Nr. 2 http://www.GroschenStory.de GroschenStory ist ein Gemeinschaftsprojekt von: Böhnhardt Verlag Augsburg MovieCom Köln © 2001 Böhnhardt Verlag Augsburg Coverzeichnung: Daniel Kießler, Thomas Schukalla Nightfall Studios, Düsseldorf http://www.nightfall-studios.de Heftgestaltung: MovieCom, Köln http://www.MovieCom.de Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten. Das Werk wird in elektronischer Form zum freien Download angeboten und darf nur vollständig und ohne jegliche Änderung aus gedruckt, vervielfältigt und verbreitet werden.
Das Beil des Henkers (2/5) Morris Düsterhoff Der Bus schaukelte müde durch den her absinkenden Abend. Ich saß am Fenster, die heiße Stirn gegen die kühle Scheibe gelehnt, und genoß den Anblick der in feuerrotes Gold getauchten Berggipfel und des magisch glühenden Meeres aus Baumwipfeln, das sich von dort oben herab bis hinunter zur Straße zog. Doreen neben mir schlief tief und fest, ihren Kopf an meine Schulter gebettet. Ich beneidete sie etwas um ihre drahtseil starken Nerven, war aber vor allem da mit beschäftigt, mich durch ihre verwirrende Nähe nicht nervös machen zu lassen. Zwangsläufig erinnerte ich mich immer wieder an heute morgen. Doreen hatte darauf bestanden, auf dem Weg zur Bus station noch bei ihr zu Hause vorbeizu fahren, um dort die Fesseln loszuwerden, sich umzuziehen und ihre Ausrüstung zu sammenzupacken. Wir baten den Taxi fahrer zu warten, doch er schüttelte nur energisch seine Rastalocken. Allerdings waren wir darüber nicht sonderlich über rascht, ich konnte ihm die Erleichterung, solch unbehagliche Fahrgäste wie uns endlich loszuwerden, sehr gut nachemp finden. Doreens Wohnung enttäuschte mich etwas. Ein Einzimmer-Appartment, sehr spartanisch eingerichtet, es gab keine
Bilder, keine Bücher, nichts, das auf ihre Vorlieben und Interessen schließen las sen konnte. Unter ihrem Bett holte sie eine schwar ze Segeltuchtasche hervor, kramte eine Weile darin herum und brachte einen Nachschlüssel hervor. „Diese altmodi schen Schlösser sollten damit zu knak ken sein.“ Tatsächlich, im Handumdrehen hatte sie ihre Fesseln gelöst und streckte sich wohlig. Ein wirk lich atemberaubender Anblick, ihr ge schmeidiger, durchtrainierter Körper, der sich dabei unter ihrem Trainingsanzug abzeichnete. „Und was jetzt?“ fragte ich. Sie überlegte kurz. „Ich werde kurz duschen und dann sehen wir zu, daß wir den nächsten Bus erwischen.“ Und schon war sie im Badezimmer verschwunden, schlug die Tür hinter sich zu, bevor ich die Chance zu fragen hatte, wohin wir denn unterwegs waren. Ich hörte das Rauschen der Dusche, blickte auf die Tasche am Boden. Eine Weile widerstand ich der Versuchung. Aber: hatte ich nicht ein Recht zu wis sen, worauf ich mich hier einließ? Lang sam zog ich die Tasche zu mir heran, hob sie auf meinen Schoß und öffnete sie. Seile, Haken, Glasschneider, Nach schlüssel, ein Handvoll elektronische Geräte, deren Zweck und Funktionswei se ich nur dunkel erahnen konnte; kurz um: alles, was zu einem zünftigen Einbrecher gehört.
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Und eine Pistole. Verblüfft griff ich danach, wog sie in der Hand. Ich konnte ein unwilliges Knurren nicht unterdrük ken. Ich mag keine Waffen, im Laufe meiner Tätigkeit als Strafverteidiger mußte ich zu oft erleben, was diese an richten können. Sie verleihen dem Machtlosen Macht über Leben und Tod, und sind eigentlich immer in den fal schen Händen. „Aber Herr Anwalt, wer wird denn in fremden Sachen herumschnüffeln?“ überraschte mich Doreens Stimme. Sie stand in der Badezimmertür, vom Duschen noch patschnaß, notdürftig ein Badetuch umgeschlungen und über ih ren Brüsten verknotet. Das Haar hing ihr wirr im Gesicht, träge, zögernd rann das Wasser über ihre sonnengebräunte Haut, das Badetuch, geschickt drapiert, hob, was es verbarg, nur reizvoller hervor. Ich richtete den Lauf der Waffe auf sie. „Was wollen Sie damit?“ „Das ist eine gefährliche Welt da drau ßen“, entgegnete sie und lehnte sich ge gen den Türrahmen. Ein endlos langes Bein schob sich vollends unter dem Ba detuch hervor. Verwegene Rinnsale än derten ihren Lauf, erkundeten noch reizvolleres Gelände. „Ein hilfloses Mädchen wie ich muß sehen, daß es sich verteidigen kann.“ „Haben Sie wenigstens einen Waffen schein dafür?“ „Wofür meinen Sie?“ fragte sie lä chelnd und strich mit den Fingerspitzen
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über ihre Hüfte. „Sie brauchen sich nicht zu sorgen, Charley. Nicht die Waffen richten Schaden an, sondern die Men schen, die sie benutzen.“ Sie wandte sich ab, um zurück ins Bad zu gehen. „Und glauben Sie mir, ich überlege mir sehr genau...“ Kurz bevor sie aus meinem Blickfeld verschwand, ließ sie das Hand tuch zu Boden gleiten. „... wann und bei wem ich meine Waffen einsetze.“ Noch immer stand die Badezimmertür offen, von drinnen ließ sich kein Laut vernehmen. Mein Herz trommelte wild, die Knöchel meiner Hand, die die Pisto le umklammerte, leuchteten weiß. Ich legte die Waffe zurück in die Tasche, lehnte mich auf dem Bett zurück, mit brennenden Wangen, atmete tief durch und schloß die Augen. Noch jetzt grübelte ich darüber nach, warum ich ihr Angebot ausgeschlagen hatte. Ihr Kopf lag warm an meiner Schulter und ihr Haar kitzelte etwas in meinem Gesicht. Die Antwort jedoch war leicht zu fin den: reiner Selbsterhaltungstrieb. Schon von jeher vermochte ich mich ihrem Zauber kaum zu entziehen, doch danach wäre ich ihr mit Haut und Haaren ver fallen. Ein plötzliches Schlagloch weckte sie. Sofort hellwach, blickte sie sich im Bus um. Wir waren allein, der letzte andere Fahrgast war an der letzten Station aus gestiegen. Wilson Springs schien kein sonderlich beliebtes Ausflugsziel zu sein.
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Morris Düsterhoff
„Wo sind wir?“ fragte sie.
„Noch eine knappe Stunde.“
Wieder einmal fragte ich mich, wie ich
auf die glorreiche Idee gekommen war, mit ihr in diesen verdammten Bus zu stei gen. Heute morgen, den hartnäckigen Henker auf den Fersen, schien es mir eine gute Idee gewesen zu sein, die ein zig richtige Entscheidung, doch jetzt, nach einem langen, anstrengenden Tag eingepfercht in diesem engen Sitz, ver lor die Erinnerung ihren Schrecken. Ich konnte sogar schon wieder langsam dar an zweifeln, daß das alles überhaupt stattgefunden hatte, oder zumindest ver muten, daß dahinter irgendein fauler Zauber steckte. Eine billige Maskerade, mit, bei sicherem Tageslicht besehen,
geradezu lächerlichen Kostümen und einem anabolikagestählten Bodybuilder für die Hauptrolle. Ich seufzte. „Also, worum geht es hier?“ „Das glauben Sie mir nie im Leben. Ich glaube es ja selbst nicht.“ Doreen massierte sich den Nacken. „Das ehrenwerte untote Gericht. Was sagt man dazu? Das habe ich bisher nun wirklich für ein Schauermärchen gehalten. Eine Gutenachtgeschichte, die Gangster ihren Kindern erzählen.“ „Eine Art überirdische Gerechtigkeit? Ein Gericht aus dem Jenseits, das alle die erwischt, die sich unseren Gesetzen entziehen konnten?“
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„Eigentlich nicht. Unsere Gesetze sind ihnen ziemlich gleichgültig. Normaler weise ist es den überirdischen Mächten vollkommen egal, was wir hier unten so alles treiben. Eines Tages werden wir uns vor ihnen verantworten müssen. Aber sie können warten. Was zählt unser kurzes Leben im Vergleich zur Ewigkeit? Aber gewisse Dinge, die die gesamte kosmi sche Ordnung bedrohen, können sie nun doch nicht einfach ignorieren“, fuhr sie fort. „Bei bestimmten Verbrechen schal ten sie sich unverzüglich ein und versu chen, das Übel sofort mit Stumpf und Stiel auszumerzen.“ „Wenn zum Beispiel jemand die Tore der Hölle niederreißen möchte?“ „Ja, so etwas können sie gar nicht lei den.“ „Und dieser ominöse Schlüssel ist dazu in der Lage? Wie hieß er doch gleich?“ „Der verschollene Schlüssel von Cestacavron. Wie es aussieht, habe ich ihn tatsächlich gestohlen.“ Wenn sie das für eine überraschende Enthüllung hielt, mußte ich sie enttäu schen. Daran hatte ich nicht einen Mo ment gezweifelt. „Ich wußte es nicht“, sagte sie. „Habe ihn auch nicht erkannt, als ich ihn in der Hand hielt. Sonst hätte ich ein Vielfa ches des Preises verlangt.“ Dieser Ge danke beschäftigte sie sichtlich. Durchaus verständlich. „Verdammt, ich habe aber wirklich nicht geglaubt, daß er tatsächlich existiert.“
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„Berufsrisiko“, tröstete ich sie. „Wür den Sie vielleicht beim Thema bleiben?“ „Nun, dieser Schlüssel ist in gewissen Kreisen wohlbekannt. Viele meiner Kun den haben okkulte Interessen, deshalb bin ich zwangsläufig zu einem Experten auf dem Gebiet von Kultgegenständen geworden. Dieser Schlüssel stammt von einem Magier und Hexenmeister namens Cestacavron. Der Mann lebte im 15. Jahrhundert. Er ist nicht sonderlich be kannt geworden, er liebte offenbar kei ne großen Auftritte, scheute das Licht der Öffentlichkeit und forschte lieber im Ver borgenen. Man weiß nur aus Aufzeich nungen anderer Magier von ihm. Richtig in Mode gekommen ist er vor etwa ein hundert Jahren. In einem alten hand schriftlichen Manuskript fand sich die Warnung, die Grenzen der Dimensionen zu respektieren, sonst würde es dem Frevler ergehen wie dem gotteslästerli chen Cestacavron. Damit fing es an, mit diesem unscheinbaren Nebensatz. Man suchte und stöberte in alten Archiven und Bibliotheken, fand hier einen Verweis, dort eine versteckte Bemerkung. Wie es aussieht, hat Cestacavron ein Ritual ent wickelt, mit dem man die Dimensions grenzen aufheben kann.“ „Warum sollte das jemand wollen? Das klingt nicht so, als wäre es eine beson ders gute Idee.“ „Das Ende der Welt, wie wir sie ken nen“, stimmte mir Doreen zu. „Ein ewig währendes Reich der Finsternis und großzügige Belohnung desjenigen, der
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die Dämonen aus den Abgründen der Hölle befreit hat.“ „Ich persönlich würde keinem Dämon trauen“, sagte ich. „Dämonen halten immer ihr Wort“, sagte Doreen. Dann bemerkte sie mei nen spöttischen Blick und fügte hinzu: „Hat man mir jedenfalls erzählt. Sie sind allerdings bei der Auslegung von Ver sprechen ziemlich pingelig, man muß also sehr auf das Kleingedruckte achten. Aber das ist bei uns Menschen ja nicht anders, Herr Anwalt.“ Ich lächelte. „Wie dem auch sei: Dieser Schlüssel ist der zentrale Bestandteil dieses Ritu als, jedenfalls ein immens wichtiges Puzzlestück.“ Unmöglich, mich länger zu beherr schen. „Und diesen hirnrissigen Blöd sinn glauben Sie?“ Sie blieb gelassen. „Es geht nicht dar um, ob ich daran glaube. Viele meiner Auftraggeber sind davon überzeugt, und sie bezahlen mich dafür, ihnen das Zeug zu besorgen. Alles andere ist mir voll kommen egal. Außerdem, haben Sie die sen riesigen Kerl mit dem Beil gesehen? Der glaubt an diesen Blödsinn.“ Ein stichhaltiges Argument. Daran hat te ich eine Weile zu kauen. Doreen blick te derweil hinaus in die Nacht. Ich vermutete, daß sie dort draußen über haupt nichts erkennen konnte, aber si cher war ich mir dabei nicht. Katzen
können hervorragend in der Dunkelheit sehen. „Na gut“, brach ich das Schweigen. „Sie haben also diesen obskuren Schlüs sel gestohlen und ihn irgendjemandem verkauft? Ohne zu erkennen, was genau Sie sich da unter den Nagel gerissen hat ten.“ Ich wartete vergeblich auf ein Zei chen der Zustimmung. „Und wem haben Sie ihn verkauft? Zu wem sind wir hier bei Nacht und Nebel unterwegs?“ „Sein Name ist Edward Fountain. Ich vermute mal, daß Sie schon von ihm ge hört haben.“ Wer hatte das nicht? Fountain, der letzte Sproß einer alteingesessenen Industriellenfamilie, herrschte über ein schier unüberschaubares Imperium, sei ne Unternehmen saßen überall in den Staaten verteilt. Schon unzählige Male hatte ich sein Foto in der Zeitung gese hen, ein gutaussehender, respektabel wirkender Mann, sportlich, kräftig, silber gesprenkeltes dunkles Haar. Über ihn wurde wirklich jede Menge geklatscht: über seine Geschäfte, die dank rück sichtsloser Methoden sagenhaft florier ten, über sein phänomenales Glück bei Wertpapierspekulationen, vor allem über die Tatsache, daß er mit fünfzig Jahren noch immer unverheiratet und, wenn man genau darüber nachdachte, eigent lich überhaupt noch nie in irgendwelcher weiblicher Begleitung in der Öffentlich keit gesichtet worden war, aber: „Ich hätte Fountain niemals mit Schwarzer Magie in Verbindung gebracht.“
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„Oh doch, Edward Fountain hat wirk lich ein Faible für das Übernatürliche, besonders für alles, was mit dem Teufel zu tun hat. Ich vermute, er ist eines Ta ges durch das Museum spaziert, entwe der rein zufällig, oder weil ihm ein Bekannter von diesem Ausstellungsstück erzählt hat. Sofort, als er es sah, wußte er genau, daß er endlich gefunden hatte, wonach er schon sein Leben lang auf der Suche gewesen war.“ „Ist wohl ein Stammkunde von Ihnen?“ Doreen ignorierte meine Frage. „Ich kann es immer noch nicht verwinden, daß ich den Schlüssel nicht erkannt habe.“
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Der Bus bog gerade um eine Kurve und vor uns lag jetzt eine lange, gerade Strek ke. Zuerst glaubte ich, meine Sinne woll ten mir einen Streich spielen, doch da stand tatsächlich diese undeutlich er kennbare Gestalt, mitten auf dem As phalt. Spätestens, als der Busfahrer verärgert zu hupen begann, wurde mir klar, um wen es sich handelte. Das entnervende Hupkonzert zog sich qualvoll in die Länge, jedes laute Röh ren des Busses bereitete mir fast körper liche Schmerzen. Doch die Gestalt blieb einfach ruhig stehen, völlig unbeein druckt von dem Stahlkoloß, der auf sie zurollte. Ein riesiger Berg beeindruckender Muskeln, dabei mit jugendlich an-
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mutender Lässigkeit auf sein Mordwerk zeug gestützt, das Gesicht schüchtern hinter seiner Maske verborgen, so war tete der Henker geduldig auf sein Opfer. Der Busfahrer verlangsamte das Tem po. Die Straße war an dieser Stelle zu schmal, als daß er an dem unerwarteten Hindernis einfach vorbeifahren konnte. Doreen sprang auf und stürzte nach vorn. „Halten Sie um Himmels Willen nicht an!“ schrie sie. „Was soll ich sonst tun?“ brüllte der Mann zurück. „Ihn überfahren?“ Sein Gesichtsausdruck verriet, daß er durch aus mit diesem Gedanken liebäugelte. Verständlich, denn einen halbnackten maskierten Irren mit einem riesigen Beil in der Hand liest wohl niemand gern von der Straße auf. „Genau das!“ Doreen stand jetzt direkt neben ihm und musterte kalt den unheim lichen Kerl auf der Straße, der es auf ih ren Kopf abgesehen hatte. „Sie sind wohl nicht ganz dicht?!“ Der Fahrer trat weiter auf die Bremse. Doreen verfügte kaum über die notwen dige Zeit, um das Problem in aller Ruhe mit dem Mann auszudiskutieren. Also brachte sie ein Argument ins Spiel, dem sich bisher noch niemand so recht ver schließen konnte. Als der Busfahrer die eiskalte Mündung der Pistole an seiner Schläfe spürte, erstarrte er voller Entset zen.
„Immer geradeaus“, sagte Doreen. Der Fahrer schloß die Augen und trat auf das Gaspedal. Kurz bevor der Henker vor die Front scheibe des Busses prallte, folgte ich dem Beispiel des Busfahrers und schloß eben falls meine Augen. Ein scheußlicher, dumpfer Knall gleich darauf verriet mir, daß wir ihn voll erwischt hatten. Er roll te polternd über das Wagendach, krach te einige Male mit seinem vollen Gewicht gegen das erbärmlich krei schende Blech. Dann plötzlich blieb es still, nur das leise, verstörte Brabbeln des Busfahrers und das Quietschen der Rei fen durchbrachen die unheilvolle Ruhe. „Können Sie ihn sehen, Charley?“ weckte mich Doreens drängende Stim me aus meiner Trance. Ich tastete mich zum Heck des Busses vor - gar nicht so einfach bei den Schlangenlinien, zu de nen der völlig verstörte Busfahrer nur noch fähig war - und versuchte, draußen etwas zu erkennen. „Nein“, sagte ich unsicher. „Vielleicht hat es ihn in den Wald geschleudert.“ Das hoffte ich wirklich von ganzem Herzen. Aber ich wußte es natürlich bes ser. Ein dunkler Schatten raste plötzlich auf die Scheibe zu. Bevor mir noch klar wurde, um was es sich dabei handelte, zerbarst das Glas unter dem Beil. Der Busfahrer verlor offenbar vor Schreck endgültig die Kontrolle über sich und sein Fahrzeug und riß das Steuer zur Seite. Wir kamen von der Straße ab und, von Baumwurzeln und anderen Uneben
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heiten im Waldboden immer wieder in die Luft katapultiert, hüpften wir mit atemberaubender Geschwindigkeit zwi schen den Bäumen hindurch den Abhang hinab. Erneut hämmerte das Beil gegen die splitternde Scheibe, dann verlor wohl auch der hartnäckige Kerl auf dem Bus dach bei dem wilden Galopp den Halt. Auf jeden Fall blieben die Fenster bis auf weiteres von seiner Zerstörungswut ver schont, statt dessen prallte er immer wie der mit lautem Donnerhall auf das Wagendach. Ich konnte aber auch nicht besonders auf den lästigen Störenfried achten, da ich selbst vollauf damit beschäftigt war, mich eisern an den Sitzen festzuklam mern. Dann brachte der Zusammenstoß mit einem Baum den Bus völlig aus sei ner Bahn, der hintere Teil scherte plötz lich nach rechts oben aus, und setzte dazu an, sich selbst zu überholen. Ein herab hängender Ast beendete dieses wahnwit zige Manöver, dafür jedoch hoben wir jetzt endgültig vom Boden ab und wur den wie ein Ping-Pong-Ball immer wie der von den Wipfeln der Bäume in eine etwas andere Richtung gestoßen. Im großen und ganzen allerdings blieb unser Kurs konstant: immer abwärts. Bis zum Aufprall. Das metallische Schreien des malträ tierten Busses zerfetzte mir fast das Trommelfell. Der Bus überschlug sich noch einige Male, landete dabei auch öfter auf dem Dach, was mich mit grim
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miger Genugtuung erfüllte, und blieb dann erschöpft gegen einen Baum ge lehnt liegen. Verwundert stellte ich fest, daß ich noch lebte. Mühsam kämpfte ich mich auf die Beine und versuchte mich in den Trüm mern zu orientieren. Der Bus lag auf der Seite, ich balancierte unsicher neben den Sitzen entlang nach vorn. Auch dort bewegten sich zwei Gestal ten. Ich vernahm ein unterdrücktes Hu sten, hin und wieder von einem leisen Fluchen unterbrochen. „Alles in Ordnung?“ fragte ich. „Moment“, knurrte Doreen. „Muß erst noch nachzählen, ob noch alles dran ist.“ Dabei wollte ich sie nicht stören, also wandte ich mich dem Busfahrer zu. Er kämpfte sich gerade unter seinem Sitz hervor. „Sind Sie verletzt?“ fragte ich und woll te ihm hilfreich unter die Arme greifen. „Fassen Sie mich bloß nicht an!“ schrie er und bleckte seine Zähne. Durch das unnatürliche Weiß seiner weitauf gerissenen Augen wirkte er wie gerade einer Irrenanstalt entsprungen. „Ver dammte Junkies.“ Wenn er meine Hilfe nicht wollte, na gut, ich würde sie ihm nicht aufzwingen. Auf jeden Fall wirkte er noch ziemlich lebendig, und das war die Hauptsache. „Was ist, Charley?“ drang Doreens Stimme in mein Ohr. „Wollen Sie hier Wurzeln schlagen?“
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„Wozu diese Hektik? Den Typen hat es erledigt. So oft, wie wir auf das Dach geknallt sind, ist er total zermatscht. Wird bestimmt kein netter Anblick.“ Das konnte der Henker offenbar nicht auf sich sitzen lassen, auf jeden Fall fraß sich just in diesem Moment das Beil frohlockend in das Metall des Busses. „Das ist doch unmöglich!“ stieß ich verblüfft hervor, dann stand schon Doreen an meiner Seite und packte mich am Arm. „Wir sollten wohl besser ver schwinden.“ „Und der Fahrer?“ überkam mich ein Anfall von Heldenmut. „Glauben Sie mir, der ist so sicher wie in Abrahams Schoß“, knirschte Doreen
mit den Zähnen. „Der Axtmann interes siert sich für den nicht die Bohne.“ Die Schneide des Beils, die sich direkt vor meinem Gesicht durch das Metall des Daches grub, überzeugte mich sofort. Wir stolperten los, Doreen hob ihre Waf fe und feuerte drei Schüsse in die Front scheibe. Dann sprang sie ab, ballte ihren Körper im Flug zu einer Kugel zusam men und durchbrach so die Scheibe. Dank ihrer Vorarbeit wurde es für mich ein nicht ganz so halsbrecherisches Un ternehmen, ich stieg vorsichtig zwischen den gefährlich scharfen Glassplittern hindurch und rannte Doreen nach in das verhältnismäßig sichere Unterholz des Waldes.
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Als ich dort ankam, hatte ich sie inzwi schen aus den Augen verloren. Ich öff nete den Mund, um nach ihr zu rufen, und unterbrach mich gerade noch recht zeitig, da mir einfiel, daß es nicht son derlich clever war, dem durchgeknallten Axtmörder meinen Standort zu verraten. Vermutlich würde sie sich zur Straße hin auf durchschlagen, also hastete ich in die gleiche Richtung los. Ich bin ein Stadtmensch, das gebe ich unumwunden zu, und mich nachts - und finstere Nacht war es mittlerweile gewor den -, im trügerischen Licht des Mon des durch das Dickicht eines Waldes zu schlagen, gehört nicht unbedingt zu mei nen Stärken. Mehr als einmal schlug mich ein Ast zu Boden, und falls ich wi der Erwarten einem solchen heimtük kisch herabhängenden Attentäter ausweichen konnte, dann brachte mich stattdessen eine völlig sinnlos in der Gegend herumkrauchende Wurzel zu Fall. Daß ich dabei verzweifelt nach Doreen Ausschau hielt, verbesserte die Situation nicht besonders. Dornen zer rissen meinen Anzug, meine Schuhe weichten langsam im feuchten Gras auf und badeten meine Füße schließlich in einer Pfütze eiskalten Wassers. Völlig außer Atem blieb ich stehen, lauschte gehetzt in das Dunkel des Waldes. Zuerst hörte ich überhaupt nichts, spürte nur die Nässe mit Eisesfingern von meinen Füßen aufwärts kriechen, dann vernahm ich den erschrockenen
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Schrei einer Frau und gleich darauf ei nen dumpfen Schlag. Die Grabesstille, die sich danach auf den Wald herabsenkte, ließ mich er schauern. Entsetzt und nur widerwillig stapfte ich durch den Wald, in Richtung der Verhängnisvolles verheißenden Ge räusche, und erwartete, jeden Moment auf Doreens kopflose Leiche zu stoßen. Zuerst sah ich die im Mondlicht auf blitzende Schneide des Beils. Sie schwebte hoch oben in der Luft, gehal ten von zwei stämmigen Armen. Dann den Henker, schwarz wie die Nacht, fast völlig von ihr verhüllt; und schließlich Doreen, ein hilfloses Bündel auf dem Boden. Offenbar war sie bewußtlos, sie lag zusammengesunken neben einem Baumstamm, und auf diesen Baum stamm hatte der Henker ihr Haupt ge bettet. Ich handelte, ohne zu zögern, ohne zu überlegen. Es blieb nicht die Zeit für ei nen einzigen Gedanken, der Urteils spruch schwebte über Doreens Kopf. Ich rannte und sprang. Das Beil zog seine Bahn, mein Fuß stieß in die Seite des Henkers, trieb ihn zurück, die Schneide sank herab und drang tief in das Holz des improvisierten Schafotts. Mein ganzer Körper prallte jetzt gegen den zurücktaumelnden Spuk, ich um schlang seinen Hals, während wir fielen, fest entschlossen, ihm das Genick zu bre chen; sein Ellbogen traf mich hart auf die Brust, schleuderte mich von ihm. Meine Finger krallten sich in seine Mas-
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ke, das jahrhundertealte Stück Stoff riß und nebeneinander rollten der Henker und ich den Hang hinab. Der Boden un ter mir verschwand mitten in der Um drehung, vor mir brach ein schier unergründlicher Abgrund auf, der sich bisher in der Schwärze der Nacht ver borgen hatte. Das war’s. Zu mehr als diesem prosa ischen Gedanken ließ sich mein Hirn im Angesicht des Todes in der Tiefe nicht herab. Dann prallte ich nicht gerade sehr sanft mit dem Magen gegen einen Baum, der sich wunderbarerweise gerade die sen Platz direkt am Abgrund zum Wurzelnschlagen ausgesucht hatte und blieb etwas benommen, schmerzerfüllt, aber verständlicherweise trotzdem über glücklich liegen. Doch die Erinnerung an den blutrün stigen Baumfäller brachte mich rasch wieder auf die Beine. Möglicherweise hat er weniger Glück gehabt als ich, dachte ich, vielleicht ist er einfach in den Abgrund gerollt... Seine gewaltige Gestalt stand direkt vor mir, als ich mich umdrehte, und seine Augen blitzten mich wutentbrannt an. Und das war bei weitem nicht das Schlimmste. Wenn jemals eine Maske durchaus einen Sinn gehabt hatte, dann bei ihm. Sein Gesicht, ja sein ganzer Kopf bestand nur noch aus halb verwesten Trümmern. Die Haut und sein Haar waren den Weg alles Irdischen ge gangen, das schwarze, glänzende Fleisch lag offen und verpestete die Luft mit sei
nem betäubenden Gestank. Diese ent setzliche Fratze lebte tatsächlich, so wie die Würmer, die sie bewohnten, rollte die freiliegenden Augen und näherte sich mir mit knirschenden Zähnen. Der Henker stieß einen markerschüt ternden Schrei aus und hob seine kolos salen Arme, um mich endgültig zu zerschmettern. Jetzt erst bemerkte er, daß er sein Beil nicht in der Hand hatte. Un ter anderen Umständen - zum Beispiel in einem gemütlichen Kinosessel - hätte ich seinen dümmlichen, überraschten Blick wirklich amüsant gefunden. Doch hier und jetzt durchströmte mich nur grenzenlose Erleichterung, als er sich von mir abwandte und den Hang wieder hinaufstapfte. Dort oben wartete sein Beil auf ihn. Und die noch immer bewußtlose Doreen! Mit langen Schritten zog ich an dem Henker vorbei, gewann kostbare Sekun den, die ich eher bei seinem hilflosen Opfer ankam. Langsam, aber unaufhalt sam stapfte das Monster auf mich zu. Das Beil steckte im Baumstamm fest. Ich ergriff den Schaft, um es aus dem Holz zu hebeln. Im ersten Moment war ich überzeugt davon, daß ich die dazu nötige Kraft nicht besaß. Die Wucht des Schlages hatte die Waffe tief in das Holz getrieben. Dann spürte ich ein elektrisie rendes Prickeln in den verkrampften Händen, ein anwachsender Strom berau schender Energie pumpte durch mein Blut. In mir tobte alle Kraft der Welt,
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geradezu mit spielerischer Leichtigkeit riß ich das Beil aus dem Holz. Der Henker knurrte haßerfüllt. Ich trat ihm entgegen, das Beil hocherhoben. Ungläubig starrte ich auf meine Arme. Dieses Feuer, das mich innerlich ver brannte, diese schier unerträgliche Hit ze: ich mußte doch in hellen Flammen stehen! Doch da war nichts, keine Spur von jener unbeschreiblichen Macht drang nach außen. Sie zeigte sich nur durch das Unbehagen in den Augen mei nes Gegners. Er kannte die Kräfte sei ner Waffe, wußte, daß selbst er ihr nicht gewachsen war. Doch er war augen scheinlich nicht bereit zu weichen und mir die Trophäe zu überlassen. Lieber würde er zugrundegehen. Siegessicher schritt ich auf ihn zu, be nebelt von brodelnder Mordlust, sah mich schon im Blutrausch seinen verfal lenden Schädel spalten, doch... Ich mag keine Waffen. Sie verleihen dem Machtlosen Macht über Leben und Tod, und sind eigentlich immer in den falschen Händen. Ich sprang vorwärts, frontal auf den Henker zu, tauchte unter seinen wild herumfuchtelnden Armen hindurch, rannte den Hang hinab. Sein fauliger Atem brannte mir im Nacken, übelster Gestank von Tod und Verwesung hüllte mich ein. Doch ich gewann den Sprint, und unten schließlich schleuderte ich die Waffe fort. In hohem Bogen segelte sie durch die Nacht und tauchte dann in den Abgrund direkt vor uns ein. Grinsend
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starrte ich in die Dunkelheit, obwohl ich das Beil schon lange nicht mehr sehen konnte. „Da kannst du lange suchen“, knurrte ich grimmig, dann wandte ich mich mit erhobenen Fäusten um. Der Henker war verschwunden, jeden falls konnte ich ihn in der trügerischen Dunkelheit des Waldes nicht entdecken. Das Beil wiederzufinden schien ihm wichtiger zu sein, als mir endlich doch noch das Lebenslicht auszublasen. Über den tieferen Sinn dieser Angele genheit konnte ich später nachgrübeln. Jetzt hieß es erst einmal, von hier zu ver schwinden, bevor sich der Henker als geübter Bergsteiger erweisen konnte, der im Handumdrehen mit dem Beil zwi schen den gefletschten Zähnen herauf geklettert kam. Rasch stieg ich die Hang hinauf, um mein Dornröschen aus ihrem Schönheitsschlaf zu küssen und dann schleunigst von diesem unbehaglichen Ort zu verschwinden. - wird fortgesetzt
Das Beil des Henkers (2/5)
Morris Düsterhoff
Teil 3
erscheint am
13. Juli 2001
bei
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Um das gefährliche Ritual zu verhindern, beschließen Doreen Locksley und ihr Anwalt, in das Anwesen von Edward Fountain einzubrechen. Doch das gespenstische Haus erweist sich als besser bewacht, als sie vermutet haben... „... Doreen klammerte sich mit einer Hand am Seil fest, schlug mit der anderen und trat mit den Füßen auf die dämonischen Geschöpfe ein. Schließlich holte sie die Pistole hervor. Für diesen einen Moment ungedeckt, wurde sie sofort von einem Flügeldämon angefallen. Seine Krallen hakten sich in ihren Klamotten fest, er grinste breit und tückisch, dann schnappten seine Zähne nach ihrer Kehle. Sie reagierte prompt, indem sie ihm eine Kugel in den Bauch jagte. Aufkreischend ließ er von ihr ab, flatterte hektisch zurück, hackte ihr aber noch mit der Hinterpfote die Waffe aus der Hand, bevor er sich völlig aus ihrer Reichweite brachte...“
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