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IN JEDES HAUS GEHÖRT DIESES WERK das ist das überzeugende Urteil von Presse und Rundfunk über die große, spannend geschriebene Weltgeschichte „Bild der Jahrhunderte" des Münchner Historikers O t t o Zierer. Von ungeheurer Dramatik sind die Bände dieses neuartigen, erregenden Geschichtswerkes erfüllt. Hier sind nicht, wie in Lehrbüchern alter A r t , die historischen Ereignisse mit trockener Sachlichkeit aneinandergereiht: die Vergangenheit w i r d vor dem Auge des Lesers in kulturgeschichtlichen Bildern zu neuem Leben erweckt. Menschen wie Du und ich schreiten über die wechselnde Bühne der Geschichte und fassen den Ablauf der Jahrhunderte, das Schauspiel vom Schicksal der Menschheit, ergriffen miterleben. Zierers „ B i l d der Jahrhunderte" ist ein W e r k für die Menschen unserer Zeit, für die Erwachsenen wie für die Jugend. DER
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„Schüler, deren Eltern das Bild der Jahrhunderte zu Hause haben, sind die besten Geschichtskenner in meinen Klassen", schreibt ein bekannter Erzieher. Der Verlag hat die Beschaffung der Bücherreihe feicht gemacht. Um jeder Familie den Kauf dieses prächtig ausgestatteten Standardwerkes zu ermöglichen, werden günstige Zahlungserleichterungen eingeräumt. „Das Bild der Jahrhunderte" kann auf Wunsch bei sofortiger Lieferung ohne Anzahlung gegen zwanzig Monatsraten erworben w e r d e n : DM 10,90 für die RotleinenAusgabe, DM 13,75 für die Lux-Luxus-Ausgabe. Das Werk besteht aus zwanzig Doppelbänden, dem Band 41/44 und dem Historischen Lexikon; es umfaßt rund 8000 Seiten. 189 ausgewählte Kunstdrucktafeln, 500 Lexikonbilder und 124 historische Karten ergänzen den Text. Jeder Band enthält Anmerkungen, ausführliche Begriffserklörungen und Zeittafeln.
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RÄTSEL DES MARS ERGEBNISSE MODERNEN
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VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAU ' MÜNCHEN • INNSBRUCK • BASEL
Der rote
Planet
U
nter den Himmelskörpern unseres Planetensystems, ja unter allen am Himmel überhaupt sichtbaren und bekannten Sternen ist Mars derjenige, der unserer Erde am meisten ähnlich sieht. Schon die ersten Astronomen, die ein Fernrohr zum Himmelsgewölbe richteten, erkannten die Ähnlichkeit im Aussehen der beiden Planeten. Christian Huygens, der große niederländische Astronom und Mathematiker, suchte die überraschende Übereinstimmung aus dem wissenschaftlichen Weltbilde seiner Zeit heraus näher zu begründen. Es ist verständlich, daß sich auf Grund dieser Einsicht die Neugier sehr vieler Menschen auf den roten Stern richtete, dem uralter Sternglaube so viel Unheilswirkung angedichtet hatte. Es war etwas Außerordentliches: ein kosmischer Wohnplatz, der dem der Menschen offenbar recht ähnlich ist, bietet sich dem Auge des Himmelsforschers dar! Der Gedanke von der Vielheit bewohnter Welten, der zu den erregendsten der menschlichen Geistesgeschichte gehört, konnte nun vielleicht durch den einzigen unwiderlegbaren Beweis erhärtet werden, durch den Beweis aus der unmittelbaren sinnlichen Anschauung, der keinen Zweifel mehr erlaubt. Dieser Gedanke hatte, in vorwiegend phantastischer Form, schon das Altertum beschäftigt. Seit Giordano Brunos Zwiegesprächen „Vom unendlichen All und den Welten" war er zu einer Angelegenheit geworden, die Gemüt und Glauben der europäischen Menschheit aufs tiefste bewegte. Traf es zu, daß auch andere Himmelskörper bewohnt waren, so verlor ja der Mensch die einzigartige Stellung, in der er sich bei der Enge seines 2
Horizontes bis dahin gefühlt hatte. Um seiner möglichen Bewohner willen hat vor allem Mars die leidenschaftliche Anteilnahme unzähliger Menschen erregt, auch sehr vieler, die im übrigen der astronomischen Forschung fremd und teilnahmslos gegenüberstanden. So ist es bis heute geblieben, obwohl sich die einst so befremdende Überzeugung längst allgemein eingebürgert hat: daß unter den Millionen und aber Millionen sonnengleicher Gestirne unzählige sein könnten, in deren Umkreis vernunftbegabte Wesen auf erdverwandten Planeten hausen, Wesen, von denen dann sicherlich nicht wenige die Entwicklungsstufe der irdischen Menschheit längst überholt haben müßten. Ja, gerade weil es den meisten Menschen heute absurd erscheint, etwas anderes zu glauben und die uralte, tief wurzelnde Meinung von der Einzigartigkeit des Menschen in der Welt weiter zu hegen, gerade deshalb wendet sich verstärkte Aufmerksamkeit dem Planeten Mars zu. Manche halten ihn nämlich für einen Planeten, der der Erde im Entwicklungsalter voraus sei und nehmen an, daß Mars wegen seiner geringeren Masse früher als die Erde solche Verhältnisse auf seiner Oberfläche entwickelt habe, wie sie zur Entstehung und Entfaltung organischen Lebens notwendig sind. Was liegt für manche Menschen also näher als der Gedanke: dann mögen wohl auch die Lebewesen, falls sie auf Mars wohnen, den Menschen an Reife von Leib und Seele in unvorstellbarer Weise überlegen sein. Der ernste, tief dringende Forscher fühlt sich daher von dem Stern nicht minder stark angezogen als der Wißbegierige, der das Unerhörte und Wunderbare im Weltall sucht. Wer in astronomischen Dingen wenig Bescheid weiß, mag sich unter solchen Umständen darüber wundern, daß zumal in Deutschland die gelehrte Forschung dem „Marsproblem" anscheinend kein übermäßig großes Gewicht beilegt. Wie kommt das? Es kommt vor allem daher, daß die sternkundliche Forschung unserer Zeit den Astronomen mit einer ungeheuren Fülle neuer Aufgaben überhäuft hat; ihre Bearbeitung verspricht Einblicke in Bau und Leben der Sternenwelt im großen und führt zu Ergebnissen, wie man sie noch vor kurzem für unmöglich gehalten hat. Aber es ist nicht so, daß die Fachwelt nun über den neuen Aufgaben keine Zeit mehr zur Planetenforschung fände oder daß sie die altbekannte Kleinwelt in der Nachbarschaft der Sonne gering schätzte. Sie ist heute zwar vornehmlich damit beschäftigt, den inneren 3
Aufbau und das milliardenjährige Leben von Sonnen zu ergründen, und das Gefüge, die Bewegungen und die Schicksale milliardensterniger kosmischer Großgebilde aufzuhellen, aber sowohl die innere Beschaffenheit der Welt als auch die Erfordernisse der Wissenschaft zwingen sie immer wieder dazu, das Unscheinbare gleich ernst zu nehmen wie das Großartige. Die Planetenforschung tritt heute aber auch deshalb mehr in den Hintergrund, weil die Möglichkeiten, hier über das bisher Erreichte hinauszukommen, gegenwärtig nicht zahlreich und nicht groß sind. Und das „Marsproblem" des Laien, die Frage nach der Oberflächenbeschaffenheit und den möglichen Einwohnern unseres Nachbarplaneten, läßt den besonnenen Astronomen deshalb kühl, weil er weiß, welche Grenzen hier unserer Erkenntnis heute und auf absehbare Zeit gesteckt sind; er ist überzeugt, daß die bis jetzt erzielten Ergebnisse vorläufig wohl vielfach bereichert, aber nicht so weit gesteigert werden können, daß auf die den Laien so sehr beschäftigenden Fragen irgendwelche sichere Antworten möglich werden. Mehr oder minder unsichere Vermutungen sind alles, was wir über die Oberfläche des Mars und über die Möglichkeit höheren organischen Lebens und von Bewohnern auf seiner Oberfläche bis auf weiteres wissen können, trotz der ungeheuren Fülle von Scharfsinn und Fleiß, die an die Lösung der Marsrätsel schon gewendet worden ist. „Wer will in diesem Chaos von weißen, gelben und ziegelroten, grauen bis tintenfarbenen Flecken und Flächen sicher entscheiden, was davon als Land und Wasser, Wolken, Nebel und etwaige Vegetation anzusprechen wäre? Alle bisherigen Marstheorien sind am Schreibtisch entstanden; die Beobachter werden um so zurückhaltender mit ihrem Urteil sein, je besser die optischen Hilfsmittel sind, über die sie verfügen" (K. Graff). Bekanntlich wissen wir über die uns zugewendete Oberflächenhälfte des Mondes recht gut Bescheid: viele Tausende von Einzelformen sind in guten Kartenbildern und in Photographien festgelegt und können nach ihrem Aussehen beschrieben, nach ihrer Längenausdehnung und ihrer Erhebung über die benachbarten Mondgebiete ausgemessen werden. Wir können auch mit einiger Wahrscheinlichkeit behaupten, daß die Mondoberfläche in allen ihren Ebenen und ihren so gestaltenreichen Bergformen aus einem porösen vulkanischen Gestein bestehen dürfte. Aber die feinsten Einzelheiten, die 4
mit den stärksten optischen Hilfsmitteln gerade noch als ausgedehnte Gebilde wahrgenommen werden können, müssen bei dem der Erde nächstbenachbarten Himmelskörper, dem Mond, schon die Größe der mächtigsten irdischen Bauwerke, der gewaltigen Dome und Pyramiden, übertreffen. Kleinere Einzelheiten auf dem Erdtrabanten sind nicht mehr auszumachen. Der Planet Mars bleibt nun auch unter den günstigsten Beobachtungsverhältnissen rund 150mal so weit von uns entfernt wie der Mond. Wir können ihn nie näher zu uns heranbekommen, und wir können auf ihn natürlich keine stärkeren Hilfsmittel anwenden als auf den Mond. Die kleinsten Gebilde, die sich auf Mars noch deutlich unterscheiden lassen, müssen also entsprechend größer sein, um noch erkannt zu werden; das heißt, sie müßten eine Ausdehnung von mehr als 10 bis 20 Kilometern, also die Fläche der größten Weltstädte haben, vorausgesetzt, daß die Bedingungen für Marsbeobachtungen denen für Mondbeachtungen gleich wären, wobei der Entfernungsunterschied von Mars und Mond noch gar nicht berücksichtigt ist. Die Beobachtungsverhältnisse sind aber in Wirklichkeit noch viel ungünstiger als beim Mond. Die Mondoberfläche bietet sich unserem Auge unmittelbar, ganz unverschleiert, dar. Der Mond hat keine irgend merkliche atmosphärische Hülle. Das Licht, das seine sonnenbeschienenen Oberflächenteile auf die Erde herabsenden, muß zwar die ganze Lufthülle der Erde durchdringen, deren dichteste, tiefste Schicht wir bewohnen; und wer je bei optisch nicht guten Luftverhältnissen an einem Fernrohr mit stärkerer Vergrößerung nach dem Monde gesehen hat, der weiß, wie unruhig dann das Bild ist, das sich ihm darbietet, wie schwer er dann ist, ein leidlich sicheres Urteil über das wahre Aussehen der feineren Einzelheiten zu gewinnen. Aber es hat doch dabei sein Bewenden, daß das Licht des Mondbildes durch die Lufthülle der Erde gehen muß; am Monde selbst findet eine merkliche Störung der Lichtstrahlen in ihrem Gange nicht statt. Anders bei Mars. Er hat eine der irdischen ähnliche, wenn auch vielleicht weniger dichte Hülle, und das von der Sonne ihm zugestrahlte Licht muß zunächst durch die Marsatmosphäre, ehe es die Oberfläche des Planeten oder die in seiner Atmosphäre etwa vorhandenen Wolken trifft. Das von den Gebilden der Marsoberfläche zurückgestrahlte Licht hat dann zum zweiten Male den Weg durch die schwächende und trübende Hülle des Planeten zurückzulegen, ehe es durch 5
Größenverhältnisse von Erde, Mars und Mond
den Weltraum zur Erde gelangen kann, und hier muß es erneut eine Atmosphäre durchdringen, eine Atmosphäre, von der wir nicht einmal mit vollkommener Sicherheit den Gesamtbetrag der Einflüsse bestimmen können, die sie auf das von außen kommende Licht ausübt. Hieraus folgt: Wer an einem Fernrohr den Planeten Mars bei seiner größten Annäherung an die Erde betrachtet und dabei eine 150fache Vergrößerung anwendet, der wird auf Mars gerade so viel Einzelheiten erkennen können, wie er mit bloßem Auge auf dem Monde erkennen würde, wenn die Oberfläche des Mondes durch eine Luft- und Dunsthülle hervorschimmerte. In Wahrheit sieht ein solcher Marsbeobachter also ein undeutlicheres Bild, als es der Mond zur gleichen Zeit seinem unbewaffneten Auge darbietet. Daß die modernen Instrumente eine weit stärkere Vergrößerung als 150fach gestatten, läßt uns bei Mars vergleichsweise ungefähr so weit kommen, wie in der Mondbeobachtung mit Hilfe eines Feldstechers. Das nützt aber nicht entfernt so viel, wie der Laie glauben mag. Je stärker die Vergrößerung ist, die man anwendet, desto stärker werden mit dem Bilde selbst auch die von der irdischen Atmosphäre erzeugten „Unsauberkeiten", das Hin- und Herschwanken der einzelnen Bildpunkte untereinander. Das beeinträchtigt den Wert starker Vergrößerungen außerordentlich, auch bei günstig gelegenen Sternwarten und bei guter Luft. Die Luftverhältnisse gestatten also nur 6
Mars-Photographien von Camichel und Lyot (1941)
äußerst selten, die optische Kraft der Instrumente voll auszunützen. In Mitteleuropa ist es so, daß man beim Studium der Planetenoberflächen nicht oft über die 300- bis 400fache Vergrößerung hinausgehen kann, auch an den leistungsfähigsten Instrumenten nicht. Um die Ungewißheit ins einzelne gehender Marshypothesen, wie sie von mancher Seite mit so großer Bestimmtheit vertreten werden, zu erkennen, braucht man sich also nur die Frage vorzulegen: Was würden wir vom Monde mit Sicherheit aussagen können, wenn wir nie ein Fernrohr hätten auf ihn richten können? Tatsächlich sind wir bei Mars heute noch vor ganz gleichartigen Fragen, wie sie seit dem Altertum bis zum Erscheinen 7
von Galileis „Sidereus nuntius" (1610) für den Mond offengeblieben sind. Noch Kepler beschäftigte sich um das Jahr 1600 mit der Frage, ob der Grieche Plutarch (1. Jahrh. n. Chr.) recht habe, wenn er die dunkleren Stellen auf dem Monde für Wasser hält, die helleren für festes Land, oder ob es umgekehrt sei; die weitere Möglichkeit: daß vielleicht der Unterschied im Aussehen auf andere Ursachen als auf den Gegensatz von Festland und Meer zurückzuführen sei, kam Kepler zunächst ebensowenig in den Sinn wie manchem oberflächlichen Marsbeurteiler von heute. Wer diese Umstände bedenkt, wird begreifen, daß gerade die urteilsfähigsten Marsbeobachter mit ihren^Deutungen am vorsichtigsten sind. Er wird aber auch andererseits einen Begriff davon bekommen, welche Sorgfalt und Ausdauer unzähliger Einzelner notwendig war, um die stattliche Fülle von Beobachtungsmaterial zu liefern, die uns heute über Mars vorliegt. Wir haben heute ein recht zuverlässiges Bild davon, wie die Marsoberfläche in hellere und dunklere Gebiete aufgeteilt ist. Wir kennen insofern das Antlitz des Mars in seinen großen, durch die Jahrhunderte beständigen Zügen. Wir wissen auch, in welchen allgemeinen Farbabtönungen diese dauernden Bildungen der Planetenoberfläche sich uns normalerweise darbieten. Wir kennen ferner eine Reihe Änderungen im Aussehen des Planeten, die sich mit größerer oder geringerer Regelmäßigkeit mit den Mars-Jahreszeiten wiederholen, z. B. das Auftreten atmosphärischer Trübungen und ihr Verschwinden, besonders aber die Bildung beträchtlicher weißer Gebiete in der Gegend der Marspole und ihr Schwinden mit dem Vorschreiten der (für die in Frage kommende Halbkugel des Mars) wärmeren Jahreszeit. Darüber hinaus liegen zahllose Einzelbeobachtungen von vorübergehenden Veränderungen vor, die in ihrer Gesamtheit den Schluß auf ziemlich lebhafte Vorgänge mindestens in der Hülle des Planeten erlauben. Neben der Beobachtung, zeichnerischen Darstellung und mikrometrischen Messung haben spektrographische Untersuchungen, photographische Aufnahmen und thermische Messungen unsere Einblicke in die Marswelt bereichert. Um diese Ergebnisse richtig würdigen zu können, müssen wir uns einen Überblick über die Bewegungen des Planeten und seine Stellung im Sonnensystem und über die Bedingungen seiner Sichtbarkeit von der Erde aus verschaffen. Doch 8
vorher wollen wir uns mit einigen Angaben über die Größenverhältnisse des Planeten^ vertraut machen: Die Marskugel hat 6900 Kilometer Durchmesser, das ist wenig mehr als die Hälfte des Erddurchmessers (54%). Die Oberfläche des Planeten ist daher nicht viel größer als ein Viertel der Erdoberfläche (28%). Eine Abplattung konnte nicht sicher nachgewiesen werden; ist sie vorhanden, so beträgt sie höchstens V200. Erst etwa sieben Kugeln von der Größe des Mars würden eine Kugel von der Größe der Erde ergeben. Mars besteht durchschnittlich aus leichterem Material als die Erde, sein Masseninhalt ist nur V» von dem der Erde; das Dichteverhältnis Mars zu Erde beträgt 69:100. Die Schwere an der Oberfläche ist entsprechend der geringeren Größe und der geringeren Dichte nur reichlich ein Drittel (0,37) von der auf der Erde, das heißt: an einer Federwaage würde auf Mars ein irdisches Kilogrammgewicht nur eine Ablesung von 370 Gramm ergeben. Im freien Fall legen die Körper während der ersten Sekunde nicht wie auf der Erde annähernd fünf Meter zurück, sondern nur etwa 1,80 Meter.
Die Beobachtung des Mars
B
ekanntlich ist Mars von Zeit zu Zeit besonders günstig zu beobachten. Bei einzelnen dieser günstigen Beobachtungsgelegenheiten stehen sich Mars und Erde zudem verhältnismäßig nahe, so daß dann das Marsscheibchen im Fernrohr besonders groß erscheint. Hervorragend günstige Beobachtungsgelegenheit hat das J a h r 1924 gebracht; ähnlich günstig war das Jahr 1956. Andere günstige „Marsjahre" der Vergangenheit waren 1877, 1892 und 1909. Gerade diese drei Jahre brachten die Marsforschung ein gutes Stück voran: 1877 wurden die beiden Monde des Mars entdeckt, 1892 wurde Mars durch die „Kanäle" zu einem Gegenstand größter Aufmerksamkeit und Neugier; sie waren während der vorangegangenen Beobachtungsgelegenheiten durch den italienischen Astronomen Schiaparelli erstmals beobachtet worden und leider von ihm eben mit diesem unglücklichen Namen „Kanäle" bedacht worden. Das Jahr 1909 wieder lieferte wertvolle Ergebnisse, die in Europa namentlich den Forschern Graff in Bergedorf und Antoniadi in Meudon zu verdanken sind. Wie erklärt sich diese periodische Wiederkehr von günstigen und 9
dazwischen wieder von hervorragend günstigen Beobachtungsgelegenheiten? Um das verständlich zu machen, müssen wir etwas weiter ausholen. Wir müssen die Rolle erläutern, die der Planet Mars als Himmelskörper spielt, und müssen seine Bewegungen genauer betrachten. Mars gehört gleich unserer Erde zu den die Sonne u m kreisenden Wandelsternen (Planeten). Außer ihm gewahren wir an unserem Sternhimmel nur noch vier weitere für das bloße Auge sichtbare Wandelsterne: Saturn, Jupiter, Venus und Merkur. Venus ist unser Morgen- und Abendstern; sie und Merkur laufen innerhalb der Erdbahn um die Sonne. Merkur als sonnennächster Planet ist von der Erde aus nur mit großer Mühe zu finden, eben weil er der Sonne zu nahe steht; immer fällt die Zeit seiner Sichtbarkeit in die helle Dämmerung, in der er vom Licht des nahen Tagesgestirns überstrahlt wird; in der Abenddämmerung steht er nahe dem Westhorizont, am Morgen nahe dem Osthorizont. Von den Wandelsternen abgesehen, sind alle Sterne unseres Himmels nicht Weltkörper nach Art der Erde, sondern nach Art der Sonne. Diejenigen von ihnen, die uns im Raum am nächsten sind, haben millionen-, die entfernteren milliardenfach so großen Abstand von uns wie die Planeten und die Sonne. So kommt es, daß diese Tausende und aber Tausende im Raum verteilten Sonnen uns nur als leuchtende Punkte erscheinen, die unbeweglich an ihrem Ort im Himmelsbilde verharren. Auch wenn man sie durch ein Fernrohr betrachtet, bleiben sie für uns Lichtpunkte ohne meßbare Ausdehnung. Ein Planet dagegen, den das Auge des Unkundigen niCht von den sonnenhaften Sternen unterscheiden kann, zeigt sich im Fernrohr als kleine Scheibe. Je nach dem Winkel, den zur Zeit der Beobachtung die Richtungen von dem Planeten zur Sonne und zur Erde einschließen, kann die kleine Scheibe Phasen nach Art der Mondphasen haben, also die Lichtgestalt als Voll- oder Halbscheibe, als Sichel usw. Je weiter außerhalb der Erdbahn ein Planet umläuft, desto kleiner ist die Abweichung von der vollen Scheibe, die er während eines Umlaufs um die Sonne für einen irdischen Beobachter erlangen kann. Alle überhaupt möglichen Phasen weisen unter den Planeten nur die innerhalb der Erdbahn kreisenden beiden Himmelskörper Merkur und Venus auf. Mars zeigt schon nicht mehr alle Lichtformen, er hat nur eine geringe Phase, die sich aber noch merklich von der Vollscheibe abhebt. Aus der Tat10
Mond und Mars begegnen sich. Die nebenstehende Sternkarte zeigt einen Ausschnitt des Himmelsgewölbes in den Tagen vom 22.-24. Juli 1949. Der M o n d zieht als Sichel über den dunklen Nachthimmel.
sache der Phasenbildung (und aus der Untersuchung des von den Planetenscheiben zu uns herüberstrahlenden Lichtes) ergibt sich, daß alle Planeten gleich der Erde und dem Monde kugelähnlich gestaltete Weltkörper sind, die kein eigenes Licht aussenden, sondern nur das Sonnenlicht reflektieren, von dem sie bestrahlt werden. Tag und Nacht entstehen für den Erdbewohner dadurch, daß sich die Erde, während sie in ihrer Bahn um die Sonne läuft, beständig um ihre Achse dreht. Während eines Umlaufs um die Sonne führt die Erde 365 V« Umdrehungen aus. Infolge dieser Achsendrehung der Erde scheint das ganze Sterngewölbe des Raumes beständig umzuschwingen. Wie die fernen „Sonnensterne" (Fixsterne), so nehmen auch Sonne, Mond und Planeten, kurz: nehmen alle außerhalb der Erde im Raum befindlichen Weltkörper an dem scheinbaren täglichen Umlauf teil. Da nun aber, an den astronomischen Verhältnissen gemessen, die einzelnen unserem Sonnensystem zugehörigen Planeten nahe beieinander stehen, zeichnen sich auch ihre gegenseitigen Lageänderungen, d. h. die Bewegungen in den Umlaufsbahnen, auf dem Grunde des Himmelsraumes ab. Die Planeten führen also, abgesehen von dem allgemeinen täglichen Umschwünge des ganzen Himmelsgewölbes, selbständige Bewegungen an unserem Sternenhimmel durch. Sie erfolgen aber sehr viel langsamer als der alltägliche Umschwung der gesamten Gestirnswelt. Zwar sind auch die Fixsterne und unter ihnen unsere Sonne gegeneinander im Räume bewegt, kommen also einander 11
Interessant ist es, den Lauf des Mars zwischen den Sternen zu verfolgen. Besonders abwechslungsreich ist das B i l d , wenn der rote Planet an heilen Sternen vorübergeht. Die Karte zeigt die Bahn des Mars in der Zeit vom 1. November 1949 bis zum 1. August 1950. Bis zum 13. Februar geht sein Lauf g e r a d l i n i g über den nächtlichen Himmel. Dann beginnt Mars scheinbar zurückzulaufen. Die Schleifenbahn ist am 15. M a i zu Ende, überraschend ist in dieser Zeit der Wechsel in der Helligkeit, veranlaßt durch den sich ändernden Abstand von der Erde.
näher oder entfernen sich voneinander. Aber ihre gegenseitigen Abstände sind gegenüber diesen Bewegungen so überaus groß, daß erst feinste astronomische Messungen der neueren Zeit die Verschiebungen im Bilde unseres Fixsternhimmels wahrnehmbar gemacht haben. Praktisch tragen die Fixsterne ihren Namen immer noch zu Recht; sie erscheinen uns wie angeheftet an einem unermeßlichen, beständig u m schwingenden Gewölbe, an dem ihre leuchtenden Punkte jahraus, jahrein dieselben charakteristischen Bilder zeigen: den Himmelswagen, den Stier, Orion usw. Alle Planeten der Sonne laufen in Ebenen um, die mit einer Ausnahme fast mit der Ebene der Erdbahn zusammenfallen. Die Ausnahme bildet der fernste bisher bekanntgewordene Planet, Pluto; seine Umlaufsbahn um die Sonne bildet mit der Erdbahnebene einen Winkel von etwa 17 Grad. Nächst Pluto hat der sonnennächste Wandler, Merkur, die stärkste Bahnneigung, mit 7 Grad. Bei Saturn beträgt die Neigung Vit Grad, bei Mars etwa 2 Grad. Dieser ungefähre Umlauf in der Ebene der Erdbahn ist der Grund, weswegen wir alle Wandelsterne, außer dem Pluto, stets in der gleichen schmalen Zone am Himmel ihre charakteristischen Eigenwege unter den Fix12
Sternen ausführen sehen. Seit alters wird diese Zone als der Tierkreis bezeichnet, weil sieben der zwölf Sternbilder dieser Zone Tiernamen tragen (Widder, Stier usw.). Der Umlauf aller Planeten erfolgt im gleichen Richtungssinn. Diese Bewegungsrichtung (die „rechtläufige" Bewegung der Planeten) ist dem täglichen allgemeinen Umschwung des gesamten Sternhimmels (infolge der Achsendrehung der Erde) entgegengesetzt. Im einzelnen wird das Bild der Planetenwege am Fixsternhimmel bestimmt durch das beständige gleichmäßige Fortschreiten sowohl der Erde wie der Planeten in ihren Umlaufsbahnen um die Sonne. Aus der verschiedenen Winkelgeschwindigkeit der beiden Bewegungen erklärt es sich, daß diese Planeten am Himmel zeitweise scheinbar zurücklaufen oder ihre Bahnen zu Schleifen formen (s. S. 12). Einen guten Überblick über die Bewegung des Planeten Mars um die Sonne und über die dabei für den Erdbewohner auftretenden Erscheinungen gewinnen wir, wenn wir uns im Geiste weit von der Erde fort in den freien Weltenraum begeben, und zwar in der Richtung, die wir nördlich nennen, und die senkrecht zur Ebene der Erdbahn verläuft. Blicken wir dann aus weitem Abstand herab, so zeigen uns die Umlaufsbahnen der Erde und des Mars ein Bild, wie es die beiden stark gezeichneten Kreise in der Abbildung auf Seite 14 vor Augen führen. Der engere Kreis um die in der Mitte stehende Sonne ist die Erdbahn, der weitere Kreis die Marsbahn. Uns sollen zunächst nur diese beiden Bahnkreise beschäftigen. Alle übrigen Angaben der Zeichnung werden anschließend erörtert. In Wirklichkeit sind die beiden Planetenbahnen keine Kreise, sondern Ellipsen, in deren einem Brennpunkte die Sonne steht. Daraus ergibt sich, daß der Abstand eines Planeten von der Sonne sich beständig ändert und in jeder Umlaufsperiode einmal einen geringsten und einmal einen größten Abstand von der Sonne erreicht. Der geringste mögliche Abstand wird erreicht, wenn sich der Planet an dem der Sonne näheren Endpunkt seiner großen Bahnachse befindet. Diese Stellung nennt man die Sonnennähe (das Perihel) des Planeten. Vom Perihel kommt man dann nach einem halben Umlauf zum Punkt des größtmöglichen Sonnenabstandes, der Punkt liegt am ferneren Ende der großen Bahnachse und heißt Aphel (Sonnenferne). In unserer Abbildung der Planetenbahnen auf Seite 14 sind die Abstände Erde—Sonne im Perihel und Aphel gleich groß 13
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Die Marsoppositionen in den Jahren 1852-1928
gezeichnet. Da die Bahn der Erde zwar elliptisch, aber doch fast kreisförmig ist, ist der Unterschied relativ so gering, daß er bei dem kleinen Maßstab der Zeichnung nicht deutlich gemacht werden kann. In Sonnennähe ist die Erde 147 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt, in Sonnenferne 152 Millionen; der Unterschied von 5 Millionen Kilometern macht im Maßstab unserer Zeichnung nur einen halben Millimeter aus. 14
Anders bei Mars. Er hat nächst Pluto und Merkur die verhältnismäßig größte Abweichung zwischen den beiden Werten; man sagt: Die Exzentrizität seiner Bahn ist groß. Mars steht im Perihel 210 Millionen Kilometer von der Sonne ab, im Aphel dagegen 250 Millionen Kilometer. Schon aus diesen Angaben, die durch die Zeichnung verdeutlicht werden, erkennt man den Hauptgrund, weshalb Mars zu bestimmten Zeiten von der Erde aus besonders vorteilhaft beobachtet werden kann: In der Gegend seines Perihels ist Mars nicht nur der Sonne, sondern auch der Erdbahn bedeutend näher als in der Gegend seines Aphels. Nehmen wir an, Mars befinde sich auf seiner Bahn gerade in der Gegend seines Perihels, also in Sonnennähe. Das ist bei jedem Umlauf des Planeten um die Sonne einmal der Fall. Damit man ihn zu dieser Zeit von der Erde aus gut beobachten kann, darf offenbar die Erde dann nicht an irgendeiner beliebigen Stelle ihrer Bahn gehen, sondern sie muß möglichst genau an der Stelle ihrer Jahresbahn weilen, die auf der Verbindungslinie von Marsperihel und Sonne liegt. Eine solche gegenseitige Lagerung der drei Himmelskörper Sonne, Erde und Mars ist möglich. Wann und wie oft sie stattfindet, das hängt davon ab, innerhalb welcher Zeiten die Erde ihre Bahn umrundet, und wie lange Mars braucht, um die seine zu durchlaufen. Mit anderen Worten, es hängt von zwei Zahlen ab: der Dauer des Erdjahres einerseits und der Längedes Marsjahres andererseits. Wie die beschriebene günstigste Stellung von Erde und Mars tatsächlich zustande kommen kann, führt die gleiche Abbildung auf Seite 14 vor Augen. In ihr finden wir außen am Rande der Marsbahn Jahreszahlen eingetragen, in den Bahnen der beiden Planeten aber sieht man kleine Kreismarkierungen, die zu den außenstehenden Jahreszahlen gehören und jedesmal den Zeitpunkt der Marsopposition bezeichnen, in der Mars auf der einen Seite der Erde, die Sonne genau auf der entgegengesetzten Seite steht. An welchem Datum des Jahres jeweils die Opposition eintrat, läßt sich aus dem Kalender im äußersten Kreise der Zeichnung annähernd ablesen. . Der nachdenkliche Leser, der eine wirklich zutreffende Vorstellung gewinnen will, wird hier die Frage stellen: Fällt die Ebene der Erdbahn in der astronomischen Wirklichkeit ebenso genau mit der Ebene der Marsbahn zusammen, wie in der Papierebene unserer Zeichnung? Das ist nicht der Fall; denn wir wissen bereits (s. Seite 12), daß die Winkelneigung der 15
Karte der Oberfläche des Mars, gezeichnet nach Beobachtungen von K. G r a f t des Planeten werden gelbrote und graue Flecke unterschieden. Die gelbroter und Seen bezeichnet, ohne daß mit diesen Namen etwas Bestimmtes über diese A wechselt im Lc
Marsbahnebene gegen die Erdbahnebene klein ist, sie beträgt weniger als 2 Grad (1° 51'). In unserer Zeichnung müßte sich demnach streng genommen der die Marsbahn abbildende Kreis an einer Stelle bis zu einem Millimeter über die Papierebene erheben und im gegenüberliegenden Punkte einen Ab16
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stand von einem Millimeter unter der Papierebene erreichen. In der Abbildung müßte die Stelle der höchsten Erhebung über die Papierebene etwa dort sein, wo im Außenring, das Jahr 1916 eingetragen ist, die Stelle der entgegengesetzten größten Abweichung (nach unten) bei der Jahreszahl 1892. 17
Für den Marsbeobachter ist es nun erfreulich, daß von der Sonne aus gesehen der sonnenfernste Bereich der Erdbahn ungefähr in derselben Richtung liegt wie der sonnennächste Teil der Marsbahn. Dadurch wird der Abstand des Mars von der Erde während der Zeit seiner „Perihel-Oppositionen" noch zusätzlich verkleinert. * Die Oppositionszeiten des Mars liefern nicht nur deshalb die besten Möglichkeiten zur Beobachtung des Planeten, weil dann sein Abstand von uns am kleinsten, sein Bild im Fernrohr also am größten ist, sondern noch aus einem zweiten Grunde. Mars steht in der Zeit der Opposition am Sternhimmel der Sonne gegenüber. Er geht also — gerade so, wie der Mond als Vollmond — dann auf, wenn die Sonne untergeht, und bleibt während der ganzen Nacht sichtbar. Um Mitternacht erreicht er seine höchste Stellung, am südlichen Himmel, und * erst um die Zeit des Sonnenaufgangs geht er unter. Er bietet sich also die ganze Nacht dem forschenden Auge dar. Der Sternfreund, der seine Wißbegier auf den roten Planeten richten will, möchte nun wissen, wie olt und wann Perihel-Oppositionen des Mars zu erwarten sind? Die Jahreszahlen, die in der Abbildung auf Seite 14 außerhalb der Marsbahn eingetragen sind, helfen uns weiter; ebenso die kleinen Kreise, die wir in den Bahnen der Planeten finden, und die zu den außenstehenden Jahreszahlen gehören und jedesmal eine Mars-Opposition bezeichnen. Wir wollen versuchen, an Hand der Zeichnung tiefer in die Gesetzmäßigkeiten einzudringen, nach denen die Marsoppositionen aufeinander folgen. Daß die Erde an den verschiedensten Stellen ihrer Bahn Marsoppositionen haben kann, ist ohne weiteres klar, wenn man bedenkt, daß Erdjahr und Marsjahr verschieden lang sind. Auffällig ist, daß die ungünstigen „Apheloppositionen" (bei denen Mars in der Nachbarschaft seines sonnenfernsten Bahnpunktes steht) dichter beieinander liegen, daß sie also durchschnittlich häufiger sind als die Periheloppositionen (s. Abb.). Ehe wir aber die Gesetzmäßigkeiten näher untersuchen, lesen wir noch einiges andere aus der Zeichnung ab: Es sind alle Oppositionen dargestellt, die in die 79 Jahre von 1852 bis 1931 fallen (1931 trifft seiner Lage nach, so nahe mit 1852 zusammen, daß der Unterschied sich zeichnerisch nicht darstellen läßt; man kann also von da an mit Hilfe der Zeichnung weiterzählen). 18
Die Aufeinanderfolge der Oppositionen ist durch einen dünnen Linienzug an der Innenseite der Erdbahn angedeutet. Es folgen aufeinander Oppositionen in den Jahren 1852, 1854, 1856 usw., also meist nach zwei Jahren, zuweilen auch einmal erst nach drei Jahren. Sehr vorteilhaft waren — vgl. dazu die Zeichnung — die Perihel-Oppositionen von 1924, 1877 und 1892, etwas weniger günstig die von 1860 und 1909. In den 63 Jahren von 1860 bis 1923 ereigneten sich also nur vier Perihel-Oppositionen, darunter keine, die ganz so günstig gewesen wäre wie die von 1924. Die Zeichnung zeigt deutlich, daß diejenigen Marsoppositionen am günstigsten verlaufen, bei denen die Opposition in der zweiten Augusthälfte erreicht wird (das günstigste Datum ist der 27. August). Am unvorteilhaftesten sind die Oppositionen, die in die zweite Hälfte des Februar fallen (ungünstigster Tag: 22. Februar). Wir erkennen hiernach: Ob eine Mars-Opposition günstige oder ungünstige Bedingungen liefert, hängt davon ab, in welche Zeit des irdischen Jahres sie fällt. Das gilt für Vergangenheit und Zukunft und ebenso für die Gegenwart. Die kleinen Zahlen am Innenrande des Kalenders geben im Winkelmaß an (in Bogensekunden, Zeichen "), wie groß der Durchmesser der Marsscheibe in den zugehörenden Oppositionen erscheint und erschien. Die Unterschiede sind groß. Bei Aphel-Oppositionen hat die Marsscheibe nur einen Durchmesser von 14 Bogensekunden, bei Perihel-Oppositionen werden über 25 erreicht. In Aphel-Oppositionen ist die Fläche der Marsscheibe also nicht viel größer als ein Viertel der bei PerihelOppositionen sich darbietenden Scheibe. Der Unterschied entspricht etwa dem Verhältnis Erde-Mars in der Abb. S. 6. Der kleine Maßstab, der der Zeichnung beigegeben ist, gestattet, annähernd den Abstand der Planeten voneinander zu bestimmen. In Perihel-Oppositionen nähert sich Mars der Erde bis auf weniger als 60 Millionen Kilometer, während es in Aphel-Oppositionen rund 100 Millionen Kilometer sind. Natürlich sind auch die Aphel-Oppositionen, eben als Oppositionen des Planeten, durchaus noch günstige Beobachtungsgelegenheiten, und wir sehen, daß sie sich für den Erdbewohner in Zwischenzeiten von etwas mehr als zwei Jahren wiederholen. In den Zwischenzeiten befinden sich Erde und Mars, von der Sonne aus gesehen, nicht in derselben Richtung, es tritt sogar die ganz ungünstige Stellung ein, in der Mars und Erde, wieder von der Sonne aus gesehen, in entgegengesetzten 19
Richtungen weilen (die Sonne steht dann zwischen Erde und Mars). Mars ist dann für einen Beobachter auf der Erde in Konjunktion mit der Sonne und steht jenseits von ihr. Der Abstand zwischen Erde und Mars ist dann gleich der Summe ihrer Abstände von der Sonne. Da der mittlere Sonnenabstand der Erde 150 Millionen, der des Mars rund 230 Millionen Kilometer beträgt, so sind Erde und Mars zur Zeit der Konjunktionen etwa 380 Millionen Kilometer voneinander entfernt; im, ungünstigsten Falle, d. h. wenn Mars während der Konjunktion in der Nähe seines Aphels wandert, können daraus fast 400 Millionen Kilometer werden. Dann erscheint der Marsdurchmesser rund siebenmal so klein wie während einer Perihel-Opposition. Zur Zeit der Konjunktionen ist Mars in den Sonnenstrahlen oder hinter der Sonnenscheibe unsichtbar. Die eben beschriebenen Zeitgesetze für Marsbeobachtungen von der Erde aus ergeben sich aus den beiderseitigen Geschwindigkeiten in den Umlaufsbahnen um die Sonne. Mars, als der sonnenfernere Planet, bewegt sich langsamer als die Erde. Sein Umlauf um die Sonne erfordert 687 irdische Tage, der der Erde nur 365V4 Tage. Diese Angaben ermöglichen es, dem Zeitgesetz auf die Spur zu kommen, nach dem die MarsOppositionen aufeinander folgen. Gemäß den mittleren Werten der Umlaufszeiten legen die beiden Planeten durchschnittlich täglich die folgenden, in Winkelmaß ausgedrückten Strecken in ihren Umlaufsbahnen zurück: Erde 360° 365.256 = 59 ' 8.2 " = 3548.2 " (Bogensekunden) Mars 360° 686.980 = 3 1 ' 26.5 " = 1886.5 " (Bogensekunden) Der tägliche Vorsprung der Erde gegenüber Mars (von der Sonne aus gesehen) beträgt danach 3548.2" —1886.5" = 1661.7 ". Uns interessiert, wann dieser tägliche Vorsprung der Erde zu einem vollen Kreisumlauf angewachsen ist. Das ist die Zeit, innerhalb deren, wieder von der Sonne aus gesehen, die Erde den Mars immer von neuem überholen muß, also die Zeit von einer Opposition zur nächsten. Der Kreis hat 360° oder 360 X 3600 ". Wenn der tägliche Vorsprung 1661.7 " beträgt, so sind 360 X 3600 " = 779.92 Tage = 2 Jahre 49.42 Tage. 1661.7 Das ist also die Zeit, die von einer Mars-Opposition bis zur nächsten verstreicht. Es ist jedoch nur ein mittlerer Wert; 20
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die Abweichung der Bahnen von der Kreisform und andere Momente bringen es mit sich, daß der wahre Wert in jedem einzelnen Falle etwas von diesem mittleren abweicht. Die Dauer der Zeiten zwischen zwei Mars-Oppositionen schwankt zwischen 25 und 26V2 Monaten. Aber die für uns wichtigste Frage können wir mit Hilfe des Mittelwertes beantworten, die Frage: Wie folgen die günstigsten Mars-Oppositionen zeitlich aufeinander? Offenbar hängt das davon ab, wann vom Zeitpunkt einer besonders günstigen Opposition aus ein Zeitpunkt erreicht wird, an dem einerseits eine volle Anzahl Erdumläufe, anderseits eine volle Zahl Marsumläufe vollendet ist. Die folgende Tabelle gibt hierüber Aufschluß: Anzahl der Marsumläufe 8 17 25 42 151
Anzahl der dafür erforderlichen irdischen Jahre 15.046 31.974 47.020 78.994 284.0008
d.h. d.h. d.h. d. h. d. h.
Ungenauigkeit
rund 15 Jahre rund 32 Jahre rund 47 Jahre rund 79 Jahre rund 284 Jahre
16.6° 9.4° 7.2° 2.2° 0.3°
Die Ungenauigkeitsspalte der Übersicht (letzte Spalte) zeigt an, daß Mars und Erde nach Ablauf der in der mittleren Spalte angegebenen Jahre nicht ganz genau in Opposition stehen, es ist immer noch ein kleiner Unterschied vorhanden. Der Betrag von 2,2° nach 79 Jahren z. B. ergibt soviel Abweichung, wie bei ausgestrecktem Arm der Himmel in der Breite eines Fingers bedeckt wird. Mit Hilfe unserer Zeichnung, S. 14, läßt sich danach errechnen, daß besonders günstige MarsOppositionen in den Jahren 1956, 2003, aber auch (nicht ganz so günstig) 1971 und 1988 bevorstehen.
Jahres- und Tagesablauf auf Mars
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ür den Ablauf der Jahreszeiten eines Planeten ist die Neigung seiner Drehungsachse gegenüber der Senkrechten maßgebend, die man auf der Bahnebene errichtet. Diese Neigung beträgt bei der Erde 23V2 Grad, bei Mars 25 Grad. Trotz dieser nahen Übereinstimmung ergeben sich aber (wegen der verschiedenen Bahnexzentrizitäten) bedeutende Unterschiede 21
im Ablauf der Jahreszeiten auf Erde und Mars. Die folgende Tabelle gibt hierüber Aufschluß: Jahreszeiten für die Nordhalbkugel Südhalbkugel Frühling Sommer Herbst Winter
Herbst Winter Frühling Sommer
Mars 199.6 181.7 145.6 160.1
Tage Tage Tage Tage
Erde 92.9 93.6 89.7 89.1
Tage Tage Tage Tage
Für die Nordhalbkugel des Mars ist also der Winter, für die Südhalbkugel der Sommer verhältnismäßig kurz. Auf der Nordhalbkugel dehnt sich der Frühling besonders lang aus, auf der Südhalbkugel der Herbst. Die Unterschiede in der Länge der Jahreszeiten sind vergleichsweise auf Mars viel größer als auf der Erde. Die Neigung der Marsachse gegen seine Bahn hat für uns zur Folge, daß wir einmal die Gegend um den einen Marspol,' dann wieder die Gegend um den anderen Pol nicht sehen können. Während der günstigeren Oppositionen ist der Nordpol des Planeten von uns abgewendet, während der minder günstigen der Aphel-Oppositionen der Südpol. Daraus folgt, daß wir die südlichen Gebiete des Planeten etwas vorteilhafter studieren können als die nördlichen. Freilich wird für die auf der Nordhalbkugel der Erde wohnenden Beobachter der Wert der Perihel-Oppositionen dadurch etwas beeinträchtigt, daß Mars in dieser Zeit nicht hoch über den Horizont aufsteigt. Wollten wir uns, wie es kühne, raketentechnische Überlegungen neuerdings in den Bereich des ernstlich Prüfbaren gerückt haben, künftig einmal im Raumschiff auf den Mars begeben, welcher Ausblick in den Weltraum würde sich dann von diesem neuen kosmischen Standort aus darbieten? Zunächst einmal kämen uns die Fixsternbilder sehr vertraut vor; denn sie würden uns in völlig derselben Gestalt grüßen, die wir gewöhnt sind. Nur der Astronom nähme an den nächstgelegenen Fixsternen den Einfluß der Standortänderung messend wahr. Die Sonne würde uns, da wir etwa anderthalbmal so weit von ihr entfernt wären als auf der Erde, wesentlich kleiner erscheinen, nämlich mit einem um ein -Drittel kleineren Durchmesser. Merkur und Venus würden ähnliche Erscheinungen bieten wie von der Erde aus, aber merklich ungünstiger zu beobachten sein. Die Erde spielte für 22
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,
uns, von Mars aus gesehen, die Rolle des Morgen- und Abendsterns; im Fernrohr aber würde sie ein wundervolles Bild ergeben: mit dem Monde zusammen den Anblick eines Doppelplaneten, bei dem der kleinere der beiden Körper entsprechend dem Umlauf des Mondes um die Erde beständig seine Lage zum größeren ändert, immer aber mit ihm in gleicher Beleuchtungsphase erscheinend, als feine Sichel nahe der unteren Konjunktion mit der Sonne, fast als Vollscheibe nahe der oberen Konjunktion. Dem bloßen Auge böten sich Erde und Mond als schönster Doppelstern des Himmels dar. Jupiter und auch Saturn erschienen wegen der etwas geringeren Entfernung heller als von der Erde aus.
Die Monde des Mars
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ber ehe unser Auge all diesen Himmelserscheinungen sich zuwenden würde, nähme ein ganz ungewohntes und erstaunliches Schauspiel seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Das ist der Anblick und die Bewegung der beiden Marsmonde. Die Entdeckung der Monde erfolgte nicht zufällig, sondern auf Grund planmäßigen, sorgfältigen Suchens. Schon die ersten Fernrohrbenutzer vermuteten das Vorhandensein von Marsmonden. Die Erde hat einen Mond, beim Jupiter fand man vier, bei Saturn noch mehr. Es lag also nahe, nach Marsmonden zu suchen. Der erste, der sie gefunden zu haben glaubte, war Rheita, ein Zeitgenosse des Astronomen Cassini. Aber was er gesehen hatte, waren schwache Fixsterne, in deren Nachbarschaft Mars vorübergegangen war. Wegen der Kleinheit der Monde und ihrer Nähe beim Planeten glückte es erst während der günstigen Opposition von 1877, und zwar mit dem größten damals überhaupt vorhandenen Fernrohr (66 cm Durchmesser), die lange Geahnten aufzufinden. Asaph Hall in Washington, der Entdecker, hatte schon längere Zeit vergebens planmäßig gesucht und war im Begriff, die Bemühungen aufzugeben. Da gelang ihm am 11. August 1877 die Auffindung des äußeren Mondes, nach einer Reihe trüber Tage glückte die Auffindung am 16. August erneut: am 17. August wurde auch der innere Planet aufgefunden. Der Durchmesser dürfte bei beiden Monden kaum 10 Kilometer betragen. Beide Monde stehen dem Planeten sehr nahe. Der eine, Phobos, ist knapp drei Marshalbmesser vom Mittelpunkt des Planeten 23
entfernt, der andere, Deimos, annähernd sieben Marshalbmesser. Beide laufen nahezu in der Äquatorebene des Planeten um, Phobos binnen rund 7V2 Stunden, Deimos in etwas mehr als 30 Stunden. Das Bewegungsschauspiel, das die beiden Begleiter des Planeten einem „Marsbewohner" darbieten, ist sehr eigenartig. Dreimal im Laufe eines Marstages sieht er den Phobos in steiler Bahn kreisen, dabei ändert der Marsmond beträchtlich seine scheinbare Helligkeit. Ganz anders Deimos, der stündlich nur um Fingerbreite vom Fleck rücken will, weil seine Umlaufszeit nur wenig größer ist als die Umdrehungszeit des Planeten. Zu einem vollen Umlauf von einem Aufgehen bis zum nächsten gebraucht Deimos etwas mehr als fünf volle Marstage (ein Marstag ist um rund 40 Minuten länger als ein irdischer Tag).
Polflecke und Atmosphäre des Mars
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ielleicht möchte der Leser vor allem von den „Marskanälen" etwas erfahren: ob man sie etwa für kunstvolle Bewässerungssysteme halten dürfe, die auf einem alternden und austrocknenden Planeten von Wesen angelegt worden seien, die uns Erdbewohner an Intelligenz weit übertreffen. Für solche phantastischen Deutungsversuche liefert die besonnene Forschung keinerlei Anhalt. Aber ehe wir von den „Kanälen" sprechen können, müssen wir uns mit den deutlicheren, unzweifelhaft erkennbaren und einer Deutung leichter zugänglichen Einzelheiten im Fernrohrbilde des Mars beschäftigen. Zweierlei Einzelheiten haben schon die ersten mit Fernrohren bewaffneten Marsforscher feststellen können. Das eine sind die mit den Mars Jahreszeiten wachsenden und schwindenden glänzend weißen Polllecke (die sich übrigens nicht konzentrisch um den Drehungspol des Planeten ausbreiten, sondern ihm gegenüber etwas seitlich verlagert erscheinen). Das zweite ist ein gegenüber der allgemeinen Tönung der Marsscheibe dunkler erscheinendes Oberflächengebiet, dessen Umrisse an den afrikanischen Kontinent der Erde erinnern. Dieses Objekt wird als „große Syrte" bezeichnet. In dieser Namengebung kommt zum Ausdruck, daß mit der Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit gerechnet wurde, die Oberfläche des Planeten Mars sei ähnlich wie die der Erde in Festländer und Meere aufgeteilt. Die dunkleren, in der Regel blaugrau ge24
tönten Flächen wurden als „Meere" angesehen, die helleren, ockergelb oder rötlich erscheinenden Gebiete als Festländer. Dieser grobe Vergleich mit der irdischen Welt entspricht nicht der Wirklichkeit. Wir Menschen sind eben immer allzu rasch dabei, die Welt um uns nach uns selbst zu beurteilen. (Eine Karte des Mars zeigt die Abbildung Seite 16/17.) An den Polflecken sind deutliche jahreszeitliche Veränderungen wahrzunehmen (s. letzte Umschlagseite). Sie pflegen mit dem Vorschreiten der wärmeren Jahreszeit kleiner zu werden. Oft lösen sie sich dabei in Einzelflecken auf. Man fragt sich daher: Handelt es sich bei den glänzend weißen kleineren und großen Gebieten um Schneefelder? Oder statt dessen vielleicht um ausgedehnte, sonnenbeschienene Wolkenbänke? Eine sichere Entscheidung über die Natur der Polflecke ist bisher nicht möglich gewesen. Doch ergibt die Untersuchung des von der Marsoberfläche uns zugestrahlten Lichtes mit den Methoden der Spektralanalyse einen gewissen Anhalt. Das Licht, mit dem Mars leuchtet, rührt selbstverständlich von der Sonne her. Es muß aber, um von der Sonne zum Mars und von dort zur Erde zu gelangen, zweimal die Atmosphäre des Planeten (und sodann noch die irdische Lufthülle) durchqueren. Beim Durchgang durch die Marsatmosphäre erleidet die Zusammensetzung des Sonnenlichtes typische Veränderungen, deren Art und Betrag sich ermitteln läßt. An den Spuren, die im Lichte des Mars von seiner eigenen Atmosphäre hervorgerufen werden, kann der Astrophysiker in mühsamer Kleinarbeit die Eigenschaften dieser Atmosphäre wenigstens teilweise mit einiger Sicherheit erkennen. Für uns ist wesentlich, daß nach diesen Untersuchungen der Gehalt der Marsatmosphäre an Wasserdampf nicht groß sein kann. Die Frage aber, ob es sich bei den weißen Feldern um Niederschläge auf der Planetenoberfläche handelt oder um Wolkengebiete, konnte auch die Spektralanalyse nicht beantworten, ebenso nicht die weitere Frage nach der chemischen Zusammensetzung der Gebilde. Zweierlei wissen wir sicher, erstens, daß der Feuchtigkeitsgehalt der Marsatmosphäre geringer ist als der der irdischen Atmosphäre, und zweitens, daß tatsächlich Wolkenfelder in der Marsatmosphäre vorkommen. Ein Beispiel für ein deutlich sich veränderndes und verlagerndes Wolkenfeld in der tropischen Zone des Mars konnte im Jahre 1922 festgestellt werden. Es war 1500 km lang und 800 km 25
breit, veränderte und verkleinerte sich schnell und verschwand binnen wenigen Tagen völlig. Wie groß der Einsatz ist, mit dem die Forscher dem Planeten Mars seine Geheimnisse abzuringen versuchen, dafür sind die Arbeiten der Sternwarte, auf der die eben erwähnte Wolkenbank entdeckt und untersucht wurde, ein charakteristisches Beispiel. Mit dem 24zölligen Instrument der Sternwarte wurden in den Jahren 1905 bis 1921 allein von Mars rund 100 000 photographische Aufnahmen hergestellt. Die Gesamtzahl der Planetenaufnahmen in dem angegebenen Zeitraum betrug 250 000. Doch oft ist die visuelle Beobachtung des Mars aufschlußreicher als die Photographie. Auch die gelblich, rötlich oder blaugrau gefärbten Oberflächengebiete des Mars zeigen nach Farbe und Helligkeit fortwährende, bald langsam, bald rascher verlaufende Veränderungen; auch für sie kann aber nach dem heutigen Stande unseres Wissens noch keine befriedigende Erklärung gegeben werden. Sicher ist, daß die Atmosphäre des Mars der irdischen nicht unähnlich, aber minder dicht und arm an Wasserdampf ist. Das Klima des Planeten ist deshalb, und wegen der größeren Entfernung des Planeten von der Sonne, rauher als das irdische.
Das Rätsel der „Kanäle"
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nd nun endlich die Kanäle! Der Name „Kanal" wird auf zwei sehr verschiedene Arten von Marserscheinungen angewendet. Das eine sind schmale, band- oder schnurförmige Streifen von dunkler Tönung, die jedoch unter besonders günstigen Beobachtungsbedingungen ihre scheinbare Einfachheit und ihren glatten Verlauf einbüßen. Sie lösen sich dann in unregelmäßig geformte Einzelheiten auf. Die zweite Gruppe umfaßt die Kanäle im engeren Sinne des Wortes. Es sind sehr schwache Linien im Bilde des Planeten, meistens von grauer oder bräunlicher Färbung. Von den Beobachtern, die sie gesehen haben, werden sie als glatt verlaufend und als so überaus fein beschrieben, daß sie an der Grenze der Wahrnehmbarkeit sind. Immer stellen die Kanäle die Verbindung zwischen zwei Flecken her, meistens zwischen einem Vorsprung oder Ausläufer eines größeren Flecks und einem im hellen Gebiet liegenden kleineren Fleck. In kleinen Flecken laufen oft eine ganze Anzahl Kanäle zusammen. (S. Abb. S. 29.) 26
Die visuelle Beobachtung des Mars am Fernrohr ist oft aufschlußreicher als die Photographie. Die Abbildungen zeigen links visuelle und rechts photographische Marsbilder (beob. von Trümpier, Lick-Sternwarte)
Allerdings weisen die Beschreibungen der Beobachter unter sich große Widersprüche auf. Es ist sehr viel über die „Kanäle" geschrieben worden. Aber von Anfang an und immer von neuem haben gerade die mit den besten Hilfsmitteln ausgerüsteten und am sorgfältigsten geschulten Beobachter davor gewarnt, voreilig in diesen Kanälen, so wie sie gesehen und dargestellt werden, wirkliche Bildungen und Vorgänge auf 27
der Marsoberfläche zu erblicken. Doch der Glaube an die „Wirklichkeit" der Kanäle und an ihr Wesen als Wasserstraßen setzte sich fest und erhielt sich auch dann noch, als selbst in den „Meeren" „Kanäle" gesehen wurden. Schiaparelli hat, so wertvoll und von strengster kritischer Sorgfalt seine Arbeiten auch sonst sind, diese Auffassung gestützt. Zwar betont er wiederholt: Es gibt viele Erklärungsmöglichkeiten, und selbst die Frage, ob es sich vielleicht nur um atmosphärische Vorgänge auf Mars oder gar um optische Täuschungen handelt, die durch irgendwelche Eigenschaften der Marsoberfläche veranlaßt werden, muß erst geprüft werden. Aber die Neigung Schiaparellis gehörte doch der „Kanalhypothese". Noch 1895 vertrat er die Ansicht, die Schmelzwasser der Nordkappe würden durch ein großartiges System von Bewässerungskanälen über die Kontinente geleitet, und es sei vielleicht auf dem alternden Mars der geringe Feuchtigkeitsvorrat von so entscheidender Bedeutung für alles Leben auf dem Planeten, daß die Marsbewohner, gleichsam unter kosmischem Zwang, ihre gesamte Gesellschafts- und Arbeitsordnung auf die gemeinsame Errichtung und zweckmäßige Bedienung eines riesigen und verwickelten Bewässerungssystems eingestellt hätten. Andererseits wies Schiaparelli darauf hin, daß die Gebilde ein sehr unbeständiges Wesen zeigen und daß bei großer Marsferne und unter minder günstigen Beobachtungsbedingungen mehr Kanäle gesehen werden, als bei guter Beobachtungslage. Deshalb werde man über die Kanäle schwer ins reine kommen, aber ihre Existenz sei nicht zu bezweifeln. Die Gebilde können aber, um verläßlich wahrgenommen zu werden, kaum schmäler als 30 km sein. Vielfach erschienen die Kanäle den Beobachtern aber bedeutend breiter: 100, ja 200 und mehr Kilometer breit. Bei einer Länge von vielen 100, ja oft weit über 1000 km ergab das ganz ungeheure Gebilde. Und diese Gebilde zeigten ganz beträchtliche Änderungen nicht nur im Aussehen, sondern auch in ihrer Lage zu den dauernden Großformen der Marsoberfläche. Ja noch mehr, sie zeigten gelegentlich Verdoppelungen. Bald glaubte man gewisse Regelmäßigkeiten in der Art zu finden, wie die Verdoppelungen entstehen: der zunächst einfache Kanal wird undeutlich, nebelartig, verschwommen, dann treten an Stelle des einen zwei um Hunderte von Kilometern getrennte, gewöhnlich untereinander parallele Kanäle deutlich in Er28
i
scheinung; ihr Verlauf ist meistens regelmäßiger als der ursprüngliche. Aus alledem ergaben sich verschiedene Versuche zur Erklärung der seltsamen Kanallinien.
Mars mit
Kanalsystem
gezeichnet nach P. Lowell
Vermutlich trifft eine Deutung das Richtige, die dem Münchener Physiker Kühl zu verdanken ist. Wir veranschaulichen diese Hypothese mit einer von H. J. Gramatzki gegebenen Darstellung (Abb. S. 30). B e t r a c h t e t m a n sie m i t
ziemlich großem Augenabstand, so verleihen die Buchstaben und Worte des abgebildeten Schriftsatzes der Papierfläche ein ziemlich gleichförmiges graues Aussehen. Bei Betrachtung aus größerer Nähe sieht man freilich, daß in einer völlig willkürlichen Art an zahllosen Stellen sowohl die dunklen Wortbilder, als auch die hellen Zwischenräume unregelmäßig schmälere und breitere Bänder bilden, so ähnlich, wie man in willkürlich über die Fläche ausgestreuten Körnern Kettenbildungen wahrnehmen kann. In unserem Beispiel sind dabei nicht die Zeilen und die Zeilenzwischenräume gemeint, sondern die Zwischenräume zwischen den Wörtern, die an manchen Stellen wie Schneisen mehrere Zeilen untereinander durchqueren; oder die dunklen Wortbilder, die Zeile um Zeile untereinanderstehen und, aus der Entfernung gesehen, wie ein graues, gerades, zusammenhängendes Band wirken. Die Schneisen erscheinen immer in anderer Weise, wenn man von verschiedenen Stellen des Scheibenumfangs her auf die Fläche sieht. Sobald man nun aber, wie es in der Abb. S. 30 rechts geschehen ist, dunklere Flächen von angemessenem Tonwert und in angemessener Größe einfügt, heben sich von 29
Versuch des Physikers Kühl in der Darstellung von H. J. G r a m a t z k i , die „Kanäle" des Mars durch optische Täuschungen zu erklären
den zahlreichen „Schneisen" und „Bändern" nur einzelne im grauen Untergrund ab, und zwar ganz bestimmte, die von den dunklen Flecken auslaufen und sie untereinander verbinden. Man sehe sich die Abbildung (s. oben) daraufhin genauer an. Die Kühische Theorie beruht auf der optischen Erscheinung der sogenannten „Kontrastlinienbildung". Ihre Anwendung auf das „Problem" der Marskanäle läuft auf folgende Annahme hinaus: Nicht nur größere und einzelne kleinere Gebiete von dunklerer Tönung sind über die Marsscheibe, wie wir sie im Fernrohr sehen, verteilt, sondern die ganze Fläche ist mit kleinsten Einzelheiten übersät, die gesetzlos verstreut sind und die wegen ihrer Kleinheit einzeln nicht wahrgenommen werden. Es entsteht dann, je nach der zufälligen Verteilung, hier und da der Eindruck strichähnlicher Verbindungen, die sich zwischen den größeren und kleineren, dunkler abgehobenen Flächenteilen des Gesamtbildes hinziehen und uns die Kanäle vortäuschen. 30
^Neben diesem neuen Versuch zur optischen Erklärung der Kanäle ist in jüngster Zeit eine Theorie getreten, die der Entdecker des Planeten Pluto, Clyde Tombough, vertritt. Er hält die Kanäle für überwachsene Sprünge im Antlitz des Mars, die durch den Zusammenprall mit Planetoiden (kleine Planeten) entstanden sein sollen. Auch Tombough hält also nichts von Großkanalwerken der Marsmenschen. Mit diesen Erklärungen der Kanallinien des Mars wird zwar einer Lieblingsvorstellung vieler Menschen der reale Boden entzogen, aber der nach Wahrheit Strebende wird dennoch nicht enttäuscht sein. Denn er weiß, daß es eine der vornehmsten Aufgaben der Forschung ist, hinter die oft so irreführende Scheinwelt zu schauen, die uns unsere Sinne vorspiegeln, und überall Wahrheit und Wirklichkeit zu suchen, soweit der menschliche Geist sie überhaupt zu erfassen vermag. W e r sich näher mit den Problemen der Mars-Forschung beschäftigen w i l l , dem sei das Orion-Buch „Mors" von Werner Büdeler empfohlen, das im g l e i chen Verlag wie die Lesebogen erschienen ist (Preis 1 DM). - Der Ring mit dem Pfeil auf der ersten Umschlagseite ist das astronomische Zeichen für M a r s .
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