ROY CHESTER
Planetenstürmer Eine unfreiwillige Weltraumexpedition Wie oft lesen wir von machthungrigen Politikern, die...
23 downloads
559 Views
6MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
ROY CHESTER
Planetenstürmer Eine unfreiwillige Weltraumexpedition Wie oft lesen wir von machthungrigen Politikern, die – durch eine moderne Vernichtungswaffe scheinbar unbesiegbar gemacht – ganze Kontinente verwüsten. Prenten, Wendt und Mirtitsch wissen, welche Macht sie in Händen halten. Und wer wollte es ihnen verdenken, daß sie nicht einmal der eigenen Regierung trauen?
3
ferner spielen mit: Dr. King, Geologe, Australien; Prof. Ventoni, Geologe, Italien; Prof. Mount, Zoologe, England; Dr. Tschekow, Rußland Es geht auf Mitternacht. Dipl.-Ing. Hans Wendt und sein Chefmechaniker Rudolf Mirtitsch stehen im größten Laboratorium der Wendtschen Atomkraftmotorenwerke um ein silberhell glänzendes Kästchen. Dieses Kästchen sieht sehr harmlos aus. An seiner Vorderseite funkelt eine Linse von etwa 10 cm Durchmesser. Einige kleine Schalthebel vermindern nicht den Eindruck eines ungefährlichen Apparates. Wenige Meter vor dem Gerät liegt auf einem fest im Boden verankerten Eisentisch ein Stahlstück von genau 5 Kilogramm Gewicht auf einer Waage. Würde man aus der Linse einen Lichtstrahl senden, so befände sich dieses Stahlstück direkt im Lichtkegel. Die beiden Männer sehen einander an. Auf der hohen und breiten Stirne Wendts glitzern im hellen Neonlicht einige Schweißperlen, und die kraftvollen Hände des Technikers zittern 4
leicht vor innerer Erregung. Seine Züge sind bis aufs äußerste gespannt. Bald wird er wissen, ob Dr. Prenten recht hat, ob der Weg, den der Philosoph gewiesen hat, falsch oder richtig ist. Bald wird er wissen, ob sich sein Sehnsuchtstraum erfüllen wird oder nicht. Ganz anderes prägt sich aus im Gesicht seines Freundes und Chefmechanikers. Mirtitsch glaubt! In seinem Gesicht verrät auch nicht das leiseste Zucken eines Muskels den geringsten Zweifel am Gelingen des Experiments. Breitschultrig und gelassen erwartet er das Kommende. Der stahlgraue Blick Wendts wandert zu einem der großen Fenster des Laboratoriums. Am wolkenlosen Herbsthimmel glitzern und funkeln unzählige Sterne. Die Nacht ist klar und rein. Da! Zu den kalt und unnahbar scheinenden Lichtpunkten am Firmament gesellt sich ein neuer, größerer. Rasch wandert er von Westen nach Osten. Eine Raumstation! Wendt starrt minutenlang dem hellen Punkt nach. Schweigend, mit fest zusammengepreßten Lippen. Die sind viel weiter als wir, denkt er. Dann wendet er sich entschlossen um und sagt mit klarer, befehlsgewohnter Stimme: „Strom!“ Der Chefmechaniker drückt auf einen Schaltknopf. Sofort ertönt leises Summen aus dem Kästchen. Nun betätigt Wendt selbst einige Schalthebel. Doch nichts geschieht. Nur das leise Summen dringt in jeden Winkel des Laboratoriums. Gebannt blicken die Männer auf den Zeiger der Waage. Doch dieser steht unverändert bei 5 kg. Sekunden verstreichen. Nichts ereignet sich. Das leise Summen des Apparates beginnt, die Nerven der beiden Männer zu zermürben. 5
„Getäuscht!“ sagt letzt der Techniker hart, atmet tief ein, und seine sonst so hellen, klaren Augen werden dunkler. Er wendet sich ab. Da packt ihn Mirtitsch am Arm. „Schau!“ ruft der Chefmechaniker erregt und blickt mit großen Augen auf die Waage. Der Zeiger der Waage schlägt zitternd aus. 4,90 kg … 4,80 … 4 kg. Urplötzlich ist ein starker Zug im dichtverschlossenen Raum. Nein! Kein Zug, wie er durch offenstehende Fenster entsteht. Das ist Wind! Ein Luftwirbel! Stärker und stärker wirbelt die Luft vor der Linse des Kästchens. Und das Gewicht des Stahlstückes sinkt. 3,50 kg … 2 kg … 1 kg … 0,50 kg. Der Luftwirbel steigert sich zum Sturm, der an den Haaren und Kleidern der Männer zerrt. Sie glauben, im nächsten Augenblick in diesen Wirbel hineingerissen zu werden, so stark ist die Kraft der bewegten Luft. Null kg! Ein Bersten und Krachen zerreißt die Stille der Nacht. Die Waage ist leer. Das Stahlstück verschwunden. In der Decke des Laboratoriums klafft ein großes Loch. Ein heller Stern funkelt wie grüßend in den Raum. Mit einem raschen Griff schaltet Wendt den Mechanismus des Kästchens ab. Stille! Die Männer hören den eigenen Atem. Sie sehen sich an. Mit begeisterten, frohen Augen. Dann liegen sie sich in den Armen, klopfen sich auf die Schultern, daß es kracht, und schämen sich nicht der Freudentränen, die über ihre Wangen kullern. „Gelungen!“ jubelt Mirtitsch. „Wir haben es geschafft!“ Da durchschneidet ein schrilles Pfeifen die Luft, wird lauter. 6
„Das Werkstück!“ schreit Wendt, reißt Mirtitsch am Arm herum und wirft sich mit ihm unter den wuchtigen Versuchstisch. Mit unheimlichem Krachen durchschlägt das Stahlstück abermals die Decke, doch diesmal von oben, und bleibt, als wäre nichts geschehen, auf dem Fußboden aus Eisenbeton liegen. Etwas bleich kriechen die Freunde aus ihrer Deckung. Doch die Freude über ihren Erfolg läßt sie schnell den Schrecken vergessen. Der Techniker geht siegestrunken zu einem der großen Fenster und öffnet es. Kühl strömt die Herbstluft ins Laboratorium und umfächelt wohltuend seine heiße Stirn. Er legt seine kraftvollen Hände auf das Fensterbrett, blickt zu den fernen Sternen auf und sieht mit plötzlicher Klarheit den Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit voraus. Seine Gedanken wandern in seine Jugend zurück. Wie konnte es zu diesem Erfolg kommen? Vor seinem geistigen Ich steht deutlich die Gestalt seines Schulfreundes Dr. phil. Siegfried Prenten. Schon im Gymnasium fiel Prenten auf. Immer war er ruhig und ausgeglichen, stets hilfsbereit und doch in sich selbst zurückgezogen. Nie aufbrausend wie er selbst, Wendt. Und nie gelang es einem Schulkameraden, Prenten zu Streichen heranzuziehen. Nach dem Universitätsstudium ging Prenten nach Indien und lebte dort einige Jahre als Schüler hoher buddhistischer Priester. Nach seiner Heimkehr kam sein stilles, zurückhaltendes Wesen noch stärker zum Ausdruck. Er, Wendt, der Tatmensch, konnte niemals das beschauliche Leben seines Freundes begreifen. Manchmal dachte er sogar mit Verachtung an Prenten. War diesem doch alles in den Schoß gefallen! Seine Eltern hinterließen ihm ein ansehnliches Erbe, so daß er niemals wirklich zu arbeiten 7
brauchte. Er, Wendt, hingegen mußte sich alles schwer erkämpfen. Aus einfachen Verhältnissen stammend, studierte er unter großen Schwierigkeiten. Aber später machte er Erfindung auf Erfindung. Die gefürchtete Radioaktivität bei der Atomkraftgewinnung wurde von ihm besiegt. Er kann wahrlich stolz auf sich sein. Aber auch Prenten darf das sein. Er ist ein Meister der Hypnose und nach eigenem Ausspruch Herr über kosmische Kräfte, welche die technisierte Welt weder kennt noch ahnt. Endlich kam der entscheidende Frühlingsabend. Er, Wendt, war geladen. Seine Pläne für eine Weltraumrakete waren schon lange fertig. Doch es gelang ihm nicht, die zuständigen Stellen davon zu überzeugen, daß sich Europa bei der Eroberung des Weltalls in das Wettrennen zwischen Amerika und Rußland einschalten müsse. Mit schwerem Herzen besuchte er den Philosophen und die damals gesprochenen Worte haften unauslöschbar in seinem Gedächtnis. Es war ein milder Maientag. Aus dem Garten der Villa Prentens strömten die Düfte der erblühten Ziersträucher und vermengten sich mit dem lebensstarken, kraftvollen Geruch der frisch angelegten Blumenbeete. Die herbe, reine Luft kündete den nahenden Sommer. „So gut wie du möchte ich es auch einmal haben“, sagte er zu Prenten. „Nichts arbeiten, nur lesen, schreiben und träumen!“ „Ist Denken denn keine Arbeit?“ fragte Prenten ruhig. „Die Philosophie …“ „Die Philosophie! Die kann mir gestohlen werden!“ unterbrach er den Freund zornig. Da lächelte Prenten verstehend und verzeihend. „Bist du hergekommen, um mit mir über den Wert der Philosophie zu debattieren?“ 8
„Nein!“ fuhr Wendt auf, und der ganze in ihm aufgespeicherte Groll brach durch. „Diese Schwachköpfe! Diese Nullen! Ich kann mich einfach nicht damit abfinden! Es muß möglich sein! Es muß geschehen!“ Er konnte nicht anders. Unbeherrscht schlug er die Faust auf den Tisch. „Ach ja, deine Weltraumrakete …!“ Prenten dehnte scheinbar gelangweilt jedes Wort. „Wer soll denn die ungeheuren Kosten dafür aufbringen?! Die Regierung? Die fühlt sich geborgen im Schatten Amerikas. Du allein? – Bevor du die erste startfähige Rakete fertig hast, bist du pleite!“ „Das weiß ich!“ brüllte er fast zurück. „Ich allein kann es nicht. Doch wenn Europa zusammensteht, wenn alle mithelfen, dann muß es möglich sein!“ „Theoretisch ja. Aber praktisch?“ erwiderte Prenten aufreizend ruhig. „Die Amerikaner und Russen stehen knapp vor der Eroberung des Mondes. Beide Weltmächte besitzen reiche Erfahrung. Beide haben schon unzählige Sputniks, Explorers, Vanguards, Pied Pipers und bemannte Raumstationen gestartet. Beide haben schon bemannte Raketen bis in Mondnähe gebracht. Beide kennen die Weltraumbedingungen viel besser als du. Und beide brauchen nicht zu sparen.“ „Und wer hat das ermöglicht? Deutsche Techniker und Wissenschaftler in Ost und West! Wer hat die ersten Raketen in den Himmel gejagt! Die Deutschen! – und jetzt, wo andere die Nutznießer unseres Erfindergeistes sein wollen, jetzt soll Deutschland tatsächlich abseitsstehen?! Soll anderen den Ruhm überlassen?!“ Wendt begann mit großen Schritten im Raum auf und ab zu laufen. „Die Pläne sind fertig. Ich brauche nur noch das Geld!“ „Nur noch das Geld! Das sagt sich leicht!“ antwortete der 9
Freund wie immer ruhig und gelassen. „Nimm 200 Millionen, und du wirst nicht auskommen. Nimm den doppelten Betrag, und es wird noch immer viel zu wenig sein. Und gelingt dir trotz aller Schwierigkeiten ein Flug zum Mond, was hast du dann erreicht? Du kannst dir die erdabgekehrte Seite unseres Trabanten anschauen, die Erde vom All aus betrachten. Aber was hättest du damit wirklich erreicht?“ „Die Wissenschaft hätte einen ungeheuren Fortschritt erzielt! Außerdem liegen im Innern des Mondes sicherlich Naturschätze; die nur darauf warten, gehoben zu werden!“ „Vermutlich ja. Aber was würde der Transport einer einzigen Tonne Eisenerz vom Monde zur Erde mit Raketenantrieb kosten?“ Prenten war nicht aus der Ruhe zu bringen. „Glaubst du denn wirklich, daß der Raketenantrieb jemals rentabel wird?“ „Man kann verbessern! Die Raketen billiger herstellen! Immer wieder Neues dazuerfinden! Zweifellos, die Kosten sind hoch! Sie sind sogar ungeheuerlich! Aber was macht das? Die diabolische Geschwindigkeit von über 11 km pro Sekunde ist keine Hexerei mehr. Die Gravitation …“ „Gravitation! Jetzt hast du das Stichwort gesagt“, unterbrach ihn diesmal Prenten, und in seinen lichtblauen Augen wetterleuchtete plötzlich unbeugsamer Tatendrang. „Die Gravitation! Jene Kraft, die die Materie in ihrem Gefüge hält, die uns tyrannisch an diese Erde kettet, jene Kraft, die uns hindert, zu anderen Planeten zu fliegen! Das scheinbar unüberwindliche Hindernis! Gerade dieses Hindernis müßte bei einem Weltraumflug zu unserem Helfer werden!“ „Wie, bitte?“ Wendt blieb stehen und sah Prenten verdutzt an. „Zu einem Helfer?“ „Ja, zu einem Helfer. Nämlich dann, wenn es gelingt, sich von dieser Kraft in den Kosmos stoßen zu lassen!“ 10
„Du bist verrückt! Das ist lächerlich! Du stellst die Naturgesetze auf den Kopf! Aber die Naturgesetze lassen sich nur theoretisch auf den Kopf stellen!“ Da erwiderte Prenten versonnen: „Nehmen wir an, es gelänge, für einen bestimmten Stoff die Gravitation unwirksam zu machen. Was müßte mit diesem Stoff geschehen? Die Erde müßte ihn auf Grund ihrer Eigenbewegung ins All hinaus schleudern. Und nehmen wir noch an, daß man für diesen Stoff die Gravitation beliebig ein- und ausschalten kann. Was dann? Man könnte diesen Stoff vom Monde oder einem anderen Himmelskörper anziehen lassen, denn die Kräfte, die die Gravitation bewirken, durchdringen sich gegenseitig. Seine Anfangsgeschwindigkeit müßte sich ständig steigern und der Lichtgeschwindigkeit nähern. Dann wäre es wahrlich keine Hexerei, die so gefürchtete Geschwindigkeit nicht nur zu erreichen, sondern weit zu überbieten.“ Wendt starrte seinen Freund an wie einen Geist. „Die Gravitation ausschalten?! Sich von anderen Gestirnen anziehen lassen?“ wiederholte er wie im Traum. „Genau! En genialer Techniker müßte von dem alltäglichen Weg abweichen, den die ganze Welt wie hypnotisiert verfolgt, müßte mutig und tapfer eine Idee aufgreifen, die noch keiner vor ihm gehabt hat.“ „Das ist unmöglich“, erwiderte Wendt tonlos. „Wieso?“ Um die Lippen des Philosophen spielte ein feines Lächeln, und in seinen Augen spiegelte sich tiefes Wissen. „Weil … weil! Mann Gottes, man kann doch nicht Kraftfeldern befehlen: Hier dürft ihr wirken und hier nicht! Jeder einzelne Stoff, jedes Quäntchen Materie ist eingesponnen in das unveränderliche Kraftfeld der Gravitation!“ Dr. Prenten blieb gelassen. „Ja, jeder Himmelskörper ist ein großer Magnet. Sie alle zie11
hen sich gegenseitig an und halten so das Weltall mit Hilfe der Fliehkraft in seinem Gefüge.“ „Das weiß ich alles. Aber die Gravitation ausschalten, das …“ „… das ist die Lösung des Problems“, unterbrach ihn Prenten mit seiner klaren, melodischen Stimme. „Als die Menschen die ersten Segel setzten, bezwangen sie die Weiten der Meere. Wenn sie die Gravitation überwinden, gehört ihnen das Universum. Ein Katzensprung zum Mond, ein Katzensprung zum Mars. In Tagen, längstens Wochen, könnte man die ungeheure Entfernung zum Uranus zurücklegen, könnte tausendmal schneller fliegen als mit der schnellsten Rakete … Verändere die Gravitationsstrahlung, so daß aus ihr eine andere entsteht, und du kannst dich einschalten in das Wettrennen zu den Gestirnen!“ Ja, so war es gewesen an diesem Frühlingsabend. Gedankenvoll war Wendt in seine Wohnung zurückgekehrt, und die Worte Prentens hatten ihn nicht mehr losgelassen. Schon am nächsten Tag ließ er das größte Laboratorium seines Werkes räumen und machte sich mit Mirtitsch ans Experimentieren. So vergingen die Monate. Und, seltsam, während dieser Zeit war es ihm oft, als stünde Prenten hinter ihm und sähe ihm bei der Arbeit zu. Aber mehr noch. Wendt glaubte zu fühlen, daß von dem Freund die Kraft und die Ideen zu seinem Suchen und Forschen kamen. Als er einmal mit Mirtitsch darüber sprach, sagte dieser nur: „Der Doktor kann alles. Dem ist nichts unmöglich.“ Wendt streicht sich gedankenvoll über die Stirn. Jetzt spürt er die Nervenanspannung der letzten Monate. Er ist müde. Wieder wandert eine Raumstation über das Firmament. Doch nun ist Wendt nicht mehr neidisch auf die Männer, die dort oben über den Wolken im freien Raum leben. Er wird ihre Triumphe weit überbieten! Langsam wendet er sich um. 12
Mirtitsch sitzt auf einem Stuhl, hat die Hände vor sich auf dem Experimentiertisch liegen, den Kopf darin vergraben, und schläft. * „Schelnikow, ich brauche Tatsachen und keine Vermutungen!“ sagt scharf jener Mann einer ausländischen Macht, den die wenigsten mit seinem wirklichen Namen kennen, und der dennoch als Chef der Spionage eine ungeheure Macht in seiner Person vereint. In seinem Büro strömen alle jene Nachrichten zusammen, die militärisch von Wert sind. Und ihm allein ist es überlassen, ob er diese Nachrichten an seine Regierung weiterleitet oder nicht. Der geheimnisvolle Mann fegt mit einer Handbewegung einen Stoß Berichte von seinem Schreibtisch. Der Agent zuckt wie unter einem Schlag zusammen. Die kalten, mitleidlosen Augen seines Vorgesetzten richten sich voll auf ihn. „Dieser Wendt ist ein genialer Kopf. Das hat die Vergangenheit bewiesen. Und jetzt, wo er die Leitung seines Werkes einem Subdirektor anvertraut hat und sich überhaupt nicht mehr um die geschäftlichen Belange kümmert, arbeitet er bestimmt an einer Erfindung, deren Wert wir gar nicht abschätzen können. Dieser Mann ist unbestechlich. Aber wir müssen hinter sein Geheimnis kommen! Unter allen Umständen!“ „Herr“, erwidert nervös der Agent, „es ist leichter, ungesehen in den Palast eines orientalischen Despoten zu gelangen, als in die Versuchsräume Wendts. Diese Räume sind gesichert, ohne daß man die Anlagen bemerkt!“ „Gewäsch!“ fährt ihn sein Vorgesetzter an. „Auch Wendt ist nicht unbesiegbar. Beraten Sie sich mit der technischen Abtei13
lung. Nehmen Sie die besten Spezialagenten.“ Und jetzt mischte sich in die Stimme des unheimlichen Mannes ein drohender Unterton: „Ich muß innerhalb von vier Wochen wissen, was dieser Wendt vorhat! Richten Sie sich danach!“ Eine herrische Handbewegung, und der Agent ist entlassen. * Am Rande der Stadt steht an einer etwas abgelegenen Stelle eine Villa. Sie sieht genauso unauffällig aus wie alle anderen in ihrer Umgebung. Und doch geschehen hier geheimnisvolle Dinge. Auf dem Dachfirst reckt sich für einen Uneingeweihten völlig unsichtbar, eine Antenne in den Himmel. Sie sendet elektromagnetische Wellen aus. Diese Wellen werden durch feste Gegenstände reflektiert und durch einen Apparat, der im Kellergeschoß montiert ist, in wahrnehmbare Strahlen umgewandelt. Auf dem Bildschirm des komplizierten Apparates werden Ereignisse sichtbar, die sich in der Ferne abspielen. Die Strahlen haben noch andere Eigenschaften. Sie durchdringen dicke Wände und enthüllen bei scharfer Einstellung den Inhalt des besten Tresors, auch wenn er sehr weit vom Suchgerät entfernt ist. Aber dennoch flucht der Agent Schelnikow fürchterlich. „Verdammt! Es ist zum Rasendwerden!“ knirscht er mit den Zähnen. Vor ihm auf dem Bildschirm zeichnet sich deutlich das Wendtsche Werk ab. Die Hallen, das Bürogebäude, das Werksgelände, alles ist so klar und scharf umrissen, als ob er davor stände. Doch dort, wo die Versuchsräume liegen, sieht man nur einen dunklen Fleck. Und jedes Bemühen ist vergeblich. Der 14
Fleck bleibt, so sehr Schelnikow auch an den Schaltknöpfen seines Apparates hantiert, so sehr er flucht und schimpft. Der dunkle Fleck weicht nicht. Und was nützt es Schelnikow, wenn er das Wendtsche Werk betrachtet?! Er sieht nur so viel vom Werk, als ohnehin jeder mit Erlaubnis des Besitzers sehen kann. Was nützt es ihm, wenn ihm sein Apparat sogar ermöglicht, Gespräche, die in diesem Werk geführt werden, abzuhören?! Das was ihn interessiert, kann er weder sehen noch hören. Denn sobald er seinen Apparat auf die Versuchsräume einstellt, wird der Bildschirm dunkel, und die winzige Lautsprecheranlage verstummt. „Wendt hat die Versuchsräume mit Strahlen abgeschirmt, die wir nicht kennen,“, sagt jetzt einer der vier Männer, die sich um den Apparat gruppiert haben. „Auf diese Weise kommen wir nicht ans Ziel. Wir müssen uns etwas anderes ausdenken!“ „Etwas anderes ausdenken!“ stöhnt Schelnikow. „Ich bin am Ende meiner Weisheit!“ „Wir müssen Wendt und Mirtitsch entführen“, sagt der andere wieder langsam und betont. „Leicht gesagt!“ erwidert Schelnikow ironisch. „Sein Werk ist gesichert, an seinen Wagen kann man nicht ran, und seine Villa ist die reinste Festung. Außerdem würde sein Verschwinden einigen Staub aufwirbeln. Die Polizei hierzulande arbeitet nicht langsam. Wir würden mit diesen beiden nicht über die Grenze kommen.“ „Das brauchen wir auch nicht“, antwortet der Mann. „Wir benötigen Wendt nur eine Nacht. Während dieser Nacht wird er uns alles sagen. Diese Ampulle“, er hebt ein kleines Glasröhrchen hoch, „wird ihm den Mund öffnen. Diesem Serum hat bisher noch keiner widerstanden. Er wird reden wie ein Waschweib. Er wird erzählen, was man nur wissen will. Auch wenn die Fragen gegen sein Gewissen gerichtet sind.“ 15
„Deine Vorträge kannst du dir sparen“, unterbricht ihn Schelnikow ungeduldig. „Mich interessiert, wie du Wendt kassieren willst!“ „Er fährt abends – manchmal auch erst spät in der Nacht – mit Mirtitsch zu seiner Villa. Mirtitsch wohnt bei ihm. Da die beiden aber auch oft im Werk übernachten, würde ihr kurzes Verschwinden gar nicht auffallen. Wir können weder in sein Werk gelangen noch in seine Villa. Also bleibt nur der Weg. Wir inszenieren einen kleinen Unfall und lassen die beiden scheinbar in ein Krankenhaus bringen.“ „Und von dort holen wir sie dann ab“, lächelt Schelnikow ironisch, „wenn die ganze Stadt schon weiß, daß der berühmte Wendt einen Unfall erlitten hat!“ Der Agent schaut Schelnikow so an, als ob er an dessen Intelligenz zweifle. „Du glaubst doch nicht, daß die beiden ins Krankenhaus kommen? Wir selbst werden den Krankenwagen stellen und sie hierher bringen. Sie dürfen beide nicht verletzt sein. Den Rest werden dann diese Ampulle und unser Hypnotiseur besorgen.“ Schelnikow denkt einen Augenblick nach. „Nicht schlecht!“ ruft er dann aus, und trifft sofort die nötigen Anordnungen. * „Ich denke, heute spannen wir einmal etwas aus“, sagt Wendt zu Mirtitsch und verschließt seine Berechnungen im Tresor des Laboratoriums. „Wir haben beide eine Erholungspause nötig.“ „Hm“, brummt Mirtitsch nur und unterdrückt ein herzhaftes Gähnen, obwohl es erst später Nachmittag ist. Die Arbeiter und Angestellten strömen aus den Werkstätten und Büros. Auf den Straßen herrscht lebhafter Verkehr. Die 16
vielen Wagen finden trotz der breit angelegten Fahrbahnen kaum genügend Platz. Als der Wagen Wendts das Werk verläßt, hängt sich sofort unauffällig ein Verfolger dahinter. Schelnikow und seine Kumpane haben nur auf diesen Augenblick gewartet. Das Gedränge der Autos wird immer dichter. Jetzt gleiten die mit Atomkraft angetriebenen Fahrzeuge langsam einer Kreuzung zu. Die Freunde sind völlig ahnungslos. Die Kreuzung ist frei. Die Wagen rollen an. Plötzlich flitzt aus einer Seitengasse ein Fahrzeug auf die breite Fahrbahn, genau auf den Wagen des Technikers zu. Wendt tritt auf die Bremsen. Ein Ruck – der Wagen steht. Wendt und Mirtitsch schlagen hart mit den Köpfen an die Schutzscheibe. Der Verfolger prallt gegen das Hinterrad. Benommen richten sich die Freunde wieder auf. Ein Mann springt aus dem zweiten Wagen, schaut durch das offenstehende Seitenfenster auf Wendt und Mirtitsch und sagt: „Bitte, entschuldigen Sie vielmals!“ Gleichzeitig schnellt seine Hand blitzschnell ins Wageninnere. Ein winziges Glasröhrchen zersplittert auf dem Boden. „Luft!“ stöhnt im selben Augenblick Wendt, und Mirtitsch fährt sich mit der Hand an die Kehle. Dann glauben die beiden, in einen tiefen Abgrund zu stürzen. Schon ertönt das helle Tuten einer fliegenden Ambulanz. Und ehe einer der Autofahrer oder Passanten gewahr wird, was hier eigentlich vor sich geht, sind Wendt und Mirtitsch im Krankenwagen verladen und abtransportiert. Einer der Spione setzt sich ans Steuer des Wendtschen Wagens. Sekunden später ist er im Gewühl des dichten Verkehrs untergetaucht. 17
* Wendt erwacht wie aus einem schweren Traum. In seinen Ohren dröhnt und rauscht es. Seine Augenlider sind bleiern. Nur mit größter Mühe gelingt es ihm, sie einen Spalt breit zu öffnen. Da durchzuckt ihn ein eisiger Schreck. Er ruht, halb liegend, in einem bequemen Ledersessel. Links neben ihm hängt in derselben Stellung sein Chefmechaniker. Mirtitsch schläft noch tief. Im Raum verteilt lehnen fünf Männer lässig an einigen Möbelstücken. Interessiert beobachten sie ihn. Wendt mustert mit raschem Blick die Männer und den elegant eingerichteten Raum. Wie ein brutaler Faustschlag trifft ihn die Erkenntnis der Gefahr. Aber mit unbeugsamem Willen schüttelt er die Schwere seiner Glieder ab und ist im Nu auf den Beinen. „Was soll das?!“ schwingt seine Stimme scharf durch den Raum. „Ich bin zu solchen Scherzen nicht aufgelegt!“ „Das glauben wir Ihnen gerne, Herr Ingenieur“, antwortet Schelnikow ungerührt. „Wir erlauben uns auch keinen Scherz. Wir wollen nur von Ihnen einige Geheimnisse erfahren. Zum Beispiel, woran Sie so intensiv in Ihrem Laboratorium arbeiten. Wenn Sie uns das gesagt haben, lassen wir Sie selbstverständlich sofort wieder frei.“ Wendt lacht hell und laut auf. „Glauben Sie denn wirklich, daß ich Ihnen auch nur ein Wort verrate?! … Wenn ich morgen früh um acht Uhr nicht in meinem Werk bin, dann sucht mich schon um halb neun die gesamte Polizei der Stadt.“ „Möglich“, erwidert Schelnikow gelassen. „Sie sind also nicht bereit, uns gewisse Dinge anzuvertrauen?“ 18
Wendt lächelt nur verächtlich. „Dann sind wir leider gezwungen, andere Mittel anzuwenden.“ Schelnikow zuckt die Achseln und wendet sich zu Mirtitsch, der eben erwacht. Der Chefmechaniker schaut einen Augenblick verwirrt um sich. Dann springt er taumelnd auf. Er sagt kein Wort, aber die Zornesadern an seiner Stirn schwellen bedrohlich dick an. „Herr Ingenieur“, sagt Schelnikow sachlich, „ich werde nun Ihrem Herrn Chefmechaniker eine Injektion verabreichen. Keine Angst! Sie ist völlig ungefährlich!“ Er hebt beruhigend die Hand. „Sie brauchen nicht zu befürchten, daß wir Ihnen einen so tüchtigen Mitarbeiter rauben wollen. Herr Mirtitsch wird nur wieder einschlafen und uns alles das sagen, was uns interessiert. Selbstverständlich genügt uns sein Wissen nicht. Wir brauchen die Formeln. Wir wollen Ihnen nur demonstrieren, daß uns jede Frage beantwortet wird, die wir stellen. Ich schlage Ihnen daher vor, uns keine Schwierigkeiten zu machen. Das“, Schelnikow läßt eine Glasampulle spielerisch auf seinem Handteller auf und ab rollen, „ist nämlich das wirkungsvollste Wahrheitsserum, das die Wissenschaft bis heute entwickeln konnte.“ Wendt knirscht laut und vernehmlich mit den Zähnen. Er hat von der Wirkung dieser Drogen gelesen und weiß, daß es unmöglich ist, ihnen zu widerstehen. Es juckt verdächtig in seinen Fäusten. Er möchte sich am liebsten auf diese Schurken stürzen und ihnen seine Kraft zeigen. Aber das wäre sinnlos, denn die Spione halten jetzt alle Pistolen in den Händen. Widerstand wäre sinnlos. Die zwei Kumpane Schelnikows nähern sich langsam mit vorgehaltenen Waffen dem Chefmechaniker. Doch Mirtitsch geht in Kampfstellung. „Keine Dummheiten!“ warnt einer der Agenten und lächelt wahrhaft satanisch. „Es würde uns unendlich leid tun, wenn wir einen so tüchtigen Mechaniker ins Jenseits befördern müßten!“ 19
Mirtitsch schaut den Spion haßerfüllt an. Drohend ballen sich seine großen, kräftigen Hände. Alles an ihm ist Abwehr, Kampfentschlossenheit. Er will nicht nachgeben. Trotz der auf ihn gerichteten Pistolen. Er wird das große Werk nicht verraten! „Nein!“ sagt Wendt in die Spannung hinein. „Es hat keinen Sinn mehr. Wir sind machtlos.“ Müde, gebrochen, sagt er diese Sätze. Ist das noch der vorwärtsstürmende Techniker? Der Mann, den bisher jedes Hindernis stärker und entschlossener machte? Der ein Aufgeben einfach nicht kannte? Mirtitsch schaut seinen Chef ungläubig an. Das ist doch nicht möglich! Das kann nicht sein! Wendt gibt auf?! „Ich gebe nicht auf!“ brüllt Mirtitsch gequält. „Schlägt mir heute die Stunde, dann soll es eben sein! Du darfst nicht aufgeben! Du darfst es nicht! Dr. Prenten würde … Dr. Prenten?“ wiederholte er sinnend den Namen des Philosophen. Und jetzt lacht der Chefmechaniker, scheinbar völlig unmotiviert, befreit auf. „Das werdet ihr büßen, ihr Hunde!“ Mehr sagt er nicht. Die Spione packen Mirtitsch links und rechts an den Armen. Einer bereitet bedächtig die Injektion vor. Nun nähert er sich langsam seinem wehrlosen Opfer. Um den Mund des Chefmechanikers zuckt es verächtlich. Fest blickt er dem Mann mit der Injektionsspritze in die Augen. „Herr Ingenieur, wollen Sie jetzt sprechen?“ fragt Schelnikow ölig. Doch Mirtitsch läßt dem Techniker keine Zeit zu einer Antwort. „Das würde dir wohl so passen, nicht?!“ Wendt begreift seinen Freund nicht mehr. Hat er den Verstand verloren? Schelnikow zuckt wieder wie bedauernd die Achseln. Die Injektionsnadel berührt schon die Haut am rechten Arm 20
des Chefmechanikers. Da konzentriert sich Mirtitsch plötzlich, und mit leiser, intensiver Stimme ruft er aus: „Dr. Prenten! … Dr. Prenten! … Dr. Prenten!“ Die Nadel dringt ein. Das Serum flutet durch Mirtitschs Adern. Seine Gedanken entgleiten ihm mehr und mehr. Da! Mirtitsch jubelt innerlich auf! Es ist gelungen! Dr. Prenten hat seinen Ruf vernommen! Dr. Prenten ist hier! Ist hier in diesem Raum, auch wenn sein Körper weit entfernt irgendwo anders weilt! Mirtitsch fühlt, daß die Macht über seine Glieder, über seine Kehle sanft von ihm genommen wird. Er weiß, er wird den Spionen nicht antworten können! Wendt, der schweigend, ohne eingreifen zu können, alles mit angesehen hat, schaut erstaunt in das Gesicht seines Chefmechanikers. Das … das ist doch nicht das Gesicht seines Freundes! Die vertrauten Züge ändern sich von Sekunde zu Sekunde. Das ist doch das Gesicht … Prentens! Wendt möchte aufschreien vor Freude. Er kann sich diese Veränderung nicht erklären. Aber er fühlt, daß sein Geheimnis jetzt gewahrt bleiben wird. Erleichtert wartet er ab. Dr. Prenten hat eingegriffen. Da kann nichts schiefgehen! „Also, mein Freund“, sagt Schelnikow zu Mirtitsch, der scheinbar willenlos vor sich hin stiert, „was sucht Ingenieur, Wendt? Streng’ dich nicht an, mich zu belügen. Es gelingt dir nicht. Nun? … Woran arbeitet Ingenieur Wendt?“ Mirtitsch schweigt. „Was sucht Ingenieur Wendt?“ fragt Schelnikow noch einmal eindringlich. Mirtitsch rührt sich nicht. Er schweigt, obwohl er alles hört, obwohl eine fast unwiderstehliche Gewalt ihn treibt, die Frage zu beantworten. Aber er kann es nicht. Er hat keine Macht mehr über seine Sprechorgane. 21
Schelnikow packt ihn an den Schultern und schüttelt ihn. „Antworte!“ brüllt er. Vergeblich! Mirtitsch schweigt. Da sagt Wendt spöttisch: „Meine Herren, Ihr so viel gepriesenes Wahrheitsserum scheint nicht zu wirken. Probieren Sie es doch bitte auch an mir.“ Schelnikow funkelt ihn mit kalten Augen wütend an. „Dir wird das Spötteln noch vergehen!“ zischt er. „Du wirst für uns arbeiten, ohne es zu wissen. Du wirst unser willenloses Werkzeug sein.“ „Glauben Sie?“ zuckt Wendt spöttisch die Achseln. Dabei horcht er auf jedes Geräusch, das von außen hereindringt, obwohl er weiß, daß Prenten unmöglich jetzt schon hier sein kann. Doch Prenten wird kommen! Dessen ist er sicher. Schelnikow greift nach einer zweiten Ampulle des Wahrheitsserums. „Bei deinem Freund wirkt es nicht. Bei dir wirkt es bestimmt!“ sagt er verächtlich zu Wendt. „Das möchte ich bezweifeln“, lächelt Wendt und hält ihm bereitwillig seinen rechten Arm hin. Doch Schelnikow kommt nicht mehr dazu, die Injektionsnadel einzuführen. Unvermittelt hält er in seinen Bewegungen inne. Seine Augen werden starr, und eine unsagbare Müdigkeit breitet sich in allen seinen Gliedern aus. Dann weiß er nichts mehr von sich. Seinen Kumpanen geht es genauso. Einer nach dem anderen gleiten sie zu Boden und schlafen ein. Sie sinken in einen Schlaf, viel tiefer und fester als den tiefsten Ermüdungsschlaf. „Mein Freund Prenten“, murmelt Wendt mit leuchtendem Blick. „Wie er das nur macht …!“ Dr. Prenten rast mit seinem Wagen durch die Nacht. Er weiß, 22
daß er die Agenten durch Fernhypnose außer Gefecht gesetzt hat, aber er holt dennoch die Höchstgeschwindigkeit aus dem Atommotor heraus. Erleuchtete Fenster und Reklametafeln flitzen an ihm vorbei. Laut singen und pfeifen die Räder in den Kurven. Doch Prenten kümmert das nicht. Das Werk, die Idee ist in Gefahr! Da gibt es für ihn kein Zögern, kein Zaudern. Genau kennt er seinen Weg. Jetzt noch diesen kleinen Hügel hinauf. Dann ist er am Ziel. Mit einem scharfen Ruck bleibt der Wagen stehen. Dr. Prenten springt aus dem Fahrzeug und eilt, ohne sich zu besinnen, auf eine mit Efeu überwucherte Villa zu. Die Gartentür ist verschlossen. Prenten springt über den Zaun. Die Haustür ist zu. Prenten zögert einen Augenblick. Dann kennt er die Kombination des Akustikschlosses. Er flüstert das Wort, und die Tür schwingt auf. Gleich mehrere Stufen auf einmal überspringend, jagt er in den ersten Stock, stößt eine Tür mit dem Fuß auf und steht vor Wendt. Sein alles umfassender Blick streicht blitzschnell über den Raum. „Das ist ja noch einmal gut gegangen“, sagt er ruhig, anscheinend nicht im mindesten erregt. „Du Teufelskerl!“ ruft Wendt, und seine Rechte landet schwer auf der Schulter seines Freundes. „Du bist jedem Techniker weit überlegen!“ Dr. Prenten schmunzelt. „Wozu ihr Techniker Maschinen und Apparate braucht, dazu brauche ich nur meine geistigen Kräfte.“ Als die Spione in Polizeigewahrsam erwachen, schauen sie sich verständnislos an. Wie und wodurch man sie geschnappt hat, wird ihnen ewig ein Rätsel bleiben. 23
Das Abenteuer der Freunde zieht weite Kreise. Die zuständigen staatlichen Stellen werden durch dieses Abenteuer davon überzeugt, daß etwas ganz Besonderes in Wendts Werk vor sich geht. Den Freunden ist diese Aufmerksamkeit äußerst unangenehm. Jetzt werden die Behörden Rechenschaft verlangen, werden Fragen stellen. Doch die Freunde dürfen keinesfalls die Wißbegier befriedigen, wenn sie ihr Werk nicht gefährden wollen. Denn es geht nicht nur um die Raumfahrt. Es steht viel mehr auf dem Spiele! Und die Behörden fragen. Doch die Freunde schweigen. Rechtlich kann man sie nicht zwingen, ihr Geheimnis preiszugeben. Also versucht man es anders. Man appelliert an ihr Pflichtbewußtsein dem Vaterland gegenüber. Als auch dies nichts nützt, schickt ihnen der Sicherheitsminister eine Einladung. Aber sie wandert in den Papierkorb. Da fühlt sich der hohe Herr bemüßigt, bei Wendt vorzusprechen. Im Herzen dieses Mannes lodern unbefriedigte Diktatorengelüste, die jedes vernünftige Denken verdrängt haben. Er ist ein kleiner, äußerst beweglicher Mann. Seine dunklen, fanatischen Augen erzwingen von jedem seiner Umgebung bedingungslose Unterordnung. Er versucht alles; er schmeichelt und droht. Doch die Freunde schweigen. Endlich zieht er unverrichteterdinge ab. Aber das wird er den Freunden niemals vergessen! * Nach Wochen ist das erste Miniatur-Modell eines Raumschiffes startbereit. Das Modell ist etwa zwei Meter lang und stromlinienförmig gebaut. 24
Endlich ist der große Tag gekommen. Die Freunde stehen auf dem flachen Dach ihrer Versuchsräume. Vor ihnen glänzte das Schiff in der winterlichen Sonne silbern auf. Rund um das Miniaturmodell haben sie ihre Apparate aufgebaut, die teils den Messungen und teils der Fernsteuerung des Schiffes dienen. „Beginnen wir“, sagt Wendt und drückt auf verschiedene Schaltknöpfe. Plötzlich, wie von unsichtbaren Fäden gezogen, stellt sich das Schiff auf und zeigt mit seiner Spitze gegen das Firmament. Noch ein Druck auf einen Knopf, und das Schiff stürmt in den Himmel hinein. Es wird kleiner und kleiner, und bald ist es im blauen Äthermeer verschwunden. Auf einem Bildschirm wird es sichtbar. Mit ungeheuerlicher, ständig anwachsender Geschwindigkeit entfernt es sich von der Erde. 10 – 20 – 30 – 40 – 55 – 70 – 90 – 115 – 150 – 190 – 240 km. Und immer weiter rast das Schiff, ständig steigert sich die Geschwindigkeit. Wendt hat einen fernen Fixstern angepeilt, und schnurgerade stürmt das Miniaturschiff auf diesen zu. Kein Auge sieht es mehr ohne Hilfsmittel. Jetzt verschwimmt es sogar auf dem Leuchtschirm. „Es hat die diabolische Geschwindigkeit spielend erreicht’“, stellt Wendt, äußerlich völlig ruhig, fest. Doch in seiner Brust tobt ein Freudentaumel. Nun ist das Schiff schon 1000 km in den Weitenraum vorgestoßen, und noch immer schneller, immer rasender, wird sein Flug. 1000 km. Eine verhältnismäßig kurze Strecke auf der Oberfläche der Erde, eine Strecke, die sehr leicht zu bewältigen ist. Doch 1000 km von der Erde weg in den Weltenraum zu gelangen, das schien noch vor wenigen Jahrzehnten unmöglich. 25
Unbeirrt verfolgt das Schiff seine Bahn dem fernen Fixstern zu. Nun beträgt seine Geschwindigkeit schon 50 km pro Sekunde. 50 km in der Sekunde. Eine Geschwindigkeit, die für uns erdgebundene Menschen völlig unvorstellbar ist. 50 km in der Sekunde! Und doch erst 1/6000 jener Geschwindigkeit, mit der das Licht durch das Weltall rast. Nach Wendts Berechnungen müßte das Schiff diese Geschwindigkeit erreichen können, zumindest nahe herankommen. Die Geschwindigkeit des Schiffes wächst und wächst. 60 – 70 – 85 – 100 km pro Sekunde. Den Freunden stehen trotz der Winterkälte Schweißperlen auf der Stirn. Sie greifen tief ein in die Geheimnisse der Natur. Aber wird sich die Natur diesen Eingriff gefallen lassen? Werden sich nicht die Kräfte des Kosmos zum Kampf gegen diese himmelstürmenden Menschen vereinen, um sie zu vernichten? 300 km pro Sekunde! Schreckt Wendt vor einer weiteren Steigerung der Geschwindigkeit zurück? Nein! Seine Augen hängen an den Instrumenten und verschlingen die Resultate. Die Geschwindigkeit des Schiffes wächst und wächst. Das Schiff kreuzt schon längst im luftleeren Raum, im sogenannten absoluten Vakuum. In einem lufterfüllten Raum wäre die schützende Stahlhülle des Schiffes schon längst durch den Reibungswiderstand der Gase verglüht. 400 km pro Sekunde! Ungefähr in einer Sekunde von Wien nach Linz und wieder zurück! Wendt gebietet dem Schiff noch immer keinen Halt. Weiter stürmt es in den Weltenraum hinaus, ohne auf ein Hindernis zu stoßen, denn es hält genau den vorausberechneten Kurs ein. 26
500 km – 600 km – 700 km – 800 km – 900 km – 1000 km pro Sekunde. „In 360 Sekunden zum Mond!“ murmelt Wendt ergriffen, und so sehr er sich auch bemüht, das Zittern seiner Hände zu verbergen, es gelingt ihm nicht. Der einzige, der gelassen bleibt, ist Dr. Prenten. Denn seine Weltanschauung, sein tiefes Wissen um die Naturgesetze sagen ihm, daß selbst die Lichtgeschwindigkeit von 300 000 km pro Sekunde nicht die höchste ist. Es muß noch eine andere, viel größere geben. Wendt läßt das Schiff weiter in den Weitraum rasen. 1500 km pro Sekunde – 2000 km pro Sekunde. Als das Schiff 100 000 km pro Sekunde erreicht, halten selbst Wendts stählerne Nerven nicht mehr stand. Er zwingt das Schiff zur Umkehr. „Es ist weit über die Mondbahn hinausgerast“, flüstert er fast tonlos. Ihm schaudert vor seinem eigenen Werk. Denn was sie hier geschaffen haben, ist das Ungeheuerlichste, was die Technik je hervorbrachte! Als das Schiff wieder sanft auf dem Dach der Versuchsräume landet, weist es nicht die Spur eines Schadens auf. Die Außenwand glänzt noch genauso silbern wie vor dem Start. Ein Uneingeweihter würde nicht glauben, welch unvorstellbare Kraft in diesem Miniaturschiff schlummert! Eine Kraft, die die Atomkraft weit in den Schatten stellt, eine Kraft, entstanden durch die Überwindung eines Naturgesetzes, das noch vor Wochen unantastbar schien. Als Wendt das Modellschiff anfaßt, wirft ihn ein heftiger elektrischer Schlag zu Boden. „Reibungselektrizität!“ sagt er lakonisch und steht auf. „Wir müssen das Schiff das nächstemal vor der Berührung entladen … Freunde“, wendet er sich dann an seine Gefährten, „das Problem ist gelöst. Noch einige Verbesserungen, und wir können an 27
einen Start ins Weltall denken. Vor allem muß in einem bemannten Weltraumschiff ein künstlicher Pol geschaffen werden, damit wir nicht schwerelos durcheinanderfliegen. Das wird nach unseren Entdeckungen nicht schwierig sein. – Aber jetzt wollen wir erst einmal die Registrierungen der Apparate auswerten.“ Wendt öffnet das Miniaturschiff und entnimmt ihm die modernen Meßapparate. Mit ihrer Hilfe können sich die Freunde über jede Phase des Fluges informieren. Luftdruck, Temperatur, Stärke der kosmischen Strahlung, Radioaktivität usw. können sie für jede Höhe des Fluges ablesen. Und das ist äußerst wichtig. Ihr geplanter Flug in den Weltenraum bedeutet einen Vorstoß in noch völlig unbekannte Höhen und Weiten des Alls. Und Überraschungen gibt es sicher genügend. * Das Geheimnis der Freunde ist noch immer gewahrt. So sehr die Geheimdienste aller Nationen auch versuchen, den Schleier dieses Geheimnisses zu lüften, es gelingt ihnen nicht. Die besten Spione und die besten Agentinnen scheitern, denn niemand kommt mehr an die Freunde heran. Alle Welt weiß, daß sich in Wendts Werk etwas Großes vorbereitet. Doch was, das bleibt ein großes Rätsel. Aber nicht nur ausländische Mächte interessieren ich für die Freunde. Auch der Geheimdienst des eigenen Vaterlandes, an seiner Spitze der Sicherheitsminister, jagt ihrem Geheimnis nach. Dieser Sicherheitsminister, von Machtgier besessen, ist entschlossen, die gesamte Macht im Staate an sich zu reißen und keine andere Autorität außer der seinen anzuerkennen. Ein kleiner Stab von Mitverschworenen unterstützt ihn. Es sind dies Menschen, denen nicht das Wohl ihres Volkes und 28
darüber hinaus der gesamten Menschheit vor Augen schwebt, sondern die nur ihrem tierischen Machthunger leben. Macht! Das ist das einzige, wonach sie streben! Macht! Das ist das Zauberwort, das auch die letzte Faser ihres Seins zu höchster Aktivität anspornt. Diese Schar von Männern ahnt, daß Wendt ihr Machtstreben erfüllen könnte. Wendt, einer der berühmtesten Techniker der Welt, arbeitet doch nicht mit solchen Sicherheitsmaßnahmen an einer kleinen, unbedeutenden Erfindung! Mit Sicherheitsmaßnahmen, die kaum zu erkennen sind, und die doch das Geheimnis der Freunde besser schützen und behüten als eine ganze Armee. Der Sicherheitsminister besitzt eine Tugend, die ihm in seinem Leben schon einige Vorteile verschafft hat. Er kann warten! Er schlägt erst dann zu, wenn die Zeit dafür reif geworden ist. Jetzt glaubt er, lange genug gewartet zu haben. Jetzt ist er überzeugt, die Erfindung der Freunde sei so weit gediehen, daß sie andere vollenden können, Männer, die ihm bedingungslos ergeben sind. Vorsichtig eröffnet der Minister den Kampf. Vorerst kaum merkbar, doch bald zu einer wahren Flut anschwellend, nimmt die Presse gegen die Freunde Stellung. „Welches Recht hat Wendt“, so schreibt sie und wiederholt es täglich, „seine Erfindung der Menschheit vorzuenthalten!? Was sucht er überhaupt!? Arbeitet er etwa an äußerst gefährlichen Sprengstoffen, die eines Tages, sei es durch Absicht oder Unvorsichtigkeit, blühende Städte und Dörfer vernichten könnten? Ist dieser Mann noch normal? – Das Volk hat ein Recht, zu erfahren, ob seine Sicherheit gefährdet ist oder nicht.“ Die Freunde beobachten aufmerksam die Hetzkampagne gegen sie. Sie wissen, daß der Sicherheitsminister der Drahtzieher ist. Sie wissen aber auch, daß gerade dieser Mann ihre Erfindung niemals in die Hände bekommen darf, denn dann würde sie kaum zu friedlichen Zwecken verwendet werden. 29
Doch Wendt, Prenten und Mirtitsch haben in diesen wildbewegten Tagen auch Freunde; Freunde, auf die sie sich voll und ganz verlassen können, – die Angestellten und Arbeiter des Wendtschen Werkes. Sie befolgen weder die Aufrufe, die Arbeit niederzulegen, noch sinkt ihre Arbeitsmoral. Die wenigen, die Verrat an ihrem Chef begehen wollen, schließen sie kurzerhand aus ihrer Gemeinschaft aus. Einige Agenten des Sicherheitsministers prügeln sie aus dem Werk, und diese überlegen es sich, ein zweites Mal zu kommen und zu hetzen. Die Angestellten und Arbeiter haben unbedingtes Vertrauen zu Wendt. Er war stets nicht nur ihr Chef, sondern vielmehr ihr guter Kamerad. Aus dem Nichts hat er ein großes Werk aufgebaut. Niemals hat er einen unbequemen Zwang auf seine Untergebenen ausgeübt, sondern sie stets für große Aufgaben begeistert. Gerne gehorchen sie ihm, denn er verlangt von ihnen nichts, was er nicht jederzeit selbst tun würde. Die Wendtsche Belegschaft kennt weder die Erfindung ihres Chefs noch die Hintergründe der Hetztiraden gegen ihn. Aber sie vertrauen ihm. Er hat stets das Rechte gewollt und getan. Er will auch jetzt das Richtige. Keiner kann sich vorstellen, daß es anders sein könnte. Dr. Prenten zieht sich während dieser Zeit oft zurück und versetzt sich in Trance. In diesem Zustand gewinnt der Philosoph Macht über kosmische Kräfte und sammelt neue Erkenntnisse. * An einem Frühlingsvormittag platzt endlich die langerwartete Bombe. Der Sicherheitsminister überreicht im Beisein einiger Mitverschworener im Büro Wendts den Freunden triumphierend ein Schreiben der Regierung. 30
„Der letzte Versuch zu einer friedlichen Einigung“, sagt er hart im Bewußtsein seines Sieges. Der Techniker reißt das Kuvert auf. Schnell wandert sein Blick von Zeile zu Zeile. Seine Züge werden starr. Das ist doch nicht möglich! Das kann nicht sein! Der Minister und die Herren seiner Begleitung bemühen sich nicht, ihre Gefühle zu verbergen. Schadenfroh blicken sie auf die Freunde. Prenten nimmt dem wie angewurzelt stehenden Wendt das Schreiben der Regierung aus der Hand. Kein Muskel zuckt in seinem schmalen, intelligenten Gesicht. Ruhig beginnt er zu lesen. Sehr geehrte Herren! Um die Sicherheit des Landes besorgt, sieht sich die Regierung veranlaßt, an Sie, sehr geehrte Herren, die Aufforderung zu richten, einer überparteilichen Regierungskommission innerhalb von drei Tagen Zutritt ins Werk des Herrn Dipl.-Ing. Hans Wendt zu gestatten und dieser Kommission Einsicht in Ihre Pläne, betreffend die neueste Erfindung des Herrn Dipl.Ing. Hans Wendt, nehmen zu lassen. Sollte die überparteiliche Regierungskommission feststellen, daß die neueste Erfindung des Herrn Dipl.-Ing. Hans Wendt für das Land keine Gefahren birgt, wird strengste Geheimhaltung zugesichert. . Sollte Ihrerseits dieser Anordnung der Regierung nicht entsprochen werden, so sähe sich diese gezwungen, mit Gewalt einzuschreiten. Beherrscht hebt Dr. Prenten den Blick. Der Minister und sein Anhang fühlen sich wie Jäger, die das Wild gestellt haben. Jetzt wird abgerechnet! denkt der Minister. „Allerdings, Herr Minister, jetzt wird abgerechnet!“ sagt 31
Dr. Prenten klar und deutlich in die Stille. Sein lichtblauer Blick ruht rein in den dunklen, fanatischen Augen des Ministers. Dieser Blick ist wie die Morgensonne, die siegend das Dunkel der Nacht vertreibt. Unbehaglich zuckt der Minister unter diesem Blick zusammen. Prenten wendet sich zu Wendt. „Es wird gelingen“, sagt er leise. Wendt schaut seinen Freund bangend und zweifelnd, fragend und hoffend an. Der Philosoph ergreift die Rechte des Technikers. Da ist es diesem, als ströme ihm neue Lebenskraft wie aus einer unversiegbaren Quelle zu, und sein Kämpfermut erwacht. Langsam und bedächtig schreitet Prenten auf die Tür des Nebenraumes zu. „Halt!“ ruft plötzlich der Minister. „Sie stehen unter Arrest!“ Der Philosoph dreht sich um. Nicht schnell und abrupt. Nein! Langsam, ganz langsam! Wieder ruht sein Blick in dem des Ministers. Doch nun lodert es in den Augen Dr. Prentens! Wie Feuer brennen diese Augen. Wie ein Feuer, das jedes Hindernis verbrennt und sich den Weg freikämpft! Dr. Prenten verläßt das Büro. Ruhig und bedächtig wie immer. Der Minister wendet nichts mehr dagegen ein. Im Nebenraum setzt sich der Doktor auf einen Stuhl und sinkt in Trance. Sein Geist verläßt die reale, die gegenständliche Welt. „Herr Ingenieur, wollen Sie nicht endlich Vernunft annehmen?“ sagt im Büro der Minister zu Wendt von oben herab. „Ihr Werk ist von einer Eliteeinheit umstellt. Sie müssen Farbe bekennen, ob Sie wollen oder nicht!“ Kalt schaut der Techniker den Minister von oben bis unten an. „Wenn Sie nicht innerhalb einer Minute“, er betonte jede 32
Silbe überdeutlich, „mit Ihrem gesamten Anhang vom Werksgelände verschwunden sind, werden meine Arbeiter und Angestellten Sie hinausprügeln!“ „Ich verbitte mir diesen Ton!“ brüllt der Minister auf. Doch Wendt geht, ohne ihn einer weiteren Antwort zu würdigen, zu einem Fenster. Auf dem großen Platz vor dem Büro stehen seine Angestellten und Arbeiter schweigend Kopf an Kopf. Das Gerücht von einem Ultimatum der Regierung ist zu ihnen durchgedrungen. Sie haben sich hier versammelt, um ihrem Chef beizustehen. Und immer neue Scharen strömen aus den großen Hallen heran. Als Wendt das Fenster öffnet, bricht die Menge in begeisterte Zurufe aus. „Wir stehen zu dir!“ rufen die Arbeiter und heben wie zum Schwur die schwieligen Fäuste. „Arbeitskameraden!“ hebt Wendt mit weithinschallender Stimme an. „Ich habe unserem Herrn Sicherheitsminister angedroht, ihn mit seinem gesamten Anhang vom Werksgelände prügeln zu lassen, wenn er nicht innerhalb einer Minute verschwunden ist. Dieser Herr …“ Weiter kommt Wendt nicht. Der Platz unter ihm verwandelt sich plötzlich in einen Hexenkessel zorniger, zu allem entschlossener Männer. Ihre wilden Drohungen klingen dem Minister wie die Fanfaren des Jüngsten Gerichtes im Ohr. Rachedurstig zieht er samt Anhang ab. * Der weißhaarige Regierungspräsident sitzt in seinem Arbeitszimmer vor dem großen, gewichtigen Schreibtisch und signiert einige Akten. 33
Plötzlich öffnet sich die Tür zum Vorzimmer und herein tritt … Dr. Siegfried Prenten! Der Präsident schaut überrascht auf. Seine Ordonnanz hat ihm keinen Besuch gemeldet. Der Doktor geht mit sicherem Schritt auf den Präsidenten zu und sagt: „Gestatten Sie: Dr. Siegfried Prenten.“ Mit einem Ruck ist der Präsident auf den Beinen. „Der Mitarbeiter Ingenieur Wendts?“ „Jawohl, Herr Präsident.“ Das Staatsoberhaupt reicht dem Doktor die Hand. Doch als er sie drückt, ist es ihm, als ob er die Hand eines Toten ergriffen hätte, so kalt und leblos wirkt sie. Schnell zieht der Philosoph seine Hand wieder zurück. Der Präsident kommt nicht zum Überlegen. „Die Regierung hat uns“, beginnt Dr. Prenten leidenschaftslos, „ich meine Ingenieur Hans Wendt, Chefmechaniker Rudolf Mirtitsch und mir, ein dreitägig befristetes Ultimatum gestellt. Wenn wir innerhalb der gestellten Frist eine Regierungskommission nicht Einsicht in unsere Pläne nehmen lassen, will man Gewalt anwenden. – Herr Präsident, das ist nicht nur eine Mißachtung der verfassungsmäßig garantierten Rechte des Staatsbürgers, sondern auch eine Schurkerei Männern gegenüber, die in ihrem Leben nichts anderes taten, als ihre Staatsbürgerpflichten zu erfüllen. Der Sicherheitsminister leitet das Komplott gegen uns. Außerdem hat er sich mit einigen Ehrgeizlingen gegen die Demokratie verschworen. Er benutzt seine hohe Position dazu, die Fundamente unseres Staates zu untergraben, um eine Diktatur aufzurichten.“ „Herr Doktor, das ist eine ungeheuerliche Behauptung!“ ruft der Präsident entsetzt aus. „Hier sind die Beweise, Herr Präsident.“ Dr. Prenten entnimmt seiner Aktentasche eine Liste der Verschwörer und einige 34
Sitzungsprotokolle mit eigenhändigen Unterschriften der Umstürzler. Der Präsident vertieft sich in die Schriftstücke, schüttelt mehrmals konsterniert den Kopf, um endlich erregt aufzuspringen. „Da soll doch gleich der Blitz dreinfahren!“ „Herr Präsident, wenn dem Sicherheitsminister unsere Pläne in die Hände fallen, hat er gewonnen!“ sagt Dr. Prenten eindringlich. „Seien Sie beruhigt, Herr Doktor“, erwidert der Regierungschef zornig, „diesem Herrn werde ich tüchtig die Suppe versalzen!“ Er läutet. Eine Ordonnanz erscheint. Entgeistert blickt der Offizier den Philosophen an. Wie konnte dieser Herr zum Präsidenten gelangen? Er hat ihn weder gesehen noch angemeldet. Oder träumt er? „Hauptmann, verbinden Sie mich sofort mit dem Chef der Geheimpolizei“, befiehlt der Präsident. Der Offizier rührt sich nicht von der Stelle. „Herr Hauptmann!“ „Jawohl, Herr Präsident!“ Der Regierungschef muß den Befehl wiederholen, so verblüfft ist der Offizier über die Anwesenheit Dr. Prentens. Eilig stellt er die gewünschte Verbindung her. „Herr General – der Herr Präsident!“ Dann entfernt er sich. Er glaubt, noch immer zu träumen. „Herr General, ich habe untrügliche Beweise, daß unser Regime von gewissenlosen Elementen gestürzt werden soll. – Ich gebe Ihnen die Namen der Verschwörer bekannt. Schlagen Sie rasch zu, ersticken Sie dieses Geschwür im Keim“, ordnet der Präsident mit fester Stimme an. Dann gibt er die Namen der Umstürzler durch. Als er damit zu Ende ist, wendet er sich wieder Dr. Prenten zu. 35
„Herr Doktor, ich bedauere das Vorgehen der Regierung gegen Sie und Ihre Mitarbeiter. Von einem Ultimatum kann selbstverständlich keine Rede mehr sein. Ich danke Ihnen, daß Sie rechtzeitig zu mir gekommen sind. Sie haben unserem Volk einen unschätzbaren Dienst erwiesen!“ „Ich tat nur meine Pflicht. – Darf ich mich nun verabschieden?“ Als der Präsident wieder allein ist, schüttelt er mehrmals, über sich selbst ärgerlich, den Kopf. Wie konnte er nur diese einmalige Gelegenheit ungenützt vorübergehen lassen?! Warum dachte er nicht daran, diesen Dr. Prenten nach der Erfindung zu fragen? Ihm, dem Präsidenten, hätte der Philosoph sicherlich geantwortet! Aber nun ist es zu spät. Die Freunde werden auch weiterhin schweigen, und die Regierung muß mit einer äußerst peinlichen Situation fertig werden. Sie hat Staatsbürgern ungerechtfertigt ein Ultimatum gestellt, dessen unangenehme Folgen nun auf sie selbst zurückfallen. Was wird das Volk über diese offensichtliche Schwäche denken? Wie wird das Ausland urteilen und reagieren? * Stunden später schon schlägt die Geheimpolizei zu. Keiner der Verschwörer entgeht seinem Schicksal. Aber die Umstürzler verblüfft nicht so sehr die Tatsache, daß sie verhaftet sind. Vielmehr erschüttert es sie, daß von ihren geheimen. Zusammenkünften Protokolle mit Unterschriften existieren! Diese Protokolle wurden von ihnen niemals verfaßt, konnten also auch nie von ihnen unterfertigt werden. Doch Leugnen wäre sinnlos. Die Unterschriften sind echt. 36
* Ing. Wendt schüttelt zu diesem Geschehen verständnislos den Kopf. In den Sonderausgaben steht schwarz auf weiß zu lesen, Dr. Prenten wäre beim Präsidenten in der Hauptstadt gewesen und hätte dem Staatsoberhaupt persönlich die Verschwörung aufgedeckt. Dabei weißt Wendt hundertprozentig, daß sein Freund den kleinen Nebenraum seines Büros zur angegebenen Zeit nicht verlassen hat. „Siegfried“, fragt er den Philosophen, „war das auch Fernhypnose? Es kann doch nicht anders sein!“ „Nein. Ich war wirklich beim Präsidenten, und zwar zur selben Zeit, als mein Körper hier schlief“, antwortet Prenten schlicht. „Zum Donnerwetter!“ braust Wendt auf. „Ein Mensch kann nicht zur gleichen Zeit an zwei verschiedenen Orten sein!“ „Im allgemeinen nicht“, räumt der Philosoph ein. „Aber ich kenne und beherrsche das kosmische Gesetz, mit dessen Hilfe man den aus dem physischen Körper ausgetretenen Geist auch an einem weit entfernten Orte genau nach dem sichtbaren Körper aus fein-stofflicher Materie nachbilden kann!“ Ungläubig, fassungslos blickt der Techniker den Freund an. „Das ist mir unheimlich! Das will nicht in meinen Kopf!“ gesteht er. Prenten lächelt weise, wie ein guter Lehrer, der einem begriffsstutzigen Schüler etwas Schwieriges beibringen will. „Du verstehst es nicht, weil du nur technisch zu denken gelernt hast. Es existiert jedoch nicht nur diese wahrnehmbare Welt. Die sogenannten transzendentalen Sphären sind tausendmal interessanter als die gesamte Technik der Erde.“ „Mag sein“, antwortet Wendt kleinlaut. Neben seinem 37
Freund kommt er sich manchmal unscheinbar und nichtig vor, trotz seiner großen technischen Erfolge. * Zum Bau des ersten bemannten Versuchsschiffes brauchen die Freunde Helfer. Wendt wählt die verschwiegensten und treuesten Arbeiter aus. Doch auch diese erprobten Männer weiht er nur zum Teil in seine Erfindung ein. Sie bauen ein Schiff mit dicken Stahlwänden. Es ist etwa 20 m lang und wiegt nach flüchtigen Schätzungen einige hundert Tonnen. Für die Arbeiter ist es unvorstellbar, daß sich dieses Schiff eines Tages in die Lüfte erheben könnte. Trotz des großen Vertrauens Wendts zu seinen Arbeitern vollenden die Freunde allein den Bau des Schiffes. Eine Andeutung, ein unbedachtes Wort, könnte nur zu leicht ihr Antriebsgeheimnis vorzeitig verraten. Endlich ist das Schiff fertig. Es ruht auf einer starken Betonunterlage in einem Werkshof. Metallen glänzt es in der Sommersonne. An seiner Spitze befindet sich die Führungskanzel aus dickem, splitterfreiem Glas. In seinem Innern sind jene Apparate montiert, die ungeheure Energien durch die Umwandlung der Gravitationsstrahlung freimachen und die Außenwände des Schiffes gegen diese vollständig isolieren können. Mittags besteigen die Freunde das Schiff. Mit einem lauten Knall schließt Wendt die stählerne Einstiegsluke. Die Werksangehörigen sitzen auf Bäumen und Dächern, um alles besser sehen zu können. Gebannt hängen ihre Augen an dem Schiff. Wird die Jungfernfahrt gelingen? Hat Wendt alles richtig berechnet? Wird dieser Versuchsflug den Weg freimachen für Flüge in die unendlichen Weiten des Universums? Oder wird dieser erste Versuch mit einem Fiasko enden? 38
Doch nicht nur die Werksangehörigen harren voller Spannung auf den Start des Schiffes. Reporter aus allen Weltteilen richten ihre Fernkameras aus Helikoptern auf das Schiff. Sie werden nicht vergeblich das Wendtsche Werk monatelang belauert haben. Eine Entscheidung ist nahe. Das Rätselraten wird bald zu Ende sein. Bald wird die gesamte Menschheit wissen, ob Wendt tatsächlich in das Wettrennen zu den Gestirnen eingreifen wird, wie Gerüchte wissen wollen. Undenkbar, daß dies Wendt mit seinen im Verhältnis zu Amerika und Rußland bescheidenen Mitteln fertigbrächte. Die Rundfunk- und Fernsehberichterstatter schildern anschaulich ihre Gedanken und Eindrücke aller Welt. Millionenfach erscheint das Wendtsche Schiff auf den Bildschirmen in Ost und West, Nord und Süd. Raketenähnlich im Aussehen, doch nirgends Düsen, nicht aufrecht in einem Stahlgerüst stehend, sondern waagrecht auf einer Betonunterlage ruhend. Wird dieses schwere, massive Schiff wirklich fliegen können? Da! Das Schiff bewegt sich. Langsam schwebt es von seiner Unterlage weg. Lautlos! Gespenstisch! Richtet lotrecht seine Spitze gegen den Himmel. Verharrt einen Augenblick bewegungslos. Und rast, von einer unsichtbaren, urgewaltigen Kraft getrieben, in das blaue Luftmeer hinein. Wird kleiner und kleiner. Wird zum glitzernden, rasch entschwindenden Punkt. Die fast unerträgliche Spannung weicht. Orkanartig jubeln die Werksangehörigen auf. Sie umarmen sich, schlagen sich gegenseitig auf die Schultern und gebärden sich im Freudentaumel wie Irrsinnige. Die Stimmen der Reporter überschlagen sich. Unverständliches, Unfaßbares ist geschehen! Man kann nur schildern, beschreiben, aber nicht begreifen. 39
Wie erging es den Freunden beim Start? Warf sie ein furchtbarer Andruck auf ihre Sitze? Schmerzten ihre inneren Organe unerträglich? Wurden sie besinnungslos? Nichts von alledem! Sie fühlten den Start kaum. Denn mit ihrem Schiff entflohen sie den Gesetzen der Gravitation. Sie purzeln auch nicht gewichtlos durcheinander. Der künstliche Schwerepol im Schiff bewahrt sie davor. Sie fühlen ihr Gewicht wie auf der Erde. Groß und staunend schweifen die Blicke der Freunde aus der Führungskanzel. In weiter Ferne, schon steht die Erde im Raum. Einzelheiten verschwimmen auf ihr. Nur die größten Ströme durchziehen noch erkennbar wie silberne Fäden das Land. Hohe Gebirgsketten wirken wie Runzeln und Falten. Der Atlantik ist keine Wasserwüste mehr, sondern ein See zwischen den Kontinenten. Hier und dort schweben graue Wolken über der Erdoberfläche und den Meeren. Sie scheinen eine schlafende Erde warm zu umhüllen. Die Weltstädte sind nur graue Punkte im Grün der Wälder. Neben der Sonne treten die Sterne klar aus der Schwärze des Alls. Unzählbar viele! Licht- und Lebensspender in der Unendlichkeit des Kosmos. Wendt vergrößert die Geschwindigkeit des Schiffes. Die Erde scheint von ihnen wegzuschweben. Sie fliegen mit 30 km pro Sekunde. Mit jener Geschwindigkeit, mit der die Erde ihre Bahn um die Sonne zieht. Aber die Freunde spüren diese Geschwindigkeit nicht, wie auch wir sie auf unserem Planeten nicht wahrnehmen. Wendt beobachtet mit angespannten Sinnen die Meßapparate, auf deren Skalen Werte in rascher Folge abwechseln. Jetzt kreuzt das Schiff im absoluten Vakuum. Habe ich mich nicht verrechnet? denkt der Techniker. Wird 40
das Schiff halten, was ich mir von ihm verspreche? Werden die dicken Stahlwände dem Innendruck standhalten? Ähnlich denken seine Freunde. Doch das Schiff zieht ruhig und sicher die ihm von Wendt vorgeschriebene Bahn. Die Raumschiffer wenden sich wieder aufatmend der Beobachtung des Alls zu. Spiralnebel, Millionen von Lichtjahren entfernt, leuchten wie Lichtwolken aus dem Gewimmel der Sterne. Und wohin sie schauen, überall blitzen ferne Sonnen. Überall wird Licht geboren und strahlt in die äonenfernsten Tiefen des Alls. Dr. Prenten unterbricht mit einer Stimme, die ihm selbst fremd klingt, das erschütterte Schweigen der Raumschiffer: „Wer könnte bei diesem Anblick noch an der Existenz Gottes zweifeln!? Wir wissen nicht, wie er ist, aber wir wissen, daß es einen Gott gibt.“ Selbst der Techniker Wendt, der sich selten mit dem Gottesproblem beschäftigt hat, fühlt sich klein und nichtig vor der Erhabenheit des Universums. Was der Mensch auch schafft, und seien es die größten Werke, neben dem Werk Gottes verblassen sie zu völliger Bedeutungslosigkeit. Weiter rast das Schiff in die Weiten des Alls. 100 000 km beträgt bereits die Entfernung von der Erde. Das Schiff würde noch immer ohne die der Erdanziehungskraft entgegenwirkende Kraft der Wendtschen Erfindung zum Heimatplaneten hingezogen werden und müßte auf ihm in aber tausend unkenntliche Trümmer zersplittern. 100 000 km! Zweieinhalbmal die Länge des Erdäquators und fast ein Drittel der Entfernung Erde – Mond. Nach einigen Stunden zwingt Wendt das Schiff zur Umkehr. Dieser erste Flug ist nur ein Versuchsflug. Nun ist Wendt überzeugt, sich nicht verrechnet zu haben. Doch zu sehr darf er das 41
Schiff nicht belasten. Sie werden ein größeres, verbessertes Schiff bauen und mit ihm Monde und Planeten erobern. Die ungeheuren Entfernungen wurden bedeutungslos. Die Frage, die sich wohl schon jeder denkende Mensch gestellt hat, wird beantwortet werden, die Frage: „Gibt es auf anderen Weltkörpern organisches Leben? Existieren auf ihnen Menschen oder menschenähnliche Wesen?“ „Sehen wir uns Amerika von oben an“, sagt der Techniker und gibt dem Schiff einen neuen Kurs. Bald schwebt das Schiff, abgeschirmt gegen Radar und unsichtbar für die Erdbewohner, über Kap Canaveral, dem amerikanischen Raketenzentrum. Das Schiff sinkt tiefer und tiefer. Mit ihren ausgezeichneten Apparaten könnten sie eine Maus auf dem Erdboden ausmachen. Stahlgerüst steht an Stahlgerüst. Rakete neben Rakete. Fieberhaft wird allenthalben gearbeitet. Emsig laufen Techniker zwischen den Raketen hin und her. Tempo! Zeitgewinn! Schon wissen sie, daß sie neben den Russen noch einen Konkurrenten bekommen haben. Einen Konkurrenten, mit dem niemand gerechnet hat. Plötzlich ist er dagewesen. Was sie heute im Fernsehen miterlebten, nahm ihnen fast den Mut zur weiteren Arbeit. Es ergeht ihnen wie einem Boxer, der seinen Gegner schon fast zusammengeschlagen hat und dann doch noch durch einen einzigen Schlag besiegt auf die Bretter geworfen wird. Der Schock war hart! War bitter! Doch ein Zauberer ist auch Wendt nicht. Er nahm keine Raumanzüge mit, also kann er auch nicht den Mond betreten. Noch betrat niemand unseren Trabanten! Noch ist er herrenlos! 42
Sie müssen es schaffen! Amerika, die freie Welt erwartet es! „Die unnütz hinausgeworfenen Milliarden!“ sagt Dr. Prenten bedauernd. Dann fährt er leise fort: „Ihr ganzes Wissen und Können setzen sie für ihre Raketen ein. Dennoch wurden sie vernichtend geschlagen. Aber noch wissen sie es nicht. Noch glauben sie an ihr Werk.“ Wendt lächelt stolz und selbstbewußt. „Sie werden als erste zum Mond starten“, erwidert er. „Als erste?“ fährt Mirtitsch auf. „Du willst ihnen den Triumph lassen? Willst es zulassen, daß sie den Mond zu einer Kriegsbasis ausbauen?“ „Das nicht“, antwortet Wendt. „Sie sollen starten. Was dann geschieht, ahnen sie heute noch nicht!“ „Du wirst doch nicht …“ „Sie werden sicher zur Erde zurückgelangen. Aber ich werde ihnen vorher eine Lektion erteilen!“ Wendts Gesicht wird wieder ernst. „Schauen wir uns auch die Russen an!“ Das Schiff rast in wenigen Minuten von Amerika nach Rußland. Tief im Inneren Sibiriens liegt das russische Raketenzentrum. Den Blicken der Freunde bietet sich hier das gleiche Bild wie jenseits des Ozeans. Stahlgerüst an Stahlgerüst. Rakete neben Rakete. „Die Amerikaner haben gleichgezogen“, sagt Wendt. „Wenn wir nicht eingreifen könnten, wäre der Ausgang des Wettrennens völlig ungewiß.“ Prenten schaut lange auf die vielen Raketen unter dem Schiff. „Manchmal denke ich, die Erde wäre von Wahnsinnigen bewohnt“, sagte er kaum hörbar. „Macht! Das ist ihr Inbegriff der 43
Lebenserfüllung! Macht! Der opfern sie alles! Milliarden verpulvern sie jährlich für Waffen, die in einigen Jahren unbrauchbar sind. Doch an die Mitmenschen denken sie nicht. Sie müssen erst lernen, Menschen zu werden!“ Wendt und Mirtitsch schauen sich erstaunt an. Im sonst so beherrschten, ausgeglichenen Gesicht ihres Freundes zuckt tiefempfundenes Weh. So haben sie den Philosophen noch nie gesehen. Doch schon hat sich Prenten wieder in der Gewalt, und sein Gesicht wirkt so heiter und ausgeglichen wie stets. „Freunde“, sagt Wendt in die eingetretene Stille, „die Welt weiß letzt, daß wir uns ins Wettrennen zu den Gestirnen eingeschaltet haben. Doch wir werden alle im unklaren darüber lassen, wie weit wir sind. Unser Schiffsantrieb soll auch weiterhin ein Geheimnis bleiben.“ Die Freunde nickten zustimmend. Unter brausendem Jubel der Werksangehörigen landet das Schiff bei Nachtanbruch wieder auf der Erde. Die Arbeiter heben die Freunde auf ihre Schultern und tragen sie im Triumph über den Platz. Es nützt kein Wehren. Dann verlangen sie stürmisch eine Rede Wendts. Das ist Wendt nicht unwillkommen. Denn heute oder morgen muß er sich an seine Arbeiter und Angestellten um Hilfe wenden. Die Experimente haben Unsummen verschlungen. Und der Bau des ersten interplanetarischen Schiffes wird wieder Unsummen kosten. Sein Werk ist gut fundiert, aber dennoch sind seine Mittel knapp geworden. Auch das Vermögen Dr. Prentens ist verbraucht. Fremde Hilfe lehnen die Freunde ab. Sie müssen frei von Verpflichtungen bleiben. „Arbeitskameraden!“ beginnt Wendt, und augenblicklich wird es still auf dem großen Platz. „Meine Freunde und ich stehen vor der Vollendung eines Werkes, das nicht nur uns, son44
dern der gesamten Menschheit unvorstellbare Möglichkeiten eröffnet. Wir werden mitreden bei der Eroberung des Weltraumes! Wer kann sagen, ob nicht auf dem Mars oder der Venus bewohnbare Landstriche darauf warten, von uns Menschen besiedelt zu werden? Wer kann sagen, ob nicht auf unseren Nachbarplaneten Naturschätze lagern, die die Weltwirtschaft dringend benötigt! Diese Fragen, Arbeitskameraden, kann heute niemand mit Sicherheit beantworten. Aber in einigen Monaten werden wir Klarheit haben. Wir werden wissen, woran wir sind! Arbeitskameraden! Die Experimente haben riesige Summen verschlungen. Ich muß euch sagen, daß wir scheitern könnten, wenn ihr nicht selbstlos an unserem Werk mithelft.“ „Wir helfen!“ schallt es ihm von allen Seiten begeistert entgegen. „Wir lassen unseren Chef nicht im Stich! Unser Chef, er lebe hoch! Hoch! Hoch!“ Wendt bittet um Ruhe. „Arbeitskameraden! Es wird jeder für die normale Arbeitszeit entlohnt werden. Worum ich euch bitte, ist dies: freiwillige Überstunden nach Lust und Liebe jedes einzelnen. Ich gebe euch mein Wort, daß ich euch ausbezahlen werde …“ „Wir sind bereit, Chef!“ unterbrechen ihn seine Arbeiter und Angestellten. „Wir werden ’rangehen wie noch nie!“ Der Techniker richtet sich stolz auf. Er hat gewußt, daß seine Bitte nicht ungehört verhallen würde. Seine Belegschaft wird immer zu ihm stehen. „Arbeitskameraden!“ fährt er fort. „Heute ist der Mensch Herr über die Erde. In einigen Jahren wird er Herr sein über alle Planeten unseres Sonnensystems. Neue, große Entdeckungen harren der Menschheit! Die Entdeckungen unseres Jahrhunderts werden nützlicher und bedeutungsvoller sein als die Amerikas und Australiens. Meine Freunde und ich, vereint mit euch mit 45
einer verschworenen Gemeinschaft, werden das Tor zum Weltall aufstoßen!“ Begeistert jubeln die Männer dem Techniker zu. Er braucht nichts mehr zu sagen. Er hat seinen Leuten ein Ziel gezeigt. Sie werden für dieses Ziel arbeiten. Morgen werden die Hämmer schneller geschwungen, muß sich die Arbeitsleistung verdoppeln. * Kap Canaveral wimmelt von Wissenschaftlern, Technikern, Arbeitern und Reportern. Der Starttag ist angebrochen. Und jeder in der ganzen Welt, der es sich nur irgendwie einrichten kann, sitzt vor einem Fernsehapparat. Dieses einmalige Geschehen wollen sie alle miterleben. Was sind gegen diesen Start die vorhergehenden?! Bisher bat man nur künstliche Satelliten und Raketen mit Bauteilen für die Raumstationen abgeschossen. Aber heute! Heute startet die erste bemannte Mondrakete! Jene, die noch vor wenigen Tagen glaubten, die Russen oder die Deutschen würden die ersten sein, wechseln hinüber ins Lager der Amerikaner. In allen Sprachen der Welt berichten die Reporter ihren Hörern. Die Spannung wächst von Sekunde zu Sekunde. Die Startzeit rückt näher. Nur noch wenige Minuten und das Stahlungetüm wird ferngesteuert losdonnern. Hunderttausende von Pferdekräften werden die Rakete in den Raum hinausschleudern. Die vierköpfige Besatzung – Colonel Hunter, Dr. Morham, Captain Murphy und der Reporter Manniger – besteigt die Rakete. Die Wissenschaftler, Techniker und Arbeiter entfernen sich 46
rasch von der gefährlichen Abschußstelle und eilen in die sicheren Beobachtungsbunker. Was tun die Freunde? Schon lange vor der Abschußzeit schweben sie in ihrem Schiff hoch und für jedermann unsichtbar über Kap Canaveral. Auf ihrem Bildschirm verfolgen sie jede Einzelheit der Startvorbereitungen. „Ich möchte dem unheimlichen Andruck nicht standhalten müssen“, sagt Mirtitsch schaudernd. Da! Die Rakete startet! Der Treibstoff ist gezündet! Ungeheure Stichflammen brechen aus den Düsen der Rakete. Ein Donnern und Bersten, Krachen und Zischen! Rauch und Qualm! Die Rakete braust lotrecht ins Äthermeer! Der auf Betten angeschnallten Besatzung verschlägt es den Atem. Ihre Gesichter verzerren sich in irrsinnigem Schmerz. Unglaublich stark werden ihre Körper auf die Unterlagen gedrückt. Immer gewaltiger, immer unerträglicher wird der Andruck. Ewigkeiten scheinen zu vergehen. Sekunden werden zu Stunden. Endlich erlöst tiefe Bewußtlosigkeit die Besatzung. Höher rast die Rakete, ferngesteuert auf der von Elektronengehirnen errechneten Bahn. Endlich schweigen die Düsen. Die Endgeschwindigkeit ist erreicht. Es gibt keinen Andruck mehr. Die Besatzung erwacht. Benommen schauen die todesmutigen Männer um sich. Doch sie besinnen sich augenblicklich auf ihre Pflichten. Jahrelang wurden sie für diesen Tag geschult und gedrillt. Jetzt erfüllt jeder automatisch seine Aufgabe. „Sieg!“ schwingt die Nachricht auf elektromagnetischen Wellen um die Erde. „Moonlight“, die erste bemannte amerikanische Mondrakete, ist auf der berechneten Bahn! 47
Nun kann nichts mehr schiefgehen. Unbeirrbar wird die Rakete unserem Trabanten zufliegen. Wohl wird ihre Geschwindigkeit ständig abnehmen, doch sie genügt, um in die Anziehungssphäre des Mondes zu kommen. Die Rakete wird Tage brauchen, um den Mond zu erreichen. Aber was macht das schon?! Wo sind die Freunde geblieben? Fern zieht ihr Schiff ruhig eine zur Rakete parallele Bahn. Stets ist das amerikanische Schiff klar und deutlich auf dem Bildschirm der Freunde zu erkennen. „Wir müssen unsere amerikanischen Kollegen leider enttäuschen“, sagt Wendt fast bedauernd. „Sie hätten den Sieg verdient. Aber lassen wir ihnen noch einige Stunden der Siegesillusion.“ Die Besatzung der Mondrakete hat nichts mehr zu tun. Nur der Reporter schildert ununterbrochen und begeistert seine Eindrücke. Stunden vergehen. „Was ist das?“ Mirtitsch zeigt erstaunt auf den Bildschirm. Eine zweite Rakete nähert sich rasch von hinten der amerikanischen. „Verdammt! Die Russen!“ Wendt stellt das Bild erregt auf die zweite Rakete ein. Scharf umrissen rast der Raumer auf den amerikanischen zu. Feuer sprüht aus den Düsen. „Die ist unbemannt! Eine Sprengrakete!“ Wendt betätigt fieberhaft einige Schalthebel. „Verdammte Schweinerei!“ knurrt er zornig. „Aber ich werde ihnen den Brei versalzen!“ Das Schiff der Freunde rast lautlos auf die beiden Raketen zu. Sekunden können entscheiden – über vier Menschenleben! Nur mehr wenige Kilometer ist die unbemannte Rakete von den Amerikanern entfernt. 48
Die bedrohte Besatzung ahnt nichts von der tödlichen Gefahr. Wendt betätigt wieder einige Schaltknöpfe. Ein radarähnliches Gerät erfaßt die zweite Rakete mit seinen Strahlen. Wieder ein Fingerdruck Wendts auf einen Knopf. Feuer zuckt auf! Licht blitzt durch den Raum. Die unbemannte Rakete explodiert. Lautlos! Unwirklich! Die Amerikaner merken nichts davon. Erleichtert atmen die Freunde auf. „Ich greife ein!“ murmelt Wendt entschlossen. „Ich möchte keine Überraschungen mehr erleben.“ Die Besatzung der amerikanischen Rakete schaut gespannt auf den Mond, der hell vor ihnen im All steht. Der Reporter schildert unverdrossen die Mondgebirge und die vielen Krater, von denen der Trabant allenthalben übersät ist. „Was ist denn das?!“ ruft Colonel Hunter plötzlich entgeistert aus. Der Mond, der eben noch vor ihnen im Raum stand, entschwindet seitlich. Selbst dem abgebrühten Reporter verschlägt es sekundenlang die Sprache. „Zum Donnerwetter!“ fährt Colonel Hunter auf, als der Mond endgültig ihren Blicken entgleitet. „Das ist doch nicht möglich!“ Aber es ist möglich. Es ist eine Tatsache. Anstatt, wie berechnet, dem Mond zuzustreben, entfernen sie sich von ihm. Entgegen dem Gesetz der Gravitation! Und das mit solcher Geschwindigkeit, daß den sonst kaltblütigen Männern Angstschauer über die Rücken lagen! Sie blicken sich entsetzt an. Dieses unerklärliche Phänomen läßt ihnen das Blut in den Adern gefrieren. Immer weiter wird die Rakete von einer unsichtbaren Gewalt vom Mond abgetrieben. Den Männern dämmert eine schreckliche Erkenntnis auf: Sie 49
entfernen sich vom Erdtrabanten mit weit größerem Tempo als ihrer Höchstgeschwindigkeit. Der Zeiger an der Meßskala zuckt über die rote Markierung. Sie haben keine Möglichkeit, diese Werte zu bestimmen. Angst und Furcht ergreift die kühnen Herzen. Angst und Furcht, doch nicht vor dem Tode, denn auf den haben sie sich vorbereitet. Es ist die Angst vor dem Unbegreiflichen, die sie packt. Der Mond zieht sie nicht an! Der Mond stößt sie ab! Der Reporter, der selbst in dieser Situation seine Kaltblütigkeit bewahren will, hetzt seine Berichte zur Erde. Die Wissenschaftler greifen sich an die Köpfe. Das allbeherrschende Gesetz der Gravitation gilt anscheinend auf dem Mond nicht! Aus! denken die Männer. Die Erde sehen wir nie wieder. Die Rakete ist bereits weit über die Mondbahn hinausgerast. Die Erde steht nur noch als eine faustgroße Kugel im Raum. Von Sekunde zu Sekunde wird sie kleiner. Bald wird sie ein fernes Lichtpünktchen sein. Da geschieht wieder etwas Unbegreifliches. Die Rakete wendet! Raste sie noch vor kurzem von der Erde weg, so nähert sie sich ihr jetzt mit ungeheurer Geschwindigkeit. „Ich träume!“ stöhnt Colonel Hunter. Kalter Schweiß bricht ihm aus allen Poren. „Oder ich habe den Raumkoller!“ Der Reporter überwindet sich, berichtet mit abgerissenen Sätzen. Die kühlen, sachlichen Wissenschaftler verstehen überhaupt nichts mehr! Da ändert die Rakete zum drittenmal die Flugrichtung. Vorher steuerte sie auf den Äquator zu. Jetzt strebt sie zum Südpol der Erde. „Wir zerschellen in der Antarktis!“ murmelt Dr. Morham und starrt todbereit auf die bläulichen Eismassen, die unter ihnen Form annehmen. 50
51
Captain Murphy springt zu den Schalthebeln, reißt sie herum. Der Treibstoff zündet; Die Gase donnern! Aber die Rakete ändert die Flugrichtung nicht. Weiter stürzt sie auf die Eisfelder des Südpols zu. Die Besatzung resigniert. Es gibt keine Hoffnung mehr. Der Reporter grüßt, wie er glaubt, zum letzten Male seine Hörer. Die kilometerdicke Eisdecke der Antarktis ist der Rakete schon verhängnisvoll nahe. Da – ein Ruck! Die Rakete steht unbeweglich im Raum. Minuten verrinnen. Selbst der Reporter findet keine Worte mehr. Die Menschheit fiebert einer Nachricht entgegen, doch der Reporter ist stumm geworden. Mit verständnislosen, weit aufgerissenen Augen blickt er um sich, einem Nervenschock nahe. Ebenso seine Kameraden. Sie verstehen nichts mehr. Und dann fliegt die Rakete wieder! Aber diesmal rast sie nicht durch den Raum, diesmal schwebt sie langsam … ihrem Startplatz zu. Keine Düse arbeitet mehr, denn die Treibladung ist verbraucht. Und doch stürzt die Rakete nicht ab, folgt nicht dem Gesetz der Schwere! Nach einer Viertelstunde steht sie über Kap Canaveral, sinkt langsam, wie von unsichtbaren Händen sacht getragen, zur Erde nieder, setzt auf. Unfaßbar! Unerklärlich! Bleich, an allen Gliedern zitternd, taumelt die Besatzung aus der Rakete. * Tage vergehen. Fieberhaft suchen die Wissenschaftler der Welt nach einer 52
Erklärung für das unbegreifliche Verhalten der Mondrakete. Doch keine Theorie hält einer logischen Überprüfung stand. Sie können nichts erklären. Erst die Nachricht, die Freunde hätten sich schon Stunden vor dem Start der Rakete in der Erdatmosphäre befunden, erhellt ihre Gehirne. Die Freunde müssen am Scheitern der Mondfahrt schuld sein! Ein großes Rätselraten hebt an. Was haben die Freunde entdeckt? Welche Naturkräfte haben sie erschlossen? Nach langem Hin und Her funkt es in den Köpfen der ausländischen Wissenschaftler. Die Freunde sind Herren über die Gravitation! Jetzt jagt eine Konferenz die andere. Es wird beraten, verworfen. Doch über eines sind sich die Wissenschaftler und Generalstäbler einig: Jene Macht, die als erste die Gravitation beherrscht, kann sich leicht zum Herrn über alle anderen Nationen aufschwingen! Die Welt blickt entsetzt auf Deutschland. Was wird Deutschland tun? Werden die Freunde die staatliche Gewalt an sich reißen? Oder waren die Differenzen der Freunde mit der Regierung ein abgekartetes Spiel? Sicher, hinter Wendt steht die Staatsregierung! Wird Deutschland die Welt mit einem Eroberungskrieg überziehen? Die Großmächte erwägen Krieg gegen Deutschland, einen Krieg, der bald begonnen werden müßte, um Wendt zu hindern, mehrere Schiffe zu bauen. Fieberhaft suchen sie nach Bundesgenossen. Der politische Horizont verdüstert sich von Tag zu Tag. Schaudernd denkt die deutsche Regierung an die Zukunft. Wie soll sie dieses Problem meistern? Wendt daran hindern, 53
an seinem Schiff weiterzubauen? Oder sich schützend vor die Freunde stellen? Dem Weg der nationalen Ehre folgen und dadurch vielleicht einen weltweiten Krieg heraufbeschwören? Wenn man wenigstens genau wüßte, ob die Erfindung Wendts militärisch verwertet werden kann! Doch die Freunde schweigen nach wie vor und beantworten ausweichend alle Regierungsdepeschen. Doch die Regierung fühlt sich berechtigt, in so einer wichtigen Angelegenheit informiert zu werden. Können doch die nächsten Tage über Krieg und Frieden entscheiden! Wenn sie auch entschlossen ist, sich nicht das geringste anderen Völkern gegenüber zu vergeben, so will sie trotzdem über die Ziele der Freunde voll und ganz unterrichtet sein. Eine Abordnung unter Führung des Staatssekretärs Hammersdorf spricht bei den Freunden vor. „Meine Herren“, sagt der große, stattliche Mann, „Ihre Tat hat die ganze Welt in Angst und Schrecken versetzt. Das Mißtrauen gegen Deutschland wächst von Tag zu Tag. Die Gefahr eines Krieges wird stündlich größer. Ich ersuche Sie im Namen der Regierung, uns über Ihre Absichten und die militärischen Möglichkeiten Ihrer Erfindung voll aufzuklären. Wir sind dann bereit, Ihren Schutz zu übernehmen. Auch auf die Gefahr eines Krieges hin.“ „Herr Staatssekretär“, antwortet Dr. Prenten kühl und sachlich, „wir dienen unserem Volk durch unsere Arbeit genauso wie der übrigen Menschheit. Aber wir können unsere Ziele noch nicht bekanntgeben. Wir wollen keinen Krieg und keinen Vernichtungskampf. Wir wollen in Ruhe und Frieden schaffen können. Sollte es aber dennoch zu einem Krieg kommen, kann ich Sie versichern, daß keine einzige Rakete und keine Atombombe die Sicherheit der Bevölkerung gefährden werden. Wir haben dafür gesorgt.“ 54
Der Staatssekretär schaute den Doktor erstaunt an. „Sie sind Philosoph, Herr Doktor. Weder Techniker noch Offizier. Die harte Wirklichkeit ist anders als phantastische Träume!“ „Mein Freund hat Ihnen nur Tatsachen berichtet“, sagt Wendt mit klarer Stimme. „Wir können innerhalb von einigen Stunden jede Nation, und wenn es sein müßte, sogar die gesamte Welt unterwerfen. Aber wir wollen keinen Krieg. Darum gebe ich Ihnen heute die Möglichkeiten unserer Erfindung bekannt. Es gelang uns, den Bann der Gravitation zu brechen. Das heißt, daß wir die Gravitationsstrahlung jederzeit umwandeln können in eine Strahlung mit umgekehrten Eigenschaften. Dieses Schiff“, Wendt geht zu einem Fenster und zeigt auf das Weltraumschiff, aus dessen Innerem emsiges Klopfen und Hämmern ertönt, „wird in einem der nächsten Monate nicht nur zum Monde fliegen, sondern auch zum Mars und zur Venus. Wir können auch jederzeit die riesigen Entfernungen zum Jupiter oder Uranus rasch überwinden. Das ist die eine Seite unserer Erfindung. Die positive, Herr Staatssekretär, die der Menschheit Nutzen und Reichtum bringen wird.“ Die Augen des Ministers hängen an Wendts Lippen. Der Techniker spricht weiter. „Die andere Auswertungsmöglichkeit, Herr Staatssekretär, ist eine furchtbare Kriegswaffe. Wir können in Sekunden ganze Städte und Länder vernichten. Ich habe mehrere Apparate konstruiert, die auf eine Entfernung von Tausenden Kilometern die Erdanziehungskraft neutralisieren. Stellen Sie sich vor: Ein Raumschiff fliegt am Rande der Erdatmosphäre oder sogar im absoluten Vakuum. Unerreichbar für jedes Raketengeschoß, denn unsere Schiffe stoßen Fremdkörper ab. Die Apparate würden eingeschaltet, die Strahlenkegel auf eine Stadt gerichtet werden. Augenblicklich würde von dieser Stadt nichts mehr 55
übrig sein. Die Häuser und Bahnhöfe, die Brücken und Straßen, alles würde sich plötzlich von der Erdrinde loslösen. Wo vor kurzem noch eine blühende Stadt gestanden hat, würde jetzt nur mehr ein riesiges Loch gähnen.“ Die Herren der Abordnung starren entsetzt dem Techniker in das beherrschte Gesicht. „Diese furchtbare Waffe, Herr Staatssekretär“, setzt nun Dr. Prenten fort, „können wir unmöglich in die Hände von Politikern legen. Wir selbst streben weder nach Macht noch Reichtum. Der Menschheit zu dienen ist unser höchstes Ziel. Melden Sie das Ihrer Regierung und allen Völkern der Erde. Bisher übergaben die Wissenschaftler ihre Erfindungen der Öffentlichkeit. Wir alle wissen, was daraus wurde. Diesmal wollen wir klüger sein.“ Die Herren der Abordnung schauen sich an, denken: Was wollen diese Männer wirklich? Diese ungeheure Macht und keine Herrschsucht? „Und noch eines, Herr Staatssekretär“, fügt Wendt hinzu, und seine Stimme schwingt stahlhart durch den Raum. „Sagen Sie in unserem Namen der Welt: Wir werden beweisen, daß wir die Waffe besitzen, die den Weltfrieden garantiert. In drei Tagen, am 22. Juni, um Punkt 12 Uhr mitteleuropäischer Zeit, wird die unbewohnte Bäreninsel im Nördlichen Eismeer ins All fliegen.“ Die Herren der Abordnung erbleichen. Haben sie drei Wahnsinnige vor sich oder die künftigen Herren der Welt?! „Und nun haben wir noch eine Bitte, Herr Staatssekretär. Laden Sie in unserem Namen von 20 Nationen je einen Wissenschaftler zu unserem ersten Weltraumflug ein. Deutschland vertreten wir selbst.“ Damit ist die Abordnung entlassen. Ahnen diese Männer, welches unglaubliche Geschehen sich anbahnt? Wendts Warnung schwingt durch den Äther um die Erde. Die 56
Namen der Freunde sind in aller Munde. Bald ranken sich die wildesten Gerüchte um sie. In den Generalstäben machen die Heerführer lange Gesichter. Die Erkenntnis will nicht in ihre Köpfe, daß drei Männer alle Armeen der Welt bezwingen könnten. „Das ist doch nur ein groß angelegter Bluff“, meinen viele. „Deutschland zittert vor seinen Gegnern!“ Andere urteilen vorsichtiger. Wenn die Bäreninsel am Donnerstag wirklich ins All fliegt, dann hilft gegen die Waffe der Freunde keine Atombombe, keine Rakete. Dann sind sie unangreifbar. Dann wäre ein Krieg heller Wahnsinn! Was sagen die Völker? Was sagt der Kleine Mann, den nichts so sehr interessiert als sein tägliches Brot und dessen größte Sorge die Ernährung seiner Familie ist? Was sagt dieser Kleine Mann, der vom Krieg nichts wissen, der in Ruhe und Frieden seiner Arbeit nachgehen will? Er wartet und hofft auf eine bessere Zeit, auf eine Zeit, die vielleicht auch ihn mehr teilhaben laßt an den Schätzen der Erde. Ist das Werk der Freunde der Auftakt zu dieser neuen Zeit? * Donnerstag, der 22. Juni. Seit dem frühen Morgen kreisen Raketenflugzeuge aller Nationen in angemessener Entfernung um die sonst so einsame Bäreninsel. Funksprüche jagen zu den Befehlsstellen in der Heimat. Die Luft ist klar und kalt. Keine Wolke trübt den arktischen Himmel. Gebannt starren die Flieger auf die wildzerklüftete Insel, die hoch aus dem eisigen Nordmeer aufsteigt und deren Höhen von ewigen Gletschern überzogen sind. Das grünliche Meer umbrandet die schroffen Felsen. Der weiße Gischtgürtel ist weithin sichtbar. 5 Minuten vor Mittag. 57
Nichts Ungewöhnliches ist zu sehen. Dennoch lenken die Flieger ihre Maschinen von der Insel weg. Über dem sonst so stillen, einsamen Nordmeer dröhnen und donnern die Raketenflugzeuge. Nur noch wenige Sekunden! Jetzt! Es ist genau zwölf Uhr. Da! Breite Risse spalten plötzlich das Eis der Insel, und wie von einer Gigantenfaust emporgehoben wirbeln Berge und Gletscher gegen den Himmel. Das Meer brandet in das entstandene Loch. Hoch gischtet das Wasser, und wo vor Sekunden noch eine Insel unter dicken Gletschern träumte, flutet und tobt das aufgewühlte Meer. Die Flieger starren entsetzt gegen den Himmel. Wo sind die Berge? Wo sind die Gletscher geblieben? Der Himmel ist blau und sonnendurchstrahlt. Nichts stört die Reinheit des Luftmeeres. Die Insel ist hinausgerast ins Universum. Irgendwo wird sie einmal als Meteor auf einem fernen Stern zerschellen. * Niemand denkt mehr an Krieg. Zu Furchtbares ist geschehen. Erschreckt, verängstigt erwarten die Menschen die Zukunft. Was wird sie bringen? Eine weltweite Diktatur jener drei Männer, gegen die die gesamte Technik machtlos geworden ist? Nistet in den Herzen und Gehirnen jener Männer die Machtgier, die Lust, andere unter sich zu zwingen? Wird ihnen die Herrschsucht die Vernunft rauben? Was ist die Atombombe gegen jene Kraft, welche die Freunde beherrschen? Ein Nichts! 58
* Das Raumschiff der Freunde ist fertig. Tag und Nacht umlagern es außerhalb der Absperrkette Tausende von Menschen. Die 20 Wissenschaftler, weiche die Freunde in ihrem Namen durch die deutsche Regierung einladen ließen, sind schon voller Wißbegierde und Forscherdrang eingetroffen. Vergessen sind die Nationalitäten. Friedlich wandert der Amerikaner neben dem Japaner, der Deutsche neben dem Franzosen durch das Schiff. Sie dürfen alles sehen. Nur der Antriebsraum und die Kanzel bleiben verschlossen. Die Freunde untersagen ihnen hier die Besichtigung. Staunend und bewundernd erkunden die Wissenschaftler den Räumer. Wendt hat an alles gedacht. Sie werden jeder für sich eine eigene Kabine haben, eigene Fernsehapparate. Jeder wird beobachten können, was ihm beliebt, ohne von einem Kollegen behindert zu sein. Nichts wird ihre Bequemlichkeit stören, denn das Schiff bietet Raum für fünfzig Menschen. Sie werden nicht wie in einer Rakete auf engstem Raum zusammengedrängt sein, denn Wendt braucht auf das Gewicht des Schiffes keine Rücksicht zu nehmen.. Sogar ein Bad ist vorhanden. Frischfleisch und konservierte Lebensmittel wurden für Monate in den Kühlräumen eingelagert. Die Raumfahrer werden nicht von knappen Rationen leben müssen. Das Schiff blitzt und funkelt vor Sauberkeit. Die Gänge sind mit dicken, weichen Teppichen belegt. Am Abend vor dem Start bitten die Freunde ihre Gäste in den großen Festsaal des Werkes. Reporter aller führenden Zeitungen der Welt sind erschienen. Die einzelnen Regierungen entsandten Beobachter, und die vielen Menschen sind kaum in der Stadt unterzubringen. 59
Alle warten gespannt auf die Freunde. Was werden sie sagen? Was werden sie fordern? Die Freunde betreten den Saal. Das laute Stimmengewirr verstummt. Dann rauscht tosender Beifall auf, hält minutenlang an. Wendt betritt das Rednerpodium und blickt mit seinen stahlgrauen Augen über den Saal hin. Seine kraftvollen, kernigen Hände ruhen schwer, voller Energie, auf dem mit grünem Tuch ausgeschlagenen Pult. Es wird still im Saal. Selbst die Reporter unterbrechen ihre Berichte. Nur hin und wieder klingt hier und dort ein nervöses Räuspern auf. Wendt beginnt mit klarer, weithinschallender Stimme: „Meine Damen und Herren, verehrte Gäste aus allen Teilen der Erde, Völker der Welt! Wir dürfen teilhaben an einem der größten Augenblicke der Weltgeschichte. Morgen werden unsere Gäste und wir hinausfliegen in das Weltall, um zu erkunden und zu forschen. Noch wissen wir nicht, ob unsere Nachbarplaneten bewohnbar sind. Noch wissen wir nicht, ob in ihren Tiefen Naturschätze lagern, die der Weltwirtschaft einen gehörigen Aufschwung geben könnten. Noch ist unser Wissen beschränkt. Noch tappen wir im dunkeln. Aber bald werden wir alles erfahren. Und wie diese Gewißheit auch sein mag, unsere Erkenntnis über die Schöpfung wird sich auf jeden Fall erweitern. Dieser Flug ins Weltall ist sicherlich nicht ungefährlich. Wir verachten keinen, der es sich noch im letzten Augenblick überlegt und zurückbleibt. Vielleicht finden wir irgendwo im Kosmos den Tod. Für den Fall, daß unser Flug mißlingt, werde ich später den Abgeordneten der Regierungen unserer Gäste versiegelte Pläne unseres Raumschiffes überreichen. Diese Pläne sind erst dann 60
zu öffnen, wenn unser Tod gewiß ist. Frühestens in einem Jahr. Kehren wir zurück, dann sind sie uns sofort zurückzuerstatten. Doch nehme keine Nation an, sie könne allein unser Raumschiff nachbauen. Die Pläne, die ich übergeben werde, sind unvollständig. Nur dann, wenn sich alle beteiligten Nationen zusammenfinden, wird es gelingen, unser Schiff zu kopieren. Es ist also keine Nation der anderen gegenüber im Vorteil, denn jede wird nur einen Bruchteil des Wissens besitzen, das notwendig ist, um unsere Entdeckung auszuwerten. Und damit niemand glaube, er könne während unserer Abwesenheit das Versuchsschiff stehlen, geht es in diesem Augenblick in Flammen auf.“ Ein grelles Leuchten durchzuckt sekundenlang die Nacht. Die Versammelten wenden die Köpfe zu den Fenstern. Dort, wo eben noch die Experimentierräume der Freunde standen, ist letzt nur mehr rotglühende Asche zu sehen. Ein Techniker hat auf Wendts Befehl das Gebäude und mit ihm alles das vernichtet, was zur Wiederauffindung der Entdeckung führen könnte. „Und nun bitte ich“, setzt Wendt mit klarer Stimme fort, „den Schöpfer der Welten, uns während unseres Fluges zu schützen und uns heil auf die Erde zurückgelangen zu lassen!“ Wendt hat geendet. Aber noch schwebt der Geist seiner Worte über dem Saal. Endlich braust donnernder Beifall auf. Er gilt den Freunden, die nun einzeln zu den Wissenschaftlern treten und durch einen kernigen Handschlag ihre Weltraumgemeinschaft besiegeln. * Jung und frisch steigt der Morgen des 3. Septembers aus der Nacht empor. Die siegreiche Sonne durchstrahlt einen tiefblauen Himmel, den nur einzelne kleine, weiße Wölkchen trüben. 61
Eine unübersehbare Menschenmenge hat sich auf dem Gelände des Wendtschen Werkes versammelt. Kopf an Kopf stehen Männer und Frauen, Knaben und Mädchen. Alle wollen einen Blick auf das Weltraumschiff erhaschen, das silberhell in den Sonnenstrahlen aufglänzt. Nun schreiten die Freunde mit ihren Gästen auf das Schiff zu. Keiner der Wissenschaftler machte einen Rückzieher. Wendt öffnet die Druckkabine des Schiffes, die ebenso wie die gewaltige Außenwand aus Edelstahl hergestellt ist, und steigt ins Schiff. Seine Begleiter folgen ihm auf dem Fuße. Mirtitsch verschließt von innen die Kabine. Die Gäste ziehen sich sofort in die ihnen am Vortage zugewiesenen Kabinen zurück und stürzen sich auf die Fernsehapparate. Diese Apparate sind mit lichtempfindlichen Zellen an der Außenwand des Schiffes verbunden, wodurch jeder nach Belieben Ost und West, Nord und Süd, Oben und Unten mit wissensdurstigen Augen abtasten kann. Klar und deutlich tönt Wendts Stimme aus den Lautsprechern: „Achtung! Wir starten in einer Minute. Bleiben Sie auf Ihren Sitzen!“ Die Raumfahrer starren ungeduldig auf die Zifferblätter ihrer Uhren. Kaum können sie den Beginn der weitesten Reise erwarten, die Menschen je unternommen haben. Als man sie zur Teilnahme aufforderte, sprach man lediglich von einer Mondexpedition. Doch jetzt wissen die Gäste, daß auch die Planeten angeflogen werden sollen. Aber keiner ist unter ihnen, der Angst vor dieser Reise hätte. Sie alle treibt der Wissens- und Forscherdrang hinaus in die unendlichen Räume des Alls, und es kann ihnen nicht schnell genug gehen. Wendt wirft einen kontrollierenden Blick auf die vielen Instrumente in der Führungskanzel. 62
„Künstlichen Pol einschalten!“ Mirtitsch drückt einen Hebel nieder. Deutlich spüren die Raumschiffer, daß ihre Körper schwerer geworden sein müssen, denn tief sinken sie ein in ihre Sitze. Doch das dauert nur sekundenlang. Plötzlich läßt die Schwere wieder nach. „Meine Herren, wir starten!“ ruft Wendt ins Bordmikrophon und drückt den Starthebel tief hinunter. Im Schiff klingt ein kaum wahrnehmbares Summen auf. Die Wissenschaftler blicken gebannt auf ihre Bildschirme und betrachten die Menge, die still und schweigend dem Abflug des Schiffes entgegenharrt. Dicht aneinandergedrängt stehen die vielen Menschen. Plötzlich sind sie verschwunden. Grenzenlos öffnet sich den Blicken der Raumfahrer das Luftmeer. Sie hören nicht mehr den spontanen Jubel der Zurückgebliebenen, die schreiend und wild gestikulierend den Flug des Schiffes verfolgen, das nur noch als kleiner Punkt am Himmel zu erkennen ist. Doch bald ist auch dieser Punkt von der Unermeßlichkeit des Alls aufgesogen. Die Wissenschaftler drehen und schalten staunend und ergriffen an ihren Bildschirmen. Wie bei ihrem ersten Flug, so sind die Freunde auch jetzt wieder gepackt von dem einzigartigen Anblick. Die Erde schrumpft zusammen, hohe Gebirgsketten werden zu kleinen Runzeln, und spiegelglatt ruhen die Weltmeere auf dem Erdenrund. Wendt steigert die Geschwindigkeit des Schiffes. Schon wirkt sich die schwache Mondanziehung aus. Von Sekunde zu Sekunde tritt der Trabant größer aus der Schwärze des Alls. Scharf und klar umrissen bieten sich seine Krater und Schluchten auf Grund der fehlenden Atmosphäre den Blicken. 63
Nur schwer gelingt es den Freunden, sich von diesem wildromantischen Anblick loszureißen. Sie können nicht wie ihre Gäste ungestört beobachten. Sie tragen die Verantwortung über die Menschen und das Schiff. Nur an ihnen liegt es, ob sie ihr Ziel sicher erreichen werden oder nicht. Viertelstunden verstreichen im rasenden Flug. Für jeden Weltraumfahrer liegt ein Gummischutzanzug zur Besichtigung des Mondes bereit. Ohne diesen würde jeder augenblicklich durch den Innendruck zerrissen werden, denn der Erdtrabant besitzt ja keine Lufthülle. Den Gästen der Freunde wurde schon am Vortage jeder Handgriff gezeigt. Sie tun sofort das Richtige, als Wendt sie auffordert, die Anzüge überzustreifen. Dr. Prenten obliegt die Radioverbindung mit der Erde. Wie beim Flug der amerikanischen Rakete sitzen auch jetzt die Menschen an ihren Empfangsapparaten und lauschen gierig jedem Wort. Doch diesmal sind die Berichte kurz und knapp. Die Freunde vermeiden bewußt jede Sensationsmache. Näher und näher rückt der Mond. Jetzt steht er riesengroß vor dem Schiff und zieht magisch die Blicke der Gelehrten auf seine wildzerklüftete Oberfläche. Mächtige Gebirgsketten stürmen schroff in den Mondhimmel. Da und dort zerfurchen die Mondrillen die erstarrte, unwirtliche, tote Landschaft. Tiefe Krater vervollständigen mit ihren Ringgebirgen den unauslöschlichen Eindruck. Wendt steuert das Schiff auf eines der Mondmeere zu. Diese Mondmeere enthalten keinen Tropfen Wasser. Sie sind nur große, kahle Ebenen. Die Wissenschaftler glauben zu träumen. Ist das wirklich der Mond? Werden sie tatsächlich bald ihren Fuß auf den Trabanten setzen? Mit ihren Händen die Mondmaterie betasten können? 64
Erfüllt sich ein uralter Traum der Menschen? Langsam schwebt das Schiff auf den Landeplatz zu. Endlich setzt es sacht auf dem Monde auf. Dr. Prenten meldet lakonisch zur Erdet „Wir sind gelandet.“ Sekundenlang ist es mäuschenstill im Schiff. Doch dann brechen die Gäste der Freunde, jeder in seiner Muttersprache, in wilde Freudenrufe aus und ein Siegestaumel erfaßt die sonst so kühlen Wissenschaftler. Der Mond ist erreicht! 384 500 km wurden überwunden! Nur die Freunde schweißen und schauen einander ergriffen in die Augen. Nie wieder wird sie so ein erhabenes Gefühl erfüllen. Wendt und Prenten ziehen ebenfalls die Schutzanzüge an. Sie sehen wie Taucher aus. Eine letzte Kontrolle der Atmungsgeräte. Dann betreten sie die Luftschleuse. Durch ein Ventil läßt Wendt die Luft aus der Kabine in die Schiffsspeicher entweichen. Wendt öffnet die Ausstiegtür. Es bleibt totenstill auf dem Mond. Kein Medium ermöglicht es den Schallwellen, zu schwingen. Einen Augenblick verharrt er. Dann springt er aus einer Höhe von etwa zwei Meter auf den Grund. Hinter ihm Dr. Prenten. Ein Sprung aus dieser Höhe ist auf der Erde schon sehr schwer auszugleichen. Nicht so auf dem Monde. Die Mondmasse beträgt nur etwa ein Viertel der Erdmasse und infolgedessen ist seine Anziehungskraft viel geringer. Sacht setzen die Freunde auf dem felsigen Boden auf, den keine Pflanze, kein Kraut verschönt. Die Landschaft um sie herum ist wüst und leer. Scharf treten die Konturen der Berge aus der Helle des Mondtages. Als feurige Kugel steht die Sonne am schwarzen Himmel und neben ihr eine Unzahl von Fixsternen. Wendt macht vorsichtig einen Schritt. Doch so vorsichtig dieser Schritt auch sein sollte, es wird ein weiter Sprung, wie er 65
ihm auf unserer Erde niemals gelungen wäre. Er spürt kaum das Gewicht seines Körpers. Ein angenehmes Gefühl der Leichtigkeit durchströmt ihn. Dr. Prenten ergeht es nicht anders. Endlich erlaubt Wendt den ungeduldigen Gästen, ebenfalls das Schiff zu verlassen. Einer nach dem anderen springen sie auf den Mond und versammeln sich um Wendt. „Meine Herren“, sagt er in seinen Sprechapparat, und nicht nur die Wissenschaftler, sondern auch die Menschen auf der Erde können ihn deutlich verstehen, „ich ergreife im Namen aller Nationen und Völker unserer Erde Besitz von unserem Trabanten. Er soll nicht einer Nation allein gehören, sondern allen! Und nun, meine Herren, bezwingen Sie Ihren Forscherdrang nicht länger!“ Das lassen sich die Wissenschaftler nicht zweimal sagen. Sie verstreuen sich hierhin und dorthin, und bald wird überall emsig geprüft und gemessen, und manches Felsstück wird für spätere chemische Analysen ins Schiff gebracht. Eines erkennen die Wissenschaftler auf den ersten Blick: Die Mondmaterie ist von der Erdmaterie nicht verschieden! Hier liegen Granitblöcke und hier glänzt erzhaltiges Gestein. Doch etwas ist nicht vorhanden: Erde! Denn kein Wasser, keine Witterung, keine Algen und Moose zerkleinern das Gestein. Dr. John King, der australische Wissenschaftler, sondert sich mehr und mehr von seinen Kollegen ab. Er möchte nur zu gerne in einen jener tiefen Krater hinabsteigen, deren Ringgebirge allenthalben auf der Mondoberfläche in den Allhimmel emporragen. Doch leider ist das Schiff auf einem Mondmeer gelandet, und das nächstgelegene Ringgebirge liegt viele Kilometer vom Schiff entfernt. Aber das weiß Dr. King noch nicht, denn die fehlende Atmosphäre läßt die Umrisse des nächsten Kraters klar und deutlich aus der Helle des Mondtages treten. Und das täuscht Dr. King. 66
Er beschließt, auf eigene Faust diesen Krater zu durchforschen. Ohne jemanden von seinem Vorhaben zu verständigen, eilt er mit großen Sprüngen seinem Ziele zu. Er ist schon lange unterwegs, und noch immer scheint er dem Krater nicht näher gekommen zu sein. Aber anstatt umzukehren, verdoppelt der Wissenschaftler seine Anstrengungen. Endlich erreicht er den Krater. Mit vor Wißbegierde brennenden Augen überklettert er den Ringwall. Als er auf dessen Höhe steht, fällt vor ihm die Kraterwand einige 100 Meter steil ab. Dr. King zögert nicht. Vom glühenden Forscherdrange getrieben, beginnt er, unvorsichtig schnell abzusteigen. Seine Kollegen sind weit entfernt. Wohl könnte er sie durch Sprechfunk benachrichtigen, aber er will diesen Krater für sich allein haben. Als erster möchte er klären, wodurch er entstanden ist; ob durch einen Meteorfall oder durch eine Eruption auf dem Mond. Die Felswand des Kraters wird immer steiler. Für einen geübten Alpinisten wäre ihre Überwindung kein Kunststück. Doch der Wissenschaftler ist in der Bezwingung von Felswänden völlig unerfahren. Er rutscht öfters aus, sieht seinen Stand nicht, findet keine Griffe. Aber unbeirrt klettert er weiter in die Tiefe. Dann senkt sich die Wand fast senkrecht zur Kratersohle. Die durch den Schutzanzug behinderten Hände des Australiers finden kaum mehr einen Halt. So glatt und abgeschliffen ist hier das Gestein. Da passiert es. Dr. King stürzt ab! Wäre er aus dieser Höhe auf die Erde abgestürzt, so hätte der Aufprall seinen Körper zerschmettert. Nicht so auf dem Monde. Durch die geringere Anziehungskraft unseres Trabanten ist der Fall des Wissenschaftlers viel langsamer. Er ist aber noch immer schnell genug, daß der Gelehrte beim Aufprall auf dem harten Gestein die Besinnung verliert. 67
Als er wieder erwacht, ist sein Forscherdrang nicht im geringsten erschüttert. Nun hat er es ja geschafft! Er steht auf der Kratersohle! Er prüft weder, ob sein Schutzanzug heil geblieben, noch ob sein Sprechfunkapparat beschädigt worden ist. Rund um den Wissenschaftler glitzert und funkelt das Gestein. Winzige Kristalle wirken wie Spiegel und reflektieren das Licht der Sonne. Der Gelehrte versinkt in seine Arbeit. * Nach zwei Stunden ihres Mondaufenthaltes gibt Wendt den Weltraumschiffern durch Sprechfunk den Befehl, ins Schiff zurückzukehren. Alle vernehmen diesen Befehl. Nur einer nicht: Dr. King! Die Gäste der Freunde gehorchen nur ungern. Sie wollen noch bleiben und Erkenntnisse sammeln. Aber die Freunde treibt es weiter. Der Mond war ihr erstes Teilziel. Vorerst haben sie genug gesehen. Nun wird der Mars an die Reihe kommen! Wird dieser Planet bewohnt sein, wie manche behaupten? Wird er eine Atmosphäre haben, die organisches Leben auf ihm gestattet? Aber vorher interessiert sie noch die andere Seite des Mondes, jene Seite, die von der Erde durch die fehlende Rotationsbewegung unseres Trabanten niemals sichtbar ist. Keinem fällt die Abwesenheit des Australiers auf, als das Schiff startet. Langsam gleitet es über die Täler und Gipfel der Mondberge. Die Sonne sinkt tiefer und tiefer, berührt den Mondhorizont und taucht endlich hinter den Bergen unter. Da erschließt sich ein gewaltiges Schauspiel den ergriffenen Menschen. Von dort, wo die Sonne eben vorsank, schießen un68
geheure Strahlenbündel in allen Farben des Spektrums über die kahlen, zerklüfteten Mondberge, und die Protuberanzen der Sonne greifen mit Riesenfingern weit über den Allhimmel. Wunderbar kann der Sonnenuntergang auf unserer Erde sein. Aber verglichen mit diesem Hinabtauchen der Sonne in den Weltenraum wird er zu einer romantischen Spielerei. Es wird dunkler und dunkler um das Schiff. Bald fliegt es im Kernschatten des Mondes. Wendt schaltet mehrere Scheinwerfer ein, deren Strahlenkegel grell die Finsternis durchbrechen. Aber nichts Neues bietet sich den wissensdurstigen Weltraumschiffern. Krater und Rillen, weite Ebenen, und hoch aufsteigende, kahle Gebirge. Sonst nichts. Die tote Mondlandschaft, wie sie die Wissenschaftler schon auf der anderen Seite sahen. Wendt zwingt das Schiff wieder aus dem Kernschatten heraus. Etwa viermal so groß wie unser so oft besungener Vollmond steht als mächtige Scheibe die Erde im Raum. Hell leuchten Asien, der westliche Teil Australiens, Afrika und Europa ins All. Die Weltmeere sind dunkelblaue Flächen, und die höchste Gebirgskette der Erde. der Himalaja, wirkt klein und nichtig. Aus seinen tiefen Tälern und Schluchten sind winzige Furchen geworden. Und die Großstädte, die uns so erhaben und weitausgedehnt erscheinen, sind kaum sichtbare Punkte. Rasch steigert Wendt die Geschwindigkeit des Schiffes. Die Spitze des Raumers zeigt genau auf den Mars, der rötlich flimmernd im Universum schwebt. Dann wandert Ing. Wendt durch das Schiff und besucht jeden Gast in seiner Kabine. Als Kommandant des Schiffes fragt er die Männer nach ihren Wünschen. Doch die Wissenschaftler äußern geschlossen nur einen Wunsch: Sie wollen so schnell wie möglich den Mars erreichen. Der Techniker klopft an die Kabine Dr. Kings. 69
Keine Antwort! Er wird auf der Toilette sein, denkt Wendt und geht zur nächsten Tür. Er betritt die Kabine des italienischen Wissenschaftlers Ventoni. „Grandissimo! Grandissimo!“ sprudelt der dunkeläugige Südländer beim Anblick Wendts sofort los. „Warum sind wir nicht länger geblieben auf die Mond? Sein gewesen zo interessant! Haben zo viel gezeh’n. Ich werde schreien groze Buch über unsere Mond!“ „Ich wünsche Ihnen dazu viel Erfolg, Professor“, sagt Wendt und unterdrückt nur mit Mühe ein Lächeln, denn der Italiener kann anscheinend keine Sekunde still sitzen. Er hat ständig etwas zu tun und flitzt ununterbrochen herum. Dabei fragt und beantwortet er hunderterlei Dinge auf einmal. „Ich werde schreiben viel bezer als meine Kollege Dr. King! Ich bin die bezere Geologe. Sie müssen wissen, daß Dr. King und ich zind Rivalen! Das ist schon zo gewesen auf unsere Erde. Aber ich werde ihn schlagen! Ja. schlagen!“ Der Professor fuchtelt, begeistert von seiner Idee, wild mit den Armen in der Luft herum. „Hoffen wir das Beste. Herr Professor. Aber nun will ich Sie nicht länger stören.“ Wendt wandert weiter durch das Schiff. Jeder der Gelehrten beschäftigt sich eifrig mit Notizen und chemischen Analysen. Wendt könnte fast glauben, irrtümlicherweise in ein Laboratorium gelangt zu sein. Jetzt steht er wieder vor der Kabinentür Dr. Kings. Er klopft an. Keine Antwort! Ich muß nachsehen. Vielleicht fehlt ihm etwas, denkt Wendt und öffnet die Tür. Die Kabine ist leer. 70
Wo er nur stecken mag? denkt der Techniker, wendet sich um und geht zur Führungskanzel zurück. Plötzlich bleibt er stehen. Eine furchtbare Erkenntnis springt ihn an. „Verdammt!“ stößt er zwischen den Zähnen hervor. „Das ist eine nette Bescherung!“ Er stürmt in die Führungskanzel. „Wenden! Zum Mond zurück! Dr. King ist nicht im Schiff!“ Prenten und Mirtitsch schauen sich entsetzt an. Aber Wendt läßt ihnen keine Zeit zum Überlegen. Rasch legt er einige Hebel um. Minuten später rast das Schiff mit Höchstgeschwindigkeit dem Monde zu. Es geht um Minuten! Kings Sauerstoff muß schon fast verbraucht sein! Eine ungeheure Erregung breitet sich im Schiff aus. Wie konnte man den Australier nur vergessen!? Wie war so etwas möglich! Bald schwebt das Schiff wieder über der Landestelle auf dem Monde. Doch weit und breit ist nichts von Dr. King zu sehen! Das Schiff fliegt in immer größer werdenden Kreisen um die Landestelle. Aller Augen tasten die tote Mondlandschaft nach einem Zeichen von Dr. King ab. Vergeblich! Und der Gelehrte müßte doch zu sehen sein! Es wuchern nirgends Büsche und Sträucher, die ihn verdecken könnten! Unbeantwortet verhallen alle Aufforderungen an Dr. King, sich durch Sprechfunk zu melden. Kostbare Minuten verrinnen. Die Freunde hegen fast keine Hoffnung mehr, den Australier lebend zu bergen. Größer und größer werden, die Kreise des Schiffes. Da! Was ist das? 71
72
Auf dem Boden eines Kraters liegt eine Gestalt. Wendt weiß, daß jetzt Sekunden über Leben und Tod des Wissenschaftlers entscheiden. Er stellt das Schiff auf die Spitze. Mit größter Vorsicht zwingt er es in den Krater hinein. Wenige Zentimeter über der Kratersohle verharrt es. Dr. Prenten, Mirtitsch und der kleine Japaner Dr. Toji springen aus dem Schiff und bergen in größter Eile den Australier. Dr. King scheint tot zu sein. Kein Atemzug hebt seine Brust. Sein Gesicht ist bläulich angelaufen. Aber Dr. Prenten gibt sich nicht geschlagen. Er ringt Stunden verbissen um das Leben des Kameraden. Endlich hat er Erfolg. Dr. King atmet wieder regelmäßig. Die Bläue schwindet aus seinem Gesicht. Dann schlägt er die Augen auf und blickt verwirrt um sich. „What happened?“ fragt er und versucht aufzustehen. Aber Dr. Prenten drückt ihn sanft zurück. „Bleiben Sie ruhig liegen. In einigen Stunden sind Sie wieder fit!“ Professor Ventoni drängt sich vor. „Ich verspreche Ihnen, daß ich nicht mehr werde zein Ihr Rivale! Ich werde nicht schreiben meine Buch! Schreiben Zie das Buch. Zie zind länger gewesen auf die Mond!“ Dr. King lächelt matt. „Schreiben Sie nur Ihr Buch“, antwortet er leise. „Ich habe auch etwas sehr Interessantes gesehen. Ich werde später darüber berichten.“ „Herr Doktor“, kann Wendt nicht an sich halten, „Sie haben äußerst unverantwortlich gehandelt! Wie konnten Sie sich nur so weit vom Schiff entfernen, ohne uns zu verständigen? Und warum haben Sie meinen Befehl nicht befolgt, ins Schiff zurückzukehren?“ 73
„Ich habe Ihren Befehl nicht gehört, Herr Ingenieur. Es war im Krater so interessant, daß ich die Zeit vergessen haben muß. Plötzlich wurde ich unsagbar müde. Was dann geschah, weiß ich nicht.“ Wendt hält dem Gelehrten trotz dessen geschwächten Gesundheitszustandes eine gehörige Strafpredigt. Doch innerlich ist er froh, daß dieses Abenteuer so glimpflich abgelaufen ist. Wendt peilt erneut den Mars an. Das Schiff nimmt seine weite Reise wieder auf. Doch diesmal ist Wendt vorsichtiger. Er holt nicht mehr die größtmögliche Geschwindigkeit heraus, sondern steuert mit Umsicht und Bedacht. Der Techniker bittet seine beiden Freunde, zu Bett zu gehen. Von nun ab werden sie sich in der Führung des Schiffes abwechseln, denn einmal müssen ihre Körper ausruhen, auch wenn ihr Flug durch den Weltraum noch so interessant ist.. Wie ungewohnt ist doch der Anblick des Universums! Die Sterne stehen nicht nebeneinander, wie wir auf der Erde sie sehen, sondern hintereinander. Hier hat man den gestirnten Himmel nicht über sich, sondern man ist mitten drin. Aus allen nur möglichen Richtungen funkeln und blitzen ferne Welteninseln. Über und unter, links und rechts vom Schiff, überall strahlen Sonnen Wärme und Licht in den Kosmos. Wendt versinkt in sehnsüchtiges Träumen. Wie klein ist doch die Welt, die sie mit ihrem wunderbaren Schiff durchforschen können! Auch wenn sie das gesamte Sonnensystem erkunden, so ist dies doch nur ein verschwindend geringer Teil des Universums. Schon Stunden führt Wendt das Schiff sicher durch das All. Plötzlich unterbricht leises Klopfen an der Tür zur Führungskanzel sein Sinnen. Auf Wendts „Herein“ schiebt der Japaner Toji seinen schmächtigen Körper in den Raum. „Herr Ingenieur“, sagt er mit seiner kehligen Stimme, „ich 74
danke Ihnen herzlich für alles, was ich durch Sie sehen und bewundern konnte. Ich glaube im Namen aller Gäste zu sprechen, wenn ich Ihnen auch weiterhin recht viel Glück wünsche.“ „Das werden wir sicherlich noch nötig haben“, antwortet Wendt freundlich und denkt nicht daran, daß die Freunde ihren Gästen den Zutritt in die Kanzel untersagt haben. Die Augen des Japaners wandern interessiert im Raum umher. In seinem Gedächtnis prägt sich jeder Hebel und jeder Schaltknopf unauslöschlich ein. „Mir geht das Herz auf vor Stolz, Herr Ingenieur, wenn ich daran denke, daß es uns vergönnt ist, als erste Menschen diesen Flug mitmachen zu dürfen. Ich verstehe unsere Kollegen auf der Erde, wenn sie uns heftig beneiden.“ „Bald wird sich das Weltall für alle öffnen. Bald werden die Menschen zum Mond und zur Venus reisen, nicht nur Wissenschaftler und Techniker. Sie werden die großen Entfernungen so schnell zurücklegen, daß es ihnen wie eine kleine Reise erscheint. Schauen Sie hinaus in den Kosmos! Ist es Ihnen nicht, als würde das Schiff im Weltall stillstehen? Und doch ist die Geschwindigkeit so groß, daß wir sie mit irdischen Maßstäben gar nicht vergleichen können. Ich fühle eine Zeit aus der Ewigkeit emporsteigen, die die Menschen froh und reich machen wird. Die Erde ist übervölkert, und der Gedanke an Krieg ängstigt die Gemüter. Aber bald wird ein Krieg nicht mehr möglich sein.“ Der schmächtige Japaner schaut Wendt aus dunklen Augen überrascht an. „Kein Krieg mehr, Herr Ingenieur? Werden dann die Menschen nicht den Ansporn zu großen Taten verlieren?“ „Das Durchforschen des Universums wird die Kriege ersetzen“, träumt Wendt. Plötzlich spürt er. wie ihm die Gedanken entgleiten. Die An75
strengungen und Aufregungen der letzten Stunden wirken sich auch bei ihm aus. Obwohl er überdurchschnittliche Energie besitzt, spürt er doch mehr und mehr, daß er müde wird. Er stellt die Verbindung mit Prentens Kabine her und bittet den Philosophen, die Führung des Schiffes zu übernehmen. Als Prenten die Kanzel betritt, bleibt er einen Augenblick überlegend stehen. Sein lichtblauer, scharfer Blick ruht für Sekunden forschend auf dem Gesicht des Japaners. Dr. Toji verbeugt sich höflich und sagt: „Es ist so interessant hier, daß ich mich nicht enthalten konnte, die Kanzel zu betreten. Ich bitte vielmals um Entschuldigung.“ Hat der Japaner die Gedanken des Philosophen erraten? „Herr Professor“, antwortet Prenten unfreundlich und bemüht sich nicht, seinen Unwillen zu verbergen, „wir haben aus ganz bestimmten Gründen unseren Gästen untersagen müssen, diesen Raum zu betreten. Diese Maßnahme dient nur der Sicherheit unserer Gäste. Eine unberufene Hand könnte unsere empfindlichen Apparate beschädigen. Dies könnte unser aller Untergang sein. Ich bitte Sie daher, in Zukunft unser Verbot zu respektieren.“ „Aber selbstverständlich“, ruft der Japaner eifrig aus. „Ich bitte nochmals um Entschuldigung!“ Er verbeugt sich und geht in seine Kabine zurück. „Hast du ihn nicht etwas zu hart angefaßt?“ fragt Wendt. „Kaum! Dieser Japaner gefällt mir nicht. Machen wir uns doch nichts vor! Unsere Gäste wurden alle von ihren Regierungen beauftragt, zu spionieren. Schön, das ist logisch. Aber wir müssen sehr auf unsere Gäste achten. Einer von uns muß stets in der Kanzel bleiben. Ich fühle, daß uns noch unangenehme Überraschungen bevorstehen. Dieser Japaner ist bestimmt kein Wissenschaftler. Auf dem Mond vertiefte er sich nur scheinbar in Untersuchungen. Er spielt den Gelehrten, aber er ist keiner.“ 76
„Du kannst recht haben“, stimmt Wendt nachdenklich zu. „Aber jetzt möchte ich erst einmal schlafen!“ * Lautlos zieht das Schiff seine Bahn durch den Weltenraum. Mit unvorstellbarer Geschwindigkeit stürzt es auf den Mars zu. In wenigen Stunden werden die Raumschiffer auf diesem Planeten landen. In wenigen Stunden werden sie die ungeheure Entfernung zwischen Erde und Mars überbrückt haben. Und doch! Wie gering ist die Geschwindigkeit des Schiffes gegen die unermeßlichen Weiten des Universums? Sonnen, jenseits unserer Milchstraße, verkünden ihr Sein durch Lichtwölkchen. Sie sind unfaßbar weit entfernt. Aber dennoch träumen wir uns hin zu diesen Welten durch unsere Phantasie. Suchen auch auf den Planeten dieser Systeme intelligente Wesen den nächtlichen Himmel ab? Wollen auch sie die Rätsel des Universums entschleiern? Niemand weiß es! Endlich ist das Schiff dem Mars nahe gekommen. Der rötlich schimmernde Mars hat die Phantasie der Menschen bisher am meisten beschäftigt. Er ist genauso wie unsere Erde kugelförmig, doch sein Äquatorialdurchmesser beträgt nur 6 784 km, also etwas mehr als die Hälfte des Erddurchmessers. Mit einer mittleren Entfernung von 228 000 000 km kreist er um die Sonne. Ein Marstag dauert etwas länger als ein Erdentag, ein Jahr dagegen 687 Erdentage. Größer und größer wächst der Mars aus dem Raum. Gebannt hängen die Blicke der Raumschiffer an seiner Oberfläche. Schon können sie Einzelheiten erkennen. Niedrige Berge erheben sich hie und da, und silbern glän77
zende Bänder durchziehen grünes Land. Weiße und dunkle Flecken verdecken zeitweilig die Marsoberfläche. Wolken! Der Mars besitzt also eine Gashülle. Denn nur in einer Atmosphäre können sich Wolken bilden. Kaum können die Wissenschaftler ihre Erregung meistern. Werden sie auf unserem Nachbarplaneten organisches Leben vorfinden? Bewohnen Menschen oder menschenähnliche Wesen diesen Planeten? Warum läßt Wendt das Schiff nicht schneller fliegen! Empfindet er selbst keine Ungeduld? Endlich! Das Schiff gleitet durch die Marsatmosphäre. Unten breitet sich eine wellige, grüne Landschaft aus. Tiefer und tiefer sinkt das Schiff. Es schwebt in einigen hundert Metern Höhe. Dann landet es mit einer kaum merkbaren Erschütterung. Die Gelehrten stürzen in einem wilden Knäuel zur Luftschleuse. Nur mit Mühe gelingt es Wendt, sie vor einem unbesonnenen Ausstieg zu bewahren. Zuerst muß geprüft werden, ob die Marsatmosphäre genügend dicht ist, ob sie der irdischen in ihrer Zusammensetzung entspricht und ob Erdenmenschen in ihr atmen können. Während Dr. Prenten die notwendigen Messungen anstellt, sendet Mirtitsch lakonisch zur Erde: „Wir sind auf dem Mars gelandet.“ Nur dieser eine Satz rast auf elektromagnetischen Wellen zur Erde. Doch diese kurze Meldung versetzt die gesamte Menschheit in hellsten Aufruhr. Als Prentens Meßergebnisse bekannt werden, verlängern sich die angespannten Gesichter der Wissenschaftler. Wohl besitzt der Mars eine Atmosphäre, ähnlich in ihrer Gaszusammensetzung der irdischen, doch sie ist so dünn wie bei uns auf einem etwa 5000 m hohen Berg. Der Druck der Marshülle ist zu 78
gering, um ein rasches Aussteigen aus dem Schiff zu erlauben. Es würde die Gesundheit jedes Waghalsigen auf das schwerste gefährden. Wendt und Prenten verlassen wieder als erste in ihren Schutzanzügen das Schiff. Wellig dehnt sich weithin das Land. Gräser und Sträucher wiegen sich im Wind, zwischen ihnen kriechen langsam und träge Tiere umher. Den irdischen Tieren ähnlich, starren sie die Raumschiffer aus großen, verwunderten Augen an. Manche kommen bedächtig näher. Prenten geht zu einem Strauch und bricht einen Zweig ab. „Holz! Holz! Wie auf unserer Erde“, sagt er. Einer nach dem anderen springen die Gelehrten aus dem Schiff. Freudetrunken zerstreuen sie sich hierhin und dorthin. Wieder prüfen und messen sie. Wieder suchen sie. Doch sie finden keine intelligenten Lebewesen. Nur Kriechtiere kreuzen in kaum abschätzbarer Zahl ihren Weg. Eiskalte Flüsse durchziehen nach allen Richtungen das Land und tränken die rötliche Marserde. Die tiefhängenden Wolken spenden anscheinend reichliche Güsse. Oft erschüttert ein heftiges Gewitter die Luft, und Stürme peitschen über das wellige Land. Sie finden kaum Widerstand, denn keine hohen Gebirgsketten hemmen ihre Wucht, und mit ungebrochener Kraft brausen sie über die Hügel. Nirgends rauscht und raunt ein Hochwald. Die strauchartigen Gewächse werden nur mannshoch. Wendt interessiert nicht so sehr die Marsoberfläche, sondern das Innere dieses Planeten. Sein Ultraschallgerät verrät ihm schnell die Zusammensetzung der Marsmaterie. Das Ergebnis seiner Untersuchungen läßt sein Herz schneller schlagen. In der Tiefe des Wandelsternes lagern unvorstellbare Mengen von Schwermetallen. Sie genügen, um die Weltwirtschaft 79
auf Jahrtausende mit diesen kostbaren Rohstoffen zu versorgen. Bald werden Raumschiffe die Erze zur Erde bringen. Der Energiehunger der Technik wird gestillt werden. Was heute kostbare Mangelware ist, wird morgen reichlich vorhanden sein. Aber nicht nur Wendt findet diese Schätze. Auch der schmächtige Japaner hat genügend Hilfsmittel, um zum selben Ergebnis zu kommen. Und er denkt, daß jene Nation, die diese Schätze für sich allein besitzt, allen anderen Nationen wirtschaftlich turmhoch überlegen sein muß. Jene Nation wäre konkurrenzlos. Die Raumschiffer gewöhnen sich langsam an die dünne Marsatmosphäre. Einer nach dem anderen legen sie die Schutzanzüge ab. Zwar ist es empfindlich kalt, doch das macht ihnen nicht viel aus. Wendt läßt das Schiff oft aufsteigen und landet wieder an anderen Plätzen, sehr zur Freude der Wissenschaftler. Aber die Marslandschaft ist eintönig. Die wenigen Meere erreichen bei weitem nicht die Ausdehnung unserer Ozeane. Dicke Gletscher bedecken die Marspole. Hier gibt es kein organisches Leben. Weit strecken sie riesige Eiszungen in die Meere und über die Kontinente in Polnähe. Hier und dort ragen größere und kleinere Inseln aus den Meeren, doch sie mildern kaum die Eintönigkeit der grauen, kalten Wasserwüsten. Das abwechslungslose Auf und Ab der Marsoberfläche bedrückt bald die Gemüter der Raumfahrer. Doch sie werden für die reizlose Landschaft reichlich durch etwas entschädigt, was sie auf unserer Erde niemals beobachten könnten: Zwei Monde umkreisen den Mars! Zwei Monde stehen oft gleichzeitig am Himmel. Aber eine irdische Vollmondnacht gibt es hier auf dem Mars nicht, denn die winzigen Monde erscheinen nur wie helle Sterne. Versinkt der kleinere Mond hinter den Hügeln, so erhebt er sich schon wieder nach wenigen Stunden am entge80
gengesetzten Punkt und steigt rasch höher, denn er vollendet in siebeneinhalb Stunden seine Bahn. Diese Monde sind genauso wüst und leer wie der unsere. Auch sie besitzen nicht die nötige Anziehungskraft, um Gase an sich zu binden. Auch sie sind atmosphärelos. Die Gelehrten bitten, die Monde erforschen zu dürfen. Wendt stimmt zu, aber nicht nur, um den Forscherdrang seiner ausländischen Kollegen zu befriedigen. Die Schiffswandungen und Geräte müssen überprüft werden, ehe der Start zur Venus erfolgen kann. Und wegen der geringeren Gravitation sind solche Reparaturen auf dem Marsmond leichter durchzuführen. Daß die Freunde dann zwar in Raumkombinationen arbeiten müssen, nehmen sie in Kauf. Die Reise vom Mars zum Phobos ist wirklich nur ein Katzensprung. Nach geglückter Landung fahren die Freunde sofort den Kranwagen aus. Prenten hat vorgeschlagen, das Schiff auf eine Arbeitsbühne zu setzen, denn im rötlichen Sand des Marsmondes findet der Raumer keinen ausreichenden Halt für die Reparaturarbeiten. Während die ausländischen Gäste das grüne und rote Felsgestein des Marsmondes untersuchen und den Planeten, der hier als Riesenkugel über den nachtschwarzen Himmel zieht, fotografieren, machen sich die drei Freunde an die Arbeit. Sie sind nicht die Menschen, die unter allen, auch noch so gefährlichen Umständen ein Ziel erreichen wollen. Trotz allem Wagemut sind sie doch vorsichtig und beginnen nur das, was auszuführen ist. Ihre Erwartungen und Hoffnungen sind hochgespannt, doch nicht überspannt. Der Raumflug hat an das Schiff große Anforderungen gestellt. Wendt befürchtet besonders, daß die Weltraumkälte von -273 Grad dem Stahlmantel des Schiffes geschadet haben könnte. Die Freunde untersuchen das Schiff genau. Sie klettern an 81
den Außenwänden herum und tasten mit empfindlichen Apparaten jeden Quadratmillimeter ab. Der kleinste, noch so winzige Riß könnte ihnen den Tod bringen, denn durch das Zusammenziehen dies Metalls in der Kälte entstehen ungeheure Spannungen, die einen Riß vergrößern würden, bis die Weltraumkälte ins Schiff eindringen könnte, um alles Leben darin zu vernichten. Beruhigt beenden die Freunde die Untersuchung. Die Edelstahlhülle ist nicht im geringsten beschädigt. Sie können sich dem Schiff wieder getrost anvertrauen. Die drei Freunde beschließen, die restliche Zeit bis zum Start auf dem Mars zu verbringen, und der Raumer landet zum zweiten Mal auf dem roten Planeten. Professor Dr. George Mount, der Engländer, stöbert den ganzen Marstag in Gebüschen und Sträuchern nach Tieren herum. Er ist begeisterter Zoologe. Er fotografiert und beobachtet mit bewundernswerter Ausdauer die seltsamen Tiere, die so träge und bedächtig dahinkriechen. Er hat sich eine umfangreiche Sammlung angelegt, die er mit Argusaugen hütet und sorgsam pflegt, denn er will diese auf unserer Erde nicht vorkommenden Arten lebend nach Hause bringen. Wendt erlaubt ihm, die Tiere in einem abgesonderten Raum des Schiffes unterzubringen. Damit sie sich nicht gegenseitig auffressen – denn auch auf dem Mars herrscht das Gesetz: Friß, oder du wirst gefressen! –, zimmert sich der Wissenschaftler aus den reichlich vorhandenen elastischen Gerten der Sträucher primitive Käfige, in denen er seine Lieblinge einsperrt. Gerade kriecht der Wissenschaftler wieder durch ein Gebüsch, Eigenwillig wie fast alle Engländer befolgt er nicht den Befehl Wendts, die Marstiere nur mit Handschuhen anzufassen, und bückt sich jetzt nach einem schlangenartigen Tier, das zu seinen Füßen schneller herumkriecht als die anderen, die er bisher zu sehen bekam. 82
83
Ohne sich zu besinnen, greift er nach dem schlanken Körper des Tieres. Doch es will sich nicht fangen lassen. Rasch gleitet es unter einige dürre Blätter, aber der Gelehrte ist schneller. Ein Griff, und seine Finger umspannen den Körper des Tieres. Aber er hält es nur sekundenlang. Blitzschnell wendet das Tier den Kopf nach der bloßen Hand des Gelehrten und beißt mit nadelspitzen Zähnen zu. Mit einem Aufschrei läßt Mount das Tier wieder frei. Einige Blutstropfen quellen aus seinen Fingern. „Damned!“ murmelt der Wissenschaftler, als sich seine Hand sofort gelb und blau verfärbt, „scheint ein giftiges Biest zu sein!“ Aber diese Erkenntnis hindert ihn nicht, weiter nach dem Tier zu suchen, das unter dem dürren Laub raschelt. Nach einigen mißglückten Versuchen fängt er es wieder. Er betrachtet es neugierig von allen Seiten. Dann steckt er es befriedigt in einen ledernen Sack, den er zu diesem Zwecke mitgenommen hat. Plötzlich beginnt es vor den Augen des Gelehrten zu flimmern. Eine bleierne Müdigkeit durchströmt seine Glieder. Seine Füße wollen ihn nicht mehr tragen. Mit letzter Willensanstrengung schleppt er sich taumelnd zum Schiff. Sofort bemühen sich seine Kollegen um ihn. Doch welches Gegengift soll man ihm einspritzen? Niemand kennt das Gift. das in den Adern des unbesonnenen Wissenschaftlers rast und ihm große Schweißperlen auf die Stirne treibt. Ratlos schauen sich die Raumschiffer an. Sie können vorerst nichts anderes tun, als den Kranken in sein Bett zu legen, wo sich Dr. Mount, schwer atmend und fiebernd, herumwälzt. Prenten ist nirgends zu finden. Er geht offenbar seine eigenen Forscherwege. „Siegfried!“ tönt plötzlich aus dem Kästchen des Sprechfunks auf seiner Brust Wendts erregte Stimme, „Dr. Mount ist erkrankt. Wir wissen uns keinen Rat. Komm!“ 84
„Ich komme“, antwortet der Doktor und hastet zum Schiff zurück. Ohne zu zögern, stürmt Prenten in die Kabine des Engländers. Mit einem Blick erkennt er, daß nur schnellste Hilfe den Gelehrten retten kann. Prentens zwingender Blick ruht befehlend in den Augen des Kranken. „Dr. Mount!“ fordert unwiderstehlich seine Stimme, „Dr. Mount, Sie sind müde! Schlafen Sie ein!“ Der Philosoph legt dem Kranken die Rechte auf die brennend heiße Stirne. Der Engländer schließt, obwohl es wie glühendes Eisen durch seine Adern rinnt, die Augen zu und schläft ein. „Dr. Mount“, sagt Prenten wieder, „hören Sie mich?“ „Ja“, antwortet der Kranke schwer atmend und kaum hörbar. „Dr, Mount, neutralisieren Sie das Gift in Ihrem Körper.“ Keiner von denen, die um den Kranken herumstehen, außer Mirtitsch, begreift den Philosophen. Was soll denn das bedeuten? Dr. Prenten kennt kaum erforschte Naturgesetze. Er weiß genau, was er will. Seine Hände streichen über den Körper des Kranken, und mancher glaubt wahrzunehmen, daß aus seinen Fingerspitzen Licht strahle. Der Engländer wird ruhiger. Sein Gesicht nimmt den Ausdruck höchster Konzentration an. So liegt er minutenlang. Keiner unterbricht die Stille. Dann lösen sich auf einen Befehl Prentens seine Züge, und er erwacht. „Sie haben es geschafft“, sagt der Philosoph befriedigt. „Verlassen Sie einige Stunden nicht ihr Lager. Sie haben viel Kraft verbraucht. Später können Sie nach Belieben wieder forschen. Aber, bitte, etwas vorsichtiger!“ 85
Der Philosoph lächelt verstehend. Die Raumfahrer sind tief beeindruckt vom Können des Philosophen. Sie haben bisher den wortkargen, in sich gekehrten Prenten nicht so geschätzt wie den kraftstrotzenden Wendt, aber nun bekommen sie gehörigen Respekt vor ihm. Was kann dieser Mann noch? Woraus schöpft er seine Kraft? Im Blick des kleinen, schmächtigen Japaners drücken sich deutlich Ehrfurcht und Mißbehagen aus. Toji fühlt in Prenten den gefährlichsten Gegner für seine Pläne. Irgendwo muß ein schwacher Punkt bei Wendt, Mirtitsch und dem Schiff sein. Diesen Punkt wird er herausfinden und ihn kompromißlos ausnützen! Doch dieser Prenten? Der Mann scheint unangreifbar zu sein. Ja, er wird auf den Philosophen achten müssen! Mehr als auf alle anderen. Als hätte Prenten die Gedanken des Gelben gelesen, wendet er sich ihm zu. Sekundenlang blitzt sein wissender Blick. Dann wendet er sich ruhig ab. Der Japaner fühlt sich durchschaut. Bevor das Schiff startet, darf jeder der Wissenschaftler zu seinem Volk in seiner Muttersprache sprechen. Das ist gar nicht einfach. Denn selbst die elektromagnetischen Wellen brauchen trotz der unvorstellbaren Geschwindigkeit, mit der sie durch den Raum schwingen, einige Minuten, um zur Erde zu gelangen, obwohl sich Erde und Mars einer Konjunktion nähern. Die Gelehrten haben schon ihre Schilderungen vom Mars und seinen zwei Monden beendet, als ihre Völker erst den Anfang ihres Berichtes hören. * Genau eine Woche nach der Eroberung des Mars startet das Schiff zur Venus. 86
Die Venus ist jener Planet, der einmal als Morgen- und dann wieder als Abendstern hell am Himmel leuchtet. Als Stern der Liebe wurde und wird sie oft besungen. Mit einer mittleren Entfernung von 108 000 000 km kreist sie um die Sonne. Ihr Durchmesser beträgt 12 191 km, also nur 565 km weniger als der unseres Heimatgestirnes. Ihre Dichte ist 0,94, wenn man jene der Erde mit 1 annimmt. Sie besitzt eine so dichte, nebelige Atmosphäre, daß auch die besten Teleskope niemals von der Erde aus den Blick auf ihre Oberfläche freikämpfen. Es wäre dem Schiff ein leichtes, seinen Flug zu unterbrechen und für Stunden auf die Erde zurückzukehren, denn es muß, da der Mars der erste äußere Planet ist, während seiner Reise zur Venus die Erdbahn kreuzen. Doch daran denken die Freunde nicht. Die sensationshungrigen Menschen müssen sich mit den spärlichen Berichten abfinden, die die Freunde senden. Eine weltumwälzende Idee steht auf dem Spiel. Wollen die Freunde diese Idee verwirklichen, dann müssen sie die Völker überraschen, müssen so schnell handeln, daß die Politiker nicht zum Denken und Überlegen kommen. Noch ahnt die Menschheit nichts von dem Vorhaben der Freunde. Noch ist ihre Zukunft in Dunkel gehüllt. Ruhig und sicher stürmt das Schiff durch das All auf die ferne Venus zu. Die Wissenschaftler haben so viel wertvolles Material zu sichten und zu ordnen, daß sie nicht wissen, was sie zuerst tun sollen: das gewonnene vielgestaltige Material sinnvoll ihrer Erkenntnis anpassen oder das erhabene Weltall beobachten! Ständig größer werdend, hängt die mächtige Scheibe der Sonne im Raum. Mancher glaubt, sie müßten in diesen glühenden, brodelnden Lichtball hineinstürzen. Hunderte von Kilometern schleudert die Sonne ihre in allen Farben sprühenden und leuchtenden Protuberanzen in den Kosmos. 87
* Nach Tagen schwebt die Venus riesengroß vor dem Raumschiff. Eine dichte, weißliche Wolkendecke verhüllt ihre Oberfläche. Vorsichtig steuert Wendt das Schiff durch die Dunstwand. Hier und dort zerreißt ein weitverästelter Blitz das dämmrige Dunkel, und schaurig dröhnt der Donner durchs Schiff. Nebelund Wolkenfetzen umwallen gespenstisch den Raumer. Land wird sichtbar, hügelig, überzogen von grünenden Wäldern. Hoch strecken die Bäume ihre wuchtigen Kronen in den dunstigen Venushimmel. Die Sonne leuchtet nur noch als matte, große Scheibe durch die dichten Wolkenschichten. Wendts Augen wandern suchend umher. Doch nirgends wird der rauschende Wald von Lichtungen unterbrochen, auf denen das Schiff landen könnte. Eng schmiegt sich Baumkrone an Baumkrone. Unaufhörlich rinnen von den Blättern große Wassertropfen. Langsam zieht das Schiff über diese grüne Flut. Dann gischtet unter den Raumschiffern ein breiter Strom reißend vorbei und wälzt seine schmutzigen Wasser irgendeinem Meere zu. An seinen Ufern tummeln sich Riesenechsen. So gewaltig, so groß, daß auch dem Kühnsten bange wird. Endlich unterbricht den unübersehbaren Wald eine Blöße. Ein Sturm scheint hier gewütet zu haben. Baumgiganten strecken ihre Wurzeln haltsuchend in die Luft, doch inmitten dieses Bildes der Verwüstung sprießen schon wieder in unübersehbarer Zahl Sträucher aus dem feuchten, nährstoffreichen Boden und senden lange, lichthungrige Gerten in die dunstige Höhe. Wendt steuert das Schiff auf diese Lichtung zu und landet. 88
Während Mirtitsch die Landmeldung zur Erde funkt, prüft Dr. Prenten wieder die Atmosphäre. Diesmal jubeln alle auf. Die Venusatmosphäre ist der Erdatmosphäre fast gleich. Nur ihr Sauerstoffgehalt ist etwas höher. Einer nach dem anderen springen sie aus dem Schiff und versinken staunend in die Betrachtung ihrer Umgebung. Ist das denn etwas anderes als ein tropischer Urwald?! Wie hoch sind diese Bäume, deren meterdicke Stämme ungeheure Lianengewächse umschlingen! Wie alt sind diese Urwaldriesen, die trutzig in die Dunstschichten aufstürmen, als wären sie für die Ewigkeit gewachsen? Die Luft ist mit Wasserdampf geschwängert. Die Raumschiffer können kaum atmen. Den Männern treibt es in Sekunden den Schweiß aus allen Poren. Aber dennoch wollen sich die wissensdurstigen Gelehrten in alle Richtungen zerstreuen. „Halt, meine Herren!“ ruft Wendt warnend. „Wir wissen nicht, was in diesen Dschungeln haust! Es könnten gewaltige, wilde Tiere aus den Tiefen des Waldes hervorbrechen und uns anfallen. Warten Sie bitte noch einen Augenblick!“ Er springt ins Schiff und kommt mit zwei Strahlengewehren zurück. Eines behält er selbst, das andere übergibt er Mirtitsch. Prenten bleibt als Wache im Schiff. Die Wissenschaftler formieren sich. Wendt geht an der Spitze, Mirtitsch bildet den Schluß. Rund um die Männer raschelt mannshohes Gras. Zwischen den starken Halmen grunzen und quieken seltsame Tiere. Kleine und große Schlangen winden sich rasch aus dem Gefahrenbereich der hohen Stiefel der Raumschiffer. Unzählige buntschillernde Vögel kreisen über der kleinen Kolonne. Allenthalben faucht und zischt, zirpt und pfeift es. Näher und näher arbeiten sich die Raumschiffer an den hochaufstrebenen Wald heran. 89
Plötzlich ertönt vor ihnen lautes Brechen und Krachen. Die Kronen einiger Urwaldriesen erzittern. Alle verharren erschreckt. Lauter, immer furchterregender hallt das Brechen und Krachen zu den Männern. Immer näher kommt es der Lichtung. Aber noch ist nichts zu sehen. „Ein riesiges Tier, das durch das Unterholz bricht“, murmelt Wendt und faßt sein Strahlengewehr fester. Da schiebt sich ein Kopf, so groß, wie ihn noch keiner der Gelehrten sah, aus dem grünen Blättergewirr. In diesem Kopf glänzen zwei braune Augen und starren die Menschen dumm und unwissend an. Niemand spricht. Dieser Anblick erschüttert alle. Was wird geschehen? Wenn schon der Kopf so groß ist, welche Dimensionen muß der von Blattern und Ästen des Unterholzes noch verdeckte Körper des Tieres haben? Selbst Wendt und Mirtitsch wird es ungemütlich in ihrer Haut. Werden ihre Strahlengewehre auch bei diesem Giganten wirken? Minutenlang schauen die braunen Augen auf die Raumschiffer. Dann rauschen wieder Zweige und Blätter. Äste krachen. Das Tier schwankt auf die Lichtung. Die Wissenschaftler können nur staunen. Vor ihnen steht ein Tierriese, so unfaßbar in seiner Größe, so furchteinflößend, wie ihn vielleicht die Erde vor Jahrmillionen einmal getragen hat. Die Füße des Ungeheuers sinken tief ein in den feuchten Humusboden der Lichtung, als es bedächtig, Schritt für Schritt, näherkommt. Aber diese Füße scheinen eher Knochen- und Fleischsäulen zu sein. Viele der Gelehrten spüren trotz aller Wißbegier nur einen 90
Drang: Flucht! So schnell als möglich zum sicheren Schiff flüchten, um diesem Riesen zu entgehen, der sich bestimmt in den nächsten Sekunden auf die winzigen Menschen stürzen wird, um sie unter sich zu zertrampeln. Doch Wendt und Mirtitsch verweilen ruhig und warten. Ihre Ruhe strömt auf die Raumschiffer über. Laut brummend nähert sich das Ungeheuer. Etwa 50 Meter vor den Männern bleibt es erneut stehen. Wendt hebt das Strahlengewehr, zielt genau … und setzt es wieder ab. Er kann den Riesen nicht töten, ohne von ihm angegriffen worden zu sein. Der Urwaldgigant, der anscheinend fühlt daß ihm diese Zwerge, die er noch nie gesehen hat, nicht übel wollen, zupft mit seinen gelben Zähnen gemächlich einige Zweige und Blätter von den jungen Bäumen und Sträuchern, während sein langer Schwanz insektenähnliche Tiere von seinem Rücken vertreibt. Minutenlang steht er den Raumschiffern gegenüber. Dann scheint er genug gesehen zu haben. Behaglich schmatzend wendet er sich um und stapft langsam in den Urwald zurück. Die Männer atmen befreit auf. „Solche Überraschungen werden wir hier noch mehr erleben“, sagt Wendt. „Wir müssen deshalb stets zusammenbleiben.“ Dr. Prenten hat beim Erscheinen des Urwaldgiganten mit einem Strahlengewehr unter dem Arm ebenfalls das Schiff verlassen. Er tritt zu seinen Kameraden. „Unverständlich“, sagt Dr. Tschekow, der Russe, „daß sich hier so hoch entwickeltes organisches Leben gebildet hat.“ „Ich glaube, Sie sehen hier einen Abschnitt Erdgeschichte“, antwortet Dr. Prenten. 91
Der Russe kann mit dieser Antwort nichts anfangen. Doch er unterläßt es, zu fragen, denn Dr. Prenten schaut plötzlich scharf in die Runde. Wo ist Dr. Toji? fährt es ihm durch den Sinn. Der schmächtige Japaner ist nirgends zu sehen. „Schnell! Zum Schiff zurück!“ raunt Prenten Mirtitsch ins Ohr und läuft auch schon auf das Schiff zu. Mirtitsch folgt ihm auf dem Fuße. Keinem der Gelehrten fällt dies sonderlich auf. Sie sind zu sehr mit ihrer fremdartigen Umwelt beschäftigt, um darauf zu achten, ob einer der Raumschiffer fehlt oder nicht. Prenten und Mirtitsch erreichen fast gleichzeitig das Schiff. Mit einem Sprung sind die Freunde drinnen. Sie eilen, ohne sich zu besinnen, zur Kanzel. Mit einem Ruck reißt Dr. Prenten die Tür auf. Inmitten des Raumes steht Dr. Toji. Erschrocken fährt er herum. Doch er faßt sich schnell und zeigt sein unergründliches asiatisches Lächeln. „Interessant, meine Herren, sehr interessant. Ich könnte hier stundenlang verweilen. Wirklich sehr interessant!“ sagt er mit seiner kehligen Stimme und tritt auf die Freunde zu. „Herr Doktor“, antwortet Prenten ungewöhnlich scharf, „ich habe Sie schon einmal darauf aufmerksam gemacht, daß unseren Gästen der Zutritt zu diesem Raum untersagt ist! Ich bitte Sie, sich in Zukunft unbedingt an dieses Verbot zu halten!“ Der Japaner lächelt freundlich, untertänig. „Meine Herren, entschuldigen Sie. Aber ich bin Wissenschaftler. Sie verstehen, mich interessiert alles Neue.“ „Das macht Ihre Unhöflichkeit gegen Ihre Gastgeber nicht ungeschehen. Ich bitte Sie noch einmal, unser Verbot zu beachten“, erwidert Prenten kurz. „Aber selbstverständlich, meine Herren! Selbstverständlich!“ 92
Der Japaner verbeugt sich mehrmals. Des Philosophen scharfer Blick scheint den Gelben zu durchdringen. Doch Toji lächelt freundlich, nichtssagend. „Ich werde mich den anderen anschließen“, grinst er und verläßt mit mehrmaligen, höflichen Verbeugungen die Kanzel. „Diesen Japaner dürfen wir nicht mehr aus den Augen lassen“, sagt Dr. Prenten finster. „Ich traue diesem Gelben nicht über den Weg. Der will unser Schiff!“ „Das glaube ich auch“, antwortet der Chefmechaniker. Die Raumschiffer, mit Wendt an der Spitze als Schutz gegen eventuelle Gefahren, dringen einige hundert Meter in den Urwald ein. Nur mühsam kommen sie durch das dichtverwachsene Unterholz vorwärts. Neben und über ihnen kreischen affenähnliche Wesen und springen mit unglaublicher Geschicklichkeit von Ast zu Ast. Lianen umschlingen armdick die Stämme der Urwaldriesen und scheinen sie ersticken zu wollen. Manchmal gellt der unheimliche Todesschrei eines Tieres durch die Dschungel und übertönt sekundenlang das Urwaldgekreische. Wohin die Raumschiffer auch schauen, überall sprießt üppigste Vegetation aus dem feuchten, nährstoffreichen Boden. Orchideenähnliche Gewächse schillern in den wunderbarsten Farben von jedem Baum und Strauch. Das müßte ein Maler sehen, denkt der Techniker und beneidet die Künstler um ihre Begabung. Die Raumschiffer haben keinen trockenen Faden mehr am Körper. Der Wasserdunst, der in dichten Schwaden durch den Wald streicht, dringt überall durch. Aber das macht den Wissenschaftlern nichts aus. Sie wollen immer Neues, noch nie Geschautes, sehen. Für die Gelehrten viel zu früh, gibt Wendt den Befehl zur Umkehr. Als sie nur noch wenige Schritte vom Schiff entfernt sind, 93
setzt urplötzlich ein heftiges Gewitter ein. Lauwarme Wassertropfen stürzen so dicht vom Venushimmel, daß sie glauben könnten, in einem irdischen Brausebad zu sein. Gewaltig zucken die Blitze, ununterbrochen grollen die Donner. Und ein Sturm braust mit unheimlicher Wucht heran. Nur mit Mühe legen sie die letzten paar Meter zum sicheren Schiff zurück. Als sich die Raumschiffer umgekleidet haben, spricht Wendt zu ihnen durch die Bordsprechanlage. „Meine Herren“, sagt er, „wir sind nahe des Venusäquators gelandet. Wir haben auf diesem Stern ein Klima und eine Vegetation ähnlich wie in unseren tropischen Gebieten festgestellt. Ungeheure Holzvorräte harren hier der Ausbeutung. Aber wir wollen von diesem Planeten, der uns von allen am meisten interessiert, mehr erkunden als nur den Urwald. Wir werden die Venus in geringer Höhe umkreisen, um uns von ihrer Oberfläche ein genaueres Bild machen zu können.“ „Wunderbar!“ rufen die Wissenschaftler begeistert aus. „Nur weiter!“ Das Schiff schwebt wieder empor. Stunde um Stunde währt der Flug. Aber der Urwald nimmt kein Ende. Manchmal tauchen große Seen unter dem Schiff auf, auf denen entwurzelte Bäume dahintreiben. Und überall, wohin sie auch schauen, Dunst und Nebel. Gewaltige Gewitter toben rund um das Schiff, und ungeheure Wassermassen stürzen zur Venuserde. * Jetzt überfliegt der Raumer ein Meer, aus dem größere und kleinere Inseln aufragen, die alle von einem sandigen Strand umgeben sind. Doch der Anblick dieses Meeres ist nicht mit einem irdischen zu vergleichen. Die Raumschiffer können nur 94
wenige Kilometer weit sehen, denn der ewige Dunst der Venus saugt die Sonnenstrahlen in sich auf, und ununterbrochen steigen von der welligen Wasserwüste Nebel auf, die sich zu gewaltigen Wolken verdichten und bald wieder zur Venus als Regen zurückstürzen. Stürme brausen und heulen über das Wasser und türmen das Meer zu gigantischen Wogen. Aber auch dieses Meer nimmt einmal ein Ende. Das Schiff überfliegt wieder Land. Ein mächtiger Urwald zieht unter dem Schiff dahin, aus dem da und dort einige Berge aufragen. Doch nirgendwo gibt es kahle Felsen. Überall überwuchert eine rasch sprießende Vegetation das Gestein. Wendt beschließt, den Südpol der Venus anzufliegen. Es muß doch einmal lichter und kälter werden. Dem Pol zu kann doch unmöglich diese Gluthitze herrschen! Zwar verspüren die Männer im Schiff davon nichts, denn die Kühlanlage sorgt für gleichmäßige Temperatur, aber die Raumfahrer erwarten von der Venus mehr als nur dunstige Urwälder. Das Schiff verändert seine Flugrichtung und zieht gemächlich dem Süden zu. Stunde um Stunde dauert die Fahrt. Endlich werden die Nebelschwaden dünner, die tropischen Gewitter seltener. Da und dort zerreißen für einige Sekunden die Wolken und geben den Blick auf die Sonne frei, die schon nahe dem Venushorizont steht. Der Wald lichtet sich. Große, baumfreie Matten bieten gute Landemöglichkeiten. Auf einer dieser Lichtungen landet das Schiff. Es dämmert, und bald breitet die Venusnacht ihre Schwingen über das Land. Die Raumfahrer schlafen traumlos und tief. Mitternacht! – Plötzlich ertönt unartikuliertes Schnattern rund um das Schiff. 95
Einige erwachen. Was ist denn? denken sie und drehen sich schlaftrunken auf die andere Seite. Doch das Schnattern hält an. Mirtitsch schaltet seinen Fernsehapparat ein. Aber er kann nichts erkennen. Draußen ist dunkelste Nacht. Verwundert geht er in die Kanzel des Schiffes und schaltet einen Scheinwerfer ein. Mit langen Strahlenfingern greift dieser in die Nacht, tastet rund um das Schiff den Boden ab. Da reißt Mirtitsch erstaunt die Augen auf. Um das Schiff herum stehen eng aneinander geschmiegt tiefbraune, menschliche Gestalten und starren in das Licht. Es könnten südamerikanische Indianer sein. Mit einem Schlag verstummt das Schnattern. Entsetzt reißen die braunen Burschen die Augen auf. Panischer Schrecken ergreift ihre Gemüter. Ihre primitiven Holzspeere von sich werfend stürmen sie laut schreiend nach allen Seiten davon. „Wacht auf! Wacht auf!“ brüllt Mirtitsch ins Mikrophon. „Die Venus ist bewohnt!“ Gleichzeitig schaltet er die elektrische Beleuchtung des Schiffes ein. Die meisten Wissenschaftler haben das eigenartige Schauspiel mit angesehen. Die wenigen Siebenschläfer sind schnell informiert. Die Gelehrten wollen sofort in die Nacht hinausstürzen, um einem dieser braunen Kerle von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Nur mit Mühe gelingt es Wendt, sie davon abzuhalten. Bis zum folgenden Morgen müssen sie sich schon gedulden. Mirtitsch schaltet die Scheinwerfer wieder aus. Tiefste Finsternis verschluckt das Schiff. Bald wird es draußen erneut lebendig. Doch keiner schaltet 96
die Scheinwerfer ein. Niemand will die Naturkinder erschrecken. Sie schnattern und schnattern. Anscheinend haben sie sich etwas sehr Wichtiges zu erzählen. Endlich dämmert der Venusmorgen. Grauweiße Nebel wallen überall. Nur undeutlich sind die braunen Kerle zu erkennen. Wendt zählt einige hundert. Mit ihren Händen zeigen sie auf das Schiff und rufen sich ihre Wahrnehmungen in einer gutturalen Sprache zu, die selbstverständlich keiner der Raumfahrer versteht. Einige Mutige nähern sich bis auf Griffnähe dem Schiff. Einer berührt sogar mit der Hand vorsichtig die stählerne Außenwand. Doch erschreckt zieht er sie sofort wieder zurück. Dieses unbekannte Etwas wirkt auf ihn zu unheimlich. Manche der braunen Burschen weisen verschiedenemale auf die Sonne und dann auf das Schiff. „Sie halten das Schiff für einen Gott, der von der Sonne gekommen ist“, flüstert Dr. Prenten. Endlich ist es richtiger Tag. Große Tauperlen hängen an den Spitzen der Gräser. Doch sie glitzern nicht wie bei uns auf der Erde, sondern sie sind auf der Venus nur unscheinbare Wassertropfen, die kein klarer Sonnenstrahl zu einem kurzen, sprühenden Leben erweckt. Dr. Prenten öffnet langsam die Luke. Viele der braunen Wesen wenden sich zu eiligster Flucht. Andere werfen sich mit dem Gesicht zu Boden und bleiben lange bewegungslos liegen. Eilig und doch leise treten die Wissenschaftler neben die am Boden liegenden Gestalten. Dr. Prenten bückt sich zu einem Mann nieder und berührt ihn zart an der Schulter. Erschreckt zuckt der Braune zusammen. Doch er schaut nicht auf. Prenten versucht es noch einmal. 97
Da wagt der braune Bursche aufzusehen. Doch nur einen Augenblick. Erst nach der dritten Berührung schaut er länger in das helle Gesicht des Philosophen, und in das grobknochige, braune Antlitz des Naturburschen stiehlt sich ein verlegenes Lächeln. Prenten bedeutet dem braunen Mann aufzustehen, was dieser nach langem Zögern auch tut. Der Eingeborene ist fast so groß wie der Raumfahrer. Verlegen schaut der Venusbewohner zu Boden. Plötzlich hebt der Eingeborene den Kopf, wendet sich zu seinen noch am Boden liegenden Brüdern und ruft ihnen etwas zu. Sofort stehen diese auf und schnattern wieder unverständliches Zeug. Der Bann ist gebrochen. Die nur mit primitiven Schürzen bekleideten, braunen Burschen umringen lebhaft die Gelehrten und beginnen, die Raumfahrer abzutasten. Die Wissenschaftler lassen sich das ruhig gefallen, denn sie wollen das Vertrauen der Venusier gewinnen. Immer mehr braune Kerle kommen zum Schiff. Doch nur nach einem langen Zeichenpalaver gelingt es Dr. Prenten, einen davon zum Mitgehen zu bewegen. Er führt ihn freundlich durch das Schiff. Immer wieder versucht der Eingeborene, von den Stahltüren abzubeißen, bis er ihre Ungenießbarkeit erkennt. Doch Dr. Prenten weiß sich zu helfen. Er öffnet eine Konserve und hält den gesamten Inhalt dem braunen Mann hin. Dieser greift sofort danach. Er kostet. Es scheint ihm gut zu schmecken. Schneller als gedacht, hat er die eingemachten Pfirsiche hinuntergeschluckt. Andere folgen ihm nach. Die Raumschiffer sparen nicht mit ihren Vorräten. Tatsächlich gewinnen sie das Vertrauen der Eingeborenen. Bald zeigen die Venusier weder Furcht noch Mißtrauen, Sind doch für sie diese weißgesichtigen Männer 98
Götter, die von der Sonne zu ihnen gekommen sind, um ihnen das Glück zu bringen! Mit Hilfe einer primitiven Zeichensprache gelingt es den Raumschiffern, sich verständlich zu machen. Unter den Wissenschaftlern ist auch ein Mediziner. Er untersucht einen der braunen Kerle und stellt verwundert fest, daß er ein irdischer Mensch sein könnte. Selbst das Blut zeigt die gleiche Zusammensetzung. Wenn so viele Menschen zusammenströmen, muß in der Nähe irgendwo eine Ansiedlung sein. Prentens brauner Bursche, den der Philosoph „Hans“ nennt, begreift endlich, was der weiße Gott von ihm will. Er ruft seinen Brüdern etwas zu und führt die Wissenschaftler zur Siedlung des Stammes. Das Dorf der Venusmenschen versteckt sich in etwa 3 km Entfernung vom Schiff im tiefsten Urwald. Das Völkchen hat mit den primitivsten Mitteln in den Kronen der Urwaldriesen Baumhütten gezimmert. Aber Zweige und Blätter gewähren nur wenig Schutz gegen die Stürme und Gewitter, die auch hier, weit südlich des Venusäquators, am Tag und in der Nacht die Gemüter dieses abergläubischen Naturvolkes in Angst und Schrecken halten. Mit einfachsten Steinwerkzeugen haben sie diese Hütten gebaut. Die Raumfahrer glauben sich in die Steinzeit der Erde zurückversetzt. Wovon leben diese Menschen? Kennen sie schon das Feuer? Eifrig forschen die Gelehrten. Bald begreifen die Braunen, was die weißen Götter wollen. Hans führt sie unter einen mächtigen Schachtelbaum, dessen nahe Umgebung von Sträuchern gesäubert wurde. Hier glimmt ständig ein kleines Feuerchen, das von eigens dazu befohlenen Wachen unterhalten wird. Mit Zeichen fragt Prenten, woher dieses Feuer gekommen sei. Da weist Hans voller Ehrfurcht auf die Sonne, deren Scheibe 99
durch die ewigen Venusnebel, der anscheinend auch hier nie weichen will, matt hindurchschimmert. Der Stamm ernährt sich von der Jagd, von Kräutern und Wurzeln. Tiere leben in der umliegenden Wildnis mehr als genug, und die braunen Männer sind sehr geschickt in der Handhabung ihrer Holzspeere. Wendt schenkt den Eingeborenen Äxte und Sägen und bringt ihnen bei, wie man die Werkzeuge benutzt. Hellster Jubel bricht jetzt bei den Braunen aus. Wie schnell und leicht sie nun die dicksten Äste zerkleinern können! Wie scharf diese Beile sind! Und wie rasch sich die Sägen ins Holz hineinfressen! Die Raumschiffer jagen auch mit ihnen. Als Wendt mit seinem Strahlengewehr einige Tiere tötet, kennt ihre Begeisterung keine Grenzen mehr. Ja, das müssen die gütigen Sonnengötter sein! Was fühlen diese einfachen Menschen erst, als die Raumschiffer das Fleisch der Tiere in ihrem Schiff so gut zubereiten, wie sie nur können, und die köstliche Speise den Eingeborenen schenken! Sie schmausen eifrig und schnell. Nur die Bestecke legen sie nach einigen mißglückten Versuchen weg. Nach mehreren Tagen radebrechen einige Eingeborene schon unbeholfene Sätze in der Sprache der Raumfahrer. Und sie erzählen von einem anderen, grausamen Stamm, der westlich von ihnen im unzugänglichen Urwald wohnt. Oft kämen die Krieger des anderen Stammes über sie und versuchten, ihre Frauen zu rauben. Wendt will das Gelände des anderen Stammes überfliegen. Der braune Hans, der alle Angst und Furcht vor den Göttersöhnen abgelegt hat, willigt gerne ein mitzukommen. Überwältigt starrt er von oben auf seine Heimat. Er kann sich nicht sattsehen. Ununterbrochen spricht er auf den geduldig zuhörenden Prenten ein und deutet hierhin und dorthin. 100
Als das Schiff über einige Hügel dahinschwebt, steigt aus dem Urwald Rauch auf. Doch das Blätterdach ist zu dicht, um den Blick auf die Feuerstellen freizugeben; es verhüllt die Siedlung der Feinde. Unverrichteter Dinge kehren die Raumschiffer zurück und beschließen, trotz der möglichen Gefahren, mitten durch den Urwald zu diesem anderen Stamm vorzudringen. Die Frauen und Kinder erheben ein ängstliches Geschrei, als ihnen Hans die Absicht der weißen Götter verdolmetscht. Nur wenige Männer wollen die Wissenschaftler als Führer begleiten, obwohl die weißen Götter wunderbare Waffen besitzen. Schon der Gedanke an den anderen Stamm jagt ihnen panischen Schrecken ein. Selbstverständlich wollen alle Raumfahrer die Expedition mitmachen. Die Freunde wenden dagegen nichts ein. Das Schiff soll nur einer der Freunde bewachen. Mirtitsch will freiwillig zurückbleiben. Am nächsten Morgen werden sie aufbrechen. Wendt rüstet die Wissenschaftler mit allem Erdenklichen aus. Sogar Gewehre, allerdings keine Strahlengewehre, übergibt er ihnen, denn man kann nicht wissen, wie stark der andere Stamm ist. Am Abend sitzen die Raumschiffer mit den Eingeborenen um große Feuer! In jedem Gelehrten erwacht der romantische Knabe, der von gefährlichen Abenteuern in unberührter Wildnis träumt. Aber die Raumschiffer träumen nicht, sie sind wirklich mitten drin. Sie erleben Abenteuer wie noch niemand vor ihnen. Doch bald ziehen sie sich auf Befehl Wendts ins Schiff zurück, um für den folgenden Tag ausgeruht zu sein. Es ist schon lange nach Mitternacht. Kein Laut stört die Stille im Schiff. Alle schlafen. Nur Dr. Toji liegt hellwach auf seinem Lager. Heute muß es geschehen! Sonst kann es zu spät sein. Er hat alles für sein Unternehmen bestens vorbereitet. Das 101
Schlafmittel, das er vorsorglich mitgebracht hat und das erst nach Stunden wirkt, wird diesen Dr. Prenten lange Zeit unschädlich machen. Das Schwerste ist nur, ungesehen und ungehört zu dessen Feldflasche zu gelangen. Dr. Toji weiß instinktiv, daß Dr. Prenten für ihn der Gefährlichste ist. Er fürchtet nicht den Techniker Wendt oder den muskulösen Mirtitsch. Er fürchtet nur den Geisteswissenschaftler Dr. Siegfried Prenten! Denn der unbegreiflichen geistigen Macht des Philosophen kann er nichts Gleichwertiges entgegensetzen. Lautlos verläßt der Japaner sein Lager und schleicht auf Gummisohlen katzengleich durch das Schiff. Er kennt jeden Raum, jede Nische. Nirgends stößt er an auf seinem Weg zu Prentens Schlafkabine. Jetzt steht er davor. Seine Finger tasten die Stahlwand ab. Da durchzuckt ihn heißer Schreck. Die Tür zu Dr. Prentens Schlafraum ist nicht wie die meisten anderen offen, sondern zu. Hoffentlich ist sie nicht versperrt, denkt der Japaner und drückt langsam und vorsichtig die Klinke herunter. Der Schreck des Gelben wandelt sich in wilde Freude. Der Schlafraum ist unversperrt. Leise tritt der Japaner ein. Dr. Prenten schläft ruhig und tief. Vorsichtig, Zentimeter für Zentimeter, tastet sich Toji vor. Ja kein Geräusch verursachen! Nur den Philosophen nicht wecken! Endlich ertasten seine suchenden Finger Dr. Prentens Rucksack. Die Fingerspitzen des Gelben suchen weiter. Halt! Hier ist die Feldflasche! Geräuschlos schraubt der Japaner den Verschluß auf, greift in seine Rocktasche und schüttet den gesamten Inhalt einer Glasampulle in die Feldflasche. 102
Das wird vollauf genügen! denkt der Gelbe triumphierend und schraubt vorsichtig den Verschluß wieder zu. So unhörbar und bedächtig der Japaner beim Hereinkommen war, beim Hinausgehen hat er Pech. Sein Rock streift an die Stahlwand. Ein schabendes Geräusch schwingt durch den Raum. Behende wie eine Katze eilt Toji den Flur entlang und verschwindet. Mit einem Ruck sitzt Dr. Prenten aufrecht im Bett. Da ist doch jemand! Er knipst die elektrische Lampe an. Die Kabine erstrahlt im hellsten Licht. Scharf und aufmerksam wandert der Blick des Philosophen umher. Alles steht an seinem Platz. Nichts hat sich verändert. Aber dennoch hat Dr. Prenten das sichere Gefühl, daß noch vor kurzem jemand hier gewesen ist. Er steht auf und blickt auf den Gang des Schiffes. Nichts! Kopfschüttelnd geht er zu seinem Lager zurück. Ich habe wahrscheinlich geträumt, beruhigt er sich und schläft bald wieder ein. * Der nächste Morgen bringt einen für die Venus wundervollen Tag. Nur dünne Dunstschleier trüben die mächtige Sonnenscheibe, so daß ihre Strahlen ungeschwächter als sonst den Venusboden treffen. Früh marschiert die Expedition ab. Voran Dr. Prenten mit einem Strahlengewehr und Hans als Führer, dann die Wissenschaftler mit einigen Eingeborenen. Als Letzter geht Wendt. Langsam und mühsam kämpft sich die Kolonne durch den 103
Urwald. Hier klettern die Raumschiffer über einen umgestürzten Urwaldriesen, dort müssen sie einen Sumpf umgehen. Dumpf und schwül ist die Luft unter dem dichten Blätterdach und treibt den Männern den Schweiß aus allen Poren. Oft greifen die Raumschiffer zu den Feldflaschen, um den brennenden Durst zu stillen. Mittags hält die Expedition auf einer Lichtung kurze Rast. Dr. Prentens Blick sucht den schmächtigen Japaner. Eine Stimme ruft in dem Philosophen, doch umzukehren, eine Stimme, der er in seinem bisherigen Leben stets gefolgt ist. Und diese Stimme warnt ihn vor dem Gelben. Doch was würden die Wissenschaftler sagen, wenn er jetzt umkehren ließe? Könnte er ihnen ein Motiv angeben, das sie begreifen würden? Wohl kaum! Gott sei Dank! Dort sitzt der Japaner inmitten des Lagers. Seine Miene ist harmlos und ausgeglichen. Aber dennoch sagt Prenten zu Wendt: „Achte auf den Japaner! Ich habe ein sehr ungutes Gefühl.“ „Er ist machtlos“, antwortet Wendt. „Diesmal täuschst du dich bestimmt.“ Der Philosoph zuckt die Achseln. „Hoffentlich!“ So harmlos sich der Japaner auch gibt, hinter halbgesenkten Augenlidern beobachtet er jede Bewegung Prentens. Ich schaffe es! denkt er siegessicher. Ich muß zusehen, daß ich ungesehen verschwinde! Bald erkämpft sich die Kolonne wieder beschwerlich einen Weg durch den Urwald. Kaum einer spricht ein Wort. Endlich bietet sich dem Japaner die langersehnte Gelegenheit. Die Expedition zwängt sich durch dichtestes Unterholz. Titanenhaft braust und grollt ein Gewitter. Blitz folgt auf Blitz, Donner auf Donner. Im Urwald scheinen Gigantenkräfte zu werken. Hier und dort krachen dicke Äste, vom Sturme aus den 104
Bäumen gefetzt, zu Boden. Ja, selbst riesige Schachtelbäume brechen unter der Wucht der Elemente und reißen im Stürzen breite Lichtungen in die immergrüne Wildnis. Die großen Gewittertropfen fallen ballernd wie Geschosse auf die Blätter, wo sie in abertausend kleinste Tröpfchen zersprühen, so daß die Raumschiffer wie im dichtesten Nebel kaum einige Meter weit sehen können. Schnell und entschlossen handelt der Gelbe. Unbemerkt sondert er sich von den anderen ab und hastet den kaum erkennbaren Pfad zurück. Mit dem Fanatismus seiner Rasse holt er das Letzte aus seinem Körper. Sein Wille kennt nur ein Ziel: Das wundervolle Schiff der Freunde zu entführen und seinem Vaterlande die absolute Weltherrschaft zu sichern! Toji kümmern weder die Dornen, die seinen Anzug zerfetzen, noch spürt er die vielen blutenden Wunden, die er sich auf seinem Gewaltmarsch zufügt, denn er ist besessen von seiner Idee. Plötzlich schnellt der häßliche Kopf einer Riesenschlange vor ihm auf und versperrt ihm den Weg. Aber nur einen Augenblick verharrt der Japaner regungslos. Dann reißt er die Pistole aus der Halfter und jagt das ganze Magazin in das große Maul des Tieres. Seine Kugeln treffen gut. Trotzdem versucht die Schlange noch, den Japaner anzugreifen. Aber sie hat nicht mehr die Kraft dazu. Toji horcht in den Urwald hinein. Das Gewitter ist vorbei. Hat man seine Schüsse gehört? Folgt man ihm schon jetzt? Doch die Detonationen sind von dem dichten Blättergewirr verschluckt worden, und die Expeditionsteilnehmer haben nichts gehört. Weiter hastet der Japaner. In unglaublich kurzer Zeit legt er den Weg zum Schiff zurück. Jetzt verbirgt er sich am Waldrand und beobachtet den Raumer. 105
Einige Eingeborene stehen laut schnatternd um die Lukentür herum. Mirtitsch sitzt in der Kanzel vor dem Sendeapparat und gibt die neuesten Berichte zur Erde durch. „Günstiger könnte es gar nicht sein!“ murmelt der Gelbe erfreut, springt auf das Schiff zu, gewinnt die Ausstiegkabine und schließt hinter sich die Tür ab. Die braunen Menschen schreien, durch sein plötzliches Erscheinen erschreckt, laut auf. Doch Mirtitsch ist zu sehr mit seiner Sendung beschäftigt, um darauf zu achten. Nun eilt Toji auf leisen Sohlen zur Kanzel. „… Eine Expedition ist heute früh aufgebrochen, um in das Innere des Urwaldes vorzustoßen. Unter der Führung …“ Weiter kommt Mirtitsch in seinem Bericht nicht. Ein Handkantenschlag des Japaners ins Genick raubt ihm augenblicklich die Besinnung. Sofort greift der Gelbe dem Chefmechaniker unter die Arme und schleppt ihn in den Werkzeugraum, den er von außen abschließt. Nun ist er Herr des Schiffes! Nun kann der Flug nach Japan beginnen! Toji stürmt wieder in die Kanzel. Selbstsicher blickt er auf die vielen Hebel und Schaltknöpfe. Ja! Er hat sich alles gut gemerkt! Hier! Diesen Hebel muß er herabdrücken, dann verliert das Schiff die Schwere. Jeder andere würde wahrscheinlich davor zurückschaudern, einen ihm völlig unbekannten Mechanismus zu betätigen. Aber nicht der Japaner. Mit einem raschen Griff reißt er den besagten Hebel herunter und … stürzt wie vom Schlag getroffen zusammen. *
106
Als Mirtitsch mit benommenen Schädel erwacht, weiß er zunächst nicht, was mit ihm geschehen ist. Doch schnell dämmert ihm die richtige Erkenntnis, und er stürzt hin zur verschlossenen Tür. Da erkennt er, daß er rettungslos gefangen ist. Denn diese Stahltür kann er selbst mit den besten Werkzeugen nicht aufbrechen. Da nützt ihm seine große Muskelkraft gar nichts. Mirtitsch flucht und schimpft fürchterlich. Er packt einige Beile und schleudert sie in ohnmächtiger Wut gegen die Tür. Vergeblich! In diesem Schiff, das er selbst miterbaut hat, ist er sicherer gefangen als in dem besten Gefängnis der Erde. Fast weinend sinkt Mirtitsch zu Boden. „Dieser verdammte Japaner!“ Das Werk ist in Gefahr! Das Schiff wird gestohlen! Und er muß tatenlos zusehen, wie dieser Gelbe ihr wunderbares Schiff entführt! Doch halt! Mirtitsch lacht plötzlich schallend auf. „Versuch’ es nur!“ sagt er schadenfroh zu sich selbst. „Ja, versuch’s nur!“ Als Toji nach Minuten wieder zu sich kommt, schaut er lange verwirrt in der Kanzel um sich. Er ist ja noch immer auf der Venus! Er sollte doch schon längst im Weltall fliegen! Der Gelbe steht auf, denkt nach, ob er auch wirklich den richtigen Hebel betätigt hat und kommt endlich zu dem Schluß, daß es der richtige gewesen ist. Wieder reißt er den Starthebel herunter. Doch das Ergebnis ist nicht anders als beim erstenmal. Wieder stürzt er bewußtlos zusammen. Erst nach dem dritten Versuch erkennt er, daß die Freunde 107
ihr Schiff durch eine Strahlenanlage gesichert haben, die sich automatisch einschaltet, wenn ein Unberufener die Schalthebel betätigt. Wütend und verbissen beginnt der Japaner, nach dieser Vorrichtung zu suchen. Doch so sehr er sich auch anstrengt, er findet nichts. * Der Venustag geht zu Ende. Die Expedition schlägt das Lager in einer kleinen Lichtung auf. „Wie siehst du denn aus?“ fragt Wendt seinen Freund Prenten erschrocken. „Du bist ja blaß wie der Tod!“ „Weiß der Teufel“, antwortet der Philosoph unendlich müde, „ich möchte mich am liebsten hinlegen und schlafen, nichts als schlafen.“ Dr. Prenten hält sich wirklich nur noch mit größter Willensanstrengung auf den Beinen. Er schwankt hin und her. In Wendt steigt ein furchtbarer Verdacht auf. „Wo ist Dr. Toji?!“ ruft er. Der Japaner ist verschwunden. Als die Sonne unter den Venushorizont taucht, fallen Dr. Prenten trotz aller Willenskonzentration die Augen zu, und er stürzt bewußtlos zur Erde. „Meine Herren!“ Wendt ruft die Wissenschaftler zu sich, und sein Gesicht ist hart wie Stein. „Ich muß Ihnen leider eine unangenehme Mitteilung machen. Ich befürchte, Dr. Toji hat das Schiff entführt!“ „Was?! Wie?!“ rufen alle durcheinander. „Das ist doch nicht möglich!“ Sie starren sich gegenseitig ungläubig und entsetzt an. „Dann müssen wir ja für immer hier bleiben!“ 108
„Meine Herren!“ übertönt Wendts Stimme alle anderen. „Wir müssen uns rasch entschließen! – Dr. Toji muß durch Gift meinen Freund Prenten eingeschläfert haben.“ Wendt lächelt ein gefährliches Lächeln. „Er hat das sicherlich nicht umsonst getan! – Mirtitsch ist im Schiff zurückgeblieben. Aber wahrscheinlich ist auch er überlistet worden, und das Schiff ist in Tojis Händen. Zum Glück gibt es in der Kanzel eine verborgene Startsicherung, die nur meine Freunde und ich kennen. Doch Toji könnte durch einen dummen Zufall diese Startsicherung finden. Was das bedeuten würde, meine Herren, brauche ich wohl nicht näher zu erläutern. Wir müssen daher während der Nacht zum Schiff zurück!“ Die Raumschiffer stimmen ihm sofort zu. Sie wissen, daß es um ihr Leben geht. Obwohl sie von dem anstrengenden Tagesmarsch alle äußerst ermüdet sind, denkt doch keiner ans Schlafen. Sie legen den Philosophen, der durch nichts zu erwecken ist, auf zwei zusammengebundene Zeltbahnen und marschieren durch die Nacht zum Schiff zurück. Gespenstisch durchschneiden die Strahlenkegel ihrer Blendlaternen die Urwaldnacht und zaubern in die aufwallenden Nebel Schemengestalten. Die braunen Begleiter halten sich ängstlich nahe an die Raumschiffer. Sie können sich nicht erklären, was das alles bedeuten soll, aber sie gehorchen willig ihren Sonnengöttern. * Kurz vor Mitternacht öffnet Toji die Tür zu Mirtitschs Gefängnis und tritt mit vorgehaltener Pistole vor ihm hin. Aber der Chefmechaniker zeigt nicht die geringste Spur von Angst, sondern lächelt ironisch. 109
„Na, mein Freund, schon auf der Erde gelandet?“ fragt er freundlich. „Herr Mirtitsch!“ Der Blick des Japaners funkelt wie der eines Tigers. „Sie können General, Minister werden! Sie brauchen nur zuzugreifen! Schalten Sie diese verdammte Startsicherung aus und fliegen Sie mit mir nach Japan! Mein Volk wird dankbar sein! Sie können über alle Schätze dieser Welt verfügen!“ „Und die da draußen?“ fragt Mirtitsch gefährlich ruhig und weist mit der Hand in jene Richtung, in der er die Expedition vermutet. „Wir werden mit japanischer Besatzung zurückkommen und sie wieder zur Erde bringen. Die wenigen Tage werden sie sicherlich ohne Schaden überstehen“, antwortet der Gelbe kalt. „Das glauben Sie doch selbst nicht!“ In Mirtitsch steigt eine unbändige Wut auf. „Fein ausgedacht, du verfluchtes Schwein“, kann er nicht mehr an sich halten. „Aber eines solltest du eigentlich wissen: Weder Dr. Prenten, noch Ingenieur Wendt, noch ich sind käuflich!“ Der Chefmechaniker geht trotz der auf ihn gerichteten Pistole Schritt für Schritt mit harten und zornig blitzenden Augen auf den Gelben zu. Aber Toji ist auf der Hut. Mit einem wahren Panthersatz ist er durch die Tür und schließt sie von außen ab, bevor Mirtitsch sie erreicht. Toji hätte den Chefmechaniker niederschießen können. Doch das beabsichtigte er nicht. Mirtitsch muß und wird ihm helfen, wenn er nicht selbst das Schiff starten kann. Hunger tut weh! Hunger macht kraftlos! Hunger macht willig! Und weiter forscht der Japaner. *
110
Die Venusnacht geht schon in den Morgen über, als die Expedition endlich das Schiff erblickt. Alle eilen freudig und jubelnd darauf zu und glauben sich gerettet. Nur Wendt kommt ganz langsam nach. Er weiß, daß er gegen den Japaner machtlos ist, denn die Lukentür ist geschlossen, und sie kann nur von innen geöffnet werden. Jetzt haben sie das Schiff erreicht. Aber was hilft das?! Sie können nicht hinein! In der hell erleuchteten Kanzel wandert der Schatten Tojis hin und her. Die Raumfahrer ballen grimmig die Fäuste. Es nützt ihnen kein Rufen, kein Schreien. Der Japaner beachtet sie nicht. Die Wissenschaftler legen Dr. Prenten auf den Boden und decken ihn mit einigen Zeltbahnen zu. Der Philosoph schläft starr und reglos. „Herr Ingenieur, verwenden Sie doch Ihr Strahlengewehr“, bestürmen sie den Techniker. Wendt schüttelt resigniert den Kopf. „Das Schiff ist strahlensicher. Wir müssen warten, bis Dr. Prenten erwacht, und das“ – er schaut auf seinen Freund – „kann noch sehr lange dauern. Es ist unsere einzige Hoffnung.“ Die Weltraumschiffer probieren jedes Mittel, um Dr. Prenten zu wecken. An ihn klammert sich ihre ganze Hoffnung. Doch der Philosoph reagiert weder auf Worte, die ihm in die Ohren gebrüllt werden, noch auf kaltes Wasser, das ihm die Raumschiffer über den Kopf schütten. Und zu allem Unglück haben sie unter ihren mitgenommenen Arzneien kein einziges Mittel gegen einschläfernde Gifte. *
111
Mirtitsch hungert, sein Magen krampft sich zusammen, ihm ist übel. Aber er schweißt und beißt die Zähne zusammen. Lange kann ja seine Not nicht mehr dauern. Durch das Beobachtungsfenster, das den Werkzeugraum erhellt, erkennt er alles, was draußen vorgeht. Zwar kann er sich nicht erklären, warum Dr. Prenten ständig schläft, aber daß er nicht tot ist, verraten ihm die Bemühungen der Gelehrten um ihn. Einmal muß Prenten ja erwachen. Und dann ist es um diesen Japaner geschehen! Der Gelbe wird von Stunde zu Stunde niedergeschlagener. Nun hat er schon alles abgetastet, jeden Hebel und jeden Schaltknopf betätigt, doch seine Versuche sind ergebnislos geblieben. Er hat seit dem Aufbruch der Expedition keine Minute geschlafen, und nur sein Wille hält ihn aufrecht. Da alles Suchen umsonst ist, versucht er noch einmal sein Glück bei dem Chefmechaniker. Wieder tritt er diesem mit vorgehaltener Waffe entgegen. „Mirtitsch“, sagt er, „überlegen Sie es sich! Ungeheurer Reichtum wartet auf Sie!“ Der Chefmechaniker liegt hungrig, etwas verkrampft, auf dem stählernen Boden. Beim Eintritt des Japaners hat er kaum den Kopf gehoben. „Laß mich zufrieden“, antwortet er unwillig. Der Japaner kommt naher. „Ihr Volk und mein Volk waren einst Waffengefährten, und es kann wieder so sein. Zeigen Sie mir nur die verborgene Startsicherung, und Sie werden die höchsten Ehrenstellen bei meinem Volk einnehmen!“ Mirtitsch durchzuckt ein Gedanke. Diesen Japaner hier festhalten! Ihn zu einer Unbesonnenheit verleiten! 112
„Wenn ich alles gesagt habe, dann bekomme ich den berühmten Tritt“, erwidert er lauernd. „Nein, mein Freund, ich werde nicht zum Verräter!“ „Mirtitsch, wir Japaner sind ein dankbares Volk. Wir vergessen nicht eine Wohltat, die man uns erweist. Glauben Sie mir, Japan ist Ihre Zukunft!“ sagt Ton eindringlich. Mirtitsch schaut den Gelben unsicher an. Dann beginnt er, mit großen Schritten im Raum auf und ab zu gehen. Immer verfolgt von der kreisrunden Öffnung der Pistole Tojis. „Und wer garantiert mir, daß Sie die Wahrheit sagen? Wenn ich Ihnen wirklich die Startsicherung zeige, dann können Sie das Schiff hinführen, wohin Sie nur wollen. Und sind Sie einmal in Japan, dann vergessen Sie Ihr Versprechen. Nein! Ich werde nicht zum Verräter!“ Mirtitsch hat gar nicht gewußt, daß er sich so gut verstellen kann. Aber die Not hat ihn erfinderisch gemacht. Die Waffe des Japaners sinkt langsam bis in Bauchhöhe. „Herr Mirtitsch, ich gebe Ihnen mein Versprechen als japanischer Offizier. Sie können mein ganzes Volk zum Zeugen aufrufen, wenn Japan nicht das hält, was ich Ihnen verspreche. Hier …!“ Der Gelbe greift in die Brusttasche. Darauf hat Mirtitsch gewartet. Sein rechter Fuß fährt blitzschnell hoch. Von der Schuhspitze getroffen, fliegt die Pistole dem Japaner in weitem Bogen aus der Hand. Sofort greift der Chefmechaniker wie ein wütender Stier an. Aber der Japaner ist unglaublich geschmeidig und reaktionsfähig. Er beherrscht die Kunst des Jiu-Jitsu vollkommen. Ehe es sich Mirtitsch versieht, liegt er auf dem Rücken. Doch in Sekundenschnelle ist er wieder auf den Beinen und stürzt sich 113
erneut auf Toji, der eben die Pistole ergreifen will. Seine Rechte schnellt vor und landet mitten auf der Stirn des Gelben. Den Japaner wirft es wie einen Gummiball zurück. Aber er verliert nicht die Besinnung. Wie eine Katze springt er auf Mirtitsch zu. Dieser hat keine Zeit mehr, die Waffe an sich zu nehmen. Hin und her wogt der Kampf. Einmal scheint Mirtitsch, dann wieder Toji zu siegen. Jetzt kämpfen sie wild auf dem Gang des Schiffes und nähern sich mehr und mehr der Kanzel. „Herr Ingenieur!“ ruft plötzlich einer der Wissenschaftler und zeigt erregt auf die Kanzel des Schiffes. „Mirtitsch ist frei!“ Alles springt auf und starrt gebannt zur Kanzel. Dort umklammern sich die Gestalten des Chefmechanikers und Tojis in verbissenem Kampf. Die Raumschiffer wollen Mirtitsch durch laute Zurufe anfeuern, aber er hört sie nicht. Er sieht nur den Gelben vor sich, und nur ein Wille beherrscht ihn voll und ganz: Endlich einen vernichtenden Schlag anbringen! Jetzt drängt er Toji an den Rand der Kanzel. Dieser Schlag muß sitzen! Alle seine Kraft sammelt Mirtitsch in seiner Rechten. Jetzt schießt sie auf den Kopf des Japaners zu. Aber Toji ist schneller. Kurz wendet er sich ab, und die geballte Faust des Chefmechanikers kracht auf die harte Glaswand der Kanzel. Ein wahnsinniger Schmerz durchzuckt Mirtitsch. Seine Rechte fällt kraftlos herunter. Da ist auch schon der Japaner bei ihm. Die Hände des Gelben fassen Mirtitschs Rock in Schulterhöhe. Er hebt den linken Fuß, setzt ihn seinem Gegner in den Bauch und fällt mit einem plötzlichen Ruck nach hinten. Der Chefmechaniker wirbelt in hohem Bogen über den kleinen Japaner hinweg, überschlägt 114
sich in der Luft und kracht mit dem Rücken auf den stählernen Boden der Kanzel auf. Nur einen kurzen Augenblick verschnauft Toji, dann schleppt er den Bewußtlosen in den Werkzeugraum zurück. „Aus!“ denken die Wissenschaftler und fallen allesamt in einen lethargischen Zustand. Mit diesem Gelben scheinen wahrlich alle Teufel zu sein! Bald kehrt der Japaner wieder in die Kanzel zurück, wo er sinnend verharrt. Von hier kann er die Startsicherung nicht ausschalten. Das ist ihm klar geworden. Vielleicht irgendwo im Schiff? Halt! Nicht irgendwo im Schiff! In Wendts Kabine! Wie von Furien gehetzt, stürmt Toji in die Kabine des Technikers. Er sucht jeden Quadratzentimeter peinlich genau ab. Da! Neben dem Knopf der elektrischen Lampe ist noch einer! Wozu?! Das muß er sein! Entschlossen drückt der Gelbe darauf und eilt zurück in die Kanzel des Schiffes. Er zögert nicht, reißt den Starthebel herunter. Ein leises Summen durchzittert das Schiff. „Gefunden! Gefunden!“ jubelt der Japaner auf. Wendt überfiel schreckliche Furcht, als er Toji aus der Kanzel stürmen sah. Jetzt hat der Gelbe die richtige Idee! Nun ist alles verloren. Der Japaner ich Herr über das Schiff! Aber noch gibt sich Wendt nicht geschlagen. Nur einer kann noch helfen. Prenten! Prenten muß aufwachen! Wendt stürzt zu seinem Freunde hin, reißt ihn mit der Linken am Rock hoch und versetzt dem tief Schlafenden mit der Rechten Schlag auf Schlag ins ungeschützte Gesicht. Die Raumschiffer glauben, Wendt sei wahnsinnig geworden und starren ihn mit großen, erschreckten Augen schweigend an. „Was ist denn?“ murmelt endlich Prenten kaum hörbar und schläft sofort wieder ein. 115
Wendt läßt nicht locker. Laut klatschen seine Ohrfeigen in Prentens Gesicht. „Zum Donnerwetter!“ murmelt Prenten schlaftrunken und schlägt kurz die Augen auf. „Unser Schiff wird entführt!“ schreit ihm Wendt in die Ohren, so schrill, daß er vor seiner eigenen Stimme erschrickt. Der Philosoph schaut müde auf und versteht nichts. „Unser Schiff wird entführt!“ brüllt Wendt noch einmal. „Was?!“ murmelt Prenten und will wieder zurücksinken. „Unser Schiff! Unser Werk!“ Endlich begreift Prenten. Mit einem Ruck springt er auf. Er taumelt hin und her. Da! Laut- und schwerelos schwebt das Schiff über ihren Köpfen. Ihr Werk, das der Menschheit dienen soll, das ihr den ewigen Frieden bringen soll, ihr Werk ist gestohlen! Blitzartig erhellt diese Erkenntnis den Geist Prentens. Er sammelt seine letzten Kraftreserven. Hoch wirft er die Hände über den Kopf. Starr, voll geballter Energie, wird sein Blick. Selbstzufrieden, müde, aber erleichtert, betätigt der Japaner das Schaltwerk des Schiffes. Ein siegesstolzes Lächeln zuckt um seine Lippen. Japan, Land der aufgehenden Sonne … Da zwingt eine unsichtbare Macht seinen Willen nieder. Sein letzter, verzweifelter Gedanke, bevor er die Erkenntnis seiner selbst verliert, ist: Dr. Prenten ist zu früh erwacht! Das Schiff, das schon Hunderte von Metern hoch schwebte, gleitet wieder der Venuserde zu, von den Händen Tojis gesteuert. Als es aufsetzt, brechen die Raumschiffer in einen unbeschreiblichen Jubel aus. Sie umarmen sich gegenseitig, und Freudentränen rinnen über, ihre Wangen. Sie sind gerettet! Jetzt öffnet sich die Ausstiegstür des Schiffes. Seiner selbst unbewußt, wie schlafwandelnd, kommt der Japaner heraus. 116
117
In ihrem Zorn schlagen die Raumschiffer dem Gelben wutentbrannt ins Gesicht. Nur mit Mühe gelingt es Wendt und Prenten, sie von einer Prügelei abzuhalten. Der Philosoph erweckt Toji aus der Trance. „Für diese Tat, Dr. Toji, sollten wir Sie an den nächsten Baum hängen!“ sagt er schwer atmend. Der Japaner sinkt in sich zusammen. „Ich hätte Sie töten sollen, Dr. Prenten“, antwortet er fast unhörbar. Dann läßt er sich, völlig gebrochen, in jenen Raum abführen, in den er Mirtitsch eingesperrt hatte. Der Chefmechaniker hat zum Glück keine ernsten Verletzungen davongetragen. Die rot und blau verfärbten Beulen zählen bei ihm nicht. Endlich, nach langen, bangen Tagen, sind die Freunde wieder die Herren ihres Schiffes. * Die Menschen auf der Erde horchen auf. Das Raumschiff meldet sich wieder. Doch Wendt gibt nicht die wahren Ursachen ihres Schweigens an. Er entschuldigt es mit einer technischen Störung. Die Menschen sind hitzig, und es könnte leicht sein, daß sie im ersten Zorn über Japan herfallen. Die Freunde beschließen, so schnell wie möglich zur Erde zurückzukehren. Was Dr. Toji versuchte, könnten auch andere probieren. Aber ihre Gäste bitten sie so inständig, doch wenigstens die beiden Pole der Venus anzufliegen, daß sie nach langem Hin und Her nachgeben. Hans, der zu Dr. Prenten großes Zutrauen hat, überwindet seine Scheu vor dem Schiff vollständig und kommt freiwillig mit den Raumschiffern, als sie das braune Völkchen verlassen. Er möchte gar zu gerne hin zu Sonne fliegen und selbst ein 118
Sonnengott werden! Er fragt und fragt. Selbst Dr. Prenten findet manchmal nur sehr schwer befriedigende Antworten auf die naiven Fragen. Das Aussehen der Venuspole entspricht ganz den Erwartungen der Raumschiffer. Auch hier herrscht noch tropisches Klima. Während seines Fluges schwebt das Schiff noch mehrmals über primitive Dörfer. Doch es landet nicht mehr. Jene Schiffe, die nach ihm kommen werden, können Wissenschaftler genug mitbringen, die dann, ohne von der Zeit bedrängt zu sein, ganz nach Belieben forschen und diese Naturvölker studieren können. In den nächsten Tagen besprechen. sich die Freunde oft, und nachher tippt Dr. Prenten eifrig auf seiner kleinen Reiseschreibmaschine. Aber es sind keine Berichte, die der Philosoph schreibt, sondern es ist ein Programm, das die Welt verändern wird. Die erste große Überraschung für die Menschheit war der Start des Raumschiffes in das Universum, die zweite wird nach ihrer Rückkehr jeden Bürger der Erde zwingen, selbst zu denken und zu entscheiden. Den Kampf um die Weiten des Kosmos haben die Freunde gewonnen. Werden sie auch den Kampf um die Vernunft der Menschen gewinnen? * Die Gäste baten darum, auch den Merkur sehen zu dürfen, und die Freunde stimmten zu. Das Schiff rast mit irdisch undenkbarer Geschwindigkeit durch das All. Die Schönheit des Kosmos verschenkt sich an die Raumfahrer, ohne von einer Atmosphäre getrübt zu werden. 119
Lautlos gleitet das Schiff am Merkur vorbei, dem sonnennächsten Planeten. Doch hier, dem Tagesgestirn so nahe, das sonst Leben und Wärme freigebig an die Welten verschenkt, ob diese nun belebt sind oder nicht, hier tötet ihre ungebändigte Kraft jedes organische Leben. Verbrannt und kahl ist die Merkuroberfläche. Die Raumfahrer blicken auf eine Wüste mit Gebirgen und großen Ebenen. Und weiter fliegt das Schiff. Immer größer, immer mächtiger taucht die Sonne aus dem Raum. Riesige Flammengarben schleudert sie ins All, Flammengarben, in denen die Erde in ihrer Gesamtheit Platz fände. Wendt schaut seit Minuten besorgt auf die Meßapparate. Die Sonne droht dem Schiff gefährlich zu werden. Die dicken, der Sonne zugewandten Stahlwände werden heißer und heißer, während die anderen der absoluten Weltraumkälte ausgesetzt sind, wodurch kaum zu berechnende Spannungen entstehen, die nur zu leicht einen Sprung erzeugen könnten. Und ein Sprung in der schützenden Außenhülle, auch der kleinste, würde den sicheren Tod bedeuten. Der Techniker zwingt das Schiff, trotz der heftigen Proteste der Wissenschaftler, von der Sonne ab und der Erde zu, die als ein Lichtpünktchen im Raum schwebt. Er ist verantwortlich für das Schiff und die Menschen. Er darf nicht im letzten Augenblick den Erfolg ihrer Raumfahrt gefährden. Die Freunde melden die Rückkehr des Schiffes zur Erde. Stunden verrinnen. * Auf dem Gelände des Wendtschen Werkes erwartet eine unübersehbare Menschenmenge die Ankunft des Raumschiffes. 120
Die deutsche Regierung ist geschlossen erschienen. Mit ihr die diplomatischen Vertreter der ausländischen Mächte. Fernsehkameras werden allenthalben montiert, um jede Phase im Bild festhalten zu können. Jeder zittert dem großen Augenblick entgegen. Das Schiff durchstößt die Erdatmosphäre. Man schreibt den 5. November. Um halb 3 Uhr nachmittags erscheint ein silbern glänzender Punkt am Himmel. Rasch wird er größer. Das Raumschiff! Die Menge kann nicht mehr länger an sich halten. Jubelschreie lassen die Luft erzittern. Jeder, auch der Besonnenste, stimmt darin ein. Ein Taumel ergreift die Menschen, und wie von Sinnen schlagen sie die Hände aneinander. Und das nicht nur auf dem Landeplatz des Schiffes, sondern überall auf der Erde, wo Menschen die Botschaft von der glücklichen Rückkehr des Raumschiffes vernehmen. Das Schiff sinkt tiefer und tiefer. Landet. Die Menge ist nicht mehr zu halten. Im ersten Ansturm durchbricht sie den starken Polizeikordon und stürmt auf das Schiff zu. Männer, Frauen und Kinder stoßen und drängen, und jeder will als erster beim Schiff sein. * Am Abend dieses denkwürdigen Tages, als der triumphale Empfang endlich überstanden ist, feiern die Freunde mit den Mitgliedern der Regierung. Trotz des diplomatischen, nichtssagenden Lächelns, das die Gedanken der Regierungsmitglieder verbergen soll, verraten dennoch ihre Gesichter größte Spannung. Denn noch kennt niemand das genaue Ziel der Freunde. Sie haben nicht im Namen Deutschlands den Mond, den Mars 121
und die Venus in Besitz genommen, sondern im Namen aller Völker der Erde. War dies nur eine Geste? Oder verbirgt sich mehr dahinter? Vor Dr. Prenten liegt eine Aktenmappe auf dem Tisch. Oft ruhen die Blicke der Minister verstohlen und neugierig darauf. Was enthält sie? Was wollen die Freunde wirklich? Alle fühlen eine bevorstehende Entscheidung. Doch die Freunde warten ab. Je größer die Erwartung, desto besser. Der weißhaarige, würdige Präsident steht auf und klopft an sein Glas. Das Stimmengemurmel verstummt. „Meine Herren“, sagt er in die mit Spannung geladene Stille und prostet mit seinem Glas den Freunden zu, „Sie haben für unser Vaterland das Größte vollbracht, was Menschen vollbringen können. Die deutsche Nation ist zur führenden der Welt geworden! Der tiefempfundene Dank und die höchste Ehrfurcht jedes Bürgers sind Ihnen gewiß. Meine Herren, ich bitte Sie, im Namen der Regierung und des Volkes, Ihre weiteren Entschlüsse bekanntzugeben.“ Die Freunde sehen einander an. Der entscheidende Augenblick ist da. Wie wird sich die Regierung zu ihrem Programm stellen? Dr. Prenten erhebt sich, schaut in die Runde, und sein scharfer Blick scheint jedes Mitglied der Regierung zu durchdringen. „Meine Herren!“ hebt er mit seiner wohlklingenden Stimme an. „Wir müssen uns entschließen. Von unserem Entschluß hängt das weitere Geschick der Erde ab. Meine Freunde und ich haben die erste wirkliche Raumfahrt der Erdgeschichte hinter uns. Wir haben vieles gesehen, was noch niemandem vor uns zu sehen vergönnt war. Und wir dachten nach, wie unsere Entdeckungen unserem Volk und darüber hinaus der gesamten Menschheit am besten dienen könnten. Draußen im Weltall, auf unseren Nachbarplaneten, lagern un122
vorstellbare Schätze an Schwermetallen, und die Venus ist imstande, den gesamten Holzbedarf der Erde leicht zu decken. Die Erdbevölkerung wächst und wächst. Unser Planet ist übervölkert. Er kann uns kaum mehr ernähren. Doch die außerirdischen Schätze, die bewohnbaren Landstriche aufgeteilt auf alle Völker dieser Erde, sichern jedem Leben und Wohlstand. Doch die Aufteilung soll nicht eine Nation allein vornehmen, diese Aufteilung soll so geschehen, daß jeder das Nötige hat.“ Dr. Prenten entnimmt der Aktenmappe ein Manuskript. „Meine Herren, ich gestatte mir, Ihnen die einzelnen Punkte dieses Programms mitzuteilen.“ Es ist mäuschenstill im Saal. Man könnte die berühmte Stecknadel fallen hören. Langsam und deutlich beginnt der Philosoph zu lesen. Eindringlich, kraftgeladen erfüllen seine Worte den Raum. „Völker der Erde! Die Eroberung unserer Nachbarplaneten ist gelungen! Wir sind nicht mehr auf diese Erde allein beschränkt. Die Enge ist gesprengt. Das Universum steht uns offen. Wir haben Welten erschlossen, in deren Tiefen unvorstellbare Naturschätze lagern, welche die Weltwirtschaft dringend benötigt. Wir haben bewohnbare Gebiete entdeckt, welche die überzählige Erdbevölkerung aufnehmen können. Wir könnten diese Schätze und den gefundenen Raum für unser Volk allein beanspruchen. Doch wir haben uns entschlossen, alle Völker an unserer Erfindung und an unseren Entdeckungen teilhaben zu lassen. Niemand wird unsere Erfindung mißbrauchen können. Wir wenden uns heute mit einem Friedensprogramm an die Weltöffentlichkeit. Erst wenn alle Punkte dieses Programms erfüllt sind, wird unsere Erfindung allgemein zugänglich sein. 123
Bürger der Erde! Bei euch liegt die Entscheidung! Armut oder Reichtum! Friede oder Krieg! Von eurem Ja oder Nein hängt alles ab! Entscheidet euch zu unserem folgenden Programm: 1. Alle jene Völker, die teilhaben wollen an unserer Erfindung, bauen die Zollschranken ab und bilden einen Weltmarkt. 2. Die nationalen Armeen und Geheimdienste sind aufzulösen und alle Kriegswaffen zu vernichten. 3. Die Nationen schließen sich zu einem Weltbund zusammen, in dem alle Völker gleichberechtigt sind. Die einzelnen Bundesstaaten wählen eine übernationale Weltregierung. zu der aus allen Völkern gleichberechtigte Mitglieder entsandt werden. Völker der Erde! Sollten die Regierungen der einzelnen Staaten die Erfüllung dieser Programmpunkte verhindern, sind wir entschlossen, unsere Erfindung wieder zu vernichten; dies auch dann, wenn die Forderungen unseres Programms nicht innerhalb von 6 Wochen verwirklicht werden.“ Der Präsident springt empört auf. „Das ist Verrat an unseren Volksinteressen! Sie sind Deutsche, und als Deutsche habe Sie nur Ihrem Land zu dienen!“ „Verrat! Verrat!“ Die Minister springen erregt und wild gestikulierend aus den Sesseln. Ein Hexenkessel bricht los! Die Freunde bleiben ruhig und gelassen. Sie haben nichts anderes erwartet. Mit zornig blitzenden Augen baut sich der Präsident vor ihnen auf. „Mit Ihrer Erfindung könnte Deutschland die Welt beherrschen! Sie haben den schändlichsten Verrat unserer Geschichte vor!“ 124
„Und die Folgen …?“ fragt Dr. Prenten unheimlich ruhig. Der Präsident schaut ihn entgeistert an. „Welche Folgen?“ „Die Folgen, die unabwendbar über Deutschland hereinbrechen müßten! Ja! Wir könnten die Welt beherrschen! Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte! Doch die Technik schläft nicht! Die Technik entdeckt täglich neue Naturkräfte, und eines Tages, Herr Präsident, das ist so sicher wie wir sterben müssen, eines Tages entkräften auch andere Techniker das Gravitationsgesetz! Und dann, Herr Präsident, dann gibt es Krieg! Einen Krieg, der nur mit der völligen Vernichtung des Gegners enden kann! Vielleicht würden wir diesen Krieg gewinnen, wenn wir die Schnelleren sind. Aber was würde das an der Tatsache ändern?! Nichts! Andere würden kommen und wieder suchen und forschen, solange, bis auch sie das Gravitationsgesetz überwunden haben, und erneut würde ein schrecklicher Vernichtungskrieg toben. Solche Kriege, Herr Präsident, müssen sich gesetzmäßig solange wiederholen, bis nur mehr eine technisch begabte Nation auf dieser Erde übriggeblieben ist!“ „Herr Doktor …“, versucht der Präsident den Philosophen zu unterbrechen, doch eine herrische Handbewegung Prentens verschließt ihm den Mund. „Die Völker der Erde würden Deutschland niemals verzeihen, wenn es für sich allein die außerirdischen Schätze beansprucht. Sie müßten uns wegen unseres Reichtums beneiden und hassen …“ „Wir werden ihnen Furcht anstatt Haß und Neid beibringen!“ ruft hitzig der Kriegsminister. Dr. Prenten richtet sich mit einem Kuck aus seiner vollen Höhe auf. „Ja, Sie würden blind einem Phantom nachjagen! Auch wenn die Welt darüber zerbricht! Sie würden Millionen opfern, nur 125
um herrschen zu können! Und Sie würden doch nur Ihre eigene Vernichtung heraufbeschwören!“ So stahlhart schwingt Prentens Stimme durch den Raum, daß der Minister augenblicklich verstummt. So stahlhart fällt diese Stimme jeden an, daß er innerlich erzittert. Das ist nicht die Stimme eines verträumten Philosophen, das ist die Stimme eines Tatmenschen! Das ist die Stimme eines Menschen, der nur einem reinen Gewissen gehorcht! „Herr Präsident“, fährt Dr. Prenten fort, „was Sie mir gesagt haben, das werden auch die Regierungen der anderen Völker sagen. Auch sie werden sich vorerst nicht aus dem gewohnten Denken befreien können. Auch sie werden versuchen, mit allen Mitteln unser Programm zu sabotieren. Aber wenn sich Deutschland an die Spitze der Einigungsbewegung stellt, dann, Herr Präsident, muß die friedliche Vereinigung aller Völker gelingen! Sollte Deutschland dies jedoch nicht tun. dann werden wir uns direkt an die Völker der Erde wenden. Und ich bezweifle, ob es dann den Regierungen möglich sein wird, dem Ansturm der Völker standzuhalten!“ Der Präsident und mit ihm die Minister stehen in einem schweren Gewissenskampf. Hier die nationalen Interessen, dort ein Weltfriede, den sie sich noch nicht vorstellen können. „Herr Präsident, unser Programm ist sicherlich unvollständig und bedarf der Verbesserungen. Lassen Sie es uns durchsprechen! Lassen Sie uns nach bestem Wissen und Gewissen zum Wohle aller handeln!“ Der Präsident schaut den Philosophen an wie einen, der aus einer anderen, reineren Welt kommt. „Nach bestem Wissen und Gewissen!“ murmelt er und senkt das Haupt vor dem Blick des Philosophen. Dann hebt er langsam den Kopf. In seinen Augen leuchtet ein tatendurstiges Feuer. 126
„Meine Herren, wir wollen beraten, wie wir am besten dem Weltfrieden dienen! Wir wollen versuchen, unsere Herzen frei zu machen von allen niederen Gefühlen. Wir wollen unseren Geist reinigen von jedem bösen Gedanken. Laßt uns nur an das Wohl der Menschen denken!“ sagt er bewegt und überwältigt von der Größe der Idee. * Am nächsten Tag strahlen die deutschen Sender das Programm der Freunde in alle Welt. Die Regierung stellt sich geschlossen hinter sie. Die Völker horchen auf. Und so unglaublich es auch klingt – Deutschland verzichtet auf die alleinige Auswertung der Erfindung der Freunde! Stunde um Stunde schwingt ihr Programm durch den Äther! Stunde um Stunde rüttelt ihr Aufruf am Weltgewissen! Und Stunde um Stunde erwacht es mehr, braust zu einer lodernden Flamme auf. Die Erde gleicht einem Hexenkessel! „Ewiger Friede! Ewiger Friede! Keine feindlichen Nationen mehr! Kein Streit mehr um Rohstoffquellen! Keine völkermordenden Kriege mehr!“ Was Dr. Prenten vorhergesehen hat, tritt ein: Die Völker wollen, die Regierungen nicht! „Was Wendt und seine Freunde konnten, das können wir auch. Wir werden ihren Vorsprung aufholen! Wir verzichten nicht auf unsere nationalen Interessen! Niemals!“ Doch diesmal machen die Regierungen die Rechnung ohne die Völker. Stunde um Stunde jagt der Aufruf der Freunde rund um die Welt. Und von Stunde zu Stunde wächst die Einigungsbewe127
gung. Sie wird zur Flut, vor der die Regierungen erzittern. Die Menschen fordern drängender, das Programm der Freunde anzunehmen, der Widerstand der Regierungen wird schwächer. Den Politikern nützen keine vertröstenden Reden mehr. Sie müssen Farbe bekennen. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika erklären sich als erste Nation mit dem Programm der Freunde einverstanden und bringen dadurch den Stein ins Rollen. Wozu sich die große und mächtige USA entschließt, das müssen wir auch tun, denn sonst zerdrückt uns das Volk, so entscheiden die Regenten vieler kleinerer Nationen. Ein Staat nach dem anderen erklärt sich bereit. Die Völker fordern gebieterisch die Abstimmungen. Der verheißende Weltfriede soll nicht wie ein Phantom entschwinden! Die kommunistischen Diktatoren können den Freiheitsdrang nicht mehr unterdrücken. Einer nach dem anderen werden sie gestürzt. Einer nach dem anderen bitten sie um Schutz in der freien Welt, die sie unterjochen wollten. Es vergehen nur wenige Tage. Allenthalben werden Volksabstimmungen anberaumt. Bald liegen die Ergebnisse vor. Die Freunde haben auch die zweite Schlacht gewonnen. * Schnee und Eis bedecken die Landschaft. Der Winterhimmel hängt trüb und drohend über Städten und Dörfern. Nur selten blitzt durch ein Wolkenloch verheißend ein Stern. Die Freunde stehen mit dem braunen Hans versonnen in der Kanzel ihn Raumschiffes und spinnen sehnsüchtig Gedanken. Da reißt die Wolkendecke auf und gibt die unermeßlichen Weiten des Weltalls frei. 128
Die Freunde träumen von der Unendlichkeit. Leise sagt Dr. Prenten: „Wir habe viel gesehen, und doch war es nur einen winziger Ausschnitt aus dem Werk des Schöpfers. Meine Sehnsucht ruft mich hinaus ins Universum. Wann fliege wir wieder?“ Wendt und Mirtitsch starren weit ins All. „Bald“, antwortet der Techniker.
Der UTOPIA-Zukunftsroman Nr. 195
Gesandter der Sonne Kyra löst viele Rätsel, viele Fragen, die heute noch ungeklärt sind. Wie entstand der Mond? Wie entstand der Asteroidengürtel, der zwischen Mars und Jupiter seine Bahn zieht? Kreisten vor vielen Jahrtausenden wirklich zehn Planeten um unsere Sonne? Wozu dienten die Marskanäle? Die nächste UTOPIA-Nummer bringt Ihnen eine Antwort auf all diese Fragen. UTOPIA-Zukunftsroman erscheint wöchentlich im Erich Pabel Verlag, Rastatt (Baden), PabelHaus. Mitglied des Remagener Kreises e. V. Einzelpreis 0,60 DM. Anzeigenpreis laut Preisliste Nr. 8. Gesamtherstellung und Auslieferung: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel, Rastatt (Baden). Verantwortlich für die Herausgabe und Inhalt in Österreich: Eduard Verbik; Alleinvertrieb und -auslieferung in Österreich: Zeitschriftengroßvertrieb Verbik & Pabel KG – alle in Salzburg, Gaswerkgasse 7. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlegers gestattet. Gewerbsmäßiger Umtausch, Verleih oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwiderhandlungen verpflichten zu Schadenersatz. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Printed in Germany. Scan by Brrazo 01/2012 L/B: Ge.
129