DETLEF FRITZ
QUOTENFRAGEN UND ANDERE SKURRILIA TEN DES ALLTAGS
VIER KURZGESCHICHTEN
Detlef Fritz Quotenfragen und an...
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DETLEF FRITZ
QUOTENFRAGEN UND ANDERE SKURRILIA TEN DES ALLTAGS
VIER KURZGESCHICHTEN
Detlef Fritz Quotenfragen und andere Skurrilita ten des Alltags Vier Kurzgeschichten
Erschienen Februar 2001, Berlin, bei
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Vorbemerkung des Autors: Versuche gar nicht erst, zu interpretieren: Eine Story ist eine Story ü und was nicht drin steht, steht nicht drin
3
Inhaltsverzeichnis Quotenfragen Ü oder von der Politik zur Latenight
Seite...05
Schach dem U bersinnlichen
Seite...18
Ein fast perfekter Coup
Seite...33
Morde unter Jugendfreunden
Seite...43
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Kapitel 1
QUOTENFRAGEN Ü ODER VON DER POLITIK ZUR LATENIGHT Motto: Politisch korrekt ist, was keinen Spa– macht. Sei unkorrekt aber lasse Dich nicht erwischen! Guildo Born fu hlte sich gut und unbezwingbar. Das lag nur zu einem kleinen Teil an dem weiÖen Pu lverchen, das er durch den zusammengerollten Hunderter tief durchatmend in seine Nase gezogen hatte, absolut sicher an einem Ort, wo er von der O ffentlichkeit nicht behelligt werden konnte, namlich in der Garderobe eines Fernsehstudios. Vor allem lag das daran, dass er als fu hrender, aber in der breiten O ffentlichkeit noch nicht sonderlich bekannter Vertreter einer demokratischen wie liberalen Partei gerade dabei war, dahinzugehen, wo vor ihm noch kein Politiker hingegangen war. Im Kreis der engsten Parteifreunde war sein bevorstehender Auftritt heiÖ diskutiert worden, und die meisten Kollegen 5
hatten ihn eindringlich gewarnt, weil das Ansehen der Partei Schaden erleiden ko nne, und das so kurz vor den so wichtigen Wahlen, die u ber Wohl und Wehe von ihnen allen entscheiden wu rden. Die wohlmeinenden Ratschlage hatten ihn in seiner Position bestarkt: Er war auf dem richtigen Weg. Es klopfte an der Tu r, und von drauÖen rief eine noch jugendliche Stimme "Ihr Auftritt, Herr Born". Der Abgeordnete sah noch einmal in den Spiegel, straffte seinen Ko rper und erhob sich. Guildo Born war bereit, liberale Politikgeschichte zu schreiben.
Wie waren die Fernsehleute auf ihn gekommen? Pressekonferenzen, die er in Bonn zu seinem Lieblingsthema, der dringend erforderlichen Subventionierung von Handelsketten mit Nachto ffnungszeiten, abhielt, erfreuten sich bei den politischen Korrespondenten keines allzu groÖen Interesses. So bekannt, dass sein Privatleben in der O ffentlichkeit ausgebreitet wurde, war er noch langst nicht. Und es hatte auch nicht viel auszubreiten gegeben. Einmal war er in einen kleinen Skandal verwickelt gewesen, ganz zu Beginn seiner politischen Laufbahn, eine Art Jugendsu nde. Guildo Born war gerade frisch in den Stadtrat gewahlt, hatte das Ereignis mit einigen Geschaftsfreunden gebu hrend gefeiert und raste dann, ausgerechnet mit zwei bekannten Damen auf dem Ru cksitz, in eine Polizeikontrolle. Doch das hatte damals nur die lokale 6
Zeitung interessiert und musste langst vergessen sein. Wobei, wie der Abgeordnete im engeren Kreis gern bemerkte, das kleine Abenteuer von damals ihm unter guten Parteifreunden immerhin den Ruf eingebracht hatte, ein Mensch zu sein, mit dem man auch einmal einen angenehmen Abend fern allen politischen Alltagsgeschaftes verbrachte. Aber das war nicht einmal in der gesamten und ohnehin nicht groÖen Fraktion allgemein bekannt. Aber warum soll sich ein Politiker in der O ffentlichkeit nicht auch als ganz normaler Mann geben, fragte sich Guildo Born, als er durch die Studiotu r ging, angesichts der Scheinwerfer eine leicht aufkommende Hitze verspu rte und dabei die piepsige Anku ndigung der Moderatorin vernahm: "Freue ich mich, Ihnen meinen nachsten Gast vorstellen zu ko nnen..."
Peter
Markward, der gefu rchtetste Mann des Senders, hatte sich noch ganz ruhig an den Konferenztisch gesetzt, den Kopf auf seine Faust gestu tzt, in den ersten Minuten nicht einmal das Wort ergriffen - fu r alle Eingeweihten also das Zeichen ho chster Alarmbereitschaft. Redaktionsleiter Stefan Reich, mit u ber 40 Jahren im Grunde schon zu alt fu r diesen Job, fasste die letzte Woche zusammen. Auf einer Promiparty war Vanessas hautenges Kleid geplatzt, natu rlich in der Nahe von Fotografen, und das hatte immerhin drei Schlagzeilen mit ausfu hrlichen Bildberichten gebracht. AuÖerdem hatte Vanessa ein Interview in einer Illustrierten gegeben, darin gesagt, dass sie gar nicht begreife, warum sie immer als blo d bezeichnet wu rde, das ganze wieder mit vielen Fotos, und, zu guter letzt, Harald Schneider, die Giftnudel des 7
Konkurrenzsenders, hatte in ihrer eigenen Talkshow ein Vanessa-Double als Studio-Dumpfbacke etabliert. Kurz: Vanessa durfte als Kult bezeichnet werden, und das garantierte auch weiterhin die Quote von u ber einer Million Zuschauern pro Sendung, selbst in den Sommermonaten. Peter Markward legte seine Stirn in Falten, holte Luft, und mit eisigem Ton, dabei in die Leere blickend, fragte er schneidend: "Wollen Sie eigentlich unseren Sender ruinieren?" Er war dabei kein bisschen laut geworden, und die Eingeweihten wussten nun ganz genau: Demnachst rollen Ko pfe. Und die Anwesenden geho rten samtlich zu den Kandidaten, um deren Ko pfe es dabei gehen wu rde. Und nun wurde der Programmchef lauter. "Sie haben mir zur du mmsten Show die du mmste Moderatorin geliefert. Hervorragend!" polterte Peter Markward los. "Aber das war doch genau unsere Idee", verteidigte sich der Redaktionsleiter kleinlaut. "Das hat uns genau das Publikum gebracht." "Wissen Sie eigentlich, wovon ich Sie bezahle!", tobte Markward jetzt wie ein Orkan. "Wie viel Idioten sich an den Mo psen dieser Kuh aufgeilen, ist hier scheiÖegal. Denn die zahlen alle keinen Pfennig dafu r. Zahlen tun die Werbekunden. Und keine Versicherung, keine Bank geht in Ihre Tittenshow!" Jetzt war die Katze aus dem Sack! "Ich will sofort einen Vorschlag, wie Sie Ihre beschissene Sendung fu r diese arroganten Arschlo cher in den 8
Werbeagenturen interessant machen wollen oder Sie produzieren Ihre nachste Sendung fu rs Heimvideo", verlangte der Programmchef barsch. "Man mu sste was bei den Studiogasten verandern", warf der ju ngere Assistent ein. "Vielleicht mal Leute, die tatsachlich bekannt sind, nicht immer diese Statisten aus der zweiten Reihe. Oder einen Politiker." "Wenn Sie es wirklich schaffen sollten, irgendeinen wenigstens halbwegs bekannten Politiker da reinzukriegen, ko nnte aus Ihnen noch was werden", grinste Peter Markward schon fast wohlwollend. Der Redaktionsleiter sah seine Felle endgu ltig davonschwimmen. Fieberhaft versuchte er sich zu erinnern. Irgendwann kannte er doch mal einen Versicherungsvertreter, der in den Stadtrat gewahlt wurde, so vor ungefahr 15 Jahren. Manchmal waren sie damals zusammen um die Hauser gezogen, aber die Geschichte mit der Polizeikontrolle und den Prostituierten auf dem Ru cksitz hatte er natu rlich groÖ bringen mu ssen. Das brachte bo ses Blut zwischen ihm und seinem alten Kumpel, hat aber dem Stadtrat offensichtlich nicht weiter geschadet. Der allmachtige Programmchef schu ttelte den Kopf. "Einen solchen Selbstmo rder, und dann noch vor den Wahlen, werden Sie nie finden!" Der Redaktionsleiter sah wieder das rettende Land. "Ich glaube, ich habe da eine Idee. Der Mann sitzt jetzt im Bundestag. Zweite Geige, aber fu r uns vielleicht ausreichend." 9
"Dann holen Sie Ihn. Und sorgen Sie rechtzeitig fu r die Presse. Sex und Politik, damit hatten Sie noch eine Chance", befahl Markward. "Ich ku mmere mich um die Presse. Aber den Kontakt zu unserem Mann macht unser Assistent. Der Kerl kennt mich. Und es ist besser, wenn er nichts von mir weiÖ."
Lassig
setzte sich Guildo Born in den roten Sessel mit dem Plastikbezug, schlug die Beine u bereinander und setzte das strahlendste Lacheln auf, zu dem er imstande war. Das war in der Geschichte der Bundesrepublik der erste Auftritt eines aktiven Politikers in einer Sex-Talk-Show. "Ho ren wir einmal, was den Leuten zu Guildo Born alles einfallt", fiepste Vanessa. Fu r Beobachter kaum erkennbar zuckte der Studiogast zusammen. Was sollte den Leuten zu einem liberalen Politiker schon einfallen. Normale Menschen kannten ihn doch gar nicht. Und bisher war das eigentlich auch gut so, ging dem Abgeordneten durch den Kopf. Auf dem groÖen Monitor erschien das Gesicht eines jungen Mannes mit lila Haarstrahne. "Also der Guildo Born, das ist doch ein ganz dynamischer Typ. So richtig frisch schaut der immer aus." Eine Rothaarige im engen T-Shirt meinte: "Irgendwie ziemlich cool. Der macht nicht so viele Worte." 10
Bei den Jungwahlern komme ich also an, lehnte sich der Abgeordnete beruhigt zuru ck.
Es
waren meist die unangenehmen Arbeiten, die Redaktionsassistent Jochen Kram, mit 24 bei weitem zu alt fu r seinen Job, zu u bernehmen hatte. Guildo Born zu kontakten, ihm den Auftritt in einer Sex-Talk-Show schmackhaft zu machen, das war noch o.k. gewesen. Wie fast alle anderen hatte er sich geziert, irgendetwas von Imagefragen gefaselt, aber all diese Spru che kannte der Assistent schon auswendig. Mit dem Hinweis auf mindestens eine Million Zuschauer zu einer der besten Sendezeiten hatte er aber noch jeden bekommen, den die Redaktion verlangte. Realistischerweise hatte die Redaktion die Anspru che aber auch nie zu hoch angesetzt. Das Problem waren die fingierten StraÖenumfragen, bei denen wahllos herausgegriffene Passanten in die Kamera erzahlen mussten, wie toll sie den jeweiligen Studiogast von Vanessa finden. Bei den u blichen Seriendarstellern, Models und anderen Wichtigtuern aus der zweiten Garnitur des Showbusiness war das noch einfach zu lo sen. Zwar kannte die auch kaum jemand mit Namen, aber wenn man sich in deren Heimatstadt mit Kamera in Positur brachte, den Passanten erklarte, dass sie mit einem belanglosen wohlmeinenden Satz ins Fernsehen kamen und dazu noch an den Lokalpatriotismus appellierte, ging das meistens. Und irgendwie schienen die Leute dann sogar zu glauben, was sie sagten. Doch diesmal war alles anders. Zwar hatten einige Leute schon 11
von Guildo Born geho rt, wusste einer sogar, fu r welche Partei er im Bundestag saÖ - aber u ber den Volksvertreter einige freundliche Worte sagen, das wollte niemand. Auch nicht vor der Kamera, und erst recht nicht vor der Kamera! Nach drei Stunden hatte Jochen Kram Dutzende Menschen angesprochen, aber noch nicht einen Dreh im Kasten. 200 Mark durfte er jedem Interviewpartner in die Hand dru cken. So war es mit dem Redaktionsleiter Stefan Reich abgesprochen. Sollte er nun im Sender anrufen und fragen, ob er den Betrag verdoppeln soll, vielleicht sogar auf 500 Mark gehen ko nne. Das ware dem Alten gerade recht gewesen, dass er so sein absolutes Versagen zugibt. Dann ware der Assistent der erste, der gefeuert wu rde. Nein, es musste auch anders gehen. Als der Skateboardfahrer mit der lila Haarstrahne vorbeikam, schoss ihm genau der richtige Gedanke durch den Kopf. "Ho r' zu", hielt er ihn an. "Wir suchen noch ein paar Statisten fu r einige Szenen zu unserer Serie 'Standig neue Zeiten', die wir demnachst hier drehen. Ein paar Tricks mit dem Skateboard kamen ganz gut an. Du mu sstest uns allerdings noch einen Gefallen tun..."
"Wie reagierst Du denn, wenn Dich eine junge Frau auf der StraÖe anspricht, und Dir sagt, dass Sie Dich so oft im Fernsehen gesehen hat und nun auch mal perso nlich kennen lernen will. Gab es da erotische Erlebnisse?" Im Regieraum sackte Stefan Reich auf seinem Stuhl zusammen. Wie oft hatte er dieser tauben Nuss eingescharft, dass sie diesmal den Studiogast nicht zu duzen hat! "Da rackert man sich ab, um was fu rs Image zu tun, und die Schlampe 12
kapiert nicht, um was es geht!", raunzte der Redaktionsleiter den Regisseur an. Die Pressekampagne war tatsachlich hervorragend gelaufen. Selbst Zeitungen, deren Redakteure unter normalen Umstanden abgestritten hatten, Vanessas Show auch nur zufallig gesehen zu haben, berichteten im voraus vom Zusammentreffen des als eher unterku hlt eingeschatzten Politikers und der heiÖblu tigen Moderatorin. Stefan Reich hatte Guildo Born eigentlich nicht als ku hl in Erinnerung, sondern als einen meist zu lauten Vertretertyp von aufdringlicher Kumpelhaftigkeit. Und Vanessa fiel nach dem Abschalten der Kameras jedes mal in eine solch harmlose Unauffalligkeit zuru ck, dass selbst der karrierehungrige Jochen Kram sie auf den internen Partys des Senders schon u bersehen hatte. Aber "Der Ku hle aus dem Norden trifft das HeiÖblut aus dem Su den" war als Kampagnenmotto nicht zu toppen. "Soll ich nicht besser mit der Kamera wieder auf ihren Ausschnitt fahren", schlug der Regisseur vor. "Nein. Voll auf Born", lautete Reichs Anweisung. Der hatte mit Vanessas Frage gerechnet. SchlieÖlich lieÖ er, seit ihn die Fernsehleute angesprochen hatten, Vanessas Shows aufzeichnen, diskutierte jede einzelne ihrer Standardfragen mit seinen Referenten. Aber jetzt war nicht vorbereitet. Wir mussen aufgeschlossen und lassig sein. Das bringt beim Wahler Pluspunkte. "Ich..., also in dieser Position wird man schon von vielen Menschen angesprochen. Und da ergeben sich auch immer wieder neue Kontakte." Guildo Born war ausgesprochen stolz auf seine Antwort. 13
"Und das sind dann auch erotische Kontakte?" schob Vanessa nach. Es mochten sie ja alle fu r blo d halten, aber dass der Gast ihrer Frage ausgewichen war, hatte sie sehr wohl bemerkt. Und solange das ihre Sendung war, wu rden die Gaste die Fragen, die man ihr beigebracht hatte, auch beantworten. Das verdammte Luder will mich aufs Glatteis fuhren. Also weiter aufgeschlossen bleiben. Aber eine Scheidung im Wahlkampf geht auch nicht! "Natu rlich. Jeder Kontakt zum anderen Geschlecht ist doch irgendwie erotisch. Und fu r manche wohl auch der Kontakt zum eigenen Geschlecht, was ich natu rlich toleriere. Aber deswegen kann ich ja nicht mit jeder Bewunderin ins Bett steigen." Diesmal fand Guildo Born seine Antwort geradezu genial und politisch u beraus korrekt. Er nahm noch einen Schluck aus dem Weinglas und fu hlte sich gut und unbezwingbar. Vanessa blieb nur noch ihre letzte Frage: "Wann hast Du zum letzten mal Sex gehabt?"
Seine
Erklarung fu r die O ffentlichkeit ware ganz klar gewesen: Ich hatte an diesem Tag eine Vielzahl von Terminen, war ubermudet, konnte mich kaum noch konzentrieren. Ich habe das Kokain, das mir einer der Fernsehleute angeboten hat, genommen, aber nicht in die Nase hochgezogen. Die spateren Ereignisse, die ich zutiefst bedauere, zeigen allerdings eindeutig, das die von meinen Parteifreunden und mir immer wieder geforderte vorbeugende Drogenpolitik noch viel zu wenig in die Praxis umgesetzt wird. Im ubrigen kann ich mich an den Ablauf des Geschehens nicht mehr detailliert 14
erinnern, glaube aber, daö mein Verhalten im Groö en und Ganzen noch im Rahmen dessen blieb, was in diesem Umfeld nicht so unublich sein durfte. So oder so ahnlich wollte Guildo Born alle Reporterfragen abwimmeln. Nur: Kein Journalist hatte ihn bisher angerufen und um eine Erklarung gebeten. Graf Landmann, sein bisheriger Freund und Fo rderer, der Grandseigneur der Fraktion und selbst in Skandalen um seine Person nicht unerfahren, hatte ihn zu sich ins Bu ro bestellt und eine Erklarung verlangt. "Was ich gestern gesagt habe, war doch im Grunde nicht so schlecht", begann Guildo Born schwach seine Verteidigung. Der Graf schaute ihn mehr als ernst an. "Niemand interessiert sich fu r das, was Du erzahlt hast. Allein wichtig ist, was Du gemacht hast. Und 1,8 Millionen Zuschauer haben gesehen, wie Du dieser Moderatorin in den Ausschnitt gegrabscht und ihr Kleid zerrissen hast, als sie Dich fragte, wann Du zum letzten mal Sex gehabt hast!" "Ich war u bermu det, unkonzentriert. Und sie hat mich provoziert. Das passiert der doch wahrscheinlich sowieso standig. Und wir haben doch im Bundestag dagegen gestimmt, das ein bisschen sexuelle Belastigung gleich unter Strafe gestellt wird. Und das brachte bei den Stammwahlern jede Menge Punkte", reagierte Guildo Born trotzig. So leicht wu rde er nicht auf seinen Parlamentssitz verzichten. Was soll ich denn sonst tun? Meine Versicherungsagentur lauft doch langst nicht mehr. "Du hast offensichtlich nicht begriffen, um was es geht. Natu rlich du rfen wir alles sagen, fu r oder gegen alles stimmen. 15
Aber Du kannst hier nicht 18000 Mark im Monat verdienen und dabei nicht lernen wollen, das wir nichts von alledem tun du rfen. Jedenfalls nicht in der O ffentlichkeit. Nicht einmal als Liberaler." Die Unterredung und Guildo Borns Parteikarriere war beendet.
Peter
Markward, der allmachtige Programmchef, nahm natu rlich nicht selbst an der Redaktionskonferenz teil. Dafu r hatte er zehn Flaschen Champagner spendiert und Stefan Reich genau mit seinen Wu nschen instruiert. Fu r Stefan Reich wu rde es die letzte Sitzung als Redaktionsleiter werden. Markward war in den Aufsichtsrat berufen worden, und nach dem Quotenerfolg der vergangenen Nacht war klar, dass Reich sein Nachfolger wu rde. U bellaunig setzte sich Reich an den Konferenztisch. Das verlangte seine ku nftige Position. "1,8 Millionen waren nicht schlecht. Aber wer es hier damit belassen will, kann gleich gehen", begann er seine Standpauke fu r die Mitarbeiter. "Diese Quote will ich ku nftig nicht nur einmal pro Woche, sondern jeden Abend sehen." "Das gibt ein Problem mit den Gasten. Und diese Vanessa schafft das nie, fu r jeden Tag ihre Texte zu lernen", warf Jochen Kram ein. Zu spat fiel ihm ein, dass er sich wahrscheinlich gerade um Kopf und Kragen redete. "Das lass' ich mir nicht gefallen. Ich kann sehr wohl meine Texte taglich lernen", kreischte Vanessa los. Seit Jochen Kram sie einmal auf der Hausparty des Senders u bersehen hatte, konnte sie ihn ohnehin nicht mehr ausstehen.
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"Du lernst hier gar nichts mehr", fuhr ihr der Redaktionsleiter in ihren hysterischen Anfall. "Eine Moderatorin, die sich in ihrer eigenen Sendung in den Ausschnitt fassen lasst und ihre Mo pse zeigt, ko nnen wir nun wirklich nicht gebrauchen." "Wir brauchen jemand, der clever ist, arrogant, widerwartig und dabei dynamisch", rettete Redaktionsassistent Jochen Kram seine Karriere. "Jemand wie..." "Born. Genau, mein Junge! Egal, was er kostet. Also schwing Dich ans Telefon und besorge mir den Tittengrabscher. Den wollen die Leute sehen", brachte Reich die Quotenfrage auf den Punkt. Vanessa standen die Tranen in den Augen. "Du, mein Schatz", grinste Reich sie an, "kannst ja in die Politik gehen."
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Kapitel 2
Schach dem U bersinnlichen Motto: Schuld an Deinem Unglu ck sind immer die, die Dich nicht zum Zug kommen lassen.
Sollten Sie Telepathie fu r eine ernsthafte Angelegenheit halten und in dieser Illusion beharren wollen, lesen Sie in Ihrem eigenen Interesse gar nicht erst weiter. Ich habe namlich herausgefunden, wie man sogar den hintergru ndigsten Gedankenleser matt setzen kann: durch einfache Dummheit. Gegen die kampft selbst das U bersinnliche vergebens.
Aufgefallen war er mir bereits bei einem an sich belanglosen Fernsehquiz, und zwischen uns herrschte Antipathie auf den ersten Blick. Mich sto rte dabei nicht einmal, dass er Fragen, zu denen mir die Antwort nie eingefallen ware, wie aus der Pistole geschossen beantwortete. Geistige U berlegenheit erkenne ich gern neidlos an. In Rage brachte mich vielmehr die maÖlose U berheblichkeit des Kandidaten; bemu hte der sich doch nicht einmal anstandshalber so zu tun, als beno tigte er Bedenkzeit von wenigstens ein paar Sekunden, nein, er ging sogar soweit, seine Antworten mit demonstrativ zur Schau gestellter Langeweile vorzutragen, noch bevor der Quizmaster die Fragen ausgesprochen hatte. 18
Nun bin ich der festen U berzeugung, dass Quizsendungen ohnehin ein Ort der Mauschelei hinter den Kulissen sind. U blicherweise ko nnen die Moderatoren fu r diese menschliche Schwache auch mit meiner vollsten Sympathie rechnen. SchlieÖlich kann ich verstehen, dass der stressgeplagte Fernsehunterhalter lieber die 20jahrige blonde Stewardess als Siegerin ku ssen als dem 60jahrigen glatzko pfigen Buchhalter zum mu hsam erkampften Erfolg mit feuchten Handedruck beglu ckwu nschen mo chte. Doch im konkreten Fall wollte ich nicht einsehen, warum ausgerechnet diesem arroganten Schno sel die Aufgaben schon vor der Sendung prasentiert worden waren. Vielleicht, so ratselte ich, hatte er dem Showmaster eine Provision vom Gewinn zugesagt. Das Publikum im Saal mochte meine Skepsis nicht teilen. Es legte im Gegenteil dem hochmu tigen Sieger dessen gespielte Zuru ckhaltung als vornehme Bescheidenheit aus und jubelte ihm zu, als hatte er auf offener Bu hne das lang erwartete Heilmittel gegen Schnupfen zusammengebraut. Ich jedenfalls lieÖ mich nicht einlullen und beschloss, die Schiebung schonungslos aufzudecken. Ein Freund beim Sender konnte zumindest meinen Verdacht gegen die Integritat des Showmasters zerstreuen. Der soll, wie mir vertraulich mitgeteilt wurde, selbst u ber den Kenntnisstand seines ungeliebten Kandidaten erstaunt gewesen sein und eine genaue Untersuchung verlangt haben. Doch konnte man niemanden dingfest machen, der sich eines so eklatanten Geheimnisverrates schuldig gemacht hatte.
Die Affare war mir zu belanglos, als dass ich meine kostbare Zeit auf sie verschwenden wollte. - Was hatte ich denn schon mit diesem omino sen Variete ku nstler namens Norbert 19
Telemann zu schaffen. In den kommenden Monaten nichts, bis er meinen Lebensweg in natura kreuzte. Ich bin alles andere als ein leidenschaftlicher und guter Schachspieler, aber wenn ich schon einmal etwas anfange, packe ich es richtig an. Als Mitglied in einem angesehenen Traditionsverein unserer Stadt N. zahle ich also pu nktlich meine Beitrage und darf mich dafu r einmal in der Woche mit Besseren vergleichen. An die Frustrationen habe ich mich gewo hnt. Doch all die kleinen Frustrationen eines ewigen Verlierers verblassten neben den katastrophalen Ereignissen, die meine Bekanntschaft mit Norbert Telemann nach sich zog. Unser Vereinsprasident u berschlug sich fast vor Begeisterung, als er den neuen Mitspieler einfu hrte. ” ...habe ich die groÖe Ehre, Ihnen Herrn Telemann vorstellen zu du rfen. Sie wissen schon, den, der vor kurzem in der Quizsendung mit seinen brillanten Antworten so hervorragend abgeschnitten hat.„ Mich hatte der Vereinsprasident damals nicht so u berschwanglich mit den anderen bekannt gemacht. Mein Glaube an die Ernsthaftigkeit der Clubkameraden erlitt einen schweren Knacks. Nie hatte ich es fu r mo glich gehalten, dass erwachsene und lebenserfahrene Menschen zu solcher Hoffertigkeit gegenu ber einem aufgeblasenen Nichts in der Lage waren. Das Schulterklopfen und AuÖerordentlich-ErfreutSein ging mir empfindlich gegen den Strich. Norbert Telemann schien solche Massenhuldigungen gewohnt 20
und lachelte zu allem jovial. Lediglich unsere Begru Öung strotzte vor Ku hle. Mit sicherem Instinkt hatte er in mir seinen unerbittlichen Widersacher erkannt. Beinahe allerdings ware ich zur Ausso hnung bereit gewesen. Wie er in der folgenden viertel Stunde unseren Prasidenten im wahrsten Sinn des Wortes vom Brett fegte, bereitete mir eine selten zuvor genossene Schadenfreude, fu r die ich ihm seine Arroganz durchaus verziehen hatte. Fasziniert beobachtete ich, wie Norbert Telemann sich u berhaupt nicht um die Figuren auf dem Brett zu ku mmern schien, statt dessen sein schwitzendes Gegenu ber ins Visier nahm, ihn, die Augenbrauen lassig hochgezogen, fixierte und in aller Seelenruhe abwartete, bis sein Gegner vollends die Fassung verlor. ” Genau der Zug, den ich befu rchtet hatte„, sto hnte unser Prasident und Vereinsmeister nach nicht einmal 20 Minuten auf. ” Gegen Sie komme ich unmo glich an.„ Der Neue hatte u berlegen gesiegt. Auch wir anderen wollten jetzt unser Ko nnen unter Beweis stellen, aber es fand sich keiner, der die Ehre der langjahrigen Clubmitglieder hatte wiederherstellen ko nnen. Ich kam, reine Bescheidenheit, als letzter an die Reihe und machte den Reigen der Niederlagen komplett. Norbert Telemann massakrierte gerade meinen letzten Bauern, genau so, wie ich es vorhergesehen hatte, als ein leichtes Raunen durch die Zuschauerreihe ging. ” Unmo glich„, ho rte ich hinter mir murmeln. ” Dass er das 21
u bersehen hat, ist doch unvorstellbar.„ Ich war den Vereinsgenossen sehr dankbar dafu r, dass sie sich in ju ngster Zeit jedes Kommentars zu meinem eher stu mperhaften Spiel enthalten hatten, und ich konnte es ihnen kaum verdenken, wenn sie nun angesichts meines schwachen Bildes damit wieder anfingen. Eine unerho rte Missachtung meiner Person bedeutete es jedoch, dass sie mich ausgerechnet im Beisein meines neugewonnenen Intimfeindes zum Volltrottel abstempelten. ” Man muss das verstehen„, lenkte unser Prasident beschwichtigend ein. ” Nach zehn Partien verliert sogar das gro Öte Schachgenie an Konzentrationsfahigkeit.„ Nach zehn Partien? Dann hatten die Bemerkungen der aufmu pfigen Kiebitze nicht mir, sondern meinem Gegenspieler gegolten. Ich nahm noch einmal die Konstellation auf dem Brett unter die Lupe und fand Telemanns Zug nun ebenfalls absolut unverstandlich. Er hatte eine ganz simple Mattstellung schlichtweg u bersehen. Einem wahren Meister sollte so etwas nicht einmal im Spiel gegen mich passieren. Norbert Telemann bemerkte die Irritation, die sein falscher Zug ausgelo st hatte und lieÖ mir nun keine Gelegenheit mehr zum Entkommen. Nach drei Zu gen hatte er meinen Ko nig in der Ecke, in die der nach meinen Vorstellungen nie hinein sollte. Mir blieb nichts anderes u brig, als kleinlaut den Platz zu raumen.
Nach diesem Debu t war der Aufstieg Norbert Telemanns in die Spitzen der Schachwelt nicht mehr zu bremsen. Bei den internen 22
Vereinsmeisterschaften ging er als Sieger hervor, ohne auch nur eine einzige Partie verloren zu haben, bei der Bezirks-, spater der Landes- und endlich der Bundesmeisterschaft gab es niemanden, der ihn wenigstens einmal hatte bezwingen ko nnen.
Ein heimlicher Trost blieb mir noch. Genie und Wahnsinn liegen bekanntermaÖen beieinander, und insbesondere die Biographien beru hmter Schachkoriphaen enden gewo hnlich in der Nervenheilanstalt. Dort nu tzten ihm Ruhm und Geld nichts mehr, sagte ich mir. Dass Norbert Telemann in dem Fernsehquiz noch ein gewisses MaÖ an Allgemeinbildung bewiesen hatte, stand in keinem Widerspruch zu meiner Prognose. Mit jedem weiteren Schritt nach oben musste er sich in die Fachidiotie hineinsteigern und dem geistigen Absturz nahern. Ich war zwar nur ein Durchschnittsbu rger, dem das Rampenlicht fu r immer verwehrt bleiben wu rde, brauchte dafu r aber auch nicht zu fu rchten, von der Ho he eines unerreichbaren Ruhmes in die Zwangsjacke gesteckt zu werden. Meine stille Genugtuung zerplatzte schon bald wie eine Seifenblase.
Von allen Bu chern, die mir mit schweren Siegeln verschlossen sind, ist das u ber Astrophysik wohl das dickste. Genau genommen hatte ich bis zu jenem denkwu rdigen Tag nicht einmal geahnt, dass ein solches Buch u berhaupt existiert. Dass ich trotzdem den astrophysikalischen Kongressbesuchen musste, lag einfach daran, dass ich nichts anderes zu tun hatte und meine Zeitungsredaktion unbedingt einen Bericht fu r die Lokalseiten verlangte. Schrieben Reporter ausschlieÖlich u ber Dinge, von denen sie etwas verstehen, bliebe der gro Öte Teil 23
der Papierproduktion volkswirtschaftlich ungenutzt. Den Begru Öungsworten des Planetariumsdirektors unserer Stadt konnte ich noch ohne Kopfschmerzen bereitende Geistesakrobatik folgen. Ich brauchte lediglich Namen und Funktion der wichtigsten Anwesenden zu notieren und mit den salbungsvollen Redensarten zu durchmischen, die bei solchen Begru Öungen ohnehin immer fallen. Bei dem Vortrag des Hauptreferenten Professor Dr. Querfurth stellten sich dagegen erhebliche Verstandigungsschwierigkeiten ein. Die Urexplosionen des Universums erschu tterten meinen Schadel und undefinierbare Quarkteilchen setzten sich in meinen Gehirnwindungen fest. Als der Redner geendet hatte, war mein Notizblock mit geheimnisvollen Hieroglyphen vollgekritzelt und das einzige, was mir als U berschrift fu r einen mo glichen Lokalbericht vorschwebte, war etwas in der Art von ” Das Universum: Eine gigantische Quarksuppe„. Doch den eigentlichen Knock-Out-Hieb sollte ich erst noch empfangen. Norbert Telemann bestieg das Podium, wurde mit ho flichem Applaus bedacht und ergriff das Wort. Der ProvinzVarite darsteller sprach nicht etwa u ber Kleinkunst, was ich ihm in unermesslicher Toleranz noch zugebilligt hatte, er verlor auch kein Wort u ber Quizsendungen oder Schach, er bildete sich allen Ernstes ein, zum Kongressthema sprechen zu ko nnen. Ich formulierte bereits an einer neuen U berschrift fu r meinen Artikel. ” Schachmeister auf Wissenschaftskongress unsterblich 24
blamiert„ gefiel mir eindeutig am besten. Jeden Moment musste der Saal in herzhaftem Gelachter zerbersten. Kein Atemzug war zu vernehmen, als Norbert Telemann seine Laienrede abschloss. Wissenschaftler sind eben ho fliche Leute, dachte ich mir. Doch dann erbebte zu meiner U berraschung der Raum unter einem wahren Orkan an Beifall. Aus reiner Ho flichkeit wurde ihm der nicht gespendet, Norbert Telemann stand noch auf dem Podium. ” Lassen Sie mich kurz ein Problem anschneiden, vor dem heute jeder Forscher steht„, hob er von neuem an. ” Woran es uns fehlt, ist die Ausdrucksweise, die vom Mann auf der StraÖe verstanden wird. Im Kopf des unbedarften Laien mo gen die physikalischen Teilchen, von denen der geschatzte Professor Querfurth sprach, als eine gewo hnliche Quarksuppe erscheinen, und nun stellen Sie sich bitte die Verwirrung vor, wenn morgen in der Zeitung unter der U berschrift ’Das Universum: Eine gigantische QuarksuppeÄ u ber unseren Kongress berichtet wird, weil eben auch die anwesenden Journalisten keine Kenner der Materie sind. Was wir brauchen, ist eine Ausdrucksweise, die auch vom ungebildeten Ho rer verstanden wird.„ Jetzt hatte er der Lacher auf seiner Seite, und ich wollte am liebsten im Erdboden versinken. Von meinen Gedankenspielereien u ber eine schlagkraftige Zeile fu r meinen Bericht konnte er doch unmo glich wissen. Ich erhob mich von meinem Platz und schlich Richtung Ausgang. Dort erkannte mich zu allem U berfluss der Dekan der Universitat. 25
” Nehmen Sie es nicht tragisch, wenn Sie nicht alles verstanden haben sollten„, tro stete er mich u ber die erlittene Schmach. ” Mit unserem Thema muÖ man sich schon sehr lange auseinandersetzen, um es zu begreifen.„ Fu r mich stand fest, dass ich es mit den letzten beiden Stunden belassen wu rde. Der Dekan hielt mich aber noch fest. ” Grandios, was dieser Telemann ausgetu ftelt hat. Wissen Sie, ich gru bele seit Jahren u ber genau dieses Problem, habe aber noch nie etwas vero ffentlicht. Und jetzt kommt der Telemann, der noch nicht einmal vom Fach ist, spricht aus dem Stehgreif und kommt zum gleichen Resultat. Dieses Genie ist einfach phanomenal.„ Ich fuhr in die Redaktion, schrieb unter Magendru cken meinen Artikel und legte mich zwei Tage krank ins Bett.
Meine Gehirnzellen arbeiteten jedoch auf Hochtouren, setzten Mosaiksteinchen an Mosaiksteinchen, fu gten Indiz an Indiz. Norbert Telemann tritt als Kandidat in einer Fernsehshow auf und beantwortet alle Fragen, bevor der Quizmaster sie ausgesprochen hat. Er halt als Laie einen astrophysikalischen Vortrag u ber ein Thema, zu dem noch nichts vero ffentlicht wurde, spricht aber das aus, was ein anerkannter Wissenschaftler seit Jahren vermutet. Er wusste, dass ich den ersten Vortrag falsch verstanden hatte. Er spielt Schach, ohne jemals zu verlieren. 26
Aber warum hatte er in unserer ersten und einzigen Partie eine Chance u bersehen, die jeder blutige Anfanger sofort ergriffen hatte? Da lag der Schlu ssel zum Problem: Er hatte sie nicht gesehen, weil ich auch nicht daran gedacht hatte. Norbert Telemann hatte von Astrophysik ebenso wenig Ahnung wie ich, und Schach spielte er wahrscheinlich sogar noch schlechter. Er konnte nichts anderes als Gedanken lesen.
Die Schachweltmeisterschaften standen in diesen Wochen vor der Tu r, Norbert Telemann griff nach dem Titel, und nach den Wettquoten zu urteilen raumte die O ffentlichkeit dem Titelverteidiger nicht einmal eine minimale Chance ein. Ich stu rzte vom Krankenlager an den Computer. Meine sensationelle Entlarvung des Hochstaplers Norbert Telemann musste einschlagen wie eine Bombe. Ich wu rde zur Beru hmtheit, zum Retter der Welt. Ich ergoss mich in einer wortgewaltigen Flut zwangslaufiger Schlussfolgerungen. Diesem Mann ging es nicht etwa um einen Meistertitel. Er wollte alles. Nichts und niemand war vor ihm sicher. Ich malte die grauenvollsten Folgen seiner unheilschwangeren Gabe aus: Spionage, Erpressung, schlieÖlich der Griff nach der unumschrankten Macht. Nur ich konnte ihn noch aufhalten. Mit meinem Artikel erfu llte ich eine heilige Pflicht an der Menschheit. Am nachsten Morgen klingelte mich mein Chef aus dem Schlaf der Gerechten. Offensichtlich sei ich noch sehr angegriffen, wahrscheinlich u berarbeitet, ich sollte doch einmal den Arzt aufsuchen. Er hatte auch nichts dagegen, wenn ich sofort fu r zwei Wochen in den Urlaub ginge. Vor allem aber mu sste ich 27
die Finger vom Alkohol lassen, rundete er seine angeblich wohlmeinenden Ratschlage ab. Die Fakten sprachen fu r sich: Auch mein Chef war bereits in die Verschwo rung des Norbert Telemann einbezogen. Von mir verlangte man, dem Untergang der menschlichen Zivilisation hilf- und tatenlos zuzusehen. Die Weltmeisterschaft gewann Herausforderer Telemann wie erwartet problemlos. Nach fu nf glu cklosen Partien gab der bisherige Ko nig des Schachspiels resigniert sein Zepter an den Variete darsteller ab. Die Zeitungen waren voll von Kommentaren u ber das ” Wunder Telemann„. Ich, der einzige, der die Hintergru nde kannte, war zum Schweigen verurteilt. Bei der Botschaft des Ko nigreiches Tonga erkundigte ich mich nach den Einwanderungsbedingungen, erhielt aber keine Antwort. Der Feind hatte meine letzten Fluchtwege versperrt.
Doch
dann ero ffnete sich eine neue Chance. Der frischgebackene Weltmeister Norbert Telemann wollte vor den Augen der internationalen Fernsehkameras in seinem alten Verein, dem Ausgangspunkt seines Ho henfluges, ein Simultanspiel gegen alle Mitglieder liefern. Das ganze sei fu r einen wohltatigen Zweck, lieÖ er durch seine Herolde verku nden, aber ich spu rte, dass er es nur auf meine erneute Demu tigung abgesehen hatte. Doch diesmal war ich gewappnet. Ich hatte meine Rache in allen Einzelheiten vorbereitet. Auf die vom Verein angesetzten Trainingsabende konnte ich getrost 28
verzichten, vertiefte mich dafu r in banale Videofilme und Comic-Strips. Zur Arbeit ging ich nicht mehr: Ich musste jede intellektuelle Anforderung vermeiden. Norbert Telemann sollte auf einen Gegner stoÖen, der ihn mit seiner eigenen Geheimwaffe schlug. Als ich das u berfu llte Vereinshaus betrat und mich zwischen Schaulustigen und Fernsehteams hindurchschlangelte, war mir Schach die uninteressanteste Sache der Welt. Ich hatte es sogar geschafft, einfache Regeln aus meinem Kopf zu verbannen. Die Clubmitglieder bru teten vor ihren Brettern. Der Weltmeister schlenderte von Tisch zu Tisch, warf jeweils einen kurzen Blick auf den verzweifelt gru belnden Spieler, zog seine Figur und wendete sich dann dem nachsten Opfer zu. Ein Comic-Heft aufgeschlagen lieÖ ich mich von seinem Erscheinen nicht sto ren. Asterix hatte wieder seinen Zaubertrank genommen, und ich war intensiv damit beschaftigt, die verpru gelten Ro mer zu zahlen. ” Sie haben noch nicht gezogen„, fuhr mich der Schiedsrichter mit heruntergeschlucktem A rger an. ” Na gut, wenn es sein muss„, sagte ich trocken und bewegte irgendeinen Bauern zwei Felder vor. Dann versenkte ich mich wieder in den Comic-Strip, in dem Asterix soeben das Kolosseum aus den Angeln hob. Norbert Telemann blickte geistesabwesend in die Runde. ” Herr Telemann, trotz des reichlich ungewo hnlichen Verhaltens Ihres Gegners sind Sie jetzt am Zug„, holte ihn der 29
Schiedsrichter in die Realitat zuru ck. Ich packte befriedigt mein Wurstbrot aus. Bei unserem zweiten Zug dachte ich daru ber nach, ob ich mir einen weiÖen oder einen schwarzen Wagen zulegen sollte. ” Ich wu rde lieber weiÖ nehmen„, empfahl mir der Weltmeister. Dem Schiedsrichter stand vor Staunen der Mund offen. ” Herr Telemann, Sie ko nnen doch nicht im Spiel die Farbe wechseln„, stotterte er verblu fft. Der angebliche Genius lief blutrot an. ” Ich meine doch nicht die Figuren. Ich wollte sagen, der Herr sollte sich lieber ein weiÖes Auto kaufen„, versuchte er, sich zu rechtfertigen. ” Kein Problem, Herr Schiedsrichter„, gewahrte ich meinem Gegner groÖzu gig Schu tzenhilfe. ” Wir haben uns nur unterhalten.„ Damit war mein Repertoire an dummdreister Frechheit aber noch lange nicht erscho pft. Begeistert u ber das inzwischen herrschende Chaos unter den Spielfiguren stellte ich fest, dass die Felder zwischen meinem Ko nig und dem Turm frei waren. Das Reglement erlaubte mir demnach die Rochade. ” Sagen Sie, Herr Telemann, zieht man bei einer Rochade nun zuerst den Ko nig oder doch den Turm?„ Mir war wirklich an einer korrekten Auskunft gelegen, denn bei einem regelwidrigen Zug ware die Partie an ihn gegangen. ” Woher soll ich denn das wissen„, platzte der Weltmeister wutschnaubend hervor. ” Ich kann mir das doch auch nie merken.„ 30
” Schade„, sagte ich. ” Weil Sie doch o fter spielen, hatte ich geglaubt, Sie wu Öten es.„ Eine unu berho rbare Verwunderung erfasste die Zuschauer. Ich lieÖ die Finger von der Rochade, setzte den Ko nig einfach ein Feld nach links und las weiter in den Abenteuern von Asterix und Obelix. Norbert Telemann sank auf dem bereitgestellten Stuhl zusammen. Vor den Fernsehgeraten verfolgte weltweit ein Millionenpublikum die Spur seiner SchweiÖperlen. Nach einigen Minuten, in denen ich mich von der Schlacht um Rom fesseln lieÖ, hatte er sich zu einer Variante durchgerungen, die unter der Bezeichnung ” Telemannsche Offensiv-Verteidigung„ in die Schachgeschichte eingehen sollte: als legendares, aber untaugliches Ausweichmano ver. Kurz darauf warf der Weltmeister das Handtuch und erklarte gleichzeitig seinen Ru ckzug aus der Schachwelt. Ich bemerkte von allen Anwesenden dieses Ereignis als letzter. In meinem Comic-Strip fegten die Ro mer gerade die Tru mmer des Kolosseums zusammen.
Ich bin jetzt eine bedeutende Perso nlichkeit. Bobby Fischer hat sein Schweigen gebrochen, mich als einen der GroÖen dieses Jahrhunderts, als wiedergeborenen Lasker bezeichnet und zu einem Match u ber 21 Partien aufgefordert. Falls ich annehme, hat mir der Weltschachverband eine Bo rse von fu nf Millionen Dollar garantiert und bei Sieg weitere fu nf Millionen zugesagt. Eine russische Fachzeitschrift bittet mich um eine regelmaÖige 31
Kolumne. Die russischen GroÖmeister sollen von mir lernen. Ich sorge mich allerdings um die Bestandigkeit meines jungen Ruhmes. Vielleicht bringt mir Norbert Telemann das Gedankenlesen bei. Aber ich fu rchte, die boshafte Dummheit eines einzigen Neiders reicht aus, mich in die Anonymitat zuru ckzustoÖen.
32
Kapitel 3
Ein fast perfekter Coup Motto: Traue niemandem ü nicht einmal Deiner eigenen Dummheit.
Das
wirklich perfekte Verbrechen ware die Tat , die sie nicht selbst begehen, aus der aber Sie allein den Nutzen ziehen. Natu rlich du rfte der eigentliche Tater keine Mo glichkeit haben, Ihnen Ihren verdienten Lohn streitig zu machen. Doch weil das in der Praxis nicht funktioniert, werden Sie sich mit dem nur fast perfekten Coup zufrieden geben mu ssen und alle dessen unschatzbaren Risiken auf sich zu nehmen haben. Wer hat nicht schon heimlich von dem brillant eingefadelten Geniestreich getraumt, der ihn auf einen Schlag von allen Sorgen des Alltags befreit? Ich bekenne freimu tig, dass ich diesem Traum anhange, seit ich als Zwo lfjahriger Melina Mercouri in dem unsterblichen Lehrfilm ” Topkapi„ bewunderte. Seit jener Zeit geho rt meine Sympathie dem pfiffigen Gesetzesbrecher, der geschickt allen Fallstricken des Lebens ausweicht und fu r die to lpelhaften Fahnder nur ein hamisches Schmunzeln u brig hat. Ich habe aus dieser Liebe zum perfekten Verbrechen meinen Beruf gemacht: ich wurde ein biederer Durchschnittsbu rger, 33
getarnt unter dem Mantel der Seriositat und verdiene - nein: verdiente - meinen Lebensunterhalt als Polizeibeamter.
Inhalt meiner Traume war die perso nliche Radikallo sung, der von der Lebensversicherung trostvoll vergu tete Tod des kleinen Beamten und seine Wiederauferstehung als lebenslustiger Weltenbummler. Oft genug hatte ich mich mit meiner Frau in dieses Reich der Phantasie geflu chtet, hatte ihr in allen Einzelheiten erklart, wie mein einfacher und doch genialer Plan zu bewerkstelligen sei, sie genau instruiert, wie sie auf die bohrenden Fragen meiner damaligen Berufskollegen und der Versicherungsdetektive zu reagieren hatte. Doch wie allen Durchschnittsbu rgern mangelte es mir noch an dem Entscheidenden, am Willen zur Tat. Ohne mein geliebtes Weib ware so alles reine Gedankenspielerei geblieben. Wir verbrachten unseren Urlaub mit Freunden auf einer kleinen Segelyacht im Mittelmeer, mehr sportlich als exklusiv, und eines Abends beim Landgang in die Taverne sprach mich Petra unvermittelt darauf an: ” Wir sollten es einfach tun ?" ” Was sollten wir tun?„ fragte ich etwas geistesabwesend, wei1 mir Petras Gedankenspru nge meist zu schnell vonstatten gehen. ” Na, das Ding mit der Versicherung.„ Ich versuchte in Gedanken zu rekonstruieren, welche Handel wir mit welcher Versicherung gerade zu laufen hatten. Spontan hegte ich den bo sen Verdacht, dass Petra wieder 34
einmal eine kleine Betru gerei mit der Reiseversicherung ausheckte. Sie weiÖ genau, dass ich bei solchen Geschichten nie mitziehe, erstens aus Prinzip, und zweitens, weil ich es mir als Beamter nicht leisten kann, wegen einer lacherlichen Kleinigkeit, die selbst bei Erfolg mehr A rger als Profit einbringt, meine Karriere aufs Spiel zu setzen. Wenn Petra trotzdem immer wieder mit solchen Ideen anfing, dann tat sie es auch, um mich damit geho rig zu argern. ” Verschone mich mit Deinen Gaunereien„, reagierte ich deshalb reichlich unwirsch. ” Wieso meine Gaunereien„ gab mir Petra im Ton der beleidigten Unschuld zuru ck. ” Du kennst doch seit Jahren kein anderes Thema, als die Lebensversicherung zu kassieren.„ An diesem Abend trank ich etwas mehr als sonst. Die Wu rfel waren gefallen; Petra hatte entschieden, meinen Plan Wirklichkeit werden zu lassen. Wieder in Deutschland begannen wir sofort mit den Vorbereitungen.
Joachim
Moser, Beamter mit bescheidenem Salar und der Hoffnung auf eine in 35 Jahren fallige Pension, sollte fu r immer von dieser Welt verschwinden. Hinterlassen wu rde er eine trauernde Witwe, die nach einer angemessenen Frist sich mit dem ansehnlichen Betrag von der Lebensversicherung in warmere Gefilde absetzt. Dass sie dort an der Seite eines braungebrannten Globetrotters den Kummer zu vergessen sucht, du rfte ihr niemand veru beln. Zunachst einmal galt es, mich mit neuen Papieren fu r die 35
Zeit nach meinem Ableben zu versorgen. Hierbei war mein serio ser Beruf auÖerst hilfreich: Ein kurzer Besuch in der Meldestelle, und schon befand ich mich im Besitz druckfrischer Passformulare, die nur darauf warteten, von mir ordnungsgemaÖ ausgefu llt zu werden. Eine spatere interne Untersuchung verlief, ohne je an die groÖe Glocke gehangt zu werden, erwartungsgemaÖ im Sande. Phase Zwei war dagegen bereits mit ko rperlicher Anstrengung verbunden. Ich musste mir ein Ein-Mann-Schlauchboot kaufen und mich jede freie Minute im Dauerpaddeln einu ben. Als Trainerin zeigte Petra ungeahnte Qualitaten: weder auf meine anfanglichen Muskelkater noch auf Wind und Wetter Ru cksicht nehmend, trieb sie mich schon bald in eine solche Hochform, die mir die uneingeschrankte Bewunderung aller unserer Bekannten einbrachte.
Sorgen bereitete mir nur Petras unersattliche Gier. ” Mit der halben Million aus Deiner Versicherung werden wir aber nicht sehr weit kommen„, hielt sie mir betru bt unsere Zukunftsaussichten vor. ” DenkÄ doch nur einmal an die steigenden Lebenshaltungskosten. Das ist nicht nur bei uns so.„ Nun hatte ich nie an ein Luxusleben in Fu nf-Sterne-Hotels, sondern an eine kleine tropische Insel, vielleicht eine Pension und einen Bootsverleih fu r Touristen gedacht, aber gegen steigende Lebenshaltungskosten konnte ich nichts vorbringen. Das war Petras Gebiet. ” Ho r zu„, versuchte ich, sie auf die Gefahren aufmerksam zu machen. ” Eine Erho hung der Lebensversicherung erregt das Misstrauen der Leute. Sie werden nicht an einen Unfall 36
glauben und Dir ihre Detektive ins Haus schicken. Ganz abgesehen davon ko nnen wir die Pramien gar nicht bezahlen.„ Aber Petra hatte sich bereits ihre eigenen Gedanken zur Verfeinerung meines Planes gemacht. ” Wir sagen einfach, ich bekomme ein Baby. Dann meint die Versicherung, wir hatten einen guten Grund, den Betrag zu verdoppeln. Du sorgst Dich eben um die Zukunft unseres Kindes, falls Dir etwas zustoÖen sollte. Gerade in Deinem Beruf kann doch taglich etwas passieren.„ ” Aber wenn Du gar kein Baby bekommst...„ ” Dann ist leider etwas schief gegangen. Gegen die arztliche Schweigepflicht sind selbst die Versicherungsdetektive machtlos.„ Meine Frau hatte tatsachlich mit allem gerechnet. ” AuÖerdem," so beruhigte sie mich, ” hast Du doch mit den Versicherungsdetektiven nichts zu schaffen. Wenn u berhaupt, werden die auf mich angesetzt. Und ich werde mit denen schon fertig.„ An dieser Selbsteinschatzung mochte ich mir keine Kritik gestatten.
Wahrend
ich also taglich weiter meine Muskeln fu r den Tag X stahlte, ging Petra wieder ihrem alten Beruf als Arzthelferin nach, um ihre Halfte an den Pramien fu r die Lebensversicherung zu tragen. Das ganze war jetzt unbestreitbar unser gemeinsames Projekt, und Petra wollte 37
verstandlicherweise nicht nur am Nutzen beteiligt sein. Fu r diese Einstellung liebte ich sie mehr als je zuvor. Kurz vor Weihnachten begannen wir ganz diskret mit dem Verkauf des Familienschmucks meiner Erbtante. Es tat mir in der Seele weh, mich von den kostbaren Stu cken trennen zu mu ssen, aber Petra lieÖ keine Widerrede zu. ” Wir wissen nicht, wie lange wir auf das Geld von der Versicherung warten mu ssen. Und ich kann Dir kein Geld schicken. Wir werden doch lange Zeit keinen Kontakt haben„, machte sie mir eindringlich klar. Das war ein Punkt, den ich bisher nicht bedacht hatte, und er behagte mir gar nicht. Doch auch intensivstes Gru beln ergab keine Alternative. Wir konnten tatsachlich nichts anderes tun, als einen Ort zu vereinbaren, wo ich auf Petra so lange zu warten hatte, bis sie ungefahrdet folgen konnte. Das schien zunachst zwar unangenehm, verlangerte aber, wie ich mir bewusst machte, die Vorfreude auf den dann um so su Öeren Preis unseres Unternehmens.
Mit dem Sommer und den Urlaubswochen reifte die Zeit fu r den groÖen Fischzug heran. Wir waren mit den Freunden vom Vorjahr wieder zum Segeln im Mittelmeer verabredet. Ein paar Tage vor den Ferien sagte Petra ab. Ihr Arzt habe noch eine Urlaubsvertretung u bernehmen mu ssen, und deshalb ko nne sie diesmal nicht mit von der Partie sein. Unsere Freunde fanden das natu rlich bedauerlich, aber kurzfristige Urlaubsanderungen sind eine zu alltagliche Sache, um Argwohn zu erwecken. ” Was
willst
Du
denn
ohne
Frau an Bord anfangen?„ 38
fragte mich nichtsahnend mein alter Spezi Bernd. ” Mir wird schon etwas einfallen„, erwiderte ich mit dem u berlegenen Lacheln des Wissenden.
Ich fuhr zwei Tage fru her als die anderen nach Griechenland, nutzte die Zeit ausgiebig zur genauen Untersuchung der Yacht, verstaute das Schlauchboot, mein Traumschiff in ein unbeschwertes Leben, fu r die Begleiter unsichtbar hinter Seilen und alten Netzen in einer Nische unter Deck. Das Schiff war wie geschaffen fu r meinen Zweck: morsche Planken und eine schon bru chige Reling mussten jeden vielleicht aufkeimenden Zweifel an einem Unfall zerstreuen. ,,Bleibt mo glichst in Ku stennahe, fahrt nicht zu weit ins offene Meer hinaus„, gab uns Mikos, unser Reeder, mit auf den Weg. Vermutlich war er um seine Seelenverkaufer besorgten als um uns, aber leider konnte ich auf seine Bedenken keine Ru cksicht nehmen. Ich musste das Gebiet der griechischen Inseln hinter mich lassen und in die Nahe der tu rkischen Ku ste. Glu cklicherweise entwickeln unsere Freunde wenigstens in ihrem Urlaub eine gewisse Abenteuerlust. Es fiel jedenfalls nicht schwer, sie fu r das offene Meer zu begeistern. Ich mag Menschen, die fu r meine Plane Begeisterungsfahigkeit besitzen. Petras Geburtstag bestimmte ich zu meinem Todestag. Man soll die Abwesenden ehren, und ich hatte einen einleuchtenden Grund, am Abend ein Fest zu geben., bei dem der Retzina in 39
Stro men floss. Die Schlaftabletten in die Glaser unserer Freunde zu verteilen, war ein Leichtes. Ich brauchte nun nichts weiter zu tun, als den Betrunkenen zu mimen und abzuwarten, bis der Rest der Crew sich dem Alkohol und der Mu digkeit ergab. Schlafende Zeugen sind die besten von allen. Nun konnte mich nichts mehr aufhalten. Ich holte mein Schlauchboot aus Versteck, brach am Heck mit entschiedenem Griff ein Stu ck der Reling heraus, verabschiedete mich in Gedanken von den seelig schlummernden Freunden und ging u ber Bord. In etwa zwo lf Stunden musste ich die Ufer meines zweiten Lebens erreicht haben. Jetzt kamen mir allerdings zum ersten mal auch samtliche Gefahren in brutaler Klarheit vor Augen. Ich wollte den Unfall schlieÖlich nur vortauschen, nicht wirklich ertrinken oder von Haien gefressen werden. Fischer konnten mein Boot entdecken, die Ku stenpatrouille einen Schmuggler aufgreifen, die Sechste US-Flotte einen Terroristen versenken oder sonst ein nicht einkalkuliertes Ereignis alles zunichte machen. Was vorher so simpel aussah, wurde unter den Sternen des Mittelmeeres zu einem Abenteuer mit to dlichen Risiken. Die Angst beflu gelte meinen Ruderschlag. Aber die Nacht blieb ruhig, und es ging alles glatter, als ich es in diesen qualvollen Stunden gefu rchtet hatte. Gegen Morgen lief ich in einer menschenleeren Bucht ein, zerlo cherte mit meinem Taschenmesser das Schlauchboot und u berlieÖ. es den Fluten, machte mich auf den Weg in die nachste Ortschaft. Am Nachmittag saÖ ich im Bus nach Istanbul. 40
Nach wenigen Tagen schon durfte ich aufatmen. Eine deutsche Zeitung meldete den to dlichen Unfall auf einer von Urlaubern gemieteten Yacht. Der 30jahrige Beamte Joachim M. sei offensichtlich im betrunkenen Zustand u ber Bord gestu rzt und ertrunken, lautete der Bericht. Einer der Zeugen erinnerte sich sogar an das Gerausch eines ins Wasser fallenden Gegenstandes, doch habe er geglaubt, jemand hatte eine leere Flasche u ber die Reling geworfen. U ber diese letzte Frechheit gegenu ber einem teuren Verblichenen konnte ich leider nur still triumphieren. Meine Arbeit war getan. Nun kam es auf Petra an.
Von
den folgenden Monaten ist wenig zu erzahlen. Ich verlieÖ Istanbul, reiste quer durch das Land, flog mit meinem falschen Pass nach Ostasien und lieÖ mich schlieÖlich wie verabredet in einem unbedeutenden, aber hu bschen Dorf an der Ku ste einer paradiesischen Tropeninsel nieder. Ich schreibe diese Zeilen in einem kleinen Haus am Strand. Weil ich inzwischen die Landessprache verstehe, kann ich mich den immer zahlreicheren Touristen nu tzlich machen, organisiere Fahrten zu den Sehenswu rdigkeiten, vermittle bei Bedarf auch die eine oder andere besonders von alleinreisenden Mannern gefragte Dienstleistung, wofu r mir die Fremden und die Einheimischen gleichermaÖen ihren Dank erweisen. Wenn das Geschaft weiter so floriert, werde ich demnachst einen kleinen Bootsverleih ero ffnen. Zweimal habe ich, unter falschem Namen selbstverstandlich, an Petra geschrieben. Eine direkte Antwort erhielt ich nicht, aber auf meinen zweiten Brief hin 41
wurde mir anonym eine ausgerissene Zeitungsanzeige zugestellt. Petra ist mittlerweile such offiziell wieder verheiratet, mit dem Arzt, bei dem sie ihren Anteil an den Versicherungspramien verdiente und der bei Nachfragen als Alibi fu r die fingierte Schwangerschaft hatte herhalten sollen. Eigentlich ist es gut so, das sie nicht mehr kommt. Ich weiÖ nicht, ob ihr dieses beschauliche Leben jenseits von Hektik und u berflu ssigem Luxus auf Dauer behagt hatte. Ich jedenfalls bin hier glu cklich, liege unter Palmen und sorge mich nicht um den nachsten Tag. Den Traum vom perfekten Verbrechen habe ich ein fu r alle mal ausgetraumt.
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Kapitel 4
Morde unter Jugendfreunden Motto: Versuche gar nicht erst, die Wahrheit zu sagen. Suche nach einer plausiblen Erklarung. "Ich muss mit einem Gestandnis beginnen. Ich habe Harald umgebracht. Nein, es war kein vorsatzlicher Mord, ich wollte ihn bloÖ zur Rede stellen wegen seines Verhaltnisses zu meiner Frau, aber er hat mich nur ausgelacht, und da habe ich die Kontrolle u ber mich verloren. Die Leiche musste ich doch irgendwo verstecken. Mit dem Tod von Michael und Stephan habe ich nichts zu schaffen. Ich bin kein Mo rder. Wie er so da lag auf dem sauberen Teppich, der Harald, mit aufgerissenen Augen, da ist mir gleich unsere alte Indianerho hle eingefallen. Das ist natu rlich keine richtige Ho hle, die gibt es in unserer Gegend doch nicht, sondern so eine Art Unterstand aus dem Krieg. Der ist dann vergessen worden, und als Kinder hatten wir ihn entdeckt. Der Stephan ist damals u ber einen Ast gestolpert und dabei in die Ho hle eingebrochen. So kamen wir vier zu unserem Versteck, das auÖer uns kein Mensch kannte. Wir hatten den Zugang immer zugeschu ttet und geschworen, niemandem unser Geheimnis zu verraten. Der Stephan ist spater unserer Gegend verschwunden, keiner wusste wohin, und wir anderen drei haben auch nie wieder u ber unsere Ho hle geredet. 43
In diesem alten Versteck wollte ich die Leiche von Harald verbergen. Ich habe die Ho hle auch auf Anhieb wiedergefunden. Nur war sie nicht mehr leer, so, wie wir sie damals verlassen hatten. Mir ist fast das Herz stehen geblieben, als ich das Skelett entdeckte. Ich habe mir gleich gesagt: Das muss der Stephan sein. In seinem Schadel klaffte ein ziemlich groÖes Loch. Der musste eins auf den Kopf bekommen haben und dann dorthin gebracht worden sein. Was sollte ich denn machen? Zur Polizei gehen und denen erzahlen, dass ich eine Leiche verstecken wollte und dabei auf eine andere gestoÖen bin, konnte ich schlieÖlich nicht. Also habe ich den Harald dazugelegt und den Eingang wieder verdeckt. Die Polizei hat so etwa einen Monat nach dem Harald geforscht, die Sache dann aber fallen lassen. In seiner Firma fehlte wohl auch Geld, 200.000 Mark sollen es gewesen sein, und die glaubten, er sei damit auf und davon. Zuzutrauen ware ihm des schon gewesen. Mich hat die Geschichte mit dem Skelett aber nicht mehr in Ruhe gelassen. Der Stephan war ermordet worden. Daran gab es gar keinen Zweifel. Und es musste einer von uns Vieren gewesen sein. Sonst wusste ja keiner von der Ho hle. Harald war ein Schlitzohr, und er ware auch u ber Leichen gegangen, wie man so sagt. Aber er war auch immer etwas feige. Schwachere zu verpru geln hat ihm nichts ausgemacht, aber an den Stephan hatte der sich nie rangetraut.
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Es kam also nur der Michael infrage. Einen Rochus auf den Stephan hat er ja o fters gehabt, und da flogen dann manchmal auch die Fetzen. Aber dass er ihn eines Tages einfach umbringen wu rde, hatte ich nie fu r mo glich gehalten. Ich habe mich mit dem Michael getroffen und vorsichtig versucht, das Gesprach auf Stephans Verschwinden zu lenken. Erst wollte er mir ausweichen, aber dann habe ich ihm ins Gesicht gesagt, dass er die Leiche in unserer alten Ho hle vergraben hat. 'Die hast Du wohl gefunden, als Du den Harald verbuddeln wolltest,' hat er mir geantwortet. Nun waren wir also durch ein to dliches Geheimnis verbunden. Warum der Michael den Stephan erschlagen hat, kann ich allerdings nicht sagen. Aber von dem Tag an habe ich eine wahnsinnige Angst vor dem Michael gehabt. Er hat mir wahrscheinlich auch nicht u ber den Weg getraut. Jedenfalls stand fu r mich fest, dass er mich umbringen wollte. Ich hatte ja alles u ber ihn verraten ko nnen. Er war ein Mo rder, wenigstens ein Totschlager, wahrend man doch den Tod von Harald eigentlich als tragischen Unfall bezeichnen musste. An dem Abend, als er mich noch nach Geschaftsschluss in meiner Werkstatt aufsuchte, hat er es bestimmt vorgehabt. Ich habe es ihm angesehen, wie er hereingekommen ist, mit ganz kaltem Gesicht, und anfing: 'Wir haben miteinander zu reden.' Er griff dabei in die Jackentasche, wollte vielleicht eine Pistole oder ein Messer herausholen. Mir blieb gar nichts anderes u brig, als ihm zuvorzukommen. In meinem Kopf gab es nur noch: Der oder ich. Den Hammer zu nehmen und ihm 45
u berzuziehen war da eins. In seiner Jacke fand ich zwar neu eine Zigarettenschachtel, keine Waffe, aber der Michael war immer der Starkste von uns Vieren gewesen. Der hatte keinen Revolver und kein Messer gebraucht, um mich fertig zu machen. Und einen anderen Grund hatte er doch nicht gehabt, an dem Abend zu mir zu kommen. Dass ich mit dem Hammer nach ihm geschlagen habe, war reine Notwehr. Vorzuwerfen habe ich mit deswegen nichts."
Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil:
" ...wird der Angeklagte wegen Totschlags in drei selbstandigen Tateinheiten zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Ein planmaö ig gefasster To tungsvorsatz konnte dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden. Zu seinen Gunsten anzuerkennen war ferner seine feste U berzeugung, dass die drei Tatopfer intime Beziehungen zu seiner Frau, bzw. seiner Jugendfreundin unterhielten. Angesichts des impulsiven Charakters des Angeklagten, der auch nicht unbedingt als gewalttatig einzustufen ist, geht das Gericht davon aus, dass er in allen drei Fallen zunachst eine Aussprache gesucht hat, in deren Verlauf es dann zu den unkontrollierten Handlungen gekommen ist. Gegen den Angeklagten spricht jedoch die Systematik, die er nach seinen Taten beim Verstecken der Tatopfer an den Tag legte. Auch lasst der Angeklagte jede Reue vermissen. Die von 46
ihm vorgetragene Version widerspricht jeder richterlichen Lebenserfahrung."
U ber den Autor: Detlef Fritz, Jahrgang1952, Journalist, lebt in Berlin.
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