Atomphysik für jedermann 2) Elemente, Moleküle und Atome Doch so sehr die Begriffe der Atomphysik heute in aller Munde ...
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Atomphysik für jedermann 2) Elemente, Moleküle und Atome Doch so sehr die Begriffe der Atomphysik heute in aller Munde sind, so wenig ist in der Öffentlichkeit über die wirklichen Zusammenhänge bekannt. Die Atomphysik gilt allgemein als eine unanschauliche Wissenschaft. Wir wollen im folgenden dennoch versuchen, uns ein Bild von den Dingen zu machen, um die es sich dabei handelt. Alle leblose und lebendige Materie, aus der die Welt und die Lebewesen bestehen – seien es nun Menschen, Tiere oder Pflanzen, Sand und Steine, Luft und Wasser oder was es sonst an Körperlichem gibt –, setzt sich aus ganz bestimmten Grundstoffen und aus den Verbindungen dieser Grundstoffe miteinander zusammen. Von diesen chemischen Grundstoffen oder Elementen gibt es in der Natur insgesamt 92. Sie treten teils gasförmig auf, wie beispielsweise Sauerstoff und Stickstoff, teils flüssig, wie Brom und Quecksilber, oder in fester Form, wie Eisen, Kohlenstoff und viele andere mehr. Die überwiegende Mehrzahl der chemischen Elemente zählt zu den Metallen. Das leichteste aller natürlichen Elemente ist der Wasserstoff, das schwerste das Metall Uranium. Elemente gehen zwar untereinander chemische Verbindungen ein – so ist z. B. unser Kochsalz eine Verbindung von Natrium und Chlor –, aber sie lassen sich auf chemischem Wege nicht weiter zerlegen. Die kleinste Menge einer chemischen Verbindung – so klein, daß wir sie nicht noch weiter teilen könnten – ist das Molekül. Es besteht aus den Atomen jener Elemente, aus denen die betreffende Verbindung gebildet ist. Ein Kochsalzmolekül besteht also aus den Atomen des Chlors und des Natriums. Damit sind wir bereits bei dem geheimnisvollen Begriff Atom angekommen. Das Wort stammt aus dem Griechischen
und bedeutet so viel wie „unteilbar“. Das Atom ist das kleinste Teilchen, aus dem die chemischen Elemente bestehen. Es ist chemisch nicht zerlegbar. Man glaubte früher, mit dem Atom den kleinsten, unveränderlichen Baustein alles Körperlichen gefunden zu haben. Im nächsten Kapitel wollen wir uns mit der Entstehung der modernen Anschauung vom Aufbau des Atoms beschäftigen. (Fortsetzung folgt)
Verlag und Druck: Erich Pabel. Rastatt in Baden, 1955 (Mitglied des Verbandes deutscher Zeitschriftenverleger e. V.) Die Bände dieser Serie dürfen nicht in Leihbüchereien verliehen, in Lesezirkeln nicht geführt und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Scan by Brrazo 09/2010
Neue Antriebsverfahren für Weltraumschiffe Die Verwirklichung der Weltraumfahrt und die Eroberung des interplanetarischen Raumes durch den Menschen ist in erster Linie eine Energiefrage. Sie hängt davon ab, ob es uns gelingen wird, Triebwerke zu entwickeln, die den ungeheuren Anforderungen der Raumfahrt genügen. Raumfahrzeuge können sich nur durch Rückstoß fortbewegen, und somit ist die Rakete der ideale Motor für den interplanetarischen Verkehr. Raketen sind zwar schon seit Jahrhunderten in Gebrauch, doch trieb man sie bis vor kurzem mit wenig energiereichen, pulverförmigen Treibstoffen an und erzielte keine allzu großen Leistungen. Erst in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts ging man dazu über, Raketenmotoren für flüssige Treibstoffe zu entwickeln, die – in den Höhenraketen unserer Tage – bereits einen hohen Grad an Vollkommenheit erlangt haben. Nach Ansicht namhafter Forscher dürfte es mit Flüssigkeitsraketen möglich sein, den Mond – ja sogar den Mars – zu erreichen, sofern man sich dabei einer künstlichen Weltraumstation als Ausgangsbasis bedienen würde. Allerdings wäre ein ungeheurer Aufwand dafür erforderlich, und es ist verständlich, daß die Raumfahrtforschung sich nach anderen, wirtschaftlicheren Antriebsverfahren umsieht. Die vielerörterte Möglichkeit, Atomenergie hierfür zu verwenden, ist mit größeren Schwierigkeiten verbunden, als man für gewöhnlich annimmt. Wernher von Braun, einer der größten Raketenspezialisten unserer Zeit, glaubt nicht, daß wir in den nächsten 25 Jahren bereits ökonomisch konkurrenzfähige „Atomraketen“ haben werden. – Professor Hermann Oberth wiederum schlägt „elektrische Raumschiffe“ vor, die sich die Sonnenstrahlung zur Erzeugung ihrer elektrischen Antriebsenergie nutzbar machen sollen. Auch bei den neuesten Abenteuern Kommodore Parkers spielt die Entwicklung eines neuartigen Antriebsverfahrens eine entscheidende Rolle. Die künstliche Umwandlung von Weltraumstrahlung in Materie soll hier dem Raumschiff die Möglichkeit geben, bis zu den Grenzen des Sonnensystems vorzudringen.
Von Alf Tjörnsen „O Jim, das also ist der berühmte Llano Estacado?“ Fritz Wernicke, der temperamentvolle, kleine Weltraumpilot, blickte interessiert durch das Fenster aus Plexiglas in die Tiefe. Zusammen mit seinem Freund Jim Parker saß er in der Kanzel der Düsenmaschine, die in mäßiger Hohe über die eintönige Landschaft dahinflog – südostwärts, mit Kurs auf San Angelo in Texas. „Nun, so berühmt finde ich ihn gar nicht“, brummte der Kommodore und gönnte der Gegend da unten nur einen flüchtigen Blick. „Nichts als Sand und trockene Steppe, und was darin wächst, ist genau so langweilig wie die Kakteenzucht meiner Tante Betty, des Schreckens meiner Kindertage.“ „Du hast aber auch gar keinen Sinn für Romantik“, entrüstete sich der Kleine. „Was du da in der Tiefe liegen siehst, sind die Jagdgründe des unsterblichen Old Shatterhand – sofern du den Namen schon gehört haben solltest.“ „Erinnere mich dunkel, old chap. Und was hat der unsterbliche Meister in dieser Einöde erlebt?“ 5
„Er geriet mit Banditen aneinander, die sich darauf spezialisiert hatten, die Pfähle herauszureißen, die dem Wanderer den Weg durch die Wüste weisen sollten. Nachher pflanzten sie sie an verkehrter Stelle wieder ein und führten die Nichtsahnenden in die Irre, um sie der schrecklichsten aller Todesarten auszuliefern.“ „Ein schändlicher Zeitvertreib, fürwahr! Und welch eine Todesart war das?“ „Der Tod des Verdurstens. Brrr!“ Fritz Wernicke schüttelte sich und langte automatisch nach einer halbgeleerten Whiskyflasche, die griffbereit neben seinem Sitz stand. Jim kannte die Leidenschaft seines ewig durstigen Gefährten, für den es in der ganzen Welt nur eine einzige Vorstellung gab, die ihn schrecken konnte: die Möglichkeit, daß ihm die Getränke ausgehen könnten. Unwillkürlich mußte er lachen. „Schätze, diese Art, zu reisen, wäre nichts für dich gewesen, mein lieber Alter. Da ist es weiß Gott angenehmer, mit Windeseile im Rückstoßflugzeug über das unwirtliche Land dahinzufegen … – hallo, was war denn das?“ Auch Wernicke hatte es gemerkt. Mit geübtem Griff verkorkte er die kostbare Flasche und ließ sie in einer seiner unergründlichen Taschen versinken. Dann klammerte er sich an seinem Sitz fest und äugte mißtrauisch nach dem Armaturenbrett hinüber. Die Maschine bockte. Ganz unmotiviert führte sie seltsame Sprünge aus. Es war, als würde sie von starken, unsichtbaren Fäusten hin und her gestoßen. Der Kommodore hatte Mühe, sie auf Kurs zu halten. Besorgt ließ er seine Blicke in die Runde schweifen – empor zum Himmel, der urplötzlich von zerrissenen Wolkenfetzen übersogen war, und hinunter über das öde Land, aus dem der Staub in mächtigen Schwaden aufgewirbelt wurde. Ein Sturm – in dieser Gegend, und so völlig „aus heiterem Himmel“? 6
„Das versteh’ ich nicht, Fritz. Wie lautete die Wettervorhersage für das westliche Texas?“ „Tagsüber mild und trocken, ohne Neigung zu Störungen. Schwache bis mäßige Winde von Nordwest bis West.“ „Hm. Das wäre gewiß nicht das erste Mal daß sich die Wetterfrösche geirrt hätten. Aber gleich so danebenzutippen, das ist doch ein starkes Stück. Sieh’ dir den Zauber doch nur an, Fritz.“ Fast ohne jeden Übergang hatte sich das Bild geändert. Unter grauem, sturmgepeitschtem Gewölk sprang der Sand in wilden Wirbeln hoch. Und plötzlich raste eine gewaltige, überdimensionale Windhose, eine wie rasend sich drehende Säule, heran. „Ein Tornado, by Jove!“ rief der Kommodore, und gab Vollgas, um dem Bereich des wirbelnden Trichters zu entgehen. „Ausgerechnet in dieser Gegend?“ wunderte sich Wernicke. „Tornados sollen doch eigentlich das Mississippigebiet bevorzugen.“ „Man sagt so. Scheint aber nicht zu stimmen. Jedenfalls möchte ich jetzt nicht in dieser Hölle da unten stecken.“ „Pfui Teufel! Nein, Jim, ich könnte mir schönere Todesarten vorstellen.“ „Ich mir auch“, lachte der Kommodore grimmig. „Dann schon lieber draußen im Weltraum. Doch ich denke, für diesmal hätten wir’s geschafft. In zwanzig Minuten sind wir in San Angelo.“ * Treasure Island – Schatzinsel … Schäumend brachen sich die Wogen des pazifischen Ozeans an den hellen Riffen am Fuß des öden, felsigen Eilands, das einsam aus der weiten Wasserwüste ragte. Weit abseits der bekannten Schiffahrtswege, lag es auf 140 Grad westlicher Länge 7
und 20 Grad nördlicher Breite. Aber das wußten nur wenige Menschen; denn keine Karte verzeichnete die kleine Insel. Und die Gebeine ihrer einstigen Entdecker – kühner Piraten im Zeitalter der Seeräuberei, denen sie Unterschlupf und geheimer Stützpunkt gewesen war – ruhten seit zwei Jahrhunderten auf dem Grunde des Meeres. Und doch war Treasure Island nicht ohne Leben. Hätte sich an diesem Abend zufällig ein Schiff in diese abgelegene Gegend verirrt, dann hätte seine Besatzung wohl auf der höchsten Erhebung des schroffen Inselbergs eine weibliche Gestalt wahrgenommen. Ihr helles Kleid flatterte in der Abendbrise, und ihr gebräuntes Gesicht unter dem dunkelbraunen Haar leuchtete bronzefarben im Schein der sinkenden Sonne. Noch vor wenigen Wochen hätte Erika Wilkens es sich nicht träumen lassen, daß das Schicksal sie eines Tages auf eine alte Pirateninsel verschlagen würde, von deren Existenz sie auch nicht das geringste geahnt hatte, bevor die seltsame Unterwasserjacht des geheimnisvollen Mister K. sie in einer hellen Vollmondnacht hier an Land gesetzt hatte. Erika war damals als Produktionssekretärin bei der „Highland Pictures Corporation“ in Hollywood beschäftigt gewesen, die mit zweitrangigen Schauspielern minderwertige Gangsterfilme produzierte und ihren Angestellten wahre Hungerlöhne zahlte. Eines Tages war die Firma pleite. Mister Stockfish, der geschäftsführende Direktor der „Highland“, hatte sich mit den restlichen Barmitteln aus dem Staube gemacht, und die Belegschaft saß auf der Straße. Auf der ergebnislosen Suche nach einer neuen Stellung lief Erika sich die Sohlen ab. Nach vier Wochen hatte sie jede Hoffnung aufgegeben, jemals wieder eine Beschäftigung in ihrem Beruf zu finden. Und da geschah das Wunder: Auf ein Zeitungsinserat hin bekam sie die Aufforderung, sich zu einer bestimmten Stunde in dem exklusiven Olympia-Hotel 8
bei einem gewissen Mister K. vorzustellen, der im Auftrage seines Chefs, eines Privatgelehrten, eine gewandte Sekretärin „nach Übersee“ suchte. Als Erika sich klopfenden Herzens im Olympia einfand, und der Page sie in eines der teuersten Zimmer des ersten Stockwerks geleitet hatte, sah sie sich einem mit schlichter Vornehmheit gekleideten Mann mittleren Alters gegenüber, der einen unverständlichen Namen murmelte. Der Fremde bot ihr einen Sessel an, holte Likör und Zigaretten herbei und forderte seine Besucherin auf, über ihren beruflichen Werdegang zu berichten. Seine Fragen klangen exakt, nüchtern und ohne jede persönliche Anteilnahme. Während das Frage- und Antwortspiel seinen Lauf nahm, musterte Erika mit echt weiblicher Neugier die Erscheinung ihres Gegenübers. Trotz ihres jugendlichen Alters von 21 Jahren hatte sie sich stets etwas auf ihre Menschenkenntnis eingebildet, aber hier versagte sie restlos. Dieser Mister K. gab ihr keinerlei Anhaltspunkte. Seine Züge wirkten undurchsichtig, seine Sprache war tonlos, die Ausdrucksweise beherrscht und wohl ausgewogen. Der kaum merkliche Akzent, mit dem er sprach, ließ den Ausländer vermuten. Etwas in seinen Augen deutete Verbitterung an, ja sogar Menschenhaß. Wahrscheinlich hatte er schlimme Enttäuschungen erlebt. Ob wohl eine Frau dabei im Spiel gewesen war? Erikas Interesse erwachte. Doch da riß eine Frage des Fremden sie aus ihren Betrachtungen: „Sie wären also bereit, sich für ein Jahr zum Dienst in einer – ahem – etwas abgelegenen Gegend zu verpflichten, Miß Wilkens?“ Ohne zu zögern, sagte Erika zu. Sie war auf diese Frage vorbereitet. „Und wo ungefähr liegt diese einsame Gegend?“ „Es handelt sich um eine Insel. Näheres kann ich Ihnen im Augenblick noch nicht sagen Mein Chef arbeitet an Erfindun9
gen, die für die gesamte Menschheit von größter Wichtigkeit sein werden. Sie werden daher verstehen, Miß Wilkens, daß wir alles vermeiden müssen, was die Neugier Unberufener vorzeitig auf unsere Arbeit lenken könnte. Im übrigen dürfen Sie ganz unbesorgt sein: Sie finden bei uns jeglichen Komfort, und wenn auch nicht allzuviel Abwechslung geboten wird, so gleicht die herrliche Natur diesen Mangel wieder aus.“ So hatte Erika zugesagt, und bereits am nächsten Nachmittag waren sie an Bord eines starken, seetüchtigen Motorboots westwärts in See gegangen. Als die Nacht herabsank, hatte sie plötzlich eine unwiderstehliche Müdigkeit gefühlt und sich in der kleinen Kabine niedergelegt. Wie es gekommen war, daß sie später in der dumpfen, unbequemen Kabine eines Unterseeboots erwachte, hätte sie nie zu sagen vermocht. Erschrocken war sie aufgefahren. Aber Mister K. beruhigte sie; es sei alles in bester Ordnung. Erika wußte nicht, wie lange die Unterwasserreise gedauert hatte. Als sie endlich durch den Turm des Bootes an Deck steigen durfte, war es Nacht. Eine warme Nacht unter flimmernden Sternen. Rings dehnte sich mit schwacher Dünung der dunkle Ozean, dessen weite Fläche das Sternenlicht widerspiegelte. Und vor ihr ragte massig und drohend eine kleine, gebirgige Insel aus dem Wasser. Treasure Island … Es war ein merkwürdiges Milieu, in das Erika sich so über Nacht versetzt sah, – eine Mischung von Seeräubernest und moderner atomphysikalischer Forschungsstätte. Die weitverzweigten Höhlengänge, die das ganze Innere des Inselberges durchzogen, waren schon von den Piraten vor zweihundert Jahren zu Lagerräumen und primitiven Unterkünften ausgebaut worden. Noch heute kündeten einzelne Einrichtungsgegenstände, schwere Truhen, morsche Tische und Bänke und grünspanüberzogene Kanonenrohre aus jenen blutigen Tagen. 10
Der neue Besitzer hatte einen Teil der Räume mit allem Komfort des Atomzeitalters ausstatten lassen. Es gab jetzt modernstes Mobiliar, elektrisches Licht und Klimaanlagen. Erika fühlte sich in dem kleinen Zimmer, das man ihr angewiesen hatte, bald sehr heimisch. Die Arbeit war nicht schwer und ließ Erika genug freie Zeit, die sie zumeist auf dem Hochplateau des Inselberges verträumte, von dem aus der Blick weit über das blaue Meer schweifen konnte. Meist mußte sie Forschungsberichte mit endlosen, ihr völlig unverständlichen Formeln ins reine schreiben, die Mister K. ihr gab. Oder man schickte sie in die umfangreiche wissenschaftliche Bibliothek und ließ sie Literaturauszüge über ganz bestimmte Themen anfertigen, deren tieferer Sinn ihr rätselhaft blieb. Ihr Chef, der „Professor“, den sie bislang nicht zu sehen bekommen hatte, mußte ein außerordentlich gescheites „Haus“ sein. Im allgemeinen hatte Erika nur mit Mister K. zu tun, der sie stets mit unpersönlicher Höflichkeit behandelte. Die übrigen Bewohner des Felsens machten keinen günstigen Eindruck auf sie. Es waren meist grobe Gestalten mit ausgesprochenen Gangstervisagen. Erika, die einzige Frau auf der Insel, wurde zwar von allen korrekt behandelt, doch konnte sie ein Unbehagen nicht unterdrücken, wenn sie einem dieser sogenannten Hilfsarbeiter begegnete. Geheimnisvolle Dinge mußten es sein, die sich in den Laboratorien im Inneren des Berges abspielten. Zuweilen ging ein dumpfes Poltern, ein anhaltendes Zittern, durch den Fels. Anfangs hatte Erika an Erdbeben gedacht. Doch keiner von den Männern schien davon Notiz zu nehmen. Es mußten mächtige Maschinen sein, die dort in der Tiefe das Gestein zum Beben brachten. Maschinen? Wozu dienten sie? Was stellten sie her? Und warum geschah alles in solcher Heimlichkeit? Wurden hier Dinge vollbracht, die das Licht scheuten? 11
Erika fuhr zusammen. Ein Brausen riß sie aus ihren Gedanken. Da war es wieder – das bösartig fauchende Geräusch, das sie schon zu den verschiedensten Tages- und Nachtstunden vernommen hatte. Es kam aus der kleinen Schlucht am Ostrand der Insel … Und jetzt – das Brausen schwoll an – ein riesiges, gleißendes Phantom mit feurigem Schweif fuhr aus der Schlucht hervor, bohrte sich gedankenschnell in den verdämmernden Himmel. Ein weithin hallender Donner war in der Luft, ebbte langsam ab. Nur ein verwehter Kondensstreifen kündete noch von dem rätselhaften Geschehen. * „Also schon wieder einmal! Das ist der zehnte Fall innerhalb einer einzigen Woche.“ Professor Varras, der berühmte Atomforscher des S.A.T. * , hatte dem Bericht Kommodore Parkers mit wachsendem Interesse zugehört. Jetzt sprang er auf und durchmaß das kleine Hotelzimmer mit langen Schritten. „Diese plötzliche Häufung von vernichtenden Sturmkatastrophen gibt mir zu denken. Aus heiterem Himmel brechen Tornados von nie gekannter Zerstörungskraft herein und verwüsten Landstriche von immer größerer Ausdehnung. Wie durch ein Wunder sind größere Ortschaften bislang verschont geblieben. Wer weiß, wie lange noch … Sie haben heute noch Glück gehabt, meine Freunde. Wären Sie in das Zentrum des Wirbelsturms geraten – ich fürchte, wir säßen jetzt nicht so frisch und munter hier zusammen.“ Jim Parker maß den Gelehrten mit einem nachdenklichen *
S.A.T. = Staatliches Atom-Territorium der USA
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Blick. „Hat man irgendeine Erklärung für diese programmwidrigen Wetterkatastrophen, Professor?“ Varras zuckte die Achseln. „Die Meteorologen sind ratlos …“ „Das sind wir von ihnen gewohnt“, warf Fritz Wernicke weise ein und füllte sein Glas von neuem. „Und was halten Sie persönlich von der Geschichte?“ Der Professor antwortete nicht gleich. Er schien im Buch seiner Erinnerungen zu blättern. „Es mag etwa dreißig, vierzig Jahre her sein“, begann er zögernd, „da hatte irgendein Engländer ein Verfahren zur Erzeugung künstlicher Tornados entdeckt.“ „Künstlicher Wirbelstürme?“ wunderte sich Jim. „Wie wollte er denn das anfangen?“ „Es handelte sich dabei um Raketen, die mit Atomkraftsprengstoffen geladen waren. Die entstehenden Tornados sollten ganze Länder verwüsten können. Es hieß damals, das USVerteidigungsministerium hätte die Erfindung ausgewertet. Aber offenbar fiel sie später – zum Glück für die Menschheit – der allgemeinen Ächtung der Massenvernichtungswaffen zum Opfer.“ „Und sie soll jetzt wieder ausgegraben worden sein?“ fragte Jim Parker. „Das halte ich nicht für wahrscheinlich. Keine Nation würde es heute wagen, einen solchen Humbug zu treiben.“ „Eine Nation vielleicht nicht, Kommodore. Aber es gibt ja auch private Bastler.“ Der Kommodore lächelte. „Immerhin sind die Herren heute samt und sonders namentlich bekannt. Wir wissen, an welchen Projekten jeder einzelne arbeitet, und diese Arbeiten dienen ausnahmslos friedlichen Zwecken.“ Professor Varras nickte nachdenklich. „Sie haben recht. Ich wüßte auch nur einen einzigen Außenseiter, dem solche Schlechtigkeiten zuzutrauen wären: Professor Skeleton.“ „Skeleton – der Vater der berüchtigten X-Bombe, der furchtbarsten Vernichtungswaffe aller Zeiten?“ 13
„Jawohl. Aber auch Skeleton dürfte kaum dafür in Frage kommen. Er verlor den Verstand, als damals die X-BombenEntwicklung verboten und die bereits fertiggestellten Exemplare demontiert wurden, und wanderte in eine Heilanstalt. Der Mann ist heute nur noch ein hoffnungsloses Wrack, das traurige Zerrbild eines Menschen.“ „Mir ist er stets unheimlich gewesen“, sagt Jim, und er fühlte, wie ihm ein Schauer über den Rücken kroch. „Wissen Sie, was er heute treibt?“ „Atomforschung“, lachte Varras. „Wenigstens das, was er in seinem zerrütteten Geist noch darunter versteht. Man brachte mir vor Monaten ein paar Blätter mit Formeln – Seiten eines Manuskripts, das von der Hand Skeletons stammte. Der Geheimdienst hatte es aufgegabelt und mir zur Begutachtung zugeleitet, weil die Vermutung bestand, daß eine neue Teufelei dahintersteckte.“ „Na – und?“ „Die Formeln ergaben keinen Sinn. Das Werk eines Irrsinnigen. Doch nun zum eigentlichen Zweck Ihres Kommens, meine Freunde: Ich möchte Sie mit einer Erfindung bekannt machen, die zwar augenblicklich noch in einem frühen Versuchsstadium steckt, im Falle ihres Gelingens jedoch zu einem völlig neuartigen Antriebsverfahren in der Raumschiffahrt führen könnte.“ „Thunderstorm!“ rief der Kommodore. „Da bin ich aber gespannt. Sie sind ein wahrer Hexenmeister, Professor.“ Ein Taxi brachte die drei Männer zu den ausgedehnten Anlagen des neuen Atomforschungszentrums von San Angelo. Im Verwaltungsgebäude wartete bereits Doktor Dickens, der Assistent des Professors, und geleitete die Ankömmlinge in ein flaches, rundes Bauwerk von riesenhaften Dimensionen. „Ein Zyklotron“, maulte Fritz Wernicke enttäuscht. Und leise fügte er hinzu: „Immer dasselbe.“ „Sie irren, Mister Wernicke“, lächelte Varras, der die Be14
merkung gehört hatte. „Der Partikelbeschleuniger, den Sie hier sehen, übertrifft an Leistung alle bisher bekannten Geräte dieser Art um das Zehnfache. Allein die Kühlung der Apparatur ist eine Wissenschaft für sich, die den Kollegen in San Angelo manches Kopfzerbrechen bereitet hat.“ „Und was hat das alles mit Weltraumfahrt zu tun?“ „Das werden Sie gleich erfahren. Mit diesem Gerät – wir nennen es ‚Cosmotron’ – wird kosmische Strahlung auf künstlichem Wege erzeugt. Sie dient uns freilich nur als Mittel zum Zweck. Meine neue Erfindung – die sehen Sie dort im Nebenraum.“ „Was? Diese winzige Drahtroulade?“ Fritz Wernicke fiel von einer Enttäuschung in die andere. „In diesem kleinen Gerät“, erklärte Varras feierlich, „wird kosmische Strahlung in – Materie umgewandelt.“ „Das hieße also“, warf Jim Parker lebhaft ein, „daß es künftig in der Raumfahrt kein Treibstoffproblem mehr gäbe? Wir würden den Brennstoff für unsere Raketenmotoren unterwegs im Weltraum selbst erzeugen – aus Strahlungsenergie …“ „So ist es, Kommodore. Natürlich können wir im Ernstfall kein Cosmotron mitschleppen. Aber das ist ja auch überflüssig; denn im Raum gibt es genug kosmische Strahlung, und zudem gelang es mir bereits vor Jahren, ein Verfahren zu entwickeln, die Weltraumstrahlung beliebig zu konzentrieren.“ „Es würde bedeuten“, spann Jim Parker seinen Gedanken weiter, „daß es bald keine Entfernungen mehr gäbe. Bis zu den äußersten Grenzen unseres Sonnensystems, ja vielleicht zu den nächsten Fixsternen, würden wir reisen können. Professor, das ist die größte Erfindung, die je ein menschliches Hirn ersann!“ „Darüber kann ich mir kein Urteil erlauben“, wehrte der Gelehrte bescheiden ab. „Doch kommen Sie jetzt, Gentlemen, wir wollen die Anlage in Betrieb nehmen.“
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* Einige Wochen waren vergangen. Über die weiten Ebenen des Mittelwestens zog zu nächtlicher Stunde ein zweimotoriges Privatflugzeug seine Bahn nach Westen. Eine massige Gestalt lag in die bequemen Polster eines der wenigen Sessel der kleinen Passagierkabine gedrückt und schnarchte mit einer Lautstärke, die das Dröhnen der Motoren übertönte. Der schlafende Koloß war kein Geringerer als Ted S. Cunningham, der weltbekannte „Atomboß“ und Beherrscher des S.A.T., der sich auf dam Rückflug von einer Besprechung im Ministerium in Washington nach Orion-City befand. Im Führerstand hielt Flugkapitän Horst Fischer die Hände lässig am Steuerknüppel. Die Nacht war ruhig und sternenklar und das Fliegen ein Kinderspiel. Neben ihm saß Webster, der Funker. „Kansas City meldet Windstärke 3, Südwest, und klare Sicht“, verkündete er gerade. Fischer nickte uninteressiert. Sein Blick tauchte unter im Meer der flimmernden Gestirne. Dort draußen im Raum, von der Erde aus nicht wahrnehmbar, mochten jetzt Weltraumschiffe ihren kühnen Kurs verfolgen – zur Außenstation hinauf, zu den Niederlassungen des S.A.T. auf dem Mond oder zu den fernen Kolonien auf dem Abendstern. Bald wurde auch er, Horst Fischer, ein solches Raumschiff befehligen. Der Kommodore hatte ein Auge auf ihn geworfen und ließ ihm bereits eine sorgfältige Ausbildung zuteil werden, soweit sein Dienst als persönlicher Pilot Cunninghams ihm Zeit dafür ließ. Ein rotglühender Stern löste sich plötzlich aus der schimmernden Pracht und schoß in schräger Bahn abwärts. „Ein Meteor!“ rief der Funker. „Ein besonders prächtiges.“ Das Meteor raste heran, kreuzte jetzt weit voraus die Bahn des Flugzeugs – und flammte plötzlich in blendender Weißglut 16
auf. Die Männer schlossen die Augen. In der instinktiven Ahnung einer Katastrophe drehte Horst Fischer das Steuer hart nach backbord. Aus dem Passagierraum kam ein zorniges Grunzen. „Heda, Fischer, sie Nachtwächter! Sind wohl am Steuer eingepennt, was?“ Der Flugkapitän hatte keine Zeit, seinem Boß zu antworten. Er fühlte nur soviel – Das war kein Meteor gewesen – Irgend etwas Furchtbares war da vorn passiert. Mit unsichtbaren Armen griff die Gefahr aus der Schwärze der Nacht nach ihnen. Ein heftiger Stoß erschütterte die Maschine. Und plötzlich war die Zweimotorige nur noch ein kraft- und willenloses Spielzeug in den Fäusten unsichtbarer Titanen, die sie mutwillig einander zuwarfen. Kreidebleich nestelte der Funker an seinen Gurten. „Aber Kansas City meldete doch …“ Sein hilfloses Gestammel ging in einem scheppernden Krachen unter. „Die Fallschirme!“ kommandierte Fischer. „Rasch –, schnalle den Boß an!“ Aus dem rückwärtigen Raum drang das bewegte Zetern des Atombosses. Horst Fischer ließ das Steuer, dem die Maschine doch nicht mehr gehorchte, und verließ den Führerstand. „Was ist denn los, ihr Himmelhunde?“ tobte Cunningham. „Wollt ihr nicht gefälligst …“ „Sorry, Boß, wir müssen aussteigen.“ Der Funker hatte bereits die Tür der Backbordseite zurückgeschoben. Fischer gab ihm einen Wink. „Was fällt euch ein“, rief der Boß entsetzt. „Ich soll doch nicht – da hinaus …“ Horst Fischer antwortete nicht. Es ging um Bruchteile von Sekunden. Von furchtbaren Luftstößen auf und nieder geschleudert, taumelte die Maschine zwischen Bruch und Absturz durch das urplötzlich entfesselte Unwetter. Ohne noch länger zu zögern, rissen die beiden Männer den heftig protestierenden 17
Fleischkoloß aus dem Sitz hoch, zwängten ihn durch die Türöffnung und beförderten ihn mit kräftigem Fußtritt hinaus. Unverzüglich sprangen sie hinterdrein. Drei Fallschirme blähten sich gespenstisch im Inferno des Wirbelsturms. * „Es ist eine Affenschande“, donnerte der Atomboß. Er saß in seinem Arbeitsraum, im Hauptverwaltungsgebäude des S.A.T. zu Orion-City, am runden Tisch, nahe dem Fenster, und schleuderte die halbgerauchte Havanna wütend in den Ascher. Mit Entrüstung hatte er seinen Besuchern von seinem Erlebnis berichtet. Jim Parker, der ein Lächeln unterdrücken mußte, versuchte, ihn zu trösten. „Es hätte schlimmer ausgehen können, Boß. Seien Sie doch froh, daß Sie mit heiler Haut davongekommen sind.“ „Was heißt hier ‚mit heiler Haut’?“ rief der dicke Ted S. beleidigt und rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die gewaltige Sitzfläche. Fritz Wernicke schob ihm ein volles Whiskyglas hinüber. „Trinken Sie, Boß! Ein guter Whisky ist die beste Medizin gegen alle Schmerzen, sowohl des Leibes wie der Seele!“ Aber Cunningham zog nur eine säuerliche Grimasse und wandte sich an den dritten unter seinen Besuchern, einen kleinen Mann mit großer Hornbrille, der ängstlich zu dem Gewaltigen hinüberschielte. „Nun, Mister Tiller, wie erklären Sie sich das? Ihr vorzüglicher Wetterdienst faselte von schönstem Sommerwetter über dem ganzen Kontinent, während wir mit dem Tornado um unser Leben kämpften. Ich mußte am Fallschirm abspringen, Herr: Am Fallschirm – zum ersten Male in meinem Leben! Stellen Sie sich das mal vor!“ 18
Fritz Wernicke konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, und auch um Jims Mundwinkel zuckte es verräterisch. Doch dem armen Doktor Tiller war ganz und gar nicht zum Lachen zumute. Er war der Leiter des Wetterdienstes der Atomstadt, und seine Prognosen hatten kläglich versagt. Unbehaglich rutschte er in seinem Sessel hin und her. „Wir stehen tatsächlich vor einem Rätsel, Sir.“ „Das ist bei euch Meteorologen meist der Fall“, grollte der dicke Ted S. „Ich bin es gewohnt, an eure Wissenschaft keine hohen Anforderungen zu stellen, aber dies hier geht nun doch über die Gemütlichkeit.“ „Dieses gehäufte Auftreten von Wirbelstürmen ist wirklich unerklärlich, Gentlemen. So lange es meteorologische Beobachtungen gibt, hat man so etwas noch nicht erlebt. Es ist auf natürliche Art nicht zu deuten.“ Jim Parker tat der arme Mann leid. Er versuchte, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. „Fischer erzählte mir, er hätte unmittelbar vor der Katastrophe einen riesigen Meteor gesichtet.“ „Stimmt“, erwidert Cunningham, „ich habe das Ding auch gesehen. Aber ich will meine eigene Leiche heiraten, wenn das ein Meteor gewesen ist.“ Und er berichtete den gespannt lauschenden Zuhörern von der seltsamen, feurigen Erscheinung, die den Weg des Flugzeugs gekreuzt hatte. Betroffen sahen sich die anderen an. „Ein Kugelblitz?“ fragte Wernicke. „Ausgeschlossen“, erklärte der Meteorologe bestimmt „Kugelblitze kommen nicht so einfach aus heiterem Himmel Dennoch ist Ihre Beobachtung sehr aufschlußreich, Sir. Sie deckt sich mit ähnlichen Wahrnehmungen anderer Beobachter, die derartige Tornados erlebten und – ahem – mit dem Leben davongekommen sind.“ Der Kommodore war sehr ernst geworden. Er mußte plötz19
lich an die Worte Professor Varras’ denken – damals, in San Angelo. Sollte sich da eine Spur abzeichnen? „Sagen Sie, Doc, in welchen Gegenden sind diese Wirbelstürme bisher aufgetreten?“ „Hauptsächlich in Südkalifornien, Arizona, New Mexico und Texas. In Arizona wurden drei Ortschaften regelrecht wegrasiert. Neuerdings liegen auch Meldungen aus Oklahoma und Kansas vor.“ „Vorwiegend wird also der Südwesten heimgesucht“, meinte Jim Parker nachdenklich. „Das gibt immerhin zu denken. Schätze, man sollte diesen Punkt im Auge behalten.“ Verständnislos blickten ihn die anderen an. * Jim Parker behielt die Angelegenheit im Auge. Er schien ihr sogar außerordentliche Bedeutung beizumessen. Bereits am nächsten Morgen ließ er sich bei Oberst Thomas, dem Chef des südkalifornischen Radar-Überwachungsdienstes in San Diego, melden. Kaum hatte er neben dem Schreibtisch des Offiziers Platz genommen, als er auch schon geradenwegs auf den Zweck seines Besuchs zusteuerte. „Sagen Sie, Oberst, sind in Ihrem Bereich in den letzten Wochen irgendwelche Einflüge von Flugkörpern registriert worden, deren Herkunft nicht einwandfrei identifiziert werden konnte?“ Oberst Thomas kratzte sich verlegen hinter dem Ohr. „Hatte mir schon gedacht, daß es eines Tages Rückfragen geben würde. Wir beobachten tatsächlich seit einigen Wochen derartige Einflüge in großer Höhe von Südwesten. Selbstverständlich habe ich die Meldungen auf dem Dienstweg weitergeleitet …“ „… worauf man vermutlich nicht weiter reagiert hat?“ „Allerdings, Sir. Und was kann ich jetzt für Sie tun?“ 20
„Ich hätte gern einmal in diese Meldungen Einblick genommen.“ Der Oberst holte einen Packen Formulare aus einem Seitenfach seines Schreibtischs und blätterte darin herum. Dann schob er Jim eine Anzahl der Bögen zu. Der breitete sie auf der Tischplatte aus und verglich die Angaben mit einer Liste, die er seiner Brieftasche entnommen hatte. Neugierig kam Oberst Thomas um den Schreibtisch herum. „Was haben Sie denn da Schönes, Sir? Was steht auf diesem Blatt?“ „Das ist ein Schreiben der meteorologischen Zentralstelle von Orion-City. Es enthält eine Aufstellung der Wirbelsturmkatastrophen in Arizona, New Mexico und Texas während der letzten vierzehn Tage. Und nun vergleichen Sie diese Angaben mal mit Ihren Meldungen. Sagen Sie, Oberst, fällt Ihnen da nichts auf?“ „All devils! Sie haben recht, Sir: Diese komischen Tornados sind stets genau dann aufgetreten, wenn unsere Geräte solch einen rätselhaften Einflug registriert hatten.“ „Stimmt auffallend. Scheint demnach ein ursächlicher Zusammenhang zu bestehen.“ „Gewiß, das kann kein Zufall sein. Aber – wie erklären Sie sich das, um Himmels willen?“ „Ich habe so meine Vermutungen. Irgend jemand scheint ein Interesse daran zu haben, unser Land systematisch zu verwüsten.“ „Sie denken an eine fremde Nation?“ fragte Oberst Thomas ungläubig. „Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich. Meines Wissens leben die Völker der Welt gegenwärtig ausnahmsweise mal im tiefsten Frieden miteinander.“ „Es braucht sich nicht unbedingt um eine fremde Macht zu handeln. Doch lassen wir das einstweilen. Vielleicht sehen wir in ein paar Tagen schon klarer. Darf ich mit Ihrer Unterstützung rechnen, Oberst?“ 21
„Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung, Sir. Was kann ich für Sie tun?“ Der Kommodore stand auf und reichte dem Offizier zum Abschied die Hand, „Ich danke Ihnen, Oberst. Sie werden bald wieder von mir hören. So long.“ * Professor Varras war nach Beendigung seiner Arbeiten im Atomforschungszentrum San Angelo nach Orion-City zurückgekehrt. Die Versuche waren zur vollsten Zufriedenheit des Gelehrten verlaufen – ja sie hatten sogar seine kühnsten Erwartungen übertroffen. War es doch zum ersten Male in größerem Umfange geglückt, Strahlung in Materie, umzuwandeln. Das neue „Varras-Aggregat“ hatte sich als fähig erwiesen, atomaren Wasserstoff aus kosmischer Strahlungsenergie zu gewinnen. Seit Wochen liefen in den geheimen Werkstätten der großen Atomstadt die Vorbereitungen zum Bau der ersten VarrasTriebwerke in Großausführung. Sie sollten bereits in Kürze zur Endmontage auf die Weltraumstation „Luna nova“ transportiert werden. Gewissenhaft überwachte der Professor im Verein mit Doktor Dickens, seinem Assistenten, die Fertigung jedes Einzelteils der geheimnisvollen Apparatur. Varras war sich über die ungeheure Tragweite seiner neuesten Erfindung völlig im klaren. Er empfand sie als Krönung seines reichen Schaffens. Diese eine Entwicklung wollte er noch zu Ende führen und sich dann aus der Forschung zurückziehen; denn er war alt und sehnte sich nach Ruhe. – Als Professor Varras an diesem Vormittag seine Wohnung in der Antares Road betrat, fand er eine Besucherin vor, die bereits eine gute Stunde auf ihn wartete Sie hatte sich als Erika Wilkens eingeführt und wirkte ungemein jugendlich und sympa22
thisch. Das mußte auch der etwas weltfremde Gelehrte zugeben Und doch hätte er sie am liebsten hinausgeworfen, als er erfuhr, daß sie Reporterin sei und im Auftrag des Berliner „EuropaExpreß“ käme, um ihn zu interviewen. „Ich werde Sie enttäuschen müssen, Miß Wilkens“, erklärte er unverbindlich. „Bitte, Herr Professor, nur eine einzige Frage“, bettelte Erika. „Es geht um ein altes Problem, das in der wissenschaftlichen Beilage unseres Blattes diskutiert werden soll. Es liegt uns daran, alle Fachleute von Weltruf zu Wort kommen zu lassen. Professor Taft aus Sydney hat schon zugesagt, desgleichen die Herren Silverstone aus Edinburgh und Guntermann aus Göttingen …“ Professor Varras’ Züge glätteten sich, als er die Namen seiner berühmten Kollegen vernahm. Wesentlich freundlicher, lud er seine Besucherin zum Platznehmen ein. „Und worum handelt es sich, Miß Wilkens?“ „Kurz gesagt, Herr Professor, um die Frage, ob eine Umwandlung von Materie in Strahlung, und von Strahlung in Materie, in technisch nutzbarem Umfang möglich ist.“ „Das sind – genaugenommen – bereits zwei Fragen …“ „Die aber eng miteinander zusammenhängen.“ „Gewiß. Miß Wilkens. Was die erste Frage anbetrifft, die Verwandlung von Materie in Strahlung, so ist sie bereits vor längerer Zeit in den Atombombe unseligen Angedenkens und in den Uranmeilern gelöst worden – wenigstens innerhalb gewisser Grenzen.“ „Und die zweite Frage?“ Einen Augenblick lang sah Professor Varras seine Besucherin scharf an. Sollte das eine Falle sein? Wollte man ihn aushorchen? Doch das Gesicht der jungen Journalistin wirkte ganz harmlos. Varras räusperte sich umständlich. „Theoretisch ist die Möglichkeit, Strahlung in Materie zu verwandeln, seit langem be23
kannt. In der Praxis ergeben sich allerdings beträchtliche Schwierigkeiten.“ „Die jedoch – wie gerüchtweise verlautet – durch Ihre letzten Forschungen weitgehend behoben sein dürften.“ Erika hatte nur „auf den Busch klopfen“ wollen, aber an der Reaktion des Professors erkannte sie sofort, daß sie richtig getippt hatte. Varras bewegte unbehaglich die Schultern und sagte mit unsicherer Stimme: „Ich hatte gar nicht gewußt, daß die Öffentlichkeit bereits Wind davon bekommen hat.“ Die angebliche Reporterin freute sich über ihren Erfolg. „Warum denn eigentlich diese Geheimnistuerei, Herr Professor? Das erinnert ja direkt an jene finsteren Zeiten, in denen ‚Militärische Geheimhaltung’ ganz groß geschrieben wurde.“ „Meine Forschungen haben nichts mit militärischen Interessen zu tun“, beeilte sich der Gelehrte zu versichern. Er war aufgestanden und ging mit schnellen Schritten hin und her. „Eigentlich haben Sie ganz recht, Miß Wilkens. Es besteht kein triftiger Grund, eine Sache totzuschweigen, die ohnehin über kurz oder lang Allgemeingut der Wissenschaft sein wird. Jedenfalls verrate ich Ihnen wohl nicht zu viel, wenn ich zugebe, daß meine Untersuchungen zu Resultaten geführt haben, die eine völlig neue Ära der Weltraumfahrt eröffnen werden.“ Erika hatte den Eindruck, daß es aufdringlich erscheinen müßte, wenn sie weiter in den Professor dringen würde. Sie bedankte sich höflich und verabschiedete sich. Auf der Straße winkte sie einem Taxi und ließ sich zum Central Park fahren. Sie stieg an der Einmündung der Herschel Street aus und bog in einen der gewundenen Parkwege ein. Von einer Bank erhob sich ein Mann, der hinter einem großen Zeitungsblatt verborgen gesessen hatte. Es war der geheimnisvolle Mister K., der jetzt verbindlich lächelnd den Hut zog und sich dem jungen Mädchen anschloß. 24
„Haben Sie etwas erfahren können, Miß Wilkens?“ Erika berichtete von ihrer Unterhaltung mit Professor Varras. Was sie zu erzählen wußte, schien ihren Begleiter in große Erregung zu versetzen. „Gut gemacht, Miß Wilkens. Dann haben mich meine Vermutungen also nicht getrogen. Wenn der alte Varras so offenherzig zu Ihnen war, dann muß seine neue Erfindung schon so gut wie perfekt sein.“ Ein unbehagliches Gefühl wollte Erika beschleichen „Sagen Sie, Sir, was hat das alles eigentlich zu bedeuten? Hoffentlich handelt es sich nicht um Werkspionage oder etwas Ähnliches. Da mache ich nicht mit.“ In den nichtssagenden Zügen ihres Begleiters zuckte es höhnisch. „Machen Sie sich keine Sorgen, kleines Fräulein, es hat alles seine Richtigkeit. Sie werden das bald verstehen. Doch nun gehen Sie noch rasch in die Hauptverwaltung und versuchen Sie, den dicken Cunningham auszuholen. Wir treffen uns anschließend am gleichen Ort. Viel Glück, Miß Wilkens!“ * „Sorry, Miß Wilkens – ich fürchte, Sie sind umsonst gekommen. Mister Cunningham ist besetzt. Eine wichtige Konferenz ..“ Shilling, der Privatsekretär des Atomgewaltigen, der Erika im Vorzimmer empfing, hob bedauernd die Schultern. Doch das junge Mädchen ließ sich nicht so leicht entmutigen. „Auch die wichtigste Konferenz geht einmal zu Ende.“ „Gewiß, Miß Wilkens. Aber dann muß Mister Cunningham zum Mittagessen fahren, und er kann sehr unangenehm werden, wenn man ihn bei dieser lebenswichtigen Beschäftigung stört.“ „Und anschließend schläft er wahrscheinlich ausgiebig.“ „Sie haben ’ne Ahnung, Miß!“ Shilling blätterte im Terminkalender. „13 Uhr: Besprechung im Kleinen Sitzungssaal, 15 25
Uhr: Empfang des Herrn Unterstaatssekretärs Baker auf dem Zentralflugfeld, 16 Uhr: Konferenz mit Professor Varras. Und so geht es weiter bis 23.30 Uhr.“ Erika fühlte nun doch ihren Mut sinken. „Dann versuche ich es wohl besser morgen noch einmal.“ „Völlig zwecklos, Miß Wilkens. Generaldirektor Cunningham fliegt morgen früh, 6.30 Uhr, nach Washington und bleibt drei Tage fort.“ Enttäuscht wandte sich Erika zum Gehen. Als sie langsam den langen Gang hinunterschritt, auf den zahlreiche Türen mündeten und der von geschäftig hin und her eilendem Personal bevölkert war, hörte sie plötzlich Schritte nahen. Sie schaute sich um und blickte in die lachenden Augen eines jungen Mannes in der schmucken Fliegeruniform des S.A.T.. Jetzt fiel ihr ein, daß sie ihn soeben im Vorzimmer des Generaldirektors bemerkt hatte, wo er gleich ihr vergeblich darauf zu warten schien, vorgelassen zu werden. „Sie haben Pech gehabt, gnädiges Fräulein“, begann der Flieger, „aber der Boß ist nun einmal ein vielbeschäftigter Mann, und es ist nicht leicht, bis in sein Allerheiligstes vorzudringen.“ „Diese Erfahrung scheinen Sie gerade selbst gemacht zu haben“, lächelte Erika. „Und wie ich sehe, haben Sie auch die Hoffnung aufgegeben.“ Der junge Mann stieß ein fröhliches Lachen aus. „Falsch getippt! Wollte mich nur mal erkundigen, ob der Boß irgendwelche Wünsche hätte. Er hatte keine – um so besser für mich. Nun kann ich bis morgen früh tun, was mir gefällt.“ Erika warf ihrem Begleiter einen zweifelnden Blick zu. „Sie scheinen demnach bei Generaldirektor Cunningham ein und aus zu gehen, Mister …“ „Fischer“, stellte sich der junge Flieger vor. „Flugkapitän Horst Fischer.“ 26
„Also, Mister Fischer, dann wäre es Ihnen doch sicher leicht möglich, mir eine Audienz bei dem Gewaltigen zu vermitteln.“ Der junge Mann machte ein betrübtes Gesicht. „Irrtum, gnädiges Fräulein. Ich bin nur der persönliche Pilot des Bosses und habe die Ehre, ihn zwischen Orion-City und Washington oder einigen anderen Ortschaften hin und her zu kutschieren. Damit erschöpft sich mein Einfluß. Sie wären auch bestimmt enttäuscht gewesen.“ „Wieso? Ich habe gehört, Mister Cunningham sei eine äußerst interessante Persönlichkeit.“ „Worauf Sie sich verlassen können. Aber er soll auch eine unüberwindliche Abneigung gegen Presseleute haben. Die Fama will wissen, daß er jeden Reporter – ganz gleich, ob Männlein oder Weiblein – höchst eigenhändig die Treppe hinunterwirft.“ „Um Himmels willen! Da habe ich ja noch Glück im Unglück gehabt.“ „Haben Sie auch. Doch was haben Sie nun weiter vor? Kennen Sie sich in der City aus?“ Erika überlegte. Sie mußte jetzt zunächst Mister K. aufsuchen und ihm von ihrem Mißgeschick berichten. Danach war sie frei. Die Abreise war erst für den morgigen Mittag festgesetzt. Horst Fischer nutzte ihre Unentschlossenheit aus. „Wenn Sie nichts Besseres vorhaben, würde ich Sie gern ein bißchen herumführen. Tagsüber ist in der City natürlich nichts los. Aber abends, nach Dienstschluß, erwacht die Atomstadt erst richtig zum Leben.“ „Sie wollen mich doch hoffentlich nicht durch sämtliche Nachtlokale schleifen?“ „Nur durch die exklusivsten. Da wäre zum Beispiel das ‚Mondkalb’ …“ „Also schön“, lachte Erika, „ich nehme Ihre freundliche Ein27
ladung mit Dank an.“ Sie dachte an ihr einsames Leben auf Treasure Island und freute sich auf die Abwechslung, die ihr der heutige Abend bringen würde. „Sagen wir: um 18 Uhr?“ Horst Fischer strahlte. „Großartig! Darf ich Sie am Central Park erwarten – in. der Regulus Street?“ Erika nickte und reichte ihm zum Abschied die Hand. Der Central Park scheint der allgemeine Treffpunkt in Orion-City zu sein, dachte sie unwillkürlich, während sie mit dem Lift ins Erdgeschoß hinabfuhr. Übrigens ein netter Kerl, dieser Fischer … Zehn Minuten später spazierte sie an der Seite des Mister K. über die Parkwege und erzählte von ihrem Mißgeschick. Mister K. konnte seinen Unmut nur schwer verbergen. In den Werken des Staatlichen Atom-Territoriums, die der großen Forschungsstadt ihr Gepräge gaben, kündeten die Sirenen den Beginn der Mittagspause an. Ruckartig schwoll der an sich schon rege Straßenverkehr zu lebensgefährlicher Dichte an Auch der Central Park belebte sich zusehends mit Menschen, die auf kürzestem Wege heimwärts strebten oder ihre Freizeit auf den schattigen Parkbänken verbringen wollten. An einer Wegkreuzung prallten Erika und Mister K. mit einem bebrillten Herrn zusammen, der aus der Richtung des Hauptverwaltungsgebäudes kam. Entschuldigend lüftete er den Hut – und hielt plötzlich wie erstarrt inne. „Doktor Kux – Sie hier in Orion-City? Was führt Sie denn zu uns?“ Erstaunt sah Erika ihren Begleiter an, der bleich geworden war und sich offensichtlich bemühte, rasch an dem anderen vorbeizukommen. „Sie – Sie müssen sich irren, Sir. Ich weiß nicht, von wem Sie reden.“ „Aber das ist doch unmöglich. Ich habe ein vorzügliches Gedächtnis für Gesichter, zumal dann, wenn sie mir unter besonders dramatischen Begleitumständen begegnet sind. Und ich 28
möchte schwören, daß Sie mit jenem Doktor Kux identisch sind, der seinerzeit die Atombombenwerke von Tannu Tuwa leitete.“ „Ich weiß tatsächlich nicht …“, stotterte Mister K., der abwechselnd blaß und rot geworden war. „Mein Name ist übrigens Dickens“, fuhr der Fremde unbeirrt fort. „Wir waren damals gewissermaßen Gegenspieler; denn zur gleichen Zeit, als Sie in Tannu Tuwa an der Super-X-Bombe arbeiteten, war ich als Assistent …“ „… bei Professor Skeleton …“, entfuhr es Mister K. unbeherrscht. Im nächsten Augenblick biß er sich bereits wütend auf die Lippe. „Na also“, sagte Doktor Dickens freundlich, „ich hatte doch gewußt, daß Sie sich meiner erinnern würden.“ „Entschuldigen Sie mich jetzt bitte“, sagte Mister K. hastig. „Eine dringende Verabredung … Good-bye, Sir.“ Er zerrte Erika, die etwas abseits gestanden hatte, am Arm mit. Kopfschüttelnd bildete Doktor Dickens den beiden nach. „Warum wollten Sie nicht zugeben, daß Sie in Wirklichkeit Doktor Kux sind“, fragte Erika ihren Begleiter. „Und warum laufen Sie diesem freundlichen Herrn davon?“ „Weil er gefährlich ist“, rief Kux. „Dieser Schleicher wird uns den ganzen Sicherheitsdienst der Atomstadt auf den Hals hetzen. Natürlich kann man uns nicht das geringste anhaben“, lenkte er ein, als er Erikas mißtrauisch-forschenden Blick bemerkte, „aber es würde peinliche Zeitverluste und unnötige Scherereien geben, bis alle Mißverständnisse aufgeklärt wären. Kommen Sie jetzt, Miß Wilkens. Wenn wir uns beeilen, erwischen wir gerade noch das Mittagsflugzeug nach Frisco.“ – An diesem Abend stand sich der arme Horst Fischer an der Ecke Regulus Street – Central Park „die Beine in den Bauch“. Als er eine volle Stunde lang vergeblich auf seine Unbekannte gewartet hatte, warf er den prächtigen Rosenstrauß, den er für 29
sie erstanden hatte, in den nächsten Papierkorb. Dann klemmte er sich hinter das Steuer seines Wagens und knallte die Tür zu. Eigentlich hatte die kleine Brünette doch einen sehr guten Eindruck auf ihn gemacht. Um so unbegreiflicher war es ihm, daß sie ihn so mir nichts, dir nichts versetzt hatte. Nein, er hatte nun mal kein Glück bei den Frauen. In der „Mondkalb“-Bar versuchte er, seinen Schmerz über das Trügerische der Frauenherzen in sehr viel scharfen Getränken zu ersäufen. * „Scheint ’ne ziemlich tolle Gegend zu sein da unten, großer Kommodore. Möchte wirklich wissen, was du dir von dieser albernen Karussellfahrerei versprichst.“ Der kleine Fritz Wernicke langweilte sich redlich, und er machte kein Hehl daraus. Seit reichlich anderthalb Stunden kurvten sie nun schon über dem Bergland an der Grenze zwischen dem Staat Kalifornien und dem mexikanischen Nieder-Kalifornien in großer Höhe in der Luft herum, und nichts hatte sich bisher ereignet. „Warte nur ab, old fellow“, tröstete der Kommodore seinen ungeduldigen Freund. „Wenn mich nicht alles täuscht, wird der Rummel gleich losgehen.“ Er warf einen Blick auf die Borduhr. „Gib acht auf den Funkverkehr, Fritz, und halte das Radargerät bereit.“ Wernicke zuckte plötzlich zusammen. „Achtung, Jim: San 30
Diego meldet unbekannten Flugkörper in Planquadrat N 24. Höhe etwa 60 Kilometer.“ Jim Parker warf einen raschen Blick auf die Flugkarte. Er ließ die Maschine um einen Strich nach Norden abfallen und schaltete die beiden Düsenmotoren ab. Sekunden später heulte das überstarke Raketentriebwerk im Heck auf. Fast senkrecht schoß das Flugzeug durch die Regionen der Stratosphäre empor und ging in 60 Kilometer Höhe wieder in Horizontalflug über. Kurz danach zeigte das Radargerät den gesuchten Flugkörper an. Jim korrigierte den Kurs und ließ den Motor zu höchsten Touren auflaufen. Er stieß den neben ihm – am zweiten Steuer – sitzenden Wernicke an. „Nimm du das Steuer, Fritz, und geh’ so dicht wie möglich an das Ding ran!“ „Was hast du vor, Jim? Willst du es abschießen?“ „Werde mich hüten. Geh’ ’ran und bleib’ in Tuchfühlung!“ Im Feldstecher konnte der Kommodore den verfolgten Flugkörper bereits deutlich erkennen Es handelte sich um eine unbemannte, geflügelte Rakete mittlerer Größe, die unbeirrt ihren Kurs nach Osten verfolgte. Rasch verringerte sich der Abstand, Jim Parker kroch in die Spitze des Flugzeugs, wo der Atombrenner beweglich eingebaut wer und schußbereit lauerte. Er visierte das Ziel an, bis die obere Heckflosse genau im Fadenkreuz lag. Der Kommodore drückte den Auslöser. Ein scharfer, grüner Strahl sprühte aus der Mündung der gefährlichen Atomwaffe. Drüben glühte es auf. Die Schwanzflosse wurde glatt abrasiert. Den drei anderen Flossen erging es genau so. Jim Parker nahm den Finger vom Auslöser. Seiner Erfahrung nach handelte es sich bei dem fremden Flugkörper um ein Gerät, das durch Funkkommandos ferngesteuert wurde. In solchen Fällen pflegten die Antennen in den Heckflossen montiert zu sein. Nach menschlichem Ermessen waren sie nun zerstört. 31
Aber er war noch nicht fertig. „Noch näher ’ran, Fritz! Halte die Maschine genau senkrecht über dem Ding!“ Fritz Wernicke manövrierte mit großer Geschicklichkeit. Als das Raketenflugzeug direkt über dem Flugkörper mit gleicher Geschwindigkeit dahinraste, legte der Kommodore einen kleinen Hebel um. der seitlich an einer nach unten gerichteten Visiervorrichtung angebracht war. Ein kleiner, granatenförmiger Körper löste sich vom Boden des Flugzeugs und schoß hinab. Er traf die Flügelrakete nahe dem Heck und blieb dort haften. „Abdrehen!“ befahl Jim. „Wir landen in Yuma.“ „War das alles, großer Meister?“ Der kleine Weltraumsteuermann war ehrlich enttäuscht. „Sag’ mal, Jim, war das eine Atombombe mit Zeitzünder, die du dem Ding auf den Pelz gebrannt hast?“ „Atombomben gibt es – Gott sei Dank! – nicht mehr, mein Lieber. Nein, das ist die jüngste Erfindung, die aus unserer prächtigen Atomstadt hervorgegangen ist: Die kleine Granate enthält einen kombinierten Brems- und Fallschirm aus einem neuartigen, unzerreißbaren Werkstoff, der zusammengefaltet praktisch gar keinen Platz mehr einnimmt. Wenn sein Erfinder recht behält, wird dieser Schirm den Flugkörper heil und sicher zu Boden bringen. Hoffen wir, daß der Mann sich nicht täuscht.“ „Und wenn er sich geirrt hätte?“ „Dann, fürchte ich“, erwiderte der Kommodore ernst, „würde die Gegend da unter uns in den nächsten Sekunden von einem vernichtenden Wirbelsturm heimgesucht werden.“ * Nachtflug nach Hawaii … Im Passagierraum des Clipper-Flugzeugs dösten die wenigen Passagiere vor eich hin. Erika Wilkens schaute versonnen in das Dunkel hinaus. In ihren Gedanken zogen noch einmal die Er32
lebnisse dieses ereignisreichen Tages vorüber: Ihr Besuch bei Professor Varras, der vergebliche Versuch, Generaldirektor Cunningham zu sprechen, die überraschende Entlarvung des geheimnisvollen Mister K. und ihre überstürzte Abreise aus der Atomstadt, die einer Flucht verzweifelt ähnlich sah. Und dann dieser sympathische junge Mann – Horst Fischer hatte er sich genannt. Sie hatte ihn nicht mehr gesehen. Was mochte er wohl von ihr denken? Erika fühlte einen gefährlichen Groll gegen ihren seltsamen Beileiter in sich aufsteigen. Doch dieser ahnte nichts davon und hätte sich wahrscheinlich auch nicht viel daraus gemacht. Er saß neben ihr – in die unvermeidliche Zeitung vertieft – und schien sich angelegentlich für die letzten Notierungen der New-Yorker Börse zu interessieren. Aus dem Lautsprecher tönte gedampft Jazzmusik. Plötzlich brach das Programm ab. Der Sprecher gab eine Sondermeldung durch. Der Bordfunker hatte die Lautstärke erhöht, und die Nachricht riß jeden der Passagiere aus seinem Halbschlummer. „… wurde soeben bekannt, daß die Wirbelsturmkatastrophen, die seit Wochen die westlichen Staaten der Union heimsuchten, eine überraschende Erklärung gefunden haben. Sie wurden durch ferngelenkte, mit speziellen Atomsprengstoffen befrachtete, Raketen ausgelöst, die über die Pazifikküste eingeflogen sind. Es gelang Kommodore Parker, in kühnem Einsatz eines der gefährlichen Geschosse zu erbeuten. Der Marinebefehlshaber West hat sofort im Vorfeld der pazifischen Küste einen dichten Gürtel von Stratosphären-Ballonsperren und automatischer Raketen-Flugabwehr legen lassen, der jeden weiteren Einflug unmöglich machen dürfte. Der Ursprung der Tornado-Raketen ist zur Stunde noch unbekannt. Der Abwehrdienst verfolgt bereits eine bestimmte Spur. Nähere Einzelheiten können im Interesse einer erfolgreichen Fahndung noch nicht mitgeteilt werden.“ 33
„Verdammte Schweinerei!“ Alle Köpfe fuhren herum. Alle Augen starrten auf Doktor Kux, der aufgesprungen war und seine Zeitung auf den Boden geschleudert hatte. Einige Passagiere murmelten Beifall. Sie schienen anzunehmen, daß die Entrüstung Ihres Mitreisenden den unbekannten Urhebern der verruchten Tornado-Raks galt. Doktor Kux sah sich unsicher um und ließ sich zitternd in seinen Sessel zurückfallen. Er zerrte einen Notizblock aus der Tasche und warf ein paar flüchtige Zeilen darauf: Mr. Smith, 13 Australia Road, Honolulu. Fernsehgerät Type TR begegnet plötzlichen Absatzschwierigkeiten. Versand weiterer Lieferungen ist sofort zu stoppen. Bitte Auslieferungslager umgehend verständigen. K. Mit großen Augen sah Erika, die den merkwürdigen Text heimlich mitgelesen hatte, ihren Begleiter an. Was waren das für unverständliche Dinge, in denen dieser Doktor Kux seine Finger hatte? Sie beschloß, künftig wachsam zu sein. Doktor Kux beachtete sie nicht. Er riß das Blatt von seinem Notizblock und begab sich damit zum Bordfunker. * „Zum Teufel noch mal. Herr Professor, wollen Sie uns denn mit aller Gewalt den Abwehrdienst der USA und diese verdammte Weltpolizei auf den Hals bitten?“ Zwei Männer standen sich in dem kleinen Privatlabor gegenüber, das – tief in die Höhlengange von Treasure Island hineingebaut – ein abenteuerliches Gemisch von verklungener Seeräuberromantik und modernster Atomforschung darstellte. Doktor Kux, noch im Reiseanzug, so, wie ihn die Unterwasserjacht an Land gespien hatte – und der Professor, ein langer, dürrer Mann im zerschlissenen Labormantel, in dessen totenkopfähnlichem Gesicht die Augen in fanatischem Feuer flackerten. 34
„Ich verstehe Sie nicht, Herr Kollege.“ „Ja, haben Sie denn das Telegramm nicht bekommen, das ich Ihnen via Honolulu gesandt habe?“ Der Professor ging zu seinem Schreibtisch, einem wurmstichigen Gerümpel aus den Tagen der Freibeuter, und wühlte in einem Haufen Papier. Schließlich zog er ein halbiertes Blatt hervor und entzifferte es kopfschüttelnd. „Ich muß es glatt übersehen haben. Was ist denn überhaupt passiert?“ Doktor Kux raufte sich die spärlichen Haare. „Jim Parker, unser ewiger Widersacher, ist hinter das Geheimnis unserer Tornado-Raketen gekommen. Ich sandte Ihnen diese Warnung, damit Sie den Verschuß weiterer Raketen sofort stoppen sollten. Das ist nun unterblieben, und ich möchte wetten, daß diese verdammten Dinger die Spürhunde auf unsere Fährte gebracht haben.“ Der Professor schien die Tragweite dieser Vermutung nicht zu erfassen. „Schade“, sagte er nur, „schade um diese prächtige und so wirkungsvolle Erfindung. Aber das ist vielleicht gar nicht mehr so wichtig. Ich glaube, auf unserem neuen Wege ein entscheidendes Stück vorangekommen zu sein. Sehen Sie her.“ Doktor Kux rückte die Brille zurecht und ließ sich auf den wackligen Schemel sinken. Er vertiefte sich in das Studium der eng mit Formeln beschriebenen Blätter, die der hagere Gelehrte ihm hingeschoben hatte. Das Interesse des Atomforschers war in ihm erwacht, und je länger er las, desto mehr füllten sich seine Augen mit einem fiebrigen Glanz. „Herr Professor – ich beglückwünsche Sie. Wir stehen unmittelbar vor dem Ziel, vor der letzten Erkenntnis der Menschheit, mit der die Geschichte dieser Welt ihren Höhepunkt – und ihr Ende finden wird.“ Feierlich hatte Doktor Kux diese Worte ausgesprochen, und unheimlich hallten sie von den kahlen Wänden wider. Eine Weile blieb es totenstill in dem kleinen Raum. Nur das unterir35
dische Summen, das aus den Laboratorien im tiefen Inneren des Inselberges kam, ließ die Gegenstände leicht vibrieren. Der Professor räusperte sich. „Bis wir so weit sind, daß wir die Atmosphäre dieses Planeten vernichten können, werden wir noch einen mühevollen Weg zu gehen haben. Meine Formel gilt in dieser Gestalt nur für homogene Gase, nicht für Gasgemische nach Art der Erdatmosphäre. Und zunächst gilt es überhaupt, meine theoretischen Überlegungen durch das Experiment zu bestätigen.“ „Das dürfte nun nicht mehr allzu schwierig sein.“ „Hoffentlich nicht. Ich schlage vor, wir machen einen Versuch mit Wasserstoff.“ „Gut, Herr Professor. Ich werde sofort alles vorbereiten.“ * „Unternehmen Titan!“ Im Zeichen dieses geheimnisvollen Schlagwortes stand die ebenso geheime Besprechung, die seit fast sechs Stunden im Kleinen Sitzungssaal der S.A.T.-Hauptverwaltung hinter verschlossenen Türen abgehalten wurde. Es waren nur knapp zehn Herren, die daran teilnahmen, und unter ihnen sah man Professor Varras und Jim Parker, den Kommodore des Weltraums. Generaldirektor Ted S. Cunningham führte den Vorsitz. Er überflog noch einmal seine Notizen, zündete sich eine frische Havanna an und wandte sich dann dem Gelehrten zu: „Wie weit sind die vorbereitenden Arbeiten inzwischen gediehen, Professor? Werden Sie den festgesetzten Termin einhalten können?“ Professor Varras rieb sich die Stirn. „Wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischenkommt, können wir in vierzehn Tagen mit der Endmontage der beiden Raumschiffe auf ‚Luna nova’ beginnen.“ 36
„Sehr erfreulich, Professor. Ich werde Lasalle sofort Anweisung geben, auf der Außenstation alles Erforderliche vorzubereiten.“ „Warum“, warf einer der Herren ein, „sollen eigentlich gleich zwei Schiffe gleichzeitig gebaut werden? Wäre es nicht richtiger, zunächst mit einem Exemplar dieses gänzlich neuen Typs die nötigen Erfahrungen zu sammeln?“ „Nicht übel“, grunzte der Boß zustimmend. „Tatsächlich soll auch nur eins von den Schiffen starten. Das andere bleibt auf der Außenstation in Bereitschaft – für den Fall, daß eine Hilfsexpedition notwendig wird. Denn sollte dem Expeditionsschiff in jenen Fernen etwas zustoßen, dann würden ihm unsere mit normalen Triebwerken ausgerüsteten Raumer nicht helfen können.“ „Was verstehen Sie hier unter ‚jenen Fernen’, Sir? Wollen Sie damit sagen, daß diese neuartigen Raumfahrzeuge bis zum – Mars vorstoßen sollen?“ „Mars – Mars“, wiederholte der Atomboß verächtlich. „Was heißt hier ‚Mars’? Der Saturn ist das Ziel.“ „Sie scherzen, Boß. Saturn, mit seinen anderthalb Milliarden Kilometern Sonnenabstand! Die armen Piloten, die da mitmachen müßten. Als alte Leute kämen sie von diesem ‚Ausflug’ ins All zurück – sofern ihnen nicht in all den Jahren ihrer Hinund Rückfahrt der Proviant, Wasser und Sauerstoff ausgegangen wären.“ „Mit den bisher gebräuchlichen Atomtriebwerken würden wir allerdings rund 7 ¼ Jahre reine Fahrzeit benötigen, von einem eventuellen Aufenthalt am Zielplaneten ganz abgesehen“, mischte sich Professor Varras in die Debatte. „Mein neues Triebwerk gestattet dem Schiff jedoch eine durchschnittliche Reisegeschwindigkeit von etwa einem Tausendstel der Geschwindigkeit des Lichts, das heißt von 300 Kilometern in der Sekunde.“ „Herr Professor, das ist Utopie!“ 37
„Das ist ganz und gar keine Utopie, Herr Kollege“, verteidigte sich Varras gekränkt. „Die theoretische Leistungsrechnung beweist es eindeutig, daß meine Schiffe derartige Geschwindigkeiten erreichen können, und bei den Vorversuchen in San Angelo konnte ich tatsächlich die entsprechenden Ausströmgeschwindigkeiten realisieren.“ „Das hieße also, daß die Reisezeit bis zum Saturn auf knapp sechzig Tage zusammenschrumpfen würde“, erklärte Jim Parker sachlich und schob seinen Rechenstab in die Tasche zurück. „Eine durchaus diskutable Zahl.“ „Gentlemen“ – der dicke Cunningham klopfte mit der fleischigen Hand auf die Tischplatte – „ich glaube, das wäre für den Augenblick alles. Ich habe unserem neuen Großprojekt den Namen ‚Titan’ gegeben; denn der Saturnmond Titan soll es sein, dem die erste Fernfahrt in das Reich der äußeren Planeten gilt.“ „Und wer soll die Expedition führen?“ erkundigte sich einer der S.A.T.-Direktoren. „Ich wüßte keinen Besseren dafür, als unseren verdienten und erfahrenen Kommodore, Jim Parker“, verkündete der Boß mit Nachdruck. Unter dem Beifall der Konferenzteilnehmer erhob sich Jim und verbeugte sich gegen seinen Chef. „Es war schon immer mein Wunsch“, lächelte er verlegen, „dem alten Saturn einen Besuch abzustatten. Wollte mich doch gern selbst davon überzeugen, ob der Ring echt ist. Erkläre mich also gern bereit, das ‚Unternehmen Titan’ zu leiten, und danke Ihnen für Ihr Vertrauen, Gentlemen. Doch zuvor hätte ich gern noch einen kleinen Trip in den Pazifik ausgeführt. Schätze, dort unten dürfte das „Unternehmen Tornado“ inzwischen spruchreif geworden sein.“ *
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„Hier muß es sein, Kommodore.“ Flugkapitän Horst Fischer, der den „Tele-Explorer“ bedient hatte – ein Gerät, das es gestattete, radioaktive Substanzen auf größte Entfernungen aufzuspüren –, trat an das Backbordfenster der großen Transportmaschine und deutete in die Tiefe. Jim Parker musterte die weite Wasserfläche mit dem starken Marineglas. Tief unter den drei Flugzeugen, die das Wappen der Weltpolizei am Seitensteuer trugen und in V-Formation von Nordwesten im Anflug waren, blaute der Pazifische Ozean. Und inmitten der Wasserwüste tauchte jetzt eine Insel auf – ein winziges Felseneiland, das keine Seekarte verzeichnete. Der Kommodore wandte sich an den Funker: „Befehl an Wernicke: Heruntergehen auf fünfhundert Meter. Dann Absprung wie vorgesehen. – Befehl an Maschine 3: Auf 150 Meter ’runtergehen und Luftlandeaktion sichern!“ Er blickte auf die Männer, die in dem kahlen Transportraum auf dem Boden hockten und ihre Haltegurte und Schwimmwesten noch einmal überprüften. „So, Boys, nun zeigt mal, was ihr gelernt habt.“ Der Pilot ließ die schwere Maschine in steilen Spiralen niedergehen. Die Schiebetür auf der Backbordseite öffnete sich. Jim Parker sprang als erster. Sekunden später blähten sich ein halbes Hundert weißer Fallschirme am blauen, wolkenlosen Himmel über Treasure Island. Rasch sanken sie nieder. Einige wurden von der leichten Brise ins Meer getrieben, doch mindestens vierzig mochten es sein, die den steinigen Boden der Insel erreichten. Das noch eben so stille Eiland bekam plötzlich Leben. Den Männern der Weltpolizei, die sich mit geschickten Griffen von ihren Fallschirmen befreiten, prasselte ein wildes Feuer aus Maschinenpistolen entgegen. „Hinlegen!“ kommandierte Parker. „Ruhig zielen!“ Er schob 39
den Lauf des Atombrenners über einen Felsblock, nahm eine der schemenhaft huschenden Gestalten aufs Korn und berührte den Auslöser. Der Gegner machte einen Luftsprung und blieb regungslos liegen. Ausgeschwärmt kämmten die Männer die Insel durch. Über ihren Köpfen kreisten die sichernden Flugzeuge. Von den unerfreulichen Insulanern war jetzt nichts mehr zu sehen. Am Eingang einer versteckten Schlucht schlug ihnen noch einmal heftiges Feuer entgegen. Zwei WP-Männer stürzten getroffen zu Boden. Dann nahm Fritz Wernicke mit einer Handvoll seiner Leute die Barrikade im Sturm. Als sie in die Schlucht eindrangen, stieß Jim Parker einen Ruf der Überraschung aus. Am Rande eines engen, fast kreisrunden Tales standen etwa dreißig mittelgroße Raketen von derselben Art, wie sie dem Kommodore kürzlich über dem südkalifornischen Gebirge begegnet war. „Hallo, Jim, da haben wir das ‚Zentrum der Wirbelstürme’“, frohlockte Wernicke. „Nun fehlen uns nur noch die Herren ‚Wettermacher’ selbst.“ „Nennen wir sie lieber ‚Unwettermacher’“, lachte der Kommodore grimmig. „Sucht weiter, Leute! Sie können nicht weit sein.“ Er hatte kaum ausgesprochen, als einer der WP-Männer den Höhleneingang entdeckte, der in das Innere des Inselberges führte. Im Licht der überall angebrachten Neonlampen war es nicht schwer, sich in den unterirdischen Gängen zurechtzufinden. Nur gelegentlich peitschte den Vordringenden noch ein Schuß entgegen. Die seltsamen Inselbewohner schienen nicht mehr an ernsthafte Gegenwehr zu denken. Mit einem knappen Dutzend Männer war Horst Fischer draußen geblieben, um die Gegner abfangen zu können, falls sie aus einem verborgenen Ausgang ausbrechen sollten. Diese Vorsichtsmaßnahme schien überflüssig zu sein, und schon wollte 40
der junge Flugkapitän seine Mannschaft zusammenrufen, um sich mit ihr an der Suche im Höhlensystem zu beteiligen, als er plötzlich lauschend innehielt. Aus dem Felsgewirr am Westrand der kleinen Insel kamen Hilferufe, und deutlich erkannte Horst Fischer den Klang einer weiblichen Stimme. In langen Sätzen federte er am Ufer entlang, der Stelle zu, von der die Rufe noch immer kamen. Er war so in Fahrt, daß er wie eine Rakete in die kleine Gruppe von Männern fuhr, die unvermittelt zwischen den Klippen sichtbar wurde. Die Männer stoben davon, als säße ihnen der leibhaftige Teufel im Nacken. Sie rannten auf eine kleine Bucht zu, in der – Fischer glaubte zu träumen – ein großes Unterseeboot vertäut lag. Doch seine Aufmerksamkeit wurde durch zwei von den Kerlen abgelenkt, die eine heftig sich sträubende junge Frau zum Tauchboot hinzerren wollten. Horst Fischer überlegte nicht lange. Er warf sich dazwischen, sein Boxhieb ließ einen der Männer – einen Kerl, wie ein Panzerschrank – aufstöhnend in die Knie gehen. Da traf ihn von hinten ein schwerer Schlag auf den Kopf. Der junge Flieger taumelte. Instinktiv setzte er die Signalpfeife an die Lippen. Sein langgezogener Pfiff rief die WPMänner herbei. Ihre Schüsse trieben die Insulaner zu beschleunigter Flucht an Bord. Horst sah wie durch einen Nebel, daß das U-Boot ablegte und mit hoher Fahrt die Bucht verließ. Rasch versanken seine Aufbauten unter der Wasserfläche. Die Flugzeuge ließen ihre Bordwaffen bellen und warfen Bomben leichten Kalibers. Aber es mußte zumindest zweifelhaft bleiben, ob sie ihr Ziel noch erreichten. Horst Fischer kam allmählich wieder zu sich. Jetzt konnte er sich endlich um das junge Mädchen kümmern, das er den Gangstern abgejagt hatte, und das ihn mit unsicherem Lächeln 41
betrachtete. Und wieder glaubte der gute Horst zu träumen; denn vor ihm stand niemand anders als seine „große Unbekannte“ von Orion-City. * Als Jim Parker durch einen der WP-Offiziere die Meldung von der Flucht des größten Teils der Inselbewohner erhielt, zeigte er sich nicht sonderlich enttäuscht. „Macht nichts, Kameraden. Wir werden das wichtigste Material, das wir hier gefunden haben, mitnehmen und die Anlagen in die Luft sprengen. Es dürfte künftig keiner Menschenseele wieder in den Sinn kommen, diese alte Pirateninsel als Startplatz für Tornado-Bomben und ähnliche Scherzartikel zu mißbrauchen.“ „Ich hätte aber doch zu gern gewußt, wer hier eigentlich sein Unwesen getrieben hat“, meinte Fritz Wernicke, der interessiert die Apparate musterte, die auf den Tischen des Privatlabors standen. „Schätze, wir haben doch einige von diesen Schießbudenfiguren gefangengenommen?“ „Wir haben zwölf von diesen Halunken erwischt – die Toten nicht eingerechnet“, erwiderte der Polizeioffizier mißmutig. „Viel ist freilich bei ihrer Vernehmung nicht herausgekommen. Einige von ihnen sind steckbrieflich gesuchte Gangster, bei den übrigen handelt es sich um ‚kleine Fische’. Sie hatten gehofft, auf dieser schönen Insel für einige Zeit unterzutauchen. Ihre Chefs kannten sie angeblich nicht einmal dem Namen nach. Von einem ‚Professor’ wird da gefaselt, und von einem Mister K.“ „Er heißt in Wirklichkeit Kux“, ließ sich da eine frische Frauenstimme vernehmen. Überrascht fuhren die Männer herum. Der Kommodore verneigte sich höflich. „Hallo, Fischer, wen bringen Sie uns denn da?“ „Eine gute alte Bekannte von mir,“ erklärte der Flugkapitän großspurig und hakte seine Begleiterin vertraulich unter. „Fräu42
lein Wilkens war hier so was Ähnliches wie eine Bibliothekarin oder so. Schätze, sie wird uns ein paar interessante Hinweise geben können.“ „Viel weiß ich selbst nicht“, wandte Erika bescheiden ein. „Es ging ja alles so geheimnisvoll zu. Aber daß die Herren etwas zu verbergen hatten, wurde mir inzwischen auch klar.“ „Wer war denn eigentlich dieser ‚Professor’?“ erkundigte sich Jim. „Doktor Kux nannte ihn Skeleton – ich hörte es zufällig, als die beiden sich allein wähnten.“ „Kux und Skeleton, die einstigen Rivalen, die Väter der berüchtigten Super-X-Bombe! Da haben sich die richtigen Giftmischer zusammengefunden. Ein Jammer, daß wir sie nicht erwischt haben.“ Der Kommodore war ehrlich erschüttert. Fritz Wernicke musterte noch immer die eigenartigen Apparaturen. „Sagen sie mal, Miß Wilkens, womit verbrachten ihre tüchtigen Chefs eigentlich ihre kurzen Tage – wenn man mal von diesem Hokuspokus mit den Tornado-Raks absieht?“ Ratlos zückte Erika die Achseln. „Ich verstehe nun mal nichts von Atomphysik und höherer Mathematik, und die Herren arbeiteten stets hinter verschlossenen Türen. Das einzige, was ich aufgeschnappt habe, war, daß sie Gase vernichten wollten.“ „Hähähä“, lachte Wernicke verständnislos. Jim Parker fühlte wieder einen Schauer über den Rücken laufen und konnte es sich selbst nicht erklären. Gedankenverloren trat er an einen der Tische und betrachtete die Versuchsanordnung, die von den Wissenschaftlern bei ihrer hastigen Flucht im Stich gelassen worden war. Auf einer Filzunterlage ruhte ein großer, starkwandiger Glaskolben, der mit einem hochempfindlichen Druckmesser gekoppelt war. Eine feine Metalldüse ragte seitlich in den Kolben hinein. Auf die Glaswand war mit gelber Kreide H2 geschrieben. H2 – also Wasserstoff befand sich in dem Kolben. Ein Blick 43
auf den Druckmesser unterrichtete den Kommodore, daß sich das Gas unter normalem Druck befand. Das Thermometer stand auf 20 Grad Celsius. Spielerisch legte Jim einen kleinen Schalter um, der vorn auf der Tischplatte angebracht war. Der Erfolg war verblüffend. Ein winziger, metallisch blitzender Tropfen sprühte aus der Düse. Im gleichen Augenblick glühte das das in dem Kolben in blendender Helligkeit auf. Die Quecksilbersäule schoß mit solcher Gewalt in die Höhe, daß das Thermometer zersprang. Der Druck im Innern aber sank auf Null. „Was war denn das für ein komisches Feuerwerk?“ fragte Fritz Wernicke etwas fassungslos. „Ich habe soeben eine Wasserstoffatmosphäre vernichtet“, erklärte der Kommodore, und seine Stimme hatte einen fremden, belegten Klang. Wernicke kam nicht mehr dazu, weitere Fragen zu stellen, aus der Tiefe des Berges kam plötzlich der dumpfe Donner einer schweren Explosion. Das Summen der unterirdisch arbeitenden Maschinen erstarb. Die Gänge hallten von lautem Gepolter. Ein Polizeileutnant mit rauchgeschwärztem Gesicht erschien in der Tür und nahm Haltung an. „Das unterirdische Atomkraftwerk ist explodiert, Kommodore. Offenbar durch Fernzündung gesprengt. Der Brand greift schnell um sich. Wir müssen den Berg räumen.“ Durch die Tür herein quoll eine Wolke gelben, beizenden Qualms. Erika Wilkens bekam einen Erstickungsanfall. Der Kommodore straffte sich. „Kommt, Leute, ’raus hier!“ Alles hastete durch die raucherfüllten Höhlengänge ins Freie. Als die WP-Männer die Oberfläche der Insel erreichten, gingen bereits die Transportmaschinen auf der Wasserfläche nieder und setzten gleich darauf die Schlauchboote aus. 44
* Auf der künstlichen Weltraumstation „Luna nova“ ging die Montage der beiden Fernraumschiffe ihrem Abschluß entgegen. Die letzten Einzelteile für Triebwerke und Inneneinrichtung waren vor ein paar Tagen eingetroffen, und soeben hatte die fahrplanmäßige Zubringerrakete Jim Parker, Fritz Wernicke und Professor Varras, die sich persönlich vom Fortgang der Arbeiten überzeugen wollten, von Orion-City heraufgebracht. Henry Lasalle, der Kommandant der Außenstation, war seinen prominenten Grasten im Raumtaxi entgegengefahren. Nach kurzer Begrüßung an Bord Zubringerdes schiffes fuhren sie zu viert mit einer Landungsrakete zur „Baustelle“ im Weltraum hinüber, wo fleißige Arbeiter in Raumtaucheranzügen letzte Hand an die beiden Fernraumer legten. Lasalle befahl dem Piloten der Landungsrakete, zu halten. Die vier Männer schleusten sich aus und schwebten – ebenfalls mit Schutzanzügen bekleidet – auf die seltsam geformten Raumfahrzeuge zu. Wie zwei riesige Eier aus Leichtmetall hingen die beiden Kolosse im leeren Raum und blitzten im Sonnenlicht. Um ihre Mitte spannten sich in weitem Ring verstellbare Flächen, die dem Auffangen der kosmischen Strahlung, der Energiequelle für den neuartigen Antrieb, dienen sollten. Im unteren Ende gähnten die Düsenöffnungen, in denen die Strahlruder sichtbar waren, mit deren Hilfe allein das Steuern im lee45
ren Raum möglich war. Die Schiffe besaßen keinerlei Luftruder und Stabilisierungsflossen. Auch Tragflächen waren nicht vorhanden; denn die Varras-Triebwerke, mit denen sie ausgerüstet waren, arbeiteten nur im Weltraum, wo es sowieso keine Luft gab. „Komische Ostereier, Gentlemen, und so was soll bis zum Saturn fliegen?“ Fritz Wernickes Stimme, die in den Telephonen der Raumtaucherhelme zu hören war, klang auffallend matt und zweifelnd. „Möchte darin nicht begraben sein.“ Henry Lasalle hatte die Worte nur geflüstert, aber dennoch wurden sie von jedem deutlich vernommen. Den Kommodore beschlich ein unheimliches Gefühl. War es nicht, als strahlten diese metallenen Ungeheuer eine gefährliche, dunkle Drohung aus? Er fühlte sich wie gelähmt, als stände er im Bann eines unentrinnbaren Basiliskenblickes … Doch gewaltsam riß er sich zusammen. „Wir wollen an Bord gehen, Gentlemen“, sagte er, und seine Stimme klang heiser. „Mal sehen, wie die ‚Ostereier’ von innen ausschauen.“ * Endlich war die langwierige Unterwasserfahrt zu Ende! Mit blinzelnden Augen kletterte Professor Skeleton aus dem Turmdeckel des U-Bootes und blickte sich mißtrauisch um. Ringsumher eine ölig glatte See, auf die eine mörderische Sonne vom wolkenlosen Himmel brannte. Und voraus Land – sofern man diesen Streifen öden Wüstensandes überhaupt als Land bezeichnen konnte. „Reizende Gegend, in die Sie uns da gelotst haben, Herr Kollege“, brummte der Professor mißgelaunt. „Möchte wissen, was wir hier anfangen sollen.“ „Sie werden es gleich sehen“, lächelte Doktor Kux geheim46
nisvoll. „Wir befinden uns hier in der Saukira-Bai, am Südostrand der arabischen Halbinsel. Hinter der Hügelkette dort warten Freunde auf uns.“ Der Doktor nahm eine große Pistole in die Hand und schoß zwei Leuchtraketen in die Luft: Rot – Grün. Hinter den Hügeln stieg das gleiche Signal zum Himmel empor. Unverzüglich begann man mit dem Ausbooten. Als Professor Skeleton mit Doktor Kux und einigen seiner Leute den Strand betrat, wurden sie von einem Haufen abenteuerlicher Gestalten umringt: Beduinen in malerischen, aber zerlumpten Gewändern und Europäer der verschiedensten Nationen. Sie waren alle bis an die Zähne bewaffnet und boten keinen sehr vertrauenerwekkenden Anblick. „Da ist Joe Hall“, rief Kux erfreut und steuerte auf einen schmächtigen Mann mit kurzgeschorenem, grauem Haar zu, in dessen hagerem Gesicht eine riesige Habichtsnase prangte. „Hallo, Joe! Sie sehen gut aus, alter Junge. Die paar Jahre in – ahem – in einer geschlossenen Anstalt sind Ihnen scheinbar ausgezeichnet bekommen. Wundere mich übrigens, Sie schon wieder in Freiheit zu sehen * .“ „Bin wegen guter Führung vorzeitig entlassen worden“, grinste Hall. „Habe Bewährungsfrist bekommen …“ „… die Sie hier in denkbar zweckmäßiger Weise ausfüllen“, lachte Doktor Kux. „Haben Sie meinen letzten Funkspruch erhalten?“ „Habe ich. Es ist alles vorbereitet.“ Nur widerwillig folgte der Professor den beiden Männern. Dieser Hall war ihm verdächtig, und seine Begleiter machten einen außerordentlich fragwürdigen Eindruck. Wie mochte sein Mitarbeiter Kux nur an diese merkwürdigen Existenzen geraten sein? *
Siehe: UTOPIA, 28. Band – „Uranfieber“
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Sie hatten die flache Hügelkette überquert und standen jetzt am Rande einer Bodenmulde, die Halls Leuten als Lagerplatz diente. Auf der Ostseite stand eine Reihe schmutziger Beduinenzelte, in deren Nachbarschaft Pferde und Reitkamele weideten. Auf der gegenüberliegenden Seite hatten die europäischen Abenteurer ihre wetterfesten Zelte aufgeschlagen. In der Mitte des Platzes aber erhob sich ein längliches, schräg aufwärts weisendes Gerüst, das mit Planen verdeckt war. Joe Hall führte seine Gäste zu dem unteren Ende und lüftete mit geheimnisvoller Miene einige von den Zeltbahnen. Und der überraschte Professor erblickte eine schlanke Zweimannrakete, die startbereit auf der Gleitbahn ruhte. * Monate waren vergangen. Auf der Außenstation rüstete man zur Taufe der beiden neuen Fernraumer. Ted S. Cunningham hatte Ehrengäste in großer Zahl nach „Luna nova“ befördern lassen: Vertreter der Regierung und der Behörden, Wissenschaftler, führende Persönlichkeiten des S.A.T. und die sensationshungrige Meute der Reporter von Presse, Rundfunk, Wochenschau und Television. Sie drängten sich an den großen Fenstern der Transportrakete, die Cunningham für diesen Zweck extra hatte umbauen lassen. Das Transportschiff schwebte in geringem Abstand von den beiden riesigen, eiförmigen Raumern. Die Außentür seiner Luftschleuse stand weit offen. In der Schleusenkammer sah man drei Männer in Weltraumschutzanzügen stehen: Professor Varras, Jim Parker und Fritz Wernicke. Der Professor hielt die Taufrede. Das Kehlkopfmikrophon seines Raumtaucherhelms nahm die Worte auf, und die Funkstation von „Luna nova“ strahlte sie zur Erde, wo sie von sämtlichen Rundfunksendern übernommen wurden. 48
„Mit dem neuen Antriebsprinzip, das sich die Verwandlung von Weltraumstrahlung in Materie zunutze macht, ist ein neues Zeitalter der Raumschiffahrt angebrochen. Die engen Grenzen, die uns das schwierige Treibstoffproblem selbst in der Epoche der Atomenergie noch gezogen hat, sind gefallen. Mit nie geahnten Geschwindigkeiten werden unsere Schiffe künftig den Raum durcheilen. Sie werden jedes noch so ferne Ziel erreichen, und die einzigen Grenzen, die ihrem Aktionsradius noch gesetzt sind, liegen im natürlichen Vorgang des Alterns ihrer Passagiere begründet. Das Staatliche Atom-Territorium stellt heute die beiden ersten Exemplare der neuen Bauserie in Dienst. Weitere, größere und leistungsfähigere, sollen bald folgen. Ich taufe euch auf die Namen „Oberon“ und „Titania“ – nach den beiden größten Monden des Planeten Uranus; denn mühelos würde es euch gelingen, die 2 ¾ Milliarden Kilometer bis zu jenen fernen Gestirnen zu überbrücken.“ Zwei Sektflaschen flogen durch den Raum und zerschellten an der blinkenden Außenhaut der Raumschiffe. Dampfend stob ihr Inhalt davon. * Ein milder Spätsommerabend senkte sich auf die Atomstadt Orion-City. In der behaglichen Bibliothek im Bungalow Jim Parkers knisterte ein Feuer im Kamin und warf zuckende Reflexe auf die Dielen. Um den runden Rauchtisch gruppiert, saßen im Schein der großen Stehlampe drei Männer im Gespräch zusammen: Der Kommodore, Fritz Wernicke und der junge Flugkapitän Horst Fischer. In wenigen Tagen sollte das „Unternehmen Titan“ gestartet werden. Die Fahrt sollte zwar nicht gleich bis ins Reich des 49
Uranus gehen, aber auch der Saturnmond Titan war ein Ziel, an dessen Erreichung man noch vor wenigen Monaten nicht zu denken gewagt hatte. Die Vorbereitungen waren im großen und ganzen abgeschlossen. Lediglich über die Teilnehmer an der Expedition herrschte noch immer keine Klarheit. Es hatte nicht an Freiwilligenmeldungen gefehlt, aber die Gesamtzahl der Besatzungsmitglieder mußte auf sechs beschränkt bleiben. Das Unternehmen war eine gefahrvolle Sache, eine Rechnung mit allzu vielen Unbekannten. Aus diesem Grunde war der Kommodore bemüht, nur solche Teilnehmer auszuwählen, die – im Falle einer Katastrophe – keine Angehörigen auf der Erde zurücklagen würden. „Bis jetzt stehen also vier Namen fest“, versuchte der Kommodore, das bisherige Ergebnis zusammenzufassen: „Professor Varras, der es sich auf keinen Fall nehmen ließe, mitzufahren, Wernicke und ich – was sich von selbst versteht, und, als Funker, unser alter Freund Enrico Martini. Jetzt fehlt uns noch immer ein Maschinist …“ „Darf ich mich höflich in Erinnerung bringen, Kommodore?“ ließ sich Horst Fischer vernehmen. „Ich hätte Sie gern mitgenommen, Fischer. Aber Sie kennen mein Prinzip: Wenn der Kahn unterwegs entgleist, soll es auf dieser schönen Erde keine trauernden Hinterbliebenen geben, die sich wegen irgendeinem von uns die Augen ausweinen.“ „Das wäre doch in meinem Fall auch gar nicht nötig.“ „Irrtum, Fischer. Sie vergessen die kleine Miß Erika Wilkens.“ Horst Fischer errötete, doch er faßte sich schnell. „Nehmen wir sie doch mit, Kommodore. Wie Sie wissen, gehört Erika zu den ersten, die sich freiwillig meldeten …“ „… und die umgehend abgelehnt wurden“, vollendete Jim. „Nein, mein Lieber, das ‚Unternehmen Titan’ ist keine Vergnügungsfahrt, und schon gar nicht für eine Frau.“ 50
„Sie tun Erika unrecht, Kommodore. Sie hat bewiesen, daß sie keine Memme ist.“ Der gute Horst bekam von einer Seite Unterstützung, von der er es am wenigsten erwartet hatte. Fritz Wernicke mischte sich in die Unterhaltung. „Nimm sie mit, Jim, dann hat die liebe Seele Ruh. Außerdem kann sich Fräulein Erika als Schiffsköchin nützlich machen. Wer sollte das sonst wohl tun? Du bestimmt nicht, großer Meister, und ich kann – wie du weißt – nur Getränke mixen, aber nicht kochen. Martini kennt nichts außer Makkaroni und Spaghetti, und Professor Varras weiß wahrscheinlich nicht einmal, an welchem Ende man einen Kochlöffel anfaßt. Und nun stell’ dir dieses Malheur mal monatelang vor. Soll es etwa am Schluß heißen: ‚Das Unternehmen Titan war – infolge der genossenen Speisen – zum Scheitern verurteilt’?“ Unwillkürlich mußte der Kommodore lachen. Wernicke fuhr eifrig fort: „Denke doch an unseren damaligen Versuch, zum Mars zu fliegen, Jim …“ „… der auch gescheitert ist * .“ „Gewiß, aber nicht wegen der Futterei; denn Jane Russell hat uns ganz ausgezeichnet versorgt.“ Jim Parker gab sich geschlagen. „Zugegeben, Fritz. Also, meinetwegen. Sie können mitkommen, Fischer, und Miß Wilkens auch – das heißt, sofern sie was vom Kochen versteht.“ „Das will ich hoffen,“ lachte der Flugkapitän. „Prost!“ rief Fritz Wernicke und leerte sein Glas mit einem Zuge. *
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Siehe: UTOPlA, 24. Band – „Gespenster im Weltraum“
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In der Saukira-Bai schlugen die Wellen leise gegen den Strand. Die herrliche Mondnacht atmete den Frieden der schlafenden Natur. Doch die Rühe war trügerisch. Unweit der Bucht, nur durch den flachen Hügelzug von ihr getrennt, stand ein Zeltlager um einen ovalen Platz, und auf diesem Platz herrschte emsiges Leben. Auf der kürzen Gleitbahn krabbelte eine Handvoll Männer herum, um die letzten Startvorbereitungen an der Zweimannrakete zu treffen. Etwas seitwärts standen Doktor Kux, Joe Hall – beide mit leichten Weltraumkombinationen – und Professor Skeleton. Der Professor winkte seinen Mitarbeiter zur Seite. „Warum starten wir nicht gleich zusammen, Herr Kollege? Warum schaffen sie erst diesen Mister Hall zur Außenstation? Ich muß gestehen, der Mann gefällt mir nicht sonderlich.“ „Wir können auf seine Mithilfe nicht verzichten, Herr Professor. Bedauerlicherweise hat das S.A.T. gleich zwei von diesen neuen Fernraumern in Dienst gestellt. Einer davon kommt uns für unsere Zwecke wie gerufen, der zweite bedeutet eine Gefahr für uns. Es wird Joe Halls Aufgabe sein, ihn zur rechten Zeit – ahem – manövrierunfähig zu machen.“ Von der Einstiegluke der Rakete winkte einer der Männer herüber. Doktor Kux sah auf die Uhr. „Es ist soweit, Professor. Halten Sie sich für alle Fälle bereit. Ich bin sobald wie möglich zurück. Hallo, Joe! Sind Sie fertig?“ Genau dreizehn Minuten später schoß die Zweimannrakete mit feurigem Schweif brausend zum nächtlichen Himmel über der schweigenden Wüste Arabiens empor. * Das „Unternehmen Titan“ stand unmittelbar vor seinem Start. Wenn am kommenden Morgen die Zeiger der elektrischen 52
Uhren auf der Außenstation die Sechs berühren würden, sollten sich die Startraketen des Raumschiffs „Titania“ entzünden, und die große Forschungsfahrt zum Reiche des ringgeschmückten Saturn würde beginnen. Die Besatzung verbrachte die letzte Macht auf „Luna nova“. Dem Kommodore stand dort ein Unterkunftsraum zur ständigen Verfügung. Für die fünf anderen Teilnehmer der Fernfahrt hatte Henry Lasalle kleine, wohnliche Räume herrichten lassen. Früh war man am Abend schlafen gegangen. Aber konnte denn überhaupt von Schlaf die Rede sein – wenige Stunden vor Beginn des größten Abenteuers, zu dem die Menschen jemals ausgezogen waren? Professor Varras hatte es als erster aufgegeben, er lag überwach auf seinem Bett und malte Formeln auf den Rand eines Zeitungsblattes. Auch Erika Wilkens, Enrico Martini und Horst Fischer lagen schlaflos in ihren Kabinen. Nur Fritz Wernicke schnarchte wie ein Bär. Lasalles vorzüglicher französischer Kognak hatte ihm zur nötigen Bettschwere verholfen. Jim Parker hatte einen seltsamen Traum, bewußt hatte er alle Gedanken an das Kommende abgeschaltet, als er sich niedergelegt und das Licht gelöscht hatte, und tatsächlich war er bald in einen flachen, unruhigen Schlummer gesunken Die schräg gewölbte Decke seiner Kammer wich zurück. Hoch über ihm dehnte sich das Weltall – herrlicher, als er es je in seinem fahrtenreichen Leben gesehen hatte. Da waren die Sonne und der silberne Mond, die Milliarden der ewigen Sterne und gewaltige Spiralnebel nah und fern. Er merkte plötzlich, wie er am Steuer eines Raumschiffes stand, er spürte das leise Vibrieren der Wände, die unter dem Brausen des Raketenmotors erzitterten. Ruhig verfolgte das Schiff seinen Kurs. Welchen Kurs? Zu welchem Ziel? Der Kommodore hätte es nicht zu sagen gewußt. Er fühlte nur, es war der Kurs, den sein Schicksal selbst ihm diktierte. Dort, hinter ihm in der Schwärze, lag weit zurück al53
les Erdgebundene, und vor ihm öffnete sich das unendliche Universum … Eigentlich war es ein angenehmes, wunderbar ungebundenes Gefühl, dieses Schieben durch den Raum, dien Sternen entgegen, und doch empfand Jim dabei eine ganz unbegreifliche Traurigkeit. Er wußte plötzlich, daß er allein war, im unendlichen Weltall völlig allein. Weiter ging die Fahrt. Wie lange mochte sie schon dauern? Waren es Stunden, Tage oder gar Monate? Aber es hätten auch Jahrmillionen sein können. Das Gefühl letzter Einsamkeit ließ ihn jegliches Zeitgefühl verlieren. Die unnahbar fernen Gestirne begannen einen feierlichen Reigen zu tanzen. Rollend mischten sich die Spiralnebel ein. Da – sprang nicht einer von ihnen aus der Reihe? Gewiß – er rollte näher. Seine Spirale verlor ihre Gestalt, wurde zu einem riesigen, verwachsenen Nebelfleck. Jetzt schob sich der Fleck in die Bahn des Raumschiffes und nahm dem einsamen Sternenfahrer die Sicht nach vorn. Jims Hände umkrampften das Steuer. Der graue Nebelfleck wuchs, nahm Gestalt an – eine furchtbare Gestalt! Er formte sich zu einem riesenhaften Totenschädel, der den Kommodore aus hohlen Augen angrinste. Jim Parker riß das Steuer zur Seite. Seiner Kehle entrang sich ein würgender Schrei … … und die vertraute Stimme Fritz Wernickes sagte: „Aber, Jim, was machst du denn für Geschichten? Komm, steh jetzt auf. Wir starten in dreißig Minuten.“ * Es war eine merkwürdige Stimmung, in der sich die kleine Besatzung der „Titania“ in den Augenblicken vor dem Start befand. 54
Professor Varras lag wie teilnahmslos in seiner Hängematte. Er nagte an seiner Unterlippe und schien in Gedanken weit fort zu sein. Auch Enrico Martini, einer aus der „alten Raumfahrergarde“ des S.A.T., war ungewöhnlich schweigsam. Horst Fischer, den der Dienst im kleinen Kontrollraum des Triebwerks festhielt, starrte verbissen auf seine Instrumente, und Erika – in einer Hängematte nahe der des Professors liegend – versuchte krampfhaft, tapfer zu sein. Nur Fritz Wernicke, der bereits seinen Platz auf dem Pilotensitz eingenommen hatte, pfiff fröhlich vor sich hin. Er wußte: Achtern, im Proviantraum, wartete manch ein Kistchen auf ihn, mit verheißungsvollen Flaschen gefüllt. Mochte die Welt getrost untergehen – Hauptsache war, er hatte genug zu trinken. Jim Parker dachte an seinen Traum. Er hielt nicht viel von Vorahnungen und derlei mystischem Zeug, aber er konnte sich doch einer fatalen Stimmung nicht ganz erwehren. War er nur unausgeschlafen und überreizt, oder spielten etwa doch andere, unfaßbare Dinge mit? Er riß sich gewaltsam von diesen nutzlosen Gedankengängen los und legte sich auf dem bequemen, stark gefederten Ruhebett zurecht. Seine Augen hingen an der Borduhr, die ruhig die Sekunden springen ließ. „Noch zwanzig Sekunden, Fritz. Die Vorstufe!“ Mit geübter Hand schaltete der kleine Weltraumpilot. Ein Zittern lief durch das Schiff. Langsam glitt an den Fenstern das Riesenrad von „Luna nova“ vorüber. Vom Observatorium blitzten Lichtsignale herüber. Henry Lasalle wünschte der „Titania“ eine glückliche Fahrt. Sechs Uhr Stationszeit – der Augenblick des Starts – des Starts zum Saturn! „Hauptstufe!“ kommandierte Jim Parker. Die Düsen des Hilfstriebwerkes dröhnten auf. Schwer preßte der Andruck die Menschen in die Polster. Doch nach dreißig 55
Sekunden war das Schlimmste bereits überstanden. Fritz Wernicke schaltete die Schubraketen ab. Und nun legte er den kleinen Hebel um, der das geheimnisvolle Varras-Triebwerk in Gang setzen sollte. Man hatte in den vergangenen Wochen ein paar Probefahrten zwischen Außenstation und Mond durchgeführt, und das Triebwerk hatte befriedigend gearbeitet. Würde es auch diesmal seine Pflicht tun, und würde es das Schiff schließlich auf jene phantastische Reisegeschwindigkeit beschleunigen, die man im engen Raum zwischen Erde und Mond nicht erreichen konnte? Ein feines Summen ertönte Im Heck. Kaum spürbar vibrierte das Schiff. In seinen Räumen herrschte jetzt ein durchaus annehmbarer Beschleunigungsandruck. Die Schwereverhältnisse unterschieden sich nicht wesentlich von den gewohnten irdischen. „Schätze, wir können es zunächst dabei belassen“, sagte Jim Parker und stand auf. Er warf noch einen Bilds auf die Instrumente am Armaturenbrett und verließ den Führerstand. In der Tür kam ihm Enrico Martini aufgeregt entgegen. „Die Funkanlage ist unklar, Kommodore.“ „Verdammt – das können wir jetzt gerade brauchen. Wann hatten Sie sie zum letzten Male kontrolliert?“ „Eine halbe Stunde vor dem Start. Es war alles in schönster Ordnung.“ „Merkwürdig. Überprüfen Sie alles noch einmal ganz genau. Ich will Ihnen Mister Fischer zur Unterstützung schicken. Schätze, daß er jetzt in der Triebwerkkontrolle abkömmlich sein wird.“ Als Jim Parker den kleinen Kontrollraum betrat, ging sein Blick unwillkürlich zum Wandfenster hinaus. Schwarz und sternenlos gähnte es ihm aus der Tiefe entgegen. Dort unten lag die heimatliche Erde, mit ihren Bergen und Tälern, mit Land und Meer und Tausenden schlafender Städte. Fast die Hälfte der 56
Himmelskugel verdeckte ihr mächtiges, nachtdunkles Rund. An ihrem Ostrand aber gleißte eine helle, farbensprühende Sichel. Sie verhieß den Sonnenaufgang für das nächtliche Land – und für das Raumschiff, das sich von Sekunde zu Sekunde weiter vom Heimatplaneten entfernte. Lange stand der Kommodore und blickte zurück. Jim Parker nahm Abschied von der Erde … * Für die Besatzung der Außenstation und für Henry Lasalle, ihren Kommandanten, begannen aufregende Stunden. Es fing damit an, daß ein Funker in das Observatorium von „Luna nova“, wo Lasalle noch immer am Beobachtungsinstrument saß, gestürzt kam und meldete: „Raumschiff ‚Titania’ antwortet nicht auf Anruf.“ Der kleine Franzose spürte ein peinliches Gefühl in der Magengegend, aber er versuchte, sich selbst zu beruhigen. „Das ist doch noch kein Grund zur Aufregung“, fuhr er den Mann an. „Versucht es weiter. Mal werden sich die Herrschaften schon melden.“ Aber sie meldeten sich nicht. Und als die „Titania“ fünf Stunden lang beharrlich geschwiegen hätte, riß Lasalle die Geduld und er stieg persönlich in die Funkstation hinunter. „Kann der Fehler nicht vielleicht bei uns liegen, Hendriks?“ Der Chef der Funkstation warf ihm einen beinahe mitleidigen Blick zu. „Ausgeschlossen, Sir.“ Plötzlich summte die akustische Signalanlage Aus dem Lautsprecher kam eine hetzende, sich überschlagende Stimme. „Achtung – hier Observatorium – Achtung – Raumschiff ‚Oberon’ nimmt Fahrt auf – folgt ‚Titania’ mit großer Geschwindigkeit.“ Wie der Blitz war Lasalle draußen und raste durch den 57
Hauptgang zum Observatorium zurück. Was wurde hier gespielt? Waren die Leute verrückt geworden? Aber er mußte, im Observatorium angekommen, feststellen, daß die Meldung den Tatsachen entsprach. Dort drüben fuhr der „Oberon“, vorwärts getrieben von seinen Schubraketen, und entfernte sich mit wachsender Geschwindigkeit. Lasalle hatte bereits den Telephonhörer in der Hand und wählte mit zitternden Fingern die Nummer der Funkstation. „Hendriks, rufen Sie den ‚Oberon’ an! Das Schiff soll augenblicklich stoppen und umkehren.“ „Oberon“ unterwegs im Weltraum! Das war doch gar nicht möglich. Lasalle wußte, daß sich nur ein einzelner Mann an Bord befand, ein junger Ingenieur, der den Wachtdienst versah. Und dieser Mann war unbedingt zuverlässig. Außerdem – sollte ihn tatsächlich unversehens der Ehrgeiz übermannt haben, oder sollte er plötzlich den Verstand verloren haben – wie wäre er allein imstande gewesen, das Raumschiff zu starten und so sicher zu lenken, wie es dort drüben offenbar geschah? Der Fernsprecher summte. Ungeduldig lauschte Lasalle der Meldung, die ihm aus der Funkstation durch gegeben wurde. „Raumschiff ‚Oberon’ antwortet nicht.“ Fast hatte er es vermutet. Hier schienen Mächte ihre Hand im Spiel zu haben, die sich seiner Kontrolle entzogen, die nicht mit den Maßstäben irdischer Vernunft zu messen waren. „Da drüben schwebt ein Körper, Sir. Er scheint Hilfe zu brauchen.“ Die Stimme des Ausgucks ließ ihn herumfahren. Rasch trat er an das Beobachtungsinstrument. Tatsächlich – da schwebte in einigen hundert Metern Distanz eine bewegungslose Gestalt im Raumtaucheranzug und entfernte sich langsam, aber stetig von der Station. Lasalle schaltete das Mikrophon ein. Sein Befehl dirigierte 58
ein Raumtaxi hinaus, das den Hilflosen einbringen sollte. Kaum war das kleine Fahrzeug wieder eingeschleust, als man die Gestalt bereits aus ihrem Schutzanzug herausschälte. Henry Lasalle erkannte zu seiner maßlosen Verblüffung den jungen Ingenieur, den er als Posten an Bord des „Oberon“ kommandiert hatte. Der Mann schien leblos zu sein, obwohl keine äußere Verletzung zu erkennen war. Das Herz schlug nur noch schwach. Lasalle ließ ihn unverzüglich ins Krankenrevier schaffen. Erst dann kam er dazu, über das Vorgefallene nachzudenken. Sollten etwa andere Besatzungsmitglieder von „Luna nova“ – auf eigene Faust mit – dem „Oberon“ gestartet sein? Lasalle stürzte zum nächsten Alarmknopf. In allen Räumen und Gängen der Station heulten die Sirenen und schrillten die Alarmglocken. Die Männer legten ihre Schutzanzüge an und eilten auf ihre Posten. Der Befehl des Stationskommandanten tönte aus allen Lautsprechern. „An alle Abteilungsleiter und Einsatzgruppenführer: Achtung – kontrollieren Sie sofort die Vollzähligkeit Ihrer Leute. Ich erwarte umgehende Stärkemeldung nach der Befehlszentrale.“ Exakt und pünktlich kamen die Meldungen. „Einsatzgruppe I mit zehn Mann vollzählig.“ „Funkstation mit fünf Mann vollzählig.“ „Einsatzgruppe II … Observatorium für Erdbeobachtung … Außenstelle C …“ Sie meldeten sich alle, und nirgends fehlte auch nur ein einziger Mann. Lasalle stand vor einem Rätsel. „Unbekanntes Raumfahrzeug in 3200 Meter Distanz festgestellt“, meldete plötzlich die Radarzentrale. Wie elektrisiert fuhr Lasalle hoch. „Achtung, Funkstation: Rufen Sie das Schiff an.“ Minuten vergingen wie Ewigkeiten. Dana die Stimme des diensttuenden Funkers. „Das Schilf antwortet nicht.“ 59
„Euch antwortet wohl überhaupt niemand mehr?“ tobte der Stationskommandant. „Ihr seid wohl von eurer Welle abgerutscht, wie?“ „Wir senden auf S.A.T.-Welle, Sir“, antwortete der Mann gekränkt. Henry Lasalle hatte genug. Er wollte sich persönlich Gewißheit verschaffen. „Befehl an Einsatzgruppe I: Machen Sie sofort Raumtaxi 03 bis 05 klar. Wir wollen uns das Schiff mal aus der Nähe betrachten.“ Die Radarzentrale gab noch einmal den genauen Standort des unbekannten Fahrzeugs durch. Lasalle steuerte das erste Taxi. Die beiden anderen, vollgepfercht mit Bewaffneten, folgten in einigem Abstand. Da war das verdächtige Fahrzeug auch bereits. Sein dunkler Anstrich ließ es nur undeutlich vor dem dunklen Himmelshintergrund hervortreten. Es handelte sich scheinbar um ein kleineres Raumschiff fremder Nationalität, wie man sie in der Anfangszeit der Weltraumfahrt für die ersten, tastenden Vorstöße in den Raum gebaut hatte. Tot und antriebslos schwebte es in der Leere des Alls. Henry Lasalle ließ das Steuer durch die Finger gleiten. Er holte zu einer weiten Kurve aus, um das verdächtige „Museumsstück“ von allen Seiten zu betrachten, bevor er sich anschickte, an Bord zu gehen. Diese Vorsichtsmaßnahme sollte ihm und seinen Kameraden das Leben retten; denn plötzlich ging ein Ruck durch das tote Schiff. Hinter den Luken im Mittelteil glühte es rot auf. Und dann zerfetzte eine furchtbare Explosion das Raumschiff. Instinktiv gab Lasalle Vollgas. Er riß das Steuer hart nach rechts und entkam um Haaresbreite dem gefährlichen Bereich der nach allen Richtungen auseinanderspritzenden Wrackteile. Das Rätsel um den „Oberon“ blieb fürs erste ungelöst. 60
* So sehr sich der Funker Martini und Horst Fischer auch abmühten, es gelang ihnen nicht, den Schaden in der Funkanlage der „Titania“ zu beheben. Kaum glaubten sie, das Gerät wieder klar zu haben, kaum hatten sie die ersten, wispernden Morsezeichen aufgenommen, als jedesmal wieder eine jäh auftretende Hochspannung alles durchschmoren ließ, was nur irgendwie kaputtgehen konnte. Enrico Martini kam schließlich zu der Überzeugung, daß ein schwerwiegender Fehler im Leitungsnetz vorliegen müßte, der in ursächlichem Zusammenhang mit der Montage des neuartigen, noch wenig bekannten Triebwerks stand. „Wir haben getan, was wir konnten“, meldete er dem Kommodore niedergeschlagen. „Die Sache ist völlig rätselhaft. Wir müssen die ganze Anlage umbauen, aber das geht erst dann, wenn das Triebwerk stillgelegt ist.“ Der Kommodore überlegte kurz. Wenn er den Motor stillegte – und sollte es auch nur für die kurze Dauer von 24 Stunden sein –, dann würde er möglicherweise seine Reiseroute nicht termingerecht einhalten können, und was das unter kosmischen Verhältnissen zu bedeuten hatte, wußte er nur zu gut. Das Gelingen des „Unternehmens Titan“ stände auf dem Spiel. Der Ausfall der Funkanlage war entschieden das kleinere Übel. „Es will mir gar nicht gefallen“, sagte Martini betrübt, „daß ich hier als nutzloser Passagier mitfahren soll. Und außerdem wird man sich daheim auf der Erde Sorge machen, wenn wir so gar kein Lebenszeichen geben.“ „Um so größer wird die Überraschung sein, wenn wir eines Tages mit unserem komischen Osterei ganz unverhofft wieder angetrudelt kommen“, meinte Fritz Wernicke gemütlich. „Ich für mein Teil hätte lediglich gern gewußt, was für einen seltsamen Verfolger wir uns da zugelegt haben“, sagte der 61
Kommodore und schaute mit dem Feldstecher durch das Fenster. „Aber auch das werden wir wohl noch eines Tages erfahren.“ – Die „Titania“ hatte – mit ständig wachsender Geschwindigkeit – Erde und Außenstation längst hinter sich gelassen. Sie hatte die Marsbahn gekreuzt und war in Gebiete des Weltraums vorgestoßen, die nie zuvor ein Mensch erreicht hatte. Eine Begegnung mit dem roten Planeten selbst war ihr jedoch nicht beschieden gewesen; denn Mars befand sich zu diesem Zeitpunkt gerade in Konjunktion zur Sonne. Das Schiff war in den Raum zwischen Mars und Jupiter gelangt, in das Reich der Planetoiden. Von nun an galt es, doppelt und dreifach vorsichtig zu navigieren. Wohl waren die Bahnen Tausender dieser Kleinwandelsterne seit langem genau bekannt. Aber es konnte kein Zweifel darüber bestehen, daß die Zahl jener Körperchen, die sich wegen ihrer Kleinheit bisher der Beobachtung von der Erde aus entzogen hatten, in die Zehntausende ging. Gar nicht zu rechnen die Unmassen kosmischer Trümmerstückchen und Staubpartikeln, die diese Räume erfüllen mochten. Bei der phantastischen Fahrtgeschwindigkeit des Schiffes konnte jeder noch so geringfügige Zusammenstoß die verheerendsten Folgen haben. Anfangs ging alles glatt. Doch in 495 Millionen Kilometer Sonnenabstand nahte das Verhängnis in Gestalt eines unregelmäßig geformten, scharfkantigen Felsblocks von knapp zehn Meter Durchmesser. Das Radargerät meldete ihn zuerst. Als ihn auch die Augen des Kommodore erspähten, war es höchste Zeit, dem Zusammenprall durch ein rasches Steuermanöver auszuweichen. „Ruder hart backbord!“ kommandierte Jim Parker. Fritz Wernicke riß das Steuer herum – er versuchte es wenigstens. Doch ein saftiger Fluch entrang sich seinen Lippen. „Was ist los, Fritz?“ 62
„Das Ruder ist blockiert – verflucht und zugenäht!“ Der Kommodere überlegte blitzschnell, hier gab es nur noch eine Möglichkeit. Er mußte alles auf eine Karte setzen. „Schubraketen – äußerste Kraft voraus!“ Der unverhoffte Beschleunigungsandruck war so stark, daß die Passagiere zu Boden geschleudert wurden, wo sie gerade standen. Doch der Schreck war nur von kurzer Dauer. Zwei, drei Sekunden noch – dann konnte Wernicke das Hilfstriebwerk abschalten. Mit der gewohnten Beschleunigung verfolgte die „Titania“ weiter ihre Bahn. Jim Parker winkte Fischer zu sich heran, der aus dem Maschinenraum gestolpert kam und sich eine mächtige Beule am Hinterkopf rieb. „Das hatte leicht ins Auge gehen können, old chap. Die Steuerung war blockiert. Möchte wetten, daß das nicht mit rechten Dingen zugeht. Steigen Sie in Ihren Schutzanzug und kommen Sie mit. Wir wollen uns mal draußen ein wenig umschauen.“ Wenige Augenblicke später standen sie vor der Tür zur Luftschleuse, fertig angezogen für einen kleinen Ausflug in den kaum. Nur die Sichtscheiben ihrer Taucherhelme waren noch offen. Jim Parker drückte auf den Schaltknopf des elektrischen Türöffners und versuchte, die Schleusentür zur Seite zu schieben. Aber sie ließ sich nicht öffnen. Erstaunt sahen sich die beiden Männer an. „Wer war zuletzt in der Schleusenkammer?“ fragte Jim. „Martini und ich“, erwiderte Fischer. „Vor acht Tagen, als wir die Außenantenne überprüften.“ Der Kommodore überlegte kurz. Dann ging er zum Führerraum und kam gleich darauf mit einem Atombrenner zurück. „Nanu, Kommodore, wollen Sie mit Kanonen auf Spatzen schießen?“ „Das kommt ganz auf die Größe der Spatzen an“, murmelte Jim ahnungsvoll. 63
Der feine, grüne Strahl aus der Mündung der Atomwaffe fraß sich in das Metall des Schlosses hinein. Der Kommodore riß die Tür auf. „Hands up!“ Blitzschnell warfen sich die beiden Männer zur Seite. Die Revolverschüsse, die ihnen aus der Schleusenkammer entgegenpeitschten, verfehlten ihr Ziel. Noch im Sprung berührte der Kommodore den Auslöser des Atombrenners. Aus der Schleuse erklang ein Aufschrei, ein dumpfer Fall. Jim Parker und Horst Fischer beugten sich über den Gestürzten, der in eine leichte Weltraumkombination gekleidet war. Der Mann war tot. Als sie seinen Körper herumdrehten und das Licht der Deckenlampe auf seine bleichen Züge fiel, fuhren sie beide zurück. „Joe Hall! Wie kommt denn der an Bord?“ Aber der Kommodore erhielt auf seine Frage keine Antwort. Der Abenteurer hatte sein Geheimnis mit in den Tod genommen. * Indessen blieb der „Oberon“ dem Raumschiff des Kommodores hart auf den Fersen. Eine abenteuerliche Gesellschaft war es, die sich an Bord des Schiffes befand – verwegene Gesellen, die meist eine bewegte Vergangenheit hinter sich hatten und fast ausnahmslos im Verbrecheralbum der Weltpolizei als gefährliche Desperados geführt wurden. Doktor Kux hatte – bei seinem zweiten Aufstieg mit der Zweimannrakete zur Außenstation – einen von den Kerlen mitgenommen. Mühelos war es ihnen gelungen, in den „Oberon“ einzudringen und seinen Wächter zu überrumpeln und „auszubooten“. Dann hatten sie die große Landungsrakete klargemacht und Professor Skeleton mit vier weiteren Männern von der Saukira-Bai heraufgeholt. 64
Kaum war alles an Bord, als Doktor Kux, der in seiner Jugend eine kurze Ausbildung als Raketenpilot genossen hatte, den „Oberon“ startete. An den überwältigten Wachtposten dachte niemand mehr. Die alte Zweimannrakete ließ man – vorsorglich mit einer soliden Höllenmaschine ausgestattet – in der Nähe der Außenstation zurück. Es war am gleichen Tage, an dem Joe Hall, der die Fahrt der „Titania“ mit allen Mitteln sabotieren und zum Scheitern bringen sollte, in Erfüllung seines schändlichen Auftrags fiel, als Doktor Kux den kleinen Raum im Mittelteil des „Oberon“ betrat, in dem Professor Skeleton seinen Arbeitsplatz aufgeschlagen hatte. „How do you do, Professor! Was gibt’s Neues bei Ihnen? Denken Sie, diese Affen auf ‚Luna nova’ haben es noch immer nicht aufgegeben. Mit rührender Ausdauer funken sie immer wieder: ‚Oberon’ – sofort umkehren! ‚Oberon’ – meldet euch! ‚Oberon’ –‚Oberon’ …“ Der Professor blickte von seinen Berechnungen auf. In seinen tiefliegenden Augen flackerte eine gefährliche Mischung von Haß, Triumph und Wahnsinn. „Ich habe es, Herr Kollege. Wir sind am Ziel. Jetzt kann die große Abrechnung beginnen.“ Kux trat hastig hinzu. „Herr Professor, wollen Sie damit sagen, daß Sie die Zauberformel gefunden haben?“ „Hier ist sie.“ Strahlend schob Skeleton ihm das Bündel Papiere hin, über dem er gerade gearbeitet hatte. „Was uns bisher nur für homogene Gase gelungen war. kann nun auf jedes Gasgemisch bekannter Zusammensetzung angewendet werden.“ „Wir haben somit also die Macht, die Erdatmosphäre zu vernichten?“ „Ohne weiteres, Herr Kollege. Allerdings sollten wir die Theorie schleunigst durch ein Experiment erhärten. Ich schlage vor, wir schließen einen Raum dieses Schiffes luftdicht ab und versuchen …“ 65
„Um Himmels willen, Herr Professor! Das käme einem Selbstmord gleich. Die geringste Undichtigkeit, und der Zerstörungsprozeß würde auf die Luft in allen anderen Schiffsräumen übergreifen. Nein, hier an Bord können wir nicht experimentieren.“ „Aber wir brauchen dieses Experiment!“ „Gedulden Sie sich, bis wir den Titan erreicht haben, Herr Professor. Titan besitzt eine Atmosphäre, die zwar aus anderen Gasen besteht als die irdische, aber auf Grund der spektroskopischen Messungen kennen wir ihre Zusammensetzung recht genau. Dort können wir unsere Generalprobe durchführen.“ Am Abend dieses bedeutsamen Tages meldete sich das Raumschiff „Oberon“ zum ersten Male. Und die staunende Menschheit auf der fernen Erde erfuhr, daß sich das Schiff in der Hand von Männern befand, die der Natur ihre letzten Geheimnisse abgelauscht hatten und die nun alle Macht über Leben und Tod im Weltall und auf Erden besaßen. * Nur an Bord der „Titania“ ahnte man nichts davon. Hätte Jim Parker gewußt, welche höllischen Pläne an Bord des Schwesterschiffes ausgebrütet wurden, er hätte keinen Augenblick gezögert, das ganze „Unternehmen Titan“ an den Nagel zu hängen. Er hätte die Reise der „Titania“ bedenkenlos gestoppt, hätte sich dem Raumschiff zum Kampf gestellt, das in ihrem kosmischen Kielwasser immer näher herangerast kam und mit den stärksten Instrumenten schon eindeutig als „Oberon“ identifiziert werden konnte. Aber die Funkanlage der „Titania“ war hinüber – zweifellos das Werk des Gangsters Joe Hall – und die sechs Menschen an Bord des Schiffes hatten keinerlei Verbindung mit der Außenwelt. – 66
Die elektrische Borduhr der „Titania“ zeigte die zwölfte Stunde an. Es war Schlafenszeit. Ruhig lagen die Räume des Schiffes. Nur aus dem Heck klang das feine Summen des Varras-Triebwerks. Im Führerraum saßen Jim Parker und Horst Fischer in den bequemen Pilotensitzen. Das Licht war ausgeschaltet, nur vom Armaturenbrett her leuchtete es grünlich phosphoreszierend. Der unendliche Sternhimmel strahlte zu den Fenstern herein. „Wer hätte das noch vor kurzem für möglich gehalten?“ meinte Horst Fischer gedankenvoll und wies auf die mächtige Kugel des Riesenplaneten Jupiter, deren Reich man in diesen Tagen gerade passierte. „Die menschliche Technik hat in unserer Zeit einen ungewohnten Siegeszug gestartet, dessen Ende noch gar nicht abzusehen ist.“ „Diese Entwicklung birgt allerdings auch unübersehbare Gefahren in sich“, wandte Jim Parker ein. „Denken Sie nur daran, wieviel Unheil menschlicher Forschergeist um ein Haar über die Weit gebracht hätte, als er auf Irrwege geriet. Der Einsatz der Super-X-Atombomben hätte ganze Länder verwüsten können * .“ „Sie denken an unseren ewigen Widersacher, Professor Skeleton?“ „An ihn und seinesgleichen. Schade, daß er uns damals auf Treasure Island durch die Lappen ging.“ „Ich glaube, der wird keinen Schaden mehr anrichten können. Professor Varras meinte neulich, er wäre hoffnungslos geistesgestört – nur noch das traurige Wrack eines Menschen.“ „Für ein Wrack habe ich Ihn von jeher gehalten – wenigstens, was seine menschlichen Qualitäten anbetrifft. Im übrigen weiß ich nicht recht, ob der gute Varras sich nicht täuscht. Die Versuchsanordnung, die Skeleton und Kux auf Treasure Island *
Siehe UTOPIA, 32. Band – „Atombomben im Weltraum“
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aufgebaut hatten, hat mir zu denken gegeben. Ich werde so ein komisches Gefühl nicht los, als ob uns von dieser Seite noch irgendwelche peinlichen Überraschungen bevorständen.“ Die Unterhaltung schlief ein. Die Augen der beiden Männer hingen wieder an der mächtigen Planetenkugel, deren Oberfläche brodelnde Wolkenstreifen einhüllten. Neun von den Monden des Jupiter standen links und rechts von ihm; die übrigen wurden vom Planeten verdeckt. „Wenn das der alte Galilei erlebt hätte“, lächelte Jim Parker. „Als er im Jahre 1610 die vier hellsten Jupitermonde entdeckt hatte und sie den Professoren am Gymnasium zu Florenz zeigen wollte, weigerten sich die gelehrten Herren, durch sein Fernrohr zu schauen. Und ein strenges Inquisitionsgericht zwang den großen Forscher, seine Entdeckung abzuleugnen, weil sie nicht in das falsche Weltbild hineinpaßte, das die allmächtige Kirche damals vertrat.“ „Der arme Mann“, sagte Horst Fischer. „Aber Sie sehen an diesem Beispiel selbst, Kommodore, wie grundlegend sich das Denken der Menschen seitdem geändert hat. Ich lasse es mir nicht ausreden: Es geht mit Riesenschritten voran mit der Menschheit.“ Jim Parker lächelte. Das hätten seine eigenen Worte sein können, als er noch zehn Jahre jünger gewesen war. Nun, so ganz unrecht hatte der junge Fischer nicht einmal. Was er da über den Fortschritt der Menschheit gesagt hatte, traf zweifellos teilweise zu … … aber eben leider nur teilweise. * Die merkwürdigen Funksprüche, die von Bord des Raumschiffes „Oberon“ nach „Luna nova“ und zur Erde gelangten, waren nur von wenigen Empfangstellen aufgenommen worden. Sie 68
riefen bei denen, die sie hörten – meist Angestellte des S.A.T. oder Offiziere der Weltpolizei – begreifliche Bestürzung hervor. Lord Clifford, der WP-Chef, verhängte sofort eine strenge Nachrichtensperre über alles, was irgendwie mit dem „Unternehmen Titan“ zusammenhing. Es wäre auch zunächst alles ganz harmlos abgelaufen, wenn nicht irgendein eifriger Radiobastler in Arkansas mit seinem Empfänger eines Abends auf die S.A.T.-Welle gegangen wäre und die neuesten „Verlautbarungen“ Professor Skeletons mitgekriegt hätte. Der junge Bastler konnte nicht schweigen, und man durfte es ihm kaum zum Vorwurf machen, daß er eine derart sensationelle Feststellung nicht für sich behielt. Die Nachricht, daß der „Teufelsprofessor“ Skeleton da draußen im Raum herumkutschierte und nur darauf lauerte, Tod und Verderben über die ganze Menschheit auszugießen – diese bedrohliche Nachricht lief in Rekordzeit um den Erdball und rüttelte selbst die Gleichgültigsten unter seinen Bewohnern wach. Die Reaktion der Öffentlichkeit war nicht einheitlich. Sie schwankte von Anfang an zwischen Ungläubigkeit auf der einen und hemmungsloser Angst auf der anderen Seite. Die Wissenschaftler vom Fach äußerten sich zurückhaltend oder lehnten eine Stellungnahme rundweg ab. Und da sie ja tatsächlich nichts Genaues wußten, war diese Haltung noch die einzig vernünftige. Die offiziellen Regierungsstellen aber ergingen sich in Optimismus und bezeichneten Professor Skeletons Pläne kurzerhand als Hirngespinste. Die allgemeine Erregung hätte sich vermutlich schnell wieder gelegt, wenn es nicht einem besonders gerissenen Reporter der „Chicago Evening News“ gelungen wäre, Doktor Dickens in Orion-City aufzulauern und ihn nach allen Regeln der Kunst „auszuquetschen“. Der gute Dickens ging ihm prompt auf den Leim und erklärte, daß er seinem ehemaligen Chef, Professor Skeleton, wissen69
schaftlich jede erdenkliche Leistung – und menschlich jede noch so große Teufelei – zutraute … … und noch am selben Abend wußte es die geängstigte Menschheit in allen Kontinenten: Professor Skeleton hatte das Mittel gefunden, um die Lufthülle der Erde mit einem Schlage zu vernichten und jegliches Leben auf diesem und anderen Planeten auszulöschen, wenn es ihm gefiel. Er hatte sich selbst zum allmächtigen Herrscher über Leben und Tod im gesamten Sonnensystem erhoben. * Tiefer und tiefer mit jedem Tage versank die „Titania“ im ewigen Schweigen des Weltalls. Weit schon lag die Region des Jupiter hinter dem Schiff. Die Sonne, zu einer kleinen, gelblichweißen Scheibe zusammengeschrumpft, spendete nur noch einen Bruchteil des Lichts und der Wärme, die man von der Erde her gewohnt war. Doch unversieglich war die Energiequelle für das Varras-Triebwerk; denn die kosmische Strahlung erfüllte auch in diesen fernen Bereichen den Raum mit unverminderter Kraft. Die „Titania“ hatte beim Passieren des Jupiter ihre Höchstgeschwindigkeit erreicht. Der Kommodore drehte das Schiff einige Tage später mit Hilfe der Kreiselsteuerung mit der Düse nach vorn, um die rasende Geschwindigkeit bis zum Erreichen des Zielplaneten allmählich zu verringern. Der „Oberon“ war sogleich seinem Beispiel gefolgt. Von rechts her, immer noch einige hundert Millionen Kilometer weit voraus, rollte jetzt die Kugel des Planeten Saturn heran. Schon längst war der herrliche Ring, der den Planeten kühn umschwebte, mit freiem Auge zu erkennen. Auch der hellste unter den Saturnmonden – Titan, dem diese ganze, lange Reise galt – war bereits deutlich sichtbar. Sein leicht verwa70
schener Rand deutete darauf hin, daß eine Atmosphäre den Trabanten umgab. „Werden wir dort atmen können?“ erkundigte sich Erika interessiert beim Kommodore. „Ich fürchte – nein. Soweit wir bisher unterrichtet sind, ähnelt die Titanatmosphäre jener des Saturn. Das heißt, sie besteht vorwiegend aus ‚Methan’ auch ‚Sumpfgas’ genannt.“ „Pfui, wie abscheulich!“ rief das junge Mädchen enttäuscht. „Dann werden wir also auf Titan gar nicht landen können?“ „Landen werden wir auf jeden Fall. Nur werden wir vorher unsere Raumschutzkombinationen anlegen müssen.“ „Wir müssen sogar landen“, warf Martini eifrig ein, „damit ich endlich meine Funkanlage reparieren kann.“ „Verzeihen Sie meine Unwissenheit, Mister Parker“, fuhr Erika fort. „Aber – wie groß ist dieser Titan eigentlich? So groß wie unser Erdmond?“ „Er ist sogar größer“, belehrte sie der Kommodore bereitwillig. „Der Durchmesser des Titan beträgt 4200 Kilometer, der unseres Mondes nur 3476 Kilometer. Er ist auch viel weiter von seinem Planeten entfernt, als der Mond von der Erde, nämlich rund 1 200 000 gegenüber 384 000 Kilometer. In diesem großen Abstand rast er um den Hauptkörper herum und umkreist ihn in knapp 16 Tagen.“ „Dann wäre also auf Saturn ein Monat nur etwa halb so lang, wie bei uns auf der Erde“, meinte Horst Fischer. „Herrlich müßte es sein, auf Saturn zu leben. Alle 16 Tage wäre der Erste, und du brauchtest nur halb so lange mit deinem Haushaltsgeld auszukommen, Erika.“ „Mit welchem Haushaltsgeld denn?“ stotterte das junge Mädchen verlegen. „Natürlich mit dem, das du von mir bekommst – wenn wir erst verheiratet sind.“ – Der 68. Reisetag brach an. Die „Titania“ war in unmittelbarer 71
Nähe des Saturn angekommen – rund 24 Stunden früher, als man ursprünglich angesetzt hatte. Die riesige Planetenkugel füllte fast die Hälfte des Blickfeldes aus. Aber sosehr sich das Auge auch mühte, nirgends drang der Blick durch das brodelnde Wolkengewirr, das die ganze Oberfläche des Himmelskörpers einhüllte. „Scheint ziemlich wild da unten zuzugehen“, sagte Fischer kopfschüttelnd. „Meine Herren – was müssen da für Stürme toben.“ Fritz Wernicke war enttäuscht. „Schade, hatte mir das ganz anders vorgestellt. Nun kriegen wir nicht das geringste von den Bewohnern dieser interessanten Welt zu sehen und von ihren gigantischen Bauwerken ..“ „… die bestimmt nur in deiner blühenden Phantasie bestehen, Whiskytöter“, lachte Jim. „Schätze, daß die Oberfläche dieses gastlichen Planeten noch weitgehend feuerflüssig ist.“ „Überaus bedauerlich. Jim. Und von dem prächtigen Ring ist auch nicht mehr viel übriggeblieben.“ „Das kommt daher, daß wir zu nahe dran sind. Aber schau: Dort hinten ragt ein Teil des Ringsystems über den Horizont.“ „Wie durchsichtig der Ring aus der Nähe wirkt, Jim. Hätte direkt Lust, das Steuer umzulegen und kurzerhand hindurchzubrausen. Das gäbe ’ne Sensation für die Zeitungen: ‚Raumschiff Titania durchbricht Saturnring’.“ „Das möchte ich dir nicht raten, mein Lieber. Wie du weißt, besteht der Ring aus Steinchen und kosmischem Staub. Unsere brave ‚Titania’ würde zersiebt werden, wie in einem Sandstrahlgebläse.“ „Wo ist eigentlich der ‚Oberon’ geblieben?“ fragte Horst Fischer. Der Kommodore zuckte die Achseln. „Die Knaben haben anscheinend zu scharf gebremst und dabei zu viel Fahrt eingebüßt. Hoffentlich kommen sie nicht in Schwierigkeiten, wenn sie zum Landungsmanöver auf Titan ansetzen. 72
Apropos Titan – schätze, es wird Zeit, daß wir wieder auf Distanz gehen und das Landungsboot klarmachen.“ * Sechs Stunden später ging die schlanke Landungsrakete auf dem Boden des Titan nieder. Der Kommodore hatte das geflügelte Fahrzeug in langem Gleitflug landen lassen. Die Expedition war am Ziel angekommen. Die „Titania“, die nicht dafür gebaut war, eine Atmosphäre zu durchfliegen, umkreiste den Saturnmond in respektvollem Abstand in freier Trägheitsbahn. Fischer und Martini waren fürs erste an Bord zurückgeblieben und machten sich unverzüglich an eine gründliche Überholung der defekten Funkanlage. Sie sollten später abgelöst werden. Kaum hatte das Landungsboot den Boden des fremden Himmelskörpers berührt, als die Tür der Luftschleuse aufschwang. Eine Gestalt im Raumtaucheranzug turnte an der Strickleiter hinab. Der Kommodore hatte Erika Wilkens das Vorrecht eingeräumt, als erster Mensch den Titan zu betreten. Vorsichtig stolperte das junge Mädchen auf dem steinigen Boden umher. Es wurde ihr nicht leicht, sich mit den ungewohnten Schwereverhältnissen vertraut zu machen. Rasch folgten die anderen nach. Die vier Menschen, Sendboten der fernen Erde, schauten sich andächtig um und reichten sich die dick behandschuhten Hände. Mittels kleiner, in den Schutzanzügen eingebauter Funkgeräte standen sie untereinander in Sprechverbindung. Der Kommodore schlug vor, sogleich mit einem Erkundungsvorstoß in das zerrissene Bergland zu beginnen, das sich rings um den Landeplatz dehnte. Mit weitausholenden Schritten ging er voran, von Zeit zu Zeit sich durch einen Blick zu den Sternen orientierend oder hier und da eine Wegmarke anbrin73
gend. Ihm folgte Erika, die sich eine Filmkamera aufgeladen hatte, um den ersten Farbfilm aus dem Reich des Saturn zu kurbeln. Professor Varras, unter der Last seiner wissenschaftlichen Instrumente ächzend, nahm Luftproben und versuchte. mit dem Zählrohr radioaktive Strahlungen festzustellen. Den Schluß machte Fritz Wernicke, der eifrig Gesteinsproben in einen Sack aus Segeltuch sammelte. Das Gelände ähnelte sehr der Landschaft des Erdmondes, doch waren die Formationen stärker abgeschliffen und milder in ihrem Aussehen – eine Folge der Atmosphäre des Saturnmondes und ihrer Wirkung auf die Bodenbeschaffenheit. Es war Nacht auf Titan – aber die Dunkelheit war durchdrungen von dem milden Schein, der von der riesigen Kugel des Saturn widerstrahlte. Märchenhaft schön stand der Planet im Schmuck seines Ringes am Himmel des Titan. Nur schwer konnten die vier Menschen sich von den Wundern dieser fremden Welt losreißen. Doch der Kommodore drängte schließlich zum Rückmarsch. Irgendein ungutes Gefühl, eine Art Vorahnung, ließ ihm keine Ruhe. Er atmete förmlich auf, als er mit seinen Gefährten auf dem Kamm des letzten Bergzuges stand und die Landungsrakete unversehrt in der Ebene liegen sah. Es sollte sich bald herausstellen, daß die böse Vorahnung den Kommodore nicht getrogen hatte. In der kleinen Führerkabine klingelte die Signalglocke der Funkanlage Sturm. Jim stülpte sich die 74
Kopfhörer über und meldete sich. Augenblick vernahm er die atemlose Stimme Enrico Martinis. „Endlich, Kommodore! Wir versuchen schon seit Stunden, Sie zu erreichen.“ „Fein, Enrico. Wie ich höre, ist die Panne bei euch behoben.“ Der Funker ging nicht darauf ein. „Kommodore, so hören Sie doch: Wir haben Funksprüche von ‚Oberon’ aufgefangen. An Bord befindet sich – nun halten Sie sich fest …“ „Ja, wer denn, zum Donnerwetter?“ „Professor Skeleton! Er behauptet, eine neue Erfindung gemacht zu haben – irgend etwas mit Atomenergie oder so – mit der er die Erdatmosphäre vernichten und alle Menschen ausrotten will. Hören Sie noch, Kommodore?“ Wieder fühlte Jim ein namenloses Grauen in sich aufsteigen. Sekundenlang saß er wie gelähmt. Dann wischte er sich über die weiße Stirn, auf der kalte Schweißperlen standen. „Das ist ja Wahnsinn, Enrico. Der Mann ist hoffnungslos verrückt. Wissen möchte ich nur, wie es ihm gelungen ist, in den Besitz des ‚Oberon’ zu gelangen.“ „Das hat er nicht verraten, Kommodore. Aber etwas anderes ist jetzt wichtiger. Skeleton beabsichtigt, eine Generalprobe mit der Titanatmosphäre zu starten.“ „Hm, das kann ja reizend werden. Enrico, machen Sie für alle Fälle mit Fischer die ‚Titania’ startklar. Wir kommen so schnell wie möglich. Vielleicht gelingt es uns, den ‚Oberon’ noch zu erwischen.“ Erika und Wernicke machten ungläubige Gesichter, als Jim Parker von Martinis Meldung berichtete. Nur Professor Varras zuckte erschrocken zusammen. Jim bemerkte es und wandte sich an den Gelehrten. „Was halten Sie von der Geschichte, Professor? Vermutlich irgendein fauler Zauber, nicht wahr?“ „Ich fürchte, es steckt doch mehr dahinter“, begann Varras 75
zögernd. „Erinnern Sie sich noch an die geheimnisvolle Versuchsanordnung, die Sie damals auf Treasure Island vorfanden?“ Blitzartig entstand vor Jims geistigem Auge das Bild des Laboratoriums in den Höhlengängen der Felseninsel. Er sah den mit Wasserstoff gefüllten Glaskolben, sah den Innendruck auf ein Nichts zurückfallen, als seine Hand den kleinen Schalter umlegte … Er war sofort im Bilde. „Luken dicht!“ kommandierte er mit heiserer Stimme. „Wir starten.“ * Mit brausenden Raketen stieg das Landungsboot von der Oberfläche des Titan auf, bohrte sich in die giftige Atmosphäre des Mondes und gewann rasch an Höhe. Es war um keine Sekunde zu früh gestartet. Hoch am Himmel, als dunkles, eiförmiges Gebilde, schob sich plötzlich der Rumpf des „Oberon“ vor der hellen Saturnscheibe vorbei. Mit dem starken Fernglas erkannte der Kommodore, daß die Luftschleuse des Schiffes weit offen stand. Im Inneren der Kammer machten sich drei, vier Gestalten an einem Gerät zu schaffen, das wie eine kleine Fliegerbombe aussah. Jetzt stießen sie die Bombe hinaus. Von Raketenkraft getrieben, stürzte sie auf die Titanoberfläche zu. Sie mochte gerade die höchsten Schichten der Atmosphäre erreicht haben, als sie mit grellem Blitz explodierte. Um das ganze Rund des kleinen Himmelskörpers, so weit das Auge es überblicken konnte, lief ein fahles Leuchten. Es dauerte nur Bruchteile einer Sekunde. Dann war wieder alles wie zuvor. Und doch war es ein verändertes Bild, das der Mond den Betrachtern bot. Seine Oberfläche, die vorher verschwommen un76
ter der Methanatmosphäre gelegen hatte, erschien plötzlich in ungetrübter Schärfe. Fritz Wernicke stieß den Kommodore an, der verbissen das Steuer hielt. „Die Instrumente, Jim.“ Der Blick des Kommodores streifte nur kurz die Außenbordinstrumente. Der Zeiger des Thermometers war über, die Skala hinausgesprungen und klebte am Anschlag. Der Druckmesser aber stand auf Null, obwohl in dieser Höhe noch ein gewisser Atmosphärendruck herrschen mußte. „Die Generalprobe ist geglückt“, sagte Professor Varras mit leiser, bebender Stimme. „Arme Erde, arme Menschheit …“ „Glauben Sie im Ernst, daß dieser Skeleton das Äußerste wagen würde?“ fragte Erika Wilkens, und auch ihre Stimme zitterte. „Ich kann es einfach nicht glauben. Das wäre ja das furchtbarste Verbrechen, das je begangen wurde – ein milliardenfacher Massenmord.“ „Diesem Wahnsinnigen ist alles zuzutrauen, mein Kind“, entgegnete Varras ernst. „Raumschiff ‚Oberon’ geht auf Erdkurs“, meldete Martini von Bord der „Titania“. Jim Parker lenkte das Landungsboot in kühner Kurve in die Kreisbahn der „Titania“ hinein. „In zehn Minuten werden wir wieder an Bord sein, und wenn alles gut geht, können wir dem ‚Oberon’ mit zwei, höchstens drei Stunden Abstand folgen. Wir müssen ihn einholen, bevor er die Erde erreicht – koste es, was es wolle – und wenn wir selbst dabei in die Binsen gehen sollten.“ * Die Vernichtung der Titanatmosphäre – in so ungeheurer Entfernung von der Erde sie sich auch abgespielt hatte – war von den größten Observatorien der Erde und von „Luna nova“ aus 77
einwandfrei beobachtet worden. Trotz strengster Nachrichtensperre war einiges darüber an die Öffentlichkeit gelangt, und die Wirkung war katastrophal. Die Großstädte aller Länder begannen sich zu entvölkern. Die verängstigten Bewohner flüchteten aufs Land und wurden sich erst nachträglich darüber klar, daß auch die freie Natur keinen Schutz mehr gewähren konnte, wenn die Lufthülle der Erde vernichtet wurde. Man schrie nach Bunkern, wie in jenen dunklen Tagen der Menschheit, als die Regierungen ihre Meinungsverschiedenheiten noch durch verheerende Bombardements auszutragen pflegten – und mußte doch im selben Augenblick erkennen, daß auch die stärksten und tiefsten Bunker wirkungslos sein würden. Die Regierungen und Parlamente in aller Welt tagten pausenlos. Vergeblich zerbrachen sich die Gelehrten die Köpfe, um einen Ausweg zu finden. Und täglich fingen die Funkstationen neue Schreckensmeldungen aus dem Weltraum auf. Dort draußen, in weiter Ferne noch, raste das Raumschiff „Oberon“ auf die Erde zu, und an Bord befand sich ein Wahnsinniger, der in blindwütigem Menschenhaß alles lebendige in Sekunden zerstören würde. Das Schiff funkte gewissenhaft seine Standortmeldungen. Und jeder konnte sich leicht ausrechnen, wie viele Tage noch vergehen würden, bis die Vernichtung die Erde traf. Auch in Orion-City jagte eine Geheimkonferenz die andere. Sofort nach Eintreffen der ersten Berichte über das Experiment auf Titan und die bevorstehende Rückkehr des „Oberon“ hatte das Ministerium, dem das S.A.T. unterstand, ein strenges Startverbot für alle Raumschiffe erlassen, soweit sie nicht für die notwendigsten Versorgungsflüge zum Mond und zur Außenstation benötigt wurden. „Damit die Bonzen im entscheidenden Augenblick ihr kostbares Lehen in Sicherheit bringen können“, sagte Generaldirek78
tor Cunningham verächtlich, als er mit seinem Sicherheitschef, Oberst Mortimer, in seinem Privatbüro zusammensaß. „Hier, Mortimer, stecken Sie sich eine ins Gesicht. Die Marke ist gut und das Leben dauert wohl nur noch wenige Tage.“ Mortimer schob die Kiste mit den teuren Zigarren grinsend zurück. „Danke, Boß. Auf die Gefahr hin, daß Sie mit Ihrer düsteren Prognose recht behalten – ich bleibe doch bis zum letzten Atemzug bei meinem ‚Eigenbau’.“ Und der lange Oberst fing an, sich vor den Augen seines entsetzten Chefs einen seiner berüchtigten übelduftenden Glimmstengel zu drehen. Cunningham kaute grimmig auf seiner Zigarre herum. „Die Herren sollen sich aber schwer getäuscht haben. Wenn der große Augenblick kommt und der Sturm auf die Raumschiffe einsetzt, lasse ich keinen Politiker an Bord. Keinen einzigen – das verspreche ich Ihnen, Mortimer.“ Der Sicherheitshäuptling nickte beifällig. „Sie können sich auf mich verlassen, Boß. Haben eigentlich die Herren in Washington inzwischen neue Schnapsideen ausgebrütet?“ Cunningham fuhr geringschätzig mit der Hand durch die Luft. „Man faselt neuerdings von einer Massenevakuierung der Erde. Zehntausende von Raumschiffen sollen in aller Eile gebaut werden. Lächerlich! Als ob unser Freund Skeleton – der Teufel hole ihn – uns so viel Zeit lassen würde.“ „Man scheint allerorts nur an ‚erfolgreiche Absetzbewegungen’ zu denken“, sagte det Oberst. „Meiner Meinung nach gibt es noch eine bessere Lösung. Wir sollten dem ‚Oberon’ den Weg verlegen und das Schiff abschießen, bevor es die Erde erreicht.“ „Thunderstorm! Sie haben recht, Oberst. Das ist die Lösung.“ Aufgeregt rannte der dicke Atomboß im Zimmer auf und ab. „Aber leider wird nichts daraus, Boß. Sie vergessen das Startverbot.“ 79
„Zum Teufel damit! Sie sollen Ihre Raumschiffe haben, Mortimer. Bereiten Sie alles vor, und beschlagnahmen Sie für Ihre Aktion, was Sie an Fahrzeugen in Orion-City, auf ‚Luna nova’ und in ‚Luna IV’ vorfinden. Ich nehme alles auf meine Kappe.“ Er war vor dem Sicherheitshäuptling stehengeblieben und packte ihn an den Schultern. „Mann, für diesen Gedanken verdienen Sie den höchsten Orden der Welt.“ „Irrtum, Boß, Jim Parker verdient ihn. Der Gedanke stammt von ihm. Ich bekam vorhin einen Funkspruch des Kommodores. Er hätte die Sache mit Skeleton selbst gern übernommen, aber die ‚Titania’ schafft es nicht, sie holt den Vorsprung des ‚Oberon’ nicht ein. Da kam Parker auf die gute Idee und sandte mir die Depesche.“ * Durch die Leere des Weltraumes raste die lautlose Verfolgungsjagd. Das Triebwerk der „Titania“ gab sein Äußerstes an Leistung her. Aber nur unmerklich verringerte sich der Abstand zu dem vorauseilenden Schwesterschiff. Längst war die Jupiterbahn erreicht und gekreuzt. Die Schiffe durchflogen wieder das Gebiet der Kleinen Planeten, das gefahrvoll für den Raumfahrer war, wie ein von Klippen und Riffen verseuchtes Fahrwasser für den Seemann, Doch die Besatzung der „Titania“ mußte alles auf eine Karte setzen: Mit unverminderter Geschwindigkeit steuerte der Kommodore das Fahrzeug durch die gefährlichen Räume. Jeden Augenblick konnte die Kollision mit einem kosmischen Trümmerstück das Ende für Schiff und Besatzung bedeuten. „Wenn das nur gut geht, Kommodore“, murmelte Fischer, der mit gespanntester Aufmerksamkeit den Schirm des Radargerätes beobachtete. „Wir müssen durchhalten, Fischer. Es ist die einzige Chance, 80
gleichzeitig mit dem ‚Oberon’ in Erdnähe anzukommen. Möchte nur wissen, wann sich diese Sonntagsfahrer da vorn endlich bequemen werden, die Geschwindigkeit zu drosseln. Wenn das so in diesem Tempo weitergeht, schießen wir an der Erde vorbei und fliegen allesamt auf Nimmerwiedersehen aus dem Sonnensystem hinaus.“ „Hat Oberst Mortimer eigentlich schon geantwortet?“ fragte Fischer. „Er sandte heute früh einen chiffrierten Funkspruch. Demnach setzt er – mit Unterstützung durch den Boß – alle Hebel in Bewegung, um einen doppelten Sperrgürtel von Raumschiffen um die Erde aufzubauen.“ „Und wird es etwas nützen?“ „Das läßt sich schwer voraussagen. Aber ich habe so ein dumpfes Gefühl, als ob unser Gegner den Plan durchschauen und dem langen Mortimer doch noch durch die Lappen gehen würde.“ * Die Weltraumstation des Staatlichen Atom-Territoriums, „Luna nova“, glich einem Heerlager. In den Gängen, in den Aufenthaltsräumen wimmelte es von Raumschiffoffizieren und Matrosen. Oberst Mortimer, der vom „Weltbund der Freien Nationen“ mit der Abwehr des Angriffs auf die Erde beauftragt worden war, hatte sein Hauptquartier in der Befehlszentrale der Außen Station aufgeschlagen. Major Williams, der Chef des MondSicherheitsdienstes des S.A.T., war mit allen verfügbaren Schiffen der Mondroute und einer kleinen Schar Freiwilliger zu seiner Unterstützung von „Luna IV“ herbeigeeilt. Und Henry Lasalle, der Kommandant der Station, hatte alle Hände voll zu tun, um die zahllosen Raumfahrer, Sicherheits- und WP-Männer auf so engem Raum unterzubringen und zu versorgen. Stündlich 81
trafen neue Fahrzeuge von der Erde ein – selbst die kleinsten Zubringerraketen und die ältesten Mondraketen hatte man mobil gemacht. Sie mußten jeweils frisch betankt und an ihre Standorte dirigiert werden. Der arme Lasalle wußte nicht mehr, wo ihm der Kopf stand. In der Zentrale hatte Mortimer seine engsten Mitarbeiter zusammengerufen. Auf dem Schreibtisch lagen die „kosmischen Generalstabskarten“ ausgebreitet, graphische Darstellungen des Sonnensystems, in die allerlei verschlungene Fahrtrouten eingezeichnet waren. Mit umwölkter Stirn fuhr der Oberst mit einem Bleistift dazwischen herum. „Die Lage ist außerordentlich ernst, meine Herren. Hier sehen Sie den gegenwärtigen Standort des ‚Oberon’. Das Schiff hat seine Fahrt in den letzten Tagen zwar ständig vermindert, doch verfügt es noch immer über eine so extrem hohe Geschwindigkeit, daß der Versuch, es mit unseren wesentlich langsameren Fahrzeugen anzugreifen, von vornherein keine allzu großen Chancen hat. Zudem sind wir dadurch in eine fatale Lage geraten, daß der ‚Oberon’ fast zehn Tage früher eintrifft, als wir zuerst angenommen hatten.“ „Das bleibt doch für uns Jacke wie Hose“, meinte ein alter WP-Offizier wegwerfend. „Eben nicht, Herr Oberstleutnant. Wir sind dadurch gezwungen, auf unsere Venusflotte zu verzichten, mit deren Eintreffen nicht vor Ablauf von dreimal vierundzwanzig Stunden zu rechnen ist und die über die modernsten Planetenschiffe verfügt.“ „Wie gedenken Sie nun vorzugehen?“ fragte Major Williams. „Sobald der ‚Oberon’ in unseren Aktionsbereich gelangt, starte ich mit den vier großen Fernraumern und den zwölf schnellsten Mond-Transportmaschinen. Wir werden uns in geschlossener Formation auf den Gegner stürzen und ihn unter das konzentrierte Feuer unserer Atomwerfer nehmen.“ „Und wenn er Ihnen entwischt?“ 82
„Dann sind Sie an der Reihe, Williams. Halten Sie sich mit Ihrer Streitmacht einsatzbereit. Wenn wir versagen sollten, starten Sie sofort. Lassen Sie Ihre Fahrzeuge ausschwärmen, und verlegen Sie dem ‚Oberon’ den Weg Wir müssen ihn kriegen, Williams.“ „Aber erwischen Sie nur nicht den Falschen“, warnte Lasalle. „Die ‚Titania’ hat mächtig aufgeholt, und sie gleicht ihrem Schwesterschiff wie ein Ei dem anderen.“ Ein Matrose kam hereingestürzt, salutierte und reichte Mortimer eine Meldung. „Nachricht von der Radarzentrale, Sir. Raumschiff ‚Oberon’ hat den Kurs geändert und die Geschwindigkeit erhöht.“ „Danke.“ Mit grimmiger Miene las Mortimer die Meldung und trug den neuen Standort des Schiffes in die Karte ein, „Meine Herren, es wird Ernst! Der Gegner hat offenbar Lunte gerochen. Er geht vorzeitig zum Angriff über. Wir werden keinen leichten Stand haben.“ Auf „Luna nova“ schrillten die Alarmglocken, heulten die Sirenen. Die Besatzungen drängten sich vor den Schleusenkammern. Überfüllte Raumtaxi rasten zwischen der Station und den Raumschiffen hin und her. Zwanzig Minuten später setzte sich die „erste Welle“, bestehend aus insgesamt sechzehn Fahrzeugen, in Bewegung. Oberst Mortimer hatte den großen „Ganymed“ zu seinem Flaggschiff bestimmt. In atemloser Spannung verfolgten die Zurückbleibenden, soweit ihnen der Stationsdienst dafür Zeit ließ, die Fahrt der stattlichen Raumflotte vom Observatorium aus. Der diensttuende Astronom hatte die Elektronenoptik eingeschaltet. Auf der großen Projektionsfläche konnte man die Manöver des Raumschiffverbandes genau verfolgen. Plötzlich wuchs aus der Tiefe des Raumes ein eiförmiges Gebilde heraus, wurde zusehends größer und näherte sich Mortimers Geschwader. 83
„Der ‚Oberon’! Gleich geht der Zauber los.“ Man sah, wie Mortimers Streitmacht sich formierte, wie sie die Fahrgeschwindigkeit erhöhte und geschlossen zum Angriff überging. Minuten bangen Wartens vergingen … Und dann – ein vielstimmiger Aufschrei gellte durch die Station! Das Geschwader des Obersten hatte sein Ziel verfehlt. Es war vorbeigestoßen. Die unglaubliche Fahrgeschwindigkeit des „Oberon“ mußte alle Berechnungen über den Haufen geworfen haben. Lasalle stürzte zum Telephon. „Funker – Befehl an Major Williams …“ Aber der Major war bereits im Bilde. Vom Führerstand des Kurierschiffes „Golden Arrow“ aus hatte er die Vorgänge da draußen verfolgt. Sein Funkkommando setzte die „zweite Welle“ in Marsch. Mit feurigen Schweifen aus den Heckdüsen schossen die Schiffe in weiter Kurve auf ihr Ziel zu: an der Spitze die fünf schnellen Kurierraketen, dann – in geringem Abstand – zwanzig Mond-Transporter mittlerer Größe. Die Nachhut bildete eine unübersehbare Zahl von Zubringerschiffen verschiedener Typen und älteren Mondraketen, die man in aller Eile wieder in Dienst gestellt hatte. „Na – wenn die es nicht schaffen …“, murmelte Lasalle. Sie schafften es nicht. Schon waren die zwei an der Spitze fahrenden Kurierschiffe fast bis auf Schußweite an den „Oberon“ heran, als dieser mit einer Plötzlichkeit, die den Beobachtern den Atem benahm, seinen Kurs änderte. „Das ist ja Wahnsinn“, stöhnte einer der WP-Offiziere, der im Observatorium zurückgeblieben war. „Was kann man von Verrückten anderes erwarten?“ knurrte Lasalle. Einen Augenblick schien es, als sollte der „Oberon“ mit einem der Mond-Transportschiffe zusammenprallen, die ausge84
schwärmt den Kurierraketen folgten. Dann hatte das rasende Fahrzeug die Sperrkette durchbrochen. Ungehindert stürzte es auf die Erde zu … Lasalle schloß aufstöhnend die Augen. Und so entging es ihm auch, daß plötzlich ein neues Raumfahrzeug über das Gesichtsfeld huschte – ein Schiff, das dem „Oberon“ glich, wie ein Ei dem anderen. * „Wir schaffen es nicht, Kommodore. Das Triebwerk gibt sein Äußerstes her. Eine weitere Steigerung der Geschwindigkeit ist nicht mehr möglich.“ Mutlos hob Professor Varras die Schultern. Er stand mit Jim Parker im Kontrollraum der Triebwerksüberwachung und blickte verzweifelt auf die Instrumente, deren Zeiger hart am Anschlag lagen. „Wir müssen froh sein, wenn die Kühlung noch eine Weile durchhält und die Maschine nicht durchschmort.“ Jim Parker ging zum Bordtelephon und rief den Führerstand an. Seine Züge waren bleich und verkrampft. „Fritz, zünde das Hilfsaggregat und jage die letzten Treibstoffreserven hinaus. Was gibt es sonst Neues?“ „Martini hat eine neue ‚Verlautbarung’ unseres Freundes Skeleton an die Menschheit aufgefangen. Er fordert die Erdbewohner auf, Abschied vom Leben zu nehmen. Die Zerlegungsbombe für die Erdatmosphäre läge in der Schleusenkammer des ‚Oberon’ bereit. In fünfzehn Minuten soll sie abgeworfen werden.“ „Und was macht Mortimer?“ „Sein erster Angriff ist danebengegangen.“ „Habe es schon befürchtet. Ich komme sofort nach vorn.“ Gegen den gewaltigen Andruck, den die Hilfsraketen verursachten, kämpfte sich der Kommodore in den Führerstand vor. 85
Nur schemenhaft nahm er die verzerrten Gesichter Horst Fischers, Erikas und Martinis wahr. Dann ließ er sich ächzend in den Sitz neben Wernicke fallen, der ernst, aber unerschüttert das Steuer hielt. Er kam gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der „Oberon“ auch den zweiten und letzten Sperrgürtel durchbrach. Mühsam stemmte er sich hoch. „Was willst du tun, Jim?“ „Ich nehme den Raumgleiter, Fritz.“ „Das wirst du nicht tun, Jim! Es wäre der reine Selbstmord.“ „Und wenn es so wäre! Hier geht es um das Leben von Milliarden Menschen. Was bedeutet da der einzelne? Der Raumgleiter ist die letzte, die allerletzte Chance. Und außerdem habe ich einige Aussicht, heil davonzukommen. Das Gerät ist erheblich verbessert worden, seit ich zuletzt den Gauner Mexass damit jagte * .“ „Dann lass’ mich gehen, Jim.“ „Du kennst den Gleiter nicht …“ „Aber ich kenne ihn, Kommodore“, mischte sich Horst Fischer in das Gespräch, „Ich bin mit dem Raumgleiter ausgebildet und …“ „Unsinn, Fischer. Sie bleiben hübsch brav bei Ihrer Erika, sonst weint sie sich die schönen Augen aus. Schluß jetzt, es geht um jede Sekunde. Helfen Sie mir, den Gleiter klarzumachen, Fischer. Gib auf dein Steuer acht, Fritz. So long!“ Ja, es ging wirklich um Sekunden, und ehe die anderen so recht begriffen hatten, was der Kommodore plante, löste sich bereits der winzige, torpedoförmige Gleiter vom mächtigen Rumpf der „Titania“ und schoß mit irrsinniger Geschwindigkeit davon – dem Raumschiff „Oberon“ nach, das sich der Erde bedrohlich näherte. *
Siehe UTOPIA, 27. Band – „Jagd auf Mexass“
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„Jim Parker“, flüsterte Erika ergriffen. „Er hat sein Leben geopfert.“ * Der Kommodore hatte in diesen Augenblicken keine Zeit, über den möglichen Ausgang des Abenteuers nachzugrübeln. All sein Denken konzentrierte sich auf das eine Ziel: den „Oberon“ zu erreichen, bevor die Besatzung ihr furchtbares Vernichtungswerk vollbringen konnte. Rasch verringerte sich der Abstand, der ihn noch von dem Raumschiff trennte. Aber näher und immer näher kam die rasende Jagd nun an die höchsten Ausläufer der irdischen Lufthülle heran. Jim Parker machte einen letzten Versuch. Er rief Professor Skeleton mit dem eingebauten, kleinen Funkgerät an: „Stoppen Sie sofort, Skeleton! Ich warne Sie zum letzten Male.“ Die Antwort kam prompt: „Schert euch alle zum Teufel!“ Wie in einem wallenden Nebel nahm der Kommodore die Vorbereitungen wahr, die an Bord des „Oberon“ getroffen wurden. Er sah, wie die Schleusentür aufschwang, wie einige Männer in Weltraumkombinationen ein kleines Gerät zur Öffnung hinschoben – ein Gerät, das wie eine kleine Bombe geformt war … Jim Parker riß sich zusammen. Er maß die Entfernung. Zu weit, um das Schiff noch zu erreichen … Da brachte er den schweren Atomstrahler in Anschlag, der im Bug des Raumgleiters beweglich montiert war. Sein Finger bewegte den Abzug. Der Kommodore sah nur noch einen grellen Blitz, ein jähes Aufglühen des ganzen riesigen Schiffskörpers, In der nächsten Sekunde zersprengte eine furchtbare Explosion den „Oberon“ in Atome. 87
Der schmale Raumgleiter, in dem Jim Parker eingezwängt lag, verfügte über so manche erstaunliche technische Errungenschaft. Aber auf so kurze Distanz ließ er sich nicht bremsen. Mit voller Kraft raste er hinein in den Untergang des „Oberon“. * Als Henry Lasalle die Augen zögernd wieder öffnete, galt sein erster Blick der heimatlichen Erde, die im Sonnenschein unter der Raumstation lag. Nichts hatte sich geändert, und die Wolkenschiffe, die weiß und glänzend über Land und Meer segelten, zeigten eindeutig und klar, daß die schützende Lufthülle noch immer den Erdball umgab, daß der satanische Anschlag Skeletons, des wahnsinnigen Menschenhassers, in letzter Sekunde vereitelt worden war. – Fritz Wernicke hatte unter Aufbietung aller navigatorischen Geschicklichkeit die „Titania“, die der Erde verzweifelt nahe gekommen war, vor dem Absturz bewahrt und das Schiff erneut in den Raum hinausgesteuert, um die übermäßige Geschwindigkeit allmählich zu bremsen. An den Fenstern standen die Gefährten und schauten mit bleichen Gesichtern zu dem fernen Nebelfleck zurück, der die Stelle im Raum bezeichnete, an welcher der „Oberon“ sein Ende gefunden hatte. Was aber mochte aus Jim Parker geworden sein? * Über den Wassern der Ostsee glühte das Abendrot. Ein kleines Fischerboot kehrte – mit reichem Fang beladen – mit tuckerndem Hilfsmotor zur Küste zurück. Der Schiffer hielt die Ruderpinne lässig in der Rechten und schmauchte behaglich seine Pfeife. „Was das nur für komische, weiße Fetzen sind, die da im 88
Wasser schwimmen?“ wunderte sich sein Sohn, der im Bug des Bootes hockte. Er griff danach und zog ein Bündel durchnäßter Stoffe und Leinen an Bord. Nun war die Reihe, sich zu wundern, an seinem Vater. „Was soll denn das sein? Habe so was noch nie gesehen.“ Doch der Junge hatte schon begriffen, „Ein Fallschirm, Vater. Ein sogenannter Bänderschirm. Und – Donnerwetter! – treibt da drüben nicht ein Mensch?“ Der Alte steuerte das Boot auf die Stelle zu. Mit vereinten Kräften zogen sie einen Mann an Bord, der in einem seltsamen Anzug steckte, ähnlich den luftdichten Kombinationen der Stratosphärenflieger. Eilig öffneten sie den Helm. Ein männlich-scharfgeschnittenes Gesicht sah ihnen entgegen, das jetzt allerdings bleich und erschöpft wirkte. Der Verunglückte gab noch schwache Lebenszeichen von sich. Der Schiffer steuerte sein Boot dem kleinen Hafen zu, so schnell der Motor es nur treiben konnte. Als die Schatten der Nacht Meer und Küste einzuhüllen begannen, befand sich der Unbekannte bereits im Krankenhaus der nahen Kreisstadt. Am nächsten Morgen hatte er das Bewußtsein noch nicht wiedererlangt. Doch die Ärzte waren sich darüber einig, daß er sich außer Lebensgefahr befand. - Ende -
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Lesen Sie im nächsten (35.) UTOPIA Band: Der geheimnisumwobene Planet Mars befindet sich wieder einmal in Erdnähe, als ein rätselhaftes Raumschiff die Erde anfliegt. Eine unbekannte Drohung scheint von dem fremden Fahrzeug auszugehen. Steht der Erde eine Invasion aus dem Weltraum bevor? Jim Parker startet mit seinen Gefährten, um dem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Doch ehe er seine Aufgabe lösen kann, hat er die aufregendsten Abenteuer mit den Insassen des fremden Raumschiffes zu bestehen. Wieder einmal muß er sein Leben aufs Spiel setzen, um die unheimlichen Gefahren des Weltalls zu meistern. Sollten Sie die vorhergehenden UTOPIA-Bände 1 bis 33 bei Ihrem Zeitschriftenhändler nicht mehr erhalten, dann wenden Sie sich bitte direkt an den Verlag Erich Pabel, Rastatt (Baden). Zahlen Sie dabei den Geldbetrag (je Band 50 Pf.) auf das Postscheckkonto Karlsruhe 224 46 ein. Aber hierbei nicht vergessen, die gewünschten Nummern auf der Rückseite des linken Zahlkartenabschnittes anzugeben. Auch können Sie den Geldbetrag in bar sofort Ihrer Bestellung beifügen.