiedener anderer Organisationen aus (vgl. DFVA, 2005, 2; Ernst&Young, 2005, 132; StatistischesBundesamt, 2005, 10). 2.3
Definition des Begriffes „rot“
Im deutschen Sprachraum ist die Einteilung der Biotechnologie nach Farben verbreitet, wobei der Begriff „rot“ meist nicht einzeln, sondern der Begriffsverknüpfung „rote Biotechnologie“ definiert wird. Bei Ernst&Young wird „rote Biotechnologie“ mit „Anwendung im medizinischen Bereich (Human- und Tiermedizin) mit den Unterkategorien Therapeutika / Wirkstoffe, Drug Delivery, Molekulardiagnostika und Tissue Engeneering“ (Ernst&Young, 2005, 23) definiert. Die Definition des Begriffes „rot“ lehnt sich in dieser Untersuchung an die Definition von Ernst&Young an, wird jedoch zu „Anwendungen im medizinischen Bereich (Human- und Tiermedizin)“ verkürzt. Bei der Interpretation des Begriffes werden alle Aktivitäten eingeschlossen, die einen Beitrag auf dem Weg zu medizinischen Anwendungen leisten können.
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Michael Nolting und Dana Mietzner
2.4
Resultierende Arbeitsdefinition
Aus der Überlappung der drei Einzeldefinitionen ergibt sich die Definition „Dienstleistungen in der roten Biotechnologie“, wie in der folgenden Darstellung 3 verdeutlicht wird.
Darstellung 3: Definition „Dienstleistungen in der roten Biotechnologie“
Die Datenerhebung wird anhand der Arbeitsdefinition durchgeführt. In Einzelfällen gibt es dennoch Zuordnungsschwierigkeiten. Bei der Vielfalt der biotechnologischen Methoden ist es nicht möglich, alle Methoden der „List-based Definition“ der OECD zuzuordnen. Die „Single Definition“ muss in vielen Fällen zur Abgrenzung genutzt werden. Ebenso ist die Grenze zwischen medizinischen und nicht-medizinischen Anwendungen nicht immer eindeutig zu ziehen. Eine enge Auslegung des Begriffes „medizinische Anwendung“ würde die Abgrenzung stark vereinfachen, jedoch auch das Untersuchungsobjekt signifikant einschränken. In den folgenden Kapiteln werden die Gruppen an Dienstleistungen in der roten Biotechnologie detailliert beschrieben sowie die Technologie- und Marktentwicklungen der wichtigsten Gruppen näher erläutert.
Dienstleistungen in der roten Biotechnologie (DLrBT)
3
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Einteilung der Dienstleistungen in der roten Biotechnologie
Nach dem Kategoriensystem1 (siehe Kapitel 1) gliedern sich die Dienstleistungen in die Oberkategorien Arzneimittelentwicklung, Auftragsproduktion, Auftragsentwicklung, Analytik, Bioinformatik und Sonstige (nicht kategorisierbare) Dienstleistungen (siehe Darstellung 4).
Darstellung 4: Einteilung der Dienstleistungen in der roten Biotechnologie
1 Das Kategoriensystem wird aus dem Material weitestgehend empirisch entwickelt. Zur Beschreibung werden daher bis auf wenige Ausnahmen keine Quellen verwendet. Es sei an dieser Stelle jedoch auf einschlägige Lehrbücher der Biotechnologie (z.B. Wink M. (Hrsg.) (2004): Molekulare Biotechnologie – Konzepte und Methoden, Weinheim) verwiesen.
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Michael Nolting und Dana Mietzner
3.1
Arzneimittelentwicklung
Diese Kategorie der DLrBT wird teilweise theoriegeleitet entwickelt und der idealtypische Ablauf der Arzneimittelentwicklung als Grundgerüst für die Zuordnung der Dienstleistungen verwendet (vgl. Fischer et al., 2003, 25, 65, 67-68, 72, 77; BPI, 2004; Robuck et al., 2005, 13-16). In der Arzneimittelentwicklung werden alle Dienstleistungen zusammengefasst, die einen Beitrag im pharmazeutischen Entwicklungsprozess leisten. Eingeschlossen sind hier auch Grundlagenforschung und angewandte Forschung, die dem Ziel der Arzneimittelentwicklung dienen. Nicht eingeschlossen sind die klinischen Phasen der Arzneimittelentwicklungen. Die einzelnen Schritte der Arzneimittelentwicklung sind überwiegend durch verschiedene staatliche Gesetze reguliert. Kunden für diese Dienstleistungen sind meist forschende pharmazeutische Unternehmen. Das Dienstleistungs- und Methodenspektrum ist sehr breit gefächert und reicht von den allgemeinen Methoden der Grundlagenforschung bis zu hoch spezialisierte Leistungen in der präklinischen Entwicklung. Eine Übersicht der Leistungen bietet die Darstellung 5.
Darstellung 5: Dienstleistungen in der Arzneimittelentwicklung
Dienstleistungen in der roten Biotechnologie (DLrBT)
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3.1.1 Methoden der Grundlagenforschung Das gemeinsame Merkmal dieser Dienstleistungen ist der Einsatz von biotechnologischen Methoden mit dem Ziel, neue Erkenntnisse zu generieren, die zur Entwicklung von neuen Arzneimitteln führen sollen. Die Dienstleistungen werden über die verwendeten biotechnologischen Methoden definiert, wobei Methoden und Anwendungen meist eng gekoppelt sind. Es kommt ein breites Spektrum an Methoden zum Einsatz. Die Methoden sind größtenteils etabliert und werden routiniert eingesetzt. Sie können außer in der roten Biotechnologie auch in anderen Feldern, wie z.B. in der Pflanzenphysiologie, ihre Verwendung finden. In Deutschland konzentrieren sich die Aktivitäten der Dienstleister in diesem Bereich zurzeit auf proteinbiochemische, nukleinsäurechemische und zellbiologische Dienstleistungen. Proteinbiochemische Dienstleistungen Unter den proteinbiochemischen Dienstleistungen wird eine Vielzahl von Dienstleistungen zusammengefasst, deren Leistungsobjekte Proteine (Eiweiße) sind. Die Proteine werden hinsichtlich ihrer Beschaffenheit untersucht oder Verfahren unterzogen, um sie aus Ausgangsmaterialen aufzureinigen. Die Analytik von Proteinen hat zum Ziel, deren Eigenschaften, wie Größe (Molekulargewicht), Abfolge der Aminosäuren, die Identität, die räumliche Struktur, spezifische funktionelle Eigenschaften u.a. aufzuklären. Häufig genannte Methoden sind elektrophoretische und assoziierte Methoden (ein- oder zweidimensionale SDS-PAGE, Anfärbungen im Gel, Blotting-Methoden), Konzentrationsbestimmungen, massenspektrometrische Methoden, Sequenzierung, Kristallisierung und Bestimmung der enzymatischen Aktivität über ELISA. Für die Proteinaufreinigungen werden in erster Linie chromatographische Methoden eingesetzt. Es werden Zielproteine aus einem Ausgangsmaterial aufgereinigt. Dieses Ausgangsmaterial kann z.B. der Inhalt von aufgelösten Zellen oder Geweben sein. Nukleinsäurechemische Dienstleistungen Nukleinsäurechemische Dienstleistungen umfassen Leistungen, welche die Evaluierung spezifischer Eigenschaften von Nukleinsäuren oder deren Vorbereitung für weitere Untersuchungen zum Ziel haben. Dies sind sehr unterschiedliche Leistungen. Häufig genannte Methoden sind Sequenzierung, massenspektrometrische Methoden
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Michael Nolting und Dana Mietzner
und Hybridisierungen von Nukleinsäuren auf Mikroarrays. Bei der „Bearbeitung“ von Nukleinsäuren werden Verfahren zur Vervielfältigungen (PCR-Amplifikation), zur Veränderungen der Basenabfolge (Mutagenese), zur Aufreinigungen und Klonierungen sowie unzählige andere Methoden eingesetzt. Zellbiologische Dienstleistungen Zu „Zellbiologischen Dienstleistungen“ gehören die Analyse oder Manipulation von Zellen und auch immunologische in vitro Methoden. Dabei werden vor allem eukaryontische Zellen und Zellkulturen hinsichtlich der Identität, Stabilität, Reinheit, Sterilität und Viruskontamination näher untersucht. Analysiert werden die Zellen auch hinsichtlich ihrer Oberflächenstrukturen sowie der Zusammensetzung ihres Proteoms und Genoms. Als häufige Methoden sind FACS-Analysen, Immunoassays, Enzymassays und Amplifikationen (PCR) zu nennen. Bei der Manipulation von Zellen werden Verfahren eingesetzt, in denen Zellen als Modelle verwendet, aufgereinigt, kultiviert oder in ihren Eigenschaften verändert werden sowie Zelllinien entwickelt werden. Der Schwerpunkt dieser Dienstleistungsgruppe liegt in der Verwendung von Zellen als Modelle für Organe (z.B. Gehirn) oder Krankheiten (z.B. Tumore) und in der Entwicklung von Zelllinien. Mit der Verwendung von Zellen als Modelle kann unter anderem abgeschätzt werden, ob potenzielle Wirkstoffe einen Effekt bei den Organen oder Krankheiten hervorrufen können aus denen diese Zellen stammen. Die Entwicklung von Zelllinien erfolgt z.B. mit dem Ziel, sie später für die Produktion von Biopharmazeutika zu verwenden. Immunologische in vitro Methoden sind Verfahren, bei denen Zellen des Immunsystems analysiert werden. Dazu gehört u.a. die funktionelle Charakterisierung von Immunzellen mit komplexen Methodenverbünden, zu denen FACS und Mikroskopische Verfahren gehören. Manipulation von Geweben und Organen Dies sind Verfahren, mit denen Gewebe und Organe aufbereitet werden, insbesondere die Anfertigung von Dünnschnitten sowie die Einbettung und die Färbung von Chromosomen mit Sonden oder von Proteinen mit Farbstoff-markierten Antikörpern. Manipulation von Lebewesen Unter Manipulation von Lebewesen werden folgende Dienstleistungen zusammengefasst:
Dienstleistungen in der roten Biotechnologie (DLrBT)
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Experimente mit Tiermodellen von Krankheiten Herstellung transgener Tiere Herstellung von Knock-Out / Knock-In Mäusen Sonstige Tierexperimente Herstellung und Charakterisierung von Viren.
Die erste Gruppe „Experimente mit Tiermodellen von Krankheiten“ umfasst Tierexperimente, bei denen speziell gezüchtete Tiere, meist Mäuse, verwendet werden. Die Züchtungen weisen Merkmale für bestimmte Krankheiten, wie Bluthochdruck oder Tumore auf. An ihnen werden z.B. potenzielle Wirkstoffe getestet. Bei der zweiten und dritten Gruppe „Herstellung transgener Tiere“ und „Herstellung von Knock-Out / Knock-In Mäusen“ werden genetisch veränderte Tiere nach Kundenanforderungen entwickelt. Transgene Tiere werden hergestellt, indem Nukleinsäuresequenzen, die Gene kodieren, in das Erbgut des Tieres eingefügt werden. Bei der Herstellung von Knock-Out / Knock-In Mäusen werden spezifische Gene im Erbgut des Tieres verändert, d.h. zerstört oder durch eine mutierte Variante ersetzt (vgl. Wink, 2004, 543555). Unter „Sonstigen Tierexperimenten“ sind Dienstleistungen zusammengefasst, welche die Durchführung von klassischen Tierversuchen zum Inhalt haben, wie z.B. Xenotransplantation von Tumorgewebe. Die letzte Gruppe „Herstellung und Charakterisierung von Viren“ beschreibt Dienstleistungen, bei denen genetisch veränderte Viren oder Bestandteile von Viren produziert und untersucht werden. Die Viren enthalten zusätzliche Gene und werden z.B. als Transportvehikel für diese Gene verwendet. 3.1.2 Drug Discovery und Development Die „Pharmakogenetik“ beinhaltet die Bestimmung von vererbten Genvariationen, welche die Wirksamkeit und den Stoffwechsel (und damit die Nebenwirkungen) von Arzneimitteln beeinflussen. Auf Basis dieser Analysen können Medikamente speziell für bestimmte Patientengruppen entwickelt werden. Die Pharmakogenetik ist ein Schritt zur Entwicklung von individualisierten Arzneimitteln. Die zugrunde liegende Technik ist überwiegend die DNA-Sequenzierung. Die „Identifikation und Untersuchung von Zielmolekülen“ („Targets“) ist ein früher Schritt im Prozess der Arzneimittelentwicklung. Die Zielmoleküle spielen eine wichtige Rolle bei Krankheiten. Mit den Untersuchungen sollen Zielmoleküle entdeckt und
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charakterisiert werden, damit in einem nächsten Schritt Wirkstoffe gegen diese „Targets“ entwickelt werden können. Rezeptoren und Ionenkanäle sind häufige Zielmoleküle. Sie spielen eine zentrale Rolle bei der Übertragung von Signalen in die Zelle. Die Techniken zur Identifikation werden meistens nicht spezifiziert, bzw. sind sehr vielschichtig. Es werden Methoden wie RNAi und Patch-Clamp-Untersuchungen genannt. Die „Identifikation von Biomarkern“ im Anwendungsfeld der Arzneimittelentwicklung bezieht sich auf Indikatormoleküle, die spezifisch für die jeweiligen Krankheiten oder spezifisch für die Wirkung oder Nebenwirkung von Arzneimitteln sind. So kann ein Ziel sein, neue Indikatormoleküle zu entdecken, die eine bestimmte Immunantwort, eine toxische oder eine pharmakologische Wirkung anzeigen. Die zur Identifikation von Biomarkern eingesetzten Techniken stammen überwiegend aus dem Bereich der Proteinanalyse. Insbesondere sind hier die Massenspektroskopie und die 2DGelelektrophorese zu nennen. Die „Identifikation, Entwicklung und Untersuchung von Wirkstoffen“ ist ein vielschichtiger Prozess, der ebenfalls relativ am Anfang der Entwicklung eines Arzneimittels steht. Der Prozess beginnt mit der Darstellung von Wirkstoffen durch Aufreinigung aus Rohmaterial oder durch kombinatorische Chemie, sein Ziel ist die Identifikation von Leitstrukturen, die dann in den weiteren Schritten der Arzneimittelentwicklung geprüft werden können. Zur Identifikation von Leitstrukturen, müssen Substanzbibliotheken durchsucht werden. Dieses so genannte „Screening“ erfolgt in Hochdurchsatzverfahren. Die angebotenen Dienstleistungen sind so vielfältig wie die Techniken. Im Bereich des „Drug Discovery“ zeichnen sich einige klare Technologietrends ab. Es sind schnellere Analysemethoden notwendig, mit denen eine höhere Anzahl an potenziellen Wirkstoffen effizienter bearbeitet werden können. Diese Methoden sollten auch kosteneffizienter werden. Der Trend geht daher zu Hochdurchsatz-Systemen, die eine große Zahl von potenziellen Wirkstoffen schnell, automatisiert und effizient testen können. Auch die Miniaturisierung der Reaktionsansätze in den Testsystemen wird weiter an Bedeutung gewinnen, da auf diese Weise Reagenzienkosten gespart werden können. Eine weitere technologische Innovation für die Arzneimittelentwicklung ist RNA-Interferenz (RNAi). Diese Technologie wird verwendet, um Zielgene zu entdecken und zu validieren. Der Einsatz von Informatik-Lösungen, welche das Ma-
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nagement und die Integration von Daten verbessert, soll hier als letzter technologischer Trend genannt werden. Durch die Verwendung solcher Werkzeuge kann die Effizienz der FuE signifikant gesteigert werden (vgl. Frost&Sullivan, 2005a). 3.1.3 Präklinische Entwicklung Ziel der „Pharmakodynamik“ ist es, Vorhersagen über Wirkungsmechanismus, Wirkungsstärke, Wirkungsspezifität und über die therapeutische Breite der Leitstruktur zu treffen. Mit der „Pharmakokinetik“ wird die Aufnahme / Resorption, Verteilung, Verstoffwechselung und Ausscheidung des Wirkstoffes durch den Organismus (kurz „ADME“: Absorption, Distribution, Metabolismus, Exkretion) untersucht. Dies geschieht in der Regel indirekt über die Analyse des zeitlichen Verlaufs der Wirkstoffkonzentration in Körperflüssigkeiten, wie Blut und Urin. Die Untersuchungen zu ADME basieren entweder auf Tierexperimenten (in vivo) oder werden in vitro mit Hilfe spezifischer Technologien durchgeführt. In der „Toxikologie“ werden toxische Effekte von Wirkstoffen, d.h. unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) erkannt, beschrieben und quantifiziert. Toxikologische Untersuchungen werden, analog den pharmakologischen Untersuchungen während des gesamten Entwicklungsprozesses durchgeführt. Sie folgen einem regelhaften Ablauf in denen die einzelnen Testparameter geprüft werden. Die Testparameter sind akute Toxizität, subakute Toxizität, chronische Toxizität, Mutagenität, Karzinogenität und Teratogenität. Hierbei werden überwiegend Tierversuche und teilweise Zellkulturtechniken angewendet. Einige Unternehmen haben sich auf toxikologischen Untersuchungen in bestimmten Geweben (z.B. ZNS) spezialisiert. Die Pharmakodynamik und die Toxikologie werden manchmal auch zu „ADMET“ zusammengefasst. In diesem Bereich sind die wichtigsten Markttreiber bis zum Jahre 2009 mögliche Kosteneinsparungen durch Auslagerung seitens der Pharmafirmen, die zunehmende Anzahl der Zielgene, die Verbesserung der Software sowie der verstärkte und im Arzneimittelentwicklungsprozess frühere Einsatz von Hochdurchsatztechnologien (vgl. Frost&Sullivan, 2003, 2-6). Diesen Markttreibern stehen einige wichtige Hemmnisse entgegen. Das sind Ablösung der in vitro / in vivo Untersuchungen durch neue Technologien, hohe FuE-Kosten, fehlende FuE-Mittel und die leere Pipeline der Pharmafirmen, welche die Notwendigkeit für Auslagerungen verringert (vgl. Frost&Sullivan, 2003, 2-13; Frost&Sullivan, 2005b, Folie 31).
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Die „Galenik“ oder pharmazeutische Technologie verarbeitet Arzneistoffe zu Darreichungsformen. Eine spezielle Form der Galenik stellt „Drug Delivery“ dar. Darunter ist die punktgenaue Lieferung des Wirkstoffes zum Wirkort zu verstehen. Dienstleistungen, die dieser Kategorie zugeordnet werden können, sind PEGylierung von Proteinen und Untersuchungen zum Einfluss von Transportvehikeln mittels Tierexperimenten. 3.2 Auftragsproduktion Die „Auftragsproduktion“ umfasst Leistungen, bei denen Leistungsgeber unter Mitwirkung der Leistungsnehmer (externer Faktor) in dessen Auftrag Sachgüter herstellen. Die Abgrenzung zur reinen Sachgüterproduktion ist oftmals schwierig. Die Bereiche der „Auftragsproduktion“ sind in Darstellung 6 aufgeführt.
Darstellung 6: Auftragsproduktion als Dienstleistung
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3.2.1 Herstellung von Antikörpern Zur Herstellung von Antikörpern gehört die Produktion von monoklonalen, polyklonalen und rekombinanten Antikörpern. In der Dienstleistungsgruppe „Rekombinante Antikörper werden Leistungen zusammengefasst, bei denen die Antikörper mit anderen (in vitro) Techniken hergestellt und bei denen die Antikörper weiter modifiziert werden. Unter Antikörper-Engeneering sind gezielte Veränderungen von Antikörpern zu verstehen, z.B. die Fragmentierung von Antikörpern oder die Konjugation mit Markern bzw. anderen Stoffklassen (vgl. Wink, 2004, 511-535). 3.2.2 Herstellung rekombinanter Proteine Unter „Herstellung rekombinanter Proteine“ ist die Auftragsproduktion von Proteinen unter Verwendung von Expressionssysteme zu verstehen. Die Leistungen differenzieren sich anhand der verwendeten Expressionssysteme, anhand der hergestellten Proteinarten oder deren Verwendung. Die Beschreibung anhand der Expressionssysteme und der Proteinklassen ist die technische Dimension der Leistung. Die Proteinsynthese wird auch im Großmaßstab in Form der industriellen Fermentation für die meisten Expressionssysteme angeboten. Rekombinante Proteine werden für funktionelle Analysen und Strukturanalysen, für Target-Validierungen, für klinische Studien und für die Diagnostik hergestellt. 3.2.3 Fermentation und Biotransformation chemisch komplexer Moleküle Diese Dienstleistungsgruppe umfasst die Produktion komplexer Moleküle mittels biotechnologischer Methoden und tangiert somit auch den Bereich der Weißen Biotechnologie. Da es sich hierbei jedoch auch um pharmazeutisch relevante Substanzen (z.B. chirale Moleküle für die Arzneimittelproduktion) handelt, werden diese Dienstleistungen hier aufgeführt. Die Werkzeuge für diesen Prozess sind vor allem Enzyme aus extremophilen Mikroorganismen, Bakterien- oder Hefekulturen. 3.2.4 Peptidsynthese Unter „Peptidsynthese“ sind Leistungen zu verstehen, bei denen kurze Sequenzen von Proteinen in einem zumeist automatisierten chemischen Verfahren hergestellt werden. Dabei werden auch andere als die natürlich vorkommenden Bausteine der
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Proteine (Aminosäuren) verwendet oder einzelne Aminosäuren nach der Synthese chemisch modifiziert. Insgesamt sind die Dienstleistungen recht einheitlich. Nach Frost&Sullivan teilt sich der Markt für Peptide in „Peptide für Forschung und Entwicklung“ und in „Peptide als Arzneimittel“ ein. Das erste Marktsegment umfasst lediglich 7%, so dass der überwiegende Marktanteil (93%) von therapeutischen Peptiden besetzt wird (vgl. Frost&Sullivan, 2004a, Folie 50). Der Markt für therapeutische Peptide befindet sich in der Wachstumsphase. Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate wird bis 2010 ca. 10,5% p.a. betragen. Die Preissensitivität ist momentan noch niedrig, wird aber weiter zunehmen. Die Wettbewerbsintensität ist mittelstark ausgeprägt, nimmt jedoch ebenfalls weiter zu. Der Grad des technischen Wandels ist als hoch einzustufen, wobei auch er sich weiter erhöhen wird (vgl. Frost&Sullivan, 2004a, Folie 51). 3.2.5 Herstellung von Nukleinsäuren Analog zur „Peptidsynthese“ werden bei der „Herstellung von Nukleinsäuren“ biologische Makromoleküle synthetisch hergestellt. Meist sind die synthetisierten Moleküle kurz (Oligonukleotide) und werden als Ausgangsstoffe in biotechnologischen Reaktionen verwendet, z.B. werden DNA-Oligonukleotide in der PCR eingesetzt, um mit ihrer Hilfe bestimmte größere Nukleinsäureabschnitte zu amplifizieren. RNAOligonukleotide werden u.a. für RNA-Interferenz (RNAi) hergestellt. Zu den Leistungen gehört auch die Modifikation und Markierung von Nukleinsäuren mit Farbstoffen. Markierte Nukleinsäuren werden in der Regel für Nachweisreaktionen eingesetzt. In Einzelfällen wird auch die Synthese langer Nukleinsäurenabschnitte angeboten. Bei der „Gensynthese“ werden größere DNA-Abschnitte auf synthetischem Wege hergestellt. Die fertig synthetisierten DNA-Abschnitte tragen die Informationen für bestimmte Proteine, wobei in der Herstellung verschiedene Techniken angewendet werden. Der chemischen Synthese von Oligonukleotiden folgen meistens deren Verbindung zu kompletten Genen und die „Verpackung“ in zirkuläre DNA-Moleküle (Vektoren). Die Schlüsseltrends, welche die Wachstumsrate des Marktes beeinflussen, sind insbesondere die zunehmende Verwendung von Oligonukleotiden in der Pharmazeutischen Industrie, bei Biotechnologieunternehmen und in der akademischen Welt, in
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Molekulardiagnostika, durch zunehmende genomische Studien und die zukünftige therapeutische Verwendung von Oligonukleotiden. Auch der Ablauf der Patente stellt einen treibenden Faktor für das Marktwachstum dar (vgl. Frost&Sullivan, 2004b, Folie 17 und 19).
Darstellung 7: Prognostiziertes Marktwachstum für Oligonukleotide (Weltmarkt 2000 bis 2010) (Frost&Sullivan, 2004b, Folie 26)
3.2.6 Herstellung von Therapeutika Individuell hergestellte Therapeutika sind Autovakzine, autologe Transplantate oder Implantate sowie Zelltherapeutika. Für die Herstellung von Autovakzinen werden Krankheitserreger aus dem Körper entnommen und in abgeschwächter Form zur Aktivierung des Immunsystems zurück in den Körper verbracht. Im Falle der Herstellung der Tumorvakzine werden Tumormaterial und Immunzellen dem Körper entnommen, die Immunzellen mit dem Material beladen und zurück in den Körper injiziert. Autologe Transplantate werden meist für die Behandlung von Arthrose und Arthritis hergestellt. Knorpelgewebe wird dem Körper entnommen, außerhalb des Körpers
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gezüchtet und an schadhaften Stellen reimplantiert. Implantate unterscheiden sich von den Transplantaten durch die körperfremde Matrixstruktur, auf der das körpereigene Material gezüchtet wird. Solche Implantate werden z.B. für das Blutgefäßsystem verwendet. Die Herstellung von diesen Transplantaten und Implantaten ist auch unter dem Begriff „Tissue Engeneering“ bekannt. Bei der Herstellung von Zelltherapeutika werden in der Regel Zellen des Immunsystems entnommen, vermehrt und z.B. in der Herstellung von Tumorvakzinen verwendet. Der Gesamtmarkt für die Auftragsproduktion biopharmazeutischer Wirkstoffe wuchs 2004 auf ein Volumen in Höhe von 1,7 Mrd. US$ (2003: 1,4 Mrd. US$). Auch für 2006 wird ein gesundes Wachstum erwartet. Basis der Wachstumsperspektive ist die Vielzahl an biopharmazeutischen Wirkstoffen in den Pipelines der Pharma- und Biotechnologieunternehmen. Der Trend zur Fremdvergabe wird sich verstärken, wobei sich die Pharma-Unternehmen möglicherweise zukünftig mehr auf ihre Kernkompetenzen, dem (Projekt-)Management der Entwicklung von Arzneimitteln, sowie Verkauf und Marketing, beschränken. Ein weiterer Trend könnte die Fremdvergabe nach Asien sein. Treibende Kräfte sind hier die niedrigeren Lohnkosten bei etwa gleichem Ausbildungsstand und die Möglichkeit zum schnellen Ausbau von Kapazitäten. Hemmende Kräfte dieses Trends sind verschiedene Gefahren, wie die Diffusion proprietären Wissens (vgl. Köhler, 2006).
Darstellung 8: Beauftragung Pharma-Outsourcing 2006 (Köhler, 2006)
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3.2.7 Herstellung von Werkzeugen für Forschung und Entwicklung In dieser Gruppe sind Auftragsproduktionen von Mikroarrays zusammengefasst, für die eine Endanwendung nicht angegeben ist. Es handelt sich um DNA- und GewebeMikroarrays. 3.3 Auftragsentwicklung Die Auftragsentwicklung gliedert sich in fünf Gruppen (siehe Darstellung 9). Das gemeinsame Merkmal der Gruppen ist die Beteiligung an bzw. die Unterstützung von Produktentwicklungen im Kundenauftrag.
Darstellung 9: Auftragsentwicklungen als Dienstleistung
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3.3.1 Auftragsentwicklung von Diagnostika Die Auftragsentwicklung von Diagnostika umfasst Entwicklungen, die im Fremdauftrag durchgeführt werden und deren Endprodukte dem Nachweis von Krankheiten und Krankheitserregern dienen. Als Anwendungen wird der Nachweis von Mikroorganismen bzw. der Nachweis von Infektionskrankheiten genannt. Techniken, denen die entwickelten „Kits“ zugrunde liegen, sind z.B. Sequenzanalysen und immunbiologische Techniken. 3.3.2
Auftragsentwicklung von Medizinprodukten und biomedizinischen Materialien
Die „Überprüfung von Medizinprodukten und biomedizinischen Materialen“ stellt einen Abschnitt in der Entwicklung der Produkte dar. Wie in der Arzneimittelentwicklung ist die Entwicklung von Medizinprodukten staatlich reguliert. Im Leistungsspektrum dieser Kategorie gibt es Analogien zur Arzneimittelentwicklung. So werden Leistungen im Bereich Toxikologie und Kinetik (Metabolismus und Permeation) angeboten. Die in diesem Bereich eingesetzten Methoden sind ebenfalls hauptsächlich Zellkulturtechniken und Tierexperimente. Für die Kinetik werden Untersuchungen zur Permeation am Hautmodell und zur Biotransformation angeboten. Eine weitere Leistungsgruppe wird mit „Untersuchungen zur Biokompatibilität“ beschrieben. Hier sind Untersuchungen zur Verträglichkeit von Stoffen und Implantaten zusammengefasst. Angegeben werden Blutverträglichkeitsprüfungen, Hautverträglichkeitsprüfungen und Prüfung auf entzündungsfördernde Stoffe, wobei in erster Linie Tierexperimente eingesetzt werden, aber auch verschiedene Assays zur Anwendung kommen. 3.3.3 Auftragsentwicklung von Testsystemen (Assays) Die in diesem Bereich genannten Techniken umfassen ein breites Spektrum. Assays werden auf der Basis von Beads, PCR, RNAi, Mikroarrays, SPR, Photometrie, Zellkultur und immunologischen Methoden (ELISA, RIA) oder auf der Basis von Peptiden und Aptameren entwickelt. Als Anwendungen werden Assays für mikrobielle Kontaminationen, für Parameter, der Wirkstoffidentifizierung und –charakterisierung, für Qualitätskontrollen, für Prozesskontrollen, für bestimmte Molekülklassen (Proteine allgemein, Membranproteine, Enzyme), für bestimmte Wirkstoffklassen und für genetische Nachweise angegeben. Die Auftragsentwicklung von Werkzeugen in FuE allge-
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mein umfasst Leistungen, bei denen Werkzeuge entwickelt werden, die in Forschung und Entwicklung eingesetzt werden können, wobei die Leistungen nur durch die zugrunde liegenden Techniken (Mikroarrays, FISH-Sonden Amplifikationssysteme und Stämme) beschrieben werden. Für den Markt der DNA-Mikroarrays wird von Frost&Sullivan weltweit ein durchschnittliches, stabiles Wachstum von 14,1% p.a. bis 2012 vorhergesagt. Weiterhin ist der Markt stark fragmentiert und von einer hohen Wettbewerbsintensität, besonders zwischen den größeren Anbietern, geprägt. Zurzeit befindet sich der Markt für DNAMikroarrays im Wandel. Der Fokus liegt zunehmend auf der Integration von Produkten, der Validierung und auf Werkzeugen der Datenanalyse. DNA-Mikroarrays werden zukünftig besonders in der Diagnostik und in klinischen Studien eingesetzt, doch dafür muss sich ein Branchenstandard durchsetzen, d.h. es sind standardisierte, vergleichbare Plattformen nötig. Technologien, mit denen Mikroarrays im Wettbewerb stehen, sind die TaqMan-Technologie und Bead-basierte Lösungen. In den nächsten Jahren wird sich das Interesse der Kunden auf Diagnostische Arrays, auf kundenspezifische Arrays und auf kommerziell erhältliche Arrays verschieben, wobei die Preise zurückgehen werden (Frost&Sullivan, 2004c, Folie 6, 11, 24, 26; 2006b). Auch bei den kommerziellen Arrays ist die Wettbewerbsintensität hoch und der durchschnittliche Preis eines Arrays wird um 2% pro Jahr zurückgehen. Das bedeutet eine Zunahme der Anzahl konsumierter Arrays um insgesamt 10-11%. Zurzeit dominiert die Firma Affymetrix den Markt (65%), in größerem Abstand gefolgt von Agilent (16%) (vgl. Frost&Sullivan, 2004c, Folie 33, 35, 40, 41, 42). Die wichtigsten technologischen Trends sind die zunehmende Verwendung von vorgefertigten, auf spezifische Themengebiete fokussierten Mikroarrays, der Kundenwunsch nach Sensitivität, nach Reproduzierbarkeit und damit nach standardisierten Lösungen, die Zunahme der Dichte auf den Arrays, der Wechsel von cDNA-basierten Arrays zu Oliognukleotid-basierten Arrays und das Auftreten von flexiblen Lösungen, die einfach anzupassen bzw. zu bedienen sind und dabei geringere Investitionskosten erfordern (vgl. Frost&Sullivan, 2004c, Folie 22). In den nächsten Jahren wird die Herausbildung eines Branchenstandards die größte Herausforderung für die Branche sein (vgl. Frost&Sullivan, 2006b, 2-15).
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3.3.4 Auftragsentwicklung von Werkzeugen für FuE Die „Auftragsentwicklung von Werkzeugen für FuE“ umfasst Leistungen, bei denen Werkzeuge entwickelt werden, die in Forschung und Entwicklung eingesetzt werden können, wobei die Leistungen nur durch die zugrunde liegenden Techniken (Mikroarrays, FISH-Sonden Amplifikationssysteme und Stämme) beschrieben werden. 3.3.5 Prozessentwicklung Die Prozessentwicklung unterscheidet sich von den anderen Dienstleistungsgruppen, da nicht Objekte, sondern Abläufe und Methoden Ziel der Auftragsentwicklungen sind. Die Prozessentwicklung untergliedert sich weiterhin in die Entwicklung von Downstream- und Upstream-Prozessen sowie von Prozessen in der Qualitätskontrolle. In der Downstream-Prozessentwicklung werden Abläufe optimiert oder implementiert, die sich auf die „Ernte“, Aufreinigung und Analytik von Proteinen beziehen. Dazu gehört z.B. die Entfernung von unerwünschten Proteinen, Viren und Endotoxinen. In der Upstream-Prozessentwicklung werden Herstellprozesse, wie Fermentationsprozesse und Prozesse für die GMP-konforme Produktion von Impfstoffen und (Bio-)Pharmazeutika optimiert oder implementiert. Bei der Prozessentwicklung im Bereich Qualitätskontrolle handelt es sich meist um Methodenentwicklungen. Der Markt für Prozessentwicklung ist größtenteils mit der Arzneimittelentwicklungen assoziiert. Frost&Sullivan prognostiziert für diesen Markt ein Wachstum von durchschnittlich 13,7% pro Jahr bis 2011(vgl. Frost&Sullivan, 2005a, 4-25). 3.4 Analytik Das gemeinsame Merkmal der Analytik-Dienstleistungen ist die routinemäßige Anwendung von Standardmethoden mit dem Ziel, die Existenz von bekannten Stoffen oder Lebewesen nachzuweisen oder auszuschließen bzw. deren spezifische Charakteristika oder Gehalt festzustellen. Die Analytik nimmt im Gesundheitswesen und der Produktentwicklung einen hohen Stellenwert ein. Immer selektivere und spezifischere Nachweisverfahren ermöglichen Untersuchungen zu einem immer früheren Zeitpunkt (vgl. Reger et al., 2007, 26). Dies hilft z.B. bei der Prävention und kann auf Dauer die Kosten im Gesundheitswesen reduzieren (vgl. Ernst&Young, 2005, 91). Multi-
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marker-Modelle erweisen sich hierbei zunehmend als verlässlich. Um diese Multimarker zu finden und zu validieren werden Hochdurchsatzverfahren benötigt, die meist mit Bioinformatikwerkzeugen ergänzt werden und inzwischen sehr leistungsfähig geworden sind (vgl. Wiesner, 2005, 18). Eine Gliederung der Analytik, wie sie sich aus der Datenerhebung ergibt, ist in Darstellung 10 aufgeführt.
Darstellung 10: Einteilung der Analytik
3.4.1 In vitro Diagnostik In der Medizin werden mit dem Begriff der in vitro Diagnostik Methoden oder Maßnahmen bezeichnet, die der Erkennung und Benennung einer Krankheit oder Verletzung dienen. Ziel der Diagnostik ist die Stellung einer Diagnose, die als Grundlage für therapeutische Entscheidungen dienen kann. Diagnostik wird auch als ein Sammelbegriff für alle Untersuchungen, die zur Feststellung einer Krankheit führen sollen, beschrieben (vgl. o.V., 2006b). Mit Diagnostik sind also alle Verfahren zur Abklärung einer Gesundheitsstörung / Krankheit gemeint bzw. alle Untersuchungen, die der Feststellung oder der genauen Abklärung einer Erkrankung dienen (vgl. o.V., 2006c; a). Die in vitro Diagnostik bezieht sich auf Tests, die außerhalb des Körpers an Körperflüssigkeiten oder Gewebeteilen durchgeführt werden.
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Das gemeinsame Merkmal der Dienstleistungen, die unter dem Begriff in vitro Diagnostik zusammengefasst werden, ist der Einsatz von biotechnologischen Methoden, um die Existenz von Krankheitsauslösenden Stoffen und Lebewesen im Organismus festzustellen, bzw. deren Art oder Gehalt nachzuweisen. Das können Krankheitserreger (z.B. Viren und Bakterien), Krankheitsbiomarker (z.B. Änderungen von Proteinkonzentrationen im Blut) oder krankheitsursächliche Mutationen in „steuernden“ Genen sein. Je nach Anwendung am Menschen oder am Tier kann die in vitro Diagnostik in Humandiagnostik und Veterinärdiagnostik eingeteilt werden. Bei der Analyse der Daten lässt sich keine eindeutige Systematik finden. Eine theoriegeleitete Kategorisierung der Diagnostik ist ebenfalls nicht zielführend, da in der Literatur unterschiedliche Auffassungen zur Einteilung der Diagnostik existieren.
Darstellung 11: Technologietrends der in vitro Diagnostik (vgl. Ernst&Young, 2005, 95)
Der Biotechnologiereport 2005 von Ernst&Young sieht in Zukunft die in Darstellung 11 aufgeführten Technologietrends in der in vitro Diagnostik als den Markt bestimmende Entwicklungen an (vgl. Ernst&Young, 2005, 95).
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3.4.2 Analytik von Medizinprodukten und biomedizinischen Stoffen Unter „Analytik von Medizinprodukten und biomedizinischen Stoffen“ werden im Wesentlichen Dienstleistungen verstanden, welche die Überprüfung von Produkten und Stoffen, die für medizinische Anwendungen bestimmt sind, beinhalten. Es handelt sich um Überprüfungen, die nicht ausdrücklich der Entwicklung von Medizinprodukten dient. Sie können in Biosicherheits-Prüfungen, Qualitätskontrollen und Wirksamkeitsprüfungen untergliedert werden. Im Falle der Biosicherheit wird getestet, ob ein Produkt oder Stoff mit potenziell gefährlichen bakteriellen oder viralen Krankheitserregern kontaminiert ist. Als konkretes Beispiel soll hier die Kontrolle von Dialyse-Wasser angeführt werden. Diese Leistungen werden in den meisten Fällen nicht hinsichtlich der Stoffe und Produkte konkretisiert, sondern nur das Testverfahren genannt. Bei der Qualitätskontrolle werden Chargen, Zwischenprodukte, Rohstoffe und Prozesse überprüft, wobei hier ebenfalls Krankheitserreger nachgewiesen werden. 3.4.3 Arzneimittelanalytik In der „Arzneimittelanalytik“ werden prinzipiell ähnliche Parameter wie in der „Analytik von Medizinprodukten und biomedizinischen Stoffen“ untersucht. Die Untersuchungen werden nicht ausdrücklich zu Zwecken der Arzneimittelentwicklung durchgeführt. Zur „Biosicherheit“ gehören Mikrobiologische Untersuchungen nach Arzneibuch, Sterilitätstests und Virusvalidierungen nach gesetzlichen Vorgaben. Zur „Qualitätskontrolle“ gehören Stabilitätstests sowie Überprüfungen der Reinheit, der Identität und des Gehaltes des Wirkstoffes. Die Methoden, die in der Qualitätskontrolle eingesetzt werden, sind nur teilweise den biotechnologischen Methoden. 3.5 Bioinformatik Die Bioinformatik befasst sich auf Basis der Informatik mit der Verarbeitung und Speicherung von biologischen Daten. Sie wird in vielen Bereichen der biologischen Forschung benötigt und ist als Querschnittstechnologie zu betrachten. Bioinformatische Dienstleistungen werden oft auch in der Kombination mit anderen Dienstleistungen angeboten. In der „Bioinformatik“ sind „Analyse experimenteller Daten“, „Genom- und Sequenzanalyse“, „Unterstützung der Arzneimittelentwicklung“ und „Auftragsentwicklung von Software“ zusammengefasst. Einen Überblick bietet die Darstellung 12.
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Darstellung 12: Überblick über die Kategorien der Bioinformatik
Im Fokus der Auslagerungen im Feld der Bioinformatik steht die Auswertung großer Datenmengen, mit dem Ziel, die richtigen Informationen zu erhalten. Darunter fallen Daten aus Genomanalysen, Mikroarray-Daten und vielen anderen Anwendungen. Besonders junge Firmen, denen die notwendigen Biostatistiker oder Mathematiker fehlen, nutzen die Fremdvergabe. Neben der Datenanalyse ist noch die Softwareentwicklung eine Tätigkeit, die häufig ausgelagert wird (vgl. Frost&Sullivan, 2006a, 4-1 bis 4-2). Gegenwärtig liegt der Wert der Bioinformatik für die Anwender bei in silico Studien, Vorhersagemodellen, Screening von Banken chemischer Substanzen und anderen Technologien, die in der Entdeckung von Wirkstoffen benötigt werden. Innerhalb der Bioinformatik ist ein Trend zum Spezialistentum auf dem Gebiet einiger Produktklassen zu beobachten.
3.5.1 Analyse experimenteller Daten Unter der „Analyse experimenteller Daten“ ist die Aufbereitung, Auswertung und Speicherung der verschiedenartigsten experimentell gewonnen Daten zu verstehen. Sie stammen aus Experimenten, bei denen die Zahl der Messwerte hoch sind, wie sie z.B. generell beim Einsatz von Hochdurchsatztechniken, bei der Verwendung von Mikroarrays, bei Massenspektroskopie, bei Experimenten aus dem Bereich ProteinbiŽ-
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chemische Dienstleistungen, bei klinischen Studien und bei Genomsequenzierungen entstehen. 3.5.2 Genom- und Sequenzanalyse In der „Genom- und Sequenzanalyse“ sind Chromosomenannotationen, die Assoziation von Genotypen mit Phenotypen, die Identifizierung von Genen und der Isoformen sowie Sequenzanalysen mit Vorhersage der Genfunktion zu zusammengefasst. Diese Gruppe der bioinformatischen Dienstleistungen befasst sich mit der Einordnung und Interpretation von Sequenzdaten, die aus der Untersuchung von Genomen stammen. 3.5.3 Unterstützung der Arzneimittelentwicklung Die Bioinformatik wird auch zur Unterstützung der Arzneimittelentwicklung eingesetzt, z.B. in der Pharmakogenetik bei der Identifikation von SNPs, in der Pharmakokinetik und in der Toxikologie bei der Auswertung von präklinischen Daten, in der Pharmakodynamik bei der Evaluierung von molekularen Krankheitsmechanismen und bei der Untersuchung von Ligand-Rezeptor-Wechselwirkungen. Mit Hilfe der Bioinformatik werden auch Zielmoleküle identifiziert und Wirkstoffe am Computer entwickelt (Computer Aided Drug Design). 3.5.4 Auftragsentwicklung von Software Unter „Auftragsentwicklung von Software“ ist die Entwicklung von Software zu verstehen, die in der roten Biotechnologie im Bereich Forschung, Produktion und Diagnostik eingesetzt werden kann. Insbesondere der Entwicklung von Algorithmen zur Datenanalyse kommt hier eine große Bedeutung zu. 3.6 Sonstige Dienstleistungen Hier sind alle Dienstleistungen zusammengefasst, die nicht in einer der anderen Gruppe eingeordnet werden können. Dies umfasst z.B. die Aufbewahrung von Stamm- oder Samenzellen, von humanen oder tierischen Gewebeproben, von DNAProben (DNA-Banken) sowie von Organismen, Zelllinien oder Viren. Die Aufbewahrung erfolgt in der Regel in Tiefkühltruhen (-20°C / -80°C) und dient u.a. diagnosti-
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schen und therapeutischen Zwecken. Zusätzlich zur Aufbewahrung werden oft begleitende analytische Leistungen angeboten. 3.7 Zusammenfassung Aus unterschiedlichen Analysen und Studien lassen sich die bedeutenden Technologien und Märkte identifizieren. International sind folgende Aktivitätsschwerpunkte zu erkennen: Diagnostik: Multimarker-Diagnostik, Microarrays, Pharmakogenetik, POCT, Bioinformatik-Lösungen, Automation Funktionelle Proteomik Genomik: insbesondere Microarrays, SNP, RNAi Zellkultur / Zellbiologie Arzneimittelentwicklung: Drug Discovery, Pharmakokinetik und Toxikologie Microarraytechnologien für verschiedene Anwendungen Synthese von Peptiden für therapeutische Anwendungen Oligonukleotidsynthese (insbesondere für Diagnostik und Therapie) Auftragsproduktion von Therapeutika Bioinformatik Die Entwicklung dieser Felder der DLrBT ist in Darstellung 13 abschließend zusammengefasst. Dienstleistung Dienstleistungen im Bereich Arzneimittelentwicklu ng: Proteomik (Proteinbiochemische DL)
Zukünftige Entwicklung bis ca. 2011
Bemerkungen
Funktionelle Nachfrage steigt Proteomik in frü Neue DL auf Basis neuer Technologien herer Marktphase (integrierte Hochdurchsatztechnologien) als strukturelle Neue DL im Bereich Aufklärung von ProteProteomik, d.h. infunktionen hier ist stärkeres Evtl. Rückgang von DL auf Basis traditionelWachstum zu erler Methoden und Substitution durch Eiwarten genleistungen Hohe Investitionskosten für StartUps Abhängigkeit von Zunehmender Preisdruck und steigender Dienstleistungen der staatlichen PoWettbewerb im Bereich Arzlitik, durch regulaneimittelentwicklu Weiterhin Wachstum torische Unsicherng: Genomik (Nuk- Ein großer Teil der DL wird nach wie vor auf heiten hinsichtlich Mikroarrays beruhen
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Dienstleistung leinsäurechemische DL)
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Zukünftige Entwicklung bis ca. 2011
Bemerkungen
DL auf Basis von SNP-Analysen und RNAi mit hohem Wachstumspotenzial Zunehmende Verwendung von SNPAnalysen in der Diagnostik
der Verwendung Genomik-basierter Tests schneller technischer Wandel, und ein starker Wettbewerb der TechnologiePlattformen
DL im Zusammenhang mit serumfreier ZellDienstleistungen kultur haben hohes Wachstumspotenzial im Bereich Arz Abnahme der Bedeutung in der Grundlaneimittelentwicklu genforschung ng: Zellbiologische Insbesondere DL im Zusammenhang mit Dienstleistungen
Dienstleistungen im Bereich Arzneimittelentwicklu ng: ADMET
der Produktion von Biopharmazeutika unter serumfreien Bedingungen in humanen Zellen sind interessant Rückgang der Zellkultur-basierten Diagnostik Wichtigste Kunden zukünftig biopharmazeutische Unternehmen und CMO Marktwachstum durch Zunahme der ADMET-Untersuchungen Zunehmende Verdrängung durch Eigenerstellung basierend auf neuen Werkzeugen (d.h. Geräte) und in silico Lösungen ( d.h. Informatik-Lösungen) Markttreiber: Kosteneinsparungen durch Auslagerungen, zunehmende Zahl an Zielstrukturen, hohe Qualität der Dienstleistungen, fehlende Produktionskapazitäten in Biotechnologieunternehmen Wichtigstes Markthemmnis: verstärkte Verwendung von in silico Technologien
Markttreiber: finanzielle Vorteile und höDienstleistungen here FuE-Produktivität durch Auslagerunim Bereich Arzgen, höhere Expertise der Dienstleister neimittelentwicklu Markthemmnisse: drohender Verlust von ng: Drug Discovery
proprietärem (Prozess-)wissen und Risiko,
Ablösung der Serum-unterstützten Zellkultur durch serumfreie Zellkultur
Starker Wettbewerb in der Branche, Bedrohung durch Substitute und Neueinsteiger Wettbewerbsfaktoren: Zuverlässigkeit und Qualität der Leistungen, Schnelligkeit, hohe Kapazitäten, kundennaher Standort Empfehlungen: modulare Produkte anbieten, die auf die spezifischen Applikationen ausgerichtet sind Herausforderung: Fusionen der Pharmaunternehmen In EU: GlaxoS-
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Dienstleistung
Zukünftige Entwicklung bis ca. 2011
Auftragsentwicklungen von Testsystemen auf der Basis von Mikroarrays
durch Einbindung dritter Parteien Markt wächst Auslagerung von 40% der Arzneimittelentwicklung in stärker spezialisierte Unternehmen Technologietrends: automatisierte Hochdurchsatz-Systeme, Miniaturisierung der Reaktionsansätze (u.a. Lab-on-a-ChipSysteme, Nanotechnologie), d.h. schnellere und kosteneffizientere Methoden, Anstieg automatisierter, zellbasierten Assays, RNAInterferenz (RNAi), Einsatz von InformatikLösungen (Management und Integration von Daten) Zunehmender Wettbewerb mit Indien und China
Bemerkungen mithKline, Roche, Wyeth, AstraZeneca, Novartis, Pfizer und Johnson&Johnson, die Unternehmen mit den größten Auslagerungsvolumina Wettbewerb und technologischer Wandel werden ebenfalls als hoch eingestuft Kleine, fokussierte, forschungsorientierte Unternehmen im Vorteil, müssen ihre Prozesse mit Prozessen anderer Unternehmen ergänzen und dabei Schutz des proprietären Wissens sicherstellen
Große Anbieter Steigende Nachfrage dominieren den Evtl. verringerte Chancen für Neueinsteiger allgemeinen und kleinere Firmen Microarray-Markt Branchenstandard wird sich evtl. herausund liefern sich eibilden nen intensiven Neue Testsysteme werden zunehmend auf Wettbewerb, das Oligonukleotiden basieren führt zu Konsolidie Zukünftige Hauptanwendungsgebiete im rungen und PreisBereich Pharmakogenetik, klinische Studien verfall, was sich und Molekulardiagnostik auch auf DL auswirken wird Patentrechte im besonderen Maße beachten Zugang zu proprietärem Wissen sicherstellen
Dienstleistungen in der roten Biotechnologie (DLrBT)
Dienstleistung
Zukünftige Entwicklung bis ca. 2011
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Bemerkungen Viele, nicht vergleichbare Technologieplattformen auf dem Markt
Auftragsentwicklung von Testsystemen auf Basis immunologischer Methoden
Multiplex-Anwendungen besonders gefragt, insbesondere Bead-basierte ProteinArrays und mikrotiterplattenbasierte Protein-Arrays Technologietrends: höhere Dichte auf den Arrays, kostengünstigere Produkte und verringerte Kreuzreaktivität Entwicklung von verbesserten Produktionsprozessen
Auftragsentwicklung von Testsystemen auf Basis von Zellen
Nachfrage an zellbasierten Assays wird weiter stark zunehmen und damit wahrscheinlich auch die Nachfrage nach Auftragsentwicklungen Assays werden hauptsächlich auf Fluoreszenztechnologien beruhen Zunehmend automatisierbare Assays gefragt Zulassung als Diagnostikum muss möglich sein Assays müssen zuverlässiger, sensitiver und stabiler werden, den Bedienungsaufwand deutlich verringern oder deutlich günstiger werden
Synthese von Peptiden für therapeutische Anwendungen
Gegenwärtige Auf Weiterhin Wachstum teilung des Welt Zunehmender Wettbewerb (innerhalb der marktes: USA EU und aus Asien) (65%), Europa Steigende Preissensitivität, Firmen, die dem (30%) und Japan Preiswettbewerb nicht standhalten kön(5%) nen, werden aus dem Markt gedrängt, ver Wesentliche Strastärkte Fokussierung auf Nischen tegien: Globale Markttreiber: Vorteile der Peptide bei der Präsenz, Fokus auf Therapie (wenig toxisch, helfen bei ungeProzessentwicklösten medizinischen Problemen) und koslung, hybride Stratengünstige Produktion, zunehmende Vertegien aus Niedrigwendung in Arzneimittel FuE preisstrategie und Herausforderungen: Hochskalieren der
38
Michael Nolting und Dana Mietzner
Dienstleistung
Synthese von Oligonukleotiden
Zukünftige Entwicklung bis ca. 2011
Bemerkungen
Peptidproduktion auf KilogrammMaßstäbe, Technologietrends: Verbesserungen der Galenik bzw. Applikation, Erhöhung der Stabilität der Peptide, Peptidmodifikationen durch modifizierte Aminosäuren und Modifikationen des Peptid-Rückgrats, Verbesserungen in den ScreeeningTechnologien, Verwendung von Peptiden aus Phagen-Displays (Alternative zu therapeutischen Antikörpern) Zunehmender Grad des technischen Wandels Zukunftspotenzial in der Eliminierung der kostenintensiven Prozessschritte und in der Weiterentwicklung von Synthese-, Reinigungs- und Auftrennungstechniken (kostensparende Produktion)
Hochqualitätsstrategie, Einrichtung einer GMPkonformen Produktion
Herausforderungen: anhaltende Patentauseinandersetzungen, hohe Kosten in Marketing sowie Forschung und Entwicklung führt zur Konsolidierung Zunehmende Preissensitivität der Kunden die Investition in produktionskostensenkende Technologien und / oder den Aufbau von Produktionskapazitäten in Niedriglohnländern notwendig werden lässt. Gleichzeitig sollte ein höherer Produktionsdurchsatz angestrebt werden. Dafür ist es notwendig, HochdurchsatzTechnologien bzw. skalierbare Technologien zu entwickeln. Es wird insbesondere in Asien und Osteuropa ein verstärktes Wachstum gesehen. Markttreiber: zunehmende Verwendung von Oligonukleotiden (insbesondere Diagnostika und Therapeutika), Ablauf der Patente Hemmnisse: Rückschläge bei der Entwicklung von Therapeutika, die Skepsis der Pharmaunternehmen gegenüber Oligonukleotiden als Therapeutika, teure Reagenzien Weiterhin Wachstum bei abnehmender
Kaufkraft zu 60% bei der Pharmazeutischen Industrie, zu 40% bei den akademischen Einrichtungen
Dienstleistungen in der roten Biotechnologie (DLrBT)
Dienstleistung
Zukünftige Entwicklung bis ca. 2011
Bioinformatik
39
Bemerkungen
Wachstumsrate Zunehmender Anteil der RNAOligonukleotide am Gesamtmarkt Auftreten technologiegetriebener Neueinsteiger Schlüsselentwicklungen: Entwicklung von neuen RNA-Synthese-Technologien, Differenzierung und Konsolidierung von Firmen Firmen, die dem Preisdruck nicht standhalten können, werden aus dem Markt gedrängt
Erste messbare Erfolge der Bioinformatik im Prozess der Arzneimittelentwicklung in den nächsten Jahren sichtbar Marktwachstum Trend zum Spezialistentum auf dem Gebiet einiger Produktklassen Umfang der Projekte, die nach Asien (Indien, China) und Osteuropa (Russland) ausgelagert werden, nehmen zu Markttreiber: breite Anwendung in allen Bereichen der Biotechnologie, sowie in anderen Branchen, fehlende BioinformatikRessourcen bei Biotechnologieunternehmen, Fehlen von Branchenführern, Systemkompatibilität, Zunahme des Vertrauens Hemmnisse: geringe Kaufkraft der kleinen und mittleren Biotechnologieunternehmen, Kaufzurückhaltung bei Pharmaunternehmen, Risiko von Fehlschlägen fertig entwickelter Produkte, begrenzte Verfügbarkeit von Fachpersonal Bedrohung durch große IT-Firmen mit hoher Ressourcenausstattung erst bei zunehmender Bedeutung der Bioinformatik
Globale Ausrichtung der Bioinformatik, größter Markt ist die USA Nischenmarkt Komplexer Prozess der Bioinformatik, insbesondere die Analyse von Daten Wettbewerb mit qualitativ hochwertigen öffentlichen Datenbanken Bioinformatik hat die Erwartungen bisher nicht erfüllt, daher geringes Vertrauen der Nutzer Spannungsfeld zwischen notwendigen kundenspezifischen Lösungen und hohen Kosten Schwerpunkt der Aktivitäten in der EU: UK, D, F Wettbewerbsvorteil von Niedriglohnländern, zur Zeit jedoch geringe Auslagerungsaktivitäten in NLL Hohes Potenzial
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Michael Nolting und Dana Mietzner
Dienstleistung
Zukünftige Entwicklung bis ca. 2011
Bemerkungen der Bioinformatik, insbesondere in der Proteomik Geringe Volumina der Aufträge an Bioinformatikunternehmen, Aufträge sind sehr spezifisch Exodus an Wissensträgern
Darstellung 13: Wichtige Dienstleistungen und deren zukünftige Entwicklung
Diese wichtigsten Felder für DLrBT finden ihre Entsprechung in den Aktivitäten der deutschen Biotechnologieunternehmen (vgl. Darstellung 14).2 Die Unternehmen bieten am häufigsten nukleinsäurechemische und proteinbiochemische Dienstleistungen an. Die Auftragsproduktion von Proteinen und Antikörpern findet in den Reports der Analysten nur in Zusammenhang mit der Herstellung von Biotherapeutika Beachtung. Der Assayentwicklung liegen unterschiedliche Technologien zugrunde, die von den Analysten separat behandelt werden. Da eine weitgehende Übereinstimmung hinsichtlich der Aktivitäten in den DLrBT der deutschen Biotechnologieunternehmen und den von international renommierten Analysten als wichtig erachteten Feldern besteht, kann davon ausgegangen werden, dass die Akteure der deutschen Biotechnologie die international wichtigen Trends erkannt haben.
2 Der Überblick zu den von deutschen Biotechnologieunternehmen angebotenen Dienstleistungen ist das Ergebnis einer in 2006 durchgeführten systematischen Analyse der auf den Webseiten dargestellten Leistungen und weiterer frei verfügbarer Unternehmensdaten sowie der darauf basierenden Kategorienbildung.
Dienstleistungen in der roten Biotechnologie (DLrBT)
Arzneimittelentwicklung
Arzneimittelentwicklung
Analytik
Kategorie 2
Kategorie 3
Anzahl aktiver Unternehmen in 2006
Methoden der Grundlagenforschung
Nukleinsäurechemische Dienstleistungen
83
Methoden der Grundlagenforschung
Proteinbiochemische Dienstleistungen
68
Methoden der Grundlagenforschung
Zellbiologische Dienstleistungen
54
Diagnostik Produktion rekombinanter Proteine (inkl. Zusatzleistung)
Humandiagnostik
52
Expressionssysteme definiert
37
Auftragsentwicklung von Testsystemen (Assays)
Auf Basis verschiedener Techniken
31
Drug Discovery
Identifikation, Charakterisierung und Entwicklung von Wirkstoffen
30
Produktion von Antikörpern (inkl. Zusatzleistungen)
Monoklonale Antikörper
25
Auftragsentwicklung von Testsystemen (Assays)
Für Verschiedene Anwendungen
24
Präklinische Entwicklung
Pharmakodynamik
23
Präklinische Entwicklung
Toxikologie
23
Peptidsynthese (inkl. Modifikationen)
41
21 Peptidsynthese
Produktion von Nukleinsäuren (inkl. Modifikationen)
DNA Oligonukleotide
20
Diagnostik
Veterinärdiagnostik
19
Präklinische Entwicklung
Pharmakokinetik (ADME)
19
Produktion von Proteinen (inkl. Zusatzleistung)
Modifikation von Proteinen
19
Methoden der Grundlagenforschung
Manipulation von Lebewesen
17
Drug Discovery
Identifikation und Untersuchungen von Zielmolekülen
16
42
Michael Nolting und Dana Mietzner
Kategorie 2
Kategorie 3
Produktion von Antikörpern (inkl. Zusatzleistungen)
Produktion polyklonaler Antikörper (inkl. Zusatzleistungen)
Produktion von Therapeutika
Therapeutika (keine Einzelanfertigung)
Analytik von Medizinprodukten und Biomedizinischen Stoffen
Biosicherheit
Prozessentwicklung
Upstream
13
Analyse experimenteller Daten
Analyse experimenteller Daten
13
Aufbewahrung von biologischem Material (inkl. Zusatzleistungen)
Auftragsentwicklung
Anzahl aktiver Unternehmen in 2006 16
15
13
12
Überprüfung von Medizinprodukten und biomedizinischen Materialien
Toxikologie
11
Überprüfung von Medizinprodukten und biomedizinischen Materialien
Rekombinante Antikörper und Antikörper-Engineering
11
Produktion von Antikörpern (inkl. Zusatzleistungen)
Biosicherheit
10
Arzneimittelanalytik (Qualitätskontrolle und Biosicherheit)
Identifikation und Untersuchungen von Biomarkern (Indikatormolekülen)
10
Drug Discovery Sonstige Dienstleistungen
Molekularbiologische Begleitung klinischer Studien Spezielle Nukleinsäuren
10 10
Darstellung 14: Aktivitäten von Unternehmen im Bereich DLrBT in Deutschland (Mehrfachnennungen)
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Michael Nolting und Dana Mietzner
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Strategische Vorausschau Begriff - Prozess - Methoden Dana Mietzner
Inhaltsverzeichnis 1
Strategische Vorausschau in Unternehmen ................................................................. 46 1.1 Elemente der strategischen Vorausschau .............................................................. 49 1.2 Ziele und Aufgaben der strategischen Vorausschau .............................................. 51
2
Klassifizierungen der Methoden der strategischen Vorausschau ................................ 54 2.1 Neue Methoden in der strategischen Vorausschau ............................................... 64 2.2 Anforderungen an die strategische Vorausschau .................................................. 68
Literaturverzeichnis .......................................................................................................... ........ 71
46
1
Dana Mietzner
Strategische Vorausschau in Unternehmen
Wie in der Zukunftsforschung versuchen auch Unternehmen, im Rahmen einer strategischen Vorausschau zukünftige Entwicklungen und Ereignisse vorwegzunehmen bzw. zu antizipieren. Die Zukunft ist nicht vorhersehbar, aber sie ist zu einem bestimmten Teil gestaltbar. Je nach den derzeitigen Eingriffen, die unter anderem aufgrund einer systematischen Früherkennung vorgenommen werden, wird sich die Zukunft anders gestalten als ohne jegliches Handeln. Diese Erkenntnis wurde in der Zukunftsforschung schon lange Zeit vertreten, und es wurde versucht, nicht lineare, sondern heuristischen Modelle über die Zukunft zu erstellen (vgl. Jantsch, 1967). Besser, als die Zukunft des Unternehmens dem Zufall zu überlassen, ist es, mit Alternativen zu planen und aus Irrtümern zu lernen. Wer Unsicherheit und Risiko in seinen Geschäftsaktivitäten reduzieren möchte, muss zunächst Früherkennung betreiben und eine Unternehmensstrategie entwickeln. Die heute diskutierten Ansätze der strategischen Vorausschau basieren auf der Erkenntnis, dass strategische Planungen häufig durch ein unerwartetes Auftreten von Chancen und Bedrohungen (Diskontinuitäten) Veränderungen unterliegen. Diese Veränderungen treten jedoch nicht plötzlich auf, sondern kündigen sich durch so genannte „schwache Signale“ an (vgl. Ansoff, 1976). Dabei handelt es sich um Hinweise auf Innovationen, wobei insbesondere technologische Innovationen im Mittelpunkt stehen. Die Informationen sind zumeist qualitativer Natur, intuitive Urteile, die keine eindeutigen Interpretationen zulassen. In der Literatur werden im Rahmen der Diskussion zu Methoden und Prozessen der strategischen Vorausschau häufig die Begriffe Technologiefrüherkennung (vgl. z.B. Reger, 2001a), Technology Intelligence (vgl. z.B. Lichtenthaler, 2000; Savioz, 2002; 2004) oder auch technologische Frühaufklärung (vgl. z.B. Geschka, 1995) verwendet. Unter Technologiefrüherkennung wird in der Literatur z.B. das systematische Beobachten bestehender und das Erkennen neuer Technologien, Markt- bzw. Kundenveränderungen und Wettbewerber verstanden, die sich häufig in Form „schwacher Signale“ ankündigen (vgl. Reger, 2001c, 535). Ein ähnliches Verständnis entwickelt Savioz (2002, 36 f.) unter dem Begriff Technology Intelligence, worunter alle Aktivitäten zusammengefasst werden, die eine Entscheidungsfindung im Hinblick auf sowohl technologische als auch grundsätzliche Managemententscheidungen unterstützen.
Strategische Vorausschau Begriff - Prozess - Methoden
47
Dazu werden relevante technologische Informationen und Trends (Chancen und Risiken) des unternehmerischen Umfeldes gesammelt, analysiert und verbreitet. Eine einheitliche Definition existiert in der wissenschaftlichen Literatur und betrieblichen Praxis jedoch nicht. Früherkennung wird in der Literatur und Praxis oft auf einen bestimmten Bereich z.B. als ‘Technology Watch oder Scouting‘ auf die Technologie oder als ‘Competitor Intelligence‘ auf Wettbewerber begrenzt und oftmals nicht integriert betrieben. Unter dem Begriff ‘New Market Intelligence‘ wird wiederum ein Konzept verstanden, das dazu dient, eine Überprüfung bestehender Geschäftsmodelle des Unternehmens vornehmen zu können, neue Geschäftsfelder zu erkennen und eine Grundlage für Entscheidungen über die Optimierung der Ressourcenallokation zu entwickeln. Diese Orientierung speziell auf neue Geschäftsfelder ist bislang jedoch kaum vorhanden. Hinsichtlich der Technologiefrüherkennung hat diese auf staatlicher Ebene einen deutlichen Aufschwung erfahren und ist in der Literatur gut dokumentiert (vgl. dazu z.B. die Zusammenstellung in Cameron et al., 1996). Dagegen spielt die Technologiefrüherkennung und insbesondere die Prozessgestaltung in Unternehmen und in der wissenschaftlichen Literatur eine geringere Rolle (vgl. Reger, 2001c, 534). Dies trifft insbesondere für die Früherkennung in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zu. Hier existieren nur wenige empirische Untersuchungen und Gestaltungskonzepte für das Management. Dies steht im Gegensatz zu der Notwendigkeit der Früherkennung für die Strategieentwicklung (strategische Vorausschau) und das Innovationsmanagement in kleinen und mittleren Unternehmen (vgl. Reger, 2001a, 75). Eine Ausnahme davon sind die Arbeiten von Drilhon und Estimé (1993) und von Savioz (2002). Savioz untersucht das Schweizer Unternehmen „Institut Straumann AG“ und u.a. 13 Start-up Unternehmen (6 Biotechnologieunternehmen, 4 Medizintechnikunternehmen, 3 IT/ Elektronikunternehmen) als Validierungsfälle im Hinblick auf die Praxis der Technologiefrüherkennung (vgl. Savioz, 2004, 207 ff.). Eine strategische Planung ist ohne die Früherkennung von neuen Technologien, Märkten oder aufstrebenden Wettbewerbern nicht möglich. Früherkennung ermöglicht es, Trends, Treiber, Unsicherheiten, Einflüsse und Technologien zu identifizieren, Risiken und Annahmen über zukünftige Entwicklungen abzuleiten, um daraufhin relevante Strategien zu entwickeln, die robust sind und tragfähig in unterschiedlichen
48
Dana Mietzner
möglichen zukünftigen Unternehmensumfeldern. Auch die im Rahmen dieses Projektes betrachteten Biotechnologiedienstleister (vgl. Basisdaten der untersuchten Unternehmen im Betrag Die Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen in Darstellung 16 ff.), die in der Regel Leistungen anbieten, die Nischenprodukte und dienstleistungen sind, die rasch überholt sein können, bewegen sich häufig auf sehr kleinen Märkten, die kaum ein weiteres Wachstum ermöglichen und zudem eine frühe Internationalisierung erfordern. Um Wettbewerbsvorteile realisieren zu können, müssen die eigenen Kompetenzen analysiert und bewertet werden, wesentliche Strategien wichtiger Wettbewerber erkannt, die Bedeutung neuer Technologien verstanden und ausreichend Informationen zur Beurteilung neuer Geschäftsfelder beschafft werden. Der integrierte Ansatz der Früherkennung neuer Technologien, aufstrebender Wettbewerber, neuer Märkte und Kundenanforderungen und sich verändernder gesellschaftlicher Phänomene sowie die systematische Integration der Ergebnisse aller Früherkennungsaktivitäten in die strategische Planung werden in der vorliegenden Arbeit als strategische Vorausschau bezeichnet (vgl. auch Darstellung 1). Das Konzept der strategischen Vorausschau basiert auf der Zukunftsforschung, was den integrativen Charakter der Vorausschau hervorhebt. Die Darstellung 1 soll verdeutlichen, dass in einem ersten Schritt die Zukunftsforschung Informationen zu gesellschaftlichen und sozio-/kulturellen Entwicklungen, zu ökonomischen Entwicklungen, generellen politischen und technologischen Entwicklungen liefert. Da Unternehmen vielfältigen globalen Entwicklungen ausgesetzt sind, muss eine strategische Vorausschau immer auch Entwicklungen in der Gesellschaft oder Politik beobachten und in der strategischen Diskussion berücksichtigen. Die Früherkennung neuer Technologien, aufstrebender Wettbewerber und neuer Märkte oder sich verändernder Kundenanforderungen, die deutlich spezifischer auf das Unternehmen zugeschnitten ist, wird in einem zweiten Schritt durch unternehmensadäquate Aktivitäten realisiert. Dabei kann die Früherkennung unterschiedliche Perspektiven einnehmen (Technologie, Wettbewerb, Neue Märkte/Geschäftsfelder). Im integrierten Ansatz einer strategischen Vorausschau fließen die durch die Zukunftsforschung identifizierten Entwicklungen in die Aktivitäten der Früherkennung ein, die das für die strategische Planung notwendige Entscheidungswissen liefert.
Strategische Vorausschau Begriff - Prozess - Methoden
49
Darstellung 1: Konzept der strategischen Vorausschau
1.1 Elemente der strategischen Vorausschau Um ein methodisches Verständnis für die strategische Vorausschau und ihrer Dimensionen zu entwickeln, soll das Konzept der strategischen Vorausschau unter methodischen Aspekten näher betrachtet werden. Nach diesem Verständnis beinhaltet die strategische Vorausschau drei Bereiche, deren Zusammenspiel und Interaktionen das Konzept der strategischen Vorausschau begründen (vgl. Darstellung 1). Die Komponenten der strategischen Vorausschau sind das Zukunftsdenken (Vorausschau, Vor-
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Dana Mietzner
wärtsdenken), die strategische Planung (strategische Analyse, Prioritätensetzung) und die Netzwerkarbeit (Mitwirkung, Dialog). Als Elemente des Zukunftsdenkens können die Langfristigkeit und die Entwicklung von Alternativen benannt werden. Dabei können im Hinblick auf die Langfristigkeit des Zukunftsdenkens gerade für kleine und mittlere Unternehmen keine Zeithorizonte von bis zu 10 Jahren angewendet werden. Dies liegt zum einen in der Schnelllebigkeit spezifischer Branchen (z.B. Biotechnologie, Informationstechnologie) begründet, zum anderen sollen Vorausschauaktivitäten auch handlungsorientiert sein, was bei KMU zumeist eine Betrachtung kürzerer Zeithorizonte erfordert. Zukunftsdenken impliziert auch, Alternativen unterschiedlicher Entwicklungsmöglichkeiten zu betrachten und nicht nur bisherigen oder gewünschten Entwicklungen zu vertrauen. Die strategische Planung ist eng verknüpft mit dem Zukunftsdenken. Gleichzeit hat Planung einen partizipativen Charakter, der auch die Nähe der strategischen Planung zur Netzwerkarbeit verdeutlicht (vgl. auch Cuhls, 2003, 111). Unter dem NetzwerkAnsatz werden im Rahmen der Vorausschau unterschiedliche Aktivitäten verstanden. Zum einen zielt die strategische Vorausschau oftmals darauf ab, verschiedene Personengruppen in den Prozess zu involvieren, zum anderen wollen viele Methoden der Früherkennung auch Netzwerke aufbauen oder auch bestehende Netzwerke für die Vorausschau nutzen und einen Beitrag für eine Verbesserung der Netzwerkarbeit leisten. Jeder der drei Bereiche der strategischen Vorausschau (strategische Planung, Zukunftsdenken, Netzwerkarbeit) hat seine eigenen Methoden und Ansätze. Viele dieser Methoden sind sehr stark spezialisiert, andere wiederum weit reichend bekannt, wie z.B. Methoden der strategischen Planung als Teil des klassischen Managements. Für die strategische Vorausschau sind insbesondere die Methoden relevant, die eine Interaktion der drei Bereiche hervorrufen und dadurch eine strategische Vorausschau bewirken.
Strategische Vorausschau Begriff - Prozess - Methoden
51
Darstellung 2: Elemente der strategischen Vorausschau (vgl. Miles, 2002, 6)
1.2
Ziele und Aufgaben der strategischen Vorausschau
Reduktion von Unsicherheit, Erkennen von Chancen und Risiken Ein übergeordnetes Ziel der strategischen Vorausschau ist es, durch eine systematische Früherkennung neuer Technologien, neuer Märkte, aufstrebender Wettbewerber und sich verändernder gesellschaftlicher Phänomene Implikationen für die strategische Planung abzuleiten, um somit Unsicherheiten im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen des Unternehmens und des Unternehmensumfeldes zu reduzieren sowie Risiken und Chancen, die aus strategischen Entscheidungen resultieren (z.B. Investitionen, Entwicklung neuer Geschäftsfelder), besser einschätzen zu können. An dieser Stelle soll kurz dargestellt werden, wie Risiko und Unsicherheit in der strategischen Vorausschau zueinander in Beziehung stehen. In der Entscheidungstheorie sind „Risikosituationen […] dadurch gekennzeichnet, dass der Entscheider den denkbaren
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Dana Mietzner
Ergebnissen der Alternativen bzw. den für diese Ergebnisse maßgeblichen ,Umweltzuständen’ Eintrittswahrscheinlichkeiten zuordnen kann“ (Laux, 2005, XXI). Unsicherheit liegt dann vor, wenn der Entscheider sich zwar ein Urteil darüber bilden kann, welche Zustände eine positive Eintrittswahrscheinlichkeit haben, also durchaus eintreten könnten, darüber hinaus die Wahrscheinlichkeiten aber nicht näher spezifizieren kann (vgl. Laux, 2005, XXI). Abweichend von den Überlegungen der Entscheidungstheorie, die eine deutliche Abgrenzung zwischen Risiko und Unsicherheit über die Möglichkeit der Vergabe oder Nichtvergabe von Eintrittswahrscheinlichkeiten vorsieht, verknüpft z.B. Finke Unsicherheit und Risiko und sieht Unsicherheit als Voraussetzung für Risiko. Veränderungen sind auf Ereignisse zurückzuführen, die entweder sicher eintreten werden oder eintreten können. Ereignisse, deren Eintreten ungewiss ist, sind naturgemäß unsicher. Unsichere Ereignisse sind aber nicht in jedem Fall riskant. Nach Finke wird ein Ereignis als Chance (positives Risiko) aufgefasst, wenn das Eintreten unsicher ist und das Eintreten des Ereignisses dem Nichteintreten vorgezogen wird. Analog dazu wird ein Ereignis als Risiko (negatives Risiko) eingeschätzt, wenn es unsicher ist und das Nichteintreten dem Eintreten vorgezogen wird (vgl. Finke, 2005, 16). Aufgrund des Zukunftsbezuges der strategischen Planung ist diese naturgemäß unsicher. Über längere Zeithorizonte ist es nicht mehr möglich, plausible Eintrittswahrscheinlichkeiten für das Eintreten bestimmter Ereignisse anzunehmen. Alle unsicheren Ereignisse, die Auswirkungen auf das Erreichen der Unternehmensziele haben, sind riskant (positives oder negatives Risiko). Risiken, im Sinne negativer Unternehmensentwicklungen, ergeben sich oftmals daraus, dass Entscheidungen auf der Grundlage begrenzter Informationen getroffen werden müssen (vgl. Bitz, 2000, 13). Mit der Verwendung des Begriffes „strategische Vorausschau“ wird deutlich, dass es sich um strategische Entscheidungen handelt, die von langfristiger Tragweite und Unsicherheiten gekennzeichnet sind, d.h. keine glaubhaften Eintrittswahrscheinlichkeiten angenommen werden können. In der vorliegenden Arbeit wird das Verständnis nach Finke für die Beschreibung des Zusammenhangs zwischen Unsicherheit und Risiko (positives und negatives Risiko) in der strategischen Vorausschau aufgegriffen.
Strategische Vorausschau Begriff - Prozess - Methoden
53
Kontinuierliche Beobachtung der Unternehmensumwelt Mit Hilfe der Früherkennung soll dabei eine kontinuierliche Beobachtung der Unternehmensumwelt als eine wesentliche Aufgabe der strategischen Vorausschau erfolgen. Um eine kontinuierliche Beobachtung sicherzustellen, ist die Entwicklung von Netzwerken sinnvoll. Als Beobachter eignen sich Mitarbeiter und Führungskräfte, die an den Schnittstellen zum Unternehmensumfeld agieren, aber auch Experten im und außerhalb des Unternehmens, die z.B. Entwicklungen neuer Technologien dezidiert beobachten. Informationssammlung, -aggregation und Aufbereitung Mit der strategischen Vorausschau soll die Informationsbasis für strategische Entscheidungen nachhaltig verbessert werden. Methoden der strategischen Vorausschau bieten zudem die Möglichkeit, eine Informationsvielfalt zu systematisieren und zu strukturieren sowie in Alternativen zu planen, um mögliche Risiken und Chancen frühzeitig wahrzunehmen und die Unternehmensstrategie anzupassen. Eine weitere Aufgabe der strategischen Vorausschau ist es, die gesammelten Informationen abzulegen, zu aggregieren und einen funktions- und ebenenübergreifenden Austausch zu ermöglichen. In diesem Sinne ist die strategische Vorausschau eng mit dem Wissensmanagement verknüpft. Kommunikation und Visualisierung Die gesammelten und aufbereiteten Informationen dürfen nicht nur verwaltet werden. Vielmehr geht es darum, einen aktiven Kommunikationsprozess zu befördern, der sich nicht nur mit Prognosen und Daten befasst, sondern auch Ideen, Spekulationen und Visionen ermöglicht (vgl. Burmeister et al., 2004, 13). Eine wesentliche Aufgabe der strategischen Vorausschau ist es deshalb auch, die durch die Früherkennung gesammelten Informationen für eine strategische Planung nutzbar zu machen, was eine Verknüpfung der Früherkennungsaktivitäten mit der internen Unternehmensebene und dem Management erfordert. Dazu müssen die Ergebnisse aus dem Vorausschauprozess adressatengerecht aufbereitet und visualisiert werden. Für die strategische Vorausschau steht eine Vielzahl von Methoden zur Verfügung, die sich z.B. in ihrem Komplexitätsgrad, Aufwand und ihrer Aussagekraft der ermittelten Ergebnisse sehr stark unterscheiden. Die Methoden unterstützen z.B. eine kontinuierliches Monitoring des Unternehmensumfelds durch Methoden wie das Envi-
54
Dana Mietzner
ronmental Scanning, Technology Watch oder Patentanalysen, die Informationssammlung und Bewertung z.B. durch Expertenbefragungen, Delphi-Studien, Szenarioanalysen oder Kreativitätstechniken und die Kommunikation und Visualisierung durch Methoden wie z.B. Roadmaps, Future Labs oder Simulationen. Damit leisten die Methoden einen Beitrag, um Unsicherheiten zu reduzieren und Chancen und Risiken im Sinne einer strategischen Planung wahrzunehmen. Ziel der weiteren Ausführungen ist es, einen Überblick zu den Methoden zu liefern, die im Rahmen einer strategischen Vorausschau zur Anwendung kommen können. Als Methoden werden in diesem Zusammenhang Regeln und Anweisungen verstanden, die das Vorgehen weitgehend festlegen. Den Methoden liegt dabei ein plausibles Konzept zugrunde, das eine Beurteilung der Aussagefähigkeit und auch der Anwendungsgrenzen zulässt. Außerdem sollen Methoden nachvollziehbar sein (vgl. Geschka, 1995, 630). 2
Klassifizierungen der Methoden der strategischen Vorausschau
Die Literatur bietet eine Vielzahl von Methoden, die für die strategische Vorausschau genutzt werden können (vgl. z.B. Joseph, 1983; Martino, 1983; Porter et al., 1991; Pfeiffer, 1992; Geschka, 1995; Brockhoff, 1996; Ashton et al., 1997; Makridakis et al., 1998; Lichtenthaler, 2000; Kobe, 2001). Seit Mitte des letzten Jahrhunderts haben die Zukunftsforscher eine kaum überschaubare Anzahl an Methoden entwickelt, in denen Indizien identifiziert, Faktoren gewichtet und Einflüsse verrechnet werden (vgl. Honsel, 2008, 58). Nach Coates wird in der Zukunftsforschung zwischen 30 bis 150 Methoden und Techniken unterschieden. Geschka hat in seiner Bestandsaufnahme über 50 Methoden identifiziert, die er der Technologievorhersage oder der Technologiefrühaufklärung zuordnet (vgl. Geschka, 1995, 630). Eine Einordnung der Methoden kann nach unterschiedlichen Kriterien und aufgrund unterschiedlicher Einflüsse erfolgen. Ein möglicher Einflussfaktor kann die jeweilige Technologiestrategie sein (vgl. Gerybadze, 1994, 136), die Komplexität des Umfeldes und die Unsicherheit der Branche (vgl. Balachandra, 1980, 164; vgl. Lichtenthaler, 2000, 332). Ein weiterer möglicher Faktor ist z.B. der Zeithorizont. Einige Autoren differenzieren auch zwischen qualitativen und quantitativen Methoden (vgl. Reger et al., 1998, 12). Die United Nations Industrial Development Organization unterscheidet bei Methoden der TechnologieVorausschau zwischen der Kategorisierung „Prognose“, „Managing“ und „Creating“. „Managing“ fokussiert darauf, den Wandel handhabbar zu machen, „Creating“ geht
Strategische Vorausschau Begriff - Prozess - Methoden
55
davon aus, dass die Zukunft noch nicht existiert und erst noch geschaffen werden muss (vgl. Honsel, 2008, 59). Ein weiteres mögliches Auswahlkriterium kann auch die Komplexität der Methode selbst sein. Krystek und Müller-Stewens (1993, 202) betonen die Notwendigkeit der Akzeptanz der jeweiligen Methode. Demzufolge sollte eine Ausweitung der „Sophistication“ einer Methode nur dann erfolgen, wenn dies ohne offene Widerstände gewünscht wird. Eine Methode könnte schnell an Bedeutung verlieren, wenn der Ansatz nicht von den Beteiligten überschaut werden kann. Lichtenthaler (2000, 330) beobachtete einen Wechsel von quantitativen Methoden zu qualitativen Methoden. Er erklärt dies mit einem neuen Verständnis der strategischen Vorausschau, die zunehmend teilnehmende Aktivitäten nutzt, anstatt Früherkennung an bestimmte Abteilungen zu delegieren. Hjelt et al. (2001) unterscheiden die drei Hauptkategorien Delphi-Studien, Kritische Listen sowie Panels und Netzwerke, die nach Auffassung der Autoren in der Praxis besonders häufig zur Anwendung kommen. Darstellung 3 gibt einen Überblick zu ausgewählten Methoden, zugeordnet zu bestimmten Funktionen und Aufgaben der Früherkennung im Unternehmen. Alle ausgewählten Methoden sind geeignet, um Informationskomplexität zu reduzieren, während besonders mit Roadmaps, Szenarien, Portfolioansätzen, Lead-Usern und dem Quality Function Deployment auch eine kommunikative Funktion verbunden wird.
Methode
Organizational learning
Exploration
Kommunikation
Vergleich und Kontrolle
Publication frequency analysis
X
X
Bibliometrics
X
X
Quantitative seminar observations Patent frequency analysis Patent linkage analysis S-curve analysis
X X
X
X
X
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Dana Mietzner
Methode
Organizational learning
Exploration
Kommunikation
Vergleich und Kontrolle
Benchmarking studies Portfolios
X X
Delphi studies
X X
X
Expert studies
X
Flexible expert interviews
X
Technology roadmaps
X
X
X
Product-Technology roadmaps
X
X
X
Product roadmaps
X
X
X
Learning curves Simulations
X
Option-pricing methods Scenario analysis
X
X
X
Lead-user analysis
X
X
X
Quality function deployment
X
X
X
Darstellung 3: Methoden, Funktionen und Ziele (vgl. Lichtenthaler, 2000, 330 ff.)
Sehr beliebt sind in der traditionellen Zukunftsforschung die Klassifikationen in normative und explorative Studien (vgl. Steinmüller, 1995) oder in Planung, Prognose, Utopie (vgl. Picht, 1970). Zukunftsforschung, die darauf abzielt, eine Vielzahl möglicher Zukünfte zu identifizieren, wird als explorative Zukunftsforschung bezeichnet, während Zukunftsforschung, die als eine Vorschau auf wünschenswerte Zukünfte zu verstehen ist, als normativ bezeichnet wird. Explorative Methoden der Zukunftsforschung unterstützen die Entwicklung von Zukünften, die plausibel scheinen und auf Interaktionen von Schlüsselfaktoren basieren und externe und interne Entwicklungen berücksichtigen, während normative Methoden Wünsche für zukünftige Entwicklun-
Strategische Vorausschau Begriff - Prozess - Methoden
57
gen aufgreifen (vgl. Gordon, 1994, 2). In der Darstellung 4 werden ausgewählte Methoden der Zukunftsforschung in einer einfachen Klassifizierung vorgestellt. Methode Cross Impact Analysis Decision Analysis
Quantitativ
Normativ
Explorativ
X
X
X
X
X
Decision Models
X
Delphi Econometrics
X
Futures Wheel Morphological Analysis Participatory Methods Regression
X
Relevance Tree Scenarios
X X
System Dynamics Tech Sequence Analysis Time Series Forecast
X
Trend Impact Analysis
Qualitativ
X X
X X
X X
X
X
X
X
X
X
X X
X
X
X X X
X
X
X
X
X
X
X
Darstellung 4: Klassifizierung ausgewählter Methoden der Zukunftsforschung (vgl. Gordon, 1994, 3-4)
Eine weitere Kategorisierung stammt von der Technology Futures Analysis Working Group (2003), die in der Darstellung 5 zusammengefasst ist. Die Einteilung erfolgt in neun Familien (‚Families‘), in quantitative (‚Hard‘) und qualitative (‚Soft‘) Methoden sowie in normative und explorative Methoden. Dabei stellt die international zusammengesetzte Expertenrunde fest, dass eine Vielzahl von Methoden zur Zukunftsforschung existiert, die allerdings nebeneinander und unsystematisch entwickelt wurden und unterschiedliche Reifegrade aufweisen.
58
Dana Mietzner
Familiy: Creativity Cr Cr Cr Cr Cr
Method [& Variations]
Brainstorming [Brainwriting; NGP-Nominal Group Process] Creativity Workshops [Future Workshops] Science Fiction Analysis TRIZ Vision Generation
Family: Descriptive & Matrices
Method [& Variations]
Desc Desc Desc Desc Desc Desc Desc Desc Desc Desc
Exploratory Hard or or NorSoft mative S
N/Ex
S S H S
Ex/N N N/Ex N/Ex Exploratory Hard or or NorSoft mative
Analogies H/S Ex Backcasting S N Checklists for Impact IdentificatioS Ex Innovation System Modelling S Ex Institutional Analysis S Ex Mitigation Analyses S N Morphological Analysis S N/Ex Multiple Perspectives Assessment S N/Ex Organizational Analysis S Ex Roadmapping [Product-Technology Roadmap- H/S N/Ex ping] Desc Social Impact Assessment [Socio-Economic SN/Ex Impact Assessment] Desc State of the Future Index (SOFI) H/S N/Ex Desc/M&S Sustainability Analysis [Life Cycle Analysis] H Ex Desc/M&S Technology Assessment H/S Ex Desc/Stat Risk Analysis H/S N/EX Desc/V Relevance Trees [Futures Wheel] S N/Ex Desc/V Requirements Analysis [Needs Analysis, AtS/H N tribute X Technology Matrix] N Desc/V Stakeholder Analysis [Policy Capture, Assump- ^ tional Analysis]
Strategische Vorausschau Begriff - Prozess - Methoden
Family: Expert Opinion ExOp ExOp ExOp ExOp Family: Modeling & Simulation M&S M&S M&S M&S M&S M&S M&S/Stat M&S/V
Family: Monitoring & Intelligence Mon Mon/Stat
Family: Scenarios Sc Sc Sc Sc/M&S
Method [& Variations]
Delphi (iterative survey) Focus Groups [Panels; Workshops] Interviews Participatory Techniques Method [& Variations] Agent Modeling Causal Models CAS (Complex Adaptive System Modelling) [Chaos] Diffusion Modelling Systems Simulation [System Dynamics, KSIM] Technological Substitution Cross-Impact Analysis Economic Base Modelling [Input-Output Analysis]
Method [& Variations]
Monitoring [Environmental Scanning, Technology Watch] Bibliometrics [Research Profiling; Patent Analysis, Text Mining]
Method [& Variations]
Focus Groups [Panels; Workshops] Field Anomaly Relaxation Method (FAR) Scenarios [Scenarios with consistency checks; Scenario Mgmt.] Scenario-Simulation [Gaming; Interactive Scenarios]
59
ExploraͲ Hard or tory or NorSoft mative S S S S
N/Ex N/Ex N/Ex N ExploHard or ratory Soft or Noƌmative H Ex H Ex H Ex
H H H H/S H
Ex Ex Ex Ex Ex
Exploratory Hard or or NorSoft mative S
Ex
H/S
Ex
Exploratory Hard or or NorSoft mative S S H/S
Ex/N Ex/N N/Ex
S
N/Ex
60
Dana Mietzner
Family: Statistical
Stat. Stat.
Method [& Variations]
Correlation Analysis Demographics
Family: Trend Analysis
Tr Tr Tr Tr/Stat
V V V V s
H H
Method [& Variations]
Long Wave Analysis Precursor Analysis Trend Extrapolation [Growth Curve Projection] Trend Impact Analysis
Family: Valuing/ Decision/ Economic
Exploratory Hard or or NorSoft mative
Method [& Variations]
Action [Options] Analysis Analytical Hierarchy Process (AHP) Cost-Benefit Analysis [Monetized & Other] Decision Analysis [Utility Analyses] Multicriteria Decision Analyses [DEA - Data Envelopment Analysis]
Ex Ex Exploratory Hard or or NorSoft mative
H H H H
Ex Ex Ex N/Ex Exploratory Hard or or Soft Normative S N/Ex H N H Ex S N/Ex H N
Legende: Family Codes: Cr Creativity Desc Descriptive & Matrices Stat Statistical ExOp Expert Opinion Mon Monitoring & Intelligence Codes: H Hard (quantitative) S Soft (qualitative)
Family Codes: M&S Modeling & Simulation; Sc Scenarios Tr Trend Analysis V Valuing/Decision/Economic
Ex N
Exploratory Normative
Darstellung 5: Methoden entsprechend der TFA Working Group (TFA et al., 2004, 287-303)
Strategische Vorausschau Begriff - Prozess - Methoden
61
Genius Forecasting Participatory Methods Relevance Tree Scenarios System Dynamics Tech Sequence Analysis Futures Wheel Trend Impact
E
J
J
J
J
H
H
U
H
T
Tech Seq.
J
Futures Wheel
J
Trend Impact
J
System Dynamics
J
Scenario
Participatory Methods
J
Relevance Tree
Genius
Decision Model
Delphi
Cross Impact Decision Analysis Decision Model Delphi
Decision Analysis
Methode
Cross Impact
Im Rahmen der strategischen Vorausschau kommt oftmals nicht nur eine Methode zur Anwendung, sondern ein Set oder eine Kombination von Methoden, um die Ergebnisse der Untersuchungen zu zukünftigen Entwicklungen robuster zu gestalten. Für eine Trend-Impact-Analyse ist es z.B. notwendig, die Eintrittswahrscheinlichkeiten möglicher zukünftiger Ereignisse zu berücksichtigen. Diese Eintrittswahrscheinlichkeiten können z.B. mit Hilfe der Delphi Methode ermittelt werden. Ein weiteres Beispiel ist eine Cross-Impact-Matrix, die - eingeschlossen in ein System-Dynamic-Modell -, auch die Interaktion externer Ereignisse berücksichtigen würde. Weitere mögliche Kombinationen unterschiedlicher Methoden sind in der Darstellung 6 aufgeführt.
B D
B
H
H
U
C
F
P J
J
I
J
J
E
J
J
H
C
J
J
H
C
J
E
C H
J
S J
I
I
I
E X E
J
Darstellung 6: Methodenkombination (Gordon, 1994, 9) (Legende auf S. 62)
C X
C
62
Dana Mietzner
Legende zu Darstellung 6: B: Background/Hintergrundinformation C: Clarifies Assumptions/Klärung von Annahmen E: Event Linkage/Ereignisverbindung F: Forecast of Exogenous Variables /Vorschau auf exogene Variable H: High Order Impact/hoher Folgeeinfluss I: Internal Consistency/interne Konsistenz J: Judgement Gathering/Bewertungssammlung P: Present Images/aktuelle Bilder S: Helps Structure/Stukturschaffung T: Time Series Questions/Zeitreihenanlyse U: Useful in Sensitive Analysis/nützlich in störanfälligen Analysen
Grupp et al. haben die Methoden der Zukunftsforschung in kognitiv-appellative Methoden, statistisch-ökonometrische und strukturell-erklärende Methoden differenziert (vgl. Grupp et al., 1998, 4). Die kognitiv-appellativen Methoden werden in kleine und große Kollektive untergliedert als Ausdruck der an der Anwendung der Methode beteiligten Personen. Statistisch-ökonometrische Methoden werden im Hinblick auf die Extrapolationsklasse, die ökonometrische Klasse und die Entscheidungsklasse unterschieden. Strukturell erklärende Methoden unterteilen die Autoren in Szenario-Klasse, Strukturanalysen und Bewertungsklasse (siehe Darstellung 7). Die Darstellungen der Methoden zeigen, auf welche Vielfalt an Methoden für die strategische Vorausschau zurückgegriffen werden kann. Auch die Interpretation der Anwendung der Methoden kann sehr verschieden sein. Selbst sehr bekannte Methoden, wie die SWOT-Analyse oder Delphi, werden in unterschiedlicher Weise genutzt. Die Vielzahl der Methoden verdeutlicht auch, welchen Herausforderungen KMUs gegenüberstehen, wenn die strategische Vorausschau als permanente oder nur projektbezogene Aufgabe im Unternehmen implementiert werden soll. Die Methoden, die in Vorausschauprozessen zur Anwendung gelangen, sind nicht fest vorgegebenen, als viel versprechend in der strategischen Vorausschau wird ein Mix aus unterschiedlichen Methoden angesehen (vgl. Cuhls, 2003, 98).
Strategische Vorausschau͘Begriff - Prozess - Methoden
63
Darstellung 7: Ausgewählte Methoden der strategischen Vorausschau im Überblick (Grupp et al., 1998, 4)
64
Dana Mietzner
Ϯ͘1 Neue Methoden in der strategischen Vorausschau Bedingt durch die rasante Entwicklung von Internetanwendungen und das Web 2.0 stehen zunehmend auch internetbasierte Tools für die strategische Vorausschau zur Verfügung. Eine Reihe von internetbasierten Anwendungen werden für das Wissensmanagement und die Wissensgenerierung genutzt und ermöglichen die Sammlung von Informationen, die gemeinsam, z.B. im Rahmen eines Intranets von Mitarbeitern genutzt und auch bearbeitet werden können. Durch die Entwicklung von Bibliotheken, Wikipedias oder das Aufbereiten von Marktinformationen in Form von Newsseiten wird es möglich, umfangreiches Wissen darzustellen, gemeinsam zu nutzen und weiterzuentwickeln, um somit z.B. „schwache Signale“ zu erkennen oder fundierte Bestandsaufnahmen, wie sie z.B. bei Szenarioanalysen notwendig werden, zu begleiten. Auch Kommunikationstools, wie z.B. das Instant Messaging, werden für Vorausschauprozesse genutzt; sie ermöglichen z.B. die Kommunikation in Echtzeit, wodurch Informationen schneller ausgetauscht werden können. Die Kommunikation mit Experten im Rahmen von Befragungen oder Interviews kann somit unabhängig von Ort und Zeit erfolgen. Weitere internetbasierte Services sind z.B. SocialBookmarking-Systeme wie del.icio.us, die es ermöglichen, Bookmarks anderer Benutzer zu bestimmten Themen zu durchforsten, Schlagworte zu durchsuchen und relevante Internetseiten mit anderen Nutzern zu teilen, wodurch Suchprozesse im Internet wesentlich vereinfacht werden. Des Weiteren gibt es Datenbanken und teilweise kommerzielle Sammlungen zu globalen Trends, auf die Unternehmen zugreifen können. Weitere Methoden, die für Vorausschauprozesse genutzt werden können, sind Visualisierungstools. Diese werden genutzt, um z.B. Produktinnovationen erlebbar zu machen, um mit Kunden, Entwicklern, Zulieferern oder einer breiteren Öffentlichkeit in Dialog zu treten. Im Gegensatz zu Reports erlauben es Visualisierungstool wie future labs oder die Schaffung von Erlebniswelten, neue Entwicklungen und Ideen über die Optik und Haptik zu vermitteln. Damit sind Visualisierungstools ein Mittel der Entscheidungsvorbereitung aber auch ein Kommunikationsinstrument, um Ergebnisse der Vorausschauaktivitäten auch innerhalb des Unternehmens kommunizierbar aufzubereiten und den Mitarbeitern im Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Die nachfolgende Darstellung liefert einen Überblick zu neueren Tools in der strategischen Vorausschau.
Strategische Vorausschau Begriff - Prozess - Methoden
Tools
Beschreibung
Umsetzung
Wettbewerbsinformation Informationen zu Zulieferern Branchenspezifische News wesentliche Kontaktdaten Events Überblick zu wesentlichen Journals, Netzwerken, Softwarelösungen, Managementliteratur mit der Möglichkeit eigene Bereiche einzurichten, i.S.v. my journals Links zu Bibliotheken Literaturempfehlungen interne Enzyklopädie, die eine Sammlung von Websites enthält und von den Nutzern selber bearbeitet werden kann Überblick zu spezifischen Technologieanbietern Suchfunktionen
Weboberfläche (intern)
elektronische Post als wichtigster Internetdienst Nachrichtenaustausch für eine geschlossene Gruppe von Menschen Nachrichtenaustausch ist innerhalb dieser Gruppe öffentlich Mailinglisten sind historisch die Urform von Newsgroups und Internetforen
Wissensmanagementtools Wissensmanagementsystem für allgemeine Kunden und Marktinformationen i.S. von Neuigkeiten
Library (interne Bibliothek)
Wiki
Technology Database
Weboberfläche (intern)
Weboberfläche (intern) oder branchenweit
Weboberfläche (intern)
Kommunikations- und Visualisierungstools E-Mail Mailing List
E-Mail-Programm Internet E-Mail Internet/Intranet
65
66
Dana Mietzner
Tools
Instant Messaging
Directory (Verzeichnis, Register)
Future lab
Beschreibung Moderator möglich unterschiedliche Leseund Schreibrechte Kommunikation in Echtzeit mit anderen Teilnehmern kurze Mittelungen werden meist über das Internet an Empfänger geschickt, auf die der Empfänger unmittelbar antworten kann Möglichkeit des Austauschs von Dateien Videokonferenzen Telefonkonferenzen übersichtliche, meist nach bestimmten Strukturen gegliederte, listenmäßige darstellbare Anordnung von Informationen Darstellung von Produktideen, Projektideen in Erlebniswelten Diskussion mit Kunden, Partnern, Zulieferern
Darstellung neuer Produkte, Prozesse, Dienstleistungen Podcast, Filme, Musik, etc. Visualisierung und emotionale Ansprache Sonstige Internet-Tools und Services Erlebnistage mit Kunden
Social Bookmarking z.B. del.icio.us, Simpy, Furl Connotea, CiteULike (Fokus auf Wissenschaftler)
Umsetzung
Software (z.B. Instant Messenger)
Software zum Verwalten von Verzeichnisstrukturen
Einrichtung eines Labors, Raumes, Bereiches, Hauses
Einrichtung eines Labors, Raumes, Bereiches, Hauses
Anlegen persönlicher Le- Internetdienst sezeichen mit Schlagworten und Tags persönliche Sammlung ist öffentlich sichtbar, einzelne Lesezeichen können
Strategische Vorausschau Begriff - Prozess - Methoden
Tools
Beschreibung
Wikipedia
Google, Yahoo
67
Umsetzung
auch als privat gekennzeichnet werden und von der Veröffentlichung ausgeschlossen werden der öffentliche Charakter des Dienstes lässt sich beispielsweise für einen Linkblog nutzen: (der einzelne sieht, welche anderen Nutzer seine Lesezeichen in ihre Sammlung aufgenommen haben, und kann anschauen, mit welchen Tags sie gekennzeichnet wurden) mobiler Zugriff auf gespeicherte Daten unabhängig vom Rechner nutzbar (Firma, Heimrechner etc.) freie Enzyklopädie, die Internetplattform eine Sammlung von Websites enthält und von den Nutzern selber bearbeitet werden kann Internetsuchmaschine Internetdienst
Ressourcen im Internet www.shapingtomorrow.com
Sammlung zu Trends, die regelmäßig aktualisiert werden
kommerzielle Homepage
Darstellung 8: Neue Tools in der strategischen Vorausschau (vgl. auch Beiträge in: euroSF, 2007)
In der nachfolgenden Darstellung 9 werden ausgewählte Methoden dem generischen Prozess der strategischen Vorausschau (vgl. Reger, 2001b, 89) gegenübergestellt und Methoden zugeordnet, die jeweils geeignet sind, um den Informationsbedarf zu formulieren, Daten zu sammeln, zu interpretieren und konkrete Entscheidungen herbeizuführen (vgl. dazu auch Miles, 2002).
68
Dana Mietzner
Darstellung 9: Generischer Prozess der strategischen Vorausschau mit Methodenzuordnung
Ϯ͘Ϯ ŶĨŽƌĚĞƌƵŶŐĞŶĂŶĚŝĞƐƚƌĂƚĞŐŝƐĐŚĞsŽƌĂƵƐƐĐŚĂƵ Mit der Früherkennung kann es gelingen, Unternehmen gegenüber „schwachen Signalen“ zu sensibilisieren und Trends zu erkennen. Die Ergebnisse der Früherkennung fließen in die strategische Planung ein und begründen somit einen strategischen Vorausschauprozess. Auch wenn die Notwendigkeit einer strategischen Vorausschau vielen Unternehmen plausibel ist, so ist der Verbreitungsgrad tatsächlich funktionierender Vorausschauprozesse als gering einzuschätzen (vgl. Mueller-Stewens et al., 2003, 208). Diese Einschätzung wird auch durch die eigene qualitative Untersuchung in Form von Fallstudien (vergleiche dazu Beitrag Die Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen) bestätigt. Im Rahmen von Interviews in deutschen Biotechnologieun-
Strategische Vorausschau Begriff - Prozess - Methoden
69
ternehmen wurden 30 CEOs und Führungskräfte im Business Development oder Marketingverantwortliche interviewt. Ziel der Untersuchung war es u.a., das Vorgehen im Rahmen strategischer Vorausschauprozesse zu untersuchen und Anforderungen an ein systematisches Früherkennungstool zu ermitteln. Die Untersuchung macht das Dilemma der Unternehmen deutlich. Wenn auch die Bedeutung von Vorausschauprozessen angesichts hoher Unsicherheiten in einer schnelllebigen, international ausgerichteten Branche, wie der Biotechnologie, von dem überwiegenden Teil der Unternehmen als hoch angesehen wird (vgl. nachfolgende Aussagen der Interviewpartner), so wird doch, insbesondere aufgrund geringer Ressourcen (verantwortliche Mitarbeiter, Zeit) und einer unzureichenden Methodenkenntnis, auf den Einsatz von Methoden wie der Szenarioanalyse verzichtet. „…also wenn man das so versteht zu erkennen was einmal gefragt sein könnte Ͳoder welche Innovationen interessant sind, hat die Früherkennung schon eine starke Bedeutung…“ (P25) „…für uns ist es [..] wichtig, dass wir neue Trends relativ schnell erkennen, damit wir unser Produkt darauf abstellen können.“ (P34) „Ich denke schon, dass es einen wichtigen Stellenwert hat, dass man das Ganze systematisch betrachtet, dass man Informationen sammelt, neue Firmen identifiziert aber auch die Firmen beobachtet, …“ (P36) Um die strategische Vorausschau im Unternehmen zu implementieren, müssen besondere Anforderungen an die Prozessflexibilität, die Motivation des Managements und der Mitarbeiter, an die Nachvollziehbarkeit der eingesetzten Methoden und an eine adäquate Kommunikation und Visualisierung gestellt werden. Prozessflexibilität Wird die strategische Vorausschau als ein Prozess aufgefasst, so ist dennoch von einem sequentiellen Abarbeiten einzelner Phasen abzusehen (vgl. Haertel, 2002, 46). Stattdessen sollte der Prozess möglichst flexibel gestaltet werden und an die unternehmensspezifischen Bedürfnisse angepasst werden (vgl. Cuhls, 2003, 96). Auch beim Einsatz ausgewählter Vorausschaumethoden muss eine Anpassung an die jeweilige
70
Dana Mietzner
Zielstellung, unternehmensspezifische Anforderungen oder zur Verfügung stehende Ressourcen (z.B. Zeit, Personal, Budget) erfolgen. Motivation von Führungskräften und Mitarbeitern Die Beobachtung, Aufnahme und Aufbereitung von Informationen stellen für die jeweiligen Mitarbeiter und Führungskräfte oft eine zusätzliche Aufgabe dar, die möglicherweise durch das operative Geschäft verdrängt wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Erfassung und Einschätzung von Informationen sehr aufwendig sind (vgl. Miđiđ, 2006, 312). Krystek und Müller-Stewens (1993, 265 ff.) unterscheiden in diesem Zusammenhang auch zwischen Wissens-, Willens- und Fähigkeitsbarrieren. Nachvollziehbarkeit der eingesetzten Methoden Die Vielfalt und Komplexität der Methoden der strategischen Vorausschau können den Versuch der Implementierung von Vorausschauprozessen gefährden („Methoden-Overkill“). Da der Prozess der Verarbeitung von Informationen bereits ein hohes Maß an Komplexität aufweist, erscheint zunächst die Anwendung einfacher Methoden sinnvoll, um zunächst ein Verständnis für Vorausschauprozesse im Unternehmen zu entwickeln. Im Vordergrund sollten also nicht inkrementelle Methodenverbesserungen stehen, sondern eine strikte Anwendungsorientierung (vgl. Haag, 1993, 265). Auch Entscheidungsträger müssen die im Rahmen von Vorausschauprozessen entwickelten Ergebnisse nachvollziehen können, wenn strategische Entscheidungen auch auf Grundlage der Informationen und Ergebnisse getroffen werden müssen. Kommunikation und Visualisierung Informationen und erarbeitete Ergebnisse müssen schnell verfügbar und übersichtlich dargestellt werden. Berichte mit langen Prosatexten und einer ungenügenden Visualisierung werden als minderwertig beurteilt (vgl. Haertel, 2002, 76; vgl. Miđiđ, 2006, 311). Somit ist es nicht nur von Bedeutung, Informationen zu sammeln und zu aggregieren, sondern diese Informationen im Unternehmen schnell, einfach und übersichtlich zur Verfügung zu stellen. Wenn Mitarbeiter und das Management den Mehrwert der strategischen Vorausschau erkennen, sichert dies wiederum Akzeptanz und Fürsprache (vgl. Roll et al., 2006, 204).
Strategische Vorausschau Begriff - Prozess - Methoden
71
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Dana Mietzner
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Strategische Vorausschau Begriff - Prozess - Methoden
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Die strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen Dana Mietzner
Inhaltsverzeichnis 1
Die Bedeutung der strategischen Planung in KMU ...................................................... 76
2
Untersuchung zur Praxis der strategischen Vorausschau in Biotechnologieunternehmen (DLrBT) ........................................................................... 81 2.1 Methodisches Vorgehen........................................................................................ 82 2.2 Qualitative Inhaltsanalyse zur Praxis der strategischen Vorausschau in DLrBT .............................................................................................................. ... 94 2.3 Ergebnisdarstellung: Praxis der Früherkennung und strategischen Vorausschau in DLrBT ............................................................................................................... ... 99
3
Anforderungen an Methoden der strategischen Vorausschau.................................. 121
Literaturverzeichnis .......................................................................................................... ...... 124
76
1
Dana Mietzner
Die Bedeutung der strategischen Planung in KMU
Wenn auch der Einsatz der verschiedenen Methoden in kleinen und mittleren Unternehmen sowohl in der Praxis als auch in der Literatur nur selten betrachtet wird, so besteht dennoch Einigkeit darüber, dass die meisten Methoden (z.B. Szenarioanalysen) zu anspruchsvoll und zu teuer sind, um sie tatsächlich in KMU einsetzen zu können (vgl. Minder, 2001, 125). Verschiedene empirische Studien weisen darauf hin, dass die strategische Planung, im Zuge derer Vorausschauaktivitäten durchzuführen sind, in KMU nach wie vor noch häufig eher zufällig, unstrukturiert, sporadisch, inkrementell, mangelhaft oder gar nicht betrieben wird (vgl. Welter, 2003, 36 f.; vgl. Held et al., 2007, 9). Somit weicht der Entscheidungsprozess in KMU erheblich vom Erklärungsansatz einer rationalen Entscheidung ab, wonach Entscheidungen als das Ergebnis einer rationalen Wahl bzw. Entscheidung des Homo oeconomicus erklärt werden (vgl. Welter, 2003, 34). Held et al. sprechen von strategischer Planung, wenn sowohl Wertvorstellungen als auch längerfristige Absichten, Unternehmensziele und Unternehmensstrategien zumindest teilweise schriftlich niedergelegt sind. Nach dieser Definition findet in nur 42% der in 2006/2007 befragten 631 deutschen KMU überhaupt eine strategische Planung statt (vgl. Held et al., 2007, 26). Dies steht im Gegensatz dazu, dass die strategische Planung auch von KMU als ein wesentlicher Prozess angesehen wird, wie die Studie von Held et al. aufzeigt. Annähernd 85% der 631 befragten KMU halten demnach die strategische Planung für sinnvoll (vgl. Held et al., 2007, 22 f.). Strategische Planung wird von über 42% der befragten Unternehmen, neben dem Faktor „gute und qualifizierte Mitarbeiter“ (74,5%) und einer entsprechenden Kapitalausstattung (32,5%) als ein wesentlicher Erfolgsfaktor angesehen (vgl. Held et al., 2007, 22 f.). Innerhalb der Unternehmen, die eine strategische Planung betreiben, stehen aktuelle strategische Fragestellungen im Mittelpunkt der Betrachtung. Fragen zu Zukunftsmärkten, technologischen Trends oder sich wandelnden Konsumwelten werden kaum explizit genannt (vgl. Held et al., 2007 f.). Die nachfolgende Darstellung gibt einen chronologischen Überblick zu wesentlichen internationalen und nationalen Studien zum Stand der strategischen Planung in KMU.
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
Autor(en) Jones (1982)
77
Anzahl
Land
Wichtigste Erkenntnisse
69
USA
„Planer“ sind durchschnittlich älter und haben eine höhere formale Ausbildung als „Nicht-Planer“
Quelle (Jones, 1982)
Sexton/Van Auken (1982)
357
USA
< 25% strategische Planung 20% kein strategisches Verhalten
Gable/ Topal (1987)
179
USA
Einteilung in zwei Gruppen : „Planer“ (Gable et erstellen ihre Pläne eher schriftlich als al., 1987) „Nicht-Planer“
Gibb/Scott (1985)
16
Großbritannien
Strategische Planung in KMU ist projektabhängig und nicht formalisiert
(Gibb et al., 1985)
Shuman/Seeger (1986)
220
USA
Planung ist abhängig vom Erfolg früherer Planungsaktivitäten, aktuellen Erfolg und persönlichen Einstellungen
(Shuman et al., 1986)
Carland et al. (1989)
368
USA
Positiver Zusammenhang zwischen Persönlichkeit (Leistungsorientierung, Risiko- bzw. Innovationsneigung) und Art der Planung (formal, nicht formal, keine)
(Carland et al., 1989)
Shrader et al. (1989)
97
USA
23% strategische Planung (> 1 Jahr) Je kleiner das Unternehmen, desto eher nur operative Planung
(Shrader et al., 1989)
Naffziger/Kuratko (1991)
115
USA
> 80% formale Planung
(Naffziger et al., 1991)
Lyles et. al. (1993)
188
USA
37% haben formale Pläne mit einem Zeithorizont von mind. 3 Jahren. Strategische Entscheidungsfindung variiert stark zwischen formalen und informalen Planern, formale Planer höheres Umsatzwachstum
(Lyles et al., 1993)
Risseeuw/Masural (1994)
1211
Niederlande
Planungsaktivitäten steigen mit zunehmender Unternehmensgröße
(Risseeuw et al., 1994)
Olson/Bokor (1995)
500
USA
Erfolg wird beeinflusst von dem Grad der Planungsformalisierung sowie dem Strategieinhalt
(Olsen et al., 1995)
Naffzinger/ Mueller
71
USA
47% kein schriftliches „mission statement“
(Naffiziger et al.,
(Sexton et al., 1985)
78
Dana Mietzner
Autor(en) (1999)
Anzahl
Land
Wichtigste Erkenntnisse 49% überprüfen ihre Zielerreichung mehrfach jährlich, Geschäftsführung und TopManagement legen Pläne fest >30% schriftliche Planung, davon aber nur 50% jährlich Größere Unternehmen planen eher als kleinere Je besser die Ausbildung, desto eher wird geplant Mit zunehmender Anzahl der Jahre an Berufserfahrung fällt die Wahrscheinlichkeit zu planen 70% Planungshorizont von 1-3 Jahren 92% strategische Planung
Quelle 1999)
Gibson/Cassar (2002)
3554
Australien
Stonehouse/ Pemberton (2002)
159
Großbritannien
Esser et al. (1985)
214
Deutschland
27% strategische Planung Je mehr Beschäftigte das Unternehmen hat, desto eher wird strategisch geplant In GmbH und AG wird eher strategisch geplant als in anderen Rechtsformen.
(Esser et al., 1985)
Kropfberger (1986)
262/161
Österreich
32% keine Absatzplanung 49% nur Kurzfristplanung(1 Jahr) 27% Mehrjahresplanung 39% langfristige Geschäftspolitik Portfolio- und Lebenszykluskonzepte kaum bekannt
(Kropfberg er, 1986)
Haake (1987)
127
Schweiz
28% keine schriftliche Planung 31% nur Kurzfristplanung 27% Langfristplanung Strategische Planung insgesamt 14% Planung vorwiegend bei Finanzen, Produktion, Absatz
(Haacke, 1987)
Fröhlich/ Pichler (1988)
107
Österreich
23% keine Planung 31% Kurzfristplanung 33% Langfristplanung 12% strategische Planung
(Fröhlich et al., 1988)
(Gibson et al., 2002)
(Stonehou se et al., 2002)
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
Autor(en) Scholz (1991) Leitner (2001)
Anzahl 1461
Kraus (2006)
79
Land Deutschland Österreich
Wichtigste Erkenntnisse 73 % strategische Planung 55% Stärken/ Schwächen- Analyse <20 % Portfolio- und Produktlebenszyklusanalyse 0% Kernkompetenzanalyse 62% schriftlich festgehaltene Unternehmenspolitik 88 % Strategiefestlegung aufgrund von Erfahrung 31 % Strategiefestlegung aufgrund von Intuition
(Leitner, 2001)
468
Österreich
18 % Planungshorizont von > 2 Jahren geringer Formalisierungsgrad 77 % keine strategischen Instrumente Planung steigt mit zunehmender Unternehmensgröße und Komplexität der Rechtsform Erfahrung und Intuition sind für die Entscheidungsfindung wichtiger als Planung
(Kraus, 2006)
Deimel/ Kraus (2006)
101
Deutschland
40 % schriftliche Planung 50 % strategische Planung Planungshorizont eher kurzfristig (<3 Jahre)
(Deimel et al., 2006)
H. Held, M. Ruppert, F. Ziegenbein,
631
Deutschland
42% nutzen strategische Planung
(Held et al., 2007)
100
Quelle (Scholz, 1991)
ca. 85% der KMU halten die strategische Planung für sinnvoll
(2006/2007)
Darstellung 1: Studien zur strategischen Planung in KMU (vgl. auch Darstellung in Welter, 2003, 36; vgl. Meyer, 2007, 33 ff.)
80
Dana Mietzner
Die Anwendungsquote der strategischen Planung ist im deutschsprachigen Raum noch vergleichsweise gering (vgl. Meyer, 2007, 39). Ein Teil der Studien zur strategischen Planung in KMU (vgl. Darstellung 1) ist der Frage nach der Erfolgswirkung strategischer Planung nachgegangen. Dabei wird der Versuch unternommen, den bereits für Großunternehmen mehrfach bestätigten positiven Zusammenhang (vgl. Ramanujam et al., 1997; Rue et al., 1998) zwischen strategischer Planung und Unternehmenserfolg auch auf KMU zu übertragen. Wenn auch die Studien teilweise nur schwer vergleichbar sind, so überwiegen dennoch die Studien, die einen positiven Zusammenhang zwischen strategischer Planung und Unternehmenserfolg feststellen konnten (vgl. Deimel et al., 2006, 4; vgl. Meyer, 2007, 36). Ursachen, die dazu führen, dass auf eine strategische Planung und Vorausschau in KMU verzichtet wird, sind eine Überbetonung des operativen Geschäfts, das es nicht erlaubt, einer fundierten strategischen Planung nachzugehen (knappe Zeitressourcen) (vgl. Deimel et al., 2006, 6) sowie fehlendes Know-how. Des Weiteren können der strategischen Planung negative oder kritische Einstellungen gegenüberstehen. So wird die strategische Planung oftmals mit aufwendigen Marktanalysen in Verbindung gebracht, deren Aufwand nicht als sinnvoll erachtet wird. Auch das Bremsen des Innovationscharakters von KMU durch strategische Planungsinstrumente wird als ein Grund für eine fehlende strategische Planung angesehen sowie die Annahme, dass Planung die Freiheit und die Fähigkeit die Intuition zu nutzen einengt (vgl. Masurel et al., 2000, 95; vgl. Meyer, 2007, 30). Weitere Ursachen sind Angst vor Veränderungen oder ein tradiertes Denken (vgl. Meyer, 2007, 30). Den Gründen, die gegen den Einsatz der strategischen Planung sprechen, stehen z.B. die Möglichkeiten des Einsatzes von Szenarioanalysen gegenüber. Durch die Entwicklung von Szenarien kann der wahrgenommene Möglichkeitsraum der Unternehmen erweitert werden, wodurch Veränderungsprozesse früher erkannt und besser verstanden werden (vgl. auch Meyer, 2007, 38).
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
81
Umfassende empirische Untersuchungen, die explizit der Frage nachgehen, inwieweit Methoden der strategischen Vorausschau und insbesondere die Szenarioanalyse in KMU zum Einsatz gelangen, liegen jedoch bis zum Untersuchungszeitpunkt nicht vor. Die im folgenden Kapitel dargestellte qualitative Untersuchung zur Praxis der strategischen Vorausschau in kleinen und mittleren Unternehmen, untersucht am Beispiel von Biotechnologieunternehmen, soll Aufschluss darüber geben, in welcher Form überhaupt eine strategischen Vorausschau als ein Teil der strategischen Planung durchgeführt wird, wie Vorausschauaktivitäten im Unternehmen organisiert werden, welche Quellen genutzt werden und welche Methoden dabei zum Einsatz gelangen. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, inwieweit Szenarioanalysen in den untersuchten Biotechnologieunternehmen zur Anwendung gelangen.
2
Untersuchung zur Praxis der strategischen Vorausschau in BiotechnologieͲ ƵŶternehmen (DLrBT)
Untersuchungen zur Praxis der strategischen Vorausschau fokussieren überwiegend auf Großunternehmen. Wie Prozesse der strategischen Vorausschau in kleinen und mittleren Unternehmen gestaltet werden, bleibt weitgehend unbeantwortet. Um diese Lücke zu schließen, wurden 30 kleine und mittlere Unternehmen der roten Biotechnologie im Rahmen von Fallstudien untersucht. Ziel der Untersuchung ist es, die Praxis der strategischen Vorausschau in den Unternehmen sowie Anforderungen an die strategische Vorausschau zu ermitteln (vgl. Darstellung 2).
82
Dana Mietzner
Welchen Stellenwert hat die strategische Vorausschau im Unternehmen? Wie gehen die Unternehmen vor, um neue Marktchancen oder neue technologische Entwicklungen frühzeitig zu erkennen? Wer beschäftigt sich im Unternehmen mit Fragestellungen der strategischen Vorausschau? Wird ein systematischer Prozess genutzt, um frühzeitige Marktchancen zu erkennen? Welche Methoden der strategischen Vorausschau werden eingesetzt? Was wird genau unter den verwendeten Methoden verstanden? Welches Ziel wird mit dem Einsatz der Methoden verfolgt? Welche Gründe sprechen gegen den Einsatz der Methoden? Welche Erfahrungen wurden mit welchen Methoden gemacht? Inwieweit finden die Erkenntnisse aus der Früherkennung in der strategischen Planung Berücksichtigung? Welche Quellen oder Ressourcen werden genutzt, um Informationen für die strategische Vorausschau zu erhalten? Welche Themenfelder (z.B. Nachfrageentwicklung, Wettbewerbssituation, Technologietrends) sind besonders relevant? Darstellung 2: Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen (Untersuchungsfragen)
2.1 Methodisches Vorgehen Die Auswahl der Unternehmen erfolgt auf Basis einer Datensammlung, in der 321 Dienstleister der roten Biotechnologie (DLrBT) in einer Datenbank erfasst wurden. Die Definition des Untersuchungsgegenstandes „Dienstleistungen in der roten Biotechnologie“ ergibt sich aus der Schnittmenge der exakten Definitionen der Begriffe „Dienstleistungen“, „rot“ und „Biotechnologie“. Eine weitere Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes erfolgt durch den Zweck (hier: gewinnorientierte Unternehmungen) der Dienstleistungen in der roten Biotechnologie (DLrBT). Die Gewinnorientierung wird anhand der Rechtsform des Dienstleisters festgestellt, d.h., die Untersuchungsobjekte sind Kapital- und Personengesellschaften. Schließlich wird der Untersuchungsgegenstand noch hinsichtlich seiner Lokalisation eingegrenzt. Es werden nur die in Deutschland erstellten Dienstleistungen berücksichtigt. Dabei ist nicht der Hauptsitz des Dienstleisters, sondern der Erstellungsort der Dienstleistung relevant. Die Fallauswahl wird anhand der Arbeitsdefinition (vgl. Beitrag Dienstleistungen in der roten Biotechnologie (DLrBT)) durchgeführt. In Einzelfällen gibt es dennoch Zu-
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
83
ordnungsschwierigkeiten. Bei der Vielfalt der biotechnologischen Methoden ist es nicht möglich, alle Methoden der „List-based Definition“ der OECD zuzuordnen. Die „Single Definition“ muss in vielen Fällen zur Abgrenzung genutzt werden. Ebenso ist die Grenze zwischen medizinischen und nicht-medizinischen Anwendungen nicht immer eindeutig zu ziehen. Eine enge Auslegung des Begriffes „medizinische Anwendung“ würde die Abgrenzung stark vereinfachen, jedoch auch das Untersuchungsobjekt signifikant einschränken. Die Darstellungen 3 bis 12 geben einen Überblick zu den im Rahmen von Fallstudien betrachteten Unternehmen der DLrBT. Die Auswertung der Fallstudien erfolgt anonymisiert, dennoch lässt die Darstellung der Basisdaten Rückschlüsse auf die Größe und das Geschäftsmodell der Unternehmen zu. Die in der Darstellung grau hinterlegten Felder kennzeichnen Unternehmen, die als reiner Dienstleister auftreten.
1992
1993
1992
1998
P1
P2
P3
P6
Gründungsjahr
11 bis 49 Mitarbeiter
11 bis 49 Mitarbeiter
500 und mehr Mitarbeiter
11 bis 49 Mitarbeiter
Größenklasse*
Nicht bekannt
Nicht bekannt
Spin- off eines weltweit führenden wissenschaftlichen Institutes
Nicht bekannt
Gründungsgeschichte
Analytik / in vitro Diagnostik
Analytik / Arzneimittelanalytik
Arzneimittelentwicklung / Drug Discovery
Individuelle Auftragsproduktion von Antikörpern
Geschäftsfokus DLrBT
Produkte + Dienstleistungen
Produkte + Dienstleistungen
Produkte + Dienstleistungen
Nur Dienstleistungen
Produkte und DL
Nein
Nein
Ja
Nein
Proprietäre Technologie
Innovationsstrategie
Später Folger
Später Folger
Früher Folger
Später Folger
(Pionier vs. Folger)
Kopplung an Big Player (Technologieplattform und Vertriebsnetz)
Dienstleistungsqualität
Geschützte Technologieplattform, Technologieführerschaft, Skaleneffekte, übernimmt Spezialaufgaben in FuE der Pharmaunternehmen, besitzt Anlagevermögen das nur wenige große Pharmaunternehmen vorhalten
Geringe Produktionskosten, Marktdurchdringung, Kopplung an Big Player (Vertriebsnetz), Dienstleistungsqualität, Technische Expertise des Außendienstes
Wettbewerbsvorteil
84 Dana Mietzner
Darstellung 3: Fallstudienübersicht Teil 1 (ausgewählte Basisdaten)
1994 (2004)
1999
1994
1997
P7
P8
P9
P10
Gründungsjahr
Darstellung 4͗ Fallstudienübersicht Teil 2 (ausgewählte Basisdaten)
11 bis 49 Mitarbeiter
50 bis 249 Mitarbeiter
50 bis 249 Mitarbeiter
11 bis 49 Mitarbeiter
Größenklasse*
Nicht bekannt
Nicht bekannt
Nicht bekannt
Spin- off eines Pharmaunternehmens, Ausnutzung der Technologieplattform um zusätzlich Cash- Flow zu generieren
Gründungsgeschichte
Individuelle Auftragsproduktion / von Nukleinsäuren
Individuelle Auftragsproduktion / von Therapeutika
Produkte + Dienstleistungen
Nur Dienstleistungen
Produkte + Dienstleistungen
Ja
Ja
Ja
Ja
Produkte + Dienstleistungen
Individuelle Auftragsproduktion / Peptidsynthese
Individuelle Auftragsproduktion / von Nukleinsäuren
Proprietäre Technologie
Produkte und DL
Geschäftsfokus DLrBT
Innovationsstrategie
Später Folger
Später Folger
Später Folger, in spezieller Marktnische evtl. Pionier
Früher Folger
(Pionier vs. Folger)
Dienstleistungsqualität
Spezialist, Dienstleistungsqualität, Wissenschaftliche Qualität des Personals, Skaleneffekte
Geschützte Technologieplattform, Technologieführerschaft, Interdependente Architektur erlaubt Prozessinnovationen, Skaleneffekte (beruhen auf verschiedenen Parametern), geringe Produktionskosten durch speziell angefertigte Maschinen und Anlagen, Dienstleistungsqualität, wissenschaftliche Qualität des Personals und des Managements
Geschützte Technologieplattform, für DL eher Skaleneffekte relevant
Wettbewerbsvorteil
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen 85
1997
1993
1993
P11
P12
P13
Gründungsjahr
11 bis 49 Mitarbeiter
500 und mehr Mitarbeiter
50 bis 249 Mitarbeiter
Größenklasse*
Gründung im Zusammenhang mit großen öffentlich geförderten Forschungsprojekten
Privatisierung nach der Wiedervereinigung, Übernahme durch erfahrenen Manager aus Westdeutschland
Ausgründung einer Abteilung einer Universität durch Abteilungsleiter
Gründungsgeschichte
Arzneimittelentwicklung / Methoden der Grundlagenforschung
Individuelle Auftragsproduktion / von Therapeutika
Analytik / in vitro Diagnostik und Arzneimittelentwicklung / Methoden der Grundlagenforschung
Geschäftsfokus DLrBT
Produkte + Dienstleistungen
Produkte + Dienstleistungen
Nur Dienstleistungen
Produkte und DL
Ja
Ja
Ja
Proprietäre Technologie
Früher Folger
Nicht einschätzbar
Früher Folger
(Pionier vs. Folger)
Innovations - strategie
Technologiebeherrschung, Erfahrungskurve, Dienstleistungsqualität
Spezialist, Skaleneffekte, bestehende Geschäftskontakte nach Osteuropa, neueste Generation Maschinen und Anlagen
Ursprünglich Technologievorteil, jetzt Dienstleistungsqualität und Skaleneffekte insbesondere durch Zugehörigkeit zu größerem Unternehmensverbund
Wettbewerbsvorteil
86 Dana Mietzner
Darstellung 5͗ Fallstudienübersicht Teil 3 (ausgewählte Basisdaten)
1997
1993
1989
P14
P15
P16
Gründungsjahr
11 bis 49 Mitarbeiter
50 bis 249 Mitarbeiter
11 bis 49 Mitarbeiter
Größenklasse*
Entrepreneur trifft Wissenschaftler, Spinoff aus einer Universität
Spin- off aus Biotechnologie unternehmen
Spin- off aus einer Universität unter Leitung eines weltweit renommierten Wissenschaftlers
Gründungsgeschichte
Analytik / in vitro Diagnostik
Produktentwicklung / von Methoden und Prozessen
Arzneimittelentwicklung / Präklinische Entwicklung
Geschäftsfokus DLrBT
Produkte + Dienstleistungen
Nur Dienstleistungen
Produkte + Dienstleistungen
Produkte und DL
Ja
Nein
Ja
Proprietäre Technologie
Pionier
Pionier
Früher Folger
(Pionier vs. Folger)
Innovations - strategie
Bei DL: Pioniervorteile, bei Produkten: Pioniervorteile, Produkte sind zum Standard geworden
Skaleneffekte, Spezialist (übernimmt Spezialaufgaben in FuE der Pharmaunternehmen, die aus technischen Gründen von den Kunden nicht selbst durchgeführt werden)
Wissenschaftliche Qualität des Managements, Spezialist, Skaleneffekte, besitzt spezielle kostenintensive Maschinen und Anlagen, die kaum ein Pharmaunternehmen besitzt und von verschiedenen genutzt werden, enge Kooperation mit der Universität, persönliche Kontakte der Geschäftsführung
Wettbewerbsvorteil
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
Darstellung 6: Fallstudienübersicht Teil 4 (ausgewählte Basisdaten)
87
1998
1998
1999
1997
P17
P18
P19
P20
Gründungsjahr
50 bis 249 Mitarbeiter
11 bis 49 Mitarbeiter
11 bis 49 Mitarbeiter
50 bis 249 Mitarbeiter
Größenklasse*
Spin- off eines wissenschaftlichen Instituts unter Leitung von renommierten Wissenschaftlern
Spin- off aus einer Universität
Gründung im Zusammenhang mit großen öffentlich geförderten Forschungsprojekten
Spin- off eines weltweit führenden wissenschaftlichen Institutes
Gründungsgeschichte
Bioinformatik
Arzneimittelentwicklung / Drug Discovery
Auftragsproduktion Proteinsynthese
Arzneimittelentwicklung / Drug Discovery
Geschäftsfokus DLrBT
Produkte + Dienstleistungen
Produkte + Dienstleistungen
Produkte + Dienstleistungen
Produkte + Dienstleistungen
Produkte und DL
Ja
Ja
Ja
Ja
Proprietäre Technologie
Pionier
Später Folger
Folger DL, Pionier Technologie
Pionier
(Pionier vs. Folger)
Innovations - strategie
Systemlösung, Spezialist
Nicht bekannt
Geschützte Technologie, Produkte: Kopplung an Big Player (Vertriebsnetz)
Wissenschaftliches Renommee der Gründer, Dienstleistungsqualität, Skaleneffekte, persönliche Kontakte des Managements
Wettbewerbsvorteil
88 Dana Mietzner
Darstellung 7: Fallstudienübersicht Teil 5 (ausgewählte Basisdaten)
1991
1990
P25
P26
Gründungsjahr
11 bis 49 Mitarbeiter
50 bis 249 Mitarbeiter
Größenklasse*
Neugründung eines Absolventen eines international renommierten Forschungsinstituts (Universität) (kein Spin- off), starke unternehmerische Orientierung (risikoaffines Verhalten)
Gründung kundengetrieben, zunehmende Kundenanfragen führten zur Ausweitung eines Gelegenheitsgeschäftes zum eigenständigen Unternehmen, Verschiebung des Geschäftsfokus in einem bestehenden Unternehmen
Gründungsgeschichte
Individuelle Auftragsproduktion / von Nukleinsäuren
In vitro Diagnostik für klinische Studien
Geschäftsfokus DLrBT
Folger
Pionier / früher Folger
Nein
Produkte + Dienstleistungen
(Pionier vs. Folger)
Innovations - strategie
Nein
Proprietäre Technologie
Nur Dienstleistungen
Produkte und DL
Ursprünglich Pioniervorteile in Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern, Dienstleistungsqualität (insbes. begleitender Kundenservice), Bekanntheitsgrad, Skaleneffekte, Kopplung an Big Player (Co- Marketing), Direkter Kundenkontakt auch bei Export über Absatzmittler
Dienstleistungsqualität, Besondere Fähigkeiten zur Kooperation (Standardisierung der Leistung zwischen den unterschiedlichen Kooperationspartnern)
Wettbewerbsvorteil
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
Darstellung 8: Fallstudienübersicht Teil 6 (ausgewählte Basisdaten)
89
1997
1997
1996 (als Unternehm en, jetzt Geschäftsb ereich)
P30
P31
P32
Gründungsjahr
Darstellung 9: Fallstudienübersicht Teil 7 (ausgewählte Basisdaten)
50 bis 249 Mitarbeiter
11 bis 49 Mitarbeiter
11 bis 49 Mitarbeiter
Größenklasse*
Spin- off einer Technologischen Universität, aus einem Institut für Biotechnologie
Ausgründung eines Arbeitsgruppen leiters aus einem Forschungsinstitut
Spin- off eines weltweit führenden wissenschaftlichen Institutes
Gründungsgeschichte
Individuelle Auftragsproduktion / von Therapeutika (inkl. Übertragung der Prozesse)
Bioinformatik / Genom- und Sequenzanalyse
Arzneimittelentwicklung / Methoden der Grundlagenforschung
Geschäftsfokus DLrBT
Nur Dienstleistungen
Produkte + Dienstleistungen
Produkte + Dienstleistungen
Produkte und DL
Ja
Ja
Ja
Proprietäre Technologie
Folger
Pionier
Pionier
(Pionier vs. Folger)
Innovationsstrategie
Fähigkeit zur GMPgerechten Produktion
Spezialist, wissenschaftliche Expertise des Managements und der Mitarbeiter, Dienstleistungsqualität, Breite des Leistungsspektrums
Geschützte Technologieplattform, Skaleneffekte, übernimmt Spezialaufgaben in FuE der Pharmaunternehmen, Besitzt Aktiva die nur wenige große Pharmaunternehmen vorhalten, Fähigkeit zur GxP- gerechten Durchführung der DL, Starke AnbieterKundenbeziehung; FuEKooperation mit Gerätehersteller, Dienstleistungsqualität (Abgrenzung zu akademischen Wettbewerb)
Wettbewerbsvorteil
90 Dana Mietzner
1997
2000
1998
P33
P34
P35
Gründungsjahr
11 bis 49 Mitarbeiter
11 bis 49 Mitarbeiter
11 bis 49 Mitarbeiter
Größenklasse*
Spin- off eines weltweit führenden wissenschaftlichen Institutes
Spin- off eines weltweit führenden wissenschaftlichen Institutes
Nicht bekannt
Gründungsgeschichte
Arzneimittelentwi cklung / Methoden der Grundlagenforschung und Drug Discovery
Bioinformatik / Analyse experimenteller Daten
Arzneimittelentwicklung / Drug Discovery
Geschäftsfokus DLrBT
Nur Dienstleistungen
Produkte + Dienstleistungen
Produkte + Dienstleistungen
Produkte und DL
Ja
Nein
Nein
Proprietäre Technologie
Pionier
Folger
Pionier
(Pionier vs. Folger)
Innovationsstrategie
Skaleneffekte, übernimmt Spezialaufgaben in FuE der Pharmaunternehmen, Technologieführerschaft, wissenschaftliche Expertise der Gründer und Mitarbeiter, Kontrahierungspolitik, Dienstleistungsqualität
Spezialist, Skaleneffekte
Geschützte Technologie, Skaleneffekte, übernimmt Spezialaufgaben in FuE der Pharmaunternehmen, besitzt Aktiva die nur wenige große Pharmaunternehmen vorhalten, Wissenschaftliche Qualität der Mitarbeiter
Wettbewerbsvorteil
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
Darstellung 10: Fallstudienübersicht Teil 8 (ausgewählte Basisdaten)
91
1993
1999
P36
P37
Gründungsjahr
11 bis 49 Mitarbeiter
250 bis 499 Mitarbeiter
Größenklasse*
Management gründet nach Erfahrungen in der chemischen Industrie im internationalen Umfeld eigenes Biotechnologie - unternehmen
100%ige Tochter eines Pharmaunterne hmens
Gründungsgeschichte
Herstellung von Therapeutika aus Pflanzen
Auftragsproduktion von Biopharmazeutika sowie Entwicklung und Übertragung der Prozesse
Geschäftsfokus DLrBT
Produkte und Dienstleistungen
Nur Dienstleistungen
Produkte und DL
Ja
Nein
Proprietäre Technologie
Innovationsstrategie
Pionier
Pionier
(Pionier vs. Folger)
Integrierter Plattformtechnologieanbieter, Technologieführerschaft
Fähigkeit zur GMPgerechten Produktion, Prozessinnovationen, (z.T. daraus resultierende) Skaleneffekte, viele Referenzprojekte, Kontinuität durch Eigentumsform, „Kompetenzführerschaft“, Dienstleistungsqualität
Wettbewerbsvorteil
92 Dana Mietzner
Darstellung 11: Fallstudienübersicht Teil 9 (ausgewählte Basisdaten)
1993
1999
P36
P37
Gründungsjahr
11 bis 49 Mitarbeiter
250 bis 499 Mitarbeiter
Größenklasse*
Management gründet nach Erfahrungen in der chemischen Industrie im internationalen Umfeld eigenes Biotechnologie - unternehmen
100%ige Tochter eines Pharmaunterne hmens
Gründungsgeschichte
Herstellung von Therapeutika aus Pflanzen
Auftragsproduktion von Biopharmazeutika sowie Entwicklung und Übertragung der Prozesse
Geschäftsfokus DLrBT
Produkte und Dienstleistungen
Nur Dienstleistungen
Produkte und DL
Ja
Nein
Proprietäre Technologie
Pionier
Pionier
(Pionier vs. Folger)
Innovationsstrategie
Integrierter Plattformtechnologieanbieter, Technologieführerschaft
Fähigkeit zur GMPgerechten Produktion, Prozessinnovationen, (z.T. daraus resultierende) Skaleneffekte, viele Referenzprojekte, Kontinuität durch Eigentumsform, „Kompetenzführerschaft“, Dienstleistungsqualität
Wettbewerbsvorteil
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
Darstellung 12: Fallstudienübersicht Teil 10 (ausgewählte Basisdaten)
93
94
Dana Mietzner
Nach der Identifikation der Unternehmen auf Basis der erstellten Datensammlung, erfolgte die Durchführung von halbstandardisierten Interviews (vgl. Kapitel 2). Des Weiteren wurde frei verfügbares Material, z.B. Unternehmensinformationen von den Websites der Unternehmen, einschlägige Branchen-Websites (biotechnologie.de, bionity.com), Newsletter der Biotechnologie, die Fachzeitschrift Transkript, Geschäftsberichte, Creditreformdaten und Frost&Sullivan Reports, hinzugezogen. 2.2 Qualitative Inhaltsanalyse zur Praxis der strategischen Vorausschau in DLrBT Die Auswertung des Materials erfolgt durch eine qualitative Inhaltsanalyse. Bei qualitativen Inhaltsanalysen werden Texten Daten entnommen (extrahierte Rohdaten), die in einem nächsten Schritt aufbereitet und ausgewertet werden. Basierend auf den Ursprungstexten (Interviewtranskripte) wird somit eine Datenbasis gebildet, die nur noch Informationen enthält, die für die Beantwortung der Untersuchungsfragen (vgl. Darstellung 13) relevant sind. Dazu wird die Informationsbasis durch ein Suchraster, das für die Extraktion der Informationen benutzt wurde, strukturiert. Extraktion meint, „den Text zu lesen und zu entscheiden, welche der in ihm enthaltenen Informationen für die Untersuchung relevant sind“ (Glaser et al., 2004, 194). Diese Informationen werden den Kategorien eines Suchrasters zugeordnet (vgl. Darstellung 13). Das Kategoriensystem baut auf den theoretischen Vorüberlegungen auf und ermöglicht es deshalb, die Untersuchungsfrage zu beantworten. Das Kategoriensystem ist aber zugleich auch offen, d.h., es kann verändert werden, wenn im Text Informationen auftauchen, die relevant sind, aber nicht im Auswertungsraster erfasst werden können (vgl. Rubin et al., 1995, 238 ff.). Diese Extraktion ist bereits auch ein erster Interpretationsschritt. Die Extraktion der Daten erfolgt mit Hilfe des Softwaretools ATLAS.ti. Das System ATLAS.ti wurde zwischen 1989 und 1992 im Rahmen eines Forschungsprojektes der Technischen Universität Berlin als Prototyp und nach Ende des Projektes als kommerziell verfügbares Werkzeug weiterentwickelt (vgl. z.B. Muhr, 1991a; b; 1996). In die Entwicklung der Software sind Konzepte wie die Grounded Theory (vgl. Strauss et al., 1990) und Prinzipien wissensbasierter Systeme, Hypertext- und Retrievalsysteme (Informationswiedergewinnung) eingeflossen. ATLAS.ti hat als erstes QDA-System die aus der Forschung und künstlichen Intelligenz stammenden semantischen Netzwerke zur Modellierung sozialwissenschaftlicher Theorien eingesetzt. Die Software unterstützt zudem einen explorativen und nicht-linearen Arbeits-
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
95
stil (vgl. Muhr et al., 2001, 395; vgl. Muhr, 2008). Die Software ermöglicht es, den Textstellen so genannte Codes zuzuweisen, wodurch eine Extraktion des zuvor anonymisierten Textes möglich wird. Bereich
Suchraster (Codes)
Unternehmen allgemein
Gründungsidee Zeitpunkt der Gründung Kundengruppen Managementcharakteristika FuE Budget Geschäftsmodell
Aufgaben und Bedeutung der strategischen Vorausschau
Bedeutung von Innovationen Aufgaben der strategischen Vorausschau Bedeutung der strategischen Vorausschau Anwendungsbeispiel strategische Vorausschau Bereiche der strategischen Vorausschau Erfolgsfaktoren in der strategischen Vorausschau Anforderungen New Market Intelligence-Tool Informationsquellen Monitoringobjekte
Organisation der strategischen Vorausschau
Entscheidungsstrukturen in der strategischen Planung FuE-Abteilung Organisation der strategischen Vorausschau Quellen für die strategische Vorausschau Motivation der Mitarbeiter zur strategischen Vorausschau
Vorgehen in der strategischen Vorausschau
Vorgehen in der Früherkennung/strategischen Vorausschau Systematik in der Früherkennung und strategischen Planung Verknüpfung von FE und strategischer Planung Vorgehensweise strategische Planung Zeitlicher Planungshorizont Zufriedenheit mit dem Vorgehen in der strategischen Vorausschau
Einsatz von Methoden
Verwendung von Methoden Szenarioanalyse
Darstellung 13: Suchraster der Datenextraktion „Strategische Vorausschau“ (1. Auswertungsschritt)
96
Dana Mietzner
Da der Export der extrahierten Daten aus dem Programm ATLAS.ti zu einer unübersichtlichen Darstellung führt, wurden über eine einfache Web-Schnittstelle die Datenaufbereitung und Auswertung deutlich verbessert. Darstellung 14 zeigt beispielhaft einen Auszug der Codezuordnung für ausgewählte hermeneutische Einheiten.
Hermeneutische Einheit (z.B. ein Interview)
Code: Monitoringobjekte (Bereich: Aufgaben und Bedeutung der strategischen Vorausschau)
Darstellung 14: Webbasierter Datenexport anhand des Suchrasters
Die extrahierten Daten werden in einem nächsten Schritt, entsprechend der Untersuchungsfrage mit dem Ziel aufbereitet, die Qualität des Datenmaterials zu verbessern, indem verstreute Informationen zusammengefasst, Redundanzen beseitigt und Fehler korrigiert werden. Damit wird der Umfang des Datenmaterials erheblich reduziert und die Daten werden nach inhaltlichen Gesichtspunkten erneut strukturiert. Die nachfolgende Übersicht (vgl. Darstellung 15) entspricht den Zuordnungen in der Extraktionstabelle. Die zunächst mit Hilfe des Suchrasters ermittelten Informationen werden den jeweiligen Spalten der Extraktionstabelle, mit dem Ziel zugeordnet, eine weitere Datenaggregation zu erreichen.
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
97
In diesem 2. Auswertungsschritt werden Informationen extrahiert, die dem Bereich Begriff/Verständnis der strategischen Vorausschau zuzuordnen sind. Des Weiteren werden der Bereich der Organisation der strategischen Vorausschau (vgl. Organisationsformen in Reger, 2001a) sowie das Vorgehen in der Datensammlung und in der strategischen Vorausschau näher untersucht. Basierend auf den vorangegangen Schritten der Datenaufbereitung erfolgt eine einzelfallbezogene Datenauswertung. Im Zuge dieser Auswertung sollen Kausalzusammenhänge und Kausalmechanismen identifiziert werden. Dazu werden in einem ersten Schritt die Interpretationen des Interviewpartners untersucht, bevor in einem zweiten Schritt versucht wird zu klären, welche Ursachen welche Mechanismen auslösen (z.B. kein Einsatz der Szenarioanalyse aufgrund unzureichender Methodenkenntnis), wobei auch weitergehende Informationen zum betrachteten Fall berücksichtigt werden können (vgl. Glaser et al., 2004, 241). Da die Anzahl der zu untersuchenden Fälle relativ hoch ist, sollen zunächst Merkmalsausprägungen in den einzelnen Fällen verglichen werden und Gemeinsamkeiten identifiziert werden. Eine bewährte Strategie dafür sind Typisierungen (vgl. Glaser et al., 2004, 243 ff.) „Eine Typisierung ist die Gruppierung von Fällen, entsprechend ihren Merkmalsausprägungen in einer oder mehreren Dimensionen“ (Glaser et al., 2004, 243). Eine Typisierung kann eine wesentliche Vereinfachung bedeuten, die es ermöglicht, eine Vielzahl von Fällen zu vergleichen und aus dem Auftreten gleicher Merkmalsausprägungen direkt auf den Kausalmechanismus zu schließen. Gleichzeitig bedeutet die Typisierung häufig auch Informationsverlust. Um diesem Informationsverlust entgegenzuwirken, werden ausgewählte Einzelfälle noch einmal am Ursprungsmaterial (Interviewtranskripte) getestet.
98
Dana Mietzner
Darstellung 15: Aufbereitung des Datenmaterials auf Basis der Suchrasterinformationen (2. Auswertungsschritt)
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
Ϯ͘3
99
Ergebnisdarstellung: Praxis der Früherkennung und strategischen Vorausschau in DLrBT
Nach erfolgter Auswertung der aufbereiteten Informationen anhand des Suchrasters konnten sechs verschiedene Typologien identifiziert werden, die das Vorgehen in der strategischen Vorausschau in Biotechnologieunternehmen beschreiben und im Folgenden näher erläutert werden. (1) (2) (3) (4) (5) (6)
Wissenschaftsgetriebener Ansatz („Früherkennung per se“) Netzwerkorientierter Ansatz Marketinggetriebener Ansatz Gatekeeper-Ansatz Controllingbasierter Ansatz Keine strategische Vorausschau
Ein zentrales Element in allen identifizierten Typen der strategischen Vorausschau sind informelle Kontakte und Informationen. Hieraus gewinnt das Management einen großen Teil an Informationen bezüglich potenzieller Trendänderungen oder zu Veränderungen im Kundenverhalten. (1) Wissenschaftsgetriebener Ansatz („Früherkennung per se“) Dem wissenschaftsgetriebenen Ansatz der strategischen Vorausschau konnten vier Fälle zugeordnet werden. Früherkennung erfolgt in diesen Unternehmen per se, da neue technologische Trends und schwache Signale, bedingt durch die inhaltliche und räumliche Nähe zu einer wissenschaftlichen Einrichtung, frühzeitig wahrgenommen werden und Teil der täglichen Arbeit sind. Die in den Unternehmen tätigen Personen sind i.d.R. Wissenschaftler, die in wissenschaftlichen Netzwerken aktiv sind. Auch die Kunden dieser Unternehmen sind zu großen Teilen Wissenschaftler oder wissenschaftliche Einrichtungen. Die Unternehmen sind oder waren an öffentlich finanzierten Forschungsprojekten beteiligt. Die strategische Vorausschau wird vom Geschäftsführer verantwortet. Methodische Elemente der strategischen Vorausschau sind regelmäßig stattfindende FuE-Meetings sowie Publikationsanalysen. „Früherkennung ist Teil des Geschäftsmodells, da Forscher immer neue Entwicklungen beobachten, Kunden sind der akademische Markt, so dass neue Entwicklungen frühzeitig erkannt wer-
100
Dana Mietzner
den“ (P31). Die Stärke dieses Ansatzes liegt in der Früherkennung neuer technologischer Trends, eine Schwäche ist in der fehlenden Verknüpfung zur strategischen Planung bzw. in einer unzureichenden strategischen Planung zu sehen. Somit handelt es sich eher um einen Ansatz der Früherkennung als bereits um eine tatsächliche strategische Vorausschau. Fallbeispiel (wissenschaftsgetriebener Ansatz, „Früherkennung per se“) Das Unternehmen P8 wurde 1999 gegründet und ist bis heute in unmittelbarer Nähe zur Universität und zu Forschungseinrichtungen ansässig. P8 hat 120 Mitarbeiter und ist im Bereich der Gensynthese tätig. Als Marktführer ist P8 nachhaltig profitabel. Der Wettbewerbsvorsprung wird durch einen technologischen Vorsprung, Erfahrungen und die hohe wissenschaftliche Qualität der Mitarbeiter sichergestellt. Kunden des Unternehmens sind Forschungsinstitute, Großkonzerne aus der Pharma- und Chemieindustrie und Biotechnologieunternehmen. Teil der Vision des Unternehmens ist es, ein molekularbiologischer Komplettanbieter zu werden. Der CEO/CSO ist in der Forschung und auf wissenschaftlichen Konferenzen überaus aktiv und hat somit Zugang zu neuen technologischen Entwicklungen. In übergreifenden FuE-Meetings kommen Mitarbeiter aus unterschiedlichen Bereichen zusammen und diskutieren zusammen mit dem CEO/CSO neue Entwicklungen und neue Ideen. Neben den FuE Meetings und Freedom-to-operate-Recherchen, die das Unternehmen beauftragt, werden keine Methoden der strategischen Vorausschau eingesetzt. Das Unternehmen ist in öffentlich geförderten Forschungsprojekten aktiv und arbeitet mit Partnern zusammen, um neue Technologien zu identifizieren oder zu entwickeln. Der Wettbewerb wird durch Internetrecherche beobachtet. „Google ist ein wunderbares Tool. Alle Wettbewerber kommen auf der ersten Seite, auch wir. Viele legen Preise offen. Wobei wir Preise durch unsere Kunden relativ gut kennen. Unsere Kunden präsentieren uns dann schon mal wieder ein Angebot von Wettbewerbern, weil der viel billiger ist. Dafür haben wir gut ausgebildete Salesleute, die ihnen erklären, dass sie uns mehr zahlen müssen, weil sie einfach etwas anderes bekommen.“ Darüber hinaus nutzt das Unternehmen Branchenforen und weitere Netzwerke, um Informationen zum Wettbewerb zu sammeln. Wettbewerbsinformationen werden im Business Development zusammengetragen. Der Planungshorizont liegt bei fünf Jahren. Die Szenarioanalyse wird nicht eingesetzt.
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(2) Netzwerkorientierter Ansatz Der netzwerkorientierte Ansatz der strategischen Vorausschau konnte in neun Fällen beobachtet werden. Die Informationsbeschaffung erfolgt bevorzugt in informellen, aber auch in formellen Netzwerken der Mitarbeiter in Entwicklungsabteilungen oder im Business Development durch das Marketing und die Geschäftsführung. Der Informationsaustausch innerhalb der Unternehmen erfolgt primär informell (Informationsaustausch auf Zuruf). Die Aktivitäten im Rahmen einer strategischen Vorausschau sind sehr stark erfahrungsgetrieben. Entwicklung, Marketing, Business Development betreiben Früherkennung eher „nebenbei“. Die Verantwortung der strategischen Vorausschau liegt bei der Geschäftsführung. Die Verknüpfung der Früherkennung mit der strategischen Planung erfolgt z.B. im Rahmen von halbjährlich oder jährlich stattfindenden Strategiemeetings. In diesem Ansatz gelingt es bereits, die in Netzwerken gesammelten Informationen mit der strategischen Planung zu verknüpfen. Eine deutliche Stärke sind Netzwerke, in denen es gelingt, auch persönliche Kontakte zu Pharmaunternehmen aufzubauen. Eine Schwäche dieses Ansatzes ist in einer unzureichenden Zukunftsorientierung zu sehen. Fallbeispiel Netzwerkorientierter Ansatz Das Unternehmen P15 wurde 1993 gegründet und ist im Bereich der Prozesskontrolle, Zellbiologie tätig. Das Unternehmen beschäftigt ca. 100 Mitarbeiter. Der Wettbewerbsvorteil beruht auf akkumuliertem Prozesswissen, Erfahrungskurveneffekten und Skalenvorteilen in einem spezifischem Geschäftsfeld gegenüber den Kunden in der Pharmaindustrie. Die Datensammlung für eine strategische Vorausschau erfolgt hauptsächlich in formellen und informellen Netzwerken (z.B. auf wissenschaftlichen Kongressen, Partner in Auslandsmärkten) sowie über Literaturauswertungen (Fachzeitschriften). „Ja, wir beobachten sehr genau den Markt. Das ist vielleicht einfacher, als sie sich das vorstellen, denn der Markt ist übersichtlich, sagte ich Ihnen. Sowohl was unsere Wettbewerber betrifft, also die Dienstleister, […] als auch was diese großen Pharmafirmen betrifft […].“ Die Verantwortung für die strategische Vorausschau liegt bei der Geschäftsführung und im Business Development. Der Business Developer verfügt über langjährige Erfahrungen in anderen Unternehmen und in der Pharmaindustrie und ist international vernetzt. Der Planungshorizont liegt bei 5 Jahren. Methoden der strategischen Vorausschau (z.B. Szenarioanalysen) kommen nicht zum Einsatz.
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(3) Marketinggetriebener Ansatz Dem marketinggetriebenen Ansatz der strategischen Vorausschau konnten 10 Fälle zugeordnet werden. Dieser Ansatz der strategischen Vorausschau ist durch einen starken Fokus auf die Sammlung und Systematisierung von Kundendaten aber auch von Wettbewerbsinformationen gekennzeichnet. „… zur Erfassung des Marktes gehört, dass man jeder Zeit und immer weiß, was die Konkurrenz tut." (P10) Es erfolgt eine Datensammlung durch Vertriebsmitarbeiter, es werden regelmäßig Kundenbefragungen durchgeführt und Entwicklungen der Kundenanfragen beobachtet sowie ausgewählte Websites der Kunden gescreent. Im Rahmen dieses Monitorings kommen Customer-Relationship-Management-Systeme (CRM) und Marktforschungsdatenbanken zur Anwendung. Das Marketing oder Business Development ist für die Früherkennung verantwortlich und berichtet an die Geschäftsführung. „Kundengespräche, das Allerbeste zu 95% sind Kundengespräche“ (P30). In diesem Ansatz liefert das Marketing Daten und Informationen, die in die strategische Planung einfließen. Ein Vorteil dieses Ansatzes ist möglicherweise eine deutliche Marktorientierung der strategischen Vorausschau. Technologische Veränderungen werden jedoch nur unzureichend gescreent, da der überwiegende Teil der Informationen Kundeninformationen sind. Fallbeispiel marketinggetriebener Ansatz Das Unternehmen P 36 ist im Bereich der Entwicklung und Produktion von Biopharmaka tätig. Das Unternehmen wurde 1993 gegründet und umfasst die Biotechnologiesparte eines bereits lange am Markt etablierten Unternehmens. Das Unternehmen hat 315 Mitarbeiter. Kunden des Unternehmens sind mittlere und große Pharmaunternehmen sowie mittlere Biotechnologieunternehmen. Alle Aktivitäten der Früherkennung werden im Bereich Market-Intelligence gebündelt, der im Ressort Marketing angesiedelt ist und Informationen für die Geschäftsführung aufbereitet. Ein wesentliches Instrument im Bereich MarketIntelligence ist ein CRM-Sytem, das mit einer Marktforschungsdatenbank verknüpft ist und die permanente, systematische Sammlung von Informationen ermöglicht. „Letztendlich ist das ein großes Datenbanksystem, was in unserem Quellensystem integriert ist und wo wir unsere Kundeninformationen, Informationen über Firmen, die für uns interessant sein könnten, ablegen und dann einfach aus diesen Informationen […] Berichte generieren können und
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das verdichten können. Bestimmte Aktionspläne entwickeln können, um eine […] Anlagengröße auszulasten“. (Market-Intelligence, (P36))
Das Unternehmen sammelt Informationen ebenfalls in informellen und formellen Netzwerken. „… aber die informellen Netzwerke, die man sich so über die Jahre aufbaut, die sind eigentlich die wichtigsten. Also ich mache das jetzt seit etwa 17 Jahren im Bereich Biotechnologie und von den Firmen, die für uns wichtig sind, kennt man eigentlich die meisten auch schon seit Jahren und es ist eine relativ geschlossenen Community und wenn einer mal aus einer Position verschwindet, taucht er dann irgendwann woanders wieder auf …“ (Marketingleiter, P36). Die Beobachtung neuer Technologien erfolgt weniger systematisch als die Beobachtung und Systematisierung von Kunden oder potenziellen Kunden. In Businessplänen arbeitet das Unternehmen mit einem Zeithorizont von 5 Jahren, die strategische Planung geht mit Zeithorizonten von 10 bis 15 Jahren weit darüber hinaus. Als methodische Elemente der strategischen Vorausschau finden regelmäßig Vertriebs- und Technologiemeetings statt. Methoden der strategischen Vorausschau (z.B. Szenarioanalysen) wurden bislang nicht eingesetzt.
(4) Gatekeeper-Ansatz Unternehmen, die dem Gatekeeper-Ansatz zuzuordnen sind, verfügen über Schlüsselpersonen im Unternehmen, die das Unternehmen mit Informationen versorgen, die außerhalb des Unternehmens in formellen und informellen Netzen gesammelt werden. Dem Gatekeeper-Ansatz konnten drei Fälle zugeordnet werden. Gatekeeper sind stark vernetzt, leiten z.B. Ausschüsse im Rahmen von Netzwerken, screenen Trends und formen Trends. Die Aktivitäten im Rahmen der strategischen Vorausschau sind stark erfahrungsgetrieben. Ein wesentlicher Unterschied zur netzwerkbasierten Vorausschau ist in einer sophistischen Informationsverarbeitung zu sehen. Die Informationen fließen in intuitive Szenarioanalysen ein, die mit SWOT-Analysen und dem Portfoliomanagement verknüpft sind. Wissensmanagementsysteme unterstützen den Prozess einer systematischen Informationssammlung.
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Fallbeispiel: Gatekeeper-Ansatz Das Unternehmen P9 beschäftigt 60 Mitarbeiter und wurde 1993 gegründet. Unter einer strategischen Vorausschau versteht die Geschäftsführung vorausschauendes Denken, die Beobachtung von Trends und Entwicklungen sowie die Verknüpfung dieser Informationen mit konkreten Aktionsplänen. Zum Beobachtungsfokus gehören im Unternehmen die Marktentwicklung, beobachtet durch den Bereich Business Development, die Technologieentwicklung, beobachtet durch den CSO, der als Gatekeeper fungiert, sowie der Bereich Investitionen, der durch den CFO und CEO bearbeitet wird. Der Transfer der Früherkennungsinformationen in die strategische Vorausschau findet statt im Rahmen von regelmäßig durchgeführten Strategiemeetings im erweiterten Managementteam (Management und Wissenschaftler). Der Gatekeeper ist Mitglied in zahlreichen formellen und informellen Netzwerken, leitet eigene Arbeitsausschüsse, um Trends zu screenen und mitzugestalten. Der Gatekeeper verfügt über einen außerordentlich guten Marktüberblick und gilt auch außerhalb des Unternehmens als Experte. Das Unternehmen nutzt intuitive Szenarioanalysen und erstellt regelmäßig Businesspläne, um Marktchancen systematisch zu prüfen.
(5) Controllingbasierter Ansatz Der controllingbasierte Ansatz einer strategischen Vorausschau konnte bei einem der untersuchten Fälle (P20) beobachtet werden. Das Ziel einer strategischen Vorausschau ist es in diesem Fall, einen Beitrag für das Risikomanagement zu leisten, d.h., Risiken frühzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Früherkennung basiert in diesem Ansatz auf dem Monitoring von Veränderungen in der Einnahmen-Ausgaben-Übersicht, den Kapazitätsauslastungen sowie einigen qualitativen Indikatoren. Für die Früherkennung kommt ein Tool der Finanzbuchhaltung zum Einsatz. Darüber hinaus wird Fachliteratur als eine weitere Informationsquelle genutzt, Reports von Analysten werden hinzugezogen oder Konferenzen besucht. Szenarioanalysen werden nicht eingesetzt. Der controllingbasierte Ansatz ist sehr stark entscheidungsorientiert und arbeitet stärker mit harten Fakten als mit weichen Informationen.
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
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(6) Keine strategische Vorausschau In drei Fällen (P3, P14, P26) konnte keine Zuordnung erfolgen, da keine oder kaum Aktivitäten der Früherkennung und strategischen Vorausschau nach der Auswertung der vorliegenden Informationen stattfinden. Ursache dafür sind ein fehlendes Bewusstsein gegenüber einer systematischen strategischen Vorausschau -„Unsere eigentliche Hauptaufgabe ist etwas ganz anderes“ (P14) - oder eine fehlende strategische Planung, da nur Jahrespläne entwickelt werden. Der Fokus liegt insbesondere auf der Befriedigung der aktuellen Kundenbedürfnisse und dem Aufrechterhalten der Wettbewerbsposition. Dabei werden das Kundenfeedback, Ideen und Wünsche bewusst aufgenommen und im Sinne einer Serviceverbesserung genutzt. Marktanalysen und ähnliche Sekundärmaterialen werden als zu unspezifisch empfunden, so dass auf diese Informationsquellen verzichtet wird. „… nur um salonfähig zu sein für einen Dritten, muss man dann so was kaufen und sagen, hier guckt mal, das ist der Markt, der wird von denen [Analysten] so und so angeben …“ (P14). Die nachfolgenden Darstellungen geben einen Überblick zu den beschriebenen Typologien und ihren Charakteristiken.
(„Früherkennung per se“)
Wissenschaftsgetriebener Ansatz
Typologie
Durchführung/Beteiligung an öffentlich finanzierten Forschungsprojekten
Kontakte zu Universitäten
Räumliche Nähe zu Wissenschaftseinrichtungen/Instituten
Branchenforen, Konferenzen werden auch genutzt, um Wettbewerber zu analysieren
Kunden = Wissenschaftler
Wissenschaftler sind in (wissenschaftlichen) Netzwerken aktiv
Früherkennung erfolgt per se, da durch die Nähe zur Wissenschaft neue technologische Trends, schwache Signale frühzeitig erkannt werden
Charakteristika
Business Development (Markt)
Entwicklerteam
Geschäftsführer ist Wissenschaftler und/oder überwiegende Teil der Mitarbeiter sind Wissenschaftler
Organisation
Internetrecherche
Regelmäßige FuE Meetings
Publikationsanalyse
Bibliometrische Analyse
Methoden und Tools
Prognosen (Berichte)
Zugang zu wissenschaftlichen Artikeln über Universität
Bibliothek mit wichtigen Fachzeitschriften
Internet
Publikationen
formale
informelle
Ausrichtung eigener internationaler Seminare und Workshops
Besuch von nationalen und internationalen Konferenzen
Messen
Interaktion mit Hochschulen
Branchenforum
Konferenzen
Kunden, Informationen von Wissenschaftlern
Quellen
P8 (78)) P18 (25) P31 (30) P33 (43)
4 Fälle
Anzahl der Fälle*
„Früherkennung ist Teil des Geschäftsmodells, da Forscher immer neue Entwicklungen beobachten, Kunden sind der akademische Markt, so dass neue Entwicklungen frühzeitig erkannt werden.“ (P31)
„Also da war das tiefere Verständnis der Wissenschaft eigentlich die entscheidende Früherkennung, das kann ihnen kein Marketingtool liefern." (P31)
„Es ist wichtig Entwicklungen im Technologiefeld mitzuverfolgen.“ (P18)
Charakteristik
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*Anzahl der Fälle: Unternehmen X (Anzahl der Mitarbeiter im Unternehmen in 2007)
Darstellung 16: Wissenschaftsgetriebener Ansatz der strategischen Vorausschau
Informationsbeschaffung erfolgt bevorzugt in informellen aber auch in formellen Netzwerken der Mitarbeiter in Entwicklungsabteilungen oder im Business Development, Marketing und der Geschäftsführung
Netzwerkorientierter Ansatz
Erfahrungsgetrieben
Informeller Austausch innerhalb des Unternehmens (Informationsaustausch auf Zuruf)
Charakteristika
Typologie
Entwicklung, Marketing, Business Development betreiben Früherkennung „nebenbei“
Verknüpfung der Früherkennung mit der strategischen Planung erfolgt z.B. in halbjährlich bis jährlich stattfindenden Strategiemeetings
Verantwortung der strategischen Vorausschau liegt bei der Geschäftsführung
Organisation
Publikationsanalyse
Internetrecherche
Verbände (DECHEMA, VBO, BIO Deutschland)
Internet
Aktive Beobachtung von Markt- und Kundenentwicklung
formale Fachzeitschriften
informelle
Gespräche mit Behörden
Informationen, die über Kunden oder Lieferanten ins Unternehmen getragen werden
Austausch mit Unternehmen am Standort
Kontakt zu Zulieferern
Symposien zur Technologieentwicklung
Partner
Personenbezogene Netzwerke, Kontakte zur Pharmaindustrie
Ausstellungen, Messen
Internationale Kongresse
Quellen
Meetings
Methoden und Tools
P6 (26 MA) P11 (50 MA) P12 (550 MA) P15 (80 MA) P16 (38 MA) P17 (90 MA) P22 (100 MA) P23 (70 MA) P25 (50 MA)
9 Fälle
Anzahl der Fälle*
„Man kennt sich.“ (P25)
"...das Entscheidende ist eigentlich nicht, dass man eine Datenbank hat, weil so viel Informationen sind es […] nicht, sondern dass man sie laufend hat und das die Leute […] davon erfahren, dass man darüber redet, also [… ] die Kommunikation über die Informationen ist das Entscheidende. Weil was irgendwo in der Datenbank steht ist ja noch nicht verinnerlicht, noch lange nicht". (P22)
Charakteristik
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
*Anzahl der Fälle: Unternehmen X (Anzahl der Mitarbeiter im Unternehmen in 2007)
Darstellung 17: Netzwerkorientierter Ansatz der strategischen Vorausschau
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Marketinggetriebener Ansatz
Typologie
Sceening ausgewählter Websites
Monitoring von Kundenanfragen
Regelmäßige Kundenbefragungen
Sammlung erfolgt oftmals durch Vertriebsmitarbeiter
Sammlung und Systematisierung von Kundendaten
Charakteristika
Marketing oder Business Development ist für die Früherkennung verantwortlich und berichtet an die Geschäftsführung (strategische Vorausschau)
Organisation
Kundenpotenzialanalyse
Internes Brainstorming
Publikationsanalyse
Internetrecherche
Screening von Websites
CRM- System und Marktforschungsdaten
MarketingControlling
Methoden und Tools formale
Marktstudien
frei zugängliche Marktforschungsreports
Reports
Newsletter
Chatforen
Internet
Fachzeitschriften
informelle
Verbände
Konferenzen Messen, Tagungen
Kongresse
Kundengespräche
Quellen
P36 (250 MA)
P7 (30 MA) P10 (35 MA) P13 (28 MA) P19 (12 MA) P30 (23 MA) P32 (70 MA) P34 (19 MA)
P1 (20 MA) (bislang marketinggetriebenes Vorgehen, Wechsel zum Gatekeeper Ansatz) P2 (500 MA)
10 Fälle
Anzahl der Fälle*
„Kundengespräche, das Allerbeste zu 95% sind Kundengespräche.“ (P30)
"…zur Erfassung des Marktes gehört, dass man jeder Zeit und immer weiß, was die Konkurrenz tut." (P10)
„Wir sind ein sehr innovatives Unternehmen und haben gerade, was neue Entwicklungen angeht das Ohr ganz gut am Markt und am Kunden." (P2)
Charakteristik
108 Dana Mietzner
*Anzahl der Fälle: Unternehmen X (Anzahl der Mitarbeiter im Unternehmen in 2007)
Darstellung 18: Marketingorientierter Ansatz der strategischen Vorausschau
GatekeeperAnsatz
Typologie
Gatekeeper leiten z.B. Ausschüsse im Rahmen von Netzwerken, screenen Trends und formen Trends
Gatekeeper sind sehr gut vernetzt (informell) und formal
Sammlung von Informationen durch Gatekeeper und Diffusion durch informellen Austausch
Erfahrungsgetrieben
Geschäftsführer, CSO (Investitionen), wissenschaftlicher Leiter (Technologie) und/oder Business Developer (Markt) fungieren als Gatekeeper
Charakteristika
Geschäftsführung verantwortet strategische Vorausschau
Organisation
Wissensmanagementtool (im Aufbau)
Aktionspläne
Portfolioanalysen
Überprüfung von Ideen anhand von Businessplänen
Strategieworkshops (Nutzung externer Beratungsleistung)
Internetrecherche
Brainstorming
SWOT- Analysen
Intuitive Szenarioanalysen
Methoden und Tools formale
Newsletter, Journals, Pressemitteilungen
Beteiligung an öffentlichen Studien
informelle
Konferenzen, Ausschüsse
Messen
Netzwerke, Kunden
Quellen
P35 (27 MA) P37 (25 MA)
P9 (53 MA)
3 Fälle
Anzahl der Fälle*
„Ehe man […] in die Zukunft schaut - und da wir alle keine Kristallkugel haben, wissen wir ohnehin nicht, was passiert müssen wir […] eine Bandbreite von Optionen in die Diskussion einbringen und das muss strukturiert werden. Da helfen Szenarien.“ (P 9)
„Also er wird auch akzeptiert als jemand der einen guten Überblick über den Markt hat. Seine Hauptaufgabe in unserer Organisation ist, Trends und Entwicklungen zu screenen, zu begleiten, vielleicht zu formen.
Charakteristik
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
Darstellung 19: Gatekeeper-Ansatz der strategischen Vorausschau
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*Anzahl der Fälle: Unternehmen X (Anzahl der Mitarbeiter im Unternehmen in 2007)
K eine strategische Vorausschau
Controllingbasierter Ansatz
Typologie
Fokus der Geschäftstätigkeit liegt auf der Befriedigung der aktuellen Kundenbedürfnisse und der Sicherstellung der Wettbewerbsposition
Fehlendes Bewusstsein gegenüber der strategischen Vorausschau
Nutzung von informellen Netzwerken
Monitoring von Veränderungen in EinnahmenAusgaben, und Kapazitätsauslastungen, auch ausgewählte qualitative Merkmale werden beobachtet
Charakteristika
Geschäftsführung
Organisation formal
informelle
P14 (37 MA) P26 (32 MA)
P3 (35 MA)
P20 (55 MA)
1 Fall
3 Fälle
Kongresse Berater Netzwerke
Anzahl der Fälle*
Brainstorming
Fachzeitschriften Konferenzreports Reports von Analysten
Quellen
Internetrecherche
Internetrecherche
Früherkennungstool ist ein Controllingtool (Finanzbuchhaltung)
Methoden und Tools
Kauf von Marktinformationen von Analysten "…nur um salonfähig zu sein für einen Dritten, muss man dann so was kaufen und sagen, hier guckt mal, das ist der Markt, der wird von denen so und so angeben…" (P14)
„Unsere eigentliche Hauptaufgabe ist etwas ganz anderes." (P14)
„Verbesserung des Risikomanagements“ (P20)
Charakteristik
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*Anzahl der Fälle: Unternehmen X (Anzahl der Mitarbeiter im Unternehmen in 2007).
Darstellung 20: Controllingbasierter Ansatz der strategischen Vorausschau/keine Vorausschau
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
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In der Matrix (vgl. Darstellung 21) sind die definierten Typologien der strategischen Vorausschau in einer Matrix dargestellt und den Dimensionen Technologiefokus, Marktfokus und Zukunftsorientierung zugeordnet. Der Gatekeeper-Ansatz ist sowohl durch eine starke Fokussierung auf die Beobachtung neuer und bestehender Technologien und Märkte gekennzeichnet als auch durch eine relativ hohe Zukunftsorientierung im strategischen Planungsprozess. Somit beschreibt der Gatekeeper-Ansatz ein Vorgehen, das dem ganzheitlichen Verständnis einer strategischen Vorausschau am besten entspricht. Der Nachteil des Gatekeeper-Ansatzes ist, dass Informationen zu latenten Risiken und Chancen hauptsächlich von einer oder mehreren Personen zusammengetragen werden (vgl. Roll et al., 2006, 206). Diese Informationsmacht kann sich nachteilig für das Unternehmen auswirken, insbesondere dann, wenn Gatekeeper und das implizite Wissen der Gatekeeper das Unternehmen verlassen. Unter implizitem Wissen werden in diesem Zusammenhang personengebundene Fähigkeiten und Fertigkeiten verstanden, die sich nicht oder nur sehr schwierig vom Wissensträger beschreiben lassen. Es ist ein subjektives Wissen, das auch auf Werten und Gefühlen basiert (vgl. Opitz et al., 2007, Folie 16). Im wissenschaftsgetriebenen Ansatz liegt der Fokus stärker auf der Technologie, die Zukunftsorientierung ist ebenfalls hoch. Im marketinggetriebenen Ansatz findet kaum eine systematische Beobachtung bestehender und neuer Technologien statt; hier stehen aktuelle und potenzielle Kunden und Wettbewerber im Mittelpunkt der VoA. Im controllingbasierten Ansatz und in den Unternehmen, die keine strategische Vorausschau betreiben, liegt der Fokus stärker auf aktuellen Marktentwicklungen. Während im controllingbasierten Ansatz Entscheidungen proaktiv, primär auf Basis von Controllingdaten, getroffen werden, wird in den Unternehmen, die keine strategische Vorausschau betreiben, auf Marktentwicklungen nur reagiert.
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Darstellung 21: Typen der Zukunftsorientierungs-Matrix)
strategischen
Vorausschau
(Technologie/Marktfokus-
Ein Zusammenhang zwischen der Unternehmensgröße und der Typologie der strategischen Vorausschau konnte nicht eindeutig ermittelt werden. So konnten Unternehmen sowohl mit 20 als auch mit 550 Mitarbeitern dem netzwerkorientierten Ansatz zugeordnet werden. Gleiches kann für den marketinggetriebenen Ansatz festgestellt werden (20 bis 500 Mitarbeiter). Die Mitarbeiteranzahl in den Unternehmen, die dem wissenschaftsgetriebenen Ansatz zuzuordnen sind, liegt zwischen 25 und 78. Die Unternehmen, die den Gatekeeper-Ansatz verfolgen, beschäftigen zwischen 25 und 53 Mitarbeitern. Das Unternehmen, das dem controllingbasierten Ansatz zugeordnet wurde, beschäftigt 55 Mitarbeiter. Eine relativ homogene Mitarbeiteranzahl (durchschnittlich 35) weisen die Unternehmen auf, für die keine Aktivitäten der strategischen Vorausschau identifiziert werden konnten. Ein Zusammenhang kann zwischen der Erfahrung und Qualität des Management und der Professionalität einer strategischen Planung unterstellt werden. In den Unternehmen, die dem Gatekeeper-Ansatz zuzuordnen sind, verfügt das Management entweder über betriebswirtschaftliches Know-how, was durch die Managementaus-
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
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bildung des CEO dokumentiert wird, und/oder über langjährige Erfahrungen in der Großindustrie (Pharma), wodurch offenbar ein Verständnis für die strategische Vorausschau und Planung entwickelt werden konnte, was z.B. durch den Einsatz von Methoden wie Szenarioanalysen offenkundig wird. Demgegenüber steht der wissenschaftsgetriebene Ansatz. In diesem Ansatz überwiegen die Wissenschaftler, die das Unternehmen und den Managementstil sehr stark prägen. Demzufolge ist die strategische Vorausschau primär auf die Technologie fokussiert, während z.B. Marktentwicklungen noch zu wenig Berücksichtigung finden. Auch die eingesetzten Methoden, wie Publikationsanalysen oder bibliometrische Analysen spiegeln diese Denkhaltung wider. Im marketinggetriebenen Ansatz ist der Bereich Marketing oder Business Development für Vorausschauaktivitäten verantwortlich. Dabei ist anzumerken, dass der Begriff Business Development in Biotechnologieunternehmen oftmals synonym für Vertrieb verwendet wird. Demzufolge sind die VoA überwiegend durch die Sammlung und Systematisierung von Kundeninformationen gekennzeichnet. Im netzwerkorientierten Ansatz wird die strategische Vorausschau „nebenbei“ betrieben. Das Managementteam setzt sich aus Personen zusammen, die einen naturwissenschaftlichen Hintergrund haben, auf Netzwerkstrukturen zurückgreifen können und überwiegend über keine Erfahrungen aus der Großindustrie (Pharma) verfügen.
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Methoden der strategischen Vorausschau in DLrBT Im Rahmen der strategischen Vorausschau kommen heuristische Methoden, Befragungen, interagierende Methoden und quantitative Methoden zur Anwendung. Insgesamt betrachtet werden eher Methoden genutzt, die relativ einfach einzusetzen sind und kein tiefes methodisches Verständnis erfordern. Darstellung 2Ϯ gibt einen Überblick über die eingesetzten Methoden; gleichzeitig erfolgt eine einfache Klassifizierung der Methoden. Klassifizierung Heuristische Methoden (H)
Methoden der strategischen Vorausschau Screening von Websites Publikationsanalyse
Befragungen (B)
Systematische Sammlung von Kundenanfragen Kundenbefragungen
Interagierende Methoden (I)
Quantitative Methoden (Qn)
Einfache bibliometrische Analysen (Anzahl der Veröffentlichungen zu bestimmten Themen) Businesspläne Kundenpotenzialanalyse Marketing Controlling Customer-Relationship-Systeme Marktforschungsdatenbank
Brainstorming Strategieworkshop SWOT-Analyse Szenarioanalyse Aktionspläne
Darstellung 2Ϯ: Klassifizierung der eingesetzten Methoden
Bezogen auf die Typisierungen wird deutlich, dass bibliometrische Analysen, d.h. das Feststellen von Häufigkeiten von Publikationen zu bestimmten Themen oder Stichwörtern, nur von Unternehmen genutzt werden, deren Vorausschauaktivitäten wissenschaftsgetrieben sind. Unternehmen, die den wissenschaftsgetriebenen Ansatz
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verfolgen, nutzen kaum Prognosen, Trendanalysen, Portfolio-Ansätze oder andere interagierende Methoden. „Wissenschaftler wollen Wissenschaft machen“ (P18). Gründe dafür sind fehlendes Vertrauen in die Zuverlässigkeit der mit interagierenden Methoden ermittelten Ergebnisse, eine unzureichende Methodenkenntnis oder wenig Interesse an dieser Form der Auseinandersetzung mit Zukunftsthemen. „Das können Sie in unserem Bereich nicht machen, weil sich da wirklich zum Teil über Nacht Dinge grundlegend ändern. Und zwar so grundlegend ändern, dass die Voraussetzungen einer Modellrechnung nicht mehr gegeben sind“ (P31). Unternehmen deren Vorausschauaktivitäten sehr stark netzwerkgetrieben sind, nutzen bis auf Internetrecherchen oder Publikationsanalysen hauptsächlich Befragungen, um Informationen zu sammeln. Im marketinggetriebenen Ansatz der strategischen Vorausschau finden Methoden Anwendung, die das Kundenpotenzial ermitteln helfen und eine Einschätzung zum Markt erlauben. Kundeninformationen werden z.B. über das Screenen von Websites oder Pressemitteilungen ermittelt und einem regelmäßigen Monitoring unterzogen und teilweise in Form interner Datenbanken oder eines anspruchsvollen CRMSystems gepflegt. „… zur Erfassung des Marktes gehört, dass man jeder Zeit und immer weiß, was die Konkurrenz tut“ (P10). Die Informationen zu Kunden und Markt fließen in einigen Fällen in SWOT-Analysen ein und werden in Strategiemeetings aufgegriffen. In einigen Fällen erfolgt die Sammlung von Kundeninformationen hauptsächlich über Gespräche mit dem Kunden. „Kundengespräche, das Allerbeste zu 95% sind Kundengespräche" (P30). Somit liefert das Marketing Daten und Informationen, die für die strategische Vorausschau genutzt werden können. Unternehmen, deren strategische Vorausschau durch den Gatekeeper-Ansatz charakterisiert ist, wenden, neben den auch in anderen Typologien vorkommenden Methoden auch Szenarioanalysen an. Die Szenarien werden intuitiv erstellt; dabei werden Szenarioanalysen als ein Instrument der Konsensfindung aufgefasst, das die Diskussion und Strukturierung von Zukunftsoptionen ermöglicht. „… mit sechs Leuten im Raum, vielleicht gibt es sechs verschiedene Ansätze und schon deshalb muss man mit Szenarien arbeiten“ (P9). Mit Szenarien sollen Investitionsentscheidungen unterstützt und ein mögliches Marktpotenzial abgeschätzt werden. Die Szenarioanalyse wird als
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ein iterativer Prozess des Informationsaustauschs verstanden, um abschätzen zu können, was für das Unternehmen machbar ist und auch der eigenen Zielrichtung entspricht. „Diese Methode hilft dann auch punktuell, bestimmte Themen zu diskutieren und zum Teil einen Konsens zu finden, um dann auch das Team auf eine Strategie einzuschwören oder auf die Richtung zu bringen. Denn das ist ja eigentlich das Hauptziel eines Strategie-Meetings, die verschiedenen Denkweisen, die verschiedenen Perspektiven zu diskutieren, zu hinterfragen, die Pros und Contras gegeneinander aufzuwiegen, um dann irgendwann eine gemeinschaftliche Strategie zu entwickeln“ (P9). Szenarien werden in einem Unternehmen auch mit Kunden und einem Beirat diskutiert. Die Szenarioanalysen werden intuitiv erstellt und nach dem Erreichen eines bestimmten Reifegrades teilweise mit Beratern weiter bearbeitet, um stärker zu objektivieren. Wenn auch bereits in den Unternehmen der DLrBT Methoden der strategischen Vorausschau eingesetzt werden, so muss dennoch festgestellt werden, das der Anwendungsgrad der Methoden noch sehr gering ist und das Nutzen formeller und informeller Netzwerke die bevorzugte Vorgehensweise in der strategischen Vorausschau ist. Als Gründe, die gegen den Einsatz von Methoden der strategischen Vorausschau sprechen, wurden von den Unternehmen genannt: Geringe Ressourcen „Wir sind eine kleine Firma, wir sind fokussiert auf Serviceleistungen. Der Overhead ist relativ klein und die Mitarbeiter, die in den Serviceabteilungen arbeiten, haben sehr viel zu tun, insofern sind Kapazitäten, um bestimmte Methoden anzuwenden und mit den Methoden zu arbeiten, nicht gegeben“ (P13). „Wir haben natürlich auch eine geringe Kapazität in diesem Bereich, so dass man an vielen Stellen vielleicht mehr machen möchte, aber als mittelständisches Unternehmen ist das ein Kompromiss aus dem, was möglich ist, und dem, was nötig ist“ (P36) . Keine Methodenkenntnis „’Road Mapping’, was ist das?“ (P16) Fehlende Bereitschaft „Wissenschaftler wollen Wissenschaft machen.“ (P18)
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Zu hoher Aufwand: „Aufwand und Nutzen stehen nicht im Verhältnis, Erfahrungswissen wird bei uns methodischem Lehrbuchwissen vorgezogen.“ (P21) Methoden sind für die unternehmensspezifischen Anforderungen nicht geeignet „Also ich kenne das alles, aber wir müssen auch etwas haben, was zu unserer Firma passt.“ (P30) Ursachen einer unzureichenden strategischen Vorausschau Nach der Bildung von Typologien und der Beschreibung ihrer Charakteristika sollen nun Kausalmechanismen ergründet werden, indem eine weitere Analyse und Interpretation des Interviewmaterials erfolgt. Ziel ist es dabei, Ursachen einer unzureichenden strategischen Vorausschau zu ermitteln, um Anknüpfungspunkte für die Verbesserung des methodischen Vorgehens in der strategischen Vorausschau und in der Methodennutzung zu identifizieren. Defensives Management Eine Ursache für die unzureichende strategische Vorausschau ist in der geringen Qualität strategischer Planungsprozesse bzw. in einer ungenügenden aktiven strategischen Konversation zu sehen. Das Management verhält sich in diesen Fällen eher defensiv, was beispielsweise durch Aussagen belegt werden kann, die deutlich machen sollen, wie erfolgreich das Unternehmen in der Vergangenheit war. „... ich meine, wir sind in einer Zeit, wo eigentlich sehr viele Biotechunternehmen Pleite gegangen sind, nicht Pleite gegangen, weil wir eine sehr gute Planung haben“ (P30). Der überwiegende Teil der Interviewpartner hat z.B. das Wettbewerbsumfeld als „sehr überschaubar“ beschrieben, was auch darauf zurückzuführen ist, dass sich die Unternehmen meist in Nischenmärkten etabliert haben. „Wir kennen unsere Wettbewerber.“ Diese und ähnliche Aussagen können zum einen als völliges Vertrauen und Sicherheit über die gegenwärtige Situation interpretiert werden, zum anderen kann diese Haltung aber auch als ein Abwehrmechanismus im Managementdenken angesehen werden, der es nicht zulässt, sich z.B. mit möglichen Veränderungen im Wettbewerbsumfeld tiefgründiger auseinanderzusetzen.
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Ein reagierender Strategiestil findet sich häufig in jüngeren und kleineren KMU, was in jüngeren Unternehmen auf fehlende Kenntnisse und Erfahrungen zurückzuführen ist. In kleinen Unternehmen überwiegen informelle Entscheidungsstrukturen, so dass deren „Kleinheit“ ein Hindernis für einen strukturierten Prozess der strategischen Vorausschau darstellt. Darüber hinaus handelt es sich bei der Biotechnologie um eine junge Branche, in deren Umfeld die grundlegend strategischen Optionsfelder noch fehlen oder sich erst im Aufbau befinden (vgl. Welter, 2003, 223), was eine weitere Ursache für ein defensives Managementverhalten darstellt. Kurzfristige Planungshorizonte Der Planungshorizont im Sinne einer strategischen Planung beträgt bei den meisten Unternehmen 5 Jahre, da Businesspläne für diesen Zeitraum erstellt werden müssen, um mögliche Kapitalgeber vom Unternehmenskonzept zu überzeugen. Die unternehmerische Planung ist durch ein kurzfristiges Denken und das operative Tagesgeschäft gekennzeichnet. Da kleine und mittlere Unternehmen schneller und flexibler reagieren können als Großunternehmen, wird die Notwendigkeit einer tatsächlich langfristigen Planung - im Sinne einer strategischen Vorausschau - nicht gesehen. „Eigentlich bin ich immer dem hinterhergelaufen, was Kunden so wollten, und wenn mehrere Kunden das Ähnliche wollten, dann merkt man ein Prinzip dahinter und kümmert sich genau um den Hintergrund und versucht einzuschätzen, zu verstehen, worum es geht und den nächsten Kunden hat man dann …“ (P26). Die Aussage verdeutlicht auch, dass der Planungsprozess eher durch reagierende Maßnahmen gekennzeichnet ist, als durch eine tatsächliche Gestaltung einer Strategie. „Vieles passiert eben ad hoc und der Situation angepasst oder aus irgendwelchen Gesprächen oder Empfehlungen. Also, dass wir hier jetzt sitzen und darüber nachdenken, wie das z.B. bei irgendeinem großen Unternehmen ist, wie machen wir das jetzt nächstes Jahr weiter…[so ist das nicht].“ (P14) Geringe Ressourcen Ein wesentlicher Grund für eine nur wenig sophistische strategische Vorausschau sind geringe Ressourcen. Dieser Ressourcenengpass bezieht sich sowohl auf geringe Zeitkapazitäten („Früherkennung nebenbei“) als auch auf notwendige Mittel für Berater oder Marktanalysen. „…oftmals wird man mit anderen Sachen erschlagen und dann hat man dazu weniger Zeit. Aber man muss sich die Zeit eben einfach nehmen. Des-
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
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halb haben wir jetzt bei uns in der Abteilung etwas umorganisiert, das man zu solchen Sachen [strategische Vorausschau] auch mehr kommt“ (P1). „…also das ist mit den systematischen Sachen immer so ganz schwierig, insbesondere auch wieder eine Ressourcenfrage, […] Markterhebungen sind nicht bezahlbar.“(P18) Geringer Fokus auf den Unternehmenskontext (contextual environment) Gegenstand der Betrachtungen in der Früherkennung und strategischen Planung sind in den Unternehmen neue Technologien, Kunden (Biotech-Szene und Pharma), Wettbewerb, Fördermöglichkeiten oder Regularien in ausgewählten Feldern. Eine Einbettung der Unternehmen in einen breiteren Kontext, d.h., die Beobachtung großer globaler Trends, anderer Branchen - i.S. lateraler Synergien - der Politik oder gesellschaftlicher Phänomene erfolgt kaum im Rahmen einer systematischen strategischen Vorausschau. Die nachfolgende Darstellung fasst die beobachteten Stärken und Schwächen der Früherkennung und strategischen Vorausschau zusammen. Stärken
Schwächen
Strategische Planung
Fehlende langfristige Planung Hohe Kundenorientierung (nur kurze Planungshorizonte) Direkte Kommunikation auf der Geringe Risikostreuung Managementebene Informationen aus strategischer Vorausschau fließen nur unsystematisch in die strategische Planung ein Defensives Management
Management
Management verfügt oft über gute wissenschaftliche Netzwerke
Promovierte Naturwissenschaftler verfügen am Anfang ihrer Karriere als Unternehmensgründer über wenig Management-Know-how
Markt/Kunden
Oftmals direkter Kundenkontakt Hohes Maß an Flexibilität
„Passives Marketing“ Geringe Marktmacht, wenn
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Stärken
Schwächen das Unternehmen kein Technologieführer ist
Ressourcen
Spezialisiertes technologisches Know-how
Geringe personelle und finanzielle Ressourcen Wenig Zeit
Organisation der strategischen Vorausschau
Flexibel, kurze Wege
Keine spezialisierten Stellen Vorausschau findet „nebenbei“ statt
Information und Kommunikation
Gut vernetzt in wissenschaftlichen Netzwerken Kurze Wege im Unternehmen Direkte Information und Kommunikation
Kaum „out of the box“Informationen (Informationen außerhalb des technologisch/ wissenschaftlichen Bereiches oder außerhalb aktueller und potenzieller Kunden/ Wettbewerber)
Datensammlung
Guter Zugang zu informellen Quellen aufgrund einer starken Vernetzung in wissenschaftlichen Netzwerken Nähe zu Universitäten und Forschungsinstituten erleichtern Datensammlung Vielzahl an Informationen sind frei verfügbar
Informationen zu neuen Märkten (z.B. Indien, China) können kaum erhoben werden Fehlende Systematik in der Informationssammlung Teilweise fehlende Marktsicht („Technologieverliebt“)
Methoden der strategischen Vorausschau
Sehr guter Zugang zu Informationen und Experten im Bereich der Technologie, die für den Methodeneinsatz genutzt werden können (z.B. Bestandsaufnahme in Szenarioanalysen, Expertenmeinungen für Delphi usw.) Interagierende Methoden (z.B. Brainstorming Workshops) können unkompliziert umgesetzt werden
Wenig Methodeneinsatz Eigene Szenarioanalysen werden nur in wenigen Unternehmen systematisch und regelmäßig eingesetzt
Darstellung 2ϯ: Stärken und Schwächen in der strategischen Vorausschau der DLrBT
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
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Anforderungen an Methoden der strategischen Vorausschau
Im Rahmen der Fallstudien mit Biotechnologieunternehmen wurden Anforderungen an eine Methode der strategischen Vorausschau ermittelt (vgl. Basisdaten der Unternehmen in Darstellung 16 ff. und das beschriebene Vorgehen in Kapitel 2.1). Als wesentliche Anforderungen wurden die Spezifizierung und Individualisierung von Informationen, die Verknüpfung dieser Informationen mit klassischen Methoden der strategischen Planung sowie die Integration der strategischen Vorausschau und Planung in das operative Geschäft, charakterisiert durch eine schnelle Umsetzung von Projekten und Handlungsplänen. Spezifizierung und Individualisierung von Informationen In den Fallstudien wurde deutlich, dass zunächst ein Bedarf in der Unterstützung und Systematisierung von Informationen besteht. Für die Unternehmen sind insbesondere zuverlässige Informationen zu aktuellen und potenziellen Kunden und Wettbewerbern, Distributoren, Entwicklungen von Gesetzen und Regularien, Behörden und Informationen zu interkulturellen Besonderheiten in Auslandsmärkten wichtig, ebenso wie allgemeine Marktdaten zu ausgewählten Auslandsmärkten. Da die Biotechnologieunternehmen sich häufig in kleinen Marktnischen bewegen, müssen die Unternehmen sich frühzeitig internationalen Märkten stellen und ihre Geschäftstätigkeit über den Heimatmarkt hinaus ausdehnen. Diese frühe Internationalisierung stellt eine besondere Herausforderung für die Unternehmen dar. Da die Biotechnologie sehr heterogen ist, besteht ein Bedarf an sehr spezifischen bzw. individualisierbaren Informationen. Die Unternehmen beziehen bislang einen großen Teil der Informationen über das Internet in einem unsystematischen Suchprozess. Wünschenswert wären hier aus Sicht der Unternehmen strukturierte Linklisten und die Zuordnung von Stichworten im Rahmen der Informationssystematisierung. Die Forderung der Unternehmen nach einer Spezifizierung und Individualisierung von Informationen verdeutlicht den Aufwand der mit einer sophistischen strategischen Planung und Vorausschau verbunden ist. Um die Qualität der Entscheidungen zu verbessern, müssen zunächst aufbereitete, aktuelle Daten erfasst und systematisiert werden.
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Verknüpfung der Informationen mit Wettbewerbsanalysen, Marktpotenzialanalysen, Risikoanalysen, Marktauswahl und Marktbearbeitungsstrategien Basierend auf einer breiten, fundierten und individualisierten Informationssammlung und -systematisierung, erwarten Unternehmen für den Bereich der Strategieentwicklung, neben klassischen strategischen Instrumenten (Wettbewerbsanalyse, Portfoliomanagement), insbesondere Unterstützung im Bereich der Marktpotenzialanalyse. Wesentlicher Treiber ist die Frage nach neuen, zukunftsfähigen Märkten, die möglicherweise auch außerhalb bestehender Kunden und Technologien liegen könnten. Ebenso ist es den Unternehmen wichtig, Schlüsselfaktoren zu beobachten, um nicht an Entwicklungen festzuhalten, die möglicherweise bereits überholt sind oder für die es schlichtweg keinen ausreichenden Markt gibt. Im Hinblick auf die konkrete Bearbeitung von Auslandsmärkten benötigen die Unternehmen Hinweise für die Abschätzung des Marktpotenzials und die Wahl der Marktbearbeitungsform. Die Unternehmen betonen auch, dass gerade bei spezifischen Fragestellungen die Inanspruchnahme eines Beraters oder Coachs wichtig wäre. Die im Zuge der Informationssammlung systematisierten Informationen müssen, in einem zweiten Schritt, in klassische Methoden der strategischen Planung und Vorausschau einfließen. Grundlage dafür ist jedoch eine gute Daten- und Informationsbasis. Integration der Ergebnisse der strategischen Vorausschau in das operative Geschäft Im Hinblick auf die Umsetzung einer Methode oder eines Methodenverbundes ist es den Unternehmen wichtig, das operative Geschäft möglichst frühzeitig einzubinden und strategische Vorausschauaktivitäten in konkrete Handlungspläne zu überführen. Eine pragmatische und zudem einfache Anwendung würde dabei von den Unternehmen favorisiert werden.
Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen
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VoA werden nur dann in den Unternehmen Akzeptanz finden, wenn es gelingt, eine Verknüpfung zum operativen Geschäft herzustellen. Aus diesem Grunde müssen frühzeitig Projekte initiiert werden, die eine hohe Ausstrahlkraft besitzen. Dazu ist die Unterstützung und das Commitment der Unternehmensführung eine notwenige Voraussetzung. Einfache und effiziente Anwendung der strategischen Vorausschau Vor dem Hintergrund geringer personeller Ressourcen, erwarten die Unternehmen eine einfache und effiziente Anwendbarkeit von Methoden in der strategischen Vorausschau. Dies bezieht sich auch auf die Systematisierung von Informationen, die möglichst einfach wieder auffindbar kategorisiert und abgelegt werden müssen. An dieser Stelle wird die enge Verknüpfung von VoA mit dem Wissensmanagement deutlich. Dabei muss es neben der Sammlung und Systematisierung von Informationen und Daten auch gelingen, das Wissen abzulegen und für den Einsatz von Methoden der strategischen Vorausschau und der strategischen Planung zu nutzen. Die Anforderungen an Methoden der strategischen Vorausschau sind in der nachfolgenden Darstellung 2ϰ dem generischen Früherkennungsprozess gegenübergestellt.
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Darstellung 2ϰ: Anforderungen von Biotechnologieunternehmen an Methoden der strategischen Vorausschau
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Internationalisierung von jungen High-Tech KMU Michael Nolting
Inhaltsverzeichnis 1
Theorien zur Internationalisierung von jungen Hochtechnologie-KMU .................... 128 1.1 Prozesstheorie der Internationalisierung ............................................................. 128 1.2 Der Born-Global-Ansatz ........................................................................................ 131
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Internationalisierung von Dienstleistungen ............................................................... 134 2.1 Überblick über relevante Internationalisierungsstrategien ................................. 138 2.1.1 Strategien der Auswahl der Zielmärkte ............................................................. 139 2.1.2 Kriterien der Marktauswahl .............................................................................. 140 2.1.3 Strategien zur Bearbeitung der Zielmärkte ....................................................... 142 2.1.4 Strategien zur geographische Verteilung der Wertkettenaktivitäten .............. 147 2.1.5 Strategien zur Geschwindigkeit der geographischen Ausbreitung der internationalen Aktivitäten ............................................................................... 150 2.2 Internationalisierungsmuster von deutschen Dienstleistungs-KMU in der roten Biotechnologie.......................................................................͘.......... 153
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Ausblick und Limitierungen der Untersuchungen ...................................................... 168
Literaturverzeichnis .......................................................................................................... ...... 169
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Michael Nolting
Theorien zur Internationalisierung von jungen Hochtechnologie-KMU
Seit Ende der 1970er Jahre dominierte eine Theorie, die Prozesstheorie der Internationalisierung (PTI) die Forschung zur Internationalisierung der Unternehmen. Mit Aufkommen kleiner Hochtechnologieunternehmen, zu denen auch die Biotechnologieunternehmen gezählt werden, gelangte das Internationalisierungsverhalten dieses neuen Unternehmenstyps zunehmend in den Fokus der Forschung. Anhand der Ergebnisse verschiedener empirischer Studien wurde die PTI teilweise widerlegt. Die neue Strömung der Internationalisierungsforschung trat Ende der 1980er Jahre auf. Seitdem hält die kontroverse Diskussion der beiden gegensätzlichen theoretische Strömungen zum Internationalisierungsverhalten an (z.B. Moen et al., 2002, 156; Chetty et al., 2004, 57; Autio, 2005, 5; Jones et al., 2005, 284). Beide Theorien behandeln das Internationalisierungsverhalten hinsichtlich der Dimensionen Ressourcentransfer ins Ausland (bzw. Aktivitäten im Ausland), geographische Ausdehnung und Geschwindigkeit der Internationalisierung (vgl. z.B. Knight et al., 2004, 647). Die Theorien sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden. 1.1
Prozesstheorie der Internationalisierung
Die Prozesstheorie der Internationalisierung geht auf empirische Beobachtungen schwedischer Unternehmen aus den 1960er und 1970er Jahren zurück. Die Autoren Johanson und Vahlne beobachteten bei der Internationalisierung der Unternehmen zwei Muster. Das erste Muster bezieht sich auf die Art des Auslandsengagements, d.h. auf die Markteintritts- und Marktbearbeitungsform (Establishment Chain). Nach Johanson und Vahlne beginnt die Marktbearbeitung mit unregelmäßigen Exporten, gefolgt von unabhängigen Vertretern im Zielmarkt, die wiederum durch Verkaufsniederlassungen abgelöst werden. Möglicherweise schließt die Produktion im Zielmarkt die „Establishment Chain“ ab. Das zweite Muster besagt, dass Unternehmen sukzessive in Märkte von größerer psychischer Distanz eintreten (Psychic Distance Chain). Dabei wird die psychische Distanz anhand von sprachlichen, kulturellen und politischen Unterschieden definiert. Sie ist eine Summe aus Faktoren, die den Informationsaustausch zwischen Geschäftspartnern behindern (vgl. Johanson et al., 1977, 24). Beide Muster laufen in einer chronologischen Reihenfolge ab. Die Internationalisierung ist nach Johanson und Vahlne ein inkrementeller Prozess, bei dem das Unternehmen seine Auslandsaktivitäten graduell steigert (vgl. 1990, 11).
Internationalisierung von jungen High-Tech KMU
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Um das Verhalten zu erklären, entwickeln die Autoren ein Modell der Internationalisierung. Es basiert auf der Theorie des Entscheidungsprozesses der Direktinvestition nach Aharoni und auf dem ressourcenbasierten Ansatz nach Penrose (Penrose, 1959; Aharoni, 1966). Eine zentrale Grundannahme ist, dass Unternehmen Unsicherheiten bei der Internationalisierung vermeiden wollen. Nach Johanson und Vahlne ist der Internationalisierungsprozess ein Zusammenspiel aus vier Aspekten, den statischen Aspekten Marktwissen und Engagement im Markt sowie den variablen Aspekten Geschäftsaktivitäten im Markt und Entscheidungen über den Einsatz von Ressourcen. Zwischen den Aspekten des Modells bestehen intensive Wechselwirkungen. Dabei beeinflussen das Wissen über die Märkte und die Marktbindung die Entscheidung über den Ressourceneinsatz und die Geschäftsaktivitäten. Im Gegenzug beeinflussen die Geschäftsaktivitäten und Entscheidungen über den Ressourceneinsatz das Marktwissen und die Marktbindung (vgl. Johanson et al., 1990, 11). Das zentrale Element ist dabei das Marktwissen, dessen Erhöhung die Unsicherheit des Unternehmens hinsichtlich des spezifischen Auslandsmarktes verringert, wodurch einem höheren Ressourceneinsatz in diesem Land zugestimmt wird. Der höhere Ressourceneinsatz führt wiederum zu einer höheren Marktbindung, wodurch die Geschäftsaktivitäten im Markt intensiviert werden. Dadurch erhöht sich das Marktwissen und die Unsicherheit verringert sich. Der kausale Zyklus ist somit geschlossen. Der Mechanismus für den Eintritt in fremde Märkte verläuft analog, durch steigendes Marktwissen und damit verringerte Unsicherheit wagt sich das Unternehmen zunehmend in Länder, die eine höhere psychische und / oder geographische Distanz zum Heimatland aufweisen. Johanson und Vahlne stufen Marktwissen in Anlehnung an Penrose (1959) als erfahrungsbasiertes Wissen ein, das nicht vermittelt werden kann. Es wird durch die Unternehmen über Informationssammlung im Markt erworben, z.B. hinsichtlich des Wettbewerbs oder den Geschäftsgewohnheiten vor Ort. Daher durchläuft jedes Unternehmen prinzipiell den oben beschriebenen Prozess, der sich in den inkrementellen Internationalisierungsmustern widerspiegelt (vgl. Johanson et al., 1990, 12). Johanson und Vahlne beschreiben Ausnahmen von den graduellen Mustern der Internationalisierung, bei denen einzelne Schritte auf der Establishment Chain und der Psychic Distance Chain übersprungen werden können. Das ist zum ersten, wenn Unternehmen über große Ressourcen verfügen und das Engagement bzw. die Konse-
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quenzen daraus im Verhältnis klein sind, zum zweiten, wenn das Marktwissen nicht nur durch persönliche Erfahrungen angeeignet werden kann (bei stabilen und homogenen Marktbedingungen) und zum dritten, wenn das Unternehmen schon Erfahrungen mit ähnlichen Märkten sammeln konnte (vgl. Johanson et al., 1990, 12). Johanson und Vahlne ergänzen ihr ursprüngliches Modell später um eine Netzwerkkomponente. In internationalen Märkten basieren Kenntnisse über Netzwerke auch auf Erfahrungen, die durch Aktivitäten oder Interaktionen in den Netzwerken gewonnen werden. Wenn Unternehmen von außen in bestehende Netzwerke eintreten wollen, müssen einige Mitglieder des existierenden Netzwerkes motiviert sein, eine Interaktion mit dem Neuling einzugehen, der Eintritt in einen bestimmten Markt geht daher auf Initiativen dieser Netzwerkpartner zurück. Dabei können die Netzwerke eines Auslandsmarktes über die Landesgrenzen hinausreichen und die Internationalisierungsaktivitäten eines Unternehmens außerhalb dieses Landes beeinflussen. Internationalisierung in Netzwerken heißt, internationale Geschäftsbeziehungen in anderen Ländern zu entwickeln. Das kann durch neue Beziehungen in den Zielländern (internationale Expansion), durch Entwicklung von Beziehungen in diesen Netzwerken (Penetration) und durch das Verbinden von Netzwerken in verschiedenen Ländern (internationale Integration) erreicht werden. Am Anfang einer Netzwerkbildung sind persönliche Beziehungen wichtig, die jedoch später durch Routinen und Prozesse ersetzt werden. Besonders in Hochtechnologie-Branchen sind persönliche Beziehungen und Netzwerke besonders wichtig, da diese Branchen einen turbulenten Charakter haben. In diesen Netzwerken sehen die Autoren den Grund, warum einige kleine Hochtechnologie-Unternehmen direkt in entfernte Märkte eintreten und schnell eigene Niederlassungen etablieren. Die Unternehmer haben Netzwerke von Kollegen und ihre Internationalisierung stellt hier die Ausnutzung von Netzwerken dar (vgl. Johanson et al., 1990, 19 f.). Nach Johanson und Vahlne ist die Internationalisierung keine reine Strategie, sondern das Ergebnis einer Mischung aus Strategie, emergenten Entwicklungen, Zufall und Notwendigkeiten (vgl. Johanson et al., 1990, 24). Die schärfsten Kritiker der Prozesstheorie sind Vertreter einer neueren Forschungsrichtung der Internationalisierung von Unternehmen. Sie beschreiben und erklären das Internationalisierungsverhalten von Unternehmen, die sich frühzeitig und schnell internationalisieren. Diese Forschungsrichtung wird als „Born-Global-Ansatz“ be-
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zeichnet und soll im folgenden Abschnitt kurz beschrieben werden. Die Entdecker des Born Global Ansatzes verstehen diese Forschungsrichtung als Gegentheorie zur Prozesstheorie der Internationalisierung (vgl. Autio, 2005, 9). 1.2
Der Born-Global-Ansatz
Die Ursprünge des Born-Global-Ansatzes gehen auf Untersuchungen des Internationalisierungsverhaltens von jungen KMU der 1980er und Anfang der 1990er Jahre zurück. Dabei wurde ein neues Internationalisierungsmuster entdeckt: junge KMU begannen wenige Jahre nach Gründung mit dem Export und konnten den größten Teil ihrer Umsätze im Ausland beziehen. Dieses Internationalisierungsmuster wurde als Born Global oder auch als International New Venture bezeichnet. International New Venture (INV) wird definiert als „a business organisation that, from inception, seeks to derive significant competitive advantage from the use of resource and the sale of outputs in multiple countries” (Oviatt et al., 1994, 49). Im Internationalisierungsprozess können daher Stufen, die vom Prozessmodell der Internationalisierung vorhergesagt werden, übersprungen werden (vgl. Oviatt et al., 1994, 49 f.). Born Globals sind nach Rennie (1993) „small to medium-sized companies that successfully compete – virtually from their inception – against large, established players in the global arena. These firms did not slowly build their way into international trade. Contrary to popular wisdom, they were born global“ (Rennie, 1993, 45). Der Born-Global-Begriff ist bis heute nicht eindeutig definiert und es gibt verschiedene Ansätze zur Abgrenzung von anderen Internationalisierungsmustern (vgl. z.B. Luostarinen et al., 2002, 7; Rasmussen et al., 2002, 13; Kuivalainen et al., 2007, 254). Knight et al. (1996) definieren Born Globals als Unternehmen, die innerhalb von drei Jahren nach Gründung ihre internationalen Aktivitäten beginnen und einen Umsatzanteil von 25% im Ausland erreichen (vgl. Knight et al., 1996, 11; Knight et al., 2004, 648). Die Begriffe International New Venture und Born Global sind eng mit dem Begriff „International Entrepreneurship“ assoziiert. Darunter wird ein innovatives, proaktives und risikobereites Verhalten verstanden, das eine internationale Ausprägung hat und zur Wertschöpfung im Unternehmen beiträgt (vgl. McDougall et al., 2000, 903). Eine internationale unternehmerische Orientierung des Managements kann dabei anhand der Risikobereitschaft, der Proaktivität und der wettbewerblichen Aggressivität operationalisiert werden. Risikobereitschaft bedeutet die Wahrnehmung von Chancen unter Akzeptanz eines hohen impliziten Fehlschlagpotenzials, Proaktivität bedeutet
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die Vorwegnahme von Bedürfnissen und wettbewerbliche Aggressivität sind Anstrengungen, den Wettbewerb zu übertreffen (vgl. Kuivalainen et al., 2007, 258). Die Annahme der Risikobereitschaft steht dabei im Widerspruch zur Prozesstheorie der Internationalisierung, für die der Überlebenswille der Organisation eines der zentralen Aspekte für das stufenartige Internationalisierungsverhalten ist. Die Risikobereitschaft liegt in den Charakteristika der Entrepreneure begründet. Sie ist mit einer aggressiven internationalen Expansion assoziiert. Trotz der bestehenden gegensätzlichen Grundannahmen der beiden Theorien werden sie von einigen Autoren als komplementär angesehen, da der Born-Global-Ansatz Aspekte aufgreift, die von Johanson und Vahlne (1977) nicht beachtet werden. Die Kombination der beiden Theorien führt zu einer reichhaltigeren Theorie über die Internationalisierung von jungen Unternehmen (vgl. Autio, 2005, 10, 12; Zahra, 2005, 26; Sapienza et al., 2006, 918; Kuivalainen et al., 2007, 254). Unternehmen, die ein Born-Global-Verhalten zeigen, können weltweit zunehmend beobachtet werden. Dies ist unter anderem auf die Veränderung wesentlicher externer und interner Rahmenbedingungen zurückzuführen. Zu den externe Rahmenbedingungen werden neue Marktbedingungen in vielen Sektoren (Zunahme der globalen Nischenmärkte), Herausbildung globaler Branchenstrukturen, Abbau von Handelsschranken, Reduktion der Transportkosten, Verbesserung der Informationsflusses zwischen den Märkten (insbesondere über Internet), Veränderungen bei den Produktionstechnologien (Skaleneffekte verlieren an Bedeutung) und Verkürzung der Produktlebenszyklen gezählt. Unternehmensinterne Rahmenbedingungen liegen insbesondere in den Fähigkeiten der Organisation und des Managements. Das sind eine globale Vision und Internationalisierungswissen, die Existenz von einzigartigen intangiblen Ressourcen, die zu einem hohen Wert der Produkte führen, sowie die hohe Anpassungsfähigkeit der Organisation an sich ändernde Umweltbedingungen (vgl. Lehmann et al., 2004, 212; Autio, 2005, 10; Rialp et al., 2005, 153, 160; Gabrielsson et al., 2008, 396). Ein weiteres entscheidendes Charakteristikum von Born Globals ist die Beschaffenheit der Ressourcenbasis. Obwohl Neugründungen unter Ressourcenmangel leiden, können Born Globals diese Restriktion für die Internationalisierung durch die Kombination von Ressourcen über Ländergrenzen hinweg kompensieren. Die erfolgskritischen Ressourcen der Born Globals sind intangibel und wissensbasiert. Aufgrund der Mobilität des Wissens lassen sich die Ressourcen effektiv mit tangiblen, schwer transferierbaren Ressourcen in fremden Märkten kombinie-
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ren. Dementsprechend sind Born Globals insbesondere in wissensintensiven Sektoren mit globalem Wettbewerb verbreitet. Sie konzentrieren sich beim Absatz ihrer Leistungen auf die Schlüsselmärkte und ihre Wertschöpfung erfolgt unter Einsatz einer international verteilten Ressourcenbasis (vgl. Oviatt et al., 1994, 46 ff.; Autio, 2005, 12 ff.; Gabrielsson et al., 2008, 388, 396). Neben der Unterscheidung von internationalisierenden Unternehmen in Born-Globals und stufenartig internationalisierenden Unternehmen sind in der aktuellen Literatur weitere Internationalisierungsmuster beschrieben worden. Dies sind zum einen Unternehmen, die einige Jahre nicht international aktiv sind oder nur eine langsame, stufenartige Internationalisierung zeigen und dann in einem explosionsartigen Verlauf auf ein hohes Internationalisierungslevel springen. Für dieses Verhalten gibt es verschiedene Bezeichnungen: „Springquelle“ (Chetty et al., 2004, 57); Born Again Globals (Bell et al., 2001, 173) und Late Globals (Saarenketo, 2004, 281). Die Born Globals werden von verschiedenen Autoren in Subgruppen unterteilt. Bereits in ihrer richtungsweisenden Publikation aus dem Jahre 1994 unterteilen Oviatt und McDougall die International New Ventures anhand der der Anzahl der koordinierten Wertkettenaktivitäten und der Anzahl der bedienten Zielmärkte in drei bzw. vier Subgruppen. Eine der Gruppen benannten sie als „Global Start-ups“. Diese sind die radikalste Form der INV und erlangen ihre Wettbewerbsvorteile durch extensive Koordination vieler Organisationsaktivitäten. Ihr Aktionsradius hat keine geographische Beschränkung, sie handeln proaktiv, erwerben Ressourcen, verkaufen Güter, wo sie den höchsten Nutzen erzielen können. Global Start-ups sind am schwierigsten zu entwickeln und haben den nachhaltigsten Wettbewerbsvorteil durch Kombination der einzigartigsten Ressourcen. Ein anderer Unternehmenstyp, die „Geographically Focused Start-ups“ koordinieren ebenfalls viele Aktivitäten über Ländergrenzen hinweg, bleiben jedoch in einem engen geographischen Raum. Diese Unternehmen erfüllen spezielle Bedürfnisse in einem speziellen Teil der Welt unter Nutzung ausländischer Ressourcen. Unternehmensformen mit geringer Koordination von internationalen Aktivitäten (hauptsächlich Logistik) sind die „New International Market Maker“. Dies ist ein alter Unternehmenstyp, der sich wiederum aus den Untergruppen „Export/Import Start-ups“ und „Multinational Trader“ zusammensetzt (vgl. Oviatt et al., 1994, 59 f.; 1995, 30). Auch in neueren Publikationen nehmen Autoren Unterteilungen der Born Globals vor. So unterscheiden Kuivalainen et al.(2007) in echte Born
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Globals, welche die Kriterien von Knight (1996) und Levitt (1983) erfüllen sowie in scheinbare Born Globals, die nur in geographisch nahe Märkte exportieren (vgl. Kuivalainen et al., 2007, 254).
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Internationalisierung von Dienstleistungen
In der Literatur lassen sich verschiedene Definitionen zu Dienstleistungen finden. Eine häufig verwendete Definition stammt von Grönroos (1999), der Dienstleistungen als “a process consisting of a series of more or less intangible activities that normally, but not necessarily always, take place in interactions between the customer and service employees and/or physical resources or goods and/or systems of the service provider, which are provided as solutions to customer problems.” (vgl. Grönroos, 1999; zitiert nach Lovelock et al., 2004, 32). Ebenso wie es viele Definitionen von Dienstleistungen gibt, herrscht in Fachkreisen auch wenig Einigkeit über das Wesen der Dienstleistung. Allgemein akzeptiert ist jedoch, dass Dienstleistungen Charakteristika haben, die sie von Gütern unterscheiden und dass diese Charakteristika Marketingprobleme aufwerfen, die bei Gütern nicht existent sind sowie dass spezielle Marketingstrategien entwickelt werden müssen, um den Herausforderungen zu begegnen (vgl. Lovelock et al., 2004, 23; Bruhn, 2005, 3). Die Definition der Dienstleistungen kann nach Clark (1996) weiter zu Internationalen Dienstleistungen konkretisiert werden: Internationale Dienstleistungen sind „deeds, performances, efforts, conducted across national boundaries in critical contact with foreign cultures“ (Clark et al., 1996, 15). Dienstleistungen werden daher insbesondere über die Interaktion zwischen Dienstleistungsproduzenten und –nachfrager definiert, wobei der Kontakt bei internationalen Dienstleistungen über Grenzen hinweg zwischen verschiedenen Kulturen stattfindet. Die schon angesprochenen spezifischen Charakteristika der Dienstleistungen werden im englischen Sprachraum als „IHIP“ bezeichnet, d.h. Intangibilität, Heterogenität, Untrennbarkeit (Inseparability) und Verderblichkeit (Perishability). Diese Charakteristika beeinflussen das Marketing und somit auch die Internationalisierung. Intangibilität hat zur Folge, dass Dienstleistungen nicht transportiert und gelagert werden können. Heterogenität besagt, dass das Ergebnis einer durchgeführten Dienstleistung wesentlich von den Ergebnissen vergangener Dienstleistungsprodukti-
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onen abweichen kann. Untrennbarkeit bedeutet, dass Produktion und Konsum zur gleichen Zeit am gleichen Ort unter Beteiligung des Kunden stattfinden muss (Integration des externen Faktors) und Verderblichkeit schließlich besagt, dass es keine alternative Verwendung für Dienstleistungskapazitäten gibt, ungenutzte Kapazitäten verfallen (vgl. Knight, 1999, 348 ff.) Die theoretischen Ursprünge für drei der konstituierenden Charakteristika liegen in den klassischen und neoklassischen Theorien (vgl. Lovelock et al., 2004, 24). Das Konzept der Intangibilität ist limitiert, da das Ergebnis des Dienstleistungsprozesses häufig tangibel ist oder eine tangible Veränderung am Leistungsobjekt darstellt. Einige Autoren vertreten die Meinung, dass Dienstleistungen nicht in reiner, immaterieller Form vorkommen, sondern immer Leistungsbündel mit Sachgütern sind. Die IHIP insgesamt können nicht auf alle Dienstleistungen generalisiert werden (vgl. Engelhardt et al., 1993, 395; Lovelock et al., 2004, 28). Auf den IHIP oder den Sekundäreigenschaften basiert eine Vielzahl von Typologien internationaler Dienstleistungen, die aus bestimmten Ausprägungen der Charakteristika definierte Marktbearbeitungsformen ableiten (vgl. z.B. Sampson et al., 1985, 171; Vandermerwe et al., 1989, 79; Patterson et al., 1995, 57; Lovelock et al., 2004, 20). Einige der Typologien sind in der folgenden Darstellung zusammengefasst. Quelle Lovelock 1983
Dimension zur Unterteilung bzw. Charakteristikum Natur der Prozesse in Herstellung und Lieferung der Dienstleistungen
Typ der internationalen Dienstleistung People-processing services Possession-processing services Information-based services
Samson / Snape 1985
Mobilität des Dienstleistungsproduzenten und des Konsumenten
Across the border trade Domestic establishment trade Foreign earnings trade Third country trade
Vandermerwe / Chadwick 1989
Relative Güterbeteiligung (Intangibilität)
Exportable services Services which should be
136
Michael Nolting
Quelle
Patterson / Cicic 1995
Dimension zur Unterteilung Typ der internationalen Dienbzw. Charakteristikum stleistung Grad der Interaktion zwioffered by 3rd parties / in schen Produzenten und cooperation Konsumenten Service which need FDI or (Inseparability) M&A (übernommen von Vandermerwe / Chadwick 1989)
International contact based services International vehicle based service International asset based service International object based services
Darstellung 1: Überblick über wichtige Klassifikationsansätze internationaler Dienstleistungen
Beispielsweise können die Dienstleistung in der Klassifikation nach Vandermerwe und Chadwick (1989) anhand der Ausprägungen der Charakteristika Intangibilität (Einbindung von Gütern) und Untrennbarkeit (Grad der Interaktion zwischen Produzenten und Konsumenten) in drei Dienstleistungstypen unterteilt werden, wobei ein Typ wie Handelsware exportiert werden kann, ein weiterer Typ über kooperative Marktbearbeitungsformen vermarktet werden sollte und ein dritter Typ nur durch eine Produktionsstätte vor Ort im Ausland angeboten werden kann (vgl. Vandermerwe et al., 1989, 82) Die Untrennbarkeit von Produktion und Konsum ist der Schlüsselfaktor für die Internationalisierung von Dienstleistungen. Je höher der tangible Anteil der Leistung, d.h. je mehr sich das Ergebnis in Gütern manifestiert, desto eher ist Export der Dienstleistungen möglich. Reine Dienstleistungen können nicht exportiert werden (vgl. Knight, 1999, 353; Blomstermo et al., 2005, 211). Studien zum internationalen Markteintritt haben aufgezeigt, dass die Etablierung einer 100%igen Tochtergesellschaft die bevorzugte Markteintritts- und Marktbearbeitungsform bei Dienstleistungsunternehmen ist (vgl. z.B. Erramilli et al., 1993, 27). Dieses Vorgehen ist die
Internationalisierung von jungen High-Tech KMU
137
Strategie der Wahl, wenn Märkte groß sind, wenn passende Partner für kooperative Marktbearbeitungsformen nicht zur Verfügung stehen oder wenn das Kontrollmotiv überwiegt. Das Kontrollmotiv erwächst unter anderem aus dem Ziel, eine hohe Dienstleistungsqualität zu erreichen, wobei der Kundenkontakt eine kritische Rolle spielt (vgl. Knight, 1999, 354). Kooperative Marktbearbeitungsformen sind hingegen vorteilhaft, wenn die Errichtung eines Dienstleistungsbetriebs kapitalintensiv ist, die Dienstleistungen nur einen geringen Interaktionsgrad aufweisen, wenn keine eigenen geeigneten Mitarbeiter vorhanden sind, wenn eine große kulturelle Distanz zwischen dem Heimatmarkt und dem Zielmarkt besteht sowie wenn das Länderrisiko im Zielmarkt hoch ist (vgl. Bruhn, 2005, 3). Es scheint in der Literatur weitgehend Konsens zu bestehen, dass die Dienstleistungscharakteristika die Wahl der Marktbearbeitungsform beeinflussen. Sie werden auch mit dem Muster der geographischen Ausdehnung der internationalen Aktivitäten sowie mit einem stufenartigen Internationalisierungsmuster in Zusammenhang gebracht. Kulturelle Eigenschaften sind bei intensivem Kontakt zwischen Produzenten und Konsumenten entscheidend, so dass Dienstleistungsunternehmen zunächst in kulturell nahe Märkte expandieren (vgl. Stauss, 1994, 11). Die stufenartige Internationalisierung von Dienstleistungen wird bei kontaktintensiven Dienstleistungen unter anderem auch mit dem hohen Ressourcenbedarf für die Errichtung von Tochtergesellschaften begründet. Es kann anfänglich nur eine begrenzte Zahl an Ländern bearbeitet werden (vgl. Bruhn, 2005, 3). Roberts (1999) untersuchte das Internationalisierungsverhalten von B2BDienstleistungs-unternehmen. Nach Roberts gehen Dienstleistungsunternehmen bei der Internationalisierung stufenweise vor, das Internationalisierungsverhalten weist dabei fünf Stufen auf (vgl. Roberts, 1999, 84): 1. 2. 3.
Kein Export: Dienstleistungen für lokale Kunden Domestically located export: Dienstleistungen für ausländische Kunden im Inland Embodied service exports: Dienstleistungen wird durch Grenzüberschreitung der des Personals oder durch elektronische Übertragung ins Ausland transferiert
138
Michael Nolting
4. 5.
Intra-firm exports: Niederlassungen werden etabliert, die nur ImportFunktion im Zielmarkt haben Etablierung einer Produktionsstätte im Auslandsmarkt
Ein stufenartiges Vorgehen ist nicht nur auf die geographische Ausdehnung beschränkt, sondern bezieht auch die Marktbearbeitungsformen und damit den Ressourcentransfer in den Zielmarkt ein. Stufenartige Internationalisierung von Dienstleistungsunternehmen hinsichtlich der Marktbearbeitungsform wurde auch von verschiedenen anderen Autoren beschrieben (vgl. z.B. Stare, 2002, 77). Einige Autoren vertreten die Meinung, dass Stufenmodelle nur bei handelbaren Dienstleistungen zutreffen können, da für andere Dienstleistungstypen die Markteintrittsstrategien und Marktbearbeitungsstrategien durch die Charakteristika vorgegeben sind (vgl. Mößlang, 1995, 135). Wie die Literaturanalyse zeigt, wird die Internationalisierung von Biotechnologieunternehmen überwiegend im Zusammenhang mit frühen und schnellen Internationalisierungsmustern diskutiert, während Dienstleistungen mit stufenartigen Internationalisierungsmustern oder definierten Marktbearbeitungsformen assoziiert sind. Aus den Rahmenbedingungen der Branche (wissensintensiv und global ausgerichtet) leitet sich das Born-Global-Muster der Internationalisierung ab, aus den spezifischen Charakteristika der Dienstleistung hingegen inkrementelle Internationalisierungsmuster mit Markteintrittsformen, bei denen ein persönlicher Kontakt zwischen Anbieter und Nachfrager ermöglicht wird. Für die Internationalisierungsmuster von Dienstleistungs-KMU der roten Biotechnologie sind daher mehrere Internationalisierungsmuster vorstellbar. Bevor auf die beobachteten Internationalisierungsmuster bei jungen Biotechnologieunternehmen eingegangen wird, sollen zunächst strategische Optionen bei der Internationalisierung erläutert werden, die für junge Biotechnologie eine hohe Praxisrelevanz aufweisen. 2.1 Überblick über relevante Internationalisierungsstrategien Ziel des folgenden Kapitels ist es, einige Strategien zur Internationalisierung kurz vorzustellen, insbesondere die Vorgehensweise bei der Auswahl von Zielmärkten und die verschiedenen Möglichkeiten zur Zielmarktbearbeitung. In diesen beiden strategi-
Internationalisierung von jungen High-Tech KMU
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schen Schwerpunkten liegen die wesentlichen Gestaltungsmöglichkeiten für junge Biotechnologieunternehmen. 2.1.1 Strategien der Auswahl der Zielmärkte In der Literatur (vgl. z.B. Breit, 1991; Kutschker et al., 2006; Zentes et al., 2006) zum internationalen Management ist eine Vielzahl an Methoden und Vorgehensweisen für die Auswahl von Zielmärkten beschrieben. Diese Verfahren sind überwiegend mehrstufig, legen spezifische Kriterien zur Auswahl fest und wenden sukzessive feinere Bewertungsmethoden an. Bei einem typischen Ablauf der Zielmarktauswahl wird zunächst eine Untersuchung der Situation des Unternehmens durchgeführt, dem sich eine Grobanalyse anschließt. Für die Ermittlung der Ausgangssituation werden Primärdaten eingesetzt, während in der Grobanalyse Sekundärdaten zur Anwendung kommen. Die angewendeten Methoden sind meist Checklistenverfahren oder Punktbewertungsverfahren. Das Ergebnis der Grobanalyse ist ein Ranking, ein Clustering oder eine Vorauswahl von Zielmärkten. Im dritten Schritt erfolgt eine Mikroanalyse, für die marktorientierte Daten (Primärdaten) herangezogen werden. Das Ergebnis ist eine weitere Verfeinerung des Rankings oder eine Gruppierung. Der letzte Schritt ist in der Regel eine Investitionsrechnung oder eine Portfoliobetrachtung, die zur Identifizierung des optimalen Zielmarktes führt. Ein generischer Ablauf der Länderauswahl wird in Darstellung 2 aufgezeigt.
140
Michael Nolting
Darstellung 2: Generischer Ablauf der Marktsegmentierung und –selektion (Palm, 2008, 9)
In den einzelnen Schritten der Zielmarktauswahl kommen verschiedene Kriterien zur Anwendung, die im Folgenden näher erläutert werden sollen.
2.1.2 Kriterien der Marktauswahl Zur Auswahl des optimalen Zielmarktes kann im Verlauf der Analyse eine Vielzahl an Kriterien herangezogen.3 In der deutschsprachigen Fachliteratur überwiegen drei zentrale Kriteriengruppen, das sind Kriterien der Zielmarktattraktivität und des allgemeinen Risikos im Zielmarkt sowie Markteintrittsbarrieren. Die Attraktivität eines Zielmarktes wird an erster Stelle durch potenzielle Ertragschancen definiert, insbesondere anhand wichtiger marktbezogener Kriterien, wie Marktvolumen und Marktwachstum sowie anhand unternehmensinterner Kriterien, wie Kostenaspekte (vgl. Backhaus et al., 2001, 120 f.). Die Attraktivität kann auch durch Interdependenzen mit anderen Zielmärkten beeinflusst werden. So ist beispielsweise Singapur als Zielmarkt aufgrund der geringen Größe des Stadtstaates relativ unattraktiv, hat jedoch als Brückenkopf nach Südostasien in vielen Branchen eine herausragende strategische Bedeutung (vgl. Beitrag Das Biotechnologiecluster Singapur). Der Attraktivität
3
Für einen Überblick verschiedener Kriterien vgl. Nolting, Mietzner, Reger, 2010, Anhang
Internationalisierung von jungen High-Tech KMU
141
des Zielmarktes können diverse Eintrittsbarrieren entgegenstehen, die seine erfolgreiche Bearbeitung verhindern. Unter Markteintrittsbarrieren werden alle Bedingungen verstanden, die beim Eindringen und Bearbeiten eines Zielmarktes überwunden werden müssen. Markteintrittsbarrieren bestimmen sehr stark die Kosten für Markteintritt und Marktbearbeitung. Die Bearbeitung eines Ländermarktes ist dann rentabel, wenn die Ertragschancen die Eintritts- oder Bearbeitungskosten überwiegen. Wichtige Markteintrittsbarrieren sind ökonomischen, protektionistischen oder verhaltensbedingten Ursprungs. So können z.B. Wechselkosten, notwendige finanzielle Ressourcen für einen Markteintritt und Betriebskostenvorteile etablierter Wettbewerber wichtige ökonomische Markteintrittsbarrieren sein (vgl. Porter, 1998, 24). Eintrittsbarrieren, die auf Protektionismus basieren, sind tarifäre Handelshemmnisse (z.B. Einfuhrverbote und Zölle) sowie nicht-tarifäre Handelshemmnisse (z.B. technische Normen). Verhaltensbedingte Eintrittsbarrieren sind z.B. „Buy-Local“Einstellungen der Kunden. Biotechnologiedienstleistungen sind fast ausschließlich Business-to-BusinessLeistungen (Industriegüter-Geschäft). In diesem Segment hat die Follow-theCustomer-Strategie häufig eine herausragende Bedeutung, daher ist hier der Standort der etablierten Kunden das entscheidende Kriterium für die Wahl des Zielmarktes (vgl. Zentes et al., 2006, 202 ff.). Auch beeinflusst, gerade bei wissensintensiven Bereichen, das Netzwerk mit Lieferanten und Kunden die Auswahlentscheidung. Die Kultur im Zielmarkt spielt hingegen nur eine untergeordnete Rolle (vgl. Bradley, 2005, 160 ff.). Hinsichtlich der Zielmarktrisiken wird hauptsächlich zwischen wirtschaftlichen und politischen Risiken unterschieden. Wirtschaftliche Risiken beinhalten beispielsweise die Inflations- und Wachstumsrate, Arbeitslosenquoten, Import-Export-Relationen und Leistungsbilanzen. Politische Risiken spiegeln sich unter anderem in Transferrisiken, Dispositionsrisiken, Enteignungsrisiken, politischer Stabilität und im weiteren Sinne im Ausmaß an Korruption in einem Land (vgl. Braun, 2006, 24). Das Zielmarktrisiko kann als Risikoprofil eines Marktes dargestellt werden. Es steht -wie die Markteintrittsbarrieren- der Zielmarktattraktivität gegenüber. So kann es sinnvoll sein, in einen riskanten Markt einzutreten, wenn er entsprechende Ertragschancen birgt. Das Risiko wird durch die Vermeidung bestimmter Ressourcenintensiver Markteintrittsformen reduziert. Die Investitionen im Auslandsmarkt, und somit das Risiko, sind
142
Michael Nolting
beim Export am geringsten, da keine Direktinvestitionen notwendig sind und vice versa bei einer Tochtergesellschaft am höchsten. Zwischen den beiden Extremformen gibt es mehrere Abstufungen (vgl. Darstellung 3).
Darstellung 3: Markteintritts- und Marktbearbeitungsformen (Meissner et al., 1980)
Das Risiko der Marktbearbeitung kann daher vom Unternehmen durch die Wahl der geeigneten Markteintritts- und Marktbearbeitungsform gesteuert werden (vgl. Braun, 2006, 34 ff.). Auf den folgenden Seiten soll ein kurzer Überblick über die relevanten Formen gegeben werden. 2.1.3 Strategien zur Bearbeitung der Zielmärkte Unter Export wird der Absatz eigener Güter und Dienstleistungen in fremden Wirtschaftsgebieten verstanden, wobei in direkten und indirekten Export unterschieden wird. Beim indirekten Export sind Handelsmittler im Inland, wie Exporthäuser, zwischengeschaltet. Durch den direkten Export baut das Unternehmen unmittelbare Beziehungen zu den ausländischen Geschäftspartnern (Endkunden oder Handelsmittler) auf. Beim Export ist immer nur die Wertschöpfungsaktivität „Vertrieb“ im Ausland involviert. In Darstellung 4 sind die Vor- und Nachteile des direkten Exports zusammengefasst.
Internationalisierung von jungen High-Tech KMU
Vorteile
Nachteile
Häufig kommt Export zu Beginn aufgrund von Aufträgen zustande („Unsolicited Orders“)
Nicht alle Produkte/ DL eignen sich (z.B. kurze Haltbarkeit, JIT-Konzepte)
Auch für komplexere Produkte und DL geeignet Ressourceneinsatz relativ niedrig; kostengünstige Form; leicht einzustellen Auslandsreisende können Markt direkt beobachten; Erwerb von Ländermarkt-Wissen Mittler haben existierende Geschäftsbeziehungen
143
Problematik der Wechselkursrelationen Mögliche Akzeptanzprobleme vor Ort („Liability of Foreignness“) Verzögerte Reaktion auf Marktanforderungen Ohne Mittler: eigene Organisationseinheit schaffen Mit Mittler: an den Intermediär gebunden
Darstellung 4: Vor- und Nachteile des direkten Exports
Eine weitere Form der Auslandsmarktbearbeitung ist die Lizenzierung, unter der vertragliche Abkommen verstanden werden, mit denen inländische Lizenzgeber intangible Vermögenswerte ausländischen Lizenznehmern zur Verfügung stellen. Objekte der Lizenzierung können Patente, Gebrauchsmuster, Geschmackmuster, Warenzeichen / Marken und Urheberrechte sein. Für Biotechnologiedienstleistungen werden in erster Linie Patente als Lizenzobjekte dienen. Lizenzierungen sind meist auf eine bestimmte Region beschränkt, gelten nur bis Ablauf des Schutzrechtes, können verschiedene Verwendungsformen beinhalten und werden meist nicht exklusiv vergeben. Die Gegenleistung für die Lizenzvergabe sind in der Regel Pauschallizenzgebühren und laufende Umsatz- / Gewinnbezogene Lizenzgebühren. Die Vor- und Nachteile sind in Darstellung 5 beschrieben.
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Michael Nolting
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Nachteile
Parallele und sequentielle Verwertung ohne großen Aufwand im Ausland
Nur beschränkte Kontrolle über Lizenznehmer möglich
Personeller und finanzieller Ressourceneinsatz relativ niedrig; kostengünstige Form Marktzugang trotz Handelshemmnissen Kein Risiko der Enteignung
Auswahl des Lizenznehmers schwierig, kann z.B. Imageprobleme verursachen Mögliche Weitergabe von sensiblem Know-How, Imitatoren treten auf Potentielle Wettbewerber werden „herangezogen“
Ermöglicht raschen Markteintritt Lizenznehmer haben Geschäftsbeziehungen vor Ort
Darstellung 5: Vor- und Nachteile von Lizensierungen
Ähnlich zur Lizenzierung ist das Franchising. Beim Franchising wird ein eingeführtes und erprobtes „Business Format“ oder „Business Package“ überlassen. Zudem ist bei dieser Vertriebsform ein Filialsystem wichtig. Da diese beiden Punkte für Biotechnologiedienstleistungen keine Rolle spielen, ist Franchising in der Biotechnologie als Markteintrittsform ungeeignet. Eine höhere Bedeutung für Biotechnologieunternehmen haben Kooperationen. Darunter wird die Zusammenarbeit von rechtlich selbständigen Unternehmen zur gemeinsamen Durchführung von Aufgaben verstanden. Durch Kooperationen können die Unternehmen ihre Ziele besser erreichen, wie z.B. Steigerung von Erträgen, Verringerung von Risiken, Zugang zu Ressourcen etc. Es gibt zwei Hauptformen der Kooperation: Joint Venture und Strategische Allianzen. Joint Ventures sind gemeinsame Unternehmungen von Partnern mit eigener Rechtspersönlichkeit. Häufigste Joint Ventures sind Produktions- oder Vertriebs-Joint-Ventures, in der pharmazeutischen Industrie treten auch FuE-Joint-Ventures auf. Um ein Joint Venture zu errichten, ist eine Eigenkapitalbeteiligung im Zielmarkt notwendig. In Darstellung 6 sind Vor- und Nachteile von Joint Ventures aufgeführt.
Internationalisierung von jungen High-Tech KMU
Vorteile
Nachteile
Alternative zum Export und zu alleinigen FDI
u.U. staatlicher Einfluss auf Vertragsgestaltung und Kapitalbeteiligung
Beschleunigter Markteintritt, Risikominimierung, reduzierter Kapitalbedarf
Auf Partner angewiesen, Entscheidungen können verzögert werden, Unstimmigkeiten
Lokaler Partner hat Kenntnis von Markt/ Rahmenbedingungen
Hoher Koordinationsaufwand
Economies of Scale und Economies of Scope
Tendenz zu Instabilität
Rivalität im Markt kann sinken
145
Hohe personelle Ressourcen Gefahr des Wissensabflusses
Wissen absorbieren, vom Partner lernen Darstellung 6: Vor- und Nachteile von Joint Ventures
Bei Strategischen Allianzen werden keine eigenständigen Unternehmungen unter Kapitalbeteiligung der Partner geschaffen, sondern es handelt sich um Kooperationen von unabhängigen Unternehmen in definierten Bereichen. Die Vor- und Nachteile unterscheiden sich zum Joint-Venture in folgenden Punkten: Vorteile
Nachteile
Keine Kapitalbeteiligung
Wettbewerbs- und Kartellrecht kann verletzt werden
Hohe Flexibilität
Hohe und unterschiedliche Managementfähigkeiten erforderlich Vertrauen und Commitment ist unbedingt erforderlich Darstellung 7: Vor- und Nachteile von Strategischen Allianzen
Die Marktbearbeitungsform mit dem höchste Kapital- und Managementeinsatz im Gastland stellen Tochtergesellschaften dar. Sie sind durch rechtliche Selbständigkeit charakterisiert.
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Michael Nolting
Tochtergesellschaften können durch Neugründungen (Greenfield-Investments) oder Übernahmen (Akquisitionen / Brownfield-Investments) entstehen, wobei das Mutterunternehmen mehr als die Hälfte der Kapital- und Stimmrechte hält. Tochtergesellschaften können entweder die gesamte Wertschöpfungskette umfassen, oder eine spezialisierte Wertschöpfung aufweisen, z.B. FuE- / Vertriebs-Tochtergesellschaften. Vorteile
Nachteile
Unmittelbare und eigenständige Präsenz
Staatlicher Einfluss/ Verbot durch Investitionsbestimmungen
Hohe Unabhängigkeit, Durchsetzung eigener Strategien und Konzepte möglich, Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten
Hohe Risiken in instabilen Ländern (Verstaatlichung, Umstürze)
Einbindung in Unternehmung, einheitliches Auftreten
Investition ist schwer umkehrbar, geringe Flexibilität im Portfolio der Auslandsgesellschaften
Wissensfluss und –transfer innerhalb der Unternehmung, Begrenzung externer Wissensabfluss eher möglich
Sehr hoher Zeit- und Ressourcenaufwand
Marktmacht kann weltweit erhöht werden Ansiedlung meist durch Subventionen gefördert Darstellung 8: Vor- und Nachteile von Tochtergesellschaften
Die Vorteile der Greenfield-Investitionen liegen in der besseren Kontrolle durch das Mutterunternehmen hinsichtlich der Unternehmenskultur und Strategieumsetzung. Bei Brownfield-Investitionen sind Economies of Speed, Scope und Scale, d.h. schnellere Marktdurchdringung mit zusätzlichen und ähnlichen Ressourcen die entscheidenden Vorteile. Im Gegensatz zu einer Neugründung wird bei Übernahmen sofort Cash Flow generiert, durch den die Übernahme teilweise finanziert wird. Mit Übernahmen können auch schwer aufzubauende komplementäre Ressourcen erworben werden.
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Fallstudien am BIEM CEIP bei internationalen deutschen Biotechnologieunternehmen (Best Practice) haben ergeben, dass in der Biotechnologie insbesondere der direkte Export die dominierende Marktbearbeitungsform ist. Der Export wird durch ein eigenes Vertriebsteam oder durch Distributeure vermittelt. In wenigen Fällen konnten auch Produktionsniederlassungen in den Zielmärkte sowie Produktions- und FuEKooperationen beobachtet werden. Aus dem breiten Spektrum der möglichen Markteintritts- und Marktbearbeitungsformen scheint in der Branche nur ein Ausschnitt praktikabel zu sein. Wenn es nach der Länderauswahl zur Entscheidung zwischen verschiedenen Marktbearbeitungsformen kommt, setzen die Unternehmen verschiedene Investitionsrechenverfahren ein. Dieser Schritt ist insbesondere wichtig, wenn das Auslandsengagement längerfristigen Charakter hat, da die Marktbearbeitungsform die Zahlungsströme des Kapitalwertes im weiteren Sinne bestimmt. In die Investitionsrechnung können weiterhin das Timing des Markteintrittes, die Marktbearbeitungsstrategie, Enteignungsrisiken bei Direktinvestitionen, Wechselkurse, Zölle, Abgaben und unterschiedliche Steuersätze einbezogen werden (vgl. Berndt et al., 2002, 127 f.). Eng mit den Markeintritts- und Marktbearbeitungsstrategien assoziiert sind die Konfigurationsstrategien, die im nächsten Abschnitt beschrieben werden 2.1.4 Strategien zur geographische Verteilung der Wertkettenaktivitäten Bei der sogenannten Konfigurationsstrategie handelt es sich um die Strategie des Unternehmens hinsichtlich der Lokalisation von Wertkettenaktivitäten in bestimmten Zielmärkten. Die Wertkette ist in Darstellung 9 aufgeführt. Diese Strategien sind teilweise in der Marktbearbeitungsstrategie impliziert. Wenn beispielsweise ein Unternehmen eine Vertriebsniederlassung in einem Zielmarkt etabliert, so ist dort mindestens die Primäraktivität Vertrieb sowie evtl. auch die Aktivitäten Marketing und Kundendienst etabliert. Wenn ein Unternehmen im Zielmarkt eine Produktionsniederlassung aufbaut, können z.B. die operativen Funktionen (Produktion), Eingangs- und Ausgangslogistik sowie Sekundäraktivitäten in dem entsprechenden Markt lokalisiert sein. Die Gesamtheit der geographischen Verteilung wird demnach als Konfigurationsstrategie bezeichnet.
148
Michael Nolting
Darstellung 9: Die Wertkette nach Porter (Porter, 1989, 62)
Die Konfigurationsstrategien beruhen häufig auch auf emergenten Entwicklungen, z.B. durch die Akquise von Unternehmen in bestimmten Zielmärkten. Wenn die bereits vorhandenen Wertkettenaktivitäten des neuen Tochterunternehmens erhalten bleiben kann sich das Muster der Wertkettenaktivitäten in diesem Zielmarkt gravierend ändern. Die Konfigurationsstrategien können sich in zwei grundlegende Strategien unterscheiden lassen: die geographische Streuung (Dezentralisierung) und die Konzentration (Zentralisierung) von Wertschöpfungsaktivitäten. Bei einer vollkommenen Konzentrationsstrategie sind alle Wertschöpfungsaktivitäten an einem Ort gebündelt. Dies ist meist der Stammsitz. Im Gegensatz dazu ist bei einer vollkommenen Dezentralisierungsstrategie in jedem Zielmarkt die komplette Wertkette etabliert. Diese beiden Strategien sind als Extrempunkte eines Kontinuums zu verstehen, die in der Praxis kaum angewendet werden. In Darstellung 10 sind die Vorteile der beiden Strategien am Beispiel FuE dargestellt.
Internationalisierung von jungen High-Tech KMU
149
Zentralisierungsstrategie
Dezentralisierungsstrategie
Kritischen Masse, bei FuE schwierig auf verschiedene Einheiten zu konzentrieren Economies of Scale: erlauben gerade kleineren Unternehmen nur die Zentralisierungsstrategie Economies of Scope: Verbundeffekte in FuE, wenn an einem Ort konzentriert Erleichterte Koordination von FuE Vereinfachte Organisation Bessere Führbarkeit durch face-to-faceKontakt Leichtere Information und Kommunikation (Vermeidung von Kultur- und Sprachproblemen) Beschleunigung von Projekten durch geringere Abstimmungsnotwendigkeiten Vermeidung von Doppelarbeiten Geringere Verzettelung, bessere Kontrolle der FuE-Projekte Weniger dysfunktionale Konflikte zwischen Forschern und Entwicklern an unterschiedlichen Standorten Weitgehend einheitliche FuE-Kultur möglich Leichtere Geheimhaltung Erleichterung des Wissenstransfers
Zugang zu knappen Produktionsfaktoren, z.B. Forschungspersonal, VC etc. Ausnutzen von Kostenunterschieden bei den Produktionsfaktoren Erhöhung der FuE-Geschwindigkeit durch Arbeitsteilung Risikostreuung Nutzung komplementärer Ressourcen, Kompetenzen und Fähigkeiten Umgehen rechtlicher Restriktionen oder Regulierungen Vorbeugung protektionistischer Maßnahmen in Gastländern Bessere Akzeptanz von Technologien in den Gastländern Leichtere Anpassung von Technologien an lokale Märkte Sicherung des Marktzugangs, Erfüllung staatlicher Auflagen Einklinken in Netzwerke Horchposten in Lead Märkten, Lernen in innovativen Umfeldern Nähe zu wissenschaftlichen Einrichtungen Bessere Abstimmung mit lokaler Produktion und lokalem Vertrieb Größere Anerkennung im Gastland
Darstellung 10: Spezifische Vorteile von Zentralisierungs- und Dezentralisierungsstrategie am Beispiel FuE (in Anlehnung an: Kutschker et al., 2006, 947 ff.)
Eine häufige Strategie ist es jedoch, die vorgelagerten Primäraktivitäten, d.h. die interne Logistik und die operativen Funktionen, stärker zu konzentrieren sowie die nachgelagerten Primäraktivitäten, d.h. Marketing, Verkauf und Kundendienst, zu dezentralisieren. Diese Strategie wird als Mischstrategie bezeichnet (vgl. Kutschker et al., 2006, 970 ff.).
150
Michael Nolting und Guido Reger
Die Geschwindigkeit, mit denen ein Unternehmen seine Internationalisierung angeht ist ein weiteres Entscheidungsfeld. Die Optionen sollen im nächsten Abschnitt erläutert werden. 2.1.5 Strategien zur Geschwindigkeit der geographischen Ausbreitung der internationalen Aktivitäten Ebenso wie bei den Konfigurationsstrategien können für die Timingstrategien zwei idealtypische Extremausprägungen beschrieben werden. Die Wasserfallstrategie zeichnet sich durch einen sukzessiven Eintritt des Unternehmens in Zielmärkte, wobei immer nur ein Zielmarkt in einem bestimmten Zeitraum adressiert wird. Die Anzahl der bearbeiteten Zielmärkte wird so kontinuierlich ausgebaut. Diese Vorgehensweise wird als Teilaspekt in der Prozesstheorie der Internationalisierung beschrieben (vgl. Kapitel 1.1). Die Vor- und Nachteile dieser Strategie sind in Darstellung 11 dargestellt. Vorteile Zeitlich versetzter Bedarf an Ressourcen (Kapital und Management), insbesondere für KMU wichtig Kalkulatorischer Ausgleich kann geschaffen werden, d.h. frühe Eroberungen finanzieren spätere mit Günstige Bedingungen für den Eintritt in die einzelnen Ländermärkte können abgewartet werden Lebenszyklus von Technologien und Produkten kann verlängert werden Früh eroberte Ländermärkte können als Referenz wirken (Akzeptanzerhöhung) oder als Brückenköpfe dienen
Nachteile Möglicherweise verspäteter Markteintritt in einzelne Märkte (bei länderübergreifenden Bedürfnissen, bei Transparenz und bei kurzen PLZ) Fehlender Überraschungseffekt und Frühwarnung von Wettbewerbern Vorschnelle Fehleinschätzungen durch Extrapolation der Erfahrungen von früh eroberten Ländermärkten
Internationalisierung von jungen High-Tech KMU
Vorteile
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Nachteile
Risiko des Scheiterns ist begrenzt, da rechtzeitig Stopp-Entscheidungen getroffen werden können Unternehmen kann von Markteintritten lernen Länderspezifisches Auftreten ist möglich Darstellung 11: Vor- und Nachteile der Wasserfallstrategie(in Anlehung an: Kutschker et al., 2006, 964 ff.)
Bei der Sprinklerstrategie hingegen werden die Zielmärkte simultan oder innerhalb eines kurzen Zeitraums akquiriert. Diese Vorgehensweise wird von dem Born-GlobalAnsatz als wesentliches Unterscheidungskriterium zwischen stufenartig internationalisierenden Unternehmen sowie früh und schnell internationalisierenden Unternehmen angeführt. Die Vor- und Nachteile dieser Strategie sind in Darstellung 12 dargestellt.
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Michael Nolting
Vorteile Früher Markteintritt in einzelne Märkte, vor allem für Produkte mit kurzen PLZ, bei länderübergreifend ähnlichen Bedürfnissen und bei starker länderübergreifender Transparenz First-Mover-Vorteile sind möglich Schnelle Amortisation der Fixkosten, insbesondere bei hohen Entwicklungs- oder Produktionsfixkosten Konsumenten und Wettbewerber können überrascht werden
Nachteile Management-, Organisations- und Koordinationsprobleme, z.B. Verteilung der Ressourcen Hoher Ressourcenbedarf Unangepasstes Auftreten in den einzelnen Ländermärkten, Standardisierung wo Differenzierung evtl. besser wäre Kein kalkulatorischer Ausgleich und die Verlängerung von PLZ Hohes Floprisiko
Imagegewinn Bestimmte Auslandsmärkte werden wieder verlassen (DeInternationalisierung), dadurch entstehen sunk costs und Imageverluste Es gibt kaum Möglichkeiten des Wissenstransfers Darstellung 12: Vor- und Nachteile der Sprinklerstrategie (in Anlehnung an: Kutschker et al., 2006, 966 ff.)
Auch bei den Timingstrategien gibt es eine Mischstrategie, die als kombinierte Wasserfall-Sprinkler-Strategie bezeichnet wird. In der Regel wird sie angewendet, um in Cluster ähnlicher Länder, wie beispielweise Skandinavien, Benelux oder Südostasien, gleichzeitig einzutreten (vgl. Kutschker et al., 2006, 963). Nachdem in den vorangegangenen Abschnitten die wichtigsten Internationalisierungsstrategien beschrieben wurden, soll im folgenden Abschnitt der Ablauf der
Internationalisierung von jungen High-Tech KMU
153
Internationalisierung in der Praxis deutscher Biotechnologieunternehmen dargestellt werden. Ϯ͘2
Internationalisierungsmuster von deutschen Dienstleistungs-KMU in der roten Biotechnologie
Das Internationalisierungsverhalten der KMU kann in sechs Muster untergliedert werden (vgl. Darstellung 13 und 14): Echte Born Globals, Born Global Exporter, Late Global Exporter, Appendices, Stuck International und Stufenartig Internationalisierende Unternehmen. Bei allen Internationalisierungsmustern außer den „Echten Born Globals“ ist die einzige Marktbearbeitungsform der Export, wobei sich vier Exportformen unterscheiden lassen. Die Unternehmen haben Vertriebsteams, die im Heimatmarkt stationiert waren oder Vertriebsniederlassungen in den Zielmärkten oder nutzen Intermediäre (Distributeure). Die vierte Möglichkeit ist der indirekte Export durch einen globalen Intermediär. Durch Distributeure wird in den meisten Fällen die kulturelle und geographische Entfernung überwunden und kulturell entfernte Märkte werden vergleichsweise früh erschlossen.
154
Michael Nolting
Gruppe 2 $
P04 P07
P13 $
P02 P37 P26 P31
$
P02 P26 P31
P08 $
P20
$
P04 P07 P08
Gruppe 5
$
P03 P03 P32 P34 $
$
$
P22
$
P15 P17
$
P30 P30 P33 P33
P14
P09 P09 P12 $
P06
Gruppe 3
Gruppe 1 $
P32 P34
P15 P17
P18 P11 P18 P11
Gruppe 4
Gruppe 6 $
P01 P35 P01 P35
P10 P16 P23 P25 P36 P10 P23 P36 P16 P12 P25
Darstellung 13: Internationalisierungsmuster bei Dienstleistungs-KMU der roten Biotechnologie Gruppe
Anzahl
Geschwindigkeit
Ausdehnung
1. Echte Born Globals
5
Sehr früh international, hohe Geschwindigkeit der Ausdehnung
2. Born Global Exporter
6
Sehr früh in- Interkontinental aktiv ternational, hohe Geschwindigkeit der Ausbreitung
Interkontinental aktiv
Ausmaß
Verhalten
Marktbearbeitungsform mit hohem Ressourcentransfer in das Gastland (FDI, M&A)
Proaktiv 4/5 Unternehmen)
Zurzeit nur Export
Proaktiv und reaktiv (je 3 Unternehmen)
Internationalisierung von jungen High-Tech KMU
3. Appendices
2
4. Late Global Exporter
3
5. Stuck International
1
6. Stufen
13
Hohe Geschwindigkeit der Internationalisierung Verzögerter Start, dann schnelle Internationalisierung Sehr früh international, Internationalisierung „bleibt stecken“ Später Beginn und geringe Geschwindigkeit der Internationalisierung
International oder interkontinental aktiv Interkontinental aktiv
155
Zurzeit nur indirekter Vertrieb
Reaktiv
Zurzeit nur Export
Reaktiv
International aktiv
Zurzeit nur Export
Reaktiv
Jeder Grad der geographischen Ausdehnung vertreten
Zurzeit nur Export
Überwiegend reaktiv (10 Unternehmen)
Darstellung 14: Internationalisierungsmuster bei Dienstleistungs-KMU der roten Biotechnologien
Zu den Echten Born Globals können fünf Unternehmen gezählt werden. Dieses Muster ist neben der frühen und schnellen Internationalisierung und weltweiten geographischen Ausdehnungen auch durch den im Vergleich zu allen anderen Internationalisierungsmustern höheren Ressourceneinsatz in mindestens einem Zielmarkt gekennzeichnet. Der Beginn der Internationalisierung erfolgt bei fünf der sechs Unternehmen aktiv. Beispiel für ein Born Global Unternehmen der Biotechnologie Hintergrundinformationen Das Unternehmen war zum Zeitpunkt der Analyse ein mittleres Unternehmen mit ca. 100 Mitarbeitern und war 13 Jahre alt. Das Unternehmen ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft, war damals nicht profitabel und finanzierte sich neben Umsätzen auch über Aktien-
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emissionen. Das Leistungsspektrum war in den Bereich Drug Discovery einzuordnen, d.h. es wurde überwiegend ein Screening mit Wirkstoffen als Dienstleistung angeboten, wobei neben der Dienstleistung auch eine Produktentwicklungsstrategie (Wirkstoffentwicklung) verfolgt wurde. Die Basis der Unternehmensexistenz war eine proprietäre Technologieplattform zum Wirkstoffscreening. Die Kunden des Unternehmens waren im Wesentlichen forschend pharmazeutische Unternehmen und Biotechnologieunternehmen. Die Wettbewerbsvorteile des Unternehmens sind im Wesentlichen in der Technologieführerschaft aufgrund der Technologieplattform zu suchen. Da das Unternehmen für verschiedene Pharmaunternehmen Spezialaufgaben in der FuE übernahm, konnte es Skaleneffekte in dieser Marktnische erzielen. Die Technologieplattform war zudem ein Anlagevermögen, das nur von wenigen großen forschenden Pharmaunternehmen vorgehalten wurde. Das Internationalisierungsverhalten Die Wurzeln des Unternehmens waren bereits international. Es entstammte einem gemeinsamen Forschungsprojekt von angesehenen Forschungsinstituten aus mehreren europäischen Ländern und einem großen internationalen Pharmaunternehmen mit Hauptsitz in den USA. Die erste operative Tätigkeit des Managements war der Aufbau eines international agierenden Vertriebsteams, das seine Kunden global vom Heimatstandort in Deutschland aus besuchte. Folgerichtig war der erste Kunde des Unternehmens ein amerikanisches forschendes Pharmaunternehmen. In den ersten Jahren breitete sich das Unternehmen schnell in der EU und den USA aus, wobei die Marktbearbeitungsform der direkte Export unter Vermittlung eines von Deutschland aus global operierenden Außendienstteams war. In der EU war das Unternehmen in Skandinavien, Frankreich, Dänemark und im Vereinigten Königreich sowie in der Schweiz vertreten. 13 Jahre nach Gründung unterhielt das Unternehmen eine Vertriebsniederlassung in den USA (dem Hauptmarkt), ein europäisches Außendienstteam mit Stammsitz in Deutschland sowie kooperative Marktbearbeitungsformen in Asien (unwichtige bzw. schwer zugängliche Märkte). Die Marktbearbeitungsform war der direkte Export. Neben den Marketing- und Vertriebsaktivitäten lokalisierte das Unternehmen auch weitere Aktivitäten im Ausland. So bestanden Produktionsaktivitäten in UK, FuEKooperationen in Israel und Finnland sowie Auftragsproduktion in Russland, Estland und Indien. Zusammenfassend kann das Internationalisierungsverhalten wie folgt beschrieben werden:
Marktpräsenzstrategie: Präsenzmärkte waren alle Länder in denen große forschende Pharmazeutische Unternehmen ihren Hauptsitz hatten, Gelegenheitsmärkte waren
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weniger bedeutende oder schwer zugängliche Märkte und Abstinenzmärkte waren diejenigen, in denen keine Arzneimittelentwicklung stattfand Timingstrategie: das Unternehmen war ein früher Folger, der sich schnell internationalisierte (Sprinklerstrategie Markteintritts- und Marktbearbeitungsstrategien: Generell wurde direkter Export betrieben, wobei dieser über ein Außendienstteam (EU), über eine Vertriebsniederlassung (USA) oder über Distributeure vermittelt (Asien) wurde. Die Allokationsstrategie war eine Mischstrategie, die meisten Aktivitäten der Wertschöpfungskette blieben im Heimatmarkt lokalisiert, einige Aktivitäten fanden im Ausland statt Internationale Marketingmaßnahmen: wissenschaftliche Publikationen von Multiplikatoren, Messeauftritte, wissenschaftliche Beiträge, Sponsoring von Symposien, EMailing, Website
Die Gruppe der Born Global Exporter (sechs Unternehmen) ähnelt in ihrem Internationalisierungsmuster den Echten Born Globals. Der Unterschied liegt im geringeren Ressourcentransfer in die Zielmärkte. Das Internationalisierungsverhalten kann auch nur bei der Hälfte der Unternehmen als proaktiv bezeichnet werden. Unternehmen, welche den anderen Internationalisierungsmustern zugeordnet wurden, zeigen fast ausschließlich reaktives Verhalten. Beispiel für ein Born Global Exporter Unternehmen der Biotechnologie Hintergrundinformationen Zum Untersuchungszeitpunkt war das Kleinunternehmen (< 50 Mitarbeiter) 14 Jahre alt. Die Rechtsform war eine GmbH, die profitabel war und sich durch Umsätze finanzierte. Die wesentlichen Leistungen des Unternehmens war die Auftragssynthese von Peptiden für molekularbiologische FuE-Labore, in Industrie und Akademie. Der Wettbewerbsvorteil des Unternehmens basierte auf der Technologieführerschaft, die sich in der geschützten Technologieplattform und auf Erfahrungskurveneffekten begründete. Das Internationalisierungsverhalten Das Unternehmen war nach Gründung zunächst für zwei Jahre rein national tätig, bevor es sich etwa drei Jahre nach Gründung rasch internationalisierte. Zunächst trat es in die wichtigen Märkte Vereinigtes Königreich, Frankreich und USA ein. Im Verlauf bis zum Untersu-
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chungszeitpunkt erweiterte es seine Internationalisierungsaktivitäten kontinuierlich, wobei es 14 Jahre nach Gründung in der EU mit einem von Deutschland aus operierenden Außendienstteam, in Nordamerika mit einer Vertriebsniederlassung und in einigen südostasiatischen Ländern (Japan, Korea, Singapur, Taiwan) über Distributeure vertreten war. Die Marktbearbeitungsform war über den gesamten Zeitraum der direkte Export. Die Vertriebsniederlassung in Nordamerika wurde 10 Jahre nach Gründung etabliert, die aktive Suche nach geeigneten Distributeuren begann sieben Jahre nach Gründung. Die generelle Internationalisierung lässt sich als zunächst passiv beschreiben, geprägt durch Marketingaktivitäten wie eine mehrsprachige Website und sporadischen Besuchen ausländischer Kunden, nachdem diese Kontakt zum Unternehmen aufgenommen hatten. Nach einigen Jahren geht die Marktbearbeitung in eine aktive Form über Zusammenfassend kann das Internationalisierungsverhalten wie folgt beschrieben werden:
Marktpräsenzstrategie: Präsenzmärkte lagen in der Triade (USA, EU, JP), Gelegenheitsmärkte waren unwichtigere oder schwerer zu erreichende asiatische Märkte, alle anderen Märkte waren Abstinenzmärkte Timingstrategie: das Unternehmen war ein früher Folger, der sich in verschiedenen Etappen internationalisierte, zunächst langsam, dann schnell bis zu einer gewissen geographischen Ausdehnung, danach wieder langsam (kombinierte WasserfallSprinkler-Strategie) Markteintritts- und Marktbearbeitungsstrategien: Generell wurde direkter Export betrieben, wobei dieser über ein Außendienstteam (EU), über eine Vertriebsniederlassung (USA) oder über Distributeure vermittelt (Asien) wurde. Die Allokationsstrategie war eine Mischstrategie, wobei die Wertschöpfungskette fast ausschließlich am Heimatmarktstandort lokalisiert war, lediglich Marketing und Vertrieb wurden auch im Ausland lokalisiert (Vertriebsniederlassung Nordamerika) Internationale Marketingmaßnahmen: Roadshows, Messeauftritte, E-Mailing, mehrsprachige Website
Die Late Global Exporter (zwei Unternehmen) beginnen ihre Internationalisierung deutlich später als die Born Global Exporter, jedoch verläuft sie ebenfalls schnell und die geographische Ausdehnung ist ebenfalls weltweit.
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Beispiel für ein Late Global Exporter Unternehmen der Biotechnologie Hintergrundinformationen Zum Untersuchungszeitpunkt war das Kleinunternehmen (< 50 Mitarbeiter) 10 Jahre alt. Die Rechtsform war eine GmbH, die nicht profitabel war und sich durch eine Mischung aus Risikokapitel, staatliche Förderung und Umsätzen finanzierte. Die wesentlichen Leistungen des Unternehmens waren Dienstleistungen im Bereich Drug Discovery, wobei die Kunden große, forschende Pharmaunternehmen waren. Der Wettbewerbsvorteil des Unternehmens basierte im Wesentlichen auf der proprietären Technologieplattform. Da das Unternehmen Spezialaufgaben in der pharmazeutischen FuE übernahm konnte es in diesem Bereich Skaleneffekte erzielen. Ebenso stellte die Plattform ein Anlagevermögen dar, das nur von wenigen Pharmaunternehmen vorgehalten werden konnte. Das Internationalisierungsverhalten Das Unternehmen verfolgte bis fünf Jahre nach Gründung keinerlei Aktivitäten im Bereich des internationalen Marketings, da es keine marktfähige Leistung anzubieten hatte. Dieser fünfjährigen FuE-Phase folgte eine verhaltene Marketingphase, wobei das internationale Marketing passiv auf Kundenanfragen durch einen Business Development Manager erfolgte, wobei dieser temporäre Auslandsreisen unternahm. Mit Verbrauch des Risikokapitals und der Fördermittel neun Jahre nach Gründung stand das Unternehmen zum Verkauf und wurde von einem internationalen Biotechnologieunternehmen übernommen, welches das Management austauschte. Zu den ersten Aufgaben des neuen Managements gehörten insbesondere die Definition der Leistungen und die Etablierung eines funktionierenden Vertriebund Marketingsystems, vor allem durch die Akquise eines Außendienstes. Der erste Kunde des Unternehmens war ein amerikanisches Pharmaunternehmen. Die Internationalisierung erhöhte sich durch das neue Management sprungartig. Dazu trugen die neue Strategie, aber auch die etablierten Kontakte des neuen Managers bei. Zum Zeitpunkt der Untersuchung 10 Jahre nach Gründung, d.h. innerhalb eines Jahres, war das Unternehmen in der Triade (USA, EU, JP) sowie in einigen anderen asiatischen Ländern aktiv. Die größten Märkte waren dabei die USA und das Vereinigte Königreich. Seine Auslandsmärkte bedient das Unternehmen generell über direkten Export. Zusammenfassend kann das Internationalisierungsverhalten wie folgt beschrieben werden: Marktpräsenzstrategie: Präsenzmärkte lagen in den USA und in der EU, Gelegenheitsmärkte waren asiatische Märkte inkl. Japan, alle anderen Märkte waren Abstinenzmärkte
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Timingstrategie: das Unternehmen war ein Pionier, der sich in verschiedenen Etappen internationalisierte, zunächst mehrere Jahre (FuE-Phase) ohne Internationalisierung, dann zögerliche Internationalisierung, mit Wechsel des Managements sprungartige Internationalisierung (verzögerte Sprinkler-Strategie) Markteintritts- und Marktbearbeitungsstrategien: Generell wurde direkter Export betrieben, wobei dieser über Außendienstteams in der EU und der USA oder über Distributeure vermittelt (Asien) wurde. Gelegentlich kamen auch sogenannte Co-MarketingAgreements zum Einsatz Die Allokationsstrategie war bis 9 Jahre nach Gründung eine Zentralisierungsstrategie, danach eine Mischstrategie, wobei die Wertschöpfungskette fast ausschließlich am Heimatmarktstandort lokalisiert war, lediglich Marketing und Vertrieb wurden auch im Ausland lokalisiert (Vertriebsniederlassung Nordamerika) Internationale Marketingmaßnahmen: wissenschaftliche Publikationen von Multiplikatoren, Messeauftritte, mehrsprachige Website, Anzeigen in Fachzeitschriften, Broschüren
Die Appendices (drei Unternehmen) unterscheiden sich von allen anderen Internationalisierungsmustern durch die Nutzung des indirekten Exports. Die anderen Dimensionen des Internationalisierungsmusters richten sich nach den Charakteristika der inländischen Handelsmittler, bei denen es sich um größere, weltweit aktive Biotechnologieunternehmen handelt. Beispiel für ein Appendix Unternehmen der Biotechnologie Hintergrundinformationen Der Appendix war zum Zeitpunkt der Analyse neun Jahre alt und beschäftigte 25 Mitarbeiter. Die Rechtsform war eine GmbH, deren Leistungen in Produkten für die Proteinexpression und in Expressionsdienstleistungen lagen. Die Leistungen basierten auf einer proprietären Technologieplattform, in der das Unternehmen eine frühe Folger-Position aufwies. Das Unternehmen war profitabel und finanzierte sich überwiegend aus Umsätzen, obwohl Fördergelder eine große Bedeutung für das Unternehmen hatten. Seine Produkte stellte das Unternehmen exklusiv als OEM für ein großes international aktives Biotechnologieunternehmen her. Die Kunden des Vertriebspartners sind Labore der molekularbiologischen Grundlagenforschung in Akademie und Industrie.
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Das Internationalisierungsverhalten Die Internationalisierung des Unternehmens begann 7 Jahre nach Gründung, wobei die Produkte etwa 5 Jahre nach Gründung Marktreife erlangt hatten. Dabei erzwang das Ende der staatlichen Förderung das Unternehmen seine Leistungen aktiv anzubieten. Die Internationalisierung wurde begonnen indem ein großer Partner für den internationalen Vertrieb der Produkte gesucht und gefunden wurde. Die Ursachen für diese Vorgehensweise liegen im Ressourcenmangel, der einen internationalen Auftritt des Unternehmens verhinderte. Der Partner besaß bereits etablierte Vertriebskanäle in mehr als 80 Zielmärkte, daher wurden die Produkte des Unternehmens mit Eintritt in die Partnerschaft schlagartig global vertrieben. Die Expressionsdienstleistungen versuchte das Unternehmen durch eigene Aktivitäten international anzubieten, was zum Zeitpunkt der Untersuchung noch nicht gelungen war. Genutzt wurden hier Auftritte auf Messen und Tagungen Zusammenfassend kann das Internationalisierungsverhalten wie folgt beschrieben werden:
Marktpräsenzstrategie: die Strategie lag außerhalb des Einflusses des Unternehmens und wurde durch den Vertriebspartner bestimmt Timingstrategie: das Unternehmen war ein früher Folger, der zunächst mehrere Jahre (FuE-Phase) international inaktiv war und sich dann indirekt schlagartig global ausbreitete (analog zu Late-Global-Verhalten) Markteintritts- und Marktbearbeitungsstrategien: das Unternehmen betrieb nur indirekten Export, d.h. es verkaufte seine Leistungen an einen (inländischen) Handelsmittler, für die Dienstleistung war direkter Export geplant Die Allokationsstrategie war eine Zentralisierungsstrategie. Internationale Marketingmaßnahmen: keine, bzw. Auftritte auf Messen und Tagungen für Dienstleistungen
Als Stuck International kann ein Unternehmen bezeichnet werden. Es beginnt früh mit der Internationalisierung, friert seine weitere Internationalisierung jedoch bald ein.
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Beispiel eines Stuck International Unternehmens der Biotechnologie Hintergrundinformationen Zurzeit der Analyse war die GmbH ein Kleinunternehmen (< 50 Mitarbeiter) und 10 Jahre alt. Die Eigentümer waren Privatpersonen und Risikokapitalgeber. Die Gewinnschwelle war noch nicht erreicht, demzufolge finanzierte sich das Unternehmen hauptsächlich über Risikokapital und Fördergelder, aber auch über Umsätze. Die Basistechnologie des Unternehmens war proprietär und wurde in erster Linie für die Entwicklung eigener Produkte (Arzneimittel und Medizinprodukte) verwendet. Um Cash Flow zu generieren bot das Unternehmen auch Dienstleistungen an, die ebenfalls auf dieser Technologie basierten. Das Unternehmen konnte als früher Folger identifiziert werden. Da das Unternehmen Spezialaufgaben in der pharmazeutischen FuE übernahm konnte es in diesem Bereich Skaleneffekte erzielen. Ebenso stellte die Plattform ein Anlagevermögen dar, das nur von wenigen Pharmaunternehmen vorgehalten werden konnte. Das Internationalisierungsverhalten Das Unternehmen war bereits mit Gründung international, da der Geschäftsführer als weltweit anerkannte Koryphäe in seinem Fachbereich bereits zahlreiche internationale Kontakte zu potenziellen Kunden etabliert hatte. Die Kunden des Unternehmens waren große globale Pharmaunternehmen. Trotz der Kontakte verlief die weitere Internationalisierung schrittweise bis zu einer gewissen Ausdehnung, die zum Zeitpunkt der Untersuchungen bereits mehrere Jahre konstant blieb. Die Begründung für dieses Verhalten lag in den Zielen des Managements, das den Geschäftsfokus im Aufbau einer eigenen Produktpalette sah. Die Dienstleistungen konkurrierten dabei mit den Kapazitäten für die Produktentwicklung, so dass ein weiterer Anstieg bei den Dienstleistungen eine Verlangsamung der FuE-Aktivitäten zur Folge gehabt hätte. Alternativ hätten Erweiterungsinvestitionen in erheblichem Umfang getätigt werden müssen. Das Unternehmen war daher nur in einigen entwickelten Ländern aktiv: USA, UK, F, CH. Die Marketingmaßnahmen waren dementsprechend zurückhaltend und beschränkten sich auf Tagungen, wissenschaftlichen Publikationen und die dadurch generierten Kundenanfragen. In manchen Zielmärkten wurden auch Broker eingesetzt, die Kontakte zu Kunden herstellten. Zusammenfassend kann das Internationalisierungsverhalten wie folgt beschrieben werden:
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Marktpräsenzstrategie: Präsenzmärkte lagen in den USA und einigen europäischen Ländern, alle anderen Märkte waren Abstinenzmärkte Timingstrategie: das Unternehmen war ein früher Folger, der sich mit Gründung kontinuierlich bis zu einem spezifischen Stadium internationalisierte (geblockte WasserfallStrategie) Markteintritts- und Marktbearbeitungsstrategien: die Dienstleistungen wurden entweder durch Import des Leistungsobjektes vertrieben oder lagen in der Vermietung der Kapazitäten an ausländische Forschungsteams. Die Allokationsstrategie war eine Zentralisierungsstrategie. Internationale Marketingmaßnahmen: sehr gering / passiv, Teilnahme an und Organisation von internationalen Fachtagungen, Nutzung von persönlichen Kontakten
Das bei den befragten Unternehmen am häufigsten vertretene Internationalisierungsmuster ist jedoch eine stufenartige Internationalisierung (13 Unternehmen), die signifikant von den inkrementellen Mustern der Prozesstheorie nach Johanson und Vahlne (1977; 1990) abweicht. Das stufenartige Vorgehen bezieht sich dabei im Wesentlichen auf die geographische Ausdehnung, wobei nur bei vier Unternehmen die kulturelle Distanz bei der Internationalisierung eine Rolle spielt. Ein stufenartig internationalisierendes Unternehmen Hintergrundinformationen Zum Untersuchungszeitpunkt war das Kleinunternehmen (< 50 Mitarbeiter) 10 Jahre alt. Die Rechtsform war eine GmbH, die profitabel war und sich durch Umsätze finanzierte. Die wesentlichen Leistungen des Unternehmens war die Auftragssynthese von Nukleinsäuren (Oligonukleotide) für molekularbiologische FuE-Labore, in Industrie und Akademie sowie für medizinische Einrichtungen. Das Unternehmen besaß keine nennenswerte proprietäre Technologie. Der Wettbewerbsvorteil des Unternehmens basierte stattdessen auf der hohen Qualität der Dienstleistungen. Das Internationalisierungsverhalten Das Unternehmen war nach Gründung zunächst für sechs Jahre rein national tätig. Der geringe Umsatz der zu dieser Zeit im Ausland generiert wurde, stammte von Aufträgen durch Kundenanfragen. Nach Akkumulation von Ressourcen wechselte das Unternehmen in eine aktive Internationalisierung, in dem es in Zielmärkten mit Distributeuren Verträge abschloss,
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Direktmailings durchführte, an internationalen Konferenzen und Messen teilnahm sowie Verkäufer einstellte. Nach Beginn der Internationalisierung lief diese zunächst in kleinen Schritten ab, erhöhte sich nach einigen Jahren jedoch sprunghaft. Zum Zeitpunkt der Untersuchung war das Unternehmen in 56 Ländern aktiv, zu denen jedoch nicht die USA gehörte, da das Unternehmen aufgrund ungünstiger Wechselkursverhältnisse zur Aufgabe der Aktivität gezwungen wurde. Es bezog 40 % des Umsatzes aus dem Ausland. In Nord- und Mitteleuropa sowie im arabischen Raum war das Unternehmen durch von Deutschland aus reisende Verkäufer vertreten, in Südeuropa und Asien nutzte es Distributeure. In den Zielmärkten waren keinerlei Wertkettenaktivitäten lokalisiert. Zusammenfassend kann das Internationalisierungsverhalten wie folgt beschrieben werden: Marktpräsenzstrategie: Präsenzmärkte lagen in der Nord- und Mitteleuropa sowie im arabischen Raum, Gelegenheitsmärkte waren unwichtigere oder schwerer zu erreichende asiatische Märkte, die südeuropäischen Märkte und die USA, alle anderen Märkte waren Abstinenzmärkte Timingstrategie: das Unternehmen war ein später Folger, der sich in verschiedenen Etappen internationalisierte, zunächst nicht, dann langsam, dann schnell (verzögerte, kombinierte Wasserfall-Sprinkler-Strategie) Markteintritts- und Marktbearbeitungsstrategien: Generell wurde direkter Export betrieben, wobei dieser über ein Außendienstteam (EU und Arabien) oder über Distributeure (Asien und Südeuropa) vermittelt wurde. Die Allokationsstrategie war eine Zentralisierungsstrategie. Internationale Marketingmaßnahmen: Auftritte auf Messen und Konferenzen, E-Mailing, mehrsprachige Website, telefonische Kaltakquise
Die wichtigsten Auslandsmärkte der analysierten Unternehmen sind in Darstellung 15 dargestellt.
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Darstellung 15: Wichtigste Auslandsmärkte für deutsche Dienstleistungs-KMU der DLrBT
In der Establishment Chain ist der Export über eine Vertriebsniederlassung die höchste erreichte Marktbearbeitungsform. Ein stufenartig erhöhter Ressourcentransfer im Sinne der Establishment Chain kann nicht festgestellt werden. Der wichtigste Grund für die zum Untersuchungszeitpunkt beobachtete internationale Ausdehnung sind emergente Entwicklungen (20 Nennungen). Das sind z.B. Anfragen von Kunden oder Distributeuren, die oft nach unspezifischen internationalen Marketingaktionen auf die Unternehmen zugehen. Aus diesen zufälligen Kontakten ergeben sich weitere Geschäftsbeziehungen. Nicht weniger bedeutend für die Ausdehnung sind Markt- und Branchenstrukturen (18 Nennungen). Der globale Nischencharakter der B2B-Märkte in der roten Biotechnologie zwingt die Unternehmen, ihre internationale Präsenz nach der globalen Lokalisation ihrer Kunden auszurichten. Viele Unternehmen entscheiden anhand der Marktattraktivität (18 Nennungen) über den Markteintritt, wobei in erster Linie die Marktgröße und die dort herrschende Wettbewerbsintensität als Indikatoren dienen. Auch Preisstrukturen bzw. mögliche Gewinnspannen sind relevante Kriterien für den Markteintritt.
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Eine weitere Ursache ist die Existenz von internationalen Netzwerken (15 Nennungen), die oft aus der wissenschaftlichen Tätigkeit der Geschäftsführer aus der Vorgründungsphase stammen. Einige Unternehmen erwerben Netzwerke, z.B. durch Fusionen oder Übernahmen. Weniger eindeutig fallen die Gründe für die internationale Marktbearbeitungsform aus. Die augenfälligste Gemeinsamkeit liegt in der Wahl des Exports als dominierende Marktbearbeitungsform. Aus den Fallstudien ergibt sich keine Erklärung für das Verhalten. Mögliche Gründe werden in der Diskussion erörtert. Für die Auswahl der Form des direkten Exports (heimatmarktbasiertes Vertriebsteam, Verkaufsbüro oder Distributeur) lassen sich verschiedene Ursachen finden, ökonomische Überlegungen stehen im Vordergrund (17 Nennungen). So richtet sich die Exportform häufig nach der Größe des Zielmarktes, nach der kulturellen Entfernung und nach der Existenz von Netzwerken im Zielmarkt. Wichtige Märkte werden bevorzugt über ein eigenes Vertriebsteam erschlossen, das im Zielmarkt stationiert ist. Dies gilt insbesondere für die USA. Das Umsatzpotenzial definiert dabei, ob der Einsatz eines zielmarktständigen Vertriebsteams rentabel ist. Falls dies nicht der Fall ist, wählen die Unternehmen Vertriebsteams, die vom Heimatstandort des Unternehmens aus überregional operieren oder Distributeure. Letztere werden gewählt, wenn die Markterschließung zu aufwändig erscheint, insbesondere bei geographisch oder kulturell entfernten Märkten, wie z.B. asiatischen Märkten. Produkt- bzw. Dienstleistungscharakteristika determinieren manchmal (neun Nennungen) die Wahl der Marktbearbeitungsform. Bei den Produkten und Dienstleistungen der roten Biotechnologie handelt es sich in der Regel um stark erklärungsbedürftige Leistungen, die nur durch den direkten Kontakt zwischen Anbieter und Nachfrager vertrieben werden können. Daher kommt der persönliche Verkauf, d.h. Export über Vertriebsteams oder Distributeure bevorzugt zum Einsatz. Auch die klassischen Dienstleistungscharakteristika hatten bei fünf Unternehmen4 einen Einfluss auf die
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Aus der Beschaffenheit der Dienstleistungen wurde bei neun Unternehmen ein Einfluss der Dienstleistungscharakteristika vermutet, jedoch nur durch Interviews bei drei Unternehmen bestätigt. Die Vermutung leitete sich aus der Dienstleistungsbeschreibung ab. Die meisten Dienstleistungen sind überwiegend tangibel und werden an Objekten verrichtet, so dass diese wie Handelsware exportiert werden können. Interessanterweise ergab sich aus zwei weiteren Interviews ein nicht vorhergesagter Einfluss der Dienstleistungscharakteristika. Generell sind die klassischen Charakteristika schwer zu operationalisieren. Lediglich die Intangibilität sowie die Untrennbarkeit von Produktion und Konsum konnten für eine Vorhersage des Einflusses verwendet werden.
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Marktbearbeitungsform. Das Charakteristikum der Untrennbarkeit fordert Direktinvestitionen in Produktionsstätten vor Ort oder kooperative Marktbearbeitungsformen, z.B. bei der Qualitätssicherung von Produktionsprozessen. Bei etwa der Hälfte der Unternehmen (16 Nennungen) hat die Ressourcenausstattung einen Einfluss auf den Verlauf der Internationalisierung, sie bestimmt dabei für einige Unternehmen (sechs Nennungen) die Wahl der Marktbearbeitungsform. Die Internationalisierung erfolgt hier umsatzfinanziert. Wenn Ressourcen fehlen oder stark begrenzt sind, werden Marktbearbeitungsformen gewählt, bei denen kaum eigenen Ressourcen eingesetzt werden müssen. Das ist z.B. beim indirekten Export der Appendices der Fall oder bei Unternehmen, die lediglich in Reaktion auf Kundenanfragen exportieren. Die internationale Marktbearbeitungsform kann sich dabei ändern, wenn ein Ressourceneintrag erfolgt. So wechseln zwei Unternehmen vom sporadischen Export zum aktiven Export, als das Vertriebsteam durch Fusion vom Partnerunternehmen eingebracht wird. Die vorangegangenen Ergebnisse zeigen Ursachen für generelle Rahmenbedingungen der Internationalisierung auf, erklären jedoch nicht die unterschiedlichen Internationalisierungsmuster. Die folgenden Aspekte erklären spezifische Internationalisierungsmuster. Bei den Echten Born Globals und bei den Born Global Exporter tritt je ein Fall auf, bei dem die frühe und schnelle internationale Ausdehnung teilweise auf die Kopplung an einen international aktiven Plattformtechnologieanbieter zurückzuführen ist. Bei drei stufenartig internationalisierenden Unternehmen und dem Stuck International liegt die Ursache für die langsame internationale Ausdehnung in ausgelasteten Kapazitäten. Die Unternehmen beschränken sich zunächst auf den Heimatmarkt bzw. auf die Reaktion auf Anfragen internationaler Kunden. Erst als die Auslastung der Kapazitäten zu sinken beginnt, sehen sich die Unternehmen genötigt, die Internationalisierung systematischer voranzutreiben. Die Untersuchung bezieht eine Analyse der interne Bedingungen (Eigentümerstruktur, Besonderheiten der Technologie, Schutzrechte und die Finanzierung) ein. Die Annahme, dass Unternehmen deren Gesellschafter Wagniskapitalgeber sind, eine frühere und schnellere Internationalisierung aufweisen als Unternehmen, die vollständig in
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Privatbesitz sind, kann nur bedingt bestätigt werden. Der Anteil der Wagniskapitalgeber ist bei Echte Born Globals und Born Global Exporter ebenso hoch wie bei den stufenartig internationalisierenden Unternehmen. Andererseits sind Unternehmen, die langsam internationalisieren, zu mehr als der Hälfte vollständig in Privatbesitz, während das bei schnell internationalisierenden Unternehmen nur bei vier von 11 Unternehmen zutrifft. Weiterhin sind unter den fünf Echten Born Globals vier Pioniere und ein früher Folger sowie unter den sechs Born Global Exporter vier Pioniere und ein früher Folger. Im Kontrast dazu Im Kontrast dazu finden sich unter den 13 stufenartig internationalisierenden Unternehmen nur drei Pioniere und ein früher Folger. Dementsprechend sind neun Unternehmen in diesem Internationalisierungsmuster späte Folger. Es ist nicht überraschend, dass neun von 12 Pionieren, aber nur zwei von 11 späten Folgern Schutzrechte an Technologien besitzen, die eine signifikante Relevanz für die Geschäftstätigkeit des jeweiligen Unternehmens haben.
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Ausblick und Limitierungen der Untersuchungen
In weiteren Untersuchungen werden die Erkenntnisse aus der vorliegenden Arbeit vertieft werden. Die spezifischen Handlungsalternativen, die sich aus dem relativen Gründungszeitpunkt für Neugründungen in der Biotechnologie ergeben, sollten genauer herausgearbeitet werden. Managementcharakteristika treten als Determinanten des Internationalisierungsverhaltens in den Vordergrund und bedürfen einer genaueren Analyse, da ähnliche interne und externe Determinanten zu völlig unterschiedlichem Internationalisierungsverhalten führen können. Die Unternehmen aus dieser Analyse beschränken sich überwiegend auf den direkten Export. Eine interessante Forschungsfrage ist daher, ob es sich bei diesem Phänomen um einen Endzustand oder um eine Entwicklungsstufe handelt. Vergleiche mit Unternehmen der weitaus reiferen Branche in den USA können hier neue Erkenntnisse bringen. Wenn es sich um einen Endzustand handelt, ist interessant herauszufinden, was die Ursachen für diese Marktbearbeitungsform sind. Eine Annahme ist, dass die Größe der globalen Nische bzw. die Größe des Gastlandmarktes im Verhältnis zur notwendigen kritischen Masse der Organisation sowie die Produktcharakteristika (insbesondere die Erklärungsbedürftigkeit der Produkte) die Marktbearbeitungsform
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vorgeben. Daher könnte der Export die bevorzugte Marktbearbeitungsform für die Zielmärkte der Biotechnologieunternehmen sein. Weitere Untersuchungen können zum Ziel haben, für verschiedene Kombinationen an Determinanten spezifische Managementempfehlungen zu entwickeln. Ebenso sollten in einem nächsten Schritt Managementempfehlungen für spezifische Geschäftsfelder der DLrBT entwickelt werden. Die Ergebnisse der Untersuchungen sind in ihrer Gültigkeit auf die deutsche Biotechnologiebranche beschränkt. Aufgrund der geringen Grundgesamtheit ist eine Quantifizierung nicht möglich, es könnte jedoch geprüft werden, ob ein quantitatives Forschungsdesign auf Basis der europäischen Biotechnologiebranche sinnvoll ist. Weiterhin könnte versucht werden, die Ergebnisse auf verwandte, wissensintensive Branchen, wie die Pharmaindustrie, die chemische Industrie und die Medizinprodukteindustrie durch ein quantitatives Forschungsdesign zu übertragen.
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Das Biotechnologiecluster in Singapur Michael Nolting und Guido Reger
Inhaltsverzeichnis 1
Hintergrundinformationen zu Singapur ..................................................................... 174 1.ϭ Die wirtschaftliche Entwicklung Singapurs........................................................... 174 1.Ϯ Das Economic Development Board (EDB) ............................................................ 178
2
Der Zweck der Forschungsreise.................................................................................. 180 2.1 Methodisches Vorgehen ...................................................................................... 181 2.2 Ergebnisse der Fallstudien .................................................................................... 182 2.2.1 Die Biotechnologie in Asien ............................................................................... 182 2.2.2 China .................................................................................................................. 183 2.2.3 Indien ................................................................................................................. 184 2.2.4 Malaysia ............................................................................................................ 18 4 2.2.5 Thailand ............................................................................................................. 18 5 2.3 Die Biotechnologiebranche in Singapur ............................................................... 185 2.3.1 Wichtige Institutionen ....................................................................................... 185 2.3.2 Rahmenbedingungen ........................................................................................ 189 2.3.3 Strategien der Regierung zur Förderung der Biotechnologiebranche .............. 194 2.3.4 Unterstützungsmaßnahmen der Regierung ...................................................... 197 2.3 Geschäftsmöglichkeiten in Singapur .................................................................... 200
3
Zusammenfassung und Handlungsempfehlungen ..................................................... 206
Literaturverzeichnis .......................................................................................................... ...... 210
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1
Michael Nolting und Guido Reger
Hintergrundinformationen zu Singapur
Der Biotechnologiecluster in Singapur gilt als einer der am schnellsten wachsenden Cluster dieser Art weltweit. Den Akteuren des Clusters ist es innerhalb kürzester Zeit (etwa seit dem Jahre 2000 bis heute) gelungen, verschiedene international renommierte biomedizinische Forschungsinstitute aufzubauen und diese mit internationalen Spitzenfachkräften zu besetzen. Mehrere der großen multinationalen Pharmaunternehmen sind im Cluster vertreten und betreiben verschiedene Aktivitäten, wie Vertrieb, Produktion sowie Forschung und Entwicklung. Im Dezember 2007 und 2008 wurden im Rahmen des Projektes „New Market Intelligence – Identifizieren und Evaluieren von Auslandsmärkten in der roten Biotechnologie“ zwei Forschungsreisen nach Singapur durchgeführt. Mit der Reise sollte die Situation der Biotechnologiebranche in Singapur über Primärforschung, hauptsächlich über Interviews, nichtteilnehmende Beobachtung und Dokumentenanalyse, ermittelt werden. Der Bericht ist wie folgt gegliedert: Zunächst werden einige Hintergrundinformationen zu Singapur gegeben, insbesondere zur wirtschaftlichen Entwicklung sowie zu den zentralen staatlichen Institutionen. Danach werden die Forschungsleitfragen einmal kurz erläutert und auf die Methodik der Datenerhebung und Datenauswertung eingegangen. Die Ergebnisse stellen zunächst die Situation und Marktstruktur der Biotechnologiebranche in Asien dar, bevor auf die Situation in Singapur, insbesondere auf die Rahmenbedingungen sowie auf die Strategien und operativen Maßnahmen der singapurischen Regierung, eingegangen wird. Abschließend werden generelle Geschäftsmöglichkeiten und Markteintrittsbarrieren für deutsche Biotechnologieunternehmen erläutert. In diesem Abschnitt wird zunächst die wirtschaftliche Entwicklung Singapurs erläutert, bevor die für die Wirtschaft zentralen staatlichen Institutionen beschrieben werden. 1.ϭ
Die wirtschaftliche Entwicklung Singapurs
Die Entwicklung Singapurs ist eng mit dem Britischen Imperium verbunden. Singapur wurde 1819 von Großbritannien als Handelsstützpunkt gegründet, dessen Funktion die Versorgung und Sicherung der britischen Flotte war. Die Briten betrieben in Sin-
ĂƐŝŽƚĞĐŚŶŽůŽŐŝĞĐůƵƐƚĞƌŝŶ^ŝŶŐĂƉƵƌϭ75
gapur eine Freihandelspolitik, wodurch sich Geschäftsleute aus der ganzen Welt niederließen. Die Bedeutung von Singapur als Handelszentrum wuchs in den darauffolgenden Jahren stetig an und führte zu einem starken Bevölkerungswachstum (1824: ca. 10000 Einwohner, 1881: ca. 173000 Einwohner, 2008: 4,6 Mill. Einwohner). Im Zweiten Weltkrieg wurde Singapur durch die japanische Armee erobert und nach dem Krieg an die Briten zurückgegeben. Ein Referendum von 1962 führte zur Entlassung Singapurs aus dem Vereinten Königreich und zur Bildung einer Föderation mit Staaten, die heute in Malaysia vereint sind. Nach schweren Unruhen in Singapur im Jahre 1965 wurde Singapur aus der Föderation ausgeschlossen und am 09. August 1965 von Malaysia als eigenständiger Stadtstaat anerkannt (vgl. www.visitsinga pore.com, 2007). Durch diese Statusänderung verlor die Stadt ihr Hinterland und damit ihre Rohstoffversorgung und ihre Märkte. Der nun von Ressourcenknappheit und Massenarbeitslosigkeit bedrohte Stadtstaat, konnte sich trotz der schlechten Startbedingungen in den folgenden Jahren vom Niveau eines Entwicklungslandes zu einem der weltweit erfolgreichsten Ökonomien entwickeln, deren Bruttoinlandsprodukt dem der westeuropäischen Staaten entspricht (siehe Darstellung 1).
Darstellung 1: Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes pro Kopf ausgewählter Staaten (IMF, 2008, 4)
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Michael Nolting und Guido Reger
Der Erfolg der singapurischen Ökonomie basiert auf der konsequenten Nutzung von Chancen, welche die Weltwirtschaft bietet. Ausländische Investitionen werden durch ein pragmatisches Management des Stadtstaates, durch proaktive Strukturreformen und durch unternehmerfreundliche Rahmenbedingungen angezogen (vgl. IMF, 2008). Weitere wirtschaftsfördernde Bedingungen sind geringe Inflation und geringe Korruption. Singapurs Ökonomie ist im starken Maße exportabhängig und daher empfindlich gegenüber globalen Rezessionen. Exportiert werden vor allem Elektronikartikel und IT-Produkte. Das reale durchschnittliche Wirtschaftswachstum betrug zwischen 2004 und 2007 7 %. Treibende Faktoren für diese Entwicklung sind steuerliche Anreize, eine rasante Zunahme des Exports, interne Flexibilität und geringe Zinsen (vgl. CIA, 2008b). Einige ökonomische Kennzahlen sind im Vergleich zu Deutschland in Darstellung 2 aufgeführt. Indikator
Singapur (2007)
Deutschland (2007)
BSP (KKP)
USD 227,1 Mrd.
USD 2,807 Bill.
BSP pro Kopf (KKP) BSP Wachstum
USD 49900 7,7 %
USD 34100 2,5 %
Anteil Bildungsausgaben am BSP
3,7 %
4,6 %
Inflationsrate
2,1 %
2,3 %
Arbeitslosenquote Industrielle Produktion Wachstum
2,1 % 7,4 %
9 % (10,8 %) 5,2 %
Darstellung 2: Ökonomische Kennziffern – Singapur und Deutschland (CIA, 2008b; a)
Coface (2007) gibt Singapur die bestmögliche Bewertung hinsichtlich des Länderrisikos. Insbesondere heben die Autoren das gute Zahlungsverhalten von Geschäftspartnern sowie die gute Staatsführung mit effizientem Justizwesen und hoher Transparenz bei finanziellen Angelegenheiten hervor. Weitere Erfolgsfaktoren der singapurischen Wirtschaftspolitik sind deren Offenheit und Planungsgrad sowie die große internationale Offenheit im internationalen Handel ohne tarifäre und nicht-tarifäre Handelshemmnisse (vgl. Coface, 2007, 330).
Das Biotechnologiecluster in Singapur
177
Darstellung 3 zeigt eine SWOT-Analyse der singapurischen Wirtschaft. Stärken
Schwächen
Unternehmerfreundliches Umfeld
kleiner Binnenmarkt
Technische und soziale Infrastruktur
Abhängigkeit von der Weltwirtschaft
Leistungsfähige, korruptionsfreie
Hohe Lohnkosten
Verwaltung
Fachkräftemangel
Politische Stabilität
Abhängigkeit von Wanderarbeitern
Verlässliches Rechtssystem
Arbeitslosigkeit bei Geringqualifizier-
Solide öffentliche Finanzen Diversifizierungsstrategie (Branchen)
ten Keine Rohstoffe
Hohe Qualität der Leistungen Chancen
Bedrohungen
Investitionen in Hochtechnologien
Überalterung der Bevölkerung
Wachstum in Boombranchen und
Abwanderung von arbeitsintensiven
Clusterbildung, z.B. Biotechnologie und Photovoltaik Brückenkopf für ausländische Aktivi-
Branchen Risiken bei der Rohstoffversorgung Einbruch des Immobilienmarktes
täten in Südostasien Freihandelswirtschaft Darstellung 3: SWOT-Analyse der singapurischen Wirtschaft und Wirtschaftspolitik (vgl. Coface, 2007, 330; bfai, 2008, 5)
Ein Ziel der Wirtschaftsplanung der singapurischen Regierung ist die Entwicklung von Branchen, in denen ein hoher Mehrwert erzeugt wird (insbesondere der Bereich Finanzdienstleistungen sowie die Chemie-/Pharmabranche) sowie die Etablierung Singapurs als regionale Plattform für ausländische Investoren und als Hochtechnologiecluster in Südostasien. Es sollen neue Wachstumsfelder erschlossen und die Branchenstruktur des Stadtstaates weiter diversifiziert werden. Singapur konnte bedeutende Investitionen in der Pharmazeutischen Industrie und in der Medizinprodukteindustrie anziehen. Die Schlüsselorganisation für die erfolgreiche Wirtschaftspolitik
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Michael Nolting und Guido Reger
ist das Economic Development Board (EDB), das für die Entwicklung und Förderung von Investitionen in Singapur verantwortlich ist (vgl. Coface, 2007, 330; CIA, 2008b, 8). Die Struktur und Funktion des EDB soll im folgenden Abschnitt erläutert werden. 1.Ϯ
Das Economic Development Board (EDB)
Das EDB ist eine Regierungsbehörde, die dem Verteidigungsministerium unterstellt ist und welche die ökonomische Zukunft des Stadtstaates steuern soll. Das Ziel des EDB ist, Singapur als führenden Knoten des internationalen Geschäfts zu etablieren sowie internationale Investitionen und Talente anzuziehen. Dadurch sollen ein nachhaltiges Wachstum des Bruttoinlandsproduktes und Arbeitsplätze geschaffen werden. Um dieses Ziel zu erreichen, verfolgt das EDB diverse Strategien und führt entsprechende Maßnahmen durch: Ausländische Investitionen anziehen: Jede Form der Unterstützung von Investoren bei der Ansiedlung von Wertkettenaktivitäten gewähren, Existierende Branchen weiterentwickeln und neue Wachstumsfelder identifizieren, Geschäftliches Umfeld verbessern: Zusammenarbeit mit anderen Regierungsbehörden, um bei Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen kosteneffizient bleiben, Stärkere Vernetzung mit der Weltwirtschaft, Früherkennung betreiben: Analyse entstehender Märkte, Technologien und globaler Entwicklungen und dadurch Wachstumsfelder identifizieren (zurzeit Stadtentwicklung, Lösungen für eine alternde Weltbevölkerung und LifestyleProdukte). Das EDB wurde 1961 gegründet. Zu dieser Zeit hatte Singapur schlechte Startbedingungen. Es befand sich auf dem Niveau eines Entwicklungslandes mit wenig Industrie und Massenarbeitslosigkeit. Die Strategie war daher zunächst arbeitsintensive Branchen, wie Spielzeugindustrie und Textilindustrie, anzuziehen, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Singapur konnte aber auch kapitalintensive Branchen, wie erdölverarbeitende Industrie und Stahlindustrie ansiedeln. Es gelang in den 1970er Jahren das Problem der Massenarbeitslosigkeit zu besiegen. Das EDB begann in den 1960er Jah-
Das Biotechnologiecluster in Singapur
179
ren, Büros im Ausland zu eröffnen, um Singapur als idealen Investitionsstandort zu präsentieren und Unternehmen von Investitionen in Singapur zu überzeugen. Einen Überblick über die weltweiten Büros des EDB ist in Darstellung 4 aufgeführt.
Darstellung 4: Standorte der Repräsentanzen der EDB (vgl. SEDB, 2008, 34)
Im Laufe der Zeit wurde die Industriebasis verbreitert und anspruchsvollere Branchen, wie die Computerindustrie, angesiedelt. Diversifizierung und Export verbesserten sich. In den 1970er Jahren begannen MNU, neben der Produktion, auch FuE in Singapur zu betreiben. Singapur begegnete dabei dem auftretenden Problem des Fachkräftemangels mit der Gründung von Ausbildungszentren, die meist in Kooperation mit Unternehmen etabliert wurden. Ebenfalls wurden Technologieinstitute in Zusammenarbeit mit ausländischen Instituten aus Japan, Deutschland und Frankreich gegründet. Diese bildeten ebenfalls Singapurer für den Arbeitsmarkt aus. Die wissensintensiven Aktivitäten wie FuE, Ingenieurwesen und Programmierung verstärkten sich in den 1980er Jahren. Es wurden zunehmend Wissenschaftsparks gegründet. Ziel der Regierung war die Reduktion der arbeitsintensiven Branchen zugunsten von Hochtechnologiebranchen. Die EDB identifizierte Wachstumsbranchen und versuchte, gezielt Unternehmen dieser Branchen in Singapur anzusiedeln. Auch lokale KMU wurden erstmals gefördert. In den 1990er Jahren verbreiterte sich die Technologiebasis
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Michael Nolting und Guido Reger
weiter. Das EDB fokussierte sich zunehmend auf die Schlüsselbranchen Chemie, Elektronikindustrie und Maschinenbau. Die Entwicklung der Biotechnologie und der Medizintechnologie begann in diesem Jahrzehnt. In den letzten Jahren verstärkte das EDB seine Bemühungen, nachhaltig FuE zu etablieren. Dazu sollte der Anteil des BIP für Forschung von damals 2,25 % auf 3 % steigen, was inzwischen gelungen ist. Um eine Informationsgesellschaft zu etablieren, musste das IP-Schutzrecht verbessert werden, es gehört mittlerweile zu den besten in Asien. Zurzeit sind in Singapur etwa 26000 Unternehmen aktiv, wovon 7000 ausländische MNU sind, von denen wiederum etwa 60 % Singapur als ihren asiatischen Hauptsitz gewählt haben. 2
Der Zweck der Forschungsreise
Die Entwicklung des Biotechnologiecluster in Singapur gilt als sehr erfolgreiches Beispiel der Etablierung einer Biotechnologiebranche. Im Zentrum des Interesses stand daher die Historie der Entwicklung von ca. 2000 bis heute (2007/2008). Es sollte ermittelt werden, welches Ziel die singapurische Regierung mit der Etablierung der Branche verfolgt, welche Strategien und operativen Maßnahmen gewählt sowie welche Rahmenbedingungen gesetzt werden. Ziel der Untersuchung war weiterhin, die Strategien und Maßnahmen zu bewerten und Handlungsempfehlungen für die Entwicklung der Biotechnologiecluster in Deutschland abzuleiten. Der zweite Interessenschwerpunkt lag in der direkten Unterstützung der deutschen Biotechnologieunternehmen bei der Internationalisierung ihrer Aktivitäten nach Singapur. Damit Unternehmen geeignete Maßnahmen für ihre Internationalisierung nach Singapur oder Südostasien ergreifen können, wurde die Struktur der südostasiatischen Biotechnologiebranche untersucht und Akteure der Branche nach Geschäftsmöglichkeiten, nach Anforderungen an deutsche Partner, nach Markteintrittsbarrieren sowie zu absehbaren Entwicklungen in der singapurischen Biotechnologiebranche befragt. In den nächsten Abschnitten soll zunächst kurz auf die Methodik der Untersuchung und dann ausführlich auf die Ergebnisse der Untersuchung eingegangen werden.
Das Biotechnologiecluster in Singapur
2.1
181
Methodisches Vorgehen
Für die Untersuchung wurde der multiple Fallstudienansatz nach Yin (2003) gewählt. Um die Fälle auszuwählen, wurden Akteursgruppen der Biotechnologiebranche definiert und jeweils mehrere Vertreter der entsprechenden Gruppe um Teilnahme an der Untersuchung gebeten. In Darstellung 5 sind die Akteursgruppen und die Anzahl der Fälle aufgeführt. Akteursgruppe
Anz. Fälle
Interviewpartner
Regierungsbehörden: EDB, A*STAR
1
Assistentin der GF (A*STAR)
Universitäten
1
Lehrstuhlinhaber
Inkubatoren
1
Forschungsinstitute des BRMC
1
Verschiedene Funktionen Arbeitsgruppenleiter
Verbände und Organisationen von Bio- 1 technologieunternehmen
Geschäftsführer
Dedizierte Biotechnologieunternehmen
5
Geschäftsführer; Leiter Marketing
Distributeure Globale Pharmaunternehmen
2 -
Geschäftsführer -
Risikokapitalgeber
-
-
Darstellung 5: Akteursgruppen und Interviewpartner im Überblick
Insgesamt gingen 12 Fälle in die multiple Fallstudie ein. Die Zusage eines Vertreters der Globalen Pharmaindustrie wurde kurzfristig zurückgezogen und von den privaten Risikokapitalgebern war kein Vertreter zu einer Teilnahme bereit. Die Datenquellen waren an erster Stelle halbstrukturierte Interviews und weiterhin vielfältige Dokumente (einschlägige Websites, Branchennewsletter, Geschäftsberichte, Regierungsdokumente, Dokumente internationaler Organisationen). Durch die Wahl verschiedenster Datenquellen konnte eine Datentriangulation erreicht werden (vgl. Yin, 2003, 97 ff.). Die Inhalte der Interviews wurden nach Transkription einer computergestützten qualitativen Inhaltsanalyse mit Hilfe der Software Atlas.ti unter-
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Michael Nolting und Guido Reger
zogen und in Kurzform nach bestimmten Codes tabellarisch aufgelistet. Die Inhalte der Dokumente wurden exzerpiert.
2.2
Ergebnisse der Fallstudien
Die Ergebnisse der Fallstudien sollen Unternehmen und Institutionen der deutschen Biotechnologiebranche einen Überblick über die Situation in Asien und in Singapur geben. Sie sind im Wesentlichen als Zusammenfassung der Einschätzung von wichtigen Akteuren des singapurischen Biotechnologieclusters zu verstehen. Zunächst wird die Biotechnologiebranche in Asien näher beleuchtet und Informationen zu Marktstrukturen gegeben. Im zweiten Teil wird speziell auf die Biotechnologiebranche in Singapur eingegangen, wobei Marktstrukturen, Rahmenbedingungen und Unterstützung durch die Regierung thematisiert wird. Zum Schluss werden konkrete Geschäftsmöglichkeiten und Markteintrittsbarrieren in die singapurische Biotechnologiebranche erläutert. 2.2.1 Die Biotechnologie in Asien Zum Zeitpunkt der Untersuchung ist die Biotechnologiebranche in Asien noch nicht besonders stark ausgeprägt. Neben Singapur gibt es insbesondere in Südkorea, Japan und beginnend in Indien Aktivitäten in der Biotechnologie. Nach Meinung der Interviewpartner ist die Entwicklung der Branche mindestens 10 Jahre hinter der Situation in den USA zurück, wobei sich die asiatischen Länder in unterschiedliche Stadien befinden. In Südostasien (Asia-Pacific) betreiben neben Singapur auch Malaysia, Thailand, Vietnam und die Philippinen Aktivitäten in der Biotechnologie, wobei diese gerade erst mit der Entwicklung ihrer Biotechnologiebranche begonnen haben. Die Förderung in den einzelnen Ländern ist dementsprechend z.T. noch rudimentär. Es wird insbesondere die grüne Biotechnologie, das Veterinärwesen und die maritime Biotechnologie gefördert, da die Länder überwiegend agrarisch geprägt sind. Die rote Biotechnologie (Humanmedizin) spielt in Südostasien zurzeit noch eine untergeordnete Rolle. Beispielsweise werden molekulardiagnostische Leistungen bisher kaum nachgefragt. Ein Treiber für die zukünftige Entwicklung der roten Biotechnologie könnte jedoch die Zunahme der Nachfrage nach Medikamenten westlichen Standards sein. Offenbar gibt es trotz des geringen Lebensstandards größere Bevölke-
Das Biotechnologiecluster in Singapur
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rungsgruppen, die bereit sind, solche Medikamente privat zu zahlen. Südostasien hat daher bei den Life Science Produkten zurzeit nur einen geschätzten Weltmarktanteil im einstelligen Prozentbereich (eine Zahl von 4 % wurde genannt). Aufgrund dieses geringen Anteils lag die Region bis vor kurzem nicht im Fokus der internationalen Biotechnologieunternehmen und es war bis vor wenigen Jahren kaum möglich, Life Science Produkte zu erwerben. Lieferschwierigkeiten sind gegenwärtig immer noch vorhanden. Entsprechend der Marktlage waren die Preise für Life Science Produkte sehr hoch, gewöhnlich höher als in den USA und Europa. Es hat jedoch mit der zunehmenden Ubiquität der Produkte und dem zunehmenden Wettbewerb einen Preisverfall gegeben. Momentan sind die Preise für Life Science Produkte in den weniger entwickelten Ländern, wie Malaysia und Indonesien, deutlich höher als im hochentwickelten Singapur. Im Bereich der Medizinprodukte ist die Situation umgekehrt. Zu den Preisunterschieden innerhalb Südostasiens trägt auch eine unterschiedliche Besteuerung bei. Momentan ist eine weitere Zunahme der Wettbewerbsintensität zu beobachten. Biotechnologieunternehmen in Asien befassen sich überwiegend mit der Produktion. Eine Ursache dafür könnte sein, dass Asien traditionell Kernkompetenzen in der Produktion erworben hat. Klassische Biotechnologieunternehmen im westlichen Verständnis, d.h. Unternehmen, die einer Finanzierung durch Risikokapital die Entwicklung eines Therapeutikums vorantreiben, sind bisher in Südostasien kaum zu finden. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Investorbasis in noch juvenil ist. Die wenigen vorhandenen VC-Gesellschaften mit ihren zu geringen Volumina scheuen vor der Investition in Biotechnologieunternehmen zurück. Der Zeithorizont der asiatischen VC-Gesellschaften liegt bei 2-4 Jahren, was mit Investitionszyklen in der Biotechnologie von 12-15 Jahren nicht vereinbar ist. Im Folgenden soll kurz die Situation in einzelnen asiatischen Ländern vorgestellt werden. 2.2.2 China China fokussiert sich auf die Entwicklung einer eigenen Biotechnologiebranche. Es gibt derzeit einige Aktivitäten in diesem Bereich. Für die Interviewpartner war es jedoch schwer einschätzbar, welche konkreten Entwicklungen stattfinden. Ein großer Teil der Doktoranden in den Universitäten und Biotechnologischen Instituten stammt
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Michael Nolting und Guido Reger
aus China (eine Zahl von 80% wurde genannt). Das lässt vermuten, dass China die Entwicklung einer eigenen Fachkräftebasis intensiv vorantreibt. Daher ist zu vermuten, dass in Kürze die Aktivitäten in der Biotechnologie stark ansteigen werden. China ist es beispielsweise gelungen, die asiatische Forschungszentrale von GlaxoSmithKline in Shanghai anzusiedeln. Dies scheint für GSK jedoch nicht unproblematisch zu sein, da die hohen Lebenshaltungskosten den Rekrutierungserfolg bei Fachpersonal und Expatriats vermindern. Scheinbar lassen zudem große internationale Biotechnologieunternehmen ihre Produkte zunehmend in China herstellen. Als Beispiel wurden Geräte für die molekularbiologische Forschung genannt (Zentrifugen). Momentan haben die Life-Science-Produkte aus China jedoch offensichtlich noch eine geringe Qualität. 2.2.3 Indien Indien ist schon seit mehreren Jahren ein großer Hersteller von Generika, daher ist zu vermuten, dass insbesondere die Herstellung von Biogenerika für den internationalen Markt bedeutend sein wird. Förderlich ist hier, dass bereits eine Infrastruktur für derartige Aktivitäten besteht. Für ausländische Biotechnologieunternehmen ist Indien jedoch noch ein schwieriges geschäftliches Umfeld. Wesentliche Punkte hierfür sind die geringe Zahlungsmoral und die Struktur der Branche. Es gibt relativ wenige Biotechnologiestandorte, die sich in großer räumlicher Entfernung befinden, wobei die Verkehrsinfrastruktur überwiegend schlecht ausgebaut ist. In der Konsequenz liegen für Außendienst- und Kundendienstmitarbeiter oft mehrere Tage Reisezeit zwischen zwei Kundenbesuchen. Eine effektive Bearbeitung des Marktes wird dadurch verhindert. 2.2.4 Malaysia Die zukünftige Entwicklung der Biotechnologiebranche ist selbst für Akteure in Singapur schwer einzuschätzen. Beeindruckt von den Erfolgen in Singapur begann die Unterstützung der Biotechnologie durch die Regierung erst vor kurzem. Gefördert werden wohl Aktivitäten in der grünen Biotechnologie, insbesondere PflanzenEngeneering und die Produktion von Biokraftstoffen. Lediglich in Penang gibt es einige wenige Biotechnologieunternehmen aus der roten Biotechnologie, die sich mit der Arzneimittelentwicklung (Präklinik) und mit der Auftragsproduktion von Therapeutika befassen. Dementsprechend ist Malaysia ein sehr kleiner Markt für Biotechnologieprodukte. Möglicherweise ist das Land als Produktionsstandort geeignet, da Fachkräf-
Das Biotechnologiecluster in Singapur
185
te offensichtlich schon vorhanden sind (es gibt eine große Universität in Kuala Lumpur) und die Lohnkosten im Vergleich zu Singapur sehr niedrig sind (etwa 30% bei technischem Personal). Zudem werden derzeit Fachkräfte insbesondere aus Osteuropa massiv abgeworben. Ein weiterer Vorteil von Malaysia ist das britische Steuersystem. 2.2.5 Thailand Wie in Malaysia gibt es in Thailand kaum Forschungsförderung. Es ist daher für Biotechnologieunternehmen noch kein relevanter Markt. Das Lohnniveau für Fachpersonal ist noch geringer und beträgt etwa ein Zehntel des singapurischen Lohnniveaus. Da Thailand eine große Population hat, ist es jedoch ein großer Markt für Medizinprodukte. Aus diesen Ergebnissen geht hervor, dass die singapurische Strategie, als Brückenkopf im asiatischen Raum zu fungieren, für die Biotechnologiebranche nicht zu verwirklichen ist. Im Umkreis von vielleicht 3000 km existiert kein relevanter Markt. Im nächsten Abschnitt soll nun die Situation der Biotechnologiebranche in Singapur beschrieben werden. 2.3 Die Biotechnologiebranche in Singapur Dieser Abschnitt beschreibt zunächst die wichtigsten Institutionen sowie die Rahmenbedingungen für die Biotechnologiebranche und geht dann auf die Entwicklung der Branche ein. Abschließend werden die Strategien und Förderinstrumente der singapurischen Regierung in einer SWOT-Analyse zusammengefasst und bewertet. 2.3.1 Wichtige Institutionen Zentral für die Umsetzung der Regierungsvorgaben sind das Economic Development Board und dessen nachgelagerte Institute. Es ist mit den Ressourcen für eine effektive Steuerung der Biotechnologiebranche ausgestattet: unterhält weltweit Büros, die der Branche wichtige Geschäftskontakte und Informationen vermitteln stattet Unternehmen mit Risikokapital aus
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gründet selbst Unternehmen und kauft ein erfahrenes Management ein hat die Entscheidungsgewalt über Forschungsschwerpunkte etabliert ein System, dass den Transfer aus der Grundlagenforschung in die kommerzielle Anwendung fördert Eine für die Entwicklung der Life Science Branche besonders wichtige Behörde ist die dem EDB untergeordnete A*STAR (Agency for Science, Technology and Research). Sie hat verschiedene Funktionen. Diese sind Vernetzung der öffentlichen Forschung mit der Industrie, Ausbildung der benötigten Fachkräfte, Entwicklung von intellektuellem Kapital und Beratung der Regierung in Wissenschaftsfragen. A*STAR sind zwei Forschungsorganisationen unterstellt, das Biomedical Research Council (BMRC) und das Science and Engineering Research Council (SERC). Für die Entwicklung der Biotechnologiebranche ist das BMRC relevant. Aufgabe des BMRC ist vor allem, hervorragende Forschung zu ermöglichen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden die notwendige Infrastruktur und die finanzielle Unterstützung zur Verfügung gestellt sowie die benötigten Fachkräfte ausgebildet. Das BMRC finanziert und betreibt zurzeit sieben Forschungsinstitute:
Biolnformatics Institute (BII) Bioprocessing Technology Institute (BTI) Genome Institute of Singapore (GIS) Institute of Bioengineering and Nanotechnology (IBN) Institute of Molecular and Cell Biology (IMCB) Centre for Molecular Medicine (CMM) Experimental Therapeutic Centre (ETC) (seit 2007)
Die Profile der Forschungsinstitute sollen sich in der Art ergänzen, dass die Entwicklung eines biomedizinischen Clusters forciert wird (vgl. Darstellung 6 ohne ETC).
Das Biotechnologiecluster in Singapur
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Darstellung 6: Die FuE-Kapazitäten und der Biotechnologiecluster (A*STAR, 2005)
Zusammen mit Pharma- und Biotechnologieunternehmen sind die Forschungsinstitute räumlich im Biotechnologiepark „Biopolis“ lokalisiert, der sich als „plug-and-play”Infrastruktur für die Forschung versteht. Durch die räumliche Nähe der Institute und Unternehmen soll eine Vernetzung und der Technologietransfer gefördert werden. Die Gründung von Unternehmen wird durch den staatlichen Risikokapitalfonds Bio*One unterstützt, der bis heute 1,225 Mrd. SGD investiert hat. Ohne Berücksichtigung von Kaufkraftparitäten und unter Voraussetzung eines Umrechnungskurses von 1:2 ist dies eine Investitionssumme von ca. 600 Mill. €. Von diesem Betrag wurden 110 Mill. SGD in ausländische Unternehmen investiert, das sind durchschnittlich 4,5 Mill. SGD pro Unternehmen. Weitere 100 Mill. SGD flossen in Co-Investitionen von Singapur-basierten Projekten, d.h. es handelt sich hierbei offenbar um eine Risikoteilung bei Forschungsprojekten mit industriellen Partnern, wobei sich lediglich vier Projekte den Betrag teilen. Der größte Teil der Summe, 1000 Mill. SGD, investierte Bio*One in 45 Unternehmen, die Aktivitäten in Singapur betreiben, d.h. 22 Mill. SGD pro Unternehmen. Der Bereich mit dem geringsten Investitionsvolumen ist ein
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Seedfonds, der 25 Mill. SGD in Neugründungen mit Investitionsvolumina von 250 T SDG bis 2 Mill. SGD investiert (vgl. EDB, 2008). Die National Research Foundation (NRF) ist dem Premierminister unterstellt und wurde 2006 gegründet. Sie ist für einen Fonds verantwortlich, der Forschung, Innovation und Unternehmertum mit 5 Mrd. SGD unterstützt. Weitere Aktivitäten sind Stabsaufgaben, wie die Entwicklung von Innovationsstrategien und Koordination von Forschungsaktivitäten der Regierungsbehörden. Das NRF identifiziert und fördert Forschungsgebiete, die für Singapur strategisch relevant sind und in denen Kernkompetenzen aufgebaut werden sollen. In diesen Feldern wird mittelfristig starkes Wachstum erwartet. Daher möchte Singapur hier eine globale Führungsposition einnehmen und bis 2015 86000 neue Jobs generieren. Insgesamt 1,5 Mrd. SGD wurden bisher in drei strategischen Programmen investiert, darunter auch die Biomedizinischen Wissenschaften. Die Förderung der Biomedizinischen Wissenschaften erfolgte bisher in zwei Phasen. In der ersten Phase (2000-2005) wurde eine kritische Masse in der Grundlagenforschung etabliert. So wurden beispielweise Spitzenforscher aus aller Welt in Singapur angesiedelt und auf hohem Niveau ausgestattet sowie ein nationaler Fachkräftepool etabliert. In der ersten Phase konnte der Output der Branche auf 23 Mrd. SGD vervierfacht werden. Die Branche trägt inzwischen mit ca. 5 % zum BIP bei. In Phase II, die noch bis zum Jahr 2010 läuft, werden die Investitionen kontinuierlich fortgeführt. Zusätzlich soll der Technologietransfer von der Grundlagenforschung zur Anwendung bzw. zur ökonomischen Verwertung forciert werden. Dies soll insbesondere erreicht werden, indem analog zur Entwicklung der kritischen Masse in der Grundlagenforschung eine kritische Masse in der klinischen Forschung etabliert wird. Das Budget für die zweite Phase beträgt 1,5 Mrd. SGD. Ebenfalls eine Rolle in der Entwicklung der biomedizinischen Forschungslandschaft spielt das Bildungsministerium (MoE), das über seinen Academic Research Council Mittel für die universitäre Forschung zur Verfügung stellt. Die Hauptaufgabe der universitären Forschung besteht in der Ausbildung von Fachkräften für die Wachstumsbranchen. Die für die singapurische Biotechnologiebranche wichtigen Institutionen sind in Darstellung 7 zusammenfassend aufgeführt.
Das Biotechnologiecluster in Singapur
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Darstellung 7: Wichtigste Institutionen für den Biotechnologiecluster Singapur
2.3.2 Rahmenbedingungen Die Rahmenbedingungen in Singapur für die Biotechnologiebranche sind als hervorragend zu bezeichnen. Unternehmen finden ein Steuersystem vor, welches an das britische System angelehnt und entsprechend effizient gehalten ist. Singapur ist es gelungen, den besten Schutz von intellektuellen Eigentumsrechten in Asien zu entwickeln. Der insgesamt hohen Rechtssicherheit steht jedoch eine straffe Organisation der Exekutive gegenüber. Der Regierungsstil wird von den Interviewpartnern als kontroll- und planungswütig beschrieben, der weder einen Buttom-Up-Ansatz, noch
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Michael Nolting und Guido Reger
Abweichungen von der vorgegebenen Linie, z.B. bei Forschungsschwerpunkten, toleriert. Es herrscht eine strikte Top-Down-Entscheidungskultur, deren Vorteil die schnelle Generierung und Umsetzung von Entscheidungen ist. Die Infrastruktur in Singapur ist in vielen Aspekten auf höchstem Niveau und kompatibel mit der amerikanischen und europäischen Infrastruktur. Daher können Unternehmensstrukturen der Muttergesellschaft problemlos auf Tochtergesellschaften übertragen werden („plug-and-play-Infrastruktur“), wodurch das Management sehr effektiv wird. Ein für Biotechnologieunternehmen wichtiger Aspekt der Infrastruktur, die Ausstattung mit Risikokapital, ist jedoch nur gering ausgeprägt. Investitionen in frühe Entwicklungsstadien erfolgen sehr selten und Folgeinvestitionen werden sehr restriktiv gehandhabt. Das Forschungssystem ist ebenfalls vergleichbar zu den europäischen und amerikanischen Systemen. Finanziell wird die Forschung durch das Bildungsministerium, EDB und die NRF unterstützt, wobei die Förderungen pro Kopf deutlich über denen in Europa und auch Amerika liegen (vgl. Darstellung 8).
Darstellung 8: Öffentliche Förderung in ausgewählten Staaten (USD Kaufkraftparität, pro 1 Mill. Einwohner) (Biopolis, 2007, 53)
Das Biotechnologiecluster in Singapur
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Gefördert werden nur Forschungsschwerpunkte, die von der Regierung als strategisch bedeutend angesehen werden. Dies sind fast ausschließlich biomedizinische Themen, worunter sich auch die embryonale Stammzellforschung befindet, die weltweit sehr restriktiv behandelt wird. Dadurch kann Singapur potenziell ein Alleinstellungsmerkmal in der biomedizinischen Forschung erreichen. Die Kontinuität in der Forschung ist als relativ gering anzusehen. Das äußert sich auf Planungsebene in einem relativ kurzfristigen Planungshorizont und auf der operativen Ebene in einer Hire-and-Fire-Mentalität in den Forschungsinstituten, in der Schließung ganzer Forschungsinstitute sowie in einer schnellen Anpassung der Forschungsschwerpunkte bei negativen Ergebnissen. Forschung wird dabei in erster Linie mit Hinblick auf die wirtschaftliche Verwertbarkeit der Ergebnisse gefördert. Die Förderung auf Ebene der Biotechnologieunternehmen ist trotz der hohen Forschungsförderung als gering anzusehen. Der Fokus Singapurs liegt auf der Ansiedlung von großen ausländischen MNU. Da Biotechnologieunternehmen jedoch eher klein sind und ihr Beitrag für den lokalen Arbeitsmarkt eher gering ist, befinden sich im Fördertopf für diese Unternehmen die vergleichsweise geringe Summe von 25 Millionen SGD. Ähnliches gilt auch für singapurische Existenzgründungen. Den Vorzug erhalten große, globale Pharmaunternehmen, deren Ansiedlung mit Steuererlässen und direkter finanzieller Unterstützung gefördert wird. Der Lebensstandard in Singapur ist mit dem in Europa vergleichbar. Singapur zeichnet sich durch eine attraktive Arbeitsumgebung und durch geringe Lebenshaltungskosten aus. Singapur ist mittlerweile eine wissensbasierte Ökonomie. Arbeitslosigkeit existiert im Prinzip nicht, da der britische Ansatz verfolgt wird, indem statt Sozialhilfe ein Lohnzuschuss gewährt wird. Singapurs Kultur ist kompatibel mit den westlichen Kulturen. Expatriats, die aus individualistischen Kulturen stammen, z.B. aus Westeuropa oder Amerika, kann die asiatische Top-Down-Entscheidungskultur Schwierigkeiten bereiten. Die Entwicklung und Struktur der Biotechnologiebranche in Singapur beginnt Ende der 1990er Jahre. Innerhalb weniger Jahre gelang es Singapur, von einer weitgehenden Abwesenheit der Biotechnologie zu einem sich am schnellsten entwickelnden Cluster der Biotechnologie aufzusteigen. Die Ursache für die starke Förderung der Biotechnologie durch die Regierung liegt insbesondere in den damals schon vorhan-
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denen Kooperationen mit pharmazeutischen Unternehmen und der Suche nach einem neuen ökonomischen Standbein für den Stadtstaat. Die Vision der Regierung war, Singapur zum Biopolis und dem wichtigsten biomedizinischen Wissenschaftscluster in Asien in den Bereichen Stammzellen, Biomarker und klinische Studien aufzubauen. Singapur besitzt zurzeit eine Vorreiterrolle in Asien, es zeigt das schnellste Wachstum und besitzt die höchste pro-Kopf-Förderung (vgl. Darstellung 6). In den letzten Jahren ist es Singapur gelungen, über die Breite der gesamten biomedizinischen Prozesskette, von Drug Discovery bis hin zur klinischen Forschung und Produktion, Kapazitäten auf höchstem Niveau aufzubauen. Dazu wurden auch massiv Spitzenforscher aus der ganzen Welt rekrutiert. Sie konnten durch hohe finanzielle Förderung und durch Leitungspositionen zu einer Mitarbeit am Aufbau des Biotechnologieclusters Singapur gewonnen werden. Inzwischen ist eine kritische Masse in der Stammzellforschung und in der Krebsforschung erreicht. Der Markt für Life Science Produkte befindet sich bereits in einer Reifephase, was sich anhand der Entwicklung des Käuferverhaltens und der Zuliefererstruktur erkennen lässt. Für weltweit anerkannte Produkte im Bereich Life Science existiert auch in Singapur ein ausdifferenzierter Vertriebskanal und die Käuferpräferenzen liegen nicht mehr auf dem Preis, sondern auf der Reputation der Produkte. Die Struktur der Biotechnologiebranche ist trotz der Anstrengungen der letzten Jahre noch nicht vollständig ausgereift. Der Biotechnologiecluster ist derzeit noch nicht so vielschichtig und reichhaltig wie in den USA oder Europa. Das zeigt sich unter anderem darin, dass Dienstleistungen, die zum Portfolio in anderen Clustern gehören, zurzeit teilweise noch nicht existieren, wie beispielweise die hochskalige Herstellung von rekombinanten Proteinen für den klinischen Einsatz. Auch die bis vor Kurzem schlechten Verfügbarkeit von Life Science Produkten oder in der Größenstruktur der Unternehmen kann als Indikator für einen gewissen Aufholbedarf gesehen werden. In Singapur dominieren große globale Pharmaunternehmen, die nur wenige Wertschöpfungsaktivitäten, überwiegend Vertrieb, in Singapur ansiedeln. Pharmazeutische Forschung und Entwicklung wird nur von wenigen Unternehmen betrieben. Neben diesen Unternehmen, gibt es nur wenige KMU, von denen kaum ein Unternehmen singapurischen Ursprungs ist. Dementsprechend ist die Branche in Singapur momentan noch überwiegend akademisch geprägt. Eine Änderung dieses Zustandes deutet sich jedoch an, da seit 2005 vermehrt Gründungen, u.a. als Ausgründungen multinationaler Pharmaunternehmen, stattfinden. Eine erfolgreiche Ausgründung ist z.B. die
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Gründung von MerLion Pharmaceuticals Pte Ltd als Spin-out von Glaxo-SmithKline unter Beteiligung der singapurischen Regierung. Abgesehen von diesen ungünstigen Strukturen besitzt der Cluster jedoch bereits eine Vielzahl an unterschiedlichen Institutionen der Biotechnologie, wie Zulieferer, akademische Institute und Universitätsinstitute im Bereich der Grundlagenforschung, sowie klinische Forschungslabore und CRO. Andere Zeichen für einen Rückstand des Biotechnologieclusters gegenüber Cluster in den USA ist die zurzeit gering ausgeprägte Basis an Investoren, wodurch eine Finanzierung der Biotechnologieunternehmen schwierig wird. Zu wenige VCGesellschaften investieren zu wenig Kapital und zeigen dabei einen zu kurzen Planungshorizont (2-4 Jahre). Ebenso kann der hohe Fachkräftebedarf noch nicht aus Singapur rekrutiert werden, sodass ein großer Teil der Auszubildenden in den Lebenswissenschaften derzeit noch aus dem Ausland stammt, z.B. sind 80% der Doktoranden Chinesen. Es herrscht ein Fachkräftemangel, dessen Ursachen auch in der geographischen Abgeschiedenheit und in der fehlenden wissenschaftlichen Reputation der noch jungen Forschungsinstitute liegen. Auf der Seite des Wissenschaftsoutputs ist der Biotechnologiecluster weniger effektiv als Cluster in den USA. Z.B. gelingt es noch nicht, in ausreichendem Maße Ergebnisse der Grundlagenforschung in die wirtschaftliche Verwertung zu transferieren. Dementsprechend sind die Generierung hochwertiger Patente und die Verwertung der IP-Rechte noch nicht auf dem amerikanischen oder europäischen Stand. Die singapurische Regierung unternimmt große Anstrengungen, um den Biotechnologiecluster weiter zu entwickeln. Insbesondere hervorzuheben ist hier die Risikoübernahme bei pharmazeutischen FuE-Vorhaben. Dies geschieht entweder durch Bildung eines FuE-Joint Ventures oder durch die Kooperation staatlicher Forschungseinrichtungen mit pharmazeutischen Unternehmen. Der Staat beteiligt sich finanziell und übernimmt Arbeitspakete. Weiterhin gründet die Regierung eigene Unternehmen oder stellt staatliches Risikokapital für die Gründung von Unternehmen zur Verfügung. Nachdem die Rahmenbedingungen, Struktur und Entwicklung der Biotechnologiebranche in Singapur besprochen wurde, soll nun auf die Strategie der singapurischen Regierung zur Förderung der Biotechnologiebranche eingegangen werden.
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2.3.3 Strategien der Regierung zur Förderung der Biotechnologiebranche Der Grund für die Investitionen der singapurischen Regierung in die Biotechnologiebranche liegt in dem Wunsch nach Technologiediversifizierung begründet. Mit Investitionen in Wachstumsbranchen sollen langfristig Arbeitsplätze und Rückflüsse für das BIP erreicht werden. Die Planung ist dabei kurzfristig und langfristig zugleich. Kurzfristig wird die Entwicklung über eine Meilensteinplanung gesteuert, während der Gesamtrahmen der Planung relativ langfristig ist (bis ca. 2020). Innerhalb des langfristigen Planungshorizontes erfolgen die Investitionen kontinuierlich, jedoch kann sich der Fokus kurzfristig ändern. Hinsichtlich der Biotechnologiebranche wurde zunächst eine Grundlagenforschung aufgebaut und die Rahmenbedingungen geschaffen. Aktuell (seit 2007) befindet sich der Technologietransfer von der Grundlagenforschung in wirtschaftliche Verwertung im Fokus der Förderung. Zukünftig wird Singapur stärker darauf setzen, seine bereits vorhandenen Kernkompetenzen aus anderen Branchen mit den entstehenden Kernkompetenzen in der Biomedizin zu verknüpfen. Dadurch sollen Synergien genutzt werden, z.B. können vorhandene Fähigkeiten im Maschinenbau mit Erkenntnissen aus der biomedizinischen Forschung für die Entwicklung diagnostischer Geräte kombiniert werden. Prinzipiell kann die Strategie der singapurischen Regierung beim Aufbau des Biotechnologieclusters auf folgende Phrasen verkürzt werden:
Rahmenbedingungen schaffen Klotzen statt Kleckern Auf wenige Aspekte fokussieren Schnell reagieren und rigoros durchgreifen Auf wirtschaftliche Verwertung drängen
Rahmenbedingungen schaffen Die Generierung geeigneter Rahmenbedingungen umfasst im Wesentlichen die Infrastruktur. Dieser Aspekt wurde bereits in vorangegangenen Abschnitten diskutiert. Die singapurische Regierung schafft eine Infrastruktur, die der anderen Industrieländer voll entspricht, was in Südostasien ein Alleinstellungsmerkmal ist. Für die Biotechnologiebranche wurde mit Biopolis eine Forschungsinfrastruktur geschaffen, die weltweit auf höchstem Niveau liegt. Zwei weitere wesentliche Rahmenbedingungen für
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die Biotechnologiebranche ist das Angebot an Fachkräften und der Schutz des geistigen Eigentums. Ersteres wird derzeit entwickelt, letzteres ist bereits erfolgreich umgesetzt. Klotzen statt Kleckern Wenn sich die singapurische Regierung für die Förderung eines Teilbereiches entschieden hat, werden schnell hohe Investitionen getätigt. Beispielweise übertrifft die Förderung der Biotechnologiebranche des 4,6-Millionen-Volkes mit etwa 600 Mill. USD (KKP) in 2005 die gesamte deutschen Eliteförderung (vgl. Bund-LänderVereinbarung, 2005, 2; Biopolis, 2007, 52). Ebenso großzügig geht die Regierung bei Investitionen von ausländischen Unternehmen vor, die z.T. steuerlich befreit werden. Die Etablierung der Niederlassung wird zudem zusätzlich finanziell und durch Vergünstigung bei Land und Gebäuden gefördert. Auf wenige Aspekte fokussieren Diese vergleichsweise hohen Fördersummen verteilen sich dabei auf wenige Forschungsbereiche, die als strategisch relevant gelten, insbesondere auf die Bereiche Stammzellen, Biomarker und klinische Studien. Diese müssen das Potenzial besitzen, in absehbarer Zeit relevante Rückflüsse zu generieren. Interessanterweise bevorzugt Singapur dabei Technologien, die in anderen Ländern, insbesondere in den USA bereits erfolgreich getestet wurden. Auf Ebene der Unternehmen werden fokussiert multinationale Großunternehmen angesprochen und zum Aufbau einer Produktionsoder einer FuE-Niederlassung animiert. MNU sollen möglichst ihre regionale Hauptniederlassung in Singapur ansiedeln. KMU erhalten hingegen nur eine geringe Förderung. Schnell reagieren und rigoros durchgreifen Entscheidungen werden schnell getroffen und ebenso schnell umgesetzt. Dies erfolgt in einer strikten Top-Down-Entscheidungskultur, die den Entscheidungsstrukturen von Unternehmen ähnelt. Charakteristisch für diese Kultur ist ebenfalls eine umfangreiche zentrale Planung. Die Planung und Entscheidungsfindung basiert auf Einschätzungen international zusammengesetzter Gremien aus Fachkräften, z.B. Spitzenforschern oder Mitgliedern des Topmanagements von MNU. Wichtige Indikatoren für die Bewertung des singapurischen Biotechnologieclusters sind dabei Anzahl der Firmengründungen, Wert des intellektuellen Kapitals sowie Anzahl der Publikationen
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und der Patente. Der Biotechnologiecluster wurde vor kurzem (2007) als nicht effizient genug hinsichtlich dieser Indikatoren eingeschätzt. Die Expertenrunde sah in dem nicht ausreichenden Technologietransfer von der Grundlagenforschung in die wirtschaftliche Verwertung die Ursache für die geringe Effizienz. Innerhalb eines Jahres wurde daher ein neues Institut, das Experimental Therapeutic Center (ETC), welches diesen Transfer fördern soll, beschlossen, gebaut, ausgestattet und besetzt. Eine andere typische Entscheidung ist beispielsweise die über eine weitere Finanzierung von Forschungsinstituten oder einzelnen Forschern. Dazu werden Indikatoren wie die Publikations- und Patentlisten als Erfolgsmaß angesetzt. Instituten, die ihre Meilensteine nicht erreichen oder als nicht erfolgreich genug eingeschätzt werden, wird die Finanzierung komplett entzogen, die Arbeitsverträge von wenig erfolgreichen Forschern werden nicht verlängert. Dieses Vorgehen hat nicht nur Vorteile. Die betroffenen Institute und Personen versuchen die Indikatoren zu bedienen, indem sie massiv Patente oder Publikationen geringer Qualität produzieren. Das wissenschaftliche Personal ist zudem ständig auf der Suche nach neuen Anstellungen, um einer Kündigung zu entgehen. Dadurch ist die FuE in Singapur diskontinuierlich und nicht auf ihrem maximal möglichen Niveau. Die singapurische Regierung hat aufgrund der Strukturen die Möglichkeit, aktiv in die Entwicklung der Branche einzugreifen, d.h. sie beseitigt erkannte Hemmnisse aktiv. So stellt sie Fachpersonal zur Verfügung, indem sie die Ausbildung an den Universitäten steuert und renommierte Spitzenforscher aus dem Ausland abwirbt. Sie gründet selbst Unternehmen, die sie ausstattet und besetzt. Die Regierung steuert auch die Ansiedlung der pharmazeutischen FuE, indem sie eine Risikoteilung eingeht. Auf wirtschaftliche Verwertung drängen In den vorangegangenen Abschnitten wurde der kommerzielle Fokus der singapurischen biomedizinischen FuE bereits mehrfach diskutiert. Singapur betreibt FuE nicht zur Erweiterung der Wissensbasis, sondern um seine Technologiebasis zu diversifizieren sowie um mittelfristig Rückflüsse und einen wesentlichen Beitrag der Branche zum BIP zu erhalten. Dieses Ziel findet sich auch in den konkreten Strategien wieder. Ein Beispiel für die Transferorientierung ist die Gründung des oben erwähnten Experimental Therapeutic Centre, mit dem die Lücke zwischen Grundlagenforschung und wirtschaftlicher Verwertung der Forschungsergebnisse geschlossen und der Technologietransfer damit effizienter durchgeführt werden soll. Akademische Grundlagenforschung wird dabei im Wesentlichen von den Universitätsinstituten durchgeführt,
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deren Aufgabe gleichzeitig darin besteht, wissenschaftliche Fachkräfte für die Branche auszubilden. Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln die strategische Ausrichtung der singapurischen Regierung erläutert wurde, sollen im nächsten Abschnitt konkrete Maßnahmen beispielhaft erläutert werden. 2.3.4 Unterstützungsmaßnahmen der Regierung Die wichtigste Form der Unterstützung durch die Regierung ist die direkte finanzielle oder steuerliche Förderung, die von den südostasiatischen Staaten am höchsten ausfällt. Sie besteht überwiegend aus Steuervergünstigungen bzw. Steuererlass, aus Vergünstigungen beim Erwerb von Land oder Gebäuden sowie auch direkter finanzieller Unterstützung. Die Förderung richtet sich insbesondere an ausländische Unternehmen, die eine Produktionsniederlassung in Singapur eröffnen wollen. Das EDB verwaltet die Fördermittel und verfügt prinzipiell über drei Fördertöpfe: für Unternehmen, die höchste strategische Bedeutung haben, i.d.R. multinationale Großunternehmen in einer Zukunftsbranche, für Unternehmen mittlerer Größe sowie für kleine, lokale Unternehmen. Die Fördertöpfe sind unterschiedlich stark gefüllt, im letzten Programm werden nur einige Millionen SGD verteilt. Auch die Forschung und Entwicklung wird gefördert, wobei Entwicklungskosten als Bonus auf den Cash-Flow ersetzt werden, was beispielweise bei den RISC Grants zutrifft. Eine weitere Form der FuE-Unterstützung ist die Risikoteilung bei konkreten Forschungsprojekten, die als JV aus Pharmaunternehmen und staatlichen Forschungsinstituten gegründet werden. Beide Partner übernehmen teilweise die Finanzierung und Arbeitspakete der FuE. Eine weitere Form der Förderung betrifft den Bereich der Informationsversorgung bzw. des Netzwerkens. Zentral für diese Unterstützung ist wiederum das EDB, indem es den in Singapur ansässigen Unternehmen über seine Auslandsbüros Informationen und Kontakte vermittelt.
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Die Biotechnologiebranche wird durch verschiedene Institutionen direkt gefördert. Dazu zählt die Finanzierung von Neugründungen über Bio*One (Eigenkapital) oder das BRMC (finanzielle Forschungsförderung), Neugründungen und Erstausstattung von Biotechnologieunternehmen, die persönliche Betreuung von investitionswilligen Managern, z.B. durch Hilfe bei der Auswahl eines geeigneten Standortes sowie die Bereitstellung der Infrastruktur in Biopolis. Eine besondere Herausforderung für die Biotechnologiebranche ist die Verfügbarkeit von geeigneten Fachkräften. Insbesondere durch A*STAR wird der Fachkräftemangel durch universitäre Ausbildungsprogramme und Förderung der Ausbildung in den Unternehmen beseitigt. Die Fachkräfte werden in ihrer Ausbildung speziell für eine Tätigkeit in Wirtschaftsunternehmen entwickelt. Kurse in Entrepreneurship gehören zum Standardprogramm auf jeder Stufe der Ausbildung. Zusammenfassend sind in der Darstellung 9 die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken der singapurischen Biotechnologiebranche aufgeführt: Stärken
Schwächen
Hohe Rechtsicherheit, insbesondere bei intellektuellem Eigentum Schnelle Entscheidungsfindung und effektive Umsetzung getroffener Entscheidungen Holistische und reichhaltige Ausstattung der Exekutive mit Ressourcen Exekutive leitet die Branche analog einem Wirtschaftsunternehmen Hohe Vergünstigungen für Investitionen (direkte Förderung und Steuererlass) Hohe finanzielle Förderung der Forschung Alleinstellungsmerkmal im Bereich der embryonalen Stammzellforschung Fokus auf der wirtschaftlichen Ver-
Kontroll- und Planungswut der Regierung, die nicht förderlich für Forschungsfreiheit und Innovation ist Freiheit der Forschung hat geringen Stellenwert / Abweichungen von der vorgegebenen Linie sind nicht möglich Vorteile, die einem Individualismus entspringen, können nicht genutzt werden Fehlendes Risikokapital Nur strategisch als wichtig angesehene Forschungsbereiche werden gefördert Planungshorizont der Regierung ist relativ kurzfristig, daraus resultiert geringe Kontinuität Permanente Bewertung der Forscher und Institute anhand weniger, über-
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Stärken
wertbarkeit der Forschungsergebnisse Erfolgreiche Ansiedlungspolitik bei globalen Pharmaunternehmen Kompatibilität der Infrastruktur und Kultur mit westlichen Industrienationen (Alleinstellungsmerkmal in Südostasien) Risikobeteiligung der Regierung an pharmazeutischen FuE-Vorhaben Direkte staatliche Steuerung von Engpässen z.B. Ausbildung von Fachkräften Spitzenforscher aus der ganzen Welt in führenden Positionen Vielfalt der Institutionen des biomedizinischen Forschungsclusters
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Schwächen
wiegend quantitativer Indikatoren führt zu Diskontinuität und vergleichsweise geringer Qualität des Outputs Entwicklung eigener Biotechnologieunternehmen vernachlässigt (kaum Förderungen) Fachkräftemangel aufgrund geographischer Isolation und fehlender Reputation Branchenstrukturen noch nicht ausgereift, viele typische Leistungen fehlen, ungünstige Größenstruktur der Unternehmen der Branche Stark verspäteter Entwicklungsstart Fachkräftemangel Akademische Prägung der Branche (kaum wirtschaftliche Verwertung der Forschungsergebnisse, kaum hochwertige Patente)
Chancen
Risiken
weltweite Führungsposition in den geförderten Forschungsbereichen möglich Erlöse der Biotechnologiebranche können mittelfristig die Investitionen überschreiten
erhöhtes Risiko eines Fehlschlags aufgrund der rigiden Vorgabe weniger Forschungsthemen Wesentliche Trends, die sich evolutionär entwickeln, können verpasst werden Fehlende Nachhaltigkeit der Entwicklung der Biotechnologiebranche
Darstellung 9: SWOT-Analyse des singapurischen Biotechnologieclusters
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An dieser Stelle soll die Diskussion der Vor- und Nachteile des singapurischen Biotechnologieclusters beendet werden und noch kurz auf die Chancen für deutsche Biotechnologieunternehmen in Singapur eingegangen werden. 2.3 Geschäftsmöglichkeiten in Singapur Wie bereits erwähnt, ist Singapur einer der am stärksten wachsenden Biotechnologiemärkte der Welt. Es ist daher von Interesse, welche Geschäftsmöglichkeiten sich für deutsche Biotechnologieunternehmen in Singapur ergeben. Unternehmen können in Singapur Kunden bedienen, Vorprodukte von Zulieferern erhalten sowie Kooperationen, Joint Ventures oder M&A mit Unternehmen oder Institutionen der singapurischen Biotechnologiebranche eingehen. Die generische Geschäftsbeziehung zwischen deutschen Biotechnologieunternehmen und singapurischen Akteuren der Biotechnologiebranche ist die Anbieter-KundenBeziehung, wobei deutsche Unternehmen als Anbieter auftreten. In der Darstellung 10 sind Beispiele deutscher Biotechnologieunternehmen mit ihren Vertriebskanälen in Singapur aufgelistet. Unternehmen
Vertriebskanal
Bemerkungen
Qiagen / Eppendorf
Eigene Vertriebsniederlassung
Ehemals Distributeur, der aufgekauft wurde (Research Biolabs PTE Ltd)
Miltenyi
Eigene Vertriebsniederlassung
Hatte ehemals Distributeur, baute eigenes Vertriebsteam auf
MERCK KGaA (Performance and Life Science Chemicals division)
Distributeur Vertriebsniederlassung
Name: SciMed (Asia) Pte Ltd
Mo Bi Tec
Distributeur
Name: BioGen PTE Ltd.
Macherey & Nagel
Distributeur
GeneBridges
Distributeur
Name: Biomed Diagnostics Pte Ltd Name: i-DNA Biotechnology Pte Ltd
Das Biotechnologiecluster in Singapur
Unternehmen
Vertriebskanal
Bemerkungen
IBL INTERNATIONAL Distributeur GMBH AID Diagnostika Distributeur GmbH amaxa (Lonza) Distributeur
Name: i-DNA Biotechnology Pte Ltd Name: i-DNA Biotechnology Pte Ltd Name: Research Biolabs PTE Ltd
Scienion
Name: Research Biolabs PTE Ltd
Distributeur
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Darstellung 10: Beispiele deutscher Biotechnologieunternehmen und ihre Vertriebskanäle
Diese Beispiele lassen erahnen, dass es zwei bevorzugte Wege zu den singapurischen Kunden gibt: Eine eigene Vertriebsniederlassung bzw. ein eigenes Verkaufsteam und die Geschäftsbeziehung zu einem Intermediär (Distributeur). Beide Formen der Marktbearbeitung haben Vor- und Nachteile. Der wesentliche Vorteil einer Markterschließung über einen Distributeur ist die relativ schnelle Marktdurchdringung. Die Distributeure vertreiben Produkte vieler verschiedener Unternehmen im Bereich der Life-Science-Produkte und kennen den Markt schon im Detail. Daher werden die richtigen Kunden ohne Zeitverzögerung adressiert und maximal mögliche Umsätze können schnell erreicht werden. Singapurische Distributeure behaupten auch, dass sie von Singapur aus sehr schnell in andere asiatische Märkte eindringen können, da sie bereits Verkaufsbüros oder Vertriebspartnerschaften in diesen Ländern etabliert haben. Zu den Ländern, die von Singapur einfach erschlossen werden können, gehören insbesondere Malaysia, Vietnam und Indonesien. Hier ist jedoch die Marktsituation zu beachten. Diese Länder haben derzeit kaum biotechnologische Aktivitäten, d.h. der Verkauf von Life-Science-Produkten in Südostasien wird sich weitgehend auf Singapur beschränken. Die Bevorzugung von Distributeuren gegenüber einer eigenen Niederlassung kann sehr effektiv sein. Distributeure, die mehrere Unternehmen vertreiben, können Skaleneffekte erzielen. Die Kosten für den Unterhalt der Organisation verteilen sich über mehr Produkte, so dass der Fixkostenanteil des Vertriebes pro verkauftes Produkt sinkt. Dadurch können Distributeure günstiger als eigene Vertriebsniederlassungen sein, welche nur die eigenen Produkte vertreiben. Besonders beliebt bei Distributeuren sind Produkte, die bereits etabliert sind, d.h. in den USA und in der EU eine hohe Reputation haben, die einzigartig sind, die qualitativ hochwertig sind, d.h.
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gut funktionieren und die hohe Umsätze mit möglichst wenigen Kunden versprechen. Wichtig ist ebenfalls die Problembehebungspolitik des Partners. In diesen Präferenzen liegt jedoch auch der gravierende Nachteil dieser Vertriebsform. Sie manifestiert sich in sogenannten „Hidden Intentions“ und „Hidden Actions“. Eine übliche „Hidden Intention“ der Distributeure ist es, möglichst viele Unternehmen, Marken oder Produkte im Portfolio zu halten, um dem Markt eine gewisse Bandbreite an Produkten vorzuzeigen, ohne dass wirkliches Interesse an dem Vertrieb einiger Produkte besteht. Die dazugehörige „Hidden Action“ ist die Fokussierung auf wenige Produkte, die hohe Gewinne bei geringem Aufwand versprechen. Die übrigen Produkte werden nur sehr passiv, d.h. auf Anfrage, vertrieben. Der dadurch entstehende Schaden kann für das Unternehmen groß sein. Zum einen durch verlorene Reputation, zum anderen durch entgangenen Umsatz, insbesondere wenn langfristige, exklusive Distributionsverträge abgeschlossen wurden. Hinzu kommt, dass sich einige der befragten singapurischen Akademiker über das geringe technische Verständnis der singapurischen Distributeure bzw. deren Vertriebsteam beschwerten. Unternehmen, die ein eigenes Vertriebsteam unterhalten, wie beispielweise Miltenyi, hätten eine deutlich höhere Qualität der Betreuung erreicht. Ein weiterer Nachteil dieses Vertriebskanals ist die Gefahr des Wissensabflusses. Eine „Hidden Intention“ des Partners kann auch sein, ein eigenes produzierendes Unternehmen aufzubauen, das mit analogen Produkten zu denen des ehemaligen Partners am Markt auftritt. In Singapur ist diese Gefahr jedoch als relativ gering einzuschätzen, da ein ausgezeichneter Schutz der intellektuellen Eigentumsrechte besteht. Beide Vertriebsformen sind daher sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Der zentrale ökonomische Zusammenhang bei der Auswahl des Vertriebskanals ist in der Darstellung 11 veranschaulicht.
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Darstellung 11: Schematische Darstellung der Kostenentwicklung verschiedener Vertriebsformen in Abhängigkeit von der Menge der verkauften Produkteinheiten p.a
Die Steigung der Geraden entspricht der Zunahme der variablen Kosten, die bei Distributeuren der prozentuale Anteil an der Verkaufssumme ist, wobei übliche Anteile zwischen 10% und 40% je nach Machtverteilung und Wertschöpfungsbeitrag des Distributeurs liegen. Die Fixkosten dieses Vertriebskanals sind in erster Linie Kommunikationskosten, Schulungen und Überwachung. Die Fixkosten der Vertriebsniederlassung bestehen im Wesentlichen im Unterhalt des Verkaufsbüros und den fixen Anteilen der Gehaltskosten der Mitarbeiter, während die bedeutendsten variablen Kosten die Provisionen und die Reisekosten der Vertriebsmitarbeiter sind. Der Einfachheit halber wird der Zusammenhang als linear angenommen. Die Autoren dieses Berichtes empfehlen den meisten deutschen Biotechnologieunternehmen, Distributeure für die Markterschließung Singapurs zu wählen. Die Entscheidungsvariablen sind in Darstellung 12 gegenübergestellt und erklärt.
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Distributeur bevorzugen, wenn:
Vertriebsniederlassung bevorzugen, wenn:
Erläuterungen / Situation Singapur
…der Markt klein / weniger wichtig ist
…der Markt ein Schlüsselmarkt ist
Singapur ist als kleiner Markt zu betrachten, zurzeit (2008) ist er in etwa mit dem Großraum München vergleichbar. Die angrenzenden Märkte spielen derzeit für Life-Science-Produkte eine geringe Rolle, sie sind eher bedeutende Märkte für Medizinprodukte
…ein enges Produktspektrum vorherrscht
…ein breites Produktspektrum vorherrscht
Die Breite des Produktspektrums spielt eine Rolle für die maximal mögliche Menge der verkauften Produkteinheiten p.a. (vgl. Darstellung 6)
…eine schmale Kundenbasis existiert
…eine breite Kundenbasis existiert
Eine breite Kundenbasis bei Life-ScienceProdukten liegt vor, wenn fast jedes molekularbiologisch arbeitende Labor Produkte des Unternehmens bezieht.
…mögliche Partner …keine sehr gut geeigneten Partner vorhanmit Erfahrung im den sind relevanten Marktsegment vorhanden sind, die keine Wettbewerber aber komplementäre Produkte im Portfolio halten
In Singapur scheint das Spektrum an verfügbaren Partnern eng zu sein. Eine von den Autoren durchgeführte Analyse der singapurischen Biotechnologiebranche im Jahr 2007 ergab die geringe Anzahl von 14 Distributeuren. Allerdings ist in der Branche viel Bewegung, da insbesondere die größeren Biotechnologieunternehmen Distributionsverträge aufkündigen und eigene Vertriebsniederlassungen etablieren. Dadurch entstehen Vakanzen.
Darstellung 12: Entscheidung zwischen Distributeur und eigener Vertriebsniederlassung
Die Darstellungen 11 und 12 lassen unschwer erkennen, für welche Art von Biotechnologieunternehmen welcher Distributionskanal in Singapur optimal geeignet ist. So haben Qiagen und Miltenyi eine breite Kundenbasis und ein breites Produktportfolio. Insbesondere bedienen beide Unternehmen auch Märkte im Bereich klinische Diagnostik bzw. Medizinprodukte, sodass die umliegenden Länder mit ihrer hohen Bevölkerung ebenfalls interessante Märkte darstellen. Die Wahl einer eigenen Vertriebs-
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niederlassung ist für beide Unternehmen sicherlich ökonomisch sinnvoll. Für Unternehmen wie Scienion hingegen, die kleine Marktnischen bedienen und nur wenige Produkte vorhalten, ist die Wahl eines Distributeurs ohne Alternative. Andere Geschäftsmöglichkeiten für deutsche Biotechnologieunternehmen sind Kooperationen, Joint Ventures oder M&A. Von diesen Markteintrittsformen wurde bisher nur eine M&A durchgeführt. Da es sich dabei jedoch um eine Übernahmen eines deutschen Unternehmens (Combinature, Berlin) durch ein singapurisches Unternehmen (Merlion Pharmaceuticals) handelt, kann hier nicht von einem Markteintritt nach Singapur gesprochen werden. Hingegen war die Übernahme ein strategischer Schritt für Merlion Pharmaceuticals, ein Standbein im europäischen Markt zu erhalten. Während der Diskussion mit den Akteuren der Biotechnologiebranche in Singapur erhielten die Autoren wiederholt Hinweise, dass seitens der singapurischen Biotechnologieunternehmen Interesse an Kooperationen und Joint Ventures besteht. Da die Unternehmen nach eigener Einschätzung technologisch im Rückstand sind und in Singapur relativ wenig Risikokapital verfügbar ist, sollten die idealen deutschen Partner finanzielle Ressourcen und technische Expertise im Kooperationsfeld mitbringen. Als Gegenleistung wird die marktliche Erschließung der Region angeboten. Von aktiven Kooperationen oder JV-Projekten war den Autoren zum Zeitpunkt der Untersuchung nichts bekannt. Abschließend sollen noch einige weitere Hinweise auf Marktbedingungen in der Region gegeben werden: Unternehmen, die Pharmazeutika anbieten, müssen sich auf eine stark fragmentierte Situation bei den Zulassungsprozeduren einstellen Insbesondere in den weniger entwickelten südostasiatischen Ländern müssen interessierte Biotechnologieunternehmen eine sehr schlechte Infrastruktur, Zahlungsmoral und hohe Unehrlichkeit in den Geschäftsbeziehungen in Betracht ziehen In Indien ist die Zahlungsmoral offensichtlich besonders schlecht, hinzu kommen fehlende Englischkenntnisse und fehlender IPR-Schutz. Eine Markterschließung ist wahrscheinlich nur durch einen lokalen Partner möglich
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Ähnliches gilt für China. Zu beachten ist hier auch, dass im Falle lokaler Produktion Qualitätsprobleme auftreten können. Für Expatriats sind die Lebenshaltungskosten in den Boomstädten an der Ostküste sehr hoch Japan ist ein abgeschotteter Markt mit eine komplexen Infrastruktur. Eine Marktbearbeitung ist prinzipiell nur über einen Distributeur möglich
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Zusammenfassung und Handlungsempfehlungen
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Biotechnologiecluster in Singapur trotz seiner rasanten Entwicklung nach wie vor einen Aufholbedarf gegenüber den Biotechnologiebranchen der USA und einiger europäischer Länder aufweist. Bisher scheint die Strategie der singapurischen Regierung bei der Entwicklung der Branche jedoch weitgehend die gewünschten Ergebnisse zu liefern, obwohl auch einige gravierende Verzögerungen, insbesondere hinsichtlich der ökonomischen Verwertbarkeit der Forschungsergebnisse, hingenommen werden mussten. Die Autoren sehen die wesentlichen Stärken des Clusters in der schnellen Entscheidungsfindung und der effektiven Umsetzung der Entscheidungen, in der hohen Ressourcenausstattung und Förderung sowie in der aktiven Beseitigung von Engpässen seitens der Regierung, die sich insbesondere in der Risikobeteiligung bei pharmazeutischen FuE-Projekten, in der Ausbildung der Fachkräfte und in der Schließung von Lücken bei der Technologieverwertung äußert. Durch diese Maßnahmen kann es der singapurischen Regierung gelingen, in denen von ihnen ausgewählten Bereichen eine weltweite Führungsposition einzunehmen. Wesentliche Schwächen des Clusters liegen nach Meinung der Autoren insbesondere in der Planwirtschaft, der strikten Top-Down-Entscheidungskultur, der Diskontinuität in der akademischen Forschung und in der momentan noch zu beobachtenden Vernachlässigung eigener Unternehmensgründungen. Diese Charakteristika haben das Potenzial, eine nachhaltige Entwicklung des Clusters zu verhindern. Die strikte Auswahl der Forschungsbereiche schränkt zukünftige Entwicklungen stark ein. Evolutionäre Entwicklungen in der biomedizinischen Forschung sind aufgrund dieser Strukturen kaum möglich. Falls sich die vorausgewählten Forschungsbereiche als nicht zukunftsfähig erweisen, fehlen dem Cluster Entwicklungen in der „Forschungspipeline“. Dieser Effekt kann durch die Diskontinuität in der Forschung verstärkt werden. Der
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Fokus auf große, multinationale Pharmaunternehmen kann sich ebenfalls als nicht förderlich für die nachhaltige Entwicklung des Clusters erweisen. In der Vergangenheit haben sich schon verschiedene Unternehmen entschlossen, ihre Aktivitäten in Singapur wieder aufzugeben. Die Abhängigkeit von den internationalen Unternehmen könnte durch die Gründung von in Singapur ansässigen Unternehmen langfristig verringert werden. Der Cluster könnte so stabilisiert werden. Die Strategie der singapurischen Regierung kann demnach einerseits als sehr chancenreich, andererseits auch als hoch riskant bezeichnet werden. Aufgrund der zu Deutschland stark unterschiedlichen Struktur und Kultur sind die Strategien der singapurischen Regierung nicht auf Deutschland übertragbar. Insbesondere hinsichtlich der Entscheidungskultur und der Durchsetzungsfähigkeit von Entscheidungen herrschen prinzipiell andere Voraussetzungen. Es können daher nur mit Vorsicht Empfehlungen für die Entscheidungsträger in der deutschen Politik und Gesellschaft gegeben werden. Im nächsten Abschnitt sollen einige Handlungsempfehlungen genannt und erläutert werden. Intensivierung der Exzellenzinitiative durch Bund und Länder Die Autoren halten das deutsche Forschungssystem, das einerseits eine breite und freie Grundlagenforschung an den Universitäten ermöglicht und andererseits in speziellen Instituten, wie in der Fraunhofer Gesellschaft oder in der Max-PlanckGesellschaft, eine Spitzenforschung auf weltweit höchstem Niveau, für prinzipiell gut. Ein Nachteil dieses Systems schien bisher zu sein, dass universitäre Spitzenforschung nicht ausreichend „belohnt“ wurde. Diese Tatsache wurde mit der Exzellenzinitiative entgegengetreten. Ein Vergleich der Summen, die in Singapur in die sieben Forschungsinstitute investiert wurden, mit den Summen, die für die Exzellenzinitiative zur Verfügung stehen, lässt erkennen, dass die universitäre Spitzenforschung mit der gegenwärtigen finanziellen Ausstattung nach wie vor nicht optimal gefördert wird. Dies wird auch deutlich, wenn man die Förderung der Biotechnologie kaufkraftbereinigt pro Millionen Einwohner betrachtet (vgl. Darstellung 8). Eine sinnvolle Maßnahme könnte auch eine Auflage einer Exzellenzinitiative speziell für die Forschung in der Biotechnologie sein. Die Chancen auf eine internationale Wettbewerbsfähigkeit der Branche könnten sich dadurch verstärken.
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Verstärkung des Technologietransfers von der Forschung in die wirtschaftliche Verwertung Für den Technologietransfer von der Grundlagenforschung bis in die wirtschaftliche Verwertung wird in Deutschland schon relativ viel unternommen. So gibt es zum Beispiel an den wissenschaftlichen Einrichtungen diverse Technologietransfergesellschaften und mit dem Programm „Forschung für den Markt im Team“ wurde ein Förderprogramm durch das BMBF aufgelegt, dessen Ziel ein effizienterer Transfer von wissenschaftlichen Ergebnissen in die wirtschaftliche Verwertung ist. Der Technologietransfer könnte noch stärker institutionalisiert werden, indem auch in klassischen Förderprogrammen für wissenschaftliche Projekte ein Teil der bewilligten Fördersummen für Patentrecherchen und Patentierungen zweckgebunden vergeben werden. Durch die finanzielle Förderung dieser Aktivitäten werden die Barrieren für die Patentierungen deutlich verringert. Um die Situation im Technologietransfer und in der Technologieverwertung weiter zu verbessern, kann auch auf Instrumente der Bildungspolitik zurückgegriffen werden. Um angehende Wissenschaftler für Fragen der Patentierbarkeit und wirtschaftlichen Verwertbarkeit von biotechnologischen Erfindungen zu sensibilisieren, sollten diese Themen in die universitären Studienpläne für Biowissenschaftler aufgenommen werden. So könnten den Studierenden beispielsweise die Anforderungen an Patentierbarkeit und der Ablauf der Patentanmeldung, Anforderungen an die Zulassung von Biopharmazeutika oder Diagnostika sowie grundlegende Kenntnisse in den Wirtschaftswissenschaften vermittelt werden. Ansatzpunkte bieten hier die Schlüsselqualifikationen im Bachelor und Master. Verabschiedung vom „Gießkannenprinzip“ bei der Verteilung der Fördergelder in geographischer Hinsicht In Deutschland gibt es mehr als 20 geographische Regionen, die biotechnologische Aktivitäten betreiben. Viele dieser Cluster sind auf Dauer wahrscheinlich nicht überlebensfähig, da sie weder die kritische Masse noch die Vielfalt an Akteuren aufweisen. Die Fokussierung auf wenige Cluster könnte zu einer steigenden Überlebensfähigkeit der Cluster und zu einer stärkeren Vernetzung innerhalb der Cluster führen, wie es analog im Biotechnologiepark „Biopolis“ zu beobachten ist. Aktive Maßnahmen zur Beseitigung von Hemmnissen Aus den Erhebungen wurde deutlich, dass fehlendes Wagniskapital ein grundlegendes Hemmnis für Neugründungen in der singapurischen Biotechnologiebranche dar-
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stellt. Vorangegangene Untersuchungen am BIEM CEIP (vgl. Reger et al., 2008a) beschreiben ähnliche Befunde für die deutsche Biotechnologiebranche. In Singapur wird diesem Problem seit 1990 durch die Gründung eines staatlichen Risikokapitalfonds (Bio*One) begegnet. Eine ähnliche Strategie verfolgt auch die Bundesregierung mit Auflegung des High-Tech Gründerfonds, der Neugründungen mit SeedFinanzierungen unterstützt. Das Investitionsvolumen beträgt insgesamt 272 Mill. Euro. Die Investitionen von maximal 500.000 Euro pro Unternehmen sind jedoch für die meisten Geschäftsmodelle in der roten Biotechnologie mit Innovationszyklen von 10 bis 15 Jahren viel zu niedrig und reichen höchstens für wenige Monate. Hier lautet die Empfehlung, die Investitionssummen zu vergrößern, so dass die Finanzierung eines Biotech Start-Ups insgesamt für ca. drei Jahre gesichert ist. In diesem Zeitraum sollte den Unternehmen die Entwicklung eines Proof-of-Concept gelingen. Dabei kann auch über die Erhöhung des Co-Investor-Anteils nachgedacht werden. Weiterhin könnten sich staatliche Risikokapitalfonds analog dem singapurischen Modell direkt an FuEProjekten beteiligen, indem sie FuE- Joint Ventures mit Großunternehmen eingehen. Diese Maßnahme könnte den Pharmastandort stärken und wichtige biomedizinische Innovationen an Deutschland binden. Die Empfehlungen für die Entscheider aus Politik und Gesellschaft können sich also in vier Punkten zusammenfassen lassen. Als erstes muss die universitäre biotechnologische Spitzenforschung selektiv stärker gefördert werden. Die daraus entstehenden Chancen sollten noch gezielter in wirtschaftliche Anwendungen überführt werden. Aufkommende wirtschaftliche Aktivitäten könnten dann in wenigen Biotechnologieclustern zusammengeführt werden, in denen die notwendige Infrastruktur zur Verfügung steht. Schließlich sollte die Entwicklung dieser Cluster aktiv beobachtet werden und bei auftretenden Hemmnissen, wie die Austrocknung von Risikokapitalquellen, aktiv eingegriffen werden. Die Handlungsempfehlungen für Biotechnologieunternehmen sind im Abschnitt „Geschäftsmöglichkeiten in Singapur“ bereits beschrieben. Die Autoren empfehlen den meisten deutschen Biotechnologieunternehmen, einen Distributeur zur Markterschließung zu wählen. Bei der Markterschließung sollte auch darauf geachtet werden, dass Singapur in etwa die Größe der Biotechnologiecluster München oder Berlin aufweist, die umliegenden Märkte sind für Biotechnologieunternehmen weitgehend un-
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Michael Nolting und Guido Reger
interessant, es sei denn, die Unternehmen halten Medizinprodukte, wie preiswerte Diagnostika, im Portfolio.
Literaturverzeichnis A*STAR (2005): About A*STAR. elektronisch veröffentlicht unter www.a-star.edu.sg, abgerufen am 20.10.2009. bfai (2008): Wirtschaftstrends Singapur kompakt, Jahreswechsel 2008/2009. Biopolis (2007): Biopolis Final Report. Bund-Länder-Vereinbarung (2005): Bund-Länder-Vereinbarung gemäß Artikel 91 b des Grundgesetzes (Forschungsförderung) über die Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder zur Förderung von Wissenschaft und Forschung an deutschen Hochschulen. CIA (2008a): The World Factbook - Germany. CIA (2008b): The World Factbook - Singapore. Coface (2007): Handbuch Länderrisiken 2007, F.A.Z. Institut, Frankfurt am Main. IMF (2008): IMF Country Report No. 08/280. o.V. (2007): Vis a vis Singapore. elektronisch veröffentlicht unter www.visitsingapore.com, abgerufen am 12.01.2009. Reger G., Mietzner D., Nolting M. (2008): Szenarioanalyse Dienstleistungen in der roten Biotechnologie (DLrBT), Shaker Verlag, Aachen. SEDB (2008): Singapore Economic Development Board, Annual Report, 2006/07. Singapore’s Economic Development Board (EDB) (2008): EDB Investments. elektronisch veröffentlicht unter www.bio1capital.com, abgerufen am 12.01.2008. Yin Robert K. (2003): Case study research: design and methods, Sage, Thousand Oaks, CaliͲ fŽƌŶŝĂ.
New Market Intelligence Ein Tool in der strategischen Vorausschau Dana Mietzner und Jan-Peter Hagenmüller
Inhaltsverzeichnis 1
New Market Intelligence Tool .................................................................................... 212
2
Wesentliche Funktionen............................................................................................. 212
3
2.1
NMI Tool: Informationssammlung .................................................................. 213
2.2
NMI Tool: Knowledge Transfer and Library .................................................... 217
2.3
NMI Tool: Strategy .......................................................................................... 220
Integrierter Ansatz: Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen mit Toolunterstützung ................................................................................................ ...... 221 3.1
Entscheidungsfokus: Entwicklung einer strategischen Fragestellung ............ 221
3.2
Ermittlung des Status quo – Ausgangssituation ............................................. 221
3.3
Herausarbeitung von Ursachen und Quellen für Wettbewerbsvorteil .......... 228
3.4
Durchführung einer Szenarioanalyse.............................................................. 229
3.5
Bewertung des Geschäftskonzeptes vor dem Hintergrund der Szenarien .................................................................................................. 233
3.6
Ableitung von Strategieoptionen und Strategiebildung (Schritt 6) ................ 233
3.7
Operationalisierung der Strategieoptionen durch Maßnahmen und Projekte .................................................................................................... 234
3.8 4
Maßnahmenumsetzung .................................................................................. 234
Anforderungen an das Management in der strategische Vorausschau..................... 235
Literaturverzeichnis .......................................................................................................... ...... 238
212
1
Dana Mietzner und Jan-Peter Hagenmüller
New Market Intelligence Tool
Mit dem NMI Tool ist es gelungen, ein Strategietool mit integrierten und individualisierbaren Wissensmanagementelementen umzusetzen, das als eine unternehmensweit verfügbare Intranetlösung realisiert werden kann. Die Inhalte des Tools werden an die unternehmensspezifischen Bedürfnisse angepasst (customized approach), um individuelle Anforderungen in der strategischen Vorausschau zu berücksichtigen. Eine erste Spezifizierung des Tools wurde durch die Berücksichtigung der Branche Biotechnologie erreicht; eine weitere Spezifizierung wird durch die individuelle Anpassung der Toolinhalte an das jeweilige Biotechnologieunternehmen ermöglicht. Die im Tool gesammelten und systematisierten Informationen werden mit Methoden der strategischen Planung und Vorausschau verknüpft. Im NMI Tool werden Web 2.0 Elemente, wie z.B. der Ansatz des Social Bookmarkings oder die Aufbereitung von Informationen in Form von News Feeds integriert. Social Bookmarking meint in diesem Zusammenhang das Hinzufügen, Löschen, Kommentieren und Verschlagworten (Tagging) von Informationen. News Feeds werden meist von Betreibern von Nachrichtenseiten, Weblogs und Foren angeboten, um über neue Artikel und Beiträge auf deren Website zu informieren. Durch die Integration von News Feeds in das NMI Tool können relevante Beiträge gesammelt und in Form einer elektronischen Tageszeitung zur Verfügung gestellt werden. Dabei steht insbesondere der Anspruch der unternehmensspezifischen Individualisierung von Inhalten im Vordergrund. Somit greift das Tool auf neuere Methoden einer strategischen Vorausschau zurück (vgl. Darstellung zu neuen Methoden der strategischen Vorausschau im Beitrag Strategische Vorausschau, Begriff - Prozess - Methoden).
2
Wesentliche Funktionen
Im Tool werden die drei Kernbereiche „Information“, „Knowledge Transfer und Library“ sowie „Strategy“ unterschieden. Die drei Bereiche werden im Folgenden näher erläutert. Der konzeptionelle Entwurf des NMI Tools ist in der nachfolgenden Darstellung 1 zusammenfassend dargestellt.
New Market Intelligence: Ein Tool in der strategischen Vorausschau
2.1
213
NMI Tool: Informationssammlung
Im Bereich „Information“ (vgl. Darstellung 2) werden Brancheninformationen, Unternehmensdaten und Marktdaten zu wesentlichen Auslandsmärkten gesammelt und systematisiert. Der Bereich „Information“ bildet somit eine wichtige Datenbasis für das Tool. Die Informationen können durch das Managementteam oder den Funktionsbereichsleiter (z.B. Marketing) bewertet und erweitert werden. In der Fallstudienarbeit mit den Unternehmen wurden die Märkte USA und Großbritannien als die wichtigsten Märkte für die deutsche Biotechnologieszene benannt. Frankreich ist ein interessanter europäischer Markt, der Markteintritt ist für die Unternehmen jedoch nur sehr schleppend möglich. Der französische Markt gilt als „abgeschottet“, französische Unternehmen werden seitens der potenziellen französischen Kunden bevorzugt und die Sprachbarriere ist als vergleichsweise hoch einzuschätzen, da kaum Englisch gesprochen wird (vgl. Reger et al., 2008a, 92). Trotzdem weist dieser Markt ein hohes Potenzial auf und ist u.U. gerade aufgrund des beschwerlichen Markteintritts für einige Biotechnologieunternehmen besonders interessant, da auch Wettbewerbsunternehmen vor einem Markteintritt zurückschrecken könnten. Als ein aufstrebender Markt wurde Indien identifiziert und ebenfalls in die Datenbasis integriert. Neben Deutschland sind somit mit England und den USA zwei Lead-Märkte, Frankreich als ein Markt mit hohem Potenzial in Europa und mit Indien ein aufstrebender Markt im Pilot-Tool abgebildet.
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Dana Mietzner und Jan-Peter Hagenmüller
Darstellung 1: New Market Intelligence Tool (Konzept)
New Market Intelligence: Ein Tool in der strategischen Vorausschau
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Zu jedem Markt werden generelle Marktdaten gesammelt und visualisiert sowie entscheidende Marktakteure erfasst und bewertet. So werden z.B. zu jedem Markt Biotechnologieunternehmen aufgeführt, die sowohl als aktueller oder potenzieller Wettbewerber als auch als Partner, Zulieferer oder Kunden klassifiziert werden können. Des Weiteren werden Forschungsinstitute und Pharmaunternehmen als weitere wichtige Kundengruppe sowie Promotoren und Behörden dargestellt (vgl. Darstellung 2).
Darstellung 2: NMI Tool: Bereich Information: Datenbasis zu ausgewählten Ländermärkten
Es besteht auch die Möglichkeit, Stärken und Schwächen der Marktakteure zu bewerten oder generelle Bemerkungen vorzunehmen und zu speichern (vgl. Darstellung 3). Neben der Darstellung der Biotechnologieunternehmen werden auch Pharmaunternehmen, Forschungsinstitute, Distributeure, Promotoren und wesentliche Behörden abgebildet und individualisiert. Das Tool erlaubt auch das Hinzufügen von Ansprechpartnern und Kontaktdaten. Somit entsteht eine Datenbasis, die die Grundlage bildet für eine fundierte Wettbewerbs- oder Kundenpotenzialanalyse. Die Datenbasis kann durch zusätzliche Märkte erweitert oder reduziert werden.
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Dana Mietzner und Jan-Peter Hagenmüller
Darstellung 3: Zuordnung von Relationen (aktuelle und potenzielle Wettbewerber, Kunden, Partner, Zulieferer)
Durch die Zuordnung von Suchbegriffen zu den Biotechnologieunternehmen wird die Suche nach Wettbewerbern oder Partnern innerhalb des Tools erleichtert. Dabei besteht die Möglichkeit, Beschreibungen und Anmerkungen zu den Marktakteuren durch den Nutzer vorzunehmen; es werden aber auch die im Zusammenhang mit den Unternehmenshomepages definierten Suchbegriffe automatisch dargestellt und regelmäßig automatisiert aktualisiert (vgl. Darstellung 4), wodurch die Suche nach Unternehmen, die z.B. eine bestimmte Technologie anbieten, ermöglicht wird.
New Market Intelligence: Ein Tool in der strategischen Vorausschau
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Darstellung 4: Darstellung der automatisch generierten Suchbegriffe am Bespiel eines ausgewählten Unternehmens
2.2
NMI Tool: Knowledge Transfer and Library
Eine wesentliche Funktion im Bereich „Knowledge Transfer und Library“ ist die Sammlung, Strukturierung und Bewertung von formellen, aber auch von informellen Informationen. Die Library ermöglicht das Auffinden der Informationen und den Wissensaustausch im Managementteam. Im Bereich Knowledge Transfer besteht die Möglichkeit, auch informelle Informationen (Konferenznotizen, Beobachtungen, Bilder, Ideenskizzen) systematisch in den Prozess der strategischen Vorausschau zu integrieren. Dabei werden den Informationen so genannte Codes zugeordnet, die im weiteren Strategieprozess, z.B. für die Bestandsaufnahme und die Fundierung von Einflussfaktoren für die Szenarioanalyse, genutzt werden können. Somit wird es möglich, auch informelles Wissen zu systematisieren, für Strategieprozesse zu nutzen und dem gesamten Managementteam verfügbar zu machen. Über den Bereich der Library kann dieses Wissen abgerufen werden. Mit dieser Form des Datentransfers wird ein
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Dana Mietzner und Jan-Peter Hagenmüller
Weg vorgeschlagen, der der informellen Datensammlung der Unternehmen gerecht wird. Die verwendeten Codes können unternehmensspezifisch angepasst, erweitert oder reduziert werden. Viele Einflussfaktoren gleichen sich in unterschiedlichen Unternehmen, haben jedoch einen unterschiedlich starken Einfluss auf verschiedene Untersuchungsgegenstände. Der hohe Zeitaufwand in Szenarioanalysen wird ausgelöst durch die Notwendigkeit der umfangreichen Sammlung von qualitativen und quantitativen Informationen. Diese Informationen müssen zudem an die jeweiligen Informationsbedürfnisse und komplexen Problemstellungen der Unternehmen angepasst werden, ohne an Konsistenz einzubüßen (vgl. Masini et al., 2000, 63). Das im NMI Tool integrierte Coderaster entspricht einem Katalog an Einflussfaktoren, die für die Ausarbeitung von Szenarioprojekten genutzt werden können. Somit entfällt ein Großteil redundanter Arbeit (vgl. Jakob et al., 2007, 9 f.). In der Pilotanwendung sind die in der Darstellung aufgeführten Codes vorgesehen. Produkte und Dienstleistungen (intern) Aktueller Marktanteil Erwarteter Marktanteil Neue Produkte und Dienstleistungen Human Resources (intern) Managementqualifikation Qualifikationen und Fähigkeiten der Mitarbeiter Marketing (intern) Schlüsselkunden Potenzielle Kunden Operations (intern) Fähigkeit zur Massenherstellung Produktionskapazitäten Wettbewerb
Wettbewerbsvorteil Kernkompetenzen Marktanteil Zukunftspläne Neue Produkte und Dienstleistungen Positionierung Ressourcen und Fähigkeiten
New Market Intelligence: Ein Tool in der strategischen Vorausschau
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Kundenwert
Ziele und Werte der Kunden Kundenklassifizierungen Qualitätsanforderungen Serviceanforderungen
Technologieentwicklung
Neue Technologien („Weak Signals“) Externe Technologieexpertise (Lizenzen, Allianzen, Joint Ventures) Patente Prozesstechnologien Proprietäre Technologien FuE-Expertise
Gesetzliche Rahmenbedingungen, Regularien x GMP-Regularien x FDA-Regularien Ländermärkte
Allgemeine Entwicklungen in den USA Allgemeine Entwicklungen in Großbritannien Allgemeine Entwicklungen in Indien Allgemeine Entwicklungen in Frankreich Allgemeine Entwicklungen in Deutschland Unerwartete Ereignisse Unerwünschte politische Entwicklungen
Darstellung 5: Codekategorien und Codes
Das Tool ermöglicht es, Informationen sowohl direkt als Freitext einzugeben, auf eine Internetseite hinzuweisen oder auch ein Dokument in das Tool zu laden. Über das Anbieten von Schlagworten (Tagging) wird es möglich, die Inhalte leicht wieder auffindbar abzulegen. In diesem Funktionsbereich werden Ansätze des Web 2.0 auf den Unternehmenskontext übertragen. Das Tool greift an dieser Stelle auf Elemente des Social Bookmarking (z.B. del.icio.us) zurück, das vorsieht, interessante Internetseiten auch anderen Nutzern verfügbar zu machen und gleichzeitig selbst eine größere Wissensbasis aufzubauen. Zusätzlich wird der Ansatz des „Codierens“ aus der qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. die Ausführungen zur qualitativen Inhaltsanalyse im Beitrag
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Dana Mietzner und Jan-Peter Hagenmüller
ŝĞ^ƚƌĂƚĞŐŝƐĐŚĞsŽƌĂƵƐƐĐŚĂƵŝŶŝŽƚĞĐŚŶŽůŽŐŝĞƵŶƚĞƌŶĞŚŵĞŶ) in das Tool integriert. Dabei werden Inhalten aus unterschiedlichen Quellen Codes zugeordnet. Die Codes entsprechen Faktoren, die die Unternehmenssituation beschreiben und in der Terminologie von Szenarioanalysen als Einflussfaktoren bezeichnet werden können und im Bereich „Strategy“ in die Szenarioanalyse einfließen.
Codeliste
Darstellung 6: Wissenstransfer und Codezuordnung im NMI Tool
2.3
NMI Tool: Strategy
Die Bereiche „Information“ und „Knowledge Transfer und Library“ sind mit dem Bereich „Strategy“ verknüpft. In diesem Modul werden die im Tool gesammelten, systematisierten und codierten Informationen in Methoden der strategischen Planung und Vorausschau integriert. In der Pilotanwendung werden im Tool eine SWOTAnalyse, die Wettbewerbsanalyse und eine einfache Szenarioanalyse integriert. Des Weiteren verweist das Tool auf einen Leitfaden, der die Unternehmen bei der Auswahl eines geeigneten Auslandsmarktes und einer geeigneten Markteintrittsform unterstützt (Markt-Entrance-Guide (MEG)). Ein weiteres Tool im Strategiebereich ist ein Frühwarnsystem, über das wesentliche Einflussfaktoren (treibende Kräfte) einem regelmäßigen Monitoring unterzogen werden können.
New Market Intelligence: Ein Tool in der strategischen Vorausschau
3
221
Integrierter Ansatz: Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen mit Toolunterstützung
In der nachfolgenden Übersicht ist das Konzept für die Prozessgestaltung der strategischen Vorausschau mit Szenarien graphisch dargestellt. Die Entwicklung von Strategien mit Szenarien erfordert die Entwicklung eines Templates im Sinne einer Prozessbeschreibung (Step-by-step-Ansatz), um von der Bestandsaufnahme über die Vorausschau zur Strategieentwicklung und Umsetzung zu gelangen (vgl. Wilson, 2000, 26). Dies ist insbesondere deshalb erforderlich, da es sich bei den untersuchten Unternehmen um junge Unternehmen handelt, die oftmals aus dem Forschungsumfeld heraus gegründet wurden und somit nur wenige Erfahrungen mit strategischen Planungsprozessen auf Seiten des Managements vorliegen. Die Darstellung soll auch verdeutlichen, an welchen Prozessschritten das NMI Tool zum Einsatz gelangen kann. 3.1
Entscheidungsfokus: Entwicklung einer strategischen Fragestellung (Schritt 1)
Im ersten Schritt der szenariobasierten strategischen Vorausschau soll es nicht darum gehen, Faktoren zu sammeln, die die Entwicklung des Unternehmens beeinflussen, vielmehr muss eine strategische Fragestellung, die im Rahmen des Prozesses beantwortet werden soll, deutlich herausgearbeitet werden. Dabei sind wiederum die Übereinstimmung und das Commitment im Managementteam über die Bearbeitung der strategischen Fragestellung eine notwendige Voraussetzung, um Akzeptanz und Relevanz der Ergebnisse sicherzustellen. 3.2
Ermittlung des Status quo – Ausgangssituation (Schritt 2)
Im zweiten Schritt der strategischen Vorausschau werden eine Bestandsaufnahme zu den Stärken und Schwächen des Unternehmens (interne Perspektive) durchgeführt sowie daraus resultierende Chancen und Risiken abgeleitet. Ziel es dabei, den Wettbewerbsvorteil des Unternehmens herauszuarbeiten. Dazu wird in einem nächsten Schritt auch eine Wettbewerbsanalyse durchgeführt, um Stärken und Schwächen der Wettbewerber zu identifizieren und mögliche Gefahren aber auch Chancen in der Wettbewerbsdifferenzierung zu identifizieren.
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Dana Mietzner und Jan-Peter Hagenmüller
Darstellung 7: Ablauf der strategischen Vorausschau mit Tool-Unterstützung
New Market Intelligence: Ein Tool in der strategischen Vorausschau
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SWOT-Analyse Die SWOT-Analyse ermöglicht eine systematische Auseinandersetzung mit der internen Unternehmensperspektive, eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten und den daraus resultierenden Chancen und Risiken (vgl. z.B. Fleisher et al., 2003, 92 ff.). Die nachfolgend aufgeführten Leitfragen sollen die Herausarbeitung der aktuellen Unternehmenssituation und die Identifikation von Stärken und Schwächen unterstützen. Wettbewerbsposition Welche Aktivitäten führen dazu, dass der Kunde die Leistungen des Unternehmens in Anspruch nimmt? Wie leicht oder schwierig ist es für Wettbewerber, die Leistungen des Unternehmens zu kopieren? Warum würden andere Unternehmen das Geschäftsmodell nicht kopieren? Welche Elemente/Aktivitäten können nicht oder nur schwer nachgeahmt werden durch neue oder existierende Wettbewerber? Kundenverhalten
Wer ist der typische Kunde? Was sind Wünsche und Probleme der Kunden? Welche Leistungen nehmen Kunden in Anspruch? Welche Werte bekommt der Kunde vom Unternehmen vermittelt?
Managementkompetenzen/Leadership Gibt es Vertrauen, persönliche Netzwerke, Reputationen, die durch neue oder existierende Wettbewerber nur schwer aufgebaut werden können? Human Resources/Kompetenzen Was sind die einzigartigen Faktoren, die es ermöglichen, den Wettbewerbsvorteil auszuschöpfen? Gibt es Team-Know-how, Vertrauen, Netzwerke, Reputationen, die durch neue oder existierende Wettbewerber nur schwer aufgebaut werden können? Kapitalausstattung Ist genügend Kapital für FuE und die laufende Geschäftstätigkeit vorhanden? Technologie Was sind die einzigartigen Faktoren, die es ermöglichen, den Wettbewerbsvorteil auszuschöpfen?
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Dana Mietzner und Jan-Peter Hagenmüller
Welche gesetzlichen Schutzrechte, welches Know-how, welche Prozesse existieren im Unternehmen, die nur schwer nachgeahmt werden können durch neue oder existierende Wettbewerber? Substituierende Produkte und Dienstleistungen Welche Produkte, Dienstleistungen, Prozesse oder Verfahren gibt es, die heute oder in Zukunft das eigene Angebot ersetzen könnten? Rolle der Zulieferer Welche Rolle spielen Zulieferer heute und in Zukunft im Hinblick auf die Absicherung des Wettbewerbsvorteils? Darstellung 8: Leitfragen in der SWOT-Analyse
Die Ergebnisse der SWOT-Analyse können, wie z.B. in Darstellung 9 aufgeführt, aufbereitet werden. Die Durchführung der SWOT-Analyse ist eine Aufgabe im Managementteam. Neben der Erarbeitung der SWOT-Analyse im Managementteam, bietet auch das NMI Tool Indikatoren an, die zusätzlich eine quantitative Einschätzung zu Stärken und Schwächen ermöglichen und in einem Stärken-Schwächen-Profil im NMI Tool im Bereich „Strategy“ visualisiert werden.
New Market Intelligence: Ein Tool in der strategischen Vorausschau
Darstellung 9: SWOT-Analyse (Vorlage) (Fleisher et al., 2003, 93)
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Dana Mietzner und Jan-Peter Hagenmüller
Wettbewerbsanalyse Bereits im Bereich „Information“ werden Marktakteuren Rollen (aktueller oder potenzieller Kunde oder Wettbewerber, Zulieferer oder Partner) zugewiesen und eine Einschätzung zu Stärken und Schwächen der Wettbewerber vorgenommen. Die in der SWOT-Analyse entwickelte Selbsteinschätzung wird der Wettbewerbsanalyse aktueller und potenzieller Konkurrenzunternehmen gegenübergestellt. In einer einfachen Klassifizierung wird im Bereich „Information“ im NMI Tool eine Einschätzung im Hinblick auf Stärken und Schwächen in den Managementkompetenzen/im Leadership, der Human Resources/in den Kompetenzen, der Kapitalausstattung, der Technologie, des operativen Geschäftes und den soziopolitischen Faktoren (Einfluss, Beziehungen) für aktuelle und potenzielle Wettbewerber vorgenommen. In der nachfolgenden Darstellung sind die in der Pilotanwendung verfügbaren Indikatoren im Überblick dargestellt. Management Profile Personality Background Past success and failures Human Resource Level of training Quality and skill of personnel Capital Resource Level of capital availability Technology Proprietary technology, patents R&D expertise Access to outside expertise through licensing, alliances, joint ventures Operations Manufacturing capacity Ability to mass customize Marketing and sales activities Socio-political Public affairs experience Connections of board members Darstellung 10: Indikatoren im Stärken-Schwächen-Profil (Wettbewerbsanalyse und im Bereich SWOT-Analyse)
New Market Intelligence: Ein Tool in der strategischen Vorausschau
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Diese Indikatoren können im NMI Tool unternehmensspezifisch angepasst und erweitert werden. Neben einer Bewertung der Indikatoren mit Hilfe eines Ratings können auch qualitative Einschätzungen zu jedem Indikator vorgenommen werden, auf die für die Wettbewerbsanalyse zurückgegriffen werden kann (vgl. Darstellung 11).
Biotech Example
Biotech Example
Darstellung 11: Bewertung von Stärken und Schwächen der Wettbewerber im NMI Tool5 (Likert-Skala und qualitative Einschätzung)
Durch die Betrachtung der eigenen Unternehmenssituation in der SWOT-Analyse wird deutlich, welche Wettbewerbsvorteile vorliegen, abgesichert oder noch entwickelt werden müssen. In der Wettbewerbsanalyse muss dieser identifizierte Wettbewerbsvorteil deutlich hinterfragt werden. Dabei wird die Einschätzung der eigenen Stärken und Schwächen in Relation zu den Stärken und Schwächen der aktuellen und potenziellen Wettbewerber betrachtet und es werden erneut mögliche Gefahren identifiziert oder Chancen antizipiert. Ziel der Wettbewerbsanalyse ist es auch, den
5
Fiktives Beispiel
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Dana Mietzner und Jan-Peter Hagenmüller
im Rahmen der SWOT-Analyse ermittelten Wettbewerbsvorteil kritisch vor dem Hintergrund der Wettbewerbsbetrachtung zu hinterfragen. Zeichnen sich Wettbewerber durch besondere Leistungen aus, die nur schwer zu kopieren sind? Worin besteht das vorteilhafte Angebot des Wettbewerbers? 3.3
Herausarbeitung von Ursachen und Quellen für Wettbewerbsvorteile (Schritt 3)
Im dritten Schritt der strategischen Vorausschau werden Ursachen und Quellen für den in der SWOT- und Wettbewerbsanalyse ermittelten Wettbewerbsvorteil herausgearbeitet. Die Entwicklung eines Ursache-Wirkungs-Diagramms (vgl. Darstellung 13) und die damit verbundene Auseinandersetzung mit Wettbewerbsvorteilen und Kompetenzen sollten im Managementteam erfolgen. Dieser Prozess kann durch die nachfolgend dargestellten Leitfragen unterstützt werden.
Ursachen und Quellen für Wettbewerbsvorteile Worin besteht der Wettbewerbsvorteil (Produktdifferenzierung oder Kostenvorteil)? Was sind die einzigartigen Faktoren, die es ermöglichen, den Wettbewerbsvorteil auszuschöpfen? Was sind Ursachen/Quellen für Wettbewerbsvorteile? (Erstellung eines Ursache/Wirkungs-Diagramms) Wo kommen diese Quellen her und wie können die Quellen nachhaltig abgesichert werden? Worin liegt die Einzigartigkeit, was sind die Kernkompetenzen des Unternehmens? Welche Elemente, die den Wettbewerbsvorteil begründen können nur schwer nachgeahmt werden (Team-Know-how)? Darstellung 12: Leitfragen zu Ursachen und Quellen für Wettbewerbsvorteile
New Market Intelligence: Ein Tool in der strategischen Vorausschau
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Darstellung 13: Ursache-Wirkungs-Diagramm
3.4
Durchführung einer Szenarioanalyse (Schritt 4)
Nach der Herausarbeitung der Wettbewerbsposition und des einzigartigen Wettbewerbsvorteils sowie der Auseinandersetzung mit Ursachen und Quellen für Wettbewerbsvorteile wird das Geschäftsmodell auf seine Tragfähigkeit in unterschiedlichen Zukunftsszenarien geprüft. Dabei soll in Szenarioanalysen systematisch Zukunftswissen generiert werden, um Hinweise für Chancen, z.B. neue Geschäftsfelder oder neue Märkte, zu erhalten. Gleichzeitig soll in den Szenarioanalysen eine Sensitivität gegenüber möglichen Risiken entwickelt werden. Die Szenarioanalyse bildet somit eine weitere Grundlage für das Ableiten von strategischen Optionen. Für die Durchführung von Szenarioanalysen sind, unterschiedliche Ansätze möglich (vgl. Mietzner, 2009, 117 ff.). Des Weiteren müssen Szenarioanalysen an den jeweiligen Kontext angepasst
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Dana Mietzner und Jan-Peter Hagenmüller
werden, so dass es keinen „One-size-fits-all“-Ansatz für die Implementierung von Szenarioanalysen gibt. Eine Möglichkeit Zukunftswissen „ressourcenschonend“ zu entwickeln, ist die Implementierung von „Open Foresight“-Projekten (vgl. Mietzner, 2009, 233 ff.). Das Tool sieht vor, auch Szenarioanalysen auf Basis des im Tool vorliegenden Wissens zu erarbeiten. Dabei werden Zukunftsperspektiven erarbeitet und die interne Perspektive mit Umfeldfaktoren verknüpft. In einem ersten Schritt ist die Entwicklung einer fokussierten Szenariofragestellung notwendige Voraussetzung, um sicherzugehen, dass die Szenarien in der Strategieentwicklung überhaupt Berücksichtigung finden und nötige Ressourcen bereitgestellt werden. In einem zweiten Schritt werden Einflussfaktoren zusammengetragen, die überwiegend in der Codekategorisierung im Bereich Knowledge Transfer/Library enthalten sind. Durch das Zurückgreifen auf Informationen im Bereich Knowledge Library wird der hohe Aufwand der Informationsrecherche in Strategieprozessen erheblich reduziert, da das Tool bereits eine Vielzahl von Informationen in komprimierter Form anbietet; dabei sind auch informelle Informationen berücksichtigt, die z.B. über Gatekeeper zusammengetragen wurden. Somit ermöglicht das Tool eine umfassende Bestandsaufnahme und das Ableiten von Einflussfaktoren für die weitere Szenarioanalyse. Der Vorteil der Entwicklung von Szenarien mit Toolunterstützung ist somit der reduzierte Rechercheaufwand. Die ermittelten Einflussfaktoren werden in einem nächsten Schritt genauer untersucht und es wird der Versuch unternommen, treibende Kräfte zu identifizieren. Dazu bietet das Tool die Durchführung einer Einflussanalyse an (vgl. Darstellung 14). In der Einflussanalyse werden die Einflüsse der Faktoren zueinander untersucht.
New Market Intelligence: Ein Tool in der strategischen Vorausschau
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Darstellung 14: Einflussanalyse (Matrix) im NMI Tool
Werden die Zeilensummen eines jeden Einflussfaktors addiert, dann wird die so genannte Aktivsumme errechnet, die Stärke, mit der ein Faktor insgesamt auf alle anderen Faktoren einwirkt. Die Aktivsumme ist umso größer, je größer der Einfluss des betrachteten Faktors auf das System ist (Zeilensumme). Wird die Spaltensumme ermittelt, so ergibt sich für jeden Faktor die so genannte Passivsumme, die Stärke, wie jeder Faktor von allen anderen beeinflusst wird. Zur besseren Übersicht werden die Werte der Einflussmatrix in das System Grid übertragen. Die Addition der Aktivsumme aller Elemente, dividiert durch die Anzahl der Elemente, ergibt den Schnittpunkt der Aktivachse; die Addition der Passivsummer aller Elemente, dividiert durch die Anzahl der Elemente, ergibt den Schnittpunkt der Passivachse (vgl. Darstellung 15).
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Darstellung 15: System Grid (Visualisierung der Ergebnisse der Einflussanalyse im NMI Tool)
Die Diskussion des System Grids ermöglicht es, Schlüsselfaktoren zu identifizieren, die in die weitere Analyse einbezogen werden. Dabei werden treibende Kräfte identifiziert und das Verhalten einzelner Faktoren im Gesamtsystem wird transparenter. Dabei sollten maximal 12 Schlüsselfaktoren ausgewählt werden, um die Komplexität der Analyse zu reduzieren. Exportmöglichkeiten nach Excel erlauben ein gutes Reporting und die Vorbereitung von Strategiemeetings im Managementteam. Entwicklung von Zukunftsprojektionen Für jeden Schlüsselfaktor sind unterschiedliche Entwicklungen in der Zukunft möglich. Informationen zu Trends, z.B. zu bestimmten Technologien, sind ebenfalls in der Knowledge Library enthalten, so dass auch die Recherche zu möglichen Entwicklungen wesentlich erleichtert sein sollte. Im Tool ist es möglich, Schlüsselfaktoren und Zukunftsprojektionen darzustellen und für die weitere Bearbeitung in Excel zu exportieren. Für die Entwicklung von Zukunftsprojektionen sind neben der Recherche im Tool auch Strategiemeetings, Gespräche mit Experten oder Kunden nötig. Dennoch liefern die Informationen im Tool eine gute Grundlage für die Ableitung von plausiblen Zukunftsprojektionen. Entwicklung von Szenarien Auf der Basis von unterschiedlichen Zukunftsprojektionen wird es möglich, Rohszenarien zusammenzustellen und diese in einem nächsten Schritt auszuformulieren. Für die Bildung von Szenarien auf der Grundlage von Zukunftsprojektionen sind unterschiedliche Wege denkbar. Es kann eine Konsistenzanalyse mit Softwareunterstüt-
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233
zung durchgeführt werden oder die Szenarien werden in einem intuitiven Verfahren erstellt (vgl. unterschiedliche Ansätze der Szenarioanalyse in Mietzner, 2009, 117 ff.). 3.5
Bewertung des Geschäftskonzeptes vor dem Hintergrund der Szenarien (Schritt 5)
In diesem Prozessschritt wird das aktuelle Geschäftsmodell vor dem Hintergrund unterschiedlicher Szenarien betrachtet und der Frage nachgegangen, inwieweit das Geschäftsmodell mit seinen Stärken und Schwächen auch in Zukunft noch wettbewerbsfähig sein kann. Bildet das Geschäftskonzept eine Basis, um Zukunftschancen auszuschöpfen? Was passiert, wenn die in den Szenarien identifizierten Gefahren Wirklichkeit werden? Wie haben sich Wertvorstellungen der Kunden in den einzelnen Szenarien geändert? Was sind neue Bedürfnisse der Stakeholder? Wie kann die Performance des Geschäftskonzeptes in den einzelnen Szenarien eingeschätzt werden? Was sind Schwachpunkte, wo liegen Stärken? Was sind mögliche Optionen, um auf neue Kundenanforderungen zu reagieren (Weiterentwicklung, Verbesserung des Geschäftskonzeptes, Entwicklung von Strategien auf Basis der Optionen)? Welche Kompetenzen müssen bereits heute entwickelt werden, um vor dem Hintergrund der Szenarien auch in Zukunft noch wettbewerbsfähig zu sein? Darstellung 16: Leifragen zur Bewertung des Geschäftskonzeptes vor dem Hintergrund der Szenarien
3.6
Ableitung von Strategieoptionen und Strategiebildung (Schritt 6)
Basierend auf der SWOT- und Wettbewerbsanalyse, der Herausarbeitung von Ursachen und Quellen von Wettbewerbsvorteilen und der Betrachtung des Geschäftskonzeptes vor dem Hintergrund der Szenarien werden im 6. Schritt strategische Optionen abgeleitet bzw. eine umfassende Strategie entwickelt. Dabei sollte die Strategieableitung unter Berücksichtigung aller Szenarien erfolgen, um mit einer möglichst robusten Strategie das Unternehmen zu führen (vgl. Wilson, 2000, 28).
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Dana Mietzner und Jan-Peter Hagenmüller
Neue Märkte: Markteintrittsform und Marktbearbeitungsstrategie (Market Entrance Guide) Innerhalb des Tools gibt es eine Verknüpfung zum „Market-Entrance-Guide“. Dieses Tool unterstützt das Management bei der Auswahl eines geeigneten Auslandsmarktes und einer geeigneten Marktbearbeitungsform. Die Entwicklung des MEGs ist darauf zurückzuführen, dass strategische Vorausschauaktivitäten insbesondere vor dem Hintergrund der Absicherung von Internationalisierungsstrategien in den untersuchten Biotechnologieunternehmen betrieben werden. Der Market-Entrance-Guide leitet das Management systematisch durch den Prozess der Marktauswahl und gibt Empfehlungen für eine geeignete Marktbearbeitungsform (vgl. Reger et al., 2008b). 3.7
Operationalisierung der Strategieoptionen durch Maßnahmen und Projekte (Schritt 7)
Um die Akzeptanz einer szenariobasierten strategischen Vorausschau sicherzustellen und die Ergebnisse des Vorausschauprozesses in das operative Geschäft zu überführen, müssen umgehend konkrete Maßnahmen und Projekte umgesetzt werden. Eine Operationalisierung der strategischen Optionen, von Maßnahmen und Projekten kann durch die Erstellung von Businessplänen erfolgen, in die die ermittelten Informationen und Entscheidungen aus dem Prozess der szenariobasierten Vorausschau einfließen. Businesspläne werden für die Entwicklung neuer Geschäftsfelder, den Eintritt in neue Märkte und für die Umsetzung von Projekten erstellt. In den Businessplänen sollten auch Schlüsselfaktoren benannt werden, die aus den Szenarioanalysen resultieren und im Sinne eines Frühwarnsystems einem regelmäßigen Monitoring unterzogen werden müssen. 3.8
Maßnahmenumsetzung (Schritt 8)
Eine zügige Umsetzung von Maßnahmen mit sichtbaren Ergebnissen wird die Akzeptanz der strategischen Vorausschau sicherstellen und den konkreten Nutzen dieser Art der Strategieentwicklung verdeutlichen. Dies ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn bislang kaum Erfahrungen mit der strategischen Planung und Vorausschau im Unternehmen vorliegen.
New Market Intelligene: Ein Tool in der strategischen Vorausschau
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Anforderungen an das Management in der strategische Vorausschau
Aufgrund der Erkenntnisse aus den Szenarioanalysen (vgl. Mietzner, 2009, 233 ff.) und der in den Fallstudien ermittelten Ergebnisse (vgl. Beitrag Die Strategische Vorausschau in Biotechnologieunternehmen) sowie der Herausarbeitung von Good Practice für die Implementierung von Szenarioanalysen (vgl. Mietzner, 2009, 227 ff.) können die nachfolgend aufgeführten Anforderungen an das Management, das die strategische Vorausschau verantwortet, abgeleitet werden. 1. Bereitstellung von Ressourcen Unternehmerische Planung kostet Geld und erfordert Ressourcen, die nicht nur monetärer Art sind. Neben der Bereitstellung eines Budgets und Personals müssen Zeitressourcen seitens des Managements und der Mitarbeiter eingebracht werden. Eine Möglichkeit, Vorausschauprojekte ressourcenschonend durchzuführen und Zukunftswissen zu generieren, ist die Implementierung von „Open Foresight“-Initiativen (vgl. Mietzner, 2009, 233 ff.). 2. Verknüpfung mit dem operativen Geschäft Effektive strategische Planung erfordert eine Verknüpfung mit dem operativen Geschäft, da ein strategischer Plan nicht nur Ziele beschreibt, sondern auch Maßnahmen, die zur Zielerreichung beitragen. Aus diesem Grund wurde der vorgestellte Prozess einer szenariobasierten strategischen Vorausschau in den Strategieprozess integriert. Vorausschauprojekte, wie z.B. Szenarioanalysen, finden nicht um ihrer selbst Willen statt, sondern dienen als Grundlage für die Strategieentwicklung und Umsetzung. Die strategische Vorausschau wird Akzeptanzproblemen gegenüberstehen, wenn es nicht gelingt, im Anschluss an den Vorausschauprozess Projekte und Maßnahmen zu realisieren. Da im Gegensatz zu Großunternehmen Entscheidungen schneller umgesetzt werden können in KMU, kann hier der Erfolg von Vorausschauinitiativen viel schneller sichtbar werden, als dies in Großunternehmen mit schwerfälligen und langwierigen Entscheidungswegen überhaupt möglich ist. 3. Verknüpfung der strategischen Vorausschau mit Kompetenzen und Fähigkeiten Eine effektive strategische Planung erfordert den sorgfältigen Abgleich unternehmensinterner Stärken und Schwächen mit den Anforderungen im Unternehmensum-
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feld. Ziel muss es dabei sein, von einer reagierenden Haltung zu einer stärker gestaltenden Strategiefindung zu gelangen. Die in den Prozess einer szenariobasierten strategischen Vorausschau integrierte Szenarioanalyse soll einen Beitrag leisten, ein proaktives Führungsverhalten zu entwickeln und herausarbeiten, welche Kompetenzen und Fähigkeiten heute entwickelt werden müssen, um auch in Zukunft noch wettbewerbsfähig zu sein. 4. Integration aller Unternehmensfunktionen Die strategische Vorausschau liegt in der Verantwortung der Unternehmensleitung. Dennoch muss eine effektive strategische Planung Schlüsselfunktionen im Unternehmen integrieren, da Veränderungsprozesse alle Funktionsbereiche betreffen oder von diesen angestoßen werden können (vgl. Fueglistaller et al., 2003, 46). Im Beispiel der untersuchten Biotechnologieunternehmen kam beispielsweise auch dem Marketing, dem Business Development und der Forschung und Entwicklung eine Schlüsselrolle zu. Im NMI Tool werden Informationen zu Kunden und Wettbewerbern integriert, die voranging durch das Marketing gesammelt und systematisiert werden. Gleichzeitig werden im NMI Tool Informationen zu technologischen Entwicklungen zusammengetragen, was bevorzugt den Aufgabenbereich der Forschung und Entwicklungsabteilung betrifft. 5. Einsatz von weniger sophistischen Planungsmethoden Insbesondere in KMU wird die strategische Vorausschau nur dann implementiert werden können, wenn weniger komplexe Methoden eingesetzt werden. Es kann in KMU nicht darum gehen, eine Vielzahl von Methoden zu beherrschen. Stattdessen sollten einige geeignete Methoden ausgewählt werden, die dann sicher eingesetzt werden können. Eine hohe Komplexität von Methoden würde den pragmatischen Bedürfnissen der Unternehmen widersprechen und eine Ablehnung der strategischen Vorausschau hervorrufen. In den untersuchten Biotechnologieunternehmen können interagierende Methoden (z.B. Brainstorming, Strategie-Workshops, Expertenbefragung) in Szenarioprozesse integriert werden; die Durchführung von Publikationsanalysen kann den Vorausschauprozess im Bereich der Technologie unterstützen, ausgewählte neue Methoden der strategischen Vorausschau (z.B. Social-BookmarkingAnsätze) können die Informationsbeschaffung wesentlich erleichtern. Mit dem NMI Tool wird ein Instrument vorgeschlagen, das die Anforderungen der KMU erfüllt. Im NMI Tool wird das Wissensmanagement integriert, dass sowohl die Aufnahme von
New Market Intelligence: Ein Tool in der strategischen Vorausschau
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formellen als auch von informellen Informationen ermöglicht, die mit ausgewählten Methoden der strategischen Planung und Vorausschau (Szenarioanalyse, SWOTAnalyse, Wettbewerbsanalyse, Frühwarnsystem, Marktauswahl- und Marktbearbeitungsguide) verknüpft werden. Das NMI Tool ist auf die Anforderungen der Biotechnologie ausgerichtet; ist in seiner Struktur aber auch für KMU anderer Branchen, die sich auf einem internationalen Markt bewegen, geeignet. 6. Entwicklung von Managementkompetenzen Methoden der strategischen Vorausschau bieten die Möglichkeit und sind Grundlage, die „Unstrukturiertheit“ im strategischen Planungsprozess zu strukturieren; können aber dennoch eine gute Managementbewertung nicht ersetzen. So ist die Szenarioanalyse eine gute Möglichkeit, Informationen besser zu systematisieren, Zusammenhänge zwischen Einflussfaktoren zu erkennen und treibende Kräfte zu identifizieren. Die strategischen Entscheidungen müssen letztendlich aber vom Management getroffen werden. Dazu ist es notwendig, dass das Management die Notwendigkeit der strategischen Vorausschau erkennt und diese konsequent umsetzt. Dazu ist die Entwicklung von Managementkompetenzen, insbesondere bei einem naturwissenschaftlich geprägten Ausbildungshintergrund des Managements, erforderlich.
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Literaturverzeichnis Fleisher C. S.,Bennsousan, B. (2003): Strategic and Competitive Analysis. Methods and Techniques for Analyzing Business Competition. New Jersey, Prentice Hall. Fueglistaller U., Frey U., Halter F. (2003): Stratgeisches Management für KMU. Eine praxisorientierte Anleitung. St. Gallen, Verlag HSG. Gausemeier J., Fink A., Schlake O.,Siebe A. (1996): Szenario-Management: Planen und Führen mit Szenarien. München, Wien, Hanser Verlag. Jakob M., Kiehne D.-O., Schwarz H., Kaiser F.,Beucker S. (2007): Delphigestütztes SzenarioManagement und -Monitoring. Eine Methode zur Beobachtung von Zukunftsentwicklungen und deren Nutzung im unternehmerischen Innovationsprozess. Stuttgart, Fraunhofer IRB Verlag. Masini E. B.,Vasquez M. (2000): Scenarios as seen from a human and social perspective. Technological Forecasting & Social Change: 49-66. Mietzner D. (2009): Strategische Vorausschau und Szenarioanalysen - Methodenevaluation und neue Ansätze. Wiesbaden, Gabler. Nolting M., Mietzner D., Reger G. (2010): Internationalisierung in der Biotechnologie, Leitfaden, Universität Potsdam, 2010. Reger G., Mietzner D.,Nolting M. (2008): Szenarioanalyse Dienstleistungen in der roten Biotechnologie (DLrBT). Aachen, Shaker Verlag. Reger G., Nolting M.,Mietzner D. (2008): Internationalisierung von Dienstleistungen in der roten Biotechnologie - Ein Leitfaden, BIEM-CEIP working paper, Universität Potsdam. Wilson I. (2000): "From Scenario Thinking to Strategic Action." Technological Forecasting & Social Change 65: 23-29.
Autoren und Herausgeber Hagenmüller, Jan-Peter M.A. Soz./Inf., Institut für Gründung und Innovation der Universität Potsdam (BIEM CEIP)
Mietzner, Dana Dr., Dipl.-Betriebswirtin, Institut für Gründung und Innovation der Universität Potsdam (BIEM CEIP), Lehrstuhl für Innovationsmanagement und Entrepreneurship an der Universität Potsdam
Nolting, Michael Dipl. Biol., Wi.-Ing, Institut für Gründung und Innovation der Universität Potsdam (BIEM CEIP), Lehrstuhl für Innovationsmanagement und Entrepreneurship an der Universität Potsdam
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Reger, Guido
Dr., Professor, Lehrstuhl für Innovationsmanagement und Entrepreneurship an der Universität Potsdam, Institut für Gründung und Innovation an der Universität Potsdam (BIEM CEIP)
Wagner, Dieter Dr., Professor, Lehrstuhl für Organisation und Personalmanagement an der Universität Potsdam, Institut für Gründung und Innovation an der Universität Potsdam (BIEM CEIP)