Geister Killer � Nr. 30 �
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Der Großmeister war oberster Herr der Schwar...
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Geister Killer � Nr. 30 �
Andrew Hathaway �
Rick wird � hereingelegt �
Der Großmeister war oberster Herr der Schwarzmagier. Er vertrat das Böse auf Erden. Sein Wort entschied über Leben und Tod. Meist brachte es den Tod! Kein Mensch kannte ihn, den geheimnisvollen Großmeister. Er blieb auch im Verborgenen, als er folgenden Befehl verkündete. »Tod dem Geisterdetektiv Rick Masters! Baut die raffinierteste Falle! Setzt alle Mittel ein! Aber tötet Rick Masters!« Ein Befehl des Großmeisters galt für Schwarzmagier als höchstes Gebot. Von jetzt an trachteten Hunderte von Anhängern des Bösen dem Geisterdetektiv Rick Masters nach dem Leben… *** Das Tennismatch fand in der Halle statt. Draußen rauschte Dauerregen auf London nieder. Es sah fast so aus, als solle die Stadt an der Themse endgültig weggespült werden. Alles war naß und klamm, wohin man auch faßte. Sie waren zu viert, Rick Masters, Hazel Kent, Jorge und Frank Potter. Rick Masters galt offiziell als Privatdetektiv. Er arbeitete jedoch als Geisterdetektiv. Der Unterschied war beträchtlich. Er beschäftigte sich nur mit Fällen, in denen Schwarze Magie, Geister und Dämonen eine Rolle spielten. Rick Masters gehörte zu den wenigen Eingeweihten auf der ganzen Welt. Und er war absoluter Fachmann auf seinem Gebiet. 3 �
Hazel Kent war keineswegs nur Ricks Freundin. Sie ruhte sich auch nicht auf ihrem Geld aus, obwohl ihr Vermögen das erlaubt hätte. Sie leitete ein Wirtschaftsimperium, um das sie viele Männer beneideten. Wer gegen Rick Masters vorging, mußte früher oder später auch Hazel Kent ausschalten. Die beiden gehörten einfach zusammen. Die anderen Teilnehmer an diesem Match waren zum Zusehen verurteilt. Rick und Hazel spielten gegeneinander. Am Spielfeldrand saß auch noch ein kleiner Mischlingshund, weiß mit braunen und schwarzen Flecken und überdimensionalen Fledermausohren. Seine dunklen, klaren Augen verfolgten jede Bewegung des Balls. Im Moment stand das Spiel ausgeglichen. Beide konzentrierten sich voll und wurden durch nichts abgelenkt. Draculas Kopf pendelte mit der Ballbewegung hin und her. Mit Dracula war jener kleine Mischlingshund gemeint, der seinen Herrn Rick Masters auf Schritt und Tritt begleitete. Der Ball kam zu Hazel Kent. Die elegante, rassige Frau mit den kühlen grauen Augen und den schimmernden schwarzen Haaren schlug ihn kraftvoll zurück. Rick sah den Ball herankommen. Es war nichts Ungewöhnliches zu entdecken. Rick schwebte ständig in Gefahr. Das bedeutete jedoch nicht, daß er auch ständig mit einem Anschlag rechnete. Rick Masters hätte den Ball völlig normal angenommen und zurückgespielt, hätte Dracula nicht plötzlich jämmerlich aufgeheult. Der Geisterdetektiv handelte blitzschnell. Er warf sich zur Seite und rollte sich auf dem Boden ab. Es gab keine Deckung. Rick konnte sich vor dem drohenden Angriff nicht in Sicherheit bringen. 4 �
Dennoch rettete ihm dieser Zwischenfall mit seinem Hund das Leben. Der Ball, den Hazel geschlagen hatte, sauste an Rick vorbei, prallte auf den Boden und sprang ganz normal weiter. Er rollte gegen die Wand und blieb liegen. Jorge war aufgesprungen und blickte wild um sich. Der junge Mann war in Brasilien aufgewachsen, das auch sein Geburtsland war. Seit längerer Zeit lebte er jedoch in London und war mit großzügiger Unterstützung durch Hazel Kent Unternehmer geworden. Er fuhr ein eigenes Taxi. Jorge war in die Geheimnisse der Magie teilweise eingeweiht. Und er wußte, daß der Hund Dracula auf Anzeichen Schwarzer Magie sehr empfindlich reagierte. Das hatte er soeben getan. »Sei vorsichtig, Rick!« rief Jorge dem Geisterdetektiv überflüssigerweise zu. Rick wußte auch so, was er zu tun hatte. Der vierte Mann starrte fassungslos auf den Geisterdetektiv. Der vierte Mann hieß Frank Potter. Frank Potter, sechsundzwanzigjähriger Mitarbeiter in den Kent-Werken, hatte Draculas Jaulen gehört und gesehen, wie Rick sich zu Boden warf. Nun beobachtete er ungläubig, wie der Geisterdetektiv einige Schritte zurückwich und ein kugelförmiges Medaillon öffnete, das an einer Kette um seinen Hals hing. Dieser Anhänger war hohl und enthielt eine Silberkugel, hell schimmernd und von der Größe einer Walnuß. Sobald Rick Masters diese Kugel aus dem Medaillon herausgenommen und in seiner Hand verborgen hatte, schleuderte er seinen Schläger gegen den letzten Ball. Dieser lag nahe der Wand der Halle. Er unterschied sich überhaupt nicht von Millionen anderer Tennisbälle. Der Schläger traf den Ball. 5 �
Der Donner einer gewaltigen Explosion zerriß die Stille der Halle. Ein greller Lichtblitz blendete alle Anwesenden. Eine Feuerwand raste vom Explosionsherd aus auf Rick Masters zu und hüllte ihn ein. Alle, auch die Eingeweihten, schrien entsetzt auf. Sie hielten den Geisterdetektiv für verloren. Doch das brüllende Tosen der Flammen konnte sich nur für wenige Sekunden halten, dann brach es in sich zusammen. Rick stand unversehrt auf dem Tennisplatz, als wäre nichts geschehen! * Zwanzig Minuten später betrat ein bulliger, untersetzter Mann mit graumelierten Haaren und grauen Schläfen die Tennishalle. Sein kantiges Gesicht wirkte verkniffen, seine Augenbrauen zogen sich über der Nasenwurzel zusammen. Er stampfte mit weit ausholenden Schritten auf Rick Masters zu, blieb vor dem Geisterdetektiv stehen und schüttelte den Kopf. »Ihnen ist doch nichts passiert, Rick!« rief er mit seiner dröhnenden Stimme. »Wozu die ganze Aufregung?« Lächelnd klopfte Rick Masters Chefinspektor Kenneth Hempshaw von Scotland Yard auf die Schulter. Die beiden waren seit langem befreundet und arbeiteten oft zusammen. »Ich hätte die Polizei auch gar nicht verständigt, Kenneth«, erwiderte er und wußte, wie erleichtert der Chefinspektor über den harmlosen Ausgang des Anschlags war. »Andere Hallenbesucher haben das getan. Und da der Verdacht auf Explosion einer Bombe bestand, rief man Scotland Yard an. Tut mir leid, daß Sie in Ihrem Schlaf gestört wurden.« »Schlaf?« rief der Chefinspektor. »Am hellen Tag? Sie machen 6 �
wohl Scherze, Rick! Mir geht es nicht so gut wie Privatdetektiven, die sich tagsüber die Zeit mit Luxussport vertreiben können.« Hempshaw nickte Hazel Kent und Jorge flüchtig zu und musterte den vierten Mann im Bund. Er kannte Frank Potter nicht. »Einer meiner fähigsten Computerprogrammierer aus der Firma«, stellte Hazel Kent vor. »Frank Potter ist aber noch mehr.« Rick horchte auf. Bisher hatte er gedacht, Hazel habe nur einen ihrer Mitarbeiter zu diesem Match eingeladen. Sie gab jedoch keine Erklärung und tat recht geheimnisvoll. Der Chefinspektor kümmerte sich nicht weiter um Frank Potter, sondern betrachtete die rußgeschwärzte Stelle der Wand und des Bodens. »Hier ist die Ladung hochgegangen«, sagte er. »Sehr scharfsinnig«, entfuhr es dem jungen Jorge. Dafür handelte er sich von Hempshaw einen bitterbösen Blick ein. »Eine Explosion«, fuhr der Chefinspektor fort, »die keinen ernsthaften Schaden anrichtet? Ein Feuer, das Sie, Rick, einhüllt, aber nicht verletzt? Was war wirklich los?« »Das wüßte ich auch gern«, meinte der Geisterdetektiv. »Der letzte Ball war bestimmt präpariert. Irgendwann wurden seine schwarzmagischen Kräfte frei.« Er konnte so sprechen, da der Chefinspektor über seine wahre Tätigkeit Bescheid wußte. »Dracula«, fuhr Rick fort, »fühlte die Schwarze Magie. Er jaulte!« »Rick hat sich zur Seite geworfen, sonst hätte ihn der Ball getroffen und getötet«, sagte Hazel Kent schaudernd. »Der Ball reagierte auf Kontakt mit meinem Schläger«, schloß Rick seine Erklärungen. »Deshalb warf ich meinen Schläger danach und schützte mich durch meine Silberkugel. Der Rest ist bekannt.« 7 �
Die Silberkugel war eine von Ricks Waffen gegen das Böse, überaus stark und vielseitig einsetzbar. »Sie benutzen eigene Bälle?« fragte Hempshaw. »Wie die meisten Spieler, ja«, bestätigte Rick. »Dann wollen wir doch einmal feststellen, wer den Ball getauscht haben könnte«, sagte Hempshaw grimmig entschlossen. Während er seine kriminalistischen Ermittlungen anstellte, zogen sich Rick, Hazel, Jorge und Frank Potter um. Sie hatten für diesen Tag genug von Sport und Unterhaltung. Der feige Mordanschlag mit schwarzmagischen Mitteln hatte ihnen jede Freude gründlich verdorben. »Ich verstehe das nicht«, meinte Hazel, als sie später wieder in die Halle kamen, jetzt in Straßenkleidern. »Wer sollte dich töten wollen, Rick?« Der Geisterdetektiv zuckte mit einem schmerzlichen Lächeln die Schultern. »Du weißt, daß ich viele Feinde habe«, sagte er ausweichend und wandte sich an Frank Potter. »Sie zeigen sich von allem recht wenig beeindruckt, Mr. Potter. Andere Uneingeweihte wären aufgeregt oder völlig mit den Nerven fertig oder neugierig. Ihnen scheint das alles selbstverständlich zu sein.« Frank Potter wollte antworten, aber Hazel kam ihm zuvor. »Darüber sprechen wir noch, Darling«, sagte sie zu Rick. »Sehen wir erst, was Hempshaw gefunden hat.« Der Chefinspektor hatte in der Tat etwas entdeckt. Er winkte ihnen aufgekratzt zu. »Der Platzwart, der hier für gewöhnlich arbeitet, hat sieh ausgerechnet heute krank gemeldet«, erklärte Hempshaw. »Sein Vertreter ist unmittelbar nach der Explosion spurlos verschwunden. Ich habe mir die Adresse des Platzwartes geben lassen. Die Anschrift der Aushilfe ist falsch. Das habe ich schon nachprüfen lassen. An der Stelle steht ein Parkhaus.« »Ich begleite Sie«, entschied Rick Masters. »Jetzt möchte ich 8 �
auch wissen, wer dahintersteckt.« »Ich fahre schon mit Frank zu mir nach Hause«, meinte Hazel. »Viel Glück, Rick.« »Und ich«, sagte Jorge, der junge Brasilianer und besondere Schützling von Hazel und Rick, »muß wieder mit meinem Taxi herumkurven, sonst verdiene ich nichts,« Es tat Jorge sichtlich leid, daß er Rick nicht begleiten konnte. Er hatte zusammen mit Rick schon so manches Abenteuer gegen die Kräfte des Bösen bestanden und war daher nicht minder gespannt, als der Geisterdetektiv selbst. Ricks Morgan stand vor der Tennishalle. Es war ein offener Sportwagen im Oldtimer-Look, den Rick eigens nach seinen Ansprüchen hatte umrüsten lassen. Der Chefinspektor hatte seinen Dienstwagen vor dem Gebäude. Rick hängte sich mit seinem Morgan an das Fahrzeug des Yards an. Die Fahrt ging in den südlich der Themse gelegenen Stadtteil Brixton Hill, wo auch Hempshaw wohnte. Vor einem ebenerdigen Haus, einem unter vielen identischen, hielten sie. Auf Hempshaws Klingeln meldete sich niemand. Drinnen bellte ein Hund. »Der Hund jault schon den ganzen Tag«, rief plötzlich eine Frauenstimme aus dem Nachbarhaus. Eine Frau in mittleren Jahren, den Kopf unter Lockenwicklern vergraben, beugte sich aus dem Küchenfenster. »Ich weiß gar nicht, was ich machen soll. Ob da was passiert ist? Vielleicht sollte ich die Polizei rufen.« »Die ist schon da, Madam«, antwortete der Chefinspektor höflich. »Ich komme von Scotland Yard.« Während die Nachbarin große Augen machte, beobachtete Rick Masters seinen Hund. Dracula zeigte keine Angst vor dem Wirken einer magischen Kraft. Deshalb ließ Rick seinem Freund Hempshaw den Vortritt, als der Chefinspektor die Tür aufdrück9 �
te. »Haben Sie nachgeholfen?« fragte Rick lächelnd. »Nein, die Tür war nur angelehnt«, erwiderte Chefinspektor Hempshaw. »Sehr merkwürdig.« Er rief ein paarmal nach dem Platzwart, erhielt jedoch keine Antwort. Sie brauchten nicht lange zu suchen. Im Flur saß ein Mischlingshund vor einer verschlossenen Tür. Er wirkte verschüchtert und kam winselnd zu Rick Masters und Dracula. Der Chefinspektor öffnete die Tür. Dahinter befand sich das Wohnzimmer. Der Platzwart lag mitten auf seinem Teppich. Rick schluckte. Seine Kehle wurde auf einmal sehr eng. Jemand hatte den Platzwart erschossen. Und Rick zweifelte nicht daran, daß dieser Mord nur seinetwegen passiert war! * Als Rick Masters drei Stunden später Hazel Kents Haus im Londoner Stadtteil Westminster betrat, hatte er schon alles geregelt und untersucht. »Für den Hund des Toten habe ich einen guten Platz gefunden«, sagte er abschließend. »Die Schwester des Ermordeten nimmt ihn zu sich.« »Legen Sie nicht zu viel Gewicht auf einen Hund, wenn soeben ein Mensch ermordet wurde?« fragte Frank Potter mit einem Anflug von Spott. Rick Masters runzelte die Stirn. Es hatte ihm schon nicht gepaßt, daß Potter überhaupt noch da war. Er verstand nicht, was Hazel von diesem Menschen wollte. Dann hatte Hazel ihn auch noch gebeten, offen vor Mr. Potter zu sprechen. Er hatte es nur 10 �
beschränkt getan und wichtige Einzelheiten für sich behalten. Und nun diese Bemerkung. »Hätte ich den Hund schlecht behandelt«, sagte der Geisterdetektiv scharf, »wäre der Ermordete davon auch nicht wieder lebendig geworden. Oder sind Sie anderer Meinung? Was sagen denn Ihre Computer, die Sie programmieren?« »Bitte, Rick, Mr. Potter hat es sicher nicht so gemeint«, warf Hazel ein, um einen drohenden Streit abzuwenden. »Du bist also überzeugt, daß jemand den Platzwart erschossen hat, um seine Stelle einzunehmen. Und das alles nur, um dir einen schwarzmagisch präparierten Ball unterzuschieben. Wer könnte denn deiner Meinung nach hinter einem so tückischen Anschlag stecken? Hast du eine Ahnung?« Rick sah erst seine Freundin, dann Frank Potter an. Endlich schüttelte er leicht, aber entschieden den Kopf. »Tut mir leid«, erklärte er. »Ich bin nicht bereit, darüber in Gegenwart von Fremden zu sprechen.« Frank Potter wollte sich erheben, Hazel hielt ihn zurück. »Rick«, sagte sie versöhnlich. »Ich wollte vor Mr. Hempshaw nicht darüber reden. Jetzt ist die richtige Gelegenheit, dir zu erklären, wer Mr. Potter ist.« »Programmierer in den Kent-Werken«, sagte Rick, der sich noch immer über die Bemerkung von vorhin ärgerte. »Ja, das auch.« Hazel entwickelte eine erstaunliche Geduld. »Mr. Potter ist ein sehr guter Mitarbeiter, das kannst du mir glauben, Rick. Er versteht seine Sache.« »Mrs. Kent, darf ich es erklären?« fragte Frank Potter. Er war Mitte zwanzig, eigentlich ein Durchschnittstyp, sah nicht schlecht aus, schien jedoch keine besondere Persönlichkeit zu besitzen. »Ich arbeite nur als Programmierer, um Geld zu verdienen.« »Das ist bei den meisten Berufen so«, bemerkte Rick bissig. 11 �
»Ja, das stimmt«, räumte Frank Potter ein. Auch er gab sich friedlich und versuchte alles, um Rick Masters zu besänftigen. »Nur, sehen Sie, Mr. Masters, es gibt auch Berufe, die einem innere Befriedigung verschaffen. Sie besitzen einen solchen Beruf, ich fühle mich als Schriftsteller.« »Ich habe einige Kurzgeschichten von Mr. Potter gelesen«, warf Hazel ein. »Sehr talentiert, glaube mir.« Rick verkniff sich einen Kommentar. »Ich möchte ein Buch schreiben«, fuhr Potter fort. »Im Mittelpunkt steht ein junger Privatdetektiv, der sich mit wirklich außergewöhnlichen Fällen beschäftigt.« »Mit Fällen«, ergänzte Hazel, »in denen Schwarze Magie und Geister vorkommen.« »Wieso denken Sie da offenbar an mich?« erkundigte sich Rick. Er warf Hazel einen fragenden Blick zu. »Sprichst du denn in der Firma über meine Tätigkeit?« »Natürlich nicht!« rief Hazel bestürzt. »Wie kommst du auf diese Idee.« »Nein, ich habe die Berichte in den Zeitungen über Sie verfolgt«, erklärte Potter rasch. »Darauf habe ich mir meinen eigenen Reim gemacht. Verstehen Sie, Mr. Masters, Sie sind das große Vorbild für meinen Roman.« »Kurzum«, kam Hazel zum Ende. »Mr. Potter möchte, daß du ihn ein wenig hinter die Kulissen blicken läßt. Das ist alles. Der Anschlag heute würde sich sogar dafür eignen, meinst du nicht auch?« Rick war alles andere als begeistert. Irgendwie gefiel ihm der Vorschlag nicht. »Ich war immer ein Einzelgänger«, sagte er offen. »Der Gedanke, jemand könnte mich auf Schritt und Tritt beobachten, gefällt mir gar nicht.« »Ich würde mich sehr zurückhalten«, versicherte Potter eiligst. 12 �
»Sie würden mich gar nicht bemerken.« »Nein«, lehnte Rick ab. »Und wenn ich mich ab und zu ein wenig mit Ihnen unterhalten dürfte?« fragte der junge Mann enttäuscht. »Vermitteln Sie mir doch ein kleines Bruchstück Ihrer Erfahrung.« Rick zögerte. Der junge Mann verlangt« eigentlich nicht zu viel. Ein Roman über Schwarzmagier und Geister sowie Dämonen konnte nicht schaden. Je mehr Menschen gewarnt wurden, welche Umtriebe des Bösen es gab, desto weniger konnte passieren. Andererseits wollte Rick sich nicht festlegen. »Ich werde in der nächsten Zeit sehr beschäftigt sein«, wich er aus. »Sie können sich vorstellen, daß ich nach dem Attentäter fahnden möchte. Ich werde kaum Zeit haben, um mich mit Ihnen zu unterhalten.« »Es genügt mir schon, wenn Sie mich nicht grundsätzlich ablehnen«, rief Potter hocherfreut. »Das ist alles, was ich möchte.« »Also gut, prinzipiell habe ich nichts dagegen«, gestand Rick ihm zu. »Aber in einem Punkt muß ich Sie dringend warnen. Ich kann nicht für Ihre Sicherheit garantieren. Wenn die Gegenseite zu einem Großangriff gegen mich blasen sollte, ist niemand in meiner Nähe sicher. Und Sie kämen ohne alle Erfahrung garantiert unter die Räder.« »Das ist ein Risiko, das ich gern eingehe«, versicherte der angehende Schriftsteller. »Für mein Buch tue ich alles.« »Gut, dann sind wir uns einig«, meinte Hazel strahlend. »Ich wußte, daß du nicht so schroff ablehnen wirst, Rick.« Potter verabschiedete sich, so daß es noch ein netter Abend für Rick Masters und Hazel Kent wurde. Wahrscheinlich auch für lange Zeit der letzte gemeinsame ruhige Abend!
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* � Später kamen Rick Masters und Hazel Kent doch noch einmal auf den Mord an dem Platzwart zu sprechen. »Es gibt dabei einen Punkt, der mich stutzig macht«, sagte Rick. »Dracula hat in dem Mordhaus keine Schwarze Magie angezeigt. Der Platzwart wurde erschossen. Man hat ihn nicht mit magischen Mitteln getötet.« »Glaubst du an einen Zufall?« fragte Hazel erstaunt. Rick schüttelte heftig den Kopf. »Du weißt, daß ich nicht an solche Zufälle glaube. Nein, ein Schwarzmagier will mich umbringen. Um das zu schaffen, mußte er vorher den Platzwart töten. Diesen Mord beging er mit einer üblichen Waffe. Das ist neu für diese Leute. Ich fürchte, ich habe es diesmal mit einem besonders skrupellosen Gegner zu tun.« »Und du mußt damit rechnen«, gab Hazel zu bedenken, »daß zum Beispiel auf dich geschossen wird. Einen magischen Angriff kannst du mit deiner Silberkugel oder mit dem Schlüssel des Großmeisters zurückschlagen, eine Revolverkugel nicht.« Rick nickte nachdenklich. »Ich wünschte, ich hätte einige Anhaltspunkte«, meinte er. »Dann wäre mir wohler. So aber bin ich nur auf Vermutungen angewiesen. Der Anschlag könnte in einem Zusammenhang mit dem Schlüssel des Großmeisters stehen. Du weißt, daß ich diesen Schlüssel Schwarzmagiern abgenommen habe. Eigentlich ist er ein Instrument des Bösen, das aber seinen Besitzer vor Schaden bewahrt und ihm die Schwarzen Dome öffnet.« »Du meinst diese Orte der Zusammenkunft, die Schwarzmagier überall auf der Welt eingerichtet haben.« Hazel seufzte. »Das ist alles so unheimlich«, gestand sie. »Ich habe Angst.« Wieder Versanken sie in Schweigen. Rick dachte an die schwarzmagischen Dome. Er wußte noch nicht lange, daß es sie 14 �
gab. Sie waren so versteckt eingerichtet, daß man sie nicht durch bloße Zufälle fand. Sie besaßen gar keine richtigen Eingänge, sondern man konnte sie nur auf magische Weise betreten. »Ich habe mir vorgenommen«, sagte Rick leise, »diese Dome zu suchen und zu zerstören.« Hazel Kent zog die leichte Jacke, die sie in ihrem Haus trug, enger um die Schultern. Es kam ihr vor, als wäre es im Raum kälter geworden. »Ich kenne dich«, sagte sie. »Du wirst nie von blinder Zerstörungswut getrieben. Du willst mehr.« »Richtig.« Der Geisterdetektiv sah seine Freundin mit einem abwesenden Blick an. »Ich suche Spuren, die mich zu dem Großmeister führen.« »Das ist doch nur eine legendäre Figur«, widersprach Hazel. »Nein, ich bin überzeugt, daß es diesen Großmeister gibt!« Ricks Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. Er sprach sehr entschlossen. »Der Großmeister ist der oberste Herrscher über alle Schwarzmagier der Welt. Wenn ich ihn ausschalte…« »Werden die Schwarzmagier einen neuen Großmeister wählen«, fiel ihm Hazel ins Wort. »Aber nein, dann sind sie ohne Anführer so geschwächt, daß sie lange nicht mehr zuschlagen können!« behauptete der Geisterdetektiv voll Begeisterung. »Du machst dir etwas vor!« Hazel Kent seufzte. »Du weißt so gut wie ich, daß man das Böse in der Welt nie ausrotten kann. Machst du einen Verbündeten der Hölle unschädlich, tritt ein anderer an seine Stelle.« »Wozu arbeite ich dann überhaupt?« rief Rick heftig. »Kannst du mir das auch sagen?« »Ja.« Hazel behielt die Ruhe. Sie wußte, daß Rick gelegentlich Zuspruch brauchte. »Ohne deine Tätigkeit würden die Kräfte 15 �
des Bösen immer weiter anwachsen und die Menschheit verschlingen. Also, Darling, bleibe vernünftig. Wenn du durch Zufall auf einen Schwarzen Dom stößt, vernichte ihn. Aber verbeiße dich nicht in die Suche nach Schwarzen Domen. Du mußt alles im richtigen Licht sehen.« Rick lehnte sich in seinem Sessel zurück und ließ sich Hazels Worte durch den Kopf gehen. »Wahrscheinlich hast du recht«, sagte er seufzend. »Sicher sogar. Ich neige manchmal dazu, übers Ziel hinaus zu schießen.« »Es ist gefährlich, sich zu überschätzen«, warnte Hazel Kent. »Du bist auf deinem Gebiet einsame Spitze, Rick. Das kannst du mir glauben. Du darfst dir aber nicht zu viel vornehmen.« Rick ergriff ihre Hand und drückte sie lächelnd. »Vielen Dank Hazel. Jetzt geht es mir besser.« Er runzelte die Stirn. »Sag mal, Darling, wieso ist es hier auf einmal so kalt?« »Es ist mir auch schon aufgefallen«, erwiderte sie und stand auf. »Ich habe nur nicht darauf geachtet.« Sie stutzte. »Wo ist Dracula?« Rick sah sich nach seinem Hund um. Dracula war verschwunden. Er rief seinen Namen, erhielt jedoch keine Antwort. »Ob dein Koch vergessen hat, die Küche zu verschließen?« scherzte Rick, der noch nicht an den wahren Grund dachte. »Dracula liebt es, in einer Küche Fleischreste abzustauben.« »Meine Küche ist immer abgeschlossen«, erwiderte Hazel kopfschüttelnd. »Und mein Koch Pierre läßt keine Essensreste herumliegen.« Rick lief in die Halle und rief dort erneut nach Dracula. Keine Antwort. Jetzt wurde er stutzig. »Das geht nicht mit rechten Dingen zu«, behauptete er und sah sich forschend um. Seine Hand fuhr unter die Jacke. Dort trug er 16 �
das Schulterhalfter. In diesen Minuten war er froh, daß er immer bewaffnet war, wenn er einen Fall verfolgte. Nur in den ruhigen Zeiten zwischen den einzelnen Fällen war er unbewaffnet. »Ich habe ihn gefunden!« rief Hazel aus dem ersten Stock herunter. »Aber erschrick nicht!« Rick erschrak gerade wegen dieser Warnung und hastete die Treppe hinauf. Hazel kniete in einem der Gästezimmer auf dem Fußboden. Dracula lag reglos vor ihr. Er gab kein Lebenszeichen von sich! Rick ließ sich auf die Knie sinken und untersuchte hastig seinen vierbeinigen Freund. »Er lebt«, sagte er gepreßt. »Was ist bloß mit ihm geschehen?« »Hat er etwas Schlechtes gefressen oder getrunken?« fragte Hazel nervös. Der Hund war ihr genau wie Rick ans Herz gewachsen. »Soll ich den Tierarzt anrufen?« »Noch nicht!« Rick sprach gedämpft. »Er hat nichts gefressen. Ich vermute etwas ganz anderes.« Mit einem geübten Griff holte er seine Silberkugel aus dem Schulterhalfter, das nun auch eine Tasche für den Schlüssel des Großmeisters besaß. Rick hielt die Silberkugel mit spitzen Fingern und näherte sie vorsichtig seinem Hund. Er wagte nicht, Dracula sofort damit zu berühren. Falls der Hund unter einem schwarzmagischen Einfluß stand, konnte die Silberkugel einen Schock auslösen. Rick mußte ihre Wirkung vorsichtig dosieren. »Es wirkt«, flüsterte Hazel aufgeregt. Tatsächlich zuckten Draculas überdimensionale Ohren, als sich die Silberkugel näherte. Rick fühlte, wie sich die Kugel zwischen seinen Fingern erwärmte, ein sicheres Zeichen dafür, daß sie gegen schwarzmagische Kräfte ankämpfte. Je näher er seinem Hund kam, desto deutlicher gab Dracula Lebenszeichen von sich. Endlich fand Rick den Mut, Dracula mit 17 �
der Kugel zu berühren. Sofort schlug der Hund die Augen auf, sah seinen Herrn an, jaulte kurz und verkroch sich unter dem Bett. »Schwarze Magie im Haus«, sagte Rick knapp. Er rief Dracula, der ängstlich zu seinem Herrn kam. Rick hob ihn auf den Arm. »Komm!« Er zog Hazel aus dem Gästezimmer. Sie erkannte die Gefahr und folgte ihm die Treppe hinunter. »Wo ist dein Personal?« rief Rick alarmiert. »Vielleicht schlafen schon alle«, meinte Hazel. Direkt neben der Haustür setzte Rick Dracula ab. »Bleib hier stehen«, sagte Rick eindringlich zu Hazel. »Rühre dich nicht von der Stelle, ganz gleich, was auch geschieht! Ich hole deine Angestellten.« Hazel nickte und sah sich ängstlich um. Es war noch nicht so spät, daß ihr Personal wirklich schlief. Irgend jemand hätte noch wach sein müssen. Rick kannte sich in dem Stadthaus aus. Er klopfte gegen die Tür von Butler Setons Zimmer. Dahinter rührte sich nichts. Bei dem französischen Koch Pierre erging es ihm genauso. Auch die anderen Angestellten meldeten sich nicht, obwohl sie zu Hause waren. Ihre Türen waren verschlossen. Auch als Rick mit der Silberkugel gegen die Tür schlug, änderte sich nichts. Hätten die Leute nur geschlafen, wären sie schon längst wach geworden. Nun stand für Rick fest, daß ein Anschlag auf ihn und Hazel stattfinden sollte. Das Personal war seiner Meinung nach nicht gefährdet. Diese Leute waren für die Feinde unwichtig. Man hatte sie vermutlich nur wie Dracula ausgeschaltet, damit sie Rick und Hazel nicht helfen konnten. Jetzt erschien Rick die Betäubung seines Hundes durch Magie nur logisch. Dracula hätte seinen Herrn sonst rechtzeitig ge18 �
warnt, bevor der entscheidende Angriff erfolgte. »Nun, was ist?« rief Hazel ihrem Freund entgegen, als er wieder in die Halle kam. »Vermutlich betäubt«, antwortete er knapp. »Los, raus!« Rick griff zur Klinke der Haustür. Dabei beobachtete er ununterbrochen Dracula. Der Hund wollte unbedingt ins Freie laufen. Das bedeutete, daß die feindlichen Kräfte nur im Haus wirkten, nicht aber im Freien. Rick öffnete die Tür. Dracula stürmte sofort auf die Straße und sprang in Ricks Wagen, der vor dem Eingang parkte. »Los, komm!« Der Geisterdetektiv packte seine Freundin am Arm und zog sie durch die Tür. Dracula warnte nicht. Also gab es nach Ricks Überzeugung im Moment keine Gefahr eines Angriffes von Schwarzmagiern. Im nächsten Moment hämmerte eine Maschinenpistole los. Rick blickte direkt ins Mündungsfeuer der MP! * Die Polizei hat bei ihrer Arbeit meistens einen großen Nachteil auf ihrer Seite. Sie kann erst handeln, wenn schon etwas geschehen ist. In den wenigsten Fällen erfährt sie vorher von einem geplanten Verbrechen, so daß sie die Tat vereiteln kann. Manchmal kommt der Polizei aber auch ein unglaublicher Zufall zu Hilfe. Ein Kriminalbeamter von Scotland Yard besuchte an diesem Abend eine Unterweltskneipe in Soho. Er war in diesem Pub völlig unbekannt. Daher vermutete auch niemand in ihm einen Yarddetektiv. Er beobachtete, wie ein Mann eine Pistole anbot. Ein anderer Mann interessierte sich für die offenbar illegale Waffe. 19 �
Der Detektiv verhaftete die beiden, als sie den Handel perfekt machten und Waffe sowie Geld den Besitzer wechselten. Bei Scotland Yard wurde festgestellt, daß es sich bei beiden um kleine Fische aus der Unterwelt handelte. Der Fall war nicht sensationell. Die Sensation kam jedoch bald darauf. Die Waffe besaß das gleiche Kaliber wie die Mordwaffe, mit welcher der Platzwart der Tennishalle getötet worden war. Während die Pistole zur Untersuchung ins Labor kam, wurde Chefinspektor Hempshaw verständigt. Der Chefinspektor führte ein erstes Verhör mit dem Verkäufer der Pistole durch. Der Mann behauptete, er habe diese Waffe auf der Straße gefunden. Mehr wollte er nicht wissen. Dann kam der vorläufige Laborbericht. Es war tatsächlich die Mordwaffe. Chefinspektor Hempshaw lehnte sich mit einem kalten Lächeln in seinem Schreibtischstuhl zurück und musterte sein Gegenüber. »Sieht böse für Sie aus, Bernie«, sagte der Chefinspektor und schüttelte bekümmert den Kopf. »Tut mir wirklich leid! Sie waren eigentlich ein netter Mann, abgesehen von Ihren Verfehlungen. Schade um Sie. Wir haben zwar nicht mehr die Todesstrafe, aber bis an sein Lebensende hinter Gittern zu bleiben, ist auch nicht schön.« Bernie riß die Augen auf. »Sie wollen mich auf den Arm nehmen, Sir, was?« rief er. »Wieso lebenslänglich? Gut, die Waffe ist illegal. Das gebe ich zu. Aber dafür bekomme ich nicht lebenslänglich! Sie wollen mich reinlegen.« »Willst du vielleicht bestreiten, daß du damit den Platzwart erschossen hast?« fragte Chefinspektor Hempshaw. Er war sicher, daß dieser kleine Gauner keinen Mord begangen hatte. Aber er mußte herausfinden, woher die Waffe stammte. »Du hast ein 20 �
ganzes Magazin geleert. Die Geschworenen werden mit dir kein Mitleid haben. Weit ist es mit dir gekommen!« »Platzwart?« Bernie sprang auf. »Ich habe im Radio gehört, daß der Betreuer einer Tennishalle erschossen wurde. Meinen Sie den vielleicht?« »Setz dich!« donnerte der Chefinspektor. Er fiel in einen väterlichen gütigen Ton. »Sieh mal, Bernie, wir wollen vernünftig bleiben!« Der Mann setzte sich wirklich, und die beiden Polizisten im Hintergrund des Büros entspannten sich. »Ich habe doch niemanden umgebracht, Mr. Hempshaw, das wissen Sie!« Bernie versuchte, seine Selbstsicherheit zurückzugewinnen. »Ob ich es weiß, spielt keine Rolle.« Hempshaw beugte sich über seinen Schreibtisch. »Sieh mal, es kommt nur darauf an, was das Gericht zu sehen und zu hören bekommt. Du hast die Mordwaffe verkauft. Das Labor hat deine Fingerabdrücke auf der Waffe festgestellt, sonst keine. Hast du ein Alibi für den heutigen Tag anzubieten? Lückenlos?« »Nein«, murmelte Bernie unbehaglich. »Ich habe mich auf den Straßen herumgetrieben.« »Siehst du!« Hempshaw nickte lächelnd. »Also bist du fällig! So ist es. Es sei denn, du kannst mir sagen, woher du die Waffe hast.« Bernie starrte den Chefinspektor mit einem leeren Blick an. »Ich habe sie auf der Straße gefunden. Sie müssen mir glauben«, murmelte er. Hempshaw seufzte und blickte zur Decke. »Mr. Hempshaw, es stimmt!« rief Bernie verzweifelt. »Glauben Sie, ich würde Sie belügen? Sie haben recht. Wenn diese Waffe für einen Mord benutzt wurde, sitze ich gewaltig in der Klemme!« 21 �
»Das erste vernünftige Wort aus deinem Mund«, bestätigte der Chefinspektor. »Und ich würde alles tun, um mich aus der Sache rauszuziehen«, fuhr Bernie hektisch fort. »Das sollte man meinen!« Hempshaw wechselte die Taktik. Er sah den Verhafteten scharf an. »Man sollte meinen, daß du genügend Verstand hast. Aber das stimmt offenbar nicht. Du begreifst nicht, wie gefährlich es für dich ist, diesen Kerl zu schützen. Oder steckst du mit ihm unter einer Decke. Hast du schon einmal etwas von einem Schwarzen Dom gehört?« Bernie stutzte. »Wovon?« fragte er so verblüfft, daß Hempshaw abwinkte. Der Chefinspektor hatte nur herausfinden wollen, ob der Festgenommene etwas mit Schwarzer Magie zu tun hatte. »Führt ihn ab«, ordnete der Chefinspektor an.»Ich werde dafür sorgen, daß er bald wegen Mordes vor Gericht steht.« Das war ein Bluff, doch das brauchte Bernie nicht zu wissen. Die Polizisten traten auf Bernie zu und wollten ihn aus dem Büro wegbringen. »Moment!« rief der Verhaftete, als sie schon die Hände nach ihm ausstreckten. »Mr. Hempshaw, wollen Sie wissen, woher ich die Waffe habe?« Hempshaw gab den Polizisten einen Wink. Sie ließen Bernie in Ruhe. »Bist du wirklich so schwer von Begriff?« fragte Hempshaw, »Ich versuche seit einer Stunde, aus dir herauszubekommen, von wem die Waffe stammt.« »Ich habe sie auf der Straße gefunden«, behauptete Bernie. Die Adern an Hempshaws Schläfe schwollen an. Sein Gesicht rötete sich, und seine Augen blitzten zornig auf. »Willst du mich auf den Arm nehmen?« schrie er. »Moment!« Bernie winkte mit den gefesselten Händen heftig 22 �
ab. »Hören Sie doch zu! Ich habe die Pistole auf der Straße gefunden. Das schwöre ich! Jemand hat sie da hingelegt, und ich weiß auch, wer es war.« »Der große Unbekannte, wie?« fragte Chefinspektor Hempshaw spöttisch. »Richtig geraten?« Bernie schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er mit einem erleichterten Grinsen. »Mein Nachbar. Ich komme jetzt erst dahinter, daß er es war. Ich erkläre es Ihnen auch.« »Dafür Wäre ich sehr dankbar«, sagte Hempshaw und lehnte sich erwartungsvoll zurück. »Schieß los!« * Irgendwie hatte Rick Masters im Laufe der Jahre als Geisterdetektiv einen sechsten Sinn entwickelt. Sein Unterbewußtsein sprach manchmal schon an, wenn sich sein Verstand noch nicht eingeschaltet hatte. Als er die Tür öffnete und Dracula nicht die geringsten Anzeichen von Angst zeigte, schlug Ricks sechster Sinn Alarm. Wenn Schwarzmagier Hazels Haus angriffen, sorgten sie doch bestimmt auch dafür, daß ihre Opfer nicht entkommen konnten. Also hatten sie sicher vor der Tür eine Falle errichtet. Dracula fühlte keine Magie. Daher bestand die Falle aus einem Hinterhalt aus anderen Mitteln. Beim ersten Aufblitzen des Mündungsfeuers auf der anderen Straßenseite reagierte Rick daher sofort richtig. Sein Unterbewußtsein hatte ihn bereits gewarnt. Er versetzte Hazel einen Stoß, der sie die Stufen hinunter und hinter seinen Morgan schleuderte. Ins Haus zurück zerrte er sie nicht, denn drinnen lauerten unbekannte magische Gefahren. Er selbst hechtete hinter Hazel her. Die Kugel waren zu hoch gezielt: Rick tauchte unter ihnen 23 �
weg. Dann lagen sie beide hinter dem Morgan, der nur einen schwachen Schutz bot. Die Kugeln konnten den Wagen nicht durchschlagen, aber der Schütze würde seinen Standpunkt wechseln. Und dann waren sie der Maschinenpistole hilflos ausgeliefert. Rick griff hastig nach seinem Schulterhalfter. In dieser Lage half die Silberkugel nicht. Sie konnte keine Geschosse aus einer MP abhalten. Dafür war seine Pistole um so wertvoller. Er riß sie aus dem Halfter. Dabei strichen seine Finger über den Schlüssel des Großmeisters, einen ungefähr zwanzig Zentimeter langen, altmodisch wirkenden Schlüssel mit zahlreichen geheimnisvollen Verzierungen. In solchen Sekunden handelte Rick Masters blitzschnell und brauchte nie lange nachzudenken. Während er die Pistole entsicherte, zog er auch den Schlüssel des Großmeisters aus dem Futteral. Er wurde sich nicht genau klar darüber, weshalb er das tat. Drüben auf der anderen Straßenseite hämmerte noch immer die Maschinenpistole. Das Magazin mußte doch irgendwann leer sein, dachte Rick verzweifelt. Alles lief so schnell ab, daß noch keine Sekunde vergangen war. In der vornehmen, stillen Straße rührte sich nichts. Die Fenster blieben selbstverständlich geschlossen. Niemand wagte sich auf die Straße. Wenn jemand die Polizei anrief, konnte noch kein Streifenwagen hier sein. Das würde mindestens zwei Minuten dauern. Und bis dahin mußten Rick Masters und Hazel Kent allein zusehen, wie sie am Leben blieben! Die Maschinenpistole schwieg. Rick richtete sich vorsichtig ein Stück auf und hob seine Pistole. Im Vergleich zu einer, Maschinenpistole war sie wirkungslos. 24 �
Plötzlich sah er den Schützen. Er kam aus seinem Versteck auf der anderen Straßenseite hervor. Dort hatte er sich hinter der dichten Hecke vor einem der eleganten Stadthäuser verborgen. Nun hetzte er über die Straße. � Das war aber nicht das schlimmste. � »Rick Masters!« rief genau hinter Rick eine kalte Stimme. � Rick fuhr herum. � Hazel Kent schrie auf. � Rick blickte in die Mündung einer zweiten Maschinenpistole. � Der Killer stand ungefähr zehn Schritte von Rick entfernt. Unmöglich, Rick zu verfehlen! Sie hatten Rick und Hazel in die Zange genommen. Zwei Schwarzmagier, die sich nicht allein auf magische Mittel verließen. Daß der zweite Mann Rick angerufen hatte, lag allein an seiner Bösartigkeit. Hätte er Rick von hinten erschossen, wäre es seinem Opfer kaum zu Bewußtsein gekommen. Der Magier wollte aber, daß Rick ganz genau wußte, was mit ihm geschah! Rick erkannte in einem Sekundenbruchteil, daß er rettungslos verloren war. Und nach ihm würden sie Hazel erschießen! Dennoch reagierte er noch und riß seine Pistole hoch. Er kam jedoch nicht zum Abdrücken. Die Maschinenpistole des zweiten Schwarzmagiers spuckte das tödliche Blei aus. Rick Masters stockte der Atem. Das Weitere erlebte er wie durch einen dichten Nebel. Er wartete auf die tödlichen Kugeln, kniete auf dem Bürgersteig und ließ seine Pistole sinken. Hazel schrie noch immer. Er sah, wie der Schütze in die Knie knickte und ihm die Maschinenpistole entglitt. Er sah, wie die Waffe auf den Asphalt prallte und zur Seite rutschte. Dabei löste sich noch eine Garbe, 25 �
die in einen geparkten Wagen siebte. Rick hörte das Hämmern der Maschinenpistole des ersten Schützen. Sein Verstand sagte ihm, daß der zweite Mann nicht von diesen Kugeln getroffen worden war. Vielmehr schoß auch der erste Schütze wieder auf Rick. Langsam wandte der Geisterdetektiv den Kopf. Der Schock machte ihn benommen. Auch der erste Schütze rollte soeben auf den Bürgersteig. Auch seine Waffe lag neben ihm. »Bist du verletzt?« fragte Rick Hazel. Seine Zunge bewegte sich so schwer, als wäre sie mit Blei gefüllt. »Nein«, stammelte Hazel. »Und du?« Rick blickte an sich hinab. Er konnte nicht glauben, daß ihn keine einzige Kugel getroffen hatte. Er spürte keine Schmerzen. Er hatte auch keinen Einschlag gefühlt. Zwei Maschinenpistolen hatten voll auf ihn gefeuert! Und er hatte nicht einmal eine kleine Schramme… Er starrte auf seine Hände. Die Pistole in seiner rechten Hand war noch immer geladen. Er hatte keinen einzigen Schuß abgefeuert. Dennoch lagen die beiden Schwarzmagier erschossen auf dem Bürgersteig! »Sie haben sich gegenseitig erschossen!« Hazel versagte die Stimme. Sie stotterte vor Entsetzen. »Nein!« Rick stemmte sich hoch und half Hazel auf die Beine. »Nein, das haben sie nicht. Sie standen nicht in der Schußlinie des jeweils anderen!« Sein Verstand übernahm wieder die Kontrolle über ihn und dämpfte die aufgewühlten Gefühle. Rick bekam seine flatternden Nerven unter Kontrolle. Er hörte von mehreren Seiten die gellenden Sirenen von Streifenwagen. Blaulichter tauchten auf. Hektisch zuckend näherten 26 �
sie sich. Rick starrte auf seine linke Hand, in der er den Schlüssel des Großmeisters hielt. Langsam dämmerte ihm die Erkenntnis, was wirklich geschehen war. Die Polizisten waren endlich da. Zuerst wollten sie Rick entwaffnen und verhaften, doch einer der Beamten erkannte den Geisterdetektiv. Daraufhin wollten sie Scotland Yard verständigen, aber auch das erledigte sich von selbst. Chefinspektor Hempshaw traf mit seinem Dienstwagen vor dem Haus ein, ehe ihn jemand über Funk gerufen hatte. Rick schilderte seinem Freund, was geschehen war. Er verzichtete vorläufig auf eine Erklärung. Der Chefinspektor rief die Mordkommission des Yards, die er selbst leitete, und deutete auf den Eingang von Hazels Haus. »Gehen wir hinein«, sagte er leise zu Rick und Hazel. »Ich glaube, wir haben einiges zu besprechen.« * In der Halle wandte Rick sich an Hazel. »Geh mit Kenneth schon in das Wohnzimmer voraus«, bat er. »Ich sehe noch einmal nach dem Personal.« »Was ist mit dem Personal?« fragte der Chefinspektor mißtrauisch. »Verschweigen Sie mir nichts, Rick.« »Die Leute wurden vermutlich auf magische Weise betäubt«, sagte Rick. »Ich verschweige Ihnen schon nichts, Kenneth, keine Angst.« Er deutete auf seinen kleinen Hund, der munter neben ihm lief und zwischendurch versuchte, nach Hempshaw zu schnappen. Dracula entwickelte gegen den Chefinspektor eine unerklärliche Feindschaft. »Dracula zeigt keine Angst mehr. Ich vermute, der Bann ist aufgehoben. Aber ich will es genau wis27 �
sen.« Zwei Minuten später konnte er sich davon überzeugen, daß mit Hazels Personal wieder alles in Ordnung war. Butler Seton, der grauhaarige gute Geist ihres Hauses, kam verstört im Schlafanzug und Morgenmantel aus seinem Zimmer. Er erkundigte sich bestürzt nach dem Grund des Polizeieinsatzes. Gemeinsam mit dem Butler Seton überzeugte sich der Geisterdetektiv davon, daß niemand Schaden erlitten hatte,. Seton zog sich anschließend korrekt an. Er versprach, eine kleine Stärkung zu servieren. Als Rick Masters und Chefinspektor Hempshaw das Wohnzimmer betraten, saß Hazel auf dem Sofa. Ihre Hände zitterten, und sie versuchte, Tränen zurückzuhalten. Rick ging zu ihr und nahm sie in seine Arme. »Es ist ja schon gut«, sagte er leise. »Alles vorbei!« Sie nickte. »Beinahe wären wir tot gewesen«, flüsterte sie. »Es waren die schlimmsten Minuten meines Lebens.« »Das kann ich verstehen«, flüsterte Rick und beruhigte sie weiter, während der Chefinspektor berichtete. »Nachbarn haben die Polizei angerufen«, sagte er. »Wie haben Sie das überlebt, Rick? Mrs. Kent, Sie hatten unglaubliches Glück, daß Rick die beiden erschossen hat, bevor sie…« »Ich habe niemanden erschossen, das habe ich schon gesagt, Kenneth«, rief Rick ungeduldig. Er unterbrach sich, als der Butler einen vollbeladenen Servierwagen hereinrollte. Erfrischungsgetränke und zwei kalte Platten waren darauf in aller Eile angerichtet worden. »Kenneth«, fuhr Rick fort, als Seton sich diskret zurückgezogen hatte. »Ich habe nicht geschossen. Sie können meine Pistole im Labor untersuchen lassen. Es wurde nicht daraus geschossen.« Er übergab Hempshaw die Pistole, der sie an einen seiner Männer weiterreichte. 28 �
»Also gut, ich glaube Ihnen«, gestand Hempshaw zu. »Eine amtliche Untersuchung ist trotzdem notwendig.« »Das verstehe ich«, räumte Rick ein. »Ich vermute, Sie werden herausfinden, daß beide Männer durch Kugeln aus Maschinenpistolen getötet wurden.« »Sie haben sich gegenseitig erschossen?« fragte Hempshaw zweifelnd. »Das kann ich mir nicht vorstellen.« »In dieser Form stimmt das auch nicht«, verbesserte ihn Rick. »Nein, sie haben sich selbst erschossen. Eine andere Erklärung gibt es nicht.« »Sie haben sich selbst erschossen?« Hempshaw starrte Rick an, als habe dieser den Verstand verloren. Auch Hazel war völlig überrascht. Sie runzelte die Stirn. Ihr Blick wurde abwesend, während sie angestrengt über die Vorfälle vor ihrem Haus nachdachte. Plötzlich zog ein helles Leuchten des Verstehens über ihr Gesicht. »Fragen Sie Hazel«, riet Rick lächelnd. »Sie ist schon dahintergekommen, was ich meine.« »Würden Sie es mir endlich auch verraten, Rick?« rief der Chefinspektor nervös. »Ich habe heute nämlich noch etwas Wichtiges zu erledigen.« Der Geisterdetektiv griff an sein Schulterhalfter und zog den Schlüssel des Großmagiers hervor. Hempshaw kannte diesen schwarzmagischen Gegenstand, konnte damit jedoch nichts anfangen. »Der Schlüssel war ursprünglich ein Erkennungszeichen von Schwarzmagiern«, führte Rick aus. »Und eröffnete einen Schwarzen Dom. Er schützte seinen Träger auch vor allen möglichen Formen von Angriffen, sogar, wenn dieser Angriff von einem Schwarzmagier ausgeführt wurde. Ich wurde vorhin von zwei Schwarzmagiern angegriffen.« 29 �
»Sie meinen, dieser Schlüssel hat Sie beschützt?« Hempshaws Blick hing verwundert an dem langen, verschnörkelten Schlüssel. »Das kann ich mir nicht vorstellen.« »Ich bin überzeugt«, versicherte Rick, »daß Ihr Labor feststellen wird, daß jeder Schwarzmagier an seinen eigenen Kugeln gestorben ist. Der Schlüssel hat die Kugeln zurückgelenkt.« »Warten wir es ab«, sagte der Chefinspektor. »Und nun zu dem eigentlichen Grund meines Besuches. Als ich hierherfuhr, wüßte ich ja noch nichts von dem Überfall.« Er schilderte Bernies Verhör. »Der Mann behauptet, Rick«, schloß der Chefinspektor, »er habe gesehen, wie ein Mann die Pistole hinter einer Mülltonne ablegte. Er holte sich angeblich die Pistole und wollte sie verkaufen. Bernie behauptet ferner, daß er den Mann nicht kannte. Als ich ihn aber in die Zange nahm, erinnerte er sich plötzlich, den Mann schon einmal in seiner Nachbarschaft gesehen zu haben. Und zwar bewohnt er ein kleines Haus in derselben Straße, in der Bernie untergekrochen ist.« »Sie wollten mich mitnehmen, wenn Sie sich mit diesem Mann unterhalten?« Rick stand auf. »Ich bin bereit.« »Okay!« Auch der Chefinspektor erhob sich. »Mrs. Kent, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Rettung. Und ich kann Ihnen nur raten, die Stadt zu verlassen. Ich glaube, im Moment läuft eine richtige Hetzjagd auf Rick.« »Das Gefühl habe ich auch«, meinte Hazel besorgt. »Vielleicht stellt sich aber bald heraus, daß es doch nicht so schlimm ist. Kann es nicht sein, daß einer der Attentäter da draußen jener Mann ist, den Sie jetzt verhören wollen?« Der Chefinspektor schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Mrs. Kent, diese Hoffnung muß ich zerstören. Beide Tote haben Ausweise bei sich. Unser Mann heißt anders. George Ferguson. Das hat Sergeant Myers schon herausgefunden.« 30 �
Hazel trat auf Rick zu und hauchte ihm einen Kuß auf die Wange. »Sei vorsichtig«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Rick pfiff Dracula und eilte mit dem Chefinspektor auf die Straße. Er konnte es nicht mit ansehen, wie Hazel sich aus Sorge um ihn verzehrte. Und er wollte ihnen den Abschied erleichtern. Das Straßenbild war aber auch nicht dazu geeignet, jemanden zu beruhigen. Die beiden toten Schwarzmagier wurden soeben in den Leichenwagen geladen. Vor dem nächsten Morgen würde es kein Laborergebnis über die tödlichen Kugeln geben. Sergeant Myers, Hempshaws engster Mitarbeiter, legte die beiden Maschinenpistolen in einen Dienstwagen. Andere Beamte waren damit beschäftigt, die Patronenhülsen und Kugeln aufzusammeln. Rick erhielt seine Pistole zurück. Überall wurde nach Einschlägen in Hauswänden und parkenden Autos gesucht. Die Nachbarn bildeten eine dichte Front von Schaulustigen auf der Straße oder standen an* den Fenstern. Die nächtliche Straße wurde durch mehrere Scheinwerfer der Polizei taghell erleuchtet. »Hallo, Rick!« Doc Sterling, der alte Polizeiarzt, trat auf den Geisterdetektiv zu. Er blinzelte Rick durch seine dicken Brillengläser entgegen. »Sie haben auch mehr Glück als Verstand. Sie halten neuerdings sogar schon dem Beschuß durch zwei Maschinenpistolen stand. Welche Hautcreme verwenden Sie, daß Sie ein so dickes Fell bekommen haben?« Rick seufzte. »Sie haben gut lachen, Doc«, antwortete er. »Sie ahnen nicht, was Hazel und ich ausgestanden haben.« »Das kann ich mir sogar sehr gut vorstellen«, meinte der Polizeiarzt kopfschüttelnd. »Ich habe schließlich die toten Männer gesehen. Waren Sie das?« »Keine Idee, Doc«, wehrte Rick ab. »Es ist zu kompliziert, um 31 �
Ihnen das jetzt zu erklären.« »Kommen Sie!« mischte Hempshaw sich ungeduldig ein. »Wir haben schon viel zuviel Zeit verloren. Ich möchte endlich diesem George Ferguson einen Besuch abstatten, bevor er untertauchen kann.« Er deutete auf seinen Dienstwagen. Diesmal verzichtete Rick Masters auf seinen Morgan. Er setzte sich zu Hempshaw in den Fond und mußte Dracula festhalten, der unbedingt den Chefinspektor angreifen wollte. Sergeant Myers übernahm das Steuer. Ein zweiter Wagen mit vier Yarddetektiven folgte. Rick wandte kurz den Kopf und deutete auf das Auto hinter ihnen. »Große Eskorte?« fragte er. »Wenn meine Vermutung stimmt, besuchen wir den Mörder des Platzwartes«, antwortete der Chefinspektor. »Dieser Mann ist wohl kaum harmlos.« »Und wir besuchen den Mann, der mir den schwarzmagisch präparierten Tennisball untergeschoben hat«, ergänzte Rick Masters. »Deshalb wollten Sie, daß ich Sie begleite.« »Ja«, gab der Chefinspektor zu. Mehr sagte er nicht. Das war ein schlechtes Zeichen. Wenn Hempshaw so schweigsam wurde, sah er einem Einsatz mit großem Unbehagen entgegen. Rick Masters gab ihm recht. Seine Feinde hatten schon oft versucht, ihn aus dem Weg zu räumen. So intensiv und rücksichtslos waren sie dabei allerdings noch nie vorgegangen. Stets hatten sie befürchtet, der Geisterdetektiv könne zu hart zurückschlagen und ihnen großen Schaden zufügen. Jetzt nahmen sie keinerlei Rücksicht mehr. Jemand schien die Parole ausgegeben zu haben, Rick Masters um jeden Preis zu töten. 32 �
Noch sprach Rick diese Vermutung nicht offen aus, aber je länger er darüber nachdachte, desto sicherer wurde er. Hätte er bloß gewußt, wer diesen Befehl erteilt hatte! Vielleicht gar der Großmeister der Schwarzmagier, die unbekannte, nebelhafte Gestalt, die alle Fäden in der Hand hielt? * Die Straße im Londoner Stadtteil Tottenham unterschied sich in nichts von vielen anderen gleichartigen Straßen in London. Ein Einfamilienhaus reihte sich an das andere. Wieder einmal erschreckte Rick Masters diese Eintönigkeit. Man hätte sein eigenes Haus nicht gefunden, wären die Hausnummern vertauscht worden. Nicht einmal bei der Bepflanzung ihrer Vorgärten entwickelten die Leute Phantasie. Überall blühten die gleichen Herbstblumen. »Er ist im Haus«, sagte Chefinspektor Hempshaw, als sie durch die Straße rollten. »Dort drüben ist es!« Rick prägte sich das Haus ein. »Sie haben einen Posten aufgestellt?« »Zwei«, erwiderte der Chefinspektor. »Einen auf der Straße, einen hinten in einem Nachbargarten. Mein Sergeant hat mir soeben ein Zeichen gegeben, daß der Verdächtige das Haus nicht verlassen hat. Gehen wir!« Sergeant Myers hielt direkt vor dem Haus, als er zum zweiten Mal durch die Straße fuhr. Der Wagen mit den vier Beamten war ein Stück weitergefahren. Die Männer verteilten sich unauffällig. Dies war ein Polizeieinsatz. Deshalb redete Rick dem Chefinspektor nicht drein. Er selbst wäre nicht so offen auf das Haus zugegangen. Wenn ihre Vermutungen stimmten, hatten sie es nicht mit einem gewöhnlichen Verbrecher zu tun, sondern mit einem Mann, der nichts mehr zu verlieren hatte und über 33 �
schwarzmagische Fähigkeiten verfügte. Wenn er zuschlug, wurde es kritisch! Unauffällig zog Rick seine Pistole aus dem Halfter und schob sie in die Außentasche seiner Jacke. In die linke Tasche steckte er den Schlüssel des Großmeisters. Die Silberkugel verbarg er in der linken Hand. So ausgerüstet, war ihm wohler. Der schwarzmagische Schlüssel entwickelte sich immer mehr zu einem wichtigen Instrument. Er verteidigte Rick gegen Schwarzmagier, und das war im Moment besonders wichtig. Hempshaw klingelte. Drinnen im Haus erklang ein Poltern, danach war es still. Hempshaw klingelte noch einmal und sah Rick ratlos an. »Wir haben keinen Durchsuchungsbefehl«, sagte er. »Die Beschuldigung durch Bernie war dem Richter nicht stichhaltig genug. Wir dürfen nicht mit Gewalt eindringen.« Rick hatte volles Verständnis für den Chefinspektor. Dieser mußte sich streng an die Gesetze halten. »Hier ist die Polizei, Mr. Ferguson«, rief Sergeant Myers und klopfte mit der Faust gegen die Tür. »Scotland Yard! Öffnen Sie!« Sie traten vorsichtshalber zur Seite, um nicht von Schüssen durch das Holz getroffen zu werden. Die Männer des Chefinspektors verteilten sich im Garten. Noch immer rührte sich nichts. »Wenn er nicht öffnet, können wir nur das Haus überwachen«, sagte der Chefinspektor unzufrieden und klingelte noch einmal. Rick Masters erinnerte sich an eine Eigenschaft des Schlüssels, holte ihn aus der Tasche und nahm ihn zwischen seine Hände. Die Linke schloß sich um den Bart, die Rechte um den Griff. Auf diese Weise stellte der Geisterdetektiv einen engen Kontakt zu schwarzmagischen Kräften her. Er konnte sie sozusagen 34 �
belauschen. Mit seiner Silberkugel war das nicht möglich, da sie die schwarzmagischen Kräfte vertrieb. Dem Geisterdetektiv war es, als könne er plötzlich schärfer sehen als vorher. Die Gegenstände in seiner Nähe traten überdeutlich hervor. Er hob den Blick und sah auf die Haustür. Hempshaw hob fragend die Augenbrauen, als Rick breit zu grinsen begann. Rick Masters konnte durch die Tür hindurch einen Mann sehen, der sich zum Schlüsselloch herunterbeugte. Das mußte George Ferguson sein. Der Schlüssel des Großmeisters bewirkte, daß für Rick die Holztür wie eine Glastür durchsichtig wurde. »Hallo, Mr. Ferguson«, sagte Rick nicht besonders laut. »Durch das Schlüsselloch sehen Sie mich! Ich bin Rick Masters. Sie wollten mich in der Tennishalle beseitigen, nicht wahr?« Dank des Schlüssels sah Rick, wie der Schwarzmagier zurückprallte und in die Tasche seines Sakkos griff. »Weg!« rief Rick und sprang zur Seite. Auch der Chefinspektor und Sergeant Myers brachten sich in Sicherheit. Im nächsten Moment peitschten Schüsse. Die Kugeln rissen lange Späne aus der Tür, verletzten jedoch niemanden. »Er flieht zur Hintertür!« rief Rick, der mittels des Schlüssels des Großmeisters den Schwarzmagier weiter in seinem Haus beobachten konnte. Er selbst lief schon los, als Hempshaw noch wie erstarrt neben der zerschossenen Tür stand. Rick kam gerade zurecht, als die Hintertür aufflog. Polizisten standen im Garten des Verdächtigen. Er sah sie und prallte zurück. »Hallo!« rief Rick dicht neben George Ferguson. 35 �
Der Schwarzmagier wirbelte zu ihm herum, richtete seinen Revolver auf den Geisterdetektiv und wollte abdrücken. Doch Rick streckte ihm den Schlüssel des Großmeisters entgegen. Mit einem Schreckensschrei prallte George Ferguson zurück und riß seinen Revolver zur Seite. Jetzt wußte Rick mit Sicherheit Bescheid. Der Schlüssel schützte seinen Träger vor Angriffen der Schwarzmagier. Ferguson wußte das. Deshalb hatte er nicht geschossen, weil er sonst von seiner eigenen Kugel getroffen worden wäre, wie es den beiden Schwarzmagiern vor Hazels Haus ergangen war. Ferguson sprang ins Haus zurück und wollte die Hintertür zuschlagen. Rick warf sich mit voller Kraft dagegen, daß die Tür wieder aufschwang. »Gehen Sie weg, Masters!« schrie Ferguson in hellem Entsetzen. »Raus aus meinem Haus.« Rick Masters hielt den Schlüssel des Großmeisters nur noch am Griff fest. In der freien Hand lag die Pistole und zeigte auf den Schwarzmagier. »Das Spiel ist aus«, sagte Rick ohne Leidenschaft. »Sie haben den Bogen überspannt. Diesmal sitze ich am längeren Hebel.« »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen!« George Ferguson wechselte die Taktik. »Sie brechen in mein Haus ein und überfallen mich. Ich werde die Polizei rufen.« Rick gestattete sich ein knappes Lächeln. »Sie wissen sehr gut, daß Scotland Yard vor Ihrer Tür steht, Mr. Ferguson.« Rick machte eine Handbewegung zur Tür. »Hier, bitte, Sie können sich sofort bei Chefinspektor Hempshaw von Scotland Yard beschweren. Aber vergessen Sie nicht zu erwähnen, daß Sie den Platzwart ermordet haben.« »Das ist eine Lüge!« rief Ferguson erbleichend. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.« »Sie dachten, ich würde Ihnen nur Magie vorwerfen.« Rick 36 �
schüttelte den Kopf. »Irrtum! Es gibt einen Augenzeugen, der genau gesehen hat, daß Sie sich von der Mordwaffe trennten.« Der Geisterdetektiv sprach von diesen Dingen, obwohl sie Sache der Polizei waren. Er tat es nur, weil ihm der Chefinspektor einen aufmunternden Wink gegeben hatte. »Alles Lügen!« schrie Ferguson. »Bringen Sie mich mit dem Augenzeugen Zusammen, und Sie werden sofort merken, daß er gelogen hat.« »Das ist keine schlechte Idee, Kenneth«, wandte sich Rick an den Chefinspektor und kniff ihm ein Auge zu. »Lassen Sie den Augenzeugen doch herbringen. Bei einer Gegenüberstellung werden Sie schon die Wahrheit erfahren.« »In Ordnung«, stimmte der Chefinspektor zu. Er durchschaute Ricks Plan zwar nicht, legte ihm jedoch auch keine Steine in den Weg. »Myers! Lassen Sie den Mann aus dem Yard holen!« Während Sergeant Myers den Auftrag ausführte, nahm Hempshaw dem überrumpelten Schwarzmagier die Waffe ab. Anschließend durchsuchte er mit seinen Leuten das ganze Haus. Rick schloß sich ihnen an, wobei er zur Suche auch seine Silberkugel und den Schlüssel des Großmeisters einsetzte. Er fand jedoch keine Hinweise auf die Tätigkeiten Fergusons. Offiziell arbeitete der Mann bei einer Versicherung. Die Durchsuchung war eben zu Ende, als ein Wagen des Yards Bernie brachte. »Was wollen Sie mit dieser Gegenüberstellung bezwecken, Rick?« erkundigte sich der Chefinspektor. »Bernie wird aussagen, daß Ferguson die Waffe versteckt hat. Das hätte er auch im Yard getan, meinen Sie nicht?« »Ferguson wird diese Aussage verhindern wollen«, antwortete Rick. »Und zwar auf seine Weise. Überlassen Sie es mir. Behandeln Sie die Gegenüberstellung wie jede andere auch und kümmern Sie sich nicht um mich. Machen Sie sich nur darauf gefaßt, 37 �
daß Ferguson toben wird. Geben Sie Ihren Leuten einen entsprechenden Wink.« »Meinetwegen«, murmelte Hempshaw. Er mochte es nicht, wenn Dinge geschahen, die er nicht verstand. Er vertraute zwar dem Geisterdetektiv, aber er wäre doch lieber eingeweiht worden. Die Gegenüberstellung fand in Fergusons Wohnzimmer statt. Rick setzte sich so, daß Ferguson ihn nicht sehen konnte, weil er dem Geisterdetektiv den Rücken zuwandte. Rick hielt zwischen beiden Händen den Schlüssel. Bernie wurde hereingeführt. Als er Ferguson erblickte, zuckte er zusammen. »Das ist…!« rief er und stockte. Der Schlüssel half Rick, Fergusons Gedanken aufzufangen. Der Schwarzmagier befahl dem Augenzeugen, zu schweigen. Gleichzeitig versuchte Ferguson, durch eine lautlose Beschwörung Bernie das Gedächtnis zu nehmen. Es war an der Zeit, daß Rick einschritt. Der Geisterdetektiv holte seine Silberkugel hervor. Kaum lag sie offen vor ihm, als Ferguson erstarrte. Er begann zu zittern. Der Schwarzmagier versuchte vergeblich, weiter den Augenzeugen zu beeinflussen. Durch die Einwirkung der Silberkugel verlor er die Kontrolle über Bernie. »Kennen Sie diesen Mann?« fragte Hempshaw erwartungsvoll. »Ja«, sagte Bernie ohne Hemmungen. »Das ist der Mann, der die Pistole hinter den Mülltonnen versteckt hat.« »Sie sprechen von der Pistole, die wir Ihnen abgenommen haben?« warf Sergeant Myers ein. »Richtig, von dieser Pistole«, versicherte Bernie. »Mit anderen Worten«, schloß Chefinspektor Hempshaw, »Mr. Ferguson hat den Platzwart erschossen.« Ferguson wirbelte zu Rick Masters herum und starrte ihn wü38 �
tend an. »Ja, das war ich«, sagte der Geisterdetektiv. »Ich mußte Ihre Beschwörung stören, Mr. Ferguson. Sie dachten, Sie könnten den Augenzeugen auf Ihre Weise ausschalten. Dabei konnte ich nicht untätig sein.« »Du…!« Ferguson schrie ein gräßliches Schimpfwort und wollte sich mit geballten Fäusten auf den Geisterdetektiv stürzen. Zwei Polizisten packten ihn. Hempshaw hatte baumlange, bärenstarke Kerle ausgesucht, in deren Griff Ferguson vergeblich tobte. Rick stand auf und trat näher. »Haltet ihn fest«, sagte er zu den Polizisten. Scheinbar legte er Ferguson nur die Hand auf den Kopf. In Wirklichkeit beraubte er den Schwarzmagier all seiner Fähigkeiten des Bösen, in der hohlen Hand verbarg Rick nämlich die Silberkugel. Ferguson wollte ihn von sich stoßen oder ihm ausweichen. Beides war unmöglich. Erst nach einer Weile zog Rick die Hand mit der Silberkugel zurück. Hempshaw gab den Befehl, Ferguson abzuführen. »Sie werden sich nicht lange über Ihren Erfolg freuen, Masters!« geiferte der entmachtete Schwarzmagier. »Der Großmeister hat allen seinen Anhängern befohlen, Sie umzubringen! Sie werden nicht lange leben.« Die Tür schloß sich hinter George Ferguson. Rick war betroffen. Was er vermutet hatte, bestätigte sich. Der Großmeister selbst hatte seinen Tod befohlen! »Sie sind ja ganz blaß, Rick!« tief der Chefinspektor erschrocken. »Fühlen Sie sich nicht gut?« »Ich habe mich noch nie so gut gefühlt wie jetzt«, antwortete Rick Masters mit Galgenhumor. »Ich habe soeben erfahren, daß Tausende von Schwarzmagiern hinter mir her sind und versu39 �
chen, mich mit allen Mitteln zu ermorden. Ansonsten aber geht es mir einfach blendend.« Chefinspektor Hempshaw hatte Fergusons Drohung gehört. Und er nahm sie durchaus ernst. »Verlassen Sie die Stadt, am besten das Land«, riet Hempshaw. »Verkriechen Sie sich an einem Ort, an dem Ihre Feinde Sie nicht finden! Und kommen Sie erst wieder, wenn Gras über die Sache gewachsen ist.« Rick verstaute mit einem bitteren Lächeln seine Waffen im Schulterhalfter. »Kenneth, das hätte keinen Sinn«, meinte er. »Erstens gibt es keinen sicheren Ort. Sie finden mich überall, wenn sie nur wollen. Und zweitens ginge es nach meiner Rückkehr genauso weiter wie bisher.« »Was wollen Sie statt dessen machen?« erkundigte sich der Chefinspektor. Rick zuckte die Schultern. »Fragen Sie mich etwas Leichteres«, bat er. »Ich werde auf jeden Fall versuchen, noch eine Weile am Leben zu bleiben. Hoffen wir, daß es mir gelingt.« »Ich halte Ihnen die Daumen«, versprach Hempshaw. »Wenn Sie Hilfe brauchen, wenden Sie sich an mich. Ich bin immer für Sie da.« »Danke«, sagte Rick und verließ das Haus. Es war gut, in einer solchen Situation einen zuverlässigen Freund zu haben. Der Chefinspektor konnte allerdings die tödliche Bedrohung nicht von Rick abwenden. Das vermochte im Moment niemand. * Nach einer ruhigen Nacht erwachte Rick Masters in seinem Wohnbüro in der Londoner City. 40 �
Er brauchte stets sehr lange, bis er sich zum Aufstehen entschloß. Auch an diesem Morgen blieb er noch liegen, die Augen geschlossen, die Decke bis zu den Ohren hochgezogen. Seine Gedanken erwachten jedoch schon zu voller Tätigkeit. Keine Spur von jener Trägheit, die ihm an anderen Tagen das Aufstehen so erschwerte. Die Gefahr! Sie lauerte überall, Schwarze Magie konnte jederzeit und an jedem Ort zuschlagen. Jeder Passant auf der Straße mochte ein Todfeind sein. Jeder Brief konnte einen tödlichen Inhalt besitzen. Rick hatte in der letzten Nacht noch Hazel angerufen, und ihr die neueste Entwicklung der Dinge geschildert. Sie wollte, daß er zu ihr kam, doch er hatte abgelehnt. Sie durfte nicht zu sehr durch seine Nähe gefährdet werden. Der Anschlag mit den Maschinenpistolen wäre auch beinahe für Hazel zur Todesfalle geworden. Rick überlegte, wie er aus dieser schrecklichen Situation entkommen könnte. Der sicherste Weg wäre gewesen, den Großmeister zu entlarven und festzusetzen. Doch in dieser Richtung machte Rick sich keine Hoffnungen, jahrelang hatte er gearbeitet, ohne überhaupt zu ahnen, daß es einen Großmeister der Schwarzmagier gab. Und diese Position war sicher nicht erst vor kurzer Zeit eingerichtet worden. Die zweite Möglichkeit wäre gewesen, alle Schwarzmagier unschädlich zu machen, die ihn eventuell angreifen könnten. Doch auch das schied aus. Der Befehl des Großmeisters war an alle Magier gerichtet gewesen, und davon gab es einfach zu viele. Außerdem hatte Rick keine Möglichkeit, sie aufzuspüren. Flucht war auch kein geeignetes Mittel, wie er schon Hempshaw erklärt hatte. 41 �
Es blieb nur eines übrig. Rick mußte auf der Hut sein und alle gegen ihn gerichteten Anschläge abwehren. Und das mußte er so lange durchhalten, bis der Großmeister seinen Befehl widerrief, weil für ihn der Kampf gegen Rick zu verlustreich wurde. »Schöne Aussichten«, sagte Rick halblaut und schlug die Augen auf. Sein Telefon klingelte. Rick warf einen überraschten Blick auf seinen Radiowecker. Es war erst sieben Uhr. »Haben Sie trotz allem gut geschlafen?« erkundigte sich Chefinspektor Hempshaw, nachdem Rick sich gemeldet hatte. »Ich schlafe immer gut«, meinte Rick. »Wieso rufen Sie so zeitig an? Ist etwas geschehen?« »Ich wollte nur, daß Sie es gleich erfahren, Rick. Das Labor hat Ihre Behauptungen bestätigt. Die beiden Schwarzmagier haben sich vor Mrs. Kents Haus tatsächlich mit ihren eigenen Maschinenpistolen erschossen. Technisch ist das unmöglich, aber es ist geschehen!« »Gut, Kenneth«, meinte Rick wenig beeindruckt. »Gibt es sonst noch etwas?« Hempshaw seufzte. »Ich möchte Sie einmal mit einer Nachricht überraschen«, sagte er. »Das ist aber wohl nicht möglich, oder gibt es doch noch etwas, worüber Sie staunen?« »Nicht besonders viel«, räumte Rick ein. »Was ist mit George Ferguson? Gibt es bei ihm Neuigkeiten?« »Keine«, erwiderte Hempshaw. »Er hat einen Verteidiger bestellt und sieht jetzt der Anklage entgegen. Alles geht seinen ganz normalen Gang, als wäre er ein Mörder wie alle anderen.« »Ich habe ihm die schwarzmagischen Fähigkeiten genommen, vergessen Sie das nicht«, sagte Rick. »Er kann sich nicht auf magische Weise befreien. Wer ist sein Verteidiger?« »Rechtsanwalt Pelletti«, gab der Chefinspektor Auskunft. Rick pfiff durch die Zähne. »Alle Achtung, das ist eine Überra42 �
schung. Jetzt haben Sie mich doch verblüfft, Kenneth. Ausgerechnet Pelletti nimmt er sich? Hat er so viel Geld?« »Ich weiß es nicht, Rick, aber so viel steht fest. Rechtsanwalt Pelletti ist im Moment der Staranwalt in London. Er hat das Mandat schon angenommen.« »Sehr interessant.«, murmelte Kick. Hempshaw wurde sofort hellhörig. »Vermuten Sie eine direkte Verbindung zwischen George Ferguson und Pelletti?« hakte er neugierig nach. »Das kann ich nicht sagen, aber ich werde mich darum kümmern«, versprach der Geisterdetektiv. Leider hatte ich bisher nichts mit Pelletti zu tun. Das erschwert für mich die Sache.« »Wenn Sie von mir eine Empfehlung brauchen, sagen Sie es«, forderte Hempshaw seinen Freund auf. »Ich bin in diesem Fall auf jedes Detail gespannt.« »Nicht nötig, Kenneth, ich werde mich allein an Pelletti wenden«, winkte der Geisterdetektiv ab. »Ich möchte sehen, wie der Mann auf mich reagiert.« »Dann wünsche ich Ihnen viel Glück.« Hempshaw beendete das Gespräch, weil er einen wichtigen Anruf erhielt. Rick wählte sofort die Nummer des Büros von Rechtsanwalt Pelletti. Er war überzeugt, daß ihn eine Sekretärin erst einmal auf Wochen hinaus vertrösten würde. »Sie können jederzeit herkommen, Mr. Masters«, sagte die Sekretärin jedoch zu seiner Verblüffung. »Mr. Pelletti ist den ganzen Vormittag in seinem Büro und wird Ihnen zur Verfügung stehen.« »Gut, danke«, murmelte der Geisterdetektiv und legte auf. Er zog sich rasch an und genehmigte sich als Frühstück nur eine Tasse Kaffee. Das war die erste klare Entscheidung, die er an diesem Morgen traf. Rick war sowohl Kaffee als auch Teetrinker. Er hatte sich für Kaffee entschieden. 43 �
Andere Klarheiten vermißte er an diesem Morgen. Alles war nebelhaft. Die Anschläge auf ihn ergaben nur Sinn, wenn der Befehl dazu wirklich vom Großmeister der Schwarzmagier gekommen war. Dieser Großmeister war jedoch eine nebelhafte Gestalt. Ferguson und die beiden toten Schwarzmagier waren auch in einen dichten Nebel des Geheimnisses gehüllt. Rick Wußte nicht genau, wie er sie einordnen sollte. Gab es in London einen schwarzmagischen Dom? Eine Stätte der Schwarzmagier unter der Themse hatte Rick vor längerer Zeit zerstört. Nebel breitete sich über die Frage, ob auch das ein schwarzmagischer Dom gewesen war. Rick Masters scheute sich vor keinem noch so schwierigen Fall. Er nahm jede Herausforderung an. Diese totale Unsicherheit machte ihn jedoch nervös. Dazu kam die tödliche Bedrohung bei jedem Schritt. »Komm, Dracula«, sagte er zu seinem Hund und ging zur Tür. »Wir wollen Mr. Pelletti besuchen.« Dracula wedelte. Er freute sich immer, wenn sie einen Spaziergang unternahmen. Schon streckte Rick die Hand nach der Türklinke aus, als der Gong anschlug. * In seinem Beruf hätten Rick Masters übersinnliche Kräfte sehr geholfen. Hellsehen oder Gedankenübertragung, ein Blick in die Vergangenheit oder Gedankenlesen. Rick besaß keine dieser Eigenschaften. Von Zeit zu Zeit hatte er jedoch Vorahnungen, Gefühle, unbestimmte Empfindungen. Chefinspektor Hempshaw fürchtete Ricks Ahnungen, weil sie sich meistens bewahrheiteten. In diesem Moment fühlte Rick, daß Ärger auf ihn zukam. Er 44 �
konnte nur noch nicht entscheiden, in welcher Hinsicht. Rick betätigte die Sprechanlage. »Wer ist da?« fragte er, verließ sich aber keineswegs auf die Antwort seines Besuchers. Vorsicht war in seinem Beruf das halbe Leben. Deshalb schaltete er auch die Beobachtungsanlage ein, mit der er das Treppenhaus überblicken konnte. »Frank Potter«, erwiderte der Programmierer aus Hazels Firma und angehende Schriftsteller. Rick sah ihn über das Spiegelsystem der Beobachtungsanlage. Außer Potter hielt sich niemand im Treppenhaus auf. Rick öffnete, blieb jedoch in der Tür stehen. »Mr. Potter, Sie kommen in einem ungünstigen Moment«, sagte er. »Ich bin im Weggehen. Tut mir leid.« »Mir nicht«, erwiderte der junge Computerspezialist. »Ich kann Sie begleiten, wohin Sie auch fahren, und am Ziel trenne ich mich wieder von Ihnen. Ich bin zu Fuß gekommen. Also bin ich nicht an ein Auto gebunden.« »Mr. Potter, ich habe es eilig«, wandte Rick ein. »Ich halte Sie bestimmt nicht auf«, versprach Potter. Rick seufzte. Das also war der Ärger, den er instinktiv gefühlt hatte. »Meinetwegen«, sagte er ohne jede Begeisterung und schloß von außen seine Tür sorgfältig ab. Dracula sah sich Potter an, kümmerte sich aber nicht weiter um ihn. »Worum geht es denn?« fragte der Geisterdetektiv, als sie die Treppe hinuntergingen. »Haben Sie einen besonderen Grund, zu mir zu kommen?« »Das wissen Sie doch, Mr. Masters.« Frank Potters Stimme klang enttäuscht. »Ich brauche einige Anhaltspunkte über Ihre Arbeit. Ich möchte meinem Detektiv im Roman Ihre Züge geben.« 45 �
»Wie schmeichelhaft«, sagte Rick spöttisch. »Warum ausgerechnet meine? Kann das nicht irgendein Detektiv sein?« »Das ist es ja gerade!« rief Frank Potter leidenschaftlich. »Es soll ein ganz besonderer Detektiv sein, einer, der sich mit Übersinnlichem herumschlägt.« Während sie in Ricks Morgan stiegen, erklärte Frank Potter lang und breit, wie er sich den Roman vorstellte. Rick fand, daß Potter sich eine Menge Gedanken gemacht hatte. Trotzdem war ihm der angehende Schriftsteiler lästig. »Was wollen Sie wissen?« schnitt Rick ihm nach einiger Zeit das Wort ab. »Stellen Sie präzise Fragen.« Potter schoß sofort eine erste Frage ab. »Gegen Geister und Dämonen kann man nicht mit gewöhnlichen Waffen kämpfen. Welche Waffen setzen Sie ein, Mr. Masters?« »Kein Kommentar«, sagte Rick und lachte zum erstenmal an diesem Tag laut auf. »Machen Sie kein so betroffenes Gesicht. Natürlich besitze ich Spezialwaffen. Ich lasse aber niemanden in meine Karten blicken. Das werden Sie doch verstehen.« »Zu mir können Sie Vertrauen haben!« rief Potter. »Ich vertraue nicht einmal mir selbst«, konterte Rick. »Nächste Frage.« »Stimmt es, daß gestern auf Sie und Mrs. Kent ein Attentat verübt wurde?« fragte Frank Potter. »Mit Maschinenpistolen?« Rick wurde von der Straße abgelenkt und starrte seinen Beifahrer überrascht an. »Woher wissen Sie das?« »Es steht in den Zeitungen.« Potter zog aus seiner Tasche ein Blatt und faltete es auseinander. »Hier! Rätselhafter Überfall in Westminster. Zwei Täter mit Maschinenpistolen. Erschossen sie sich gegenseitig? Die Opfer, der bekannte Privatdetektiv Rick Masters und Mrs. Hazel Kent, Besitzerin und Generalmanagerin der Kent-Werke blieben unverletzt.« 46 �
»Das steht tatsächlich in der Zeitung?« fragte Rick erstaunt. »Ich hätte nicht gedacht, daß sich die Reporter so für den Zwischenfall interessieren.« »Aber, Mr. Masters«, meinte Frank Potter lachend. »Zwei Männer schießen mit Maschinenpistolen in Westminster auf offener Straße. Das schreit förmlich nach einem Sensationsbericht.« »Da haben Sie auch wieder recht.« Rick zuckte die Schultern. »Ich bin stets so mit meiner Arbeit beschäftigt, daß ich mich nicht um Presse oder Fernsehen kümmere.« »Wohin fahren Sie eigentlich?« erkundigte sich Potter. »Zu Mr. Pelletti«, antwortete Rick. »Pelletti?« Potter riß die Augen auf. »Sprechen Sie von dem berühmten Strafverteidiger? Dem Staranwalt?« Rick nickte. »Kennen Sie ihn?« »Als Computerprogrammierer?« Potter winkte ab. »Wie sollte ich jemals an eine solche Persönlichkeit herankommen. Nein, ich kenne ihn nicht, aber ich würde ihn schrecklich gern kennenlernen. Mr. Masters, tun Sie mir einen großen Gefallen. Nehmen Sie mich mit zu Mr. Pelletti! Lehnen Sie nicht ab. Das ist für mich eine einmalige Chance, einen so berühmten Anwalt kennenzulernen.« Rick Masters hatte nicht die geringste Lust, den jungen Mann mitzunehmen, doch Potter bat solange, bis er endlich zustimmte. »Ich werde Sie als angehenden Schriftsteller vorstellen«, meinte Rick seufzend. »Mischen Sie sich aber bitte nicht in unser Gespräch ein. Und wenn Mr. Pelletti etwas gegen Ihre Anwesenheit einwendet, ziehen Sie sich widerspruchslos zurück.« »Großes Ehrenwort!« Frank Potter strahlte, als sie vor Pellettis Haus parkten. Rick fand nur deshalb einen Parkplatz, weil Mr. Pelletti für seine Klienten auf seinem eigenen Grund und Boden in Westminster einen Parkplatz angelegt hatte. Sein Büro befand sich in der 47 �
teuersten Gegend. Jeder einzelne Autoabstellplatz kostete ein Vermögen. Allein das sagte schon genug über Pellettis Stellung in London aus. Rick Masters meldete sich bei der Sekretärin, die alle Besucher empfing. Daraufhin wurde er sofort in das Büro des Anwalts geführt. Frank Potter ließ dem Geisterdetektiv respektvoll den Vortritt. Rick überschritt die Schwelle. Mit einem kurzen Rundblick stellte er fest, daß er sich in einem gediegen eingerichteten, sehr geschmackvollen und wertvoll möblierten Büro befand. Dann richtete er seinen Blick auf Mr. Pelletti, der vor seinem Schreibtisch stand und Rick gespannt entgegenblickte. Und dann weiteten sich Ricks Augen in ungläubigem Staunen. In diesem Moment wäre Chefinspektor Hempshaw mit Rick sehr zufrieden gewesen. Denn so verblüfft war Rick Masters schon lange nicht gewesen. * »Mr. Masters, wie ich vermute.« Pelletti kam dem Geisterdetektiv entgegen. »Ich bin Joe Pelletti. Ihr Sekretär?« Dabei blickte er auf Frank Potter. »Nein«, murmelte Rick und schüttelte den Kopf. Er nahm sich zusammen. »Entschuldigen Sie, Mr. Pelletti, ich bin ziemlich überrascht. Ich erkläre es Ihnen sofort. Das ist Frank Potter, ein angehender Schriftsteller. Er wollte Sie kennenlernen. Es liegt an Ihnen, ob Sie in seiner Gegenwart mit mir sprechen wollen.« »Selbstverständlich, warum nicht?« meinte der Anwalt und deutete einladend auf eine mit dunkelbraunem Leder überzogene Sitzgruppe. Rick hatte insgeheim gehofft, Pelletti würde Potter wegschi48 �
cken. Sie setzten sich, und Rick nahm dankend eine Tasse Tee an. »Sie waren bei meinem Anblick sehr erstaunt?« griff Pelletti das eigentliche Thema auf. »Sie kannten mich noch nicht? Hatten Sie mich früher nicht in Gerichtsverhandlungen gesehen?« »Ich gehe nie zu Gerichtsverhandlungen«, erwiderte Rick. »Meine Fälle werden nur selten vor Gerichten behandelt.« »Ja, ich weiß«, sagte Pelletti. »Sie beschäftigen sich nicht mit gewöhnlichen Verbrechern und Gesetzesbrechern, sondern mit Gegnern aus… anderen Welten.« Er zögerte kurz, ehe er von anderen Welten sprach. Rick nickte. »Richtig. Woher wissen Sie das?« »Als Anwalt muß man über alles informiert sein«, erklärte Pelletti. Fast eine volle Minute herrschte Schweigen. Rick betrachtete den Anwalt eingehender. Er mochte vierzig sein, auf jeden Fall jünger, als Rick bei einem so erfolgreichen Anwalt vermutet hätte. Seine dunklen Haare und dunklen Augen änderten auch nichts an seinem eher durchschnittlichen Aussehen. Nichts wies an diesem Mann auf seine hervorragenden Fähigkeiten hin. Er war wirklich ein Durchschnittsmensch. Und doch umgab ihn eine Ausstrahlung; die man nach einiger Zeit fühlte, eine Aura von Kraft, Intelligenz und Willensstärke. Je länger Rick mit dem Anwalt zusammen war, desto faszinierender fand er ihn. Frank Potter hielt sich ganz zurück, so daß Rick ihn völlig vergaß. »Sie haben mir noch nicht erklärt, Mr. Masters«, sagte Pelletti nach einer Weile, »weshalb Sie vorhin so erstaunt waren. Ich hatte sogar den Eindruck, Sie würden bei meinem Anblick erschrecken.« 49 �
»Das ist ganz gut ausgedrückt«, räumte Rick ein. »Ja, Sie haben recht, Mr. Pelletti. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Sie haben einen neuen Klienten, George Ferguson.« Pelletti nickte. »Ferguson hat den Platzwart einer Tennishalle ermordet und einen Anschlag auf mich durchgeführt«, sagte Rick. Pelletti lächelte. »Er wird beschuldigt, das alles getan zu haben, Mr. Masters.« Rick winkte ab. »Sie als Anwalt müssen natürlich so sprechen. Nun, Mr. Pelletti, Sie sehen diesem George Ferguson unglaublich ähnlich! Für einen Moment dachte ich, Ferguson vor mir zu sehen.« Das Lächeln im Gesicht des Anwalts erlosch. Er stand abrupt auf. »Sie haben recht, Mr. Masters, die Ähnlichkeit ist verblüffend«, sagte er plötzlich mit eisiger Kälte. »George Ferguson ist mein Bruder. Und jetzt gehen Sie bitte, ich habe Ihnen nichts zu sagen.« Wie betäubt verließ Rick Masters das Büro des Anwalts. Er stellte keine Fragen mehr, weil er deutlich merkte, daß Pelletti nicht mit ihm sprechen wollte. Die Hauptfrage war allerdings, weshalb Pelletti ihn überhaupt hatte kommen lassen! * Frank Potter verabschiedete sich vor Pellettis Haus. Rick nickte nur stumm, als der angehende Schriftsteller sich bei ihm bedankte. Der Geisterdetektiv stieg in seinen Morgan und fuhr zu Scotland Yard. Er war so in Gedanken versunken, daß er beinahe vergessen hätte, seinen Hund in Hempshaws Gegenwart zu50 �
rückzuhalten. Erst im letzten Moment dachte er daran, als sie beide schon Hempshaws Büro betraten. So kam es zu keinem Zwischenfall. Dracula verzichtete darauf, sich mit gefletschten Zähnen auf den Chefinspektor zu stürzen. Hempshaw saß hinter seinem Schreibtisch, eingemauert von Aktenbergen, und blickte Rick gespannt entgegen. Rick setzte sich schweigend. »Sie sehen aus, als wären Sie einem Geist begegnet, der Sie zum Abendessen eingeladen hat«, sagte Hempshaw, als ihm die Stille zu lange dauerte. Rick grinste gequält. »Sie können ja sogar humorvoll sein, Kenneth. Sie haben völlig recht, so ungefähr fühlte ich mich. Ich bin zwar keinem Geist, dafür aber Mr. Pelletti begegnet. Und er hat mich nicht zum Abendessen eingeladen, sondern mich völlig durcheinander gebracht.« Rick schilderte den Besuch bei Pelletti in allen Einzelheiten. Er ließ nichts aus. »Ich habe Joe Pelletti noch nie mit vollem Bewußtsein gesehen«, entgegnete Chefinspektor Hempshaw. »Ich habe selten mit Anwälten zu tun. Gerichtsverhandlungen interessieren mich zwar, aber ich habe keine Zeit, dabeizusein. Als Zeuge trete ich auch selten auf. Dafür kommen jeweils meine Leute in Frage, die einen bestimmten Fall behandeln.« »Sorgen Sie dafür, daß Sie Joe Pelletti bei nächster Gelegenheit kennenlernen«, riet Rick. »Sie werden erstaunt sein. Eine andere Frage zwischendurch. Haben Sie etwas über die beiden Männer herausgefunden, die auf Hazel und mich mit Maschinenpistolen geschossen haben? Wer waren sie?« Hempshaw schob dem Geisterdetektiv zwei Blätter zu. Auf jedem Papier stand der Name des Attentäters, darunter seine Adresse und der Beruf.« »Nichts«, sagte Hempshaw. »Das ist alles. Über diese Männer ist der Polizei nichts bekannt, und sie sind bisher niemandem 51 �
aufgefallen. Im wahrsten Sinn des Wortes unbeschriebene Blätter. Wir haben ihre Wohnungen durchsucht, und nichts gefunden. Wenn Sie wollen, können Sie sich gern auch noch einmal umsehen.« Rick winkte ab. »Ich vertraue Ihnen, Kenneth. Sie wissen schließlich auch, worauf es mir ankommt.« Er schüttelte den Kopf. »Ich begreife es noch immer nicht. Joe Pelletti und George Ferguson sind Brüder. Einer von ihnen muß wohl seinen Namen nachträglich geändert haben.« »Ich werde das überprüfen«, meinte der Chefinspektor und gab die entsprechenden Anweisungen durch. »Warum«, fuhr Rick fort, »läßt Pelletti mich sofort zu sich kommen, unterhält sich mit mir und wirft mich dann achtkantig hinaus? Sie hätten ihn sehen müssen! Es war, als würde er mich hassen.« »Sie haben mitgeholfen, seinen Bruder zu verhaften«, gab Hempshaw zu bedenken. »Dann hätte er mir gleich durch seine Sekretärin sagen sollen, daß er nichts mit mir zutun haben will«, entgegnete Rick. »Ich vermute, er wollte Sie kennenlernen. Das ist alles. Pelletti war auf Sie neugierig.« »So wird es sein«, meinte auch Rick Masters. »Was ist eigentlich mit Ihrem Schützling, dem angehenden Schriftsteller?« erkundigte sich Hempshaw. »Was sagte er zu diesem Auftritt?« »Wie?« Rick sah seinen Freund überrascht an. »Ach so, Potter! Ehrlich gesagt, Kenneth, er geht mir auf die Nerven. Hätte nicht Hazel mich um diesen Gefallen gebeten, würde ich mich gar nicht um ihn kümmern.« Sergeant Myers betrat den Raum und begrüßte Rick. »Ich bringe die Auskunft über George Ferguson«, sagte er. »Ferguson hieß früher Pelletti, stellte aber einen Antrag auf Namensände52 �
rung. Der Antrag Wurde genehmigt.« »Recht interessant«, murmelte Chefinspektor Hempshaw. »Das stimmt«, pflichtete ihm Rick Masters bei. »Ich möchte gerne wissen, warum er seinen Namen geändert hat. Wenn Sie nichts dagegen haben, Kenneth, spreche ich mit Ferguson.« Hempshaw nickte und stand auf. »Ich bin auch gespannt, welche Erklärung Ferguson geben wird. Gehen wir!« Dracula schloß sich ihnen an, und ausnahmsweise verzichtete er sogar darauf, Hempshaw die gefletschten Zähne zu zeigen. * Im Untersuchungsgefängnis meldete sich der Chefinspektor an. Bald darauf kam er zu Rick Masters zurück. »Wir müssen noch eine Weile warten«, erklärte er. »Pelletti ist gerade bei Ferguson.« »Familientreffen«, bemerkte Rick. Der Chefinspektor schüttelte den Kopf. »Ich kann es mir einfach nicht erklären. Der eine Bruder ist Staranwalt, der andere Schwarzmagier. Wie paßt das zusammen?« »Ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse«, warnte Rick Masters. »Die Brüder brauchen nichts miteinander zu tun haben. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, sie hätten einander vor ungefähr zwanzig Jahren aus den Augen verloren.« »Soll das heißen, daß Sie Pelletti trauen?« staunte Chefinspektor Hempshaw. »Ich habe heute schon jemandem geantwortet, daß ich nicht einmal mir selbst traue.« Rick lächelte. »Dann ist es gut.« Hempshaw nickte erleichtert. »Und ich dachte schon, Sie hätten einen Teil Ihrer üblichen Vorsicht verloren, Rick.« Der Blick des Geisterdetektivs wurde abwesend. Nach einer 53 �
Weile hob Rick den Kopf. »Und wenn die beiden Brüder doch zusammenhalten?« sagte er, als wäre es ein Selbstgespräch. »Wenn Pelletti seinem Bruder zur Flucht verhelfen möchte?« Hempshaw zog die Augenbrauen hoch. »Schießen Sie jetzt nicht über das Ziel hinaus, Rick?« »Die beiden sehen einander zum Verwechseln ähnlich.« Rick spann seinen Gedanken weiter. »Wenn sie die Kleider tauschen, kann Ferguson ohne Schwierigkeiten das Gefängnis verlassen.« »Aber dann sitzt Pelletti in der Zelle, und das wäre für ihn das Ende seiner Karriere«, gab der Chefinspektor zu bedenken. »Schlagen Sie sich das aus dem Kopf, Rick.« »Okay, Sie haben recht«, erwiderte der Geisterdetektiv. »Das scheidet aus…« Er zögerte. Irgendwie hatte er das Gefühl, daß ihm seine Idee nicht von ungefähr gekommen war. Hempshaw betrachtete ihn mißtrauisch. »Ist das wieder eine Ihrer Vorahnungen?« Rick nickte. »Ich fürchte, ja.« Plötzlich wurde Hempshaw sehr aktiv. »Das möchte ich jetzt selbst sehen!« rief er und stürmte aus dem Warteraum. Rick schloß sich ihm an. Der Chefinspektor hastete in den Raum, in dem sich die Wächter aufhielten. »Ist Pelletti noch bei Ferguson?« bellte er. »Nein«, antwortete einer der Wächter. »Er ist vor fünf Minuten gegangen. Ist er nicht an Ihnen vorbeigekommen?« »Nein, ich habe niemanden gesehen.« Hempshaw deutete auf die Tür, hinter der das Besucherzimmer lag. »Aufschließen!« Der Wächter tat es, und dann erlebten sie eine Überraschung. Der Raum war leer. Hempshaw wirbelte zu den Wächtern herum. »Die Untersuchungsgefangenen können mit ihren Anwälten allein sprechen!« 54 �
schrie er. »Der Anwalt kann jederzeit das Gefängnis verlassen. Der Häftling wird dann in den Zellentrakt zurückgeführt. Wo ist der dafür zuständige Wächter?« Einer der Uniformierten ging zu der Tür, hinter der sein Kollege warten mußte. Als er klopfte, wurde sofort geöffnet. Der für Ferguson zuständige Wächter machte ein fassungsloses Gesicht, als er den Häftling nicht entdeckte. »Ich habe Ferguson nicht wieder in seine Zelle gebracht«, versicherte der Wächter. »Ich dachte, er würde sich noch mit seinem Anwalt unterhalten.« Rick gab Hempshaw einen Wink. Der Chefinspektor folgte ihm ein Stück in den Korridor hinein, wo sie nicht belauscht werden konnten. »Ich möchte wissen, was hier vor sich gegangen ist«, schimpfte Hempshaw aufgebracht. »Sie brauchen nur logisch zu überlegen«, sagte Rick verbissen. Sein Gesicht wirkte in diesen Minuten wie aus Stein gemeißelt. »In dem Besucherzimmer befanden sich zwei Personen, George Ferguson und sein Bruder Joe Pelletti. Aber nur ein Mann kam aus dem Besucherzimmer. Der andere verschwand spurlos. Was folgt daraus?« Hempshaw zuckte die Schultern. »Ich bin wirklich nicht in der richtigen Laune für Rätselspiele, Rick«, knurrte er. »Der zweite Mann war Schwarzmagier und besaß die Fähigkeit, durch eine andere Dimension zu flüchten.« »Sie haben aber Ferguson seine schwarzmagischen Fähigkeiten genommen«, zischte Hempshaw in höchster Aufregung. »Ganz sicher«, behauptete Rick. »Ein Irrtum ist unmöglich. Die Silberkugel hat nicht versagt.« »Dann konnte Ferguson sich auch nicht durch eine andere Dimension flüchten, wie Sie das nennen!« rief Hempshaw unterdrückt. 55 �
»Nein«, antwortete Rick. Hempshaws Augen wurden groß. »Aber das bedeutet doch, daß der angebliche Pelletti, der das Besucherzimmer verlassen hat, in Wirklichkeit George Ferguson war.« »George Ferguson«, bestätigte Rick, »der die Kleider seines Bruders Pelletti angezogen hat. Ganz genau.« »Dann blieb Pelletti im Besucherzimmer zurück«, fuhr Hempshaw fort. »Und Pelletti löste sich in Nichts auf.« »Pelletti muß ebenfalls ein Schwarzmagier sein«, sagte Rick überzeugt. »Eine andere Erklärung gibt es nicht.« Chefinspektor Hempshaw murmelte etwas, das nicht für fremde Ohren bestimmt war. »Jetzt haben wir auch eine Erklärung dafür, daß Pelletti nicht länger mit mir sprechen wollte«, fügte Rick hinzu. Hempshaw schüttelte den Kopf und deutete auf Dracula, der Rick auch hierher begleitet hatte. »Eines verstehe ich noch immer nicht«, sagte der Chefinspektor. »Ich dachte, Ihr Hund würde jederzeit auf schwarzmagische Kräfte ansprechen.« »Das tut er auch«, sagte Rick. »Aber wenn ein Schwarzmagier seine Kräfte abschirmt und nicht aktiv wird, spürt Dracula natürlich nichts.« Seufzend ließ Hempshaw die Schultern sinken. »Wir haben auf der ganzen Linie verloren«, meinte er, »Wir können Pelletti nichts nachweisen.« »Trotzdem sollten wir ihn in seinem Büro besuchen«, schlug Rick vor. »Er soll wissen, daß wir ihn durchschaut haben.« Hempshaw riß sich zusammen. Er ging zu den Wächtern und sagte ihnen, daß sie den Zwischenfall nicht weiter untersuchen sollten. Scotland Yard selbst würde sich darum kümmern und alles regeln. Die Wächter waren darüber heilfroh. Anschließend fuhren Rick und Hempshaw nach Westminster und betraten das Haus des Anwalts Pelletti. 56 �
»Ist der Meister da?« fragte Rick die Vorzimmerdame. »Mr. Pelletti ist in seinem Büro«, bestätigte sie. »Wen darf ich melden?« »Wir melden uns selbst an«, erwiderte Hempshaw und marschierte auf die Tür zu, die Rick ihm zeigte. Der Anwalt saß hinter seinem Schreibtisch und sichtete Papiere. Zumindest tat er so, als ob er voll beschäftigt wäre. Unwillig blickte er auf. »Ist das die neue Art von Scotland Yard, ein Büro zu betreten?« fragte er stirnrunzelnd. Hempshaw baute sich vor seinem Schreibtisch auf. Rick überließ seinem Freund das Wort. »Mr. Pelletti«, sagte Hempshaw grollend. »Sie waren bei Mr. Ferguson im Untersuchungsgefängnis?« »Er ist nicht nur mein Bruder, sondern auch mein Klient«, entgegnete Pelletti ganz ruhig. »Also war ich bei ihm.« »Und dann?« fragte Hempshaw. »Dann habe ich das Gefängnis wieder verlassen.« Pelletti hatte sich hervorragend in der Gewalt und verriet durch nichts, was wirklich geschehen war. »Ihr Bruder ging in Ihren Kleidern weg«, sagte Hempshaw. »Und Sie blieben im Besucherzimmer zurück.« »Interessant.« Um den Mund des Anwalts erschien ein schwaches Lächeln. »Ich bin aber nicht mehr im Besucherzimmer, sondern hier in meinem Büro.« Der Chefinspektor wandte sich an Rick Masters. Der Geisterdetektiv hatte schon damit gerechnet, daß Hempshaw nicht weiterkommen würde. Dazu war Pelletti einfach zu gerissen. Nun trat Rick einen Schritt vor. Er lächelte kalt, als er den Schlüssel des Großmeisters aus seinem Schulterhalfter zog. Mit ausgestrecktem Arm hielt Rick den Schlüssel dem Anwalt entge57 �
gen. Für einen Moment hatte sich Pelletti nicht in der Gewalt. Seine Augen weiteten sich. Für Rick war dies der letzte Beweis. »Sie kennen diesen Schlüssel, Pelletti«, Stellte er fest. »Ich sehe es Ihnen an. Ist Ihnen klar, daß Sie entlarvt sind?« Er ließ den Schlüssel wieder verschwinden. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen«, fauchte Joe Pelletti. »Belästigen Sie mich nicht!« »Aber, aber!« Rick schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Das haben Sie den Leuten abgeguckt, die Sie verteidigen, meinen Sie nicht auch? Ich hätte Ihnen eine bessere Ausrede zugetraut.« Pelletti ließ sich nicht aus der Reserve locken. Er hatte sich schon wieder voll unter Kontrolle. »Gehen Sie!« verlangte er. »Sie sind widerrechtlich in mein Büro eingedrungen. Ich weise Sie aus meinem Haus.« Hempshaw wurde nervös. Er wußte, daß Pelletti dazu das Recht hatte. Rick ließ sich nicht beeindrucken. »Okay, Sie können uns rauswerfen, Pelletti«, sagte er verächtlich. »Aber ich weiß über Sie Bescheid. Sie sind nichts als ein Handlanger des Großmeisters, ein Befehlsempfänger dieser Bestie, die nur Mord und Vernichtung im Kopf hat. Sie sind vielleicht der Londoner Anführer der Schwarzmagier. Ich weiß es noch nicht. Aber ich verspreche Ihnen, daß ich es herausfinden werde.« Rick griff noch einmal an sein Schulterhalfter und holte die Silberkugel hervor. Er ließ sie auf Pellettis Schreibtisch fallen. Die Silberkugel besaß für ihre geringe Größe ein erstaunliches Gewicht. Als sie auf die Tischplatte, prallte, gab es einen harten Schlag. Pelletti zuckte wie vor einer Giftschlange zurück. Seine Augen 58 �
weiteten sich. Im nächsten Moment packte Rick die Silberkugel mit der Geschwindigkeit eines Taschenspielers und ließ sie verschwinden. Er grinste Pelletti herausfordernd ins Gesicht und verließ zusammen mit dem Chefinspektor das Büro. Unten auf der Straße blieb Hempshaw stehen und wandte sich an seinen Begleiter. »Was sollte die Spielerei mit der Silberkugel?« fragte der Chefinspektor. »Und was sollten Ihre Andeutungen?« Rick deutete zu den Fenstern des Büros hinauf. Hinter den Gardinen zeichneten sich die Umrisse einer Gestalt ab. »Pelletti sollte nicht nur wissen, daß wir ihn durchschaut haben«, meinte der Geisterdetektiv. »Ich wollte ihn auch provozieren. Er soll sich zu einer Unvorsichtigkeit verleiten lassen und Fehlet begehen. Das hoffe ich wenigstens.« »Ich halte Ihnen die Daumen«, versprach der Chefinspektor. »Das kann ich gut gebrauchen«, antwortete Rick. »Denn von jetzt an ist Joe Pelletti mein Todfeind. Und er ist ein Feind, den man gar nicht gefährlich genug einstufen kann.« * Wenn Rick Masters in einem Fall nicht vorankam, nahm er oft seine Bibliothek zu Hilfe. Es handelte sich dabei um eine Spezialbibliothek mit wertvollen Büchern und Handschriften. Rick hatte sie im Laufe der Zeit zusammengetragen und immer wieder ergänzt. Für alle Leute, die sich mit dem Kampf gegen Schwarzmagier, Geister und Dämonen befaßten, war diese Bibliothek eine wahre Fundgrube. Bevor sich der Geisterdetektiv dem Studium ergab, rief er seine Freundin an. Hazel war um diese Zeit noch im Büro. »Ich bin froh, daß du dich endlich meldest«, meinte Hazel, »ich 59 �
habe mir wirklich schon Sorgen gemacht.« »Unnötig«, wehrte Rick ab. »Bis jetzt ist alles still geblieben. Meine Feinde scheinen eine Atempause einzulegen.« »Werde bloß nicht unvorsichtig«, warnte Hazel. »Ich passe schon auf.« Rick räusperte sich. »Ich wollte mit dir etwas Unangenehmes besprechen.« »Das dachte ich mir schon, nach dem Klang deiner Stimme«, erwiderte Hazel. »Worum geht es? Ich bin auf alles vorbereitet.« Sie lachte, um dem Gespräch die Spitze zu nehmen. Das Lachen klang bedrückt und unecht. »Ich will, daß wir uns bis zum Abschluß dieses Falles nicht mehr sehen, Darling«, meinte Rick. »Ich will nicht, daß du noch einmal in Lebensgefahr gerätst.« »Sollen wir uns nicht wenigstens irgendwo tagsüber treffen?« fragte Hazel betroffen. »Zum Essen! Oder zu einem kleinen Spaziergang.« »Nein«, sagte Rick entschieden. »Am besten gar nicht.« »Der Fall kann sich lange hinziehen, hast du darüber schon nachgedacht?« rief Hazel. »Ja«, gab Rick zu. »Es könnte sein, daß wir uns über einen längeren Zeitraum nicht sehen. Das ist immer noch besser, als wenn dir etwas zustößt.« »Ich weiß nicht.« Hazel zögerte mit ihrer Zustimmung. »Du hast in diesem Fall auch gar keinen Auftraggeber, der dich bezahlt. Wovon willst du leben?« »Ausnahmsweise habe ich etwas Geld auf der Bank.« Rick lachte leise. »Du willst mich ablenken.« »Ich habe mich mit Frank Potter unterhalten«, fuhr Hazel rasch fort, um ihn nicht mehr zu Wort kommen zu lassen. »Ich habe ihn nach seiner Arbeit gefragt.« »Und er hat sich prompt über mich beschwert«, vermutete Rick Masters. 60 �
»Nein, hat er nicht«, widersprach Hazel. »Ich habe allerdings aus seinen Worten herausgehört, daß du dich nicht um ihn kümmerst. Warum denn nicht, Darling? Ist das so schwer? Du sollst mir nur einen kleinen Gefallen tun.« »Also gut, ich werde mich bessern«, versprach Rick. »Dafür mußt du mir versprechen, daß wir uns vorläufig nicht sehen.« »Nun gut, ich bin einverstanden«, gab Hazel schweren Herzens nach. »Es wird mir nicht leichtfallen.« »Mir auch nicht«, versicherte Rick. »Ich liebe dich nämlich, falls du das einmal bemerkt haben solltest.« »Ja, tatsächlich?« Hazel ging auf seinen scherzhaften Ton ein. »Ich dachte mir schon etwas in dieser Richtung.« Sie beendeten das Gespräch keineswegs in Hochstimmung. Rick lenkte sich durch Arbeit ab, indem er seine Bücher in der Bibliothek durchforschte. Er fand bald ein Werk aus dem sechzehnten Jahrhundert. Das Buch stellte allein wegen seines Alters eine Kostbarkeit dar. Für Rick waren jedoch die Eintragungen über London von besonderem Wert. Dieses Buch war eine Art Führer durch London, wenn auch ein Führer ganz besonderer Art. Es wurden jene Häuser beschrieben, in denen Magier geboren oder ermordet worden waren. Es wurden Plätze bezeichnet, an denen Beschwörungen und Schwarze Messen stattgefunden hatten. Und immer wieder wurde ein Haus genannt, das Schwarze Haus des Färbers. Rick wußte, daß in früheren Zeiten die Häuser einer Stadt keine Nummern besessen hatten. Sie hatten Namen getragen, und die Einwohner dieser Stadt hatten genau gewußt, welches Haus gemeint war. Das Schwarze Haus des Färbers! »Eigenartiger Name«, murmelte Rick. 61 �
Dieser Färber mußte ein Anhänger der Schwarzen Magie gewesen sein. So viel stand schon fest. Nur eines war ungewiß. Wo hatte dieses Haus gelegen? Ungeheure Aufregung packte Rick Masters, als ihm eine Idee durch den Kopf schoß. Manche Plätze auf der Welt eigneten sich für Beschwörungen des Bösen besser als andere. In der damaligen Zeit war das Schwarze Haus des Färbers ein solcher Platz gewesen. Es konnte in der Gegenwart genauso sein! Rick mußte auf einem heutigen Stadtplan von London herausfinden, welche Stelle in seinem Buch gemeint war. Dort konnte er weitere Nachforschungen anstellen. Es sollte ihn nicht überraschen, an jener Stelle eine schwarzmagische Kultstätte zu finden. Vielleicht und hier stockte ihm für einen Moment der Atem vielleicht entdeckte er an jener Stelle sogar den Schwarzen Dom von London! Rick Masters wollte sich soeben in sein Studium vertiefen, als es klingelte. Unwillig blickte der Geisterdetektiv zur Tür. Wer störte ihn denn schon wieder? Er schaltete Sprech- und Beobachtungsanlage gleichzeitig ein und sparte sich die Frage, wer draußen sei. Er öffnete die Tür und blickte Frank Potter keineswegs freundlich entgegen. »Sie schon wieder«, sagte der Geisterdetektiv. Frank Potter machte ein überraschtes Gesicht. »Woher wußten Sie, daß ich es bin, Mr. Masters?« »Ich habe ein optisches Überwachungssystem installiert«, erklärte Rick und erinnerte sich an das Versprechen, das er Hazel gegeben hatte. Er wollte freundlicher sein. »Es handelt sich um Spiegel und Linsen, eine Art Periskop wie bei einem U-Boot. Kommen Sie herein, Mr. Potter.« 62 �
»ich will keineswegs stören, Mr. Masters«, sagte Potter, während er eintrat. »Das tun Sie aber«, entgegnete Rick. »Was treibt Sie zu mir?« Potter blieb verlegen stehen. »Mrs. Kent meinte, ich solle Ihnen einen Besuch abstatten. Störe ich wirklich?« »Ach was, kommen Sie!« forderte Rick den angehenden Schriftsteller auf. »Ich koche für uns beide Tee, und dann besprechen wir alles. Einverstanden?« Potter begleitete ihn in die Küche. Obwohl er sich bescheiden im Hintergrund hielt, wurde Rick eine gewisse Nervosität nicht los. Während der Geisterdetektiv den Tee zubereitete, stellte Potter eine Menge allgemeiner Fragen über Ricks Arbeit. Anschließend kam er auf die Bibliothek des Geisterdetektivs zu sprechen. »Ist sie wirklich so umfangreich, wie ich einmal in einer Fachzeitschrift für übersinnliche Phänomene gelesen habe?« erkundigte er sich. »Sie können sich gleich selbst davon überzeugen.« Rick nahm das Tablett mit dem Teegeschirr auf und ging in seine Bibliothek hinüber. »Hier ist sie.« Frank Potter bestaunte die Regale ringsum an den Wänden. Sie reichten bis zur Decke und quollen förmlich von Büchern über. »Das sind Schätze, die man kaum mit Geld beziffern kann!« rief Frank Potter atemlos. »Und das alles bewahren Sie in Ihrer Wohnung auf? Einfach so?« »Nicht einfach so«, Widersprach Rick, während er sich wieder in seinen Lesesessel setzte. »Ich verfüge über ein besonders raffiniertes Alarmsystem. Danach brauchen aber gar nicht zu fragen, Mr. Potter. Das beschreibe ich auch Ihnen nicht.« »Kann ich verstehen«, murmelte Potter und machte einen langen Hals, um einen Blick in das aufgeschlagene Buch zu werfen. Rick machte es ihm leicht. »Damit Sie einen Einblick in meine 63 �
Arbeit erhalten, erkläre ich Ihnen das Problem.« Er schenkte während des Berichtes Tee ein. »Ich schlage mich nicht ständig mit meinen Gegnern; Das ist nur ein Teil meines Jobs. Es gab früher das Schwarze Haus des Färbers, ein Zentrum der Schwarzen Magie. Ich möchte herausfinden, an welcher Stelle des heutigen Londons es sich befand.« »Das Schwarze Haus des Färbers.« Frank Potter wiederholte den Namen mit einer eigentümlichen Betonung. »Das klingt gut. Das wäre der richtige Titel für meinen Roman.« »Nehmen Sie ihn«, schlug Rick vor. »Klingt wirklich gut! Zurück zu meinem Problem. In diesem uralten Buch gibt es einige Hinweise auf den Standort des Hauses. Ich schreibe mir alles auf.« Während der nächsten Stunde arbeitete Rick so angestrengt, daß er Frank Potter fast vergaß. Zuletzt hatte er eine Liste mit zwölf Hinweisen. Als er sie wieder mit einem Stadtplan des modernen Londons verglich, zogen sich seine Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Haben Sie etwas herausgefunden?« fragte Frank Potter aufgeregt. Der junge Computerspezialist zitterte vor Erwartung. »Ja«, sagte Rick. »Ich weiß jetzt, welches Gebäude heute an der Stelle des Schwarzen Hauses des Färbers steht.« »Welches?« drängte Frank Potter, als Rick nach einer Weile noch immer schwieg. Rick Masters zuckte leicht zusammen und strich sich über die Augen. »Das Büro von Joe Pelletti«, sagte er. »Ich habe recht behalten. Dieser Ort hat seine ursprüngliche Bedeutung beibehalten. Er ist auch heute noch ein Zentrum der Schwarzen Magie.« *
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Mit der Ausrede, er wolle an diesem Tag nichts mehr unternehmen, wurde Rick Masters den angehenden Schriftsteller los: Der Geisterdetektiv wartete, bis Potter das Haus verlassen hatte, bevor auch er auf die Straße trat. Frank Potter kannte den Geisterdetektiv nicht so genau. Er hätte sonst wissen müssen, daß Rick keine heiße Spur brach liegen ließ. Immerhin bestand die Möglichkeit, daß sich unterhalb von Joe Pellettis Haus ein Eingang zu dem Schwarzen Dom von London verbarg, der Zentrale der Schwarzmagier an der Themse. Auf der Straße überzeugte sich Rick, daß ihn niemand beobachtete. Auch während der Fahrt nach Westminster blickte er immer wieder in den Rückspiegel. Niemand folgte ihm. Während der Fahrt schaltete Rick sein Funkgerät auf Empfang. Es war auf die Wellenlänge des Polizeifunks eingestellt. Nach den Meldungen kam Rick zu dem Schluß, daß es eine außergewöhnlich ruhige Nacht war. Die Nachforschungen in seiner Bibliothek und das Gespräch mit Frank Potter hatten viel Zeit gekostet. Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen. Rick hatte seine besonders fest gearbeitete Lederjacke angezogen. Das erwies sich bald als Vorteil, da es unterwegs heftig zu Regnen begann. Rick mußte sogar anhalten und das Stoffverdeck seines Wagens schließen. Hinter ihm tauchten die Lichter eines Autos auf, bogen jedoch gleich darauf ab. Rick entspannte sich. Er hatte schon gedacht, jemand wäre ihm auf den Fersen. Er stellte seinen Morgan in unmittelbarer Nähe von Pellettis Haus ab und achtete darauf, daß das Auto vom Haus aus nicht zu sehen war. Dann pirschte er sich vorsichtig heran. Seinen Hund nahm er mit. Dracula war vernünftig genug, ihm ein solches Unternehmen nicht zu verderben. Er verhielt sich ruhig, 65 �
wenn sein Herr es von ihm verlangte. Und er blieb an einer bestimmten Stelle sitzen, bis Rick wiederkehrte. Der Geisterdetektiv hätte sich keinen besseren Begleiter wünschen können. Als sie sich dem Haus näherten, wurde Dracula unruhig. Rick war keineswegs überrascht. Wenn Pellettis Haus ein Zentrum der Schwarzen Magie war, strählte es sicherlich von Zeit zu Zeit eine Aura des Bösen aus. In dieser Nacht war das offenbar der Fall, und Dracula fühlte es. Rick sah sich vorsichtig um. Es war möglich, daß das Haus bewacht wurde. Pelletti schien kein gewöhnliches Mitglied der Schwarzen Magie zu sein. Sein Haus spielte sicherlich eine besondere Rolle. Der Geisterdetektiv ging noch ein Stück weiter und erblickte die hintere Front des Hauses. Alle Fenster waren strahlend hell erleuchtet. Pelletti feierte ein Fest. Rick stockte der Atem, als ihm eine Idee kam. In diesem Fall schienen ihm die Ideen nur so zuzufliegen, seit er den roten Faden in einem uralten Buch gefunden hatte. Vielleicht konnte er sich unter die Partygäste mischen. Diese Idee kam nicht von ungefähr. Rick beobachtete nämlich einen Wagen, der vor dem Haus hielt. Neue Gäste stiegen aus und verschwanden in dem Gebäude. Rick erkannte zwei berühmte Journalisten. Der nächste Wagen traf ein. Die Gäste waren offensichtlich noch nicht vollzählig. Eine Schauspielerin stieg aus, die man oft im Fernsehen bewundern konnte. Die schwierige Frage war, ob es sich bei den Gästen durchweg um Schwarzmagier handelte. Rick wußte es nicht sicher, vermutete jedoch, daß dies nicht zutraf. Deshalb wagte er sich schließlich auf die andere Straßenseite. Wieder hielt ein Wagen. Eine ganze Gruppe jüngerer Leute stieg aus. Rick kannte keinen von ihnen. Das war ein Vorteil. 66 �
Ein Butler hielt ihnen die Tür auf. Sie waren bunt gekleidet und trugen keine dunklen Anzüge wie man bei einer Abendgesellschaft in Westminster erwarten konnte. Es handelte sich offenbar um eine zwanglose Party. Rick sah auch, daß die Leute dem Butler keine Einladungskarten überreichten. Und das gab endlich den Ausschlag. Blitzschnell hob Rick seinen kleinen Hund hoch und schob ihn halb unter die Lederjacke, so daß nur Draculas Kopf mit den klugen Augen und den viel zu großen Ohren hervorlugte. Dann schloß Rick sich der Gruppe der jungen Leute an. Er fiel nicht besonders auf und hob sich nicht von ihnen ab. Dennoch zog es ihm für einen Moment die Kopfhaut zusammen, als er fröhlich grinsend an dem Butler vorbei die Halle betrat. Wenn der Butler alle Gäste persönlich kannte, wurde es unangenehm. Dracula war auch verräterisch, aber Rick wollte ihn nicht schutzlos vor dem Haus zurücklassen. Der Butler nickte jedem Eintretenden höflich zu. Auch Rick! Durch nichts gab der dienstbare Geist zu erkennen, daß er Ricks Trick durchschaute. Die Gäste strebten nach links. Dort ging es zu den Privaträumen des Anwalts. Die Büros lagen rechts. Geradeaus erreichte man die Treppe, die in die oberen privaten Räume rührte. Rick schloß sich auch jetzt der Gruppe an, weil der Butler ihnen nachblickte. Unmittelbar vor geöffneten Flügeltüren gab es eine künstliche Wand aus Grünpflanzen. Rick atmete auf und verschwand hinter der Wand. Er wollte auf keinen Fall den nächsten Raum betreten. Von dort hörte er nämlich die Stimme des Hausherrn, und Joe Pelletti hätte ihn bestimmt nicht freudig begrüßt. Rick wartete, bis die zuletzt angekommenen Gäste in dem großen Wohnraum verschwunden waren. Dann lugte er vorsichtig um den Pflanzenvorhang herum. 67 �
Der Butler hatte seinen Platz verlassen. Er verschwand in den Räumen für das Personal. Rick ergriff die Gelegenheit. Eine Tür in der Halle führte seiner Meinung nach in den Keller. Mit drei weiten Sprüngen erreichte er sie und zog sie auf. Dahinter war es dunkel, aber es gab einen Lichtschalter. Rick drückte ihn und grinste. Vor ihm lag die Kellertreppe. Er zog die Tür wieder zu und hastete die Stufen hinunter. Unten angekommen, sah er sich um. Er hatte irgendeine Sensation erwartet, die jedoch ausblieb. Er stand in einem ganz normalen Keller. Und doch war Rick überzeugt, daß dieses Haus ein Geheimnis barg. Pelletti war Schwarzmagier, ein sehr mächtiger sogar. Dieses Gebäude war anstelle des Schwarzen Hauses des Färbers errichtet worden. Es mußte etwas für Rick geben, einen wichtigen Hinweis, vielleicht sogar die entscheidende Wende in diesem Fall. Rick brauchte nur etwas Glück. Und Hilfe! Er zog den Schlüssel des Großmeisters hervor, faßte ihn an beiden Enden und konzentrierte sich. Gleich veränderte sich für ihn die gesamte Umgebung. Plötzlich stand Rick nicht mehr in dem Keller unter Pellettis Haus. Eine magische Zeit sog ihn in sich auf. * Im ersten Moment glaubte Rick Masters, der Ort würde sich verändern. Gleich darauf erkannte er seinen Irrtum. Nicht der Ort, sondern die Zeit veränderte sich. Rick stand nach wie vor in dem Keller von Pellettis Haus. Sein 68 �
Geist wanderte jedoch in die Vergangenheit zurück. Das Aussehen der Mauern veränderte sich. Der Beton verschwand. Rauhe Ziegel kamen zum Vorschein, die schon sehr verfallen wirkten, nach und nach jedoch frischer wurden. Endlich erstrahlte das ganze Kellergewölbe im hellen Licht zahlreicher Fackeln. Sie hingen in glänzenden Eisenringen an den Wänden. Die elektrische Beleuchtung war verschwunden. Die Ziegelmauern sahen so aus, als wären sie erst vor einigen Tagen errichtet worden. Rick war durch den Schlüssel des Großmeisters in jene Zeit versetzt worden, in welcher dieses Haus erbaut worden war. Rick verstärkte seine Konzentration. Der Schlüssel vermittelte ihm Kenntnisse, die er vorher nicht gehabt hatte. So wußte der Geisterdetektiv auf einmal, daß er im Schwarzen Haus des Färbers stand. Es war Pellettis Haus! Ricks ursprüngliche Vermutung, das alte Gebäude würde nicht mehr existieren, war widerlegt. Es war im Laufe der Zeit renoviert worden. Die brennenden Fackeln in diesem Keller deuteten darauf hin, daß das Gewölbe im Moment benutzt wurde. Vermutlich kam gleich jemand die Treppe herunter. Fackeln waren damals so wertvoll gewesen, daß man sie nicht pausenlos und nutzlos brannte. Rick sah sich nach einem Versteck um. Er wollte nicht den Magiern der damaligen Zeit in die Hände fallen. Ehe er jedoch eine geeignete Deckung fand, ertönten Schritte. Der Geisterdetektiv schrak zusammen. Offenbar kam eine ganze Gruppe in den Keller herunter. Und dann standen sie schon vor Rick. Eisiger Schrecken durchzuckte den Geisterdetektiv. Zwei halbnackte muskelbepackte Männer hielten zwischen sich einen jungen Mann. Der Gefangene sah schlecht aus. Seine Kleider waren zerrissen. Sie hatten ihn offenbar zusammenge69 �
schlagen. Er war nur halb bei Bewußtsein. Hinter den Häschern schritt ein Mann, der in ein blutrotes, bodenlanges Gewand gehüllt war. Eine schwarze Kapuze verbarg seinen Kopf. Hinter den Sehschlitzen funkelten schwarze Augen. Der Henker! Er trug ein Beil auf der Schulter, und Rick zweifelte keine Sekunde daran, daß sie ihren jungen Gefangenen ermorden wollten. Eine Gruppe von dreizehn Personen schritt hinter dem Henker der Schwarzmagier, alle durch schwarze Gewänder vor dem Erkennen geschützt. Sie kamen direkt auf den Geisterdetektiv zu. Rick wollte nach seinen Waffen greifen, konnte seine Hände jedoch nicht bewegen. Was war nur mit ihm los? Er blickte auf seine Hände hinunter und erstarrte. Er konnte sie nicht sehen! Undurchdringlicher Nebel verhüllte seine Unterarme! Entsetzt blickte er wieder hoch. Der Zug setzte seinen Weg unbeirrt fort. Die Männer waren fast heran! In den Gesichtern der Wächter rührte sich nichts. Sie kümmerten sich nur um ihr Opfer, das sie zwischen sich weiterzerrten. In diesem Moment erkannte der Geisterdetektiv die Wahrheit. Er war für diese Leute in der Vergangenheit unsichtbar! Grenzenlose Erleichterung durchflutete ihn und gab ihm einen Teil seiner Beweglichkeit wieder. Er warf sich zur Seite. Im nächsten Moment waren die muskelbepackten Wächter heran und schoben den Gefangenen an Rick vorbei. Der unglückliche junge Mann öffnete für einen Moment die Augen. Sein Blick traf Rick. »Da ist jemand!« schrie er auf. »Mister, helfen Sie mir! Sie wollen mich umbringen. Helfen Sie mir doch! Ich flehe Sie an, im 70 �
Namen der Menschlichkeit!« »Halt den Mund und geh weiter!« fuhr ihn einer der Wächter an und stieß ihn ein Stück voran. Rick Masters preßte sich flach gegen die Mauer. Nun schritt der Henker vorbei. Das Beil auf seiner Schulter kam Ricks Kopf so nahe, daß der Geisterdetektiv meinte, die blitzende Klinge würde über seine Stirn rasieren. Dann schritten die Vermummten an ihm vorbei, und niemand reagierte auf seine Anwesenheit. Innerhalb weniger Sekunden versuchte der Geisterdetektiv, die Eindrücke zu verarbeiten. Der Schlüssel des Schwarzmagiers hatte ihn aus der Gegenwart in die Vergangenheit versetzt. Er befand sich jetzt in einer Zeit, die einige hundert Jahre zurücklag. Deshalb konnte er ein Ereignis aus jener Zeit beobachten. Da er in der Vergangenheit aber nicht körperlich existierte, sahen ihn diese Leute nicht. Rick war zum erstenmal in einer vergangenen Zeit gelandet. Deshalb staunte er darüber nicht weiter. Es war nur unerklärlich, wieso der Todgeweihte ihn gesehen und sogar angesprochen hatte! Rick mußte kapitulieren. Es war eines jener Rätsel, auf die er während seiner Arbeit stieß und die er nicht lösen konnte. Noch etwas wußte er. Dieser Mord hatte sich schon vor einigen hundert Jahren ereignet. Daher konnte Rick ihn nicht verhindern. Es war alles längst vorbei. Sämtliche beteiligten Personen lebten seit vielen, vielen Jahren nicht mehr. Dennoch schnitt es Rick ins Herz, als er die Hilferufe des Gefangenen hörte. Schwarzmagier brachten einen ihrer Feinde um! Rick konnte nicht untätig zusehen. Doch noch immer vermochte er seine Hände nicht zu bewegen. 71 �
Diese Hände hielten in der Gegenwart den schwarzmagischen Schlüssel des Großmeisters, jenes Instrument, das Rick sich Untertan gemacht hatte. Es mußte ihm genauso dienen wie die Silberkugel, wenn auch auf eine ganz andere Weise. Dieser Schlüssel zeigte ihm die Vergangenheit und behinderte ihn gleichzeitig. Dem Geisterdetektiv blieb nichts anderes übrig, als dem makabren Zug zu folgen. Am Ende des Kellerganges, der auch in der Gegenwart noch existierte, gab es eine breite Öffnung im Boden. Eine Steintreppe führte noch ein Stockwerk in die Tiefe. Auch auf dieser Treppe brannten Fackeln in eisernen Ringen. Ihr Knistern erfüllte die Luft. Ihr Rauch erschwerte das Atmen. Doch ihr unsicheres Licht reichte aus, um Rick den Abstieg zu ermöglichen. Er ging dicht hinter den letzten Schwarzmagiern. Sie konnten ihn noch immer nicht sehen oder hören. Der Geisterdetektiv fühlte sich ziemlich sicher. Er gab die Hoffnung nicht auf, dem Unglücklichen helfen zu können, obwohl er es eigentlich besser wissen mußte. Auch ein Geisterdetektiv hatte Gefühle, die er nicht ganz ausschalten konnte. Diese Treppe führte nicht nur ein Stockwerk tiefer, sondern sogar drei. Rick zählte die Stufen. Abzweigungen gab es unterwegs nicht. Das Gewölbe, das sie schließlich erreichten, lag nach modernen Maßstäben vier Stockwerke unter dem Straßenniveau. Es erinnerte Rick Masters sofort an Schwarze Dome. Es war ein kreisrundes, sehr hohes Gewölbe. Ringsum an den Wänden waren Namen in Steine eingraviert, die Namen der Schwarzmagier von London. In der Mitte erhob sich, aus schwarzem Stein gehauen, ein Altar des Bösen. 72 �
Dorthin zerrten die beiden Wächter ihr Opfer. Der Henker hob das Beil. Rick zerrte verzweifelt an seinen Händen, doch sie klebten in der Gegenwart an dem Schlüssel des Großmeisters fest. Das Beil sauste nieder… Rick zuckte zusammen und fand sich in dem Kellergang von Joe Pellettis Haus wieder. Sein Ausflug in die Vergangenheit war zu Ende. Doch die Gegenwart sah keineswegs erfreulicher aus! * Hazel Kent betrachtete verdutzt das Telefon. »Sagen Sie das noch einmal, Mr. Potter«, verlangte sie, »Was soll ich?« »Mrs. Kent, Sie haben mir Hilfe versprochen, soweit es möglich ist«, drängte Frank Potter. »Sie kennen Mr. Pelletti, nicht wahr? Sie könnten mir helfen.« »Ja, ich kenne Pelletti«, bestätigte Hazel. »Aber wahrscheinlich nicht so gut, wie Sie vermuten. Ich habe mich einmal mit ihm unterhalten.« »In seinem Haus findet gegenwärtig eine Party statt«, fuhr Potter fort. »Es handelt sich offenbar nicht um ein Fest mit Einladungskarten und Gästeliste, sondern um eine ganz zwanglose Party. Sie könnten dort aufkreuzen und mich mitnehmen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand ausgerechnet Sie aus dem Haus werfen wird. Sie sind in London bekannt und gehören zur Gesellschaft. Jeder muß es sich als Ehre anrechnen, wenn Sie sein Haus betreten.« »Sie schmeicheln«, wies Hazel ihren Angestellten zurück. »Sie haben aber insofern recht, als Mr. Pelletti mich vermutlich nicht hinauswerfen würde.« »Dann tun Sie es doch, bitte!« flehte Frank Potter. »Mr. Masters 73 �
ist nicht sehr entgegenkommend. Helfen Sie mir wenigstens.« Das gab den Ausschlag. »Also gut, ich fahre sofort los«, versprach Hazel. »Ich brauche nur etwa zehn Minuten, um mich fertig zu machen. Wenn es eine zwanglose Party ist, brauche ich mich nicht groß umzuziehen.« »Wir treffen uns vor Pellettis Haus«, erwiderte Frank Potter erleichtert. »Es ist von Ihnen nur einen Katzensprung entfernt.« Hazel tat ihm ganz gern diesen Gefallen. Da sie mit Rick nicht zusammenkam, fühlte sie sich in ihrem Haus wie eingesperrt. Sie wollte wieder einmal ausgehen. Ein Besuch bei Joe Pelletti dem Staranwalt, erschien ihr unverfänglich. Eine Viertelstunde nach Frank Potters Anruf stieg Hazel Kent vor dem Haus des Staranwalts aus dem Wagen. Potter tauchte neben ihrem Rolls Royce auf. »Fabelhaft sehen Sie aus, Mrs. Kent«, rief er begeistert. »Sie schmeicheln mir schon wieder.« Hazel betrachtete das Haus. Mittlerweile waren alle Fenster beleuchtet. »Hier scheint sich wirklich etwas zu tun.« »Gehen wir, damit wir keine Zeit verlieren.« Frank Potter eilte auf die Eingangstür zu und klingelte. »Ein wenig komisch fühle ich mich schon«, gestand Hazel, die einen stahlblauen Hosenanzug trug. Als Schutz gegen den Regen hatte sie einen Ledermantel in der gleichen Farbe über die Schultern gelegt. Ihre schwarzen Haare wurden von einem breitkrempigen, sehr eleganten Hut in dunkelblau geschützt. Der Butler öffnete und ließ die beiden späten Gäste ohne Fragen eintreten. »Bitte, melden Sie mich bei Mr. Pelletti als unverhofften Gast«, bat Hazel. Sie reichte dem Butler die Karte. Der dienstbare Geist nahm die Karte auf einem Silbertablett entgegen und verschwand mit einer leichten Verneigung im Wohnzimmer, wo es hoch herging. Die Stimmung näherte sich 74 �
einem Siedepunkt. Gleich darauf eilte Joe Pelletti Hazel Kent und ihrem Begleiter entgegen. »Welchem glücklichen Zufall verdanke ich Ihren Besuch, Mrs. Kent?« rief der Anwalt aus und küßte ihr die Hand. »Ich bin entzückt!« »Heute abend scheinen mir alle schmeicheln zu wollen«, erwiderte Hazel lächelnd. »Sie kennen Mr. Potter schon, einen meiner fähigsten Mitarbeiter?« Joe Pelletti wandte sich an Potter und nickte ihm zu. Mit keinem Wimpernzucken gab der Anwalt zu erkennen, unter welchen Umständen er Potter kennengelernt hatte. »Ich hatte schon einmal das Vergnügen«, sagte er nur. »Wir kamen zufällig an Ihrem Haus vorbei, als wir ins Kino fahren wollten«, schwindelte Hazel. »Wir sahen die hell erleuchteten Fenster und bemerkten die Gäste, die in Ihr Haus strömten. Da ich unser damaliges Gespräch noch in bester Erinnerung habe, änderten wir unsere Pläne falls wir Ihnen willkommen sind.« »Wie können Sie so fragen!« rief Pelletti. »Bitte, kommen Sie! Ich mache Sie mit meinen Gästen bekannt, soweit Sie sie nicht ohnedies schon kennen.« Es stellte sich heraus, daß Hazel Kent tatsächlich die meisten Personen kannte, Politiker, Wirtschaftsleute, Künstler, Schauspieler, Journalisten. Alles, was in London Rang und Namen hatte, war bei Pelletti versammelt. »Eine gelungene Party«, lobte Hazel. »Ich muß Ihnen ein Kompliment machen, Mr. Pelletti.« Sie sah sich suchend um. »Wo ist denn Mr. Potter?« »Ist das weiter wichtig?« Joe Pelletti ließ seinen ganzen Charme spielen, und Hazel fühlte die Ausstrahlung, die dieser Mann besaß. »Trinken Sie ein Glas Champagner mit mir, bitte.« 75 �
Hazel ließ sich überreden. Potter wollte den Anwalt kennenlernen. Wenn er jetzt andere interessante Leute getroffen hatte, sollte ihr das nur recht sein. »Ich bedaure«, meinte Joe Pelletti, »daß Mr. Masters heute abend nicht hier ist.« Hazel zog überrascht die Augenbrauen hoch. Joe Pelletti lächelte um Verzeihung bittend. »Ich weiß natürlich Bescheid, daß Sie mit Mr. Masters eng befreundet sind. Jeder in der Londoner Gesellschaft weiß das.« Hazel zuckte die Schultern. »Warum auch nicht«, meinte sie. »Es ist kein Geheimnis.« »Sie können Mr. Masters nicht zufällig telefonisch erreichen und hierher einladen?« fragte Pelletti. »Ich würde mich freuen, ihn bei mir zu begrüßen.« Hazel hatte keine Ahnung, wo Rick sich im Moment aufhielt. Sie hätte bei ihm zu Hause anrufen können, tat es jedoch nicht. Sie hatten vereinbart, einander während der kritischen Zeit nicht zu sehen, und daran wollte Hazel sich halten. »Tut mir leid, Mr. Masters ist vermutlich beschäftigt«, erwiderte sie daher. »Genügt Ihnen meine Gegenwart nicht?« Pelletti schien unter ihrem charmanten Lächeln dahinzuschmelzen. »Selbstverständlich, Mrs. Kent«, versicherte er. »Sie sollten es nicht falsch verstehen, wenn ich…« Schlagartig verstummten die Gespräche im Haus, als das Licht zu flackern begann. Hazel riß die Augen auf, als ringsum an den Wänden des Wohnzimmers Fackeln auftauchten. Sie wirkten durchsichtig, als wären sie eine Projektion oder Gebilde aus Nebel. Die Wände waren plötzlich nicht mehr mit kostbaren Tapeten überzogen, sondern aus rohen Ziegeln gemauert. Hazel Kent dachte, sie wäre die Einzige im Haus, die Bescheid 76 �
wußte. Durch ihre Erfahrungen mit Rick hatte sie ähnliche Phänomene bereits gesehen. Sie war sicher, Zeugin einer magischen Vision zu werden, vielleicht sogar einen Blick in die Vergangenheit zu tun. Da sie nicht wußte, wie gefährlich es wurde, wollte sie fluchtartig den Raum verlassen, konnte sich jedoch nicht von der Stelle rühren. Ein kurzer Blick in die Runde zeigte ihr, daß es den übrigen Partygästen genauso ging. Fasziniert und entsetzt zugleich beobachtete sie einen schaurigen Zug aus der Vergangenheit. Die Gruppe schwarzgekleideter Magier folgte dem Henker und den beiden muskulösen Wächtern; die zwischen sich einen wehrlosen jungen Mann zerrten. Sie näherten sich der Tür, die in die Halle führte. Diese Tür stand jetzt weit offen, obwohl sie vorhin geschlossen war. Auch die Halle hatte sich der Vergangenheit angepaßt und war ein rußgeschwärztes Gewölbe. Ein breiter Zugang führte in den Keller. Die Prozession verschwand in der Tiefe. Noch immer konnte sich niemand im Haus bewegen. Hazel bebte am ganzen Körper. Sie hatte keine Ahnung, wodurch diese Vision ausgelöst wurde, fühlte jedoch die Bedrohung greifbar im Raum stehen. Sie mußte zusehen, daß sie so schnell wie möglich von hier verschwand und Rick alarmierte. Doch daraus wurde vorläufig nichts. Sie wandte ein Stück den Kopf. Wenigstens das war möglich, obwohl sie nach wie vor auf den Fleck gebannt war. Joe Pelletti stand neben ihr. Sein Gesicht war verkrampft. Seine Augen sprühten, und Hazel war nicht sicher, ob sie von innen heraus leuchteten oder nur den Schein der Fackeln widerspiegelten. 77 �
Auf Pellettis Stirn standen dicke Schweißtropfen. Der Anwalt schien sich mit aller Kraft gegen die unsichtbaren Fesseln zu stemmen, überwand sie jedoch genausowenig wie die Gäste. Aus der Tiefe erklang ein schauriger Schrei, und Hazel wußte, daß der Henker in diesem Moment das Opfer ermordet hatte. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, daß es sich um ein Ereignis aus lange zurückliegender Vergangenheit handelte. Dennoch wurde sie fast ohnmächtig. Im nächsten Moment taumelte sie, und Joe Pelletti mußte sie stützen. Alle konnten sich wieder frei bewegen. »Entsetzlich«, flüsterte Hazel. Von allen Seiten wurde der Hausherr mit aufgeschreckten Fragen bestürmt. Die Gäste gerieten fast in Panik. »Meine Herrschaften, bitte Ruhe!« rief der Anwalt und hob beide Arme. Sofort trat Stille ein. Die Blicke der Anwesenden richteten sich gespannt auf Pelletti, der in die Mitte seines Wohnzimmers trat. Alles sah wieder normal aus, und die Beleuchtung funktionierte. Das trug ebenso zur Beruhigung bei wie Pellettis selbstsicheres Auftreten. »Meine Herrschaften!« verkündete der Anwalt. »Mein Haus besteht seit vielen Jahrhunderten. Es hieß früher Schwarzes Haus des Färbers. Und es war Schauplatz schauriger Vorfälle. Ich habe nie darüber gesprochen, daß es manchmal bei mir spukt, weil man mich sicher ausgelacht hätte.« Eine junge Frau kicherte unmotiviert. Die übrigen Gäste fielen dankbar mit befreitem Lachen ein… Obwohl allen klar sein müßte, daß sie keinen Trick erlebt hatten, nahmen sie den Zwischenfall von der heiteren Seite. »Wir wollen diesen Keller da unten sehen!« rief ein junger Schauspieler. »Pelletti, zeigen Sie uns Ihre Folterkammer!« Tosendes Gelächter war die Antwort. Die Menschen wollten die Wahrheit nicht sehen. Sie verschlossen sich davor, weil sie zu 78 �
schrecklich gewesen wäre. »Folgen Sie mir, meine Herrschaften, wir besichtigen jetzt den Keller!« rief Pelletti. Er wandte sich mit einem Achselzucken an Hazel. »Gibt es denn in Ihrem Keller wirklich etwas Sensationelles zu sehen?« erkundigte sich Hazel Kent. Der Anwalt schüttelte den Kopf. »Vielleicht hat es einmal unterirdische Gewölbe gegeben«, meinte er. »Heute existieren sie jedenfalls nicht mehr. Die Leute werden einen ganz normalen Keller zu sehen bekommen. Ich wüßte jedoch nicht, wie ich sie anders zur Ruhe bringen könnte.« Alle eilten zur Kellertreppe, und Hazel wurde von dem Strom der Partygäste mitgezogen. Nun entdeckte sie auch Potter wieder. Er steckte mitten in der Menge und kam nicht zu ihr durch. Sie legte im Moment ohnedies keinen Wert darauf, mit ihm zu sprechen. Die Kellertreppe war eng. Es kam zu einem Stau. Endlich waren alle unten und standen mit wachsender Enttäuschung im Kellergang. Wie Pelletti gesagt hatte. Ein ganz normaler Keller! * Rick Masters hörte Stimmen, die sich der Kellertreppe näherten. Die Leute lachten und schrien aufgeregt durcheinander. Ohne zu wissen, was sich in den oberen Räumen abgespielt hatte, schaltete der Geisterdetektiv ganz richtig. Er ahnte, daß sein Ausflug in die Vergangenheit Folgen nach sich zog. Gehetzt blickte er sich nach einem geeigneten Versteck um, ohne eines zu finden. »Ich will die alten Gewölbe sehen!« schrie ein Mann. Die Leute faßten alles offenbar als Spaß auf. Sie drängten die 79 �
Treppe herunter. Wenn sie Gewölbe suchten und sei es nur zum Scherz mußten sie auch den Geisterdetektiv finden. Rick legte darauf nicht den geringsten Wert. Die vordersten Partygäste waren schon bedenklich nahe, als Rick die einzige Möglichkeit ins Auge stach. Unterhalb der Treppe gab es einen Hohlraum. Hastig tauchte er dort unter. Gleich darauf fluteten die Leute in den Keller und verteilten sich lachend und schreiend nach allen Seiten. Sie rissen die Türen von Verschlagen auf und blickten in jeden Winkel. Rick mischte sich einfach unter sie und benahm sich genau wie alle anderen. Niemandem fiel auf, daß er schon im Keller gewesen war. Er mußte sich nur hüten, Joe Pelletti unter die Augen zu kommen. Während er in einen Verschlag blickte, in dem Kartoffeln gelagert waren, entdeckte er Pelletti auf der Treppe. Es gab Rick einen heftigen Ruck. Neben Pelletti stand Hazel und unterhielt sich lachend mit dem Anwalt! Was machte Hazel in diesem Haus? Ausgerechnet an diesem Abend? Rick Masters glaubte nicht an unwahrscheinliche Zufälle. Schon möglich, daß Hazel den Anwalt persönlich kannte. Aber das erklärte noch nicht, wieso sie Gast auf seiner Party war. Noch ein bekanntes Gesicht entdeckte der Geisterdetektiv. Frank Potter. In Ricks Kopf rastete eine Schaltung ein. Er hätte darauf gewettet, daß Hazels Anwesenheit Irgend etwas mit Potter zu tun hatte. In seinem blinden Eifer wurde der angehende Schriftsteller zu einer wirklichen Gefahr. Nun mußte Rick sich vor drei Leuten verbergen, und es gelang ihm wie durch ein Wunder. Endlich hatten sich die Partygäste im Keller ausgetobt. Da sie 80 �
nichts fanden, wurde es rasch langweilig. Rick tat, als suche er weiter. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie Pelletti Hazel wieder nach oben führte. Die meisten Gäste schlossen sich ihnen an. Dann verließ auch endlich Frank Potter den Keller. Er blickte sich jedoch so forschend um, daß Rick das Gefühl hatte, Potter suche ihn. Endlich war er im Keller allein. Jemand schaltete oben das Licht aus. Tiefe Dunkelheit umgab den Geisterdetektiv. Das störte Rick jedoch nicht. Für ihn war die Hauptsache, daß er nicht entdeckt worden war und nun ungestört seine Suche fortsetzen konnte. Er holte seine Taschenlampe aus der Jacke. Sie besaß nur die Größe eines Kugelschreibers, leuchtete aber intensiv. Rick hatte sich genau die Stelle gemerkt, an der man in früheren Zeiten in die eigentlichen unterirdischen Gewölbe gelangt war. Heute befand sich dort nur Betonboden. Es gab kein Anzeichen dafür, daß eine Falltür existierte. Das konnte Rick nicht von seinen Nachforschungen abbringen. Sollte sich unterhalb von Pellettis Haus noch ein Gewölbe befinden, war es doppelt und dreifach gesichert. Handelte es sich dabei gar um einen Schwarzen Dom, konnte man ihn ohnedies nicht durch eine gewöhnliche Tür betreten, sondern mußte eine magische Beschwörung anwenden. Nach der oberflächlichen Untersuchung des Bodens nahm Rick seine Silberkugel zur Hilfe. Er bestrich die Betonplatte mit seiner weißmagischen Waffe, erzielte jedoch auch keinen Erfolg. Zuletzt griff er zu seinem Schlüssel des Großmeisters. Er lächelte in die Dunkelheit, als er sich vorstellte, daß er ein Werkzeug des Großmeisters der Schwarzmagier einsetzte, um genau diesen Großmeister zur Strecke zu bringen. Diesmal hütete sich der Geisterdetektiv davor, den Schlüssel 81 �
an beiden Enden anzufassen. Tat er dies, setzte er die Energien dieses Instruments frei. Welche Folgen das hatte, war ihm vorhin klargeworden. Er nahm den Schlüssel daher am Griff und fuhr mit dem Bart über den Boden. Doch auch jetzt stellte sich kein Erfolg ein. Seine Umgebung veränderte sich nicht, und auf dem Beton zeichnete sich kein Zugang ab. Rick war zutiefst enttäuscht. Bisher hatte er nur herausgefunden, daß dieses Haus früher schwarzmagischen Zwecken gedient hatte. Doch das war ihm ohnedies bekannt gewesen. Neues hatte er nicht erfahren. Der Geisterdetektiv lauschte nach oben. In der Halle erklangen Stimmen. Schon dachte er, die Leute würden noch einmal in den Keller kommen. Bald stellte er jedoch fest, daß die ersten Gäste die Party verließen. Es wurde für ihn höchste Zeit, sich ebenfalls aus dem Staub zu machen. Andernfalls wurde er hier unten eingeschlossen. Lautlos huschte der Geisterdetektiv die Kellertreppe hinauf und öffnete die Tür einen Spalt breit. Er konnte die Halle gut überblicken. Als sich wieder eine Gruppe dem Ausgang näherte, schlüpfte Rick aus seinem Versteck und schloß sich den Leuten an. Keiner von ihnen kannte den Geisterdetektiv. Pelletti war nicht in der Nähe. Der Butler schöpfte keinen Verdacht. Hazel Kent und Frank Potter zeigten sich nicht. Dracula hatte sich die ganze Zeit vorbildlich verhalten und war unter Ricks Jacke geblieben. Er war sogar ruhig gewesen, als Rick in die Vergangenheit versetzt worden war. Vermutlich hatte der Hund gefühlt, daß es keine unmittelbare Bedrohung gegeben hatte. Auch jetzt gab er keinen Laut von sich, als Rick zusammen mit 82 �
den anderen Leuten das Haus verließ. Der Geisterdetektiv atmete die kühle Nachtluft ein und hastete zu seinem Morgan. Er und Dracula stiegen ein. Rick konnte von seinem Platz aus Hazels Rolls Royce erkennen. Er brauchte nicht lange auf seine Freundin zu warten. Sie kam nach fünf Minuten mit Frank Potter aus dem Haus. Beide stiegen in den Rolls Royce. Rick ließ sie abfahren. Erst als sie einen Vorsprung hatten, folgte er ihnen. Pelletti sollte ihn nicht sehen, falls er am Fenster stand. An einer dunklen Stelle setzte Rick zum Überholen an und hupte kurz, setzte sich vor den Rolls Royce und hielt an. Hazel hatte den Wagen ihres Freundes längst erkannt. Das Fenster auf ihrer Seite glitt lautlos nach unten. »Hallo, Rick«, sagte sie erstaunt. »Woher kommst du?« Rick nickte seiner Freundin nur kurz zu und beugte sich in das Wageninnere. Frank Potter wich seinem scharfen Blick aus. »Wieso warst du auf Pellettis Party, Hazel?« fragte der Geisterdetektiv. Hazel merkte an seinem Ton, daß etwas nicht stimmte. »Mr. Potter meinte, Pelletti würde eine zwanglose Party geben, bei der ich erscheinen könnte«, sagte sie, ohne zu zögern. »Er wollte auf diese Weise Pelletti näher kennenlernen.« »Sie hatten mich vorher beschattet, nicht wahr?« fragte Rick gefährlich leise. Der angehende Schriftsteller nickte. »Ich wollte doch nur…«, sagte er verlegen. »Raus und verschwinden Sie!« fauchte Rick ihn an. Widerspruchslos stieg Frank Potter aus, schlug den Kragen hoch und hastete davon. »Rick!« rief Hazel empört. »Das geht zu weit!« »So, tut es das?« Rick wandte sich an Hazel und ergriff ihre 83 �
Hände. Er schüttelte den Kopf. »Du ahnst nicht, worauf du dich eingelassen hast. Potter geht in seinem blinden Wahn zu weit, nicht ich. Er und seine Schriftstellerei. Weißt du, wer Joe Pelletti ist? Weißt du das?« Hazel hatte Rick schon lange nicht so aufgeregt gesehen. »Der Staranwalt von London«, erwiderte sie ahnungslos. »Du Engel!« Rick seufzte. »Joe Pelletti ist George Fergusons Bruder! Und Pelletti ist außerdem Schwarzmagier.« Hazel wurde schlagartig blaß. Rick erkannte es sogar bei dieser mangelhaften Beleuchtung. »Warum hattest du mir das nicht gesagt?« fragte Hazel leise. »Du informierst mich doch sonst über alles.« »Weil du dich aus diesem Fall vollständig heraushalten sollst«, rief Rick eindringlich. »Du brauchst nichts zu wissen, du darfst nichts wissen. Je mehr ich dich einweihe, desto größer werden die Gefahren für dich. Du wußtest aber, daß Pelletti irgendwie in dem Fall drinnenhängt, und sei es nur als Fergusons Verteidiger. Halte dich aus allem heraus, Hazel, sonst bringen sie dich um. Und meide diesen Potter! Verstehst du!« Hazel nickte. Sie widersprach nicht mehr. »Ich sehe es ein«, murmelte sie. »Es war unüberlegt von mir. Ich fühlte mich so einsam und wollte ausgehen, und da…« Rick zog sie kurz an sich. Er wollte nicht länger in ihrer Nähe bleiben, um sie nicht zu gefährden. »Fahr nach Hause«, bat er, »und sei vorsichtiger als bisher! Versprich es mir.« Hazel küßte ihn und fuhr weiter. Rick blieb stehen, bis ihr Wagen außer Sicht war. Dann erst ging er zu seinem Morgan zurück. Er setzte sich auf den Fahrersitz und wollte starten. »Dracula?« fragte er, als er seinen Hund nicht entdeckte. Dracula antwortete nicht. 84 �
Ricks Blick fiel durch die Windschutzscheibe auf den nächsten Hauseingang. Darin entdeckte er etwas Weißes. Dracula! Er drückte sich ängstlich an die Mauer und versuchte, sich so klein wie möglich zu machen. Mit einem Aufschrei warf sich Rick aus dem Wagen! Keine Sekunde zu früh… * Rick Masters nahm sich nicht die Zeit, richtig auszusteigen. Er wälzte sich über die niedrige Tür des Morgans und ließ sich außen auf die Straße fallen. Er fing den Sturz mit der Schulter ab, überschlug sich und schnellte sich zur Seite. Das war sein Glück. Einen Sekundenbruchteil später hätte ihm nichts und niemand mehr helfen können, nicht einmal seine Waffen. Sie steckten im Schulterhalfter und konnten deshalb nicht wirken. Und selbst wenn er sie in Händen gehalten hätte, wären sie wahrscheinlich gegen dieses Inferno machtlos gewesen. Der Morgan schien sich aufzublähen wie ein Ballon. Sein Inneres wurde von einem tiefroten Leuchten erfüllt. Es war Rick, als blicke er in ausströmende Lava oder in einen See flüssigen Eisens. Gleichzeitig fühlte er eine unerträgliche Hitze. Doch es war keine Hitze, die Wasser zum Verdampfen brachte, sondern ein Gefühl, als habe jemand in ihm Feuer angezündet, das ihn von innen heraus zu verzehren drohte. Die Wirkung der schwarzmagischen Falle beschränkte sich hauptsächlich auf seinen Morgan, strahlte jedoch ein wenig dar85 �
über hinaus. Rick konnte sich ausmalen, welche Kräfte im Moment im Innern seines Autos tobten! Sie hätten ihn auf der Stelle verschlungen, hätte er sich noch im Wagen befunden! Um sich gegen die Ausläufer zu schützen, holte Rick die Silberkugel hervor. Gleichzeitig kroch er auf allen vieren zu Dracula und ließ sich keuchend in den Hausflur sinken. Der Hund drängte sich bebend an seinen Herrn. Auch er stand jetzt unter dem Schirm der Silberkugel, die keine schwarzmagischen Kräfte durchließ. Schmerzlich berührt sah Rick, wie sein Morgan zu glühen begann, als wäre er tatsächlich mit echter Lava gefüllt. Durch die Windschutzscheibe drang gleißende Helligkeit ins Freie. Die Straße war in taghellen Schein getaucht. Die Türen des Wagens wurden rotglühend, auch die Kotflügel und die Motorhaube. »Diese Bestien«, murmelte Rick. »Sie haben die Falle gelegt, während ich in Pellettis Haus war. Er hat es die ganze Zeit gewußt! Ganz bestimmt!« Dracula antwortete zwar nicht, aber er sah seinen Herrn aus so klugen Augen an, daß Rick sich fragte, ob der Hund ihn nicht vielleicht doch verstand. Seufzend strich Rick ihm über das nasse Fell. Das Glühen des Autos ließ langsam nach. Rick wunderte sich, daß sich noch keine Schaulustigen eingefunden hatten. Auch tauchte kein Streifenwagen der Polizei auf. Vielleicht hatten die Schwarzmagier diese Vorgänge so abgeschirmt, daß Unbeteiligte nichts davon merkten, dachte Rick. »Du hast mir das Leben gerettet«, sagte er zu seinem vierbeinigen Begleiter. Das war nicht übertrieben. Dracula hatte ihm durch seine Flucht aus dem Auto angezeigt, welche Kräfte innerhalb des Morgans herrschten. Dann ging es ganz rasch. Das Leuchten verschwand vollstän86 �
dig. Die Karosserie glühte nicht mehr. Der Morgan stand unversehrt an der Bordsteinkante. »Komm«, sagte Rick und stand auf. Er war bis auf die Haut durchnäßt, doch das war nicht sein Hauptproblem. Er mußte erst herausfinden, was mit seinem Wagen geschehen war. Dracula war ihm dabei wieder eine unersetzliche Hilfe. Der kleine Hund lief zu dem Auto und blieb wedelnd vor der Tür stehen. Vorsichtshalber bestrich Rick die Klinke erst mit der Silberkugel, ehe er sie berührte. Die Kugel rief keine Veränderung hervor. Und Rick fühlte nichts, als er die Klinke berührte. Die Seitentür sprang auf, und Dracula hüpfte unbesorgt auf den Beifahrersitz. Dort legte er sich ruhig hin. Erst jetzt wagte sich auch Rick in seinen Wagen. Die schwarzmagischen Energien waren vollständig aufgebraucht worden, sonst hätte Dracula sie gefühlt. Noch etwas zaghaft betätigte Rick den Anlasser. Der Motor sprang sofort an. »Da haben wir noch einmal Glück gehabt«, sagte er leise und fuhr an. Er verständigte niemanden von diesem Zwischenfall. Es hätte Hazel nur beunruhigt und Chefinspektor Hempshaw bei seinen Ermittlungen keinen Schritt weitergebracht. Rick fuhr nach Hause, stellte sich unter die Dusche, bereitete sich ein ausgiebiges Abendessen und fiel wie tot in sein Bett. Dracula kroch zu ihm unter die Decke und rollte sich zusammen. Vor dem Einschlafen fragte sich Rick Masters noch, wie lange der Befehl des Großmeisters bestehen würde und ob er so lange durchhalten konnte. Er schwebte in einer schrecklichen Gefahr. Trotzdem schlief er dank seiner Erschöpfung auf der Stelle ein; und in dieser Nacht 87 �
war er sogar zum Träumen zu müde. * Sergeant Myers betrat leise das Büro seines Vorgesetzten. Neben dem Schreibtisch blieb er stehen und blickte auf den Chefinspektor hinunter. Hempshaw lehnte mit geschlossenen Augen in seinem Sessel. Er lächelte, ohne die Augen zu öffnen. »Ich schlafe nicht, Myers«, sagte er leise. »Sie denken nach, Sir?« vermutete der Sergeant. Blinzelnd hob der Chefinspektor das linke Lid. »Wollen Sie sich über mich lustig machen?« »Keineswegs«, versicherte Myers schmunzelnd. »Setzen Sie sich«, sagte Hempshaw. »Was halten Sie von der ganzen Geschichte?« »Offiziell würde ich sagen«, erwiderte der Sergeant, »daß ein Untersuchungshäftling auf ungeklärte Weise aus dem Gefängnis ausgebrochen ist. Dieser Mann hat einen Platzwart ermordet. Sein Bruder ist Strafverteidiger.« »Ich weiß das alles.« Hempshaw winkte ab. »Ich kenne auch die inoffiziellen Erklärungen. Ich möchte Ihre Meinung hören, wie es weitergehen soll.« Myers hob die Schultern und ließ sie resignierend wieder sinken. »Das ist sehr aufschlußreich«, grollte der Chefinspektor. »Soll ich Ihnen etwas verraten, Myers? Ich habe auch nicht die geringste Ahnung, wie es weitergehen soll. Ich sitze hier und zerbreche mir den Kopf. Ich habe keinen Anhaltspunkt.« »Mr. Masters hat sich nicht mehr gemeldet?« fragte Myers überflüssigerweise. Er hätte es sofort erfahren, wäre von dem Geisterdetektiv ein Tip gekommen. 88 �
»Rick schweigt sich aus.« Seufzend blickte Hempshaw auf sein Telefon. »Die Großfahndung nach George Ferguson läuft. Auch das ist eine Fehlanzeige.« »Sie lassen doch sein Haus überwachen, nicht wahr?« fragte Myers gähnend. »Was für eine Frage!« Hempshaw schüttelte den Kopf. »Selbstverständlich.« »War ja nur eine Frage.« Die Augen des Sergeanten waren rot gerändert. Er konnte sich vor Müdigkeit sichtlich nicht mehr auf den Beinen halten. »Gehen Sie nach Hause«, entschied Hempshaw. »Wir erreichen ohnedies nichts mehr. Ich fahre auch heim.« Myers nickte. »Okay, Sie haben recht. Gehen wir.« Er wünschte dem Chefinspektor eine gute Nacht, und zog sich in sein Büro zurück, um seine Sachen zusammenzusuchen. Als er nach fünf Minuten noch einmal einen Blick in Hempshaws Zimmer warf, war der Chefinspektor schon weg. Zuerst wollte Hempshaw wirklich nach Hause fahren. Er war unglaublich müde. Vor allem die Erfolglosigkeit fraß seine Nervenkraft auf. Doch unterwegs änderte er die Richtung und fuhr in den Stadtteil Tottenham. Er steuerte die Straße an, in der George Ferguson vor seiner Verhaftung gewohnt hatte. Zwei Sergeanten von Scotland Yard hielten Wache. Sie bemühten sich, im Hintergrund zu bleiben, und Hempshaw sprach beiden ein Lob aus. »Ich habe euch nur entdeckt, weil ich wußte, daß ihr hier seid«, sagte er. »Besondere Vorkommnisse?« Sie schüttelten die Köpfe und versicherten, daß Ferguson nicht in sein Haus zurückgekehrt sei. »Okay, dann kann ich endlich nach Hause fahren«, sagte der Chefinspektor und wünschte seinen Leuten noch alles Gute. 89 �
Er setzte sich in seinen Wagen und fuhr bis zur nächsten Ecke. Dort steuerte er das Auto wieder an den Straßenrand und stieg aus. Er wußte selbst nicht, weshalb er das tat. Er hatte nur das Gefühl, noch einmal nachsehen zu müssen. Der Chefinspektor war in übersinnlichen Dingen doch zu unerfahren, um die Zusammenhänge zu erkennen. Er meinte, nur vorsichtig zu sein, als er sich an das Haus heranschlich. Er redete sich ein, das alles geschähe, damit Ferguson ihn nicht kommen sah, falls er sich doch in dem Haus versteckte. Gleichzeitig blieb er jedoch vor seinen Leuten unsichtbar. Er nutzte so geschickt jede Deckung aus, als wäre er selbst ein Mörder auf der Flucht vor der Polizei. Die beiden Sergeanten hatten keine Ahnung, wer sich dem Haus näherte. Sie zogen weiterhin ihre Runden und hielten die Augen offen. Hempshaw erreichte die Hintertür. Hier hatte Rick Masters den Mörder überrumpelt. Der Chefinspektor streckte die Hand aus und befühlte das Polizeisiegel. Es war unversehrt. Das war für Hempshaw ein Beweis, daß sich niemand im Haus aufhielt. Dennoch wollte er sich davon überzeugen, löste das Siegel und lehnte sich gegen die Tür. Sein Verstand war bereits umnebelt, sonst hätte er Verdacht geschöpft. Die Tür mußte versperrt sein. Sie war es nicht! Sie war nicht einmal eingeschnappt. Hempshaw betrat die Küche. Es roch nach ungelüfteten Räumen. Er machte kein Licht, als er weiterging. »Kommen Sie nur«, ertönte aus dem Wohnzimmer eine bekannte Stimme. »Treten Sie ein.« Hempshaw tat unsicher die letzten Schritte. 90 �
Von der Straßenlampe fiel genügend Licht in den Raum, um den Mann aus der Dunkelheit hervorzuheben. Er saß in dem bequemsten Sessel und winkte Hempshaw lächelnd zu. Es war ein kaltes, mitleidsloses Lächeln. Hempshaw fröstelte plötzlich. Dennoch ging er näher an George Ferguson heran. »Ergreifen Sie meine Hand!« forderte ihn der Mörder auf. Auch das tat Hempshaw. Widerstand regte sich in ihm. Er begann zu ahnen, daß er in eine Falle gelaufen war, doch sein Verstand arbeitete viel zu träge. Die Finger des Magiers berührten seine Hand. Im selben Moment glaubte Hempshaw, in einen bodenlosen Abgrund zu stürzen. Er wollte noch schreien, doch die Schwärze der Unendlichkeit schlug über ihm zusammen. * Viele Menschen lieben ungestörten Schlaf. Rick war ein Sonderfall. Er brauchte diesen ruhigen Schlaf dringender als alles andere. Deshalb hatte er an seinem Anrufbeantworter auch eine Sonderschaltung anbringen lassen. Für die Dauer seines Schlafes stellte er dieses Gerät an. Es hielt alle lästigen Störungen von ihm fern, so daß er jene Kraft tanken konnte, die er unbedingt brauchte. Andererseits mußte es in seinem Job möglich sein, ihn in Notfällen zu erreichen. Und dafür war die Sonderschaltung zuständig. Eingeweihte wußten, daß sie nach Erklingen der Tonbandstimme nur lange genug warten mußten, damit das Telefon doch klingelte. Ansonsten blieb es stumm. Als das Telefon an diesem Morgen um sechs Uhr schrillte, 91 �
wußte Rick, daß etwas Wichtiges geschehen war. Er hatte wie immer seinen Anrufbeantworter eingeschaltet. »Ja, was ist?« murmelte er schlaftrunken in den Hörer. »Mr. Masters, können Sie sofort kommen?« drang die aufgeregte Stimme von Sergeant Myers aus dem Apparat. »Wohin soll ich kommen, und was ist geschehen?« fragte Rick und kämpfte dagegen an, auf der Stelle wieder einzuschlafen. »Ach so, entschuldigen Sie!« Myers atmete heftig, »Ich bin bei George Fergusons Haus.« Der Name machte Rick sofort hellwach. »Ja, weiter«, rief er. »Ich bin wieder ganz bei mir,« »Chefinspektor Hempshaw hatte zwei Mann zur Bewachung abkommandiert«, schilderte der Sergeant aufgeregt, »Letzte Nacht fuhr der Chefinspektor nicht direkt zu sich nach Hause, sondern kontrollierte die Wachposten. Er sagte zu ihnen, er werde anschließend heimfahren. Aber vor einer Stunde haben die beiden seinen Wagen an der nächsten Kreuzung gefunden. Leer! Der Chefinspektor ist nicht zu Hause. Ich war sofort da, nachdem ich die Meldung erhalten hatte.« »Vielleicht ist er in Fergusons Haus eingedrungen, weil er etwas Verdächtiges bemerkt hat«, vermutete Rick. »Ich habe die Polizeiriegel überprüft«, antwortete der Sergeant. »Sie sind unverletzt. Die Türen sind fest verschlossen, die Fenster ebenfalls.« »Ich komme zu Ihnen«, versprach Rick und legte auf. Während er duschte, gab er Dracula seine tägliche Ration. Rick hatte so eine Ahnung, daß er lange nicht mehr dazu kommen würde, für regelmäßige Mahlzeiten zu sorgen, weder für sich selbst, noch für seinen Hund. Darunter sollte wenigstens Dracula nicht leiden. Sich selbst versorgte der Geisterdetektiv mit einer Rolle trockener Kekse, die er noch in seinem Küchenschrank auftrieb. Für 92 �
eine Tasse löslichen Kaffee nahm er sich auch noch Zeit, trank sie im Stehen und verbrannte sich wieder einmal die Lippen, wie schon so oft bei ähnlichen Gelegenheiten. Anschließend raste er durch London und setzte Blaulicht und Sirene ein. Da er oft mit Scotland Yard zusammenarbeitete, besaß er eine Sondergenehmigung. Das abnehmbare Blaulicht flackerte neben der Windschutzscheibe. Die Autohupe war auf Sirenenton umgeschaltet. Die anderen Fahrer machten dem seltsamen Einsatzwagen Platz, und so mancher wunderte sich an diesem frühen, unfreundlich regnerischen Morgen über einen flachen Sportwagen, der Blaulicht führte. Man hatte noch nie gehört, daß die Polizei Autos im Oldtimer-Look einsetzte. Die Londoner konnte nichts in ihrer fast schon sprichwörtlichen britischen Gelassenheit stören. Sie machten Platz, und Rick Masters erreichte Tottenham in Rekordzeit. Sergeant Myers war mittlerweile noch nervöser als bei seinem Anruf. »Kollegen haben Mr, Hempshaws Wohnung geöffnet«, berichtete er, »Der Chefinspektor war tatsächlich nicht zu Hause.«. Rick nickte und deutete auf Fergusons; Haus. »Haben Sie auch schon da drinnen nachgesehen?« fragte er. Myers schüttelte den Kopf. »Ich wollte auf Sie warten, Mr. Masters. Nach menschlichem Ermessen kann er nicht da drinnen sein, sonst wären die Siegel erbrochen. Sollte er also doch im Haus sein, muß Magie im Spiel sein, und dafür sind Sie zuständig.« »Gut, das war richtig«, bestätigte Rick Masters. »Sehen wir nach! Ihre Leute sollen inzwischen das Haus gut bewachen, damit niemand entkommt.« Auf dem Grundstück waren bereits zehn Yarddetektive verteilt. Nicht einmal eine Maus konnte ungesehen durchschlüpfen. 93 �
Sie nahmen an der Vordertür Aufstellung. Rick schob den Sergeanten ein Stück zur Seite. »Sicherheitsmaßnahmen«, sagte er mit einem flüchtigen Lächeln. Rick beobachtete seinen Hund. Dracula saß einige Schritte hinter ihm, ohne Alarm zu geben. Rick nahm seinen Schlüssel zu Hilfe, den mysteriösen Schlüssel des Großmeisters, Als er das Instrument an beiden Enden packte, wuchs in ihm die Überzeugung, er werde im Haus eine Spur von Chefinspektor Hempshaw finden. »Lösen Sie das Siegel«, forderte er Myers auf. Dabei dachte er, daß Hempshaw bestimmt etwas zugestoßen war. Der Schlüssel reagierte nur auf schwarzmagische Impulse. Myers schloß die Tür auf. Rick selbst übernahm das öffnen: Sicherheitshalber zog er Silberkugel und Pistole und hielt beides bereit. Als Rick das Haus betrat, wich Dracula zurück. Hier drinnen wirkten. schwarzmagische Kräfte. Von diesem Moment an war Rick doppelt vorsichtig. Vielleicht hatten ihm seine Feinde schon die nächste Falle gestellt. Er wollte ihnen nicht den Gefallen tun, blindlings hineinzutappen. Er erreichte die Tür zum Wohnzimmer. Den Grundriß hatte er noch so gut im Gedächtnis, daß man ihn nicht leicht überrumpeln konnte. Rick wollte sich vorsichtig an die Türöffnung heranpirschen und dann überraschend in den Raum springen. Es kam jedoch anders. »Treten Sie ein, Mr. Masters«, erklang George Fergusons Stimme. »Vermeiden Sie Panikreaktionen. Ich existiere nicht wirklich.« Rick folgte der Aufforderung. Jede Sehne war angespannt, als er sich der Tür näherte. Die Stimme konnte zu der befürchteten Falle gehören. 94 �
Sein Blick fiel in das Zimmer. Er zuckte zusammen. Neben dem niedrigen Couchtisch standen zwei Sessel. In dem einen saß George Ferguson, in dem anderen Chefinspektor Hempshaw. »Kenneth!« rief Rick. Der Chefinspektor bewegte sich nicht, obwohl er bei Bewußtsein war. »Irrtum, Mr. Masters«, sagte George Ferguson. »Dies ist nicht der Chefinspektor, und ich bin auch nicht real. Wir sind beide nur Visionen, sozusagen eine Nachricht zum Anschauen, Ich hätte Ihnen auch einen Zettel hinterlassen können, doch diese Visionen sind origineller, nicht wahr?« Er lachte, und Rick biß die Zähne zusammen. Die beiden Personen saßen vor ihm so wirklichkeitsgetreu, als könne er sie anfassen. Wie weit sollte er dem Mörder glauben? »Sie können schießen«, bot Ferguson an. »Sie werden mich nicht treffen. Wenn Sie die Silberkugel einsetzen, werden wir beide verschwinden. Das ist alles. Sehen Sie her! Ich will es Ihnen beweisen.« Auf dem Couchtisch stand ein schwerer gläserner Aschenbecher. Von Geisterhand bewegt, hob er sich plötzlich in die Luft, sauste auf Ferguson zu und traf ihn nicht. Statt dessen durchdrang er mühelos den Scheinkörper des Mörders, prallte gegen die Sessellehne und wurde zurückgeschleudert. Er fiel auf ein Tischbein und barst in tausend Stücke. »Ich habe eine Botschaft für Sie, Mr. Masters«, fuhr die Vision fort. »Chefinspektor Hempshaw ist mir letzte Nacht in die Falle gegangen. Er befindet sich jetzt in meiner Gewalt. Ich verrate Ihnen selbstverständlich nicht, wo er ist. Sollten Sie Ihre Ermittlungen vorantreiben, wird der Chefinspektor sterben. Daß dies keine leere Drohung ist, können Sie mir glauben.« Rick Masters schluckte schwer. Er merkte, daß Sergeant Myers 95 �
neben ihn getreten war. Verzweifelt überlegte Rick, was er tun konnte. Die Antwort war einfach. Nichts. »Kenneth!« Rick versuchte wenigstens, die Vision des Chefinspektors anzusprechen. »Kenneth, was sagen Sie dazu?« Rick rechnete mit keiner Antwort. Doch Hempshaw hob den Kopf und nickte. »Es ist wahr, Rick«, antwortete er. »Ferguson sagt die Wahrheit.« »Halten Sie sich an meine Befehle, sonst bereuen Sie es!« warnte George Ferguson noch einmal. Im nächsten Moment wurden beide Gestalten durchsichtig und verschwanden gleich darauf. Nichts blieb zurück. Sergeant Myers stöhnte leise. »Warum haben Sie Hempshaw nicht aufgehalten?« fragte er. »Das war nicht Hempshaw«, erwiderte Rick mutlos. »Die Gegenseite hat sich einen makabren Scherz erlaubt. Vermutlich wollte Ferguson mir zeigen, wie machtlos ich im Moment bin.« »Und jetzt?« fragte Myers und starrte wie gebannt auf die leeren Sessel. »Was können wir tun?« »Stellen Sie die Nachforschungen ein, das ist alles«, verlangte der Geisterdetektiv. »Sie haben gehört, was Ferguson angedroht hat. Und halten Sie sich daran! Er meint es tödlich ernst.« Mit hängenden Schultern verließ der Geisterdetektiv das Haus, in dem er soeben eine bittere Niederlage eingesteckt hatte. * Die Gegenseite hielt alle Trümpfe in der Hand. In einer solchen Situation gab es eigentlich nur eine Entscheidung. Kapitulation. Rick Masters hatte es durchaus ernst gemeint, als er Sergeant 96 �
Myers die Einstellung aller Nachforschungen empfahl. Es mußte für Ferguson und seine Komplicen so aussehen, als hätten sie die Gefahr von sich abgewendet. Rick Masters dagegen dachte nicht einen Moment lang an Aufgabe. Dieses Wort kannte er nicht. Er war sicher, auf irgendeine Weise beobachtet zu werden. Entweder befand sich ein Schwarzmagier in der Nähe, der ihn beschattete. Oder er wurde mit magischen Mitteln überwacht. Um den Chefinspektor nicht in Gefahr zu bringen, fuhr Rick in sein Wohnbüro. Es mußte alles ganz unverfänglich aussehen, ehe er zum großen Schlag ausholte. Er stellte den Morgan in die Garage, stieg aus und ging mit Dracula zu seinem Wohnhaus. Als er die Haustür öffnete, entdeckte er einen Besucher, der auf der Treppe saß und jetzt aufstand. »Potter!« Rick hatte gar nicht mehr an Hazels Schützling gedacht. »Sie haben sich einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt ausgesucht. Was wollen Sie?« »Ihnen helfen«, antwortete Frank Potter. Rick hatte schon begonnen, die Treppe hinaufzusteigen. Jetzt blieb er überrascht stehen und drehte sich um. »Sagen Sie das noch einmal«, verlangte er. »Sie wollen mir helfen? Sie wollen von mir kein Material für Ihren Roman?« »Indem ich Ihnen helfe, bekomme ich das Material«, antwortete Frank Potter grinsend. »Sie sind wenigstens ehrlich«, antwortete Rick. »Und weiter? Was wollen Sie tun?« »Kann ich zu Ihnen kommen?« fragte Potter. »Oder schicken Sie mich weg?« Seufzend schloß Rick seine Wohnung auf. »Meinetwegen, kommen Sie herein«, murmelte er. Vorläufig störte ihn Potter nicht so sehr, daß Rick ihn gleich weggeschickt hätte. »Was gibt 97 �
es?« »Das möchte ich Sie fragen«, antwortete der angehende Schriftsteller. »Sie scheinen in ernsthaften Schwierigkeiten zu sein.« »Wie kommen Sie darauf?« erkundigte sich Rick und setzte ein Pokergesicht auf. »Ich besitze ein Radio, mit dem man den Polizeifunk empfangen kann«, erklärte Frank Potter. »Ich weiß nicht, ob es verboten ist. Jedenfalls habe ich gehört, daß über Funk alle Leute von Fergusons Haus abgezogen wurden. Außerdem wurde die Suche nach Chefinspektor Hempshaw eingestellt. Und Sie kommen mit einer Miene nach Hause, als hätten Sie soeben eine schlechte Nachricht erhalten.« »Sie überraschen mich.« Rick beobachtete den Computerprogrammierer aus Hazels Firma mit wachsender Aufmerksamkeit. »Sie haben mich wohl die ganze Zeit bewacht, wie?« »Nicht bewacht, Mr. Masters«, wehrte Potter ab. »Ich habe Sie beobachtet, um etwas über Ihre Methoden zu erfahren. Sie waren nicht so entgegenkommend, mich bei Ihren Ermittlungen mitzunehmen. Also mußte ich mich selbständig machen. Außerdem waren Sie nach der Party bei Pelletti so wütend auf mich, daß ich mich nicht mehr zu Ihnen gewagt habe.« »Jetzt sind Sie hier«, stellte der Geisterdetektiv fest. »So groß kann Ihre Angst vor mir also nicht sein.« »Ich bin hier, weil ich Ihnen helfen will, ich sagte es schon«, wiederholte Potter. »Deshalb hoffe ich auch, daß Sie mir nicht länger böse sind. Weshalb waren Sie nur so wütend auf mich?« »Weil Sie Mrs. Kent in das Haus dieses Pelletti gebracht haben«, fuhr Rick auf. »Ich wünsche nicht, daß Mrs. Kent in diesen Fall verwickelt wird. Ist das klar?« »Ja, natürlich«, murmelte Potter betreten. »Tut mir leid. Ich gebe ja zu, daß ich Mrs. Kent gebraucht habe, um in das Haus zu gelangen.« 98 �
»Schön gut.« Rick befand sich in versöhnlicher Stimmung. »Und jetzt erklären Sie mir, wie Sie mir helfen wollen.« »Ich habe Augen und Ohren offengehalten«, sagte Frank Potter eifrig. »Chefinspektor Hempshaw ist spurlos verschwunden. Stimmt es, daß ihn die Gegenseite entführt hat?« Rick nickte widerwillig. »Hat die Gegenseite Forderungen gestellt?« Potter beugte sich gespannt vor. »Seien Sie ehrlich, Mr. Masters. Ich bin ein Laie, ein Außenstehender. Vielleicht kann ich Ihnen gerade deshalb einen guten Rat geben.« Rick überwand sich. »Wir dürfen keine Nachforschungen mehr anstellen«, erklärte er, »sonst stirbt der Chefinspektor.« »Dachte ich es mir doch.« Frank Potter nickte zufrieden. »Das bedeutet doch nichts anderes, als daß Sie dem Gegner ganz gefährlich nahe gekommen sind. Mit anderen Worten, Sie haben sich einem Lebensnerv der Schwarzmagier von London genähert. Sie haben aber nur in Mr. Pellettis Keller Nachforschungen angestellt. Stimmt auch das, Mr. Masters?« Wieder mußte Rick nicken. Dieser Mann hatte recht. »Okay!« Potter lehnte sich zufrieden zurück. »Dann brauchen Sie doch nur in Pellettis Keller zu gehen. Dort finden Sie die Lösung für alles. Sie finden den Chefinspektor und Ihre Feinde. Sie können den ganz großen Schlag führen. Einen so vernichtenden Schlag, daß die Schwarzmagier Sie hinterher aus Angst in Ruhe lassen werden.« Rick lachte bitter auf. »Sie stellen sich das sehr einfach vor, mein Lieber!« rief er. »Ich brauche also nur in den Keller zu gehen! Wissen Sie, was da unten ist? Nichts! Rein gar nichts! Ich habe nach verborgenen Zugängen zu tiefer gelegenen Gewölben gesucht. Und wissen Sie, was ich gefunden habe? Nichts!« »Aber diese Gewölbe haben in früheren Zeiten existiert, nicht 99 �
wahr?« hakte Frank Potter nach. »Das haben sie«, bestätigte Rick. »Es gibt jedoch keinen Zugang mehr.« »Von oben vielleicht nicht.« Frank Potters Gesicht glänzte vor Genugtuung. »Aber von unten.« Rick starrte ihn verständnislos an. »Von der Kanalisation aus«, fügte Potter hinzu. »Ich war nicht untätig, Mr. Masters. Ich habe nachgedacht und mir die entsprechenden Pläne besorgt. Hier sind sie.« Er griff in seine Brusttasche und zog ein Bündel Papiere hervor. Eifrig entfaltete er zwei große Pläne auf dem Boden von Ricks Wohnzimmer. Zielstrebig deutete er auf eine Stelle. »Hier können wir in die unterirdischen Gewölbe des Schwarzen Hauses des Färbers eindringen«, erklärte Potter strahlend. »Wir?« fragte Rick verdutzt. »Natürlich!« Potter warf sich in die Brust. »Ich begleite Sie selbstverständlich!« Rick prüfte die Pläne. »Sie haben recht«, gab er fassungslos zu. »Sie haben wirklich recht!« Rick konnte es noch gar nicht fassen, aber jetzt stand dem großen Schlag nichts mehr im Wege. Er war nämlich davon überzeugt, daß das ehemalige Gewölbe unter Pellettis Haus der Schwarze Dom von London war, die heutige Zentrale der Schwarzmagier in der Themsestadt! Rick konnte endlich den Fall abschließen! * Als Rick Masters und Frank Potter die Wohnung des Geisterdetektivs in der Londoner City verließen, warf Potter dem Hund � 100 �
einen unbehaglichen Blick zu. »Wir sollten ihn hierlassen«, meinte der angehende Schriftsteller. »Warum?« fragte Rick. »Dracula begleitet mich immer.« »Und wenn er uns verrät?« wandte Porter ein. »Immerhin ist er ein Hund und kein Mensch, dem man etwas erklären kann.« »Sie können auch Dracula erklären, worum es geht«, sagte Rick trocken und ließ nicht erkennen, ob er einen Scherz machte oder nicht. Potter fuhr in Ricks Morgan mit. »Eines gefällt mir nicht«, sagte der Geisterdetektiv unterwegs. »Nämlich, daß wir ausgerechnet durch einen Tunnel der Underground-Station Westminster gehen müssen, um an Pellettis Keller heranzukommen.« »Einen anderen Weg gibt es nicht«, gab Potter zu bedenken. »Sie haben die Pläne gesehen.« Rick nickte und wollte noch etwas hinzufügen, als er über Funk gerufen wurde. Die Zentrale von Scotland Yard stellte eine Verbindung zu Sergeant Myers her. »Ich habe unangenehme Nachrichten«, gab der Sergeant durch. »Vor einer halben Stunde rief mich Mrs. Kent an und erkundigte sich nach dem Chefinspektor. Ich sagte ihr, was geschehen war. Daraufhin legte sie auf.« »Weiter«, drängte Rick und fuhr an den Straßenrand, um sich besser auf die Meldung konzentrieren zu können. »Danach habe ich in Ihrem Büro angerufen«, fuhr Myers fort. »Aber Ihr Anrufbeantworter erklärt, daß man Sie in der nächsten Zeit telefonisch nicht erreichen kann.« Rick stieß einen schrillen Pfiff aus. »Ich habe das Tonband nicht besprochen«, sagte er angespannt. »Es handelt sich um eine Fälschung! Vielleicht hat es etwas mit Hazels Anruf bei Ihnen zu tun.« 101 �
»Ganz sicher«, bestätigte der Sergeant. »Vor fünf Minuten erhielt ich nämlich einen Anruf eines Unbekannten. Eine verstellte Männerstimme! Der Mann teilte mir mit, daß ihm soeben Mrs. Kent ins Netz gegangen wäre. Ich sollte nichts unternehmen und Rick Masters ausrichten, daß er unbedingt stillhalten muß.« »Auch das noch!« rief Rick stöhnend. Er schaltete den Motor des Wagens aus. »Das Beste kommt noch«, fuhr der Sergeant nervös fort. »Ich hatte Glück und konnte feststellen lassen, woher dieser Anruf kam. Aus der Underground Station Westminster.« Das versetzte Rick einen Schlag. Er richtete sich kerzengerade auf und startete. »Ich nehme die Sache in die Hand«, erwiderte er aufgedreht. »Sie brauchen nichts zu tun, als Joe Pellettis Haus und die Underground-Station in weitem Umkreis zu umstellen. Sie greifen aber nur ein, falls ich das Wespennest ausräuchern und die Schwarzmagier aus ihren Verstecken treiben kann. Wenn diese Leute fliehen, packen Sie zu. Verstanden?« »Okay«, erwiderte Myers und unterbrach die Verbindung. Rick hätte auch keine Zeit gehabt, sich länger mit dem Sergeant zu unterhalten. Sie hatten nämlich die Station erreicht. »Sollten wir den Hund nicht lieber im Wagen lassen?« gab Potter noch einmal zu bedenken. »So ein Tunnel ist voller Gefahren und…« »Lassen Sie mich in Ruhe!« fuhr Rick ihn an. »Sie haben mir sehr geholfen, Potter, aber jetzt überlassen Sie mir den Rest.« Er wandte allerdings nichts ein, als Frank Potter ihm folgte. Sie eilten in die Station hinunter, und Rick orientierte sich nach dem mitgebrachten Plan. Schon bald fand er den richtigen Bahnsteig. Die zahlreichen Fahrgäste beachteten die beiden Männer und den kleinen Hund mit den viel zu großen Ohren gar nicht. Dennoch wartete Rick, bis der nächste Zug einfuhr und die Leute 102 �
aufnahm. Er konnte keine Augenzeugen brauchen. Potter war ungeheuer aufgeregt, und Rick verstand das durchaus. Für Potter war es der erste Einsatz dieser Art. »Ich kann nicht für Ihre Sicherheit garantieren«, warnte Rick noch einmal, doch Potter zuckte nur die Schultern. Der Zug fuhr ab. Rick blickte hinter ihm her und sah deutlich den letzten Wagen im Tunnel verschwinden. Es war genau jener Stollen, der zu Pellettis Keller führte. »Los«, sagte Rick. Er sprang auf den Gleiskörper hinunter, wobei er Dracula auf dem Arm hielt. Auch unten auf den Schienen setzte er den Hund nicht auf den Boden. Er wollte schließlich nicht, daß Dracula in den Stromkreis geriet. Rick ging an den Stollen heran und blieb an der schwarzen Öffnung stehen. »Beeilen Sie sich! Ehe der nächste Zug kommt, müssen wir durch sein!« rief Potter. Doch Rick ließ sich nicht drängen. Er zog seine Stablampe hervor und leuchtete den Weg vor sich aus. So weit das Auge reichte, erblickte Rick Schienen und Tunnelwände. Er wollte weitergehen, als Dracula ein leises Winseln ausstieß und heftig zu zittern begann. Rick fühlte es fort, da er den Hund auf dem Arm hielt. Rick hatte damit gerechnet, daß er im Laufe dieses Unternehmens auf Schwarze Magie stoßen würde. Das lag in der Natur der Sache. Doch gleich hier, am Beginn des Tunnels, war das mehr als verdächtig. Bis zu Pellettis Haus mußten sie laut Plan nämlich eine halbe Meile gehen. Dann erst sollte es eine Abzweigung durch die Kanalisation geben! »Schon gut«, sagte Rick leise zu seinem Hund, der daraufhin schwieg, aber weiter zitterte. Ricks Mißtrauen wuchs. Der Hund warnte ihn. Frank Potter hatte zweimal gedrängt, Dracula nicht mitzunehmen. 103 �
Da es ein Weg von einer halben Meile war, hatte Rick noch keine seiner Waffen gezogen. Das wäre viel zu früh gewesen. Doch nach diesem Zwischenfall holte er behutsam den Schlüssel des Großmeisters aus dem Schulterhalfter. Dabei achtete er besonders darauf, daß Frank Potter es nicht sah. Gleichzeitig ging er weiter, als wäre nichts geschehen. Hinter Rick knallte es dreimal scharf. Rick fühlte nichts, als er herumwirbelte. Seine Augen weiteten sich. Schon am Klang hatte er einen Revolver erkannt. Die drei Schüsse hatten ihm gegolten. Und Frank Potter hatte sie abgefeuert. Potter hielt noch immer den Revolver in der Hand und auf Rick gerichtet. Seine Augen waren weit aufgerissen. Er schien es nicht glauben zu können, daß seine Kugeln nicht tödlich wirkten. Sein starrer Blick fiel auf Ricks Schlüssel, und Verstehen zuckte über sein Gesicht. Der Schlüssel hatte die Kugeln zurückgelenkt. Im selben Moment begriff Rick, daß er in doppelter Weise hereingelegt worden war! Frank Potter hatte sich durch diese Schüsse als Schwarzmagier zu erkennen gegeben, der Rick in eine Falle gelockt hatte. Und Rick befand sich nicht in einem Tunnel der Underground. Die Schienen waren verschwunden. Es gab keinen Ausgang zur Station Westminster. Nur ein schmaler, von Betonwänden begrenzter Gang führte nach beiden Richtungen weiter. »Der Schlüssel…!« rief Frank Potter ächzend. Im nächsten Moment brach er zusammen und rollte auf den Rücken. Der Revolver rutschte gegen die Wand. Rick beugte sich über den angeblichen Programmierer und vermeintlichen Schriftsteller. Gebrochene Augen starrten ihm entgegen. 104 �
Frank Potter hatte Rick hereingelegt, doch seine eigene Falle hatte ihn getötet. Tief durchatmend hob Rick den Kopf. Er mußte weitermachen. Er steckte zwar in der Falle, aber er wollte wenigstens versuchen, Hazel und dem Chefinspektor zu helfen. Und seinen eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen… * Nun setzte Rick seinen Hund auf den Boden. Die Gefahr durch Stromleitungen existierte nicht mehr. Und Dracula sollte selbst entscheiden, wie weit er seinen Herrn begleiten wollte. Rick hastete weiter. Den Plan warf er weg. Es handelte sich um eine geschickte Fälschung, die Frank Potter angefertigt hatte. Er half dem Geisterdetektiv nicht. Nun hielt Rick Pistole und Schlüssel in beiden Händen. In der rechten Hand mit der Pistole verbarg er außerdem seine Silberkugel. Kein Gegner stellte sich ihm in den Weg. Rick durchschaute den Plan seiner Feinde. Frank Potter war in Hazels Firma eingeschleust worden, um sich unverdächtig an sie heranmachen zu können. Und Hazel war auf ihn hereingefallen. Sie hatte ihn an Rick weiterempfohlen. Frank Potters Aufgabe war es gewesen, Rick hier unten zu erschießen. Rick sollte ahnungslos sein, damit er nicht nach seinem Schlüssel griff, der die Kugeln abwehrte. Dracula hatte seinem Herrn schon wieder das Leben gerettet. Hempshaw und Hazel waren entführt worden, um ein Druckmittel gegen den Geisterdetektiv zu haben, falls dieser Anschlag mißlang. Rick mußte auf die beiden Rücksicht nehmen. Er hatte keine 105 �
Ahnung, was ihn am Ende des Ganges erwartete. Er mußte sich nach den Gegebenheiten richten. Plötzlich machte der unterirdische Korridor einen Knick. Rick schob sich vorsichtig an die Kante heran. Stufen lagen vor ihm. Sie führten ein Stockwerk in die Höhe und endeten vor einer glatten Steinplatte. Ricks Herz schlug schneller. Vermutlich war dies der Zugang zu dem unterirdischen Gewölbe von Joe Pellettis Haus. Von der Station Westminster kommend, gelangten Schwarzmagier hierher. In der Steinplatte gab es ein Loch. Mehr nicht. Rick schlich sich näher heran. Dracula blieb zurück. Also war hier die schwarzmagische Strahlung stärker als anderswo. Der Geisterdetektiv versuchte, durch das Loch zu blicken. Es war dahinter stockdunkel. Als er mit seiner Stablampe hineinleuchtete, wurde das Licht völlig verschluckt. Es blieb Rick nichts anderes übrig, als seinen Schlüssel des Großmeisters auszuprobieren. Dieses schwarzmagische Instrument konnte die Dome des Bösen öffnen. Vielleicht wirkte es auch hier. Mit angehaltenem Atem schob der Geisterdetektiv den Bart des ungefähr zwanzig Zentimeter langen Schlüssels in das Loch. Er versuchte, ihn zu drehen, was jedoch nicht gelang. Ratlos wartete Rick ab. Nach einiger Zeit wollte er den Schlüssel schon wieder zurückziehen, weil offenbar jede Wirkung ausblieb. In diesem Moment klickte es in der Steinplatte. Sie schwang zur Seite und gab einen Korridor frei, der von einem milchigen rötlichen Schein erfüllt war. Rick konnte nicht erkennen, woher das Licht stammte. Es drang aus Wänden, Decke und Böden, als glühten die Steine. 106 �
Dracula weigerte sich, seinem Herrn auch nur einen Schritt weiter zu folgen. Rick hatte volles Verständnis dafür und drängte seinen Hund nicht. Die Entscheidung, ob er selbst den nächsten Schritt wagen sollte, wurde ihm aus der Hand genommen. Die Steinplatte bewegte sich langsam zurück. Noch zwei Sekunden, und sie würde den Zugang wieder verschließen. Ob Rick ein zweites Mal mit dem Schlüssel des Großmeisters aufsperren konnte, war ungewiß. Hastig trat er durch die verbliebene Öffnung und fand sich in dem rot erleuchteten Korridor wieder. Hinter ihm senkte sich die Steinplatte in kaum sichtbare Vertiefungen. Auf dieser Seite der Tür gab es kein Schlüsselloch. Rick war eingeschlossen. Seiner Schätzung nach mußte er sich unterhalb des Schwarzen Hauses des Färbers befinden. Es gab kein Zurück mehr, nur noch ein Vorwärts. Rick ging zögernd weiter. Sein Herz schlug bis zum Hals. Jeden Moment rechnete er mit einem Anschlag. Der Korridor schien kein Ende zu nehmen, doch nach dem dreizehnten Schritt fand Rick sich schlagartig und ohne Vorwarnung in einem Gewölbe wieder, das er bereits kannte. Hier war in der Vergangenheit der junge Gefangene der Schwarzmagier hingerichtet worden. Rick hatte es in einer Vision gesehen. In der Mitte des Gewölbes stand ein schwarzer Altar, darauf lagen Hazel Kent und Chefinspektor Hempshaw. Dahinter standen dreizehn schwarz vermummte Gestalten mit den ebenfalls schon bekannten schwarzen Kapuzen, die nur die Augen frei ließen. Alle Dreizehn richteten lange Dolche auf die beiden Gefangenen. Und sie existierten in der Gegenwart! 107 �
»Keinen Schritt weiter, Rick Masters!« schrie einer der Vermummten. An der Stimme erkannte Rick George Ferguson, den geflohenen Mörder. »Eine falsche Bewegung, und die beiden sterben!« Rick stand wie festgenagelt in dem Gewölbe. Er konnte nichts tun. Seine Silberkugel wirkte gegen Schwarze Magie, doch diese Männer und Frauen bedrohten die Gefangenen mit Dolchen, nicht mit magischen Waffen. Mit seiner Pistole konnte er nicht alle dreizehn Vermummten gleichzeitig ausschalten. Mindestens einer hätte noch zugestochen. Der Schlüssel des Großmeisters! Er war in dieser Lage die einzige Hoffnung. »Waffen ablegen!« befahl ein anderer Vermummter. Auch diese Stimme kannte Rick. Sie gehörte Joe Pelletti. Rick sah die angstvollen Gesichter von Hazel und Chefinspektor Hempshaw. Er mußte gehorchen. Behutsam legte er vor sich die Silberkugel auf den Böden. »Alle Waffen!« schrie Pelletti wütend. »Alle, habe ich gesagt, oder die beiden sterben!« Es war Rick klar, daß keiner von ihnen überleben würde, falls er die Schwarzmagier nicht entwaffnete. Vorläufig saßen sie noch am längeren Hebel. Er faßte seine Pistole am Lauf an und ließ sie neben der Silberkugel auf den Boden gleiten. »Alle Waffen!« Pelletti hob drohend seinen Dolch noch höher. Rick schwitzte Blut und Wasser. Jetzt kam es darauf an, daß sein Trick klappte. Er tat, als wollte er auch den Schlüssel des Großmeisters zu den anderen Waffen legen. In Wirklichkeit aber faßte er den Schlüssel so an, daß die geheimen Kräfte frei wurden. Rick packte an beiden Enden zu. Und er dachte intensiv an die Prozession der Vergangenheit, 108 �
die er schön einmal gesehen hatte. Es klappte! Das Gewölbe wurde plötzlich von Fackelschein erfüllt. Alle darin Befindlichen fanden sich in die Vergangenheit versetzt. Die Schwarzmagier der damaligen Zeit wurden von dem Henker und den halbnackten, muskulösen Wächtern begleitet. Rick hatte keine Ahnung, wie sich verhalten würden, aber sie überträfen alle seine Erwartungen. Die Personen aus der Gegenwart existierten für die Personen der Vergangenheit nicht. Doch die Schwarzmagier der verflossenen Jahrhunderte führten soeben eine wilde Beschwörung durch. Sie schwangen Waffen und wirbelten im Kreis herum. Keine dieser Waffen konnte jemanden aus der Gegenwart verletzen. Das schienen die Leute um Pelletti nicht zu wissen. Schreiend flohen sie aus dem Gewölbe. Sie benutzten eine verborgene Treppe, die nach oben führte. Kaum war der letzte seiner Feinde weg, als Rick zu Hazel und Hempshaw lief. Seine Waffen hatte er wieder an sich genommen. Er berührte die beiden mit der Silberkugel. Der Bann, der sie bisher auf dem Altar gehalten hatte, brach. Sie sprangen von dem schwarzen Steintisch herunter. Die Visionen hörten auf. »Rick, ich…«, setzte Hazel an. Dracula fegte bellend in das Gewölbe hinein. Damit war Ricks Hoffnung zerstört, er habe einen Schwarzen Dom gefunden. Einen solchen Dom hätte Dracula niemals betreten. Es handelte sich nur um ein Gewölbe, in dem sich Schwarzmagier trafen. »Raus hier!« rief Rick und zog Hazel mit sich zu der steil nach oben führenden Treppe. Sie wurden nicht aufgehalten. Rick mußte allerdings mit seiner Taschenlampe leuchten, da das rote Licht erloschen war. Das Gewölbe besaß keine schwarzmagischen Kräfte mehr. Es war nun 109 �
ein Keller wie jeder andere. »Rick, es tut mir so leid«, flüsterte Hazel, doch der Geisterdetektiv legte tröstend seinen Arm um ihre Schultern. »Mach dir nichts daraus, jeder fällt einmal herein«, sagte er lächelnd. »Beeilen Sie sich!« rief Hempshaw. »Ich will endlich wieder Tageslicht sehen!« Das taten sie gleich darauf. Die Treppe endete in Pellettis Büro, der Zugang war durch eine Tapetentür getarnt gewesen. Die Schwarzmagier waren bereits verhaftet. Sergeant Myers hatte ganze Arbeit geleistet und sofort zugegriffen. Noch herrschte ziemliche Verwirrung. Rick wollte Danksagungen entgehen. Er zog Hazel mit sich ins Freie. Dracula folgte ihnen fröhlich bellend. »Ich mache mir solche Vorwürfe«, jammerte Hazel. »Potter war ein Betrüger, und…« »Darling!« Rick nahm sie fest in seine Arme. »Die Hauptsache ist, daß mich die Schwarzmagier für längere Zeit in Ruhe lassen werden. Ich konnte den Schwarzen Dom von London nicht finden, und ich habe keinen Hinweis auf den Großmeister erhalten, aber wir können uns wieder sehen, so oft wir wollen. Diese Schlappe überwinden meine Feinde nicht so schnell. Wir beide sind jetzt ungestört.« »Das ist schön«, sagte Hazel und versuchte ein erstes zaghaftes Lächeln. Sie lehnte sich erleichtert gegen Rick, und Dracula sprang an ihnen hoch, damit sie nicht so ganz ungestört waren, und an ihn dachten. ENDE �
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