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Die „Isabella VIII.“ segelte mit Backbordhalsen auf Steuerbordbug liegend ihrem fernen ...
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Seewölfe 104 1
Fred McMason 1.
Die „Isabella VIII.“ segelte mit Backbordhalsen auf Steuerbordbug liegend ihrem fernen Ziel entgegen, einem Ziel das vorerst nur ein unerfüllter Traum war, fern und geheimnisvoll. Dieses ferne Ziel war die Überquerung des Pazifiks bis hin ins Reich des großen Chan, einem Land das noch kein Seewolf gesehen hatte und das sie alle nur vom Hörensagen kannten. Bis dieses Ziel erreicht war, konnten allerdings noch Monate, vielleicht auch Jahre vergehen, das kam ganz auf die jeweiligen Umstände a n. Bisher hatte es jedoch immer wieder Zwischenfälle und unliebsame Aufenthalte gegeben. Auf dem Achterkastell der „Isabella“ waren Ben Brighton, Big Old Shane, der alte O’Flynn, Ed Carberry und Luke Morgan um den Seewolf versammelt, der mit dem hölzernen Jakobsstab hantierte und den Männern beibrachte, wie das Gerät zu handhaben war. Bisher hatten es nur wenige begriffen, die Navigation war für die meisten ein Buch mit sieben Siegeln. „Ich sehe immer nur grelle Sonnenstrahlen“, behauptete Luke Morgan, „und die blenden mich so, daß ich anschließend gar nichts mehr sehen kann.“ „Eine reine Gewohnheit, Luke“, entgegnete Hasard. „Man kann sich natürlich auch mit dem Rücken zur Sonne stellen.“ Hasard hatte zwei Seekarten ausgebreitet, die er jetzt gelegentlich betrachtete. Mit einem Stift zeichnete er den gefahrenen Kurs ein, verglich die ungefähre Zeit und beschäftigte sich weiter mit der ungenauen Seekarte. Der Schiffsjunge Bill hatte sich unbemerkt zu den Männern gesellt und blickte aus großen Augen auf das, was für ihn ganz einfach unbegreiflich war. Zum Teufel, er war jetzt schon eine ganze Weile an Bord, auch zusammen mit seinem verstorbenen Vater war er zur See gefahren, aber bis heute ging es nicht in
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seinen Schädel hinein, wie der ganze Kram funktionierte. Wenn man Land gesehen hätte, ho, dann war das etwas anderes. Aber es war nirgendwo Land zu sehen, weder vorn noch achtern, weder an Steuerbord noch an Backbord. Da dehnte sich. nur eine riesige Wasserwüste nach allen Seiten, die an der Kimm in einen Himmel überging, der sich strahlend blau wie eine Kuppel über allem wölbte. Deshalb schüttelte er nur stumm den Kopf, als der Seewolf sich umdrehte und sagte, als wüßte er es mit absoluter Sicherheit: „Wir befinden uns jetzt etwa auf der Höhe von La Paloma, es können zehn Meilen mehr oder weniger sein. Wir laufen annähernd zehn Knoten, demnach werden wir - falls der günstige Wind anhält - in etwa sechs Stunden die Mündung des Rio de la Plata erreichen. Das wäre dann kurz nach Mittag.“ „Und sie glauben, das stimmt, Sir?“ fragte der Bengel Bill und reckte seine magere Brust heraus. „Ganz sicher“, erwiderte der Seewolf lachend, so daß man seine weißen Zähne blitzen sah. „Wenn du es nicht glaubst, kannst du es ja nachrechnen.“ „Das lerne ich nie, Sir, auch wenn ich ein alter Mann geworden bin“, erklärte Bill im Brustton der Überzeugung. „Das hat schon fast etwas mit Zauberei zu tun.“ „Es ist nur eine etwas komplizierte Rechenaufgabe, mein Junge. mehr steckt nicht dahinter. Es kommt hauptsächlich auf gute Karten an. Je besser die sind, desto genauer kann man das Besteck nehmen und die Position bestimmen.“ „Und man darf nicht vergessen. die Sanduhr immer zur rechten Zeit umzudrehen“, fügte Ben Brighton lachend hinzu. „Und eine Abdrift gibt es auch noch“, sagte Carberry und runzelte die Stirn, „die muß man natürlich mitrechnen.“ Das verwirrte Bill derart, daß er kopfschüttelnd in die Kuhl zurückmarschierte, um dem alten Will Thorne beim Segelnähen zu helfen, denn der hockte schon seit Tagen über dieser Arbeit. Er nähte schwere Sturmsegel, so
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grobes Tuch. daß einem die Fingernägel brachen. wenn man hart zupackte. Diese schweren Segel, so hatte der Segelmacher Bill erklärt, würden sie brauchen. wenn sie Kap Hoorn rundeten, das Kap der fürchterlichen Stürme, der hohen Wellen und der Kälte. Das Kap, an dem schon so viele Schiffe gescheitert waren, das Kap ohne Wiederkehr, wie die Abergläubischen es auch gern nannten. „Aber wir haben doch noch genügend Sturmsegel“, meinte Bill. „Am Kap kann man nie genug haben, Junge. Da reißt der Wind alles in Fetzen, da putzt der Meergott sich die Nase mit den schweren Segeln. Und weil er da unten dauernd erkältet ist, braucht er bannig viel Tuch. Richtiges Tuch muß es sein, stark, hart, das dem Wind trotzt.“ Er zeigte Bill, wie man die Segelnadel führte. Es ging verdammt schnell bei dem alten Will Thorne, aber das war kein Wunder, denn er hatte sein ganzes Leben lang Segel genäht, geflickt und ausgebessert. Niemand an Bord konnte mit Kabelgarn, Nadeln und Tuch so gut und sicher umgehen wie der Alte. Und eine Hose aus Segeltuch herstellen? Pah, das war für ihn kein Kunststück, und eine aus Leinen erst recht nicht. Er konnte alles, dieser grauhaarige ruhige Mann, und er war immer geduldig, schimpfte nie, fluchte nur ganz selten, und erklärte alles hundertmal, wenn Bill es nicht gleich begriff. Und deshalb mochte der Junge den Alten, weil der ihn vom Aussehen her außerdem noch ein wenig an seinen Vater erinnerte, der auf Jamaica begraben war. In seine Überlegungen donnerte eine Stimme, die von hoch oben aus dem Großmars ertönte, wo Dan O’Flynn hinter der Segeltuchverkleidung hockte. Diesmal war der Schimpanse Arwenack allerdings nicht wie sonst bei ihm, der tobte gerade hinter dem Aracanga-Papagei Sir John her, kriegte ihn aber nicht zu fassen, weil der karmesinrote Ara den Affen immer dicht heran ließ und erst im allerletzten Moment losflatterte. Dann ließ er sich auf der nächsten Rah nieder, wo er zu Bills Belustigung immer
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„Ha, ihr Kakerlaken, Affenärsche und Hurensöhne“ schrie, bis der Affe böse wurde. „Deck, hol Zwei Strich Backbord voraus treibt etwas in der See! Sieht nach einem Menschen aus!“ Dan O’Flynn hatte die Hände trichterförmig an den Mund gelegt, damit man ihn aus der luftigen Höhe besser verstand. Köpfe drehten sich in die angegebene Richtung, aber niemand sah etwas. Dan hatte die bessere Position und schärfere Augen als alle anderen. Der Seewolf zog das Spektiv auseinander und suchte die See ab. Es dauerte lange, bis er den kleinen tanzenden Punkt in der schwachen Dünung entdeckte. Ja, es konnte ein Mensch sein, überlegte er. Allerdings verriet keine Bewegung, daß noch Leben in ihm war. Er schwabbelte wie ein langes Stück Holz in den langgestreckten Wellen, die ihn sanft hoben und ebenso sanft wieder in eins ihrer Täler gleiten ließen. „Eine Uniform“; sagte der Seewolf leise. „Es könnte fast ein Spanier sein, der dort treibt. Aber es sieht so aus, als wäre kein Leben mehr in ihm.“ Ben Brighton, Hasards Stellvertreter, blickte ebenfalls durch das Spektiv und nickte dann zustimmend. „Scheint tot zu sein, er hängt fast die ganze Zeit mit dem Gesicht im Wasser.“ Hasard kniff die Augen zusammen und drehte sich nach Gary Andrews um, der eben Pete Ballie am Ruder abgelöst hatte. „Zwei Strich Backbord, Gary!“ „Zwei Strich Backbord, Sir!“ wiederholte Gary Andrews. „Laß ihn auffischen, Ben, vielleicht ist er nur bewußtlos, und laß das Großsegel aufgeien!“ Brighton gab den Befehl weiter an den Profos, der mit vorgerecktem Amboßkinn in die See starrte und den kleinen Punkt fixierte. „Ein Spanier“, murmelte er, „ein kleiner lausiger Don, der zu weit ‘rausgeschwommen ist. Na, dem werden
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wir das Wasser schon aus dem Wanst klopfen, bis er Kastanien kotzt.“ Als er sich umdrehte, klang seine Stimme wie üblich: Grollend, donnernd und mit saftigen Ausdrücken gewürzt. „Habt ihr nicht gehört, ihr lausigen Sägefische!“ brüllte er. „Geit auf das Großsegel, hopp, hopp! Und glotzt nicht so triefäugig. So was wie den kleinen Lappen hab ich als Moses mit links aufgegeit, mit dem kleinen Finger!“ Die Männer grinsten wie üblich, wenn Edwin Carberry loslegte, denn er meinte es nicht so. Obwohl jeder Handgriff exakt saß, vermochte der Profos nicht über seinen Schatten zu springen. Er mußte brüllen und fluchen, denn was war ein Schiff ohne einen fluchenden Zuchtmeister? Schließlich war er ja nicht als Seelsorger an Bord! Die „Isabella“ rückte dem Punkt rasch näher, obwohl sich ihre Fahrt durch das Aufgeien des Großsegels merklich verringert hatte. „Klar zum Auffischen!“ rief der Profos. „Nehmt die hölzernen Haken, aber durchlöchert den Kerl nicht, vielleicht lebt er doch noch!“ Die Wellen täuschten Leben in der Gestalt vor, als er dicht an der Bordwand entlangschurrte. Das Gesicht des Mannes hing im Wasser, seine Arme waren ausgebreitet und deuteten in die Tiefe unter ihm, als wolle er auf etwas zeigen. „Wenn der noch lebt, laß ich mir vom Kutscher sämtliche Kakerlaken braten“, sagte der Profos. „Hiev auf! Los, Smoky, pack an!“ Vier hölzerne Haken, an den Enden rund gebogen, hievten den Uniformierten mit einem Ruck aus dem Wasser. Fäuste griffen zu, und dann lag der Spanier triefend auf den Decksplanken, immer noch mit dem Gesicht nach unten. Hasard war in der Kuhl erschienen. Sehr nachdenklich ruhte sein Blick auf der schlaffen, leblosen Gestalt, von deren Kleidung das Wasser troff, deren schwarze Haare sich auf den Planken ausbreiteten.
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Neben dem Seewolf stand der Kutscher. Er hatte Tücher in heißes Pfefferminzöl gelegt und bückte sich nach dem Mann. Er ergriff ihn unter dem Brustkorb, hob ihn an und drehte ihn halb zur Seite. „Verdammt“, murmelte er betroffen und starrte erschreckt in das Gesicht des Mannes. Auch die anderen wichen unwillkürlich etwas zurück. Dieses Gesicht! Es sah furchtbar aus. Vom Hals aufwärts bis zu den Augen war es ein einziger roter Klumpen, furchtbar entstellt, die Haut zerrissen und zerfetzt. „Tot“, sagte der Kutscher, „da gibt es keine Hilfe.“ „Scheint so, als hätte ein Hai ihn angegriffen, aber dann von ihm wieder abgelassen“, sagte Big Old Shane, der mit verschränkten Armen in der Kuhl stand. Der Kutscher schüttelte den Kopf, legte ihn auf die linke Schulter und musterte den Toten noch einmal, diesmal etwas gründlicher. „Diese Verletzung stammt von keinem Hai“, sagte er laut. „Es muß etwas anderes gewesen sein.“ „Piranhas?“ fragte Hasard leise. „Ein Fluß kann ihn in den Atlantik geschwemmt haben, bevor die Biester ihr Werk vollenden konnten.“ Wieder schüttelte der Kutscher den Kopf. „Das waren auch keine Piranhas“, entschied er. „Sein Tod gibt mir Rätsel auf, ich möchte mich zu der Behauptung versteigen ...“ „Er möchte sich versteigen“, murmelte Ferris Tucker spöttisch. „Kannst du nicht Englisch sprechen, Mann? Versteigen kann man sich höchstens in den Wanten.“ Den Kutscher ließ dieser Einwand unberührt. Damals, bei Sir Freemont, hatte er seine Worte immer mit Bedacht gewählt und von dem berühmten Arzt auch viel gelernt. Aber zu seinem Bedauern hatte sich sein Umgangston bereits ganz beträchtlich dem der rauhen Gesellen angepaßt, was nicht hieß, daß nicht ab und zu doch mal etwas von der vornehmen Blasiertheit bei ihm durchbrach.
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„Es sieht nach schweren Verbrennungen aus“, sagte er schließlich. Die anderen starrten ihn verständnislos an. Selbst der Seewolf war perplex. „Schwere Verbrennungen?“ fragte er ungläubig. „Ist das nicht etwas weit hergeholt, Kutscher?“ „Keineswegs, Sir! Um es ganz kraß auszudrücken — dieser Mann ist mit dem Schädel in ein Faß siedendes Öl gefallen.“ Carberry tippte sich bezeichnend an die Stirn und sah dabei den Kutscher an. „Glaubst du etwa, der wollte die Fettaugen zählen? Mann, wer fällt schon mit dem Schädel in siedendes Öl?“ „Er hat es offenbar nur mit dem Gesicht berührt“, sagte der Kutscher hilflos und zuckte mit den Schultern. Der tote Spanier, der Uniform nach war es ein Teniente, gab den Seewölfen Rätsel über Rätsel auf. Hasards Blick war nachdenklich auf die See gerichtet. Dann kehrte er zurück und blieb auf dem Spanier haften. „Laß das Segel wieder setzen, Ed“, sagte er nebenbei und griff in das Wams des Spaniers. Er fand keine Papiere, nichts was Aufschluß über den Toten gegeben hätte. Nicht einmal sein Alter ließ sich schätzen, und von der Statur her war er normaler Durchschnitt. Lange betrachtete Hasard den Toten. Er wurde nicht schlau daraus. Keine Papiere, ein verbranntes Gesicht, weit weg vom Land — wie paßte das alles zusammen? Er sah, wie das Segel sich bauschte, spürte, wie die „Isabella“ mehr Fahrt aufnahm und blickte dann zur Kimm hinüber, hinter der südamerikanisches Land lag. Er beschloß in diesem Augenblick, dichter an Land zu segeln, ein paar Meilen wenigstens, so daß man den Küstenstrich gerade noch sah. „Übergebt ihn der See“, sagte er leise, „aber beschwert ihn vorher mit einer Eisenkugel oder etwas anderem.“ Carberry nickte. Sein Gesicht, narbig mit vorgeschobenem Kinn, wirkte ausdruckslos. Der Profos schien in sich hineinzuhorchen, dann drehte er sich um und gab Smoky und Bob Grey einen Wink.
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„Über Bord mit ihm!“ befahl er knapp. „Und vergeßt nicht, ihm eine Kugel ans Bein zu hängen!“ Tucker schnitt ein kurzes Stück Tau ab, schlang es kunstvoll um die Kugel und verband das andere Ende mit dem Bein des toten Spaniers. Zu dritt hoben sie ihn über Bord. Das verbrannte Gesicht des Spaniers war das letzte, was sie von ihm sahen, als er senkrecht auf Tiefe ging. Dann hatte die See ihn verschlungen. Auf dem Achterkastell lehnte Hasard an der Five Rail und sah zu, wie der Rudergänger in die Speichen griff, um die „Isabella“ näher an die Küste heranzubringen. „Was hältst du davon, Ben?“ fragte der Seewolf. „Tut mir leid, Hasard, ich habe nicht die geringste Erklärung dafür. Ich vermute, daß sie ihn auf irgendeine grausame Art und Weise gefoltert haben." „Die Dons? Dann hätten sie ihm wahrscheinlich vorher die Uniform ausgezogen.“ „Es war nur eine Vermutung“, sagte Ben. „Natürlich. Vergessen wir den Vorfall. Sag Ferris, er soll nachher noch einmal den Kettenbolzen der Ruderanlage überprüfen, ich möchte keine unangenehmen Überraschungen erleben.“ Tucker war schon ein paar Minuten später an der Arbeit. Ja, der Kettenbolzen hatte es immer noch in sich, dachte er. Schon dreimal war er gebrochen und hatte Schiff und Mannschaft in bedrohliche Situationen gebracht. So schön und bequem die Ruderanlage anstelle eines Kolderstocks auch war, aber sie hatte das, was man als Kinderkrankheit bezeichnete. Von Zeit zu Zeit mußte der Bolzen ausgewechselt werden, er scheuerte durch und brach meist dann, wenn man sich in einer schwierigen Situation befand. Diesmal war er in Ordnung, wie der Schiffszimmermann feststellte. Er würde eine ganze Weile halten. Die „Isabella“ segelte weiter mit Backbordhalsen, bis sie zu der Zeit, die Hasard vorausgesagt hatte, das
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Mündungsdelta des Rio de la Plata erreichte. Es war kurz nach Mittag. Die Hitze war erträglich, abgemildert durch die frische Atlantikbrise ließ sie sich angenehm ertragen. Auf Steuerbord dehnte sich hügeliges Land aus, soweit das Auge sah. Nur dem Schiffsjungen Bill schien es, als beschriebe der Atlantik hier einen gewaltigen Knick. Die Wassermassen schienen seiner Ansicht nach rechts abzubiegen, und er fragte sich insgeheim immer wieder, ob man nicht doch mehr nach Steuerbord segeln müßte, wenn man auf dem richtigen Kurs bleiben wollte. Er enterte zu Dan in den Großmars auf, doch auf halber Höhe blieb er reglos in den Webleinen der Wanten hängen. Sein schmächtiger Körper versteifte sich. „Auslegerboote!“ rief Dan aus seiner luftigen Höhe an Deck. „Sie halten auf die gegenüberliegende Küste zu. Mindestens fünfzig Boote sind es!“ 2. Es war ein riesiger Pulk, der sich von der Küste löste und mit stark geblähten kleinen Segeln eilig einer anderen Küstenregion zustrebte. Hasard konnte den Pulk bereits ohne Spektiv deutlich sehen. Auf dem Wasser spiegelten sich die Sonnenstrahlen. Er kniff die Augen zusammen und legte die Hand an die Stirn, an jene Stelle, von der eine langgezogene dünne Narbe bis zur Wange verlief. Merkwürdig, aber er glaubte, die Narbe schmerze heute etwas, doch das war vielleicht: nur Einbildung. „Fünfzig?“ sagte er leise. „Das werden ja immer mehr. Dort scheint ein ganzer Indianerstamm zu flüchten. Aber was veranlaßt sie zu dieser überstürzten Flucht?“ Die Indianer erweckten ganz den Eindruck, als wären sie tatsächlich auf der Flucht. In den Auslegerbooten hockten Männer, Frauen und kleine Kinder. Bei ihrem hastigen Aufbruch hatten sie der offenen See nur wenig Aufmerksamkeit
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geschenkt. Doch jetzt entdeckten sie die Galeone, und wie auf ein Zauberwort drehten die Boote ab, diesmal noch eiliger als zuvor. Hasard griff nun doch nach dem Spektiv und sah hindurch. In den Booten standen Männer, schwarzhaarige Burschen, die nur Lendenschurze trugen und auch nicht tätowiert oder gezeichnet waren. Immer wieder deuteten sie auf die „Isabella“, brüllten sich etwas zu und zogen Hals über Kopf davon. Ein sinnender Ausdruck trat in Hasards Augen. Er ließ den Kurs noch ein wenig weiter nach Steuerbord ändern, bis die „Isabella“, näher zur Küste auflief. Das kleine Manöver bewirkte weiter drüben fast panikartige Zustände. Die Auslegerboote luvten hart an, gingen dann auf Kollisionskurs zur „Isabella“ und fielen ganz überraschend wieder ab. „Was, zum Teufel, ist denn in diese Burschen gefahren?“ fragte Ben Brighton entgeistert. „Die benehmen sich ja geradezu, als wollten wir ihnen die Hälse durchschneiden.“ Das war das Stichwort für den Seewolf. „Offensichtlich halten sie uns für Spanier“, sagte er. „Und höchstwahrscheinlich sind sie vor den Dons gerade auf der Flucht. Jetzt benehmen sie sich, als hätten wir sie eingekreist. Sie wissen nicht mehr, wohin sie segeln sollen.“ Das, was für wenige Augenblicke fast wie ein Angriff von seiten der Indianer ausgesehen hatte, erwies sich als nichts anderes als ein Täuschungsmanöver, durch das die Eingeborenen ihren vermeintlichen Häschern zu entwischen gedachten. Nein, sie waren auf der Flucht, entschied Hasard. Alles deutete darauf hin, ihr ganzes Verhalten, ihre Panik, die Angst, Frauen und Kinder in Sicherheit zu bringen. Hier, am Rio de la Plata, wimmelte es von Dons, hier hatten sie ihre Nester, Kaffs, Stützpunkte und Siedlungen. Hier raubten sie, plünderten, sammelten Schätze für die spanische Krone und zwangen den Eingeborenen das Christentum auf, das sie gar nicht wollten. In dieser Ecke hatten
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sich die Spanier wie hartnäckige Zecken eingenistet, und die meisten Ansiedlungen trugen spanische Namen. Hasard rang sich zu einem Entschluß durch. Er kämpfte lange mit sich selbst und befand sich in einem Zwiespalt der Gefühle. Einerseits war da die lange Reise, die vor ihnen lag, und die nun schon sooft unterbrochen worden war. Er wollte in den Pazifik segeln, jenem geheimnisvollen Land entgegen aus dem Siri-Tong stammte, dem fernen Land, das ihn immer stärker faszinierte und in seinen Bann zog. Andererseits gab es hier einen ganzen Stamm verängstigter Eingeborener, die sich auf der Flucht befanden und für die die Spanier eine tödliche Gefahr darstellten. Sollte er sich überhaupt nicht um sie kümmern und sie ihrem ungewissen Schicksal überlassen? Der Seewolf dachte in weiten Räumen und malte sich in Gedanken die Zukunft derer aus, die unter dem spanischen Terror zwangsläufig zugrunde gehen würden, die langsam, aber sicher durch die goldhungrigen Dons ihren Lebensraum verloren, und die es eines fernen Tages nicht mehr geben würde. Sein Gesicht sah merkwürdig hart und verschlossen aus, als er sich dem Rudergänger zuwandte: Gary Andrews sah den Blick und zuckte .unwillkürlich zusammen. Er hat Eis in den Augen, dachte er. Blaues Eis wie jenes, das es weiter südlich als große blaue Berge gab, Kälte, die einen unwillkürlich frösteln ließ. „Sir?“ fragte er schluckend, obwohl Hasard noch kein Wort gesagt hatte. Der Wind hatte leicht gedreht. Nur um ein paar Grad war er umgesprungen, aber Hasard wußte, daß er noch weiter drehen würde. Hier, an der Mündung des Silberstromes, geschah das häufig. „Wir gehen auf den anderen Bug“, entschied der Seewolf. „Halte dich zum Wenden bereit, Gary.“ „Aye, aye, Sir!“
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Auf dem Vordeck stand der Profos. Sein gewaltiges Rammkinn war vorgeschoben, die Hände hatte er in die Hüften gestemmt, und so stand er breitbeinig da, lauernd, weil er wußte, daß sich gleich etwas ändern würde. Carberry hatte dafür einen Riecher, er roch es an der Sonne, am Wind und dem salzigen Wasser, lange bevor sich etwas tat. Auch die anderen spürten es. Seit der Wind leicht gedreht hatte, war noch kein Kommando erklungen, das die Männer an die Schoten und Brassen gescheucht hätte. Und weil der Wind noch weiter drehen würde, war dieses Kommando unausweichlich. In dem Gesicht Big Old Shanes wetterleuchtete es. Der graubärtige Schmied von Arwenack wußte, was der Seewolf plante, er hätte es genauso getan. Die Erwartung, die plötzlich in den Gesichtern der Seewölfe stand, wurde erfüllt. „Klar zum Wenden auf den anderen Bug, Profos!“ klang die Stimme des Seewolfs über Deck. Carberry rieb sich die mächtigen Hände. Er grinste erfreut. „So, ihr Rübenschweine“, sagte er laut. „Jetzt gibt’s Abwechslung. Ich will eine Wende sehen, die später in die Geschichte eingeht, was, wie? Ihr seid schon viel zu lange auf Steuerbordbug gesegelt, da werden die Knochen faul, und der Kalk rieselt durch die Gebeine.“ Und dann ging es los. Carberry war wieder einmal in seinem Element. „Brassen klar zum Laufen!“ brüllte er mit einer Stimme, die auch dem letzten Mann die Müdigkeit aus den Knochen trieb. „Luv an zum Wenden, Gary! Langsam zwölf Strich durch den Wind abfallen. Batuti, Blacky, Sten! Seid ihr lausigen Sägefische noch immer nicht dabei, den Besan mitschiffs zu holen, was, wie? Wie sollen wir dann achtern mehr Druck kriegen, ihr Läuseknacker!“ Er sah in fröhliche grinsende Gesichter, doch das trieb ihn nur noch mehr an, obwohl er genau wußte, daß jeder Mann
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jeden einzelnen Handgriff im Schlaf beherrschte. „Matt und Jeff, ihr Heringe! Hoffentlich fiert ihr die Vorschoten auf der Back endlich. Und was ist mit euch, Sam und Luke? Weshalb kriegen die Fockbrassen so spät Lose, he?“ Die „Isabella“ ging durch den Wind langsam auf den anderen Bug. Die Männer schufteten, nicht nach Carberrys Gebrüll, sondern weil sie es so gelernt hatten. Des Profos’ Geschrei war nur die Begleitmusik zu ihrer Arbeit. Carberrys Augen waren überall. Er lauerte darauf, einen der Männer bei einem falschen Handgriff zu erwischen, doch zu seinem Bedauern gab es das nicht. Also motzte er weiter, um wenigstens den Anschein zu wahren. „Ruder in Lee!“ schrie er weiter. „Du fällst viel zu langsam ab, Gary, zwölf Strich sind hundertfünfunddreißig Grad. falls du das vergessen hast! Bist du endlich achtern rund?“ Nach achtern rund schwenkten die Achtertoppen von selbst herum. Die Brassen wurden blitzschnell durchgeholt, der Besan abgefiert. „Rund vorn!“ schrie Smoky, der Decksälteste, dem Profos zu. Carberrys Gesicht war grimmig verzogen. „Wurde auch verdammt Zeit! Die Vorrahen könnten längst gegen den Wind geholt sein!“ Sie wurden schon durch den Wind geholt, wie er feststellen mußte. Und er sah auch, daß die „Isabella“ gehorsam über Steuer ging, als Gary das Ruder immer mehr umlegte. Verdammt, da hatte er ja bald nichts mehr zu sagen. „Das geht alles viel zu langsam!“ schrie er zu Hasards großer Belustigung. „Bring das Schiff doch endlich auf den neuen Bug, Gary, und glotz nicht so dämlich durch die Gegend!“ „Wir steuern schon längst beim Wind!“ brüllte der Rudergänger zurück. „Der weht dir bereits von der anderen Seite um die Ohren, du Stint! Wir sind rund!“ „Und Nagelbank alles klariert“, sagte der Gambianeger Batuti mit grinsendem
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Gesicht. „Braucht Profos nicht groß Maul zu haben!“ „Bei euch muß man doch brüllen, ihr Stockfische! Früher hat das Manöver keine zehn Sekunden gedauert, da wußte jeder genau was er zu tun hatte.“ „Früher bist du ja auch auf einem Einbaum gefahren“, sagte Matt Davies, der einen anerkennenden Blick des Seewolfs aufgefangen hatte. Carberry verzichtete auf eine Antwort. Oh, er war mit diesen Höllenhunden schon zufrieden, die es verstanden, den Segler im Schlaf auf den anderen Bug zu bringen. Aber sollte man den Kerlen das noch erzählen? Die kriegten dann vor lauter Stolz noch größenwahnsinnige Anfälle. Jetzt segelte die „Isabella“ über Backbordbug. Der Wind fiel von der Steuerbordseite ein, und da wurde auch dem Begriffsstutzigsten unter ihnen klar, daß die- „Isabella“ mit Kurs auf den Rio de la Plata segelte. Hasard sah in Gesichter, die heute zum zweitenmal erwartungsvolle Vorfreude ausdrückten. „Wir nachsehen, Hasard, warum Männer fortsegeln?“ fragte Batuti erfreut. Sein abgespreizter Daumen wies auf die Auslegerboote, die sich noch weiter entfernt hatten. „Ja, wir werden nachsehen, Batuti. Es besteht die Möglichkeit, daß wir im Delta auf Spanier stoßen, die sich hier an der Küste breitgemacht haben. Wenn sie es sind, vor denen die Indianer voller Panik flüchten, dann werden wir die Dons ein wenig ärgern.“ Carberry, Ben und ein paar andere, die aus nächster Nähe zugehört hatten, nickten begeistert. Das war wieder mal ganz nach ihrem Geschmack. „Damit uns keine unliebsamen Überraschungen bevorstehen“, ergänzte der Seewolf, „werden wir das Schiff ab sofort in einwandfreien Gefechtszustand versetzen. Muß ich noch mehr sagen?“ Das war wirklich nicht nötig. Noch bevor der ranke Rahsegler auch nur eine Kabellänge weiter war, begann an Deck eine emsige Tätigkeit zu herrschen.
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Die Dons würden die Seewölfe nicht überrumpeln, Hasards Crew lief nicht blindlings einem ungewissen Schicksal entgegen. Da mußte alles stimmen, da war man immer auf der Hut, das hatte die langjährige Erfahrung bitter gelehrt. Vorsichtshalber wurde Sand auf Deck bereitgestellt. Der Kutscher brachte Messingbecken mit glühender Holzkohle aus der Kombüse, Al Conroy inspizierte die Culverinen, legte Lunten bereit und der Moses Bill schleppte Pulver an Deck. Am späten Nachmittag war ihnen immer noch kein einziger Don begegnet, doch dafür sahen sie ein paar. kleinere Nester, in denen Eingeborene hausten. Ein weiteres Kaff schien ausgestorben zu sein, und gerade hier erlebte Hasard die größte Überraschung. Das Kaff bestand nur aus ein paar verlassenen Hütten, niemand ließ sich blicken, alles war still und ruhig. „Wir gehen hier vor Anker“, entschied der Seewolf. „Ein zweites Mal. soll es mir nicht mehr passieren, daß wir auf eine Sandbank laufen, nur weil wir den Fluß und seine Tücken nicht genau kennen.“ Dabei dachte er an die Fahrt im Amazonas, wo tückische Sand- und Schlammbänke der „Isabella“ beinahe zum Verhängnis geworden wären. In einer ruhigen kleinen Bucht fiel der Anker. Hier wollten sie die Nacht abwarten, aber es kam ganz anders. 3. Die „Isabella“ lag noch keine fünf Minuten vor Anker, als am nahen Strand der kleinen Bucht zwei Leute auftauchten, die aufgeregt winkten. Hasard erkannte zu seinem grenzenlosen Erstaunen eine dicke schwarzhaarige Frau und neben ihr einen schlanken, fast dürr zu nennenden Mann, mit magerem Hals und vorgerecktem Schädel. Die beiden liefen zum Wasser und winkten immer wieder. „Die können nur uns meinen“, sagte Hasard verblüfft. „Und wenn mich nicht alles täuscht, sind das Spanier.“
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„Capitan Olmedos!“ rief die fette Frau weinerlich. „Nun holen Sie uns doch endlich! Auf was warten Sie?“ Das waren spanische Laute. Hasard blieb nicht einmal die Zeit, sich zu wundern. „Die verwechseln uns“, sagte Ben, „die halten uns für einen verdammten Don!“ „Demnach erwarten sie hier also ein Schiff“, erwiderte Hasard. Ein hartes Lächeln lag auf seinen Lippen. Auf Spanisch rief er zurück, daß er gleich mit dem Beiboot an Land kommen würde. Daraufhin schien die dicke Vettel sich etwas zu beruhigen, aber ihre Antwort klang immer noch reichlich ungnädig. In Hasard reifte zwar noch kein Plan, aber so langsam dämmerte ihm etwas, woraus sie vielleicht Nutzen ziehen könnten, wenn sie geschickt vorgingen. Er ließ das Beiboot abfieren und grinste belustigt. Immer wieder sah zu den beiden Gestalten am Strand hin, die eine tiefe Unruhe erfaßt hatte. Beide rannten nervös auf und ab und sahen sich auch immer wieder nach allen Seiten um. „Ab sofort möchte ich kein einziges englisches Wort mehr hören“, befahl Hasard. „Diejenigen, die hellhaarig sind, verziehen sich für eine Weile, ganz besonders Stenmark“, setzte er hinzu. „Dan wird mich begleiten. Los, Dan!“ Die beiden Männer stiegen in das abgefierte Beiboot. Hasard ließ Dan O’Flynn rudern, er rührte keine Hand, wie es sich für einen spanischen Kapitän gehörte. „Kapitän Olmedas“, sagte Dan grinsend ganz leise. „Hört sich ganz gut an.“ „Olmedos“, verbesserte der Seewolf trocken. „Du solltest deine Ohren so schärfen wie deine Augen, Dan!“ „Si, Senor Capitan!“ antwortete Dan gehorsam. Das Boot lief knirschend auf den Sand, so weit, daß man kaum ins Wasser springen mußte und Hasards Stiefel nicht viel weiter als bis zu den Sohlen feucht wurden. Er grüßte und sah zuerst die Frau an. Sie war nicht nur fett, sie war ein wandelnder Fleischkloß mit einem dicken, teigigen Gesicht, fetten Oberarmen und
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elefantenähnlichen Säulenbeinen. Ihre ringgeschmückten fetten Finger, die Hasard an eine überfette Wurst erinnerten, kneteten unruhig die dunkle Stola, die sie um die Schultern trug. Ihr breiter Mund war greinend verzerrt, und ihre Augen blickten Hasard wäßrig an. Der Mann an ihrer Seite hingegen erinnerte Hasard an einen Geier. Das lag nicht nur an seiner vorspringenden Hakennase, sondern hauptsächlich an seinem kalten Blick und dem mageren Hals, auf dem ein kantiger Schädel saß. Sein kalter Blick war stechend, auf seiner Oberlippe saß ein bleistiftdünner scharf ausrasierter Schnurrbart. Der Mann trug einen dunklen Umhang, eine Art Cape, unter der sich seine magere Gestalt abzeichnete. Weder Hasard noch Dan waren in der Lage, die beiden einzuordnen. Sie wirkten anachronistisch an diesem hellen Strand. „Senor Olmedos“, sagte die dicke Frau klagend. Ihre fette Hand griff nach Hasards Arm und drückte ihn leicht. „Weshalb haben Sie uns solange warten lassen? Wir warten schon fast zwei Tage auf die ,Isabella’. Don Sandoval hat gesagt, Sie würden schon vorgestern hier vorbeikommen.“ Hasard sah sich von einem Extrem ins andere gestürzt. Er fragte sich immer wieder, was die beiden hier taten, hier in diesem öden verlassenen Nest. Daß sie ihn nicht persönlich kannten, war ihm klar, sonst hätte es niemals Mißverständnisse gegeben. Aber er als Kapitän Olmedos mußte zumindest ihre Namen kennen, und daher würde das- Ding auch gleich zwangsläufig platzen. „Nun, wir wurden aufgehalten“, sagte er zu der Dicken und lächelte verbindlich, obwohl er die Frau nicht ausstehen konnte. Der Geierhals neben ihr hatte immer noch kein Wort gesprochen. Jetzt tat er es, und in seiner Stimme war ein überheblicher Ton, der dem Seewolf durch Mark und Bein ging. „Dann beeilen Sie sich gefälligst, Capitan“, schnarrte er von oben herab. „Ich bin es nicht gewohnt, daß man mich warten läßt. Sie sind doch hoffentlich unterrichtet!“
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Entweder platzt es jetzt oder nicht, dachte Hasard. „Tut mir leid, Senor“, erwiderte er kühl. „Ich bin zwar davon unterrichtet, daß ich hier zwei Personen an Bord nehmen soll, aber man hat mir nicht einmal gesagt, wer Sie sind. Wir wurden durch einen Engländer aufgehalten, und da ging alles drunter und drüber.“ Das Ding platzte immer noch nicht, dachte Hasard entgeistert. Es schien aus einem Sud von Zufällen zu bestehen oder einer Verkettung widriger Umstände. „Das dachte ich mir“, ereiferte sich der Dürre arrogant. „Don Sandoval paßt es wohl nicht, daß ich soviel Silber zusammengetragen habe. Er versteht es eben nicht, sich dieses Volk gefügig zu machen. Alles für die Krone, mein Lieber, alles für seine Majestät, und dabei wird wohl auch ein wenig Ruhm auf mich fallen.“ „Wieviel Silber ist es denn?“ fragte Hasard. In seinem Kopf jagten sich die Gedanken in einem kunterbunten Reigen. „Fast drei Tonnen, Senor Olmedos.“ Stolz klang aus den Worten, aber den Seewolf widerte es nur an. Er konnte sich schon denken, auf welch ehrenvolle Art dieser Kerl das Silber zusammengetragen hatte. Da gab es nur eine einzige Möglichkeit. „Und wer sind Sie nun wirklich?“ fragte Hasard. „Ich bin der Alkalde von Santa Lucia, wenn Sie das gütigst zur Kenntnis nehmen würden. Don Melgarejo - meine Frau!“ „Und ich soll Sie nach - äh ...“ „Nach Colonia del Sacramento sollen Sie uns bringen. Ja, per todos los Santos“, ereiferte sich der Alkalde. „Sie scheinen ja durch und durch unwissend zu sein, Olmedos!“ Den Senor ließ er diesmal schon weg, dachte Hasard belustigt. „Und außerdem“, wandte Melgarejo noch ein, „dieses Schiff unterscheidet sich ja geradezu beängstigend von unseren anderen Galeonen. Was hat die Zahl acht zu bedeuten?“
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„Ein Neubau“, erklärte Hasard trocken. Er nahm sich vor, diesem Burschen das Fell gründlich über die Ohren zu ziehen, einschließlich seiner fetten Alten, die den Seewolf aus ihren wäßrigen Augen unverwandt anstarrte. „Lassen Sie jetzt das Silber an Bord nehmen“, befahl der Alkalde, „wir wollen schließlich nicht ewig hier stehen. Ich fiebere dem Augenblick entgegen, da es zurück nach Spanien geht.“ „Ah, Sie sind abgelöst worden, Don Melgarejo“, sagte Hasard höflich. „Natürlich bin ich abgelöst worden. Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wo das Zeug liegt. Es wurde hier am Strand in Barren gegossen. Es hängt viel Blut daran.“ „Richtig, richtig“, sagte Hasard unbekümmert und lachte. „Das Volk will geknechtet werden. Ich hoffe, Sie sind nicht zu nachsichtig mit diesen Indianern umgesprungen.“ „Widerliche Leute!“ Der Alkalde spuckte in den Sand. „Sie wollten sich nicht taufen lassen, und jetzt sind sie vor ein paar Tagen heimlich verschwunden. Bei Nacht und Nebel! Na. es gibt ja ohnehin in dieser Ecke nichts mehr zu holen.“ Donnerwetter, dachte Hasard, da habe ich ja einen. ganz dicken Fisch an der Angel, einen miesen kleinen Don, dem es sicher ein Vergnügen bereitet hat, die Indianer nahezu auszurotten, oder sie zumindest von ihren angestammten Plätzen zu vertreiben, nachdem man sie restlos ausgeplündert und geknechtet hatte. Melgarejo führte ihn zwischen leerstehenden kleinen Blätterhütten hindurch ein paar hundert Yards weiter. Dort blieb er stehen und deutete auf einen riesigen Stapel Silberbarren, die säuberlich aufgeschichtet waren. „Das ist es“, sagte er stolz. „Vorgestern sind auch die letzten Soldaten abgezogen, und wir beide waren ganz allein. Beordern Sie jetzt Ihre Leute hierher!“ Hasards eiserne Beherrschung ließ es nicht zu, daß er lachte. Am liebsten hätte er vor Lachen gebrüllt, schon aus dem einfachen Grund, weil dieser abgetakelte Alkalde
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ihm, El Lobo del Mar, drei Tonnen Silber anvertraute. Wenn der Alkalde wüßte, wen er vor sich hatte, würde er tot umfallen, dachte Hasard. Zusammen kehrten sie zurück. Hasard ließ Dan am Strand zurück und holte seine Leute. In kurzen Zügen erklärte er ihnen, was hier vorgefallen war. Die Seewölfe bogen sich. Sie beherrschten sich nur sehr mühsam und hätten am liebsten ebenfalls brüllend gelacht. Hasard gab ihnen noch ein paar Instruktionen und beriet sich in aller Eile mit seinem Stellvertreter Ben Brighton und Old Shane. „Spätestens wenn sie bei uns an Bord sind, werden sie merken, daß hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht“, warnte Big Old Shane. Aber Hasard winkte ab. „Keine Sorge, ich habe bereits einen Plan entwickelt. Die werden vorerst nicht merken, daß wir Engländer sind. Los jetzt, das zweite Boot zu Wasser und dann das Silber gestaut.“ Hasard nahm nur die mit, die einwandfrei Spanisch sprachen. Maul halten, war seine Devise, so wenig wie möglich reden. Und es sollte sich gefälligst niemand wundern. Wenn sie wirklich nach Colonia del Sacramento segelten, überlegte der Seewolf, dann setzte er sich auf eine glühende Herdplatte. Anscheinend gab es noch eine „Isabella“, die hier erwartet wurde, und vermutlich lagen in Sacramento weitere Spanier, die Konvois zusammenstellten, um das geraubte Silber nach Spanien zu bringen. Es reizte ihn ungemein, sich zwischen diesen Leuten zu bewegen, immer der Gefahr ausgesetzt, entdeckt zu werden. Das Risiko war sehr groß, gewiß, aber El Lobo del Mar ging keinem Risiko aus dem Weg. Er hätte diese drei Tonnen Silber an Bord nehmen, sich höhnisch von den beiden Leutchen verabschieden und verschwinden können, doch das erschien ihm zu simpel. Wenn die Dons schon eine Schlappe erlitten, dann sollten sie auch eine Weile daran denken und sich gegenseitig die Knochen abfluchen.
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Der Alkalde erwartete sie bereits ungeduldig. Nervös trat er von einem Bein auf das andere. „Geht es denn nicht schneller, Olmedos !“ quengelte er. „Meine Frau ist außer sich, daß wir so lange warten mußten.“ „Wir fangen schon an“, sagte Hasard. „Ihre Gattin kann inzwischen ja schon an Bord gehen.“ Die Dicke blitzte den Seewolf empört an. „Allein an Bord?“ japste sie. „Ich soll allein unter all den dreckigen Leuten bleiben? Das können Sie nicht verlangen, Capitan. Ich bin eine Dame!“ So siehst du auch gerade aus, dachte Hasard. Die „dreckigen Leute“ stießen ihm sauer auf. Was bildete sich diese fette schwitzende alte Vettel eigentlich ein! Das Silber wurde in die Beiboote gestaut und an Bord gebracht, wo es in dem vorderen Laderaum verschwand. Zum Glück sah der Alkalde nicht das hinterhältige Grinsen der Seewölfe, die sich insgeheim halbtot lachten. Hasard ließ sich unterdessen von dem Alkalden berichten, und er horchte ihn geschickt aus. Der Kerl merkte nicht, daß er regelrecht verhört wurde. Demnach ergab sich für den Seewolf ein Bild, das ihm die Haare zu Berge stehen ließ. Unlängst hatte in dieser Küstenregion ein Stamm der Charrua-Indianer gewohnt, friedliche Leute, die ihrem Kult nachgingen, und ihr Leben selbst gestalteten. Seit die Spanier diesen Landstrich nach bewährter Manier überfallen hatten, begann für die friedlichen Charrua die Hölle auf Erden. Der Strand war silberhaltig, ab und zu wurde auch Gold gefunden. Der Alkalde Melgarejo und eine Handvoll spanischer Soldaten hatten die Charrua zur Zwangsarbeit gepreßt. Jeder wurde verpflichtet, täglich eine Kumme Silber abzuliefern, das am Strand geschmolzen und in Barren gegossen wurde. Wer nicht ablieferte, wurde ausgepeitscht, eingesperrt oder kurzerhand aufgehängt, um die anderen abzuschrecken. Die Charrua schufteten, ihr Leben gestaltete sich völlig
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anders. Sie taten nichts anderes mehr, als nur noch nach Silber zu suchen und an die hungrigen Spanier abzuliefern, die immer mehr verlangten. Melgarejo formte sie zu reinen Arbeitssklaven um. Das einzige Recht, das sie noch hatten, war das Recht auf Arbeit. und so blieb es nicht aus, daß die verzweifelten Charrua sich gegen ihre Peiniger wandten. Sie rebellierten, doch das half ihnen wenig. Der Alkalde griff hart durch. „Stellen Sie sich vor, was diese Bestien taten“, ereiferte er sich. „Ab und zu fanden wir einen unserer Leute irgendwo versteckt zwischen Büschen oder in der Bucht treibend. Diese Wilden haben ihnen glühendes Silber in den Mund gegossen. Es muß ein schrecklicher Tod gewesen sein. Sie sagen ja gar nichts, Olmedos!“ Hasard wurden schlagartig die Zusammenhänge klar. Jetzt wußte er, wie der Teniente ums Leben gekommen war. Schwere Verbrennungen hatte der Kutscher gesagt. So schwer es ihm auch fiel, und so wenig er den Teniente bedauerte, er mußte die Form wahren. „Das ist ja die Höhe“, sagte er mit gespielter Empörung. „Davon habe ich noch gar nichts gewußt. Sind die Kerle aus diesem Grund geflüchtet?“ „Natürlich, sie fürchten unsere Rache, die auch nicht lange auf sich warten lassen wird. Ganze Dörfer befinden sich auf der Flucht. Die Kerle packen ihre Boote und verschwinden. Außerdem scheint es sich an diesem Küstenstrich herumgesprochen zu haben. Kaum betreten unsere Leute eins dieser üblen Nester, schon finden sie es leer vor, weil die Burschen Wind gekriegt haben und verschwunden sind.“ Wer kann ihnen das verübeln, dachte Hasard. Wer ließ sich von den Dons schon gern zur Zwangsarbeit pressen? Die stolzen Charrua-Indianer wollten die weißen Eindringlinge nicht, sie verabscheuten ihre Gewalt, die sie durch die ganzen Länder trugen. Sie haßten den blutigen Terror, die Knute der Spanier.
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Jetzt wurde dieser widerliche Alkalde abgelöst, weil er seine Pflicht erfüllt hatte. Ein neuer war schon da, dazu ausersehen, das nächste Nest der Eingeborenen zu plündern und Tod und Vernichtung über sie zu bringen. Silberbarren um Silberbarren verschwand in den Beibooten. Hasards Männer arbeiteten schnell, eilig und ohne ein Wort zu verlieren. „Sie haben keinen einzigen Seesoldaten an Bord“, sagte der Alkalde plötzlich und runzelte die Stirn. „Sehr merkwürdig, zumal doch heutzutage ...“ „Wir fahren im Auftrag der Krone“, fiel Hasard ihm ins Wort, „aber als Handelsfahrer und nicht als Kriegsschiff. Aus dem Grund haben wir auch keine Soldaten an Bord.“ Schluckt der Kerl das? überlegte der Seewolf. Er schluckte es, wenn auch widerwillig. „Aber ich dachte, die ‚Isabella’ hätte Seesoldaten. Oder ist sie wirklich kein Kriegsschiff?“ „Sie kann jederzeit eins werden“, sagte Hasard doppeldeutig. Diese fremde „Isabella“, die hier erwartet wurde, war dem Seewolf ein Dorn im Auge. Wenn in der Richtung bald etwas geschah, würde die Angelegenheit wie eine Seifenblase platzen. Fieberhaft überlegte er, dann hatte er eine Idee. Dicht hinter sich wußten sie den schwarzen Segler, „Eiliger Drache über den Wassern“, wie das Schiff hieß. Hasard konnte vorschützen, bei Nacht auf dem unbekannten Strom nicht segeln zu können. Wartete er die Nacht ab, dann war es so gut wie sicher, daß „Eiliger Drache“, im Delta eintraf. Er mußte die Rote Korsarin und den Wikinger unbedingt erreichen. Mit der nächsten Silberladung fuhr er selbst an Bord. Der Alkalde und seine dicke Vettel überwachten immer noch den Abtransport, aus Angst, einer könnte vielleicht einen Barren klauen. Hasard ging zu Ben Brighton. „Hier wird im Lauf des Tages eine Galeone mit dem
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Namen ‚Isabella’ erwartet, Ben. Ich erkläre dir alles später. Du bestimmst später einen Mann, der bei Dunkelheit ein Stück den Rio hinabsegelt und auf den schwarzen Segler wartet. Notfalls soll er bis morgen früh warten, dann ist Siri-Tong ganz sicher hier. Sie waren ja nur ein paar Stunden hinter uns.“ „Und was sollen wir ihr ausrichten?“ „Sie soll hier im Hinterhalt auf die andere ‚Isabella’ lauern, das Schiff sofort angreifen und versenken, notfalls mit einem ganzen Armvoll Brandsätze. Sie selbst soll dann hier auf uns warten.“ „Mann“, stöhnte Ben entgeistert. „Da hast du dir aber einen gewaltigen Brocken vorgenommen. Was ist, wenn die Rote Korsarin nicht vorbeisegelt, wenn sie durch etwas aufgehalten wurde?“ „Dann stecken wir in der Höhle des Löwen und werden vermutlich von ihm gefressen“, erwiderte Hasard ungerührt. „Diese andere ,Isabella’ kann uns alles vermasseln, wenn Siri-Tong sie nicht ausschaltet.“ „Ein tollkühner Plan“, murmelte Ben begeistert. „Leider hat er viele schwache Stellen.“ Er sah den Seewolf unbekümmert lächeln. Wie ein großer Junge, der gerade etwas ausheckt, dachte er. „Wir dürfen natürlich nicht zu leichtsinnig sein“, sagte Hasard. „Ich will auch nicht unnötig unser aller Leben aufs Spiel setzen, aber diesen Feldzug sind wir den Dons ganz einfach schuldig. Vergiß nicht, das wir das Überraschungsmoment auf unserer Seite haben. Die erwartete ‚Isabella’ scheint in Sacramento nicht sonderlich bekannt zu sein. Ich werde dem Alkalden noch ein wenig auf den Zahn fühlen, dann weiß ich es genau. Ich nehme an, irgendein anderes Schiff hat die Nachricht verbreitet, das hoffentlich schon wieder abgesegelt ist.“ „Hoffentlich“, sagte Ben Brighton. Er rieb sich grinsend die Hände und deutete mit dem Kopf auf die beiden Spanier. „Soll ich meine Kammer räumen? Du willst sie doch mit an Bord nehmen, oder?“
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„Natürlich! Das stärkt das Vertrauen unserer Gegner. Zuerst hatte ich vor, das Silber zu nehmen, und die beiden am Strand zurückzulassen. Jetzt erscheint mir das zu einfach. Warum nur drei Tonnen, wenn wir noch mehr kriegen können?“ „Du kannst dich auf mich verlassen, Hasard“, versprach Ben. „Das weiß ich, ich kann mich auf jeden hier an Bord verlassen, deshalb können wir einen solchen Raid auch in Betracht ziehen.“ Er kehrte wieder zurück. Die drei Tonnen Silber in Barren waren zusammengeschmolzen, nur ein kleiner Rest war noch übrig, und auch der schmolz immer mehr zusammen. „Ich habe bereits veranlaßt, daß man Ihnen und Ihrer Gattin die Gästekammer zuweist, Don Melgarejo“, sagte Hasard liebenswürdig. „Wir segeln dann morgen früh weiter nach Sacramento. Ich denke, das ist auch in ihrem Sinne!“ „Nun ja, mein Lieber, schließlich haben wir auch noch persönliche Habe in Sacramento, dieses Kaff war ja mehr oder minder nur ein primitiver Notbehelf, aber wir freuen uns auf ein richtiges Bett, ein gutes Essen und eine Flasche Wein, den Sie doch hoffentlich an Bord haben werden!“ „Selbstverständlich, Don Melgarejo. Bitte, kommen Sie, nicht mehr lange, und es wird dunkel!“ „Noch eins“, sagte der Alkalde und beugte sich etwas vor, wobei sein dünner Hals deutlich sichtbar wurde. „Meine Frau liebt es nun einmal nicht, von diesem stinkenden Schiffsvolk belästigt zu werden. Halten Sie ihr diesen Pöbel möglichst vom Leib. Sie als Capitan sind da natürlich eine Ausnahme, eine rühmliche sozusagen.“ Er klopfte Hasard gönnerhaft auf die Schultern und grinste. „Immer Abstand wahren, Capitan. Wir werden den Kerlen schon auf die schmutzigen Finger schauen, damit sie mich und meine Gattin auch unbeschadet nach Sacramento bringen.“ Hasard spielte mit, wohl oder übel. Am liebsten hätte er den Don und seine
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eingebildete Vettel oben an der Rahnock mitsegeln lassen, mit einem soliden Strick um den Hals. Da oben gehörten die beiden seiner Ansicht nach nämlich hin. Die Dicke mühte sich verzweifelt ab, an Bord zu gelangen. Daß ihr dabei jemand aus der Crew half, ließ sie nicht zu. Daher blieb ihrem dürren Gatten nichts anderes übrig, als sich ins Boot zu stemmen, um mit beiden Händen den dicken Hintern der Lady schweratmend hochzuwuchten. Mittlerweile hatte sich auf der „Isabella“ längst herumgesprochen, was für ein Monster da an Bord stieg. Dona Melgarejo blieb schnaufend auf den Planken stehen, ihr wabbeliger Busen befand sich in hellem Aufruhr, ihre Hängebacken schwabbelten, und ihr kleiner dicker Mund rang nach Luft. Luke Morgan stieß Matt Davies an, zeigte auf den überdimensionalen Busen der Dicken und sagte grinsend: „Die kann froh sein, daß wir nicht in England sind.“ „Verstehe ich nicht“, erwiderte Matt. „Na, in England ist um diese Jahreszeit doch immer Bodenfrost. Wenn die sich abends auszieht, erfrieren ihre Miezen.“ Davies grinste von einem Ohr zum anderen. Aber auch die anderen lie3en an der Dona kein gutes Haar. „Seht euch diese Seekuh nur mal aus der Nähe an“, raunte Bob Grey. „Die wiegt doch ausgeschlachtet schon drei Zentner.“ „Das wäre was für den Profos“, sägte Gary Andrews, „der stemmt doch immer so gern dicke Weiber!“ Carberry, der plötzlich hinter ihm stand, griff zu, packte Gary am Hals und drückte ein bißchen. „Du kalfaterter Affenarsch glaubst wohl, ich leide an Geschmacksverirrung, was, wie?“ sagte er drohend. „Nicht für eine ganze Schiffsladung Gold würde ich mit der auch nur eine halbe Stunde lang ins Bett gehen.“ Old O’Flynn schlich zu den anderen, die sich in der Kuhl versammelt hatten. Sein Gesicht wirkte noch zerknitterter als sonst. „Wie kann Hasard nur so einen Walfisch an Bord nehmen“, knurrte er. „Die Dicke braucht man doch höchstens, um das Schiff
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zu krängen. Wenn die von back- nach steuerbord wandert, saufen wir alle ab. Ich habe in Afrika mal einen Elefantenarsch gesehen, aber Jungs ich sage euch, das war der reinste Kinderpopo gegen den Achtersteven der Dicken. Diese auf geblasene Kuh bringt uns nur Ärger, das sagt euch Old O’Flynn.“ Verdrossen schlich er aufs Vorschiff zurück. Hasard jedoch mußte das Spielchen weiter spielen, auch wenn es ihn anwiderte, aber um den Dons Schwierigkeiten zu bereiten, war ihm jedes Mittel recht. Er hatte die beiden in die Kapitänskammer eingeladen, nicht ohne vorher alles abzuräumen, was irgendwie verdächtig war. Jetzt hockten die beiden vor einem Essen, das der Kutscher zubereitet hatte, und schmatzten. Sogar eine Gaspacho-Suppe hatte der Kutscher gekocht, aber wohlweislich verschwiegen, daß er vorher voller Verachtung hineingespuckt hatte, weil die Dicke ihn so ekelhaft behandelt hatte. Schade, daß er ihr das nicht sagen konnte. Zu dem Essen soffen sie Hasards spanischen Wein. Was oben an Deck vorging, merkten sie jedoch nicht, sie fraßen und soffen wie zwei ausgewachsene Ferkel, und immer wieder lief der Dicken süßer Rotwein über eins ihrer drei Kinne. Dem Seewolf selbst war der Appetit vergangen. Nur der Appetit auf spanisches Silber blieb, den wurde er nicht los. 4. Nacht auf dem Rio de la Plata. Der Mond leuchtete silbrig auf das ruhig dahinfließende Wasser. Der Strom ähnelte einem gigantischen Fluß aus purem Silber, der sich kaum bewegte. Ben Brighton ließ das Boot treiben. Er hatte Ferris Tucker mitgenommen; den rothaarigen Schiffszimmermann, vor dessen Füßen auf der Gräting die riesige scharfgeschliffene Axt lag.
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„Hoffentlich sind sie nicht schon am Delta vorbeigesegelt“, sagte Tucker besorgt, doch Ben winkte ab. „Keine Sorge, Ferris, sie sind längst da und warten. Es war mit der Korsarin verabredet, nicht über das Delta hinauszusegeln. Also werden sie auf uns warten und irgendwo vor Anker gegangen sein. Siri-Tong hält sich immer daran, genau wie wir uns auch daran halten, obwohl wir in den Rio gesegelt sind. Sie wird sogar annehmen, daß wir hier stecken.“ Tucker schwieg. Die Sache mit den Spaniern bedrückte ihn insgeheim. Nicht daß er Angst hatte, aber er fürchtete, daß dieser Raid wohl doch etwas zu groß war. Andererseits mußte er sich eingestehen, daß sie schon oft als Wölfe im Schafspelz die Spanier überrascht hatten. Nur lagen die Umstände hier ein wenig anders. Dicht am Ufer glitt das Boot dahin. Wenn „Eiliger Drache“ in das Delta gesegelt war, dann konnte er nur am linken Flußufer liegen, das war eine logische Angelegenheit, denn sonst hätte er den Strom überqueren müssen. „Dort liegt er“, sagte Ben zwanzig Minuten später. „Es ist unverkennbar ,Eiliger Drache über den Wassern’. Zum Teufel mit deiner Skepsis, Ferris!“ „Oh, ich bin nur erleichtert“, sagte Tucker und grinste. Im Mondlicht sahen sie deutlich, wie sich zwei Musketenläufe über das Schanzkleid schoben und auf das Boot zielten, ohne daß man einen von der Crew sah. „Wer da?“ rief eine Stimme, die nur dem Boston-Mann gehören konnte. „Brighton und Tucker“, erwiderte Ben. „Ihr könnt eure Schießprügel wegstecken.“ „Ah, dann seid ihr also ganz in der Nähe. Enter auf !“ Das Tau flog hinüber zu dem schwarzen Segler, der wie ein dunkles geducktes Tier dalag. Die schweren schwarzen Segel hingen im Gei, am Heck brannte eine Laterne. Als die beiden Männer an Deck standen, wurde es augenblicklich lebendig um sie herum. Von überall her erschienen
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Männer. Missjöh Buveur war wieder einmal voll wie der Atlantik, dachte Ben. Der Kerl roch zehn Meilen gegen den Westwind nach Fusel und grinste blöde vor sich hin. „Seid – seid ihr nicht vvvon de ,Ischabel?“ nuschelte er. Eine rauhe große Faust packte ihn am Kragen, hob den ewig betrunkenen Franzosen hoch und stellte ihn ziemlich unsanft etwas weiter auf die Planken zurück. Die Faust gehörte dem Wikinger Thorfin Njal, und Ben glaubte, daß Missjöh Buveur jetzt eigentlich bis am Hals in den Planken stecken mußte, so hart hatte der Wikinger ihn hingestaucht. „Ewig besoffen, dieser Kerl“, sagte Thorfin nach der Begrüßung. „Ewig besoffen“, stellte auch der Stör fest, einer aus des Wikingers Gefolge mit einem unsagbar langen Gesicht, den alle nur Stör nannten, und der die liebenswerte Eigenschaft hatte, Thorfins letzten Satz stur nachzuplappern. Auch die Rote Korsarin erschien an Deck, der Lärm hatte sie aus der Kammer gelockt. „Hasard schickt uns“, sagte Ben. „Wir haben ...“ Sie unterbrach ihn zornig mit einer Handbewegung. Ihre kohlschwarzen, schräggestellten Augen sprühten Blitze. „Was denkt der Mister Seewolf sich eigentlich?“ fauchte sie temperamentvoll. „Er segelt in den la Plata, ohne sich um uns zu kümmern! Ist das etwa die feine englische Art? Unser Kurs geht an der Küste entlang und nicht in den la Plata, Mister Brighton! Richten Sie das Ihrem Kapitän aus! Viel hätte nicht gefehlt, und wir wären weitergesegelt.“ Ben war es leider nicht gegeben, das Temperament der Roten Korsarin mit einem kühlen Satz zu zügeln, und so knetete er verlegen an seinen Händen herum. „Tut mir leid, Madam“, sagte er. „Es haben sich Umstände ergeben, die uns zwangen in den Fluß zu segeln.“
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Er gab eine kurze Schilderung von dem, was passiert war. Als er geendet hatte, waren die kohlschwarzen Augen der Korsarin noch schmäler geworden. „Ich hoffe, daß diese Frau häßlich ist“, sagte sie leidenschaftlich, „ich hoffe es sehr für Mister Killigrew.“ „Oh, Madam, sie ist ein Ausbund an Häßlichkeit“, erklärte Ben. „Außerdem ist sie fett und schwabbelig. Sie ist so dick, daß sie nicht einmal von Back- nach Steuerbord gehen muß, denn sie ist überall gleichzeitig.“ Er hörte ihr herzliches Lachen und grinste mit. Ferris Tucker stimmte ebenfalls ein rauhes Lachen an. „Madam, Luke Morgan sagte, sie hätte Glück, die dicke Lady. Weil, er meinte, wenn es hier - äh - Bodenfrost geben würde, dann - äh - nun, ihre Brüste würden dann - äh ...“ Tucker wandte sich verlegen ab. Verdammt, weshalb habe ich denn bloß mein Maul nicht halten können, dachte er ärgerlich. Und dann hatte er diese Formulierung so schlecht herausgebracht, daß sich alle krank lachten. Er sah nicht, wie Siri-Tong sich erheitert wegdrehte, er hörte nur das brüllende Gelächter der rauhen Kerle, die sich köstlich amüsierten und sich auf die Schenkel hieben, daß es klatschte. Nachdem das tosende Gelächter sich gelegt hatte, berichtete Ben Brighton weiter. Die Korsarin und der Wikinger hörten stumm zu. Nur ab und zu fiel mal ein dämliches Wort von einem der Kerle, die die Ohren aufsperrten, damit ihnen nichts entging. Und ganz im Hintergrund stand Missjöh Buveur wie festgenagelt auf den Planken, nur sein Oberkörper schwankte leicht hin und her. Die Stimmung der Roten Korsarin war schlagartig umgesprungen. Sie hatte einen fast verträumten Blick und sah unglaublich reizvoll aus in ihrer roten Bluse und den blauen Leinenhosen. Gegen den silbrigen
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Nachthimmel sah ihre Silhouette zerbrechlich aus wie Glas. Ben spürte den exotischen Zauber, der von dieser schlanken, grazilen Frau ausging, ungemein stark. Himmel, warum konnte er nicht der Seewolf sein, der diese Kratzbürste zähmte, dieses unerschrockene wilde Mädchen, das einmal so stürmisch und unnachgiebig war und dann wieder verträumt und liebreizend. Kein Wunder, daß jeder Kerl Stielaugen kriegte, wenn er sie nur von weitem sah. Sie konnte alle Lockungen dieser Welt versprechen, aber sie konnte genauso eiskalt sein und einen Kerl an der nächsten Rah aufhängen lassen, wenn das Temperament mit ihr durchging. „Ein merkwürdiger Zufall“, sagte sie leise. „Hier hätte ich niemals an eine Unterbrechung der Fahrt geglaubt. Sagen Sie Mister Killigrew meine herzlichen Grüße, und richten Sie ihm aus, daß ich ihm die Sorge um die andere ‚Isabella’ gern abnehmen werde. Sie wird nicht in den La Plata segeln, das verspreche ich.“ „Vielen Dank, Madam. Hasard meinte allerdings, es wäre besser, Sie würden das Schiff mit Brandsätzen angreifen, weil sich der Kanonendonner auf dem breiten Fluß sehr weit fortpflanzt. Dann könnten die Dons mißtrauisch werden, und wir sitzen übergangslos in der Falle.“ Ihr Lächeln, das sie dem ersten Offizier schenkte, war- so voller Rätsel wie das Land, aus dem sie stammte. Ben schluckte unbewußt. „Ich kann es mir nicht erlauben, daß der Seewolf in die Falle läuft“, sagte sie, „deshalb werden wir die Brandsätze nehmen. Im übrigen warten wir hier seine Rückkehr aus Sacramento ab.“ „Das wird ihn freuen“, sagte Ben. Er ahnte nicht, daß sie längst mit dem Gedanken spielte, dem Seewolf nachzusegeln, sobald die Geschichte mit der anderen „Isabella“ erst einmal bereinigt war. Brighton und Tucker hatten ihre Mission erfüllt. Zwischen dem schwarzen Segler und der „Isabella“ war damit alles geregelt. Jeder kannte seine künftige Aufgabe und
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wußte, daß es für den anderen nicht leicht werden würde. Siri-Tong stand der Kampf mit der spanischen Galeone bevor, dem Seewolf drohte der Löwe im eigenen Bau, in den er sich begeben würde. Brighton und Tucker wurden noch auf ein Glas Wein eingeladen und besprachen nähere Einzelheiten mit Siri-Tong und Thorfin Njal, dem Wikinger. Eine Stunde später stiegen sie in das Beiboot und nutzten den Wind, um den Strom auszusegeln. Als sie bei der „Isabella“ anlegten, befanden sich nur noch die Deckswachen an Bord, Carberry und Dan. Der Seewolf war auch noch wach. Die beiden Fremden schliefen. Carberry hörte es deutlich, und er faßte es auch in Worte. „Nicht nur, daß sie wie eine fette Seekuh aussieht“, sagte er, „sie schnarcht auch genauso, die alte Vettel. Mann, der möchte ich mal die Haut in Streifen von ihrem Elefantenarsch abziehen. Da könnte Will dann neue Sturmsegel draus nähen. Die würden für eine ganze Flotte reichen.“ Ben Brighton erstattete dem Seewolf leise Bericht. Anschließend gingen die Männer unter Deck. 5. „Anker auf!“ hallte der Ruf über das Deck der „Isabella“. Am Ankerspill legten sich sechs Männer in die Spaken. Das Spill knarrte und ächzte, das nasse Ankertau kam langsam nach oben. „Setz die spanische Flagge, Bill“, sagte Hasard zu dem Schiffsjungen, der ihn verdutzt anstarrte. „Die spanische, Sir?“ fragte der Junge zurück. „Sind wir etwa nicht die spanische ‚Isabella’?“ antwortete der Seewolf mit einer Gegenfrage. „Und daß dir ja kein Wort Englisch über die Lippen rutscht, Bill! Verstanden?“ „Aye, aye, Sir! Si, si, Senor!“ „So ist es schon besser.“
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Der Tag versprach höllische Überraschungen zu bringen, überlegte Hasard. Sie mußten ständig auf der Hut sein, unheimlich aufpassen, sich jedes Wort dreimal überlegen, bevor sie es aussprachen. Zur Sicherheit nahm er noch einmal den Profos beiseite. „Ed, du unterläßt ab sofort das Fluchen, und wenn es gar nicht anders geht, dann fluche Spanisch. Hämmer dir das in deinen Schädel, Profos. Trichter es auch den anderen noch einmal ein!“ Carberry nickte wehleidig. Er sah aus, als hätte ihn jemand zutiefst gekränkt. „Todos los Santos“, fluchte er leise, „puta madre!“ „Bist du wahnsinnig, Ed? Wenn die Dicke den Fluch hört, fällt sie tot um. Laß es ganz bleiben!“ Carberry prüfte den Wind. Gut, das war das einzige, was noch an Bord stimmte. Er wehte so, daß sie, ohne zu kreuzen, den La Plata hinaufsegeln konnten. Er wollte noch etwas sagen, doch in diesem Augenblick öffnete sich das Schott der achteren Kammer, und die Dicke erschien. Ihr Gesicht war ungnädig verzogen, und ihre zerzausten Haare hingen unordentlich herab. Sie trug ein Nachtgewand, das dem abgebrühten Profos fast die Stiefel auszog. Jetzt wirkte sie noch dicker als am Vortag. Wie ein Faß, dessen Dauben gerade platzten, entschied Carberry. „Capitan!“ greinte sie, daß es dem Seewolf durch Mark und Bein ging. „Wo bleibt das Frühstück? Ihr Koch soll es in die Kammer bringen, aber sagen Sie ihm, er soll sich vorher gründlich die Hände waschen, sehr gründlich. Und er soll nicht hereinkommen, sondern es vor der Kammer absetzen. Die Eier bitte ganz weich, Senor!“ „Sag’s dem Koch!“ rief der Seewolf Carberry zu, als der Kopf der dicken Vettel verschwand, Der Profos marschierte wutschnaubend nach vorn, riß das Schott auf und starrte den Kutscher an, der verpennt am Herd lehnte.
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„Wo bleibt das Frühstück, du Affenarsch?“ flötete er und ahmte grotesk die greinende Stimme der Dicken nach. „Und die Eier bitte ganz weich und vergiß nicht, dir die Hände zu waschen, aber sehr gründlich bitte, Senor Koch!“ Der Kutscher starrte ihn an, schüttelte den Kopf und tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. „Du bist wohl schon am frühen Morgen übergeschnappt, was?“ fragte er grollend. „Was soll der Blödsinn, Ed?“ „Die verdammte Seekuh will ihren Fraß!“ brüllte Carberry sauer. „Schlachte zwei Walfische, Mann, garniere sie mit einem Zentner Zwiebeln und bring das der Dicken. Tu, was du willst, aber laß mich gefälligst mit dieser Dicken in Ruhe, ich bin hier der Profos und nicht der Laufbursche.“ Wütend knallte er das Schott zu, riß es aber gleich wieder auf. „Vergiß nicht, in. die Suppe zu spucken!“ „Mann, da haben wir uns was eingehandelt“, stöhnte der Kutscher. „Wo, zum Teufel, soll ich denn Eier hernehmen?“ „Leg sie selbst!“ brüllte Carberry. An Deck lief alles seinen gewohnten Gang, nachdem der Anker eingeholt war. Die Segel wurden gesetzt. Ed Carberry stand mit puterrotem Schädel an Deck und biß sich auf die Lippen. Himmel, er durfte nicht brüllen, und das nutzten diese triefäugigen Kakerlaken natürlich ganz gehörig aus, indem sie bewußt langsam arbeiteten und dem Profos niederträchtige Blicke zuwarfen. „Ist es so recht, Don Grito garganta?“ fragte Blacky anzüglich. „Warte nur, du lausiges Rübenschwein“, knirschte der Profos in hilfloser Wut, „ich weiß genau, daß das Schreihals heißt, aber das wirst du noch bereuen!“ Er flüsterte, und das ließ die Männer immer wieder grinsen. „Komisch, daß es auch ohne sein Gebrüll geht“, meinte Sam Roskill verwundert. „Eigentlich brauchen wir gar keinen Profos.“
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Diejenigen, die Spanisch sprachen, begnügten sich mit wenigen Worten, die anderen, die der Sprache nur teilweise mächtig waren, hielten sich vornehm zurück. Hier zeigte sich wieder einmal Hasards Vorsorge. Er hatte sie büffeln lassen bis zum Erbrechen, bis ihnen die spanische Sprache zum Hals heraushing, und jetzt zahlte sich das aus. Nur der Profos ärgerte sich grün und blau, doch daran störte sich niemand, im Gegenteil:- Die Seewölfe fanden eine geradezu unvorstellbare Freude daran, ihren Profos flüstern zu hören, ihn, der liebend gern auf der Stelle wie ein Pulverfaß explodiert wäre. Nachdem sie die ersten paar Meilen zurückgelegt hatten, erschien auch der arrogante Alkalde an Deck. Seine dicke Dona begleitete ihn schwitzend. Sie blieben auf dem Achterkastell, den Niedergang zur Kuhl trauten sich alle beide nicht hinunter, außerdem hielt sich dort „das gemeine Schiffsvolk“ auf, der Pöbel, mit dem achtbare Leute wie Melgarejo und vor allem seine Gattin, tunlichst nicht in Berührung zu geraten gedachten. Sie wußten, was sie ihrem vermeintlichen Ruf schuldig waren. In der Kuhl sprach man nie anders von Dona Melgarejo als von der „Seekuh“ oder der „dicken Vettel“. Ihr maßlos arroganter Blick würdigte die Seewölfe nicht, ihre wäßrigen Augen sahen pikiert über die Leute hinweg. Lediglich dem Seewolf, dem vermeintlichen Capitan Olmedos, warf sie ab und zu einen gönnerhaften Blick zu. Hasard fragte sich insgeheim zum hundertsten Male, auf was sich diese dicke Vettel eigentlich etwas einbildete. Auf ihre Speckschicht, die mit der eines Wales konkurrieren konnte, oder ihren tonnenförmigen Wanst, der fett und behäbig am Schanzkleid lehnte? Oder darauf, daß sie Spanierin war und ihr abgetakelter Esposo ein Alkalde? Melgarejo unterhielt sich mit dem Seewolf, stellte eine Unmenge Fragen und ging Hasard mehr und mehr auf die Nerven mit
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seinem rechthaberischen Gerede. Immer wieder ließ er sich über die „Isabella“ aus, betonte, daß er noch kein spanisches Schiff mit solch langen Masten und überlangen Kanonenrohren gesehen habe, und wollte wissen, wie denn das Ruder funktioniere. Hasard gab ihm bereitwillig Auskunft, denn der Kerl sollte ihm ja später in Sacramento noch von Nutzen sein. Aus den Augenwinkeln registrierte der Seewolf jedoch, wie die Dicke immer nervöser wurde. Sie holte ein schwarzes Spitzentaschentuch aus der Kluft ihrer gewaltigen Brüste, schnäuzte sich ausgiebig und trommelte mit ihren Wurstfingern ungeduldig auf den Holzlauf des Schanzkleides. Ihr Blick wurde immer ungeduldiger, ihr ganzes Gehabe nervöser, bis sie schließlich wütend’ mit dem Fuß aufstampfte, und der Seewolf glaubte, sie würde gleich in den Planken stecken bleiben. Hatte die Dicke etwas gemerkt? fragte er sich besorgt. Es sah ganz so aus, wenn man nach ihrer Nervosität urteilte. Hasard kniff die Augen zusammen, musterte die Männer, musterte das Schiff und warf einen Blick auf die spanische Flagge am Heck. Nein, es gab nichts zu beanstanden, wie er feststellte. Er war Capitan Olmedos und das Schiff ein spanischer Handelsfahrer, nicht direkt der Krone oder Seiner Allerkatholischsten Majestät, König Philipp II., unterstellt, aber doch stets der Krone verfügbar. Es konnte auch jederzeit requiriert werden. Was, zum Teufel, hatte die Dicke dann? Der Alkalde lächelte verlegen, sah seine Frau an und gab ihr mit der Hand ein beruhigendes Zeichen. Hasard hielt es nicht mehr länger aus. Natürlich konnten die beiden ihm nicht gefährlich werden, das war ein geradezu lächerlicher Gedanke. Aber später, wie sah es dann aus? „Ihre Gattin gibt mir Anlaß zur Besorgnis, Don Melgarejo“, sagte er höflich. „Fühlt sie sich nicht wohl? Kann ich ihr in irgendeiner Weise behilflich sein?“
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„Nun, mein Lieber“, der Alkalde gab sich gönnerhaft, „ich hoffe, es gibt bald Mittagessen. Meine Frau hat immer einen sehr guten Appetit, daher rührt ihre Nervosität.“ Diesmal verschlug es Hasard glatt die Sprache. Er mußte sich beherrschen, um nicht lauthals loszubrüllen. Die Dicke hatte Appetit! Es war richt zu fassen. Dabei hatte das Monstrum vor einer knappen Stunde derartige Portionen verschlungen, daß sogar dem gefräßigen Profos übel geworden war. Carberry hatte glaubhaft versichert, daß er an der Portion der „Seekuh“ mindestens drei Tage lang kauen würde. „Ich werde jemanden zum Koch schicken und es ihm ausrichten lassen“, erbot sich Hasard trocken. „Wie wär’s mit einer kleinen Zwischenmahlzeit, Don Melgarejo? Bis zum Mittagessen sind es immerhin noch mehr als drei Stunden.“ „Ich denke, das würde ihr gut tun“, erwiderte der Don. Hoffentlich platzt sie anschließend, dachte Hasard. Aber solange die Dicke fraß, vergaß sie die Welt um sich herum, und das war vielleicht ganz gut, dann verfiel sie nicht auf dumme Gedanken. Carberry geriet in sein Blickfeld. Hasard verkniff sich das längst fällige Grinsen und ging dem Profos ein paar Schritte entgegen. „Sag dem Kutscher, daß die Dona Appetit hat“, sagte er ausdruckslos. „Er soll eine Zwischenmahlzeit bereiten:’ Carberry schluckte mühsam und unterdrückt. Vor Zorn lief er im Gesicht dunkelrot an. „Si, Senor Capitan“, sagte er laut. Und sehr leise: „Ich lasse ihr ein Rudel Wasserschweine zubereiten, oder frißt die Dona auch Siebzehnpfünder Eisenkugeln? Davon haben wir noch eine ganze Menge an Bord.“ Hasard ging mit ausdruckslosem Gesicht zurück, während der Profos ergrimmt zum zweiten Male nach vorn marschierte und in der Kombüse verschwand. Eine gute halbe Stunde später balancierte Bill eine große Schüssel nach achtern.
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Appetitlicher Duft stieg ihm lieblich in die Nase. Am liebsten hätte er selbst hineingelangt und eins der zarten Fleischstücke probiert, die der Kutscher so sorgfältig zubereitet hatte. Auch die Bohnen waren frisch und rochen herrlich verlockend. Artig übergab er der Dicken die Schüssel und das Besteck. Sie verschwand augenblicklich nach achtern, ohne sich zu bedanken oder den Jungen auch nur anzublicken. Hasard sah ein paar Minuten später sprachlos und perplex auf die leere Schüssel, die mindestens ein Pfund Fleisch und drei Pfund Bohnen enthalten hatte und jetzt restlos leer war. Der Profos ließ es sich nicht nehmen, die leere Schüssel diesmal eigenhändig zurückzubringen. „Sag mal, kotzt dich das nicht langsam an, Kutscher?“ fragte er. „Die frißt uns bis Sacramento sämtliche Vorräte weg! Du kochst ja nur noch für die dicke Seekuh!“ „Mir macht das nichts aus“, erwiderte der Kutscher ungerührt. „Nur das Abziehen und Würfeln der drei Ratten aus der Vorpiek hat mich lange aufgehalten. Die Hauptsache, es hat geschmeckt!“ Carberry stieg der Magen bis zum Hals hoch. Er blies die Wangen auf und schluckte. Dann ging er eilig davon, leicht grün im Gesicht, und warf der Dicken am Schanzkleid einen Blick zu. Die sah satt und zufrieden aus, ihre Augen verschwanden hinter einem dicken Fettpolster. „Wohl bekomm’s“, murmelte er erschüttert. Kurz vor Mittag hatte die „Isabella“ ihre erste Bewährungsprobe zu bestehen. Hasard hatte auch hier auf den Ausguck nicht verzichtet, und so meldete Dan auf Spanisch weit voraus eine Galeone. Kleinere Boote hatten sie schon öfter gesehen, ab und zu waren ihnen auch Kanus begegnet, doch die hielten sich immer dicht am linken Ufer und wichen rechtzeitig vor dem vermeintlichen Spanier aus.
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Es war eine dreimastige Galeone, die das große Mündungsdelta des La Plata stromabwärts in Richtung Meer segelte. Als Galionsfigur trug sie das hölzerne Kreuz, ein Symbol, das die „Isabella“ nicht führte. Der etwas plump wirkende Dreimaster kreuzte in langen Schlägen, und segelte jetzt im spitzen Winkel auf die Seewölfe zu. „Wollen Sie denn nicht ausweichen, Capitan?“ erkundigte sich die Dicke vorwurfsvoll. „Das sieht doch jedes Kind, daß die uns gleich anstoßen werden.“ „Hier wird nur auf das Wohl Seiner Majestät angestoßen, Senora“, erklärte der Seewolf herablassend. „Außerdem wird das andere Schiff gleich ausweichen.“ „Das glaube ich nicht!“ „Dann lassen Sie es bleiben!“ erwiderte Hasard unhöflich. Der Alkalde sagte nichts, nur sein unbehaglicher Blick wanderte immer wieder zwischen beiden Schiffen hin und her. Hasard fieberte dem Augenblick der Begegnung entgegen. Ob alles gut ging? Schließlich waren die Spanier keine Dummköpfe, wenn sie sich ab und zu auch so benahmen. Aber hier servierte Hasard ihnen eine ausgesprochen faule Tomate auf einem silbernen Tablett, und daher war es fraglich, ob sie das schluckten. Das fremde Schiff wurde größer, und es änderte jetzt den Kurs, um zu wenden, aber der Abstand, mit dem beide Schiffe aneinander vorbeiliefen, würde nicht sehr groß sein. Da begann die dicke Vettel plötzlich zu kreischen und zu winken. Ihr schwammiger Busen hing über das Schanzkleid, ihr mächtiger Körper schwabbelte und bebte bei jeder Bewegung. Von drüben ertönte Gebrüll! Ein paar Kerle winkten lebhaft zurück, schrien herüber, die Seewölfe brüllten zurück. Vom Achterdeck grüßte der Capitan höflich in Hasards Richtung. Der Seewolf gab den Gruß gelassen zurück, voller neuer Hoffnungen erfüllt, daß anscheinend niemand etwas gemerkt hatte.
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Im Abstand von knapp vierzig Yards verlief die Begegnung. Hasard glaubte die Erleichterung durch das ganze Schiff zu spüren. Jetzt war nur noch das reichverzierte Heck der „Santa Madonna“ zu sehen, keine Stückpforte hatte sich geöffnet, nicht der kleinste Verdacht lastete auf ihnen. „Das war Capitan Saroca“, erklärte der Alkalde gnädig. „Soviel ich weiß, segelt er nach Havanna.“ „Richtig, er ist ja auch bis obenhin beladen. Vermutlich wird er sich dem Geleitzug anschließen“, sagte Hasard. „Silber für die Krone“, sagte der Alkalde strahlend. „Wir sind eine Weltmacht geworden, Senor. Wenn nur nicht die verdammten Engländer wären“, setzte er betrübt hinzu. „Immer wieder werden unsere Schiffe von Hurensöhnen wie diesem Drake und seinesgleichen überfallen und ausgeplündert.“ „Ein trauriges Kapitel“, stimmte Hasard zu. „Und auf welch unverfrorene Art und Weise diese Engländer vorgehen. Die scheuen keine üblen Tricks, um uns die Schätze abzujagen.“ Die „Isabella“ segelte weiter mit Kurs auf Sacramento. An diesem Tag hatte die Dicke noch sechsmal ihren sogenannten Appetit, und in der Kombüse schmolzen die Lebensmittelvorräte beängstigend schnell zusammen. Die unersättliche Dona frißt wie eine ausgewachsene Schiffsbesatzung, dachte der Kutscher, obwohl sie nicht arbeitet und sich kaum von der Stelle rührt. Abends kurz vor Einbruch der Dunkelheit, segelte der ranke Dreimaster dicht ans Ufer und ging vor Anker. Morgen würde man Sacramento erreichen, wenn der Wind weiterhin so anhielt und nichts dazwischenkam. 6. Die Rote Korsarin legte das Spektiv zur Seite. Sie lächelte. „Unser spanischer Freund ist es, der da heransegelt, die ‚Isabella’ „, sagte sie. „Wir
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haben noch etwa eine halbe Stunde Zeit, bis er auf gleicher Höhe ist. Sind die Brandsätze klar?“ „Sie warten nur darauf, abgefeuert zu werden, Madam“, erwiderte der BostonMann. Siri-Tong hatte sieben der Teufelsdinger in die Gestelle aus Bronze bringen lassen, obwohl zwei auch ihren Zweck erfüllt hätten. Doch sie wollte schon dem Seewolf zuliebe kein Risiko eingehen. Feuerte sie zuwenig ab, bestand die Möglichkeit, daß der Spanier noch einmal das Feuer eröffnete. Trafen ihn allerdings alle sieben Brandsätze, dann gab es für ihn keine Rettung mehr. Nicht einen einzigen Schuß würde er dann noch abfeuern. Diese Teufelsdinger hatten es in sich. Ein Schiff, einmal von der Höllenglut erfaßt, war nicht mehr zu retten. Das Feuer fraß sich gierig in Holz und Planken, und selbst ein paar Pützen Wasser hielten es nicht mehr auf. Das Wasser verdampfte unter der maßlosen Hitzeeinwirkung, und die roten, grünen oder blauen Kugeln brannten weiter. Normalerweise hätte die Rote Korsarin auf die Benutzung der Brandsätze verzichtet. Sie waren nur für den äußersten Notfall gedacht, wenn es gar nicht anders ging. Heute ging es nicht anders. Thorfin Njal überprüfte noch einmal jeden einzelnen Brandsatz. In der Hand hielt er eine schwach glimmende Lunte, mit der er ruhig und ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen, von einem Brandsatz zum anderen ging. Er, Siri-Tong und der Boston-Mann würden die Dinger selbst abfeuern, weil sie am besten damit umzugehen verstanden. Jetzt hatte man auf der „Isabella“ den schwarzen Segler entdeckt, der drohend wie ein Ungetüm vor Anker lag, keine Flagge zeigte und den die Spanier nicht einordnen konnten. Siri-Tong sah, wie der spanische Capitan angestrengt durch sein Spektiv blickte, doch anscheinend gab es für ihn nichts Verdächtiges zu entdecken, denn die Stückpforten von „Eiliger Drache über den Wassern“ waren verschlossen, und die
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Crew lümmelte faul und desinteressiert an Deck herum. Zudem gab Missjöh Buveur auch noch eine Sondervorstellung. Er hatte sich mit billigem Rotwein vollgesoffen, war die Wanten des Großmastes hochgeentert und von dort aus mit einem Satz an die Pardune gesprungen. Dort hielt er sich mit beiden Händen fest und sauste blitzschnell wie ein Affe an Deck zurück. Als er unten anlangte, schienen seine Handflächen zu qualmen, und er verzog gequält das Gesicht. „Verdammt heiß, die — die Scheißpardunen“, lallte er, „die glühen richtig, die Mistdinger!“ Unter der wilden Mannschaft gab es Gegröle und Geschrei. Sonst konnte Siri-Tong den ewig besoffenen Kerl nicht ausstehen, den sie auf Tobago in einer Hafenkneipe aufgelesen hatten, aber jetzt lag er mit seinen Blödeleien gerade richtig, als sich die „Isabella“ auf gleicher Höhe befand. „Was für ein Schiff seid ihr?“ brüllte ein behelmter Spanier, der sich auf eine Muskete stützte. „Cacafuego!“ brüllte der Wikinger zurück. Er hielt die Lunte an den ersten Brandsatz. Ein kurzes Zischen ertönte, der zweite und dritte Brandsatz begannen zu glimmen und anschließend leise zu fauchen wie eine gereizte Katze. Der Spanier drohte mit der Faust herüber und schrie etwas. Die ersten Brandsätze zischten unter wildem Heulen der Galeone entgegen. In rasender Folge zogen sie ab, beschrieben ihren Bogen und zerplatzten über dem Spanier. Dort begriff man zunächst überhaupt nichts. Sieben funkensprühende, knatternde und nervtötende kleine Sonnen erblühten über dem Schiff. Rot und grün fächerten sie breit auseinander wie riesengroße giftige Blüten, die immer wieder in sich selbst zerplatzten und Feuer in jeden Winkel des Schiffes schleuderten. Drüben klang ein Schrei aus zwanzig Kehlen auf, als die Segel schlagartig zu
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brennen begannen, Feuer wie hingezaubert auf dem Deck erschien und sich in rasender Eile durch das Holz fraß. Sofort geriet die Galeone aus dem Kurs und trieb quer zu ihrer eigentlichen Fahrtrichtung. „Ein einseitiger Kampf, der gar nicht meinem Geschmack entspricht“, sagte die Rote Korsarin, die aus schmalen Augen in das Flammenmeer blickte, das immer größer wurde. Niemand kümmerte sich um den schwarzen Segler. Auf der „Isabella“ herrschte unbeschreibliches Chaos. Dort schrien die Dons Befehle, die kein Mensch mehr verstand. Spanier pützten Wasser, bildeten eine Kette, schleppten die Pützen in sinnloser Hast hin und her. Hier und da gelang es ihnen, das Feuer etwas abzuschwächen, aber das dauerte nur Sekunden, dann flackerte es an derselben Stelle mit großer Heftigkeit erneut auf. In Rauch und Feuer gehüllt trieb die Galeone weiter. Thorfin stand neben der Korsarin auf dem Achterdeck. Er sah, wie die Flammen an den Masten hochleckten, wie brennende Segeltuchfetzen auf Deck fielen und der Spanier immer wieder aus dem Kurs lief. Nein, das war kein Kampf, entschied er, er war ganz und gar nicht nach seinem Geschmack, aber es eng diesmal wirklich nicht anders, wollte man sich nicht vorzeitig verraten. Drüben versuchten sie jetzt, in aller Eile ein Beiboot abzufieren. Doch noch bevor es nach außenbord schwang, stand es bereits in hellen Flammen. Die ersten Spanier stürzten sich kopfüber ins Wasser. Es war ihnen egal wohin der Strom sie trieb, sie wollten nur weg aus diesem brennenden Inferno, dieser schwimmenden Hölle, die sie alle verschlang. Dann, als der brennende und sinkende Segler immer weiter den La Plata hinuntertrieb, geschah etwas, womit weder Siri-Tong noch der Wikinger gerechnet hatten.
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Weit entfernt, lösten sich vom Ufer plötzlich kleine Boote mit dunkelhäutigen Gestalten. Es waren Charruas, Indios, die auf die Spanier einen ganz besonderen Haß hatten. Sie mußten das Drama aus der Deckung der Wälder heraus heimlich beobachtet haben. „Die bringen die Dons um“, sagte der Boston-Mann fassungslos. Siri-Tong blickte wieder durch das Spektiv. Jetzt trieb die brennende „Isabella“ mit schwerer Schlagseite im Wasser. Glühende Holztrümmer regneten von den Masten aufs Deck, der Großmast fiel schwarzverbrannt in sich zusammen. Es gab einen Funkenregen, als er an Deck krachte, dort alles kurz und klein schlug, das Schanzkleid in einen Trümmerhaufen verwandelte und dann über Bord ging. „Sie nehmen die Dons anscheinend gefangen“, sagte Siri-Tong. „Sie fischen sie mit Lianen aus dem Bach und ziehen sie hinter den Booten her.“ Sie schwieg, denn jetzt platzte die Galeone regelrecht auseinander. Das in heller Glut stehende Deck wölbte sich nach oben und barst in einem Funkenregen auseinander. Ein Teil des Vorkastell wurde weggeschleudert. Nun lohte es auch an der Wasserlinie, wo das Holz in hellen Flammen stand. Die Flammen schienen in den La Plata zu wachsen, so wild und gierig breiteten sie sich nach allen Seiten aus. Ein Brausen erklang, als das Schiff immer mehr Wasser nahm, und dann gab es einen dumpfen Knall. Ein greller Blitz tanzte sekundenlang über dem Schiff, eine schwarzgraue Rauchwolke strebte zum Himmel. „Das waren die Pulverfässer“, sagte der Wikinger., Als sich der Rauch verzogen hatte, war von der „Isabella“ nichts mehr zu sehen, bis auf ein paar Trümmer, die auf dem Wasser trieben. Der La Plata hatte den Spanier verschlungen. Inmitten der Trümmer schwammen nur noch die Spanier, die das Drama überlebt
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hatten. Sie versuchten, das rettende Ufer zu erreichen, doch die Indios waren schneller. Mit den dünnen Lianen fischten sie einen nach dem anderen heraus und brachten sie an Land, wo sie im Wald verschwanden. Was sie mit ihnen vorhatten, wußte die Rote Korsarin nicht, sie wußte nur, daß sie mit den Spaniern nicht tauschen würde, denn vermutlich kriegten sie jetzt alles das zurückgezahlt, was sie den Eingeborenen selbst angetan hatten. Nach einer halben Stunde war alles vorbei. „Eiliger Drache über den Wassern“ lichtete den Anker und nahm Fahrt auf. 7. Das gefräßige Monstrum, das sie da an Bord hatten, beunruhigte den Kutscher doch mehr, als er sich eingestand. Immer wieder hatte die Dicke Sonderwünsche, immer wieder verlangte sie zu essen, und immer wieder versicherte der Alkalde, dem das hämische Grinsen der Seewölfe nicht entgangen war, daß seine Gemahlin an einer Erkrankung leide, die bei ihr diesen gewaltigen Appetit auslöse. Natürlich glaubte niemand ein Wort. Die Dicke fraß eben leidenschaftlich gern, von Krankheit konnte keine Rede sein. Stand der Futtertrog vor ihr, war sie zufrieden. War er leer, wurde sie mürrisch, übelgelaunt und zänkisch. Das nächste Übel, das dem Seewolf bevorstand, hieß Buenos Aires, eine größere spanische Niederlassung, erst vor ganz kurzer Zeit durch Juan de Garay gegründet, nachdem der erste Gründungsversuch vor etlichen Jahren fehlgeschlagen war. Hasard kannte sie nur vom Hörensagen, er selbst war noch nicht dort gewesen, und zum Glück lag sie auf der anderen Seite. Gegen Nachmittag tauchte die Stadt auf, nur schwach erkennbar am gegenüberliegenden Ufer. Buenos Aires hatte einen größeren Hafen. Hasard zählte durch das Spektiv sieben große sowie neun kleinere Galeonen.
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„Eine aufstrebende Stadt“, erzählte der Alkalde, „sie wird immer größer und mächtiger, wir können stolz auf sie sein.“ „Ja, das können wir“, wiederholte Hasard, der mit seinen Gedanken ganz woanders war. „In Sacramento waren sie noch nicht, Capitan?“ Hasard hörte den lauernden Unterton heraus, doch er schüttelte entschieden den Kopf. Der Alkalde hätte das Schiff gekannt, wenn er schon mal hier gewesen wäre. „Nein, noch nicht“, sagte er einsilbig. Am späten Nachmittag erreichten sie Sacramento, eine gewaltige Bucht, in die der Parana seine Wassermassen hineintrug. Auf der Steuerbordseite befand sich meilenlanger Strand mit kleinen, eng eingegrenzten Buchten, und hier gab es auch wieder Dörfer, in denen emsige Aktivität herrschte. Dem Seewolf wurde es immer unbehaglicher, je mehr sie sich dem kleinen Buchthafen näherten. Drei Galeonen lagen dort, zwei kleine von annähernd achtzig Tonnen und eine von der ungefähren Größe der „Isabella“. Am Strand standen spanische Seesoldaten und starrten dem ranken Rahsegler entgegen. Hasard sah ein paar langgestreckte Lagerschuppen und vereinzelt Häuser, deren Fassaden mit weißem Kalk gestrichen waren. Es war ein Kaff, dieses Sacramento, eine kleine Kolonie, im Aufbau begriffen. Wahrscheinlich ging hier das Silber vom Parana und der riesigen Bucht seinen Weg nach Buenos Aires. Vielleicht stellten sie auch hier bereits Geleitzüge zusammen, überlegte er. Aber das würden sie ja alles noch erfahren. Der Anker faßte Grund, die Segel waren längst weggenommen, und die „Isabella“ drehte sich leicht mit der Breitseite zum Ufer hin. „Unsere zweite Heimat“, sagte die Dicke strahlend. „Vielleicht geht es morgen schon nach Spanien.“ Sie drohte dem Seewolf schelmisch mit dem fetten Finger. „Wer weiß, Senor,
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vielleicht sind Sie es sogar, der uns in unsere Heimat zurückbringt.“ „Mit Vergnügen“, sagte Hasard und diesmal grinste er breit, weil er sich das wörtlich vorstellte und genau wußte, daß daraus niemals etwas werden würde. Mit leichtern Unbehagen sah er, wie sich vom Ufer ein Boot löste. Ein spanischer Capitan stand aufrecht darin, während zwei Seesoldaten den Kahn pullten. Auch die Seewölfe blickten unbehaglich zu dem Boot, das sich rasch näherte. „Capitan Orteguilla“, flötete die Dicke und breitete voller Enthusiasmus die schwellenden Arme aus, als wolle sie den Capitan umarmen. „Wie ich mich freue, Sie zu sehen!“ Orteguilla war ein schlanker, hochgewachsener Mann, der den Seewolf entfernt an den Boston-Mann erinnerte. Trotz der Hitze trug er Stulpenhandschuhe, hohe Stiefel, grünrote kürbisähnliche Hosen und eine helle Lederweste. Er grüßte strahlend zurück, doch sein Lächeln erlosch schon im nächsten Augenblick und wich der Kühle, die sein Gesicht beherrschte. Der Capitan und die beiden Seesoldaten enterten an der Jakobsleiter auf. Bevor Orteguilla sich an Hasard wandte, blieb er an Deck stehen und sah sich um, wobei er unmerklich den Kopf schüttelte, die Masten musterte und flüchtig einige Seewölfe streifte, bis sein Blick an der spanischen Flagge hängen blieb. Es kam vorerst nicht zur Begrüßung, denn die Dicke beanspruchte den Capitan zur ersten Begrüßung für sich. Den anderen war es peinlich, zuzusehen, denn der gespielte Überschwang der Dicken war nur zu offensichtlich. Schließlich schob der Capitan sie sanft von sich, nachdem er dem Alkalden einen flüchtigen Händedruck gegeben hatte. „Das ist Capitan Olmedos“, sagte die Dicke und zeigte auf Hasard. „Ein netter Mann, und seine Küche an Bord ist hervorragend. Nur gibt es nicht viel zu essen hei ihm.“
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Hasard schluckte, als der Capitan ihn scharf anblickte. Er hatte dunkelbraune Augen, denen nichts entging. Platzte jetzt alles? Kannte Orteguilla den Capitan Olmedos? Augenblicke von denen alles abhing, dachte Hasard. Winzige Augenblicke in denen sich ein ganzes Schicksal entschied. Sie standen an einem Kreuzweg, der zwei verschiedene Welten versprach. Der Capitan ging auf Hasard zu und sah ihm kalt in die Augen, ehe er langsam die Hand ausstreckte. „Olmedos?“ fragte er gedehnt. „Kennen wir uns eigentlich?“ Hasard hielt sekundenlang den Atem an. Kühl und gelassen gab er den Blick des Spaniers zurück. Von seiner inneren Erregung war nichts zu bemerken. „Ich kann mich nicht erinnern“, sagte er, „aber es ist möglich, daß wir uns schon einmal begegnet sind.“ Hatte der Mann Verdacht geschöpft? Diese bange Frage stellten sich die Seewölfe immer wieder. Orteguilla ging jedoch nicht mehr darauf ein. Stattdessen begann er sich für das Schiff zu interessieren. „Ein merkwürdiger Bau“, sagte er mißtrauisch. „Seit wann werden diese Art von Galeonen gebaut?“ „Wann waren Sie das letzte Mal in Spanien?“ erkundigte sich der Seewolf lächelnd. Jetzt, nachdem der Bann gebrochen war, fühlte er sich entschieden wohler. „Oh, das ist einige Jahre her.“ „Inzwischen hat sich auch einiges verändert“, sagte Hasard. „Diese Galeone ist die achte in der neuen Baureihe. Wir haben mit den überlangen Rohren und den hohen Masten entscheidende Vorteile den Engländern gegenüber. Es gelang uns, ein Schiff zu versenken, noch bevor die Kerle wußten, wie ihnen geschah. Sie waren gerade dabei, einen Nachzügler aus dem Konvoi herauszupicken.“ Der Spanier zeigte sich außerordentlich beeindruckt und nickte anerkennend. „Hoffentlich begegnen Sie einmal diesem El Drake“, sagte er, „dieser englische
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Freibeuter würde sein blaues Wunder erleben.“ Danach stellte er pausenlos Fragen, wollte dies und jenes erklärt haben, fragte nach der letzten Reise und betonte immer wieder, daß er sich die „Isabella“ ganz anders vorgestellt hatte. Auch das fehlende Kreuz am Bug bemängelte er. Hasard fertigte ihn mit sorgsam überlegten Ausreden ab, bis auch die letzten Zweifel des Capitan wie Fett in der Sonne dahinschmolzen. Zu allem Überfluß gab auch die Dicke immer wieder ihre Kommentare ab, lobte den Seewolf und erging sich überschwänglich in endlosen Lobreden. „Wir stellen in den nächsten Tagen einen Verband zusammen“, erläuterte der Capitan. „Er segelt von hier aus nach Buenos Aires; wo sich fünf andere Schiffe anschließen. Von dort ist geplant, die Fahrt entlang der Küste bis Sao Roque fortzusetzen, wo sich ein weiterer Verband anschließen wird. Von Cap Sao Roque segelt der Verband dann weiter in die Heimat. Sie werden sich dem Geleitzug anschließen, Capitan Olmedos. Zur Sicherheit überstelle ich Ihnen bei Antritt der Reise fünf Seesoldaten.“ „In Ordnung“, erwiderte Hasard freundlich und wunderte sich, wie alles geklappt hatte. Es war viel zu glatt gegangen. „Was geschieht mit dem Silber, das ich an Bord habe?“ wollte er wissen. „Das bleibt natürlich an Bord. Sie werden hier noch etliche Tonnen zuladen, den Rest dann in Buenos Aires.“ Am liebsten hätte Hasard wieder laut gelacht. Das war ganz nach seinem Geschmack. Hoffentlich hält die gute Stimmung eine Weile an, dachte er. „Sie wissen natürlich noch nicht, wie wir hier das Silber gewinnen“, erzählte Orteguilla weiter. „Ich habe davon gehört“ „Sie werden es sehen, Capitan! Wir haben seit einiger Zeit mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Ein paar Eingeborene revoltieren, wobei selbst öffentliche Hinrichtungen nicht abschreckend wirkten.
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Es ist ein Kreuz mit diesen Indios. Der neue Alkalde betont immer wieder, daß ich mit diesen Kerlen zu hart umgehe. Er begreift nicht, daß hier nur Härte entscheidet, denn genaugenommen sind diese Wilden doch Tiere, sie haben keine Kultur, und ihre Religion schreit zum Himmel, ihr verdammter Götzenkult. Der neue Alkalde ist zu weich, Sie werden ihn noch kennenlernen.“ Er wandte sich lächelnd an Melgarejo. „Ich bedaure, daß Sie wieder zurückkehren“, sagte er. „Sie verstanden es ausgezeichnet, diese Burschen auf den richtigen Weg zu bringen.“ „Leider haben sie sich abgesetzt“, sagte der Alkalde geschmeichelt, „aber viel mehr war da auch nicht zu holen. Hier sieht es günstiger aus.“ „Wann, mein lieber Orteguilla, werden wir denn endlich in Richtung Heimat segeln können?“ fragte die Dicke. Ihre fetten Finger legten sich wie verschwörerisch auf den Unterarm des Capitans. „Wahrscheinlich schon morgen, zunächst aber bis Buenos Aires, von dort aus dann ein paar Tage später. Wir müssen ja erst noch feststellen, wie hoch sich der Wert der Ladung beläuft, die Sie uns gebracht haben.“ Die Dicke war zufrieden, sie begann den Arm des Capitans jetzt liebevoll zu tätscheln. Hasard freute sich schon auf den Augenblick, in dem das gefräßige Monstrum von Bord ging. Er sah an den erleichterten Gesichtern seiner Männer, daß sie ebenso dachten. „Schauen Sie sich alles an, Capitan Olmedos“, sagte der Spanier. „Später werde ich Sie zu einem dieser Strände begleiten, und Sie werden die Charrua sehen, die für uns arbeiten. Wir haben hier zu wenige Leute, aber ich denke, daß Sie uns tatkräftig unterstützen werden, die Wilden zusammenzuhalten. Ich muß Sie jetzt leider verlassen. Hasta luego!“ „Hasta luego, Senor!“ erwiderte Hasard freundlich. Die Dicke und ihr unterernährter Gatte gingen mit. An ihren Blicken sah der
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Kutscher mißgelaunt, daß sie schon wieder diesen „kleinen Appetit“ hatte. Als das Boot ablegte und zum nahen Ufer gepullt wurde, legte sich die heimliche Beklemmung an Bord. „Donnerwetter“, sagte Hasard, „mitunter habe ich Blut und Wasser geschwitzt. Das konnte einfach nicht gut gehen.“ „Immerhin sind wir den Vielfraß los“, sagte der Kutscher. „Den Proviant haben sie mit drei Tonnen Silber bezahlt, und Nachschub kriegen wir auch noch!“ Carberry grinste jetzt auch erleichtert. „Wenn die wüßten, was sie sich für eine Laus in den Pelz gesetzt haben, würde ihnen die Ruhe vergehen. Die scheinen nicht einmal mißtrauisch geworden zu sein, nur am Anfang sah es einigermaßen kritisch aus. Wie verhalten wir uns weiter, Hasard?“ „So wie bisher. Nur sollten sich die blondhaarigen Kerle das Haar etwas mit Holzkohle färben. Aus Stenmark muß ein dunkelhaariger Spanier werden. Kutscher, hast du kein Mittel?“ „Ich werde etwas zusammenbrauen“, versprach der Kutscher. „Aber es gibt ja auch viele hellhaarige Spanier, Stenmark könnte aus dem Norden stammen.“ „Lieber nicht, es ist zu auffällig. Seht euch die Kerle auf den anderen Galeonen an, sie sind alle schwarzhaarig.“ Die meisten von ihnen hielten sich unter Deck auf, denn es gab außer Stenmark noch mehr, die dunkelblond oder blond waren, und bei so vielen mußte das auffallen. Der Kutscher begann sofort mit seiner Arbeit. Er selbst beließ seine dunkelblonde Farbe, sie fiel nicht sonderlich auf. Aber Ben Brighton mußte dran glauben, Pete Ballie, Gary Andrews und Bob Grey. Diese Männer hatte selbst die neugierige Dicke nicht zu Gesicht bekommen, außer Ben Brighton, doch vermutlich würde sie kaum noch jemanden zu sehen kriegen. Batuti war nicht zu ändern. Wenn jemand Fragen über ihn stellte, würde Hasard sagen, es handele sich um einen eingefangenen Negersklaven, der an Bord
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die gröbsten Arbeiten verrichte. Das sagte er dem Gambia-Neger auch, doch Batuti grinste nur. „Batuti alles begreifen“, sagte er treuherzig. „Sein armes Bimbo, werden immer gepiesackt von andere, Batuti so tun, als hätten immer Angst vor andere Seewölfe.“ Inzwischen hatte der Kutscher eine Mixtur zusammengebraut, die von allen mißtrauisch beäugt wurde. „Wie eine Hafenhure fühlt man sich“, meckerte Pete Ballie, der Rudergänger mit den großen Fäusten, als der Kutscher ihm das übelriechende Zeug auf den Schädel klatschte und die Brühe genüßlich verrieb. „Laß deine Sprüche“, grollte. der Kutscher, „fühl dich lieber wie eine Hafenhure, das ist immer noch besser, als an einem spanischen Galgen zu baumeln. Das Zeug hält sowieso höchstens eine Woche, dann bist du es wieder los.“ „Stinken tut die Brühe — na, ich will ja nichts sagen“, meinte auch Gary Andrews, als die Reihe an ihn kam. „Was ist das überhaupt für ein Mist?“ „Nicht das, was du denkst, Kerl! Und jetzt halt endlich deinen verdammten Schädel still!“ „Was für zarte Fingerchen der Kutscher hat“, sagte Stenmark grinsend. „Ah, das tut gut, du könntest mir in Zukunft immer die Haare waschen, du kleiner Schwarzfärber!“ „Hör bloß auf!“ fluchte der Kutscher. „Sonst färbe ich die eine Hälfte schwarz und laß die andere so, wie sie ist.“ Wütend, weil ihn die Männer dauernd hänselten, goß er dem verblüfften Schweden den Rest der Brühe auf den Schädel, bis Stenmark entsetzt schwieg. Als die Prozedur vorbei war, wurde einer nach dem anderen mit anzüglichen Bemerkungen bedacht, und es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre es in eine handfeste Prügelei ausgeartet. Hasards Eingreifen hielt Pete Ballie gerade noch zurück, der sich auf den schwarzhaarigen Blacky stürzen wollte, weil der ihn anzüglich „gefärbte Tante“ genannt hatte.
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Mittlerweile brach die Dämmerung herein, ein kurzer Übergang zum Zwielicht, dann wurde es auch schon dunkel. Ein Trupp Soldaten marschierte am Ufer vorbei und verschwand in einer barackenähnlichen Unterkunft. An diesem Abend verspürte niemand der anderen Spanier das Verlangen, der „Isabella“ einen Besuch abzustatten. Dem Seewolf war das nur recht. Wo nicht viel gefragt wurde, gab es auch kaum Mißtrauen, und genau das war es, was sie am allerwenigsten gebrauchen konnten. Auf der Galeone ruhte man sich aus, denn keiner wußte so recht, was der nächste Tag bringen würde. * Am anderen Morgen ruderten Hasard und Ben Brighton an Land, um den neuen Alkalden, Don Sandoval, zu begrüßen. Es wurde höchste Zeit, dachte der Seewolf, denn sonst wurde der Kerl womöglich noch mißtrauisch. Schon gestern hätte er diesen Antrittsbesuch unternehmen sollen, aber da konnte er sich herausreden. Heute ließ sich das jedoch nicht länger aufschieben. Am Ufer stand ein Teniente, der sich erregt mit zwei Soldaten stritt. Hasard und Ben verstanden jedes Wort. „Hier bestimme ich!“ schrie der Teniente. „Und nicht Don Sandoval, auch wenn er zehnmal der Alkalde ist. Ihr hättet ohne Erlaubnis das Feuer auf diese Halunken eröffnen sollen. Wenn das so weitergeht, können wir das Silber bald selbst suchen, dann ist hier nämlich kein einziger Charrua mehr zu sehen. Verstanden?“ „Aber der Don hat gesagt, wir ...“ „Ich lasse dich auspeitschen, du Hund!“ schrie der Teniente unbeherrscht und voller Wut. „Mir ist egal, was der Don gesagt hat, es geht so weiter, wie es immer gegangen Der Rest ging in Gebrüll unter, als der Teniente weiterschnauzte. „Denen sind vermutlich wieder Eingeborene entwischt“, sagte Ben. „Kein Wunder, wer mag auch für die Kerle arbeiten.“
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Sie unterhielten sich jetzt immer Spanisch, schon aus dem Grund, weil es zufällig mal einen unbemerkten Lauscher geben konnte. Der Alkalde kam ihnen entgegen. Auf den ersten Blick vermutete Hasard knallharten, hinterhältigen Mann, denn Don Sandoval hatte einen nach unten gebogenen brutal wirkenden Mund, dicht zusammenstehende Augenbrauen und einen stechenden Blick. Sein Aussehen strafte ihn jedoch Lügen. Hart und unnachsichtig war er nur gegen die eigenen Leute. Den Eingeborenen setzte er nicht so zu, wie Hasard aus dem Gespräch erfahren hatte. „Sie sind also Capitan Olmedos“, sagte er ausdruckslos. „Melgarejos sogenannte Gemahlin hat mir von Ihnen erzählt.“ Die Männer gaben sich die Hand. Hasard stellte seinen ersten Offizier als Francesco Alvalon vor. „Merkwürdig, daß ich noch nie von Ihnen gehört habe“, sagte der Alkalde, der Melgarejo abgelöst hatte. Er hatte in verächtlichem Ton von Melgarejos „sogenannter Gemahlin“ gesprochen. „Sie kommen von Havanna?“ fragte er. „Das habe ich nicht gesagt“, entgegnete der Seewolf. „Ich komme direkt aus Spanien.“ „Von wo genau?“ Eine heiße Frage, dachte Hasard. Der Bursche ließ nichts aus, der wollte alles ganz genau wissen. „Aus Cadiz“, sagte er nebenbei. Jetzt blieb. nur zu hoffen, daß Sandoval nicht zufällig auch aus der Ecke stammte. Der neue Alkalde gab keine Antwort. Er kniff die Augen zusammen und blinzelte in die Sonne. So ganz nebenbei blieb sein nachdenklicher Blick auf der „Isabella“ ruhen. Dann wandte er sich ruckhaft den beiden Männern zu. „Das alles gefällt mir nicht so richtig“, sagte er nach einer langen Pause. „Sie behaupten, sie kommen aus Spanien, aber ich muß sagen, daß ich es sehr merkwürdig finde ...“ Was er merkwürdig fand, erfuhr Hasard nicht mehr, denn von der anderen Seite knatterten Musketenschüsse durch den frühen Morgen.
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„Geht es schon wieder los?“ schrie Sandoval verärgert, der nicht nur Alkalde war, sondern auch das Kommando über Sacramento hatte. „Da, sehen Sie nur, Senores!“ Dort, wo der Parana in die riesige Bucht mündete, bewegte sich ein Boot mit vier Insassen, die geduckt darin kauerten. Sie brauchten nicht zu pullen, der Strom trieb sie weiter. Im Hintergrund standen Spanier, die ihre Gabelstützen in den Sand rammten, die Musketen darauf legten und dann auf ein Kommando losfeuerten. Die Flüchtlinge, Charrua, hatten keine Chance. Den ziemlich weittragenden Kugeln konnten sie nicht entwischen. Einer von ihnen schrie gellend auf und sprang im Boot hoch. Er versuchte, sich festzuhalten, doch das gelang ihm nicht mehr. Kraftlos stürzte er ins Wasser und ging sofort unter. Den zweiten traf eine Musketenkugel ins Kreuz, er sackte in sich zusammen und rührte sich nicht mehr. Don Sandoval lief rot an. Wut entstellte seine Züge, als er plötzlich losrannte. „Aufhören!“ schrie er. „Sofort mit der Schießerei aufhören!“ Hasard und Ben folgten dem Mann. Er lief auf Capitan Orteguilla zu, der die Befehle zum Feuern gab. Die beiden Männer standen sich gegenüber und musterten sich mit ausgesprochen feindseligen Blicken. „Ich habe angeordnet“, schrie Don Sandoval mit knallrotem Gesicht, „daß auf die Charrua nicht geschossen wird, auch dann nicht, wenn sie flüchten! Sollen sie doch zum Teufel gehen. Ich verlange, daß Sie sich an meine Anordnungen halten, Senor Capitan!“ Orteguilla sah den Alkalden herablassend an. „Sie können Ihre Anordnungen erteilen, wann Sie wollen, Senor“, erwiderte er scharf. „Die Charrua unterstehen mir und sonst niemanden! Ich bin dafür verantwortlich, und diese Verantwortung lasse ich mir nicht nehmen, nicht von Ihnen, Senor!“
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Gelassen drehte er sich um und gab den anderen ein Zeichen. „Putzt sie aus dem Boot. Die Kerle haben Silberbarren in den Fluß geworfen, als sie unbeaufsichtigt waren, und jetzt flüchten sie!“ Zwei Musketenschüsse krachten gleichzeitig, noch bevor jemand handeln konnte. Über das Wasser gellte ein langgezogener Schrei. Ein Charrua-Indianer blieb mit zertrümmertem Schädel im Boot liegen. „Diese Vorfälle werde ich bei Hof melden“, versprach Sandoval grimmig. „Auf diese Art und Weise tun wir unserem Land keinen Gefallen. Wir brauchen Silber und keine Leichen !“ „Den Bericht wird bei Hof niemand lesen, Senor, das interessiert keinen. Wir knallen ein paar Wilde ab, die uns bestohlen haben - na und! Wer wird sich darüber aufregen?“ Der Alkalde schrie und tobte, doch Orteguilla kümmerte sich nicht darum. Hasard kannte die eingegrenzten Machtverhältnisse der beiden Männer nicht, aber er stand auf der Seite des Alkalden, dem die Begriffe Humanität und Toleranz keine Fremdwörter waren. Sandoval bildete die rühmliche Ausnahme unter den Spaniern, die anderen scherten sich nicht um ein paar Indianer mehr oder weniger. „Ich muß Don Sandoval recht geben“, sagte der Seewolf hart. „Wir erweisen der Krone keinen guten Dienst, wenn wir einen nach dem anderen der Charrua umbringen. Wollen Sie das Silber selbst mühsam aus dem Boden graben, Capitan?“ „Sie haben hier überhaupt nichts zu sagen. Nicht soviel!“ Orteguilla schnippte lässig mit den Fingern, die in ledernen Handschuhen steckten. „Sie laden Silber, Senor“,. setzte er hinzu, „alles andere ist nicht Ihre Angelegenheit.“ Hasards eisblaue Augen schienen den Capitan zu durchbohren. Der wich diesem Blick aus, blinzelte irritiert und wandte sich an die schießwütigen Spanier.
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„Zurück mit euch!“ befahl er hart. „Und paßt besser auf, damit es nicht jeden Tag Arger gibt.“ Der Alkalde war immer noch erregt. „Ich werde nachher ein Protokoll anfertigen lassen“, sagte er zornbebend. „Darin werde ich Ihre Machenschaften genauestens schildern. Man wird meine Machtbefugnisse erweitern, und dann gnade Ihnen Gott, Senor!“ „Tun Sie, was Sie wollen“, sagte der Capitan gleichgültig. „Für das Silber ist mir jedes Mittel recht.“ Er ging davon, ohne den Alkalden eines weiteren Blickes zu würdigen. Verachtungsvoll marschierte er weiter. Aus der kleinen Bucht, die den Blicken durch dichten Wald und Dickicht verborgen war, schallten Flüche, Gebrüll. Hasard und Ben gingen weiter, gefolgt von dem Alkalden, der immer noch vor Zorn bebte. Als Hasard in die kleine Bucht blickte, zuckte er unwillkürlich zusammen. Die Szene erinnerte ihn an sein eigenes Schicksal auf der Teufelsinsel. Fast genauso sah es hier aus. Am Strand lungerten schwer bewaffnete Spanier herum. Sie bewachten einen Trupp ausgemergelte Charrua-Indianer, die aus kleinen Körben Silberbrocken und Silberstaub herbeischleppten und das Zeug in einen riesigen Metallkessel kippten. Unter dem Kessel brannte ein Feuer in heller Glut. Etwas weiter von der Feuerstelle entfernt lagen aufgestapelte Silberbarren, die zwei Eingeborene in ein kleines Boot luden. Damit fuhren sie unter schwerer Bewachung an der Mündung des Parana vorbei, wo sie die paar Barren auf den provisorischen Kai abluden. Einige trugen spanische Halseisen, wie Hasard sah, andere konnten sich frei bewegen. Ihre Hütten befanden sich am Rand des Dschungels. Die Charrua waren ausgelaugt, erschöpft und wirkten von den Strapazen schwer gezeichnet. „Woher holen sie das Silber?“ fragte Hasard.
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Der Alkalde gab bereitwillig Auskunft. Der Zorn auf den Capitan stand immer noch in seinem Gesicht geschrieben. „Von den Stränden der zahlreichen Buchten“, sagte er. „Sie können es von hier aus nicht sehen, aber es gibt in der großen Bucht mehr als hundert kleinere. Silber lagert hier tonnenweise, soviel, wie wir gar nicht laden können. Aber es ist mühselig, es auszubeuten. Manches ist nicht rein, anderes besteht wieder nur aus Staub, einiges besteht aus großen Körnern.“ „Und das wird gleich an Ort und Stelle geschmolzen?“ „Ja, es wird in Barren gegossen.“ „Wieviel kommt täglich zusammen?“ „Das ist unterschiedlich. In dieser Bucht müssen die Charrua täglich jeder einen Korb voll bringen, damit sind sie vom Morgen bis zum späten Abend beschäftigt.“ „Dann bleibt ihnen ja kaum Zeit, sich Nahrung zu beschaffen“, wandte der Seewolf vorsichtig ein. „Das ist nicht unser Problem.“ Hinter ihnen erschien plötzlich Orteguilla mit der Miene eines Siegers. Er grinste den Alkalden an. „Das gefällt Ihnen, was?“ sagte er. „Solange der Silberstrom fließt, ist alles in bester Ordnung. Mucken diese Wilden aber einmal auf, dann muß man rigoros durchgreifen. Ich weiß nicht, was Sie daran stört, Senor! Ich persönlich habe noch immer jeden Tag mein Soll erfüllt. Zu mir kommt kein Charrua mit leeren Körben.“ „Was ist mit den Kindern der Charrua?“ fragte Hasard. „Weshalb hat man die angebunden?“ „Das dürfte doch wohl logisch sein“, erwiderte der Capitan mit leisem Spott in der Stimme. „Wenn die Kinder der Charrua nicht angebunden wären, würden sie davonlaufen. Na, und wir hätten dann kaum noch etwas, womit wir die Burschen festnageln können. Die würden alle heimlich abhauen. Die Kinder aber halten sie zurück, und dafür liefern sie Silber.“ Hasards Gesicht war ausdruckslos, als er nickte. Feine Methoden haben die Dons entwickelt, dachte er angewidert. Wenn es
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so weiterging, sah es für die Neue Welt ziemlich trübe aus, dann waren die Eingeborenen schneller versklavt und ausgerottet, als man denken konnte. Er durfte sich nichts anmerken lassen, er mußte den Plan sogar noch gutheißen, so sehr es ihm auch widerstrebte. Aber schließlich war er Spanier, jedenfalls in den Augen der anderen, und da mußte er das Gesicht wahren. Die Aufseher trugen Peitschen oder Stöcke, mit denen sie den Charuas ab und zu nachhalfen, wenn es nicht so lief, wie es sollte. Immer wieder verschwanden Eingeborene, dafür erschienen andere, um ihr Körbchen voller Silber abzuliefern und es in den großen Kessel zu schütten, in dem es brodelte und dampfte. Genährt wurde das Feuer mit Holzkohle, um die erforderlichen Schmelztemperaturen zu erhalten. Hasard warf Ben Brighton einen schnellen Blick zu. Äußerlich blieb sein Erster gelassen, aber in seinem Innern brodelte es genauso wie in dem großen Kessel. Ein paar verschmutzte Kinder trugen Fesseln und hatten nicht mehr Bewegungsfreiheit als ein Hund an der Kette. Hier muß ganz schnell etwas geschehen, überlegte der Seewolf. Er wußte im Augenblick allerdings noch nicht, wie diese Hilfe aussehen sollte, denn bis jetzt balancierte er selbst noch auf einem dünnen Seil über einem gähnenden Abgrund Das Boot mit den Eingeborenen kehrte zurück. Die Männer luden unter den Flüchen und dem Gebrüll der spanischen Aufseher ein paar Silberbarren in die Boote und fuhren die Strecke wieder zurück. Und so ging es tagelang, wochenlang. Die Charrua waren Jäger und Sammler, und um zu überleben, mußten sie täglich auf die Jagd gehen, sonst war ihre Existenz in Frage gestellt. Dadurch, daß man sie versklavt hatte, war das nicht mehr möglich, sie mußten sich mit weniger begnügen und erhielten von
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den Spaniern einen Fraß vorgesetzt, den sie als widerlich empfanden. Die Indianer von den Silberstränden gingen somit einem schnellen Untergang entgegen. Gab es in den einzelnen Buchten nichts mehr zu holen, waren sie auch am Ende, denn die Dons verschleppten sie unbarmherzig in andere Buchten und ließen sie weiterarbeiten. Hasard erfaßte ein wilder Zorn auf diese Sklaventreiber. Er mußte sich beherrschen, um dem selbstgefällig grinsenden Capitan Orteguilla nicht an den Hals zu springen. Wen wunderte es da noch, wenn die Charrua rebellierten, wenn sie die Dons fingen und ihnen flüssiges Silber in die gierigen Mäuler gossen, so wie sie mit dem Teniente verfahren waren, der tot und verbrüht im Atlantik geschwommen hatte. Nein, Hasard konnte sich den grenzenlosen Haß dieses Naturvolkes auf seine Unterdrücker genau vorstellen. Da gab es auf beiden Seiten kein Mitleid mit dem anderen. Der Seewolf entwarf im Geist Pläne, wie sie den Dons das Handwerk legen konnten. Er gelangte zu keinem vernünftigen Ergebnis, das einen durchschlagenden Erfolg versprach. Allein vermochten sie hier nicht viel auszurichten. Da war Sacramento, nicht weit davon Buenos Aires, und überall wimmelte es von spanischen Galeonen. Genau genommen saß er wie eine Maus in der Falle, die von allen Seilen von lauernden Katzen umgeben war. El Verdugo, der spanische Henker von der Teufelsinsel, fiel ihm ein. Dort drüben am Strand bewegte sich ein ähnliches Individuum, ausgerüstet mit einem dünnen Stöckchen, das er oft und gern handhabte, um den müden und ausgemergelten Charrua kräftig eins überzuziehen, wenn sie zu langsam wurden oder zu lange wegblieben, bis sie ihren Korb wieder gefüllt hatten. Die angeketteten schmutzigen Kinder plärrten und schrien, wenn ihre Mütter verschwanden, aber das störte die Dons nicht.
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Hasard ging noch näher heran, bis sie in der versteckten Bucht auf dem Strand standen. Zwei Eingeborene warfen den Neuankömmlingen haßerfüllte Blicke zu, musterten die vermeintlichen neuen Spanier und glaubten, die Schikanen würden noch übler werden als vorher, denn ihrer Ansicht nach kamen immer nur schlechtere. die immer mehr Silber wollten, die sich immer neue Schikanen ausdachten. Orteguilla und der Alkalde diskutierten wieder heftig, und die spanischen Soldaten hörten dem immer hitziger werdenden Wortgefecht grinsend zu. Der neue Alkalde wollte alles umkrempeln, ändern, reformieren, aber den Capitan, der mit besonderen Vollmachten ausgestattet war, konnte er nicht umgehen. Seit er hier war, gab es täglich Streit unter den Männern. Hasard fiel auf, daß ihn einer der Charrua unverwandt anstarrte. Es schien einer der ältesten Eingeborenen zu sein. Ohne den Blick von Hasard zu lassen, füllte „er das Silber aus seinem Korb in den großen Tiegel. Ein paar Brocken fielen daneben, aber von den Soldaten sah es keiner. Der Charrua blickte jetzt wie gebannt auf den Armreif, den Hasard trug, das Geschenk der Schlangenpriesterin Arkana von der Insel Mocha. Neugierig trat der Mann näher, fragende Augen sahen den Seewolf an, ein nachdenklicher Zug stand in dem ausgemergelten Gesicht. „Senor Capitan ...“ flüsterte der Alte. „Hoffentlich bist du bald an der Arbeit“, unterbrach in diesem Augenblick ein spanischer Soldat den angefangenen Satz. Mit dem Stöckchen holte er aus, um es dem Charrua ins Gesicht zu schlagen. Hasard fing im letzten Moment seinen Arm ab und drehte ihn leicht um. „Das ist unnötig“, sagte er leise, „der Mann hat nichts weiter getan als gesprochen.“ Orteguilla stand plötzlich wie aus dem Boden gewachsen daneben.
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Sein kühler Blick musterte den Seewolf spöttisch. „Sieh an, sieh an“, sagte er höhnisch, „Capitan Olmedos nimmt einen stinkenden Indio in Schutz. Ich finde Ihr Benehmen reichlich merkwürdig. Was haben Sie davon?“ „Was haben Sie davon, wenn sie dem Mann ins Gesicht schlagen?“ antwortete der Seewolf mit einer Gegenfrage. Neben ihm begann der Alkalde hinterhältig zu lachen. Hasard konnte alle beide nicht ausstehen, aber der Alkalde war ihm zehnmal lieber als der Capitan. Er wiederholte seine Frage an Orteguilla noch einmal, aber er erhielt keine Antwort. Nur ein sehr nachdenklicher Blick traf ihn. Vor dem mußt du dich in acht nehmen, dachte Hasard. Der wartet nur auf eine Gelegenheit, dir eins auszuwischen. Brighton und der Seewolf kehrten langsam zurück, während die beiden anderen Männer noch in der Bucht blieben. „Dieser Orteguilla heckt etwas aus“, sagte Ben, „der Kerl gefällt mir nicht. Warum hat dich der alte Charrua so eigenartig gemustert?“ „Er hat nicht mich, sondern den Armreif interessiert angesehen. Es gab ihm wohl zu denken, daß ein Spanier so etwas trägt.“ „Und dann hast du ihn noch vor Schlägen bewahrt“, setzte Ben sinnend hinzu. „Auch das tut kein Spanier.“ „Zum Glück bin ich keiner.“ An Bord zurückgekehrt, sah Hasard in Gesichter, die offenes Unbehagen ausdrückten. „Ich weiß nicht“, sagte Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, „aber seit wir hier sind, ist die Stimmung einfach mies geworden. Hier liegt was in der Luft, Hasard.“ „Ja, damit hast du recht. Die Luft ist so dick geworden, daß man sie kaum noch atmen kann. Mir geht es genauso.“ Die Seewölfe gingen ziemlich lustlos ihrer Arbeit nach. Über der ganzen Kolonie Sacramento schien eine unsichtbare Wolke Unheil zu schweben. Man konnte sie fast mit der Hand greifen.
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Die spanischen Galeonen wirkten unheimlich und drohend, und die Soldaten sahen so aus, als wollten sie jeden Augenblick über die „Isabella“ und ihre Crew herfallen. 8. Hasard, Carberry und Tucker ruderten an diesem Nachmittag die einzelnen Buchten ab, um ein ungefähres Bild davon zu erhalten, in welchem Umfang hier Silber abgebaut wurde, und wie es den einzelnen Stämmen der Charrua dabei erging. Währenddessen blieb Ben Brighton an Bord zurück. Die Seewölfe waren dabei, weitere zwölf Tonnen Silberbarren zu stauen, wie es der Alkalde angeordnet hatte. Außerdem wurden die schon eingestauten Barren gezählt und überprüft, die aus dem gehorteten Schatz des ehemaligen Alkalden stammten. Hasard und seinen Begleitern bot sich ein schreckliches Bild. Fast in jeder Bucht wurde gearbeitet, mitunter sogar im Wasser, wo aussgemergelte Charrua standen und Silber wuschen. Sogar Gold fand sich hier mitunter, für die Spanier ein Anlaß zu freudigem Gebrüll, für die Charrua Grund zur Besorgnis, denn ihre Bewacher waren unersättlich und wollten immer mehr. In manchen Buchten waren nur zwei Soldaten zur Bewachung abkommandiert worden, in einigen waren es drei oder vier, aber nur ganz selten mehr. „Bis jetzt habe ich etwa sechzig Soldaten gezählt“, sagte der Seewolf zu seinen Begleitern. „Es werden also insgesamt annähernd hundert Bewacher sein. Im Hafen liegen zwei kleine Galeonen und eine große. Es müßte doch möglich sein, dem Treiben hier ein Ende zu bereiten, Unruhe und Panik unter den Spaniern zu stiften, mit ihrem Silber zu verschwinden und den Charruas die Chance zu bieten, ihren Peinigern zu entkommen.“ „Aber wie?“ fragte der Schiffszimmermann. „Wir könnten heute nacht die große Galeone versenken, und eine kleine in
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Brand stecken, dann haben sie nur noch ihre Musketen und Handfeuerwaffen. Befestigungsanlagen sind in Sacramento noch nicht gebaut, es gibt also keine Kanonen an Land.“ Carberry kratzte sich das Kinn, er dachte angestrengt nach. „Wir müssen an Buenos Aires vorbei“, gab er zu bedenken. „Und da sieht es schon schlechter aus, wenn die Dons den Braten riechen. Die können mit ihren Galeonen den größten Teil des Flusses sperren.“ Auch Ferris Tucker erwog das Für und Wider. „Ohne Kanonendonner wird es kaum gehen, es sei denn, wir schlagen blitzschnell zu. Die Kanonen hört man über den ganzen Fluß.“ „Dann bohren wir die große Galeone heute nacht an“, sagte Hasard, „sie ist ziemlich tief geladen und wird verdammt schnell wegsacken.“ „So wie wir es in Panama mit den Dons getrieben haben, was?“ sagte Ferris grinsend. Damals hatten sie auch die spanischen Schiffe angebohrt, und eins nach dem anderen war auf rätselhafte Art verschwunden. Weshalb sollte das hier nicht auch gehen? Anders kamen sie an die stark armierten Dons nicht heran. „So ähnlich. Du schwimmst im Schutz der Dunkelheit heran und bohrst ihnen ein paar Löcher in die Planken, und zwar so, daß sie erst tonnenweise Barren wegräumen müssen, ehe sie an die Lecks herankönnen. Dann ist es zu spät.“ Hasard blickte zur „Isabella“ hinüber, wo immer noch Silberbarren im Laderaum verstaut wurden. Alle drei Männer grinsten, jeder dachte das gleiche. „Wenn es sich herumspricht“, sagte Ed lachend, „daß die Dons dem gefürchteten Seewolf Silber auf die Galeone geladen haben und er zum Dank ihre Schiffe versenkte, werden sie uns über alle Weltmeere jagen.“ „Und untereinander wird das große Geschrei beginnen. Der Seewolf schleicht sich frech in die spanische Herde, und die
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erkennen ihn nicht“, meinte Tucker. „Junge, das wird ein Höllenspaß, an dem wir viel Freude haben werden.“ „Die Dons werden sich auch freuen“, setzte Hasard hinzu. „Wir haben das Überraschungsmoment auf unserer Seite, in Buenos Aires wird man nicht wissen, was los ist, und dann brechen wir wie ein Unwetter durch.“ Ed und Ferris nickten begeistert. Das war eine Sache nach ihrem Herzen, den Dons kräftig eins überzubraten, den Charruas ihre Freiheit zurückzugeben und dann zu verschwinden, nachdem man die Dons gründlich barbiert hatte. So ganz nebenbei würde eine prächtige Beute dabei herausspringen. Während sie noch darüber sprachen und Pläne schmiedeten, ertönte vom diesseitigen Ufer ein grauenhafter Schrei. So konnte nur ein Tier schreien, kein Mensch, dachte Hasard. Der Schrei wurde grell und unglaublich hoch, dann brach er jäh ab und verstummte. Der Schuß aus einer Muskete krachte, danach wurde eine Pistole abgefeuert, und es gab wieder Gebrüll. „Los hinüber, Ed!“ befahl der Seewolf. „Das kam aus der kleinen Bucht dort vorn!“ Sie sahen gerade noch, wie drei oder vier Charruas mit ihren Kindern in dem dahinter angrenzenden Urwald verschwanden. Einer lag am Strand, die Musketenkugel hatte ihm den halben Schädel weggerissen. Hasard sprang in den Sand und blickte auf den Spanier, der dort in verkrümmter Haltung lang. Ein zweiter lehnte bewußtlos am Stamm einer kleinen Palme, neben sich die abgefeuerte Muskete. „Verdammt“, sagte der Profos nur, als er die Bescherung sah. Das flüssige Silber aus dem Kessel war ausgelaufen und erstarrte jetzt blasenwerfend im Sand und zu einem anderen Teil auf dem Körper des toten Soldaten, der den grauenhaften Schrei ausgestoßen hatte. „Das war doch dieser Kerl, der immer gleich zuschlug“, sagte der Seewolf wie zu
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sich selbst. „Jetzt hat er von den aufgebrachten Charrua seine Quittung erhalten. Er scheint sie bis aufs Blut gepeinigt zu haben.“ Was dann folgte, konnte der Seewolf nicht verhindern, jedenfalls nicht jetzt. Von der Galeone löste sich ein Boot, in dem hochaufgerichtet Capitan Orteguilla stand. Hinter ihm befanden sich zwölf spanische Soldaten, bewaffnet mit Pistolen, Musketen und Haumessern. In aller Eile ruderten sie zur nächsten Bucht. Hinter ihnen schrie der Alkalde Sandoval, und aus der Baracke heraus glaubte Hasard einmal den dicken Schädel der Dona zu erkennen, die mit der fetten Faust drohte. Niemand schenkte dem tobenden und schreienden Alkalden die geringste Beachtung. Orteguilla wollte seinen Rachefeldzug gegen die Charrua haben, und jetzt hatte er den Grund dafür. „Am liebsten würde ich diesen Kerlen eins aus der Drehbasse nachfeuern“, sagte der Seewolf. Seine Lippen waren ganz schmal, zwei dünne Striche nur, und seine blauen Augen schossen Blitze. Aber sie waren nicht in der Lage, zu helfen oder etwas zu verhindern. Drüben verschwanden die Seesoldaten schon wie die Wilden zornbebend im Dschungel, um die Verfolgung der flüchtenden Indianer aufzunehmen. „Hoffentlich schaffen sie es, zu entwischen“, stieß Carberry in ohnmächtiger Wut hervor, „die Dons machen doch sonst Hackfleisch aus ihnen!“ Während die drei Männer noch dem Gebrüll der tobenden Spanier im Dschungel lauschten, geschah etwas, das Hasard staunen ließ. Vier Indios brachen aus dem Dickicht. Sie trugen ein federleichtes Boot, setzten es ins Wasser und sprangen hinein. Als sie die drei Seewölfe sahen, zuckten sie zusammen und schienen vor Schreck wie gelähmt. „Mist, die halten uns für Spanier“, sagte Tucker. „jetzt haben sie natürlich Angst.“
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Dort, wo die kleinere Galeone lag, lösten sich zwei Soldaten aus dem Schatten. Sie hielten Pistolen in den Fäusten, aber wenn sie schossen, konnten sie genauso gut ihre vermeintlichen Landsleute treffen. „Verschwindet da!“ brüllte ein Soldat, die Waffe im Anschlag. Er zielte auf die Indianer, die jetzt ratlos im Boot hockten und nicht wußten, wer sie zuerst abschießen würde, diese frei Spanier in dem Boot oder die beiden anderen, die noch weit entfernt¬ waren. Hasard blickte dem einen in die Augen und erkannte zu seiner Verblüffung den Alten, den der Armreif von der Schlangenpriesterin Arkana so fasziniert hatte. „Sprichst du Spanisch?“ fragte er leise. Der Alte nickte furchtsam. „Los, haut ab“, sagte der Seewolf, „rudert, was ihr könnt, euch wird nichts geschehen.“ Ungläubige Augen sahen ihn unverwandt an. Aber dann hatten die Charrua begriffen. So eine Chance bot sich nie wieder. Sie waren ihren Häschern entkommen, hatten sie ein Stück in den Dschungel gelockt und waren ihnen dann wieder entgegengelaufen, eine Möglichkeit, mit der die Dons nicht gerechnet hatten. Wieder schrie der andere Spanier etwas. Aber Hasard, Ferris und Ed reagierten ausgesprochen begriffsstutzig. Fast träge wandten sie sich um, bis die Indianer lospaddelten und aus dem Bereich der Schußwaffen gerieten. Dennoch ballerten die beiden Spanier die doppelläufigen Pistolen leer und fluchten laut, als sie nicht trafen. Hasard grinste still vor sich hin. Carberry ließ das Boot treiben und hielt es immer so, daß die Charrua in Deckung bleiben konnten. Dann waren sie weiter unten in Sicherheit. Sie ließen ihr Boot auf den Strand schurren und liefen in den Dschungel. Die Spanier hatten das Nachsehen. Aus dem Gebüsch brachen wenig später wutschnaubende Männer hervor, an ihrer Spitze Orteguilla. Er war außer sich vor
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Wut, als er am Strand entlanglief und die Pistole hob. Er zielte auf Hasard, der ihn aus schmalen Augen ansah. „Warum haben Sie die Hunde nicht umgelegt?“ schrie er. „Sie haben doch eine Pistole im Gürtel. Alle vier hätten Sie erledigen können, Sie elender Hund!“ Hasard blieb ruhig und eiskalt. „Weshalb sollte ich sie umlegen?“ fragte er höhnisch. „Der Alkalde hat es verboten, und ich achte sein Verbot selbstverständlich.“ „Das ist offene Meuterei, Senor Olmedos!“ schrie der Capitan. „Sie lassen einen Feind einfach laufen, obwohl er hinterhältig unsere tapferen Soldaten ermordet hat! Ich werde Sie vor ein Bordgericht stellen lassen!“ Tapfere Soldaten, dachte Hasard. Das nannten sie tapfer, an den Rand der Verzweiflung getriebene Indios ermorden zu lassen. „Tun Sie, was Sie nicht lassen können“, erwiderte der Seewolf. Sein Blick war so zwingend in Orteguillas Augen gesenkt, daß der Capitan die Pistole immer weiter senkte, bis er sie nur noch in Kniehöhe nach unten hielt. Dann wich er dem Blick aus. „Mit Ihnen stimmt etwas nicht!“ rief er in hilfloser Wut den drei Männern hinterher. „Aber das werde ich herausfinden, Sie hören noch von mir!“ Sie hatten einen unfreiwilligen Zuschauer gehabt, den Alkalden, der zuerst wieder gehen wollte, dann aber stehenblieb und dem Streit angespannt lauschte. Jetzt rieb er sich die Hände, als sich das Boot näherte, und dann lächelte er ganz offen. „Sie haben meine volle Unterstützung, Capitan Olmedos“, sagte er herzlich. „Sie haben sich an dem wahnwitzigen Abschlachten nicht beteiligt. Sie sind ein Mann, der erst überlegt und dann schießt, und nicht wie dieser Wahnsinnige dort, der mehr zerstört, als er erobert!“ „Vielen Dank“, sagte Hasard. Auch dieser Alkalde würde seine gute Meinung über ihn bald gründlich ändern,
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und irgendwie tat ihm der Mann leid, der sich gegen den Capitan nicht durchsetzen konnte. Sie ruderten zur „Isabella“ zurück. Diesmal sah Hasard in grinsende Gesichter. Das über dem Schiff hängende unsichtbare Unheil hatte sich anscheinend verzogen, seit die Silbermenge im Bauch der „Isabella“ verschwunden war. Wahrscheinlich malte jeder der Seewölfe sich’ jetzt schon die langen Gesichter der Dons aus, wenn sie die volle Wahrheit erfuhren. Smoky rieb sich grinsend die Hände. Neben ihm standen Luke Morgan und Matt Davies. Sie alle grinsten bis über die Ohren. Natürlich hatten alle gesehen, was sich dort am Ufer abgespielt hatte. „Mann, sind die Dons feine Leute”, sagte Matt und kratzte sich mit der Hakenprothese am Schädel. „Die laden unser Schiffchen voller Silber, verstauen alles gut und bedanken sich noch dafür. So was liebenswertes von Leuten ist mir schon lange nicht mehr über den Weg gelaufen.“ „Ja, sie sind sehr großzügig“, sagte auch Luke Morgan. „Fünf Mann haben mitgeholfen, damit die Ladung später auf der Fahrt nach Spanien nicht verrutscht.“ Die Männer wollten sich ausschütten vor Lachen. „Und die Dicke ist auch verschwunden“, sagte der Kutscher, dem die Erleichterung deutlich im Gesicht stand. „Ein alter Wagen hat sie und ihren mickrigen Alten geholt. Jetzt können wir uns endlich alle frei an Deck bewegen.“ „In eurer Freizeit könnt ihr euch ruhig weiterhin mit der spanischen Sprache befassen“, sagte Hasard. „Ihr seht jetzt selbst, wie gut das ist. Ihr müßt büffeln, bis ihr sie einwandfrei beherrscht.“ Hasard setzte ihnen seinen Plan auseinander. „Die Gegend wird hier langsam zu heiß“, sagte er, „und wir wollen die Nerven unserer guten Dons auch nicht übermäßig strapazieren, sonst werden sie zu schnell mißtrauisch. Deshalb versenken wir die große Galeone heute nacht, wenn die Kerle
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schlafen. Sie ziehen es ja vor, in den Steinbaracken zu pennen, weil es da kühler ist. Bleiben also nur ein paar Posten.“ „Um sie abzulenken, können wir an Bord ja eine kleine Feier veranstalten“, meinte Carberry. „Ein paar Flaschen Wein, etwas Gesang, und schon gehen alle verdächtigen Geräusche unter.“ Auch dieser Vorschlag fand allgemeine Begeisterung. Hasard sagte sich, daß es länger als eine Woche dauern würde, bis sie wieder mehr Silber in die „Isabella“ luden, denn da waren ja auch noch die beiden kleinen Galeonen, und der Nachschub vom Strand klappte längst nicht mehr so reibungslos. Schließlich und endlich wollten sie hier nicht ewig liegenbleiben, sie hatten ein Ziel, und das war die Überquerung des Pazifischen Ozeans. In den La Plata waren sie ja nur hineingesegelt, weil die flüchtenden Indios ihre Neugier geweckt hatten und schließlich die „dicke Vettel“ mit ihrem Mann aufgetaucht war. Da konnte man einfach nicht widerstehen. Wenn sie jetzt noch den Spaniern riesengroße Hörner aufsetzen konnten, dann waren sie zufrieden. 9. Als die Dunkelheit hereinbrach, hatte Ferris Tucker aus seiner Zimmermannskiste längst das nötige Werkzeug bereitgelegt. Es war ein handlicher Bohrer, genau derselbe, mit dem er schon ein paarmal so erfolgreich operiert hatte. Mit Geduld und Ausdauer würde er dem Spanier zwei oder drei Löcher unter die Wasserlinie bohren. Leicht war das nicht, denn die Galeone war nach Tuckers fachmännischer Einschätzung aus bestem harten Kastanienholz gebaut. An Land hockte ein Trupp Soldaten um ein kleines Feuer herum. Sie tranken Rotwein, aber der Teniente paßte auf, daß sie nicht zuviel tranken, in dieser Beziehung herrschte Disziplin. Niemand durfte sich besaufen.
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Auf der „Isabella“ feierten sie ebenfalls ziemlich verhalten und sangen leise. Es war ein Bild des Friedens und der Beschaulichkeit. Der lange Tag war vergessen, die Nacht kam. Auf der großen Galeone war alles ruhig. Am Heck brannte eine schwache Laterne, die ihren milchigen Schein auf das Achterkastell warf. Zwei schläfrige Männer gingen auf und ab. Ihrer Ansicht nach gab es sowieso nichts zu bewachen. Ferris Tucker startete sein Unternehmen allein, er wollte niemanden dabei haben, außer seinem Holzbohrer. Als die beiden Wachen den Niedergang zur Kuhl hinunterstiegen, glitt der rothaarige Hüne unhörbar ins Wasser und schwamm die achtzig Yards lautlos hinüber bis zur Hennegatöffnung des Spaniers. Das Wasser war angenehm warm, fand er, und Piranhas hatten sie in dieser Ecke noch nicht gesehen. Unter dem gewölbten Rumpf setzte er probeweise den Bohrer an. Ab und zu warf er einen Blick zur „Isabella“. Dort wurde ihm immer unauffällig signalisiert, wann die beiden Wachen wieder ihren Weg über die Kuhl nahmen. Es fiel gar nicht auf, daß Carberry ab und zu am Schanzkleid die Arme ausbreitete, um sich zu recken. Kein Spanier hätte das für ein vereinbartes Signal gehalten, oder daß sich Matt Davies mit der blitzenden Hakenprothese den Schädel kratzte. Auch das war ganz normal. Tucker, bei dem es Schlamperei in seinem Beruf nicht gab, hatte immer scharfes, sofort einsatzfähiges Werkzeug, das auf Anhieb funktionieren mußte. Dieser Bohrer war schärfer als die Schneide seiner Axt, mit der man sich ohne weiteres rasieren konnte, und so drehte er sich auch weich und schnell in das nasse Holz hinein. Als der Bohrer das erstemal richtig gefaßt hatte, konnte Ferris weiterleiern, ohne daß es ihn immer wieder rückstoßartig von der Bordwand abtrieb. Emsig bohrte er weiter, bis Carberry drüben wieder seine Knochen reckte.
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Nach einer knappen Viertelstunde fühlte er, daß er mit dem Bohrer jeden Augenblick hindurchstoßen mußte. Das verbleibende Holz war jetzt so dünn wie Papier, er hätte es mit dem Finger durchstoßen können. Er schwamm ein paar Yards weiter und bohrte das nächste Loch. Dann folgte das dritte, das er ziemlich tief unter dem zweiten Laderaum der Galeone ansetzte. Da trieb ihn einmal der Rückstoß zurück, als der Bohrer abglitt. Ferris Tucker knallte mit dem Schädel gegen die Beplankung und unterdrückte nur mühsam einen wüsten Fluch. Sofort verhielt er sich still. Hoch über ihm blieb der eine Posten stehen. „Hast du nichts gehört, Ernesto?“ fragte er und legte den Kopf schief, als könne er dadurch besser hören. „Wird ein Silberbarren gewesen sein, der vordem Stapel gefallen ist“, erwiderte der andere gleichmütig. Er hatte die Nase voll, immer hin und her zu rennen, für nichts und wieder nichts, denn was sollte hier schon passieren! Der andere Spanier war beharrlicher. „Da ist was gegen den Rumpf gestoßen“, sagte er und beugte sich über das Schanzkleid. Allerdings sah er nichts. „Die Fische springen wieder“, sagte Ernesto. „Da passiert es schon mal. daß sie gegen die Bordwand. donnern.“ „Hm, kann sein, scheint aber ein ziemlich großer Fisch gewesen zu sein.“ „Vielleicht gibts hier Barracudas wie in der Karibik.“ Noch immer lauschte der eine, doch als sich das Geräusch nicht wiederholte und kurz darauf tatsächlich ein Fisch weiter vorn aus dem Wasser sprang, war er beruhigt. Ferris hatte etwas später auch das dritte Loch gebohrt. Ganz langsam stieß er mit dem Finger hinein und schob einen Teil des Holzrestes zur Seite. Der Sog, der augenblicklich entstand, schien seinen Finger mitziehen zu wollen, so heftig war er. Ein scharfer Strahl schoß mit aller Gewalt nach innen. Er hörte es leise zischen, plätschern, dann gluckern.
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Tucker legte das Ohr an die Bordwand. Nein, oben würde man es nicht hören, dachte er, denn allem Anschein nach plätscherte das Seewasser auf die Silberbarren und lief von dort auf den Boden, das milderte das Geräusch etwas ab. Er durchstieß auch die anderen Löcher, ließ aber einen kleinen Rest stehen, damit das eindringende Wasser nicht so laut zu hören war. Endlich nickte er zufrieden. Der Kasten würde auf Tiefe gehen, wenn sie nicht innerhalb von ein oder zwei Stunden bemerkten, was los war. Und selbst wenn sie es bemerkten, dann mußten sie immer noch die schweren Silberbarren ausladen, damit sie die Lecks abdichten konnten. War der Raum aber erst einmal halbvoll gelaufen, dann konnten sie pumpen, bis sie schwarz wurden, es war fraglich, ob sie es dann überhaupt noch schafften. Sehr ruhig schwamm er wieder zurück, warf immer wieder einen besorgten Blick nach oben und stell erleichtert fest, daß die beiden Wachen jetzt auf dem Vorschiff standen, wo die Treppe zur Back hochführte. Carberry und der Seewolf zogen an der Steuerbordseite nach „Alles bestens“, versicherte Ferris. .Drei Löcher, das dürfte reichen.“ Das Wasser troff von ihm, pitschnaß stand er an Deck. Der schmächtige Schiffsjunge brachte ihm einen Becher Rotwein und grinste händereibend. „Dabei hätte ich Ihnen gern geholfen, Mister Tucker“, sagte er. Ferris strich ihm über die Haare. „Dabei darfst du nicht mal husten, Junge“, sagte er. Er trank den Wein in einem langen Zug und ging nach unten, wo er sich eine frische Hose anzog. Bald darauf erschien er wieder an Deck. An Land hockten die Spanier immer noch im Halbkreis um das Feuer, unterhielten sich und sangen mitunter. Etwas später brachte einer eine Gitarre, deren Klänge leise durch die Nacht tönten. „Mich wundert, daß nicht einige von ihnen zu uns an Bord kommen“, sagte Old
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O’Flynn, „denn schließlich sind wir doch Landsleute. Mitunter glaube ich, die haben was gerochen.“ „Ach was, die haben nichts gemerkt“, erwiderte der Schmied von Arwenack Big Old Shane, der gerade seinen zweiten Becher leerte. „Dieser Orteguilla wird es ihnen verboten haben, er läßt sich ja auch nicht sehen. Der hat sich mit Hasard überworfen, und deshalb dürfen seine Leute nicht zu uns herüber.“ Tucker spähte immer wieder zu der großen Galeone. Es würde lange dauern, bis sie absoff, dachte er, vielleicht ging sie auch erst am frühen Morgen unter, das ließ sich nicht so genau berechnen. Lag sie nicht schon etwas tiefer im Wasser? Ja, natürlich, er hatte sich eine Steile gemerkt, die jetzt nicht mehr zu sehen war, weil sie unter dem Wasserspiegel lag. Nach einer weiteren Stunde stieß ihn Hasard an. „Sieh mal Ferris“, sagte er, „unser Freund hat schon mehr als zwei Handbreiten Wasser geschluckt. Siehst du es?“ „Verdammt, ja, und die Brüder singen und spielen Gitarre. Noch nicht einmal den Wachen ist das aufgefallen.“ Als noch eine Stunde verging, wurden die beiden Wachen abgelöst und zwei andere stiegen an Bord. Auch sie bemerkten nicht, daß die Galeone schon tiefer im Wasser lag, als hätte sie einige Tonnen zugeladen. An Land verlöschte langsam das Feuer, bis nur noch ein Rest dunkler Glut zu sehen war. Einer nach dem anderen verschwand gähnend in den kühlen Steinbaracken, um zu schlafen. Schließlich hockten noch drei unermüdliche Burschen herum, aber die scheuchte der Teniente nach einer weiteren halben Stunde ganz energisch in die Kojen. „Für uns ist es auch soweit“, sagte der Seewolf. „Wer übernimmt die erste Wache? Zwei Mann brauche ich.“ Alle meldeten sich, sie wollten sich das Schauspiel des später absaufenden Spaniers nicht entgehen lassen.
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Donegal Daniel O’Flynn und Bill wurden schließlich ausgewählt, die erste Wache zu gehen. Schon nach einer Stunde sollten sie abgelöst werden, damit die anderen auch ihren Spaß hatten. „Haltet die Augen offen“, schärfte ihnen der Seewolf noch einmal ein, „nicht, daß uns später auch einer anbohrt und wir es nicht merken.“ „Sir“, sagte der Junge mit leisem Vorwurf, „wir sind doch keine Dons mit Tomaten auf den Augen. Die sind vom Kastanienfressen schon ganz blind.“ Hasard sah den schmächtigen Bengel scharf an. Dann tippte er ihm mit dem Zeigefinger an die magere Brust. „Man soll seinen Gegner nie unterschätzen, Freundchen“, sagte er, „sonst ist man später selbst der Dumme! Bei den Dons gibt es genauso wache oder müde Geister wie bei uns. Sie sind nicht alle gleich. Merk dir das, Junge!“ „Aye, aye, Sir. Gute Nacht.“ „Buenos noches heißt das, du Hering!“ „Das meinte ich auch, Senor Capitan“, sagte der Lümmel grinsend. Arwenack turnte um sie herum, schlug auf dem Deck Purzelbäume und benahm sich ziemlich übermütig. Auf der Nagelbank hockte Sir John, dem es nachts auf dem Großmars zu kühl war. Er hatte ein Bein dicht an den Körper gezogen, den bunten Kopf um hundertachtzig Grad gedreht und ihn unter das Gefieder geschoben. So schlief er, und gab ab und zu mal einen piepsenden Ton von sich. „Laß ihn ja in Ruhe, Arwenack“, sagte Dan und drohte dem übermütigen Affen mit dem Finger, der sich gerade wieder von hinten an Sir John heranschleichen wollte. Sein Ziel war die lange schillernde Schwanzfeder des Aracanga, an der er zu gern einmal gerupft hätte. Dann würde es wieder ein Mordsgeschrei geben, aber das konnte Dan heute nacht nicht gebrauchen. Zu seinem Ärger hopste der Affe vor Dan auf und ab, fletschte die Zähne und sah Dan starr an. Dann tippte er sich mehrmals mit dem ausgestreckten Finger an die Stirn. „Affen sind auch bloß bessere Menschen“, sagte Dan und nahm seine Wanderung
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über Deck wieder auf. Ab und zu sah er zu der Galeone hinüber und grinste sich eins, denn die lag jetzt schon beträchtlich tiefer im Wasser und neigte dazu, sich immer mehr mit Wasser vollzusaufen. * Auf der Galeone wurde zweimal geglast, ein hallender Doppelschlag war es, der besagte, daß die Sanduhr abgelaufen und es jetzt ein Uhr nachts war. Irgendetwas kam Alfredo, einem jüngeren Soldaten, plötzlich verdammt merkwürdig vor. Er stieß seinen Kumpan an. „Jose! Sieh dir mal das Schiff an, wir liegen ja plötzlich so lausig tief im Wasser.“ Der mit Jose Angesprochene blicke über das Schanzkleid, dann schüttelte er den Kopf. „Nicht tiefer als sonst auch. Das täuscht, es liegt am Mondlicht, da sind die Schatten anders.“ Alfredo gab sich mit der Antwort nicht zufrieden. „Ich habe einen Blick dafür, ich weiß es genau. Laß uns nachsehen, hier stimmt etwas nicht.” Jose hatte sich auf ein kleines Schläfchen gefreut, er war müde vom Rotwein, aber der andere ließ im keine Ruhe. „Wir ziehen irgendwo Wasser“, versicherte er, „man kann ja schon „bald zusehen, wie der Kahn auf Tiefe seht.“ „Glaubst du wirklich?“ „Ganz sicher.“ „Sollen wir in den achteren Kammern nachsehen?“ „Ich weiß nicht. Wenn es nicht stimmt, sagt der Capitan, wir hätten ‘rumgeschnüffelt.“ „Dann sehen wir -im Laderaum nach!“ Auch das war dem anderen nicht geheuer. Dazu mußten sie erst die Verschalkung und die Keile abnehmen, ganz zu schweigen von der schweren Persennig, die oben drauflag. Niemand durfte den Raum öffnen, das ließ der Capitan nicht durchgehen, da gab es ein Donnerwetter.
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Aber die Umstände erforderten es. Noch einmal sahen sie sich das Schiff an. Danach gab es für alle beide keinen Zweifel mehr. „Ich wecke den Capitan“, sagte Jose. Als Jose weg war, legte Alfredo sein Ohr an den Laderaum. Ganz undeutlich glaubte er, aus weiter Ferne ein leises Gluckern und Rauschen zu hören. Mal schwoll das Geräusch an, dann wurde es wieder leiser. Etwas später erschien Orteguilla. Fassungslos blickte er die Galeone an, sprachlos stand er davor. „Diablo!“ fluchte er laut. „Los, purrt die anderen hoch, alle, sofort! Weckt auch die anderen Kerle auf den Galeonen, auch die von der ‚Isabella’. Beeilung!“ Er war wie gelähmt vor Entsetzen. Die Galeone soff ab, daran war nicht zu zweifeln! Sein schönes stolzes Schiff mit dem er schon seit mehr als zwei Monaten im La Plata lag! An Deck rannte er hin und her, brüllte Flüche zur „Isabella“ hinüber, aber da rührte sich nichts. Nicht einmal eine Wache hatten die lausigen Kerle an Deck, die schliefen alle. Er schlug mit dem Hammer die Keile aus der Verschalkung, zerrte an der schweren Persennig und brüllte und tobte. Wie, zum Teufel, konnte das passieren? Das Schiff war aus bestem Holz gebaut, es konnte nicht einfach in einem so ruhigen Gewässer still und leise absaufen. Vielleicht hatten die verdammten Charrua nachgeholfen, dachte er. Er stürmte von vorn nach achtern, sah in den Kammern nach, doch da war alles dicht. Also lag das Leck, das ganz beträchtlich sein mußte, in den Laderäumen. Er sah schon jetzt, daß jede Hilfe zu spät erfolgen würde. Ja, wenn sie mit hundert Männern an den Pumpen standen, dann würde es vielleicht gerade noch gehen, aber so viele Pumpen hatten sie nicht, und bis die Schlafmützen aufwachten, war es zu spät. Er feuerte seine Pistole ab. Der Knall rollte wie Donner über die Bucht. Auf dem verfluchten Rahsegler erschien nach
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weiteren drei Minuten ein verschlafener junger Bengel. „Ist etwas, Senor?“ fragte er. „Wer hat da geschossen?“ „Purr die Leute hoch!“ schrie der Capitan wutschnaubend. „Hol die verschlafenen Säcke aus den Kojen, aber schnell, du lausige Rotznase, sonst trifft dich der nächste Schuß!“ „Por que, Senor?“ fragte der Bengel in aller Unschuld. „Wir saufen ab. Weck die Leute!“ Die Leute auf der „Isabella“ schienen Siebenschläfer zu sein, wie Orteguilla erbost feststellte. Er brauchte jede Hand an Deck, und da drüben rührte sich immer noch nichts. Mittlerweile erschienen seine eigenen Leute, verpennt, mit mürrischen Gesichtern hörten sie die pausenlosen Flüche auf sich niederprasseln. Aber sie kamen zu spät, da halfen des Capitans heroische Flüche nicht mehr. Das stolze Schiff neigte sich leicht zur Seite, noch ehe die Laderäume geöffnet waren. Und jetzt erschien drüben wieder einer von der „Isabella“, dieser lausige rothaarige Bulle, der ganz erschrocken herübersah. „Stimmt das, Senor? Dios, tatsächlich! Wir sind gleich da, ich wecke die anderen. Dachte, der Bengel hätte sich einen schlechten Scherz mit uns erlaubt. Das tut er nämlich öfter!“ „Quatsch nicht so viel, du rothaariger Affe!“ schrie der Capitan, mit den Nerven am Ende. „Helft uns lieber!“ „Da wird nicht mehr viel zu helfen sein“, murmelte Ferris Tucker und verschwand grinsend unter Deck, wo er die anderen „weckte“, die längst wach in ihren Kojen lagen und sich über den spanischen Tölpel die Hälse wund lachten. Als Hasard an Deck erschien, sah er gerade noch eine Horde brüllender und fluchender Spanier, die verstört ins Wasser sprangen, als das Schiff sich immer mehr zur Seite neigte und so stark krängte, daß sich niemand mehr auf den Planken halten konnte.
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Dann rauschte die Galeone in die Tiefe und mit ihr die Silberladung, die Qual und Pein der gemarterten Charrua. Die Spanier paddelten wie verrückt, um aus dem Sog des sinkenden Schiffes zu gelangen, der drohte, sie mit hinab in die Tiefe zu reißen. Hier war es ziemlich tief, wie Hasard wußte. Smoky hatte es ausgelotet und dabei eine Tiefe von fünfzehn Faden festgestellt. An anderer Stelle betrug die Wassertiefe neun Faden. Damit war für die Spanier auch nicht mehr daran zu denken, ihr wertvolles Silber jemals heraufzuholen. Sie hatten keine Möglichkeit dazu, also würde es auf dem Grund des La Plata vermutlich liegen bleiben. Eine riesige Blase zerplatzte an der Oberfläche, ein paar Spieren und zwei leere Fässer waren die traurigen Überreste, die von der spanischen Silbergaleone übrigblieben. Hasard ließ ein paar Männer aus dem Bach fischen und sie zurück an Land pullen, wo triefnaß der Capitan stand. Sein pausenloses Fluchen war Balsam auf den Ohren der Seewölfe. „Das hat prächtig geklappt“, sagte Hasard und klopfte dem Schiffszimmermann Tucker auf die Schulter. .Die beiden anderen sind so schwach armiert, daß wir mit ihnen fertig werden.“ Smoky schob sich vor. Er deutete mit dem Daumen auf die beiden kleineren Galeonen und grinste wieder. „Unsere Culverinen sind gefechtsklar, Sir“, sagte er, „wir können es den Dons gleich besorgen, noch steckt ihnen ein heilloser Schreck in den Knochen. Wir kapern die Dinger und verschwinden.“ „Na klar“, sagte Luke Morgan, „Wenn wir ihnen jetzt ein paar Breitseiten ‘reinballern, sind sie erledigt.“ Hasard schüttelte den Kopf. „Nein, das lassen wir bleiben, obwohl es mich auch gelüstet, den Dons eins überzubraten. Sie sind ein verstörter Haufen Leute, kaum bewaffnet, vor Schreck halb gelähmt, und das kann und will ich nicht ausnutzen, ich käme mir schäbig vor.“
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„Die Dons nehmen auch keine Rücksicht“, warf der temperamentvolle Luke Morgan ein. „Wir haben sie oft genug geschont, und später sind wir dadurch in häßliche Zwangslagen geraten.“ „Da kann ich dir nicht widersprechen, Luke, aber wir warten den morgigen Tag ab. Wir werden auch so mit ihnen fertig.“ „Und wenn sie uns verdächtigen?“ „Dazu besteht kein Grund, sonst hätten sie es längst getan.“ Einige murrten leise, aber als der Seewolf sie warnend anblickte, kuschte auch der hitzige Luke Morgan, dessen Temperament öfter mit ihm durchging. „Aye, aye, Sir“, sagte er leise. „Was ist denn da drüben los?“ fragte der Moses plötzlich. „Das sieht ja aus, als würden sie einen auspeitschen.“ Im Schein der Fackeln und Laternen am Ufer fand ein großes Palaver statt. Stimmen riefen durcheinander, ab und zu sah man die Gestalt Orteguillas, der hin und her rannte. „Tatsächlich“, sagte der Seewolf. Sie rissen einem Mann das klatschnasse Hemd vom Körper, banden ihn mit einem Tau an einem Poller fest und drückten seinen Kopf nach unten. Ein anderer brachte eine Peitsche. Orteguillas Stimme war bis hierher deutlich zu hören. „Dreißig Hiebe! Und schlag zu, Kerl, sonst bist du der nächste, der ausgepeitscht wird.“ Die Peitsche klatschte auf den Körper des :Mannes, bis der gellend aufschrie und in sich zusammensank. Der Zuchtmeister wollte aufhören, aber der Capitan brüllte ihn mit sich überschlagender Stimme an: „Dreißig habe ich gesagt. Das waren erst zwanzig. Und wenn ihr den Bastard totschlagt, mir ist es egal. Die drei anderen stellen sich hinten an. Nicht drängeln, ihr kriegt noch früh genug eure Abreibung, ihr Schlafmützen!“ „Es war nicht unsere Schuld, Capitan“, hörte man einen Mann winseln. „Ihr hättet bemerken müssen, daß die Galeone absackt. Auf Wache wird nicht geschlafen.“
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Die Widerrede erstickte in einem Aufschrei: Der Capitan schlug mit der bloßen Faust zu. Auch die drei anderen Männer erhielten ihre Hiebe mit der Peitsche, bis sie zusammensackten, und als sie längst am Boden lagen und sich nicht mehr rührten, ließ der Capitan weiterschlagen, bis jeder seine Anzahl Hiebe erhalten hatte. Aber danach war die Wut des Spaniers immer noch nicht verraucht. Er steigerte sich förmlich in einen Haß hinein, in einen Blutrausch, der immer schlimmer wurde. Mit dem Boot ließ er sich zur „Isabella“ pullen, stellte sich in Positur und sah hinauf. „Capitan Olmedos!“ schrie er. „Ich verlange von Ihnen, daß Sie auf der Stelle Ihren rotznasigen Schiffsjungen mit zwanzig Hieben bestrafen. Ich befahl ihm, Sie zu wecken, als das Schiff leckte, aber der Bengel stellte nur dumme Fragen. Er ist mitschuldig, daß die Galeone unterging. Bestrafen Sie ihn, aber auf der Stelle, sonst hole ich ihn mir!“ Hasard lachte laut und herzlich, so als hätte ihm jemand einen guten Witz erzählt. „Sie sollten sich hinlegen und schlafen, Senor“, sagte er, immer noch lachend. „Sie suchen nach Schuldigen, suchen Sie die in Ihren eigenen Reihen. Mein Schiffsjunge hat um die Zeit zu schlafen und nicht auf andere Schiffe aufzupassen.“ „Er hat die Hilfe verhindert!“ „Einen Scheißdreck hat er!“ brüllte Carberry zurück. „Sie wollen sich vor der Verantwortung drücken, Capitan!“ „Ich verlange auf der Stelle den Bengel!“ Die Stimme geiferte fast, so schrill klang sie. „Beschweren Sie sich bei Seiner Majestät“, sagte Hasard voller Spott. „Den Jungen kriegen Sie nicht, und wir werden ihn auch nicht wegen Ihrer Hirngespinste bestrafen.“ „Ich lasse ihn holen“, erwiderte der Capitan scharf. „Ich lasse ihn mit Soldaten von Bord holen!“ Der Seewolf war nicht zu erschüttern. Ob der Kerl da unten weiter geiferte oder
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nicht, es ließ ihn kalt. Der Mann war ja nicht mehr ganz richtig im Kopf. „Versuchen Sie es“, antwortete er kühl und verletzend, „der erste, der sich nähert, wird sein blaues Wunder erleben. Ich werde rücksichtslos in die Soldaten feuern lassen, Senor, denken Sie an meine Worte. Ich habe genügend Zeugen, auch der Alkalde wird mir notfalls zur Seite stehen, weil er Ihre Machenschaften verabscheut. Und nun holen Sie Ihre Soldaten, wir warten!“ Bill wurde es abwechselnd heiß und kalt, als er die Männer reden hörte. Dabei hatte er doch nicht mehr getan, als Ferris Tucker ihm aufgetragen hatte. Er sollte sich ganz dämlich anstellen und immer wieder fragen, was denn los sei. Tucker strich ihm beruhigend über die Haare. „Keine Angst“, sagte er, „der Kommt nicht mit seinen Soldaten, dazu ist er zu feige. Der Capitan ist in Wirklichkeit ein Hosenscheißer, der sich nur an Wehrlosen vergriff. Wenn er auf Widerstand trifft, verschwindet er.“ Tucker behielt zu Bills Verblüffung recht. Orteguilla murmelte zwar etwas von Verschwörung, und daß es eine Gemeinheit sei, und im übrigen werde er es ihm, Capitan Olmedos, bei Gelegenheit schon zeigen! „Sie hören noch von mir!“ versprach er, um sich wenigstens nach außen hin einen guten Abgang zu verschaffen, doch damit vermochte er keinem zu imponieren. So schlich er nach einer Weile davon. Die Drohung mit den Soldaten hatte er vergessen. Aber noch stundenlang traktierte er seine Leute, beschimpfte und beleidigte sie und versprach jedem einzelnen, daß er spätestens morgen vor einem Bordgericht stehen werde. Erst nach und nach kehrte Ruhe ein. 10. Morgens um vier lief die aus Porto Allegre kommende spanische Galeone „Rio Grande“ in den Hafen ein.
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Es war noch dunkel, und Capitan Olivada sah nur die Umrisse der drei anderen Schiffe. Eine halbe Stunde später änderte sich das jedoch. Er ließ seinen ersten Offizier aufs Achterkastell rufen. Als der endlich erschien, hatte sich Olivadas Gesicht verfärbt, und er war einem Herzanfall verdächtig nahe. „Das - das ist doch der Seewolf, El Lobo del Mar“, brachte er mühsam hervor. „Ich kenne das Schiff genau mit den überlangen Masten und den schweren Culverinen. Und der liegt hier in einem spanischen Hafen! Das ist nicht zu fassen!“ Olivada entsann sich noch gut daran. Er war diesen englischen Teufelskerlen nur um ein Haar entkommen, indem er fluchtartig das Weite gesucht hatte. „Vermutlich haben sie ihn aufgebracht, Capitan, das Schiff erbeutet. Lobo del Mar ist ja auch kein Magier, einmal hat es ihn eben erwischt.“ „Seien Sie nicht zu sorglos, mein Lieber. Er und dieser Drake hecken ständig neue Teufeleisen aus wie damals in Panama, als sie getarnt als hilfreiche Spanier mitten unter uns waren. Nein, nein, das muß unbedingt geklärt werden. Lassen Sie das Schiff sofort in gefechtsklaren Zustand versetzen, aber öffnen Sie noch nicht die Stückpforten. Ich werde an Land rudern und Orteguilla fragen, was hier passiert ist. Wenn es sich um den Seewolf handelt, der sich hier als Wolf in die Schafherde geschlichen hat, dann wird ihm dieses Unternehmen das Genick brechen. Dann geht er hier mit Mann und Maus unter! Los, fangen Sie an, aber keine übertriebene Hast und Eile zeigen, wir werden ihn in Sicherheit wiegen.“ Olivadas Herz flatterte noch, als er an Land gerudert wurde. Immer wieder sah er sich nach der „Isabella“ um. Die Deckswache hatte sein Einlaufen natürlich bemerkt, aber sie maß dem anscheinend keine Bedeutung zu. Und der Seewolf konnte sich nicht an ihn erinnern, denn das Schiff war erst kürzlich in „Rio Grande“ umbenannt worden.
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Ohne Eile, obwohl jeder Nerv in ihm vibrierte, ging Olivada zur Kommandantur. Orteguilla mußte erst geweckt werden, er schlief noch. Als er endlich erschien, war sein Gesicht verschlafen und mürrisch. Ziemlich ungnädig gab er Olivada die Hand. „Ihre Anmeldung hätte auch noch etwas Zeit gehabt“, sagte er. Dann fiel ihm auf, daß sein Gast bleich und verstört aussah. „Wer kommandiert die ‚Isabella’?“ fragte er mit zitternder Stimme. „Capitan Olmedos natürlich. Weshalb?“ „Haben unsere Landsleute das Schiff aufgebracht?“ Orteguilla sah den anderen erstaunt an. „Aufgebracht?“ fragte er verständnislos. „Das Schiff kommt aus Cadiz und ladet Silber. Was sollen Ihre Fragen?“ Olivada lachte schrill. „Ist der Capitan blauäugig? Hat er einen rothaarigen Zimmermann an Bord? Und einen Profos, der wie ein Stier aussieht, und zwei Männer mit Hakenprothesen? Ist ein Affe an Bord?“ „Ja, ja, ja, allemal ja“, knurrte der Capitan. „Prachtvoll, Senor. Die ‚Isabella’ gehört El Lobo del Mar, und der liegt jetzt mitten unter uns. Das haben Sie wunderbar übersehen. Der Wolf in einer Herde dämlicher Schafe.“ „Wissen Sie auch, was Sie da sagen?“ stöhnte der Capitan. „Ich kenne diesen englischen Bastard, der sich immer wieder trickreich bei uns einschleicht und dann die Schiffe versenkt, ohne daß einer weiß, weshalb plötzlich eins nach dem anderen fehlt!“ „Mein Gott! Das -das -ist ja …“ Orteguillas Hände preßten sich um die Stuhllehne, bis seine Knöchel weiß hervortraten. „Meine Galeone ist vor drei Stunden auf geheimnisvolle Art und Weise untergegangen“, brach es qualvoll aus seinem zuckenden Mund. Er begann am ganzen Körper zu zittern. „Jetzt begreife ich es, jetzt verstehe ich, Und wir Idioten haben ihn auch noch mit etlichen Tonnen Silber beladen.“
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Er stützte den Kopf in die Hände und schüttelte sich. Jetzt war er wirklich mit seinen Nerven am Ende. „Wir müssen etwas tun, Mann!“ schrie Olivada. „Unterhalb von Buenos Aires liegt noch so ein merkwürdiges Schiff mit vier Masten und pechschwarzen Segeln. Bestimmt gehören die beiden zusammen. Wachen Sie auf, Mann! Dieser Seewolf holt sich sonst einen nach dem anderen aus der Herde. Lassen Sie die beiden kleinen Galeonen unauffällig gefechtsklar machen, und dann werden wir diesem Bastard schlagartig zum Tanz aufspielen!“ Orteguilla begriff plötzlich die gesamten Zusammenhänge. Schon anfangs war er mißtrauisch gewesen, und jetzt paßte alles lückenlos zusammen. Der Untergang seines Schiffes, die träge Hilfsbereitschaft der „Isabella“-Crew, das Verhalten des Seewolfs am Silberstrand - alles war genau durchdacht. Es dauerte eine Weile, bis er sich gefaßt hatte. „Ich lasse den Alkalden wecken“, flüsterte er gebrochen. „Und dann versetzen wir die Schiffe in Bereitschaft. Es muß aber alles so unauffällig wie möglich geschehen. Er liegt fast genau in der Mitte, wir nehmen ihn auf mein Kommando schlagartig unter Feuer. Oh, wie ich diesen Hund hasse! Diesmal wird er nicht entkommen. Verlassen Sie sich darauf!“ „Ich werde mich auf meine Kanonen verlassen“, knirschte Olivada erbittert, „auf nichts anderes. Passen Sie gut auf, dieser Bastard steckt voller übler Tricks! Da hilft nur ein blitzartiger Überfall. Bevor er weiß, wie ihm geschieht, müssen ihm schon die ersten Planken um die Ohren fliegen!“ „Gut, sehr gut! Wir müßten uns ja vor uns selbst schämen, wenn das nicht gelänge. Diesen Triumph darf der Hund nicht auskosten. Man würde uns öffentlich hängen, erführe man es.“ Olivada kehrte an Bord zurück. Er benahm sich ganz so, als hätte er lediglich sein Schiff angemeldet und kehrte nun wieder zurück.
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Orteguilla ließ den Alkalden wecken, dem er die ganze Geschichte erzählte. Sandoval fiel von einem Extrem ins andere. Jetzt mußten sie handeln, und zwar ganz schnell. Lobo del Mar, der verhaßte Seewolf, war mitten unter ihnen, um aus dem Rudel die besten Stücke zu reißen. Nein, diesmal nicht, diesmal war er rechtzeitig erkannt worden. Und ein Gegner, den man erkannt hatte, der war nur noch halb so gefährlich. So dachten die Spanier, und sie begannen mit einer unauffälligen Betriebsamkeit. * Auf der „Isabella“ war das Einlaufen der „Rio Grande“ natürlich bemerkt worden, aber noch dachte man sich nichts dabei. Bob Grey und Jeff Bowie, die zu dieser Stunde Wachen gingen, verzogen sich unauffällig. Sollten die Spanier ruhig weiterhin in dem Glauben bleiben, hier schliefe alles. Bowie weckte vorsichtshalber den Seewolf, erklärte ihm die Lage und erzählte von dem anderen Schiff, einer mittelgroßen Galeone. Hasard ging an Deck, kniff die Augen zusammen und sah hinüber. Noch war es nicht ganz hell, aber er sah genügend. „Das gefällt mir nicht“, sagte Hasard leise. „Diese plötzliche Betriebsamkeit bedeutet nichts Gutes. Weckt die anderen, sie sollen sich bereit halten, aber nicht alle auf Deck aufkreuzen.“ Er sah, wie der Capitan sich hinüberpullen ließ, wie er in der Kommandantur verschwand und zusammen mit Orteguilla wieder heraustrat. Durch das Spektiv sah Hasard die Gesichter der beiden Männer klar und deutlich vor sich. Sie waren hochgradig erregt. Er sah auch, wie unauffällig Soldaten erschienen, zu zweit, zu dritt ruderten sie anscheinend sorglos an Bord. Hasard ging zu Ben, versammelte dann Tucker, Carberry, Old Shane und ein paar andere um sich. „Es riecht nach Pulverdampf, Leute“, sagte er ruhig. „Vermutlich haben die Kerle den
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Braten gerochen. Seht euch diese behelmten Affen an, wie sie unauffällig Pulver mannen, Wischer bringen, Kohlebecken aufstellen und Kugeln bereitlegen. Wir haben mit einem blitzartigen Überfall zu rechnen, und deshalb werden wir jetzt vorbeugen. Schließlich wollen wir nicht in die Falle rennen, um heute abend an irgendwelchen Rahen hängen.“ „Mann, das wird ein Fest“, sagte Carberry und rieb sich die riesigen Pranken. „Sie wissen natürlich nicht, daß wir etwas ahnen, das wir sie überraschen.“ „Es wird nicht leicht sein, wir haben drei Galeonen vor und neben uns. Wichtig ist jetzt, daß jeder seine Aufgabe ohne große Kommandos ausführt. Das teilen wir sofort ein. Wie sieht es mit den Culverinen aus, Al?“ fragte er den Stückmeister. „Geladen, kontrolliert, feuerbereit“, sagte Al Conroy. „Das gehört sich so in einem spanischen Hafen.“ „Sehr gut. Sobald auf einem der Spanier eine Stückpforte hochgezogen wird, feuern wir Back- und Steuerbordbreitseiten. Gleichzeitig wird der Anker aufgeholt, ein paar andere stehen an den Geitauen bereit. Sofort alles Tuch setzen, was wir haben, das muß blitzschnell gehen. Während wir drehen, setzen wir die Drehbassen vorn und achtern ein. Die ,Rio Grande’ können wir notfalls rammen, ohne Schaden zu nehmen.“ „Und immer feste auf die spanischen Köpfe drauf“, sagte Ed Carberry. Er sah die Männer der Reihe nach an, stemmte die Arme in die Hüften und grinste dann. „Wer nicht schuftet, bis ihm die Knochen abfallen, dem werde ich anschließend die Haut in Streifen von seinem verdammten Affenarsch ziehen und zum Trocknen an das Kombüsenschott nageln. Und diesmal meine ich es ernst, ihr triefäugigen Sägefische!“ Diesmal lachte auch keiner, denn es gab nichts zu lachen, die Lage war ernst genug, seit die Spanier etwas gewittert hatten. Noch einmal paukte der Profos jedem seine Aufgabe vor, aber die kannte jeder im Schlaf, sonst wären sie nicht meistens
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mit heiler Haut aus den zahlreichen Gefechten davongekommen. Die unauffällige Eile, mit der die Spanier vorgingen, löste auf der „Isabella“ kleine Heiterkeitsstürme aus, zumal der Profos sie mit saftigen Kommentaren würzte. „Die Rübenschweine glauben, wir merken das nicht, was, wie?“ sagte er, während an Deck überall Lunten bereitlagen und Kohlefeuer glimmten. Auch auf der „Isabella“ wurde geschuftet, doch davon bemerkten die Spanier kaum etwas, weil die Seewölfe ihr Handwerk verstanden. Orteguilla wurde von drei Männern in einem Boot zur „Rio Grande“ hinübergepullt. Er fuhr dicht an der „Isabella“ vorbei. Sein Gesicht war bleich und verstört, als er den Seewolf sah, und wollte hastig den Blick wenden. „Hallo, Capitan!“ rief Hasard freundlich. „Ich denke, wir verholen etwas näher zum Ufer hin, dann wird das Laden einfacher.“ „Tun Sie das“, erwiderte Orteguilla, und mußte sich zusammennehmen, um nicht schadenfroh zu lachen. Wenn die Kerle näher zum Ufer verholten, hatte er sie noch besser im Schußfeld. Hasard sah das unterdrückte Grinsen und gab sich loyal. „Ich muß mich für gestern entschuldigen, Senor!“ rief er. „Ich sehe ein, daß ich den Bengel hätte bestrafen müssen, aber hier an Bord will es keiner tun. Wollen Sie ihn mitnehmen?“ Bill wurde grün im Gesicht, aber der Profos stieß ihn an. „Das kapierst du erst später, Kleiner“, sagte er. Orteguilla ließ das Boot stoppen, er überlegte. Lehnte er ab, dann würde der Seewolf Verdacht schöpfen, denn noch ahnte er ja nichts. Andererseits hatte er mit dem Bengel auch eine Geisel in der Hand, die er gegen diesen Bastard verwenden konnte. Er nickte schließlich, und als Hasard sagte, er möge ihn nicht zu hart bestrafen, sagte er sofort zu.
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Inzwischen knarrte auf der „Isabella“ das Spill, die Seewölfe standen unauffällig bereit. Hasard entschied sich zum sofortigen Angriff. Offensive war in diesem Fall besser, als die erste Breitseite des Gegners abzuwarten. „Packt die Haken und zieht den Bastard an Bord“, flüsterte er dem Profos zu, der nur mit dem Kopf nickte. Orteguillas Boot legte an. Hasard packte den Bengel am Kragen, der schrie und zappelte, und hievte ihn auf das Schanzkleid. Als Orteguilla nach ihm greifen wollte, fuhren blitzartig fünf hölzerne Haken ins Boot und holten den spanischen Capitan mit einem wilden Ruck an Bord der „Isabella“. Es ging so schnell, daß es niemand richtig kapierte. Dem übertölpelten Spanier schlang Carberry schrill ein langes Tau unter den Armen durch. Kräftige Fäuste packten zu und gleich darauf stieg Orteguilla schreiend und brüllend wie eine Flagge zum Großmars hoch, wo er kreidebleich hängenblieb. „Mal sehen, ob deine Kumpane auf unseren Mast schießen, du Rübenschwein“, sagte Carberry grimmig. Jetzt geschah alles gleichzeitig, mehrere Ereignisse liefen zur selben Zeit ab. Auf der „Isabella“ kam der Anker auf. Die im Gei hängenden Segel fielen, neben denen der zappelnde Caitan hing, der nun laute Verwünschungen in die Luft brüllte. Die Segel füllten sich mit Wind, langsam schwang der Bug der Galeone herum. Drüben, auf den anderen Schiffen, standen die Spanier wie Puppen, denen man die Drähte durchgeschnitten hatte. Sie sahen ihren Capitan dicht neben der oberen Rah des Großmarses hängen und schreien und waren wie gelähmt. Doch die Spanier, die sich wieder einmal überlistet sahen, handelten jetzt. Offenbar war ihnen der Capitan egal, sie wollten El Lobo del Mar haben, und dazu war ihnen jedes Mittel recht. Er durfte nicht wieder einen Trümmerhaufen zurücklassen, versenkte und verbrannte mit Silber beladene Galeonen. Er durfte der
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spanischen Krone nicht die Beute entreißen und nicht die Wilden, die diese Beute unter Einsatz ihres Lebens herbeibrachten. Die Stückpforten auf der „Rio Grande“ flogen hoch. Dahinter drohten die gedrungenen Rohre der Semi-Culverinen. Der Seewolf sah es, und noch während der Bug der Galeone herumschwang, trat die vordere Drehbasse in Aktion. Von dem Seewolf erfolgte kein Feuerbefehl, er hatte genug zu tun, und er wußte, daß seine Männer selbständig aus der günstigsten Position heraus feuern würden. Die Drehbasse wummerte los, ein greller Blitz zuckte aus dem Rohr, Blei und Eisen donnerte der „Rio Grande“ brüllend entgegen. Drüben schlug es mit unvorstellbarer Wucht ein. Back, Vordeck und Kuhl wurden blitzartig leergefegt, der Treffer lag voll im Ziel, denn auf diese Distanz schoß keiner vorbei. Während drüben die Verwundeten brüllten und schrien, und ein paar Männer außenbords gingen, schwang der Bug der „Isabella“ nun so weit herum, daß er breitseits auf die Galeone zielte. Das Schiff nahm langsam Fahrt auf. Die zweite Drehbasse hackte los und spuckte ihren Hagel aus gehacktem Blei und grobem Eisen wummernd über das Deck, auf dem es aussah, als hätte ein eiserner Besen alles leergefegt. Ben Brighton verpaßte aus dieser Position der anderen Galeone einen harten Treffer mit der achteren Drehbasse, und während Batuti sie nachlud, erfolgte der zweite Abschuß. Jetzt erst schoß der dritte Spanier. Er mußte eine günstige Position abwarten, denn durch ihr „Verholen“ hatte die „Isabella“ einen unschätzbaren Vorteil errungen, den Orteguilla anscheinend nicht bemerkt hatte. Die anderen konnten zwar auch feuern, liefen dabei aber Gefahr, ihre eigenen Schiffe zu treffen. Zwei Schüsse verließen die Rohre des Spaniers. Der erste krachte in das Achterdeck und hinterließ ein kopfgroßes
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Loch, bevor er ins Zwischendeck schlug. Die andere Kugel fuhr durch das noch aufgegeite Lateinersegel am Besan und blieb im Tuch stecken, weil ihr die nötige Wucht fehlte’. „Verdammtes spanisches Ochs!“ schrie Batuti, als die Kugel dicht hinter ihm das Deck ratschte. „Batuti werden zeigen!“ Voller Wut packte er das Messingbecken mit der glühenden Kohle und schleuderte es dem Spanier aufs Deck. Die nach allen Seiten spritzenden glühenden Brocken landeten teilweise in zwei Lederpützen mit Pulver. Eine Stichflamme stieg hoch, hüllte das Deck in Rauch und Feuer und griff in die aufgegeiten Segel. Ferris Tucker wartete auf seine Gelegenheit, als das eigene Schiff weiter herumschwang und sich leicht in die Breitseite des Spaniers bohrte. Hinter ihm krachten Musketenschüsse, ein geworfenes Beil zischte an seinem Rücken vorbei und blieb im Schanzkleid mit einem häßlichen Geräusch stecken. Tucker feuerte zwei Culverinen ab, als der zweite, jetzt brennende Spanier in seiner Zielrichtung erschien. Eine gelbgraue Wolke hüllte ihn ein, sekundenlang sah er nicht, was er getroffen hatte, aber er hörte es. Ein Mast krachte aufs Deck, riß alles mit sich und ging über Bord. Spanier schrien, ein paar Tote lagen auf dem Deck, und Verwundete schleppten sich hinter das Schanzkleid, um dem wütenden Feuer der Seewölfe zu entgehen. Auf der „Rio Grande“ wichen die letzten Überlebenden angstvoll zurück. Beide Schiffe waren immer noch ineinander verkeilt, und die „Isabella“ schob das andere leicht vor sich her, bis das Ankertau sich straffte und mit einem Knall auseinanderflog. „Feuer!“ schrie Hasard jetzt. Auf der Backbordseite wummerte es los. Die Culverinen sausten hart zurück, bis die Brooktaue sie abfingen. Vier Siebzehnpfünder donnerten dem anderen Spanier voll in die Seite an der Wasserlinie. Augenblicke später legte er
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sich quer, ein paar Geschütze rissen aus ihren Verankerungen und rollten mit verheerender Wucht über Decke. Donnernd durchschlugen sie das Schanzkleid. Im Hafen herrschte ein wildes Chaos. Während die eine Galeone sich immer stärker neigte, stand die andere in hellen Flammen. Aber dort schossen die Kerle noch, und ein Eisenhagel aus drei Rohren pfiff den Seewölfen um die Ohren. Alle drei Treffer schlugen ein, rissen Löcher ins Deck oder durchschlugen die Verschanzung. Zum Nachladen blieb dem brennenden Spanier keine Zeit mehr. Das Feuer griff immer stärker um sich, fraß das Deck, verzehrte die aufgegeiten Segel und warf brennende Lappen herunter, die das Chaos immer wilder werden ließen. Einmal sah Hasard aus den Augenwinkeln zum Ufer hin. Dort standen, wie Perlen an der Schnur aufgereiht, die Charrua und sahen dem Drama zu. Wahrscheinlich wußten sie nicht, was hier vorging und warum die verhaßten Dons untereinander Krieg führten, aber sie sahen ihre Chance und nutzten sie. Überall tauchten Boote auf, in fliegender Eile verließen die Indianer die Kampfstätte und setzten sich ab. Ihr Sklavendasein war vorerst beendet. Musketengeknatter, Schreie, Pistolenschüsse, das Brüllen von Befehlen, das alles klang wüst durcheinander. Und dazwischen klang der Kopf ruf der Seewölfe, der den Spaniern in die Glieder fuhr und sie lähmte. „Ar-we-nack!“ Ein paar, Dan, Matt Davies, Blacky, Batuti, sprangen auf die „Rio Grande“ und räumten auf. Bewaffnet mit Belegnägeln, Schiffshauern, Entermessern und Pistolen schlugen sie um sich, packten die Spanier, warfen sie in hohem Bogen über Bord und setzten das Schiff vom Achterkastell her in Brand. Für die „Isabella“ wurde es höchste Zeit, sich von dem Gegner zu lösen, der jetzt ebenfalls zu brennen begann.
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Dicht neben Carberry sauste etwas mit blitzartiger Geschwindigkeit an Deck. Der verdutzte Profos nahm an, daß es Arwenack sei, aber der vermeintliche Affe entpuppte sich als Orteguilla, dem es gelungen war, mit dem Geitau an Deck zu springen. „Nun seht euch das an!“ rief der Profos grimmig. „Den haben wir doch eben zum Trocknen aufgehängt, den Stockfisch.“ Orteguilla, außer sich vor ohnmächtiger Wut, riß dem Profos den Belegnagel aus der Pranke und drosch auf ihn ein. Wie ein Tobsüchtiger trieb er den Profos vor sich her, der die Schläge schnell abblockte und langsam zurückwich. „Der Seewolf!“ keuchte der Spanier, dessen Gesicht haßvoll verzerrt war. „Wo ist der Hund! Bring mir diesen Bastard, ich werde ihn totschlagen.“ Carberry unterlief den nächsten Schlag, packte dann zu und hielt den Belegnagel plötzlich selbst in der Hand. „Der Seewolf ist beschäftigt“, knurrte er, „der kann sich jetzt nicht mit solchen Würstchen abgeben.“ Er schob den vor Wut geifernden Capitan von sich, dann hieb er mit dem Belegnagel zu und schlug ihn auf den spanischen Schädel, ganz so, e er es vorhin gesagt hatte. „So, du Rübenschwein“, sagte er, als Orteguilla alle viere von sich streckte, „das war schon lange fällig.“ Er griff zu und warf den Spanier mit einem Ruck auf die „Rio Grande“, auf der der Kampf jetzt so gut wie beendet war. Er schlenkerte den Männern Geitaue zu, die sie auffingen und mit deren Hilfe sie in einem langen Bogen an Bord der „Isabella“ zurückschwangen. Weit hinter ihnen soff die kleinere Galeone ab. Sie legte sich auf die Seite, drehte sich, bis ihr Kiel nach oben wies, und verschwand in einer kochenden Blase aus Wasser und großen Luftwirbeln. Die andere stand in hellen Flammen, in wenigen Minuten würde sie ihrem Schwesterschiff auf den Grund folgen. Die Spanier waren längst über Bord gesprungen und schwammen an Land.
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Big Old Shane schoß auf die „Rio Grande“ ein paar Brandpfeile ab, die Pulver in den Schäften trugen und nach dem Aufschlag sofort lichterloh brennen begannen. Ein Teil des Achterkastells stand jetzt ebenfalls in Flammen. Olivada hatte sich abgesetzt. Er und zwei andere hockten in dem Beiboot und pullten an Land. „Eine Breitseite!“ befahl der Seewolf. Wieder wummerte es los. In das jetzt treibende Schiff, die „Rio Grande“, schlugen acht Siebzehnpfünder mit aller Wucht ein. Die Seewölfe standen da, in dunklen, beizenden Pulverqualm gehüllt, hustend, aber mit grinsenden Gesichtern, denn sie hatten wieder einen Sieg errungen. Das Deck sah aus wie ein Trümmerhaufen, ein heilloses Durcheinander herrschte. Kugeln lagen herum, der glimmende Teil eines Segels trieb herum, Fallen und lose Taue waren zu klarieren. Ferris Tucker sah sich die Beschädigungen an, als der Seewolf mit rußgeschwärztem Gesicht an ihm vorbeiging. „Sieht schlimmer aus, als es ist“, sagte Tucker. „Ein paar Löcher im Deck, ein paar Kratzer am Schanzkleid und zwei Segel zerschossen. Alles andere ist heil, aber denen haben wir es wieder einmal gegeben.“ „Verletzte?“ fragte der Seewolf. Der Kutscher, der Wasser über die Planken goß, das glimmende Segeltuch austrat und mal hier, mal dort war, verneinte. „Nichts von Bedeutung. Ein paar Splitter in Batutis Kreuz, ein vom Pulverrauch verbrannter Daumen bei Gary und ein Streifschuß, den Luke abgekriegt hat. Das kuriert sich schnell. Es war unser Glück, daß wir sofort angegriffen haben und die bessere Position hatten, so konnten die Spanier nicht so losballern, wie sie gern wollten.“ „Ja, Glück gehört auch dazu“, sagte Hasard. *
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Der Hafen glich einem wüsten Trümmerhaufen, nachdem auch die „Rio Grande“ untergegangen war. Überall schwammen Holzteile, trieben fluchende Spanier im Wasser, brannten Balken und Planken, die auf der Oberfläche trieben. Pete Ballie richtete den Bug aus, die „Isabella“ lief mit leichtem Wind in Richtung Atlantik, hinter sich das Chaos zurücklassend. Die Männer waren dabei, das Deck aufzuklaren, doch Hasard, der sein rußgeschwärztes Gesicht in einer Pütz Seewasser wusch, winkte mit beiden Händen ab. „Laß das“, sagte er. „Vor uns liegt noch das Städtchen Buenos Aires, dort wird man längst Alarm ausgelöst haben. Ladet die Kanonen, stellt Pützen bereit, wir können schon innerhalb der nächsten Stunde wieder angegriffen werden.“ Will Thorne war mit drei Männern dabei, ein neues Segel anzuschlagen. Old O’Flynn und sein Sohn Dan holten die Kugel aus dem Lateinersegel, die große Fetzen gerissen hatte. 11. Buenos Aires, die aufstrebende, am rechten Ufer liegende Kolonie und Hauptstadt der Spanier, rückte näher. In einem Abstand von knapp fünfhundert Yards passierte die „Isabella“ den Liegeplatz zahlreicher Galeonen. „Sie haben anscheinend noch nichts bemerkt“, sagte Hasard. „Es ist ja auch noch früh. Ed, hol bitte fünf Brandsätze aus meiner Kammer, es wird höchste Zeit, daß die Burschen geweckt werden.“ Die Spanier sollten noch einen letzten Denkzettel erhalten, bevor es hinaus in den Atlantik ging, dachte Hasard. Das würde einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, und sie würden vollauf beschäftigt sein, die vielen Brände zu löschen. Tucker baute die Brandsätze in den Gestellen auf, als sich eine der Galeonen vom jenseitigen Ufer löste und die Segel setzte. „Den zuerst, Ferris! Der ist zu neugierig“, sagte Hasard.
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Tucker zündete die Teufelsdinger, die mit wildem Heulen und Knattern hoch in die Luft rasten,. und ein paar hundert Yards weiter über den Galeonen explodierten, wobei sie ihren höllischen Segen blitzartig nach allen Seiten schleuderten. Auf der ersten Galeone stieg schlagartig eine Feuersäule hoch. Rötliche Glut waberte. Nacheinander flammte es im Hafen auf. Spanier liefen kopflos durcheinander, niemand konnte sich den plötzlichen Überfall erklären, denn die „Isabella“ segelte schon wieder weiter und ließ Buenos Aires schnell hinter sich. Dort züngelten jetzt überall Flammen auf, der ganze Hafen begann zu brennen, Rauchpilze standen über den Schiffen, die Gebäude, Häuser, Schiffe, Lagerhallen wurden von schwarzem Qualm eingehüllt. Auch die Galeone, die sie verfolgen wollte, gab ihr Vorhaben auf, denn dort war man fieberhaft damit beschäftigt, das sich wie rasend ausbreitende Feuer zu löschen. Doch das ließ sich nicht löschen, wie die Spanier entsetzt feststellten, es flammte immer wieder auf, als stamme es aus der Hölle wie das Fegefeuer. Buenos Aires, jetzt am Hafen ein brennendes Feuermeer, verschwand aus ihrem Blickfeld. An Deck der „Isabella“ wurde jetzt gründlich aufgeklart. * „Sie sind es“, sagte Siri-Tong etwas später, als sie durch das Spektiv die sich rasch nähernde „Isabella“ sah. Weit hinter ihr strebte ein dunkler Rauchpilz zum Himmel, eine gigantische Wolke aus Qualm und Ruß. „Eiliger Drache über den Wassern“ setzte die Segel und wendete. Siri-Tong, die anfangs dem Seewolf bis nach Sacramento folgen wollte, hatte ihren Plan wieder aufgegeben, um Hasard nicht zu gefährden und ihn nicht frühzeitig zu verraten. So hatten sie hier auf der Lauer gelegen, mißtrauisch beäugt von vorbeiziehenden Spaniern, die das schwarze Schiff nicht kannten, sich aber auch nicht trauten, es anzugreifen.
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Als sich die „Isabella“ näherte, war der ganze Strand in Aufruhr. Eingeborene jagten in ihren Booten den Fluß hinunter, weg von den Dons, die ihnen die Hölle beschert hatten. Sie strebten einer anderen Küstenregion zu, dort, wo es kein Silber gab, fühlten sie sich vorerst in Sicherheit. Etwas später trafen die beiden Schiffe zusammen, und das Gebrüll auf beiden Seiten nahm kein Ende.
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Doch es blieb ihnen keine Zeit, jetzt zu rasten, die unbeschädigten Spanier würden sicher die Verfolgung aufnehmen, wenn es überhaupt noch welche gab, die die Nerven aufbrachten, um den beiden Schiffen zu folgen. Mit vollem Zeug segelten die „Isabella“ und „Eiliger Drache über den Wassern“ in Richtung Atlantik ihrem Ziel entgegen, das immer noch in weiter Ferne lag. Hinter ihnen blieb das Chaos zurück.
ENDE