Ordnungszahl 120
Ein spannender Zukunftsroman von K. H. Scheer
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Ordnungszahl 120
Ein spannender Zukunftsroman von K. H. Scheer
1. Kapitel „Was verstehen Sie unter dem Begriff ‚adiabatisch-isentropische Entspannungen’? Erklären Sie mir an Hand von Tabelle 15 die Dissoziationskonstante des Wasserstoffs und seine Verwendbarkeit als Arbeitsmedium in einem durch Kernenergie aufgeheizten Raketentriebwerk. Ich lege besonderen Wert auf die einwandfreie Klarstellung der theoretischen Ausströmgeschwindigkeiten (Wath) als Funktion der Aufheiztemperatur (Ti) sowie des Entspannungsverhältnisses (Pi:Pa) für Wasserstoff. Beachten Sie dabei, daß Sie Wasserstoff als zweiatomiges, dissoziierendes Gas rechnerisch wie Sauerstoff zu behandeln haben. Weshalb haben Sie bei dem Arbeitsmedium Wasserstoff besonders hohe Ausströmgeschwindigkeiten zu erwarten? Bitte Vorteile und Nachteile erwähnen. Beginnen Sie mit der Klarstellung der Vorteile, Captain.“ 3
Dr. Dr. Tayne lächelte sehr freundlich, und seine hellblauen Augen blitzten hinter den funkelnden Augenschalen. Die feingliedrigen Hände spielten mit einem Dauerschreiber, doch diese Bewegung war es nicht allein, was mich nervös machte. Dr. Dr. Tayne gehörte zu den Wissenschaftlern, die den Teufel in sich hatten. Das war wenigstens unsere Meinung, obwohl wir zugeben mußten, daß Tayne ein Könner ersten Ranges war. Indessen er mich also sehr freundlich und betont harmlos anblickte, mußte ich daran denken, daß man als Beamter der „Geheimen Wissenschaftlichen Abwehr“ nur zwei Möglichkeiten hatte, dem wissenschaftlichen Schulungsdrill für einige Zeit zu entgehen und damit das zu tun, was man gemeinhin „faulenzen“ nannte. Entweder mußte man eine bildschöne Leiche sein oder zumindest ein solides Loch im Leib haben, um einen Urlaubsantrag begründen zu können. Ich war weder eine Leiche, noch hatte ich eine schwerwiegende Verwundung erhalten. Die Strahlungsdosis, die ich vor etwa vier Wochen während meines letzten Einsatzes aufgenommen hatte, war längst wieder entfernt worden, und so galt ich für den Chef der GWA als gesund, einsatzfähig und obendrein als schulungsbedürftig. Dr. Dr. Tayne lächelte noch tiefgründiger, ehe er genießerisch examinierte: „Nun, Captain, weshalb eignet sich Wasserstoff besonders gut als Arbeitsmedium? Bedenken Sie dabei, daß die Beherrschung dieses Gebietes für Sie besonders wichtig ist. Wir müssen von Ihnen verlangen, daß Sie jederzeit als Physiker und als Fachingenieur für thermische Atomtriebwerke auftreten können. Falls Sie orientierten Technikern oder Wissenschaftlern in die Hände laufen sollten, darf es bei Ihnen keine Versager geben. Bitte, beantworten Sie meine Frage.“ 4
Ich zwang mich zu einem Lächeln, und meine Blicke streiften durch den kleinen Lehrsaal, in dem sich außer mir und dem Dozenten kein Mensch befand. Mit seinen letzten Worten hatte Tayne ziemlich klar ausgedrückt, weshalb es jedem GWA-Agenten Leibschmerzen bereitete, wenn nur sein Name aufklang. Tayne war nämlich Kernphysiker und nebenbei noch Ingenieur, Fachgebiet: atomar aufgeheizte Strahltriebwerke. Beide Wissensgebiete in einen Topf geworfen, ergeben eine so innige Mischung, daß man als Schüler epileptische Anfälle bekommen kann, wenn man nur daran denkt. Ich wischte mir mit dem Handrücken über die schweißbedeckte Stirn und schielte unwillig auf meine Uhr. Nun hatte er mich schon seit vier Stunden unter der Fuchtel. Wir hatten technische Gase behandelt, die als Arbeitsmedien in Frage kommen konnten. Nun war also der Wasserstoff an der Reihe. Da ich einsah, daß ich diesem Fanatiker nicht ungeschoren entkommen konnte, leierte ich seufzend die Lehrsätze herunter. „Die theoretisch ermittelten und praktisch erprobten Ausströmgeschwindigkeiten des Wasserstoffs sind deshalb ausgesprochen günstig, weil das Gas den Vorteil eines kleinen Durchschnitts-Molekulargewichtes hat. Die hohen Werte bei einer angenommenen Aufheiztemperatur von Ti = 3000° K und bei der angenommenen Entspannung in einer einfachen Laval-Düse ergeben sich deshalb, weil die Ausströmgeschwindigkeit der Quadratwurzel des Durchschnitts-Molekulargewichtes umgekehrt proportional ist.“ Dr. Dr. Tayne blinzelte mich zufrieden an und machte einen Vermerk in seiner Laste. „Ja, ja, sehr schön“, meinte er. „Weshalb haben wir aber trotzdem auf den Wasserstoff als Arbeitsmedium verzichtet und dafür gewöhnlichen Wasserdampf gewählt? Erklären Sie das, bitte!“ 5
Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu, doch er reagierte überhaupt nicht. Er blieb gleichmäßig freundlich. Ich hatte vergessen, daß er an solche Blicke längst gewohnt war. Ich war ja nicht der einzige GWA-Agent, der von ihm einen sogenannten „Nachschulungs-Kurs“ unterzogen wurde. Es hatte keinen Zweck zu kneifen. „Unsere Auswertungen haben ergeben, daß Wasserstoff Höchstwerte für die Ausströmgeschwindigkeit ergibt, die sich letztlich auf die Schubleistung und den Verbrauch eines Raketentriebwerks auswirkt. Wir haben auf seine Verwendbarkeit zugunsten des Arbeitsmediums Wasserdampf verzichtet, da Wasserstoff hinsichtlich seiner Dichte an letzter Stelle der behandelten Medien steht. Hinzu kommt die Tatsache, daß er infolge seiner Entzündlichkeit schwierig zu handhaben ist, und daß die Beschaffung verhältnismäßig umständlich ist.“ Ich schwieg, da mir sein Lächeln nicht gefallen wollte. „So, so“, murmelte er, „das sind also Ihre Gründe. Ich könnte noch einige anführen, denn …!“ „Ja, ich weiß.“ Er brachte mich langsam zur Raserei. „Bei hohen Drücken und Temperaturen ist es ein Problem, ein Material zu finden, durch das er nicht diffundiert. Nehmen wir also gewöhnlichen Wasserdampf, zum Teufel!“ „Den nehmen wir bereits, lieber Captain.“ Ihm schien es Freude zu machen, mich in Wut zu bringen. „Sie haben gesehen, daß Wasserdampf ebenfalls sehr gute Werte ergibt. Dazu kommt eine verhältnismäßig hohe Dichte. Wasser ist leicht mitzuführen, spielend leicht zu gewinnen und einfach zu handhaben. Die Aufheizung ist kein Problem. Wie lautet die vollständige Dissoziationsgleichung? Bestimmen Sie daraus die Enthalpiewerte.“ Es dauerte nochmals eine Stunde, bis er endlich seine Liste zuklappte und unschuldig meinte: 6
„Ein wundervoller Tag heute, nicht wahr? Was halten Sie von unserm neuen Schwimmbad?“ Augenzwinkernd betrachtete er meine geballten Fäuste, und plötzlich war der Doppel-Doktor nicht mehr da. Er war einfach weg, spurlos verschwunden! Sprachlos starrte ich auf den Platz, wo eben noch sein Stuhl gestanden hatte, und da sah ich die Klappe. Indessen ich krampfhaft zu schlucken begann, klang über mir ein Lautsprecher auf: „Verzeihen Sie meinen plötzlichen Aufbruch, Captain. Ich habe es vorgezogen, mich rechtzeitig aus der Reichweite Ihrer Fäuste zu bringen, da ich nicht daran interessiert bin, schon wieder ins Krankenhaus zu kommen. Vor drei Wochen bekam ich einen Aschenbecher an den Kopf, und vier Tage vorher benutzte mich einer Ihrer Kollegen als Punching-Ball. Ich stelle fest, daß die Außenbeamten der GWA ungemein aggressiv sind, weshalb wir Dozenten Anweisung haben, uns bei drohenden Temperamentsausbrüchen sofort in Sicherheit zu bringen. Morgen, um 7 Uhr, beginnt Ihr Unterricht über Fragen der Kernphysik.“ Die Stimme des Verschwundenen verstummte. Trotz meiner Wut mußte ich lachen. Aus tränenden Augen blickte ich auf den Platz mit der elektromagnetischen Falltür, durch die der gute Tayne getürmt war. Himmel! Im Hauptquartier der GWA konnte man wirklich etwas erleben. Ich klappte meine Lehrbücher zusammen und wischte mir dann die Lachtränen aus den Augen, was wegen meiner Plastikmaske einigermaßen schwierig war. Sie lag wie eine zweite Haut über meinem Gesicht. Als ich in die GWA eintrat, war mir diese Maßnahme noch als lächerlich erschienen, bis ich schließlich bemerkt hatte, wie gut es war, wenn man von niemand persönlich gekannt wurde. Das galt allerdings nur für die aktiven Agenten, die immer wieder mit 7
Spezialaufgaben betraut wurden. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter der GWA waren von der Maßnahme der ewigen Tarnung befreit. Die aktiven Beamten aber hatten die beruhigende Gewißheit, daß sie nur dem Chef der GWA bekannt waren, und das bedeutete schon eine Lebensversicherung. Ich schwitzte unter der hauchdünnen Maske, die sich eng über mein Gesicht schmiegte, doch ich durfte sie nicht abnehmen. Auch Dr. Dr. Tayne wußte nicht, welchen Agenten er stundenlang traktiert hatte. „Captain“ hatte ihm genügt. Noch nicht einmal meine Haarfarbe hatte er erkennen können, da die Maske, die den ganzen Kopf umschloß, meinem dunklen Haar einen hellen Blondton gab. Ich klemmte mir die Lehrbücher unter den Arm und schielte auf das breite Fenster, das die eine Wandseite vollkommen einnahm. Drüben, mehr als hundert Meter entfernt, wuchsen die Titanenmauern des Zentraleturms in den blauen Sommerhimmel. Dort gab es keine Fensteröffnungen, und selbst die Ansaugschächte für die Klimaanlagen waren unterirdisch angelegt worden. Ehe die angesaugten Frischluftmassen den riesigen Turmbau erreichen konnten, passierten sie zahlreiche Sicherheitsund Kontrollstationen, wo sie auf ihre chemische Beschaffenheit untersucht wurden. Draußen, jenseits der Mauern aus Stahlbeton, lag Washington, doch davon konnte man hier nichts sehen. Dafür aber erblickte ich die kreisenden Radarantennen der Luftraumüberwachung, und ich sah auch die langen Spindelkörper der ferngesteuerten Luftabwehr-Raketen, die steil aufgerichtet in den Abschußgestellen hingen. Seit dem Bestehen der GWA war es noch keinem unwillkommenen Besucher gelungen, in das Hauptquartier einzudringen. Es war eine Festung, die über die letzten und modernsten Abwehrwaffen des Jahres 1987 verfügte. 8
Ich schritt langsam durch den Lehrsaal und betrat den Kreisgang, der um das runde Gebäude lief. Es war nur ein kleines, dreistöckiges Haus, das mitten zwischen den gewaltigen Betonklötzen des Hauptquartiers stand und fast nicht gesichert war. Hier gab es keine Geheimnisse, weshalb man sich sogar dazu entschlossen hatte, den Rundbau mit normalen Fenstern zu versehen. Die gläsernen Türflügel glitten automatisch vor mir auf, als ich den unsichtbaren Kontaktstrahl durchschritt. Vor mir lagen die wundervollen Grünanlagen mit dem neuen FreiluftSchwimmbad, das zur Erholung und Entspannung jener GWAAgenten diente, die eben von einem lebensgefährlichen Einsatz zurückgekommen waren. Ich sah einige Männer, doch nur ihre Körper. Ihre Köpfe waren unter den Masken verborgen, wie es die Vorschrift verlangte. Ich durfte nicht einmal meine Kameraden kennenlernen, und das erschien mir manchmal absurd. Ich bemerkte, daß einer der Männer von zwei Kameraden vorsichtig gestützt in das erfrischende Wasser geleitet wurde. Vor Wochen mußte seine linke Hüfte eine einzige Wunde gewesen sein. Deutlich konnte ich die Klebestellen der eingesetzten Gewebeplastik bemerken, mit der man den armen Kerl wieder zusammengeflickt hatte. Was mochte er erlebt haben? Bei welchem Einsatz war er derart zusammengeschossen worden? Ich wußte es nacht, und ich würde es niemals erfahren. Die Männer vor mir ahnten auch nicht, was ich bei jenem Einsatz erlebt hatte, der unter der Tarnbezeichnung „Kommando HC-9“ in das Robotarchiv der GWA eingegangen war. Wir waren ja ein einziges, großes Geheimnis. Draußen, unter normalen Menschen, nannte man uns „Schatten“ oder „Schattenwesen“. Niemand war genau über die riesige Organisation der Geheimen Wissenschaftlichen Abwehr orientiert. Doch das, 9
was die Bürger wußten, war schon genug. Wir waren die letzte und entscheidende Instanz für die Sicherheit des Landes und damit der westlichen Welt. Wir waren die Männer, die einen harten Kampf hinter den Kulissen der Weltöffentlichkeit ausfochten und die dafür mit Sondervollmachten und Mitteln ausgerüstet wurden, die atemberaubend waren. Wir waren sogar dem US-Sicherheitsdienst und der geheimen BundesKriminalpolizei übergeordnet, und das bedeutete, daß wir uns mit den Fällen zu beschäftigen hatten, vor denen alle anderen Einheiten kapitulieren mußten. Nur wir hatten die technischen und wissenschaftlichen Möglichkeiten, um in jeder Hinsicht gerüstet zu sein. Wir waren keine eigentlichen Kriminalisten, da wir nie ausgesprochene Kriminalfälle zu bearbeiten hatten. Dafür aber hatten wir eine zehnjährige Spezialschulung hinter uns, ohne die kein Mann und keine Frau aktiv mitwirken konnte. Vor vierzehn Tagen war ich von meinem Sondereinsatz zurückgekommen, und jetzt saß ich schon wieder auf der Schulbank. Da wir ausschließlich physikalische Themen und solche der Ingenieurwissenschaften behandelt hatten, war ich schon vor einigen Tagen auf den Gedanken gekommen, daß mein nächster Einsatz unmittelbar bevorstand. Wie es bei der GWA üblich war, konnte ich nicht in meiner Eigenschaft als Captain Thor Konnat auftreten, sondern unter dem Deckmantel einer anderen Person. Wahrscheinlich hatte ich diesmal einen Wissenschaftler oder Ingenieur zu spielen, woraus ersichtlich wird, warum GWA-Beamte eine zehnjährige Studienzeit auferlegt bekamen. Wir mußten auf jedem Gebiet beschlagen sein. Die Nachschulung gab mir allerlei zu denken, doch wäre es vollkommen sinnlos gewesen, beim Chef vorzusprechen und um Auskunft zu bitten. Das hatte ich einmal versucht, und es war mir recht übel bekommen. 10
Urlaub bekam ich auch nicht, weshalb meine Wohnung leerstand. Ich war ein Gefangener im GWA-Hauptquartier, wo man alles zur Erholung und Entspannung der aktiven Agenten tat. Das täuschte aber nicht darüber hinweg, daß sich die Männer in ständiger Einsatzbereitschaft befanden, falls es irgendwo zu brennen beginnen sollte. Der politische Horizont sah in diesen Augusttagen des Jahres 1987 ausgesprochen düster aus. Es wurden wieder einmal scharfe Protestnoten zwischen Washington und Peking gewechselt, da die Machthaber des „Asiatischen Staatenbundes“ kernphysikalische Experimente gestartet hatten. In der Wüste Gobi war eine Super-Wasserstoffbombe explodiert, die in Wirklichkeit eine Streubombe gewesen war. Darunter verstand man acht H-Bomben, ringförmig in dem Waffenkopf einer Fernkampfrakete montiert. Zwanzig Kilometer über dem Ziel zerteilte sich dieser Kopf in seine acht Teile, die in genau berechneten Abständen auf das Ziel niedergingen. Die Explosionen verschmolzen an den Berührungspunkten miteinander, und damit ergab sich eine grauenhafte Zerstörungswirkung. Im Umkreis von 300 Kilometern wurde alles zerstört. Das war ein Vorfall, der zur Verschärfung des kalten Krieges mit dem AS beitrug. In den kernphysikalischen Labors der GWA war sogar der Verdacht geäußert worden, es hätte sich bei der Explosion um einen Versuch mit einer leichten Kohlenstoffbombe gehandelt. Dieser Gedanke hatte die zuständigen Leute im Verteidigungsministerium zu Schweißausbrüchen veranlaßt. Wir waren bisher der Meinung gewesen, der AS verfüge noch nicht über die grausamste Waffe der Menschheit, doch das schien sich in den letzten Monaten geändert zu haben. Seit Tagen dachte ich besorgt an diese Dinge, und ich hoffte nur, daß man mich nicht mit der Aufgabe betrauen würde, hinsichtlich der Explosion Klarheit zu schaffen. 11
Indessen ich noch darüber nachdachte und nebenher auf die Gespräche der Badenden lauschte, schreckte ich plötzlich zusammen. Unbewußt wartete ich auf das gellende Heulen der Alarmsirenen, doch diese nervenzermürbenden Töne blieben uns erspart. Demnach schien der 18mal überschallschnelle Jagdbomber mit der Genehmigung des Chefs in unser Luftsperrgebiet einzufliegen, was an sich nicht ungewöhnlich war. Hier kamen stündlich alle möglichen Maschinen an, doch alle befanden sich im Ortungsstrahl unserer modernen Radar-Objekttaster. Was ich diesmal als eigenartig empfand, war die wahnwitzige Geschwindigkeit, mit der der Jagdbomber über uns hinwegorgelte. Ich sah ihn als rotglühenden Punkt in den Himmel schießen, als endlich die Schallwellen ankamen. In meinen Ohren dröhnte und rauschte es, was mir bewies, daß der Bomber mit wenigstens dreifacher Schallgeschwindigkeit dicht über das Hauptquartier hinweggeflogen war. Das Donnern ebbte ab, doch da kam der Jabo schon wieder angeschossen. Der spindelförmige Rumpf mit den kurzen, scharfgepfeilten Stummeltragflächen glühte dunkelrot, und eben zuckten aus den Flächenenden gelbrote Gassäulen hervor. Es war eine moderne Maschine mit Bremsraketen in den Flächen, und der Pilot schien rücksichtslos darauf bedacht zu sein, die noch hohe Fahrt mit Hilfe der gegenwirkenden Schubleistung abzubremsen. Neben mir stand plötzlich ein Kollege. An seiner angespannten Haltung bemerkte ich, daß er ebenfalls sehr erregt war. „Was ist da los?“ rief er mir gepreßt zu. „Die Maschine glüht durch den Reibungswiderstand Der Pilot ist wenigstens mit 5 Mach in die dichten Luftschichten eingetaucht. Will der etwa hier landen? Er bremst die Maschine mit aller Gewalt.“ „Er scheint keine Zeit zu haben, sie normal auf Landege12
schwindigkeit zu bringen“, entgegnete ich leise. „Sie trägt die GWA-Symbole auf den Flächen, also ist es einer unserer Jabos. Die Sache riecht nach Einsatz.“ Der Kollege lachte, und in den Öffnungen seiner Maske konnte ich seine Augen sehen. „Sieht so aus, Sir.“ Er nickte mir zu und wandte sich gleichmütig ab, obwohl aus dem Rumpf der Maschine soeben die Lande-Hubschraube ausgefahren wurde. Die brüllenden Raketentriebwerke verstummten, und dann pendelte der leichte Jabo an dem riesigen Rotor, der ihn über die gewaltigen Betonriesen des Hauptquartiers hinwegtrug. Ehe er hinter den Gebäuderiesen verschwand, bemerkte ich noch, daß er auf die Dachlandefläche von Bau 14 zuhielt, in dem sich unser Hospital befand. Dort wurden die aktiven Agenten auf ihre verschiedenartigen Einsätze vorbereitet, was oftmals mit Eingriffen zur Veränderung der Gesichtszüge verbunden war. Wir hatten einige Chirurgen unter den beamteten GWAMedizinern, die als Könner ersten Ranges bekannt waren. Sehr nachdenklich lauschte ich auf das dumpfe Wummern der Gasturbine, von der die Landehubschraube des Jabos angetrieben wurde. Das Geräusch verstummte nach einigen Augenblicken. Demnach war die Maschine gelandet. Wahrscheinlich war da wieder einmal ein schwer angeschlagener Agent angebracht worden, der nur noch durch den konzentrierten Einsatz unserer Mediziner und Biologen gerettet werden konnte. Leise fluchend ging ich weiter auf den wuchtigen, fensterlosen Bau zu, der von anderen Betongebäuden umgeben wurde. Dort lagen die kleinen Büros der aktiven GWA-Beamten, und dort wurden die Berichte und Auftragsergebnisse auf die Bänder gesprochen, ehe sie an den Chef gingen, der sie im gigantischen Elektronengehirn der GWA verankerte. 13
Ich passierte die schwere Panzerpforte aus molekularverdichtetem Edelstahl und mußte drei scharfe Kontrollen über mich ergehen lassen, ehe ich endlich den Lift betreten konnte. Vorsicht war hier erstes Gebot und Wachsamkeit eine Selbstverständlichkeit. Im zweiten Stockwerk durchschritt ich die langen Gänge. Ab und zu begegnete mir ein uniformierter Kollege, was mir bewies, daß auch diese Männer auf einen Einsatz warteten. Sie alle trugen die vorgeschriebene Maske. Ich öffnete meine Bürotür mit dem Elektronenschlüssel, warf drinnen meine Lehrbücher auf den Schreibtisch und ging in das kleine, komfortabel eingerichtete Wohnzimmer hinüber. Gerade hatte ich ein kaltes Bad genommen und die Wäsche gewechselt, als das Bildsprechgerät zu summen begann. Von einer dunklen Vorahnung ergriffen, drückte ich den Schalter nieder, und schon erschien auf der handgroßen Bildfläche das Gesicht eines älteren Mannes. Er trug keine Maske, demnach gehörte er nicht zum aktiven Stab der GWA. „Captain HC-9“, meldete ich mich mit meiner Codenummer. „Doktor Filus“, entgegnete der Mann im weißen Kunststoffkittel. „Befehl von General Reling, Captain. Sie haben sich sofort in der Klinik einzufinden. Sie werden von einem Kollegen erwartet. Ende.“ Der Arzt schaltete ab, und ich stand sekundenlang regungslos vor der blinden Mattscheibe, von der sein Bild verschwunden war. Ein kurzer und bündiger Befehl. In dem Augenblick ahnte ich, daß eine neue Aufgabe bevorstand. Automatisch griff ich nach meiner Schirmmütze, und dann stürzte ich auf den Gang hinaus. Weshalb hatte mich der Chef zur Klinik befohlen? 14
2. Kapitel Ich war allerhand gewohnt, und ich hatte auch schon viel gesehen, doch als ich ihn auf dem Operationstisch liegen sah, wurde mir schlecht. Im Vorbereitungszimmer hatte mir eine Schwester einen sterilen Kittel über die Uniform gestreift. „Der Mann ist nicht mehr zu retten, Sir“, hatte sie auf meine Frage entgegnet. Mein erster Blick galt dem Mann auf dem hell erleuchteten OP-Tisch. Zwei Mediziner standen davor und bewachten den Vorgang, der ihn noch einige Zeit am Leben halten konnte. Soeben führte Dr. Filus einen durchsichtigen Plastikschlauch in die Lunge des Patienten ein. Der Brustkorb war geöffnet, weshalb ich mich zusammennehmen mußte, um nicht umzukippen. Ich wandte den Blick ab und sah auf die beiden Assistenten, die aufmerksam den Arbeitsrhythmus der künstlichen Lunge und des Snider-Münch-Gerätes des künstlichen Herzens überwachten. Der Blutkreislauf des Mannes war von seinen natürlichen Organen getrennt worden, die restlos zerstört worden waren. Der Kreislauf mit der lebenswichtigen Funktion der Sauerstoffversorgung wurde ausschließlich von den modernen Geräten bewerkstelligt. Ich sah den pulsierenden Blutstrom durch die Plastikleitungen fließen, die mit neuartigen Gewebeklebstoffen mit den Adern verbunden waren. Dr. Fiskul warf mir einen kurzen Blick zu. „Reißen Sie sich zusammen, Captain, und sehen Sie möglichst nicht auf die Lungen. Der Mann hat eine explosive Dekompression erlebt. Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, wie 15
sich ein plötzlicher Druckverlust auf die inneren Organe auswirkt.“ Ich entdeckte den uniformierten Mann, der am Kopfende des OP-Tisches stand. Er trug auf dem linken Ärmel das Symbol der GWA, das schimmernde Atommodell, und aus seinen Rangabzeichen ging hervor, daß es sich um einen General handelte. Der Alte trug nicht einmal einen sterilen Kittel. Sein kantiges Gesicht war ungemein hart, und seine grauen Haarborsten schienen sich noch steiler aufgerichtet zu haben. Breitbeinig, die Hände auf dem Rücken verschränkt, stand er vor dem Verletzten, und nur seine kalten Augen schienen zu leben. „Kommen Sie her, Captain“, klang seine knarrende, unpersönliche Stimme auf. Ich trat zu ihm hin. Dicht neben uns arbeitete das SniderMünch-Gerät, an dem das Leben eines Mannes hing, der praktisch schon tot gewesen war, als er hier eingeliefert wurde. General Reling trug keine Maske. Er war der einzige Mann, der sämtliche GWA-Agenten persönlich kannte, und nur er war befugt, die Einsatzbefehle zu erteilen. Man kannte den grauhaarigen Mann mit dem knarrigen Gesicht, aber nur sehr wenige Menschen wußten, welche Vollmachten er in der Tasche hatte. „Wischen Sie die grüne Farbe von der Haut“, knurrte er mich düster an. „Man sieht sogar durch Ihre Maske hindurch, daß Sie angegriffen sind. Ich verlange, Captain, daß Sie Ihre Gefühle ausschalten.“ „Jawohl, Sir“, preßte ich mühsam zwischen den Lippen hervor. Der Alte sah mich geringschätzig an. „Der Bursche da …“, er deutete auf den Tisch, „gehört zu den Leuten, die kein Mitleid verdienen. Erkennen Sie ihn?“ 16
„Zuviel verlangt, Sir“, keuchte ich. „Ich bemerke nur, daß da ein Chinese liegt. Das ist aber auch alles. Was ist mit dem Mann passiert?“ „Ein Besatzungsmitglied einer asiatischen Mondrakete. Es war ein kleines Schiff mit veralteten Flüssigkeits-Triebwerken. Der Typ ist uns genau bekannt. Das Schiff führte keinerlei Nationalitätskennzeichen, weshalb es von einer unserer Raumüberwachungs-Raketen angegriffen wurde, als es die Kreisbahn von Raumstation II kreuzte. Die alte Rakete wurde schwer getroffen, und unsere Leute gingen mit den Raumanzügen hinüber. Drei Männer der Besatzung waren tot, nur dieser Mann lebte noch, weil er einen Raumanzug getragen hatte.“ Einigermaßen verblüfft sah ich den Alten an. „Hat er das? Wieso ist er dann so zugerichtet?“ „Er wurde auf unser Überwachungsschiff gebracht und damit zur Raumstation II. Die Leute des Raumüberwachungsdienstes hatten in dem Fahrzeug asiatischer Herkunft einen Bleibehälter gefunden, der ein Element enthielt, das in unseren kernphysikalischen Labors auf der Rückseite des Mondes hergestellt wird. Das veranlaßte sie, eine Meldung an das Verteidigungsministerium abzusetzen, die mir augenblicklich übermittelt wurde. Ich gab den Befehl, den Gefangenen sofort hierher zu bringen.“ Ich preßte die Lippen zusammen und wappnete mich mit Geduld, da ich aus Erfahrung wußte, daß der Alte in seinen Erklärungen sehr gründlich war. „Er war der einzige Überlebende der zerstörten Rakete, und ich wollte ihn verhören. Die Männer auf Raumstation II steckten ihn sofort wieder in einen Raumanzug, um ihn zu dem fahrplanmäßigen Versorgungsschiff zu bringen. Damit sollte er zum Raumflughafen der Nevada-Fields gebracht werden. Die Sache mißlang jedoch, da es auf Station II jemand geben muß, der 17
unbedingt den Transport verhindern wollte. Als der Häftling mit seinem Raumanzug bekleidet in der luftleeren Schleuse der Station stand, wurde ihm der Helm zerschossen. Es erfolgte ein explosiver Druckverlust, und sein Blut begann zu kochen. Die Folgen der Blutexplosion sehen Sie.“ Ich nickte, ohne den Verletzten anzuschauen. „Auf der Station ist man für solche Fälle vorbereitet. Es dauerte nur reichlich lange, bis man den Mann wieder in der Station hatte, in deren Klinik die Geräte angeschlossen wurden. Damit kam er zu den Nevada-Fields, wo ich ihn durch einen schnellen Bomber abholen ließ. Es ist ein Wunder, daß er überhaupt noch lebt. Lunge und Herz sind lahmgelegt, doch es ist zu hoffen, daß wir ihn nochmals ins Bewußtsein zurückrufen können. Die Chirurgen unternehmen alles, was menschenmöglich ist. Erkennen Sie den Mann wirklich nicht?“ Stumm schüttelte ich den Kopf und beobachtete dabei die Ärzte, die immer noch an dem Chinesen herumhantierten. Dem Blutstrom wurden in regelmäßigen Abständen Flüssigkeiten zugeführt, deren Sinn mir unbekannt war. Wahrscheinlich handelte es sich um Anregungsstoffe und Vitamine, doch ich war mir darüber klar, daß das nicht mehr viel helfen konnte. Der Chef faßte mich am Arm und zog mich zur Seite, so daß die Mediziner unsere Worte nicht verstehen konnten. Da erst gebrauchte Reling meinen Namen. „Hören Sie gut zu, Konnat“, flüsterte er eindringlich. „Unsere Rückfragen auf der Mondstation haben ergeben, daß in einem kernphysikalischen Geheimlabor 3400 g Transuran verschwunden sind. Es ist ein gänzlich neuartiges, künstlich hergestelltes Element, das die Ordnungszahl 120 erhalten hat. Das Zeug ist in der asiatischen Rakete gefunden worden. Also wollten sie es zur Erde transportieren. Ich muß unter allen Umständen wissen, weshalb sich der AS-Geheimdienst zu diesem waghalsigen Un18
ternehmen entschlossen hat, zumal man in Asien noch nicht über die neuen Mondraketen mit thermischen Atomtriebwerken verfügt. Dort arbeitet man noch immer mit Flüssigkeitstriebwerken.“ Ich nickte kurz, denn das wußte ich. Seit einem knappen Jahr waren in den Staaten und auch in Europa die neuen Schiffe in Dienst genommen worden, nachdem es gelungen war, leichte und betriebssichere Kernreaktoren zur Aufheizung der Arbeitsmedien herzustellen. Mit diesen neuartigen Triebwerken hatte man vor einem Jahr erstmalig den Mond im Direktflug und unter Umgehung der Raumstationen erreicht, da der atomare Antrieb eine beachtliche Senkung des Massenverhältnisses ermöglichte. In Asien war man noch nicht so weit. Das wußten wir. Asiatische Schiffe mußten nach wie vor von der asiatischen Raumstation aus starten. Diese Raketen konnten nicht in die Atmosphäre der Erde eintauchen. „Der Chef unserer geheimen Mondstation kann sich nicht erklären, warum man 3400 Gramm des neuen Transurans entwendet hat. Seiner Meinung nach gibt es dafür keine bedeutsamen Anwendungsmöglichkeiten. Er kann sich natürlich auch irren, was er zugibt. Wir wissen jedenfalls noch nicht, warum man den Stoff nach Asien bringen wollte. Deshalb müssen wir ihn zum Reden bringen. Haben Sie das verstanden?“ Ja, ich hatte verstanden, trotzdem schien es ein sinnloses Vorhaben zu sein. „Mein Gott, dieser Mann kann doch sicher nicht mehr reden, Sir“, stöhnte ich. Er preßte die schmalen Lippen zusammen und blickte forschend zu dem OP-Tisch hinüber, wo die Mediziner fieberhaft beschäftigt waren. „Konnat, Sie werden den Fall bearbeiten“, zischte der Alte. 19
„Sie bleiben hier, bis der Chinese erwacht. Fragen Sie ihn. Wenn nötig, fordern Sie die telepathische Unterstützung von Doktor Hatter, dem Facharzt für Psychotherapie, an. Bringen Sie den Mann zum Reden. Er weiß, warum man in Asien so großen Wert auf das neue Element legt. Wenn er überhaupt antwortet, so wird er Ihnen Auskunft erteilen. Er wird wissen, daß er verloren ist.“ „Wieso ausgerechnet mir?“ fragte ich verblüfft. „Weil er Sie kennt, und Sie kennen ihn ebenfalls. Erinnern Sie sich an das Unternehmen, das Sie vor zwei Jahren nach Indien führte? Dort lernten Sie einen Chinesen kennen, der sich Dr. Kuang-Tsin nannte. Fachgebiet Kernphysik. Das da ist Dr. Kuang-Tsin.“ Wieder deutete er auf den OP-Tisch, und ich erinnerte mich plötzlich an den kleinen Mann, der immer so höflich gelächelt hatte. Ich hatte ihm damals geholfen, nach China zu entkommen, da das im Interesse der GWA gelegen hatte. In Indien war ein Verfahren gegen ihn eingeleitet worden, das auf meine Initiative zurückzuführen war. Das hatte Kuang-Tsin aber niemals erfahren, weshalb er damals meine freundliche Hilfe dankbar in Anspruch nahm. „Sie sind davon überzeugt, daß er keinen Verdacht geschöpft hat? Wir haben ihm einige wichtige Auskünfte über das Atomwerk in den Dsagar-Bergen zu verdanken.“ Der Alte schüttelte den Kopf. „Ausgeschlossen, er kann es nicht wissen. Erinnern Sie ihn an Ihre Hilfeleistung, und versuchen Sie festzustellen, weshalb er das Element nach Asien bringen wollte. Ich glaube nicht, daß er ein Mitglied des asiatischen Geheimdienstes ist. Er dürfte beratender Wissenschaftler des Mondschiffes gewesen sein.“ Damit drehte sich der General um und schritt auf die Tür zu. Von dort aus meinte er laut: 20
„Sie warten hier, Captain. Ich werde Sie später rufen lassen. Doktor Filus, tun Sie alles, um den Mann wenigstens für einige Minuten zu Bewußtsein zu bringen.“ Mit den Worten tippte er flüchtig an seine Schirmmütze, und schon war er verschwunden. Lautlos fluchend sah ich auf die zugleitende Tür, und dann richtete ich meine Blicke wieder auf die Ärzte, die ihre Arbeit beendet hatten. Der Kreislauf war wiederhergestellt, und nun lag es nur noch am Zustand des Gehirns, ob der chinesische Wissenschaftler noch einmal erwachte. „Wie sieht es drin aus, Doktor?“ fragte ich und deutete dabei auf den Schädel des Chinesen. „Nicht gut“, entgegnete der Chirurg ruhig. „Sie werden sich vorstellen können, wie das feine Gewebe auf den plötzlichen Blutüberdruck reagiert hat. Ich bezweifle, daß der Mann nochmals erwacht. In spätestens einer Stunde können wir die Geräte. mit ruhigem Gewissen abschalten. Wenn er bis dahin nicht erwacht ist, besteht keine Hoffnung mehr.“ Ich trat von dem OP-Tisch weg und wappnete mich mit Geduld. Der Sekundenzeiger meiner Uhr schien über das Zifferblatt zu kriechen, und das gleichmäßige Arbeitsgeräusch der Geräte erschien mir so laut und aufdringlich wie das Hämmern eines Preßlufthammers. Aus den Augenwinkeln konnte ich bemerken, daß Dr. Filus Metallklammern um den Schädel des Verletzten legte. Gleich darauf begann der Enzephalograph zu arbeiten, und der schmale Papierstreifen bedeckte sich mit verworrenen Kurven. „Was ist, Doktor?“ fragte ich, doch er sah kaum auf. „Das Gehirn lebt und arbeitet“, murmelte er leise. „Da …, sehen Sie! Alpha-, Beta- und Delta-Frequenzen, aber noch nicht zu entziffern.“ „Demnach besteht die Möglichkeit, daß er erwacht?“ 21
„Nicht ausgeschlossen. Natürlich kann ich Ihnen nicht genau sagen, welche Gehirnzentren noch einigermaßen gesund sind. Es sendet jedoch Mikro-Spannungen aus, und das elektrische Feld in seiner Umgebung kann gemessen werden. Wir werden nochmals Anregungsmittel in den Blutkreislauf geben.“ Er machte sich an dem Snider-Münch-Gerät zu schaffen, und ich konnte sehen, daß er einige Chemikalien in den pulsierenden Blutstrom einführte. Es dauerte nur Minuten, bis die Kurven des Enzephalogramms deutlicher wurden. Dr. Filus wartete noch fünfzehn Minuten. Dann meinte er ruhig: „Er erwacht, Captain. Wahrscheinlich wird er sprechen können.“ „Kann er mich hören?“ „Ich nehme an. Rechnen Sie jedoch nicht mit seinem Sehvermögen. Wünschen Sie, daß wir uns entfernen?“ Ich sah ihn überlegend an, ehe ich den Kopf schüttelte. Er nickte kurz und legte eine Plastikdecke über die Brust des Mannes, der sich einmal Kuang-Tsin genannt hatte. Nach zehn Minuten begannen plötzlich seine Lippen zu zucken. Seltsamerweise versuchte er nicht zu atmen, was eine Folgeerscheinung des medizinischen Phänomens sein mußte. Sein Leben hing nur noch an den Maschinen. Ich rief ihn an. Zuerst leise und fragend, dann immer dringender. Er mußte mich hören, daran gab es keinen Zweifel. Ich nannte den Namen, unter dem ich ihn vor zwei Jahren bekannt geworden war. Ich erwähnte Dinge, die nur ich wissen konnte, und ich wiederholte Worte, die er selbst gesprochen hatte. Es dauerte lange, unendlich lange, bis er einige unklare Laute ausstieß. Dicht vor seinem Mund hing das hochempfindliche Mikrophon und das Bandgerät lief ruhig und gleichmäßig. 22
„Doktor Kuang-Tsin, hören Sie mich? Bewegen Sie Ihre Lippen. Hören Sie mich?“ drängte ich weiter, und dann kamen die ersten, verständlichen Laute aus seinem Mund. Er sprach englisch. Er mußte demnach erkannt haben, wer da vor ihm stand. „Doktor, was bezweckten Sie mit der Entwendung jenes Transurans, dem wir die Ordnungszahl 120 gegeben haben? Wollen Sie meine Frage beantworten?“ Die Feder des Enzephalographen huschte wie irre über den Papierstreifen. Er dachte angestrengt nach und gab sich anscheinend alle Mühe, meine Frage richtig zu verstehen. Ich drängte ihn weiter. Hart und gnadenlos, obwohl ich wußte, daß es ihn quälte. Wieder einmal hatte ich nur GWA-Beamter zu sein und jedes menschliche Gefühl zurückzustellen. „Was wollten Sie mit dem Element? Wer hat es Ihnen gegeben? Was bezweckten Sie damit? Geben Sie mir einen Hinweis.“ Doktor Filus sah mich mißgestimmt an. und seine Miene wurde besorgt. „Beeilen Sie sich“, flüsterte er. „Die Compressio cerebri ist schon eingetreten. Wir können keine Entlastung bringen. Die Drucksteigerung muß zum endgültigen Tod führen.“ Er hatte sehr leise gesprochen, doch Kuang-Tsin schien den Sinn der Worte erfaßt zu haben. Wahrscheinlich ahnte er, daß er unter keinen Umständen mehr zu retten war. Dann kamen plötzlich die Worte aus dem verzerrten Mund, auf die ich sehnlichst gewartet hatte. Die Laute waren kaum verständlich, doch ich konnte ihren Sinn begreifen. „Wozu brauchen Sie das Transuran?“ fragte ich erneut, und mein Mund war dicht neben seinem Ohr. „Tor … Tor zur Hölle“, röchelte der sterbende Mann. „Gehen Sie. Nur er weiß es. Ord… Ordnungszahl 120. Aufpassen, sta… stabile Mesonen. Kein Bevatron. Ich …!“ 23
Verkrampft stand ich über den stammelnden Mund gebeugt, bis er schwieg. Der künstlich erhaltene Körper zuckte zusammen, und Dr. Kuang-Tsin hatte sein letztes Wort gesprochen. Sehr langsam richtete ich mich auf, und als ich in die toten Augen sah, überkam mich ein eigenartiges Gefühl. Dieser Mann hat sein größtes Geheimnis mitgenommen, nachdem er nur noch einige unklare Hinweise hatte geben können. „Stabile Mesonen …?“ murmelte ich unbewußt vor mich hin. „Was meint er damit?“ Dr. Filus sah mich schweigend an und zog ein weißes Tuch über den entstellten Körper. Mit einem leisen Fauchen lief das Snider-Münch-Gerät aus. „Es tut mir leid, Captain. Wir haben nicht mehr tun können. Er war nicht mehr zu retten.“ Ich warf noch einen Blick auf den toten Körper und ergriff dann das Tonbandgerät, mit dem die letzten Worte festgehalten worden waren. Was hatte der Chinese mit dem Begriff „Tor zur Hölle“ gemeint? Wer sollte etwas wissen, und was hatte er mit stabilen Mesonen andeuten wollen? Sehr langsam schritt ich aus dem OP-Saal und gab draußen den weißen Kittel ab. Als ich auf den Verbindungsgang trat, wurde ich von zwei maskierten Männern erwartet. Wortlos griffen sie an die Schirmmützen. „Der Chef erwartet Sie, Sir.“ 3. Kapitel Vier Tage später wußte ich mehr! Innerhalb dieser Zeitspanne hatten wir eine Menge erfahren. Der Alte hatte rücksichtslos die Machtmittel der GWA eingesetzt, und so war vor drei Stunden eines der neuen Mondschiffe auf den Nevada-Fields gelandet. 24
Damit waren die Berichte angekommen, die so wichtig waren, daß man sie auf dem Funkweg nicht hatte übermitteln können. Vor zehn Minuten war in meinem Büro die Bildfläche des Sichtsprechgerätes aufgeflammt. Die sanfte Stimme einer jungen Dame hatte im Auftrag des Alten mein sofortiges Erscheinen angeordnet. Der Weg in den riesigen Turmbau des Hauptquartiers nahm eine halbe Stunde in Anspruch, weil ich überall die Sicherheitseinrichtungen passieren mußte. Wieder einmal schritt ich durch enge Gänge, in deren Betonwänden der tausendfache Tod lauerte. Ich passierte die letzte Säureschleuse, und dann stand ich vor der kreisrunden Panzerpforte, die den direkten Zugang zu den Amtsräumen des Alten erlaubte. Es war auch der einzige Zugang in jenen Sektor des Turmes, in dem die Robotkartei der Geheimen Wissenschaftlichen Abwehr untergebracht war. Darin waren Geheimnisse verankert, für die der ASGeheimdienst Millionen gezahlt hätte. Ich wurde nochmals kontrolliert, und dann glitt das Panzerschott vor mir auf. Meine Begleiter blieben zurück, und ich trat in das geräumige Vorzimmer ein, in dem die Sekretärin des Alten saß. Ich kannte sie bereits, doch sie ahnte nicht, wer ich war. Für sie war ich Mr. Miller. „Bitte, nehmen Sie einen Augenblick Platz, Sir“, lächelte sie freundlich. „Der Chef …“ Sie wurde von dem Lautsprecher unterbrochen. Der Alte schien nicht in allerbester Laune zu sein, was mir einen Schauer über den Rücken jagte. „Kommen Sie renn, Mann! Wie lange wollen Sie noch warten?“ Ich warf der jungen Dame einen anklagenden Blick zu und schaute dann auf die automatisch aufschwingenden Türen, die 25
zum Allerheiligsten des Alten führten. Dort saß das Gehirn der GWA. Langsam ging ich durch die stählernen Pforten und sah den riesenhaften Schreibtisch, der mit Schaltern, kleinen Bildgeräten und Kontrollampen überladen war. Eigentlich hatte General Reling dort gar keinen Platz mehr zum Arbeiten. Die Türen glitten hinter mir in die Fassungen, und von da an hatte ich die absolute Gewißheit, daß wir vollkommen ungestört waren. Er saß hinter dem metallenen Tischmonstrum, und vor ihm lagen allerlei Berichte und stark vergrößerte Bilder. Ich sah in seine kalten Augen, die mich zu sezieren schienen. Wortlos deutete er auf einen Plastiksessel vor seinem Schreibtisch, und ich ließ mich langsam hineinsinken. Dicht über mir brannte die künstliche Sonne, die das echte Tageslicht vortäuschte. Relings Abteilung lag inmitten der Betonmauern. Er nahm einige Berichte auf, und nur das leise Rascheln wurde vernehmbar. Er ging mir mit seiner unheimlichen Ruhe schon wieder auf die Nerven, zumal ich sehr genau wußte, daß die Erklärungen und Befehle dann explosionsartig kommen mußten. „Da drüben steht Whisky“, knurrte er, und sein Daumen zeigte nach rechts. Ich räusperte mich und verzichtete darauf, mit den scharfen Sachen näher Bekanntschaft zu machen. Über seine schmalen Lippen zuckte ein winziges Lächeln, und dann wühlte er weiter in den Papieren herum. Ich wurde unruhig. Die Sache sah ganz danach aus, als stünde ein harter Einsatz bevor. Es waren etwa fünf Minuten vergangen, als er endlich zu sprechen begann. Es kam so, wie ich es erwartet hatte. Kurz, präzise und schwerwiegend. 26
„Wir haben uns teilweise narren lassen, Konnat“, brummte er, und in seinen Augen glomm etwas auf, was mir nicht gefallen wollte. „Nehmen Sie Ihre Maske ab, ich möchte Ihr Gesicht sehen.“ Ich griff mit den Daumen unter die Ränder und zog das unbequeme Ding über den Kopf. Das hauchdünne, luftdurchlässige Material gab nach, und ich saß ohne Maske vor dem Chef. Wieder musterte er mich sehr eindringlich und prüfend, ehe er kurz nickte. „Wissen Sie auch, was wir unter den drei Wörtern ‚Tor zur Hölle’ zu verstehen haben?“ „Keine Ahnung. Ich habe noch nie davon gehört.“ „Kein Wunder“, lachte er ärgerlich. „So nennt man auf Luna unsere kernphysikalische Geheimstation, in der Experimente stattfinden, die auf der Erde verboten sind. Sie wissen, daß bestimmte Arbeitsgänge der Kernforschung nach dem internationalen Gesetz von 1979 hier nicht mehr in Angriff genommen werden dürfen, weil 1978 das afrikanische Atomwerk von Likimi in die Luft geflogen ist.“ Ja, an diese weltweite Katastrophe, deren Ursachen heute noch nicht geklärt waren, erinnerte ich mich noch sehr gut. Dabei wurde ein großer Teil von Belgisch-Kongo verwüstet, und die radioaktiven Auswirkungen hatte man auf der ganzen Welt gespürt. „Gut, das war also der Hauptgrund, weshalb wir unsere Forschungslabors auf den Mond verlegten, als die Raumschifffahrt zu einem zuverlässigen Organ entwickelt worden war. Wir verfügen auf Luna über drei verschiedene Forschungsstationen, doch das ‚Tor zur Hölle’ ist jenes Zentrum, in dem die gefährlichsten Experimente stattfinden. Wir sind augenblicklich dabei, die Kobaltbombe zu entwickeln.“ Ich begann krampfhaft zu schlucken. Die Kobaltbombe! Das grauenhafteste Vernichtungsinstrument der Menschheit, schon 27
vor drei Jahrzehnten vorausgesagt, befand sich dort in der Entwicklung. Reling hatte es so nebenher ausgesprochen, als hätte er keine Ahnung von dem Sinn seiner Worte. „Sonst nichts?“ „Es langt. Die theoretischen Arbeiten und Vorversuche finden hier statt. Alle gefährlichen Experimente sind auf den Mond verlegt worden. Wir können es uns nicht leisten, solche Versuche innerhalb der Erdatmosphäre anzusetzen. Ein einziger Fehlschlag könnte zur Vernichtung des nordamerikanischen Kontinentes führen. Die ersten praktischen Versuche stehen unmittelbar bevor. Sie werden im leeren Raum stattfinden. Sehen Sie sich das Bild an.“ Er schob mir die farbige, dreidimensionale Fotografie über den Tisch, und ich erkannte einen weißhaarigen Mann im Laborkittel. Er trug keine Augenschalen, sondern eine veraltete Hornbrille. „Wer ist das?“ „Professor Holwyn, Kernphysiker und wissenschaftlicher Chef des Geheimlabors. Eine Kanone allerersten Ranges. Er hat auch das neue Transuran mit der Ordnungszahl 120 erzeugt. Es ist nach ihm Holwynium genannt worden.“ Ich gab das Bild zurück, nachdem ich mir die Gesichtszüge des Wissenschaftlers eingeprägt hatte. Neugierig sah ich auf den Alten, da ich noch immer nicht wußte, worauf er hinaus wollte. Was hatte das alles mit dem Verhör des sterbenden Chinesen zu tun? Sehr langsam sah er von seinen Papieren auf. „Konnat, ich werde Sie mit einer Aufgabe betrauen, die Sie aus dem gewohnten Rahmen unseres Arbeitsgebietes herausbringen wird. Wir haben vier Tage gebraucht, um alle erforderlichen Maßnahmen einzuleiten, und Sie können sich darauf verlassen, daß wir keine Fehler begangen haben. 28
Die Herrschaften im Verteidigungsministerium sind mehr als beunruhigt, weil wir einfach nicht wissen, welche Bedeutung das neue Element hat. Professor Holwyn ist stark in Anspruch genommen. Die experimentalen Vorbereitungen für die erste Kobalt-Explosion lassen ihm keine Zeit, sich sonderlich um das neue Transuran zu kümmern. Ich habe hier die genauen Unterlagen, die von unseren beamteten Physikern ausgeweitet worden sind. Danach eignet sich das Holwynium nicht als Atomsprengstoff, wie das beim Plutonium der Fall ist. Das hervorstechende Merkmal ist die lange Halbwertszeit von 2,6 Jahren und die ungemein starke Radioaktivität. Es entsteht durch Beschuß von Halmanium 112 mit Kohlenstoffionen. Halmanium ist ebenfalls ein Transuran, dessen Halbwertszeit jedoch nur 2,35 Stunden beträgt. Die Herstellung ist nicht einfach, da dafür ein Super-Bevatron erforderlich ist. Professor Holwyn hat das Element ‚120’ zufällig im Zuge einer Versuchsreihe entdeckt.“ Das waren also die Unterlagen über dieses neuartige Zeug, mit dem wir praktisch noch gar nichts anfangen konnten. Ich griff langsam nach einer Zigarette und ließ das elektrische Feuerzeug aufglühen. „Was folgern Sie aus den Vorgängen, Sir?“ „Alles und nichts. Wir müssen schnellstens feststellen, was es mit dem Transuran auf sich hat. Ich ahne, daß es ein Geheimnis in sich birgt. Es muß eine verhältnismäßig einfache Sache sein, aber gerade die einfachsten Dinge sind meist schwierig. Hier, sehen Sie sich auch dieses Bild an.“ Die Leiche, die darauf sichtbar war, sah um keinen Deut besser aus als die des chinesischen Physikers, obgleich der Körper keinen explosiven Druckverlust erlebt zu haben schien. „Das ist der Mann, der dem Chinesen den Helm zerschossen hat“, erklärte der Alte sachlich. „Wir hätten ihn schon drei 29
Stunden nach der Tat verhaften können, da die Nachforschungen des auf Raumstation Terra II weilenden Agenten AN-54 die einwandfreien Beweise erbracht hatten. Der Mann hieß Orions und fungierte auf der Station als Hochfrequenztechniker. Agent AN-54 hat ihn auf meinen Befehl hin nicht verhaftet, weil wir den Burschen beobachten wollten. Er ist vor genau achtzehn Stunden ermordet worden. Die Sache wurde als Unfall getarnt, doch steht fest, daß der Leichtstahlbehälter mit ThermonitalGas nicht zufällig explodiert ist. Der Mann wurde total verbrannt.“ „Konnte festgestellt werden, wer der zweite AS-Agent auf Terra II ist?“ „Nein, bisher noch nicht, aber das soll auch nicht Ihre Aufgabe sein. Sie gehen zum Mond. Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, daß Sie kein leichtes Spiel haben werden. In dem kernphysikalischen Geheimwerk befinden sich zwei unserer Agenten, darunter eine Frau. Die Leute werden Ihnen unterstellt, entsprechende Anweisungen nehmen Sie mit. Sie fungieren als Oberst Permont, Chef der Lunaren Boden- und Raumüberwachung, abgestellt zum Sondereinsatz für den Raum Atomwerk ‚Huntris’. Das ist die Tarnbezeichnung für die geheime Forschungsstätte.“ Resignierend blickte ich in eine Ecke des großen Raumes und nahm mir vor, diesmal vorsichtig zu sein. Der Alte grinste und stand langsam auf. „Konnat, das ist der erste Fall in der Geschichte der GWA, wo ich nicht genau weiß, wie der Hase eigentlich läuft. Ich setze Sie auf einen Verdacht hin ein. Ich kann Ihnen noch nicht einmal sagen, worin das Motiv der Asiaten lag, als sie die 3400 Gramm des neuen Elementes in ihren Besitz brachten. Es muß aber ein Motiv geben und in dem Fall sogar ein sehr zwingendes. Es ist Ihre Aufgabe, festzustellen, wo die Agenten des 30
Asiatischen Staatenbundes sind. Es steht fest, daß innerhalb des Atomwerks eine Organisation aufgezogen worden ist. Wäre das nicht so, hätte der Stoff niemals verschwinden können. Sie haben alle Vollmachten. Der wissenschaftliche und der militärische Chef von ‚Huntris’ sind Ihnen notfalls unterstellt. Wenn Sie es für erforderlich halten, den ganzen Laden in die Luft zu jagen, tun Sie es.“ „Luft ist gut gesagt“, grinste ich säuerlich. Der Alte warf mir einen kühlen Blick zu, und dann kam er langsam auf mich zu. „Konnat, unterschätzen Sie den Sinn Ihrer Aufgabe nicht. Es scheint festzustehen, daß man in der Wüste Gobi eine Kohlenstoffbombe erprobt hat, und was das heißt, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Nach den letzten Meldungen unserer AsienAgenten ist es so gut wie sicher, daß wir unsere Vorrangstellung hinsichtlich der C-Bombe endgültig verloren haben. Die Regierung legt allergrößten Wert darauf, daß die Kobaltbombe schnellstens verwendungsreif entwickelt wird, womit wir wieder einmal das Rennen gewonnen hätten.“ „Für wie lange?“ fragte ich spöttisch, und eine Bitterkeit stieg in mir auf „Wenn das nicht bald ein Ende hat, Sir, wird die Menschheit in ewiger Angstpsychose leben. Ist man sich nicht darüber klar, daß die Anwendung der Kobaltbombe die Vernichtung der Erde bedeutet?“ Reling sah mich düster an und kehrte dann auf seinen alten Platz hinter dem Schreibtisch zurück. „Sie sind Spezialbeamter der GWA, Konnat“, erklärte er ruhig. „Es ist unsere Aufgabe, schwerwiegende Spionagefälle aufzudecken und in der Hinsicht für die Sicherheit des Landes und der freien Welt zu sorgen. Es dürfte auf unserem Planeten keinen Menschen geben, der Ihnen genau sagen könnte, wohin das alles führt. Für uns gibt es nur eins: mit allen verfügbaren 31
Mitteln verhindern, daß der Asiatische Staatenbund in den Besitz jener Forschungsunterlagen kommt, die das Herstellungsgeheimnis der Kobaltwaffe enthalten.“ Ich drückte langsam meine Zigarette aus und versuchte vergeblich, die Daten einigermaßen klar in mein Gehirn einzuordnen. Reling war in seinen Ausführungen oberflächlich, recht unklar und durchaus nicht so präzise, wie ich es gewohnt war. Er hatte mir einige Dinge gesagt. Mit denen konnte ich aber so gut wie nichts anfangen. Beunruhigt sagte ich: „Das ist alles schön und gut, Sir, aber was soll ich damit anfangen? Was hat die Kobaltbombe mit dem Element ‚120’ zu tun? Ich sehe nicht mehr klar.“ Der Alte nickte. „Schön gesagt, Konnat! Wir sehen nicht klar, aber wir wissen etwas ganz bestimmt. Die Spionageorganisation in dem Geheimwerk wurde nicht wegen des zufällig entdeckten Elements aufgezogen, sondern wegen der Kobaltbombe. Sie werden nachher Filme sehen, damit Sie über die Werkanlagen genauestens informiert sind. Dabei erhalten Sie noch Sonderanweisungen.“ Ich nickte kurz. Solche Filme kannte ich. Es gehörte zum Prinzip der GWA, daß ein Agent von vornherein genauestens über sein Arbeitsgebiet aufgeklärt wurde. Als der Chef dann weitersprach, merkte ich, daß er doch nicht so ahnungslos war, wie ich es angenommen hatte. Es waren schon Vorbereitungen getroffen worden, die mir den Weg ebnen sollten. Als der Film abgelaufen war, meinte Reling bestimmt: „Das Element 120 ist wichtiger, als wir annehmen. Es scheint so, als wären die ungebetenen Gäste in Werk ‚Huntris’ zufällig auf den richtigen Gedanken gekommen. Logisch be32
trachtet, scheint festzustehen, daß einer unser Physiker seine Hände im Spiel hat. Vielleicht hat er zufällig besondere Eigenschaften entdeckt, die das neue Transuran wertvoll machen. Sie werden das feststellen müssen, indem Sie den Weg der Einsickerungstaktik einschlagen.“ Ich biß mir auf die Lippen, da ich in dem Augenblick erkannte, daß Reling wieder einmal aufs Ganze ging. „Sie fliegen morgen nach Nevada. Ihre Papiere sind vorbereitet. Bei eventuellen Nachforschungen in der Personalabteilung des Ministeriums für Raumabwehr, wird man feststellen können, daß Sie strafversetzt wurden. Der Dienst auf dem Mond ist nicht angenehm, weshalb man sich nicht darum reißt. Sehen Sie sich die Unterlagen in Ihrem Büro an. Ich werde dafür sorgen, daß der militärische Chef des Atomwerks über Oberst Permont orientiert wird. Sie sollen da oben nicht als Engel gelten.“ Das bedeutete mit anderen Worten, daß ich bestrebt sein mußte, mit den Leuten in Verbindung zu kommen. Bisher war das immer gelungen. „Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Sir, wenn Sie mir noch einige Anhaltspunkte geben könnten. Bisher sind nur 3400 Gramm eines neuartigen Stoffes entwendet worden, und das besagt nicht viel. Was sagen unsere Physiker über die Andeutungen des Chinesen? Was meinen sie zu dem Begriff ‚stabile Mesonen’?“ Reling zuckte die Schultern. „Sie wissen von Ihren physikalischen Studien her, daß wir keine stabilen Mesonen kennen. Diese Elementarteilchen sind nicht beständig, sondern zerfallen sehr rasch in leichtere Teilchen. Vielleicht kann ich Ihnen morgen nähere Angaben machen. Eine Probe des neuen Transurans ist mit dem Mondschiff angekommen, und unsere Wissenschaftler arbeiten fieberhaft. 33
Gehen Sie nun und sehen Sie Ihre Unterlagen durch. Sie müssen über die erfundene Person des Obersts Permont genauestens informiert sein.“ Mehr als unbefriedigt verließ ich den Arbeitsraum des Chefs und ahnte noch nicht, daß sich die Dinge bald überstürzen sollten. 4. Kapitel Knapp 24 Stunden später summte das Sichtsprechgerät auf meinem Schreibtisch, und eine halbe Stunde danach saß ich erneut vor dem Alten. „Sie haben Ihre Unterlagen eingesehen?“ Ich nickte stumm. „Vor sechs Stunden wurde das Atomwerk ‚Huntris’ angegriffen. Die Angreifer waren durch einen Nebenstollen in den Krater eingedrungen, in dem sich die physikalische Abteilung mit dem großen Super-Bevatron befindet. Der Anschlag richtete sich gegen den Raum nebenan, in dem ein Tresor untergebracht ist. In diesem Tresor werden weniger wichtige Forschungsunterlagen aufbewahrt, darunter auch die über das neue Transuran. Der Angriff konnte abgewehrt werden. Die Unbekannten sind bis auf einen Mann entkommen.“ Er sagte das äußerlich ruhig, doch ich erkannte, daß er erregt war. Langsam ging mir dieses neuartige Zeug auf die Nerven. „Es ist eigenartig, daß man nur auf diesen Tresor aus war, zumal ein gut organisierter Spionagering darüber informiert sein sollte, daß die Unterlagen über die Kobalt-Bombe nicht dort verwahrt werden. Konnat, Sie starten sofort! Ich habe dafür gesorgt, daß Ihr Ruf in unserem Sinne ‚präpariert’ wurde. Stellen Sie mir um Himmels willen fest, was da oben gespielt wird. Im Verteidigungsministerium sehe ich nur noch ratlose Gesichter. 34
Es sieht danach aus, als legten unsere Gegner größeren Wert auf die Daten über das ‚Holwynium’, als über die der KobaltForschung.“ Als ich mich eben verabschieden wollte, meinte der Alte noch: „Übrigens, damit ich es nicht vergesse! Sie werden oben von zwei Mitarbeitern erwartet, die Sie bereits kennen. Ich lege größten Wert darauf, daß Sie mit diesen Leuten zusammenarbeiten. Es handelt sich um die Agenten TS-102 und MA-23. Agent TS-19 wird Ihnen wieder als Verbindungsmann dienen. Ist das klar, Konnat?“ Ich nickte und sagte nichts mehr. Nur nicht an das menschliche Monstrum denken, das sich hinter dem Agenten MA-23 verbarg! Damit hatte mir der Alte einen üblen Streich gespielt, und das wußte er auch. „Agent MA-23 ist seit drei Wochen in dem Atomwerk. Er wird Ihnen alles sagen können, was Sie noch nicht wissen.“ Er erhob sich langsam und blickte dabei auf die automatische Uhr. „Sie starten sofort! Ihre Papiere einschließlich Marschbefehl erhalten Sie in der Ausrüstungsabteilung. Uniform, Gepäck usw. liegen bereit. Ein Flugschrauber wird Sie hinüber zum Militärflugplatz von Alexandria bringen. Dort wartet eine Maschine des Lufttransport-Kommandos, mit der Sie zu den Nevada-Fields gebracht werden. Sie reisen offiziell als Oberst Glenn C. Permont. Noch Fragen?“ Eine ganze Menge Fragen, aber ich wußte, daß sie auch der Chef nicht beantworten konnte. Es dauerte zwei Stunden, bis ich in der Ausrüstungsabteilung die für mich bestimmten Gegenstände erhalten hatte. Dort war man ungemein gründlich. Selbst die abgegriffene Brieftasche mit den Insignien G. C. P. hatte man nicht vergessen. Die Uniform saß wie angegossen, und meine Spezialpapiere waren echt und einwandfrei. Captain Thor Konnat, Spezial35
agent der Geheimen Wissenschaftlichen Abwehr, verwandelte sich wieder einmal in einen anderen Menschen, nur wußte er diesmal nicht genau, was gespielt wurde. Ein Fahrstuhl brachte mich zum Dachflugplatz der Ausrüstungsabteilung, wo bereits ein kleiner Hubschrauber wartete. Auf dem verglasten Rumpf trug er die Zeichen der LufttaxiCo., doch am Knüppel saß ein GWA-Agent. Er tippte wortlos an die dunkelrote Schirmmütze, die ihn als Schrauberpilot der Gesellschaft auswies. Ich ließ mich neben ihm in das weiche Plastikpolster fallen, indessen ein anderer Mann mein Gepäck verstaute. Es war durch und durch militärisches Zeug. Nichts mehr erinnerte an den GWA-Agenten. In einem versteckten Fach meiner kleinen Reisetasche steckte das strahlungssichere Plastiketui mit der GWA-Erkennungsmarke, die mir notfalls jede Tür öffnen konnte. Noch brauchte ich sie nicht, und in dem Augenblick ahnte ich auch noch nicht, wie wichtig sie werden könnte. „Können wir starten, Sir?“ fragte der Pilot, ebenfalls ein aktiver Agent. Er trüg auch die Maske, doch das konnte innerhalb der Maschine nicht auffallen. „Ja. Kennen Sie das Ziel?“ Er nickte stumm und gleich darauf begann die Gasturbine zu summen. Das Geräusch war leise und gleichmäßig, so wie ein modernes Aggregat dieser Art arbeiten mußte. Mit singendem Motor hob sich die kleine, unauffällige Maschine von dem betonierten Dach ab, und schon schwebten wir über die Riesenbauten des Hauptquartiers hinweg. Als wir den äußeren Abwehrgürtel der Luftraumüberwachung überflogen, leuchtete die Bildfläche des Sichtsprechgerätes auf, und das Gesicht eines uniformierten Mannes erschien. „Abflug frei“, hörte ich aus dem Lautsprecher. „Keine Überwachung. Ende!“ 36
Ich warf einen verstohlenen Blick auf den Piloten, der die kleine Maschine sofort auf höhere Fahrt brachte. Demnach hatte er noch auf die Nachricht gewartet, die besagte, daß der Start freigegeben sei. Östlich von uns lag das moderne Washington mit seinen gewaltigen Bauten und neuerrichteten Regierungsgebäuden. Seit zehn Jahren waren noch allerhand neue Ministerien hinzugekommen. Unter anderem das Space-Departement, das in dem Augenblick gebildet worden war, als die erste Flüssigkeitsrakete auf dem Mond gelandet war. Das lag nun schon zwölf Jahre zurück, und in der Zeit war eine unglaubliche Arbeit geleistet worden. Mit leise heulender Gasturbine zog der Hubschrauber über die kleinen Villensiedlungen hinweg, und nach Minuten tauchte vor uns Alexandria auf. Dort kannte ich mich recht gut aus. Den Militärflughafen hatte ich mehr als einmal betreten. Unter uns huschten die Luftabwehrzentren des zweiten Verteidigungsringes hinweg. Washington gehörte noch immer zu den bestverteidigten Städten der Welt, und da unten lauerten Tag und Nacht unfehlbare Radargeräte auf unerwünschte Eindringlinge. Wir passierten die Radarkontrollen, und mein Pilot mußte den elektronischen Schlüssel in das Erkennungsgerät schieben, ehe er in das Luftsperrgebiet von Alexandria-Airport einfliegen durfte. An der Bewegung der Plastikmaske sah ich, daß mein Kollege lächelte. Mir war nicht danach zumute. Mit einem Gefühl des Unbehagens sah ich vor uns den riesigen Betonplatz auftauchen, auf dem zwei Geschwader der modernsten IonosphärenJäger zur Raumabwehr stationiert waren. Die Maschinen erreichten Höhen bis zu 250 Kilometern und 37
waren für die Abwehr von ferngesteuerten, transkontinentalen Raketengeschossen bestimmt. Die Höchstgeschwindigkeit der modernen Jäger lag bei zwanzigfacher Überschallgeschwindigkeit, und ihre elektronischen Ausrüstungen zur Ortung anfliegender Maschinen oder Raketen waren nahezu vollkommen. Als Oberst Glenn C. Permont mußte ich darüber informiert sein, denn auf Grund meiner Papiere hatte ich als Geschwaderchef einer solchen Ionosphärenjäger-Einheit fungiert. Offiziell war ich dem Oberkommando der taktischen Raumabwehr unterstellt gewesen, und auf dieser Dienststelle lagen auch meine Personalien. In der Personalabteilung des Oberkommandos hatte man sicher keine Ahnung, daß die Unterlagen über Oberst Permont eingeschmuggelt worden waren. In solchen Dingen war der Alte ganz groß. Wir wurden von der Platzkontrolle noch dreimal angerufen, ehe unser Taxi weiterfliegen durfte. Nach einigen Augenblicken leuchtete die Bildfläche schon wieder auf, und die kühle Stimme eines Captains befahl: „Lufttaxi CCW-1864-25, landen Sie vor dem Kontrollturm auf der mit dem Buchstaben ‚P’, bezeichneten Abstellpiste. Oberst Permont, bitte, bereit halten zur Kontrolle. Ihre Maschine muß sofort wieder starten.“ Ich bestätigte, und mein Pilot flog auf den riesigen Betonturm zu, auf dem unzählige Radarantennen kreisten. Der Raumabwehr-Hafen von Alexandria gehörte zu jenen starkgesicherten Plätzen, die nicht einmal der Chef des Oberkommandos ohne Personenkontrolle betreten durfte. Wir flogen über mächtige Hangars hinweg, landeten sanft auf dem quadratischen Betonfeld, das für Privatmaschinen reserviert war. Jeder Ankömmling mußte hier die Maschine verlassen und die Kontrolle durchlaufen. 38
„Verschwinden Sie sofort wieder“, sagte ich zu dem Piloten. „Drehen Sie sich um, ich muß meine Maske abnehmen.“ Es tat mir leid, dem Mann die Anweisung geben zu müssen, aber laut Dienstvorschrift blieb mir keine andere Wahl. Mit einem schnellen Griff löste ich die Plastikhaut und verstaute sie in meiner Brusttasche. Dabei wandte ich ihm den Rücken zu, damit er mein Gesicht nicht sehen konnte. Die Schiebetür glitt automatisch auf, und ich sprang aus der kleinen Mühle heraus. Dabei bemerkte ich, daß er nicht den Kopf wandte. Die kleine Tür des Laderaums glitt ebenfalls auf, und ein automatischer Greifer stellte meine Gepäckstücke auf den Boden. Als vor dem Piloten das rote Entladungslicht aufzuckte, heulte die Gasturbine auf, und schon glitt der Schrauber wieder in die Luft. Während die Maschine hinter dem Turm verschwand, trat ein Offizier des Platz-Sicherheitsdienstes auf mich zu. Die schußbereite Maschinenpistole auf seiner Brust redete eine sehr deutliche Sprache, doch ich tat, als wäre ein solcher Empfang alltäglich. Der junge Captain salutierte, und ich tippte lässig an den Mützenschirm. „Oberst Permont, Sir?“ fragte er, und da erst wandte ich mich voll nach ihm um. Ich nickte kurz und bemerkte, daß er mitten im Wort stockte und starr auf meine Brustseite sah. Dann riß der Gute die Hacken zusammen, daß die Kunststoffabsätze seiner Dienststiefel ein knallendes Geräusch verursachten. Er bestand nur noch aus Respekt und Hochachtung. In seinen blauen Augen lag ein bewundernder Schimmer, und seine Wangen glühten. Schuld daran war einzig und allein der goldene Kometen-Orden, den man mir in der Ausrüstungsabteilung an die Heldenbrust geheftet hatte. 39
In meinen Papieren stand zu lesen, daß Oberst Permont die vor zehn Jahren eingeführte, höchste Auszeichnung für außergewöhnliche Verdienste erhalten hätte. In der schönen Urkunde war außerdem noch angeführt, die Verleihung des goldenen Kometen-Ordens wäre von dem Präsidenten persönlich vorgenommen worden. So war es also nicht verwunderlich, daß der junge Offizier sprachlos auf den Kometen starrte, zumal da noch allerlei andere Ordensspangen auf der dunkelblauen Uniform glänzten. Höflich und respektvoll fragte er, ob ich ihm zur Kontrollstation folgen wollte. Zwei Soldaten des Sicherheitsdienstes rafften schleunigst mein Gepäck auf, und ich ging gemütlich neben dem Offizier her. Weiter nördlich landete im gleichen Augenblick eine Staffel der neuen Ionosphärenjäger. Sie „ritten“ auf dem Gasstrahl der beiden Flüssigkeitstriebwerke, die in den Enden der winzigen Stummeltragflächen eingebaut waren. Die thermischen Atomtriebwerke durften erst in Höhen von über 30 Kilometer eingeschaltet werden. Start und Landung erfolgten immer mit den Hilfstriebwerken, womit die radioaktive Verseuchung des Geländes weitgehend vermieden wurde. „Nanu – seit wann haben Sie hier die neuen Maschinen? Das sind doch Northrop FS-3275-Jäger?“ fragte ich und blieb stehen. Der Captain nickte eifrig. „Jawohl, Sir, die Maschinen sind vorgestern angekommen. Kennen Sie den Typ, Sir? Die Daten werden noch streng geheim gehalten.“ Ich lachte überlegen und winkte mit der Hand ab. „Die Mühle habe ich schon durch die eisigen Luftschichten der Antarktis gejagt, als man im Oberkommando der taktischen Raumabwehr noch nicht daran dachte, den Serienauftrag zu geben. Damals hatte die 3275 noch einige Mucken, die mich 40
ums Haar den Hals gekostet hätten. Schließlich hat die Maschine aber nachgeben müssen.“ „Das glaube ich, Sir“, sagte er mit einem raschen Blick auf meinen Orden. Ich lächelte still in mich hinein und folgte ihm dann endgültig in das flache Betongebäude, welches als Kontrollstation diente. Der Captain meldete mich an, und Minuten später wurde ich von einem älteren Major des Sicherheitsdienstes empfangen. Er grüßte entgegenkommend, was sicherlich auch die hohe Auszeichnung bewirkte. „Sie sind uns vom Oberkommando bereits avisiert worden, Sir. Der Transporter geht in zwanzig Minuten ab. Darf ich bitte Ihre Marschpapiere sehen?“ Ich reichte ihm die Unterlagen und beobachtete sein Gesicht. Als er sah, daß ich der neue Chef der lunaren Raumüberwachung, Sektion „Huntris“ wäre, mußte er sich sichtlich bemühen, seinen gleichmäßigen Tonfall zu behalten. Ein Sergeant nahm mir die Fingerabdrücke ab und verglich sie mit denen in meinen Papieren, die in einem Robot-Automat auf ihre Echtheit untersucht wurden. „In Ordnung, Sir. Darf ich Ihnen einen Wagen zur Verfügung stellen?“ Minuten später glitt ich mit dem Wagen über die meilenlangen Betonbahnen des Platzes, bis wir endlich zur Piste III kamen, auf der die schweren Lufttransporter starteten und landeten. Das Monstrum mit den acht schweren Strahltriebwerken stand auf einem Fahrgestell, auf dem man ein vierstöckiges Haus hätte transportieren können. Es war eine nagelneue B-623C, deren Triebwerke eine Gesamtschubleistung von rund 160 Tonnen aufwiesen. Der Transporter beförderte eine Nutzlast von 135 Tonnen mit einer mittleren Reisegeschwindigkeit von 1500 41
km/h. Der Aktionsradius betrug dabei etwas über 13 000 Kilometer. Der Captain stand rauchend vor dem vorderen Luk. Als er mich sah, nahm er Haltung an, und die kaum angerauchte Zigarette verschwand unter seiner Schuhsohle. Ich stellte mich vor und fragte: „Haben Sie im Cockpit ein Plätzchen für mich? Ich hasse es, in einer engen Kabine zu sitzen.“ Der Captain lachte und deutete auf die reichlich enge Luke. „Dafür haben wir schon gesorgt, Sir. Sie sind angemeldet worden. Wenn Sie wollen, können Sie den Platz des Bordingenieurs nehmen.“ Ich nickte zufrieden und stellte mich dann auf die hydraulische Plattform, die mich rasch nach oben brachte. Mein Gepäck folgte auf dem gleichen Weg, und fünf Minuten später liefen die Triebwerke des Transporters an. Ich beobachtete die Schaltungen des Ersten Piloten, doch mußte ich mich bemühen, dieses Interesse nicht zu offen zu zeigen. Als ich aus den schmalen Luken der Rundsichtverglasung nach hinten sah, bemerkte ich, daß man unter jede Tragfläche noch zwei Zusatzraketen gehängt hatte. Die plump wirkenden Walzen schienen eine unheimliche Schubleistung zu haben. „Haben Sie volle Nutzlast an Bord?“ fragte ich und wies auf die Raketen. „Ja, Sir, Ladung für die Nevada-Fields. Der Platz ist hier etwas zu knapp, weshalb wir notgedrungen zu den Startraketen greifen müssen. Leider ist dies kein leichter Ato-Jäger.“ Ich besah mir den noch jungen Mann genauer. Er achtete kaum noch auf mich, weil ihn der Start voll und ganz in Anspruch nahm. Die acht Triebwerke brüllten auf, doch es dauerte Ewigkeiten, bis sich die überschwere Maschine in Bewegung setzte. 42
Langsam rollte sie an, und das dumpfe Heulen der TurboTriebwerke ging in ein schrilles Orgeln über. Es war ein machtvolles Geräusch, und als die Startraketen zündeten, schien es, als wollte sich die Riesenmaschine in ein grollendes Untier verwandeln. Das Beschleunigungsmoment preßte mich so hart in meinen Sitz zurück, daß ich kaum bemerkte, wie sich der Transporter vom Boden hob. Minuten später lag Washington weit hinter uns, und wir schossen mit hoher Fahrt nach Westen. 5. Kapitel Unter uns lagen die öden Landstrecken eines Gebietes, das auf den Karten unter der Bezeichnung „Großes Becken von Nevada“ eingetragen war. Noch vor zwanzig Jahren hatte man sich mit dem Gedanken getragen, die gigantische Einöde zu bewässern und damit fruchtbar zu machen, doch dann hatte die beginnende Raumfahrt das Vorhaben vereitelt. Die Wüste war wüst geblieben, und kleinere Ortschaften waren abgerissen worden. Zwischen dem Humboldt-River im Norden, den WasatchMountains im Osten und der Sierra Nevada im Westen war ein Raumflughafen entstanden, der nicht seinesgleichen in der Welt hatte. Im Laufe der Jahre waren Gigantenfabriken entstanden, in denen Zehntausende von Spezialisten arbeiteten. Hier entstanden die modernen Raumschiffe, nachdem die ersten Versuchsraketen noch auf den alten Prüffeldern zusammengebaut worden waren. Diese Zeiten waren lange vorbei. Die neue Raumschiffindustrie hatte sich in unmittelbarer Nähe des Raumflughafens niedergelassen. Besonders ausgedehnt waren 43
die Atomwerke von „Carson-Sink“, in denen die neuen Atommeiler als Aufheizelemente der Ato-Triebwerke hergestellt wurden. Allein die Werke von „Carson-Sink“ beschäftigten mehr als 15 000 Menschen. Die Nevada-Fields bestanden aus mehr als fünfzig verschiedenen Startgeländen, auf denen die großen Mondschiffe und die Zubringerraketen zu den beiden Raumstationen Terra I und II starten konnten. Dazu gehörten noch die durchschnittlich zehn Meilen langen und vierhundert Meter breiten Betonpisten, auf denen die Raumschiffe wieder landen konnten. Die Start- und Landegelände waren streng voneinander getrennt. Weit südlich des eigentlichen Raumflughafens lagen die Verwaltungszentren mit den gewaltigen Flugplätzen der Luftverbindungs-Linien, und über einem dieser Lufthäfen kreisten wir zur Zeit. Die acht Triebwerke unseres Riesentransporters liefen ruhig und gleichmäßig, und die beiden Piloten saßen arbeitslos in ihren Sesseln. Nachdem wir in das Sperrgebiet der Nevada-Fields eingeflogen waren, hatte die landgebundene Fernlenkstation die Führung der Maschine übernommen. Keiner der beiden Piloten konnte den Kurs eigenmächtig beeinflussen. Wenn es ihnen durch einen technischen Trick gelungen wäre, hätte die Abwehr die Maschine innerhalb von 20 Sekunden abgeschossen. Die Fernbildfläche leuchtete auf, und ein uniformierter Mann wurde sichtbar. Er rief die Maschine an und erteilte die Landeerlaubnis. Dann wurde mein Name aufgerufen, und ich trat schleunigst vor das Aufnahmeokular der Fernsehoptik, damit man mich unten gut sehen konnte. „Kontrollstation, Sir, Major Hescap, Sicherheitsdienst. Bitte, halten Sie Ihre Legitimation vor den Impulstaster.“ 44
Ich drückte den aufgeklappten Spezialausweis des Oberkommandos gegen die glatte Metallfläche. Das Gerät begann sofort zu summen und tastete die haarfeinen Magnetdrähte ab, die innerhalb des Kunststoffs eingegossen waren. An dem Taster leuchtete die rote Lampe auf, und ich zog den Spezialpaß zurück. „In Ordnung, Sir. Ich erteile Ihnen Landeerlaubnis. Bitte, melden Sie sich in der Kontrollstation von Flugfeld II. Sie werden erwartet Ende.“ Verblüfft sah ich auf die verblassende Bildfläche. Ich wurde erwartet? Wer konnte das sein? Hatte der Chef eine Nachricht für mich? Die Riesenmaschine rauschte im Tiefflug über gewaltige Hallen hinweg. Vor uns tauchte eine Landebahn von Flughafen II auf. Sie war für Maschinen vom Ausmaß unseres Transporters berechnet weshalb sie mehr als sieben Meilen lang war. Obwohl keiner der Piloten eine Handbewegung machte, setzte der Riesenkasten so sanft auf, daß es eine wahre Pracht war. Sämtliche Schaltungen wurden von vollautomatischen Geräten vorgenommen, wie das seit etwa 12 Jahren modern geworden war. Eine große Hilfe für die Raumpiloten der Mondschiffe. In den letzten Jahren war keine einzige Bruchlandung vorgekommen. Wir rasten etwa vier Meilen weit über das Rollfeld, bis der Transporter endlich zum Stillstand kam und dann über eine Zubringerbahn bis zum Kontrollturm zurückrollte. Ich bedankte mich bei der Besatzung und verließ mitsamt meinem Gepäck den fliegenden Riesen. Als ich von der hydraulischen Hebevorrichtung trat und eben nach meinen schweren Gepäckstücken langen wollte, tauchte vor mir ein höflich lächelnder Mann In der khakifarbenen Uniform des Sicherheitsdienstes auf. Es war ein Captain mit kühlen Augen und gelassenen Bewegungen. 45
Dieser Mann sah zwar auch auf meinen Orden, doch war er davon längst nicht so beeindruckt wie der junge Bursche auf dem Air-Port von Alexandria. „Oberst Permont, Sir?“ fragte er kurz, und ich griff seufzend nach meinen Papieren. „Nein, ich bin mein eigener Onkel“, knurrte ich düster. „Wie oft wollen Sie mich eigentlich noch kontrollieren und ausfragen? Ihr habt hier wohl alle einen Sonnenstich, was?“ Die beiden Soldaten seiner Begleitung grinsten offen, doch der Captain zuckte nicht einmal mit der Wimper. Sehr genau verglich er die dreidimensionalen Bilder mit meiner Person und steckte den Spezialpaß ein. Augenblicke später saß ich schon wieder in einem Militärwagen, der mich zur Kontrollstation des Flugplatzes brachte. Diesmal wurde ich sogar durchleuchtet, und mein Gepäck wurde so genau untersucht, daß ich wegen meiner versteckten GWA-Marke ins Schwitzen kam. Sie wurde jedoch nicht gefunden, da der betreffende Koffer in der Spezialabteilung der GWA „behandelt“ worden war. Selbst bei der anschließenden Durchleuchtung wurde das Etui nicht gefunden, was allerhand heißen wollte. Meine Gedanken waren alles andere als heiter. Die Burschen machten es mir verflucht schwer. Nach einer guten Dreiviertelstunde waren sie endlich davon überzeugt, den „echten“ Oberst Permont vor sich zu haben, und da bekam ich auch mein Gepäck zurück. Als mir der Captain die kleinere Reisetasche mit den persönlichen Gegenständen griffbereit hinstellte, meinte er geschäftsmäßig: „Tut mir leid, Sir, aber die Filmkamera dürfen Sie nicht mitnehmen. Hier ist eine Empfangsbescheinigung. Wenn Sie zurückkommen, wird Ihnen die Kamera ausgehändigt werden. 46
Solange Sie sich auf den Nevada-Fields aufhalten, haben Sie Ihre Dienstwaffe im ungeladenen Zustand zu führen. Es finden Kontrollen statt, weshalb ich Ihnen raten möchte, das Magazin von der Waffe zu trennen. Das Magazin hat außerdem leer zu sein. Die Patronen sind in einer gesonderten Tasche zu tragen.“ Ich sah ihn so wütend an, daß er unwillkürlich einen Schritt zurücktrat. „Wenn Sie meinen Blinddarm auch zurückbehalten wollen, sagen Sie mir Bescheid. Ich benutze ihn nämlich zu Tonbandaufnahmen. Das bleibt aber unter uns!“ Ich hatte jetzt endgültig die Nase voll. „Sonst noch was?“ . „Das wäre alles, Sir“, grinste der junge Bursche. „Nein, doch nicht. Major Hescap möchte Sie sprechen. Die erste Tür links. Der Major ist der Sicherheitschef für die Einreise-Flughäfen.“ „Interessant. Das heißt wohl mit anderen Worten, daß es für den eigentlichen Raumhafen nochmals einen SicherheitsdienstChef gibt, nicht wahr! Sagen Sie nur nicht, dieser Mann würde mir auch noch einmal auf den Zahn fühlen.“ Er zuckte die Schultern und sah mir nach, als ich auf die Tür zuging. Ein Sergeant ließ sie aufgleiten, und ich erkannte in dem mittelgroßen Raum den älteren Mann, den ich schon auf der Fernbildfläche des Transporters gesehen hatte. Er stand auf und verbeugte sich höflich, wobei er sich noch einmal vorstellte. Ich setzte mich vor seinen Schreibtisch, der mich mit seinen Schaltern und Bildgeräten an den Tisch des Chefs erinnerte. Er musterte mich sehr prüfend und – wie mir schien – zurückhaltend. Als ich die Papiere erkannte, die vor ihm lagen, ahnte ich ungefähr, worum es ging. „Oberst Permont, ich darf Sie bitten, meine folgenden Worte rein dienstlich aufzufassen“, sagte er kühl. 47
Ich griff langsam nach einer Zigarette und entgegnete unbewegt: „Wie meinen Sie das? Ich verstehe nicht.“ „Ich beabsichtige nicht, Sie persönlich zu beleidigen, aber wenn es nach mir ginge, würde ich Ihnen die Ausreise verweigern und Sie mit einer bewaffneten Eskorte nach Washington zurückschicken.“ Das war sehr klar und deutlich, und ich mußte mir einige Mühe geben, ein amüsiertes Schmunzeln zu verbergen. Ich blieb gelassen und rauchte in gleichmäßigen Zügen. „Sehr nett von Ihnen. Major. Sie täten mir damit einen großen Gefallen. Ich lege absolut keinen Wert darauf, auf der Rückseite des Mondes kaltgestellt zu werden.“ Er warf einen Blick auf meinen Kometen-Orden und meinte: „Wie gesagt, steht es leider nicht in meiner Macht. Auf Grund der Befehle, die ich hinsichtlich Ihrer Person erhalten habe, muß ich schnellstens dafür sorgen, daß Ihnen eine Transportrakete zur Verfügung gestellt wird. Oberst Harlan, Sicherheitschef des Raumflughafens, wird Ihnen nähere Anweisungen geben. Sie werden mich jedoch nicht davon abbringen können, Ihnen einen Mann als Begleitperson mitzugeben. Sie erscheinen mir ausgesprochen unzuverlässig, Sir, und es geht gegen mein Pflichtgefühl, Sie abreisen zu lassen.“ „Dürfte ich wissen, warum das gegen Ihr Pflichtgefühl geht?“ fragte ich spöttisch. Er lief rot an, und seine kräftigen Fäuste ballten sich. „Weil aus den Unterlagen der Geheimen Bundeskriminalpolizei hervorgeht, daß Sie Ihrer Position als Chef des dritten antarktischen Raumabwehr-Geschwaders enthoben worden sind. Gegen Sie ist ein Verfahren gelaufen, in dem Sie der landesverräterischen Beziehungen mit Agenten des Asiati48
schen Staatenbundes verdächtigt worden sind. Bei Ihnen wurden Geldmittel gefunden, die unmöglich aus Ihrem Sold stammen können.“ „Major Hescap, Sie sollten sich nicht um Dinge kümmern, die Sie verteufelt wenig angehen. Wie Sie sehen, sitze ich als freier Mann und in meinem alten Rang vor Ihnen. Ich bin von dem Verdacht freigesprochen worden, und gegen meine sogenannte Versetzung, die mit lächerlichen Argumenten begründet ist, werde ich Berufung einlegen.“ „Sie sind nur deshalb freigesprochen worden, weil man Ihren die Delikte nicht beweisen konnte. Offiziere mit Ihrer Vergangenheit gehören nicht auf den Mond. Vor allem nicht als verantwortliche Chefs einer wichtigen Einheit.“ Ich sah gelangweilt gegen die Decke und amüsierte mich innerlich über den Eifer des Majors. „Es steht Ihnen frei, mir den Start zu verbieten. Ich habe nichts dagegen. Die Anklage war unbegründet. Ich konnte sogar einwandfrei beweisen, daß die erheblichen Geldmittel von meiner ehemaligen Braut stammten, die laut Aktenvermerk eine der bedeutendsten Fabrikantinnen der Südamerikanischen Union ist. Sonst noch etwas, Hescap?“ Er atmete tief auf und raffte dann meine Papiere zusammen. Der eintretende Captain erhielt in meiner Gegenwart den Befehl, die Unterlagen zu Oberst Harlan zu bringen und mich sofort mitzunehmen. Ich dankte im geheimen dem Alten, der wieder einmal ganz hervorragend gearbeitet hatte. Die Unterlagen und Berichte der Geheimen Bundeskriminalpolizei waren echt, und wenn man in den Karteien des FBI nachgeforscht hätte, wären die Originale dieser Papiere sofort gefunden worden. Allein diese Tatsache war ein deutliches Zeichen für die unglaubliche Macht der GWA. Es wurden Unterlagen herbeige49
zaubert, und so sauber in die Akten der zuständigen Dienststellen eingegliedert, daß es keine Pannen gab. Mein bisheriger Start war typisch für die Arbeitsmethoden der Geheimen Wissenschaftlichen Abwehr. „Einsickerungstaktik“, sagten wir dazu. Sie hatte sich schon oft vorzüglich bewährt. Oberst Harlan, der ebenfalls meine Papiere überprüfte, war noch kühler als Major Hescap; es schien ihm unangenehm zu sein, sich mit mir abgeben zu müssen. Er reichte mir meine Reisepapiere und meinte: „Sie fliegen mit dem außerplanmäßigen Kurierschiff MR-235. Für Sie sind zwei Plätze reserviert worden. Melden Sie sich vorher noch bei General Kompers, dem Nachschubchef ‚Luna II’. Er ist für die Versorgung der lunaren Atomwerke verantwortlich. Er möchte Sie sehen. Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, spielen Sie bei ihm nicht den großen Mann. Kompers hat getobt, als er die Befehle vom Oberkommando erhielt. Er hat das ganze Space-Departement wild gemacht, doch auch ihm ist es nicht gelungen, Ihre Abkommandierung rückgängig zu machen. Von mir aus können Sie starten. Aber wenn sich da oben ein Ding ereignet, und wenn der geringste Verdacht auf Sie fällt, dann erleben Sie die Hölle.“ Er sah mich lächelnd an, doch seine Augen drohten. Da er auch im Range eines Obersten stand, konnte er sich solche Worte erlauben, zumal er als Chef des hiesigen Sicherheitsdienstes Sondervollmachten hatte. Ich raffte schweigend meine Spezialpapiere zusammen und verstaute sie in der Brusttasche. Wortlos tippte ich an den Mützenschirm, und als ich eben gehen wollte, rief er mir noch nach: „Ihr Schiff startet in drei Stunden. Bleiben Sie in der Offizierskantine und warten Sie auf den Flugschrauber, der Sie zum Startgelände bringen wird. Vorher sehen Sie sich den Mann an, 50
den man zu Ihrer Begleitung abgestellt hat. Er ist vor einigen Stunden angekommen. Das wäre alles, Permont.“ In mir tobte es. Die Sicherheitsdienst-Offiziere gingen mir langsam auf die Nerven. Ich mußte wieder einmal das auslöffeln, was mir der Alte eingebrockt hatte. Als die Schiebetür hinter mir zuglitt und ich den großen Vorraum betrat, vernahm ich plötzlich hinter mir ein Geräusch, das eine täuschende Ähnlichkeit mit dem Kreischen einer verrosteten Eisentür hatte. Ich blieb ruckartig stehen und bemühte mich, einen Schweißausbruch zu unterdrücken. Das Geräusch wiederholte sich, und die Soldaten, die hier warteten, grinsten breit und hämisch. Einer von ihnen verzog so unverschämt die Visage, daß ich mich zusammenreißen mußte, um ihm nicht eine runterzuhauen. Langsam drehte ich mich um, und da sah ich auch schon in die wässerig blauen Augen des seltsamsten GWA-Agenten, der jemals das Washingtoner Hauptquartier betreten hatte. Der winzige Kerl war immer noch so dürr wie eine geräucherte Flunder, und seine Uniform schlotterte um ihn herum, daß es ein Trauerspiel war. Die Hände hatte er in den Hosentaschen vergraben, und als er jetzt Haltung annahm, sah das ungefähr so aus, als wäre ein müder Landstreicher auf den Gedanken gekommen, seine schmutzige Kopfschwarte zu kratzen. Sprachlos starrte ich auf das grinsende Ungetüm, das ich hier weiß Gott nicht erwartet hatte. Als der Kerl dann den riesengroßen Mund öffnete und die abstehenden Ohren mitsamt der Schinnmütze nach hinten glitten, war ich am Ende meiner Fassung. Agent MA-23, dem eine stolze Mutter die sinnigen Vornamen Hannibal Othello Xerxes gegeben hatte, grinste so unver51
schämt, wie ich es von ihm gewöhnt war. Um Himmels willen, woher war die Nervensäge gekommen! Hatte der Alte nicht gesagt, Agent MA-23 wäre zur Zeit auf dem Mond? Während ich noch um meine Fassung kämpfte und krampfhaft bemüht war, meine Gefühle zu besänftigen, brüllte das Ungeheuer: „Hallo, Sir, ich bin Major Bird, zu Ihrer Begleitung abgestellt.“ Ich fühlte, daß meine Lippen zitterten. Der Zwerg mußte den Kehlkopf eines Wasserbüffels besitzen, anders war diese Lautstärke nicht zu erklären. „So, so“, stammelte ich, und Hannibal nickte. Die anwesenden Soldaten bebten verdächtig auf ihren Bänken, und nur der Stern auf seinen Schultern schien sie daran zu hindern, in ein homerisches Gelächter auszubrechen. Wieder einmal mußte ich darüber nachdenken, was den Alten verführt hatte, dieses Monstrum in die Reihen der aktiven GWA-Beamten aufzunehmen. Er hatte mir das einmal erklärt. In Hannibal würde selbst der gerissenste AS-Agent keinen GWA-Schatten vermuten, meinte Reling. Das war aber auch das einzige Plus des Zwerges. Für mich war er eine zwerchfellerschütternde Nervensäge. „Sir, ich soll Sie begleiten“, bellte er, und auf seinem Gesicht erschien schon wieder das unverschämte Grinsen. Ich schielte auf die beachtliche Beute unter seiner Dienstmütze und drehte mich wortlos um. „Da drüben steht mein Wagen, Sir. Ich soll Sie zu Kompers bringen.“ Ich fühlte die Blicke der Soldaten in meinem Rücken, weshalb ich schnellstens bemüht war, in dem geschlossenen Turbowagen zu verschwinden. Hannibal schwang sich hinter das Steuer, und dann jaulte die 52
Gasturbine auf, daß ich vorübergehend der Meinung war, die Karre würde sich in ihre Bestandteile auflösen. Der Wagen ruckte an, und mir flog der Kopf so heftig in den Nacken, daß ich Sterne sah. Der Zwerg lachte eine ganze Tonskala und bog auf die betonierte Verbindungsstraße zu den großen Verwaltungsgebäuden ein, daß die Reifen in hellen Tönen kreischten. Ich war wütend. „Nimm gefälligst den Fuß vom Schubhebel! Ich möchte lebend am Ziel ankommen.“ Hannibal fragte stirnrunzelnd, ob das ein Befehl sei, und ich nickte. Prompt trat der Zwerg auf die Bremse, und ich flog so kräftig nach vorn, daß ich mit dem Schädel gegen die Windschutzscheibe fiel. Hannibal grinste breit. „Ich mache dir später eine Kompresse, wenn wir allein sind“, lächelte Hannibal unschuldig. „Ich möchte wissen, was du hier suchst. Ich dachte, du wärest auf dem Mond.“ „Der konnte mich nicht vertragen“, erklärte Hannibal, und ließ den Wagen über die Straße zischen, daß mir die Schweißtropfen auf die Stirn traten. „Wenn du jetzt nicht vernünftig fährst, ersäufe ich dich im Treibstofftank“, brüllte ich wütend. Der Zwerg trat wieder auf die Bremse, doch diesmal war ich gewappnet. „Okay, was willst du wissen?“ „Blöde Frage“, fauchte ich. „Was tust du hier?“ „Ich soll Wachhund spielen und aufpassen, daß der liebe Oberst Permont gut auf dem Mond ankommt. Da oben gibt es einen Mann, der durchaus nicht damit einverstanden ist, daß der neue Chef der lunaren Raumabwehr ein Verfahren hinter sich hat. Meiner Ansicht nach habt ihr etwas zu dick aufgetragen, mein Lieber.“ 53
„Blödsinn. Du vergißt, daß der Alte dafür gesorgt hat, daß meine guten Beziehungen zum Oberkommando erwähnt wurden. Meine Versetzung wurde vom Minister für Raumfahrt persönlich angeordnet. Laut Aktenvermerk ist das mein Onkel. Nebenbei gesagt, ist der Mann darüber informiert worden und war einverstanden.“ Hannibal pfiff vor sich hin. „Anfragen sind offensichtlich schon erfolgt, und die Antworten waren in unserem Sinne befriedigend. Demnach hat der Minister geschaltet. Ich bin heute erst angekommen. Der militärische Chef der lunaren Atomwerke ist Generaloberst Talbot. Ihm ist auch der werkseigene Sicherheitsdienst unterstellt. Sein Sitz ist in Werk ‚Huntris’, weshalb wir ihn immer in der Nähe haben werden. Natürlich ist er über unseren Einsatz nicht informiert worden, was zur Folge hat, daß er mit deiner Ernennung zum Chef der dortigen Baumabwehr absolut nicht einverstanden ist Du erscheinst ihm weniger unzuverlässig als oberflächlich. Seiner Meinung nach war die Anklage gegen dich wirklich unsinnig, aber er hält dich für ein leichtsinniges Huhn, das unbedacht mit Leuten in Verbindung gekommen ist, die im Sinne unserer Abwehr wirkliche Staatsfeinde sind.“ „Mit dem Mann werden wir klarkommen. Hat er dir den Befehl gegeben, mich abzuholen?“ „Ja. Die Sache erschien ihm wichtig genug. Ich bin mit einem Plutonium-Transporter angekommen. An Bord des Schiffes war auch dein Vorgänger, der leider aus dem Dienst ausscheiden mußte.“ Er lachte bei den Worten so eigenartig, daß ich stutzig wurde. Der Alte hatte mich nicht über jede Einzelheit informiert, und ich war auf Hannibal angewiesen. Er deutete meinen fragenden Blick richtig. 54
„Erkrankt! – Gleichgewichtsstörungen, Kreislaufschäden und so weiter. Die lunaren Mediziner haben ihn sofort auf die Erde zurückgeschickt. Die Medikamente unserer GWAChemiker haben gewirkt. Dein Vorgänger wird sich in drei Wochen wieder erholt haben, zumal sein Urlaub ohnehin fällig war. Der Posten als Chef der lunaren Raumüberwachung wartet also auf dich, und ich werde dein Erster Stabsoffizier sein.“ Das hatte mir gerade noch gefehlt. Vor uns tauchten die ersten Verkehrsampeln auf, und Hannibal mußte mit der Fahrt noch mehr heruntergehen. „Meine Spezialausrüstung ist angekommen?“ „Hm. Ich habe die Sachen in Sicherheit gebracht. Die Nachrichtenvermittlung ist einwandfrei angelaufen. Agent TS-19 fungiert als Verbindungsmann. Er hat seine Station in der Nähe des Atomwerks aufgeschlagen. Seine Nachrichten wird er mit einem stärkeren Sender an die Relais-Station ‚Berta’ abstrahlen. Dort sitzen zuverlässige Leute von der Geheimen Bundeskriminalpolizei Sie wissen jedoch nicht, von wem die Nachrichten kommen.“ Das waren Dinge, die ich unbedingt wissen mußte, und doch befriedigten sie mich nicht. „Wie war das mit dem Angriff auf das Werk? Warst du zu dem Zeitpunkt noch oben?“ „Ja, es geschah kurz vor meinem Start. Einen Mann haben wir gefaßt, und ich habe veranlaßt, daß er gut aufgehoben wird. Er war noch nicht vernehmungsfähig, da er schwere Verbrennungen erlitten hatte. Du wirst ihn dir vorknöpfen müssen, sobald wir ankommen. Ein Mongole. Unsere offene Anfrage beim Chef der asiatischen Forschungsstation hat nichts ergeben. Der Chinese hat höflich, aber sehr bestimmt bedauert. Es wird kein Mann vermißt.“ Das alte Lied! Das war die Masche des kalten Krieges, der 55
auch auf dem Mond ausgetragen wurde, auf dem der Asiatische Staatenbund erst vor fünf Jahren eine kleine Station errichtet hatte. Die Probleme der Raumfahrt waren in dem Riesenland arg vernachlässigt worden, da die Machthaber genug zu tun hatten, um erst einmal mit den inneren Unruhen fertig zu werden. „Sonst noch etwas, was erwähnenswert wäre?“ „Nichts, aber auch gar nichts“, knurrte Hannibal erbost. Ich stand wie vor einer Mauer und TS-102 auch. Du kennst ja unsere liebe Kollegin, nicht wahr?“ Ich sah ihn mißtrauisch an, da in seinen wässerigen Augen etwas aufgeblitzt war, was mir gar nicht gefallen wollte. „Elis Teefer ist außer dir der einzige Mensch, der mich in meiner Eigenschaft als GWA-Captain kennt. Sonst nichts. Ist das klar? Wir kennen uns nur dienstlich.“ „Habe ich etwas gesagt?“ fragte der Kleine unschuldig. „Sie ist Abteilungsleiterin in einem physikalischen Labor, in dem Versuche mit radioaktiven Isotopen vorgenommen werden. Außerdem wird sie oftmals vom wissenschaftlichen Chef zur Unterstützung herangezogen. Von Professor Holwyn hast du ja schon gehört, oder?“ „Allerdings. Das ist der Pechvogel, der das verteufelte Element gefunden hat. Gibt es darüber neue Daten? Weiß man endlich, was mit dem Zeug los ist?“ „Nur, daß man sich damit ekelhaft die Finger verbrennen kann“, sagte Hannibal ruhig, und plötzlich wurde sein Gesicht sehr ernst. „Langer, der Alte hat recht! Mit dem Stoff stimmt etwas nicht, und wenn wir nicht bald herausfinden, was daran so interessant ist, können wir eines Tages allerhand erleben.“ „Woher willst du das wissen?“ „Das merke ich am Grad meiner Angst“, lachte Hannibal dünn. „Du wirst dich wundern, wenn du auf Luna ankommst. 56
Ich weiß zwar, daß du ein Jahr lang dort gewesen bist, aber das war Schulung und kein Einsatz. Dort gibt es nur hier und da einen Posten, der obendrein noch in einem gutisolierten und druckfesten Gebäude untergebracht ist. Wenn du deine klassische Nase in die nichtvorhandene Luft stecken willst, ist es ratsam, einen Raumanzug anzulegen und vorher dafür zu sorgen, daß dir nicht versehentlich die Puste ausgeht. Die sogenannte Fliegerei ist eine höllische Einrichtung, die ganze Männer verlangt.“ „Das merkt man“, lachte ich und musterte seine winzige Figur. „Du hast wohl Lust auf einen Krankenurlaub, he? Wir werden sehen, wer am besten durchhält.“ Er stoppte vor dem gewaltigen Betongebäude, in dem die militärische Verwaltung der Nevada-Fields untergebracht war. Unsere Papiere waren in Ordnung, und wir standen 15 Minuten später in General Kompers’ Büro. Ich nahm vor dem hochgewachsenen, grauhaarigen Mann Haltung an. Er tippte flüchtig an die Stirn und stand langsam auf. Während er sehr langsam auf mich zukam, schien er mich mit seinen Blicken zu sezieren, und dann glomm in seinen Augen ein nachdenklicher Ausdruck auf. „Sie sind Oberst Permont?“ fragte er, dicht vor mir stehenbleibend. „Ich bin überrascht“, sagte Kompers. „Selbstverständlich habe ich die Unterlagen über Sie erhalten, aber darauf verzichtet, mir Ihre Bilder anzusehen. Ich sehe mir die Leute erst an, ehe ich mein Urteil bilde. Sie sehen nicht aus wie ein leichtsinniger Bursche.“ Er musterte mich aufmerksam. „Ich bilde mir ein, ein guter Menschenkenner zu sein, Permont! Sie gehören zu den harten Typen, die alles wagen und alles verlieren können, wenn es sein 57
muß. Ich möchte aus Ihrem Mund hören, weshalb Sie angeklagt worden sind.“ Sehr langsam schritt er zu seinem Schreibtisch zurück und deutete wortlos auf die Sessel, die dicht davorstanden. „Es bestand der Verdacht, Sie hätten landesverräterische Beziehungen zu fremden Agenten aufgenommen?“ „Das stimmt beinahe, Sir, nur hatte ich zu dem Zeitpunkt keine Ahnung, daß es sich bei den Leuten, die ich durch meine ehemalige Braut kennenlernte, um Agenten des AS handelte. Damit wäre eigentlich alles gesagt. Ich habe das beweisen können.“ „Schön, Permont, lassen wir es dabei. Sie sind jedenfalls freigesprochen worden. Ich wollte Sie eigentlich postwendend wieder abschieben! Ich sehe Sie nicht gern auf dem Mond, obwohl Sie dort nicht meinem Befehl unterstehen werden. Immerhin bin ich aber für den Nachschub verantwortlich, den Sie unter Ihre Fittiche zu nehmen haben, sobald die Transportschiffe im Aktionsbereich Ihrer Mondjäger angekommen sind. Es wäre unangenehm, wenn ein solches Raumschiff mitsamt der Ladung verschwände.“ Er sah mich durchbohrend an. „Meine Daumen werden immer auf den Feuerknöpfen liegen. Sie sind also gewarnt, Permont.“ Mit sich zufrieden, lehnte er sich im Sessel zurück. „Sie starten um 16.30 Uhr. Ihre Ausrüstung erhalten Sie im zuständigen Beobachtungsbunker. Das Schiff ist ein neuer Typ mit Ato-Triebwerk. Hoffentlich haben Sie Ihr Zentrifugentraining absolviert, sonst stehen Ihnen unangenehme Minuten bevor. Das Schiff soll die Strecke Erde – Mond sehr schnell bewältigen, weshalb teilweise mit 14 g beschleunigt wird. Das wäre alles, Permont. Ich muß mich notgedrungen auf Sie verlassen. Wenn Sie für Ihre Mondjäger-Einheit Material brau58
chen, wenden Sie sich direkt an mich. Sie sind dazu bevollmächtigt. Der Dienstweg ist umständlich, und die Wissenschaftler in den Werken sind immer bemüht, militärische Nachschubgüter möglichst zurückzustellen, was zugunsten der wissenschaftlichen Ausrüstung geschieht. Halten Sie die Augen auf und denken Sie immer daran, daß wir seit fünf Jahren auf der Vorderseite des Mondes eine asiatische Station haben.“ Ich bedankte mich kurz, und Minuten später waren wir wieder draußen. Leise fragte Hannibal: „Was hältst du von dem Mann? Er ist stutzig geworden, als er dich sah. Das macht dein ehrliches Gesicht. Komisch, daß Figuren von deiner Sorte immer einen vertrauenerweckenden Eindruck machen.“ Wir fuhren zum Offizierskasino, wo wir eine Stunde vor dem Start abgeholt wurden. Wenig später jaulten wir mit einem schnellen Flugschrauber in die Wüste hinaus, und dann tauchten unter uns die gewaltigen, quadratisch angelegten Betonflächen der einzelnen Startpisten auf. Ich erkannte riesige Ausrüstungshallen, wuchtige Schienen und die gähnenden Schlünde der Abgasschächte. Weiter nördlich entdeckte ich einen der gigantischen Transportwagen, der langsam auf seinen Schienen laufend aus einer Halle herauskam. Auf ihm ruhte die erste Stufe eines großen Mondschiffes, die zu dem Startgerüst über dem Abgasschacht befördert wurde. Bei den neuen, mit einem atomaren Antrieb ausgerüsteten Schiffen wurden die Starthilfestufen auch verwandt, um einer radioaktiven Verseuchung des Geländes vorzubeugen. Diese Stufen arbeiteten mit den alten Flüssigkeitstriebwerken und waren mit gewaltigen Tragflächen versehen, mit deren Hilfe 59
sie gelandet wurden, sobald sie sich von dem weiterstürmenden Raumschiff gelöst hatten. Nach nochmals 15 Minuten landeten wir mitten in der wüstenartigen Landschaft des Nevadabeckens, und direkt vor uns begann die Betonpiste eines Startgeländes, das mit der Nummer „21“ markiert war. Beeindruckt sah ich auf das gigantische Gebilde, das 180 Meter hoch senkrecht in den wolkenlosen Himmel ragte. Das war MR-235, knapp 60 Meter lang. Es ruhte auf den beiden unteren Stufen, die noch fest mit ihm verbunden waren. Der stählerne Gerüstturm wirkte dagegen winzig, da er nur einen kleinen Teil der ersten Stufe umschloß. Im Beobachtungs- und Meßbunker des betreffenden Geländes erhielt ich meine Raumausrüstung. Dann wurden wir mit einem Lastwagen zum Startturm hinübergebracht, dessen wahre Größe ich erst richtig erkannte, als wir dicht davor waren. Wortlos kletterte ich aus der Karre, und dann stand ich schweigend vor der titanischen Dreistufen-Rakete. Das Schiff war startklar, und eben rollten die letzten Tankwagen weg, aus denen die Tankbehälter der beiden Schubstufen aufgefüllt worden waren. Ein Techniker sagte mir, daß die Rakete ein Startgewicht von „nur“ 74 000 Tonnen hätte. Die Schubleistung jener Großtriebwerke, die im Heck der ersten Stufe eingebaut waren, betrug fast 150 000 Tonnen, und die Nutzlast, die von der dritten Stufe, der eigentlichen Mondrakete, mitgeführt wurde, belief sich auf 1050 Tonnen. Für den riesigen Aufwand war das verhältnismäßig wenig, doch noch standen wir am Anfang der Raumfahrt. Ich ging näher an den riesigen Startturm heran und betrachtete mir die schwarzen Schlünde der Großbrennkammern, die in Sätzen von 20 Stück zu kompakten Triebwerkseinheiten zusammengefaßt waren. In ihnen würde sich in kürzester Zeit der 60
neuentwickelte Brennstoff mit der als Sauerstoffträger fungierenden Salpetersäure verbinden, automatisch entzünden und damit einen Orkan aus weißglühenden Gaspartikeln erzeugen. Die Ausströmgeschwindigkeit des neuen Raketenbrennstoffs lag etwas über 6000 m/sec, was sich ungemein günstig auf die Faktoren des Treibstoffverbrauchs bei gleichbleibender Schubleistung und auf das Massenverhältnis ausgewirkt hatte. „Die erste Stufe wird uns bis auf 65 Kilometer bringen“, sagte Hannibal. „Die zweite Stufe wird ihren Brennschluß in 130 Kilometer Höhe erreichen, und dann wird der Plutoniummeiler des eigentlichen Schiffes zu arbeiten beginnen. Wenn wir den nicht hätten, mein Lieber, wäre nichts mit dem Direktflug zum Mond. Ich erinnere mich noch ganz gut an die Umsteigebahnhöfe der Raumstationen.“ Ehe ich den elektrisch bewegten Aufzug betrat, der uns um 180 Meter höher bringen sollte, sah ich nochmals an dem turmartigen Riesengebilde aus blitzendem Leichtstahl hoch. Es war unheimlich, was da in wenigen Jahren geleistet worden war. Minuten später surrten wir nach oben. Die Tragflächen der beiden unteren Stufen glitten an uns vorbei, und ich erkannte, wie gewaltig sie waren. Erst 120 Meter über dem Boden begann das Heck des eigentlichen Schiffes. Es war jedoch nicht zu sehen, da es zur Zeit noch in der Haltevorrichtung der zweiten Stufe versenkt war. Man konnte kaum die feine Linie der Verbindung entdecken, so sauber waren die einzelnen Teile des Gesamtschiffes ineinandergefügt. Nur wenige Meter unter dem Bug der Ato-Rakete endete der Aufzug, und wir betraten die ausgefahrene Plattform, über die man zur geöffneten Luftschleuse gelangen konnte. Natürlich stand da bereits ein Offizier des Sicherheitsdienstes. Recht lässig tippte er an die Mütze und sagte laut: 61
„Leutnant Curtis, Sir. Ich soll Sie begleiten.“ „Dann passen Sie nur auf, daß Sie sich nicht in einen Engel verwandeln“, lachte ich und deutete nach unten, wo die bulligen Tankwagen nur noch winzige Gebilde waren. Das Schiff hatte eine Besatzung von acht Mann, doch ich lernte nur den Kommandant und den Astro-Navigator kennen. Sie brachten uns in die winzig kleine Kabine, in der insgesamt sechs Andrucklager aufgehängt waren. Sonst gab es keine Wohnmöglichkeiten, was bei der relativ geringfügigen Reisedauer auch nicht erforderlich war. „Sie kennen die Vorschriften, Sir?“ fragte der Kommandant, der im Range eines Captains stand. Ich blickte auf die roten Plastikschilder an den metallischen Wänden. Die darauf angeführten Vorschriften waren mir genau bekannt. „Wir starten in zehn Minuten. Schnallen Sie sich ordentlich fest und achten Sie auf die Atemtechnik. Wir sind ein Schnelltransporter. Vergessen Sie das nicht.“ „Haben Sie außer uns keine Passagiere?“ fragte ich mit einem Blick auf den unwillkommenen Reisebegleiter, der uns natürlich von Major Hescap auf den Hals geschickt worden war. „Sie sind allein. Entschuldigen Sie mich nun, ich muß mich um die Automaten kümmern.“ Ich wußte ganz genau, daß er während der ganzen Reise praktisch nichts zu tun hatte, als die Arbeit der Geräte zu überwachen. Der Start mitsamt der Loslösung der beiden Stufen war eine Angelegenheit der erdgebundenen Fernlenkstation, die auch sämtliche Kursmanöver – und Korrekturen erledigte. Das thermische Atomtriebwerk des Schiffes wurde ebenfalls automatisch eingeschaltet, und wenn es erst einmal im Raum 62
war, geriet es schon in die Kontrolle einer der beiden Raumstationen. Von deren Fernlenkgeräten würde es bis in die Mondnähe gebracht werden, wo die lunaren Fernlenkstationen eingreifen mußten. Demnach gab es für den Kommandanten weiß Gott nicht viel zu tun, und die Techniker an Bord der thermischen Atomrakete waren durchaus nicht im Unrecht, wenn sie die Behauptung aufstellten, wichtiger als der Kapitän zu sein. Ich sah auf die elektrische Uhr, deren Sekundenzeiger gleichmäßig über das Zifferblatt ruckte. Hannibal stellte die Bildbeobachtung ein, und auf der kleinen Sichtfläche erschienen einzelne Stationen des Schiffes, soweit dort Aufnahmeokulare eingebaut waren. Wir konnten sogar den Maschinenraum einsehen, der verhältnismäßig klein war. Ich erkannte einen der neuen Plutonium-Meiler in Leichtbauweise, wie sie seit zwei Jahren modern geworden waren. Dieses Schiff verfügte schon über das eben verwendungsreif gewordene „Silford-Aggregat“, das mit einer Arbeitstemperatur von annähernd 12 000 Hitzegraden arbeitete. Es war ein Problem gewesen, dafür ein Material zu finden, was man aber schließlich in dem molekularverdichteten Leichtstahl entdeckt hatte. Die Arbeitsflüssigkeit des Meilers wurde bis auf 12 000 Grad erhitzt und in die Rohrschlangen des Wärmeaustauschers abgeleitet. Als das hitze- und verformungsbeständige Material für Wärmeaustauscher und Rohrleitungen zur Verfügung gestanden hatte, war es kein Problem mehr gewesen, ein atomares Strahltriebwerk zu erschaffen. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre wurde als Arbeitsmedium gewöhnlicher Wasserdampf verwendet. 63
Daher befand sich in unseren riesigen Tanks ganz normales Wasser, das allerdings ein reines Destillat sein mußte. Ich trat an das Bildgerät und schaltete auf den Pumpenraum um. Deutlich erkannte ich die leistungsfähigen, jedoch sehr leichten Turbopumpen, die die Aufgabe hatten, das Wasser aus den Tanks zu saugen und es in den glühenden Wärmeaustauscher des Plutonium-Meilers einzuspritzen. Dort erfolgte die Aufheizung in Sekundenbruchteilen. Da Erhitzung Expansion bedeutet, konnte der weißglühende, hochgespannte Wasserdampf durch die Heckdüsen abgeleitet werden, wodurch die erforderliche Schubleistung nach dem Newtonschen Gesetz frei wurde. Die Ausströmgeschwindigkeit des aufgeheizten Wasserdampfes lag bei über 20 000 Meter pro Sekunde, welche Werte mit keinem bekannten chemischen Brennstoff auch nur annähernd erreichbar waren. Zudem hatte das thermische Ato-Triebwerk noch den Vorteil, daß es unglaublich billig und wirtschaftlich arbeitete. Es brauchte keine Verbrennung zur Gaserzeugung, die den Nachteil hatte, daß eine Verbrennung im leeren Raum nur mit Hilfe eines Sauerstoffträgers möglich war. Die Plutonium-Füllung in dem als Heizelement dienenden Atommeiler lieferte die erforderliche Energie für sechs Mondreisen. Nach der Entdeckung der riesenhaften Uraniumlager auf der Rückseite des Mondes war es möglich geworden, den erforderlichen Atombrennstoff bereitzustellen. Ich bemerkte die unförmig vermummte Gestalt eines Ingenieurs, der den Pumpenraum nochmals überprüft hatte. Infolge der Radioaktivität mußte er die schwere Strahlschutzkleidung tragen. Der junge Leutnant, der sich unter dem Namen Curtis vorge64
stellt hatte, lag bereits auf seinem schaumigen Plastiklager, auf dem der Beschleunigungsdruck erträglich war. Auch Hannibal hatte sich schon flachgelegt, und als ich noch immer keine Anstalten traf, mein Konturlager ebenfalls aufzusuchen, meinte er in seiner höflichen Art: „Wenn Sie Wert darauf legen, Sir, als breitgequetschter Terrabewohner auf dem Mond anzukommen, würde ich Ihnen empfehlen, ruhig stehen zu bleiben.“ Während ich mich in das Plastikpolster sinken ließ, die Gurte über meinen Körper legte und den Kragen öffnete, leuchtete vor uns das rote Warnlicht auf. Noch 30 Sekunden bis zum Start. 6. Kapitel Ich sah, daß sich Hannibals Gesicht in ein zerlaufendes Gebilde verwandelte. Die Verformung setzte ein, und ich wußte, daß mein Gesicht nicht besser aussah. Sie hatten uns fünf Sekunden Zeit gegeben, um uns von dem Martyrium des eigentlichen Starts zu erholen, und dann hatten bereits die Triebwerke der zweiten Stufe gezündet. Im gleichen Augenblick hatte uns die unsichtbare Titanenfaust wieder in die Polster gedrückt. Kurz vor dem Brennschluß der beiden Stufen hatten die automatischen Geräte der Fernlenkstation die Beschleunigungswerte auf 14 g erhöht, und das hatte genügt, mir zu 90 Prozent das Bewußtsein zu rauben. Hannibal war für Sekunden munter geworden, als die zweite Stufe abgetrennt wurde. Zu dem Zeitpunkt befanden wir uns bereits im Raum, 130 Kilometer über der Erdoberfläche. Unsere Geschwindigkeit lag schon sehr nahe an der irdischen Fluchtgeschwindigkeit. 65
Dann hatte der Ato-Meiler des von beiden Stufen freigekommenen Raumschiffes zu arbeiten begonnen, und wieder fing die unerträgliche Qual an, die sich von Sekunde zu Sekunde steigerte. Ich hörte nicht das wilde Brüllen der weißglühenden Gasmassen, auf denen die MR-235 mit wahnwitzigen Beschleunigungswerten in das absolute Nichts schoß. Aber ich fühlte das Vibrieren der Wandungen. Die Sekunden wurden zu Ewigkeiten. Der einzige Gedanke, der in meinem gequälten, blutleeren und eingeengten Gehirn noch Raum hatte, war der, weshalb sie nicht endlich aufhörten. Längst mußten wir die Fluchtgeschwindigkeit von 11,2 Kilometer pro Sekunde überschritten haben. Die Erde konnte uns nicht mehr zurückholen. Ihre Gravitationskräfte waren von dem Erzeugnis des menschlichen Geistes überwunden worden, aber wir hatten noch immer zu leiden. Ich konnte nicht mehr sehen. Meine Augen schienen brennende Kohlen zu sein, die sich hartnäckig immer tiefer in die Höhlen hineinpreßten. Ich atmete in flachen, krampfhaften Atemzügen und konnte mich kaum noch an die Anweisungen über die Atmungstechnik erinnern. Unter uns fiel die Erde hinweg. Auf dem großen Bildschirm der Außenbordaufnahme wurde sie langsam zur Kugel, doch das konnte ich augenblicklich nicht sehen. Nach endlos erscheinenden Sekunden wurde der lastende Druck plötzlich von mir genommen. Als ich meine Sinne einigermaßen wieder in der Gewalt hatte, hörte ich die Stimme aus den Lautsprechern. Es war ein Tonband, auf das ein mir unbekannter Mann die Worte gesprochen hatte: „Ende der ersten Beschleunigungsperiode. Atmungstechnik beachten und ruhig liegen bleiben. Wir beschleunigen augen66
blicklich mit normalen Werten 1 g. Beginn der zweiten Beschleunigungsperiode in 3 Minuten, 32 Sekunden. Ich wiederhole …!“ Rechts neben mir hörte ich Hannibal fluchen. Der Kleine war tatsächlich noch „da“, während der Leutnant regungslos und flachatmend auf seinem Druckpolster ruhte. Er war besinnungslos. „Wie fühlst du dich, Zwerg?“ keuchte ich, und er gab wütend zurück: „Serbisch, du Muskelprotz.“ Das Ato-Triebwerk brüllte auf. Der kleine Raum vibrierte unter der Resonanz das gesamten Schiffskörpers, und mir war, als läge ich dicht über dem Plutonium-Meiler, von dem das harmlose Wasser zu einem tobenden Element verwandelt wurde. Diesmal war es erträglicher. Sie gingen jetzt nur noch auf 6 g. Die irdische Atmosphäre mit all ihren hindernden Erscheinungen war überwunden, und nun spielte es keine Rolle mehr, mit welchen Werten beschleunigt wurde. Sie hätten das meiner Meinung auch ruhig mit der normalen Kraft von 1 g machen können, aber der Kahn sollte schnell auf seine Reisefahrt kommen. Es dauerte unendlich lange, bis der Druck gänzlich aufhörte. Erschöpft lag ich auf dem Polster. Kaum verstand ich die Worte aus dem Lautsprecher, die mir zu wissen gaben, daß die Reisegeschwindigkeit bei Brennschluß erreicht worden wäre und daß man demzufolge das Triebwerk stillgelegt hätte. Das bedeutete: schwereloser Zustand. Mir wurde entsetzlich übel von dem Gefühl des ständigen Fallens. Ich wußte aus den Belehrungen, daß der Zustand auf die gestörten Gleichgewichtssinne zurückzuführen war, und ich wußte auch, daß mein Kreislauf zur Zeit nicht so funktionierte, wie sich das eigentlich gehörte. 67
Weder Hannibal noch ich waren Raumpiloten. Wir hatten zwar hartes Zentrifugentraining hinter uns, aber die Praxis sah doch anders aus. Ich blieb möglichst ruhig liegen. Plötzlich öffnete sich links von uns das Sicherheitsschott, und ein Mann trat ein. Ich sah ihn nur verschwommen, und das Knallen seiner magnetisierten Schuhsohlen dröhnte in meinen Ohren. „Der Kommandant ist der Meinung, Sir, daß es besser wäre, wenn Sie den Nadelstich in Kauf nähmen. So kommen Sie wenigstens einigermaßen über die schlechte Zeit hinweg.“ „Mensch, machen Sie schon zu“, stöhnte ich. Er lachte leise und öffnete dann den kleinen Reißverschluß am linken Bein meiner Kombination. Er war speziell für solche Injektionen angebracht worden. Gleich darauf verspürte ich den Stich und dann kam Hannibal an die Reihe. Den Kleinen hatte es arg erwischt. Er brachte kein klares Wort heraus. Nach kurzer Zeit wurde mir etwas besser, und die Schleier vor meinen Augen lichteten sich. Curtis war noch immer besinnungslos. So hatte uns der Major einen netten Reisebegleiter mitgegeben. Es sah mir ganz danach aus, als wäre der Junge noch niemals im Raum gewesen. „Hier ist eine Punknachricht für Sie angekommen“, meinte der Astro-Navigator, den ich jetzt erst erkannte. „Lesen Sie vor, ich kann den Wisch nicht halten.“ Mit sehr vorsichtigen Handbewegungen entfaltete er den Streifen. „Vom Oberkommando, Sir, Space-Departement Wortlaut: Nach Eintreffen Werk ‚Huntris’ sofort Dienst antreten. Das ist alles, Sir.“ Was sollte der Spruch bedeuten? Nach den Anweisungen, 68
die ich erhalten hatte, sollte ich mich erst einmal einige Zeit umsehen, um den Betrieb kennenzulernen. Sollte da wieder etwas vorgefallen sein, was man mir in offenen Worten nicht mitteilen konnte? „Okay, danke. Stecken Sie mir den Streifen in die Tasche.“ Er tat es. „Entspannen Sie sich, Sir, Sie werden bald einschlafen.“ Ich wollte nicken, und da flog ich mit dem halben Oberkörper nach oben. Ein vorsichtiger Blick zu Curtis hinüber überzeugte mich, daß er noch immer weg war. „Hast du eine Idee, was der Befehl soll?“ „Einsatz! Der Alte wird Nachrichten an TS-19 oder an TS-102 durchgegeben haben. Die Aufforderung zum sofortigen Dienstantritt scheint mit anderen Worten zu bedeuten, daß wir uns augenblicklich mit den Agenten in Verbindung zu setzen haben.“ Durchaus nicht entspannt rückte ich mich vorsichtig in eine bequemere Lage und dachte so lange darüber nach, bis das Medikament zu wirken begann. Ich wurde schläfrig, und das unangenehme Gefühl verschwand fast völlig. 7. Kapitel Er lag unter uns, und unsere hohe Fahrt war in drei kurz aufeinanderfolgenden Bremsperioden gedrosselt worden. Mit dem Heck voran rasten wir auf die zerklüftete Oberfläche des Erdtrabanten zu, der auf seiner Rückseite durchaus nicht freundlicher war als auf der seit Jahrhunderten bekannten Vorderseite. Hinter uns strahlte der Atomofen der Sonne. Über der vorderen Halbkugel des Trabanten war die vierzehntägige Mond69
nacht eben angebrochen, und dafür war für die Rückseite die Sonne aufgegangen. Sehr rasch nahm das Gestein die Wärme auf, und ich konnte mir vorstellen, was uns dort unten erwartete. Unser Triebwerk lief mit einem Bremsbeschleunigungswert von knapp 1,5 g, und das war erträglich. Tragflächen und aerodynamische Ruder, die auf der Erde so großartige Dienste leisteten, waren hier vollkommen sinnlos. Es gab hier keine Atmosphäre. Nur noch knapp 10 Kilometer über der Oberfläche befanden wir uns, als auf der Bildfläche der Raumhafen des Atomwerks auftauchte. Raumhafen war an sich zuviel gesagt, denn hier gab es keine einzige Rollbahn und auch keine betonierten Startpisten. Die landenden Schiffe gingen senkrecht auf dem eigenen Gasstrahl nieder, was eine Verseuchung des Geländes durch radioaktive Gaspartikel bedingte. Wir fielen sehr rasch, doch ich machte mir darüber keine Sorgen. Klar und deutlich waren die Antennen der Fernlenkstation zu sehen, deren Robotgeräte unfehlbar waren. Dicht über der Oberfläche brüllte unser Triebwerk nochmals auf, was ich durch die Resonanz des Schiffskörpers deutlich hören und fühlen konnte. Ich sah die weißglühenden Gasmassen, wie sie mit unheimlicher Wucht den felsigen Boden peitschten und nach allen Richtungen davongeschleudert wurden. Inmitten dieses feurigen Infernos setzten unsere ausgefahrenen Landestützen auf. Der Stoß war kaum fühlbar. Im gleichen Augenblick verstummte das Arbeitsgeräusch, und MR-235 stand bewegungslos auf dem Landefeld des Atomwerks, das man in diese Einöde verlegt hatte, weil seine Existenz auf der Erde zu gefährlich gewesen wäre. Auf dem Bildschirm erkannte ich weit links eine gigantische 70
Gebirgsmauer, die wild und zerrissen in den schwarzen Mondhimmel stieg. Die „Devils-Mountains“, die Teufelsberge. Die höchsten Gipfel waren last zehntausend Meter hoch, noch tausend Meter höher, als die des Leibnitz-Gebirges der Vorderseite. Dort lag das Atomwerk. „Achtung, an alle Passagiere und Besatzungsmitglieder“, klang die Stimme des Kommandanten aus den Lautsprechern. „Landung beendet, Sie können das Schiff verlassen. Wichtig für die Passagiere, zuhören! Durch die Landung mit Hilfe des Ato-Triebwerks ist die Umgebung radioaktiv verseucht. Es handelt sich um keine langlebigen Isotope, aber es ist trotzdem dringend erforderlich, daß Sie die Strahlschutzhüllen über Ihre Raumanzüge streifen. Benutzen Sie die untere Schleuse. Ihr Gepäck wird in strahlungssicheren Plastikbehältern gesondert aus dem Schiff gebracht. Ende …!“ Es knackte leise, und wir wußten, was wir zu tun hatten. Ich kletterte in meinen schweren Raumanzug. Zwei Männer der Besatzung überwachten den Vorgang, und sie stülpten uns auch die Funkhelme mit dem breiten Gesichtsglas über die Köpfe. Als ich die gegen ultraviolette Strahlungen schützende Plastikscheibe schloß, begann automatisch die Sauerstoff- und Klimaanlage zu arbeiten. Körperausdünstungen wurden von ihr ebenfalls aufgesaugt. Ich kontrollierte die Sprechfunkanlage und nickte Hannibal zu, der in seinem Raumpanzer ausgesprochen unglücklich aussah. Anscheinend hatte man für ihn nicht die richtige Größe finden können. Ich tappte auf den Gang hinaus und betrat den kleinen, walzenförmigen Lift, der uns nach unten brachte. Die Fahrt endete dicht über der strahlungssicheren Bleiplastikwand. In der Luftschleuse, deren inneres Schott schon geöffnet war, standen zwei Männer der Schiffsbesatzung. 71
„Bei Rot können Sie aussteigen. Das Außenschott öffnet sich automatisch, Sir“, schrie ein Mann dicht an meinem Helm, weshalb ich seine Worte ganz gut verstehen konnte. Wir standen in der sehr engen Luftschleuse die uns kaum Platz bot. Langsam sank der Zeiger des Druckmessers auf Null, und schon ruckte die rote Lampe auf. Lautlos schwang das schwere Schott auf, und vor uns lag die Oberfläche des Mondes, auf die seit drei Stunden die Strahlen der aufgegangenen Sonne brannten. Geblendet schloß ich die Augen, obwohl das Gestirn hinter dem Schiff stand. Der schwarzblaue Basaltboden reflektierte das Licht. Es war übermäßig hell, doch wenn ich weiter nach links sah, bemerkte ich die finsteren, gähnenden Schlünde der Bodenvertiefungen und Schluchten, in die das Licht nicht hinein konnte. Infolge der fehlenden Atmosphäre gab es hier keine ausgleichende Wirkung. Es war ein Land der Kontraste. Hier grellstes Licht und dicht nebenan tiefste Dunkelheit. Minuten später standen wir auf dem Boden des Mondes. Der schwere Raumpanzer wog gut seine 80 Pfund, weshalb ich mit meinen Muskelbewegungen nicht so vorsichtig zu sein brauchte. Trotzdem fühlte ich mich noch immer leichter und beschwingter als auf der Erde, und es dauerte auch nicht lange, bis ich mich in meinen Bewegungen angepaßt hatte. Die beiden großen Kettenwagen standen fünfzig Meter entfernt, außerhalb des von den Gasmassen verseuchten Gebietes. Wortlos gingen wir auf den Personenwagen zu. Als wir dicht vor dem unförmigen Kasten angekommen waren, erkannte ich hinter der gefärbten Kunststoffverglasung einen uniformierten Mann, der grüßend an die Mütze tippte und dann nach hinten zur Luftschleuse wies. 72
Minuten später waren wir in dem Wagen. Die Strahlschutzhüllen der Raumanzüge ließen wir in der Luftschleuse, wo sie von der Absorberdusche übersprüht wurden. Der Uniformierte erwies sich als ein junger Offizier des Sicherheitsdienstes von Atomwerk „Huntris“. „Willkommen auf Luna, Sir“, begrüßte er mich. „Ich soll Sie sofort zum Sicherheitsoffizier bringen und anschließend zu Generaloberst Talbot. Sie werden dringend verlangt.“ „Weshalb? Brennt es hier bei Ihnen?“ „So ungefähr, Sir.“ „Sagen Sie nur nicht, es wäre etwas mit dem Mongolen passiert, den wir bei dem Angriff aufs Werk gefaßt haben“, warf Hannibal ein. Goofrey biß sich auf die Unterlippe, und brachte die Gasturbine des Wagens in Gang. „Tut mir leid, Sir, aber der Mongole ist gestern verstorben. Wir haben ihn nicht mehr verhören können.“ Hannibals Gesicht war ausdruckslos. „Wieso gestorben?“ fragte er gedehnt „Wollten Sie sagen, gestorben worden?“ „Nein. Die Verbrennungen waren so schwer, daß er nicht mehr zu retten war. Schließlich ist er von einem Flammenwerfer erwischt worden.“ „Wie war das eigentlich mit dem seltsamen Angriff?“ fragte ich. „Major Bird hat mir flüchtig davon erzählt, aber ich bin aus der Geschichte nicht klug geworden. Was wollten die Unbekannten?“ Der Offizier sah mich von der Seite an. „Oberst Urban wird Sie Informieren, Sir.“ Von da an schwieg ich, da es sinnlos war, den jungen Leutnant weiterhin zu befragen. Der Kettenwagen rumpelte mit hoher Geschwindigkeit über 73
die unebene Fläche, und vor uns wuchs die gewaltige Felsmauer in den schwarzen Himmel, in dem die Sonne glühend stand. Die Erde war von hier aus nicht zu sehen. Wir kamen auf eine planierte Straße, die zwischen den großen Hallen hindurchführte. Die Gebäude blieben hinter uns zurück. Weit rechts von unserem augenblicklichen Standort hatte sich die Felswand geöffnet, und ich bemerkte riesige Lastenfahrzeuge, die von kleinen Raupenschleppern gezogen wurden. Ein wuchtiger Kran rollte ebenfalls auf das gelandete Schiff zu, dessen Ladung schnellstens gelöscht werden sollte. Wir hielten vor einem wuchtigen Tor aus molekularverdichtetem Panzerstahl, das sauber in die schwärzliche Wand der Mondberge eingelassen war. Als ich mich umdrehte, sah ich, daß hinter uns eine sehr große Ebene lag. Der Blick wurde nur durch einige Ringwälle, fälschlich „Krater“ genannt, unterbrochen. Es hatte sich längst herausgestellt, daß 99,9 Prozent aller sogenannten Mondkrater durchaus nicht auf einen vulkanischen Ursprung zurückzuführen waren, sondern auf den Absturz kosmischer Trümmermassen. Auch die Ringgebirge, die die übersichtliche Gesteinsebene teilweise bedeckten, waren ausschließlich von niederstürzenden Meteoren gebildet worden. Es mochten 15 bis 20 Ringgebirge sein, und zwei davon waren gigantisch. Da mußten enorme Brocken aufgeschlagen sein. Hannibal deutete mit den Augen zu dem größten dieser ringförmigen Gebirge hinüber und murmelte dazu kaum verständlich: „Da sitzt TS-19. Gut erreichbar, aber hervorragend getarnt.“ Ich nickte und sah mir den Ringwall näher an, der ungefähr 2000 Meter über der flachen Steinebene aufragte. Dort also hatte sich unser Verbindungsmann eingenistet. Na74
türlich mit Hilfe zuverlässiger Leute. Er brauchte eine Energieanlage, Sauerstoff, Lebensmittel und all die anderen Dinge, die auf einem toten Weltkörper mit fehlender Atmosphäre unerläßlich sind. Mich beruhigte es ungemein, den tüchtigen GWA-Agenten in nächster Nähe zu wissen. Er verfügte dort über eine leistungsfähige Funkanlage, die auf der Basis der Sup-Ultrawelle arbeitete. Die Sup-Ultrawelle war eine geheime Entwicklung beamteter GWA-Wissenschaftler, und der Alte hatte dafür gesorgt, daß sie ausschließlich der GWA zur Verfügung gestellt worden war. Sup-Ultrawellen konnten nicht abgehört werden, weshalb auch unser Verbindungsmann vollkommen in Sicherheit war, wenn er seine Nachrichten absetzte oder solche empfing. Ich spähte durch die Verglasung nach oben, doch in dem tiefen Schwarz konnte ich die Leuchtpünktchen nicht entdecken, die unsere Relaisstationen darstellten. Es handelte sich um kleine Raumschiffe, die auf eine Umlaufbahn gebracht worden waren und deren Automatsender die Nachrichten weitergaben. Von unserem Standpunkt aus konnte die Erde nicht erreicht werden. Da auch die Sup-Ultrawelle sich nur gradlinig fortpflanzte, war es uns noch nicht einmal möglich, die unterhalb des Horizontes liegende Funkstation auf dem Mond-Nordpol zu erreichen. Für diese Nachrichtenverbindung waren die kleinen Relaisstationen im Raum eingerichtet worden. Ich hörte, wie unser Begleiter mit dem wachhabenden Offizier der Bunkerbesatzung sprach. Die Durchfahrt wurde freigegeben. Mit leise summender Gasturbine rollten wir auf die Flügel zu, die sich lautlos vor uns öffneten und hinter uns schlossen sich die Tore. Dann schwangen die inneren Tore vor uns auf, und wir roll75
ten in eine Halle hinein, deren Wände sauber mit einer Plastikmasse verkleidet waren. Natürlich fiel mein erster Blick auf eine Kontrollstation und auf Waffenmündungen. Im Wachhaus legte ich meine Papiere vor und schälte mich dann aus dem Raumpanzer. Der wachhabende Offizier drückte mir einige Stempel unter die Papiere und gab sie dann zurück. „Okay, Sir, Major Bird kennt sich hier ja aus. Wir richten uns nach normaler Erdzeit, und danach wird auch der Dienst eingeteilt. Wenn Sie erst etwas essen möchten, kann ich Oberst Urban anrufen und ihm mitteilen, daß Sie später kommen.“ Er sah mich fragend an. „Keine schlechte Idee. Wir haben während der Reise nichts gegessen. Rufen Sie ihn an. Wo ist mein Gepäck?“ „Wird sofort in Ihr Quartier gebracht. Sie wohnen in Sektor 14. Ihre Spezialausrüstung wird Ihnen ebenfalls angeliefert werden.“ Er lachte, und ich verabschiedete mich. Als ich zusammen mit Hannibal den Wachraum verließ, war unser Begleiter, dieser komische Leutnant Curtis, endgültig verschwunden. Von einem Mann des Sicherheitsdienstes erfuhr ich, daß er die Krankenstation aufgesucht hatte. In der großen Felshalle wurde uns ein Dienstwagen zur Verfügung gesteht, der mit modernen Leichtakkumulatoren ausgerüstet war. Der Elektromotor war zwischen der Hinterachse eingebaut, also elektrischer Fahrbetrieb. „Es ist einfacher, Sir“, erklärte Hannibal laut auf meine Frage, da noch einige Männer umherstanden. „Die Batterien können spielend leicht nachgeladen werden, und Rennen werden hier ohnehin nicht gefahren. Eine einmalige Ladung reicht für 500 Meilen, und wir haben obendrein noch den Vorteil, daß die kostbare Luft nicht durch Abgase verunreinigt wird. Die Sauer76
stoffversorgung ist noch immer ein Problem. Erst vor einem halben Jahr sind von unseren Selenographen Wasservorkommen entdeckt worden, wobei es sich um dürftige Reste tief im Innern des Mondes handelt. Unter dem Werk befindet sich ein solches Vorkommen. Es ist ein riesiges Bassin, das sich vor undenklichen Zeiten gebildet haben muß. Dort gibt es tatsächlich Wasser, aus dem wir Sauerstoff herausziehen.“ Hannibal ließ den kleinen Elektrowagen anrucken, und er setzte sich leise summend in Bewegung. „Alles ist noch sehr roh und wenig schön. Man darf nicht vergessen, daß erst ein Jahrzehnt vergangen ist, seitdem die erste bemannte Rakete auf dem Mond landete. Es ist überhaupt erstaunlich, daß wir schon so weit sind, während die Asiaten erst eine einzige, dürftige Station eingerichtet haben. Sie liegt übrigens auf der Vorderseite, dicht unter dem Mond-Nordpol. Die Gegend von Sinus roris grenzt direkt an das Mare Imbrium. Dort sitzen die Leute, die für alle Schweinereien verantwortlich sind, und wir können offiziell nichts tun. Das ganze Gebiet wird von dem AS beansprucht.“ Wir durchquerten die erste Halle und bogen in einen anderen Gang ein, der teilweise steil nach unten führte. Die Fahrt endete in einem sehr großen Felsdom, der strahlend hell erleuchtet war. Es gab hier zwar Kinos, Bars und andere Vergnügungsstätten, aber alles wirkte roh und im Aufbau begriffen. Auch Verkehrswege mit den Signallampen vermißte ich. Man fuhr, wie man wollte, und wir mußten zweimal schwerbeladenen Lastern ausweichen, die von Elektrotraktoren gezogen wurden. Lautsprecher brüllten durch den Riesenraum, und irgendwo klang das Stampfen und Summen schwerer Maschinen auf. Ich sah viele Menschen. Die meisten waren in die blaugrauen Kunststoffkombinationen gekleidet, andere trugen Uniformen. 77
„Feiner Betrieb, was?“ lachte Hannibal, als wir vor der großen Halle hielten, auf der die Aufschrift „Offiziersmesse“ zu lesen war. Langsam stieg ich aus dem Wagen, und er fragte leise: „Warum hast du eigentlich darauf bestanden, erst etwas zu essen?“ So hungrig bist du doch sicher nicht.“ Ich sah mich aufmerksam um und tastete dabei unwillkürlich nach meiner schweren Dienstpistole, die ich im Wachlokal umgeschnallt hatte. „Das solltest du ahnen, Kleiner. Wenn TS-102 einigermaßen schaltet, dann wird sie in der Messe sein, wo wir uns unauffällig sprechen können.“ Wir gingen an einem uniformierten Posten vorbei, den man sogar vor der Messe aufgestellt hatte. Die Halle war gut eingerichtet und temperiert. Man fühlte sich wie zu Hause und konnte vergessen, daß draußen ein trostloses Land lag. Als wir die Vorhalle durchschritten hatten, kamen wir in einen langgestreckten Raum, dessen Tische zur Hälfte besetzt waren. Ich erkannte einige Offiziere und sehr viele Zivilisten. „Na also, du hast richtig kombiniert“, murmelte Hannibal plötzlich, und ich folgte seinem Blick. Natürlich … diese junge, bildschöne Frau mit dem tiefbraunen Haar und dem vollen, hübschen Mund konnte nur Elis Teefer sein, unsere tüchtige GWA-Agentin, die die Codenummer TS-102 führte. Sie war eine glänzende Schauspielerin, so wie es sich für eine Beamtin mit zehnjähriger Schulung auch gehörte. Erst blickte sie verwundert zu uns herüber, und dann schien sie Hannibal zu erkennen, der ihr breit grinsend und frechvertraulich zuwinkte. Ein winziges, amüsiertes Lächeln huschte über die Lippen der jungen Frau, die hier als Dr. Sherly Furow bekannt war. 78
Sie trug die blaßblaue Arbeitskombination der Kernphysiker, und ihr langes Haar wurde im Nacken von einem glitzernden Band zusammengehalten. „Die Frau meiner Sehnsucht, Sir“, bellte Hannibal so laut, daß man es bequem im ganzen Speiseraum hören konnte. Dabei deutete er auf Elis, die scheinbar peinlich berührt nach ihrer Handtasche griff. „Das merke ich, Major“, sagte ich eisig. Unwillig sah ich auf die schmunzelnden Gesichter der Wissenschaftler, die geflissentlich bemüht waren, die „taktvolle“ Art des Kleinen zu übersehen. Hannibal ließ sich jedoch nicht stören, was mich innerlich erheiterte. „Aber Sir, Sie können mir glauben“, quäkte er. „Sie haben doch nichts dagegen, daß ich Sie mit Dr. Furow bekannt mache. Ich mag ohnehin nichts essen, wenn ich nicht an ihrem Tisch sitze.“ Mit den Worten stürzte er davon und steuerte strahlend auf ihren Tisch los. Ich folgte langsamer und gemessen. Als ich an ihrem Tisch ankam, dröhnte Hannibal mit seiner unüberhörbaren Stimme: „Sherly, darf ich Ihnen Oberst Permont, meinen neuen Chef, vorstellen? Sir, das ist Dr. Furow.“ Er machte die Vorstellung mit so großartigen Gesten, als wäre er über die schöne Frau verfügungsberechtigt. Niemand sah die tausend Teufelchen, die in den wasserblauen Augen des Kleinen blitzten. Ich sagte recht laut: „Entschuldigen Sie, Doktor. Ich möchte Sie keinesfalls stören.“ „Ich bitte Sie“, lachte Elis erheitert, und dann bot sie mir einen Platz an. Wir bestellten unsere Speisen, und Hannibal erzählte von unserem Mondflug. 79
Als ich mich vor Beobachtungen sicher fühlte, raunte ich: „Tag, kleines Mädchen. Wie geht’s?“ Sie errötete und antwortete nicht. Ich schmunzelte und widmete mich meinen Speisen. „Ich möchte wissen, was inzwischen passiert ist. Haben Sie Nachrichten vom Alten erhalten?“ „Ja, über Sup-Ultrawelle. TS-19 hat sie an mich weitergefunkt. Unangenehme Sache, Sir. Es ist eine Panne passiert, kurz bevor Sie abflogen.“ Ich wurde unruhig, zumal sie sehr ernst war. Wir mußten unser Gespräch alle Augenblicke unterbrechen, damit man keinen Verdacht schöpfte. Hannibal quasselte ununterbrochen, was uns wenigstens eine kleine Chance gab. „Wieso? Was ist los?“ „Sie sind über Elena Valdez informiert worden?“ Plötzlich war ich hellwach. Elena Valdez war jene Kreolin, die in dem offiziellen Bericht des FBI als meine ehemalige Braut genannt wurde. Sie hatte bei meiner Verhandlung angeblich eine wichtige Rolle gespielt, denn sie bezeugte, daß die Geldsummen von ihr gestammt hätten. Natürlich hatte ich sie niemals gesehen, jedoch hatte mich der Alte darüber informiert, daß sie eine Agentin der Geheimen Bundeskriminalpolizei wäre. Ihr Sitz war in Buenos Aires. „Was ist mit ihr?“ „Etwa vier Stunden vor Ihrem Start wurde Elena Valdez in ihrer Landvilla außerhalb der Stadt von Unbekannten überwältigt. Sie hat dort ihre Nachrichtenzentrale, weshalb es Abhörmikrophone und andere Einrichtungen zur Überwachung und Aufnahme jener Gespräche gibt, die sie mit ihren Besuchern führte.“ „Weiter“, murmelte ich. „Ihre Vertrauensleute haben nicht rechtzeitig geschaltet, be80
ziehungsweise waren die Männer gerade nicht da, obwohl die Anlage arbeitete. Sie wurde überwältigt und ein Diener erschossen. Aus den Bandaufnahmen geht hervor, daß die Unbekannten einzig und allein darauf aus waren, von Elena Valdez zu erfahren, wie das mit Ihnen wirklich gewesen war.“ Ich atmete gepreßt, und Hannibals Stimme war plötzlich nicht mehr so laut und aufdringlich. Ich bemerkte, daß er sich bemühen mußte, seine eben begonnene Lügengeschichte fortzuführen. Elis wartete einige Augenblicke, ehe sie weitersprach. „Es steht eindeutig fest, daß sie in einen Ralowgaltin-Rausch versetzt wurde, der einen Menschen zu einem willenlos plappernden Kind macht. Sie wurde unter der Einwirkung des Giftstoffes befragt, ob sie an Oberst Permont Geldmittel in Höhe von 60 000 Dollar gezahlt hätte, und sie verneinte natürlich. Ferner sagte sie aus, daß sie überhaupt nicht wüßte, wer jener Oberst wäre, und daß sie ihn niemals gesehen hätte.“ Ich fühlte, daß ich ziemlich blaß war. Das war ja eine böse Schlappe, die wir da erlitten hatten. „Also kann ich ruhig wieder abreisen, nicht wahr?“ knirschte ich zitternd, doch sie begann plötzlich zu lächeln. „Nein. Hören Sie weiter. Die Bänder geben jedes gesprochene Wort wieder, und so wissen wir, daß die Unbekannten nicht länger fragen konnten, da in dem Augenblick die beiden Mitarbeiter der Valdez auftauchten, ebenfalls Außenagenten des FBI. Die Burschen wurden in ein Feuergefecht verwickelt, bei dem zwei erschossen wurden. Zwei andere Männer konnten unerkannt entkommen. Aus den sorgsamen Aufnahmen geht hervor, daß die Unbekannten nicht zuviel fragen konnten. Sie haben nur erfahren, daß Sie von der Frau niemals Geld erhalten haben, und daß Sie ihr überhaupt nicht bekannt sind. Das kann man natürlich auslegen, wie man will.“ 81
„Verstehe“, murmelte ich sinnend, und da sprach sie auch schon das aus, an was ich in dem Augenblick gedacht hatte. „Die Anweisung des Chefs lautet, daß Sie hier unter allen Umständen die Arbeit aufnehmen sollen. Es steht fest, daß Sie als gebrandmarkter Offizier für den AS-Geheimdienst sehr wertvoll sind, denn sonst hätte man sich mit der Kreolin nicht die Mühe gemacht. Man muß in Peking zweifellos auf den Gedanken kommen, daß Sie verurteilt worden wären, wenn die Aussagen der Elena Valdez nicht so günstig gewesen wären.“ Sie unterbrach sich, da der Kellner Getränke brachte. „Es gibt zwei Möglichkeiten, Sir. Entweder erkennt man die wahren Tatsachen, was der Chef aber nicht glaubt, oder man hält Sie für einen gerissenen Gauner, der mit Mühe und Not der Exekution entgangen ist.“ „Was ist mit dieser Kreolin geschehen? Hat man sie wenigstens verschwinden lassen?“ „Ja, sie ist bereits in den Staaten. Angeblich entführt worden. Im antarktischen Stützpunkt sind drei unserer Agenten eingesetzt worden. Sie werden dafür sorgen, daß dort nichts geschehen kann. Der militärische Chef des Stützpunktes ist eingeweiht. Es könnte sein, daß man Nachforschungen nach Ihrer Person anstellt. Leute, die angeblich mit Ihnen zusammengearbeitet haben und die Sie unbedingt kennen müßten, sind abgelöst worden. Sie sind in Sicherheit. Der Chef hat alle Register der GWA gezogen“ Plötzlich fiel mir etwas ein, was Elis übersehen hatte. „In meinen Akten werden doch Namen von Personen genannt, mit denen ich in landesverräterischer Beziehung gestanden haben soll. Man wird in Peking spielend leicht feststellen können, daß es solche AS-Agenten niemals gegeben hat.“ Elis lächelte undurchdringlich und erwiderte den Gruß einer vorübergehenden Dame. 82
„Keine Sorge, das hat der Chef nicht vergessen. Die genannten Personen – es sind ja nur drei Männer – sind vom FBI verhaftet worden. Es handelt sich natürlich um unsere Verbindungsleute. In der südamerikanischen Presse ist eine Notiz erschienen, wonach die Männer Agenten eines europäischen Industriekonzerns gewesen seien. Demnach wird man in Peking erkennen, daß Sie nicht mit Leuten des Asiatischen Staatenbundes in Verbindung gestanden haben, was natürlich längst nicht bedeutet, daß Sie keine landesverräterischen Beziehungen unterhalten haben. Es dürfte gleichgültig sein, mit wem Sie solche Verbindungen eingingen.“ „Saubere Arbeit“, flüsterte Hannibal, und dann begann er wieder zu erzählen. Ich warf ab und zu eine Bemerkung ein, obwohl ich mich anstrengen mußte, ihm zuzuhören. „Geben Sie sofort an TS-19 durch, daß ich weiterarbeite, Elis. Ich lasse es darauf ankommen. Entweder kommen die Brüder zu dem Schluß, ich wäre ein willkommener Verräter, oder sie werden mißtrauisch, und meine Aufgabe ist von vornherein gescheitert. In dem Fall kann es auch leicht möglich sein, daß meine Maschine ‚zufällig’ explodiert, wenn ich einen Überwachungsflug mache.“ Ich sah ihr erstarrtes Gesicht, und Hannibal war plötzlich sehr still. Sie hatten erfaßt, daß wir bös in der Patsche saßen. „Ich werde es sofort durchgeben“, hauchte sie verstört. „Seien Sie nur vorsichtig. Sir. Der Mongole, der vor Tagen gefaßt worden ist, kann unmöglich an seinen Brandwunden gestorben sein. Ich traue der Sache nicht, aber ich kann hier nicht offiziell fragen. Soll ich eine Nachricht durchgeben, damit das Hauptquartier eine genaue Untersuchung anordnet?“ „Nein, lassen Sie das. Wir wollen die Burschen nicht unnötig mißtrauisch machen. Das Hauptquartier soll vollkommen aus dem Spiel bleiben. Ist Ihr Funkgerät gut getarnt? Passen 83
Sie auf, daß Sie nicht den Leuten vom Sicherheitsdienst auffallen.“ „Keine Sorge, meine Anlage ist gut gesichert. Ich werde immer auf Empfang schalten, damit ich die Sendungen Ihrer Kleingeräte aufnehmen kann.“ „Ich habe deine Ausrüstung in meinem Quartier. Ich bringe sie heute noch“, sagte Hannibal, und damit war unser Gespräch erledigt. Ich verabschiedete mich höflich von der schönen Physikerin. Auch Hannibal erhob sich, und das ewige Grinsen lag schon wieder über seinen breiten Lippen. Ich war gerade rechtzeitig aufgestanden, denn im gleichen Augenblick klangen die Lautsprecher der Rundfunkanlage auf, wonach Oberst Permont gebeten wurde, umgehend im Hauptquartier zu erscheinen. Die Durchsage wurde zweimal wiederholt, ehe die Lautsprecher schwiegen. Nun wußte man also allgemein, wer ich war. 8. Kapitel „Halten Sie sich unbedingt an die Anweisungen von Major Bird, damit Ihnen unterwegs nicht der Treibstoff ausgeht. Die Fliegerei ist hier gar nicht einfach, und das Gelände noch vollkommen unerforscht. Es gibt nur wenige markante Punkte, nach denen Sie sich richten können.“ Generaloberst Talbot sagte es ziemlich knurrig, und wieder traf mich ein mißmutiger Blick. Vor zehn Stunden war ich in seinem Hauptquartier erschienen, und da hatte er mich auf Herz und Nieren getestet. Er wollte vordringlich wissen, ob ich von der Fliegerei im luftleeren Raum überhaupt eine Ahnung hätte, und das konnte ich bestätigen. Laut meiner Papiere war ich zu Ausbildungszwecken auf 84
dem Mond gewesen, und außerdem hatte ich auf der Erde als Testpilot für Raumjäger fungiert. Laut Befehl hatte ich nun meinen ersten Rundflug zu machen, um die nähere Umgebung kennenzulernen. Das war an sich alles gewesen. Auf die angeblichen Vorkommnisse mit meinem gerichtlichen Verfahren war er nicht eingegangen, doch dafür hatte mich Oberst Urban besonders über diese Dinge befragt. Von Urban hatte ich einen ausgesprochen guten Eindruck. Er war hart, kaltschnäuzig und kurz angebunden. Er hatte mir unverblümt zu verstehen gegeben, daß er mich in die tiefste Hölle befördern würde, sobald ich hier die gleichen Geschichten machte wie in der Antarktis. Talbot und Urban begleiteten mich zum Einsatzbunker der Raumabwehr, und der Generaloberst beobachtete mich kritisch. „Ich bin neugierig, Permont, wie Sie die Maschine hochbringen und anschließend landen. Ich werde hinter den Bildflächen der Radar-Objekttaster bleiben. Eher werden Sie mich nicht los. Ich will wissen, ob Sie notfalls in der Lage sind, einen Angriff aus dem Raum abzuwehren. Sie dürfen sich nicht allein auf Ihre Jäger verlassen, sondern geben in einem solchen Fall einen Warnspruch durch. Wir haben hier eine Fernlenkabwehr, die sich sehen lassen kann. Habe ich mich klar ausgedrückt?“ Ich nickte. Er hatte mich selbstverständlich darüber informieren müssen, daß im Werk „Huntris“ die Kobaltbombe entwickelt wurde. Er hatte auch nicht verschweigen können, daß der erste Versuch in spätestens drei Monaten gestartet werden sollte. Demnach hatte er Geheimnisse erfahren, die nur sehr wenigen bekannt waren. Ich gehörte aber zu den wenigen Leuten, die im Zuge ihrer Aufgaben laufend das Werk verlassen mußten, was selbst den Wissenschaftlern verwehrt wurde. Deshalb verwunderte es mich nicht, daß er mir mißtrauisch 85
gegenüberstand, denn ich erschien ihm nicht zuverlässig genug, um ein solches Geheimnis bewahren zu können. Er hatte jedoch ebenfalls seine Befehle aus Wellington, und danach war ich eben der Chef der Mondjäger, Sektion „Huntris“. Diese Sektion umfaßte ein riesiges Überwachungsgebiet, denn das nächste Ato-Werk lag mehr als 2000 Meilen entfernt. Luna-City, die kleine Mondstadt in der Nähe der riesigen Uranium-Minen, lag auf der Vorderseite des Trabanten, wonach die drei Ato-Werke gänzlich von der größten Siedlung auf Luna abgeschlossen waren. Es gab noch einige Stationen, die aber alle sehr klein und dürftig waren. Es waren nur dort größere Siedlungen entstanden, wo Uran gefunden worden war. Demnach standen wir hier auf einem ziemlich verlorenen Posten, und es wunderte mich nicht, daß Talbot so besorgt war. Er sah auf die elektrische Uhr, die auf Erdzeit geschaltet war. Draußen war es 14 Tage lang hell, doch wir richteten uns nach dem 24-Stunden-System. „Okay, rauschen Sie ab“, meinte Talbot. „Ich hoffe, daß Sie Ihre Maschine wirklich so gut beherrschen, wie es aus Ihren Papieren hervorgeht.“ Urban, der Sicherheitshäuptling, warf mir einen kurzen Blick zu, und setzte sich dann zufrieden in einen Plastiksessel. Kurz darauf kam Hannibal durch die Schiebetür. Hinter ihm folgte ein junger, drahtiger Mann, den ich als Captain Mitchum kennengelernt hatte. Er war der Kapitän der ersten Staffel und ein erfahrener Pilot. Beide trugen den leichten Raumanzug der Mondpiloten, die auf die schweren Raumpanzer verzichten mußten. Auch ich war schon mit dem dicken Plastikmaterial bekleidet, das auch meine Hände umschloß. Auf meiner Schulter hing der 86
herabgeklappte Helm, der bei jeder Bewegung dumpf auf die Leichtstahlflasche des Sauerstoffgerätes aufschlug. „Die Maschinen sind startklar, Sir“, meldete Hannibal und nahm dabei etwas an, was er Haltung nannte. Ich faßte nochmals nach meiner Dienstwaffe, die am Gürtel der modernen Plastikkombination baumelte. Es war eine schwere Henderly, Kaliber 9 Millimeter. Der lange Lauf zeitigte ausgezeichnete Schußergebnisse, doch wäre mir meine GWASpezialwaffe lieber gewesen. Nur war es vollkommen ausgeschlossen, die Raketenpistole offen zu führen, und es war auch nicht ratsam, sie versteckt am Körper zu tragen. Man verfolgte meine Handbewegungen, und über Urbans Lippen zuckte ein dünnes Lächeln. „Damit werden Sie nicht viel anfangen können, Permont! Verlassen Sie sich lieber auf Ihre Raketenkanonen.“ Ich sah ihn stumm an und amüsierte mich im stillen. Wenn der gewußt hätte, welche Munition ich in dem Magazin hatte! Es waren Thermonital-Geschosse, die in den Spezialabteilungen der GWA zu unserer Verwendung hergestellt worden waren. Sie entwickelten bei der Explosion Temperaturen von 12 000 Hitzegraden. Das konnte Urban aber nicht wissen, zumal er den Begriff „Thermonital“ überhaupt nicht kannte. Auch dieser Stoff war eine Entwicklung der GWA und nur den Agenten im Einsatz vorbehalten. Leise summend glitt die schwere Tür vor uns auf, und wir verschwanden in dem erleuchteten Felsgang, bis wir zur eigentlichen Luftschleuse kamen. Die Luftschleuse war ziemlich groß. Ungeduldig wartete ich auf den Augenblick, bis die rote Lampe aufzuckte, und öffnete dann das andere Tor, das uns den Weg freigab in das absolute Vakuum der Starthallen. 87
Ich merkte, wie sich das kräftige Plastikmaterial spannte, als der nunmehr fehlende Außendruck nicht mehr auf meinen Körper einwirken konnte. Dann sah ich die Jagdmaschine, die in stählernen Startschienen ruhte. Es war eine Maschine in offener Gerüstbauweise. Das Triebwerk hing frei in den Leichtstahlhalterungen, und die schwenkbare Großdüse klebte förmlich an den zerbrechlich wirkenden Streben. Ich sah die unverkleidete Turbopumpe und die gewundenen Leitungen, die zu den Tanks führten. Die Tanks selbst waren an dem Gesamtgerüst so befestigt, daß sie ebenfalls vollkommen offen lagen. Nur die walzenförmige Kabine mit sämtlichen Kontroll- und Steuerorganen hatte eine strömungsgünstige Form. Dieses lachhaft wirkende Monstrum wäre auf der Erde noch keine Meile weit geflogen, doch hier erfüllte es seine Dienste ganz hervorragend. Für einen Jäger erschien mir die Maschine sehr groß, doch ich wußte, daß dieser Eindruck täuschte. Im Grunde genommen waren es nur die Tanks mit dem reinen Destillat, die den Kahn so unförmig machten. Sehr vorsichtig schritt ich an dem kleinen PlutoniumMeiler vorbei, der auch bei dieser Maschine als Heizelement diente. Der Gammazähler an meinem Handgelenk begann wild zu reagieren, was ich an den Leuchtzeichen sehen konnte. Mißtrauisch schielte ich auf die Verkleidung des Wärmeaustauschers, in dem die von der Pumpe eingespritzten Strahlmassen erhitzt wurden. In meinem Helmlautsprecher lachte Hannibal: „Feine Kähne, meinen Sie nicht auch, Sir? Sie sind größer 88
als ein irdischer Jagdbomber, aber leichter als ein kleines Sportflugzeug. Dazu kommt noch die geringe Schwerkraft des Mondes. Alle Effekte zusammen bewirken, daß wir mit einer Schubleistung von nur 5000 Kilogramm auskommen. Die Leistung genügt vollkommen, um einen Raketenstart auf dem eigenen Gasstrahl zu gewährleisten.“ Ich ging nach vorn zu der Pilotenkanzel, die natürlich druckfest und mit einer eigenen Klimaanlage versehen war. Captain Mitchum ließ das stählerne Schott aufgleiten, und ich schwang mich in die zur Zeit noch luftleere Kabine, die über keine Schleuse verfügte. Bei der Gelegenheit bemerkte ich rechts und links der Kabine die beiden kleinen Brennkammern der Hilfstriebwerke, die mit einem chemischen Treibstoff arbeiteten. Die Aggregate dienten vordringlich für die Bremsmanöver, da es hier nun einmal nichts gab, was die hohe Fahrt durch einen atmosphärischen Reibungswiderstand hätte bremsen können. Die Landemanöver waren ungemein schwierig, was ich aus meiner Spezialschulung wußte. Mitchum klappte die druckfeste Tür hinter mir zu, und ich ließ die künstliche Atmosphäre aus den Druckflaschen einströmen. Trotzdem durfte ich laut Vorschrift den Helm nicht zurückklappen. Die Blei-Plastikverglasung bot eine gute Sicht nach allen Seiten, und mit Hilfe des bordeigenen Fernsehgerätes konnte ich sogar die wichtigsten Triebwerke auf dem kleinen Bildschirm überwachen. Die ganze Kabine war gegen die Strahlungen des Kernreaktors abgeschirmt, was sich von selbst verstand. Ich ergriff den „Knüppel“, dessen Bewegungen auf die schwenkbare Hauptdüse übertragen wurden. Kleine Hilfsdüsen dienten zur seitlichen Stabilisation. Die Konstrukteure hatten 89
größten Wert darauf gelegt, die Steuerorgane so anzuordnen, daß man den Mondjäger so fliegen konnte wie eine Maschine, die an die Atmosphäre der Erde gebunden war. Sehr sorgfältig überprüfte ich sämtliche Kontrollinstrumente, und dann sah ich mich nach Hannibal und Mitchum um, die ihre Maschinen ebenfalls bestiegen hatten. Über die Sprechanlage gab ich die Anweisung zum Öffnen der Deckenklappen, und die Bestätigung kam sofort. Augenblicke später wurde es über mir hell. Lautlos glitten die schweren Stahltore in den Schienen zurück, und das grelle Sonnenlicht brach so plötzlich in die Halle ein, daß der Schein der Leuchtstoffröhren dagegen verblaßte. Wieder sprach ich in das Helmmikrophon, das ich mit der Bordanlage verbunden hatte. An die absolute Stille im luftleeren Raum mußte ich mich erst wieder gewöhnen. Es war nicht einfach zu begreifen, daß hier alles still vor sich ging, was auf der Erde normalerweise einen beachtlichen Lärm verursacht hätte. Es fehlte eben die leitende Lufthülle. Ich fühlte, wie meine Maschine sanft angehoben wurde, und ich sah auch die Träger des Startgerüstes, die soeben ausgefahren wurden. Meine Maschine richtete sich steil auf, und schon zeigte meine Kabine auf die Deckenöffnung. „Einrichtung beendet“, klang es aus dem Lautsprecher. „Start frei.“ Ich sah Hannibals Handbewegung, und in dem Augenblick ließ ich den Meiler anlaufen. Der rotmarkierte Schalter schwenkte nach rechts, und das bedeutete, daß innerhalb des Aggregates der steuerbare Kernzerfall begann. Weitere Schaltungen bewirkten das Anlaufen der Turbopumpe, die das Arbeitsmedium in den hitzeglühenden Wärmeaustauscher preßte. 90
Sekundenbruchteile später fühlte ich, wie die ganze Maschine heftig erzitterte. Ich wurde in meinem Plastiksitz durchgeschüttelt, und wieder war es das absolut lautlose Arbeiten des Triebwerkes, was mich beunruhigte. Bei einem schnellen Blick nach hinten sah ich, daß die weißglühenden Gasmassen den Basaltboden der Starthalle peitschten. Der ganze Raum schien angefüllt mit den davonstiebenden Partikeln, zumal auch die Triebwerke der beiden anderen Maschinen angelaufen waren. Ich fühlte, daß kalte Schweißtropfen auf meine Stirn traten. Ich wußte nur zu gut, daß viele Augen auf den Bildschirmen hingen, und das bedeutete, daß ich mir keinen Versager erlauben durfte. Die Maschine mußte elegant hochkommen, sonst war es vorbei mit meinem Nimbus als Träger des goldenen Kometen-Ordens. Ich gab noch einige Anweisungen an Mitchum und Hannibal durch, ehe ich den Impulsschalter des Meilers weiter nach vorn schob. Die zitternde Nadel des Schubleistungs-Meßgerätes ruckte augenblicklich nach rechts und überschritt die rote Marke. Im gleichen Augenblick drückte ich auf die Auslöseschaltung der elektromagnetischen Halterung, und damit gab ich der monströsen Mondmaschine die Freiheit. Ich fühlte den wilden Beschleunigungsdruck und hörte wieder nichts. Auf einer weißflammenden Gassäule schoß ich aus der engen Deckenöffnung heraus, und schon wölbte sich über mir der tiefschwarze Mondhimmel, in dem, von keiner Atmosphäre getrübt, die grellweiße Sonne hing. Ich beschleunigte mit knapp 1,5 g, doch das reichte bei der geringen Schwerkraft vollkommen aus, mich senkrecht emporrasen zu lassen. Der Start war einwandfrei gelungen, und als ich die Maschine durch die Verstellung der Strahldüse in eine horizontale Fluglage 91
brachte, befand ich mich schon mehr als 20 Kilometer über den gigantischen Bergen. Ich drosselte die Leistung des Meilers und sah nach unten, wo dicht hintereinander zwei flammende Phantome angeschossen kamen. Es waren die anderen Maschinen. Also war auch deren Start gut gelungen. Zufrieden lächelnd lehnte ich mich in meinem Sitz zurück und schaltete die Bildsprechanlage ein, auf der sofort das faltige Gesicht des militärischen Chefs erschien. „Nicht übel, Permont“, knurrte es aus meinem Helmlautsprecher, und seine Lippen schienen auf der kleinen Bildfläche zu zucken. „Fliegen Sie Ihre Runde und kommen Sie zurück. Ende.“ Das war alles, was der Alte zu der Sache zu sagen hatte. Die beiden Maschinen tauchten plötzlich rechts und links von mir auf. Aus den nach unten gerichteten Düsen zuckten nur noch vereinzelte Gaszungen, was mir einwandfrei bewies, daß auch Hannibal und Mitchum auf die Robot-Automaten umgeschaltet hatten, die die Aufgabe hatten, die Maschinen in einer horizontalen Fluglage zu halten. Das konnte hier nur mit Hilfe eines kurzen Schubs geschehen, da es nun einmal keine Atmosphäre gab, die uns hätte tragen können. In der Hinsicht war die Mondfliegerei eine sehr unangenehme Sache. Es war praktisch ein Hüpfen auf dem eigenen Gasstrahl, ein Springen in Wellenlinien, da die Maschinen, die sich innerhalb des Schwerebereiches des Trabanten befanden, grundsätzlich das Bestreben hatten, nach unten zu fallen. Für meinen Magen war es ein teuflisches Gefühl, und mein elektronischer Höhenmesser zeigte laufend andere Werte an. Mit einer Geschwindigkeit, die man auf der Erde mit fünfzehnfacher Schallgeschwindigkeit bewertet hätte, rasten wir durch den leeren Raum, der schon auf der Oberfläche begann. 92
Auf der großen Bildfläche des Konturtasters erschienen die farbigen und plastischen Bilder der unter uns hinweghuschenden Landschaften. Wir befanden uns in dreißig Kilometer Höhe. Ich hatte das angeordnet, um einen guten Überblick zu gewinnen. „B-2 an B-l“, klang es aus meinem Lautsprecher. Es war Hannibal. „Triebwerk arbeitet einwandfrei, Sir. Kurs 250 Grad. Damit erreichen wir die nördlichen Grenzen unseres Überwachungssektors.“ Ich bestätigte kurz, und Hannibals Gesicht verschwand von der Fernbildfläche. Langsam bog ich auf den neuen Kurs ein, der uns in die Nähe des Mondnordpols bringen mußte. Laut Befehl hatte ich diese Überwachungsroute besonders genau kennenzulernen, da sich jenseits des Pols die asiatische Station befand. Es waren knapp zweitausend Meilen, die wir dabei zu bewältigen hatten. Stumm sah ich auf die große, schräg vor mir angebrachte Bildfläche, auf der das erschien, was ich von meiner Höhe aus nicht mehr mit bloßen Augen erkennen konnte. Die riesige Ebene vor den Devil-Mountains huschte unter uns hinweg, und dann begann das wildzerklüftete Gebiet, das wie der Spielplatz eines höllischen Monstrums wirkte. Krater reihte sich an Krater. Ich bemerkte kleinere Gebirge, wüst und zerrissen, mit messerscharfen Graten. Die Sonne blendete mörderisch, obwohl die Bleiplastik meiner Rundsichtverkleidung dunkelblau gefärbt war. Wir flogen durch das absolute Nichts, nur gehalten von den züngelnden Gassäulen. Ich flog einige Figuren, um mich mit der Maschine vertraut zu machen. Hannibal und Mitchum folgten prompt, und so entwickelte sich über den Riesenkratern des Mondes ein wildes Gekurbel. 93
Langsam gewöhnte ich mich wieder an die ungewohnte Art der Fliegerei, und damit verschwand auch meine Angst vor der anschließenden Landung, die natürlich nach Raketenart auf dem Gasstrahl zu erfolgen hatte. Durch unsere Raumakrobatik hatten wir ziemlich viel Zeit verloren, doch dabei immerhin unseren Kurs gehalten. Bei der fünfzehnfachen Schallgeschwindigkeit waren wir schon über dem nördlichen Pol des Mondes, und weit voraus tauchten bereits die Umrisse der Gebirgslandschaft auf, hinter der das Mare Imbrium begann. Fast schlagartig wurde es dunkel, und ich konnte beobachten, wie die Sonne hinter dem Horizont verschwand. Dafür tauchte ein riesiger, grünlicher Ball auf: unsere Erde! Scheinbar greifbar nahe hing sie über dem finsteren Land der vorderen Halbkugel. Hannibal unterbrach meine Gedanken. „Zeit zum Kurswechsel, Sir. Wir befinden uns bereits über dem von Asien beanspruchten Gebiet“ Ich nickte seinem Bild auf der Sichtfläche zu und drückte dann den Knüppel nach links. Mit grellweiß aufzuckenden Gasflammen jagten wir davon, und schon tauchte wieder die Sonne auf, also waren wir schon wieder über unserem Hoheitsgebiet. Eben wollte ich den Befehl zum Rückflug geben, als Mitchums Stimme aufklang. Zugleich erschien auf der Bildfläche des Gerätes sein Gesicht, das ich hinter der großen Helmscheibe ganz gut erkennen konnte. Es war verzerrt, und seine Stimme überschlug sich förmlich: „Meteortreffer, Sir“, schrillte es aus dem Lautsprecher. „Der Brocken muß den Wärmeaustauscher durchschlagen haben. Ich kann im Kontrollgerät erkennen, daß einzelne Teile zerschmolzen sind! Triebwerk beginnt unregelmäßig zu arbeiten!“ 94
Ich ruckte mit dem ganzen Körper so scharf herum, daß die Anschnallgurte in mein Fleisch schnitten. Aus Mitchums Strahldüse kamen die Gasstöße so unregelmäßig und puffend, daß er tatsächlich einen schweren Schaden erlitten haben mußte. Das Werk lag über zweitausend Meilen entfernt, und hier befanden wir uns ganz allein über einer öden Landschaft, in der es keinen Hilfsposten gab. „Ich stürze!“ schrie der Captain verzweifelt, und im gleichen Augenblick glitt seine Maschine schräg nach unten. Als er an mir vorbeischoß, konnte ich sehen, daß seine Schwenkdüse auf Steigflug stand, doch die daraus hervorzuckenden Flammen waren kaum noch zu sehen. Er konnte nur von einem winzig kleinen Meteor getroffen worden sein, und doch hatte das ausgereicht, um ihn manövrierunfähig zu machen. Diese kosmischen Trümmer waren die gefährlichsten Feinde der Mondflieger. Infolge der fehlenden Atmosphäre rasten sie ohne Widerstand bis auf die Oberfläche hinab. Captain Mitchum seufzte, und ich drückte automatisch den Knüppel nach vorn. Hannibal rief mir etwas zu, doch ich verstand kein Wort. „Mitchum, hören Sie?“ brüllte ich in mein Helmmikrophon. „Mitchum, versuchen Sie, die Maschine in Ihre Gewalt zu bringen. Stellen Sie den Kahn auf die Gassäule und riskieren Sie eine Landung. Sollten Sie erkennen, daß das Triebwerk nicht mehr mitmacht, steigen Sie aus. Achten Sie auf die Höhe. Zweitausend ist die Grenze. Sprengen Sie Ihre Kabine ab und machen Sie damit eine Notlandung. Nicht vergessen, den Robot-Automat einzuschalten, damit Ihre Landungsraketen automatisch gezündet werden. Wir nehmen Sie auf.“ „Verstanden, Sir“, gab Mitchum zurück, dessen schweißüber95
strömtes Gesicht ich hinter seiner Helmscheibe klar erkennen konnte. Wir rasten mit einer wahnwitzigen Fahrt auf die zerklüftete Oberfläche zu, die in diesem Teil des Landes fast nur aus Ringwällen bestand. Die einzelnen Bodenvertiefungen überlagerten sich praktisch, und so war da unten ein wahres Labyrinth von Kratern entstanden, die teilweise tintenschwarz waren, da die Sonne nicht hineinschien. Knapp 5000 Meter über der Oberfläche begann Mitchums Triebwerk plötzlich wieder zu arbeiten, was ich an den kräftig werdenden Gassäulen erkannte. „Was ist? Haben Sie die Mühle wieder in der Gewalt?“ „Ja, Sir, aber schlecht“, keuchte es im Lautsprecher. „Ich habe auf die Notpumpe umgeschaltet. Der Gesteinsbrocken muß eine Ansaugleitung der Hauptpumpe durchschlagen haben. Ich werde sie mit dem Notaggregat landen können, aber heim komme ich damit nicht. Das Triebwerk arbeitet trotzdem nicht einwandfrei.“ „Versuchen Sie es, wir bleiben über Ihnen“, gab ich ruhiger zurück und fing meine Maschine auf. Dicht über dem zerklüfteten Gipfel eines riesigen Ringgebirges kam sie in die Horizontale und wurde dann von der Schubkraft des Triebwerkes wieder in den schwarzen, sternfunkelnden Himmel gerissen. Hannibal folgte. Durch meine Kabinenverglasung konnte ich sehen, daß Mitchum seinen Jäger auf den „Schwanz“ gestellt hatte. Fast senkrecht glitt er nach unten, und aus seiner Schwenkdüse zuckte eine weißblaue Gasflamme, die zu meiner größten Erleichterung beständig und kräftig war. Er bremste mit mörderischen Beschleunigungswerten, und auf der Bildfläche der Sprechvorrichtung konnte ich sein verzerrtes Gesicht erkennen. Er hatte den Robot-Automaten eingeschaltet. 96
Unter uns lag ein kleinerer Krater, dessen tiefliegende Bodenfläche von der Sonne hell beschienen wurde. Der Grund schien einigermaßen eben zu sein, und das war für den Captain günstig. Als ich beim nächsten Anflug über das niedere Ringgebirge hinwegraste, konnte ich auf der Bildfläche meines Konturtasters sehen, daß Mitchums Maschine auf den vier Landestützen stand. Also war er gut unten angekommen. Gleich darauf hörte ich seine zitterige Stimme: „Die Landung hat geklappt, Sir. Können Sie mich hören? Der Stoß war sehr hart, aber die Dämpfer haben gehalten. Können Sie mich hier ’rausholen?“ „Selbstverständlich“, knurrte ich, und dann stellte ich meine Mühle auf das Heck. Im Fadenkreuz meines elektronischen Anfluggerätes tauchte der kleine Krater auf, und ich drückte auf den Kontakt meines Robot-Piloten. Von da an hatte ich nichts mehr zu tun, da der mit dem Bodenradar gekoppelte Automat nun genau „wußte“, wo er die Maschine auf den Boden zu bringen hatte. Das einsetzende Triebwerk drückte mich durch seine enorme Schubleistung in meinen Sitz. Ich fühlte die Vibrationen des Gestänges, und dann tauchte auf der Bildfläche der Krater auf. Durch die hohe Gegenbeschleunigung war die Fahrt fast gänzlich gedrosselt worden, und im gleichen Augenblick begann die Maschine senkrecht zu fallen. Knapp hundert Meter über dem Boden zuckten die Gasflammen erneut auf, und als ich zehn Zentimeter über dem Grund war, stand die Mühle. Sehr sanft setzte sie auf, und der Robot-Automat schaltete ab. Ich ließ die Tür aufgleiten, und die komprimierte Luft entwich mit einem donnernden Knall. Der Sog hätte mich aus dem Sitz gerissen, wenn ich nicht ange97
schnallt gewesen wäre. An sich war es ja Vorschrift, die Atmosphäre der Kabinen durch die Ventile abzulassen, aber dafür hatte ich mir nicht die Zeit genommen. Als ich herauskletterte, fiel mir ein, daß ich vergessen hatte, eine Meldung an die Station abzusetzen. Von hier aus war das unmöglich, da das Werk weit unter dem Horizont lag. Als ich jedoch zu Hannibals Maschine hinübersah, bemerkte ich, daß die Richtstrahlantenne seiner Mühle steil nach oben geschwenkt war. Wahrscheinlich stand er über eine Relaisstation zur Zeit in Funkverbindung mit dem Werk. Ich lief mit weiten Sprüngen auf Hannibals Jäger zu. Er stand zwischen mir und Mitchums Mühle, die in einer Bodenspalte niedergegangen war. Den Captain konnte ich nirgends sehen. Hannibal kletterte eben die Leiter hinunter, und die letzten Meter sprang er einfach. Infolge der geringen Schwere fiel er langsam, und das Abfedern seines Sprunges erschien spielerisch leicht. „Ich habe das nachgeholt, was Sie vergessen hatten, Sir“, klang es in meinem Helm auf. Ich sah sein grinsendes Gesicht, und ich bemerkte auch sein Augenzwinkern. Es war besser, bei der „Sie-Form“ zu bleiben, da Mitchum zweifellos mithören konnte. „Kommen Sie“, entgegnete ich mürrisch, und schon sprang ich auf die Maschine zu. „Was hat der Alte gesagt?“ „Viel und doch nichts, Sir. Natürlich kann er Sie nicht für einen Meteortreffer verantwortlich machen. Wir sollen Mitchum aufnehmen und die Mühle stehenlassen. Sie wird von einem Transporter abgeholt.“ Ich atmete erleichtert auf. Seite an Seite sprangen wir über große Hindernisse hinweg, und meine Stirn bedeckte sich mit 98
feinen Schweißperlen. Immer wieder war ich versucht, sie mit den Händen wegzuwischen, wobei ich regelmäßig gegen die feste Kunststoffscheibe des Raumhelmes stieß. Nachdem ich mit einem gewaltigen Sprung über einen Felsbrocken hinweggesetzt hatte, tauchte Mitchums Maschine vor mir auf. Sie stand in einer breiten Bodensenke, die in der Form eines Risses durch den ganzen Kraterboden lief. „Verdammt“, sagte Hannibal leise, doch da hatte ich schon die Gestalt gesehen, die regungslos neben der Maschine lag. Demnach mußte es ihn doch erwischt haben. Fiebernd sah ich mich nach einer günstigen Stelle um, da ich von meinem augenblicklichen Standort aus den Abstieg nicht wagen konnte. Das Gestein war stellenweise so scharfkantig, daß ich für meinen Raumanzug fürchtete. Hannibal entdeckte einen flachen Hang, und ich folgte ihm sofort. Die letzten Meter sprangen wir im Vertrauen auf die geringe Schwere. Krachend hetzte ich auf die Maschine zu, und meine Blicke waren nur auf den Captain gerichtet, der in dem Augenblick zu erwachen schien. Seine Hände tasteten zuckend über den Boden. Was mochte mit ihm geschehen sein?“ Sein Oberkörper lag im nachtschwarzen Schatten des Jägers. Ich hatte ihn erreicht. Als ich mich eben zu ihm niederbeugte, hörte ich Hannibals Stimme. Sein Tonfall erschien mir so eigenartig fremd, daß ich mich erstaunt aufrichtete und den Kopf wandte. „Ach so ist das“, hatte er gedehnt gesagt, doch ich brauchte nicht mehr lange zu fragen. Die fremde Stimme mit dem scharfen Akzent hatte ich noch nie gehört. Es stand aber fest, daß der Unbekannte auf unserer Sprechfunkfrequenz lag. 99
Meine Hand zuckte zur Waffe, und gleichzeitig krümmte sich mein Körper automatisch zusammen. „Das würde ich nicht tun, Oberst Permont“, knallte es in meinem Helmlautsprecher. Der Sinn der Worte wurde von der drohenden Mündung eines schweren Maschinenkarabiners unterstützt, dessen kurzer Lauf genau auf meinen Raumanzug gerichtet war. Hannibal stand fünf Meter entfernt, und seine Hände waren in Schulterhöhe. Dicht hinter ihm stand ein zweiter Mann, der in seinen Händen ebenfalls eine gefährliche Maschinenwaffe hielt. Der fremde Sprecher lachte, doch für uns stand es sehr ernst. Meine Hand hing dicht über dem Kolben der Henderley, die ich aber nicht mehr ergreifen konnte. Es waren insgesamt fünf Männer, die ihre Waffen auf uns gerichtet hatten. Sie waren urplötzlich aus dem tiefen Schatten der Felswand aufgetaucht. Woher waren die Asiaten so plötzlich gekommen? Hatten sie die Notlandung beobachtet? Das war unmöglich! Selbst wenn sie es gesehen hätten, wäre es niemals möglich gewesen, so rasch in dem kleinen, vollkommen unbekannten Krater aufzutauchen. Als der Chinese, der anscheinend der Anführer war, erneut zu sprechen begann, merkte ich endlich, was hier gespielt worden war. „Stehen Sie endlich auf, Mitchum! Ihr Theaterspiel war vorzüglich, aber nun brauchen Sie nicht mehr den toten Mann zu spielen.“ Fassungslos sah ich in Mitchums Gesicht, das mich unter dem Helm hervor spöttisch angrinste. Federleicht sprang er auf die Beine, und schon tauchte in seiner Rechten die schwere Henderley-Automatik auf. 100
„Sie schmutziger Schweinehund“, murmelte ich mit bebenden Lippen in mein Mikrophon. „Also war Ihr sogenannter Absturz Theater! Sie sollten mich in diesen Krater locken, wo Ihre Verbindungsleute bereits warteten. Das hätte ich früher wissen sollen, Mitchum! Ich hätte Ihnen noch dicht über dem Boden die ganzen Automatmagazine in die Kanzel gejagt.“ Der Captain sah mich kalt an. „Tun Sie nicht so großartig und heldenhaft, Permont! Ich weiß schon seit fast zwanzig Stunden, daß Sie durchaus nicht hasenrein sind. Sie sollten mir keine Vorwürfe machen.“ Ich sah in Hannibals Augen, die plötzlich sehr wachsam geworden waren. Auch ich hatte schlagartig erkannt, worauf der Bursche anspielte. Natürlich auf meine angebliche Verhandlung. Elis’ Meldung fiel mir wieder ein und ihre Nachrichten hinsichtlich des gewaltsamen Verhörs der Elena Valdez. In dem Augenblick wußte ich. daß genau das eingetreten war, was der GWA-Chef erwartet hatte. In Peking war man zu der Ansicht gekommen, daß ich für die asiatische Mondspionage der richtige Mann wäre. Meine Unruhe legte sich sofort, da ich nun zu wissen glaubte, was man von mir wollte. Einer der Männer trat vorsichtig näher und zog meine Henderley aus dem Halfter. „Okay, Mitchum, vorläufig haben Sie Ihr Spiel gewonnen“, sagte ich schleppend. „Ich bin auf Ihren Trick hereingefallen, und ich bin mir auch darüber klar, daß wir hundertprozentig in der Gewalt Ihrer Verbindungsleute sind. Wie soll das neckische Spiel weitergehen?“ Der Chinese trat einen Schritt näher. Ich musterte seinen schweren Raumpanzer, auf dem aber nirgends ein Merkmal angebracht war, das etwa auf einen militärischen Rang hingewiesen hätte. Trotzdem war ich felsenfest davon überzeugt, einen Offizier der asiatischen Station vor mir zu haben, die knapp 101
tausend Meilen nördlich von unserem derzeitigen Standort liegen mußte. „Sie sind erstaunlich beherrscht und besonnen, Mr. Permont“, sagte der Chinese in einwandfreiem Englisch. „Das berechtigt mich zu der Hoffnung, daß ich Sie bald wieder entlassen kann, vorausgesetzt, Sie gehen auf meine Vorschläge ein. Natürlich haben Sie inzwischen bemerkt, daß wir dieses Manöver nicht sinnlos gestartet haben. Captain Mitchum fungiert als Agent in dem US-Atomwerk ‚Huntris’. Er hat vor etwa zwanzig Stunden die Anweisung erhalten, Sie unter allen Umständen in diesen Krater zu locken, was auch programmgemäß geschehen ist. Die Person des Major Bird stört allerdings.“ Ich atmete ruhig und gleichmäßig, doch die letzte Bemerkung, die er sehr gleichmütig ausgesprochen hatte, machte mich plötzlich nervös. Hannibals Gesicht hatte sich verkrampft. Er schien zu ahnen, was im Gehirn des chinesischen Offiziers vorging. „Was meinen Sie damit?“ fragte ich möglichst ruhig. „Major Bird hätte bei der Landung sehr leicht verunglücken können, nicht wahr? Es wäre auch durchaus nicht unwahrscheinlich, wenn sein Helm bei der Suche nach Captain Mitchum von einem winzigen Steinmeteor durchschlagen worden wäre. Wie gesagt, könnte so etwas sehr leicht geschehen.“ Ich begann zu schwitzen, und Hannibal kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Fast flüsterte er: „Soll das heißen, daß Sie mich töten wollen?“ Der Chinese lächelte dünn. Sehr langsam drehte er sich nach dem Kleinen um, und dann entgegnete er zu meiner größten Erleichterung: „Nein, ich habe darüber nachgedacht. Oberst Permont ist ein vorbelasteter Offizier, der ohnehin mit einigem Mißtrauen angesehen wird. Die Notlandung der Maschine kann ihm nicht 102
verübelt werden, aber seine Stellung wäre gefährdet, wenn er außerdem noch einen Mann verlieren würde. Ich glaube, unser Freund kann sich solche Scherze nicht erlauben.“ Innerlich kochte ich. Er schien es zu merken. „Sie sollten sich nicht erregen, Mister Permont. Sie haben doch nicht ernstlich angenommen, daß wir über Ihre Verfehlungen nicht informiert wären, oder?“ „Ich bin freigesprochen worden.“ „Auf Grund falscher Zeugenaussagen, ja! Wir haben keine Zeit zu verlieren, mein Freund! Sie müssen bald wieder starten. Kommen wir also zur Sache. Folgen Sie bitte dem Mann. Er wird Sie in unsere hiesige Station bringen.“ Ich war nicht besonders überrascht, daß diese Leute auf unserem Hoheitsgebiet eine Station eingerichtet hatten. Diese Tatsache hatten wir ohnehin als gegeben angenommen. Hannibal konnte es jedoch nicht unterlassen, zu murmeln: „Sie sollten aufpassen, daß hier nicht zufällig eine Wasserstoffbombe explodiert“ Der Chinese sah ihn sehr spöttisch an und deutete dann mit dem Lauf seines Maschinenkarabiners nach vorn. „Gehen Sie, Mr. Bird, und seien Sie etwas zurückhaltender. Ihr Leben hängt nur an dem dünnen Faden meiner logischen Überlegungen. Wenn ich zu der Ansicht kommen sollte, daß Oberst Permont durch Ihren tragischen Unfalltod nicht zu sehr belastet wird, werden Sie diesen Krater nicht mehr lebend verlassen.“ Mitchum kam dicht hinter uns und sagte über die Sprechfunkanlage: „Permont, Sie sollten sich nicht über Ihre Lage hinwegtäuschen. Unsere Leute haben Ihre angebliche Braut verhört. Eine Braut, die Sie noch niemals gesehen hat, geschweige denn, Ihnen größere Summen geschenkt hat. Ihre Aussagen sind auf einem 103
Tonband festgehalten, von dem Kopien existieren. Wenn Sie nicht spuren, wird eine solche Aufnahme der Geheimen Bundeskriminalpolizei ausgehändigt werden, und das bedeutet, daß Sie acht Tage später an der Wand stehen.“ Ich fuhr förmlich herum, und im nächsten Augenblick war ich bei Mitchum. Ich brüllte und bedrohte ihn, so wie es sich für einen tödlich überraschten Mann gehörte, wenn er seine Beherrschung verlor. Zwei Asiaten zerrten mich von Mitchum weg, und als ich krampfhaft nach Luft schnappte, warf der Chinese eiskalt ein: „Es langt, Mr. Permont. Mitchum hat die Wahrheit gesagt. Sie werden in der Station das Band hören können, und dann werde ich meine Bedingungen stellen.“ Eine große Platte, die wunderbar in das Gestein eingefügt war, glitt lautlos zurück, und ich bemerkte einen schwacherleuchteten Gang, den ich zögernd betrat. „Immer weiter, Mr. Permont. Die Luftschleuse liegt weiter einwärts.“ Augenblicke später betraten wir eine sehr große Schleuse, deren Stahltore hinter uns zuglitten. Der Druckausgleich erfolgte sehr rasch, und so konnte ich den Helm zurückklappen. Als die inneren Schotts aufglitten, lag die asiatische Geheimstation vor mir. Der sehr große Felsdom überraschte mich doch, denn das hätte ich keinesfalls erwartet. Die Anlage war viel größer, als ich angenommen hatte. Wir kamen in einen Raum, der wie ein Büro eingerichtet war. Ich setzte mich auf einen Plastikhocker, und der Chinese nahm hinter einem Schreibtisch Platz. Er gab einige Anweisungen, und ein anderer Mann ließ das Bandgerät anlaufen. Ich hörte die Stimmen von einigen Männern und dazwischen das Organ einer Frau. Zitternd vor Erregung lauschte ich auf die Worte. Es war das gewaltsame Verhör der Elena Valdez. Aus ihren Erklärungen ging einwandfrei hervor, daß ihre 104
Zeugenaussagen falsch gewesen waren, und das hätte mir das Genick gebrochen. Nachdem sie bestätigt hatte, mich niemals persönlich gesehen zu haben, war die Aufnahme plötzlich beendet. Unwillkürlich wartete ich auf das Geräusch der Schußdetonationen, durch die das Verhör unterbrochen worden war. Es kam jedoch nicht. Man hatte diesen Teil herausgeschnitten. Der Offizier schaltete ab. „Das wäre es, Mr. Permont. Elena Valdez ist in unserer Gewalt. Wenn Sie auf meine Forderungen nicht eingehen, wird sie zusammen mit der Aufnahme dem FBI übergeben. Man wird ihr die Zunge lösen. Wir werden auch die Beweise liefern können, daß Sie mit Agenten eines europäischen Industriekonzerns in Verbindung gestanden haben. In einem der Werke wird zur Zeit ein neuartiges Kleinsttriebwerk entwickelt, für dessen Konstruktion Sie die Unterlagen geliefert haben. Sie haben damals die Maschine eingeflogen, die mit einem solchen Triebwerk ausgerüstet war, weshalb Sie über die genauen Daten informiert waren. Das Geld stammt also von diesen Agenten. Langt Ihnen das, oder soll ich Ihnen noch mehr erzählen?“ „Es langt“, schnaufte Hannibal, und dann schleuderte er mir einen gehässigen Ausdruck ins Gesicht. Wir spielten ein großes Spiel, und es war, als hätten wir Wort für Wort vorher auswendig gelernt. Ich warf ihm wilde Drohungen an den Kopf, und bewunderte innerlich die hervorragende Maßarbeit der GWA. Der Alte hatte wirklich nichts vergessen. Die Sache mit der Triebwerkentwicklung war phantastisch. Wahrscheinlich hatte er mit allen Machtmitteln dafür gesorgt daß dem europäischen Werk die Konstruktionsunterlagen überlassen worden waren, was im Space-Departement garantiert sehr saure Mienen hervorgerufen hatte. Ich hätte lachen mögen, doch so war ich nur unruhig und zer105
fahren. Ich schwitzte, und dafür brauchte ich mich noch nicht einmal anzustrengen. Meine zitternde Hand konnte kaum die Zigarette halten, und als ich nach knapp einer Minute zu sprechen begann, klang meine Stimme rauh und zerbrochen. „Was wollen Sie also?“ Der Chinese sah auf die Uhr. „Mitchum, gehen Sie hinaus zu Permonts Maschine und rufen Sie über eine Relaisstation das Werk an. Es scheint doch etwas länger zu dauern. Geben Sie durch, Sie würden im Auftrag Ihres Vorgesetzten anrufen. Er wäre zusammen mit Major Bird bemüht, die havarierte Maschine wieder in Ordnung zu bringen. Bitten Sie um Bestätigung.“ Mitchum verschwand mit zwei Asiaten. Der Chef der hiesigen Station lehnte sich zufrieden in seinem drehbaren Sessel zurück. „Wir übersehen so leicht nichts, Mister Permont“, erklärte er sanft. „Man wird nun auf Ihre nächste Meldung warten, und die Suchmaschinen bleiben aus.“ „Ich habe die Lage des Kraters durchgegeben“, fiel Hannibal ein. „Täuschen Sie sich ja nicht, mein Lieber! Es könnte sein, daß unser Sicherheitschef doch erkennt, was hier gespielt wird.“ Der Chinese lächelte sehr mitleidig. „Mr. Bird, Sie mögen ein tüchtiger Pilot sein, aber ein logischer Denker sind Sie nicht. Wir haben Sie natürlich abgehört, und deshalb wissen wir, daß Ihre Positionsangaben mehr als ungenau waren. Ihre Kameraden würden diesen Krater nicht finden. Vorsichtshalber sind Ihre gelandeten Maschinen aber noch vorzüglich getarnt worden. Geben Sie Ihre falschen Hoffnungen auf.“ Hannibal biß sich auf die Lippen, und ich sank noch mehr in mich zusammen. „Schön“, grinste der Kleine kalt. „Dann machen Sie Permont also fertig. Ich sehe ja, daß er jetzt schon reif ist. Erwarten Sie 106
von mir aber nicht, daß ich bei diesem schmutzigen Spiel mitmache.“ „Keine Sorge, wir wollen Sie nicht unnötig belasten. Wenn Sie diese Station verlassen, werden Sie verschiedene Dinge nicht mehr wissen. Auch Permont wird die Existenz des Stützpunktes so weit vergessen, wie ich es für erforderlich halte. Ich kann Sie mit ruhigem Gewissen zurückfliegen lassen. In Ihrem Erinnerungszentrum wird alles gelöscht werden, was nicht zu der eigentlichen Landung und der Hilfeleistung gehört Wenn Sie wieder In Ihrer Maschine sitzen, werden Sie felsenfest der Meinung sein, die vergangene Zeit mit den Reparaturarbeiten an Mitchums Maschine verbracht zu haben. Demnach werden Sie auch nicht wissen, daß Oberst Permont bereit ist, für mich zu arbeiten, zumal er sich hüten wird, Sie nachträglich darüber aufzuklären.“ Der Mann konnte zum Glück nichts von der gefährlichen Gehirnoperation wissen, die man vor einigen Monaten bei mir vorgenommen hatte. Den gleichen Gehirneingriff hatte Hannibal überstehen müssen, und dabei waren wir nur haarscharf am Wahnsinn vorbeigekommen. In meinem Gehirn war eine unscheinbare Nervenfaser durchtrennt worden, doch das bedeutete, daß ich für hypnotische Einflüsse überhaupt nicht mehr empfänglich war. Ich reagierte auch nicht mehr auf Drogen, die einen normalen Menschen zu einem willenlos plappernden Roboter machten. Die durchtrennte Nervenfaser war praktisch eine Leitung gewesen, in die unsere Gehirnchirurgen einen Unterbrecherkontakt eingebaut hatten. Hannibal und ich waren die beiden einzigen GWA-Beamten, die den Eingriff gut überstanden hatten. Als Mitchum zurückkam und meldete, der militärische Chef des Werkes wäre einverstanden und wir sollten uns in einer hal107
ben Stunde wieder melden, war ich angeblich so weit zermürbt, um für die Absichten des Asiaten reif zu sein. Der Chinese stand auf und durchmaß den Raum mit kleinen Schritten. „Professor Holwyn, der wissenschaftliche Leiter des Werkes, hat ein neues Transuran entdeckt, das nach ihm ‚Holwynium’ genannt worden ist. Es ist das 120. Element. Sie haben doch davon gehört, nicht wahr?“ Er sah mich durchdringend an. und ich fühlte, daß es sinnlos gewesen wäre, die Tatsache abzustreiten. „Generaloberst Talbot hat mich über einen mißlungenen Angriff informiert, der einem Tresor gegolten hätte, in dem sich weniger wichtige Unterlagen befanden. Von dem bewußten Transuran hat er aber kein Wort erwähnt.“ Er nickte sinnend. „Logisch. Er hat es nicht für nötig befunden. Sie werden dafür sorgen, daß die Unterlagen über das Herstellungsverfahren in meinen Besitz gelangen. Sie werden im Werk die Unterlagen erhalten, die eine andere Person auf Mikrofilm aufnehmen wird. Diesen Film bringen Sie bei einem Ihrer Überwachungsflüge aus dem Werk. Sie werfen die Stahlkapsel an dem Punkt ab, der Ihnen durch Mitchum mitgeteilt wird. Das wäre alles.“ Er betätigte den Wählkontakt des Sichtsprechgerätes. Als die Bildfläche aufflammte, gab er einige Anweisungen in chinesischer Sprache, die ich fließend beherrschte. Demnach mußte er mit einem Mediziner gesprochen haben. Die „Dusche“ sollte fertiggemacht werden. Ich hatte mich langsam wieder „beruhigt“ und fragte stirnrunzelnd: „Ich kann nicht verstehen, daß Sie auf meine Mitwirkung so großen Wert legen. Sie haben doch schon Mitchum. Er ist Ka108
pitän der ersten Staffel und könnte die gefilmten Unterlagen und Nachrichten ebenfalls aus dem Werk bringen.“ „Eben nicht! Sie sind der Chef, und Sie haben die Einsatzbefehle zu geben. Sie können sich Dinge erlauben, die für einen untergeordneten Captain unmöglich wären. Kommen Sie, Ihre Zeit ist begrenzt.“ Die zwei Asiaten hinter Hannibal ergriffen dessen Arme und bogen sie nach hinten. Der Kleine begann zu toben und trat nach hinten aus, doch das nützte ihm nicht viel. Er wehrte sich wie ein Mann, der niemals eine Spezialschulung auf der GWAAkademie erhalten hatte. Sie führten uns wieder über den Hauptgang, und dann schoben sie uns durch eine andere Tür in einen großen Raum. Es mußte ein OP sein, was aus der medizinischen Einrichtung hervorging. Hannibal wurde gewaltsam auf einen drehbaren Sessel gezerrt und mit zuschnappenden Metallklammern darauf festgehalten. Sein Schädel wurde so fest umspannt, daß er den Kopf nicht mehr bewegen konnte. Leise summend schob sich ein Gerät heran, dessen metallische Glocke über seinen Schädel glitt. Ein schwenkbarer Metallarm glitt nach vorn, und an seinem Ende begann ein kristallähnliches Gebilde zu rotieren. Die Drehbewegung wurde stärker, und dann begann das Ding in buntschillernden Farben zu leuchten. Es wirbelte direkt vor seinen Augen. Vor dem tischhohen Schaltaggregat saß ein älterer Chinese, der aufmerksam verschiedenartige Meßinstrumente studierte. „Er wird alles vergessen. Sein Erinnerungsvermögen wird rasch blockiert sein“, murmelte er. Hannibal konnte nicht wissen, in welcher Weise das Gerät arbeitete. Demnach ahnte er auch nicht, wie sich ein Mensch verhalten mußte, der damit behandelt wurde. Wach bleiben durfte er aber nicht, sonst wäre er zweifellos verraten gewesen. 109
Das Kristall begann, noch intensiver zu leuchten, und ich bemerkte, daß der Mediziner unruhig werdend auf seine Meßinstrumente starrte. Ich gab dem Kleinen ein kaum merkliches Zeichen, und er kapierte. Sein Körper wurde plötzlich starr, und seine Augen wurden es ebenfalls. Die Atemzüge wurden flacher, und alles in ihm schien sich zu versteifen. „Reaktion“, erklärte der Arzt, der nun befriedigt zu sein schien. Demnach hatte Hannibal richtig gehandelt. Er starrte aus leeren Augen auf das Kristall, und Augenblicke später begann der Mediziner in etwas hineinzusprechen, was ein Mikrophon sein mußte. Die metallische Glocke über Hannibals Kopf begann grünlich zu leuchten. Anscheinend wurden die Worte in Impulse umgewandelt, die nun auf sein Gehirn einstrahlten. „Sie sind gelandet, Major Bird. Sie haben eine Funksprechmeldung an das Atomwerk abgesetzt, und jetzt springen Sie zusammen mit Oberst Permont auf die Maschine des Captains Mitchum zu. Sie finden die Strahlmassen-Ansaugleitung zur Turbopumpe von einem kleinen Steinmeteor durchschlagen, und Sie beginnen zusammen mit Permont den Schaden zu reparieren. Es vergeht sehr viel Zelt Mitchum setzt eine neue Nachricht ab. Sie …!“ So sprach der Mediziner zehn Minuten lang, und Hannibal antwortete auf jede direkte Frage mit der mechanischen Stimme eines Roboters. Er hatte alles zu vergessen. In seinem Gehirn sollte etwas verankert werden, was er nicht erlebt hatte. Ich bemerkte, daß der Kleine am Ende seiner Kräfte war. Es mußte qualvoll sein, so starr in die flimmernde Kristallkugel zu blicken, ohne dabei einmal mit den Lidern zu blinzeln. Außerdem hatte er sorgfältig die Anweisungen in sich aufzunehmen, 110
damit er später ja keinen Fehler beging. Er durfte nichts tun, was ihm durch die hypnotische Sperre verboten worden war. Als man ihn „behandelt“ hatte, erhielt er den Suggestivbefehl: „Stehen Sie auf und bleiben Sie ruhig stehen. Sie werden erwachen, wenn Sie vor Mitchums Maschine ankommen.“ Das wurde ihm nochmals eingetrichtert, und er wiederholte monoton. Dann schob sich das Gerät zurück, und Hannibal erhob sich mit steifen Bewegungen. Ungelenk, mit abgezirkelten Schritten, ging er zur Seite und blieb da wie erstarrt stehen. Seine Augen waren weit aufgerissen. „Sehr gut“, lächelte der chinesische Offizier. „Nun Sie, Mr. Permont. Sie werden nur vergessen, was Sie hier gesehen haben. Alles andere bleibt in Ihrer Erinnerung.“ Augenblicke später saß ich ebenfalls auf dem Sessel, und ich gab rascher nach als der Kleine. Ich starrte in die Kristallkugel, und in mir kam ein ganz eigenartiges Gefühl auf. Als die Glocke zu leuchten begann und der Arzt seine Anweisungen murmelte, war mir, als stritten sich in meinem Gehirn zwei verschiedenartige Kräfte um die Macht. Mir wurde etwas übel, doch ich konnte nach wie vor klar denken. Mir wurde suggeriert, der Krater befände sich an einer Stelle, die wenigstens 500 Meilen entfernt war. Ich hörte sogar den bekannten Namen eines anderen Ringgebirges, das tatsächlich auf dieser Position lag. Minuten später standen wir wieder in der Luftschleuse. Mitchum klappte uns die Helme über den Kopf, und er führte uns auch, als wir tapsig und automatenhaft durch die enge und teilweise nachtschwarze Schlucht stolperten. Hinter einem Felsvorsprung, von dem Mitchums Maschine verdeckt wurde, hielten wir an, und ich hörte, wie der Chinese zu Mitchum sagte: 111
„Gehen Sie allein weiter. Die Werkzeuge liegen griffbereit. Drücken Sie Bird eines davon in die Hand. Er wird erwachen, sobald er vor der Maschine steht. Seien Sie ganz unbefangen und tun Sie so, als hätten Sie eifrig mitgeholfen. Der Schaden an der Hauptleitung ist von meinen Leuten beseitigt worden, nachdem wir sie vorher durchschossen haben. Sie brauchen eine eventuelle Kontrolle nicht zu fürchten, da Ihre Bordmittel zur Reparatur ausreichend sind. Achten Sie auf Permont. Wir lassen uns nicht mehr sehen, da das in Birds Fall den Hypnoseblock unwirksam machen würde. Setzen Sie sich sofort mit X-l in Verbindung. Ich muß die Unterlagen schnellstens erhalten. Gehen Sie nun, wir haben schon zuviel Zeit verloren.“ Die Asiaten blieben zurück, und wir schritten mit Mitchum auf die Maschine zu, die plötzlich in unserem Blickfeld auftauchte. Als wir dicht davorstanden, „erwachten“ wir so, wie es sich gehörte. Hannibal spielte seine Rolle vorzüglich. Er hantierte mit dem Schraubenschlüssel herum, als hätte er das die ganze Zeit über getan. Es fiel kein Wort hinsichtlich der wahren Ereignisse, und als ich sagte: „Okay, das wird bis zum Werk halten“, meinte er, daß ich dessen ganz sicher sein könnte. Mitchum schien erleichtert zu sein, auch wenn er an meinen Blicken erkannte, daß ich genau wußte, was eigentlich geschehen war. Das war also ganz programmgemäß, nur mußte ich aufpassen, um keinen Fehler zu machen. „Sie hängen sich an meine Maschine, nicht wahr?“ sagte er eindringlich. Dann ging ich mit Hannibal zu unseren weiter entfernten Jägern zurück. In meiner Maschine angekommen, rief ich das Werk an, und auf der Bildfläche tauchte Talbots Gesicht auf. 112
Ich gab durch, daß es uns in gemeinsamer Arbeit gelungen wäre, Mitchums Maschine wieder flugfähig zu machen und daß ich nun starten würde. Dabei gab ich genau die Position an, die mir „eingetrichtert“ worden war. In dem Augenblick bemerkte ich erst, daß sie mit den Angaben übereinstimmte, die Hannibal bei unserer Landung abgesetzt hatte. Sie waren ungenau gewesen, und das hatte sich der Chinese zunutze gemacht. Ich mußte die präzisen Gedankengange der Asiaten bewundern. Sie hatten nur zwei kleine Fehler gemacht, aber die hatten sie zwangsläufig machen müssen. Woher hätte der Mann auch wissen sollen, daß es zwei Männer gab, deren Gehirn nicht mehr ganz in Ordnung war. Als wir starteten, beschäftigte mich eine neue Frage. Wer war X-l, mit dem sich Mitchum in Verbindung setzen sollte? 9. Kapitel Viereinhalb Stunden später saß ich mit Elis Teefer in unserem kleinen Werkskino. Wir hatten uns „zufällig“ getroffen. „Anweisungen, Sir?“ „Ja“, murmelte ich. „Gehen Sie in Ihr Quartier zurück und rufen Sie TS-19 an. Er soll eine Nachricht an den Chef absetzen.“ „Wortlaut?“ „Sinngemäß folgendes: Ich brauche einen Mikrofilm, der kernphysikalische Unterlagen enthalten muß, die die Herstellung eines Transurans behandeln. Die Sache muß Hand und Fuß haben, damit man nicht auf den ersten Blick erkennt, daß es schließlich doch keine Lösung gibt. Professor Holwyns Unterschrift muß auf einigen Bildern zu sehen sein. Die Filmaufnahmen sollen den Eindruck erwecken, als handelte es sich um Unterlägen über das Element 120. Klar?“ 113
„Verstanden, Sir“, flüsterte sie. „Sie wollen den Film gegen den echten umtauschen?“ „Natürlich. Der Film muß mit der schnellsten Rakete der Mondflotte überbracht werden, was möglichst unauffällig zu geschehen hat. Ich brauche ihn dringend.“ „Ist das alles?“ „Vorläufig ja. Informationen über Captain Mitchum durchgeben. Sein Vorleben soll unter die Lupe genommen werden. Leute überwachen, die mit ihm in Verbindung gestanden haben. Eventuelle Ergebnisse sofort an mich weiterleiten.“ Sie nickte stumm, und damit endete unsere Aussprache. Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis der Filmheld seine strahlende Geliebte in die Arme schloß, und dann wurde es hell. Scherzend verließen wir das Kino, das in dem riesigen Felsdom lag, in dem auch die militärische und wissenschaftliche Verwaltung des Atomwerks untergebracht waren. Ich ging mit Elis in eine kleine Bar, die man in einem unscheinbar wirkenden Fertighaus eingerichtet hatte. Elis wurde begrüßt, und dann wurde ich mit einigen Wissenschaftlern bekannt gemacht. Wir nahmen auf den hohen Hockern Platz. Ich wurde von einer dunkelhaarigen Dame mit Beschlag belegt, die mir als Dr. Samers vorgestellt worden war. Sie hieß „Mary“, und war eine außerordentliche Erscheinung. Ihr volles Gesicht wurde von zwei klugen, nachtschwarzen Augen beherrscht. Wenn sie lächelte, schien es, als musterte sie dabei ihre jeweiligen Gesprächspartner. Mary Samers sah sehr gut aus. Sie schien zu den Frauen zu gehören, die nicht altern. Ich hätte sie für Mitte dreißig gehalten, doch Elis hatte mich darüber aufgeklärt, daß Dr. Samers bereits 45 Jahre alt wäre. Sie war die einzige Dame in der Bar, die sich die Mühe gemacht hatte, ein sehr nettes Abendkleid anzuziehen. 114
Mein musternder Blick schien nicht gerade sehr zurückhaltend zu sein, was ich an der winzigen Falte bemerkte, die auf Elis’ Stirn erschien. Sie saß bei Dr. Bloyers, der für meine Begriffe zu ruhig und zurückhaltend war. Ich unterhielt mich wirklich nett. Dabei versuchte ich, das Gespräch auf die kernphysikalischen Forschungen des hiesigen Arbeitsteams zu bringen, doch Mary Samers reagierte überhaupt nicht. Sie schien die versteckten Fragen einfach zu überhören, und als ich schließlich nach Professor Holwyn fragte, meinte sie freundlich, aber ausweichend: „Oh, Sie kennen ihn noch nicht? Das ist bedauerlich, denn damit haben Sie es versäumt, einem unserer größten Physiker die Hand zu schütteln.“ „Sie sind begeistert von Ihrem Chef?“ Sie nickte nachdenklich und meinte dazu: „Ja, ich bewundere ihn, auch wenn er als Mensch manchmal unerträglich ist.“ Mary Samers und ich unterhielten uns glänzend, was man von Elis und Bloyers nicht behaupten konnte. Mary erzählte von ihrem Chef und wie er sie alle beschäftigte. Wenn Professor Holwyn wirklich solche Forderungen stellte, dann war es nicht verwunderlich, daß das zufällig entdeckte Element unbeachtet in den Bleitresoren ruhte. Trotzdem mußte es hier jemand geben, der herausgefunden hatte, was damit eigentlich los war. Elis blickte auf die elektrische Uhr über der Bar, und Mary war das nicht entgangen. Sie schien sehr scharf zu beobachten. „Mir scheint, Ihre Begleiterin wird ungeduldig“, lächelte sie fein. „Bitte, lassen Sie sich durch mich nicht in Ihren Kavalierspflichten stören. Wir werden uns oft genug sehen.“ Ich warf Elis einen unwilligen Blick zu und zwang mich dann zu einem verlegen wirkenden Lachen. Ich erhob mich mit einer Entschuldigung, und dabei bemerkte 115
ich erstmalig die düsteren Blicke eines jungen Mannes, dessen linkes Bein verkrüppelt war. Er musterte Mary Samers mit verzehrenden Blicken, und nachdem ich den Platz frei gemacht hatte, rückte er sofort näher an sie heran und begann ein Gespräch. Elis verabschiedete sich von Dr. Bloyers. Auf seinem schmalen Gesicht lag ein fahriges Lächeln, und ich hatte das Empfinden, daß er unruhig und nervös sei. „Wer war der junge Mann mit dem verkrüppelten Bein? Er muß nach uns gekommen sein. Er wurde mir nicht vorgestellt.“ „Dr. Worth. Eben mit dem Studium fertig geworden. Die Geschichte mit seinem Bein ist auf einen Unfall zurückzuführen. – Sie haben sich mit Mary Samers intensiv unterhalten, Sir.“ Ich sah sie gereizt an. Auf ihren Lippen lag ein Lächeln, das mir auf die Nerven ging. „Na, und? Haben Sie etwas dagegen?“ Sie warf den Kopf in den Nacken, ging wortlos hinaus und steuerte auf meinen kleinen Dienstwagen zu. Was hatte sie nur gegen Mary Samers? Hatte sie einen Verdacht gegen die interessante Physikerin? Als ich sie danach fragte, begann sie gereizt zu lachen. Wir hielten vor einem kleinen Hauschen, das mir einen recht primitiven Eindruck machte. Es klebte förmlich an der rohen Felswand, und weiter vorn donnerten schwere Maschinen. „Setzen Sie sofort die Funknachricht ab“, knurrte ich sie an. „Es wird Zeit. Mein Dienst beginnt in einer Stunde. Ich schicke Ihnen Bird herüber. Er soll warten, bis die Antwort eingelaufen ist, und mich anschließend sofort informieren. Wir sehen uns morgen in der Messe.“ Sie nickte und wollte gerade aussteigen, als ich es sah. Unwillkürlich umkrampfte ich ihren Arm, daß sie schmerzvoll stöhnte. „Verflucht“, murmelte ich, blaß werdend, und schon zuckte meine Hand zur Dienstwaffe, die offen in der Halfter hing. 116
Sie hatte sofort begriffen, und wir starrten auf das knopfgroße Mikrophon, das jemand dicht unter der Hupe angebracht hatte. Ich beugte mich weiter nach vorn und folgte mit den Blicken dem haarfeinen Draht, der an der Steuersäule entlanglief und unter der Fronthaube verschwand. Darunter befanden sich die Batterien, und da mußte auch der winzige Sender sein, mit dem unser Gespräch abgestrahlt worden war. Sie formte einen Namen, den ich an ihren Lippen ablesen konnte. „Mitchum?“ fragte sie lautlos, doch ich achtete schon gar nicht mehr darauf. Ich hatte die dunkle Mündung einer schweren Maschinenpistole entdeckt, deren Lauf aus dem schmalen Spalt der Tür herausragte. In ihrer Behausung befanden sich ungebetene Eindringlinge, und noch wußte ich nicht, wer sie waren. Eine tiefe Stimme drang zu uns herüber: „Wenn Sie weiterfahren, Permont, werde ich den Finger krumm machen! Kommen Sie ungezwungen herein. Sie auch, Dr. Furow.“ Elis’ Gesicht entspannte sich plötzlich, und auch ich war erleichtert. „Sieh mal einer an! Urban …!“ Als wir die wenigen Schritte auf den Eingang zugingen, glitt die Tür auf, und da bemerkte ich in dem winzigen Vorraum die kräftige, untersetzte Gestalt des hiesigen SicherheitsdienstChefs, der eine handfeste Maschinenpistole auf meinen Bauch richtete. Urbans Gesicht glich einer Maske, und sein Mund war ein schmaler Strich. „Weitergehen“, sagte er eisig und drückte sich dabei an die Kunststoffwand, damit wir vorbei konnten. Wortlos gingen wir voran, und er schloß hinter uns die 117
Schiebetür. Als wir in das quadratische Wohnzimmer traten, bemerkte ich auch Generaloberst Talbot. In seiner Hand glänzte eine 38er Henderley, und die beiden außerdem noch anwesenden Soldaten des Sicherheitsdienstes hatten Maschinenpistolen in den Händen. Sie sprachen keinen Ton, aber Talbots Augen drohten. Als Urban auch die Innentür geschlossen hatte, sagte Talbot schleppend: „Na also, Permont, da sind wir! Lassen Sie sich gesagt sein, daß wir nicht sonderlich überrascht sind. Von Ihnen hatten wir nichts anderes erwartet. Es überrascht mich nur, daß Dr. Furow zu Ihnen gehört.“ Oberst Urban nahm mir mit einer schnellen Bewegung meine Dienstwaffe ab. Ich sah mich schweigend um und entdeckte auf dem kleinen Wohnzimmertisch das Sup-Ultrafunkgerät, mit dem Elis ihre Nachrichten abgesetzt und empfangen hatte. Als ich sie ansah, schaute sie weg. Gleichmütig sagte ich zu ihr: „Sie waren ziemlich unvorsichtig. Doktor! Sagten Sie nicht, das Gerät wäre gut verborgen?“ „Ich habe Mitchums Maschine genauestens untersuchen lassen. Dabei wurde festgestellt, daß die Ansaugleitung nicht von einem Meteor durchschlagen wurde, sondern von einem Stahlkerngeschoß mit Messing-Halbmantel. Die Spuren sind unter den Mikroskopen sichtbar geworden. Oder wollen Sie behaupten, daß sich in einem Meteor Messing befindet?“ Ich nickte anerkennend, und Elis warf dem Sicherheitsbullen ebenfalls einen raschen Blick zu. Ich sah ein, daß ich mich mit dummen Ausreden nicht mehr aus der Schlinge ziehen konnte. Ich hatte jedoch noch eine Frage, die mir sehr am Herzen lag. 118
„Urban, haben Sie das Abhörmikrophon in meinen Wagen einbauen lassen?“ Er deutete auf den Tisch, wo ein kleiner Empfänger stand, der mit einem Bandgerät verbunden war. „Was dachten Sie denn! Wollen Sie die Worte hören, die Sie vor fünf Minuten noch gesprochen haben? Doktor Furow sollte sofort die Funknachricht absetzen, nicht wahr? Major Bird werde ich sofort verhaften lassen. Sie haben seinen Namen erwähnt, also geht er mit Ihnen konform. Es ist sinnlos, zu leugnen, Permont!“ „Oberst Urban, Sie werden Major Bird nicht verhaften lassen, weil ich das nicht wünsche. Es wäre unangebracht, ein solches Aufsehen zu erregen.“ Urban starrte mich an, als hätte er einen Wahnsinnigen vor sich. Talbot staunte mit offenem Mund ob dieser Frechheit, und die beiden Soldaten bekamen rote Köpfe. „Sie – Sie unverschämter …“ stotterte Urban mit blauroten Lippen, und ich schielte besorgt auf seinen Zeigefinger, der mir reichlich nervös erschien. „Darf ich in die Brusttasche meiner Uniform greifen? Ich möchte Ihnen etwas zeigen.“ Als meine Hand nach oben ging, ruckten vier Mündungen nach vorn. Urban zischte: „Permont, wenn Sie einen Trick versuchen, dann …“ Er trat dicht vor mich, und die Mündung war genau auf meinen Bauch gerichtet. Sehr langsam, mit spitzen Fingern, zog ich das strahlungssichere Plastiketui mit meiner GWA-Erkennungsmarke hervor. Urban war ein alter Hase, und so mußte er wissen, daß diese Marken aus einem Element hergestellt wurden, das es nur in geringen Mengen gab. Es war ein auf der Erde vollkommen unbekannter Stoff. der einmal zufällig innerhalb eines kleinen 119
Meteors gefunden worden war, den der Mond eingefangen hatte. Unser Chef hatte das Material beschlagnahmen lassen, und Versuche hatten bewiesen, daß es mit keinem irdischen Hilfsmittel nachahmbar war. Ich hielt das flache Etui in der Hand. „Treten Sie einen Schritt zurück, Urban. Das Element strahlt radioaktiv“, sagte ich ruhig. Schweratmend trat er zurück, und ich ließ den Behälter aufschnappen. Im gleichen Augenblick gleißte und fluoreszierte das blaßrote Licht durch den Kaum. Der unruhig zuckende Schein ging von der kreisrunden Marke aus, auf deren sichtbarer Seite das Symbol der Geheimen Wissenschaftlichen Abwehr eingraviert war. Es war das Atommodell, und darin standen die drei Buchstaben ZBV – zur besonderen Verwendung. Das blaßrote Leuchten irrlichterte durch den kleinen Raum. Urbans Gesicht wurde davon seltsam angestrahlt. Er sank förmlich in sich zusammen. „Pech gehabt, Urban“, sagte ich. „Ich bin Captain HC-9, Spezialagent der GWA, abgestellt zur Aufklärung bestimmter Vorkommnisse, die den Überfall auf das Werk betreffen. Das von Ihnen gefundene Funkgerät ist eine Spezialentwicklung der GWA. Sie haben die falschen Leute erwischt, und ich will nur hoffen, daß Sie den Mund gehalten haben.“ Ich klappte das Etui wieder zu, und dann stand ich vor einem Mann, der zusammengesunken auf einem Sessel saß. Seine MP lag auf dem Boden, und niemand traf Anstalten, sie aufzuheben. „Das hat mir noch gefehlt“, flüsterte Generaloberst Talbot, dessen Pistole in seiner herabhängenden Hand baumelte. „Das hat mir noch gefehlt.“ Die beiden Soldaten machten große Augen. 120
„Beruhigen Sie sich, Urban, wir können Ihnen weiß Gott keine Vorwürfe machen. Sie haben mustergültig gehandelt, auch wenn Sie uns damit beinahe verraten hätten. Ich habe schon Verbindung mit dem Chef einer asiatischen Geheimstation aufnehmen können. Major Bird gehört zu meinen Mitarbeitern, Doktor Furow ebenfalls. Sehen Sie sich ihre Marken an. Sie wissen doch, daß man sie nicht nachahmen kann, nicht wahr?“ „Ja – jawohl, Sir, ich kenne sie“, sagte er gebrochen. „Haben Sie schon den Befehl zu Birds Verhaftung gegeben?“ „Nein, noch nicht. Ich wollte erst Sie fassen.“ Ich atmete erleichtert auf, und da merkte ich erst, daß mir die Schweißtropfen auf der Stirn standen. „Gott sei Dank“, hauchte Elis. Talbot reichte mir seine knochige Rechte. „Okay, das konnten wir nicht wissen. Sie sind hier mit einem üblen Leumund angekommen. Ich sehe nun ein, daß es zu Ihrem Plan gehörte. Ich kann Ihnen jedoch versichern, Captain, daß Sie sich felsenfest auf uns verlassen können. Es ist noch niemand informiert worden, da ich die Angelegenheit als eine persönliche Sache aufgefaßt habe.“ Ich sah zu den beiden Soldaten hinüber, und da warf Urban rasch ein: „Keine Sorge, Sir, auf die Männer kann ich mich verlassen. Ich richte mich natürlich ganz nach Ihren Anweisungen. Sie erhalten jede nur denkbare Unterstützung.“ „Vor allem schweigen, Urban! Sie, General, müssen bei nächster Gelegenheit einige anerkennende Worte über Oberst Permont fallen lassen. Es hat Sie beeindruckt, wie umsichtig der Mann bei der Notlandung vorgegangen ist. Ihr freundliches Verhalten mir gegenüber muß nach außen hin begründet werden.“ 121
„Ich verstehe“, sagte Talbot mit wachsamen Augen. „Wie war das übrigens mit der Landung?“ Ich berichtete kurz. „Meine Kollegin wird nun den Spruch absetzen, der von einem Verbindungsmann weitergegeben wird. Spätestens übermorgen dürfte die Schnellrakete mit dem Film ankommen. Bis dahin muß ich Mitchum hinhalten. Sorgen Sie dafür, Urban, daß mir der Film sofort übermittelt wird. Am besten von Ihnen selbst. Ich werde durchgeben, daß ich Sie einweihen mußte dann wird sich der Bote aus dem GWA-Hauptquartier an Sie wenden.“ „Danke, Sir“, strahlte Urban, und von da an war er wieder sehr lebendig. „Soll ich Mitchum überwachen lassen?“ Er blickte zu den beiden Soldaten hinüber, die mich fiebernd vor Erregung ansahen. Innerlich hoffte ich, daß die Leute wirklich in Ordnung waren. „Um Himmels willen nicht, der Bursche würde das sofort bemerken. Wir werden auch so herausfinden, von wem er die Unterlagen über das Element erhält. Es kann sich ja nur um einen Wissenschaftler handeln.“ „Soll Professor Holwyn das Zeug nochmals näher unter die Lupe nehmen?“ fragte Talbot. „Auf keinen Fall. Das würde auffallen.“ Talbot nickte, und ich fuhr fort: „Meine Kollegin muß ab morgen krank geschrieben werden, damit sie immer in ihrer Wohnung bleiben kann. Veranlassen Sie das, aber vorsichtig.“ „Okay, wird erledigt.“ „Gut. Sie dient als Verbindungsmann zwischen uns. Über meinen GWA-Kleinsender kann ich sie jederzeit erreichen, und sie kann Ihnen jederzeit die Nachrichten geben. Wenn Sie jetzt gehen, achten Sie unbedingt darauf, daß Sie nicht bemerkt werden. Ich verschwinde zuerst, Sie in größeren Abständen. Es 122
könnte sein, daß wir beobachtet werden. Erfinden Sie vorsichtshalber eine gute Ausrede, was Sie hier gewollt hatten. Meine Ankunft ist jedenfalls nicht bemerkt worden.“ In der Tür drehte ich mich noch einmal um. „Urban, Ihre Mitarbeit ist sehr wertvoll, doch müssen Sie nach der Erledigung des Falles mit mir ins Hauptquartier der GWA kommen. Das trifft auch für Generaloberst Talbot und Ihre beiden Männer zu.“ „Sie wollen nicht, daß wir uns an Ihre Gesichter erinnern, nicht wahr?“ „Die GWA-Agenten müssen nun einmal unerkannt bleiben. Sie aber haben mich gezwungen, meine GWA-Legitimation zu zeigen.“ 10. Kapitel „Sind wir ungestört?“ fragte Mitchum leise und überflog prüfend die Bildgeräte auf meinem Schreibtisch. „Fangen Sie nicht an zu spinnen, Mann“, brummte ich ihn mißmutig an. „Was gibt es? Ist es soweit?“ Er nickte und fischte einen Zettel aus der Tasche, den er anscheinend eben erst beschrieben hatte. „Nachrichten über den Abwurfort“, nuschelte er leise „Hier, sehen Sie sich die Daten an und verbrennen Sie dann den Zettel in meiner Gegenwart.“ „Geben Sie ja nicht so an, Mitchum. Noch sind Sie mein Untergebener.“ Er zuckte nichtsahnend die Schultern, und ich sah aufmerksam auf die Daten. „Über dem Silber-Krater?“ murmelte ich. „Wo ist das? Zeigen Sie es mir auf der Karte.“ Er trat an die große Wandkarte, auf der die markantesten Gebirge und Krater der hinteren Kugelhälfte plastisch aufgeführt 123
waren. Der Silber-Krater war sehr groß, und sein Ringgebirge mochte höher als 3000 Meter sein. Es lag dicht unter dem Nordpol und war verhältnismäßig leicht zu finden. Das Gebiet war dort öde und leer. Dort gab es noch nicht einmal einen kleinen Vorposten. Ich nahm den Zettel und hielt die Flamme meines Feuerzeugs daran. „Okay“, nickte er befriedigt. „Ab heute wird dort immer jemand sein und auf Ihre Maschine warten. Sie erhalten in einigen Stunden den Behälter mit dem Film.“ „Haben Sie ihn schon?“ Er verneinte. „Ich werde ihn holen. Sorgen Sie dafür, daß für morgen ein Kontrollflug zum Pol angesetzt wird. Wenn möglich, nur mit einer Kette. Drei Maschinen langen. Nehmen Sie mich und den jungen Beiwar mit.“ „Warum? Gehört er zu uns?“ „Nein, aber er ist ein Schafskopf. Ich lenke ihn ab und Sie überfliegen im Tiefflug den Krater. Werfen Sie den Behälter einfach ab. Er wird schon gefunden werden. Das ist alles.“ Er blickte sich nochmals prüfend um. Als er gerade gehen wollte, summte das Bildsprechgerät, und ich drückte auf die Taste. Auf dem Schirm erschien Oberst Urban, unser Sicherheitsbulle. Mitchum verfärbte sich, und dann wich er hastig in eine Ecke zurück, wo er von der Aufnahmeoptik nicht erfaßt werden konnte. Ich lachte in mich hinein und lauschte auf Urbans Stimme, die so polterig wie immer klang. Er war vorsichtig und machte keine überflüssige Bemerkung. „Permont, als Sie unterwegs waren, ist ein Kurier aus Wa124
shington angekommen. Es sind Befehle für Sie dabei. Es scheinen wichtige Transporte bevorzustehen, die Sie unter Ihre Fittiche nehmen sollen. Können Sie gleich mal ’rüberkommen?“ „Okay, ich bin in einer Viertelstunde da“, gab ich gleichmütig zurück, und schon schaltete Urban ab. Mitchum war in Schweiß gebadet. „Was haben Sie denn, mein Lieber? Regt Urban Sie so auf?“ „Der Kerl ist gefährlicher, als er aussieht. Im ganzen Werk hat er Posten aufgestellt, und man kann bald keinen Schritt mehr tun, ohne von einem Sicherheitsbullen gesehen zu werden. Das paßt mir nicht.“ „Mir auch nicht. Die Maßnahmen haben Sie sich aber selbst zuzuschreiben, denn wenn Sie nicht ein dreistöckiges Rindvieh wären, hätten Sie sich sagen müssen, daß ein gewaltsamer Einbruch ins Werk niemals gelingen kann. Das hatten Sie doch veranlaßt, nicht wahr?“ „Was heißt hier veranlaßt“, zischte er wütend. „Ich erhalte ja schließlich auch Befehle. Ich hatte nur dafür gesorgt, daß die Raumstreife nicht da war, als man hier eindringen wollte. Daraus ersehen Sie wieder, daß Urban gefährlich ist. Er hat sehr hart zugeschlagen.“ „Dafür haben Sie den angesengten Mongolen unschädlich gemacht, ehe er aussagen konnte“, lachte ich freudlos. „Woher hatten Sie eigentlich die Säure, die Sie bei einem Besuch in das Ölbad des Verwundeten schütteten? Der Mongole muß ganz schön was ausgestanden haben. Kein Wunder, daß er nicht mehr zu retten war.“ „Woher wissen Sie das?“ fragte er, leichenblaß. „Von einem Arzt der Werkklinik, den ich in der Bar gesprochen habe.“ „Hat der gesagt, daß ich die Säure in das Ölbad geschüttet habe?“ 125
„Sie sind blöder, als Sie aussehen, Mitchum. Natürlich nicht, aber ich kann ja schließlich denken. Verschwinden Sie jetzt, ich muß zu Urban.“ Angewidert sah ich dem Burschen nach, der noch keine Ahnung hatte, wie nahe er seinem Ende war. Fünfzehn Minuten später betrat ich das langgestreckte Fertiggebäude, in dem Urban sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. In seinem Dienstzimmer saß ein jüngerer Mann in der Uniform der Raumabwehr. Als sich die Tür schloß, erkannte ich noch die beiden eingeweihten Soldaten, die mit schußbereiten Maschinenwaffen Wache schoben. Der junge Leutnant drückte mir die Hand und stellte sich dann als Sonderbeauftragter des GWA-Hauptquartiers vor. Ich ließ mir seine Marke zeigen, die in Ordnung war. „Vorerst Grüße vom Alten, Sir“, lachte er. „Es war ziemlich überrascht, als Ihre Nachrichten ankamen, und dann hat er den wissenschaftlichen Stab der GWA in Aufruhr gebracht. Hier ist der Film, Sir.“ Er drückte mir eine kleine Kunststoffschachtel in die Hand, in der der aufgespulte Mikrofilm lag. „Ist das Ding gut?“ „Ausgezeichnet, Sir! Die Fälschung ist selbst für einen hervorragenden Physiker schwer zu erkennen. Hier auf dem Mond sind die Angaben überhaupt nicht nachprüfbar. Wenn der Film aber wirklich nach Asien kommt, dann wird wahrscheinlich ein physikalisches Labor in die Luft fliegen, wenn die Leute schon der Meinung sind, sie wären dicht vorm Ziel.“ Oberst Urban grinste wohlgefällig. „In Ordnung! – Was machen die Experimente mit dem neuen Element? Hat man endlich entdeckt, wofür das Zeug gut sein soll?“ „Es ist wie verhext, Sir. Unsere Physiker sehen sich nur rat126
los an. Für medizinische Zwecke ist es brauchbar, aber das scheint auch alles zu sein. Wir sind allerdings noch nicht am Ende der Versuchsreihen.“ Ich biß mir auf die Lippen, und Urban zuckte ratlos mit den massigen Schultern. „Hier sind übrigens Ihre Befehle aus dem Space-Departement“, lächelte mein Kollege. „Der Chef war der Meinung, daß ein angeblicher Kurier auch Befehle in der Tasche haben müßte. Sie können Sie ruhig über den hiesigen Dienstweg laufen lassen, damit man auch sieht, was Sie erhalten haben.“ „Ihr versteht es aber“, staunte Urban. Ich informierte beide Männer über die Lage des Kraters, und mein Kollege prägte sich die Informationen ein. Als ich mich verabschiedete, sagte er: „Viel Glück, Sir. Ich fliege heute noch zurück. Übrigens, der AS-Agent auf Raumstation Terra II ist inzwischen erkannt worden. Sie wissen doch … der Mann, der auf den Helm des chinesischen Physikers schoß. Wir haben ihn noch nicht verhaftet. Aber Unheil kann er nicht mehr anrichten.“ Sehr nachdenklich verließ ich das Gebäude und fuhr mit dem Elektrowagen zu meiner Dienststelle zurück. Als ich mein Büro betrat, war Hannibal da. „Wo ist Mitchum?“ fragte ich. „Vor zehn Minuten verschwunden.“ „So, verschwunden! Das heißt also, daß er jetzt zu den Leuten geht, von denen er den Film erhalten soll. Hoffentlich ist Urban auf Draht. Wir können den Burschen nicht beobachten. Ich muß wissen, mit wem er zusammenkommt.“ „Der allgemeinen Überwachung dürfte er schwerlich entkommen“, nuschelte Hannibal, der schon auf der Jagd nach meiner Whiskyflasche war. „Besonders die physikalischen Abteilungen sind seit gestern mit kleinen Aufnahmegeräten verse127
hen worden. Die Zugänge übrigens auch. Irgendwo muß er auftauchen. Wenn ihn Urban einmal auf dem Bildschirm hat, kann er ihn leicht weiterverfolgen.“ „Abwarten! Ich traue der Sache noch nicht.“ 11. Kapitel Hannibal hatte ich zu Urban geschickt, weil ich einen zuverlässigen Mann im Hauptquartier haben wollte. Im Koppel meiner Uniform steckte mein winziger Sup-Ultrasender, den ich speziell für dieses außerirdische Unternehmen erhalten hatte. Die Antenne war in den Kunststoffgürtel eingearbeitet, an dem ich auch meine Dienstwaffe trug. Das Magazin war gefüllt mit den wirkungsvollen Thermonital-Geschossen, doch ich hatte auch normale Geschosse dabei. Meine GWA-Thero-Rak-Automatik konnte ich nicht tragen, weil ich nicht wußte, ob ich mit der Bande nochmals in nähere Berührung käme. In dem Fall wäre die Spezialwaffe verräterisch gewesen. Seit zehn Minuten befand ich mich auf dem Weg zu Elis Teefer. Ihre Unterkunft lag in der Nähe der physikalischen Labors, und von dort aus waren auch die Riesensäle zu erreichen, in denen die elektronischen Rechenmaschinen und KernpartikelBeschleunigungsgeräte aufgebaut waren. Dieser Teil der lunaren Anlagen war strengstens abgeriegelt. Nur Wissenschaftler und Sicherheitsdienst-Soldaten durften dort hinein, denn dort wurde ausgebrütet, was die ganze Welt aus den Angeln heben konnte. Ich wußte, daß Mitchum als Offizier der Raumjäger keinesfalls das eigentliche Werk betreten konnte. Demnach mußte er seinen Verbindungsmann draußen treffen, und das war ein verhältnismäßig kleiner Sektor. Der Betreffende mußte ein Wissenschaftler sein, sonst wäre er niemals in das Werk hineingekommen. 128
Deshalb wollte ich bei Elis in Bereitschaft sitzen, und Hannibal hielt die Stellung bei Urban. Nach menschlichem Ermessen mußten wir heute erfahren, wer der langgesuchte Agent war. Mitchum war nervös und zerfahren. Der Bursche fühlte sich nicht mehr wohl in seiner Haut, zumal ich ihm mit meinen Bemerkungen über den Mord noch zugesetzt hatte. Wenn der wissenschaftliche Agent heute noch nicht gefaßt werden konnte, so wollte ich den Transportflug ausführen und die Kapsel über dem Krater abwerfen. Dafür hatte ich schließlich den Ersatzfilm kommen lassen. Besser wäre es natürlich gewesen, wenn wir den Hauptagenten schon heute hätten fassen können. Als ich vor Elis’ Fertighaus anhielt, öffnete sie mir persönlich die Tür. Sie trug ein bequemes Hauskleid, in dem sie bezaubernd aussah. Aber sie schien schlechte Laune zu haben. „So teure Kleider wie eine gutverdienende Wissenschaftlerin kann ich mir natürlich nicht leisten, Sir.“ Ich tat, als hätte ich nichts gehört. „Hat Urban schon angerufen?“ knurrte ich. „Er weiß, daß ich hier warte.“ „Noch nicht, Sir“, entgegnete sie reserviert und dienstlich. „Anscheinend ist Mitchum noch unterwegs.“ Kaum hatte sie das ausgesprochen, da summte das Bildsprechgerät. Auf der Bildfläche erschien Hannibals Runzelgesicht. „Wir haben ihn“, sagte er einfach. „Blöder hätte sich der Kerl wirklich nicht anstellen können. Er ist durch die Gänge geschlichen wie ein Gruseldetektiv. An jeder Ecke hat er sich vorsichtig umgesehen. Jetzt sitzt er in einer Dienstkarre und fährt auf seine Behausung zu, die er mit Captain Olson teilt.“ Ich atmete befreit auf. 129
„Gut, sehr gut! Von wem hat er den Film bekommen?“ „Von Doktor Worth, dem Physiker mit dem verkrüppelten Bein.“ In dem Augenblick wurde ich ganz ruhig, zumal ich innerlich damit beschäftigt war, einem anderen Wissenschaftler Abbitte zu leisten. Ich war beinahe davon überzeugt gewesen, daß der zurückhaltende Dr. Bloyers der Spion sei. Sein unauffälliges Gebaren hatte ich für eine Maske gehalten. „Anweisungen?“ kam Hannibals Stimme aus dem Lautsprecher. „Urban fiebert schon.“ „Er soll mit den beiden eingeweihten Soldaten hierherkommen. Du auch. Ihr müßt hier ohnehin vorbei. Macht es unauffällig. Drei Mann sollen Mitchum beschatten. Das wäre alles.“ Ich schaltete ab, und Elis meinte: „Ein ziemlich unromantisches Ende, nicht wahr?“ „Glauben Sie ernstlich, ein junger Anfänger wie Worth wäre fähig, ein Geheimnis zu lüften, über das sich unsere besten Kernphysiker seit vielen Tagen den Schädel zerbrechen? Physiker, die über die modernsten Hilfsmittel verfügen?“ Elis stutzte, und dann wurde sie plötzlich sehr unruhig. Hatte sie eine Vermutung? * Wir jagten mit zwei Wagen durch die Gänge, die hier schon sehr eng und kaum geglättet waren. Worth wohnte in einem Teil der Anlagen, die erst vor kurzer Zeit eingerichtet worden waren. Urban stoppte an dem unteren Ende des Verbindungsganges, und ich an dem oberen. Dann gingen wir langsam an den Reihen der kleinen Fertighäuser entlang, bis vor uns der Bau mit der Nummer 314 auftauchte. Das war die Behausung jenes Dr. Worth, bei dem Mitchum vorher aufgetaucht war. 130
Ich klingelte und tastete nach meiner Waffe, obwohl ich sicher war, sie nicht gebrauchen zu müssen. Augenblicke später glitt die Tür auf, und als mich Worth sah, bekam er verwunderte Augen. Wahrscheinlich wußte er nicht, daß ich der eigentliche Überbringer seines Filmes sein sollte. „Was wünschen Sie?“ sagte er feindselig. „Ich habe keine Zeit. Mein Dienst beginnt in einer halben Stunde.“ „Meiner hat schon begonnen, Doktor“, lächelte ich freundlich, und dann schob ich ihn in den Vorraum zurück und von dort aus in das anschließende Wohnzimmer. Worth wollte aufbrausen, doch als er hinter mir Oberst Urban sah, wurde er leichenblaß. In seinen dunklen Augen glomm ein gehetzter Ausdruck auf, und den Augenblick benutzte ich. „Sie sind verhaftet, Doktor. Sie hätten den Mikrofilm nicht so leichtfertig aus der Hand geben sollen. Captain Mitchum hat Sie belastet, um seine eigene Haut zu retten. Warum haben Sie den Mongolen ermordet, als er bei dem Überfall auf das Werk gefaßt wurde? Mitchum schwört, daß Sie den Verwundeten …“ „Sie sind ja wahnsinnig“, unterbrach er mich schreiend. „Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden. Was wollen Sie mit dem Mongolen! Ich habe damit gar nichts zu tun! Ich …!“ „Interessiert mich nicht“, fiel Urban ein, der ebenfalls auf meine Überrumpelungstaktik einging. „Wir haben bei Captain Mitchum einen Mikrofilm gefunden, und er hat unter Zeugen ausgesagt, daß er ihn von Ihnen erhalten hat. Er behauptet ebenfalls, daß Sie den Gefangenen ermordet haben. Das bringt Sie in die Hinrichtungskammer, Dr. Worth.“ Er erkannte zweifellos, daß er verloren war, zumal er gar keinen Grand hatte, anzunehmen, daß Mitchum nicht gefaßt worden wäre. Die Übergabe des Filmes war dafür noch zu frisch in seiner Erinnerung. Als ihm Urban die Handschellen anlegte, begann der 131
schmächtige Mann so zu toben, daß wir ihn kaum bändigen konnten. Er bestritt, den Mord begangen zu haben. Er wüßte nicht, wer es getan hätte. Ich nahm ihn so scharf heran, daß er nach drei Minuten die Übergabe des Films gestand. Er wußte auch, welche Unterlagen darauf festgehalten worden waren. Dann fragte ich scharf: „Was wissen Sie über das neue Transuran mit der Ordnungszahl 120? Warum sind Ihre Auftraggeber so daran interessiert, die Unterlagen zu erhalten? Warum?“ Er schaute mich betroffen an. War es möglich, daß auch Worth nur als Zwischenträger fungierte? „Von wem haben Sie den Film erhalten?“ herrschte ich ihn an. Er biß die Zähne aufeinander, daß es knirschte. „Verhören Sie ihn unter der Einwirkung von Ralowgaltin, Sir, oder Sie verlieren kostbare Zeit“, schlug Elis vor. Ich wollte eben an das Bildsprechgerät springen, als das tragbare Gerät zu summen begann, das einer der Soldaten über der Schulter hatte. Die Stimme Talbots schien erregt. „Urban, Sie müssen sofort zur Bleikammer. Dort ist ein Wissenschaftler ermordet worden. Ich erhielt eben die Nachricht.“ „Wer ist es?“ „Professor Kunnings, der Chef der Radio-Biologischen Abteilung. Wir dachten, es wäre Holwyn, denn Kunnings trägt den Strahlschutzanzug, der eigentlich dem Chefphysiker gehört. Es sieht mir ganz danach aus, als wäre dem Mörder ein Versehen unterlaufen, denn auf den schweren Anzügen sind die Namen aufgemalt, damit man die Leute unter der plumpen Verkleidung erkennen kann. Kümmern Sie sich darum.“ Augenblicke später saßen wir in den Wagen und rasten durch 132
die schweren Panzerpforten des eigentlichen Atomwerks hindurch. Urban hatte mir eine Armbinde des Sicherheitsdienstes gegeben, und so wunderte sich niemand, daß da ein Oberst der Raumabwehr dabei war. Wir jagten durch breite, gut ausgebaute Gänge. Wir kamen an riesigen Labors und Versuchsanlagen vorbei, und dann stoppten wir vor einem Felsdom, in dem unser gigantisches Super-Bevatron aufgebaut war. Auf den Gängen standen verstörte Wissenschaftler in erregter Unterhaltung. Nur Dr. Bloyers konnte ich nicht sehen. Neben dem Saal mit dem Bevatron lag eine große Felsnische, die schwere Bleitüren aufwies. In der Kammer wurden radioaktive Isotope aufbewahrt. Dicht vor der vorderen Tür lag ein Mensch auf dem Boden. Es mußte ein kleiner, unscheinbar wirkender Mann sein, was ich trotz des grauweißen Strahlschutz-Anzuges erkennen konnte, der den ganzen Körper verhüllte. Der Tote lag so, daß ich seinen Rücken erkennen konnte, auf diesem Teil der Schutzkleidung stand in schwarzen Buchstaben: „Prof. Dr. Holwyn.“ Die Männer traten zurück, als ich mich zusammen mit Urban und Hannibal über die Leiche beugte. Einer der Männer sagte halblaut: „Wir haben ihn aus der Bleikammer herausgeschafft, Sir, damit Sie ihn gefahrlos untersuchen können.“ Ich sah in die gebrochenen Augen eines älteren Mannes. Der Schutzanzug war von zwei Explosivgeschossen durchschlagen worden, die dann in seinem Körper detoniert waren. Langsam richtete ich mich wieder auf und ging auf die Bleitüren zu. „Hat der Raum noch einen anderen Zugang?“ fragte ich den 133
Leutnant, der uns eben gesagt hatte, er hätte die Leiche herausschaffen lassen. Er sah verwundert auf meine Armbinde, erteilte dann aber Auskunft. „Jawohl, Sir, noch einen. Er führt direkt in den großen Saal, in dem das Bevatron aufgestellt ist. Von dort aus ist Professor Kunnings auch erschossen worden, was aus seiner Lage hervorging. Er muß vor einem der Regale gestanden haben. Den Rücken hatte er dem anderen Eingang zugedreht. Ich habe das fotografisch festhalten lassen.“ Ich kam auf einen Gedanken. Ich rannte auf die Schiebetür zu, an der der Name des Chefphysikers stand. Rücksichtslos riß ich sie auf. Ich kam durch ein kleines Vorzimmer, in dem normalerweise ein Assistent saß. Urban und Hannibal folgten mir. Hinter uns kamen einige Männer vom Sicherheitsdienst. Ich riß die zweite Tür auf, und da erblickte ich einen weißhaarigen Mann, der seelenruhig vor einer elektronischen Rechenmaschine stand und anscheinend so in ein Problem vertieft war, daß er noch nicht einmal unseren geräuschvollen Eintritt bemerkt hatte. Er wandte nicht einmal den Kopf, als Hannibal laut sagte: „Er hat genau die Körpergröße und die Figur des Ermordeten.“ „Wollen Sie damit sagen, daß die Schüsse eigentlich Professor Holwyn gegolten hätten?“ fragte Urban erregt und leichenblaß. „Genau das denke ich“, knurrte ich ihn an, und dann rüttelte ich Holwyn an der Schulter. Der Gelehrte zuckte zusammen, und sein Kopf fuhr herum. Eine Sekunde lang starrte er mich geistesabwesend an, und dann traf mich ein Blick, den ich nie im Leben vergessen werde. 134
„Was fällt Ihnen ein!“ schrie er mich zornrot an. „Hinaus, sofort hinaus! Was suchen Sie hier überhaupt! Wie können Sie es wagen, mich zu stören! Hinaus, aber schnell!“ Der kleine Mann tobte. Im nächsten Augenblick hatte ich die schwache Faust des Wissenschaftlers im Magen. Noch lauter schrie er: „Sie sollen sich aus meinem Studierzimmer scheren, Sie Rüpel! Was wollen Sie hier?“ Ein wutzitternder Holwyn sah sich nach einem werfbaren Gegenstand um. Er wurde erst vernünftig, als ich ihm ins Ohr brüllte: „Ihr Kollege, Professor Kunnings, ist ermordet worden! Verstehen Sie doch …, er ist erschossen worden.“ Von da an bewies er, daß er auch außerhalb seiner Formeln denken konnte. „Was sagen Sie da?“ fragte er stirnrunzelnd und immer noch zornrot. „Ermordet worden?“ „Er trug Ihren Strahlschutzanzug.“ „Ach ja, er hat mich ja gefragt, ob er meinen Anzug benutzen dürfte“, meinte Holwyn plötzlich, und die Erinnerung an diesen lächerlichen, ganz alltäglichen Vorfall schien ihm schwerzufallen. Der Mann lebte tatsächlich in einer anderen Welt. Nun glaubte ich gern Urbans Worten, wonach Holwyn die Vergeßlichkeit in Person wäre. „Sein Bleiglas war nämlich zertrümmert, wissen Sie“, nickte er, und sein eingefallenes Gesicht verfärbte sich plötzlich. Jetzt erst hatte er den Sinn meiner Worte erfaßt. „Das … das ist ja furchtbar“, stammelte er. „Ich möchte von Ihnen erfahren, ob jemand außer Ihnen gewußt hat, daß Professor Kunnings Ihren Schutzanzug ausgeliehen hat.“ Es sah mich verwirrt an und murmelte dann: 135
„Ja … warten Sie – nein, ich glaube nicht. Er hatte mich gerade erst angerufen und um die Erlaubnis gebeten. Ja – das ist noch nicht lange her, vielleicht eine Stunde.“ „Also konnte praktisch niemand wissen, daß er Ihren Anzug überstreifte und damit die Bleikammer betrat. Professor Holwyn, das bedeutet, daß es der Mörder auf Sie abgesehen hatte! Er hat den falschen Mann erschossen, weil er auf dessen Schutzanzug Ihren Namen leuchten sah.“ „Aber – aber ich verstehe nicht. Warum sollte ich denn erschossen werden?“ „Professor“, beschwor ich ihn, „Sie wollen doch sicher nicht, daß dieses scheußliche Verbrechen ungesühnt bleibt. Sie haben vor einigen Monaten ein neues Transuran gefunden, das man nach Ihnen ‚Holwynium’ genannt hat. Es hat die Ordnungszahl 120 erhalten.“ „Richtig! Aber – aber … Ich habe das Element ganz zufällig entdeckt und hatte keine Zeit, mich näher damit zu beschäftigen. Es ist ganz bedeutungsvoll. Hat man den Kernverschmelzungsprozeß nach den angegebenen Daten einleiten können?“ Seine Augen glänzten freudig. Wir alle standen wie vom Donner gerührt. „Was – was haben Sie da gesagt? Was hat das Zeug mit einem Verschmelzungsprozeß leichter Atomkerne zu tun?“ Er zwinkerte mit den Augen und nahm die altmodische Brille ab. „Ah – Sie sind Kollege? Nun, wissen Sie nicht, daß dieses Transuran praktisch als Katalysator dienen kann? Ihnen ist natürlich bekannt, daß die Energiegewinnung aus Kernspaltungsprozessen bereits veraltet ist. Wir sollten bestrebt sein, ein Verfahren zu finden, das die ungeheuerlichen Energien der Kernverschmelzung ausbeutet. Bei der Wasserstoffbombe wird der 136
Prozeß durch die hohen Temperaturen einer als Zünder dienenden Uranbombe eingeleitet, was natürlich für die friedliche Energiegewinnung ein Unding ist. Ich …“ „Das neue Element, Professor“, drängte ich. „Ja, ich bin dabei. Sahen Sie, es ist möglich, einen Reaktionsprozeß leichter Deuteriumkerne herbeizuführen, der nicht von sehr hohen Zündungstemperaturen abhängig ist. Sie müssen My-Mesonen erzeugen und sie an Stelle des Elektrons in schwere Wasserstoffatome einbauen. Es entstehen also sogenannte mesische Atome. Die Deuteriumkerne werden dann nicht von Elektronen, sondern von Mesonen umkreist. Das bedeutet viel, denn in einem solchen Atom ist der Halbmesser des My-Mesons – das bekanntlich den Kern umkreist – nur gleich dem 215ten Teil vom Radius einer Elektronenbahn. Das bedingt, daß die Atomkerne in einem mesischen Wasserstoffmolekül ebenfalls 215mal so nahe zusammenstehen wie im normalen Molekülverband. Die Folgerung lautet, daß es im mesischen Atomverband eine weitaus geringere Abneigung gibt, die sonst bei der Verschmelzung von Protonen und Neutronen zu Heliumkernen so hinderlich ist. Der elektrische Potentialwall ist kleiner, verstehen Sie! Deshalb ist es bei mesischen Atomen gelungen, eine sogenannte ‚kalte’ Kernverschmelzung einzuleiten, was mit knapp 5000 Hitzegraden gelungen. ist Beim normalen Atom benötigen Sie dazu etwa zwei Millionen Grad.“ „Und was hat das neue Transuran mit My-Mesonen zu tun?“ „My-Mesonen sind unstabil. Sie haben nur eine Lebensdauer von rund 2,15 Millionstel-Sekunden! Sie eignen sich zwar gut zur kalten Kernverschmelzung, aber man müßte sie laufend unter einem erheblichen Energieaufwand produzieren, wozu ein Bevatron notwendig wäre. Das neue Transuran zerfällt teilweise in Elementarteilchen, die ich mit ‚stabilen Mesonen“ identifizieren möchte. Sie dienen als vorzüglicher Katalysator und er137
halten einen Verschmelzungsprozeß aufrecht. Das bedeutet, daß wir von nun an die unerschöpflichen Kräfte der WasserstoffHelium-Energie zur Verfügung haben. Sie können auf das alte Uranium verzichten. Wie sind denn die Versuchsergebnisse ausgefallen, wenn ich fragen darf?“ „Wir haben bisher noch nichts von den Eigenschaften des Holwynium geahnt, Professor. Seit Wochen zerbrechen wir uns die Köpfe, wozu es gut sein könnte. Wir dachten, Sie wüßten es auch nicht, da unsere Anfrage negativ beantwortet wurde.“ Der kleine Mann staunte verblüfft. „Was – das haben Sie nicht gewußt? Aber ich hatte doch Auftrag gegeben, meine vorläufigen Erkenntnisse zu verfolgen und die fertige Entwicklung nach Washington zu geben.“ Jetzt standen wir vor der Lösung. „Damit sind wir bei meiner letzten Frage angekommen, Professor! Wen haben Sie beauftragt? Diese Person ist es auch die Ihren Kollegen erschossen hat! Sie sollten sterben, weil der bewußte Mann das befürchtet hatte, was nun eingetreten ist! Er ahnte, daß wir Sie fragen würden, wen Sie beauftragt haben. Das wollte er verhindern, denn nur Ihre Auskunft kann zu seiner Entdeckung führen. Der Mann, der über die enormen Eigenschaften des Transurans informiert ist, ist auch der Mann, der die Unterlagen an asiatische Agenten verkaufen wollte Also – wen haben Sie beauftragt? Wie heißt der Bursche?“ Holwyn war leichenblaß. Verstört sah er mich an, und dann meinte er: „Aber – aber ich verstehe nicht! Was hat Doktor Samers damit zu tun?“ „Doktor Mary Samers haben Sie damit beauftragt?“ „Ja, ja, eben! Weshalb sprechen Sie laufend von einem Mann?“ Im nächsten Augenblick stürzte ich aus dem Raum. Zurück blieb ein maßlos verblüffter Wissenschaftler, der die ganze Zeit 138
über das gewußt hatte, worüber sich weniger geniale Menschen den Kopf zerbrachen. Mary hatte die weltbewegende Erkenntnis zuerst von ihm erhalten, und sie hatte alles in die Wege geleitet. Ihr letzter Streich war der mit Worth gewesen, der sie wahrscheinlich hoffnungslos liebte. Er mußte gänzlich in ihrem Bann gewesen sein. Holwyn hätte ja auch wirklich ein Wort über seine ungeheuerliche Entdeckung sagen können. So hatte er „flüchtig“ darüber nachgedacht, das Tor der Erkenntnis geöffnet und es seiner tüchtigen Mitarbeiterin überlassen, die letzten Konsequenzen zu ziehen. Wahrscheinlich hatte er längst nicht mehr an sein Holwynium gedacht. * Mary Samers war wirklich eine bemerkenswerte Frau. Sie hatte rechtzeitig bemerkt, daß sie den falschen Mann erschossen hatte. Unangefochten war sie bis zu der Luftschleuse gekommen, die zu dem gigantischen Höhlenlabyrinth führte, in dem sich auch das Wasserreservoir befand. Dieser Hohlraum lag 1500 Meter tiefer. Wenn es ihr gelungen wäre, in der kaum erforschten Unterwelt zu verschwinden, wäre sie wenigstens vor uns in Sicherheit gewesen. Sie hatte diese Absicht gehabt, was aus dem Raumanzug hervorging, den sie in fliegender Eile angelegt hatte. Die Schleuse wurde natürlich von Soldaten des Sicherheitsdienstes bewacht, und das hatte sie auch gewußt. Sie hatte aber nicht geahnt, daß der dritte Mann der Wache gerade draußen gewesen war, um einen Kontrollgang durch die luftleeren Hohlräume zu machen. Zwei Männer der Wache, die natürlich vollkommen ahnungslos gewesen waren, hatte sie erschießen können, doch als 139
sie die Schleuse öffnen wollte, hatte sie dem dritten Mann gegenübergestanden. Es war ihr Pech, daß dieser Soldat die Schüsse gehört hatte. Er hatte die Schleuse gehalten, deren Innentore offenstanden. Damit waren die Außentore blockiert, und die konnte sie auch von dem Schaltbunker aus nicht öffnen, in den sie sich geflüchtet hatte. Als wir ankamen, lag der Soldat noch immer in der Schleuse. Seine Dienstwaffe peitschte in regelmäßigen Abständen auf. Sie empfing uns mit einem rasenden Feuer aus einer schweren Henderley, deren Explosivgeschosse gegen die Felsen zischten. Als ich sie aufforderte, den Bunker zu verlassen, lachte sie nur. In dem Augenblick kam die Meldung durch, daß sie ein tragbares Funksprechgerät von großer Reichweite mitgenommen hatte, und das verpflichtete mich zu einem Entschluß, den ich sonst nicht gefaßt hätte. Hannibal meinte sehr kühl: „Okay, sie hat einen starken Sender. Wenn wir Pech haben, warnt sie damit den Chef der asiatischen Station, denn es ist durchaus nicht unmöglich, daß er in unserer Nähe einen Vorposten aufgestellt hat, der vom Werk aus durch Funk erreichbar ist. Der Posten könnte die Meldung weitergeben.“ Ich wußte sehr genau, was er damit sagen wollte! Entweder ich schonte Mary Samers, oder ich mußte gewärtig sein, daß mir die gefährlichen Agenten des AS-Geheimdienstes entwischten. Ich forderte sie ein letztes Mal zur Übergabe auf, und als sie wieder höhnisch lachte, begann meine Henderley zu brüllen. Die Thermonitalgeschosse schlugen gegen die stählerne Tür des Schaltbunkers und explodierten dort. Dabei entwickelten sie 12 000 Hitzegrade, was vollkommen ausreichte, das schenkelstarke Stahltor in zerfließende Materie zu verwandeln. 140
Der kleine Bunker war Sekunden später eine flammende Hölle. Wir lagen dreißig Meter entfernt, doch wir spürten noch die Hitzewelle. Der Soldat in der Luftschleuse zog sich stöhnend in den äußersten Winkel zurück. Urbans Gesicht war grau, und er sagte nichts. „Der Bunker war sehr klein, und der Gang ist eng“, meinte Hannibal eiskalt. „In einem großen Raum ist es gar nicht so schlimm. Sie hat es nicht anders gewollt.“ Das Gesicht des Kleinen war sehr ernst. * Wir rasten mit zwanzigfacher Schallgeschwindigkeit über die wüste Mondlandschaft hinweg. Ich hielt den zweisitzigen Bomber so tief wie möglich, damit wir nicht vorzeitig geortet werden konnten. Auf dem Robot-Automaten war der Kurs eingestellt, mit dem wir genau über dem kleinen Krater ankommen mußten, in dem der inzwischen verhaftete Mitchum seine „Notlandung“ gebaut hatte. Die Maschine war als H-Bombenträger ausgelegt. Hinter mir saß Hannibal, und in der Aufhängevorrichtung des Gitterrumpfes hing eine Wasserstoffbombe mit einer Energiekapazität von Megatonnen TNT. Ich hatte von meinen weitreichenden Vollmachten Gebrauch gemacht, und so hatte Talbot die Höllenwaffe aus den Magazinen holen lassen. „Noch drei Minuten“, sagte Hannibal über sein Sprechgerät, und ich stellte die Maschine auf die Strahldüse. Mit einer unheimlichen Fahrt schossen wir zehn Kilometer hoch in den schwarzen Himmel. Als ich sie wieder in die Horizontale zwang, war der kleine Krater bereits erkennbar. 141
„Eigentlich dürften wir ja gar nicht wissen, wo er zu finden ist, nicht wahr?“ lachte der Kleine hart. Ich setzte im gleichen Augenblick zum Sturzflug an. Der Abwurfautomat tickte leise, und als er die Bombe auslöste, wurde die Maschine automatisch aufgefangen. Auf einer grellweißen Gassäule schossen wir senkrecht in das Nichts. Als wir schon 120 Kilometer über der Oberfläche des Mondes hingen, ging weit unter uns eine künstliche Sonne auf. Die Kraterlandschaft verwandelte sich in eine glutflüssige Hölle, in der das vergast und zerpulvert wurde, was eine unter allergrößten Mühen eingerichtete Geheimstation gewesen war. Eine Druckwelle erreichte uns nicht mehr, da wir mit Höchstfahrt südwärts jagten. Dafür stand hinter uns ein gigantischer Atompilz, der infolge der fehlenden Atmosphäre nicht verweht wurde. Er breitete sich nur durch den eigenen Gasdruck aus. Riesige Gesteinstrümmer wurden in den leeren Raum gerissen, und die geringe Gravitation des Mondes war nicht so machtvoll, um die ganzen Fragmente wieder einzufangen. Wir waren schon sehr weit entfernt, doch den grellen Feuerschein sahen wir immer noch. Schwer atmend wandte ich mich ab, und da meinte Hannibal: „Und solche Höllenkräfte will Holwyn bändigen können?“ „Er kann es. Die kalte Kernverschmelzung ist der Beginn einer vollkommen neuen Energiewirtschaft. Kein Wunder, daß der AS-Geheimdienst die Spionagetätigkeit an der Kobaltbombe zurückstellte. In dem Riesenland ist man energiehungrig, und die Uranvorkommen sind bald erschöpft. Jetzt wissen wir also, was es mit dem Element, Ordnungszahl 120, auf sich hat.“ „War auch Zeit“, nickte Hannibal. „Was wird der AS zu der Vernichtung der Geheimstation sagen? Glaubst du, daß es auf der Erde Schwierigkeiten geben wird?“ 142
„Die werden sich hüten, die Station zu erwähnen. Schließlich lag sie auf unserem Gebiet. Urban arbeitet bereits einen Bericht aus.“ „Einen Bericht? Für wen?“ Hannibal sah nicht sehr intelligent aus. „Für die Weltpresse, Kleiner. Über unseren neuesten HBombentest. Konnten wir ahnen, daß wir zufällig ein Spionagenest als Versuchsgelände benutzten?“ Hannibal grinste breit. „So’n Pech was?“ „Für den AS“, nickte ich.
UTOPIA-Zukunftsroman erscheint 14täglich im Erich Pabel Verlag, Rastatt (Baden), Pabel-Haus, (Mitglied des Remagener Kreises e V.) Einzelpreis: 60 Pf. Anzeigenpreis laut Preisliste Nr 6. Gesamtherstellung und Auslieferung: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel, Rastatt (Baden). Alleinauslieferung für Österreich: Eduard Verbik. Salzburg, Gaswerkgasse 7 Nachdruck, auch auszugsweise sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlegers gestattet – Gewerbsmäßiger Umtausch, Verleih oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwiderhandlungen verpflichten zu Schadenersatz. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Printed in Germany. – Scan by Brrazo 07/2011
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