Romantic Mysteries Nummer 6 „Der Fluch der Borgias“ von Peter Dubina
Gleich damals klagte man, er (der Borgia-Papst Al...
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Romantic Mysteries Nummer 6 „Der Fluch der Borgias“ von Peter Dubina
Gleich damals klagte man, er (der Borgia-Papst Alexander VI., 1492 -1503) bahne dem Antichrist den Weg. Er sorge für die Erfüllung des satanischen, nicht des himmlischen Reichs. Aus „Die Päpste“ von L. v. Ranke; ausgewiesen als Auszug aus der „Chronik Sanutos“.
Cesare Borgia wurde gefürchtet wegen seiner berüchtigten Kerker und Folterkammern in der päpstlichen Engelsburg zu Rom. Es ging das Gerücht, dass er dort nicht selten vier bis fünf Gegner am Tag beseitigte. Aus „Die Renaissance“ von J. R. Hale.
erkannte, dass es sich um Autoscheinwerfer handelte. Sie waren kaum drei Meter von mir entfernt. „Sind Sie betrunken, oder wollten Sie Selbstmord begehen?“ herrschte eine Stimme mich an. „Sie wären mir beinah in den Wagen hineingerannt. Wenn ich nicht so schnell gebremst hätte, wären Sie jetzt tot.“ Der Mann, der wütend auf mich einsprach, stand neben mir. Aus den Augenwinkeln heraus konnte ich seine schlammbespritzten Schuhe sehen. Ich hob mühsam den Kopf. Als er mein Gesicht im harten gelben Scheinwerferlicht sah, veränderte sich der Klang seiner Stimme. „Großer Gott!“ murmelte er erschrocken. „Sie sehen ja schlimm aus. Was ist mit Ihnen geschehen? Sind Sie krank, oder hatten Sie einen Unfall?“ Er griff mir unter die Arme und half mir
Ich tauchte aus einer Hölle des Grauens und der Angst auf, wie ein Fisch, der durch die schwarzen Wasser einer uferlosen, gespenstischen, toten See langsam zum Licht emportreibt. Dann – mit dem Einbruch von greller Helligkeit und Geräuschen in das schreckliche Dunkel, das mich umgab – öffnete ich die Augen und fand mich, auf Händen und Knien im Schlamm einer unbefestigten Straße liegend. Es war Nacht. Kalte, windgepeitschte Regenschauer trafen mein Gesicht. Ich zitterte am ganzen Leib, aber nicht vor Kälte, sondern vor Erschöpfung. So, wie nur ein Mensch zittern kann, der vor allen Dämonen der Hölle geflohen ist und schließlich nicht mehr die Kraft hat, sich noch weiter voranzuquälen. Zwei riesige, glühende Augen starrten mich aus der Dunkelheit heraus an. Es dauerte mehrere Sekunden, bis ich
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könnte. Deshalb klammerte ich mich an meine gegenwärtige Existenz, wie sich ein Ertrinkender an den geringsten Halt klammern mochte, um nicht unterzugehen. „Vielleicht haben Sie einen Ausweis oder irgendwelche persönlichen Papiere bei sich“, sagte der Fremde, der meine panische Angst gefühlt haben musste. Ich griff in meine Taschen, aber sie waren leer. Jetzt hörte ich Autotüren schlagen, und zwei weitere dunkle Gestalten tauchten in den Lichtkegeln der Scheinwerfer auf. Eine davon war eine Frau. Ich konnte ihr offenes Haar im Wind flattern sehen. „Ist der Fremde verletzt?“ fragte sie. „Es sieht nicht so aus. Aber er scheint sein Gedächtnis verloren zu haben. Er erinnert sich an nichts, weiß nicht einmal, wer er ist. Vielleicht steht er unter einem Schock“, antwortete der Mann, der mich aufrechthielt. „So etwas kann man erst nach einer eingehenden Untersuchung mit Bestimmtheit sagen“, erwiderte die Frau. „Vielleicht hat er bei einem Sturz eine Kopfverletzung erlitten. Manchmal reicht schon eine schwere Gehirnerschütterung aus, um einen Gedächtnisverlust zu bewirken. Der Mann sieht wirklich schlimm aus. Wer weiß, wie lange er schon durch die Nacht irrt. Wir müssen ihn zu einem Arzt bringen.“ „Es ist schon zu spät, um ihn noch heute Nacht nach Rom zu schaffen“, sagte der zweite Mann. „Nehmen wir ihn doch mit nach Schloss Maligno. Morgen können wir dann überlegen, was weiter mit ihm geschehen soll. Vielleicht leidet er nur unter einem zeitweiligen Gedächtnisschwund und kann sich morgen wenigstens wieder an Bruchstücke seiner Vergangenheit erinnern. Professor, helfen Sie mir, ihn
aufzustehen. Ich war so schwach, dass ich in die Knie knickte und sofort wieder hingefallen wäre, wenn er mich nicht gestützt hätte. „Wer sind Sie, und woher kommen Sie? Was suchen Sie nachts und allein in dieser verlassenen Gegend?“ fragte er. Ich öffnete den Mund, um zu antworten, doch dann hielt ich inne. Seine Frage klang in meinen Ohren wie ein Ruf, den jemand in einen finsteren Raum schickt, aus dem kein Widerhall zurückkommt. Und wie ein betäubender, schrecklicher Schlag traf mich die Erkenntnis, dass ich weder wusste, wer ich war, noch wo ich mich befand. Panik durchzuckte mich wie eine jäh auflodernde Flamme. „Ich – ich weiß nicht“, brachte ich hervor, wobei mir meine Stimme kaum gehorchen wollte. „Ich kann mich an nichts erinnern, nicht einmal an meinen Namen. Wer bin ich? Wo bin ich?“ „Sie scheinen Engländer oder Amerikaner zu sein, so viel verrät mir Ihre Sprache. Und Sie befinden sich in Italien, in der Nähe von Rom“, antwortete der Mann, der mich stützte. „Mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen. Haben Sie denn gar keine Erinnerungen mehr an die Vergangenheit?“ Ich starrte ihn an und schüttelte den Kopf. Meine Angst wuchs ins Unermessliche. Es war schrecklich, vor einem absoluten Nichts zu stehen, wie am Rand eines Abgrunds. Nicht zu wissen, wer ich war. Ich wollte mich erinnern. Aber gleichzeitig fürchtete ich mich auch wieder davor, um die Erinnerung zu ringen. Denn, wenn ich meinen Fuß erst in die Dunkelheit hineinsetzte, die meine Vergangenheit umgab, und dabei keinen sicheren Boden fand, würde ich in einen Abgrund des heulenden Wahnsinns stürzen, aus dem ich vielleicht nie wieder auftauchen
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eines Menschen einwirken kann, dass es sie gleichsam zersprengt und ihre Bruchstücke in vielleicht dauernde Finsternis hüllt.“ Während sie so über mich sprach, saß ich da und versuchte mit aller mir verbliebenen Kraft mein schwindendes Bewusstsein festzuhalten, das mir immer wieder zu entgleiten drohte. Es war seltsam, aber ich hatte das unbestimmte Empfinden, dass die immer näher kommende Bewusstlosigkeit eine Art Schutz war, die mein Unterbewusstsein über mein waches, aber schwer verletztes Bewusstsein breiten wollte, um es vor einer möglicherweise tödlich wirkenden Erkenntnis zu bewahren. Die Worte der Frau hatten irgendetwas in mir berührt – ich vermochte nicht zu sagen, was es war – , das jenseits der Dunkelheit des Vergessens auf mich wartete. Wenn ich mich daran erinnerte, würde das lauernde Grauen vielleicht den letzten Rest meiner dem bewussten Willen unterworfenen Persönlichkeit zerstören. Ich fühlte die Krallen der Angst, gleich Eisdolchen, immer tiefer in mein Inneres dringen. Und ich war dieser schrecklichen Furcht hilflos ausgeliefert ...
auf den Rücksitz des Wagens zu schaffen, bevor wir alle bis auf die Haut durchnässt werden. Elizabeth kann sich um ihn kümmern, wenn er erst im Auto sitzt.“ Auf die beiden Männer gestützt, schaffte ich die paar Meter bis zum Wagen. Die Frau öffnete die Tür, und ich sank auf dem Rücksitz zusammen. Zu der Angst, die mich beherrschte, kam jetzt noch eine kalte Übelkeit. Schweiß brach mir am ganzen Körper aus, und ich zitterte wie im Schüttelfrost. Die Frau stieg zu mir auf den Rücksitz. Die beiden Männer nahmen die Fahrerund Beifahrersitze ein. Autotüren wurden zugeschlagen, dann sprang der Motor an, und der Wagen setzte sich mit leichtem Schaukeln auf der unbefestigten Straße in Bewegung. Die Frau, deren Gesicht ich im schwachen Lichtschein des Armaturenbretts nur schemenhaft erkennen konnte, trocknete mein Gesicht mit einem Taschentuch, dann tastete sie mit ihren Fingern durch mein Haar hindurch meinen Kopf bis zum Nacken hinunter ab. „Tut das weh?“ fragte sie. Ich konnte nur den Kopf schütteln, denn die Übelkeit würgte mich und schnürte mir die Kehle zu, so dass ich kein Wort hervorbrachte. „Sie haben recht, Professor“, sagte sie zu einem der beiden vorn sitzenden Männern. „Er weist keine sicht- oder fühlbare Verletzung auf, die den Gedächtnisverlust bewirkt haben könnte. Aber sehen Sie sich sein Gesicht an. Es wirkt wie eine Maske des Grauens. Dieser Mann muss etwas Entsetzliches erlebt haben. Einen schweren psychischen Schock, der ausreichte, um sein Erinnerungsvermögen auszulöschen. Ich möchte wissen, was so zerstörerisch, so teuflisch auf den Geist und die Seele
Ich musste zeitweilig die Besinnung verloren haben, denn ich kam plötzlich zu mir, als der Wagen über eine Schwelle holperte. Im kreidigen Licht der Autoscheinwerfer sah ich ein weit geöffnetes Tor, das mir aus einer hohen Mauer entgegengähnte. Ein sich unwillkürlich aufdrängender Vergleich erschreckte mich: Es sah aus, wie das Tor zur Hölle. Ein steinerner Greif – halb Adler, halb Drache – wölbte seine Fledermausflügel über dem Torschlund. Seine Krallen, die eine Wappentafel festhielten, leuchteten im Scheinwerferlicht für Sekunden rot auf,
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können, dass wir einander schon einmal begegnet waren, hielt er die Stablampe – ich wusste nicht, ob aus Versehen oder aus Absicht – so, dass ihr Licht mich blendete und ich den Blick zur Seite wenden musste. Meine Begleiter und der Grauhaarige redeten auf Italienisch miteinander, und ich verstand ab und zu ein paar Worte. Ich beherrschte diese Sprache also einigermaßen, was ich vorher nicht gewusst hatte. Dann führte man mich über alte Steintreppen und durch lange, finstere Korridore. Im Inneren des Schlosses schien es kein elektrisches Licht zu geben, denn die Stablampe unseres Führers war der einzige Wegweiser, den wir hatten. Deshalb sah ich nicht viel von den Gängen, durch die wir schritten. Doch sie schienen hoch und leer zu sein, denn das Geräusch unserer Schritte hallte laut aus der Dunkelheit wider. Unser Führer öffnete eine hohe, holzgeschnitzte Tür mit einem Riegel, dessen schwärzliches Eisen in Jahrhunderten von unzähligen Händen abgewetzt worden war. Ich stolperte über die Schwelle in einen großen, dunklen Raum. Dann flackerte die kleine Flamme eines Streichholzes auf, Glas klirrte gegen Metall, und gleich darauf erhellte das matte rötliche Licht einer Laterne den Raum. Ich sah einen offenen, gähnend leeren Kamin in einer Ecke. An den getünchten Wänden hingen Wandteppiche. Möbel, die durch hohes Alter jeden Glanz verloren hatten – ein Tisch, reichgeschnitzte Stühle, zwei Betten mit Brokatbaldachinen – , standen herum. Dann fiel mein Blick auf ein Bild an der Wand gegenüber der Tür. Es zeigte einen Mann in der Tracht des fünfzehnten Jahrhunderts. Er war ganz in Schwarz gekleidet. Sein Gesicht – schön und
als wären sie in Blut getaucht. Dann rollte der Wagen über eine wuchtige Steinbrücke und durch das finstere Torgewölbe in einen düsteren, nur gelegentlich von fernem Wetterleuchten erhellten Schlosshof. Ich war nicht imstande, mir Gedanken darüber zu machen, wohin ich geraten war. Mehr und mehr von Schwäche überwältigt, war es mir nur mit der Hilfe der beiden Männer möglich, aus dem Auto auszusteigen. In dem Moment, als eine trübe elektrische Beleuchtung im Schlosshof anging, hörte ich ganz deutlich eine Stimme sagen: „Du hast die Macht Satans zunichte gemacht, und dafür musst du sterben – sterben – sterben.“ Die Worte schienen von den dunklen, vom Verfall gezeichneten Mauern ringsum widerzuhallen. Ich hob mühsam den Kopf. Doch keiner meiner beiden Helfer schien gesprochen zu haben. Wieder schüttelte mich ein Kälteschauer, und eine Angst, die ihre Wurzeln im leeren Dunkel meiner vergessenen Vergangenheit schlug, quälte mich. Denn mir schien, ich hätte diese Stimme und die Worte, die sie sprach, schon einmal gehört: irgendwann, irgendwo – gestern oder vor Jahrhunderten. Ein älterer, grauhaariger, aber athletisch gebauter Mann trat auf uns zu. Er hielt eine Stablampe in der Hand. Als ihr Lichtkegel auf mich fiel, veränderte sich der Ausdruck auf seinem scharf geschnittenen, von tiefen Falten durchzogenen Gesicht. Unwillkürlich durchzuckte mich der Gedanke: So sieht man keinen Fremden an, dem man zum ersten Mal begegnet. Dieser Blick verrät ein Wiedererkennen. Aber wie sollte das möglich sein? Doch bevor ich noch länger im Gesicht des Grauhaarigen nach einer Regung forschen konnte, die mir irgendeinen Hinweis darauf hätte geben
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denn ich suchte die Frau, die ich liebte: Lucrezia Borgia. Ihre Dienerin hatte mich eine halbe Stunde zuvor geweckt, um mir, von Schluchzen geschüttelt und vor Grauen weiß im Gesicht, zu berichten, dass ihre Herrin, ihre Madonna Lucrezia, von vermummten Männern aus ihrem Gemach in der Engelsburg fortgeschleppt und in die geheimen Verliese gebracht worden war. Diese Verliese – Kerkerzellen und Folterkammern – hatten sich durch die mörderische Grausamkeit und die Blutgier, mit der die Borgia-Sippe, allen voran Papst Alexander VI. und sein Sohn Cesare, Herzog der Romagna und oberster Heerführer der päpstlichen Armee, ihre Feinde verfolgte, foltern und hinrichten ließ, den schrecklichen Ruf erworben, nächst der Hölle der grauenvollste Ort auf der Welt zu sein. Ich ahnte nicht, was mit Lucrezia Borgia geschehen war. Aber ich fürchtete das Schlimmste für sie, denn ich wusste, dass Cesare nicht davor zurückschreckte, auch Mitglieder seiner eigenen Familie ermorden zu lassen, wenn er sie verdächtigte, ihn an seine zahlreichen Todfeinde verraten zu wollen. Er würde auch das Leben seiner schönen Schwester nicht schonen, falls sie es gewagt haben sollte, ihm zu trotzen. Denn das wahnwitzige Streben Cesare Borgias und seine hündische Gier galten nur einem Ziel: Macht über Menschen zu besitzen, die er allesamt zu seinen Kreaturen machen wollte. Cesares Machtgier kannte keine Grenzen. Wer sich ihm in den Weg stellte, der musste sterben. Ich stieg eine abwärts führende Treppe hinunter, die zu den in einem Zwischengeschoß liegenden, geheimen Verliesen führte. Durch die mit Eisengittern versehenen Fensterlöcher
ebenmäßig in jedem einzelnen Zug, aber in seiner Gesamtheit von einer teuflischen, bösen Grausamkeit – war in so hellen Farben gehalten, dass es aus dem Bild hervorzutreten schien. Der höhnische Blick seiner starren, fiebrig glänzenden Augen, der genau auf mich gerichtet war, schien zu leben und vor Hass zu brennen. Da verlor ich abermals die Besinnung ...
War es ein Traum, oder war es eine unerklärliche, unheimliche Wirklichkeit, in der ich mich wieder fand? Die bedrückende Macht eines Traums schlägt ja einen schlafenden Menschen oft noch mehr in Bann, als die Sinneseindrücke, die er im Wachzustand erfährt. Nur ist es im Traum eine andere Art von Bewusstsein, das in uns tätig wird und uns ein Gebiet betreten lässt, welches uns normalerweise verschlossen ist: unser Unterbewusstsein, unsere Seele. Und unsere Seele gleicht oft einer Landschaft des Schreckens. Ich wusste – trotz des seltsamen Zustandes, in dem ich mich befand – genau, wo ich war: im ersten Geschoß der päpstlichen Engelsburg in Rom. Und ich kannte auch das Datum: Es war die Nacht zum 18. August 1503. Die Klingen meines Degens und des Stiletts, die ich in den Händen hielt, waren rot vom Blut der Wächter, die ich vor dem Zugang zu den geheimen Verliesen der Engelsburg niedergekämpft hatte. Ich trug ein geschlitztes Wams und schenkelhohe Stiefel aus weichem Leder. Ein schwerer roter Mantel hing von meinen Schultern. Ich war mir bewusst. dass ich mein Leben aufs Spiel setzte, indem ich in die geheimen Verliese eindrang, denn das war bei Todesstrafe verboten. Aber um mich aufzuhalten, würde man mich wirklich töten müssen,
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Der Raum, von dessen aus Steinquadern gefügten Mauern schon das Stöhnen und die Todesseufzer von Dutzenden Gefolterter widergehallt haben mussten, war groß und hatte eine hohe, gewölbte Decke. In der offenen Esse loderte ein Feuer, in dem rot- und weißglühende Brandeisen lagen. Peitschen, Ketten und andere Folterwerkzeuge hingen an den Wänden. Gerade in dem Augenblick, da ich auf die Schwelle trat, kamen zwei vermummte Henker durch eine Hintertür in die Folterkammer. Sie schleiften den Körper eines Enthaupteten hinter sich her. Einer der beiden Scharfrichter trug den Kopf des Opfers. Sie schlössen die Tür, schoben den Riegel vor, drehten sich um – und sahen mich. Sofort ließen sie ihr Opfer los, und einer von ihnen, dessen nackter Oberkörper schweißnass im Flammenschein glänzte, ergriff mit beiden Händen ein Henkersbeil, das an einem Holzblock lehnte, der zur Enthauptung von Gefangenen benützt wurde. Seine Augen blitzten gefährlich hinter den Sehschlitzen in seiner schwarzen Kapuze. Ohne zu zögern kam er auf mich zu und holte mit dem Beil zum Schlag aus. Kein Zweifel: er hatte Befehl, jeden Menschen zu töten, der in dieser Nacht ungerufen in die geheimen Verliese eindrang. Ich sah, wie die Muskeln an seinen Schultern und Armen sich strafften, und duckte mich. Das Beil fuhr blinkend über mich hinweg und grub sich krachend in das Holz des Türrahmens. Bevor der Scharfrichter es wieder herausreißen konnte, saß ihm meine Degenklinge tief in der nackten Brust. Ohne einen Schrei stürzte der Henker zu Boden, krümmte sich und lag still. Der zweite drehte sich um und versuchte, durch die Tür zu entkommen,
wehte der Nachtwind herein und ließ die Flammen der Fackeln, die in rußgeschwärzten Eisenringen an den Wänden steckten, tanzen. Es war eine schlimme Nacht. Papst Alexander VI. lag im Sterben. Zwar war verlautbart worden, das Gelbe Fieber, das aus den Tiber-Sümpfen kam, habe ihn niedergeworfen. Aber sowohl in seiner nächsten Umgebung als auch in den Straßen von Rom hieß es, er sei vergiftet worden. Einer seiner Kardinale, den er habe ermorden lassen wollen, weil dieser sich ihm nicht gefügig gezeigt hatte, sei ihm zuvorgekommen und habe dafür gesorgt, dass der goldene Pokal mit vergiftetem Wein nicht ihm, sondern durch ein „Versehen“ dem Borgia-Papst selbst gereicht wurde. Es gab aber auch Stimmen – selbst innerhalb des päpstlichen Hofstaates – , die hinter vorgehaltener Hand raunten, dass Satan, dem die Borgias ihre Seelen verpfändet hätten, um zu Macht und Reichtum zu gelangen und ihre bösen Instinkte befriedigen zu können, den mit Blut unterzeichneten Vertrag nun den Borgias vorgewiesen habe um den Lohn für seine Mühe zu fordern: die Seele des BorgiaPapstes Alexander VI. Ich hatte mich vom ersten Augenblick an, da ich die goldhaarige Lucrezia sah, unsterblich in sie verliebt. Von dieser Stunde an hatte ich gewusst, dass ich der schönen Frau mit Leib und Seele verfallen war. Und nun wollte ich sie vor einem schrecklichen Schicksal bewahren, das ihr – wie ich dunkel ahnte – bevorstand. Oder mit ihr sterben. Ich sah, dass das Ende der. Steintreppe, das ich fast schon erreicht hatte, von rotem, flackerndem Feuerschein beleuchtet wurde, der aus einer offenen Tür fiel. Ich stieg noch zwei, drei Treppenstufen hinab und stand auf der Schwelle einer Folterkammer.
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Geruch schwängerten. Auf diesem lästerlichen Altar lag eine Frau. Sie war vollkommen nackt. Ihr Körper schimmerte im flackernden Licht der vielen Kerzen wie Elfenbein, überhaucht mit einem matten Goldton. Ihre Augen waren geschlossen. Sie lag wie betäubt da. Ihr blondes Haar war wie ein goldener Strahlenkranz um ihren Kopf ausgebreitet: Lucrezia Borgia. Das Schlimmste von allem jedoch War der Schatten, der sich über den wunderschönen Körper der Frau beugte, sich aber in dem Augenblick, da ich über die Schwelle trat, ruckartig mir zuwandte. Obwohl diese dunkle Gestalt keinen wirklichen Körper zu besitzen schien, war sie doch andererseits nicht nur ein Schattenriss an der Wand. Sie stand mitten im Raum, und sie hatte nichts Menschliches an sich. Es schien, als hätte die Hölle eine ihrer unvorstellbaren Kreaturen ausgespien. Zwei schwefelgelbe Augen von unmenschlicher Grausamkeit und Bösartigkeit funkelten mich an. Der Schatten reckte mir zwei mit spitzen Krallen bewehrte Klauen entgegen. Ein Zischen, wie von einer ungeheuren Schlange oder einem Drachen, ertönte. Eisige Kälte und ein so entsetzlicher Gestank, wie ich ihn noch nie zuvor wahrgenommen hatte, schlugen mir aus dem Rachen dieser höllischen Kreatur entgegen. Von Grauen übermannt, verharrte ich einen Moment. Doch dann sah ich wieder Lucrezia Borgias schlanken, schimmernden Körper auf dem gotteslästerlichen Altar liegen und griff den Schatten mit der blutbefleckten Degenklinge an. „Zurück! Zurück, du verfluchter Narr!“ schrie eine der zwanzig, fünfundzwanzig in dem Raum versammelten, in schwarze Kutten gehüllten Gestalten. Sie wollte
durch die er gerade eingetreten war. Er zerrte den eisernen Riegel zur Seite. Da schleuderte ich das Stilett nach ihm. Blitzend wirbelte die Klinge durch die Luft. Der Henker taumelte, tödlich getroffen, vornüber und stieß dabei mit seinem Körpergewicht die Tür auf, fiel der Länge nach über die Schwelle und blieb, mit dem Gesicht nach unten, auf dem Boden des sich dahinter öffnenden Raumes liegen. Den blutbefleckten Degen in der Hand, trat ich über den leblosen Körper des Henkers hinweg und blieb wie erstarrt stehen. Niemals – mochte mein Leben auch tausend Jahre währen – würde ich den Anblick vergessen, der sich mir bot, als ich über die Schwelle jenes Raumes trat. Er war wie für eine Schwarze Teufelsmesse hergerichtet. Es gab zwar mehrere Kruzifixe in dieser ehemaligen großen Kerkerzelle, aber sie waren entweder mit der Vorderseite zur Wand gedreht oder ganz mit schwarzem Tuch verhüllt. In silbernen Leuchtern brannten Hunderte von Kerzen aus schwarzem Wachs. In der Mitte des Raumes war eine Art Steintisch oder -altar errichtet. Um diesen gotteslästerlichen Altar war mit frischem Blut – Menschenblut ohne Zweifel – ein Kreis gezogen, der einen ebenfalls mit Blut auf den Steinboden gezeichneten fünfzackigen Stern umschloss. An jeder Spitze des Sterns war eine Stange errichtet. Die erste trug den Schädel eines Widders mit schweren, krummen Hörnern. Die zweite den eines Schweins. Die dritte einen Pferdeschädel. Die vierte einen Hundekopf. Die fünfte aber als schaurigen Zierrat einen zähnebleckenden Menschenschädel. Um den Steintisch selbst waren drei eiserne Feuerbecken angeordnet, aus denen graue Rauchsäulen aufstiegen, die die Luft mit einem schweren, widerwärtigen
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über dem Herzen. Doch sie zerbrach klirrend, wie sprödes Glas. Im nächsten Moment wurde ich von vielen Armen umschlungen. Der Degen wurde mir aus der Hand geschlagen. Ich war wehrlos. Cesare Borgia riss sich die Kutte vom Leib, und da sah ich, dass mein verhasster Feind darunter einen geschmiedeten Brustpanzer trug. Wie immer, so hatte der verfluchte Herzog der Romagna auch diesmal dafür gesorgt, dass keine Waffe ihn tödlich treffen konnte. Cesares Gesicht – ein Dichter hatte ihn einmal den schönsten Mann seiner Zeit genannt – war zu einer abstoßenden Fratze der Wut verzerrt. „Weißt du, was du getan hast, Maclodio?“ Er spie mir die Worte förmlich entgegen. „Mein Vater liegt im Sterben. Seine Lebensspanne ist abgelaufen, und nur einer hätte sie verlängern können: Satan. Doch der wollte es nur für einen bestimmten Preis tun: Meine Schwester sollte den Sohn des Teufels gebären, damit das Böse leibhaftig Eingang fände in diese Welt. Alles war vorbereitet. Doch dann kamst du, hast mit deinem Fuß den magischen Kreis zerstört und Satan vertrieben. Nun wird mein Vater sterben, und das ist deine Schuld, du unwissender, blinder Narr!“ Mir graute vor diesem Mann. „Ich hätte niemals geglaubt, dass du zu einer solchen Schandtat fähig wärst“, stieß ich hervor, gegen die vielen vermummten Gestalten ankämpfend, die mich festhielten. „Verrat – ja. Gewalt – ja. Mord – ja. Aber, dass du deine eigene Schwester dem Dämon aus den finstersten Tiefen des Infernos ausliefern würdest, damit die Aussaat des Bösen Wurzeln schlagen kann in dieser Welt, das hätte ich für unmöglich gehalten. Ich sehe, ich habe mich in dir getäuscht, Cesare Borgia. Du bist selbst eine
sich mir mit ausgebreiteten Armen in den Weg stellen, um mich aufzuhalten. „Zurück! Zerstöre nicht den magischen Kreis!“ Aber es war schon zu spät. Mein Fuß hatte bereits den mit Blut gezogenen Kreis überschritten. Im gleichen Augenblick war der höllische Schatten verschwunden – der Platz, von dem er mir eben noch seine Wut und seinen Hass entgegen gespien hatte, war leer. Ein wütender Windstoß fuhr durch die beiden kleinen vergitterten Außenfenster herein und brachte die meisten der schwarzen Kerzen zum Erlöschen. Ein unirdisches Gewinsel – ein Laut, geboren aus satanischem Zorn, Angst und Hoffnungslosigkeit – hallte von den nackten Steinwänden wider. Dann herrschte Stille. Der Spuk war verflogen. „Verflucht sollst du sein, du Narr!“ schrie der Mann, der mich hatte aufhalten wollen. Seine Stimme überschlug sich fast vor Wut. Mit einem Ruck riss er sich die Kapuze vom Kopf – und enthüllte das schöne, böse Gesicht Cesare Borgias, Lucrezias Bruder. „Packt ihn!“ stieß er hervor. Bevor ich mich zur Wehr setzen konnte, drangen von allen Seiten vermummte Gestalten, in ihren dunklen Kutten wie riesige, geisterhafte Fledermäuse anzusehen, auf mich ein. Sie hielten blinkende Stilette in den Händen, die sie aus den weiten Ärmeln ihrer Gewänder gerissen hatten. Da wusste ich, dass ich mein Leben verspielt hatte. Aber eines wollte ich wenigstens noch vollbringen, bevor ich sterben musste: Cesare Borgia – das verkörperte Böse, die Ausgeburt der Hölle – sollte sein Leben noch vor mir aushauchen. Erst dann würde Lucrezia vor ihm sicher sein. Ich führte einen blitzschnellen, wuchtigen Degenstoß gegen Borgia. Die Klinge traf, wo sie treffen sollte: genau
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Schwester bringt dir den Tod, denn die Liebe steht im Gegensatz zum Bösen – und nur eine von beiden Mächten kann die Welt beherrschen. Du hast die Macht Satans zunichte gemacht, und dafür musst du sterben – sterben – sterben!“ Soweit war Cesare Borgia gekommen, als ihn der dumpf dröhnende Knall eines Kanonenschusses von der Bastion San Luca unterbrach, dem weitere Kanonenschüsse von den drei anderen Eckbastionen der Engelsburg folgten. Borgia lauschte. Alles Blut wich aus seinen Wangen, bis sein Gesicht kalkweiß war. „Mein Vater, der Papst, ist tot. Durch deine Schuld, Maclodio“, sagte er, als die Kanonen verstummt waren. „Aber du wirst ihn um keine einzige Stunde überleben.“ Dann schrie er – und es war das Schreien eines Wahnsinnigen – den Männern, die mich festhielten zu: „Tötet ihn! Tötet ihn! Tötet ihn!“ Ich versuchte, mich mit einer gewaltigen Anstrengung loszureißen, doch es war schon zu spät. Mit tödlicher Leichtigkeit stießen die blitzenden Klingen in den Händen der Vermummten auf mich nieder. Ich fühlte den Stahl wie kaltes Feuer in meinen Körper eindringen. Doch ich empfand keinen Schmerz, nur ein Gefühl der Schwäche. Ich fiel zu Boden, als die vermummten Gestalten mich losließen. Aber sie stachen noch immer auf mich ein, getrieben von einem Hass, dem nichts Menschliches mehr anhaftete. Mein Mund füllte sich mit Blut, das den Geschmack von geschmolzenem Erz hatte. Dann griff der Tod nach mir…
Kreatur der Hölle. Es ist also wahr, was man in den Gassen von Rom flüstert: dass eure Sippe einen Pakt mit dem Satan geschlossen hat ...“ „Mein Vater“, unterbrach Cesare mich, wobei seine Stimme bis zu einem scharfen, heiseren, gefährlichen Flüstern sank, „ist der mächtigste Mann nicht nur Roms, sondern der ganzen Kirche. Alle müssen seinem Befehl gehorchen. Aber ich stehe neben seinem Thron und herrsche in seinem Namen. Ja, der eigentliche Herr über Rom und das Papsttum bin ich. Ich, Cesare Borgia. Alle Macht, die ich besitze, gab mir der Dämon der Hölle. Dafür sollte ich ihm Gelegenheit schaffen, seine Klauen in die Kirche zu schlagen, um sie zu vernichten. Aber wenn mein Vater stirbt, gilt der Handel zwischen mir und der Hölle nicht mehr, denn in dem Fall hätte ich keinen Einfluss mehr auf Kirche und Papsttum. Deshalb wollte ich das Leben meines Vaters, des Papstes, um jeden Preis erhalten. Auch wenn ich dafür Leib und Seele meiner Schwester Satan hätte ausliefern müssen, damit sie den leibhaftigen Sohn des Bösen gebärt. Sie hätte – betäubt von Wein und Schlafmohn – nicht einmal bemerkt, was in dieser Nacht mit ihr geschehen wäre, wenn du nicht den mit Blut gezogenen, magischen Kreis missachtet hättest, Maclodio. Jetzt wird mein Vater sterben, und auch ich selbst bin verloren. Denn Satan wird, des gebrochenen Versprechens wegen, das ich ihm gab, seinen mächtigen Schutz von mir abziehen. Das bedeutet meinen Untergang und den Anbruch meiner Verdammnis. Aber auch du wirst sterben, Maclodio. Denn du hast gesehen, was keiner außer mir und meinen Brüdern in Satan sehen durfte. Dein Mund muss für alle Zeiten versiegelt werden. Deine Liebe zu meiner
Ich erwachte von meinem eigenen Schrei. Eine Hand packte meine Schulter und rüttelte mich. Ich öffnete die Augen und blickte in ein fremdes Gesicht, das
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einem engen Durchgang befand, von dem aus eine schmale Steintreppe abwärts, in lichtloses Dunkel, führte. Wie ich hierher gekommen war, wusste ich nicht. Auch der zweite Mann, den ich schon im Auto auf der nächtlichen Landstraße gesehen hatte, und die Frau, die dabei gewesen war, tauchten auf. Und da war auch der Grauhaarige, der mich – wie ich mich dunkel erinnerte – so seltsam angestarrt hatte. Neben ihm stand ein junges, hübsches, schwarzhaariges Mädchen. Auch ihre Augen waren mit einem eigenartigen Ausdruck auf mich gerichtet. Es schien fast, als ob sie mir – ohne Worte, nur durch ihren Blick – etwas sagen wollte. Baines redete auf Italienisch mit dem Grauhaarigen. Ich vermochte dem kurzen Wortwechsel nicht zu folgen, denn mich hielt noch immer das Grauen aus meinem Traum umfangen. Dann nahm Baines mich beim Arm und führte mich zurück in das Schlafzimmer, das er mit mir teilte. Dort blieb ich auf der Türschwelle stehen. Denn an der Wand gegenüber hing noch immer das Bild jenes Mannes, der mich schon bei meinem ersten Eintreten so höhnisch anzustarren schien. Aber diesmal berührte mich noch etwas anderes unheimlich: Sein Gesicht war das des Mannes, den ich in meinem Traum gesehen hatte. Es waren die Züge Cesare Borgias ... Baines, der mein Zögern bemerkt hatte, fragte: „Was haben Sie? Stört Sie das Bild? Fürchten Sie sich davor?“ „Schaffen Sie es hinaus!“ sagte ich heftiger, als ich gewollt hatte. „Bringen Sie es raus! Es geht etwas Böses von diesem Bild aus.“ Die beiden Männer und die Frau tauschten einen Blick, dann stellte Baines die Laterne auf den Tisch, nahm das schwere Bild vom Haken und trug es hinaus. Aber auch, als es schon draußen
sich im Lichtkegel einer Laterne über mich beugte. Ich lag auf kaltem Steinboden. Im ersten Augenblick wusste ich nicht, wo ich mich befand und wer der Mann vor mir war. „Nur ruhig! Ganz ruhig! Es geschieht Ihnen nichts Böses“, sagte er. „Ihre Schreie haben mich geweckt, und da sah ich, dass Ihr Bett leer war. Sie müssen im Schlaf gewandelt sein und unser Zimmer so leise verlassen haben, dass ich davon nicht aufwachte. Nachdem wir Sie hierher gebracht hatten, dachten wir, es wäre besser, wenn Sie nicht allein schlafen, und so habe ich das Zimmer mit Ihnen geteilt.“ Ich versuchte, zu antworten, brachte aber kein Wort über die Lippen. Er musste das nackte Entsetzen in meinem Gesicht gesehen haben, die Angst, das Grauen, denn er fragte: „Erkennen Sie mich nicht? Ich bin einer von den dreien, die Sie nachts auf der Straße nach Schloss Maligno getroffen haben. Wir haben Sie hierher geschafft, weil Sie völlig verwirrt waren und sich an nichts erinnern konnten. Mein Name ist Lindon Baines.“ Endlich gehorchte mir meine Zunge wieder. Aber alles, was ich mit einer Stimme, die mir selbst fremd klang, hervorbrachte, war: „Die Klingen – die blutigen Klingen ... Sie bringen mir den Tod.“ „Es muss wohl ein Albtraum gewesen sein, der Sie so erschreckt hat“, entgegnete der Mann, der sich Lindon Baines nannte. „War es ein Traum, der Sie in Ihre eigene Vergangenheit zurückführte? Können Sie sich jetzt wieder daran erinnern, wer Sie sind?“ „Nein“, sagte ich. „Ich weiß es nicht – ich weiß es wirklich nicht.“ Jetzt kamen noch mehr Leute herbei. Einige von ihnen trugen Laternen, und in deren Licht sah ich, dass ich mich in
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den Vereinigten Staaten nach Italien gekommen. Wir arbeiten an der Universität von Oklahoma, wo ich einen Lehrstuhl für vergleichende Religionswissenschaft innehabe. Steve und Miss Morgan unterstützen mich als wissenschaftliche Assistenten. Wir halten uns in Italien auf, um nach alten Dokumenten aus der Borgia-Zeit – als gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts – zu forschen. Schloss Maligno, wo wir uns befinden, befand sich zu dieser Zeit im Besitz der Borgia-Sippe. Deshalb wollten wir hier mit unserer Suche beginnen. Und nun möchten wir gern etwas von Ihnen hören, mein unbekannter Freund. Ich halte Sie für einen Briten oder einen Amerikaner aus den Neuengland-Staaten an der Ostküste – New York, Vermont oder Connecticut – , das verrät Ihre Sprache und Ausdrucksweise. Mehr wissen wir aber nicht von Ihnen, und deshalb ...“ „Mehr weiß auch ich nicht von mir selbst, und das wenige weiß ich nur, weil Sie es mir gesagt haben“, unterbrach ich ihn. „So sehr ich mich auch bemühe, kann ich mich doch nicht einmal an meinen eigenen Namen erinnern. Da ist nur dieser Traum. Vielleicht steht er in irgendeinem Zusammenhang mit meiner Vergangenheit, aber er war furchtbar ...“ Diesmal war es Baines, der mir ins Wort fiel: „Wenn wir von Ihrem Traum ausgehen, bringen wir möglicherweise Schritt für Schritt Licht in das Dunkel, das Ihre Vergangenheit umhüllt. Manchmal kann man aus einem einzigen Bruchstück ein vollständiges Ganzes rekonstruieren. Erzählen Sie uns also von Ihrem Traum!“ Ich schaute von einem der drei zum anderen. Der Mann, den Baines als Steve Fisher vorgestellt hatte, war schlank und hatte ein scharf geschnittenes, auf männliche
auf dem Gang stand, war mir noch immer, als träfe mich der Blick der gemalten Augen durch die dicke Steinmauer hindurch. Ich drehte mich um, und dabei fiel mein Blick auf einen in vergoldete Bronze gerahmten kleinen, runden Spiegel an der Wand. Zum ersten Mal sah ich mein Gesicht, und es traf mich wie ein Schock, dass meine eigenen Züge mir vollkommen fremd waren. Es war schmal und hätte mit seinen grauen Augen, der etwas zu scharf gekrümmten Nase, dem energischen Mund und den tief eingekerbten Falten, die von den Nasenflügeln bis fast zum Kinn hinabliefen, unter anderen Umständen vielleicht gut ausgesehen. Doch jetzt hatte ein unbekanntes Grauen seine Spuren hineingegraben, und Furcht und ein Schimmer der Verzweiflung sprachen aus dem Blick der tiefliegenden Augen. Ich wusste nicht, was ich sagen oder tun sollte. War es möglich, dass ein Mensch sein eigenes Gesicht vergaß? Was war mit mir geschehen? Ich ließ mich auf dem Rand meines Bettes nieder und schlug die Hände vors Gesicht. Die Tür wurde geschlossen. Als ich nach einer Weile wieder aufsah, standen die drei vor mir und blickten mich abwartend an. Baines war ein älterer Mann, dessen Haar an den Schläfen schon silbergrau schimmerte. Aber er war hochgewachsen und von eindrucksvoller Gestalt. Er trug einen Schlafanzug und darüber einen Morgenrock aus roter, gemusterter Seide. „Geht es Ihnen jetzt besser?“ fragte er mich. Als ich nickte, fuhr er fort: „Dann möchte ich Ihnen jetzt meine Begleiter vorstellen: Elizabeth Morgan und Steve Fisher. Als wir Sie auf der nächtlichen Landstraße fanden, hatten wir keine Gelegenheit, uns bekannt zu machen. Wir drei sind erst vor wenigen Tagen aus
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„Als Sie mich hierher brachten, wusste ich nicht, wo ich mich befand. Und doch ...“ Ich zögerte und fuhr schließlich fort: „Und doch habe ich manchmal das Gefühl, dass bestimmte Dinge, denen ich hier begegnet bin, wie zum Beispiel des Bild Cesare Borgias, mir nicht fremd sind.“ „Was wissen Sie von den Borgias?“ fragte Baines. „Ich wusste nichts von ihnen, erinnerte mich nicht einmal ihres Namens, bevor der Traum mich heimsuchte“, antwortete ich. „Aber im Augenblick, in dem er begann, wusste ich alles über diese verfluchte Sippe. So, als ob ich zur selben Zeit gelebt hätte, wie sie. Mit einemmal war die Erinnerung da.“ „Das scheint ein Fall von Seelenwanderung zu sein“, warf Steve Fisher spöttisch ein. Doch Baines schien die Ironie in den Worten seines Assistenten gar nicht bemerkt zu haben. „Ich glaube nicht an Seelenwanderung“, erwiderte er ernsthaft, wobei er mich nachdenklich musterte. „Aber ich bin sicher, dass dieser Traum in irgendeinem Zusammenhang mit Ihrer verlorenen Vergangenheit steht. Vielleicht waren Sie doch schon einmal hier. Das Personal behauptet allerdings. Sie noch nie gesehen zu haben. Aber wenn das wahr ist, wie kamen Sie dann auf die Landstraße, bei Nacht, bei Sturm und Regen? In einem Umkreis von mehr als zwanzig Meilen gibt es keine andere menschliche Behausung in dieser unwirtlichen Gegend als Schloss Maligno.“ „Er kann von weiß Gott woher gekommen sein“, sagte Fisher. „Vielleicht ist er schon tage- und nächtelang umhergeirrt, bevor wir ihn fanden.“ „Möglich“, gab Baines zu. „Aber ich glaube, bei Tagesanbruch wäre er so weit
Art gut aussehendes Gesicht. Aber seine Augen, dunkel, ein wenig verschleiert und mit winzigen, golden funkelnden Einsprengseln in der Iris, mahnten zur Vorsicht. Ihr Blick war flackernd, unstet, ausweichend. Ich hatte kein gutes Gefühl, als ich Steve Fisher betrachtete. Elizabeth Morgan war eine Schönheit. Sie hatte klare, große blaugraue Augen, weizenblondes Haar, das an den Schläfen und im Nacken so kurz, dicht und weich war und so silbrig schimmerte, wie Distelflaum in der Sonne, und einen schöngeschnittenen Mund mit vollen, korallenroten Lippen. Lange, schlanke Beine zeichneten sich unter den Hosen ihres Schlafanzugs ab, über dem sie einen goldfarbenen Morgenmantel trug. Sie setzte sich in einen der reichgeschnitzten alten Stühle, verschränkte die schönen Hände um ein Knie und sah mich nachdenklich und forschend an. Ich erzählte meinen Traum, und eigentlich – ich wusste nicht, warum – sprach ich nur zu Elizabeth Morgan. Als ich geendet hatte, herrschte eine Weile tiefes Schweigen. Dann sagte das Mädchen: „Ein schrecklicher Traum. Aber vielleicht lässt er sich ganz einfach erklären. Sie müssen zweifellos etwas Schreckliches erlebt haben, was Ihren Gedächtnisverlust bewirkte. Sie befinden sich hier in einem ehemaligen BorgiaSchloss. Vielleicht hat Ihr Unterbewusstsein im Traum zwei verschiedene Erlebnisebenen übereinander projiziert. Es hat Ihr furchtbares Erlebnis – was immer es auch gewesen sein mag – einfach in die Umgebung versetzt, in der Sie sich gegenwärtig befinden.“ „Aber ich habe dieses Schloss nie zuvor betreten. Ich habe nicht einmal von seiner Existenz geahnt“, entgegnete ich.
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dass er zu Gewalttätigkeiten neigt. Vielleicht ist es das, was nicht nur Elizabeth, sondern auch die meisten anderen Menschen abstoßend an ihm finden. Er stand sogar einmal unter Mordverdacht. Aber das Gericht musste ihn schließlich freisprechen. Nun, welchen Charakter er auch immer haben mag, er ist jedenfalls ein brillanter Wissenschaftler und unermüdlicher Arbeiter. Aus diesem Grund habe ich ihn zu meinem Assistenten gemacht. In das, was zwischen Elizabeth Morgan und ihm vorgeht, will ich mich nicht einmischen. Ich glaube, das Mädchen ist dazu imstande, allein mit ihren Problemen fertig zu werden. Aber genug davon. Ich werde morgen nach Rom fahren, um mit Doktor Petrucci über Ihren Fall zu sprechen. Sie bitte ich, im Schloss zu bleiben. Schauen Sie sich überall um. Vielleicht stoßen Sie dabei auf einen Gegenstand, der eine Erinnerung in Ihnen wachruft.“ „Sie nehmen also an, dass ich schon einmal auf Schloss Maligno war, obwohl das Personal vorgibt, mich noch nie zuvor gesehen zu haben?“ fragte ich. Baines sah mich nachdenklich an. Mir schien, als wollte er einen ganz bestimmten Verdacht äußern. Doch dann zuckte er mit den Schultern, als kämen ihm seine eigenen Gedanken widersinnig vor. „Wir werden sehen“, antwortete er. „Wir werden ja sehen.“
zur Besinnung gekommen, dass er den Weg zu anderen Menschen eingeschlagen hätte. Er brauchte ja Hilfe. Er machte aber, als wir ihn fanden, den Eindruck, als ob er vollkommen sinnund ziellos herumgestolpert wäre. Auf der Flucht vor irgendetwas oder irgendjemandem. Halten wir eines fest: Er war auf der Flucht.“ „Das bringt uns auch nicht weiter, Professor“, entgegnete Elizabeth Morgan. „Ich glaube, dass diesem Mann, der sein eigenes Ich verloren hat, nur ein Arzt helfen kann, ein erfahrener Psychiater.“ „Wahrscheinlich haben Sie recht, Elizabeth“, murmelte Baines. „Zufällig kenne ich einen Psychiater in Rom: Doktor Petrucci. Wir korrespondieren seit Jahren miteinander über psychologische, ethische und religiöse Probleme. Ich hatte ohnehin die Absicht, ihn während unseres Aufenthalts in Italien aufzusuchen. Petrucci spricht unsere Sprache ausgezeichnet. Er hat in Harvard studiert. Vielleicht gelingt es ihm, das mysteriöse Dunkel um diesen im wahrsten Sinn des Wortes unbekannten Fremden aufzuhellen.“ Nachdem Elizabeth Morgan und Steve Fisher das Schlafzimmer verlassen hatten, um in ihre eigenen Räume zurückzukehren, wandte ich mich an Baines: „Ich habe das Gefühl, Ihr Assistent ist nicht sehr glücklich über mein Auftauchen.“ „Steve hat eine Zuneigung zu Elizabeth Morgan gefasst“, erwiderte Baines. „Nun stehen aber Sie im Mittelpunkt von Elizabeths Interesse. Deswegen begegnet er Ihnen mit einer gewissen Feindschaft. Das Mädchen erwidert seine Liebe zwar nicht, aber Steve kann, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, sehr hartnäckig sein und ist nicht so leicht abzuschrecken. Ich könnte mir vorstellen,
„Partielle oder totale Amnesie – das heißt: Teilweiser oder völliger Gedächtnisverlust – kann ein Dutzend verschiedener Ursachen haben, von mehr oder weniger schweren Gehirnverletzungen bis zu psychischer Überbelastung oder einem schweren Schuldkomplex, den ein Mensch geistig-
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fragte er. „Ja, aber außer dem Bild von Cesare Borgia hat nichts irgendeine innere Bewegung in mir hervorgerufen. Natürlich sind viele Räume in Schloss Maligno versperrt, so dass ich nur einige wenige betreten konnte. Wem gehört das Bauwerk eigentlich?“ „Es gehört dem italienischen Staat, aber der kümmert sieh nicht darum“, antwortete Petrucci. „Der Staat besitzt viele Schlösser, aber kaum Geld, um sie instand zu halten. Deshalb unterhält er hier auch nur ein zahlenmäßig geringes Personal. Aber lassen Sie uns jetzt über Ihren Traum sprechen, von dem Baines mir erzählt hat. Dieser Traum hat mich auf der ganzen Fahrt hierher stark beschäftigt. Ich glaube nicht, wie Professor Baines es zu tun scheint, dass die darin aufgetretenen Gestalten nur symbolische Bedeutung besaßen.“ „Sie glauben demnach, dass der Traum in irgendeinem direkten Zusammenhang mit meiner verlorenen Vergangenheit steht?“ fragte ich, mich unwillkürlich vorbeugend. Ungeduldig wartete ich auf seine Antwort, denn davon konnte für mich viel abhängen. „Ich bin davon überzeugt“, sagte Petrucci. „Meines Erachtens beweist Ihr Traum zumindest, dass Ihr Erinnerungsvermögen nur auf der Ebene des wachen Bewusstseins erloschen – oder vielleicht sollte ich besser sagen: blockiert – ist. In Ihrem Unterbewusstsein existiert die Gedächtnisbrücke zwischen Gegenwart und Vergangenheit noch immer. Warum diese Sie allerdings ins fünfzehnte Jahrhundert und ausgerechnet ins Rom der Borgias geführt hat, ist unklar. Es sei denn ...“ Er brach ab. „Sprechen Sie weiter!“ forderte ich ihn auf. Er zögerte, dann warf er die nur halb
seelisch nicht verarbeiten kann und der deshalb von seinem Unterbewusstsein durch totalen Gedächtnisverlust ausgeschaltet wird, bevor er den Menschen zerstören, das heißt in den Wahnsinn treiben kann. Ich stimme aber mit Professor Baines und Miss Morgan überein, dass in Ihrem Fall ein schwerer psychischer Schock das auslösende Moment gewesen sein muss. Sie müssen sich das Zustandekommen einer Amnesie wie einen elektrischen Kurzschluss vorstellen, bei dem das Licht erlischt, weil das Stromnetz überlastet ist. Beim Menschen werden, zum Beispiel durch einen Schock, die Nerven überlastet. Allerdings spielen dabei noch komplizierte Stoffwechselvorgänge im Gehirn eine Rolle, die die Wissenschaft bis heute nicht vollkommen erforscht hat. Doch das Ergebnis ist dasselbe wie bei dem vergleichbaren Stromnetz: Kurzschluss. Die Erinnerung erlischt. Amnesie tritt ein“, sagte Doktor Petrucci. Er war hochgewachsen, schwarzhaarig, mit markantem Gesicht, dunklen Augen und von gepflegtem Äußeren. Professor Baines hatte ihn aus Rom mitgebracht. Petrucci zeigte sich sehr interessiert an meinem Fall. Wir saßen einander in der Bibliothek des Schlosses gegenüber. Außer uns war niemand in dem großen Raum mit den hohen Regalen voll alter, ledergebundener Bücher anwesend. Petrucci bot mir eine Zigarette aus einem goldenen Etui an, aber ich lehnte ab. Er zündete sich eine an und sah mich nachdenklich an, den Zigarettenrauch, der zwischen uns in der Luft hing, durch eine lässige Bewegung seiner schlanken, gepflegten langfingrigen Hand vertreibend. „Haben Sie, wie Lindon Baines Ihnen riet, das Schloss durchstreift und nach Gegenständen gesucht; die Ihnen möglicherweise bekannt vorkamen?“
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dabei rau, denn mein Mund war ganz plötzlich trocken geworden. Petrucci warf mir einen raschen, etwas unsicheren Seitenblick zu, als wollte er sich versichern, dass er nicht zu weit gegangen sei und meine schwache physische Kraft nicht überschätzt habe. „Ich wollte damit nicht sagen, dass sich alles genauso abgespielt haben muss“, schwächte er seine vorangegangene Erklärung ab. „In Träumen mischen sich bekanntlich Wahrheit und Einbildung. Die Dinge treten uns darin manchmal in ihrer wirklichen, manchmal in einer symbolischen Gestalt entgegen.“ „Aber Sie sind der Meinung, dass mein Traum durch irgendeinen Gegenstand in diesem Schloss hervorgerufen worden sein könnte!“ beharrte ich. Petrucci machte eine abwehrende Handbewegung. „Ich habe Ihnen nur eine Theorie erklärt, für die es im Grunde keinen Beweis gibt“, wich er mir aus. „Aber wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich dieses Schloss verlassen. Es scheint einen schlechten Einfluss auf Ihren ohnehin labilen Gemütszustand auszuüben.“ Ohne dass ich einen Grund dafür hätte nennen können, gingen mir Baines’ Worte durch den Sinn, die er in der vergangenen Nacht mit Bezug auf mich gesprochen hatte: „Halten wir eines fest: Er war auf der Flucht!“ „Vielleicht bin ich schon einmal aus diesem Schloss geflohen und erinnere mich nur nicht mehr daran“, murmelte ich. „Aber wie dem auch sei: Jetzt kann ich es nicht verlassen, denn hier bietet sich mir vielleicht die einzige Möglichkeit, die Erinnerung an meine Vergangenheit wieder zu finden. Wollen Sie mir dabei helfen, Doktor?“ „So gut ich es vermag“, entgegnete Petrucci. „Auch die Polizei wird sich Ihrer annehmen, denn ich bin als Arzt verpflichtet, Ihren Fall den Behörden zu
gerauchte Zigarette auf den Steinboden und trat die Glut mit dem Absatz seines eleganten Schuhs aus. „Als Psychologe habe ich mich natürlich, wenn auch nur am Rande, mit parapsychologischen, das heißt so genannten übersinnlichen Erscheinungen beschäftigt. Ich verstehe unter dem Begriff Erscheinungen nicht Geister oder Gespenster, sondern vielmehr unerklärliche Ereignisse, die uns bis an die Grenzen menschlicher Erkenntnisfähigkeit führen. Es gibt durchaus ernstzunehmende Parapsychologen wie Doktor Milan Ryzl, der in seinem Buch ‚Parapsychologie’ behauptet, dass Orte oder Gegenstände ein Geschehen – meist schrecklicher, emotionsgeladener Natur wie Mord, Hinrichtung oder Ähnliches – speichern können, und dass es unter bestimmten Bedingungen medial veranlagten Menschen möglich ist, diese gespeicherten Eindrücke bewusst oder unbewusst abzurufen. Das könnte eine Erklärung für Ihren Traum sein, wenn Sie ihn in der Engelsburg zu Rom geträumt hätten, denn dort befanden Sie sich ja in Ihrem Traum. Tatsächlich aber schliefen Sie im Schloss Maligno, das sich allerdings vor Jahrhunderten im Besitz der Borgia-Sippe befand. Einmal angenommen, wir halten Ryzls Theorie für wahr oder auch nur für möglich, dann könnte irgendein Gegenstand in Schloss Maligno, der sich in der Todesnacht des Borgia-Papstes Alexander VI., also am 18. August 1503, in der Engelsburg zu Rom befand. Ihren Traum hervorgerufen haben.“ „Wissen Sie, dass Sie mit Ihren Worten eben angedeutet haben, mein Traumerlebnis könnte sich vor fast fünfhundert Jahren in genau derselben Weise in Wirklichkeit abgespielt haben?“ fragte ich den Arzt. Meine Stimme klang
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sprechen. Aber bevor ich gehe, möchte ich, dass Sie mir genau die Stelle im Schloss zeigen, an der Baines Sie aus Ihrem schlimmen Traum gerissen hat.“ Wir verließen die Bibliothek, und ich führte ihn zu dem engen, von einem Steinbogen überwölbten Durchgang, hinter dem die schmale Treppe abwärts in die Dunkelheit führte. „Giovanni!“ rief Petrucci, über meine Schulter blickend. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass der grauhaarige Diener, der mich bei meiner Ankunft auf Schloss Maligno so merkwürdig angeblickt hatte, hinter uns in einer offen stehenden Tür aufgetaucht war. „Das ist Giovanni Brunetto, eine Art Haushofmeister im Dienst der Regierung“, sagte der Arzt halblaut zu mir. „Er versieht sein Amt schon seit einer halben Ewigkeit. Niemand weiß, wie alt er ist. Vielleicht stammt auch er, wie das Schloss, aus den Zeiten der Borgias. Giovanni“, wandte er sich dann an den Grauhaarigen, „sagen Sie uns, wohin diese Treppe führt! Gibt es dort unten kein Licht?“ „Ich bringe Ihnen eine Laterne, wenn Sie hinuntersteigen wollen, Dottore“, entgegnete der Diener. „Innerhalb des Schlosses gibt es keinen elektrischen Strom; nur draußen auf dem Hof. Aber dort unten werden Sie nur die alte Folterkammer, leere Kerkerzellen und weitläufige Bogengänge vorfinden, die früher als Weinkeller benutzt wurden.“ „Gehen Sie oft da hinunter, Giovanni?“ „Nein, Dottore. Es muss über ein Jahr her sein, dass zum letzten Mal jemand vom Personal den Fuß in die Kellergewölbe gesetzt hat. Es ist kalt dort unten. Außerdem erzählt man, dass die ruhelosen Geister derer, die in der Folterkammer umgebracht wurden, noch immer umgehen.“ „Danke, Giovanni!“ sagte Petrucci. Er
melden. Sie sind Ausländer und haben Ihr Gedächtnis verloren. Unter diesen Umständen muss die Polizei in den Fall eingeschaltet werden. Möglicherweise ist inzwischen schon eine Vermisstenanzeige bei einer Behörde eingegangen. Sie könnten ja Angehörige haben, die nach Ihnen suchen.“ „Und wie werden Sie mich behandeln?“ fragte ich ihn. „Womit, glauben Sie, kann man einen Menschen behandeln, der sein Gedächtnis verloren hat?“ antwortete er mit einer Gegenfrage. „Mit schweren Medikamenten, so genannten Psychopharmaka: Scopolamin, Psilocybin oder starken Sedativa – , mit Hypnose oder Elektroschock? In einem Fall wie dem Ihren wäre das eine so untauglich wie das andere. Jedes dieser Mittel könnte sogar eine schwere Gefahr für Sie darstellen. Ich will Ihnen nichts vormachen: Eine falsche Behandlung zu einem so frühen Zeitpunkt könnte Sie, in Ihrer labilen psychischen Situation, in den Wahnsinn treiben. Dieses Risiko kann ich als Arzt nicht eingehen. Was Sie brauchen ist Ruhe, viel Ruhe – deshalb habe ich Ihnen geraten, Schloss Maligne zu verlassen – , und Gespräche mit einem Psychiater, der versucht, Sie Schritt für Schritt über den dunklen Pfad in Ihre vergessene Vergangenheit zurückzuführen. Ob es gelingt, vermag ich gegenwärtig noch nicht zu sagen. Manchmal kehrt die Erinnerung in einem Fall wie dem Ihren nach einiger Zeit von selbst zurück, wenn der Schock, der die Amnesie verursachte, abklingt. Es hat aber auch schon Fälle gegeben, in denen sich Menschen nie wieder an ihre Vergangenheit erinnerten, sondern sich Zeit ihres Lebens selbst fremd blieben.“ Petrucci stand auf. „Ich werde, wenn es mir irgend möglich ist; täglich herkommen, um mit Ihnen zu
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logisch nachzudenken: Es musste einen Grund dafür geben, weshalb ich in meinem Traum ausgerechnet zu dieser Stelle gegangen war. Wäre ich, wenn Baines mich nicht eingeholt und geweckt hätte, über die Treppenstufen in die Dunkelheit dort unten hinabgestiegen? Aber was hätte ich dort zu suchen gehabt? Deutete mein unverständliches Verhalten nicht darauf hin, dass mein Unterbewusstsein diese Treppe kannte und wusste, was mich an ihrem Fuß erwartete? Plötzlich, während ich noch dastand und um eine klare Erkenntnis rang, war mir, als hätte ich unten, in der Schwärze am Ende der Steintreppe, einen flackernden Lichtschein gesehen. Ich zögerte. Ich hatte Angst. Doch schließlich begann ich, langsam die Treppe hinunterzusteigen. Das Herz schlug mir bis zum Hals, aber ich zwang mich weiterzugehen. Je tiefer ich stieg, umso heller wurde das tanzende Licht.
nahm mich beim Arm und führte mich durch die Schlosshalle und die hohe Eingangstür hinaus ins gleißend helle Sonnenlicht. Doch auf dem ganzen Weg fühlte ich Brunettos Blick in meinem Rücken. Draußen, auf dem Hof, stand Baines’ Auto, mit dem Doktor Petrucci gekommen war, ein dunkler viertüriger Alfa Romeo. Lindon Baines stand zigarettenrauchend daneben. „Nun, wie sind Sie vorangekommen?“ fragte er Petrucci. Der machte eine Ungewisse Handbewegung, die alles und nichts bedeuten konnte. „Es ist nicht so einfach, einem Menschen, der – aus welchem Grund auch immer – sein Gedächtnis verloren hat, zur entscheidenden Selbsterkenntnis zu verhelfen, mein Freund“, antwortete er. „Bringen Sie mich jetzt nach Rom zurück!“ Er reichte mir die Hand und sagte: „Ich komme morgen wieder!“ Er stieg in den Alfa Romeo. Baines setzte sich hinter das Steuer. Der Motor sprang an, der Wagen rollte rückwärts aus dem Tor, und ich war allein. Aber das schien nur so, denn als ich mich umdrehte, sah ich Brunetto in der halb geöffneten Eingangstür stehen. Er musste mich die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen haben. Doch als mein Blick auf ihn fiel, tat er einen raschen Schritt zurück, die Tür fiel ins Schloss, und nun war ich wirklich allein auf dem Hof von Maligno. Verwirrt kehrte ich in das Schloss zurück, denn Petruccis unklare Andeutungen gingen mir nicht aus dem Sinn. In der Halle zögerte ich, dann schritt ich, anstatt mein Zimmer aufzusuchen, wieder zu dem schmalen Durchgang mit der abwärts führenden Treppe. Ich stand da, starrte in das Dunkel hinab und versuchte, klar und
„Zu der Zeit, als diese Foltergeräte noch von Henkersknechten bedient wurden, gaben sie dem, der ihre Anwendung befahl. Macht über Leben und Tod der Menschen, die sich in seiner Gewalt befanden. Mit diesen Werkzeugen konnte er sie zu jedem Geständnis, zu jedem Verrat zwingen. Die Folter brach den Willen der Gefangenen. Manchmal reichte schon der Anblick eines weißglühenden Brandeisens aus, um einem Mann, der nicht reden wollte, die Zunge zu lösen.“ Es war Steve Fishers Stimme, die aus demselben Kellerraum tönte, aus dem auch der flackernde Lichtschein drang. Die Art, in der er die Worte aussprach, ließ mich unwillkürlich frösteln. Eine unterschwellige Grausamkeit schwang in
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Streckbank und schritt damit durch den Raum. Vor einem Richtblock blieb er stehen. „Man kann noch jede Kerbe erkennen, die das Beil des Henkers bei den Hinrichtungen in dem harten Holz hinterließ“, sagte er. Dann trat er vor die Eiserne Jungfrau, einen mannshohen, schmalen Kasten, der die ungefähre Gestalt eines menschlichen Körpers hatte und dessen Deckel mit einer Eisenmaske in Form eines weiblichen Gesichts geschmückt war. Steve Fisher öffnete die Tür. Sie war an der Innenseite dicht mit langen eisernen Spitzen besetzt, die beim Schließen der Tür das Opfer, das sich in der Eisernen Jungfrau befand, durchbohrten. Die Dornen, die spitz und so scharf geschliffen waren wie Messerklingen, blinkten rostrot im Laternenschein. „Steve, ich möchte jetzt gehen!“ sagte Elizabeth Morgan. „Ich halte es hier nicht länger aus. Mir fällt das Atmen in diesem Kellergewölbe schwer. Ich habe ein Gefühl, als müssten jeden Augenblick die Mauern über mir zusammenstürzen.“ Da wandte sich Steve Fisher mit einem Ruck nach dem Mädchen um. Er hob die Laterne höher. Sein Gesicht wirkte unheimlich in ihrem dumpfen rötlichen Lichtkegel. Für einen Augenblick schien es mir das Gesicht eines anderen, vollkommen fremden Menschen zu sein. Aber vielleicht war das nur eine Täuschung, die durch das flackernde Licht und die hin und her schwankenden schwarzen Schatten hervorgerufen wurde. „Aber verstehen Sie denn nicht, Elizabeth?“ fragte er, und nun wurde mir bewusst, dass tatsächlich eine Veränderung mit ihm geschehen war, denn selbst seine Stimme klang auf einmal fremd. „Wir befinden uns an einem Ort, an dem letzte, unbeschränkte
seiner Stimme mit. Dann erwiderte jemand anders: „Wir wollen das Kellergewölbe verlassen, Steve. Es ist ein schrecklicher Ort. Die Schatten in den Winkeln scheinen etwas Lauerndes, Böses zu verbergen. Kein Wunder, dass manche Leute glauben, hier gingen noch immer die Geister der Gefolterten und Hingerichteten um. Lassen Sie uns gehen, Steve, rasch! Ich habe ein Verlangen nach Sonnenlicht und dem Anblick des freien Himmels, seit wir hier heruntergestiegen sind. Ich wollte, ich hätte mich nicht von Ihnen überreden lassen. Sie zu begleiten.“ Das war Elizabeth Morgans Stimme. Neben der Tür, aus der sie drang, entdeckte ich ein kleines, vergittertes Fensterloch in einer Mauernische, die gerade groß genug war, um einem Menschen Platz zu bieten. Wahrscheinlich hatte sie früher den Zweck erfüllt, den Borgias, denen Schloss Maligno gehört hatte, zu Zeugen von Folterungen und Hinrichtungen werden zu lassen, ohne dass sie die Folterkammer betreten mussten. Jedenfalls hatte ich durch das Mauerloch einen guten Überblick über den dahinterliegenden Raum, der von einer Laterne erhellt wurde. In ihrem Schein sah ich Elizabeth Morgan und Steve Fisher neben einer mittelalterlichen Streckbank stehen. An den Wänden hingen scheußliche Foltergeräte: Ketten, Peitschen mit in die Riemen eingeflochtenen Metalldornen, Eisenstangen, die wohl zum Vollzug der Todesstrafe auf dem Rad bestimmt gewesen waren. Brandeisen, Daumenschrauben, die berüchtigten Spanischen Stiefel, Henkersbeile und schwerter. Steve Fisher, der den Einwand des Mädchens gar nicht gehört zu haben schien, nahm die Laterne von der
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Mensch es tut, wenn er einen vertrauten, aber fast vergessenen Gegenstand wieder gefunden hat und sich nun vergewissern will, dass dieser wirklich vorhanden und er selbst keiner Täuschung unterlegen ist. Leise verließ ich die Nische und eilte nach oben. Die Eingangstür der großen Halle stand offen. Ich trat hinaus. Draußen lehnte Elizabeth Morgan an der sonnenwarmen Mauer. Sie rauchte mit hastigen Bewegungen eine Zigarette und machte einen verstörten Eindruck. Hier, im hellen Licht, sah ich, dass sie lange Hosen, leichte Sportschuhe und einen weiten, weichen Pullover trug. Das blonde Haar hatte sie im Nacken mit einem bunten Seidentuch zusammengebunden. „Hallo!“ sagte ich. Beim Klang meiner Stimme zuckte sie zusammen. Dann wandte sie mir rasch ihr schönes Gesicht zu, erkannte mich und lächelte mühsam. „Ist Doktor Petrucci schon fort?“ fragte sie. „Ja. Professor Baines bringt ihn gerade nach Rom zurück“, antwortete ich und fügte, um weiteren Fragen in dieser Richtung vorzubeugen, hinzu: „Wo ist Ihr ständiger Begleiter?“ „Steve?“ Sie wich meinem Blick aus. „Irgendwo im Schloss, nehme ich an. Möglicherweise hält er sich in der Bibliothek auf. Ich habe ihn seit ein, zwei Stunden nicht gesehen.“ Der Umstand, dass sie mich so offensichtlich belog, hätte mich eigentlich warnen müssen. Aber ich glaubte, es sei ihr einfach unangenehm, über das zu reden, was sich im Kellergewölbe von Schloss Maligno ereignet hatte. Wenn ich gewusst hätte, warum sie log und dass die satanische Macht, in deren Bannkreis wir alle geraten waren, ohne es zu wissen, ihre Hand langsam, aber unerbittlich auch nach Elizabeth Morgan ausstreckte, hätte
Macht über Leben und Tod von Menschen ausgeübt wurde. Hier hat Cesare Borgia seine Feinde vernichtet, langsam, qualvoll. Er hat an derselben Stelle gestanden, wie jetzt ich. Er hörte das Stöhnen und Todesröcheln seiner Opfer, sah ihr Blut auf den Steinboden rinnen. Ich sehe es vor mir, ganz deutlich, so, als ob ich Cesare Borgia wäre und meine Erinnerung nach Jahrhunderten wieder erwachte.“ Steve Fishers Blick schien sich im Nichts zu verlieren, und sein Gesicht nahm einen dämonischen Ausdruck an. „Hier“, sagte er, „hier habe ich gestanden und die sich aufbäumenden Leiber auf der Streckfolter gesehen, und ich gab den Henkersknechten das Zeichen, die Seilwinde weiter, immer weiter zu drehen. Ich hörte ...“ Er sprach von sich zwar noch immer in der ersten Person, aber so, als ob er nicht mehr Steve Fisher, sondern jemand ganz anderer wäre. Und wer das war, hatte er selbst gesagt: Cesare Borgia, der für ewig Verfluchte ... Aber als er so weit gekommen war, wurde er durch das Geräusch schneller Schritte unterbrochen. Elizabeth Morgan hatte den Anblick und die Worte Steve Fishers nicht länger ertragen können und die Folterkammer verlassen. Sie war auf ihrer Flucht – denn ihre Eile, konnte man nur als panische Flucht bezeichnen – so dicht an mir vorbeigekommen, dass ich sie mit ausgestreckter Hand hätte berühren können. Doch da ich in der dunklen Mauernische stand, hatte sie mich nicht gesehen. Steve Fisher blickte ihr, die Laterne in der erhobenen Hand, nach, als sei er aus einem Traum erwacht. Aber er folgte dem Mädchen nicht, sondern ging nach kurzem Zögern weiter von einem Folterwerkzeug zum anderen und berührte jedes mit der Hand, wie ein
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vollkommen durchnässt, verschmutzt und zerrissen. Das Mädchen hatte meine veränderte Erscheinung natürlich sofort bemerkt. Was mich aber überraschte, war die Heftigkeit, mit der sie Steve Fisher gegen mich verteidigte. Schließlich wusste ich von Baines, dass sie den jungen wissenschaftlichen Assistenten abgewiesen hatte. Doch bevor ich etwas erwidern konnte, warf sie die nur zur Hälfte gerauchte Zigarette weg und fuhr sich mit einer Hand über die Augen, als wollte sie etwas wegwischen. Und wirklich: Als sie mich wieder ansah, war ihr Blick klar und der Schatten, der ihre Augen so verhangen hatte wirken, lassen, verschwunden. „Es tut mir leid, dass ich eben so unbeherrscht und heftig war“, murmelte sie. „Ich fühle mich nicht sehr gut. Würden Sie mich, bitte, auf mein Zimmer bringen?“ „Natürlich. Gern. Sind Sie krank?“ „Nein. Es geht schon wieder. Ich hatte nur für einen Augenblick ein Gefühl der Leere und der Kälte. Als Kinder sagten wir, wenn uns plötzlich und grundlos fröstelte, scherzhaft immer: Jetzt ist ein Gespenst über mein Grab gegangen. Kennen Sie diesen Ausspruch nicht auch aus Ihrer Jugend?“ „Nein, ich erinnere mich noch immer nicht an meine Vergangenheit. Aber vielleicht haben Professor Baines oder Steve Fisher eine Flasche Brandy in ihrem Gepäck. Sie sollten einen großen Schluck daraus trinken. Das würde das Gespenst schnell vertreiben.“ Wir gingen durch die menschenleere Halle des Schlosses und stiegen über die breite steinerne Treppe ins erste Obergeschoß hinauf, wo wir alle unsere Zimmer hatten. Elizabeth Morgan sprach auf dem ganzen Weg kein einziges Wort. Ich hatte das deutliche Gefühl, dass irgendetwas sie bedrückte, wollte sie aber
ich dem dunklen Schatten des Bösen vielleicht Einhalt gebieten, das Unheil verhindern können. Aber ich ahnte nichts. Ich wusste ja nicht einmal, wer ich war. Und als ich die Zusammenhänge schließlich zu erahnen begann, war es schon zu spät. „Was für ein Mensch ist Steve Fisher eigentlich?“ fragte ich das Mädchen. „Ich hatte bisher kaum eine Gelegenheit, mehr als ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Ich habe das Gefühl, er geht mir aus dem Weg.“ „Die Menschen reagieren unterschiedlich auf ihn“, antwortete sie. „Viele lehnen ihn rundweg ab. Er verhält sich manchmal sonderbar, zugegeben. Aber das kommt daher, weil er es immer schwer hatte im Leben.“ „Und wie sieht Ihr Leben aus?“ wollte ich wissen. Ein prüfender Blick traf mich aus ihren blaugrauen Augen, die sonst so klar, jetzt aber irgendwie verhangen wirkten, als fiele ein Schatten auf sie. „Ich liebe meine Arbeit an der Universität von Oklahoma. Professor Baines ist eine der größten Kapazitäten auf dem Gebiet der vergleichenden Religionswissenschaft. Ich war sehr glücklich, als ich die Chance erhielt, mit ihm zusammenzuarbeiten.“ „Nimmt Ihre Tätigkeit als wissenschaftliche Assistentin Sie so sehr in Anspruch, dass Sie bisher keine Zeit fanden, zu heiraten?“ fragte ich. „Ich hörte, dass Sie Steve Fisher abgewiesen haben und ...“ Sofort fiel sie mir mit einer geradezu erschreckenden Heftigkeit ins Wort: „Sie sollten nicht abschätzig von einem Mann reden, dessen Anzug Sie tragen.“ Es entsprach der Wahrheit: Lindon Baines hatte mir von Fisher, der etwa meine Größe hatte, einen grauen Flanellanzug, Hemd, Wäsche und Schuhe besorgt, denn meine eigene Kleidung war
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gestaltet war. Daneben ein hochlehniger, ledergepolsterter Stuhl, dessen Lehne als Abschluss zwei geschnitzte Greife trug: dieselben Fabelwesen wie jenes über dem Tor von Schloss Maligno. Wieder zwei Schritte weiter sah ich ein Prunkbett mit einem Baldachin aus rotem, grünem und goldenem Brokat. Über dem Kopfende hing ein aus Kupfer getriebenes Relief, das eine biblische Szene darstellte. Dann gab es da noch einen Tisch, einen zweiten Stuhl, ähnlich dem, der neben dem Kamin stand, Kerzenhalter an den Wänden und ein leeres Laternengehäuse, das an einer Eisenkette von der Decke herabhing. Der Steinboden war mit einem sehr alten, verblassten weinroten Teppich ausgelegt. Elizabeth Morgan war neben dem Bett stehen geblieben. Ihr Haar schimmerte im Kerzenlicht wie gesponnenes Gold, und ein seltsam entrückter Ausdruck lag auf ihrem schönen Gesicht. „Wer mag wohl diesen Raum einst bewohnt haben?“ fragte ich unwillkürlich. „Man könnte glauben, Lucrezia Borgia habe hier gelebt.“ „Ja, ich habe hier gelebt“, antwortete Elizabeth Morgan mit veränderter Stimme, während sie zärtlich mit einer Hand über ein mit Edelsteinen besetztes Kleid aus blassgrünem, golddurchwirktem Brokat strich, das sorgfältig auf der seidenen Bettdecke ausgebreitet lag. „Aber es ist schon so lange her, dass ich diese schönen Dinge mit Händen berühren konnte. Ich hatte beinahe vergessen, wie sie sich anfühlen.“ Mir rann plötzlich ein kalter Schauer über den Rücken. Ich trat auf sie zu, und während ich das tat, schien sich ihr Gesicht auf seltsame Weise vor meinen Augen zu verändern. Es war, als würden ihre Züge durch die Züge eines anderen, schemenhaften Gesichts überdeckt. Auch
nicht danach fragen, um nicht eine neue, heftige Reaktion von ihr herauszufordern. Als wir den Gang entlangschritten, der zu unseren Zimmern führte, blieb das Mädchen plötzlich stehen. Ich drehte mich nach ihr um und bemerkte, dass sie wie gebannt auf eine bisher verschlossene Tür blickte, die jetzt einen Spaltbreit offen stand. Flackerndes Licht, wie Kerzenschein, drang heraus. Ich konnte Elizabeth Morgans Gesicht nicht sehen, da sie halb von mir abgewandt stand. Aber ich spürte förmlich, wie sehr es sie dazu drängte, den Raum hinter jener Tür zu betreten. Nach kurzem Zögern stieß sie die Tür ganz auf und trat über die Schwelle. Ich folgte ihr. Außer uns befand sich niemand in dem Raum, den ich betrat. Sein einziges hohes Fenster war geschlossen und von außen mit Holzläden gesichert. Das Licht, das ihn erhellte, kam von zwei dicken Wachskerzen auf schmiedeeisernen Ständern. Es war etwas Seltsames um diesen Raum, das empfand ich in derselben Sekunde, in der ich meinen Fuß hineinsetzte. Er hatte glatt verputzte Wände und war recht hoch. Seine Decke wurde von Steinbögen getragen, die in viereckigen Säulen wurzelten, die an die Wände angebaut waren. Überall waren Wandbehänge zu sehen, die in verschiedenen Braun- und Rottönen Jagd- und Waldszenen zeigten. In einer Ecke erhob sich ein offener, gemauerter, sich zur Decke hin verjüngender Kamin mit breitem Steinsims und eisernen Brennholzbehältern. Zu seiner Rechten stand ein reichgeschnitzter niedriger Holzstuhl, zu seiner Linken ein Schreibtisch – eine wertvolle alte Arbeit – , dessen Aufbau mit zahlreichen kleinen Schubladen in Kassettenweise
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Verbindung mit vergangenen Zeiten oder längst verstorbenen Personen eingehen können“, beharrte ich. Wir standen in der frühen blauen Abenddämmerung auf dem Schlosshof neben Baines’ Alfa Romeo. Vor einer Viertelstunde hatte ich den Wagen kommen hören und war aus der Bibliothek, wo ich in. alten, vergilbten Buchern von der Borgia-Sippe gelesen hatte, auf den Hof hinausgegangen, um mit Baines zu sprechen. „Irgend etwas Unerklärliches, Böses geht von diesem Schloss aus“, fuhr ich fort. „Doktor Petrucci war derselben Ansicht. Er hat mir sogar geraten, Maligno so rasch wie möglich zu verlassen. Hat er auf der Rückfahrt nach Rom nicht mit Ihnen darüber gesprochen?“ „Er hat gewisse Andeutungen gemacht, aber seine Mutmaßungen waren ziemlich dunkel gehalten“, gab Baines widerwillig zu. „Offenbar war er seiner Sache selbst nicht sicher. Ich bedaure jetzt schon, ihn zu Ihrem Fall überhaupt hinzugezogen zu haben. Diese Italiener sind alle so abergläubisch. Er sagte, er wolle bestimmte Nachforschungen anstellen und sofort wieder nach Schloss Maligno kommen, sobald er gefunden habe, was er suchte. Hoffentlich vergisst er nicht, die Polizei über Ihren Fall zu informieren. Wir werden zweifellos bald wieder von ihm hören, denn nach dem Gespräch mit Ihnen kam er mir sehr beunruhigt vor. Was aber Elizabeth Morgan und Steve Fisher angeht, so möchte ich Ihnen, mein unbekannter Freund, raten, sich mehr mit Ihrem eigenen Gemütszustand zu beschäftigen, als mit dem anderer Leute. Haben Sie noch immer keinen Anhaltspunkt für Ihre erloschene Vergangenheit gefunden?“ „Nicht den geringsten“, antwortete ich mutlos. „Doch allmählich wird in mir die
dieses zweite Antlitz war schön und von blondem Haar umrahmt. Dann, von einer Sekunde zur anderen, war es wieder Elizabeth Morgans Gesicht. Der Spuk war verflogen. „Elizabeth!“ sagte ich. „Miss Morgan!“ Ich legte meine Hand auf ihren Arm. Sie wandte sich mir zu und blickte mich so fremd an, als sähe sie mich zum ersten Mal in ihrem Leben Dann entzog sie mir ihren Arm. „Wo bin ich?“ fragte sie. „Das ist nicht mein Zimmer. Ich muss wohl durch die falsche Tür getreten sein.“ „Miss Morgan, Sie sagten vorhin ...“ „Was habe ich gesagt?“ fragte sie mit einem verwirrten Lächeln. Was konnte ich ihr darauf antworten. „Es ist nicht wichtig“, entgegnete ich. „Aber ich glaube, wir sollten diesen Raum lieber verlassen.“
„Ich vermag nicht recht an das zu glauben, was Sie mir da erzählen“, sagte Lindon Baines, nachdem ich ihm von den Vorfällen berichtet hatte, die sich während seiner Abwesenheit zutrugen. „Menschen, die plötzlich Wesenszüge anderer Personen aufweisen ... Das klingt zu phantastisch, um glaubhaft zu erscheinen. Wahrscheinlich stehen Sie noch immer unter dem Einfluss des Schocks, der ja auch Ihre Amnesie bewirkt hat, und haben deshalb verschiedene Dinge durcheinander gebracht. Eine zerrüttete Psyche und überreizte Nerven können einen Menschen so weit bringen, sich Vorgänge einzubilden, die sich in Wirklichkeit so gar nicht zugetragen haben.“ „Aber die Andeutungen, die Doktor Petrucci mir gegenüber machte, zielten in eine ähnliche Richtung: Dass nämlich Menschen auf unerklärliche Weise eine
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mich, und wieder fühlte ich seinen Blick in meinem Rücken, als ich durch den Korridor schritt, der mit alten Waffen, Rüstungen und Wandbehängen reich geschmückt war. Tiefe Stille schien über Schloss Maligno zu liegen, als ich über die Treppe in die Halle hinabstieg, in der nur zwei Laternen brannten. In allen Winkeln lauerten Schatten. Auf einem Tisch lagen zwei Bücher so, als hätte sie jemand im Vorbeigehen hastig dort abgelegt. Da ich mich nicht erinnern konnte, ob nicht ich selbst sie am frühen Abend dorthin gelegt hatte, als ich, aus der Bibliothek kommend, nach draußen ging, um mit Baines zu reden, nahm ich sie zur Hand. Aber das waren keine von den alten ledergebundenen Bänden, wie sie in der Bibliothek standen. Sie waren ganz neu. Das eine trug den Titel „Parapsychologie“ und stammte von Dr. rer. nat. Milan Ryzl, das andere hieß „Geschichte der Borgias“ und war von James Leacock. Eine dunkle Erinnerung stieg in mir auf: Doktor Petrucci hatte Ryzls Buch „Parapsychologie“ im Gespräch mit mir erwähnt. Aber wie kam der Band hierher? Ich war sicher, dass er nicht in der Bibliothek von Schloss Maligno gestanden hatte, er wäre mir sonst dort aufgefallen. Hatte Petrucci nicht Professor Baines versprochen, sofort wieder herzukommen, wenn er gefunden hatte, was er in Rom suchte? War er etwa in der Zwischenzeit unbemerkt ins Schloss gekommen? Aber wenn er hier war, wo befand er sich dann, und warum kam er nicht zu uns? Ich trat auf den Hof hinaus. Die elektrische Beleuchtung brannte nicht, es war stockfinster. Da ich nicht wusste, wo sich der Schalter befand, riss ich ein Streichholz an. In dem flackernden Licht der kleinen Flamme sah ich neben Baines’ Alfa Romeo einen silbernen
Ahnung immer stärker, dass ich, wenn mein Gedächtnis zurückkehren sollte, in meinen Erinnerungen auf Schloss Maligno stoßen würde.“ „Das halte ich für möglich“, sagte Lindon Baines. „Aber versuchen Sie nichts zu erzwingen. Die psychische Blockade, die Sie von Ihren Erinnerungen trennt, muss langsam abgebaut werden. Im anderen Fall laufen Sie Gefahr, Ihr Gedächtnis niemals wieder zu finden. Und nun wollen wir hineingehen und uns zum Abendessen umziehen“, fuhr er fort, nahm mich beim Arm und führte mich in die Schlosshalle. Das Abendessen in dem hohen, nur von Kerzen erleuchteten Remter im Obergeschoß wurde in einem fast feindseligen Schweigen verzehrt. Sowohl Elizabeth Morgan als auch Steve Fisher verspäteten sich und nahmen ihre Plätze an dem langen Tisch schweigend ein. Ich beobachtete ihre Gesichter. Sie sahen aus wie immer, nur wirkten sie jetzt verschlossener, als in der vergangenen Nacht. Beide antworteten einsilbig auf die Versuche Professor Baines’, ein Gespräch anzuknüpfen. Manchmal hatte es den Anschein, als wüssten sie – wenn er sein Fachgebiet der vergleichenden Religionswissenschaft anschnitt – überhaupt nicht, wovon er sprach. Mir schien es, als lauschten sie anderen Stimmen, die aber weder Lindon Baines noch ich zu hören vermochten. Oder hatte der Professor recht, und ich unterlag einer Sinnestäuschung, in die meine überreizten Nerven mich hineingetrieben hatten? Um dem bedrückenden Schweigen zu entgehen, das sich wie eine Last auf mich senkte, stand ich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit auf, entschuldigte mich und verließ den Raum. Der grauhaarige Diener öffnete die Tür für
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der Laterne. Die Streckbank, der Richtblock, an dem das Henkersbeil lehnte – alles schien unverändert. Ich wollte mich schon abwenden und den Raum wieder verlassen, als mein Blick auf die Eiserne Jungfrau fiel, die am Rand des Lichtkreises stand. Etwas wie eine dunkle Pfütze schimmerte auf dem Boden davor. Ich ging hin und leuchtete mit der Laterne. Dann sah ich, was es war: Rotes, frisches Blut war aus der Eisernen Jungfrau hervorgesickert und hatte eine große Lache auf dem Steinboden gebildet. Ich fühlte, wie Angst, gleich einer eiskalten Hand, mein Herz zusammenpresste. Am liebsten hätte ich das Kellergewölbe fluchtartig verlassen. Aber ich blieb stehen, als wäre ich auf der Stelle festgebannt. Nach einer Weile, als mein Herzschlag sich wieder beruhigt hatte und ich leichter atmen konnte, stellte ich die Laterne auf den alten Richtblock. Dann öffnete ich den eisernen Riegel, der den Deckel des scheußlichen Foltergeräts hielt. Doch die Tür sprang nicht auf. Sie schien verklemmt. Erst als ich ihren Rand mit beiden Händen packte und mit aller Kraft daran zerrte, überwand ich den Widerstand, und sie schwang, in den verrosteten Scharnieren kreischend, auf. Ich hatte geahnt, welcher Anblick sich mir bieten würde. Trotzdem stockte mir der Atem, als ich in das Innere der Eisernen Jungfrau schaute. Petrucci stand darin. Das heißt, ich nahm an, dass er es war. Erkennen konnte ich ihn nicht, dazu war er allzu schrecklich zugerichtet. Die langen, spitzen, grausam scharfgeschliffenen Eisendorne auf der Innenseite des Deckels hatten ihn durchbohrt. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass Petrucci tot war. Doch er stand noch immer aufrecht, denn der enge Innenraum der Eisernen Jungfrau
Maserati-Sportwagen stehen. Ich ging zu ihm. Er war nicht abgeschlossen, und als ich die Tür auf der Beifahrerseite öffnete, ging die automatische Beleuchtung an. Der Wagen war leer. Ich öffnete das Handschuhfach. Dort fand ich einen Führerschein und die Wagenpapiere, alles auf den Namen Petrucci ausgestellt. Ich warf den Wagenschlag wieder zu und kehrte ins Schloss zurück. Petrucci war also wirklich hier. Wir hatten ihn nur deshalb nicht kommen gehört, weil die Fenster des Remters nicht auf den Hof hinaus wiesen und außerdem verschlossen waren. Aber wo befand sich der Psychiater? Ich sah mich um. Der Tisch, auf dem die Bücher lagen, stand neben einer offenen Tür, hinter der jener Durchgang zu erkennen war, von dem die Kellertreppe zu den alten Gewölben hinabführte. Es schien immerhin möglich, dass Petrucci auf dem Weg dorthin die Bücher auf dem Tisch abgelegt hatte. Aber was konnte er dort unten, in der nachtschwarzen Dunkelheit der alten Kerkerzellen, suchen? Ich zögerte, doch dann entschloss ich mich, mir Gewissheit zu verschaffen. Ich nahm eine der Laternen vom Haken und stieg die Treppe hinunter. Von unten wehte mir ein Eishauch entgegen, wie aus einer aufgebrochenen Gruft. Der Lichtschein der Laterne schwankte über die feucht glitzernden Steinwände. Unten angelangt, rief ich nach Petrucci. Aber nur der Widerhall meiner eigenen Stimme antwortete mir aus den dunklen Gewölben. Auf dem Weg zur Folterkammer leuchtete ich in einige der ehemaligen Kerkerzellen hinein. Sie waren alle leer. Von Petrucci war nirgendwo eine Spur zu entdecken. Dann betrat ich die Folterkammer. Die schrecklichen Marterwerkzeuge an den Wänden blinkten stumpf im Lichtkegel
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mir bei. „Irgendjemand muss Petrucci in die Eiserne Jungfrau gestoßen und den Deckel von außen geschlossen haben. Wer immer diesen Mord begangen hat, er muss über außergewöhnliche Kräfte verfügen, denn es war bestimmt nicht einfach, die Eisendornen durch Petruccis Körper zu treiben.“ „Wenn einer von uns verdächtig ist, den Mord begangen zu haben, dann nur er“, sagte Steve Fisher und deutete auf mich. „Er hatte genug Zeit, die Tat auszuführen, nachdem er sich so unverständlich schnell vom Tisch entfernte. Und er stand unter psychiatrischer Behandlung bei Doktor Petrucci. Vielleicht hat er nicht nur das Gedächtnis, sondern auch seinen Verstand verloren. Verrückte sind unberechenbar in ihren Handlungen.“ Ich fühlte die Blicke der drei Männer auf mir ruhen und sah von dem Toten auf. Steve Fisher hasste mich, das las ich in seinen Augen. Und ebenso deutlich erkannte ich, dass auch die beiden anderen an mir zweifelten. Jedenfalls schien es mir so. Dann brach Baines das Schweigen, das auf die Worte seines jungen, wissenschaftlichen Assistenten gefolgt war. „Es ist Sache der Polizei, den Mörder herauszufinden, Steve“, erklärte er. „Hier!“ Er reichte ihm einen Zündschlüssel. „Nimm den Wagen, fahr nach Rom und benachrichtige über die nächste örtliche Polizeistation die Mordkommission. Beeil dich! Jetzt ist nicht die Zeit für lange Diskussionen“, fuhr er Fisher an, als dieser zögerte. Da nahm der Assistent den Schlüssel und verließ die Folterkammer. Wir hörten seine Schritte auf der Kellertreppe, dann wurde es draußen still. Baines bat Brunetto, eine Decke zu holen und über dem Toten auszubreiten.
hinderte seinen Körper daran, zusammenzusacken. Erst jetzt, da der Deckel offen stand und die Eisendornen aus Petruccis Körper gezogen waren, neigte sich der Tote vornüber und schlug mit dumpfem Laut auf dem Steinboden auf.
„Großer Gott!“ murmelte Lindon Baines und richtete sich erschüttert wieder auf, nachdem er mit einer Laterne in das entstellte Gesicht des Toten geleuchtet hatte. Er war mir, zusammen mit Steve Fisher und Giovanni Brunetto, in das Kellergewölbe gefolgt, und die beiden hatten Petrucci auf den Rücken gewälzt. Weder Elizabeth Morgan noch irgendeinem Mitglied des Personals, mit Ausnahme Brunettos, war es erlaubt worden, den Keller zu betreten. „Er ist kaum wieder zu erkennen“, sagte Steve Fisher, während er auf den Toten blickte. Aber weder sein Gesichtsausdruck noch der Klang seiner Stimme verrieten eine so starke, innere Bewegung, wie Baines sie deutlich zeigte. „Dieses alte Foltergerät“ – er deutete auf die Eiserne Jungfrau – „tut sichtlich noch immer seinen Dienst, obwohl es seit Jahrhunderten nicht mehr benutzt wurde.“ „Das steht außer Frage“, entgegnete ich. „Aber wie ist Petrucci in diese Todesfalle hineingeraten? Wer hat den Deckel mit den Eisendornen von außen zugeschlagen und warum? Und was hatte Petrucci hier unten in den Kellergewölben zu suchen, heimlich, nachts und allein?“ „Wenn ich Ihre Fragen richtig verstehe, dann wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, dass einer von uns, die wir heute Nacht auf Schloss Maligno sind, ein Mörder ist“, sagte Steve Fisher. „Ja.“ „Er hat recht“, pflichtete Lindon Baines
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betreten und in die Kellergewölbe hinuntersteigen. Diese Handlungsweise Petruccis muss ihm so gefährlich erschienen sein, dass er nicht zögerte, ihn zu töten. Aber meine Überlegungen beantworten natürlich nicht die Frage, was Petrucci in der Folterkammer wollte. Ich weiß nur, dass er auf der Suche nach irgendeinem Gegenstand war, von dem er annahm, dass dieser im Traum eine Brücke zwischen mir und gewissen fluchbeladenen, satanischen Hexen- und Zauberkünsten aus der Borgia-Zeit herstellte. Es könnte sich um jedes Folterwerkzeug in diesem Kellergewölbe handeln, denn sie kamen alle in meinem Traum vor. Aber vielleicht handelt es sich bei dem fraglichen Gegenstand auch um etwas ganz anderes, von dem wir noch nicht ahnen ...“ „Sie stellen da absurde Mutmaßungen an. Ich kann mich nicht vorstellen, dass irgendein Gericht auf der Welt Ihnen Glauben schenken würde. Und Sie werden vermutlich bald vor einem Richter stehen, denn Sie sind der Hauptverdächtige in diesem Mordfall, da hat Steve ganz Recht“, fiel mir Lindon Baines ins Wort. „Wenn Sie ein Gericht von Ihrer Unschuld überzeugen wollen, müssen Sie Beweise erbringen, keine Mutmaßungen. Lassen Sie uns hinaufgehen und nach den beiden Büchern sehen, von denen Sie mir erzählt haben.“ Er wandte sich zum Gehen, aber ich hielt ihn am Arm fest. „Professor Baines“, fragte ich ihn, „halten Sie mich für einen Mörder?“ Er sah mich merkwürdig an und öffnete den Mund zu einer Erwiderung. Doch ehe er ein Wort über die Lippen bringen konnte, ertönte von oben eine heftige Detonation. Wir verließen sofort die Folterkammer und eilten auf die Treppe zu. Ehe wir sie erreichten, folgte der
Als wir allein waren, blickte er mich zweifelnd an. „Können Sie sich denken, was Petrucci hier unten, in den alten Kellergewölben, gesucht hat?“ fragte er. „Nein. Aber welchen Grund er auch dafür gehabt haben mag, er muss in einem Zusammenhang mit meiner Person gestanden haben.“ „Das glaube ich auch. Heute Nachmittag habe ich mich noch geringschätzig über Petruccis dunkle Vermutungen geäußert. Aber dieser scheinbar sinnlose Mord lässt mich die Dinge in einem anderen Licht sehen. Aber jetzt ist es zu spät, Fragen an Petrucci zu stellen. Er ist tot, und wahrscheinlich hatte er gar keine Zeit mehr, die Polizei von Ihrem Fall zu unterrichten. Petrucci kann uns nicht mehr antworten.“ „Vielleicht doch“, sagte ich. „Vielleicht kann er unsere Fragen auch nach seinem Tod noch beantworten. Auf einem Tisch, oben in der Halle, liegen zwei Bücher, von denen ich glaube, dass Petrucci sie hingelegt hat, bevor er in die Kellergewölbe herunterstieg. Es sind ‚Parapsychologie’ von Milan Ryzl und ein Ihnen vielleicht bekanntes Buch über die Borgias von James Leacock. Möglicherweise hatte er in den Büchern gefunden, was er suchte; und er kam nach Schloss Maligno, um die Richtigkeit seiner Annahme – oder vielmehr die Richtigkeit von Milan Ryzls Theorie in Bezug auf Spukerscheinungen – zu beweisen. Irgendwie hängt das Ganze mit mir zusammen. Aber ich erinnere mich an überhaupt nichts. Mein Gedächtnis ist wie ausgelöscht. Doch Petruccis Mörder besitzt ein sehr gutes Gedächtnis. Er muss über alle Vorgänge, in deren Mittelpunkt ich irgendwie geraten bin, genau Bescheid wissen. Er sah Petrucci heimlich Schloss Maligno
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unbeschädigt, als Sie hier ankamen, Professor“, entgegnete Steve Fisher. „Aber hat nicht unser unbekannter Freund“ – er warf mir einen feindseligen Blick zu – „selbst gesagt, dass er sich vor kurzem an den Wagen zu schaffen machte. Er suchte hier angeblich nach Petrucci. Doch in Wirklichkeit hat er wohl die Zerstörung der beiden Autos vorbereitet, damit keiner von uns eine Möglichkeit haben sollte, die Polizei zu benachrichtigen.“ Bei seinen Worten schoss Zorn in mir hoch. Ich tat einen Schritt auf ihn zu, die Hände zu Fäusten geballt, und ich hätte ihn niedergeschlagen, wenn Baines mich nicht zurückgehalten hätte. „Sie stellen da Vermutungen an, Steve, die sich nicht mit der Verhaltensweise dieses Fremden“ – damit war ich gemeint – „zusammenreimen. Hätte er Petrucci umgebracht, hätte er uns nicht auf die Leiche aufmerksam zu machen brauchen. Es wären vielleicht Wochen vergangen, bevor sie in der Eisernen Jungfrau gefunden worden wäre. Wäre er der Mörder, hätte er vielmehr mit großer Wahrscheinlichkeit versucht, den Maserati-Sportwagen Petruccis irgendwo, außerhalb des Schlosses, zu verstecken. So hätte er sich eine lange Frist geschaffen, während der er, ohne in irgendwelchen Verdacht zu geraten, seine Flucht hätte vorbereiten können. Wir hätten das Verbrechen nicht geahnt.“ „Ich sagte ja, er ist wahrscheinlich verrückt. Und Verrückte handeln nicht logisch“, entgegnete Steve Fisher wütend. Es war ganz offenbar, dass er den Versuch, den Mord an Petrucci mir anzulasten, immer weiter treiben wollte. Er hasste mich, obwohl es für seinen Hass keinen vernünftigen Grund zu geben schien. „Giovanni“, wandte sich Baines an Brunetto, „die Wagen sind nicht mehr zu
ersten Explosion eine zweite. Wir hasteten die Steinstufen hinauf. Als wir die große Halle betraten, drang durch die offen stehende Eingangstür eine dichte Wolke nach brennendem Benzin stinkenden Rauchs herein. Gleich darauf standen wir im Hof von Schloss Maligno, der jetzt von flackerndem Feuerschein hell erleuchtet war. Rötlichgelb ragten die Mauern des Borgia-Schlosses vor dem schwarzen Nachthimmel auf. Ich sah, was geschehen war: Die beiden Autos – Baines’ viertüriger Alfa Romeo und der silberne Maserati-Sportwagen von Doktor Petrucci – , die mitten auf dem Hof standen, waren in lodernde Flammen gehüllt. Die Benzintanks der Wagen mussten explodiert sein. Da war nichts mehr zu retten. Eben zersprangen die Windschutzscheiben unter der sengenden Hitze. Aus dem Inneren der Wagen schössen Feuersäulen wie aus offenen Schmelzöfen. „Um ein Haar wäre ich in dieser Gluthölle umgekommen“, keuchte Steve Fisher, der durch den Rauch auf uns zutaumelte. „Glücklicherweise war der Wagenschlag noch offen, als ich den Motor startete und der Benzintank explodierte. Nur deshalb konnte ich mich durch einen schnellen Sprung aus den Flammen retten. Die Detonation war so heftig, dass auch der Tank des MaseratiSportwagens in die Luft flog. Es muss einen Kurzschluss in der Zündung des Alfa Romeo gegeben haben – vielleicht war zusätzlich noch der Benzintank defekt – , einen anderen Grund für die Explosion kann ich mir nicht denken.“ „Ich könnte schwören, dass der Wagen auf der Rückfahrt von Rom nach Schloss Maligno noch vollkommen in Ordnung war“, sagte Baines, verständnislos in das Flammenmeer starrend. „Möglicherweise war er wirklich noch
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„An drei Stellen hat Petrucci Markierungszeichen zwischen die Seiten dieses Buches von Leacock gelegt – und alle drei Stellen handeln vom Tod eines Mitglieds der Borgia-Sippe“, murmelte er. „Fünfzehnhundertdrei starb der Borgia-Papst Alexander VI. in Rom und wurde dort auch begraben. Fünfzehnhundertsieben fiel Cesare Borgia als Heerführer in den Diensten des Königs von Navarra in einer Schlacht und fand in Navarra sein Grab. Die dritte markierte Stelle handelt vom Tod Lucrezia Borgias, die fünfzehnhundertneunzehn, im Alter von neununddreißig Jahren, als Gemahlin des Herzogs d’Este starb und in der Fürstengruft von Ferrara beigesetzt“ wurde. Auf jedes der drei Markierungszeichen – er benützte zu diesem Zweck Papierstreifen – hat Petrucci den Buchstaben ,M’ geschrieben. Was das bedeuten soll, weiß ich nicht. Mit dem Buch ‚Parapsychologie’ von Milan Ryzl konnte ich mich noch nicht beschäftigen. Möglicherweise enthält es den Schlüssel zu Petruccis Vermutungen. Ich werde die beiden Bücher mit aufs Zimmer nehmen und heute Nacht lesen. Schlaf werde ich wohl kaum finden, nach allem, was in den letzten Stunden geschehen ist.“ Er wollte sich der ins Obergeschoß führenden Treppe zuwenden, aber ich hielt ihn am Arm fest. Es gab da noch etwas, was ich unbedingt wissen musste. Die Antwort auf eine Frage, die sich mir stellte, seit ich von meinem Schreckenstraum heimgesucht worden war. „Professor, Ihnen ist die Geschichte der Borgias wohlvertraut. Sagt Ihnen in diesem Zusammenhang der Name Maclodio etwas?“ Er sah mich überrascht an, schüttelte dann aber den Kopf. „Maclodio ist ein
gebrauchen. Welche andere Möglichkeit gibt es, die Polizei in Rom zu benachrichtigen?“ „Keine, Professore“, antwortete der Grauhaarige. „Wir haben kein Telefon. Aber in zwei oder drei Tagen wird ein Lieferwagen aus Rom kommen, der Lebensmittel bringt. Er kommt regelmäßig. Wir können dem Fahrer eine Nachricht an die römische Polizei mitgeben.“ „Ist es möglich, Petruccis Leiche solange in der Schlosskapelle aufzubahren?“ „Die Kapelle ist leider schon vor Jahren durch ein Feuer verwüstet und seither nicht wieder aufgebaut worden. Aber wir können den Toten hinten in die Kellergewölbe legen, dort ist es am kältesten.“ „Gut, veranlassen Sie das“, entschied Baines. Er kehrte in die Schlosshalle zurück, und ich folgte ihm. Die anderen, unter ihnen auch Elizabeth Morgan, blieben draußen und sahen zu, wie die beiden Wagen ausbrannten. Der seltsame Ausdruck auf ihren Gesichtern verriet, dass der Anblick der Flammen sie in eine Art Erregung versetzte, so, wie es gelegentlich bei Menschen der Fall ist, die einem geheimen Mysterium – sei es auch satanischer Art – beiwohnen. Nur aus den Zügen des dunkel“ haarigen Mädchens, das zum Personal gehörte und mich in der Nacht meines schrecklichen Traums mit so sonderbarem Blick angeschaut hatte, las ich ein anderes Gefühl heraus: Angst. Drinnen fand ich Professor Baines mit den beiden Büchern beschäftigt, von denen ich annahm, dass Petrucci sie mitgebracht hatte. Er blickte kurz auf, als ich zu ihm trat, dann senkte er die Augen wieder auf das Buch, das er aufgeschlagen in seinen Händen hielt.
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mehr erinnern können“, antwortete sie so schnell, dass ihre Worte sich fast überstürzten. Sie schien große Angst zu haben, dass jemand anders während unseres Gesprächs die Halle betreten könnte. „Versuchen Sie doch, die Nacht in Ihr Gedächtnis zurückzurufen, in der ...“ Plötzlich brach sie ab und sah an mir vorbei. Alles Blut wich aus ihrem Gesicht, sie wurde kalkweiß. Ich drehte mich um und sah, dass sich die hohe Tür abermals – und diesmal völlig lautlos – geöffnet hatte. Brunetto stand auf der Schwelle. Das Mädchen gab einen leisen Schreckenslaut, der wie ein Wimmern klang, von sich und floh davon. Brunetto folgte ihr auf dem ganzen Weg mit seinem Blick. Als sie durch eine Tür verschwunden war, wandte er sich mir zu. Welche Gedanken ihn auch bewegen mochten, von seinem starren Gesicht waren sie nicht abzulesen. „Hat das Mädchen Sie belästigt?“ fragte er. „Nein“, antwortete ich, „ich hatte sie vielmehr gebeten, mir eine Laterne anzuzünden, weil ich noch in die Bibliothek gehen möchte.“ Glomm da ein höhnisches Licht im Hintergrund seiner Augen auf? Ich war sicher, dass ich mich nicht getäuscht hatte. Er glaubte mir offenbar nicht. Sicher ahnte er, dass das Mädchen versucht hatte, mich zu warnen. Wahrscheinlich erfasste er auch, dass sie nur durch sein plötzliches Auftauchen daran gehindert worden war, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. „Ich werde die Laterne selbst entzünden“, machte er sich erbötig, „und sie für den Herrn in die Bibliothek tragen.“ „Danke, ich trage sie selbst“, wies ich ihn ab. Ich wollte diesen Mann nicht länger als unbedingt notwendig in meiner
Name, der in der italienischen Renaissance gebräuchlich war, heute aber kaum noch verwendet wird“, erwiderte er. „Wenn Sie einen Zusammenhang zwischen diesem Namen und der Borgia-Sippe finden wollen, würde ich an Ihrer Stelle in die Bibliothek gehen. Vielleicht finden Sie in einem der alten Bände einen Hinweis darauf.“ Ich sah ihm nach, als er die breite Steintreppe hinaufstieg, dann hörte ich ein Geräusch hinter mir und drehte mich rasch um. Die Eingangstür hatte sich geöffnet, und das junge, dunkelhaarige Mädchen, das schon mehrmals meine Aufmerksamkeit durch ihr merkwürdiges Verhalten auf sich gezogen hatte, trat ein. Sie warf einen angstvollen Blick in die Runde, als wollte sie sich davon überzeugen, dass wir allein waren. Dann kam sie schnell auf mich zu. „Sie müssen von hier fliehen!“ sagte sie hastig auf Italienisch. „Verlassen Sie Schloss Maligno. Sie befinden sich in schrecklicher Gefahr. Wenn Sie nicht eines grauenvollen Todes sterben wollen, dann fliehen Sie! Fliehen Sie noch heute Nacht! Fort! Fort, ehe es zu spät ist! Ein zweites Mal werde ich Ihr Leben nicht retten können.“ Ich sah sie überrascht an. Plötzlich schien mir, als hätte ich ihr Gesicht früher schon einmal gesehen, bevor ich mit Lindon Baines, Elizabeth Morgan und Steve Fisher nach Schloss Maligno kam. Es war, als hätten ihre Worte eine ferne, dunkle Erinnerung in mir geweckt. Aber als ich diesen Gedanken festhalten wollte, entglitt er mir, und ich fand mich in der Leere wieder, die mein verlorenes Gedächtnis hinterlassen hatte. „Was meinen Sie damit: Ein zweites Mal würden Sie mein Leben nicht retten können?“ fragte ich. „Ich habe gehört, dass Sie sich an nichts
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wusste durch Geschenke und Versprechungen den päpstlichen Küchenmeister zu erweichen: der Giftbecher, den man für den Kardinal bereitet hatte, ward dem Papst vorgesetzt. Er selbst starb an dem Gift, mit dem er einen anderen umbringen wollte.“ Aber das alles war ein Nichts im Vergleich mit den Mordtaten Cesare Borgias. Beschrieben wurde er als „der schönste Mann von Rom, aber wollüstig, mit Blut besudelt. Wie zitterte Rom vor seinem Namen! Cesare brauchte Geld und hatte viele Feinde: alle Nächte fand man Erschlagene. Jedermann verhielt sich still; es war niemand, der nicht gefürchtet hätte, auch an ihn komme die Reihe. Wen die Klinge eines Meuchelmörders nicht erreichen konnte, der wurde vergiftet. Mit niemandem, selbst mit Blutsverwandten und Freunden nicht, wollte Cesare Borgia die Macht teilen, die er durch den hohen Rang seines Vaters innehatte. Seinen Bruder, der ihm im Wege stand, hatte er ermorden und in den Tiber werfen lassen. Auf der Treppe des Palastes ließ er seinen Schwager von gedungenen Mördern anfallen. Den Verwundeten pflegten dessen Frau Lucrezia und seine Schwester. Die Schwester kochte ihm die Speisen, um ihn vor Gift zu bewahren. Der Papst ließ das Haus bewachen, um den Schwiegersohn vor dem Sohn zu schützen. Vorkehrungen, deren Cesare spottete. Er sagte: ‚Was zu Mittag nicht geschehen, wird sich auf den Abend tun lassen!’ Als sein Schwager, Alfonso d’Aragon, schon wieder in der Besserung war, drang er in dessen Zimmer ein, trieb die Frau und die Schwester hinaus, rief seinen Henker und hieß ihn den Unglücklichen erwürgen. Auch auf die Person seines Vaters, in dessen Dasein und Stellung er nichts als
Nähe haben. Er war mir unheimlich. Er reichte mir eine brennende Laterne, und ich ging in die Bibliothek. Ich schloss die Tür hinter mir, stellte das Licht auf den Tisch und begann mit meiner Suche in den alten Büchern, die ich zum Teil schon am Nachmittag in den Händen gehalten hatte. Das höllische Zeitalter der Borgias tat sich einmal mehr vor mir auf, und die Gestalten des Papstes Alexander VI., Cesares, des Herzogs der Romagna, und seiner schönen blonden Schwester Lucrezia traten mir aus den vergilbten Seiten der alten ledergebundenen Bände entgegen. Über Lucrezia gab es verschiedene Urteile. Die einen lauteten: sie sei ein lasterhaftes, unersättliches Weibtier gewesen. Die anderen sagten: Lucrezia Borgia war in Wirklichkeit eine willenlose, schwache Figur im teuflischen Spiel ihres Vaters und Bruders um immer mehr Macht, Einfluss und Reichtum. Über den Borgia-Papst und seinen Sohn Cesare indes war die Meinung in allen Büchern, die mir in die Hände gerieten, einhellig: Sie waren verschlagen, blutdürstig, von unmenschlicher Grausamkeit, besessen von Machthunger und einer unstillbaren Gier nach immer größerem Reichtum, menschenverachtend und schreckten weder vor Verrat noch vor Mord zurück. Über Rodrigo Borgia las ich bei J. R. Hale: „ ... er wandte die niederträchtigsten Mittel an, um auf den päpstlichen Thron zu gelangen. Als Papst Alexander VI. räumte er mit seinem Sohn Cesare eine Schar kleinerer Machthaber aus dem Weg.“ Und bei Ranke über seinen Tod: „Er beabsichtigte, wie nur allzu gut bezeugt ist, einen der reichsten Kardinale mit Gift aus dem Weg zu schaffen; aber dieser
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Engelsburg genauso abgespielt haben, wie in meinem Traum. Ich hatte die Wirklichkeit gesehen, und wirklich war auch der Schatten Satans gewesen ... Ich saß wie betäubt da und starrte in das gelbe, flackernde Licht der Laterne. Ich versuchte, mich zur Ruhe zu zwingen, klar zu überlegen. Ich musste, um meine Gedanken zu ordnen, offen mit jemandem über alles das reden: mit Baines. Er war der einzige, dem ich vertrauen konnte. Ich stand auf, legte das Buch hin und griff nach der Laterne, um die Bibliothek zu verlassen. Da hörte ich meinen Namen rufen. „Maclodio! Maclodio!“ Es war ein leiser, flüsternder, geisterhafter Ruf, der so klang, als streiche der Nachtwind über die Saiten einer silbernen Harfe. Der Ruf kam von der Tür her. Die Tür stand offen, aber ich wusste genau, dass ich sie hinter mir geschlossen hatte, als ich hereinkam. War das Schloss von selbst aufgesprungen? Wieder ertönte die lockende Stimme, zärtlich, voll Sehnsucht, aber gleichzeitig auch so gespenstisch, dass mich bis ins Innerste fror. Wie ein klagender Windhauch hallte die Stimme von den Mauern dieses schrecklichen Schlosses wider – und ob ich wollte oder nicht, ich musste ihr folgen. Ich stieß die Tür ganz auf und leuchtete in den finsteren Gang hinaus. Er war leer. Der sich ständig wiederholende Ruf schien aus dem Obergeschoß zu kommen. Im Schein der Laterne, der an den Wänden auf und nieder tanzte, stieg ich die Treppe hinauf. Mein Herz pochte schmerzhaft, und meine Lippen wurden trocken. Ich hatte Angst, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Es war eine Furcht, die mit keiner anderen, nicht einmal mit der vor dem Tod, vergleichbar war. Grauen drohte mich zu überwältigen. Meine Hand zitterte so
das Mittel erblickte, selbst groß und mächtig zu werden, war er im übrigen nicht gewillt, die mindeste Rücksicht zu nehmen. Er tötete mit eigener Hand den Liebling Alexanders, Perotto, als dieser sich, Schutz vor seinem Mörder suchend, unter den pontifikalen Mantel Alexander VI. flüchtete.“ Und noch einen Satz las ich in einem anderen Buch, der ein grelles Licht auf das Verhältnis zwischen dem Papst und seinem Sohn warf: „Wie ein Dämon beherrschte Cesare Borgia seinen Vater.“ Das war der Mann, den ich aus meinem schrecklichen Traum kannte und dem man zu Lebzeiten schon nachgesagt hatte, er habe einen höllischen Pakt mit Satan geschlossen. Ich las weiter, und schließlich – ich wusste nicht, wie viele Stunden inzwischen vergangen waren – fand ich, was ich gesucht hatte: den Namen Maclodio Orsino. Aber es stand nicht viel mehr in dem alten Buch, als dass Orsino einer der Feldhauptleute der päpstlichen Armee unter Borgia und – angeblich – einer der Geliebten von Cesares Schwester Lucrezia war. Eines Morgens sei sein toter, von Stichen durchbohrter, blutiger Leib am Ufer des Tiber-Flusses, unterhalb der Engelsburg, angeschwemmt worden. Die Buchstaben schienen vor meinen Augen zu tanzen, und das Blut hämmerte in meinen Schläfen. Ich konnte nicht verhindern, dass meine Hände zitterten, als ich das Buch schloss. Jetzt besaß ich Klarheit darüber, dass die Gestalten in meinem Traum nicht symbolisch zu verstehen waren, wie Lindon Baines gemeint hatte, sondern dass mir mein Unterbewusstsein auf unerklärliche Weise von fernher eine Erinnerung zugetragen hatte. Vor Jahrhunderten musste sich das schreckliche Geschehen in den geheimen Verliesen der
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erst. „Warum hast du mich so lange warten lassen? Weißt du denn nicht, wie sehr ich mich danach sehne, in deinen Armen zu liegen?“ „Jetzt bin ich hier“, antwortete ich. Meine Stimme klang heiser und rau. Und ich fügte hinzu: „Ich habe deinen Ruf gehört, Madonna Lucrezia Borgia.“ „Warst du auf dem Weg zu mir auf der Hut?“ fragte sie mich. „Du weißt, dass wir uns heimlich treffen. Ich bin eine Figur in seinem Spiel um die Macht, und er hasst es, wenn jemand sein Spiel durchkreuzt. Dein Leben wäre keine Stunde mehr sicher, wenn er seinen Henker, den furchtbaren Micheletto, ausschicken würde, dich umzubringen. Und wenn dir etwas zustoßen würde, könnte ich nie mehr lachen, nie mehr glücklich sein, nie mehr lieben. Dann hätte das Leben keinen Sinn mehr für mich.“ Ich wusste aus den alten Büchern, wer Michelotto gewesen war: einer von Cesare Borgias Feldhauptleuten und seine gefügige, mörderische, gewissenlose Kreatur. Man hatte ihn „Borgias rechten Arm und seine tödliche Klinge“ genannt. Michelotto war der Henker gewesen, der die geheimen Todesurteile vollstreckte, die Cesare Borgia gefällt hatte. Nun, da dieser Name über die Lippen des Mädchens gekommen war, zweifelte ich nicht mehr daran, dass zwar Elizabeth Morgan vor mir stand, dass es aber Lucrezia Borgia war, die mich durch ihre Augen ansah, durch ihren Mund zu mir sprach. „Ich war vorsichtig auf dem Weg hierher, Madonna Lucrezia“, log ich. „Ich bin sicher, dass niemand mir gefolgt ist.“ „Dann ist es gut.“ Sie lächelte und kam auf mich zu. Sie streckte mir die Hände entgegen, die ich zögernd ergriff. Die
sehr, dass Eisen und Glas der Laterne, die ich trug, leise gegeneinander klirrten. Der lange, hochgewölbte Gang im Obergeschoß war dunkel. Nur eine einzige Tür stand einen Spaltbreit offen und ließ rötliches, flackerndes Licht auf den Steinfliesenboden fallen. Es war die Tür, die zum Zimmer Lucrezia Borgias führte. Ich stieß sie nach innen auf, und für Sekunden – oder war es eine halbe Ewigkeit? – schien der Ablauf der Zeit von einer unsichtbaren Hand angehalten zu werden, und Vergangenheit und Gegenwart verschmolzen in eines. Es war nicht Elizabeth Morgan, es war Lucrezia Borgia, die im lebendigen Schein des Kaminfeuers stand. Sie trug das edelsteinbesetzte Kleid aus golddurchwirktem, blassgrünem Brokat, das ich auf dem Prunkbett hatte liegen sehen, als ich diesen Raum zum ersten Mal mit ihr betrat. Ihr Haar hatte die Farbe von reifem Weizen, mit einem Hauch von rotem Gold, den das Kaminfeuer darauf warf. Ihre großen, klaren blaugrauen Augen hatten eine Tiefe, die mich erschreckte. Als ich hineinsah, hatte ich das Gefühl, in das Jenseits zu blicken, das Menschen erst nach ihrem Tod zu erkennen vermögen. Ihr Mund – dieser fein gezeichnete schöne rote Mund – lächelte mir zu. Es war ein Lächeln, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte und – wenn Gott es wollte, niemals wieder würde sehen müssen. Denn es machte mir Angst. „Elizabeth!“ brachte ich hervor. Sie schien mich entweder nicht zu hören oder nicht zu verstehen. „Ich habe lange auf dich gewartet, Maclodio“, sagte sie mit derselben veränderten Stimme, die mir an ihr aufgefallen war, als sie zum ersten Mal in diesem Zimmer zu mir gesprochen hatte, am Nachmittag, vor wenigen Stunden
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ist ...“ Waren meine Worte zu unvorsichtig gewesen? Das Mädchen entwand sich meinen Armen, trat einen Schritt zurück, und eine Mischung aus Zorn und Furcht flackerte in ihren Augen. „Wie kannst du so etwas behaupten, Maclodio? Das sind alles nur Lügen, die von den Feinden meines Vaters verbreitet werden.“ „Lucrezia, es hat keinen Sinn, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Der Kardinal Castellesi soll an einem Pokal mit vergiftetem Wein sterben. Ich weiß es genau. Es kann dir nicht entgangen sein, welche Verbrechen dein Bruder Cesare und auch dein Vater, der Papst, in den Jahren ihrer Gewaltherrschaft begangen haben. Du musst die Wahrheit erkennen!“ „Nein“, sagte sie mit plötzlich zitternder Stimme. „Ich will nichts davon wissen. Glaubst du denn, meines Bruders Mordlust würde vor mir Halt machen, wenn er eine unliebsame Mitwisserin in mir sehen müsste? Ich rette mein Leben nur dadurch, dass ich mir den Anschein gebe, nichts von dem zu hören, zu sehen oder weiterzuerzählen, was sich täglich vor meinen Augen abspielt. Cesare und mein Vater haben mich, in der sie nur eine Figur in ihrem Machtspiel sehen, gezwungen, dreimal zu heiraten, bevor ich noch das zweiundzwanzigste Lebensjahr vollendet hatte. Aber erst in deinen Armen habe ich gelernt, wie wunderbar die Liebe sein kann. Ich will dieses Glück, das ich gleichsam dem Schicksal gestohlen habe, nicht aufs Spiel setzen, indem ich mich Cesare entgegenstelle. Lass uns wenigstens in den Stunden, die uns gemeinsam vergönnt sind, nur unserer Liebe leben.“ „Cesare wird auch dann nicht vor dir Halt machen, wenn du dich ihm unterwirfst“, sagte ich. „Er wird dich
Laterne hatte ich zuvor auf den Tisch gestellt. Als unsere Finger sich berührten, konnte ich ihre Liebe fühlen, die wie ein Strom von ihr auf mich überging. Sie schmiegte sich in meine Arme. Der Brokat und die Seide ihres Gewandes raschelten. Sie sagte – und ich konnte spüren, wie sich ihre weichen, warmen Lippen dabei an meinem Hals bewegten: „Mir scheint, es sei eine halbe Ewigkeit vergangen, seit ich das letzte Mal in deinen Armen lag. Ich habe mich vor Sehnsucht nach dir verzehrt, aber jetzt bin ich glücklich. Dieser Raum, den mein Vater und mein Bruder nie betreten, ist ihrer Machtgier, ihrem Verrat und ihren Gewalttaten entzogen. Er ist nur erfüllt von der Liebe zwischen dir und mir. Selbst wenn du lange Zeit nicht hier warst, kann ich in diesem Raum doch noch immer deine Gegenwart spüren.“ „Madonna“, fragte ich, „sage mir, welchen Tag haben wir heute?“ Sie hob den Kopf von meiner Schulter und sah mich erstaunt und verständnislos an. „Nun, wir schreiben den 12. August 1503“, antwortete sie. „Was soll diese Frage?“ Wieder begann das Blut in meinen Schläfen zu singen, denn ich erinnerte mich an einiges von dem, was ich nicht einmal vor einer halben Stunde in den alten Büchern gelesen hatte. Irgendetwas drängte mich dazu, mir Gewissheit zu verschaffen, wie viel Lucrezia Borgia von den Mordtaten ihres Vaters und ihres Bruders Cesare gewusst hatte. „Ich habe gehört, dass der Papst und Cesare Borgia ein großes Fest in Rom für den Kardinal Adriano Castellesi geben wollen, Madonna“, sagte ich. „Es heißt, der Kardinal soll auf diesem Fest durch Gift den Tod finden, weil er deinem Vater als Gegner der Borgias verdächtig
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ich einen halben Schritt zurück, und diese Bewegung rettete mir das Leben. Das Stilett, das nach meinem Hals zielte, fuhr ins Leere. Ich packte den Arm, der den Stoß geführt hatte, und hielt ihn mit beiden Händen fest. Aber ich war an einen starken, furchtbaren Gegner geraten. Er umschlang mich mit dem linken Arm und riss mich über die Schwelle in den dunklen Gang hinaus. Wir stürzten beide schwer auf den Steinboden. Und sofort war der andere über mir. In dem schwachen Lichtschein, der aus Lucrezia Borgias Zimmer drang, konnte ich die Umrisse meines Gegners erkennen. Er trug die lederne Helmmaske eines mittelalterlichen Henkers, der den ganzen Kopf umschloss und das Gesicht nur von der Nase abwärts frei ließ. Zwei Augen funkelten mörderisch hinter den Sehschlitzen. Der Oberkörper und die Arme des Mannes waren nackt. Er hielt das blinkende Stilett, mit der Spitze nach unten, direkt auf meine Kehle gerichtet und versuchte, es hineinzustoßen. Mit der Linken wollte er meinen Griff lockern, mit dem ich sein rechtes Handgelenk umklammerte. Er keuchte, und ich sah seine Zähne wie das gebleckte Gebiss eines Wolfes blitzen, als sich seine Lippen vor Anstrengung verzerrten. „Nicht, Michelotto! Tu es nicht!“ hörte ich das Mädchen schreien. „Immer hast du auf Cesares Befehl die Männer getötet, die ich liebte. Wenn du auch diesen erstichst, sollst du auf ewig verflucht sein!“ Ich versuchte, den Henker abzuschütteln. Wir rollten über die Steinfliesen bis zur Schwelle von Lucrezias Zimmer. Dort gelang es ihm, seine rechte Hand mit einem gewaltigen Ruck aus meinem Griff zu lösen. Er holte mit aller Kraft zum Stich aus. Ich sah, wie die Muskeln an seinen nackten
dem Dämon aus der Hölle als Opfer darbieten, um seine Macht und sein verworfenes Leben zu verlängern. Er wird versuchen, dir das Schlimmste anzutun, was ein Mensch dem anderen antun kann. Wenn man dich nach Rom in die Engelsburg rufen wird, weil dein Vater, der Papst, an dem Gift stirbt, das er einem anderen zugedacht hatte, dann geh nicht! Um deines ewigen Seelenheils willen, geh nicht!“ Ich weiß nicht, warum ich das sagte. Denn alles, wovor ich sie warnte, war ja schon vor Jahrhunderten geschehen. Doch plötzlich begriff ich, was mich zu diesen Worten getrieben hatte: Ich liebte diese Frau, diese wunderschöne, angsterfüllte, geisterhafte Frau, die vor mir stand und mich aus weit aufgerissenen Augen entsetzt anstarrte. Ich vermochte nicht zu sagen, ob meine Liebe Elizabeth Morgan galt oder Lucrezia Borgia, die für mich beide in einer Gestalt verschmolzen waren. „Ich kann nicht glauben, was du mir erzählst“, brachte sie mit zuckenden Lippen hervor. „Es klingt – es klingt wie das Gestammel eines Wahnsinnigen. Das kann nicht sein. Das kann nicht ...“ Sie brach plötzlich ab, und ihr schönes Gesicht erstarrte in erschrockenem Lauschen. „War da nicht ein Geräusch vor der Tür?“ „Ich habe nichts gehört“, entgegnete ich. „Vielleicht sind dir Cesares Mörder doch hierher gefolgt, ohne dass du es bemerkt hast“, flüsterte sie. Es lag so viel Angst in ihrer Stimme, dass ich zur Tür ging und einen Blick in den langen, hochgewölbten, dunklen Gang warf. Nur wenig Licht drang hinaus, aber es genügte, um die stählerne Klinge blinken zu lassen, die der Schatten, der neben der Tür an die Mauer gepresst stand, in der erhobenen Faust hielt. Unwillkürlich trat
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zugestoßen. Ich fürchtete schon. Sie seien wie Petrucci umgekommen. Sind Sie in der Dunkelheit gestolpert? Sie haben eine blutende Wunde an der Stirn.“ „Lucrezia Borgia – der Henker ... Das Zimmer hinter dieser Tür – die Klinge, die er mir in die Kehle stoßen wollte ...“, brachte ich unzusammenhängend hervor. „Wovon, in Gottes Namen, reden Sie eigentlich, Mann?“ fragte Baines verständnislos. Ich warf einen Blick auf die Türschwelle, in der das Stilett gesteckt hatte, aber die Klinge war verschwunden. „Öffnen Sie die Tür!“ sagte ich zu Lindon Baines. Er schien mich nicht verstanden zu haben, denn ich musste meine Aufforderung wiederholen, bevor er aufstand und an der Türklinke rüttelte. „Sie ist verschlossen“, meinte er schulterzuckend. Jetzt kamen mehr Leute vom Personal die Treppe herauf: Brunetto, zwei seiner Gehilfen und eine ältere Frau. „Schließen Sie die Tür auf!“ sagte ich zu dem Grauhaarigen und wischte mir das Blut aus dem Gesicht, das aus der Platzwunde an meiner Stirn rann. Brunetto zögerte. „Haben Sie nicht gehört? Sie sollen diese Tür aufsperren!“ fuhr ich ihn an. „Aber das ist Madonna Lucrezia Borgias Zimmer“, wandte er ein. „Seit langer Zeit hat es niemand mehr betreten.“ „Dann wird es eben jetzt wieder jemand betreten“, entgegnete ich scharf. Er wich meinem Blick aus, schickte aber einen seiner Leute, um den Schlüssel zu holen. Eine Minute später stand die Tür weit offen. Drinnen herrschte Dunkelheit. Ich nahm Baines die Laterne aus der Hand und trat über die Schwelle. Der Raum sah düster und unbewohnt aus. Nirgendwo war eine Spur von Leben zu entdecken.
Schultern und Armen hervortraten. Im letzten Augenblick gelang es mir, den Kopf zur Seite zu wenden. Zwei Fingerbreit neben meinem Hals fuhr die stählerne Klinge so tief in die Holzschwelle, dass mein Gegner sie nicht mehr herausziehen konnte. Ich schlug ihm die Faust ins Gesicht, und obwohl das dicke Leder der Helmmaske dem Schlag viel von der verzweifelten Kraft nahm, die ich hineingelegt hatte, fiel der Henker, der meine Hüften mit seinen Beinen umspannt und mich auf diese Weise wie in einem Schraubstock festgehalten hatte, von mir herunter. Ich wollte aufspringen, glitt aber auf den glatten Steinfliesen aus und schlug dabei mit dem Kopf hart gegen die Wand. Halb betäubt blieb ich liegen. Ich glaube, einen Schatten zu sehen, der sich über mich beugte. War das der Henker, der mich jetzt töten würde, da ich wehrlos war? Doch schien es mir, als ob meine Lippen von einem fremden Mund berührt würden. Es war ein Kuss, so zart und geisterhaft wie ein Hauch des Nachtwindes ... „Kommen Sie zu sich! Machen Sie die Augen auf!“ rief mich eine Stimme an, und eine Hand schlug mich mehrmals leicht ins Gesicht. Ich öffnete die Lider und sah in das Gesicht von Lindon Baines, das sich im Lichtkegel einer Laterne über mich neigte. Mir schien, als ob ich doch – wenigstens für eine kurze Zeit – die Besinnung verloren hätte, denn ich hatte weder Baines noch das junge, dunkelhaarige Mädchen, das mich am Abend in der Halle so eindringlich und beschwörend gewarnt hatte, kommen gehört. Aber nun machten die beiden sich um mich zu schaffen. Baines half mir aufzustehen. „Was ist geschehen?“ fragte er. „Das Mädchen hat mich aus dem Schlaf geweckt und gestammelt, Ihnen sei etwas
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Haar schimmerte auf dem seidenen Kopfkissen. Leise schloss ich wieder die Tür. Ich wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort über die Lippen. Was hätte ich auch sagen sollen? Ich fing an, an mir selbst zu zweifeln. Halb war ich schon davon überzeugt, dass nichts von dem, was ich vorhin erlebt hatte wirklich geschehen war. „Vielleicht ist es besser, wir reden auf unserem Zimmer weiter“, murmelte Lindon Baines. Ohne noch ein Wort an Brunetto und die anderen zu richten, zog er mich mit sich. „Was haben Sie eigentlich in Elizabeth Morgans Schlafzimmer zu finden erwartet?“ fuhr er mich an, sobald wir allein in dem Raum waren, den wir miteinander teilten. „Was ich Ihnen jetzt sagen werde, klingt wie Wahnsinn, Professor“, antwortete ich. „Darüber bin ich mir im Klaren. Aber ich erwartete, dort Lucrezia Borgia und – möglicherweise – den Henker ihres Bruders Cesare, Michelotto, vorzufinden. Ich weiß jetzt, wer Maclodio war und in welcher Beziehung er zu den Borgias stand. Der Traum, den ich in der ersten Nacht in diesem Zimmer träumte, war keine Fieberphantasie, sondern eine unerklärliche Erinnerung an ein schreckliches Ereignis in der Vergangenheit. Alles, was in den letzten Tagen hier auf Schloss Maligno geschehen ist, steht in einem engen Zusammenhang mit Dingen oder Menschen, von denen Böses ausgeht. Auch Doktor Petrucci ahnte das. Er wollte es beweisen – und wurde ermordet. Vorhin wollte mich Cesare Borgias Henker niederstechen. Und das war kein Traum, obwohl ich einen Moment an meinem eigenen Verstand zu zweifeln begann, als ich keine Spuren dieser Geschehnisse mehr fand, als ich
Das edelsteinbesetzte Kleid aus golddurchwirktem Brokat lag, sorgsam ausgebreitet, auf dem Prunkbett. Ich ging zum Kamin, in dem ein Feuer gebrannt hatte, als ich mit Elizabeth Morgan – oder war es Lucrezia Borgia gewesen? – in diesem Raum gesprochen hatte. Keine Asche war in der Feuerstelle zu sehen. Ich bückte mich und legte eine Hand auf die Steinquadern, aus denen das Mauerwerk des Kamins bestand. Sie fühlten sich warm an. „In diesem Kamin hat erst vor kurzem ein Feuer gebrannt. Man kann die Wärme noch immer fühlen“, sagte ich. Brunetto schüttelte mit unbewegtem Gesicht den Kopf. „Was Sie fühlen, ist die Wärme des vergangenen Tages“, entgegnete er. „Die Sonne scheint um diese Jahreszeit von oben senkrecht in den Schornstein und lädt das Mauerwerk mit Hitze auf, so dass man die gespeicherte Wärme noch am Morgen des darauf folgenden Tages spürt, wenn man die Hand auf die Steine legt.“ Zorn und Angst krochen in mir hoch. Zorn, weil ich sicher war, dass Brunetto log. Angst, weil ich befürchtete, er könnte doch die Wahrheit sagen und ich sei das Opfer eines Traumes, einer Phantasmagorie oder sogar eines Anflugs von Geistesgestörtheit geworden. Ich musste mir Gewissheit verschaffen. „Kommen Sie!“ sagte ich zu Lindon Baines, verließ den Raum und ging mit hastigen Schritten zu Elizabeth Morgans Schlafzimmer, das weiter hinten, auf der anderen Seite des Korridors, lag. Ich drückte die Klinke herunter. Die Tür war nicht von innen verriegelt und öffnete sich geräuschlos. Ich leuchtete mit der Laterne in den dunklen Raum hinein. Das Mädchen lag schlafend in einem Prunkbett. Ihr Gesicht wirkte im Schlaf friedlich entspannt, und ihr goldenes
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„Sie haben etwas vergessen: Auch Sie befinden sich hier. Wenn Sie sich in Gefahr glauben, warum verlassen Sie diesen Ort nicht?“ fragte er, noch immer zornig. Aber der Klang seiner Stimme verriet mir, dass sich ein Anflug von Furcht in seinen Zorn mischte. „Ich kann nicht fort“, antwortete ich. „Mein Schicksal scheint in diesem verfluchten Schloss zu wurzeln. Wenn ich an einem Ort auf der Welt erfahren kann, wer ich bin und was mit mir geschah, bevor ich mein Gedächtnis verlor, dann nur hier. Da ist dieses schwarzhaarige, junge Mädchen, das zum Personal gehört. Ich glaube, sie kann meine Fragen – vielleicht nicht alle, aber doch eine ganze Reihe davon – beantworten. Und wenn ich erst einmal ein paar Anhaltspunkte habe, was in meiner erloschenen Vergangenheit geschehen ist, dann kehrt meine Erinnerung vielleicht Stück für Stück zurück, und ich weiß wieder, wer ich bin.“ „Erzählen Sie mir alles, was sich heute Nacht ereignet hat!“ forderte Baines mich auf. Ich hatte den Eindruck, als wäre er noch immer nicht ganz bereit, mir Glauben zu schenken, aber er war nun sehr nachdenklich geworden. Ich begann meinen Bericht mit der geisterhaften Stimme, die mich gerufen hatte, als ich im Laternenschein allein in der Bibliothek saß, mit Lucrezia Borgias Stimme ... „Ich bin ordentlicher Professor für vergleichende Religionswissenschaft“, sagte Baines, nachdem ich geendet hatte, „deshalb verstehe ich mich nicht besonders gut auf parapsychologische, so genannte übersinnliche Phänomene. Ich habe, bevor ich heute Nacht einschlief, das Buch ‚Parapsychologie’ von Ryzl gelesen. Darin wird dieselbe These aufgestellt, die Doktor Petrucci Ihnen
danach suchte. Aber wer kann sagen, wie lange ich ohne Besinnung dalag, nachdem ich beim Kampf mit dem Henker mit dem Kopf gegen die Mauer geschlagen war? Die Zeitspanne mag für irgendjemanden ausgereicht haben, alle Spuren zu beseitigen. Wahrscheinlich verdanke ich mein Leben nur dem blonden Mädchen in jenem Zimmer: Lucrezia oder Elizabeth. Sie muss verhindert haben, dass der Henker mich tötete, als ich ohne Besinnung dalag. Ich habe zwar mein Gedächtnis nicht wieder gefunden, aber etwas anderes fand ich heraus: Auf unerklärliche Weise sind Elizabeth Morgan und Lucrezia Borgia ein und selbe Person, und es würde mich nicht wundern, wenn dasselbe bei Steve Fisher und Cesare Borgia der Fall wäre. Ich glaube jetzt auch zu wissen, warum das Mädchen Steve Fisher heute Nachmittag so heftig gegen mich verteidigte, als ich, ohne es zu wollen, eine abfällige Bemerkung über ihn machte. Als Elizabeth Morgan wies sie ihn ab. Aber als Lucrezia Borgia erkannte sie in ihm ihren Bruder.“ Baines war bleich geworden. Er hatte mir zugehört, ohne mich zu unterbrechen. Doch jetzt brach er zornig los: „Sind Sie wahnsinnig? Ich kenne meine beiden Assistenten seit Jahren. Ich habe nichts an ihnen bemerkt, was Ihre unglaubliche Vermutung rechtfertigen könnte.“ „Damals waren Sie auch noch nicht auf Maligno, Professor. Aber jetzt sind Sie hier: Sie, das Mädchen und Steve Fisher. Das ist ein Schloss des Schreckens, ich finde keine andere Bezeichnung dafür. In den Schatten, die alle Winkel erfüllen, lauert das Böse. Wir können es nicht greifen, aber es ist da. Es verändert die Menschen, die in seinen Bannkreis geraten, und macht Kreaturen der Hölle aus ihnen.“
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Wahrnehmungsfähigkeiten, die anderen Leuten nicht zu Gebote stehen. Aber alles das ist natürlich nur eine Vermutung von mir, denn Parapsychologie ist, wie schon gesagt, nicht mein Fachgebiet.“ „Sie mögen mit Ihrem Versuch einer Erklärung recht haben, aber das hilft uns auch nicht weiter“, entgegnete ich. „Vielleicht sollten wir mit unserer Suche nach der Wahrheit dort beginnen, wo auch Doktor Petrucci anfangen wollte: In den Kellergewölben von Schloss Maligno. Ein ganz bestimmter Verdacht muss ihn dorthin geführt haben.“ „Soviel ich bisher von den Gewölben gesehen habe, bergen sie nichts Ungewöhnliches. Die Kerkerzellen und die weiter hinten liegenden Räume sind leer. Nur die Folterkammer birgt eine Unzahl von Gegenständen. Wenn aber die Spukerscheinungen, die keiner außer Ihnen wahrgenommen hat, im Zusammenhang mit einem der Foltergeräte stehen, wüsste ich nicht, wie man das herausfinden könnte.“ „Ich habe das unheimliche Gefühl, dass wir bei allen unseren Überlegungen bisher etwas übersehen, außer Acht gelassen haben.“ Ich schüttelte den Kopf. „Sicher wurden mit den Henkerswerkzeugen in der Folterkammer grauenvolle Verbrechen an Menschen verübt. Aber dann müssten sich Spukerscheinungen der mit diesen Werkzeugen gefolterten und getöteten Menschen manifestieren. Es sind aber nicht Hingerichtete, Ermordete, die sich auf unbegreifliche Weise bemerkbar machen, sondern es sind Cesare und Lucrezia Borgia. Und der Traum, der mich in der ersten Nacht auf Maligno heimsuchte, spielte sich auch nicht auf diesem verfluchten Schloss ab, sondern in den geheimen Verliesen der Engelsburg in Rom. Das Böse – und es ist etwas satanisch Böses, teuflisch
gegenüber mit solchem Nachdruck vertreten hat: dass gewisse Orte oder Gegenstände tatsächlich die Eigenschaft haben, auf übersinnliche Weise Geschehnisse – meist schrecklicher, emotioneller, also stark gefühlsbelasteter Art – festzuhalten, und dass diese Ereignisse durch medial veranlagte Menschen, die mit diesen Orten oder Gegenständen in Berührung kommen, nacherlebt werden können. Ryzl versucht seine Theorie anhand vieler Spukerscheinungen, besonders in alten englischen Schloss- und Klosterruinen, die allgemein bekannt und wissenschaftlich nachgewiesen sind, zu erklären. In englischen Schlössern aus dem Mittelalter sind offenbar mehr Morde und Grausamkeiten verübt worden, als irgendwo sonst. Denken Sie nur an die Königsdramen von Shakespeare, die diese grauenvolle Zeit schildern. Ähnlich schlimm mag es nur in Italien, unter der Herrschaft der Borgias, zugegangen sein. Wenn wir aber Ryzls Gedankengänge Ihrem Fall zugrunde legen, würde das die Schlussfolgerung nahe legen, dass Sie über mediale Fähigkeiten verfügen, mit anderen Worten: Dass Sie eine Art ‚Geisterseher’ sind.“ „Der Gedanke ist mir auch schon gekommen“, gestand ich. „Aber ich habe ihn rasch wieder verworfen.“ „Urteilen und handeln Sie nicht vorschnell! Denken Sie an die fremden Gesichter, die sich vor Ihren Augen über den Zügen von Elizabeth und Steve Fisher abzeichneten“, sagte Lindon Baines. „Ich glaube, wenn tausend Menschen zur gleichen Zeit wie Sie das Mädchen oder Steve angeschaut hätten, wären Sie doch der einzige gewesen, dem eine Veränderung an den beiden aufgefallen wäre. Übersinnlich veranlagte Menschen verfügen über
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ausgebrannten Wagen stand, hörte ich leise nach mir rufen. Aus meinen Gedanken gerissen, blickte ich auf und sah das junge schwarzhaarige Mädchen, das mich am Tag zuvor gewarnt hatte, in einer etwa zwanzig Schritt entfernten, engen Nebentür des Schlosshaupttraktes stehen, zu der eine Steintreppe hinaufführte. Ich ging zu ihr. Sie schlüpfte aus der Tür, sah sich hastig nach allen Seiten um, ob auch niemand uns sah und belauschte, dann kniete sie auf der obersten Treppenstufe nieder, so dass sie möglichst leise mit mir sprechen konnte. „Ich muss mit Ihnen reden, aber hier kann ich das nicht. Wenn man uns zusammen sieht, muss ich sterben. Kommen Sie in einer Stunde zur Rückseite des Gebäudes. Dort ist ein hohes Fenster. Dahinter liegt meine Kammer. Ich werde dort auf Sie warten. Dann sollen Sie erfahren, wie groß die Gefahr ist, in der Sie schweben.“ „Das habe ich schon heute Nacht bemerkt, als der Mann in der Maske von Borgias Henker Michelotto mich niederstechen wollte“, entgegnete ich. „Die Gefahr ist viel größer, als Sie ahnen“, flüsterte sie. „Auf diesem Schloss gehen so abscheuliche Dinge vor sich, dass man es niederbrennen und auf seinen Ruinen ein Kreuz errichten sollte, damit das Böse, das Maligno beherrscht, für immer gebannt bleibt. Sie müssen fort von hier, ehe es zu spät ist ...“ „Ich kann nicht“, unterbrach ich sie. „Nicht, bevor ich weiß, wer ich bin und was mit mir geschehen ist, bevor ich mein Gedächtnis verlor.“ „Ich werde Ihnen alles erzählen, aber nicht hier“, sagte sie hastig. „Ich setze mein Leben aufs Spiel, weil ich hier mit Ihnen flüstere.“ „Warum nehmen Sie diese Gefahr auf sich, nur um mir zu helfen?“
Grauenvolles – , das auf Maligno geschieht, hat seine Wurzeln kaum in der alten Folterkammer, welche Schrecken sich dort auch zugetragen haben mögen. Es wurzelt anderswo, aber ich durchschaue die Zusammenhänge nicht.“
Der nächste Tag war neblig-trüb. Die Sonne stand fahlrot hinter grauem Gewölk, dann wurde sie ganz von den Wolken überdeckt, und es herrschte Zwielicht. Wir nahmen das Frühstück schweigend ein. Keiner sah den anderen an, jeder schien nur mit sich selbst beschäftigt zu sein. Nur ich blickte immer wieder zu Elizabeth Morgan hinüber. Doch ob sie nun meinen Blick spürte oder nicht, sie schaute nicht auf. Es war, als würde sie von Empfindungen seltsamer Art gequält. Ihre Augen waren umschattet, ihr Gesicht war blass. Selbst ihre Lippen schienen viel von ihrer frischen Farbe verloren zu haben. Ich verließ den Remter, ohne mehr als eine Tasse Kaffee zu mir genommen zu haben. Unten im Hof standen noch die beiden ausgebrannten Autowracks. Ich prüfte die Benzintanks. An beiden fehlten die Verschlüsse. Das hatte zwar nicht allzu viel zu bedeuten, denn die Deckel konnten durch die Wucht der Explosion weggeschleudert worden sein. Aber ich war sicher, dass sie bereits zuvor abgenommen worden waren. Dann hatten brennende Streichhölzer den Rest erledigt. Ich war sicher, dass zwei Männer daran beteiligt gewesen waren. Der eine war Steve Fisher – denn er hätte sich nicht mehr aus dem brennenden Auto retten können, wenn die Explosion überraschend erfolgt wäre. Der andere musste jener Mann sein, der sein Gesicht hinter der Henkersmaske verbarg. Während ich noch bei den
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Decke wurde von romanischen Kreuzbogen getragen. Alle Winkel waren voll lauernder Schatten, Staub und Ratten. Ich fand einen großen Kerosintank, dessen Inhalt wahrscheinlich dazu bestimmt war, die Laternen und Petroleumöfen im Schloss zu betreiben. Ich schätzte, dass er zehntausend Liter enthielt. Eine stinkende Pfütze hatte sich unter dem Zapfhahn auf dem Steinboden gebildet. Als ich noch tiefer in die Gewölbe eindrang, wo es so kalt war, dass mein Atem im Lichtkegel der Laterne dampfte, sah ich dort eine stumme, regungslose Gestalt unter einer Decke auf der Erde liegen»: Petrucci. Sein Anblick verursachte mir Grauen, und ich schickte mich an, den Keller wieder zu verlassen. Aber als ich mich umdrehte, fiel Licht auf die Mauer neben mir, und ich bemerkte, dass ein Teil davon anders aussah, als die übrige Wand. Die war aus großen Quadern gefügt, während der Teil, neben dem ich stand, fugenlos glatt war, wie eine einzige große Steinplatte. Als ich die Laterne höher hob, fiel ihr Schein auf ein Zeichen, das in den Stein eingemeißelt war: Es war ein Greif, der das Wappen der Borgias in seinen Krallen hielt, derselbe Vogel – halb Adler, halb Drache – und dasselbe Wappen wie über dem Torbogen, durch den man ins Schloss Maligno gelangte. Ich leuchtete an den Seitenkanten der Steinplatte entlang. Dort war etwas von dem Mörtel herausgebrochen, und darunter zeigte sich ein fast fingerbreiter Spalt im Mauerwerk. Die Platte war also eingesetzt worden, um einen Hohlraum zu verschließen. Während ich dastand, in der Rechten die Laterne, mit der Linken das BorgiaWappen betastend, hörte ich eine Stimme sagen: „Du hast die Macht Satans zunichte gemacht, und dafür musst du
„Um meine Seele zu retten“, entgegnete sie. „Ich will nicht mitschuldig werden an dem, was auf Schloss Maligno geschieht.“ „Wovon reden Sie? Was geschieht hier?“ Statt einer Antwort bekreuzigte sie sich schaudernd. Im nächsten Moment hörte ich das Eingangstor zur großen Schlosshalle knarren. Das Mädchen erschrak, richtete sich auf und verschwand, schnell wie ein Schatten, in der Tür, durch die es herausgetreten war. Ich drehte mich um und sah Brunetto auf der Torschwelle stehen. Dieser Mann schien allgegenwärtig zu sein, so, als überwachte er jeden einzelnen meiner Schritte. Er schaute aus zusammengekniffenen Augen misstrauisch zu mir herüber. Aber als ich zornig und entschlossen geradewegs auf ihn zuging, wich er in die Halle zurück und ließ das Tor hinter sich ins Schloss fallen. Ich beeilte mich, ihn einzuholen, aber als ich die Halle betrat, war sie menschenleer. Brunetto war verschwunden, und ich kannte mich in Maligno zu wenig aus, um nach ihm zu suchen. Während ich mich noch umsah, glaubte ich ein Geräusch aus der Richtung der Steintreppe zu hören, die in die Kellergewölbe hinabführte. Sollte er vor mir in die Dunkelheit dort unten ausgewichen sein? Oder war es nur eine huschende Ratte gewesen, die den Laut verursacht hatte? Ich nahm eine Laterne vom Wandhaken, steckte ihren Docht in Brand und stieg die Treppe hinunter. Die feuchte Kälte, die hier unten herrschte, legte sich mir beklemmend auf die Brust. Ich leuchtete in die Kerkerzellen und die Folterkammern, sie waren leer. Dann ging ich tiefer in die anschließenden Kellergewölbe hinein. Die niedrige
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so lange weitergearbeitet, bis ich vor Erschöpfung zusammengesunken wäre, wenn nicht plötzlich das alte Eisen in meinen Händen zerbrochen wäre. Das brachte mich wieder zur Besinnung. Ich warf das nutzlose Ende der Stange weg. Es schien mir vernünftiger, Baines zu Hilfe zu holen, als allein weiterzumachen. Die Arbeit war für einen einzelnen Mann zu mühevoll. Ich griff nach der Laterne und verließ das Kellergewölbe. Als ich oben in der Halle stand, erinnerte ich mich an das zum Schlosspersonal gehörende junge schwarzhaarige Mädchen. Sie hatte mich beschworen, in einer Stunde zur Rückseite des Haupttraktes von Schloss Maligno zu kommen – und mindestens eine Stunde musste seither verstrichen sein. Ich entschloss mich, erst mit dem Mädchen und dann mit Baines zu sprechen. In den Kellergewölben würde alles unverändert bleiben. Aber ob sich noch einmal die Gelegenheit ergeben würde, mit dem Mädchen zu reden, schien fraglich. Also stellte ich die Laterne auf einen Tisch, verließ das Schloss durch die Toreinfahrt und ging auf einem schmalen Pfad, der zwischen dem mit Wasser gefüllten Burggraben und der Schlossaußenmauer um Maligno herumführte. Als ich die Rückseite des Hauptgebäudes erreichte, sah ich sofort das hohe Fenster, von dem das Mädchen gesprochen hatte: es stand offen. Ich rief leise beim Näherkommen, aber niemand zeigte sich hinter dem Sims. Ich warf einen Blick in den Raum dahinter. Er war kärglich eingerichtet und menschenleer. Vor dem Tisch in der Mitte der Kammer lag ein umgeworfener Stuhl, als habe ihn jemand umgestoßen, als er aufsprang. Auch die hohe Tür aus altersdunklem Holz stand halb offen. Ich fragte mich, ob jemand durch sie den Raum betreten
sterben – sterben – sterben ...“ Es war dieselbe Stimme, und. es waren die gleichen Worte, die ich nun schon zweimal gehört hatte: zum ersten Mal, als ich Schloss Maligno betrat, und das zweite Mal in meinem Traum. Da war es Cesare Borgia gewesen, der sie sprach und der damit das Todesurteil über mich fällte. Ich fuhr herum, aber niemand stand hinter mir. Ich leuchtete mit der Laterne nach allen Seiten, doch das Kellergewölbe war leer. War die Stimme aus meinem Unterbewusstsein gekommen, das mir auf diese Weise eine Warnung mitteilen wollte? Ich musste mir Gewissheit verschaffen, was sich hinter der Steinplatte verbarg. Wie von Panik erfasst, hastete ich in die Folterkammer und nahm eine Eisenstange von der Wand, dann kehrte ich in das hintere Kellergewölbe zurück, stellte die Laterne auf den Boden und versuchte mit dem spitzen Ende der Stange den Spalt in der Mauer zu erweitern. Der Mörtel war schon alt und brach ich großen Stücken heraus, wenn ich die Eisenstange als Hebel benützte und mich mit dem ganzen Gewicht meines Körpers gegen ihr hinteres Ende warf. Ich arbeitete fieberhaft. Obwohl es in dem Gewölbe kalt war, rann mir bald der Schweiß übers Gesicht. Mir war zumute, als ob hinter der Steinplatte meine eigene verlorene, vergessene Vergangenheit verborgen sei und ich mir einen Weg freikämpfen müsste, um wieder zu mir zu gelangen. Ich riss mir die Hände an der rostigen Eisenstange blutig. Der Spalt im Mauerwerk wurde immer länger, er reichte jetzt vom Boden bis zur halben Höhe der Wand. Keuchend brach ich einen Brocken Mörtel nach dem anderen heraus. Mein Mund war voll Staub, meine Augen brannten. Aber wahrscheinlich hätte ich
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Elizabeth Morgan und Steve Fisher bei der Durchsicht der alten Bände gewesen waren. „Kommen Sie mit in das Kellergewölbe, Baines, und helfen Sie mir, die Steinplatte mit dem BorgiaWappen aus dem Mauerwerk herauszubrechen. Ich glaube, dass wir dahinter die Antwort auf alle unsere Fragen finden werden“, fuhr ich fort. Und als ich sah, dass er zögerte, fügte ich hinzu: „Wenn Sie mir Ihre Hilfe jetzt verweigern, werden entweder Sie selbst oder ich das nächste Opfer von Cesare Borgias Henker, denn nur wir beide sind bisher nicht in den Bann des Spuks geraten und stellen deshalb eine Gefahr für die teuflische Macht dar, die hinter alledem steckt.“ „Also gut, ich werde Ihnen helfen“, willigte Baines schließlich ein. „Nachdem schon zwei Morde auf Maligno geschehen sind, müssen wir wohl irgendetwas unternehmen, um diesem Satansspuk ein Ende zu machen. Wenn ich auch fürchte, dass uns das hinter der Steinplatte im Kellergewölbe verborgene Geheimnis leicht den Tod bringen kann, wenn wir es erst ans Licht geholt haben.“ „Wir sind so oder so in Lebensgefahr, Professor“, entgegnete ich. „Wir wissen schon zu viel, haben viel zuviel mitangesehen, als dass die Borgias und ihr verfluchter Anhang uns am Leben lassen dürften.“ „Sie reden von den Borgias, als ob es lebende Menschen wären.“ „Nein, Baines. Ich weiß, dass die Borgias tot sind. Schon seit Jahrhunderten. Aber ich fühle ihre Anwesenheit in Schloss Maligno. Böses geht von ihnen aus. Es erfüllt das ganze Schloss wie eine Dunkelheit, die man nicht sehen, sondern nur empfinden kann.“
oder verlassen hatte. Sekunden später wusste ich, dass jemand lautlos durch die Tür eingetreten war und ein schreckliches Werk verrichtet hatte. Ich drehte mich nämlich um, und dabei fiel mein Blick in den Graben, in dem das Wasser nur etwa einen Meter hoch stand. Dort unten, auf dem Grund des Wassers, lag das Mädchen, das mich hatte warnen wollen, um, wie sie sagte, ihre eigene Seele vor der Verdammnis zu retten. Sie lag auf dem Rücken. Ihre Augen standen offen und blickten durch das klare Wasser zum Himmel auf. Ein breiter, klaffender roter Schnitt zog sich quer über ihre Kehle. Kein Zweifel: Sie war tot.
„Ich glaube, es gibt nur einen Mann auf Schloss Maligno, der so schnell, geschickt und erbarmungslos töten kann: Cesare Borgias Henker Michelotto. Und die Klinge, mit der er das Mädchen getötet hat, ist dieselbe, die er mir in der vergangenen Nacht in die Kehle stoßen wollte“, sagte ich zu Professor Lindon Baines. „Natürlich ist Michelotto seit Jahrhunderten tot, ein anderer Mann ist in die Helmmaske des Scharfrichters geschlüpft, aber er versieht sein blutiges Amt nicht weniger erbarmungslos als sein Vorgänger. Und der Mann, auf dessen Befehl er mordet, ist derselbe wie vor fünfhundert Jahren: Cesare Borgia. Fragen Sie mich nicht – noch nicht – , wie das möglich ist. Ich weiß nur, dass es sich so verhält.“ Ich stand, noch immer mit dem Staub des Kellergewölbes bedeckt, in dem Zimmer, das Baines und ich miteinander teilten. Ich hatte ihm alles erzählt, was sich im Verlauf der letzten Stunde ereignet hatte. Zuvor hatte ich ihn aus der Bibliothek holen müssen, wo er,
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üblich gewesen war. Es waren einfache, mächtige Steinbehälter, bedeckt mit dem Staub von Jahrhunderten. „Helfen Sie mir, die Särge zu öffnen!“ sagte ich zu Baines, stellte die Laterne auf den Boden, schob das spitze Ende der Eisenstange in die Ritze zwischen einem Sarkophag und seinem Steindeckel und drückte das andere Ende mit meinem ganzen Körpergewicht nach unten. Baines kam mir zu Hilfe, und unseren vereinten Anstrengungen gelang es, den schweren Deckel aus seinen Widerlagern zu wuchten, so dass wir ihn herunterheben konnten. Das Skelett, das in dem Sarkophag lag, war gut erhalten, wenn man in Betracht zog, dass es schon seit über vierhundert Jahren hier lag. Der Schädel war klein und schien einer Frau gehört zu haben. Das bewiesen auch einige noch nicht zu Staub zerfallene Fetzen von golddurchwirktem Brokatstoff, aus dem das Grabkleid der Toten bestanden hatte. Die Hände des Skeletts waren über der Brust gekreuzt, und der Schädel wies sogar noch einige Reste hellen Haars auf, von dem man nicht sagen konnte, ob es einst blond gewesen oder in den Jahrhunderten weiß gebleicht war. Schweigend öffneten wir den zweiten Sarkophag. Die Gebeine darin waren die eines großen, massigen Mannes, das sah man sofort. Sie waren in matt goldschimmernde Fetzen gehüllt, die letzten Reste eines einst kostbaren geistlichen Ornats. Der weiße Schädel mit den leeren Augenhöhlen, von dem der Unterkiefer bereits abgefallen war, trug eine Tiara, die dreifache Papstkrone, aus purem Gold. Auch im dritten Sarkophag fanden wir das Skelett eines Mannes. Es bot einen unheimlichen Anblick, denn es trug eine schwarze, mit längst erblindeten Silberintarsien geschmückte
Wir verließen das Zimmer und stiegen so leise wie möglich in den Keller hinab. Im Vorbeigehen nahm ich die Laterne mit, die ich beim Heraufkommen auf einen Tisch gestellt hatte. Aus der Folterkammer holten wir zwei Eisenstangen, dann führte ich Baines zu der Steinplatte in den Tiefen des Kellergewölbes. Er war ein kräftiger Mann, und da wir nun zu zweit waren, ging die Arbeit schneller von der Hand. Wir mochten etwa eine Stunde lang Mörtel aus den Ritzen gebrochen haben, als die Steinplatte sich uns knirschend entgegenneigte. Die spärlichen Reste des alten Mörtels, die bis zuletzt gehalten hatten, zerbrachen wie splitterndes Glas. „Schnell, Baines!“ rief ich und ließ die Eisenstange fallen. „Helfen Sie mir, die Platte aufzufangen! Wir müssen sie langsam zu Boden gleiten lassen, sonst zerbricht sie beim Aufprall. Der Krach wäre im ganzen Schloss zu hören.“ Die Steinplatte war ungeheuer schwer, aber es gelang uns doch, sie behutsam umzulegen. Hinter der entstandenen rechteckigen Öffnung, die gerade groß genug war, um einen Mann durchzulassen, gähnte schwarze Dunkelheit. Ich nahm die Laterne in die Linke, die Eisenstange wie eine Waffe in die Rechte, dann betrat ich den Raum. Seit vielen Jahrhunderten hatte kein Mensch mehr seinen Fuß in diese Gruft gesetzt, denn eine Gruft war es, das sah ich sofort. Der Lichtschein der Laterne fiel auf drei mächtige Steinsarkophage, die nebeneinander an der gegenüberliegenden Wand standen, die Fußenden dem Eingang zugekehrt. Sonst befand sich nichts in dem Gewölbe. Die Sarkophage waren weder durch Inschriften noch durch steinerne Grabfiguren auf den Deckeln geschmückt, wie das in der Renaissance
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Baines mit rauer, unsicher klingender Stimme, „dass noch immer Böses von den Überresten dieser drei Menschen ausgeht? Dass sie selbst in diesem Zustand noch über genug Macht verfügen, um Besitz von lebenden Menschen zu ergreifen?“ „Wer weiß schon, was wirklich von einem Menschen übrig bleibt, wenn er stirbt? Nach Ryzls Theorie – so, wie Petrucci sie mir erklärte – ist es möglich, dass Wesenszüge und Charaktereigenschaften, ja sogar Erinnerungen eines Menschen den Tod überdauern und irgendwann wie ein Funke auf einen lebenden Menschen mit ganz ähnlicher Wesensstruktur überspringen, von ihm Besitz ergreifen und ihn dadurch besessen machen. Oder vielleicht gibt es wirklich das in jedem Menschen, was wir Seele nennen. Etwas Unsterbliches, das aber niemals – auch nach dem Tod nicht – zur Ruhe kommen kann, wenn es zu Leibzeiten des Menschen in den Bannkreis des Bösen geraten ist. Wenn es auch nach dem Tod noch von wilder Lebensgier erfüllt ist und von, schrecklichen, finsteren Leidenschaften beherrscht wird. Solch ein satanischer Geist könnte einen lebenden Menschen wohl besessen machen. Voraussetzung dafür wäre aber, dass dieser Mensch ähnliche Wesenseigenschaften hat. Lucrezia Borgia war vielleicht wirklich nur das willenlose Opfer ihres Bruders und Vaters. Sie war möglicherweise unschuldig und nicht das von Sinnengier erfüllte Weibstier, als das man sie später bezeichnete. Deshalb konnte ihr Geist, oder wie immer man das Unbegreifliche nennen will, Besitz von Elizabeth Morgan ergreifen, die einen ähnlichen Charakter hat. Cesare Borgia aber manifestierte sich in Steve Fisher, weil er bei ihm wesensverwandte Eigenschaften
Renaissance-Rüstung. Von dem Gewand aus schwarzem Samt, mit dem es darunter bekleidet gewesen war, waren nur noch vermoderte Fetzen übrig. Der tief herabgezogene Wangenschutz des Helms umrahmte das grinsende Gesicht – oder soll ich sagen: die dämonische Fratze? Es war, als verspotteten uns die leeren Augenhöhlen, in denen Licht und Schatten hin und her tanzten, als ich mit der Laterne in den Sarkophag leuchtete. Die weißen Knochenhände umklammerten ein Schwert, dessen reich geschmiedeter silberner Griff das Kinn des gebleichten Schädels berührte, während die verrostete Klinge zwischen den in Lederfetzen gehüllten Beinknochen lag. „Da haben Sie sie alle drei: Lucrezia Borgia, eine der schönsten und meistgeliebten Frauen ihrer Zeit. Rodrigo Borgia, der unter dem Namen Alexander VI. den päpstlichen Thron bestieg. Und Cesare Borgia, den auf ewig Verfluchten, der um seiner Macht- und Blutgier willen seine eigene Schwester Satan opfern wollte“, sagte ich zu Baines. „Jetzt wissen wir, wo sich die Quelle alles Bösen in Schloss Maligno verbarg. Doktor Petruccis Überlegung, dass irgend etwas in diesem Schloss die teuflische Veränderung der Menschen, die in seinen Bann. gerieten, hervorrufen müsse, war also richtig. Petrucci muss geahnt haben, dass die Borgias nicht an den in Leacocks Buch genannten Orten – in Rom, Navarra und Ferrara – beigesetzt waren, sondern hier, wo ihre sterblichen Überreste und wahrscheinlich auch ihre Geister unter dem Schutz einer dem Satan verschworenen Gemeinschaft standen: Brunettos und seiner Leute. Das M, das Petrucci auf jede Markierung in dem Buch schrieb, war einfach eine Abkürzung für Maligno.“ „Sie glauben wirklich“, fragte Lindon
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Ruck los und drehte mich um, um die Gruft zu verlassen. In diesem Augenblick beherrschte nur eine Vorstellung, ein Wunsch meine Gedanken: ich wollte fliehen. Aber es war schon zu spät. Im Eingang der Gruft tauchte schattenhaft eine Gestalt auf. Ihr Oberkörper und ihre Arme waren nackt, das Gesicht war durch eine lederne Helmmaske unkenntlich gemacht. Es war Michelotto, Cesare Borgias Henker. Er hielt ein breites Richtschwert in den Händen. Die Klinge steckte noch in der Scheide. Diese Lederscheide umspannte der Henker mit beiden Händen. Er hob das Schwert und schlug mit dem holzbeschlagenen Eisengriff zu. Ehe ich eine Abwehrbewegung machen konnte, traf mich der Hieb mit voller Wucht an der Schläfe. Ein schrecklicher Schmerz durchzuckte mich, meine Knie knickten ein, und ich fiel zu Boden. Das letzte, was ich sah, bevor ich die Besinnung verlor, war das vermummte Gesicht des Scharfrichters, das sich über mich beugte, und die grausam funkelnden Augen hinter den Sichtschlitzen seiner Maske.
fand. Erinnern Sie sich noch daran, Professor, dass Sie mir erzählten, Steve Fisher sei schon einmal wegen Mordes angeklagt, aber freigesprochen worden. Vielleicht hat das Gericht sich geirrt, vielleicht hat er den Mord doch begangen. Warum sonst sollte sich Cesare Borgia, der selbst ein hundertfacher Mörder war, ausgerechnet in Steve Fisher manifestieren? Aber bisher bin ich auf Maligno noch niemandem begegnet, von dem Rodrigo Borgias Geist Besitz ergriffen hätte. Wie dem auch sei, ich weiß jetzt, was ich zu tun habe.“ „Was haben Sie vor?“ fragte Baines mit veränderter Stimme. „Draußen, im Kellergewölbe, befindet sich ein riesiger Tank mit Kerosin. Damit können wir die Überreste der drei Borgias verbrennen. Vielleicht beseitigt das Feuer den Spuk.“ Ich wandte mich ab, um hinauszugehen, nach einem Eimer zu suchen und ihn mit Kerosin zu füllen. Da packte mich Lindon Baines am Arm. Sein Griff war so fest, dass er mich auf der Stelle festbannte. „Nein“, sagte er. Erst, als er dieses Wort aussprach, wurde mir plötzlich klar, wie sehr sich seine Stimme verändert hatte. Ich schaute ihn an, und mir war, als schiebe sich ein anderes geisterhaftes Gesicht vor seine Züge. Es war ein massiges, bleiches Gesicht mit kurzem, sorgfältig gestutztem, dunklem Bart und brennenden schwarzen Augen. Ich ahnte, wessen Züge es waren, die ich sah: Rodrigo Borgias, der unter dem Namen Alexander VI. auf dem päpstlichen Thron gesessen hatte. „Nein“, wiederholte Baines, „das wirst du nicht tun, Maclodio Orsino. Niemand wird Hand an die Borgias legen – nicht im Leben und nicht im Tod.“ Eine kaum verhüllte Drohung lag in diesen Worten. Ich riss mich mit einem
Ganz allmählich gelangte ich wieder zum Bewusstsein. Ich schwebte, wie losgelöst von meinem Körper, an der Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit, wo alles möglich ist, alles geschehen kann. Mit der wiederkehrenden Besinnung kam auch meine Erinnerung zurück. Nicht, langsam, bruchstückhaft, neblig verschwommen, sondern ganz plötzlich, mit der Wucht einer über mir zusammenschlagenden Woge. Es war wie der Einbruch harten, grellen, durchdringenden Lichts in eine Welt der Dunkelheit, der Schatten, des Vergessens. Ich wusste, warum mein
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Draußen herrschte Nacht, ein Sturm tobte, und der Regen stach wie mit Hagelsplittern nach meinem Gesicht. Ich hastete vorwärts, weiter, immer weiter. Plötzlich – ich wusste nicht, wie lange ich schon auf der Flucht war – wurde ich von einer schemenhaften Gestalt verfolgt. Es war kein Mensch, vielmehr schien es ein Schatten zu sein, der aus den Tiefen der Hölle emporgestiegen war. Er wich nicht von meiner Seite, und ich konnte deutlich seine Stimme hören, mit der er mir zuraunte. Aber wenn ich nach ihm griff oder schlug, fasste meine Hand ins Leere. „Maclodio“, flüsterte die Stimme, „du hast die Macht Satans zunichte gemacht, und dafür musst du sterben – sterben – sterben ...“ Ich floh immer weiter, taumelte, stolperte, stürzte, raffte mich wieder auf und rannte blindlings in die Dunkelheit hinein, doch ich konnte meinen schrecklichen Begleiter nicht abschütteln. Meine Kräfte ließen nach. Schließlich konnte ich kaum noch Atem schöpfen. Mein Herz hämmerte, und das Blut toste in meinen Schläfen. Dann stürzte ich abermals über ein Hindernis, das ich in der Dunkelheit nicht gesehen hatte, und fiel auf die Knie. Aber diesig mal hatte ich nicht mehr die Kraft, mich wieder zu erheben. „Sieh mich an!“ flüsterte die Stimme. Ich hob mühsam den Kopf. Die Gestalt, die neben mir stand, war jetzt nicht mehr schemenhaft, wie gerade eben noch. Sie trug die lederne Helmmaske eines Scharfrichters und war in einen scharlachroten Mantel gehüllt. Als sie ihn abwarf, waren Oberkörper und Arme nackt, nur um die Handgelenke saßen dicke Ledermanschetten. Und in den Händen hielt sie ein blinkendes Richtschwert. War es Traum oder Wirklichkeit, was ich sah? Ich vermochte beides nicht mehr auseinander zuhalten.
Gedächtnis gerade in diesem Augenblick wiederkehrte. Denn was in der letzten Stunde, bevor ich niedergeschlagen worden war, mit mir geschah, das hatte ich alles schon einmal so ähnlich erlebt – vor wenigen Tagen erst: das finstere Kellergewölbe von Maligno, die Steinplatte vor dem Grabgewölbe der Borgias, der darüber hinschwankende Lichtkegel einer Laterne, und dann das Gesicht des Henkers hinter der ledernen Helmmaske. Auch damals hatte er mich mit dem wuchtigen Griff des Richtschwertes niedergeschlagen. Ich entsann mich der Kerkerzelle, in der ich danach gefesselt gelegen hatte, und des Mädchens, das in der Dunkelheit zu mir gekommen war, ihres Gesichtes und ihres langen schwarzen Haars im Licht einer winzigen Kerzenflamme. Plötzlich war die Erinnerung an die Messerklinge wieder da, die sich kalt an meinen Hand- und Fußgelenken bewegt hatte, als das Mädchen meine Fesseln durchschnitt, und an ihre Stimme, die flüsterte: „Fliehen Sie! Um Gottes willen, fliehen Sie von diesem Ort der Verdammnis! Sie werden sonst heute Nacht noch einen schrecklichen Tod sterben. Ihr Blut soll während einer Schwarzen Teufelsmesse vergossen werden, um Dämonen anzulocken. Aber ich will nicht mitschuldig werden an Ihrem Tod. Ich helfe Ihnen, weil ich nicht, wie die anderen, auf ewig verdammt sein möchte.“ Sie half mir wirklich, mir, der nicht einmal ihren Namen kannte. Sie stützte mich, weil meine Arme und Beine von der langen, straffen Fesselung wie abgestorben waren, führte mich die Treppe hinauf, durch lange, dunkle Gänge und schließlich zum hohen Fenster in einer Kammer, durch das ich mich ins Freie hinausgleiten ließ.
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ablief, fielen mir erst jetzt die Gründe ein, derentwegen ich nach Schloss Maligno gekommen war. Diesmal waren die Erinnerungen – vielleicht, weil diese Dinge schon länger zurücklagen – bruchstückhafter. Aber alle Einzelteile fügten sich lückenlos zusammen: „Mister Orsino“, sagte die Stimme des Psychiaters – John Orsino, das war ich! – „der Traum, von dem Sie mir erzählt haben, dass er Sie immer wieder heimsucht und quält, dieser Traum mit seinem spukhaften Geschehen in den geheimen Verliesen der Engelsburg in Rom, gibt mit Sicherheit keine Ereignisse wieder, die sich vor fünfhundert Jahren in dieser Weise wirklich ereignet haben. Ihr Traum ist wahrscheinlich der Hilferuf Ihrer ernstlich erkrankten Seele. Das bedeutet nicht etwa, dass Sie geisteskrank sind. Aber es scheint ein ernstes Anzeichen zu sein. Eine gestörte Psyche neigt dazu, sich im Traum, wo sie der Fesseln des rationalen, wachen Verstandes ledig ist, durch unglaublich bizarre Vorgänge zu manifestieren.“ Während die Stimme des Psychiaters in meinen Gedanken widerhallte, entsann ich mich der Stunde, die ich in seiner Praxis in der 41. Straße-West im New Yorker Stadtteil Manhattan zugebracht hatte. Ich erinnerte mich jetzt sogar an seinen Namen: Dr. Harris. „Sie sind ein berufsmäßiges Medium, oder soll ich sagen: Hellseher?“ fuhr Dr. Harris fort. „Menschen mit so genannten übersinnlichen Fähigkeiten sind oftmals seelisch labil. Wahrscheinlich haben Sie einfach zu viel gearbeitet. Ich würde Ihnen empfehlen, dieses Alarmzeichen Ihrer Seele, das der Traum meiner Meinung nach darstellt, nicht zu übersehen. Vielleicht sollten Sie überhaupt aufhören, sich auf parapsychologischem Gebiet zu.
Sie flössen ineinander. Der Henker hob das Schwert, und ich folgte mit meinem Blick der tödlichen Klinge auf ihrem Weg, bis sie den höchsten Punkt erreicht hatte, bereit, auf mich niederzufahren und mich zu enthaupten. „Wer bist du?“ brachte ich hervor. „Ich bin Michelotto, der Henker Cesare Borgias“, antwortete der grausame Mund unter der Helmmaske. „Ich werde deine Seele zur Hölle schicken! Aber du sollst erst sehen, wohin du fährst. Schau!“ Vor mir schien die Erde aufzubrechen und auseinanderzuklaffen. Ich sah gleichsam in einen feurigen Abgrund hinein. Und was ich dort erblickte, war so entsetzlich, dass ich aufschrie. In derselben Sekunde fuhr das Schwert des Henkers auf mich herab. Das war der Moment, in dem ich mein Gedächtnis verlor ... Jetzt, da ich es wieder gefunden hatte, begriff ich, dass ich einem Spuk zum Opfer gefallen war. Denn das Richtschwert hatte mir nicht den Kopf abgeschlagen. Ich war in jener Nacht mit der Hilfe des mir unbekannten Mädchens meinen Feinden entkommen. Aber um mich dennoch für immer zum Schweigen zu bringen, hatte Cesare Borgias böser Geist – oder war es der Dämon aus der Hölle gewesen? – in der Maske Michelottos versucht, mich durch Trugbilder in den Abgrund des Wahnsinns zu stürzen. Und nur der Umstand, dass mein Unterbewusstsein mein Gedächtnis blockierte und dadurch die schreckliche, unerträgliche Erinnerung an das, was ich im Abgrund des Inferno gesehen hatte, auslöschte, hatte mich davor bewahrt, in jener Nacht wirklich den Verstand zu verlieren und in kreischendem Wahnsinn zu versinken. Da meine Erinnerung von dem Augenblick an, in dem ich mein Gedächtnis wiedererlangte, rückwärts
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dass das logisch gedacht ist?“ „Diese Frage stellen Sie mir doch nur, weil Sie Ihrer Sache selbst nicht sicher sind“, entgegnete Harris. „Aber ich vermag sie Ihnen nicht schlüssig zu beantworten. Sie müssen die Antwort auf Ihre Frage schon selbst finden. Ich als Psychiater kann Ihnen nur dabei helfen.“ „Ich habe den Eindruck, dass es sich bei dem Traum um einen Hilferuf handelt“, sagte ich nachdenklich. „Oft habe ich, wenn ich ihn zu Ende geträumt habe, das Gefühl, vor einer verschlossenen Tür zu stehen und ich weiß nicht, was sich dahinter verbirgt.“ „Ich sehe nur eine Möglichkeit, wie Sie sich Gewissheit verschaffen können: Wenn Sie sich durch einen Hilferuf bedrängt fühlen, dann leisten Sie ihm Folge. Stoßen Sie die Tür auf, vor der Sie am Ende Ihres Traumes zu stehen glauben. Ich möchte Sie aber auf das Wagnis aufmerksam machen, das Sie eingehen, wenn Sie das tun. Ich glaube, dass diese Tür ein bisher verschlossener Bereich Ihres Unterbewusstseins ist. Es könnte sein, dass Sie, wenn Sie sie öffnen, Ihren klaren Verstand in Gefahr bringen, denn niemand vermag zu sagen, was sich hinter der Tür verbirgt. Es könnte etwas Schreckliches sein. Sie müssen mich richtig verstehen, Mister Orsino: Ich habe kaum Erfahrung mit den psychischen Strukturen – also dem geistig-seelischen Wesen – von medial begabten Menschen. Ich möchte bei Ihrer Behandlung nichts falsch machen, denn jeder Fehler könnte verheerende Folgen für Sie haben. Sie müssen nachdenken, sich über die möglichen Inhalte Ihres Traumes klar werden und dürfen nicht davor zurückscheuen, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Irgend etwas belastet Ihr Unterbewusstsein, und wir müssen herausfinden, was es ist, bevor es Ihre Seele zerstört – Ihre Seele zerstört – Ihre
betätigen ...“ „Doktor Harris“, unterbrach ich ihn, „ich besitze das, was Sie übersinnliche Fähigkeiten nennen, seit meiner Kindheit. Doch obwohl die Arbeit auf diesem Gebiet oft sehr anstrengend ist, hat sie bisher weder meine körperliche noch meine geistig-seelische Gesundheit beeinträchtigt. Dies ist das erste Mal, dass ich von einem immer wiederkehrenden Traum heimgesucht werde. Ich habe Sie aufgesucht, weil ich mir keinen Rat mehr weiß und mit einem Mann darüber sprechen wollte, der sich möglicherweise auf diese Dinge versteht und sie nicht, wie viele Menschen es tun, von vornherein ablehnt.“ „Was beunruhigt Sie am meisten an dem Traumgeschehen?“ fragte der Psychiater. „Die Tatsache, dass ich in meinem Traum denselben Namen trage, wie im wirklichen Leben auch“, sagte ich rundheraus. „Im Traum ist mein Name Maclodio. Das ist ein Vorname, wie er im Italien der Renaissance gebräuchlich war. Aber ich habe alles Material über die Borgias zusammengetragen, das ich finden konnte, und stieß darin nur auf einen Maclodio: Maclodio Orsino. Es könnte sein, dass sich der Stammbaum der Orsinos im männlichen Geschlecht über die Jahrhunderte erhalten hat und dass der Traum in einer fernen Erinnerung wurzelt, die über diesen Zeitraum bis zu mir reicht. Ich weiß, dass meine Familie erst vor etwa achtzig Jahren aus Italien, wo sie in der Nähe von Rom lebte, nach den Vereinigten Staaten ausgewandert ist. Ich halte es für möglich, dass der Maclodio Orsino, dessen Rolle ich immer wieder in meinem Traum spielen muss, einer meiner Vorfahren war und dass der Traum – wie soll ich es ausdrücken? – eine Art Botschaft ist. Würden Sie sagen,
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jähen Ausbruch von Geisteskrankheit, halten. Aber ich hörte an jenem Abend eine Stimme: drängend, flehend, beharrlich ... „Du musst es verhindern!“ flüsterte die Stimme. „Du musst es verhindern!“ Ich wusste nicht, was diese Worte zu bedeuten hatten. Dann sank ich wieder in meinen Traum zurück, näherte mich aber bald erneut der Bewusstseinsgrenze und vernahm abermals die leise Stimme: „Du musst es verhindern!“ Und dann folgte eine Art Erklärung: „Das Böse greift nach der Welt, es streckt seine feuerroten Klauen nach ihr aus. Satan richtet sich auf, er schüttelt seine schwarze Mähne wie ein Löwe. Das Tor der Hölle beginnt, sich zu öffnen. Das Böse aber braucht Menschen, die ihm willfährig dienen. Allein vermag es nichts, denn es ist selbst nur wie ein Schatten. Es hat abermals den gewählt, den es schon einmal zu seinem blutbesudelten, schrecklichen Diener machte: Cesare Borgia. Du musst verhindern, dass sein böser Geist aus dem Reich der Toten zurückkehrt!“ Und noch einmal, beschwörend: „Du musst es verhindern! Ich vermochte ihn damals nicht zu töten. Der Stahl, der auf sein Herz zielte, zerbrach an dem eisernen Panzer, den er unter der Kutte trug. Aber selbst, wenn es mir gelungen wäre, ihn zu töten, wäre doch sein böser Geist unverletzt geblieben, solange seine sterblichen Überreste vorhanden gewesen wären. Du musst vollenden, was ich nicht tun konnte. Feuer ... Feuer vertreibt das Böse. Die Flamme reinigt. Schütze Lucrezia vor dem Bann des Bösen! Sie steht im finsteren Schatten der Untaten Cesare Borgias. Sie kann das klare Licht der Wahrheit im Jenseits nicht sehen. Sie ist von Dunkelheit, immerwährender, qualvoller Dunkelheit umgeben. Hilf ihr! Brich Cesares Macht über sie!“
Seele zerstört ...“ Mir war klar, dass er mir nicht glaubte, dass er mich für psychisch krank hielt. Aber das war ich nicht, und deshalb konnte ich keine Hilfe von ihm erwarten. Ich musste meinen eigenen Weg gehen, um den Sinn meines Traumes zu ergründen. Dieser Gedanke verfolgte mich den ganzen Tag über, während ich ziellos durch die Straßen von New York lief. Schließlich, es war schon gegen Abend, fand ich einen Platz zum Ausruhen: eine Steinbank im Schatten einer aus rotem Stein im neugotischen Stil errichteten Episkopalkirche in der 25. Straße-Ost. Ich musste auf dieser Bank eingeschlafen sein, denn plötzlich begann mein schrecklicher Traum von neuem. Doch diesmal lief er nicht in der lückenlosen Reihenfolge ab, wie ich es bisher immer wieder erlebt hatte. Diesmal wurde der Ablauf des düsteren Geschehens fortwährend gestört. Es war, als wischte eine unsichtbare Hand von Zeit zu Zeit die Bilder fort. Vielleicht empfand ich den Traum deshalb auch nicht als unmittelbare Wirklichkeit. Ich wusste vielmehr genau, dass ich nur träumte. Und noch etwas war anders als sonst: Jedes Mal, wenn der Traum abbrach und ich mich der Grenze zum wachen Bewusstsein näherte, glaubte ich, eine Stimme zu hören. Für jemanden, der über die Fähigkeiten eines Hellsehers verfügt, ist es nicht ungewöhnlich, Stimmen aus dem Nichts zu hören. Psychiater erklären mit Bestimmtheit, diese Stimmen kämen aus dem Unterbewusstsein des Mediums. Parapsychologen behaupten hingegen, die Stimmen wären Manifestationen von Totengeistern. Und es gibt auch Menschen, die überhaupt nicht daran glauben, die alles für Sinnestäuschung oder einen so genannten „Schub“, einen
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umzuschauen. Aber schon griffen harte Hände nach mir, richteten mich halb auf und lehnten mich in sitzender Stellung mit dem Rücken gegen die Wand. Nun konnte ich den Raum überblicken, in dem ich mich befand. Es war die BorgiaGruft, in der ich niedergeschlagen worden war. Doch ihr Aussehen hatte sich so sehr verändert, dass ich einen Moment lang glaubte, ich befände mich, wie in meinem Traum, in den geheimen Verliesen der Engelsburg in Rom. Rundum standen an den Wänden silberne Leuchter, auf denen unzählige schwarze Wachskerzen brannten. Ich zählte auch drei mit schwarzem Tuch verhüllte Kreuze. Die steinernen Deckel der Borgia-Sarkophage waren so zusammengestellt, dass sie eine Art Tisch oder Altar bildeten. Rund um den Altar waren, genau wie in meinem Schreckenstraum, drei eiserne Feuerbecken voll roter Glut und fünf Stangen errichtet, auf denen die weißgebleichten Schädel eines gehörnten Widders, eines Pferdes, eines Hundes, eines Schweines – und eines Menschen steckten. Alles war genauso hergerichtet wie in jener unheilvollen Nacht vor mehr als vierhundert Jahren in den geheimen Verliesen der Engelsburg. Nur etwas fehlte noch: der magische Kreis und der von ihm umschlossene fünfzackige Stern rund um den gotteslästerlichen Altar, die damals – und wahrscheinlich auch heute noch – mit Menschenblut gezogen wurden. Ich war keinen Augenblick darüber im Zweifel, wessen Blut auf den Steinboden des alten Grabgewölbes spritzen sollte. Links von den Sarkophagen der Borgias stand der Henker in der ledernen Helmmaske des Michelotto. Er hatte das Richtschwert aus der Scheide gezogen und die Spitze der blanken, breiten, scharfgeschliffenen Klinge auf den
Von da an klang die Stimme abgerissen, die Worte waren verworren: „Rom ... Rom ... Maligno ... Maligno ... Dort, in Stein geborgen, findest du ihn: Cesare Borgia. Verbrenne ihn! Verbrenne ihn – zu Asche – zu Asche. Die Flamme reinigt. Das Feuer – ist Licht. Licht – die Macht des Guten ...“ Da erwachte ich. Von diesem Augenblick an war ich wie besessen von dem Gedanken, mir Gewissheit zu verschaffen, ob ich dem Trugbild meiner eigenen, in Verwirrung geratenen Seele zum Opfer gefallen war, oder ob die Stimme mir die Wahrheit gesagt hatte. Zwei Tage später flog ich mit einer Boeing 707 vom New Yorker KennedyAirport nach Rom und machte mich von dort auf den Weg nach dem BorgiaSchloss Maligno. In Rom hatte ich mir bei einer Regierungsstelle die Erlaubnis verschafft, die Bibliothek von Maligno einzusehen. Auf diese Weise erhielt ich Zutritt zu dem verfluchten Schloss. Und so hatten die Dinge ihren Anfang genommen.
Als ich mit meinen Erinnerungen bis zu diesem Punkt gelangt war, traf mich ein harter Stoß in die Seite und brachte mich aus dem Dämmerzustand, in dem ich mich die ganze Zeit über befunden hatte, ins Bewusstsein zurück. Mit der Besinnung kam auch der Schmerz. Es dröhnte und hämmerte in meinem Kopf. Ich schlug die Augen auf und sah, dass ich auf nacktem Steinboden lag, auf dem ein rötlicher Lichtschein hin und her tanzte, so dass der Boden zu glühen schien. Ich wollte mich aufrichten, da bemerkte ich, dass ich meine Arme nicht bewegen konnte. Meine Hände waren auf den Rücken gefesselt. Da ich mit dem Gesicht nach unten am Boden lag, hob ich mühsam den Kopf, um mich
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nicht nur um meinen Tod ging. Die Zeremonie war dieselbe wie in meinem Traum. Ich sollte zwar sterben, aber das eigentliche Opfer sollte Lucrezia Borgia sein. Ein Opfer für Satan, damit sie die Aussaat des Bösen empfange und den Sohn Satans zur Welt bringe. Mein Blut wurde nur gebraucht, um den Dämon anzulocken. Doch Elizabeth-Lucrezia schien nichts davon zu ahnen. Ihr Blick war voll stummer Klage auf mich gerichtet, ihre Umgebung schien sie kaum wahrzunehmen. Vielleicht stand sie – wie damals, in jener unheilvollen Nacht vor vielen Jahrhunderten -schon unter dem Einfluss eines Betäubungsmittels, das ihr in einem Goldpokal, mit Wein gemischt, gereicht worden war, um ihren Willen zu brechen. Ich konnte nicht glauben, dass sie freiwillig in das eingewilligt hatte, was Cesare ihr antun wollte. Kein Mensch würde das tun. Aber was war mit dem von Rodrigo Borgias Geist besessenen Lindon Baines, der doch in dem Mädchen seine Tochter sehen musste? Konnte er der dämonischen Magie seines Sohnes tatenlos zusehen? Hatte er als Papst Alexander VI. im fünfzehnten Jahrhundert wirklich gewusst und gebilligt, was Cesare tat? Oder hatte er so sehr unter dessen unheilvollem Einfluss gestanden, dass er gar nicht mehr begriffen hatte, was sein Sohn trieb? Der Henker trat auf mich zu, hob das Richtschwert mit beiden Händen in Schulterhöhe und gab den vermummten Gestalten, unter deren Kutten und Kapuzen sich niemand anders verbergen konnte, als das Personal von Schloss Maligno, ein Zeichen, mich vornüber auf die Knie zu werfen und in dieser Stellung festzuhalten. Als ein Dutzend Hände nach mir griff, sagte ich hastig: „Warten Sie, Brunetto!“
Boden gesetzt. Seine Hände lagen auf dem eisernen Knauf des Griffes. Seine funkelnden Augen starrten mich durch die Sichtschlitze der Maske hindurch an. Er sollte mir dasselbe antun, was der Henker in meinem Traum mit seinem Opfer getan hatte: mich enthaupten, damit mein Blut für die satanische schwarze Zeremonie floss. Plötzlich wusste ich, wer sich hinter der Maske verbarg. Zur Rechten der Sarkophage standen drei Menschen in den Gewändern der italienischen Renaissance. Es waren Lindon Baines, Steve Fisher und Elizabeth Morgan. Fisher war, wie Cesare Borgia auf dem Bild, das mich so sehr erschreckt hatte, ganz in Schwarz gekleidet. Baines hatte rote Kleidung an. Das Mädchen schließlich trug dasselbe edelsteinbesetzte Kleid aus blassgrünem, golddurchwirktem Brokat, das sie schon einmal, in der Nacht zuvor, angelegt hatte. Ihr Haar schimmerte im flackernden Kerzenlicht. Alle drei sahen mich mit fremden Blicken an. Aber während in ElizabethLucrezias Augen Liebe, Angst und Mitleid schimmerten, schlug mir aus denen des von Cesare Borgias bösem Geist besessenen Steve Fisher nackter, glühender Hass entgegen. „Er ist jetzt wach“, sagte er zu den beiden anderen. „Wir können also beginnen. Ich wollte nicht, dass er ahnungslos in den Tod geht. Er soll wissen, was mit ihm geschieht.“ Dann wandte er sich an den Henker: „Schlag ihm den Kopf ab, Michelotto. Und ihr anderen“ – das galt mehreren in schwarze Kutten und Kapuzen gehüllten Gestalten, die in meiner Nähe standen – „fangt sein Blut in den Bronzeschalen auf und zeichnet damit die Figuren auf den Boden, die ich euch gezeigt habe.“ Auf einmal begriff ich, dass es hier
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„Schlag zu!“ befahl Cesare Borgia seinem Henker. Doch da hob Rodrigo die Hand. „Halt!“ Das Schwert, das, von den Händen des Scharfrichters geschwungen, bei Cesare Borgias Ausruf blitzschnell bis zum Scheitelpunkt seiner tödlichen Bahn empor gefahren war, verharrte, ohne auf mich herunterzuzucken. „Ich schenke dir eine Minute, Maclodio Orsino“, sagte durch Baines’ Mund der Geist des Mannes, der einmal Papst Alexander VI. gewesen war und dessen Überreste seit Jahrhunderten in ihrem Steinsarkophag in der Borgia-Gruft ruhten. „Aber sprich schnell, wenn du etwas zu sagen hast. Du wolltest meinen Sohn Cesare in den geheimen Verliesen der Engelsburg töten. Nur der eiserne Brustpanzer, den er unter seinem Gewand trug, hat ihn vor deiner heimtückischen Klinge gerettet. Wer einen Borgia zu ermorden versucht, hat sein Leben verwirkt. Oder willst du bestreiten, Maclodio Orsino, dass du den Stoß gegen meinen Sohn geführt hast?“ „Ein Mann namens Maclodio wollte Cesare töten. Er wollte es aus gutem Grund tun. Aber ich bin nicht dieser Mann“, rief ich. Während ich sprach, versuchte ich verzweifelt, die Fesseln meiner hinter dem Rücken zusammengeschnürten Hände zu lockern. Die Riemen saßen straff. Aber sie mussten meine Haut an einigen Stellen durchgescheuert und blutende Wunden verursacht haben. Das Blut aber machte die Fesseln weich und glatt. Vielleicht gelang es mir doch noch, meine Hände zu befreien. „Jahrhunderte sind seither vergangen, Rodrigo Borgia. Euer Geist war in Dunkelheit gehüllt, denn Ihr wart tot. Jetzt seht Ihr mich durch die Augen eines anderen Mannes, den Ihr besessen
Der Scharfrichter hielt mitten in der Bewegung inne; das blinkende Schwert schwebte halb erhoben in der Luft. Es schien ihn zu überraschen, dass ich ihn trotz der Helmmaske erkannt hatte. Ich hatte erst vor wenigen Minuten erkannt, wer sich hinter Michelottos Maske verbarg. Dabei hätte ich schon viel früher darauf kommen müssen. Denn alles, was Brunetto tat und was nur er tun konnte, da er Schloss Maligno gleichsam beherrschte – dass er Steve Fisher den Weg in die Folterkammer gewiesen, dass er gemeinsam mit ihm die Autos von Baines und Petrucci zerstört, dass er es so eingerichtet hatte, dass Elizabeth Morgan das Zimmer Lucrezia Borgias betreten musste – , das alles waren Hilfen gewesen, die er den Geistern der Borgias gab, damit sie ihre Opfer um so sicherer besessen machen konnten. Und in der Maske des Henkers Michelotto wachte er darüber, dass nichts den verhängnisvollen Ablauf der Ereignisse störte. Wenn Gefahr drohte, mordete er bedenkenlos. So, wie er es bei Petrucci und dem Mädchen getan hatte. Nur einmal hatte er nachgegeben – in jener Nacht, als Lucrezia Borgia ihn durch den Mund Elizabeth Morgans um mein Leben bat. Aber vielleicht hatte er mich damals auch nur verschont, um mein Blut für das bevorstehende satanische Opfer zu sparen. Von Anfang an hätte es mir klar sein müssen, dass sich nur Brunetto hinter der Maske des Borgia-Henkers verbergen konnte. „Rodrigo Borgia“, rief ich Baines zu, „hört mich an! Gewährt mir eine Minute! Um Gottes willen, nur eine Minute! Oder Ihr werdet für alle Zeiten verflucht sein ...“ Unwillkürlich hatte ich die Anrede gewählt, die im fünfzehnten Jahrhundert bei einem Mann seines Ranges üblich war.
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Mund Steve Fishers. Er war wie rasend. „Halt! Ich verbiete es!“ befahl Rodrigo Borgia. Doch Brunetto in der Maske des Henkers war von keinem fremden Geist besessen. Er sah, dass meine Worte den Geist des Borgia-Papstes aufgerührt hatten, und begriff, dass das Werk Satans und Cesare Borgias, denen er so lange treu gedient hatte, in Gefahr geriet, zunichte zu werden. Er holte mit dem Richtschwert zu einem waagerecht geführten Hieb aus, denn ich lag zwar auf den Knien, hielt aber den Kopf erhoben und nicht gebeugt, weil ich dem von Rodrigo Borgias Geist besessenen Baines in die Augen schauen wollte. Der Hieb hätte mich glatt enthauptet, aber im letzten Moment warf sich das Mädchen, das nun nicht mehr Elizabeth Morgan, sondern Lucrezia Borgia war, schützend vor mich. Da hielt der Henker inne. „Seit Jahrhunderten haben Menschen, die die Macht des Bösen verehrten, über den Sarkophagen der Borgias gewacht“, sagte ich, „bis der Augenblick kam, da Satan sich erneut Cesare Borgias bedienen wollte. Jetzt ist dieser Moment da. Eure Tochter Lucrezia soll Satan geopfert werden, und als Gegenleistung wird der Dämon aus der Hölle Euch, Eurem Sohn und Eurer Tochter ein neues Leben schenken. Wollt Ihr das: Ein Leben aus der Hand Satans? Was immer Ihr in Eurem Leben auch Böses getan habt, so schlecht könnt Ihr nicht sein. Das Böse, das Euer Leben und sogar Euren Tod verdunkelt hat, war der Schatten Eures Sohnes. Und eben jetzt fällt er wieder auf Euch ... Seht Euch um: Alles ist vorbereitet für die Schwarze Teufelsmesse, für das satanische Opfer. Und mit meinem Blut soll der Dämon aus dem Abgrund des Infernos herbeigelockt werden. Deshalb – und nur deshalb – will Cesare Borgia meinen Tod.
gemacht habt. Als Ihr noch lebtet, hat man Euch für Eure verdammenswerten Taten gehasst – aber noch viel mehr wegen der Mordtaten Eures Sohnes Cesare, der über Euch und Eure Tochter herrschte wie ein Dämon. Selbst im Tod ist seine Macht über Euch noch nicht zerbrochen, denn durch seine teuflische Gewalt habt Ihr selbst in Eurem Grab keine Ruhe gefunden, so dass Ihr einen anderen Menschen besessen gemacht habt. Und ebenso verhält es sich mit Eurer Tochter Lucrezia, die von einer anderen Frau Besitz ergriffen hat. Erinnert Ihr Euch denn nicht, wie lange Ihr in ewiger Dunkelheit gefangen wart? Jetzt scheint es Euch, als wäret Ihr ins Leben zurückgekehrt. Aber wozu? Nur um neue ungeheure Verbrechen Cesare Borgias mitanzusehen, dessen Blutgier und böse Instinkte selbst über den Tod hinaus nicht zur Ruhe gekommen sind? Der Mann, der in den geheimen Verliesen der Engelsburg Eurem Sohn den Stahl ins Herz stoßen wollte, handelte so, um Eure Tochter zu retten, die er liebte. Denn Cesare wollte sie dem Dämon aus der Hölle opfern, um Euch, als Ihr an Eurem eigenen Gift im Sterben lagt, das Leben wiederzugeben. Aber nicht aus Liebe zu Euch, sondern weil er wusste, dass er nur so lange seine Machtgier stillen konnte, wie Ihr als Alexander VI. auf dem Papstthron sitzen würdet. Seine eigene Schwester hätte er Satan geopfert, wenn nicht Maclodio Orsinos Fuß den magischen Kreis in den geheimen Verliesen zerstört hätte, bevor das Unaussprechliche geschehen konnte. Aber dasselbe, was Cesare damals misslang, will er jetzt in die Tat umsetzen ...“ „Bring ihn zum Schweigen, Michelotto! Bring ihn endlich zum Schweigen! Leg ihm seinen Kopf vor die Füße!“ schrie Cesare Borgias böser Geist durch den
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selbst ein Mörder ist – obwohl das Gericht ihm diese Tat nicht nachweisen konnte. Aber der Geist eines Mörders vermag nur einen anderen Mörder besessen zu machen, nicht den eines Unschuldigen. Ist es nicht so, Cesare?“ Der Mann, der einmal Steve Fisher gewesen war, nickte langsam, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen. Er schien irgendwie in den Bann meiner Worte geraten zu sein, so dass er gegen seinen Willen die Wahrheit sagen musste. „Auch der Mann, der die Maske des Henkers Michelotto trägt, und die anderen vermummten Gestalten in diesem Gewölbe sind Satansdiener. Seit Jahrhunderten haben sie und ihre Vorfahren das höllische Geheimnis dieser Gruft gehütet, bis die Stunde kam, in der Satan den Geistern der Borgias die Macht verlieh, lebende Menschen besessen zu machen, denn mit ihrer Hilfe will er seine Herrschaft über die Welt antreten. Nur ein junges Mädchen, das um sein Seelenheil fürchtete, widersetzte sich den dämonischen Mächten, deshalb musste es durch die Hand des Henkers sterben. Sie hat Mut bewiesen und ist dadurch vor der ewigen Verdammnis gerettet worden. Wollt nicht auch Ihr diesen Mut beweisen?“ „Von welchem Mut sprichst du?“ fragte Rodrigo Borgia. „Ich frage mich, ob Ihr den Mut besitzt, dorthin zurückzukehren, woher Ihr – Euer Geist – gekommen seid: In die Dunkelheit des Todes. Gebt den Mann frei, den Ihr besessen gemacht habt. Kehrt in die Nacht zurück, in der die Schatten der Toten für die Sünden büßen, die sie in ihrem Leben begangen haben. Einmal wird sich das Dunkel für Euch lichten, dann nämlich, wenn Ihr Vergebung erlangt habt. Wenn Ihr aber Eurem Sohn Cesare helft, wird es niemals Vergebung für Euch geben.“
Tretet aus seinem Schatten hervor, macht Euch frei von seiner unheilvollen Macht. Wenn Ihr Euch nicht aus dem bösen Bann Eures Sohnes lösen könnt, wird Eure Tochter ein Opfer der Dämonen werden und den Sohn Satans gebären, damit er die Welt unter die Herrschaft der Hölle zwinge.“ Der Mann, der einst Professor Lindon Baines gewesen war und durch dessen Augen nun der einstige Borgia-Papst Alexander VI. blickte, sah sich in dem Gruftgewölbe um, als fielen ihm die Gegenstände, die überall aufgestellt worden waren, erst jetzt auf. Offenbar fiel es ihm schwer, zu erkennen, wo er sich eigentlich befand. Es war, als hätten meine Worte ihn aus seinem Traum geweckt. „Der Mann hat recht“, sagte er endlich zu Steve Fisher. „In diesem Raum sind Vorbereitungen wie für eine Schwarze Satansmesse getroffen, Cesare. Was hat das zu bedeuten?“ Cesare Borgia schwieg. Er starrte mich mit hasserfülltem Blick an. In seinem bleichen Gesicht zuckten die straff gespannten Backenmuskeln über den fest aufeinander gepressten Lippen. „Er wird Euch nicht antworten“, erwiderte ich in das entstandene Schweigen hinein. Ich musste jetzt schnell und überzeugend sprechen, um Cesare und seinen Vater abzulenken, denn ich fühlte, wie die Fesseln an meinen Handgelenken nachzugeben begannen. Mein Blut hatte sie so glatt gemacht, dass ich meine Hände bald aus den Schlingen würde ziehen können. „Er weiß nicht, was er Euch antworten soll“, fuhr ich fort, „denn ich habe die Wahrheit gesagt. Cesare war sein Leben lang ein Mörder, der sich nicht davor scheute, ein Bündnis mit dem Satan und allen Dämonen der Hölle einzugehen. Er hat einen Mann besessen gemacht, der
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er auch sein mag“, sagte sie. „Ich bin bereit, in die Dunkelheit zurückzukehren. Und ich bitte dich, Vater, komm mit mir! Cesares Schatten hat unser Leben verdüstert. Wir wollen diesen Ort verlassen, auf den er noch immer fällt. Wir wissen beide, welche Verbrechen mein Bruder begangen hat. Vieles von dem, was er getan hat, wurde dir angelastet. Lass nicht zu, dass er dich mit sich reißt in die ewige Verdammnis. Dir wird deine Schuld einmal vergeben werden, doch Cesare wird niemals Vergebung erlangen. Sag dich los von ihm! Lass uns wieder in die Finsternis einkehren!“ „Wenn das, was dieser Mann“ – Rodrigo Borgia deutete auf mich – „gesagt hat, wirklich wahr ist, Cesare. Wenn du die schlimmste Sünde begehen wolltest, deine Schwester dem Dämon aus der Hölle zu opfern, dann sage ich mich von dir los. Ich habe selbst Böses getan in meinem Leben, und dafür büßte ich seit langer Zeit in dem leeren, kalten Dunkel, wo meine Seele umherirrte, ohne einen Lichtschein der Hoffnung zu sehen. Aber wenn ich mich von dir lossage, wird mir einmal vielleicht doch noch vergeben.“ Er streckte seine Hand nach dem Mädchen aus, das ihm seine Rechte entgegenhielt. Dabei sahen sie einander in die Augen wie zwei Men-. sehen, die den letzten, entscheidenden Schritt vor sich haben, aber gemeinsam Trost in der Hoffnung auf eine endliche Erlösung finden. In dem Augenblick, in dem ihre Fingerspitzen sich berührten, erlosch der seltsame Glanz in ihren Augen, und ihre Blicke trübten sich. Das Mädchen schwankte und sank gegen Lindon Baines, der sie festhielt. „Was – was ist geschehen?“ stammelte sie. In diesem Moment fühlte ich eine
„Dann bist du gar nicht Maclodio Orsino?“ fragte Lucrezia Borgia. Sie beugte sich über mich und nahm mein Gesicht zwischen ihre Hände, um es mit jenem seltsamen, aus dem Jenseits stammenden Blick, den ich schon einmal an ihr bemerkt hatte, zu erforschen. „Nein, aber ich bin von seinem Geschlecht“, antwortete ich. „Ein Orsino hat vor Jahrhunderten verhindert, dass du dem Dämon aus der Hölle geopfert wurdest. Und ein anderer Orsino, ich, wird verhindern, dass Cesare Borgia jetzt vollendet, was ihm damals nicht gelang. Lucrezia, ich bitte dich und deinen Vater: Gebt die Menschen frei, die ihr besessen gemacht habt! Kehrt in die Nacht des Todes zurück! Sie wird sich für euch beide lichten – für dich rascher als für deinen Vater. Denn er ist schuldig geworden, während du schuldlos bist. Aber auch er wird einmal Vergebung erlangen. Verflucht bis in alle Ewigkeit ist nur dein Bruder Cesare. Ihm kann niemand mehr helfen ...“ Ich sah Tränen in ihren Augen schimmern, als sie meinen Mund mit ihren Lippen berührte. „Maclodio“, flüsterte sie, „ich habe dich geliebt, so sehr geliebt. Du warst mein Leben. Wenn ich dich in dieser Welt nicht wieder finden soll, dann vielleicht in der anderen. Aber es ist so dunkel dort ...“ „Die Finsternis wird nur noch eine kleine Weile anhalten“, antwortete ich ihr. „Sobald du den bösen Bann Cesare Borgias abgestreift hast, wirst du das Licht sehen, Lucrezia. Gib das Mädchen frei, das du besessen gemacht hast. Dann hat dein Bruder keine Gewalt mehr über dich. Dann kann er dich nicht mehr dem Dämon aus der Hölle opfern.“ Nach einem letzten Blick in meine Augen wandte sie sich ab und ihrem Vater zu. „Ich glaube diesem Mann, wer
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gekrümmten Hände nach meiner Kehle ausstreckend. Ich bückte mich nach dem Schwertstumpf, hob ihn auf und stieß ihn dem Scharfrichter entgegen. Der Henker keuchte und sank schwer gegen mich. Er versuchte, sich an meinen Schultern festzuhalten. Doch als ich zwei Schritte zurücktrat, glitten seine Hände von mir ab. Er fiel zu Boden, krümmte sich, zuckte – wie ein Besessener zucken mag, wenn ein böser Geist ihn verlässt – und lag still. „Raus hier – schnell!“ schrie ich Elizabeth Morgan und Lindon Baines zu, die den Geschehnissen mit verständnislosem Grauen folgten. Sie folgten meinem Ruf, aber nun drangen die in Kutten und Kapuzen vermummten Gestalten auf uns ein. Sie hielten blinkende Stilette, die sie aus den weiten Ärmeln ihrer Gewänder gerissen hatten, in Händen. Ich stürzte eines der Kohlenbecken mit dem Fuß um, und die rote Glut flog unseren unheimlichen Angreifern entgegen. Die Kutte des vordersten fing Feuer, und im Nu stand der Mann in hellen Flammen. Er ließ die Klinge fallen und taumelte, mit beiden Armen sinnlos um sich schlagend, in den Hintergrund der Gruft. Die übrigen wichen vor den rotglühenden Kohlen zurück, die eine Grenze zwischen ihnen und uns bildete. Aber ich wusste, es würde nur wenige Sekunden dauern, bis sie ihre jähe Furcht überwunden hatten und uns erneut angreifen würden. „Vorwärts!“ rief ich Lindon Baines zu und versetzte ihm einen Stoß, der ihn auf die Türöffnung zutaumeln ließ. Mit der Linken ergriff ich Elizabeth Morgan, die unter dem Einfluss des Betäubungsmittels, das man ihr offenbar eingeflößt hatte, als sie noch unter der Herrschaft von Lucrezia Borgias Geist
leichte Berührung auf meinen Lippen, einen geisterhaften Kuss, so leicht wie ein Windhauch. Etwas ging an mir vorbei – ich hätte nicht schwören können, was es war, aber ich ahnte es – , dann war der Spuk vorüber. „Sie haben mich verlassen“, kam es wie ein Zischen über Cesare Borgias Lippen. Und dann schrie er: „Geht nur! Geht in euer Reich des Lichts! Ich brauche eure Hilfe nicht, um das Reich der Finsternis auf der Welt zu errichten. Mögen auch Jahrhunderte vergangen sein: Ich habe die Beschwörungsformeln nicht vergessen, mit denen Satan herbeigerufen werden kann. Und der Dämon aus der Hölle wird mit dem blonden Mädchen sein Genügen haben, auch wenn sie nicht mehr vom Geist meiner Schwester besessen ist. Alles ist vorbereitet. Nur der magische Kreis aus Blut muss noch gezogen werden. Vorwärts, Michelotto! Schlag diesem Mann den Kopf ab, damit wir mit der Zeremonie beginnen können!“ Der Henker hob das Richtschwert. Gleichzeitig stürzten sich zwei vermummte Gestalten auf mich, um mich vornüberzubeugen und in dieser Stellung festzuhalten, bis die Klinge ihr blutiges Werk an mir verrichtet hatte. In diesem Augenblick kamen meine Hände von den Fesseln frei. Ich schleuderte die beiden Vermummten unter Aufbietung aller Kraft von mir. Brunetto in der Maske Michelottos führte einen wuchtigen Schwerthieb nach mir, als ich aufsprang. Ich konnte mich gerade noch zur Seite werfen. Das Schwert verfehlte mich um Handbreite. Die Klinge traf die Wand, schlug Funken aus den Steinquadern und brach mit scharfem Klirren mittendurch. Der Henker starrte auf den Schwertstumpf in seinen Händen, dann warf er ihn weg, mir genau vor die Füße, und kam auf mich zu, die wie Klauen
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Steinstufen hinauf. Wir hatten kaum den obersten Treppenabsatz erreicht, als sich. hinter uns eine furchtbare Explosion ereignete. Die Flammen hatten den Kerosintank erreicht und in die Luft gesprengt. Innerhalb von Sekunden verwandelten sich die Kellergewölbe in ein einziges Feuermeer. Schreie ertönten, gingen aber rasch im Brausen der roten Lohe unter. Dann quoll erstickender, beißender Rauch in dichten, öligen Schwaden durch den Treppenschacht zu uns empor. Wir drei eilten durch die Schlosshalle zum großen Eingangstor mit seinen hohen Flügeln aus altem Holz. Baines und ich mussten Elizabeth Morgan stützen, die immer wieder in sich zusammenzusinken drohte. Ihr Kopf war vornüber gesunken, das Kinn lag auf ihrer Brust, und ihre Augen waren geschlossen. Das Betäubungsmittel, das ihr eingeflößt worden war, tat jetzt seine Wirkung. Ich stieß das Tor mit dem Fuß auf. Als wir über die Schwelle traten, schlugen die Flammen schon aus dem Treppenschacht und ergriffen die schweren Brokatvorhänge und die alten, reichgeschnitzten Möbel in der Halle. Nichts schien das Feuer aufhalten zu können. Es war, als brannten selbst die Mauersteine. Wir liefen über den nachtschwarzen Hof und unter dem düsteren Torgewölbe hindurch. Als wir die Brücke hinter uns hatten, stand bereits der ganze Haupttrakt des Schlosses in hellen Flammen. Das Feuer musste sich mit unglaublicher Schnelligkeit bis hinauf zum Dachstuhl weitergefressen haben. Keuchend blieben wir stehen. „Ich habe noch nie ein Feuer wie dieses erlebt“, sagte Lindon Baines. „Man könnte meinen, das Böse, das dieses Schloss des Schreckens so erfüllt hat, wie der verfaulte Atem der Hölle, sei
stand, schwankte, und zog sie mit mir. Mit der Rechten packte ich einen silbernen Kerzenleuchter. Im flackernden Schein der schwarzen Wachslichter sah ich draußen im Kellergewölbe den großen Kerosintank stehen. Im Vorbeihasten trat ich zwei-, dreimal heftig mit dem Fuß gegen den Zapfhahn. Er brach ab, und ein schwarzer, scharf riechender Schwall von Kerosin ergoss sich plätschernd auf den Steinboden. Ich lief, Elizabeth mit mir ziehend, auf die Kellertreppe zu. Dort blieb ich stehen und drehte mich um. Wie schwarze Gespenster hetzten die Vermummten hinter uns her. Die Stilettklingen blinkten in ihren Händen. Ich holte mit dem rechten Arm weit aus und schleuderte unseren Verfolgern den Silberleuchter mit den flackernden Kerzen entgegen. Er schlug inmitten des ausfließenden Kerosins auf dem Boden auf. Es gab einen halblauten, dumpfen Knall, als die feuergefährliche Flüssigkeit aufflammte, dann waren die alten Kellergewölbe mit einmal in flackernde Helligkeit getaucht. Gierig züngelnde bläuliche Flammen huschten über den Steinboden, schlugen plötzlich hoch und umhüllten die Gestalten in den schwarzen Kutten mit einer brausenden Lohe. Das letzte, was ich von den unterirdischen Gewölben in Schloss Maligno sah, war der Mann, der einst Steve Fisher gewesen war und nun von Cesare Borgias bösem Geist beherrscht wurde. Er stand im Hintergrund des Gewölbes und starrte mich mit weißem, hassverzerrtem Gesicht an. Nie würde ich seinen Blick vergessen. Seine Augen waren“ die Augen des höllischen Dämons aus meinem Traum ... Lindon Baines war bereits auf halber Höhe der Kellertreppe angelangt. Ich stieß Elizabeth vor mir her die
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dem ungeheuren Brand entfernen, denn seine Hitze strahlte bis zu uns, wie die Glut aus einem offenen Schmelzofen, da ertönte hinter uns ein furchtbarer Schrei. Unwillkürlich drehten wir uns um, ein unheimlicher Anblick bot sich uns. Unter dem Torbogen, der gleichfalls schon in lodernde Flammen gehüllt war, sahen wir eine schemenhafte Gestalt. Sie stand hart an der Torschwelle, vom Feuer umbraust, und tastete mit den Händen in Rauch und Glut umher, als stünde sie vor einem unsichtbaren Hindernis, das ihr den rettenden Fluchtweg aus dem brennenden Schloss versperrte. Ich konnte ihr Gesicht nicht erkennen, doch ich ahnte auch so, wen ich vor mir hatte. „Großer Gott, wer ist das?“ fragte Lindon Baines, voll Grauen auf die sich in Qualen windende, schemenhafte Gestalt starrend. „Kann denn ein Mensch in dieser Flammenhölle stehen, ohne zu Asche zu verbrennen?“ „Das ist kein Mensch“, erklärte ich ihm. „Es ist Cesare Borgias Geist. Er möchte fliehen, aber er kann nicht. Er ist für ewig verflucht und festgebannt in Schloss Maligno. Er kann keinen Fuß vor das Tor setzen. Und das Feuer, das ihn umlodert, das sind höllische Flammen. Er wird für immer und ewig im Abgrund des Infernos brennen. Seine Seele gehört Satan. Die verzweifelten Versuche dieses Schemens, zu entkommen, sind sinnlos. Der Rachen der Hölle wird sich öffnen und ihn verschlingen.“ Im gleichen Augenblick, in dem ich diese Worte ausgesprochen hatte, war das Schemen verschwunden. Ein hoher, schriller, klagender Laut wie von einem Menschen, der in eine endlose Tiefe hinabstürzt, verklang im Zischen und Brausen der rohen Lohe, die mit gierig züngelnden Flammenfingern nach dem eisenfarbenen Nachthimmel griff. Baines und ich schafften Elizabeth
selbst in Brand geraten.“ „Flammen reinigen“, antwortete ich. „Sie vernichten das Böse, denn wo Licht ist, vermögen Schatten sich nicht zu halten. In dieser Glut werden die letzten sterblichen Überreste der Borgias zu Asche, und ihre Geister werden nie wieder Menschen besessen machen.“ „Und was geschieht mit Steve Fisher?“ fragte Baines. „Er war ein Mörder. Er hat es selbst gestanden“, erwiderte ich. „Was jetzt dort unten in den Kellergewölben von Maligno mit ihm geschieht, ist seine Strafe. Wenn er auch ein schreckliches Ende genommen hat, so ist es doch besser für ihn, in den Flammen umgekommen zu sein, als das willenlose, besessene Werkzeug Cesare Borgias zu werden.“ „Ich habe nur eine undeutliche, bruchstückhafte Erinnerung an alles, was sich in den unterirdischen Gewölben ereignet hat“, sagte Baines, noch immer schwer atmend. „Von dem Augenblick an, als wir die drei Sarkophage in der Gruft öffneten, war mir, als sei mein Wille gelähmt, meine Erkenntnisfähigkeit fast ausgelöscht. Ein dunkler Zwang beherrschte mich. Was habe ich in diesem Zustand getan?“ „Nichts Böses“, beruhigte ich ihn. „Denn Sie sind – anders als Steve Fisher, der ein Mörder war – kein schlechter Mensch. Und vielleicht war auch Rodrigo Borgia, den man unter dem Papstnamen Alexander VI. kennt, nur ein Werkzeug in den Händen seines teuflischen Sohnes, der ihn – wie es in einem der alten Bücher stand – gleich einem Dämon beherrschte. Doch jetzt ist der Spuk für immer zu Ende. Von den Satansdienern ist keiner dem Flammenmeer in den Kellergewölben entronnen.“ Wir wollten uns gerade noch weiter von
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Morgan aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich, dann legten wir sie vorsichtig auf die nackte Erde. Das Mädchen lag in tiefem Betäubungsschlaf. Ich strich ihr behutsam das goldene Haar aus dem Gesicht. „Wen lieben Sie wirklich: Elizabeth Morgan oder Lucrezia Borgia?“ fragte mich Baines, der meine Geste gesehen und richtig gedeutet hatte. „Ich liebe dieses Mädchen“, antwortete ich. „Lucrezia Borgia war die Geliebte eines anderen Mannes, der mich aus dem Reich der Toten um Hilfe anrief, damit Lucrezias Seele nicht in die Klauen
Satans geraten sollte. Ich hoffe, dass das Dunkel, das sie bisher umgab, sich jetzt – da Cesare Borgias böser Geist für alle Ewigkeit ausgelöscht ist – in Licht verwandeln wird.“ Und während ich das sagte, sah ich zu, wie Maligno, das Schloss des Schreckens, in den Flammen unterging.
ENDE
Im November erscheint Romantic Mysteries Nummer 7: „Als der Tod sie küsste“ von Linda Warren
Romantic Mysteries erscheint bei vph Verlag & Vertrieb Peter Hopf, Goethestr. 7, D32469 Petershagen. © Copyright aller Beiträge 2003 bei vph und den jeweiligen Autoren. Nachdruck, auch auszugsweise, nur nach schriftlicher Genehmigung durch den Verlag gestattet. Cover: Thomas Knip Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.
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