Seewölfe 164 1
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Seewölfe 164 1
Fred McMason 1.
In den Gesichtern der Seewölfe malte sich immer noch ungläubiges Staunen ab, als sie in den Hafen von Plymouth einliefen und das Schiff an der Pier sahen. Dieses Schiff war die ehemalige zweimastige Karavelle „Isabella VII.“, ihr Schiff, das sie dem alten Hesekiel Ramsgate verkauft hatten. Blutrot prangte der Name am Bug. „Le Vengeur“, der Rächer, wie Jean Ribault und Karl von Hutten es getauft hatten. Niemand hatte mit diesem Anblick gerechnet, auch der Seewolf nicht, der auf dem Achterkastell der schlanken Galeone stand, und den beim Anblick des Schiffes ein freudiger Schreck durchfuhr. „Ribault“, sagte er leise, „unser alter Kampfgefährte.“ Was er noch sagen wollte, ging in einem ohrenbetäubenden Gebrüll unter, denn jetzt rissen die Männer in der Kuhl und auf dem Vordeck die Arme hoch .und brüllten durcheinander. Selbst der pflichtbewußte Zuchtmeister und Profos Edwin Carberry vergaß sekundenlang alles andere und starrte nur das Schiff an, diese unverwechselbare Karavelle, mit der sie schon manche harte Schlacht geschlagen hatten. Tausend Fragen schwirrten durcheinander. Wie kam Ribault nach England? Was führte ihn her? War es einer jener sonderbaren Zufälle, wie sie das Leben immer wieder bereit hielt? Oder wußte er, daß die „Isabella“ nach England segelte? Nein, das konnte er-natürlich nicht wissen, wer hätte es ihm auch sagen .sollen? Es mußte wirklich ein Zufall sein. Eine verständliche Aufregung hatte sich der Seewölfe daher bemächtigt, und Carberry mußte brüllen, damit jeder wieder seine Station einnahm. Langsam glitt die „Isabella“ weiter, und jetzt wurde sie auch von den Männern der „Le Vengeur“ gesehen. Erneut hallte ein schauriges Gebrüll über den Hafen. Immer mehr Männer erschienen an Deck, rissen die Arme hoch und schrien vor Freude.
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Auf den anderen Schiffen, die im Hafen lagen, kleinen Zweimastern, einer Karacke und ein paar kleinen Kauffahrern, standen die Seeleute und gafften. Selbst an den Piers und kleinen Lagerhütten standen erschütterte Leute, die der Galeone verständnislos entgegensahen. Der Seewolf sah, wie einige von Ribaults Leuten von der Kuhl auf die Pier sprangen und dorthin liefen, wo die „Isabella VIII.“ vermutlich anlegen würde. Das letzte Segel wurde aufgegeit, und mit schwacher Fahrt lief die Galeone auf die freie Stelle der Pier zu. Taue flogen an Land, wurden blitzschnell um die hölzernen Poller gelegt und befestigt, und dann wurde die „Isabella“ von wilden, verwegen, aussehenden Gestalten erstürmt und geentert, daß die anderen Kauffahrer erschüttert meinten, hier würde gleich eine blutige Schlacht beginnen. Es war aber alles andere als das. Jan Ranse, der ehemalige Karibik-Pirat und der andere Holländer Piet Straaten, waren die ersten, die mit einem mächtigen Satz an Bord flankten. Ihnen folgten Nils Larsen und Sven Nyborg, alle ehemals zu Hasards Crew gehörend und jetzt so ausgelassen und voller Freude, wie man sie selten erlebt hatte. Das unblutige Entern spielte sich in der Kuhl ab, in der augenblicklich ein wüstes Durcheinander herrschte. Da wurde in Rippen geknufft, geboxt, mit dem Ellenbogen gestoßen, und harte Fäuste vor die Brust geschlagen. „Mensch, der Profos!“ schrie Jan Ranse gerührt. „Ferris, ihr elenden Rübenschweine, ja, gibt es euch wirklich noch alle!“ „Seht euch das Bürschchen an!“ schrie Nyborg, und haute dem jungen O'Flynn krachend auf die Schulter. „Mann, bist du ein Brocken geworden! Du hast dich total verändert. Wie geht's dir, du lausige Kanalratte?“ Es waren nicht gerade zimperliche Worte, die da die Luft erfüllten, aber es waren auch keine zimperlichen Kerle, die sie aussprachen. Die Rührung war auf beiden
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Seiten gleich groß, und derartige Anwandlungen tat man am besten mit deftigen Worten ab. Sie konnten schließlich nicht dastehen und vor Freude heulen. Als sich das erste Gebrüll etwas gelegt hatte, erschien auch der Seewolf auf der Kuhl, begrüßte die Männer und schlug ihnen krachend auf die Schultern. Alle vier starrten sie ihn an, gaben den Händedruck zurück, und benahmen sich dann etwas distanziert. „Was ist denn mit euch los?“ fragte Hasard verwundert. „Wir sind außer uns vor Freude, Sir“, sagte Nils Larsen. „Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, was Sie alles getan haben, Sir! Ganz England spricht von Ihnen, Sir!“ „Euren Sir könnt ihr euch an den Hut stecken, ihr lausigen Decksaffen“, sagte Hasard trocken. „Ihr quasselt so respektvoll, als wäre ich der Schatzmeister von England. Habt ihr nicht mal zu meiner Crew gehört, ihr Kerle? Na also“, meinte er, als er die Erleichterung auf den Gesichtern sah. „Mit euch muß man nur im richtigen Ton reden, dann kapiert ihr schon!“ Damit war der Bann gebrochen. Richtig erleichtert sahen die Kerle aus, als sie Hasard anblickten. Um den Seewolf hatten sich schon wahre Legenden gerankt, und so glaubten sie ganz einfach, daß sie ihn nicht mehr so wie früher anreden oder ihm entgegentreten konnten, daß sie mehr Respekt feigen mußten, doch Hasard hatte diese unsichtbare Schranke schnell niedergerissen. Als er jetzt wieder zur Pier blickte, lag auf seinem Gesicht ein frohes Lächeln, das schließlich zu einem breiten Grinsen wurde. Zwei weitere Männer erschienen. Der schlanke, wie biegsamer Stahl wirkende Franzose Jean Ribault, und Karl von Hutten, der breitschultrige, exotisch aussehende Sohn einer indianischen Häuptlingstochter, hatten die „Isabella“
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erreicht. Die letzten Schritte legten sie laufend zurück. Beide Männer wurden mit lautem Hallo begrüßt, bis Jean Ribault lachend abwinkte. „Schon gut, Männer“, sagte er laut, „das Gebrüll hört man ganz sicher bis nach London! Laßt mich durch!“ Er gab dem Seewolf die Hand und sah ihm in die eisblauen Augen. „Du hast dich kaum verändert“, sagte der Franzose. „Du scheinst nur noch härter geworden zu sein.“ Auch Karl von Hutten grinste freudig und schüttelte dem Seewolf die Hand. „Wir haben uns sicher eine ganze Menge zu erzählen“, sagte er. „Eure Heldentaten haben schon ganz England erschüttert.“ „So? Was spricht man denn?“ „Es würde Tage dauern, das alles aufzuzählen. Stimmt es, daß du auf Francis Drake gestoßen bist?“ „Es stimmt, Karl, es war keine so ganz befriedigende Begegnung für alle beide. Ich werde euch später da- von erzählen. Wie lange seid ihr schon hier?“ „Ein paar Tage“, antworteten die beiden Männer zugleich. „Wir haben auf euch gewartet.“ Hasard blickte die beiden verdutzt an. „Ihr habt auf uns gewartet?“ fragte er. Alle beide grinsten ihn 'an und nickten. „Woher wißt ihr ...?“ „Das hat sich mittlerweile auf allen Meeren herumgesprochen“, erwiderte Ribault. „Aber das werden wir ebenfalls nachher alles erzählen.“ Dem Seewolf gingen eine Menge Gedanken durch den Kopf. „Sind die Schätze auf der Schlangeninsel sicher?“ wollte er noch wissen. „Absolut sicher, sei unbesorgt. Sie ruhen wie in Abrahams Schoß.“ Die beiden Kerle wollten ihn ein wenig auf die Folter spannen, das merkte er schon, aber er stieß sich vom Schanzkleid ab und sah die Männer an. „Da ist irgendetwas im Gange“, sagte er, „sonst würdet ihr nicht so grinsen.“ Er sah auf Carberrys breiten Rücken. Der Profos breitete die Arme aus und schlug
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gewaltig auf einen unsichtbaren Gegner ein. Und die Satansbraten umringten ihn, nickten zustimmend und begeisterten sich immer mehr an seinen Worten, die jetzt auch zu Hasard, Ribault und von Hutten herüberdrangen. ,, ... räumen wir seinen Saftladen aus, wischen mit ihm den Fußboden auf und trocknen ihn mit seiner Perücke. Danach legen wir die ganze Bude flach, daß es nur so wackelt.“ Zustimmendes Gebrüll begleitete seine Worte, jeder gab seinen Senf dazu und malte aus, was sie noch alles in der Kneipe anstellen würden. Hasard seufzte. „Es geht wieder mal um Plymsons Kneipe“, sagte er, „davon faseln diese Kerle schon seit Cadiz. Sie haben sich auch lange nicht mehr so richtig ausgetobt, und diesmal, fürchte ich, werde ich sie nicht mehr halten können. Plymson ist wie ein rotes Tuch für sie, schon der Name versetzt sie in helle Aufregung.“ „Ich glaube nicht, daß der Profos Streit anfängt“, versuchte Jean den Seewolf zu beruhigen. „Nein, ganz sicher nicht. Ed geht aber auch keinem Streit aus dem Weg, und irgendein lausiger Kerl ist in jeder Kneipe dabei, der sich mit uns anlegen will. Ich sehe schwarz für Plymouth und die Kneipe Plymsons.“ „Die „Blonde Mary“, das war schon immer die Kneipe, die ihnen ein heimlicher Dorn im Auge war. Wenn es sich bis zum dicken Plymson herumsprach, daß die Seewölfe hier waren, und das würde mit Sicherheit nicht lange dauern, dann konnte der Dicke getrost schon im voraus zittern, denn er kannte das Resultat längst. Die „Bloody Mary“ würde sich wieder einmal in einen Trümmerhaufen verwandeln. Hasard nahm sich vor, seine Crew etwas fester an die Kandare zu nehmen, und sie vor allem nur in wirklich kleinen Grüppchen an Land zu lassen, damit in Plymouth nicht wieder der Teufel los war. Er hatte selbst keine guten Erinnerungen an den dicken Plymson, denn vor dessen Kneipe war er vor Jahren an Bord der. „Marygold“ gepreßt worden. Dabei hatte
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der Dicke seine schmierigen Hände unmittelbar in der Sache gehabt. Plymson arbeitete mit Tricks und Raffinessen, war ein elender Halsabschneider und Schnapphahn und verschacherte bewußtlose Leute an Preßgangs, die regelmäßig auf der Suche nach Mannschaften waren. Zuvor pflegte der dicke Plymson seine Opfer mit seinem ganz speziellen Schlummertrunk zu behandeln. „Man kann deine Gedanken an deiner Stirn ablesen, Hasard“, sagte der Franzose lächelnd. „Der Teufel soll mich holen, wenn das nicht stimmt. Du denkst an deinen ersten Besuch in der Kneipe.“ „Ja, als sie mich damals schnappten, und an die Katze, die von dem Schlummertrunk umfiel.“ „Und natürlich an mich“, sagte der junge O'Flynn, „denn ich war auch dabei, wir haben schließlich zusammen angefangen.“ „Von der Schlägerei spricht man noch heute“, sagte Ribault. „Das geht immer noch in England 'rum, und jeder dichtet etwas hinzu.“ Er wollte noch etwas sagen, doch auf dem gegenüberliegenden Kai standen plötzlich Menschen. Wie aus dem Nichts waren sie erschienen und gafften herüber. Allerdings schienen sie sich nicht näher heranzutrauen. Sie guckten sich die Augen aus, starrten das Schiff an und musterten die Seewölfe. Einige von ihnen winkten zaghaft. Auch die Seewölfe waren auf die unerwarteten Besucher aufmerksam geworden, die wie eine Mauer dastanden. Unter ihnen befanden sich auch einige Frauen. Carberry winkte zurück, dann Tucker, und schließlich hob die gesamte Crew die Arme. Die Leute brüllten jetzt lauter, und man konnte aus der Entfernung deutlich einige Stimmen unterscheiden. „Der Seewolf“, drang es herüber. „Der Seewolf ist zurückgekehrt, Leute. Seht den Namen, und seht euch die Männer an!“ Die Meute schrie jetzt und tobte, und immer wieder ertönte der Ruf: „Der Seewolf!“
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„Das wird nur der Anfang sein“, meinte Ribault. „Ihr seid einfach von einem geheimnisvollen Hauch umgeben, ihr seid so etwas wie eine Wirklichkeit gewordene Legende.“ „Ja, fast sieht es so aus“, erwiderte Hasard. Er kam nicht mehr dazu, Ribault nach Einzelheiten zu fragen, denn jetzt lösten sich einige Menschen aus der Masse, umgingen die hölzernen Lagerhallen und näherten sich der „Isabella“. Anfangs verhielten sie sich neugierigängstlich, doch schon sehr bald wurden sie kühner und drangen auf die Pier vor, um die legendären Seewölfe aus der Nähe zu sehen. Eine ganze Schar folgte den ersten, und nun brandeten sie wie eine riesige Woge heran, murmelnd, staunend und fast ehrfürchtig blickten sie auf die Crew. Hurrageschrei setzte ein, einige Frauen drängten nach vorn, bis sie das Schiff berührten. Carberry und die anderen Seewölfe standen ausnahmslos am Schanzkleid der Kuhl und grinsten. „Mann, ist das ein Empfang“, sagte der Profos mit glänzenden Augen, „und seht euch nur die vielen Weiber an. Die sind schon ganz verrückt auf uns, merkt, ihr das, ihr aufgedockten Bilgenwanzen?“ „Und ob!“ Matt Davies warf sich in die Brust, und sonnte sich in dem Gefühl, bewundert zu werden, genau so wie die anderen auch. Der Tumult wurde so laut, daß keiner mehr sein eigenes Wort verstand. Auch der Kutscher grinste in die Menge, die die „Isabella“ jetzt vom Bug bis zum Heck umlagerte. Und immer wieder wurden sie gemustert, angegafft, angestarrt, genau fixiert. Aber alle verhielten sich trotz des Tumultes fast ehrfürchtig und andächtig. Die sagenumwobenen Gestalten standen wie aus Erz gegossen an Deck. Da war Big Old Shane, der ehemalige Schmied und Waffenmeister von der Burgfeste Arwenack, da stand der rothaarige Schiffszimmermann in imponierender Größe neben dem mächtigen Profos. Ben
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Brighton, Smoky, der Decksälteste und der titanenhafte Gambia-Neger Batuti, und all die anderen. Die Zwillinge, Hasards Söhne, die natürlich keiner kannte, wurden bestaunt. Gelächter galt dem Schimpansen Arwenack, der wie ein Wilder über das Deck fegte, in die Wanten enterte und blitzschnell bis in den Topp des Schiffes hangelte. Ein weiteres buntes Bild bot der AracangaPapagei Sir John, der von Mast zu Mast segelte, dann krächzend über die Menge Neugieriger strich, und sich schließlich bei seinem Liebling, dem narbengesichtigen Profos, auf die Schulter setzte. Es war, als würde der bunte Papagei die Bewunderung genießen, denn sobald sich die Menge beruhigte, begann er unflätig zu fluchen und zu lästern, bis das brausende Gelächter wieder einsetzte. Immer noch strömten Leute herbei. Nachdem sie die Mannschaft gemustert hatten, galt ihr Blick dem schwarzhaarigen Mann mit den langen Haaren, dem sonnenverbrannten Gesicht und den eisblauen Augen. Der Seewolf! Immer wieder drang leises Raunen durch die Menge, bis Hasard sich mit zuckendem Gesicht abwandte. „Ich fühle mich wie das Ausstellungsstück einer Gauklertruppe“, sagte er zu von Hutten, der immer wieder den Kopf schüttelte. „Hörst du, was sie sagen?“ fragte von Hutten. „Du hättest die ganze Welt umsegelt, du stehst da wie ein Idol, das sie anbeten.“ „Ich wünschte, sie würden wieder verschwinden“, sagte Hasard. „Ich mag diese Anstarrerei nicht, sie ist mir peinlich.“ Von Hutten lachte leise. „Uns hat kein Mensch begrüßt, Hasard. Sie haben nicht einmal von uns Notiz genommen. Sonne dich in dem Ruhm, laß die Leute gaffen, sie brauchen Nervenkitzel.“ „Meinetwegen.“
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Hasards geheimer Wunsch ging bald darauf in Erfüllung. Der Vertreter des Hafenkommandanten erschien mit einigen Leuten und begann unwillig damit, die Neugierigen fortzuscheuchen. Nur zögernd folgten sie seinen Anweisungen, murrten, protestierten laut und fluchten. Aber sie gingen zurück und blieben in der Nähe der Lagerhäuser und Schuppen stehen wie eine Mauer. Der breitgebaute Mann näherte sich der „Isabella Seine drei Begleiter scheuchte er mit einer Handbewegung zurück. Dann rückte er seinen Uniformkragen zurecht und baute sich dicht vor dem Schiff auf. Sein Gesicht war mit Pickeln übersät, und seine wässrig blickenden Augen verschwanden hinter kleinen Fettpolstern. „Weshalb haben Sie sich nicht sofort angemeldet?“ schnarrte er, und sah den Seewolf finster an. „Sie kennen wohl nicht .die Vorschriften, was!“ „Was, wie!“ sagte Carberry grinsend. Der Hafenkommandant wandte sich irritiert um. „Was?“ fragte er. „Ist was?“ fragte Ed. „Weshalb schreit dieser Mustopf von einem Hafenmeister eigentlich so laut herum. was, wie?“ fragte er die anderen. lautstark. Ein Höllengelächter setzte ein, und das baute schlagartig den Respekt des Mannes ab, der sich mit puterrotem Schädel umdrehte und einen seiner Begleiter heranwinkte. „Was hat der Kerl eben gesagt?“ fragte er ächzend. „Ah, Sir, ich habe es nicht richtig verstanden.“ „Ich will wissen, was er gesagt hat, Mann! Na los!“ „Äh, Sir, er sagte, glaube ich, Mustopf von einem Hafenkommandanten.“ „Mustopf!“ schrie der Dicke. „Sagte er Mustopf?“ Jean Ribault, der neben dem Seewolf stand, begann zu lachen, bis er sich krümmte. „Er ist nur der Vertreter hier“, sagte er, „ein aufgeblasener Kerl, der sich wichtiger
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nimmt als alle anderen. Er hat überhaupt nichts zu sagen, aber er glaubt es ständig.“ „Der Kerl soll sich erst einmal etwas höflicher benehmen“, sagte Hasard. „Bis er den Bogen heraus hat, kann die Crew ihn meinetwegen auf den Arm nehmen, solange sie will.“ Die Seewölfe taten das auch ausgiebig, weil der picklige Kerl sich immer noch lautstark über den Mustopf aufregte. Dabei schwoll ihm die Zornesader, weil ihn niemand ernst nahm. Sein markiges Gebrüll prallte an den anderen Kerlen einfach ab. „Wer bist du überhaupt?“ schrie der Dicke erbost zu Ed hinauf. „Dir werde ich schon noch Benehmen beibringen!“ Carberry schob sein Rammkinn vor. „Ich bin der Profos“, sagte er laut, „und du bist der Mustopf, oder hast du einen anderen Namen? Dann sage ihn gefälligst und kotz hier nicht die Kai mit großen Worten voll.“ Das verschlug dem Dicken sekundenlang die Sprache. Er spürte, daß er immer lächerlicher wirkte, und dann trat ein Ereignis ein, das ihn endgültig der Lächerlichkeit preisgab. Der Schimpanse Arwenack war auf halbe Masthöhe abgeentert und schien boshaft zu grinsen. Seine Lippen verzogen sich gräßlich, und in seiner rechten Hand hielt er eine Kokosnußschale. Irgendwie schien der Affe zu merken, was hier vor sich ging und daß ein einzelner zum Gespött der anderen wurde. Dazu mußte der Schimpanse natürlich ebenfalls seinen Beitrag leisten. Er hielt sich an den Wanten fest, holte mit der einen Hand weit aus und feuerte aus seiner luftigen Höhe die Schale ab. Arwenack hatte schon andere Leute bombardiert und bei Enterkämpfen mit Belegnägeln um sich gefeuert. Meist traf er auch. Den Vertreter des Hafenkommandanten erwischte es hart am Schädel. Es gab einen dumpfen, leichthohlen Ton, der sich mit dem schadenfrohen Gekecker des Affen mischte.
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Der Mann sprang mit einem Aufschrei in die Höhe und verspürte einen brennenden Schmerz am Schädel. In die lastende Stille hinein sagte Ed andächtig: „Er scheint genau den Mustopf getroffen zu haben!“ Diesmal brandete das Gelächter über den ganzen Hafen. Die Leute krümmten sich vor Lachen, als sie den Mann sahen, der sich verärgert und erbittert den Schädel rieb. „Ihr werdet noch von mir hören!“ schrie er gequält. „Das lasse ich mir nicht gefallen, das nicht! Das hat noch Konsequenzen, das gibt Ärger!“ Er tobte noch eine Weile herum, aber als er sah, daß das Grinsen nicht aufhörte, und er sich noch mehr der Lächerlichkeit preisgab, zog er sich unter lautstarken Verwünschungen zurück. Brighton erbot sich, das Schiff anzumelden, Zweck des Aufenthaltes anzugeben und die voraussichtliche Dauer. „Es ist wirklich nicht nötig“, sagte der Franzose, „der Kerl will sich nur aufblasen. Ihr könnt solange warten, bis der Hafenkommandant persönlich wieder da ist.“ Hasard wollte jedoch keinen unnötigen Ärger, denn den würde es, seinem Gefühl nach, in England ohnehin bald geben, und so schickte er seinen Stellvertreter Ben Brighton los. „Sage dem Kerl, daß wir aufdocken, und daß es ganz sicher länger als eine Woche dauert, bis alles erledigt ist.“ „In Ordnung.“ Brighton zog los. „Ihr wollt auch aufdocken?“ fragte Ribault verblüfft. „Genau das gleiche hatten wir vor.“ „Na prächtig, dann gehen wir zusammen auf die Werft des alten Hesekiel Ramsgate. Er wird sich freuen. Wir gehen nachher zusammen hin und reden mit ihm. Wir sind in Tanger im Trockendock gewesen, weil die „Isabella“ so voller Muscheln und Algen hing, daß sie sich bei starkem Wind kaum noch aufrichtete. Jetzt wollen wir ein paar kleine Änderungen und Verbesserungen vornehmen lassen.“
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Er sah den schlanken Mann neben sich an und lächelte. „Du hast Neuigkeiten, Jean, und vorhin sagtest du, ihr hättet uns erwartet. Heraus mit der Sprache, von wem habt ihr die Informationen?“ „Das ist eine lange Geschichte, Hasard. Gehen wir aufs Achterkastell, hier versteht man sein eigenes Wort nicht.“ In der Kuhl wurde immer noch gebrüllt, erzählt und gelacht. Die beiden Männer zogen sich zurück, lediglich gefolgt von Nutten und dem jungen O'Flynn. 2. „Wir erfuhren von Siri-Tong, daß ihr Kurs England segelt“, sagte Ribault, „und von dem Wikinger natürlich:' Hasard war im ersten Augenblick so verblüfft, daß er keinen Ton hervorbrachte. Er und Dan sahen sich Meer kopfschüttelnd an. „Von Siri-Tong? Wo habt ihr sie getroffen? Als wir uns das letzte Mal sahen, lag der schwarze Segler in Shanghai.“ „Ich weiß“, sagte der Franzose. „Die Rote Korsarin ist ein paar Tage nach euch losgesegelt.“ Als er noch etwas sagen wollte, blieb sein Blick sehr sinnend und nachdenklich auf den beiden Jungen hängen, die am Niedergang des Achterdecks standen und nach oben blickten. Die beiden waren schwarzhaarig und hatten eisblaue Augen, die Ribault und von Hutten ruhig und interessiert musterten. Sie trugen Segeltuchhosen und grobe Hemden, und alle beide hatten in ihrem Leinengürtel am Hosenbund ein Messer stecken. Auch der exotisch wirkende von Hutten sah plötzlich ratlos von einem zum anderen. Hasard sagte nichts, er war gespannt, wie die beiden Männer reagierten und bemühte sich um ein betont gleichgültiges Gesicht.
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Ribault starrte die beiden Jungen immer noch an. Sein Blick wurde noch nachdenklicher, dann sah er Hasard prüfend ins Gesicht. Er schien etwas zu vergleichen. „Sind das - äh - deine Schiffsjungen?“ fragte er gespannt. „Die sind doch höchstens zehn Jahre alt. Merkwürdig, findest du nicht auch, Karl? Die sehen aus, wie - wie ...“ „Ja“, sagte von Hutten rauh und krächzend. Mehr brachte er nicht hervor. Dafür saugte sich der Blick seiner Augen an den beiden fest, worauf der eine Zwilling zu grinsen begann und ein prachtvolles schneeweißes Gebiß entblößte. Der andere tat es ihm gleich darauf nach, dann kicherten sie und rannten in die Kuhl. Ribault verzog das Gesicht, kratzte sich aufgeregt die linke Wange und blickte von Hasard zu Dan, dann wieder zu von Hutten, der merkwürdig still blieb und in sich gekehrt auf die Planken stierte. Immer noch sagte der Seewolf nichts, aber er merkte, daß es den beiden Männern peinlich wurde, über die Jungen zu sprechen. Nein, diese Ähnlichkeit, dachte Ribault. Das gab es doch gar nicht, das konnte nicht sein. Er hatte längst erfahren, daß die beiden Söhne des. Seewolfs nicht mehr lebten, und wollte keine alten Wunden mehr aufbrechen. „Ich habe sie erst seit Tanger an Bord, Jean“, sagte der Seewolf ernst. „Sie sind sieben Jahre alt und sprechen noch nicht gut Englisch.“ „Sieben Jahre alt?“ Ribault verschluckte sich fast an seinen eigenen Worten. Hinter seiner Stirn arbeitete es, er schien nachzurechnen. „Sehr eigenartig“, sagte er nach einer Weile, „die beiden sind dir wie - äh ... Sie sehen dir verdammt ähnlich, so merkwürdig das klingen mag. Nimm es mir nicht übel, Hasard!“ „Warum sollte ich?“ fragte Hasard lachend und wandte sich an Dan. „Laß ein paar Flaschen Rum für die Männer austeilen, Dan, und bringe uns
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auch etwas. Wir können auch in meine Kammer gehen.“ Aber die anderen blieben lieber an Deck, und dem Seewolf fiel auf, daß die beiden Männer immer wieder in die Richtung blickten, in der sich die Zwillinge aufhielten. Als Dan die Flaschen verteilte, nahm Ribault eine, zog den Korken mit den Zähnen heraus und trank einen langen Schluck. Er war so in Gedanken versunken, daß er die Flasche nicht einmal weitergab. „Du wirst ganz sicher noch einen kräftigen Schluck nötig haben“, hörte er die vertraute Stimme des Seewolfs an sein Ohr dringen. „Und du auch, Karl! Der eine der beiden Bengels heißt Hasard, der andere Philip.“ Ribault, der die Flasche gerade wieder angesetzt hatte, verschluckte sich und blies den Rum wie eine Fontäne aus. Anschließend begann er rauh und krächzend zu husten. Von Hutten verzog das Gesicht, wurde erst knallrot und wechselte dann die Farbe, bis er ziemlich .blaß aussah. „Hasard!“ sagte er vorwurfsvoll. „Es sind meine Söhne“, sagte der Seewolf. „Durch einen unglaublichen Zufall haben wir sie in Tanger bei einer Gauklertruppe entdeckt. Dan hat es herausgefunden, und als er es mir erzählte, bin ich mit ihm aneinander geraten, ziemlich hart sogar, weil ich es nicht glauben wollte. Es war zu ungeheuerlich.“ Der junge O'Flynn grinste. „Bei guten Nachrichten verschlägt's unserem Kapitän glatt die Sprache“, sagte er lässig. „Er hat dann die lästige Angewohnheit mit dem Degen auf die eigenen Leute loszugehen.“ Der Seewolf klopfte O'Flynn auf die Schulter. „Deine Nachricht traf mich auch bis in die Seele und hat mich schwer erschüttert. Ich konnte es nicht glauben.“ Ribault beugte sich vor. Auch er und von Hutten waren stark erregt.
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„Das ist unglaublich, Hasard“, sagte der Franzose. „Das muß ich ganz genau erfahren. Welche Beweise hattest du?“ „Die Haifischsymbole auf den Schultern der Jungen waren der endgültige Beweis. Keymis hatte sie ihnen eintätowiert.“ „Sie sind dir wie aus dem Gesicht geschnitten, das wollte ich vorhin schon sagen, aber ich traute mich nicht. Kannst du die Jungen einmal rufen?“ Impulsiv streckte er Hasard die Hand hin und drückte sie hart. „Mehr kann ich dir nicht wünschen“, sagte er erschüttert. Von Hutten war genauso gerührt und fassungslos über diese Eröffnung. Sie zuckten zusammen als die beiden Jungen wie aus den Planken gewachsen vor ihnen standen, nach- dem Dan sie gerufen hatte. Sie wußten nichts von Ribault, kannten auch von Hutten nicht, sie waren noch zu klein gewesen, als das alles passierte, und so sahen sie die beiden Männer nur aufmerksam an und wußten nicht so recht, um was es ging. Ribault strich ihnen mit der Hand über die Köpfe, und von Hutten klopfte ihnen auf die Schultern, bis die beiden Bengels wieder zu grinsen begannen. „Alte Freunde von mir“, sagte Hasard. „Mister Ribault und Mister von Hutten. Versteht ihr?“ Sie schienen zu verstehen, denn sie nickten beide ernst, und die Männer glaubten, daß sie den tieferen Sinn begriffen. Dann mußte Hasard haarklein berichten. was vorgefallen war, und unterdessen erfuhren es auch die ehemaligen KaribikPiraten, und reichten die Zwillinge in der Kuhl herum. Etwas später kehrte Ben Brighton zurück. Sein Gesicht wirkte erheitert, und ab und zu grinste er amüsiert. „Der pickelgesichtige Kerl hat e nicht gewußt, wer wir sind“, erzählte er. „Dafür ist ihm der Schreck umso nachhaltiger in die Knochen gefahren. Er ist neu hier, der Hafenkommandant befindet sich zur Zeit in Falmouth. Jetzt fing dieser dicke Kerl an zu zittern und zu schwitzen und
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entschuldigte sich alle paar Sekunden. Vor Angst und Aufregung wurde er ganz grün im Gesicht und jammerte immer wieder, daß Plymouth jetzt wohl bald ein Trümmerhaufen sein werde, wenn wir noch blieben, und daß der Seewolf persönlich schlimmer als der Teufel sei und ganz England in Stücke schlagen werde. Hier scheinen einige Burschen ganz schöne Schauermärchen über uns verbreitet zu haben.“ Hasard lachte leise. „Deshalb gaffen die Leute auch so.. Sollen sie, wir wollen nichts von ihnen, sie werden schon merken, daß da einige wieder maßlos übertrieben haben.“ Er wandte sich Jean Ribault und von Hutten zu. „Jetzt seid ihr dran. Erzählt von dem schwarzen Segler.“ Ribault räusperte sich erst einmal die Kehle frei. Die Erzählung von den Zwillingen klang immer noch in ihm nach und hatte ihn aufgewühlt. „Siri-Tong segelte also, wie gesagt, ein paar Tage später los, nachdem in Shanghai alles erledigt und ihre Mutter versorgt war. Sie lief vor einiger Zeit die Schlangeninsel an und berichtete, daß ihr nach England unterwegs seid.“ „Ja, es war ein langer, gefahrvoller Weg“, sagte Ben Brighton. „Und wie ist es den anderen ergangen?“ „Die Reise verlief bis auf einige Zwischenfälle ziemlich glatt. Es gab kleine Scharmützel mit Piraten und Spaniern, und das Schiff wurde mehrmals leicht beschädigt. Später setzte es so viele Algen und Muscheln an, daß es sich kaum noch aus der See hob, wenn die Wellen es packten.“ „So sahen wir in Tanger auch aus, unsere gute Lady war kaum noch in der Lage, sich aus eigener .Kraft aufzurichten, und wir trimmten mit den Culverinen den Krängungswinkel nach.“ Inzwischen hatten sich immer mehr Zuhörer eingefunden und lauschten der Erzählung Jean Ribaults. „Eines Tages, wir lagen in der Bucht der Schlangeninsel, meldete der im Berg
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stationierte Ausguck ein schwarzes Schiff, das die Schlangeninsel ansteuerte. Schwerfällig und lahm segelte es heran, bis wir in dem Schiff den schwarzen Segler erkannten. Thorfin segelte ,Eiliger Drache über den Wassern' dann über das Höllenriff. „Thorfin?“ unterbrach Hasard erstaunt. „Sonst pflegte die Rote Korsarin das Schiff doch meist selbst über das Höllenriff zu segeln, weil sie es genau kennt.“ „Das ist richtig“, gab der Franzose zu, „Thorfin segelt es nur in Ausnahmefällen hinein oder hinaus.“ „Und weshalb tat sie es nicht selbst?“ „Sie war krank und sehr schwach. Eine Infektion hatte sie sehr geschwächt, sie lag viele Tage in der Koje:' „Und jetzt?“ fragte Hasard heiser. „Ist sie ...?“ Ribault schüttelte den Kopf. „Nein, nein, sie lebt“, sagte er schnell. „Aber sie ist immer noch nicht gesund, und sie sieht blaß und abgezehrt aus. Es wird wohl auch noch eine Weile dauern, .bis sie sich ganz erholt hat.“ Das waren ja wieder einmal umwerfende Neuigkeiten, dachte der Seewolf. Die Rote Korsarin krank! Das war fast unvorstellbar, denn sie war hart und unglaublich zäh, und so schnell warf sie nichts um. Endlos lange hatten sie- sich nicht mehr gesehen, so erschien es dem Seewolf jetzt, Ewigkeiten waren inzwischen vergangen. Siri-Tong war, seit sie Shanghai verlassen hatten, in unendlich weite Fernen gerückt. Und jetzt erst erfuhr er wieder etwas von ihr, dem Wikinger und dem schwarzen Schiff mit dem Namen „Eiliger Drache über den Wassern“. Jetzt lagen sie also in der Bucht der Schlangeninsel. „Weiter!“ drängte Hasard den Franzosen, der sich mit einem weiteren Schluck aus der Flasche stärkte. Um die Männer her wurde getuschelt, geflüstert, und Ausrufe des Erstaunens waren zu hören, als Ribault wieder das Wort ergriff. „Nach der Begrüßung erzählte uns der Wikinger haarklein, was alles passiert war, und daß sie die Bucht anliefen, um hier
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nach dem Rechten zu sehen und neue Schätze abzuladen. Dabei kam die Rede auf die ,Isabella` und auf euch. Vom Wikinger erfuhren wir alles, und daraufhin segelten wir los. Siri-Tong wollte unbedingt mit, aber ihr Gesundheitszustand ließ es nicht zu. Die lange Fahrt über den Atlantischen Ozean war zu riskant und gefährlich. 'Ich mußte verständlicherweise ablehnen, der Wikinger hätte sie auch ohnehin in diesem Zustand niemals von Bord gelassen.“ „Das war richtig“, sagte Hasard. „Hoffentlich hat sie sich bald wieder erholt.“ „Ganz sicher. Es wird nicht mehr lange dauern.“ „Thorfin wollte nicht mit?“ fragte Carberry, der die Ohren spitzte und aufmerksam zuhörte. „Er konnte aus zweierlei Gründen nicht. Einmal wegen der Roten Korsarin, und zum zweiten hängt er an seinem Segler und kratzt tonnenweise die Algen und Muscheln ab. Das Schiff muß gründlich überholt werden, und ihr wißt ja, wenn der Wikinger sich etwas in seinen dicken Schädel gesetzt hat, dann bringt ihn davon keiner mehr ab, weder die Meergeister noch dieser Kerl, den er ständig anruft.“. „Welcher Kerl?“ fragte Ed begriffsstutzig. „Odöng, oder so ähnlich“, sagte Ribault und sprach es in seiner Muttersprache französisch aus. „Bei Odin!“ rief der Profos lachend. „Und nicht bei Odöng, du Stint!“ Daraufhin lachten sie alle, und der narbengesichtige Profos konnte sich kaum beruhigen. Ribault und von Hutten nahmen diesen Heiterkeitsausbruch gelassen hin und grinsten mit. „Da ist noch etwas“, sagte Ribault nachdenklich. „Entsinnst du dich noch an diese spanische Galeone, Karl, die kurz nach Eintreffen des schwarzen Seglers auftauchte?“ „Ja, natürlich, das war reichlich merkwürdig. Wir haben die Hintergründe auch nicht mehr richtig herausgefunden, weil wir bald darauf lossegelten, um euch nicht zu verpassen, falls ihr wirklich nach
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England segeln solltet. Wir wissen nicht genau, was sich dort abgespielt hat.“ „Eine spanische Galeone?“ fragte Hasard verwundert. „Was sollte die an der Schlangeninsel?“ „Wir erfuhren es erst, als wir nach einer kurzen Fahrt noch einmal zurückkehrten, aber da war die Galeone schon weitergesegelt.“ „Das wird doch nicht dieser lausige Spanier gewesen sein, der uns schon einmal Kummer bereitete?“ fragte Carberry. „Dazu ist es schon zu lange her“, meinte Hasard. „Auf der Galeone befanden sich nicht mehr als zwei oder drei Spanier, wie Thorfin versicherte“, fuhr Ribault fort. „Die anderen waren Indianer, ganz offensichtlich handelte es sich dabei um die Schlangenpriesterin Arkana von der Insel Mocha. Du hast oft von ihr gesprochen, Hasard, und du besitzt doch auch diesen merkwürdigen Armreif, der den Schlangengöttern auf der Insel ähnelt.“ Der Seewolf starrte den ehemaligen Karibik-Piraten sprachlos an. Er brauchte eine Weile, um sich von dieser umwerfenden zweiten Neuigkeit zu erholen. „Arkana? Auf der Schlangeninsel?“ fragte er. „Das wird ja immer toller.“ „Sie war nicht lange dort, nur ein paar Stunden, und sie ging auch ganz allein an Land, wie Thorfin versicherte. Sie hat sich den Tempel angesehen. Schweigsam und stumm stand sie lange Zeit vor der Götzenfigur und sah sie an. Dann ist sie gegangen, nachdem sie sich von der Korsarin und den anderen verabschiedet hatte.“ Hasard schossen tausend Gedanken durch den Kopf. „Was ist mit dem Mädchen Araua?“ wollte er wissen. „Hat der Wikinger sie gesehen?“ „Ja, sie ist eine Schönheit geworden, mit langen schwarzen Haaren und eisblauen Augen. Deinen Augen“, setzte Ribault hinzu. Hasard sah sie im Geiste vor sich. Arkana, die Schlangenpriesterin und Araua – seine
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Tochter. Auf der Landzunge der Insel Mocha hatte die Priesterin gestanden, in den Armen das kleine Mädchen, und den davonsegelnden Schiffen lange nachgeblickt. Fast plastisch stand das Bild vor Hasards Augen. „Weißt du noch mehr darüber?“ fragte er. „Leider nicht“, entgegnete Ribault. „Und du weißt ganz genau, daß es Arkana mit ihren Kriegern war, die die Insel anlief?“ „Das ist absolut sicher.“ Sie mußten eine unendlich weite Strecke zurückgelegt haben, dachte Hasard wie betäubt. Um den ganzen südamerikanischen Kontinent herum bis hinauf in die Karibik. Hatten sie vor, die Schlangeninsel zu besiedeln? Oder wollten sie weiter, um eine andere Insel zu suchen? Er fand keine Antwort auf die Frage und geriet ins Grübeln. „Das ist ja ein dicker Hund“, ließ sich Carberry vernehmen. „Genauer gesagt, sind das zwei dicke Hunde. Und das kriegen wir alles auf einmal serviert.“ „Ich soll euch allen die besten Grüße von Siri-Tong, dem Wikinger und der ganzen Crew ausrichten“, sagte Ribault. „Sie haben fest damit gerechnet, daß wir uns in England treffen.“ „Danke“, sagte der Seewolf. „Wenn wir wieder in die Karibik zurückkehren, werden wir die restlichen Araukaner suchen und dafür sorgen, daß sie ungestört leben können. Vielleicht könnte man diesen kleinen Volksstamm später sogar auf der Schlangeninsel ansiedeln. Dann hätten sie wieder eine Heimat. Welchen Kurs sind sie gesegelt, Jean?“ „Nordost, vermutlich in Richtung der kleinen Inseln, aber wir werden sie ganz sicher finden.“ Merkwürdig, dachte Hasard, daß der Wikinger ihnen das nicht angeboten hatte, oder die Korsarin. Aber vielleicht wollten sie ihm persönlich nicht vorgreifen und Entscheidungen fällen. Ribault berichtete weiter, haarklein und alles, was er wußte. Der größte Teil der
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Crew hörte gebannt zu, bis es später Nachmittag wurde. Hasard und Ribault beschlossen, den alten Hesekiel Ramsgate aufzusuchen, damit sie aufdocken konnten. Dabei fiel Hasard auf, daß der Profos wie ein witternder Jagdhund ihn immer wieder umschlich, das Gesicht verzog, die Hände rang und sich in Andeutungen erging, bis er es nicht mehr aushielt. „Wie sieht es mit Landgang aus, Sir?“ sagte er fast verzweifelt. „Wir können hier an Bord doch nicht verfaulen. Ein richtiger Kerl muß doch auch mal wieder an Land, was trinken, Land und Leute sehen, sonst versauert man ja.“ „Ein bißchen Plymsons Kneipe umräumen, den Weibern nachjagen und sich anständig besaufen, das meintest du doch, was, Ed?“ erkundigte sich der Seewolf freundlich. Ed Carberry strahlte über das ganze Gesicht. „Genau das, Sir“, sagte er erleichtert. Hasard trat ganz nahe an ihn heran und sah ihm in die Augen. „Du weißt, Ed, daß wir unermeßliche Schätze im Bauch der ,Isabella` mit uns führen, und du weißt auch, daß; es in Plymouth von Schnapphähnen, Gaunern und Halsabschneidern hur so wimmelt. Ich kann euch nicht alle an Land lassen. Ihr müßt in kleinen Trupps gehen und euch abwechseln. Und ich möchte nicht, daß ihr die Kneipe des alten Plymson kurz und klein schlagt. Wir wollen hier keinen Stunk anfangen, denn wir kriegen hier noch genug davon. Nimm dir also nicht mehr als fünf Mann und zieht los! Ben wird euch Geld geben. Alles andere überlasse ich dir. Ich verlasse mich auf dich, Ed!“ „Aye, Sir, wir selbst werden keinen Stunk anfangen, mein Wort darauf.“ „Dein Wort in Gottes Ohr, Profos. Meistens fangen ja auch die anderen Stunk an.“ „So ist es, Sir, leider“, sagte der Profos und zog ein klägliches Gesicht. „Kaum sind wir friedfertig und brav in einer Kneipe gelandet, schon geht es los, und man muß sich seiner Haut wehren. Es ist ein Kreuz mit diesen Gaunern.“
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„Bemitleide dich nur nicht selbst, Ed, und leg dein verdammtes, heuchlerisches Gesicht ab. Wenn ich etwas höre, dann gibt's anschließend eine Bordfeier mit tanzenden Puppen, und du wirst den Vortänzer spielen. Ist das klar?“ „Völlig klar, Sir!“ schrie Ed grinsend. Dann hatte er, es plötzlich eilig, zu verschwinden. Hasard übergab für die Dauer seiner Abwesenheit Ben Brighton das Kommando und ging mit Ribault und von Hutten von Bord. Ihr Ziel war die Werft des alten Hesekiel Ramsgate. 3. Der Profos marschierte nach vorn zum Mannschaftslogis und rieb sich fortwährend die Hände. So ganz wohl fühlte er sich nicht in seiner Haut, weil Hasard strikt verboten hatte, die Kneipe des alten Plymson „umzuräumen“. Dabei konnte doch nicht viel kaputt gehen, überlegte Ed. Und wenn etwas zu Bruch ging, dann hatten sie Plymson immer noch reichlich entschädigt und gut bezahlt, meist so viel, daß er sich eine neue Kneipe bauen konnte. Matt Davies, Gary Andrews, Dan O'Flynn, Ferris Tucker hockten dort und tranken Dünnbier. „Na, was hat Hasard wegen des Landganges gesagt?“ wurde der Profos sofort empfangen. „Fünf Mann insgesamt, später können wir wechseln. Weil wir jetzt gerade fünf sind, lassen wir es auch dabei. Ihr geht also mit.“ Zustimmendes Freudengebrüll wurde laut, das Ed mit einer leichten Handbewegung dämpfte. „Wir sollen keinen Stunk anfangen, sonst läßt der Seewolf selbst die Puppen tanzen, hat er gesagt. Wir sollen uns ordentlich und gesittet benehmen.“ „So'n Scheiß“, sagte Matt Davies mit einem abgrundtiefen Seufzer. „Da hat man ja gar keine Lust mehr, an Land zu gehen.“
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Auch Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, bewegte seine mächtigen Schultern unruhig hin und her. „Ja, verdammt!“ rief Ed. „Glaubt ihr vielleicht, mir gefällt es, wie ein frommer Priester in der Kneipe zu hocken und auf die Tischplatte zu starren. Wenn ihr nicht wollt, dann laßt es eben bleiben. Kann ja sein, daß ein paar andere Stunk anfangen oder uns mit Steinen bewerfen, dann dürfen wir uns natürlich wehren.“ „Meinst du wirklich?” fragte Matt zweifelnd. „Ganz klar“, ereiferte sich Ed. „Ich lasse mich doch nicht von irgendeinem dahergelaufenen .Strolch erschlagen.“ „Trotzdem - so bringt es keinen richtigen Spaß“, sagte Gary Andrews. „Wir wollen uns doch nur amüsieren.“ Ed saß da und starrte nachdenklich auf die Back. Dabei kratzte er immer wieder seinen Schädel und überlegte. „Was ist mit dir?“ fragte Tucker besorgt. „Hast du Läuse, öder was? Oder gehst du. nicht mit?“ „Ich überlege gerade etwas“, sagte der Profos, und dabei grinste er so infam und niederträchtig, daß die anderen gespannt waren, was der Profos wohl diesmal vorhatte. „Na, dann raus damit“, drängte Dan. „Erinnert ihr euch noch an Portugal?“ fragte Ed genüßlich und lehnte sich zurück. „Sicher erinnern wir uns. Was hat das mit dem Landgang zu tun?“ „Eine ganze Menge. In Portugal war ich mal von zwei Litern Landwein bewußtlos, wißt ihr das noch?“ „Klar, das war ja auch ein Schlummertrunk. Das hätte den stärksten Stier umgehauen.“ „Wir haben aber noch eine Korbflasche von dem Zeug. Ich habe sie gut verwahrt.“ „In Ordnung, Ed“, sagte Tucker ungeduldig. „Aber das alles hat, doch nichts mit Plymson zu tun.“ „Hat es doch“, widersprach Ed. „Wenn wir schon keinen Stunk veranstalten dürfen, dann können wir uns doch einmal auf ganz andere Art amüsieren.“
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Immer noch wußte keiner der anderen, was der Profos vorhatte oder beabsichtigte. Niemand wurde schlau daraus. „Plymson ist ein altes Schlitzohr, ein Gauner, ein Schnapphahn und Beutelschneider, das wißt ihr alle, und er hat seine Kneipe nicht nur aus dem Grund, um Wein oder Schnaps zu verkaufen, er macht auch noch ganz miese Geschäfte. Er beliefert alle Schiffe, die Mannschaften brauchen, mit Leuten. Dazu flößt er ihnen seinen berüchtigten Schlummertrunk ein, und wenn sie schlafen, holen Preßgangs sie ab, um sie an Bord zu bringen. Das wäre fast einmal unserem Kapitän passiert.“ Ja, das wußten die meisten von ihnen. Hasard war dem üblen Plan nur entgangen, weil Plymsons Katze das Zeug gesoffen hatte und danach einfach umgefallen war. Dennoch waren er und Dan als Gepreßte auf der „Marygold“ bei Francis Drake gelandet, allerdings erst nach einer harten Schlacht. Plymson kassierte für seine üblen Geschäfte nicht schlecht. „Wir könnten ihm das wenigstens einmal heimzahlen“, sagte Ed. „Das wäre doch ein toller Spaß. Old Plymson säuft den Schlummertrunk, den wir ihm ganz freundlich anbieten, fällt um, pennt, und wenn er wieder aufwacht, befindet er sich in der Vorpiek der ,Isabella` und kriegt erklärt, daß wir uns auf hoher See befinden und einen Koch brauchen. Dann weiß er wenigstens einmal, wie das ist, wenn man Leute verschachert.“ Ein paar Sekunden lang war es ganz still. Dann brach ein tosendes Gelächter los. Die Seewölfe konnten sich kaum beruhigen. „Mann“, sagte der junge O'Flynn, „das gibt einen Mordsspaß, dagegen hat auch Hasard nichts einzuwenden.“ „Sag ich doch“, meinte Ed grinsend. „Ich habe dabei allerdings noch einen klaren Hintergedanken. Später lassen wir ihn natürlich wieder laufen, wenn er tausend Ängste ausgestanden hat. Dann besuchen wir anschließend seine Kneipe. Inzwischen ist er so sauer, daß er uns von seinen anderen Schnapphähnen verprügeln läßt. Na, und der Seewolf hat selbst gesagt, daß
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wir uns wehren dürfen, wenn wir schon keinen Stunk anfangen. Das ist doch alles ganz reell und ehrlich, oder findet ihr nicht?“ „Mensch, Ed, das ist ein Ding“, sagte Tucker und schlug mit seinen riesigen Fäusten auf die Back, daß es nur so krachte. „Da kann uns keiner was wollen.“ Die Idee fanden sie alle prächtig und lachten wieder in Vorfreude der kommenden Ereignisse. „Wir müssen uns natürlich ganz scheinheilig, friedlich und verdammt freundlich bei ihm benehmen“, schärfte Ed den anderen noch einmal ein. „Plymson darf keinen Verdacht schöpfen, sonst geht uns der Spaß durch die Lappen. Und wenn wir jetzt gleich abhauen, ist noch nicht so viel Betrieb bei ihm.“ „Dann los, hauen wir ab!“ rief Matt Davies. Gary Andrews verschwand, um auf Carberrys Geheiß die Korbflasche mit dem lausigen Zweiliter-Inhalt zu holen, dem portugiesischen Landwein, den sie Plymson eintrichtern wollten. Der Profos ging unterdessen an Deck, ließ sich für die Leute von Ben Brighton Goldstücke und ein paar Perlen aushändigen und sagte auch den anderen Bescheid. An Bord rieb sich jeder die Hände und grinste. Nur Ben Brighton zog ein bedenkliches Gesicht. „Ich weiß nicht, Ed“, meinte er, „klar, das ist nur ein Scherz, aber immerhin ...“ „Ach was, darüber wird sogar der Seewolf lachen, denn der wäre dem alten Gauner ja auch fast auf den Leim gegangen.“ Dabei verschwieg der Profos wohlweislich seinen Hintergedanken, nämlich den, daß sich der dicke Plymson nach seiner Freilassung knüppelhart rächen würde, falls er überhaupt den Mut dazu aufbrachte. Dann hatten sie endlich einen handfesten Grund, seine Kneipe total umzuräumen, wie Carberry dachte. Ein paar maulten, daß sie nicht mit an Land durften, aber sie hatten noch Unterhaltung genug, denn immer wieder
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erschienen ein paar aus Ribaults Crew und quatschten und erzählten, und vergaßen auch nicht, die Begrüßung kräftig mit Rum zu feiern. Carberry sammelte inzwischen seine Schäfchen um sich, in deren Gesichtern ein stilles Leuchten stand, das so gar nicht zu ihnen passen wollte. „Ihr seht aus, als wenn ihr dem Chor der himmlischen Heerscharen angehört“. sagte Ed lachend und stopfte die Zweiliterbuddel unter seine Segeltuchjacke. Unter den teilweise neidischen Blicken der anderen zogen sie los, der „Bloody Mary“ entgegen. 4. Der alte Hesekiel Ramsgate hatte sich kaum verändert, als die drei Männer am Ausrüstungskai in Rame Head eintrafen. Auf der Werft war nicht viel los, das sah man auf den ersten Blick. „Da liegt nur ein kleiner Schlickrutscher“, sagte Karl von Hutten. „Scheint so, als gäbe es nicht viel zu tun.“ Ein einmastiges Schiffchen lag stark gekrängt bei der jetzt ablaufenden Ebbe dicht vor den Slips. Drei oder vier Burschen kratzten lustlos am Rumpf herum, unterbrachen immer wieder ihre Arbeit und quasselten. Wahrscheinlich gehörten sie zur Besatzung des kleinen Seglers. Der alte Hesekiel Ramsgate, ein schmächtiger Mann mit einem grauen Seemannsbart, stand neben einer Helling und sah dem Treiben der Algenkratzer gelangweilt zu. „Seine Werft scheint nicht gut zu gehen“, sagte Hasard. „Vielleicht hat er sich wieder einmal verkalkuliert wie damals, als wir die „Isabella“ kauften. Da war er fast pleite.“ Sie sahen wie der Alte sich umdrehte und sie .musterte. Er hatte helle scharfe Augen, und gleich darauf ging es wie ein Ruck durch seinen schmächtigen Körper. „Mister Killigrew!“ schrie er schon von weitem. „Der Seewolf! Himmel, es gibt Sie also noch!“
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Er lief ihnen entgegen, sah Hasard in die Augen und schüttelte ihm die Hand. Man sah ihm an, daß er tief bewegt war. Dann erst wandte er sich den beiden anderen zu, die damals die „Isabella VII.“ von ihm gekauft hatten. „Willkommen, Gentlemen“, sagte er gerührt, „bitte, darf ich Sie in mein Kontor bitten.“ Immer wieder erkundigte er sich nach ihrem Ergehen. „Uns geht es prächtig“, versicherte Hasard. „Aber wie ich sehe, scheint bei Ihnen nicht viel los zu sein.“ „Da haben Sie leider recht, Mister Killigrew. Aber ich will mich nicht beklagen, es ändert ja doch nichts. Es geht nicht besonders gut, kaum Aufträge, schon gar nicht durch den Hof. Ich halte nämlich immer noch an der modernen Bauweise fest, und das paßt den hohen Herren nicht. Darf ich fragen, wie Sie mit der Galeone zufrieden gewesen sind, Sir?“ „Gewesen sind?“ fragte Hasard lachend. „Ich bin immer noch mehr als zufrieden mit dem Schiff. Es hat unzählige Schlachten überstanden, ist dank seiner überlangen Masten schneller als andere gesegelt und hat manche heiße Schlacht durch die überlangen Culverinen gewonnen.“ „Das freut mich aufrichtig; Sir“, sagte der Alte. Er bat sie in sein Kontor, schon zum zweitenmal jetzt und ging voran. Es war nicht mehr als eine armselige Bruchbude, und durch die feinen Holzritzen hörte man den Wind pfeifen, der um Rame Head herumstrich wie ein hungriger Wolf und zu knurren schien. Mitunter hörte es sich hier drin bösartig an. Der Alte brachte eine Flasche aus einem Schrank zum Vorschein und stellte vier Becher auf den Tisch. So armselig wie das hier alles aussah, dachte Hasard, und auch daß der alte Ramsgate keine Aufträge hatte — er baute immer noch in ganz England die schnellsten und besten Schiffe. Die „Isabella VIII.“ war dafür der beste Beweis. Und obwohl er fast pleite war,
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wich er von dieser modernen Bauart nicht ab. Deshalb konnte er bei Hofe auch nicht mehr landen. Dort hatte man alte, verstaubte Vorstellungen davon, wie ein Schiff Ihrer Majestät auszusehen hatte. Doch der alte Ramsgate war ein störrischer und auf seine Weise eigensinniger Bursche. Er dachte nicht daran, sich zu ändern, und wenn sie seine Schiffe nicht haben wollte, dann sollte sie allesamt der Teufel holen, das war seine Devise. Hasard und die beiden anderen tranken dem Alten zu, der sie aus flinken Augen musterte. „Wir liegen seit ein paar Stunden im Hafen, Mister Ramsgate“, sagte der Seewolf, „und wir möchten gern auf docken. Das Schiff muß einmal vom Kiel bis zu den Masten überholt werden, und zwar gründlich. Meine Freunde Ribault und Hutten haben das gleiche vor. Auch ihr Schiff braucht dringend eine Auffrischung.“ In die hellen Augen des bärtigen Alten trat ein Glanz. „Wirklich?“ fragte er. „Das würde ja bedeuten ...“ „ … daß Sie eine Menge Arbeit kriegen; zwei gute Aufträge“, sagte Hasard. „Aber wie steht es mit Ihren Leuten, Mister Ramsgate? Haben Sie überhaupt noch welche?“ „Oh“, meinte der Alte erleichtert. „Die helfen mal hier mal da aus, weil ich sie nicht immer bezahlen kann. Aber wenn Sie wünschen, habe ich sie bis morgen früh alle zusammengetrommelt. Das ist überhaupt kein Problem, Sir.“ Hasard griff unter seine Lederweste. Als seine Hand wieder erschien, hielt sie einen mehr als faustgroßen Lederbeutel. Er schob ihn dem Alten hinüber. „Nein, das ist nicht nötig“, wehrte der alte Hesekiel Ramsgate bescheiden ab. „Nehmen Sie es ruhig — als Vorschuß! Schließlich wollen die Arbeiter Geld sehen, oder nicht?“ „Es ist wirklich nicht nötig, Sir, es ist mir peinlich, Geld zu nehmen, bevor ich eine Arbeit beginne.“
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So war er, der alte Ramsgate, immer bescheiden, immer ehrlich und offen. Nicht allein aus dem Grund war er von einer Pleite in die andere gestolpert. Aber der Seewolf bestand darauf, daß der Alte den Beutet öffnete und sich den Inhalt ansah. „Das — das soll ein Vorschuß sein?“ fragte er stammelnd. „Das reicht ja für ein neues Schiff. Perlen und Goldstücke, das ist als Bezahlung viel zuviel, Sir.“ „Es ist nur ein Teil der Bezahlung. Der Rest folgt nach Fertigstellung, denn wir haben am Schiff eine Menge Arbeit. Mein Zimmermann möchte, daß alle später provisorisch eingezogenen Planken wieder ausgetauscht und durch neue ersetzt werden. Es gibt viel zu tun auf der ,Isabella'. Wann können wir aufdocken?“ „Morgen früh, Sir, wir fangen sofort an, bis dahin habe ich auch die Leute beisammen.“ „In Ordnung. Mein Zimmermann und meine Leute werden Sie kräftig unterstützen. Und jetzt schieben Sie nicht dauernd den Beutet hin und her, stecken Sie ihn endlich ein.“ Man sah es dem Alten an, wie schwer es ihm fiel, den Vorschuß einzusacken, aber unter Hasards zwingendem Blick tat er es schließlich doch. „Aber nur unter Protest, Sir“, bemerkte er leise. „Protestieren Sie, solange Sie wollen. So, und jetzt ist Mister Ribault an der Reihe.“ Der Franzose grinste verstohlen, blickte zu von Hutten, und zog ebenfalls einen Lederbeutel aus seinem Hemd hervor, den er auf den Tisch stellte. „Das ist der Vorschuß für uns“, sagte er. „Wir docken auf dem anderen Slip auf, das Schiff hängt voller Algen und Muscheln, und dann haben wir noch einige Sonderwünsche, die wir Ihnen aber noch genau mit-. teilen werden.“ Den neuerlichen Protest des Alten erstickte Ribault mit einer grinsend vorgetragenen Bemerkung: „Wenn Sie nicht wollen, Mister Ramsgate, dann gehen wir eben auf eine andere Werft, auf die Eastern Docks,
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zum Beispiel. Dort wird man sogar Vorschuß verlangen.“ „So war das nicht gemeint“, sagte der Alte und lächelte verschmitzt. „Nein, nein, Gentlemen, selbstverständlich übernehme ich den Auftrag, und ich garantiere für eine solide Ausführung.“ „Gerade aus diesem Grund haben wir uns auch an Sie gewandt“, sagte Karl von Hutten und trank sein Glas leer. Anschließend besprachen sie die ersten Einzelheiten, und der Alte ging sofort ins Detail und unterbreitete Vorschläge, wie man dies und jenes verbessern könnte. Erst Stunden später trennten sie sich in bestem Einvernehmen. Der Wind hatte leicht aufgebrist, und pfiff an diesem Spätnachmittag über den Plymouth Sound, bis das Wasser sich kräuselte und kleine Schaumkronen darauf tanzten. Auch durch die Straßen orgelte er, rüttelte an den Fensterläden der wie geduckt dastehenden Häuser und tobte weiter durch die engen Gassen. Carberry und die anderen fühlten sich wie zu Hause, und das waren sie hier ja auch. Carberry, der den anderen mit Riesenschritten vorauseilte, rieb sich zufrieden die Hände. „Gleich sind wir da“, sagte er grinsend und preßte seine Zweiliterflasche fester an sich. Die „Bloody Mary“, ein überaus bezeichnender Name für diese Schenke, befand sich an der Ecke Millbay Road und St. Mary Street. Sie war das Erbe des Großvaters von Nathaniel Plymson, das sein mißratener Enkel wie seinen Augapfel hütete. Dabei scherte es den dicken Plymson einen Dreck, was die Bürger von Plymouth von ihm und seiner Kneipe hielten. Daß sie eine Lasterhöhle war, in der die Seeleute ihren letzten Cent versoffen, wußte er selbst. Und daß es hier nicht mit rechten Dingen zuging, war auch jedem klar. Den Moralaposteln war diese Kneipe jedenfalls ein Dorn im Auge, und für Plymson war sie nichts anderes als eine ergiebige Goldgrube.
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Hinzu kam noch der Judaslohn für gepreßte Seeleute, den der dicke Plymson sich immer noch nebenbei verdiente. Die Seeleute, die ihm zum Opfer fielen, waren längst hinter der Kimm verschwunden, wenn sie aus ihrem Katzenjammer erwachten und sich auf einem fremden Schiff befanden. Die meisten wußten nicht einmal, wie ihnen geschehen war, und segelten dann einem ungewissen Schicksal entgegen. Die fünf Männer erreichten jetzt die Ecke Millbay Road und blieben andächtig stehen, von einem wohligen Schauer überrieselt. Ja, das war sie, die „Bloody Mary“, es war das altvertraute Bild, und sie glaubten, sie wären nur ein paar Wochen fort gewesen. Da hing immer noch das dicke Holzschild, da waren die paar Stufen, die in die Schenke hinunterführten, und da schaukelte im Wind die Laterne, die noch nicht angezündet war. Ob der große Stör noch über der Theke hing? fragte sich Ed. Ob Plymson immer noch seine miese verstaubte und schmierige Perücke trug? Sie brannten darauf, es zu erfahren, und beschleunigten jetzt ihre Schritte. Irgendetwas war an der Kneipe allerdings doch anders, dachten sie insgeheim, und dann hatten sie es heraus. Es gab eine neue Eingangstür, aus schwerer Eiche, und an der rechten Seite einen Anbau, der früher noch nicht dagewesen war. Aber das änderte trotz allem nichts an der Vertrautheit des Bildes. Carberry drückte die Tür auf und trat als erster ein. In der Schenke herrschte das übliche Halbdämmer, und er sah auf den ersten Blick, daß sich hier doch einiges verändert hatte. Der dicke Plymson hatte seine Spelunke frisch ausstaffiert. Die alten Tische und Holzbänke waren verschwunden, die Theke neu, und der Raum war frisch gekalkt worden. Aber der armlange Stör hing noch immer am alten Platz und hatte das Maul weit aufgerissen. Er war auch nicht mehr so verstaubt wie früher, irgendjemand mußte ihn in einem
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Anfall von Reinlichkeitswut gesäubert haben. Bis auf einen einzigen Gast war die Kneipe zu dieser Stunde wie leergefegt. Der einsame Zecher, der weiter hinten im Gewölbe auf einer Eichenbank hockte, hatte vor sich einen Humpen Rotwein stehen. Er selbst hatte die Arme auf den Tisch gelegt und schnarchte vernehmlich. Er wurde auch beim Eintritt der Männer nicht wach. Als Gary Andrews als letzter die Tür hinter sich schloß, geriet der mumifizierte Stör in lebhafte Bewegung, und es hatte den Anschein, als wolle er eiligst davonschwimmen, um dem ganzen Elend in Plymsons Kneipe zu entgehen. Carberry und die anderen lümmelten sich an die Theke und grinsten. Aus dem Hintergrund, dort wo Plymsons schmierige Küche war, drang Geklapper heraus. „Jemand da?“ fragte eine Stimme kurz. Carberry durchzuckte ein freudiger Schreck. Das war des alten Plymsons Stimme, kein Zweifel, ölig, dabei etwas grob, aber unverkennbar. „Fünf Mann!“ rief Ferris Tucker zurück. Das Geklapper hörte auf, gleich darauf tauchte der dicke Plymson höchstpersönlich auf. Er trug eine vormals helle Schürze um den dicken Wanst und wischte seine großen Hände daran ab. Er war noch fetter geworden, sein Gesicht war vom Saufen aufgedunsen, und seine hinterhältigen Äuglein verschwanden hinter dicken Fettpolstern. „Er hat eine neue Perücke, nicht zu fassen“, sagte Dan erstaunt. Plymson watschelte näher heran. Wie immer hatte er dabei sein geldheischendes verbindliches Grinsen aufgesetzt. Aber die Perücke, die er trug, hatte es wirklich in sich. Sie war schwarz mit langen geringelten Haaren und nagelneu. Auf Anhieb sah man nicht, daß er eine Glatze darunter hatte. Sein süffisantes Grinsen erstarb jäh. Er öffnete den Mund, riß die Augen auf und
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fuhr sich mit der Hand an den Hals, als sähe er Gespenster. Aus seiner Kehle drang ein heiseres Krächzen. „Ist was?“ fragte der Profos; und bemühte sich um ein charmantes Lächeln, das mit seinem narbigen Gesicht völlig mißlang und dem Kneipenwirt den Angstschweiß ;auf die Stirn trieb. „Das - das ...“ röchelte er, „das seid ja ihr, äh - von der ,Isabella', ihr - die Seewölfe.“ „Tag, Plymson“, sagte Ed freundlich und streckte dem feisten Wirt ebenso freundlich die Hand hin, die Plymson nur sehr zögernd ergriff. Auch die anderen vier benahmen sich ausgesprochen artig. Tucker gab ihm die Hand, lächelte ihn höflich an, dann reichte Matt Davies ihm die Hakenprothese, die Plymson mit spitzen Fingern vorsichtig ergriff. „Dan O'Flynn“, röchelte Plymson, als Dan ihn ebenfalls mit falscher Herzlichkeit begrüßte. Dann folgte Gary Andrews, und als die Begrüßung vorüber war, trat Plymson verlegen von einem Bein auf das andere und versuchte sich zu freuen. Dabei musterte er seine Schenke schon im voraus mit einem abschiednehmenden Blick. Vor seinem geistigen Auge sah er Bänke und Stühle durch die Gewölbe fliegen, Kerle über den Boden segeln und sich selbst, wie der Profos mit ihm den Boden aufwischte. „Ich wollte eigentlich schließen - heute“, sagte er schwach. Carberry klopfte ihm auf die Schultern und grinste ihn aus freundlichen Nasenlöchern an. „Aber Plymmie“, sagte er vorwurfsvoll. „Du kannst doch nicht schließen, wenn du noch gar nicht richtig aufgemacht hast. Ist es nicht so? Begrüßt man denn so seine alten und besten Freunde, die jahrelang unterwegs waren? Wie oft haben wir an dich gedacht“, sagte er salbungsvoll. „Immer, jeden Tag auf See, da haben wir von dir gesprochen. Stimmt's Dan?“ „Ja, natürlich“, log Dan. „Immer fragten wir uns: Wie mag es dem netten und freundlichen Plymmie nur ergehen? Ob er
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noch gesund ist, ob er überhaupt noch lebt?” „So, das habt ihr?“ fragte Plymson mißtrauisch. „Sogar der Seewolf sprach dauernd von dir, obwohl du ihm ja beinahe einen kleinen Schabernack gespielt hast. Aber er hat es dir nie ernstlich verübelt.“ „Ist das wahr?“ fragte Nathaniel Plymson gerührt. „Haben wir dich schon mal angelogen?“ „Nein, noch nie“, versicherte der Wirt hastig.. „Ja“, meinte Ed und blickte sich abschätzend um. „Wir hatten eigentlich vor, morgen hier eine kleine Feier zu veranstalten. Platz genug hast du ja jetzt, du hast dich vergrößert, was, wie?“ „Etwas nur“, stotterte Plymson, der den „guten Freunden“ immer noch nicht über den Weg traute. Wenn die hier morgen feiern wollten, dachte er, dann konnte er seine Kneipe getrost abschreiben, da blieben höchstens noch die Grundmauern stehen. „Eigentlich wollte ich verreisen“, log er schnell. „Dann muß ich natürlich ein paar Tage schließen.“ „Verreisen?“ fragte Ed gedehnt. „Kein Mensch verreist mehr heutzutage, das kannst du uns doch nicht antun. Ich weiß“, winkte der Profos ab, „du hast Angst um deine Bude, weil wir hier einmal einen Stuhl umgeworfen haben, aber das ist lange vorbei. Wir sind älter und friedlicher geworden, ist es nicht so, Jungens?“ „Klar, wir sind friedlich wie alte Matronen. Solange man uns in Ruhe läßt, fangen wir keinen Streit an. Ist es nicht so?“ fragte Matt Davies. „Klar ist es so“, versicherte Tucker. „Weshalb sollen wir uns ständig prügeln. Wir haben uns schon lange nicht mehr gehauen. Ist es nicht so, Gary?“ „Selbstverständlich“, antwortete Gary Andrews im Brustton der Überzeugung. „Wir wollen nur friedlich einen trinken. Ist es nicht so, Dan?“ Plymson schielte äußerst mißtrauisch von einem zum anderen.
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Wenn er den rauhen Gesellen nur Glauben schenken könnte, dachte er, aber eigentlich sahen sie ganz friedfertig aus. „Sicher ist es so“, sagte auch Dan trocken und blieb völlig ernst. Plymson war immer noch unentschlossen. Wenn er daran dachte, daß vielleicht morgen die ganze Meute von mehr als zwanzig Mann hier hockte, und dann noch der Franzose mit seiner Crew dazukam, dann die Fischer und Knechte, dann wurde ihm ganz übel, und er fühlte, wie sein Magen sich umkrempelte. Fünf von dieser Sorte hatten ihm die Kneipe schon restlos demoliert, und der junge O'Flynn war einmal sogar mit einem Gaul durch die geschlossenen Fensterscheiben gesprungen und hatte wie rasend auf eine Gruppe Fischer eingeprügelt. Damals war alles zu Bruch gegangen, sogar ihn selbst hätten sie 'rausgefeuert, und er hatte noch lange nachdenklich und schwermütig vor den Überresten seiner eigenen Schenke gestanden. Aber bezahlt hatten die Kerle immer, sogar überreichlich, das mußte der dicke Plymson zugeben. „Ich lade euch erst mal zu einem Schluck ein“, sagte Plymson hastig und holte sechs Zinnbecher aus dem Regal hinter der Theke. „Was darf's denn sein, Rotwein oder was anderes, was Scharfes?“ „Rotwein genügt“, sagte Carberry für die anderen. „Aber eigentlich wollten wir einen zur Begrüßung ausgeben.“ „Erst bin ich dran“, sagte der Dicke hastig, öffnete den Zapfhahn des Rotweinfasses und goß die Zinnbecher voll. Carberry achtete darauf, daß Plymson von demselben Zeug trank, und nicht versuchte, sie irgendwie anzuschmieren. Aber der Dicke dachte nicht daran. Er leerte seinen Becher auf einen Zug,. und wischte sich dann den Rotwein aus den Mundwinkeln. „Ihr trinkt aber langsam“, sagte er erstaunt. „Früher, da habt ihr gesoffen wie die Henker.“ „Wir sind eben nicht mehr so wild“, sagte Ed sanft. Er zog die Stirn kraus, als müsse
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er nachdenken, dann griff er unter seine Jacke, schnalzte genüßlich mit der Zunge und holte die Korbflasche hervor. Behutsam stellte er sie auf den Tresen. „Ein Geschenk für dich“, sagte er. „Das ist der lieblichste, herrlichste und süffigste Wein; den du je gekostet hast. Wir haben ihn aus Portugal, er wird dort von Jungfrauen zubereitet.“ „Von Jungfrauen?“ staunte der dicke Plymson und schielte auf die Korbflasche. „Ja, von Jungfrauen, deshalb ist der Wein auch so lieblich. Niemand anderer als Jungfrauen dürfen ihn stampfen.“ „Und der soll für mich sein?“ „Wir haben noch ein paar Flaschen davon, wir haben sie einem Weinbauern für viel Geld abgekauft“, log Ed ungerührt. „Hier, versuche mal einen Schluck.“ Bevor Plymson etwas entgegnen konnte, hatte Dan schön seinen leeren Becher ergriffen, den Korken herausgezogen, und die Flasche dem Profos zugeschoben, der eilig den Becher füllte. Er hob ihn an die Nase, schnüffelte, verdrehte verzückt die Augen und reichte ihn dann dem Wirt. Sonst war Plymson immer ein mißtrauischer Kerl. Er beschiß und betrog zwar die anderen, verfiel aber nicht auf den Gedanken, daß man mit ihm genauso verfahren könne. Er roch ebenfalls an dem Becher, dem tatsächlich ein lieblicher Duft entströmte. „Er riecht sehr gut“, stellte Plymson fest. Carberry nickte ernst. „Er ist wie - wie - äh - wie ist er, Dan?“ „Wie eine portugiesische Jungfrau, die bei Vollmond im Abendlicht badet“, stotterte Dan, dem nichts besseres einfiel. Ferris Tucker blies die Wangen auf und hustete. Gary Andrews verzog sein Gesicht zu einer fürchterlichen Grimasse, und Matt Davies besah sich angelegentlich seine Hakenprothese. Plymson setzte den Becher an, .als sie ihm zuprosteten. Doch bevor er den ersten Schluck nahm, setzte er ihn wieder ab. „Und ihr?“ fragte er. „Trinkt ihr nicht mit?“
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„Natürlich, aber unsere Becher sind ja noch mehr als halbvoll. Außerdem ist der Wein speziell für dich, mein Freund. Man schenkt einem Freund doch keinen Wein, um ihn selbst zu saufen, was, wie?“ Das sah Plymson ein, und so fühlte er sich geehrt, und setzte den Becher an. Gierig trank er ihn leer. „Hmm, das ist ein Tropfen“, lobte er. „Ein vorzügliches Weinchen.“ Er leckte sich schmatzend über die wulstigen Lippen und rülpste laut. „Der ist ja phantastisch. Man merkt, daß er wie eine portugiesische Jungfrau ist, so lieblich, so rein, so ...“ Er fand keine Worte mehr, schielte auf die Flasche und goß sich den nächsten Becher voll. Carberry betrachtete ihn ausdruckslos, animierte ihn dazu, weiter zu saufen, und grinste ihn freundlich an. Nach dem zweiten Becher dauerte es nur noch ein paar Minuten, dann wurden Plymsons Äuglein merkwürdig klein und kurzsichtig. „Ei — ein starkes Weinchen“, lallte er. „Ein sehr starkes Weinchen“, pflichtete der Profos bei. „Ein überaus starkes Weinchen“, sagte Dan. „Ein riesig starkes Weinchen“, sagte auch Ferris Tucker. Und Matt fügte hinzu: „Ein mehr als überaus riesig starkes Weinchen.“ Plymson stand hinter der Theke wie ein Elefant, dem man einen schweren Vorschlaghammer vor den Schädel gehauen hat, der sich aber noch nicht entschließen kann, endgültig umzufallen. Seine Säulenbeine fühlten sich wie Pudding an, seine fetten Arme rutschten immer wieder von der Theke ab. Er stierte und stierte, sein Blick wurde glasig, die ganze „Bloody Mary“ nahm gigantische Ausmaße an und wurde so groß wie eine riesige Halle, in der die Wände wackelten. „Der braucht ja fast noch länger als du, Ed“, sagte Dan O'Flynn staunend. Carberry goß noch einmal nach und reichte Plymson den Becher.
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Der nahm noch einen tiefen Zug, lallte etwas, das kein Mensch mehr verstand und begann wie ein Rohr im Wind zu schwanken. Sein Schädel pendelte vor und zurück, er nahm seine Umgebung jetzt gar nicht mehr wahr. Noch einmal versuchte er, sich zu halten, doch das heimtückische Gesöff begann immer stärker zu wirken. Er tat einen Schritt nach vorn, landete an der Theke, die unter dem Anprall erzitterte und raste zurück an die Wand, wo sich die Regale befanden. Dort griff er noch einmal haltsuchend um sich, und riß die gesamten Zinnbecher herunter. Carberry sah sich nach dem einsamen Zecher um, der immer noch vor sich hin schnarchte. Der merkte von alldem nichts, und zur Tür kam auch niemand herein. Dann erhielt Plymson den Rest. Seine Beine knickten endgültig weg, und die Kneipe erdröhnte unter dem schweren Fall, als er sich, mit dem Hosenboden voran, hart auf den Boden setzte, und sich dann der Länge nach ausstreckte. Sein Mund stand offen, und er sabberte. „Jetzt sieht er genau so aus wie der lausige Stör über der Theke“, sagte Matt Davies. Der Profos grinste auf den gefällten Riesen hinunter, nahm seinen Becher und trank ihn aus. „Bringen wir ihn nach achtern“, sagte er, „und wenn es dunkel ist, nehmen wir ihn mit.“ Sie schleiften Plymson in die Küche und verriegelten die Eingangstür der Kneipe von innen, falls überraschend Gäste auftauchten. Aber noch war die Zeit nicht da. Die. Gäste — Seeleute, Knechte, Gauner, Spieler und Huren - kreuzten erst später am Abend auf. Außerdem hatte Plymson ja noch seinen Diener, den groben Johann, der ihn solange vertreten konnte. Also würde es auch nicht sonderlich auffallen, wenn Plymson einmal fehlte oder irgendwelchen obskuren Geschäften nachging. Matt Davies sah etwas später nach, ob die Luft rein war.
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Der Wind hatte noch stärker aufgefrischt, aus den kleinen Wellen waren größere geworden, die in den Plymouth Sound donnerten und die Hafenanlagen berannten. Plymson schlief wie ein Toter. Als sie ihn hochhoben, grunzte er nur einmal und schlief weiter. „Mann, ist der Fettsack schwer“, sagte Tucker. „Den müssen wir zu zweit tragen, Ed.“ Immer noch war auf der Millbay Road und den angrenzenden Gassen niemand zu sehen. Die Katzenköpfe glänzten frisch und waren glatt, seit nieselnder Regen eingesetzt hatte. Tucker ergriff den Wirt bei den dicken Beinen, Carberry nahm seine Arme, und so schleppten sie ihn fort. Inzwischen hatte die Dämmerung eingesetzt, und der verhangene Himmel sorgte dafür, daß es schneller dunkel wurde als sonst. Den Seewölfen war das nur recht, denn es war nicht unbedingt nötig, daß die Einwohner von Plymouth sahen, wie sie den dicken Kerl durch die Gegend schleppten. Immer wieder sackte die schlaffe Gestalt des Wirtes durch wie ein loses Tau, und sie mußten ihn lang ziehen, bis es Carberry endlich zu bunt wurde. „Wir nehmen ihn in die Mitte, Ferris, aufrecht, und legen uns seine Patschhändchen über die Schultern. Dann sieht es so aus, als würden wir einen Besoffenen stützen.“ Plymson hing jetzt wie ein nasser Sack zwischen ihnen und schleifte die Beine nach. Aber es ging besser so, und sah auch nicht so verdächtig aus. Nur einmal wurde ihr Marsch zum Schiff kurz gestoppt. In der Straße, die zum Hafen führte, wurde ein Fenster geöffnet, eine Frauenstimme kreischte „Achtung!“ und im selben Augenblick ergoß sich der Inhalt einer Mitternachtsvase auf das Pflaster. Anschließend wurde das Fenster wieder zugeknallt.
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„Manieren sind das hier“, fluchte der Profos. „Das zieht einem ja die Stiefel aus. Statt Achtung zu brüllen, können die sich vorher doch wenigstens überzeugen, daß keiner vorbeilatscht.“ „Wenn in diesem Lausekaff ein Fenster geöffnet wird, muß man sich immer rechtzeitig in Deckung bringen“, sagte Dan. „Die Leute hier sind nicht zimperlich, was das Nacht-topfleeren betrifft.“ „Das habe ich gemerkt“, erwiderte Ed. „Zum Glück haben wir ja nichts abgekriegt.“ Die Silhouette der „Isabella“ tauchte aus dem Dunst von Nieselregen, etwas Nebel und Gischt auf. Die Galeone hob und senkte sich, und zerrte an den Tauen, die sie mit dem Land verbanden. Drei Mann befanden sich an Deck, als der Trupp aufkreuzte. Batuti, der riesige Neger aus Gambia, Jeff Bowie und Blacky, der ihnen grinsend entgegensah. Gleich darauf erschien auch der Decksälteste Smoky, der das Schott zur Vorpiek bereits geöffnet hatte. „Wo ist der Seewolf?“ fragte Tucker. „Achtern mit Ribault und Karl“, flüsterte Smoky. Sie stemmten die schwere Last über das Schanzkleid der Kuhl. „Mann, ist der Kerl schwer“, sagte auch Smoky staunend. „Aber es ist unverkennbar unser guter alter Freund Plymmie. Bei seinem Anblick wird einem ganz warm ums Herz.“ „Quatsch nicht soviel“, sagte Ed, und enterte auf. Plymson, immer noch fest und tief schlafend, wurde nach vorn gebracht. Dann verschwand er in der Vorpiek, wo Smoky mit einer Laterne leuchtete. „Sollen wir ihn anketten?“ fragte Blacky. „Ja, es wird wohl besser sein. Wenn er aufwacht, fängt er vielleicht an zu toben:“ Sie verfuhren mit dem dicken Plymson ähnlich, wie es mit den gepreßten Seeleuten meist auch geschah. Später würde der Dicke wenigstens einmal wissen, wie das war, wenn man an Bord eines fremden Schiffes erwachte, einen
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Brummschädel hatte und in den Dienst gepreßt wurde. Vielleicht färbte diese Erfahrung seine schwarze Seele ein wenig weißer, vielleicht hinterließ es aber auch nicht den geringsten Eindruck auf ihn. Der Profos vergewisserte sich, ob Plymson auch fest genug an dem Augbolzen hing, der tief im Eichenholz steckte. Der Augbolzen gab kein Stück nach. „So, jetzt kann er erst einmal auspennen“, sagte Tucker. „Habt ihr eigentlich die Korbflasche wieder mitgenommen?“ Nein, das hatten sie vergessen, außerdem war sie ohnehin zur Hälfte geleert. „Schiet auf die Buddel“, sagte Ed, und dachte auch nicht mehr daran. Aber weil sie die vergessen hatten, wurde Plymsons Kneipe heute nicht mehr geöffnet. * Als Plymsons Gehilfe, von den Seewölfen der grobe Johann genannt, durch die Küche nach vorn schlich und seinen Herrn und Meister suchte, entdeckte er auf der Theke die Zinnbecher und die angebrochene Buddel. Der grobe Johann sah einem Affen nicht unähnlich. Sein breitknochiges Gesicht mit den wulstigen Lippen und den tief zurückliegenden Augen erinnerte an einen Gorilla. Den Eindruck verstärkte seine Körperbehaarung noch. Aus dem Hemd quoll eine Handvoll schwarzer Wolle, und seine mächtigen Arme waren so stark behaart wie die eines ausgewachsenen Affen. Auch in seinem Gehirn liefen keine sonderlich aufregenden Prozesse ab. Zunächst suchte er immer noch Plymson und überlegte, wohin der wohl gegangen sein mochte. Dann fiel sein Blick auf den Penner am Tisch, der in einer Rotweinlache hockte. Er rüttelte ihn unsanft wach. Aber der einsame Zecher war sauer, knurrte, daß er Plymson nicht gesehen habe und schnarchte weiter. „Wird er wohl weggegangen sein“, brummte der grobe Johann, und bewies
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damit wieder einmal seineungeheure Kombinationsgabe. Dann näherte er sich der Buddel, schob sie erst nach rechts, dann nach links, hob sie hoch, roch daran und leckte sich die Lippen. Der Wein roch gut, sehr gut sogar, besser als das saure Zeug, das sie hier verkauften. Der grobe Johann dachte, daß die anderen Gäste das Zeug ebenso gut hätten austrinken können. Also fiel es gar nicht weiter auf, wenn er sich den Rest einverleibte. Er setzte die Korbflasche an und trank, setzte wieder ab, leckte sich die Lippen und trank wieder. Seine Schlucke wurden immer größer und gieriger. Innerhalb kurzer Zeit hatte er die Buddel bis auf den Boden geleert. Danach wurde ihm sehr blümerant zumute. Er kniff ein Auge zu, öffnete es wieder, hatte aber alle Mühe, es offen zu halten. Dann begann die Spelunke sich zu drehen. Erst langsam, dann raste sie immer schneller um ihre Achse und wurde immer größer. Daß draußen Gäste an der verriegelten Tür klopften, hörte der grobe Johann nur im Unterbewußtsein. Er war nicht mehr fähig, darauf zu reagieren. Plötzlich wurde der Blick seiner Augen glasig, die Theke stand hoch über ihm auf dem Kopf und fiel dann mit voller Wucht nach unten. Das begriff er nicht, und er wunderte sich noch darüber. Doch ein paar Sekunden später wunderte er sich nicht mehr. Die Lichter gingen für ihn aus, er blieb der Länge nach hinter der Theke liegen. Aus diesem Grund war Plymsons „Bloody Mary“ für den heutigen Tag geschlossen. * Dieser Abend in Plymouth verlief für die Seewölfe besonders friedfertig und ruhig. Bis auf die Deckswachen hockten sie alle im Mannschaftsraum, erzählten, tranken und würfelten. Ein paar aus Ribaults Crew waren noch dabei, und so gab es ständig Heiterkeitsausbrüche, wenn auf den dicken
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Plymson die Rede kam, der jetzt sanft und friedlich in der Vorpiek schlummerte. Ab und zu sah Smoky nach ihm, ob auch alles in Ordnung war. Der Dicke erwachte nicht, er schnarchte weiter. „Der pennt glatt bis morgen früh durch“, versicherte der Decksälteste. Einmal erschien Hasard in dem Raum. Er blieb am Schott stehen und sah sich erstaunt um. Da hockten die Landgänger Carberry, Tucker, Andrews, Davies und Dan O'Flynn in aller Harmlosigkeit, tranken und würfelten. Hasard zog mißtrauisch die Augenbrauen zusammen. „Ich sehe wohl nicht recht“, sagte er verwundert. „Ich denke, ihr hockt in Plymsons Kneipe und laßt euch vollaufen. Seid ihr unter die frommen Brüder gegangen?“ Carberry grinste lahm, und versuchte, so etwas wie Treuherzigkeit in seinen Blick zu legen. „Nichts los bei Plymson“, sagte er verächtlich. „Dazu kommt noch dieses Sauwetter, der Wind und der Regen ...“ „Der Wind und der Regen?“ wiederholte der Seewolf ungläubig. „Seit wann stören euch denn Wind und Regen? Und seit wann regnet es in Plymsons Kneipe? Da hockt ihr doch im Trockenen!“ „Nun ja“, wich Ed aus, „es ist eben nicht das Richtige. Heute fehlt einfach das Salz in der Suppe.“ „So, es fehlt das Salz in der Suppe.“ Er schüttelte den Kopf, sah den Profos scharf an und versuchte, dessen krause Gedankengänge zu ahnen. Aber es war vergeblich, er stieg nicht dahinter. Aber er kannte Ed. Wenn der sich so betont harmlos gab, dann stimmte etwas nicht, dann waren Kakerlaken in der Suppe. Denn auch die anderen vier schauten so unschuldsvoll wie Posaunenengel und waren ganz in ihr Würfelspiel vertieft. „Morgen, Sir“, sagte Ed. „da ziehen wir los, da lassen wir die Puppen tanzen.“ „Hat es eine Schlägerei gegeben?“ forschte der Seewolf, „oder besteht die Kneipe nur
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noch aus einem Trümmerhaufen und ist deshalb dort nichts mehr los?“ „Keine Spur, Sir, niemand hat sich geprügelt. Es ging alles sehr lammfromm zu.“ Hasard blieb immer noch mißtrauisch. „Was hat denn Plymson gesagt, als er euch sah?“ „Oh, er hat sich sehr gefreut, Sir. Wirklich, er freute sich, und eine neue Perücke hat er auch. Er hat auch einen ausgegeben, und wir haben uns revanchiert.“ „In welcher Form?“ „Indem wir auch einen ausgaben, Sir.“ „Mit den Fäusten?“ „Rotwein, Sir.“ „Soso, ihr habt .Rotwein ausgegeben. Wenn ich erfahre, daß es etwas gegeben hat, ziehe ich euch die Hälse lang, ihr Plattfische. Irgendetwas stimmt nicht mit euch, das weiß ich.“ Hasard konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, daß alles so harmlos verlaufen war, obwohl Ed das beteuerte. Gerade der Profos hatte immer wieder unterwegs davon geschwärmt, wie sie Plymsons Saftladen auseinander nehmen und mit seiner Perücke den Boden aufwischen würden. Und jetzt hockten sie hier wie die Lämmergeier und spielten, obwohl sich ganz in der Nähe die „Bloody Mary“ befand, das rote Tuch für die Seewölfe. Kopfschüttelnd ging der Seewolf wieder hinaus. Die absolute Harmlosigkeit der Kerle gefiel ihm nicht. Als er verschwunden war, sagte Ed: „Vielleicht haben wir uns doch übernommen. Wenn er es morgen erfährt, ist an Bord der Teufel los, und dann läßt er die Puppen tanzen. Und ihr wißt ja, wenn er sie tanzen läßt, dann springen sie ganz besonders hoch.“ „Was sollen wir denn tun?“ fragte Smoky. „Den Dicken wieder zurückbringen und vor seine Kneipe legen?“ Carberry und Tucker warfen sich einen Blick zu. Dann schüttelte der Profos den Kopf. „Nein, jetzt ziehen wir das Spielchen durch. Dieser alte Gauner soll einmal
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erfahren, wie es ist, wenn man als gepreßter Mann auf einem fremden Schiff erwacht. Wir wollen ihn nur läutern, das ist mir der Spaß wert, und die Verantwortung übernehme ich auch. Dafür stehe ich gerade.“ Die anderen blieben dennoch skeptisch, weil sie nicht wußten, wie der Seewolf darauf reagieren würde. , Auch wenn er sich noch so verbindlich gab, so konnte er trotzdem von einer Sekunde zur anderen explodieren und aus der Haut fahren, und dann war auf der „Isabella“ wirklich die Hölle los. Sie würfelten weiter, etwas kleinlauter jetzt, und tranken nur noch ab und zu. Kurz vor Mitternacht kehrte Ruhe auf der „Isabella“ ein. * Am anderen Morgen war der Himmel grau und regen verhangen und von nebligem Dunst durchsetzt. Die Sicht betrug nur ein paar hundert Fuß, der Wind wehte immer noch kräftig. Auf der „Isabella“ wurden die Leinen gelöst und die Segel gesetzt, damit sie nach Rame Head verholen konnte, hinter die kleine Landzunge, wo Ramsgates Werft lag. Die „Le Vengeur“ wollte ein wenig später folgen, damit sie sich bei dem Manöver nicht gegenseitig behinderten. Während sich das Schiff langsam vom Kai löste, warf der Profos dem Decksältesten einen fragenden Blick zu. „Er pennt noch“, raunte Smoky, „vor einer halben Stunde habe ich nach ihm gesehen.“ „Hoffentlich erwacht er bald, sonst haben wir die Landzunge gerundet, und er glaubt uns kein Wort.“ Aber Nathaniel Plymson war bereits erwacht. Er hatte einen Brummschädel, versuchte, um sich zu tasten und stellte fest, daß es nicht ging. Seine anfängliche Verwunderung verwandelte sich in Entsetzen. Er lag der Länge nach ausgestreckt auf einem harten Untergrund. Würgende Angst packte ihn,
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weil er sich nicht erklären konnte, wo er sich befand. Angstvoll lauschte er auf die vielfältigen Geräusche, die auf ihn eindrangen. Sein anfänglicher Gedanke, er hätte einen fürchterlichen Alptraum, verschwand sehr schnell. Zunächst hörte er leises Gurgeln, dann das unverkennbare Geräusch, das Wellen erzeugten, wenn sie an einen Schiffsrumpf schlugen'. Dann spürte er ein leises Schlingern, hörte das Knarren von Blöcken und Taljen, und über sich Schritte, die wie Gongs in seinen Ohren dröhnten. Kein Zweifel, er befand sich auf einem Schiff! Diese ungeheuerliche Erkenntnis ließ ihn vor Angst fast wahnsinnig werden. Er atmete vor Entsetzen nur noch ganz flach, und versuchte fieberhaft, sich die letzten Stunden in Erinnerung zu rufen. Er war in seiner Schenke gewesen, dann erschienen fünf der rauhen Seewölfe, und er gab eine Runde aus. Dann, ja dann hatten sie auch einen ausgegeben. Er entsann sich dunkel an eine Korbflasche, aus der er getrunken hatte. Von da an ging es nicht mehr weiter, da, setzte es bei ihm aus. Mein Gott, dachte er voller Entsetzen, was war danach bloß passiert, und was sollte das alles? Plymson zitterte an allen Gliedern. Stockfinster und kalt war es um ihn herum. Seine Hände und Beine hatte man gefesselt, so daß er sich kaum rühren konnte. In seine angstvollen Überlegungen drangen Worte, irgendjemand schrie mit harter Stimme Befehle, die das Segelsetzen betrafen. Ein anderer brüllte ganz in seiner Nähe, daß es verdammt langsam Zeit würde, den lausigen Hafen zu verlassen, denn den neuen Koch hätten sie ja endlich, zum Teufel, und jetzt könnten sie getrost ihre Reise nach Amerika fortsetzen. Es dauerte eine ganze Weile, bis Plymson begriff, daß er den neuen Koch abgeben sollte. Er schluchzte laut, und erstickte fast vor Angst. Sie hatten ihn gepreßt, zum Dienst
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gezwungen auf ein Schiff: Und um welches Schiff es sich handelte, war ihm jetzt auch klar. Es konnte nur das Höllenschiff der Seewölfe sein. Da war er in die Hände von wahren Teufeln geraten. Mindestens einmal täglich würden sie ihn auspeitschen, kujonieren und bis aufs Blut peinigen, vielleicht sogar in den haiverseuchten Gewässern kielholen, bis, die Haie sich an ihm festbissen, und er nur noch ein beinloser Krüppel war. Er stieß einen hohen, erstickten Schrei aus und versuchte, sich aufzubäumen. Doch es ging nicht. Dafür hörte er ein leises Murmeln, Wasser plätscherte, und gleich darauf überrollte ihn eine etwas übel riechende Brühe, die im gleichen Rhythmus vor und zurück schwappte. Wieder schrie er. Jetzt ging es fort von England, er würde seine geliebte Schenke nie wiedersehen und nicht mehr lange, dann war er ein toter Mann. Entsetzlich, dieser Gedanke, wenn er ihn weiter ausmalte. Das Schiff befand sich schon auf hoher See, das glaubte er deutlich an den schaukelnden Bewegungen zu spüren, und wieder brüllte er seine grenzenlose Angst hinaus. Nein, das war unmenschlich, das war bestialisch, das durfte man keinem antun, dachte er immer wieder, und dann wurde er plötzlich sehr kleinlaut und nachdenklich. Was war denn denen geschehen, die er wie Ware an die Preßgangs verscheuert hatte? Waren die nicht auch irgendwann aufgewacht und vor Entsetzen und Angst wie gelähmt, daß sie aus ihrer vertrauten Umgebung verschwunden waren und sich auf hoher See befanden? Und er selbst, Plymson, hatte sich nie etwas dabei gedacht. Er hatte lediglich kassiert, alles andere war ihm gleichgültig gewesen. Alle Schuld rächt sich auf Erden, dachte er, und er hoffte zugleich, daß alles nur ein Irrtum war, und daß sie ihn vielleicht wieder zurückschicken würden, wenn sie
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ihn in seinem jämmerlichen Zustand sahen. Er war doch Nathaniel Plymson, der bekannte Wirt aus Plymouth. Aber gleich darauf wurde er eines Besseren belehrt, denn jetzt näherten sich Schritte, mehrere Männer mußten es sein, die das Schott öffneten und mit Laternen hereinleuchteten. Im Schein der flackernden Lampe erkannte Plymson die riesige Gestalt des Profos der „Isabella“ und sein narbiges Gesicht, das grimmig auf die Planken blickte. Hinter ihm erschienen noch mehrere düster blickende Seewölfe. Jetzt ist alles aus, dachte er angsterfüllt. Ausgerechnet diesen Kerlen war er in die Hände gefallen, die gnadenlos seine Kneipe zertrümmerten und mit dem Ball spielten. „Ha, seht euch das Rübenschwein an!“ rief der Profos laut. „Er ist wach, und er freut sich schon auf die Arbeit. Binde ihn los, Smoky, der Kerl wird gleich an Deck gebraucht.“ Plymsons Stimme klang weinerlich, und er verzog das Gesicht. Seine nagelneue Perücke war verrutscht und durchnäßt. Sie hing ihm auf der rechten Seite über das Gesicht, so daß man links jetzt seinen riesigen kahlen Schädel sah. Der eine Kerl band ihn los und grinste gemein. „Ich bin doch Plymson“, kreischte der Dicke entsetzt, als der Profos ihn mit einem Ruck auf die Beine stellte. „Der gute alte Nathaniel Plymson, das muß doch ein Irrtum sein!“ „Kein Irrtum“, sagte der Profos hart. „Du bist Plymson, ist doch klar, aber wir haben keinen anderen gekriegt. Und jetzt an Deck mit dir, du plattfüßiger Wanderkrebs, zuerst in den Großmars, und anschließend bereitest du das Frühstück.“ Plymson fiel auf die Knie, bettelte und flehte, aber sein Flehen stieß auf taube Ohren. Die rauhen Gesellen lachten nur höhnisch. „Ihr habt doch einen Koch“, jammerte der Dicke. „Da braucht ihr mich doch nicht!“ „Unser Koch meutert gerade“, sagte Ed. „Deswegen haben wir ihn an die Rah
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gehängt. Dort baumelt er jetzt und feiert mit des Seilers Tochter Hochzeit.“ Sie übertrieben gewaltig und amüsierten sich köstlich über den dicken Plymson, der seine Angst immer lauter hinausbrüllte, die Knie des Profos umklammerte und um sein Leben winselte. „Ich gebe euch Geld!“ kreischte er. „Alles was ich habe, und noch mehr, ich borge mir noch welches.“ Wieder lachten sie, und einer sagte etwas, das Plymsons Blut zu Eiswässer werden ließ. „Ich glaube, er braucht erst mal zehn Schläge mit der Neunschwänzigen, so will es die Ordnung. Schließlich ist er neu an Bord.“ „Gut“, sagte der Profos, „dann bindet den Kerl an den Mast und zieht ihm zehn Hiebe über!“ Plymson sah sich schon zu Tode gefoltert, und als der Profos ihn einmal kurz losließ, sah er seine Chance, als er eine Lücke zwischen den Kerlen erspähte. Plymson rannte wie von Furien gehetzt los, stürmte schnaufend vor Angst und Entsetzen durch den kleinen Gang und flitzte einen Niedergang hoch. Das unbändige Gelächter der Kerle hörte er nicht. Er hatte nur noch Todesangst, gefoltert und gepeitscht zu werden. An Deck blieb er entsetzt stehen, sah sich nach seinen Verfolgern um und war wie gelähmt. Die „Isabella“ hatte sich längst von der Pier gelöst und segelte unter fast vollem Zeug hinaus. Nein, Plymson wollte nicht mit, das war nicht sein Geschäft. Lieber sprang er über Bord und ersoff, als diesen Kerlen in die Hände zu fallen. Vielleicht schaffte er es auch noch, bis zur Anlegestelle zurück zu schwimmen. Unschlüssig stand er da, blickte nach achtern, und sah auf dem Achterkastell den Seewolf stehen, diesen schwarzhaarigen Teufel, dessen Haare wild im Wind flatterten, und der seine schneeweißen Zähne zeigte. Vielleicht war das seine Rettung, dachte er, denn jetzt johlte die Meute aus der Vorpiek
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hinter ihm her, um ihn seiner Strafe zuzuführen. Er würde den Seewolf um Gnade anflehen, betteln und solange schreien, bis der ihn erhörte oder über Bord warf. Gequält schloß er die Augen. Natürlich würde dieser Teufel sein Schwert oder seinen Degen ziehen und ihn auf der Stelle köpfen. Er sah nicht mehr, daß sich die anderen vor Lachen bogen. * Einen Augenblick war der Seewolf wie versteinert. Kein Zweifel, dachte er, was da vorn feist, massig und mit verrutschter Perücke, vor Angst irre flackernden Augen an Deck stand und wie ein großer Pudding zitterte, war kein anderer als der übelbeleumdete Wirt der „Bloody Mary“ Nathaniel Plymson. Anfangs glaubte Hasard ein Gespenst zu sehen, denn die Erscheinung war einfach zu unwirklich. Wie, zum Teufel, gelangte Plymson an Bord der „Isabella“, und was wollte er hier? Er fand keine Erklärung dafür. Da schoß hinter ihm eine Meute Seewölfe an Deck, grölend und lachend, und griff nach dem wie versteinerten Plymson. Als sie sahen, daß der Dicke sich jetzt in Richtung Achterkastell in Bewegung setzte, hetzten sie hinterher, doch dann blieb der . Profos plötzlich stehen. „Au Backe“; sagte er trocken, „jetzt kommt Sturm auf! Seht nur das Gesicht des Seewolfs! Mist verdammter.“ Plymson hetzte los, fiel einmal über eine Taurolle, überschlug sich an Deck, wurde von einem keckernden Affen verfolgt, der ihn unbedingt beißen wollte, und erreichte schließlich mit einem Riesensatz, den ihm niemand zugetraut hätte, das Achterkastell. Carberry, Tucker und Smoky folgten nur sehr langsam und zögernd. „Hast du dafür eine Erklärung, Ben?“ fragte Hasard seinen Bootsmann, der neben ihm auf dem Achterkastell stand. „Ich — ich glaube schon“, sagte Ben lahm.
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Aber er kam nicht mehr dazu, diese Erklärung abzugeben, denn jetzt warf sich der dicke Plymson vor dem Seewolf auf die Knie, hob sein verheultes Gesicht hoch und schrie angstvoll: „Ich bin gepreßt worden, Sir, bitte helfen Sie mir, Sir! Ich verspreche Ihnen alles, was ich besitze.“ Hasards Gesichtsausdruck war immer noch starr. Er begegnete dem Blick des Profos. Sekundenlang brannten sich ihre Blicke fest ineinander. Ed wirkte überaus verlegen, und da wußte der Seewolf, daß der Profos wieder mal eine miese Tour ausgeheckt hatte, die ihm jetzt selbst über den Kopf wuchs. Und Plymson schrie immer noch gequält: „Sir, retten Sie mich, ich will nicht auf dieses Schiff! Bitte, Sir, helfen Sie mir!“ Schlagartig wurde Hasard klar, was hier gespielt wurde. Deshalb war also gestern nichts los gewesen in der „Bloody Mary“, deshalb waren die Kerle scheinheilig an Bord geblieben. Jetzt wußte er genau, was hier lief, und der Profos nahm an, daß er den Bogen weit überspannt hatte, denn er sprach kein Wort. Nur in seinen Mundwinkeln stand ein kleines Grinsen, das wie erstarrt schien. Die ganz große Überraschung für den Profos und die anderen folgte Sekunden später, als Plymson nochmals versicherte, er könne nicht kochen, und sie sollten ihn, bitte sehr, doch lieber über Bord feuern, als ihn diesen Gesellen auszuliefern. „Du fährst jetzt als Koch auf der ,Isabella“, sagte Hasard zur großen Überraschung seiner Männer. „Wir brauchen nämlich einen. Und an Land kann ich dich nicht bringen, wir sind bereits auf See. Trage es also wie ein Mann, Nathaniel Plymson, und heule mir nicht die Ohren voll. Du bist nur gepreßt worden, weiter nichts, das geschieht doch jeden Tag ein paarmal.“ Jetzt wurde Carberrys Grinsen breiter, er wirkte geradezu erleichtert, Der Seewolf spielte mit, er nahm es ihnen nicht übel, er hatte sofort begriffen, daß sie dem dicken Plymson lediglich eine kleine Lektion erteilen wollten. „Das finde ich großartig von ihm“, sagte Ed und grinste noch infamer als zuvor.
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Plymson aber standen Tränen in den Augen, als der Seewolf ihn leicht anstieß und sagte: „An die Arbeit finit dir, marsch! Oder muß der Profos dir erst Manieren beibringen?“ Plymson wankte davon, benommen, todtraurig, als hätte er alle seine Freunde persönlich beerdigt. So also sah das weitere Leben für ihn aus. Schuften, bis ihm die Knochen brachen, fern der Heimat, irgendwo auf See, wo kein Hahn mehr nach ihm krähte, wo sein Leben keinen Cent wert war. Er stellte sich ans Schanzkleid, und die würgende Angst, die ihn noch immer gepackt hielt, betitelte seinen Magen. Der dicke Plymson fütterte laut rülpsend vor Angst die Fische. „So ist es recht“, sagte der Profos, und hieb ihm seine schwere Pranke auf die Schulter. „Kotz dich nur aus, Plymmie, dir werden schon noch Seebeine wachsen, und wenn du die Heringe gefüttert hast, dann geht's an die Arbeit. Klar?“ „Klar, Sir“, gluckste Plymson kläglich. Noch nie in seinem Leben war es ihm so hundserbärmlich ergangen. In Hasards Augen tanzten tausend kleine Teufel, als der Dicke mühsam versuchte, sich seine zerzauste Perücke wieder richtig auf den blanken Schädel zu stülpen. Himmel, wie mußte dem Burschen jetzt wohl zumute sein! Vielleicht empfand er jetzt einmal mit jenen Männern mit, die er bedenkenlos gegen Silberlinge verhökert und verraten hatte. „Los, und jetzt erst mal nach vorn in die Kombüse“, herrschte Ed den Dicken an. „Dort hast du einen Gehilfen, der dich auf Trab bringen wird. Und wehe dir, dein Fraß schmeckt heute nicht, oder ich finde auch nur eine triefäugige Kakerlake in der Suppe, dann wird dein Hals so lang wie der Großmast.“ Plymson wankte davon, ein zum Dienst Gepreßter, der mit dem Leben längst abgeschlossen hatte. Todunglücklich landete er vorn beim Kutscher, der den Dicken mit in die Seite gestemmten Armen empfing.
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„So, du Warzenschwein“, sagte der Kutscher genüßlich. „Hat es dich endlich auch einmal erwischt? Sieh dich um, Dicker, und dann bring den Abfallkübel an Deck und kippe ihn aus. Aber hurtig, verstehst du? Sonst landest du auf der Herdplatte!“ Als der entnervte Plymson wieder an Deck erschien, diesmal mit dem Abfallkübel in den zitternden Händen, musterte ihn Smoky. „Auf die andere Seite, du glatzköpfiger Algenfresser. Oder willst du den ganzen Dreck in die Schnauze kriegen?” „Mit mir geht es zu Ende“, hauchte Plymson. „Was ihr mir antut, ist zuviel, das ist Menschenhandel.“ „Du handelst doch selbst mit Seeleuten“, sagte Smoky. „Und, verdammt noch mal, leer den Kübel gefälligst richtig aus, da hängt ja noch die Hälfte drin.“ Ein Windstoß riß Plymson die Perücke vom Kopf. Im letzten Moment grapschte er noch danach, und so landete sie statt außenbords in dem mit Suppen- und Abfallresten verschmierten Kübel. . „Sieht aus, als wäre der Mond aufgegangen“; sagte Smoky, und deutete auf Plymsons kahlen Schädel. Plymson griff in die Schmiere Und stülpte sich seine zermatschte Lockenpracht wieder auf den Schädel. Jetzt sah er direkt zum Fürchten aus. „Wo — wohin geht die Fahrt jetzt?“ fragte er ängstlich. Smoky blickte ihn düster an. „Zunächst zu den mordgierigen Piraten. Dort wirst du einmal richtig das Entern lernen und aufpassen, daß deine Rübe nicht über Deck rollt. Dann geht's zu den Wilden, den Kopfjägern. Du wirst noch ganz schön abnehmen unterwegs, Plymmie, denn manchmal gibt es tagelang nichts zu essen und zu trinken, höchstens einen Schluck verfaultes Wasser oder ein paar Ratten aus der Vorpiek. Hast du schon mal Ratten gefressen?“ „Nein, noch nie“, flüsterte Plymson entsetzt. „Das lernst du noch, sobald du Hunger hast. Mitunter ist es auf diesem Schiff
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entsetzlich, dann tobt der Seewolf und läßt alle Männer auspeitschen, besonders die Neuen. Dich wird er wahrscheinlich zum Rattenfangen einteilen, denke ich.“ Smoky malte ihm die Zukunft in den düstersten Farben, bis dem dicken Wirt wieder Tränen des Selbstmitleids in die Augen traten. Wehmütig blickte er auf das entschwindende Land und dachte an seine Schenke, wo er so gemütlich hocken und die anderen Leute kräftig übers Ohr hauen konnte. Jetzt war das vorbei. Jetzt segelte er anscheinend mit einer Horde wilder Teufel direkt in die Hölle, oder zu den mordgierigen Piraten, oder den Kopfjägern. „Wie — wie ist das mit den Ratten?“ fragte er schaudernd. „Oh, ganz einfach“, erklärte Smoky. „Dort, wo sie Löcher in die Planken gefressen haben, legst du dich auf die Lauer, und dann hältst du deinen dicken Finger vor das Rattenloch. Die Biester sind verflucht hungrig, sage ich dir. Sobald sie auch nur deinen Finger sehen, beißen sie sich daran fest. Du brauchst sie nur noch aus dem Loch rauszuziehen.“ Plymson schüttelte sich vor Entsetzen, aber Smoky schien das nicht zu bemerken, sondern fuhr ungerührt fort: „Du kennst doch den Mann mit der Hakenprothese, oder?“ „Ja, den kenne ich.“ „Das war früher unser Rattenfänger, aber jetzt haben ihm die Ratten schon die ganze Hand abgenagt, und weil er die andere für die Decksarbeit braucht, setzt ihn der Kapitän nicht mehr ein. Dann kam der andere an die Reihe, und nach einer Weile mußte er auch so einen Haken tragen. Die Ratten sind einfach zu hungrig, weißt du! Na, du hast ja noch alle Finger, und ich bin sicher, daß der Schiffszimmermann dir auch eine gute Prothese anfertigen wird. Welche Hand brauchst du denn mehr, die rechte oder die linke?“ „Die rechte“, winselte Plymson. „Dann nimmst du eben die linke. Und jetzt verpiß dich wieder unter Deck, ich habe
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schon viel zuviel mit dir gequasselt, das ist hier nämlich nicht üblich.“ Plymson verschwand mit tränenden Augen, während Smoky sich oben am Schanzkleid festhielt und vor Lachen fast erstickte. Die „Isabella“ segelte weiter, Rame Head entgegen, und jetzt löste sich vom Pier auch Ribaults Schiff und setzte Segel. Hasard auf dem Achterkastell verbiß sich das Lachen. Gut, er hatte das üble Spielchen mit Plymson eine Weile mitgespielt, aber sie sollten es nur nicht übertreiben, sonst kriegte der Dicke noch einen Herzanfall. So schauerliche Geschichten hatte selbst der abgebrühte Plymson vermutlich. noch nie in seinem Leben vernommen. Später würden sie ihn laufen lassen, überlegte Hasard, mit frisch geläuterter Seele und frohem Herzen, daß er noch einmal so glimpflich davongekommen war. Aber bis Rame Head sollte der alte Gauner und Halsabschneider ruhig noch ein wenig schwitzen. * Bei dem auflandigen Wind wurde das Anlegemanöver etwas schwierig, aber mit slippendem Anker schafften sie es. Der alte Hesekiel Ramsgate hatte bereits die ersten Leute angeheuert, die die riesigen Wagen ins Wasser ließen, um sie unter den Rumpf des Schiffes zu schieben und auszurichten. Auf diesen Wagen sollte die „Isabella“ mit Hilfe von Taljen und Blöcken dann auf die schräg geneigte Ebene gezogen werden. Die sechs großen Wagen liefen auf festverlegten Schienen, die tief hinein ins Wasser führten. Der Werftbesitzer Ramsgate hatte es jedoch nicht sehr eilig, und erklärte es dem ungeduldigen Schiffszimmermann, der dauernd anfragte, weshalb es nicht weiterginge. „Das Schiff hochzuziehen, erfordert einen unheimlichen Kraftaufwand, Mister Tucker“, sagte er. „Da müssen alle Leute ranklotzen und noch einige mehr. Deshalb
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warten wir immer die Flut ab, ziehen das Schiff auf dem Wasser weiter über die Wagenböcke und richten es dann immer wieder aus. Das dauert nur zwei Stunden länger, aber niemand braucht sich abzurackern. Zum Schluß sind es nur ein paar Yards, die wir das Schiff über die Winden bewegen müssen. Es legt sich dann von selbst fest, oder fast von selbst. Jedenfalls ist kein großer Kraftaufwand erforderlich.“ „Ja, das sehe ich ein“, sagte Tucker. „Das sind tatsächlich nur ein paar Yards.“ „Das sage ich doch“, erwiderte der alte Ramsgate verschmitzt. Zwei Jakobsleitern hingen außenbords, über die jeder das Schiff verlassen konnte. Später sollte eine Rampe bis direkt an das Schanzkleid gestellt werden, damit man sicher über breite Holztreppen gehen konnte. Die Flut stieg langsam höher. Die „Isabella“ lag lose auf den Wagenblöcken, und wurde mit Hilfe von langen Tauen immer wieder ein Stück weiter dirigiert, bis der alte Ramsgate verkündete, sie läge jetzt auf allen sechs Wagenböcken fest auf und brauchte nicht weiter ausgerichtet zu werden. Etwas später hatte die Flut ihren höchsten Punkt erreicht, und beide Schiffe lagen auf den Böcken. Die Männer gingen an die Winden, Taljen und Blöcke, unterstützt von der Crew Ribaults, und holten die Wagen, einschließlich des Schiffes, hoch an Land. Unter dem anfeuernden Gebrüll des Profos' zerrten und zogen sie, bis der Rahsegler eine Handbreit nach der anderen höher aufs Trockene geriet. Andere Männer sorgten dafür, daß das Schiff nach keiner Seite krängen konnte, indem sie es durch ein ausgeklügeltes System von Kraftarmen und Hebeln genau hielten. Anschließend wurde der Segler verpallt und so abgestützt, daß er unbeweglich auf den Wagenböcken ruhte. „Donnerwetter“, sagte Ramsgate staunend, „sieht die aber sauber aus. Ganz frisch und neu. Wart ihr kürzlich auf einer Werft, Sir?“
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„Ja, in Tanger. Sie war so voller Muscheln und Algen, daß sie sich nach dem Krängen kaum noch von selbst aufrichtete.“ Er drehte sich um und winkte den rothaarigen Schiffszimmermann Ferris Tucker herbei, der seine riesige Axt wie ein Spielzeug in der Hand hielt und probeweise mal gegen die eine oder andere Planke klopfte. Die beiden Männer begrüßten sich. Sie kannten sich seit langem, und Ferris hatte den alten Schiffsbaumeister mit der Konzeption einer Ruderanlage anstelle des Kolderstocks überrascht. „Erkläre Mister Ramsgate noch einmal genau, was wir an Veränderungen wünschen, Ferris, und notiere alles ganz genau. Du bist der Fachmann, das ist deine Aufgabe. Laß also alles nach deinen Vorstellungen ausrichten. Big Old Shane ist auch gleich da, er hat auch noch ein paar gute Ideen.“ „Aye, Sir, das gibt eine Menge Arbeit.“ Vom Deck her roch es lieblich nach gebratenem Schinken und Eiern. Dazu gab es frisches Maisbrot, heißen grünen Tee und dahinein einen kräftigen Schuß Rum wegen der Kühle. „So, du Stint“, sagte der Kutscher zu Plymson, der sich in seiner Rolle als Gepreßter todunglücklich fühlte, und immer wieder kurz vor dem großen Heulen war. „Das bringst du jetzt in die Messe. Die Seewölfe essen immer abwechselnd, weil jetzt knochenharte Arbeit auf sie wartet.“ Plymson nickte kläglich und fragte, was denn eine Messe sei, und wo sie sich befände. Er hatte in der Kombüse wohl gehört, daß sich einiges geändert hatte, aber er wäre nie auf den Gedanken verfallen, daß die „Isabella“ jetzt auf dem Trockenen lag. Er glaubte sich immer noch auf See, und war nur etwas ruhiger geworden, weil das Schiff sich nicht mehr so hart durch die Wellen arbeitete. Der Kutscher erklärte ihm geduldig den Weg und drückte ihm die riesige Eisenpfanne mit Schinken, Speck und Eiern in die Hand. .
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Kurz darauf stand der dicke Wirt wie versteinert an Deck, und vor Schreck ließ er die Pfanne fallen. Er riß den Mund auf und sah sich ungläubig um. Das Schiff, das sich eben noch auf See befunden hatte, lag jetzt scheinbar irgendwo mitten im Land, und das kapierte der dicke Plymson eine ganze Weile überhaupt nicht. Ungläubig beugte er sich über das Schanzkleid und sah in die Tiefe, wo Männer um das Schiff standen und diskutierten.. Das ist die Gelegenheit zur Flucht, dachte er, und jetzt war er auch in der Lage, sich zu orientieren. Das hier war die Werft des alten Hesekiel, das wußte er genau. Vermutlich war das Schiff unterwegs leck geworden, so daß sie auf die Werft mußten. Übergangslos fühlte er einen Tritt im Hintern. „Heb das auf, du Triefauge, und friß es selbst!“ sagte der Kutscher. „Was stehst du da herum und glotzt, Nathaniel Plymson! Glaubst du etwa, die Männer essen von den Schiffsplanken?“ „Die - die Pfanne fiel mir aus der Hand“, stammelte Plymson. Aber unter dem drohenden Blick des Kutschers kniete er gehorsam nieder, kratzte Eier und Speck von den Planken und stopfte alles gierig und hungrig in sich hinein, bis er nicht mehr konnte. Der Kutscher sah, daß Plymson dabei unentwegt zum Land blickte und Fluchtpläne ausheckte. Kurz darauf, die Holzrampe hatte man inzwischen bis ans Schanzkleid geschoben, tauchte der Profos an Deck auf. Er sah den auf den Planken knienden fetten Plymson und starrte ihn entgeistert an. „Frißt du das Schiff auf?“ fragte er rauhbautzig. „Das brauchen wir noch, Plymson.“ Plymson warf dem Profos unter gesenkten Lidern einen gehässigen Blick zu. Aber er gab sich weiter unterwürfig. „Mir fiel die Pfanne aus der Hand, Sir“, sagte er artig.
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Carberry grinste von einem Ohr zum anderen. „Natürlich denkst du jetzt daran, wie du schnellstens abhauen kannst, nicht wahr?“ „Nein“, verwahrte sich Plymson, „daran habe ich nie gedacht, Sir, wirklich nicht.“ „Aber du kannst abhauen, wenn du willst“, entgegnete Ed mit todernstem Gesicht. Plymson lachte verschämt, beugte sich noch weiter hinunter und kratzte auch den letzten Rest vom Deck. „Ich sagte, du kannst abhauen, wenn du willst!“ wiederholte Ed eine Spur lauter. „Ich verstehe nicht, Sir ...“ „Ist doch ganz einfach zu verstehen, Plymmie. Du bist abgemustert, weil dir die Pfanne auf die Planken fiel.“ Plymson begriff immer noch kein Wort. „Weil die Pfanne ...“ fragte er lahm. „Ja, glaubst du denn“, schrie Ed, „wir wollen mit dir zur See fahren, wenn du alles hinschmeißt! Man würde dich beim zweiten Mal spätestens an der Rah aufhängen, wenn das noch mal passiert. Also verschwinde, und wenn du Heuer willst für den halben Tag, dann laß sie dir vom Kapitän oder vom Bootsmann auszahlen. Oder wolltest du keine Heuer?“ „Ich bin wirklich frei?“ fragte Plymson fassungslos. „Ich kann jetzt einfach von Bord gehen? Und der Seewolf hat ebenfalls nichts dagegen?“ „Nicht die Spur, Plymmie. Aber bei uns ist es ein ungeschriebenes Gesetz, daß derjenige, der morgens die Pfanne fallen läßt, auf der Stelle von Bord muß. Unterwegs wäre das natürlich peinlich für dich ausgegangen, aber weil wir zufällig an Land liegen, hast du noch einmal Glück gehabt. Wenn du aber nicht von Bord gehen willst, und zwar sofort, dann ...“ Carberry packte ein Tau an der Nagelbank und sah prüfend zur Großrah hinauf, „ja dann, dann kann es verflucht kalt werden für dich da oben.“ Mit einem Schrei des Entsetzens flitzte der Dicke in die Kuhl. Er sah das Podest, schwang sich hinauf und turnte trotz seiner beachtlichen Leibesfülle die Treppen blitzschnell hinunter.
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Nur weg von diesem Teufelskasten, dachte er; nur weg von diesen Merkwürdigen Kerlen und ihren lausigen ungeschriebenen Gesetzen, nach denen man nicht einmal eine Pfanne fallen lassen durfte, wollte man nicht aufgehängt werden. Er sah nicht nach links und rechts und bemerkte nicht die grinsenden Gesichter, sondern rannte, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter ihm her. Wer weiß, dachte er, während seine fetten Säulenbeine über den Boden trommelten, ob diese Kerle nicht noch andere Gesetze haben. Wenn man vielleicht zu langsam lief, oder keuchte, oder sich beim Laufen umdrehte, oder wer weiß was. Erst als er sich ein ganzes Stück von der Werft entfernt hatte, blieb er stehen, um zu verschnaufen. Gleichzeitig ging ihm das Licht der Erkenntnis tausendfach auf, als er das brüllende Gelächter weit hinter sich hörte. Ohnmächtig vor Wut und Zorn schüttelte er die Fäuste. „Oh, ihr Rattenpisser!“ schrie er heiser. „Ihr verfluchten Kakerlaken, ihr Hundesöhne, ihr Bierfiedler, das alles war nur einer eurer lausigen Späße! Ihr habt mich zum Narren gehalten, ihr Bastarde!“ Diesmal liefen ihm Tränen echter Wut über die Wangen, und er fühlte sich so hilflos wie noch nie in seinem Leben. Die Erkenntnis, von den Seewölfen auf diese Art und Weise genarrt worden zu sein, ließ ihm keine Ruhe mehr. Die hatten sich nur auf seine Kosten einen köstlichen Spaß bereitet und lachten sich jetzt halbtot. „Das werdet ihr mir büßen!“ schrie er heiser und hob wieder die Fäuste, um aus sicherer Entfernung damit zu drohen. Dann drehte er sich um und schlich geknickt davon. Er fühlte sich zutiefst beschämt, dachte an die Lektion, die sie ihm erteilt hatten, und schwor trotzdem Rache, denn das Erlebnis hatte ihn keinesfalls geläutert. Er wankte zur „Bloody Mary“, torkelte dort in die Küche und ließ sich auf einen Hocker fallen. Unbändiger Zorn stand in seinen Augen, und er schniefte laut. Der grobe Johann sah ihn erstaunt an.
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„Ist was?“ fragte er einfältig, und dachte an die Rotweinflasche mit dem verdammten Inhalt, von dem ihm immer noch der Schädel ganz erbärmlich brummte. „Nein, es ist nichts, du Blödmann!“ schrie Plymson. „Du gehst nachher los und trommelst alles an Fischern und Knechten zusammen. Nimm auch noch ein paar Seeleute von dem kleinen Segler. Sie sind heute abend alle eingeladen. Es gibt Rotwein gratis.“ „Für alle gratis?“ fragte der Vierschrötige verwundert. „Und für mich auch? Und es ist kein Trick dabei?“ „Nein, es ist kein Trick dabei, nur eine Bedingung: Wenn die Seewölfe hier auftauchen, und sie werden ganz sicher heute oder morgen hier erscheinen, dann werdet ihr sie so verprügeln, wie sie noch nie verprügelt wurden. Hast du das verstanden?“ Der grobe Johann nickte schwerfällig. „Die Seewölfe?“ sagte er. „Gut, wir werden sie verprügeln, wie sie noch nie gehauen wurden. Aber dafür brauchen wir mindestens fünfzig Männer.“ „Dann hol fünfzig Männer, Kerl. Die Seewölfe haben sowieso noch eine Rechnung offen, von damals, die Fischer werden sich freuen.“ Plymson war sich sicher, daß sie hier aufkreuzten, trotz des üblen Streiches, den sie ihm gespielt hatten. Sie kamen immer in seine Kneipe, aber diesmal würden sie ihr blaues Wunder erleben. Dagegen war das, was sie ihm angetan hatten, das reinste Honiglecken. Weitschweifig erklärte er dem groben Johann, wie sie es anstellen wollten, damit die Kerle den Abend nie vergaßen. * An Bord der „Isabella“ gab es auch nach Plymsons unrühmlichem Abgang ständig Anlaß zu Heiterkeitsausbrüchen. Es war später Nachmittag. Unter der Anleitung von Ferris Tucker und dem alten Ramsgate war damit begonnen worden, die ersten Planken aus dem Schiff zu ziehen,
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um sie durch wesentlich stabilere zu ersetzen. Auch das Schiff von Ribault war mittlerweile auf geslippt worden und lag auf den Wagenböcken fest. Auch dort waren die Crew und Männer von der Werft beschäftigt. Die „Le Vengeur“ sah an der Rumpfunterseite genau so schlimm aus, wie die „Isabella“ vor Tanger ausgesehen hatte. Der Rumpf war voller verfilzter dichter Algenbärte, voller Muscheln, die sich darin gesammelt hatten, und solchen, die wie festgewachsen an den Planken klebten. Den Männern von Ribault und Karl von Hutten stand schweißtreibende Arbeit bevor, eine Plackerei wie es sie schlimmer kaum gab. „Thorfin kratzt seinen Kahn selbst ab“, sagte der Franzose zu Hasard. „Der hat es auch wirklich einmal nötig, nur kann er das nie so gut hinkriegen wie hier auf der Werft.“ „Thorfin“, murmelte Hasard und dächte dabei auch gleichzeitig an die Rote Korsarin. Wie mochte es ihr jetzt ergehen? War sie wieder gesund? Er sehnte sich nach der Schlangeninsel zurück, in die sonnige Wärme der Karibischen See, obwohl er sich hier in England auch zu Hause fühlte. Aber England war immer so eine Sache, von der man nie genau wußte, wie sie ausging. „Ja, der Kahn sieht übel aus, Jean. Ihr werdet eine ganze Menge erneuern lassen müssen. Dem schwarzen Segler hätte eine gründliche Reparatur auf einer Werft ebenfalls nicht geschadet. In welchem Zustand befindet sich das Schiff?“ „Es ist .noch genau so unverwüstlich wie früher. Dem harten Holz fehlt auch in hundert Jahren noch nichts“, entgegnete der Franzose. Der Profos näherte sich und blieb vor den Männern stehen. „Wie sieht es heute mit Landgang aus?“ fragte er. „Ihr wollt in die „Bloody Mary?“ fragte Hasard stirnrunzelnd.
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„Sicher, das ist doch die beste Schenke weit und breit.“ „Plymson wird ganz schön sauer auf euch sein, nach dem, was ihr ihm angetan habt.“ „Du hast doch selbst mitgespielt, Sir!“ „Erstens wollte ich euch nicht den Spaß verderben, und zweitens hat die Lektion dem alten Gauner nicht geschadet. Er war wohl sehr überrascht, daß er wieder von Bord durfte; wie?“ Carberry grinste und rieb sich die Hände. „Den Schreck hat er noch lange nicht überwunden, aber er soll froh sein, daß es so glimpflich für ihn abgelaufen ist. Eigentlich hat er Grund zur Freude, und wenn er uns sieht, wird er uns ganz sicher zu einer Runde einladen.“ „Fragt sich nur, zu welcher Runde“, sagte Hasard. „Vielleicht zu einer Runde Prügel.“ „Plymson ist nicht nachtragend“, versicherte Ed. „Da kenne ich ihn aber besser. Gut, du kannst dir ein paar Männer aussuchen, aber nicht mehr als ein halbes Dutzend. Der Rest kann sich später verteilen, auf morgen oder übermorgen.“ „Gehst du auch mit, Sir?“ fragte Ed. Hasard schüttelte den Kopf. „Heute nicht, aber wahrscheinlich mit Jean und Karl morgen abend. Benehmt euch anständig.“ „Wie immer, Sir“, sagte Ed hastig. Anschließend ging er. wieder seiner Arbeit nach. Die „Isabella“ sah nach der kurzen Zeit ziemlich mitgenommen aus. Am Heck fehlten Planken, der Bugspriet, der die Blinde trug, wurde ebenfalls total erneuert. Zwei Rahen sollten ebenfalls ausgewechselt werden, und Tucker sowie Big Old Shane beschäftigten sich mit der Ruderanlage. Tucker wollte die Konstruktion so verbessern, daß der Kettenbolzen nicht mehr so oft brach. Es wurde gehämmert, geklopft und gesägt. Das ging bis zum Einbruch der Dunkelheit, bis man nichts mehr sah und der Seewolf die Arbeit für den heutigen Tag einstellte. Lediglich auf der Werft waren Ramsgates
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Leute noch dabei, bei Laternenlicht im Schuppen neue Planken zuzuschneiden. Bis sie sich gewaschen und gegessen hatten, war es fast acht Uhr abends, als der Profos seine Schäfchen um sich versammelt hatte. Mit von der Partie waren diesmal Ferris Tucker, Dan, Matt Davies, Smoky und wiederum Gary Andrews. Die anderen sahen ihnen etwas neidisch nach, als sie loszogen. „Ich halte jede Wette“, sagte Dan O'Flynn, „daß der dicke Wirt etwas ausheckt. Der muß doch seine Blamage wieder ausbügeln. Ganz sicher hat er sich ein paar Schläger gekauft, die bloß auf uns warten und dann loslegen.“ „Und dann müssen wir zurückschlagen“, sagte der Profos, und seine Stimme klang sehr traurig. Aber sie alle wußten, daß er grinste. Die Ermahnungen des Seewolfs geisterten noch durch ihre Schädel, keine Schlägerei anzufangen, keinen Stunk zu beginnen. Aber, zum Teufel, dachte Ed, so genau nahm es der Seewolf damit auch nicht. Er war erst recht nicht der Kerl, der sich endlos lange provozieren ließ und dann noch Prügel einsteckte. Da kannte er ihn von einer ganz anderen Seite. Vielleicht waren die Ermahnungen auch reine Routine, und nur so dahin gesprochen. Gut, Ed hatte sich das hinter die Ohren geschrieben, anfangen wollten sie nicht, einstecken wollten sie aber erst recht nichts. Und zur gepflegten Tradition gehörte es nun einmal, Plymsons Kneipe zu demolieren, jawohl, Sir, überlegte Ed. Schließlich konnten sie nicht mit den guten alten Traditionen brechen. No, Sir! Er brummelte vor sich hin und steigerte sich schon langsam in Wut hinein, wenn sie wirklich verprügelt werden sollten. Aber das traute er dem guten alten Plymson kaum zu. Vor der „Bloody Mary“ schwangen diesmal zwei Laternen im Wind, und wüstes Geschrei drang bis weit auf die Straße hinaus.
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„Mann, da ist ja direkt was los“, sagte Ed andächtig. „Der Laden scheint gerammelt voll zu sein.“ „Dann nichts wie rein!“ Schrilles Gekreische von Weibern war zu hören. Durch die Ritzen der dicken Eichentür drang unten kleiner Rauch heraus. Wahrscheinlich gab es ein paar Seeleute, die das neumodische Kraut rauchten, das immer mehr in Mode kam. Ed straffte seine Schultern und drückte die Tür auf. Die anderen folgten mit erwartungsvollen Gesichtern. Plymsons Kneipe war in der Tat ziemlich voll. Der größte Teil der Eichentische war belegt. Auf den Bänken hockten im Hintergrund die ewigen Spieler, Fischer und Knechte, die sauren Wein soffen und sich lautstark stritten. Als Gary Andrews die Tür hinter sich schloß, geriet der uralte Stör wieder in lebhafte Bewegung und schaukelte hin und her. Plymson und der grobe Johann standen hinter der Theke, an der sich zwei bärenstarke Männer aufhielten und sich zutranken. Das Gejohle einiger angetrunkener Huren und das Gekreische hörten abrupt auf, als die sechs Seewölfe an die Theke traten. Schlagartig wurde es mucksmäuschenstill. Der dicke Plymson aber grinste so hinterhältig und dreckig, daß der Profos auf Anhieb wußte, was sie hier erwartete. Gary Andrews hatte die unheilschwangere Atmosphäre ebenfalls gerochen und zupfte Ed am Ärmel seiner Leinenjacke. „Noch können wir still abhauen, und alles bleibt friedlich, Ed“, sagte Gary Andrews, aber der Profos grinste nur schief. „Mach's gut, Gary“, sagte er trocken, „bis morgen dann!“ Aber diesmal grinste Gary nur schief. Die Stille hörte auf, aber die Seewölfe spürten genau, daß sie von allen Seiten gemustert wurden. Plymson rieb sich mit Daumen und Zeigefinger grinsend die dicke Nase, und das war vermutlich ein geheimes Zeichen, daß es nicht auffallen sollte, wenn alle so ruhig waren, und schon setzte das
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Gemurmel, Gestreite und Gekicher wieder ein. „Ah, die werten Gentlemen von der ,Isabella` sind da“, sagte Plymson mit falscher Herzlichkeit. „Habt ihr wieder von dem portugiesischen Jungfrauenwein mitgebracht?“ Er fühlte sich ungeheuer stark mit den Kerlen im Rücken und glaubte, sich einige Frechheiten herausnehmen zu können. „War er gut?“ erkundigte sich Ed freundlich. Plymson gab keine Antwort, aber an seiner Stelle kratzte sich der grobe Johann ausgiebig den Schädel, denn noch immer waren seine Schmerzen nicht ganz verschwunden. „Ein Scheißwein ist das“, brummte er wütend. „Kein Mensch hat gesagt, daß du ihn saufen solltest, du Klotzkopf“, sagte Dan. Der Grobschlächtige wollte aufbrausen und sah den jungen O'Flynn drohend an, doch das verfehlte bei Dan völlig die Wirkung. Den Kerl wrang er trotz seiner Größe noch zwischen zwei Händen aus, wenn es sein mußte. Plymson legte seine feisten Hände auf die Theke, und als er sie wieder wegzog, hatten sich zwei feuchte Stellen auf dem Holz gebildet, so schwitzte er. Trotz der fast vierzig Kerle, die in der Kneipe hockten, hatte er ein flaues Gefühl, denn er kannte die Seewölfe zu gut. Die gaben nie auf, eher ließen sie sich totschlagen, als sich zu unterwerfen. Plymson wartete noch ab. Nichts sollte überstürzt werden, sie würden ihre Senge schon noch kriegen, und für den Profos hatte er ein ganz besonderes Individuum aufgetrieben. Der Bursche hockte ganz hinten neben einem Eichenbalken, maß mehr als zwei Yards in der Länge und hatte ein Kreuz für drei. Der würde auch den eisenharten Profos oder den Rothaarigen total auseinander nehmen, sobald Plymson das Zeichen gab. „Was trinken wir?“ fragte Ed die anderen. „Schnaps? Oder wollen wir beim Wein bleiben?“
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„Beim Wein weiß man nie, was drin ist“, sagte Matt Davies anzüglich. „Trinken wir lieber harte Sachen.“ Plymson verfärbte sich, griff aber unter die Theke und holte eine Buddel hervor, die er auf den Tresen knallte. „Die gebe ich diesmal aus“, sagte er grinsend. „Aber ihr könnt das Zeug beruhigt saufen, es ist sauber.“ Ed glaubte das vorbehaltlos, wenn er sich umsah, denn Plymson wollte sich nicht um seinen eigenen Spaß bringen. Die beiden Burschen an der Theke dachten nicht daran, aufzurücken oder Platz zu machen. Breit und behäbig lümmelten sie mit den Armen auf dem Tresen, sahen sich immer wieder an und grinsten sich verstohlen zu. Jetzt war auch dem letzten der Seewölfe klar, was sie hier erwartete. Es würde Prügel geben, das lag ganz einfach in der Luft, so oder so, es führte kein Weg daran vorbei. Plymson hatte fest damit gerechnet, daß sie erschienen, und den Gefallen hatten sie ihm zu seiner großen Genugtuung auch getan. Weder Carberry noch Tucker oder einer der anderen scherte sich darum. Im Gegenteil: Die letzten Reisen waren viel zu ruhig verlaufen. „Gläser“, verlangte Tucker kurz. Jetzt drehte sich einer der beiden um, die an der Theke lümmelten und fixierte den Schiffszimmermann. Der Bursche war leicht angetrunken, hatte einen wilden struppigen Bart und kleine tückische Augen. Er soff Unmengen in sich hinein. „Sauf aus der Flasche, Kumpel“, sagte er zu Tucker. „Gläser werden nur von Weibern verlangt.“ „Wir sind auch Weiber“, sagte Tucker freundlich. „Heute haben wir nur unsere Röcke nicht an, die sind in der Wäsche.“ Der Schwarzbart kniff die Lippen zusammen und rückte näher. „Werd bloß nicht rotzig, du Rotkopf“! brummte er. „Kümmere dich um deinen Mist“, sagte Tucker grob, um zu probieren wie weit der andere ging. „Und wenn dir das nicht paßt,
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dann stopfe ich dir deinen Bart zwischen die Zähne!“ „Da kannst du dann tagelang drauf 'rumkauen“, sagte Dan. In diesem Moment mischte sich Plymson besorgt ein: „Aber Hal“, sagte er vorwurfsvoll, „wir wollen hier doch keinen Streit, trink lieber noch einen.“ Er plinkerte ihm vertraulich zu und beeilte sich, dem Bärtigen einen neuen Humpen voll zu gießen, bis der sich auch wieder einigermaßen beruhigte. Von den Tischen flogen neugierige Blicke herüber, es wurde wieder still, denn offenbar hatte Plymson das Zeichen noch nicht gegeben und wollte es ein wenig hinauszögern. Er mußte diesen Triumph in aller Ruhe auskosten. Als Carberry sich einmal umdrehte und gerade das Glas an die Lippen setzte, erhob sich hinter einem fast schwarzen Eichenbalken eine Gestalt, die selbst dem Profos auf den ersten Blick Respekt abnötigte. Himmel, war das ein Kerl! Der war gut und gern um einen Kopf größer als Ed, auch breiter, wuchtiger und schwerer. An seinen Lenden baumelten zwei Hände, die man getrost als Schmiedehämmer bezeichnen konnte. Pete Ballie, der mit Abstand die größten Flossen an Bord hatte, verblaßte dagegen wie ein Säugling. Solche Schaufeln hatte Ed in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen, und das. wollte etwas heißen. Auch in der Behaarung stand der Riese einem ausgewachsenen Gorilla in nichts nach. Sein im Verhältnis zum übrigen Körper fast kleiner kugeliger Schädel verschwand, ohne daß man einen Hals erkennen konnte, „zwischen mächtigen Schultern. Über der riesigen tonnenförmigen Brust spannte sich ein Leinenhemd, das man seiner Größe nach auf der „Isabella“ getrost als Marssegel fahren konnte. Ed wußte jetzt, was ihn an dem Kerl störte. Das waren die Ohren, die fast diagonal von dem Kugelkopf abstanden und dem Riesen ein fast lächerliches Aussehen verliehen.
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Allerdings wagte niemand, zu grinsen, denn der Kerl trug ein Gesicht zur Schau, als hätte er vor, die Leute gleich massenweise aufzufressen. Er bewegte sich mit dröhnenden Schritten durch den Raum, schlenkerte beim Gehen mit den mächtigen Armen und zog den Schädel noch tiefer zwischen die Schultern. Das war Plymsons Schaustück, gegen die Figur verblaßten fast Tucker und der Profos. Der Gigant marschierte bis an die Theke, wo die beiden anderen Rauhbautze sofort bereitwillig zur Seite rückten und auseinander gingen, als sich der Riesenlümmel an das Eichenholz lehnte. Er sah die von Carberry bestellte Flasche, ergriff sie mit seinen Fingern und hielt sie fest. Dann hob er sie langsam in die Höhe, neigte sie, und ließ sich das scharfe Zeug langsam und andächtig in den mächtigen Hals rinnen. Es plätscherte, und der Schnaps rann wie ein Rinnsal aus der Buddel - bis sie leer war und der Bursche sie wieder auf die Theke stellte. In der kurzen Zeit hatte er fast einen Liter Schnaps gesoffen! „Ah, das tut gut“, sagte er mit einer Stimme, die von irgendwo aus Plymsons Weinkeller zu stammen schien. Er leckte sich die wulstigen Lippen und sah den Profos an, dann blieb sein Blick auf Tucker hängen. . Ed und Ferris waren beeindruckt, aber das zeigten sie nicht. Sollte der Riese ruhig angeben und prahlen. Carberry hielt nicht viel von denen, die mit ihren Kräften hausieren gingen. Meist hatten diese Überriesen ein Glaskinn und explodierten, wenn man sie an der richtigen Stelle traf. „Das macht euch wohl gar nichts aus, wie?“ fragte der Kerl enttäuscht. „Nicht die Spur“, versicherte der Profos freundlich. „Plymson hat ja zum Glück noch mehr Flaschen von der Sorte. Stimmt's, Plymmie?“ fragte er den Wirt. „Ja, natürlich, soll's noch eine sein?“ „Selbstverständlich.“
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Plymson stellte eine weitere Buddel auf die Theke. Offensichtlich war der Versuch des Riesen gescheitert, den großen Stunk anzufangen, und jetzt suchte er eine neue Möglichkeit. Schon griffen seine Pranken wieder zu. Die Flasche wurde unsichtbar, als er sie in den Händen hielt. Er riß den Korken mit einem Ruck heraus, grinste nach allen Seiten und trank. Wenn er die jetzt aussäuft, dachte Matt Davies, dann hat er glatt zwei Liter in seinem mächtigen Ranzen. Und damit prahlt der Riese, als könne er ganze Schnapsbrennereien leersaufen. Der Inhalt gluckerte und verschwand wie in einem Riesenfaß. Schon war die Buddel halbleer, dann war nur noch ein Daumenbreit drin und schließlich verschwand auch der klägliche Rest. Danach rülpste der Kerl erst einmal so lautstark wie ein ausgewachsener Elefant, ehe er sich wieder über die Lippen leckte. „Noch eine“, verlangte Carberry grinsend, und wieder holte Plymson das Gewünschte. Der fette Wirt schien sich köstlich zu amüsieren. Bevor die dritte Buddel jedoch auf der Theke landete, drehte sich einer der beiden anderen Kerle zu Plymson um. „Sagtest du erst nicht was von der ,Isabella`, Plymson?“ fragte er. „Ja, das sagte ich.“ „Ist das nicht der traurige Segler, der vor ein paar, Jahren einmal hier in Plymouth lag?“ „Genau das ist er.“ „Hm.“ Der Bärtige schien zu überlegen, dann schlug er sich mit der Hand vor die Stirn. „Richtig. Gab's da nicht so einen großen Kerl mit Narben im Gesicht, den sie Profos nannten?“ Plymson warf dem aufmerksam lauschenden Carberry einen gehässigen Blick zu und nickte. „Ja, den gibt es noch.“ „Den habe ich mal verprügelt, daß ihm Hören und Sehen verging, dem Kerl“, prahlte der Bärtige. „Er hatte einen ganz schönen Schlag drauf, aber ich drosch ihn so zusammen, daß sie ihn aus der Kneipe tragen mußten.“
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Carberry erstickte fast an seiner eigenen Luft, weil er glatt vergaß, weiterzuatmen. Das ist doch die Höhe von Prahlerei, dachte er, denn die Kerle, die ihn zusammengeschlagen hatten, konnte er an einer Hand abzählen, und dazu brauchte er nur einen einzigen Finger. Kein anderer als der Seewolf hatte das bisher geschafft. Diese Worte reizten ihn wesentlich mehr als die Tatsache, daß der Kugelköpfige seinen Schnaps ungerührt aussoff. Er ging um den Riesen herum, bis er vor dem Bärtigen stand, der ihn höhnisch musterte. „Hast du diesen Profos ganz allein und ohne fremde Hilfe vermöbelt?“ erkundigte er sich freundlich. , „Klar, ganz allein.“ „Und das würdest du heute auch noch schaffen, mein Sohn?“ Der Bärtige schluckte, wurde um eine Schattierung blasser, nickte aber dann nachdrücklich. „Ganz allein, da bin ich sicher.“ „Dann fang an“, sagte Ed. „Deine große Schnauze ödet mich an, ich kann solche Sprüche nicht vertragen.“ Sogar der Riese neben Carberry, der immer noch die Buddel in der Hand hielt - es war jetzt die dritte -, mischte sich noch nicht ein. Erst wollte er sehen, wie das ausging, dann konnte er sich die Burschen in aller Ruhe vorknöpfen. Die Seewölfe bildeten unauffällig, wie sie es aus Erfahrung gewöhnt waren, einen Halbkreis, um sich gegenseitig abzudecken. Tucker stellte sich neben den anderen Fischer, damit der nicht auf dumme Gedanken verfiel. „Hab's nicht so gemeint“, sagte der Bärtige und grinste dabei entschuldigend. Im selben Moment schlug er mit der Faust zu. Aber bei dem eisenharten Profos war er an der falschen Adresse. Der sah den Schlag schon im Ansatz und trat zur Seite. Der Hieb ging ins Leere. Die Wucht des Schlages ließ den Bärtigen nach vorn taumeln. Ed ließ ihn an sich vorbei, griff ihm dann ins Genick, hielt ihn fest, packte mit der
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anderen Hand seinen Hosenboden, holte aus und nahm Anlauf in Richtung Tür, gleich neben der Theke. Natürlich war die Tür geschlossen. Der Bärtige merkte es sofort, denn er knallte mit voller Wucht dagegen und ging mit einem Ächzlaut zu Boden. Auf Knien und Händen hockte er da, schüttelte den Kopf und spürte einen wahnsinnigen Schmerz, der ihm fast die Besinnung raubte. Er erhob sich nur mühsam. Als er schwankend auf den Beinen stand, sah er rot und stürzte sich mit einem Wutschrei auf den Profos, der gelassen abwartete. Zwei knallharte Fäuste empfingen ihn erbarmungslos, rissen seine Deckung auseinander und jagten ihn erneut bis zur Tür. Ed stellte sich wieder an die Theke und riß mit einem Ruck dem Kugelköpfigen die Flasche aus der Hand. „Wenn du jetzt noch weitersaufen willst“, sagte er grollend, „dann bestell dir gefälligst selbst eine. Einmal hat jeder Spaß ein Ende, verstanden?“ Überrascht blickte der Riese den. Profos an. In seine Augen trat ein gefährliches Funkeln. Jetzt ging der große Stunk anscheinend los. * Fischer, Knechte und Seeleute erhoben sich langsam. Die Dirnen begannen kreischend nach allen Seiten zu flüchten, um sich in Sicherheit zu bringen. Der Riese unternahm noch nichts, doch dafür war der Bärtige wieder auf den Beinen und griff nach dem Profos. Ed ließ ihn nun schon zum dritten Mal an sich vorbei und wich einem wilden Schlag aus, der haarscharf an seinem Gesicht vorbeizischte. Den Profos traf der Bärtige nicht, aber dafür den über der Theke baumelnden Stör, der an seiner Aufhängung wild zurückschwang. Damit wiederum hatte Plymson nicht gerechnet. Der knochenharte Stör donnerte ihm an den Schädel, riß die Perücke mit
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sich, in der er sich verfangen hatte, und behielt sie an seinen Flossen. Plymson grapschte benommen danach, verfehlte sein Prachtstück jedoch immer wieder, weil der Stör nicht zur Ruhe .kam. In grotesken Sprüngen hüpfte er seiner Perücke nach. „Das hat's auch noch nicht gegeben“, sagte Dan O'Flynn trocken. „Ein Stör mit 'ner Perücke!“ Daraufhin mußten die meisten wider Willen lachen. Nur der Bärtige hielt seine Faust unter die Achsel geklemmt und verzog schmerzhaft das Gesicht. Der Stör war so hart wie ein Stück Eichenholz, und das vertrug auch die beste Faust nicht. Dann ging es übergangslos weiter. Der Kugelkopf stieß einen lauten Schrei aus, hob seine riesigen Fäuste und ging auf den Profos los, der ihm am nächsten stand. Ed griff nach der halbleeren Flasche, drehte sich um und schlug sie dem Riesen auf den Schädel. Splitter flogen nach allen Seiten, der scharfe Schnaps rann dem Kerl über das Gesicht. Aber er wich und wankte nicht, der Schlag mit der Flasche hatte nicht die geringste Wirkung gezeigt. Die ungeheure Masse aus Fleisch und Muskeln wälzte sich dem Profos entgegen und schob ihn vor sich her, obwohl Ed sich fest in die Holzbohlen des Bodens stemmte. Bis zur Tür schaffte ihn der Riese, dann umarmte er Carberry und wollte ihn hochheben. Auch das schaffte er mühelos, doch als der Profos einen halben Yard über dem Boden schwebte, holte er mit beiden Fäusten weit aus und schlug sie dem Riesen auf die Ohren. Dessen Gesicht wurde im ersten Augenblick ganz lang, sein Unterkiefer sank herab, und seine Backenzähne begannen zu schmerzen. Aber noch immer hielt er Ed fest im Griff. „Dich zermuse ich!“ schrie er. Sein letztes Wort zog sich in die Länge, denn Carberry verpaßte ihm die nächsten Faustschläge auf die Ohren. Diesmal wurden die Backenzähne verdächtig locker, und in seinem Schmerz ließ der Riese den Profos blitzartig los.
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Ed stand noch nicht richtig auf den Beinen, .als er auch schon ausholte. Wieder traf ein Schlag das Ohr und ließ den Riesen aufbrüllen. Als er sich duckte, schlug Ed ihm die andere Faust in das feiste kurze Genick. Genauso gut hätte er auch gegen eine Bohlentür hämmern können, denn den Kerl warf nichts um, den schienen die harten Schläge nicht zu erschüttern. Wie ein rasender Büffel griff er jetzt an, zertrampelte mit seinen Säulenbeinen alles, was im Weg stand, und drückte den Bärtigen unbeabsichtigt mit seinem breiten Kreuz so gegen den Tresen, daß der Kerl sich nicht mehr rühren konnte. Seine Fäuste wirbelten wie Dreschflegel los. Carberry empfing einen harten Schlag auf den Brustkorb, der ihm sekundenlang die Luft nahm, denn hinter dem gewaltigen Hieb saß immerhin das beachtliche Gewicht von fast drei Zentnern. Sie teilten aus und steckten ein, aber der große Bulle hatte sich in dem Profos doch mächtig verschätzt, den er so ganz nebenbei zermusen wollte. Er sah ein, daß er hier an einen Gegner geraten war, den auch allerhärteste Schläge nicht umwarfen und der unglaublich viel einstecken konnte. Inzwischen waren die anderen heran, und pickten sich die Seewölfe aus der Menge heraus, die um Tresen und Tür wogte. Dan O'Flynn entsann sich der Taktik, die sie damals bei den alten Mönchen auf Formosa erlernt hatten. Diese Taktik war in England nicht bekannt, die Methode gab es noch nicht. Als zwei Mann auf ihn eindrangen, stieß er sich von der Wand ab, damit er mehr Bewegungsfreiheit hatte. Dann legte O'Flynn los. Aus dem Stand sprang er hoch, bis sein durchtrainierter Körper waagrecht in der Luft hing. Der Satz brachte ihn nach vorn, wo er einem Fischer die ausgestreckten Beine vor den Brustkorb stieß. Als Dan auf dem Boden landete, federte er ab, säbelte einem Kerl die Beine unter dem Hintern
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weg, fuhr hoch 'und schlug mit den Handkanten hart nach links und rechts. Die anderen lernten das Fürchten. Es ging alles so schnell, daß sie es gar nicht richtig mitkriegten. Sie lagen plötzlich wie durch Zauberei am Boden und hatten ausgerenkte Schultern oder gelähmte Arme, die sie nicht mehr bewegen konnten. Einer der Angreifer war bewußtlos und lag der Länge nach ausgestreckt am Boden. Am Tresen prügelten sich immer noch knüppelhart der Profos und der Riese. Wild hieben sie aufeinander ein, jeder kassierte ein paar Treffer und gab sie wieder zurück. Aber schon jetzt geriet der Riese langsam in Bedrängnis. Die Fischer und Knechte rückten weiter vor, während es dem dicken Plymson endlich gelang, nach seiner Perücke zu grapschen. Er hielt den wackelnden Stör fest, riß das gute Stück ab und stülpte es sich wieder auf den kahlen Schädel. Als Matt Davies ausholte, verfing sich das Prachtexemplar von einer Perücke in seiner Hakenprothese und wurde durch die Luft geschlenkert. Plymson schrie Zeter und Mordio, und Matt Davies versuchte das schwarze Ding von seinem Haken zu schlenkern. Als das nicht gleich gelang und der fette Wirt wieder zeternd danach griff, riß Matt Davies sie mit der anderen Hand von dem Haken, schnappte sich den Wirt und stopfte ihm die Perücke in den angstvoll aufgerissenen Mund. „Friß das Ding, du Holzkopf!“ schrie er, und ließ seinen Haken wild hin und her kreisen. Plymson würgte, hustete, spuckte und erstickte fast, bis er die Haare wieder draußen hatte. Mit knallrotem Kopf verschwand er hinter der Theke. Ferris Tucker war jetzt ebenfalls in seinem Element, und Smoky spuckte schon zum zweiten Mai in .die Hände. und schlug sie dann einem glatzköpfigen Knecht auf die Augen. Smoky konnte verdammt hart hin- langen, das wußte jeder auf der „Isabella“. Und die es in der Schenke noch nicht wußten, die
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kriegten es jetzt zu spüren, als der Decksälteste in die Vollen ging. Auf Gary Andrews' Schulter zerbarst eine Holzlatte, und eine harte Faust grub sich in seinen Magen. Von da an ähnelte Plymsons Kneipe einem Schlachtfeld. Dan hatte vier Männer so verdroschen, daß sie nicht mehr aufstanden, jetzt holte er sich die nächsten beiden. Bisher hatte er nur einen harten Schlag eingesteckt, so schnell war er. Er sah Andrews, der wie von einem Katapult abgefeuert dicht neben ihm landete und fing ihn auf, bevor Gary in die Tische segelte. „Los, pack die Bank an!“ schrie Dan dem Gefährten zu. Gary kapierte sofort. Er ergriff die schwere und ziemlich lange Sitzbank an einem Ende, Dan am anderen. Sie hoben sie hoch und rannten mit der künstlichen Wand im Laufschritt auf die Theke zu. Bis dorthin hatten sie etliche Männer von den Beinen geholt, denn noch bevor sie sich duckten, knallte ihnen schon die Bank an die Schädel und warf sie zu Boden. Dan konnte sie in dem allgemeinen Getümmel nicht so genau zählen, aber ein gutes Dutzend waren es, die im Weg gestanden hatten und sich jetzt am Boden wälzten. „Himmel, sind das zwei Bullen“, sagte ein Fischer entsetzt und deutete zur Theke, wo Ed und der Riese sich einen erbitterten Kampf lieferten. Carberrys linkes Auge war leicht geschwollen, und von der Augenbraue lief ein dünner Blutfaden herab. Er war immer noch gut in Form, was man von dem Riesen nicht unbedingt sagen konnte. Der war schwer angeschlagen, und daher noch gefährlicher, denn wo er mit seinen großen Pranken hinlangte, gab es Kleinholz. Seine Lippen waren aufgeschlagen, seine Nase rotverschmiert und die rechte Gesichtshälfte stark angeschwollen. Sein eines Ohr hatte sich aufgebläht und glich einer Tüte.
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Carberry schlug ihm noch eins auf dieselbe Stelle. Dann mußte er sich blitzschnell ducken, denn die Faust des Riesen flog heran wie eine Ramme. Dicht oberhalb von Carberrys Schädel traf sie die Wand. Die Wand war aus solider Eiche und fast daumendick. Der Riese durchschlug die Wand mühelos, das Eichenholz zersplitterte zu einem großen gezackten Loch, und dann blieb die Faust in dem Loch stecken. Der Riese konnte sie auch nicht mehr herausziehen, denn er war einer Ohnmacht nahe. Sein Oberkörper war paralysiert, er hatte von der Schulter ab kein Gefühl mehr und spürte auch nicht, daß die Knöchel der Hand kaputt waren. So stand er blicklos da, die Hand fest in der Wand eingekeilt, bewegungslos, als wäre er zu Stein erstarrt. Carberry trat ihm kräftig mit dem Stiefel in den Achtersteven, aber auf eine Reaktion wartete er vergeblich. Zu seinem Erstaunen sah er jedoch, daß dem Riesen zwei große Tränen über das Gesicht kullerten. „Ja, ein verdammt trauriger Tag“, höhnte Ed. „Es ist wirklich zum Heulen, wenn man so dämlich ist. Du mußt ...“ „Ed, paß auf!“ rief Tucker. Carberry ließ den Riesen stehen und fuhr herum. Keine Sekunde zu spät, denn ein direkt mickriges Kerlchen hatte sich an Ed herangepirscht. In der Hand hielt er ein Messer mit langer scharfer Klinge, das schon auf Eds Herz zielte. Der Mickrige war flink und sehr wendig, und der Profos entging dem Stich nur dadurch, daß er den Fuß hob und nach dem Kleinen trat, der zurückweichen mußte. Aber er griff schon wieder an, und diesmal versuchte er, das Messer zu werfen. Ed sprang gereizt und knurrend vor. Mit Messerhelden, ganz besonders den heimtückischen, hatte er nicht viel im Sinn. Eine Ohrfeige riß dem Kerlchen fast den Kopf vom Rumpf. Das Messer klirrte zu Boden, und der Knirps besaß noch die Frechheit sich danach zu bücken; obwohl sein Gesicht blutrot angelaufen war. Er war einer von der kleinen überaus zähen Sorte,
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die erst dann aufgaben, wenn man sie dreimal erschlagen hatte. Carberry schnappte sich den Burschen mit einem blitzschnellen Griff, drehte ihn um und rammte ihn, mit dem Schädel voran, gegen Plymsons stabilen Tresen. Der Tresen erzitterte, das Kerlchen auch, und als Ed ihn auf die Beine stellen wollte, hatte der Kleine das Stehen verlernt und sackte still in sich zusammen. Carberry hob ihn hoch und warf ihn in die anstürmende Menge aus brüllenden Fischern, angetrunkenen und bis aufs Blut gereizten Seeleuten und Knechten, die immer lauter brüllten. Der Kleine landete wie ein lang gezogener Siebzehn-Pfünder zwischen ihnen und stoppte den Ansturm, weil wieder ein paar Männer zu Boden gingen. Die Schlägerei ging weiter, und aus Plymsons „Bloody Mary“ wurde langsam, aber sicher wieder ein Trümmerhaufen. Dennoch wurde für die Seewölfe die Situation immer kritischer, denn die Übermacht war groß, und es war nur eine Frage der Zeit, wann sie untergingen. Das Verhältnis stand mehr als vierzig gegen sechs, und wenn man die paar abzog, die bereits am Boden lagen, blieb immer noch eine erdrückende Übermacht, gegen die sie auf die Dauer nicht viel ausrichten konnten. Sogar der dicke Plymson versuchte mitzumachen. Carberry sah ihn einmal, wie er hinter der Theke auftauchte, einen Knüppel schwang und ihn Smoky auf den Schädel schlagen wollte. Ed gab dem Dicken einen Klaps mit dem Handrücken und scheuchte ihn fort. Unverdrossen ging der Kampf weiter. Der größte Teil mischte immer noch kräftig mit, bis auf den Riesen, der sich immer noch nicht traute, seine lädierte Faust aus dem gezackten Loch in der Eichenwand zu ziehen. So stand er da, das Wasser lief ihm aus den Augen, und ab und zu kriegte er eins auf den Schädel oder einen Tritt in den Hintern.
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Gleich darauf flogen auch die ersten Stühle. * Ben Brighton hatte einfach keine Ruhe mehr. Gewiß, seit die sechs Männer fort waren, waren höchstens zwei oder drei Stunden vergangen, aber das Gefühl der Unruhe wurde immer stärker in ihm. Er verließ Hasards Kammer, in der der Seewolf noch mit Jean Ribault und den anderen zusammensaß. Es gab viel zu berichten, und der Franzose erzählte auch geduldig. Ben ging an Deck, den Niedergang zur Kuhl hinunter und aufs Vorschiff, wo noch alle wach waren. Von den Kerlen konnte er keinen zum Nachsehen schicken, denn wenn es in der „Bloody Mary“ wirklich Prügel setzte, würde derjenige gleich kräftig und höchst erfreut mitprügeln. Blieb der Moses Bill, der konnte das erledigen. Der war noch zu jung für so etwas, dachte Ben. Stenmarks blonder Kopf tauchte auf. Er wollte gerade an Deck, um frische Luft zu schnappen, als er Brighton sah. „Schick mal den Jungen rauf, Sten“, sagte Ben. „Sofort, Ben!“ Bill erschien gleich darauf und sah Ben Brighton fragend an. Sein Gesicht war leicht gerötet, und er grinste. „Was gibt es, Mister Brighton?“ fragte er. „Hast du was getrunken?“ „Nur einen kleinen Schluck, wirklich.“ „Gut, weißt du, wo die ,Bloody Mary` ist?“ „An der Millbay Road, die Schenke an der Ecke. Nicht weit von hier, Mister Brighton.“ „Nun, es ist schon ein schönes Stück, aber es gibt von hier aus eine Abkürzung. Du gehst jetzt mal dahin und siehst durch die Fensterscheiben, ob alles in Ordnung ist. Ich werde so ein dummes Gefühl nicht los:' „Sie meinen, die Seewölfe prügeln sich, Sir?“
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„Es wäre möglich, immerhin. Jedenfalls wirst du das feststellen.“ „Aye, aye, Mister Brighton. Und wenn sie sich wirklich prügeln?“ „Dann kehrst du auf dem schnellsten Weg zurück, klar?“ „Verstanden, Sir!“ rief der Moses und flitzte los. Gleich darauf war er in der Dunkelheit verschwunden, und Ben Brighton kehrte einigermaßen beruhigt wieder zurück. Bill rannte, bis er die Straße erreichte. Schon von weitem erkannte er ein paar Gestalten, die in der Nähe der Kneipe standen und sich lautstark empörten, daß sich das Hafengesindel wieder mal prügeln müsse, und man nicht schlafen könne vor lauter Krach. Das klang wie Musik in Bills Ohren, und der hochgewachsene Bengel wurde ganz fuchtig. Er lief weiter, ohne die aufgebrachten Bürger zu beachten. Unbeschreiblicher Lärm und Gebrüll drangen aus der Kneipe, es sah so aus, als würde die ganze Bude wackeln und zittern. Dort drin beim alten Plymson polterte und krachte es, da flogen harte Sachen durch die Gegend. Männer brüllten und tobten, es schien ein unbeschreibliches Durcheinander zu herrschen. Eine Weile ergötzte er sich regelrecht an diesen lieblichen Geräuschen, die soviel verhießen. Da schien eine ganze Armee gegen die sechs Seewölfe angetreten zu sein. Er reckte die Brust raus und pirschte sich an das eine Fenster. Es war halbblind vor Staub und Dreck, aber er sah doch genug. Erregt hielt er die Luft an. Mann, dachte er benommen, das sah ja ganz so aus, als würde man bei Plymson die ganze Bude abwracken. Da wagte eine bunte, tobende und brüllende Masse durcheinander, und zwischen all den Leibern erkannte er den Profos, dessen Gesicht jetzt fürchterlich aussah, der um sich hieb und sich Luft verschaffte. Himmel,. der warf ja richtig mit seinen Gegnern um sich.
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Neben ihm wüteten Tucker und Dan, und weiter im Hintergrund erkannte er Matt Davies, Smoky und Gary Andrews. Smoky hatte es leicht erwischt, alle drei waren in eine Ecke gedrängt, wo immer wieder Fäuste auf sie einhieben. Sie teilten natürlich auch kräftig aus, aber gegen die Mauer aus harten Kerlen waren sie auf die Dauer machtlos. Und da sollte er einfach umkehren und an Bord gehen? No, Sir, seine Kameraden läßt man nicht im Stich, dachte der Moses, die brauchten Verstärkung, und bis die hier war, konnte es längst zu spät sein. Da kam es auf jeden Mann an, und dazu zählte er sich natürlich. Knallrote Ohren hatte er jetzt vor Aufregung, und seine Hände begannen leicht zu zittern. Aber das war keine Angst. Er lief zum Eingang, sprang die paar Stufen hinunter und zerrte an der schweren Tür. Sie gab auch sofort nach, und als er sie geöffnet hatte, mußte er sich ducken, denn da flog ein kleines Faß auf ihn zu und verschwand hinter ihm polternd und zerberstend auf der Straße. Wie ein Wiesel huschte er zwischen den kämpfenden Männern hindurch, gebückt und flink, bis er die Theke erreichte. Niemand kümmerte sich um ihn, sie waren so mit sich selbst beschäftigt, daß ihn keiner bemerkte. Der Moses sah sich um. Ja, da waren die drei, eingekeilt von einer grölenden Meute, die Faustschläge austeilte. Er suchte nach einem Knüppel öder nach einer Flasche, aber er fand weder das eine noch das andere. Mit bloßen Fäusten konnte er gegen die bärenstarken Kerle allerdings nicht viel ausrichten. Da entdeckte er den getrockneten und mumifizierten Stör über der Theke, der in wildem Bogen hin und her schwang. Ein Grinsen glitt über sein Gesicht, und er wischte seine schweißnassen Hände an der Hose ab. Dann war er mit einem Satz auf der Theke.
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Der Stör hing an drei Schnüren, die wieder in einem Haken zusammenliefen und in der Decke verankert waren. Der Moses hängte sich mit seinem ganzen Gewicht an den Stör und zerrte daran. Kalk- und Mörtelbrocken lösten sich von der Decke. Der ganze Dreck fiel in einer Staubwolke herunter, donnerte auf die Theke und legte sich über die Kämpfer. Aber Bill hatte den Stör in der Hand und packte ihn noch fester. „Nimm das, und das und das!“ schrie er mit heller Stimme, und drosch mit dem Stör auf die Köpfe, die der Theke am nächsten waren. Der erste Mann zuckte wimmernd zusammen, als der Stör ihn traf. Der zweite drehte sich erbost um, und kriegte den Stör hart vor die Stirn geknallt. Und ehe sich's der nächste versah, ballerte ihm der Moses den mumifizierten Fisch um die Ohren, daß er nur noch Sterne sah. Die harten Knochenplatten des Stör hatten es in sich, und immer wenn der Moses weit ausholte, traf er auch. Er steigerte sich in Kampfeslust, tanzte wie ein Irrer über die Theke, fand hier einen Schädel, dort einen Und hieb mit aller Kraft zu. . Innerhalb kürzester Zeit hatte er mit seiner merkwürdigen Waffe vier Männer flachgelegt, die sich verwirrt am Boden fanden und nicht wußten, was ihnen da um die Ohren geflogen und auf die Köpfe geknallt war. Dann, als er gerade so schön bei der Sache war, schrie der Moses mit überkippender Stimme: „Ar-wenack! Ar-we-nack!“ Der Schrei ließ die Streithähne zusammenfahren. Ein grobschlächtiger Knecht mit einem geschwollenen Auge sah den kreischenden Moses entgeistert an: Bill holte aus und knallte ihm den Stör aufs andere Auge. Der Mann taumelte zurück und wollte nach dem Moses greifen, doch der trat ihm mit seinem Stiefel blitzschnell auf den Daumen, und hob schon wieder den Stör hoch. Das Vieh war nicht kaputtzukriegen, es bewährte sich genauso gut wie ein Belegnagel.
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Wenigstens hatte er Davies, Smoky und Andrews ein wenig Luft verschafft, denn die nutzten jetzt die Gelegenheit aus und begannen mit harten Fäusten die Reihen zu lichten. Als sie den wild um sich schlagenden Moses sahen und sein Gebrüll hörten, stießen auch sie den alten Schlachtruf der Seewölfe aus, und diesmal flüchteten die Neugierigen, die auf der Straße standen, entsetzt in ihre Häuser. Plymsons Kneipe erdröhnte unter einem neuen Angriff, und einer sah immer lädierter als der andere aus. Bill aber hüpfte immer noch auf der Theke hin und her, erwischte immer wieder Köpfe oder Schultern und grinste dabei wie ein kleiner Teufel. Den Fäusten, die nach ihm griffen, wich er geschickt und schnell aus, sprang in langen Sätzen über den Tresen und wartete seine Gelegenheit ab. Dann aber packte ihn jemand von hinten, er verlor den Stör, wurde von der Theke gerissen, kriegte eine saftige Ohrfeige und fiel der Länge nach hin. „Warte, du lausiges Miststück!“ brüllte ein Kerl. Er packte den Moses am Genick, rannte mit ihm im Sturmschritt bis zum Fenster und stieß ihn hindurch. Bill landete auf der Rückseite der Kneipe in der Gosse. Seine linke Wange war aufgeschrammt, und er fluchte leise. Dann rappelte er sich auf und wollte durch das zerschlagene Fenster wieder in die Kneipe hinein. Aber da standen schon zwei, die auf ihn lauerten, und gegen die kam er nicht an. „He, ihr verlausten Bastarde!“ schrie er durchs Fenster. „Wartet nur ab, jetzt geht's euch gleich an den Kragen. Aus euch beiden dreh ich ein Tau und damit verprügele ich die anderen.“ „Hast du schon mal so einen verdammten Giftzwerg gesehen?“ schrie der eine voller Zorn. „Den holen wir uns!“ Der erste kroch, angefüllt mit Jähzorn bis zum Kragen, durch das Fenster und zwängte sich hindurch.
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Bill wich zurück, stolperte fast über einen im Hof abgestellten Kübel und hielt sich gerade noch daran fest. Aus dem Kübel wehte ein liebliches Düftchen. Plymson benutzte ihn für seine matschigen Küchenabfälle. Dem Geruch nach stand der Kübel schon einige Tage hier. Bill packte ihn, drehte ihn um und leerte ihn dem Kerl über den Schädel, der gerade durchs Fenster kroch. Er hörte ein ersticktes Röcheln, einen gedämpften Fluch, und leerte den Rest auch noch auf den zweiten Mann, der schreiend zurückwich und die Hände vor das Gesicht hielt. „Kommt nur raus, ihr Kakerlaken“, drohte der Moses. „Das war erst der Anfang, gleich lernt ihr mich von meiner ganz üblen Seite kennen, ihr Miesmuscheln.“ Die beiden Kerle, die entsetzt und genervt zurückkrochen, rochen genauso übel wie der Inhalt des Eimers, und sie sahen auch fast genauso aus. Bill hatte selten schlimmere Flüche gehört. Solche Worte ließ nicht mal der Profos vom Stapel, und der Himmel wußte es, der konnte wirklich hundserbärmlich fluchen. Für ihn gab es jetzt nichts mehr zu holen, er hatte seinen Beitrag geleistet, denn wenn die beiden Bekleckerten ihn erwischten, dann drehten sie ihm mit Sicherheit das Genick um. Er drehte sich um, überlegte noch einen Moment und schüttelte dann bedauernd den Kopf. Nein, jetzt mußte Verstärkung her, sonst konnten sich die Seewölfe nicht mehr behaupten. Also lief er los, so schnell er konnte, bis er das Werftgelände des alten Ramsgate erreichte. Auf der dicht neben der „Isabella“ liegenden „Le Vengeur“ brannten noch zwei Deckslaternen, die die nähere Umgebung um das Schiff herum schwach erhellten. „Was ist los, wer bist du?“ brüllte eine Stimme. „Ich bin Bill“, rief der Moses zurück. „Von der ,Isabella`. In Plymsons Kneipe ist der
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Teufel los. Sechs Seewölfe gegen mindestens vierzig Mann.“ „Was? Vierzig Mann? Habt ihr das gehört, Leute? Nichts wie zu Plymsons Kneipe, da geht's rund.“ Das Schiff des Franzosen erwachte schlagartig zum Leben. Der Moses hatte das Podest der „Isabella“ noch nicht richtig erklommen, als sich drüben schon die ersten Burschen abseilten und losstürmten, als sei der Leibhaftige hinter ihnen her. Sie schrien, grölten und brüllten. Mindestens zehn Mann waren es, die jetzt durch die Dunkelheit rasten. * Von dem Lärm war der Seewolf aufgeschreckt worden und erschien mit Ribault und von Hutten auf dem Achterdeck. „Was, zum Teufel, ist denn hier los?“ rief er. „Seid ihr alle verrückt geworden?“ Er sah sich um, als vom Vorschiff die ersten an Deck stürzten und sich um den Moses scharten. Brighton war mit wenigen Sätzen neben ihm. „Sag mal, was ist passiert, Kerl? Hast du eine halbe Stunde gebraucht, um festzustellen, daß in Plymsons Kneipe was los ist?“ Alle riefen und fragten durcheinander. „Ruhe!“ sagte Hasard. „Erzähle, Bill!“ „Sie prügeln sich, Sir, alle.“ „Was heißt alle?“ „Nun, die Seewölfe und Fischer und Knechte. Etwa vierzig Männer sind es, die sich schlagen. Der Profos und die anderen, die haben es den Kerlen aber gegeben, Sir! Anständig, knüppelhart! Die Prügelei scheint kein Ende zu nehmen.“ „Verdammt, das habe ich mir doch gedacht“, sagte Hasard. „Kaum sind sie an Land, schon geht der Tanz los.“ „Nichts wie hin!“ schrie Luke Morgan und schnappte sich bereits einen Belegnagel aus der Nagelbank. „Plymsons Kneipe kaputtschlagen!“ schrie der Gambianeger Batuti und suchte nach
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seinem Morgenstern, der ebenfalls unter der Nagelbank lag. Jetzt juckte es allen mächtig in den Fäusten. Die Kerle waren nicht mehr zu halten. Jeff Bowie schwang seine Hakenprothese. Pete Ballie sowie der Schwede Stenmark schoben sich weiter in Richtung auf das Podest vor, als wollten sie abentern. „Dem zeigen wir es jetzt aber mal richtig“, sagte Morgan. „Ihr werdet überhaupt nichts zeigen“, sagte Hasard ruhig. „Niemand verläßt das Schiff, kein einziger geht von Bord. Der Profos hat sich das selbst eingebrockt, und er wird es auch auslöffeln. Vielleicht gibt ihm das zu denken.“ „Aber Sir!“ rief Blacky empört. „Wir können doch unsere Kameraden nicht im Stich lassen, die werden doch vermöbelt.“ „Ganz meine Meinung!“ schrie Sam Roskill. „Das können wir nicht zulassen, Sir!“ „Wir können wenigstens einmal in aller Ruhe hingehen und nachsehen“, sagte Bob Grey. „Nur so, natürlich halten wir uns zurück und greifen auch nicht ein.“ „Natürlich nicht“, sagte Hasard ironisch. „Ihr steht dabei und dreht Däumchen, wenn die anderen sich schlagen. Ich wiederhole es zum letzten Mal: Niemand geht von Bord, das ist allein die Angelegenheit der Kerle, die losgezogen sind. Wenn sie mit blauen Augen zurückkehren, haben sie dazugelernt. Wenn nicht, dann haben sie Glück gehabt.“ Lediglich Luke Morgan mußte noch einmal motzen. „Die Kerle von Ribault sind auch losgezogen, Sir.“ „Die waren auch nicht mehr zu halten. So, und jetzt verzieht euch wieder unter Deck, bis auf die Männer, die Wache gehen. Erfahre ich, daß sich jemand heimlich von Bord geschlichen hat, dann erlebt er die Hölle. Das verspreche ich euch.“ Er wandte sich an den Moses, der Schrammen im Gesicht hatte, aber trotz allem stolz grinste. „Was ist denn mit dir passiert, du Hering?“
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„Ich bin in Plymsons Kneipe durchs Fenster gefallen, Sir“, antwortete der Moses, und das stimmte ja auch. „Von außen nach innen, oder umgekehrt?“ „Ja, wie war das eigentlich?“ überlegte der Moses und kratzte sich den Schädel. „Ist das so wichtig, Sir?“ Hasard zog ihn am linken Ohrläppchen näher heran. „Es ist jedenfalls ein Unterschied“, sagte er drohend. „Und den hätte ich gern gewußt.“ „Dann war es, glaube ich, von innen nach außen, Sir.“ „Demnach bist du also auch von außen durch die Tür gefallen, was?“ „Die — die ging plötzlich von selbst auf, Sir, dann flog ein Faß auf mich „Und der gewaltige Luftsog riß dich in die Kneipe. Freundchen, ich sollte dir.. Der Moses sah ihn treuherzig an. „Ich mußte meinen Kameraden ganz einfach helfen, Sir“, sagte er kläglich. „Und weil ich schon mal drin war, in der Kneipe, meine ich, Sir, habe ich eben geholfen.“ Hasard sah den Burschen ungläubig an. „Du hast dich mit ausgewachsenen Männern geprügelt?“ „Nicht direkt, Sir“, druckste der Moses herum. „Ich bin auf die Theke geklettert, und da fiel mir so ein großer vertrockneter Fisch in die Hand. Den nahm ich dann und ließ die Kerle mal daran riechen.“ „Und weil der Fisch so alt war, mochten sie den Geruch vermutlich nicht“, sagte Hasard ernst. Der Moses nickte. Die Seewölfe, die immer noch an Deck standen und die Worte gehört hatten, brachen in schauerliches Gelächter aus und konnten sich nicht beruhigen. Zum Glück sah der Moses nicht, wie es um die Mundwinkel des Seewolfs verdächtig zu zucken begann. Er merkte auch nicht, daß Ben Brighton und Ribault sich abwandten und angestrengt in die finstere Nacht blickten, als gäbe es dort etwas zu sehen. „Verschwinde in deine Koje“, sagte Hasard, und der Moses glaubte zu hören,
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daß die Stimme des Seewolfs halb erstickt klang. „Aye, aye, Sir“, sagte Bill. „Stellt euch das mal vor“, sagte Blacky, „da geht dieses Kerlchen in Plymsons Kneipe, nimmt den alten Stör und schlägt ihn den Kerlen um die Ohren, daß es nur so kracht. Und das sagt er in aller Harmlosigkeit.“ Wieder brandete Gelächter auf, und jetzt verschwand, bis auf die Deckswachen, einer nach dem anderen, um den Moses auszuhorchen und alles ganz genau zu erfahren, wenn sie schon nicht mitmischen konnten. „Acht Mann von meiner Crew sind verschwunden“, sagte der Franzose. „Die werden jetzt den Rest auseinander nehmen, ich kann sie nicht mehr zurückpfeifen.“ . „Dann laß sie“, sagte Hasard. „Wenn die Kneipe ausgeräumt ist, gibt es morgen und die nächsten Tage Ruhe in Plymouth, und die Kerle können sich am Schiff austoben. Aber dem Profos werde ich eine kleine Rede halten.“ „Du solltest das nicht so tragisch nehmen, Hasard. Es gibt schlimmere Dinge. Die Seewölfe sind nun mal keine Klosterbrüder. Besser, sie toben sich in der Kneipe aus, als daß sie untereinander Stunk beginnen. Und ich wette, daß der Profos den Streit nicht von sich aus angefangen hat.“ Hasard ließ sich überzeugen. „Gut“, sagte er abschließend, „vermutlich hast du recht, Jean. Vergessen wir es also.“ * Die Horde, die durch die Gassen stürmte, bestand aus so erfahrenen ehemaligen Karibik-Piraten wie Jan Ranse, Piet Straaten, Nils Larsen und Sven Nyborg, die alle schon unter dem Seewolf gefahren waren. Ihnen hatten sich noch Roger Lutz, Grand Couteau, Tom Coogan und der schottische rothaarige Dickschädel Gordon McLinn angeschlossen, die wie angestochene Büffel losstürmten, damit sie auch ja nichts versäumten.
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Schon vorsichtshalber hatten sie sich mit Belegnägeln und Handspaken bewaffnet. Der Schotte warf sich gegen die Tür, und die gab unter seinem Gewicht sofort nach. So segelte er bis vor die Theke und riß gleich drei Männer mit sich. „Verstärkung!“ brüllte Jan Ranse, und dann ging es los. Acht wutentbrannte Seeleute fluteten herein, in den Fäusten die harten Hölzer und grimmig blickend. Den ersten erwischte es gleich an der Tür, noch bevor die Seewölfe in Freudengebrüll ausbrachen und verstärkt zum Kampf rüsteten. Piet van Straaten sah einen riesigen Kerl neben der Wand stehen, der sich kaum bewegte, hob den Belegnagel und donnerte ihn dem Riesen auf den Schädel. Er merkte gar nicht, daß der Kerl mit der Faust in der Wand steckte. In der Kneipe sah es wüst aus. Der dicke Plymson hatte sich längst händeringend verzogen und die Stunde verflucht, in der er die vierzig rauhen Kerle zusammengetrommelt hatte, um die Seewölfe kräftig vermöbeln zu lassen. Jetzt hatte sich das Blatt gewendet, denn jetzt waren es statt sechs immerhin vierzehn rauhe Kerle, und von den Fischern und Knechten gingen immer mehr zu Boden. Frisch und ausgeruht stürzten sich die Männer von der „Le Vengeur“ mit freudigem Gebrüll auf die anderen, unterstützten die Seewölfe und hieben um sich. Sie scheuten sich auch nicht, die Kneipe systematisch zu zerlegen. Als sie, zusammen mit den Seewölfen, eine halbe Stunde lang gewütet hatten, bot sich dem verschreckten Plymson, der sich einmal kurz blicken ließ, ein Bild des Grauens. In seiner Spelunke gab es keinen heilen Tisch mehr, aus den Sitzbänken waren nutzlose Bretter geworden, und keine einzige Fensterscheibe war heil geblieben. Zwei Rotweinfässer hinter der Theke waren geborsten, und in einer riesigen Lache schwamm einsam und traurig
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Plymsons schwarze Perücke, auf die er so stolz war. Jetzt sah das Ding aus wie das schmutzige Fell einer räudigen Hafenratte. In den Ecken, hinter den Eichenbalken und am Tresen lagen stöhnende Männer, die aus eigener Kraft nicht mehr stehen kennten. Etliche hatten heimlich das Weite gesucht, als die Verstärkung eingetroffen war, und sich davongeschlichen. Der Profos hatte plötzlich keinen Gegner mehr, und blickte sich verwundert um. Jan Ranse und Ferris Tucker waren noch damit beschäftigt, zwei Kerle, die sich heftig sträubten, durch die Fenster nach draußen zu befördern. Damit waren auch die letzten verschwunden, denn die, die noch am Boden kauerten oder lagen, hatten genug. Sie waren restlos bedient und wünschten sich weit fort. „Laßt euch umarmen!“ schrie der Profos und schlug den Männern der „Le Vengeur“ auf die Schultern. Die Seewölfe sahen furchtbar aus. Blut rann ihnen über die Gesichter, einige hatten Blutergüsse, dicke Beulen, Prellungen und zugeschwollene Augen. Aber sie alle strahlten begeistert. „Das haben wir wieder einmal geschafft“, sagte Ferris Tucker: „Jetzt fehlt noch der Wirt, dann trinken wir einen letzten Absacker und verholen an Bord. Hier ist ja doch nichts mehr los.“ Den Wirt fanden sie hinten im Hof, wo er sich zwischen leeren Tonnen versteckt hatte. Matt Davies holte ihn hervor, schleifte ihn an die Überreste der Theke, fischte nach der nassen Perücke und stülpte sie dem zitternden Plymson über den Schädel, von dem jetzt der Rotwein troff, ihm über das Gesicht lief und im Hemd versickerte. Er sah aus, als hätte er auf einer Schlachtbank übernachtet. „So, Plymmie“, sagte Dan. „Jetzt hast du es uns aber gegeben, was? Gibst du jetzt 'ne Runde aus?' „Ich - ich hab doch nichts mehr, ich bin pleite“, jammerte der Dicke. „Da steht noch ein ganzes Faß voll.“
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„Dann sauft es aus!“ schrie der Dicke und riß sich wütend die Perücke vom Schädel. weil ihm ständig Rotwein in die Augen lief. Vierzehn Mann umlagerten die traurigen Tresenüberreste und labten sich an Plymsons letztem Faß. Carberry griff in die Hosentasche, legte zwei Perlen auf das zersplitterte Holz, fischte in der anderen Tasche und legte ein paar Goldstücke dazu. „Damit ist alles bezahlt, Plymson“, sagte er. „Dafür kannst du deinen Saftladen wieder aufbauen und neue Leute anheuern. Und wenn die Kneipe wieder steht, schickst du einen Boten an Bord und gibst uns Bescheid. Wir feiern Einweihung und bauen alles fachgerecht wieder ab. Unser Zimmermann versteht sich darauf.” Er zeigte auf Tucker und begann dröhnend zu lachen, und auch die anderen stimmten in den Chor ein. Sogar Plymson grinste mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Schön, die Spelunke war wieder einmal restlos beim Teufel, und in den nächsten Tagen würde sich kein Mensch hierher verirren. Aber was tat's? Die Kerle zahlten immer mehr, als alles wert war, und blieben nie einen Heller schuldig. Beim zweiten Humpen Rotwein gab es noch eine Unterbrechung. Die Einwohner hatten sich über den unbeschreiblichen Radau in der Millbay Road beschwert. Daraufhin waren zwei stocksaure Gendarmen losgezogen, um nach dem Rechten zu sehen. Mit finsteren Mienen betraten sie das Schlachtfeld. „Was geht hier vor?“ brüllte ein rotgesichtiger stiernackiger Mann. „Gab es eine Schlägerei? Wer hat angefangen?“ Carberry maß die beiden Burschen, die sich erschüttert in der Kneipe umsahen, von oben bis unten. „Wenn ihr jetzt auch noch Stunk anfangen wollt, dann soll es mir recht sein“, sagte er. „Beschwert euch aber später nicht.“ „Wer sind Sie?“ bellte der Rotgesichtige. „Ich lasse Sie einbuchten, Kerl!“
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„Das – das sind die Seewölfe“, stotterte Plymson, „und dieser Mann ist der Profos der ,Isabella`, die im Hafen liegt.“ „Auf der Werft“, verbesserte Carberry. Die beiden zuckten sichtbar zusammen, warfen sich einen verstohlenen Blick zu und zwangen sich zu einem kläglichen Grinsen. Der Schreck war ihnen in die Knochen gefahren, dazu kamen noch die blutverschmierten und geschwollenen Gesichter der Männer. Von den Seewölfen hatten sie mehr gehört, als ihnen lieb war. „Naja, das ist schließlich Ihre Sache, Plymson“, sagte der eine. „Aber verursachen Sie gefälligst keinen Krach, es ist schon nach Mitternacht.“ Verlegen grinsend schoben sie sich aus dem Raum, und als sie auf der Straße waren, hatten sie es verdammt eilig, aus der Nähe dieser Ecke zu verschwinden. Carberry sah ihnen nach, hob den Becher und trank durstig. „Friedliche Leute, diese Gendarmen“, sagte er. „Und nett sind sie auch, das muß man ihnen lassen. Darauf sollten wir noch einen trinken, Männer. Wo, zum Teufel, ist denn der Moses geblieben, der mit dem Stör so prächtig um sich geschlagen hat?“ „Der ist längst wieder an Bord, Ed“, sagte Jan Ranse. „Der hat uns doch erst auf die Beine gebracht, und danach sind wir gleich losgestürmt.“ Tucker verzog das Gesicht. „Dann wird es morgen einen höllischen Anpfiff geben“, meinte er. „Wenn der Seewolf erfährt ...“ „Wir brauchen ja nichts zu sagen“, erklärte Carberry. „Wenn er fragt, sagen wir, es ging ganz gemütlich zu. Oder stimmt das etwa nicht?“ wandte er sich an die anderen. „Klar stimmt das! Die kleine Meinungsverschiedenheit war ja ziemlich schnell ausgeräumt.“ „Ausgeräumt ist das richtige Wort“, sagte Tucker, und blickte sich in Plymsons ehemaliger Schenke um. „Ja, ausgeräumt“, wiederholte er. „Du nimmst uns das doch nicht übel, Plymmie, oder?“
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Der dicke Wirt blickte entsagungsvoll zu jener Steile, wo vormals das Prachtexemplar von einem Stör hing, und wo sich jetzt ein großes Loch in der Decke befand. „Nein, nein“, versicherte er hastig. „Wie könnte ich!“ und dabei blickte der alte Gauner mit frommem Augenaufschlag die Männer der Reihe nach an. Das Faß war weiter kein Problem, vierzehn Mann schafften es innerhalb kurzer Zeit, es leer zu trinken. Dann warf Tucker auch noch ein Geldstück auf die Theke. „Gehen wir“, sagte er. „Morgen gibt es viel zu tun, und da müssen wir hart ran.“ „Gehen wir“, sagte auch Dan, „hier st ja doch nichts mehr los.“
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Damit hatte er unbedingt recht. In Plymsons „Bloody Mary“ war wirklich nichts mehr los. Sie brauchten nicht einmal die Tür zu öffnen, denn die fiel gleich aus den Angeln, als der Profos sich dagegen lehnte. Der dicke Plymson sah ihnen nach, als sie hinausgingen. Dann kratzt er sich seinen kahlen Schädel, befühlte seine Beulen und schüttelte betrübt den Kopf. Merkwürdig, überlegte er, immer wenn die „Isabella“ im Hafen lag, mußte er renovieren. Es schien den Kerlen direkt Spaß zu bereiten, seine schöne Schenke zu demolieren. Und dabei waren sie gar nicht einmal schuld! Morgen wollte er mit dem Aufbau beginnen...
ENDE