Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 224
System des Todes Sie handeln im Auftrag Orbanaschols - ihr Ziel ist Skärgoth, die...
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Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 224
System des Todes Sie handeln im Auftrag Orbanaschols - ihr Ziel ist Skärgoth, die Unwelt von Marianne Sydow Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überra schende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Imperator Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und das Gemeinwohl völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von ver schworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorge gangen. Selbst empfindliche Rückschläge oder unvorhersehbare Hindernisse entmu tigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orba naschol, den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fortzusetzen. In diesem Kampf hat Atlan mit dem wiederbelebten Körper Gonozals, seines Va ters, gegenwärtig eine neue Waffe gegen Orbanaschol, die bereits zweimal erfolg reich zum Einsatz gelangte. Aber auch der Imperator bleibt nicht untätig! Durch das Erscheinen seines für tot gehaltenen Amtsvorgängers zutiefst beunruhigt, entschließt er sich zu einem folgen schweren Schritt: Er will Klinsanthor wecken lassen, den sagenumwobenen Magnor töter, und er schickt Expeditionen aus ins SYSTEM DES TODES …
System des Todes
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Die Hautpersonen des Romans:
Orbanaschol III. - Der Usurpator will den Magnortöter wecken lassen.
Konph El Trajn - Ein Archivar.
Lenth Toschmol - Ein besessener Forscher und Wissenschaftler.
Zenkoorten - Kommandant der PROTALKH.
Varka, Swann und Vrenaja Zortain - Wichtige Besatzungsmitglieder der PROTALKH.
In den Grüften und Meeren der Unwelt, in älteren Fassungen auch Skärgoth genannt – Arkonidische Legende, träumt Klinsanthor, der Magnortöter. Weckt ihn und ruft ihn, aber achtet darauf, daß sein schrecklicher Schatten nicht auf euch fällt.
1. Orbanaschol III. starrte auf die große Bildwand und bemühte sich, die von Andeu tungen und geheimnisvollen Umschreibun gen gespickten Projektionen zu durchschau en. Es gelang ihm nicht, und er wandte sich ärgerlich ab. »Gibt es denn nicht wenigstens einen Be richt über Klinsanthor, der aus jüngerer Zeit stammt und verständlich ist?« keifte er mit seiner Fistelstimme, die zu dem massigen, aufgeschwemmten Körper des Imperators einen geradezu lächerlichen Kontrast bilde te. Konph El Trajn hütete sich, seine wahren Gefühle zu zeigen. Es war lange her, seit sich zum letztenmal eine ähnlich hochge stellte Persönlichkeit in diesen Teil des Ar chivs verirrt hatte. »Verzeiht, Erhabener«, sagte er. »Klinsanthor ist eine Gestalt aus der Mytho logie unseres Volkes. Vielleicht gibt es ihn gar nicht. Die Überlieferungen sind alt, und im Laufe der Zeit wurden sie immer unge nauer.« »Das merke ich auch!« zischte der Impe rator wütend. Er bemühte sich um eine im ponierende Körperhaltung, denn dieser ural te Mann, der die Mythologien des arkonidi schen Volkes ständig um sich hatte, flößte ihm beinahe so etwas wie Angst ein.
»Darf ich jetzt einen anderen Text ein blenden?« fragte Konph. Orbanaschol III. zuckte ein wenig zusam men, als ihm die Unverschämtheit des alten Mannes bewußt wurde. Niemand sonst wag te es, den Herrscher über das Große Imperi um so respektlos anzusprechen. Aber Konph El Trajn besaß zum Leidwesen des Impera tors eine gewisse Bedeutung – wenigstens vorläufig noch. Wenn alles vorbei war, wür de er dafür sorgen, daß El Trajn die nötige Achtung vor seinem Imperator lernte! »Also gut«, fistelte er. »Schauen wir uns das nächste Ammenmärchen einmal an.« Der Alte hantierte geschickt an einem Schaltpult herum. »Das ist der einzige Bericht über das letz te Eingreifen Klinsanthors«, ließ er sich ver nehmen und deutete auf die Bildwand. Der positronische Bibliothekar hatte das Original projiziert. Die altmodischen, ver schlungenen Buchstaben ließen sich kaum mehr entziffern. Obwohl Orbanaschol nur einen Teil des Textes lesen konnte, erfaßte eine irrationale Angst den Imperator. Er hat te das unangenehme Gefühl, als strahle al lein dieses. Schriftstück eine unfaßbare Dro hung aus. Ohne auf einen direkten Befehl zu warten, begann Konph El Trajn, den alten Text zu übersetzen. »Und das Volk von Arkon erhob sich gegen die, die es in seiner Freiheit un terdrückten. So wie das wilde Xarph sich nach der Entwöhnung selbst gegen die Mut ter stellt und kämpft, bäumte Arkon sich ge gen Bevormundung und Unfreiheit auf. Aber der Krieg dauerte lange, und die Opfer waren schwer. Das junge Arkon bemühte sich, die Fesseln seiner Kindheit abzustrei fen, aber die Ketten wurden immer schwe rer. Als die Kraft der Arkoniden fast erlo
4 schen war, bäumte das Volk sich ein letztes Mal auf und schrie nach Hilfe. Der Ruf fand Gehör. Ein gewaltiger Sturm erhob sich zwi schen den Welten und zerbrach die Bande. Klinsanthor in seiner unfaßbaren, unschau baren Gestalt warf seinen Schatten über die, die im Unrecht waren, und sie wichen angst voll zurück. Die Vernichtung folgte ihnen und trieb sie vor sich her, und Klinsanthors Schlachtruf klang schauerlich zwischen den Sonnen. Als die Feinde, geschlagen und von Furcht erfüllt, in ein Versteck zurückwichen, aus dem es für sie kein Entkommen mehr geben würde, jubelte das Volk von Arkon laut. Von Freude und Dankbarkeit erfüllt, eilte es dem Magnortöter entgegen. Aber Klinsanthor wandte sein Gesicht von ihnen und eilte zurück in die Skärgoth, und ein Teil seines Schattens überzog die, die ihm danken wollten. Wen der Schatten berührt hatte, der welkte dahin wie eine Blume. Un zählige starben, und das Volk der Arkoniden erstarrte in Furcht und Trauer, bis der mäch tige Klinsanthor in die Ruhe der Grüfte zu rückgekehrt war. Dann erst verlor auch der Schatten seine Macht.« Der Bericht, den der Alte in leierndem Singsang vorgetragen hatte, versetzte Orba naschol in eine seltsam befangene Stim mung. »Wann geschah das ungefähr?« fragte er. »Zur Zeit der Unabhängigkeitskriege. Die Arkoniden waren fast geschlagen, als eine rätselhafte Macht eingriff und die Schlacht beendete. Allerdings waren die Opfer auf der Seite unseres Volkes vermutlich genauso hoch wie bei den Gegnern.« »Es gibt Geschichtsforscher, die daran zweifeln, daß eben diese Auseinanderset zungen jemals stattgefunden haben«, wandte Orbanaschol unwillig ein. »Vielleicht haben sie sogar recht«, mur melte Konph El Trajn. »Es ist alles so lange her. Aber es ist nicht meine Aufgabe, dem nachzuforschen. Ich hüte diese Überliefe rungen. Ein Urteil über den Wahrheitsgehalt der Mythologien steht mir nicht zu.« »Du zweifelst daran, daß Klinsanthor exi-
Marianne Sydow stiert?« fragte Orbanaschol drohend. »Ich weiß es nicht, Erhabener. Niemand hat ihn je gesehen. Wenn wirklich er es war, der den Arkoniden zur Freiheit verhalf, dann müßte er inzwischen längst gestorben sein. Es sei denn, es handelt sich bei dem Magn ortöter um ein Wesen, auf das die Naturge setze nicht zutreffen.« »Es heißt, daß nur der Imperator selbst Klinsanthor rufen kann. Wer weckte ihn da mals?« »Der Name wurde nicht überliefert.« Orbanaschol starrte den Alten an. »Niemand hätte es gewagt, den Namen ei nes solchen Helden zu verschweigen«, stieß er endlich hervor. »Du lügst, Alter! Nenne mir den Namen dessen, der Klinsanthor rief!« »Ich bin ein sehr alter Mann, Erhabener«, seufzte Konph. »Ihr braucht mir nicht zu drohen. Mein Wissen steht jedem zur Verfü gung, aber diesen Namen kenne ich nicht. Ich weiß, was das bedeutet. Man hat den Er wecker Klinsanthors absichtlich vergessen und ihm damit das Schlimmste angetan, was einem Arkoniden zustoßen kann.« »Aber warum?« »Viele aus unserem Volk mußten sterben, und die Schuld daran gab man offensichtlich dem, der den Unheimlichen rief. Auch ohne sein Eingreifen wäre die Entscheidung ir gendwann gefallen. Die Opfer waren unnö tig. Nur in der allerletzten Not, wenn alle an deren Mittel versagen und die Existenz des Imperiums einer übermächtigen Drohung ausgesetzt ist, sollte man Kräfte wie diese rufen. Sonst beschwört man Gefahren her auf, die sich mit Hilfe von Impulskanonen ganz gewiß nicht beseitigen lassen.« In den Augen des Imperators erschien ein gefährliches Glitzern. Er trat drohend auf den dürren, alten Arkoniden zu. »Ich brauche deinen Rat nicht!« fauchte er Konph an. »Klinsanthor wird kommen. Nur er kann mir helfen.« Fast hätte er dem Alten gesagt, worum es sich handelte, aber dann ließ sein Mißtrauen ihn doch schweigen. Natürlich ließ es sich
System des Todes auf die Dauer nicht geheimhalten, daß Go nozal wieder aufgetaucht war. Er und dieser Atlan bildeten eine so große Gefahr für Or banaschol, daß er selbst die Geister der Toten um Hilfe gebeten hätte, wäre es ihm möglich gewesen. Orbanaschol III. war ent schlossen, die Gefahr, die von dem jungen Kristallprinzen ausging, für alle Zeiten zu bannen. Er war bereit, die optimale Waffe der Imperatoren einzusetzen. »Ammenmärchen!« zischte er wütend und deutete auf die Bildwand. »Geschwätz, mit dem die Wahrheit vernebelt wurde. Klinsan thor ist ein Werkzeug, die absolute Macht zu erringen. Er wird sich nicht gegen den stel len, der ihn ruft. Er sollte dankbar sein, wenn er überhaupt geweckt wird?« Konph zuckte die Schultern. »Meine Zeit ist bald abgelaufen«, sagte er gelassen. »Ob ich durch den Schatten des Magnortöters sterbe oder nicht, das kann mir ziemlich gleichgültig sein. Aber es geht um Arkon, Imperator!« »Genug!« schrie Orbanaschol mit über schnappender Stimme. »Behalte deine Weis heiten für dich. Im übrigen ist die Entschei dung längst gefallen. Ich habe Kommandos ausgesandt, die die Unweit aufspüren und Klinsanthor benachrichtigen werden. Die Unterlagen sind zwar ungenau, aber es sollte doch wohl möglich sein, den richtigen Pla neten zu finden. Mit Hilfe des Magnortöters werde ich in diesem Imperium aufräumen, wie man es noch nie zuvor gesehen hat, und ich versichere dir, daß man meinen Namen nicht vergessen wird!« Um das zu erreichen, dachte Konph El Trajn, hättest du aufgeblasener Kerl nicht erst die Mythologien zu bemühen brauchen. Du wirst ewig im Bewußtsein der Arkoniden bleiben – in Form von Flüchen und Verwün schungen. Aber er hütete sich selbstver ständlich, diese Gedanken laut zu formulie ren. Eine Bemerkung konnte er sich allerdings doch nicht verkneifen. »Wenn es so ist, dann kann ich nur hof fen, daß wirklich alles nur ein Märchen ist«,
5 sagte er. Orbanaschol III. schnappte nach Luft. Aus hervorquellenden Augen stierte er den zerbrechlichen Alten an. Dann drehte er sich jedoch nach wenigen Sekunden um und ver ließ ohne ein weiteres Wort das Archiv. Konph El Trajn sah ihm nach und lächelte spöttisch. Er wußte, daß Orbanaschol man che seiner Untertanen schon wegen weitaus harmloserer Bemerkungen hatte hinrichten lassen. Hätte es Zeugen bei diesem Ge spräch gegeben, so wäre Konph jetzt bereits so gut wie tot. Aber der alte Mann kannte seinen Wert genau. Er hatte keine Angst. Nachdenklich ließ er die Angaben über die Skärgoth auf der Bildwand erscheinen. Die Unterlagen waren so vage, daß seine Hoffnungen berechtigt schienen. Nur ein un glaublicher Zufall vermochte ein Raum schiff zu diesem Ort zu führen – falls es ihn gab. Konph hoffte inbrünstig, daß das nicht der Fall war. Orbanaschol hatte ohnehin zu viel Macht. Der Alte lebte seit langem fast ausschließlich in den weitläufigen Anlagen des Archivs. Seit dem Tode Gonozals hatte er diese Unterwelt immer seltener verlassen. Dennoch wußte er, was auf Arkon I gesch ah, und es gefiel ihm gar nicht.
2. Die PROTALKH hing wie ein riesiger, silberner Ball zwischen den Sternen. Der größte Teil der Besatzung ruhte sich aus. Sie alle waren erprobte Raumfahrer, und sie wußten, daß die Zeit der Ruhe ein Geschenk war, das man nur zu schnell wieder verlor. Sie hatten es aufgegeben, die Transitionen zu zählen. Die Offiziere warfen ab und zu besorgte Blicke auf die Kursschreiber, aber sie brauchten den Männern und Frauen der PROTALKH nicht zu sagen, daß man sich durch ein Gebiet bewegte, über das kaum Berichte vorlagen. Natürlich kursierten alle möglichen Ge rüchte über das Ziel dieser Reise. Es ging um irgendeinen Planeten, auf dem Zenkoor ten und Lenth Toschmol etwas finden soll
6 ten. Etwas, das sehr wertvoll, aber auch sehr gefährlich war. Zenkoorten war der Kommandant der PROTALKH, ein eisenharter Mann, der be dingungslose Disziplin forderte. Es, gab nie manden an Bord, der ihn als seinen Freund hätte bezeichnen können, aber er wurde all gemein geachtet und war in gewisser Weise sogar beliebt. Seine Gerechtigkeit war sprichwörtlich. Lenth Toschmol war fremd im Schiff und wurde schon deswegen mit Mißtrauen ange sehen. Er war Wissenschaftler und beschäf tigte sich mit Mythologien, und das ließ ihn als etwas unheimlich erscheinen. Fast alle Raumfahrer sind anfällig für Aberglauben. Die Besatzung der PROTALKH bildete da keine Ausnahme. Fast jeder war im Grund genommen davon überzeugt, daß ein Mann wie Toschmol dem Schiff nichts Gutes ein bringen konnte. Toschmol selbst schien alles zu tun, um dieses Mißtrauen zu stärken. Daß er abgrundhäßlich war, hätte man ihm noch verziehen. Aber sein Benehmen, vor allem seine Arroganz, führte dazu, daß er auch den letzten Rest von Sympathie bei der Besat zung verlor. Zenkoorten kannte die Abneigung, die seine Untergebenen diesem Mann entgegen brachten. Offiziell benahm er sich Toschmol gegenüber neutral – privat dagegen stimmte er seinen Leuten voll und ganz zu. »Wir müssen endlich zu einer Entschei dung gelangen«, seufzte er und legte in einer Geste, die Müdigkeit und unterdrückten Är ger ausdrückte, die Hände flach auf den Tisch. »Nichts leichter als das«, konterte Lenth Toschmol. Er sprach langsam, und Zenkoor ten hatte sich daran noch immer nicht ge wöhnt. Auch nicht an die Angewohnheit To schmols, während des Sprechens mit seinen hageren Händen kreisende Bewegungen vor der Brust zu vollführen. Alles an diesem Mann machte Zenkoorten nervös. Selbst wenn man Toschmol gesagt hätte, daß seine Kabine ausbrannte, hätte dieser Kerl sein Sprechtempo vermutlich nicht erhöht.
Marianne Sydow »Wir setzen den Kurs auf diese dunkle Sonne«, erklärte Toschmol schleppend. Er streckte die Hand aus und deutete auf einen Punkt auf der Sternkarte. Zenkoorten zuckte unwillkürlich zurück, als er die Schmutzrän der unter den Fingernägel erblickte. »Die Sonne existiert nicht«, sagte er schärfer als beabsichtigt. »Ich habe es Ihnen schon mindestens zehnmal gesagt. Die Karte taugt nichts.« »Das bezweifle ich«, versetzte Toschmol spöttisch. »Wenn Ihre Leute die Sonne nicht finden, dann liegt das wohl eher daran, daß sie gar nicht nicht richtig nach ihr suchen. Die Karte beweist, daß wir in der richtigen Gegend sind. Diesen gelb-roten Doppelstern haben Sie doch ausgemacht!« »Es gibt unzählige von seiner Sorte in der Galaxis!« »Aber bestimmt nicht viele, die von sechs roten Zwergsonnen in so geometrischer An ordnung umgeben sind.« »Es sind nur fünf«, korrigierte Zenkoorten ärgerlich. »Die sechste existiert nur in Ihrer Phantasie.« »Wir müssen nur etwas näher heran«, wi dersprach Toschmol, kratzte sich ungeniert den Kopf und gähnte ausgiebig. Zenkoorten beobachtete ihn in einer Mischung von Wi derwillen und Faszination. Im hellen Licht der Kabinenlampe wirkte Toschmols langes, strähniges Haar noch unordentlicher als sonst. Hinzu kam die Farbe – rot! Was für eine Sorte Arkonide mochte der Wissen schaftler wohl sein? Und dann diese Nase! Sie ragte wie ein gebogener Haken aus dem langen Gesicht heraus und reichte bis über die Lippen. »Wenn wir den Doppelstern erreichen, sind wir in einer wesentlich besseren Positi on«, fuhr Toschmol gelassen fort. »Ich bin mir meiner Sache absolut sicher. Wir befin den uns in direkter Nähe der Unweit. Der Schlüssel ist die rote Sonne. Wir müssen sie finden, und wir werden sie auch entdecken. Schließlich kann sie sich nicht aufgelöst ha ben!« Zenkoorten seufzte. Er war diese Streite
System des Todes reien leid. Toschmol war völlig der fixen Idee verfallen, er und kein anderer könne den Weg zu diesem geheimnisumwitterten Ort entdecken, an dem Klinsanthor angeb lich zu finden war. Der Kommandant kannte sich im Umgang mit Wissenschaftlern aus und kam normalerweise gut mit ihnen zu recht. Aber bei Toschmol war es anders. Das lag zum großen Teil daran, daß dieser Mann weitreichende Vollmachten besaß. Zenkoor ten war zwar der Kommandant, aber den Kurs der PROTALKH bestimmte Toschmol. »Bestehen berechtigte Bedenken in bezug auf die Sicherheit des Schiffes?« bohrte To schmol unbarmherzig nach. »Haben Sie Be weise dafür, daß die Mission der PROT ALKH gefährdet ist, wenn wir diesen Stern ansteuern?« »Nein«, gab Zenkoorten widerwillig zu. »Aber wir verlieren Zeit. Fünfzig Lichtjahre entfernt gibt es eine ähnliche Konstellation. Vielleicht finden wir dort eine Spur.« »Der Zeitverlust sollte Ihnen gleichgültig sein, Kommandant«, sagte Toschmol eisig. »Meine Berechnungen sagen mir, daß die Skärgoth hier zu finden ist – nicht fünfzig Lichtjahre weiter. Sollten Sie dennoch dar auf bestehen, das andere System zuerst zu untersuchen, so müssen Sie die volle Ver antwortung dafür übernehmen.« »Sie sind ein verdammt hartnäckiger Mann«, knurrte Zenkoorten. »Aber gut. Sie sollen Ihren Willen haben. Hoffentlich kom men Sie dabei nicht in Konflikte mit Ihrem Verantwortungsbewußtsein!« Toschmol lächelte spöttisch, während er dem Kommandanten folgte. Sie überquerten den Ringkorridor und betraten die Komman dozentrale. Die wenigen Leute, die dort zur Routineüberwachung während der Ruhezeit gebraucht wurden, sahen den beiden unglei chen Männern neugierig entgegen. Zenkoor ten war groß und hielt sich sehr gerade. Sei ne Uniform saß perfekt. Das etwas kantige, ausdrucksvolle Gesicht war von halblangem, silberhellem Haar umrahmt, und die rötli chen Augen streiften mit einem kühlen, auf merksamen Blick die Anwesenden. To
7 schmol, etwas über mittelgroß, mager und leicht gebeugt, wirkte neben dem Komman danten wie eine Vogelscheuche. »Pilot!« »Alle Systeme in Ordnung!« meldete Varka, ein noch junger Mann. »Ordnen Sie Startbereitschaft an!« befahl Zenkoorten. »Ich erwarte alle diensthaben den Offiziere zu einer Einsatzbesprechung im Kartenraum. Ausführung sofort!« Varka wandte sich kommentarlos seinen Instrumenten zu. Zenkoorten sah ihn auf Knöpfe drücken und dachte mit leichtem Mitleid an die über dreihundert Leute der Freiwache, die jetzt aus dem Schlaf gerissen wurden. Toschmol folgte ihm wie ein Schat ten. »Ist eine Besprechung notwendig?« fragte er herausfordernd, als sie durch die durch sichtigen Wände des Kartenraums vor den neugierigen Ohren der Besatzung geschützt waren. »Jetzt passen Sie mal auf, Toschmol«, er widerte Zenkoorten gereizt. »Zweifellos stellen Sie eine Kapazität auf Ihrem Gebiet dar, sonst hätten Sie nicht den Auftrag erhal ten, an der Suche nach der Unweit teilzuneh men. Aber von der Raumfahrt haben Sie so wenig Ahnung, wie ich von den arkonidi schen Mythologien. Hören Sie auf, mir in meine Arbeit hineinzureden, und konzentrie ren Sie sich auf die Ihrige. Wir befinden uns in einem praktisch unerforschten Raumsek tor. Wenn wir die Skärgoth finden, dabei aber selbst vernichtet werden, ist nieman dem geholfen!« Toschmol zuckte zusammen. Zenkoorten sah, wie es in dem schmalen Gesicht des Wissenschaftlers arbeitete. Früher oder spä ter würde die Gegnerschaft dieser beiden Männer zu Konflikten führen. Der Kom mandant erkannte das sehr klar, aber er sah keine Möglichkeit, den kommenden Schwie rigkeiten auszuweichen. Toschmol war ein Fanatiker – sein Ziel war ihm wichtiger als die Sicherheit der rund eintausendvierhun dert Arkoniden an Bord der PROTALKH. Zenkoorten war durchaus bereit, bis zur
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Selbstaufopferung zu kämpfen, wenn es einen vernünftigen Grund dafür gab. Ihm lag auch viel an einem Erfolg der Mission. Aber das hieß noch lange nicht, daß er die Verant wortung für seine Besatzung in die Hände eines Fanatikers legte!
* Lenth Toschmol hatte eigentlich beab sichtigt, der Besprechung beizuwohnen. Aber die knappen, mit Fachausdrücken durchsetzten Kommentare der Offiziere wa ren für ihn beinahe unverständlich und lang weilten ihn schon nach kurzer Zeit. So ver ließ er den Kartenraum und schlenderte mü ßig durch die Kommandozentrale. Natürlich besaß er Raumerfahrung, und er stand nicht zum erstenmal vor den riesigen Bildwänden und Schaltpulten eines Großraumschiffs. Aber es faszinierte ihn immer wieder, diese eigenartige Atmosphäre zu spüren. Varka, der junge Pilot, hatte im Augen blick wenig zu tun. Dennoch wirkte er wachsam und verfolgte das Farbenspiel der Kontrollampen mit flinken Blicken und murmelte Hinweise und Befehle in die Mi krophone. Die Ortungszentrale war voll be setzt. Unverständliche Lichtreflexe huschten über die Bildschirme. Eine junge Arkonidin, die wegen ihrer außergewöhnlichen Schön heit Toschmols Aufmerksamkeit erregte, diskutierte heftig mit dem Chef der Astrono mischen Abteilung. Toschmol grinste ver steckt. Wahrscheinlich drehte sich das Streitgespräch um die rote Sonne, die sich nicht ausfindig machen ließ. Er war völlig überrascht, als plötzlich eine Alarmpfeife loszuheulen begann. Seltsam unbeteiligt beobachtete er Varka, der in ra sender Eile seine komplizierten Schalter und Hebel betätigte. Die Tür zum Kartenraum flog krachend auf. »Was ist los?« fragte Toschmol, als Zen koorten an ihm vorübereilte. »Suchen Sie sich einen Platz und schnal len Sie sich an!« fauchte er den Wissen schaftler an und rannte weiter.
Suchend sah Toschmol sich um, entdeckte einen leeren Kontursessel und ließ sich in die Polster sinken. Die Gurte schlangen sich um seinen mageren Körper. Die Lärmpfeifen verstummten. In der plötzlichen Ruhe hörte Toschmol deutlich das Krachen und Knistern, das aus den Laut sprechern der Raumfunkanlage drang. »Kommandant an alle«, hallte im näch sten Moment Zenkoortens Stimme durch al le Räume der PROTALKH. »Alarmstufe eins. Alle Stationen besetzen. Die Freiwache übernimmt Reservepositionen.« »Hier, ziehen Sie das an!« grollte eine tie fe Stimme neben Toschmol. Der Wissen schaftler starrte fassungslos den Raumanzug an, den ein bärtiges Individuum ihm hin hielt. »Nun machen Sie schon!« Toschmol wollte den Mann wegen seines unfreundlichen Tonfalls mit einigen bissigen Bemerkungen bedenken, da bemerkte er, daß auch andere Besatzungsmitglieder be reits in den Schutzanzügen steckten. Schweigend mühte er sich mit dem ungefü gen Kleidungsstück ab. Der Bärtige hatte sich unterdessen im Nachbarsessel niederge lassen. Toschmol folgte seinem Beispiel. »Ich könnte mir denken, daß es Sie inter essiert, was eigentlich vorgeht«, bemerkte Toschmols Nachbar beiläufig. »Nun, da kommt ein mittelprächtiger Strahlensturm auf uns zu. Wenn wir Glück haben, erwischt uns das Biest nur mit einem Ausläufer, und wir werden kräftig durchgerüttelt. Aber ich fürchte, er hat es auf uns abgesehen.« »Wer?« »Der Sturm.« »Swann, wo stecken Sie?« Der Bärtige beugte sich leicht vor und zog das Mikrophon aus der Sessellehne. »Hinter Ihnen, Kommandant«, meldete er sich gelassen. »Wie sieht es aus?« Erst jetzt bemerkte Toschmol, daß neben dem Sessel des Bärtigen ein rollbares Pult im Boden verankert war. Er beugte sich ge gen den Druck der Gurte nach vorn und sah
System des Todes ein paar Bildflächen. Auf einem konnte er die Sterne erkennen. Zwischen der PROT ALKH und dem Doppelstern schwebte et was, das wie ein rasend schnell rotierender Trichter aussah. Auf den Bildwänden der Normalsichtanlage war dagegen nichts zu erkennen. »Kommt direkt auf uns zu«, sagte Swann. »ich spiele Ihnen die Daten auf Ihren Schirm ein. Ziehen Sie den Kasten so schnell wie möglich zur Seite und leiten Sie eine Transi tion ein. Empfehlenswerte Entfernung: Nicht unter zehn Lichtjahre.« Inzwischen hatte sich das erste Durchein ander gelegt. Alle Angehörigen der Zentral ebesatzung befanden sich auf ihren Plätzen. Jede Station war doppelt besetzt. Toschmol konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß Zenkoorten und seine Leute es übertrie ben. Die PROTALKH lag ruhig auf ihrem Kurs, und die großen Sichtschirme zeigten nichts als das gewohnte Bild der regungslo sen Sonnen, die sich bei der augenblicklich noch geringen Geschwindigkeit des Schiffes kaum merklich vor dem Hintergrund ver schoben. In dem Wissenschaftler keimte der Verdacht, Zenkoorten könnte die ganze Ge schichte inszeniert haben, um dieses Dop pel-System nicht anfliegen zu müssen. Ein leichter Ruck riß ihn aus diesen Über legungen. Quer über einen der Bildschirme zog sich ein heller Blitz. Toschmol duckte sich unwillkürlich. Der Bärtige neben ihm lachte trocken. »Das war ein winziger Ableger von dem Burschen, der da draußen auf uns lauert«, kommentierte er. Toschmol warf erneut einen Blick auf das Spezialgerät neben Swann. Er erschrak. Der Trichter war größer geworden. Von seinem Rand griffen lange Arme in den Raum hin aus. »Sie reden von dieser Naturerscheinung, als wäre es ein lebendes Wesen!« sagte er, bemüht, die Furcht zu verbergen, die von ihm Besitz ergriff. »Warum nicht? Sieht er etwa nicht wie ein gefräßiges Ungeheuer aus?«
9 Toschmol kam nicht dazu, zu antworten. Erneut schüttelte sich das riesige Schiff. Ein Filigranmuster von Blitzen durchzog die energetische Schutzhülle. »Beschleunigung sinkt!« teilte jemand mit. »Warum springen wir nicht?« fragte To schmol nervös. »Wir haben zu wenig Fahrt«, erklärte Swann nüchtern. »Wenn er uns noch ein paar Minuten Zeit läßt, gelingt es viel leicht.« Obwohl es in dem großen Raum vor Ge schäftigkeit summte, hatte Toschmol den unbehaglichen Eindruck, einer sich ausbrei tenden Lähmung. Alle Augen hingen an ei nem Schirm, auf dem Daten in schnell wechselnder Geschwindigkeit erschienen. »Die Zahlenreihe links kennzeichnet die Geschwindigkeit und die Position, die wir erreichen müssen, um eine Nottransition zu ermöglichen«, erklärte Swann ungefragt. »Rechts können Sie ablesen, was uns davon trennt.« Toschmol verstand zu wenig von der Raumfahrt, um die Bedeutung der Zahlen voll zu durchschauen. Aber eines erkannte er sehr deutlich: Die Werte näherten sich an fangs langsam einander, um sich dann ab rupt wieder voneinander zu entfernen. »Oh, verdammt!« zischte Swann neben ihm. »Jetzt hat er uns! Kommandant!« »Nichts zu machen, Swann«, kam Zenko ortens Stimme zurück. »Die Felder sind zu stark. Wo ist das Zentrum?« Der Bärtige drückte ein paar Tasten auf seinem Gerät. »Es führt uns direkt in den Sektor hinter dem Doppelstern«, murmelte er. »Aber ich fürchte, wir können ihn nicht abreiten. Ver suchen Sie wenigstens, an die Randzone die ses Armes heranzukommen.« Noch immer war Varka der Pilot. Zwei Männer und eine Frau assistierten ihm, wäh rend Zenkoorten wachsam alle Vorgänge verfolgte und am laufenden Band Befehle murmelte, die den verschiedenen Stationen der PROTALKH galten. Für den Wissen
10 schaftler hatte die Situation etwas Unwirkli ches. An verschiedenen Anzeichen erkannte er, daß alle Anwesenden unter starker Bela stung standen. Dennoch herrschte völlige Ruhe. »Sektor rot drei«, sagte Swann neben ihm in das Mikrophon. »Energiezentrale!« klang wie als Antwort Zenkoortens Stimme auf. »Alles auf die Schirme!« Die helle Beleuchtung in dem riesigen Raum wich dem schwachen Licht der Not lampen. Bildschirme flackerten unruhig. Über sich sah Toschmol das grelle Aufflam men der Entladungen, mit denen die energe tische Schutzhülle auf die draußen herr schenden Strahlenverhältnisse reagierte. »Ortung?« »Wir stechen mitten drin, Kommandant.« »Swann?« Der Bärtige tippte nacheinander auf zwei Tasten. Das Bild auf dem kleinen Schirm veränderte sich. »Der Arm hat sich verlagert«, gab er be kannt. »Er folgt uns. In zwei Minuten errei chen wir den Rand des eigentlichen Wirbels. Unsere Geschwindigkeit wird sich dann vor übergehend der Lichtgeschwindigkeit nä hern.« »Koppeln Sie die Automatik an«, befahl Zenkoorten. »Wir springen, sobald die Ge schwindigkeit reicht.« Die PROTALKH rüttelte heftig. Auf dem Bodenbelag rutschten Gegenstände hin und her, die von den Ablagen unter den Pulten gefallen waren. Niemand schenkte ihnen auch nur einen Blick. Die Schiffshülle be gann zu dröhnen, während das Energiege witter auf den Sichtschirmen so stark wurde, daß Toschmol nur noch eine flammende Hölle sah. Die Sterne waren verschwunden. Rund um die PROTALKH gab es nichts als ein von starken Turbulenzen durchzogenes Wabern. Dennoch war Toschmols anfängliche Furcht verschwunden. Ein eigenartiges Ge fühl des Unbeteiligtseins breitete sich in ihm aus.
Marianne Sydow »Jetzt!« sagte Swann neben ihm. Obwohl der Mann leise sprach, klang es in To schmols Ohren wie ein Schrei. Er zuckte zu sammen. Im selben Augenblick begann die PROTALKH, sich in ruckhaften Sprüngen vorwärts zu bewegen. Er hörte ein infernali sches Kreischen und Krachen, dann traf ir gend etwas Hartes seinen Schädel, und von da an erlosch seine Erinnerung.
3. Zenkoorten beneidete alle, die jetzt be wußtlos geworden waren. Sie erlebten diese Hölle nicht, und wenn sie starben, dann merkten sie wenigstens nichts davon. Die Transition war nicht geglückt. Im sel ben Augenblick, in dem die Triebwerke zu arbeiten begannen, riß die Schutzhülle an ei ner Stelle auf. Der Strahleneinbruch reichte aus, um die Schiffswandung zu durchdrin gen. Die starken Magnetfelder, die den Sturm begleiteten, zerbeulten die beiden obersten Decks der PROTALKH und ver wandelten diese Räume in ein Gewirr von ineinander verkeilten Gegenständen. Die Si cherheitsschotte schlossen sich rechtzeitig genug, um ein Entweichen der Atemluft zu verhindern, aber Zenkoorten gab sich keinen Illusionen hin. Obwohl die Strahlung nur für den Bruchteil einer Sekunde hereingeflutet war, mußte es im oberen Teil des Schiffes zahlreiche Todesfälle gegeben haben – von den später auftretenden Auswirkungen ganz zu schweigen. Swann hatte seinen Platz in dem Augen blick verlassen, als klar wurde, daß man die sem Sturm nicht auf dem bequemen Weg der Transition entkommen konnte. Varka und der Bärtige bildeten ein eigenartiges Team, aber unter dem Druck der Gefahr ar beiteten sie hervorragend zusammen. Die energetischen Felder, in denen die PROTALKH gefangen war, hatten mit der achthundert Meter durchmessenden Riesen kugel keine Mühe. Sie warfen sich das Schiff gegenseitig zu, als spielten sie mit ei nem Ball. Noch immer steckten die Raum
System des Todes fahrer in den unruhigen Außenzonen des Wirbels. Weiter drinnen herrschten einheitli che Richtungen vor. Dort konnte man das versuchen, was die Arkoniden als »Abreiten« bezeichneten: sich mit der Strö mung bewegen, anstatt gegen sie anzukämp fen. Swann, dem der Schweiß über die Stirn lief, wandte für einen Moment den Kopf und sah Zenkoorten an. »Noch eine Minute, dann haben wir ihn!« knurrte er dem Kommandanten zu. Zenkoorten hatte keine Zeit, sich mit die sem Versprechen zu beschäftigen. Die Kon trolltafel vor ihm zeigte nicht einen einzigen Wert, den man als normal hätte ansehen können. Der Kommandant stellte fest, daß sein Schiff schon jetzt ein Wrack war. Zwar konnte es sich noch fortbewegen, aber es war in seiner Manövrierfähigkeit so be schränkt, daß selbst eine einfache Landung zu einem Sicherheitsrisiko wurde. Wenn die PROTALKH sich dennoch innerhalb der Strahlungsfelder bewegte, dann war das nicht auf die Wirkung der Triebwerke zu rückzuführen, sondern auf die Geschicklich keit, mit der Varka und Swann die äußeren Einflüsse nutzten. Längst war die Geräuschkulisse so laut geworden, daß Zenkoorten auf die Kopfhö rer angewiesen war. Die Aufladung auch in nerhalb der Schiffshülle war so stark, daß er auf kabelgebundene Verständigungseinrich tungen angewiesen war. Er hatte keine Kon trolle mehr darüber, welche Abteilung seiner PROTALKH inzwischen dem Wüten der Naturkräfte zum Opfer gefallen waren. Er hörte das Gewirr von Alarmmeldungen und Hilferufen, und er bemühte sich, koordinie rend in das Geschehen einzugreifen. Ein urweltliches Brüllen ließ ihn kurz auf blicken. »Verdammt!« knirschte Swann erbittert. Die PROTALKH bockte wie ein verwun detes Tier, als sich erneut eine Lücke im Schutzschirm bildete. Ein Triebwerk begann selbständig zu arbeiten. Die Hülle, die den eigentlichen Schiffskörper von dem Inferno
11 abschloß, flackerte, als wertvolle Energie sinnlos verschleudert wurde. Wenn dieser Schirm zusammenbrach, war es endgültig aus. Schneller als alle anderen hatte Swann mit seinem untrüglichen Instinkt den Ursprung der Gefahr erfaßt. »Die Positronik dreht durch!« brüllte er in sein Mikrophon. »Alle Verbindungen zu den Triebwerken lahmlegen. Nun macht schon, sonst seid ihr in weniger als einer Minute zu Brei gequetscht!« Lampen flackerten, dann kam wieder Swanns Stimme. »Den Schirm so nahe heran wie möglich. Achtet auf die Neutralisatoren. Alle, die nichts zu tun haben, auf die Konturlager!« Swann beherrschte jetzt die Szene. Zen koorten fand das nicht ungewöhnlich. Der Bärtige war Spezialist für magnetische Stür me. Er hatte mehr Katastrophen dieser Art erlebt als irgendein anderer arkonidischer Raumfahrer. Die PROTALKH überließ sich jetzt völlig den Strömungen, die sie mit sich fortrissen. Es war ein riskantes Spiel. Der Schutz schirm lag so eng um den Schiffkörper, daß es keinen Spielraum mehr gab. Durchdrang die Strahlung ihn, dann mußte die geballte Energie voll in die PROTALKH zurück schlagen. Gleichzeitig gab das Schiff jeder Bewegung nach, die ihm von außen aufge zwungen wurde. Der Raumer schlingerte, ruckte und hüpfte auf und ab, und ohne die Andruckneutralisatoren wären alle lebenden Wesen an Bord zerquetscht worden. Sie verloren jede Kontrolle über die Funk tionen an Bord. Meßgeräte lieferten unter diesen Bedingungen Werte, die mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun hatten. Selbst die Uhren wurden zu unzuverlässigen Instrumenten. Niemand wußte daher, wie lange die PROTALKH diesen Höllentanz mitmachte. Draußen, in den Kabinen und Kontrollstän den, starrten von Todesangst erfüllte Arko niden die Wände an. Ab und zu schlug ein Bruchteil, der Schwerkraft durch. Dann
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sackten ganze Hallen in sich zusammen, und das verwundete Schiff ächzte und stöhnte, als wäre es tatsächlich ein lebendes Wesen. Zenkoorten und alle anderen, die noch bei Bewußtsein waren, hörten diese Signale des Untergangs, aber sie waren unfähig, etwas zu unternehmen. Und plötzlich herrschte Ruhe.
* Lenth Toschmol hörte Stimmen um sich herum und bewegte sich unruhig. Er schwankte am Rande der Bewußtlosigkeit. Etwas Kaltes berührte seinen Oberarm, dann spürte er einen Stich, und von dem schmer zenden Punkt strahlte Wärme aus. Flüssiges Feuer ergoß sich in seinen Körper. Muskeln zuckten unkontrolliert, dann erreichte die Glut das Gehirn, und sein Mund öffnete sich zu einem lauten Stöhnen. Als wäre mit die sem Schmerzenslaut eine unsichtbare Tür aufgestoßen worden, wurden die Stimmen deutlicher, und die Wörter gewannen einen Sinn. »… steht fest, daß ein Weiterflug unmög lich ist«, sagte jemand. »Aber … Landung …« Der Rest versank in knisternden, knatternden Geräuschen, die Toschmol nicht zu identifizieren vermochte. Unendlich lang sam zwang er die Lider auseinander. Der Anblick, der sich ihm bot, ließ den letzten Rest von Benommenheit abfallen. »Zenkoorten!« rief er und richtete sich ha stig auf. Wieder spürte er diesen kalten Wi derstand an seinem linken Oberarm. Er wandte den Kopf und entdeckte einen Me dorobot neben sich. Die Maschine bemühte sich, Toschmol sanft auf die weiche Unterla ge zurückzudrücken. »Laß mich in Ruhe!« fauchte Toschmol und sprang auf die Beine. Die Zentrale sah aus, als hätte eine Schlacht darin stattgefunden. Zahlreiche Bildschirme waren geborsten. Einige kleine Brandherde schickten stinkenden Rauch in die ohnehin schlechte Luft. Löschautomaten
versprühten klebrigen Schaum, der das Cha os nur noch größer erscheinen ließ. Überall hingen verletzte und bewußtlose Arkoniden in den Gurten der Sessel. Der Medoroboter, der sich eben noch um Toschmol geküm mert hatte, eilte sofort weiter, als er feststell te, daß sein Patient sich auf seinen eigenen Füßen bewegen konnte. Auf der anderen Seite des Komman doraums drängte sich ein gutes Dutzend Männer um einen noch funktionierenden Bildschirm. Toschmol schob zwei Raumfah rer zur Seite, die ihm den Weg versperrten, dann hatte er freie Sicht. Er hielt den Atem an. Sie befanden sich in einem Sonnensy stem. Das Gestirn glimmte in einem drohen den, unheimlichen Rot. Die rote Sonne! Toschmol hatte von der rasenden Fahrt durch den Strahlensturm zu wenig mitbe kommen, um zu erkennen, wie unsinnig sei ne Schlußfolgerung war. Das Schiff konnte überall und nirgends aus dem tödlichen Stru del geschleudert worden sein. Die Wahr scheinlichkeit, ausgerechnet den Rand des gesuchten Systems zu treffen, war ausge sprochen gering. Dennoch war er davon überzeugt, daß er sein Ziel fast erreicht hat te. So und nicht anders konnte seiner Mei nung nach jene Sonne aussehen, unter der der unheimliche Klinsanthor weilte. »Wir haben es geschafft!« wandte To schmol sich an Zenkoorten, der zwei Schritt neben ihm stand. Der Kommandant wirkte jetzt keineswegs mehr so ordentlich. Seine Uniform war stellenweise angesengt und zerfetzt. Der rechte Ärmel war vom Ellenbo gen an aufgerissen und gab den Blick auf ei ne blutverkrustete Wunde frei. Auch Gesicht und Hände waren blutverschmiert. Zenkoorten starrte Toschmol an, als müs se er sich erst mühsam erinnern, was der Wissenschaftler andeuten wollte. Dann lach te er humorlos. »Sie ahnungsloser Narr!« sagte er leise. »Wir sind am Ende, und Sie werden bald merken, warum. Wir sitzen in einem fliegen
System des Todes den Sarg, der jeden Moment endgültig aus einanderbrechen kann.« »Wir leben noch!« »Noch!« bestätigte Zenkoorten nach drücklich. Dann wandte er sich abrupt um. »Was ist mit den Beibooten?« »Drei haben es überstanden«, erklärte ein junger Offizier. »Wir haben achthundert Überlebende«, sagte Zenkoorten. »Und hof fentlich kommen noch ein paar dazu, die sich bis jetzt nicht melden konnten, weil sie von der Verbindung abgeschnitten sind. Selbst wenn wir sie übereinanderschichten, passen sie nicht alle in drei Beiboote hin ein.« »Kommandant«, machte ein anderer Offi zier sich bemerkbar. »Was gibt es?« »Wir könnten wenigstens eines der Boote bemannen und ausschicken, damit es Hilfe herbeiholt!« »Das ist eine gute Idee, Grarogg«, entgeg nete Zenkoorten seufzend. »Swann, sagen Sie es ihm.« »Wir sitzen in einer Falle«, erklärte der Bärtige. »Der Strahlensturm hat das System eingeschlossen.« »Dann sind wir verloren!« »Nicht so schnell!« Swann lächelte freundlich. »Hier im System ist alles ruhig. Wir haben zwei Planeten geortet. Wenn alle Stricke reißen, müssen wir die Überlebenden schubweise auf die Welt hinunterschaffen, die uns am geeignetsten erscheint. Irgendwann wird diese Strahlenhölle weiterwan dern, und dann können wir um Hilfe fun ken.« »Reißt euch zusammen!« befahl Zenkoor ten, als er in den Gesichtern der Männer die aufkommende Panik erkannte. »Wir haben das Schlimmste überstanden, was einem Raumschiff unter natürlichen Umständen begegnen kann. Wir werden auch den Rest schaffen. Denkt an die übrige Mannschaft. Wenn ihr die Nerven verliert, werden sie erst recht nicht ruhig bleiben.« »Ich übernehme das erste Kommando«, meldete Swann sich nach sekundenlangem
13 Schweigen. Zenkoorten nickte ihm zu. »Suchen Sie sich eine Besatzung zusam men«, sagte er. »Nehmen Sie sich zuerst diesen dunklen Körper vor, der uns am nächsten ist. Und gehen Sie kein unnötiges Risiko ein.« Swann stapfte schwerfällig davon, gefolgt von zwei Arkoniden, die sich stillschwei gend dem Bärtigen anschlossen. Toschmol hielt den Zeitpunkt für gekommen, seine Ansprüche anzumelden. »Wir müssen sofort mit der Erforschung des Systems beginnen«, forderte er. »Die Skärgoth …« »Halten Sie den Mund!« fuhr Zenkoorten ihm dazwischen. »In etwa einer Stunde wer de ich Zeit für Sie haben. Bis dahin sorgen Sie bitte dafür, daß Sie niemandem im Wege stehen!« Gedemütigt schlich der Wissenschaftler davon, aber in seinem Herzen brannte der Haß. Das Hauptschott schloß sich hinter ihm. Er sah sich im Ringkorridor um, und plötz lich hatte er eine Idee. Wenn Zenkoorten seine Fragen nicht beantworten wollte, so mußte er sich eben einen anderen Informan ten suchen. Die Spuren der Zerstörung waren selbst hier, im innersten Kern der PROTALKH, unverkennbar. Ein Teil der Leuchtplatten war ausgefallen, andere kündigten durch un ruhiges Flackern an, daß auch sie bald den Dienst aufgeben würden. Toschmol kam an einem Lüftungsgitter vorbei, aus dem anstel le von Frischluft erstickender Qualm drang. Ihm wurde klar, daß Zenkoorten nicht ganz im Unrecht war, wenn er momentan die Su che nach Klinsanthor hintenan stellte. Den noch ging er weiter. »Was suchen Sie denn hier!« Er fuhr herum und erkannte verblüfft die junge Arkonidin, die ihm kurz vor Beginn der Katastrophe aufgefallen war. »Ist die Astronomische Abteilung be setzt?« fragte er, ohne auf ihre Frage einzu gehen.
14 Sie zögerte, dann winkte sie. »Kommen Sie mit.« Er folgte ihr bis zu einem halboffenen Schott, hinter dem das Gemurmel zahlrei cher Stimmen hervordrang. »Unser Gast möchte sich bei uns umse hen«, sagte sie spöttisch und gab Toschmol den Weg frei. Der Wissenschaftler streifte mit einem kurzen Blick die Männer und Frauen, die sich um eine Projektionsfläche versammelt hatten, dann schritt er vorwärts. »Was ist das?« fragte er, als er das Bild klar erkennen konnte. »Sieht man das nicht?« konterte seine jun ge Begleiterin spöttisch. »Ein planeten großer Schlackehaufen. Sind Sie hierherge kommen, um zu erfahren, daß man einen solchen Himmelskörper in der hier gegebe nen Größe noch nie zuvor gefunden hat?« Toschmol wandte sich um und betrachtete die junge Frau kühl. »Wer sind Sie?« fragte er. »Vrenaja Zortain«, stellte sie sich mit ei ner spöttischen Verbeugung vor. »Erster Astronom an Bord eines Schrotthaufens, der in den Registern des fernen Arkon unter dem Namen PROTALKH geführt wird.« »Handelt es sich bei diesem Schlackehau fen, wie Sie sich ausdrücken, um einen der beiden Planeten in diesem System?« Vrenaja Zortain lächelte verächtlich. »Natürlich. Was dachten Sie. Das ist der zweite Begleiter dieser herrlichen Sonne.« Toschmol starrte ausdruckslos auf die Projektion. Planet Zwei war der totale Kontrast zu dem, was er vorher gesehen hatte. Eine wahrhaft paradiesische Welt – jedenfalls sah es aus der Entfernung so aus. Mehrere kleine Kontinente und zahlreiche Inseln lagen zwi schen ausgedehnten Wasserflächen. Obwohl Wolken einen Teil der Oberfläche verhüll ten, ließ sich eine abwechslungsreiche Land schaft erkennen. Weiß glitzernde Stellen wiesen auf verschneite Gebirgsketten hin, blaugrüne Flächen zeigten an, daß es eine reich entwickelte Pflanzenwelt gab.
Marianne Sydow »Bruder und Schwester«, sagte Vrenaja beinahe traurig. »Sie umkreisen ihre Sonne im gleichen Abstand, erhalten jeder dasselbe Quantum an Licht und Wärme. Der eine ist schwarz und verbrannt, der andere strah lendschön und voller Leben.« Ihre Worte hinterließen eine merkwürdige Wirkung auf Toschmol. Bruder und Schwe ster – das stimmte nicht ganz. Aber Gut und Böse … Hier hatten sich die beiden Faktoren, die sonst gemeinsam das Bild eines Planeten prägten, voneinander getrennt. Planet Zwei schien alles Häßliche auf seinen kosmischen Begleiter abgeschoben zu haben. Konnte ei ne solche Trennung zufällig auftreten? Oder hatte hier eine geheimnisvolle Kraft einge griffen und einen Zustand geschaffen, der in der Natur unmöglich war? »Kommandant Zenkoorten ordnete an, es sollte ein Beiboot ausgeschickt werden, um die beiden Planeten zu erkunden«, sagte er noch langsamer als sonst. »Kennt er diese Aufnahmen?« »Ja, aber sie sagen nicht viel aus. Die Lufthülle dieses einladenden Planeten könn te giftige Beimischungen enthalten, deren Vorhandensein wir aus dieser Entfernung nicht festhalten können. Das Schiff ist in ei nem derart schlechten Zustand, daß wir uns keine Experimente leisten dürfen. Wenn es landet, wird es für immer sein.« Toschmol nickte, dann sah er die anderen Astronomen an. Der alte Mann fehlte. »Baskor ist tot«, beantwortete Vrenaja seine stumme Frage. Wenn sie erwartet hat te, daß Toschmol in irgendeiner Weise rea gierte, so sah sie sich getäuscht. »Der verbrannte Planet ist bestimmt ein interessantes Forschungsobjekt«, murmelte er. »Wollen Sie ihn nicht untersuchen?« »Wir würden ihn uns sehr gerne aus der Nähe ansehen«, stimmte die junge Frau zu. »Aber das ist in dieser Situation leider nicht möglich. Später, wenn feststeht, daß wir auf Hilfe hoffen dürfen, ist immer noch Zeit da zu vorhanden.« Toschmol war enttäuscht.
System des Todes »Es gibt doch noch mehr Beiboote«, ver suchte er, die Arkonidin in seinem Sinne umzustimmen. Diese grausig entstellte Welt faszinierte ihn. Ein sicheres Gefühl sagte ihm, daß er ganz dicht vor dem Ziel stand. War die PROTALKH erst auf der anderen schönen Welt gelandet, so würde er es schwer haben, jemanden für einen Abstecher zu dem schwarzen Planeten zu gewinnen. Zenkoor ten würde sich selbstverständlich weigern, auf dem Schlackehaufen zu landen – selbst wenn sich herausstellen sollte, daß der Rest der Besatzung auch dort überleben konnte. Aber wenn Toschmol die Astronomen für seinen Plan gewann, hatte er vielleicht eine Chance. Vrenaja Zortain machte diese Hoffnung zunichte. »Wir werden keines dieser Boote einer Gefahr aussetzen«, wies sie den Wissen schaftler zurück. »Sie stellen vielleicht unse re letzte Rettung dar. Und jetzt entschuldi gen Sie mich bitte – wir haben noch viel Ar beit vor uns.« Als Lenth Toschmol wieder in Richtung Zentrale ging, überkam ihn zum erstenmal seit langer Zeit wieder jenes Gefühl, von dem er glaubte, es für immer überwunden zu haben. Er war einsam. Selbst wenn er sich in Ge sellschaft vieler anderer Arkoniden aufhielt, blieb er allein. Es war, als stünde eine Schranke zwischen ihm und den anderen, und diese unsichtbare Trennwand ließ sich durch nichts überwinden. Auch hier, auf der PROTALKH, umgab ihn, diese Einsamkeit. Es gab nur ein Mittel, sie zu vergessen: Er mußte erfolgreicher, mächtiger und tüchtiger sein als die anderen. Dann waren sie ge zwungen, zu ihm aufzusehen. Noch galt er an Bord wenig. Zenkoorten hielt ihn für einen verbohrten Fanatiker, und die anderen verachteten ihn mehr oder weni ger. Sie zeigten es nicht offen, weil sie Angst hatten, aber jetzt, da es für sie fest stand, daß die Mission der PROTALKH ge scheitert war, verloren sie auch die Furcht
15 vor dem Rest der Macht, die Toschmol noch besaß. Sie würden bald umlernen. Auch To schmol kannte ein paar psychologische Tricks …
* Das Schiff bewegte sich im freien Fall und mit geringer Geschwindigkeit durch das seltsame System. Alle Kräfte an Bord kon zentrierten sich darauf, die gröbsten Schäden wenigstens so weit zu beheben, daß eine Landung durchgeführt werden konnte. Der einzige, der sich an den Arbeiten nicht betei ligte, war Toschmol. Wie ein unruhiger Geist strich er durch das Schiff. Er versuchte, mit den Leuten von der Besatzung ins Gespräch zu kommen, und wurde – da er meistens nur im Wege stand und störte – mit enttäuschender Regel mäßigkeit abgewiesen. Er wußte, wann Swann von seinem Er kundungsflug zurückerwartet wurde und be gab sich rechtzeitig in die Kommandozen trale. Zenkoorten sah ihn kommen und wun derte sich darüber, daß Toschmol keine An stalten machte, den Kommandanten mit sei nen Hirngespinsten zu belästigen. Zenkoor ten war froh darüber, denn er hatte alle Hän de voll zu tun. Mehrere Triebwerke waren beschäftigt, und die Antigravprojektoren, die bei der zu erwartenden Notlandung die wichtigste Rolle spielten, arbeiteten unregel mäßig. Hinzu kam die allgemeine Situation. Aufräumungskommandos mußten ausge schickt werden, Bergungstrupps, die die Toten aus den zerstörten Schiffsteilen holten, und vor allen Dingen galt es, einen Über blick zu bekommen, was von den Vorräten an Atemluft und Nahrung noch vorhanden war. Alles, was später zum Überleben wich tig war, mußte besonders gegen die Zerstö rung abgesichert werden. Endlich meldete sich Swann zurück. Zen koorten atmete auf. Während das Beiboot unterwegs war, hatte es keine Funkverbin dung zu dem Kommando gegeben. Die Ver
16 hältnisse in diesem System waren verwir rend und rätselhaft genug, und als aus den Empfängern nur ein unverständliches Kräch zen und Krachen kam, hatte Zenkoorten be reits das Schlimmste befürchtet. Auch die Ortungsgeräte versagten. Zwar lieferte die Astronomische Abteilung gute Aufnahmen der beiden Planeten, aber niemand konnte feststellen, wie weit diese Himmelskörper entfernt waren, denn die Instrumente gaben immer wieder verschiedene Ergebnisse an. Das Beiboot schließlich hatte sich überhaupt nicht erfassen lassen. Der Kommandant überließ seinen Platz einem anderen Arkoniden. Er rief die wich tigsten Offiziere zusammen und bat Swann in den Kartenraum. »Darf ich an dieser Besprechung teilneh men?« fragte Toschmol mit einer Beschei denheit, die Zenkoorten mißtrauisch machte. Aber er hatte keinen Vorwand, der es ihm erlaubte, den Wissenschaftler zurückzuwei sen. »Der Planet weist außerordentlich günsti ge Verhältnisse auf«, kam der Bärtige ohne Umschweife zum Thema. »Die mittlere Temperatur ist etwas niedriger, als wir es von Arkon her gewöhnt sind, aber wenn wir in Äquatornähe landen, werden wir immer noch Grund zum Schwitzen haben. Die Luft ist atembar, gefährliche Gase oder Kleinstle bewesen ließen sich nicht feststellen. Die Gravitation liegt etwas unter dem Normal wert, so daß Reparaturarbeiten erleichtert werden. Die von den Sonden eingebrachten Boden-, Wasser- und Pflanzenproben befin den sich noch im Labor, aber eine Vorunter suchung ergab, daß wir trinkbares Wasser und mit großer Wahrscheinlichkeit auch ge nießbare Pflanzen vorfinden werden. Es gibt zahlreiche Plätze, die für eine Landung ge eignet sind.« »Wir werden uns die Karte gemeinsam ansehen«, nickte Zenkoorten. »Haben Sie Beobachtungen gemacht, die auf eine Be siedlung hindeuten?« Swann kratzte sich nachdenklich am Kinn.
Marianne Sydow »Nicht direkt«, murmelte er. »Aber zwei fellos wurde der Planet von Intelligenzen be sucht. Es gibt an vielen Stellen metallische Pfeiler. Diese Bauwerke, oder was immer es sein mag, sind durchschnittlich hundert Me ter dick und nahezu zwei Kilometer hoch. Welchem Zweck sie dienen, ließ sich nicht feststellen.« »Wir werden es herausfinden«, versprach Zenkoorten. »Auf jeden Fall müssen wir beim Anflug darauf achten, daß wir nicht mit einem dieser Dinger zusammenstoßen.« »Haben Sie auch den dunklen Planeten umflogen?« fragte Toschmol. Swann sah ihn erstaunt an, dann nickte er. »Es gibt dort nichts, was Beachtung ver dient«, erklärte er. »Da bin ich anderer Meinung!« behaupte te Toschmol. Zenkoorten sah ihn unwillig an und mach te eine Handbewegung, als wolle er den Wissenschaftler daran hindern, weiterzure den. Aber Toschmol kümmerte sich nicht darum. »Was haben Sie gesehen?« »Nicht mehr als daß, was auch auf den Aufnahmen zu erkennen ist«, antwortete Swann unwillig. »Der Planet ist völlig steril. Die gesamte Oberfläche sieht aus, als wäre sie verbrannt und zerschmolzen.« »Haben Sie Impulse aufgefangen? Funk zeichen oder Ähnliches?« »Nein. Wir sind auch nicht nahe genug herangeflogen. Aber wer sollte wohl auf die sem toten Klumpen Materie herumlaufen?« »Der Mann, den wir suchen, läuft nicht herum!« sagte Toschmol ärgerlich. »Er schläft. Und ich bin sicher, daß er sich auf diesem dunklen Planeten befindet.« Zenkoorten kniff die Augen zusammen. »Sie hören richtig, meine Herren!« fuhr Toschmol unbeeindruckt fort. »Wir haben die Skärgoth gefunden. Die Gruft Klinsan thors befindet sich auf dem dunklen Plane ten. Wir können unseren Auftrag erfüllen.« »Sie sind verrückt!« stieß Zenkoorten her vor, als er sich von seiner Überraschung er holt hatte.
System des Todes »Schicken Sie ein Beiboot aus«, empfahl Toschmol hochmütig. »Dann werden Sie se hen, daß ich recht habe.« »Wir können uns auf solche Spiele jetzt nicht einlassen!« entgegnete der Komman dant. »Haben Sie immer noch nicht begrif fen, wie es um uns steht? Wir haben keine Chance, dieses System mit der PROTALKH zu verlassen. Das Schiff ist zu stark beschä digt, als daß wir im Raum auf Hilfe warten könnten. Es gibt nur eine Möglichkeit: Wir müssen landen und abwarten, bis der Strah lensturm weitergewandert ist. Dann können wir ein Beiboot ausschicken und um Hilfe funken. Es ist durchaus denkbar, daß ein oder zwei von den kleinen Schiffen verlo rengehen. Das Risiko, uns durch eine Expe dition zu diesem toten Planeten in eine noch schwierigere Lage zu bringen, ist zu hoch.« Toschmol spielte seinen letzten Trumpf aus. »Wenn wir Klinsanthor gefunden haben, sind wir gerettet!« behauptete er selbstsi cher. »Dieses Wesen wird uns helfen. Ihm wird es keine Mühe bereiten, den Strahlen sturm zu durchdringen.« Zenkoorten betrachtete den Wissenschaft ler, als hätte er ein gefährliches Insekt vor sich. »Wegen einer fixen Idee wollen Sie uns alle in Gefahr bringen! Warum sollte Klinsanthor uns helfen? Wie kommen Sie überhaupt zu der Annahme, er müsse sich in dieses System aufhalten?« Toschmol setzte zu einer Antwort an, aber Zenkoorten kam ihm zuvor. »Ich werde mit Ihnen über diesen Punkt jetzt nicht weiterdiskutieren. Später, wenn wir in der Lage sind, uns über unseren Auf trag Gedanken zu machen, können wir uns darüber unterhalten.« »Ich werde dem Imperator berichten, wie ernst Sie eine von ihm selbst gestellte Auf gabe nehmen!« stieß Toschmol haßerfüllt hervor. »Das steht Ihnen frei«, nickte Zenkoorten spöttisch. »Aber um diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen, müssen Sie am Leben blei
17 ben. Und es ist meine Aufgabe, dafür zu sor gen.« Später, als der Kommandant und Swann über den Aufnahmen von der Planetenober fläche brüteten, sagte der Bärtige plötzlich: »Vielleicht hat er doch recht.« Zenkoorten wußte im ersten Moment gar nicht, wer gemeint war. »Toschmol!« erklärte Swann. »Fangen Sie jetzt auch schon damit an?« »Irgend etwas stimmt hier nicht«, mur melte Swann besorgt. »Das heißt, eigentlich hat es schon früher begonnen. Dieser Strah lensturm … Wir haben ihn erst geortet, als wir schon beinahe mitten drin waren. Für ein Ausweichmanöver blieb keine Zeit.« »Und was leiten Sie daraus ab?« fragte Zenkoorten ärgerlich. »Haben Sie schon einmal einen solchen Sturm erlebt?« fragte Swann zurück. »Das Biest taucht aus dem Nichts auf, ohne Vor warnung. Strahlenausbrüche dieser Art müs sen sich entwickeln, und in dieser Zeit las sen sie sich aufspüren. Aber wir haben nichts angemessen. Und dann, als er uns in der Zange hat, läßt er uns plötzlich fallen. Mir kommt es beinahe so vor, als hätte eine fremde Kraft uns hierher transportieren wol len.« »Reden Sie keinen Unsinn!« sagte Zenko orten energisch. »So etwas gibt es nicht. Helfen Sie mir lieber, einen guten Lande platz auszusuchen.« Swann kam auf dieses Thema vorerst nicht mehr zurück. Aber auch wenn er über seinen Verdacht nicht sprach, so ging ihm der beunruhigende Gedanke doch nicht aus dem Kopf. Er war fast sicher, daß er recht hatte: Jemand – oder etwas – hatte sie mit Absicht in genau dieses System befördert.
4. Sie brauchten zwei Tage, um den be wohnbaren Planeten zu erreichen. Um Ener gie zu sparen und die Triebwerke für das entscheidende Manöver zu schonen, hatte Zenkoorten das Schiff so lange wie möglich
18 im freien Fall gelassen. Sie hatten sich auf diese Weise dem Planeten soweit genähert, daß er selbst auf den Normalsichtschirmen als deutliche Scheibe zu erkennen war. Sie war während des Fluges nicht untätig geblie ben. Bis auf Toschmol, der sich seit seiner letzten Niederlage in seiner Kabine einge schlossen hatte, hatte jeder an Bord sein letztes gegeben, um die angeschlagene PROTALKH wenigstens für diese letzte Landung herzurichten. Beunruhigend für Zenkoorten und alle an deren, die im Kommandoraum beschäftigt waren, wirkte die Tatsache, daß auch jetzt die Entfernung des Planeten nicht konkret zu messen war. Alles, was den Piloten zur Ver fügung stand, waren Berechnungen. Man kannte den ungefähren Umfang des Traban ten von den Filmen her, die Swann mitge bracht hatte. Daraus und aus astronomischen Beobachtungen ließ sich ableiten, wie groß der Planet aus welcher Entfernung erschei nen mußte. Früher einmal, als die Raumfahrt noch in den Kinderschuhen steckte, hatten sich alle Schiffe nach solch vagen Angaben richten müssen. Für die Arkoniden, die sich auf die technischen Möglichkeiten ihrer lei stungsfähigen Raumer verließen, war es zu mindest etwas Ungewohntes, sozusagen auf Sicht fliegen zu müssen – und zwar nicht mit einem kleinen Flugkörper, sondern mit dieser nur zum Teil funktionstüchtigen Rie senkugel. Unendlich vorsichtig tastete die PROT ALKH sich an den Planeten heran. Man mußte danach trachten, schon im Orbit mög lichst genau über den vorgesehenen Lande platz heranzukommen. Innerhalb der Atmo sphäre würde das Schiff nahezu manövrier unfähig sein. Als es endlich soweit war, herrschte ge spannte Stille im Schiff. Alle Arkoniden, die für die bevorstehenden Manöver nicht un mittelbar gebraucht wurden, hatten sich an geschnallt. Die Triebwerke begannen zu ar beiten und brachten die PROTALKH aus der Umlaufbahn heraus auf ihren eigentli chen Kurs. Und dann geschah das, was viele
Marianne Sydow insgeheim gefürchtet, niemals aber laut aus gesprochen hatten: Der Planet wehrte sich. Es wurden keine Schüsse auf das Schiff abgegeben, und es gab auch keine Zugstrah len, die es aus seiner Bahn warfen. Es schi en, als stemmte der ganze Planet sich gegen die eindringende PROTALKH. Schon die ersten Ausläufer der Atmo sphäre verwandelten das Schiff in ein wild bockendes Ungetüm, das sich um die Bemü hungen der Piloten nicht mehr kümmerte. Wechselnde Schwerefelder ließen den Raumer durchsacken, als gäbe es die Trieb werke gar nicht. Wenig später brach der Schutzschirm zusammen. Die notdürftig ausgebesserte Schiffshülle bot der heranfau chenden Luft zahlreiche Ansatzstellen. Gan ze Platten der Zellenverkleidung wurden da vongewirbelt. An anderen Stellen glühte das widerstandsfähige Material. Einbrechende Luftmassen stürzten sich als verheerende Stürme durch die Lecks und verwandelten große Abschnitte des Schiffskörpers in Trümmerfelder. Und als der metallene Torso endlich den festen Boden erreichte, brachen drei Landestützen durch und ließen die PROTALKH in eine gefährliche Schräglage kippen. Die Folge davon war, daß eines der Impulstriebwerke sich schräg gegen den Bo den richtete. Anstatt dort seine verheerende Wirkung auszuüben, schlug der Energie strom zurück. Ehe man in der Zentrale rea giert hatte, waren zwei der verbliebenen Beiboote vernichtet worden. Mit versteinertem Gesicht überblickte schließlich Zenkoorten die Schar derer, die – fast alle mehr oder weniger schwer verletzt – aus dem an mehreren Stellen brennenden Wrack gekrochen waren. Von ursprünglich eintausendvierhundert. Besatzungsmitglie dern waren noch dreihunderteinundvierzig am Leben.
* »Wir hatten Glück«, behauptete Varka. Zenkoorten warf ihm einen bitteren Blick zu.
System des Todes »Glück«, murmelte er. »Na schön, so kann man es auch sehen. Wir sind in der Nä he eines Flußlaufs gelandet, es gibt eine Quelle, die genug Wasser für uns alle liefert, der erste Jagdausflug brachte ein gutes Dut zend erlegter Tiere zurück, von denen bis auf eines alle eßbar sind, und die Landschaft um uns herum wäre paradiesisch, wenn nicht die PROTALKH das Bild stören wür de.« Sie saßen in einer aus geborgenen Kunst stoffplatten schnell erstellten Hütte. An der Decke hing eine Lampe, die im hereinstrei chenden Nachtwind schwankte und ein wechselndes Licht auf die Gesichter der ver sammelten Männer und Frauen warf. Alle Offiziere, Wissenschaftler und sonstigen wichtigen Leute, die das Inferno überlebt hatten, waren versammelt – knapp fünfzig Personen, die sich bemühten, Bilanz zu zie hen und einen optimalen Plan für die näch sten Tage zu erstellen. Auch Toschmol ge hörte zu denen, die Glück gehabt hatten. »Morgen früh, sobald die Sonne aufge gangen ist, beschäftigen wir uns mit dem Wrack«, sagte Zenkoorten und ließ seine Blicke über seine Untergebenen wandern. Er sah viele Verbände, zum Teil schon wieder verschmutzt und zerrissen, und er seufzte. Ausgerechnet in der Medizinischen Station hatte es starke Zerstörungen gegeben. »Wir müssen alles bergen, was für unse ren Aufenthalt auf diesem Planeten von Wert sein kann«, fuhr er fort. »In erster Li nie also Lebensmittel, Medikamente, Werk zeuge. Kentoil, wie sieht es mit der Funkan lage aus?« »Da ist bis auf ein paar Einzelteile nichts heil geblieben«, antwortete ein älterer, etwas korpulenter Arkonide. »Ich schlage vor, die Geräte auszuschlachten, denn eine Reparatur wäre sinnlos. Die Anlagen in der VALKA RON sind in bestem Zustand, und vielleicht gelingt es uns, die Reichweite des Senders mit den Zusatzteilen zu vergrößern.« »Wieviel Leute aus Ihrer Abteilung haben es überstanden?« »Vier – mich eingerechnet.«
19 »Gut, Kentoil. Dann machen Sie sich morgen mit Ihrer Gruppe an die Arbeit. Konzentrieren Sie sich besonders auf Teile, die sich in der VALKARON einbauen las sen. Swann?« »Meine Geräte existieren nur noch in der Form von unbrauchbaren Trümmerstücken, Kommandant. Ich kann Ihnen leider nicht sagen, ob der Strahlensturm inzwischen wei tergezogen ist. Vielleicht kann die Astrono mische Abteilung mir helfen?« »Bei uns sieht es zwar böse aus«, meinte Vrenaja Zortain, »aber Ihre Arbeit ist wich tiger als unsere. Ich stelle Ihnen alles zur Verfügung, was wir bieten können. Viel leicht treiben Sie in der Ortungszentrale auch noch einiges auf, was sich verwerten läßt.« »Sie haben recht«, nickte Zenkoorten der jungen Frau mit einem leichten Lächeln zu. »Ehe wir nicht wissen, ob wir ungefährdet das System verlassen können, ist es sinnlos, die VALKARON loszuschicken. Swann, Ih re Arbeit hat Vorrang. Wenn jemand Ihnen Schwierigkeiten machen sollte, wenden Sie sich an mich. Aber auch Sie, Vrenaja Zor tain, müssen uns helfen. Wir brauchen die üblichen Daten für diesen Planeten, und dar über hinaus wäre es gut, wenn wir unseren Standort herausfinden könnten.« »Ohne die Positronik wird das kaum mög lich sein.« »Sie haben freien Zugang«, winkte Zen koorten ab. Nacheinander wurden alle Punkte durch gegangen. Schließlich einigte man sich dar auf, den nächsten Tagvoll dem Wrack zu widmen. Nur eine zehnköpfige Gruppe von Raumfahrern, die über keine speziellen Kenntnisse verfügten, dafür jedoch mit den Überlebenstechniken besonders gut vertraut waren, sollte eine kurze Exkursion in die Umgebung unternehmen. Zenkoorten wußte, daß der Erschließung einheimischer Nah rungsquellen eine wichtige Bedeutung zu kam. Zwar konnten sie sich von den erhalten gebliebenen Vorräten noch etliche Monate hindurch am Leben erhalten, aber der psy
20 chologische Wert eines Lagerfeuers mit dar über bratenden Fleischstücken war nicht zu verachten. So galt es daher in erster Linie, weitere Arten von jagdbarem Wild und eß baren Pflanzen herbeizuschaffen. Zu Zenkoortens Überraschung bat To schmol, an diesem Ausflug teilnehmen zu dürfen. »Ich habe keine speziellen Aufgaben, was die Bergungsarbeiten betrifft«, begründete der Wissenschaftler seinen Entschluß. »Ich verstehe auch zu wenig von der Technik, um einer der aufgestellten Gruppen eine Hilfe sein zu können.« »Es wird kein Spaziergang werden«, warnte Zenkoorten. »Ich werde niemanden behindern«, gab Toschmol hochmütig zurück. »Sie sollten nicht vergessen, daß ich einige Expeditionen zu historisch interessanten Welten mitge macht habe. Mit einer Waffe kann ich jeden falls umgehen, falls es das ist, was Ihnen Sorge macht.« Zenkoorten hatte das Gefühl, einen schwerwiegenden Fehler zu begehen, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als nach zugeben. Ihm wäre es lieber gewesen, den Wissenschaftler im Auge behalten zu kön nen. Toschmol hatte seine Idee, Klinsanthor zu finden und auf die PROTALKH aufmerk sam zu machen, nicht aufgegeben. Der Kommandant versuchte, sich aber selbst zu beruhigen, indem er sich klarmachte, daß Lenth Toschmol draußen in der Wildnis weitaus weniger anstellen konnte, als wenn er ihn in der Nähe des Schiffes herum schnüffeln ließ. Als die Versammlung sich endlich auflö ste, war es in dem hastig zusammengestell ten Lager bereits ruhig geworden. Die Über lebenden aus dem großen Kugelschiff sch liefen, erschöpft von den Strapazen der ver gangenen Tage. Nur am Rand der durch Energieprojektoren begrenzten Fläche gin gen die Wachen langsam auf und ab, die schweren Impulsstrahler schußbereit in der Armbeuge. Zenkoorten und zehn andere Arkoniden,
Marianne Sydow darunter auch Varka und Kentoil, der Fun ker, blieben in der Baracke zurück. Sie rich teten ihre Lager her und wollten sich eben zur Ruhe legen, als sie von draußen einen lauten Ruf hörten. Zenkoorten griff nach sei ner Waffe und stieß die Tür auf. Im selben Moment hörte er das leise Zischen eines Pa ralysators. Es kam von der entgegengesetz ten Seite des Lagers. Er rannte los, und als er die Hälfte der Entfernung zurückgelegt hatte, kamen ihm zwei Männer entgegen, die einen dritten mit sich schleppten. »Was ist los?« fragte Zenkoorten scharf. Varka, der ihm gefolgt war, ließ eine Lampe aufblitzen. Der Mann, der paralysiert im sicheren Griff der Wachen hing, war dem Kommandanten nicht persönlich bekannt. »Er muß den Verstand verloren haben«, sagte einer der Wächter. »Er kam aus dem Lager und marschierte genau auf die Ener giegrenze los. Ich rief ihn an, aber er rea gierte nicht. Wenn ich ihn nicht gelähmt hät te, wäre er jetzt tot.« Der Lärm hatte auch andere geweckt, und binnen Sekunden bildete sich ein dichter Kreis von Arkoniden um die kleine Gruppe. Zenkoorten sah die blassen Gesichter in der halben Dunkelheit. »Ihr beide!« sagte er und wies auf zwei nur halb bekleidete Männer, die in der vor dersten Reihe standen. »Bringt diesen Mann zu Shegosh. Alle Wachen kehren an ihren Posten zurück. Weitere Vorfälle dieser Art sind mir unverzüglich zu melden.« »Warum mag er das getan haben?« mur melte Varga vor sich hin, als sie in ihre Be hausung zurückkehrten. »Er wird es uns mitteilen, wenn er die Lähmung überwunden hat«, antwortete Zen koorten. »Er heißt Vanit«, sagte der junge Pilot nachdenklich. »Ich kenne ihn. Er ist ein gu ter Techniker und ein besonnener Mann. Ich kann mir nicht vorstellen, warum gerade er durchdrehen sollte!« Zenkoorten antwortete nicht, sondern zog sich in den Verschlag zurück, in dem sich
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sein Lager befand. Varka streckte sich seuf zend aus. Er konnte sich vorstellen, was den Kommandanten jetzt beschäftigte. Das letz te, was er gebrauchen konnte, waren weitere geheimnisvolle Vorfälle. In einer Gruppe von Schiffbrüchigen die notwendige Diszi plin aufrechtzuerhalten, war auch ohne Ge schehnisse dieser Art schwierig genug. Der Rest der Nacht verging ohne weitere Störungen. Kurz vor dem allgemeinen Weckruf kam jedoch Shegosh in die Ba racke gestürzt. Varka war sofort wach. »Wo ist der Kommandant?« fragte der Mediziner atemlos. Varka deutete schweigend auf den Vor hang, der Zenkoortens Lager umgab. Er hör te, wie der Kommandant einen unwilligen Laut ausstieß, als er so plötzlich aus dem Schlummer gerissen wurde, dann flüsterte Shegosh ein paar Worte, und die beiden Männer kamen zum Vorschein. Varka folgte ihnen, ohne auf einen diesbezüglichen Be fehl zu warten. Shegosh stieß die Tür zu der Hütte auf, in der das Häuflein von Medizinern sowie ein gutes Dutzend Schwerverletzte unterge bracht waren. Er eilte einen Gang entlang und zog einen Vorhang zur Seite. Vanit war tot. Er mußte sich unmittelbar nach seinem Erwachen aus der Lähmung die Kehle durchgeschnitten haben. »Dreihundertvierzig«, murmelte Varka, als der Schock zurückwich. Zenkoorten wir belte zu ihm herum. Er hatte die Bedeutung der Zahl sofort erfaßt. »Halten Sie den Mund!« befahl er leise und wandte sich dann an den Mediziner. »Dieser Mann war geisteskrank. Er hat den Belastungen nicht standgehalten. Ist das klar?« Shegosh nickte langsam.
5. Der große, schwere Transporter schwank te leicht. Kopfgroße Steine füllten das aus getrocknete Bachbett aus, durch das das Ge fährt sich dem höchsten Punkt des Hügels
entgegenarbeitete. Toschmol saß zwischen den anderen Männern eingekeilt auf der Plattform. Über ihnen wölbte sich die durchsichtige Hülle, die ihnen einen freien Blick auf die Umge bung erlaubte. Es gab nicht viel zu sehen. Nur Steine, hartes Gras und kleinlaubige Büsche mit zähen Zweigen. Alles erhielt durch das düster rote Licht eine fremdartige Färbung. Selbst der Schnee auf den Gipfeln der hohen Berge im Süden glänzte in trübem Rot. Sie waren seit drei Stunden unterwegs. In beinahe gerader Linie zwischen ihnen und dem Fluß lag das Lager. Im Augenblick ver sperrten mattbraune Felsen den Blick auf die kleinen Kunststoffhütten, aber der obere Teil der PROTALKH zeichnete sich wie ein me tallener Berg vor dem grünlichen Himmel ab. Kleine, zerfaserte Wolken zogen wie braunrote Federn darüber hin. Es war heiß in der Beobachtungskuppel! Seitdem die fruchtbare Ebene mit ihrer park ähnlichen Landschaft hinter ihnen zurückge blieben war, wurden sie von Staubwolken begleitet. Toschmol kannte den Plan, den die Gruppe verfolgte, aber er hielt das ganze Unternehmen für glatte Zeitverschwendung, und das versetzte ihn in eine gereizte Stim mung. Sie erreichten endlich die letzten Felsklip pen. Die Reste des Bachbetts endeten abrupt an einer Mauer aus ineinander gefaltetem Gestein. »Endstation!« knurrte Kolkor, der Anfüh rer der Gruppe. »Wir steigen da hinauf.« Schweigend machten die anderen sich be reit. Sie trugen Flugaggregate, die es ihnen leichtmachen würden, das letzte Hindernis, das ihnen die Sicht versperrte, zu überwin den. Auch Toschmol verließ das Fahrzeug. Als er neben Kolkor auf den Felsen lande te, hielt er unwillkürlich den Atem an. Keine zehn Zentimeter von seinen Stiefel spitzen entfernt fiel ein kleiner Stein in den gähnenden Abgrund einer ungeheuren Schlucht. Er sah, wie der Stein auf kleinen Vorsprüngen aufprallte, Geröll mit sich riß
22 und immer weiter hinabfiel – wenigstens eintausend Meter tief. Etwas weiter rechts brach mitten aus der Felswand ein Wasser strahl hervor, wurde im hohen Bogen, durch die Luft geschleudert und fiel erst einige hundert Meter weiter auf die Felsen. Dampf stieg auf, und ein zischendes Pfeifen war zu hören. Weit unten glitzerten Wasserflächen. Da zwischen dehnten sich dunkle Wälder aus. Ein Fluß bahnte sich seinen Weg, und er mußte gigantische Ausmaße besitzen. Etwa fünfzig Kilometer entfernt ragte die gegen überliegende Wand der Schlucht auf. To schmol verfolgte den Verlauf der Felsen mit den Augen und schüttelte verwundert den Kopf: Der erste Eindruck trog. Es war keine gewöhnliche Schlucht, sondern ein riesiges, in etwa kreisförmiges Loch. »Da unten gibt es gefährliche Mengen ra dioaktiver Strahlung«, bemerkte einer der Männer, der ein Meßgerät aus dem Trans porter heraufgebracht hatte. »Sieht beinahe so aus, als hätte dort eine Explosion stattge funden.« »Schon möglich«, entgegnete Kolkor un interessiert. »Darf ich mal sehen?« wandte Toschmol sich an den Mann mit dem Gerät. Er las die Anzeichen ab und kniff die Augen zusam men. »Der Stärke der vorhandenen Strahlung nach hätte die Explosion vor längstens fünf zig Arkonjahren stattgefunden«, murmelte er. »Na und?« Toschmol starrte Kolkor ärgerlich an. Die Dummheit seiner Artgenossen ging ihm manchmal auf die Nerven. Sie waren ein fach nicht imstande, die Realitäten logisch einzuordnen. »In diesem Tal gibt es Pflanzenwuchs, der mit einiger Wahrscheinlichkeit älter als fünfzig Arkonjahre ist«, erklärte er. Kolkor verstand immer noch nicht, und Toschmol sah sich zu weiteren Erläuterungen gezwun gen. »Nach einer Explosion, die groß genug ist, um ein solches Loch in den Boden zu
Marianne Sydow sprengen, vergehen unter natürlichen Bedin gungen Jahrhunderte, ehe sich eine zusam menhängende Vegetationsdecke gebildet hat. Schlußfolgerung: Entweder ist die Pflanzenwelt dieses Planeten fremdartiger als wir angenommen haben, oder das, was da unten auseinandergeflogen ist, entstamm te einer grundsätzlich fremden Technologie. Keinesfalls kann es sich um – nun, sagen wir, ein arkonidisches Raumschiff gehandelt haben.« »Wir werden das in unserem Bericht ver merken«, erwiderte Kolkor gelassen. »Wichtig ist, daß dieses Tal ein risikoreiches Gebiet ist. Die Tiere und Pflanzen dürften mutiert sein, sind mit Sicherheit strahlenver seucht und somit für uns nicht brauchbar. Wir fahren weiter.« Toschmol hielt ihn am Ärmel zurück, ehe er sich vom Antigrav nach unten tragen las sen konnte. »Sollten wir nicht wenigstens versuchen, herauszubekommen, was dort unten tatsäch lich geschehen ist?« »Dazu ist später noch Zeit«, entgegnete Kolkor ärgerlich. Toschmol seufzte. Es hatte keinen Sinn. Dabei wäre es seiner Meinung nach wirklich sehr wichtig gewesen, diesen Kessel zu un tersuchen. Hatten fremde Raumschiffe die sen Planeten gefunden? Wenn ja, was hatte für ihre Vernichtung gesorgt? Warum gab es keine Überlebenden und keine Spuren ande rer Schiffbrüchiger? Bedrohte Gefahr, die möglicherweise ein anderes Raumschiff ver nichtet hatte, auch die PROTALKH? Die Gruppe fuhr weiter. Der Transporter fand einen relativ bequemen Weg, der an der Hügelflanke entlangführte. Dennoch kamen sie langsam voran, denn immer wieder muß ten Proben eingesammelt werden. Toschmol verstand nicht, warum Zenkoorten eine so wenig spezialisierte Gruppe ausgeschickt hatte. Diese Männer waren zäh und durch trainiert, wissenschaftlich aber kaum ge schult. Dadurch verloren sie unnötig Zeit, denn viele der Proben würden nutzlos sein. Endlich blieb der Staub zurück. Sie fuh
System des Todes ren über grasbewachsenes, sanft gewelltes Gelände. Den Instrumenten nach zu urteilen, befanden sie sich genau auf dem vorgesehe nen Kurs, der sie in einem weiten Kreis um das Lager herumführen sollte. Gegen Mittag trafen sie auf eine Herde antilopenähnlicher Tiere. Kolkor hob kurz die Hand, dann bell te ein Schuß, und eines der Tiere krümmte sich mitten im Sprung, fiel mit schlagenden Läufen in das hohe Gras und blieb regungs los liegen. Seine Artgenossen reagierten äu ßerst seltsam. Sie kehrten um, untersuchten das tote Tier sorgfältig, indem sie es be schnupperten, versuchten es mit Hilfe ihrer langen Hörner aufzurichten und standen dann minutenlang ratlos herum. Wie auf einen Befehl ließen sie endlich von dem toten Herdenmitglied ab und liefen weiter. Um den Transporter kümmerten sie sich nicht. »Sie kennen keine Waffen«, bemerkte Kolkor zufrieden, während zwei Männer in das Gras hinabsprangen und die Beute hol ten. »Es wird eine Weile dauern, bis sie die Gefahr erkannt haben, die von uns ausgeht. Solange das nicht der Fall ist, wird die Jagd ein Kinderspiel sein.« »Jagd?« fragte Toschmol spöttisch. »Wir müssen überleben!« gab Kolkor brutal zurück. »Oder sind Sie Vegetarier?« Der Wissenschaftler beobachtete die bei den Arkoniden, die das tote Tier herbei schleppten, und er machte sich seine eigenen Gedanken. Ihm war im Grunde egal, daß diese Tiere sich einfach abschlachten ließen, damit die Leute aus der PROTALKH über lebten. Aber irgend etwas an der Situation war falsch. »Die Tiere sind kein bißchen neugierig!« murmelte er. »Hm«, machte Kolkor nachdenklich. »Da haben Sie recht. Ein bißchen merkwürdig ist es schon. Wenn sie uns schon nicht für ge fährlich halten, hätte sie uns doch wenig stens bemerken müssen.« »Sie haben zu uns hinübergesehen«, mischte ein anderer sich ein. »Es war nur ganz kurz, dann wandten sie sich wieder ab. Mir kam es beinahe so vor, als wollten sie
23 uns nicht beachten.« »Rede keinen Unsinn, Bergh«, knurrte Kolkor. Er wollte noch weitersprechen, aber in diesem Augenblick schrie einer der bei den Arkoniden, die sich dem Transporter be reits wieder bis auf wenige Meter genähert hatten, gellend auf. Kolkor ruckte hoch, und Toschmol beugte sich hastig vor. Der Mann draußen im Gras sank in sich zusammen. »Zurück!« brüllte Kolkor zwei seiner Leute an, die dem Mann zu Hilfe eilen woll ten. »Bergh, du kommst mit!« Toschmol beobachtete aus zusammenge kniffenen Augen, wie Kolkor draußen mit Bergh und dem anderen Arkoniden disku tierte. Sie beugten sich über den reglosen Mann im Gras und richteten sich nach weni gen Sekunden auf. In ihren Gesichtern spie gelten sich Ratlosigkeit und Entsetzen. Es war sehr still im Transporter, als die drei den Toten in den Frachtraum legten. Kolkor und die anderen kehrten mit steinernen Mienen in die Kuppel zurück. »Keine Spekulationen!« warnte der An führer, ehe jemand eine Frage stellen konn te. »Er ist allem Anschein nach völlig unver letzt. Wahrscheinlich gibt es kleine Tiere in diesem hohen Gras, deren Biß sofort tödlich wirkt. Ebensogut kann es sich aber auch um mörderische Pflanzen handeln. Von jetzt an benutzen wir nur die Flugaggregate, wenn wir in dieser Gegend nach draußen müssen. Ist das klar?« Sie nickten beklommen, und Toschmol fragte sich, ob einem von ihnen der bedeut same Umstand aufgefallen war: Bei dem Toten handelte es sich um den Mann, der den Schuß abgegeben hatte. Etwa zwei Stunden später gelangten sie an den Fluß. Sie hatten ein halbes Dutzend weitere Tiere erlegt, darunter auch zwei von den Antilopen, ohne daß es zu einem neuen Zwischenfall gekommen wäre. Eine Über querung des breiten Wasserlaufs war für heute nicht geplant. Sie fuhren am Ufer ent lang, wobei sie sich auf dem breiten Geröll streifen hielten, den das Wasser zusammen gespült hatte. Der Fluß war ungewöhnlich
24 klar, und selbst mit bloßem Auge ließ sich erkennen, daß es in ihm von Tieren wimmel te. Toschmol spürte die Spannung in der Ka bine. Der Auftrag der Gruppe war eindeutig, und dennoch scheuten die Männer instinktiv davor zurück, auch einige der Wasserbe wohner zu erlegen. Es dauerte mehrere Mi nuten, bis Kolkor sich zu einem Entschluß durchrang. »Wir halten hier an«, befahl er. »Kentoil, du nimmst das Netz. Paß auf, daß du mir nicht in die Schußbahn gerätst.« Toschmol begann sich überflüssig zu füh len. Die Männer, die Zenkoorten ausge schickt hatte, waren großartig aufeinander eingespielt. Der Mann namens Kentoil er griff ein unförmiges Paket und verließ damit den Transporter. Er schaltete sofort das Fluggerät ein und ließ sich schräg nach oben treiben. Kolkor folgte ihm, schlug jedoch ei ne etwas andere Richtung ein. Er spähte auf merksam in das klare Wasser hinab. Ein kur zer Wink genügte, dann schoß Kentoil nach unten. Das Paket entfaltete sich zu einem großen Netz aus glitzernden Fäden, dessen Seil am Gürtel des Arkoniden befestigt war. Das Netz tauchte ins Wasser, und im selben Augenblick schoß Kolkor. Es gab einen Wirbel von Blasen, eine dünne Dampfwolke stieg auf, dann zog Kentoil das Netz hoch. Zwischen den Maschen hing ein manns großes, torpedoförmiges Tier. Das Manöver wurde mehrmals wieder holt, dann nickte Kolkor seinem Gefährten zu. Die Beute verschwand im Frachtraum, und die beiden Männer kehrten in die Kabi ne zurück. »Jetzt haben wir es fast geschafft«, sagte Kolkor lächelnd. »Du kannst weiterfahren, Ghoss!« Als der Fahrer nicht reagierte, beugte der Anführer der Gruppe sich vor. »He, bist du eingeschlafen?« fragte er und schlug dem Arkoniden auf die Schulter. Ghoss sank vornüber, und als sein Körper die Armaturen berührte, schoß der Transpor ter in einem wilden Ruck nach vorne. Kol kor verlor das Gleichgewicht. Schreie und
Marianne Sydow Flüche erfüllten die Kabine, während das Fahrzeug führerlos über die Steine rumpelte. Toschmol war im ersten Moment so fas sungslos, daß er wie betäubt sitzen blieb, die Hände um die Sitzlehne gekrallt. Dann sah er den riesigen Baumstamm, gegen den der Wagen unweigerlich prallen mußte. Er warf sich nach vorne. Irgendwie gelang es ihm, den schlaffen Körper des Fahrers zur Seite zu schieben. Er riß den Steuerhebel herum. Die Gleisketten schleuderten Steine und Schwemmholz hoch, und sekundenlang schien es, als würde das schwere Fahrzeug sich überschlagen, aber dann war die Gefahr vorbei. Mit zitternden Fingern brachte To schmol die Schalter in Nullstellung. Neben ihm rappelte Kolkor sich fluchend auf. Er blutete aus einer Platzwunde an der Stirn. Er zog Toschmol zur Seite und beugte sich über Ghoss. In der Kabine machte sich Totenstille breit. »Er lebt«, sagte Kolkor schließlich. Dann schlug er Toschmol derb auf die Schulter. »Danke!« brummte der Anführer der Gruppe. »Ohne Sie hätte es bestimmt ein paar Tote gegeben. Ich hätte nicht gedacht, daß Sie so gut reagieren können,« Toschmol legte sich keine Rechenschaft darüber ab, ob dieses Lob daran schuld war oder ob es einfach an der gemeinsam über standenen Gefahr lag. Jedenfalls fühlte er plötzlich, daß er dazugehörte. Diese Männer waren rauh und ungeschliffen – aber wenn er ehrlich war, dann störte ihn das am aller wenigsten. Mit ihnen konnte man reden, oh ne jedes Wort auf die Goldwaage zu legen. Und auch die Gruppe änderte ihr Verhalten ihm gegenüber. Bis zu diesem Moment war er nichts anderes gewesen, als ein uner wünschter Passagier. Jetzt tauten die Männer auf. Der Transporter hatte Mühe, sich aus dem lockeren Geröll freizuarbeiten, in das To schmol ihn gesteuert hatte. Kaum berührten die Gleisketten wieder freien Boden, da kam Ghoss zu sich. »Was ist passiert?« fragte er.
System des Todes Sie erklärten es ihm, und er schüttelte ver wundert den Kopf. »Verstehe ich nicht!« knurrte er wütend und rieb sich die Stirn. »Ich habe zugesehen, wie ihr die Fische gefangen habt, und auf einmal – ja, ich muß wohl eingenickt sein.« »Du warst bewußtlos«, korrigierte Kolkor ernst. Er sah Toschmol an. »Sie sind Wis senschaftler. Ich weiß, daß Sie sich mit My thologien beschäftigen, und vielleicht hat das jetzt keine Bedeutung. Trotzdem würde es mich interessieren, welche Meinung Sie vertreten. Was ist auf LOIPOS los? Dieser Planet ist unheimlich.« »LOIPOS? Das bedeutet soviel wie ›Blinder Spiegel‹. Woher kommt dieser Na me?« »Wir haben ihn so genannt«, murmelte Kolkor verlegen. »Wir waren gestern schon draußen, und es gab ein paar seltsame Din ge, die uns auffielen. Irgend jemand kam auf diesen Namen.« Toschmol musterte die Männer aufmerk sam. Es gab kein Anzeichen dafür, daß je mand ihn verspotten wollte. Er überlegte, was er ihnen sagen sollte. Die Wahrheit? Aber er war ja selbst auf Vermutungen an gewiesen. »Sie alle kennen den Auftrag, den der Im perator uns und anderen gegeben hat«, be gann er vorsichtig. »Wir sollen ein Fabelwesen suchen«, nickte Kolkor. »Ehrlich gesagt, bis jetzt ha be ich das nicht ernstgenommen. Gibt es dieses Geschöpf nun wirklich?« »Die Aufzeichnungen, die uns zur Verfü gung stehen, sind sehr alt und ungenau. Viele von meinen Kollegen bezweifeln tatsäch lich, daß Klinsanthor jemals existiert hat. Aber ich habe lange genug geforscht, um zu wissen, daß sie sich irren. Klinsanthor lebt, aber er schläft. Er hat sich an einen geheim nisumwitterten Ort zurückgezogen. Nach al lem, was wir wissen, muß sein Schlaf bereits Jahrtausende, dauern, wenn nicht noch län ger.« Die Männer sahen ihn verblüfft an. »Das ist nicht so unwahrscheinlich, wie
25 Sie jetzt denken«, lächelte Toschmol. »Vor kurzem wurde der Flottenstützpunkt Trant agossa von den Maahks angegriffen und bei nahe zerstört. Unter denen, die das Inferno überlebt haben, waren ein paar Leute, die folgende Geschichte erzählten: Ein For schungsschiff brachte zwölf Leichen nach Enorketron. Man hatte die Körper in einer längst verlassenen Station gefunden, deren Erbauer bisher unbekannt sind. Die Leichen lagen in Anlagen, durch die sie offensicht lich total konserviert wurden. Auf Enorke tron stellte man mittels wissenschaftlicher Methoden fest, daß diese Körper gelebt ha ben mußten, als das arkonidische Volk als solches noch gar nicht existierte. Und nun stellen Sie sich vor, wie überrascht man war, als einer von diesen unzweifelhaft toten Fremden plötzlich zum Leben erwachte.« »Das gibt es nicht!« »Doch, Kolkor! Eine Kamera hat es sogar aufgezeichnet. Diese Leiche stand auf und lief davon. Sie verhielt sich dabei so ge schickt, daß man sie selbst mit den raffinier testen Methoden nicht einfangen konnte.« »Und wo ist dieser Fremde geblieben?« »Niemand weiß es«, murmelte Toschmol achselzuckend. »Wahrscheinlich wurde er bei dem Angriff der Maahks getötet. Aber dieser Vorfall beweist immerhin, daß unsere Lebenserhaltungssysteme nicht so vollkom men sind. Wir können einen Körper zwar auch vor dem Zerfall bewahren, aber nach einer bestimmten Zeitspanne stirbt das Ge hirn so weitgehend ab, daß wir nach einem Wiedererweckungsversuch vor einem medi zinischen Idioten stehen. Klinsanthor mag Geräte zur Verfügung haben, die denen der Fremden ähnlich sind. Damit kann er sich über lange Zeiträume hinweg am Leben er halten. Es ist also gar nichts Mystisches dar an.« »Und Sie meinen, wir sind zufällig genau auf sein Versteck gestoßen«, vermutete Kol kor. Toschmol war überrascht. »Das wäre eine Erklärung dafür, daß LOI POS ein so merkwürdiger Planet ist«, fuhr
26 Kolkor nachdenklich fort. »Aber wo steckt dieses Wesen? Wie findet man es?« »Indem man die Spuren deutet«, erklärte Toschmol. »Klinsanthor befindet sich nicht auf diesem Planeten, sondern auf der Schlackewelt. Dieser tote Trabant der roten Sonne ist die Unweit oder Skärgoth, wie sie in den alten Überlieferungen genannt wird.« »Das verstehe ich nicht«, mischte Bergh sich ein. »Warum soll der Fremde sich einen so ungastlichen Planeten ausgesucht ha ben?« »Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, eine gute Erklärung gefunden zu haben. Sehen Sie sich um! LOIPOS ist ein Planet, der von Leben nur so wimmelt. Der andere Planet ist das genaue Gegenteil. Einen logischen Grund dafür gibt es nicht, denn die Schlackewelt befindet sich in der idealen Lebenszone des Systems. Außerdem ist es äußerst unwahrscheinlich, daß eine derartige Konstellation durch die Natur erschaffen wird: zwei Planeten gleicher Größe, die ihre Sonne im gleichen Abstand umkreisen.« »Arkon besteht aus drei Planeten, die die se Bedingungen erfüllen!« wandte Ghoss ein. »Ja, und sie wurden künstlich in diese Bahn gebracht. Ein solcher Vorgang muß auch hier stattgefunden haben. Der andere Planet wirkt, als wäre seine Oberfläche ver brannt. Ich glaube, daß man ihn absichtlich von allem Leben gereinigt hat.« »Aber warum?« »Klinsanthor überdauert die Zeiten in ei nem Schlaf, der dem Tod näher ist als dem Leben. Vielleicht haben alle Lebewesen eine Ausstrahlung, die den Tod anzieht. Eine Art inneren Magneten. Leben entsteht durch Zerfall und Zerstörung. Es kann sich selbst nur erhalten, indem es pausenlos zerstört und tötete. Ein solcher Einfluß könnte auf ein Wesen wie Klinsanthor verheerend wir ken. Er braucht eine Umgebung, die von dieser Art Leben abgeschlossen ist. Weil es um ihn herum den Tod nicht gibt, kann er sich gegen ihn abschirmen. Aber er braucht auch den anderen Pol. Gefilterte, speziell auf
Marianne Sydow ihn abgestimmte Impulse des Lebens. Im pulse, aus denen der Tod herausgefiltert wurde. Diese Impulse kommen von LOI POS. Sie geben ihm die Kraft, den langen Schlaf zu überdauern.« Die Männer in der Kabine schwiegen. To schmol beobachtete sie, und plötzlich wußte er, daß er den ersten Erfolg verbuchen konn te. Raumfahrer waren schon immer aber gläubisch gewesen. Er hatte es gewußt, aber nicht folgerichtig verwertet. Seine Ausfüh rungen klangen logisch, aber die Logik stand auf einem wackeligen Podest von Ver mutungen. Gerade dadurch wurden diese Leute beeindruckt. »Es gibt metallene Pfeiler auf diesem Pla neten«, fuhr Toschmol siegessicher fort. »Wenn wir einen von ihnen untersuchen, werden wir der Lösung des Rätsels näher kommen.« »Zenkoorten hat befohlen, daß niemand sich diesen Bauwerken nähert«, wandte Kol kor ein. »Zenkoorten ist ein Narr!« behauptete To schmol. »Er weigert sich, die Wirklichkeit anzuerkennen. Von Anfang an habe ich dar auf gedrungen, zuerst den Schlackeplaneten anzufliegen, aber er mußte seinen Willen durchsetzen. Wir hätten uns viel ersparen können, wenn er nicht so stur gewesen wäre. Unser Auftrag wäre jetzt schon erfüllt und Klinsanthor geweckt. Bei der Macht, über die dieses Wesen verfügt, wäre es ihm leichtgefallen, uns zu helfen.« »Sie meinen, Klinsanthor könnte dafür sorgen, daß wir wieder in bekannte Regio nen der Galaxis zurückfinden?« fragte Kol kor überrascht. »Er kann es nicht nur, sondern er würde es auch mit Sicherheit tun. Wir sind gekom men, um ihn im Auftrag des Imperators zu wecken. Einem solchen Aufruf muß er fol gen, das geht aus den Überlieferungen her vor. Aber wer sollte ihn nach Arkon brin gen? Ist er erst mal wach, dann braucht er uns.« Kolkor sah seine Kameraden nacheinan der an. Sie nickten zögernd.
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»Also gut«, murmelte er. »Wenn Sie recht haben, dann brauchen wir nur die Schlacke welt aufzusuchen, und wir sind gerettet. Die PROTALKH ist hinüber. Die VALKARON hat als einziges Beiboot die Zerstörung über standen. Wir werden Zenkoorten zwingen, uns das kleine Schiff zu überlassen.« Toschmol hatte Mühe, seinen Triumph zu verbergen.
6. Am späten Nachmittag erreichten sie das Lager. Sie luden die Beute aus und legten den Toten neben den Transporter. Dann warteten sie. Es dauerte nicht lange, bis Zenkoorten kam. Neben ihm ging Varka. Die Männer warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu, als sie feststellten, daß der Pilot die rechte Hand auf dem Kolben seiner Waffe zu liegen hat te. »Einer von uns ist leider nicht mehr fähig, sich zurückzumelden, Kommandant«, sagte Kolkor schleppend. »Und es hat nicht viel gefehlt, dann wäre keiner aus unserer Grup pe wieder ins Lager gekommen.« »Was ist geschehen?« fragte Zenkoorten. »Ich erwarte, daß Sie eine ordnungsgemäße Meldung abgeben.« Kolkor nahm mit ausdruckslosem Gesicht Haltung an und schnarrte einen kurzen Be richt herunter. Zenkoorten hörte zu und nickte schließlich. »Sie haben Ruhe verdient«, erklärte er. »Gehen Sie in Ihre Unterkunft und ruhen Sie sich aus. Ich werde dafür sorgen, daß der Tote bestattet wird. Die wissenschaftliche Abteilung wird sich um die von Ihnen ge sammelten Proben kümmern.« »Kommandant!« Zenkoorten, der sich bereits zum Gehen gewandt hatte, drehte sich langsam um. »Was gibt es noch?« »Wir sind zu der Ansicht gelangt, daß die ser Planet uns gegenüber feindlich einge stellt ist. Er wird uns alle töten, wenn Sie nichts unternehmen.«
»So«, sagte Zenkoorten spöttisch. »Und was soll ich Ihrer Meinung nach tun?« »Lassen Sie die VALKARON den Schlackeplaneten ansteuern!« forderte Kol kor. »Wir müssen unseren Auftrag erfüllen, sonst wird keiner von uns mit dem Leben davonkommen!« Zenkoorten lächelte, und Varka hielt den Impulsstrahler in der Hand. »Sie sind also auf die verrückten Ideen unseres Gastes hereingefallen«, stellte der Kommandant fest. »Aber glauben Sie mir: Ich weiß genau, was ich tun muß, um die restlichen Überlebenden vor weiteren Ge fahren. Wir werden den toten Planeten nicht anfliegen, weil es dort nichts gibt, was uns weiterhelfen könnte. Die VALKARON ist unsere einzige Garantie dafür, daß wir in ab sehbarer Zeit Hilfe herbeirufen können. Ich werde das Boot wie meinen Augapfel hüten. Sie alle stehen unter Arrest, bis ich sicher bin, daß Sie keinen Unfug mehr anstiften können. Varka, du sorgst dafür, daß diese Männer entsprechend untergebracht werden. Toschmol, Sie begleiten mich!« »Sie sind ein verbohrter Narr, Komman dant!« knurrte Kolkor, ehe er den Waffen gurt löste und ihn zu Boden fallen ließ. Sie mußten sich den Anordnungen fügen. To schmol beobachtete verbittert, wie die Män ner entwaffnet und in eine Baracke geführt wurden. Zwei Posten erschienen, die diese Hütte bewachen sollten. »Warum hören Sie sich nicht wenigstens an, was wir herausgefunden haben?« fragte Toschmol wütend. »Weil ich Ihre hübsche Geschichte bereits Wort für Wort kenne«, entgegnete Zenkoor ten. »Jedes Gespräch, das in dem Transpor ter geführt wurde, habe ich gehört. Dachten Sie wirklich, ich würde Sie ohne Überwa chung mit diesen Männern allein lassen? Ich dachte mir schon, daß Sie einen Versuch un ternehmen würden, einen Keil in die Mann schaft zu treiben. Aber das wird Ihnen nicht gelingen, Toschmol. Auch diese Männer werden einsehen, daß sie sich haben täu schen lassen. Zugegeben, das Märchen, das
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Sie sich zusammengereimt haben, klingt gut – zu gut, um wahr zu sein. Ich werde es Ih nen beweisen.« »Das wird kaum möglich sein.« »O doch. Ihrer Theorie nach müßte es Im pulse geben, die von den Pfeilern in Rich tung Schlackewelt abgestrahlt werden. Das ist der entscheidende Punkt, auf dem Sie Ihr Gedankengebäude errichtet haben. Ich wer de einen der Pfeiler untersuchen lassen. Sie werden sehen, daß es sich dabei um ein völ lig totes Bauwerk handelt, das früher einen Sinn erfüllt haben mag, inzwischen aber nichts weiter als ein skurriler Bestandteil der Landschaft geworden ist.« »Vielleicht erleben Sie eine Überra schung«, murmelte Toschmol. »Immerhin wird es gut sein, zu erfahren, was diese Bau werke wirklich sind. Darf ich dabeisein, wenn der Pfeiler untersucht wird?« »Sie müssen sogar! Nur so kann ich Sie möglicherweise zur Vernunft bringen. Soll ten Sie allerdings weiterhin versuchen, die Leute aufzuwiegeln, dann muß ich andere Mittel wählen, um Sie unschädlich zu ma chen.« Lenth Toschmol überhörte die Drohung. Er warf einen Blick auf die rote Sonne, die noch ein gutes Stück über dem Horizont stand. »Wann soll der Versuch stattfinden?« »Sofort!« sagte Zenkoorten.
* Nur einer der schnellen, wendigen Gleiter war erhalten geblieben. Zenkoorten maß dem Unternehmen genug Bedeutung bei, um das wertvolle Fahrzeug einzusetzen. Toschmol saß zwischen Zenkoorten und Varka eingezwängt in der Mitte der Kabine. Vor ihm hockte Swann neben dem Fahrer, und hinter ihm saßen insgesamt sechs Be waffnete. Toschmol fragte sich, warum aus gerechnet Swann diesen Flug mitmachen sollte, aber er sagte nichts. Zenkoorten hüllte sich in Schweigen, und auch die anderen Mitglieder der kleinen Expedition waren
nicht gesprächig. Sie überflogen den Fluß und rasten über eine weite, grasbedeckte Ebene hinweg. To schmol sah riesige Herden von Tieren, die in gleichmäßigem Trott einem unbekannten Ziel entgegenwanderten. Vor dem Gleiter zeichneten sich niedrige Hügel ab. Dahinter lag eine weitere Grasebene, und in deren Mitte erhob sich das Bauwerk, das sie unter suchen wollten. Selbst aus dieser Entfernung wirkte es be eindruckend. Seine Spitze war nicht zu er kennen, der höchste Punkt des Pfeilers ver schwamm im rot-braunen Abendhimmel. Als sie näher kamen, wuchs der schlanke Turm zu einem unheimlichen, drohenden Schatten auf. Toschmol hatte das Gefühl, sich einer entsetzlichen Gefahr auszuliefern. Der Turm schien vor seinen Augen zu schwanken, als wolle er umkippen und das winzige Gefährt zerquetschen. Vom Lager aus sah man in der Ferne die Silhouetten von insgesamt vier Pfeilern. Auf der Erkundungsfahrt hatte Toschmol weitere sechs dieser Bauwerke entdeckt. Sie wirkten wie die senkrechten Stäbe eines Gitters, das den ganzen Planeten in kleine Zellen zerteil te. Die Daten, die über die Pfeiler bisher vorlagen, waren ihm bekannt. Aber er hatte nicht gedacht, daß sie so gigantisch wirken würden. »Setzen Sie den Gleiter neben dem klei nen Gebüsch dort vorne auf«, durchbrach Zenkoorten das unbehagliche Schweigen. Als das Fahrzeug hielt, wandte der Kom mandant sich an die sechs Männer im hinte ren Teil der Kabine. »Sie kennen Ihre Aufgabe. Beeilen Sie sich, damit wir noch vor Einbruch der Dun kelheit ins Lager zurückkehren können.« »Meinen Sie wirklich, daß man diesem Ungetüm innerhalb einer knappen Stunde al le Geheimnisse entreißen kann?« fragte To schmol spöttisch, als die Wissenschaftler, mit ihren Meßgeräten beladen, den Gleiter verlassen hatten. »Was soll in diesem Turm schon zu fin den sein«, knurrte Zenkoorten verächtlich.
System des Todes Der Pfeiler war aus einem mattgrauen Metall. Die Oberfläche war spiegelblank, als hätten die Wesen, die diese Bauwerke er richtet hatten, ihre Arbeit eben erst beendet. Es gab kein Anzeichen von Verfall und Ver witterung. Rings um den Turm war der Bo den etwa fünfzig Meter weit graubraun. Dort wuchs nichts. Die Wissenschaftler erreich ten den Rand dieses Gebiets, blieben stehen und diskutierten miteinander. Meßgeräte wurden zum Boden gerichtet, Proben von Staub und Erde wanderten in kleine Behäl ter. »Rufen Sie die Leute zurück!« sagte To schmol beunruhigt. »Warum?« fragte Zenkoorten verwundert. »Fürchten Sie, daß Ihre Theorie durch das Ergebnis einer Untersuchung als unsinnig entlarvt werden könnte?« »Warum sind sie so stur!« rief der Wis senschaftler wütend. »Diese Männer werden sterben, wenn sie sich dem Turm noch wei ter nähern! Wollen Sie sechs Arkoniden in den sicheren Tod schicken, nur weil sie in Ihrer Verbohrtheit nicht zugeben wollen, daß Sie sich geirrt haben? Sie sind auf dem falschen Planeten gelandet, Zenkoorten! Wie oft soll ich Ihnen das noch sagen? Sie sind schuld am Tod der ganzen Besatzung der PROTALKH, wenn Sie nicht endlich nachgeben!« »Jetzt reicht es mir aber!« knurrte Zenko orten wild. »Halten Sie den Mund, oder ich lasse sie paralysieren!« Toschmol blickte in die Mündung der Waffe, die Varka auf ihn gerichtet hätte. Mutlos sank er in die Polster zurück. Die Wissenschaftler hatten ihre erste Untersu chung der Staubschicht, die die Basis des Pfeilers umgab, beendet und schritten wei ter. Sie näherten sich der grauen Wand, die unendlich hoch vor ihnen aufragte. Jetzt hat ten sie ihr Ziel erreicht. Wieder wurden die Meßgeräte befragt, dann streckte einer der Männer die Hand aus und berührte den Pfei ler. Lenth Toschmol stöhnte leise auf. Jetzt mußte es geschehen!
29 »Nichts!« sagte Zenkoorten neben ihm verächtlich. »Sehen Sie selbst! Dieser Pfei ler ist genauso harmlos wie die Felsen …« »Kommandant!« Swann deutete zitternd nach oben. Der Pfeiler begann zu glühen. Ein seltsa mes Licht ging von ihm aus. Es erfaßte den oberen Teil des Turmes, wanderte tiefer und wurde immer intensiver. Die Wissenschaft ler hatten es allem Anschein nach noch nicht bemerkt. Zenkoorten riß das Mikrophon zu sich heran. »Kommen Sie sofort zurück!« befahl er scharf. Die Männer rührten sich nicht. »Verdammt!« brüllte der Kommandant der PROTALKH. »Hören Sie mich nicht? Kommen Sie zum Gleiter zurück …« Das Glühen hatte die Männer am Turm erreicht, und Zenkoorten schwieg entsetzt. Das Licht erfaßte die Arkoniden, und die Körper der Männer wurden durchscheinend. Erst jetzt reagierten sie auf die Gefahr. Sie versuchten zu fliehen, aber es war längst zu spät. Sie selbst wurden zu Quellen des Lichtes. Sie glühten von innen heraus, und gleichzei tig dehnten sie sich aus. Wie leuchtende Rie sen tappten sie mit unsicheren Schritten über den verbrannten Boden, kamen auf den Gleiter zu und ragten vor dem kleinen Fahr zeug auf. Gigantische Fäuste aus glühender Materie hoben sich zeitlupenhaft langsam. Als sie sich dem Gleiter bedrohlich näher ten, hatte der Fahrer endlich den Bann des Entsetzens überwunden. Der Gleiter schoß rückwärts von dem Pfeiler und den grauen haft verwandelten Arkoniden weg. Deutlich sahen die Überlebenden der unheilvollen Expedition, wie die leuchtenden Gestalten ihrer Kameraden in sich zusammensanken, bis nur noch winzige, glimmende Klumpen von ihnen übrig waren. Ein leichter Wind kam auf. Feine Asche stäubte auf und wurde in die Grasebene hinausgetragen. »Das war ein sinnloses Opfer«, sagte To schmol leise, als er sich wieder gefangen
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hatte. »Schweigen Sie!« befahl Zenkoorten hart. »Wir kehren zum Lager zurück. Dieser Vor fall ist bedauerlich, aber er beweist nichts weiter, als daß ich die Pfeiler falsch einge schätzt habe. Wir werden diesen Dingern in Zukunft aus dem Wege gehen. Ich werde Ih nen noch mitteilen, was der offizielle Be richt über die Untersuchung des Pfeilers ent halten soll. Bis dahin sind Sie alle zu absolu tem Stillschweigen verpflichtet. Ein Verstoß gegen diesen Befehl ist Meuterei! Haben Sie mich verstanden?« »Sie sprechen laut genug, Kommandant«, sagte Toschmol spöttisch. »Aber Sie überse hen eine wichtige Tatsache. Ob Sie uns zum Schweigen bringen oder nicht – die anderen werden selbst sehen können, welche Folgen Ihre unbedachte Tat hat.« Er deutete in die Dämmerung hinaus. Erst jetzt bemerkte auch Zenkoorten, daß nicht nur einer der vielen Pfeiler, die von der Oberfläche des Planeten aufragten, zu ge spenstischem Leben erwacht war. Wie glim mende Fäden zeichneten die Türme sich vor dem braunen Himmel ab. Jeder einzelne von ihnen glühte, und diese Zeichen würde man auch im Lager sehen können.
* »Es besteht kein Grund, sich wegen dieser Erscheinung Sorgen zu machen!« behaupte te Zenkoorten den versammelten Arkoniden gegenüber. »Gut, die Pfeiler glühen, das kann man deutlich sehen. Wir wissen jetzt auch, daß es gefährlich ist, einem solchen Bauwerk zu nahe zu kommen, und wir wer den uns danach richten. Sonst ändert sich nichts.« »Das steht noch nicht fest, Komman dant!« wurde er von Swann unterbrochen. Zenkoorten warf dem Bärtigen einen wüten den Blick zu, aber der Arkonide ließ sich da von nicht beeindrucken. »Ich messe eine Strahlung an, die von den Pfeilern ausgeht«, fuhr er fort. »Es handelt sich um Impulse, deren Bedeutung ich nicht
kenne. Es ist etwas völlig Fremdartiges, und wir wissen nicht, welche Wirkung diese Strahlung auf die einheimischen Tiere und Pflanzen ausüben wird. Ich fürchte, wir müssen uns auf unangenehme Überraschun gen gefaßt machen.« »Wir werden wachsam sein«, winkte der Kommandant ab. »Wichtig ist lediglich, daß wir ruhig und besonnen bleiben. Wir haben genug Waffen gerettet, um uns wirksam ge gen einheimische Lebensformen verteidigen zu können.« »Wäre es nicht besser, den Ursprung der Gefahr zu suchen und vielleicht zu beseiti gen?« fragte Swann. »Was wollen Sie damit andeuten?« knurr te Zenkoorten. »Die Impulse werden nicht von den Pfei lern selbst erzeugt«, sagte der Bärtige. »Diese Türme scheinen sie nur zu verstär ken. Die eigentliche Strahlungsquelle befin det sich nicht auf diesem Planeten.« »Wo sonst?« »Jenseits der roten Sonne. Auf der Schlackewelt.« »Wenn es wirklich so wäre, könnten Sie es von hier aus nicht feststellen. Die Impulse müßten das Gestirn durchdringen, und das ist ziemlich unwahrscheinlich. Wenn Sie ei ne Strahlungsquelle angemessen haben, kann es sich dabei ebensogut um die Sonne selbst handeln.« Swann sah zu Vrenaja Zortain hinüber. Die junge Arkonidin lächelte schwach. »In diesem Fall hätte die Sonne sich in ir gendeiner Weise verändern müssen, als die Türme zu glühen begannen«, sagte sie. »Das ist nicht geschehen.« »Dann zeigen die Geräte eben etwas Falsches an«, wehrte Zenkoorten ab. »Die glühenden Türme werden schuld daran sein.« »Wir sollten die VALKARON bemannen und zu der Schlackewelt fliegen«, forderte Swann. »Dann können wir an Ort und Stelle nachprüfen, ob die Messungen wirklich falsch sind.« »Das Beiboot wird nicht starten!« sagte
System des Todes Zenkoorten scharf. »Und wenn, dann mit Si cherheit nicht zu der toten Welt, sondern in den freien Raum, von wo aus wir Verbin dung mit einem arkonidischen Raumschiff aufnehmen werden. Es hat genug Tote gege ben. Ich verlange von Ihnen allen, daß Sie Disziplin bewahren und meine Befehle be folgen.« »Er ist stur wie ein Panzer«, beschwerte Vrenaja Zortain sich bei Swann, als die Ver sammlung sich aufgelöst hatte. »Er wird umlernen müssen«, murmelte der Bärtige. »Hoffentlich dauert es nicht zu lange, bis er begreift, daß er mit seinen Me thoden auf diesem Planeten nichts erreicht.« »Was ist eigentlich mit Toschmol gesche hen? Er war doch dabei, als der Pfeiler un tersucht werden sollte. Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen.« »Zenkoorten hat ihn eingesperrt«, erklärte Swann trocken. »Er hält ihn für verrückt.« »Ist er es?« Der Bärtige zuckte die Schultern. »Er ist ohne Zweifel ein Fanatiker. Aber ich fürchte, in einigen Punkten hat er recht. LOIPOS ist eine tödliche Falle. Wir sollten sehen, daß wir schleunigst von hier weg kommen.« »Die VALKARON«, murmelte die Arko nidin leise und sah zu dem Wrack der PROTALKH hinüber, das sich dunkel gegen den von glimmenden, senkrechten Linien durchzogenen Himmel abhob. Das Beiboot stand in der geöffneten Schleuse. Sie hatten es nicht nach draußen gebracht, weil sie sei nen derzeitigen Standplatz für sicherer hiel ten. Auch Swann sah zu dem metallenen Ge birge auf. Er überlegte, wen er für seinen Plan gewinnen konnte. Diese Astronomin würde vielleicht mitmachen. Natürlich war es ein riskantes Unternehmen. Außerdem konnten sie in dem sechzig Meter durchmes senden Beiboot nicht alle Überlebenden un terbringen. Aber wenn es noch mehr Unfälle gab … »Woran denken Sie?« fragte Vrenaja. »Daran, daß wir alle umkommen werden,
31 wenn wir uns nach Zenkoorten richten«, er widerte er vorsichtig. »Meuterei?« »Man kann es auch anders betrachten. Wir haben den Auftrag, die Unweit zu su chen und Klinsanthor zu wecken. Haben Sie den Eindruck, daß der Kommandant sich au genblicklich danach richtet?« Sie pfiff leise durch die Zähne. »So ginge es«, murmelte sie. »Niemand könnte uns etwas anhaben. Aber Zenkoorten wird um die VALKARON kämpfen. Und es gibt bestimmt Leute genug, die ihn unter stützen.« »Varka, Kentoil, Zamok und ein paar an dere Offiziere«, nickte Swann bedächtig. »Ein Teil der anderen wird sich ihnen unter ordnen, besonders jene Leute, denen man im Laufe der Ausbildung das Denken abge wöhnt hat. Aber ich denke, wir haben trotz dem gute Chancen. Wir müssen nur dafür sorgen, daß Zenkoorten uns nicht zuvor kommt.« »Sie können auf mich rechnen«, sagte die Arkonidin leise. »Ich habe keine Lust, mein Leben auf diesem Geisterplaneten zu been den.« »Das ist gut«, nickte Swann zufrieden. »Eine Astronomin werden wir brauchen können …« Er unterbrach sich und deutete auf die PROTALKH. »Was ist das?« Im oberen Teil des Wracks erschien ein Lichtpunkt, der sich erstaunlich schnell ver größerte. »Die Schleuse, hinter der die VALKA RON steht«, stieß Vrenaja Zortain hervor. »Zenkoorten muß Verdacht geschöpft ha ben. Er bringt das Boot in Sicherheit.« Sie sahen, wie das kleine Raumschiff sich durch die Luft schwang und jenseits des La gers aufsetzte. Im selben Moment, in dem es mit federnden Landestützen den Boden be rührte, heulte eine Alarmsirene auf. Swann wirbelte herum. Jetzt gab es mehrere Licht punkte im Wrack. Neben ihm stöhnte die Arkonidin leise auf. Männer hasteten an ih
32 nen vorbei, auf die Überreste des Sternen schiffs zu, in denen ein Brand ausgebrochen war. Aus den Löchern, die die ehemals blan ke Schiffshülle unterbrachen, quollen rot an gehauchte Rauchwolken. Dahinter glühten die Brandherde in grellem Blau. »Zurück!« herrschte Swann die Astrono min an, die sich automatisch ebenfalls in Be wegung setzte, um zu retten, was noch zu retten war. »Die Geräte!« protestierte sie wütend und versuchte, sich aus seinem harten Griff zu befreien. »Es ist noch so vieles an Bord …« »Finden Sie sich damit ab, daß all das verloren ist!« empfahl Swann hart. »Dieses Glühen kenne ich. Kommen Sie, wir müssen uns beeilen.« Verwirrt stolperte sie neben ihm her. Das ganze Lager war in Aufruhr geraten. Nie mand achtete auf sie, als sie keuchend vor der Tür einer kleinen Baracke stehenblieben. Swann zertrümmerte mit dem Kolben seiner Waffe das primitive Schloß. »Kommen Sie heraus!« zischte er. Vrenaja erkannte die Männer, die sich schweigend aus der Dunkelheit der Behau sung drängten. Kolkor mit seiner Gruppe. Auch Toschmol erschien. »Wir brauchen Waffen«, erklärte Swann leise. Kolkor nickte ihm zu und verschwand lautlos in der Finsternis zwischen zwei Kunststoffgebäuden, die als Lager dienten. Lenth Toschmol öffnete den Mund, aber der Bärtige winkte hastig ab. »Später können Sie Fragen stellen«, sagte er. »Jetzt haben wir zu wenig Zeit.« Kolkor kam mit einem Arm voller Strah ler zurück. »Die Wachen sind weg«, bemerkte er. »Was ist denn mit dem Wrack los?« »Brennt lichterloh«, sagte Swann lako nisch und verteilte die Waffen. Niemand stellte mehr eine Frage, als sie hinter ihm durch das Lager eilten. Sie schienen die letz ten zu sein, die sich noch zwischen den Hüt ten aufhielten. Swann hoffte inbrünstig, daß die Leute, die versuchen wollten, den Brand
Marianne Sydow zu löschen, früh genug begriffen, was mit der PROTALKH geschah. Als die VALKARON vor ihnen auftauch te, hob Swann den rechten Arm. Sie warfen sich auf den Boden und beobachteten das Beiboot. Die untere Schleuse war geöffnet, die Rampe ausgefahren. Niemand ließ sich sehen. »Das riecht nach einer Falle«, flüsterte Kolkor neben dem Bärtigen. »Es ist auch eine«, nickte Swann grim mig. »Ich fürchte, wir sind zu spät gekom men. Sie bleiben hier und sorgen dafür, daß niemand mir folgt. Ich werde versuchen, mit Zenkoorten zu reden. Vielleicht ist er inzwi schen vernünftig geworden.« »Ich komme mit!« sagte Toschmol ener gisch. Swann war nicht in der Stimmung, eine Diskussion mit dem Wissenschaftler zu füh ren. Er schob die hagere Gestalt zur Seite, als Toschmol ihm den Weg verstellen woll te. Kolkor hielt den Wissenschaftler am Arm fest. Toschmol protestierte wütend, aber dann sah er ein, daß es besser so war. Nie mand wußte, in welcher Verfassung Zenko orten sich befand. Wenn er die Nerven ver lor, verloren sie wenigstens nur einen Mann. Swann ging mit erhobenen Armen hin über. »Das ist nahe genug«, sagte eine hallende Stimme, als er noch zehn Schritte von der Rampe entfernt war. »Was wollen Sie, Swann?« »Mit Ihnen reden, Kommandant«, erwi derte der Bärtige ruhig. »Sie geben auf?« »Nein, aber ich hoffe, daß wir einen ver nünftigen Kompromiß finden. Sie haben ge sehen, was mit der PROTALKH geschah. Wollen Sie warten, bis es dem Beiboot ebenso ergeht? Warum bestehen Sie darauf, daß wir auf LOIPOS bleiben? Die Gefahren, die draußen im Raum auf uns warten, kön nen kaum schlimmer sein als das, was der Planet zu bieten hat.« »Ist das alles, was Sie zu sagen haben?« Swann schüttelte verzweifelt den Kopf.
System des Todes »Zenkoorten! Denken Sie doch auch ein mal an den Rest Ihrer Leute!« »Ich denke an sie. Eben darum werde ich es verhindern, daß die VALKARON jetzt schon startet. Wir haben Meßgeräte an Bord, und auch ohne Ihre Hilfe können wir fest stellen, daß es noch immer gefährlicher ist, den Planeten zu verlassen. Das Beiboot ist unsere letzte Rückversicherung. Ich werde es nicht sinnlos opfern, weil Sie und ein paar Narren die Nerven verlieren. Gehen Sie zu rück, Swann, und teilen Sie den anderen das mit. Wer sich dem Boot nähert, wird paraly siert!« »Er muß den Verstand verloren haben!« knurrte Toschmol, als sie langsam ins Lager zurückgingen. Noch immer glühten die Re ste des riesigen Raumschiffs, das sie hierher gebracht hatte. Ein zuckender, bläulicher Lichtschein lag über den primitiven Kunst stoffhütten. Es war gespenstisch still. Sie sa hen nichts von den anderen Überlebenden, und Swann befürchtete schon, sie wären als einzige verschont geblieben, bis sie endlich neben einer Baracke eine Arkonidin ent deckten. »Garila!« rief die Astronomin erstaunt. Die junge Frau, die drüben auf dem Bo den kauerte, hob langsam den Kopf. Ver ständnislos starrte sie die Raumfahrer an. Sie war unverletzt, stand jedoch offensicht lich unter starker Schockeinwirkung. Sie brachten sie in die Hütte, gaben ihr etwas zu trinken und warteten ungeduldig darauf, daß sie sich erholte. »Sie war in der PROTALKH«, erklärte Vrenaja Zortain inzwischen. »Sie wollte noch ein Gerät holen, daß wir für unsere Un tersuchungen während der Nacht brauchten. Sie muß gesehen haben, wie es zu der Kata strophe kam.« »Das heißt, daß es Überlebende gibt«, stellte Swann fest. »Wir werden nach ihnen suchen«, nickte Kolkor und gab seinen Leuten einen Wink. »Gehen Sie nicht zu nahe an das Wrack heran!« warnte Swann, ehe die Pioniere die Hütte verließen. »Das ist kein normaler
33 Brand. Das Glühen ähnelt der Erscheinung, die wir bei dem Pfeiler beobachten konnten. Ich fürchte, daß jeder Arkonide stirbt, der in den Einflußbereich dieser Strahlung gerät.« Toschmol, Vrenaja und der Bärtige blie ben zurück. Sie hockten auf den Feldbetten und hingen ihren Gedanken nach. Der Wis senschaftler war der erste, der das Schwei gen brach. »Wie mag Zenkoorten es so schnell ge schafft haben, die VALKARON in seine Gewalt zu bringen?« »Er muß sich vorbereitet haben«, meinte Swann nachdenklich. »Es war vorauszuse hen, daß unter den gegebenen Umständen Meinungen geäußert wurden, mit denen er sich nicht einverstanden erklären konnte. Al so hat er von vornherein dafür gesorgt, daß die VALKARON von seinen Anhängern aus dem Hangar geholt wurde. Er muß den Be fehl schon vor der Besprechung gegeben ha ben, sonst wäre es nicht so schnell gegan gen. Als dann genau das eintrat, was er be fürchtete, begab er sich auf dem schnellsten Weg in das Beiboot. Es wird schwer sein, ihn und seine Leute zu überrumpeln. Solan ge sie im Schiff bleiben, sind sie für uns un angreifbar.« »Wenn er nur nicht so stur wäre!« seufzte Vrenaja verzweifelt. »Ich verstehe es ein fach nicht.« Swann zuckte die Achseln. Er hatte es aufgegeben, sich mit der Psyche des Kom mandanten zu beschäftigen. Er kannte Zen koorten als einen Mann, der selbst in den aussichtslosesten Situationen einen klaren Kopf behielt, dessen Gedankenwelt jedoch restlos von den Anforderungen der militäri schen Disziplin geprägt war. Zenkoorten handelte logisch – nur ließ sich seine Logik mit den hier auftretenden Phänomenen nicht vereinbaren. Er hörte ein leises Rascheln und richtete sich auf. Draußen bewegte sich etwas. Er lauschte angestrengt, aber er wurde aus die sen Geräuschen nicht recht klug. Er gab den anderen einen Wink, sich ruhig zu verhalten, und schlich zur Tür. Den Impulsstrahler
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hielt er griffbereit in der Hand. Er lauschte abermals. Jetzt waren die Ge räusche deutlicher. In das Rascheln, das er sich nicht erklären konnte, mischte sich das Tappen schwerfälliger Schritte. Dann kam ein röchelndes Stöhnen. Swann griff nach links und ließ die Lam pe erlöschen. Gleichzeitig stieß er die Tür auf, die nur angelehnt gewesen war. Er sah zweierlei. Die lautlose Zerstörung der PROTALKH war weiter fortgeschritten. Die glühende Masse jenseits des Lagers strahlte intensiv blau, war aber deutlich kleiner ge worden. Und ihm gegenüber, in der Lücke zwischen zwei Gebäuden, stand ein Arkoni de. Der Mann schien am Ende seiner Kräfte zu sein. Er hielt sich nur mühsam auf den Beinen. Erleichtert ließ Swann die Waffe sinken und eilte auf den anderen zu. Der Fremde schien ihn bemerkt zu haben, denn er blieb stehen und hob mühsam den rechten Arm, taumelte dann scheinbar unkontrolliert nach vorne und fiel gegen den Bärtigen. Swann hielt dem unerwarteten Anprall nicht stand und stürzte. Im selben Augenblick schlossen sich die Hände des anderen um seinen Hals. Der Gegner besaß Kräfte, die Swann in dem schwankenden Individuum nicht erwartet hätte. Er wehrte sich verzweifelt, aber der Druck auf seine Kehle wurde immer stärker. Rote Schleier wallten vor seinen. Augen auf, dann kam die Dunkelheit.
7. »Wir müssen starten!« sagte Varka ein dringlich. »Draußen ist es zu unsicher«, erwiderte Zenkoorten stur. »Abgesehen davon, daß wir einen Teil unserer Leute auf diesem Pla neten zurücklassen müßten.« »Sie wissen, daß Sie unrecht haben«, knurrte Varka wütend. Zenkoortens Anblick alleine reichte, um eine irrationale Wut in ihm wachzurufen. »Die paar Leute, die noch am Leben sind, können wir unterbringen. Und Ihre Ausrede von den Gefahren, die im
Raum lauern, kann mich nicht mehr beein drucken. Es geht ums Überleben! Wir müs sen wenigstens in eine Umlaufbahn kom men. Bei den Dämonen der Finsternis, Sie haben doch selbst gesehen, wie sich die Leu te auflösten, die dem Wrack zu nahe kamen. Die Strahlung wird sich ausdehnen. Sie wird auch die VALKARON erfassen und sie aus löschen. Sie wird sich immer weiter über den Planeten fressen und alles vernichten!« »Reden Sie keinen Unsinn!« sagte Zenko orten scharf. »Es wird nichts geschehen. Das Glühen wird zurückgehen, sobald nicht mehr genug von der PROTALKH übrig ist, um den Brand in Gang zu halten. Das Lager steht noch, und dort gibt es Vorräte. Alle, die noch draußen sind, können überleben, wenn sie sich vernünftig verhalten. An Bord dieses Schiffes gibt es weder genug Platz noch genug Vorräte, um uns alle über eine längere Zeitspanne hinweg am Leben zu er halten. Eine Wartezeit in der Umlaufbahn kommt deshalb nicht in Frage. Wenn wir starten, dann müssen wir auch eine gewisse Sicherheit haben, daß man uns binnen weni ger Tage auffischt.« »Das sagen Sie!« Varka erhob sich dro hend. »Ich glaube Ihnen nicht mehr. Sie sind übergeschnappt, Zenkoorten. Sie haben uns hierhergebracht, um uns alle verrecken zu lassen. Wir sollen sterben, damit niemand in Arkon von Ihrem Verbrechen erfährt!« »Wovon reden Sie eigentlich?« »Das wissen Sie ganz genau. Sie wollen Ihren Auftrag nicht erfüllen. Sie haben von Anfang an geplant, uns zu erledigen, damit Sie die Suche abbrechen können …« Varka brach zusammen. Zenkoorten be trachtete den Piloten bedauernd, dann steck te er den Paralysator in den Gürtel zurück. Er überlegte, was dieser Zwischenfall be deuten mochte. Seit zwei Arkonjahren arbei tete er mit Varka zusammen, und in dieser Zeit hatte er den jungen Arkoniden als abso lut zuverlässigen Mann schätzen gelernt. Wie kam Varka nur auf diese unsinnigen Ideen? Seine Anschuldigungen waren doch absurd!
System des Todes Er hörte einen Schrei und zuckte zusam men. Hastig lief er aus der Kabine. Am Ende des Korridors sah er einen Schatten, und er rannte darauf zu. Als er den Seitengang er reichte, war niemand mehr zu sehen. Ratlos blieb er stehen. Ein leises Scharren warnte ihn, und er warf sich zur Seite. An der Stel le, an der er sich eben noch befunden hatte, kochte der Plastikboden. Aus den Augen winkeln heraus bemerkte er eine Bewegung. Er schoß, und sein Gegner brach zusammen. Zenkoorten robbte hastig in die Deckung ei ner Nische und beobachtete mißtrauisch sei ne Umgebung. Aber wieder war alles still. Vorsichtig schob er sich vorwärts und eil te lautlos zu dem Mann hinüber, den er para lysiert hatte. Er drehte den noch schlaffen Körper am. Es war Kentoil. Verwundert schüttelte er den Kopf. Also noch einer, der den Verstand verloren hatte. Nach kurzem Überlegen schleppte er den Funker in seine Kabine. Er suchte zwischen seinen Sachen herum und fand ein paar Seil stücke. Er fesselte Varka und den Funker, dann überzeugte er sich davon, daß das Ma gazin in seiner Waffe aufgeladen war. Bevor er sich auf den Weg zur Zentrale machte, schaltete er die Bildsprechanlage auf Emp fang, aber zu seiner Überraschung war die Leitung tot. Nachdenklich starrte er den leeren Schirm an. Es dauerte eine ganze Weile, bis ihm be wußt wurde, daß er sich in Gefahr befand. Er hätte zumindest irgendein Bild empfan gen müssen. Daß das nicht der Fall war, konnte nur eines bedeuten: Man hatte ihn absichtlich von der internen Verbindung ab geschlossen. Das war Meuterei! »Na wartet!« murmelte er vor sich hin. Seine Schritte hallten provozierend laut durch das Schiff, als er der Zentrale entge genging. Nur dort konnten sie auf ihn war ten. Wer in diesem Raum saß, kontrollierte die ganze VALKARON. Das Schott wich lautlos vor ihm zurück. Er spähte vorsichtig um die Ecke, bereit, sich notfalls gegen die gesamte Besatzung zur Wehr zu setzen. Was er jedoch sah, ent
35 lockte ihm ein dumpfes Stöhnen. Seine Hand öffnete sich, und der Paralysator pol terte auf den Boden. Langsam ging er in den Raum hinein. Er zählte die Männer, die dort lagen, und stellte fest, daß außer Varka, Kentoil und ihm nie mand mehr am Leben war. Denn die ande ren hatten sich vollzählig in der Zentrale versammelt. Und sie waren gestorben. Die Todesursachen waren vielfältig, und sie hat ten nur eines gemeinsam: Alle achtund zwanzig Männer waren umgebracht worden. Es dauerte eine ganze Weile, bis er fähig war, einen klaren Gedanken zu fassen. Er brachte die Leichen in den angrenzenden Räumen unter, holte Varka und Kentoil aus seiner Kabine und legte sie auf den Boden. Als er sie vor sich sah, starr und wehrlos, überkam ihn der irrsinnige Gedanke, sie könnten an allem Schuld sein. Seine Hände öffneten und schlossen sich unkontrolliert. Das Verlangen, zu töten, wurde übermäch tig. Er verlor die Beherrschung über sich selbst. Als er wieder zu sich kam, stand er über die beiden Leichen gebeugt. Das Messer in seiner rechten Hand war rot von Blut. Er starrte es an und ließ es in jähem Er schrecken fallen. Was hatte er getan? Gehetzt sah er sich um, dann begriff er, daß niemand ihn beobachtet haben konnte. Das war gut. Es gab ihm eine Chance. Die Leichen mußten verschwinden. Und dann mußte er dafür sorgen, daß die anderen, die draußen herumliefen, keinen Verdacht schöpften. Sie durften nicht erfahren, daß ein Mörder die VALKARON beherrschte. Hastig machte Zenkoorten sich an die Ar beit. Er suchte die Aufzeichnungen zusam men, die er mitgebracht hatte. Die Tonspu len stapelte er vor sich auf einen kleinen Tisch. Er legte die erste ein und setzte die Außenlautsprecher in Betrieb. Dann eilte er nach unten. Die Schleuse stand offen, und er erschrak bei dem Gedanken, daß Swann oder ein anderer inzwischen an Bord gekom men sein könnte. Dann beruhigte er sich da mit, daß er kein Alarmsignal gehört hatte. Er
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horchte auf die hallenden Stimmen, die aus den Lautsprechern drangen, legte sich auf den Boden und zielte mit dem Impulsstrah ler nach draußen. Er würde dafür sorgen, daß niemand ihn als Mörder entlarvte!
* Vrenaja Zortain hörte lautes Stöhnen und sprang auf. »Bleiben Sie hier!« zischte Toschmol, aber die Arkonidin kümmerte sich nicht dar um. Sie trat vor die Hütte, und sekundenlang hatte sie Mühe, in der blauen Dämmerung überhaupt etwas zu erkennen. Dann entdeck te sie das dunkle Knäuel, das die beiden am Boden liegenden Männer bildeten. Sie ließ die Lampe aufblitzen, erkannte, was dort vorging und stürzte sich mit einem wüten den Schrei auf den fremden Arkoniden. Sie schlug ihm die Waffe über den Schä del, aber die Hände des Irren blieben selbst in der Bewußtlosigkeit um Swanns Hals lie gen. Sie mußte die Finger einzeln mit Ge walt auseinanderbiegen. Endlich gelang es ihr, den schlaffen Körper des Fremden zur Seite zu wälzen. Sie beugte sich über Swann, rüttelte ihn an den Schultern, aber er reagierte nicht. Erst nach bangen Sekunden hörte sie das Röcheln, mit denen die Luft in die Lungen des Bärtigen drang. »Toschmol!« rief sie leise in die Dunkel heit der Hütte. »Helfen Sie mir. Wir müssen Swann nach drinnen schaffen!« Gemeinsam schleppten sie den Bärtigen bis zu einem Lager. »Ich möchte wissen, warum dieser Irre ihn angegriffen hat«, überlegte Vrenaja halblaut. »Weil er ein Irrer ist«, sagte Toschmol la konisch. Swann war bewußtlos und atmete müh sam, aber er würde es überstehen. Garila lag noch immer regungslos auf ihrem Feldbett und starrte aus weit aufgerissenen Augen zur Decke hinauf. Toschmol überlegte, ob er um dieser Leute willen sein Leben riskieren
sollte. Zweierlei war ihm klargeworden: Erstens hatte die unbekannte Strahlung nicht nur die PROTALKH vernichtet, sondern auch bei einem Teil der Überlebenden eine unheimli che Wandlung herbeigeführt. Zweitens wür den die, die das Chaos schließlich überstan den, keinen anderen Wunsch hegen als den, dieses System schleunigst zu verlassen. Er konnte nicht hoffen, daß jemand ihn freiwil lig zur Schlackewelt begleitete. So gesehen, war jeder einzelne ein Gegner Toschmols, der ihn daran hindern wollte, sein Ziel zu er reichen. Aber andererseits brauchte er Leute. Allein konnte er die VALKARON nicht zum toten Planeten bringen. »Wir benötigen Medikamente und Ausrü stung«, sagte er. »Sie haben den Paralysator und den Impulsstrahler, können sich also gut verteidigen. Ich gehe jetzt los und versuche, daß ich einiges aus den Lagern hierherschaf fen kann. Lassen Sie niemanden an sich her an, wenn Sie keine einwandfreien Beweise dafür haben, daß der Betreffende normal reagiert. Bleiben Sie auch dann wachsam.« »Wäre es nicht besser, wenn wir uns gleich in einem der Lager verbarrikadieren würden?« »Auf die Idee bin ich auch schon gekom men. Aber erstens müßten wir unsere beiden Schützlinge transportieren, und das schaffen wir nicht. Ihre Kollegin ist völlig weggetre ten, und Swann wird eine Weile brauchen, um sich zu erholen. Zweitens werden auch andere Überlebende auf diesen Gedanken kommen. Die Lagerbaracken werden Brenn punkte im Kampf um das nackte Leben dar stellen. Ich sitze nicht gerne vor einer Ziel scheibe.« Er verließ die Hütte, schloß die Tür hinter sich und lauschte. Er hörte, wie die Astrono min von innen den Riegel einrasten ließ, und nickte zufrieden. Dann sah er den Mann, den Vrenaja niedergeschlagen hatte. Etwas be wegte sich raschelnd über den Körper des Bewußtlosen. Mißtrauisch ging er näher heran. Ei schal tete die Lampe ein, entdeckte jedoch nichts
System des Todes Verdächtiges. Der Arkonide war ihm unbe kannt. Das schmale Gesicht des Fremden war gräßlich verzerrt, und aus den Mund winkeln floß schaumiger Speichel. Die matt graue Kombination war schmutzig und zer fetzt. Pflanzenteile hatten sich an seinen Ar men und Beinen verfangen. Wahrscheinlich war der Mann ziellos durch das Gebüsch am Nordrand des Lagers gestolpert. Nein! Toschmol sah noch einmal hin, und dann erkannte er, was er im ersten Moment über sehen hatte. Die Pflanzenteile waren frisch. Aber es war heiß, und ein trockener Wind, der jeden Hauch von Feuchtigkeit an sich riß, strich zwischen den Hütten hindurch. Ein entsetzlicher Verdacht keimte in dem Wissenschaftler auf. Er verfolgte den Lauf einzelner Ranken mit den Augen und stellte fest, daß die Pflanzen an vielen Stellen den Stoff durchdrangen. Er zwang sich dazu, ein Hosenbein zu packen. Mit einem Ruck woll te er es nach oben streifen. Es ging nicht. Er zog das Messer aus der Gürtelschlaufe, das zur normalen Ausrüstung jedes Raumfahrers gehörte. Als er den festen Stoff zerschnitt, zogen sich die dünnen Fäden aus der Haut des Bewußtlosen zurück – hastig, aber nicht schnell genug, als daß er es hätte übersehen können. Langsam richtete er sich auf. Wieder leuchtete er das Gesicht an. Eine dünne Fa ser tastete über den Mund des Raumfahrers. Toschmol zog vorsichtig das linke Augenlid des Bewußtlosen hoch. Eine Masse feiner Fäden bewegte sich dahinter. Das Auge des bedauernswerten Opfers war dem unheimli chen Parasiten bereits zum Opfer gefallen. Toschmol erkannte, daß es in diesem Fall keine Rettung mehr gab. Sein Magen revol tierte, aber er zielte sorgfältig, und seine Hände blieben ruhig. Der grelle Energiestrahl tötete den Mann sofort. Toschmol nahm den Finger erst vom Abzug, als der Körper völlig verbrannt war. Gewissenhaft trat Toschmol die aufzüngelnden Flammen aus. »Toschmol, sind Sie das?« fragte Vrenaja
37 ängstlich hinter der Tür der Hütte. »Ja«, antwortete er rauh. »Machen Sie sich keine Sorgen, es ist alles in Ordnung.« Vorsichtig glitt er in der blauen Dämme rung vorwärts. Er sah einen Arkoniden, der über den provisorisch geglätteten Platz in der Mitte des Lagers stolperte. Der Mann beachtete den Wissenschaftler nicht, und Toschmol blieb vorsichtig im Schatten, bis der andere verschwunden war. Dann huschte er weiter und erreichte endlich die langge streckte Baracke, in der ein Teil der gerette ten Vorräte lagerte. Im ganzen Lager hatte sich eine Ruhe ausgebreitet, die unnatürlich war. Nichts regte sich zwischen den kunstlosen Hütten, es gab keine raschelnden Blätter, keine zir penden Nachttiere, keine Stimmen oder Schritte. Das Wrack der PROTALKH ver ging in lautlosem Glühen. Toschmol schüttelte das Gefühl der Be klemmung ab, das ihn in dieser Lautlosig keit befiel. Er untersuchte die Tür. Sie war nur durch einen einfachen Riegel gesichert – von außen! Er, lächelte schwach. Diesmal hatte er al lem Anschein nach Glück. Trotzdem hielt er den Paralysator schußbereit. Die Tür knarrte leise. Toschmol war nicht so töricht, vor der Öffnung stehenzubleiben. Er wartete, eng an die Wand gepreßt, bis er meinte, daß etwaige Gegner sich inzwischen hätten verraten müssen. Dann erst schob er sich an die Öffnung heran. Noch immer rührte sich nichts. Er huschte in den dunklen Raum – und erhielt einen Schlag auf den Hinterkopf, der ihn augenblicklich zu Boden gehen ließ. Als er wieder sehen konnte, war die Tür geschlossen. Eine grelle Lampe, die genau auf sein Gesicht gerichtet war, blendete ihn. Er blinzelte verwirrt und setzte sich stöh nend auf. »Schon gut«, sagte eine vertraute Stimme. »Es ist Toschmol. Er ist in Ordnung.« Der Lichtkegel der Lampe wanderte ein Stück zur Seite, und der Wissenschaftler sah Kolkor, der eben die Waffe in den Gurt zu
38 rücksteckte. Drei Männer aus der ursprüngli chen Gruppe fehlten – acht andere und eine Frau waren dafür hinzugekommen. »Ich nehme an, wir beide hatten die glei che Idee«, lächelte Kolkor verlegen. »Tut mir leid, aber wir wußten nicht, daß Sie es waren.« Toschmol winkte ab. »Vrenaja Zortain ist alleine«, murmelte er und stand ächzend auf. »Wir sollten uns be eilen.« »Wir haben schon alles zusammengesucht und wollten eben aufbrechen«, nickte Kol kor und gab den anderen ein Zeichen. »Was ist mit Swann?« Toschmol berichtete kurz von dem, was vorgefallen war. Nach einigem Zögern er wähnte er auch den Grund, der ihn veranlaßt hatte, den Mann zu verbrennen. »Die Pflanzen fangen also auch schon an«, murmelte Kolkor besorgt. Toschmol sah ihn fragend an. »Zwei von meinen Leuten wurden von In sekten getötet«, erklärte Kolkor und zog un behaglich die Schultern hoch. »Es ging so schnell, daß wir nichts mehr tun konnten. Diese Biester stürzten sich wie von Sinnen auf ihre Opfer. Ein anderer drehte übrigens durch. Fing einfach an, um sich zu schießen. Verstehen Sie das?« »Es ist Wahnsinn«, sagte Toschmol leise. »Der ganze Planet kommt mir wie eine Ver körperung des Irrsinns vor. Sind das alle Überlebenden, die Sie gefunden haben?« »Wir haben die Suche abgebrochen«, er klärte Kolkor. Sie beluden sich mit den bereitgelegten Paketen. Als sie die Baracke verließen, flammten plötzlich an der Stelle, an der sie die VALKARON wußten, starke Scheinwer fer auf. Gleich darauf hörten sie die weithin hallenden Stimmen einiger Offiziere aus den Lautsprechern. Verblüfft blieben sie stehen. »Und noch zwei drauf, Jark!« »Ha, das wirst du bereuen. Wenn du so weitermachst, verlierst du dein letztes Hemd. Da schau mal, grün noch mal grün, und jetzt braun. Na, wie ist es nun um dei-
Marianne Sydow nen Mut bestellt?« »Du bist ein Halsabschneider, Varka! Ich glaube fast, du steuerst das verdammte Ding. Das ist doch kein Zufall mehr!« »Wenn du Lust hast, kannst du die Drähte einzeln durchprüfen. Mach dir nichts draus. Komm, trink noch einen Schluck. Es ist ja egal, wieviel du verlierst. Hier kommen wir lebend doch nicht mehr heraus!« »Was soll der Unsinn?« fragte Toschmol beunruhigt. »Sie spielen Farbensetzen«, erklärte Kol kor trocken. »Eine einfache Sache. Zwei Farbscheiben rotieren entgegengesetzt vor einer Lichtquelle. Wenn sie gestoppt wer den, erscheint eine bestimmte Farbe auf ei ner Projektionsfläche. Man kann auf reine Farben setzen, oder auf bestimmte Farbtöne. Ein Spiel mit dem Zufall. Vor allem braucht man keine besonderen Geräte dazu.« »Das ist mir klar«, entgegnete Toschmol ärgerlich. »Aber weshalb lassen sie diesen Unsinn über die Außenlautsprecher laufen?« »Vielleicht sind sie auch verrückt gewor den. Aber das ist nicht sehr wahrscheinlich, denn dann würden sie nicht mit solcher See lenruhe ein solch idiotisches Glücksspiel be treiben. Ich nehme eher an, daß sie uns zer mürben wollen. Wir sollen hören, wie gut es ihnen geht.« »Das ist doch sinnlos. Zenkoorten weiß schließlich, was hier draußen los ist. Auch wenn er sich stur an irgendwelche Vor schriften hält, dürfte er niemals erlauben, daß wir auf diese Weise zusätzlichen Bela stungen ausgesetzt werden!« »Was weiß ich«, brummte Kolkor, rückte seine Last zurecht und stapfte voran. In der rechten Hand hielt er die schußbereite Waf fe. Die anderen folgten ihm schweigend. Aus den Lautsprechern hallte dröhnendes Gelächter über die niedrigen Hütten.
* »Das ist ja nicht zum Aushalten«, knurrte Swann wild. Sie hatten sich provisorisch in der Ba
System des Todes racke eingerichtet. Der Bärtige hatte zwar noch arge Schluckbeschwerden, war aber sonst wieder wohlauf. Die Arkonidin, die den Beginn der Katastrophe auf der PROT ALKH miterlebt hatte, schlief. Sie hatten ihr ein starkes Medikament eingeflößt. To schmol hoffte, daß sie wieder normal reagie ren würde, wenn sie aus der Betäubung er wachte. Er mußte unbedingt erfahren, wie es zu diesem rätselhaften Brand gekommen war. Nach den bisher bekannten Daten konnten sie sich ausrechnen, daß bis zur Morgen dämmerung noch etwa zwei Standardstun den vergehen würden. Sie waren alle er schöpft und wünschten sich wenigstens eine kurze Pause. Kolkor und einer der Männer, die er mitgebracht hatte, erklärten sich be reit, die erste Wache zu übernehmen. Und nun war es unmöglich, ein Auge zuzutun, weil die Lautsprecher der VALKARON das Lager mit unerträglichem Lärm überschütte ten. Hatte vorher die absolute Stille an ihren Nerven gezerrt, so brachten die Stimmen der Offiziere sie an den Rand des Wahnsinns. Da wurden Witze erzählt, die so alt waren, daß sie selbst unter weitaus günstigeren Um ständen nicht einmal mehr darüber hätten lä cheln können. Es fiel kein Wort über die Si tuation der Schiffbrüchigen, keines der zahl reichen Probleme wurde angeschnitten. Nur banale Unterhaltungen waren zu hören, mit denen gelangweilte Männer Phasen der Un tätigkeit zu überbrücken versuchten. »Ich gehe jetzt los und sorge dafür, daß dieser Lärm aufhört!« sagte Swann resolut und schwang sich von seinem Feldbett. »Lassen Sie doch«, murmelte Kolkor mü de. »Glauben Sie, Zenkoorten läßt Sie ins Schiff? Von draußen können Sie sich nicht bemerkbar machen. Bei dem Getöse werden Sie halb taub, wenn Sie in die Nähe der VALKARON kommen!« »Das ist mir egal«, knurrte Swann und zog den Waffengurt fest. »Ist außer mir noch jemand der Meinung, daß man Zenkoorten einiges klarmachen sollte?«
39 »Ich gehe mit«, erklärte ein Arkonide na mens Borgh. »Passen Sie auf sich auf«, mahnte Kolkor, ehe er die Tür öffnete. »Und vergessen Sie unsere Parole nicht. Sonst geht es Ihnen bei Ihrer Rückkehr wie unserem armen Wissen schaftler.« Swann grinste zu Toschmol hinüber, der eifrig damit beschäftigt war, die Beule auf seinem Schädel zu kühlen. »LOIPOS ist das Tor zur Hölle«, sagte er und steckte die Lärmschutzpfropfen in seine Ohren. »Und wir sitzen mitten drin«, murmelte Kolkor zurück, aber das hörte Swann bereits nicht mehr. Er fühlte sich ziemlich unbehaglich, als er mit Borgh in der blauen Dämmerung stand. Die PROTALKH glühte immer noch, aber es schien, als wäre die Masse bereits so ge ring geworden, daß das merkwürdige Feuer bald erlöschen müßte. Die Scheinwerfer der VALKARON warfen scharfe Schatten über die schmalen, zertrampelten Wege zwischen den Baracken. Durch die Pfropfen in ihren Ohren hörten sie das Getöse aus den Laut sprechern nur noch gedämpft. Dafür würden sie aber auch die Annäherung einer Gefahr vielleicht zu spät bemerken. Die Energieprojektoren, die die Lagerbe wohner vor Eindringenden Tieren schützen sollten, waren zum Teil ausgefallen. Sie hat ten wenig Mühe, eine Lücke in der Sperre zu finden. Die VALKARON stand etwa hundert Meter entfernt. Die Scheinwerfer im unteren Teil des Beiboots zeichneten einen scharf begrenzten Kreis greller Helligkeit auf den mit kurzem Gras bewachsenen Bo den. Die beiden Arkoniden blieben vor dieser Grenze stehen. Sie kniffen die Augen zu sammen und versuchten, in der blendenden Lichtfülle Einzelheiten auszumachen. »Die Bodenschleuse ist immer noch of fen!« sagte Swann schließlich. Dann fiel ihm ein, daß Borgh ihn gar nicht hören konnte. Er stieß ihn an und gab ihm mit Zei chen zu verstehen, daß er an dieser Stelle
40 bleiben und dem Bärtigen Feuerschutz ge ben sollte. Borgh nickte, und Swann wandte sich ab. Aber ehe er den ersten Schritt tun konnte, hielt eine Hand ihn am Arm fest. Borgh zeigte auf eine Stelle weiter rechts. Jetzt bemerkte auch Swann, daß sich dort et was bewegte: ein Arkonide in zerfetzter Uniform. Er taumelte, fiel zu Boden, kroch auf allen vieren weiter. Sein Ziel war unver kennbar die VALKARON. Die beiden Männer sahen sich an, dann rannten sie geduckt los, immer am Rand der grellen Lichtzone entlang. Swann fluchte er bittert vor sich hin – hören konnte es ohne hin niemand. Sie hatten den Raumfahrer fast erreicht, da kam der Fremde in einer unsi cheren Bewegung auf die Beine. Für einen Augenblick sah Swann das Gesicht des an deren. »Shegosh!« brüllte er. »Bleiben Sie ste hen!« Der Mediziner hörte ihn nicht. Er litt of fensichtlich unter Gleichgewichtsstörungen. Er schien ständig zu fallen, konnte sich da gegen nur wehren, indem er hastig ein Bein nach vorne setzte und geriet auf diese Weise in unfreiwillig schnellem Lauf immer weiter auf die lichtüberstrahlte Fläche hinaus. Swann wollte ihm nacheilen, aber Borgh hielt ihn fest. Der Bärtige gab schließlich nach. Und im selben Augenblick brach She gosh zusammen. Sie hatten das Zischen der Waffe nicht gehört, im grellen Licht auch die leuchtende Bahn ionisierter Gase nicht gesehen, aber sie erkannten überdeutlich die Wirkung des Schusses. Shegosh wurde ein Stück zurück geschleudert. Er war bereits tot, als er den Boden berührte. Sein Oberkörper war nur noch eine verbrannte, stinkende Masse. Entsetzt starrten sie auf die Leiche, dann zogen sie sich vorsichtig zurück. Die Fron ten waren endgültig geklärt. Zenkoorten und seine Leute würden auf jeden schießen, der sich dem Boot näherte. Warum – das blieb ungeklärt. »Sie haben ihn getötet, obwohl sie doch sehen mußten, daß er am Ende war«, mur-
Marianne Sydow melte Swann bedrückt, als sie wieder bei den anderen in der Hütte waren. »Sie sind eben übergeschnappt«, meinte Kolkor. »Genau wie viele von denen, die draußen geblieben sind.« »Aber das paßt doch nicht zusammen!« sagte Swann verzweifelt. »Sie unterhalten sich völlig normal.« »Dann sind es eben nur ein paar Verrück te«, warf Toschmol ein. »Sie haben sich in der Schleuse niedergelassen und schießen auf alles, was sich bewegt. Die anderen, de ren Stimmen wir hören, wissen vielleicht gar nicht, was um sie herum vorgeht.« »Nein. Aus den Unterhaltungen geht her vor, daß diese Männer sich in der Zentrale aufhalten. Von dort haben sie die volle Kon trolle über das ganze Boot. Sie wissen, daß die Bodenschleuse geöffnet ist, und sie müs sen auch den Schuß bemerkt haben. Sie ha ben die Schalter für die Außenlautsprecher vor sich. Verstehen Sie jetzt, was ich meine? Kein normaler Mensch würde seine Privat gespräche in dieser Lautstärke hinausposau nen, geschweige denn zulassen, daß jemand auf Kranke und Verwundete schießt. Aber kein Wahnsinniger wäre imstande, derart nichtssagende Gespräche zu führen, wie wir sie die ganze Zeit notgedrungen mit anhören müssen. Ich bin sicher, daß sich hinter dieser Diskrepanz eine Lösung verbirgt. Ich kom me nur nicht darauf, welche das ist.« »Wir werden uns morgen den Kopf dar über zerbrechen«, entschied Toschmol. »Die Sache ist wichtig, denn wir müssen einen Weg finden, die VALKARON in unsere Ge walt zu bringen. Mit Zenkoortens Hilfe dür fen wir nicht mehr rechnen. Sobald es hell ist, machen wir uns an die Arbeit. Wir müs sen nach weiteren Überlebenden suchen, so fern sie sich nicht von selbst im Lager ein finden. Nach dem, was wir bis jetzt erfahren haben, wird die Natur uns Schwierigkeiten bereiten. Also gilt es, einen abgesicherten Bezirk zu schaffen, der optimal zu verteidi gen ist. Wir müssen auch damit rechnen, daß wir gezwungen sind, längere Zeit von unse ren Vorräten zu leben. Das bedeutet, daß wir
System des Todes
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Fleisch brauchen, denn das, was noch brauchbar ist, wird nicht lange reichen. Es gibt genug zu tun. Darum würde ich vor schlagen, daß wir uns noch etwas ausruhen – auch wenn wir bei diesem Lärm nicht be sonders gut schlafen werden!«
* Der Himmel hatte die Farbe geschmolze nen Kupfers, und eine erdrückende Hitze ging von ihm aus. Der leichte Wind hatte sich gelegt. Jeder Schritt wirbelte Wolken von feinem Staub auf, der sich auf die Arko niden niedersenkte, die Augen verklebte und juckende Hautreizungen hervorrief. Das Gras zwischen den Hütten war verschwun den. Irgendwann in der grauenvollen Nacht des Untergangs hatte es sich zu einem grau en Pulver aufgelöst. Nach und nach tauchten weitere Überle bende im Lager auf. Gegen Mittag umfaßte die Gruppe knapp sechzig Personen, und da bei blieb es vorerst. Sie fanden einige Tote und begruben sie, aber der größte Teil der Schiffbrüchigen blieb spurlos verschwun den. Entweder waren sie in der Strahlung umgekommen, oder sie waren, von Panik er füllt, in die Wildnis geflüchtet. Sie sammelten die noch funktionsfähigen Energieprojektoren ein und errichteten eine neue Sperre. Drei Baracken wurden ausge wählt. Sie lagen am Rand des Lagers, waren nicht weit von der VALKARON entfernt und boten genug Platz für die Überlebenden und deren bescheidenen Besitz. Swann rich tete einen Beobachtungsposten auf dem Dach jeder der drei Hütten ein. Von der VALKARON kam noch immer das Dröhnen der Lautsprecher, sonst rührte sich dort nichts. Dafür meldeten die Posten, daß über all in der Grasebene Tierherden auftauchten. »Wir sollten die Gelegenheit nutzen«, meinte Kolkor. »Wir haben kein Frisch fleisch mehr. Wenn die Tiere sich jetzt sam meln, dann kann das bedeuten, daß sie auf die Wanderung gehen. Wer weiß, wie lange es dauert, bis wir sie wieder zu Gesicht be
kommen.« »Ich habe ein ungutes Gefühl dabei«, murmelte Toschmol, ließ in altgewohnter Weise die Hand vor der Brust kreisen und zupfte mit Daumen und Zeigefinger an sei ner langen Nase herum. »Hier geschieht et was, was ich nicht durchschauen kann. Schauen Sie sich mal die Pflanzen an. Sie sterben ab. Es ist, als ob sie sich vor uns zu rückziehen. Gestern war da drüben alles dicht bewachsen, dafür ließ sich kein Tier blicken. Heute ist es umgekehrt.« »Sie haben zweifellos recht«, gab Kolkor zu. »Aber Gefühle kann man nicht essen. Keine Angst, wir werden kein Risiko einge hen. Wir werden die vorsichtigsten Jäger sein, die Sie jemals gesehen haben. Zum Glück haben wir genügend Waffen gefun den, um selbst mit den wildesten Bestien fertig zu werden.« Toschmol stand neben Swann auf dem Dach der ersten Baracke, als der Transporter der am nächsten stehenden Herde entgegen fuhr. Wie Bestien sahen die Tiere, die dort warteten, eigentlich nicht aus. Sie wirkten sehr friedlich, und obwohl die verschieden sten Arten auf engem Raum versammelt wa ren, gab es keinen Streit. Auch Kolkor sah es. Er gab Borgh, der am Steuer saß, einen Wink. Der Transporter stoppte, etwa dreißig Meter vom Rand der Herde entfernt. Der Pionier hob das Fernglas und überleg te, welches der Tiere als Beute am ehesten in Frage kam. Die riesigen, schuppigen Ech sen, die es sich im Staub bequem gemacht hatten, schloß er von vornherein aus. Die Echsen schienen das zu wissen. Sie blinzelten dem Fahrzeug gelassen entgegen, rissen ab und zu gelangweilt die riesigen Mäuler auf und zeigten dabei ihre langen, leicht gebogenen Zähne. Zwischen ihnen hüpften grellfarbige Pelzbündel herum. Die kleinen Kerle, allem Anschein nach affen ähnliche Primaten, kannten keine Angst. Sie sprangen auf den Rücken der Echsen herum, rauften miteinander und turnten sogar zwi schen den ungeheuren Gebissen herum.
42 Direkt neben den Echsen hatten sich Hun derte von Antilopen auf engem Raum ver sammelt. Viele von ihnen ruhten, andere wanderten träge umher, entfernten sich da bei aber niemals aus dem inneren Kreis der Herde. Das Fleisch dieser Tiere war delikat. Kolkor hätte unter normalen Bedingungen gerade diese Antilopen ohne Bedenken ab geschossen, um die Überlebenden für die nächsten Tage mit Fleisch zu versorgen. Aber als er die Jagdwaffe hob, zitterten sei ne Hände unkontrolliert. Er brachte es nicht fertig, das Feuer auf die wehrlosen Tiere zu eröffnen. Verwirrt ließ er die Waffe sinken. Er sah sich nach seinen Gefährten um. Sechs Männer hatten ihn begleitet, und auf allen Gesichtern sah er dieselbe Mischung von Unglauben und Furcht. Die anderen wa ren fast erleichtert, als Kolkor die Waffe sin ken ließ und wieder nach dem Fernglas griff. Einige riesenhafte, zottige Wesen erregten seine Aufmerksamkeit. Es waren Sechsbei ner, die lange, stachelbewehrte Schwänze hinter sich herzogen. Die Entfernung sagte ihm, daß er eine ideale Beute vor sich hatte. Wenn es ihnen gelang, ein einziges dieser Tiere zu erlegen, hatten sie einen Fleisch vorrat für mehrere Tage. Er fühlte Erleichte rung bei dem Gedanken, kein Blutbad unter den wehrlosen Herden anrichten zu müssen. Wieder hob er die Waffe, nachdem er seinen Begleitern ein Zeichen gegeben hatte. Sie wußten nun, welches Tier er sich als Beute gewählt hatte. Aus den Augenwinkeln be merkte er, daß sie ihre Waffen griffbereit hielten. Falls er daneben schoß, würden die anderen eingreifen. Und wieder spürte er inneren Widerstand, als er versuchte, den Schuß abzugeben. Er biß die Zähne zusammen und zwang sich mit aller Gewalt, den Finger zu krüm men. Dicke Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn. Das Bild des zottigen Giganten in der Zieloptik verzerrte sich und floß ausein ander. Er merkte, wie seine Hände zu zucken begannen, und eine unkontrollierte Bewegung ließ den Lauf der Waffe zur Seite schwenken. Der grelle Strahl ionisierter Ga-
Marianne Sydow se huschte über die staubtrockene Ebene und ließ eine lange Reihe von Flammen hoch schlagen. Im selben Augenblick erlosch der unheimliche Einfluß, und Kolkor fühlte sich frei. Sekundenlang war er auch dann noch starr vor Entsetzen. Er hatte mit dem Schuß eine Brandspur gelegt, die genau auf das etwas über einen halben Kilometer entfernte Lager wies. Der Staub, zu dem die Pflanzen zerfal len war, brannte wie Zunder. Binnen kürze ster Frist loderte eine Wand von Flammen auf. Sie hatten sich in einem Bogen der Herde genähert. Die Tiere sollten die herannahen den Jäger nicht wittern. Jetzt hatten sie den Wind anscheinend doch falsch berechnet. Die Flammen trieben genau auf das Lager zu. »Alarm!« schrie Kolkor mit überschnap pender Stimme in das Mikrophon, das ihn mit den Zurückgebliebenen verband. »Ein Brand nähert sich dem Lager!« »Sie haben es längst bemerkt«, versicher te Borgh. Die Herde war in Bewegung gera ten. Die Echsen schlugen mit den langen Schwänzen um sich. Die winzigen Pelztiere rotteten sich zu seltsam disziplinierten Grup pen zusammen. Die ruhenden Antilopen hat ten sich erhoben und starrten das Fahrzeug an. »Verdammt, das Lager meldet sich nicht!« stieß Kolkor hervor. »Borgh, wir müssen zurück. Sofort! Fahr, als wäre der Teufel hinter dir her!« Der Transporter ruckte an, schleuderte mit durchdrehenden Gleisketten über einen staubbedeckten Hügel und rutschte auf der anderen Seite ab. Der Boden unter ihnen hob sich, der Hügel wuchs. Zuerst glaubten sie, es handele sich um eine Sinnestäuschung, dann aber begriffen sie, daß tatsächlich et was Seltsames vorging. Der Hügel bäumte sich auf, wurde zu ei ner Wand und neigte sich im oberen Teil über. Wie eine riesige Weile stand er hinter dem Transporter, dessen Gleisketten leer durchliefen, weil er sich in einer Staub
System des Todes schicht verfangen hatte, dessen Tiefe unge heuer sein mußte. Angstvoll starrten die Männer durch das Kuppeldach nach oben, darauf gefaßt, daß dieser Brecher aus Felsen und Staub sie unter sich begrub. Kolkor stieß in wilder Panik Borgh zur Seite. Er riß das Seitenfenster neben dem Fahrersitz auf und richtete den Impulsstrah ler auf den Staub. Einige Male zog er durch. Das feine, pulverige Material fing sofort Feuer. Rauch drang durch das geöffnete Fenster herein. Kolkor krümmte sich in ei nem Hustenanfall, dann riß er sich zusam men. Wieder gab er einen Schuß ab. Diesmal traf er den überhängenden Teil des Hügels. Steine und Erdmassen lösten sich und pol terten in die Flammen. Ruckweise sank der Transporter tiefer. Unter den Gleisketten lo derten Flammen hervor. Mit einem Griff ließ Kolkor die Klimaanlage anlaufen. Gleichzeitig schloß sich der Transporter von der Umwelt hermetisch ab. Die Schutzhülle würde zwar auf die Dauer den schnell an steigenden Temperaturen nicht trotzen, aber der Arkonide hoffte, daß es reichen würde. Er war fast blind. Seine Augen tränten. Nur allmählich wurde der eingedrungene Rauch aus der Kabine gesaugt und durch die Filter festgehalten. Aber auch als die Luft innerhalb des kleinen Raumes klar wurde, sah der Arkonide fast nichts. Er hatte keine Zeit, sich um sie zu kümmern. Vor ihm, jen seits der extrem widerstandsfähigen Sichtscheibe, mischten sich Rauch und Flammen. Er konnte keine zwei Schritt weit sehen, aber er ließ sich nicht beirren. Behutsam berührte er den Fahrtschalter. Er schrie triumphierend auf, als die Gleis ketten faßten und das Fahrzeug mit einem leichten Ruck nach vorne zogen. Seine Rechnung war aufgegangen. Der Staub war verbrannt, und darunter lag fester Boden. Er steuerte den Transporter von dem ge fährlichen Hügel weg. Dabei war er auf sei nen Orientierungssinn angewiesen. Eine zu sätzliche Richtschnur bildeten die Steine, die immer wieder auf das durchsichtige Kuppel
43 dach herabprasselten. Sie wurden allmählich weniger zahlreich, dann blieben sie aus. Den Einflußbereich der steinernen Welle hatten sie also verlassen. Aber wo lag der Rand des Feuers? Die Gleisketten rumpelten lautstark. Pani kerfüllte Schreie erklangen hinter ihm. Er schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit, ob wohl es ihn wunderte, daß diese erfahrenen Männer auf eine Gefahrensituation so unbe herrscht reagierten. Dann allerdings wurde er mißtrauisch. Er wandte die Augen von den Kontrollen und drehte sich um. Winzige, krabbelnde Dinger huschten durch den hinteren Teil der Kabine. Sie glit zerten in allen Farben und waren halb durch scheinend, wie Edelsteine sahen sie aus. Aber es waren tödliche Juwelen. Sie senkten ihre scharfen Stacheln in die Haut der unge schützten Körperpartien und klammerten sich fest. Die Schmerzen, die diese Stiche hervorriefen, mußten entsetzlich sein. Fünf der Männer, die Kolkor begleitet hatten, wanden sich schreiend am Boden. Vergeb lich tasteten sie nach den glitzernden Unge heuern. Die Biester saßen fest und waren wi derstandsfähig genug, um sich auch durch Schläge nicht beeindrucken zu lassen. Kolkor begriff, daß er für diese Leute im Augenblick nichts tun konnte. Er hoffte, daß es sich bei den insektenähnlichen Tieren um Blutsauger handelte, die ihre Opfer nach der Sättigung in Ruhe ließen. Klar, daß die Glit zerdinger nur eine von vielen Gefahren dar stellten. Sie mußten aus diesem Gebiet her aus! Noch waren die kleinen Ungeheuer hinten beschäftigt. Wahrscheinlich waren sie in dem Augenblick durch eine geöffnete Luke eingedrungen, als Kolkor auf das Zotteltier zielte. Er mußte verhindern, daß sie bis zu ihm vordrangen. Er und Borgh waren die einzigen, die noch fähig waren, den Trans porter zu steuern. »Das dürfen Sie nicht!« schrie Borgh ent setzt auf, als Kolkor einen roten Schalter herunterschlug. »Sie verurteilen sie damit zum Tode.«
44 »Wir werden bald alle sterben, wenn wir noch länger hierbleiben!« knurrte Kolkor wild, während sich hinter ihm die Trenn wand bildete, die den Steuerstand von der restlichen Kabine hermetisch abschloß. Die kurze Pause, in der der Transporter auf dem Fleck stehengeblieben war, hatte ausgereicht, um die Temperaturen in der Fahrzeughülle und in der Kabine hochzuja gen. Die Kontrollen faßten sich bereits ge fährlich heiß an. Eine Wand aus Flammen hatte sie eingeschlossen. Kolkor wußte nicht mehr genau, welche Richtung sie nehmen mußten. Sie mußten aber weiter, selbst auf die Gefahr hin, im Kreis zu fahren und letzt lich doch mit der steinernen Welle zu kolli dieren. Brummend setzte das schwere Fahrzeug sich wieder in Bewegung. Es durchstieß die Flammen, gelangte auf ein schwelendes, von dichten Rauchwolken überwogtes Gebiet aus braunschwarzer Erde. Ein Felsblock tauchte aus den Schwaden auf. Kolkor konn te sich nicht daran erinnern, ihn auf der Hin fahrt gesehen zu haben. Er umfuhr das Hin dernis. Dahinter war der Boden glatt, teil weise glasig, als wäre die Erde unter hohen Temperaturen geschmolzen. Er begriff, daß in dieser Umgebung nichts mehr normal war. Alles änderte sich und konnte sich blitzschnell in eine tödliche Falle verwan deln. Endlich rissen die Schleier aus Staub und Rauch auf. Borgh stöhnte unterdrückt, als er sah, daß sie mit hoher Geschwindigkeit ge nau in die Herde hineinfuhren. Die Tiere blickten dem Fahrzeug mit gesenkten Köp fen entgegen. Warum waren sie überhaupt noch da? Hatten sie keine Angst vor dem Feuer? Kolkor hantierte wie besessen an den Kontrollen. Die Gleisketten rutschten und schleuderten, aber der Transporter wurde immer schneller und hielt seine Fahrtrich tung ein. »Das Steuer ist blockiert!« sagte er hastig. »Wir müssen hinaus!« Borgh warf einen Blick auf die Trenn-
Marianne Sydow scheibe. Dahinter war es still geworden. Starre Augen blickten ihn aus blutleeren Ge sichtern an. Schaudernd wandte er sich ab. Er tastete nach dem kleinen Hebel, der die Fahrerkabine absprengte und hochschleuder te. Kolkor schloß die letzten Gurte um sei nen Körper, dann nickte er seinem Gefähr ten zu. Der Ruck der plötzlichen Beschleunigung preßte die beiden Männer tief in die weichen Polster zurück. Sie schossen in steilem Win kel in den rostroten Himmel hinauf. Stot ternd setzte das kleine Separattriebwerk ein, das die Kapsel begrenzt manövrierfähig machte. Unter ihnen raste der Transporter weiter. Während Kolkor die Steuerung über nahm, starrte Borgh fassungslos nach unten. Die Tiere wichen nicht einen Zentimeter von der Stelle. Regungslos warteten sie, bis das schwere Fahrzeug heran war. Es riß eine breite Bresche in die Reihen bepelzter, ge schuppter und gefiederter Wesen. Eine brei te Spur aus zermalmten Tierkörpern blieb zurück. Als der Transporter den entgegenge setzten Rand der Herde erreicht hatte, schloß sich diese Gasse. Die Tiere drängten sich wieder aneinander. Von dem stählernen Un getüm, das mit heulenden Motoren davonra ste, nahmen sie keine Notiz. »Verdammt!« knurrte Kolkor. Borgh zuckte zusammen und konzentrier te sich auf das, was vor ihnen lag. Hinter dicken Qualmwolken fast verbor gen entdeckte er die VALKARON. Sie flo gen ziemlich genau auf das Beiboot zu. Und unten raste der wildgewordene Transporter in genau dieselbe Richtung. Wenn das Fahr zeug gegen eine der Landestützen prallte, konnte es das kleine Schiff beschädigen. »Wir müssen es anhalten«, stieß Borgh entsetzt hervor. Kolkor lachte humorlos. »Wie?« In der hinteren Kabine gab es eine Not steueranlage. Damit konnte man zwar das Fahrzeug nicht zu schwierigen Manövern zwingen, aber wenigstens ließ es sich anhal
System des Todes ten. Das Problem war nur, daß die Männer, die noch in dem Transporter waren, offen sichtlich von dieser Möglichkeit keinen Ge brauch machten. Wahrscheinlich hatten die kleinen fliegenden Dinger sie alle getötet. »Schaffst du es, auf dem Dach zu lan den?« fragte Borgh. »Ich kenne mich mit diesem Miniaturglei ter ganz gut aus, aber was du da verlangst, wäre etwas für einen Kunstpiloten.« »Wenn wir es nicht schaffen, zerstört der Kasten das letzte Fluchtmittel, das wir noch haben!« Kolkor ging schweigend tiefer. Noch hat ten sie ein wenig Zeit. Er machte sich jedoch keine Illusionen. Was Borgh vorhatte, konn te einfach nicht gelingen. Bei dem Tempo, mit dem der Transporter über den unebenen Boden rumpelte, konnte kein Arkonide auf der Außenhülle herumturnen, geschweige denn die Seitenwand erreichen, von der aus der Türkontakt zu betätigen war. Er versuchte es trotzdem. Denn auch ihm war klar, daß sie das Fahrzeug aufhalten mußten. Selbst wenn, sie dabei ihr Leben ließen. Die VALKARON bot die einzige Garantie dafür, daß wenigstens die letzten Überlebenden dieser unheilvollen Expediti on den teuflischen Planeten jemals verlassen konnten. Mühsam brachte er die unbeholfen reagie rende Kapsel über das Fahrzeug. Er konnte die Geschwindigkeit ausgleichen, aber das Schlingern des Transporters ließ sich mit dem Notfluggerät nicht ausgleichen. Neben ihm machte sich Borgh zum Absprung fer tig. Er trug einen flugfähigen Anzug, und mit dessen Hilfe konnte er es vielleicht schaffen … »Wenn es schiefgeht, mußt du das Fahr zeug zerschießen«, sagte Borgh, ehe er aus der geöffneten Luke sprang. Die Kapsel reagierte auf die Gewichtsver änderung mit einem wilden Bocken. Kolkor hatte alle Hände voll zu tun, um den Flug wieder etwas ruhiger zu gestalten. Als er den nächsten Blick nach unten riskieren konnte, stellte er fest, daß Borgh den ersten Teil des
45 Vorhabens hinter sich gebracht hatte. Der Arkonide klebte wie eine Fliege auf dem durchsichtigen Kuppeldach. Dort gab es nichts, woran er sich festhalten konnte. Den noch schob er sich mit erstaunlich geschick ten Bewegungen langsam nach vorne. Dort, wo die Fahrerkabine verankert gewesen war, hatte sich eine kleine Plattform gebildet. Aus dem Dunst tauchte eine Landestütze auf. Die VALKARON war jetzt sehr nahe. Kolkor stellte beinahe unbeteiligt fest, daß die Zeit nicht mehr reichte. Die Lautspre cher des Beiboots sandten dröhnende Musik zu ihm herüber. Ein schrilles Lachen folgte. Er beugte sich vor und schrie Borgh eine Warnung zu. Der Arkonide hörte ihn nicht, aber zufällig sah auch er das Hindernis, auf das der Transporter zuraste. Er gab seinen Plan auf und stieß sich ab. Während er schräg nach oben flog, zog Kolkor den Im pulsstrahler. Aber er kam nicht zum Schuß. Von der VALKARON zuckte ein sonnen heißer Strahl herüber. Weder Kolkor noch Borgh kamen dazu, den nahenden Tod ver standesmäßig zu erfassen. Sie starben in demselben Augenblick, in dem der Trans porter sich in eine glühende Masse verwan delte, die, von ihrer ursprünglichen Ge schwindigkeit getrieben, haarscharf an der Landestütze vorbeischleuderte, wenige Me ter von der Bodenschleuse entfernt zum Stillstand kam und von dort aus erstickende Schwaden von stinkendem Rauch dem ein samen Schützen entgegensandte, der noch immer die stummen Zeugen seiner Wahn sinnstag bewachte. Zenkoorten hustete krampfhaft. Für lange Minuten war er blind vom Rauch und von den Tränen, die ihm in die Augen schossen, während seine Lungen sich zusammen krampften. In seinem letzten lichten Mo ment sah er die Flammen, die unter dem Boot hochzüngelten. Er drückte auf einen Schalter, dann sank er erschöpft zu Boden. Die Löschautomatik nahm ihre Arbeit auf und erstickte den Brand unter einer dicken Schicht klebrigem Schaum.
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8. Vom Dach der Baracke aus beobachteten Toschmol und einige andere Arkoniden den Transporter, der sich in einem leichten Bo gen den Tieren näherte. »Wenn das nur gutgeht!« murmelte Swann vor sich hin. »Sie sind ein hoffnungsloser Schwarzse her«, kommentierte Vrenaja Zortain, die sich ebenfalls mit einem Fernglas bewaffnet hatte. »Sie rechnen doch auch damit, daß etwas Unerwartetes geschieht«, konterte der Bärti ge. »Sonst wären Sie wohl kaum hier her aufgekommen.« Sie schwieg und starrte zu dem Fahrzeug hinüber. Von hier aus sah es beinahe zer brechlich aus. Jetzt hielt es an. Es dauerte endlos lange, bis die Jäger zu einer Entschei dung gelangten. Dann endlich schob sich der Lauf einer schweren Waffe aus dem Sicht fenster. Aber der Schütze schien immer noch zu zögern. Die Waffe schwenkte wei ter. »Ich verstehe Kolkor nicht«, brummte To schmol. »Es ist doch wahrhaftig nicht schwierig, da ein Ziel zu finden …« Der Schuß löste sich. Vrenaja Zortain schrie erschrocken auf. Eine lange Bahn aus Flammen stand plötzlich zwischen dem La ger und dem Fahrzeug. Sekundenlang stan den sie wie erstarrt da, dann begannen sie zu rennen. Jedem war klar, daß sie schnell und gezielt handeln mußten. Als sie die Treppe hinuntergepoltert wa ren, hatten die, die sich unten aufhielten, be reits die ersten Maßnahmen getroffen. Aus schweren Behältern zischten Schaumstrah len hervor und legten einen Ring um die drei Hütten, den das Feuer nicht durchdringen konnte. Aber es würde vielleicht darüber hinwegspringen! »Drei Gruppen zu je zehn Mann überneh men die Gebäude!« befahl Toschmol, der trotz der heranrasenden Feuerwand erstaun lich ruhig blieb. »Alle anderen an den Ring.
Er muß noch breiter werden.« Sie verteilten sich schnell, aber ohne Pa nik. Toschmols Ruhe strahlte auf sie aus und verhinderte, daß sie sich der Furcht hinga ben. Aber auch der Wissenschaftler wußte, daß diese Ruhe schnell zerbrechen konnte. Während er neben einem verschwitzten, mit einer halbzerfetzten Uniform bekleide ten Arkoniden an der Erweiterung des Feu erdamms arbeitete, dachte er bereits an das, was noch folgen mochte. Wenn das Feuer sich mit dieser Geschwindigkeit weiter aus breitete, würde es die VALKARON errei chen. Und die Schleuse stand offen! Ein paar Meter entfernt entdeckte er Swann. Der Bärtige ließ den Schaumkanister im Stich, als Toschmol ihn zu sich heran winkte. Schweigend liefen die beiden Män ner in eine der Baracken hinein. »Wir müssen zum Boot«, erklärte To schmol keuchend. Swann verstand sofort. Er riß zwei flugfä hige Anzüge von ihren Haken und warf dem Wissenschaftler einen davon zu. Ein Fahr zeug besaßen sie nicht. Der Transporter, in dem Kolkor zur Jagd aufgebrochen war, hat te das Chaos als einziger überstanden. Sie flogen durch die herantreibenden Rauchwolken. Die Sicht wurde so schlecht, daß sie sich bei den Händen hielten, um sich nicht zu verlieren. Zum Glück konnten sie sich an den unter ihnen liegenden Hütten orientieren. »Der Brand reicht noch nicht so weit«, stellte Swann erleichtert fest, als sie die Mit te des Lagers überquerten. Links von ihnen stand die VALKARON. Der Qualm war wie eine Mauer zwischen ihr und dem Punkt, an dem die Herde und der Transporte! sich be finden mußten. Außerhalb der direkten Ge fahrenzone war die Luft erstaunlich klar. Deutlich sahen sie das silbrig schimmernde Kugelschiff. Weit entfernt glänzten die rötli chen Schneegipfel des Gebirges. Dazwi schen ragten glühende Säulen in den Him mel – die Pfeiler schienen ihre Aktivität noch zu verstärken. »Was ist das?« fragte Toschmol verwun
System des Todes dert. Er hielt in der Luft an und schwebte auf der Stelle. Von einem der Türme löste sich eine Rauchwolke. Sie schraubte sich als dünne, helle Spirale höher und höher hinauf, nahm dann unverkennbar Pfeilform an und strebte scheinbar genau auf sie zu. »Auf jeden Fall keine angenehme Überra schung«, vermutete Swann. »Wir müssen weiter!« Er warf einen Blick auf die Wand aus Rauch und Flammen, die den Blick zur an deren Seite versperrte, und stutzte. »Ich muß übergeschnappt sein!« flüsterte er fassungslos. »Oder sehen Sie es auch?« Wenige Meter von den äußersten Flam men entfernt, schossen smaragdgrüne Schläuche aus dem mit grauem Staub be deckten Boden. Winzige Blätter bewiesen, daß es sich um Pflanzen handelte. Sie wuch sen mit unwahrscheinlicher Geschwindig keit. Das Feuer kam zum Stillstand. Selbst der Rauch breitete sich nicht über die Sperre aus Pflanzenschläuchen hinweg aus. Die grünen Dinger wurden immer zahlreicher. Sie wanden sich wie Schlangen über den heißen Boden und strebten genau auf die Flammen zu. Das Feuer erlosch! Unaufhaltsam wurde der Brand zurückge drängt. Aus den grünen Schläuchen schos sen dünne Strahlen von wasserheller Flüs sigkeit. Sie verwandelten den Boden hinter der lebenden Feuersperre in zähen Schlamm, während vor den Pflanzen die Flammen in sich zusammensanken. Die beiden ungleichen Männer waren so in das Geschehen vertieft, daß sie erst nach Minuten das metallene Ungetüm entdeckten, das an einer anderen Stelle, in gefährlicher Nähe der VALKARON, aus dem Rauch her vorraste. »Der Transporter!« schrie Swann entsetzt. »Verdammt, warum weichen die Kerle denn nicht aus?« Sie vergaßen das Rätsel der feuerlöschen den Pflanzen und schalteten wie rasend die Flugaggregate hoch. Aber sie wußten, daß
47 sie zu spät kommen mußten. Die Entfernung war noch zu groß, und das schwere Fahr zeug rumpelte mit Höchstgeschwindigkeit auf eine Landestütze zu. Sie sahen deutlich, daß die Fahrerkanzel abgesprengt worden war, und sie begriffen nicht, warum das führerlose Fahrzeug nicht anhielt. Swann hielt den Impulsstrahler in der Hand und hoffte verzweifelt, daß er das Fahrzeug zerstören konnte, ehe es das Bei boot erreichte. Dann entdeckte er die kleine, schwankende Kapsel, die dicht über dem de formierten Transporter schwebte. Er war beinahe auf Schußweite heran, als die Leute, die die VALKARON besetzt hielten, die Gefahr erkannten. Sekunden später war es vorbei. Swann schwebte neben dem Wissenschaftler, als die Löschautomatik ihre Arbeit aufnahm und den Boden unter dem Bootskörper mit einer dicken Schaumschicht bedeckte. Die Flammen erstickten sofort. Von dem Fahr zeug blieb nur ein zerschmolzener Klumpen übrig, der sich dunkel unter der Löschmasse abzeichnete. Die kleine Flugkapsel war ver schwunden. »Jetzt haben wir kein Fahrzeug mehr«, bemerkte Toschmol. »Und wir wissen mit Sicherheit, daß in der VALKARON immer noch jemand ist, der das Boot bewacht.« »Von den Männern, die in dem Transpor ter waren, reden Sie nicht, wie?« erkundigte Swann sich bitter. »Sie sind tot«, erwiderte Toschmol. »Das kann ich nicht ändern. Die Gefahr ist auch für uns noch lange nicht vorbei. Ehe wir nicht die Schlackewelt erreicht und Klinsan thor gefunden haben, wird es keinen siche ren Ort für uns geben, weder auf LOIPOS noch in der VALKARON.« »Falls es uns gelingt, das Beiboot zu er obern und in den Raum zu starten, werden Sie niemanden finden, der sich zu einem sol chen Unternehmen bereit erklärt. Dieses Sy stem ist verflucht. Wenn wirklich Klinsan thor hinter all dem steckt, dann ist er entwe der ein böser Geist oder ein Wahnsinniger. Ich lege nicht den geringsten Wert darauf,
48 ihn kennenzulernen.« »Es wird Ihnen nichts anderes übrigblei ben«, bemerkte Toschmol spöttisch. »Wie meinen Sie das?« fragte Swann scharf. »Was wissen Sie Toschmol?« »Nichts. Ich vermute nur einiges.« Swann starrte den Wissenschaftler lange an, dann nickte er grimmig. »In einem Punkt hatte Zenkoorten recht«, murmelte er. »Sie sind ein Fanatiker. Aber warten wir ab, wie die Entscheidung aus fällt. Sie werden auch noch ein paar Überra schungen erleben!« Toschmol verzichtete auf eine Antwort. Sie schwebten in die Richtung zurück, in der die letzten Überlebenden sich gegen das Feuer zur Wehr setzten. Schon von weitem sahen sie, daß auch dort die merkwürdigen Pflanzen eingegriffen hatten. Es schien, als würden die Gewächse auch dem Rauch ge wachsen sein, denn die Sicht wurde schnell besser. Als sie tiefer gingen und nur noch et wa hundert Meter von den Baracken entfernt waren, hörten sie das Rauschen. Es übertön te das Knistern und Prasseln der Flammen und die immer noch herüberhallenden Ge räusche aus den Lautsprechern des Raum schiffs. Es wuchs zu einem hohlen Brausen, als nahe ein Sturm von ungeheurer Stärke. Aber gleichzeitig erlosch sogar der leichte Windhauch, der bisher die Hitze ein wenig gemildert hatte. Unten im Lager hörte man es auch. Wie gelähmt starrten die Männer und Frauen in den Himmel des fremden Planeten hinauf. Swann und Toschmol wandten die Köpfe. Die Wolke! Sie hatten sie über den anderen Ereignis sen vergessen. Inzwischen war sie in schnel lem Flug näher gekommen. Noch immer sah sie wie ein gigantischer Pfeil aus, aber jetzt war deutlich auszumachen, daß sich dieses unheimliche Gebilde aus unzähligen kleinen Körpern zusammensetzte. Die Wolke veränderte sich. Die Spitze teilte sich in sechs Äste auf, die wie die Fin ger einer gigantischen Hand ausstrahlten und sich nach unten krümmten. Einer dieser
Marianne Sydow Finger zielte auf den Rand des Barackenla gers. Die Rauchwolken zogen sich zu einem dunklen Ball zusammen und krochen in die Ebene hinaus. Swann beobachtete, starr vor Entsetzen, daß dort draußen, auf einer Flä che, die wie durch ein Wunder von dem Feuer verschont geblieben war, die Tiere standen. Sie hatten die Köpfe gehoben und blickten der Wolke entgegen. Die Hügel im Hintergrund krümmten sich und bäumten sich wie die Wellen eines Meeres auf. Die Sonne durchbrach den Schleier aus Rauch und Staub. Unheimliches, blutfarbenes Licht ergoß sich über die Kutten, die VALKA RON und die zum Leben erwachende Ober fläche des Planeten. Als die ersten winzigen, glitzernden Punkte sich aus der Wolke lösten, riß Swann den Schalter seines Fluggeräts herum. Er packte Toschmol am Arm und riß ihn mit sich, nach unten, den schützenden Baracken entgegen. In panischer Angst strebten auch die anderen in die Hütten. »Sehen Sie doch!« stieß Toschmol hervor. »Die Tiere!« Ein Regen aus bunten Dingern ging über der Herde nieder. Es war, als würden die Tiere von Juwelen überflutet. Aber wo im mer die glitzernden Bestandteile der Wolke auf lebende Körper trafen, ging eine Wand lung mit ihnen vor. Die Tiere brachen unter der Last zusammen, schrumpften und wur den selbst zu kristallinen Klumpen, die mit dumpfem Knacken zerbarsten und neue Glitzerdinger hochschleuderten … »Bleiben Sie hier, Sie Narr!« schrie Swann den Wissenschaftler an, der sich zö gernd in Bewegung setzte und der Stätte der Verwandlung entgegenstrebte. Toschmol schien ihn nicht zu hören. Der Bärtige packte ihn an der Schulter, aber er wurde zur Seite geschleudert. Verblüfft rich tete er sich auf. Toschmol hatte den Gürtel der Schlauchpflanzen, fast erreicht. Swann zog den Paralysator und schoß. Er sah, wie Toschmol zusammenbrach, dann hörte er Schritte und drehte sich um. Sie kamen aus den Baracken heraus, und
System des Todes in ihren Gesichtern war ein Ausdruck, den Swann nicht kannte. Der Wahnsinn leuchte te aus unzähligen Augen. Glitzernde Juwe len kreisten durch die Luft, senkten sich her ab und hefteten sich wie Schmuckstücke auf die zerschlissenen Kombinationen. Er schoß. Verzweifelt warf er sich den Männern und Frauen entgegen, die mit offe nen Augen in den Tod zu rennen gedachten. Er feuerte auf alles, was sich bewegte. Die lähmenden Strahlen trafen auch die fliegen den Kristalle, konnten ihnen jedoch nichts anhaben. Aber er stellte fest, daß die Arko niden, die gelähmt zu Boden sanken, von den unheimlichen Flugobjekten verschont blieben. Die Steine lösten sich von den star ren Körpern, kurvten verwirrt herum und strebten dann der Hauptwolke entgegen. Zehn, zwanzig Gestalten lagen regungslos am Boden. Von rechts hörte er das Zischen einer anderen Waffe. Er hatte keine Zeit, sich umzusehen, aber er hörte die helle Stimme der Astronomin. Warum unterlag sie dem unheimlichen Bann nicht? Warum wurde er davon verschont? Wieder brach einer der Schiffbrüchigen zusammen. Aber dieser Mann war den Schlauchpflanzen bereits zu nahe gekom men. Von Grauen geschüttelt, sah Swann, wie der zähe Schlamm aufkochte. Dünne Strahlen von Flüssigkeiten ergossen sich über den Körper und lösten ihn auf. Hinter ihm war ein Geräusch. Er wirbelte herum und sah einen schneeweißen Kopf, der neben der Barackenwand erschien. Große, dunkle Augen starrten Swann an, dann schoß mit rasender Geschwindigkeit ein schlanker, mit weißem Fell bedeckter Körper an ihm vorbei. Er warf sich zur Sei te, aber einer der harten Hufe erwischte ihn noch in der Hüfte. Er krümmte sich vor Schmerzen. Durch die roten Schleier, die vor seinen Augen wallten, sah er das Tier. Es übersprang die Schlauchpflanzen in ei nem unglaublich weiten Satz. Die Hufe trommelten über den verbrannten Boden, wirbelten Staub und Erde hoch. Von oben lösten sich ganze Scharen der glitzernden
49 Kristalle aus der Wolke. Das weiße Tier warf den Kopf hoch und stieß einen lauten Schrei aus. Dann warf es sich auf den Hin terbeinen herum und hetzte am Rand des La gers entlang. Es kam nicht weit. Schon nach wenigen Sprüngen knickten die sehnigen Läufe ein. Der weiße Körper krachte schwer auf den Boden. Eine Wand aus bunten, durcheinander quirlenden Dingern schob sich zwischen Swann und das Tier. Swann zog sich stöhnend an der Wand hoch, stützte sich schwer mit den Händen ab und wankte der dunklen Türöffnung entge gen. Jemand packte ihn an der Schulter und zog ihn in das Innere der Baracke. Er fiel auf ein Bündel Decken und blieb halb bewußtlos liegen. »Trinken Sie!« Die Stimme hallte unnatürlich laut in sei nen Augen. Er zwang die Lider auseinander und sah Vrenaja Zortain, die sich über ihn beugte und ihm einen Becher mit sauer rie chender Flüssigkeit an die Lippen hielt. Er öffnete den Mund. Das Zeug brannte wie Feuer in seiner Kehle und schickte eine Glutwelle durch seinen Körper. Hilflos ließ er sich zurücksinken. Allmählich klärten sich seine Gedanken. Er mußte ohnmächtig geworden sein. Aber wie lange? Was war inzwischen geschehen? Das Medikament wirkte schnell. Die Schmerzen verflogen, und seine Kräfte kehr ten zurück. Vorsichtig richtete er sich auf. Er sah die junge Frau, die keuchend an ei nem starren Körper zerrte. Wortlos griff er zu und half ihr, den Gelähmten in die Ba racke zu schaffen. Sie lief sofort wieder hin aus, und er folgte ihr. Es war fast dunkel. Die Scheinwerfer erhellten die unmittelbare Umgebung der Baracke. Dahinter begann ei ne formlose Dunkelheit. Nur manchmal tauchten schemenhafte, weiße Körper an der Grenze zwischen Licht und Finsternis auf. Aber er hörte das Rauschen der tödlichen Wolke und das Trommeln unzähliger Hufe. Dort war die Hölle los. Sechsundzwanzig Körper lagen regungs los innerhalb der Lichtzone.
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»Das schaffen wir nicht!« keuchte Swann, während sie gemeinsam einen Paralysierten in die Baracke trugen. Die Arkonidin sah ihn über den starren Körper hinweg an. »Wir müssen es tun!« sagte sie hart. »Es ist doch sinnlos!« rief Swann wild. »Wir haben keine Chance mehr. Dieser Pla net ist verrückt geworden!« »Die Lautsprecher sind verstummt!« Er hätte fast den Gelähmten fallen lassen, als er den Sinn dieser Bemerkung begriff. Die VALKARON! Dann kam die Ernüchterung. Wenn die Lautsprecher schwiegen, war das noch lange keine Garantie dafür, daß die Gefahr nun vorbei war. Und selbst wenn – sie konnten die Männer und Frauen, die den Angriff der Kristalle überstanden hatten, nicht bis zum Beiboot tragen. Es würde Stunden dauern, bis sie aus der Starre erwachten. So lange waren sie völlig hilflos. Er sah außer Vrena ja niemanden, der bei Bewußtsein war. Ihm war absolut klar, daß sie verlieren mußten. Nur ein Wunder konnte sie retten. Dennoch machte er weiter. Sie schufteten wie die Besessenen, dann hatten sie alle Überlebenden in der Baracke untergebracht. Sie setzten sich neben die halbgeöffnete Tür, hielten die Waffen in der Hand und warteten schweigend darauf, daß draußen etwas ge schah. Irgend etwas, das es ihnen ermöglich te, diese Hütte zu verlassen und in das Bei boot zu fliehen.
* Zehn Stunden starrten sie auf die verän derte Ebene hinaus. Die Wolke war ver schwunden. Mit den Kristallen waren auch die Tiere verschwunden, die Pflanzen, alles, was gelebt hatte. Nur Steine, Sand und Fel sen blieben zurück. Die Hügel schoben sich ineinander und hoben und senkten sich lang sam, als atmeten sie. Merkwürdigerweise blieb das Lager von diesen Vorgängen ver schont. Es war ein merkwürdiges Gefühl, diese rollenden Berge zu sehen und dabei
selbst festen, sicheren Boden unter den Fü ßen zu spüren. »Die Türme glühen immer stärker«, sagte Toschmol leise. Er war inzwischen aus der Starre erwacht, und seltsamerweise erinnerte er sich an nichts mehr. Er konnte nicht sa gen, warum er versucht hatte, zu der Herde der wartenden Tiere zu kommen. »Es wird Zeit«, nickte Swann. Dreißig Männer und sechs Frauen hatten außer ihm das Chaos überlebt. Sie drängten sich in der Baracke zusammen, aber sie wußten genau, daß sie die Sicherheit dieses Gebäudes nicht länger in Anspruch nehmen durften. Sie beluden sich mit den wenigen Ausrüstungsgegenständen, die noch brauch bar waren. Die beiden anderen Hütten waren von den Tieren überrannt worden. Swann schüttelte sich, als er sich erneut an die Flut von Lebewesen erinnerte, die – wie von ei ner alles beherrschenden Macht getrieben – zusammengeströmt waren, um den Kristal len zum Opfer zu fallen. Der Morgen brach an, als sie sich auf den Weg machten. Ein dunkelroter Schimmer überzog den Himmel. Dort, wo der Fluß war, stiegen Dampfwolken auf. Eine kleine Wolke trieb über die langsam ruhiger wer denden Hügel und ließ einen Schauer heißer Wassertropfen auf die Arkoniden herabpras seln. Die Überlebenden von der PROT ALKH stapften wie Automaten durch den Schlamm. Neben ihnen zerbröckelten die Kunststoff wände der Hütten, brachen mit einem leisen Rascheln zusammen und erfüll ten die Luft mit ätzendem Staub. Der Weg war nicht weit, aber sie brauch ten Stunden, um endlich die VALKARON zu erreichen. Erschöpft blieben sie stehen und starrten das Beiboot stumpfsinnig an. Sie waren zu müde, um sich noch freuen zu können. Toschmol riß sich mühsam zusammen. Er war jetzt der Leiter dieser kleinen Gruppe. Seine Vollmachten gaben ihm das Recht, Befehle zu erteilen. Er wußte, daß er auf ei nem sehr wackeligen Posten stand. Diese Leute waren nicht mehr bereit, sich willen
System des Todes los jeder Autorität zu beugen. »Sie beide geben mir Feuerschutz!« wandte er sich an die beiden Arkoniden, die neben ihm standen. »Aber geben Sie acht, daß Sie das Boot nicht beschädigen!« Sie nickten schweigend und hoben die Waffen. Er schritt langsam auf die VALKARON zu. Die Lautsprecher waren stumm geblie ben, aber das konnte alles mögliche bedeu ten. Als er die kritische Distanz erreichte, zögerte er kurz, aber dann dachte er an die anderen, die ihn beobachteten. Wenn er sich eine Blöße gab, war sein Spiel aus. Sie wür den sich von ihm abwenden, wenn er ver sagte. Die VALKARON ragte wie ein silbernes Ungeheuer vor ihm auf. Die vier Landestüt zen kamen ihm wie die Beine einer lauernden Spinne vor. Noch ein Schritt, dann war er unter dem Boot. Jetzt konnte er in die Schleuse hineinsehen. Die Kammer schien leer zu sein. Er atmete auf. Der Schaum, den die Löschanlage ver sprüht hatte, war zu einer zähen, gummiarti gen Masse getrocknet, die das Geräusch sei ner Schritte dämpfte. Lautlos näherte er sich der Rampe. Er erreichte sie, blieb stehen und zielte nach oben. »Zenkoorten!« schrie er hinauf. »Werfen Sie die Waffe weg und kommen Sie her aus!« Niemand kam. Er wartete eine Weile, ohne auch nur das geringste Geräusch zu hören. Dann glitt er nach oben, warf sich neben die schmale Konsole, deren Kontrollampen ihn zornig anzublinzeln schienen. Er zuckte zusammen, als er den Kommandanten entdeckte. Zenkoorten lag vor dem inneren Schott. Seine rechte Hand hatte sich um einen Im pulsstrahler verkrampft. Toschmol schlich sich heran und drehte den Mann mit einem Ruck auf den Rücken. Er fuhr zurück. Die weit aufgerissenen Augen und die verzerrten Gesichtszüge des Toten spiegelten grenzen loses Entsetzen wider. Der Wissenschaftler wandte sich hastig ab, eilte zu der Konsole
51 zurück und schaltete die Sprechanlage an. Seine Stimme hallte dumpf durch das ganze Beiboot. Aber niemand meldete sich. Er eil te nach unten und gab den anderen, die noch immer am Rand des ehemaligen Lagers auf ihn warteten, ein Zeichen.
9. In den Kabinen rings um die Zentrale fan den sie die anderen, die Zenkoorten begleitet hatten. Einige Leichen waren grauenhaft verstümmelt, andere beinahe unversehrt. Ei nes hatten sie alle gemeinsam: diesen ent setzlichen Ausdruck des Grauens auf den Gesichtern. Sie trugen sie nach draußen, um sie zu begraben. Sie fanden auch andere Spuren, die Tonspulen in der Zentrale, die Schaltung, die das Wiedergabegerät mit den Außenlaut sprechern verband, aber es reichte nicht aus, um sich ein Bild davon zu machen, was wirklich in dem Beiboot geschehen war. Sie hatten auch keine Lust, sich mit diesem Rät sel gründlich zu befassen. Der Planet selbst machte ihnen klar, daß sie verschwinden sollten. Die Pfeiler verwandelten sich in Strah lungsquellen, deren Licht so grell war, daß es die Augen blendete. Die Hütten sanken mit zunehmender Geschwindigkeit in sich zusammen. Bald würde nichts mehr darauf hinweisen, daß an diesem Ort Schiffbrüchi ge eine Unterkunft gebaut hatten. Das letzte Grab war geschaufelt. Sie leg ten den Toten hinein und vollendeten in ver bissenem Schweigen ihre traurige Arbeit. Inzwischen war es Mittag geworden. Der Himmel umschloß die erstarrte Landschaft wie eine glühende Glocke. Die Sonne ver barg sich hinter dem roten Dunst, der die Hitze geradezu sichtbar machte. Die acht Männer, die die Aufgabe übernommen hat ten, die Leichen zu bestatten, richteten sich schwer atmend auf, strichen sich den Schweiß von der Stirn und nickten sich zu. »Endlich«, murmelte der eine erleichtert. Sie nahmen ihre Schaufeln und gingen zur
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VALKARON hinüber, die wie ein seltsamer Fremdkörper zwischen einigen kleinen Hü geln stand, die sich erst in der letzten Nacht an dieser Stelle gebildet hatten. Sie hatten es eilig, in das Schiff zu kommen, denn die Hitze wurde unerträglich. Ein lautes Poltern schreckte sie auf. Sie entdeckten die kleinen Steine, die von den Hügeln herabrollten, und begannen automa tisch zu rennen. Auf diesem Planeten hatten sie sich mittlerweile daran gewöhnt, selbst auf scheinbar harmlose Ereignisse mit sofor tiger Flucht zu reagieren. Eine Sekunde später dröhnten die Außen lautsprecher los. »Kommen Sie sofort an Bord! Alarmstart erfolgt in einer halben Minute!«
* Jeder befand sich an seinem Platz, und trotz der Tatsache, daß von der ursprüngli chen Führungsgruppe der Expedition kaum noch jemand am Leben war, konnten sie die wichtigsten Positionen besetzen. Es war ein glücklicher Umstand, daß viele der Überle benden umfassend ausgebildet waren. Während das dafür abgestellte Komman do draußen die Toten bestattete, nahm man drinnen eine schelle Überprüfung des Boo tes vor. Es stellte sich heraus, daß genügend Vorräte in den Lagern vorhanden waren, um die Besatzung für die nächsten zwei Monate am Leben zu erhalten, wobei diese Frist durch strenge Rationierung noch erweitert werden konnte. Zu ihrer Erleichterung fan den sie in dem kleinen Hangar sogar ein ein satzfähiges Bodenfahrzeug – es erschien un verständlich, warum Zenkoorten es nicht freigegeben hatte. Gegen Mittag fanden sich die Leiter der schnell aufgestellten Aktionsgruppen in der Kommandozentrale zusammen, um über die nächsten Schritte zu beraten. Dabei stand von vornherein fest, daß man sobald wie möglich starten würde. »Wir könnten noch ein paar Tage Ruhe gebrauchen«, sagte Toschmol vorsichtig.
»Auf keinen Fall sollten wir übereilt han deln.« »Einverstanden«, knurrte Swann zu To schmols Überraschung. »Allerdings schlage ich vor, daß wir uns diese Rast erst dann gönnen, wenn wir dieses System hinter uns gelassen haben. Es wird uns auch gar nichts anderes übrigbleiben, als eine lange Warte zeit in Kauf zu nehmen. Die Triebwerke sind noch für drei Transitionen gut, höch stens vier, aber dann treten bereits Unsicher heiten auf, die wir vermeiden sollten.« Lenth Toschmol lächelte spöttisch. In der beruhigenden Umgebung des Raumschiffs hatte er zu seiner alten Arroganz zurückge funden. Er fühlte genau, daß auch die ande ren sich verändert hatten. Solange sie den Einflüssen von LOIPOS ausgesetzt waren, herrschte Ausnahmezustand – jetzt gewan nen die Gesetze Arkons wieder an Bedeu tung. »Die Transitionstriebwerke werden wir vorerst nicht brauchen«, erklärte er in seiner schleppenden Sprechweise. »Erst wenn wir den Schlackeplaneten untersucht haben, werden wir diesen Sektor verlassen.« »Sie verlangen doch wohl nicht im Ernst von uns …« »Ich verlange nichts weiter, als daß jeder seine Pflicht tut!« unterbrach Lenth To schmol den Bärtigen scharf. »Wir haben im mer noch einen Auftrag zu erfüllen. Ich per sönlich bin dem Imperator Rechenschaft darüber schuldig, ob alles getan wurde, um Klinsanthor zu erreichen. Die vorangegan genen Ereignisse lassen darauf schließen, daß wir den Magnortöter mit großer Wahr scheinlichkeit auf der verbrannten Welt fin den werden. Erst wenn wir dort die Gruft nicht entdecken, können wir mit gutem Ge wissen nach Arkon zurückkehren.« Swann starrte den Wissenschaftler wütend an, und Toschmol stellte fest, daß auch an dere sich seinen Befehlen widersetzen wür den. Aber sie schwankten noch. Er hoffte, daß sie rechtzeitig zur Vernunft kommen würden. Im Grunde ging es ihm nicht so sehr darum, Orbanaschols Auftrag zu erfül
System des Todes len. Die Neugierde hatte ihn gepackt. Er mußte wissen, was es mit dem toten Plane ten auf sich hatte! War er wirklich mit der Skärgoth identisch? Er würde es niemals erfahren, wenn er sich nicht durchsetzte. Und er konnte diese Leute nur an einem Punkt fassen: Sie wuß ten zu genau, daß sie sich in Gefahr bega ben, wenn sie sich weigerten, ihm zu folgen. Falls die VALKARON nach Arkon zurück kehrte, reichte ein Wort des Wissenschaft lers, um alle restlichen Überlebenden zu ver nichten. Meuterei wurde schwer bestraft – und wer sich einem direkten Befehl des Im perators widersetzte, konnte auf Gnade nicht hoffen. »Wir könnten abstimmen«, bemerkte Swann. Seine Stimme klang heiser vor un terdrückter Wut. Ehe jemand antworten konnte, heulte eine Sirene los. Ein Blick auf die Bildschirme genügte, um ihnen klarzumachen, daß dies nicht die richtige Zeit für eine Diskussion war. Der Planet hatte eine Pause eingelegt. Nun holte er zum nächsten Schlag gegen die Eindringlinge aus. Während Swann über die Lautsprecher die Männer zurückrief, die sich noch drau ßen befanden, schaltete der Pilot der VAL KARON bereits die Notautomatik ein. In fieberhafter Eile trafen die letzten Überle benden von der PROTALKH die Vorberei tungen zu einem überhasteten Start. To schmol war der einzige, der nichts zu tun hatte. Gebannt starrte er auf das Bild, das sich ihm bot. Die Hügel, die sich um das kleine Schiff gebildet hatten, wölbten sich auf. Ihre Flan ken zerbrachen. Steine rollten bis in die Nä he der Landebeine herunter, dann schoß eine unübersehbare Menge von grauen Leibern auf die VALKARON zu, kaum daß das Be stattungskommando in der Schleuse war. Die Tiere kamen direkt aus der Erde, und sie waren anfangs nicht größer als eine Männer hand. Aber während sie sich dem Raum
53 schiff näherten, wuchsen sie unaufhaltsam. Die Triebwerke heulten auf. Zitternd stieg das Boot um einige Meter. Es schwankte und schüttelte sich, während unten die grau en Kreaturen lange Arme bildeten, mit de nen sie nach den noch nicht eingezogenen Landestützen tasteten. Die glutheißen Strah lenbündel der Triebwerke konnten ihnen nichts anhaben, im Gegenteil – sie sogen die Energie in sich auf und wuchsen noch schneller. Der Pilot, ein kleiner, zumeist wortkarger Mann, der sich selbst jetzt nicht aus der Ru he bringen ließ, drückte systematisch eine Serie von Schaltern herunter. Auf einem Bildschirm war zu erkennen, daß direkt un ter der VALKARON ein klaffendes Loch im Boden entstanden war. Auch aus ihm quol len Tiere heraus. Zwei dieser alptraumhaften Wesen hatten mit ihren dehnbaren Armen einen Landeteller umschlungen. Fasziniert beobachtete Toschmol, wie die Leiber der Tiere langsam angehoben wurden. Dann gab es einen heftigen Ruck, und das Schiff schoß steil nach oben. Die ausgerissenen Arme der Tiere fielen von dem Landeteller ab und stürzten in die quirlende Masse hinunter. Als hätte LOIPOS nur darauf gewartet, daß der Fremdkörper endlich verschwand, trat Ruhe ein. Die grauen Tiere schrumpften zusammen. Die automatisch gesteuerte Auf nahmeoptik zeigte, wie die Hügel sich schlossen, dann in sich zusammensanken, als wären es nur luftgefüllte Blasen gewe sen. Sekunden später bedeckten zahlreiche olivbraune Büsche den Platz, an dem das Beiboot gestanden hatte. Sie durchstießen die Atmosphäre und warfen dann aus sicherer Entfernung einen letzten Blick auf den tückischen Planeten. Sie glaubten zu träumen. Rosig angehauchte Wolkenfelder trieben über eine Landschaft von idyllischer Schön heit. Weite Ebenen dehnten sich aus, und die Bildschirme zeigten Baumgruppen, Herden friedlich grasender Tiere, dunkle, geheim nisvolle Wälder. Sie erkannten den Fluß und die schneebedeckten Berge. Dazwischen lag
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Marianne Sydow
der Ort, an dem die PROTALKH verglüht war und das Feuer sich über den ausgedörr ten Boden gefressen hatte – aber keine Spur war geblieben. Nichts wies auf die Katastro phe hin. Es war, als hätten sie den Planeten nie zuvor betreten. Nur eine Tatsache bewies, daß sich doch etwas verändert hatte: Die Pfeiler glühten noch immer. Als sie die Nachtseite überflo gen und die strahlend blauen Türme erblick ten, die wie Nadeln zu ihnen hinaufstachen, schauderten sie zusammen. Dann entfernte sich die VALKARON mit zunehmender Ge schwindigkeit von dieser seltsamen Welt. »Errechnen Sie einen günstigen Kurs, der
uns möglichst schnell und ohne Risiko in die Nähe der Schlackewelt bringt!« befahl To schmol. Niemand widersprach ihm. Er nickte zufrieden und zog sich in seine Kabine zurück. Während er über den alten Unterlagen brütete, dachte er daran, daß er bald dem geheimnisvollen Klinsanthor ge genüberstehen würde, wenn seine Berech nungen stimmten.
E N D E
ENDE