Nur eine kleine Affäre?
Emma Richmond
Julia 1459 15-2/01
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von spacy
1.KAPITEL
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Nur eine kleine Affäre?
Emma Richmond
Julia 1459 15-2/01
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von spacy
1.KAPITEL
Verrückt. Sie war verrückt. Übergeschnappt, durchgedreht, verrückt. Sie hätte im Haus warten können. Möglicherweise hätte ich im Haus warten können, korrigierte Sorrel sich im Stillen. Genau genommen hatte die Frau, die ihr die Tür geöffnet hatte, sie nicht aufgefordert hereinzukommen. Sorrel hätte sie natürlich bitten können, sie hereinzulassen, aber nein, Miss Ungeduldig hatte ihn gleich sehen müssen. Warum? fragte sie sich, während sie einem unappetitlich wirkenden Klumpen auswich. Sie suchte schließlich seit Monaten. Fünf Minuten mehr oder weniger waren wirklich unerheblich. Nervosität, daran war nur ihre Nervosität schuld. Normalerweise machte es ihr nichts aus, sich mit völlig Fremden auseinander zu setzen - das tat sie pausenlos. Doch dieser Name klang irgendwie... einschüchternd. So ein Unsinn. Was war schon ein Name? Ihr eigener war auch recht ungewöhnlich, und trotzdem schüchterte sie niemanden ein. Aber Henri Chevenay klang... überlegen. Ein französischer Name, nun ja, vielleicht hing es damit zusammen. Oder waren es gar nicht die Nerven, sondern Verzweiflung? Sorrel verzweifelte inzwischen tatsächlich bei ihrer Arbeitssuche. Das dur fte sie ihm natürlich nicht zeigen. Möglicherweise interpretierte er ihr Benehmen als Enthusiasmus. Künftige Arbeitgeber schätzten Begeisterungsfähigkeit. Warum hatte er dann ihren Brief nie beantwortet? In Gedanken versunken, wanderte Sorrel den morastige n Pfad bergauf. Sie war groß und schlank und hatte einen wilden Lockenschopf, dem der hartnäckige feine Regen nicht unbedingt zuträglich war. Atemlos blieb sie stehen. Warum, um alles in der Welt, wurde man bei Nieselregen nasser als bei einem Schauer? Sie blickte sich um und betrachtete die verlassene Landschaft. Es war kein Mensch zu sehen. "Irgendwo dort drüben", hatte man ihr erklärt und vage eine Richtung angedeutet. Sorrel kletterte den Hügel hinauf und schrie erschrocken auf, als sie über ihn stolperte. Sie hoffte jedenfalls, dass er es sein möge, denn wenn sie bei diesem Wetter noch länger herumlief, würde sie wahrscheinlich eine Lungenentzündung bekommen. Er lag auf dem Bauch, einen Arm tief in eine Erdspalte gesteckt und wandte Sorrel das Profil zu. Ja, er sah eindeutig überlegen aus. Und jung, nun ja, zumindest jünger, als sie erwartet hatte. Aber sah er auch wie ein Mann aus, der ihr einen Job geben würde? Das war die große Frage. In der Annahme, etwas sei in das Loch gefallen und Mr. Chevenay versuche es wenngleich ohne sonderlichen Erfolg, wie es schien - daraus zu befreien, meinte sie: "Ich bin schlank. Vielleicht kann ich es herausholen - worum immer es sich handeln mag." Er drehte ihr den Kopf zu und betrachtete sie aus schiefergrauen Augen. Ausdruckslose Augen, die nicht die geringste Regung verrieten. Trotzdem ging von ihm eine gewisse Reizbarkeit aus, die nichts Gutes verhieß, und er war groß, wie sie feststellen musste, als er sich erhob. Sehr groß. "Ziehen Sie den Mantel aus", verlangte er. "Wie bitte?" "Ihren Mantel." Als sie noch immer zögerte, fügte er mürrisch hinzu: "Schnell. Wenn er noch tiefer hineinrutscht, müssen wir den ganzen Hang aufgraben." "Er?" "Der Hund", erklärte er gereizt, während er ihr den Mantel von den Schultern streifte und achtlos ins Gras warf. Dann umfasste er ihr langes Haar mit einer Hand und stopfte es ihr in den Kragen ihres Pullovers. "Da unten ist ein Hund?" fragte sie ungläubig. Er würdigte sie keiner Antwort - allerdings machte er auch nicht den Eindruck eines Mannes, der sich gern wiederholte. "Ich halte Ihre Füße." "Meine Füße?" Sorrel erschrak. "Wie weit unten ist er?" "Zu weit, als dass ich ihn erreichen könnte." Er zwang sie auf die Knie.
"Kann er sich denn nicht selbst befreien? Normalerweise sind Hunde..." "Nein." Seufzend spähte sie in das Loch. Mehr als ein überaus schmutziges Hinterteil konnte sie jedoch nicht erkennen. Ein aufgeregt wedelndes Hinterteil. "O mein Gott", flüsterte sie. "Wie, um alles in der Welt, soll ich...?" "Kümmern Sie sich nicht um den Allmächtigen", befahl er. "Greifen Sie einfach zu." Da ihr offenbar keine andere Wahl blieb, streckte sie die Arme vor und zwängte sich in die schmale Öffnung. Sie fühlte, wie Henri ihre Fesseln packte, und unterdrückte einen Schmerzensschrei, als er sie hochhob, damit sie tiefer in den Spalt gleiten konnte. Außerstande, richtig zu sehen, außerstande, den Kopf zu drehen, tastete sie umher, spürte die leichte Berührung eines Hundeschwanzes an ihren Fingerspitzen und rutschte weiter. Sie schob die Hände zu beiden Seiten des Tiers, griff zu und rief Henri mit erstickter Stimme zu, er möge sie herausziehen. Er ging dabei keineswegs sanft vor - vermutlich war er dazu gar nicht fähig. Er umklammerte ihre Knie und versuchte, sie hochzuheben, und als das nicht funktionierte, packte er sie bei den Hüften. Aber erst als er am Gürtel ihrer Hose zerrte, gelang es ihm, sie ganz langsam zu befreien. Aus Furcht, der Hund mit seinem nassen, morastigen Fell könnte ihr entgleiten, verstärkte sie den Druck ihrer Finger. Sie biss sich auf die Lippe, als das Tier vor Schmerz winselte, und endlich fiel sie mit dem Rücken auf den durchweichten Boden. Erbarmungslos wurden ihr die verkrampften Finger aufgebogen. Als sie den Kopf hob, sah sie, wie Henri den kleinen Jack-Russell-Terrier in die Arme schloss und behutsam untersuchte. "Alles in Ordnung", verkündete er und setzte ihn wieder ab. Er klang ausgesprochen schlecht gelaunt. Der Hund zwar zweifellos in Ordnung, denn er schüttelte sich nur kurz, senkte den Kopf und strome rte schnüffelnd weiter. Sorrel hoffte, dass auch sie versehrt geblieben war. Sie hatte das Gefühl, als wäre ihr zwischen Schultern und Bauchnabel die Haut vom Leibe gezogen worden. "Wollen Sie ihn nicht zurückrufen?" fragte sie, während sie sich aufrichtete. Besorgt hob sie das Sweatshirt an und spähte an sich hinab. "Nein", entgegnete er kurz angebunden. "Sind Sie verletzt?" Sie schüttelte den Kopf. Außer einer leichten Rötung war nichts zu entdecken. Sie schaute ihn an. Groß und grimmig dreinblickend, mit breiten Schultern, unrasiertem Kinn und zerzaustem Haar wirkte er gefährlich. Und er klang gefährlich. "Danke", fügte er mürrisch hinzu. "Schon gut", erwiderte sie. "Manchmal ist es eben von Vorteil, schmächtig zu sein." "Ja." Er wandte sich ab und versuc hte, einen schweren Stein zu verrücken, der halb im Morast eingesunken war. Henri Chevenay war keineswegs schmächtig, sondern kräftig und gut gebaut. Selbst durch den dicken Pullover konnte sie seine ausgeprägten Muskeln erkennen. "Würden Sie mir behilflich sein? Ich muss das Loch verschließen, bevor er noch einmal hineinfällt." Sorrel erhob sich und wollte zunächst ihren Mantel überstreifen. Als sie jedoch dessen Zustand bemerkte, stieß sie vor Wut einen Schrei aus. Einen Moment lang vergaß sie, dass sie möglicherweise ihrem künftigen Arbeitgeber gegenüberstand. "Mussten Sie ihn unbedingt in diese Pfütze werfen?" fragte sie. Statt zu antworten, bemühte er sich weiterhin, den Felsbrocken zu verrücken. Verärgert zog sie den Mantel über und ging ihm zur Hand. Fünf Minuten später hatten sie den Stein gemeinsam in die Erdspalte gerollt. Chevenay klopfte sich den Schmutz von den Händen und ging weg. "He! Mr. Chevenay!" Sie beeilte sich, ihn einzuholen. "Ich möchte mit Ihnen sprechen", erklärte sie atemlos.
"Ich gebe keine Interviews." "Darum habe ich auch nicht gebeten", entgegnete sie und blieb stirnrunzelnd stehen. Wurde er oft von Journalisten bedrängt? Interviews zu geben - oder zu verweigern - klang irgendwie nach... Berühmtheit. Da er sich inzwischen bereits ein ganzes Stück von ihr entfernt hatte, lief sie ihm nach. "Sind Sie berühmt?" erkundigte sie sich und passte sich seinen Schritten an. "Nein. Wer hat Ihnen verraten, wo ich bin?" "Eine Frau in Ihrem Haus..." Nervös verstummte sie. Jemand würde vermutlich für diese Indiskretion büßen müssen. Verdammt. "Sehen Sie", begann sie erneut. "Ich wollte Sie lediglich um etwas bitten." "Ich gewähre auch keine Gefälligkeiten." "Sie brauchen mir keinen Gefallen zu erweisen! Eigentlich wollte ich Ihnen einen tun. Nun ja", lenkte sie ein, "vielleicht nicht gerade einen Gefallen. Ich bin wegen meines Briefes hier. Sie haben ihn doch bekommen, oder? Ich bin..." "Nein." Er näherte sich unaufhaltsam dem Haus. Sorrel war verblüfft. Er musste den Brief erhalten haben. "Wie können Sie dessen so sicher sein?" fragte sie. "Sie wissen ja nicht einmal, wer ich bin. Ich habe ihn per Kurier geschickt Sie haben den Empfang bestätigen müssen." Er schwieg. "Es sei denn, Sie waren nicht zu Hause", sagte sie mehr zu sich selbst. "Dann wurde er wieder ins Depot mitgenommen." Angesichts seines beharrlichen Schweigens kamen ihr allmählich Zweifel, ob sie womöglich mit dem falschen Mann sprach. "Sie sind doch Henri Chevenay, oder?" Er blieb stehen, sah sie an und lief weiter. Allmählich wurde sie wütend. "Es ist schließlich kein Geheimnis", murrte sie. Er sprang über einen schmalen Graben, der den Hügel von der kiesbestreuten Auffahrt trennte - zumindest von dem, was einst eine kiesbestreute Auffahrt gewesen und inzwischen statt von Steinen mit Unkraut bedeckt war, eilte den Weg entlang und bog um die Hausecke. Nicht gewillt aufzugeben, bevor sie eine befriedigende Antwort erhalten hatte, folgte ihm Sorrel. "Ich habe Ihnen wegen Ihres Anwesens geschrieben. Ich bin Landschaftsgärtnerin", fügte sie hinzu, während sie hinter ihm eine Art Wirtschaftsraum betrat. "Verstehen Sie, ich..." "Also, was wollen Sie?" erkundigte er sich gelangweilt. "Ich will Ihnen erklären, was ich kann." "Mir war nicht bewusst, dass ich irgendein Interesse gezeigt hätte." "Noch nicht. Aber, Henri..." "Für Sie Mr. Chevenay, und wagen Sie es nicht, diesen Schmutz ins Haus zu schleppen", warnte er übellaunig. "Sie tun es doch auch", protestierte sie. "Ich wohne hier." Entnervt schleuderte Sorrel die ruinierten Schuhe beiseite und tappte auf Socken hinter ihm her - auf nassen Socken. Sie stieß mit ihm zusammen, als er unvermittelt innehielt, um ebenfalls die Stiefel auszuziehen. "Entschuldigung." Er murmelte etwas Unverständliches, streifte den nassen Pullover über den Kopf und warf ihn achtlos in eine Ecke, bevor er eine Tür öffnete. Während er den angrenzenden Raum betrat, rollte er die Hemdsärmel hoch. Die Tür schwang hinter ihm zu. "Sie sind unglaublich unhöflich", beschwerte Sorrel sich, nachdem sie die Tür wieder aufgestoßen hatte und hinter ihm einen mit rötlichen Steinen gepflasterten Saal durchquerte. "Ich habe Sie auch nicht eingeladen." "Aber Sie müssen doch an meinem Angebot interessiert sein! Ihr Park ist ein absoluter Jammer." Neugierig schaute sie sich um.
Weiße Wände, ein paar ausgesucht edle Möbel. Edel. Klösterlich schlicht - eine zutreffende Beschreibung, denn immerhin befand sie sich in einer ehemaligen Abtei. Eine wunderschöne alte Treppe führte an der Außenwand nach oben, ein kleiner Konsoltisch stand zwischen den beiden kunstvoll geschnitzten Doppeltüren. Zu ihrer Rechten befand sich ebenfalls eine Tür, direkt unter den aufsteigenden Stufen, drei weitere teilten die linke Wand. "Es ist sehr schön hier...", begann sie. "Ich bin überglücklich, dass es Ihnen gefä llt", unterbrach er sie spöttisch. Sorrel betrachtete einen riesigen Wandteppich, der über einer verzierten antiken Truhe zwischen zwei Türen hing. "Etwas schäbig", bemerkte sie bedauernd. "Allerdings dürfte er auch ziemlich alt sein." Als keine Antwort erfolgte, drehte sie sich um und stellte fest, dass sie allein war. Lediglich das leise Klappen einer Tür am Ende der Halle verriet, wo der Hausherr geblieben war. Hastig lief sie ihm nach und gelangte in ein Arbeitszimmer. Hochmodern, mit allen nur erdenklichen technischen Hilfsmitteln. "Sie arbeiten wohl viel zu Hause", meinte sie. Statt zu antworten, ließ er sich hinter einem massiven Tisch nieder. Der wuchtige Tisch passte irgendwie zu ihm, immerhin war er selbst ein stattlicher Mann. Es tat Sorrel gut, endlich jemandem zu begegnen, der größer war als sie. Widerstrebend riss sie den Blick von ihrer Umgebung los und wandte sich wieder dem eigentlichen Thema zu. "Sie haben meinen Brief also wirklich nicht bekommen?" "Ich lese keine ungebetene Post." "Nicht einmal aus Neugier?" fragte sie erstaunt. "Nein." Er verschränkte die Hände auf der mit Papieren übersäten Tischplatte, während er Sorrel einer eingehenden Musterung unterzog. Amüsiert erwiderte sie seinen Blick. Sie wusste genau, was er sah. Einen Storch. Zu groß, zu dünn und mit einer auffallenden rotbraunen Mähne. Ihr Haar ringelte sich gewöhnlich bei den geringsten Anzeichen von Feuchtigkeit zu wilden Locken, die jedem Versuch, sie zu bändigen, hartnäckig widerstanden. Ihre Augen waren zu hell, die Wimpern zu dunkel, und ihre Nase war vermutlich gerötet. Trotz ihrer ebenmäßigen Züge wirkte sie auf den ersten Blick nicht unbedingt hübsch, sondern apart. Jedenfalls sah sie nicht wie eine Gärtnerin aus. Lächelnd ging sie zu einem gepolsterten Stuhl in der Zimmerecke. "Sie wollen sich doch hoffentlich nicht in diesem schmutzigen Mantel darauf setzen", sagte Chevenay ungerührt. "Wer ist denn daran schuld, dass er schmutzig ist?" Sie zog ihn aus und blickte sich suchend nach einer geeigneten Ablage um. Da sie nichts dergleichen entdeckte, faltete sie ihn sorgsam zusammen und deponierte ihn auf dem Fußboden. Dann nahm sie Platz und fixierte Henri erneut. "Sind Sie immer so schlecht gelaunt?" "Ja. Übrigens können es sich nur schöne Frauen leisten, unverschämt zu sein." "Unsinn", entgegnete sie.. "Jeder kann sich Unverschämtheiten erlauben. Wenn man nur unverfroren genug ist, sind die Leute so verblüfft, dass man damit durchkommt. Und falls Sie mich jetzt für dreist halten, sollten Sie einmal erleben, wenn ich..." "Nein, danke", warf er rasch ein und wechselte das Thema. "Haben Sie eine Kopie des Briefes?" "Natürlich nicht. Wozu auch? Ich habe Ihnen geschrieben, und Sie hätten antworten sollen." "Habe ich aber nicht. Warum sind Sie hier?" Weil ich verzweifelt bin, dachte sie, doch das durfte sie ihm nicht verraten. "Ich war in der Gegend", behauptete sie kühn. Angesichts seiner unerbittlichen Miene und der ausdruckslosen schiefergrauen Augen fügte sie hoffnungsvoll hinzu: "Ein Kaffee wäre jetzt nicht schlecht." "In die sem Punkt stimme ich Ihnen zu, Miss...?" "James. Sorrel James."
Ein ungewöhnlicher Vorname. So ungewöhnlich wie diese Frau, überlegte Henri. Plötzlich reizte es ihn, herauszufinden, welches Spielchen sie mit ihm trieb. Er drückte einen Knopf auf der Gegensprechanlage. "Zwei Kaffee bitte, Mrs. Davies." Dann hob er den Kopf und sah Sorrel eindringlich an. "Warum waren Sie in der Gegend?" Sie senkte die Lider und kratzte versonnen an einem Schmutzfleck auf ihrer Hose. Hör auf zu schwindeln, Sorrel, ermahnte sie sich. Sag ihm die Wahrheit. "Eigentlich war das gelogen", gestand sie. "Ich bin hergefahren, um Sie zu sehen." Tapfer begegnete sie seinem Blick. "Ich möchte Ihren Park herrichten. Ich bin viel kräftiger, als ich wirke", versicherte sie, als sie seinen zweifelnden Gesichtsausdruck bemerkte. "Und ich bin sehr gut. Sie werden nicht enttäuscht sein." "So?" "Nein." "Suchen Sie Ihre Kunden immer persönlich auf und klopfen an ihre Tür?" "Manchmal", räumte sie ein. "Wie oft? Herein?" rief er, als ein leises Pochen ertönte. Eine recht besorgt dreinblickende Frau Anfang fünfzig betrat mit einem Tablett in den Händen das Zimmer. Es war die gleiche Frau, die Sorrel vorhin geöffnet hatte. Sie lächelte Henry nervös an, warf Sorrel einen neugierigen Blick zu und stellte den Kaffee auf den Tisch. "Danke, Mrs. Davies. Und in Zukunft", fügte er in einem Tonfall hinzu, der schüchterne Gemüter in Angst und Schrecken versetzt hätte, "falls jemand vorspricht, bin ich nicht zu Hause. Sie wissen weder, wo ich bin, noch, was ich gerade tue. Ist das klar?" "Ja, Sir." "Es war nicht ihre Schuld", beteuerte Sorrel und lächelte die Frau mitfühlend an. "Ich sagte, ich sei eine alte Freundin." Ohne den Blick von Mrs. Davies zu wenden, erklärte er: "Das Gleiche gilt auch für alte Freunde. Lassen Sie sich ihren Namen und die Telefonnummer geben, unter der sie zu erreichen sind." "Ja", flüsterte sie. "Es tut mir leid." Sie huschte hinaus und schloss lautlos die Tür hinter sich. "Ein bisschen grob, finden Sie nicht?" Statt zu antworten, deutete er auf das Tablett. Sorrel schloss daraus, dass sie einschenken sollte, und erhob sich. "Wie trinken Sie ihn?" "Schwarz." "Das passt zu Ihnen." Sie füllte erst seine, dann ihre Tasse, und nachdem sie reichlich Sahne und Zucker hinzugefügt hatte, kehrte sie zu ihrem Platz zurück. "Sie scheinen ziemlich besorgt zu sein, was Ihr Privatleben betrifft", meinte sie. "Weshalb? Sind Sie so berühmt? Wohlhabend? Oder einflussreich?" "Nein. Wie oft?" wiederholte er. "Eigentlich noch nie", gestand sie zerknirscht. "Es war das erste Mal." Er sah sie an, als würde er ihr glauben. Sie wusste zwar nicht, warum, aber... "Wie haben Sie mich gefunden?" "Sie gefunden?" fragte sie. "Das klingt ja so, als hätte ich Sie gesucht." Eingedenk seiner vorherigen Bemerkungen fuhr sie fort: "Oben auf dem Hügel erwähnten Sie, dass Sie keine Interviews geben würden. Offenbar dachten Sie, ich wäre Reporterin." Als er nichts darauf erwiderte, lächelte sie. Allmählich fand sie Gefallen an diesem ziemlich unberechenbaren Mann. "Ich habe Sie beim Zahnarzt gefunden", erklärte sie. "Während ich im Wartezimmer saß, habe ich die Magazine durchgeblättert - und da waren Sie. Henri Chevenay, der neue Besitzer von Blakeborough Abbey. Der Artikel war mit einer Luftaufnahme des Anwesens illustriert, und ich hatte sofort den Wunsch, den Park zu gestalten. Ich habe vorhin einen flüchtigen Blick auf den hinteren Teil des Anwesens geworfen. Das alte Pflaster muss
unbedingt ausgebessert werden. Falls Sie dies nicht wünschen oder es sich nicht leisten können, alles auf einmal zu erneuern, könnte ich es stückweise erneuern. Oder einfach nur die Kieswege herrichten. Kieswege sind meine Spezialität." "Sie stecken wirklich voller Überraschungen", sagte er spöttisch. "Ist der Zahnarzt hier im Ort?" "Nein, in London", räumte sie verlegen ein. "Im Moment habe ich nicht viel Arbeit." "Man muss die Gelegenheit ergreifen, sobald sie sich einem bietet, oder?" "So ist es. Ich..." "Können Sie sich ausweisen?" Verwirrt schüttelte Sorrel den Kopf. "Nein. Warum?" "Weil ich wissen will, wer Sie sind." "Sie wissen, wer ich bin. Ich habe es Ihnen doch gerade erzählt." "Haben Sie das?" Sie nickte nachdrücklich. "Ja." "Sie können sich nicht identifizieren", erwiderte er unerbittlich. "Nicht gerade professionell." Sorrel atmete tief durch. "Ich habe mein Portfolio mitgebracht." Sie sprang auf. "Es ist in meinem Wagen. Ich werde es holen, dann können Sie sich von meinen Fähigkeiten überzeugen." Ehe er darauf antworten konnte, eilte sie auf Socken über den Kiesweg zu ihrem Auto. Ins Haus zurückgekehrt, legte sie die Mappe vor Henri auf den Tisch. "Meine Karte steckt innen auf der Umschlagseite." Er nickte und öffnete das Fotoalbum. Dann zog er ein Blatt Papier heran, notierte ihren Namen sowie die Adresse und klappte den Deckel wieder zu. Während Sorrel ihn beobachtete, verflog ihre innere Anspannung. "Wollen Sie sich nicht die Bilder anschauen?" "Nein." "Warum wollten Sie es dann haben?" "Damit ich Sie überprüfen kann." Er reichte ihr die Mappe. Sie jedoch verschränkte die Hände hinter dem Rücken. "Ich lasse Ihnen das Material hier und hole es morgen ab. Wer weiß, vielleicht finden Sie darin ein paar nützliche Anregungen..." "Nein", entgegnete er sanft. "Doch. Und wenn Sie wirklich nicht..." "Ich will nicht." "Sie können es mir mit der Post schicken." "Es könnte verloren gehen." "Geben Sie mir eine Chance. Bitte. Ich bin wirklich sehr gut." "Und billig?" erkundigte er sich neugierig. "Nun ja... das nicht gerade, aber..." Ihre Blicke trafen sich. "Leben Sie wohl, Miss James." Rasch trank sie den Kaffee aus und griff nach ihrem Mantel. "Sehen Sie sich die Unterlagen wenigstens an", flehte sie. "Ich bin zu allem bereit..." Als ihr klar wurde, was sie soeben gesagt hatte, lachte sie verlegen auf. "Natürlich nicht zu allem. Ich meinte..." "Ich weiß, was Sie meinten." Sie legte sich den schmutzigen Mantel um die Schultern. "Dann bis morgen." Nicht, wenn ich es verhindern kann. Diese Botschaft stand unausgesprochen zwischen ihnen. Sorrel war schon an der Tür, als sie noch einmal kehrtmachte. "Soll ich das Tablett in die Küche bringen?" "Es würde Ihnen auch nicht weiterhelfen." "Das wollte ich damit nicht... Tut mir leid, ich neige dazu, mich leicht..."
"Mitreißen zu lassen?" Er betrachtete sie nun mit so unverhohlenem Interesse, dass sie unwillkürlich lachen musste. "Schon gut, ich verschwinde." Du darfst dein Glück nicht überstrapazieren, Sorrel, ermahnte sie sich. Leise schloss sie die Tür hinter sich. Sie wusste, dass sie gelegentlich in den Häusern anderer Leute ein wenig aufdringlich wirkte, aber nur deshalb, weil sie normalerweise dort arbeitete. Immerhin hatte er sie nicht weiter gedrängt, das Portfolio mitzunehmen, es gab also noch immer Hoffnung, oder? Mit einem optimistischen Lächeln auf den Lippen, durchquerte sie die Halle. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass der Wirtschaftstrakt sich üblicherweise im rückwärtigen Teil des Hauses befand. Sie öffnete die Tür unter der Treppe und blieb erstaunt stehen. Der Raum schien noch aus dem Mittelalter zu stammen und bot einen verblüffenden Kontrast zur Halle. Mrs. Davies saß an dem langen, blank gescheuerten Holztisch mitten in der Küche. Sie sah aus, als hätte sie geweint. "Ist alles in Ordnung?" fragte Sorrel und stellte das Tablett ab. "Ja. Nein. Ich weiß nicht, was man von mir erwartet", rief die Haushälterin. "Er sagt es mir einfach nicht! Mr. Craddock, der frühere Besitzer, war so... umgänglich." Sie blickte Sorrel verzweifelt an. "Ich brauche diesen Job. Clive ist im Moment arbeitslos - mein Mann", fügte sie erklärend hinzu. "Mr. Chevenay hat zwar versprochen, dass ich bleiben könne, aber ich habe nicht die leiseste Ahnung, was von mir verlangt wird." "Weil er sich nicht klar äußert", bestätigte Sorrel mitfühlend. "Es tut mir leid, dass ich Sie in Schwierigkeiten gebracht habe." "Es ist ja nicht Ihre Schuld. Könnten Sie ihn fragen, was meine Pflichten sind?" bat sie. "Ich?" Sorrel traute ihren Ohren kaum. "Ich kenne ihn doch gar nicht. Eigentlich bin ich gar keine Freundin..." "Bitte. Wenn ich staubsauge, verlangt er, dass ich aufhöre, wenn ich ihm die Mahlzeiten koche, isst er nichts. Ich weiß nicht einmal, wie ich mich am Telefon melden soll. Und nun soll ich sogar die Küche neu gestalten. Zugegeben, sie ist ein bisschen altmodisch, aber was schwebt ihm vor?" "Besorgen Sie sich ein paar Zeitschriften", riet Sorrel. "Dadurch lassen sich die meisten Leute inspirieren. Zeigen Sie ihm Bilder. Es wäre für Sie doch auch viel angenehmer, in einer... moderneren Umgebung zu arbeiten, oder?" "Mag sein", räumte Mrs. Davies bekümmert ein. "Falls ich überhaupt lange genug hier bleibe. Ich glaube, er mag mich nicht. Immer wieder habe ich ihn gebeten, mich Davey zu nennen, wie Mr. Craddock es zu tun pflegte, aber er weigert sich. ,Mrs. Davies' sagt er zu mir. So... so höflich." Sorrel wusste genau, was die Frau me inte und wie es war, keinen Job und kein Geld zu haben. "Na schön, ich werde ihn fragen", versprach sie. "Danke." Mrs. Davies lächelte zaghaft. "Sie halten mich bestimmt für eine dumme Gans, aber... Normalerweise bin ich nicht so", versicherte sie rasch. "Früher jedenfalls war ich es nicht. Vielleicht sind die Wechseljahre daran schuld." Sorrel unterdrückte ein Stöhnen. "Diese aufsteigende Hitze." Mrs. Davies seufzte. "Er macht mich so nervös. Finden Sie nicht, dass er sehr... grimmig aussieht?" Grimmig? Nun ja, vermutlich schon. "Und sein Tonfall ist so... so..." "Herablassend?" schlug Sorrel vor. "Ja, so als hätte er keine besonders hohe Meinung von seinen Mitmenschen." "Vielleicht hat er das wirklich nicht." Sorrel konnte es sich lebhaft vorstellen.
"In seiner Gegenwart komme ich mir so einfältig vor", fuhr die Haushälterin fort. "Ich bin zwar nicht sehr schlau, aber ich kann kochen und sauber machen. Mit Mr. Craddock hat es nie Probleme gegeben. Ich wünschte, er wäre noch hier." "Sie sollten es als Heraus forderung betrachten", tröstete Sorrel sie. "Gewiss werden Sie sich bald an ihn gewöhnen und..." "Ich mag gar nicht an die Reporter und so denken." Mrs. Davies schien sie nicht gehört zu haben. "Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll." "Reporter?" "Ja. Offenbar hassen sie ihn." "Warum, um alles in der Welt, sollten sie ihn hassen?" "Ich weiß nicht." Die ältere Frau stand auf und trug das Tablett zur Spüle. Sorrel blickte auf den gebeugten Rücken der Haushälterin. "Ist er berühmt?" erkundigte sie sich vorsichtig. "Berühmt? Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich am Tor jedes Mal über Reporter stolpere, sobald ich das Grundstück verlasse. Allerdings darf ich nicht mit ihnen reden", fügte sie verdrossen hinzu, als wäre dies ein weiterer Streitpunkt mit ihrem Arbeitgeber. Bevor sie weitere Fragen stellen konnte, fiel Sorrels Blick auf den über der Spüle angebrachten Spiegel. "Gütiger Himmel", flüsterte sie erschrocken. Ihr Gesicht war schmutzig. Und ihr Haar, das noch immer im Kragen ihres Sweatshirts steckte, war über und über mit Erde und Gras bedeckt. Nachdem sie die Locken befreit und die ärgsten Spuren der Rettungsaktion beseitigt hatte, kramte sie nach einem Taschentuch. In den Spiegel spähend, begann sie, sich zu säubern. "Nicht perfekt, aber besser als vorher", befand sie schließlich und wandte sich zum Gehen. "Ich muss aufbrechen." "Sie vergessen doch nicht, ihn zu fragen?" drängte Mrs. Davies. "Nein, keine Sorge." "Gleich?" "Gleich?" wiederholte Sorrel entsetzt. Sie hielt es für keine gute Idee. "Bitte..." Weichherzig, wie sie war, gab Sorrel nach. "Okay, aber ich kann für nichts garantieren." Widerstrebend kehrte sie zum Arbeitszimmer zurück, klopfte an die Tür, öffnete und steckte rasch den Kopf durch den Spalt. "Entschuldigen Sie die Störung." Henri blickte von dem aufgeschlagenen Portfolio auf, das er offenbar studiert hatte. "So schnell zurück, Miss James?" erkundigte er sich ironisch. "Nun ja... Da wäre noch etwas." "Das dachte ich mir." Mit großen Augen sah sie ihn an. "Sie irren sich", entgegnete sie. "Es geht um Mrs. Davies. Offenbar versetzen Sie die arme Frau in Angst und Schrecken. Natürlich nicht absichtlich", fügte sie rasch hinzu. "Wenn Sie ihr nur erklären würden, was ihre Pflichten sind, wann sie staubsaugen kann oder was sie kochen soll und so weiter..." "Gewiss", erwiderte er ungerührt. "Ich werde daran denken." "Gut." Sie lächelte erleichtert. "Außerdem hätten Sie mir sagen können, dass mein Gesicht schmutzig war." "Warum?" "Warum?" rief sie. "Weil..." "Verschwinden Sie", befahl er sanft. Mit einem strahlenden Lächeln zog sie den Mantel fester um die Schultern, drehte sich um und schloss vorsichtig die Tür hinter sich. "Ja", flüsterte sie und ballte triumphierend die Hand zur Faust. Wenn er ihre Arbeiten betrachtete, konnte er unmöglich völlig desinteressiert an ihr sein, oder? Und selbst wenn sie den Job nicht bekommen sollte, war sie dennoch froh, dass sie sich
zu dem Besuch entschlossen hatte. Sie hatte Henri Chevenay fast gemocht. Er war schließlich jemand, von dem man träumen konnte. Leise lachend blickte Henri auf die geschlossene Tür. Der Aufmarsch der "7 Verehrerinnen" wurde von Minute zu Minute bizarrer. Er konnte sich nicht erinnern, jemals einen so... nun ja, so freimütigen Menschen getroffen zu haben. Obwohl er sich gewünscht hätte, sie möge aufrichtig zu ihm sein, bezweifelte er, dass sie es tatsächlich gewesen war. Wie, um alles in der Welt, war es ihnen gelungen, eine Gärtnerin zu rekrutieren? Falls sie wirklich Gärtnerin war. Er hätte sie natürlich niemals ins Haus lassen dür fen. Warum hatte er es überhaupt getan? Und morgen würde sie wiederkommen. Die so ganz andere Miss James. Und nach Miss James würde jemand anders seinen Garten pflegen, seinen Wagen waschen oder die Kamine kehren wollen... Dem Einfallsreichtum waren keine Grenzen gesetzt. Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass er vielleicht für eine Weile seine Ruhe haben würde, wenn er Miss James einstellte. Mit einem spöttischen Lächeln wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Portfolio zu. Der Park musste in der Tat hergerichtet werden. Warum also nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen? Und falls sie nichts taugte, würde er sie eben nicht bezahlen. Er schlug die Vorderseite auf, an der eine Visitenkarte befestigt war, griff nach dem Telefon und wählte die Nummer eines Privatdetektivs. Sorrel steckte den Kopf zur Küche hinein und versicherte Mrs. Davies, dass Mr. Chevenay ihrer Meinung nach in Zukunft wesentlich umgänglicher sein würde. Dann holte sie ihre Schuhe. Während sie das Haus umrundete, betrachtete sie den verhangenen Himmel. Eigentlich sollte der Juni Wärme und Sonnenschein und nicht ständigen Nieselregen bringen. Zu dieser Jahreszeit waren die Menschen fröhlich und liebenswürdig. Aber nicht in diesem Haus. Und auch nicht in der örtlichen Presse, wenn man Mrs. Davies Worten Glauben schenken durfte. Warum wurde ein junger Mann derart gehasst? Nun ja, nicht richtig jung, korrigierte sie sich im Stillen. Henri Chevenay war nach ihrer Schätzung Mitte bis Ende dreißig. Und trotz seiner schlechten Manieren außergewöhnlich attraktiv. Aber warum sollte man ihn hassen? Sie kletterte in den alten Lieferwagen und hoffte, er möge beim ersten Versuch anspringen. Henri Chevenay. Ein klangvoller Name. Es war lange her, dass sie zuletzt mit einem gut aussehenden Mann geflirtet hatte, und bei dem bloßen Gedanken daran hoben sich ihre Lebensgeister. Nicht dass sie erwartete, er würde darauf eingehen, doch es könnte recht amüsant sein, ihn aufzuziehen. Falls er ihr erlaubte, sein Anwesen zu gestalten - was sie allerdings stark bezweifelte. Eigentlich schade, denn die Anlage brauchte dringend Pflege. Das Gras - vormals vermutlich makelloser Rasen - war mittlerweile hüfthoch und von Unkraut durchsetzt. Die alten, gebeugten Bäume mussten unbedingt geschnitten, wenn nicht gar gerodet werden. Die Auffahrt bedurfte der Ausbesserung, der kleine Fluss, der das Grundstück auf einer Seite begrenzte, musste von Unrat gesäubert werden, und was sie bislang vom Rest des Besitzes gesehen hatte... Nun ja. Hör auf zu träumen, Sorrel, ermahnte sie sich im Stillen. Selbst wenn er an ihren Diensten interessiert wäre, könnte sie keine Referenzen vorweisen, die ihre Vertrauenswürdigkeit bescheinigten, und Henri Chevenay wirkte wie ein Mann, der Zeugnisse verlangte. Genau wie die anderen vor ihm. Beunruhigend war nur der Umstand, dass sie vor der Sache mit Nick nie Referenzen benötigt hatte. Sie hatte ihre Aufträge stets auf Empfehlungen hin erhalten, und nun wollte jeder plötzlich eine schriftliche Bestätigung ihres vorherigen Arbeitgebers. Sorrel lächelte zynisch. Es war schon kurios. Ein Zeugnis von Nick. Und dabei steckte zweifellos er hinter alldem. Auf ihre Inserate hatten sich mehrere Interessenten gemeldet, sie hatte Kostenvoranschläge abgegeben, und alles war in schönster Ordnung gewesen - bis die Ausreden begannen. "Nicht ganz das, was uns vorschwebt. Tut uns leid." "Zu teuer."
"Zu dies", "zu das" und immer wieder "ohne eine Referenz von ihrem Arbeitgeber..." "Man muss heutzutage so vorsichtig sein..." Wenn sie nicht bald einen Job fand... Mutlos fuhr sie zu einem kleinen Hotel, in dem sie die Nacht verbringen wollte. Sie ging auf ihr Zimmer, um ihre Schwester anzurufen und sich zu erkundigen, ob es ihr gelungen sei, den Artikel ausfindig zu machen, den sie, Sorrel, beim Zahnarzt gelesen hatte. Sollten ihre Bemühungen erfolglos verlaufen sein, hatte sie vielleicht irgendwelche anderen Informationen über ihn, die es ihr erleichtern könnten, ihn davon zu überzeugen, dass er sie brauchte. Jen liebte Herausforderungen. Genau wie Sorrel. Nun hör schon auf, schalt sie sich. Es wird sich alles zum Guten wenden. Es muss! Nachdem sie es sich auf dem Bett gemütlich gemacht hatte, griff sie zum Telefon und wählte die Nummer ihrer Schwester. Bereits nach dem zweiten Läuten wurde am anderen Ende der Leitung abgenommen. "Jen?" "Sorrel? Wo steckst du? Ich versuche schon den ganzen Tag, dich zu erreichen." "Warum?" fragte Sorrel erschrocken. "Ist etwas passiert?" "Nein. Bist du zu Hause?" "Nein, in Wiltshire." "Wie bitte?" rief Jen. "Was, um alles in der Welt...? Nein", unterbrach sie sich entsetzt. "Sag's mir lieber nicht. Deshalb also wolltest du den Artikel unbedingt haben. Du hast ihn aufgesucht! Ich fasse es nicht, Sorrel. Du kannst doch nicht einfach bei den Leuten klingeln!" "Und ob ich das kann", konterte Sorrel seelenruhig. Bei der Erinnerung an Henris Gesicht umspielte ein Lächeln ihre Lippen. "Mitunter lernt man dabei die reizendsten Menschen kennen." Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann fragte Jen misstrauisch: "Dein Tonfall gefällt mir nicht. Was ist passiert?" "Nichts." "Du weißt, dass ich es am Ende doch herausbekomme, Sorrel", warnte Jen. "Also kannst du es mir genauso gut gleich sagen. Was ist passiert?" "Gar nichts." Ihre Augen funkelten fröhlich. "Ich fand ihn lediglich... interessant." Ihre Schwester stieß einen verächtlichen Laut aus. "Dann pass auf, dass du ihn nicht zu interessant findest." "Warum nicht? Ich habe schon seit einer Ewigkeit keinen richtigen Flirt mehr gehabt." "Weil er bald sterben wird."
2. KAPITEL Sorrel war wie betäubt. "Sterben?" flüsterte sie schockiert. "Ausgeschlossen. Er sieht so gesund aus." "So steht es jedenfalls in dem Artikel, den ich gefunden habe. In dem, den du beim Zahnarzt nicht zu Ende lesen konntest. Wenn du eine Minute dranbleibst, lese ich ihn dir vor." Eine Weile war es am anderen Ende der Leitung still, dann ertönten eine leises Rascheln und Jens Stimme. "Hier ist es. Am Schluss des Berichtes heißt es... Zugegeben, es klingt ziemlich sonderbar", räumte sie zögernd ein. "Es werden einige seiner Unternehmen erwähnt, und dass er kürzlich seine Investmentfirma an die Amerikaner verkauft hat. Der Autor schreibt weiter, Chevenays Erfolg sei vielleicht dadurch zu erklären, dass sein Leben vom Krebs geprägt sei." "Krebs?" wiederholte Sorrel. Obwohl sie diesen Mann kaum kannte, verspürte sie unendliches Entsetzen und Mitleid. "Bist du sicher, dass es da steht?" "Natürlich." "Es ergibt doch gar keinen Sinn!" "Nein, aber so steht es hier." Jen atmete tief durch. "Du magst ihn", stellte sie bekümmert fest. "Ja. Bitte sag jetzt nicht, dass ich ein gestörtes Urteilsvermögen habe und..." "Doch, das hast du." "Nicht immer", verteidigte sie sich. "Doch, Sorrel, immer", beharrte Jen. "Henri ist nicht im Entferntesten wie Nick", protestierte Sorrel. "Allmählich vermittelst du mir das Gefühl, dass ich jedem misstrauen müsste." "Nicht jedem." Jen seufzte. "Es ist nur so... Ich mach mir Sorgen um dich, Sorrel. Na los, erzähl mir von ihm." "Tu nicht so herablassend. Er ist nicht wie Nick." "Wie ist er dann?" "Oh, groß, kurz angebunden, zynisch. Eigentlich ziemlich unhöflich." "Und trotzdem magst du ihn?" "Ja", bestätigte Sorrel. "Er ist... eben anders. Ich kann einfach nicht glauben, dass er krank ist. Er sieht geradezu unverschämt gesund aus." "Vielleicht ist er geheilt", räumte Jen ein. "Lässt er dich den Park gestalten?" "Ich weiß nicht. Morgen früh soll ich ihn noch einmal treffen." "Aber warum hast du dafür den weiten Weg nach Wiltshire auf dich genommen?" "Weil ich dachte, dass Nick hier keinen Einfluss hat", erklärte Sorrel ungeduldig. "Außerdem ist das Mädchen, für das ich im Gartencenter eingesprungen bin, am Montag wieder da", fügte sie düster hinzu. "Verdammt! Ich hatte gehofft, sie würde nicht wiederkommen." "Ich auch." "Ach Liebes, es tut mir so leid. Wie stehen deine Cha ncen? Andererseits... Falls er tatsächlich sterben sollte, wäre es vermutlich besser, wenn du dich nicht mit ihm einlassen würdest. Ich könnte es nicht ertragen, wenn du wieder leiden müsstest." "Ich habe nicht vor, mich mit ihm einzulassen! Ich habe lediglich gesagt, dass ich ihn interessant finde." Selbst wenn sie es wollte - was sie natürlich nicht tat -, bestand wahrscheinlich nicht die geringste Aussicht, sich mit ihm einlassen zu können. Rasch wechselte Sorrel das Thema. Sie hatte keine Lust, weiter über Henri zu sprechen. Nicht einmal mit ihrer Schwester. "Wie geht es meinem Neffen?" "Er ist bei mir in Ungnade gefallen." Jen lachte leise. "Er hat die Tapete hinter seiner Wiege abgerissen, und als ich ihn deshalb ausschimpfte, hat mich der kleine Bursche aus großen blauen Augen angesehen und treuherzig geflüstert: ,Oje.'"
Sorrel lachte. "Ich kenne noch jemanden, der das getan hat. Muss wohl in der Familie liegen." "Mit dem einzigen Unterschied, dass ich eine Ohrfeige bekommen habe." "Ich erinnere mich." "Wann kommst du nach Hause?" "Voraussichtlich morgen. Grüß den kleinen Unglücksraben und deinen hinreißenden Ehemann von mir. Gegen fünf bin ich wahrscheinlich zurück. Es geht mir gut - wirklich", beteuerte Sorrel. "Pass auf dich auf. Bis dann." Nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte, blickte sie minutenlang versonnen auf den Apparat. Sie wollte nicht, dass Henri krank war. Sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass er es war. Oder hatte er etwa deshalb gesagt, er gebe keine Interviews? Möglich. Nach diesem Artikel... Wie auch immer, es war ziemlich unwahrscheinlich, dass sie ihn nach dem morgigen Tag noch einmal sehen würde. Sorrel versuchte, nicht mehr an ihn zu denken. Sie schwang die Beine aus dem Bett, um zu duschen und sich das Haar zu waschen, bevor sie nach unten gehen und eine Kleinigkeit essen wollte. Doch ihre Gedanken schienen einem eigenen Willen zu folgen. Den ganzen Abend über, bis weit in die Nacht, grübelte sie über Henri nach, und am nächsten Morgen, während sie zum Haus fuhr, beschäftigte sie ausschließlich seine Krankheit. Entweder hatte er nach ihr Ausschau gehalten, oder es handelte sich um einen Zufall, jedenfalls öffnete er persönlich die Tür, bevor sie überhaupt Gelegenheit gehabt hatte, den altertümlichen Klingelzug zu betätigen. Sogleich erkannte sie ihren Irrtum: Henri wollte lediglich den kleinen Hund, den sie am Vortag gerettet hatte, hinauslassen. "Er ist also gesund nach Hause gekommen", meinte sie verlegen. "Das nehme ich an." Auf ihren verwunderten Blick hin fügte er hinzu: "Er gehört mir nicht." "Oh." "Er besucht mich nur." "Oh", sagte sie noch einmal. "Hatten Sie Zeit, sich die Fotos anzusehen?" "Ja. Kommen Sie herein." Henri wartete, bis Sorrel eingetreten war, dann schloss er hinter ihr die Tür und ging voran ins Arbeitszimmer. Ihm kamen Zweifel. Im Lauf der Nacht hatte er sich fast überzeugt, dass sie berechnend gewirkt habe. Doch dem war nicht so. Sie sah beinahe so eifrig aus wie der verdammte Hund. Und überrascht, ganz so, als hätte sie damit gerechnet, dass er ihr das Portfolio bereits an der Tür in die Hand drücken würde. Während er am Schreibtisch Platz nahm, blickte er auf das Album. Noch war Zeit, es sich anders zu überlegen. Verstohlen, sah er zu ihr hinüber, versuchte, das ausdruckslose Gesicht zu deuten, und wandte endlich seine Aufmerksamkeit wieder der Mappe zu. "Hat Ihnen darin etwas gefallen?" erkundigte sie sich ungeduldig. Sie trat neben ihn und klappte die Mappe auf. "Die Bilder zeigen die Gärten vor und nach..." Er sah sie an. "Entschuldigung", flüsterte sie verlegen. "Setzen Sie sich", befahl er. Gehorsam ließ sie sich auf dem Stuhl in der Zimmerecke nieder. Sie betrachtete Henris markantes Gesicht, während er den Ordner schloss und mit den Fingerspitzen auf den Aktendeckel zu trommeln begann. Vergeblich suchte sie nach Anzeichen von Krankheit. Er war weder mager noch blass, und es gab auch keine Spuren von Haarausfall - möglicherweise hatte er keine Chemotherapie durchgemacht. Oder das Haar war bereits nachgewachsen. Vielleicht ging es ihm inzwischen besser. Jen hatte erwähnt, dass der Artikel vor sechs Monaten erschienen sei. Henri sah ziemlich... nun ja, abweisend aus, wie Sorrel fand. Er war frisch rasiert und trug ein teuer wirkendes, kurzärmeliges hellgraues Hemd zu einer Jeans, die seine langen Beine wie eine zweite Haut umschloss. Ihn umgab eine Aura von Stärke und
Entschlossenheit. Nein, er glich ganz gewiss nicht einem Mann, der auf der Schwelle des Todes stand. Das Telefon läutete, und Sorrel zuckte zusammen. Henri ignorierte das Klingeln, und als sie meinte, das schrille Geräusch nicht länger ertragen zu können, fragte sie entnervt: "Wollen Sie nicht abheben?" "Nein." "Haben Sie denn keinen Anrufbeantworter? All die Geräte hier sind doch nicht nur Attrappen, oder?" Er schwieg. Glücklicherweise verstummte in diesem Moment endlich das Telefon. "Haben Sie die Danksagungen gelesen, die im hinteren Teil abgeheftet sind?" erkundigte sie sich in der verzweifelten Hoffnung, er möge nicht bemerkt haben, dass das letzte Schreiben bereits über ein Jahr alt war. Er schwieg weiter. Offenbar reagierte er nur, wenn es ihm behagte - mochte das Telefon auch Sturm klingeln. Eine sonderbare Art, eine Firma zu führen. Falls er überhaupt eine Firma hatte. Sorrel schalt sich im Stillen, weil sie Jen nicht besser zugehört hatte. Sie begegnete seinem undurchdringlichen Blick und redete rasch weiter. "Gestern Abend habe ich meine Schwester angerufen und ihr von Ihnen erzählt. Ich hatte sie gebeten, die Zeitschrift zu besorgen, die ich beim Zahnarzt durchgeblättert habe. In dem Artikel stand, dass Sie Krebs hätten", fügte sie hinzu. Zu ihrer grenzenlosen Überraschung brach er in Lachen aus. Zugegeben, ein verächtliches Lachen, aber immerhin ein Lachen. "Und deshalb machen Sie heute ein so besorgtes Gesicht?" "Ja. Ich habe die ha lbe Nacht wach gelegen und darüber nachgedacht. Es tut mir so leid." "Das braucht es nicht", entgegnete er lässig. "Es war ein Druckfehler." "Ein Druckfehler?" "Ja. Es hätte heißen müssen, ich bin Krebs - dem Sternbild zufolge- und nicht, ich habe Krebs. Der Autor war offenbar kein Fan von Horoskopen und hat dies beim Abfassen des Berichts schlichtweg durcheinander gebracht." "Oh." Sie lächelte erleichtert. "Das freut mich." "Mich auch", erwiderte er trocken. "Ich fand ohnehin, dass es keinen Sinn ergab. Der Reporter schrieb nämlich auch, Sie seien erfolgreich." "So?" "Ja." Während sie beobachtete, wie er mit großen, starken Händen die Papiere auf dem Schreibtisch ordnete, fühlte sie sich sonderbar getröstet. Je länger sie sein Profil betrachtete, desto besser gefiel ihr, was sie sah. Ein markantes Gesicht. Ein Mann, der Entscheidungen traf und sein Wort hielt. Vielleicht. Ein Mann, dem nichts an oberflächlichem Geplauder lag. Ein Mann, der Aufrichtigkeit schätzte. Ein Mann, der andere Menschen möglicherweise ein wenig einschüchterte, außer Sorrel, die sich nie einschüchtern ließ. "Wer hat die Fotos gemacht?" fragte er unvermittelt. "Ich." Er nickte. "Sie glauben nicht, dass ich Landschaftsgärtnerin bin, oder?" Ihr waren derartige Zweifel keineswegs fremd. "Ich glaube, dass Sie sich mit Gärten auskennen", schränkte er ein. Stirnrunzelnd erinnerte sie sich der übertriebenen Furcht vor Eindringlingen, die er am Vortag gezeigt hatte. "Sie denken, ich hätte die Anlagen auf den Bildern nicht gestaltet." "Haben Sie?" "Ja. Bereits gestern und auch jetzt noch", fügte sie vorwurfsvoll hinzu, "scheinen Sie andeuten zu wollen, dass ich jemand anders sein könnte." Hatte Nick sich bei ihm gemeldet?
Hatte er irgendwie herausgefunden, dass sie hierher kommen wollte? Nein, ausgeschlossen. Warum also war Henri Chevenay so misstrauisch? "Ich begreife nicht, weshalb Sie mir niedere Motive unterstellen." "Vielleicht liegt es an Ihrem Benehmen." "Ich bin immer so. Oder ist mein unerwartetes Auftauchen daran schuld? Das war doch nur, weil..." "... Ich Ihren Brief nicht beantwortet habe - das sagten Sie bereits." "Ich bin sicher, Sie würden sehr bald merken, wenn ich Sie täuschen wollte." "Wollen Sie mich denn täuschen?" "Nein." Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, dass man sie für eine Betrügerin oder geldgierige Person halten könnte. Aber in Anbetracht des letzten Jahres... "Und nun?" "Und nun?" wiederholte sie verwirrt. "Was werden Sie nun tun, Miss James?" Er ist also nicht an mir interessiert, dachte sie deprimiert. Warum hatte er sie dann hereingebeten? Warum wollte er sie noch länger quälen? "Nichts. Falls Sie nicht wünschen, dass ich Ihren Park herrichte, werde ich wieder abreisen und dorthin zurückfahren, wo ich hergekommen bin." "Um was zu machen?" Hin- und hergerissen zwischen Ehrlichkeit und Stolz, erklärte sie trotzig: "Was immer ich kann. In den letzten Monaten habe ich in einem Gartencenter ausgeholfen." Es bestand keine Notwendigkeit, ihm zu verraten, dass sie nicht länger gebraucht wurde oder weshalb sie gezwungen war, ihren Lebensunterhalt auf diese Weise zu verdienen. Da sie keine Lust hatte, länger über ihre Arbeit oder gar den Mangel an Aufträgen zu diskutieren, erhob sie sich. "Ich muss los. Ich habe eine lange Fahrt vor mir. Es war nett, Sie kennen zu lernen, Mr. Chevenay." Sie griff nach dem Portfolio. "Möchten Sie sich nicht mehr um meinen Garten kümmern?" erkundigte er sich unschuldig. "Natürlich möchte ich das! Allerdings werden Sie mir dazu kaum Gelegenheit bieten, oder? Es gibt also keinen..." "Wieso nicht?" Sprachlos blickte sie ihn an. "Sie sind nicht die Einzige, die eine Chance ergreift, Miss James." Ohne ihre Antwort abzuwarten, stand er auf. "Sie lassen mich für Sie arbeiten?" "Ja." "Wozu dann die Wortspielereien?" Er musste doch wissen, wie viel ihr dieser Job bedeutete. "Wenn Sie all das bereits bei meiner Ankunft wussten..." "Ich war mir erst sicher, nachdem ich mit Mrs. Davies gesprochen hatte." Er begleitete sie hinaus. "Und das hat Sie in Ihrer Meinung bestätigt?" spottete Sorrel. "Hat sie Sie gebeten, sie Davey zu nennen?" "Wie soll ich Sie nennen?" "Miss James." Er lachte leise, fast zögernd. "Warum soll ich auf einmal Ihren Park gestalten?" fragte sie gereizt. "Gestern waren Sie noch strikt dagegen." "Vielleicht habe ich das Gefühl, Sie im Auge behalten zu müssen." Sie stieß einen verächtlichen Laut aus. "Oder vielleicht bin ich der Ansicht, dass Sie die Arbeit brauchen." "Sie machen auf mich nicht den Eindruck eines Menschenfreundes", konterte sie.
"Demnach wollen Sie den Job nicht?" Und ob sie ihn wollte! Aber Henri würde garantiert Referenzen verlangen. Gleich würde er sich danach erkundigen. Ein Mann wie er stellte nicht irgendjemanden ein. In ihrer Naivität hatte sie gehofft, sie könnte ihn durch ihre Fähigkeiten überzeugen und von diesem leidigen Thema ablenken. Allerdings hatte sie die gleiche Hoffnung in den vergangenen Monaten des Öfteren vergeblich gehegt. Hinter all dem konnte nur Nick stecken! Doch wie sollte sie das beweisen? Erst nach einer Weile wurde Sorrel bewusst, dass Henri auf eine Antwort wartete. "Ich möchte den Job", versicherte sie ruhig, und um ihr langes Schweigen zu erklären, setzte sie hinzu: "Ich habe mich lediglich gewundert, warum Sie keine der örtlichen Firmen beauftragt haben." "Ich habe sogar eine Liste der renommiertesten Landschaftsarchitekten von ganz England. Ihr Name steht nicht darauf." Wie auch? Er war bereits vor Monaten gestrichen worden - auf Nicks Betreiben. "Haben Sie Referenzen?" Es hatte wenig Sinn, um den heißen Brei herumzureden. "Nein", entgegnete sie freimütig. "Ich habe nie welche gebraucht." Bis vor kurzem. Er nickte. "Wie soll es nun weitergehen?" "Weitergehen?" Beinahe hätte sie gefragt, warum er das Thema Zeugnisse nicht weiterverfolge. In letzter Sekunde besann sie sich eines Besseren. Einem geschenkten Gaul sah man nicht ins Maul. "Ja, weitergehen", erwiderte er ungeduldig. "Fertigen Sie zuerst Entwürfe an? Graben Sie Löcher? Oder was sonst?" "Skizzen. Sie können sie billigen oder ablehnen und eigene Ideen einbringen. Manche Leute wissen von Anfang an genau, was sie wollen, andere nicht." "Dann sollten Sie mir vielleicht ein paar Vorschläge unterbreiten." "Gern. Wann soll ich anfangen?" "So schnell wie möglich." Während sie den vorderen Teil des Gartens betrachtete, wunderte sie sich, warum sie sich nicht freute. Statt begeistert zu sein, fühlte sie sich... verunsichert. "Zuerst muss ich Ihre Vorlieben und Abneigungen kennen - ob Sie Bäume mögen oder Wasserläufe..." "Ich weiß selbst nicht, was ich will. Inspirieren Sie mich, Miss James." Plötzlich fluchte er leise. Verwundert sah Sorrel sich um und sah, wie ein junger Mann vor dem Tor aus dem Wagen sprang. Um seinen Hals hing eine Kamera. "Wer ist das?" "Sehr gut, Miss James", spottete Henri. "Wie bitte?" "Ihre Verwirrung wirkt beinahe echt." "Sie ist echt! Warum, um alles in der Welt, sollte ich...?" "Er ist Reporter", unterbrach er sie. Ist der Bursche gekommen, um herauszufinden, ob sein Lockvogel sich Zutritt verschafft hat? überlegte Henri. Möglich. Wahrscheinlich. Wütend auf sich selbst und verärgert über Sorrel, fügte er mürrisch hinzu: "Achten Sie einfach nicht auf ihn. Und wenn er Sie anspricht, antworten Sie nicht." "Was will er denn? He!" protestierte sie erschrocken, als grelles Blitzlicht sie blendete. "Er hat mich gerade fotografiert." "Volltreffer", sagte er mehr zu sich selbst. Ohne auf die Rufe des Reporters zu achten, führte er sie ums Haus und damit außer Sicht. "Wieso Volltreffer?" fragte sie ratlos. "Das ist unwichtig." Vielleicht - aber irgendetwas schien Henri zu stören. "Wird er uns folgen?"
"Nein", entgegnete er grimmig, "zumindest nicht, wenn ihm etwas an seiner Ausrüstung liegt." "Was wollte er denn?" "Mich ärgern. Sie können Ihre Geräte und das Werkzeug im Wirtschaftsraum unterbringen", fügte er hinzu und blieb stehen, um den ve rwilderten, von einer Mauer umsäumten rückwärtigen Teil des Gartens zu betrachten. "Das Gatter dort hinten führt zu einer Weide, die eine ortsansässige Familie für ihre Pferde gepachtet hat. Weiter unten befindet sich ein Gemüsefeld, und hier entlang..." Er überquerte die verfallene Terrasse und ging zu einem weiteren schmiedeeisernen Tor, das völlig schief in den Angeln hing. "Hier haben wir halb verfallene Gewächshäuser, einen gemauerten Schuppen und eine Müllhalde, die derzeit abgetragen wird. Sie brauchen sich jedoch momentan nur um den vorderen Teil des Parks zu kümmern." "Und wenn Ihnen meine Arbeit gefällt?" fragte sie drängend. "Dann können Sie den Rest auch noch herrichten. Ich habe unlängst einen Bericht über Blumenrabatten gelesen - allerdings würde ich eine Rabatte vermutlich nicht einmal dann erkennen, wenn ich darüber stolperte." Sorrel bezweifelte das. Sie ahnte, dass er ganz genau wusste, wie eine Rabatte und jedes andere Gestaltungselement aussah, das sie je erwähnen würde. Er machte den Eindruck eines Mannes, der sich auf vielen Gebieten ausgezeichnet auskannte. "Kommen Sie mit", befahl er und begleitete sie zurück zum Hintereingang. "Sie brauchen ein Atelier, in dem Sie Ihre Entwürfe anfertigen können." "Das kann ich auch im Wagen erledigen", versicherte sie nervös. "Falls Sie es sich anders überlegen sollten, können Sie den alten Speisesaal benutzen", meinte er und betrat das Haus. Er öffnete die erste Tür zu seiner Linken. Bewundernd betrat sie den langen, leeren Saal, von dessen Wänden ihre Schritte widerhallten. Das Refektorium war mit den gleichen Steinen gefliest wie die Halle, doch im Gegensatz zu dieser bedurfte es noch der Renovierung. Vor den hohen, bleiverglasten Fenstern hingen keine Vorhänge, der wuchtige Kamin war verstaubt. Offensichtlich war der Raum seit langer, langer Zeit nicht mehr benutzt worden. "Ich lasse einen Stuhl und einen Tisch aufstellen." "Danke." "Das Licht hier ist ausgezeichnet. Ich schätze, die Beleuchtung ist beim Zeichnen wichtig." "Ja." Sie ging zum Fenster und blickte hinaus in den verwilderten Garten. Henri gesellte sich zu ihr. "Zu Zeiten des Klosters gab es hier noch weitere Gebäude: eine Kapelle, Schlafsäle, eine Meierei, eine Scheune, in der Wein gekeltert und Vorräte gelagert wurden. Die Kellergewölbe..." "Ich weiß." Plötzlich erregte ein Funkeln ihre Aufmerksamkeit. Eine Glasscherbe vielleicht, in der sich ein Sonnenstrahl brach... Der Lichtreflex erinnerte sie an den Reporter. "Warum hat er mich fotografiert?" fragte sie besorgt. "Wer weiß? Um auf dem Laufenden zu sein?" "Auf dem Laufenden?" "Ist es Ihnen unangenehm?" "Nein, aber womöglich glaubt er..." "Dass wir eine Romanze haben?" unterbrach er sie gelangweilt. "Sie brauchen das gar nicht so verächtlich zu sagen", beschwerte sie sich. "Manche Leute finden mich attraktiv." "Davon bin ich überzeugt." Sie lächelte. Er klang nicht so, als gehörte er zu ihren Bewunderern. "Sie bevorzugen wohl Frauen mit üppigen Kurven, oder?" Henri sah sie mit ausdrucksloser Miene an. "Ich bevorzuge schweigsame Frauen." Sorrel wandte sich wieder dem Fenster zu und sah hinaus.
"Falls das Foto veröffentlich wird", fuhr er fort, "gibt es jemanden, der Ihnen so nahe steht, dass er dadurch... gekränkt sein könnte?" "Nein." "Gut." Bevor sie sich danach erkundigen konnte, warum dies gut sei, drehte er sich um und ging hinaus. Sorrel blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Und sonderbarerweise, als wüsste der Raum, dass sie ihn wieder verlassen hatten, schloss sich die Tür geräuschlos hinter ihr. Ganz von allein. Sorrel blickte zunächst auf die Tür, dann dem davonstrebenden Henri hinterher. Sie musste sich beeilen, wenn sie ihn einholen wollte. Versonnen strich sie mit der Hand über das Treppengeländer. Beim Anblick der alten Landkarten, die den Aufgang schmückten, fragte sie: "Sammeln Sie sie?" Er antwortete nicht. Eigentlich hatte sie das auch gar nicht erwartet. Offenbar war es ein Steckenpferd von ihm, altertümliche Stiche zu sammeln. Hatte er noch andere Hobbys? Außer unbekannte Landschaftsgärtner einzustellen und sich vo n herumstreunenden Hunden besuchen zu lassen? "Sie glauben nicht wirklich, dass ich die bin, für die ich mich ausgebe, oder?" Er ignorierte auch diese Frage. Sorrel seufzte. War das Thema für ihn beendet? Und warum hatte er nicht wegen der fehlenden Referenzen nachgehakt? Er war kein Narr, also weshalb sollte er eine ihm völlig Fremde engagieren? Es ergab keinen Sinn. "Machen Sie sich darüber keine Sorgen", erklärte er lässig. "Denken Sie einfach an all das Geld, das Sie an mir verdienen werden." "Es geht nicht ums Geld", entgegnete sie ruhig. "So?" Er öffnete die Tür und forderte Sorrel zum Eintreten auf. "Was benötigen Sie sonst noch?" "Benötigen?" Sie ging zwei Schritte ins Zimmer und drehte sich verwundert zu ihm um. "Ja." "Nichts, solange Sie meine Entwürfe nicht gebilligt haben." "Hilfskräfte?" Sie schüttelte den Kopf. "Normalerweise arbeite ich allein." "Eine Unterkunft?" "Ich nehme mir ein Zimmer in dem kleinen Hotel, in dem ich schon die letzte Nacht verbracht habe." Er nickte. "Einen Vorschuss?" Verlegen sah sie ihn an. Die Regelung der finanziellen Details war für sie stets der unangenehmste Teil der Verhandlungen. Aus einem unerfindlichen Grund begann ihr Herz, wie wild zu klopfen. Henri sah sie prüfend an. Der Blick seiner schiefergrauen Augen schien ihr direkt bis in die Seele zu dringen. "Warum haben Sie in einem Gartencenter gearbeitet?" Sorrel senkte den Kopf. "Nun ja... Es war Winter... Die Leute denken erst im Frühjahr wieder an ihre Gärten..." "Es ist inzwischen Sommer", erinnerte er sie trocken. "Ja, also..." "Mit anderen Worten, Ihre Geldmittel sind..." "Nicht vorhanden", unterbrach sie ihn kühl. Sie hatte zwar noch ein paar Ersparnisse auf der Bank - das Wenige, das ihr nach dem Verkauf des Hauses geblieben war -, doch durch die Miete und die Rechnungen, die für ihre winzige Wohnung fällig waren, schmolzen die Reserven mit erschreckender Geschwindigkeit dahin. Im Gartencenter hatte sie kaum mehr als ein Trinkgeld verdient. "Ich übernehme Ihre Hotelrechnung, und sobald Auslagen auf Sie zukommen - für Pflanzen, Dünger oder Ähnliches -, sagen Sie mir Bescheid."
"Ja. Danke." "Was bedrückt Sie dann?" "Ich weiß nicht." Sie wusste es tatsächlich nicht, doch Jens Worte wollten ihr nicht aus dem Sinn gehen. War sie wirklich eine so lausige Menschenkennerin? Obwohl sie den Job so verzweifelt gewollt hatte, fühlte sie sich nun zutiefst verunsichert. Irgendetwas stimmte nicht. "Ich hatte nicht erwartet... Ich dachte, ich würde heute abreisen. Dass ich Sie nicht wieder sehen würde..." Sie zuckte hilflos die Schultern. "Ich muss zuerst nach Hause und meine Sachen holen." "Wann werden Sie wieder hier sein?" Sie brauchte ein paar Tage, um ihre Angelegenheiten zu ordnen, ihre Wäsche zu waschen und zu bügeln... "Montag?" schlug sie zögernd vor. "Montag ist okay." "Ich weiß, was ich tue", beteuerte sie. "Das hoffe ich." Es klang wie eine Warnung. "Ich begreife nur nicht, warum", rief sie. "Nein", erwiderte er wenig hilfreich und sah ihr tief in die Augen. "Das kann ich mir vorstellen." "Wollen Sie es mir nicht verraten?" "Noch nicht. Machen Sie sich darüber keine Gedanken, Miss James", riet er spöttisch. "Ich dachte, sie wären grün." "Wie bitte?" flüsterte sie benommen. "Ihre Augen. Ich dachte, sie wären grün, aber das stimmt nicht. Sie sind blau mit grünen Pünktchen." "Ja." Henri lächelte leicht, doch dieses Lächeln enthielt keine Spur von Wärme. Und dann küsste er sie.
3. KAPITEL Ein zarter, leichter Kuss, der Sorrels Sinne in Aufruhr versetzte. "Warum haben Sie das getan?" fragte sie atemlos. "Um den Größenunterschied zu überprüfen. Wie lautet der Name des Gartencenters?" "Patterson's", erwiderte sie verwirrt. Um den Größenunterschied zu überprüfen? "Wo?" "In Fulham." "Fahren Sie vorsichtig. Wir sehen uns dann am Montag." "Ja", flüsterte sie. "Und reden Sie nicht mit dem Reporter." "Nein." Henri trat einen Schritt beiseite, und sie ging rasch hinaus. Als sie einen Flügel des massiven Portals öffnete, wurde sie von hellem Sonnenschein geblendet. Warum hatte er sie geküsst? Warum? Und warum hatte er sie eingestellt? "Miss? Miss!" Ohne auf den Reporter auf der Brücke zu achten, kletterte Sorrel in ihren Kombi und blickte zum Haus zurück. Obwohl ihre Gedanken immer wieder eine ganz andere Richtung einschlagen wollten, betrachtete sie den verwilderten Efeu, der über das graue Mauerwerk rankte, und versuchte sich auszumalen, wie es hier einst ausgesehen hatte. Mönche waren über diese Pfade gewandert, die Hände in den Ärmeln verborgen, die geschorenen Köpfe zum Gebet gesenkt. Irgendwo musste es eine Glocke gegeben haben... Suchend sah sie sich um, konnte jedoch nichts entdecken, was auch nur im Entferntesten an einen Glockenturm erinnerte. Sie seufzte. Wo waren die Zuversicht und Vorfreude geblieben, die sie noch gestern beseelt hatten? Und warum stand ein Reporter am To r? Warum war Henri berühmt? Reiß dich zusammen, Sorrel, ermahnte sie sich. Trotzdem musste sie herausfinden, warum er sie geküsst hatte und was er mit "Größenunterschied" meinte. Sie würde keinesfalls für ihn arbeiten, wenn er sich als... aufdringlich entpuppte. Allerdings hatte er auf sie nicht den Eindruck eines Mannes gemacht, der einer Frau unerwünschte Aufmerksamkeiten aufzwang. Sie wollte keine ernsthafte Beziehung - jedenfalls jetzt nicht. Es war noch zu früh nach all dem Ärger mit Nick, und obwohl sie allen beteuert hatte, sie würde damit fertig werden, war sie sich dessen selbst nicht sicher. Unsinn, Sorrel, schalt sie sich, er mag dich nicht einmal! Aber weshalb hatte er sie geküsst? Weil er eine Freundin hatte, die kleiner als sie war, und er feststellen wollte, wie es war, jemanden zu küssen, der ein bisschen größer war? Ach was! Hatte er es getan, weil... weil er wie Nick war? Nein! Er war absolut nicht wie Nick. Henris Verdrossenheit war nur eine Fassade, hinter der sich... nun ja, etwas anderes verbarg. Verwirrt startete sie den Motor. Hätte Jen nichts gesagt, hätte Sorrel gedacht, er würde mit ihr flirten. Nein, überlegte sie voller Unbehagen, er hat nicht mit mir geflirtet. Was, um alles in der Welt, war nur in ihn gefahren? Sie würde wieder arbeiten, und nur das allein zählte. Jen würde ihr vermutlich Vorhaltungen machen, sie eine Närrin schimpfen, und vielleicht war sie das tatsächlich, aber endlich wieder das tun zu können, was sie am meisten liebte... In ihrem Geist formten sich bereits die ersten Pläne, wie sie den vorderen Garten gestalten wollte. Ohne den Reporter eines weiteren Blickes zu würdigen, begann sie die lange Heimfahrt. "Du wirst was?" rief Jen. "Für ihn arbeiten. Sieh mich nicht so an, ich muss es einfach tun." "Ich weiß, aber... Du weißt doch gar nichts über ihn."
"Vergiss nicht, dass ich von uns beiden die große Schwester bin. Ich muss nicht gerettet werden." Jen stieß einen verächtlichen Laut aus. "Kleine Schwestern sollen nachgiebig sein." "Kleine Schwestern, die mehr Verstand haben, sollten auf ihre großen Schwestern aufpassen! Und falls du deine Sachen weiterhin so in den Koffer stopfst, wirst du nichts Vernünftiges anzuziehen haben, wenn du dort ankommst. Lass mich das machen." Sorrel überließ Jen das Packen und setzte sich aufs Bett. Jen war nicht nur jünger, kleiner und hübscher, sondern auch die Tüchtigere von ihnen. Sorrel war die Träumerin. Jens Haar war dicht und glatt, ihre Nase schmal und zierlich, ihr Mund herzförmig. "Mit mir ist alles in Ordnung", beteuerte Sorrel. "Und warum hast du mir dann nicht gleich, als du nach Hause kamst, gesagt, dass du für ihn arbeiten wirst?" fragte Jen vorwurfsvoll. "Wenn alles so harmlos wäre..." "Natürlich ist es harmlos." "Und wie hat er auf die fehlenden Referenzen reagiert?" "Gar nicht." "Gar nicht?" "So ist es. Er mag mich nicht einmal." "Warum hat er dich dann engagiert? Ich finde, Giles sollte nach Wiltshire fahren und ihn überprüfen." "Wage es nicht", warnte Sorrel. "Ich bin achtundzwanzig, Jen." "Ja, aber der kleine Marcus ist mit seinen fünf Jahren vernünftiger als du." "Danke." Jen seufzte. "Sei bitte vorsichtig." "Ja." "Und lass dir einen Vorschuss geben." "Ja." "Und erzähl ihm nichts über dich. Geh nicht in das Haus..." "Und fass ja nichts an", warf Sorrel entnervt ein. "Vielleicht solltest du ihn vor mir warnen." "O Sorrel." Jen setzte sich neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern. "Ich könnte Nick umbringen." "Ich auch." "Ist mit dir auch wirklich alles in Ordnung?" erkundigte Jen sich besorgt. "Ja." "Und du wir st in demselben Hotel wohnen, in dem du zuvor abgestiegen bist?" "Ja. Ich habe das Zimmer vor meiner Abreise reservieren lassen. Sobald ich die Zimmernummer habe, teile ich sie dir mit." "Nimm mein Handy mit. Ich benutze es nur selten. Bist du sicher, dass du die richtige Entscheidung getroffen hast?" "Ja", erwiderte Sorrel nachdrücklich. "Ich brauche meine Arbeit." "Ich weiß, aber wenn..." "... Irgendetwas schief läuft, komme ich sofort heim", beendete Sorrel den Satz für sie. "Versprochen?" "Versprochen. Hast du denn überhaupt kein Vertrauen zu mir?" "Natürlich vertraue ich dir. Ich mache mir lediglich Sorgen um dich, das ist alles. Du bist so leichtgläubig." "Nicht mehr", entgegnete Sorrel traurig. "Henri ist absolut nicht wie Nick." "Offenbar ist er so reich, dass er es sich leisten kann, eine alte Abtei zu kaufen." "Er ist nicht wie Nick", beharrte Sorrel. "Hast du herausfinden können, weshalb Reporter vor Henris Grundstück lauern?"
"Nein." Jen lächelte versonnen. ",Lauern' ist allerdings eine treffende Bezeichnung." "Inwiefern?" "Weil es in der Abtei spuken soll." Sorrel lachte geringschätzig, verstummte jedoch sogleich, als ihr die Tür einfiel, die sich wie von selbst hinter ihr geschlossen hatte. Nein. Sie glaubte nicht an Geister. "Die Reporter sind vermutlich dort, weil Henri eine Art Unternehmer ist", überlegte sie laut. "Die Reichen sind immer für eine Schlagzeile gut, oder? Mrs. Davies meinte, er wäre verhasst." "Verhasst?" "Ja, bei den Reportern. Ich werde es bestimmt noch herausfinden, und nun hör endlich auf, mich so sorgenvoll anzusehen, Jen. Mir wird nichts passieren." Jen seufzte erneut. "Bist du sicher, dass er dich nicht mag?" "Aber ja. Warum sollte er mich mögen? Ich sehe wie ein Storch aus." "Du siehst nicht im Entferntesten wie ein Storch aus, Sorrel", protestierte Jen. "Ich habe nie begriffen, weshalb du dich für unattraktiv hältst. Männer mögen dich! Zwar immer die falschen, aber..." "Danke", erwiderte Sorrel trocken. "Und wenn Nick nicht gewesen wäre..." "Wäre nichts von alldem passiert. Denkst du, das wüsste ich nicht?" "Weil du nicht geglaubt hast, er könnte sich zu dir hingezogen fühlen", stellte Jen nüchtern fest. "Das war schon immer dein Problem. Du sendest die falschen Signale aus." "Das ist nicht meine Absicht. Es kommt mir nur nicht in den Sinn, dass ein Mann mich begehrenswert finden könnte. Sieh mich doch an!" "Das tue ich ja. Zugegeben, manchmal verstehe ich es selbst nicht, aber Männer halten dich anscheinend für ein..." "Nettes Mädchen?" "Nun ja..." "Und nichts wäre weiter von der Wahrheit entfernt, oder? Schon gut, ich werde den Mund halten." "Da ist dieses Funkeln in deinen Augen. Giles sagt immer, du siehst aus, als wüsstest du Dinge, die du gar nicht wissen dürftest." "Zum Beispiel?" Sorrel lachte. "Äh... Das Kamasutra?" Die beiden Schwestern brachen in Lachen aus, doch Sorrel war noch nicht beruhigt. Was sah Henri in ihr? Das nette Mädchen? Hatte er sie deshalb geküsst? Ein Mann wie er hatte gewiss Dutzende von Freundinnen. Weltgewandte, elegante Frauen... "Von nun an", versprach Sorrel, "werde ich der Welt ein ernstes, seriöses Gesicht zeigen." "Dein Gesicht ist dafür nicht geschaffen", protestierte Jen. "Du siehst immer aus, als würdest du gleich loskichern. Nach allem, was du durchgemacht hast, hätte ich Selbstmord begangen. Aber du betrachtest alles von der philosophischen Warte." "Mir war absolut nicht philosophisch zu Mute, als es geschah", erklärte Sorrel. "Ich war am Boden zerstört." "Ich weiß." Jen umarmte sie liebevoll. "Doch für die anderen Leute sah es so aus, als wäre es dir gleichgültig." "Und deshalb haben sie mich für schuldig gehalten. Ich wollte ihm nicht die Genugtuung verschaffen, ihm zu zeigen, wie sehr er mich verletzt hatte. Ich konnte es einfach nicht, Jen." "Ich weiß, Liebes. Ich wünschte nur, es hätte eine Möglichkeit gegeben, zu beweisen, dass Nick ein Lügner ist - und seinen Rachefeldzug ins Leere laufen zu lassen. Meiner Meinung nach ist er geistig nicht ganz gesund." "Nein, bloß rachsüchtig. Ich hätte ihn nie auslachen dürfen. Es war auch nicht meine Absicht gewesen, ich war nur so überrascht, als er mir seine unsterbliche Liebe gestand. Er benahm sich dabei so theatralisch, dass ich es für einen Scherz hielt."
"Du hast ihn zum Narren gemacht." "Ja", räumte Sorrel bekümmert ein. "Woher sollte ich auch wissen, dass er bereits all seinen Freunden erzählt hatte, er würde mich heiraten? Das war doch dumm von ihm." "Arrogant", korrigierte Jen. "Er hatte nicht damit gerechnet, dass du ihn abweisen würdest." Nein, er hatte erwartet, dass sie dankbar, überwältigt und geehrt sein würde. Die kleine Miss Niemand durfte einen Adligen heiraten. Erst später hatte sie erfahren, dass seine Familie ihn bedrängt hatte, endlich zu heiraten und Söhne zu zeugen. Außerdem hatte sie herausgefunden, dass keine der Frauen in seinen eigenen Kreisen mit ihm etwas zu tun haben wollte. Warum, das wusste Sorrel nicht. Wenn er sich allerdings ihnen gegenüber genauso benommen hatte wie bei ihr... "Das ist Vergangenheit", sagte sie leise. Hoffentlich. "Aber verrate um Himmels willen niemandem, dass ich in Wiltshire bin! Nick scheint alle Welt zu kennen." "Beten wir, dass er Henri Chevenay nicht kennt." "Ja. Es war Nick, nicht wahr?" fügte sie ruhig hinzu. "Er ist mir gefolgt und hat die Leute überredet, mir keine Aufträge zu geben." "Ja", bestätigte Jen. "Allerdings nicht er persönlich, sondern ein Angestellter. Aber ohne Beweise..." "Du hast Recht. Das war's dann wohl. Ich reise morgen sehr früh ab und werde dich nicht wecken, wenn ich meine Sachen aus eurer Garage hole." "Ruf mich an, wenn du angekommen bist." "Ja, Mummy." Lachend umarmte Jen ihre Schwester ein letztes Mal, bevor sie sie allein ließ. Die Reise verlief ereignislos. Die Ankunft verlief ereignislos. Die dunklen Regenwolken waren einem strahlend blauen Himmel gewichen. Der Reporter war verschwunden, und so hielt Sorrel in der Auffahrt an und sah zum Haus hinüber. Sie malte sich aus, wie der vordere Garten aussehen könnte, wie er aussehen würde. Gepflegte Rasenflächen neigten sich zum Fluss, die kiesbestreute Auffahrt mündete in einem eleganten Halbkreis vor dem Portal. Sie hoffte inständig, dass Chevenay das Haus nicht mit einem Sicherheitszaun umgeben wollte... Leicht zu pflegende Sträucher, Immergrün, das auch im kargen Winter für Farbtupfer sorgte, vielleicht eine Traue rweide am Ufer, deren Zweige ins Wasser tauchten, und wenn das Haus erst hergerichtet war, die Fensterscheiben sauber funkelten und der Efeu gestutzt war, würde der Park ein prachtvolles Bild bieten. Nichts Verspieltes, entschied sie, sondern einfache, kla re Linien, um den Charakter des Anwesens zu betonen. Doch zuerst musste sie Ordnung schaffen. Gleich am nächsten Morgen würde sie damit anfangen. Heute würde sie sich lediglich bei Henri melden, ihr Werkzeug abstellen, sich über die Lage des Grundstücks informieren und dann zum Hotel fahren, um ihre ersten Ideen zu Papier zu bringen. Sorrel steuerte ihren Kombi über die Brücke und parkte hinter einem blauen Lieferwagen mit der Aufschrift "Küchenstudio". Mrs. Davies war offenbar ihrem Rat gefolgt. Jeder andere hätte Monate gewartet, um sich eine neue Küche einbauen zu lassen, überlegte sie lächelnd. Henri nicht. Sie öffnete die Tür zum Wirtschaftsraum und begann, ihre Ausrüstung zu verstauen. "Brauchen Sie Hilfe?" Verwundert drehte sie sich um - und blickte direkt in Henris ausdruckslose graue Augen. Unwillkürlich klopfte ihr Herz schneller. Eine Reaktion, die sie tunlichst ignorierte. "Nein", entgegnete sie atemlos. "Ich komme schon zurecht. Ich will nur meine Sachen ausladen und mir anschließend das Grundstück ansehen, damit ich die ersten Entwürfe anfertigen kann. Morgen fange ich dann mit der Arbeit an." Er nickte. "Haben Sie das Portfolio mitgebracht? Ich würde gern noch einen Blick hineinwerfen."
"O ja;" Sorrel ließ alles stehen und liegen, griff in den Wagen und holte die Fotomappe heraus, die sie ihm eifrig reichte. "Wir können natürlich jede Anregung verwenden, die Sie hier finden, doch mir wäre es lieber, wenn ich Ihnen zuvor meine eigenen Skizzen zeigen könnte. Falls Ihnen das recht ist", fügte sie rasch hinzu. "Selbstverständlich. Warum sind Sie so nervös, Miss James?" "Bin ich nicht", behauptete sie. Er lächelte skeptisch. "Dann sehen wir uns morgen früh." "Ja." Erstaunt über seinen unvermittelten Abschied, seufzte sie auf. Was hast du erwartet, Sorrel? fragte sie sich. Eine überschwängliche Begrüßung? Sie wollte sich schließlich nicht mit ihm anfreunden. Nein. Und sie würde das Haus nicht betreten. Solange das Wetter sich hielt, konnte sie draußen zeichnen, und wenn es regnete oder kalt war, konnte sie im Wagen sitzen. Mrs. Davies würde kannenweise Tee für sie kochen, oder sie würde sich kühle Getränke und ein Sandwich mitbringen. Sorrel beschloss, zu schweigen und weiterzuarbeiten. Nachdem sie den Kombi leer geräumt und alle Utensilien ordentlich verstaut hatte, unternahm sie einen ausgedehnten Inspektionsgang durch den Park, um verborgene Löcher im Erdreich oder etwaige Hindernisse aufzuspüren, die sie beseitigen musste. Glücklicherweise traf sie auf keine unerwarteten Schwierigkeiten. Einer der alten Bäume musste gefällt und gerodet werden, möglicherweise würde sie hierbei Unterstützung brauchen. Sie wollte sich außerdem in einem der örtlichen Gartenzentren nach einem Abfallcontainer erkundigen... Sorrel setzte ihren Erkundungsgang fort und überschlug die benötigten Mengen an Mutterboden und Torfmull - nur für den Fall, dass er ihre Pläne billigte. Andererseits war es natürlich möglich, dass er die ganze Fläche pflastern lassen wollte, was ein wahrer Jammer wäre. Als sie endlich fertig war, fuhr sie zum Hotel, erledigte die Anmeldeformalitäten und ging nach oben, um auszupacken. Sie rief Jen an und versicherte, dass sie heil angekommen sei. Dann lieh sie sich das örtliche Telefonbuch und holte ein paar Auskünfte ein, während sie auf das Sandwich wartete, das sie sich aufs Zimmer bestellt hatte. Später machte sie es sich auf dem Bett bequem und begann, ihre Pläne zu Papier zu bringen. Um acht Uhr begab sie sich zum Dinner nach unten - und traf dort Henri an, der bereits auf sie wartete. "Ich wollte Ihnen beim Abendessen Gesellschaft leisten", erklärte er kurz angebunden. Kein Lächeln, keine Wärme, lediglich eine nüchterne Feststellung. "Gut", erwiderte sie verblüfft. "Das ist nett. Haben Sie...?" "Die Hotelleitung informiert? Ja. Ich glaube, der Speisesaal ist dort hinten." Verwirrt folgte sie ihm. "Eigentlich hatte ich Sie fragen wollen, ob Sie Mrs. Davies Bescheid gesagt haben", meinte sie, als er sie zu einem Tisch am Fenster führte. Henri reichte ihr die Menükarte und schüttelte den Kopf. "Mrs. Davies ist nicht da." "Sie haben sie entlassen?" rief Sorrel erschrocken. "Nein. Sie sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen. Ich habe ihr freigegeben, bis die Küche eingebaut ist." "Oh." "Es ist natürlich ein bezahlter Urlaub. Die Fleischpastete ist übrigens sehr zu empfehlen." In einer Aufwallung von Trotz verkündete sie: "Ich nehme den Fisch" und klappte die Karte zu. Herausfordernd begegnete sie seinem Blick. "Sie mögen sie nicht, oder?" "Ich mag keine Unentschlossenheit. Wein?" "Wer zahlt?" "Ich." "Dann gern." Der Anflug eines Lächelns umspielte seine Lippen, bevor er sich umwandte und den Ober herbeiwinkte, der geduldig darauf wartete, die beiden einzigen Dinnergäste im Restaurant
bedienen zu können. Er war kaum älter als siebzehn und schien sich zu Tode zu langweilen, was Sorrel angesichts der leeren Tische nur zu gut verstehen konnte. Nachdem Henri für sie beide die Bestellung aufgegeben hatte, sah er sie eindringlich an. "Was haben Sie bei dem Kuss gedacht?" "Was ich...?" Sie traute ihren Ohren kaum. "Was für eine Frage!" Als er nichts darauf erwiderte und sie weiterhin unverwandt ansah, seufzte sie resigniert. "Ich habe gar nichts dabei gedacht. Warum auch? Er hat schließlich nichts bedeutet." "Sie haben ihn nicht genossen?" "Nein", behauptete sie ungerühr t. "Was glauben Sie, warum ich es getan habe?" "Ich habe keine Ahnung", rief sie. "Weil Sie eine kleine Freundin haben und herausfinden wollten, wie es ist, jemanden zu küssen, der größer ist? Oder...- Oder..." "Sie wollten, dass er bedeutungslos ist", unterbrach er sie. "Ja." Seine Augen schienen zu lächeln. Fast. Bei jedem anderen hätte sie den Ausdruck für Ungläubigkeit gehalten, aber bei Henri...? Wer konnte sich da sicher sein? Verlegen spielte Sorrel mit dem Besteck. Um sich nicht in eine Diskussion verwickeln zu lassen, die ihr unangenehm war, wechselte sie das Thema. "Haben Sie noch einmal in das Portfolio gesehen?" "Ja. Ich will nichts ,Hübsches'." "Nein", räumte sie ein. "Ich dachte... Warten Sie eine Minute." Sie sprang auf und eilte hinaus auf ihr Zimmer. Hastig griff sie nach dem Skizzenblock auf der Frisierkommode, dann lief sie wieder nach unten. Ein wenig außer Atem kehrte sie in den Speisesaal zurück, wo sie beinahe mit dem Ober zusammenstieß, der soeben das Dinner servieren wollte. Sie entschuldigte sich lächelnd und nahm Platz, den Block auf ihrem Schoß. "Ich zeige Ihnen meine Ideen, wenn wir gegessen haben." Henri nickte, dankte dem Ober und widmete sich seiner Suppe. Ihm war offenbar nicht an belangloser Plauderei gelegen. Als der erste Gang abgetragen und der zweite gebracht wurde, probierte sie lächelnd den Fisch. Henri war ein außergewöhnlicher Mann. Die meisten Leute versuchten zumindest, leichte Konversation zu machen, sie fühlten sich verpflichtet, das Schweigen zu überbrücken. Ganz anders Henri. Groß und selbstsicher, umgab ihn eine Aura grimmiger Zurückhaltung, die sie ungemein anziehend fand. Der Himmel allein wusste, warum. Da sie selbst ein heiteres Gemüt besaß, hätte sie eher vermutet, dass sie Menschen bevorzugte, die so waren wie sie. Offen und unbeschwert. Nick war unbeschwert gewesen. Jedenfalls am Anfang. Vielleicht empfand sie nur deshalb so für Henri, weil er sich grundlegend von Nick unterschied. Eingedenk Jens Warnungen war sie jedoch entschlossen, vorsichtig zu sein. Sie musste ihren Instinkt ignorieren, der, wie Jen immer wieder behauptete, hoffnungslos verdreht war. "Warum runzeln Sie die Stirn?" Verwundert hob sie den Kopf und sah, dass er sie beobachtete. Der Blick seiner schiefergrauen Augen war so eindringlich, als könnte er ihre Gedanken lesen. "Ach, nichts... Ich habe nur überlegt." Henri nickte. Entweder akzeptierte er die Ausrede, oder es war ihm gleichgültig. Er beendete die Mahlzeit und schob den Teller beiseite. Versonnen drehte er das Weinglas in seinen Händen. Nachdem sie den Fisch aufgegessen hatte, tat sie das Gleiche, und so saßen sie da und blickten einander an. Verzweifelt bemühte sie sich, das leichte Zittern ihrer Lippen zu unterdrücken. Vergeblich. Die Heiterkeit siegte, und Sorrel brach in Lachen aus. In seinen Augen spiegelte sich ein Anflug von Amüsiertheit wider, und seine markanten Züge entspannten sich ein wenig.
Die Teller wurden abgeräumt, und es folgte die Dessertauswahl. Sorrel entschied sich für Schokoladenpudding, während Henri kopfschüttelnd ablehnte und dem Ober die Karten reichte. "Warum Gartengestaltung?" fragte er. "Ich weiß nicht", erwiderte sie schlicht. "Es macht mir einfach Spaß, Dinge zum Wachsen zu bringen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas anderes gewollt zu haben. Ich habe als Kind nicht im Sandkasten gespielt, sondern Blumenbeete angelegt. Muster aus Steinen, Muster aus Pflanzen - ich habe Zeter und Mordio geschrien, wenn ich im Haus bleiben musste. Es liegt wohl in meinen Genen. Mum war Lehrerin und Dad Klempner." "War?" "Ja", bestätigte sie leise. "Sie sind beide vor Jahren bei einem Unfall gestorben. Aber ich habe noch meine Schwester Jen", fügte sie rasch hinzu, weil sie nicht über ihre Eltern sprechen wollte. Nicht jetzt. Noch nicht. Es war zu schmerzlich. "Vor ihrer Hochzeit war sie Arzthelferin. Meine Großeltern waren keine Gärtner, jedenfalls nicht beruflich. Warum tun Sie das, was Sie tun? Was immer das sein mag." "Weil ich es kann. Kaffee?" "Gern." Ihr Dessert wurde serviert, und sie aß es gedankenverloren. Sie wollte reden, wollte ihm von sich erzählen, wollte die Unterhaltung ausdehnen, aber sie durfte es nicht. Sie durfte ihn nicht an sich heranlassen. Durfte ihn nicht wie einen guten Freund behandeln. Jen hatte gesagt, sie würde sich nur neue Probleme schaffen, wenn sie zu freundlich wäre. Zu vertrauensselig. Es war schwer, sich zu beherrschen, aber ihr würde ganz gewiss nicht noch einmal das Gleiche wie mit Nick passieren. Ohne es recht zu merken, hatte sie den Pudding aufgegessen. Sie schob den Teller beiseite und zwang sich, an nichts zu denken, um nicht mit einer spontanen Äußerung herauszuplatzen. "Ich habe momentan keine Freundin", stellte er fest. "Weder klein noch sonst wie gewachsen." Sorrel fehlten die Worte. "Also, wie denken Sie nun über den Kuss?" Erschrocken blickte sie auf und sah ihn an. Er lächelte. Was für ein Lächeln! "Lassen Sie das", verlangte sie voller Unbehagen. "Was?" "Das Lächeln. Ich kann auf Geheimwaffen verzichten. Seien Sie wieder unhöflich. Sie mögen mich nicht, Henri - Mr. Chevenay", verbesserte sie sich rasch. "Henri", warf er ein. Und, zum Teufel, er wirkte tatsächlich amüsiert. "Zeigen Sie mir, was Sie wollen." "Wie bitte?" fragte sie atemlos. Ohne den Blick von ihr zu wenden, erklärte er sanft: "Für den Garten." "Oh." Heiße Rö te stieg Sorrel in die Wangen. Sie war zutiefst beschämt, weil sie ihn um ein Haar missverstanden hätte. Rasch nahm sie den Zeichenblock und reichte ihn Henri. "Tut mir leid." Unter Aufbietung all ihrer Konzentration begann sie: "Mir schwebt eine offene Rasenfläche zum Fluss hin vor, eine Weide..." Sein ironischer Blick ließ sie verstummen. Er studierte die drei Skizzen ausgiebig, während er sich den Kopf über das Rätsel zerbrach, dass Miss James für ihn verkörperte. Sie benahm sich keineswegs so, wie er erwartet hatte. Vielleicht wollte sie zuerst Fuß bei ihm fassen, bevor sie mit den Fragen begann. Aber vielleicht, warnte ihn eine leise innere Stimme, ist sie genau das, was sie zu sein behauptet. Nein, das glaubte er nicht, trotzdem hatte sie ihn durch ihre scheinbare Naivität neugierig gemacht. Was hatte sie seit dem letzten Sommer gemacht? Die Briefe im Portfolio reichten nur bis zum vergangenen Juli. Hatte sie andere Aufträge ausgeführt, für die sie nicht gelobt worden war? Das Gartencenter hatte man
überprüft, doch alle sonstigen Angaben waren äußerst vage gewesen. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als auf eine Erklärung zu hoffen, die ihm weiterhelfen würde. Er musste versuchen, sie irgendwie zu überrumpeln. Das Problem war nur, dass er, gegen seinen Willen, anfing, sie zu mögen. Und das wäre der helle Wahnsinn. "Ich hätte gern japanischen Ahorn", verkündete er, ohne sie anzusehen. Er klappte den Block zu und gab ihn ihr zurück. "Der erste Entwurf gefällt mir am besten. Es ist allerdings viel Arbeit für eine einzelne Person." "Ich werde damit fertig." Er nickte zustimmend, und dafür war sie ihm dankbar. Die Leute zweifelten immer daran, dass sie die schweren Lasten und Erdarbeiten schaffen würde, doch sie war dazu durchaus im Stande, und außerdem war sie nicht so dumm, sich etwas aufzubürden, das sie nicht auch bewältigen konnte. Sie kannte ihre Grenzen. Frauen akzeptierten ihre Fähigkeiten, Männer hingegen nur selten. Die meiste Zeit verbrachten sie damit, ihr Hilfe anzubieten, wenn sie eigentlich lieber ihre Ruhe gehabt hätten. Vermutlich hatten weibliche Automechaniker, Klempner oder was auch immer das gleiche Problem. "Wie lange werden Sie brauchen?" "Ungefähr zwei Wochen, das hängt vom Wetter ab. Ich muss einen Abfallcontainer besorgen." "Das dachte ich mir." "Ich hatte schon Angst, Sie würden einen zwei Meter hohen Sicherheitszaun mit scharfen Spitzen wollen." "Nein. Sonst noch etwas?" Sie schüttelte den Kopf. "Dann sehe ich Sie morgen früh - mit einem ungefähren Kostenvoranschlag", fügte er hinzu. "Gute Nacht, Miss James." Mit einem ziemlich spöttischen Lächeln, das sie nicht recht einzuordnen wusste, ließ er sie allein. Sorrel blickte ihm hinterher. Also, wie denken Sie nun über den Kuss? Es würde nicht einfach werden, Henri Chevenay zu verstehen. Sie hatte noch nie zuvor einen Mann wie ihn getroffen. Und vermutlich hatte er sie nur eingestellt, um sie im Auge zu behalten. Er traute ihr nicht. Vergiss das nie, Sorrel, ermahnte sie sich im Stillen. Pünktlich um acht Uhr parkte Sorrel am nächsten Morgen ihren Kombi hinter dem blauen Lieferwagen. Sie nahm ihre Kamera, öffnete die Autotür und stieg aus. Wie immer bei der Arbeit trug sie bequeme Jeans und einen ausgeblichenen, weiten Pullover über einem alten TShirt. Als sie sich umdrehte, stand sie plötzlich Henri gegenüber - und konnte den Blick nicht von ihm wenden. Er rührte sich ebenfalls nicht von der Stelle und sah sie unverwandt an. Eine kleine Ewigkeit verstrich, bis er schließlich mit dem Kopf auf den Fotoapparat deutete. "Für die Präsentationsmappe?" "Wie bitte? O ja." Er nickte und wandte sich ab. Erschrocken über ihre Reaktion auf ihn, beobachtete sie, wie er zur Rückseite des Hauses ging. Auf einmal fiel ihr ein, dass sie ihn etwas fragen wollte. "Henri?" Er blieb stehen und drehte sich um. "Ich hatte vergessen, Sie wegen des Obstgartens zu fragen. Möchten Sie, dass er so bleibt, wie er ist?" "Ja. Rufen Sie, falls Sie etwas brauchen." Er machte auf dem Absatz kehrt und verschwand um die Hausecke. Henri hatte gelächelt. Endlich hatte er sie angelächelt! Hör auf damit, schalt Sorrel sich. Du bist hier, um zu arbeiten! Sie legte sich den Kameragurt um den Hals und begann, den vorderen Garten aus den unterschiedlichsten Perspektiven zu fotografieren. Nach einer Weile gelang es ihr sogar, alle Gedanken an ihren
Arbeitgeber zu verdrängen. Erleichtert verstaute sie die Kamera wieder im Wagen und wählte auf Jens Handy die Nummer eines Gartencenters, um die Lieferung des Abfallcontainers zu vereinbaren. Dann ging sie in den Wirtschaftsraum und holte den Rasenmäher. Zwei Flaschen Wasser und etliche Stunden später war der Pullover achtlos auf der Vordertreppe gelandet. Das hohe Gras war geschnitten und in den Container geworfen, und Sorrel machte sich daran, die Rasensoden auszustechen. Sie hatte Henri nicht mehr gesehen, nur den Mann, der die Küche ausräumte. Er war jung, vielleicht sogar ein wenig jünger als sie selbst, muskulös, nicht unattraktiv, mit hellem Haar, das ihm widerspenstig in die Stirn fiel. Irgendwann war er zum Lieferwagen gegangen, hatte, ihr zugenickt und sich - stöhnend - über seine schwere Arbeit geäußert. Anfänglich hatte sie sich über seine Klagen amüsiert, doch irgendwann begann sie sich zu ärgern. Sorrel hatte ihn höflich angelächelt und sich jeglichen Kommentars enthalten. In der Mittagspause machte sie es sich in der Sonne gemütlich, lehnte sich mit dem Rücken an die Hauswand und packte den Lunch aus, den die Hotelküche am Morgen für sie vorbereitet hatte. Der Küchenbauer gesellte sich zu ihr. Sie unterdrückte ein Seufzen und lächelte ihm zu. "Wie läuft es?" "Langsam. Diese alten Gebäude sind ein Fass ohne Boden. Die Rohre sind verrottet, die Wände brüchig... Ich heiße übrigens Sean." "Sorrel", stellte sie sich kurz angebunden vor. "Arbeiten Sie allein?" "Ja." Sie wandte sich demonstrativ ab, in der Hoffnung, er möge den Wink verstehen. Schweigend betrachtete sie den Apfelbaumbestand im Obstgarten, der sich über die gesamte Länge des Grundstücks erstreckte. Die Bäume waren ziemlich alt und mussten dringend geschnitten werden. Nachdem sie die Sandwiches aufgegessen hatte, schraubte sie die Thermoskanne auf. "Können Sie mir etwas abgeben?" erkundigte Sean sich hoffnungsvoll. "Wie bitte? O ja, natürlich." Glücklicherweise befanden sich zwei Tassen im Picknickkorb. Sorrel schenkte ihm Tee ein und konnte nur mit Mühe ihre Gereiztheit verbergen, als er angewidert das Gesicht verzog. "Da ist ja Zucker drin!" "Ja. Tut mir leid." In der Küche gab es doch Strom. Warum brühte er sich nicht seinen eigenen Tee? Rasch leerte sie ihren Becher und stand auf. "Zurück zur Arbeit", verkündete sie betont munter. Er rührte sich nicht von der Stelle. "Wollen Sie den alten Baum rausreißen?" "Ja", bestätigte sie kühl. "Wird nicht einfach sein." "Nein." "Kennen Sie ihn gut? Diesen Henri?" "Nein." Sie packte ihre Sachen ein, verstaute den Korb im Wagen und machte sich wieder ans Werk. Ein paar Minuten später war Sean verschwunden. Sorrel atmete erleichtert auf. Sie mochte keine Störungen bei der Arbeit. Unwillkürlich musste sie lächeln, als ihr auffiel, dass sie schon so mürrisch wie ihr Boss war. Vermutlich hätte sie nicht gelächelt, wenn sie gewusst hätte, dass Sean just in diesem Moment ihrem Arbeitgeber Bericht erstattete. "Was hat sie Sie gefragt?" "Nichts", erwiderte Sean. "Gar nichts. Ich habe mich erkundigt, ob sie Sie kenne, und sie hat verneint. Einfach so. Keine Spekulationen, keine Neugier, nichts dergleichen." Er lachte. "Sie wollte nicht einmal ihren Tee mit mir teilen." Henri dankte ihm mit einem leichten Lächeln. "Nun gut. Wir sehen uns später." Er stand in seinem Arbeitszimmer, außerhalb ihres Gesichtskreises, und beobachtete sie.
Sie war fleißig, das musste er ihr lassen. Doch leider konnte er ihr nicht vertrauen, was höchst bedauerlich war, denn allmählich begann er, ihre Gesellschaft zu genießen. Vermutlich hatte der Reporter sie deshalb engagiert. Weil man sich in ihrer Nähe wohl fühlte. Falls sie von dem Reporter geschickt worden war, und das erschien immer wahrscheinlicher. Jedenfalls waren seit ihrer Ankunft keine Journalisten mehr aufgetaucht. Sorrels Haar war zerzaust, ihr Gesicht rot vor Anstrengung, und ihre Arme waren zerkratzt, wie Henri bemerkte, während er ihre Bemühungen, eine Wurzel aus dem Erdreich zu ziehen, verfolgte. Das störrische Ding gab so unvermittelt nach, dass Sorrel auf dem Hinterteil landete. Statt zu fluchen oder gar wütend zu werden, brach sie in fröhliches Lachen aus. Er wandte sich vom Fenster ab. Es war klüger, ihr aus dem Weg zu gehen, bevor er sie zu sehr mochte, diese junge Frau mit den lachenden Augen. An den ständigen Londoner Verkehrslärm gewöhnt, fand Sorrel die Stille auf dem Land ausgesprochen beruhigend, und zum ersten Mal seit Monaten verspürte sie so etwas wie inneren Frieden. Die Abtei war von Feldern umgeben, und nichts, außer dem Geräusch ferner Traktoren, konnte die Idylle stören. Im Moment jedoch war nur das gleichmäßige Brummen des Rasenausstechers zu hören. Um fünf hatte sie die Rasenfläche für das Planieren am nächsten Tag vorbereitet. Das Einebnen würde nicht allzu lange dauern, und danach konnte sie sich den alten Bäumen, den Blumenbeeten und vielleicht auch dem Fluss widmen. Nachdem sie die Ausrüstung verstaut hatte, wusch sie sich unter dem Gartenschlauch die Hände, und da noch immer keine Spur von Henri zu entdecken war, fuhr sie zurück zum Hotel. Mit schmerzenden Muskeln ging sie auf ihr Zimmer, um eine heiße Dusche zu nehmen. Henri leistete ihr wieder beim Dinner Gesellschaft. Er sagte nicht viel, stellte lediglich fest, dass sie ein wenig Sonne abbekommen habe, erkundigte sich, ob sie Wein zum Essen wünsche, und verließ sie so unvermittelt, wie er aufgetaucht war. Der Rest der Woche verlief nach dem gleichen Schema. Manchmal parkte sein Wagen vor dem Haus, manchmal nicht. Und Sorrel wusste noch immer nicht mehr über ihn als am Anfang. Die Pfla nzen, die sie ausgesucht hatte, wurden am Freitagmorgen geliefert. Sie stellte sie mit den Töpfen auf, arrangierte sie so lange neu, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden war, und machte sich dann auf die Suche nach Henri, um seine Zustimmung einzuholen. Nach ihren Erfahrungen mit Nick wollte sie das Haus nicht betreten, um nach Henri Ausschau zu halten. Sorrel spähte durch das Fenster in sein Arbeitszimmer, und nachdem sie sich überzeugt hatte, dass der Raum leer war, ging sie zur Küche. Sie wollte gerade an die Scheibe klopfen und den Installateur auf sich aufmerksam machen, als sie beim Anblick des Durcheinanders erschrocken innehielt. Ein Schuttberg türmte sich in einer Ecke, gekrönt von dem alten Spülbecken. Rohre ragten aus den nackten, vom Putz befreiten Wänden, und die Luft war grau von Staub. Sean saß auf einer umgedrehten Kiste und trank aus einem großen Krug. Da Sorrel an ihrem Arbeitsplatz stets auf Ordnung achtete, war dieses Chaos für sie unbegreiflich. War es nicht einfacher, zuerst aufzuräumen, bevor man weitermachte? Kopfschüttelnd klopfte sie an die Scheibe. Sean blickte auf, erhob sich und öffnete das Fenster. "Entschuldigen Sie die Störung...", begann sie. "Kein Problem. Möchten Sie Tee? Es ist mir gelungen, einen Wasserkocher anzuschließen." "Nein, danke. Ich suche Mr. Chevenay. Haben Sie ihn gesehen?" "Vorhin war er auf der hinteren Weide."
Sie dankte Sean höflich und durchquerte den ummauerten Teil des Gartens. In der Ferne entdeckte sie Henri. Er hatte das Hemd abgelegt und schwang eine Spitzhacke. Nun ja, eigentlich hob er sie nur an und ließ sie auf den Boden fallen. Sorrel eilte an der Pferdekoppel vorbei zu ihm. Völlig in seine Beschäftigung vertieft, lauschte er einem Kricketbericht aus dem kleinen Radio, das er neben sich ins Gras gestellt hatte. Da er ihr Kommen nicht sofort bemerkte, hatte sie Zeit, ihn zu betrachten - und das Entsetzen zu verkraften, das sie beim Anblick der roten, wulstigen Narbe auf seinen Schulterblättern befiel. Verbrennungen, wie sie vermutete, und zudem noch recht frisch. Sein Nacken, die Arme und die Taille waren unversehrt. Als er sich endlich ihrer Gegenwart bewusst wurde, drehte er sich mit ausdrucksloser Miene zu ihr um. Statt, wie erwartet, in ein verstörtes oder gar schockiertes Gesicht zu blicken, las er zu seinem maßlosen Erstaunen Mitgefühl auf ihren Zügen. Bedauern. "Nicht besonders hübsch", meinte er. "Nein", räumte sie betroffen ein. "Immerhin sind Sie vernünftig genug, Luft an die Verletzung zu lassen. Die Schmerzen müssen grauenvoll gewesen sein." "Das waren sie. Was kann ich für Sie tun?" Sie zuckte zusammen, als kostete es sie größte Anstrengung, auf ihr eigentliches Anliegen zu sprechen zu kommen. "Ich dachte, Sie würden vielleicht gern die Anordnung der Pflanzen begutachten, bevor ich sie einsetze." Nickend stieß er die Hacke in den Boden, nahm sein Hemd von einem Strauch und zog es über. Er hatte sie in der letzten Woche kaum gesehen. Genau genommen war er ihr, bis auf die Mahlzeiten im Hotel, absichtlich aus dem Weg gegangen. Es hatte ihn überrascht, dass sie nicht versucht hatte, ihn unter irgendeinem Vorwand auszuspionieren. Er hatte sie beobachtet und abgewartet, aber nichts war passiert. Sie war weder im Haus noch in seinem Arbeitszimmer gewesen. Sie hatte nicht herumgeschnüffelt oder Sean ausgefragt. Zudem war er fest davon überzeugt gewesen, sie wäre über seinen Rücken informiert, doch das schien nicht der Fall zu sein. Entweder war sie eine hervorragende Schauspielerin, oder... In Gedanken versunken, begleitete er sie zur Vorderfront. Noch immer kein Reporter weit und breit. "Sehr schön", lobte er, nachdem er pflichtschuldigst die Pflanzen inspiziert hatte. Dann ließ er sie wieder allein. Ist er verlegen, weil ich seinen Rücken gesehen habe? überlegte Sorrel, während sie die Pflanzen in die Erde setzte und gründlich wässerte. Nein, entschied sie. Henri war nicht so leicht in Verlegenheit zu bringen. Sie fragte sich, wie es wohl passiert sein mochte. In dem Artikel über ihn war kein Unfall erwähnt worden, allerdings war das Magazin auch über ein halbes Jahr alt. War so wenig am Haus gemacht worden, weil er im Krankenhaus gewesen war? Das geht dich nichts an, Sorrel. Vergiss das nicht! Seufzend räumte sie ihr Werkzeug auf, warf einen letzten Blick auf ihr Werk und nickte zufrieden. Dann fuhr sie ins Hotel zurück. An diesem Abend erschien Henri nicht zum Dinner. Und sie vermisste ihn. Trotz seiner Schweigsamkeit vermisste sie ihn. Du hast es so gewollt, erinnerte sie sich. Jawohl. Es war das Vernünftigste, auf Distanz zu achten. Warum, um alles in der Welt, fiel es ihr so schwer? Sie schlief schlecht, weil ihre Gedanken unablässig um Henri kreisten, um seinen Rücken und um sein Verhalten. Am nächsten Morgen erwachte sie völlig zerschlagen. Noch ein paar Tage, und der vordere Teil des Gartens wäre fertig. Würde Henri sie dann bitten, auch den Rest zu gestalten? Sie hatte keine Ahnung. Sie wusste nicht einmal, ob ihm ihre bisherige Arbeit gefiel - er hatte sie weder gelobt noch eine Bemerkung darüber gemacht, ganz so, als wäre es ihm egal, wie die Anlage aussah. Sorrel lächelte. Solange es nicht "hübsch" ist, hatte er gesagt. Ich brauche kein Lob, redete sie sich ein, ich bin professionell und geschäftsmäßig. Irrtum. Sie war keineswegs geschäftsmäßig. Sie hasste es, den Leuten Rechnungen zu präsentieren,
hasste es, über Geld diskutieren oder ihre Auslagen rechtfertigen zu müssen - weil sie die Menschen, für die sie arbeitete, als Freunde betrachtete und es ihr schwer fiel, sie um Geld zu bitten. Mit Ausnahme von Henri, der kein Freund war. Mit einem Gefühl des Unbehagens zog sie saubere alte Jeans und ein T-Shirt an und fuhr zur Abtei. Sie hielt mitten auf der Auffahrt, um sich einen Eindruck von der Gesamtwirkung zu verschaffen. Erwartungsvoll stellte sie den Motor ab, drehte sich um - und erstarrte ungläubig. Schockiert. All die Pflanzen, die sie am Vortag so mühevoll eingesetzt hatte, waren herausgerissen worden!
4. KAPITEL Fassungslos, von unbeschreiblicher Bestürzung wie betäubt, stieg Sorrel aus. Sie wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen. Sträucher und Stauden waren brutal aus dem Erdreich gezerrt und auf die Fläche geschleudert worden, die sie für den Rasen abgesteckt hatte. Erst jetzt bemerkte sie, dass Henri ein wenig abseits stand und ebenfalls das Chaos betrachtete. "Was haben Sie getan?" schluchzte sie. "Ich war es nicht", entgegnete er rau. "Glauben Sie, ich wäre dazu fähig?" "Wer dann? Warum?" "Ich habe keine Ahnung. Werden sich die Pflanzen erholen, wenn wir sie wieder einsetzen?" "Einige vielleicht", räumte sie ein. "Wir sollten es zumindest versuchen", schlug er mit ausdrucksloser Miene vor. Sorrel wandte ihre Aufmerksamkeit erneut den armen Büschen zu. "Aber wer könnte so etwas anrichten? Wir können die Schuld wohl kaum dem Geist anlasten." "Dem Geist?" "In der Abtei soll es doch spuken, oder?" "So heißt es." "Sie haben nichts gesehen? Nichts gehört?" "Nein." "Nein", wiederholte sie automatisch. Eine derartige Zerstörungswut würde auch gar nicht zu Henri passen. "Ein Nachbar vielleicht?" überlegte sie laut. "Der Reporter? Mrs. Davies erwähnte..." "Dass ich unbeliebt sei?" "Ja", bestätigte sie bekümmert. "Möglich wäre es." Aber nicht wahrscheinlich, dachte er. Henri hatte bereits sämtliche Alternativen in Erwägung gezogen, war jedoch zu keinem Ergebnis gelangt. Diese Verwüstung war ein Akt purer Bosheit. Der verzweifelte Ausdruck auf Sorrels Zügen war fast mehr, als er ertragen konnte. Rasch verdrängte er das aufkeimende Mitgefühl. Er kannte sie nicht und wusste nicht, ob er ihr trauen konnte, ja, ob sie das Durcheinander nicht selbst verursacht hatte - obgleich ihm dies höchst abwegig erschien. Noch immer wartete er darauf, dass sie sich endlich in Widersprüche verwickelte, und wurde allmählich immer frustrierter, weil sie sich nicht die geringste Blöße gab. Noch nicht. "Weinen Sie nicht", befahl er mürrisch, als er die Tränen bemerkte, die an ihren Wimpern hingen. "Ich weine nicht", behauptete sie trotzig und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. "Aber wie kann jemand nur so gemein sein? Warum?" "Ich weiß nicht." Plötzlich ertönte ein Hupen hinter ihnen, und sie drehten sich um. Sorrels Kombi versperrte die Straße, so dass Seans Lieferwagen nicht passieren konnte. "Ich fahre ihn fort", erklärte Henri. Mit zusammengepressten Lippen setzte er sich hinters Lenkrad, steuerte den Komb i über die Brücke und parkte ihn vor der Garage. "O verdammt?" rief Sean, als er den Lieferwagen verließ. "Wer war das?" "Ich habe keine Ahnung." "Ist sie in Ordnung?" "Was denken Sie wohl?" fragte Henri aufgebracht. Er kehrte zu Sorrel zurück und sah in ihr bekümmertes Gesicht. "Aufzugeben ist keine Lösung", stellte er nüchtern fest. "Werden Sie wütend, toben Sie meinetwegen, aber geben Sie nicht auf." Ihre Blicke trafen sich. "Ist das Ihr Lebensmotto?" erkundigte sie sich leise. Ein zynisches Lächeln, das sie nicht recht zu deuten wusste, umspielte seine Lippen. "Ja." "Na gut. Ich werde nicht aufgeben." Henri nickte zufrieden. Dann hob er zwei der Pflanzen auf und trug sie zum Blumenbeet.
"Nicht dorthin." Sorrel schob ihn beiseite und nahm die Setzlinge fo rt. Sie begriff seine Haltung nicht. Er schien von dem Vorfall völlig unberührt zu sein. Und das schmerzte sie fast genauso wie der Schaden an den Stauden. "Ist sonst etwas passiert?" "Nein." "Der Gemüsegarten?" "Nichts. Sagen Sie mir, wo ich sie hinlegen soll." Nachdem sie einen Spaten geholt hatte, zeigte sie ihm, wo welche Gewächse hingehörten, und dann bemühten sie sich, den Schaden zu beheben. Es dauerte zwei Stunden, aber es sah nicht mehr so aus wie vorher. Nicht mehr so harmonisch, und Sorrels Freude an ihrem Entwurf war geschwunden. Nachdem sie die traurigen Reste gemeinsam gewässert hatten, betrachteten sie ihr Werk. "Was nicht anwächst, wird einfach ausgetauscht", erklärte Henri. "Darum geht es doch gar nicht, oder? Sollen wir den Vorfall der Polizei melden?" "Das habe ich bereits getan - nicht dass es etwas ändern würde." "Sie scheinen nicht sehr... beunruhigt zu sein." "Finden Sie? Das liegt vermutlich daran, dass sie mich nicht besonders gut kennen", entgegnete er. "Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie helfen?" Sie schüttelte den Kopf. "Der Rollrasen dürfte bald geliefert werden. In der Gärtnerei sagte man mir, gegen Mittag. Ich werde inzwischen den Boden einebnen." "Ich muss für eine Weile fort. Sie kommen zurecht?" Sorrel lächelte traurig. Ihrer Meinung nach würde sie sich im Notfall kaum auf den Küchenbauer verlassen können - nicht nach dem, was sie bislang von ihm gesehen hatte. Nachdem Henri aufgebrochen war, holte sie die Harke und begann deprimiert, das Erdreich zu glätten. Wer? Warum? Diese Fragen gingen ihr nicht aus dem Sinn. Wäre es in London passiert, hätte sie sofort Nick verdächtigt, doch Nick hatte keine Ahnung von ihrem Aufenthaltsort. Oder doch? Nein, beruhigte sie sich im Stillen, das grenzt schon an Verfolgungswahn. Und selbst wenn Nick über ihren neuen Job informiert gewesen wäre, hätte er Henri geschrieben oder ihn besucht wie all die anderen Kunden. Nun ja, jedenfalls nahm sie an, dass es zuvor so gelaufen war. Eigentlich hatte sie keinen Beweis dafür, dass Nick potenzielle Auftraggeber abgeschreckt hatte. Aber irgendjemand war für diese Verwüstung verantwortlich - und würde möglicherweise zurückkommen. Je länger sie darüber nachdachte und sich Sorgen machte, desto ärgerlicher wurde sie. Nicht nur wegen des Gartens, sondern auch auf Henri. Sie wusste nie, woran sie bei ihm war. In der einen Minute war er nett, in der nächsten abweisend. Der erste Job seit Monaten, und nun das. Vielleicht hatte der Anschlag nicht Henri gegolten, sondern ihr selbst. Vielleicht war sie jemandem auf die Zehen getreten. Sie hatte sich bei ihrem Besuch in der ersten Gärtnerei ziemlich abfällig über die angebotenen Gewächse geäußert. Der Besitzer war entsprechend empört über ihre bissigen Kommentare gewesen. Sorrel war viel zu aufgewühlt, um eine Mittagspause zu machen. Sie rollte die Grasbahnen aus, drückte sie fest und wässerte sie. Dann ging sie zur Brücke zurück, um zu begutachten, wie ihr Entwurf in der Realität wirkte. Der junge japanische Ahorn in der Biegung, der wie ein lang gestrecktes S geschwungenen Rasenkante, sah ein bisschen kümmerlich aus, ihn würde sie eventuell austauschen müssen. Und die anderen Pflanzen... Nun, morgen würde sie mehr wissen. Entweder schafften sie es oder nicht. Falls die Eindringlinge zurückkehrten wer immer sie sein mochten -, so wollte Sorrel ihnen eine herbe Überraschung bereiten. Sie würde auf sie warten, und wenn sie dafür die ganze Nacht aufbleiben musste. Henri war noch immer nicht zurück, als sie ihr Werkzeug wegräumte und einschloss und dann zum Hotel fuhr. Sie rührte das Dinner kaum an. Diesmal war sie froh, dass Henri ihr beim Abendessen keine Gesellschaft leistete. Tief in Gedanken versunken stocherte sie auf ihrem Teller herum. Sie musste etwas unternehmen. Warum sollte sie aufpassen, ob die Vandalen zurückkamen? Da vor Einbruch der Dunkelheit nicht viel passieren würde, hatte sie
reichlich Zeit, um sich auf die Aktion vorzubereiten. Und falls die Übeltäter wirklich auftauchten... Energisch schob sie die Teller beiseite und eilte, ohne auf den Kaffee zu warten, auf ihr Zimmer. Während sie die dunkle Hose und einen ebenfalls dunklen Pullover überstreifte, kam sie sich ein wenig theatralisch und albern vor. Sie packte eine kleine Taschenlampe, Stift und Block ein und bat den Empfangschef telefonisch, eine Thermoskanne mit Tee für sie bereitstellen zu lassen, weil sie noch einmal ausgehen müsse. Dem verwunderten Angestellten erklärte sie, man möge sich keine Sorgen machen, falls sie erst spät zurückkäme. Dann fuhr sie zur Abtei. Der Himmel färbte sich gerade erst dunkel, als sie den Kombi vorsichtig zwischen eine Baumgruppe gegenüber dem Obstgarten manövrierte. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass der Wagen vor neugierigen Blicken verborgen war, huschte sie lautlos zum Haus, um herauszufinden, ob Henri daheim war. Das Gebäude war dunkel, Henris Auto nirgendwo zu entdecken. Es wäre zu komisch, wenn er den Garten von einem verdunkelten Fenster aus beobachten würde, während ich draußen auf der Lauer liege, überlegte Sorrel. Vielleicht hätte sie ihm von ihren Pläne n berichten sollen. So, wie er sich allerdings in der vergangenen Woche benommen hatte, war ihr nicht danach gewesen, ihm irgendetwas zu erzählen. Sie eilte zum Kombi zurück und machte es sich darin bequem, um zu warten. Und zu warten. Und zu warten. Ist Henri hier? fragte sie sich. Nach allem, was vorgefallen war, erschien es ihr ziemlich sonderbar, dass er das Haus unbeaufsichtigt lassen sollte. Möglicherweise war es ihm ja egal. Vorhin hatte er jedenfalls nicht besonders beunruhigt gewirkt. Am Ende hatte er sogar damit gerechnet. Oder mit etwas Ähnlichem. Er war ohne jeden Zweifel ein harter, unnahbarer Mann, und trotzdem musste sie ständig an ihn denken. An ihn und die geheimnisvollen Narben auf seinem Rücken. Wodurch hatte er diese Verletzung erlitten? Waren sie die Erklärung für seinen launischen Charakter - weil sie immer noch schmerzte? Sorrel beobachtete, wie der Mond höher stieg. Sie lauschte den Geräuschen im Unterholz, dem schrillen Ruf einer Eule und erschauderte. Hier draußen gab es keine Straßenlaternen, die ihren matten Schein verbreiteten, nur den Mond am Himmel, der beunruhigende Schatten schuf. Sie kam sich daher wie eine Närrin vor, als sie beim Knacken eines Zweiges zusammenzuckte. Hör auf, ermahnte sie sich, hier draußen ist nichts. Nicht sdestotrotz knipste sie ihre Taschenlampe an, um die wachsende Nervosität zu vertreiben. Wohl zum hundertsten Mal blickte sie auf die Uhr, gähnte und lehnte sich zurück. Es bestand nicht die geringste Gefahr, einzuschlafen, dazu war sie viel zu aufgeregt. Es würde niemand kommen - oder doch? Es hatte sich um einen einmaligen Zwischenfall gehandelt. Vermutlich Vandalen oder ein Betrunkener. Jemand, der sie bei der Arbeit beobachtet und es für einen gelungenen Scherz gehalten hatte, die Pflanzen herauszuziehen. Zehn nach zwei. Fahr zurück ins Hotel, Sorrel, sagte sie sich. Geh ins Bett, und schlaf dich aus. Nur noch fünf Minuten, beschloss sie. Sie griff nach der Thermosflasche, schraubte den Deckel ab - und erstarrte. Angestrengt lauschte sie in die Dunkelheit. War das ein Wagen? Rasch verschloss sie die Flasche wieder und bemühte sich, das heftige Pochen ihres Herzens zu ignorieren. Sie stützte die Arme aufs Lenkrad und spähte durch die Windschutzscheibe. Es handelte sich eindeutig um ein Motorengeräusch, doch Scheinwerfer waren nirgendwo zu entdecken. Endlich sah Sorrel den Wagen. Er rollte langsam über die Straße - und wenn das nicht verdächtig war, wusste sie nicht, was sonst. Ein Stück von ihr entfernt hielt er an, und der Motor wurde ausgestellt.
Mit ange haltenem Atem sah sie jemanden aussteigen und die Tür zudrücken, ohne sie jedoch richtig zu schließen. Ein Mann, der etwas trug, kletterte über die niedrige Mauer des Obstgartens und verschwand hinter den Bäumen. Sorrel öffnete die Fahrertür, griff nach Block, Stift und Taschenlampe und folgte ihm leise. Sorgsam darauf bedacht, nicht bemerkt zu werden, schirmte sie den Lichtkegel der Taschenlampe mit der Hand ab. Sie notierte das Kennzeichen des Wagens und schlich dem Mann hinterher. Was sie damit bezweckte, wusste sie selbst nicht - eigentlich wollte sie ihn nur beobachten, damit sie ihn später vielleicht identifizieren konnte. Wer immer er sein mochte, sie hatte keinesfalls die Absicht, ihn zur Rede zu stellen. So dumm war sie nicht. Als sie jedoch sah, wie er über ihren frisch verlegten neuen Rasen schlenderte und die Kappe von dem Kanister unter seinem Arm abschraubte, waren alle guten Vorsätze vergessen. Mit einem schrillen Schrei schwang sie sich über das Mäuerchen, das den Obstgarten vom Park trennte, und ehe der Eindringling reagieren konnte, hatte sie ihn wie ein Rugbyspieler zu Boden gerissen. Aus dem Haus drangen Rufe. Ein Lichtstrahl, der wesentlich heller war als der einer normalen Taschenlampe, glitt über den Rasen und blendete plötzlich Sorrel. Sie hielt den Mann fest umklammert. So verbissen sie auch kämpfte, das ungleiche Gefecht konnte nur einen Ausgang haben. Er war stärker als sie und vermutlich durchtrainierter. Stöhnend und keuchend wälzten sie sich im Gras. Sorrel wollte verdammt sein, wenn sie ihn so leicht davonkommen ließ. Sie packte seinen Fuß, als er aufspringen wollte - und erntete dafür einen heftigen Tritt in die Rippen. Sie krümmte sich vor Schmerz zusammen und nahm nur noch vage wahr, dass der Angreifer davonrannte. Sekunden später heulte ein Motor auf, Reifen quietschten, als der Wagen mit viel zu hoher Geschwindigkeit losfuhr. Sie hoffte inständig, er möge am nächsten dicken Baum landen. "Was, um alles in der Welt, tun Sie hier?" rief Henri wütend, als er neben ihr niederkniete. Empört über seinen vorwurfsvollen Ton konterte sie: "Sie haben ja nichts unternommen!" "Ich habe sogar sehr viel getan. Wo sind Sie verletzt?" "Rippen, Kopf... Ach, ich weiß nicht", erwiderte sie gereizt. "Und jetzt entkommt er." Plötzlich fiel ihr ein, was der Fremde beabsichtigt hatte. Sie richtete sich kerzengerade auf. "Er hatte einen Kanister..." "Das weiß ich, und wenn Sie sich nicht eingemischt hätten..." "Ich? Eingemischt?" protestierte sie. "Sie hätte mir sagen müssen, was Sie vorhaben!" "Genau wie Sie", meinte er trocken. "Können Sie aufstehen?" "Nein." Sie stöhnte leise. "Und wenn das Zeug ausläuft..." Er murmelte etwas Unverständliches, während er nach dem Kanister griff und die Kappe fest zuschraubte. Dann half er Sorrel auf. Die Arme fest um die schmerzenden Rippen gelegt, ließ sie sich von Henri ins Haus führen. "Ich hatte einen Notizblock bei mir", stieß sie keuchend hervor. "Offenbar habe ich ihn verloren." "Ich werde ihn schon finden", versprach Henri. Er brachte sie in sein Arbeitszimmer und schob sie zu dem Drehsessel hinter dem Schreibtisch. "Lassen Sie mich sehen." "Nein." Schwerfällig nahm sie Platz. "Sind die Rippen gebrochen?" "Keine Ahnung." "Dann lassen Sie mich sehen." Vorsichtig richtete sie sich auf. "Versuchen Sie, normal zu atmen", befahl er. "Ich kann nicht. Es tut weh." "Hoffentlich haben Sie daraus gelernt, dass Sie sich nicht auf Eindringlinge stürzen dürfen." Er hob den Pullover an und ließ die Finger behutsam über ihre Rippen gleiten.
"Autsch!" "Ich glaube nicht, dass sie gebrochen sind." "Gut." Sie stützte den Ellbogen auf die Schreibtischkante, schloss die Augen und legte den Kopf in die Handfläche. Gleich darauf schrie sie vor Schmerz auf. An ihren Fingern klebte Blut. "Er hat mich geschnitten!" Henri seufzte. Sorrel spürte, dass er sie beobachtete, und sah ihn an. Seine Miene war undurchdringlich, sie spiegelte keinerlei Mitgefühl wider, sondern lediglich Ungeduld. Erschöpft lehnte sie sich zurück und schloss erneut die Augen. "Sie waren nicht im Bett", stellte sie fest. "Nein." Er untersuchte die Schnittwunde, die allmählich anschwoll. Dort, wo seine Finger das Haar zurückschoben, begann die Haut zu prickeln. Ein äußerst intimes Gefühl. Sorrel stieß seine Hand fort, denn seine Berührungen und seine Nähe raubten ihr den Atem, wodurch sie nur noch nervöser und gereizter wurde. "Haben Sie ihn erkannt?" fragte sie heiser, Er schüttelte den Kopf. "Ich habe seine Autonummer. Sie steht auf dem Block. Die Polizei kann den Mann dadurch bestimmt ausfindig machen. Haben Sie das Revier angerufen?" "Nein." Sie schlug die Augen auf. "Warum nicht?" "Weil ich keine Zeit hatte! Wollen Sie ins Krankenhaus?" "Nein." "Der Schnitt ist nicht tief, er muss also nicht genäht werden. Ich werde Ihnen ein Pflaster, ein paar Schmerztabletten und eine Tasse Tee holen. Nachdem ich die Polizei angerufen habe", fügte er hinzu. Er griff nach dem Telefon und wählte die Nummer des Reviers. Nachdem er den Vorfall mit knappen Worten geschildert hatte, verließ er das Zimmer. Henri stieß die Küchentür mit mehr Wucht als nötig auf und knipste das Licht an. Mit einem bitteren Lächeln betrachtete er das Chaos. Einen schrecklichen, schwachen, impulsiven Moment lang hatte er den Wunsch gehabt, Sorrel in die Arme zu schließen und zu trösten. Du bist ja verrückt, schalt er sich im Stillen, während er den Wasserkessel füllte. Er hätte sie niemals engagieren dürfen. Er hätte sie fortschicken müssen und sie schreiben lassen sollen, was sie wollte. Was hätte das schon ausgemacht? Sie war tatsächlich Gärtnerin, das musste er widerstrebend einräumen. Sie kannte sich zweifelsfrei mit Gartenarbeit aus. Aber was war sie sonst noch? Jemand, der mich amüsiert, dachte er wehmütig, und es war lange, lange her, dass mich jemand aufgemuntert hat. Sie war groß und grazil, aufdringlich, lästig. Temperamentvoll. Und nun das. Sie hätte getötet werden können. Dafür werden sie bezahlen, schwor er sich grimmig. Wer immer "sie" waren. Er wollte ihr so gern vertrauen, doch er konnte es sich nicht erlauben, jemandem zu vertrauen, den er nicht kannte. Diese bittere Lektion hatte er vor langer Zeit lernen müssen. Dabei hasste er es, selbst harmlosen Spaziergängern mit äußerster Skepsis zu begegnen. Zum ersten Mal gestand er sich ein, dass er sich zu Sorrel hingezogen fühlte. Er fand sie nicht einfach nur sympathisch oder amüsant, sondern ausgesprochen anziehend. Weiß der Himmel, warum, dachte er verwundert. Sie ist überhaupt nicht mein Typ. Als das Wasser kochte, bereitete er den Tee und trug ihn zum Arbeitszimmer. Er öffnete die Tür und blieb stehen, um Sorrel zu betrachten. Sie hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt, die Augen geschlossen und den Saum des Pullovers unters Kinn geklemmt. Vorsichtig tastete sie ihre Rippen ab. Ihr Haar war zerzaust, das Gesicht ebenso schmutzig wie die Hände, und plötzlich verspürte er eine unerklärliche Gefühlsaufwallung für dieses sonderbare Mädchen. Jemand wie sie war ihm noch nie begegnete. Eine erfrischende Abwechslung, sollte man meinen - wenn er ihr hätte trauen können. "Tee", verkündete er kurz angebunden, und sie schlug die Augen auf.
Mit einem kleinen Lächeln wandte sie sich ihm zu und zog den Pullover zurecht. Sie wirkt besorgt, dachte er und fragte sich, warum. Er reichte ihr einen Becher mit Tee. Dann ging er um den Tisch herum und öffnete die oberste Schublade. Nachdem er eine Schachtel mit Pflastern und einige Papiertaschentücher herausgenommen hatte, begann er, die Wunde behutsam zu reinigen. Dann klebte er ein Pflaster über den Riss an Sorrels Schläfe. Er legte das Verbandszeug zurück, holte ein Röhrchen Schmerztabletten hervor, schüttete sich zwei Stück in die Hand und gab sie ihr. "Danke. Ich wollte verhindern, dass er den Rasen ruiniert", erklärte sie verlegen. Es fiel ihr ungemein schwer, Henri in die Augen zu sehen. Er nickte wortlos. "Eigentlich hatte ich nur vor, die Autonummer zu notieren und einen Blick auf den Mann zu erhaschen, um ihn später vielleicht beschreiben zu können. Ich wusste ja nicht, dass Sie auch auf der Lauer lagen. Ich dachte, Sie würden schlafen. Oder noch immer aus sein. Ihr Wagen war nicht da", fügte sie vorwurfsvoll hinzu. "Er steht in der Garage." "Oh." Sie schluckte die Tabletten und spülte sie mit Tee hinunter. Das Gebräu war stark genug, um Tote wieder zu beleben. Sie warf Henri einen verstohlenen Blick zu. Dunkle Bartstoppeln überschatteten seine Wangen, und er sah wieder so gefährlich aus wie bei ihrer ersten Begegnung. Groß und bedrohlich. Kraftvoll. "Ich hätte die Sache Ihnen überlassen sollen, oder?" stellte sie ruhig fest. Es ärgerte sie maßlos, dass sie sich aus unerfindlichen Gründen in seiner Gegenwart immer so scheu und verlegen fühlte. "Allerdings hätten Sie sich dann womöglich wieder den Rücken verletzt", fuhr sie fort und schämte sich sogleich wegen dieser kindischen Bemerkung. Gähnend lehnte sie sich zurück und tat so, als würde sie die Buchtitel an der gegenüberliegenden Wand studieren. "Ich dachte, Sie wären nicht an meinen Pflanzen interessiert." "Dann haben Sie sich wohl geirrt, oder? Ich werde jetzt Ihren Block suchen." Dankbar für die Atempause, nickte sie ihm zu und sah ihm hinterher. Er war wütend. Auf sie, auf den Eindringling oder auf sie beide. Henri war auf einen weiteren Besuch des Vandalen vorbereitet gewesen. Sorrel schwang im Sessel herum und blickte aus dem Fenster auf die Szenerie, die sich ihr bot. Der Garten war taghell erleuchtet. Sie hätte ihm die Angelegenheit überlassen sollen. Aber woher hätte sie ahnen können, dass er etwas plante, da er kein Wort darüber verlor? Andererseits hatte sie von ihren Absichten auch nichts verraten. Ein echter Mangel an Kommunikation. Was hatte Henri nur an sich, das sie so nervös war? Seit Tagen schon kämpfte sie dagegen an - erfolgreich, wie sie geglaubt hatte. Und nun... Du bist müde, sagte sie sich ungeduldig, das ist alles. Müde und verletzt und kommst dir dumm vor. Sorrel hörte, wie die Vordertür ins Schloss fiel, es folgten Henris Schritte auf der Treppe. Über ihr erklang ein leises Pochen, dann erloschen die Lichter, und sie sah nur noch ihr eigenes Spiegelbild in der Fensterscheibe. Sekunden später hörte sie ihn herunterkommen und wurde wieder nervös. Lächerlich. Warum, um alles in der Welt, sollte sie seinetwegen nervös sein? Weil es spät war? Dunkel? Weil sie allein in seinem Haus waren? Was wusste sie denn schon über ihn? Gar nichts. Sie drehte sich um und blickte zur Tür, die in diesem Moment geöffnet wurde. Außer dem Block, den er ihr zuwarf, trug er einen kleinen schwarzen Kasten. Er stellte die Box auf den Tisch. "Kamera", erklärte er kurz angebunden. Daran hatte sie nicht gedacht. Sie hätte es tun sollen. Nicht dass ihre Kamera einen Blitz gehabt hätte. Nicht dass die Geschäfte geöffnet gewesen wären und sie einen hätte kaufen können. Zumindest nicht zu dem Zeitpunkt, als sie sich für dieses Abenteuer entschieden hatte. "Ich habe meinen Plan wohl nicht sonderlich gut durchdacht, oder?" fragte sie bekümmert.
"Nein. Wie fühlen Sie sich?" "Okay. Ein bisschen benommen, wie zerschlagen. Ich höre einen Wagen." "Vermutlich die Polizei." "Warum haben Sie mir nicht erzählt, dass Sie dem Eindringling eine Falle stellen wollten?" "Sie haben nicht danach gefragt." Nein, das hatte sie nicht. "Machen Sie das häufiger?" erkundigte er sich trocken. "Was?" "Solche nächtlichen Exkursionen?" "Oh." Sorrel seufzte. "Nein." "Wo haben Sie Ihren Wagen versteckt?" "Zwischen einer kleinen Baumgruppe auf der anderen Seite des Obstgartens." Mit einem selbstironischen Lächeln fügte sie hinzu: "Eine Miss Marple bin ich nicht gerade." "Nein. Allerdings war es ein verdammt guter Rugby-Angriff." "Ja, obwohl er leider nicht viel gebracht hat. Der Mann war nicht alt", meinte sie nach kurzem Überlegen. "Höchstens Anfang zwanzig, schätze ich." Reifen knirschten auf dem Kies. Sie wandte sich erneut dem Fenster zu. Draußen hielt ein Streifenwagen. Die Beamten blieben nicht lange. Sie nahme n Sorrels und Henris Aussagen auf, packten die Kamera sowie den Zettel ein, auf dem sie das Autokennzeichen notiert hatte, und verabschiedeten sich dann mit dem Versprechen, sich wieder zu melden. Zuvor jedoch machten sie Sorrel noch ernste Vorhaltungen, weil sie den Mann attackiert hatte. Nachdem Henri die Polizisten hinausbegleitet hatte, kehrte er zurück und ging zum Fenster, um in die Dunkelheit hinauszuschauen. Endlich hatte sie Gelegenheit, ihn zu betrachten, ohne dass er sie ansah. "Wobei haben Sie sich den Rücken verletzt?" fragte sie spontan. Aha. Endlich die Fragen, auf die er so lange gewartet hatte. Enttäuscht erwiderte er kurz angebunden: "Hubschrauberabsturz." "Wurde sonst noch jemand verletzt?" "Nein." "Sie sollten ihn einreiben." "Den Hubschr auber?" "Unsinn. Ihren Rücken." "Komme nicht ran", entgegnete er abweisend. "Kennen Sie denn niemanden, der es für Sie tun würde?" fragte Sorrel ungläubig. "Niemand, den ich darum bitten möchte." "Oh." Henri drehte sich zu ihr um. "Bieten Sie Ihre Dienste an, Sorrel?" erkundigte er sich ruhig. Sie schüttelte den Kopf und bereute es sogleich, als ein leichtes Schwindelgefühl sie erfasste. "Ich sollte ins Hotel zurückfahren." "Und womöglich Ihrem Kontrahenten über den Weg laufen, der mittlerweile eine ziemliche Wut auf Sie haben dürfte?" konterte er warnend. "Ich halte es für keine besonders gute Idee. Ich werde Ihnen hier ein Bett herrichten." "Nein." "Doch. Schlafen Sie nicht ein", befahl er. Sorrel seufzte. "Nein." "Kommen Sie mit, Sie können mir helfen." Resigniert stand sie auf. "Nehmen Sie morgen einen Tag frei." "Mal sehen, wie ich mich fühle." Henri führte sie die Treppe hinauf und einen Flur entlang bis zu einer Tür am Ende des Gangs. Er stieß die Tür auf und ließ Sorrel eintreten.
Im Zimmer stand ein ungemachtes Bett. Mehr nicht. Er ging hinaus und kam wenige Augenblicke später mit einigen Laken, Kopfkissenbezügen und Decken wieder, die er aufs Bett warf. "Das Bad ist nebenan. Möchten Sie einen Pyjama?" Sie wollte schon den Kopf schütteln, als sie sich eines Besseren besann. "Nein." "Dann bis morgen früh. Gehen Sie in der Nacht nicht auf Wanderschaft." "Damit mich nicht der Geist holt?" fragte sie schläfrig. "So etwas in der Art." Plötzlich fiel ihr ein, dass sie eigentlich gar nicht im Haus sein dürfte, Geist hin, Geist her. Jen hatte das gesagt. "Henri..." begann sie zögernd. Er drehte sich zu ihr um. "Ich kann nicht hier bleiben." "Seien Sie nicht albern." Er wandte sich erneut zum Gehen. "Ich kann nicht!" Sie eilte ihm hinterher und berührte seinen Rücken. Er zuckte zusammen. "Entschuldigung", flüsterte sie und zog die Hand zurück. Henri sah sie an. Er war zu nahe, zu männlich, zu groß, und sie fühlte sich... sonderbar. In seinem Blick lag ein beinahe angewiderter Ausdruck. "Was wollen Sie?" "Wollen?" wiederholte sie, während ihre Sinne seine Wärme und den schwachen Duft seines Rasierwassers registrierten. An seiner linken Augenbraue verlief eine schmale Narbe, an seinem Kinn war ein Schmutzfleck, und sein Mund... "Sorrel", rief er ungeduldig. "Was wollen Sie? Wollen Sie mehr über den Unfall erfahren? Über meine geschäftlichen Unternehmungen? Fragen Sie mich morgen danach, wenn ich nicht mehr so müde und vielleicht eher in der Stimmung für Spielchen bin." "Es ist kein Spiel", flüsterte sie verwirrt. "Ich möchte nur, dass Sie..." "Sie küssen?" unterbrach er sie. Sie runzelte die Stirn. "Nein." "Nein?" spottete er. "Was dann? Eine kleine Affäre? Eine Verführung?" "Nein", beteuerte sie leise. "Ich möchte, dass Sie warten." Oh, es war alles so verworren! Sie war schmutzig und müde und fühlte sich gar nicht gut - vermutlich stand sie unter Schock. Verzweifelt bemüht, die Wirkung zu ignorieren, die seine Nähe auf sie ausübte, lehnte sie sich an den Türrahmen. "Ist Geld im Haus?" "Geld?" "Ja." "Brauchen Sie welches?" erkundigte er sich kühl. "Nein." "Dann gehen Sie ins Bett." Sorrel sah ihm nach, als er den Korridor entlang zu einer Tür am anderen Ende ging. Sie hatte sich offenbar nicht klar genug ausgedrückt. Und nun musste er denken... Ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen, lief sie ihm hinterher und riss die Tür zu seinem Zimmer auf. "Henri..." Mit abweisender Miene wandte er sich zu ihr um. "Verschwinden Sie!" schrie er. "Aber ich habe noch nicht erklärt..." Er packte sie bei den Schultern und drehte sie um. "Ich will keine Erklärungen. Ich will, dass Sie in Ihr Zimmer gehen und schlafen. Allein!" "Ich schlafe immer allein", sagte sie stockend. Warum schwankte der Raum auf einmal? Halt suchend klammerte sie sich an den Türrahmen, als ihre Beine den Dienst versagten. Eher verwundert als erschrocken, wollte sie Henri anschauen - und dann wurde es dunkel um sie.
5. KAPITEL "O verdammt, was soll das?" rief Henri. Enttäuscht, wütend auf Sorrel und in der festen Überzeugung, es handele sich um einen Trick, zog er sie vom Boden hoch. Sie war leblos wie eine Puppe. Erst jetzt merkte er, dass sie ihm nichts vormachte, und erschrak. Behutsam hob er sie auf die Arme und trug sie zum Bett. Ihre Lider flatterten, bevor sie die Augen wieder aufschlug. Er bezweifelte, dass selbst die beste Schauspielerin der Welt diesen ratlosen Gesichtsausdruck hätte mimen können. "Fragen Sie jetzt nicht, wo Sie sind", befahl er scherzhaft. Sorrel blinzelte. "Sie waren ohnmächtig." Sie schluckte trocken und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. "Ich bin noch nie in meinem Leben ohnmächtig geworden", flüsterte sie. "Jetzt schon. Wie fühlen Sie sich?" "Ein bisschen... sonderbar. Tut mir leid." "Es ist meine Schuld. Ich hätte Sie ins Krankenhaus bringen müssen." Sie schüttelte den Kopf und zuckte zusammen. "Ich sollte wirklich darauf verzichten." Mit zittrigen Fingern tastete sie nach ihrer Schläfe. Die Schwellung war größer geworden. Fast so groß wie ein Ei. "Ich bin wieder in Ordnung." Sie wollte sich aufrichten, doch er drückte sie sanft in die Kissen zurück. "Liegen Sie still." "Es war wohl der Schock." Oder die Tatsache, dass sie den ganzen Tag über kaum etwas gegessen hatte. "Mag sein", räumte er ein. "Wer sind Sie, Sorrel?" Es war vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt für die se Frage, aber er musste es einfach wissen. "Wer?" wiederholte sie verwirrt. "Ja. Warum sind Sie tatsächlich hergekommen?" "Um Ihren Garten zu restaurieren." Prüfend sah sie ihn an. "Warum sonst sollte ich hier sein, wenn nicht wegen des Gartens?" "Um mehr über mich herauszufinden." "Was denn?" Henri seufzte. "Genau das will ich wissen." Sorrel drehte ihren Kopf in eine bequemere Position. "Sie haben einen Schmutzfleck am Kinn." "So?" "Ja. Sie haben mich gefragt, ob ich möchte, dass Sie mich küssen. Warum?" "Weil ich dachte, jetzt würde die große Verführungsszene kommen." "Ich bin für Verführung nicht geschaffen." "Ach nein?" erkundigte er sich sanft. "Nein. Waren es meine Augen?" "Ihre Augen?" "Ja. Meine Schwester sagte..." Stirnrunzelnd verstummte sie. Warum, um alles in der Welt, führten sie diese bizarre Konversation? "Ihre Schwester sagte...?" drängte er. "Dass meine Augen die Menschen zu der Annahme verleiten, ich wüsste mehr, als tatsächlich der Fall ist. Es macht mich wirklich wütend." Sie streckte die Hand aus, um den Fleck an seinem Kinn fortzuwischen. Lächelnd hielt er ihr Handgelenk fest und deutete auf ihre Finger. Sie waren wesentlich schmutziger als sein Kinn. Sorrel verzog reumütig die Lippen. "Warum haben Sie nach Geld gefragt?"
"Weil..." Nach kurzem Zögern entschied sie sich für Offenheit. "Weil man mich einmal beschuldigt hat, welches genommen zuhaben." "Von jemandem, für den Sie gearbeitet haben?" "Ja. Ich konnte das Gegenteil nicht beweisen, und Jen sagte..." "Ihre Schwester?" "Ja. Sie sagte, ich solle nicht in Ihr Haus gehen. Aber ich habe ihr versichert, dass Sie nicht so sind wie er. Sie kennen ihn nicht, oder? Nur ich habe mir eingebildet, dass er die Beete verwüstet haben könnte, aber natürlich war er es nicht. Er weiß nicht, wo ich bin." Schläfrig kuschelte sie sich in die Kissen und schloss die Augen. Verblüfft blickte Henri auf sie herab. Dann hob er die gesteppte Bettdecke auf, die zu Boden gerutscht war, und breitete sie über Sorrel aus. Durfte er sie überhaupt schlafen lassen? Sollte man Menschen mit Kopfverletzungen nicht wach halten? Seufzend fragte er sich, was er nur an sich hatte, dass sein Leben so kompliziert war. Eine Weile sah er sehnsüchtig auf die leere Seite des Betts. Er durfte sie schließlich nicht allein lassen, oder? Ach, zum Teufel damit! Falls sie Kapital daraus schlagen wollte, würde sie es tun. Aber wäre es nicht nett, wenn sie tatsächlich die wäre, für die sie sich ausgab? Gegen seinen Willen beschäftigte sie seine Gedanken in einem Maß, das alles andere ausschloss. Henri streifte die Schuhe ab, holte sich noch eine Decke und legte sich neben Sorrel. Seit dem Unfall war ihm nicht viel Schlaf vergönnt gewesen, aber als er ihr Zimmer verlassen hatte, war er müde gewesen. Müde genug, um endlich in traumlosen Schlaf zu sinken. Ein bitteres Lächeln umspielte seine Lippen, während er sich ihres Gewichts an seinem Rücken nur zu deutlich bewusst war. Er schloss die Augen, lauschte auf ihre gleichmäßigen Atemzüge und die allgegenwärtigen Geräusche des alten Hauses, und irge ndwann glitt er in tiefen Schlummer. Helligkeit drang durch Sorrels Lider und riss sie aus einem wirren Traum, in dem geisterhafte Mönche Pflanzen herumschleppten. Sie hörte förmlich noch deren tiefe, gleichmäßige Atemzüge, als... Sorrel schlug die Augen auf. Regungslos blickte sie auf den hellen Fleck, den das Sonnenlicht auf die gegenüberliegende Wand warf. Sie hörte tiefe, gleichmäßige Atemzüge! Außerdem spürte sie ein schweres, warmes Gewicht an ihrem Rücken. Sie erinnerte sich, dass sie ohnmächtig geworden war. So absurd es erscheinen mochte, sie war wirklich ohnmächtig geworden, und Henri hatte sie auf sein Bett gelegt, wo sie offenbar immer noch lag. Und Henri... schlief bei ihr? Ganz vorsichtig, um ihn nicht aufzuwecken, zog sie ihren linken Arm unter der Decke hervor und blickte auf die Uhr. Acht Uhr. Wie spät war es gewesen, als sie nach oben gekommen waren? Ungefähr vier. Und vier Stunden Schlaf waren zu wenig für jeden normalen Menschen. Aber warum war sie aufgewacht? Irgendwo draußen zwitscherte ein Vogel. Zu ihrer grenzenlosen Erleichterung stellte sie fest, dass sie vollständig bekleidet war. Und Henri? Er regte sich, und sie hielt den Atem an. Um Himmels willen, schalt sie sich im Stillen, er schläft tief und fest. Sei unbesorgt. Roll dich auf den Rücken und steh auf. Lieg nicht da wie ein Schulmädchen. Langsam drehte sie sich unter der Decke um, die sie wie ein Kokon umhüllte, und blickte auf Henris Hinterkopf. Sah seinen Hemdkragen unter dem Laken hervorlugen, das er über sich geworfen hatte. Sein Haar war dicht und dunkel, leicht gelockt, zerzaust und schien nur darauf zu warten, dass sie die Fingern hineinschob, um es zu glätten. Nein, Sorrel, ermahnte sie sich. Es war allerdings verlockend. Sehr verlockend. Genau wie die breiten Schultern. Unter der Steppdecke konnte sie nichts mehr von ihm fühlen, nur das Gewicht, das die Decke niederdrückte - und bereits das war überaus intim. Sie sehnte sich danach, ihm in den Nacken zu pusten, die Arme um ihn zu legen, gehalten zu werden. Es war lange her, dass sie zuletzt umarmt worden war. Und sie mochte ihn, war neugierig auf ihn. Verrückt. Absolut verrückt. Allerdings wäre es schön, einfach nur...
"Sie sind also wach", stellte Henri ruhig fest. Sorrel zuckte zusammen. "Ja." Er drehte sich um und sah sie an. "Wie fühlen Sie sich?" "Gut." "Sind Sie sicher?" "Ja. Danke." "Wofür?" fragte er lässig. "Ich weiß nicht", gestand sie errötend. Er lächelte. "Es ist lange her, dass ich mit einer Frau an meiner Seite aufgewacht bin", sagte er herausfordernd. "So?" "Ja. Sind Sie tatsächlich die, für die Sie sich ausgeben?" "Ja." Henri betrachtete ihr Gesicht so prüfend, als hoffte er, dort die Wahrheit zu finden. Dann nickte er. Er war es leid, sich verstellen zu müssen. Falls sie nicht diejenige war, die sie zu sein behauptete, würde er eben lernen müssen, damit zu leben. "Guten Morgen." Ihre verwunderte Miene schien ihn zu amüsieren. Nervös befreite Sorrel den anderen Arm aus der Decke und schob sich das widerspenstige Haar aus der Stirn. Als sie dabei ihre Schläfe berührte, tastete sie vorsichtig über die Beule. "Wie ist es?" "Nicht allzu schlimm." "Gut. Sie haben mich zu Tode erschreckt." "Das bezweifle ich", meinte sie. "Und hören Sie auf zu lächeln." "Ach ja, ich vergaß. Irgendetwas mit einer Geheimwaffe, nicht wahr?" "Ja. Ich kann nicht aufstehen." "Sie können nicht?" "Nein. Sie scheinen auf der Decke zu liegen." Henri stützte sich auf den rechten Arm, stützte das Kinn in die Hand und beobachtete sie interessiert. "Sie wirken nervös." "Ich bin nicht im Mindesten nervös", log sie. "Wer war der Mann, der Sie des Diebstahls bezichtigt hat?" Sorrel zuckte die Schultern. "Sorrel..." warnte er sie leise. "Er wollte mich heiraten", gestand sie. "Und Sie wollten nicht geheiratet werden?" "So ist es." "Also hat er sie des Diebstahls bezichtigt?" fragte er ungläubig. "Ja. Er war mein Chef, und als einmal Geld vermisst wurde, nutzte er die Gelegenheit, um mich in Verruf zu bringen. Er wusste, dass ich nicht der Dieb war, aber er war rachsüchtig." Als sie Henris skeptische Miene bemerkte, seufzte sie. So unglaublich die Geschichte auch klingen mochte, sie entsprach der Wahrheit. "Ich würde jetzt gern aufstehen", erklärte sie. "Kein Kuscheln?" "Nein." Eine kleine Ewigkeit, so schien es ihr zumindest, betrachtete er sie, dann rollte er sich auf die Seite und zog die Decke hervor, bevor er wieder seine bisherige Position einnahm. Verunsichert, erleichtert - oder enttäuscht - erwiderte sie seinen Blick. "Haben Sie es sich anders überlegt?" erkundigte er sich, als sie sich nicht von der Stelle rührte. "Nein". Sorrel schob das gelbe Laken beiseite, wickelte sich aus der Decke und stand auf. Sie trug noch immer ihre Stiefel. "Sie hätten sie mir ausziehen sollen", sagte sie vorwurfsvoll. "Ich habe nicht klar denken können."
Da sie nicht sicher war, wie sie diese Bemerkung auffassen sollte - falls sie überhaupt etwas zu bedeuten hatte -, sah sie ihn forschend an. "Darf ich das Bad benutzen?" "Ja, natürlich. Es müsste sogar heißes Wasser geben, sofern der Boiler funktioniert", fügte er hinzu. "Geben Sie mir fünf Minuten zum Duschen und Rasieren, dann mache ich uns Kaffee." Sie nickte. Jetzt, da sie endlich stand, fühlte sie sich wesentlich sicherer als im Bett. "Wer sind Sie, Henri?" "Ein Niemand", erwiderte er unwillig. "O doch, Sie sind jemand", protestierte sie. "Bei einem Niemand lungern keine Reporter vor dem Tor herum. Ein Niemand würde nicht befürchten, harmlose Gärtnerinnen könnten ihn ausspionieren wollen." "Sind Sie eine harmlose Gärtnerin, Sorrel?" "Ja." "Dann kann es nur an der Landebahn liegen, die ich angeblich bauen will", erklärte er. "Oder..." "Landebahn? Wozu, um alles in der Welt, benötigt jemand eine Landebahn?" "Damit Flugzeuge landen können?" schlug er amüsiert vor. "Andererseits ist es vielleicht auch nur reine Neugier, weil ich all meine Firmen verkauft habe..." "Alle?" wiederholte sie verblüfft. "Wie viele hatten Sie denn?" "Eine oder zwei. Ich bin ein sehr reicher Mann", ergänzte er und wartete gespannt auf ihre Reaktion. Und wieder überraschte sie ihn. "Ja", bestätigte sie versonnen. "Das hatte ich vermutet. Immerhin konnten Sie es sich leisten, eine ehemalige Abtei zu kaufen." "Einen Teil der Abtei. Der größte Teil der Gebäude wurde während der Auflösung der Klöster zerstört." "Das habe ich schon in der Schule gelernt", wehrte sie ab. "Und falls Sie versuchen, mich mit Geschichten über Ihren Wohlstand zu beeindrucken, darf ich Ihnen versichern, dass Sie damit keinen Erfolg haben werden. Ich bin nicht so leicht zu beeindrucken. " Ein Lächeln umspielte seine Lippen. "Gehen Sie sich waschen." Sorrel wandte sich um, blieb aber stehen. "Das erklärt allerdings noch nicht, warum die Reporter Sie hassen." "Nun, wahrscheinlich weil ich Teile ihrer Ausrüstung konfisziert habe." "Wie zum Beispiel teure Kameras?" Sorrel drehte sich wieder zu ihm um. "Ja." "Warum?" "Die Presseleute waren aufdringlich." "Oh. Wegen der Landebahn?" "Nein." Henri lachte. "Dann könnten sie es gewesen sein, die meine Pflanzen herausgerissen haben. Um sich an Ihnen zu rächen oder so." "Möglich." "Warum haben sie dann nicht Ihr Gemüse statt meiner Stauden verwüstet?" rief sie zornig. "Ich sagte, es wäre möglich, nicht wahrscheinlich. Falls sie es waren - was ich stark bezweifle -, haben sie sich vielleicht deshalb nicht am Gemüse vergriffen, weil die unteren Beete durch eine Alarmanlage geschützt sind. Ich hasse es, diese Dinge erklären zu müssen." Er seufzte. "Vor ein paar Jahren, lange bevor ich herkam, gab es eine Reihe von Pferdediebstählen. Craddock, der Vorbesitzer, der die Felder als Pferdekoppeln verpachtet hatte, ließ daraufhin auf dem unteren Teil des Anwesens eine Alarmanlage installieren." "Und jeder in der Gegend weiß darüber Bescheid?" "Ja." "Aber der vordere Garten ist nicht gesichert."
"Nein." "Dann sollten Sie einmal darüber nachdenken..." "Gehen Sie", befahl er nachdrücklich. Sorrel gehorchte und ging den Flur entlang zu dem Bad neben dem Zimmer, in dem sie hätte schlafen sollen. Der Raum roch noch immer leicht nach Farbe und Zement. Die weißen Fliesen waren offensichtlich genauso neu wie das Waschbecken, die Toilette und die Eckbadewanne. Es gab auch eine Duschkabine, der jedoch noch der Vorhang oder eine sonstige Abtrennung fehlte. Sorrel schloss die Tür hinter sich und zögerte einen Moment, bevor sie sie verriegelte. Hatte Henri mit ihr geflirtet? Oder hatte er lediglich versucht herauszufinden, wer sie war? Falls er ihr misstraute oder glaubte, sie sei aus niederen Motiven hier, wie er mehrfach angedeutet hatte, warum hatte er sie dann engagiert? Wer war Henri Chevenay überhaupt? Und warum, um alles in der Welt, nahm er an, man würde eine Landebahn benötigen? Weil er ein eigenes Flugzeug hatte? Er hatte erwähnt, dass er Hubschrauber geflogen sei... Sorrel konnte ihn unmöglich danach fragen. Henri schien nämlich nur darauf zu warten, dass sie Fragen stellte. Seufzend trat sie vor den Spiegel und erschrak bei ihrem Anblick. Sie neigte den Kopf leicht zur Seite, um die blaue Schwellung an der Schläfe zu begutachten, woraufhin prompt ihre Rippen wieder zu schmerzen begannen. Also zog sie den Pullover hoch und spähte an sich hinab, während sie vorsichtig die betroffenen Stellen abtastete. Es fühlte sich ein wenig wund an, doch bis auf einen roten Fleck auf der linken Seite gab es keine Schwellungen oder Blutergüsse. Sie hatte einen schalen Geschmack auf der Zunge, ihre Hände waren schmutzig, und sie brauchte dringend eine Dusche. Aber wie sie feststellen musste, gab es hier weder Seife noch Handtücher. Nur Toilettenpapier. Notgedrungen begnügte sie sich damit, sich Gesicht und Hände abzuspülen und mit Papier abzutrocknen. Danach richtete sie ihr Haar und verließ das Bad. Da sie aus Henris Zimmer keinerlei Geräusche vernahm, ging sie die Treppe hinunter zur Küche. Henri drehte sich zu ihr um und sah sie an. Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie schwören können, dass seine Augen funkelten. Sein Haar war noch nass von der Dusche, er hatte sich rasiert und trug ein sauberes Hemd zu einer grauen Hose. Unwillkürlich fragte sie sich, wer seine Sachen wusch und bügelte, da Mrs. Davies nicht hier war. Vie lleicht kam die Haushälterin ja vorbei und holte die Wäsche ab. "Haben Sie nicht geduscht?" erkundigte er sich interessiert. "Nein. Es waren keine Handtücher da", entgegnete Sorrel. "Und Seife auch nicht." "O verdammt, das tut mir leid..." "Ist schon in Ordnung. Ich dusche, wenn ich wieder im Hotel bin." Sie sah sich um - nicht aus Neugier, sondern um Henri nicht mehr anzusehen. In einer Ecke türmte sich noch immer der Schutt, die Luft war von Staub geschwängert. "Was meint er denn, wie lange es noch dauern wird?" "Sie meinen, weil die Fliesen zu groß und schwer zu schneiden sind? Und die Wände nicht gerade? Die..." "Okay, okay." Sie lachte. "Ich weiß Bescheid." "Er ist langsam und beschwert sich ständig, aber er leistet gute Arbeit - irgendwann." Und, was natürlich noch wichtiger war, er war diskret. "Hat er das Bad renoviert?" "Ja. Zucker?" "Ist das Kaffee?" "Ja." "Dann bitte zwei Stück. Danke."
Nachdem sie einen Becher genommen hatte, erklärte Sorrel, sie wolle den Kaffee draußen trinken, fernab vom Staub. Ohne Henris Antwort abzuwarten, ging sie hinaus zur Vorderseite, wo die Sonne schien. Während sie den Garten inspizierte, stellte sie erleichtert fest, dass nur zwei Rasenstreifen ersetzt werden mussten und lediglich ein Strauch verkümmert war. Die anderen schienen sich zu erholen. Als sie Henris Schritte hinter sich hörte, kehrte sie zur Treppe zurück und ließ sich auf den Stufen nieder. Er gesellte sich zu ihr. "Wie gemütlich", meinte er trocken. Sie lächelte. Den Rücken gegen eine der alten Türen gelehnt, betrachtete sie den Garten und spürte, wie grenzenloser Frieden von ihr Besitz ergriff. Henris Nähe war plötzlich nicht mehr störend oder gar beunruhigend, sondern einfach nur tröstlich. "Es wird einmal wirklich hübsch aussehen", sagte sie. "Ja." "Sie gehen mit Lob eher sparsam um, nicht wahr?" bemerkte sie scherzhaft. Er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu und lächelte. "Ich habe in letzter Zeit den kleinen Hund nicht mehr gesehen." "Er wird wieder auftauchen", erwiderte er. "Vermutlich hat er heute Besseres zu tun." "Warum kommt er her?" fragte sie neugierig. "Weil Mrs. Davies ihn füttert, schätze ich." Er trank seinen Kaffee aus und stand auf. "Ich hole jetzt Ihren Wagen. Die Schlüssel?" Mit großen Augen sah sie ihn an und überlegte verzweifelt, wo sie sie gelassen hatte. "O verdammt!" rief sie zerknirscht. "Sie stecken noch im Zündschloss." "Überaus vernünftig", spottete er. "Ich hatte andere Dinge im Kopf", verteidigte sie sich. "Ja." Er stellte den leeren Becher auf die Balustrade. Dann überquerte er den Rasen und kletterte über die kleine Mauer in den Obstgarten. Sorrel beobachtete ihn dabei. Ihr gefiel die Art, wie er sich bewegte. Mit einem wohligen Schauer erinnerte sie sich daran, wie er vorhin neben ihr gelegen und sie sich gewünscht hatte... Energisch verdrängte sie diese verräterischen Gedanken und konzentrierte sich stattdessen wieder auf den Garten. Ob Henri ihr nun erlauben würde, auch den hinteren Teil zu gestalten? Und ob er sie zuerst für ihre bisherige Arbeit bezahlen würde? Wenig später hörte sie ein Motorengeräusch. Henri fuhr langsam die Straße entlang und über die Brücke, um den Kombi hinter dem Container zu parken. Er war wirklich ein überaus attraktiver Mann. Er sah stark und ein wenig gefährlich aus. Eine echte Herausforderung für jede Frau. Reiß dich zusammen, Sorrel. Er stieg aus, griff nach einem Gegenstand, schloss die Tür ab, steckte die Schlüssel in die Hosentasche und hielt die Taschenlampe hoch. "Ist das Ihre?" Sie nickte. "Ich habe sie im Obstgarten gefunden." Als er sie ihr reichte, fügte er hinzu: "Ich muss noch ein paar Telefonate erledigen, danach fahre ich Sie zum Hotel." "Ich bin durchaus im Stande, selbst zu fahren", widersprach sie ruhig. "Das bezweifle ich keineswegs." Er ging ins Haus und ließ sie mit ihrem Kaffee allein. "Tyrann", beschwerte sie sich - zu leise, als dass er es hätte hören können. Träge und entspannt schloss sie die Augen und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht. Schläfrig fragte sie sich, warum er sie verdächtigte, eine andere zu sein, als sie behauptete. Weil Leute unter Vorspiegelung falscher Tatsachen herkamen, um ihn auszuhorchen? Worüber? Und überhaupt... Wer war Henri Chevenay? Als sie das leise Motorengeräusch seines Wagens hörte, öffnete sie die Augen und sah, wie er geschickt an ihrem Kombi vorbeimanövrierte. Er hielt an, stieß die Beifahrertür auf und wartete.
Seufzend, fast widerstrebend, stellte sie den Becher ab, erhob sich und stieg zu ihm in den Wagen. "Ich habe für uns beide im Hotel Frühstück bestellt. Ihre Abwesenheit habe ich damit erklärt, dass Ihr Kombi eine Panne hatte." "Okay." "Außerdem habe ich die Polizei angerufen. Sie untersuchen den Fall." "Ist für sie vermutlich nicht so wichtig", meinte Sorrel resigniert. "Wir wissen also immer noch nicht, wer er war?" "Nein." "Fingerabdrücke?" Er zuckte die Schultern. "Und auf dem Film in der Kamera hat man ihn auch nicht identifizieren können?" "Anscheinend nicht, aber bis er gefasst ist, werden Sie keinen Schritt ohne Begleitung tun." "Ich..." begann sie empört. "Kein Aber, Sorrel. Ich werde Sie jeden Morgen abholen und abends wieder zum Hotel zurückbringen. Es sei denn, Sie wollen lieber im Haus bleiben", fügte er leise hinzu. "Nein", entgegnete sie sofort. "Dann werden Sie tun, was ich sage." Trotzig blickte sie durch die Windschutzscheibe. "Wahrscheinlich wird er nichts weiter versuchen." "Mag sein." Sie wandte sich zu ihm um. "Wissen Sie, was los ist?" "Nein. Ich weiß gar nichts. Sie etwa?" "Nein", beteuerte sie. "Dann werden Sie auch nichts unternehmen", befahl er. "K eine nächtlichen Abenteuer, keine Detektivspiele." Erwartungsvoll blickte er sie an und wartete auf ihre Antwort. Als diese nicht sofort erfolgte, drängte er: "Ich will Ihr Wort darauf, Sorrel." "Würden Sie es denn akzeptieren?" erkundigte sie sich gereizt. "Das Wort einer Frau, die vielleicht nicht die ist, die sie zu sein vorgibt?" "Sie haben mir doch versichert, dass Sie die sind, die Sie zu sein behaupten." "Ja." "Und das ist die Wahrheit?" "Ja." "Dann akzeptiere ich auch Ihr Wort." Insgeheim musste sie einräumen, dass sie für "Detektivspiele", wie er es genannt hatte, nicht ausgerüstet war, zumal sie nicht die leiseste Ahnung hatte, was eigentlich los war, aber ihre Unabhängigkeit aufzugeben... "Sorrel..." Zögernd willigte sie ein. "Na schön, aber es ge fällt mir gar nicht." "Darum geht es momentan nicht." Henri hielt vor dem kleinen Hotel an, und Sorrel stieg widerstrebend aus. "Wie lange wird es denn dauern? Bis man ihn findet, meine ich. Wenn die Frontseite fertig ist...'" "Können Sie mit dem rückwärtigen Teil beginnen", erklärte er und öffnete die Hoteltür für sie. "Darauf wollte ich nicht hinaus, und das wissen Sie genau", protestierte sie. "Ich brauche ein Transportmittel, um Gärtnereien aufzusuchen..." "Sie haben ein Transportmittel. Mich. Gehen Sie hinauf, und duschen Sie. Ich erwarte Sie in der Lounge." Nachdem sie den Schlüssel vom Portier geholt hatte, der Henri voller Ehrerbietung behandelte, ging sie auf ihr Zimmer. Ihre gute Laune war verflogen.
Zwanzig Minuten später gesellte sie sich zu Henr i in den Speisesaal und blickte entsetzt auf das opulente Frühstück, das ihnen serviert wurde. "Ich habe morgens immer nur Toast und Kaffee", wandte sie ein. Nie im Leben würde sie diese riesigen Portionen schaffen. "Essen Sie", befahl er. Seufzend griff sie nach der Gabel. Zu ihrer Überraschung aß sie alles auf. "Und wagen Sie bloß nicht zu lächeln", warnte sie. Nachdem sie den Teller beiseite geschoben hatte, schenkte sie sich Kaffee ein. "Sie müssen heute im Hotel oder auf dem Grundstück bleiben", verkündete Henri ruhig. "Gehen Sie nicht aus." "Und was machen Sie?" fragte Sorrel neugierig. "Ich bin beschäftigt. Morgen um Viertel vor acht hole ich Sie ab." Er trank den Kaffee aus und verließ den Speisesaal. Gekränkt goss sie sich eine weitere Tasse ein. Als sie sie geleert hatte, lieh sie sich ein Buch in der Lounge aus und setzte sich in den Garten. Doch statt zu lesen, überlegte sie, was Henri vorhaben mochte. Denn er hatte ganz gewiss einen Plan. Henri hatte tatsächlich einen Plan. Nachdem er das Hotel verlassen hatte, rief er zuerst bei der Polizei an, um sich über den Stand der Ermittlungen zu informieren - sofern es überhaupt welche gab -, dann fuhr er nach Devizes zum Haus des Mannes, der die Lokalzeitung besaß und etliche Garagen. Menschen wie ihn verabscheute Henri zutiefst. Großspurig und prahlerisch. Henri glaubte zwar nicht, dass der Reporter hinter dem Anschlag steckte, aber er wollte sich auf jeden Fall vergewissern. Eine halbe Stunde später bog er von einer dreispurigen Straße in eine Allee ein und parkte vor einem weitläufigen, beeindruckenden Gebäude. Mit einem grimmigen Lächeln registrierte er den Rolls-Royce, der demonstrativ vor der Doppelgarage abgestellt war. Er stieg aus, überquerte den kunstvoll gepflasterten Vorplatz und zog an der Klingelschnur. Ein Hausmädchen öffnete. Ungerührt bat er, George Wentsham sprechen zu dürfen. "Ich bin nicht sicher, ob er daheim..." begann sie besorgt. Henri blickte auf den Wagen und dann wieder auf die Frau. "Unternimmt er einen Spaziergang?" erkundigte er sich trocken. Der George Wentsham, den er kannte, ging keinen Schritt zu Fuß. Sanft schob Henri sie beiseite und betrat das Haus. Angesichts des pompös zur Schau gestellten Reichtums in der Halle schüttelte er den Kopf. Guten Geschmack konnte man eben nicht kaufen. "Wo ist er?" Das Hausmädchen zeigte wortlos auf eine Tür zur Linken. Er lächelte ihr zu. Offenbar mochte sie ihren Chef auch nicht. "Tun Sie so, als wäre ich gewaltsam eingedrungen", raunte er ihr zu. "Soll ich weinen?" wisperte sie. "Es wäre wohl besser, wenn Sie jetzt gehen würden." "Ja", räumte sie ein und zog sich zurück. Henri ging zu der Tür, auf die sie gedeutet hatte, und öffnete sie. Nachdem er sie hinter sich geschlossen hatte, betrachtete er den übergewichtigen Mann hinter dem Tisch. "Ich sagte doch, dass ich nicht gestört...", rief er, ohne aufzublicken. "Dann hätten Sie die Tür verriegeln müssen", erwiderte Henri lässig. Wentsham hob den Kopf und starrte Henri feindselig an. "Was, zum Teufel, tun Sie hier?" "Ich suche Informationen." "Suchen Sie woanders!" befahl der Verleger barsch. "Ich bin ein viel beschäftigter Mann und schätze keine Störungen am Sonntagmorgen." "Ich auch nicht", pflichtete Henri ihm freundlich bei. "Ich brauche die Adresse des Reporters, der immer vor meinem Tor herumlungert." "Ach ja?" Henri sah Wentsham aus kalten grauen Augen an. Er wusste eine Menge über George Wentsham, allerdings nichts Gutes. Und George Wentsham wusste, dass er es wusste.
Verärgert warf Wentsham den Stift beiseite. "Dieses Thema haben wir doch bereits hinlänglich diskutiert", erklärte er. "Ich habe Ihnen schon vor Wochen gesagt, dass ich ihm verboten habe, das Grundstück zu betreten. Was er nicht getan hat", fügte er nachdrücklich hinzu. "Das habe ich auch gar nicht behauptet", konterte Henri trügerisch sanft. "Was wollen Sie dann von ihm?" Henri schwieg. Wentsham lehnte sich zurück und versuchte, genauso bedrohlich zu wirken wie Henri was ihm allerdings nicht gelang. "Er ist nicht hier", verkündete er herablassend. "Er berichtet von einem Sportfest in Salisbury." "Seit wann?" "Freitag." "Seine Adresse?" Sekundenlang maßen sie einander mit Blicken, dann presste Wentsham die Lippen zusammen, riss die oberste rechte Schublade auf und entnahm ihr ein kleines Buch. Er klappte es an der entsprechenden Seite auf und hielt es ihm entgegen. Henri rührte sich nicht von der Stelle. "Schreiben Sie es auf", verlangte er. "Zusammen mit der Adresse." "Ich bin nicht Ihr verdammter Lakai. Schreiben Sie es selbst auf!" Henri schüttelte den Kopf. Und wartete. Er verabscheute Einschüchterungstaktiken in jeder Form, doch bei Wentsham war es etwas anderes. George Wentsham hatte seinen Weg zum Reichtum auf dem Rücken vieler zurückgelegt, ohne sich einen Deut um den Schaden zu scheren, den er dabei anrichtete, und daher verspürte Henri nicht die geringsten Skrupel, ihn für seine Zwecke auszunutzen. Er beobachtete, wie Wentsham wütend die Anschrift notierte, und griff dann nach dem Zettel, der ihm achtlos zugeworfen wurde. "Danke." Mit einem kühlen Nicken wandte Henri sich zum Gehen. "Eines Tages..." murmelte Wentsham bitter. "Ja, eines Tages", bestätigte er ruhig. "Ach übrigens, George", er drehte sich noch einmal um, "ich habe die Unterhaltung auf Band aufgenommen." Mit einem schalen Geschmack auf der Zunge ging er hinaus und schloss die Tür leise hinter sich. Als er wieder im Wagen saß, rief er über sein Handy den Privatdetektiv an, nannte ihm die Adresse, die Wentsham aufgeschrieben hatte, und sagte ihm, was er tun solle. Anschließend fuhr er zu einer Sicherheitsfirma, deren Besitzer ihn, wie er wusste, auch an einem Sonntag nicht abweisen würde. Geld mochte Sorrel vielleicht nicht beeindrucken, doch es hatte zweifellos seine Vorzüge. Dann besuchte er die Gärtnerei. "Wer ist das?" fragte Sorrel misstrauisch, als sie am nächsten Morgen in die Auffahrt einbogen. Ohne die elegante junge Frau eines Blickes zu würdigen, die aus dem Haus kam und Sorrels Argwohn geweckt hatte, sah Henri zu dem Mann hinüber, der sich an der Brücke zusammengekauert hatte. "Ein Spezialist für Alarmanlagen", erklärte er lässig. "Wie Sie sehen, bin ich Ihrem Rat gefolgt." "Sie ist Alarmanlagenspezialistin?" "Nein", entgegnete er sanft. "Er." Verwirrt wandte sie sich zu Henri um. Er deutete auf den knienden Mann. "Oh. Und wer ist...?" "Meine Buchhalterin. Aussteigen, bitte." Widerstrebend riss sie sich vom Anblick der jungen Frau los, die ein modisches Kostüm und hochhackige Pumps trug und zudem wundervoll glänzendes dunkles Haar hatte. Sorrel stieg aus dem Wagen und Henri ebenfalls. "Ich habe gestern ein paar Bahnen Rollrasen gekauft und die verdorrten Soden
herausgenommen", verkündete er mit ausdrucksloser Miene. "Das sehe ich." Außerdem bemerkte sie, dass der Küchenbauer eifrig damit beschäftigt war, den Abfallcontainer mit Schutt zu füllen. "Das fällt ihm ein bisschen spät ein, oder? Der Container soll heute Vormittag abgeholt werden." "Deshalb ja", meinte er geheimnisvoll. Sorrel runzelte die Stirn. "Machen Sie sich darüber keine Sorgen", riet er. "Nein." Sie rührte sich nicht von der Stelle. "Ich kann erst mit der Auffahrt beginnen, wenn der Container abgeholt wurde." "Ich weiß. Ersetzen Sie die fehlenden Rasenstücke, und dann kommen Sie zu mir in den hinteren Garten. Vielleicht können wir gemeinsam ein paar Ideen zu Papier bringen." Lächelnd eilte er zu der jungen Frau, die an der Vordertür des Hauses herumstand. Nein, korrigierte Sorrel sich im Stillen, Miss Eleganz würde nie so etwas Vulgäres wie Herumstehen tun - sie wartet auf der Treppe. Allerdings nicht sonderlich geduldig, wie es schien. Es war eine jener erschreckend cleveren Frauen, die andere durch ihren bloßen Anblick einschüchtern konnten. Sie sprachen kurz miteinander, dann kletterte sie in den schnittigen Sportwagen - der mit einem Reifen auf dem frisch verlegten Rasen parkte, wie Sorrel verärgert feststellte - und preschte los, als würde Sorrel überhaupt nicht existieren. Um ein Haar hätte sie den Sicherheitsfachmann über den Haufen gefahren, bevor sie in letzter Sekunde einen Zusammenstoß mit einem Postwagen vermeiden konnte und mit aufheulendem Motor in der Ferne verschwand. Gereizt machte Sorrel sich daran, den Rasen herzurichten, während Henri vom Postbeamten einen dicken Umschlag entgegennahm und den Empfang quittierte. Eine halbe Stunde später quoll der Container fast über. Sie wusch sich die Hände unter dem Gartenschlauch, wischte sie an den Jeans trocken und ging dann ums Haus, um Henri zu suchen. Er saß auf einer halb eingestürzten Mauer neben einer verwilderten Ligusterhecke. Die Ellbogen hatte er auf die Knie gestützt, in den Händen hielt er einige Schriftstücke. Er blickte vor sich hin, ohne jedoch etwas von seiner Umgebung wahrzunehmen. Dachte er an seine Buchhalterin? Die womöglich mehr war als nur eine Buchhalterin? Vielleicht hatte sie herausgefunden, dass Sorrel eine Nacht in der Abtei verbracht hatte. Dass sie und Henri ein Bett geteilt und sich geküsst hatten... Reiß dich zusammen, Sorrel! Sie fühlte sich absolut nicht so unbekümmert wie sonst. Genau genommen, dachte sie verdrossen, habe ich mich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr so gefühlt, und das alles nur wegen Henri. Sie ging auf ihn zu. Statt auf den Weg zu achten, ruhte ihr Blick unverwandt auf Henris breiten Schultern, auf dem Hemd, dass sich über seinem Rücken spannte, auf seinem dichten Haar, das sich über dem Kragen lockte. Daher bemerkte sie nicht, dass sich aus dem Pflaster zwei Steine gelöst hatten. Sie stolperte über das Loch, verlor das Gleichgewicht, und weil der Weg abschüssig war, fiel sie mit einem erschreckten Aufschrei vornüber. Henri sprang auf, drehte sich um und streckte die Arme nach ihr aus, in dem aussichtslosen Versuch, ihren Sturz aufzuhalten.
6. KAPITEL
Sorrel prallte mit Henri zusammen, und obwohl sie leichter und kleiner als er war, hatte ihn der Rettungsversuch ebenfalls aus dem Gleichgewicht gebracht, so dass sie beide zusammen in die Hecke fielen. Sie sagte kein Wort, konnte nichts sagen. Der Sturz hatte ihr den Atem geraubt, und so blickte sie stumm in Henris Augen, die ihren so nah waren. Sie lag auf seiner Brust, ihre Beine waren mit seinen verschlungen, der Strauch umgab sie wie eine grüne Wand - und die Welt schien still zu stehen. Sorrel stieß einen unartikulierten leisen Schrei aus. Henri hingegen gab keinen Laut von sich, er sah sie nur ebenso verwundert an wie sie ihn. Sie spürte jede Einzelheit seines Körpers, ihre Sinne waren auf einmal hellwach, und sie begehrte ihn. "Nein", flüsterte sie entsetzt. Sie begehrte ihn nicht. Durfte ihn nicht begehren. Sie hatte in letzter Zeit schon genug Probleme gehabt. Verzweifelt versuchte sie, sich aufzurichten, doch er hinderte sie daran, hielt sie mit seinem Blick gefangen - und dann küsste er sie. Während er sie sanft in die Arme schloss, küsste er sie. Die Hecke, in der sie lagen, war elastisch und dicht, und ohne den Kuss zu unterbrechen, drehte er Sorrel auf den Rücken. Er beugte sich nun über sie und küsste sie weiter. Blätter kitzelten ihren Nacken, Zweige drückten sich in ihren Rücken, doch sie fühlte nur seinen Körper auf ihrem, seinen Mund auf ihren Lippen. Wie von einer unsichtbaren Macht getrieben, glitten ihre Hände zu seinen Schultern, berührten seinen Rücken, während sie bei einem Kuss dahinschmolz, den sie nicht gewollt hatte, auf den sie nicht vorbereitet gewesen war. Die Stimme der Vernunft sagte ihr, dass es Wahnsinn sei. Tief in ihrem Herzen wusste sie jedoch, dass sie sich dies von dem Moment an gewünscht hatte, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Es ist schließlich nichts Schlimmes, redete sie sich ein. Es ist doch nur ein Kuss. Nein, korrigierte sie sich im Stillen, unzählige Küsse, betörende, wundervolle, aufregende Küsse. Mit geschlossenen Augen gab sie sich ihnen hin, atmete tief seinen Duft ein und genoss seine Wärme und sein Gewicht. Beinahe gierig erwiderte sie seine Liebkosungen. Um Atem ringend, und weil er den Lastwagen kommen hörte, der den Container abholen sollte, hob Henri den Kopf. Er betrachtete Sorrels gerötete Wangen, die rosigen Lippen und die großen Augen, in denen ein verwirrter Ausdruck lag - und küsste sie erneut. Weil er es wollte, weil sie ihn faszinierte und amüsierte, weil sie ihn neugierig machte. Sie überraschte ihn immer wieder. "War es wieder der Größenunterschied?" fragte sie heiser. "Nein." "Es war schön", wisperte sie. Um seine Augen bildeten sich winzige Lachfältchen. "Ja, das war es. Hast du noch etwas zu sagen?" "Zu sagen?" wiederholte sie ratlos. "Was denn, zum Beispiel?" "Ist nicht so wichtig. Der Laster ist hier, um den Container zu holen." "Ich sollte etwas über den Laster sagen?" Henri lächelte. "Nein." Vorsichtig richtete er sich auf, dann half er Sorrel auf die Füße. "Ich finde, wir sollten jetzt das Gebüsch verlassen. Es könnte sich als... nützlich erweisen." Sie sah ihn stumm und ein bisschen benommen an. "Frag mich bitte nicht, warum." Sorrel schüttelte den Kopf. Sie kam sich plötzlich schrecklich scheu vor, obwohl dies natürlich albern war. Sie hatte mit ihm flirten wollen... Doch es war mehr als nur ein kleiner Flirt, oder? "Darf ich mich nach dem ersten Mal erkundigen?" "Ja, danach kannst du fragen. Da ich nicht wusste, wer du bist, und ich dir nicht traute dein Benehmen war ein bisschen bizarr, wie du zugeben musst -, erschien es mir der einfachste Weg zu sein, mehr über dich herauszufinden."
"Mich zu küssen war für dich das Einfachste?" "Nun ja, genauer gesagt hat mich deine Reaktion darauf interessiert. Ich wollte feststellen, ob du mich ohrfeigst, die Arme um mich legst oder mich verblüfft anschaust, was du dann auch getan hast", fügte er sanft hinzu. "Außerdem hast du behauptet, du hättest es nicht genossen. Stimmt das?" Sie senkte den Kopf, um seinem durchdringenden Blick auszuweichen, der sie Dinge sagen ließ, die sie gar nicht sagen wollte. Trotzig presste sie die Lippen zusammen und sah, dass die Papiere, die Henri vorhin gehalten hatte, auf dem Boden verstreut waren. Als sie sich bückte und sie aufheben wollte, hinderte er sie daran. "Ich mache das schon", erklärte er. Sorrel stand auf. "Ich habe es nicht gewollt", flüsterte sie. "Ich wollte mich nicht mir dir einlassen. Ich habe Jen versprochen, meinen Job zu erledigen, das Haus nicht zu betreten und mein Geld zu kassieren", setzte sie trocken hinzu. "Du musst dich nicht mit mir einlassen", wandte er ein. "Nein." Allerdings war sie nicht sicher, ob sie unbeschadet aus der Sache herauskommen würde. Wäre der Eindringling nicht gewesen... Sie seufzte resigniert. "Ich muss den Lastwagenfahrer bezahlen." "Ja." Henri zupfte ein Blatt aus ihrem Haar und küsste sie spontan noch einmal, nur ganz leicht auf die geöffneten Lippen. Und erkannte, dass er noch immer nicht genug von ihr hatte. Sie lächelte ihn verlegen an und ging zur Vorderseite des Hauses. Es kam ihr alles so unwirklich vor. An der Hausecke blieb sie stehen, um einen Blick zurückzuwerfen. Henri beobachtete sie. Du darfst den Küssen nicht allzu viel Bedeutung beimessen, ermahnte sie sich. Es waren nur Küsse. Das war gut so, denn mehr durfte sie nicht erhoffen. Es würde auf diese wenigen Momente im Gebüsch beschränkt bleiben. Und es waren nur wenige Momente gewesen, obwohl es ihr wie eine kleine Ewigkeit vorgekommen war. Er hatte sie geküsst, weil sie... zufällig da gewesen war. Und weil sie die falschen Signale ausgesandt hatte? Das hatte zumindest Jen behauptet. Waren es tatsächlich die falschen Signale gewesen? Sie hatte sich doch gewünscht, dass er sie küssen möge. Sorrel bezahlte den Fahrer und nahm die Quittung entgegen. Geistesabwesend lächelte sie dem Küchenbauer zu, der im Garten herumlungerte, und setzte sich dann auf die Treppe, um ernsthaft über Kies nachzudenken. Ein sonderbarer Tag, dachte Sorrel später, als Henri sie zum Hotel zurückfuhr. Sie hatte ihn kaum noch gesehen, nachdem der Container abgeholt worden war. Er hatte ihren Kombi und seinen Wagen umgesetzt, damit sie den Kies ausbringen konnte, und war weggefahren. Und nun saß er neben ihr, frisch geduscht und umgezogen und sagte kein Wort. Weil es nichts zu sagen gab? Weil er nicht über den Kuss sprechen wollte? Dabei war sie sich seiner Nähe deutlicher bewusst als je zuvor in ihrem Leben bei einem anderen Menschen. "Warum hast du nicht erwähnt, dass der Küchenbauer den Schutt erst in letzter Minute zum Container bringen würde?" fragte sie, weil ihr nichts Besseres einfiel. Henri lächelte bitter. "Weil die Leute meinen Abfall durchwühlen." Ungläubig sah sie ihn an. "Warum denn? Ich weiß, dass Le ute im Sperrmüll nach Verwertbarem suchen, aber es war doch nur Müll!" "Aus seinem Müll kannst du viel über einen Menschen erfahren", erklärte er ruhig. "Ich stelle nur Dinge hinaus, die sich nicht schreddern lassen, wie zum Beispiel Dosen - und selbst die verlassen mein Haus erst kurz bevor der Müllwagen eintrifft." Fassungslos flüsterte sie: "Wer bist du, Henri? Was bist du?" "Paranoid?" schlug er selbstironisch vor. Er hielt vor dem Hotel, stellte den Motor ab und wandte sich ihr zu. "Überbleibsel aus den Tagen meiner Berühmtheit." "Berühmtheit?" "Es war ein Scherz", beruhigte er sie. "Hast du je von Industriespionage gehört?"
"Ja, natürlich", erwiderte sie verwirrt. "Dann weißt du vielleicht auch, dass Menschen, die Industrieunternehmen, Finanzimperien, kurz, alle kritischen Branchen leiten, sowie Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Reiche sehr vorsichtig mit dem sind, was sie herumliegen lassen. Mir gehörten mehrere Firmen, die man durchaus als ,kritisch' bezeichnen könnte. Ich habe sie nicht mehr", fügte er hinzu, "aber das hindert die Leute nicht daran, sich dafür zu interessieren, in der Hoffnung, irgendetwas herauszufinden. Außerdem bin ich sehr reich." "Das sagtest du bereits", meinte sie beinahe gelangweilt. Er lächelte. "Sehr reich", beharrte er. "An meiner Tür klingeln Spendensammler, ich bekomme Erpresserschreiben, Todesdrohungen..." "Todesdrohungen?" wiederholte sie schockiert. "Ja." "Warum hast du dann keine Wächter? Oder Bodyguards?" "Weil ich so nicht leben möchte. Liest du denn keine Zeitungen?" erkundigte er sich amüsiert. "Das schon", räumte sie stirnrunzelnd ein. "Aber nicht den Wirtschaftsteil." "Das erklärt einiges", bemerkte er trocken. "Machst du dich über mich lustig?" "Nur ein bisschen. Es ist eine erfrischende Abwechslung, einmal nicht erkannt zu werden." Sorrel kam sich einmal mehr schrecklich dumm vor. "Du hast vorausgesetzt, ich wüsste, wer du bist?" "Ja." "Aber ich weiß es nicht." "Nein", bestätigte er. "Dann erzähl es mir." Henri seufzte. "Mir gehörten eine Computerfirma, ein Fernsehsender, eine kleine Fluglinie..." "Die Landebahn", warf sie ein. "Ja. Nicht, dass ich hier eine haben möchte, aber..." "Die Leute spekulieren und bringen Gerüchte in Umlauf." "Richtig. Außerdem hatte ich eine Spedition, Lagerhäuser, eine Investmentgesellschaft..." "Die du an die Amerikaner verkauft hast", unterbrach sie ihn eifrig. "Zumindest das weiß ich. Es stand in dem Artikel, den ich beim Zahnarzt gelesen habe. Aber all die anderen Unternehmen... Warum wusste ich nichts davon?" "Weil sie nicht unter meinem Namen liefen." "Aber die Leute wussten offensichtlich, dass du der Besitzer warst." "Ja. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht." Sorrel bemühte sich, die Tatsache zu verkraften, dass Henri nicht nur vermögend, sondern geradezu unvorstellbar reich war. Gleichzeitig fragte sie sich, ob er sie mit seinem Bericht warnen wollte. Lautete die Botschaft hinter seinen Worten etwa: Bilde dir nicht ein, dass du mich eingefangen hättest. Komm nicht auf dumme Gedanken. "Warum hast du alles verkauft?" erkundigte sie sich neugierig. "Weil es mich gelangweilt hat. Weil ich mit meinem Leben etwas anderes anfangen wollte - und weil ich der Leute überdrüssig war, mit denen ich verkehren musste. Ich liebe Ruhe und Frieden. Ich bin gern allein." Mit einem wehmütigen Lächeln fuhr er fort: "Und dann habe ich mich fast bei einem Hubschrauberabsturz umgebracht. Damals hatte ich bereits angefangen, mein Leben zu ändern, und die Zeit im Krankenhausbett hat mich in meinen Plänen nur bestätigt. Ich brauchte Raum für mich selbst, man könnte es als Selbstfindung bezeichnen, und als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, kaufte ich die Abtei und beschloss, sie eigenhändig zu restaurieren. Die Presse war natürlich neugierig und wollte wissen, warum ich alles verkauft hatte. Ich fürchte, mein Temperament ist mit mir durchgegangen", gestand er.
"Und ich dachte, du hättest Schmerzen", sagte sie mitfühlend. "So schlimm ist es nicht. Die Reporter wurden immer dreister, und als ich einen von ihnen dabei erwischte, wie er im Inneren des Hauses fotografierte, habe ich seine Kamera konfisziert und den Film vernichtet. Das war nicht besonders klug, denn dadurch habe ich sie in ihrer Vermutung bestärkt, ich hätte etwas zu verbergen. Sie erfanden alle möglichen Geschichten über mich. Spekulierten, ich wäre krank, hätte mein Talent fürs Geldverdienen verloren - irgendein Thema fand sich immer. Da hier nicht allzu viel passiert, war ich ein willkommenes Ziel. Sie folgerten sogar, der Hubschrauberabsturz wäre kein Unfall, sondern ein Selbstmordversuch gewesen." "Das ist ja schrecklich!" rief Sorrel. "Ja." Henri schien sich über ihre Reaktion zu amüsieren. "War es keine Sabotage?" "Nein. Es war ein technischer Fehler." "Journalisten sind so aufdringlich." "Ja." Angesichts seiner offenkund igen Erheiterung fragte sie: "Warum warst du so mürrisch, als ich eintraf?" "Du hast einfach nur einen schlechten Tag erwischt", erwiderte er. "Die Reporter belagerten das Tor, und ich hatte eine Auseinandersetzung mit Mrs. Davies. Als ich einen Spaziergang machen wollte, um mich zu beruhigen, hatte ich einen Zusammenstoß mit ein paar ziemlich militanten Wanderern, die der Ansicht waren, ich hätte kein Recht, ihnen den Zugang zu meinem Land zu verwehren. Ihrer Meinung nach leben wir in einer klassenlosen Gesellschaft, in der die Reichen kein Recht haben, Land zu besitzen. Ich hatte sie gerade überredet, das Grundstück wieder zu verlassen, als ich den Hund in dem Loch entdeckte." Sorrel war nicht sicher, ob sie seinen Worten Glauben schenken durfte, aber falls es eine andere Erklärung gab, wollte er sie ihr offensichtlich nicht verraten. "Und dann bist du aufgetaucht", fuhr er fort, "und ich wusste nicht, was ich mit dir anfangen sollte." Er wusste es auch jetzt nicht. Der Bericht des Privatdetektivs hatte keinerlei Verbindung zwischen Sorrel und einer Zeitung herstellen können, allerdings wurde darin ihre Beziehung zu dem Adelsspross Nicholas Paignton erwähnt, und das gefiel Henri gar nicht. Er begehrte sie. Er war selbst überrascht, wie leidenschaftlich er sie begehrte. Doch noch scheute er sich, eine Bindung einzugehen. "Und du hast immer noch keine Ahnung, wer den Garten verwüstet hat?" "Nein", entgegnete er stirnrunzelnd. "Ich habe den Besitzer der hiesigen Zeitung zur Rede gestellt und den Reporter aufspüren lassen, aber ich glaube nicht, dass es einer von den beiden war. Der Verleger verabscheut mich zwar zutiefst - genauso sehr wie ich ihn -, doch eine solche Zerstörungswut entspringt purem Hass und nicht einer vergleichsweise harmlosen Abneigung. Ich bezweifle, dass wir den Täter je ausfindig machen. Es dürfte sich um jemanden handeln, den du oder ich beleidigt oder geschnitten haben..." "Hat sich nichts bei den Fingerabdrücken oder dem Autokennzeichen ergeben?" "Nein. Der Wagen war übrigens gestohlen." Henri sah sie eindringlich an. "Du wirst nicht Detektiv spielen." Statt zu antworten, lächelte sie. "Du bereitest mir auch so schon genug Probleme." "So?" fragte sie verwundert. "Inwiefern?" "Weil du anders bist als jede Frau, die ich bislang getroffen habe. Du faszinierst mich, reizt mich, amüsierst mich. Außerdem genieße ich es, dich zu küssen. Du hast einen wunderschönen Mund, Miss James", flüsterte er. "Aber eine Affäre mit dir wäre vermutlich katastrophal..." Sein leichter Tonfall entsprach nicht im Ent ferntesten seinen Empfindungen. Wären seine
Gefühle rein körperlicher Natur gewesen, wäre es kein Problem gewesen - doch dem war nicht so, und das mochte er nicht einmal sich selbst gegenüber eingestehen. Die Zeiten waren vorbei, da er den Leuten aufs Wort geglaubt hatte, und er hasste es, sich niemandem öffnen zu können, ohne einen Beweis für dessen Vertrauenswürdigkeit zu haben. "Wer hat gesagt, dass ich eine Affäre will?" konterte Sorrel. "Niemand", räumte er ein. "Mir fällt es jedoch immer schwerer, dich allein zu lassen." Dann tu's nicht, hätte sie am liebsten geantwortet, brachte es aber nicht über die Lippen, weil sie nicht wusste, ob sie sich auf ihr Urteilsvermögen verlassen konnte. Wegen Nick, wegen Jen... Außerdem vertraute Henri ihr auch nicht rückhaltlos. Vermutlich weil er so reich war und dachte, sie hätte es auf sein Geld abgesehen. Sie fühlte sich sonderbar verwundbar, während sie versuchte, die Sache so leicht zu nehmen wie er. "Das klingt ja wie in einem Theaterstück aus dem vorigen Jahrhundert. Der Herr des Hauses findet Gefallen an der Aushilfsmagd." Er lächelte amüsiert. "So ist es absolut nicht. Außerdem haben sich die Zeiten geändert." Ja, aber inwieweit? überlegte sie. "Als ich dir zum ersten Mal begegnet bin, war ich glücklich", sagte sie ernst. "Du warst so hinreißend unhöflich, und ich wollte dich necken. Und dann hast du mich geküsst, und alles ist außer Kontrolle geraten. Es wäre besser gewesen, wenn du es nicht getan hättest." "Ach ja?" "Ja", behauptete sie nicht sonderlich überze ugend. "Ich weiß, ich bin manchmal ein bisschen sonderbar, und Jen meint, ich würde die falschen Signale aussenden... Mein Leben ist ein einziges Chaos!" "Weil dich jemand des Diebstahls bezichtigt hat?" "Ja." "Erzähl mir davon." "Da gibt es nichts zu erzä hlen. Ich wurde nicht angezeigt - was immerhin ein kleiner Erfolg ist -, aber ich wurde auf die schwarze Liste gesetzt und fand keine Arbeit mehr. Ich konnte es mir nicht leisten, ihn wegen Verleumdung oder falscher Anschuldigungen zu verklagen, und ich konnte auch nicht beweisen, dass er gelogen hatte. Als die Aufträge ausblieben, musste ich das Haus verkaufen, das ich erst kurz zuvor erworben hatte, musste mich von meinem Wagen trennen und meine Habseligkeiten bei Jen unterstellen... Ich hatte eigentlich gar nicht damit gerechnet, dass du mich ohne Referenzen engagieren würdest. Niemand sonst hat es getan", schloss sie bitter. "Warum du?" "Damit ich ein Auge auf dich haben konnte. Um herauszufinden, was du vorhattest." "Ich hatte überhaupt nichts vor", protestierte sie. "Nein." Es sei denn, sie hatte beabsichtigt, ihn zu erpressen. "Wenn ich gewusst hätte, dass du reich bist - ich meine, richtig reich -, wäre ich gar nicht erst gekommen. Aber als ich den Artikel las und Fotos von dem verwilderten Anwesen sah, so weit weg von London..." "Geh duschen", befahl er leise. Mit einem versonnenen Seufzen öffnete sie die Beifahrertür des Wagens. Ohne einen Blick zurückzuwerfen, eilte sie hinauf in ihr Zimmer. Ihre Gedanken überschlugen sich, während sie Wäsche zum Wechseln aus der Kommode nahm und ins Bad ging. Es gab so vieles, worüber sie nachdenken und sich sorgen musste. Was wollte Henri von ihr? Falls er überhaupt etwas von ihr wollte. Hatte er ihr all das nur erzählt, um sie zu warnen? Sie brauchte jedoch keine Warnung. Bei Nick hatte sie sich erschreckend naiv verhalten, sie konnte es sich nicht leisten, diesen Fehler noch einmal zu machen. Das Vorrecht des Hausherrn, dachte sie, als sie unter die Dusche trat. Die Tradition vergangener Jahrhunderte, der zufolge der Herr des Hauses jedes weibliche Wesen haben konnte, egal, ob Hausmädchen oder - Gärtnerin? Die Zeiten haben sich geändert, hatte Henri gesagt. Natürlich hatten sie das. Warum also fühlte sie sich dabei so unbehaglich? Wenn sie
den ersten Schritt machte, würde er denken... Nicht unbedingt. Wütend auf sich selbst, drehte sie den Wasserhahn zu und trocknete sich das Haar. Sorrel legte ein Kleid heraus und hielt nachdenklich inne. Würde Henri glauben, sie hätte es seinetwegen angezogen...? Verdammt, hör auf damit Sorrel! Trotzig streifte sie es über, schlüpfte in hochhackige Sandaletten und trug ein wenig Make-up auf, bevor sie nach unten ging. Mit entschlossener Miene trat sie Henri in der Halle entgegen. "Ich bin fertig", verkündete sie. "Das sehe ich." Er nahm ihren Arm und führte sie zum Ausgang. "Der Speisesaal ist dort drüben", protestierte sie. "Wir essen nicht im Restaurant, sondern in der Abtei. Die Hotelküche hat uns freundlicherweise einen Imbiss zum Mitnehmen vorbereitet. Ich finde, wir sollten die Fertigstellung des vorderen Gartens stilvoll feiern." Erschrocken sah sie ihn an. Er erwiderte ruhig ihren Blick. Da sie nicht wusste, wie sie die Einladung ablehnen sollte, ohne kindisch zu wirken, ließ sie sich von Henri zu seinem Wagen geleiten. Glücklicherweise parkte ihr Kombi noch immer an der Abtei, so dass sie notfalls jederzeit die Flucht ergreifen konnte. Schweigend fuhren sie zum Kloster. Sorrel fiel beim besten Willen keine Gesprächsthema ein, und Henri wollte offenbar nicht reden. Sie konnte einzig daran denken, dass Jen wütend auf sie sein würde. "Es ist schließlich nicht Jens Leben", sagte sie leise zu sich selbst. "Und dies ist ganz gewiss keine gute Idee", fügte sie laut hinzu. "Wieso?" "Ich weiß nicht, wieso", entgegnete sie gereizt. "Wenn ich es wüsste, würde ich jetzt im Speisesaal sitzen. Wo wollen wir überhaupt essen? In deinem Arbeitszimmer?" "Lass dich überraschen." Henri bog, in die Auffahrt ein, und Sorrel lauschte zufrieden dem Knirschen des frisch ausgebrachten Kies unter den Reifen. Henri parkte den Wagen und stieg aus, um den Kofferraum zu öffnen. Seufzend folgte sie seinem Beispiel und half ihm dann, alles ins Haus zu tragen. "Die letzte Tür", wies er sie an. "Das ist doch das Refektorium." "Ich weiß, dass es das Refektorium ist." Zögernd öffnete sie die Tür und hielt verwundert den Atem an. Der Raum hatte sich auf wundersame Weise verwandelt. Vier hohe schmiedeeiserne Leuchter rahmten den inzwischen gesäuberten Kamin ein. Ein langer Tisch mit acht Stühlen bildete den beeindruckenden Mittelpunkt des Saals, und vor den noch immer vorhanglosen Fenstern stand eine kleine Couch. "Ich habe veranlasst, dass die Möbel aufgestellt wurden, während ich dich ins Hotel begleitete", erklärte er leise hinter ihr. "Würdest du bitte beiseite treten? Die Schüsseln sind heiß." "O ja, natürlich. Entschuldige." Sie eilte in den Saal und stellte das Paket auf den Tisch, und Henri entledigte sich der Schalen. Dann nahm er eine Packung Streichhölzer vom Kaminsims, zündete die Kerzen an und drehte sich zu ihr um. Er lächelte. "Eigentlich ist es noch nicht dunkel genug dafür, aber ich finde, sie schaffen eine festliche Atmosphäre. Immerhin haben wir etwas zu feiern." Er ging zum Tisch, öffnete die Schachtel, die Sorrel getragen hatte, und begann, den Inhalt auszupacken. Platzdeckchen, eine Menage mit Essig und Öl, Messer und Gabeln, Gläser, Teller, Schalen und eine Flasche Wein. Als er alles zu seiner Zufriedenheit arrangiert hatte ein Gedeck an der Stirnseite des Tisches, das andere an der Seite daneben -, forderte er sie auf, Platz zu nehmen, während er die Weinflasche entkorkte. Als Vorspeise gab es Suppe, die in einer Thermoskanne geliefert worden war, es folgten
Hühnchen und Reis in einer cremigen Sauce sowie ein kleiner Salat und danach frisches Obst und Eiscreme, die bereits zu schmelzen begann. Da Sorrel noch immer ein wenig benommen vor Überraschung war, verlief der größte Teil der Mahlzeit in Schweigen, einem Schweigen, das sie zunehmend nervös machte. Henri beobachtete sie, und sie hielt den Blick unverwandt auf den Teller gerichtet. Sie hätte sich nie als einen ängstlichen Menschen bezeichnet, doch nun war sie besorgt. Und warum? fragte sie sich. Nur weil ein Mann sagt, dass er mich attraktiv findet, ist das noch lange kein Anlass zur Sorge. Im Gegenteil, es war schön, wenn man für attraktiv gehalten wurde. Allerdings wollte sie keine Affäre. Küsse waren in Ordnung. Sie hatte es genossen, ihn zu küssen... "Noch etwas Wein?" Sorrel zuckte erschrocken zusammen und sah zu, wie er ihr nachschenkte, ohne ihre Antwort abzuwarten. Sie wusste nicht mehr, wie oft sie ihr Glas inzwischen geleert hatte. Zu oft, vermutlich. Alles war auf einmal verändert, spannungsgeladen. Zumindest hatte sie diesen Eindruck. Henri hingegen schien nichts Ungewöhnliches zu beme rken. "Bist du zufrieden?" erkundigte er sich leise, als der letzte Gang beendet war und er versonnen mit seinem Weinglas spielte. "Zufrieden?" wiederholte sie unbehaglich. "Mit dem Garten." "O ja. Es fehlen nur noch ein paar... Höhepunkte." Warum, um alles in der Welt, fiel ihr kein besseres Wort ein? "Ich dachte an einen großen, glasierten Kübel neben der Eingangstür, Rindenmulch, um das Unkraut zu unterdrücken, und natürlich..." "Hör auf mit dem Unsinn", unterbrach er sie und fuhr mit unveränderter Stimme fort: "Eigentlich hatte ich vor, den Abend mit dir auf rein platonischer Ebene zu verbringen, aber ich glaube nicht, dass es so sein soll. Was meinst du? Unterdrückte Instinkte können leicht außer Kontrolle geraten." Mit großen Augen sah sie ihn entsetzt an. "Ich habe keine unterdrückten Instinkte", behauptete sie heiser. "Und warum bist du dann so nervös?" "Wärst du es an meiner Stelle nicht?" konterte sie gereizt. "Nein", entgegnete er und lachte leise. "Frauen sind in meiner Gesellschaft normalerweise überhaupt nicht nervös." "Sondern?" "Aufgeregt, kokett, herausfordernd..." "Tu dir keinen Zwang an", erwiderte sie leise. Sein Lachen klang ausgesprochen fröhlich, und das machte sie nur noch ärgerlicher. "Vielleicht sollte ich dich heiraten", schlug er vor. "Ja", sagte sie verächtlich, "vielleicht aber auch nicht. Ist es tatsächlich so heiß hier?" "Nein." Sanft umfasste er ihr Kinn und kostete das Gefühl aus, ihre Haut unter seinen Fingern zu spüren. "Ich möchte dich küssen." Sorrel schluckte trocken. Ihre innere Anspannung wuchs, als sie in seine Augen blickte, die nicht länger an kalten Schiefer, sondern an weichen Samt erinnerten. "Möchtest du das Kloster besichtigen?" "Gern." Rasch schob sie ihren Stuhl zurück und beendete so den körperlichen Kontakt. Er lächelte wehmütig. "Nimm dein Glas mit." Sie gehorchte, ohne nachzudenken, einzig beseelt von dem Bedürfnis, diesen Raum zu verlassen und der intimen Umgebung zu entfliehen, die all ihre guten Vorsätze untergrub. Nachdem sie ihr fast volles Glas ergriffen hatte, ging sie zur Tür. Ihre Schritte hallten geisterhaft von den nackten Dielen wider. Henri ließ sich Zeit mit dem Aufstehen. Er nahm sein Glas und folgte ihr. "Solltest du nicht die Kerzen löschen?" Ihre Stimme klang rau. Sorrel räusperte sich. "Nicht nötig", entgegnete er. "Hier gibt es keine Zugluft." Er öffnete die Tür und ließ ihr
den Vortritt. Kaum hatte auch er den Raum verlassen, schloss die Tür sich wie von selbst. "Das ist wirklich gespenstisch", meinte sie. "Keineswegs. Die Angeln sind ein wenig schief. Hier entlang." Er stieß die mittlere Tür auf und wartete, dass Sorrel in dem engen, gepflasterten Korridor voranging. Und weil der Durchgang so schmal war, musste sie sich förmlich an Henri vorbeischieben. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, als sie vor ihm herlief. "Früher führte das Gewölbe zur Kapelle", erklärte er. Sein warmer Atem streifte ihren Nacken. Erschauernd eilte sie weiter. Es war dämmrig. "Wo ist die Kapelle?" "Verfallen, wie so vieles andere auch." Sie gelangte zu einer Tür zu ihrer Rechten und blieb stehen. Henri griff an ihr vorbei, drehte den Knauf und stieß die Tür weit auf, so dass Sorrel eintreten konnte. Komm in meinen Salon, sagte die Spinne zur Fliege. Hör auf damit, Sorrel! Sie sehnte sich danach, in seinen Armen zu liegen. Es würde passieren, davon war sie überzeugt, und die Erwartung, die prickelnde Ungewissheit, ließen ihre Knie zittern. Der Raum war klein und leer und hatte ein breites Fenster, das zum vorderen Garten zeigte. "Ich werde das Zimmer voraussichtlich als kleine Bibliothek nutzen." Henri stand so dicht hinter ihr, dass sie erbebte. Er berührte ihr Haar, und Sorrel hätte beinahe den Wein über ihr Kleid geschüttet. "Nun?" raunte er. "Nun - was?" wisperte sie atemlos. Er umfasste ihren Nacken, schob die Finger in ihre dichten Locken und trat neben sie. "Ein Kuss. Es scheint unvermeidlich zu sein." Gütiger Himmel! "Sieh mich an." Es dauerte einen Moment, bis sie all ihren Mut zusammengenommen hatte und sich ihm zuwandte. Sie sah nur seinen Mund. Und der kam immer näher. Mit fest geschlossenen Augen erwartete sie den Kuss, und als es geschah, als seine Lippen ihre berührten, zuckte sie zusammen, als hätte sie sich verbrannt. Sie stieß einen leisen Schrei aus und klammerte sich mit der freien Hand an sein Hemd. Der Kuss war drängend und sinnlich. Henri ließ die Hand von ihrem Haar zu ihrer Taille gleiten und zog sie fest an sich. Sie legte ihm die Hand um den Nacken und erzwang so einen noch engeren Kontakt. Ihrer Kehle entrangen sich heisere Laute, kleine, wohlige Seufzer, während sie voller Leidenschaft seine Küsse erwiderte. Er schmeckte nach Wein. Sie vermutlich auch. Und als er den Kopf hob und tief durchatmete, öffnete sie langsam die Augen. "Besser?" fragte er beinahe zärtlich. "Nein." Sorrel schmiegte den Kopf an seine Brust und ließ die Finger über seine Schulter gleiten. Sie spürte, wie er besänftigend ihren Rücken streichelte. "Bist du bereit?" Sein Atem war wie eine federleichte Berührung auf ihrem Haar. "Bereit?" wiederholte sie verwundert. "Den Rundgang fortzusetzen." Erstaunt sah sie ihn an. Henri sah ungewöhnlich ernst aus. Er nahm sie bei der Hand und zog sie aus dem Zimmer. Diese Tür schloss sich nicht von selbst, und er ließ sie offen. Nachdem er sie durch den Korridor geführt hatte, der auf einen weitläufigen gepflasterten Platz führte, blieb er stehen und drehte sich zu ihr um. Er bot ihr sein Weinglas an. Sie trank gehorsam einen Schluck und fand diese schlichte Geste ungemein erotisch. "Ich weiß nicht, was passiert ist", flüsterte sie. "Verführung", erklärte er sanft.
"Es hat jedenfalls funktioniert", meinte sie ebenso sanft. Er lachte, heiser und tief. Unglaublich sexy, unglaublich erregend. Ich kenne dich nicht, dachte sie. Gütiger Himmel, ich kenne dich nicht. Hand in Hand überquerten sie den Hof und gelangten zu einer Tür, die Henri mit dem Fuß auf stieß. "Das Schloss ist defekt", sagte er so beiläufig, als wäre zwischen ihnen nichts passiert, als wäre es tatsächlich nur eine Besichtigungstour. "Dies wird eines Tages eine Kleiderkammer sein." Er lehnte sich an den Türrahmen und zog sie an sich, um sie erneut zu küssen. "Wie fühlst du dich?" "Unsicher", erwiderte sie spontan. "Ich mich auch. Die Tür dort drüben führt in die Keller. Möchtest du ihn sehen?" Sie schüttelte den Kopf. Als sie weitergingen, gab er kurz ihre Hand frei, um eine weitere Tür zu öffnen. Ähnlich wie das Refektorium war auch dieser Raum lang und breit. Die der Tür gegenüberliegende Wand war von Fenstern durchbrochen, die anderen drei Seiten waren mit hüfthoher Täfelung versehen, die mit einem schmalen Sims abschloss. Die Abendsonne zauberte einen orangefarbenen Schimmer auf die staubigen Bodendielen. "Swimmingpool oder Spielzimmer", sagte er. "Ich habe mich noch nicht entschieden. Was meinst du?" "Ich weiß nicht", entgegnete sie ratlos. Sie stand dicht neben Henri, er hielt sein Weinglas in der rechten, sie ihres in der linken Hand, und betrachtete den altertümlichen Saal. Er hatte den Arm um ihre Taille gelegt, und sie konnte an nichts anderes denken als daran, wie sehr sie ihn begehrte. Leidenschaftlich, verzweifelt. Insgeheim fragte sie sich, wie er wohl reagieren mochte, wenn sie ihm das Glas aus der Hand nehmen, ihr eigenes abstellen und sich ihrerseits ein paar Küsse von ihm stehlen würde. Würde er darauf eingehen? Oder sich nur amüsieren? Sie betrachtete sein markantes Profil und den ernsten Mund. Ein Mund, der ihren heute schon so oft berührt hatte. Eine Woge hilfloser Sehnsucht erfasste sie. Als hätte er es gefühlt, als wüsste er es, wandte er sich zu ihr um und sah sie an. Er öffnete leicht die Lippen, und sie stöhnte unwillkürlich auf. Wohlige Wärme breitete sich in ihr aus. Ihr Atem ging schneller. Mit zittrigen Fingern stellte sie ihr Glas auf den Sims, dann nahm sie seines und platzierte es daneben. Ohne den Blick von Henri zu wenden oder auf ein Zeichen von ihm zu warten - ob Ermutigung oder Missbilligung -, fuhr sie mit den Händen über seine Brust zu seinen Schultern hinauf, schmiegte sich verlangend an ihn, schloss die Augen und küsste ihn. Seine festen Lippen auf ihren fühlten sich ungemein aufreizend an. Spielerisch zeichnete sie mit der Zungenspitze die Konturen seines Mundes nach. Sie spürte, wie er die Muskeln straffte, und war sich jeder seiner Regungen mit beinahe schmerzhafter Deutlichkeit bewusst. Die Wärme seines Körpers schien sie plötzlich zu versengen. Sorrel wurde kühner. Sie vertiefte den Kuss, ließ ihre Zunge vorschnellen und schob die Hände in sein dichtes Haar, um ihn fester an sich zu ziehen. Er erwiderte das sinnliche Spiel, sein Atem beschleunigte sich, und endlich legte er die Arme um sie und presste sie an sich, so dass sie durch den dünnen Stoff ihres Kleides deutlich spürte, wie erregt er war. Bebend vor Verlangen, beugte sie den Kopf zurück und bot ihm ihren Hals dar. Sie stöhnte auf, als er eine Hand unter den Rock gleiten ließ und ihren Schenkel umfasste. Es war unverkennbar, dass seine Begierde ihrer in nichts nachstand. Die Augen fest geschlossen, den Kopf zurückgeworfen, so dass ihr das Haar wie ein Vorhang fast bis zur Taille fiel, klammerte sie sich an seine Schultern. Ihr Puls raste, und als Henri seine heißen Lippen über ihre Kehle gleiten ließ, biss sie die Zähne zusammen, um einen lustvollen Aufschrei zu unterdrücken. Es war beängstigend und aufreizend zugleich. Nie zuvor hatte sie etwas Derartiges empfunden, nie jemanden so begehrt wie ihn jetzt. Sie glaubte sterben zu müssen, wenn er ihr die ersehnte Erfüllung verweigerte.
Henri löste sich schwer atmend von ihr. An den Türrahmen gelehnt, hielt er sie sanft umfangen. Als er seinen Herzschlag wieder unter Kontrolle hatte - und seine Emotionen zwar nicht verdrängt, so doch zumindest halbwegs im Griff -, sah er sie an. Er begehrte sie. Der Himmel allein wusste, wie sehr. Er war der Heuchelei überdrüssig. "Es ist nicht genug, oder?" fragte er rau. "Nein", wisperte sie. Und daran würde sich nichts ändern, das hatte sie inzwischen erkannt. "Wir könnten hier und jetzt aufhören und die Sache beenden, aber..." "Wir würden es nie herausfinden und es vielleicht bereuen", beendete sie den Satz für ihn. "Ja." Versonnen glättete er ihr zerzaustes Haar und genoss es, die weiche Fülle zwischen seinen Fingern zu fühlen, genoss es, ihre Hände auf seiner Brust zu spüren. "Dann also eine Affäre?" "Wenn man es ausspricht, klingt es schrecklich nüchtern", erwiderte sie. "Ich fühle mich überhaupt nicht nüchtern." "Ich mich auch nicht." "Wen siehst du vor dir?" fragte er leise. "Einen Mann, der die Gabe hat, meine Sinne in Aufruhr zu versetzen. Jen wird wütend sein." Er lächelte. "Warum?" "Weil ich ihr versprechen musste, mich nicht mit dir einzulassen." "Bestand denn die Gefahr?" Sorrel seufzte. "Ich hätte es nicht gedacht, aber..." "Aber?" "Sie hat an meiner Stimme gemerkt, dass ich dich mochte und... interessiert war. An einem Flirt", fügte sie rasch hinzu. "Sie sagt, ich sei eine miserable Menschenkennerin." "Und was meinst du?" "Ich weiß nicht. Ich neige dazu, an die Menschen zu glauben. Was siehst du?" erkundigte sie sich neugierig und begann, seine Brust mit den Handflächen sanft zu massieren. "Eine junge Frau, die nichts als Chaos in mein Leben bringt. Eine junge Frau, die ich wahrscheinlich nie hätte küssen dürfen, weil diese Küsse für mich sehr wichtig geworden sind." "So?" "Ja." Noch immer weigerte er sich, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass dies mehr als nur ein Flirt sein könnte. Sie hob die Hand und ließ den Daumen über seine Lippen gleiten. Sogleich stellte sich dieses sonderbare Flattern in der Magengegend wieder ein. "Ich war nicht sicher, ob ich dich berühren sollte. Vielleicht hätte der erste Schritt ja von dir kommen müssen, aber... O Henri..." Sie stöhnte leise. "Ich hätte nie gedacht, dass man sich so sinnlich fühlen kann. Willst du es wirklich?" "Ja." Seine Stimme war so heiser wie ihre, und zu seiner Freude stellte er fest, dass er seine Erregung keineswegs unter Kontrolle hatte.
7. KAPITEL
Henri betrachtete Sorrels Gesicht. Als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, war sie ihm nicht einmal hübsch erschienen, und nun fand er sie beinahe schön. Sie hatte wundervolle Augen, blaugrün mit einem dunklen Ring um die Iris. Ihre Lippen waren voll, höchst küssenswert. Sie hatte Sommersprossen auf der Nase, und er sehnte sich verzweifelt danach, mit ihr zu schlafen. "Wäre es nicht himmlisch, wenn ich ein Bett herbeizaubem könnte? Wir würden im Licht der untergehenden Sonne liegen..." Mit einer abrupten Geste, die sie völlig überraschte, richtete er sich auf - und zwang sie so, seinem Beispiel zu folgen -, nahm ihre Hand und brachte sie zurück ins Refektorium. Die Kerzen brannten dort noch immer hell in den Leuchtern. Sie wirkten jetzt viel strahlender, da die Abendsonne diesen Teil des Hauses nicht erreichte. Sorrel blieb an der Tür stehen, während Henri den Raum durchquerte, um die Kerzen löschte. Als er zurückkehrte, sah er im matten Zwielicht verändert aus - dunkler, größer, faszinierender. Er nahm erneut ihre Hand und führte sie zu der dämmrigen Treppe. Bereitwillig folgte Sorrel ihm nach oben. Ihr Atem flog, sie fühlte sich sonderbar beschwingt. Ihre Unsicherheit hatte sich gegeben, nicht aber ihre Aufregung, ihre Lust. Das Verlangen war beinahe schmerzhaft. Das Verlangen, endlich zu erfahren, wie es war, das Zusammensein mit einem Menschen zu erleben, der ihr das Gefühl vermittelte, schwach und willenlos zu sein. Henri schaltete das Licht nicht ein, sondern schloss nur leise die Tür und ging mit ihr zum Bett. Die Schatten verliehen dem Raum etwas Geheimnisvolles, steigerten die Spannung und die Wachsamkeit. Die Luft zwischen ihnen schien förmlich zu knistern, während sie regungslos dastanden, dicht beieinander, aber ohne sich zu berühren, und je länger sie warteten, desto bewusster nahmen sie den anderen wahr. Langsam, wie eine Schlafwandlerin, begann sie, sich das Kleid aufzuknöpfen. Mit einem leisen Rascheln fiel es zu Boden. Nun war es an ihm, sich seines Hemdes zu entledigen. Es dauerte sehr lange, bis sie sich ausgezogen hatten, Stück für Stück, einer nach dem anderen, erst sie, dann er, bis sie nur noch die hochhackigen Sandaletten trug. Der Raum war wie verzaubert, als Henri endlich die Hand ausstreckte und mit dem Finger zwischen ihren Brüsten abwärts zum Nabel strich. Erschauernd berührte sie seine Brustwarzen, rieb mit den Daumen über die festen Knospen. Bald schon genügte es ihr nicht mehr, ihn nur mit den Händen zu spüren, und so trat sie näher, damit sie ihn mit dem ganzen Körper spüren konnte und merkte, wie erregt er war. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt, Sorrel brachte kein Wort über die Lippen. Und so begnügte sie sich damit, ihn zu berühren und seine Nähe zu genießen. Sie bemühte sich, ruhig zu atmen und nichts zu überstürzen, doch das war viel schwerer, als sie es sich vorgestellt hatte. Dies ist Henri Chevenay, sagte sie sich immer wieder. Der Mann, den sie mehr begehrte als jeden anderen. Ein Mann, der vermutlich aus einer ganz anderen Welt stammte als sie. Ein Mann, der ihre Lust weckte, dessen Küsse sie schwach und sinnlich machten. Sie wollte nicht nur mit ihm schlafen, weil es ihr um Sex, Erfüllung oder Spaß ging, sondern weil sie ihn mochte. Sie wollte... lieben. Erschrocken schlug sie die Augen auf und zuckte zusammen. Sofort hielt er mit seinen Liebkosungen inne. "Sorrel?" raunte er. Liebe? Gütiger Himmel! War dies der normale Lauf der Dinge? Man begegnete jemandem, kam ihm näher, mochte ihn, und ohne es zu merken, ganz plötzlich, liebte man? Nein. "Sorrel?" "Wie bitte? Entschuldige", flüsterte sie und blickte ihm ins Gesicht. Während sie ihn eindringlich betrachtete, erkannte sie, dass er nicht wie Nick war. Er war wirklich nicht so, aber... Nein, sie würde nicht zulassen, dass Nick auch diesen Moment
zerstörte, so wie er alles andere zerstört hatte. Auf gar keinen Fall. Bedächtig hob sie die Hand und zeichnete die Konturen von Henris Gesicht mit den Fingerspitzen nach. "Was ist? Möchtest du aufhören?" "Nein", entge gnete sie, "mir ist nur gerade die enorme Bedeutung all dessen klar geworden" "Was meinst du damit?" "Ich kann es dir nicht erklären", gestand sie zögernd. "Es fühlt sich so groß, so allumfassend an, und ich will es mehr als alles andere." "Und das macht dir Angst?" "Ja." Weil sie fürchtete, sie könnte sich in ihm täuschen. Genau wie sie sich zuvor in Nick getäuscht hatte. Sie hatte Nick gemocht, sie hatte ihm vertraut. Allerdings hatte sie nicht mit ihm schlafen wollen... "Hältst du mich für dumm?" "Nein. Und wenn du willst, dass ich aufhöre - jederzeit", versicherte er. "Ich weiß." Sie wusste es einfach. Sie wusste, dass Henri sie nie drängen oder wütend sein würde. Sie musste nur an sich selbst glauben, sonst wäre das Leben nicht lebenswert. "Ich habe das Gefühl, dich sehr gut zu kennen", wisperte sie. "Ist das nicht sonderbar?" "Gespenstisch", erwiderte er. An dem Aufblitzen seiner Zähne in der Dunkelheit sah sie, dass er lächelte. Ebenfalls lächelnd legte sie die Arme wieder um ihn, kuschelte sich an ihn und atmete seinen Duft ein. Sie würde an ihn glauben - und an sich selbst. "Es ist wunderschön. Ich bin überhaupt nicht nervös, ganz so, als ob..." Als ob sie zusammengehörten. Sorrel schalt sich im Stillen wegen dieser absurden Idee, doch erst als Henri sie intim berührte, ließ sich dieser Gedanken verdrängen und wich weitaus erotischeren und erregenderen Fantasien. "Im Bett hätten wir es bequemer", raunte er ihr zu. Sie lachte leise. "Ich muss nur noch die Sandaletten ausziehen." Henri gab sie frei und legte sich mitten auf das breite Bett. Er rollte sich auf die Seite, stützte den Kopf in die Hand und beobachtete sie, während sie sich vorbeugte, um die Sandaletten abzustreifen. Als sie sich aufrichtete, fiel durch das Fenster ein Lichtschein auf ihre kle inen, festen Brüste, die zierliche Taille und die schmalen Hüften. Schlank und dennoch unbeschreiblich sexy, setzte sie sich aufs Bett, schwang die langen Beine aufs Laken und legte sich neben ihn. "Kannst du nicht auf dem Rücken liegen?" fragte sie und begann, seine Lippen mit dem Finger nachzuzeichnen. "Ich kann schon, aber ich will nicht." "Ist es noch schmerzhaft?" "Nein, schmerzhaft nicht. Eher... empfindlich. Was machen deine Verletzungen?" "Sind nicht mehr so schlimm." Sie hatte das Pflaster abgenommen, ihre Rippen waren zwar noch ein bisschen gereizt, aber Blutergüsse hatten sich nicht gebildet. "Zumindest ist es nicht so arg, dass wir nicht..." "Gut." Er strich zärtlich über ihre Hüfte. "Sag mir, falls ich deinem Rücken wehtue", bat sie. "Ja. Stört sie dich?" "Die Narbe? Nein." "Gut." Langsam beugte er sich vor, bis sein Mund ihren berührte, neckte sie mit Zunge und Zähnen. Er umfasste ihren Po, und Sorrel atmete scharf ein. Dann schob sie ihrerseits die Hand auf seinen Schenkel und ahmte jede seiner Bewegungen nach. Henri stöhnte und zwang sie sanft, aber unerbittlich, die Lippen zu öffnen. Er presste seine Finger fest auf ihre Haut, kraftvolle, erfahrene Finger, bis sie fast vor Wonne aufschluchzte. Wogen der Lust durchfluteten sie. Er war sich ihrer mit einer Deutlichkeit bewusst, die ihn selbst erstaunte. Inzwischen hatte er sich an die überwältigenden Gefühle gewöhnt, die sie in ihm weckte, wann immer sie in seiner Nähe war, doch als sie ihn mit den gleichen
Zärtlichkeiten verwöhnte wie er sie, verschlug es ihm den Atem. Während er sonst beim Liebesspiel die Führung übernahm und sich bald langweilte, genoss er es, sich Sorrel auszuliefern. Sie ließen sich sehr viel Zeit, einander mit einer Hingabe zu erforschen, die ihnen immer neue Dimensionen der Sinnlichkeit eröffnete, bis sie schließlich beide nicht länger auf die ersehnte Erfüllung warten konnten. Erschöpft und befriedigt ruhten sie später eng umschlungen zwischen den zerwühlten Laken. Irgendwann regte sie sich und ließ den Finger über sein markantes Kinn gleiten. Sie konnte noch immer nicht fassen, was soeben passiert war. "Wie konnte es nur so schnell geschehen?" fragte sie leise. "Du meinst, der Weg vom Busch zum Bett?" Sorrel lächelte. "Ich war fest entschlossen, mich nicht mit dir einzulassen." "Das war ich auch, aber du hast mich von Anfang an fasziniert. Jemanden wie dich habe ich noch nie getroffen. Ich habe dich den Garten umgraben sehen und dich begehrt. Ich spüre, wie ich mit jeder Minute tiefer und tiefer in die Sache hineingezogen werde." "Und das gefällt dir nicht?" "Doch", erwiderte er. "Warum, um alles in der Welt, sollte es mir nicht gefallen?" "Ich weiß nicht. Es war lediglich eine Vermutung, dass Männer nicht gern die Kontrolle verlieren. Machogehabe eben." Er lachte. "Machogehabe? Es gibt einige Männer - aber nur wenige, glaube ich -, die ihre vermeintliche Überlegenheit hervorkehren, als würde sonst ihr Image leiden. Die meisten von uns haben jedoch Freude daran, mit einer schönen Frau zusammen zu sein." "Ich bin nicht schön. Deine Buchhalterin ist schön." "Und absolut Furcht einflößend. Noch jemand, der voller Vorurteile über die männliche Psyche ist. Sie spricht mit mir wie mit einem Vierjährigen." "Sie hält dich für geistig minderbemittelt?" neckte sie ihn. "So ungefähr. Ich finde übrigens, dass du eher eine innere Schönheit bist." Überrascht und geschmeichelt zugleich, wusste sie nicht recht, was sie darauf erwidern sollte. Sie schüttelte den Kopf. "Nein", entgegnete sie. "Ich könnte viel hübscher sein. Manchmal..." Henri legte ihr einen Finger auf den Mund. "Du hast keinen Grund zu Minderwertigkeitskomplexen." Er wollte nicht, dass sie ihm ihre Fehler aufzählte. Nicht jetzt. Der Gedanke an Nicholas Paignton kam ihm in den Sinn und wurde rasch wieder verdrängt. Sorrel lächelte. "Das hast du nett gesagt." "Sagen die Menschen denn sonst nie nette Dinge zu dir?" "Gelegentlich", räumte sie ein. "Einmal hat jemand zu mir gesagt, ich würde immer gut riechen. Das bezweifle ich allerdings, wenn ich den ganzen Tag gearbeitet habe." "Wer riecht dann schon gut?" Er lächelte. "Schläfrig?" "Nein. Eigentlich erstaunlich, denn wir haben in den letzten Nächten wenig Schlaf abbekommen. Ich fühle mich träge, aber nicht schläfrig." "Dann sollte ich vielleicht den Wein holen, den wir nicht ausgetrunken haben. Da ich dich nun nicht mehr zum Hotel zurückfahren muss, kann ich ein bisschen mehr trinken." "Klingt verlockend." Er küsste sie auf die Nasenspitze und schwang dann die Beine aus dem Bett. Sein Rücken mochte zwar nicht mehr schmerzen, aber dennoch schonte er ihn, vermied jeden Kontakt mit dem Laken oder mit der Stuhllehne, wie Sorrel sich erinnerte. Sie kuschelte sich in die Kissen und blickte aus dem Fenster, während sie über ihre Gefühle nachdachte. Sosehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, sich ein Bild von der Zukunft zu machen. Warum versuchte sie es überhaupt? Weil Frauen das immer taten? Warum konnte sie nicht einfach den Augenblick genießen? Weil Jen ihr pausenlos vorhielt, sie müsse in die Zukunft blicken, Rückschläge einkalkulieren und an Sicherheit denken?
Solange es um die Rente und Ersparnisse ging, mochte es recht sinnvoll sein, doch warum musste es Gefühle mit einbeziehen? Sorrel war nicht wie ihre Schwester, also sollte sie sich wirklich nicht bemühen, das gleiche Leben zu führen wie Jen. Ihr Urteilsvermögen war keineswegs miserabel. Nun ja, abgesehen von dem einen Mal. Jen war eine Glucke, sie schien sich immer um andere kümmern zu müssen. Sie hatte ihre Erfüllung darin gefunden, Ehefrau und Mutter zu sein, was durchaus in Ordnung war - für Jen. Sorrel glaubte allerdings nicht, dass sie aus dem gleichen Holz geschnitzt war. Sie träumte nicht davon, zu heiraten und Babys zu haben, jedenfalls noch nicht. Im Lauf der Zeit würde sich das vermutlich ändern, aber im Moment wollte sie sich amüsieren, viele Aufträge erledigen und genug Geld zum Leben verdienen. Warum also das analysieren, was mit Henri passiert war? Warum es nicht einfach genießen? Er dachte schließlich auch nicht an die Zukunft oder eine feste Bindung, das wusste sie genau. Es war eine Affäre. Eine Affäre, die er, seinen eigenen Worten zufolge, von Anfang an im Auge gehabt hatte. Ein Beweis mehr, dass er vorsichtig war. Sie hörte seine Schritte auf der Treppe und wandte sich der Tür zu. Sie mochte ihn. Genoss es, bei ihm zu sein. Sie wollte sich an seinem Körper erfreuen, und es war ein prachtvoller Körper, wie sie erkannte, als er sich mit der Weinflasche und den Gläsern näherte. Kräftige Beine, ein flacher Bauch und eine hinreißend muskulöse Brust. Sie wünschte sic h, ihm genauso zu gefallen. Was war falsch daran? Und wenn sie das Gefühl hatte, zu ihm zu gehören, dann war es gut so. Sie würde das Zusammensein auskosten, solange es eben dauerte. Jens Maßstäbe mussten nicht unbedingt für sie gelten. Sie durfte ihre eigenen Fehler und Erfahrungen machen. Henri lächelte sie an. "Setz dich hin", befahl er sanft. Sorrel richtete sich auf, lehnte sich in die Kissen und nahm ihm die Flasche ab. Ohne die geringste Scheu wegen ihrer Nacktheit oder ihrer knabenhaften Gestalt stellte sie die Flasche an ihre Seite und schrie leise auf, als das kalte Glas ihre Hüfte berührte. Dann griff sie nach den Weingläsern, die er ihr reichte. "Das ist ja himmlisch dekadent", neckte sie ihn. "Nun ja", meinte er, während er sich neben ihr niederließ. "Wenn du es dekadent haben willst..." Er hob sein Glas und goss ein wenig Wein über ihren Nabel. "Henri", protestierte sie lachend. Die Flüssigkeit lief ihr über die Taille. "Ich werde gleich in einer Pfütze liegen." "Nein, du wirst gleich abgeleckt werden." Unsicher sah sie ihn an. "Bist du noch nicht bereit für verworfene Spiele?" erkundigte er sich scherzhaft. "Nicht ganz", gestand sie. "Gefällt dir so etwas?" fügte sie zögernd hinzu. "Mir gefällt, was dir gefällt." "Ich weiß nicht, was mir sonst noch gefallen könnte", erklärte sie mit entwaffnender Offenheit. Er stieß mit ihr an. "Auf den Unterricht." "Und auf meinen Lehrer." "Auf deinen Lehrer", bestätigte er. Henri war ein ausgezeichneter Lehrer. Er lehrte sie vieles, von dem sie keine Ahnung gehabt hatte, und im Lauf der nächsten Woche wurden sie immer vertrauter. Trotzdem hatte Sorrel oft den Eindruck, dass irgendetwas zwischen ihnen stand. Das ist bei einer Affäre völlig normal, redete sie sich ein, doch sie spürte, dass mehr dahinter steckte. Manchmal schien Henri in Gedanken meilenweit von ihr fort zu sein, und dann lächelte er wieder, und alles war in Ordnung. Vielleicht war sie selbst zu vorsichtig und wartete darauf, dass er sich so veränderte wie Nick. Vielleicht lag es daran. Vielleicht war auch Henri vorsichtig. Sorrel zog nicht bei ihm ein - jedenfalls nicht ganz. Sie verbrachte die meisten Nächte mit
ihm und die Tage auch, da sie ja im Garten arbeitete. Es gab keine weiteren Zwischenfälle, obwohl die Polizei den Täter noch nicht gefunden hatte, und Sorrel war so glücklich wie seit langem nicht mehr. Selbst die allabendlichen Fahrten ins Hotel, wo sie duschte und sich umzog, um danach mit Henri zu essen, waren ungemein aufregend. Manchmal wartete er in ihrem Zimmer, während sie im Bad war, manchmal leistete er ihr Gesellschaft, und manchmal blieb er unten in der Halle. Das Hotelpersonal wusste vermutlich, was los war, sah jedoch taktvoll darüber hinweg. Sorrel packte Sachen für den nächsten Tag ein, und danach kehrten sie zur Abtei zurück. Manchmal saßen sie hinter dem Haus und sprachen über ihre Pläne für den Garten und Henris Lieblingspflanzen. Sie plauderten über Musik, Kunst, Politik, über das gesunde Wachstum seines Gemüses und die Fortschritte, die er bei der Restaurierung des Hauses erzielte. Eines Abends unternahmen sie sogar einen kleinen Ausflug in die Umgebung. Am Freitag verfügte die Küche wieder über einen ordentlichen Fußbodenbelag, Spüle, Waschmaschine, Geschirrspüler und Herd. Sorrel mochte sich gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn der Garten erst fertig war. Henri wollte auch nicht daran denken. Stattdessen ging ihm Nick nicht aus dem Sinn. Es gelang ihm einfach nicht, den Mann aus seinen Gedanken zu verbannen. Henri wusste nicht, ob Sorrel eine Affäre mit ihm gehabt hatte, und wollte sie auch nicht danach fragen. Er wollte es nicht wissen. Wirklich nicht. Der erste Report des Privatdetektivs hatte den Diebstahl erwähnt, von dem sie ihm erzählt hatte. Es hatte auch etwas über Erpressung darin gestanden. Morgen würde er die Wahrheit erfahren und den abschließenden Bericht über Sorrel erhalten. Er fühlte sich schuldbewusst und schäbig, aber er musste es wissen. Das Wetter blieb gut, und Sorrel trug am nächsten Tag eine abgeschnittene Jeans. Es war ihr herzlich gleichgültig, dass sie in Shorts vermutlich keine gute Figur abgab. Sie wusste, dass Henri sie gelegentlich vom Fenster oder der Terrasse aus beobachtete, doch statt sich deshalb unbehaglich zu fühlen, genoss sie es. Am Ende jedes Tages war sie schmutzig, verschwitzt und zufrieden - nun ja, beinahe zufrieden. Sie hatte keine Ahnung, was ihr zur völligen Zufriedenheit fehlte, sie wusste nur, dass etwas fehlte. Entschlossen verdrängte sie die Zweifel, was Jen gewiss als kurzsichtig bezeichnet hätte, und widmete sich ihrer Arbeit, die sie stets mit Freude erfüllte. Selbst das Auftauchen seiner atemberaubenden Buchhalterin vermochte Sorrels gute Laune nicht zu trüben. Henri war weggefahren, um etwas zu erledigen, und Sorrel markierte mit feinem Sand das kunstvolle Muster, in dem später die Buchsbaumeinfassung der Beete gepflanzt werden sollte. Sie hörte nicht einmal, dass die Buchhalterin eingetroffen war. Erst nach einer Weile merkte sie, dass sie nicht mehr allein war. Sie richtete sich auf, drehte sich langsam um und lä chelte der attraktiven jungen Frau zu. "Was für ein Kontrast", meinte Sorrel selbstironisch und deutete auf ihre schmutzigen Knie, die schäbigen Shorts und ihre staubigen Hände. "Stimmt", erwiderte die Frau humorlos. "Ist Henri in der Nähe?" "Er ist vor ein paar Minuten weggefahren, wird aber nicht lange fortbleiben. Falls Sie nicht warten möchten, können Sie mir eine Nachricht für ihn hinterlassen." Die Frau musterte Sorrel geringschätzig von Kopf bis Fuß, dann schüttelte sie den Kopf. "Nein, besser nicht." "Weil ich die Gärtnerin bin?" fragte Sorrel amüsiert. "Weil ich bezweifle, dass Sie die Botschaft überhaupt verstehen würden", erklärte die Schönheit. "Das sollte keine Beleidigung sein, aber..." "Buchhalterinnen sind clever und Gärtnerinnen nicht?" "Meiner Erfahrung nach ist es so. Andererseits könnte ich genauso wenig einen Garten entwerfen", fügte sie ein wenig angewidert hinzu, "wie Sie..." "Rechnen?" warf Sorrel ein. "Sie sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen, Miss...?"
"Wild." Sorrel biss sich auf die Lippe. Einen unpassenderen Namen hatte sie selten gehört. "Sie haben wahrscheinlich Recht. Ich weiß nur sehr wenig über die Hochfinanz." "Natürlich." "Ich kann meinen Kontostand überprüfen, und in der Schule war ich ziemlich gut in Englisch und Geschichte..." Am liebsten hätte Sorrel laut aufgelacht. Sie hatte beide Fächer mit Auszeichnung abgeschlossen. "Möchten Sie drinnen warten? Ich könnte Ihnen eine Tasse Kaffee bringen." Miss Wild blickte auf Sorrels Hände und schauderte. "Nein, danke. Ich warte im Wagen." Sie machte vorsichtig auf den eleganten hohen Absätzen kehrt und lief langsam ums Haus. Lächelnd griff Sorrel erneut nach dem Sandsack. Nein, sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie die makellose Miss Wild in der Erde grub und sich womöglich einen Fingernagel abbrach. Beim Anblick ihrer eigenen kurzen und in letzter Zeit sehr schmutzigen Nägel schmunzelte Sorrel. Ein paar Minuten später hörte sie, wie Henris Wagen die Auffahrt entlangrollte, und kurz darauf kündete ein aufheulender Automotor von Miss Wilds Aufbruch. "Sie hält sich nie lange auf, oder?" bemerkte sie, als Henri sich zu ihr gesellte. Er trug einen langen braunen Umschlag und sah ausgesprochen glücklich aus. "Was ist los?" Sie lächelte ihn an. "Nichts. Hast du nett mit ihr geplaudert?" "Ja." Mit einem mutwilligen Funkeln in den Augen küsste sie ihn auf den Mund. "Es ist ein Jammer, dass eine so hübsche Frau derart humorlos ist. Weiß sie über uns Bescheid?" "Von mir nicht. Warum?" "Nun, wenn sie davon wüsste, würde ihre Meinung über deine Intelligenz wahrscheinlich ganz in den Keller sinken." "Das ist sie bereits. Vielleicht sollte ich ihr von deinen Auszeichnun... Mir gefällt der Sand", fuhr er rasch fort. "Sehr modern. Du bist ein schlaues Ding." "Ja", bestätigte sie fröhlich. "Wo warst du?" "Weg." Er zog sie an sich und küsste sie. Warm und leidenschaftlich und irgendwie zärtlich. Überrascht sah sie ihn an. "Du wirkst verändert." "Bin ich auch. Komm mit, und unterhalte dich mit mir." "Jetzt?" "Ja." "Ist es wichtig?" erkundigte sie sich. "Ich glaube schon." "Kann ich vorher das hier beenden?" Er lächelte sonderbar. "Wenn es sein muss. Aber beeil dich." "Gewiss." Sorrel blickte ihm hinterher, als er zum Haus ging. Mit einem ratlosen Kopfschütteln wandte sie sich wieder den Beeten zu. Was hatte ihn verändert? Etwa der Brief, den er bei sich trug? Oder die Neuigkeiten, die Miss Wild ihm überbracht hatte? Der Gedanke an sie entlockte ihr ein Lächeln. Vielleicht würde er seiner Buchhalterin das nächste Mal von den Auszeichnungen berichten... Sorrel hielt so abrupt inne, dass der Sand sich zu einem kleinen Hügel ergoss. Sie hatte ihm nichts von ihren guten Noten erzählt, wie konnte er also davon wissen? Er hatte eindeutig "Auszeichnungen" sagen wollen und dann in letzter Sekunde das Thema gewechselt und über den Sand geplaudert. Und er hatte sie geküsst. In einer Hand den leeren Sack, die andere in den schmerzenden Rücken gestemmt, richtete sie sich auf. Sie hatte nichts dergleichen erwähnt, dessen war sie sicher. Als sie ihm nacheilen wollte, um ihn zur Rede zu stellen, fiel ihr Blick auf den Sandhügel. Mit einem unterdrückten Fluch bückte sie sich und begann, ihn in den Beutel zu schaufeln. Sie würde Henri später
darauf ansprechen, wenn sie die offenbar so wichtige Unterhaltung führten - worum immer es gehen mochte. Er hatte nicht ernst oder feierlich ausgesehen, sondern eher... glücklich. Während sie die Arbeit rasch beendete und nur gelegentlich ihre Skizzen zu Rate zog, grübelte sie weiter über das Rätsel nach. Hatte er womöglich mit Jen gesprochen? Jen könnte aus irgendeinem Grund angerufen haben... Normalerweise ging er allerdings nicht selbst an den Apparat, sondern schaltete den Anrufbeantworter ein. Theoretisch hätte er jedoch mit ihr sprechen und es zufällig im Verlauf des Gesprächs erfahren haben können. Jen prahlte gern mit ihrer klugen Schwester, die ihren Verstand leider bei der Gartenarbeit verschwendete. Stimrunzelnd schlenderte Sorrel in den hinteren Teil des Parks und warf den leeren Beutel auf den immer größer werdenden Abfallhaufen hinter den Gewächshäusern. Andererseits, falls Henri einen Privatdetektiv kannte... Sie blieb wie angewurzelt stehen. Hatte er ihr etwa nachspioniert? Und wenn schon, sagte sie sich. Es gab nichts zu entdecken. Gar nichts. Außer dass sie auf der Schwarzen Liste stand, und darüber war er bereits informiert. Würde ich nicht auch jemanden überprüfen lassen, der keinerlei Referenzen vorzuweisen hat? fragte sie sich ehrlich. Möglich, aber er hätte es ihr mitteilen müssen. Sorrel war nicht sicher, ob sie sich ärgern sollte oder nicht. Sie beugte sich über den Wasserhahn neben der Tür zum Wirtschaftsraum, um sich die Hände zu waschen. Als sie plötzlich Stimmen hörte, spähte sie neugierig zum Vorgarten - und erschrak. Henri stand auf dem Kies und sprach mit Nick.
8. KAPITEL
Sorrel traute ihren Augen kaum. Alles in ihr sträubte sich, die Wahrheit zu akzeptieren. Es konnte unmöglich Nick sein. Er wusste nicht, wo sie war. Es sei denn, Henri kannte ihn und hatte ihm erzählt... Und noch während sie um Fassung rang, wurde sie von unbändigem Zorn überwältigt. Ohne nachzudenken, von maßlosem Ärger getrieben, die Lippen fest zusammengepresst, eilte sie auf den schlanken blonden Mann zu und schlug ihn, so hart sie konnte, ins Gesicht. "Verschwinde!" Sie packte ihn bei den Schultern und stieß ihn fort. "Wie kannst du es wagen, deine gemeinen Verleumdungen auch hier zu verbreiten?" Bei anderer Gelegenheit hätte sie seine verblüffte Miene vermutlich komisch gefunden, doch jetzt war sie nicht in der Stimmung dazu. "Ich..." "Sei still!" rief sie, als er ins Straucheln geriet. "Es reicht! Ende der Geschichte! Basta! Du wirst dich nicht mehr in mein Leben einmischen, und sollte ich auch nur den leisesten Verdacht haben, dass du mich verfolgst oder mich überwache n lässt, werde ich dich wegen Belästigung anzeigen. Ich hätte dich schon längst wegen Verleumdung vor Gericht bringen sollen. Weiß der Himmel, warum ich es nicht getan habe! Du bist bedauernswert." Inzwischen hatte sie ihn fast bis zur Brücke zurückgedrängt - wie eine löwenmähnige Rachegöttin. Sie war so wütend, dass die Worte nur so aus ihr heraussprudelten. "Du bist ein intriganter, feiger, eitler kleiner Wurm", schimpfte sie. "Dein Sinn für Anstand ist genauso ausgeprägt wie der einer Kröte! Du bist eine Kröte! Eine schleimige, widerwärtige Kröte. Dein Reichtum gibt dir nicht das Recht, andere Menschen ins Unglück zu stürzen. Niemand darf das. Du bist arrogant, dumm und verblendet. Du bist nicht einmal intelligent genug, um zu erkennen, was andere von dir halten. Du merkst nicht, wie sie über dich lästern. Du bist ein armseliger Wicht, der sich einbildet, Frauen müssten ihm zu Füßen sinken und dankbar sein, dass er sie überhaupt zur Kenntnis nimmt. Ein kleiner Wicht, der sich einbildet, dass jeder käuflich sei. Lass dir eines sagen", fuhr sie atemlos fort und schob ihn zur Straße. "Right Honourable Nicholas Paignton, Ehrenwerter Nicholas Paignton, der absolut keine Ehre besitzt - du bist verachtenswert! Und nun verschwinde, und komm nie wieder in meine Nähe!" Sorrel drehte sich um und lief den Weg zurück. Sie lief und lief, bis sie das hintere Tor erreichte. Dort blieb sie keuchend stehen und umklammerte wie eine Gefangene die Stäbe. Wie konnte er es nur wagen? Am ganzen Körper zitternd, blickte sie mit Tränen in den Augen zu den Pferden auf der Koppel hinüber. Nick hatte den Garten ruiniert. Er hatte jemanden angeheuert, der die Pflanzen herausgerissen und den Rasen verseucht hatte... Sie hörte Henris Schritte hinter sich und schloss die Finger noch fester um das Gitter. "Sag nichts", befahl sie rau. Er schwieg. Den Kopf ans Tor gelehnt, atmete sie tief durch. "Was hat er dir erzählt?" fragte sie bitter. "Mit seiner sanften, zögernden Kleinjungenstimme, die jeden täuscht? Dass ich ein geldgieriges Mädchen sei? Dass ich ihn bestohlen hätte? Dass ich ihm die Ehe versprochen und ihn dann vor seinen Freunden abgewiesen hätte? Oder dass ich eine kleine Hure sei, die..." Sie rüttelte zornig an den Streben. "Er ist widerwärtig." "Er behauptete, du seist vermutlich eine berufsmäßige Diebin", erwiderte Henri ruhig. "Natürlich." Sorrel nickte verächtlich. "Ich wette, er war ganz zerknirscht und voller Bedauern, weil er dich belästigen musste, aber er hielt es für seine Pflicht... Blabla. Ich hasse ihn!" "Das kann ich mir gut vorstellen", bestätigte er. "Ich könnte ein Buch über ihn schreiben", erklärte sie empört, "und jahrelang über seine Gemeinheiten reden." Heiße Tränen strömten ihr über die staubigen Wangen. Sie wischte sie
mit dem Handrücken fort. "Er sagte außerdem", fuhr er in unverändert ruhigem Ton fort, "dass er sich durch deine vermeintliche Aufrichtigkeit und deine harte Arbeit habe täuschen lassen. Allerdings musste selbst er einräumen, dass du eine gute Gärtnerin bist." "Wie reizend von ihm!" "Und dass du ihn zum Lachen gebracht hast und dachtest, eine kleine Affäre mit ihm wäre ganz nett. Er hat zugegeben, naiv und dumm gewesen zu sein, aber es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, dass du nicht nur eine Affäre, sondern Geld und Ansehen gewollt hättest." "O ja, ich bin eine Erpresserin", spottete sie. "Ich frage mich nur, womit ich ihn hätte unter Druck setzen können. Hast du ihn herkommen lassen? Kennst du ihn?" "Nein." "Wie hat er dann herausgefunden, wo ich bin?" "Du bist fotografiert worden, erinnerst du dich?" "Wie könnte ich das vergessen? Glaubst du tatsächlich, er würde alle Lokalzeitungen durchblättern, die er in die Finger bekommt? Aus jedem Landkreis, jeder Stadt...?" "Das Bild wurde offenbar in einem der größeren Magazine abgedruckt." "So? Das ist ja allerhand!" Dann war es ein Wunder, dass Jen es nicht entdeckt hatte. "Du hast mich überprüfen lassen, oder? Dabei hättest du auch auf ihn stoßen können." "Hätte ich", räumte er ein. "Bin ich aber nicht." "Und jetzt meinst du, ich hätte auch dich erpressen wollen? Ein Glück, dass er hier war. So bist du meinen Fängen um Haaresbreite entronnen!" "Sorrel..." Henri verstummte, als aus der Küche ein Schmerzensschrei ertönte. Verwundert wandte er sich um und rannte zum Haus, da die Rufe des Küchenbauers immer drängender klangen. Sie war noch immer wie betäubt und außer Stande, sich von der Stelle zu rühren. Hätte ich. Bin ich aber nicht. Henris Worte gingen ihr nicht aus dem Sinn. Demnach hatte er die ganze Zeit über von Nick gewusst. Nun ja, vielleicht nicht von Anfang an. Wie lange brauchte ein Detektiv, um eine Person auszuspionieren? Sie hatte keine Ahnung. Egal, Nick hatte ganze Arbeit geleistet und sie erneut verleumdet. Aber war ihm dieses Mal geglaubt worden? Normalerweise ist das der Fall, dachte sie bitter. Er und Henri stammten aus den gleichen Kreisen. Wohlstand, Privilegien. Solche Männer hielten zusammen, vertrauten einander. Sie hatte nicht die geringste Lust, hier zu warten, bis Henri zurückkam und sie ausfragte. Warum sollte sie? Falls er sich etwas aus ihr machte und sie wirklich mochte, hätte er sie in die Arme geschlossen und getröstet. Langsam drehte sie sich um und ging mit unsicheren Schritten die Sandspur entlang, die später einmal ein Weg werden sollte. Als sie am Haus vorbeikam, warf sie einen kurzen Blick in die Küche. Sie sah die Stehleiter an der Wand lehnen, sah Henri und den Küchenbauer vorsichtig einen großen Schrank abstützen und lief weiter zur Vorderfront. Der Schlüssel steckte noch im Zündschloss des Kombis, und so stieg sie ein, startete den Motor und fuhr los. Sie meinte, Henri rufen zu hören, doch das mochte sie sich nur eingebildet haben. Der Motorenlärm übertönte alle anderen Geräusche. Sorrel wusste nicht, wohin sie fuhr. Es war ihr auch gleichgültig. Sie wollte weder denken noch einen Plan fassen. Sie wollte nur allein sein. Die Tränen hatten helle Streifen auf ihrem staubigen Gesicht hinterlassen, sie kümmerte sich nicht darum. Während ihre Gedanken sich überschlugen, legte sie Meile um Meile zurück. Warum hatte sie so lange gewartet, um Nick zur Rede zu stellen? Warum hatte sie es nicht schon vor Monaten getan? Warum, um alles in der Welt, war sie so schwach gewesen? Weil sie verletzt gewesen war, unfähig, klar zu denken? Oder weil ihr Stolz gesiegt hatte? Sie hatte sich eingebildet, es wäre ihr egal, was die Leute von ihr dachten. Warum war sie ausgerechnet jetzt aus ihrer Lethargie erwacht? Wegen Henri. Weil er ihr wichtig war. Weil sie ihn liebte.
Mit einem bitteren Lachen steuerte sie den Wagen an den Straßenrand, stellte den Motor ab und legte die Stirn aufs Lenkrad. Sie liebte ihn - obwohl sie nur eine Affäre und keine Romanze oder gar feste Bindung hatten. Sie hatte weder eine Ehe noch Kinder gewollt. Lügnerin! schalt sie sich im Stillen. Du redest dir Dinge ein und glaubst sie dann auch noch. Sie liebte ihn. Sie liebte ihn sehr. Und sie sehnte sich danach, wieder geliebt zu werden. Deshalb hatte sie sich zurückgehalten und war so vorsichtig gewesen - weil Henri nur eine Affäre wollte. Verzweifelt kämpfte sie gegen die Tränen an, die ihr nun wieder über die Wangen strömten. Als das Handy klingelte, zuckte sie zusammen. Sie nahm es aus dem Handschuhfach und meldete sich. "Sorrel? Ich bin's Jen!" rief ihre Schwester aufgeregt. "Du hast mir ja gar nicht erzählt, dass er so aussieht." Ohne Sorrel Zeit für eine Erwiderung zu lassen, fuhr sie fort: "Himmel, kein Wunder, dass du an ihm interessiert bist!" "Wie bitte?" fragte Sorrel verwirrt. "An Henri." "Henri?" "Ja. Ist mit dir alles in Ordnung? Du klingst so..." "Mir geht es gut", versicherte Sorrel rasch. "Ich wusste nur nicht, wovon du redest." Hatte Henri hinter ihrem Rücken herumgeschnüffelt und womöglich ihre Schwester oder Nick getroffen? "Von Henri", wiederholte Jen ungeduldig. "Ich habe noch einmal den Artikel gelesen, den ich für dich finden sollte, und darin wurde ein Bericht in einer Illustrierten erwähnt, in einem dieser teuren Magazine. Plötzlich fiel mir ein, dass ich diese Ausgabe habe. Du weißt ja, dass ich immer diese bunten Blätter kaufe. Bist du noch dran?" "Ja." "Wie auch immer! Ich habe das Heft in der Kammer aufgestöbert", erklärte Jen triumphierend. "Oh, ich war so erleichtert." "Erleichtert?" "Ja. Jemand wie er würde sich nie für dich interessieren! Zugegeben, ich war besorgt, doch nun weiß ich, wie er aussieht und mit welchen Frauen er ausgeht. Er war mit Verena McCoist abgebildet. Offenbar sind die beiden ein Paar. Oder waren es zumindest." "Verena McCoist?" wisperte Sorrel matt. "Ja, das Topmodel", verkündete Jen. "Er ist Multimillionär, Sorrel." "Ich weiß." "Umwerfend sexy, oder?" "Ja." "Und dieses Lächeln. Ich war jedenfalls maßlos erleichtert", fuhr Jen fröhlich fort, "weil sich zwischen euch nichts abspielen wird. Männer wie er gehen nicht mit Gärtnerinnen aus." "Nein." Sie hatten nur Affären mit ihnen. "Wie ist er denn so?" "Nett", erwiderte Sorrel ausweichend. "Hoffentlich ist er auch großzügig. Hat er dich schon bezahlt?" " Nein, noch nicht." "Sorrel! Ich habe dich gewarnt. Erst das Geld." "Ich weiß, ich weiß." Nach einer kurzen Pause erkundigte Jen sich misstrauisch: "Ist mit dir wirklich alles in Ordnung? Du klingst so sonderbar." "Es ist keine besonders gute Verbindung", behauptete Sorrel. "Ich muss jetzt weiter, ich sitze noch im Wagen." "Okay. Ruf mich später an." "Ja, bis dann."
Als sie das Gespräch beendet hatte, starrte Sorrel blicklos durch die Windschutzscheibe. Männer wie er... Aber Henri war nicht so, oder? Jetzt vielleicht schon, nachdem sie sich wie eine Furie aufgeführt hatte. Er war es vermutlich nicht gewöhnt, dass Frauen sich so benahmen. Sie hatte ihn eine Zeit lang amüsiert, weil sie anders war. Doch wie Jen sehr richtig bemerkt hatte, unterhielten Männer wie er keine dauerhaften Beziehungen mit Mädchen wie ihr. Nick hatte es gewollt... Nick war ein Heuchler. Seufzend legte sie das Handy wieder ins Handschuhfach. Selbst wenn Henri durch irgendein Wunder sich nicht an ihrem unbeherrschten Ausbruch störte und nicht Nick, sondern ihr Glauben schenkte, so war er an ihrer Liebe noch lange nicht interessiert. Er wollte eine Affäre. Und die hatte er. Oder hatte sie gehabt. Falls ihm etwas an ihr gelegen war und er ihr geglaubt hätte, dann hätte er sie in die Arme geschlossen und sie beruhigt - statt Nicks Behauptungen so ungerührt zu wiederholen, als hätte er alle Argumente bereits gekannt. Wann hatte er den Bericht über sie bekommen? Bevor sie selbst ihm alles erzählt hatte? Wahrscheinlich bevor er sie im Gebüsch geküsst hatte. Er hätte sie wohl kaum geküsst, solange er nicht sicher sein durfte, dass er ihr trauen konnte, oder? Sie hätte nicht fortlaufen sollen. Sie hätte bleiben müssen, bis die Situation in der Küche geklärt war. Danach hätte sie sich mit ihm aussprechen können und Gewissheit erlangt. So oder so. Obwohl sie sich ganz elend fühlte, musste sie umkehren. Und sei es auch nur, um daß Geld zu holen, das Henri ihr schuldete. Sorrel wendete den Wagen und fuhr den Weg zurück, den sie gekommen war - oder besser gesagt, von dem sie dachte, sie hätte ihn genommen. Als sie zwei Stunden später endlich an der Abtei eintraf, war Henri fort. Der Küchenbauer wusste nicht, wohin. "Sind Sie in Ordnung?" fragte er. "Ich? O ja, mir geht es gut. Und Ihnen?" erkundigte sie sich. "Es tut mir Leid, dass ich nicht geblieben bin, um zu sehen, was los war. Ich war..." "Völlig durcheinander", bestätigte er zögernd. "Ich habe den Aufruhr vorhin gehört." "Ich schätze, es war unmöglich, nichts davon zu bemerkten", meinte sie bitter. "Wenn Henri zurückkommt, richten Sie ihm bitte aus, ich sei ins Hotel..." Nein, entschied sie plötzlich. Sie würde hier bleiben und beenden, was sie begonnen hatte. Dieses Mal würde sie nicht fortlaufen. Falls er wollte, dass sie ging, würde er es ihr sagen müssen. "Ich werde hier sein", erklärte sie ruhig. "Okay, aber an Ihrer Stelle würde ich mir zuerst das Gesicht waschen." Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und verzog die Lippen, als sie die schmutzigen Finger bemerkte. Das ist doch lächerlich, sagte sie sich, während sie zum Hintereingang lief. Du könntest den Garten genauso gut lassen, wie er ist. Sie war vermutlich den Job und garantiert die Affäre los. Das weißt du doch gar nicht, mahnte eine innere Stimme. Andererseits... Wenn sie ins Hotel zurückkehrte und Henri dort nicht auftauchte, würde sie ohnehin wieder herkommen müssen. Also konnte sie auch etwas tun, während sie auf ihn wartete, oder? Tränen stiegen ihr in die Augen, ungeduldig wischte sie sie fort. Weinen half auch nichts. Trübsinnig betrachtete sie die Markierungen aus Sand, die bereits vom Wind leicht verweht waren. Sie war so glücklich gewesen. Seit ihrer Ankunft in der Abtei schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, und doch waren erst wenige Wochen verstrichen. Wochen voller Glück, harter Arbeit und Lachen. Und Liebe. Und wenn die Affäre beendet war und ihr Job erledigt, sollte sie ihm da einfach eine Rechnung für die bislang ausgeführten Arbeiten präsentieren? Sorrel seufzte. Sie würde weitermachen, bis Henri ihr das Gegenteil sagte. Und mit den Wegen würde sie anfangen. Sie ging in den Wirtschaftsraum, holte einen großen Sack Sand- Zement-Mischung heraus und zerrte ihn nach hinten, wo die Steine für die neue Ziegelpflasterung säuberlich
aufgeschichtet waren. Als sie gerade den Sack mit einem Messer aufschlitzen und den Inhalt verstreuen wollte, hörte sie Henris Wagen. Ihr Magen zog sich krampfhaft zusammen, eine neue Woge der Übelkeit erfasste sie! Langsam richtete sie sich auf, lauschte seinen Schritten auf dem Kies, hörte ihn mit Sean sprechen und dann weitergehen. Sie hätte ins Hotel fahren und ihn am nächsten Morgen besuchen sollen, wenn sie ruhiger und beherrschter war. Leider hatte sie das nicht getan, und so musste sie ihm jetzt gegenübertreten. Sie atmete tief durch und drehte sich um. Seine Miene war ausdruckslos. Henri wirkte so erschöpft, dass sie am liebsten zu ihm geeilt wäre und ihn umarmt hätte. "Ist das für mich?" fragte er leise. Verwirrt sah sie ihn an. Er deutete auf das gefährlich aussehende Messer in ihrer Hand. Sie folgte seinem Blick, klappte vorsichtig die Klinge ein und steckte das Messer in die Tasche. "Ich bin zurückgekommen", erklärte sie ein wenig trotzig. "Das sehe ich. Geht es dir gut?" "Ja", behauptete sie. "Ich weiß nicht, ob ich noch einen Job habe." "Ich auch nicht." Er blickte sie unverwandt an. "Wo warst du?" Sorrel senkte den Kopf. "Nirgendwo. Zumindest an keinem Ort, an den ich mich erinnere. Ich bin nur ein bisschen durch die Gegend gefahren und dann wieder hergekommen." "Hast du je mit ihm geschlafen?" "Wie bitte?" "Du und dieser Nick Soundso." "Nein!" rief sie entsetzt. "Gütiger Himmel, nein! Wie kommst du darauf?" "Weil ein Mann normalerweise keine Frau heiratet, ohne..." "Ohne sie vorher ausprobiert zu haben?" warf sie empört ein. "Nein", entgegnete er. "Ohne eine gewisse Ermutigung." Er glaubte ihr also nicht. Nun, das hatte sie auch nicht erwartet. "Ich habe ihn nicht ermutigt", beteuerte sie müde. "Ich war seine Gärtnerin." Genau wie deine, fügte sie im Stillen hinzu. "Und er hat mich auch nicht bezahlt." "Du meinst, ich würde das nicht tun?" "Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts. Ich habe für ihn gearbeitet, das ist alles. Und jedes Mal, wenn ich eine Aufgabe erledigt hatte und mein Geld verlangte, fand er eine neue Beschäftigung für mich. Er sagte, er würde mich am Ende bezahlen. Er versprach mir sogar einen Bonus. Warum hätte er mich heiraten sollen?" "Weil niemand sonst es getan hätte", erwiderte Henri schlicht. Fassungslos sah sie ihn an. "Er dachte, du wärst einfältig und gefügig. Sein Fehler." Noch wagte Sorrel nicht zu hoffen. "Warum wollte ihn denn keine andere heiraten?" fragte sie zögernd. "Ich weiß zwar, er ist..." "Bösartig?" "Ja." "Außerdem ist er dumm", fügte Henri verächtlich hinzu. "Was hast du zu ihm gesagt. Wenn du ihn nicht kanntest..." "Offenbar hat er mir geschrieben." "Und du reagierst nicht auf ungebetene Post." "Richtig. Als ich weder antwortete noch Kontakt mit ihm aufnahm, kam er her. Ich habe ihn aufgefordert zu verschwinden." "Höflich?" Henri lächelte leicht. "Nein." Er streckte die Hand aus, und nach kurzem Zögern, legte sie ihre hinein. Wollte er damit andeuten, dass es nun zu Ende war? "Komm. Wir beide müssen miteinander reden, und ich möchte kein Publikum dabei haben."
Sorrel nahm an, dass er damit Sean meinte. Sie wollte auch nicht, dass der Mann irgendetwas mit anhörte. "Mir wäre es außerdem lieb", fuhr Henri fort, während er sie zum Wirtschaftsraum zog, "wenn nicht all diese Sträucher in meinem Vorgarten herumliegen würden. Sie wurden geliefert, als ich eintraf." Sie blieb stehen und spähte nach vorn. "Das sind keine Sträucher, es ist deine Buchsbaumhecke", korrigierte sie ihn. "Um genau zu sein: Buxus sempervirens suffruticosa." In ihrer Stimme schwang nicht die geringste Begeisterung mit. Henri führte sie zum Seiteneingang und schloss die Tür hinter sich. Der nur schwach beleuchtete Raum war mit Sorrels Gerätschaften vollgestopft. "Wollen wir in mein Schlafzimmer oder ins Arbeitszimmer?" fragte er. "Habe ich denn eine Wahl?" "Ja. Je nachdem, wie die Unterhaltung verläuft." "Formell oder informell?" "Ja." Sorrel spürte seinen warmen Atem auf ihrer Wange und erschauerte. Sie begehrte ihn. Wollte gehalten, getröstet und geliebt werden. Was wollte er? Die Erwähnung des Schlafzimmers klang nach... "Jen hat eine alte Zeitung mit einem Foto von dir und einem Topmodel gefunden. Sie..." "Jen sollte sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern", unterbrach er sie. "Weißt du schon, worüber du dich gern unterhalten möchtest?" "Ja", flüsterte sie. "Und du?" "Ja. Wir nehmen das Schlafzimmer." Mit heftig pochendem Herzen folgte sie ihm durch die Halle und die Treppe hinauf. "Setz dich", befahl er und deutete auf das Fußende des Betts. Gehorsam nahm sie Platz, faltete die Hände im Schoß und senkte die Lider. "Ladys first." Er klang nicht amüsiert, sondern unendlich müde. Verzweifelt suchte sie nach den rechten Worten, doch ihre Gefühle drohten sie zu überwältigen. "Ich weiß nicht, was ich sagen oder wo ich anfangen soll. Möchtest du, dass ich mich für den hysterischen Ausbruch entschuldige? Glücklicherweise war der Reporter nicht hier..." "Hör auf damit", tadelte er sie sanft. "Entschuldige. Ich war wütend. All die Monate war ich Nicks wegen ohne Arbeit. All das Geld, das er mir schuldet. Habe ich eigentlich erwähnt, dass er mich hat einsperren lassen? Als ich mich weigerte, ihn zu heiraten, hat er sich geweigert, mich zu bezahlen. Ich drohte mit einer Anzeige - und er ließ mich verhaften. Er hat der Polizei erzählt, ich hätte Geld aus seinem Haus gestohlen. Bevor es zur Anklage kam, zog er den Vorwurf zurück. Aber niemand hat mir geglaubt, Henri." "Jetzt wird man dir glauben", versicherte er. "Die Londoner Zeitungen werden eine offizielle Entschuldigung von ihm abdrucken, außerdem wird er seine Schulden begleichen. Ich bin überzeugt, er ist für die Verwüstungen im Garten verantwortlich - er wollte dir wehtun." "Aber wie willst du ihn dazu zwingen?" fragte sie benommen. "Das ist für mich kein Problem." Sie glaubte ihm jedes Wort. "Manchmal verstehe ich dich einfach nicht." "Ich weiß. Es ist meine Schuld. Ich konnte es mir nicht leisten, dir zu vertrauen. Ich habe es mir gewünscht - mehr, als du vermutlich je ahnen wirst -, und deshalb habe ich dich durch einen Privatdetektiv überprüfen lassen. Ich dachte, du würdest womöglich für die Presse arbeiten." "Nein." Er betrachtete ihr unglückliches Gesicht, ein Gesicht, das zum Lachen geschaffen war. "Es
tut mir Leid." "Es ist verständlich." Rastlos sprang sie auf und ging zum Fenster. "Du bist ein reicher Mann. Du hast mich erst geküsst, nachdem du den Bericht hattest, oder?" "Ja." "Wolltest du mich vorher schon küssen?" "Ja." "Und der Bericht besagte, dass ich nichts von dem getan habe, was Nick behauptet hat." "Ja." "Und du hast es geglaubt." "Ich wollte es glauben. Ich dachte, ihr wärt ein Liebespaar gewesen - und ich war eifersüchtig." "Eifersüchtig?" "Ja. Ich wollte nicht, dass du mit ihm zusammen warst." "War ich auch nicht." "Nein." "Hat er das gesagt?" Nach kurzem Zögern nickte Henri. "Deshalb war ich so wütend, als ich dir in den hinteren Garten folgte. Nicht auf dich. Auf ihn und mich selbst. Ich hatte dir alles erzählen wollen. Heute habe ich endlich den endgültigen Report bekommen. Der Detektiv hat einige Leute befragt, die Nick kennen, und daraus seine eigenen Schlüsse gezogen. Er hält dich für unschuldig. Und ich auch." "Warum?" Er lächelte matt. "Hauptsächlich wohl, weil ich mir wünsche, dass du unschuldig bist." "Du warst so anders, so glücklich..." "Ja." "Und dann tauchte Nick auf." Prüfend sah sie ihn an. "Du glaubst ihm wirklich nicht?" "Nein." "Nicht für eine Sekunde?" Henri atmete tief durch. "Nein, heute nicht." "Aber nach dem ersten Bericht schon, oder?" "Ich habe es nicht geglaubt, allerdings konnte ich diesen nagenden Zweifel nicht verdrängen, dass du möglicherweise eigene Ziele verfolgst", gestand er aufrichtig. "Und trotzdem wolltest du..." "Mit dir schlafen? Ja. Du warst dir meiner auch nic ht hundertprozentig sicher, oder?" "Nein. Wegen Jen und ihrer Behauptung, ich hätte eine miserable Menschenkenntnis. Vielleicht hat sie ja Recht. Ich will den Leuten nicht misstrauen müssen, will nicht darauf warten, dass die Fassade Risse bekommt und sich etwas verändert..." "Das ist nicht besonders schön, oder?" "Nein." "Hast du gedacht, ich würde dich nicht bezahlen?" Sie schüttelte den Kopf. "Sorrel..." "Wirklich nicht. Jedenfalls nicht bis heute. Du bist schließlich berühmt." "So könnte man es nennen", räumte er ein. "Ich wurde viel fotografiert, habe in kürzester Zeit viel Geld verdient, wurde überallhin eingeladen... Es war ein Lebensstil, der mir bald langweilig wurde." "Wie war sie denn?" erkundigte sie sich beiläufig. Zu beiläufig. "Wer?" "Das Model. Serena Soundso." "Verena", korrigierte er sie. "Sie war eigentlich sehr nett, aber wir waren kein Paar, falls dich das interessiert. Mein Liebesleben findet nicht in aller Öffentlichkeit statt."
"Demnach hast du mich belogen." "So? Wann denn?" "Als ich dich fragte, warum du bei unserer ersten Begegnung so mürrisch gewesen seist. Es war nicht wegen Mrs. Davies oder den Wanderern, oder?" Er lächelte. "Nein. Die Presse hatte gerade etwas herausgefunden, was ich unbedingt geheim halten wollte. Nichts Verwerfliches", fügte er hinzu, als sie ihn erwartungsvoll ansah. "Ich habe der Wohlfahrt Geld gespendet." "Viel Geld?" "Genug, um einen Computertomographen anzuschaffen. Mein Großvater ist an einem Gehirntumor gestorben." "Nicht dein Vater?" "Nein. Er starb vor ein paar Jahren friedlich im Schlaf. Meine Mutter starb bei meiner Geburt. Möchtest du noch etwas wissen?" Sie schüttelte den Kopf. "Bist du noch böse?" "Auf Nick?" "Nein, auf mich." "Ich war nicht böse auf dich." "Auch nicht, weil ich dir misstraut habe?" "Nein. Wir haben schließlich beide das Gleiche getan. Uns verschlossen, weil..." "Weil wir einander begehren?" "Ja. Und weil ich Angst hatte, verletzt zu werden." "Oder plötzlich als Närrin dazustehen?" "Ja. Und was nun?" "Wir haben eine Beziehung", erwiderte er vorsichtig. "Eine richtige Beziehung." "Was ist eine ,richtige' Beziehung?" fragte sie verwirrt. "Gemeinsamkeit, Fürsorge, Vertrauen. Falls du es noch nicht bemerkt hast", fügte er trocken hinzu. "Ich habe mich in dich verliebt." "Wann?" "Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich mich gehasst habe, weil ich dir nicht trauen konnte, dass ich stundenlang durch die Gegend gefahren bin und dich gesucht habe, dass ich vor Sorge fast den Verstand verloren habe..." Sorrel traute ihren Ohren kaum. "Du hast mich gesucht?" "Als ich dich losfahren hörte, habe ich den verdammten Schrank fallen lassen und bin dir nachgelaufen, aber bis ich meinen Wagen aus der Garage geholt hatte, warst du längst verschwunden. Willst du denn keine Liebesbeziehung?" "Ja. Nein. Ach, ich weiß nicht", rief sie. Ja, sie wollte es, aber... "Du bist berühmt!" "Und du weißt nicht, warum jeder dich heiraten will?" "Heiraten?" wiederholte sie heiser. "Du hast nie von Heiraten gesprochen." "Nein, aber ich würde es gern tun." "Warum?" "Weil es schön ist, dich in meiner Nähe zu haben." "Ein wirklich guter Grund. Ich weiß jedenfalls nicht, ob ich heiraten möchte." "Das ist mir klar. Ich hatte gehofft, dich überreden zu können." Lockend streckte er die Hand nach ihr aus. Sorrel rührte sich jedoch nicht von der Stelle. "Ich bin siebenunddreißig", sagte er ruhig. "Was hat das damit zu tun?" "Ich will eine Familie." Rasch wandte Sorrel sich wieder zum Fenster um. "Versuch's mit Adoption." Sie hatte lässig klingen wollen, doch ihre Stimme gehorchte ihr nic ht.
"Willst du meine Babys nicht, Sorrel?" "Nein", entgegnete sie rau. Seine Babys? Sie kannten einander doch kaum. "Ich könnte dir ein Leben bieten, an das du dich schnell gewöhnen würdest." "Du weißt doch gar nicht, was mir gefällt." "Ich möchte es herausfinden." Sie schlug mit der Faust gegen den Fenstersims. "Ich habe dir nie Grund zu der Annahme gegeben, dass ich geheiratet werden will! Niemals. Ich habe auch nie etwas von dir verlangt." "Stimmt." "Also warum?" "Magst du mich denn nicht?" fragte er stattdessen. "Du weißt genau, dass ich dich mag." "Dann heirate mich." "Nein." "Grausames Mädchen", neckte er sie. "Ausgerechnet jetzt, da ich endlich jemanden gefunden habe, der mir den Rücken eincremen dürfte." "Du liebst mich doch nicht wirklich", rief sie. Mit zwei Schritten war er bei ihr und drehte sie zu sich um. Er umfasste ihr Kinn und sah ihr tief in die Augen. "Das habe ich dir doch gerade gesagt." Sie senkte die Lider. "Du meinst es nicht ernst." Ihr Blick fiel auf ihre Hände, die mit Staub und Zement bedeckt waren. Rasch versteckte sie sie hinter dem Rücken. "Glaubst du nicht, dass du mich eines Tages lieben könntest?" Sorrel schwieg. "Schreckt dich mein Reichtum ab?" Sie schüttelte den Kopf. "Ich lasse mich von Geld nicht beeindrucken - vermutlich, weil ich nie welches hatte. Du brauchst es also nicht als Druckmittel zu benutzen." "Okay. Aber verzweifelte Situationen erfordern verzweifelte Maßnahmen. Wie wäre es, wenn ich mein Geld verschenken würde?" Verblüfft blickte sie auf. "Sei nicht al..." Als sie seinen zärtlichen Gesichtsausdruck bemerkte, verstummte sie. Tränen stiegen ihr in die Augen. "Wie kannst du sicher sein, dass du mich liebst?" "Keine Ahnung", sagte er sanft. "Ich weiß nur, dass ich für dich sterben würde, dass du mich faszinierst und amüsierst, dass dein bloßer Anblick mich lächeln lässt. Ich bin stolz auf dich und möchte dich beschützen..." Behutsam strich er ihr das widerspenstige Haar aus der Stirn. "Ich habe lange auf dich warten müssen, und dann konnte ich dir nicht vertrauen. Das hat wehgetan, Sorrel, denn ich sehnte mich so sehr nach Liebe. Nach Gemeinsamkeit, Kindern und einem normalen Leben. Als ich dich nicht finden konnte und niemand, den ich fragte, deinen alten Kombi gesehen hatte, war ich vor Sorge außer mir. Du warst so durcheinander..." "Und schmutzig", warf sie ein. "Und schmutzig", bestätigte er schmunzelnd. "Sehr schmutzig sogar. Aber du gefällst mir auch schmutzig. Manchmal habe ich dich vom Fenster aus beobachtet und wäre gern zu dir gegangen, um dich zu umarmen. Ob mit zerzaustem Haar, ob verschwitzt oder staubig, du hast stets so zufrieden gewirkt, so glücklich wie ein Kind. Ich weiß nicht, warum ich dich liebe - eigentlich weiß ich nicht einmal, was Liebe ist -, ich weiß nur, dass ich dich nicht verlieren will, dass ich mich erst mit dir als Ganzes fühle." "Zusammengehörigkeit", wisperte sie. "Ja." Mit geschlossenen Augen lehnte sie die Stirn an seine Brust. "Dieses Gefühl habe ich, seit wir das erste Mal miteinander geschlafen haben. Als würde ich allein zu dir gehören. Dabei kennen wir uns noch gar nicht so lange, und eine Ehe ist ein schwerwiegender Schritt." "Andererseits bist du sehr tapfer. Wir müssen ja nicht gleich eine Familie gründen, falls dir
das Angst macht." Zärtlich streichelte er ihre Wange. "Ich habe noch nie jemanden wie dich getroffen und bezweifle, dass es mir wieder passieren wird. Ich hätte fast laut aufgelacht, als du zum ersten Mal in mein Haus kamst, doch ich habe es nicht gewagt. Ich möchte dich meinen Freunden vorstellen..." "Du hast Freunde? Ich hatte mich schon gewundert, weil du dich hartnäckig weigerst, ans Telefon zu gehen", meinte sie und sah ihm verträumt in die Augen. Wundervolle Augen, ungewöhnliche Augen, die sie am liebsten mit den Lippen berührt hätte. Ein Gesicht, das zum Küssen einlud. Ein Körper, nach dessen Nähe sie sich verzweifelt sehnte. Henris Blick verriet, dass sein Verlangen ihrem in nichts nachstand. "Ich habe nur nicht abgehoben, wenn du da warst. Als wir von der Rettungsaktion für den Hund zurückkamen, und auch als du mich am nächsten Tag besuchtest, habe ich das Gerät ausgeschaltet. Da ich nicht wusste, wer du bist, wollte ich nicht, dass du irgendetwas mit anhörst. Meine Freunde lassen mich ohnehin in Ruhe, wenn ich den Einsiedler spiele." Sorrel schmiegte sich an ihn. "Und was ist, wenn du nicht den Einsiedler spielst?" "Ich weiß nicht. Es könnte recht lustig sein, das herauszufinden, oder? Du könntest beispielsweise weiterhin Gärten gestalten. Es fällt dir nicht schwer, die Reporter zu ignorieren. Ich will nicht behaupten, dass dein Lebensstil sich nicht ändern wird, doch ich halte dich nicht für eine Frau, die mich auf Partys, Vernissagen oder Einkaufsbummel schleppt." "Hast du daran kein Interesse?" "Nein. Falls ich irgendwann wieder anfange zu arbeiten, weil mich ein neues Betätigungsfeld reizt, dann möchte ich gern abends nach Hause kommen und wissen, dass du auf mich wartest, mich zum Lachen bringst und die Dinge wieder ins rechte Licht rückst. Klingt das für dich langweilig? Oder chauvinistisch?" Sie schüttelte den Kopf. "Also willigst du ein?" "Ich weiß nicht", flüsterte sie hilflos. "Wie soll ich nachdenken, wenn ich solche Sehnsucht nach dir habe?" Aufstöhnend beugte er sich vor und küsste sie. Er genoss ihre weichen Lippen und begehrte sie mit einer Leidenschaft, die ihn noch vor wenigen Wochen in Erstaunen versetzt hätte. Inzwischen konnte er sich kaum noch erinnern, wie sein Leben ohne sie verlaufen war. Er schloss sie in die Arme und presste sie an sich, während sein Kuss fordernder und sinnlicher wurde. Sorrel klammerte sich wie eine Ertrinkende an ihn. Schwer atmend suchte sie immer wieder seinen Mund. "Ich habe nicht vor, dich je gehen zu lassen", warnte er sie heiser. "Gut." Ihre Stimme klang so heiser wie seine. "Lass mich nie wieder los."
9. KAPITEL Sorrel und Henri wurden im September getraut. Die letzte Nacht als Miss James verbrachte sie in dem kleinen Hotel. Jen war bei ihr, ebenso wie deren Mann Giles, der als Brautführer fungieren sollte. Ihr kleiner Neffe war als Page herausgeputzt und hatte den strikten Befehl, sich nicht schmutzig zu machen. "Nervös?" fragte Jen, während sie wohl zum fünften Mal Sorrels Schleier zurechtrückte. "Nein." "Ich schon", gestand Jen. "Ich kann noch immer nicht fassen, dass du einen so reichen Mann heiraten wirst." Sorrel griff nach dem kleinen Bouquet aus Rosen, die erst vor einer halben Stunde im Klostergarten geschnitten worden waren. "Reichtum ist schön, aber nicht wichtig." "Nein", räumte Jen trocken ein. "Ich habe noch nie ein Paar gesehen, das so aufeinander fixiert ist wie ihr." "Wir müssen schließlich die verlorene Zeit nachholen", meinte Sorrel versonnen. Seit sie wusste, dass Henri sie rückhaltlos liebte, betrachtete sie die Welt mit anderen Augen. Sie und Henri hatten keine Geheimnisse mehr voreinander... "Ich bin fast eifersüchtig", sagte Jen leise. "Seit Mums und Dads Tod hatte ich immer das Gefühl, auf dich aufpassen zu müssen. Und nun..." Sie lächelte wehmütig. "Hoffentlich fange ich nicht zu weinen an." "Die Wagen sind eingetroffen", verkündete Giles und kam mit seinem Sohn auf dem Arm herein. Er warf seiner Frau einen prüfenden Blick zu und sah dann Sorrel an. "Gleich bricht sie in Tränen aus." "Jawohl." Sorrel lächelte. Giles übergab Jen den Jungen, der bislang außergewöhnlich brav gewesen war - was nichts Gutes verhieß. Er wartete, bis seine Frau mit dem Kleinen das Zimmer verlassen hatte, dann reichte er Sorrel den Arm. "Es ist mir eine Ehre, der Brautführer zu sein." "Danke, dass du diese Aufgabe übernommen hast." Plötzlich war auch sie den Träne n nahe. Dies war ihre Familie. Die einzige Familie, die sie hatte. "Henri ist ein guter Mann, und ich kann dich ihm guten Gewissens übergeben." Draußen flammte ein wahres Blitzlichtgewitter auf. Sie stiegen rasch in die bereitstehenden Wagen und legten den kurzen Weg zur Abtei zurück. Es war Sorrels Entscheidung gewesen, die Hochzeit dort stattfinden zu lassen. Henri hatte sie seit einer Woche nicht mehr in der Nähe ihres neuen Heims geduldet. Der Himmel mochte wissen, warum. Die Küche war fertig, beide Gartenteile waren angelegt, und das Refektorium war geputzt worden, bis es vor Sauberkeit blitzte. Mrs. Davies war sehr eifrig gewesen, doch sie würde nicht bleiben. Ihr Mann hatte in Bristol eine neue Stellung gefunden, und sie wollte mit ihm in die Stadt ziehen. Und Sorrel würde heiraten. Plötzlich war alles erschreckend real. In weniger als einer Stunde würde sie Mrs. Chevenay sein. "Alles in Ordnung?" erkundigte Giles sich leise. Sie nickte und blickte hinaus auf das Wäldchen, in dem sie damals ihren Wagen versteckt hatte, um den Vandalen zu fangen. Dann kam der Garten in Sicht. Alles sah so aus, als wäre es schon immer so gewesen. Ihre Freude wurde jedoch einen Moment lang durch die Reporterschar getrübt, die vor dem Tor lauerte. Gleich darauf lachte sie. Auf keinen Fall wollte sie sich ihren großen Tag verderben lassen. Die Sonne schien, die Vögel sangen, und vor dem Haus parkten unzählige Wagen. Henri erwartete sie drinnen. War er nervös? Wohl kaum. Das Portal stand weit offen, aber weit und breit war nie mand zu sehen. Der Wagen hielt, und Giles half ihr beim Aussteigen. Ein einsamer Fotograf näherte sich ihnen und bat Sorrel, für ihn zu posieren. Bereitwillig folgte sie seinen Anweisungen.
Anschließend betraten sie zu dritt das Haus und gingen in Richtung Refektorium. Als sie die Tür erreichten, öffnete sie sich lautlos. Sorrel traute ihren Augen kaum. Der ehemalige Schlafsaal war mit Stuhlreihen gefüllt, auf denen die Gäste saßen. An den einst kahlen Wänden hingen Gemälde, üppige Blumenarrangements schmückten den Kamin und die Fensternischen. Zu ihrer Linken befand sich ein Flügel, an dem ein ihr unbekannter Mann im Frack saß und spielte. Zarte Gardinen vor den Fenstertüren bauschten sich im Wind. Dort wartete der Geistliche neben Henri und dem Trauzeugen. Henri beobachtete sie, und nun hatte sie nur noch Augen für ihn. Er lächelte sie an. Ein warmes, offenes, liebevolles Lächeln, das sie aus ganzem Herzen erwiderte. Strahlend lief sie auf ihn zu und warf sich in seine Arme. Der Geistliche räusperte sich. "Liebes Brautpaar", begann er, nachdem das leise Lachen der Gäste verklungen war. Eine halbe Stunde später wurde Henri aufgefordert, die Braut zu küssen. Er folgte diesem Wunsch mit sehr viel Enthusiasmus. Die obligatorischen Hochzeitsfotos wurden geschossen und zwar nicht nur vom offiziellen Fotografen. Als Henri seine Frau über die Terrasse geleitete, nutzte die Presse ihre Chance. Erst jetzt bemerkte Sorrel das gigantische weiße Zelt, das man dort aufgebaut hatte, wo einst die alten Gewächshäuser gestanden hatten. "Ich liebe dich", raunte Henri ihr zu. "Das habe ich noch nie zu einer Frau gesagt, und nun will ich gar nicht mehr damit aufhören." Ohne auf die Menschenmassen zu achten, die den Garten bewunderten und sich zum Zelt begaben, küsste er Sorrel. "Und ich liebe dich", wisperte sie überglücklich. "Ich würde für dich sterben, das hast du einmal zu mir gesagt." Zärtlich berührte sie sein Gesicht. "Aber nicht heute. Heute wollen wir leben." "Und lieben", ergänzte Henri, bevor er das Versprechen mit einem Kuss besiegelte. - ENDE