Das Mondmädchen
Sie sass oft im Café und trank still und alleine eine Tasse Kakao. Ich war oft da und beobachtete sie...
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Das Mondmädchen
Sie sass oft im Café und trank still und alleine eine Tasse Kakao. Ich war oft da und beobachtete sie, wie sie ins Leere starrte und nur manchmal etwas erblickte, was ihre Aufmerksamkeit anzog. Sie lächelte dann kurz entrückt und ihre Augen hatten einen Glanz, der von fremden Welten erzählte. Manchmal glaubte ich, darin zu erkennen, was in ihr vorging. Aber wahrscheinlich wurde nur meine eigene Phantasie durch ihr seltsames Wesen angeregt. Die Leute sprachen über sie, sagten Dinge, die mir nicht gefielen. Dass sie verrückt sei, oder zurückgeblieben. Auf jeden Fall in unserer realen Welt nicht lebensfähig. Sie blickte nie jemandem direkt in die Augen, ausser, wenn sie etwas ganz Bestimmtes wollte. Wenn sie die Bedienung nach einem Kakao fragte zum Beispiel. Diese
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schaute sie dann meist noch eine Sekunde lang an, nachdem sie die Bestellung aufgeschrieben hatte. Ein Blick dieses Mädchens musste phantastisch sein. Sie faszinierte mich so sehr, dass ich nachts von ihr zu träumen begann. In meinen Träumen blickte sie mir in die Augen. Wenn ich nach solchen Träumen morgens erwachte, hatte ich ein seltsames Gefühl von Wärme in mir, ohne ihren Blick näher beschreiben zu können. Ich erinnerte mich, ihren Blick im Traum gesehen zu haben, aber ich wusste nicht wirklich, wie er gewesen war. Meine Freunde machten sich über sie lustig, sagten, sie fliege nachts auf einem Besen spazieren. Sie sei eine Hexe. Zauberin würde wohl besser passen. Mondmädchen nannte ich sie einmal vor meinen Freunden, doch sie lachten nur darüber. Einer meiner Freunde kam Ende April zu uns und sagte, dass in jener Nacht der letzte Vollmond vor Beltane sein würde, und dass die Hexe sicher den Mond anheulen würde. Es sei eine magische Nacht nach Hexenglauben. 4
Meine Freunde lachten darüber. Sie wollten sie am Abend verfolgen, sehen, was sie tat. Ich blieb im Café, bis sie kam. Meine Freunde waren längst nach Hause gegangen, um sich Fackeln zu fertigen, mit denen sie dem Mädchen Angst einjagen wollten. Sie wollten so tun, als würden sie sie als Hexe verbrennen wollen. Ich war in Gedanken versunken, als das Mondmädchen das Café betrat. Sie setzte sich an einen freien Tisch und bestellte einen Kakao. Ich dachte daran, was meine Freunde vorhatten und starrte sie dabei an. Plötzlich sah sie auf und schaute mir in die Augen. Es war, als schiesse mein Gehirn Photos. Momentaufnahmen wurden in mein Gehirn gebrannt. Ihre Augen, das Wesen, das Erkennen in ihren Augen, die Dankbarkeit. Als ich wieder klar denken konnte, hatte sie ihren Kakao getrunken, war aufgestanden und gegangen.
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Ich war der Realität so entrückt, wie ich mir den Zustand vorstellte, in dem das Mondmädchen ständig war. Eine andere, zweite Welt war in mir entstanden. Ich liebte dieses Mädchen. Ich hatte zuvor nie geliebt und würde nie ein anderes Mädchen lieben können. Am Abend traf ich mich mit meinen Freunden vor dem Haus, in dem sie wohnte. Sie machten Witze über sie – und über mich: Du blickst schon genauso verrückt wie sie! Dann ging es los. Der Vollmond hing über unseren Köpfen. Gross und rund, ein helles, warmkaltes Licht. Das Mondmädchen kam aus ihrem Haus, wandte sich nach Norden, dem Wald zu. Wir folgten ihr in einigem Abstand, damit sie uns nicht sah. Sie ging in den Wald hinein, folgte einem unbekannten Weg. Dann lichtete sich der Wald. Eine grosse Wiese tat sich vor uns auf, und wir sahen, wie sie auf die Mitte
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der Lichtung hinaustrat. Dort entstand Nebel wie aus dem Nichts. Sie trat hinein – und war verschwunden. Der Nebel verschwand wieder, aber sie war weg. Meine Freunde hatten aufgehört, alberne Witze zu machen. Mit offenen Augen und Mündern standen sie da. Ich lächelte still. Dann ging auch ich auf die Wiese hinaus. ‚Warum erzählst du nicht weiter, Papa?‘ fragte mein Sohn. ‚Es ist eine schöne Geschichte! Erzähle bitte weiter, Papa!‘ Ich schwieg eine Weile und lächelte. ‚Schlaf jetzt, kleiner Mann. Irgendwann wirst du das Ende der Geschichte erfahren. Morgen ist das Fest des Frühlings. Beltane.‘ Ich deckte ihn zu und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Seine Mutter öffnete leise die Tür und blinzelte ins Zimmer. Sie sah mir in die Augen. Ich nickte kurz, dachte daran, wie schön ihre Augen noch immer waren. Sie nahm mich bei der Hand und führte mich hinaus. Vollmondnacht vor Beltane, ihr Lächeln und der Blick ihrer Augen.
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Dialog des Regens
„Wenn du alleine im Park sitzt, um etwas zu lesen, und es beginnt zu regnen. Aus heiterem Himmel. Wenn du dann aufspringst und das Buch schliesst, wenn du unter das schützende Dach rennst, um dem Regen zu entfliehen...“ – „Ich würde nicht aufspringen. Ich würde das Buch schlies sen und in meine Tasche legen, den Kopf in den Nacken legen, um die Tropfen auf meiner Haut spüren zu können.“ – „Dann magst du den Regen?“ – „Ja, sogar sehr.“ – „Ich mag ihn auch, denn er wäscht uns und bringt Reinheit in unsere Gedanken. Er lässt mich lachen oder weinen, er birgt Freude in der Sorge, und er bringt mich zum Nachdenken, wenn ich vor lauter Freude keine Wolke am Himmel erkennen kann.“ – „Sei du mein Regen.“ – „Und du sei der meine.“
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Ewigkeit
Ich habe von einem Ort geträumt, an welchem sich Sterne auf dem Boden spiegeln. Glatte Flächen führen das Auge in die Unendlichkeit. Der Blick bleibt nirgends hängen. Schwarz glänzt die gesamte Welt. Schwarz der Himmel, an dem die Sterne leuchten. Nach einer Weile stummer Bewunderung stellt sich ein Gefühl der Einsamkeit ein. Ewigkeit. Ist das der Himmel?
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SinnLicht
Jede Nacht erhellt die Sonne kraft ihrer ewigen Strahlen den Mond. Doch wir verehren das SinnLicht.
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Der Flüsterer der Träume
Still und leise zieht der Mond des nachts die weiten Kreise Flüstert Träume meinem Geist zu öffnet Zeiten, Welten, Räume Er ist der Flüsterer der Träume. Ich schreib‘ sie nieder dann am Morgen und geb‘ so die Träume wieder Ich bin der Flüsterer der Träume. Ohne Band und ohne Siegel Mond und ich vereint als Kraft Dem SinnLicht Sinn und Spiegel.
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Alises Garten
Die Dunkelheit um mich herum erschien mir bedrängend. Ich wusste zwar, dass ich alleine im Keller der Villa war, aber die Geschichten, welche man mir in meiner Jugend über das Haus erzählt hatte, waren nicht vergessen. Zwar nahm ich nicht an, dass hier unten tatsächlich ein Monster wohnte, das kleine Jungs zum Fressen gern hatte – und ausserdem war ich kein kleiner Junge mehr, sondern ein erwachsener Mann –, aber die Geschichten hatten dafür gesorgt, dass ich den Keller auf keinen Fall mochte, und dass er mir – wenn ich auch den genauen Grund dafür nicht kannte – unheimlich war. Ich fand den Lichtschalter nicht auf Anhieb, so dass meine Hand eine Weile lang ziellos über die falsche Seite der Tür lief, bevor ich ihn auf der anderen Seite fand. Wobei ich feststellen musste, dass das Licht nicht funktionierte.
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Seufzend überlegte ich mir, ob ich nach oben gehen sollte, um eine Taschenlampe zu holen. Ich entschied mich dafür, obwohl mein Stolz es beinahe nicht zuliess. Nach einer Weile kam ich – mit einer grossen Stablampe bewaffnet – wieder in den Keller. Ich kippte noch einmal den Lichtschalter und staunte nicht schlecht, als dieses Mal zwei elektrische Glühbirnen an der Decke angingen. Ich war dennoch froh, die Stablampe dabei zu haben, denn die Glühbirnen waren so dreckig, dass sie mehr Schatten als Licht warfen. Vor allem in die kleineren Räume, die von dem Hauptraum, in dem ich mich befand, abzweigten. Ich schaltete die Lampe ein und leuchtete damit in die Ecken des neben Staub und Spinnweben (und folglich auch Spinnen) leeren Raumes. Vor zehn Jahren war ich das letzte Mal hier im Norden Englands gewesen. Nicht im Keller – den hatte ich damals immer gemieden – aber in den restlichen Räumen der alten Villa, die meiner Grossmutter gehört hatte. Grossvater war vor meiner Geburt gestorben und hatte seiner Frau nebst diesem an sich wundervollen Anwesen 13
ein grosses Vermögen hinterlassen. Ich hatte zwar von dem Geld nicht viel geerbt – jedoch genug, um den Rest meines Lebens sorgenfrei in dieser Villa zu verbringen. Sofern sorgenfrei in irgendeiner Weise mit dem Haus vereinbar war. Den Hauptteil des Geldes hatten meine drei Schwestern geerbt, die mit dem Haus seit jeher nichts hatten anfangen können. Meine Grossmutter hatte wohl daran getan, es mir zu überlassen. Doch ich fürchtete mich, das musste ich mir eingestehen, vor diesem Keller. Er war nicht feucht. Es war eigentlich ein angenehm kühler, für Weinlagerung geeigneter Keller. Doch es war zeit meines Lebens nie Wein hier gelagert worden. Grossmutter hatte mir immer, wenn ich nach dem Keller gefragt hatte, dieselbe Geschichte erzählt: Einst sei eine Frau in den Keller gegangen und nie wieder gesehen worden. Und seither wären manchmal neugierige Kinder in den Keller gestiegen und ebenfalls nicht mehr gefunden worden. Grossmutter hatte erzählt, dass die Frau sich hier unten in eine Art kinderfressendes Monster verwandelt hätte, und dass man besser daran täte, den Keller einfach verschlossen zu lassen.
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Er war verschlossen gewesen, als ich ins Haus eingezogen war. Mehr noch: Der Eingang war mit schweren Möbeln verstellt worden, und dicke Bretter waren vor die Tür gehängt worden, auf welche ein Zettel in einer Sichtmappe getackert worden war, auf dem geschrieben stand: „Neugier tötet!“ Es war die Handschrift meiner Grossmutter gewesen. Ich grinste, als ich daran dachte, wie sie diesen letzten Scherz genossen haben musste. Nun stand ich aber allein im Keller und fürchtete mich. Ich hörte ein Geräusch, und beinahe hätte ich laut aufgelacht, um das Adrenalin, das durch meinen Körper schoss, zu täuschen. Den Versuch wäre es wert gewesen. Das Geräusch klang – so wirr das klingen mag – wie das Seufzen einer Frau. Und es kam eindeutig aus dem Raum, der hinter der Tür am fernen Ende des Kellers liegen musste. Ich konnte nicht anders. Ich ging zur Tür und öffnete sie. Mir zeigte
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sich etwas, das ich kaum in Worte fassen kann – und ich ahne bereits, dass man mich für verrückt erklären wird, wenn das, was ich nun aufschreiben muss, gelesen wird. Hinter der Tür war es nicht wie erwartet dunkel – es schien im Gegenteil die Sonne freundlich auf die Wiese. Bienen summten zwischen den Blumen, und ein heller blauer Himmel spannte sich über die freundlichste Gegend, die man sich vorstellen kann. Ich vergass bei diesem Anblick beinahe, dass es Winter war – im Norden Englands. Das Seufzen, das ich gehört hatte, stammte von einer Frau, die ich auf knapp zwanzig Jahre schätzte, welche sich gegen die Mauer lehnte, welche die Tür einschloss, durch die ich getreten war. Ich trat ein paar Schritte auf die Wiese hinaus und sagte: „Hallo!“ Die Frau blickte mich entsetzt an und fragte: „Was wollen Sie denn hier? Sie gehören hier nicht her. Gehen Sie zurück! Schnell! Bevor Sie nicht mehr zurück gehen können!“
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„Wieviel Zeit bleibt mir denn?“ fragte ich belustigt. Die Angst, die ich in mir getragen hatte, bevor ich die Tür geöffnet hatte, war der Gewissheit gewichen, dass ich in einem Traum gefangen war. „Nach dem Durchschreiten des Tores etwa eine Minute,“ sagte die Frau trocken. Ich nickte, küsste die Frau auf den Mund und ging zurück in den Keller. Ich schloss die Tür, öffnete sie wieder und trat wieder auf die Wiese hinaus. „Und nun? Wieder eine Minute?“ fragte ich. Die Frau nickte und lachte. „Darauf bin ich bisher noch nicht gekommen!“ „Können Sie mir erklären, was es mit dieser Zeitspanne auf sich hat?“ fragte ich. Sie nickte wieder, setzte sich auf den Boden und sagte: „Nach einer Minute vergessen die Menschen, die durch diese Tür kommen, wie sie sie durchschreiten können. Es passiert einfach. Es ist mir einst genauso ergangen, vor langer, langer Zeit.“
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Sie erzählte mir, wie sie einst in dem Haus, in welchem ich nun wohnte, gelebt hatte. Vor mehr als hundert Jahren. Die Minute war fast um, und ich kehrte zurück in den Keller mit dem Versprechen, gleich wieder zurück zu kommen. Und das tat ich. Sie erzählte mir mehr, und dann begann ich, ihr von der heutigen Welt zu erzählen. Ich wechselte sicher fünfzig Mal an jenem Tag zwischen der realen Welt der alten Villa und der doch recht surrealen Welt des Gartens hin und her. Als ich müde wurde und beschloss, schlafen zu gehen, fragte ich die Frau, deren Name Alise lautete, ob sie mich nicht begleiten könnte. Doch sie schüttelte den Kopf. „Ich kann die Grenze nicht mehr überschreiten, weil ich nicht mehr weiss, wie das geht.“ Ich versprach, am nächsten Tag wieder zu kommen. An manchen Tagen verbrachte ich – mit kurzen Unterbrüchen nach jeweils einer Minute – Stunden mit ihr an der Tür. Ich sah manchmal auch die Kinder im 18
Garten, der – wie mir Alise erzählte – kein Ende hatte. Sie lachten nicht, wie ich es erwartet hätte. Sie spielten nicht. Sie veränderten sich in hundert Jahren kein bisschen. Sie waren neugierig, doch der Garten bot auf einer unendlichen Fläche immer Gleiches. Ich selbst stellte für sie nichts Neues dar, sie waren längst abgestumpft. Doch Alise war nicht wie die Kinder. Sie war geduldig. Sie hatte die Kinder zurück zu schicken versucht, wie sie es bei mir getan hatte. Manchmal hatte es funktioniert – manchmal nicht. Die Zahl der Kinder war mit den Jahren gewachsen. Wir verliebten uns ineinander. Die Minute, die wir jeweils zusammen waren, liess nur ziemlich spezielle gemeinsame Erfahrungen zu, doch es war eine schöne Zeit. Nach ein paar Wochen allerdings dachte ich, dass ich es vielleicht doch schaffen könnte, sie zurück in die Villa zu holen.
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Ich hatte mir überlegt, dass wenn ich sie auf meinen Armen über die Schwelle trug, während sie schlief, brauchte sie gar nicht zu überlegen, wie es ging. Nicht einmal zu wissen brauchte sie es. Und diesen Plan erklärte ich ihr. „Natürlich werde ich dich das tun lassen!“ Sie lächelte mich lange stumm an. Dann sagte sie: „Ich will zurück ins Leben.“ Also versuchten wir es, als ihre Schlafenszeit gekommen war. Ich ging ein paar Mal in den Garten, der auch während der Nacht wundervoll war. Ein fremdes Sternenzelt erhellte den Garten ohne einen Mond während der Nacht. In feines silbernes Licht getüncht lag Alise neben dem Eingang. Ich hob sie vorsichtig auf meine Arme und ging durch die Tür. Ich hatte es geschafft: Alise war auf meiner Seite. Ich weckte sie auf und sagte: „Alise! Wir sind da!“ „Für immer?“ fragte sie verschlafen. „Für immer!“ sagte ich. „Bis ans Ende unseres Lebens!“
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Doch unser gemeinsames Glück währte nur ein paar Augenblicke. Alises Körper begann alles nachzuholen. Die hundert Jahre. Alle in nur wenigen Sekunden, vielleicht zwei, drei Minuten. Falten bildeten sich auf ihrer ehemals so zarten Haut. Ihr Haar wurde grau und schliesslich weiss, kurz bevor es ausfiel. Ihre Wangen fielen ein. Und so sehr ich noch ein paar Minuten zuvor geschworen hätte, sie auch in hohem Alter noch zu lieben, so wenig wollte ich, dass eben dies in jenem Moment so schnell zur Wahrheit wurde. „Erinnerst du dich, was auf dem Zettel stand?“ fragte Alise mit brüchiger Stimme. „Du hast es mir einmal erzählt.“ Ich nickte und weinte. „Soll ich dich zurück in den Garten bringen?“ fragte ich schliesslich. Doch sie schüttelte den Kopf. „Ich habe am Ende meines Lebens doch noch die Liebe gefunden. Lass mich lieber so sterben, als mich als Greisin ewig leben zu lassen…“
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Seit jenem Tag lebte ich allein in der Villa, die einst meiner Grossmutter gehört hatte. Ich wollte, solange ich lebte, niemanden in den Keller gehen lassen. Ich liess – nach zehn Jahren – den Eingang zum Keller zumauern. Einer der Bauarbeiter jedoch verschwand bei den Arbeiten. Die anderen Männer brachen die Mauer noch einmal auf, doch sie fanden keine Spur von ihrem Kollegen. Ich werde nicht ewig den Wächter von Alises Garten spielen können. Ich bin heute 35 Jahre alt, und ich habe wieder gelernt zu lieben. Julia ist eine wundervolle Frau, die mir meine Geschichte tatsächlich glaubt, was ich vom Leser dieses Dokuments nicht erwarten kann. Ich werde gemeinsam mit Julia und einer Unmenge von Büchern in den Garten gehen. Wir haben gemeinsam die Mauer niedergerissen. Wir haben auch Früchte und andere Esswaren mitgenommen, obwohl wir wissen, dass wir sie nicht benötigen werden. Uns steht ein ewiges Leben bevor. Und ich glaube an die ewige Liebe. Obwohl ich Alise noch heute vermisse, habe ich keinen Zweifel daran, dass es mit Julia funktionieren wird. Das Haus wird – nachdem wir durch die Türe gegangen sind – gesprengt. Dafür habe ich gesorgt. Diese Zeilen sende ich Dir, mein 22
Freund, damit Du, wenn Du nach mir gefragt wirst, selbst entscheiden kannst, ob Du die Wahrheit, die Du nun kennst, erzählen willst, oder ob Du eine realistischere Geschichte erfinden willst. Ich wünsche Dir eine wundervolle Zeit.
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Zauberstein
„Was ist das?“ fragte sie mich, als ich ihr den Stein gab. Ich lächelte. „Wonach fühlt es sich denn an?“ fragte ich. Sie runzelte die Stirn, wog den Stein in ihrer Hand und fuhr mit dem Zeigefinger der anderen Hand über seine Oberfläche. „Er scheint mir schwerer zu sein, als er es sollte. Und seine Oberfläche ist wärmer, als ich erwartet hätte.“ Sie blickte mich erwartungsvoll an. Ich nickte bloss und sagte: „Und weiter?“ Sie blickte auf den Stein, drehte ihn zwischen den Fingern und sagte: „Seine Farbe… Sie ist von einem so tiefen Blau, dass man fast meinen möchte, er sei das Meer. Und die weissen Streifen seine Wellen…“ „Was ist es nun?“ fragte ich. „Ein Zauberstein?“ fragte sie. 24
Ich nickte. „Was kann er denn tun?“ fragte sie weiter. „Sag du es mir,“ sagte ich lächelnd. Sie betrachtete wiederum den Stein in ihrer Hand. „Er hat heilende, beruhigende Kräfte. Wenn man ihn bei sich trägt, sorgt er für Wohlbefinden. Ist es das?“ Ich nickte wieder. „Er gehört von nun an dir. Möge er durch sein Gewicht daran erinnern, dass er durch seine Wärme Geborgenheit ausstrahlen kann. Er wird dich heilsam beruhigen und für Wohlbefinden sorgen. Wirst du ihn bei dir tragen?“ fragte ich. „Ja, das werde ich tun,“ sagte sie. „Danke, dass du mir einen solch prächtigen Stein schenkst.“ Hat nun sie gezaubert oder ich? fragte ich mich leise.
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Winterfarben
Die nassen grauen Nebelstunden Die mir im Herbst die Welt geformt Sind nach und nach im Schnee verschwunden Ich bin ganz und gar verträumt Wenn ich die Welt jetzt ruhig betrachte Auf ihre Formen, Farben achte Blauer Himmel formt ein Zelt Und weisse Gassen meinen Weg Ganz wundervoll ist meine Welt An jedem neuen Wintertag Eis und Schnee in Klarheit strahlen Verdecken alte Herbsttagsqualen
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List & Glück
„Einmal im Leben möchte ich eine Frau treffen und kein Wort mit ihr wechseln müssen, bevor uns beiden klar wird, dass wir gemeinsam eine Beziehung haben werden, die länger hält als das Leben,“ sagte Ron. „Das gibt es nicht,“ sagte Francine kalt. „Das wäre ja die perfekte Beziehung. Mehr noch – es wäre ein Märchen.“ „Und genau das möchte ich eben erleben!“ sagte Ron. „Dann versuche es einmal,“ sagte Francine grinsend. Ron streckte Francine die Zunge heraus. „Du weisst genau, dass man so etwas nicht versuchen kann. Es passiert – oder eben nicht.“ „Hmm,“ machte Francine, „dann musst du wohl einfach abwarten, ob es jemals geschehen wird.“ Ron nickte. „Das habe ich vor.“ 27
„Wie bitte?“ fragte Francine entgeistert. „Du willst keine Beziehung mehr eingehen, bis dieser unwahrscheinlichste aller Fälle eintritt?“ Ron nickte, und dieses Mal grinste er. „Meine Mühe und meine Geduld wird belohnt werden – daran glaube ich ganz fest.“ „Dann glaub‘ das mal!“ rief Francine plötzlich wütend aus. „Ich selbst habe also keine Chance, jemals mit dir eine Beziehung einzugehen?“ Ron zuckte mit den Schultern. Francine blickte Ron tief in die Augen und sagte: „Lass es uns doch versuchen, Ron. Vergiss‘ doch deine Pläne, verschiebe sie auf später. Vielleicht sind wir ja perfekt für einander…“ Francine drückte ihm ihre Lippen auf seinen Mund, und als sich ihre Zungen begegneten, war es, als ob ein feiner elektrischer Schlag sie träfe. Nach einem langen und innigen Kuss sagte Francine lächelnd: „Deine Pläne habe ich also über den Haufen geworfen.“
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Ron grinste und sagte: „Nein, auch Männer lügen ab und zu, um eine Frau zu gewinnen.“
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Mark, zwölf Jahre alt
Ein Schild deutete darauf hin, dass das Spielen auf
der Baustelle lebensgefährlich sein konnte, und dass
deswegen die Bauverwaltung jegliche Haftung ablehnte.
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Spechtwerk
Fondl konnte es noch immer nicht glauben. „Du bist Gott?“ fragte er wohl zum zehnten Mal. „Ja,“ sprach Gott. Er fühlte sich nicht sehr wohl in seiner Haut. „Und was denkst du dir eigentlich dabei, so zu handeln?“ fragte Fondl energisch, als er sich endlich damit abgefunden hatte, dass er tot war, und dass Gott sich jetzt persönlich um ihn kümmerte. „Ich kümmere mich persönlich um dich, weil ich an allen Stellen gleichzeitig bin,“ erklärte er Fondls eigene Gedanken. „Und du liest meine Gedanken,“ sagte Fondl in spöttischem Ton.
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„Ja,“ sagte Gott nur. Ihm schien mulmig zu werden, als Fondl seinen nächsten Gedanken entwickelte. Dennoch liess er ihn aussprechen: „Kannst du mir einmal erklären, warum ich nicht wie meine geliebte Frau Angela beim Unfall sterben konnte? Warum musste ich noch vier Jahre im Rollstuhl herumkurven, leiden, weil ich meine Frau verloren hatte und weil ich nichts mehr zu tun hatte? Und warum fiel ausgerechnet eine Eiche auf mich herunter?“ Gott blickte auf seine Füsse, als ob sie äusserst interessant wären. Nun – sie waren natürlich die Füsse Gottes, aber er hatte andererseits schon unendlich viel Zeit gehabt, sie zu betrachten! Fondl verstand ihn nicht... „Nun... Die Bäume...“ begann er. „Ja?“ fragte Fondl. „Sie haben darauf bestanden.“ Gott blickte an ihm vorbei. Er schaffte es irgendwie nicht, in seine Augen zu blicken. „Ähm... Das soll die Erklärung sein?“ fragte Fondl.
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„Ja,“ sagte Gott. „Die Bäume haben darauf bestanden, dass du noch vier Jahre leiden solltest, und dass es einer Eiche zustünde, bei ihrem Fall auf dich zu treffen. Es ist ihre Art von Humor.“ Gott zuckte seine Schultern. Fondl war sprachlos. Für einen Moment. Dann sagte er: „Nun, ich möchte natürlich nicht der Bäume Recht auf ihren eigenen Humor anzweifeln – ich meine, du bist ja Gott und das alles, und du hast sie geschaffen, wie uns auch, aber...“ Gott unterbrach ihn. „Nein, das stimmt nicht. Die waren noch Jahwes Werk – genau wie ihr. Ich habe diesen Job erst übernommen, als die Welt schon stand. Nach dem Sündenfall der Menschen gefiel Jahwe nicht mehr so sehr, was er sah. Zu mir sagte er: ‚Gott blickte auf die Bredouille und sah, dass die Erde ein schrecklicher Haufen Müll werden würde.‘ So hinterliess er mir die Erde, weil ich sowieso nichts Besseres zu tun hatte. Die Bäume haben damals rebelliert. Sie fühlten sich sowieso ein wenig verarscht wegen der Jahreszeiten. Sie drohten damit, in spätestens zwei Millionen Jahren an den Äquator zu ziehen, ausser...“
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„Ausser was?“ fragte Fondl ungeduldig. „Ausser wenn sie die Entscheidungskraft darüber besässen, wie die Menschen sterben. Als ich die Kontrolle über dich für einen Moment verlor, fuhrst du deinen Wagen gegen eine Eiche. Das war wirklich unglaublich dämlich von dir, Fondl.“ Gott schwieg. Er hatte seine Fassung langsam wiedergefunden. Fondl blickte betreten zu Boden. Er wusste ja, dass der Unfall das Blödeste war, das er je verbrochen hatte. „Hmm. Werde ich wiedergeboren?“ fragte Fondl. Gott hob eine Augenbraue. „Glaubst du an die Wiedergeburt?“ Fondl blickte irritiert in Gottes irritierte Augen. „Ja, klar!“ bekräftigte er. Gott kratzte sich am Hinterkopf. „Hmm. Ist eigentlich nicht üblich. Aber ich denke, dass wir angesichts dessen, was geschehen ist, eine Ausnahme machen könnten.“
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Fondl seufzte erleichtert. „Gut. Dann schick mich zurück, bitte.“ Gott hob eine Hand. „Eines noch, Fondl. Du wirst dich natürlich in deinem nächsten Leben nicht an das vorherige erinnern können. Ich werde aber nicht verhindern können, dass du eine gewisse Abneigung gegenüber Bäumen verspüren wirst. Ich möchte dich trotzdem bitten, dich ein wenig zurückhaltend zu zeigen, um ein ähnliches Gespräch zu vermeiden.“ Fondl nickte. „Schon in Ordnung.“ Gott schickte Fondl zur Erde zurück.
Als Fondl aus seinem Ei schlüpfte, wusste er gar nichts. Er öffnete seinen Schnabel, weil er Hunger hatte. Es war ein starker Schnabel, wenn auch noch ein wenig klein geraten. Seine Mutter kam, um ihm Futter zu bringen. Vater war damit beschäftigt, in ungeheurem Tempo auf den Stamm eines grossen Baums einzuschlagen. Spechtwerk eben.
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Politik
Literatur wird bei uns links gebunden.
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WirrSpiel
Einsam kichernd sass der verwirrende Alte in seinem Turmzimmer und schrieb eine Geschichte, deren Sinn sein eigener Deutschlehrer nicht besser hätte beschreiben können mit den Worten: „Heute ist wunderbares Aufsatzwetter.“ Das Grinsen eines Totenschädels hat nicht die Schönheit des Lächelns eines jungen unschuldigen Mädchens an einem Sommerabend am Strand des mediterranen Südfrankreich. Und dennoch steckt auch in jenem Mädchen das Spiegelbild des grinsenden Kopfes. Zeile um Zeile verstreicht, während der kichernde Alte versucht, die Verwirrung – die zu provozieren er nicht gelernt, sondern aus der Zukunft geerbt hatte – aufzulösen, indem er sie an den Leser bringt.
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Abschnitte über die Implementierung weiblicher wie männlicher Formen bei Worten wie ‚der Leser‘ dienen nicht der Veränderung der eigentlichen Geschichte. Und sie verschönern nicht die karge Einrichtung des Turmzimmers, mit dem das Kichern des verwirrenden Alten begann. Kreise zu schliessen bedeutet, die Phantasie zu töten. Schriftsteller und Totengräber haben also eines gemeinsam: Sie benötigen Luft zum Atmen – und Tod um zu leben. Zwei Spiegel, die sich gegenüber stehen, können nicht weiter sehen als zu sich selbst. Und sehen so in die Unendlichkeit der eigenen Seele. Das Kichern des verwirrenden Alten in seinem Turmzimmer würde verblassen ob der einzig wahrhaftigen Ironie des sich ewig selbst verwirrenden Möbiusbandes namens Gott.
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Sich an Blasphemie im richtigen (weil falschen) Moment zu vergreifen gehört sich nicht – so sagt man doch oft in der üblen Laune eines Sommermorgens, an dem man sich an das Bild des Schädels erinnert, dessen Schönheit sich wiederholen wird, solange Menschen geboren werden. Ich stand am Strand, als die Sonne unterging, und ich sah in den tiefblauen Augen einer wunderschönen jungen Frau das Glitzern der ersten Sterne in ihren Augen. Sie deuteten das Lächeln an, bevor ich sie zu küssen wagte. Zarte Lippen und der Geschmack von Salz küssten die meinen und liessen mich an nichts anderes mehr denken als an Liebe, Glück und Zärtlichkeit. Jedes Neugeborene sorgt für eine Wiedergeburt des Totenschädelgrinsens. „Entschuldigung,“ betreten zu sagen ist nicht mein Text.
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Melancholische Verabschiedung
Kaum hab ich den Tag begonnen
Fröhlich – Blick voraus –
Ist vorm Entstehn das Glück zerronnen
Und das Licht des Tages aus.
Der Abend regnet vor sich hin
Ich bin allein zuhaus‘ –
Und weil ich wieder müde bin,
Schalt ich die Lichter aus.
Gute Nacht.
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Unwohl
Die Farbe wich aus seinem Gesicht, rollte sich am Boden zusammen und verliess – rückwärts – den Raum.
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Augen in der Nacht
Ich sass in meinem Sessel und blickte über die Stadt. Der Sessel befand sich auf dem Dach eines Wohnblockes unter einer plexigläsernen Kuppel, die meinen Lebensbereich vom Draussen abschirmte. Ich fixierte die Lichter der Stadt. Da eine Leuchtreklame, dort eine lange Reihe Autos, und in den Häusern vereinzelt Licht, weil ein paar Menschen nicht schlafen konnten. Es war drei Uhr nachts. Der Himmel war schwarz, die Abwesenheit von Licht. Ich konnte nur die Stadt sehen, und auch dort nur die beleuchteten Dinge. Ich sah am Himmel nicht die Wolken, die den Mond verdunkelten, ich sah nicht den Smog, der kein Sternenlicht durchdringen liess, ich sah nicht die Milchstrasse, wie sie sich über den ganzen Himmel hinzog, ich sah nur Schwärze. Schwärze
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und das künstliche Licht der Stadt. Kein Ton drang durch die Kuppel, in der ich sass. Auch ich sass im Dunkeln, damit ich beobachten konnte. Wahrscheinlich war ich der letzte Mensch auf dieser Erde, der noch eine andere Nacht kannte. Anderes Licht in der Nacht. Andere Geräusche, und vor allem andere Gerüche. Nicht die toxischen Schwaden, die jetzt durch die Atmosphäre trieben, sondern Düfte! Ich erinnerte mich genau an eine Nacht, die ich in meinem ganzen Leben keinen Augenblick vergass… Es war ein warmer Sommerabend im Juli gewesen. Wir hatten den Unabhängigkeitstag gefeiert und hatten an einem langen Festtisch gesessen und gegessen. Wir hatten gelacht und Feuerwerk in den Himmel steigen lassen. Dann hatte mich plötzlich der Blick eines Mädchens gefangen. Ihre Augen liessen die meinen nicht los, und meine die ihren auch nicht. Schliesslich standen wir beide zur gleichen Zeit auf, als hätten wir uns abgesprochen. Wir trafen uns am einen Ende des Tisches und hielten uns an der Hand. Dann gingen wir in die Nacht hinaus.
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Wir folgten zuerst dem Weg, der vom Haus weg zu den Feldern führte. Dann bogen wir, ohne miteinander zu sprechen, auf die Wiese mit dem hohen Gras ab. Unser Weg stieg leicht an, und als wir die kleine Anhöhe bewältigt hatten, blieben wir stehen und sahen einander in die Augen. Es war nicht ganz dunkel, die Lichter der feiernden Leute, Freudenfeuer und das Licht des Mondes erhellten unsere Gesichter. Lichtreflexe flackerten in ihren Augen. Ich versank immer tiefer in ihrem Blick und schliesslich legten wir uns nebeneinander ins hohe Gras. Es war feucht und kühl, aber ihre Augen wärmten mich. Ich spürte die Wärme ihrer Hand, ihrer Augen und ihres Herzens. Nach einer Weile kuschelte sie sich an mich, und wir schauten in den Himmel. Wir sahen den Mond, die Sterne und die Milchstrasse. Wie Millionen kleiner Augen schienen die Sterne uns zuzuzwinkern. Der Mond schaute uns auffordernd an. Wir sahen einander wieder in die Augen und unter dem Schutz des hohen, feuchten Grases, des friedlichen Mondes und der übermütigen Sterne liebten wir uns schliesslich.
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Ich öffnete die Augen und blickte wieder auf die Stadt. Die Leuchtreklamen, die Autos und die wachen Menschen. Ein tiefes, schwarzes Loch bildete sich in meinem Bauch, als ich in den giftigen Himmel hinaufblickte. Ich wünschte mir die Zeit zurück. Ich wünschte mir die Sterne zurück – und den Mond als treuen Begleiter des Menschen. Dies war nicht meine Welt. Ich wollte sie nicht – sie wollte mich nicht. Ich öffnete die Tür auf die Veranda, und der Lärm der Stadt brach über mich herein wie eine Woge übelriechenden Wassers. Ich lehnte mich ans Geländer und blickte über die Stadt. Dies ist nicht meine Welt. Als mein Blick über die Häuser meiner Umgebung streifte, blieb er auf dem Kuppeldach des Nachbarwohnblockes, wo auf der Veranda der Plexiglaskuppel eine Frau stand, hängen. Ihr Blick hielt mich gefangen. Es war nicht ganz dunkel. Das Licht der Leuchtreklamen, der Autos und der Wohnungen beleuchteten unsere Gesichter. Lichtreflexe flackerten in ihren Augen. Ich versank immer tiefer in ihrem Blick und ich sah in ihren Augen die Erinnerung an eine Zeit, in der die Sterne noch lustig am Himmel tanzten und in welcher der Mond ein treuer Begleiter des Menschen war. Ich liebte diese Frau in diesem Moment 45
für die Erinnerung, die uns verband. In einer kalten Welt voll kalter Menschen gab es sie, die gleich mir vergeblich in den Himmel starrend auf der Veranda stand. Und ich erkannte, dass unsere Liebe nur diesen kurzen Moment Bestand haben sollte. Wir lehnten uns vor und machten aus dem Moment die Ewigkeit.
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Karnikatur
Das Gedicht ‚Karnikatur‘ musste wegen ethischer Bedenken leider aus dem vorliegenden Band entfernt werden.
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Gestrandet
Ein Mann strandete auf einer einsamen Insel. Anfangs genoss er die romantische Situation. Er beobachtete, wie der Himmel sich abends färbte und ihn in eine seltsame Stimmung versetzte. Er fand Blumen, die noch nie ein Mensch zuvor erblickt hatte und ergötzte sich an ihrer Fremdheit. Er erkannte jedoch, dass er seine Empfindungen nie einem bekannten Menschen würde mitteilen können, weil er doch hier allein, abseits jeglicher Zivilisation, gestrandet war. Das bedrückte ihn und liess Zweifel am Sinn all dieser Vollkommenheit in Gottes Natur aufkommen. Er atmete ein und drohte daran zu ersticken. Als das Schiff kam, rannte er auf eine Anhöhe und stürzte sich von der Klippe.
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SchattenSpiele
Der November begann mit kaltem Regen und ging mit Nebel und dem ersten Schnee. Tränen vergangener Liebe haben mein Herz und meine Augen gefüllt, als ich in einem Schatten Dich zu erkennen glaubte. In jenem Moment, als Du der Schemen im Schatten warst, kamen Erinnerungsfetzen aus unserer gemeinsamen Zeit zurück. Du und ich auf den einsamen Treppen vor dem Stadthaus… Du und ich im alten Hafen vor St. Tropez, kühle Meeresluft an einem heissen Sommertag, Küsse, die nach Sommer schmeckten und für mich der Sommer waren… Du und ich auf den schneebedeckten Gassen in der ersten Winternacht, als noch niemand ausser uns darauf getreten war… Die zarten Berührungen der ersten gemeinsamen Liebesnacht – damals, als wir zu jung waren, um zu erkennen, dass es einmal enden könnte… Die Tränen in Deinen Augen, als Du mich darüber in Kenntnis setztest, dass Du mich für längere Zeit verlassen müsstest, um 49
in England die Sprache zu lernen… Der Moment am Flughafen, als wir einander gegenüber standen, jeder vom Anderen nicht wissend, ob da noch Liebe war, und dann der Augenblick, in welchem beide für sich entschieden, dass da noch Liebe sein musste, weil der Andere so unglaublich schön und gleichzeitig so unerreichbar fern erschien… Wir hielten uns seit jeher gerne lange fest, als hätten wir – jeder für sich – in diesem Leben ohne den Anderen keinen Halt… Dich ewig fest zu halten. Deine Lippen ewig sanft zu berühren, um später die Lippen umso fester aufeinander zu pressen… Und doch – Du warst es nicht. Du warst nicht der Schemen im Schatten der winterlichen Stadt, durch die wir oft gemeinsam gegangen sind. Du kannst es nicht gewesen sein. Darfst es nicht gewesen sein. Denn der Schemen, den ich sah, ging fort, obwohl er mich für einen Moment zu erkennen schien. Die Frau, die da im Nebel stand und mich einen Augenblick zu lange musterte, um fremd zu sein, entschied, mich nicht zu kennen. Sie sagte wohl zu sich selbst, dass ich nicht die Person war, welche sie vermisste. Und so ging sie. Und so kannst, so darfst es nicht Du gewesen sein. 50
Doch ich blicke, wenn ich einsam durch die Gassen wandere, in jede Ecke und Ritze, jeden Schatten. Ich kenne die Umrisse dieser Stadt genauer als manch alter Mensch, der seit Jahrzehnten hier spazieren geht. Und ich hoffe stets, Dich irgendwann zu erkennen. Der traurigste Gedanke aber ist der, dass Du niemals kommen könntest, weil Du damals der Schemen im Schatten warst.
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Fragmentzauber
In Worten auszudrücken Was die Welt zusammenhält auseinanderfällt Ergibt ein Bild mit Lücken
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Nächstes Jahr an diesem Ort
Ich sass im Stadtpark und hörte über Kopfhörer leise Musik. Der Klang absorbierte die Aussenwelt fast vollständig. Ich bemerkte nicht, wie sich hinter mir jemand auf den Rasen setzte. Ich las ruhig weiter in dem Buch, welches ich zu meiner Lektüre mitgenommen hatte. Es sollte mir ein Basiswissen über die Bräuche der Germanen verschaffen, so dass ich meinen Plan, eine Geschichte über die Begegnung eines germanischen Weisen mit einer englischen Keltin zu schreiben, besser in die Tat umsetzen könnte. Sonnige Tage waren in diesem Sommer eher selten, weswegen ich mir den Nachmittag frei genommen hatte, um gleichzeitig Ruhe zu finden und ein wenig – befreit von schlechtem Wetter und übel gelaunten Menschen – zu arbeiten.
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Während die Sonne weiter munter auf den Park herunterschien, begannen die Neuankömmlinge hinter mir wohl, darüber nachzudenken, was ich am lesen war. Ich hatte sie noch immer nicht bemerkt, aber als aus dem Nichts das Gesicht einer jungen blonden Frau neben meinem erschien, welches über meine Schulter einen Blick auf mein Buch zu erhaschen hoffte, erschrak ich so sehr, dass ich das Buch zuklappte und nach hinten fiel, wobei ich sie mit mir riss. Sie lachte. Ich zog meine Kopfhörer vom Kopf und blickte sie aus grossen Augen an. „Hallo,“ sagte ich. Sie nickte zum Buch und sagte: „Die Germanen, also.“ Ich nickte. Nun sah ich erst, dass neben ihr eine weitere junge Frau sass. Sie hatte schwarzes Haar und – soweit ich mich zu erinnern vermag – grüne Augen. Beide waren hübsch. Beide grinsten.
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Dass ich mich nicht genau an die Augenfarbe der zweiten erinnere, mag Zeichen dafür sein, dass ich die blonde Kerina hübscher fand (auch, dass ich mir nur ihren Namen gemerkt habe, obwohl ich beide an jenem Tag zu hören bekam). Kerina hatte das glücklichste Lachen dieses Sommers und die strahlendsten Augen. Nachdem wir uns einander bekannt gemacht hatten, sagte ich: „Kerina, genau so, wie du bist, stelle ich mir die Person vor, über welche ich eine Geschichte schreiben wollte!“ „Eine Germanin?“ fragte sie erstaunt. „Eine Keltin. Du hättest einen Germanen getroffen. Einen Weisen unter Kriegern.“ Ich lächelte, als ich mir vorstellte, wie weise ein solcher Mann wohl im Vergleich mit einer jungen naturverbundenen Frau der Kelten erscheinen mochte. Kerina wurde so leicht rot, dass ich es nicht bemerkt hätte, hätte ich diesem Effekt nicht meine ganze Aufmerksamkeit geschenkt.
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„Du weisst doch gar nicht, wie ich bin. Wie kannst du sagen, dass ich deiner Vorstellung entspreche?“ fragte sie. Ich sagte: „In mir bist du bis jetzt kaum mehr als das Lächeln, das ich spüre und das Strahlen in deinen Augen, welches ich sehe – und natürlich die Projektion meiner Ahnung, was meine Geschichte, die ich noch zu schreiben habe, betrifft.“ „Möchtest du mehr über mich wissen, oder ist es dir lieber, wenn du die Geschichte mit diesen Eindrücken schreiben kannst?“ fragte sie. Ich bestätigte das zweite. „Dann treffen wir uns in einem Jahr. Hier im Park – am 7. August. Du liest mir die Geschichte vor, und ich werde mich geehrt oder beleidigt fühlen.“ Mit diesen Worten stand sie auf, bedeutete ihrer Freundin, sie zu begleiten und marschierte geradewegs aus dem Park hinaus.
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Ich habe die eigentliche Geschichte nicht geschrieben, muss ich gestehen. Denn als ich am selben Tag vor dem Computer sass, fiel mir das ein, was Sie hier vor sich sehen. Ich habe keine Ahnung, ob ich im nächsten Sommer, wenn ich am 7. August im Stadtpark sitzen werde, die Geschichte einer Keltin und eines Germanen in meiner Tasche haben werde. Ich hoffe dennoch, dass mir eine geehrte, glückliche Kerina gegenübersitzen wird.
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Relativ
„Richtig beleuchtet wirfst sogar du einen grossen Schatten.“
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Klammern süsse Kraft
Als ich an einem Sommerabend
(mich still am Sommerabend labend)
Kühn durch diese Gassen ging
Mich plötzlich ihre Stimme fing…
Sie sang mit Anmut und mit Kraft
(dem Zauber, der die Welt erschafft,
jeden Tag aufs Neue)
Dass ich mich mit ihr freue…
Lächelnd stand ich eine Weile
Lauschte ihrer schönen Stimme
(mich verliess die alte Eile)
Sie verklärte mir die Sinne
Auf dass der Klang mich heile
Und ich ganz neu beginne.
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Wahrscheinlich nicht
„Drei Tore. Hinter zweien steckt eine Niete. Die Chance, dass du beim ersten Mal das richtige wählst, liegt bei nur 33 Prozent. Nun gibt dir der Showmaster eine Gelegenheit zum Wechseln und kennzeichnet eines der beiden Tore, die du nicht gewählt hast, als Niete. Bleiben also noch zwei Tore – eines davon der Supertreffer, eines eine weitere Niete. Solltest du der Wahrscheinlichkeit nach wechseln oder nicht?“ Ich überlegte kurz und sagte: „Die Wahrscheinlichkeit, dass das Tor, vor welchem ich stehe, das richtige ist, liegt bei 33 Prozent. Also sollte ich wechseln, denn nach dem Wechsel liegt die Wahrscheinlichkeit, dass ich das richtige gewählt habe, bei 66 Prozent, da eine Niete bereits eliminiert wurde.“ Andreas nickte. „Dennoch habe ich das Gefühl, dass es nicht richtig sein kann.“ 60
Ich lächelte. „Ganz einfach zu erklären. Wenn du den neuen Fall gesondert betrachtest, liegt die Wahrscheinlichkeit eindeutig wieder bei 50 zu 50. Aber man sollte die bereits gemachte Entscheidung ebenfalls berücksichtigen. Und vor allem auch die Hilfe des Showmasters.“ „Dennoch,“ sagte Andreas, „ist es seltsam.“ Ich nickte. „Grundsätzlich liegt jede Wahrscheinlichkeit bei einer Entscheidung, die man als Mensch fällt, bei 50 Prozent. Sie ist entweder richtig oder falsch, egal, wie die Wahrscheinlichkeit verteilt ist. Und wenn du – trotz aller Wahrscheinlichkeit – die falsche Wahl triffst, dann ist dir die Wahrscheinlichkeit ziemlich egal.“ Andreas nickte. „Ziemlich, ja.“ Ich überlegte kurz und suchte nach einem weiteren Beispiel. „Wenn du zum Beispiel einen AIDS-Test ablegst. Wenn du für dich selber denkst, dass es absolut unwahrscheinlich ist, dass du tatsächlich HIV positiv bist, hast du dennoch zu 50 Prozent Angst, bevor du das Ergebnis weisst.“ „Mehr sogar,“ sagte Andreas.
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„Nicht mehr, nicht weniger, aber auf jeden Fall zuviel Angst. Denn die Angst ist sinnlos, da nicht der Test entscheidet, ob du krank wirst oder nicht, sondern die Tatsache, ob du infiziert wurdest.“ „Also soll man keine Angst haben?“ fragte Andreas. „In keinem Fall?“ Ich zuckte die Schultern. „Der Fall ist noch nicht bekannt. Angst zu haben lohnt sich erst, wenn man tatsächlich ein positives – und deswegen negatives – Ergebnis erhält.“ „Dennoch,“ sagte Andreas, „würdest du wechseln, wenn du tatsächlich vor einem jener noch zwei Tore stehen würdest?“ „Wahrscheinlich nicht,“ sagte ich. „Und warum nicht?“ fragte Andreas. „Never change the queue!“ zitierte ich. „Wechsle niemals die Reihe.“
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Dass sie ihn verstanden hatte
„Der Strand ist Anfang und Ende des Meeres. Und wenn wir unseren Blickwinkel ändern könnten, würden wir sehen, dass das Meer in einen Strand eingebettet ist. Dass jeder einzelne Strand nur ein Teil jenes grossen, das Meer untermauernden Strandes ist, dass nur der Mensch meint, das Land höre auf, obwohl nur eine grosse Pfütze den Teil bedeckt, welcher der grosse, unsichtbare Teil ist, der das ganze Meer auf seinen Schultern trägt. So ist es auch mit uns beiden. Zwischen uns liegen Missverständnisse, ausgesprochen und verschwiegen. Darunter aber liegt die Liebe, die uns zu einem grossen Strand werden lässt, der das Meer der Liebe fasst und hält.“ Sie blickte ihn einen Moment lang verwirrt an, denn solch lange und ausführliche Reden war sie von ihm nicht gewohnt, oder glaubte, sie passten nicht recht zu ihm. Doch dann spürte sie, wie die Worte sie berührten, und dass er zwar oft nur wenig sagte, aber in der langen Zeit 63
ihrer Beziehung schon einige Male so geredet hatte. Und sie liebte ihn dafür, es jetzt getan zu haben. Mit einem Kuss auf seine Lippen zeigte sie – denn er war wohlgesetzt und gar nicht flüchtig –, dass sie ihn verstanden hatte.
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Du musst gehen
Ich erwachte um Mitternacht mit einem stechenden Schmerz in meiner Brust. Ich erhob mich und ging die Treppe hinunter. Im Wohnzimmer stand meine Frau und weinte. „Warum weinst du?“ fragte ich. Doch ich erhielt keine Antwort. Meine Frau umarmte sich selbst, als ob sie friere. Später erwachte ich erneut, und ich ging wieder ins Wohnzimmer, doch meine Frau war nicht da. Ich setzte mich in den Schaukelstuhl und wartete dort, bis sie kam. Sie legte ihren Mantel ab und setzte sich mir gegenüber aufs Sofa. „Geht‘s dir ein bisschen besser?“ fragte ich.
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Sie blickte mich an, oder mehr durch mich hindurch, mit einem Schmerz in ihren Augen, den ich noch nie an ihr bemerkt hatte. Dann erhob sie sich und ging nach oben. Ich folgte ihr leise. Wieder sassen wir einander gegenüber, und wieder blickte sie mich auf dieselbe Weise an. „Sprich mit mir!“ verlangte ich. Sie senkte den Blick. „Bitte,“ sagte ich, „deswegen bist du doch hier.“ Sie nickte. „Ich möchte dich nicht verlassen,“ sagte sie. „Du musst,“ sagte ich. „Dein Tod schmerzt mich sehr. Doch ich muss weiterleben.“ „Ich will nicht gehen,“ wiederholte sie. Am nächsten Abend sass ich allein im Wohnzimmer. Sie kam nicht. Auch nicht am Abend danach. Der Gedanke, dass sie es geschafft hatte und nun an einem besseren Ort war, vermochte mich nur ein wenig zu trösten. Auf
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eine gewisse Weise war ich selbst gestorben. Mein Herz schmerzte körperlich. Wenigstens hatte ich noch einmal mit ihr sprechen können.
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Traumnebel
Nebelformen, schiefe Räume,
Anderwelten Nachtgesang,
Inneres Wissen, äusserer Drang –
Fliessend wechseln deine Träume.
Einfluss nehmen Ängste, Sorgen,
Wünsche und was gestern war.
Ist es schrecklich, wirr und sonderbar –
Oder warm, geheilt, geborgen?
An sich ist der Traum –
Voll von Klängen, Farben, Worten
Und von Wesen aller Arten –
Aus dem Selbst geformter Raum.
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Ignoranz
„Solange ich lebe, bin ich unsterblich.“
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Wille
Sie blickte in meine Augen, um festzustellen, ob ich log. Ich wich ihrem Blick aus, um sie in ihrem Verdacht zu bestätigen, weil ich wollte, dass sie glaubte, ich hätte ein Verhältnis gehabt. Ich war treu gewesen. Sie hatte es mir nie geglaubt. Die ganzen vier Jahre unserer Beziehung lang war ich treu gewesen. Und ich hatte sie geliebt. Ich liebte sie noch immer – wenn auch auf ganz andere Weise mittlerweile. Ich vermisste sie nicht mehr, und das machte es mir am schwersten, noch länger mit ihr zusammen zu sein. Also gab ich ihr einen Grund, mich zu verlassen. „Du hast es getan,“ stellte sie fest. Ich sagte nichts. Ich blickte zu Boden. Dann sagte ich doch etwas. „Was soll ich darauf antworten?“ fragte ich sie. Sie zuckte mit den Schultern und begann zu weinen.
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Ich deutete an, dass ich sie trösten wollte, wohl wissend, dass ich ihrer Meinung nach der letzte Mensch auf Erden war, der sie in diesem Moment trösten könnte. Sie wehrte ab. „Ich gehe,“ sagte sie.
Ich blickte weiter zu Boden.
Sie ging und hasste mich.
Und so hatten wir am Ende beide, was wir wollten.
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Die Katze
Wie eine Katze bewahrst und verteidigst Du Deine Unabhängigkeit. Wie eine Katze spielst Du gerne mit den Dingen, die sich zum Spiele eignen und lässt sie liegen, wenn sie nicht mehr Deine Neugier zu wecken imstande sind. Wie eine Katze faszinierst Du die Augen der Beobachter und bindest ihren Blick. Wie eine Katze betörst Du die Sinne des Dichters und machst ihn schreiben. Wie eine Katze lässt Du es Dir gut gehen bei mir und schenkst mir dafür etwas Wärme. Wie zu einer Katze fühle ich mich zu Dir hingezogen, wie eine Katze möchte ich Dich behandeln. Ich möchte Dich um mich haben. Dir die Zeit und schlechte Laune vertreiben. Ich möchte Dein Lächeln erwecken und als Lohn Gemütlichkeit empfangen. Und Dich nicht verletzen, denn der Katze Zähne und Krallen sind geschärft. Und wer sie nicht achtet, wird ignoriert. Wie eine Katze liebe ich Dich.
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Das Mondmädchen.................................................................................................3
Dialog des Regens ..................................................................................................8
Ewigkeit .................................................................................................................9
SinnLicht ..............................................................................................................10
Der Flüsterer der Träume.......................................................................................11
Alises Garten ........................................................................................................12
Zauberstein ..........................................................................................................24
Winterfarben.........................................................................................................26
List & Glück..........................................................................................................27
Mark, zwölf Jahre alt.............................................................................................30
Spechtwerk ..........................................................................................................31
Politik...................................................................................................................36
WirrSpiel ..............................................................................................................37
Melancholische Verabschiedung ............................................................................40
Unwohl.................................................................................................................41
Augen in der Nacht ...............................................................................................42
Karnikatur ............................................................................................................47
Gestrandet ...........................................................................................................48
SchattenSpiele......................................................................................................49
Fragmentzauber....................................................................................................52
Nächstes Jahr an diesem Ort.................................................................................53
Relativ..................................................................................................................58
Klammern süsse Kraft ...........................................................................................59
Wahrscheinlich nicht .............................................................................................60
Dass sie ihn verstanden hatte ................................................................................63
Du musst gehen ...................................................................................................65
Traumnebel ..........................................................................................................68
Ignoranz ...............................................................................................................69
Wille ....................................................................................................................70
Die Katze..............................................................................................................72
Erste Auflage
ISBN 3–907855–00–0
März 2001
SinnLicht © 2001 by Patrick Armbruster, story.ch, Winterthur ¬ All rights reserved ¬ Konzept & Design by Patrick Armbruster (story.ch) & Philipp Leo (DEBUNK.DE) ¬ Auflage: 500 Exemplare ¬ E-Book erhältlich unter http://story.ch & http://sinnlicht.com ¬ Alle Gedichte & Geschichten geschrieben von Patrick Armbruster (story.ch)
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