Phänomenal von Robert Todd Carroll
Robert T. Carroll ist Professor für Philosophie am Sacramento City College in Kalif...
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Phänomenal von Robert Todd Carroll
Robert T. Carroll ist Professor für Philosophie am Sacramento City College in Kalifornien. Er ist der Verfasser des "Skeptic's Dictionary". In der MorgenWelt-Reihe "Phänomenal" setzt sich Carroll mit Sachkenntnis - und zumeist einer gehörigen Portion Ironie und Polemik - mit allen Spielarten der Esoterik und Pseudowissenschaften auseinander. In diesem E-Book habe ich die deutschen Artikel von Carrol zusammengestellt die auf der Webseite http://www.Morgenwelt.de erschienen sind. Dort erscheint jeweils monatlich ein neuer Artikel ☺ Warthog2000
Akupunktur Akupunktur funktioniert - aber was bedeutet das? Die meisten der wahrgenommenen Wirkungen der Akupunktur sind der Macht der Suggestion zuzuschreiben. Akupunktur ist eine traditionelle chinesische medizinische Technik zur Beeinflussung des Chi (ch'i oder qi) und damit zur Balancierung der gegensätzlichen Kräfte Yin und Yang. Chi, eine angebliche "Energie", die alle Dinge durchdringt, fließt nach dieser Überzeugung durch den Körper entlang von 14 Hauptwegen namens Meridianen. Wenn Yin und Yang in Harmonie zueinander stehen, fließt das Chi frei durch den Körper und der Mensch ist gesund. Ist er krank, verletzt oder infiziert, so geht man davon aus, dass ein Hindernis an einem der Meridiane das chi blockiert. Akupunktur besteht darin, dass Nadeln in bestimmte Teile des Körpers gestochen werden, die dann - so sagt man - ungesunde Blockaden des chi entfernen und die Verteilung von Yin und Yang wiederherstellen. Manchmal sind die Nadeln erhitzt oder einer leichten elektrischen Spannung, Ultraschall oder bestimmten Wellenlängen des Lichts ausgesetzt. Ganz gleich, wie man es genau macht: Der wissenschaftlichen Forschung ist es nicht gelungen, nachzuweisen, dass Akupunktur gegen irgendeine Erkrankung hilft. Eine Variante traditioneller Akupunktur nennt sich Aurikulotherapie oder Ohr-Akupunktur. Es ist eine Diagnose- und Behandlungsmethode, die auf dem unbestätigten Glauben beruht, das Ohr sei die Landkarte der inneren Organe. Ein Problem mit einem Organ wie beispielsweise der Leber wird behandelt, indem man eine Nadel in einen bestimmten Punkt am Ohr sticht, der mit dem betreffenden Organ korrespondieren soll. Ähnliche Ideen von Körperteilen als Organlandkarten werden von Iridologen (die Iris als Karte des Körpers) und Reflexologen (der Fuß ist die Karte) vertreten. Eine Abart der Aurikulotherapie ist die "Klammerpunktur", eine Behand3
lungsmethode, die Klammern in bestimmte Teile des Ohrs heftet - in der Hoffnung, wunderbaren Effekte zu erzielen wie etwa, dass der Patient das Rauchen aufgibt. Es gibt keine wissenschaftlichen Belege für irgendeine dieser Theorien oder Praktiken. Akupunktur wird in China seit mehr als 4000 Jahren verwendet, um Schmerzen zu lindern und Krankheiten zu heilen. Traditionelle chinesische Medizin basiert nicht auf dem Wissen von moderner Physiologie, Biochemie, Ernährungswissenschaft, Anatomie oder irgendeines bekannten Heilverfahrens. Sie basiert ebensowenig auf der Kenntnis von Zellchemie, Blutkreislauf, Nervenfunktionen, der Existenz von Hormonen oder anderer biochemischer Substanzen. Es gibt keine Verbindung zwischen den Meridianen der traditionellen chinesischen Medizin und der tatsächlichen Anordnung von Organen und Nerven im menschlichen Körper. Das amerikanische National Council Against Health Fraud, Inc. (NCAHF) - eine private, auf freiwilliger Basis beruhende, gemeinnützige Organisation, die sich mit Fehlinformationen, Betrug und Quacksalberei in Gesundheitsdingen befasst stellte fest, dass von allen 46 medizinischen Fachzeitschriften, die vom chinesischen Ärztebund (CMA) herausgegeben werden, keine sich mit Akupunktur oder anderen traditionellen chinesischen Behandlungsmethoden befasst. Dessen ungeachtet wird vermutet, dass zwischen 10 und 15 Millionen USAmerikaner etwa 500 Millionen Dollar im Jahr für Akupunktur ausgeben - für alle möglichen Zwecke, von Schmerzlinderung über Drogenentzug bis hin zur AIDS-Bekämpfung. Trotz fehlender wissenschaftlicher Bestätigung wird Akupunktur verwendet bei der Behandlung von: Depressionen, Allergien, Asthma, Arthritis, Blasen- und Nierenproblemen, Verstopfung, Durchfall, Erkältungen, Grippe, Bronchitis, Schwindelgefühlen, Rauchen, Erschöpfungszuständen, gynäkologischen Problemen, Kopfschmerzen, Migräne, Lähmung, hohem Blutdruck, sexuellen Schwierigkeiten, Stress, Schlaganfällen, Sehnenzerrung und Augenproblemen. Während Chi4
na also Fortschritte in der wissenschaftlich abgesicherten Behandlung von Krankheiten macht, scheinen viele Menschen in den USA, in Deutschland und in anderen Teilen der Welt Rückschritte zu machen und nach metaphysischen Ursachen für ihre physischen Probleme zu suchen. Im März 1996 klassifizierte die Federal Drug Administration (FDA; US-Behörde für die Zulassung von Medikamenten) Akupunkturnadeln als medizinische Geräte, die von geübten Praktikern frei verwendet werden können. Bis dahin hatten Akupunkturnadeln als medizinische Geräte der Klasse III gegolten. Diese Klasse bezieht sich auf Geräte, deren Nützlichkeit und Sicherheit so zweifelhaft sind, dass sie nur in zugelassenen Forschungsprojekten verwendet werden dürfen. Aufgrund dieses "experimentellen" Status hatten sich viele Versicherungsgesellschaften ebenso wie Medicare und Medicaid (öffentliches Gesundheitssystem der USA) geweigert, Akupunktur in ihren Leistungskatalog aufzunehmen. Die neue Einstufung bedeutet nun sowohl häufigeren Gebrauch als auch verstärkte Forschung im Bereich der Nadeln. Sie beinhaltet ebenfalls, dass Versicherungsgesellschaften möglicherweise bald nicht mehr in der Lage sein werden, die Zahlung für sehr fragwürdige Akupunkturbehandlungen verschiedener Erkrankungen zu vermeiden. Wayne B. Jonas, Direktor des Büros für Alternativmedizin an den National Institutes of Health in Bethesda (US-Bundesstaat Maryland) meint trotzdem, dass die Neu-Einstufung der Akupunkturnadeln "eine sehr kluge und logische Entscheidung" sei. Das Büro für Alternativmedizin unterstützt die Forderung nach neuen Untersuchungen über die Wirksamkeit von Akupunkturnadeln und ist bereit, größere Mengen von Steuergeldern dafür auszugeben. Allerdings wird man in den USA und in anderen westlichen Ländern nicht Akupunktur testen, sondern etwas sehr stark Eingeschränktes: Was man testen wird, ist die Wirksamkeit von Nadeln, die in Muskeln gestochen werden. Falls dies zu einer Absenkung des Blutdrucks führt, ist das keine Bestäti5
gung der Akupunktur, da traditionelle chinesische Akupunktur keine wissenschaftliche, sondern eine metaphysische Theorie ist - und metaphysische Theorien können nicht empirisch überprüft werden. Die Frage, wie eine physische Nadel eine metaphysische Wesenheit wie das Chi beeinflusst, wird deshalb nicht auf der Tagesordnung der Tester stehen. Natürlich kann man traditionelle Akupunktur auch nicht widerlegen. Daher liegt eine vollkommene Harmonie zwischen Beweis und Widerlegung vor: Beide sind gleichermaßen unmöglich. Vermutlich ist die häufigste Verteidigungslinie, auf die sich Anhänger in Ost und West zurückziehen, die pragmatische: Akupunktur funktioniert! Was bedeutet das? Es bedeutet sicher nicht, dass das Stechen von Nadeln in den Körper blokkiertes Chi befreit. Es bedeutet höchstens, dass eine gewisse Erleichterung eintritt. Die NCAHF hat ein Positionspapier herausgegeben, in dem klargestellt wird, dass "Forschungen in den letzten zwanzig Jahren nicht nachweisen konnten, dass Akupunktur gegen irgendeine Krankheit wirkt" und dass "die wahrgenommene Wirkung der Akupunktur wahrscheinlich auf einer Kombination von Erwartungshaltung, Suggestion, Konditionierung und anderer psychologischer Mechanismen beruht." Kurz, die meisten der wahrgenommenen positiven Wirkungen der Akupunktur sind vermutlich der Macht der Suggestion und dem Placebo-Effekt zuzuschreiben. Die häufigsten Erfolgsmeldungen der Akupunktur beziehen sich auf die Schmerzlinderung. Forschungen haben ergeben, dass viele Akupunkturstellen stärker mit Nervenendungen versehen sind als umliegende Hautbereiche. Manche Untersuchungen deuten darauf hin, dass Nadelstechen in bestimmte Stellen das Nervensystem beeinflusst und die körpereigene Produktion von natürlichen Schmerzmitteln wie Endorphinen und Encephalinen anregt und einige Neuralhormone freisetzt, unter ihnen Serotonin. Eine andere Theorie besagt, dass Akupunktur die Schmerzweiterleitung von Körperteilen zum zentralen Nervensystem blockiert. Diese Theorien über chemische Stimulation und Blockade von Nervenimpulsen sind empirisch 6
überprüfbar. Sie bedienen sich der Sprache der westlichen wissenschaftlichen Sicht der anatomischen und neurologischen Systeme des Körpers. Doch auch in diesem Bereich sind die meisten Belege für die Wirksamkeit der Akupunktur denjenigen ähnlich, die es für andere so genannte "alternative" Heilverfahren gibt: Sie sind größtenteils anekdotischer Natur. Leider gibt es für jede Anekdote eines Menschen, dessen Schmerzen durch Akupunktur gelindert wurden, eine andere Anekdote von jemandem, dem durch Akupunktur nicht geholfen wurde. Manchmal ist die Linderung real, aber nur kurzlebig. Die Behandlung ähnelt hier einer Betäubung: Der Patient benötigt danach Hilfe beim Gehen oder Autofahren, fühlt sich für eine Weile gut, doch nach ein oder zwei Tagen kehrt der Schmerz zurück. Alles, was man bis heute mit Sicherheit sagen kann, ist: Nadeln an traditionellen Akupunkturstellen in den menschlichen Körper zu stechen, scheint häufig wirksam bei der Schmerzlinderung zu sein. Allerdings stimmen die meisten Schmerzforscher darin überein, dass 30 bis 35 Prozent von Schmerzpatienten allein von der Suggestion oder dem Placebo-Effekt profitieren und es egal ist, welche Behandlungsform genau verwendet wird. Es gibt noch andere Probleme in der Schmerzforschung. Das Messen von Schmerz ist vollständig subjektiv - und traditionelle Akupunkteure bemessen den Erfolg ihrer Behandlung praktisch nur auf diese Art, wobei sie sich auf ihre eigenen Beobachtungen und Patientenberichte verlassen, anstatt objektive Labortests durchzuführen. Außerdem ist es bei vielen Menschen, die auf Akupunktur (oder Therapeutic touch, Reiki, Irisdiagnose, Meditation, etc.) schwören, so, dass sie mehrere einschneidende Veränderungen in ihrem Leben zur gleichen Zeit vornehmen und damit eine Ermittlung signifikanter Ursachen in einer Kontrollstudie erschweren. Sollten Kontrollstudien zeigen, dass Nadelstechen wirklich bei Drogensucht oder AIDS hilft, werden die Akupunkteure dann Genugtuung fordern? Werden sie behaupten, das Chi 7
fließe in denselben Bahnen wie das Blut oder die Nervenimpulse und dass es ein Paralleluniversum neben dem physischen Universum gebe, eine Art ursprünglicher Harmonie zwischen Chi, Yin, Yang und dem Körper? Theoretisch könnte man alles, was zum Beispiel bei der Ausschüttung von Endorphinen nachgewiesen wird, auch auf Chi zurückführen, ungeachtet der Nutzlosigkeit und Überflüssigkeit dieser Theorie. Doch was, wenn herauskommt, dass Nadelstechen weder hohen Blutdruck senkt noch Bronchitis heilt? Wird man das dann als Beweis gegen Chi akzeptieren? Einige der Akupunkturstudien des Büros für Alternativmedizin am National Institute of Health ähneln normalen Kontrollstudien, aber keine Kontrollstudie kann jemals die Existenz von Chi, Yin, Yang oder irgendeiner anderen Wesenheit überprüfen. Man hat auch Tests durchgeführt, in denen man die Patienten in zufällige Gruppen unterteilte, von denen einige mit Akupunktur behandelt wurden, während die anderen "Scheinakupunktur" bekamen. Letztere bestand darin, dass Akupunkturnadeln in Körperzonen gestochen wurden, die nicht zu den klassischen 500 Punkten gehören. Es erscheint etwas unvernünftig, Menschen mit Nadeln in den "richtigen" Körperstellen mit solchen zu vergleichen, die Nadeln in den "falschen" Stellen haben, es sei denn, man hätte zuvor sicher herausgefunden, dass Nadelstechen definitiv dabei hilft, Schmerzen zu lindern, und befände sich nur noch auf der Suche nach den besten Stellen. Man betrachtete die "Scheinakupunktur" als analog zu einer Placebobehandlung, aber war sie es? Wenn bessere Resultate damit erzielt werden, dass man die traditionellen Körperstellen verwendet, beweist dies die Wirksamkeit traditioneller Akupunktur? Natürlich nicht. Es beweist lediglich, dass nach 4000 Jahren die Chinesen herausbekommen hatten, wo man die Nadeln am besten hineinstechen sollte, um Schmerzen zu lindern oder ähnliche Effekte zu erzielen. Aber keine Studie dieser Art wird Aufschluss darüber geben, ob Chi-Blockaden aufgehoben wurden oder Yin und Yang aus dem Takt sind. 8
Kontrollstudien mit objektiven Messmethoden könnten jedoch ermitteln, wie viel vom Erfolg der Akupunktur auf nichts anderes als subjektive Einschätzung der Beteiligten zurückzuführen ist. Sie könnten auch klarstellen, ob diese Erfolge kurzoder langlebig sind. Zum Schluss die wichtige Frage: Kann Akupunktur schaden? Nun, abgesehen davon, dass Patienten sich keiner anderen Behandlung unterziehen, obwohl die moderne Medizin ihnen helfen könnte, bestehen durchaus weitere Risiken. Es gibt Berichte von Lungen- und Blasenverletzungen, von zerbrochenen Nadeln und von allergischen Reaktionen auf Nadeln, die aus anderen Materialien als reinem OP-Stahl bestehen. Akupunktur kann außerdem dem Fötus in der frühen Schwangerschaft schaden, da sie möglicherweise die Produktion von ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) und Oxytozin fördert, was sich auf die Wehen auswirken kann. Und schließlich besteht natürlich die Infektionsgefahr, die von nicht sterilen Nadeln ausgeht. Übersetzung: Tobias Budke
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Amway "Es ist kein Kult. Es ist keine Religion. Es ist Amway." Amway ist der größte Strukturvertrieb der Welt. Es handelt sich um eine Multimilliardenfirma, deren Grundlage der Verkauf von so unterschiedlichen Produkten wie Seife, Wasserreiniger, Vitamintabletten und Kosmetika bildet. AmwayVertreter weisen gerne darauf hin, dass ihre Produkte höchsten Ansprüchen genügen, ihre Firma sehr groß ist (etwa 1.8 Millionen Vertreter und ein Verkaufsvolumen von 5,4 Milliarden Dollar im Jahre 1997) und dass Amway Geschäfte mit Giganten wie Coca-Cola und MCI macht. Bei Amway wird man "unabhängiger" Vertreiber von Amway-Produkten, indem man für ein paar Hundert Dollar Produkte von demjenigen kauft, der einen anheuert und als "upline" bekannt ist. Jeder Vertreiber versucht nun seinerseits, weitere Vertreiber zu gewinnen. Das Einkommen setzt sich zusammen aus dem Verkauf von Produkten plus "Boni", die man aus den Verkäufen erhält, die ein selber angeheuerter Vertreiber und die von diesem angeheuerten Vertreiber machten. Nachfolgend die Beschreibung des Amway-Vertreiber Bob Queenan über das System von Amway: Wenn ich in diesem Monat für 200 Dollar Amway-Produkte kaufe, erhalte ich einen Bonus von 3% (also 6 Dollar). Teile ich dieses Geschäft mit neun weiteren Leuten und jeder von uns kauft für 200 Dollar Amway-Produkte, dann erhält jeder von ihnen diesen Bonus, aber ich habe insgesamt 2.000 Dollar eingebracht, was mich auf die 12%-Stufe hochbringt. Somit bekomme ich 240 Dollar. Allerdings bin ich für die Boni der Leute unter mir verantwortlich - 54 Dollar - und kann 186 Dollar behalten. Ich verdiene mehr, weil ich mehr geleistet habe, nämlich neun Leute zu finden, die mit Rabatt kaufen und dafür einen Bonus bekommen wollen. Nach Erreichen der 25%-Stufe treten noch andere Boni in Kraft, aber sie basieren 10
alle auf dem Produktverkauf und nicht auf der Zahl der angeheuerten Mitarbeiter oder Vertreiber. Verteidiger von Amway nehmen Anstoß daran, dass diese Verkaufs- und Rekrutierungsmethode mit einem Pyramidenoder Kettenspiel verglichen wird. Es stimmt, dass ein Strukturvertrieb wie Amway kein illegales Pyramidenspiel ist: Nachdem Amway beschuldigt wurde, ein illegales Pyramidenspiel zu betreiben, haben die Gerichte entschieden, dass die Firma, da sie Geld weder für den Einstieg noch für das Privileg fordert, andere Personen anzuheuern, keine illegale Pyramide darstelle - illegale Pyramidenspiele und Kettenbriefe haben kein Produkt zu verkaufen. Amway hingegen hat jede Menge davon, vor allem Haushaltswaren: vom Waschmittel bis zur Vitamintablette, von Kosmetika bis zu Wasserfiltern. Amway ist ein also legales Pyramidenspiel. Es gibt mehrere eindeutige Aspekte eines Strukturvertriebs, die eine Bezeichnung als legales Pyramidenspiel rechtfertigen. Einer von diesen ist, dass das Einkommen eines Vertreibers nicht vor allem von seinen eigenen Amway-Produktverkäufen abhängt, sondern von den Verkäufen, die jene Personen machen, die er angeworben hat. In der Praxis ist das recht kompliziert, Bob Queenan beschreibt sie so: Kommen wir zu den tatsächlichen Mechanismen. Wenn mein Produktvolumen niedrig ist, ist es sinnvoll, meine Bestellung mit anderen zu kombinieren, um den Papierkram zu verringern. Also bestelle ich bei Amway, indem ich meinen "upline" anrufe und meine Bestellung aufgebe. Dieser packt meine Bestellung mit anderen zusammen und nimmt direkten Kontakt zu Amway auf. Die Firma liefert normalerweise direkt zum "upline" und wir fahren zu ihm und holen unsere Produkte ab, aber ich wohne zu weit weg, als dass dieses Verfahren sinnvoll wäre. Also bestelle ich durch meinen "upline", aber erhalte direkte Lieferungen vom Amway. Verkaufe ich an andere Vertreiber? Nein, wir kaufen alle direkt von Amway. Erhalten andere Vertreiber ihre Produkte durch mich? Ja, ich sammele die Bestellungen und schicke sie 11
zu Amway. Bekomme ich Geld von meinen Vertreibern? Ja, für die Produkte, die sie kaufen. Ich mache eine Sammelüberweisung an Amway. Profitiere ich davon, wenn meine Vertreiber mehr kaufen? Ja - sie tun es, aber ich auch. Kommt mein Bonus von ihrem Geld? Nein, es kommt aus dem Bonustopf, der gefüllt wird mit dem Geld, das man durch das Fehlen von Mittelsmännern spart. Irgend etwas scheine ich hier verpasst zu haben - sind die Vertreiber nicht ihre eigenen Mittelsmänner? Verkaufen die Vertreiber nicht wiederum an andere Vertreiber? Steigt das Einkommen nicht vor allem dadurch, dass man neue Mitglieder für die Organisation rekrutiert? Ist nicht das Unternehmen Amway der große Gewinner dabei? Ein Amway-Kunde kauft nicht nur ein Waschmittel, er wird vielmehr angeworben als Geistlicher für einen Glauben mit einer komplizierten Buchhaltung. Sie fragen sich, warum geht man nicht einfach hinüber zum Supermarkt und kauft Seife ein? Weil der Vertreter jemand ist, den Sie kennen, oder mit dem Sie gemeinsame Bekannte haben - und er lädt Sie zum Kaffee ein und erzählt Ihnen von einer wunderbaren Gelegenheit. Die Chancen stehen gut, dass Sie etwas kaufen, sei es aus Freundlichkeit oder weil Sie tatsächlich Seife oder Vitamintabletten brauchen. Möglicherweise werden Sie selber AmwayVertreter. In beiden Fällen macht der Vertreter, der Ihnen Seife oder Vitamintabletten verkauft, einen Profit. Werden Sie selber Vertreter, dann geht ein Anteil von jedem Verkauf, den Sie machen, an Ihren Anwerber. Neue Mitarbeiter werden nicht hauptsächlich durch den Reiz, als Hausierer AmwayProdukte zu verkaufen, Teil des Systems, sondern vor allem durch die Gelegenheit, Amway selber an andere zu verkaufen, die - so hofft man - dasselbe tun werden. Die Produkte scheinen zweitrangig, verglichen mit der Anwerbung. Dennoch werden die Vertreiber über wenig mehr sprechen als die hohe "Qualität" der Produkte. Die Rechtfertigung für einen Struk12
turvertrieb ist die hohe Produktqualität. Der eigentliche Antrieb für den Vertreiber ist jedoch die Möglichkeit, Geld durch die Verkäufe anderer zu verdienen, nicht durch den Verkauf selber. Wenn das jährliche Verkaufsvolumen von Amway 5,4 Milliarden Dollar beträgt und es 1,8 Millionen Vertreiber gibt, dann liegt der Verkaufsumfang des durchschnittlichen Vertreibers bei etwa 3.000 Dollar im Jahr. Sind davon 30% Gewinn, dann nimmt ein Vertreiber 900 Dollar im Jahr ein. Klebniov gibt an, dass das Durchschnittseinkommen bei 780 Dollar liegt, der gewöhnliche Vertreiber aber für 1.068 Dollar im Jahr AmwayProdukte kauft - dazu kommen noch Telefonrechnungen, Sprit, Motivationstreffen, Werbungsmaterial und andere Ausgaben, um das Geschäft zu erweitern. "Der durchschnittliche Vertreiber verkauft nur etwa 19% seiner Produkte an Kunden, die nichts mit Amway zu tun haben," schreibt Klebniov. "Der Rest dient entweder dem persönlichen Verbrauch oder wird an andere Vertreiber verkauft." In den USA hat die FTC (Federal Trade Commission, US-Kartellamt) Amway auferlegt, ihre Produkte mit der Aufschrift zu versehen, dass 54% der Amway-Vertretern nichts und die restlichen im Durchschnitt 65 Dollar pro Monat verdienen. Solche Aufkleber sind in anderen Ländern nicht vorgeschrieben, aber die Fakten sind klar: Die meisten Menschen, die bei Amway einsteigen, machen kein Geld. Weit entfernt davon, ihr Einkommen aufzubessern, wird die überwältigende Mehrheit der Amway-Vertreiber, insbesondere innerhalb des "Systems", nichts als Verluste machen. Der Großteil des Reichtums, über den die Handvoll von TopVertreibern in diesem Land verfügt, kommt nicht nur aus dem Vertrieb von Amway-Produkten, sondern vom Verkauf von Motivationshilfen, der Organisation von Seminaren und dem Veranstalten von Versammlungen für diejenigen unter ihnen. (Tony Thompson: "The Hidden Persuaders", in: Time Out, June 22-29, 1994) Amway hat sehr wenige Menschen sehr reich gemacht, wäh13
rend das Fußvolk eher Inspiration erhält als Geld. Daran ist nichts Neuartiges in der Geschichte der Wirtschaft. Was neuartig ist, sind Vertrauen, Hingabe und Hoffnung, die das Fußvolk an den Tag legt. Kritiker haben Amway mit einem Kult verglichen, dessen Hauptprodukt Amway selber ist. Die Amway-Leute haben gewiss Ähnlichkeit mit Anhängern einer Religion. Sie setzen großes Vertrauen in die Firma, ihre Produkte, und die Hoffnung auf Reichtum und Vorruhestand. Sie nehmen an Seminaren und Versammlungen teil, die einen an Treffen von Wiedergeborenen Christen erinnern und auf denen die Macht des positiven Denkens den Glauben an Jesus ersetzt (oder begleitet). An Stelle einer Parade von Menschen, die durch ihren Glauben geheilt wurden, versorgt man die Amway-Gläubigen mit Bekenntnissen zur Frührente in Wohlstand. Obwohl Amway gelegentlich beschuldigt wurde, die Abgefallenen zu verfolgen, scheint die Hingabe an Amway doch mehr oder weniger harmlos zu sein. Amway unterscheidet sich offenbar nicht sehr von anderen eifernden Großkonzernen, die positives Denken über das Geschäft des Geschäftemachens in endlosen motivationsfördernden Seminaren, Treffen, Büchern, Kassetten, Broschüren und so weiter predigen. Der Engländer Graham Baldwin vergleicht ein AmwayMotivationstreffen mit einer Erweckungs- oder Kultversammlung. Der ehemalige Universitätskaplan versucht, Menschen mit seinem Programm ("Catalyst") dabei zu helfen, sich von religiösen Kulten zu lösen. Kurz nach einer seiner Sendungen erhielt er einen Anruf von einem Mann, der erklärte, wie die Gruppe, der er ein Jahr zuvor beigetreten war, dabei war, langsam sein Leben zu übernehmen. Es gab große monatliche Treffen an Orten wie dem Wembley Conference Centre, auf denen er und Tausende von Anhängern in leidenschaftliche Raserei versetzt und dann aufgefordert wurden, hinauszugehen und so viele Leute wie möglich anzuwerben. Es gab eine machtvolle Doktrin, die das Fernsehen, die Zeitungen und andere "negative" Einflüsse verachtete, es gab eine 14
strikte Kleiderordnung und Ratschläge, wie man Kinder erziehen und Beziehungen pflegen solle. Und es herrschte die Angst vor, dass ein Aussteigen das Ende der Hoffnung auf eine glückliche Zukunft bedeute. Nachdem er jedoch die Sendung Baldwins gesehen hatte, gab der Mann an, er sei einer Gedankenkontrolle unterzogen und von seinen Oberen manipuliert worden. Er bat um Tips, wie er aussteigen könne. Baldwin fragte ihn daraufhin, welchem Kult er angehöre. Er antwortet: "Es ist kein Kult. Es ist keine Religion. Es ist Amway." Manchem der Amway-Kritiker mag Amway wie ein religiöser Kult erscheinen, aber andere sehen es als reines Hütchenspiel. Die Geistlichen dieser Konfession wirken ihre Magie dadurch, dass sie andauernd hinweisen auf: die Qualität der Produkte, ihr Eintreten für Ethik, den Reichtum ihrer Firma, ihre Verbindungen zu Coca-Cola oder MCI, die Behauptung, sie sparten Geld für Mittelsmänner oder Werbung, und die zahlreichen Bekenntnisse derjenigen Gläubigen, die durch das Tal des Todes gegangen sind und Berggipfel mit Säcken voll Geld erreicht haben. In der Zwischenzeit bemerkt man nicht, dass die Produkte in ihrer Bedeutung eindeutig hinter dem Anwerbevorgang zurückbleiben, mit dem man neue Leute findet, die diese Produkte verkaufen sollen. Man sieht ebensowenig, dass Reichtum und Verbindungen der Firma keinerlei Relevanz für die Versprechungen von Reichtum für die Millionen angeworbener Vertriebsleute haben. Auch ist einem nicht klar, dass viele Kosten - so etwa für Versand, Lieferung, Formulare, Werbung und Fahrten mit dem eigenen Auto zum Abholen oder Ausliefern - von den Vertreibern selber übernommen werden. Genau so wenig wird man des Umstandes gewahr, dass - obwohl einige wenige Leute anständig oder sogar mehr als anständig davon leben - die Chancen des einzelnen Vertreibers, reich zu werden, unglaublich klein sind. Während die Anführer über Ethik reden, bemerkt man nicht, dass sie Gier und Unzufriedenheit fördern. Und ganz bestimmt hört man niemals von den Aussagen derjenigen, die sich von Amway 15
betrogen fühlen: Aussteigern wird nicht gestattet, Stellungnahmen auf einer Versammlung abzugeben. Das Spiel wird dadurch noch komplizierter, dass die Apostel dieses Glaubens, spricht man sie darauf an, dass die meisten Amway-Vertreiber Verluste machen (indem sie mehr Produkte von Amway kaufen als sie wieder verkaufen) oder lediglich sehr bescheidene Einkünfte haben, nicht ehrlich und direkt antworten: "Das ist bei einem solchen System zu erwarten." Stattdessen behaupten sie, niemand habe jemals gesagt, man werde schnell reich bei Amway, und niemand habe großen Reichtum durch wenig Arbeit versprochen. Diejenigen, die es nicht schaffen, sind nun mal Versager. Sie arbeiten nicht hart genug. Sie widmen Vertrieb und Anwerbung nicht genug Zeit. Diese Versager brauchen Motivationshilfen! Ehemalige Amway-Vertreter sagen, dass - wie bei so vielen Bewegungen mit Personenkult – Amways Haltung gegenüber kritischen Insidern hart an Verfolgungswahn grenzte. Edward Engel war Amways Hauptfinanzverwalter bis 1979, er trat zurück aufgrund einer Meinungsverschiedenheit mit DeVos und Van Andel (den Gründern von Amway) bezüglich der Amway-Operationen in Kanada. Das scheint ihm das Kainsmal beschert zu haben: Er gibt an, er und seine Familie hätten für mehrere Jahre nach seinem Ausstieg Drohungen erhalten. "Es war eine Art 'Big Brother'-Organisation," meint Engel heute. "Jeder nahm an, die Telefone seien verwanzt - und Amway habe etwas über jeden von uns." Dorothy Edgar, Engels ehemalige Sekretärin, war den Kanadiern 1983 bei den Untersuchungen bezüglich Amway behilflich. Nachdem sie in Chicago eingeschüchtert worden war, teilte man ihr mit, "sich von Amway fernzuhalten." Engel, der sie nach dem Zwischenfall abholte, glaubt ihre Geschichte; von Amway kam kein Kommentar. 1982 gab es schlechte Publicity für Amway, als ein ExVertreter namens Philip Kerns kündigte und einen Enthüllungsbericht verfasste, den er "Fake it Till You Make It" nannte [etwa: "Betrügen, bis man es schafft", AdÜ]. Kerns 16
klagt Amway an, ihn mit Privatdetektiven verfolgt und eingeschüchtert zu haben. Kerns' Aussage brachte die TVSendungen "Phil Donahue Show" und "60 Minutes" dazu, wenig schmeichelhafte Amway-Berichte zu bringen. Amways Erfolg bei Anwerbungen sackte ab, und mit ihm die Verkaufszahlen um geschätzte 30% in den frühen 80ern. 1984 kündigte ein weiterer ehemaliger Amway-Insider, Donald Gregory, an, ein Buch über Amway schreiben zu wollen, aber die Firma erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen ihn an einem Gerichtshof in Grand Rapids. (Paul Klebniov: "The Power of Positive Inspiration", in: Forbes, December 9, 1991) Dessen ungeachtet sind die Mehrzahl der Amway-Vertreiber vermutlich anständige Leute, die an die Qualität und den Wert der Amway-Produkte glauben und die mitmachen, um auf legale und anständige Weise Geld zu verdienen. Sie sind nicht dafür verantwortlich, was die Gründer oder "uplines" machen. Sie machen ihren Freunden keine ausufernden Versprechungen über Millionenverdienste mit nur ein paar Stunden Arbeit pro Woche. Der durchschnittliche Amway-Vertreter ist zweifellos nicht wie James Vagyi. Jetzt, da der Kapitalismus in viele der ehemals kommunistischen Staaten Europas Einzug gehalten hat, hat Amway seine sich stetig vermehrenden Wurzeln auch in Ländern wie Ungarn und Polen geschlagen. James Vagyi, Chef-Anwerber für Ungarn, teilt potentiellen Vertreibern mit, das Mindesteinkommen liege bei etwa 9.000 Dollar pro Monat (700.000 Forint). Vagyi zu einer Gruppe von Kandidaten: "Wenn man zehn Millionen Menschen 40 Jahre lang überzeugen kann, den Sozialismus in Ungarn aufzubauen, dann sollten Sie sechs Leute für unsere Sache auftreiben können." Wenn diese sechs weitere sechs finden und diese wieder sechs, wird man in Windeseile reich. Vagyi zeigt seinem Publikum ein Video, das mit einer Botschaft von Amways Mitbegründer Richard DeVos endet: "Ethik und Sorge für das Wohlergehen von Menschen sind die Grundlagen für Amways Geschäfte." Vielleicht. 17
Aber einige Vertreiber haben offenbar zynische Ansichten über Ethik, und die einzigen Menschen, deren Wohlergehen ihnen am Herzen liegt, sind sie selber. Allerdings: Trifft das nicht auf alle Arten von Geschäften zu? Gibt es nicht immer ein paar schwarze Schafe, die den Ruf der ganzen Herde verderben? Sehr unwahrscheinlich, dass die Mehrzahl der AmwayVertreiber Vagyis Beispiel folgt oder dem von Michael Aspel, der ein seltsames Anwerbungsvideo in London einsetzte. In dem Video sieht man "Pärchen, die in riesigen Bungalows leben und Luxusschlitten fahren, während sie darüber reden, wie viel Freiheit und Unabhängigkeit ihnen Amway beschert hat. Die Stimme des Erzählers berichtet davon, dass die Firma auf 'Ethik und Integrität' aufgebaut ist und 'Tausenden geholfen hat, ihre Lebensqualität zu erhöhen.'" (Thompson) Des weiteren kann kein Zweifel daran bestehen, dass die meisten Amway-Versammlungen nicht so sind wie diese von Paul Klebniov beschriebene: An einem Sommerwochenende kamen über 12.000 begeisterte Menschen zusammen, um an einer Kundgebung in Richmond teilzunehmen. Ein paar von ihnen waren wohlhabende Vertreiber von Amway-Produkten - die übrigen wollten es werden. Das Treffen begann mit einem Gebet und einem Fahneneid. Auf der Bühne stellte Bill Britt, der Top-AmwayVertreter, der die Kundgebung organisierte, die anderen TopVertreter vor, die in ihren Cadillacs und Mercedes gekommen waren und teure Pelze und Juwelen zur Schau stellten. Jedes Mal, wenn eines von diesen Vorbildern präsentiert wurde, jubelte die Menge. Berichte wie der von Klebniov führen unvermeidlich zu der Frage: Fördert Amway betrügerisches Verhalten? Die Antwort ist: Nein. Einer der Hauptkritikpunkte an Amway und ähnlichen Strukturvertrieben ist jedoch, dass sie unausweichlich skrupellose Leute dazu bringen, den Leichtgläubigen vorzugaukeln, mit ein wenig harter Arbeit könnten sie über alle Maßen reich werden. Reich werden diese skrupellosen Leute 18
selber, nicht durch den Verkauf von Amway-Produkten, sondern durch den Verkauf von "Inspirationsmaterial" wie Büchern, Kassetten, Seminaren etc., deren Ziel es ist, Leute dazu zu bringen, positiv zu denken. Während auch Kritiker zugeben, dass es möglich ist, vom Amway-Produktvertrieb anständig zu leben, sollten realistisch denkende Menschen jedoch nicht mehr als ein Zubrot zum eigentlichen Einkommen erwarten. Das echte Geld kommt mit der Anwerbung für Amway. Das ganz große Geld liegt im Verkauf von Motivationshilfen, also von Hoffnung. Anmerkung des Übersetzers: Der Prozess gegen Amway dauerte von 1975 bis 1979 und endete - wie oben beschrieben - mit einem Sieg für Amway, der sämtlichen weiteren Strukturvertrieben Tür und Tor öffnete. In Deutschland haben wir es mit Firmen wie Deutsche Vermögensberatung AG (DVAG), Allgemeiner WirtschaftsDienst (AWD), Hamburg-Mannheimer International (HMI) oder Objektive Vermögensberatung (OVB) zu tun. Übersetzung: Tobias Budke
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Aromatherapie Die meisten Belege für die Heilkraft von Ölen haben die Form von Anekdoten - handfeste wissenschaftliche Beweise fehlen, wie so oft in der alternativen Medizin. Aromatherapie ist ein Begriff, der 1928 von dem französischen Chemiker René Maurice Gattefossé geprägt wurde, um die Verwendung so genannter essenzieller Öle von Pflanzen, Blumen, Wurzeln oder Samen in der Heilkunst zu beschreiben. Die Bezeichnung ist etwas irreführend, da das Aroma eines Öls, sei es natürlich oder synthetisch, im Allgemeinen selber nicht therapeutisch wirksam ist. Aromen werden verwendet, um die Öle zu identifizieren und ihren Reinheitsgrad zu bestimmen, aber nicht, um direkt eine Heilung zu bewirken. Es ist die "Essenz" des Öls - seine chemischen Eigenschaften - die ihm seinen heilenden Wert geben, wie auch immer dieser beschaffen sein mag. Darüber hinaus werden Dämpfe in einigen - nicht allen - Arten der Aromatherapie gebraucht. In den meisten Fällen wird das Öl in die Haut eingerieben oder in Tee und anderen Getränken eingenommen. Einige Aromatherapeuten halten sogar das Kochen mit Kräutern für eine Art von Aromatherapie. Die heilende Kraft der essenziellen Öle ist der Hauptgrund für die Beliebtheit der Aromatherapie und außerdem das Hauptproblem für den Skeptiker. Es gibt nur sehr wenige Beweise für all die Behauptungen der Aromatherapeuten bezüglich der verschiedenen heilenden Eigenschaften von Ölen. Die meisten Belege für die Heilkraft von Substanzen wie etwa Teebaumöl hat die Form von Anekdoten: Vor einigen Jahren, im Flugzeug auf dem Weg von Europa nach Indien, fing mein Zeigefinger an, schmerzhaft zu pulsieren. Ein Rosendorn hatte sich dort zwei Tage zuvor festgesetzt, als ich meine Rosen geschnitten hatte. Die Wunde war dabei, sich zu entzünden. Sofort rieb ich unverdünntes Teebaumöl auf den Finger. Bei meiner Ankunft in Bangalore war die 20
Schwellung beinah abgeklungen, und das Pulsieren hatte aufgehört. (Daniele Ryman, Aromatherapy, Piatkus Books, 1992). Diese Art von Post-Hoc-Begründung ist überall in der "alternativen" Medizin und ihrer Literatur anzutreffen. Überzeugender wären sicherlich einige Kontrollstudien. Finden sich Hinweise auf andere Aromatherapeuten, dann sehen diese gewöhnlich so aus: "Marguerite Maury verschrieb Rose für Frigidität und schrieb ihr aphrodisiakische Eigenschaften zu. Außerdem hielt sie Rose für ein hervorragendes Stärkungsmittel für Frauen, die an Depressionen litten. " (Daniele Ryman) Dieser Art werden niemals mit Skepsis oder auch nur Neugierde betrachtet, wie die Beweise für sie aussehen könnten. Sie werden einfach weitergegeben, als handele es sich um Glaubensartikel. Neben persönlicher Erfahrung scheinen Aromatherapeuten an Forschung nur interessiert zu sein, wenn es darum geht, was andere Aromatherapeuten über Pflanzen oder Öle gesagt oder geschrieben haben. Die Praktiker und Verkäufer von aromatherapeutischen Produkten wirken gänzlich desinteressiert an einer wissenschaftlicher Überprüfung ihrer Behauptungen, von denen viele empirischer Natur sind und getestet werden könnten. Natürlich gibt es viele Aromatherapeuten, die nicht überprüfbare Behauptungen aufstellen, so etwa über die Auswirkung bestimmter Öle auf den "Astralleib", das Gleichgewicht der Chakren, die Wiederherstellung der harmonischen Energieströme oder ihren Beitrag zum spirituellen Wachstum. Behauptungen wie diese sind grundsätzlich nicht überprüfbar. Sie bilden Teil der New-Age-Mythologie und sind nicht wirklich Gegenstand einer sinnvollen Diskussion oder Debatte. Wenn Aromatherapeuten beruflich über empirische Themen diskutieren, geht es meist um Dinge wie die Überlegenheit natürlicher Öle gegenüber synthetischen, aber auch hier sucht 21
man vergebens nach Verweisen auf wissenschaftlichen Studien. Die Art, wie Daniele Ryman, eine Verteidigerin der natürlichen Öle, das Thema "Lavendel" behandelt, ist typisch. In dem oben zitierten Buch gibt sie botanische und historische Informationen über die Pflanze, darunter auch die Behauptung eines Botaniker aus dem 16. Jahrhundert, Matthiole, Lavendel sei ein Heilmittel, welches Epilepsie, Schlaganfälle und psychische Probleme beheben könne. Ryman gibt an, die Hauptbestandteile des Lavendel seien Alkohole wie Borneol, Geraniol und Linalool; Ester (Alkohol-CarbonsäureVerbindungen) wie Geranyl und Linalyl; Terpene wie etwa Pinen und Limonen. Weiterhin enthält Lavendel einen hohen Anteil an Phenol, einem starken Antiseptikum und Antibiotikum. Ryman teilt außerdem mit, dass, während viele essenzielle Öle sehr giftig seien, es sich bei Lavendel um eines der ungiftigsten überhaupt handele; danach informiert sie darüber, dass "Lavendel das Öl ist, das am häufigsten mit Verbrennungen und Hautverletzungen in Verbindung gebracht wird". Es sei "sehr wirksam bei der Behandlung von Zystitis, Vaginitis, Leucorrhea"; als Kräutertee außerdem "gut als morgendliches Stärkungsmittel für Genesende, als Verdauungsmittel nach Mahlzeiten, gegen Rheuma und bei den ersten Anzeichen einer Erkältung oder Grippe." Gegen Krampfadern rät Ryman zu einer "Massage der Beine mit einem Öl, das aus 3 Tropfen Zypressenöl, jeweils 2 Tropfen Lavendel- und Zitronenöl, und einer Unze von Sojaöl" besteht (S. 143). Sie gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass irgendjemand schon einmal irgendwo irgendwelche Kontrollstudien mit Lavendel durchgeführt hat, um einige dieser Behauptungen zu bestätigen. Zwar stimmt es, dass Ausdrücke wie 'sehr wirksam' oder 'gut für/gegen' nicht sehr präzise sind, aber sie sind auch keine kompletten Nebelkerzen wie 'hilft bei' (was sie etwa über Lavendel als Badezusatz gegen Zellulitis sagt). Und 'in Verbindung mit' sagt nicht direkt, dass Lavender gegen Verbrennun22
gen helfen kann. Trotzdem denke ich, man kann diese Behauptungen exakt genug eingrenzen, um sie zu testen; ich zweifele allerdings daran, dass Ryman oder andere Aromatherapeuten auch nur im Geringsten an solchen Tests interessiert wären. Aus unbekanntem Grund schreibt Ryman in ihrem Kapitel über Lavendel nicht viel über das Öl als Mittel zur Stressreduzierung. In einem Abschnitt über "Schlaflosigkeit" gibt sie jedoch an, "Lavendel [sei] ein sanftes Schlafmittel, empfohlen bei geistiger und körperlicher Beanspruchung". Ryman erwähnt allerdings nicht die Studie, die die Wirkungen von Aromatherapie (mit Lavendel), Massage und strikter Ruhe bei Intensivpatienten verglich. Bei dieser Studie kamen die Forscher nämlich zu dem Schluss, dass Ruhe am besten sei (C. Dunn et al., "Sensing an improvement: an experimental study to evaluate the use of aromatherapy, massage and periods of rest in an intensive care unit," Journal of Advanced Nursing, 21, 1995, pp 34-40). Allerdings würde ich nicht so weit gehen, die Aromatherapie in Bausch und Bogen abzulehnen. Wenn ich erkältet bin und die Nase zu ist, nehme ich Vick VapoRub, eine Mischung aus Kampfer, Menthol und Eukalyptusöl. Genau genommen bin ich vermutlich ein praktizierender Aromatherapeut. Wenn ich mir jedoch das anschaue, was die selbsternannten Aromatherapeuten alles behaupten, dann sehe ich mich zu dem Schluss gezwungen, dass es sich bei Aromatherapie zum größten Teil um eine pseudowissenschaftliche "alternative" Medizin handelt - eine Mischung aus Volksweisheit, Versuch und Irrtum, Anekdoten, Erfahrungsberichten, New AgeSpiritualismus und purer Träumerei. Was den Anhängern der Aromatherapie fehlt, ist die Fähigkeit, den Geruch von Unsinn zu erkennen. Anmerkung des Übersetzers: Marguerite Maury, die Große Alte Dame der Aromatherapie, ging davon aus, dass mit dem jeweiligen Aroma einer Pflanze 23
auch deren "Seele" in den menschlichen Körper mit eingehe. Ein anderer Name für Aromatherapie ist "Osmotherapie". Es gibt Querverbindungen zu Aura-Soma und "Energiemeridianen", wie sie etwa aus der Lehre des chi bekannt sind. Etwa 80 Prozent der handelsüblichen Öle werden übrigens synthetisch hergestellt. Colin Goldner schreibt in dem Buch "Die Psycho-Szene" (Alibri, 2000): "[...] für die behaupteten psychotherapeutischen Heileffekte fehlt jeder Hinweis. [...] Die Vorstellungen einer 'Seele' oder eines 'höheren Wesens' der Pflanzen [...] sind völlig willkürlich und ebenfalls durch nichts belegt. [...] Die ausdrücklichen therapeutischen Effekte indes, die den Harzen und Aromastoffen zugeschrieben werden, gehören ins Reich des Mythos." Für mich spiegelt die Vorstellung der Heilkraft der "essenziellen Öle" unter anderem auch die Sehnsucht nach einem animistisch-spirituellen Weltbild wider, kombiniert mit der fehlgeleiteten Vorstellung, die Natur sei ausschließlich für den Menschen da. Übersetzung: Tobias Budke
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Astrologie Millionen von Menschen glauben an Horoskope, die Astrologie hat Jahrtausende überdauert - doch das ist völlig irrelevant, wenn es um den Wahrheitswert der Sterndeutung geht. "Die heutzutage praktizierte Astrologie (sowohl in ihrer traditionellen als auch in ihrer psychologischen Form) ist bedeutungslos für unser Verständnis vom Menschen oder seinem Platz im Kosmos. Moderne Vertreter der Astrologie bieten keinerlei grundlegende Basis für die astrologischen Verknüpfungen mit irdischen Angelegenheiten, haben keine plausible Erklärung für ihre Behauptungen und haben zu keinem Gebiet der Sozialwissenschaften irgendetwas beigetragen. Darüberhinaus ist die Astrologie weder theoretisch noch konzeptionell in der Lage, ihre eigenen internen Probleme oder äußeren Anomalien angemessen zu bewältigen, beziehungsweise miteinander im Widerspruch stehende astrologische Behauptungen oder Systeme zu bewerten." (I.W. Kelly, Modern Astrology: A critique, S. 931). "Sie sollten die Möglichkeit nicht als unglaublich ausschließen, dass eine lange genug währende Suche einen goldenen Kern inmitten des astrologischen Aberglaubens finden könnte." (Johannes Kepler) "Nicht durch die Schuld der Sterne, lieber Brutus, Durch eigne Schuld nur sind wir Schwächlinge." (William Shakespeare, Julius Cäsar, I, ii, 140f.) Die Astrologie ist in ihrer klassischen Form eine Form der Weissagung, begründet auf der Annahme, dass die Positionen und Bewegungen der Himmelskörper (Sterne, Planeten, Sonne und Mond) zum Zeitpunkt der Geburt das Leben eines Menschen tiefgreifend beeinflussen. In ihrer psychologischen Variante stellt die Astrologie sich als New-Age-Therapie dar, die zur Selbsterkenntnis und Persönlichkeitsanalyse verwendet 25
wird. Dieser Beitrag befasst sich ausschließlich mit klassischer Astrologie. Die am meisten verbreitete Form der Astrologie ist die "Sternzeichen-Astrologie", wie man sie in vielen Tageszeitungen und Magazinen in Form von Horoskopen findet. Ein Horoskop ist eine astrologische Voraussage; der Begriff wird aber auch für eine Karte des Tierkreises zum Zeitpunkt der Geburt verwendet. Der Tierkreis ist in zwölf Zonen unterteilt, jede nach einem Sternbild benannt, das ursprünglich in dieser Zone stand (Stier, Löwe ...). Die scheinbaren Wege von Sonne, Mond und den großen Planeten liegen alle im Tierkreis. Aufgrund der Wanderung ("Präzession") der Tagundnachtgleichen haben sich Winter- und Sommersonnenwende in den vergangenen 2000 Jahren um etwa 30 Grad nach Westen bewegt. Deshalb stimmen die in der Antike festgelegten Sternbilder heute nicht mehr mit den Teilen des Tierkreises (den "Sternzeichen") überein, die nach ihnen benannt wurden. Wären Sie am gleichen Tag des Jahres zur gleichen Uhrzeit vor 2000 Jahren geboren worden, hätten Sie also ein anderes Sternzeichen gehabt. Die klassische westliche Astrologie lässt sich in eine "solare" und eine "siderische" Astrologie unterteilen (andere Kulturen verwenden andere Systeme). Das solare (oder Sonnen-) Jahr wird relativ zur Sonne gemessen und hat eine Dauer von 365 Tagen, 5 Stunden, 48 Minuten und 46 Sekunden, d.h. die Zeit, die zwischen zwei Wintersonnenwenden verstreicht. Das siderische Jahr dauert 365 Tage, 6 Stunden, 9 Minuten und 9,5 Sekunden; es misst die Zeit eines kompletten Erdumlaufs um die Sonne, gemessen relativ zu den Sternen. Das siderische Jahr ist wegen der Wanderung der Tagundnachtgleichen länger als das solare. Diese Wanderung ist auf das Taumeln der Rotationsachse der Erde relativ zur Erdbahn zurückzuführen. Die siderische Astrologie verwendet das tatsächliche Sternbild, in der sich die Sonne bei der Geburt befindet, als Grundlage. Die solare Astrologie dagegen verwendet einen 30 Grad großen Abschnitt des Tierkreises. Letzteres Verfahren erfreut 26
sich der größeren Beliebtheit, die siderischen Astrologie wird nur von einer Minderheit von Astrologen vertreten. Eines der häufigsten Argumente für die Astrologie lautet "Astrologie wird von Millionen von Menschen geglaubt und hat Jahrtausende überdauert." Diese Angaben stimmen zwar, sind aber völlig irrelevant, wenn es um den Wahrheitswert der Astrologie geht. Die antiken Chaldäer und Assyrer beschäftigten sich schon vor dreitausend Jahren mit astrologischer Wahrsagung. Bis zum Jahre 450 v.Chr. hatten die Babylonier den noch heute verwendeten 12er-Tierkreis entwickelt, aber es waren die alten Griechen - von Alexanders Zeit bis zur Eroberung durch die Römer, also etwa von 340 v.Chr. bis 140 v.Chr - welche die meisten grundlegenden Elemente der heutigen Astrologie schufen. Die Verbreitung astrologischer Praktiken wurde durch den Aufstieg des Christentums mit seiner Betonung von göttlichem Eingreifen und freiem Willen Einhalt geboten. In der Renaissance kam die Astrologie dann wieder stärker in Mode, teilweise hervorgerufen durch das aufsteigende Interesse an Wissenschaft und Astronomie. Christliche Theologen warnten jedoch vor der Astrologie, 1585 wurde sie von Papst Sixtus V. verurteilt. Zur gleichen Zeit begannen die Arbeiten Keplers und anderer Astronomen die Behauptungen der Astrologie zu untergraben. Korrelation impliziert nicht Kausalität Oft wird behauptet, die Astrologie sei wissenschaftlich überprüfbar und es gebe tatsächlich Beweise für eine ursächliche Verbindung zwischen Himmelskörpern und irdischen Ereignissen. So werden, glaubt man an den sogenannten "MarsEffekt", Spitzensportler nicht gemacht, sondern geboren. Diese Behauptung beruht auf einer statistischen Analyse der Stellung des Planeten Mars zum Geburtszeitpunkt berühmter Sportler: Es ergebe sich dabei eine Korrelation, die größer sei, als durch reinen Zufall möglich. Kritiker widersprechen dem und meinen, die Belege zeigten keine solche Korrelation. 27
Doch selbst, wenn es eine solche Korrelation zwischen den Geburtstagen berühmter Sportler und der Position des Mars geben sollte, bedeutet dies nicht, dass es eine kausale Verbindung zwischen einer Planetenposition und den Begabungen gibt. Eine Korrelation zwischen zwei Größen A und B ist keine hinreichende Bedingung für die Überzeugung, dass A der Verursacher von B ist. Korrelation ist nicht gleich Kausalität. Trotzdem sind Korrelationen natürlich außerordentlich attraktiv, wenn man die Astrologie verteidigen will: "Bei 3458 Soldaten fand sich Jupiter 703mal entweder in aufsteigender oder in höchster Position, als sie geboren wurden. Die Wahrscheinlichkeit hierfür: 1 Million zu 1." (Gauquelin). Aber selbst wenn man annimmt, dass das statistische Material, das eine signifikante Korrelation zwischen den verschiedenen Planeten auf ihrem Aufstieg, Fall, Höhepunkt und wo auch sonst immer zeigt, akkurat ist - es wäre doch wesentlich überraschender, wenn bei all den Milliarden und Abermilliarden von denkbaren himmlischen Bewegungsabläufen und Positionen nicht wenigstens ein paar dabei wären, die sich signifikant mit größeren Ereignissen oder individuellen Charakterzügen korrelieren lassen. Man muss nur genügend unterschiedliche Größen miteinander verknüpfen, um schließlich auch einmal auf statistisch unwahrscheinliche - und damit für die Astrologen scheinbar signifikante - Korrelationen zu stoßen. Die Begeisterung für Korrelationen jeder Art findet sich auch in den Überlegungen derjenigen, die versuchen, aus jeder urzeitlichen Megalithenstätte eine Art astronomisches Observatorium zu machen. Vertreter der Astrologie sollten zur Kenntnis nehmen, was Aubrey Burl über diese Art von Schlussfolgerungen schrieb: "...in beinahe jedem Kreis ist die wahrscheinlichkeit für eine zufällige gute Sichtlinie zum Himmel groß. Man denke an eine Stätte wie Grey Croft, Cumberland [...] 27,10 mal 24,40 Meter groß, mit zwölf Steinen und einem weiteren außerhalb stehenden; dort gibt es so viele mögliche Linien und so viele denkbare Ziele, dass es unwahrscheinlich ist, gar nichts zu finden." 28
(Burl, S. 50). Obgleich es stimmt, dass die Chancen auf zwanzig Mal hintereinander "Rot" beim Roulette sehr gering sind - es ist schon vorgekommen: Bei einer ausreichenden Menge von Rouletterunden verwandeln sich schließlich selbst sehr unwahrscheinliche Ereignisse in regelmäßige auftauchende. Kurz: Ereignisse, die den Gesetzen der Statistik zu widersprechen scheinen, tun es nicht mehr, wenn man sie sorgfältiger untersucht. Fruchtwassermeer und Geburtszeitpunkt Anhänger der Astrologie verweisen gern darauf, dass die Länge des Menstruationszyklus der Umlaufzeit des Mondes um die Erde gleicht - und dass schließlich die Schwerefelder von Sonne und Mond ausreichen, um das Heben und Senken der Gezeiten auf der Erde zu verursachen. Wenn der Mond Ebbe und Flut beeinflusst, dann doch sicher auch einen Menschen. Wir dürften doch nicht vergessen, dass das Leben in einem "Fruchtwassermeer" seinen Anfang nimmt und dass der menschliche Körper zu 70 Prozent aus Wasser besteht! Da Austern ihre Schalen im Einklang mit den Gezeiten öffnen und schließen, die wiederum auf die Gravitation von Sonne und Mond zurückgehen, und Menschen voller Wasser sind, ist es dann nicht offensichtlich, dass auch Menschen vom Mond beeinflusst werden? Offensichtlich vielleicht - aber die wissenschaftliche Forschung hat keinerlei Beweise für solche Zusammenhänge gefunden. Astrologen betonen stets die Wichtigkeit der Sonnen-, Mond- und Planetenpositionen zum Zeitpunkt der Geburt. Doch warum sind diese Anfangsbedingungen wichtiger als die späteren Einflüsse der Himmelskörper, wenn es um die Persönlichkeit und Charaktereigenschaften geht? Wieso nimmt man die Geburt und nicht die Zeugung als bedeutungsschweren Augenblick? Weshalb sind die sonstigen Bedingungen wie Gesundheit der Mutter, Ort und Umstände der Geburt, Zange, helle Lichter, dunkler Raum, Rücksitz eines Autos usw. nicht wichtiger als die Frage, ob Mars gerade aufsteigt, 29
absteigt oder so gerade eben den Klassenerhalt schafft? Und aus welchem Grunde stellt der Planet Erde, der uns bei der Geburt viel näher ist, nicht einen bedeutenden Einfluss auf unser Sein und Werden dar? Wie kann ein Astrologe überhaupt zuverlässig erfahren, wann sein Klient "geboren" wurde? Eine Geburt ist kein punktueller Vorgang, sondern sie zieht sich hin. Der Umstand, dass jemand irgendwo eine offizielle Geburtszeit notiert, ist für den tatsächlichen Vorgang bedeutungslos. Ist für das Horoskop der Moment wichtig, in dem die Fruchtblase platzt? Oder der Zeitpunkt der Öffnung des Muttermundes? Der Augenblick, in dem sich das erste Härchen oder Zehnägelchen erkennen lässt? Oder besser der Moment, in dem das letzte Härchen oder Zehnägelchen die Scheide verlässt? Das Durchtrennen der Nabelschnur? Vielleicht der ersten Atemzug des Babies? Möglicherweise auch der Zeitpunkt, an dem Ärztin oder Schwester endlich einen Blick auf die Uhr werfen (die zweifellos überirdisch genau geht!), um den Geburtszeitpunkt zu notieren. Niemand würde jemals die Behauptung aufstellen, man müsse die Anfangsbedingungen der Singularität vor dem Urknall kennen, um die Auswirkungen des Mondes auf die Gezeiten oder auf den Kartoffelanbau zu verstehen - oder die Position von Sternen und Planeten zum Zeitpunkt der Ernte. Wenn man wissen möchte, wann morgen Ebbe ist, dann ist es nicht erforderlich, sich darüber zu informieren, wo der Mond stand, als der erste Ozean oder der erste Fluss der Weltgeschichte gebildet wurde - oder ob der Ozean vor dem Mond da war oder umgekehrt. Die anfänglichen Bedingungen sind stets völlig unwichtig gegenüber den gegenwärtigen - ob es um Gezeiten oder Gemüseanbau geht. Warum also sollte das nicht auch für Menschen gelten? Schlechte Statistik - aber zufriedene Kunden Trotz allem gibt es Leute, die an Astrologie glauben und von der Genauigkeit professioneller Horoskope überzeugt sind. 30
Einer meiner Kollegen, ein Geschichtslehrer mit Doktortitel der Universität von Kalifornien, praktiziert Astrologie. Er ist natürlich technisch auf der Höhe und hat ein Computerprogramm, das ihn bei seinen Analysen unterstützt. Er ist sich aller Argumente gegen Astrologie bewusst und gibt sogar zu, dass sie rein logisch betrachtet nicht funktionieren dürfe. Trotzdem glaubt er daran. Diese Vorstellung von "funktionieren" ist interessant. Was bedeutet sie? Im Grunde bedeutet die Behauptung, Astrologie "funktioniere", dass es zahlreiche zufriedene Kunden gibt. Sie bedeutet nicht, dass Astrologie korrekt menschliches Verhalten oder Ereignisse mit einer Wahrscheinlichkeit voraussagen kann, die signifikant größer ist als die Zufallsverteilung. Hauptsächlich sind es Erfahrungsberichte, mit denen das "Funktionieren" der Astrologie untermauert wird. Es gibt viele zufriedene Kunden, die daran glauben, dass ihr Horoskop sie präzise beschreibt und dass ihre Astrologin ihnen gute Ratschläge erteilt hat. Belege dieser Art haben keine Beweiskraft für die Astrologie, sondern demonstrieren vielmehr die Voreingenommenheit zugunsten der Bestätigung eigener Überzeugungen. Gute Astrologen geben vielleicht gute Ratschläge, aber das sagt nichts über die Astrologie aus. Mehrere Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen dazu neigen, selektiv zu denken und jedes für sie erstellte Horoskop so zu interpretieren, dass es mit den Vorstellungen übereinstimmt, die sie ohnehin von sich und ihrem Horoskop haben. Viele der Behauptungen, die über Sternzeichen und Persönlichkeitstypen aufgestellt werden, sind vage und passen auf viele Menschen mit vielen verschiedenen Sternzeichen. Sogar Berufsastrologen, die nichts als Verachtung für die typische Sternzeichenastrologie haben, können ein korrektes Horoskop nicht mit signifikanter Wahrscheinlichkeit erkennen. Und doch behält die Astrologie ihre Popularität, ungeachtet des Umstandes, dass es nicht den Hauch eines wissenschaftlichen Beweises gibt. Sogar die ehemalige First Lady der USA, Nancy Reagan, konsultierte gemeinsam mit ihrem Mann Ronald eine 31
Astrologin während der acht Jahre, in denen er der "Führer der freien Welt" war. Daraus kann ich nur schließen, dass Astrologen mehr Einfluss haben als ihre Sterne. Ist es vielleicht denkbar, dass ich aufgrund der Position von Planeten, Sternen, Monden, Kometen, Asteroiden, Quasaren und Schwarzen Löchern zum Zeitpunkt meiner Geburt so wurde, wie ich bin? Sicher. Gibt es irgendeinen Grund dafür, zu glauben, dass diese Möglichkeit größer ist als die gegenteilige, nämlich dass all diese Positionen bedeutungslos für mein Schicksal sind? Nein. Ich für meinen Teil kann keinen einzigen guten Grund dafür finden, so etwas zu glauben. Aber ich bin ein Stier - und man weiß ja, wie dickköpfig Stiere sind. Übersetzung: Tobias Budke
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Atheismus Atheisten sind davon überzeugt, dass Gott von den Menschen erschaffen wurde - und nicht umgekehrt. Aus der Behauptung, dass der Mensch Gott erschaffen oder erfunden hat, folgt allerdings, dass ein großer Teil der Menschheit an einer Selbsttäuschung leidet. Wie erklären Atheisten den Ursprung dieser Selbsttäuschung - und ihre Fortdauer? Philosophen wie Thomas Hobbes und Baruch de Spinoza waren der Auffassung, dass der Glaube an Gott seinen Ursprung in Angst und Aberglauben hat. Sigmund Freud, Karl Marx und andere behaupteten, dass der Trug anhalte, weil der Glaube an Gott den Wunsch nach einem schützenden Vater und nach Unsterblichkeit befriedige, oder, weil er als Betäubungsmittel gegen Elend und das Leiden der menschlichen Existenz wirke. Menschen, die an Gott glauben, sind entweder davon überzeugt, dass Beweise für ihren Glauben existieren, oder sie denken einfach, dass es keinen Grund gibt, nicht an Gott zu glauben. Erstere halten die Argumente der Atheisten für albern, arglistig, irreführend, schwach, substanzlos oder lächerlich. Letztere betrachten die Atheisten als Sturköpfe, die nicht bereit seien, ein Risiko einzugehen, um zu einer möglichen, erhabenen Wahrheit zu gelangen. Keine der beiden Gruppen betrachtet jedoch ihre eigenen Argumente und Ansichten mit dem gleichen kritischen Blick, den sie auf die Atheisten wirft. Diesen beiden Typen von Gläubigen ist eines gemeinsam: Ihr Wunsch, an ihre eigene Selbsttäuschung zu glauben, ist derart stark ausgeprägt, dass sie sich einreden, bei der Verfolgung ihres Wahns absolut rational und vernünftig zu sein, währenddessen die Atheisten in der Ablehnung desselben Wahns irrational und unvernünftig seien. Dabei werden viele dieser Gläubigen von einem gemeinsamen Beweggrund geleitet: Ihr Glaube gibt Ihnen ein Gefühl der Macht und der Überlegenheit. Dieses Gefühl führt allzu häufig dazu, dass sie jeden zugrunde richten, der sich ihnen widersetzt. Außerdem 33
neigen Gläubige dazu, ihren Segen über weltliches Elend und weltliche Not auszugießen - einschließlich über jene Missstände, die sie selbst verursacht haben. Gläubige haben die Empfindung, dass ihnen ein esoterisches Wissen innewohnt - für einen Atheisten hingegen, bedeutet das alles nichts weiter, als dass sich der Betreffende auf dem absoluten Ego-Trip befindet. Das Gefühl der eigenen Besonderheit jedoch, verleiht dem Leben des Gläubigen nicht nur die gewisse Würze, sondern auch Sinn und Bedeutung: eine Sinnhaftigkeit, die ihm sonst fehlen würde. Für viele Gläubige aber, ist der Glaube an Gott einfach etwas, das sie ihr ganzes Leben als selbstverständlich hingenommen haben. Der Glaube verleiht ihrem Leben Sinn und Ordnung. Er verbindet sie mit einer Gemeinschaft, gibt ihnen Vertrauen zu sich selbst und zu ihren Überzeugungen. Ihr Glaube wird ihnen von allen Personen bestätigt, die in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielen. Wer mit Feen aufwächst, wird später vermutlich an Feen glauben. Wer mit Gott aufwächst, wen alle wichtigen Personen im Gottesglauben bestärken, der wird schließlich überall Beweise erblicken für das, was in seinem Herzen bereits als Wahrheit fest verankert ist. Die ständige Bekräftigung des Gottesglaubens innerhalb der Gemeinde ist möglicherweise der Hauptgrund dafür, dass er den Gläubigen so vernünftig erscheint. Ununterbrochen bestärkt wird nämlich nicht nur der Glaube selbst, bestärkt werden auch die Argumente zugunsten des Glaubens.< Die Festigung des Glaubens wird vollendet durch die Autorität einiger geachteter, intelligenter und gleichgesinnter Persönlichkeiten. Zwar wird sich kaum jemand nur deshalb zum Glauben an Gott bekehren, weil dieser Glaube von einem Heiligen oder einem Wissenschaftler oder einem LiteraturNobelpreisträger befürwortet wird - doch die Menschen fühlen sich wohler in ihrem Glauben, wenn sie sich dabei in guter Gesellschaft wissen. Millionen von Kindern wachsen in einer Welt auf, die von Engeln, der heiligen Kommunion, Gott-dem-Vater-dem-Sohn34
und-dem-Heiligen Geist, Jesus, dem Heiland und Erlöser, erfüllt ist. Dass es all diesen Dingen an Logik und Vernunft fehlt, wird von ihnen nicht wahrgenommen. Für diese Kinder ist es ebenso selbstverständlich, an die "Wandlung Christi" (in Brot und Wein) zu glauben, wie an die Elektrizität. Mathematik lernen sie genauso, wie den Katechismus. Die Absurdität dieses Nebeneinanders wird nicht bemerkt. Für viele Leute ist es ebenso natürlich, an Feen, an Hexen und an den Bösen Blick zu glauben, wie daran, dass Feuer heiß ist. Dass sie davon überzeugt sind, ist jedoch völlig irrelevant für die Frage, ob es tatsächlich Feen, Hexen oder Götter gibt. Der Gläubige meint, dass das Leben nur einen Sinn hat, wenn es einen Gott gibt. Warum nur ist es dann für einen Atheisten offensichtlich, dass alles viel mehr Sinn ergibt, wenn es keinen Gott gibt? Warum erscheint es dem Atheisten einleuchtender, wenn er das Universum betrachtet als einen zufällig entstandenen Mechanismus, der von unpersönlichen Naturkräften beherrscht wird? Ein Atheist beobachtet das Universum und alles, was darüber bekannt ist - und erkennt, dass dessen vermeintlich vollkommene Ordnung und Gestaltung höchst unvollkommen ist. Er sieht Einzelheiten, die in ihrer Funktion zwar wunderbar sind, deren Ausführung jedoch geradezu lächerlich unzureichend ist. So kommt er zu dem Schluss, dass ein allwissendes Wesens dies alles keineswegs in dieser Weise entworfen hätte. Ein Beispiel: Das menschliche Auge, das Gehirn, und das Netz aus Nerven, Gewebe und Neuronen - all diese Dinge, die unser Sehvermögen ausmachen, sind zweifellos Wunder. Ein Mensch jedoch, der etwa ein elektronisches "Auge" für einen Roboter entwerfen wollte und sich dabei an die Gestaltung des menschlichen Auges hielte, würde einen gewaltigen Umweg einschlagen. Niemand würde ein automatisches Auge haben wollen, das kurzsichtig oder gar blind werden kann und vielleicht gar Korrekturlinsen, Operationen oder ähnliches benötigt. Von einem allwissenden, allmächtigen Wesen wäre doch zu erwarten, dass es sowohl für die Konstruktion des Auges, 35
als auch für den Bau des Universums einen einfacheren und effektiveren Weg wählte. Clarence Darrow meint, dass es genau diese Komplexität mit ihren inhärenten Strukturfehlern sei, die das Nichtvorhandensein einer gezielten Schöpfung erkennen lasse und außerdem zeige, dass diese Schöpfung das Ergebnis von Naturgewalten sei, die ohne besondere Zielgerichtetheit arbeiteten. Zum Zusammenheften einiger Papierseiten kann man natürlich eine komplizierte Klemmschraube verwenden, doch eine weit elegantere Lösung ist allemal der Gebrauch von Büroklammern. Die Umlaufbahnen der Planeten um unsere Sonne lassen uns staunen - doch die Erschaffung des Asteroidengürtels wäre schon ein seltsamer Einfall für einen allmächtigen, durch-und-durch-guten Schöpfer. Die typische Antwort des Gläubigen auf diese Art der Beweisführung besteht darin, diese schlicht als unverschämt abzutun. Gott, so das Argument, sei nicht an menschliche Begriffe der Vollkommenheit gebunden. Was uns plump erscheint, mag Gott als elegant erscheinen. Und so weiter. Doch wenn man diese Argumente bis zu ihrem logischen Ende weiterdenkt, bedeutet das doch, dass man absolut gar nichts mehr über Gott aussagen kann. Ich behaupte, dass Gott sich mindestens an dem Standard messen lassen muss, den eine leidlich kompetente Gruppe intelligenter Menschen hervorbringt. Wenn Gott es nicht besser kann, dann ist die Anwendung des Begriffs "Vollkommenheit" bedeutungslos in Bezug auf dieses Wesen. Es gibt natürlich durchaus Dinge, die von Natur aus komplex sein müssen, deren Komplexität notwendigerweise bestimmt wird durch die Aufgaben, die von ihnen zu erfüllen sind. Und selbst gewaltsame Kollisionen und Eruptionen mögen ihr Gutes haben. Auch die Herausforderung eines Menschen durch natürliche Defekte, wie etwa Blindheit und zerebrale Lähmung, kann etwas Positives bewirken. Der Atheist besteht ja keineswegs darauf, dass allein ein Universum , das einem Sechsjährigen sofort verständlich und angenehm erscheint, eines allmächtigen Schöpfers würdig sei. Ein Tarnkappen36
bomber ist zum Beispiel sehr komplex konstruiert, und das ist für sein Funktionieren durchaus erforderlich. Einen Entwurf jedoch unnötig zu verkomplizieren - das fordert den zu erwartenden Ärger geradezu heraus! Wer auch immer das Programm für den Browser, den Sie zum Betrachten dieses Aufsatzes benutzen, geschrieben hat - wir wollen hoffen, dass er es so geschrieben hat, dass es seinen Zweck erfüllt und dabei möglichst einfach strukturiert ist. Ein anderer Browser erfüllt vielleicht denselben Zweck, ist dabei aber mit unnötiger Komplexität behaftet. Ein unvoreingenommener Programmierer, der beide Codes genau studiert, würde feststellen können, welcher von beiden Programm-Entwicklern der kompetentere Programmierer wäre. Wir anderen benutzen einfach die Programme und bemerken vielleicht noch nicht einmal einen Unterschied. Fachleute aber, würden zweifellos das einfacher strukturierte Programm als den besseren Entwurf einschätzen. Die Vorstellung von einem herrlichen Wesen, das zwar für alles verantwortlich ist, aber eine Art kosmisches Versteckspiel mit uns treibt, führt den Atheisten zu der Frage: Warum sollte ein Wesen wie Gott sich so töricht verhalten? Das ganze Ideensystem aus Schöpfung, Geboten, Gottesdienst, Belohnung und Strafe, erklärt überhaupt nichts. Viele Kinder müssen die Antwort auf die Frage "Warum hat Gott mich erschaffen?" auswendig lernen. Die Antwort lautet: "Damit ich ihn erkenne, liebe und ehre, ihm diene und ihm folge." Das mag sich für ein Kind vielleicht nicht übel anhören: Es hat also eine feierliche, geheimnisvolle Pflicht zu erfüllen gegenüber einem Wesen, das sich und seine Wünsche nur zu besonderen Anlässen offenbart - und selbst dann nur auserwählten Personen. Wie viele Kinder hoffen wohl beim Memorieren des Katechismus, dass ausgerechnet sie von Gott für eine göttliche Offenbarung ausersehen würden? Wenn Atheisten von Menschen hören, die Visionen hatten, oder glauben, göttliche Stimmen gehört zu haben, oder magische Taten oder Wunder vollbringen, dann fragen sie zumeist 37
mit David Hume: Was ist wahrscheinlicher - dass Gott tatsächlich zu dieser Person gesprochen hat oder dass diese Person sich irrt oder andere gar betrügt? Was ist wahrscheinlicher - dass die Naturgesetze von besonderen Kräften außer Kraft gesetzt wurden, oder, dass Illusion, Täuschung, Betrug, oder Irrtum vorliegen? Hume behauptet, dass ein vernunftbegabter Mensch - die Beibehaltung der wesentlichen Prinzipien der Vernunft vorausgesetzt - an göttliche Visionen, Stimmen oder Wunder auf der Basis von Zeugenaussagen, ja selbst aus erster Hand, unmöglich glauben kann, ohne eben diese Prinzipien aufzugeben. Atheisten halten diesen Gedankengang Humes für feinsinnig und zutreffend. Atheisten meinen, dass Gott nicht nur ein einziges Mal, sondern bereits viele Male in vielen verschiedenen Kulturen erfunden wurde. Dass diese Erfindungen einander ähneln, ist schlicht darauf zurückzuführen, dass die Natur der Menschen und ihre Erfahrungen einander ähneln: Geburt, Sex, Leid und Tod gibt es bekanntlich überall. In Gottesbildnissen und Gotteserfahrungen, und auch in der nützlichen Funktion solcher Erfindungen, spiegeln sich allgemein menschliche Erfahrungen, wie etwa das Bedürfnis nach Schutz vor den Naturgewalten und vor Feinden, sowie die Angst vor dem eigenen Tod. Es ist andererseits aber durchaus möglich, dass die Ähnlichkeiten in den religiösen Erfahrungen und Glaubensvorstellungen unterschiedlicher Kulturen der neurophysiologischen Beschaffenheit des Menschen an sich entspringen. Michael Persinger ist es zum Beispiel gelungen, die Empfindung einer Geistererscheinung, das Gefühl, den Körper zu verlassen, und andere Gefühle, die im Mystizismus eine Rolle spielen, durch die elektrische Stimulierung des Gehirns hervorzurufen. Die Einnahme von Drogen, wie LSD und Meskalin, versetzte viele Menschen in die Lage, religiöse Erfahrungen nachzuempfinden. Es ist vermutlich kein Zufall, dass viele primitive Religionen den Gebrauch von Drogen, exzessive Tänze, Gesänge, Fasten und andere Wege, das Bewusstsein neurochemisch zu 38
verändern, praktizierten, um mit der Geisterwelt Kontakt aufzunehmen. Halluzinationen und Träume wurden oftmals als Zugang zum Göttlichen betrachtet. Was diese Erfahrungen in Wahrheit jedoch miteinander verbindet, ist möglicherweise eben nicht ein objektiv erlebter Gott, sondern vielmehr eine subjektive Wahrnehmung, die auf immer dieselbe Art und Weise in den betreffenden Hirnregionen ausgelöst wird - und deshalb auch zu ähnlichen Erlebnissen und Gefühlen führt. Übersetzung: Larissa Wagner
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Ayurvedische Medizin und Deepak Chopra Die Beliebtheit des Ayurveda legt Zeugnis ab für das Scheitern des modernen Lebens - und doch ist Ayurveda nicht mehr als unwissenschaftlicher Mystizismus Wenn man durch minimale Willenskraft mit den Zehen wakkeln kann, warum kann man dann die biologische Uhr nicht zurückdrehen? Wenn man für den Augenblick leben könnte, würde man den Geschmack der Ewigkeit sehen, und wenn diese Erfahrung der Ewigkeit verstoffwechselt wird, altert der Körper nicht. Ayurveda ist die Wissenschaft des Lebens und hat einen sehr grundlegenden, einfachen Ansatz, nämlich dass wir Teil des Universums sind und das Universum intelligent und der menschliche Körper Teil des kosmischen Körpers ist, und der menschliche Geist ist Teil des kosmischen Geistes, und Atom und Universum sind genau gleich, aber von unterschiedlicher Gestalt, und je mehr wir in Berührung mit dieser tieferen Realität stehen, aus der alles kommt, um so mehr werden wir im Stande sein, uns selber und zur gleichen Zeit unseren Planeten zu heilen. (Deepak Chopra) Ayurvedische Medizin ist ein "alternativer" medizinischer Ansatz, der Behauptungen zufolge die traditionelle Medizin Indiens darstellt. Ayurveda wird aus zwei Sanskrit-Begriffen gebildet: ayu bedeutet "Leben" und veda "Wissen" oder "Wissenschaft". Da diese Technik angeblich etwa 5000 Jahre alt sein soll, könnte es sein, dass das, was in ihrem Rahmen als Wissen oder Wissenschaft betrachtet wird, nicht deckungsgleich mit den neuesten der westlichen Medizin zugänglichen Erkenntnissen ist. Jedenfalls wurden die meisten antiken Behandlungsmethoden nicht schriftlich festgehalten - und was sich heute traditionelle indische Medizin nennt, wurde zum größten Teil in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts von je40
nem Maharishi Mahesh Yogi entwickelt, der auch die Transzendentale Meditation in den Westen brachte. Ayurveda-Behandlungen sind hauptsächlich ernährungs- und kräuterorientiert. Die Patienten werden nach Körpertypen (prakriti) eingeteilt, die je nach den Proportionen der drei doshas bestimmt werden. Diese doshas regulieren angeblich die Harmonie von Körper und Geist. Beschwerden und Krankheiten werden als Auswirkungen eines Ungleichgewichts der doshas betrachtet. Die Behandlung zielt auf die Wiederherstellung von Harmonie oder Gleichgewicht im Körper-GeistSystem. Vata, bestehend aus Luft und Raum, steuert demzufolge alle Bewegungen von Geist und Körper und muss in einem stabilen Gleichgewicht gehalten werden. Zuviel Vata führt zu "Sorgen, Schlaflosigkeit, Krämpfen und Verstopfung ... Vata steuert den Blutkreislauf, die Ausscheidungen, die Atmung und die Bewegung der Gedanken durch den Geist." Vata steuert darüber hinaus noch zwei weitere Prinzipien, pitta und kapha. Pitta besteht aus Feuer und Wasser; laut Ayurveda kontrolliert es "die gesamte Hitze, den Metabolismus und die Verwandlung in Geist und Körper. Es kontrolliert unsere Verdauung, die Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen und unsere Unterscheidung zwischen richtig und falsch." Auch pitta muss im Gleichgewicht gehalten werden. "Zuviel [pitta] kann zu Zorn, Kritik, Geschwüren, Ausschlag und Haarausfall führen." Kapha besteht aus Erde und Wasser. Es "lenkt die gesamte Struktur und Schmierung in Körper und Geist. Es steuert Gewicht, Wachstum, Schmierung für Gelenke und Lungen, und die Bildung aller sieben Gewebearten - Nährflüssigkeiten, Blut, Fett, Muskelmasse, Knochen, Mark und Fortpflanzungsgewebe." Zuviel kapha führt zu "Lethargie, Gewichtszunahme, besitzergreifendem Verhalten, Gefäßverengungen und Allergien." Auf der Grundlage der obigen metaphysischen Physiologie empfiehlt es sich laut Ayurveda, die folgenden Dinge zu tun oder zu lassen: Um das kapha zufriedenzustellen, solle man 41
scharfe Lebensmittel zu sich nehmen und süße meiden, mit Ausnahme von Honig, der aber nicht erhitzt werden darf. Tomaten und Nüsse sollte man beiseite lassen. Truthahn ist in Ordnung, aber lassen Sie die Finger von Kaninchen und Fasan. Falls Sie zu viel pitta haben sollten, versuchen Sie dies: Essen Sie süße Speisen und meiden Sie scharfe. Nüsse sind prima. Zur Vata-Verminderung solle man süße, saure und salzige Speisen essen und scharfe links liegen lassen. Nüsse sind auch hier gut, ebenso Milchprodukte. Woher die obigen Erkenntnisse stammen oder wie man Behauptungen dieser Art überhaupt prüfen könnte, interessiert die Anhänger von Ayurveda offenbar nur wenig. Meditation und Quantenphysik Quantenheilung ist die Heilung des Körpergeistes von der Quantenebene aus. Das bedeutet, von einer Ebene aus, die mit unseren Sinneswahrnehmungen nicht sichtbar ist. Unsere Körper sind letztendlich Felder aus Information, Intelligenz und Energie. Quantenheilung beinhaltet eine Änderung in den Feldern der Energieinformation, wie etwa bei der Berichtigung einer Idee, die sich falsch entwickelt hat. Also beinhaltet Quantenheilung die Heilung einer Art von Bewusstsein, Geist, um Veränderungen in einer anderen Art von Bewusstsein, Körper, hervorzurufen. (Deepak Chopra) Auch Meditation ist eine bedeutende Therapieart in der Ayurveda-Medizin. Mit Ausnahme des üblichen Nutzens von Entspannung und Meditation gibt es keine wissenschaftlichen Belege, die die vielen erstaunlichen Behauptungen über die ayurvedische Medizin stützen würden. Auch die Angaben über die bedeutenden gesundheitlichen Erfolge der Transzendentalen Meditation wurden stark übertrieben und verzerrt dargestellt. Was für Behauptungen werden über Ayurveda aufgestellt? Zur Beantwortung dieser Frage wende man sich an Deepak Chopra, ein Absolvent der Harvard Medical School und ein ehemaliger Leiter des "Transzendentale Meditation"42
Programms von Maharishi Mahesh Yogi. Chopra gibt an, dass vollständige Gesundheit eine eigene Entscheidung ist und dass er das dosha und sein Gleich- oder Ungleichgewicht einfach durch Pulsfühlen herausfinden kann. Er behauptet, Allergien werden normalerweise durch schlechte Verdauung hervorgerufen. Er behauptet ebenfalls, dass man Grauen Star vermeiden oder zurückbilden kann durch Zähneputzen, Abschaben der Zunge sowie Spucken in ein Wasserglas - vorausgesetzt, man spült sich die Augen einige Minuten lang mit einer Mixtur der drei so produzierten Substanzen aus. Will man Chopra glauben, dann können wir "im Gegensatz zu unseren überlieferten Vorstellungen vom Altern [...] lernen, die Art und Weise zu steuern, in der unser Körper Zeit verstoffwechselt." Chopra fördert außerdem die Aromatherapie, basierend auf der ayurvedischen metaphysischen Körperlehre. Er verkauft Öle, die speziell darauf ausgerichtet sind, Vata, pitta oder kapha zufriedenzustellen. Etwaige Beweise für diese Behauptungen sind – nicht unerklärlicherweise - Mangelware. Dr. Chopra hat mehr als jeder andere dafür getan, die ayurvedische Medizin des Maharishi in den Vereinigten Staaten populär zu machen, einschließlich einiger New Age-EnergieIdeen, die mutig und fälschlich eine Verbindung zwischen Quantenphysik und Bewusstsein herstellen. Laut Chopra sind wir alle "ein lokales Feld von Energie und Information mit kybernetischen Rückkoppelungsschleifen, das mit einem nichtlokalen Feld von Energie und Information interagiert." Er meint, wir könnten "Quantenheilung" verwenden, um das Alter zu besiegen. Chopra ist der Auffassung, der Geist heile durch die Harmonisierung oder das Gleichgewicht des "quantenmechanischen Körpers" (seine Bezeichnung für prana oder chi). Er sagt auch, dass "man einfach durch die Fokussierung des Bewusstseins auf eine Schmerzquelle den Heilungsprozess beginnen könnte, denn der Körper schickt ganz natürlich Heilenergie dorthin, wo die Aufmerksamkeit ist." Oder, anders ausgedrückt: "Haben Sie glückliche Gedanken, dann produzieren Sie glückliche Moleküle." Diese "Quantenmystik" hat 43
keinerlei Grundlage in der Physik und stellt einen Sprung in die metaphysische Phantasie dar. Die Idee, dass der alte Hindu-Mystizismus nichts anderes ist als Quantenphysik in übernatürlichem Gewand scheint ihren Ursprung bei Fritjof Capra und seinem Buch "Das Tao der Physik" zu haben (1975 erschienen). Die ersten beiden Teile des Werkes sind hervorragende Darlegungen über alte Religionen und moderner Physik. Der dritte Teil, in dem eine Verbindung der beiden ersten versucht wird, ist ein katastrophaler Fehlschlag und so ziemlich der reinste Nonsens diesseits des Ganges. Nichtsdestotrotz hat eben dieser dritte Teil zahlreiche Anhänger von New Age-Energiemedizin dahingehend motiviert, zu behaupten, Quantenphysik beweise die Realität aller möglichen Dinge von chi über prana bis hin zu Psi-Kräften. Die Vorstellung einer solchen Verbindung wird von den meisten Physikern verneint, aber Bücher wie das von Capra oder Gary Zukavs "The Dancing Wu Li Masters" (1976) überstrahlen und sind wesentlich beliebter als vernünftigere Bücher von Physikern. Chopra und andere Anhänger von Ayurveda, im Fahrwasser von Capra und Zukav, weisen gerne darauf hin, dass die moderne Physik antike Hindu-Metaphysik bestätigt hat. Der Physiker Heinz R. Pagels, Autor von "The Cosmic Code", weist die Idee, es gebe eine Verbindung zwischen den Entdeckungen der modernen Physik und den übernatürlichen Behauptungen des Ayurveda, scharf zurück: "Kein ernstzunehmender Physiker, den ich kenne, würde behaupten, eine solche Verbindung zu finden, ohne wissentlich zu betrügen." Die Behauptung, dass die Felder der modernen Physik irgendetwas mit dem "Bewusstseinsfeld" zu tun haben, ist falsch. Die Idee, dass das, was die Physik den "Vakuumzustand" nennt, irgendetwas mit dem Bewusstsein zu tun hat, ist Unsinn. Die Aussage, dass eine große Zahl von meditierenden Menschen die Verbrechensrate senken und Krieg verhindern können, indem sie ein einheitliches Feld des Bewusstseins schaffen, ist hochgradige Dummheit. Die Darstellung der Konzepte der modernen Physik Seite an Seite - und offenbar im Einklang 44
mit - den Konzepten des Maharishi über reines Bewusstsein kann nur den Zweck verfolgen, diejenigen zu täuschen, die es vermutlich nicht besser wissen. Die Lektüre dieses vom Maharishi abgesegneten Materials verursacht mir Kummer, weil ich ein Mensch bin, dem die Wahrheit viel bedeutet. Die willkürliche Entstellung der wunderbaren und tiefgehenden Ideen der modernen Physik, Arbeit von Generationen von Wissenschaftlern, ruft in mir ein Gefühl des Mitleids für jene hervor, die möglicherweise auf diese Verzerrungen hereinfallen. Ich wäre gerne großzügig gegenüber dem Maharishi und seiner Bewegung, weil sie den Weltfrieden und andere hohe Ideale vertritt. Aber keines dieser Ideale kann im Rahmen einer Philosophie verwirklicht werden, die so voller Absicht die wissenschaftliche Wahrheit entstellt. (Heinz R. Pagels) Chopra vermittelt Hoffnung: den Sterbenden, sie stürben nicht, und den Lebenden auf ein ewiges Leben in vollkommener Gesundheit. Aber diese Hoffnung erscheint falsch und basiert auf unwissenschaftlicher Phantasie, durchzogen von Mystizismus und fröhlich verbreitetem Blödsinn. Wissenschaft ist zum Überprüfen der ayurvedischen Behauptungen unnötig, denn "die Meister der ayurvedischen Medizin können die medizinischen Eigenschaften eines Krautes auf einen Blick feststellen." (Thomas J. Wheeler) Betrug und Markterweiterung Wie man von einem falsche Hoffnungen verbreitenden Guru erwarten kann, wurde Chopras Glaubwürdigkeit bereits erschüttert. Chopra reichte 1991 während seiner Präsidentschaft in der American Association of Ayurvedic Medicine einen Bericht bei der American Medical Association ein, gemeinsam mit Hari M. Sharma, einem Pathologieprofessor am Ohio State University College of Medicine, und Brihaspati Dev Triguna, einem Ayurveda-Arzt in New Delhi, Indien. Chopra, Sharma und Triguna gaben vor, sie seien unparteiische Autoritäten, in keinster Weise assoziiert mit irgendeiner Organisation, die von 45
der Veröffentlichung des Artikels profitieren könnte. Jedoch standen sie in engem Kontakt zu dem komplexen Netzwerk von Organisationen, die Produkte und Dienstleistungen anbieten, über die sie in dem Artikel geschrieben hatten. Sie stellten Maharishis Ayur-Veda als Indiens altes medizinisches System dar und nicht als das, was es ist, nämlich ein geschützter Begriff für "alternativmedizinische" Produkte und Dienstleistungen, die seit 1985 von Maharishi Mahesh Yogi vermarktet werden. In seinem Hauptquartier in Kalifornien, wo er keine Arztlizenz hat, verbringt Chopra viel Zeit mit Schreiben und Vorträgen. Er verlangt 25.000 Dollar pro Vortrag, bei dem er ein paar Gemeinplätze absondert und sprituelle Ratschläge gibt, während er vor den abträglichen Auswirkungen des Materialismus warnt. Sein Publikum macht sich offenbar keine Gedanken über sein 2,5-Millionen-Dollar-Haus in La Jolla, Kalifornien, wo er seinen grünen Jaguar abstellt, den er sich mühelos leisten kann - schließlich hat er Millionen von Dollars durch den Verkauf seiner Bücher, Kassetten, Kräuter, Auftritte usw. abgeräumt. Chopra ist wesentlich reicher und ganz bestimmt berühmter als zu jener Zeit, als er noch Endokrinologe oder Personalchef am New England Memorial Hospital jemals war. Er gab die traditionelle Medizin 1981 auf, als Triguna ihn davon überzeugte, dass nur ein Tapetenwechsel ihn vor einem Herzinfarkt bewahren würde. 1984 dann traf Chopra den Maharishi höchstpersönlich und wurde ein Jahr später Leiter des Maharishi-Ayurveda-Gesundheitszentrum für Stressbewältigung in Lancaster, Massachusetts. In Kürze wurde er zu einem international arbeitenden Lieferanten für Kräuter und Tabletten bis hin zu Maharishi-Ayurveda-Produkten. Vielleicht der größte Schwindel bei Ayurveda ist die Behauptung, sie stelle den Menschen in den Mittelpunkt, nicht nur seinen Körper wie die traditionelle Medizin. Wie Chopra meint: "Die erste Frage, die ein Ayurveda-Arzt stellt, ist nicht Welche Krankheit hat mein Patient?, sondern Wer ist mein Patient?" Das mag schon sein, aber es ist nicht der Mensch, 46
den der Arzt heilt. Es ist der "Quantenkörper" oder der "GeistKörper"; es ist das dosha, das ins Gleichgewicht gebracht werden muss. Einem Menschen den Puls zu nehmen und ihm zu sagen, er solle mehr Nüsse oder weniger scharfe Sachen essen, ist kaum ein Indiz für ernsthaftes Bemühen um den Patienten als Menschen. Es ist auch eine Täuschung, auf der Website oder auf dem Umschlag des neuesten Buches kein aktuelles Photo zu verwenden, das den Alterungsprozess deutlich machen würde - insbesondere, wenn man angeblich weiß, wie man das Altern überwinden kann. Selbsttäuschung ist weit verbreitet im Bereich der alternativen Gesundheit, und Chopra hat seinen Teil dazu geleistet. In "Return of the Rishi" verrät er, was ihn zur Transzendentalen Meditation brachte: Sie half ihm dabei, seine Abhängigkeit von Alkohol, Tabak und Kaffee loszuwerden. Der Mann war in seinem Job gestresst, und seine Lebensweise hat diesen Stress noch erhöht. Er beging den pragmatischen Irrtum und wurde zu einem wahren Gläubigen, weil er danach zufrieden war. In Ordnung, aber seitdem ist er dazu übergegangen, eine Bestätigung von TM und Ayurveda mittels der Quantenphysik, pseudowissenschaftlichen Ergüssen und Seminaren zu suchen. Auch wenn seine Patienten starben, während er behauptete, er habe ihnen vollkommene Gesundheit geschenkt, konnte er seine Position halten. Und als die Verbindung mit TM selber zu anstrengend und zu einem Hindernis für eigenen Erfolg wurde, verließ er diese Bewegung. Zurzeit leitet er das "Chopra-Zentrum für Wohlbefinden" in La Jolla, Kalifornien, wo das Ziel ist, "zu heilen, lieben, verwandeln und dienen." Es ist kein medizinisches Zentrum, denn Chopra hat keine Lizenz, um in Kalifornien zu praktizieren. Es ist ein spirituelles Zentrum, an dem man ein "besseres Verständnis für die Macht der eigenen körperlichen, geistigen und seelischen Verbindung zum inneren wie äußeren Universum" erwerben kann. Da viele von denjenigen, die zu dem Zentrum kommen, krank sind, könnte man es ein "WunderheilungsZentrum" nennen. Es fallen einem auch noch ein paar andere 47
Ausdrücke ein, mit denen man es belegen könnte, aber das verärgert möglicherweise Chopras Anwälte, die Spaß daran haben, Kritiker ihres Brötchengebers zu verklagen. Chopra hat auch wortreich zugegeben, dass sein "Ageless Body, Timeless Mind: The Quantum Alternative to Growing Old" ein Plagiat von Professor Robert Sapolskys Beitrag zu "Behavorial Endocrinology" ist. Sapolsky ist der Autor von Kapitel 10, "Neuroendokrinologie der Stressreaktion". 1997 verklagte er Chopra wegen Abschreibens großer Teile seines Werkes ohne entsprechende Quellenangaben. Natürlich hat Chopra eine Website, auf der er sich geehrt fühlt, Ihr Geld für eines seiner vielen Bücher, Kassetten oder Seminare zu nehmen. Wir sollten jedoch nicht zu hart mit unserem Guru ins Gericht gehen. Man kann verstehen, dass er seine medizinische Tätigkeit zugunsten einer religiösen aufgab. Als Mediziner ist man umgeben von kranken Menschen und wird ständig an die eigene Sterblichkeit gemahnt. Die Arbeit ist schwierig, häufig sehr anstrengend und undankbar. Wie Chopra selber sagte, "Es ist frustrierend, Patienten wieder und wieder zu sehen und ihnen immer mehr Schlafmittel, Beruhigungsmittel und Antibiotika gegen ihren Blutdruck oder ihre Geschwüre zu geben, wenn man genau weiß, dass man das Problem oder die Krankheit nicht loswird." Darüber hinaus kann ein Arzt über der Sorge für seine Patienten vergessen, für sich selber zu sorgen und so selbst Schlafmittel, Beruhigungsmittel, Blutdrucksenker und Psychopharmaka benötigen. Bei der Religion hingegen kann man sich ausschließlich mit Jasagern umgeben, die verlangen, getäuscht und in die Irre geführt zu werden, weil sie sich dabei glücklich und gesund fühlen. Wendet man sich der Metaphysik anstelle der Biologie zu, vermeidet man das Risiko, nachweislich Unrecht haben zu können. Es ist wesentlich einfacher, grundlose Hoffnung für Menschen in Nöten zu vermitteln als die harte und gelegentlich brutale Wirklichkeit zu akzeptieren und dabei Gesundheit, Optimismus und Zufriedenheit zu bewahren. Für manche ist es 48
viel leichter, dem Leben dadurch entgegenzutreten, dass man sich vormacht, man selber könne ganz allein bestimmen, was real und wahr sei. Es ist auch viel einfacher, Bestätigungen und Belege für eine Weltsicht zu finden als solide Nachforschungen anzustellen. Und es ist ganz bestimmt wesentlich angenehmer, mit Oprah Winfrey zu plaudern und die Hände der Reichen und Berühmten zu schütteln als schon wieder einen Krebspatienten sterben zu sehen. Warum sind Chopra und Ayurveda so beliebt? Die Beliebtheit Chopras und des Ayurveda legt Zeugnis ab für das Scheitern des modernen Lebens und der modernen Medizin, tiefsitzende Bedürfnisse nach Einfachheit, Vertrauen und einer sauberen und gesunden Umwelt, sowie nach etwas zu befriedigen, das der Fragmentierung, Entfremdung und Isolation entgegenwirkt, die viele Menschen fühlen. Hoffnung ist eine machtvolle Droge. Als Vertreterin von Frieden, Liebe, Sorge und Respekt wie auch esoterischen Wissens für die Massen, wird "alternative" Medizin immer populär bleiben. Und es ist Tatsache, dass diese "alternativen" Menschen wie Chopra häufig auf eine wesentlich gesündere Bahn bringen als diejenige, auf der sie sich befanden, bevor sie mit Ayurveda, qi gong oder Polarreflexquantenenergiedynamik (gibt es vermutlich noch nicht, aber warten Sie ab) befassten. Den meisten Menschen ginge es besser, wenn sie zumindest einige der vernünftigen Empfehlungen der "Alternativen" befolgen würden: weniger essen und sich nicht mit fettigen und zuckerhaltigen Lebensmitteln praktisch ohne Nährwert vollstopfen, sich entspannen, nicht rauchen, trinken oder andere Drogen nehmen, um sich besser zu fühlen, alles nicht so ernst nehmen, andere Menschen freundlich und respektvoll behandeln, mehr Zeit mit Freunden und Familie verbringen und dabei Beziehungen aufbauen, nicht mehr über Erfolg, Reichtum und Ruhm nachgrübeln, sich Gedanken über das machen, was man seinem Körper zuführt und was unserer Luft und unserem Wasser zugemutet wird. Die Philosophie kann im 49
Dienste dieser Interessen stehen. Aber die meisten Menschen wollen darüber hinaus irgendeine Bestätigung, dass das hier nicht alles ist, dass es noch mehr gibt. Sie wollen an Unsterblichkeit glauben, und "Alternativen" wie Ayurveda erfüllen dieses Bedürfnis. Die Heuchelei eines Materialisten, der sie darauf hinweist, dass Materialismus die Wurzel allen Übels ist, entgeht den meisten. Aber ich frage mich, wenn Ayurveda so grandios ist und seit Tausenden von Jahren in Indien praktiziert wird, warum kehrt Chopra dann nicht nach Indien zurück, um dort zu leben? Warum kehren diejenigen, die die Wunder der traditionellen chinesischen Medizin anpreisen, nicht ebenso nach China zurück? Die Antwort scheint offensichtlich: Die Wunder von Ayurveda und traditioneller chinesischer Medizin werden maßlos übertrieben. China und Indien sind die beiden größten Länder der Erde, und doch gibt es keinen Ansturm von Menschen aus dem Westen, die in eines der beiden Länder emigrieren wollen. Warum nicht? Weil die Chance größer ist, in Amerika ein gesünderes, reicheres und erfüllteres Leben zu führen als in China oder Indien. Keines der beiden Länder ist ein Musterland für Volksgesundheit. Laut WHO steht China auf dem 81., Indien auf dem 134. und die USA auf dem 24. Platz, wenn es um die allgemeine Gesundheit der Bevölkerung geht. Die Lebenserwartung ist in Nordamerika wesentlich höher als in China oder Indien: 1998 betrug die Lebenserwartung in den USA 72,9 Jahre für Männer und 83,3 Jahre für Frauen; in Indien lagen die Zahlen bei 62,3 Jahren für Männer und 63,7 Jahren für Frauen, in China bei 68, 3 Jahren für Männer und 71,1 Jahren für Frauen. Glaubt Deepak Chopra wirklich, Ernährungsmängel seien ein größeres Problem in Nordamerika als in Indien? Ist er wirklich der Auffassung, die Menschen in Indien und China leben ein längeres, glücklicheres und gesünderes Leben als im Westen? Falls ja, warum bleibt er dann hier? Kann er wirklich sagen: Ich bin gekommen aus dem Gelobten Land in diese öde 50
Wüste und werde hier bleiben, um euch am Steuer meines Jaguars zu perfekter Gesundheit zu führen? Lassen wir Dr. Chopra das letzte Wort: "Ich glaube allerdings nicht an die Existenz der Zeit. Das ist eine Sache, die ich Ihnen sagen muss, und die andere ist, dass ich weder mich selber noch das, was ich tue, ernst nehme." Übersetzung: Tobias Budke
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Bach-Blütentherapie Es "funktioniert" - eine Mischung aus Blumenessenz, Mineralwasser und Brandy harmonisiert die Seelenenergie
Bach-Blütentherapie (nicht: Bachblüten-Therapie) ist eine Art homöopathischer Aromatherapie, die in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts von dem britischen Arzt Edward Bach (1886-1936) entwickelt wurde. Bach behauptete, er habe auf geistigem oder intuitivem Wege die heilenden Wirkungen von 38 Wildblumen entdeckt. Seine "Entdeckungen" machte er durch "Eingebungen". Auf einem seiner Spaziergang beispielsweise hatte er die Eingebung, dass von der Sonne aufgeheizte Tautropfen auf einer Pflanze die heilenden Eigenschaften der Pflanze absorbieren würden. Er behauptete, alles, was er tun müsse, sei, eine Blume in der Hand zu halten oder ein Blumenblatt zu schmecken, um intuitiv ihre heilende Kraft zu erfassen. Ausgehend von diesen Intuitionen machte er sich daran, "Essenzen" unter Verwendung von reinem Wasser und Pflanzen herzustellen. Bach gab an, diese Wildblumen hätten eine Seele oder Energie mit einer Verwandtschaft zur menschlichen Seele. Die spirituelle Energie der Blume sei auf Wasser übertragbar. Gläubige trinken eine homöopathische Mischung aus Blumenessenz, Mineralwasser und Brandy, um die Blumenseele dazu zu bringen, ihre eigene Seelenenergie zu harmonisieren. Bach hielt Krankheit für das Ergebnis eines "Widerspruchs zwischen den Absichten der Seele und dem Standpunkt der Persönlichkeit". Dieser innere Streit habe negative Stimmungen und Energieblockaden zur Folge, die wiederum einen Mangel an "Harmonie" erzeugen, der schließlich zu körperlichen Krankheiten führt. Jede der 38 Blumen des BachSystems wird verwendet, um spezifische emotionale Schmerzen oder - bei fortgeschrittenem Mangel an Gleichgewicht körperliche Symptome in Harmonie zu bringen. Anhänger der Bach-Blütentherapie entgegnen Kritikern gern, die Therapie 52
"funktioniere". Ich habe keine Ahnung, was mit der Behauptung "es funktioniert" gemeint ist, denn ich kann nicht erkennen, wie man diese Therapie testen kann, da ihre zentralen Behauptungen übernatürlich und nicht empirisch sind. Doktor Bach erscheint jedoch geradezu langweilig verglichen mit den Pionierleistungen einiger seiner Blumenkinder. In Kalifornien ist man darauf gekommen, dass das oft stiefmütterlich behandelte Vergißmeinnicht gut zur "Steigerung des Bewusstseins der karmischen Beziehungen jenseits der Schwelle" ist. Und Beifuß hilft beim "Bewusstmachen von Träumen und der bewussten Kontrolle des eigenen übersinnlichen Lebens." Und auch das "funktioniert", natürlich. Übersetzung: Tobias Budke
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Prähistorische Astronauten Kamen die Götter aus dem All? Nein, denn der prähistorische Mensch war nicht weniger intelligent und geistreich als wir Der Begriff "Prähistorische Astronauten" bezieht sich auf die spekulative Annahme, außeriridische Besucher aus dem All seien verantwortlich für die ältesten Zivilisationen der Erde. Der berüchtigtste Vertreter dieser Vorstellung ist Erich von Däniken, Autor mehrerer Bestseller über dieses Thema. Sein Buch "Erinnerungen an die Zukunft" etwa, ist ein Rundumschlag gegen die Erinnerungsleistungen und die Fähigkeiten der Menschen des Altertums. Von Däniken behauptet, dass Mythen, Kunst und gesellschaftliche Strukuren der ersten Zivilisationen von Astronauten eingeführt wurden, die von einem anderen Stern kamen. Somit stellt er nicht nur das Erinnerungsvermögen unserer Vorfahren in Frage, sondern auch ihre Fähigkeit zur Entwicklung von Kultur und Zivilisation überhaupt. Vorgeschichtliche Menschen entwickelten ihre Kunstund Technikfertigkeiten demnach nicht selbst, sondern lernten sie von Besuchern aus dem Weltall. Wie steht es mit den Beweisen, die von Däniken für seine Behauptungen vorgelegt hat? Einige von ihnen erwiesen sich als Fälschungen. So zeigte Däniken Fotos von Töpferarbeiten, die seinen Angaben zufolge bei einer archäologischen Ausgrabung gefunden worden seien. Die Keramiken zeigten fliegende Untertassen und stammten angeblich aus biblischer Zeit. Die Reporter von "Nova", einer seriösen USDokumentarsendung, spürten jedoch den Töpfer auf, der diese vermeintlich antiken Töpfe gefertigt hatte. Sie konfrontierten von Däniken mit ihren Beweisen, die den Betrug belegten. Seine Antwort darauf: Der Schwindel sei gerechtfertigt, da manche Menschen eben nur dann glaubten, wenn sie Beweise sähen! ("The Case of Ancient Astronauts", Ausstrahlungsdatum 8. März 1978) 54
Bei den meisten dieser "Beweise" des Autors von Däniken handelt es sich jedoch einfach um windige Argumente und Irrtümer. Von Däniken beginnt schlicht bei der Annahme, es habe diese Astronauten gegeben - und zwingt danach archäologischen Fundstätten und alte Mythen in dieses Konzept. In Nazca, Peru, erklärt von Däniken beispielsweise große Tierzeichnungen in der Wüste zu einem uralten außerirdischen Flughafen. Der Umstand, dass die Linien der Zeichnung als Startbahnen für irgendein reales Flugzeug untauglich wären, da sie viel zu eng zusammen liegen, wird von ihm bequemerweise ignoriert. Die Möglichkeit, dass sich diese Zeichnungen auf die Wissenschaft oder die Mythologie der Einheimischen beziehen könnten, wird nicht in Betracht gezogen. Häufig greift von Däniken auch auf Pseudo-Dilemmata als Argumentationshilfe zurück, etwa nach dem Muster: "Entweder wir erklären diese Daten durch die Annahme, dass diese primitiven Idioten all das selbst gemacht haben, oder wir akzeptieren die wesentlich plausiblere Idee, dass sie Hilfe von außerordentlich fortgeschrittenen Völkern erhielten, die von anderen Planeten gekommen sein müssen und Technologien, wie etwa die Antischwerkraft besaßen." Die meisten seiner Kritiker weisen darauf hin, dass die Menschen des Altertums eben nicht die hilflosen, imkompetenten, vergesslichen Wilden waren, die von Däniken aus ihnen macht - denn sie müssten immerhin in der Lage gewesen sein, sowohl die Sprache, als auch die Anweisungen ihrer außerirdischen Lehrer zu verstehen: nicht gerade einfach! Es ist wahr: Wir wissen noch nicht genau, wie die Alten manche ihrer erstaunlichen technischen Leistungen vollbracht haben. Wir fragen uns immer noch, auf welche Weise die alten Ägypter riesige Obelisken in der Wüste errichteten, wie Steinzeitmenschen riesige Monolithen bewegen und sie in Dolmen oder Reihengräbern verarbeiten konnten. Wir staunen, ob der riesigen gemeißelten Köpfe auf der Osterinsel und fragen uns, wer sie hergestellt hat, warum sie aufgestellt wurden. und wieso ihre Erschaffer die Insel verlassen haben. Eines Tages finden 55
wir vielleicht Antworten auf diese Fragen, aber sie werden höchstwahrscheinlich von der Wissenschaft gegeben werden, nicht von pseudowissenschaftlicher Spekulation. Die Beobachtung von Menschen in Papua-Neuguinea, die noch heute im Stadium der Steinzeit-Kultur leben, und in deren Lebensumgebung man riesige Steine auf den Gräbern findet, hat uns einen Hinweis darauf gegeben, wie die Menschen der Vorgeschichte ähnliche Leistungen mit wenig mehr als Pflanzenseilen, hölzernen Hebeln und Schaufeln, sowie ein wenig Kreativität und viel Muskelkraft erbracht haben könnten. Es gibt auch keinen Grund anzunehmen, dass das Gedächtnis unserer Vorfahren so viel schlechter gewesen sei als das unsere, und dass sie sich daher nicht genau genug an die Außerirdischen hätten erinnern können, um präzisere Beschreibungen ihrer Besuche weiterzugeben. Es gibt keine Belege für die Annahme, dass alte Mythen und religiöse Geschichten verzerrte und unvollständige Erinnerungen an Altertums-Aliens seien, aufgezeichnet von prähistorischen Priestern. Die Belege allerdings, die dagegen sprechen, und für die Annahme plädieren, dass prähistorische oder "primitive" Menschen durchaus intelligent und geistreich gewesen seien - sind hingegen überwältigend. Natürlich besteht die Möglichkeit, dass Besucher aus dem All vor einigen tausend Jahren auf der Erde landeten und mit unseren Vorfahren in Verbindung traten. Aber es ist doch weitaus wahrscheinlicher, dass unsere Vorfahren für ihre Kunst, Technologie und Kultur selbst verantwortlich zeichneten. Warum also sollte man auf eine Erklärung zurückgreifen, wie sie von Däniken gibt? Sie mag vielleicht durch den Reiz des Mysteriösen viele Menschen ansprechen - aber sie ergibt keinen Sinn, da sie vielem widerspricht, was wir bereits über die Welt unserer Vorfahren wissen. Die Theorie der "Götter aus dem All" ist überflüssig: Wir können sie getrost über die Klinge von "Occams Rasiermesser" springen lassen.
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Anmerkung des Übersetzers: Auch der 1996 verstorbene bekannte Astronom Carl Sagan meinte: "Unsere Vorfahren waren keine Trottel. Sie hatten vielleicht keine Hochtechnologie, aber sie waren so clever wie wir, und manchmal verbanden sie Hingabe, Intelligenz und harte Arbeit miteinander, um Ergebnisse zu erzielen, die sogar uns noch beeindrucken." (Sagan, Carl: Broca's Brain. New York 1974. S. 63). Ein weiterer Kritiker von Dänikens ist der Bühnenmagier James Randi, der auf einen weiteren und wenig beachteten Aspekt der Astronautengötter-Theorie hinweist, nämlich auf den darin verborgenen Rassismus. Randi: "Die vielleicht die größte Schwachstelle in den von Däniken vertretenen Argumenten besteht darin, dass er, - obwohl er die wunderbaren Errungenschaften von braun-, gelb- oder schwarzhäutigen Menschen anführt und seinen Zweifeln Ausdruck verleiht, sie könnten dies [...] ohne außerirdische Hilfe geschafft haben, - er doch an keiner Stelle Stonehenge, die Kathedrale von Chartres oder das Parthenon oder irgendeines der Weltwunder der weißen Rasse erwähnt." (Randi, James: The Supernatural A-Z. London 1995. S. 319). Übersetzung: Tobias Budke
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Déjà vu Mit früheren Leben oder Hellsicht hat das unheimliche Gefühl sicher nichts zu tun - eher mit neurochemischen Vorgängen im Gehirn Déjà vu (frz. für: "schon mal gesehen") ist das unheimliche Gefühl oder die Illusion, man habe etwas, das man zum ersten Mal wahrnimmt, schon einmal gesehen oder erlebt. Wenn wir davon ausgehen, dass diese Erfahrung tatsächlich auf einem erinnerten Ereignis beruht, dann tritt déjà vu vermutlich auf, weil eine ursprüngliche Erfahrung nicht vollständig erfasst und nicht sorgfältig kodiert wurde. Falls dies zutrifft, scheint es höchst wahrscheinlich, dass die gegenwärtige Situation die Erinnerung an ein Fragment aus der eigenen Vergangenheit auslöst. Dieses Erlebnis kommt einem vielleicht unheimlich vor, wenn die Erinnerung so bruchstückhaft ist, dass keine soliden Verbindungen zwischen dem Bruchstück und anderen Erinnerungen aufgestellt werden können. Daher tritt das Gefühl, schon mal da gewesen zu sein, aufgrund der Tatsache ein, dass man schon mal dagewesen ist. Man hat einfach den größten Teil der ursprünglichen Erfahrung vergessen, da man ihr beim ersten Mal keine große Aufmerksamkeit geschenkt hat. Diese ursprüngliche Erfahrung kann durchaus nur Minuten oder Sekunden alt sein. Andererseits kann eine déjà-vu-Erfahrung auch auf Bildern oder Geschichten basieren, die man viele Jahre zuvor gesehen oder gehört hat. Diese Erfahrungen könnten Teil der schwammigen Erinnerungen an die eigene Kindheit sein, von denen man dann irrtümlich annimmt, sie stammten aus früheren Inkarnationen, denn man "weiß ja", dass sie nicht aus diesem Leben kommen. Es ist jedoch auch möglich, dass ein déjà-vu-Gefühl von einem neurochemischen Vorgang im Gehirn ausgelöst wird, der nicht an eine tatsächliche Erfahrung aus der Vergangenheit 58
gekoppelt ist. Man fühlt sich seltsam und ordnet dem Gefühl eine Erinnerung zu, obwohl die Erfahrung vollkommen neu ist. Das bedeutet, déjà vu könnte auch ohne die vermeintliche Wiedererkennung von etwas bereits Wahrgenommenen stattfinden. Der Begriff "déjà vu" stammt von Emile Boirac (18511917), der sehr an übersinnlichen Phänomenen interessiert war. Boiracs Ausdruck richtet unsere Aufmerksamkeit auf die Vergangenheit. Wenn man jedoch einen Moment darüber nachdenkt, erkennt man, dass das Einzigartige am déjà vu nicht aus der Vergangenheit, sondern aus der Gegenwart stammt, sprich: das seltsame Gefühl, das man dabei erlebt. Wir haben oft Erlebnisse, deren Neuigkeitswert unklar ist und bei denen wir uns Fragen stellen wie: Habe ich dieses Buch schon einmal gelesen? Ist dies eine Al-Bundy-Episode, die ich schon kenne? Dieser Ort kommt mir bekannt vor, war ich schon mal hier? Und doch sind diese Erlebnisse nicht mit einem unheimlichen Gefühl verbunden. Wir sind vielleicht ein bisschen verwirrt, aber das déjà-vu-Gefühl ist nicht Verwirrung, sondern Seltsamkeit. Es ist nichts Seltsames an der Frage, ob man ein Buch schon einmal gelesen haben könnte, besonders wenn man über Fünfzig ist und Tausende von Büchern gelesen hat. Bei déjà vu fühlen wir uns seltsam, weil wir nicht der Meinung sind, wir sollten die momentane Wahrnehmung als bekannt erleben. Dieses Gefühl, etwas passe nicht zusammen, stellt sich nicht ein, wenn man sich einfach unsicher ist, ob man ein Buch schon einmal gelesen oder einen Film schon einmal gesehen hat. Daraus folgt, dass die Möglichkeit besteht, dass alle Erklärungsansätze für déjà vu mit Rückgriff auf verlorene Erinnerungen, frühere Leben oder Hellsicht in die Irre führen. Man sollte vielmehr über das déjà-vu-Gefühl sprechen. Dieses Gefühl könnte von einer Gehirnaktivität, also neurochemischen Faktoren während der Wahrnehmung, hervorgerufen werden, die nichts mit Erinnerung zu tun haben. Es lohnt sich festzuhalten, dass déjà-vu-Gefühle bei Patienten der Psychiatrie 59
häufig sind. Das déjà-vu-Gefühl tritt auch oft kurz vor epileptischen Anfällen der Schläfenlappen auf. Als Wilder Penfield 1955 sein berühmtes Experiment durchführte, in dem er die Schläfenlappen elektrisch stimulierte, fand er heraus, dass etwa acht Prozent seiner Testsubjekte "Erinnerungen" durchlebten. Er lieferte keine Belege für die Behauptung, dass er echte Erinnerungen hervorgerufen habe. Sie könnten genauso gut Halluzinationen und die ersten Beispiele von künstlich erzeugtem déjà vu gewesen sein. Übersetzung: Tobias Budke
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Dianetik Ron Hubbards Ideologie ist weder Wissenschaft noch Religion - sie ist schlicht gefährlicher Unfug Hubbard demonstriert einen tief sitzenden Hass auf Frauen ... Wenn Hubbards Mamas nicht von ihren Ehemännern in den Magen getreten werden oder Liebesaffären haben, dann befassen sie sich bevorzugt mit versuchter Abtreibung - üblicherweise durch den Einsatz von Stricknadeln." Martin Gardner, "Fads & Fallacies in the Name of Science", New York: Dover Publications, 1957,S. 267 Im Jahre 1950 veröffentlichte Lafayette Ronald Hubbard sein Werk "Dianetics: The Modern Science of Mental Health" [Herausgegeben von The American Saint Hill Organization, Los Angeles] (deutscher Titel: "Dianetik - Der Leitfaden für den menschlichen Verstand") [Alle Seitenangaben beziehen sich auf die gebundene amerikanische Originalausgabe, die Zitate stammen ebenfalls aus dieser Version des Buches und sind von Tobias Budke übersetzt. Anm. d. Red.] Dieses Buch ist die "Bibel" der Scientology, die als Wissenschaft, als Kirche und als Religion bezeichnet wird. Hubbard teilt dem Leser mit, Dianetik "... enthält eine therapeutische Technik, mit der alle nicht-organischen Geisteskrankheiten und alle organischen psychosomatischen Erkrankungen mit der Garantie vollständiger Heilung behandelt werden können ..." Er behauptet, er habe die "einzige Ursache mentaler Störungen" entdeckt (S. 6). Eine vorbeugende Warnung findet sich jedoch auf dem Einband des Buches: Sie besagt, dass "Scientology und ihr Teilbereich, Dianetik, wie von der Kirche praktiziert, ... keine Personen aufzunehmen beabsichtigen, die eine Behandlung für körperliche oder geistige Erkrankungen wünschen. Diese seien an qualifizierte Spezialisten verwiesen, die sich mit diesen Problemen befassen." Dieses "Dementi" scheint offensichtlich ein Schutzmechanismus gegen den Vorwurf zu sein, man 61
praktiziere Medizin ohne Berufslizenz, da der Autor wiederholt darauf beharrt, Dianetik könne so ziemlich alles heilen, was einen plage. Er beharrt ebenso wiederholt darauf, bei Dianetik handele es sich um eine Wissenschaft. Allerdings kann jeder, der sich mit wissenschaftlichen Texten auskennt, schon nach den ersten paar Seiten von "Dianetik" feststellen, dass es kein wissenschaftliches Werk und der Autor kein Wissenschaftler ist. Dianetik ist ein klassisches Beispiel für eine Pseudowissenschaft. Auf Seite 5 von "Dianetik" versichert Hubbard, eine Wissenschaft des Geistes müsse "eine einzige Ursache aller Geisteskrankheiten, Psychosen, Neurosen, Zwangshandlungen, Verdrängungen und sozialen Störungen" finden. Eine solche Wissenschaft müsse, laut Hubbard, "unabänderliche wissenschaftliche Beweise über die grundlegende Natur und den funktionalen Hintergrund des menschlichen Verstandes" liefern und "Ursache und Heilung aller psychosomatischen Krankheiten" verstehen. Dennoch behauptet er gleichzeitig, es sei sinnlos, von einer Wissenschaft des Geistes zu erwarten, sie könne eine einzige Ursache für Geisteskrankheiten finden, da manche durch "missgebildete, zerstörte oder verletzte Gehirne oder Nervensysteme", andere wiederum, von ärztlichen Eingriffen verursacht würden. Trotz dieses offensichtlichen Widerspruchs fährt Hubbard frohgemut fort und stellt fest, dass diese Wissenschaft des Geistes "in Bezug auf die experimentelle Präzision auf einer Stufe mit Physik und Chemie stehen würde." Danach erfahren wir, Dianetik sei "... eine geordnete Wissenschaft des Denkens, errichtet auf klaren Axiomen: Aussagen über Naturgesetze auf derselben Stufe wie die der Naturwissenschaften ... " (S. 6). Es gibt jedoch klare Hinweise darauf, dass diese sogenannte Wissenschaft des Geistes überhaupt keine Wissenschaft ist. Einer davon ist in der Behauptung enthalten, Dianetik sei errichtet auf "eindeutigen Axiomen", sowie in Hubbards a priori-Wissen über die Zahl der kausalen Mechanismen, die für alle Phänomene existieren müssten. Echte Wissenschaft ba62
siert auf vorläufigen Hypothesen zur Erklärung beobachteter Phänomene. Die wissenschaftliche Ermittlung von Ursachen einschließlich ihrer Zahl - ist eine Sache der Entdeckung, nicht der willkürlichen Festsetzung. Außerdem haben Wissenschaftler im allgemeinen Respekt für logisches Denken und würden sich damit schwertun, ohne Schalk im Nacken zu sagen: Diese neue Wissenschaft muss nachweisen, dass es eine einzige Ursache aller geistigen Erkrankungen gibt, mit Ausnahme der geistigen Erkrankungen, die eine andere Ursache haben. Es gibt viele weitere Beweise für die Unwissenschaftlichkeit der Dianetik. Hubbards Theorie des Verstandes hat nur wenig gemein mit moderner Neurophysiologie und all dem, was über das Gehirn und seine Funktionsweise bekannt ist. Laut Hubbard besteht der Verstand aus drei Teilen. "Der analytische Verstand ist der Teil, der Erfahrungen wahrnimmt und speichert, um Probleme zu erfassen und zu lösen, und den Organismus entlang der vier Haupttriebe leitet. Er denkt in Unterschieden und Ähnlichkeiten. Der reaktive Verstand ist der Teil des Geistes, der den körperlichen und emotionalen Schmerz ablegt und speichert und bestrebt ist, den Organismus ausschließlich auf einer Reiz-Reaktions-Basis zu lenken. Dieser Teil denkt nur in Identitäten. Der somatische Verstand ist derjenige, der - angeleitet vom analytischen oder reaktiven Verstand - Lösungen auf der physikalischen Ebene in die Tat umsetzt." (S. 39) Wenn wir Hubbard glauben wollen, dann ist die einzige Ursache von Geisteskrankheit und psychosomatischen Störungen das "Engramm". Engramme finden sich in jedermanns "Engramm-Speicherbank", d.h. im reaktiven Verstand. Der "reaktive Verstand", so Hubbard, "kann bei einem Menschen Arthritis, Asthma, Allergien, Stirnhöhlenvereiterung, Herzprobleme, hohen Blutdruck und alle weiteren Krankheiten auf der Liste der Psychosomatik erzeugen, wobei noch einige hinzukommen, die niemals klar als psychosomatisch eingestuft wurden, etwa die Erkältung" (S. 51). Man sucht allerdings 63
vergeblich nach Belegen für diese Behauptungen und wird abgespeist mit: "Das sind wissenschaftliche Fakten. Sie passen ausnahmslos zu den Beobachtungsergebnissen." (S. 52). Ein Engramm wird definiert als "eine klare und permanente Spur, die von einem Reiz auf dem Protoplasma des Gewebes zurückgelassen wird. Man betrachtet es als eine Einheitengruppe von Reizen, die nur das zelluläre Wesen beeinträchtigen." (S. 60, Anmerkung). Wir erfahren, dass Engramme nur während Phasen des körperlichen oder seelischen Leidens aufgezeichnet werden. Während dieser Phasen macht der "analytische Verstand" dicht, und der reaktive Verstand wird aktiviert. Der analytische Verstand hat allerlei fantastische Eigenschaften, einschließlich der Unfähigkeit, Fehler zu begehen. Er hat, so Hubbard, normale Erinnerungsspeicher im Gegensatz zum reaktiven Speicher. Diese normalen Erinnerungsspeicher zeichnen alle möglichen Wahrnehmungen auf und sind laut Hubbard vollkommen und speichern alles Gehörte und Gesehene ganz exakt. Wie steht es um Beweise für die Existenz von Engrammen und ihre "feste Verankerung" in Zellen während schmerzhafter körperlicher oder emotionaler Erlebnisse? Hubbard sagt nichts von irgendwelchen Laborstudien, aber er sagt: "In der Dianetik, auf der Ebene der Laborbeobachtungen, entdecken wir zu unserem großen Erstaunen, dass Zellen offenbar auf eine zurzeit noch unerklärliche Art offenbar ein Bewusstsein haben. Wenn wir also nicht eine menschliche Seele annehmen wollen, die in Sperma und Ei bei der Zeugung eintritt, dann gibt es Dinge, die keine andere Annahme erklären kann außer der vom wie auch immer gearteten Bewusstsein der Zelle." (S. 71) Diese Erklärung liegt nicht auf der "Ebene der Laborbeobachtungen", aber sie stellt ein falsche Alternative dar und führt zu einer Scheinfrage. Darüber hinaus hat die Theorie von Seelen, die in Zygoten eintreten, zumindest einen Vorzug vor Hubbards: Sie basiert nicht auf Täuschung und ist eindeutig metaphysisch. Hubbard hingegen ist bemüht, seine metaphysi64
schen Behauptungen im wissenschaftlichen Gewand zu präsentieren: Die Zellen als Gedankeneinheiten haben Einfluss, als Zellen, auf den Körper als Gedankeneinheit und Organismus. Wir sind nicht gezwungen, diese strukturellen Probleme zu entwirren, um unsere funktionalen Grundannahmen zu klären. Zellen speichern offenbar Engramme von schmerzhaften Erlebnissen. Schließlich sind sie es, die verletzt werden ... Der reaktive Verstand könnte durchaus die kombinierte zelluläre Intelligenz sein. Es ist nicht nötig, anzunehmen, dass es so ist, aber es ist eine praktische Strukturtheorie angesichts des Mangels an ernsthafter Arbeit auf dem Gebiet der Strukturen. Die reaktive Engramm-Bank könnte aus dem Material bestehen, das die Zellen selber lagern. Es spielt im Moment noch keine Rolle, ob dies glaubhaft oder unglaublich ist ... Es ist eine wissenschaftliche Tatsache - beobachtet und getestet - dass der Organismus angesichts körperlicher Schmerzen zulässt, dass der Analysierende aus dem Kreislauf gestoßen wird und daher nur eine begrenzte oder gar keine Menge an persönlichem Bewusstsein als Einheitsorganismus besteht. (S. 71) Hubbard versichert, dass diese Tatsachen auf Beobachtungen und Tests basieren, aber tatsächlich gibt es einen "Mangel an ernsthafter Arbeit auf diesem Gebiet". Die folgenden Beispiele sind typisch für die "Beweise", die Hubbard für seine Engramm-Theorie liefert: Eine Frau wird von einem Schlag getroffen. Sie "verliert das Bewusstsein". Sie wird getreten und als Simulantin bezeichnet, sie tauge nichts, sie sei launisch und unberechenbar. Währenddessen wird ein Stuhl umgeworfen. Ein Wasserhahn läuft in der Küche. Ein Auto fährt am Haus vorbei die Straße entlang. Das Engramm enthält eine laufende Aufzeichnung all dieser Wahrnehmungen: Sicht, Geräusche, physischer Kontakt, Geruch, organische Wahrnehmung, kinetischer Sinn, Gelenkposition, Durst usw. Das Engramm beinhaltet alles, was die Frau wahrgenommen hat, während sie "ohne Be65
wusstsein" war: Lage und Gefühlsausdruck der Stimme, Geräusch und Gefühl der ersten und späteren Schläge, den Kontakt mit dem Fußboden, Gefühl und Geräusch des umkippenden Stuhls, die organische Wahrnehmung des Schlages, vielleicht auch den Geschmack von Blut oder irgendetwas anderem im Mund, den Geruch der Person, die sie angreift, ebenso wie die Gerüche im Zimmer, das Geräusch des vorbeifahrenden Autos (Motor und Reifen), etc." (S. 60) Inwieweit dieses Beispiel einen Bezug zu Geisteskrankheit oder zu psychosomatischen Erkrankungen hat, wird von Hubbard so erklärt: Das Engramm, das die Frau erhalten hat, enthält eine neurotische positive Suggestion ... Man hat ihr gesagt, sie sei eine Simulantin, sie tauge nichts, sie sei launisch und unberechenbar. Wird das Engramm dann später auf eine der zahllosen möglichen Arten wieder ausgelöst (etwa durch das Geräusch eines vorbeifahrenden Wagens bei gleichzeitig laufendem Wasserhahn und einem umkippenden Stuhl), dann bekommt sie das Gefühl, sie tauge nichts, sie sei eine Simulantin und sie werde 'mal wieder einer Laune nachgeben. (S. 66) Eine Methode, solche Behauptungen empirisch zu testen, kann es nicht geben. Eine "Wissenschaft", die nur aus solchen Behauptungen besteht, ist nichts als eine Pseudowissenschaft. Hubbard gibt an, enorme Datenmengen seien gesammelt und nicht eine einzige Ausnahme von seiner Theorie gefunden worden (S. 68). Wir müssen seinem Wort vertrauen, scheint es, denn die "Datenmengen", die er präsentiert, haben alle die Form von Anekdoten oder erfundenen Beispielen wie dem obigen. Ein weiteres Indiz für die Unwissenschaftlichkeit der Dianetik und der Ahnungslosigkeit ihres Begründers in Bezug auf die wissenschaftliche Arbeitsweise findet sich in Behauptungen wie dieser: "Mehrere Theorien könnten aufgestellt werden, warum der menschliche Geist sich so und nicht anders entwickelte, aber es handelt sich um Theorien, und Dianetik befasst sich nicht mit Strukturen." (S. 69). Auf diese Art teilt 66
Hubbard uns mit, dass es ihn nicht kümmert, dass man Engramme nicht beobachten kann, denn obwohl sie als permanente Veränderungen in den Zellen definiert seien, seien sie als physikalische Strukturen unauffindbar. Es schert ihn ebenso wenig, dass die Heilung aller Krankheiten dann darin bestehen müsste, diese "permanenten" Engramme aus der reaktiven Bank zu "löschen". Er gibt an, sie würden nicht wirklich entfernt, sondern einfach in die Standard-Bank übertragen; wie dies physikalisch oder strukturell vor sich gehen soll, spielt offenbar keine Rolle. Es wird einfach versichert, dass es so sei - ohne Argumente oder Belege. Hubbard wiederholt schlicht, es handele sich um eine wissenschaftliche Tatsache, als ob dies ausreichen würde. Noch eine "wissenschaftliche Tatsache" ist laut Hubbard der Umstand, dass die schädlichsten Engramme im Mutterleib entstünden. Der Mutterleib wird zu einem schrecklichen Ort; er ist "nass, unbequem und ungeschützt" (S. 130). Mama niest, das Baby "verliert das Bewusstsein". Mama läuft leicht und locker gegen einen Tisch, das Baby erhält einen Schlag auf den Kopf. Mama hat Verstopfung und das Baby wird beim Versuch des Stuhlgangs zerquetscht. Papa gibt sich der Leidenschaft hin, und das Baby hat das Gefühl, es sei in eine laufende Waschmaschine geraten. Mama wird hysterisch, das Baby bekommt ein Engramm. Papa schlägt Mama, das Baby bekommt ein Engramm. Der Kleine springt auf Mamas Schoß, das Baby bekommt ein Engramm. Und so weiter. (S. 130) Hubbard informiert uns, dass ein Mensch "mehr als zweihundert" prä-natale Engramme haben könne und dass Engramme, die "man als Zygote bekommt, potentiell die verstörendsten sind, da ganz und gar reaktiv. Diejenigen, die man als Embryo bekommt, sind außerordentlich verstörend. Engramme, die man als Fötus erhält, reichen für sich genommen schon aus, um Leute in eine Anstalt zu bringen." (S. 130f.) Wo sind die Beweise hierfür? Wie testet man eine Zygote auf Engramm-Aufzeichnung? "All diese Dinge sind wissenschaftli67
che Tatsachen, getestet, nochmal überprüft und dann wieder getestet", meint Hubbard (S. 133). Aber sein Wort ist alles, was wir bekommen. Wissenschaftler erwarten normalerweise nicht, dass man ihrem Ehrenwort glaubt, wenn es um so aufsehenerregende Behauptungen geht. Um von einer Krankheit geheilt zu werden, braucht man zusätzlich noch einen Dianetik-Therapeuten, einen sogenannten Auditor. Wer hat diese Qualifikation? "Jeder Mensch, der intelligent, von normaler Beharrlichkeit und bereit ist, dieses Buch [Dianetik] gründlich zu lesen, sollte in der Lage sein, ein Dianetik-Auditor zu werden" (S. 173). Der Auditor muss "dianetische Träumerei" verwenden, um eine Heilung zu erzielen. Ziel der dianetischen Therapie ist die Herstellung eines "release" oder eines "clear" [AdÜ: Diese Begriffe werden auch im deutschen Sprachraum in ihrer englischen Form verwendet. Ihre Bedeutung ist etwa "Freigelassener" bzw. "Reiner"]. Beim Ersteren wurden starke Stress- und Angsterlebnisse durch Dianetik entfernt; der Letztere hat weder aktive noch potenzielle psychosomatische Krankheiten oder Störungen (S. 170). "Ziel und einziger Zweck der Therapie ist die Entfernung des Inhaltes der reaktiven Engramm-Bank. Bei einem release wird ein Großteil der emotionalen Beschwerden aus der Bank gelöscht; bei einem clear wird alles entfernt" (S. 174). Die "Träumerei", die man einsetzt, um diese Wunder zu erzielen, wird als intensivierte Verwendung einer speziellen Fähigkeit des Gehirns beschrieben, die jedermann besitze, die aber "der Mensch durch ein merkwürdiges Übersehen niemals zuvor entdeckt hat" (S. 167). Hubbard hat also etwas entdeckt, das zuvor nie jemand gefunden hat, und doch geht seine Beschreibung der "Träumerei" nicht über die eines Menschen hinaus, der stillsitzt und einem anderen seine Probleme erzählt (S. 168). Beeindruckend zusammenhanglos verkündet er dann, dass dieses "Auditing" "vollständig aus dem Bereich der existierenden Gesetzgebung" herausfalle, anders als Psychoanalyse, Psychologie und Hypnose, die alle "auf irgendeine Weise ein Individuum oder die 68
Gesellschaft schädigen können" (S. 168f). Es wird jedoch nicht klar, warum das Erzählen von Problemen eine monumentale Entdeckung sein sollte - oder warum Auditoren andere Menschen, oder die Gesellschaft nicht schädigen könnten, insbesondere, da Hubbard ihnen rät: "Bewerten Sie niemals das Datenmaterial ... stellen Sie den Wert der Daten nie in Frage. Behalten Sie Ihre Bedenken für sich" (S. 300). Das klingt nicht wie ein Wissenschaftler, der seinen Schülern einen vernünftigen Rat gibt; es klingt wie ein Guru, der seine Jünger anweist. Dem, was Hubbard seinem Leser als Wissenschaft des Geistes verkaufen will, mangelt es sehr an einem entscheidenden Bestandteil, den man von Wissenschaft erwarten darf: empirische Tests von Hypothesen. Die entscheidenden Bestandteile von Hubbards sogenannter Wissenschaft scheinen nicht testbar zu sein, und doch behauptet er wiederholt, er verwende nur wissenschaftliche Tatsachen und Daten aus vielen Experimenten. Es wird noch nicht einmal deutlich, wie solche "Daten" beschaffen sein könnten; das meiste Material liegt in Form von Anekdoten und Spekulationen vor, wie die über eine Patientin, die glaubt, ihr Vater habe sie mit neun Jahren vergewaltigt. "Viele geisteskranke Patientinnen behaupten so etwas," sagt Hubbard und fährt dann fort, indem er angibt, die Patientin sei tatsächlich 'vergewaltigt' worden "neun Tage nach der Zeugung ... Druck und Durcheinander des Koitus sind sehr unbequem für das Kind und führen normalerweise zu einem Engramm, das den Geschlechtsakt und alles dabei Gesagte enthalten wird" (S. 144). Spekulationen dieser Art gehören in einen Roman, aber nicht in die Wissenschaft. Anmerkung des Übersetzers: Über Hubbard ist außerordentlich viel geschrieben worden, insbesondere mit Bezug auf Scientology; die Dianetik war insofern deren Vorläuferin, da Hubbard aus steuerlichen Gründen für seine Therapie den Status einer Religion beanspruchte (bereits 1951 folgte Hubbards Werk "Science and 69
Survival", das die Dianetik deutlich in Richtung religiöse Sekte auf Kurs brachte). Colin Goldner berichtet von einem Fall, in dem ein Münchner Ingenieur DM 176.000,- an Kursgebühren bezahlte, bevor er wieder zu sich kam und Scientology verklagte; die "psychologischen" Methoden der Kirche gehen samt und sonders auf die Dianetik zurück. Man kann sich Hubbards Ideen gar nicht absurd genug vorstellen. So gibt es bei Scientology nicht nur einfach "clears", sondern noch zahlreiche höhere Stufen, "Operative Thetanen (OT)" genannt, offenbar Übermenschen mit Macht über Raum und Zeit. In kostspieligen Kursen kann man sich vom "clear" zum "OT 1", "OT 2" und so weiter hocharbeiten, vermutlich ohne Ende. Hubbard ließ die angeblichen Fähigkeiten einer "clear" namens Sonya Bianca 1950 vor 6.000 Zuschauern demonstrieren; die Demonstration scheiterte und das Publikum war so verärgert, dass es in Scharen abwanderte. Hubbard selbst gab damals zu, er sei kein "clear", aber später liest man Behauptungen wie die, er habe den Himmel besucht, und zwar "43.891.832.611.177 Jahre, 344 Tage, 10 h, 20 min, 40 sec vor dem 9.5.1963, 22.02:30 Uhr". "Die Bedeutung dieser Aussage entgeht den meisten Menschen" (James Randi). Hubbard begann als Science-Fiction-Autor des sogenannten "Goldenen Zeitalters", lenkte seine SF-Phantasien aber rasch in profitablere Bahnen; zwischenzeitlich war er Mitglied im OTO, der okkulten Vereinigung von Aleister Crowley und wurde mitsamt seiner Dianetik lange Zeit von dem Herausgeber des SFMagazins "Astounding", John Campbell Jr, unterstützt. Hubbard, geboren 1911, starb 1986, obwohl seine "Kirche" dies niemals zugegeben hat. Vermutlich betrachtet sie ihn als "entrückt". Literaturempfehlungen: Atack, Jon: "A Piece of Blue Sky: Scientology, Dianetics, and L. Ron Hubbard Exposed", New York: Carol Pub. Group, 1990 Gardner, Martin: "Fads and Fallacies in the Name of Science". New York: Dover Publications, Inc., 1957, chapter 22 Gardner, Martin: "The New Age. Notes of a Fringe-Watcher", 70
Buffalo: Prometheus Books, 1991, chapter 32 Miller, Russell: "Bare-Faced Messiah. The True Story of L. Ron Hubbard" Henry Holt, 1988 Nordhausen, Frank/v. Billerbeck, Liane: "Psycho-Sekten. Die Praktiken der Seelenfänger", Frankfurt a.M., Fischer, 1999, S. 421-474; Übersetzung: Tobias Budke
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Elektrosmog Elektromagnetische Felder (EMF) sind Bereiche, in denen Kräfte wirken, die von fließenden elektrischen Ladungen verursacht werden. Viele Menschen befürchten, dass die elektromagnetischen Felder - im deutschsprachigen Raum häufig als "Elektrosmog" bezeichnet - Krebs verursachen. Eine ursächliche Verbindung zwischen diesen Feldern und Krebs ist bislang jedoch nicht nachgewiesen worden. Das National Research Council (NRC, US-Forschungsbehörde, Anm.d.Übers.) hat mehr als drei Jahre lang mehr als 500 wissenschaftliche Studien überprüft, die über einen Zeitraum von 20 Jahren erstellt worden sind. Es hat "keine schlüssigen und zuverlässigen Beweise" dafür gefunden, dass elektromagnetische Felder den Menschen schaden. Der Vorsitzende des NRC-Komitees, der Neurobiologie Dr. Charles F. Stevens, sagte: "Nachforschungen haben nicht in überzeugender Weise gezeigt, dass die in Haushalten üblichen elektromagnetischen Felder gesundheitliche Probleme verursachen, und ausführliche Labortests haben nicht ergeben, dass elektromagnetische Felder die Körperzellen auf eine Art schädigen können, die der Gesundheit des Menschen abträglich wäre." Das New England Journal of Medicine veröffentlichte im Jahre 1997 die Ergebnisse der umfangreichsten und detailliertesten Studie über elektromagnetische Felder und Krebs, die jemals durchgeführt wurde. Dr. Martha S. Linet, die Leiterin der Studie, erklärt dazu: "Wir haben keine Beweise dafür gefunden, dass magnetische Felder in Haushaltsstärke das Risiko für Kinderleukämie erhöhen." Die Studie umfasste einen Zeitraum von acht Jahren. Gemessen wurde die Wirkung von Magnetfeldern, die von nahegelegenen Starkstromleitungen erzeugt wurden, auf den Menschen. Eine Gruppe von 638 Kindern unter 15 Jahren mit akuter lymphoplastischer Leukämie wurde mit einer anderen Gruppe von 620 gesunden Kindern verglichen. "Die Forscher stellten Messungen über die Ma72
gnetfelder in allen Häusern an, in denen die Kinder in den fünf Jahren vor der Entdeckung ihrer Krankheit gelebt hatten, ebenso in den Häusern, in denen die Mütter während der Schwangerschaft wohnten." Die Studie wurde kritisiert, weil es unmöglich sei, die genaue Stärke der elektromagnetischen Felder im fraglichen Zeitraum zu ermitteln: Sämtliche Messungen wurden nach dieser Zeitspanne durchgeführt, wobei stillschweigend angenommen wurde, die Feldstärken seien in der Vergangenheit nicht wesentlich anders gewesen als zur Zeit der Untersuchung. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass irgendjemand jemals eine Kontrollstudie an Menschen durchführen wird, in welcher die Einwirkung elektromagnetische Felder systematisch vom Zeitpunkt der Empfängnis an, bis zum Ende der frühen Kindheit dokumentiert wird. Trotz dieser Studien glauben viele Menschen, dass Krebserkrankungen durch den Gebrauch von Handys verursacht werden, oder auch dann, wenn man in der Nähe von Stromleitungen wohnt. Und warum glauben sie das? Geschäftstüchtige Anwälte, die Massenmedien und der allgemeine Mangel an wissenschaftlicher Bildung sind die Gründe für diesen Glauben. Robert Pool schrieb im Jahre 1990 im Fachblatt Nature, dass die öffentliche Meinung durch unwissenschaftliche Quellen, wie etwa das The New Yorker Magazine, gegen elektromagnetische Felder mobilisiert wurde. Ähnliches wurde Talkmastern wie Larry King vorgeworfen, der dem Publikum einen Witwer präsentierte, der den tödlichen Gehirntumor seiner Frau der Strahlung ihres Handys zuschrieb. Es kam zu einem Prozess, in dem der Beweis darin bestand, dass sich der Tumor in der Nähe ihres Ohres befand, an das sie normalerweise ihr Handy hielt. Die Fernsehanstalten berichteten über die Angelegenheit und interviewten Wissenschaftler, um der Sache mehr Tiefe und Glaubwürdigkeit zu geben. Da es jedoch keinen Wissenschaftler gibt, der jemals einen Zusammenhang zwischen elektromagnetischen Feldern und Krebserkrankungen entdeckt 73
hat, wurde jemand interviewt, der bereits existierende Tumore solchen Feldern aussetzte. Dieser Forscher erklärte, seine Untersuchungen wiesen darauf hin, dass Tumore schneller wüchsen, wenn man sie elektromagnetischen Feldern aussetzte. Die Folge: die Zahl der Handyverkäufe ging zurück und die Aktien der Herstellerfirmen fielen. Der Umstand, dass Tumore unter der Einwirkung von elektromagnetischen Feldern schneller wachsen, bedeutet freilich nicht, dass diese Felder Tumore - ob gut- oder bösartig - verursachen. Es ist zwar durchaus denkbar, dass Handys Gehirntumore verursachen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie es tun, ist gering. Mobiltelefone strahlen Felder von sehr geringer Intensität aus - und diese Intensität ist weit geringer, als jene der Felder, die in dem erwähnten Versuch verwendet wurden. Außerdem ist der Handy-Benutzer diesen Feldern - wiederum im Gegensatz zum genannten Versuch -, nicht permanent, sondern nur zeitweise ausgesetzt. Es besteht durchaus also die Möglichkeit, dass ein Mensch mit einem Gehirntumor bei der Benutzung eines Handys ein gewisses Risiko eingeht, dass sein Tumor schneller wächst, als dies normalerweise der Fall wäre - doch es gibt keine Beweise dafür, dass dieses Risiko wirklich existiert oder gar signifikant ist. Rechtsanwälte, die Klienten vertreten, welche ihre Krebserkrankungen auf Starkstromleitungen zurückführen, zitieren häufig aus einer schwedischen Studie, die eine Zunahme von 400 Prozent an Leukämiefällen bei Kindern feststellte, die in der Nähe solcher Leitungen lebten. Eine weitere Studie - von der University of Southern California - ermittelte ebenfalls erhöhte Leukämieraten bei Kindern, die in ähnlicher Lage wohnten. Robert Pool meint dazu: "In der Studie wurden 232 Leukämiepatienten unter 10 Jahren, sowie eine Kontrollgruppe untersucht, die in Bezug auf Alter, Geschlecht und Ethnie der ersten Gruppe ähnlich war. Die Stärke der elektromagnetischen Felder, denen jedes Kind ausgesetzt war, wurde auf unterschiedlichen Wegen ermittelt. 74
Es gab keine Korrelation zwischen dem Auftreten von Leukämie und der Feldstärke bei Einzelmessungen. Eine nicht signifikante Korrelation ergab sich zwischen dem Auftreten von Leukämie und der Stärke der magnetischen Felder, kontinuierlich gemessen über 24 Stunden. Eine signifikante Korrelation sah man allerdings zwischen der Feldstärke, die mit Hilfe eines speziellen Klassifikationsschemas für elektrische Leitungen ("wire coding") ermittelt wurde, und dem Leukämierisiko. Die Gruppe mit der [nach diesem Schema bestimmten; Anm.d.Red.] höchsten Feldstärke hatte dabei ein 2,5faches Leukämierisiko. Man weiß nicht, inwieweit diese Unterschiede in den Korrelationen auf die Unterschiede in den Methoden zurückzuführen sind. Es ist möglich, dass einige Arten von elektromagnetischen Feldern zu einem erhöhten Leukämierisiko führen können. Allerdings wäre auch denkbar, dass die Methode des "wire coding" einfach sensibler in der Messung ist. Bis man darüber besser Bescheid weiß, ist unklar, ob hohe elektromagnetische Feldstärken zu einem gesteigerten Leukämierisiko in Beziehung stehen." (Robert Pool, "EMF-Cancer Link Still Murky", Nature, Bd. 349, Heft 6310 (14. Feb. 1991) Im Jahre 1992 wurden mehr als 200 Anklagen gegen Energieversorgungsunternehmen erhoben, in denen der vermeintliche "Elektrosmog" eine Rolle spielte. Unter den Stromlieferanten breitete sich Panik aus, investierten sie doch bereits Milliarden von Dollars in etliche Bemühungen, die Abstrahlung ihrer Leitungen abzuschirmen. Dr. Robert Adair, ein Physiker an der Universität Yale, bezeichnet diese Reaktion als "Elektrophobie" und ist der Meinung, es bedürfe Feldstärken von mindestens dem 150fachen der in Schweden gemessenen, damit überhaupt ein Risiko entstünde. Doch die Anwälte werden weiterhin vor Gericht ziehen - auch ohne wissenschaftlich eindeutige Beweise, denn die Standards bei der Beweiserhebung vor Gericht sind mit denen der Wissenschaft nicht zu vergleichen. So wurde etwa Judith Richardson Haimes aus Philadelphia vor einigen Jahren eine Million Dollar von einer Jury zugesprochen, die sich offenbar davon 75
überzeugen ließ, dass Ms. Haimes ihre übersinnlichen Kräfte nach einer Computer-Tomographie verloren habe. Ein Richter reduzierte den Betrag später auf einen Dollar. Und das waren vermutlich immer noch 98 Cents mehr, als ihre Kräfte wert waren. "Man braucht nur ein oder zwei Treffer, und die Haie beginnen zu kreisen," meint Tom Ward, ein Anwalt aus Baltimore, der die Northeast Utilities Co. und ihren Ableger Connecticut Light & Power Co. wegen eines angeblichen EMFKrebsfalles verklagt. Es war schon bislang schwer genug, ein Haus in der Nähe von Leitungsmasten zu verkaufen, weil sich die Leute an dem hässlichen Ausblick stießen. Doch all das ist nichts gegen das Problem, dieses Haus loszuwerden, wenn die potenziellen Käufer Angst davor haben, von den hässlichen Masten Krebs zu bekommen! Zur Zeit gibt es in den Vereinigten Staaten Bestrebungen, alle Hochspannungsleitungen unterirdisch zu verlegen. Bedeutet das etwa mehr Sicherheit? Die Kosten sind zwar zwanzigmal höher, doch die Leitungen müssten eigentlich tiefer im Erdreich vergraben werden, als die Höhe der Masten beträgt, wenn ein merklicher Unterschied in der EMF-Abschirmung erzielt werden soll. Der Normalbürger wird sich wegen der Hochspannungsleitungen wahrscheinlich keine Sorgen machen müssen. Die meisten von uns kommen niemals nahe genug an sie heran, um von ihren Feldern in irgendeiner Weise beeinflusst zu werden. Und selbst, wenn sie sich in der Nähe befinden, sind wir ihnen nicht direkt, unmittelbar und kontinuierlich ausgesetzt. Vermutlich ist die Gefahr - wenn es sie überhaupt gibt - durch die Verkabelung unserer Häuser und unserer elektrischen Geräte viel größer, als durch die Leitungsmasten. Da die Energieversorgungsunternehmen jedoch gerichtliche Klagen fürchten, werden wir alle in Bälde vermutlich höhere Strompreise bezahlen müssen, um die Milliarden zu finanzieren, die das Vergraben der Leitungen kostet. Wenn die Unternehmen Prozesse verlieren, verlieren die Aktionäre Geld, und 76
das gefällt denen gar nicht. Man sollte sich also nicht in die Irre führen lassen: Wenn die Leitungen wirklich unter die Erde verlegt werden, dann nicht etwa deshalb, weil die Stromversorgungsunternehmen daran glauben, dass elektromagnetische Felder gefährlich sind - sondern allein deshalb, weil diese Unternehmen Klagen und kostspielige Prozesse vermeiden wollen. Anmerkungen des Übersetzers: Im Grunde genommen unterscheidet sich die Diskussion um den Elektrosmog nur unwesentlich von derjenigen um die sogenannten "Erdstrahlen". Indes wird in diesem Fall ein Phänomen nicht ganz und gar erfunden, sondern nur vollkommen übertrieben als bedrohlich dargestellt. Insbesondere der Mobilfunk macht zahlreichen Menschen Angst; anders als Radio- und Fernseh- Sendestationen, sind die Mobilfunk-Basisstationen einfach überall. Die hochfrequente Handy- Strahlung (zwischen 450 und 1900 MHz, je nach Netz) kann - bei älteren Handy-Modellen - zur Beeinträchtigung von Herzschrittmachern führen. Solche Beeinträchtigungen sind aber schon ab 25 cm Abstand zwischen Brust und Handy nicht mehr möglich. Handys neueren Datums (ab 1998) sind unbedenklich. Für Niederfrequenzquellen (etwa Stromleitungen) wurde bei einer Untersuchung auf Leukämieerkrankung im Kindesalter ein statistisch auffälliges Risiko in der Nähe von Hochspannungsleitungen ermittelt, dessen Wert aber immer noch unter dem Risikowert lag, der sich aus starker Verkehrsbelastung oder niedrigem Sozialstatus ergab (da in den USA die Hochspannungsleitungen häufig mit den Verkehrswegen einhergehen, sind die Ursachen hier schwer zu isolieren). Einige Experimente an Ratten und Mäusen deuteten ebenfalls auf ein erhöhtes Risiko hin, aber es ist mehr als zweifelhaft, ob diese Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind. (Details dazu im Skeptiker, Heft 3/98, S. 89-96, www.gwup.org). Die von manchen Menschen in Anspruch genommene "Elektrosensibilität" ist ebenfalls ein Mythos, der sich vermutlich 77
aus der Mediendarstellung des Themas speist; dieser Mythos hat immerhin ein paar Arbeitsplätze geschaffen: Sogenannte "Baubiologen" betätigen sich als High-TechWünschelrutengänger. Prof. Dr. Peter Kröling von der Universität München führt die Elektrosmog- Hysterie auf mehrere Gründe zurück: Falsche positive Ergebnisse wohlmeinender, aber schlecht informierter Wissenschaftler, die sofort ihren Weg in die Medien finden, während negative Ergebnisse langweilig sind; Experten, die ihr Aufgabenfeld sichern wollen; den ungeschickten Umgang mit der Bevölkerung durch Vertreter der Energie- und Telekommunikationsunternehmen; Pseudoexperten, die aus der Umweltangst Kapital schlagen; die Medien; und Bürgerinitiativen, deren Mitglieder sich in ihrer Rolle des David gegen Goliath gefallen. Außerdem weist Prof. Kröling zu Recht darauf hin, dass selbst bei Vorhandensein eines minimalen Gesundheitsrisikos der Nutzen etwa von Handys dieses Risiko immer noch tausendfach übersteigen würde. Kröling: "Täglich gehen derzeit über die Notruffunktion allein in Deutschland mehrere tausend Anrufe ein. Ich möchte es angesichts von weltweit 200 Millionen Handybesitzern der Phantasie des Lesers überlassen, wieviele Menschen dieser Technologie bereits Gesundheit und Leben zu verdanken haben." Übersetzung: Tobias Budke
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Falsche Erinnerungen Mit "false memory" - "falscher Erinnerung" - bezeichnet man die Verzerrung eines tatsächlichen Erlebnisses, oder gar das Erfinden eines vermeintlichen Erlebnisses. Viele solcher Schein- Erinnerungen entstehen durch das Verwechseln und Durcheinanderbringen von Erinnerungen, die vielleicht zu unterschiedlichen Zeiten passiert sind, aber in der Erinnerung zu einem einzigen Ereignis verschmelzen. Eine weitere Ursache für falsche Erinnerungen sind fehlerhafte Erinnerungsquellen. So kann es leicht passieren, dass jemand einen Traum für die Wiedergabe eines realen Erlebnisses hält. Andere Pseudo-Erinnerungen wiederum, sind auf den Einfluss von Therapeuten und Beratern zurückzuführen: Durch Anstacheln, Suggestion und gezielte Andeutungen wird ihren Patienten eine falsche Erinnerung regelrecht "eingeimpft". Elizabeth Loftus, Professorin für Psychologie an der Universität Washington in Seattle, bewies 1994 in einer Studie, dass es für einen Therapeuten relativ leicht ist, eine solche falsche Erinnerung zu erzeugen. Erinnert sich jemand daran, dass seine Mutter einst ein Glas Milch nach dem Vater schleuderte, obwohl es tatsächlich der Vater war, der das Glas Milch warf, so ist das eine ScheinErinnerung, die auf einem tatsächlichen Ereignis basiert. Die Person erinnert sich zwar lebhaft an das Geschehen und hat seinen Ablauf geradezu "vor Augen", doch nur die Bestätigung durch andere, die bei dem Ereignis dabei waren, kann letztlich entscheiden, ob die eigene Erinnerung an das Geschehen richtig ist. Verzerrungen, wie etwa die Verwechslung der Rollen, die bestimmte Menschen rückblickend in der Erinnerung gespielt haben, sind durchaus üblich. Schein-Erinnerung können dramatische Folgen haben. Das zeigen die nachfolgenden Beispiele, die ursächlich auf fehlerhafte Erinnerungsquellen zurückzuführen sind. So beschuldigte eine Frau den Gedächtnisexperten Donald Thompson, sie vergewaltigt zu haben. Kurz bevor die angebli79
che Vergewaltigung stattfand, war Thompson in einem LiveInterview im Fernsehen zu sehen gewesen. Die Frau hatte die Sendung gesehen "und anscheinend ihre Erinnerung an ihn aus dem Fernsehen mit ihrer eigenen Erinnerung an den Vergewaltiger verwechselt," schrieb der Psychologe Daniel Schacter 1996 in seinem Buch "Searching for Memory - the brain, the mind, and the past" (deutsch: "Wir sind Erinnerung - Gedächtnis und Persönlichkeit", Rowohlt). Der große Kinderpsychologe Jean Piaget behauptete, seine früheste Erinnerung bestünde darin, dass er als Zweijähriger beinahe entführt worden sei. Er erinnerte sich genau an die Einzelheiten: wie er in seinem Kinderwagen saß, wie sich sein Kindermädchen gegen den Entführer wehrte, er erinnerte sich an Kratzer in ihrem Gesicht, sowie an einen Polizeibeamten in einem kurzen Mantel, der den Angreifer mit einem weißen Knüppel verjagte. Die Geschichte wurde von dem Kindermädchen und von der eigenen Familie bekräftigt, sowie von anderen bestätigt, die sie gehört hatten. Piaget war davon überzeugt, dass er sich an das Ereignis erinnere. Tatsächlich aber fand es nie statt. Dreizehn Jahre nach dem angeblichen Entführungsversuch schrieb Piagets ehemaliges Kindermädchen an seine Eltern, um ihnen zu beichten, dass sie die ganze Sache erfunden habe. Piaget schrieb darüber später: "Ich musste also als Kind der Erzählung dieser Geschichte gelauscht haben...und habe sie als visuelle Erinnerung in die Vergangenheit projiziert. So war sie zwar eine Erinnerung an eine Erinnerung, aber gleichwohl fiktiv." Die Erinnerung daran, als kleines, noch nicht einmal dreijähriges Kind entführt worden zu sein, ist geradezu per definitionem eine Schein-Erinnerung. Der für die Langzeiterinnerung benötigte linke untere Stirnlappen ist bei Kleinkindern noch gar nicht entwickelt. Die komplizierte Verschlüsselung, die zur Klassifizierung und Erinnerung an ein solches Ereignis erforderlich ist, kann in einem Kleinkindhirn also gar nicht stattfinden. Das Gehirn von Säuglingen und sehr kleinen Kindern kann jedoch durchaus fragmentierte Erinnerungen spei80
chern. Und das kann später für den Erwachsenen sehr beunruhigend sein. Schacter verweist auf den Fall eines weiblichen Vergewaltigungsopfers, das sich partout nicht an die Vergewaltigung erinnern konnte, die sich auf einem gepflasterten Pfad abgespielt hatte. Die Worte "Pflasterstein" und "Pfad" beschäftigten diese Frau ständig, aber sie brachte sie nicht in einen Zusammenhang mit der Vergewaltigung. Sie geriet völlig aus der Fassung, als man sie an den Ort der Vergewaltigung zurückführte, obwohl sie sich nicht erinnern konnte, was dort geschehen war. Ob die fragmentierte Erinnerung an einen Missbrauch im Säuglingsalter später beim Erwachsenen großen psychischen Schaden anrichten kann, ist allerdings wissenschaftlich bislang nicht erwiesen. Viele Psychotherapeuten vermuten aber, dass eine große Anzahl psychischer Störungen und Probleme auf die Unterdrückung von Erinnerungen an einen sexuellen Missbrauch in der Kindheit zurückzuführen sind. Diese Erkenntnis darf allerdings nicht dazu verleiten, durch die sogenannte "Repressed Memory Therapy (RMT)" - auf Deutsch etwa "Therapie unterdrückter Erinnerungen" - ScheinErinnerungen bei den Patienten künstlich zu erzeugen. Viele der von den per RMT neu zum Leben erweckten Erinnerungen kreisen um einen sexuellen Missbrauch - sei es durch Eltern, Großeltern oder Geistliche. Oftmals bestreiten die Beschuldigten, dass diese Erinnerungen echt seien. Die Klagen, die sich gegen die Rolle von Therapeuten bei der Erweckung von mutmaßlichen Schein-Erinnerungen richten, häufen sich. Es ist allerdings gleichermaßen unwahrscheinlich, dass sämtliche dieser wiedererlangten Erinnerungen an einen sexuellen Missbrauch in der Kindheit falsch sind. Vom aktuellen Stand der Wissenschaft aus betrachtet, ist es fast unmöglich, wahrheitsgetreue Erinnerungen von verzerrten oder nur scheinbaren Erinnerungen zu trennen. Dabei ist allerdings berücksichtigen, dass gewisse Vorgänge im Gehirn einfach notwendig sind, damit Erinnerungen überhaupt erst statt81
finden können. Deshalb sind Erinnerungen an einen Säuglingsmissbrauch oder an einen Missbrauch, der stattfand, während man bewusstlos war, mit größter Wahrscheinlichkeit falsch. Ebenso notorisch unzuverlässig sind Erinnerungen, die durch Träume oder Hypnose hervorgerufen wurden - und dies allein schon deshalb, weil Informationen in Träumen sehr oft zweideutigen Charakter haben. Hypnose und andere Methoden, die sich die Suggerierbarkeit eines Menschen zunutze machen, sollten deshalb nur mit äußerster Sorgfalt angewandt werden. Durchaus problematisch ist außerdem die Vermischung unterschiedlicher Erinnerungen: einige erinnerte Teile entsprechen den Tatsachen, andere nicht. Zwischen den beiden Arten zu unterscheiden, ist ein schwieriges Unterfangen. Es könnte beispielsweise sein, dass eine Frau ihren sexuellen Missbrauch durch einen Nachbarn oder einen Verwandten während der Kindheit bewusst unterdrückt hat. Ein Erlebnis im Erwachsenenalter löst dann irgendwann stichwortartig die Erinnerung aus. Die Frau entsinnt sich des Missbrauchs und wird fortan von Alpträumen heimgesucht, in denen ihr Vater, ihr Großvater oder der Priester sie missbrauchen. Sie beginnt eine RMTBehandlung, und nach wenigen Monaten schon, erinnert sie sich lebhaft daran, wie Vater, Mutter, Großvater, Großmutter und Priester sie nicht nur sexuell missbraucht haben, sondern auch an grauenvollen satanischen Ritualen samt Menschenopfern und Kannibalismus teilnahmen. Wo liegt in diesem Fall die Wahrheit? Die Erinnerungen der Patientin sind echt und grauenvoll, unabhängig davon, ob sie nun der Wirklichkeit entsprechen oder nicht. Und in der Tat wurden oft genug Familien aufgrund derartiger Therapien zerstört, ganz gleich, ob die Erinnerungen wahr oder falsch waren. Sollten solche Erinnerungen also als wahr akzeptiert werden ohne dass irgendein Versuch unternommen werden müsste, sie zu widerlegen? Es wäre zweifellos unannehmbar, Beschuldigungen des sexuellen Missbrauchs einfach zu ignorieren. Es 82
ist aber ebenso unvertretbar, der Zerstörung von Existenzen und ganzer Familien zuzusehen, ohne zumindest den Versuch zu unternehmen, herauszufinden, ob irgendein Teil der Erinnerungen an sexuellen Missbrauch vielleicht falsch ist. Es scheint deshalb geradezu unmenschlich, Patienten zu ermutigen, sich an sexuellen Missbrauch - oder etwa an eine Entführung durch Außerirdische - zu erinnern, es sei denn, es existierten wirklich gute Gründe, dies zu tun. Die bloße Annahme, dass sämtliche oder zumindest die meisten unserer emotionalen Probleme auf unterdrückte Erinnerungen an sexuellen Missbrauch in der Kindheit zurückzuführen seien, ist kein ausreichender Grund dafür, das Leid eines Patienten in Kauf zu nehmen, indem man ihn in trügerischen Überzeugungen bestärkt. Die Annahme, dass ein Patient von Außerirdischen entführt worden sei, ist, selbst wenn man das Gegenteil nicht beweisen kann, eben kein ausreichender Grund dafür, in ihm eine solche Erinnerung zu erzeugen. Ein verantwortungsbewusster Therapeut hat die Pflicht, einem Patienten zu helfen bei der Trennung von Einbildung und Realität, von echtem Missbrauch und imaginärem Missbrauch. Wenn eine Therapie aber zur Einbildung geradezu ermutigt, dann ist diese Therapie nicht empfehlenswert. Und diejenigen, deren Pflicht es ist, zu entscheiden, ob eine Person sexuell missbraucht worden ist, oder, ob die Erinnerung an einen solchen Missbrauch eine Pseudo-Erinnerung ist, sollten zumindest auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft sein. Sie sollten sich vor Augen halten, dass wir alle bis zu einem gewissen Grade leicht zu beeinflussen sind, und dass insbesonders Kinder extrem zugänglich für suggestive Fragen sind. Kinder haben eine rege Phantasie: Wenn ein Kind sagt, dass es sich an etwas erinnert, heißt das noch lange nicht, dass das tatsächlich der Fall ist. Erinnert sich ein Kind nicht an einen bestimmten Vorfall, so ist es zweifellos kein gutes Verfahren, es so lange zu befragen, bis es sich endlich doch daran erin83
nert. Den Untersuchungsbeamten, Beratern und Therapeuten sollte auch bewusst sein, dass viele Anklagen und Erinnerungen stark durch die Medien beeinflusst werden. Menschen, die eines Verbrechens angeklagt oder schuldig gesprochen werden, merken durchaus, dass sie mehr Mitgefühl erregen, wenn andere denken, sie seien als Kind missbraucht worden. Und andererseits wissen Menschen, die einen Groll gegen irgendjemanden hegen, sehr gut, dass einen anderen Menschen nichts so schnell zerstört wie eine Anklage wegen sexuellen Missbrauchs. In solchen Fällen wird dem Kläger zudem noch Mitleid und Trost entgegengebracht. Menschen mit emotionalen Problemen lassen sich außerdem oft besonders leicht durch das beeinflussen, was sie in den Massenmedien lesen, sehen oder hören: etwa Geschichten, in denen ein verdrängter Missbrauch als Ursache für emotionale Probleme bezeichnet wird. So ist es durchaus denkbar, dass ein emotional gestörter Erwachsener einen anderen des Missbrauchs beschuldigt - und zwar nicht etwas deshalb, weil es Anzeichen gibt für einen Missbrauch, sondern deshalb, weil die gestörte Person sich den Missbrauch einbildet oder ihn befürchtet. Für Untersuchungsbeamte und Richter gibt es also genügend gute Gründe dafür, in derartigen Situationen kein übereiltes Urteil zu fällen. Übersetzung: Larissa Wagner
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Feng Shui Eine Mischung aus Aberglauben und unbewiesenen Ideen als Leitfaden für Architektur, Stadtplanung und Landschaftsgestaltung? FengShui (ausgesprochen "fong schwei - wie engl. "way"; die wörtliche Bedeutung ist: "Wind und Wasser") ist Teil einer alten chinesichen Naturphilosophie. Feng Shui wird oft mit einer Art von Geomantie gleichgesetzt - Hellsehen mittels geographischer Gegebenheiten - befasst sich aber vor allem mit dem Verständnis des Verhältnisses zwischen der Natur und dem Menschen, um ein Leben in Harmonie mit der Umwelt zu ermöglichen. Feng Shui basiert unter anderem auf der sehr vernünftigen Vorstellung, dass das Leben mit statt gegen die Natur, sowohl dem Menschen, als auch der Umwelt hilft. Feng Shui geht außerdem von der gleichfalls sinnvollen Vorstellung aus, unser Leben werde von unserer physischen und emotionalen Umgebung stark beeinflusst. Wenn wir uns mit Symbolen des Todes, mit Verachtung, Gleichgültigkeit gegenüber Leben und Natur, Lärm und hässlichen Dingen umgeben, werden wir uns dabei selbst negativ verändern. Umgeben wir uns stattdessen mit Schönheit, Sanftheit, Freundlichkeit, Sympathie, Musik und vielfältigen Ausdrucksformen der Schönheit des Lebens, veredeln wir uns selbst, wie auch unsere Umgebung. Vermeintliche Meister des Feng Shui, also Menschen, welche die fünf Elemente und die beiden Energien der Feng-ShuiLehre verstehen, sollen ihrem Ruf nach fähig sein, übernatürliche Energien zu erkennen und Anweisungen für ihren optimalen Fluss zu geben. Feng Shui hat sich zu einer Art architektonischer Akupunktur entwickelt: Zauberer und Magier begeben sich in ein Gebäude, oder betreten eine Landschaft, und benutzen ihre übernatürlichen Sensoren, um den Fluss von "guter und schlechter Energie" zu entdecken. Diese Meister deklarieren dann gegen Bezahlung, wo das Badezimmer sein solle, in welche Richtung Türen liegen müssen, 85
wo man Spiegel aufhängen solle, welcher Raum grüne Pflanzen, und welcher rote Blumen benötige, in welche Richtung man das Bett stellen solle und so weiter. Sie fällen diese Entscheidung auf der Grundlage ihres Gefühls für den Fluss der positiven "Chi"-Energie, des elektromagnetischen Feldes, oder irgendeiner anderen Energie, über die sich der Kunde Sorgen macht. Sollte es also in ihrer Beziehung sexuelle Probleme geben, dann rufen Sie den Feng Shui- Meister. Vermutlich müssen Sie nur ein paar Dinge im Schlafzimmer umstellen, um den Energiefluss in Ordnung zu bringen. Nur ein Mensch mit speziellen paranormalen Sinnen kann Ihnen sagen, was wirklich getan werden muss. Feng Shui ist also zu einem Aspekt der Innenarchitektur in der westlichen Welt geworden, und die sogenannten Feng ShuiMeister bieten sich für hübsche Summen an, um Leuten wie Donald Trump zu erklären, in welche Richtung seine Türen und sonstige Dinge gehen sollten. Daneben ist Feng Shui ein weiterer der zahllosen New Age -"Energie"-Schwindel geworden, komplettiert durch eine Reihe von übernatürlichen Produkten, angefangen von Papierfiguren (die Halbmonde und Planeten zeigen), über achteckige Spiegel, bis hin zu Holzflöten. All diese Dinge stehen zum Verkauf, um Ihnen dabei zu helfen, Ihre Gesundheit zu verbessern, Ihr Potenzial zu verwirklichen, und Ihnen die Erfüllung einer GlückskeksPhilosophie zu garantieren. Der indonesische Architekt Sutrisno Murtiyoso meint, in Ländern mit starkem Glauben an Feng Shui sei daraus eine Mischung aus Aberglauben und unbewiesenen Ideen geworden, die sogar in einigen Universitäts-Lehrplänen als wissenschaftliche Prinzipien für Architektur und Stadtplanung durchgingen. Murtiyoso informierte mich über einen Universitätsdozenten, der einen Artikel in Indonesiens größter Zeitung verfasst habe, in dem er "Feng Shui als Leitprinzip für Indonesiens zukünftige Architektur anpreise". Murtiyosos Reaktion darauf: "Wenn so etwas von einem sogenannten 'Paranormalen' gemacht würde, wäre ich nicht so wütend. Aber ein 'Kol86
lege', ein Architekt ... Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie meine Landsleute das nächste Jahrtausend anpacken wollen, wenn sie immer noch an diese alten Zaubereien glauben." An Sutrisno Murtiyosos Stelle würde ich mich erst dann wirklich aufregen, wenn die Architekten anfangen, die Gesetze der Physik zugunsten derer der Metaphysik zu ignorieren. Wir lassen auch heute noch unsere Priester geweihtes Wasser verspritzen und Beschwörungen murmeln, wenn wir einen Wolkenkratzer einweihen. Soweit ich weiß, ist noch keiner davon zusammengebrochen. Und wenn Aberglaube ein Hindernis für Fortschritt wäre, würden wir heute noch wie unseren behaarten Vorfahren durch die Savanne streifen. Anmerkungen des Übersetzers: Auch in Deutschland ist Feng Shui seit einiger Zeit en vogue. So findet man zum Beispiel in der BILD-Zeitung vom 19. Juni 2000 einen vollkommen unkritischen Kurzbericht über die "Kräfte" des Feng Shui, und die Münstersche Zeitung berichtet am 19. Mai 2000 über einen "Bebauungsplan nach Feng Shui-Philosophie" in der bayrischen Gemeinde Massing, wo Feng Shui helfen soll, damit die Kühe wieder Milch geben. Außerdem wurden "Störadern" und "Erdstrahlen" gefunden. Feng Shui ist auch als "Ti-Li" oder "Kan-Yü" bekannt. Auch exorzistische Rituale (sogenannte "Tun- Fu") werden durchgeführt, um schlechte Energien zu bannen. Übersetzung: Tobias Budke
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Psychoanalyse "In den vergangenen fünfunddreißig Jahren haben wiederholte Prüfungen der Literatur keine sicheren Beweise dafür liefern können, dass die psychoanalytische Therapie einer PlaceboTherapie überlegen ist." (Terence Hines, "Pseudoscience and the Paranormal", S.133, 1990) "Ich bin nämlich gar kein Mann der Wissenschaft, kein Beobachter, kein Experimentator, kein Denker. Ich bin nichts als ein Conquistadorentemperament, ein Abenteurer, wenn Du es übersetzt willst, mit der der Neugierde, der Kühnheit und der Zähigkeit eines solchen." (Sigmund Freud, Brief an Wilhelm Fließ, 1. Februar, 1900). "In den 50er und 60er Jahren war die Warnung des Meisters in einem Getöse aufgeregter Stimmen untergegangen. Psychoanalysten und Psychiater behaupteten, sie könnten sogar die Schizophrenie, die gefürchtetste aller geistigen Krankheiten, heilen, und zwar durch bloße Gespräche mit ihren Patienten." (Edward Dolnick, "Madness on the Couch - Blaming the Victim in the Heyday of Psychoanalysis", p. 12, 1998) Die Psychoanalyse ist die Großmutter aller pseudowissenschaftlichen Psychotherapien. Als Lieferant falscher und irreführender Behauptungen über den Verstand, über geistige Gesundheit und geistige Krankheit wird sie nur noch von der Scientology übertroffen. So gelten Schizophrenie und Depression in der Psychoanalyse nicht als neurochemische, sondern als narzisstische Störungen. Autismus und andere psychische Krankheiten seien keine chemischen Probleme des zentralen Nervensystems, sondern Probleme, die ihren Ursprung im Verhalten der Mutter haben. Diese Krankheiten bedürften also nicht pharmakologischer Behandlung, sondern lediglich einer Gesprächs- Therapie. Ähnliche Ansichten werden hinsichtlich 88
der Magersucht und des Tourette-Syndroms vertreten (Hines, S. 136). Welche stichhaltigen Argumente sprechen nun für die psychoanalytische Lehrmeinung in Bezug auf geistige Erkrankungen und ihre Behandlung? Gar keine! Freud glaubte das Wesen der Schizophrenie zu verstehen: Sie sei keine geistige Krankheit, sondern eine Störung im Unterbewusstsein, die ihre Ursache in ungelösten homosexuellen Regungen habe. Allerdings betonte Freud, dass die Psychoanalyse bei Schizophrenen nicht wirken könne, weil solche Patienten die Einsichten ihres Therapeuten missachteten und somit resistent gegen die Therapie seien (Dolnick, S. 40). Später erklärten Psychoanalytiker dann - mit gleicher Überzeugung und ebenso mangelhafter wissenschaftlicher Grundlage -, dass Schizophrenie durch "erstickende Mutterliebe" verursacht würde. Frieda Fromm-Reichmann etwa, prägte im Jahre 1948 den Begriff der "schizophrenogenen Mutter", also: eine Mutter, deren übertriebene Mutterliebe das Kind in die Schizophrenie treibe (Dolnick, S. 94). Andere Analytiker hatten diese Ansicht mit Anekdoten und Phantasien bereits belegt, bevor Fromm-Reichmann ihre Thesen formulierte. Und in den kommenden zwanzig Jahren sollten noch viele diesen irregeleiteten Vorbildern folgen. Würde man einen Patienten mit gebrochenem Bein oder mit Diabetes qua Gesprächstherapie oder Traumdeutung behandeln? Natürlich nicht. Man stelle sich die Reaktion vor, wenn man einem Diabetiker erzählte, seine Krankheit sei auf "Selbstbefriedigungs-Konflikte" oder auf "verdrängte Erotik" zurückzuführen! Eine psychoanalytische Erklärung seiner körperlichen Krankheit oder Störung nützt dem Patienten genauso viel, wie die Mitteilung, er sei von bösen Geistern besessen. Die Austreibung des Teufels durch einen Schamanen oder Priester, oder aber die Austreibung der Kindheitserfahrungen durch den Psychoanalytiker: Worin liegt hier der Unterschied? Aus welchen Gründen also sollte jemand heutzutage noch behaupten, dass neurochemische oder andere körperliche Stö89
rungen durch unterdrückte oder sublimierte traumatische oder sexuelle Kindheitserfahrungen verursacht werden? Wahrscheinlich aus denselben Gründen, die Theologen dazu bewegen, an ihren aufwendigen Glaubensschemata festzuhalten trotz aller erdrückenden Beweise dafür, dass ihre Glaubenssysteme wenig mehr sind, als gewaltige metaphysische Spinnweben. Ihre Institutionen geben ihnen den Rückhalt, der für die Aufrechterhaltung ihrer gesellschaftlichen Funktion und für ihre Ideen erforderlich ist: die meisten der letzteren jedoch, halten einer empirischen Prüfung nicht stand. Gedanken, die nicht überprüft werden, können nicht widerlegt werden. Was nicht widerlegt werden kann, und zudem die Unterstützung einer mächtigen Institution oder Einrichtung genießt, kann deshalb über Jahrhunderte hindurch als korrekt und stichhaltig gelten, ungeachtet seiner fundamentalen Leere, seiner Unrichtigkeit und seines Schadenspotenzials. Das zentrale Konzept der Psychoanalyse ist die Vorstellung von einem Unterbewusstsein, das als Speicher für verdrängte Erinnerungen an traumatische Ereignisse dient. Letztere nehmen ständig Einfluss auf das bewusste Denken und Verhalten. Diese Vorstellung einer unterbewussten Verdrängung entbehrt jedoch sowohl jeder wissenschaftlichen Grundlage, als auch jeglichen Beweises dafür, dass bewusstes Denken oder Verhalten durch verdrängte Erinnerungen beeinflusst würde. (Für diejenigen, die diesen letzten Satz nicht aufmerksam genug gelesen haben, möchte ich anmerken, dass ich weder die Existenz unbewusster Gedanken, noch die der impliziten Erinnerungen abstreite.) Parallel zu diesen fragwürdigen Annahmen der Psychoanalyse existieren zwei gleichermaßen fragwürdige Methoden, die die dazu dienen, die angeblich im Unterbewusstsein versteckten Erinnerungen zu untersuchen: "freie Assoziation" und "Traumdeutung". Beide Methoden können weder wissenschaftlich formuliert, noch empirisch untersucht werden. So sind beide eine Art metaphysischer Blankoscheck, der dazu dient, beliebig zu spekulieren, ohne jeden Bezug zur Realität. 90
Wissenschaftliche Erkenntnisse, die im Hinblick auf die Funktionsweise des Gedächtnisses gewonnen wurden, liefern keinerlei Belege für das psychoanalytische Modell des Unterbewusstseins, das sexuelle und traumatische Erinnerungen, ob im Kindes- oder Erwachsenenalter, verdrängt. Es existieren jedoch reichlich Beweise dafür, dass es eine Art von Erinnerung gibt, der wir uns nicht direkt bewusst sind, an die wir uns aber dennoch erinnern. Wissenschaftler bezeichnen diese Art der Erinnerung als "implizite Erinnerung." Es gibt viele Beweise dafür, dass das Speichern von Erinnerungen einer umfassenden Entwicklung der vorderen Hirnlappen bedarf, die Säuglingen und Kleinkindern fehlt. Außerdem müssen Erinnerungen kodiert werden, damit sie lange erhalten bleiben. Fehlt die Kodierung, folgt ein Erinnerungsverlust, wie es mit so vielen unserer Träume geschieht. Ist die Kodierung schwach, bleiben vom ursprünglichen Erlebnis möglicherweise nur bruchstückartige und implizite Erinnerungen zurück. Daher tendiert die Wahrscheinlichkeit, dass Säuglinge sich an Missbrauch - oder überhaupt an irgendetwas - erinnern, gegen Null. Implizite Erinnerungen an Missbrauch treten zwar auf, aber nicht unter den Umständen, die angeblich der Verdrängung unterliegen. Implizite Erinnerungen an Missbrauch tauchen auf, wenn eine Person während des Angriffs das Bewusstsein verliert und das Erlebnis nicht vollständig kodieren kann. Ein Beispiel: Ein Vergewaltigungsopfer konnte sich nicht an die Vergewaltigung erinnern. Der Vorfall ereignete sich auf einem mit Ziegeln gepflasterten Gehweg. Die Worte 'Ziegel' und 'Weg' kamen ihr immer wieder in den Sinn, aber sie brachte sie nicht mit der Vergewaltigung in Verbindung. Als man sie erneut an den Tatort führte, verlor sie völlig die Fassung, obwohl sie sich nicht an das Geschehene erinnern konnte (Daniel L. Schacter, "Searching for Memory - the brain, the mind, and the past", S. 232, 1996). Es ist unwahrscheinlich, dass Hypnose, freie Assoziation oder irgendeine andere therapeutische Methode ihr zu der Erinnerung an das 91
Ereignis verhelfen könnte. Sie hat keine unmittelbare Erinnerung, weil sie wegen der Brutalität des Angriffs nicht imstande war, das Trauma zu kodieren. Ein Psychoanalytiker oder ein anderer Therapeut für "unterdrückte Erinnerungen" könnte höchstens eine falsche Erinnerung im Opfer erzeugen - was einem weiteren Missbrauch ihrer Person gleichkäme. Wesentlich verknüpft mit der psychoanalytischen Ansicht der Verdrängung ist die Annahme, dass das elterliche Verhalten gegenüber Kindern, insbesondere die Mutterliebe, die Ursache für viele, wenn nicht für die meisten Probleme im Erwachsenenalter ist - ob es sich um Persönlichkeitsstörungen, emotionale Probleme oder Geisteskrankheiten handelt. Es besteht wenig Zweifel daran, dass Kinder, die während ihrer Kindheit grausam behandelt wurden, als Erwachsene sehr stark durch eine solche Behandlung geprägt sind. Es ist ein großer Gedankensprung von dieser Tatsache hin zu der Vorstellung, dass alle sexuellen Erfahrungen in der Kindheit im späteren Leben Probleme verursachen würden, oder aber, dass alle Probleme im späteren Leben - sexuelle Probleme mit einbezogen - auf Kindheitserfahrungen zurückzuführen seien. Die Beweise für diese Annahmen fehlen schlicht. Psychoanalytische Therapien stützen sich in vielerlei Hinsicht auf eine Suche nach etwas, das wahrscheinlich gar nicht existiert (verdrängte Kindheitserinnerungen), eine Annahme, die wahrscheinlich falsch ist (dass Kindheitserfahrungen die Probleme des Patienten verursacht haben) und eine therapeutische Theorie, die so gut wie keine Chancen hat, richtig zu sein (dass das Aufrufen verdrängter Erinnerungen ins Bewusstsein für die Heilung erforderlich ist). Und dies sind nur die Grundlagen jenes aufwendigen Gedankengebäudes, das vorgibt, tiefe Geheimnisse des Bewusstseins und Verhaltens zu erklären. Wenn aber die Grundlagen schon falsch sind, wohin soll dann die Therapie führen? Trotz alledem hat die von Sigmund Freud (1856-1939) in Wien vor einem Jahrhundert entwickelte Methodik der Psychoanalyse auch Gutes gebracht. Freud sollte als einer unserer 92
größten Wohltäter gelten - allein schon deshalb, weil er als erster den Wunsch verspürte, diejenigen zu verstehen, deren Verhalten und Denken die Grenzen der von Gesellschaft und Kultur geprägten Konventionen überschreiten. Dass es nicht mehr allgemein üblich ist, Verhaltens- und Geistesgestörte zu verurteilen und verspotten, ist nicht zuletzt auf die von der Psychoanalyse gepredigte Toleranz zurückzuführen. Und was auch immer an Intoleranz, Ignoranz, Heuchelei und Prüderie bezüglich des Verständnisses unseres sexuellen Verhaltens zurückgeblieben ist, kann kaum Freud angelastet werden. Psychoanalytiker erweisen Freud keine Ehre, wenn sie blindlings den Doktrinen ihres Meisters in diesem oder irgendeinem anderen Bereich folgen. Und so schließen wir mit den Worten des Psychiaters Anthony Storr, der einmal sagte: "Die von Freud praktizierte Methode, leidenden Personen über längere Zeiträume zuzuhören, anstatt ihnen Befehle oder Ratschläge zu erteilen, bildet die Grundlage für einen Großteil der modernen Psychotherapien - was sowohl für den Patienten, als auch für den Therapeuten ein Gewinn bedeutet." (Storr, 120) Übersetzung: Larissa Wagner
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Graphologie Graphologie ist die Deutung von Handschriften, insbesondere zwecks Analyse des Charakters einer Person. Echte Handschriften-Experten - die z.B. in der Kriminalistik tätig sind nennt man "forensische Schriftgutachter", nicht etwa Graphologen. Forensische Schriftgutachter nehmen bei ihrer Auswertung Bezug auf Schnörkel, "i"-Punkte und "t"- Balken, auf den Buchstabenabstand, auf Schrägen, Höhen und abschließende Züge. Sie untersuchen die Handschrift, um festzustellen, ob ein Schriftstück authentisch oder gefälscht ist. Auch Graphologen untersuchen Schnörkel, "i"-Punkte und "t"Balken, den Buchstabenabstand, Schrägen, Höhen und abschließende Züge. Sie glauben jedoch, dass solche Einzelheiten einer Handschrift physische Offenbarungen unbewusster geistiger Funktionen sind. Graphologen sind überzeugt davon, dass diese Details genausoviel über eine Person aussagen können wie Astrologie, Handlesen, Psychometrie, oder der "Myers-Briggs Typen-Indikator", ein psychologischer Test zur Klassifizierung von Persönlichkeiten. Aber es gibt keine Beweise dafür, dass das Unterbewusstsein ein Fundus von Wahrheiten über eine Person enthält - und noch viel weniger dafür, dass die Graphologie einen Zugang zu diesem Reservoir eröffnet. Die Graphologie kann, so wird von ihren Anhängern behauptet, auf allen Gebieten hilfreich sein: angefangen vom besseren Verständnis über Jugendliche, über Eheberatung und Verbrechensaufklärung, bis hin zur Krankheitsdiagnose. Doch "in ordnungsgemäß kontrollierten Blindstudien, bei denen die Schriftproben keinerlei nicht-graphologische Informationen enthielten (z.B. Texte, die aus Zeitschriften abgeschrieben wurden), schneiden Graphologen mit ihren Vorhersagen...verschiedener Charaktereigenschaften...nicht besser ab, als dies ein rein zufälliges Erraten vermag..." [aus: "The Use of Graphology as a Tool for Employee Hiring and Evaluati94
on", Positionspapier der British Columbia Civil Liberties Association, 1997]. Das Geschlecht eines Schreibers etwa, können sogar Laien in etwa 70 Prozent der Fälle richtig bestimmen. [Adrian Furnham, "Write and Wrong: The Validity of Graphological Analysis," in: "The Hundreth Monkey and Other Paradigms of the Paranormal", Herausg. Kendrick Frazier, S. 204, 1991] Graphologen bedienen sich einer Vielzahl unterschiedlicher Techniken. Nichtsdestoweniger lassen sich die Methoden dieser "Experten" auf wenige wahrgenommene Anhaltspunkte reduzieren, wie beispielsweise den auf das Papier ausgeübten Druck, den Abstand zwischen Wörtern und Buchstaben, "i"Punkte und "t"-Balken, Größe, Winkel, Schnelligkeit und Gleichmäßigkeit des Schreibens. Und obwohl die Graphologen das immer zu bestreiten pflegen, bildet der Inhalt des Geschriebenen einen wesentlichen Faktor in der graphologischen Persönlichkeitsanalyse - wobei doch eigentlich der Inhalt einer Nachricht unabhängig von der jeweiligen Handschrift des Schreibers ist, und somit für die Auswertung ohne Belang sein sollte. Barry Beyerstein ["Graphology", in "The Encyclopedia of the Paranormal", Herausg. Gordon Stein, S.309, 1996] erblickt in vielen der graphologischen Konzepte nichts weiter als "einfühlende Magie". Beispiel hierfür: die Ansicht, dass große Abstände zwischen den Buchstaben auf eine Neigung zu Isolation und Einsamkeit hinweisen, weil die Abstände erkennen ließen, dass der Schreiber sich nicht gern mit Menschen umgebe und persönliche Nähe als unangenehm empfinde. Ein Graphologe behauptet, dass ein Sadist sich dadurch verrate, dass seine T-Balken wie Peitschen aussehen. Weil es keine brauchbare Theorie zu den Hintergründen der Graphologie gibt, ist es nicht verwunderlich, dass es auch keine empirischen Beweise für statistisch relevante Korrelationen zwischen graphologischen Eigenschaften und bestimmten Charakterzügen einer Person gibt. Adrian Furnham schreibt: "Leser, die mit dem sogenannten 95
Cold reading vertraut sind, werden verstehen, warum die Graphologie so überzeugend erscheint, und warum so viele (ansonsten durchaus intelligente) Leute an sie glauben [S. 204]. Fügt man zum Cold reading den Forer- oder Barnum-Effekt, die Neigung, den eigenen Glauben bestätigt zu finden ("Confirmation Bias", und die Bestätigung durch die Gemeinschaft hinzu, dann hat man bereits eine ziemlich umfassende Erklärung für die Beliebtheit der Graphologie. Die Graphologie ist ein weiteres Hirngespinst in den Köpfen all jener Menschen, die gerne eine kurze und simple Antwort darauf hätten, wen sie heiraten sollen, wer ein Verbrechen begangen hat, wen sie einstellen sollen, welchen Beruf sie wählen sollen, wo die Fische besser beißen, wo Wasser, Erdöl, oder ein Schatz begraben liegen - und was sonst nicht noch alles. Graphologie ist ein weiterer Punkt in einer langen Liste von Methoden, die von Quacksalbern und Scharlatanen als Ersatz für harte Arbeit empfohlen werden. Die Graphologie spricht all jene an, die bei solch lästigen Dingen, wie Nachforschungen, Untersuchung von Beweisen, Nachdenken, Logik und Überprüfungen von Theorien schnell die Geduld verlieren. Wenn Sie Ergebnisse wünschen - und zwar jetzt sofort und in einem keinen Widerspruch duldenden bestimmtem Ton vorgetragen, - dann ist die Graphologie genau das Richtige für Sie. Wenn Sie jedoch mit zumutbaren Wahrscheinlichkeiten und Unsicherheiten leben können, dann weichen Sie vielleicht besser auf eine andere Methode aus, die es ihnen ermöglicht, einen Lebenspartner oder einen Mitarbeiter zu suchen. Wenn Sie allerdings kein Problem damit haben, Leute mittels Pseudowissenschaften zu diskriminieren, dann sollten Sie wenigstens konsequent sein und den richtigen Graphologen mit Hilfe eines Ouija-Brettes auswählen. Übersetzung: Larissa Wagner
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Hypnose Was allgemein Hypnose genannt wird, ist tatsächlich eine Art schweigender Zustimmung und kein einzigartiger Zustand des Bewusstseins Hypnose ist ein Prozess, an dem ein Hypnotiseur und eine Testperson beteiligt sind: Letztere erklärt sich bereit, hypnotisiert zu werden. Der Zustand der Hypnose ist normalerweise gekennzeichnet durch a) intensive Konzentation, b) nahezu vollständige Entspannung und c) starke Beeinflussbarkeit. Hypnose ist weit verbreitet in der Verhaltenstherapie. Sie wird angewandt, um Patienten zu helfen, Phobien zu bewältigen oder schlechte Angewohnheiten loszuwerden. Sie wird aber auch für andere, umstrittenere Dinge verwendet. Unübertroffen ist die Vielfalt der Hypnose-Anwendungen. Hypnose findet statt unter außerordentlich unterschiedlichen Bedingungen, so etwa auf der Bühne, im Krankenhaus, in der Schulklasse oder auf dem Polizeirevier. - Bühnenhypnotiseure arbeiten für gewöhnlich in Bars und Clubs. Ihre Testpersonen sind meist Leute, die Spaß daran haben, gemeinsam mit Dutzenden oder Hunderten anderer Menschen einen Ort aufzusuchen, an dem die Stimmung vor allem durch Alkohol erzeugt wird. - Die Patienten von Hypnosetherapeuten sind in der Mehrzahl Menschen, die davon gehört haben, dass Hypnosetherapie Schmerzen lindern, eine Sucht oder irrationale Angst beseitigen könne. Andere erwarten von der Hypnose, dass sie dabei hilft, verdrängte Erinnerungen wieder wachzurufen, etwa jene sexuellen Missbrauchs oder früherer Inkarnationen. - Parapsychologisch denkende Hypnose- therapeuten fördern die Hypnose als ein Mittel zur Entdeckung okkulter Wahrheiten, die sich angeblich jenseits des normalen Bewusstseins befinden. - Und schließlich handelt es sich bei einigen Hypnotisierten 97
um Leute, die Opfer oder Zeugen eines Verbrechens waren, sich aber nicht an genügend Details erinnern können, um die Ermittlungen voranzubringen. Die Ermittler fordern sie dann eventuell auf, sich hypnotisieren zu lassen, um "dem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen". Welche andere medizinische Technik ist heutzutage derart vielseitig vewendbar? Die übliche Auffassung von Hypnose besteht darin, dass es sich bei ihr um einen trance-ähnlichen veränderten Bewusstseinszustand handele. Viele, die diese Annahme akzeptieren, glauben auch, Hypnose sei eine Methode, um in das Unterbewusstsein voll unterdrückter Erinnerungen, multipler Persönlichkeiten, mystischer Eingebungen oder Erinnerungen an frühere Inkarnationen vordringen zu können. Diese Auffassung von der Hypnose als einem veränderten Bewusstsein und einem Königsweg zu okkultem Wissen über das Selbst und das Universum, wird jedoch von vielen Psychologen als purer Mythos abgetan. Es gibt zwei unterschiedliche, wenn auch verwandte Aspekte in dieser mythischen Definition der Hypnose: Der Mythos des veränderten Bewusstseinszustandes und der Mythos des verborgenen Unbewussten. Die Vertreter der Theorie von der Bewusstseinsveränderung legen häufig Studien vor, die zeigen, dass während des Verlaufes der Hypnose a) die gehirnelektrischen Ströme sich verändern, und dass sich b) die Gehirnwellen von jenen im Wachzustand unterscheiden. Die Kritiker dieser Ansicht weisen darauf hin, dass diese Fakten belanglos seien für die Unterstützung der These, bei der Hypnose handele es sich um ein verändertes Bewusstsein. Man könne mit dem gleichen Recht Tagträume oder Niesanfälle als "verändertes Bewusstsein" bezeichnen, da beide von veränderten Gehirnströmen begleitet würden und sich die dabei feststellbaren Gehirnwellen von denen bei der Ausübung anderer Tätigkeiten unterscheiden - etwa von denen, die aufträten, wenn ein Flugzeug gesteuert werde oder die entstünden, wenn der Betreffende in eine lebhafte Diskussion 98
mit einem Opfer außerirdischer Entführungen verwickelt sei. Die Anhänger der Theorie vom verborgenen Unbewussten stützen ihre Überzeugung mit Hilfe von Anekdoten über zahlreiche Menschen, die sich unter Hypnose an Ereignisse aus diesem oder einem früheren Leben erinnern, an die sie keine bewusste Erinnerung haben. Der Großteil dessen, was man über Hypnose weiß - im Gegensatz zu dem, was viele glauben - stammt aus Untersuchungen über die Testpersonen selbst. Man weiß, dass es eine signifikante Korrelation zwischen einer lebhaften Fantasie und der Empfänglichkeit für Hypnose gibt; ebenso steht fest, dass fantasievolle Menschen hervorragende Testpersonen für Hypnose abgeben. Ein produktives Vorstellungsvermögen erhöht die Empfänglicheit, und es ist klar, dass diejenigen, die Hypnose für Unsinn halten, nicht hypnotisiert werden können. Es steht weiterhin außer Frage, dass hypnotisierte Menschen nicht in Zombies verwandelt und von ihrem Hypnotiseur kontrolliert werden können. Die Hypnose ist nicht in der Lage, die Genauigkeit des Gedächtnisses auf irgendeine besondere Weise zu erhöhen. Aber ein Mensch, der unter Hypnose steht, ist sehr leicht beeinflussbar und lässt Lücken in seiner Erinnerung sehr leicht von seiner Fantasie und den Vorschlägen des Hypnotiseurs "ergänzen". "Konfabulation", das Füllen von Gedächtnislücken mit erfundenem Material, ist ebenfalls recht häufig anzutreffen unter dem Einfluss der Hypnose. Viele Gerichte lasssen daher keine unter Hypnose gewonnenen Zeugenaussagen zu, da diese grundsätzlich unzuverlässig sind. Wenn also Hypnose weder ein veränderter Bewusstseinszustand, noch das Tor zu einem mystischen und verborgenen Unbewussten ist, was ist sie dann? Warum geben so viele Leute, darunter Autoren von Psychologielehrbüchern oder Wörterbucheinträgen, die mythische Sicht der Hypnose weiter, als handele es sich um etablierte wissenschaftliche Erkenntnisse? Zum einen verbreiten die Massenmedien den Mythos in zahllosen Filmen, Büchern und Fernsehsendungen, zum anderen gibt es eine fest verschworene Gruppe von Hypnothera99
peuten, die daran glauben, die davon gut leben, und die viele Wirkungen ihrer Sitzungen - von ihrem Standpunkt aus - nur als "Erfolge" bezeichnet können. Sie können sogar eine Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen vorlegen. Andere Psychologen, wie etwa Robert Baker, sind der Meinung, diese Studien seien in etwa so aussagekräftig wie diejenigen, welche die Existenz des Äthers belegten. Baker nimmt an, dass die sogenannte Hypnose in Wirklichkeit eine Art erlerntes Sozialverhalten darstellt. Der Hypnotiseur und die Testperson lernen, was von ihren Rollen erwartet wird und bestärken sich gegenseitig bei der Durchführung der Prozedur. Der Hypnotiseur suggeriert etwas, und der Hypnotisierte antwortet auf diese Suggestionen. Alles Übrige - die Wiederholung von Geräuschen und Gesten seitens des Hypnotiseurs, seine sanfte, einschmeichelnde Stimme und die trance- oder schlafähnliche Ruhe der Testperson - sind lediglich Staffage, Teil des Dramas, das die Hypnose mysteriös wirken lässt. Wenn man diese theatralischen Elemente außer acht lässt, dann bleibt etwas übrig, das ziemlich gewöhnlich, wenn auch außerordentlich nützlich ist: ein selbst herbeigeführter "aufgedrehter" Zustand der Beeinflussbarkeit. Der Psychologe Nicholas Spanos stimmt Baker zu: "Hypnotische Vorgänge beeinflussen das Verhalten indirekt durch die Veränderung der Motive, der Erwartungen und der Interpretationen der Testperson." Das hat nichts zu tun mit dem Herbeiführen von Trance bei einer Testperson, oder mit der Kontrolle über das Unterbewusste. Hypnose ist ein erlerntes Verhalten, so Spanos, das aus einem sozio-kognitiven Kontext entsteht. Man kann dieselben Dinge auf andere Art erreichen: durch den Schulbesuch, das Lesen eines Buches, Fortbildungen oder dem autodidaktischen Erlernen einer neuen Fähigkeit, durch aufmunternde Worte (von anderen gehört, oder im Selbstgespräch erfahren), durch ein Motivationstraining oder einfach dadurch, dass man einen festen Entschluss fasst, bestimmte Ziele zu erreichen. Kurz: Was allgemein Hypnose genannt wird, ist tatsächlich 100
eine Art von schweigendem Konsens und nicht etwa ein einzigartiger Zustand des Bewusstseins. Die Testperson handelt gemäß den Erwartungen des Hypnotiseurs und der Situation, und verhält sich so, wie sie sich während einer Hypnose verhalten zu müssen glaubt; der Hypnotiseur handelt gemäß den Erwartungen der Testperson (und/oder des Publikums) und der Situation, und verhält sich so, wie er sich in der Rolle des Hypnotiseurs verhalten zu müssen glaubt. Spanos vergleicht die Beliebtheit der Hypnose mit dem Phänomen des Mesmerismus, das im 18./19. Jahrhundert weit verbreitet war. Weiter erblickt er eine Analogie zwischen dem Glauben an die Hypnose und dem Glauben an dämonische Besessenheit und Exorzismus. All dies kann man im Rahmen des sozio-kognitiven Kontextes erklären. Die Rollenvorstellungen der Beteiligten sind erlernt und werden von dem jeweiligen Umfeld bestärkt, und sie sind kontextabhängig und stehen und fallen mit der Bereitschaft der Beteiligten, ihre etablierten Rollen zu spielen. Mit genügend Unterstützung durch hinreichend viele Menschen in einem bestimmten sozialen Umfeld kann so ziemlich jede Idee oder jedes Verhalten von der wissenschaftlichen, religiösen oder sozialen Gemeinschaft eisenhart als Dogma verteidigt werden. Ein anderer Psychologe, E.M. Thornton, führt diese Analogie zwischen Hypnose, Mesmerismus und Exorzismus noch weiter fort. Er legt dar, dass Hypnotisierte im Grunde genommen aufgefordert werden, etwas darzustellen, was "in Wirklichkeit auf eine Parodie von epileptischen Symptomen hinausläuft." Wenn manche hypnotisierten oder mesmerisierten Menschen besessen erscheinen, dann liegt das daran, dass die Besessenheit einen ähnlichen sozio-kognitiven Kontext, ein ähnliches Rollenspiel und eine vergleichbare Beziehung beinhaltet. Die Glaubenssätze sind jeweils unterschiedlich. Die zentrale Idee des veränderten Bewusstseins, des animalischen Magnetismus oder der in den "Patienten" hineinfahrenden Dämonen gibt den jeweiligen Erfahrungen ihren besonderen Charakter. Im Kern jedoch, haben Hypnose, Mesmerismus, Hysterie und dämoni101
sche Besessenheit grundlegende Gemeinsamkeiten: Sie sind soziale Konstrukte, errichtet vor allem von egozentrischen Therapeuten, Entertainern und Priestern auf der einen, sowie von beeinflussbaren, fantasievollen und für Wahnvorstellungen anfälligen Mitspielern mit tiefen emotionalen Bedürfnissen oder Fähigkeiten, auf der anderen Seite. Viele von denen, welche die mythische Auffassung von Hypnose vertreten, verwenden sie als Technik, um unterdrückte Erinnerungen an Traumata aufzudecken, die für die Wurzel der meisten psychologischen Probleme gehalten werden. Um die Patienten von ihren Problemen zu befreien, müsse die Kellertür zum Unterbewussten geöffnet und die Erinnerungen an Traumata (vom Therapeuten meist in Gestalt von sexuellem Missbrauch in der Kindheit vermutet) an die Oberfläche gebracht werden. Hypnose ist ein Lieblingswerkzeug solcher Therapeuten, da sie glauben, durch sie direkt mit dem Unterbewussten kommunizieren zu können. Viele der "Erinnerungen", die auf diese Art ans Licht gebracht werden, erweisen sich später als falsche Erinnerungen, hervorgerufen durch Suggestionen und Konfabulation. Außerdem passen die grundlegenden Annahmen dieser Art von Therapie nicht zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Funktionsweise des Gedächtnisses (Schacter). Menschen, die ein traumatisches Erlebnis hatten, vergessen es normalerweise nicht. Extrem traumatische Erfahrungen werden meist nur vergessen, wenn a) die Person zum Zeitpunkt des Traumas bewusstlos war; b) die Person vor dem Trauma oder durch das Trauma eine Hirnschädigung erfährt; c) die Person zu jung ist, um die notwendigen neuronalen Verbindungen für das Langzeitgedächtnis zu knüpfen. Erinnerungen werden nicht in einem muffigen, geheimnisvollen Keller aufbewahrt, sondern in einem neuronalen Netzwerk, das sich über mehrere Teile des Gehirns erstreckt. Gedächtnisverlust tritt ein, weil neuronale Verknüpfungen verlorengehen, nicht weil irgendein kleiner Mann sie im Untergeschoss des Verstandes aufbewahrt und sie gelegentlich freilässt, damit sie bei den 102
Leuten in der Beletage herumspuken, wo das klare Bewusstsein sitzt. Daniel Schacter betont, dass die wissenschaftlichen Belege für die Verdrängungsthese schwach sind. Noch schwächer sind die Belege für die Ansicht, dass bestimmte Fehlfunktionen durch Unterdrückung von Erinnerungen verursacht würden. Schacter berichtet von einem Vergewaltigungsopfer, das sich nicht an das Verbrechen erinnern konnte. Das Verbrechen fand auf einem Kopfsteinpflaster statt [im Original "brick pathway", A.d.Ü.]. Die Worte 'brick' und 'pathway' schossen der Frau immer wieder durch den Kopf, aber sie brachte sie nicht in einen Zusammenhang mit der Vergewaltigung. Sie zeigte allerdings Anzeichen seelischer Erschütterung, wenn man sie zum Ort des Verbrechens führte, aber sie erinnerte sich nicht daran, was dort geschehen war (Searching for Memory, S. 232). Man könnte nun annehmen, das Opfer besäße in Wahrheit eine voll entwickelte Erinnerung an die Vergewaltigung und habe sie nur verdrängt. Vielleicht wäre da Hypnose angemessen, um diese unterdrückte Erinnerung an die Oberfläche zu bringen. Nichtsdestoweniger sind Hypnose und andere Behandlungsmethoden auf dieser Basis riskant und entbehren jeder Grundlage. Das Konzept der impliziten Erinnerung - Erinnerung ohne Bewusstheit aufgrund der Tatsache, dass einige neuronale Verbindungen während eines Traumas entstehen, aber nicht ausreichend viele für eine vollentwickelte Erinnerung vorhanden sind - kann die Gedächtnislücke des Vergewaltigungsopfers erklären und kommt ohne die Annahme aus, sie habe entweder Erinnerungen während ihrer Bewusstlosigkeit aufgezeichnetm oder besitze sogar ein Unterbewusstsein zur Speicherung solch unangenehmer Erinnerungen. Dieses Konzept erklärt alles, was über das Gedächtnis bekannt ist, und macht keine Annahmen über Dinge, die nicht bekannt sind. Man sollte also Occams Rasiermesser ansetzen, um diesen Teil der mythischen Vorstellung des Unbewussten wegzuschneiden. 103
Außerdem: Selbst wenn traumatische Erinnerungen gelegentlich verdrängt werden, dann vermutlich bewusst und absichtlich. Viele von uns entscheiden sich, nicht zu lange bei unfreundlichen Erinnerungen zu verweilen und geben sich Mühe, sie so weit wie möglich aus ihrem Gedächtnis zu löschen. Wir haben wohl kaum den Wunsch, dass unser Hypnotiseur oder Therapeut Erinnerungen an Erlebnisse hervorholt, die wir absichtlich vergessen haben. Kurz: Begrenzter Gedächtnisschwund kann am besten neurologisch, nicht metaphysisch, erklärt werden. Wir vergessen Dinge, weil wir sie von Anfang an niemals stark genug kodiert haben, weil neuronale Verbindungen zerstört wurden, oder weil wir uns dafür entscheiden, sie zu vergessen. Der Begründer der Theorie vom verborgenen Unbewussten, Sigmund Freud, tat klug daran, den Gebrauch der Hypnose in der Therapie aufzugeben. Unglücklicherweise wird sie jedoch in vielen verschiedenen Therapie-Versionen weiter verwendet, und nicht alle davon sind heilsam. Hypnose einzusetzen, um Menschen vom Rauchen abzubringen, oder bei ihrer Diät zu helfen, ist möglicherweise nützlich, und, selbst wenn unwirksam, vermutlich nicht schädlich. Ähnlich verhält es sich mit Menschen, die sich unter Hypnose etwa an die Autonummern von Fluchtwagen erinnern sollen. Auch der Einsatz von Hypnose, um Verbrechensopfern oder Zeugen zu helfen, sich an die Vorgänge zu erinnern, ist vielleicht nützlich, aber er kann wegen der Leichtigkeit, mit der ein Zeuge durch Suggestionen des Hypnotiseurs beeinflusst werden kann, auch gefährlich sein. Übereifrige Polizei-Hypnotiseure könnten durch ihre so gewonnenen Erkenntnisse dazu gebracht werden, ihr Urteil über das Ergebnis zu stellen, zu dem ein faires Verfahren mit soliden Beweisen kommt. Hypnose ist im Polizeibereich auch deshalb gefährlich, weil viele Beamte dazu neigen, an Wahrheitsseren, Lügendetektoren und andere wundersame und leichte Wege der Wahrheitsfindung glauben. Hypnose zu verwenden, um Menschen dabei zu helfen, Erinnerungen an sexuellen Missbrauch durch Familienmitglieder oder Außerirdische zurückzugewinnen, ist gefährlich und in 104
manchen Fällen eindeutig unmoralisch und menschenverachtend, wird sie doch manchmal dazu eingesetzt, Patienten dazu zu bringen, sich an Dinge zu erinnern und für wahr zu halten, die vermutlich niemals passiert sind. Wären diese Erinnerungen nicht auf derart grauenhafte und schmerzhafte Erfahrungen bezogen, wären sie von geringer Bedeutung. Fördern Therapeuten jedoch Wahnvorstellungen von schrecklichen Erfahrungen, dann richten sie oft irreparablen Schaden bei denen an, die ihnen vertrauen. Und all dies geschieht im Namen von Heilung und Pflege, wie schon bei den Priestern früherer Zeitalter, wenn sie Hexen jagten und Dämonen austrieben. Man sollte darauf hinweisen, dass Therapeuten auch ohne den Einsatz von Hypnose die Beeinflussbarkeit ihrer Patienten erhöhen und ihnen falsche Erinnerungen einpflanzen können. Die Überzeugungen des Therapeuten, was die Ursache der Patienten-Probleme angeht, sind bedeutsamere Faktoren als der Einsatz oder Nichteinsatz von Hypnose. Therapeutische Schuster, die alles über einen Leisten schlagen (alle Fälle von Bulimie oder multipler Persönlichkeit zum Beispiel gehen auf sexuellen Missbrauch im Kindesalter zurück), werden wahrscheinlich auch ohne Hypnose ihren Patienten falsche Erinnerungen und Überzeugungen aufschwatzen. Eine Suggestion bedarf nicht der theatralischen Versatzstücke der Hypnose, um zu funktionieren; diese Versatzstücke geben dem Vorgang in den Augen mancher Leute nur mehr Legitimation. Ein weiterer Bereich, in dem Hypnose gerne praktiziert wird, ist die Reinkarnationstherapie. Wenn man ihren Anhängern glauben darf, öffnet die Hypnose ein Fenster in das Unterbewusste, wo Erinnerungen an vergangene Existenzen gespeichert werden. Wie diese Erinnerungen an bereits gelebte Leben in das Unterbewusste gelangen, ist zwar nicht bekannt, aber ihre Vertreter sind lockere Anhänger einer Lehre der Reinkarnation, auch wenn diese Lehre weder den Glauben an das verborgene Unbewusste, noch die Erinnerung an frühere Existenzen erfordert. Die wichtigsten "Belege" für frühere Existenzen basieren darauf, dass sich viele Menschen unter Hyp105
nose an sie erinnern. Auch wenn diese Berichte überall veröffentlicht werden und nachweislich auf falschen Erinnerungen beruhen, mindert dies den Glauben an die Reinkarnationstherapie nicht. Robert Baker hat jedoch demonstriert, dass der Glaube an die Wiedergeburt ausschlaggebend ist, wenn man voraussagen will, ob eine Testperson (in diesem Falle eine Person aus einer Studentengruppe) eine Erinnerung an ein früheres Leben unter Reinkarnations-Hypnotherapie haben wird. Des weiteren zeigte Baker auf, dass die Erwartungen der Testperson die Sitzung entscheidend beeinflussen. Er unterteilte eine Gruppe von 60 Studenten in drei Gruppen. Dee ersten Gruppe teilte er mit, sie seien im Begriff, eine aufregende neue Therapieform kennenzulernen, die ihnen bei der Aufdeckung vergangener Lebens-Existenzen helfen könne: 85 Prozent der Gruppenmitglieder "erinnerten sich" erfolgreich an ein solches. Die zweite Gruppe erfuhr, sie werde eine Therapie kennenlernen, bei der es nicht sicher sei, ob sie Erinnerungen an frühere Leben ermögliche; die Erfolgsquote betrug hier 60 Prozent. Die dritte Gruppe allerdings, bekam zu hören, die Therapie sei ein Hirngespinst, und, dass normale Menschen sich normalerweise nicht an ein früheres Leben erinnerten. Hier hatten nur 10 Prozent der Studenten eine solche "Erinnerung". Einige New Age-Therapeuten betreiben Reinkarnationstherapie getarnt als "inneres Wachstum", andere als Heilung. Es ist vermutlich mehr oder weniger harmlos, wenn man Menschen darin bestärkt, sich an wahrscheinlich falsche Erinnerungen aus früheren Leben in vergangenen Jahrhunderten zu "erinnern" oder sie dazu auffordert, in die Zukunft zu reisen und einen Blick nach vorne zu wagen; als Werkzeug für New AgePioniere ist diese Methode wahrscheinlich ungefährlich. Anders sieht es bei ihrem Einsatz als Heilmittel aus: Es müsste auch den oberflächlichsten Therapeuten klar sein, dass große Gefahren darin liegen, Menschen bei der Erzeugung von Wahnvorstellungen noch zu bestärken. Einige falsche Erinnerungen sind vielleicht harmlos, aber andere können verheerend 106
sein. Sie können das Leid eines Menschen verschlimmern und ebenso leicht die liebevollen Beziehungen zu Familienmitgliedern zerstören. Hypnose sollte also stets nur mit größter Vorsicht eingesetzt werden. Übersetzung: Tobias Budke
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Der Mozart-Effekt "Wir haben eine gemeinsame innere Sprache der Neuronen, die uns angeboren ist, und wenn man letztere mit den richtigen Reizen stimuliert, kann man dem Gehirn helfen, vernünftig zu denken." Gordon Shaw "Wir haben diese Tiere [Ratten] in utero und sechzig Tage nach ihrer Geburt verschiedenen Hörreizen ausgesetzt und sie dann ein räumliches Labyrinth durchlaufen lassen. Und in der Tat bewältigten jene Tiere, die Mozart gehört hatten, das Labyrinth schneller und mit nur wenigen Fehlern. Wir entfernen nun ihre Gehirne und schneiden sie in Scheiben, um genau erkennen zu können, was sich - neuroanatomisch gesehen - in Folge dieser Behandlung verändert hat. Es kann durchaus sein, dass die intensive Musikbehandlung eine Art Bereicherung darstellt, die Auswirkungen auf die räumlichen Regionen des Hippocampus hat." Frances Rauscher "Geschichten die aussagen, dass frühe Kindheitserfahrungen letztendlich schulisches Können, zukünftige Karrieren, und die Fähigkeit, liebevolle Beziehungen einzugehen, bestimmen, haben keine soliden Fundamente in der Neurowissenschaft." John Bruer Der Mozart-Effekt ist ein von Alfred A. Tomatis geprägter Begriff für die vermeintliche Steigerung der Gehirnentwicklung bei Kindern unter drei Jahren, wenn diese Kinder Musik von Wolfgang Amadeus Mozart hören. Die Idee, dass ein solches Phänomen existieren könnte, tauchte erstmals im Jahre 1993 auf - an der University of California in Irvine. Dort untersuchten der Physiker Gordon Shaw und Frances Rauscher, ein Spezialist auf dem Gebiet der kognitiven Entwicklung, bei ein paar Dutzend College- Studenten die Auswirkungen einer Hörprobe: der ersten 10 Minuten von Mozarts Klaviersonate für Vier Hände in D-dur (KV 448). 108
Sie stellten eine vorübergehende Steigerung des räumlichen und zeitlichen Denkens fest - ein Ergebnis, das per Messung mit dem "Stanford-Binet IQ-Test" ermittelt wurde. Niemand sonst hat diese Resultate jemals wiederholen können. Ein Forscher mindestens (Steven Halpern) hat sogar ermittelt, dass es Leute dümmer machen kann, Mozart zu hören. Ein weiterer Wissenschaftler meinte: "Das allerbeste, was man aus ihrem Experiment schließen kann - wenn es denn völlig unbestritten wäre - besteht darin, dass das Anhören von schlechter Musik Mozarts kurzfristig den IQ anhebt" (Michael Linton). Inzwischen untersucht Rauscher die Auswirkungen der Musik Mozarts auf Ratten. Und sowohl Shaw, als auch Rauscher ergingen sich in spekulativen Vermutungen darüber, dass die Musik Mozarts das räumliche Denken und das Gedächtnis beim Menschen anrege. Im Jahre 1997 gaben Rauscher und Shaw bekannt, sie hätten wissenschaftlich nachgewiesen, dass Klavier- und Gesangsunterricht das abstrakt-logische Denken bei Kindern besser fördere, als dies der Computer-Unterricht bewirke. "Das Experiment erfasste drei Kindergartengruppen: die erste Gruppe erhielt privaten Klavier- oder Keyboard-Unterricht, sowie Gesangs-Unterricht; eine zweite Gruppe bekam privaten Computer-Unterricht; und eine dritte Gruppe erhielt gar kein Training. Anschließende Tests über die Fähigkeit zu räumlichzeitlichem Denken zeigten: Die Kinder im Klavier/KeyboardProgramm erbrachten eine 34% höhere Leistung als die anderen. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Musik eindeutig jene höheren Gehirnfunktionen steigert, die für Mathematik, Schach, Wissenschaft und Technik erforderlich sind." Shaw und Rauscher haben einen ganzen Industriezweig ins Leben gerufen. Sie haben auch ein eigenes Institut gegründet: Das "Music Intelligence Neural Development"-Institut (M.I.N.D.). Derzeit wird soviel über die wundersamen Auswirkungen der Musik geforscht, dass eigens eine Website erschaffen wurde, damit sich die neuen Entwicklungen im Auge behalten lassen: "MüSICA", mit einer gänzlich dem Mozart109
Effekt gewidmeten Abteilung. Shaw und Rauscher behaupten, ihre Arbeit sei falsch dargestellt worden. Was sie gezeigt hätten sei, dass "es Muster gibt von Nervenzellen, die nacheinander zünden, und dass es im Gehirn anscheinend Stellen gibt, die auf bestimmte Frequenzen reagieren." Das sei eben nicht dasselbe, wie ein Beweis, dass das Anhören von Mozarts Musik zu höherer Intelligenz bei Kindern führt. Harte Fakten jedoch, wartet Shaw erst gar nicht ab. Vorläufig profitiert er selbst von den Wünschen der Eltern, die ihre Kinder intelligenter machen wollen. Kürzlich kam sein Buch/CD-Set "Keeping Mozart in Mind" auf den Markt. Es ist seit September 1999 über sein Institut zu beziehen. Shaw und seine Kollegen sind überzeugt davon, dass weil räumlich-zeitliches Denken der Schlüssel zu vielen höheren kognitiven Aufgaben ist - eine Stimulierung des Hirnteils, der mit räumlich-zeitlichem Denken und räumlichzeitlichen Aufgabenlösungen zu tun hat, die Begabung einer Person für Mathematik, Technik, Schach, und Wissenschaft verbessert. Sie bieten sogar ein Software-Paket an, das ohne Sprache auskommt und das räumlich-zeitliche Denkvermögen mit Hilfe eines animierten Pinguins anzukurbeln verspricht. Shaw und Rauscher haben mit ihren Ideen zwar einen neuen Industriezweig ins Leben gerufen - aufrechterhalten wird diese Branche jedoch von den Massenmedien und all den anderen, die daraus eine Art Alternativ-Wissenschaft d gemacht haben. Übertriebene und irreführende Behauptungen über die Musik sind inzwischen so alltäglich, dass der Versuch, sie richtig zu stellen, an Zeitverschwendung grenzt. Jamal Munshi, ein Professor an der Sonoma State University, sammelt falsche Berichte und, wie er sie nennt, "Einfaltshäppchen". Er stellt sie im Internet unter der Rubrik "Weird but True" (verrückt aber wahr) zur Verfügung, und behauptet noch obendrein, dass Shaw und Rauscher bewiesen hätten, eine Klangprobe aus der Mozart-Sonate in D-Dur für zwei Klaviere habe "die SATResultate der Studierenden um 51 Punkte erhöht." Tatsächlich führten Shaw und Rauscher an 36 Studenten einen Test im 110
Papierfalten und -schneiden durch, und stellten bei der "Mozartgruppe" eine vorübergehende Steigerung um acht bis neun Punkte immer dann fest, wenn der Test entweder nach einer Schweigeperiode, oder nach dem Anhören einer Entspannungskassette absolviert wurde. Munshi behauptet auch, dass die Wissenschaft nicht erklären kann, warum eine Fliege fliegt. Die Wissenschaftler arbeiten seit längerem an diesem wesentlichen Problem, also sollten wir ihnen Gerechtigkeit widerfahren lassen. Don Campbell ist zugleich der Carlos Castaneda und der Roncalli des Mozart-Effekts: er bauscht die Arbeit von Shaw, Rauscher und anderen für seine eigenen Zwecke maßlos auf. Er hat sogar den Ausdruck "The Mozart Effect" patentieren lassen und geht mit seiner Person und seinen Produkten auf einer eigenen Website hausieren. Campbell behauptet, er habe durch Summen, Beten und die Selbst-Suggestion von einer vibrierenden Hand an der rechten Seite seines Schädels ein Blutgerinnsel in seinem Gehirn verschwinden lassen. Unkritische Anhänger der alternativen Medizin hinterfragen seine Behauptung nicht einmal, zumal es sowieso eine dieser wohlfeilen Behauptungen ist, die weder bewiesen noch widerlegt werden können. Er könnte genausogut behaupten, die Engel hätten sein Blutgerinnsel entfernt. Man fragt sich allerdings: wenn Musik so gesundheitsfördernd ist - warum hat er dann überhaupt erst ein Blutgerinnsel entwickelt? - Hat er vielleicht versehentlich Rap gehört? "Die Behauptungen, die Campbell im Hinblick auf die Musik aufstellt, sind von einer Extravaganz, die dem Rokoko-Stil angemessen wäre. Und sie sind auch etwa so realitätsbezogen, wie es der Rokoko einst war. [Campbell behauptet, dass Musik so ziemlich alles heilen kann.] Seine Beweisführung hat in der Regel nur anekdotischen Charakter. Und sogar hierbei interpretiert er einiges gründlich falsch. Die gesamte Struktur seiner Argumentation kann dem gesunden Menschenverstand nicht standhalten. Wenn die Musik Mozarts wirklich so gesundheitsfördernd wäre - warum war Mozart selbst so oft 111
krank? Wenn Intelligenz und Geist durch Mozarts Musik so sehr gefördert würden - warum sind dann die klügsten und inspiriertesten Menschen auf der Welt nicht die MozartSpezialisten?" Michael Linton Doch der Mangel an Beweisen in Bezug auf den "MozartEffekt" verhinderte nicht, dass Campbell zum Liebling jener Vortrags-und Gastredner-Maschinerie wurde, deren Funktionieren von naiven und unkritischen Zuhörern garantiert wird. "Wenn [die amerikanische Frauenzeitschrift] McCall's Ratschläge will, wie man ein Stimmungstief mit Musik behebt; wenn [der öffentlich Sender] PBS einen Experten dazu befragen möchte, auf welche Weise die Stimme Energie verleiht; wenn IBM einen Berater anzuheuern beabsichtigt, damit dieser mit Musik die Effizienz und Harmonie am Arbeitsplatz steigere; wenn der Landesverband der Krebs-Überlebenden einen Redner zum Thema "Heilkräfte der Musik" sucht - stets wenden sie alle sich an Campbell." (zitiert nach Campbell's Website) Die Gouverneure der US-Staaten Tennessee und Georgia haben Programme gestartet, mit deren Hilfe jedes Neugeborene eine Mozart-CD erhält. Hunderte von Krankenhäusern wurden im Mai 1999 von der National Academy of Recording Arts and Sciences Foundation mit kostenlosen Klassik-Musik-CDs beschenkt. Das sind gut gemeinte Gesten - aber basieren sie tatsächlich auf stichhaltigen Forschungsbeweisen, die dafür sprechen, dass klassische Musik die Intelligenz eines Kindes oder den Heilungsprozess eines Erwachsenen ankurbelt? Die Frage muss verneint werden, wenn man Kenneth Steele, einen Psychologie-Professor der Appalachian State University, und John Bruer, Leiter der James S. McDonnell Foundation in St. Louis (Missouri) dazu hört. Dem ganzen Werberummel widersprechend, behaupten sie, dass das Mozart-Hörerlebnis nicht wirklich intelligenzsteigernd oder gesundheitsfördernd sei. Steele und seine Kollegen Karen Bass und Melissa Crook sagen, dass sie trotz genauer Befolgung der von Shaw und 112
Rauscher aufgestellten Protokolle "absolut keinen Effekt" feststellten konnten, obwohl sie in ihrer Studie 125 Studenten untersuchten. Sie folgerten daraus, dass "es nur wenig Grund zur Unterstützung von Interventionsprogrammen gibt, die sich auf die Existenz des Mozart-Effekts berufen." Ihre Ergebnisse erschienen in der Fachzeitschrift "Psychological Science" vom Juli 1999. In seinem Buch "The Myth of the First Three Years" ("Der Mythos von den ersten drei Jahren") kritisiert Bruer nicht nur den "Mozart-Effekt", sondern auch einige ähnlich gelagerte Mythen, die sich auf Fehlinterpretationen der jüngsten Gehirnforschung stützen. Der "Mozart-Effekt" bietet ein Beispiel dafür, wie sich in unserer Welt die Bereiche Wissenschaft und Medien miteinander mischen. Eine Andeutung, hingeworfen in einigen Absätzen eines wissenschaftlichen Journals, mutiert binnen weniger Monate zur allgemein anerkannten Gewissheit: letzten Endes glauben daran sogar noch jene Wissenschaftler, die ursprünglich einmal erkannten, wie sehr ihre Arbeit durch die Medien verzerrt und aufgebauscht wurde. Andere, Profit witternd, schließen sich der erfolgversprechenden Sache an, fügen dem Ganzen ihre eigenen Mythen, fragwürdigen Behauptungen und Verzerrungen noch hinzu. Im Falle des "Mozart-Effekts" schließen sich viele unkritische Befürworter dem Glauben allein schon deshalb an, weil es sich schließlich um die Zukunft unserer Kinder handelt. Schon haben wir dazu Bücher, Kassetten, CDs, Institute, staatliche Programme. Bald schon wird der Mythos von Millionen Menschen als feste wissenschaftliche Tatsache akzeptiert. Es gibt nur wenig kritischen Widerstand - weil wir ja bereits wissen, dass die Musik unsere Gefühle und Stimmungen beeinflusst. Warum also sollte sie nicht auch unsere Intelligenz und Gesundheit beeinflussen? Das entspricht doch nur dem gesunden Menschenverstand, nicht wahr? So ist es - und das ist ein Grund mehr, skeptisch zu sein. Übersetzung: Larissa Wagner 113
Schneeballysteme und Kettenbriefe Auf einem Planeten mit einer begrenzten Anzahl von Menschen, gehen einem die Teilnehmer für Schneeballsysteme ziemlich rasch aus Ein Schneeballsystem ist ein betrügerisches System zum "Geldmachen". Damit es Erfolg haben kann, benötigt es einen nicht versiegenden Strom von Mitspielern. Die Teilnehmer geben a) Geld an ihre Anwerber weiter und werben b) neue Teilnehmer an, die wiederum ihnen Geld geben sollen. Schneeballsysteme heißen so, weil ihre Teilnehmerzahl wie ein den Hang hinabrollender Schneeball anwachsen soll. Im englischen Sprachraum spricht man noch treffender von "pyramide scheme", weil ihre Teilnehmer eine Art von Pyramide bilden. Bildet man eine solche Pyramide etwa mit einem einzigen Menschen an der Spitze, setzt sie dann mit zehn Menschen direkt unter ihm fort, danach mit 100 Menschen, und unter diesen mit 1.000 - dann würde diese Pyramide bereits in nur zehn Schichten die gesamte Erdbevölkerung umfassen mit einem Betrüger an der Spitze. Die menschliche Pyramide wäre etwa 20 Meter hoch; ihre unterste Schicht enthielte mehr als 4,5 Milliarden Menschen! Ein Diagramm veranschaulicht dies: 1 10 100 1.000 10.000 100.000 1.000.000 10.000.000 100.000.000 1,000.000.000 10.000.000.000 114
Eine Reihe von 10 Personen, die weitere 10 anwirbt (und so weiter), würde also sehr schnell 10 Milliarden erreichen, deutlich mehr als die tatsächliche Erdbevölkerung. Ausgehend von einer Kopfzahl von 5 Milliarden Menschen, die alle an einem Schneeballsystem teilnehmen, bestünde die unterste Schicht der Pyramide aus etwa 90 Prozent der Weltbevölkerung, sprich 4,5 Milliarden Menschen. Somit kommen zwangsläufig auf 500 Millionen GEWINNER 4,5 Milliarden VERLIERER. In einem Standard-Schneeballsystem wird ein Teilnehmer aufgefordert, einem Anwerber einen bestimmten Betrag zu übergeben, sagen wir 100 DM. Dieser neue Teilnehmer wirbt dann seinerseits zum Beispiel 10 weitere Teilnehmer an, die ihm ebenfalls jeweils 100 DM geben. In der einfachsten Form behält der Anwerber das gesamte Geld, das er von seinen Teilnehmern erhält; in unserem Beispiel zahlt er 100 DM und erhält 1000 DM - macht satte 900 DM Gewinn. Damit niemand bei diesem Spiel Geld verliert, muss das Anwerben bis in alle Ewigkeit weitergehen. Auf einem Planeten mit einer begrenzten Anzahl von Menschen, selbst auf einem solch großen wie der Erde mit beinahe sechs Milliarden potenziellen Teilnehmern, gehen einem die Neuzugänge aber ziemlich rasch aus. Daher ist das Ergebnis all dieser Spiele unvermeidlich: Im besten Falle gehen einige Leute mit viel Geld nach Hause, während die meisten Mitspieler verlieren, was sie investiert haben. Tatsächlich ist also die einzige Methode, mit der sich Geld durch ein Schneeballsystem machen lässt, andere Menschen zu überreden, ihr Geld gegen das Versprechen herzugeben, dass sie für diese Investition etwas zurückbekommen würden. Da dies aber insgesamt bei einem Schneeballsystem unmöglich ist, erfüllen diese Spiele immer den Tatbestand des Betrugs: Täuschung zum Zwecke der Bereicherung. Daher sind Schneeballsysteme illegal: aber nicht etwa, weil sie Menschen anwerben, die andere anwerben, die wiederum andere anwerben. Das ist vollkommen rechtens und wird bis zu 115
einem gewissen Grade in vielen Unternehmen so gemacht. Sie sind auch nicht verboten, weil bei ihnen Geld verschenkt wird: Es ist absolut legal, Menschen Geld zu schenken. Sie sind illegal, weil Menschen getäuscht werden, um an ihr Geld zu gelangen - und das ist die rechtliche Definition von Betrug. In der Realität wird kein Schneeballsystem auf die obige Art funktionieren, da man niemals die Anzahl an Teilnehmern finden wird, die das Rechenbeispiel erfordert. Alle Schneeballsysteme verdorren, wenn die Zahl der neuen Teilnehmer nicht mehr groß genug ist, um die vorherige Reihe auszubezahlen. Es wird immer genug Leute geben, die den Braten riechen; es wird weiterhin viele Leute geben, die sich sagen: "Wenn sich das zu schön anhört, um wahr zu sein, dann wahrscheinlich deshalb, weil es nicht wahr ist!" Möglicherweise wird es sogar einige geben, die erkennen, dass, obgleich es scheint, als ob eine Person, die zehn weitere Personen anwirbt, nicht gerade viel sei, sich das Ganze sehr schnell zu unrealistischen und unwahrscheinlichen Zahlen aufaddiert. Außerdem bedarf es nur einer einzigen Person, um die ganze Sache zu beenden: und zwar entweder, wenn die betreffende Person beharrliche Überzeugungsarbeit bei anderen betreibt - um den Anwerbern ihre Betrügerei vor Augen zu führen - oder dann, wenn sie die Polizei benachrichtigt. Wenn die Chancen für die Teilnehmer so schlecht stehen, warum machen dann so viele mit bei Schneeballsystemen? Schneeballsysteme sind so beliebt, weil Menschen gierig sind - und die Gier kann das Denken eines Menschen radikal verändern. In einem Menschen, der den Wunsch verspürt, viel Geld in kurzer Zeit aus einer kleinen Investition herauszuholen, regiert oft dort das Wunschdenken, wo der kritische Verstand sich besser einschalten sollte. Wünsche werden zu Tatsachen; Skeptiker werden zu Trotteln, weil sie nicht mitspielen wollen. Sehnsüchte mutieren zu Tatsachen; alles in Frage zu stellen, erscheint grob und unfreundlich. Trickbetrüger wissen, wie Gier funktioniert, und es braucht nur einen von ihnen, um die Sache ins Rollen zu bringen. 116
Doch Gier ist nur ein Teil der Antwort. Die meisten Spieler sehen sich selber nicht irgendwo am Fuße der Pyramide stehen. Selbst der gierigste Mensch der Welt würde vermutlich erkennen, dass es am Fuße der Pyramide sehr schwierig sein dürfte, neue Teilnehmer anzuwerben. Mitspieler müssen die Illusion pflegen, sie befänden sich nahe der Spitze, um sich das Geld erträumen zu können, das sie mit minimalem Aufwand kassieren wollen. Darüber hinaus muss der Initiator eines neuen Schneeballsystems zunächst die Leute davon überzeugen, dass es sich nicht um ein solches handelt. Vielleicht ist ihnen klar, dass Schneeballsysteme verboten sind - oder sie erkennen, dass Schneeballsysteme für mindestens 90 Prozent der Teilnehmer Verlustgeschäfte sind. Also erzähle ich ihnen von einem Klub, dem sie beitreten könnten. Diesem Klub gebe ich einen netten Namen, etwa "European Kings Club" (EKC). Wenn der Initiator geschickt ist, werden die Leute ihm und all den Polizeibeamten, Sekretärinnen, Lehrerinnen, Priestern usw., die bereits dabei sind, glauben. Diese angesehenen, intelligenten, ehrlichen Menschen werden dann in seinem Sinne weitermachen. Ist er wirklich verdammt geschickt, so überzeugt er seine Teilnehmer nicht nur davon, dass sie einem anständigen und profitablen Klub beitreten, sondern auch noch von der Steuerfreiheit auf alle Gewinne. Er würde sie darauf hinweisen, dass keine Steuern fällig seien, so lange der Gewinn unterhalb der Schenkungsgrenze liege; außerdem würde er ihnen klarmachen, dass sie im rechtlichen Sinne Geld verschenken und von anderen Leuten als Geschenk erhalten würden. Die Polizei, dein Freund und Mitspieler In den Jahren 1995 und 1996 sind nicht weniger als 67 Mitarbeiter des Sacramento Police Departments wegen angeblicher Teilnahme an einem Schneeballsystem verhört worden. Das Spiel ähnelte fünf weiteren Spielen, die in Südkalifornien ebenfalls unter Beteiligung von Polizeibeamten und angestellten stattgefunden hatten. Der Polizeichef teilte mit, er 117
werde nach Möglichkeit mindestens sieben Polizisten entlassen und gegen weitere 60 Mitarbeiter Disziplinarmaßnahmen einleiten. Neun Polizisten wurden beurlaubt und mussten ihre Waffen und Dienstmarken abgeben. Der Anklage zufolge, waren mehr als 200 Personen in das Spiel verwickelt, von denen jedoch nur drei mit Strafverfolgung rechnen mussten. Berichten zufolge, hätten einige der Teilnehmer Zehntausende von Dollars kassiert, während der Mindestverlust derjenigen am Fuße der Pyramide bei 500 Dollar lag. Die Polizei-Schneeballsysteme nannten sich "Investitionsklubs" und hatten attraktiv klingende Namen wie "Der Freundschafts-Investitionsklub" oder "Netzwerk-Geschenk". Man bringt sie an den Mann mit der Versicherung, sie seien absolut legal, behördenfest und definitiv keine Schneeballsysteme. Das Sacramento-Spiel hieß "Klub der Freiheit" oder so ähnlich, und es wurde von einem Polizeibeamten als legal propagiert, da man den Teilnehmern auferlegte, eine Verzichtserklärung zu unterschreiben. In dieser war von einem Geschenk an den Klub die Rede, das an keinerlei Bedingungen geknüpft war. Ein Lokalreporter namens Mike Boyd fragte einen Beamten des IRS (Internal Revenue Service, US-Steuerbehörde, AdÜ), ob diese Erklärung bedeute, bei dem Freiheitsklub handele es sich nicht um ein Schneeballsystem. Der Beamte erwiderte, da die Teilnehmer, welche die Erklärung unterschrieben hatten, sich von dem als Geschenk deklarierten Geld einen Gewinn versprachen, könne das Geld nicht als Geschenk gelten. Ein Staatsanwalt, der ebenfalls von Boyd interviewt wurde, stimmte dem zu und meinte, dass eine simple Erklärung, man mache ein Geschenk ohne Profiterwartung, nicht ausreiche, wenn man sich sehr wohl einen Profit davon verspreche (echte Geschenke sind selbstverständlich legal und bis zu einem gewissen Betrag steuerfrei). Die Polizisten und ihre Mitspieler im Freiheitsklub investierten pro Person mindestens 500 Dollar und erwarteten so um die 4.000 Dollar als Dividende für 118
ihre "Geschenke", so Boyd. Die Zeitung "Sacramento Bee" zitierte Quellen, die davon sprachen, dass einige Angestellte bei der Polizei mehr als 10.000 Dollar an dem Spiel verdient hätten. Die GEWINNER in diesem Spiel erhielten ihr Geld aus den "Geschenken" an den Freiheitsklub von denjenigen, die später hinzugestoßen waren. Spiele dieser Art laufen weiter - falls die Teilnehmer nicht erwischt werden - bis nicht mehr genügend neue Mitspieler dazukommen, um die vor ihnen stehenden Mitspieler auszuzahlen. Das heißt: Sie werden fortgesetzt, bis eine stattliche Anzahl von Mitspielern, die 500 Dollar "verschenkt" haben, nach dem Zusammenbruch des Spiels nichts mehr bekommen. Und ein solcher Zusammenbruch ist unvermeidlich, da es keinen endlosen Zulauf an Teilnehmern geben kann. Das Sacramento-Polizei-Spiel bediente sich einer Strategie, die man "Pyramidenschoten" nennen könnte. Ein Organisator (Numero Uno) beginnt, indem er sechs Personen dazu bringt, ebenfalls als Organisatoren aufzutreten, vermutlich mit einer Rangstufenskala, die abhängig vom Zeitpunkt der Anwerbung ist. Die Organisatoren zahlen nichts ein, müssen aber insgesamt acht Mitspieler zusammenbekommen, die acht Plätze am Fuße der Pyramide kaufen. Jeder Platz kostet 500 Dollar. Numero Uno sackt die 4.000 Dollar ein, und die Schote teilt sich in zwei Schoten zu je sieben Personen (Plätzen), jede von ihnen ausgestattet mit einer neuen Numero Uno (und 2 bis 7). Jede Schote rekrutiert weitere Leute für jeweils 500 Dollar pro Platz in der Pyramide; die beiden neuen "Numero Uno"Personen sahnen ihre 4.000 Dollar pro Kopf ab, und die beiden Schoten teilen sich in vier, diese vier wiederum in 16, und so weiter bis in alle Ewigkeit. Um mehr zu verdienen, haben einige Mitspieler an mehreren Schoten teilgenommen. Wieviele Teilnehmer haben den Neuzugängen wohl erklärt, dass 6.7 Prozent der Mitspieler mit einem Profit von 700 Prozent rechnen dürfen (3.500 Dollar bei einer Investition von 500 Dollar), - solange 93,3 Prozent von ihnen nichts bekommen? Wieviele mögen wohl den neuen Mitspielern den Tip 119
gegeben haben, so früh wie möglich einzusteigen? Die Beteiligung der Polizei fügt diesem Schneeballsystem eine weitere Dimension hinzu, denn a) Polizeibeamte haben einen Dienstgrad, der als Druckmittel zur Anwerbung neuer Teilnehmer eingesetzt werden kann; b) aktive und ehemalige Polizeibeamte sind Autoritätspersonen, denen potenzielle Mitspieler und vor allem junge Leute Vertrauen entgegenbringen, c) die Aufgabe der Polizei ist es, Recht und Gesetz zu wahren - wenn Gesetzeshüter Gesetzesbrecher werden und andere dazu anstiften, dasselbe aus Profitgier zu tun, dann vermindert sich der Respekt vor dem Gesetz und vor seinen Hütern. Kettenbriefe Bei einem typischen Kettenbrief schickt der Anwerber den Mitspielern einen Brief zu mit einer Namensliste, an deren Spitze der Name des Anwerbers selber steht. Die Angeschriebenen werden aufgefordert, einen bestimmten Betrag an die Person an der Spitze zu schicken und ihren eigenen Namen ans Ende der Liste zu setzen. Zu Geld kommt man nur dadurch, dass man neue Mitspieler gewinnt, die wiederum ihre Namen ans Ende der Liste setzen und weitere Mitspieler anwerben. Theoretisch sollte jeder Name irgendwann einmal an der Spitze von zahllosen Listen stehen und die betreffende Person dann haufenweise Geld erhalten; in der Praxis bekommen die meisten Teilnehmer jedoch gar nichts. Es steht jedem frei, die Kette zu durchbrechen, wodurch niemand auf der Liste mehr mit "Gewinnen" rechnen kann. Aber selbst wenn das nicht geschieht und niemand die Kette bricht, erhalten 95 Prozent derjenigen, die Geld einschicken, nichts zurück. Das Prinzip ist also im Grunde dasselbe, wie bei Schneeballsystemen - nur mit dem Unterschied, dass man sich bei Kettenbriefen nicht selber so stark betrügen muss. Man weiß vermutlich schon von vorneherein, dass die Kette davon abhängt, Freunde dazu zu bringen, Unbekannten Geld zu schenken im Austausch für künftige versprochene Reichtümer, die sie wiederum von anderen Unbekannten erhalten. 120
Ponzi-Spiel Ein Ponzi-Spiel (benannt nach Charles Ponzi, der diese Methode in den zwanziger Jahren verwendete) besteht darin, Leute durch das Versprechen hoher Ertragsraten dazu zu bringen, zu investieren; das Geld der später Hinzugekommenen wird dann dazu verwendet, um die Erstinvestoren auszuzahlen. Wer profitiert von einem solchen Plan? Diejenigen, die ihn beginnen, und die erste Generation der Investoren. Profitiert wirklich jemand davon? Das muss wohl so sein, sonst wäre das System schon längst Geschichte. Aber wie ist das möglich? Wenn ich ein solches Spiel durchführe, kassiere ich nur ganz oben etwas ab und zahle genug Leute aus, damit der Eindruck entsteht, es funktioniere - auch wenn ich mich dazu unten wieder einkaufen muss. Vielleicht bin ich sogar dämlich genug, zu glauben, ich könnte das Spiel sogar dann fortsetzen, wenn der Nachschub ausbleibt. Ich kann versuchen, Geld auf andere Weise zu beschaffen, zum Beispiel durch einen Trip nach Las Vegas, verbunden mit der Hoffnung auf einen Volltreffer. Das passierte einem ehemaligen Sportkameraden von mir. Er brachte das Geld seiner Investoren an den Würfeltisch und re-"investierte" das Kapital. Dummerweise zahlten sich seine "Investitionen" nicht aus - er wanderte in den Knast. Ich weiß nicht, wie viele Leute bei meinem alten Kumpel Geld "investiert" (sprich: verloren) haben, aber so schlimm wie 1993 in Rumänien oder 1997 in Albanien wird es wohl nicht gewesen sein. In beiden Fällen wurden Menschen mit wenig Gelegenheit zur Kapitalinvestition von Schneeballsystemern betrogen. Die Zeitungen in Rumänien sprachen davon, dass Millionen von Landsleuten ihre Ersparnisse in einem Spiel namens "Caritas" verloren hätten. In Berichten aus Albanien wird behauptet, Hunderttausende von Albanern hätten ihre Ersparnisse oder im Ausland verdientes Geld in eines von mehreren illegalen Schneeballsystemen investiert. Die Spiele boten sehr hohe Zinsraten, wobei die ersten Investoren vom Geld der späteren bezahlt wurden. Die Spielsysteme brachen schließlich zusammen, als keine neuen Investoren mehr hin121
zukamen. Jedes Spiel dieser Art muss scheitern, da die Zahl der "Investoren" nicht unbegrenzt ist. Grenzenlos sind lediglich Gier und Selbsttäuschung . Anmerkungen des Übersetzers: Schneeballsysteme und ähnliche Systeme haben viele Namen: Kettenspiele, Pilotenspiele, Life, Jump, Titan, etc. Ein Grundprinzip ist allen gemein: Wenige profitieren von Vielen, die zu den Wenigen gehören möchten. Frank Nordhausen und Liane v. Billerbeck beschreiben in ihrem Buch "Psycho- Sekten" einige Fälle aus dem deutschsprachigen Raum: So wurde 1997 die Leiterin des "European Kings Club", Damara Bertges, in Frankfurt zu acht Jahren Haft wegen Anlagebetrugs verurteilt, nachdem ihre Komplizen schon mehrjährige Haftstrafen erhalten hatten. Der EKC war in vierzig Länden aktiv gewesen und hatte ein Volumen von zwei Milliarden DM erschwindelt; etwa 94.000 Menschen waren schließlich daran beteiligt gewesen. Versprochen wurde zum Beispiel eine Rendite von sage und schreibe 71 Prozent. Bei Versammlungen dieser Klubs oder Gruppen herrscht gewöhnlich eine aufgepeitschte Atmosphäre, in der professionelle Einheizer die Menschen dazu bringen, noch mehr und gedankenloser als bisher Geld locker zu machen. "Erfolgreiche" Investoren werden vorgestellt und als Vorbilder angepriesen; das Ambiente ist dem einer Psycho-Sekte wie etwa "Scientology" nicht unähnlich. Ein ähnliches System fungierte bis 1996 unter dem Namen "Kaizen", was auch der Name einer seriösen japanischen Management-Methode ist; die Vertreter des echten "Kaizen" erwirkten 1996 einen Gerichtsbeschluss und untersagten die Verwendung dieser Bezeichnung. Das "Kaizen"-Spiel wandelte sich darufhin in die sogenannte "Leadership Academy". Literaturempfehlung zu diesem Thema: Nordhausen, Frank/v.Billerbeck, Liane: Psycho-Sekten. Die Praktiken der Seelenfänger. Frankfurt a.M. 1999. S. 380-420. Übersetzung: Tobias Budke 122
Anthroposopie, Rudolf Steiner und Waldorfschulen Ist es so schwierig, Liebe und Zusammenarbeit zu vertreten, ohne sie in einen kosmischen Nebel einzuhüllen? Der in Österreich geborene Rudolf Steiner (1861-1925) war von 1902 bis 1913 Leiter der Deutschen Gesellschaft für Theosophie, die er verließ, um seine Anthroposophische Gesellschaft zu formen. Vielleicht gab er die göttliche Weisheit zugunsten der menschlichen Weisheit auf, einer seiner Hauptgründe die Theosophen zu verlassen, war jedoch deren Weigerung, Jesus oder das Christentum als etwas Besonderes zu behandeln. Steiner akzeptierte andererseits problemlos hinduistische Vorstellungen wie etwa Karma oder Reinkarnation. 1922 schließlich gründete Steiner die "Christengemeinschaft", komplett mit eigener Liturgie und Ritualen für Anthroposophen. Sowohl die Anthroposophische Gesellschaft als auch die Christengemeinschaft existieren noch heute, sind aber voneinander getrennte Organisationen. Steiner entwickelte erst mit fast vierzig Jahren sein großes Interesse am Okkulten. Er war ein echtes Multitalent; seine Interessen reichten unter anderem von Ackerbau, Architektur, Kunst, Chemie und Mathematik über Theater, Literatur, Medizin oder Philosophie bis hin zu Physik und Religion. Seine Doktorarbeit an der Universität Rostock beschäftigte sich mit Fichtes Theorie des Wissens ("Wahrheit und Wissenschaft Vorspiel einer Philosophie der Freiheit"). Er ist Autor zahlreicher Bücher und Vorträge, darunter Titel wie "Vom Menschenrätsel", "Die Stufen der höheren Erkenntnis", "Geheimwissenschaft im Umriss" oder "Anthroposophische Leitsätze". Er hatte außerdem eine Vorliebe für Goethes mystische Ideen und arbeitete mehrere Jahre als Goethe- Herausgeber. Vieles von dem, was Steiner schrieb, wirkt wie eine Neuauflage von Hegel. Marx hatte in seinen Augen unrecht: Nach Steiner ist es 123
das Spirituelle, das die Geschichte vorantreibt. Steiner erwähnt auch die Spannung zwischen der Suche nach Gemeinschaft und der Erfahrung der Individualität, die seiner Meinung nach keine Gegensätze darstellen, sondern in der menschlichen Natur verwurzelte Polaritäten sind. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts begann Steiner, sich verstärkt mit esoterischer, mystischer und okkulter Literatur zu befassen. Theosophen stehen okkulten und mystischen Überzeugungen positiv gegenüber, und Steiner interessierte sich besonders für zwei theosophische Ideen: 1) Es gibt ein spezielles spirituelles Bewusstsein, das einen direkten Zugriff auf höhere spirituelle Wahrheiten ermöglicht, und 2) Die spirituelle Evolution wird davon behindert, dass man der materiellen Welt verhaftet bleibt. Zwar verließ er die Theosophische Gesellschaft, gab aber den eklektischen Mystizismus der Theosophen nicht auf. In Steiners Augen war die Anthroposophie eine "spirituelle Wissenschaft". Überzeugt davon, dass die Realität letztendlich spirituell ist, wollte er die Menschen dazu befähigen, die materielle Welt zu überwinden und die spirituelle Welt durch das höhere, spirituelle Selbst zu erfahren. Seiner Lehre zufolge gibt es eine Art spiritueller Wahrnehmung, unabhängig vom Körper und den körperlichen Sinnen. Es scheint, als habe dieser besondere spirituelle Sinn ihn mit Informationen über das Okkulte versorgt. Steiner zufolge gibt es Menschen seit der Erschaffung der Erde. Sie begannen als spirituelle Formen und schritten fort durch verschiedene Stufen bis hin zur heutigen Erscheinung. Die Menschheit lebt laut Steiner in der nachatlantischen Periode, die mit dem langsamen Versinken von Atlantis im Jahre 7227 v.Chr. begann ... Diese nachatlantische Periode ist unterteilt in sieben Epochen, von denen die aktuelle, die Europäisch-Amerikanische Epoche, bis zum Jahre 3573 andauern wird. Danach werden die Menschen die hellseherischen Fähigkeiten zurückerlangen, die sie angeblich in der Zeit vor den alten Griechen hatten. (Rob Boston, 1996) 124
Steiners langlebigster und bedeutsamster Einfluss liegt jedoch im Gebiet der Pädagogik. 1913 errichtete er in Dornach (bei Basel) das Goetheanum, eine "Schule für spirituelle Wissenschaft". Sie stellte einen Vorläufer der sogenannten Steineroder Waldorfschulen dar. Der Begriff "Waldorf" stammt von der Schule, die Steiner 1919 für die Kinder der Arbeiter errichten sollte, die in der Waldorf-Astoria Zigarettenfabrik in Stuttgart arbeiteten. Der Fabrikbesitzer hatte Steiner eingeladen, eine Vortragsreihe für seine Arbeiter zu halten. Er war offenbar so beeindruckt, dass er Steiner bat, eine Schule einzurichten. Die erste Waldorfschule in den Vereinigten Staaten öffnete 1928 in New York City ihre Pforten. Heutzutage gibt es nach Angaben der Steiner-Anhänger über 600 Waldorfschulen in mehr als 32 Ländern, die insgesamt auf etwa 120.000 Schüler kommen. Davon sollen etwa 125 in den USA stehen. Es gibt sogar eine (staatlich nicht anerkannte) RudolfSteiner- Universität, die akademische Grade in Bereichen wie "Anthroposophische Studien" oder "Waldorfpädagogik" vergibt. Den Lehrplan seiner Schulen stellte Steiner gemäß Konzepten auf, die er offenbar durch spezielle spirituelle Einsicht in das Wesen der Natur und der Kinder erlangte. Er war der Auffassung, dass wir alle aus Körper, Geist und Seele bestehen. Er ging davon aus, dass Kinder durch drei jeweils siebenjährige Phasen hindurchgehen und dass die Erziehung auf die jeweilige spirituelle Phase abgestimmt sein müsse. Von der Geburt bis zum siebenten Jahr, meinte er, handele es sich um eine Periode, in der der Geist zunächst einmal damit fertig werden müsse, dass er nun in der materiellen Welt sei. In dieser Phase lernten Kinder am besten durch Nachahmung (diese Auffassung findet sich schon bei Aristoteles). Der Lehrstoff wird in diesen Jahren auf ein Minimum reduziert. Man erzählt den Kindern Märchen, bringt sie aber vor der zweiten Klasse nicht zum Lesen. Das Alphabet und die Schrift lernen sie aber bereits in der ersten Klasse kennen. Wenn man Steiner glauben will, ist die zweite Phase des 125
Wachstums durch Fantasie und Wunschvorstellungen geprägt. Im Alter von 7 bis 14 Jahren lernen Kinder daher am besten durch Akzeptanz und Nachahmung von Autoritäten. In dieser Zeit haben die Kinder nur eine Lehrperson, und die Schule verwandelt sich in eine Art "Familie" mit dem Lehrer als Vater oder Mutter. In der dritten Phase (14 bis 21 Jahre) wird der Astralkörper in den materiellen Körper gezogen und verursacht so die Pubertät. Diese anthroposophischen Ideen sind zwar nicht Teil des Standard- Lehrplans in Waldorfschulen, scheinen aber von jenen geglaubt zu werden, die die Lehrpläne aufstellen. Waldorfschulen überlassen den Religionsunterricht den Eltern, sind aber grundsätzlich eher spirituell orientiert und haben eine im breiten Sinne christliche Perspektive. Trotzdem - und weil sie kein biblisch-fundamentalistisches Christentum lehren - werden Waldorfschulen häufig wegen der Förderung von heidnischem Gedankengut oder gar Satanismus angegriffen. Dazu kommt es vermutlich, weil sie die Beziehung des Menschen zur Natur und zu natürlichen Rhythmen betonen, einschließlich einer Vorliebe für Feste, Mythen, alte Kulturen und verschiedene Feiern. Einige Konzepte der heutigen Waldorfschulen stammen nicht von Steiner, aber es wird versucht, sie mit den spirituellen Eingebungen des Meisters in Einklang zu bringen. So wird zum Beispiel das Fernsehen aufgrund seiner Inhalte abgelehnt, da es zu einer Verarmung der Fantasie führe. Diese Vorstellung ist zweifellos für viele Eltern attraktiv, da es eher schwierig ist, im Fernsehen etwas zu finden, das einem kleinen Kind positive Werte vermittelt. Kleine Kinder sollten reden, mit anderen etwas unternehmen, zuhören und sich mit der Natur und anderen Menschen befassen, anstatt in katatonischer Trance vor der Mattscheibe zu vegetieren. Ich weiß nicht, was Waldorflehrer von Videospielen halten, aber es würde mich sehr überraschen, wenn sie diese nicht auch ablehnten, und zwar aus denselben Gründen. Auch die Verwendung von Computern für jüngere Kinder 126
wird von Waldorfpädagogen abgelehnt. Es ist noch lange nicht nachgewiesen, dass Computerkenntnisse für Kinder wirklich nützlich sind, auch wenn dieser Glaube unter Pädagogen weit verbreitet ist und jedes Jahr Milliarden Euro für die neueste Technik an den Schulen ausgegeben werden - für Schüler, die kaum lesen oder kritisch denken können und nur rudimentäre soziale und sprachliche Fähigkeiten haben. Andererseits scheinen Waldorfschulen diese Blauäugigkeit der öffentlichen Schulen im Bereich Technologie in Bezug auf Kunst und Handwerk zu haben: Was bei öffentlichen Schulen bestenfalls Neben- Nebenfächer sind, wird an Waldorfschulen hingebungsvoll betrieben und als notwendig erachtet, etwa Weben, Stricken, Musizieren, Schnitzen, Malen und vieles mehr. Einer der ungewöhnlicheren Teile des Lehrplans umfasst etwas, das Steiner "Eurythmie" nannte, eine Bewegungskunst, mittels derer man versucht, die angeblichen "inneren Formen und Gebärden" von Sprache und Musik sichtbar zu machen. Laut einer Waldorf-Information "verwirrt sie Eltern, die die Waldorfpädagogik nicht kennen, aber Kinder reagieren auf die einfachen Rhythmen und Übungen, die ihnen helfen, Körper und Lebensenergien zu stärken und zu harmonisieren; ältere Schüler arbeiten später komplexe eurythmische Darstellungen von Poesie, Theater und Musik aus und erhalten dadurch eine tiefere Wahrnehmung der Kompositionen und der Texte. Eurythmie verbessert die Koordination und stärkt die Fähigkeit des Zuhörens. Wenn Kinder sich als Orchester empfinden und eine klare räumliche Ordnung zueinander haben, kommt es außerdem zu einer sozialen Stärkung." Die interessanteste Konsequenz aus Steiners spirituellen Ansichten war sein Versuch, geistig und körperlich Behinderte zu unterrichten. Steiner ging davon aus, dass der Geist das Wissen erfasst und in allen Menschen derselbe ist, unabhängig von unseren mentalen oder körperlichen Unterschieden. Die meisten von Steiners Kritikern sind der Meinung, er sei ein wirklich bemerkenswerter Mensch gewesen, außerordentlich anständig und bewundernswert. Anders als viele andere 127
"spirituelle" Gurus war Steiner wohl ein wahrhaft moralischer Mann, der niemals versuchte, seine Anhängerinnen zu verführen und seiner Frau treu blieb. Es steht außer Frage, dass er Beiträge zu zahlreichen Themengebieten leistete, aber als Philosoph, Wissenschaftler und Künstler war er durchweg unoriginell und selten mehr als Mittelmaß. Seine spirituellen Ideen erscheinen wenig glaubwürdig und sind ganz sicher nicht wissenschaftlich. Seine pädagogischen Konzepte hingegen sind beachtenswert. Er hatte recht mit der Feststellung, dass für die Entwicklung von Fantasie und Verständnis bei jungen Leuten große Gefahr besteht, wenn Schulen von der Regierung abhängig sind. Staatliche Erziehung führt wahrscheinlich zu einer Gewichtung des Lehrplans im Sinne des Staates, d.h. der staatlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Dadurch basiert die Erziehung nicht auf den Bedürfnissen der Kinder, sondern auf den wirtschaftlichen Anforderungen der Gesellschaft. Der Konkurrenzkampf, der einen Großteil der öffentlichen Erziehung antreibt, kommt vielleicht der Gesellschaft, aber vermutlich nicht den Kindern zugute. Eine Pädagogik, in der Zusammenarbeit und Liebe - und nicht Konkurrenzdenken und Ablehnung - die Beziehungen der Schüler untereinander prägen, wirkt sich wahrscheinlich günstiger auf das intellektuelle, moralische und kreative Wohlbefinden der Schüler aus. Andererseits besteht die Möglichkeit, dass einige der seltsameren Ideen der Anthroposophie über Astralkörper, Atlantis usw. in einer Waldorfschule vermittelt werden, auch wenn Steiners philosophische Theorien nicht Teil des Lehrplans sind. Ist es so schwierig, Liebe und Zusammenarbeit zu vertreten, ohne sie in einen kosmischen Nebel einzuhüllen? Wozu der Sprung in das Reich des undurchsichtigen Mystizismus, um Kritik zu üben an dem Schaden, der einem Menschen zugefügt wird, wenn er sein Leben ausschließlich der Anhäufung materieller Besitztümer widmet und sich nicht um das kümmert, was anderen Menschen oder der Erde passiert? Warum ist es nötig, das Böse auf den Mangel an Spiritualität zurückzuführen? 128
Man könnte genauso gut einen Überschuss an Spiritualität für unsere Probleme verantwortlich machen: Spirituelle Menschen halten so wenig von der materiellen Wirklichkeit, dass sie nicht genug dafür tun, sie zu einem besseren Ort zu machen. Warum kann man nicht gleichzeitig Geschichten erzählen, tanzen, singen oder Kunstwerke erschaffen und Chemie, Biologie und Physik studieren, um so die Natur kennenzulernen und ohne das Ganze entweder als Mittel zur Arbeitsplatzsicherung oder als Harmonisierung der Seele mit kosmischer Spiritualität zu sehen? Kinder sollten weder mit Spiritualität noch mit Materialismus belastet werden. Man sollte sie lieben und lehren, andere zu lieben. Man sollte ihnen gestatten, in einer Umgebung aufzuwachsen, in der Zusammenarbeit wichtig ist. Man sollte ihnen das Beste in Natur, Kunst und Wissenschaft nahebringen, das wir haben, und zwar auf eine Art, die sie davon abhält, alles in Verbindung mit ihrer Seele oder ihren Arbeitsmarktchancen wahrzunehmen. Leider haben die meisten Kinder Eltern, und viele dieser Eltern wären mit einer solchen Erziehung wohl kaum einverstanden. Anmerkung des Übersetzers: Steiner ist sicherlich eine der interessantesten Gestalten der an schillernden Persönlichkeiten nicht gerade armen Esoterik-Szene. Neben seiner theosophischen Tätigkeit und seinem anthroposophischen Wirken war er unter anderem vermutlich Eingeweihter von Aleister Crowleys O.T.O. (Ordo Templi Orientis) und soll von 1906 bis 1914 einen hohen Rang bekleidet haben (Grandt/Grandt: Schwarzbuch Satanismus. Augsburg 1995); endgültige Belege gibt es dafür allerdings nicht. Es muss auch dahingestellt werden, ob Steiner wirklich Symptome einer "schizoiden Persönlichkeitsstörung" aufwies (Lange-Eichbaum/Kurth: Genie, Irrsinn und Ruhm. München/Basel 1967). Sicher ist allerdings, dass Steiners Lehre immer wieder Bezüge zu Rassismus und Antisemitismus nachgesagt wurden und werden. Zahlreiche Zitate Steiners belegen ähnliches Gedankengut, allerdings war ein solches Denken zu seiner Zeit sehr weit verbreitet, auch in 129
"wissenschaftlichen" Kreisen (eine faszinierende Einführung in dieses Thema bietet Stephen Jay Goulds "Der falsch vermessene Mensch"). Ernst Bloch gar hielt die ganze anthroposophische Bewegung für "faschistoid" (Bloch, "Erbschaft dieser Zeit", Frankfurt 1956) - andererseits war sie im Dritten Reich verboten. Eine wichtige Quelle von Steiners Eingebungen waren die in Esoterikkreisen berühmten AkashaAufzeichnungen. Insgesamt muss man abschließend über Steiner sagen, dass er in Bezug auf esoterische Inhalte sehr leichtgläubig und ziemlich wahllos war. Seine architektonischen Entwürfe hingegen bezeichnet sogar James Randi als "wirklich schön und ansprechend". Ein Porträt der heutigen Anthroposophie im deutschen Sprachraum findet sich bei www.rudolf-steiner.de. Übersetzung: Tobias Budke
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Unbekannte Flugobjekte Ein UFO ist ein unbekanntes Flugobjekt, das als mögliches oder tatsächliches außerirdisches Raumschiff identifiziert worden ist. Zu solchen Objekten gehören z.B. Sternschnuppen, sich auflösende Satelliten, Vogelschwärme, Flugzeuge, Lichter, Wetterballons - so ziemlich alles im sichtbaren elektromagnetischen Bereich. Aber für die definitive Identifikation eines UFOs als außerirdisches Raumschiff existieren bis heute keinerlei Beweise, die mit der Wissenschaft und dem gesunden Menschenverstand in Einklang zu bringen sind. So gab es weder wiederkehrende identische UFO-Erfahrungen, noch Sachbeweise, die den Vorbeiflug oder die Landung eines UFOs belegen könnten. Von UFOs gibt es so viele Fotografien wie vom Loch-Ness Monster - und sie haben die gleiche Qualität: viele sind verschwommen, andere eindeutig Fälschungen. Angebliche Sachbeweise, wie z.B. Trümmer von Bruchlandungen, Brandstellen von Landungen oder Implantate in den Nasen oder Gehirnen der angeblich von Außerirdischen Entführten entpuppten sich allesamt als ziemlich irdisch - und auch unter ihnen befanden sich einige Fälschungen. Die Hauptgründe, die Menschen dazu bewegen, an UFOs zu glauben, bestehen in der Unfähigkeit, Science Fiction und Wissenschaft auseinander zu halten, in der Bereitwilligkeit, inkompetenten Menschen ihre fantastischen Geschichten zu glauben, sowie gleichzeitig in der Fähigkeit, allen Quellen, die dagegen sprechen, zu misstrauen - weil sie Teil einer üblen Verschwörung zur Vertuschung der Wahrheit seien - und schließlich im Wunsch nach Kontaktaufnahme mit einer überirdischen Welt. Kurz gesagt: der Glaube an UFOs ist eng verwandt mit dem Glauben an Gott. "UFOlogie ist die Mythologie des Weltraumzeitalters. Statt Engel...haben wir jetzt...Aliens. Sie ist das Produkt unserer kreativen Fantasie. Sie dient den Zwecken der Poesie und des 131
Existenzialismus. Sie strebt danach, dem Menschen tiefere Wurzeln und eine bessere Orientierung im Kosmos zu verschaffen. Sie ist Ausdruck unseres Hungers nach Mysterien...unserer Hoffnung auf transzendentale Bedeutung. Die Götter des Olymp sind zu Weltraumreisenden georden, die uns in unseren Träumen in andere Welten transportieren." Paul Kurtz Der Astronom Dr. J. Allen Hynek, leidenschaftlicher Verfechter des Glaubens an die Existenz von UFOs, und der Mann, der uns den Ausdruck "close encounters of the third kind" brachte, definiert ein UFO wie folgt: "Die Meldung eines am Himmel oder an Land gesichteten Objektes oder Lichtes, dessen Erscheinen, Flugbahn, und generelles dynamisches Verhalten und Leuchtverhalten nicht auf eine logische, übliche Erklärung schließen lässt, und das nicht nur dem ursprünglichen Beobachter rätselhaft ist, sondern auch rätselhaft bleibt nach genauer Untersuchung aller vorhandenen Beweismittel durch Personen, die technisch dazu fähig sind, eine vernunftgemäße Identifizierung zu erstellen, sofern eine solche möglich sein sollte." Dieser verwirrende Satz scheint auszusagen, dass man, wenn man etwas gesehen hat, das intelligente Leute nicht vernunftgemäß erklären können, ein UFO gesehen hat. Zeugen solcher Beobachtungen behaupten oft, dass das, was sie gesehen hätten, nicht mit den bekannten Gesetzen der Physik erklärt werden könne. Sie behaupten, Zeugen der Verletzung eines Naturgesetzes, also eines Wunders, gewesen zu sein. Aber vielleicht ist das, was Hynek mit "allen vorhandenen Beweismitteln" meint, viel weniger als das, was ein Skeptiker verlangen würde. Zum Beispiel bestehen die Beweise, auf die sich UFOlogen berufen, aus (1) Aussagen von Personen, die behaupten, sie hätten außerirdische Wesen oder außerirdische Raumschiffe gesehen; (2) Angaben über die Menschen, die 132
solche Aussagen machen; (3) dem Fehlen von gegenteiligen Aussagen oder Sachbeweisen, die das Phänomen entweder unter Verweis auf normale Ursachen aufklären (Wetterballon, Streich, Meteoriten, Lichtspiegelung, usw.) oder die Zuverlässigkeit des Augenzeugen untergraben würden; und (4) angeblichen Schwachpunkten in den Argumenten der Skeptiker gegen die UFOlogen. Obwohl der letzte Punkt überhaupt nicht zur Sache gehört, wird ihm in der UFOlogie eine unverhältnismäßig große Rolle eingeräumt. Für Verfechter der Behauptung, UFOs seien außerirdische Raumschiffe, ist es charakteristisch, lieber die Argumente oder Beweggründe ihres Gegners zu attackieren, anstatt definitive Beweise der eigenen Ansicht zu liefern. Natürlich ist es völlig in Ordnung, das Argument des Gegners anzugreifen, um Schwächen und und Fehlschlüsse aufzudecken. Aber Widerlegung ist kein Ersatz für Beweise. Es ist ganz einfach schlechte Logik, wenn man annimmt, die eigenen Gründe gelten allein nur deshalb, weil die des Gegners mangelhaft sind. Die eigenen Gründe sind vielleicht genauso mangelhaft wie die des Gegners, oder gar noch mangelhafter. Eine weitere beliebte Taktik der UFOlogen ist die Behauptung, dass der Skeptiker nicht beweisen kann, dass das, was gesichtet wurde, kein außerirdisches Objekt war. Aus dieser Tatsache soll man wohl folgern, dass es sich also aller Wahrscheinlichkeit nach um ein außerirdisches Objekt handelt. Diese Art von Beweisführung wird als "argumentum ad ignorantiam" bezeichnet. Eine Behauptung wird aber keineswegs schon allein dadurch wahr oder tragbar, dass die Wahrheit einer gegenteiligen Behauptung nicht nachgewiesen werden kann. Was die Argumente für die Existenz von UFOs anbetrifft, so gibt es hierbei zwei verschiedene Vorgehensweisen. Die eine besteht darin, zu behaupten, dass es keine logische Erklärung gibt, weil irgendeinem Wissenschaftler, Piloten, Luftwaffen-Oberst, oder promovierten Akademiker keine einfällt. Die andere besteht darin, auf den Mangel an gegenteiligen Beweisen zu deuten: auf fehlende Gegenaussagen anderer 133
Augenzeugen, oder darauf, dass kein Nachweis vorliege, dass da keine außerirdischen Wesen oder Raumschiffe gewesen wären. Auch hierin steckt ein logischer Fehler. Die Tatsache, dass irgendeinem Genie keine Erklärung für irgendetwas einfällt, hat nichts mit der Frage zu tun, ob das Phänomen im Zusammenhang mit einem Besuch aus dem All erklärt werden muss. Die Wahl ist hier nicht zwischen (a) wir wissen, dass diese konventionelle Erklärung richtig ist, oder (b) wir müssen daraus schließen, dass wir von Außerirdischen heimgesucht worden sind. Es scheint vernünftiger, anzunehmen, dass wir diese Phänomene nur deswegen nicht durch herkömmliche Mittel erklären können, weil wir noch nicht über alle Beweisstücke verfügen und nicht, weil diese Phänomene höchstwahrscheinlich auf außerirdischen Besuch zurückzuführen sind. Hätten wir alle relevanten Informationen, so wären wir wahrscheinlich in der Lage, UFOs mit irgendwelchen herkömmlichen Erscheinungen zu erklären. Nur, weil wir nicht beweisen können, dass Herr und Frau Barney Hill nicht von Außerirdischen entführt wurden, bedeutet das noch lange nicht, dass sie tatsächlich von Außerirdischen entführt wurden. Viele UFOlogen meinen, wenn Augenzeugen wie Whitley Strieber, Betty und Barney Hill und andere angeblich von Außerirdischen entführte Leute nicht geisteskrank oder boshaft sind, seien sie auch nicht anfällig für Täuschungen - demnach könne man sich darauf verlassen, dass sie eine vertrauenswürdige Berichterstattung über Entführungen durch Außerirdische lieferten. Es ist jedoch offensichtlich, dass die meisten gescheiten, guten und normalen Leute sich in vielen Sachen täuschen lassen und man sich in gewissen Dingen nicht auf sie verlassen kann. Zwar ist es im Allgemeinen vernünftig, auf die Aussagen geistig gesunder, guter, normaler Personen ohne weiteres zu vertrauen: daraus folgt jedoch keineswegs, dass man ihren Aussagen zu jedweder Behauptung vertrauen sollte, sofern man ihnen nicht nachweisen kann, dass sie geisteskrank, boshaft oder Schwindler sind. 134
Wenn es sich bei einer solchen Behauptung zudem noch um etwas Unglaubliches handelt, sind Augenzeugenberichte allein nicht mehr ausreichend. Wäre es zum Beispiel vertretbar, einen Querschnittsgelähmten einer Straftat zu beschuldigen, nur aufgrund der Aussagen von zehn "Säulen der Gesellschaft", die behaupten, sie hätten den Angeklagten gesehen, wie er nackt mit Engelsflügeln zur alten Dame geflogen sei, und ihr die Handtasche entrissen habe? Es ist doch viel vernünftiger anzunehmen, dass auch gute Leute schlechte Dinge tun, oder dass sie sich irren, als ihnen zu glauben, dass einem Querschnittsgelähmten Flügel sprießen könnten. UFOlogen ziehen ihre fehlerhafte Logik den Schlussfolgerungen des "Project Blue Book" vor, jenem US-Air-ForceBericht, der besagt, dass "nach zweiundzwanzig Jahren der Ermittlung... keine der bekanntgegebenen und untersuchten unbekannten Objekte eine Gefahr für unsere nationale Sicherheit darstellten." UFOlogen lässt auch der Condon-Report kalt. Edward U. Condon war Leiter eines wissenschaftlichen Forschungsteams an der Universität von Colorado, der mit dem Auftrag betraut war, die UFO-Frage zu untersuchen. Seine Nachforschungen kamen zu folgendem Schluss: "...in den vergangenen 21 Jahren hat die UFO-Forschung nichts zu unserem wissenschaftlichen Wissensschatz beigetragen...daher kann eine Fortsetzung der UFO-Forschung wahrscheinlich nicht mit der Erwartung gerechtfertigt werden, dass sie wissenschaftliche Fortschritte bringt." UFOlogen glauben statt dessen, dass die Regierung und insbesondere der CIA uns etwas vorlügen und außerirdische Landungen und Mitteilungen vertuschen. Doch dafür gibt es keinerlei Beweise - außer einem allgemeinen Misstrauen gegenüber der Regierung, und der Tatsache, dass schon viele Regierungsbeamte in der Öffentlichkeit gelogen, die Wahrheit verzerrt, und sich geirrt haben. Der CIA hat aber schon etwa 1950 sein Interesse an UFOs verloren, er ermuntert UFOlogen nur 135
gelegentlich dazu, die eigenen Aufklärungsflüge als außerirdische Raumschiffe zu identifizieren. UFOlogen ziehen jedoch andere Lügen dieser Regierungslüge vor. Sie unterstützen z.B. die Arbeit des NBC, die zwei Dutzend Folgen einer Serie namens "Projekt UFO" drehte, die angeblich auf dem "Project Blue Book" beruhten. Aber im Gegensatz zur Air Force suggerierte die NBC der Öffentlichkeit, dass dokumentierte Fälle existierten, welche die Beobachtung außerirdischer Raumschiffe belegten. Die Fernsehserie, die von Jack Webb (Dragnet) produziert wurde, verzerrte und verfälschte Informationen, um die Präsentation glaubwürdiger aussehen zu lassen. Kein UFOloge nahm NBC wegen Lügnerei ins Gebet. Aus der Sicht des Skeptikers hat sich NBC dem Geschmack des Publikums angepasst. Regierungsbeamte lügen aus allen möglichen Gründen, aber das Vertuschen von außerirdischen Landungen scheint keiner davon zu sein. Die meisten unbekannten Flugobjekte werden irgendwann als "Ente" oder astronomische Ereignisse, als Flugzeuge, Satelliten, Wetterballons, oder andere natürliche Phänomene entlarvt. Air-Force- Studien zeigen, dass weniger als zwei Prozent aller UFO-Sichtungen unidentifizierbar blieben. Es liegt nahe, dass beim Vorliegen zusätzlicher Informationen auch diese zwei Prozent als Sternschnuppen, Flugzeuge oder ähnliches identifiziert würden - und nicht als außerirdische Raumschiffe. Möglicherweise scheint den UFOlogen nur deshalb keine logische Erklärung glaubwürdig zu sein, weil diejenigen, die solche Begebenheiten erzählen und sich anhören, entweder keine logische Erklärung hören wollen, oder sich herzlich wenig um eine solche Erklärung bemühen. Jedenfalls kann man die Tatsache, dass manche Piloten oder Wissenschaftler behaupten, sie könnten keine logische Erklärung für irgendwelche visuellen Beobachtungen finden, kaum als Beweis für außerirdische Raumschiffe akzeptieren. Schließlich ist noch bemerkenswert, dass UFOs in der Regel von ungeschulten Beobachtern des Himmels gesichtet werden, jedoch fast nie von professionell tätigen Astronomen oder 136
Amateur- Astronomen - letztere verbringen immerhin übermäßig viel Zeit damit, in den Himmel zu schauen. Es läge doch nahe, dass Astronomen gelegentlich solch außerirdische Raumschiffe erspähen würden. Aber vielleicht wissen die listigen Außerirdischen, dass gute Wissenschaftler skeptisch und neugierig sind. Und solche Geschöpfe könnten durchaus die Sicherheit einer spannend erzählten Geschichte bedrohen... Übersetzung: Larissa Wagner
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Wicca Die Anziehungskraft Wiccas dürfte auf ihrer naturalistischen Ansicht zum Sex und auf ihrem Versprechen auf Macht durch Magie beruhen Wicca ist eine Naturreligion, die auf Glaubensvorstellungen und Ritualen basiert, von denen man annimmt, sie hätten ihre Wurzeln in alten Bräuchen. Von Wicca wird behauptet, es gebe eine direkte Verbindung zu antiken keltischen Überlieferungen, die dieser Auffassung zufolge mehr im Einklang mit den Kräften der Natur stehen als das Christentum und andere moderne Religionen des Westens. Es ist jedoch präziser, Wiccaner als Teilhaber einer Bewegung zu betrachten, deren spirituelle Grundlage in der Natur und in natürlichen Phänomenen zu sehen sind, und nicht als Mitglieder einer Religion, da Wiccaner kein schriftlich festgehaltenes Credo haben, dem der Anhänger folgen muss. Auch errichten sie keine steinernen Tempel oder Kirchen, um dort zu beten oder Messen abzuhalten. Sie praktizieren ihre Rituale in der freien Natur: in Parks, Gärten, Wäldern, auf Höfen oder zwischen Hügeln. Lassen wir eine Wicca-FAQ-Seite zu Wort kommen: Wicca ist der Name einer modernen neuheidnischen Religion, die vor allem durch den Einsatz eines pensionierten britischen Beamten namens Gerald Gardner [in den späten 40ern des 20. Jhdts.] verkündet und verbreitet wurde. In den letzten Jahrzehnten hat sich Wicca zum Teil aufgrund ihrer Beliebtheit bei Feministinnen und anderen Menschen, die eine frauenfreundlichere und erdverbundene Religion suchten, ausgebreitet. Wie die Mehrzahl der neuheidnischen Religionen verehrt Wicca das Geheiligte als wesenhaft in der Natur und bezieht einen großen Teil ihrer Inspiration aus den nicht-christlichen und vorchristlichen Religionen Europas. Neu-heidnisch (engl. neopagan, von lat. paganus = Landbewohner; im Deutschen Heiden, da sie "in der Heide" lebten) greift zurück auf eine Zeit vor der Verbreitung der heutigen großen monotheistischen 138
(Eingott-) Religionen. Als Faustregel kann man sagen, dass die meisten Wiccaner Neu- Heiden sind, aber nicht alle Heiden Wiccaner. Eine andere Faustregeln scheint zu sein, dass es keinen einzelnen Kanon von Glaubensvorstellungen oder Bräuchen gibt, der das "System Wicca" bildet, obgleich eine Überzeugung wiederholt auftritt: Solange es niemandem schadet, tu was du willst ("An' it harm none, do what you will"). Auch einige Rituale scheinen häufiger vorzukommen. Wiccaner praktizieren zahlreiche Rituale, die mit Naturerscheinungen in Verbindungen stehen - wie etwa den Jahreszeiten, den Sonnenwenden und den Tagundnachtgleichen. Ihre Symbole basieren auf der Verbundenheit des menschlichen Lebens mit der Natur. So feiern sie den Sommer zum Beispiel mit einem Fruchtbarkeitsritual, das als "Beltane" bekannt ist. Anstatt zu einem unnatürlichen Gott jenseits aller menschlichen Erfahrung zu beten, machen Wiccaner den Eindruck, sie befassten sich eher mit Selbsterfahrung und mit der Erwekkung ihrer Verbindung zur Natur und zu Naturgottheiten, weiblichen wie männlichen. Ihre Rituale wirken wie Metaphern für psychologische Vorgänge: Sie singen, tanzen, rufen. Sie zünden Kerzen an und verbrennen Weihrauch; sie verwenden Kräuter und Glücksbringer. Häufig ziehen Wiccaner Kräuter der Schulmedizin vor. In Gruppenritualen drücken sie ihre Wünsche gegenüber der Gemeinschaft aus. Sie benutzen keine Zaubersprüche. Sie bitten um den Segen aus Norden, Süden, Osten und Westen. Sie meditieren. Sie kochen keine widerlichen giftigen Eintöpfe und Hexenkesseln. Sie fliegen nicht auf Besenstielen herum, und sie versuchen nicht, ihre Feinde zu verhexen. Da Wiccaner offenbar die Natur und ihre Gottheiten verehren, kann man sie als Pantheisten bezeichnen. Wiccaner teilen allerdings eine Überzeugung mit den Christen: Beide glauben, dass die gleichgültige Zerstörungskraft der Natur etwas grundsätzlich Gutes ist. Wir sollten daher dankbar sein für die Segnungen der Natur (oder Gottes), auch wenn es sich dabei um die Opfer von Pompeji handelt oder Kinder, die 139
von Springfluten ertränkt werden; dankbar auch für diejenigen, die von einem Tornado um Haus, Hof und Leben gebracht werden oder die Millionen, die unter einer mitleidlosen Sonne in vertrockneten Landstrichen braten. Dieser Dank umfasst natürlich auch die unschuldigen Missgeburten - die Produkte gnadenloser biologischer Gesetze - Erdbeben- und Hurrikanopfer, wie auch die Millionen, die jedes Jahr von gleichgültigen Kräften in einer gleichgültigen Umgebung obdachlos gemacht werden. Nur in ihren Mythen haben Wicca-Magie oder christliches Gebet jemals die Fluten aufgehalten, den Blitz abgeleitet, den Tornado beruhigt, das Erdbeben gestoppt oder den Tsunami geglättet. Die Anziehungskraft Wiccas dürfte auf ihrer positiven Einstellung zu Frauen, ihrer naturalistischen Ansicht zum Sex und auf ihrem Versprechen auf Macht durch Magie ("Magick") beruhen. Sie ist sehr beliebt bei Frauen, und die Versuchung liegt nahe, sie als die "Rache der Frauen" für Jahrhunderte von Frauenhass und -mord zu sehen, die von etablierten Religionen wie Christentum und Islam begangen wurden. Wie bei den keltischen Religionen haben Frauen vollen Anteil an allen ihren Aspekten, und sie sind den Männern gleichgestellt, wenn nicht übergeordnet. Frauen spielen in der keltischen Mythologie eine - gelinde gesagt - ungewöhnliche Rolle: Sie sind intelligente, tapfere Krieger, skrupellos, sexuell aggressiv und Führerinnen von Nationen. Zum Schluss sollte unbedingt darauf hingewiesen werden, dass Wicca nichts mit Satanismus zu tun hat. Dieser Vorwurf hängt mit der Verfolgung von "Hexen" durch Christen zusammen, insbesondere während der mittelalterlichen und der spanischen Inquisition. Der Geist der Inquisition lebt jedoch fort in den Herzen vieler hingebungsvoller Christen, die weiterhin Wiccaner und andere als Teufelsanbeter verfolgen. Diese modernen Inquisitoren verbrennen niemandem auf dem Scheiterhaufen. Sie versuchen vielmehr, Dinge abzuschaffen wie Halloween [ein ursprünglich heidnisches Fest mit deutlich düsteren Untertönen, AdÜ], Spitznamen für Fußballvereine 140
(etwa die Roten Teufel, der 1. FC Kaiserslautern), Bücher über Hexen oder irgendwie jedes Zeichen, Symbol oder jede Zahl, die sie irgendwie mit Satan in Verbindung bringen (eine Pizzeria hier vor Ort wurde sogar wegen der Zeichen auf ihren Lieferschachteln belästigt, die - Hexenjägern zufolge - satanische Symbole seien. Die Pizzeria ersetzte sie durch andere, um eine Medienkampagne zu vermeiden). Am ersten Frühlingstag 1996 fand sich in unserem Lokalblatt ein Artikel über einen Hexenzirkel vor Ort. Die Story zeichnete die rein weibliche Gruppe als harmlose Naturverehrer, die im Rund tanzen und um den Segen aus Norden, Westen und so weiter bitten. Darauf folgte ein langer Leserbrief, der sich über die Naivität und Unwissenheit des Autors dieser Hexenstory beklagte. Hexen steckten mit Satan unter einer Decke, so der Schreiber des Briefes, der mit "ein Überlebender von satanistischem Ritualmissbrauch" zeichnete. Die Aufrichtigkeit des Briefes scheint derjenigen zu entsprechen, die die Frauen von Salem an den Tag legten, die ihre Hexerei eingestanden. Sind die modernen Opfer des Satanismus so verwirrt wie die Hexen früherer Zeiten, die von frommen Christen gejagt wurden und wirklich glaubten, sie seien so böse wie ihre Verfolger meinten? Sind die modernen Wiccaner Teil einer satanischen Verschwörung? Ich bezweifle es. Sollte es wirklich Christen geben, die von Satansjüngern systematisch misshandelt werden, so sind ihre Quälgeister mit Sicherheit nicht Teil einer internationalen Wicca-Verschwörung. Übersetzung: Tobias Budtke
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