Thommie Bayer
Sponto, Carla, Mike und Bobby McGee
S U B I T O PENDRAGONS PLÖTZLICHE R E I H E
4 SUBITO PENDRAGONS PL...
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Thommie Bayer
Sponto, Carla, Mike und Bobby McGee
S U B I T O PENDRAGONS PLÖTZLICHE R E I H E
4 SUBITO PENDRAGONS PLÖTZLICHE R E I H E
Thommie Bayer
Sponto, Carla, Mike und Bobby McGee
PENDRAGON N
Sie spielten Gitarre auf den Stufen vor der Kirche. Mike warf den Seesack hinter sich und lehnte erschöpft seinen Rücken daran. Ich bin ein Reisender, dachte er, schon weit genug entfernt, ein Reisender und glücklich unter Fremden. Eine Weinflasche wurde herumgereicht, und ein Mädchen mit ernsten Augen fragte: »Kommst du mit?« Es war kühl geworden. Er wickelte sich
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in den Parka, schlug die Arme um sich und wartete auf die Rückkehr seiner Körperwärme in den Stoff. Zu viert stiegen sie in einen zinngrauen Mercedes 180, dessen Motor nach mehreren Startversuchen ansprang. »Gibt’s hier irgendwo eine Jugendherberge?« fragte er, »heut komm ich nicht mehr nach Berlin.« »Kannst bei uns schlafen«, sagte das zweite Mädchen. Sie fuhren aus der Stadt, und Carla, die ihren Namen mit lustig rollendem R gesagt hatte, berührte sein Knie in jeder Rechtskurve. Später auch in den Linkskurven. Sie
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bogen in den Hof eines Bauernhauses ein. Dort standen zwei ausgeschlachtete Käfer, eine mobile Säge und ein zum Wohnen ausgebauter Opel Blitz. Das vierte und fünfte Mitglied der Wohngemeinschaft lernte Mike in der Küche kennen, wo der eine grollend lauter Teepackungen aus dem Regal nahm, prüfte und verwarf, kurzangebunden »Tag« über die Schulter sagte und sich halblaut darüber beschwerte, daß kein einziger nicht aromatisierter Tee da sei. Der andere rührte gelassen in einer Art Risotto, dessen sich das zweite Mädchen gleich schuldbewußt annahm.
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»Das ist Mike», sagte Carla, »und das ist Tom und das ist Sponto.« Dabei zeigte sie zuerst auf den mit dem Tee und danach auf den, der im Topf gerührt hatte und sich nun daran machte, einen riesigen Joint zu bauen, von dessen Anblick allein Mike schon schwindlig wurde. Carla ignorierte seine Schüchternheit und fragte ihn so unbefangen aus, war er tue, von wo er komme und wie alt er sei, daß er selbst sich, nach und nach aufgetaut, in eine Unterhaltung mit allen wagte. Marianne, das andere Mädchen, Carlas Schwester, ging noch wie sie zur Schule und war die
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Freundin von Flips, der das Auto gefahren hatte und eine Lehre hier im Dorf als Instrumentenbauer machte. Tom lernte Buchhändler in der Stadt, und Sponto nannte sich einen Lebenskünstler. Mit wem ist Carla zusammen, fragte sich Mike, denn wie selbstverständlich saß sie neben ihm, und er wartete darauf, daß ihre Knie sich wieder berühren würden. Seines jedenfalls kribbelte seit der Autofahrt, und es war, als läge eine zweite Wachheit darin. Ein erwartungsvolles Aufpassen auf beiläufig und ungewollt wirkende Berührungen. Den Joint lehnte er ab und kam sich dabei schrullig
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vor. Alle andern saugten mit Hingabe daran. Ich bin der Draußenbleiber, dachte er, der Beobachter und beobachtete sich selber, wie er den Reis, der ihm überhaupt nicht schmeckte, aß. »Kannst in meinem Zimmer schlafen«, sagte Flips und stand auf, um noch einmal in die Stadt zu fahren. »Er schläft bei mir«, sagte Carla, bevor Mike noch eine Antwort hätte geben können, und der kurzen Stille hinterher folgte umso lauteres Reden von anderen Dingen. Mit Carla und Tom wusch er das Geschirr
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ab, während Sponto sich in sein Zimmer verzog, wo er laut und verstimmt Elektrogitarre spielte. Marianne fuhr mit in die Stadt. Es war dunkel, als ihn Carla von der Küchenbank zog und sagte: »Komm, wir gehn noch bißchen raus.« Das rollende R machte kleine Hüpfer im Satz, und Mike ließ sich willig einen Pullover über den Kopf stülpen, zog seinen Parka an und folgte ihr nach draußen hinters Haus und in die Felder. Sie gingen schweigend, und einmal meinte er einen Schatten wie den von Fritz an seinem Bein vorbeihuschen zu sehen. Es
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war nur Einbildung, und doch kam ein Gefühl wie Sehnsucht nach dem Kater in ihm auf. Wär das schön mit Fritz nach Berlin zu reisen, wär das schön, ihm die Gegend hier zu zeigen, die Felder hinter irgendeinem fränkischen Dorf. Aber was würde Fritz zu seinem Anbändeln mit Carla sagen? Quatsch. Ausgerechnet Fritz. Ein Kater ist nicht monogam. Carla nahm Mikes Arm und legte ihn um sich. Beim Gehen berührten sich ihre Hüften, und die magere Schulter unter seiner Hand fühlte sich aufregend fremd und neu an. So aufregend fremd und neu, wie ihre
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Stimme, die leise, melodisch und ein bißchen kindlich klang, und ihr Geruch, von dem ihm eine Ahnung hin und wieder vor die Nase flog. Das war alles diese große neue Freiheit, das war »Me and Bobby McGee« und »The Seeker« und »Suzanne«: Die Berührung dieses Mädchens, das unvertraute, abenteuerliche Zu-Gast-Sein in einer unbekannten Gegend, das Gefühl, ganz ohne Netz über die Welt zu balancieren, mit zweihundert Mark in der Tasche und ohne Termin für die Rückkehr. Einfach Tschüß gesagt zu haben, ich gehe nach Berlin und jetzt hier mit dieser
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dunkelhaarigen sechzehnjährigen Carla den langen Umweg in ihr Bett zu gehen. Jetzt wird alles anders, dachte er, und morgen bin ich neu. Aus Spontos Zimmer dröhnte »In The Court Of The Crimson King«, als Carla nacheinander alle Kerzen anzündete, Mike den Pullover vom Körper zog, ihn küßte und dann fragte: »Willst auch’n Kakao?« »Ja«, sagte er und setzte sich im Schneidersitz auf den Boden, um auf sie zu warten. Zwei Poster von Gustav Klimt hingen an der Wand, »Der Kuß« und »Danae«. In einem zweireihigen, mit Haken befestigten
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Regal standen die Tagebücher von Max Frisch, »Ansichten eines Clowns« von Böll, schottische Märchen und eine ganze Reihe Suhrkamp Taschenbücher der Farbe nach geordnet. Wie ein Regenbogen, von hellem Gelb bis zu tiefem Lila standen Hesse, Brecht, Nossack und Handke durcheinander. Ein verziertes Marrokkanisches Messingtablett auf einer Obstkiste, ein alter braun gestrichener Bauernschrank und zwei griechische Decken, eine auf der am Boden liegenden Matratze und eine an der Wand, waren die ganze übrige Einrichtung des Raums.
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Mike hörte Stimmen auf dem Flur, vermutlich Spontos, die sehr unfreundlich klang und Carlas, deren Antworten kurz und leise waren. Was gesprochen wurde verstand er nicht, denn die Musik von King Crimson drang jetzt lauter auf den Flur und zerhackte den erregten Dialog. Dann wurde Spontos Tür zugeschlagen, die Musik noch weiter aufgedreht, und Carla kam mit zwei dicken Bechern ins Zimmer. Auch sie schloß ihre Tür laut und vernehmlich, wobei sie etwas murmelte, das wie »Blödmann« klang. Mike fragte nichts, nahm nur seinen Ka-
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kao und verbrannte sich die Zunge daran. Carla blies eine der drei Kerzen aus und kniete sich hin, um ihn erneut zu küssen. Ihre Zunge fühlte sich so anders an, als die beiden, die er bis jetzt kannte, und Mike ertappte sich dabei, daß er verglich. Aber ein Schuldgefühl, dessen er sich vage bewußt wurde, ließ ihn sofort damit aufhören, und er versuchte, sich auf Carlas Zunge und das was sie tat in seinem Mund zu konzentrieren. Sie war irgendwie kompakt und suchend, hatte so etwas gedrängtes, kurzangebundenes, er wollte noch nach einer genaueren Beschreibung suchen, als sie von ihm
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abließ, einen Schluck aus ihrer Tasse nahm und er feststellte, daß er nicht geküßt, sondern nachgedacht hatte. Beim nächsten Kuß legt er seine Hand auf ihre Brust und ließ sie von dort über ihre Taille und ihren Rücken wandern. Er zog den Reißverschluß in ihrem Nacken auf und fand, mit der Hand in den Spalt schlüpfend, keine nackte Haut, sondern ein Unterhemd, das er, enttäuscht aber pflichtschuldig streichelte. Sie zog ihr Kleid über sich, das Unterhemd hinterher, öffnete einen Knopf seines karierten Hemdes, sagte »Komm ins Bett« und schlüpfte unter die Decke. Er zog
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sich auch bis zur Unterhose aus und fühlte den kalten Stoff des Bettzeugs an der Haut, als er zu ihr kroch. Sie kuschelte ihren kühlen, glatten Körper an ihn, und er wünschte sich, alles, was seine Fingerspitzen berührten, auch sehen zu können, aber noch waren sie zu wenig erwärmt, als daß er die Decke hätte lüften dürfen. Aus Spontos Zimmer hörte man jetzt eine andere Platte, und Carla schob ihre Hand in Mikes Unterhose und faßte ihn an. Er streifte den störenden Stoff ab bis zu den Knien und zog ihn von dort mit der großen Zehe von sich. Auch ihren Slip schob er nach unten, und vermutlich
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strampelte sie ihn gleichermaßen weg, als er ihn aus seinen Händen in die dunkle Tiefe des Bettzeugs verschwinden fühlte. Streichelnd und suchend, reibend und tastend, vorsichtig, fest und immer auf der Hut, ob die jeweilige Berührung auch willkommen sei, geisterten vier Hände und alles, was sich an ihren beiden Körpern bewegen konnte, umeinander. Ich will sie sehen, dachte Mike immer wieder, ich will sie sehen, nicht nur spüren. Wie kleine Spione kamen ihm seine Fingerspitzen vor, Teleskopsonden, die nur ungenaue Bilder an die Zentrale schicken konnten. Als er später in sie eingedrungen
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war, schaffte er es, Carla nach oben zu bugsieren und endlich ihren Körper mit den lang herabfallenden Haaren, den weich sich bewegenden Brüsten und einer schattigen Ahnung des Dreiecks in ihrem Schoß zu betrachten. Er legte seine Hände unter ihre Achseln und hatte das Gefühl, er halte sie zart, und sie fühle sich vielleicht wie Drachen fliegen. Plötzlich kreischte nebenan der Tonarm über die Platte, gefolgt von einem Rumpeln und dann gespenstischer Stille. Carla hatte sich vornüber auf ihn fallen lasen, und Mike zog wie automatisch die Decke über sie.
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Erschreckt und angespannt, wie sie jetzt da lagen, spürte er sich auf einmal noch viel deutlicher in ihr. Da war ein absurder Widerspruch zwischen dem weiterpochenden Puls in ihrer Mitte und dem lauernd daliegenden Rest ihrer Körper. Mike wußte nicht, welcher Teil von ihm in hellerer Aufregung war: die pulsierende Mitte oder der in wachem Schrecken gelähmte Kopf. Inzwischen bewegte sich Carla wieder, richtete sich auf und schien zurückzufinden, aber die Stille hinter dem Flur verwandelte alles. Mike hatte Angst vor jedem Geräusch aus ihrem Mund. Es waren kleine Seufzer,
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melodische Summtöne, deren Rhythmus ihre Herkunft klar belegte. Hörte Sponto zu? War sie seine Freundin? Hatte er ältere Rechte? Die Erwartung, gleich öffne sich die Tür und ein wütender Sponto risse Carla grob von ihm, das alarmierte Ohr, das Mike ständig zum Flur hin offenhielt, und die seltsame Distanz, die er dadurch zum eigenen Tun bekam, machten es unmöglich, den Puls noch für das Wichtigste zu halten. Er wollte nur noch fertig werden, konzentrierte sich, so gut er konnte auf den Anblick von Carlas Körper und hörte sich innerlich kommandieren: Los, mach schon, auf gehts,
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los, jetzt spann dich doch schon an, mach doch, mach doch, mach doch. Carla löste sich und glitt neben ihn, drehte sich auf den Rücken und sah zur Zimmerdecke. »Und du?«, fragte Mike nach einer Weile verschämt. »Ach laß mal«, antwortete sie, »ist nicht so wichtig.« Er küßte ihren Scheitel, und sie drehte sich, um zu schlafen, weg von ihm. Morgen bin ich sechzehn, dachte er noch kurz bevor er sank, sechzehn und ganz neu und in Berlin.
Thomm ie Bayer, geboren 1953 in Esslingen/Neckar, lebt in Südbaden. Seit 1984 schreibt er Romane, Glossen und Kurzgeschichten. Veröffentlichungen: „Eine Überdosis Liebe", Roman, Rowohlt 1986, „Einsam, Zweisam, Dreisam", Roman, Rowohlt 1987, „Die frohe Botschaft abgestaubt", Nacherzählung des Evangeliums, Haffmanns 1989, „Sellavie ist kein Gemüse - 30 Typen wie du und er", Psychologie-Heute-Taschenbuch 1990, „Das Herz ist eine miese Gegend", Rowohlt 1991, „Es ist nicht alles Kunst, was glänzt", Ein Künstlererkennungsbuch, Psychologie-HeuteTaschenbuch 1991, „Spatz in der Hand", Roman, Eichborn 1992.
Band 4 aus der Reihe Subito Herausgegeben von Günther Butkus
Originalausgabe Veröffentlicht im Pendragon Verlag Bielefeld 1992 © Copyright by Pendragon Verlag Alle Rechte vorbehalten Herstellung: Marxmühle, Aßlar-Werdorf Gesetzt aus der Bembo 12 Punkt auf LTC 300 Umschlag: Bernd Ackehurst unter Verwendung einer Zeichnung von Thommie Bayer nach einer Idee von Volker Kriegel ISBN 3-923306-85-7 Printed in Germany
Ein kleiner Schritt zur Seite weitet sich zum Sprung, als Mike Ende der Sechzigerjahre auf einer Reise nach Berlin für eine Nacht vom Weg abkommt. „Sie spielten Gitarre auf den Stufen vor der Kirche, Mike warf den Seesack hinter sich und lehnte erschöpft seinen Rücken daran. Ich bin ein Reisender, dachte er, schon weit genug entfernt, ein Reisender und glücklich unter Fremden. Eine Weinflasche wurde herumgereicht und ein Mädchen mit ernsten Augen fragte: 'Kommst du mit?'"
P E N D R A G O N ISBN 3-923306-85-7