Nr. 432
Piraten zwischen den Sternen Mit der DARIEN auf Kaperfahrt von Hans Kneifel
Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimen...
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Nr. 432
Piraten zwischen den Sternen Mit der DARIEN auf Kaperfahrt von Hans Kneifel
Nachdem Atlantis-Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, in der Peripherie der Schwarzen Galaxis zum Stillstand gekommen ist, hat Atlan die Flucht nach vorn ergriffen. Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreicht das sogenannte MarantronerRevier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wird. Dort, von Planet zu Planet eilend und die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis ausspähend, haben Atlan und seine Gefährtin schon so manche tödliche Gefahr ge meinsam bestanden – bis der Planet Dykoor zu Thalias Grab wurde. Doch auch nach Thalias Tod geht für den Arkoniden die kosmische Odyssee wei ter – und zwar von Säggallo zum Planeten Ghyx und von dort zum Stern der Läute rung, wo Atlan in eine nahezu ausweglose Situation gerät. Jetzt, als Galionsfigur auf Gedeih und Verderb an ein Organschiff gefesselt, bleibt ihm nichts anderes übrig, als den neuen Besitzern des Schiffes zu gehorchen, den PIRATEN ZWISCHEN DEN STERNEN …
Piraten zwischen den Sternen
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide als Galionsfigur eines Organschiffs.
Gridersold-Herp - Anführer einer Bande von Weltraumpiraten.
Gink Nik Meus - Ein Noder.
Cembergall-Flyrt - Atlans Freund von Xudon, dem Marktplaneten.
Pthorer so gut wie keine Möglichkeit, in sei nem Zustand die Unwahrheit zu sagen oder 1. gar Pläne zu entwickeln, die den Machtha Je mehr sich das Organschiff dem Plane benden an Bord schaden konnten. ten näherte, desto mehr schwand Atlans »Wird es leicht für uns sein, die Siedlung Hoffnung. Sie war ohnehin nicht groß gewe zu überfallen?« wollte Gridersold wissen. sen. Seit das Extrahirn schwieg und seit er Der kleine feuerrote Würfel Gink Nik Meus als lebender Toter an die DARIEN gefesselt schien aufzuwachen und schob seine Augen war, dachte er nur noch an eines: Flucht um aus dem kurzhaarigen Fell hervor. Sie blin jeden Preis. Aber die Chance, zu fliehen, zelten Atlan zu wie organische Scheinwer war niemals geringer gewesen. Gridersoldfer. Herp, der Anführer der Trimor-Noots, ver »Das kann ich nicht sagen. Jedenfalls größerte sein Heer und schien das Schiff als muß es in äußerster Schnelligkeit vor sich sein Reich zu betrachten, wo er nach seinen gehen.« Launen schalten und walten konnte. Ebenso »Aus welchem Grund?« furchtbar würde es für die Noots-Kolonie »Es kann sein, daß Scuddamoren-Schiffe werden, die Atlan jetzt ansteuerte, weil er in der Nähe sind. Sie kommen sofort zur den mehr oder weniger präzisen Befehl dazu Hilfe, wenn ein Fremder ihr Machtgebiet an erhalten hatte. In den Speichern, die ledig greift. Die DARIEN ist schnell, ich bin ein lich grobe Informationsblöcke über die ein guter Pilot, aber wir können einem Verband zelnen Welten und Stationen des Marantro schneller Organschiffe nicht ausweichen ner-Reviers enthielten, hatte er Quartu Refe oder entkommen. Mein Rat: Beschränkt al gefunden, einen Planeten, von dem die euch auf eine kleine, erfolgreiche Aktion!« Scuddamoren neuen Nachschub an Ver Wieder hörte man im gesamten Schiff das formbaren holten. Von diesen Tatsachen übermütige Gelächter aus der Kehle des wußten die Männer um Gridersold-Herp Reptilienwesens. nichts. Sie genossen jede Stunde ihres neu »Bisher waren alle unsere Aktionen gewonnenen Lebens voller Qualitäten, von schnell und erfolgreich.« denen sie seit ihrem ersten Kontakt mit den »Richtig. Aber …« kollektiven Erinnerungen der Trimors nur »Du widersprichst?« hatten träumen können. Ihre Körper unterzo »Nein. Ich gebe nur zu bedenken«, erklär gen sie, während Atlan die DARIEN auf den te Atlan müde, »daß in keinem Fall ein Geg Planeten zusteuerte, wahren Reinigungsorgi ner vorhanden war. Jedenfalls kein ernstzu en. Sie kleideten sich ausgesprochen kostbar nehmender.« und behängten sich mit Dingen, die in ihren »Das ist richtig. Aber mit deiner Hilfe Augen den Charakter von Schmuck hatten. werden wir auch auf Quartu Refeal Erfolg Ein Lautsprecher knackte, dann ertönte die haben.« Stimme des Anführers. »Es ist zu vermuten«, schloß Atlan. »Wie lange dauert es noch, Galionsfigur, Seit dem Start von Trimor, wo Cember bis wir Quartu erreichen?« gall-Flyrt zurückgelassen werden mußte, er »Noch einige Stunden«, sagte Atlan. lebte Atlan die Ereignisse in einer seltsamen Es entsprach der Wahrheit. Es gab für den Art aktiver Ohnmacht mit. Sein Leben war
4 abhängig von einer Kette der Anordnungen und Befehle des Anführers. Hilfe oder Erlö sung von seinem Zustand waren nicht in Sicht und erschienen ohnehin unmöglich. Er besaß lediglich sein Leben, den Zellschwin gungsaktivator und das Goldene Vlies. »Wenn sie uns dieses Mal nicht erwi schen«, sagte plötzlich, abermals mit der täuschend nachgeahmten Stimme Cember gall-Flyrts, der Noder, »dann fassen sie uns das nächstemal, die Scuddamoren.« »Das vermute ich auch«, gab Atlan zu rück. »Aber was kann ich unternehmen?« »Ich glaube, ich habe einen Weg gefun den«, sagte Gink. »Ich muß nur noch dar über nachdenken.« Gink Nik Meus war ein höchst merkwür diger Partner. Die wenigen Speicherinfor mationen sagten über die sprachbegabten Wesen des Planeten Noderzerf kaum etwas aus. Hin und wieder entwickelte Gink seine langen Gliedmaßen und verließ seinen Stammplatz auf dem breiten Instrumenten paneel. Dann wuchsen ihm weiche Füße mit Saugnäpfen aus den Endgliedern der Beine, die keine Ähnlichkeit mehr mit seinen ehe maligen Kletterzehen hatten. Gink ver schwand für einige Stunden im Innern des Organschiffs. Wahrscheinlich ernährte er sich dann aus dem Bordsystem oder er be trachtete ungesehen die Noots. Jetzt zog er wieder die Augen unter das Fell und wurde scheinbar zu einem Teil der Einrichtung. Kurze Zeit später tauchte die Sonne des Quartu RefealSystems auf. Atlan verglich die Ortungsergebnisse mit den Charakteristi ka der Informationen und suchte nach dem Echo des kleinen Planeten, auf dem sich die NootKolonie befand. Die DARIEN führte eine Kursänderung durch, dann jagte das hammerförmige Organschiff mit der Sonne im Heck auf Refeal zu. Es war ein unscheinbarer, kleiner Planet. Je mehr Einzelheiten der Oberfläche sichtbar wurden, desto stärker wurde dieser Eindruck. Scharfgezackte Gebirgszüge, in deren Tälern Schnee oder Eis zu liegen schi en, warfen spitzige Schatten. Große Savan-
Hans Kneifel nengebiete, von Trockentälern wie von hel len Adern durchfurcht, tauchten auf. Ein fla ches Meer schob sich ins Bild. Das Makro skop, auf äußerste Vergrößerung geschaltet, zeigte weder Städte noch irgendwelche bo dengebundene Verkehrswege größerer Brei te. Atlan kontrollierte kurz die Kabinen der DARIEN. Die Noots bereiteten sich darauf vor, einen neuen Beutezug durchzuführen. Sie zogen die abenteuerlich bemalten und ge schmückten Raumanzüge an. In dieser bar barischprunkvollen Verkleidung wirkten sie grotesk, aber gefährlich. Sie starrten förm lich vor Waffen, ebenso die gleiterähnlichen Raumfahrzeuge, von denen einige in der Schleuse festgezurrt waren. Atlan konzentrierte sich darauf, die Sied lung der Noots zu finden. Sie waren, laut der Informationen, nicht hochtechnisiert; die Funkstille, die auf der Oberfläche des Plane ten herrschte, unterstrich die Schwierigkeit, jenes winzige Gebiet schnell auszumachen. Ununterbrochen arbeiteten die verschiede nen Meßgeräte. Schließlich, nach mehreren Umkreisun gen, jeweils über andere Teile Refeals, er schienen winzige Echos auf den Schirmen. Es mußte sich um Funkverkehr sehr schwa cher Leistung handeln. Atlan lokalisierte die wenigen Quellen und rief dann in die Kam mern und Korridore der DARIEN: »Ich habe die Siedlung gefunden. In einer halben Stunde können wir landen.« »Ausgezeichnet.« Atlan ließ das Schiff schräg auf die Sied lung herunterschießen, fing es in einigen hundert Metern Höhe wieder ab und schlug einen engen Kreis ein. Unter ihm lagen aus gedehnte Felder und kleine Waldstücke, von Seen und Flußläufen durchschnitten, und die Häuser der Noots versteckten sich auf Insel chen, unter Bäumen und zwischen vereinzel ten Felsen. Es gab am Rand der Siedlung ei ne Zone, die verwildert war oder noch nicht erschlossen, und nach einigen Runden senk te Atlan die DARIEN auf diese Kreisfläche.
Piraten zwischen den Sternen »Wir sind da. Ihr habt die Bilder gesehen. Vermutlich werden die Noots einen Sender haben, mit dem sie nach Hilfe rufen; dann heißt es, sich schnell zurückzuziehen«, sagte Atlan. »Öffne die Schleuse!« kam das Komman do. Die Noots rannten in die Schleusenkam mer hinein, besetzten ihre Gefährte und hat ten die Raumanzüge nicht geschlossen. Die DARIEN hing bewegungslos fünfzig Meter über dem Boden. Die breite Luke glitt summend auf. Fünf Raumgleiter, die Werk zeugarme weit abgespreizt, schossen aus dem breiter werdenden Spalt. Die Noots schwärmten fächerförmig auseinander. An verschiedenen Stellen kamen jetzt die Be wohner der Siedlung aus ihren Häusern oder von ihren Arbeitsstellen und staunten das Schiff an. Sie ahnten nichts von ihrem Schicksal und tappten verblüfft näher heran. Aber zwi schen dem ersten Siedler und dem Organ schiff betrug die Distanz mehr als tausend Meter. Wieder hörte Atlan den Sprechfunk verkehr der zwanzig Trimor-Noots mit und wunderte sich, wie geschickt der Anführer vorging. Die Gleiter schwebten geradeaus und ver schwanden binnen weniger Sekunden hinter der Kulisse aus Hügeln, Bäumen und Be hausungen. Ahnungslos kamen noch mehr Siedler zum Vorschein und näherten sich dem Schiff. Atlan aktivierte die Außenmi krophone und stellte sie auf höchste Emp findlichkeit ein. Sofort hörte er die charakte ristischen Geräusche von Lähmstrahler schüssen. Aber die Linsen erfaßten nichts – derjenige Teil des Überfalls, der gerade stattfand, vollzog sich jenseits der optischen Barriere. Nach einiger Zeit tauchte wieder einer der Raumgleiter zwischen den Baum wipfeln und den Hausdächern auf. Die Ma schine bot einen merkwürdigen Anblick. Mit jedem ihrer armförmigen Werkzeugglieder hielt sie den Körper eines Noots umklam mert. In rasendem Flug jagte die Maschine auf
5 die offene Schleuse zu. Ein Pirat steuerte, und zwei andere feuerten rechts und links mit den schweren Lähmstrahlern abwärts in die Gruppen der Noots. Die Geschwindig keit des Gleiters war groß, es befanden sich nur wenige Noots zwischen dem Waldrand und der DARIEN, daher wurden nur wenige der Flüchtenden getroffen. Die Siedler be griffen, daß es sich nicht um einen Freund schaftsbesuch, sondern um einen echten Überfall handelte. Sie rannten in alle Rich tungen auseinander. Noch einige wurden ge troffen und zu Boden geschleudert, dann bremste der erste Raumgleiter dicht vor der Schleuse ab. Die Noots wurden von den Werkzeugen einfach abgeladen. Sofort drehte der Steuer mann das Gerät herum, jagte aus der Schleu senkammer hinaus und auf die Gestalten zu, die vor dem Schiff am Boden lagen. Wäh rend die Greifer zupackten und einen Körper nach dem anderen aufhoben, brummte die nächste Maschine heran. Sie schleppte ein Netz hinter sich her, das mit den ineinander verkeilten Körpern von Noot-Frauen gefüllt war. Auf dem Steuersitz thronte GridersoldHerp und feuerte immer wieder seinen Hochenergie-Strahler in die Luft ab. Blitze und röhrende Donnerschläge begleiteten den Weg dieses barbarischen Gespanns ins Schiff. Inzwischen waren alle Noots, die nicht betäubt zwischen dem Schiff und der relativ sicheren Deckung lagen, geflohen und verschwunden. Aber ununterbrochen hörte Atlan das Geräusch von Schüssen. Halb entsetzt, halb von der grausigen Komik des Geschehens gelähmt, beobachtete der Arkonide, wie Herp das Netz einfach öffnete und die Körper rücksichtslos an der hinteren Wand der Schleuse heruntergleiten ließ. Auch dieser Gleiter verließ gerade den Raum, als bereits der dritte mit einer ähnli chen Fracht heranschwebte. Die Galionsfi gur hatte keine andere Möglichkeit: sie muß te zusehen und warten, bis ein anderer Be fehl eintraf. Die Möglichkeit, die Schleuse zu schließen und zu starten, verbot sich: ir gendein geheimnisvoller Vorgang lähmte
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Hans Kneifel
seinen Willen völlig, solange er im Bann ei »Die DARIEN ist bereits unterwegs.« Die Schleuse schloß sich. Das startende nes Befehls stand. Die fünf Gleiter flogen hin und her, sam Schiff schoß mit voller Leistung der Antrie bseinheiten schräg aufwärts. Dann ver melten männliche und weibliche Noots ein und luden sie ab. Die Schüsse wurden selte schwand das Organschiff zwischen den trei benden weißgelben Wolken und ging auf di ner. Atlan zuckte trotz der unzähligen An rekten Kurs zum Stationsasteroiden der Scuddamoren. Ein wenig später erfuhr At schlüsse und Sensoren zusammen, als die starke Sendeleistung in die Antennen schlug lan, daß insgesamt siebzig Noots gekidnappt und durch die Verstärker hochgefahren wur worden waren. Neununddreißig von ihnen de. Ein Hilferuf in Garva-Guva wurde abge waren weibliche Noots. strahlt. »Falls es nicht ohnehin für eine Galionsfi »… Überfall! Ein kleines Organschiff, gur selbstverständlich sein sollte«, riet Gri dersold-Herp später über die Interkomanlage das DARIEN heißt, terrorisiert unsere Sied lung. Wenn jemand in der Nähe ist, kommt seinem willenlosen Piloten, »befehle ich es ausdrücklich. Während des gesamten Rück und helft uns. Sie verschleppen unsere Frauen. Sie dringen in unsere Häuser ein. Sie flugs darf kein Scuddamorenschiff unseren Kurs erfahren oder nachrechnen können. Du lähmen jeden, der sich ins Freie wagt, und hast alle entsprechenden Maßnahmen zu bringen ihn ins Schiff … Achtung, an alle Schiffseinheiten, die unsere Frequenz hören treffen.« »Ich werde gehorchen«, versprach Atlan. …« Nach den ersten Worten hatte Atlan den Die männlichen Gefangenen waren von Text auf die Funkfrequenz des Nootden Piraten sicher untergebracht worden. Sprechfunks geschaltet. Die zwanzig sogenannten Raumfahrer be Nach einigen Sekunden meldete sich Gri schäftigten sich während des Fluges aus dersold-Herp und donnerte, noch immer im schließlich mit ihrer weiblichen Beute. Vollgefühl seines Sieges: Atlan ahnte, daß sich im Innern des Satel »Das Schiff startklar machen! Alle Män liten binnen kurzer Zeit ein gefährliches Piner sind in einer Minute in der Luft und auf ratennest entwickeln würde. Bei jedem dem Weg in die DARIEN. Wir haben genug Raubzug würde er dabei sein und sich im erbeutet.« mer größeren Gefahren aussetzen müssen. Die Männer gehorchten augenblicklich. Seine Ohnmacht war ihm gegenwärtig, aber Die Jahrzehnte andauernden Kampfes auf jetzt begann er, Gridersold-Herp zu hassen. der Vulkanwelt hatten sie zu perfekten Pira Früher oder später kam für sie alle das Ende, ten gemacht. Ein Gleiter nach dem anderen denn die Scuddamoren konnten nicht dul den, daß sich im Zentrum ihres Machtbe schwebte heran, lud die Körper ab und wur de in fieberhafter Eile festgemacht. Bereits reichs auch nur die geringste Widerstands als der letzte die Portale der äußeren Schleu gruppe aktiv ausbreitete. senanlage passierte, schrie der Anführer: »Sofort starten. Zurück zum Satelliten 2. Glückliche Lava!« Obwohl Atlan mit Gink Nik Meus allein Atlan erwiderte, unruhig geworden: in der DARIEN wartete, bedeutete es kei »Ich starte. Aber du solltest mit diesem neswegs die Freiheit für ihn. Der letzte Be Namen nicht sorglos umgehen. Vielleicht fehl von Gridersold-Herp band ihn und das hört jemand diesen Funkspruch ab.« Organschiff an den Satelliten. Tagelang blie »Wie auch immer«, gab Gridersold zu ben die Piraten und ihre Opfer in Glückli rück, »machen wir, daß wir wegkommen.« cher Lava verschwunden. Nur ein einziger Der Pthorer antwortete bereitwillig:
Piraten zwischen den Sternen Funkkanal war übriggeblieben. Über ihn vergewisserte sich der Anführer in unregel mäßigen Abständen immer wieder, ob die Galionsfigur auch der letzten Anordnung treu blieb. Regungslos schwebte das Organ schiff neben dem unregelmäßigen Fels brocken. Inzwischen bewunderte der Pthorer die Führungsqualitäten des wuchtigen Noots. Noch während des Fluges hatte GridersoldHerp die Gefangenen überzeugt und mit sich gerissen. Selbst die Noot-Frauen, die normalerwei se in der Abgeschlossenheit eines Haushalts blieben, verhielten sich geradezu auffor dernd schamlos. Cembergall-Flyrt wäre mehr als entsetzt gewesen. Atlans Phantasie schlug wilde Kapriolen. Vermutlich, sagte er sich, entsprachen seine Vorstellungen der Wahrheit. Dort, hinter den massigen Felsschichten, verwandelten sich schrittweise harmlose und fleißige Far mer und Arbeiter in Piraten. Sie wurden vom Luxus geblendet, der aus der Beute vergangener Raubzüge bestand. Gridersold-Herp spiegelte ihnen eine neue und erregende Zukunft vor. Sicherlich glaubte er selbst daran. Atlans stets waches Mißtrauen sagte ihm aber, daß die Zeit eindeutig gegen Grider solds Piraten arbeitete. Obwohl er nicht den geringsten Grund hatte, ein Scuddamorenschiff herbeizuwün schen, wartete er darauf. Es würde einerseits das Warten beenden, andererseits konnte er vielleicht eine winzige Chance ergreifen und sich retten. Welche wahnwitzige Idee würde der An führer der Piraten als nächsten Anlaß für einen Überfall oder eine Plünderung vor schieben? Atlan brauchte nicht lange zu warten. Ir gendwann in der folgenden Zeitspanne öff nete sich ein kleines Schleusenschott in Glücklicher Lava. Ein scharfer Lichtstrahl zuckte hinüber zum Organschiff. Dann stieß sich Gridersold-Herp, deutlich zu erkennen an seinem phantastischen Aufzug, kraftvoll
7 ab und schwebte hinüber zur Schiffsschleu se. Nur eine dünne Sicherungsleine verband ihn mit dem Satelliten. Kurze Zeit später stand der Noot hinter Atlan in der transpa renten Kanzel. »Du schläfst niemals, Galionsfigur?« er kundigte er sich. Atlan hatte zwar die Be leuchtung allgemein gedrosselt, aber er sch lief tatsächlich nicht. Er hatte damit zu tun, den Weltraum abzusuchen. »Selten«, entgegnete Atlan. »Im Augen blick versuche ich, euch im Satelliten vor der Entdeckung zu schützen.« »Ungemein lobenswert«, grinste Grider sold. »Wir haben beschlossen, unseren Sa telliten wohnlicher zu gestalten.« »Ich erkenne deine Absicht«, sagte Atlan. »Tatsächlich?« spottete dröhnend der An führer. »Du denkst an einen neuen Über fall?« »Eine andere Möglichkeit kann ich nicht erkennen«, sagte Atlan resignierend. »Du denkst in den richtigen Bahnen«, pflichtete ihm Gridersold bei. »Wir brau chen Möbel und Speisen, Spezereien und Topfpflanzen und derlei Dinge, mit denen wir Schönheit, Kultur und Wohlleben in die Glückliche Lava hineinverpflanzen können. Und viele Lesespulen und ähnliches An schauungsmaterial.« »Und wie sieht meine Rolle darin aus?« erkundigte sich Atlan, obwohl er ziemlich genau wußte, welche Antworten er bekom men würde. »Du mußt in den Speichern einen Ort fin den, auf dem wir länger suchen können, oh ne sofort wieder fliehen zu müssen. Zwar war Quartu Refeal eine hervorragende Gele genheit, Mannschaften zu gewinnen. Aber wir müssen in Ruhe aussuchen und wählen können. Kennst du einen solchen Platz?« Atlan dachte sofort an Xudon, an den of fenen Markt, aber er schob diese Überle gung ebenso schnell wieder zur Seite. Es war zu gefährlich; die Piraten würden gegen eine zu große Übermacht kämpfen müssen. Schon suchte er wieder unter verschiedenen Stichworten in den Organschiffspeichern.
8 Langsam antwortete er: »Ich werde dich benachrichtigen, wenn ich eine Stelle finde, die dir zusagt.« »Wie lange müssen wir warten?« »Einige Stunden. Ich kann mich nicht voll darauf konzentrieren.« »Warum?« »Weil ich ununterbrochen die Ortungsge räte bedienen muß. Ich sage dir, daß die Scuddamoren uns bereits suchen. Bezie hungsweise ein Schiff namens DARIEN. Sie sind schnell und erbarmungslos. In kurzer Zeit werden sie uns gefunden haben. Dann sterben wir alle.« Diesmal klang Gridersolds Lachen etwas nachdenklicher. »Den Tod fürchten wir nicht. Wir haben gelernt, an seiner Seite aufzuwachsen. Bis zu diesem Moment aber werden wir unser Leben so führen, wie es uns einfällt. Und es ist uns jetzt eingefallen, daß wir mehr Luxus brauchen.« »Ich finde schon den einen oder anderen Handelsposten oder eine ähnliche Welt«, versicherte ihm Atlan. »Etwas Geduld.« Der Noot hob seine Krallenhand und ließ sie gegen den Schottrahmen fallen. »Ich bin in meiner Kabine. Muß schlafen und nachdenken. Zuviel Aufregung gehabt im Satelliten«, verkündete er und stapfte da von. Nach drei Stunden hatte die Galionsfigur einen, wie es schien, idealen Platz gefunden. Der Planet war nicht weit entfernt, befand sich nicht in der Nähe einer der größeren Scuddamoren-Stützpunkte und galt als klei ner, aber teurer Treffpunkt der wenigen li zensierten Händler, deren Schiffen man Ga lionsfiguren zugestand. Die Krieger des Nef fen duldeten Petra Manna, weil sie dort ge heimnisvolle Waffen und Edelmetalle fan den. Stoppten sie diesen angeblich freien Markt, verloren sie unwiderruflich diese Möglichkeit. Petra Manna war ähnlich geduldet wie beispielsweise Xudon und Danjitter-Tal. Die Bevölkerung, laut Text, war nicht größer als siebentausend Wesen verschiedener Plane-
Hans Kneifel tenvölker und überdies ständige Landungen und Starts von Raumschiffen gewohnt. Ob rund hundert Piraten ausreichten, die Händ ler eine genügend lange Zeit in Schach zu halten, war fraglich. Aber Atlan gehorchte wie üblich bedingungslos dem Befehl und bereitete sämtliche Auskünfte so auf, daß der Noot-Anführer keinerlei Schwierigkei ten haben würde. Atlan überspielte sämtli che Informationen auf den Bildschirm in Gridersold-Herps Kabine und erntete Zu stimmung. »Das ist genau das, was wir suchen. Wir starten in einem Tag – wenn die anderen wieder nüchtern sind!« ordnete der Anführer an.
* Selbst für den Arkoniden, der in seinem langen Leben unzählige Städte und Siedlun gen gesehen hatte, war Petra Manna unge wöhnlich. Die Stadt bestand praktisch nur aus einer einzigen Massierung von zylindri schen Teilen unterschiedlicher Höhe. Sie wirkte wie ein dickes Bündel ungleichmäßi ger Stäbe. Ausnahmslos auf allen runden Abschluß flächen der Bauwerke befanden sich üppig grüne Gärten. Bäume wuchsen breit in die Höhe, und lange Äste voller Blätter und Blü ten hingen über die Flanken der etwa zwei einhalbtausend verschiedenen Röhrenfrag mente hinunter. Die Säulen, jeweils rund siebzig Meter dick, erhoben sich, ebenfalls unregelmäßig, am Außenrand eines vollkommenen Kreises. Zum Zentrum der Anlage hin nahmen sie an Höhe ab. Der tiefste Punkt lag in der Mitte, so daß Petra Manna wie eine seltsame Art von Schüssel wirkte. Die äußersten Säulen erreichten die stolze Höhe von nicht weniger als vierhundert Metern. Jede Einheit leuchte te in einer anderen Farbe. Diese verblüffen de Stadt erhob sich auf einem Tafelberg, der seinerseits nicht sehr hoch war, aber von ge waltiger Ausdehnung. Rund um Petra Man na waren die Teile des Raumhafens ange
Piraten zwischen den Sternen ordnet; einzelne Segmente, unterbrochen von dreieckigen Wäldern und halbautoma tisch bearbeiteten Feldern und Äckern, in denen zusätzlich Glaskuppel-Gewächs häuser standen. Die DARIEN kam in langsamem Flug dicht über dem Boden des Planeten heran, stieg vor der Kante des Tafelberges hoch und näherte sich einem weitestgehend leeren Teil des Raumhafens. Auf dieser Seite der Siedlung lagen nur sechs kleine Schiffe. Sie waren auf einer Plattform aufgesetzt wor den, neben ihren Schleusen gähnten die Schächte der unterirdischen Verladeeinrich tungen. Die Siedlung war mehrfach unter kellert – nicht nur die gesamten Versor gungseinheiten waren unterirdisch einge baut, sondern auch die reichhaltigen Waren lager. Tonnenweise kamen Handelswaren und Tauschgüter an, ebenso wurden sie wie der umgeladen und verteilt. Nur wenige Wa ren aus dem reichhaltigen Angebot der Pla neten des Marantroner-Reviers waren hier nicht vorhanden. Soweit Atlan dies klar er kennen konnte, befanden sich zur Zeit keine Scuddamoren-Schiffe auf dem Raumhafen. Neben dem Sessel der Galionsfigur stand Gridersold-Herp. Der Noot-Pirat deutete durch die Kuppel auf die Siedlung. Das Rauchhorn hatte wieder das Aussehen ange nommen, das einer gänzlich vulkan- und eruptionsfreien Umgebung entsprach. Unsi cher murmelte der Anführer: »Ich kann so gut wie keine Bewohner oder Arbeiter sehen.« Atlan wußte es besser und zitierte aus den kärglichen Bordinformationen. »Die Logistiker und Händler von Petra Manna wickeln ihre Geschäfte meist im ver borgenen ab. Das soll heißen, daß sie selten ihre geschützten Wohnräume verlassen. Werden sie gezwungen, außerhalb der Säu lenstadt zu verhandeln, errichten Roboter vorher zeltähnliche Behausungen oder Kon ferenzräume.« »Ich sehe.« Atlan hatte mit der Raumhafenzentrale ein langes Gespräch geführt. Die Eigen
9 schaften einer Galionsfigur waren allgemein bekannt; niemand hatte auch nur eine Spur Argwohn geschöpft. Die DARIEN galt als Spezialschiff des Neffen Chirmor Flog mit einer Mannschaft, die für ihn Luxusgegen stände auszusuchen hatte. Keiner der Leute an den Funkgeräten wagte es, die Erklärung in Zweifel zu ziehen. Petra Manna – sowohl die Stadt als auch der gesamte Planet trugen diesen Namen – war eine normale Sauer stoffwelt, auf der die Piraten ohne die An zug-Innenversorgung auskamen. Einige schnelle Blicke zeigten Atlan, daß sich Gri dersolds Piraten wieder einmal hervorragend ausgerüstet hatten. Sie befanden sich aus nahmslos in der Hangarschleuse und trugen wieder ihre bizarr ausgestatteten Raumanzü ge ohne Helme. Atlan sagte: »Ich habe euch die Lagerhallen und deren Position in den unterirdischen Anlagen ge nau gezeigt. Ihr wißt, was ihr sucht, und wo ihr es findet?« »Wir haben alles genau besprochen. Wir sind bereit.« Auch Gridersold-Herp trug wieder seinen von Farben, Anhängseln und Stacheln oder Bändern und Knotenschnüren strotzenden Raumanzug. Alle Piraten waren bewaffnet, und die meisten von ihnen sprachen das Garva-Guva inzwischen ziemlich einwand frei. Die äußere Schleusentür glitt auf, die Rampe schob sich zu Boden und berührte den geriffelten Belag des Raumhafens dicht vor einer der Rampen, die in die Unterwelt dieser erstaunlichen Handelsstadt führte. Diesmal schwärmten die Piraten nicht in heilloser Unordnung und mit furchterregen der Schnelligkeit aus, sondern verhielten sich wie ein Kommando, das dank des Auf trags des Neffen selbstsicher auftreten konn te. In geordneten Dreierreihen verschwan den sie in dem Schacht. Nicht alle wagten sich in die unterirdi schen Magazine des Tafelbergs. Ein Mann blieb im Schiff, ein anderer blieb zwischen dem Schiff und der Weite des Raumhafens stehen und blickte mit seinen großen, vorste
10 henden Augen hinüber zu der Stadt. Atlan blieb allein, an die Befehle gebun den und voller Zweifel darüber, wie dieser Überfall ausgehen würde. Die Zeit verging in quälender Langsam keit. Schließlich tauchte aus der dunklen Öff nung der Rampe die erste Plattform auf. Sie vibrierte unter der Last der aufgeladenen Gepäckstücke. Zielbewußt steuerten die bei den Piraten das Gerät auf die Schleuse zu. Hinter dem Lastentransporter kamen drei vielarmige Roboter hinaufgeschwebt und schoben sich gleichzeitig in die Schleuse hinein. Kaum befand sich die Beute im Schiff, entfesselten die Männer eine gerade zu hektische Arbeitswut. Blitzschnell stapel ten die Roboter die Güter auf den Boden des Hangars, und ebenso schnell transportierten die Noots die Beutestücke in die kleinen La deräume, die einzelnen Kabinen und an die Wände der Schiffskorridore. Noch während sie wie rasend arbeiteten, schwebte das zweite Warensortiment heran, wieder von Maschinen begleitet. Die Betriebsamkeit im Schiff verstärkte sich. Immer mehr Noots und Roboter, Plattformen und Beutestücke kamen aus den Tiefen der Anlagen herauf und verteilten sich, wie von einer wimmelnden Ameisenmasse transportiert, auf die ein zelnen Räume der DARIEN. Die Galionsfi gur sagte sich, daß es in diesem Fall – bis her! – nur um Sachen, nicht um das Leben von Wesen ging. Trotzdem hörte der Pthorer immer wieder auf verschiedenen Kanälen die Unterhaltungen zwischen Zentrale, star tenden und landenden Händlerschiffen, zwi schen den einzelnen Schiffen selbst, und darüber hinaus die knappen Durchsagen von Raumschiffen, die unterwegs waren. Bisher gab es keine Anzeichen dafür, daß sich die Scuddamoren auf die Spuren der DARIEN gesetzt hatten. Noch nicht. Einige Dutzend Tonnen von verpackten Beutestücken befanden sich bereits inner halb des Organschiffs. Zum erstenmal merk te Atlan, daß das Material dieses Schiffes nicht mit Stahl oder anderen, entsprechen-
Hans Kneifel den Werkstoffen zu vergleichen war. Er wußte, wie diese Schiffe »hergestellt« wur den. Aber mit einem Stich des Entsetzens re gistrierte die Galionsfigur, daß die Synthese zwischen herkömmlichen Schiffsbaustoffen und organischer Masse nicht für die Ewig keit entwickelt worden war – das erste und bisher einzige Zeichen dafür war, daß sich eine Wand zwischen zwei Laderäumen auf zulösen begann. Sie schrumpfte zusammen wie lebendes Gewebe und bildete um die stählernen Komponenten herum runzlige Haut, aderähnliche Kontraktionen und hauchdünne Folien, die wie uraltes Bindege webe aussahen. Der Prozeß der Veränderung erfolgte jäh und hörte auch sofort auf. Aber Atlan definierte ihn als erste Warnung und als deutliches Zeichen des einsetzenden Un tergangs oder wenigstens der Auflösung der vorhandenen Werte und Konstanten. Augenblicklich nahm er eine Überprüfung aller Wände, Schotte und der Außenhaut vor. Aber es zeigten sich weder ein Schaden noch die Anzeichen dafür. Die Galionsfigur beruhigte sich wieder. Leere Lastenplattformen verließen das Schiff und jagten wieder hinunter in die Hal len und Lagerstätten der Waren. Innerhalb des Schiffes rasten die Noots und die Lade roboter hin und her und schoben die Beute in jeden nur erdenklichen Hohlraum. Ein Drittel des Schiffes mindestens war schon beladen und teilweise überfüllt. Die Piraten gingen mit den Paketen achtlos um, holten immer neue Plattformen in die Schleuse her ein, bildeten Ketten und schichteten die Beutestücke auf. Gridersold-Herp lief hier hin und dorthin, brüllte Befehle, legte mit Hand an, dirigierte die Roboter ebenso über legt wie seine Piraten und blieb irgendwann mitten in den hastigen Arbeiten vor einem Interkom stehen. »Galionsfigur Atlan?« rief er. Atlan hatte sich bereits auf den betreffen den Raum geschaltet. »Ich sehe und höre dich, Herp.« »Wir sind in einer halben Stunde fertig. Mache das Schiff startklar!«
Piraten zwischen den Sternen »Das Schiff ist startbereit. Ich rechne mit einem Fluchtstart«, antwortete der Arkonide wahrheitsgemäß. »Pessimist. Gibt es Anzeichen dafür?« »Bis jetzt noch nicht. Ich bleibe weiterhin wachsam«, sagte Atlan. »Ihr habt bereits ge nug geraubt, Herp!« Der Noot lachte laut auf und erwiderte: »Noch fehlen uns einige wichtige Waren. Aber sie werden bereits aufgeladen.« »Trotzdem empfehle ich äußerste Eile, auch außerhalb des Schiffes.« »Wir trafen einige Händler in den Lager hallen, die nicht von Petra Manna waren. Sie scheinen uns nicht zu glauben und sprachen seltsame Dinge von der Rache der Scudda moren.« »Dann werden sie sicherlich auch die Schiffe alarmieren. Beeilt euch. Einem star ken Suchschiffaufgebot werden wir mit dem kleinen Schiff nicht entkommen.« »Ich weiß, daß du ein guter Pilot bist. Du wirst uns sicher nach Glückliche Lava zu rückbringen.« Atlan entgegnete bitter: »Darauf würde ich keine Wetten abschlie ßen.« Gridersold-Herp lachte noch einmal, schwang sich auf eine vorbeischwebende Plattform und steuerte sie aus dem Schiff. Nach fünfzig Metern war er unter der dicken Raumhafendecke im hellerleuchteten Lade schacht verschwunden. Aber jetzt näherte sich dem einzigen Posten vor dem Schiff ei ne seltsame Prozession. Von Atlans Platz aus, der sie durch die dunkle Kanzel beob achtete, wirkte sie wie eine Reihe aufrecht gehender Ameisen. Es schienen etwa ein halbes Hundert Roboter zu sein. Ihre Körper schimmerten und schillerten, als wären sie aus Chitin oder dünnem Stahlblech. Sie be wegten sich im Gleichschritt. Die vordersten und hintersten der langen Zweierreihe tru gen knallbunte Markierungen auf ihren Kör pern. Im Zentrum der Prozession gab es Pla netarier, die große Ballen schleppten. Vier der Robots trugen an langen Stangen eine Art würfelförmige Sänfte. Atlan betrachtete
11 die Formation mit starkem Interesse und blitzschnell erwachtem Mißtrauen. Es schie nen die Vorboten einer drohenden Gefahr zu sein. Die Mitglieder der Prozession gingen zielbewußt auf den einzelnen Noot-Posten zu. Der Mann schien verwirrt zu sein, trat von einem Fuß auf den anderen und zog sei ne Strahlenwaffe von den Schultern. »Kannst du mir sagen, Galionsfigur, was dieser Aufzug zu bedeuten hat?« kam seine knarrende Frage über Funk. Atlan brauchte nicht lange nachzudenken und entgegnete: »Vermutlich wollen die Leute von Petra Manna mit dir verhandeln. Sie sorgen sich sicherlich um ihre mühsam eingekauften Vorräte.« »Ich mache sie alle nieder!« rief der Po sten in leichter Panik. »Dafür wird dich Gridersold-Herp viertei len!« versicherte Atlan. »Warte und schwei ge. Der Start des Schiffes steht unmittelbar bevor. Sie wollen nicht kämpfen, sondern ihre Handelsspannen diskutieren.« »Kann ich mich auf dich verlassen?« rief der Noot unsicher. »Ein Schuß aus meinen Geschützen ver nichtet sie alle. Ich habe sie bereits anvi siert«, lautete Atlans Antwort. »Gut.« Die Zweierreihen der Roboter teilten sich. Je eine Reihe marschierte an dem einzelnen Posten vorbei. Die Maschinen führten syn chron eine Kehrtwendung durch und began nen in fieberhafter Eile, ein Zelt aufzustel len. Stangen blitzten, lange Bahnen und Zeltteile wurden aufgerollt und mit irgend welchen Patentverschlüssen aneinander be festigt, und binnen weniger Minuten erhob sich etwa zehn Meter von dem ratlosen Noot entfernt ein pyramidenförmiges Zelt von rund sieben Metern Höhe. Die Sänfte wurde unmittelbar vor dem Eingang abgestellt. At lan konnte nicht erkennen, ob jemand den chromblitzenden Würfel verließ oder nicht, nahm es aber als gegeben an. Zwei Robots gingen gemessenen Schrittes auf den Noot zu. Im selben Augenblick ka men drei Schwebeplattformen aus den unter
12 planetarischen Hallen herauf, schwebten in die Schleuse hinein und wurden entladen. Atlan zählte mit; immer mehr Piraten kamen in die DARIEN und blieben darin. Aber er vermißte die farbenprächtige Rüstung des Anführers. Die Robots packten mit festen Griffen beide Arme des Noots und zogen ihn mit sich. Vor dem Zelt blieben sie stehen und schoben ihn in den Eingang hinein. Alles ge schah mit sanfter Gewalt. Die Galionsfigur merkte, daß sich inzwischen fast alle Piraten innerhalb des Schiffes befanden. Es fehlten noch drei, mit demjenigen, der hinter sich den schweren, glänzenden Vorhang des Zel tes herunterfallen ließ, waren es vier. »Ich rufe Gridersold!« sagte Atlan in das Mikrophon, das in sein Steuersystem inte griert war. Keine Antwort! Die Roboter hatten um das Zelt, das wie ein kleiner, völlig unmotivierter Fremdkör per auf der gewaltigen Fläche des Raumha fens wirkte, einen mathematisch exakten Kreis gebildet. Sie standen regungslos da. Ringsum, so weit Atlan selbst sehen konnte, und so weit seine Geräte reichten, lief der Betrieb des Raumhafens normal und ohne Anzeichen irgendwelcher Aufregung weiter. »Herp! Anführer! Ich warte! Es bahnt sich Unheil an!« rief Atlan, von immer stärkerer Aufregung geschüttelt. Noch immer keine Antwort. Zwei leere Lastenplattformen, von den simplen Stapel robots gesteuert, flitzten aus dem Hangar heraus und verloren sich in den lichterfüllten Rampen und Gängen neben dem Schiff. Wieder warf die Galionsfigur einen langen Blick in die Richtung des Zeltes. Auch über die Helmfunkanlage dieses Noots waren kei ne Informationen zu erhalten. Er schien in nerhalb des Zeltes in einer Zone des Schwei gens zu verharren. »Wie? Was ist los?« dröhnte plötzlich die Stimme Gridersolds in Atlans Ohren. »Wir kommen mit einer ganz besonderen La dung!« »Es wird Zeit!« drängte der Pthorer und
Hans Kneifel schaltete die Antriebselemente hoch. »Du solltest das Zelt vor dem Schiff stürmen und einen deiner Piraten befreien. Er befindet sich dort und meldet sich nicht mehr.« »Verstanden. Wir kommen sofort.« Wieder einmal wartete Atlan mit steigender Ungeduld. Unbeweglich standen die merkwürdig geformten Robots um das Zelt. Aus dem Schlund der Rampe kam schau kelnd und überladen eine, wie Atlan hoffte, letzte Lastenplattform. Inmitten der bunten Pakete thronte Gridersold-Herp und winkte mit beiden Armen fröhlich in die Richtung der Schleuse. Die Maschine torkelte in den leeren Hangar hinein, die Ladung kippte und polterte auf den Boden. Ein letztes Aufbäu men der Plattform schleuderte Herp, der wieder einmal alles als gigantischen Spaß empfand, zu Boden. Er lachte laut und jagte mit lauten Kommandos die Robots aus der Schleuse hinaus. »Atlan! Galionsfigur!« schrie er. Sofort erwiderte der Arkonide: »Ich höre?« »Nur noch wenige Augenblicke. Ich hole meinen Piraten aus dem Zelt. Dann mußt du starten!« Atlan brannte die Zeit inzwischen auf den Nägeln. Er sah, daß Herp seine Waffe hoch riß und schwang, als sei es ein Feldzeichen. Der Anführer rannte mit großen Sprüngen auf das Zelt zu. Die Roboter rührten sich noch immer nicht. Gridersold-Herp erreichte die Kette der Maschinen, schob zwei Robots auseinander und schwenkte schußbereit sei ne schwere Waffe. Die Robots wichen ge schmeidig aus und schlossen wieder ihren Kreis. Mit einem Satz sprang GridersoldHerp durch den auseinanderreißenden Zelt eingang. Atlan führte abermals eine Zählung durch. Es fehlten nur noch zwei der Noot-Piraten. Die letzte geleerte Plattform und der letzte Stapelrobot verließen geräuschlos das Schiff. Auf dem Ortungsschirm der Galionsfigur zeichneten sich sechs winzige Punkte ab, die in verdächtig großer Geschwindigkeit genau
Piraten zwischen den Sternen auf den Planeten zusteuerten. Es ging um Minuten oder vielleicht auch nur um Sekun den. Der Zeltvorhang schwang wieder zu, schlagartig wurde auch der Funkkanal zwi schen Atlan und den beiden Piraten unter brochen. Offensichtlich schirmte das Materi al des Zeltstoffs den normalen Funkverkehr ab. Einige Sekunden vergingen in qualvoller Eintönigkeit. Nichts änderte sich. Nur die Piraten versuchten, innerhalb des Schiffes ihre erbeuteten Schätze zu verstau en. Atlan bewegte einen Kontakt und schob die äußere Schleusentür halb zu. Er starrte nach wie vor das Zelt an. Welche geheimnisvollen Vorgänge liefen hinter den undurchdringlichen Wänden ab? Er vermochte es nicht einmal zu ahnen. Noch während er sich überlegte, ob er ohne Befehl würde starten können, schwang der Zelteingang weit auf. Drei Gestalten erschie nen. Atlan erkannte den Noot-Wächter und Gridersold-Herp, aber den dritten kannte er nicht. Es war ein Wesen, sicherlich nicht kleiner als drei Meter. Der Planetarier war spindeldürr und wirkte entfernt humanoid. Seine Gestalt verbarg sich unter weiten, wal lenden Gewändern von nie gekannter Far benpracht. Herp und der andere Noot hatten sich bei dem Planetarier eingehakt und führ ten ihn, als sei er betrunken. Die drei Wesen schwankten hin und her, wankten durch den Ring der Roboter, und Atlan schaltete die Vergrößerung seiner Nah-Ortungsschirme ein. Aufmerksam stu dierte er das Aussehen des Fremden. Er sah ein wenig den Krejoden von Xudon ähnlich, aber der Kopf trug verschiedene Kugeln, gedrechselt wirkende Auswüchse und wip pende, kurze Antennen. Überlange Finger kamen unter den dünnen, flatternden Stoffen zum Vorschein. Herp meldete sich wieder und sagte leise, fast drängend: »Vor der Schleuse lassen wir unseren neuen Freund los. Wir haben ihn und seines gleichen überzeugt. Er ist stockbetrunken
13 von unserem Beuteschnaps.« »Verstanden«, sagte Atlan. »Sechs Scud damorenschiffe rasen auf Petra Manna zu!« »Das klingt nach Eile«, gab Herp seelen ruhig zu. »Keine Sorge. Wir schaffen es schon rechtzeitig.« Die Ortungsimpulse auf den Schirmen der Galionsfigur wurden deutlicher. Atlans Sor ge wuchs, und jeder Schritt, den die drei schwankenden Gestalten auf die noch immer offene Schleuse zu machten, durchfuhr ihn wie ein Messerstich. Er zählte die Meter der Entfernung, verglich unaufhörlich die sich nähernden Echos mit der verbleibenden Zeit und wußte, daß die DARIEN mit ihrer Pira tenbesatzung niemals in einer größeren Ge fahr geschwebt war. Zwei große Schritte vor dem Ende der Rampe blieben Herp, der andere Noot und der Planetarier stehen. Fasziniert blickte At lan die dicken, halbkugeligen Gläser vor den vier Augen des Wesens an, die wippenden Fühler oder Antennen und die knochigen Finger, die mit breiten Ringbändern ge schmückt waren. Die Glieder fuhren ziellos durch die Luft, der Petra-Manna-Mann schwankte hilflos zwischen den beiden Noots hin und her. »Los! Bringe das Schiff in den Welt raum!« schrie Gridersold-Herp plötzlich. Er gab dem Planetarier einen leichten Stoß. Der Fremde sank zu Boden. Mit drei Sätzen waren die Noots im Schiff. Hinter ih nen fauchte, während die DARIEN augen blicklich mit der vollen Kraft ihrer Maschi nen beschleunigte, die Schleuse zu. Atlan konzentrierte sich voll auf den Start. Für den Weg in den Weltraum wählte er wieder einen Kurs, der ihn relativ dicht über dem Boden dahinführte, zwischen einigen kleinen Tälern hindurch und in eine Rich tung, in der ihn die Ortungseinrichtungen der Scuddamorenschiffe nur unter großen Schwierigkeiten erfassen konnten. Die DARIEN wurde schneller und schneller, stieg einige tausend Meter hoch und ver suchte, hinter der Krümmung des Planeten
14 zu verschwinden und die Masse dieser Welt zwischen sich und die Verfolger zu bringen, denn Atlan zweifelte nicht einen Augenblick lang daran, daß die Schiffe die Piraten such ten. »Ausgezeichnet!« rief von irgendwoher der Anführer. »Ich merke, daß wir jede Menge Fahrt machen.« Atlan war zu sehr mit dem Versuch be schäftigt, aus den Ortungsantennen der Scuddamorenschiffe zu verschwinden, als daß er sich über die Lässigkeit oder Kühn heit des Anführers hätte Gedanken machen können. Die DARIEN stieg zwar unablässig und wurde schneller, aber noch folgte die Flugbahn einer langgezogenen Krümmung. Schließlich, in der Gegend des südlichen Pols, riß die Galionsfigur das Organschiff hoch und raste ins All hinaus. Atlan schlug einen verwinkelten Kurs nach Glücklicher Lava ein und stellte fest, daß die Scuddamo ren auf dem Planeten landeten. Die Echos ihrer Schiffe verschmolzen mit den Echos von der seltsamen Stadt. An dieser Stelle der Flucht hätte das Ex trahirn Atlan zweifellos gesagt, daß sich der Kurs zum größten Teil rekonstruieren ließ, selbst wenn er versuchte, den Verfolgern zu entkommen. Atlan erkannte diesen Umstand auch ohne den Logiksektor, aber er hatte weniger Möglichkeiten, selbständig ent scheiden zu können. Jedenfalls war er diesmal den Suchschif fen der Wachflotte entkommen. Der Weltraum vor ihm war nicht leer, aber die winzigen und langsamen Echos stammten von Handelsschiffen oder solchen Konstruktionen, die keine Galionsfigur be nutzen durften. Atlan schlug sich mit der triumphierenden Mannschaft auf einem abenteuerlichen Kurs zum Satelliten durch. Die Noots verwandel ten das Innere der DARIEN in ein Chaos; sie rissen die Verpackungen von ihrer Beute ab und versuchten festzustellen, was sie ei gentlich alles geraubt hatten. Es dauerte zwei Tage, bis sie das meiste in den Satelli ten hinübergeschafft hatten.
Hans Kneifel Atlan war inzwischen vor Sorge halb krank. Er war seinen düsteren Gedanken hoffnungslos ausgeliefert.
3. Glückliche Lava drehte sich unmerklich langsam durch den lichtlosen Raum. Mit zwei Trossen war das leere Organschiff an den Felsen befestigt. Die Taue spannten sich zu einer vollkommenen Geraden, und das Schiff wirkte wie ein Mond, der den Plane ten umkreiste. Es gab kein Licht, das aus dem Innern des Satelliten nach außen drang. Atlan war in einen leichten, von Alpträumen durchzitterten Schlaf gefallen und lag ver krampft in dem schmiegsamen Material des Galionsfigur Sessels. Der erste Alarm traf ihn wie ein starker Stromstoß. Er schreckte entsetzt hoch. Gleichzeitig vollführte Gink einen Satz, der ihn fast quer durch Atlans durchsichtige Kanzel schleu derte. Auf den Monitoren war in er schreckender Deutlichkeit zu sehen, daß fast gleichzeitig aus allen Richtungen schwere Schiffe der Wachflotte heranrasten und ihre Fahrt abbremsten. Jetzt, dachte Atlan mit einer Ruhe und Gelassenheit, die ihn selbst verblüffte, ist genau das eingetreten, worauf ich seit dem Start von Trimor gewartet habe. Sekunden später dröhnten auf sämtlichen Funkkanälen die Aufforderungen und War nungen der Scuddamoren. Sie sprachen direkt die Piraten an. Inner halb kürzester Zeit würde mit konzentrier tem Beschuß begonnen werden, wenn sich die Noots nicht ergäben. Einzeln in Raum anzügen den Satelliten verlassen! Unbewaff net! Auf den Befehl Chirmor Flogs, des Nef fen! Atlan zählte die riesigen, die Sterne ver deckenden Echos auf den Monitoren und kam auf eine Zahl, die höher lag als zwei Dutzend. Einige Projektoren feuerten und brannten tiefe Krater in den Fels des Satelliten. Eine Glutbahn trennte eine Trosse der DARIEN
Piraten zwischen den Sternen ab. Die Scuddamoren verschwendeten nicht einen einzigen Anruf an die Galionsfigur des Schiffes. Sie schienen zu wissen, daß ein nicht vorhandener Befehlsgeber das Schiff förmlich in Bewegungslosigkeit verharren ließ. Der akustische Wirrwarr auf den Funk kanälen und den Bildfunkverbindungen leg te sich für eine kurze Zeit. Gridersold-Herp antwortete in hartem Garva-Guva: »Niemand ergibt sich. Wir haben mit euch gerechnet, Scuddamoren! Wir sind die Piraten des Marantroner-Reviers, und als solche werden wir euch einen Kampf lie fern, den ihr niemals vergessen werdet!« Gleichzeitig öffneten sich an vielen Stel len des Satelliten felsverkleidete Luken. Pro jektoren schwangen heraus und eröffneten augenblicklich das gezielte Feuer auf die Schiffe der Wachflotte. Neben Atlans Ohren erklang ein zweites mal die Stimme des Anführers. »Galionsfigur Atlan! Kappe die Trossen. Verlasse ohne Fahrt den Asteroiden und flie ge zurück nach Trimor. Dies wird mein letz ter Befehl sein. Rette deinen Freund, wenn er die Natur des Vulkanplaneten überlebt hat. Wir waren ein gutes Team, ich als Kapi tän des Piratenschiffs und du als mein Steu ermann! Lebe wohl!« Das ausklingende Gelächter war so wie immer. Atlan bewunderte diesen Noot in je nen Augenblicken. Gleichzeitig löste er die Trosse, schaltete für zwei Sekunden ein Triebwerk ein und versetzte das Schiff in geringfügige Bewe gung. Die DARIEN trieb zwischen zwei der mächtigen Schatten hindurch. Atlan entging es, daß der kleine rote Würfel die Kanzel verlassen hatte; vermutlich verkroch sich Gink Nik Meus irgendwo im Zentrum des Schiffes. Der Kampf wurde lautlos geführt. Es war ein entsetzliches, wildes Schau spiel. Immer wieder blitzten aus allen Rich tungen kreideweiß blendende Lichtstrahlen
15 auf und verschmolzen mit dem Fels des Sa telliten. Dort, wo die Glutbündel einschlu gen, sprengten die Trümmer zur Seite, hin terließen sie tiefe Krater und verwandelten den Fels und die metallenen Hüllen und Verstrebungen in aufleuchtendes Gas und fetten, schwarzen Qualm, der die Lichtstrah len aufsog. Und zwischen den Rauchwolken und den Schauern herumsurrender Splitter in allen Größen blitzten ebenso lange und gleich dicke Glutstrahlen auf und zerfetzten Teile der Organschiffe. Unmerklich langsam trieb das kleine, hammerförmige Organschiff aus dem Ge schehen hinaus. Einmal registrierte Atlan einen Streifschuß, aber nicht einmal Luft entwich aus dem Schiff. Ein Treffer aus dem Satelliten durchschlug ein Organschiff der Länge nach. Der Projektorstrahl zerfraß die durchsichtige Kuppel, tötete augenblicklich die Galionsfigur und fuhr inmitten von Flammen und Trümmern am Heck des Schiffes wieder hinaus. Scuddamoren wur den zwischen den glühenden Trümmern her umgeschleudert wie lebende Meteore. Aber mals hatte sich die DARIEN einige tausend Meter aus dem Hexenkessel entfernt. Der Anführer der Noots schien mit allen seinen Leuten genau zu wissen, daß sie nichts mehr zu gewinnen hatten. Sie alle wählten den Kampf und den Tod. Jetzt hatten sich sämtliche Projektoren der Flotte auf den Satelliten eingeschossen. Un unterbrochen hämmerten die lautlosen Blitze in den langsam zerberstenden Körper hinein. Die schrecklichen Bilder auf den Monito ren wurden kleiner und bedeutungsloser. At lan hatte einen Befehl erhalten. Er gehorchte diesem Befehl und schaltete die Antriebsein heiten wieder auf volle Leistung. Die DARI EN nahm schnell Fahrt auf. Zehn Sekunden vergingen. Atlan rechnete fest damit, daß eine der Galionsfiguren sein Schiff und den verstärk ten Energieausstoß registrieren würde. Nichts geschah. Geschwindigkeit und Ab stand wuchsen, die DARIEN schien tatsäch
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lich frei zu sein. Weiter … Die Bilder waren jetzt fast nicht mehr ge nau zu erkennen, trotz der eingeschalteten Vergrößerungen. Atlan richtete den Kurs aus und gab volle Kraft auf den Antrieb. Nie mand schoß hinter ihm her. Sein Verschwin den war in dem allgemeinen Durcheinander tatsächlich nicht bemerkt worden! Die DARIEN nahm Kurs auf Trimor.
* Die Zeit verstrich ereignislos. Der Arkonide war mit sich und seinen dunklen, von Sorge und Qualen geprägten Gedanken wieder einmal völlig allein. Gink Nik Meus trieb sich irgendwo im Schiff her um. Atlan schaffte es ohne jede Mühe, die DARIEN auf derselben Route nach Trimor, dem berstenden Planeten der Vulkane und Erdspalten, zurückzubringen. Nur selten be gegnete ihm ein anderes Schiff, das in unge fährlicher Entfernung vorbeizog. Niemand sprach mit ihm. Er hörte einige nichtssagende Funksprü che mit. Einmal fingen seine Geräte die Vollzugsmeldung auf, die von einer Einheit der Wachflotte stammte. Glückliche Lava, der Satellit der Piraten, war vernichtet wor den. Es gab keine Überlebenden. Lebte Cembergall-Flyrt noch? Atlan führte leise Selbstgespräche. Der Noot war der einzige, der ihm in diesem Be zirk des Marantroner-Reviers helfen konnte und zweifellos auch helfen würde. Die Erde lag auch in Atlans Gedanken in unermeßlich weiter, geschichtlicher Ferne. Pthor steckte irgendwo in dieser Sternenin sel fest. Thalia – tot. Verschwunden aus sei nem Leben, aber nicht aus seinen qualvollen Erinnerungen. Razamon … wo war er in diesen Momenten? Lebte er noch, der einzi ge Mitkämpfer, auf den sich Atlan mit großer, fast nie gekannter Unbedingtheit verlassen konnte? Aber alles, Personen und Gegenstände, Überlegungen und selbst der Umstand, daß
der König von Atlantis sein Dasein ohne Ex trahirn fristete, verblaßte vor einem einzigen Gedanken: Wie schaffe ich es, mich von diesem Or ganschiff zu lösen? Es muß eine Möglich keit geben! Nur ist niemand mehr am Leben, der mir dieses Wissen vermitteln könnte. Atlan bemerkte irgendwann in der langen, niederdrückenden Prozession seiner Überle gungen, daß weit vor ihm eine Sonne und die winzigen Echos eines Planetensystems sich aus der anonymen Vielfalt der Sterne und Ortungspunkte hervorschoben und deut licher wurden. Endlich war es soweit: Der Planet Trimor hing wie ein dunkler, von feurigen Adern durchzogener, in vielfar bige Wolken eingehüllter Ball vor der DARIEN im Raum. »Und nur ich bin es, der für die Lage von Cembergall-Flyrt verantwortlich ist«, sagte Atlan laut. Vergeblich hoffte er, daß der kleine Frem de irgendwelche neue Proben seiner Fähig keit, Stimmen perfekt zu imitieren, ablegen würde – Gink Nik blieb unauffindbar. Atlan suchte zuerst die unmittelbare Umgebung von Trimor nach Echos ab. Er fand nur die Schemen, die jene zerstörten Organschiffe im Orbit des Planeten kennzeichneten. »Nichts!« Atlan brauchte nicht zu überlegen, was er zu tun hatte. Während des langen und einsa men Fluges hatte er jede einzelne Szene mehrmals durchgearbeitet. Er wußte, auf welcher Frequenz das Funkgerät arbeitete, mit dem Cembergall-Flyrt, der Objektive von Danjitter-Tal, ausgerüstet gewesen war. Damals, als ihn Atlan zum letztenmal blu tend und bewegungslos, aber unzweifelhaft lebend gesehen hatte. »Ich brauche ihn!« stöhnte er. Mühelos fand die Galionsfigur die Koordinaten wieder, die derjenigen Zone des Planeten entsprachen, von der die DARIEN zum letztenmal gestartet war. At lan steuerte das kleine Organschiff in die entsprechende Position, richtete eine der vie len Sendeantennen auf den Boden aus und aktivierte die normalen Funkgeräte. Auf den
Piraten zwischen den Sternen Monitoren sah er, daß sich seit den verstri chenen Tagen und Wochen dort »unten« nichts geändert hatte. Unverändert war die ser Planet eine Zone des Todes und des un ablässigen Überlebenskampfes aller gegen alle. Atlan begann zu funken. Er horchte, während er immer wieder den Namen Cembergalls rief, nach jedem nur möglichen Funkimpuls, der von Trimor kommen konnte. Wenn schon Cembergall tot war, würde es vielleicht jemanden geben, der das Gerät erbeutet hatte und es auch be nutzen konnte. Nichts. Die Besatzungen der Bunker schienen die Sender des Organschiffes nicht zu hören. Oder falls etwa die Rufe gehört wurden, so gab es niemanden, der antwortete. »Ich rufe Cembergall-Flyrt!« wiederholte der Pthorer abermals. Er wußte nicht mehr, wie oft er schon die Worte in das Mikrophon gerufen hatte. »Hier ist dein Freund Atlan. Bitte, melde dich! Ich brauche dich. Wenn jemand Cembergall-Flyrt kennt und eine Auskunft geben kann, so soll er bitte drin gend zurückfunken …« Seine Verzweiflung stieg von Stunde zu Stunde. Abermals schwang eines der toten Organschiffe im Orbit an der DARIEN vor bei. Aus der tiefen Nacht über dem ausge suchten Gebiet wurde früher Morgen. Schließlich strahlte die Sonne senkrecht her unter; ihre Strahlen nahmen denselben Weg wie die Funkwellen. »Hier ist Cembergall«, sagte eine Stimme. »Bist du wirklich Atlan, die Galionsfigur?« Als Atlan vor Freude aufspringen wollte, schnitten die zahllosen Verbindungen und Sensoren wie scharfe Fesseln in seine Haut. Er schrie voller Begeisterung: »Ja! Ich bin wieder hier, allein mit der DARIEN! Antworte! Wo bist du? Geht es dir gut?« In den Empfängern rauschte und zischte es. Aber trotzdem blieb die Stimme des jun gen Noots klar verständlich, als er erwiderte: »Ich hatte Glück und überlebte.«
17 »Sage mir, wie es vor sich ging? Ich sah dich zum letztenmal, wie sie dich weg schleppten!« »Sie brachten mich als billige Arbeitskraft in den Bunker Tote Caldera. Jemand hatte meinen Raumanzug. Ich wachte auf und fing an zu kämpfen. Zuerst erwischte ich das Sauerstoffgerät, dann die Funkausrüstung. Und schließlich brach während des Kampfes der Boden durch und bescherte der Bunker gemeinschaft eine komplette, funktionsfähi ge Lufterneuerungsanlage – uralt.« Atlan-DARIEN fühlte, wie seine Stim mung stieg. Aus düsterer Verzweiflung wur de wieder Hoffnung. »Ja? Und du hast dieses Gerät in Tätigkeit gesetzt?« »Nicht direkt«, erklärte Cembergall-Flyrt zufrieden. »Ich brachte einer kleinen Gruppe junger, vergleichsweise gebildeter Bunkerin sassen bei, wie man Werkzeug richtig be nutzt. Und binnen weniger Tage hatten wir in der Toten Caldera einwandfreie, fast geruch lose Atemluft. Zudem war sie frei von Gift stoffen. Damit fing meine neue Karriere an.« »Es geht dir also gut?« fragte Atlan be sorgt. »Auf Trimor könnte es mir nicht bes ser gehen. Kannst du landen? Ich sehne mich natürlich zurück in mein altes Leben.« »Ich kann landen. Aber du weißt, was während der ersten Landung passierte. Ich brauche zehn entschlossene Raumfahrer, die mir helfen, selbständig zu werden.« »Diesmal werden wir klüger vorgehen«, versicherte der Noot. »Ich kann ungehindert sprechen. Niemand hört zu. Ich bewohne ei ne eigene Felsspalte.« »Ausgezeichnet. Kennst du den alten Platz noch? Ich meine die Schneefläche und das Versteck zwischen den Berghängen.« »Ich erinnere mich perfekt. Ich bin der Chef einer Bunkergemeinschaft. Mein Vor gänger hieß Gridersold-Herp. Weißt du, was aus ihm geworden ist?« »Er ist jetzt tot«, erklärte Atlan. »Aber seine letzten Wochen waren angefüllt mit den fragwürdigen Vergnügungen eines skru
18 pellosen Piraten.« Atlan schwieg und verarbeitete das Ge hörte. Dadurch, daß Cembergall-Flyrt den letzten Stand der Technik kannte und sich zu helfen wußte, war er vom Gefangenen zum Boß einer Bunkergemeinschaft geworden. Sicherlich lagen ebenso harte Tage hinter ihm wie hinter Atlan. Die Galionsfigur fuhr fort: »Ich brauche zehn entschlossene, kluge Männer. Ich schlage vor, du betäubst sie ein zeln und bringst sie in die Nähe des Schif fes. Natürlich kann ich auch an anderer Stel le landen.« »Für mich keine große Schwierigkeit. Ich werde eine Expedition zu den Beerenfeldern zusammenstellen. Du entsinnst dich?« »Perfekt.« »Und zwar schon heute. Kannst du es ein richten, uns beim Anbruch der Dunkelheit zu erwarten?« Atlans freudige Stimmung stieg. Gleich zeitig wußte er, daß er gerettet war, weil es wieder einen Freund an Bord gab, der klare Befehle geben und ihn aus der Lähmung er lösen konnte. Er antwortete fast fröhlich: »Ohne Schwierigkeit.« Die Landschaft, auf die Cembergall-Flyrt anspielte, stand in allen Einzelheiten deut lich vor seinem inneren Auge. »Wir werden kommen. Ich bringe neun oder mehr Männer mit und werde mit ihnen das Schiff entern. Für alles andere kannst du, denke ich, ohne Schwierigkeiten sorgen. Das ist übrigens der erste Funkkontakt, seit ich wieder mein Gerät in den Klauen habe.« »Verständlich. Ich fand auf dem Weg hierher auch kaum ein Schiff, das sich so weit an Trimor heranwagte«, sagte Atlan. »Ich werde jetzt landen und das Schiff nörd lich des riesigen Beerenstrauch-Feldes an halten. Du kannst es nicht verfehlen. Sollte es zu dunkel werden, lasse ich mir einige Lichteffekte einfallen.« »Ausgezeichnet«, erwiderte der Noot. »Und du bringst mich zurück nach DanjitterTal?« »Erst dann, wenn ich meine eigene Frei-
Hans Kneifel heit und Unabhängigkeit wieder gewonnen habe, was mit deiner Hilfe und mit derjeni gen unserer Mannschaft vielleicht möglich sein wird.« »Ich tue alles für dich, was in meiner Macht steht«, versicherte Cembergall. »Und jetzt muß ich abschalten, denn es kommt je mand …« »Verstanden.« Atlan unterbrach den Kontakt. Die Bun kergemeinschaft würde niemals zulassen, daß zehn ihrer Mitglieder verschwanden, an Bord eines Schiffes gingen und den Planeten verließen. Es würde derselbe erbarmungslo se und gnadenlose Kampf ausbrechen wie bei dem ersten Start von Trimor. Und wieder würde sich jemand zum Kommandanten der DARIEN aufschwingen, der Atlans Schick sal ungünstig beeinflussen würde. Zwangs läufig würde diese Entwicklung eintreten, wenn nicht Cembergall und er richtig zu sammenarbeiteten. Die Galionsfigur vermißte noch immer Gink Nik Meus als passiven Gesprächspart ner. Trotzdem steuerte Atlan das Schiff aus dem Orbit heraus, schlug eine Landeparabel ein und suchte das Gelände unter dem Schiff genau ab. Neue Vulkanteile waren entstan den, breite Erdspalten hatten das ehemalige Bild verändert, und ein Ascheregen hatte die dunkelgrüne Vegetationszone zu einem Viertel bedeckt. Trotzdem schaffte es Atlan ohne sonderliche Mühen, das Schiff auf ei ner ebenen Fläche zu landen. Hinter der DARIEN schleuderte ein stumpfkegeliger Vulkan Asche und Feuer in die tieftreiben den Wolken. Geradeaus südlich lag die Zo ne, in der es die dichteste Konzentration von unterirdischen Überlebenspunkten gab. Dort kämpften die Mitglieder der Bunkergemein schaften ihren täglichen, verlustreichen Kampf gegen die Natur Trimors und gegen einander um winziger Vorteile willen. At lans einzige Hoffnung mußte in diesen Stun den sein, daß nicht ein anderer Bunker das Funkgespräch mitgehört hatte. In diesem Fall würde der Kampf noch erbitterter und
Piraten zwischen den Sternen tödlicher sein. Das Organschiff lag schweigend, dunkel und mit geschlossenen Luken auf dem vi brierenden Boden des Planeten. Die durchsichtige Kanzel war dorthin aus gerichtet, wo Atlan den unterirdischen Bun ker wußte. Aus dieser Richtung mußten Cembergall-Flyrt und seine Männer kom men. Inzwischen hatte der Pthorer die ein zelnen Räume des Schiffes einer gewissen haften optischen Kontrolle unterzogen und festgestellt, daß die Piraten eine große Men ge ihrer Beute hatten stehenlassen. Die halb automatische Reinigungseinrichtung des Schiffes hatte eine Unmenge von Abfall und Verpackungsmaterial beseitigt, trotzdem wirkte das Innere nach wie vor wie ein Schlachtfeld. Aber vielleicht, meinte Atlan, konnte die eine oder andere Maschine, richtig ange wandt, ihn zu befreien helfen. Wieder einmal wartete Atlan Stunden um Stunden. Seine Ortungsantennen würden jedes Echo im Weltraum über Trimor registrieren. Wenn es auf dem Boden des Planeten, ir gendwo rund um das Schiff, auch nur einen winzigen Funkimpuls gab, so würde ihn At lan auffangen. Auch jede andere Energie emission konnte mühelos registriert werden. Aber bisher zeigte sich nicht die geringste Spur. Die Sonne tauchte hinter den dunklen Wolken auf, verschwand wieder, neuer Rauch und dichte Gasschleier und Staub wolken trieben vorbei und tauchten die gräß liche Landschaft in ein ständig wechselndes Licht. Atlan wartete geduldig. Irgendwann, es schien eine kleine Ewigkeit vergangen zu sein, sagte Cembergalls Stimme leise und angespannt: »Wir kommen. Achte auf uns, Atlan.« Sofort wurde das Gerät wieder abgeschal tet. Atlan sah plötzlich, daß Gink Nik Meus würdevoll auf seinen langen Beinen in die Kuppel stolzierte, sich mit einem Satz auf seinen Platz hinaufschwang und Atlan mit den großen Augen anblinzelte.
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»Gut überstanden, das Abenteuer – wie?« fragte er mit der Stimme Gridersold-Herps. »Leidlich. Deine Mitwirkung an dem Ret tungsversuch war denkbar gering«, kom mentierte Atlan. »Oder irre ich mich?« Noch immer imitierte der Würfel die Stimme des Piratenanführers, als er antwor tete. Verblüfft hörte Atlan die Antwort: »Du wärest nicht hier, ich natürlich auch nicht, wenn ich nicht mit Erfolg nachge dacht und lange gegrübelt hätte. Der Befehl, hierher zu starten … woher, meinst du, kam er?« Atlans Antwort klang sicher. »Von Gridersold-Herp, als er einsehen mußte, daß sein Piratenleben beendet war. Er zeigte sich großmütig und entschlossen und schickte mich mit einem Befehl hierher. Er wußte genau, daß …« »Unsinn!« unterbrach Gink Nik. »Gali onsfigur Atlan! Kappe die Trossen. Verlasse ohne Fahrt den Asteroiden und fliege zurück nach Trimor! Dies wird mein letzter Befehl sein. Das und ähnlichen Unsinn sagte ich! Ich wußte, daß du unbeweglich gewartet und mich und das Schiff in ärgste Gefahr ge bracht hättest. Deswegen verwendete ich Gridersold-Herps Stimme und auch sein ver dammtes Gelächter!« Er gab das bekannte, schauerliche Lachen von sich, das das Letzte gewesen war, das Atlan von Herp gehört hatte. Die Imitation war absolut perfekt. Atlan schwieg und sagte schließlich er schüttert und voller ehrlicher Bewunderung: »Ich sehe ein, daß du uns gerettet hast. Du hast im richtigen Moment genau das Richti ge getan. Vermutlich dachte Gridersold an seinen letzten Kampf und nicht mehr an eine wertlose Galionsfigur. Ich habe ihm fälsch lich Edelmut unterstellt. Nimmst du meine Entschuldigung an?« »Schon vergessen, Atlan. Ich brauchte lange, bis ich auf diese Lösung kam. Beina he hätte ich den Angriff verschlafen.« »Du hast unser Leben gerettet«, bekannte Atlan. »Ohne jeden Zweifel.« »Das ist sicher. Immerhin, vielleicht nützt
20 mein Talent uns noch einmal. Ich hoffe, daß ich irgendwann wieder einmal meinen Hei matplaneten sehen werde, und zwar als Pas sagier einer besseren DARIEN-Besatzung.« Atlan mußte lächeln und erwiderte: »Was an mir liegt, werde ich tun. Noderz erf ist nicht so weit entfernt, als daß dies au ßerhalb der Möglichkeiten läge.« Mit einem langen Arm, den er aus der Seitenfläche des Würfels entwickelte, wink te der Noder großzügig ab. »Wie auch immer, es wird wohl noch eine Weile dauern bis dorthin. Aber jetzt hast du erlebt, was wir Noder können. Toll, nicht wahr?« »Ich bin nicht nur beeindruckt, sondern tatsächlich tief gerührt«, bekannte der Ptho rer wahrheitsgemäß. Die Sonne schob sich hinter einen Vulkan und verschwand in einem auflodernden Feu erwerk aus Blitzen, Asche und Feuersäulen. Dunkelheit legte sich über die zerrissene Landschaft, die Schatten verschwanden. At lans Wachsamkeit ließ keine Sekunde lang nach. Auf den Bildschirmen zeichnete sich jeder größere Steinsplitter genau ab, und falls irgendwo ein Noot auftauchte, würde ihn Atlan bemerken. Der Weg hierher war sicherlich beschwer lich, denn sonst müßten Cembergall und sei ne Mannschaft zumindest schon sichtbar sein. Atlan zwang sich zu Ruhe und Besonnen heit. Er selbst war nicht gefährdet, trotz der vielen Erdstöße, von denen die Kruste Tri mors erschüttert wurde. Es schien auch nicht denkbar, daß die verschiedenen Bunkerge meinschaften ausgerechnet jetzt in der Dun kelheit wieder einen ihrer zahllosen Klein kriege ausfochten und Cembergalls Gruppe in eine Auseinandersetzung geraten war. In seinem langen Leben hatte der Arkoni de das Warten gelernt. Also wartete er weiter. Als auch der letzte Rest Zwielicht ver schwunden war und nur noch die Flammen der Vulkane und die häufigen Blitzentladun gen der aufgewühlten Atmosphäre die Um-
Hans Kneifel gebung schwach beleuchteten, zeichneten sich genau in dem Einschnitt des Geländes vor ihm schwache Bewegungen ab. Kurze Zeit später richtete sich eine der Gestalten auf. Atlan erkannte die vertrauten Umrisse eines erwachsenen Noots. Natürlich wußte er nicht, ob es sich bei dem Anführer jener Gruppe auch tatsächlich um Cember gall handelte, aber er vermutete es. Langsam zählte er mit. Die Gruppe be wegte sich vorsichtig und langsam. Er zählte tatsächlich zwanzig Noots in zwei Gruppen, zwischen denen es einen großen Abstand gab. Die erste Gruppe bewegte sich schnel ler und erreichte das einigermaßen ebene Gelände vor den niedrigen Pflanzen. Atlan riskierte noch nicht, einen Schein werfer einzuschalten. Er rechnete damit, daß jeder Noot augenblicklich ein Organschiff erkennen würde, wenn er eines sah. Es muß te genügend Zeit für die ersten zehn Flüch tenden geben, um das Schiff zu entern. Nur einer von ihnen, Flyrt, würde wirklich wis sen, was gespielt wurde. Atlan schaltete die Antriebsmaschinen auf Leerlauf und öffnete die nächstgelegene Schleuse, aber er ließ den Hangar völlig un beleuchtet. Die Schlange der Noots rückte auf, drängte sich zusammen und kam näher. Gegen den Widerschein vulkanischer Flam men mußte sich jetzt für sie das Schiff wie ein Koloß abzeichnen. Vielleicht riskierte Cembergall es noch einmal, die Galionsfigur anzufunken? Abermals zählte Atlan. Die erste Gruppe bestand aus elf Mann. Der Anführer umrun dete jetzt einige Lavahügel und deutete auf das Schiff. Augenblicklich reagierten er und seine Leute. Sie kümmerten sich nicht um die andere Gruppe und rannten sofort los. Atlan schaltete eine schwache Notbeleuch tung in der Schleuse ein. Jetzt hob sich der Spalt deutlicher gegen den dunklen Schiffs rumpf ab. Der Anführer rannte die Rampe hoch und schrie, kaum daß er die Schotte hinter sich gelassen hatte, aus Leibeskräften. »Los! Starten, sobald der letzte in der Schleuse ist.«
Piraten zwischen den Sternen Die Trimor-Noots rannten ihm nach. Als der elfte den Boden des Hangar betreten hat te, ließ Atlan die DARIEN einige hundert Meter senkrecht steigen. Er hatte Cember galls Stimme sofort erkannt. Dann erst schlossen sich die Schleusentore, die Scheinwerfer sprangen an, das Schiff ent puppte sich als eine Art lebender Organis mus. Auf Atlans Monitor stand das Bild des Schleusenhangars. Dort drängten sich die Noots zunächst zu einer engen Gruppe zu sammen, die sich aber sofort auflöste und in alle Richtungen auseinanderstrebte. Cember gall-Flyrt rannte in den Korridor hinein und befand sich wenige Minuten neben Atlan in der Kanzel der Galionsfigur. »Diesmal hat es geklappt, mein Freund«, sagte er schwer atmend. Sein Rauchhorn vi brierte und zeigte die Erscheinungen, die es auf einer Vulkanwelt annahm. »Wir sind wieder beieinander.« Atlan blickte ihn an und verfolgte teilwei se mit, wie die Noots reagierten. Sie nahmen das Schiff auf ihre radikale, von keinerlei Angst oder Scheu geprägte Weise in Besitz. »Ja. Wir befinden uns wieder in der DARIEN. Diesmal gibt es wohl einen ver ständnisvollen Kommandanten.« Cembergall-Flyrt seufzte und legte seine hornige Klaue auf Atlans Schulter. Von dem Noot ging ein durchdringender Geruch nach Schwefel und vulkanischen Gasen aus. »Ich habe viel über dich nachgedacht«, sagte Flyrt. »Mit welchem Erfolg?« »Ich glaube zu wissen, wie wir dir helfen können.« »Ja?« Atlan steuerte das Schiff in den Orbit über Trimor zurück. Er wollte eine ähnliche Bahn einschlagen wie eines der treibenden Wracks dort oben. »Du bist an eine Anlage gefesselt. Wenn wir es schaffen, Teile dieser Anlage vom Schiff zu trennen, dann dürfte es nicht schwer sein, diese Teile auch früher oder später von dir zu trennen. Oder sie fallen von selbst ab. So wie ein Baum abstirbt, des
21 sen Wurzeln abgesägt werden.« Atlan nickte schwach und dachte an den Zorn und die Enttäuschung der Noots, die den schnellen Start mitangesehen hatten und zurückgeblieben waren. »Solange ich nicht der sterbende Baum bin, soll es mir recht sein. Wie sind deine Leute?« Der Noot bog seine kräftigen Schultern nach vorn. Cembergall trug, wie alle ande ren, nur die Teile einer improvisierten Klei dung aus allen denkbaren Resten. »Sie sind jung und wißbegierig. Ich sagte ihnen nichts. Erst, als sie das Schiff direkt vor sich hatten, zwang ich sie zu einem schnellen Entschluß. Jeder von ihnen rea gierte so, wie ich es mir gewünscht hatte. Allerdings werden sie noch gehörig geschult werden müssen.« »Diejenigen, die wir zurückgelassen ha ben …« Cembergall-Flyrt sagte voller Bitterkeit: »Diejenigen, die zurückblieben, werden sterben müssen, weil kein anderes Schiff mehr landen wird. Vielleicht kann ich, wenn ich wieder in Danjitter-Tal bin, etwas für sie tun. Ich brauche nur das Gerücht auszustreu en, daß man auf Trimor wertvolle Metalle findet. Ich weiß, was ich sage – ich war lan ge genug hier gefangen.« Das Organschiff hatte die Umlaufbahn er reicht. Atlan schlug einen regelmäßigen Kurs ein und schaltete den Antrieb, nicht aber die künstliche Schwerkraft ab. Die DARIEN bewegte sich nahe einem der größ ten Schiffe in einer parallelen Bahn dahin und raste im Augenblick direkt in die Strah len der Sonne hinein. Das Fell des Noderz erfs leuchtete glühend auf. »Zuerst müssen wir es schaffen, mich zu befreien«, sagte Atlan beharrlich. »Dann se hen wir weiter. Solange wir das Schiff unter Kontrolle haben, steht uns mehr oder weni ger das gesamte Marantroner-Revier offen.« Der Noot erkundigte sich: »Gibt es irgendwelche Befehle, die du dir wünschst? Brauchst du ein neues Ziel oder einen Impuls, der dir hilft, die nächste Zeit
22 durchzustehen? Ich kenne deine einschlägi gen Probleme als Galionsfigur.« »Nein. Noch nicht«, sagte Atlan einiger maßen zufrieden für den Augenblick. »Sorge nur dafür, daß deine Männer unser Vorhaben nicht sabotieren.« »Ich denke, sie werden mir gehorchen, so fern ich sie nicht überfordere«, antwortete Cembergall-Flyrt. »Ich gehe nach hinten und kümmere mich um sie.« »Richtig. Tue dies.« Diese zehn Noots verhielten sich ganz an ders als die wilde Horde, die zusammen mit Gridersold-Herp ins Schiff gestürmt war. Die Männer suchten zuerst einzelne Kabinen auf. Noch waren sie unsicher und wußten nicht, was sie lieber zuerst unternehmen sollten: zuerst versuchen, sich aus der ge wohnten Gruppenbindung zu lösen oder zu sammenzubleiben. Sie lösten das Problem, indem sie sämtliche Kabinentüren und schotte geöffnet ließen und möglichst oft in den Korridor hinausgingen. Dort begannen sie, die herumliegenden Materialien einer strengen Prüfung zu unterziehen. Sie ent deckten die einfachen Duschen und die Vor räte an verschiedenen Kleidungsstücken. Mit schweigendem Interesse untersuchten sie so simple Dinge wie Schalter und Hähne, Regler und Klinken. Alles Dinge, die sie kannten, aber so gut wie niemals benutzt hatten. Cembergall-Flyrt tauchte zwischen ihnen auf und half ihnen, wo immer ein Problem auftauchte. Atlan hörte Fetzen der Unterhaltungen mit. Die Noots konnten es noch immer nicht begreifen, daß es ausgerechnet ihnen ge glückt war, die teuflische Welt ihrer Ahnen zu verlassen. Binnen eines Tages, an dem das Schiff elfmal den Planeten umrundete, hatten sie die meisten Einrichtungen begriffen. Sie hal fen sich gegenseitig in die Raumanzüge, von denen einige noch die unverkennbaren Zei chen der Piraten trugen. Atlan dachte, als er die neue Mannschaft betrachtete:
Hans Kneifel Hätte ich noch meinen Extrasinn, würde ich schneller und besser wissen, wie sie richtig zu motivieren und einzusetzen sind. Schließlich geht es zuerst um meine Freiheit. Atlan schaltete eine Sprechverbindung in Flyrts Kabine, wartete, bis der Noot auf wachte und erkundigte sich dann: »Meinst du nicht, daß wir die Wracks im Orbit untersuchen sollten? An ihnen können wir ohne Gefahr studieren, welche Teile der Galionsfiguranlage zu demontieren sind.« »Ich halte das für eine vorzügliche Idee. Wir sollten sofort damit anfangen. Meine Leute werden nur in den ersten Stunden Schwierigkeiten haben, sich ohne Schwer kraft zu bewegen.« »Bringe sie nacheinander in meine Kanzel und zeige ihnen das Problem einer Galions figur namens Atlan«, sagte der Pthorer ru hig. »Vielleicht begreifen sie dann, worum es geht.« »Einverstanden.« Sie kamen nacheinander durch den Hauptkorridor zu Atlan. Atlan und Cember gall erklärten ihnen, wie die Scuddamoren die Galionsfiguren versklavten, wie deren Lebensumstände waren und wie stark die Freiheit eigener Gedanken eingeengt wurde. Die Noots waren nicht dumm, aber es gab einige Verständigungsschwierigkeiten. Schließlich erkannten sie fast den gesamten Umfang der Problematik und antworteten übereinstimmend, daß sie Atlan helfen wür den. Man konnte daran denken, einen Arbeits plan aufzustellen.
* Zunächst steuerte Atlan die DARIEN in die Nähe des größten der Wracks, die im Or bit kreisten – offensichtlich seit sehr langer Zeit. Die Hülle des anderen Schiffes, wie ei ne Walze mit unregelmäßigen kugeligen Ausbuchtungen geformt, kam näher. Sie wirkte alt und blatternarbig; überall gab es Spuren von kosmischen Partikeln und vom Zerfall der organischen Masse.
Piraten zwischen den Sternen Taue wurden ausgeworfen und von Cem bergall-Flyrt, der in einem Panzeranzug von Gridersold-Herp steckte, an Bügeln und in Löchern befestigt. Dann zog Atlan langsam mit den schwe ren Winden des Organschiffs die beiden Körper aneinander. Zwischen den Bordwänden klaffte eine Entfernung von nicht mehr als zehn Metern. Die Schiffe bewegten sich nur unmerklich, der Vorgang lief noch immer im vollen Licht der Sonne ab. »Es müßte möglich sein, mit kabelbetrie benen Geräten Teile der Überlebensanlage abzutrennen«, sagte Flyrt, der neben Atlan stand und die Manöver kritisch beobachtete. Eine Gruppe von fünf Noots versuchte be reits im Schutz der Schiffsatmosphäre und eines Bereichs reduzierter Schwerkraft, sich im Gebrauch der Raumanzüge zu üben. »Wenn wir sie vielleicht in den Laderaum oder den Hangar unseres Schiffes bringen, dann ist es wahrscheinlich daß wir mehr vom Funktionieren verstehen«, bekräftigte Atlan. »Einverstanden. Wir versuchen es.« Das kleine Organschiff war überraschend gut ausgerüstet. Sechs Noots schwebten, an langen dünnen Sicherheitsleinen mit der of fenen Schleuse verbunden, hinüber zum Wrack. Strahler und Geräte, die wie Kreissä gen funktionierten, dienten als Werkzeuge zur Demontage. Atlan unterdrückte seine Ungeduld. Er wußte, daß das Unternehmen eine Menge Zeit kosten würde. Außerdem hatte er alles andere als ausgebildete Raum schiffsfachleute zur Verfügung. Die durchsichtige Kanzel des Wracks schien unversehrt zu sein. Die Noots tasteten sich durch einen Teil des Schiffes. Schon auf dem Weg zur Kan zel untersuchten sie, wie die Leitungen und die Steuerhilfen verliefen oder eingebaut waren. Atlan, der die wichtigsten Momente mit Hilfe eines tragbaren Aufnahmegeräts miterlebte, konnte erkennen, daß die klassi schen Elemente der Mechanik mit einer un bekannten Art von Impulsleitungen ver
23 knüpft waren. Teilweise erinnerten die Fa sern und Drähte an die feinen, bleichen Wurzeln von Pflanzen. Jetzt allerdings zer fielen sie bei der geringsten Berührung. An anderen Stellen verliefen dicke, schwer isolierte Kabel in verschiedenen Far ben. Auch hier war das unorganische Mate rial relativ gut erhalten, die organischen Iso lierstoffe lösten sich auf und zeigten die blanken Metalleiter. Je näher die Noots der Galionsfigurkanzel kamen, desto mehr von jenen »wurzelartigen« Fasern zeigten sich. Eine Stunde später entdeckten sie ein Schaltelement. Es übertrug – eine andere Deutung schien ausgeschlossen – die Impul se der Galionsfigur in direkte Befehle, die wiederum Motoren und Servoeinrichtungen ein und ausschalteten. Ratlos schwebten die Noots um den Ge genstand. Sonnenstrahlen schlugen durch ein Loch der Außenhülle herein und badeten alles in grellem Licht. Das Element war groß wie ein Sarg mit gerundeten Ecken. An einem Ende verließen Hunderte verschieden dicker Kabel und Lei tungen das glasartig durchschneidende Ding. Im Innern waren Fäden und winzige Kugeln von verschiedenen Farben zu erkennen, die ein optisch kaum zu entwirrendes Netz dar stellten. Von den Energiebatterien des Wracks – auch sie waren jetzt ausgebrannt und halb zerfressen – führten schenkeldicke Leitun gen hinein und hinaus. Sie verzweigten sich ebenfalls und führten mit ihren Ausläufern zu den Kügelchen. Und am anderen Ende, demjenigen, das der Kanzel am nächsten lag, führten nur einige fingerdicke Adern weiter. Sie verliefen hier allerdings in Röh ren, die den Krümmungen und Aussparun gen der metallischen Elemente folgten und aussahen, als wären sie aus kristallklarem Glas. »Folgt bitte dieser Leitung«, schlug Atlan vor. Beim Anblick dieses Schaltelementes waren ihm abermals starke Zweifel gekom men, ob sie wenigstens die groben Geheim nisse seiner jetzigen Zwangsexistenz lösen
24 konnten. »Vielleicht gibt es noch Hoffnun gen!« »Wir kennen erst einen winzigen Teil der Anlage«, erwiderte Flyrt über Helmfunk. »Es ist durchaus wahrscheinlich, daß wir ir gendeinen Trick herausfinden.« Der Pthorer hatte niemals an einen schnel len Erfolg geglaubt. Je mehr er sah, desto schwieriger erschien die Aufgabe. Aber in einem winzigen, weit entfernten Winkel sei nes Verstandes kauerte förmlich die Über zeugung, daß selbst so schwerwiegende Ver änderungen rückgängig gemacht werden konnten – Veränderungen, wie es das Ein pflanzen eines lebenden Wesens in das Sy stem der Galionsfiguren war. Die Noots arbeiteten sich, indem sie Trennwände und Kammern zerstörten, schrittweise durch das Wrack in Richtung auf die verwaiste Galionsfigur-Kanzel vor. Sie hatten bisher nicht einmal Gerippe ge funden oder irgendwelche Reste, die auf die einstige Besatzung schließen ließen. Kon zentriert arbeiteten sie und diskutierten ihre Funde. Immer wieder sah Atlan die übermit telten Bilder und die Noots selbst, wenn sie an einer offenstehenden Luke vorbeischweb ten oder an großen Löchern vorbeikamen, die in der Außenhaut klafften. »Etwas Neues?« fragte er nach einer Wei le. In den letzten Stunden, in denen er sich wenigstens andeutungsweise hatte entspan nen können, glaubte er einen seltsamen Ef fekt wahrgenommen zu haben. Immer wie der, wenn er voller Skepsis seine eigenen Gedanken kontrollierte und auf ihren Erleb nisinhalt hin abklopfte, glaubte er eine inne re Stimme zu hören. Ein Traum? Oder mehr? Oder der Ausdruck seiner unbewuß ten Wünsche? Er wußte es nicht. Er konnte es nicht sagen. Die innere Stimme, oder der Traum, oder seine eigene Sehnsucht, was auch immer – sie suggerierten ihm oder ver suchten es wenigstens, daß er mit der DARI EN und der kleinen Besatzung die Suche nach seinem verlorenen Extrasinn aufneh men sollte.
Hans Kneifel Aber … es gab nicht einmal eine Spur! Nicht einmal einen Verdacht gab es, was da mit geschehen sein konnte. Trotzdem hielt sich dieser Gedankensplitter mit seltsamer Hartnäckigkeit und folgte auch nicht der Ge setzmäßigkeit von neunundneunzig Prozent aller Träume. Sie waren am Morgen, beim hellen Licht des Tages, verschwunden, ver drängt und vergessen. Nicht so dieses unent wegte Bohren in seinen Überlegungen. Atlan wiederholte, eine Spur gereizter, seine Frage. »Etwas Neues, Cembergall? Habt ihr eine Idee?« Der Teil des Wracks zwischen dem letz ten Loch und der Organkuppel war unver sehrt. Atlan konnte also nicht sehen, wo sich die kleine Gruppe im Moment befand. Ge wohnt, mehrere Dinge gleichzeitig mit fast derselben Effizienz zu betreiben, schaltete er seine Monitoren nacheinander in die Räume, die von den übriggebliebenen Noots be wohnt waren. Die jungen Echsenwesen waren noch im mer nicht auf die neue Umgebung einge stimmt. Zwar hatten sie inzwischen die Funktio nen der meisten Geräte und Schalter klar er kannt. Darüber hinaus war ihnen deutlich anzusehen, daß sie sich als gerettet ansahen und versuchten, die ausgestandenen Schrecken des Planeten Trimor zu vergessen oder wenigstens von sich abzuschütteln. Trotz der Ruhe im Schiff, trotz der Positi on weit oberhalb der zitternden Planetenkru ste mit ihren Flammen, Dämpfen und Lava strömen, konnten sie ihr Glück noch nicht begreifen. Sie hatten ihre eigenen Kabinen und die unmittelbare Umgebung der Korri dore peinlich sauber aufgeräumt. Jeder von ihnen beschäftigte sich mit den Raumanzü gen und den Hinterlassenschaften der ver nichteten Piraten. Aber immer, wenn sie miteinander sprachen, steckten sie ihre run den Echsenköpfe zusammen und versuchten, den Inhalt ihrer Unterhaltungen geheim zu halten. Atlan mußte bisweilen schmunzeln; ihn interessierten diese Scheingeheimnisse
Piraten zwischen den Sternen nicht sonderlich. Wieder einmal schaltete er sich in die Diskussion ein, die über die Helmfunkanla gen des kleinen Stoßtrupps geführt wurde. »Es scheint schwieriger zu sein, als wir angenommen haben, Cembergall. Ich habe zweimal gefragt, ob bei euch neue Erkennt nisse vorliegen.« Nach einigen Minuten erwiderte der Noot: »Einige Meter trennen uns nur noch von der Kanzel. Wir haben viele interessante Teile gesehen und einige von ihnen ausge baut. Ich bin sicher, daß wir dir wenigstens in einigen entscheidenden Teilen helfen können. Was immer geschieht – du wirst freier sein nach unseren Eingriffen.« »Das höre ich gern, kann es aber nicht ganz glauben«, erwiderte Atlan. Voller Spannung, die er nur mühsam un terdrücken konnte, betrachtete Atlan die Bil der aus dem Wrack. Die Noots hinterließen eine breite Bahn der Zerstörung. Sie brauch ten keinerlei Rücksicht zu nehmen und gin gen dementsprechend vor. Zwar entdeckten sie unzählige Leistungssysteme, aber sie ka men dem wirklichen Geheimnis, nämlich dem Funktionieren des gesamten, integrier ten Systems, kaum eine Spur näher. Atlan sah abermals Leitungen und Knotenpunkte, undurchsichtige oder teilweise transparente Kapseln und Anlagen, aber alle jene Geräte, die anscheinend organisch gewachsen wa ren, entzogen sich der Erforschung. Nach einigen Stunden schwebten die er sten Fundstücke zwischen den Schiffen her an und wurden in der Hangarschleuse abge setzt. Einige der Noots, die nicht im Wrack gewesen waren, kümmerten sich darum. Sie arbeiteten in Raumanzügen und schienen immer sicherer zu werden. Atlan wartete, bis auch der letzte Angehörige des kleinen Teams wieder an Bord der DARIEN war und rief dann Cembergall-Flyrt zu sich in die Kuppel. Er blickte ihn voller Hoffnung an. »Wie beurteilst du die Lage?« »Ich würde sie als hervorragend einschät
25 zen«, begann Flyrt vorsichtig, »wenn es sich bei der Einrichtung um bekannte Werte han deln würde. Leitungen und Schalter – keine Probleme!« »Aber …?« Jene Verbindungselemente oder Schalt zentralen, eine Art organisch gewachsener Mikrochips oder integrierter Schaltungen, waren der einzige Grund, meinte Atlan bei sich. Die nächste Antwort des Noot bestätig te seine Befürchtungen. »Wir werden in der DARIEN so vorge hen, daß wir alle Leitungen kappen, die so wohl durch die Galionsfigur als auch durch manuelle Betätigung funktionieren. Das wird das Potential deiner zu versorgenden Bezirke mindern.« »Aber das sind doch nur winzige Teile!« rief Atlan aufgeregt. »Richtig. Innerhalb eines Tages haben wir immerhin diese Sicherheit. Vielleicht finden wir morgen etwas, das dich noch unabhängi ger macht. Übrigens fanden wir auch das Versorgungssystem für Galionsfiguren. Es zerfiel, als wir es öffneten. Die Scuddamo ren oder deren Raumschiffstechniker haben hinterlistige Systeme entwickelt.« Atlan erwiderte dumpf: »Letzten Endes heißt das, daß ich sterben muß, falls von euch jemand den Schneid brenner an einer falschen Stelle ansetzt.« »Niemand wird dieses Risiko heraufbe schwören!« beschwichtigte ihn Flyrt. »Wir werden, nachdem wir uns umgezogen und ausgeruht haben, die Teile untersuchen, die im Schleusenhangar liegen.« Je fortgeschrittener die Experimente sein würden, sagte sich der Arkonide, desto ge fährlicher würden sie werden. Gefährlich für ihn. Er war festgeklebt und festgeschmiedet in ein außerordentlich wirkungsvolles Sy stem, das im Grund niemand verstand. Ver mutlich wußten neunhundertneunundneun zig von tausend Scuddamoren nicht, welche Techniken verwendet wurden. Sie verließen sich, wie jeder andere, bedingungslos auf das Funktionieren der Galionsfiguren. Und in mehr als diesem Prozentsatz funk
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tionierten die Steuermänner auch problem dert einzelne Geräte zu bedienen oder zu be los. einflussen. Cembergall-Flyrt trat in Atlans »Untersucht die Teile«, sagte Atlan und Kanzel und setzte sich vorsichtig auf den zwang sich wieder zur Besonnenheit. »Dann Rand einer Schaltbank. sehen wir weiter.« »Fühlst du irgendwelche Veränderungen? »Genau das habe ich vorzuschlagen«, ent Wir haben fast alles abgeschaltet, was wir verantworten konnten, ohne die Sicherheit gegnete der Noot und verließ Atlans Kanzel. Der Pthorer kontrollierte die Anzeigen der des Schiffes zu gefährden.« Ortung und erlebte einige Sonnenauf und Atlan war seit dem Augenblick, in dem er untergänge im Orbit um Trimor mit. Die sich in den Sessel der Galionsfigur gesetzt Hälfte der Noots schlief und ruhte sich aus, hatte, zum Sklaven seiner unkontrollierbaren die andere Hälfte versuchte, den Funktions Stimmungen geworden. Er fühlte, wie seine prinzipien der ausgebauten Teile auf die Hoffnungen abermals zerstört wurden. Er Spur zu kommen. sagte traurig: Auch Atlan versank wieder in einen unru »Ich fühle nichts. Oder so gut wie nichts. higen Halbschlaf, in dem, wie erwartet, die Vermutlich ist es so, als würdest du mir ein bekannten Träume wieder auftauchten. einzelnes Haar ausreißen. Ich habe versucht, Irgendwo im Zentrum, jenseits des Ma etwas zu erkennen, während ihr an der Ar rantrone-rReviers, lagen die Lösung aller beit wart.« »Bist du sicher?« seiner Probleme und die Rettung für Pthor. Stundenlang hing Atlan wieder in dem Atlan hatte die Diskussionen der Noots Geflecht dieser unwirklichen Träume oder mitangehört. Sie waren auf dem richtigen Gedanken. Oder war es eine ferne Stimme, Weg – von ihrer Warte aus. Die Reduzie die ihm dieses Wissen einflüsterte? Er wußte rung der Leistung sollte eigentlich die Gali es nicht, konnte sich auch nichts vorstellen. onsfigur erleichtern. Aber dies war definitiv Er hatte nur, als er wieder erwachte, Todes nicht der Fall. Steuerung und Antrieb waren angst. Er wußte jetzt, daß es der größte Feh im Gegensatz zu diesen Knöpfen und Reg ler seines bisherigen Lebens gewesen war, lern nicht anders zu schalten und zu kontrol sich in den Sitz der Galionsfigur zu setzen. lieren als durch die unbewußt ablaufenden Impulse des Steuermanns. Atlan entgegnete: 4. »Ich bin leider hundertprozentig sicher. Die elf Noots brauchten etwa zwei Tage, Ihr könnt einen anderen Versuch wagen.« um die organische Verkleidung entlang ei »Eines der Schaltelemente freilegen und nes Haupt-Kommandostranges zu öffnen untersuchen?« und die dahinterliegenden Leitungen zu er »Richtig. Selbst auf die Gefahr hin, daß kennen. ihr mich umbringt, solltet ihr die Elemente Hunderte von Kabeln und Verbindungen testen. Aber richtet keinen Schaden an, der versorgten so simple Dinge wie Kabinennicht wiedergutzumachen wäre.« Lichtschalter, die Blenden von Lufterneue »Du willst es wirklich riskieren?« fragte rungsschächten und die Bildschirme und Cembergall-Flyrt erschrocken. Lautsprecher der Interkome. Systematisch »Ich brauche Gewißheit. So oder so«, sag wurde eines dieser Elemente nach dem an te Atlan. »Wenn dieser Versuch auch fehl deren abgeschaltet oder abgeklemmt. Nach schlägt, und wenn ich eure Arbeit überlebe, einer langen Zeit mühevoller Arbeit – sie dann verlassen wir den Orbit um Trimor und sparten nur den Bereich des Schiffes aus, in suchen uns ein anderes Ziel.« dem sie sich selbst aufhielten – gab es für »Etwa Xudon?« Atlan keine Möglichkeit mehr, einige hun»Warum nicht? Die Marktsumme wartet
Piraten zwischen den Sternen sicher auf dich. So lange ist es seit deinem Verschwinden auch nicht her.« Der Noot straffte seine muskulösen Schultern. Seine Schuppenhaut wurde stumpf und rauh. Das Rauchhorn zitterte einen Moment lang aufgeregt, bevor Flyrt meinte: »Das soll unser letzter Versuch sein. Wir alle sind zu der Überzeugung gekommen, daß der Neffe und seine Scuddamoren nicht wert sind, daß man ihnen gehorcht. Es sind Bestien ohne jedes Mitgefühl.« Zur Hälfte mußte ihm Atlan beipflichten, was Chirmor Flog betraf, herrschten etwas differenziertere Ansichten. »Wir allein können daran nichts ändern, Flyrt. Unternehmt euren letzten Test.« »Einverstanden.« Einige Stunden lang schnitten, schweißten und sägten die Noots die harte Masse der or ganischen Substanz zwischen zwei metalle nen Trägern auseinander. Dann hoben sie ei ne große, gewölbte Platte weg und richteten das Licht mehrerer Scheinwerfer in den Hohlraum dahinter. Diesmal verfolgte Atlan zitternd und voller Spannung die Aktion über die Linsen eines fest eingebauten Auf nahmegeräts mit. Die grellen Lichtstrahlen zeigten wieder die gläsernen Röhren, in de nen die Nervenfasern ruhten und in einer Kugel verschwanden, die etwa einen halben Meter Durchmesser aufwies. Die Bedeutung von Kabeln gewisser Far ben und bestimmter Dicke war klar. Als der Energiestrahl das erste Kabel durchschnitt, spürte Atlan nicht mehr als einen winzigen, zuckenden Kopfschmerz, der nicht länger als zwei Sekunden dauerte. »Macht weiter!« sagte er gepreßt. Einer der Noots legte versuchsweise die Mündung eines Strahlers an die Außenwand der Kugel. Im selben Moment durchtobten rasende Schmerzen Atlans Körper. Er wurde hin und hergeschüttelt, hochgeworfen und in wilde Zuckungen versetzt. Schmerzerfüllt stöhnte er auf. Sein Schrei hallte durch die meisten Räume des Schiffes. Durch alle, in denen
27 die Lautsprecher und Mikrophone nicht ab geschaltet waren. »Aufhören!« donnerte Cembergall-Flyrt. Sein Kamerad gehorchte augenblicklich. Atlan brauchte mehrere Minuten, um sich wieder zu erholen. Tränen des Schmerzes liefen aus seinen Augen, und er konnte nicht einmal die Hand heben, um sie wegzuwi schen. »Hast du den Schmerz überstanden? Geht es dir wieder gut?« fragte der Noot laut. Die anderen umstanden ihn und wagten nicht, sich zu rühren. Sie hatten spätestens jetzt die volle Tragweite des Problems er kannt. Es war mechanisch und mit ihren ge ringen Hilfsmitteln nicht zu lösen. »Es geht schon wieder. Aber … es war furchtbar«, gab Atlan stöhnend zu. Seine Stimme hatte sich in ein undeutli ches Krächzen verwandelt. Vom Zellaktiva tor gingen Wellen von beruhigenden Strah len aus. Das bedeutete nichts anderes, als daß je der Versuch, eine solche Verteilerstation halborganischer Herkunft zu öffnen oder zu untersuchen, zum Tod der Galionsfigur führ te. Ebenso würde der Treffer aus einem Pro jektorgeschütz wirken. Atlan ließ sauerstoff reichere Luft in seine Lungen strömen und atmete tief ein und aus. Schließlich konnte er erschöpft sagen: »Ein Schmerz, der mich fast besinnungs los machte. Vielleicht überstehe ich noch einen zweiten Versuch, aber keinen dritten mehr.« Einer der Noots gab zurück: »Wir haben deinen Schrei gehört. Ich weigere mich, dich einer noch größeren Ge fahr auszusetzen.« »Ich bin derselben Auffassung«, sagte Cembergall-Flyrt hart. »Kein weiterer Ver such mehr. Wir bringen dich auf diese Wei se um.« »Das wäre vielleicht die beste Lösung«, sagte Atlan. »Wir verlassen diesen schreck lichen Planeten.« »Möglicherweise gibt es an anderer Stelle für dich schnellere Hilfe. Diejenigen, die Or
28 ganschiffe bauen, müssen doch wissen, wie Galionsfiguren lebend aus ihrem System be freit werden können.« »Wenn du wüßtest!« stöhnte Atlan. Er setzte das Vorhaben, das seit geraumer Zeit in ihm schlummerte, sofort in die Tat um. Die DARIEN kappte die Verbindungs taue und zog die Trossen ein. Dann sprangen die Maschinen des Antriebs an und rissen das Organschiff aus der orbitalen Bahn um Trimor heraus und in eine Gerade, die zu den fernen Lichtpunkten führte. Die Sonne des Systems glitt seitlich zurück, das Schiff wurde schneller. Atlan sagte knurrend: »Werft noch einen letzten Blick auf die Bildschirme. Ihr seht den sterbenden Plane ten vielleicht nicht wieder.« »Danke.« Atlan handelte und schaltete automatisch. Während der Planet unter ihnen zu schrump fen begann, überfiel ihn eine neue, starke Welle von Verzweiflung und Selbstmitleid. Er korrigierte den Kurs des Schiffes und ra ste auf die Sonne zu. Die psychische Krise packte ihn. Während die letzten Schmerzen verebbten, sah er ein, daß er verloren war. Eine unendlich lange Zeit körperlicher und seelischer Qualen lag ohne Zweifel vor ihm. Er wollte so nicht mehr weiter existieren. Das Leuchten der Sonne blendete ihn – er würde das Schiff und alles in die Sonne steuern und seinem Zustand ein Ende berei ten. Je greller die Strahlen wurden, desto mehr wuchs seine Überzeugung, daß dieser Frei tod seine Sorgen ein für allemal beenden würde. Er ersparte ihm, ein beklagenswertes Leben in Sklaverei und Abhängigkeit von Zufällen führen zu müssen. Die Sonne wuchs direkt voraus. Die Noots würden es nicht merken. Sie waren dabei, die Verkleidung wieder halb provisorisch anzubringen. Plötzlich spürte Atlan hinter sich undeutliche Bewegungen. Der würfelförmige Kobold von Noder sprang aufgeregt von seinem Paneel und be gann zu schreien.
Hans Kneifel »Dieser Verrückte im goldenen Anzug! Er will uns umbringen. Tue etwas, Cember gall, und steh hier nicht so schweigend und gebannt herum!« Wieder stimmte das rote Wesen das Ge lächter an, das in Atlans Ohren zu widerhal len schien: das donnernde Lachen Grider sold-Herps. Die Lautsprecher im Schiff be gannen zu klirren. Die Noots flüchteten er schreckt in ihre Kabinen und glaubten sich für kurze Zeit in ihr Bunkersystem versetzt. Cembergall-Flyrt sagte laut: »Du gibst auf, Atlan?« Für einen Moment öffnete Atlan seine Augen. Das Gelächter hatte ihn aus seiner Versunkenheit gerissen. Das Licht war zu grell. Er änderte den Kurs des Organschiffs, bis die Sonne seitlich stand. »Ich war nahe daran«, gab er zu. Ruhig sprach der Noot weiter. »Vielleicht gelingt es mir, dich ein wenig aufzumuntern. Oder dir wenigstens zu sa gen, daß diese Lösung dir auch die letzten Chancen verdirbt. Du selbst hast zu mir ge sagt, daß das Leben eine ständig steigende und fallende Kurve beschreibt. Im Moment bist du ganz unten. Vielleicht ändert sich al les schon bald zu unserem Vorteil – so lange solltest du warten.« »Vermutlich hast du recht«, murmelte der Arkonide. »Jedenfalls führt uns unser Flug jetzt in ganz andere, nie gesehene Bereiche des Marantroner-Reviers. Es ist mein Ziel, mich entweder umzubringen oder aus mei ner Lage das Beste zu machen. Jedenfalls es zu versuchen.« »Ich freue mich, daß du so sprichst«, meinte Cembergall. »Du willst zum Rand der Sterne?« »Etwas scheint mich dorthin zu ziehen«, bekannte die Galionsfigur. »Ich weiß nicht genau, was es ist. Ein Gedanke, ein Traum oder eine Botschaft aus der Ferne.« Nach einer Weile, in der er die neu ent standene Situation überdachte, richtete der junge Noot wieder das Wort an Atlan. »Die anderen Noots kosten jede Minute ihres neu geschenkten Lebens voll aus. Sie
Piraten zwischen den Sternen werden jeden Befehl ihres Retters befolgen. Du bist ihr Retter, und etwas davon fällt auch auf mich zurück. Ich selbst weiß nicht recht, was ich davon halten soll. Einerseits sehne ich mich in die Ruhe von DanjitterTal zurück, andererseits habe ich das freie Leben zwischen den Planeten, Monden und Sternen auch schätzen gelernt.« »Wähle dein eigenes Ziel, Freund Atlan. Wir fliegen mit dir, wo es auch immer lie gen mag.« »Er spricht würdevoll und voller Ver ständnis«, schrie der Kleine. »Jetzt ist das Schiff schon zweimal von uns gerettet wor den, Flyrt!« Atlan führte alle nötigen Schaltungen durch, die das Schiff aus diesem Bereich des Reviers zu einem Punkt bringen würden, der zwischen den letzten Randsonnen der Ster neninsel und dem anscheinend weitestge hend leeren Raum vor der Kernmasse der Schwarzen Galaxis lag. Seit dem Moment, an dem dieser sein Entschluß feststand, wurde seine »innere Stimme« deutlicher. Er ahnte, daß sie ihn führen konnte. Jedenfalls klammerte er sich an diese Idee. Diese Stimme war nicht zu vergleichen mit den präzisen Aussagen sei nes Extrasinns. Aber vielleicht hatte er einen Planeten gefunden, wenn sie endlich nicht mehr flüsterte und drängte. »Und vielleicht entdecke ich etwas, das nicht nur uns, sondern auch Pthor hilft«, meinte Atlan. »Beinahe wäre es ein Toten schiff geworden.« »Noch lange nicht, glaube mir!« tröstete ihn Cembergall-Flyrt. Atlan hatte aus den Speichern der DARI EN einen Planeten herausgesucht, der zwar von Scuddamoren besucht wurde, aber kei nen ihrer Stützpunkte beherbergte. Anderer seits sagte er sich, daß diese Information keineswegs richtig zu sein brauchte, denn inzwischen gab es nichts Negatives, das er den Scuddamoren nicht zutraute. Wieder schaltete Atlan Ortung und Funkempfänger auf größte Empfangsempfindlichkeit und versuchte, innerlich zur Ruhe zu kommen.
29 Es gelang ihm nur sehr unvollkommen.
* Unbestimmte Zeit und eine Reihe Licht jahre nach dem Beginn des neuen Flugab schnittes weckte ein Noot, dessen Namen Atlan nicht kannte, ihn auf. Der junge Echsenabkömmling blieb zö gernd im Schott zwischen Kanzel und Schiff stehen und sagte leise, fast stockend: »Ich komme aus dem Kielraum des Schif fes.« Sein Tonfall alarmierte Atlan augenblick lich. Die Galionsfigur schreckte auf und empfand sofort, daß etwas in diesem Schiff nicht stimmte. Schnelle Blicke auf die In strumente ergaben keinerlei aufregende Werte. »Ja? Du scheinst etwas gesehen oder er lebt zu haben, das sich nicht erklären läßt?« erkundigte sich Atlan. Noch identifizierte er den Zwischenfall nicht mit Gefahr. »Die Wand und der Boden, Galionsfi gur«, sagte der Noot mit rauher Stimme. »Sie bewegten sich.« »Welcher Raum – genau?« fragte Atlan und versuchte, das betreffende Linsensystem einzuschalten. Aber es gehörte zu jenen Tei len, die von den Noots beim ersten Ret tungsversuch abgeklemmt oder zerschnitten worden waren. Der Noot schilderte ihm, daß es ein lang gestreckter Raum voller zylindrischer Tanks war, in dessen Boden und Decke sich die Befestigungen für Teile der Energieerzeuger befanden. Dann sagte er, daß plötzlich Teile der glatten Masse sich bewegt hätten. Die Organmasse schrumpfte, sagte sich Atlan und war bemüht, sowohl seine eigene Panik zu unterdrücken als auch den Noot zu beschwichtigen. Ausgerechnet jetzt, da er sich entschlossen hatte, die DARIEN als In strument für sein Weiterleben zu verwen den! »Du mußt wissen«, begann er, »daß zwi schen dem Metallgerüst des Schiffes und den meisten anderen Teilen eine Art Sym
30 biose besteht. Vermutlich ist das, was du ge sehen hast, ein Alterungsprozeß. An wieviel Stellen schrumpften die Flächen um die Ver strebungen?« »Ich habe zwei Stellen sehen können. Aber als ich wegging, war die Bewegung vorbei. Nur die Wände … sie sind dünn ge worden wie Glas oder ein Gespinst.« »Auch eine Außenwand?« »Nein. Nur zwischen einzelnen Kammern des Schiffes.« »Es gibt ein paar solcher Stellen im Schiff. Sie haben nichts zu tun mit der Si cherheit an Bord«, antwortete Atlan und wünschte sich, er selbst könnte glauben, was er sagte. Die Symbiose oder die seltsamen Beziehungen zwischen Steuermann und Or ganschiff schienen noch intensiver zu sein, noch enger, als Atlan je bewußt gedacht hat te. Der Noot war noch immer nicht beruhigt; seine Nervosität würde die anderen an stecken. »Können wir also beruhigt leben? Oder müssen wir alle immer die Raumanzüge tra gen? Bist du sicher, daß sich das Schiff nicht aufzulösen beginnt?« Atlan hob, so weit es ihm die Sensoren er laubten, die Schultern. Die Stacheln des Goldenen Vlieses bewegten sich. »Ich bin mit jeder Faser des Schiffes ver bunden. Ich würde es merken, wenn sich das Schiff auflösen würde«, log er. »Das ist nicht der Fall. Falls es geschehen sollte, woran ich zweifle, können wir auf jeden Fall noch einen Planeten anfliegen und landen. Und, falls das Schiff zerfällt, ist es vielleicht die Lösung meiner eigenen Probleme.« »Du hast recht. Weil wir dir vertrauen, kam ich zuerst zu dir«, sagte der Noot. »Danke.« »Für Dank gibt es wenige Ursachen!« schloß Atlan und sah in der reflektierenden Fläche eines ausgeschalteten Bildschirms, daß der Noot die Kanzel verließ. Schlagartig kamen alle Zweifel und Äng ste zurück. Fiel das Schiff auseinander, ver schlimmerte sich sein Befinden. Griffen ihn Depressionen an, so lockerte sich die Kraft,
Hans Kneifel die Metall und Organmasse scheinbar unauf löslich zusammenhielt. »Das bedeutet«, flüsterte er in panischem Schrecken, »daß ich es schaffen muß, bis zum Ende dieses Schiffes gute Laune zu be halten. Keine Krise, kein Anfall von Nieder geschlagenheit, stets ruhig, souverän und ausgeglichen. Das schaffe ich nicht.« »In dem Moment«, sagte plötzlich Gink Nik Meus von seinem Paneel aus, »in dem du einen intensiven Gedanken an Untergang hast, lockert sich irgendwo der Organver band. So ist es und nicht anders.« Atlan vergewisserte sich, daß die Laut sprecher und Mikrophone nicht eingeschal tet waren und fragte zurück: »Wie kann ich meine ureigenen Gedan ken vor dem Schiff verbergen?« »Da das unmöglich sein dürfte, armer Mann im Goldenen Vlies«, lautete die Erwi derung, »schlage ich vor, keine Gedanken zu haben.« »Das wiederum bedeutet, daß ich mich ununterbrochen beschäftigen muß und keine Sekunde lang wirklich nachdenken darf.« »Ich fürchte, genau das bedeutet es für dich. Ich werde versuchen, dir zu helfen. Du weißt, daß diese Erkenntnis für Schiff und Mannschaft nur eine einzige Bedeutung ha ben kann?« Niemals hatte Atlan Grund gehabt, an der Intelligenz des passiv lebenden Noders zu zweifeln. Auch jetzt mußte er merken, daß Gink genau die richtigen Schlußfolgerungen gezogen hatte. »Unser Flug endet früher, als wir es uns vorgestellt haben«, antwortete die Galionsfi gur und schaltete augenblicklich die Spei cherinformationen über Sterne und Planeten ein. Sofort erhellten sich drei Bildschirme und gaben verschiedenartige Sammlungen von Texten, Formeln und Bildern frei. Das war nicht nur ein Mittel zur Information. Es war für Atlan eine der wenigen Möglichkeiten, die er noch hatte. Er mußte versuchen, die Auflösungserscheinungen der DARIEN so lange wie nur irgend möglich hinauszuzö
Piraten zwischen den Sternen gern. Jetzt rächte sich der Umstand, den er bisher stets als persönlichen Vorteil betrach tet hatte: Der Zellschwingungsaktivator und das Goldene Vlies machten ihn weitaus unab hängiger und auf makabre Art »freier«, als es je eine andere Galionsfigur gewesen war. Aber was war dann aus jenen Galionsfi guren und Schiffen geworden, die mit der Großen Plejade der Krejoden von Xudon zu tun gehabt hatten? Wie hatten sie trotz ihrer »Freiheit« wei ter existieren können?
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kontrollierte, hörte er mit halbem Ohr einen Namen. Es schien der Name eines Organ schiffs zu sein. WARQUIENT. Atlan registrierte in dem seinen Instru menten und Sensoren zugänglichen Teil des Schiffes, daß andere Teile der DARIEN sich zu verändern begannen. Eine Blase hier, ein Riß dort, und an vier weiteren Stellen die ty pischen Schrumpfprozesse der Organmasse in der Nähe von sich kreuzenden Trägern, Spanten und Stringern. Irgendwo vor ihnen schien ein Raum schiff in Gefahr zu sein. Denn jetzt hörte At lan deutlich: »Ich rufe die Wachflotte!« * Derjenige, der funkte, schien unter außer Gedanken an Terra, an Rhodan und die gewöhnlicher Nervenanspannung zu stehen. Freunde. Erinnerungen an die Abenteuer Vielleicht war es auch eine Galionsfigur, die auf Pthor-Atlantis. Die toten und lebenden Schwierigkeiten hatte. Atlan kontrollierte Gefährten zahlloser Kämpfe und Abenteuer. die DARIEN weiter und hörte zu. Bizarre Landschaften, exotische Wesen, eine »Hier spricht Peleff, der Valvke. Ich war Kette von Gestalten in allen Formen und ein Vertrauter des Neffen Duuhl Larx und Farben. Abenteuer der Sinne, der Erinne wurde von diesem zum Tode verurteilt.« rungen und der Imaginationskraft. Hoffnun Atlan war wie elektrisiert. Zunächst gen und Pläne, Sehnsüchte und Träume. glaubte er nicht, was er einwandfrei hören Und immer wieder der archaische Drang, und verstehen konnte. Aber der Fremde – alle Fesseln zu zerreißen und zu flüchten. was war ein Valvke? – klang überzeugend. Es hätte der kämpferischen Wut und des Noch ein neuer, rätselhafter Mosaikstein in Einfallsreichtums eines Razamon bedurft, einem unbekannten Bild. Die Problematik um Atlan zu helfen. zwischen den Neffen, besonders zwischen Wo war Razamon? Chirmor Flog und Duuhl Larx, war ihm be Wo waren alle anderen Gestalten aus der kannt; einst sollte er zum Spion gegen Larx Vergangenheit … Dutzende, Hunderte oder ausgebildet werden … vergeblich. Die näch Tausende? sten Worte der ausgestrahlten Funkbotschaft Die Galionsfigur erwachte. trafen ihn noch stärker. Es war nur ein kurzer, tiefer Schlaf gewe »… aber es gelang mir, zu fliehen. Ich sen. Sekundenlang wirbelten noch die Fet bringe wichtige Nachrichten für Chirmor zen des schweißtreibenden Alptraums durch Flog. Aber ich habe nicht mehr viel Zeit. Atlans Gedanken. Dann begriff er, daß zwei Gebt diese Botschaft sofort an euren Herrn verschiedene Umstände ihn geweckt hatten. weiter. Er wird wissen, wie dringend ich sei Der Funkverkehr nahm zu, einige Schiffe ne Hilfe brauche.« funkten überaus deutlich auf den stehenden Atlans wirbelnde Gedanken wurden noch Trägerwellen. Und das Schiff war in einer einmal geschockt, als er den unmittelbar auf Zone voller Sonnen; unweit des von Atlan die letzten Worte folgenden lauten Aufruf gewählten Zieles am Rand des Sternenhau hörte. Die Stimme erkannte er sofort. fens. »Ausschalten!« schrie jemand. »Dlallau! Während Atlan aus Überlebensnotwen Unterbrich diese Verbindung.« digkeit heraus die Funktionen des Schiffes Diese Stimme gehörte unzweifelhaft dem
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Berserker Razamon! Die andere Stimme er Punkt zubewegten, der die WARQUIENT widerte nach einer kurzen Weile: darstellte, konnte Atlan identifizieren. »Zu spät.« Pause. »Chirmor Flog wird »Wir werden das Rennen verlieren!« sag nicht zögern, seine beste Flotte herzu te Flyrt matt. »Außerdem haben wir mit un schicken. Du hast das Spiel verloren, Ptho seren elf Männern und den paar Strahlern rer.« wirklich keine Chance gegen Riesenschiffe »Warten wir ab«, antwortete Razamon der Wachflotte.« kühl. »Noch ist nichts entschieden.« »Ich versuche es trotzdem.« Das Funkgespräch riß ab. »Funke nicht. Hör zu«, schrie aufgeregt »Razamon!« stöhnte Atlan auf. »In er der Noder und sprang auf blitzschnell ausge reichbarer Nähe.« fahrenen Beinen auf und nieder wie eine Ohne zu zögern, riß er das Organschiff in Spiralfeder. »Sie werden den Fremden erwi eine Kurve und nahm eine noch genauere schen und dann Jagd auf uns machen. Hast Funkpeilung vor. Die Werte des ersten Ru du dich dafür so gequält, Atlan?« fes waren gespeichert worden. Sicher war Atlan murmelte düster und resignierend: das Schiff aus einem Revier ins andere ge »Der einzige, der in diesem verdammten flogen, befand sich also im Einflug ins Ma Organschiff nicht recht hat, bin seit gerau rantroner-Revier und somit in den Einfluß mer Zeit ich. Abermals eine niederdrücken bereich Chirmor Flogs und seiner Scudda de Einsicht. Aber eure Argumente sind rich moren. Razamon, der Berserker! Er kam von tig.« Duuhl Larx! Unfaßbar! Atlan hörte den Funkverkehr zwischen Die DARIEN gehorchte noch immer ih den Schiffen der Wachflotte und anderen rem Steuermann. Ihre wichtigen Systeme Einheiten, die sich in diese Auseinanderset hatten sich nicht aus der Symbiose gelöst. zung einschalteten. Die Kommandos der Sofort nahm das Organschiff Kurs auf die Verständigung zwischen mindestens sieben Stelle, an der sich die WARQUIENT be Scuddamorenschiffen waren knapp und von fand. Natürlich würden auch die Schiffe der militärischer Präzision, in verschiedenen Se Wachflotte heranrasen, so schnell sie konn quenzen sogar verschlüsselt. ten. Atlan forschte in einer Informationsspei Ein Schiff, das, aus welchen Umständen cher-Unterabteilung nach, fand aber keine auch immer, aus dem RghulRevier kam, war Möglichkeit, die chiffrierten oder verzerrten wichtiger als die Verfolgung von Piraten Botschaften zu dekodieren. Dieses Intermez oder deren verschwundenem Schiff. zo hielt ihn nur wenige Sekunden auf. Atlan weckte Cembergall-Flyrt und bat »Wie sieht es aus?« wollte Flyrt wissen. ihn in die Kanzel. Augenblicke später er »Wie lange kennst du Razamon?« schien der Noot, diesmal ohne Raumanzug. »Eine Ewigkeit. Ich machte, ohne es je »Es scheint dringend zu sein, Atlan?« mals zu wissen, seine Bekanntschaft wohl fragte er ohne Umschweife. schon in einer Zeit und an einem Ort, der so Atlan berichtete ihm so kurz wie möglich, weit in der Vergangenheit liegt, daß es mehr was es mit Razamon auf sich hatte, und daß eine Sage als eine Tatsache ist. Wir haben dieser Freund, wenn sie ihm aus der WAR uns gegenseitig Dutzende Male das Leben QUIENT heraushelfen konnten, die einzige gerettet. Dies geschah auf Pthor, einer Welt, Rettungsmöglichkeit bedeutete. Sofort die auch von den Herrschern der Schwarzen stimmte Cembergall zu; es tat Atlan wohl, Galaxis versklavt war und abermals ver eine solch spontane Hilfsbereitschaft zu er sklavt werden soll.« leben. Aber schon zeigten sich auf den »Ich kenne dies alles nicht. Meine Erfah Schirmen der Fernortung die ersten Echos. rung ist eingeschränkt, wie du weißt. Aber Mindestens drei Schiffe, die sich auf den ich kann dich hundertprozentig verstehen«,
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gab Cembergall zurück. Chirmor Flog konnte gar nicht anders Der Noder rief dazwischen: handeln. »Aber nur dann, wenn sich unsere Gali Vielleicht erfolgte dieser Transport auf onsfigur klug zurückhält und nicht mehr ris Umwegen, damit die Besatzung gebührend kiert, als das Schiff aushält. Viel wird es getestet und ihre Aussagen auf Wahrheitsge nicht mehr sein, meine ich.« halt überprüft werden konnten. Aber Chirm »Ich bin nicht mehr lebensmüde!« versi or würde es sich nicht nehmen lassen, direk cherte ihm Atlan. »Ich greife nur ein, wenn te Informationen über seinen unmittelbaren es eine reelle Chance gibt.« Konkurrenten zu erhalten. Wieder meldete sich jemand aus der »Ich habe Säggallo zu früh verlassen«, WARQUIENT. Mehrere Echos waren dem sagte Atlan laut. »Wenn ich gewußt hätte, fremden Schiff so nahe gekommen, daß es daß ich dort mit Razamon … aber das ist al schon einer Umzingelung gleichkam. Wie les Unsinn. Was jetzt?« der fühlte Atlan einen fast körperlichen Razamon war verschwunden gewesen. Schmerz, als er Razamons Stimme hörte. Jetzt tauchte er, aus dem Rghul-Revier »Mein Name ist Razamon«, sagte er, wohl kommend, hier auf. Und die Art und Weise, wie dies vor sich ging, konnte nur als ge als Antwort auf eine Frage, die auf einer an deren Frequenz gesendet worden war. heimnisvoll bezeichnet werden. Atlan kann te den Berserker. Zweifellos verfolgte Raza »Gemeinsam mit dem Valvken konnte ich mon seine eigenen Pläne. In Unternehmun von Cagendar entkommen.« Atlan speicherte auch diese Information gen dieser Art war er geschult. in seinem Gedächtnis und hörte gebannt zu. Ahnte Razamon etwas? Razamon ahnte nicht einmal, wie nahe sie Ahnte er, daß sich Atlan hier aufhielt? Durchaus möglich, sogar sehr wahrschein einander waren. »Auch ich war ein Vertrauter des Neffen lich. Sonst würde er nicht im Marantroner-Re Duuhl Larx. Peleff, der Valvke, ist tot. Die vier auftauchen. Atlans Hoffnungen waren Rache des Neffen traf ihn, obwohl wir uns neu erwacht. Gleichzeitig fürchtete er, daß bereits sicher vor ihm glaubten.« dieser Stimmungsumschwung sich negativ Sekundenlang schwieg er, dann schloß er auf die Organmasse auswirken konnte. den Funkspruch ab. Zuerst war er der inneren Stimme gefolgt. Sie hatte ihn hierher gelotst, bildete er sich »Ich bitte euch, mich zu Chirmor Flog zu jedenfalls ein. bringen.« Diesmal sendete eines der ScuddamorenHier erfuhr er von der Ankunft des Freun Schiffe im Klartext, verständlich für alle des. Schiffe in weitem Umkreis. Und jetzt? Wie konnte er an Razamon herankommen? Ganz sicher, indem er das »Ergebt euch. Beim ersten Zeichen von Schiff nach Säggallo zurücksteuerte. Oder er Gegenwehr werden wir die WARQUIENT vernichten. Bereitet euch darauf vor, ein folgte der WARQUIENT mit ihrem Scudda Scuddamoren-Kommando an Bord zu neh moren-Prisenkommando. Zuvor aber schwor men.« er sich – bevor er sich anschickte, wieder ins Dann: Stille. Zentrum der Macht vorzudringen –, Cem bergall-Flyrt und seine Kameraden an einem Atlan änderte den Kurs des Organschiffs nicht. Er war zu weit entfernt, um etwas für Ort abzusetzen, der ihnen alle Chancen bot. Razamon tun zu können. Er hielt es für »Ja, was jetzt?« fragte auch Flyrt ratlos. wahrscheinlich, daß nicht nur Razamon, »Es stehen verschiedene Möglichkeiten zur Debatte«, erklärte Atlan und zählte sie sondern auch die gesamte Besatzung der WARQUIENT und auch das Schiff nach auf. »Welche ziehst du vor?« Säggallo gebracht werden würden. Ohne zu zögern, entgegnete der Noot:
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»Ich möchte zurück nach Xudon.« »Und deine Kameraden von Trimor?« »Ich werde sie befragen. Was hast du un mittelbar vor? Willst du noch immer gegen die Schiffe der Wachflotte kämpfen?« Obwohl sich das Geschehen in weiter Entfernung abspielte, war zu sehen, daß eine ziemlich große Flotte die WARQUIENT umgab. Alle anderen Schiffe schienen die sen Teil des Reviers zu meiden. Auch Atlan änderte wieder den Kurs des eigenen Schif fes. »Ich folge zunächst dem fremden Schiff. Vielleicht ergibt sich eine Gelegenheit. Dann arbeite ich einen Kurs nach Xudon aus, Cembergall!« »Darauf freue ich mich am meisten.« Die Zeit verging jetzt schneller. Atlans depressive Grundstimmung war wie wegge wischt. Mißtrauisch kontrollierte er den Zer fall des Schiffes. Aber noch zeigten sich kei ne dramatischen Veränderungen. Es war wie ein Seeschiff, das vom Rost zerfressen wur de; ein Zustand, der sich nur langsam ver schlimmerte und das Schiff noch lange Jahre gebrauchsfähig beließ. Drei Tage lang folgte Atlan dem Schiffsverband, aber es gab keine noch so geringe Chance, sich Razamon zu nähern. Und aus Angst vor Entdeckung wagte er auch nicht, eine Funkbotschaft ab zustrahlen. Die Scuddamoren würden ohnehin dafür sorgen, daß Razamon und seine Crew sie nicht hören konnten.
5. Cembergall-Flyrt, zwei andere Noots und Atlan blickten auf den Ortungsschirm direkt vor ihnen. Die Wiedergabe des hochemp findlichen Instruments war auf schärfste Vergrößerung geschaltet. Trotzdem waren die Echos kaum mehr zu erkennen und wur den von Sekunde zu Sekunde schwächer. »Es ist sinnlos geworden«, meinte Atlan. »Die Scuddamoren lassen kein Schiff an die WARQUIENT heran. Wir müßten sie durch das gesamte Marantroner-Revier verfolgen.«
»Es tut mir leid um Razamon«, erklärte Cembergall und legte seine Hand auf Atlans Schulter. Die scharfen Krallen kratzten über die Glieder des Goldenen Vlieses. »Ich hätte uns gewünscht, ihn zu treffen. Fliegst du jetzt in Richtung auf Xudon?« Atlan nickte schwach. »Ich habe es euch versprochen. Aber ich werde euch vermissen. Niemand ist da, der mir sagt, was zu tun ist.« »Du hast zumindest noch Gink. Falls wir jemals dieses Ziel erreichen«, meinte einer der Noots. Atlan hatte die Koordinaten von Xudon bereits herausgesucht und schlug jetzt den direkten Kurs dorthin ein. Das Organschiff wurde wieder schneller und verließ diesen Teil einer viel beflogenen Route. Die Ein samkeit des offenen Weltraums umgab sie binnen kurzer Zeit. Das Leben an Bord ver lor auch den letzten interessanten Impuls und wurde ein wenig langweilig. Niemand dachte mehr daran, einen Versuch zu unter nehmen, der die Galionsfigur befreien konn te. Die Erfahrungen hatten ihnen genügt. Atlan glaubte, in der errechneten Zeit von einigen Tagen Xudon erreichen zu können. Die innere Stimme schwieg meistens, und wenn sie ihn ansprach, zog sie ihn wieder hinaus zum Rand des Reviers. Er würde der Stimme folgen, wenn er die Noots abgesetzt hatte und das Schiff noch gebrauchsfähig war. Seltsam, dachte er bei sich, daß ich keine Angst mehr habe. Seit ich von Razamon ge hört habe, bin ich wieder voller Entschluß kraft. Trotzdem traf ihn die Einsicht, dem Freund nicht helfen zu können, schwer. Sei ne Enttäuschung war abgrundtief gewesen, als die letzten Spuren der Ortungsechos end gültig von den Schirmen verschwunden wa ren. »Wir werden jedes Ziel erreichen«, ver suchte Cembergall ihn zu motivieren, »das wir wirklich erreichen wollen.« »An mir liegt es nicht«, schränkte Atlan
Piraten zwischen den Sternen ein. »Aber ich habe ein Gefühl, das nichts Gutes verheißt.« »Wieviel Tage, schätzt du, brauchen wir bis Xudon?« wollte Cembergall wissen. »Etwa sieben Tage, wenn nichts dazwi schenkommt«, erklärte die Galionsfigur. »Und auch auf Xudon kann ich nicht blei ben, denn auch dort wird mich niemand aus dem Schiff befreien können.« »Vielleicht kommt alles anders, als wir glauben«, sagte der andere Noot. »Ich über lege mir, ob ich an Bord bleiben soll. Soviel Abenteuer kann ich an anderer Stelle nicht erleben.« »Du weißt nicht, wovon du redest«, wies ihn Atlan zurecht. Dreimal binnen weniger Stunden hatte er einen Schaden im Schiff registriert. Ganze Wände waren verschwunden und hatten sich in Form von dünnen, weißen Gespinstfäden um die stählernen Träger gelegt. In einigen Teilen höhlte sich die DARIEN selbst förm lich aus. Noch waren keine wirklich ent scheidenden Teile betroffen, aber schon die nächste Störung konnte die Steuerung, die Maschinen oder die Energieerzeugung lahm legen und das Schiff zum Tod verurteilen wie jene Wracks im Orbit um Trimor. »Ich bin müde«, sagte Cembergall. »Du wirst mich wecken, wenn es etwas Neues gibt, Atlan?« »Darauf kannst du dich verlassen. Kurs nach Xudon, Kapitän?« »Wie wir es diskutiert haben. Kurs auf DanjitterTal, auf den offenen Markt zwi schen den Marmorbergen.« »Wird ausgeführt.« Atlan blieb allein zurück. Um nicht wie der in trübsinnige Gedanken zu verfallen, beschäftigte er sich erneut mit dem Inhalt der Informationsspeicher. Er versuchte, In formationen über Haltbarkeit, Reparatur möglichkeiten und redundante Systeme von Organschiffen zu finden. Es gab keinerlei Hinweise, wo immer er suchte. Die Galions figur war Teil einer Maschine, und als sol cher standen ihr nur beschränkt Kenntnisse und Wissen zu. Eben nur die Menge, die
35 ausreichte, das Schiff nach Befehlen perfekt zu steuern. Er konnte es nicht verhindern, daß seine Gedanken und seine Stimmung immer wie der dem Tiefpunkt zufielen. Er bemühte sich wirklich, innerlich ausge glichen zu sein. Aber je mehr er abzuschal ten und sich abzulenken versuchte, desto häufiger wurden die Momente der Traurig keit und der Verzweiflung. Jedesmal reagierte das Schiff! Hier riß ein Schott auseinander. Nur die metallischen Teile blieben erhalten und sa hen wie groteske Spinnennetze aus. Ein Deck brach herunter. Die Abfälle und die Beutestücke der toten Piraten hagelten sie ben Meter tiefer auf den Boden und zertrüm merten andere, wertvolle Einrichtungen. Die Zerstörungen traten nicht gezielt oder erre chenbar auf, sondern zufällig, keinem festen Schema folgend. Es war ein tödlicher Kreis. Je mehr die Adhäsion zwischen organi scher Masse und Metall schwand, desto auf geregter und panischer reagierte Atlan in seinen Versuchen, sich abzulenken. Er zog alle Register seiner Möglichkeiten. Aber sie schienen keinen Einfluß auf die fortschrei tende Auflösung zu haben. Schließlich lag Atlan nach knapp drei Ta gen Flugzeit zitternd und voller nackter Furcht in seinem Sitz und stöhnte auf. »Gink Nik. Ich kann nicht mehr!« In aufreizend langsamen Bewegungen entwickelte der Noder vier lange Gliedma ßen und schob seine Augen aus dem Fell hervor. Er musterte Atlan schweigend und sagte dann: »Ich sehe ein, daß deine Lage schwierig ist. Dadurch wird auch unser Zustand mehr als bedenklich.« »Soll ich den Noots die Wahrheit sagen? Ich weiß nicht, wie lange wir uns noch im Raum bewegen können!« »Wie weit ist Xudon entfernt? Es versprä che eine sichere Landung und angenehme Umstände danach.« »Wir brauchen noch dreieinhalb Tage. Ich
36 habe zehnmal nachgerechnet. Das ist der günstigste Wert.« Wieder begannen die Speicher auf Kom mando Daten und Informationen zu liefern. Die Beschreibungen der nächstgelegenen Sonnensysteme tauchten auf. Es gab nur we nige Planeten, auf denen eine Landung für Schiff und Mannschaft Überlebensmöglich keiten versprach. Auch konnte Atlan keine Siedlungen zivilisierter Mitglieder der Völ kerfamilie des Reviers in den Verzeichnis sen finden. »Schaffen wir die dreieinhalb Tage noch?« fragte Gink Nik aufgeregt. »Ich weiß es nicht.« Atlan fror plötzlich. Seit einiger Zeit plag te ihn ein starkes Hungergefühl. Auch der Durst nahm zu. Er vermochte das Lebenser haltungssystem nicht zu beeinflussen. Die Sensoren ermittelten, was er zum Wohlbe finden brauchte, und dies wurde ihm gelie fert, ohne daß er zu kauen oder zu schlucken brauchte. Es gab weder Beruhigungsmittel für seinen Kreislauf noch jenes Mittel, das den Juckreiz auf seiner Haut unterdrückte. »Rufe Cembergall, wenn du einen Plane ten gefunden hast«, schlug der Noder vor. »Keiner von uns kennt diesen Teil des Welt raums. Aber wenn du das Schiff solange hal ten könntest, daß wir einen Stützpunkt errei chen, überleben wir alle.« »Ich versuche es auf alle Fälle!« murmel te Atlan und durchforschte die Kartei der möglichen Welten. »Es muß ein Sauerstoff planet sein.« »Ich kann keinen finden.« Atlan konstruierte einen theoretischen Kurs, der ohne große Verzögerung an Wel ten beziehungsweise Sonnensystemen vor beiführte, die als Rettungsmöglichkeit die nen konnten. Aber keiner der ermittelten Punkte entsprach den Erfordernissen. Es gab weder Scuddamorenstützpunkte noch Han delswelten, weder irgendwelche Kolonien oder Plätze, auf denen ein Raumschiff ver sorgt werden konnte. Eiswelten, Wüstenpla neten, Körper mit Giftatmosphären … das gesamte Spektrum aller denkbaren Planeten lag auf dem neuen Kurs, nur kein Sauer-
Hans Kneifel stoffplanet mit einer Siedlung. Schließlich fand Atlan den Planeten D'sarc III. Es war ein Sauerstoffplanet. Vor vielen Jahrzehnten, lautete die Beschreibung, hatte es drei Städte gegeben. Die Lage der aufge gebenen Siedlungen war angegeben. Den Grund, weswegen sich die gemischten Popu lationen zurückgezogen hatten, erfuhr die Galionsfigur nicht. Aber es führte an diesem Planeten eine Handelsroute vorbei, und er war reichlich zwei Tage entfernt. Atlan steigerte die Geschwindigkeit des Schiffes um einige Prozent und rief Cember gall-Flyrt in die Kanzel. Während er wartete, untersuchte er das Schiff von vorn bis hinten. Die Zerstörungen schritten unaufhaltsam fort. Eine Wand des Hauptkorridors schrumpfte. Das Organmate rial schmolz dahin wie Fett in vulkanischer Hitze. Leitungen verloren ihre Isolierung. Die hintere Schleuse war wertlos geworden und ließ sich nicht mehr öffnen oder schlie ßen. »Ich sehe an deinem Gesicht, daß wir ein Wettrennen mit der Zerstörung eingehen werden«, fragte der Noder. Atlan rechnete mehrmals den Kurs nach D'sarc III nach und richtete die Kanzel der DARIEN genau auf das betreffende Sonnen system. Die Geschwindigkeit ließ sich noch um drei Prozent steigern. Er holte die letzten Reserven aus den Antriebsmaschinen heraus und hoffte, daß wenigstens diese Blöcke und Aggregate sich in den stählernen Verstre bungen halten würden. »Es wird ein Wettlauf mit dem Tod!« er widerte Atlan. »Ich weiß es, weil ich es füh le. Flyrt! Ich habe dir und deinen Kameraden eine gräßliche Mitteilung zu machen.« Der Noot setzte sich neben Atlan auf den Boden, zog die stämmigen Knie an und stützte sich auf seinen Schwanzrest. Sein Echsenmund verzog sich zu einem resignie renden Lächeln. Inzwischen hatte Atlan die Mimik der Echsenwesen deuten gelernt. Das Rauchhorn begann zu zittern. »Zieht die Raumanzüge an«, sagte Atlan
Piraten zwischen den Sternen ohne Umschweife. »Ich bin eine schlechte, unausgeglichene Galionsfigur, deren seeli scher Zustand das Schiff zerstört.« Das Lebenserhaltungssystem lieferte plötzlich eine Menge überflüssiger Hitze. Sekunden später war Atlan schweißgebadet und hatte keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Gleichzeitig wurde sein Organis mus mit Nährflüssigkeit förmlich über schwemmt. »Wir sind also in Gefahr?« fragte der Noot überraschend ruhig. »Ich habe einige der Zerstörungen gesehen.« Atlan sagte: »Ich berichte die Wahrheit. Außerdem kann eine Galionsfigur den Kommandierenden nicht belügen. D'sarc III ist zwei Tage entfernt. Nach Xudon sind es eineinhalb Ta ge länger. Ich werde den kleinen Sauerstoff planeten mit den drei verlassenen Städten ansteuern. Wenn wir unmittelbar vor der Landung stehen und die Zeit noch reichen sollte, fliegen wir weiter und landen auf Xu don. Aber ebenso kann schon in der näch sten Stunde der Ernstfall eintreten. Deshalb meine Aufforderung. Zieht die Anzüge an. Rüstet euch aus und denkt daran, daß plötzlich das Schiff ohne Luft sein kann. Selbst mitten im Raum. Sucht Nahrungsmittel und Dinge, mit denen ihr überleben könnt. Nehmt die Funkgeräte an euch, sie sind fast ausschließlich aus Me tall angefertigt. Oder schweißt ein leistungs starkes Funkgerät in einen Metallcontainer ein.« »Was hat den Zustand des Schiffes ver schuldet?« Der Noot bemühte sich, sachlich zu fra gen. Schuld wurde hier nicht diskutiert. »Mit größter Sicherheit mangelt es mir an der nötigen Ausgeglichenheit. Meine indivi duelle Freiheit ist noch zu groß.« »Gibt es für uns eine Möglichkeit, den Verfall aufzuhalten?« »Ich kenne keine«, sagte Atlan ebenso ehrlich. »Wie stehen die Chancen?« »Schlecht für Xudon. Besser für D'sarc
37 III. Vermutlich schaffen wir es bis dorthin. Wenn wir funken können, wird früher oder später ein Händlerschiff landen, das nur kur ze Entfernungen fliegen kann. Oder, im un günstigen Fall, ein Scuddamorenschiff. In diesem Fall werde ich angeben – falls ich noch lebe –, daß ich euch gekidnappt habe.« »Wie sieht es mit Schutzmaßnahmen in nerhalb des Schiffes aus?« »Wenn die Zone, in der ihr euch jetzt auf haltet, von der Auflösung betroffen wird, wechselt ihr den Standort. Die Nähe der Kanzel hier verspricht mehr Schutz.« »Ich habe begriffen. Wir treffen uns in kurzer Zeit hier wieder. Ich erkläre es den Kameraden«, sagte der Noot und rannte mit langen Sprüngen davon. Als er um die erste Biegung verschwand, floß ein Kessel aus einander, der eine grünliche Flüssigkeit ent halten hatte. Der Schaden trat auf der Steu erbordseite mittschiffs auf. Atlan spürte, wie kleine, schockartige Wellen seinen Körper durchschauerten. Aber sofort begann der Zellaktivator mit seiner Tätigkeit und ver suchte, das Leben des Arkoniden zu retten. Vermutlich hatten die Zerstörungen, zu nächst unsichtbar, bereits vom ersten Mo ment an angefangen. Das Goldene Vlies und der Zellschwingungsaktivator, gekoppelt mit dem andersartigen Metabolismus von Atlan, hatten in Wechselbeziehungen die Situation laufend verschlechtert. Aber die Folgen tra ten erst viel später auf, nämlich jetzt. Die anderen Noots wurden wach und lie ßen sich von Cembergall berichten, wie die Lage stand. Ohne viele Fragen und ohne Panik ge horchten sie den Anordnungen. Ohne Verzögerungen schlüpften sie in die Raumanzüge. Sie rüsteten sich mit Reserven aller Art aus. Gepäckstücke wurden zusam mengestellt. Tatsächlich wurde ein geteste tes Funkgerät ausgebaut und in einen Me tallbehälter verschweißt, der vorher mit fe dernder Schaummasse ausgespritzt wurde. Alles ging ohne viele Fragen vor sich. Nah rungsmittel, Werkzeuge und Waffen wurden bereitgelegt. Die lange Schulung in Belan
38 gen des nackten Überlebens machte sich auch jetzt und hier wieder bemerkbar. Mitten in den Vorbereitungen zerflossen drei Wände und der Boden der am weitesten hinten liegenden Kabinen. Die Wohnein richtungen der DARIEN wurden angegriffen und aufgelöst. Aber noch immer arbeiteten die Maschinen. Sämtliche Kontrollen zeig ten beruhigende Werte. Atlan setzte aber mals die Geschwindigkeit herauf. Dann war das absolute Maximum erreicht. Vierundzwanzig Stunden tröpfelten dahin. Die Noots kampierten jetzt im Korridor un mittelbar hinter der durchsichtigen Kanzel. Die Synthese zwischen organischer Masse und metallenen Elementen war in voller Auflösung begriffen. Drei Noots stellten für das Wesen von Noder ebenfalls einen Metallkasten her, der luftdicht verschließbar und von innen zu öff nen war. Gink Nik Meus verließ seinen alten Platz auf dem Paneel und stolzierte hinaus zu den Echsenwesen. Atlan fühlte sich noch um eine weitere Spur verlassener. Ein Wassertank zerstörte sich selbst. Die Flüssigkeit lief dorthin, wohin sie die künst liche Schwerkraft zog. Die entstehenden Kurzschlüsse setzten die Sekundärräume ei nes Viertels des Schiffes lahm. In diesem Bereich verschwand innerhalb von vier Stunden jegliche Organmasse und schmiegte sich, als sei sie schmorendes Plastik, an die Träger und Traversen. Zwölf Stunden nach dem berstenden Tank fiel für achtzig Prozent des Schiffes die künstliche Schwerkraft aus. Die Gegenstän de entwickelten ein Eigenleben, das sie schweben ließ. Sie schlugen gegeneinander und trieben durch die großen, gähnenden Löcher in den Querwänden. Es war wie ein Wunder, daß die Außenwandung noch raumfest war. Atlan schaltete eine der weni gen funktionierenden Leitungen ein und sag te: »Noch rund zwölf Stunden bis D'sarc III.« Ich glaube«, rief der Noot-Anführer von draußen herein, »wir müssen Xudon verges sen.«
Hans Kneifel »Ich glaube nicht, daß wir es riskieren können. Zuviel ist aufgelöst. Es kann ganz schnell gehen. Und ich vermag nicht mehr Leistung aus den Maschinen herauszuho len.« Die Aufgabe für Atlan war zu groß. Er hatte überhaupt keine Zeit mehr, sich seinen trüben Gedanken hinzugeben. Trotzdem rea gierte das Schiff, als befände sich sein Ver stand ebenso in Auflösung. »Ich bin sicher«, sagte Cembergall, »daß wir es bis D'sarc III schaffen. Wir sind be reit. Noch höre ich keine Unregelmäßigkei ten im Geräusch der Maschinen.« Jedes Geräusch, nicht nur das des Antrie bs, hallte innerhalb des Schiffes gespen stisch wider. Die DARIEN bestand praktisch nur noch aus einem Gitterwerk. Die einzel nen Elemente hatten unterschiedliche Stär ken und waren auch keineswegs regelmäßig angeordnet. In diesen Rastern befanden sich die Blöcke der Maschinen. Hin und wieder gab es noch einen funktionierenden Scheinwer fer. Auch die Fassungen der Leuchtkörper bestanden aus Organmasse – oder besser: hatten aus Organmasse bestanden. Die weni gen Lichter ließen die ganze Trostlosigkeit erst voll erkennen. Um den dreidimensiona len Raster spannte sich die Außenhaut, die noch immer die Form eines Hammers oder einer Tabakspfeife hatte. Die Notlandung stand unmittelbar bevor. Atlan rechnete und rechnete. Es blieben noch acht Stunden. Es ging nicht schneller. Zum erstenmal hörte er bewußt das Ge räusch, mit dem sich eine Decke zusammen zog, wie unter stärkster Hitzeeinwirkung zu schrumpfen begann und Löcher zeigte. Es war eine Mischung zwischen Zerren und Reißen von Stoff und dem Geräusch, das entsteht, wenn Metallfolie langsam zerfetzt wird. Das alles hundertmal so stark und mit einigem Nachhall im Schiff. Unmittelbar hinter dem Korridor, auf den sich die Noots gerettet hatten, verschwand die Decke vollständig. Die Löcher vergrö ßerten sich, bis sich zwischen ihnen nur
Piraten zwischen den Sternen noch dünne Verbindungen spannten. Aus der vielfarbigen Organmasse wurde ein aschegraues Gespinst, das schließlich in Fä den auslief und einige Sekunden erhalten blieb. Dann rissen die Fäden, und die Enden wickelten sich wie Gummi um die Verstre bungen. Atlan rief den Noots eine Warnung zu. »Spannt die eisernen Ketten und die Stahltaue zwischen den Trägern. Klinkt eure Raumanzüge darin ein.« Noch sechs Stunden. Die Noots versuchten sich zu retten. Wäh rend ein Teil des Bodens sich auflöste, fes selten sie sich gleichsam an die Streben zwi schen Kanzel und Schiff. Einige von ihnen lagen flach auf den breiten Stahlplatten. Ihre Kameraden standen da und hatten sich mit Armen und Beinen in Schlingen und Griffen festgeklinkt. Das Gepäck war auf abenteuer liche Weise an Metallteilen befestigt. Drei Stunden vor der Landung bestand die DARIEN praktisch nur noch aus Außenhül le, einem Wirrwarr von Blechen aller For men, Farben und Stärken, aus den Maschi nen und der Steueranlage, der Kanzel und einem Netzwerk von Drähten und Kabeln, die völlig ohne Isolierung zwischen den Trä gern hingen und lange Funken sprühten, wenn sie sich berührten. Auch der letzte Lautsprecher fiel aus. Die Sonne tauchte auf. Der Kurs lag exakt an. Atlan beobachtete ununterbrochen die zitternden Markierungen der Instrumente. Einige von ihnen wurden nur noch von den Kabeln festgehalten, weil sich die Paneele aufgelöst hatten. Mehr und mehr Geräte fielen aus. Im ge samten Innenraum der DARIEN gab es kei ne künstliche Schwerkraft mehr. Der Hohl raum war angefüllt mit allem, was sich im Schiff befand: Wassertropfen, Ausrüstungs gegenstände, der Abfall der Piraten, alle nur denkbare, noch nicht aufgelöste Materie schwebte langsam umher. Es war ein trostlo ser Anblick, bis auch der letzte Scheinwerfer seinen Dienst einstellte. Jetzt fielen nur noch
39 die Strahlen der Sonne durch die Kanzel, die wie ein Nest vor den Gerüsten klebte. Auf dem Ortungsschirm tauchte das Bild des Planeten auf. Nach Atlans Berechnung hatte er noch neunzig Minuten reine Flug zeit. Am Ende dieser Frist würde er den Bo den des Planeten erreicht haben. Wunderba rerweise funktionierten die Maschinen noch. Es gab serienweise Kurzschlüsse. Das trei bende und schwebende Gut in den Hohlräu men berührte immer wieder bloßliegende Leitungen. Kleine Brände entstanden. Das Schiff füllte sich mit Rauch. Es gab keinerlei Möglichkeiten mehr, die Feuer zu ersticken. Atlan sagte sich, daß der nächste Schadens fall sicher ein Loch in der Außenhülle oder ein Aussetzen der Maschinen sein würde. Vor ihm verschwanden schon wieder zwei Instrumente, sie lösten sich fast spurlos auf. »Solange es noch Luft im Schiff gibt, können wir noch miteinander sprechen«, rief Atlan den Noots zu. Cembergall-Flyrt hatte sich an einem Loch des ehemaligen Schottrahmens unmit telbar hinter Atlans Sessel angeschnallt und festgehakt. Er hob die Klaue, die bereits im Handschuh des Raumanzugs steckte. »Wie willst du die Landung durchfüh ren?« »Ich suche gerade nach den Resten einer Siedlung. Vielleicht kann ich das Schiff dort direkt absetzen. Ich kämpfe mit allem, was noch geblieben ist.« Die Luft roch intensiv nach dem brennen den und schmorenden Material. Die Rauch hörner der Noots vibrierten und verfärbten sich, als wären sie wieder auf Trimor. Genau in dem Moment, da der Planet so groß ge worden war, daß ihn Atlan mit seinen Augen erkennen konnte, versagte die Nahortung. Nur noch zwei kleine Hilfsgeräte blieben in takt. Atlan änderte den Kurs um einen win zigen Betrag und steuerte direkt auf D'sarc III zu. »Sollen wir die Raumanzüge schließen?« wollte ein anderer Noot wissen. »Es ist sicherer«, gab Atlan zurück. »Ich habe kein Mittel, um vorherzusagen, wann
40 die Luft aus dem Schiff hinausschießt.« »Verstanden.« Ohne Hast schlossen die elf Noots die Helme. Sie kontrollierten sorgfältig die An zugversorgung und halfen sich gegenseitig, wo es möglich war. Das Schiff stürzte weiter auf den Planeten zu. Die Sonne stand rechts von Atlan. Er selbst war durch das Goldene Vlies geschützt wie immer, dachte er. Und gleichzeitig traf ihn eine neue Erkenntnis: Die Galionsfigur war ihrer Möglichkeiten fast völlig beraubt. Das, was die Noots ver sucht hatten, nämlich Atlans Einfluß zu ver ringern und ihm mehr Freiheit zu verschaf fen, war eingetreten. Das Schiff selbst hatte Atlan nur noch die Kontrolle über die Ma schinen, die Steuerung und wenige Instru mente überlassen. Alles andere, um dessen Abschaltung sie so gefährlich gekämpft hat ten, war verschwunden. Trotzdem hatte sich an Atlans Situation nichts geändert. Er fühl te nicht die geringste Erleichterung! Die Überlebensanlage arbeitete noch. Ihre Störungen waren in den letzten Stunden we niger häufig und nicht so schmerzhaft gewe sen wie am Anfang des Zusammenbruchs. Atlan fühlte in seiner Lage nur wenig von wechselnden Temperaturen oder falscher Dosierung der Ernährung. Er konzentrierte sich allein auf die bevorstehende Landung beziehungsweise den Versuch, zu landen, ohne abzustürzen. Es erfolgte auch kein Ausstoß von Beruhigungsmitteln oder ir gendwelchen Galionsfigur-Drogen. Er war voller Anspannung und Konzentration. Gleichzeitig half ihm diese Stimmung über seinen Zustand hinweg. Atlan versuchte sich zu erinnern, mit wie vielen havarierten Schiffen er bereits Not landungen durchgeführt und überlebt hatte. Er suggerierte sich, daß dies nur ein Versuch von vielen war. Trotzdem wußte er, daß es noch nie so gefährlich gewesen war. Der Planet hing vor der Kanzel im Raum. Die Sonne stand rechts des Schiffes und leuchtete mehr als die Hälfte der Kugel aus. D'sarc III war, von hier aus gesehen, ein freundlich wirkender Planet; viel Wasser, ei-
Hans Kneifel nige schneebedeckte Gebirge und dazwi schen endlose Wälder. Atlan begann, nach den Spuren der Siedlungen zu suchen. Die Geschwindigkeit behielt er noch unvermin dert bei. Er wollte erst im letzten Moment bremsen, weil er damit rechnete, daß die starke Belastung das Schiff schädigen wür de. Wie ein Geschoß näherte sich die tod wunde DARIEN dem Rettungsplaneten. Als Atlan die beiden kleinen Monitoren an den Schwenkarmen zu sich herandirigierte und die Feineinstellungen vornahm, ertönte hin ter ihm ein Kreischen und Jaulen, das sich binnen einer Sekunde zu einem unerträgli chen Geräusch steigerte und dann plötzlich abriß. Die Heckschleuse hatte sich aufgelöst. Der gesamte Luftvorrat des Organschiffs entwich. Zunächst durch die kleinen Löcher, dann durch die sich rasend schnell vergrö ßernden Öffnungen. Atlan sah, wie der to bende Luftstrom die Feuer und Schwelbrän de löschte, wie er die Masse der treibenden Gegenstände mit sich riß und aus dem Schiff hinauskatapultierte. Es mußte, aus einiger Entfernung gesehen, ein Bild von grandio sem Schrecken sein. Das stürzende Schiff zog eine lange Schleppe von Abfällen und Geräten mit sich, von Wasser, das sich in Gas verwandelte und von Tropfen anderer Flüssigkeiten, die Atlan nicht einmal dem Namen nach kannte. Einige Wolken zogen vor dem ständig wachsenden Bild vorbei. Atlan hob den Bug des Wracks an. Noch immer gehorchte die DARIEN dem Steuer. Ein Horizont erschi en, von Wäldern und Bergen gebildet. Die Noots hockten in den Verstrebungen und versuchten, an Atlan vorbei, zu sehen, was vor dem Schiff geschah. Schemenhaft erschienen in einem riesigen Talkessel die Linien und Quadrate einer Siedlungsanlage. Atlan hatte gefunden, was er suchte. Er fühlte die Kälte auf seinem Ge sicht, aber die Belästigung war gering. Trotz der Sensoren versuchte er, sich die Fäustlin ge des Goldenen Vlieses überzustreifen. Dann zwang er das Schiff hinunter. Die DARIEN flog mit aller Kraft eine
Piraten zwischen den Sternen weite Kurve und sank schnell tiefer. In einer Seitenwand erschienen zunächst kleine, dann große Löcher, schließlich löste sich ein Segment auf. Die Sonne strahlte unbarmher zig herein und zeigte glühende Maschinen teile und Rauch, der aus Knotenpunkten auf stieg und von dem jaulenden Fahrtwind da vongerissen wurde. Die Atmosphäre heulte um das Schiff und innerhalb der Konstrukti on. Der Boden kam rasend schnell näher. Atlan bremste noch stärker. Vibrationen erschütterten das Gefüge des Schiffes. Die DARIEN schwankte und federte um sämtli che Achsen. Innerhalb des Stadtgebiets floß ein breiter Fluß mit smaragdfarbenem Was ser, dort gab es eine Vertiefung, die der Wald ausgefüllt hatte, und entlang des Flus ses eine schmale Sandfläche. Atlan versuch te, das Wrack dort zu landen. Wieder bremste er. Ein paar Maschinen rissen sich los und rasten, gegen die Metall verstrebungen schlagend, im Zickzack durch das Schiffsinnere. Eines dieser Geschosse durchschlug dicht neben der Kanzel die Bordwand und schlug wie ein Meteorit in den Wald. Das Organschiff rasierte eine breite Schneise in die Wipfel der Bäume. Unbe schreibliche Geräusche ertönten und hallten weit über das unbewohnte Land. Donner schläge erschütterten die Luft. Riesige Vo gelschwärme erhoben sich und flüchteten nach allen Richtungen. »Ich habe es fast geschafft.« Atlan sah Stämme und Blätter auf sich zu kommen. Die Kanzel barst vor ihm, und die einzelnen Teile lösten sich ebenso auf wie alle andere Organmasse bisher. Dann bra chen die letzten Bäume zu Boden, der Sand streifen tauchte auf, und das Schiff schlug in den Boden. Ein grauenhaftes Knirschen ertönte, als sich die Träger verbogen, verformten und aus den Verstrebungen rissen. Das Wrack kam auf einer Strecke von zweihundert Metern in einer riesigen Sand wolke zum Stehen.
41 Nachdem das Echo des Lärms verklungen war, als sich der Sand prasselnd wieder ge setzt hatte und sich einige Bäume wieder aufgerichtet hatten, knackte und ächzte nur noch das Metall der Konstruktion. Die Berührung auf dem Boden des Plane ten bedeutete für das Schiff das Ende. Die letzten Reste der organischen Masse schmolzen förmlich dahin. Selbst Teile des Sessels, in dem die Galionsfigur lag, ver schwanden und ließen Atlan auf den metal lenen Komponenten der Konstruktion zu rück. Die Noots hatten die Landung lebend überstanden. Offensichtlich zeigten die Ge räte ihrer Raumanzüge an, daß die Luft für sie gut atembar war. Sie verließen ihre Plät ze und turnten schwerfällig an den Verstre bungen hinunter. An dünnen Seilen ließen sie ihr Gepäck und die Ausrüstung in den Sand und schleppten sie neben das Schiff, das von Minute zu Minute immer erbärmli cher aussah. Atlans letzte Maßnahme war, den Antrieb auszuschalten und zu warten, wann sich die Steuerung selbst zerstören würde. Sie hatten überlebt. Cembergall-Flyrt war Xudon bis auf geringe Entfernung näher ge kommen. Atlans Dasein als Galionsfigur der DARIEN war beendet; das Schiffswrack würde sich niemals wieder erheben, sondern hier verrosten wie die niedrigen Türme der aufgegebenen Siedlung dort drüben. Aber noch immer besaß er ein Funkgerät und eine eingekapselte Energieerzeugungsanlage.
6. Die Vogelschwärme kamen zurück. Die Tiere, die auffallend lange Körper und schmale Schwingen hatten, kreisten zu nächst in großer Höhe und bildeten flache, scheibenförmige Wolken. Atlan hing in den Resten der Kanzel zwischen den Verstre bungen und überblickte aus einer Höhe von etwa vierzig Meter die Sandfläche, einen Teil des Flusses und die Ränder des Waldes. Jetzt lösten sich die allerletzten Reste des
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organischen Gewebes auf. Die reißenden und dieses fast wolkenlosen Tages mit sei Geräusche marterten Atlans Ohren. Als er nem blauen, fast terranischen Himmels, wa abwärts blickte und einen Entsetzensschrei ren die Vögel dunkel, fast schwarz. Ihr Ge hörte, erkannte er den Grund. fieder glänzte wie geölt. Auch die Raumanzüge bestanden aus or Atlan ließ seinen Blick umherschweifen. ganischem Material! Die Anspannung der letzten Tage machte Zehn Noots mußten hilflos mitansehen, sich bemerkbar. Die Umgebung beruhigte wie sich die Schutzanzüge in rasender ihn, gleichzeitig kam der Schock in langen Schnelligkeit auflösten. Der Prozeß verlief Wellen über ihn. Wieder rasten die wilde ebenso wie bei den Teilen des Schiffes. Die sten Erinnerungen durch seine Gedanken. Er Metallteile fielen in den Sand oder blieben, hätte viel darum gegeben, gerade jetzt Raza seltsam verloren baumelnd, an den Drähten mon bei sich zu wissen. So aber sah er zu, oder Kabeln hängen. Es dauerte keine neun wie die seltsamen Vögel zurückkehrten, wie zig Sekunden, und die Noots standen so gut kleine Wolken vor der Sonne vorbeitrieben wie nackt im Sand. und sich in den Wellen des träge fließenden Der Anblick und die Zeichen der Verblüf Flusses spiegelten, und wie die Noots mit professioneller Tüchtigkeit daran gingen, die fung und des Schreckens waren mehr ko letzten verwertbaren Reste des Schiffes über misch als tragisch. Trotzdem konnte Atlan den Sandstreifen zum Waldrand zu schlep nicht einmal lächeln. Dieser Umstand be pen. deutete gleichzeitig die Unbrauchbarkeit Die Sonne stieg höher. vieler Ausrüstungsgegenstände. Atlan rief, so laut er konnte: Wenn er jetzt um Hilfe funkte, sagte sich »Keine Angst. Ihr werdet trotzdem über Atlan, konnte jedermann den Funkspruch leben!« empfangen, also auch ein Scuddamoren Cembergall-Flyrt stand abseits der Grup schiff. Genau das lag nicht im Interesse der pe, hatte den Oberkörper vorgebeugt und be Überlebenden. Gerade eben öffnete einer der trachtete sich ebenfalls voller Verblüffung. Noots den raumfesten Kasten, in dem sich Der Raumanzug Gridersold-Herps löste sich Gink Nik Meus aufgehalten hatte. Der Klei nicht auf. Er bestand entweder nur aus Me ne stolzierte hervor und nahm seine neue tall oder aus einem ganz anderen Gewebe, Umgebung in Augenschein. Atlan wußte, das die Scuddamoren nicht hatten wachsen daß er die erste Zeit als Galionsfigur nicht lassen können. Der Noot hob den Arm, ohne die Hilfe dieses Gesprächspartners klappte den Helm wieder zurück und schrie überlebt hätte. Er bedauerte, daß er Gink zurück: nicht nach Noderzerf hatte zurückbringen »Dieser Gridersold-Herp! Er beweist noch können. Fragen bedrängten ihn plötzlich. weit über sein Ende hinaus, daß er klüger als Was geschah, wenn auch die automatisch ar alle anderen war. Fand er den Anzug in der beitende Versorgungseinheit endgültig ver DARIEN?« sagte? Konnte man ihn mitsamt den verkap »Ja!« rief Atlan. »Ich schlage vor, ihr ver selten Geräten aus dem Trägergerüst sucht, euch in einem alten Gebäude der schweißen und vom Schiff wegtransportie Stadt einzurichten. Bringt erst einmal alles ren? Soweit er es erkennen konnte, war die aus dem Wrack, was brauchbar ist.« Einheit nicht sonderlich groß. Konnten ihn »In Ordnung!« elf Noots von der Stelle bewegen und aus Die Vogelschwärme teilten sich jetzt, sehr dem Gerüst zu Boden lassen? viel niedriger fliegend, in kleinere Gruppen Es bestand offensichtlich keine unmittel und näherten sich den Waldrändern und ein bare Gefahr. Aber in einiger Zeit würden es zeln stehenden Bäumen. Im Gegensatz zu diese Probleme sein, die lebensentscheidend der Farbenpracht des umliegenden Landes waren. Als die Sonne ihren höchsten Stand
Piraten zwischen den Sternen erreicht hatte, übermannte die Müdigkeit den Pthorer, und er schlief ein.
* Es mußte eine winzige Veränderung ge wesen sein, die ihn nach etwa einer Stunde wieder weckte. Eine Veränderung der Um gebung. Er hob den Kopf und blinzelte. Die Luft war voller Vögel, die aus allen Richtun gen kamen und kreuz und quer durcheinan der flogen. Sie füllten den Raum zwischen den Waldrändern aus, und zwischen den Zweigen schossen immer neue Gruppen her vor. Einige Exemplare flogen vor Atlan hin und her, und jetzt sah er, daß es keine Vögel, sondern gefiederte Tiere mit Schlangenlei bern waren. Sie waren erregt und stießen fortwährend fauchende Schreie aus. Es waren Zehntau sende, und irgend etwas hatte sie rasend ge macht. Eine der fliegenden Schlangen raste auf Atlan zu, klammerte sich einen Moment lang an sein Handgelenk und biß zu. Ein ra sender Schmerz durchfuhr ihn, trotzdem schrie er zu den nur undeutlich zu erkennen den Noots hinunter: »Vorsicht! Die geflügelten Schlangen greifen euch an!« Das Tier biß zu und ließ sofort wieder von ihm ab. Als es sich mit schnellen Flügel schlägen von der Armlehne erhob, schien al le Feindseligkeit und Wut verraucht zu sein. Langsam flatterte die Schlange durch den Schwarm und verlor sich in dem Gewimmel der schwarzen, glänzenden Leiber. Vom Handgelenk aus breitete sich der Schmerz durch Atlans Körper aus. Es gab kein Mittel, den Schmerz zu unterdrücken. Atlan wimmerte und ächzte unter dem An sturm der Giftstoffe. Vor seinen Augen be gannen sich schwarze Kreise zu drehen, die Umgebung kippte in die Senkrechte, und dann wurde er besinnungslos.
* Atlan konnte nicht sehen, was zwischen
43 Wrack und Waldrand passierte. Die geflügelten Schlangen stürzten sich schrill fauchend in großen Rudeln auf die Noots. Die Echsenwesen wehrten sich be reits beim ersten Zeichen eines Angriffs mit allem, was sie gerade zur Hand hatten. Strahlerschüsse fauchten auf, Glutbahnen dröhnten durch die Luft. Stangen und Sei lenden wirbelten und zerschmetterten die angriffswütigen Tiere. Aber die Zahl war zu groß, die Tiere waren zu schnell und griffen von allen Seiten an. Die Schuppenkörper der zehn ungeschütz ten Noots wurden von Tausenden Bissen ge troffen. Gellende Schreie ertönten. Die Überlebenden der DARIEN waren binnen weniger Sekunden tot. Die Schlangenvögel schienen mit jeweils einem Angriff und ei nem Biß ihre plötzlich entfachte Aggression erschöpft zu haben, denn keine Schlange griff zweimal an. Auch Cembergall-Flyrt befand sich, wild um sich feuernd, sofort im Zentrum von Hunderten aufgeregter Tiere. Sie schlugen ihre Giftzähne in die Teile seines gepanzer ten Raumanzugs. Geistesgegenwärtig hatte er, als er den ersten Schlangenvogel auf sei nen Kameraden herunterjagen gesehen hatte, seinen Helm nach vorn geklappt. Flügel peitschten gegen das durchsichtige Material. Tiere prallten wie geschleuderte Steine ge gen ihn und ließen ihn stolpern. Er versuch te, zu der Gruppe seiner Kameraden zu kom men. Ununterbrochen dröhnte seine Waffe auf. Ein Schwarm Schlangen erhob sich von einer Stelle, und er sah den buchstäblich zer fetzenden Körper des würfelförmigen No ders. Nach zehn Schritten stolperte er schwer und schlug in den Sand. Er rollte sich auf den Rücken, packte die Waffe mit beiden Händen und feuerte in die unabseh bar großen Schwärme hinein. Viele Schlan gen flatterten auf und schraubten sich hoch, dann flogen sie in den Wald zurück. Die zehn Körper lagen verkrümmt im Sand. Der Sand um sie herum war von den Klauenfü ßen zerwühlt und von den Schwingen und Krallen der Schlangen aufgerissen. Als
44 Cembergall-Flyrt aufsprang und sich den Körpern näherte, flogen die Schlangen, die sich wie eine wimmelnde Masse bedeckt hatten, in die Höhe und schwirrten dicht über dem Boden davon. Cembergall senkte die Waffe und unter suchte flüchtig die Körper seiner Kameraden. Die Noots lagen bewegungslos da. Sie waren mit Sicherheit tot. Jede einzelne Schuppe ihrer Haut war von mehreren win zigen Einstichen gezeichnet. Die fliegenden Schlangen schlugen ebenso schnell und tief zu wie ihre echten Artverwandten. Die toten Augen der Echsenwesen starrten anklagend hinauf in die grelle Sonne. Cembergall dreh te sich um und schirmte die Augen mit der Klaue ab. Atlan war von hier aus nur undeutlich zu erkennen. Flyrt schob die Waffe in den Gür tel, ging langsam zum Wrack zurück und be gann, die Verstrebungen hinaufzuklettern. Er balancierte auf den Rosten des Bodens und beugte sich über die starr daliegende Galionsfigur. Atlans Augen waren geschlos sen. Der Körper unter dem goldenen Anzug bewegte sich nicht, der Brustkorb hob und senkte sich nicht. Als Cembergall die Haut der Wange berührte, fühlte er kaum noch Wärme. Schnell untersuchte er die freiliegende Haut neben den Sensoren und Fühlern. Sie wies zwei kleine Einstiche auf. »Also ist auch mein letzter Freund von den Bestien getötet worden«, stöhnte der Noot und war ratlos, als er daran dachte, wie er Atlans Körper begraben konnte. Er gab es auf; niemals würde er es übers Herz bringen, den Körper förmlich zu zer fleischen, um ihn aus der Umklammerung des Versorgungssystems herauszuschneiden. Er warf einen letzten Blick auf Atlan und kletterte schweigend wieder hinunter. Einige Stunden später hatte er die Körper der Ka meraden nebeneinander im Sand vergraben. Die kleinste Grube bekam Gink Nik Meus, der wie ein zerbrochenes Spielzeug aussah. In der Abenddämmerung sammelte Cem bergall-Flyrt die Waffen ein, warf sich das
Hans Kneifel Bündel über die Schultern und stemmte den Kasten mit dem Funkgerät hoch. Er schlepp te alles zum Rand des Waldes, wo er Stun den vorher die Reste einer Straße entdeckt hatte. Bevor er den Wald zwischen der verlasse nen Siedlung und dem Fluß betrat, schloß er wieder den Raumanzugshelm. Er blieb lange stehen und blickte zum Skelett des Wracks hinüber. Letzte Sonnen strahlen riefen den flüchtigen Eindruck einer schimmernden, fremdartigen Konstruktion hervor. Flyrt wußte es besser. Jetzt war er so allein wie Atlan bisher. Er hob das Funkge rät auf und drang in den Wald ein. Cembergall-Flyrt wußte noch nicht, was er tun sollte. Vielleicht überlebte er auf D'sarc III die Wartezeit, bis ihn ein mehr oder weniger befreundetes Schiff abholte. Oder die Flügelschlangen töteten ihn in ei nem unbewachten Augenblick. Die Wahrscheinlichkeit, daß er hier starb, sagte sich der Noot, war sehr hoch. Es gab keinen Grund für Optimismus. Hinter ihm blieb das Wrack mit der leblosen Galionsfi gur zurück.
* Seine Adern schienen mit flüssigem Feuer gefüllt zu sein. Jeder Herzschlag erzeugte einen anderen Schmerz in einem Teil seines Körpers. Nur die wellenförmigen Ausstrah lungen des Zellschwingungsaktivators er zeugten auf der Brust einen großen Fleck von lindernder Kühle. Atlan öffnete die Au gen und war überrascht, daß er noch immer lebte. Der Zellaktivator hatte das Gift der geflügelten Schlangen neutralisiert. Trotz dem fühlte sich Atlan schwach und zu Tode erschöpft. Müde drehte er den Kopf und sah hinunter auf den Sand. Es war früher Mor gen. Die waagrecht einfallenden Sonnen strahlen erzeugten viele Schatten; zehn, nein, elf davon gehörten zweifellos zu Grä bern. Die toten Noots! Und vermutlich die ses kleine Grab daneben … es gehörte Gink Nik Meus. Atlan brauchte lange, bis er er
Piraten zwischen den Sternen faßte, was geschehen sein mußte. Cembergall hatte überlebt. Der Rauman zug Gridersolds hatte ihn geschützt. Der letzte Noot hatte seine Kameraden begraben und ihn, Atlan, für tot gehalten. Lag der Ka sten mit dem eingesiegelten Funkgerät noch im Sand? Atlans Augen irrten umher und entdeckten ihn nicht. Mühsam formten seine Lippen undeutli che Worte. »Er hat meinem Rat gehorcht. Flyrt ist mit dem Funkgerät auf dem Weg zur Stadt. Er kann überleben, wenn es ihm gelingt, ein Schiff zu finden.« Sollte ein Handelsschiff das Notsignal ei nes Mitglieds der Marktsumme von Xudon auffangen, würde es zweifellos ein Beiboot ausschicken. »Mir bleibt nur noch eine einzige Mög lichkeit«, sagte er und versuchte mühsam, sein eigenes Funkgerät einzuschalten. Es sprang an, der Funktionstest verlief positiv. Atlan konnte mit dem folgenden Funknot ruf sein eigenes Schicksal auf verschiedene Weisen beenden. Die Scuddamoren beachteten ihn nicht. Oder sie holten ihn und töteten ihn binnen kurzer Zeit. Oder sie brachten ihn zu Chirm or Flog, also dorthin, wohin vielleicht auch Razamon gebracht werden würde. Die letzte Möglichkeit war die wahrscheinlichste; es würde ihm helfen, als Kuriosität zu gelten: als Galionsfigur, die die Vernichtung des Symbiosepartners Organschiff überlebt hat te. Er fuhr das Mikrophon in die Richtung seines Mundes und sagte: »Hier spricht die Galionsfigur des Organ schiffs DARIEN. Das Schiff ist auf dem Pla neten D'sarc III zerschellt, die Organmasse hat sich aufgelöst. Ich habe wichtige Er kenntnisse an den Neffen weiterzugeben. Ich bin Atlan und lebe. Holt mich ab. Ich rufe die Scuddamoren-Wachflotte. Dies ist ein offizieller Notruf …« Es gab genügend Energie. Er wiederholte den Ruf in unterschiedlichem Wortlaut. Dann wartete er.
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* Er hörte keine Antwort. Drei Tage später, als sich sein Körper von der Wirkung des Giftbisses langsam zu er holen begann, erschienen lautlos drei riesige Schatten am Himmel. Sie schienen das Wrack genau geortet zu haben. Atlan sah zu, wie ein Schiff über dem Sandstreifen heran schwebte, genau auf den elf Gräbern landete und die Luken öffnete. Roboter und Scudda moren schwebten heraus und begannen schweigend und schnell, das Wrack zu un tersuchen. Ein Kommando näherte sich mit riesigen Werkzeugen. Die Geräte zerschnitten die Träger und Verbindungen, als bestünden sie aus dünnem Holz. Über Atlans Sitz und den Resten der Kanzel bugsierte sich eine Art Schwebeplattform heran. Greifer und Zan gen packten Teile der Konstruktion. Schnell und schweigend, ohne daß je mand ihn ansprach, wurden sämtliche Teile des Systems aus dem Wrack herausge schweißt und abgeschnitten. Das Bruchstück mit Atlan im Zentrum schwebte nach vorn, dann in die Höhe und nach einer scharfen Wendung auf das längsseits liegende Schiff zu. Ein riesiger Hangar öffnete sich. Die Plattform senkte Atlan auf den Boden des Hangars. Scuddamoren kamen heran und klinkten die Reste der Träger fest. Die Kom mandos kamen mit Materialproben der DARIEN zurück, dann schlossen sich die Außenschleusen. Kurze Zeit später fühlte er, wie das Organschiff aufstieg und den Flug in den Weltraum begann. Er konnte gewiß sein, daß er früher oder später wieder vor Chirmor Flog stehen würde. Nun, »stehen« war nicht das richtige Wort dafür. Man wür de ihn wohl vorführen. Falls bis dahin der Neffe Chirmor Flog überhaupt noch lebt! Während der ersten Zeit des Fluges war er wieder einmal von allen Informationen ab geschnitten. Jetzt hatte er nicht einmal mehr den Schiffsspeicher, um sich ablenken zu können. Er fühlte sich sterbenselend, aber es
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Hans Kneifel
gab zwei Hoffnungsschimmer. Die innere Stimme und Razamon. ENDE
Weiter geht es in Atlan Band 433 von König von Atlantis mit:
Die Körperlose und der Molg
von Horst Hoffmann