K L E I N E
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
FRANZ BAUMER
Franz Sc...
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K L E I N E
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
FRANZ BAUMER
Franz Schubert K O N I G DER L I E D E R
VERLAG SEBASTIAN LUX M U R N A U . MÖNCHEN • INNSBRUCK . BASEL
» Im
kaiserlichen
S
Konvikt
till liegt der stattliche Bau des Kaiserlichen Konvikts zu Wien im Dunkel der Nacht. Das Lärmen der Gymnasiasten, Studenten und Sängerknaben der Hofkapelle, die in dem großen Internat zusammenleben, ist verstummt. Nur aus einem Fenster dringt noch Lichtschein. Hinter seinem Schreibpult grübelt ein Schüler über einem Bogen unbeschriebenen Papiers. Er ist klein und untersetzt, und lebendige, braune Augen, die sich in schnellem Wechsel vom begeisterten Leuchten zu melancholischer Tiefe verändern, schauen unter einer hohen Stirn und einem dunklen W u schelkopf hervor. Der Fünfzehnjährige trägt die Uniform des Internats: einen altmodischen, rund ausgeschnittenen schwarzbraunen Rock, kurze Beinkleider mit Schnallen, lange Weste, weißes Halstuch und Schnallenschuhe. Der niedere Dreieckshut liegt achtlos auf das Bett geworfen. Auf dem goldenen Schulterstück, das dem schäbigen Rock des Schülers ein wenig Eleganz verleihen soll, spielt das Licht der Kerze. Unschlüssig dreht der Junge den Gänsekiel zwischen den Fingern. Endlich setzt er zum Schreiben an: „Wien, 24. November 1812." Noch einmal ruft er sich das Bild des Bruders vor Augen. Ja, vor ihm, dem Lieblingsbruder Ferdinand, braucht er nichts zu verbergen. Und er schreibt jetzt ohne Stocken: „Gleich heraus damit, was mir am Herzen liegt, und Du wirst nicht durch liebe Umschweife lang aufgehalten. Schon lange habe ich über meine Lage nachgedacht und gefunden, daß sie im ganzen genommen zwar gut sei, aber doch noch hie und da verbessert werden könnte; Du weißt aus Erfahrung, daß man doch manchmal eine Semmel und ein paar Äpfel essen möchte, um so mehr, wenn man nach einem mittelmäßigen Mittagsmahle nach achteinhalb Stunden erst ein armseliges Nachtmahl erwarten darf. Dieser schon oft mir aufgedrungene Wunsch stellt sich nun immer mehr ein, und ich mußte nolens volens eine Abänderung treffen. Die paar Groschen, die ich vom Herrn Vater bekomme, sind in den ersten Tagen beim Teufel, was soll ich denn die übrige Zeit tun? Die auf dich hoffen, werden nicht zuschanden werden. Matthäus, Kap. 3, V. 4. So dachte auch ich. — Wie wär's denn auch, wenn Du mir monatlich ein paar Kreuzer zukommen ließest. Du würdest es nicht einmal spüren, indem ich mich in meiner Klause für glücklich hielte und zufrieden sein würde. Wie 2
gesagt, ich stütze mich auf die Worte des Apostels Matthäus der da spricht: Wer zwei Röcke hat, der gebe einen den Armen usw. Indessen wünsche ich, daß Du der Stimme Gehör geben mögest, die Dir unaufhörlich zuruft, Dich zu erinnern Deines Dich liebenden armen, hoffenden und nochmals armen Bruders Franz." Während der junge Musikus Franz Schubert etwas Streusand über den Brief zum Trocknen der Tinte rieseln läßt, versinkt er wieder in trauriges Grübeln. Ein halbes Jahr ist es jetzt her, seit die Mutter starb. Das war am 28. Mai. An diesem Tag kam er nach langem Fernsein von Zuhause wieder heim. Der gestrenge Herr Vater hatte ihm im Jahr zuvor heftig zugesetzt, weil er glaubte, ein Nachlassen der Schulleistungen feststellen zu müssen. Dabei vermerkte das Zeugnis vom Herbst 1811 sogar „besondere Zufriedenheit über die in allen Rubriken ausgezeichneten Fortschritte des Franz Schubert". Aher der Vater spürte, daß seinem Franz die Musik wichtiger war als die allgemeinen Studien. Als Schulmeister hätte er aber gerne alle seine Söhne einmal im Lehrberuf gesehen und nicht den jüngsten in der unsicheren Stellung eines Musikers. Was half's, daß der Vater sich seit jenem 28. Mai mit ihm wieder versöhnte. Als er damals heim kam, war die Mutter bereits tot. Trotzdem liebte er den Vater nicht weniger, als er die Mutter geliebt hatte. Wie schön war es immer in den Ferienmonaten, mit ihm und den Geschwistern zu musizieren. Da saß der Vater am Cellopult, die Brüder Ignaz und Ferdinand waren bei den Geigen, er spielte Bratsche. Und war er auch der jüngste, so wog beim Musizieren seine Stimme doch am schwersten. Wenn er mit schüchternem Lächeln „ H e r r Vater, da muß was gefehlt sein" dazwischenwarf, ließ auch der Herr Schulmeister sich gerne korrigieren. Er wird's ihm schon noch beweisen, so grübelt er weiter, daß er sich seines Sohnes nicht zu schämen braucht. Einmal wird er alles das hervorbringen, was er längst dunkel als große Möglichkeit in sich fühlt. Müde läßt Franz Schubert sich auf sein Lager fallen. Während er sich langsam entkleidet, summt er die Melodie eines Liedes vor sich hin, das er vor einem Jahr, in der schweren Zeit der Auseinandersetzung mit dem Vater über die Berufsfrage, komponiert hat. Mit der Melodie seines Liedes kommen ihm auch diei Verse wieder in die Erinnerung, die ihn damals innerlich aufgerührt haben: die düsteren Verse des Schillerschen Gedichtes „Eine Leichenphantasie", in denen nach dem tragischen Tod des Sohnes der Vater erkennt:
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Welten schliefen im herrlichen Jungen,' Ha, wenn er einstens zum Manne gereift,' Freue dich, Vater — im herrlichen Jungen Wenn einst die schlafenden Keime gereift I Wenn einst die schlafenden Keime gereift! Bei diesem Gedanken erhellt sich sein Blick, und statt des Klageliedes — es war nicht das einzige, das der Vierzehnjährige schrieb — beginnen in kunterbunter Folge Melodien und Takte seiner beiden Klaviersonaten und seiner Tanzweisen in seinem Kopf herumzuwirbeln. Sie lassen ihn, als Geschenk des Schlafgottes gleichsam, sogar seinen nagenden Hunger vergessen. Das späte Licht aus idem Kaiserlichen Konvikt zu Wien erlischt. Als Franz Schubert, mit dem Beinamen Seraphicus Peter, am 31. Januar 1797 zu Wien im „Himmelpfortgrund Nr. 7 2 " zur W e l t kam, machte er gerade das Dutzend der Kinderschar voll, die zu ernähren den Eltern mit ihrem kleinen Schulmeistergehalt nicht eben leicht fiel. Sie konnten nicht ahnen, in welch bedeutsamer Weise man einst seinen Namen mit dem Ort seiner Geburt in Verbindung bringen vermöchte. W u r d e ihnen doch mit diesem Sohne an jenem winterlichen Tage nicht nur der sinnenfrohe „Wiener F r a n z i " geboren, der so sehr in die Liechtentaler Vorstadtidylle der Gärten und Heurigenschenken hineinpaßte, sondern wirklich auch noch ein Seraphicus, ein Lichtengel himmlischer Gesänge, der sich zu seinem Eintritt in die Welt just auch noch den Himmelpfortgrund auserwählte. W e n n der junge Franz im Hause des Schulmeisters, das auch die Schule beherbergte, oft genug die Sorge der Eltern um das Notdürftigste des täglichen Lebens mit verspürte, so war er doch in eine Welt und eine Stadt hineingeboren, die von nie versiegender Musik erfüllt war. In zahlreichen Häusern erklangen neben den althergebrachten Volksweisen die unsterblichen Melodien Mozarts, des Frühvollendeten, der sechs Jahre vor Schuberts Geburt, am 5. Dezember 1791, in Wien verschieden war; Joseph Haydn hatte dort zu dieser Zeit sein Lebenswerk beinahe abgeschlossen, und Ludwig van Beethovens ungebärdiges Genie bahnte sich den Weg in neue, ungeahnte Tiefen. Als Franz Schubert fünf J a h r e alt war — von den Geschwistern waren mehrere gestorben —, siedelte Vater Schubert in ein etwas geräumigeres Haus, ebenfalls noch in der Vorstadt Himmelpfortgrund über; auch in diesem Hause „Zum schwarzen Bössei" in der Säulengasse dienten einige Stuben dem Unterricht. Hatten Schuberts Eltern auch hier ihre liebe Sorge um das täg-
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Blick in den Hot von Schuberts Geburtshaus aut dem Himmelpfortgrund. Rechts oben die Wohnung der Eltern, unten rechts die Schulräume des Vaters
liehe Fortkommen — das geringe Schulgeld der Zöglinge des Vaters, auf das er neben freier Wohnung als einzige Einnahmequelle angewiesen war, betrug monatlich nicht mehr als 1 Gulden Wiener Währung, was nach unserer Rechnung kaum mehr als 700 Mark im Jahr ausmacht —, so wurde doch alle Sorgfalt auf die Erziehung der Kinder verwandt. Und auch die Musik kam nicht zu kurz dabei. Mit kaum verhehltem Stolz schreibt der Vater über die erste Ausbildung seines Sohnes: „In'seinem fünften Jahre bereitete ich ihn zum Elementarunterricht vor, in seinem sechsten ließ ich ihn die Schule besuchen, wo er sich immer als der erste seiner Mitschüler auszeichnete. In seinem achten Jahre brachte ich ihm die nötigen Vorkenntnisse zum Violinspiel bei und übte ihn so weit, bis er imstande war, leichte Duetten ziemlich gut zu spielen; nun schickte ich ihn zur Singstunde des Herrn Michael Holzer, Chorregenten in Liechtental. Dieser versicherte mehrmals mit Tränen in den Augen, einen solchen Schüler noch niemals gehabt zu haben. ,Wenn ich ihm etwas Neues beibringen wollte', sagte er, ,hat er es stets schon gewußt. Folglich habe ich ihm keinen Unterricht gegeben, sondern mich mit ihm unterhalten und ihn stillschweigend angestaunt'.",
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Der Chorregent Holzer, bei dem auch die anderen Brüder Schuberts Musikunterricht nahmen, konnte sehr bald schon über Franz sagen: „Dieser hat doch die Harmonie im kleinen Finger!" Er übertrug dem Jungen, der eine sehr wohlklingende Sopranstimme hatte, wichtige solistische Aufgaben bei der Kirchenmusik, führte ihn in die Anfangsgründe der Komposition ein und machte auch einen tüchtigen Vertreter auf der Orgelbank aus ihm. Den ersten Klavierunterricht erhielt Franz von seinem Bruder Ignaz, der den Jüngeren aber bald nichts mehr zu lehren wußte. W o h l vorbereitet hatte sich Franz Schubert 1808 als Elfjähriger zur Aufnahme als Sängerknabe in die Kaiserlich-Königliche Hofkapelle in Wien bewerben können. Mit Auszeichnung hatte er die Prüfung bestanden. Als Sänger in der Hofkapelle durfte er kostenlos im kaiserlichen Konvikt wohnen und studieren. Schon in den ersten Wochen seines Aufenthalts im Kaiserlichen Konvikt fällt es den Mitschülern auf, daß Franz, den alle recht gut leiden können, sich manchmal plötzlich mitten aus fröhlichem Treiben und lärmendem Spiel beiseite stiehlt, um ein Stück Notenpapier aus der Tasche zu ziehen und, mit seinen etwas kurzsichtigen Augen tief darüber gebeugt, ganz in sich zu versinken. Mit niemandem spricht er über sein heimliches Komponieren. Er muß allein sein in der schönen Welt seiner Phantasie, wenn er sie festhalten und bannen will. Hurtig gleitet seine kleine Hand dann übers Papier, das sich schnell mit einem lebendigen Gekräusel von Noten, Strichen und Balken bedeckt. Nur hin und wieder leet er den Federkiel beiseite und trommelt mit den kurzen, flinken Fingern den Rhythmus einer Melodie auf die Tischplatte oder aufs Fensterbrett. Gleich im ersten Winter seiner Konviktszeit befreundet er sich mit Joseph von Spaun. Der ist neun Jahre älter und stammt aus sehr wohlhabender Familie. Eine Freundschaft fürs Leben wurde daraus. Von Anfang an hat Schubert zu Spaun Vertrauen. Bereits im November 1808 gesteht er ihm: „Weißt du, ich habe schon eine Menge komponiert: eine Sonate, eine Phantasie und eine kleine Oper. Ich möchte jetzt auch eine Messe schreiben. Die Schwierigkeit besteht für mich aber hauptsächlich darin, daß ich kein Notenpapier habe und auch kein Geld, mir eines zu kaufen. Ich muß mir gewöhnliches Papier immer erst selber liniieren. Aber auch da weiß ich oft nicht, woher ich es nehmen soll.", Der Freund hilft ihm aus der Not und versieht ihn stoßweise
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mit Notenpapier, das der .komponierende Schubert in unglaublichen Mengen verbraucht. Und so kommt es zu jener Auseinandersetzung mit dem sonst sehr gutmütigen Vater. Aber die Schwingen des jungen Künstlers sind schon kräftig. Sein Aufstieg ist nicht mehr aufzuhalten. Durch einige kleine Kompositionen wird Salieri, der Kaiserlich-Königliche Hofkapellmeister, bei dem auch Beethoven noch studiert hatte, auf sein Talent aufmerksam. Er beauftragt den ersten Hoforganisten, Ruczizka, den jungen Schubert im Generalbaß, in der sehr freizügigen, aber harmoniereichen Begleitung von Solostimmen, zu unterrichten. Aber bald ruft der ehrwürdige Lehrer aus: „Den kann ich nichts mehr lehren; der hat's vom lieben Gott gelernt!" Die liebsten Stunden im Konvikt sind für Schubert die abendlichen, an denen als Abschluß des Tages das Schülerorchester regelmäßig musiziert. Alle damals schon bekannten symphonischen und kammermusikalischen Werke Haydns, Mozarts und Beethovens werden aufgeführt. Sind die Instrumente auch schlecht und werden die in Albrechtsbergers, Haydns und Mozarts Quartetten vorkommenden Fugen auch mehr taktfest als klangvoll herabgescharrt, so bereitet das Spiel jedes Mal großes Vergnügen, dient es doch auch der Kenntnis immer wieder neuer Werke der Meister. Es kommt ja nicht auf die technische Vollendung, sondern auf das innere Erleben an. Das aber ist bei Schubert von unbegrenzter Tiefe. Mit großer Begeisterung wirkt er als Violinspieler im Orchester mit. Als einer der Jüngsten im Konvikt versieht er ein paar Jahre lang nebenher auch noch geduldig das lästige Amt des ,,Kapelldieners", zieht abgerissene Saiten auf, kümmert sich um die Unschlittkerzen, legt die Stimmen auf und verwahrt Instrumente und Noten. In der Kirche ist er als Sängerknabe zuerst dem Sopran, dann der Altstimme zugeteilt. Als Fünfzehnjähriger scheidet er mit dem Stimmbruch von den Sängerknaben aus. Mit rauher Bubenhand vermerkt er auf der Altstmime einer Messe von Peter Winter: „Schubert Franz. Zum letztenmal gekräht den 26. July 1812." ü b e r ein Jahr noch bleibt er im Konvikt. Er vertieft sich in die Dichtung, wobei er vor allem Goethe immer mehr lieben lernt, und in die allgemeinen Studien. Mittelpunkt bleibt aber auch weiterhin die Musik. Dann plötzlich überkommt ihn die Erkenntnis, daß er sich zu seinem musikalischen Schaffen ganz frei machen muß. Er verzichtet auf den ihm „allergnädigst verliehenen Stiftungsplatz" und verläßt als Sechzehnjähriger das Institut. Eine Reihe von Klavierstücken, Kompositionen für Blasinstrumente, Streichquartette, Ouvertüren, Kantaten, Kanons, Arien,
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Singspielmusiken und Liedern hat er bereits geschrieben, als er am 28. Oktober 1813 seine erste Sinfonie in D-dur vollendet. „Finis et fine" schreibt er aufatmend unter die Partitur. Das sollte bedeuten, daß mit dem Abschluß dieses Werkes nun auch seine Schülerzeit zu Ende ist. Er widmet die Sinfonie dem geistlichen Hofrat Innozenz Lang, dem Direktor des Kaiserlichen Konvikts, zum Abschied.
Lichte,
helle
Ferne
Der Weg in die Freiheit ist schwer zu erkaufen. Kaum heimgekehrt ins Haus des Vaters, erreicht ihn der Einberufungsbefehl zum Militär. Soldat aber will Franz Schubert nicht werden. Vierzehn Jahre müßte er sich zum Dienst verpflichten. Mit aller schöpferischen Arbeit wäre es zu Ende. W a s kann er tun? Es gibt nur einen Ausweg: Er muß sich zum Lehrberuf entschließen. An Lehrern herrscht in Österreich zu dieser Zeit gerade Mangel, und jeder, der sich diesem Beruf zuwendet, wird vom Militärdienst befreit. Auf diese Weise sollte sich der Wunsch des Vaters nun doch noch erfüllen. Mit geringer Lust besucht Schubert die Lehrerbildungsanstalt St. Anna in Wien. Er ist kein eifriger Lehramtskandidat. In zehn Monaten eignet er sich gerade so viel pädagogische Kenntnisse an, daß er die Prüfung am 19. August 1814 mit mäßigem Erfolg besteht. Was bedeutet ihm auch schon die rückständige amtliche Schulpädagogik? Und was macht es ihm aus, wenn seine praktischen Kenntnisse im Zeugnis nicht eben gelobt werden? Hat er nicht in aller Stille während der Zeit des Lehrerkurses bereits ein großes Kirchenwerk, eine Festmesse, geschrieben? Sein Schulgehilfendasein, das er nach Abgang aus dem Lehrerseminar an der Schule des Vaters in der Säulengasse auf sich nimmt, wird bald durch ein festliches Ereignis erhellt.
* Es ist der 16. Oktober 1814: Die Liechtentaler Pfarrkirche feiert ihr hundertjähriges Jubiläum. Dicht gedrängt stehen die Gläubigen zum Hochamt in den Bänken und im Kirchenschiff. Girlanden, Blumengebinde und bunte Fahnen geben dem barokken Gotteshaus ein noch festlicheres Gepränge. Droben auf der Orgelempore herrscht erregte Erwartung. Eng stehen die Sänger und Musiker zusammen, denn es ist große Besetzung. Streicher, Oboen, Klarinetten, Fagotte, Trompeten, Pauken und Po-
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saunen müssen Platz finden. Der alte Michael Holzer strahlt vor Freude. An der Orgelbank sitzt Ferdinand Schubert. Unter allen der jüngste ist Franz, dessen Messe heute aufgeführt wird. Mit glühendem Feuer und meisterhafter Umsicht dirigiert der Siebzehnjährige sein Werk. Auch nicht einen Einsatz vergißt er zu geben. „Der dürfte schon dreißig Jahre Hofkapellmeister sein so könnte er es auch nicht besser machen", sagen die erfahrenen Musiker. Sie wissen nicht, welche Kräfte es sind, die den jungen Dirigenten außer seiner gottesdienstlichen Musik noch beflügeln. Die sechzehnjährige Seidenhändlerstochter Therese Grob, die mit bezaubernder Stimme und wunderbarer Einfühlung die Sopran-Soli sang, hätte es erahnen können. Sie ist Franz Schuberts erste Liebe. Drei Tage nach diesem glanzvollen Ereignis flüchtet der junge Komponist nach dem Schuldienst hinaus in den herbstbunten Laubwald der Hügel um Wien. Aber auch dort findet er diesmal keine Ruhe. Das Bild des Mädchens vor Augen, kommen ihm die Goetheschem Verse in den Sinn: Meine Ruh ist hin, Mein Herz ist schwer; Ich finde sie nimmer Und nimmermehr. Mein armer Kopf Ist mir verrückt, Mein armer Sinn Ist mir zerstückt. Meine Ruh ist hin, Mein Herz ist schwer; Ich finde sie nimmer Und nimmermehr. Er wiederholt die Verse immer wieder, bis sie ihm zu Musik geworden sind. Daheim in seiner Kammer bringt er in einem Zuge die Melodie zu Papier. Unter den mehr als zwei Dutzend Liedern, die er bis jetzt schon geschrieben hat, ist das sein erstes wirklich bedeutendes. Therese Grob hat einen anderen geheiratet. Doch Schubert vergaß sie nie. Auf den Einwand, daß sie doch gar nicht hübsch gewesen sei, erwidert er noch in späten Jahren: ,,Aber gut war sie, herzensgut." 9
Sechsundzwanzig Lieder nach Texten von Goethe, Schiller, Matthisson und anderen Dichtern, sowie des späteren Freundes und Zimmergenossen Johann Mayrhofer, hat Schubert in diesem J a h r noch geschrieben, dazu ein Streichquartett und den Anfang seiner zweiten Sinfonie. Ganz unbegreiflich aber bleibt die Schaffensfülle des nächsten Jahres, in dem die zweite und dritte Sinfonie vollendet werden; hundertvierundvierzig Lieder entstehen, fünfundvierzig nach Texten von Goethe, sowie zwei Messen und vier Singspiele. Dabei versieht Schubert immer noch den Schuldienst, den er als sehr hemmend empfindet. Unter den vielen Liedern dieses fruchtbaren Jahres findet sich auch die berühmte Vertonung der Goetheschen Ballade vom „Erlkönig". Der alte Konviktskamerad Spaun, mit dem Schubert immer noch eng befreundet ist, kommt eines Nachmittags zusammen mit dem Dichter Mayrhofer zu einem Besuch hinaus in die Vorstadt, in den Himmelpfortgrund, wo Schubert im elterlichen Hause wohnt, über diesen Besuch berichtet er: „ W i r fanden Schubert ganz glühend, den Erlkönig aus einem Buch laut lesend. Er ging mehrmals mit dem Buche auf und ab, plötzlich setzte er sich, und in kürzester Zeit stand die herrliche Ballade auf dem Papier. Wir liefen damit, da Schubert kein Klavier besaß, ins Konvikt, und dort wurde der Erlkönig noch denselben Abend gesungen und mit Begeisterung aufgenommen. Der alte Hoforganist Ruczizka spielte ihn dann selbst ohne Gesang in allen Teilen aufmerksam und mit Teilnahme durch und war tief bewegt über die Komposition." Als einige der Zuhörer eine Dissonanz streichen wollten, die Schubert als Ausdruck des Schreckens und Schauers an die Stelle setzte, wo nach dem Text das Kind aus Angst vor dem gespenstischen Erlkönig „Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich a n . . . " ausruft, da verteidigte der alte Meister, der sonst nie in seinem Leben eine Dissonanz durchgehen ließ, diese Stelle und bezeichnete sie sogar als besonders treffend und schön. Wenn die Freunde ihrer Bewunderung über Schuberts Genie Ausdruck geben, so wehrt er bescheiden ab: „ J a , das ist halt ein gutes Gedicht, da fällt einem sogleich was Gescheites ein, die Melodien strömen herzu, daß es eine wahre Freude ist." Tatsächlich wird sein literarisches Urteil immer sicherer. „Bei einem schlechten Gedicht geht nichts vom Fleck", sagt er, „man martert sich dabei und es kommt nichts als trockenes Zeug heraus. Ich habe schon viele mir aufgedrungene Gedichte zurückgewiesen.". 10
Sein Lieblingsdichter ist Goethe. Immer wieder kehrt er zu ihm zurück, und die Texte, die er sich auswählt, entsprechen stets seiner eigenen, inneren Gemütslage. Sein Lebensgefühl aber reicht von ausgelassener Heiterkeit bis zu tiefer Schwermut. In den Heurigenschenken, bei einem Glas Wein im Kreise der Freunde, ist der junge Komponist immer recht froh und unbeschwert. Daheim aber notiert er in sein Tagebuch: „Leichter Sinn leichtes Herz. Zu leichter Sinn birgt meistens ein zu schweres Herz." Ganz im Herzen vergißt er nie die andere, schönere Welt, die Welt der Kunst und der Phantasie, zu der hin seine Sehnsucht ständig strebt und die er mit seinen Melodien immer wieder beschwört. Im gleichen schaffensreichen Jahr 1815, in dem schon der „Erlkönig" und das innige Liebeslied „Freudvoll und leidvoll . . ." entstanden sind, vertont Schubert auch die Goetheschen Verse der Mignon: „Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide!". Und dann das Lied des Harfners: Wer Wer Auf Der
nie sein Brot mit Tränen aß, nie die kummervollen Nächte seinem Bette weinend saß, kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte!
Franz Schubert kennt die kummervollen Nächte. W a r doch sein ganzes Leben bisher ein Kampf des Genius mit der Unzulänglichkeit kleinlicher Verhältnisse. Nun, wo er dem Konvikt und der Lehrerbildungsanstalt entwachsen ist, plagt er sich in einem Beruf ab, den er nicht liebt. Öfter als sonst grübelt er jetzt über sein Leben nach. Er ist nicht zufrieden mit der Rolle, die das Schicksal ihm zugewiesen hat. Längst weiß er: „Ich bin für nichts als für das Komponieren auf die Welt gekommen." An der Deutschen Normalschule zu Laibach in Jugoslawien, der alten Hauptstadt des österreichischen Herzogtums Krain. ist die Stelle eines Musikdirektors ausgeschrieben. Im April 1816 bewirbt sich Schubert bei der „Hochlöblichen k. k. Stadthauptmannschaft" in Wien „untertänigst, ihm die erledigte Musikdirektorenstelle zu Laibach in Gnaden zu verleihen". Aber das Gesuch hat keinen Erfolg. Noch immer sind die äußeren Umstände stärker als Schuberts innerer Wunsch nach größerer Schaffensfreiheit. Er ist enttäuscht, zuweilen hadert er auch etwas mit seinem Schicksal. Dann philosophiert er wieder und schreibt in sein Tagebuch: „Der Mensch gleicht einem Balle, mit dem Zufall und Leidenschaft spielen. Mir scheint dieser Satz außerordentlich wahr. Ich hörte oft von den Schriftstellern sagen: Die 11
Welt gleicht einer Schaubühne, wo jeder Mensch seine Rolle spielt. Beifall und Tadel folgt in der anderen Welt. — Eine Rolle aber ist aufgegeben, und wer kann sagen, ob er sie gut oder schlecht gespielt hat? Ein schlechter Theaterregisseur, welcher seinen Individuen solche Rollen gibt, die sie nicht zu spielen imstande sind!", Der Eintrag stammt vom 8. September 1816. Schubert wird die Rolle des Schulgehilfen nicht lange mehr weiterspielen. Zu tief ist er schon in die Welt der Kunst verwoben. Immer wieder holt er sich Trost und Zuversicht aus der Musik. Besonders Mozarts Melodien erschließen ihm ein besseres und lichteres Reich. Nach einem Konzert, am 13. Juni 1816, notiert er: „Ein heller, lichter, schöner Tag wird dieser durch mein ganzes Leben bleiben. Wie von ferne leise hallen mir noch die Zaubertöne von Mozarts Musik. Wie unglaublich kräftig und wieder so sanft ward's ins Herz tief, tief eingedrückt. So bleiben uns diese schönen Abdrücke in der Seele, welche keine Zeit, keine Umstände verwischen, und wohltätig auf unser Dasein wirken. Sie zeigen uns in den Finsternissen dieses Lebens eine lichte, helle, schöne Ferne, worauf wir mit Zuversicht hoffen. O Mozart, unsterblicher Mozart, wie viele, o wie unendlich viele solche wohltätige Abdrücke eines lichteren, besseren Lebens hast du in unsere Seelen geprägt." Nächtelang sitzt er nach solchen Erlebnissen vor einem Stoß Notenpapier. Stunde um Stunde verrinnt. Nicht einmal das dumpfe Schlagen der Turmglocke erreicht sein Ohr. Blatt um Blatt bedeckt er mit den hastigen Zügen seiner Schrift. Es ist, als ahne er, wie unerbittlich kurz ihm die Stunden seines Lebens zugemessen sind. In das große dramatische W e r k in c-moll, die Tragische Sinfonie, die er jetzt schreibt, legt er Ahnung, Trauer und Aufbegehren seines eigenen Geschicks. Aber immer noch muß er ringen um die selbständige Form. Manchmal glaubt er den Mut zu verlieren vor den hohen, unerreichbar scheinenden Vorbildern. In der B-dur-Sinfonie des gleichen Jahres 1816 klingen sie an: Mozart, Haydn und Beethoven. Aber der Neunzehnjährige meistert die klassische Form, die er noch allzu wichtig nimmt, schon sicher und gut, und im letzten Satz dieser seiner 5. Sinfonie, die zu den meistgespielten seiner Werke zählt, kommt, in der Führung der Melodie und in harmonischen Wendungen, bereits sein eigenes Wesen zum Durchbruch. Nach einer so durchwachten Schaffensnacht,' in der alle Kräfte seines Geistes und Herzens erschöpft sind, empfindet er den 12
NotenhandschjrLft Schuberts. Wo Schubert ein Stück Papier fand, entstanden mit unfaßbarer Leichtigkeit immer neue Kompositionen Dienst in der Schule nur um so drückender. Wie hätte er auch seine Gedanken plötzlich vom lichten Reich seiner Tondichtung abzuziehen vermocht, um sie, eingesperrt in die dumpfe Schulstubenluft, ganz der Schar seiner Abc-Schützen zuzuwenden? „Stets wenn ich dichtete", erzählt er später einmal, „ärgerte mich diese kleine Bande so sehr, daß ich regelmäßig aus dem Konzept kam." Seine Melodien begleiten ihn auf Schritt und Tritt. Sie drängen nach Gestaltwerdung. Aber er fühlt sich gefesselt und manchmal wie ein Fremdling auf dieser W e l t Seine Heimat ist anderswo. Sie ist in jener lichten, hellen und schönen Ferne, die Mozart ihn erahnen ließ. Das Verlangen nach ihr diktiert ihm die Melodie zu einem seiner schönsten Lieder, das seinen Namen noch weit hinaus in die Welt tragen sollte, zu dem Lied „Der W a n d e r e r " , das er nach einem Gedicht von Schmidt von Lübeck vertont: i 13
Ich komme vom Gebirge her, Es dampft das Tal, es braust das Meer. Ich wandle still, bin wenig froh, Und immer fragt der Seufzer: wo? Die Die Und Ich
Sonne dünkt mich hier so kalt, Blüte welkt, das Leben alt, was sie reden, leerer Schall. bin ein Fremdling überall.
Wo bist du, mein geliebtes Land? Gesucht, geahnt und nie gekannt! Das Land, das Land so hoffnungsgrün, Das Land, wo meine Rosen blühn, Wo meine Freunde wandeln gehn, Wo meine Toten auferstehn, Das Land, das meine Sprache spricht, O Land, wo bist du? Ich wandle still, bin wenig froh, Und immer fragt der Seufzer: wo? Im Geisterhauch tönt's mir zurück: „Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück!" Wie in allen seinen Liedern, läßt Schubert auch hier Wort und Ton zu unlöslicher Einheit verschmelzen. Er ist der Schöpfer des durchkomponierten und wandlungsreichen Kunstliedes. Alle Liederkomponisten vor ihm, auch so bedeutende wie die musikalischen Berater Goethes, Reichardt und Zelter, haben von einem Gedicht immer nur eine Strophe vertont. Die Melodie dieser Strophe wurde dann auf alle anderen angewandt. Schubert dagegen versenkt sich ganz in den dichterischen Text und folgt jedem Wandel der Stimmung, jeder Bewegung des Gefühls und jeder Veränderung des Inhalts dadurch, daß er Vers für Vers einzeln in die angemessene musikalische Form überträgt. Er hat dem Lied den Weg aus der Enge der Wohnstuben heraus in den großen Konzertsaal erobert und es so zur selbständigen Kunstform erhoben. Das hat es vorher noch nie gegeben. Im öffentlichen Musikleben kannte man nur Kantaten und Kirchengesänge oder die der Oper zugehörigen Formen der italienischen Arie und Arietta. In frühen Jahren schon erweist Schubert sich als ein König der Lieder. 14
Goethe
schweigt
Bereits im Frühling des Jahres 1816 plant Schubert, einen Teil seiner Kompositionen herauszugeben. Er möchte in weiteren Kreisen bekannt werden und mit der Veröffentlichung einen sichtbaren Auftakt seiner musikalischen Laufbahn geben. Eine ^ u s erwählte Sammlung von Liedern soll den Anfang machen. Die beiden ersten Hefte sind schon fertig zusammengestellt. Sie enthalten ausschließlich Vertonungen Goethescher Gedichte; unter zahlreichen Kostbarkeiten wie dem „Erlkönig" auch das wohl volkstümlichste seiner Lieder, das „Heidenröslein". Wieder ist es der alte Konviktsfreund Spaun, mit dem der Plan zuerst besprochen wird. Ihm vertraut Schubert auch an, daß er es nicht wagt, demjenigen selbst zu schreiben, dem er die beiden Hefte widmen möchte. So setzt der Freund, der ja auch noch mit einem adeligen Namen aufwarten kann, sich hin und schreibt an den Weimarer Olympier, Seine Exzellenz, den Geheimen Rat von Goethe. Dem Brief vom 17. April 1816 liegt ein Heft der Liedersammlung bei. In dem ausführlichen Schreiben heißt es: „Diese Sammlung nun wünscht der Künstler Eurer Exzellenz in Untertänigkeit weihen zu dürfen, dessen so herrlichen Dichtungen er nicht nur allein die Entstehung eines großen Teils derselben, sondern wesentlich auch seine Ausbildung zum deutschen Sänger verdankt. Selbst zu bescheiden jedoch, seine Werke der großen Ehre wert zu halten, einen, so weit deutsche Zungen reichen, so hoch gefeierten Namen an der Stirne zu tragen, hat er nicht den Mut, Euer Exzellenz selbst um diese große Gunst zu bitten, und ich, einer seiner Freunde, durchdrungen von seinen Melodien, wage es, Euer Exzellenz in seinem Namen darum zu bitten. Sollte der junge Künstler so glücklich sein, auch den Beifall desjenigen zu erlangen, dessen Beifall ihn mehr als der irgendeines Menschen in der weiten Welt ehren würde, so wage ich die Bitte, mir die angesuchte Erlaubnis mit zwei Worten gnädigst melden zu lassen. Der ich mit grenzenloser Verehrung verharre Euer Exzellenz gehorsamster Diener Joseph Edler von Spaun.". Der Brief bleibt ohne Antwort. Es ist die zweite Enttäuschung in diesem Jahr. Sie trifft den jungen Künstler schmerzlicher als die Ablehnung seines Gesuches um die Stelle in Laibach. Im Stillen hatte er bei aller Bescheidenheit ja doch gehofft, der Ver15
ehrte würde erkennen, wie innerlich er in seinen Liedern der Dichtung des Meisters verbunden ist. Lange noch wartet er auf ein Zeichen des Vielbeschäftigten. Doch vergebens. Goethe schweigt. Im Herzen des jungen Komponisten aber keimt nicht die leiseste Erbitterung. Seine Bewunderung für den Dichter hat ihre Wurzeln jenseits von Eitelkeit und persönlichen Wünschen. Im Bei eich, der Kunst sich dem Dichter auch weiterhin zu nähern, bleibt ihm ja frei. Und immer wieder greift er zu Goetheschen Texten. Neun Jahre vergehen, bis Schubert es wagt, noch einmal eine Verbindung zu Goethe zu suchen. Diesmal schreibt er ihm selbst. Er schickt ihm die Veröffentlichung seiner Lieder „An Schwager Kronos", „An Mignon" und „Ganymed". Es ist sein 19. im Druck erschienenes Werk. Schubert schreibt: 7,Euer Exzellenz! Wenn es mir gelingen sollte, durch die Widmung dieser Compositionen Ihrer Gedichte meine unbegrenzte Verehrung gegen E. Exzellenz an den Tag legen zu können, und vielleicht einige Beachtung für meine Unbedeutendheit zu gewinnen, so würde ich den günstigen Erfolg dieses Wunsches als das schönste Ereignis meines Lebens preisen." Aber auch diesmal kommt vom Dichter keine Zeile. Nur im Tagebuch notiert Goethe am 16. Juni 1825: „Sendung von Schubert aus Wien, von meinen Liedern Compositionen."
* Schubert ist bereits zwei Jahre tot, als die berühmte Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient dem Dichter unter anderen Liedern auch den „Erlkönig" in Schuberts Vertonung vorträgt. Goethe ist von dem Gesang so ergriffen, daß er die Künstlerin auf die Stirn küßt und ihr sagt: „Haben Sie tausend Dank für diese großartige, künstlerische Leistung I Ich habe diese Komposition früher einmal gehört, wo sie mir gar nicht zusagen wollte, aber so vorgetragen, gestaltet sich das Ganze zu einem sichtbaren Bild." Freundschaft,
Freiheit,
Einsamkeit
Bei all solchen Mißerfolgen ist Schubert wenigstens nicht allein. Er besitzt einen Kreis treuer Freunde, die an seine Sendung glauben. Mit ihrer Hilfe befreit er sich im Jahre 1817 endlich vom „Schullehrerjoch". Es ist nicht leicht, das Einverständnis des 16
Schuberts Flügel in der Wohnstube seines Geburtshauses (heute SchubertMuseum). An der Wand links liUd des Künstlers, Gemälde von W. A. Bieder
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Vaters zu bekommen, der zunächst auch nur an eine einjährige Beurlaubung des Sohnes denkt. Schließlich willigt er doch ein. W e r aber sind die Freunde, mit denen Schubert sich zusammenschließt? Zu dem engen Bund gehören außer dem allzeit getreuen Spaun unter anderen bald auch der Jurist, Dichter, Zeichner, Schauspieler, Erzieher und Diplomat Franz von Schober, eine unstet romantische Künstlernatur, ein wenig Luftikus, aber ein „göttlicher Kerl", wie Schubert ihn seines Kunstverstandes wegen nennt, dann der schwermütige Dichter Johann Mayrhofer, der Musiker und Komponist Anselm Hüttenbrenner, bald auch der sieben Jahre jüngere Maler der Märchenromantik und des Biedermeier, Moritz von Schwind, der Maler Leopold Kupelwieser und etwas später der heitere und gemütvolle Dichter Eduard von Bauernfeld. Zunächst wohnt Schubert noch im Hause des Vaters. Trotzdem ist der Kontakt mit den Freunden sehr eng. Nicht nur die geistigen Güter, sondern auch die leiblichen Genüsse werden redlich geteilt. „Eines Abends lud ich Schubert ein", berichtet Anselm Ilüttenbrenner, „da ich aus einem angesehenen Hause etliche fioutillen roten Wein als Präsent für mehrmaliges Akkompagnieren (Begleiten auf dem Klavier) erhielt. Nachdem wir den edlen Saxarder (den ungarischen Rotwein) bis auf den letzten Tropfen geleert hatten, setzte er sich an mein Pult und komponierte das wunderliebliche Lied ,Die Forelle'." Es ist das Lied, dessen Melodie dem berühmten „Forellenquintett", das zwei Jahre später entstand, zugrunde liegt. Das Jahr 1817 bringt außer der musikalischen Ernte, zu der mehrere Lieder, darunter auch „Der Tod und das Mädchen", sieben Klaviersonaten und der Anfang der 6. Sinfonie, der kleinen C-dur-Sinfonie, gehören, noch eine besondere Freude. Schon lange hatte sich Schubert, der seine Lieder meist selbst singt, einen Sänger von Rang dafür gewünscht. Seine Bescheidenheit hält ihn aber davor zurück, sich dem dreißig Jahre älteren und sehr berühmten Bariton der Hofoper, Michael Vogl, zu nähern. Das übernimmt Franz von Schober. Nach langem Hin und Her gelingt es ihm, den unter seinem Ruhm schon recht unnahbar gewordenen Sänger dazu zu bewegen, sich einige Lieder Schuberts anzuhören. Das erste Zusammentreffen ist ein glänzender Erfolg. Vogl erkennt das Genie des jungen Komponisten und setzt sich von nun an für ihn ein. Zuerst singt er vor einem kleinen Kreise, aber, so erzählt Schober, „die Begeisterung, mit der der große Künstler diese Lieder sang, war der beste Beweis, wie sehr er selbst ergriffen war. Die größte Wirkung aber brachte 18
der herrliche Sänger auf den jungen Tonsetzer selbst hervor, der sich glücklich fühlte, so lange gehegte Wünsche nun so über alle Erwartung erfüllt zu sehen." Im Winter des gleichen Jahres lernt Schubert den ungarischen Grafen Johann Karl Esterhazy von Galantha kennen, der ihn als Musiklehrer für seine beiden Töchter verpflichtet. Wenn auch das Stundengeben seine Kräfte erneut in Anspruch nimmt, so ist jetzt doch aus dem Elementarschullehrer wenigstens ein Musiklehrer geworden, und die wirtschaftlichen Nöte sind fürs erste behoben. Den darauffolgenden Sommer des Jahres 1818 verbringt Franz Schubert auf dem Esterhazy-Schloß Zelesz an der Waag, einem Nebenfluß der Donau in Ungarn. Dieses gräfliche Schloß in der Weite der ungarischen Steppenlandschaft gehört nicht zu den größten seiner Art. Inmitten eines parkähnlichen Gartens wirkt es mit seiner biedermeierlichen Fassade, den eigenwilligen Vorbauten, Kaminen und Dachgestühlen eher wie ein großer bürgerlicher Landsitz. Schubert bekommt ein Zimmer im Hause der Gutsverwaltung zugewiesen. Er genießt die ländliche Abgeschiedenheit und Ruhe, die durch nichts außer dem Geschnatter von vierzig Gänsen unterbrochen wird; dann allerdings kann man nicht einmal sein eigenes W o r t mehr verstehen. Schubert ist mehr beim Gesinde als im Schloß zu finden. Dort erteilt er lediglich in dem ganz mit Biedermeier-Möbeln eingerichteten Musikzimmer den beiden Komtessen, „ein paar wirklich braven Mädchen", Musikunterricht. Gelegentlich wird er auch zu Musik- und Gesangsdarbietungen mit herangezogen. Im übrigen aber ist er sich selbst überlassen. Er spinnt sich ganz in die ländliche Idylle ein. Von den Mädchen in der Küche lernt er ungarische Volksweisen kennen, und aus inniger Naturverbundenheit strömen ihm die Melodien zu. Zu den Liedern, die er nach Texten von Novalis, der Brüder Schlegel und Grillparzers schreibt, kommen noch die Vertonungen von Gedichten des Freundes Mayrhofer. Zu ihnen greift er jetzt besonders gern, weil sie das Leben der Natur besingen, dem er selber nun so nahe ist. So entstehen die Gesänge „An die Donau", oder „Einsamkeit". Auch das Lied „Erlafsee", das er dem Grafen Esterhazy widmet, erwächst aus dem Erlebnis dieser Tage, wenn in ihm auch nicht der Pußtawind oder die weihevolle Melancholie der ungarischen Weite klingt, sondern der traumhafte Silberton jenes Sees, der inmitten dunkler Tannenwälder im steirischen Bergland liegt. Es 19
ist ein romantisches Versunkensein, in der er zunächst lebt. Zum erstenmal verspürt er jene Freiheit des schöpferischen Geistes, von dem die Fesseln der Not gelöst sind: „Ich lebe und componiere wie ein Gott, als wenn es so sein müßte." Aber bald mischt sich ein Tropfen Bitternis in seine hochgestimmte Schaffensfreude: „Wenn ich die Leute um mich herum nicht alle Tage besser kennenlernte, so ginge es mir noch eben so gut wie anfangs. So sehe ich aber, daß ich unter diesen Menschen doch eigentlich allein bin." Schubert ist zu feinfühlig, um nicht die Zurücksetzung zu spüren, die ihm, dem armen Schullehrerssohn, die Unnahbarkeit der adeligen Familie zufügt, die ihn nicht für würdig hält, an der gräflichen Tafel mit zu speisen. Er ißt im Gesindehaus. Seinem Bruder Ignaz schreibt er im Oktober: „Du, Ignaz, bist noch ganz der alte Eisenmann. Der unversöhnliche Haß gegen das Bonzengeschlecht macht Dir Ehre." Die romantische Natureinsamkeit wird zu schmerzlichem Verlassensein des Nichtverstandenen. Den Freunden in Wien berichtet er: „ F ü r das W a h r e der Kunst fühlt hier keine Seele . . . Ich bin also allein mit meiner Geliebten und muß sie in mein Zimmer, in mein Klavier, in meine Brust verbergen. Obwohl mich dieses öfters traurig macht, so hebt es mich auf der anderen Seite desto mehr empor. Fürchtet Euch also nicht, daß ich länger ausbleiben werde, als es die strengste Notwendigkeit erfordert. Mehrere Lieder entstanden unter der Zeit, wie ich hoffe sehr gelungen..," Im November kehrt Schubert heim nach Wien. Aber es erwarten ihn neue Wirrnisse. Der Vater verlangt die Rückkehr zum Schuldienst; denn noch immer wird Schubert zu den Lehrern der väterlichen Schule gezählt. „Aber Herr Vater, ich gehöre der Musik mit a l l e n ' meinen Kräften. Ich kann mich nicht mehr von ihr lösen." „Die Musik ist ein Geschenk des Himmels", erwidert der Vater. „ W i r sollen uns an ihr erbauen. Geschaffen aber sind wir zur Arbeit. Die Erlustierung eines ungebundenen Künstlerlebens ist für unsereinen nicht.". „Verzeihen Sie, Herr Vater, wenn ich widerspreche. Aber die Kunst ist mir mehr als eine Erlustierung. Ich habe in Ungarn viel gearbeitet: acht Kompositionen für Klavier, sechs Märsche, ein Klaviertrio, ein Rondo, eine Sonate, eine Trauermesse und vierzehn neue Lieder habe ich geschrieben. Auch meine sechste Sinfonie ist fertig.", „Schön. Aber du kannst davon nicht leben." „ H e r r Vater, es wird gehen. Sie haben doch auch eingewilligt,' daß ich den Schuldienst quittiere. Waren Sie nicht selbst ein
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wenig stolz,' als im Frühjahr die ,Allgemeine Theaterzeitung' eigens auf mich aufmerksam machte? Als sie schrieb: ,Möchte uns dieser Künstler doch recht bald wieder mit einer neuen Gabe erfreuen?' Herr Vater, ich will nicht unbescheiden sein, doch zurück zum Schuldienst kann ich jetzt nicht mehr.'' Mit vor Erregung zitternden Händen öffnet der alte Schulmeister die Tischlade und zieht ein amtliches Schreiben hervor. „Hier ist die Bewilligung um Dispens. Sie lautet auf ein Jahr, um das ich für Dich eingegeben habe. Das Jahr ist um. Du mußt zurück zur Schule." Franz Schubert weiß, daß er jetzt nicht nachgeben darf. „Herr Vater", erwidert er, „erhalten Sie mir Ihre Liebe. Aber hier kann ich nicht gehorchen. Ich gehe nicht wieder zum Schuldienst zurück." „Du wirst Deinen Dienst antreten", ruft der Vater erregt. „Nein!" „Du wirst, Franz!" „Nein, Herr Vater." Unversöhnt gehen sie auseinander. Still packt Franz Schubert seine wenigen Habseligkeiten zusammen. Dann verläßt er den Himmelpfortgrund und zieht hinaus in die Karolinenbastei zu seinem Freund Schober, der ihn bereitwillig aufnimmt. Bald geht es dort draußen, zusammen mit den „Kaffee-, Wein- und Punsch-Brüderln", recht lustig zu. Der Schmerz über die erneute Auseinandersetzung mit dem Vater aber ist dennoch tief in Schubert eingedrungen. Noch Jahre später beschäftigt ihn das Unbegreifliche: unverstanden und fremd zu sein im eigenen Vaterhaus. Einzig im Kreis der Freunde fühlt Schubert sich geborgen. Als er sein Zimmer bei Schober aufgeben muß, weil dessen Bruder nach Wien zurückkommt, zieht er zu Johann Mayrhofer in die Wipplingergasse. Drei Jahre, bis 1821, wohnt er dort. Mayrhofer schreibt später über das gemeinsame Zusammenleben in dem altersschwachen Haus: „Haus und Zimmer haben die Macht d-?r Zeit gefühlt. Die Decke ziemlich gesenkt, ein überspieltes Klavier, eine schmale Bücherstelle, so war der Raum beschaffen., welcher mit den darin zugebrachten Stunden meiner Erinnerung nicht entschwinden wird. Gleich wie der Frühling die Erde erschüttert, um ihr Grün, Blüten und milde Lüfte zu spenden, so erschüttert und beschenkt den Menschen das Gewahrwerden seiner produktiven Kraft. Die Liebe für Dichtung und Tonkunst machte unser Verhältnis inniger; ich dichtete, er komponierte, was ich gedichtet." 21
Ein Bruder vieler Brüder Es ist ein heiterer Sommertag des Jahres 1819. Franz Schubert und der Hofopernsänger Michael Vogl, der inzwischen schon recht gut Freund mit dem Komponisten geworden ist, besteigen die Postkutsche, um von Wien die Donau hinauf ins Oberösterreichische zu fahren. Ober Kremsmünster geht es nach Steyr, das Schubert „über alle Begriffe schön" findet. Im Hause des wohlhabenden Kaufmanns und Musikliebhabers Silvester Paumgartner sind die beiden Künstler gern gesehene Gäste. Täglich erklingt der prächtige Musiksalon von Liedern und Klaviermusik. Aber auch im Hause des befreundeten Kaufmanns Josef von Koller wird vrel musiziert. Abends, nach einem Spaziergang, dem sich zu Schuberts Freude oft die hübsche Josefine, die Tochter des Hauses, anschließt, trifft man sich zu Gesang und Kammermusik. Schubert, der schon im Mai scherzhaft an Anselm Hüttenbrenner geschrieben hatte, als dieser ihm zu lange von Wien fern blieb: „Ein Schelm bist Du! Bald sitzt ihm das, bald jenes Mädchen in dem Kopf; ei, so hole der Teufel alle Mädchen, wenn Du Dich gar so von ihnen behexen l ä ß t ! " Schubert ist nun selbst ein wenig behext, und in glücklichem Übermut schreibt er dem Bruder: „ I n dem Haus, wo ich wohne, befinden sich acht Mädchen, beinahe alle hübsch. Du siehst, daß man zu tun hat. Die Tochter des Herrn von Koller, bei dem ich und Vogl täglich speiseh, ist sehr hübsch, spielt brav Klavier und wird verschiedene meiner Lieder singen." Silvester Paumgartner ist von dem Lied „Die Forelle" so entzückt, daß er Schubert bittet, das Lied doch zu einer kammermusikalischen Komposition zu erweitern. Und Schubert setzt sich sogleich hin, und in ganz kurzer Zeit schreibt er das Quintett für Klavier, Violine, Viola, Cello und Kontrabaß in A-dur, das berühmte „Forellenquintett". So gehen die Tage in Steyr wie im Fluge dahin. Dann geht die Reise weiter nach Linz. „Wenn es Dir so gut geht wie mir, so bist Du recht gesund. Die Gegend ist himmlisch, auch bei Linz ist es sehr schön", heißt es in einem Brief an Mayrhofer, «den Freund und Zimmergenossen in Wien. Und ins Album der Schwester eines Jugendfreundes und Konviktkameraden schreibt Schubert: „Genieße stets der Gegenwart mit Klugheit, so wird Dir die Vergangenheit eine schöne Erinnerung und die Zukunft kein Schreckbild sein.". Noch in Wien wirken die glücklichen Tage nach. Sie lassen sogar die Armut, in die er jetzt wieder zurückgekehrt ist, in 22
milderem Glanz erscheinen. Nie hat Schubert Geld. Immer v,-ieder muß er auf Pump leben, weil er in finanziellen Dingen ganz ungeschickt, aber im Grunde genommen auch uninteressiert verfährt. Nur selten kann er sich über ein paar Gulden Honorar freuen. Da geht am 14. Juni 1820 im Kärntnertortheater seine Gesangsposse „Die Zwillingsbrüder" in Szene, in der Vogl die Hauptrolle singt, und am 19. August wird im Theater an der. Wien die Oper „Zauberharfe" uraufgeführt. Aber auch dieser äußere Erfolg ändert an seiner wirtschaftlichen Lage nichts. Nicht einmal die 500 Gulden für die „Zauberharfe", deren ,,Rosamunden"-Ouvertüre zu Schuberts volkstümlichsten Orchesterwerken zählt, zahlt man ihm aus. Schon nach wenigen Vorstellungen verschwinden die beiden Bühnenstücke wieder vom Spielplan. Sie sind textlich auch wirklich zu bedeutungslos. Das weiß Schubert selbst. Er hat die Kompositionsaufträge auch nur angenommen, um überhaupt einmal am Theater Fuß zu fassen. Als nach der Aufführung der „Zwillingsbrüder" die Wogen des Bdifalls für den Komponisten hochschlagen, kommt Michael Vogl auf die Bühne und sagt: „Schubert ist nicht zugegen; ich danke in seinem Namen." Der Gefeierte selbst aber hört lächelnd diese freundschaftliche Lüge an. In seinem zerschlissenen Rock sitzt er, zusammen mit Anselm Hüttenbrenner, auf der äußerstem Galerie. Wie gerne hätte er sich die Bühne erobert! Immer wieder hat er es versucht. Als aber dann das Hofopernamt aufgehoben und die Wiener Oper an den Italiener Barbaja verpachtet wird, schwinden die Aussichten Schuberts immer mehr. Man zieht die sinnenfrohen Schöpfungen der italienischen Oper, allen voran Rossini, seinen romantischen Werken vor. Unerkannt bleibt der bescheidene Meister auch am 7. März 1821, als Vogl zum erstenmal öffentlich und vor großem Publikum seinen „Erlkönig" singt. Während Anselm Hüttenbrenner am Klavier begleitet, sitzt Schubert nur dabei und wendet die Seiten um. Wieder ist er in bedrängender Geldnot. Der Erfolg der Aufführung aber ist so groß, daß nun unter Mithilfe der Freunde endlich einmal eine stattliche Auflage seines „Erlkönig" gedruckt werden kann. Wenn jetzt auch wirklich einige Gulden hereinkommen, so stopfen sie doch kaum die schlimmsten Löcher, denn Schubert gibt sogleich das meiste wieder großzügig mit seinen Freunden aus. Stets schätzt er die Kostbarkeit einer frohen Stunde mehr als das lange Gleichmaß trüber Tage. Im Kreis der Freunde lebt er auf, und bald werden die Abende mit ihm, an denen musiziert und gesungen, aber auch viel erzählt und gespaßt wird, 23
für alle unentbehrlich. Als „Schubertiaden" sind diese Zusammenkünfte der Freunde und Künstler um Schubert unsterblich geworden. Manchmal geht es auch hinaus zum Gasthaus j,Zum Stern" auf der Brandstatt, wo außer den engeren Freunden noch die Dichter Nikolaus Lenau, Anastasius Grün und Franz von Grillparzer verkehren. Dort draußen lesen die Dichter ihre neuesten W e r k e vor, und dieses oder jenes Gedicht wird zum Vorwurf einer größeren oder kleineren Komposition. Auch im Extrazimmer der „Ungarischen K r o n e " im Himmelpfortgrund treffen sich d i i Schubertianer gern. Oft streichen Schubert, Schwind und Bauernfeld noch bis zum frühen Morgen herum, um sich gegenseitig nach Hause zu begleiten. „Da man aber nicht imstande war, sich zu trennen", erzählt Eduard von Bauernfeld, „so wurde nicht selten bei diesem oder jenem gemeinschaftlich übernachtet." Mit dem Komfort nehmen es die Freunde dabei nicht sehr genau. Sie führen ein recht unbeschwertes Künstlerdasein: „Hüte, Stiefel, Halsbinden, auch Röcke und sonst noch eine gewisse Gattung Kleidungsstücke, wenn sie sich n u r beiläufig anpasesn ließen, waren Gemeingut, gingen aber auch nach und nach durch vielfältigen Gebrauch, wodurch immer eine gewisse Vorliebe für den Gegenstand entsteht, in unbestrittenen Privatbesitz über." Ebenso unbekümmert wird mit dem Geld verfahren, von dem in der Regel so viel wie keines vorhanden ist: „ W e r eben bei Kasse war, zahlte für den oder die anderen. Nun traf sich's aber zeitweilig, daß zwei kein Geld hatten und der dritte — gar keins! In ähnlicher Lage hatten wir uns auch das ,Du' mit Zuckerwasser zugetrunken." Im Frühjahr 1821 löst Schubert seine Wohngemeinschaft mit Johann Mayrhofer und zieht wieder hinaus zu Schober. Lied um Lied entsteht in dieser für ihn so fruchtbaren Zeit. Die Melodien sprudeln fast ohne sein Zutun aus ihm hervor. Zwischen 1820 und 1822 vertont er von Goethe „Willkommen und Abschied", „Grenzen der Menschheit", „Der Musensohn" und die Verse der Suleika aus dem West-östlichen Dinan, von Friedrich Schlegel die Gedichte „Der W a n d e r e r " und „Lob der Tränen" und viele weitere Lieder nach Texten von Schober, Rückert und anderen. Dazu kommen Märsche, Tänze, Walzer und Ländler, in denen die ganze Heiterkeit des Wiener Lebens, der Weinlandschaft und der Heurigenschenken, aber auch aller Humor der Schubertiaden mit einverwoben sind. Auch eine Reihe von Chören und Kirchenmusikwerken entstehen, darunter die fünfte Messe in Asdur und dann die großartige h-moll-Sinfonie. Obgleich sie nur 24
Der Freundeskreis Schuberts auf einer Landpartie nach Aumühl bei Wien. Links vom Wagen am Wegrand Schubert mit dem Maler Ku y*lwieser, dem Zeichner des Aquarells
zwei Sätze hat und deshalb als die „Unvollendete" bezeichnet wird, ist diese Sinfonie von einer ergreifenden Tiefe und im Aufbau der beiden Sätze wirklich vollendet. Diese Sinfonie schreibt Schubert 1822. Ein denkwürdiges Jahr, denn es bringt auch die Versöhnung mit dem Vater. Doch das Zerwürfnis, das nun vier Jahre zurückliegt, beschäftigt den Meister noch immer. Noch jetzt drängt es ihn, das innere Erlebnis dieser Zeit in Worten auszusprechen. Er schreibt die gleichnishafte Erzählung „Mein Traum". Darin heißt es: „Ich war ein Bruder vieler Brüder und Schwestern. Unser Vater und unsere Mutter waren gut. Ich war allen mit tiefer Liebe zugetan." Und dann: „Ich wandte meine Schritte, und mit einem Herzen voll unendlicher Liebe für die, welche sie verschmähten, wanderte ich in ferne Gegend. Jahrelang fühlte ich den größten Schmerz und die größte Liebe mich zerteilen. Da kam mir Kunde von meiner Mutter Tode. Ich eilte, sie zu sehen, und mein Vater, von Trauer erweicht, hinderte meinen Eintritt n i c h t . . . Von dieser Zeit an blieb ich wieder zu Hause." Aber bald kam es erneut zur Trennung: „Und zum zweiten Male wandte ich meine Schritte und mit einem Herzen voll unendlicher Liebe ,für die, 25
welche sie verschmähten, wanderte ich abermals in ferrue Gegend. Lieder sang ich nun lange, lange Jahre. Wollte ich Liebe singen, ward sie mir zum Schmerz. Und wollte ich wieder Schmerz nur singen, ward sie mir zur Liebe. So zerteilte mich die Liebe und der Schmerz.", Das ist die innere Verfassung, aus welcher heraus die h-mollSinfonie erwächst. Wie in dem späteren Liede „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus", steigert der Meister auch hier das persönlich Erlebte ins Uberpersönliche und Allgemeingültige. Im düsteren Klang der Bässe und im aufwühlenden Schreiten der Melodien in Moll drückt er im Gleichnis der Töne sein Wissen darum aus, daß des Menschen Los auf Erden stets das eines Fremdlings ist. Oft, nach den lustigsten Stunden im Kreise der Freunde, fragt Schubert sich, wer unter allen ihn wohl wirklich verstünde. Dann gehen seine Gedanken zu dem, dem er längst innerlich in tiefer Verehrung zugetan ist, zu dem, dessen Schaffen ihn anfeuert und bedrückt zugleich, zu dem großen Einsamen, dessen wahre Heimat ebenfalls im Reich des Geistes, der Freiheit und des Schönen liegt, zu Ludwig van Beethoven. Seine Scheu hindert ihn aber, sich dem verehrten Meister persönlich zu nähern, wenngleich Beethoven in derselben Stadt wohnt und in seiner Abgeschlossenheit von ihm kaum etwas wissen kann. Nur ein Heft vierhändiger Variationen widmet er ihm zunächst. Freudvoll
und
Leidvoll
Manche Abende verbringt Schubert bei Musik und Gesang in der Altwiener Bürgerfamilie Fröhlich. Das sind dann wieder glückliche Stunden, in denen er schnell alles Grübeln vergißt. Die reizenden und klugen Töchter Anna, Josefa, Barbara u n d Kathie, die „ewige B r a u t " Grillparzers, sind alle ein wenig in ihn verliebt und preisen sein „herrliches Gemüt". Auch er ist nicht unempfindlich für solch zarte Beziehungen. Es tut ihm wohl, als Mensch und Künstler geliebt und verstanden zu werden. Wennaleich er bereits in jungen Jahren in sein Tagebuch schrieb 1 „Glücklich, der einen wahren Freund findet. Glücklicher, der in seinem Weibe eine wahre Freundin findet", so ist ihm doch keines der Mädchen zur Frau bestimmt. Sein Schicksal ist es, im Letzten eben doch allein zu sein. Immer wieder führt ihn sein Wesen, in dem Trauer und Seligkeit ganz nahe beieinander wohnen, zu fröhlichem Scherz und schnellem Selbstvergessen. Aber 26
die letzten Wünsche und Gedanken, das eigentliche Einsamsein,' behält er für dich. W ä h r e n d draußen berauschend der Frühlingswind über die Stadt hinzieht, der Wiener Wald zu grünen beginnt und Jasmin und Flieder verheißungsvoll duften, sitzt er des Nachts in seiner Kammer— es ist der 8. Mai 1823— und hält erschütternde Zwiesprache mit Gott. „Mein Gebet" schreibt er mit bedächtigen Zügen auf ein Blatt Papier. Und dann darunter die Verse: Tiefer Sehnsucht heil'ges Bangen Will in schönre Welten langen; Möchte füllen dunklen Baum Mit allmächt'gern Liebestraum. Großer Vater! Beich' dem Sohne, Tiefer Schmerzen nun zum Lohne Endlich das Erlösungsmahl Deiner Liebe ew'gen Strahl. Sieh, vernichtet liegt im Staube, Unerhörtem Gram zum Baube, Meines Lebens Martergang Nahend ew'gem Untergang. Tot' es und mich selber töte, Stürz' nun Alles in die Lethe, Und ein reines kräft'ges Sein Laß, o Großer, dann gedeih'n. Zum erstenmal greift in diesen Tagen die Krankheit nach ihm und erinnert ihn an seine eigene Vergänglichkeit. Zu sehr hat er sich verausgabt und innerlich verbrannt. Da führen ihn auch noch finanzielle Nöte zum Verkauf des Eigentumsrechts an seinen gedruckten Werken. Aber unermüdlich schreitet das künstlerische Schaffen fort. Er schreibt Bühnenwerke und Tänze, die Klaviersonate in a-moll und wieder viele Lieder. Unter ihnen befindet sich „Wanderers Nachtlied" von Goethe und die Gedichtfolge „Die schöne Müllerin" nach dem Text von Wilhelm Müller, eine Novelle in Liedern, die in inniger Verbindung von Kunst- und Volkslied die Werbung des jungen Müllers um die Müllerin besingt, Leidenschaft und Ungeduld des Liebenden, kurzes Glück, Eifersucht und schmerzlichen Verlust. Auch in diesen Liedern singt Schubert seine eigene Freude und sein eigenes Leid. Und an Leid fehlt es nicht. Am 31. März 1824 schreibt er an seinen Freund, den Maler Kupelwieser, nach Born: 27
„Ich fühle mich als den unglücklichsten, elendesten Menschen auf der Welt. Denk Dir einen Menschen, dessen Gesundheit nie mehr richtig werden will und der aus Verzweiflung darüber die Sache immer schlechter statt besser macht; denke Dir einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zunichte geworden sind, dem das Glück der Liebe und Freundschaft nichts bietet als höchstens Schmerz, den Begeisterung (wenigstens anregende) für das Schöne zu schwinden droht, und frage Dich, ob das nicht ein elender, unglücklicher Mensch ist? — ,Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer und nimmermehr', so kann ich wohl jetzt alle Tage singen; denn jede Nacht, wenn ich schlafen geh', hoff ich nicht mehr zu erwachen, und jeder Morgen kündet mir nur den gestrigen Gram. So freudefreudlos verbringe ich meine Tage, wenn nicht manchmal Schwind mich besuchte und mir einen Strahl jener vergangenen süßen Tage zuwendete." Und im Tagebuch stehen die Sätze: „Keiner, der den Schmerz des anderen, und keiner, der die Freude des anderen versteht! Man glaubt immer zueinander zu gehen, und man geht immer nur nebeneinander. O Qual für den, der dies erkennt I" Ganz zieht er sich jetzt in die schönere Welt seiner Phantasie zurück, in jene Welt eines reineren Seins, das er in seinem Gebet erflehte. Und er notiert: „O Phantasie! Du höchstes Kleinod des Menschen, du unerschöpflicher Quell, aus dem sowohl Künstler als Gelehrte trinkenl O bleibe noch bei uns, wenn auch von Wenigen nur anerkannt und verehrt." Einige Monate nach diesem Tagebucheintrag geht er noch einmal einen Sommer lang hinunter auf das Esterhazysche Gut nach Zelesz. Das Landleben tut ihm gut und seine Krankheit bessert sich. Komteses Karoline, beim ersten Aufenthalt Schuberts in Ungarn noch ein Kind, ist inzwischen zum „anziehenden Stern" geworden. Aber der Meister ist sich wohl bewußt, daß er für ihn zu unerreichbar hoch am gesellschaftlichen Himmel steht. Da fragt Karoline ihn eines Tages, warum er ihr noch nie eine Komposition zugeeignet habe. „Wozu denn", antwortet Schubert, „Ihnen ist ja ohnehin alles gewidmet!" In seinem Todesjahr aber entsteht die f-moll-Fantasie, die ein Ausdruck unerfüllter Sehnsucht ist. Sie trägt die Widmung: „ä Mademoiselle la Comtesse Caroline Esterhäzy de Galantha." Trotz dieser Begegnung verspürt Schubert manchmal wieder die Sehnsucht nach Wien, und am 18. Juli 1824 schreiht er von Zelesz aus an seinen Bruder Ferdinand: „Freilich ist es nicht mehr jene glückliche Zeit, in der uns jeder Gegenstand mit einer 28
jugendlichen Glorie umgeben scheint, sondern jenes fatale Erkennen einer miserabeln Wirklichkeit, die ich mir durch meine Fantasie (Gott sei's gedankt) so viel als möglich zu verschönern suche. Man glaubt, an dem Orte, wo man einst glücklicher war, hänge das Glück, indem es doch nur in uns selbst i s t . . . doch bin ich jetzt mehr im Stande, Glück und Ruhe in mir selbst zu finden als damals." Er ist inzwischen gereift. Einst hatte er gesungen: „Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück!" Jetzt aber versucht er, das Glück in sich selber zu finden und in neuen großen Werken. Winterreise Im kommenden Jahr — 1825 — zieht Schubert hinaus in das Haus „Alte Wieden Nro. 100", in die unmittelbare Nachbarschaft des Malerfreundes Schwind. Er wohnt jetzt allein. Tagtäglich sitzt er von 6 Uhr morgens bis 1 Uhr mittags am Schreibpult. Er arbeitet unermüdlich. Wenn Freunde ihn besuchen, ist er stets heiter und freundlich, aber sie merken bald, daß seine Gedanken ganz bei der Musik sind, und lassen ihn schnell wieder allein. Im Mai reist Schubert nochmals nach Steyr, wo er sich mit Michael Vogl trifft. Auf der Fahrt über St. Florian und Kremsmünster findet er zu seiner Freude überall in den Klöstern seine Kompositionen, die man begeistert spielt. Weiter geht es im Spätsommer nach Salzburg, Bad Gastein und Gmunden. Schubert kostet die Reise in vollen Zügen. Seine starke Empfänglichkeit den Eindrücken der Natur gegenüber, aber auch die tiefe Frömmigkeit seines Wesens und alles bittere Leid aus der Erfahrung menschlicher Unzulänglichkeit kommen in einem Bericht an seinen Bruder Ferdinand zum Ausdruck. Es ist dies eine der schönsten Reiseschilderungen der Postkutschenzeit. Darin heißt es: „ W i r fuhren über Golling, wo sich schon die ersten hohen, unübersteigbaren Berge zeigten, durch deren fürchterliche Schluchten der Paß Lueg führt. Nachdem wir dann über einen großen Berg langsam hinauskrallten, vor unserer Nase sowie zu beiden Seiten schreckliche Berge, so daß man glauben könnte, die Welt sei hier mit Brettern vernagelt, so sieht man plötzlich, indem der höchste Punkt des Berges erreicht ist, in eine entsetzliche Schlucht hinab, und es droht einem im ersten Augenblicke einigermaßen das Herz zu erschüttern." Und dann kommen die anklagenden, bitteren Sätze: 7,In dieser schreckvollen Natur hat auch der Mensch seine noch schrecken29
vollere Bestialität zu verewigen gesucht. Denn hier war es, wo auf der einen Seite die Bayern, und die Tiroler auf der anderen Seite der Salzach, die sich tief, tief unten brausend den Weg bahnt, jenes grauenvolle Morden vollbrachten, indem die Tiroler, in den Felsenhöhlen verborgen, auf die Bayern, welche den Paß gewinnen wollten, mit höllischem Lustgeschrei herabfeuerten, welche getroffen in die Tiefe herabstürzten, ohne je sehen zu können, woher die Schüsse kamen. Dieses höchst schändliche Beginnen, welches mehrere Tage und Wochen fortgesetzt wurde, suchte man durch eine Kapelle auf der Bayernseite und durch ein rotes Kreuz in den Felsen auf der Tiroler Seite zum Teil zu bezeichnen, und zum Teil durch solche heilige Zeichen zu sühnen. Du herrlicher Christus, zu wieviel Schandtaten mußt du dein Bild herleihen. Du selbst das gräßlichste Denkmal der menschlichen Verworfenheit, da stellen sie dein Bild auf, als wollten sie sagen: Seht! Die vollendetste Schöpfung des großen Gottes haben wir mit frechen Füßen zertreten, sollte es uns etwa Mühe kosten, das übrige Ungeziefer, genannt Menschen, mit leichtem Herzen zu vernichten?" Schubert wendet seine Gedanken „von so niederschlagenden Betrachtungen" wieder ab und der Erhabenheit der Natur zu, aus deren Erleben heraus er das Hauptwerk dieses Jahres schafft, die in Bad Gastein vollendete „Gasteiner Sinfonie". Leider ist dieses Werk, das der Meister im Jahre darauf der „Gesellschaft der Musikfreunde", in Wien widmet, verschollen. Wieder befindet er sich in finanzieller Notlage. Ein Gesuch vom 7. April 1826 an Kaiser Franz IL um die freie Stelle des Vizehofkapellmeisters bleibt ohne Erfolg. In seinen Liedern, im B-dur-Trio, den Streichquartetten d-moll und G-dur und einer Fantasie-Sonate für Klavier in G-dur erschafft er sich sein eigenes, schöneres Reich. „Mir kommt's manchmal vor", sagt er dann, „als gehörte ich gar nicht in diese W e l t . "
* In den Märztagen des Jahres 1827 geht Schubert in Anselm Hüttenbrenners Begleitung hinaus zum Alservorstädter Glacis, ins sogenannte „Schwarzspanierhaus". Dort wohnt Ludwig van Beethoven. Er liegt krank an seinem letzten schweren Leberleiden. Schubert würde nicht gewagt haben, Beethoven aufzusuchen,' wenn nicht Freunde ihm berichtet hätten, daß der Meister sich noch auf seinem Sterbelager mit seinen Werken beschäftige. Nicht nur mit den Klaviersonaten. Anton Schindler, der Biograph 30
und Lebensfreund, hat Beethoven mehrere Schubertsche Kompositionen besorgt. Bei der Durchsicht soll Beethoven gesagt haben: „Wahrlich, in dem Schubert wohnt ein göttlicher F u n k e ! " ü b e r die Begegnung der beiden Meister selbst ist nichts überliefert. Sie wird kurz gewesen sein. Beethoven war bereits seinem Ende nahe. Während eines Frühlingsgewitters, am Nachmittag des 26. März 1827, ist er gestorben. Unter den Fackelträgern, die zwei Tage darauf dem großen Toten hinaus zum Währinger Friedhof das Geleit geben, gefolgt von einem unübersehbaren Trauerzuge, schreitet in tiefem Ernst auch Franz Schubert neben der Bahre. Als die Musikerfreunde sich nach dem Begräbnis in einer der Weinschenken treffen, erhebt Schubert sein Glas: „Auf den, den wir soeben begraben haben." Und nachdem er das Glas geleert hat, hebt er es zum zweitenmal: „ F ü r den, der der nächste sein w i r d . ' " Tiefe Schwermut überfällt ihn in den kommenden Monaten. Auch die Krankheit macht ihm wieder mehr zu schaffen. Eines Tages sagt er zu Spaun: „Komm heute zu Schober. Ich werde euch dort einen Kranz schauerlicher Lieder vorsingen. Ich bin neugierig, zu hören, was ihr dazu sagt. Sie haben mich mehr ergriffen, als dieses bei anderen Liedern der Fall w a r . " Nach dem Vortrag herrscht bedrücktes Schweigen. „Mir gefallen diese Lieder mehr als alle", sagt Schubert, ^.und sie werden 1 euch auch noch gefallen.". Es waren die Gesänge seines letzten großen Liederwerkes: „Die Winterreise". Dieser Zyklus nach Gedichten Wilhelm Müllers durchschreitet die ganze Stufenfolge menschlichen Schmerzes. Kurze Tage der Aufheiterung erfährt Schubert noch auf einer letzten Beise nach Graz.' Dann zieht er auf Anraten seines Arztes zu seinem Bruder Ferdinand in das Haus Nr. 694 auf der Neuen Wieden. In fieberhafter Arbeit sucht er sein Leiden zu vergessen. Er krönt sein Schaffen mit der großen C-dur-Sinfonie, der Es-durMesse, einem Streichquintett, den drei Klaviersonaten in c-moll, A-dur und B-dur und siebzehn Liedern. Anfang Oktober macht er noch einen Ausflug nach Eisenstadt, wo er Joseph Haydns Grabmal aufsucht, an dem P,T lange verweilt. Ende des Monats ist er bereits todkrank. Die Ärzte stellen Nervenfieber fest. Am 19. November kommt noch einmal der Arzt. Schubert sieht ihm starr in die Augen. Mit matter Hand greift der noch nicht Zweiunddreißigjährige an die Wand und sagt langsam und mit 31
Ernst: TjHier, hier ist mein E n d e t " Dann versinkt er wieder in Fieberphantasien. „Ich beschwöre dich, mich in mein Zimmer zu schaffen", bittet er seinen Bruder, „verdiene ich denn keinen Platz über der E r d e ? " Als Ferdinand ihn beruhigen will: „Du bist in dem Zimmer, in dem du bisher immer warst und liegst in deinem Bettel" antwortet er: „Nein, ist nicht wahr, hier liegt Beethoven nicht." Man hat diese Worte Schuberts als seinen Wunsch gedeutet,' neben dem verehrten Meister bestattet zu werden, und ihn am 21. November 1828 im Währinger Friedhof, unweit von Beethovens Grabstatt, beigesetzt. •
Schubert hat keine Reichtümer hinterlassen. In der Kammer im Hause seines Bruders an der Neuen Wieden, wo er gestorben ist, fand der Erblasser nur den wenigen Besitz, den er bei der Übersiedlung mitgenommen hatte. Die wertvollsten Kompositionen hatte er vermutlich im Schulhause und bei seinem Freunde Schober zurückgelassen. Der Ertrag aus seinen Werken floß den Familien seiner Geschwister zu. Das Leben Franz Schuberts stand trotz vieler sorgenvoller Zeiten im Glanz unvergänglicher Melodien. Der Schöpfer strahlend schöner kammermusikalischer, sinfonischer und kirchenmusikalischer Werke war zugleich der König der Lieder. Schuberts Genius verdanken wir die Schöpfung, aber auch das Weiterleben des Kunstliedes bis in unsere Tage, über Hugo Wolf zu Richard Strauß und Mark Lothar. Richard Strauß, der Meister des ^,Rosenkavalier", sagt von ihm in liebender Ehrfurcht: „Nachgedacht hatte ich nicht über Schubert, wirklich nicht — nur ihn angebetet, gespielt und gesungen und bewundert, ja beneidet: das ist'sI Glücklicher Schubert: Er konnte komponieren, was er wollte, wozu ihn sein G e nius trieb." Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Bilder: Schubert-Museum, Wien, Verlags-Archiv, Ullstein.
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