John Grey
Verdammt zum Sterben Ronco Band Nr. 180/17
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 196...
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John Grey
Verdammt zum Sterben Ronco Band Nr. 180/17
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Findet ein neues Zuhause auf einer Postkutschenstation, gerät aber in den Strudel geheimnisvoller Überfälle und muß wieder kämpfen, um zu überleben. Jeff Bogart – Besitzt eine Poststation an der Overlandstraße und erhält nachts merkwürdige Besuche. Cargo Flatt – Detektiv der Postkutschenlinie. Wird angeschossen und hat kaum noch eine Chance, sein Leben zu retten. Dundee – Wird in mehreren Staaten steckbrieflich gesucht und schießt, bevor er fragt.
Verdammt zum Sterben 27. April 1879 Über Colorados Bergen wird es Nacht. Lobo und ich rasten im Schutz einiger Pecan-Bäume. Wir sind nicht allein. Unterwegs haben wir einen Jungen aufgesammelt, dessen Alter man nicht bestimmen kann. Ein bedauernswertes Wesen. Er ist verkrüppelt, kann kaum richtig laufen und nicht mehr als zehn Wörter sprechen. Er wird gesucht, genau wie ich. In der letzten Stadt, in der wir waren, haben wir erfahren, daß er einen Doppelmord begangen haben soll. Dann tauchte er plötzlich vor uns aus der Wildnis auf. Verdreckt, hungrig, abgehetzt und durstig. Ich glaube nicht, daß er ein Mörder ist. Darum haben wir ihn mitgenommen, auch wenn wir einen Haufen Ärger kriegen können, wenn wir mit ihm erwischt werden. Aber hätten wir ihn einfach in der Wildnis lassen sollen? Er ist völlig hilflos und verängstigt, ausgestoßen und allein. Ich muß an meine eigene Kindheit und Jugend denken, wenn ich zu ihm hinüberschaue. Ich hatte das Glück, gesund und stark zu sein. Mich hatte das Leben hart werden lassen. Aber auch ich war allein, fühlte mich ausgestoßen und häufig genug auch hilflos. Es gab niemanden, der mir beistand. Ich mußte mich allein durchbeißen. Dazu ist dieser Junge nicht in der Lage. Trotz aller Schicksalsschläge, die ich bisher hinnehmen mußte, sehe ich nun, wie dankbar ich sein kann, daß ich immer stark genug war, mich zu behaupten. Vielleicht ist das der Grund, daß ich dem verkrüppelten Jungen helfen will. Zwanzig Jahre ist es her, daß ich ziel- und haltlos durch das Land irrte. In Kansas war ich in die Auseinandersetzungen zwischen Sklavereigegnern und Sklavereibefürwortern geraten und war am Ende froh, mit heiler Haut davonzukommen. Damals, im Sommer 1859, stand ich wiederum Anfang, an einem Anfang, der mir fast wie ein Ende erschien. Trotzdem gab ich nicht auf. Ich hatte nichts zu erwarten und wußte selbst nicht, wie es weitergehen sollte. Aber ich war schon damals überzeugt, daß der Sinn des Daseins nicht darin besteht, auf den Tod zu warten. Man
muß versuchen, sein Leben zu bestehen, auch wenn es noch so schwer ist. Das glaubte ich damals schon, und das trieb mich weiter, allen Widrigkeiten zum Trotz, die mir begegneten.
1. Das heisere Schreien großer Krähen tönte mir entgegen. Ich blieb stehen und hob die flache rechte Hand über die Augen, zum Schutz gegen die stechenden Sonnenstrahlen. Die Krähen kreisten über einem Punkt im Hügelland. Ab und zu stießen einige Vögel hinunter, dann tauchten andere vom Boden auf und schlossen sich dem kreisenden Schwarm an. Shita neben mir knurrte leise. Ich warf einen raschen Seitenblick auf den großen, mageren Bastardhund, der mich seit meinem Abenteuer mit den Freistaatlern begleitete. Seine Ohren waren kurz, seine Schnauze spitz, sein braunschwarz geflecktes Fell dicht. Das Schönste an ihm waren seine Augen, die groß, rund und ungemein ausdrucksstark waren. Ich hatte ihn Shita genannt, nach meinem ersten Pferd, das ich bei den Apachen besessen hatte. Ich war froh, daß er da war, daß ich nicht allein sein mußte. Seine Anwesenheit war für mich mittlerweile selbstverständlich geworden. Einen besseren, treueren Freund als ihn konnte ich mir nicht wünschen. Ich zögerte einen Moment, dann lenkte ich meine Schritte auf die Stelle zu, über der die Krähen schwebten. Ein milder Wind strich von Südwesten heran, und die Sonne hatte fast den Zenit erreicht, als ich auf eine ausgefahrene Wagenstraße stieß. Schwaden heißer Luft standen zwischen den Hügeln, die auch der Wind nicht aufzulösen vermochte. Feiner Staub erhob sich unter meinen Füßen, und die Schreie der Krähen wurden immer lauter, je mehr ich mich ihnen näherte. Shita sprang an mir vorbei und blieb auf einem Hügelkamm stehen. Er knurrte wieder, und seine Nackenhaare hatten sich gesträubt. Wenig später sah auch ich die Kutsche. Es war eine wuchtige, gut gefederte Concord-Kutsche mit einem Vierergespann. Die Gespannpferde waren tot. Die Kutsche stand seitlich vom Weg am Fuße eines Hügels. Im
kniehohen Gras des Hügelhangs lagen die vier Pferde. Auf Augen und Nüstern saßen Hunderte von Fliegen. Auf den Leibern der toten Tiere hockten die Krähen. Ihr Krächzen war jetzt fast ohrenbetäubend. Ein süßlicher Gestank von Blut und Tod schlug mir entgegen. Die Deichsel war gebrochen, sie stand aufrecht wie ein mahnender Zeigefinger. Zögernd setzte ich mich in Bewegung und ging auf den Wagen zu. Shita folgte mir. Neben der Kutsche lagen Gepäckstücke, aufgerissene Koffer und Kisten, ein zerbeulter Hutkarton. Dazwischen lagen die toten Passagiere. Als erstes entdeckte ich eine Frau in mittleren Jahren. Sie war dunkel gekleidet und hielt noch im Tode einen Sonnenschirm mit der rechten Hand fest umklammert. Ihr Gesicht war kaum zu erkennen. Eine Kugel hatte die Stirn durchschlagen. Unmittelbar neben ihr lag ein junger Mann im Gras. Er war städtisch gekleidet. Seine Augen waren weit aufgerissen, in den gläsern schimmernden Pupillen spiegelte sich der Himmel. Sein Hemd war einmal schneeweiß gewesen, jetzt war es blutgetränkt und wies zwei Kugellöcher auf. Ich umrundete den Wagen. Shita bellte, und die Krähen auf den toten Pferden flatterten mit wütendem Gekrächz auf. Sie stürzten sich auf Shita, der wild nach ihnen schnappte, hackten nach ihm und zogen sich schließlich in höhere Regionen zurück, als ich einen Stein aufhob und nach ihnen warf. Eine Krähe traf ich. Sie taumelte in der Luft, fing sich aber und flog davon. Hinter der Kutsche fand ich einen vierschrötigen, mittelgroßen Mann mit struppigem Vollbart, den ich für den Kutscher hielt. Sein speckiger, breitrandiger Hut lag neben ihm im Gras. Eine Kugel hatte ihn in den Hals getroffen. Schließlich stieß ich auf dem Hügel, an dessen Fuß der Wagen stand, auf eine vierte Leiche. Es handelte sich um einen gut gekleideten Mann von vielleicht vierzig Jahren, der offenbar eine Geldkatze getragen hatte. Ihm war das seidene Hemd zerfetzt worden. Die Hose hatte man ihm halb heruntergerissen. Ein paar Schritte neben ihm entdeckte ich tatsächlich den geleerten Geldgürtel.
Die Menschen waren seit mindestens fünf Stunden tot. Der Überfall mußte am frühen Morgen stattgefunden haben. Ich versuchte, Spuren zu finden, aber die Banditen mußten auf der Overlandstraße davongeritten sein. Hier war der Boden zu hart, um Spuren aufzunehmen. Die Sonne stand jetzt senkrecht über den Hügeln. Der Wind schwächte ab. Die Hitze wurde unerträglich, und der Gestank von Blut, Tod und Verwesung verstärkte sich noch. Ich warf einen Blick ins Innere der Kutsche. Auf dem Boden war ein eingetrockneter Blutfleck. Eine Revolverkugel hatte das Polster der hinteren Sitzbank aufgerissen. Ich wandte mich ab. Mein Magen hob sich. Ich konnte den Leichengeruch nicht mehr ertragen. Ihr Anblick selbst schreckte mich nicht. Ich hatte schon viele Leichen gesehen. Der Tod gehörte zum Leben, das hatte ich bei den Apachen gelernt. Ich beeilte mich, den Ort des Überfalls zu verlassen. Shita folgte mir eilig. Er schien ebenfalls keine Lust zu haben, dort auch nur eine Sekunde länger zu verweilen als unbedingt nötig. Hinter uns stürzten sich mit lautem Gekrächz die Krähen wieder über das Aas. Ich floh beinahe vor ihren Schreien über die Hügel und war froh, als ich nach einiger Zeit einen Fluß vor mir auftauchen sah. Es war der Arkansas-River, dessen schlammige Fluten sich ostwärts wälzten. Er erinnerte mich an den Rio Grande, der aber noch breiter war. Ich hockte mich am Ufer nieder, schöpfte Wasser mit den hohlen Händen und trank. Dann wusch ich mir den Staub vom Gesicht. Shita stand neben mir und stillte ebenfalls seinen Durst. Als ich mich dann aufrichtete und zurückschaute, konnte ich über den Hügeln noch immer die Krähen kreisen sehen, und ich fror trotz der Mittagshitze. * Die Poststation lag auf einem Hügel oberhalb des Flusses. Es war eine kleine Station, die nur aus drei flachen Gebäuden bestand. Vom Hof aus führte ein breiter Weg zur Overlandstraße, die am Flußufer endete. An einem stabilen Anlegesteg lag eine flache, geräumige
Fähre, die durch einen Eisenbügel mit einem Drahtseil verbunden war, das sich über den Fluß spannte. Ich fuhr mit der Rechten in die Hosentasche. Darin klimperten noch zwei Silberdollar. Das war nicht viel, aber es reichte aus, um eine Mahlzeit zu finanzieren. Außerdem wollte ich den Überfall melden. Ich lief auf die Station zu. Shita sprang neben mir her. Als wir den Hof erreichten, knurrte mein Magen bereits, und ich war froh, nicht lange nach etwas Eßbarem suchen zu müssen. Ich stieß die Tür auf und trat über die Schwelle. Da sah ich den Mann an der zehn Fuß langen Theke lehnen. Er war hager, mittelgroß, und in der Rechten hielt er einen langläufigen Revolver. Der linke Arm baumelte kraftlos herab, an den Fingern der linken Hand entlang tropfte Blut auf den Boden. Hinter der Theke stand ein vierschrötiger, untersetzter Mann mit starkem Bauchansatz. Er hatte die Ärmel seines schmutzigen Hemdes bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt, so daß seine wurstartigen, dicht behaarten Unterarme freilagen. Er war bis zu einem Flaschenregal zurückgewichen und starrte mit geweiteten Augen auf die Mündung des Revolvers, den der andere auf ihn gerichtet hielt. Ich blieb stehen, und im nächsten Moment wirbelte der Mann an der Theke herum. Ich sah noch, daß er nicht nur am linken Oberarm verletzt war, sondern auch eine Kugel in die linke Seite erhalten hatte. Dann feuerte er bereits. Ich ließ mich fallen, rollte geschmeidig über die ausgetretenen Fußbodendielen und ging hinter einem einfachen Tisch in Deckung, während Shita bellend hinter mir her schoß und mit dumpfem Knurren auf den Mann los jagte. »Shita!« schrie ich, während ich unter mein Hemd griff, um meinen Navy-Colt aus dem Hosenbund zu zerren. Da war der Mann hinter der Theke bereits vorgesprungen, hatte eine Schrotflinte unter dem Tresen hervorgeholt und das Gewehr herumgeschwungen. Der Verletzte schoß, ohne Shita zu treffen, und als der Hund ihn ansprang, schwankte er und erhielt im nächsten Moment von dem Mann hinter der Theke einen gewaltigen Schlag
mit dem Gewehrkolben auf den Schädel. Der Revolver polterte aus seiner Hand zu Boden. Dann stürzte er selbst. Seine Augen waren weit aufgerissen, sein Gesicht hatte eine kalkige Farbe. Ich richtete mich mit dem Navy in der Faust auf. Da lag der Mann bereits still. Shita stand knurrend und mit gefletschten Zähnen neben ihm. Als ich ihn rief, wich er steifbeinig zurück, ohne den Mann aus den Augen zu lassen. Er war tot. »Verdammte Banditen.« Der Mann hinter der Theke beugte sich über den Tresen, warf dann einen Blick auf mich und trat schließlich, die Schrotflinte locker in der Rechten, hinter der Theke hervor. »Man ist hier nirgends mehr sicher.« Er musterte mich wieder. »Wenn du nicht aufgekreuzt wärst, hätte der Kerl mich bestimmt abgeknallt. Ich sollte ihn verbinden. Und ein sauberes Bett wollte er haben, dieser Kerl. Wahrscheinlich ist das einer von den Strauchdieben, die seit Wochen die Straßen verunsichern.« »Ein Stück östlich von hier ist eine Kutsche überfallen worden«, sagte ich. »Alle sind tot.« »Da haben wir's.« Der Mann walzte mit schweren Schritten auf mich zu und reichte mir seine fleischige Hand. »Wahrscheinlich war das dieser Kerl, und er hat dabei etwas abgekriegt. Mein Name ist Bogart, Jeff Bogart. Mir gehört die Station hier. Ich bin an die Kutschenlinie von Russel, Majors und Waddell angeschlossen, falls dir das was sagt.« Es sagte mir nichts, aber ich sollte noch erfahren, daß das die größte Postkutschenlinie zu dieser Zeit im Westen war. »Ich heiße Ronco«, sagte ich. »Ich bin nur hier, weil ich was essen wollte.« »Kriegst du, kriegst du alles.« Der Stationer stellte die Schrotflinte an die Theke. Er bückte sich und wuchtete die Leiche hoch, als sei sie federleicht. »Du bist mein Gast. Schließlich hast du mir geholfen.« Er trug den Toten hinaus und kehrte wenig später mit einer Satteltasche zurück. »Da siehst du es«, sagte er. »Er hat die Kutsche überfallen.« Er
öffnete die Tasche und holte eine Handvoll Schmuck und Dollarmünzen heraus. »Das ist der zehnte Überfall in drei Monaten auf dieser Strecke.« Er verschloß die Satteltasche wieder und schaute mich einen Moment lauernd an. Sekundenlang hatte sein kantiges, großporiges Gesicht einen verschlagenen Ausdruck, der mich erschreckte und irritierte. Dann überzog ein strahlendes Lächeln seine Züge. »Du hast Hunger, wie? Und dein Hund auch. Setz dich. Ihr kriegt gleich was.« Er eilte davon und verschwand durch eine Tür hinter der Theke. Ich rückte an dem Tisch, hinter dem ich in Deckung gegangen war, einen Stuhl zurück und setzte mich. Shita trottete von der Theke heran und ließ sich neben mir nieder. Die seltsame, nur Sekunden währende Veränderung des Stationers gab mir noch immer zu denken. Als er dann aber mit einem Tablett erschien, auf dem ein Teller mit einem dampfenden Steak stand, mit Kartoffeln und Bohnengemüse, schluckte ich mein Unbehagen hinunter. Ich war dem Mann schließlich fremd und sah gewiß nicht sehr vertrauenerweckend aus. Meine Kleidung war ziemlich mitgenommen, mein Schuhwerk löste sich langsam in seine Bestandteile auf. Ein erster Bartflaum bedeckte meine Wangen, und meine Kleidung war voller Staub. Außerdem war ich ziemlich hohlwangig, denn ich hatte in den letzten Wochen selten regelmäßig gegessen. Wahrscheinlich wirkte ich in meiner sehnigen Magerkeit wie ein junger Wolf. »Die Postkutsche hat der Kerl also überfallen«, sagte der Stationer. Er setzte sich mir gegenüber an den Tisch, nachdem er Shita eine Schale mit Wasser hingestellt und einen großen Knochen auf den Boden gelegt hatte. »Das muß heute morgen gewesen sein. Die Kutsche hat nach Sonnenaufgang die Station verlassen.« »Die Leichen waren kalt«, sagte ich. »Und die Krähen hatten die Pferde schon ganz schön übel zugerichtet.« »Diese Kerle kennen keine Rücksicht.« Der Stationer lehnte sich zurück. »So war es bei jedem Überfall. Von den Fahrgästen ist nie einer mit dem Leben davongekommen.« Ich aß mit großem Appetit. Das Steak war gut, zartes Fleisch, nicht ganz durchgebraten, nur das Bohnengemüse schmeckte etwas
holzig. »Ich werde den Überfall wohl an die Zentrale der Postlinie nach Missouri melden müssen«, fuhr Bogart fort. »Die werden schön toben. Wahrscheinlich schicken sie mir einen Agenten her, der überall herumschnüffelt.« Als ich kauend den Kopf hob und ihn anschaute, bemerkte ich wieder den mir unverständlichen lauernden, verschlagenen Ausdruck in seinem Gesicht. »Wo kommst du her?« »Von Westen«, sagte ich. »Ah.« Er musterte mich noch immer lauernd. »Von zu Hause weggelaufen?« »Ich hab keine Eltern«, sagte ich. »Das ist hart.« »Man kann es ertragen.« »Wovon lebst du?« Ich zuckte mit den Schultern. »Ab und zu hab ich gearbeitet«, sagte ich. »Hast du was gegen Arbeit?« »Nein«, sagte ich. »Aber ich hatte immer eine Menge Pech. Das letztemal wurde der Mann umgebracht, für den ich gearbeitet habe.« »Ich bin ganz allein hier«, sagte Bogart. »Ich könnte eine Hilfskraft gut gebrauchen. Überlege dir mein Angebot. Ich weiß nichts von dir, ich frage auch nicht viel. Du hast mir geholfen, als ich in der Klemme steckte. Das genügt mir. Jeden Tag satt zu essen und im Monat zwölf Dollar Lohn. Ich denke, das ist anständig.« Ich erwiderte seinen abwartenden Blick, während ich das letzte Stück Fleisch in den Mund schob und kaute. Das Angebot war wirklich nicht schlecht. Ich war das ständige, unstete Herumziehen leid. Ich brauchte einen Platz, wo ich Fuß fassen konnte. Der Stationer mochte ein bißchen merkwürdig sein, aber mir waren, seit ich gewaltsam aus der Welt der Apachen fortgeschleppt worden war und mir meinen Weg in der Welt der Weißen neu suchen mußte, schlimmere Männer begegnet. Jeff Bogart sah aus, als ob man es mit ihm aushalten könne. »Ich bleibe«, sagte ich. Der lauernde Ausdruck in seinem Gesicht
verschwand, und Bogart zeigte wieder ein strahlendes Lächeln. Wahrscheinlich war er im Laufe der Jahre, die er hier in der Einsamkeit verbracht hatte, mißtrauisch geworden. Anders konnte ich mir sein seltsames Verhalten nicht erklären. Ich beschloß, nicht länger darüber nachzudenken. »Freut mich«, sagte er, und er schien es tatsächlich so zu meinen. »Ich habe hinten im Haus eine kleine Kammer, in der du mit deinem Hund wohnen kannst. Ich denke,, wir werden miteinander auskommen.« »Das denke ich auch.« Ich stand auf und ergriff die rechte Hand, die Bogart mir entgegenstreckte. Sein Händedruck war kräftig und vertrauenerweckend. »Wir fahren gleich los, um die Toten und die Kutsche zu bergen«, sagte er. »Vorher zeige ich dir deine Kammer.« Ich folgte ihm, als er den Aufenthaltsraum durch eine Hintertür verließ. Shita hielt sich dicht neben mir. Er trug seinen Knochen quer im Maul.
2. Die Krähen schrien, die Krähen kreischten, die Krähen krächzten. Es waren Hunderte, als Bogart, ich und Shita den Platz des Überfalls erreichten. Der Himmel war schwarz von Krähen. Sie hockten im Geäst einiger weniger Bäume, sie hüpften zwischen den Toten umher, sie schwebten satt und faul und träge oder auch hungrig, gierig, wild vom süßlichen Blutgeruch am Himmel, nur darauf wartend, daß ihnen die am Boden hockenden Tiere wieder einen Platz überlassen würden. Bogart feuerte mit seiner Schrotflinte einen Schuß in die Luft. Da stoben die häßlichen Vögel auf, umkreisten wütend unseren Wagen und zogen sich zurück, nachdem Bogart einen zweiten Schuß abgab, mit dem er zwei Krähen erwischte. Wir stiegen ab und rollten die Leichen in einfache Pferdedecken, bevor wir sie aufluden. Wir schafften die Toten zur Station, wo wir sie sofort unweit vom Flußufer begruben. Danach holten wir die Kutsche. Die toten Gespannpferde ließen wir den Krähen zum Fraß
liegen. Die Arbeit nahm den ganzen Nachmittag in Anspruch. Bogart stellte, während wir die Gräber zuschaufelten, ab und zu ein paar belanglos wirkende Fragen. Wie lange ich schon in der Gegend sei, wollte er wissen, und ob ich womöglich etwas von dem Überfall gesehen hätte. Danach wich das Lauernde in seiner Haltung mehr und mehr. Ich begann mich zu fragen, ob er etwas zu verbergen hätte, vergaß die Sache dann aber wieder. Nach dem Abendessen fiel ich todmüde ins Bett. Ich war sogar zu müde, richtig darüber nachzudenken, daß ich wieder ein neues Zuhause hatte, daß es wieder einen festen Pol in meinem Leben gab. Nicht mal meine Kammer hatte ich mir richtig anschauen können. Ich wußte nur, daß sie einfach und sauber eingerichtet war und man gut darin wohnen konnte. Dann schlief ich ein. Als am nächsten Morgen die Sonne aufging, war ich bereits auf den Beinen. Eine Postkutsche von Süden war eingetroffen. Der Kutscher hatte am anderen Ufer des Arkansas angehalten und einen Schuß abgefeuert. Ungewaschen und mit bleiernen Gliedern war ich in meine Hose geschlüpft und mit Jeff Bogart zur Fähre hinuntergegangen. Feine Nebelschwaden schwebten über dem Wasser, als wir die flache Fähre betraten. Die Bohlen knarrten unter unseren Schritten. Ich löste die Vertäuung, und Bogart stellte sich ans Ruder. Fast lautlos glitt der flache Kahn durch die Wellen. In der Mitte des Stromes zerrte die Strömung hart an uns, daß sich das Drahtseil, an dem der Eisenbügel der Fähre entlanglief, mit singendem Ton straffte. Wenig später stießen wir gegen den Anlegesteg am anderen Ufer. Die Kutsche rollte auf den Kahn, der ein wenig schwankte und tiefer ins Wasser eintauchte. Während ich Bremsklötze unter die Räder legte, stieß Bogart schon wieder ab. Zehn Minuten darauf fuhr die Kutsche an Land und hielt auf dem Hof der Station an. Der Kutscher erzählte, daß er auf der Fahrt durch das Indianerterritorium dreimal überfallen worden sei. Im Holz des Wagens steckten noch die abgebrochenen Schäfte einiger Pfeile. Ein Fahrgast war verletzt und stieg mit bleichem Gesicht aus der Kutsche.
Wir wechselten die Pferde. Nach einer halben Stunde fuhr die Kutsche bereits wieder weiter. Bogart hatte dem Driver einen Bericht über den Überfall vom Vortag mitgegeben. Ich versorgte die abgetriebenen Pferde, und als ich damit fertig war, rollte die nächste Kutsche auf die Station. Sie kam von Osten und fuhr westwärts weiter bis nach Colorado, auf derselben Route, auf der gestern der Überfall stattgefunden hatte. Danach wurde es ruhig. Bogart sagte, daß erst in zwei Tagen wieder eine Kutsche einträfe und die Fähre nur selten von einzelnen Reisenden benutzt würde. Es sei manchmal verdammt eintönig und langweilig auf der Station, deswegen sei er froh, jetzt Gesellschaft zu haben. »Früher war ich Farmer«, sagte er, als wir, nachdem wir die zweite Kutsche abgefertigt hatten, zusammensaßen und aßen. Er hatte sich nicht rasiert, und ein dichter Stoppelbart bedeckte sein Kinn und seine Wangen. »Das war ein Hundeleben. Vor fünf Jahren habe ich die Hütten hier gebaut, und die Postlinie hat vor drei Jahren alles gemietet. Außerdem zahlen die mir einen guten Lohn und haben mir die Fähre finanziert. Reich kann man hier nicht werden, aber es geht mir besser als früher.« »Und wie versorgen Sie sich?« fragte ich. »Du kannst Jeff sagen«, sagte er. Er kratzte sich am linken Unterarm und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Ein paarmal im Jahr fahre ich nach Fort Dodge, das sind dreißig Meilen. Dort kann man einkaufen. Und was ich dort nicht kriege, bestelle ich durch die Kutscher. Die Gesellschaft schickt mir dann das, was ich brauche.« »Hast du nie geheiratet?« »Nein«, sagte er. »Es gibt nicht viele Frauen, die hier draußen in der Einsamkeit hausen wollen.« Er schaute mich neugierig an. »Bist du wirklich ein Waisenkind?« »Sicher. Ich bin bei Mönchen aufgewachsen, und später habe ich unter Apachen gelebt.« »So was habe ich mir fast gedacht.« Er erhob sich. »Du siehst ganz schön hart aus. Aber du paßt hierher, das habe ich sofort gesehen. Und arbeiten kannst du auch. Ich bin froh, daß du geblieben bist.«
»Ich auch«, sagte ich. »Eine halbe Meile nördlich von hier ist ein Wald. Ich hab dort ein paar Fallen ausgelegt. Leicht zu finden. Willst du nachsehen, mit deinem Hund?« Ich nickte, schob meinen leeren Teller weg und trank den Rest Kaffee aus der dickwandigen Tasse, die vor mir stand. Dann richtete ich mich auf und rief nach Shita. Wenig später hatte ich die Station hinter mir gelassen und lief durch das Hügelland nordwärts. Shita tollte ausgelassen neben mir her. Manchmal, wenn ich einen Ast im Gras liegen sah, bückte ich mich und schleuderte ihn durch die Luft. Dann jagte Shita hinterher, brachte ihn zurück, verteidigte ihn knurrend, wenn ich versuchte, ihn wieder wegzunehmen, und versteckte ihn unter Büschen. Es war leicht, den Wald zu finden, und auch die Fallen waren nicht besonders schwer zu entdecken. Jeff Bogart hatte sie alle dicht am Waldrand ausgelegt. Es waren insgesamt fünf. Drei waren leer, in den beiden anderen hatten sich junge Präriehasen gefangen. Ich band sie mit einem Lederriemen zusammen und hängte mir die Beute über die linke Schulter. Nachdem ich die Fallen wieder hergerichtet hatte, trat ich den Rückweg an. Die Sonne stand bereits weit im Westen. Kein Windhauch regte sich, und noch lag die Schwüle des Tages über dem Land. Die Luft war drückend und stickig. Während ich mit Shita zum Fluß zurückschritt, dachte ich, daß ich es hätte schlechter treffen können. Jeff Bogart behandelte mich gut, teilte die Arbeit gerecht auf und fragte nicht viel. Ich hatte eine eigene Kammer und erhielt satt zu essen. Mehr konnte ich nicht verlangen. Die Station tauchte vor mir auf. Unterhalb der Hütten schimmerten die Wellen des Arkansas golden in der Sonne des Spätnachmittags. Auf dem Stationshof stand ein Pferd mit hängenden Zügeln. Unwillkürlich lief ich etwas schneller. Außer Atem erreichte ich die Station und überquerte den Hof. An einem Fenster des Hauptgebäudes blieb ich stehen und warf einen Blick ins Innere. Wie angewurzelt verharrte ich. Ich sah Jeff Bogart an der Theke stehen. Er lehnte mit dem Rücken dagegen und stützte
sich mit beiden Ellenbogen an der Oberkante des Tresens ab. Er war blaß und redete auf einen Mann ein, der ihm gegenüberstand und den ich nur von der Seite sehen konnte. Ich hörte Bogarts Stimme, ohne verstehen zu können, was gesprochen wurde. Die Stimme klang hell vor Nervosität. Der Fremde sagte nichts. Er lauschte Bogarts Worten in drohender Haltung, und unvermittelt ging er auf ihn los. * Der Mann war einen halben Kopf größer als Bogart und genauso breit. Er wirkte erheblich geschmeidiger und bewegte sich leichtfüßig wie eine Wildkatze. Seine Haut war von der sengenden Sonne gebräunt. Ein ungepflegter Bart bedeckte sein Kinn und seine Oberlippe. Er trug ein rotes Hemd, und auf seiner Brust baumelte eine helle Kette, eine Kette aus Zähnen, die ganz so aussahen, als stammten sie von Menschen. Bogart duckte sich. Er wollte zur Seite wegspringen. Der Fremde versperrte ihm den Weg und schlug zu. Seine rechte Faust traf Bogart an den linken Kinnwinkel. Der Stationer ging zu Boden. Dann stand der Fremde breitbeinig über ihm und hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt. Ich wandte mich vom Fenster ab und ging zur Tür. Meine Füße waren schwer wie Blei. Ich hatte ein flaues Gefühl im Magen, als ich unter mein Hemd nach dem Griff meines Navy-Colts tastete. Aber ich fand ihn nicht, und mir fiel ein, daß ich die Waffe in meiner Kammer gelassen hatte. Leise fluchend blieb ich zögernd vor der Tür stehen. Warum hatte Bogart nicht einmal den Versuch unternommen, sich zu wehren? Er mußte den Mann kennen, der ihn zusammengeschlagen hatte. Irgend etwas hinderte ihn, so zu reagieren, wie es bei einem solchen Angriff normal war. Er mußte in ein übles Geschäft verwickelt sein. Ich streckte meine Rechte nach der Türklinke aus und öffnete die Tür lautlos. »… bringe ich dich um«, hörte ich den Fremden sagen. Seine
Stimme hatte einen unangenehmen Klang. »Das tust du nicht noch einmal«, sagte Bogart. Er hatte den Oberkörper halb aufgerichtet und stützte sich mit beiden Händen auf die rauhen Bodendielen. Er hatte den Kopf gehoben und starrte den Fremden, den ich jetzt nur von hinten sehen konnte, haßerfüllt an. Er bemerkte nicht, daß die Tür sich geöffnet hatte, daß ich auf der Schwelle stand. Shita stand neben mir, hatte die Zähne gefletscht, gab aber seltsamerweise keinen Laut von sich. »Ich lasse mir nichts mehr gefallen. Mein Risiko ist auch so schon groß genug.« Bogart kam bis auf die Knie hoch. »Ich bin der erste, der den Kopf hinhalten muß.« Der Mann vor ihm riß unvermittelt sein rechtes Bein hoch und trat mit dem schweren Reitstiefel nach Bogarts Kopf. Diesmal reagierte der Stationer. Er warf sich zur Seite und fing den Tritt mit beiden Händen ab. Trotzdem wurde er nach hinten geschleudert, aber er hielt den Stiefel des Fremden fest umklammert und riß ihn mit. Der Mann verlor das Gleichgewicht und stürzte schwer zu Boden. Keuchend richtete Bogart sich auf. In diesem Moment bemerkte er mich. Sein von den Schlägen des Fremden gezeichnetes Gesicht verzerrte sich für einen Moment. Er strich sich mit einer fahrigen Handbewegung über die Stirn und versetzte dem am Boden liegenden Mann einen Tritt. »Steh auf«, sagte er, »und mach, daß du rauskommst.« Der Mann erhob sich. Er sah mich, und sein Verhalten wirkte auf einmal völlig verändert. Er warf schweigend einen Blick auf den Stationer und hob dann seinen hellen Hut auf, den er beim Sturz verloren hatte. Er musterte mich mit eisgrauen Augen, stülpte sich den Hut auf den Kopf und ging zur Tür. Shita knurrte ihn an. Der Mann ging ihm aus dem Weg und verließ das Haus. Ich verstand gar nichts mehr. Als ich wieder zu Bogart hinüberschaute, lehnte der an der Theke und hatte den Kopf in die linke Hand gestützt. Er atmete schwer. Von draußen klang Hufschlag herein. Der Fremde sprengte davon. »Was war los?« Ich ging zur Theke und warf die beiden toten Hasen auf den Tresen.
»Schon wieder so ein Halunke«, sagte Bogart. Er umrundete die Theke, stellte ein Glas darauf, griff nach einer Flasche und schenkte sich rötlich schimmernden Whisky ein. »Was hast du gehört?« »Nicht viel. Wer war das?« Bogart trank und musterte mich stumm über den Rand des Glases hinweg. Hinter seiner Stirn arbeitete es. »Ein Strauchdieb«, sagte er, als er das Glas abgesetzt hatte. »Er treibt sich oft in der Gegend herum. Hast du die Kette gesehen, die er trägt?« »Ja.« »Menschenzähne«, sagte Bogart. »Richtige Menschenzähne. Immer wenn er hier auftaucht, hängen mehr daran. Er sagt, daß er steckbrieflich gesuchte Männer jage.« »Warum hat er dich geschlagen?« »Er – nun, er wollte Kredit bei mir. Er ist abgebrannt. Er hat gedacht, ich gebe ihm umsonst Proviant und Munition.« Ich schwieg, und Bogart schien die Zweifel in meinen Augen zu bemerken. »Ich kenne ihn ganz gut«, beeilte er sich zu versichern. »Er rastet immer bei mir, bevor er weiter nach Fort Dodge reitet. Deswegen hat er wohl gedacht, mich ausnehmen zu können. Aber ich denke gar nicht daran, so einem Kerl etwas zu geben. Vielleicht wird er morgen schon erschossen, und ich habe das Nachsehen.« Ich sagte noch immer nichts, was ihn zu beunruhigen schien. Er stellte ein zweites Glas auf die Theke. »Willst du auch einen?« »Ein bißchen«, sagte ich. Ich hatte noch nie Whisky getrunken. Er schenkte mir einen Fingerbreit ein und füllte sein Glas ein zweites mal. Ich nahm das Glas und nippte an der rauchig-herb schmeckenden Flüssigkeit. Wie flüssiges Feuer rann der Whisky durch meine Kehle. Unsicher tappte ich zu einem Stuhl und ließ mich darauf nieder. »Fällt der Kerl doch einfach über mich her, als ich ihm sage, daß bei mir nichts zu holen sei.« Bogart trank wieder. »Ich dachte, der bringt mich um.« Sein Lächeln wirkte gezwungen. »Zwei Hasen hast du mitgebracht? Feine Sache. Am besten, wir braten sie gleich heute abend.«
»Was ist, wenn der Mann zurückkehrt?« fragte ich. Ich nippte wieder an meinem Whisky. Von meinem Magen aus durchzog eine angenehme Wärme meinen Körper. »Dagegen kann ich nichts tun. Aber ich denke, er wird sich beherrschen. Er hat sich noch nie so benommen wie heute.« Bogart füllte sein Glas abermals. Seine Nervosität wich. »Daran mußt du dich gewöhnen. Hier draußen gibt es verdammt merkwürdige Kerle«, sagte er, nachdem er wieder getrunken hatte. »So was kann schon mal passieren. Mit so was muß man rechnen.« »Kennst du seinen Namen?« »Sicher. Dundee heißt er, sagt er. Er taucht seit zwei Jahren hier auf. Keine Ahnung, wo er haust. Wahrscheinlich hat er irgendwo in den Bergen eine Hütte.« Ich musterte Bogart und trank mein Glas leer. Ich war keinen Alkohol gewöhnt, so zeigten bereits die wenigen Schlucke Wirkung. Meine Bewegungen waren schwerfällig, als ich mich erhob, und das Blut in meinen Adern pulste schneller. Bogart belog mich, ich war ganz sicher. Er kannte den Fremden besser, als er zugeben wollte, und der Fremde hatte Bogart nicht zusammengeschlagen, weil der ihm keinen Kredit hatte geben wollen. Es mußte andere Verbindungen zwischen Bogart und diesem Dundee geben, Verbindungen, über die ich nichts erfahren sollte. Im Grunde, so sagte ich mir, ging mich das ja auch nichts an. Bogart konnte tun und lassen, was er wollte. Dennoch fühlte ich mich plötzlich unbehaglich auf der Station. Ich befürchtete, wieder in Unannehmlichkeiten hineingezogen zu werden, und einen Moment lang dachte ich daran, weiterzuziehen. Aber wohin? Vielleicht hatte Bogarts Verhalten ganz harmlose Hintergründe. Und wenn nicht … Ich kümmerte mich zuviel um die Angelegenheiten anderer. Was hatte ich schon mit diesem Dundee zu tun? Er hatte Streit mit Bogart gehabt, aus irgendwelchen Gründen, die ich nicht kannte, und Bogart bezahlte mich für meine Arbeit, er bezahlte mich nicht dafür, daß ich mir über seine Probleme den Kopf zerbrach. Mochte er doch tun, was ihm paßte, solange er mich anständig behandelte. Trotzdem, mein ungutes Gefühl blieb, so sehr ich auch versuchte, alles, was mich betraf, aus meinem Kopf zu verdrängen. Ich
versuchte mir einzureden, daß es vom Whisky käme. Aber ich wußte genau, es war nicht so. Ich hatte einen feinen Instinkt, der durch die vielen schlimmen Erlebnisse, die hinter mir lagen, geschärft worden war. Es war etwas faul hier, früher oder später würde ich erfahren, was. Dann aber würde es für mich zu spät sein, zu verschwinden. Ich wünschte mir einen Platz, wo ich hingehörte, wahrscheinlich klammerte ich mich deshalb an die Illusion, daß das, was Jeff Bogart vor mir geheimhielt, mich nicht betreffen und mir keinen Ärger bereiten würde. »He, was ist los?« hörte ich ihn wie aus weiter Ferne sagen. »Ich hab dich gefragt, ob du nicht gehört hast, wie Dundee Geld von mir verlangt hat?« Ich schüttelte den Kopf und schaute Bogart nicht dabei an. »Ich habe es nicht gehört«, sagte ich. »Ich habe so gut wie nichts gehört.« Er schien erleichtert zu sein. Er trank sein Glas leer. »Alles halb so schlimm«, sagte er. »Am besten, wir denken nicht mehr an diesen Dundee.« Ich antwortete nicht. »Komisch, daß du nichts gehört hast«, sagte er. »Der Kerl hat so laut gesprochen.« »Ja, komisch«, sagte ich. »Braten wir uns die beiden Hasen«, sagte er. Dann ging er in die Küche. Ich schaute Shita an, der hechelnd neben der Theke saß, nickte ihm zu und folgte Bogart, während der Hund zurückblieb und die Tür der Station bewachte.
3. Ich erwachte in der Nacht. Es war sehr schwül. Am Abend waren im Osten schwarze Wolken aufgetaucht. Es hatte nach einem Gewitter ausgesehen. Schweiß rann mir über die Stirn und den Oberkörper, obwohl ich mich nicht zugedeckt hatte. Bleierne Schwere lag in meinen Gliedern, als ich mich herumwälzte und in die Stille der Dunkelheit horchte. Shita lag unweit der Tür und hatte den Kopf gehoben. Er gab
keinen Laut von sich, aber sein ganzes Verhalten deutete darauf hin, daß auch er etwas gehört hatte. Ich schwang die Beine aus dem Bett, blieb einen Moment auf der Bettkante sitzen, um die Müdigkeit in mir zu vertreiben, und griff nach meinem Navy-Colt, der auf dem Stuhl lag, den ich neben meinem Bett stehen hatte. Es war eine solide, gebrauchte Waffe mit fleckiger Brünierung. Der Lack auf dem Griff war längst weitgehend abgeblättert. Deutlich war dafür im Holz der Stempel »El-MoroPrison-Guard« zu sehen, der den Revolver als Dienstwaffe eines Wärters in einem Straflager Colorados auswies. Schwer lag der große Revolver in meiner Faust. Ich erhob mich und tappte mit bloßen Füßen über die rauhen Dielen zur Tür. Sekundenlang blieb ich stehen, das rechte Ohr gegen die Tür gepreßt, und lauschte. Ich hörte jemanden sprechen. Es war nur ein dumpfes Gemurmel, ich ahnte es mehr, als daß ich es richtig wahrnahm. Seit dem merkwürdigen Vorfall mit dem Fremden, der angeblich Dundee hieß, war mehr als eine Woche vergangen, eine Woche, in der ich zusammen mit Bogart schwer geschuftet hatte. Ein erstaunlicher Verkehr war in den vergangenen Tagen über die Overlandstraße geflossen. In einem Nest namens Cimarron waren zwei Mörder öffentlich hingerichtet worden. Das war offenbar für einen Haufen Leute eine günstige Gelegenheit gewesen, ein regelrechtes Volksfest zu veranstalten. Hunderte von Menschen mußten nach Cimarron gepilgert sein, um zwei Männer am Galgen sterben zu sehen, vorwiegend aber, um bei dieser Gelegenheit alte Bekannte wiederzutreffen, Nachrichten auszutauschen und aus der Trostlosigkeit des Alltags auf einer Farm in der Kansas-Prärie auszubrechen. Während ich Pferde abgerieben und gefüttert hatte, Dutzende von Pferden, hatte Jeff Bogart den vorbeiziehenden Familien Essen verkauft. Er hatte zahllose Steaks gebraten und zahllose Töpfe mit Kaffee gebrüht. Zwischendurch war er mehrmals am Tag schwitzend und schnaufend zum Fluß hinuntergelaufen, um mit der Fähre immer neue Menschen über den Arkansas zu schaffen. Manchmal hatte ich
das auch für ihn erledigt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten war ich überraschend schnell mit den Tücken der Fähre fertig geworden. Wegen der vielen Arbeit hatten wir kaum Zeit gehabt, miteinander zu sprechen. So war der seltsame Fremde mehr und mehr in den Hintergrund gerückt, und schließlich hatte ich ihn vergessen. Auch jetzt, als ich an der Tür stand und lauschte, dachte ich nicht an ihn. Ich drückte geräuschlos die Klinke meiner Kammertür nieder und zog sie langsam auf. Ein kühler Lufthauch strich herein. Shita stand hinter mir, hatte den Hals gestreckt und schnüffelte. »Du bleibst hier«, flüsterte ich. Dann schlüpfte ich hinaus. Mein Oberkörper war nackt, genau wie meine Füße. Aber ich fror nicht. Es war zu schwül. Als ich das Ende des Ganges erreicht hatte, der von meiner Kammer zum Aufenthaltsraum der Station führte, rollte irgendwo in der Ferne der Donner. Ich blieb stehen, lauschte wieder angespannt und hörte die Männerstimmen nun lauter. Sie ertönten aus dem Aufenthaltsraum. Die Tür zum Hof mußte offenstehen, so daß ein schwacher Lufthauch, der aber keine dauerhafte Kühlung brachte, durch das Haus ziehen konnte. Ich bewegte mich noch ein paar Schritte weiter, dann konnte ich verstehen, was gesprochen wurde, wenn die Sätze manchmal auch nur bruchstückhaft an mein Ohr klangen. »Das ist alles, was ich weiß«, hörte ich Jeff Bogart sagen. Seine Stimme klang mürrisch und müde. »Sieh zu, daß nicht wieder so was wie beim letztenmal passiert.« »Ich hätte dich dafür umbringen sollen«, sagte der andere. »Das hättest du nicht geschafft.« Bogarts Stimme wurde gereizt. »Ich warne dich. Ich will keinen Ärger, und jeder Strolch, der bei mir aufkreuzt und sich wie ein Strolch aufführt, dem blase ich eine Ladung gehacktes Blei in die Rippen. Ich kann es mir nicht leisten, solche Kerle hier zu dulden.« »Mach dir nicht ins Hemd.« Der andere schien sich zur Tür hin zu bewegen. Seine Stimme wurde leiser. »Ich halte mich nur an die Vereinbarungen«, sagte Bogart. »Es war nie die Rede davon, daß deine Halunken hier auftauchen, wenn sie sich den Pelz verbrannt haben, und da spiel ich auch nicht mit.«
»Schon gut, ich weiß es jetzt. Was ist mit dem Jungen?« »Er hat keine Ahnung. Er arbeitet bei mir, und er arbeitet gut. Das ist alles.« »Hoffentlich. Du wirst mir in letzter Zeit zu sprunghaft, Bogart.« »Kümmere dich um dich selbst«, erwiderte der Stationer. Dann hörte ich nur noch leises Gemurmel. Die Männer waren auf den Hof hinaus gegangen. Ich blieb noch eine Weile im finsteren Gang stehen. Es donnerte wieder, diesmal viel näher. Danach waren leise Hufgeräusche zu hören. Die Tür zum Aufenthaltsraum klappte zu. Ich drehte mich rasch um und huschte zurück in meine Kammer. Als ich meine Tür schloß, sah ich ein Licht am Ende des Ganges auftauchen. Ich strich Shita über den Kopf und schlüpfte ins Bett. Den Revolver legte ich auf den Stuhl zurück. Nachdenklich starrte ich durch die Dunkelheit zur Decke. Draußen fegten unvermittelt Windböen ums Haus. Ein krachender Donnerschlag zerbrach den Frieden der Nacht. Wenig später prasselten die ersten Regentropfen gegen die Fensterscheibe meiner Kammer. Ich registrierte es kaum, ich schreckte nicht mal zusammen, als mehrere Blitze kurz hintereinander über den Himmel zuckten und bleiche Lichtreflexe auf die Fensterscheibe zauberten, so daß Shita leise winselnd unter mein Bett kroch. Ich war sicher, die Stimme des Mannes erkannt zu haben, der Jeff Bogart in der Nacht aufgesucht hatte. Es war Dundee gewesen, der Mann, der eine Kette aus Menschenzähnen trug. Der Mann, den Bogart angeblich nur flüchtig kannte. Der Mann, der Bogart zusammengeschlagen hatte, weil der ihm angeblich keinen Kredit hatte geben wollen. Ich fluchte in mich hinein, während draußen der Himmel einzustürzen schien. Der Regen hämmerte einen wilden Trommelwirbel gegen meine Fensterscheibe. Der Wind hatte sich in einen regelrechten Sturm verwandelt, der heulend, jaulend und tobend um die Hausecken raste. Blitz und Donner explodierten in pausenlosem Stakkato knatternd und krachend über dem Fluß. Bogart und Dundee hatten ohne Zweifel von dem Mann
gesprochen, den Bogart mit dem Kolben der Schrotflinte an dem Tag erschlagen hatte, an dem ich auf die Station gekommen war. Der Mann hatte offenbar zu Dundee gehört, und der Streit zwischen Dundee und Bogart rührte daher, daß Bogart den Mann getötet hatte. Aber warum hatte er es getan? Es mußte Dinge zwischen diesen beiden Männern geben, die sie stark aneinander banden, obwohl sie sich gegenseitig nicht gerade wohlgesonnen zu sein schienen. Ob es etwas mit den Postkutschenüberfällen zu tun hatte? Aber was sollte Bogart mit den Überfällen zu tun haben? Er war der Kutschengesellschaft gegenüber verantwortlich. Er konnte es sich doch gar nicht leisten, bei so etwas die Finger im Spiel zu haben. Er würde doch sofort auffallen, oder nicht? Ich wälzte mich ratlos im Bett herum. Was sollte ich tun? Sollte ich Bogart am nächsten Morgen ansprechen und ihn fragen, was hier vorging? Oder sollte ich schweigen, mich nur um die Arbeit kümmern, die er mir auftrug, und so tun, als gäbe es nichts, das mich beunruhigen könnte? Aber was konnte ich Bogart schon groß sagen? Daß ich sein und Dundees Gespräch in der Nacht belauscht hätte? Was hatten sie denn schon groß gesprochen? Nichts, was nicht auch eine andere Deutung zuließ, als ich sie angenommen hatte. Ich war jedenfalls sicher, daß Bogart mir eine sehr harmlose Geschichte erzählen würde, wenn ich ihn ansprach. Danach aber, wenn etwas Schwerwiegendes, etwas Ernstes hinter allem steckte, würde er gewarnt sein. Ich mußte schweigen. Das einzige, was mir blieb, war, Augen und Ohren anzustrengen und abzuwarten, was weiter geschah. Ich schloß die Augen. Der Schweiß rann mir in dichten Bahnen über das Gesicht. Die Luft in meiner kleinen Kammer war zum Schneiden. Das Fenster konnte ich nicht öffnen, denn draußen tobte noch immer das Wetter. Ich stand auf, ging zu der Kommode neben der Tür, auf der eine Porzellanschüssel und ein mit Wasser gefüllter Tonkrug standen. Ich schüttete etwas Wasser aus dem Krug in die Schüssel und wusch mir das Gesicht. Nach und nach wurde ich innerlich ruhiger. Ich kehrte zum Bett zurück. Immer noch zuckte das bleiche Licht der Blitze durch den
Regen und erhellte immer wieder für Sekundenbruchteile meine Kammer. Shita lag unter meinem Bett und winselte leise. Ich legte mich wieder hin und zog die Decke bis zum Hals hoch. Obwohl mir noch so vieles durch den Kopf ging, überfiel mich jäh die Müdigkeit, und trotz des tosenden Wetters schlief ich tief und fest ein. * Am nächsten Morgen war das Gewitter vorbei. Überall standen riesige Pfützen. Die Regentonnen auf der Station liefen über. Große Wasserlachen bedeckten die Overlandstraße. Der Boden war aufgeweicht und morastig. In einem mächtigen Pecanbaum, der dicht am Fluß stand, hatte ein Blitz eingeschlagen. Der Baum war bis zur Wurzel in zwei Teile gespalten worden. Die beiden Hälften waren schwarz versengt. Die Erde rings um den Stamm war aufgewühlt. Der Himmel war so strahlend blau und wolkenlos, als hätte es nie ein Unwetter gegeben. Ich hatte keine Zeit, nach dem Erwachen lange über die Ereignisse der Nacht nachzudenken. Das Dach des Stalles war undicht geworden. Es hatte durchgeregnet. In einer Pferdebox war das Stroh durchgeweicht, das Pferd, das darin gestanden hatte, war völlig naß. Ich führte das Tier hinaus in die Sonne und rieb es gründlich ab, während Bogart die Box ausmistete und danach das Stalldach reparierte. Wir schlangen nach getaner Arbeit ein flüchtiges Frühstück in uns hinein und wechselten dabei kaum ein Wort. Und als ich den letzten Schluck Kaffee getrunken hatte, näherte sich von Osten eine Kutsche der Station. Der schwere Wagen kam nur langsam voran. Die Räder sanken tief in den morastigen Boden der Overlandstraße ein. Mit lauten, heiser klingenden Schreien trieb der Kutscher auf seinem hohen Sitz die Gespannpferde an. Der Mann hatte sich in einen langen Regenmantel gehüllt und den Hut tief ins Gesicht gezogen. Er schwang eine lange Peitsche aus Büffelleder. Die Pferde stemmten sich mit aller Kraft in die Geschirriemen.
Schaumflocken bedeckten ihre Flanken, als sie die Concord-Kutsche auf den schlammbedeckten Stationshof zogen. Ihr Atem ging laut und rasselnd, Schaum tropfte aus ihren Mäulern. Der Kutscher erhob sich und sprang über das rechte Vorderrad zu Boden. Er öffnete seinen langen Mantel und riß den rechten Kutschenschlag auf. Bogart blieb auf der Schwelle des Hauptgebäudes stehen, während ich zur Kutsche hinüberging, um die Pferde auszuschirren. In einem Korral seitlich der Stallgebäude stand bereits das Wechselgespann bereit. Zwei Männer entstiegen dem Wagen. Sie wirkten ein wenig verschlafen und mitgenommen von der Fahrt. Die Kutsche war während der Nacht unterwegs gewesen, trotz des Unwetters. Die Männer trugen lange Mäntel und Ölzeug, wie die Kutschengesellschaften es für ihre Fahrgäste bereithielten. Sie streiften die Sachen jetzt ab, falteten sie zusammen und verstauten sie im Innern des Wagens, bevor sie auf das Stationsgebäude zugingen. Der eine der beiden war ein städtisch gekleideter Mann von vielleicht fünfzig Jahren. Ein gepflegter Backen- und Kinnbart verlieh seinem Gesicht etwas Würdiges. Der andere war höchstens Mitte Dreißig. Er wirkte sehnig und geschmeidig. Seine Schultern waren nicht sonderlich breit, trotzdem sah er kräftig aus. Er trug eine derbe Baumwollhose und eine einfache Jacke aus dunkelgrauem Stoff. An der rechten Hüfte beulte sie sich aus. Dort trug der Mann eine Halfter, in der ein großer Revolver steckte, wahrscheinlich eine Navy. Die Jacke verdeckte die Waffe. Sein Gesicht war schmal und braungebrannt. Das Bemerkenswerteste daran waren die auffällig weit auseinanderstehenden Augen, die so grau waren wie der Morgennebel. Dichtes, schwarzes Haar fiel über den Kragen der Jacke. Der Mann zog unwillkürlich meine Aufmerksamkeit auf sich, so daß ich für einen Moment vergaß, was ich zu tun hatte, und neben dem abgetriebenen Gespann stehenblieb und ihm nachschaute. In der linken Hand schleppte der Mann eine abgewetzte Tasche aus dickem
Teppichstoff mit sich. Zwei Lederriemen waren um die Tasche gewunden, und darin steckte ein Volcanic-Karabiner mit messingglänzendem Systemkasten. Die Männer erreichten die Tür des Stationsgebäudes, und der Ältere sagte: »Kann man hier frischen Kaffee kriegen und einen Happen zu essen, bevor es weitergeht?« »Sicher«, sagte Bogart. »Natürlich, Sir, dazu sind wir da. Der Kaffee ist frisch gebrüht, und Eier mit Speck sind schnell zubereitet, wenn Ihnen das genügt.« »Es genügt«, sagte der Mann. »Nach dieser Nacht ist mir alles recht, außer Rattengift und gebratenen Schlangen.« Er lachte über seine eigenen Worte, und Jeff Bogart verzog sein Gesicht zu einem müden Grinsen. »Und Sie, Sir?« fragte er und wandte sich an den sehnigen Mann. »Mein Name ist Flatt, Cargo Flatt«, sagte der Mann. Er tippte flüchtig mit der Rechten an die Hutkrempe. »Sind Sie Mr. Bogart?« »Der bin ich, Sir.« Bogarts Haltung wirkte plötzlich lauernd. Seine Augen wurden schmal. »Ich bin Sicherheitsagent der Russel, Majors und Waddell Overland Company, Mr. Bogart. Ich komme aus St. Joseph. Sie werden sich denken können, warum.« »Ja«, sagte Bogart. Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt. »Ja, natürlich, Mr. Flatt. Wie – wie gut, daß man sich endlich von der Unternehmensleitung aus darum kümmert.« »Nicht wahr?« Der andere lächelte dünn. »Wir müssen wohl, Mr. Bogart. Die Gesellschaft hat einen Ruf zu verlieren. Aber darüber reden wir später. Zunächst mal möchte ich das gleiche wie der Gentleman, der mit mir gereist ist. Heißen Kaffee, sehr stark, und Eier mit Speck.« Bogart nickte wortlos und trat zur Seite. Die beiden Männer gingen an ihm vorbei, und als Bogart ihnen folgte, hatte sein Gesicht eine ungesunde Farbe angenommen. Er sah plötzlich grau und krank aus. »Was ist los, Junge?« sagte der Kutscher hinter mir. Er klopfte mir auf die Schulter und stapfte dann ebenfalls zum Haus hinüber. »Schlaf nicht im Stehen ein.«
Ich schnaubte verächtlich und schirrte dann die Gespannpferde aus. Als ich die Tiere in den Stall brachte, hörte ich durch die offene Tür des Stationsgebäudes, daß der Kutscher lärmend von der nächtlichen Fahrt erzählte, von dem höllischen Gewitter, durch das er die Kutsche hatte lenken müssen.
4. Ich verließ die Station, nachdem ich die Pferde versorgt und das Wechselgespann angespannt hatte. Der Kutscher und die beiden Fahrgäste waren noch beim Essen, und Bogart schien mich für eine Weile loswerden zu wollen, wohl im Hinblick darauf, daß der Sicherheitsagent der Postkutschengesellschaft ein umfangreiches Gespräch über die Räubereien in den letzten Wochen mit ihm führen wollte. Bogarts Nervosität bewies mir, daß er sich meiner nicht ganz sicher war. Mir war das egal. Ich war ohnehin entschlossen, den Mund zu halten und mich in nichts mehr einzumischen. Sollte Bogart sehen, wie er mit dem Sicherheitsagenten zurechtkam. Cargo Flatt sah gefährlich aus. Ich hatte einen Blick dafür. Flatt war ein Kämpfer, dazu zäh und verdammt hart. Wenn Bogart mehr über die Überfälle wußte, als er zugab, und sein seltsamer Bekannter, der sich Dundee nannte, etwas damit zu tun hatte, mochte ich nicht in Bogarts Haut stecken. Ich lief mit Shita durch das kniehohe Gras, in dem noch der Regen der Nacht hing. Aber die Sonne stand schon sehr hoch. Ihre Kraft nahm beständig zu. Über der Overlandstraße war die Luft dunstig und trübe, denn die großen Wasserlachen und Pfützen verdunsteten bereits. Ich trug meine Angel bei mir. Ich hatte sie selbst aus einem geschmeidigen Weidenast hergestellt. Bogart hatte mir gesagt, im Arkansas wimmele es nur so von Katzenfischen, und Katzenfische bissen nach einem starken Regen immer gut. Ich lief am Flußufer westwärts. Der Strom war durch das Unwetter ein wenig angeschwollen. Die Wellen schlugen schwer gegen die sandigen Ufer. Tatsächlich sah ich hier und da die silbrigen Leiber
der Katzenwelse durch das Wasser schießen. Ich erreichte, nachdem ich die Station gut eine Meile hinter mir zurückgelassen hatte, eine schmale Stelle des Flusses, an der das Ufer seicht war. Shita setzte sich ins Gras und beobachtete mit schiefgelegtem Kopf, wie ich mir die Hosenbeine hochkrempelte, die Schuhe auszog und ins Uferwasser watete. Auf dem Weg hatte ich Regenwürmer als Köder gesammelt. Sie lagen nach dem Unwetter in Massen auf der Erde herum und wanden sich in der stechenden Sonne. Ich setzte einen Wurm auf den Haken, den ich aus einem Stück Draht zurechtgebogen hatte, und warf die Angelschnur aus. Shita betrachtete sich die Sache eine Weile und musterte mich mit einem Blick, der mir eindeutig signalisierte, daß er mich nicht für ganz gescheit hielt. Er gähnte gelangweilt, erhob sich, schnüffelte am Boden herum und verschwand schließlich im Hügelland. Ich konzentrierte mich auf meine Angel. Währenddessen stieg die Sonne rasch höher. Die Luft erwärmte sich mehr und mehr. Das Wasser des Arkansas umspielte angenehm kühl meine Beine, dennoch begann ich bald zu schwitzen. Auf einmal verspürte ich einen heftigen Zug an meiner Angelrute. Die Schnur straffte sich, die Rute bog sich. Sie wurde mir fast aus der Hand gerissen. Ich hielt eisern fest und bewegte mich Schritt um Schritt rückwärts zum Ufer hin. Der Fisch am Haken schwamm aufgeregt hin und her und versuchte mit erstaunlicher Kraft, sich zu befreien. Er zerrte dermaßen an der Angel, daß ich befürchtete, die Schnur würde reißen. Langsam holte ich die Schnur ein. Ich konnte bereits den silbrigen Leib des Fisches dicht an der Wasseroberfläche sehen. Er kämpfte noch immer heftig um sein Leben, aber er saß fest am Haken. Als seine Bewegungen müder wurden, zog ich ihn heraus. Es war ein Prachtstück. Ich wunderte mich, daß die Angelrute nicht zerbrochen war. Der Fisch war fast zwei Fuß lang und so dick wie ein Männerarm. Er zappelte mächtig. Ich löste ihn vorsichtig vom Haken und legte ihn dicht am Ufer zu Boden. Er war ein wirklich schöner Fisch, mit seinem glänzenden, glatten Körper und den blanken Augen. Ich drehte die Angelrute um und schlug einmal damit zu. Der Fisch zuckte noch einmal und lag dann still. Ich setzte einen neuen Köder auf den Haken, watete ins Wasser
zurück und warf die Schnur wieder aus. Im selben Augenblick hörte ich irgendwo entfernt im Hügelland Shita bellen. Dann krachten zwei, drei Schüsse. Ich drehte mich um, lauschte einen Moment und sprang aus dem Wasser. Ich ließ die Angel neben dem Katzenfisch liegen, schlüpfte in meine Schuhe und rannte auf die Hügel zu. Wieder krachten Schüsse. Die Detonationen verhallten dumpf in der heißen Luft. Plötzlich tauchte Shita vor mir auf. Er kam mir mit großen Sprüngen entgegen. Die Zunge hing ihm aus dem Maul. Er sprang an mir hoch und winselte. »Was ist los, mein Alter, was ist los?« Ich hockte mich hin und untersuchte ihn flüchtig. Mein Herz klopfte wie rasend. Er war unverletzt. Erleichtert richtete ich mich auf. Abermals erklang ein Schuß. Ich warf einen Blick auf Shita und stürmte los, in die Hügel hinein. Mir war plötzlich bewußt geworden, daß die Schüsse von der Overlandstraße herüberklangen. Ich dachte an die Postkutsche. Sie mußte vor nicht allzu langer Zeit die Station am Fluß verlassen haben. Besetzt mit nur einem Fahrgast – dem bärtigen, gut gekleideten Mann, der wie ein Geschäftsmann aussah und viel Geld zu besitzen schien. Ich erreichte das Hügelland. Heiß brannte die Sonne. Ich stolperte, fing mich und lief weiter. Dann sah ich die Overlandstraße vor mir und entdeckte die Kutsche. Sie stand quer auf der Straße. Die Gespannpferde, die ich selbst vor einer halben Stunde angeschirrt hatte, lagen tot am Boden. Über dem Peitschenhalter hing der Oberkörper des Kutschers. Die Arme des bärtigen Mannes baumelten kraftlos herab, genau wie sein Kopf. Sein Hut lag im Staub. Der Driver war tot. Der städtisch gekleidete Fahrgast stand mit erhobenen Händen neben dem Wagen. Drei maskierte Männer hatten ihn umringt. Einer trug ein rotes Hemd, und obwohl ich mich ziemlich weit entfernt vom Schauplatz des Überfalls befand, war ich sicher, daß er eine helle Kette trug. Eine Kette aus Menschenzähnen? Der Mann riß dem Fahrgast das seidene Hemd auf und fand
offenbar, was er suchte: einen verborgenen Geldgürtel. Dann bestieg er die Kutsche und warf einen Koffer heraus. Einer der beiden anderen öffnete den Koffer und durchwühlte ihn. Der bärtige Fahrgast schien jetzt auf die Banditen einzureden. Er gestikulierte mit beiden Armen. Da schlug der Mann in dem roten Hemd unvermittelt zu. Der Fahrgast stürzte rücklings gegen die Kutsche und rutschte am linken Hinterrad zu Boden. Der Bandit, der den Koffer durchwühlte, förderte eine flache Kassette zu Tage. Er schob sie sich unter das Hemd. Dann kehrten die Männer zu ihren Pferden zurück, die mit hängenden Zügeln am Wegrand standen. Sie schwangen sich in die Sättel. Der Fahrgast saß noch immer am Boden, als der Mann im roten Hemd sein Pferd auf ihn zutrieb. Der Reiter richtete seinen Revolver auf den hilflosen Mann am Boden. Ich ballte die Hände zu Fäusten und hatte plötzlich einen bitteren Geschmack im Mund. Die Detonation des Schusses hallte herüber. Ein feines Pulverdampfwölkchen kräuselte sich über der Mündung der Waffe. Der Mann, der mit dem Rücken am linken Hinterrad lehnte, kippte langsam zur Seite. Shita bellte zweimal. Es klang fast wie ein Protestschrei. Ich konnte sehen, wie der Reiter im roten Hemd den Kopf herumwarf. Da ließ ich mich fallen und riß Shita mit ins hohe Gras. Ich hielt ihm die Schnauze zu und spähte angespannt zur Straße hinüber. Ich war in einer lausigen Lage. Wenn ich entdeckt wurde, war ich verloren, denn ich hatte meinen Revolver nicht bei mir. Ich wurde unvorsichtig. Das ruhige Leben wirkte sich schlecht auf meine kämpferischen Instinkte aus, die man mir bei den Apachen anerzogen hatte. Es sah so aus, als zögerten die Reiter, ob sie ins Hügelland reiten sollten, um nachzusehen, ob sie beobachtet worden waren. Ich wagte kaum zu atmen und hatte das Gefühl, wie auf einem Präsentierteller zu liegen. Ich war sicher, die Banditen konnten mich ganz genau sehen, obwohl das natürlich Unsinn war. Auf einmal rissen sie ihre Pferde herum und sprengten nach Westen auf der Overlandstraße davon. Ich atmete auf, aber ich blieb liegen, bis der Hufschlag verhallt
war. Dann erst erhob ich mich. Einen Moment schaute ich unschlüssig zur Postkutsche hinüber. Ich wollte hinlaufen, aber dann ließ ich es. Da war nichts mehr zu tun, das sah ich auch aus großer Entfernung. Die Banditen hatten ganze Arbeit geleistet. Wieder einmal. »Komm, Shita«, sagte ich. Ich schob die Hände in die Hosentaschen und ging zum Fluß zurück. Hier lagen noch meine Angel und der tote Katzenfisch. Ich hob beides auf und trat den Rückweg zur Station an. Bitterkeit erfüllte mich. Überall herrschten Gewalt und Tod. Ich hatte manchmal die Apachen für grausam gehalten, wenn sie einen gefangenen Feind zu Tode gemartert hatten. Das waren die Augenblicke gewesen, in denen ich mich nicht als Apache gefühlt hatte, obwohl auch ich Feinde getötet und sogar skalpiert hatte. Aber ich haßte Quälereien. Sie entwürdigten einen Menschen. Mit dieser Ansicht hatte ich mich immer von den Apachen unterschieden. Aber war ein so feiger Mord, wie ich ihn hatte mit ansehen müssen, nicht genauso schlimm? Die Apachen waren nicht grausamer als die Weißen, das wurde mir jetzt wieder einmal klar. Nur erschienen sie mir in vielen Dingen ehrlicher und offener. In diesem Moment wünschte ich mich wieder zu ihnen zurück, obwohl ich wußte, daß dies nicht geschehen würde. Ich beschleunigte meine Schritte und sah bald die Station vor mir liegen. Sollte ich sagen, daß ich sicher war, den Anführer der Banditen wiedererkannt zu haben? Sollte ich sagen, daß ich ihn für den Mann hielt, der erst in der letzten Nacht heimlich auf der Station gewesen und mit Jeff Bogart gesprochen hatte? Ich beschloß, zunächst einmal darüber zu schweigen. Sollte sich Cargo Flatt darum kümmern. Er wurde dafür bezahlt. Ich wollte mich heraushalten. Das redete ich mir ein, denn mir war längst klar, daß ich keine Chance hatte, mich herauszuhalten. Aber noch mochte ich es mir selbst nicht eingestehen, daß ich wahrscheinlich schon bald wieder bis zum Hals in Unannehmlichkeiten stecken würde. *
»Hier hast du einen Fisch«, sagte ich und legte vor Jeff Bogart die Angel und den Katzenwels auf den Tisch. »Und die Kutsche ist überfallen worden.« Er starrte mich an, als hätte ich sein Todesurteil verkündet. Wie angewurzelt blieb er sitzen, während Cargo Flatt, der Sicherheitsagent der Kutschengesellschaft, der ihm gegenübersaß, von seinem Stuhl hochsprang. »Was hast du gesagt?« Ich wandte mich zu ihm um. Als ich die Station betreten hatte, waren Bogart und Flatt in ein Gespräch vertieft gewesen, und an den Schweißperlen auf Bogarts Stirn hatte ich gesehen, daß er eine Menge Fragen zu beantworten hatte. Ohne auf die unwilligen Blicke Flatts zu achten, hatte ich das Gespräch einfach unterbrochen. »Die Kutsche ist überfallen worden«, sagte ich. Flatt griff nach seinem Hut, der auf dem Nachbartisch lag, stülpte ihn auf den Kopf und lief zur Tür. »Gibt es auch Reitpferde im Stall?« rief er über die Schulter zurück. »Ja«, sagte Bogart. Auch er war aufgestanden und zuckte etwas hilflos mit den breiten Schultern. »Sie brauchen sich nicht zu beeilen«, sagte ich. »Es sind alle tot. Der Kutscher, der Mann in der Kutsche und die Pferde.« Flatt drehte sich an der Tür um. »Hast du das gesehen?« »Ich hab alles gesehen«, sagte ich. Flatt kehrte langsam zurück und blieb vor mir stehen. »Und die Banditen?« fragte er. »Maskiert«, sagte ich und schaute ihm dabei direkt in die Augen. »Drei Männer mit Halstüchern vor den Gesichtern.« »Du hast keinen erkannt?« »Selbst wenn«, sagte ich. »Ich kenne niemanden hier, außer Mr. Bogart.« »Jedenfalls brauche ich nicht lange nach Spuren zu suchen«, sagte Flatt. »Die Fährte ist noch heiß.« »Verbrennen Sie sich nicht daran«, sagte Bogart. »Wie meinen Sie das?« Flatt rückte seinen Revolvergurt zurecht. Er musterte Bogart scharf. Die Nervosität des Stationers konnte ihm nicht entgangen sein.
»So, wie ich es gesagt habe.« Bogart zuckte mit den Schultern. »Die Kerle sind gefährlich.« »Deswegen bin ich ja da«, sagte Flatt. Er ging hinaus. Wenig später verließ er den Stall mit einem gesattelten Pferd und ritt nach Westen davon. »Er findet bestimmt nichts«, sagte ich. Ich kehrte zu dem Tisch zurück, auf dem der Fisch und die Angel lagen. Bogart stand noch immer neben seinem Stuhl. Er wirkte müde und trübsinnig. »Die Kerle sind auf der Overlandstraße davongeritten. Da gibt es zu viele Spuren, wenn überhaupt eine Fährte zurückbleibt.« »Laß ihn suchen«, sagte Bogart, und in einem plötzlichen Anfall von Zorn stampfte er durch den Raum und schrie: »Was geht mich das alles an, verdammt, was geht es mich an? Ich habe meinen Job, und er hat seinen Job. Ich tue meine Arbeit, soll er seine tun, dafür wird er bezahlt. Ich will mit alldem nichts zu tun haben. Nichts, nichts, nichts! Ich bin dazu da, die Pferde zu versorgen, die Fähre zu bedienen und den Kutschern und Fahrgästen Essen zu kochen. Ich bin nicht dazu da, Banditen zu fangen.« Er umrundete die Theke und verschwand durch die Tür dahinter in der Küche. Ich sah, daß er im Vorübergehen eine Whiskyflasche aus einem Regal mitnahm. Vermutlich würde er sich jetzt betrinken und danach wieder ruhiger werden. Ich setzte mich an den Tisch, auf dem mein Fisch und meine Angel lagen. Shita ließ sich zufrieden schnaufend neben mir auf die Dielen fallen und streckte alle viere von sich. War es falsch gewesen, was ich getan hatte? Hätte ich Cargo Flatt von meinen Beobachtungen in der Nacht erzählen sollen? Hätte ich ihm sagen sollen, daß der Anführer der Banditen wahrscheinlich der seltsame Dundee war, zu dem Jeff Bogart merkwürdige Beziehungen unterhielt? Vermutlich hätte ich es tun müssen. Aber warum sollte ich mich selbst um alles bringen, um meine trockene Kammer, mein sauber bezogenes Bett, mein regelmäßiges Essen? Das ziellose Herumziehen bereitete mir keinen Spaß. Ich brauchte einen Platz, wie ich ihn bei den Mönchen in der Mission am Pease River und wie ich ihn bei den Apachen gehabt hatte, einen Platz, wo ich hingehörte.
Wenn ich Flatt sagte, was ich vermutete, wenn ich es nur andeutete, war Bogart erledigt, und ich stand mit Shita wieder allein und heimatlos in der Savanne. War ich dazu verpflichtet, das auf mich zu nehmen? Ich hatte das Recht, zuerst an mich und meine eigene Existenz zu denken. Ich war, trotz allem, was hinter mir lag und mich geprägt hatte, immer noch ein Kind. Niemand konnte von mir verlangen, daß ich mich selbst aufgab. Und doch: Mir ging der feige Mord, den ich mit angesehen hatte, nicht aus dem Sinn. Änderte das nicht alles? Wurde ich nicht mitschuldig, wenn ich schwieg? Was hatte Bogart gesagt, der vermutlich eine Menge Dreck am Stecken hatte und offenbar nur Angst, aber keine Gewissensbisse hatte? Ich hab meinen Job, hatte er gesagt, und Flatt hat seinen Job. Das stimmte, und Flatt sah ganz danach aus, als könne er den Urhebern der Überfälle die Suppe versalzen. Also brauchte ich mich nicht darum zu kümmern. Oder doch? Ich beschloß, mir alles noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Ich erhob mich, nahm den Fisch und die Angel und ging in die Küche. Hier hockte Jeff Bogart mit glasig schimmernden Augen am Tisch und hatte seinen kantigen Schädel in die schwieligen Hände gestützt. Stupide starrte er mir entgegen. »Wir sollten den Fisch braten«, sagte ich. »Sonst wird er schlecht.« Bogart antwortete nicht. Er griff unsicher nach der Flasche, die vor ihm auf dem Tisch stand. Sie war fast völlig geleert.
5. Cargo Flatt kehrte zurück, als die Sonne unterging. Der purpurglühende Abendhimmel spiegelte sich im Fluß. Die letzten Spuren des Unwetters der vergangenen Nacht waren inr Verlauf des Tages von der sengenden Sonne getilgt worden. Es gab keine Pfützen mehr. Der morastige Boden war wieder ausgetrocknet und verharscht, Schlamm war wieder zu Staub geworden. Cargo Flatt stieg müde aus dem Sattel. Die Falten in seinem
schmalen Gesicht wirkten schärfer. Sein Pferd war abgetrieben und hatte schweißnasse Flanken. Ich kam mit Shita vom Fluß herauf, als er das Pferd auf dem Hof zügelte. Am anderen Ufer fuhr ein Farmer mit seinem Wagen südwärts davon. Ich hatte ihn mit der Fähre übergesetzt. »Reib mein Pferd ab«, sagte Flatt. Er warf mir die Zügel zu. »Und führ es ein bißchen herum, bevor du ihm zu saufen gibst.« »Ich kann mit Pferden umgehen«, sagte ich. »Ich weiß, was ich zu tun habe.« Er musterte mich mit seinen eisgrauen Augen. Ich hielt seinen Blicken stand. »Wo ist Bogart?« fragte er, ohne auf meine Antwort einzugehen. »Er ist betrunken«, sagte ich. »Wahrscheinlich liegt er in seiner Kammer und schläft.« »Betrunken?« Er runzelte die Stirn. »Ist er das oft?« »Ich bin noch nicht lange hier«, sagte ich. »Mr Bogart scheint eine Menge zu vertragen. Ich denke, daß er richtig betrunken nur selten ist. Heute ist er es.« Flatt nahm den Hut ab und wischte sich mit dem Handrücken der Linken über die Stirn. »Die Kutsche müßte geholt werden. Ich hab die Leichen in den Wagen gelegt.« »Die Krähen finden sie trotzdem«, sagte ich. »Die Krähen …« Er schaute mich seltsam an. Dann nickte er und ging an mir vorbei ins Haus. Ich kümmerte mich um sein Pferd. Ich führte es eine Viertelstunde auf dem Hof herum, bis sein Atem ruhiger geworden war. Dann brachte ich ihm einen Eimer Wasser, und während es soff, rieb ich es mit Stroh ab. Aus dem Haus erklangen laute Stimmen. Dann erschien Cargo Flatt wieder in der Tür. Er sah zornig aus und lief mit großen Schritten über den Hof. »Ist das Pferd wieder soweit?« fragte er. »Sie sollten das Pferd nicht schon wieder reiten«, sagte ich. »Es braucht ein paar Stunden Ruhe.« »Dann sattle mir ein anderes Pferd«, erwiderte er. »Ich reite sofort wieder.« »Es wird Nacht«, sagte ich. »Sie kennen das Land doch gar nicht.«
»Ich finde mich zurecht.« Er schaute mich scharf an. »Ich bin erst seit einigen Stunden hier, aber ich habe das Gefühl, daß mir etwas verschwiegen wird.« Ich antwortete nicht. Ich drehte mich um und führte das Pferd zum Stall. Flatt folgte mir. »Warum besäuft sich dieser Bogart ausgerechnet an dem Tag, an dem ich hier aufkreuze?« Ich sagte wieder nichts. Im Halbdunkel des Stalles sah ich die hohe Gestalt Flatts im Torrahmen stehen. Er hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt. »Ich war schon auf vielen Stationen«, sagte er. »Aber so merkwürdig bin ich noch nie behandelt worden! Es sind immerhin zwölf Kutschen, die im letzten Vierteljahr überfallen worden sind, und immer waren es Kutschen, in denen was zu holen war. Entweder wurde Geld transportiert, oder es saßen Männer darin, die viel Geld bei sich trugen.« Ich lauschte schweigend, während ich ein anderes Pferd sattelte. Ich hatte so meine eigenen Gedanken zu dem, was er sagte. Vieles, was ich bisher nicht verstanden hatte, erschien mir jetzt klarer, wenn ich auch nur Vermutungen anstellen konnte. »Wie lange bist du übrigens hier?« fragte Flatt plötzlich. »Von dir war in St. Joseph nicht die Rede. Mir wurde gesagt, daß Bogart die Station allein betreibt.« »Ich bin seit über einer Woche hier«, sagte ich, »vielleicht sind es sogar schon zwei Wochen. Ich hab die Tage nicht gezählt.« »Und wo kommst du her?« »Von Westen«, sagte ich. »Sehr aufschlußreich.« Er schien zu warten, daß ich auf diese Bemerkung etwas erwiderte, ich tat es nicht. Ich zurrte die Sattelgurte unter dem Leib des Pferdes fest und führte es aus der Box, nachdem ich dem Tier ein Kopfgeschirr übergestreift hatte. »Ihr Pferd«, sagte ich. »Bogart hat mir gesagt, daß du auch den vorletzten Überfall entdeckt hast.« »Das war Zufall«, sagte ich. »Mindestens hundert Krähen haben sich an dem Tag vollgefressen, es war kein Kunststück, den Überfall
zu entdecken.« »Möglich«, sagte Flatt. »Du scheinst eine Nase dafür zu haben. Du siehst sowieso verdammt rauh aus für einen Jungen.« Er starrte mich wieder an. Dann schwang er sich in den Sattel und ritt über den Hof nach Westen. Die Sonne stand schon sehr tief, als er im Hügelland verschwand. Lange Schatten krochen über den Fluß, verdichteten sich und bildeten schließlich ein feines Netz, in dem sich das letzte Tageslicht fing. Der Hufschlag von Flatts Pferd verhallte. Ich kehrte in den Stall zurück und versorgte die Kutschenpferde. Als ich dann wieder auf den Hof trat und das Stalltor hinter mir schloß, war die Sonne untergegangen, und der rötliche Glanz des Abendhimmels war verblaßt und wich der aufziehenden Nacht. Ich ging mit Shita zum Haus. Als ich eintrat, spürte ich den Hunger in mir. Von Bogart war nichts zu sehen. Ich ging in die Küche, fachte ein Feuer an der Kochstelle an und stellte eine rußige Pfanne auf die Herdplatte. In der Speisekammer fand ich einen großen Kalbsknochen, den ich Shita hinwarf. Dann schlug ich mir ein paar Eier in die Pfanne. Als sie zu brutzeln begannen, tauchte Bogart in der Küche auf. Er wirkte so zerknautscht wie ein alter Hut. Das Hemd stand über der breiten, dicht behaarten Brust offen und hing lose über den Gürtel. Das Haar stand ihm wirr vom Schädel ab. Er war blaß, und unter seinen Augen lagen dunkle Ränder. Mürrisch schlurfte er durch den Raum, schnüffelte und hustete und schien nach seiner Flasche zu suchen. Aber die war leer, sie lag zusammen mit anderem Abfall in einem Holzkübel. Unzufrieden ließ er sich auf einen Stuhl fallen. »Kann ich auch was haben?« brummte er. »Du hast heute mittag den ganzen Fisch gegessen«, sagte ich. »Keine Ahnung«, sagte er. »Mein Magen fühlt sich an wie ein leerer Sack. Vorhin hab ich gekotzt.« »Kein Wunder.« Er hatte noch immer eine Alkoholfahne, die wahrscheinlich sogar Klapperschlangen in die Flucht geschlagen hätte. »Du kriegst was.« Ich holte einen zweiten Teller aus dem Schrank.
»Dieser gottverdammte Flatt«, sagte er. Er stocherte lustlos in der Mahlzeit herum, die ich ihm vorsetzte. »Ich habe es ja geahnt. Ärger bringt er, nichts als Ärger. Es wird noch passieren, daß sie mir die Station wegnehmen, daß sie ihre Route verlegen und die Postkutschen woanders langfahren lassen. Es ist zum Kotzen mit diesem aufgeblasenen Kerl aus Missouri.« »Warum sollten sie die Route ändern?« sagte ich. Ich setzte mich und aß direkt aus der Pfanne. Laut schmatzend kaute Shita in der Ecke an seinem Knochen. »Wenn sie die Banditen fangen, die die Kutschen überfallen, ist doch alles gut.« »Wenn es nur so einfach wäre.« Bogart starrte düster vor sich hin. Er schien mich gar nicht zu sehen. »Was ist schwer daran?« »Alles«, sagte er. »Verdammt alles.« »Das verstehe ich nicht.« »Das kannst du auch nicht verstehen.« »Wovor hast du Angst?« fragte ich. Ich hatte lange überlegt, war aber zu dem Schluß gelangt, daß ich auch Bogart nichts von meinen Beobachtungen mitteilen würde. Trotzdem konnte ich mir die Frage nicht verkneifen, und im Grunde sagte sie nichts darüber aus, daß ich mehr wußte, als Bogart ahnte. »Angst? Wieso Angst?« Bogart ließ die Gabel sinken. In seinen Augen flackerte es. Ich sah, daß seine Hände auf einmal zitterten. »Vor was sollte ich Angst haben? Willst du mir das mal sagen? Wie kommst du überhaupt darauf, daß ich vor etwas Angst haben könnte.« »Du benimmst dich wie ein Mann, der Angst hat.« »Blödsinn«, sagte er. »Ich benehme mich wie ein Mann, der eine Stinkwut hat, weil diese Klugscheißer in St. Joseph glauben, sie könnten alles mit so einem wie mir treiben.« Ich schwieg, verzehrte mein Rührei und beobachtete ihn ruhig. Davon schien er noch nervöser zu werden. Er senkte den Kopf, aß seinerseits weiter, schielte aber immer wieder hoch, um zu kontrollieren, ob ich ihn noch anstarrte. Schließlich richtete er sich schwerfällig auf. »Jetzt brauche ich einen Schluck«, sagte er.
»Damit du wieder kotzen kannst?« Er antwortete nicht. »Ich glaube eher, daß dir die Kutschengesellschaft die Station schließt, wenn du weitersäufst, als daß sie das wegen der Überfälle tut.« Unschlüssig blieb er in der Küche stehen und stierte zum dunklen Fenster hin. »Weißt du, wo Flatt hingeritten ist?« fragte er unvermittelt. »Westwärts«, sagte ich. »Dieser hirnverbrannte Idiot. Er ist doch ganz allein. Glaubt er, daß er mit einer ganzen Horde Banditen fertig wird?« Er schnaufte und schob die Hände in die Taschen seiner Hose. »Wenn ihm was passiert, krieg ich womöglich die Schuld.« »Hast du ihn nicht gewarnt?« »Den und warnen? Das ist doch ein Büffel. Der geht mit dem Schädel durch jede Wand. War heute mittag noch was los?« »Einen Farmer habe ich übergesetzt«, sagte ich. »Das Geld liegt in der Schublade unter der Theke.« »Schon gut«, sagte er. »Ich hau mich wieder hin. Diesen Flatt soll der Teufel holen.« Er ging davon, und ich spürte wieder das Unbehagen in mir, daß ich Cargo Flatt gegenüber geschwiegen hatte, so daß er jetzt womöglich in Gefahr geriet. Aber das war sein Beruf, sagte ich mir. Ich spülte das Geschirr und verriegelte die Türen und Fenster. Dann ging ich mit Shita in meine Kammer, zog das Hemd aus, wusch mich und legte mich ins Bett. Lange schlief ich nicht ein und wälzte mich im Bett herum. Warum war ich bloß aufgestanden, als ich in der Nacht Stimmen gehört hatte? Wäre ich im Bett geblieben, wüßte ich nichts von der Verbindung zwischen Bogart und Dundee. Und warum war ich am gestrigen Mittag beim Klang der Schüsse nicht am Wasser geblieben? Dann hätte ich den Überfall nicht gesehen und auch nicht den Mann im roten Hemd, der so verteufelt dem unheimlichen Dundee glich. Wäre ich nicht, hätte ich nicht … Ich rollte mich zusammen und schloß die Augen. Ich war aber, und ich hatte. Ich war aufgestanden,
hatte dem Gespräch Bogarts mit seinem nächtlichen Besucher gelauscht, und ich hatte die Stimme Dundees erkannt. Und ich hatte den Überfall beobachtet. Es war sinnlos, über etwas nachzudenken, was hätte sein können. Ich konnte mich nicht um eine Entscheidung herumdrücken. Wurde ich mitschuldig, wenn ich weiterschwieg? Oder war mein eigenes Schicksal nicht wichtiger, und tat ich Jeff Bogart nicht vielleicht Unrecht, stellte ich vielleicht falsche Vermutungen an? In meinem Kopf begann sich alles zu drehen. Gequält stöhnte ich auf und fühlte plötzlich Shita dicht neben mir. Er stand neben meinem Bett, starrte mich in der Dunkelheit an und blies mir seinen heißen Atem ins Gesicht. »Schon gut, Alter«, flüsterte ich. »Schon gut. Es ist alles in Ordnung.« Er drehte sich um und streckte sich vor meinem Bett aus. Ich atmete ruhig und versuchte, auch ruhiger zu denken. Irgendwann schlief ich tatsächlich ein. * Cargo Flatt ritt westwärts durch die Hügel, die sich in der Nacht wie schwarze, zu Staub erstarrte Wellenbuckel eines unendlichen Meeres vor ihm wölbten. Er hatte die Spuren der Postkutschenräuber drei Meilen westlich vom Ort des Überfalls in einer Bodenvertiefung unweit der Overlandstraße gefunden. Die Banditen hatten die Fährte zu verwischen versucht. Sie hatten sich viel Mühe dabei gegeben, und es war ihnen fast gelungen, aber nicht ganz. Im letzten Tageslicht hatte Cargo Flatt die geknickten Halme im Gras gefunden, die im Vorüberreiten abgerissenen Blätter an einem Mesquitebusch. Und er hatte gewußt, daß er nicht umsonst gesucht hatte. Seitdem ritt er auf der Fährte der drei Reiter, die die Kutsche überfallen und den Kutscher und den Fahrgast umgebracht hatten. Je weiter er der Spur gefolgt war, um so deutlicher war sie geworden. Die Banditen hatten sich immer weniger Mühe gegeben, sie zu verwischen. Jetzt konnte Cargo Flatt seinen Weg sogar fortsetzen,
obwohl es Nacht war und nur das blasse Licht des Mondes auf dem Land lag. Die Fährte lag deutlich vor ihm. Seit einer Stunde wehte von Osten ein beständiger Wind. Die Nacht war kühl. Cargo Flatt fröstelte. Im Schatten einer Baumgruppe zügelte er sein Pferd und griff nach seiner Jacke, die er hinter dem Sattel quer über dem Pferderücken liegen hatte. Er streifte sie über und zog den Hut tiefer in die Stirn. Der Wind schwoll an. Er trieb eine schwarze Wolkenwand vor sich her, die für kurze Zeit die silberne Sichel des Mondes verdeckte. Cargo Flatt ritt dennoch weiter. Er verließ das Hügelland. Die Niederungen des Arkansas lagen vor ihm. Hufschlag klang durch die Nacht. Flatt zügelte sein Pferd und beugte sich im Sattel vor. Jetzt hörte er es ganz deutlich. Das Hufgeräusch näherte sich ihm von Südwesten. Flatt trieb sein Pferd auf eine nahe Baumgruppe zu und stieg aus dem Sattel. Als er wieder in die Nacht lauschte, hörte er nur noch das Singen des Windes. Flatt verharrte, reglos, stumm. Es blieb alles still. Unwillkürlich tastete seine Rechte zum Revolver. Seine Faust umspannte den Griff der Waffe. Er lehnte sich gegen einen Baum und atmete flach. Lange stand er so da. Zäh verstrich die Zeit. Dann entspannte sich seine Haltung. Er ließ den Revolvergriff los und trat zu seinem Pferd. Er nahm die Feldflasche vom Sattelhorn, trank einen Schluck, hängte sie zurück und schwang sich wieder in den Sattel. Er trieb sein Pferd aus dem Schutz der Baumgruppe hinaus und lenkte es über die Ebene auf den Fluß zu. Fast im selben Moment, als er sich vorbeugte, um die Fährte der Banditen wieder aufzunehmen, sah er knapp fünfzig Yard entfernt am Flußufer einen Mann. Der Mann stand seitlich von einem Weidenbusch und hielt ein Gewehr in den Fäusten. Er trug einen knielangen Umhang. Sein Gesicht wirkte wie ein weißer Fleck in der Dunkelheit. Halb verdeckt von dem Strauch sah Cargo Flatt das Pferd des Mannes mit hängenden Zügeln dicht am Wasser stehen. Flatt zog unwillkürlich die Zügel an. Das Mondlicht fiel voll auf ihn. Er wollte sein Pferd wenden und griff gleichzeitig zum
Revolver. Da hob der Mann am Fluß sein Gewehr mit ruhiger Bewegung an die Schulter. Flatt zog die Schultern hoch und hörte noch das Krachen des Schusses. Dann spürte er einen gewaltigen Schlag gegen seinen Brustkorb. Er wunderte sich noch, daß er keine Schmerzen hatte. Ganz langsam sackte er zur Seite. Sein Bewußtsein war völlig klar. Er hatte das Gefühl, neben sich selbst zu stehen und sich zu beobachten. Verzweifelt versuchte er, seinen Sturz zu verhindern, aber er hatte keine Macht mehr über seinen Körper. Er schlug hart am Boden auf und versank im hohen Gras. Noch immer verspürte er keine Schmerzen. Vor seinen Augen begann sich alles zu drehen. Ein finsterer Abgrund schien sich vor ihm aufzutun. Er glaubte, zu stürzen, immer schneller, immer tiefer. War das der Tod? Cargo Flatt merkte nicht, wie das Blut warm aus einer großen Wunde in der Brust pulste und über seine Haut rann, sein Hemd und seine Jacke tränkte und in den Boden sickerte. Er hörte sein Pferd nicht mehr schnauben. Ein schwarzer Schleier legte sich über seine Augen. Eine dumpfe Schwere durchfloß seinen Körper und löschte alles Denken und Fühlen in ihm aus.
6. Ich erwachte kurz vor dem Morgengrauen. Es war kalt in meiner Kammer. Ich hatte mich im Schlaf bewegt und die Decke abgestreift. Frierend zog ich sie wieder hoch und warf einen Blick zum Fenster. Die Scheiben waren feucht vom Tau. Ich überlegte, ob ich aufstehen sollte, oder ob es Sinn hatte, sich noch einmal umzudrehen und weiterzuschlafen. Plötzlich sprang Shita, der bis jetzt flach ausgestreckt, den Kopf zwischen den Vorderpfoten, am Boden gelegen hatte, auf und knurrte. Ein Pferd schnaubte. Das Geräusch ertönte vom Hof. Ich war sofort hellwach und richtete mich auf. Es war wieder still, aber ich hatte ein ungutes Gefühl und sprang aus dem Bett. Diesmal wollte ich es genau wissen. Ich streifte mein Hemd über und schlüpfte in meine Schuhe. Geräuschlos öffnete ich das Fenster. Shita stand hinter mir und wedelte erwartungsvoll mit dem Schwanz.
Ich schaute ihn an und schüttelte den Kopf. Dann schwang ich mich aufs Fensterbrett und ließ mich lautlos hinausgleiten. Dichte Nebelschwaden schwebten vom Fluß herauf über den Hof. Ich zog fröstelnd die Schultern hoch, dann setzte ich mich in Bewegung und umrundete vorsichtig das Haus. Die Stalltür stand offen. Am Rande des Hofes stand mit hängenden Zügeln ein Pferd. Ich wartete einen Moment, dann hastete ich über den Hof zum Stall. Ich preßte mich an die Stallwand. An der Rückseite des Gebäudes gab es ein paar lose Bretter. Dorthin begab ich mich. Ich schob die Bretter leise zur Seite und schlüpfte ins Innere des Stalles. Hinter einigen Strohballen blieb ich stehen. Ich hörte die Stimmen ganz deutlich: Bogart befand sich im Stall – und ein zweiter Mann, ein Mann mit heiserer, unangenehm klingender Stimme. Dundee. »Alle Luken dicht«, sagte Bogart gerade. Seine Stimme klang schwer. Er hatte in der Nacht wohl doch noch eine Flasche Whisky gefunden und getrunken. »Wir sitzen auf einer heißen Ofenplatte, und wenn wir nicht aufpassen, sind wir bald gar gebraten, und dieser Flatt verspeist uns mit Haut und Haaren.« »Der verspeist niemanden mehr«, hörte ich Dundee sagen. Er lachte hämisch. »Wie meinst du das?« fragte Bogart. »Ich mag keine Schnüffler«, sagte Dundee. »Jedenfalls läßt du dich in den nächsten Wochen nicht mehr hier sehen«, sagte Bogart. »Und es bleibt alles ruhig.« »Hör zu«, sagte Dundee. »Ich merke, daß du dir schon wieder in die Hosen machst. Es ist mir ganz egal, was dir paßt und was nicht. Ich habe keine Lust, mich zu verkriechen, es besteht auch kein Anlaß dazu.« »Ich will nicht auffliegen.« Bogarts Stimme klang jetzt hell vor Nervosität. »Ich habe mich immer an die Vereinbarungen gehalten.« »Fehlt nur noch, daß du anfängst zu heulen.« Dundee lachte wieder. »Was kümmert mich das, was ich vor ein paar Monaten gesagt habe? Was mich interessiert, sind Dollars, verstehst du, schöne, blanke Dollars. Habe ich mich nicht immer sehr anständig
dir gegenüber verhalten? Sogar als du einen meiner Leute totgeschlagen hast in deiner gottverdammten Angst. Eigentlich sollte ich dich jetzt noch abknallen. Vielleicht würde ich dir damit noch einen Gefallen tun.« »Du bist verrückt, Dundee«, sagte Bogart. »Ich hätte mich nie mit dir einlassen dürfen. Ich spiele nicht mehr mit, hörst du. Es ist aus, Schluß. Ich habe die Nase voll.« »Die Hosen hast du voll, Bogart. Aussteigen geht nicht mehr. Du steckst zu tief in der Sache. Also, hier ist dein Anteil vom letzten Coup. Eine glatte Sache. Fünftausend Dollar hatte der Kerl bei sich. Ein guter Tip, Bogart. Wie sehen die Passagierlisten der nächsten Kutschen aus?« »Ich sage kein Wort mehr, Dundee. Ich will auch das Geld nicht. Nimm es, es ist Schluß, sage ich.« Jetzt war es heraus. Ich kauerte hinter den Strohballen und hatte jedes Wort gehört. Jetzt wußte ich es genau, das, was ich ohnehin nach allem, was bisher geschehen war, geahnt hatte. Bogart steckte mit den Postkutschenräubern unter einer Decke, und Dundee war der Anführer der Bande. Er erhielt von Bogart die Tips, wenn es besonders lohnend war, eine Kutsche auszunehmen, und Bogart empfing dafür einen Anteil an der Beute. »Du wirst schon reden, Bogart«, sagte Dundee. »Du weißt ja, wer von uns beiden der stärkere ist.« »Du jagst mir keine Angst ein«, sagte Bogart. »Ach nein?« Ich hörte ein klatschendes Geräusch. Bogart schrie. Ein schwerer Fall war zu hören. Ich schob meinen Kopf etwas vor. Durch ein Gewirr von Spinnweben sah ich die beiden Männer zwischen den Pferdeboxen. Bogart lag. Dundee stand breitbeinig über ihm. »Ich – ich sage kein Wort, Dundee, nicht, solange dieser Flatt hier ist.« Bogart rappelte sich hoch. »Ich sagte dir doch, daß uns dieser Schnüffler keine Schwierigkeiten mehr bereiten wird.« »Ich glaub dir kein Wort. Du lügst wie gedruckt. Du hast von Anfang an gelogen. Du hast versprochen, die Fahrgäste am Leben zu lassen, du hast sie alle erschossen, auch die Kutscher. Du hast
versprochen, mich nie bei Tag oder nach den Überfällen zu behelligen. Und dann hast du mir diesen Idioten hergeschickt, der sich von einem Kutscher hat zwei Kugeln verpassen lassen.« »Wann kommt der nächste Geldtransport, Bogart?« Dundee bückte sich und schaute Jeff Bogart direkt ins Gesicht, »Ich sage nichts«, sagte Bogart. Dundee riß den rechten Stiefel hoch. Der Absatz knallte Bogart gegen die Stirn. Bogart stürzte auf den Rücken und wälzte sich benommen am Boden herum. »Der Junge«, murmelte er leise. Ich horchte auf. »Hau ab, Dundee, wenn der Junge dich sieht! Es reicht schon, daß dieser Flatt hier ist. Wenn jetzt der Junge noch was merkt …« »Der Bengel hat einen Hund, nicht wahr?« »Ja, ja, sicher. Hau ab, Dundee. Es wird schon hell …« »Da war gestern ein Hund in den Hügeln, während wir die Kutsche ausgeräumt haben«, sagte Dundee. »Vielleicht weiß der Junge bereits alles.« »Unsinn, das sind Hirngespinste.« Bogart richtete sich schwerfällig auf. Jetzt log er, und ich war ihm dankbar dafür. Er konnte nicht ganz so schlecht sein, wie ich gedacht hatte. Wenn er verriet, daß ich den Überfall mit angesehen hatte, würde Dundee versuchen, mich sofort, noch an diesem Morgen, umzubringen. Da war ich ganz sicher. »Der Junge war gestern am Fluß und hat geangelt. Er hat einen riesigen Katzenfisch mitgebracht.« Bogart stand jetzt wieder und stützte sich auf eine Boxwand. »Vielleicht hast du recht«, sagte Dundee. »Das ist deine Sache. Lassen wir das. Wie ist es mit dem nächsten Geldtransport, Bogart?« »Übermorgen«, sagte Bogart leise. Er rang nach Atem. Seine Stimme zitterte. »Hau ab, Dundee.« Dundee grinste. »Ich wußte, du würdest wieder vernünftig werden«, sagte er. »Du hast ja auch nicht schlecht verdient. Laß dir wegen dieses Flatts keine grauen Haare wachsen.« Er drehte sich um. Da schlug Jeff Bogart in einem Anfall wilden Zorns nach ihm. Er war viel zu schwerfällig, zumal er immer noch eine Menge Alkohol
im Blut zu haben schien. Dundee reagierte so schnell wie eine Wildkatze. Er zog den Kopf ein, fuhr herum und parierte den Schlag. Er wischte die schwere Faust Bogarts zur Seite und schlug ihn nieder. Dundee lachte, als er davonging. Draußen durchbrachen die ersten Sonnenstrahlen den Nebel. Dundee stieg in den Sattel, zog sein Pferd herum und ritt davon. Ich fragte mich, warum er so sicher war, daß Cargo Flatt, den er gar nicht kennen konnte, ihnen keine Schwierigkeiten mehr bereiten würde. Ich fand keine Antwort darauf und warf noch einen Blick auf Jeff Bogart. Er bewegte sich jetzt schwach. Einen Moment überlegte ich, ob ich zu ihm hingehen und ihm helfen sollte. Dann ließ ich es. Ich hätte mich damit selbst verraten. Bogart hatte mir vor Dundee geholfen, aber vielleicht würde sich seine Ansicht ändern, wenn ihm klarwurde, daß ich über alles Bescheid wußte. Ich erhob mich und schlüpfte durch das Loch in der Rückwand des Stalls. Nur über dem Fluß hingen noch die Frühnebel. Die Luft erwärmte sich bereits. Ich kehrte zu meinem Kammerfenster zurück und stieg hindurch. Shita beobachtete mich mit schiefgelegtem Kopf und schien darüber nachzudenken, warum ich mich so merkwürdig benahm. Ich setzte mich auf die Bettkante und starrte abwesend vor mich hin. Jetzt mußte ich mich entscheiden. Ich wußte nun alles. Wenn ich jetzt immer noch schwieg, machte ich mich wirklich mitschuldig. Ich durfte auch auf Bogart keine Rücksicht mehr nehmen, der mich anständig behandelt hatte und dem ich es wahrscheinlich verdankte, daß ich nicht schon in diesem Moment von Dundee gejagt wurde. Vor allen Dingen aber durfte ich nicht daran denken, was ich alles verlor, wenn ich handelte und Cargo Flatt verriet, was ich wußte. Ich würde wieder mein Zuhause verlieren, aber ich würde weiterleben. Wenn ich schwieg, würden weitere Männer sterben. Ich erhob mich und ging zur Kommode neben der Tür. Aus dem Tonkrug, der darauf stand, schüttete ich Wasser in die Porzellanschüssel daneben. Während ich mich wusch, dachte ich noch einmal über alles nach, immer wieder. Aber ich gelangte
jedesmal zu dem gleichen Ergebnis. Ich hatte mich entschieden. Sowie Cargo Flatt, der Sicherheitsagent der Kutschengesellschaft, zurückkehren würde, würde ich mit ihm sprechen. Nach dieser Entscheidung war mir wohler. Ich hatte das Gefühl, eine schwere Last losgeworden zu sein, die mich früher oder später erdrückt hätte. Als ich mit Shita meine Kammer verließ, hörte ich Bogart bereits rumoren. Ich traf ihn in der Küche. Er hielt eine Flasche Whisky in der Hand. Aber er trank nicht daraus, er bestrich sich lediglich mit einem alkoholgetränkten Lappen sein geschwollenes Gesicht. Er ging sehr vorsichtig dabei vor und zuckte immer wieder zusammen, manchmal stöhnte er leise. »Bist du aus dem Bett gefallen?« fragte ich. Er warf mir einen wütenden Blick zu. »Ich hab – zuviel getrunken«, murmelte er schließlich. »Ich muß mit dem Gesicht gegen meinen Schrank gelaufen sein.« »Das wird es sein«, sagte ich, »So siehst du auch aus. Kaffee?« »Sicher, aber sehr stark.« Er verkorkte die Flasche und setzte sich mit hängenden Schultern an den Tisch. Dumpf brütend starrte er vor sich hin. Fast tat er mir leid. Aber mein Entschluß stand fest. * Cargo Flatt kehrte nicht zurück. Ich wurde von Stunde zu Stunde nervöser. Die Zeit verstrich. Es wurde Mittag. Bogart und ich fertigten die Kutsche nach Süden ab und setzten sie mit der Fähre über den Fluß. Cargo Flatt tauchte nicht auf. Ich arbeitete unkonzentriert und war mit meinen Gedanken ständig woanders, so daß es sogar Jeff Bogart auffiel. »Was ist los?« fragte er, als ich zum drittenmal über einen Futtereimer stolperte, den ich mir selbst in den Weg gestellt hatte. »Nichts« sagte ich. »Nichts.« Ich war erschrocken, denn ich befürchtete, man könne mir vom Gesicht ablesen, was ich vorhatte. Bogart begnügte sich jedoch mit dieser Antwort. Er litt unter Kopfschmerzen, wie er mir gesagt hatte, und sein Gesicht hatte die
Farbe eines Regenbogens. Die Spuren von Dundees Schlägen waren jetzt deutlicher zu sehen als am Morgen. Es wurde Abend. Die Sonne versank hinter den Hügeln im Westen. Von Osten strich ein leichter, aber beständiger Windhauch heran, der die stickigen, heißen Luftmassen vertrieb, die sich am Tag auf der Ebene gestaut hatten. Cargo Flatt blieb weg. Mir fielen die hämischen Worte Dundees ein, die ich am Morgen in der Scheune gehört hatte. Er war so sicher gewesen, daß Cargo Flatt ihm keine Schwierigkeiten bereiten würde, so verdammt sicher. Ob er … Ich dachte den Gedanken nicht zu Ende. Es durfte nichts passiert sein. Oder doch? Ich fühlte die Unruhe in mir wühlen. An diesem Abend aß ich nichts. Jeff Bogart fiel es nicht mehr auf. Er aß selbst nichts, und seinem Aussehen nach zu schließen, ging es ihm so jämmerlich, daß er mit sich selbst genug zu tun hatte und nicht in der Verfassung war, über mein seltsames Benehmen nachzudenken. Als Jeff Bogart sich vom Tisch erhob, war sein Steak kalt geworden. Er hatte nur seinen Kaffee getrunken. »Flatt ist nicht zurückgekehrt«, sagte ich. In mir war eine Anspannung, die mich fast platzen ließ. Ich mußte einfach etwas sagen, ich mußte mir irgendwie Luft verschaffen. »Von mir aus braucht er sich hier nicht mehr sehen zu lassen«, sagte Bogart. »Es sollte in deinem Interesse sein, wenn die Überfälle aufhören«, sagte ich. »Verdammt, ja«, sagte Bogart. Er schaute mich dabei nicht an. »Warum hilfst du Flatt dann nicht?« »Ich – hab anderes zu tun«, sagte Bogart. »Und dann, ich weiß ja gar nicht, wo er ist. Er wird schon wieder auftauchen.« »Wenn ihm was passiert ist …« »Was soll ihm passiert sein?« Bogart ging zur Tür. »Geh jetzt ins Bett. Morgen ist wieder ein harter Tag.« Ich blickte ihm nach. Breit, schwer und stark ging er davon, und trotzdem wirkte er, sogar von hinten, hilflos und voller Angst. Ich blieb noch lange sitzen. Der Druck in mir war nach wie vor unvermindert groß. Als Shita mich mit seiner feuchten Schnauze
winselnd anstieß, erhob ich mich, löschte die Petroleumlampe, die von einem Deckenbalken herabhing, und begab mich in meine Kammer. Während ich mich auszog, trat ich ans Fenster. Der Wind von Osten hatte sich verstärkt. Im Mondlicht sah ich den Arkansas unterhalb der Station. Er wälzte sich schwerfällig durch sein breites Bett. Doch es war nicht alles wie sonst. Die Wasseroberfläche kräuselte sich. Ein paar Gischtkrönchen tanzten auf den Wellen. Ich dachte an Cargo Flatt, und mein Instinkt sagte mir, daß er tot war, daß Dundee ihn erwischt und ermordet hatte. Ich war dessen so sicher, daß sich eine tiefe Resignation in mir ausbreitete. Ich ließ mein Hemd einfach auf den Boden fallen und warf mich auf mein Lager, mit dem Gesicht nach unten. Es war alles zum Kotzen. Ich hätte heulen können, wenn ich es nicht schon als kleines Kind verlernt hätte. Was sollte ich jetzt tun? Den Mund halten, Augen und Ohren verschließen und weiterarbeiten, als wäre nichts geschehen? Bei den Indianern hatte es immer nur den geraden Weg gegeben. Da war alles einfach und klar gewesen. In diesem Moment sehnte ich mich wieder zurück in die Welt der Apachen Mit der Zeit wurde ich ruhiger. Müdigkeit kroch durch meine Glieder, und sie erstickte die Unruhe und Nervosität in mir. Ich wälzte mich auf den Rücken und zog die Decke hoch. Bis zum Mittag des nächsten Tages wollte ich noch warten. Wenn ich dann nichts von Cargo Flatt hörte – und ich war überzeugt, ich würde nichts hören –, würde ich Jeff Bogart verlassen. Ich würde weiterziehen, so schwer es mir fiel, meine neue Heimat wieder zu verlassen. Wenigstens ersparte mir das den Gewissenskonflikt, Jeff Bogart »verraten« zu haben. Ich schlief ein, und das letzte, was ich noch wahrnahm, war, daß draußen ein Sturm aufkam.
7. Als Cargo Flatt erwachte, war es Nacht, und um ihn herum tobte ein mörderisches Wetter. Ein Sturm raste über die Savanne. Der Sturm heulte, der Sturm toste. Er riß schenkelstarke Äste von
alten Bäumen, knickte junge Stämme um und walzte das Getreide auf den Feldern der Farmer nieder. Cargo Flatt fühlte eine bleierne Schwere in sich, sonst nichts. Er brauchte einige Zeit, um sich zu erinnern, was geschehen war. Als er sich dann vorsichtig bewegte, durchschoß ihn der Schmerz wie eine Stichflamme. Er schrie fast und sank wieder zurück. Der Schmerz aber blieb. Er setzte sich in seinen Gliedern fest, hämmerte in seinen Schläfen. Es erschien dem Mann wie ein Wunder, daß er noch lebte. In seiner Kehle brannte der Durst. Cargo Flatt wälzte sich, ungeachtet der Schmerzen, auf die Seite und schaute sich um. Er war allein. Keine fünfzig Yard entfernt von ihm rauschte der Arkansas. Der Sturm peitschte die Wellen hoch. Er wühlte das Wasser auf und verwandelte den Fluß in eine kochende, tobende, wilde Hölle. Knapp fünfzig Yard nur bis zum Wasser und doch zu weit für Cargo Flatt. Er stemmte sich hoch. Der Schmerz verzehrte ihn nahezu. Aber er gab nicht auf. Er wußte nicht, wie lange er bewußtlos gelegen hatte, aber ihm war klar, daß er verloren war, wenn er jetzt nicht mit allen Kräften ums Überleben kämpfte. Er war so schwach, daß ihm seine Arme schon nach ein paar Yard den Dienst versagten, als er durch das Gras auf die einsam stehende Baumgruppe zurobbte. Von dort war er herangeritten, als er den Mann am Fluß, der ihn aus dem Sattel geschossen hatte, entdeckt hatte. An diesen Moment erinnerte er sich noch ganz genau, und er war sicher, daß er diesen Augenblick, sollte er überleben, niemals vergessen würde. Er wußte, daß im Schatten der Bäume ein paar Beerensträucher wucherten. An den Früchten konnte er seinen ärgsten Hunger stillen, außerdem enthielten sie Flüssigkeit. Der Durst war schlimmer als der Schmerz. Cargo Flatt hatte das Gefühl, seine Zunge sei so dick wie ein Ballon, seine Kehle war wund und entzündet. Er zitterte vor Schwäche am ganzen Körper, als er sich zwang, weiterzukriechen.
Währenddessen schwoll der Sturm weiter an. Er zerrte auch an dem durch das Gras robbenden schwachen Mann. Er schien mit tausend unsichtbaren Fäusten nach ihm zu greifen. Flatt stemmte sich gegen die Rammstöße des unbarmherzigen Wetters. Er erreichte die Baumgruppe und brach zusammen. Sein Körper war schweißgebadet. Als er den Kopf hob und sah, daß er direkt unter einem Strauch mit wilden Brombeeren lag, vermochte er zunächst nicht, nach den Früchten zu greifen. Als er dann nach ihnen langte, konnten seine Hände sie kaum halten, so sehr zitterten sie. Er schob die Beeren mitsamt den Blättern und kleinen Stielen in den Mund und schlang sie hinunter, fast ohne zu kauen. Zunächst verschlimmerten sich die brennenden Schmerzen in seiner Kehle, dann spürte er, wie die Feuchtigkeit der Früchte ihm guttat. Wilde Gier erwachte in ihm, er stemmte sich auf die Knie hoch und pflückte den ganzen Busch ab, kroch zum nächsten und aß auch hier. Später lehnte er sitzend, mit ausgestreckten Beinen, am rauhen Stamm eines Pecanbaumes. Er war noch immer erschöpft, noch immer schwach, aber der Hunger fraß nicht mehr so stark in ihm, auch das Durstgefühl war erträglicher geworden. Nur die Schmerzen hatten nicht nachgelassen. Cargo Flatt lauschte dem Heulen des Sturms. In den Wipfeln der Bäume knackte es, während er vorsichtig sein blutverkrustetes Hemd aufknöpfte und über der Brust öffnete. Die Wunde war unter einer Schicht Blut und Eiter verschwunden. Aber Cargo Flatt konnte abschätzen, wie schwer die Verletzung war. Die Kugel mußte knapp oberhalb des Herzens in seine Brust geschlagen sein. Sie war an zwei Rippen abgeglitten, nach oben abgeleitet worden, hatte wahrscheinlich das Schlüsselbein gestreift und war unterhalb der linken Schulter am Rücken ausgetreten. Das war Flatts Glück gewesen. Wäre das Geschoß steckengeblieben, wäre er vermutlich nicht mehr am Leben. Auch jetzt war noch lange nicht gesagt, ob er es schaffen würde. Er hatte eine Chance, aber die war sehr klein. Sowie die Wunde wieder aufbrach, war er verloren. Er tastete zur Halfter an der Hüfte. Sie war leer. Wahrscheinlich hatte er die Waffe beim Sturz verloren.
Er überlegte, wie es weitergehen sollte. Zu Fuß gelangte er nicht weit, zumal er nicht wußte, ob sich die Banditen noch in der Nähe befanden. Liegenbleiben konnte er auch nicht. Seine Wunde mußte schleunigst behandelt werden. Flatt lauschte dem Sturm, der das Land peitschte und geißelte. Die Luft war voller Staub, Flatt war sicher, daß der Durst bald wiederkehren würde, schlimmer noch als zuvor, denn er schluckte zwangsläufig den Staub, der sich in seiner immer noch wunden Mundhöhle festsetzte und seinen Speichel in einen herb schmeckenden Schleim verwandelte, der sich brennend auf die Drüsen legte. Flatt kroch auf allen vieren zum Rand der Baumgruppe. Als er einen Strauchwall umrundet hatte und bereits wieder die Schwäche des Körpers spürte, sah er sein Pferd im Schutz eines Cottonwoodbaumes stehen. Das Tier drängte sich dicht gegen die Büsche und den Stamm des Baumes und schnaubte angstvoll in das Wetter. Cargo Flatt kniete minutenlang reglos im Gras und starrte zu dem Tier hinüber. Er rang nach Atem und glaubte zu träumen. Nur zögernd setzte er sich wieder in Bewegung und kroch auf das Pferd zu. Das Tier sah ihn und scheute nervös. Da erst sah Cargo Flatt, daß sich das Tier mit dem Zügel an einem tiefhängenden Ast verfangen hatte. Cargo Flatt dachte an die Feldflasche und die Trockenfleischvorräte in seiner Satteltasche, und er dachte an das Gewehr im Scabbard. Er zwang sich zur Ruhe. Mit schwacher Stimme begann er zu reden. Er sprach gegen das Lärmen des Wetters an, und das Pferd schien ihn zu hören und der Stimme nachzulauschen. Cargo Flatt redete, obwohl seine Kehle schon wieder schmerzte und sein Gaumen bereits wieder anschwoll. Und während er sprach, kroch er weiter. Als er das Pferd endlich erreicht hatte, warf er sich mit einer verzweifelten Kraftanstrengung hoch und packte mit beiden Fäusten den Zügel. Im selben Moment machte das Tier einen Satz zur Seite, und der
Zügel löste sich von dem Ast, an dem er bisher festgehangen hatte. Cargo Flatts Fäuste krallten sich um das starke Leder. Er verlor das Gleichgewicht und wurde zwei, drei Yard mitgeschleift, bevor das Tier wieder stehenblieb. Der Mann brüllte vor Schmerz. Ihm stiegen Tränen in die Augen, und er befürchtete, daß seine Wunde wieder aufgebrochen sei. Aber der heftige Schmerz ließ nach. Cargo Flatt zog sich an dem Pferd hoch. Er hatte noch einmal Glück gehabt, wieder einmal. Mit beiden Händen umklammerte er das Sattelhorn, als er aufrecht stand. Noch einmal sammelte er alle Energien in seinem gepeinigten, ausgelaugten, geschwächten Körper und zerrte sich in den Sattel. Auf dem Pferderücken angelangt, sank er nach vorn und schlang beide Arme um den Pferdehals. Der Sturm zerrte an ihm und dem Tier und warf ihn fast aus dem Sattel. Aber er klammerte sich verzweifelt fest und trieb das Pferd an. Es gehorchte und setzte sich in Bewegung. Jeder Huftritt setzte sich bis in Flatts Körper fort, jede geringe Erschütterung löste glühende Stiche in seiner Wunde aus. Flatt biß die Zähne zusammen. Er wußte, es gab keine andere Möglichkeit für ihn, zu überleben. Er mußte durchhalten, koste es, was es wolle. Er konnte dem Himmel danken, daß er sein Pferd wiedergefunden hatte. Der Fluß tauchte vor ihm auf. Er lenkte das Pferd ostwärts. Der Sturm erfaßte ihn jetzt voll. Der Wind fegte über die Wasserfläche und warf sich gegen Pferd und Reiter. Das Pferd blieb nicht stehen. Es stemmte sich gegen den Sturm und kämpfte sich voran. Flatt wurde geschüttelt und gestoßen. Er hielt sich im Sattel, obwohl er spürte, daß eine schwere Wärme in ihm aufstieg. In seinen Schläfen und in seiner Wunde pochte das Blut. Die Adern schienen platzen zu wollen. Fieber fraß sich durch seinen Körper. Betäubungsschleier durchfluteten ihn. Er versuchte, dagegen anzukämpfen. Aber sein Körper war zu schwach. Schon bald nahm er den Sturm nicht mehr wahr. Ein Brausen und Dröhnen erfüllte seine Ohren, und ihm war nicht bewußt, ob es sein eigener Pulsschlag war, der seinen Kopf fast zersprengen wollte. Vor seinen Augen begann sich alles zu drehen, dann verschwammen die Umrisse. Schließlich sah er nur noch wild
tanzende grellfarbene Punkte. Noch immer klammerte er sich am Pferdehals fest, aber nicht einmal das wußte er noch. Es geschah unbewußt, gesteuert von einem Überlebensinstinkt, der tief in ihm steckte und noch immer nicht erlahmt war. Als der Sturm irgendwann abflaute und wenig später der Morgen graute, stürzte Cargo Flatt wieder aus dem Sattel. Irgendwo, unweit vom Fluß, fiel er ins Gras und blieb liegen. Nur ab und zu wälzte er sich im Fieber von einer Seite auf die andere. Sein Pferd blieb ein Stück abseits stehen, senkte den Kopf und zupfte an den Spitzen der Gräser am Ufer des Stromes, dessen Wasser noch immer vom Sturm aufgewühlt war. Auf den Wellen trieben große Äste, ausgerissene Büsche, Dachplanken und totes Vieh. Als die Sonne aufging, schwamm eine ganze Hütte vorbei. Sie trudelte im Wasser, drehte sich immer wieder und versank beständig. Sie ragte nur noch bis zur Unterkante der Fenster aus dem Wasser. Cargo Flatt sah und hörte nichts. Er wand sich im Fieber, und es war niemand da, der ihm half. Als die Morgennebel sich verzogen hatten, schwebten die ersten Krähen am Himmel. Nicht lange, da würde Cargo Flatt ihr Opfer werden. Heiser klangen ihre Schreie durch den jungen Tag. * Der Sturm hatte das halbe Dach des Schuppens weggerissen. Das war das erste, was ich sah, als ich am Morgen das Haus verließ. Bogart schlief noch. Wahrscheinlich hatte er wieder getrunken. Wenn er so weitersoff, würde er bald weiße Mäuse sehen. Ich fühlte mich miserabel, was wahrscheinlich damit zusammenhing, daß ich gestern abend beschlossen hatte, die Station zu verlassen. Ich wußte nicht wohin, aber meine Entscheidung war unumstößlich. Lustlos begann ich, die Trümmer des Daches zusammenzuräumen. Noch immer wehte ein starker Wind von Osten, aber der Sturm war vorbei. Es war kühl. Der Himmel war grau wie ein schmutziges Bettuch.
Shita saß mit hängendem Kopf neben der Tür des Hauptgebäudes und beobachtete mich bei der Arbeit. Er schien zu spüren, daß das gute Leben hier vorbei war. Als Bogart schließlich erschien, verschlafen, mit verquollenem Gesicht, unrasiert, das Hemd offen und lose über der Hose hängend, lehnte ich gerade eine Leiter an den Werkzeugschuppen und stieg auf das Dach hinauf, um die vom Sturm gelockerten Sparren entweder wieder zu befestigen oder ganz abzureißen, um sie später durch neue zu ersetzen. »Sauwetter, was?« sagte Bogart. »Schon gefrühstückt?« »Ich hab keinen Hunger«, sagte ich. »Hat Flatt was von sich hören lassen?« Die Frage versetzte mir einen Stich. Ich atmete tief durch und bemühte mich, mir nichts anmerken zu lassen. Als ich einen Blick von der Leiter hinunter auf Bogart warf, glaubte ich Besorgnis in seinen Augen zu entdecken. »Nein«, sagte ich. »Möchte wissen, wo der sich rumtreibt.« Bogart schlurfte zum Haus zurück. »Ich koch Kaffee!« rief er über die Schulter zurück. Ich antwortete nicht. Mit einem Hammer schlug ich ein paar gebrochene Dachsparren los. Die graue Wolkendecke riß auf. Die Sonne stand schon hoch. Es wurde rasch wärmer. Der Wind wurde immer schwächer. Auf dem Fluß schwammen noch immer Äste, Büsche, Viehleichen, Planken und Hausrat vorbei, ein Zeichen dafür, daß der Sturm oberhalb des Flusses, in den von Farmern stark besiedelten Gebieten, noch schlimmer getobt haben mußte. Bogart rief aus dem Küchenfenster, daß das Frühstück fertig sei. Einen Moment überlegte ich, ob ich gehen sollte, dann ließ ich den Hammer sinken und stieg die Leiter hinunter. Es hatte keinen Sinn, daß ich die Station mit leerem Magen verließ. Zusammen mit Shita ging ich ins Haus. Schweigend aßen wir. Bogart wirkte etwas verkrampft. Er schien sich selbst etwas vorgaukeln zu wollen und versuchte, den Eindruck zu erwecken, die Welt sei völligem Ordnung. »Muß ich dir helfen?« fragte er, als ich mich vom Tisch erhob.
»Mir ist nicht gut. Und eine Kutsche trifft heute ohnehin nicht ein.« »Ich schaff das schon allein«, sagte ich. Er nickte, und ich ging hinaus. Das Problem, ungesehen von der Station zu verschwinden, war damit auch gelöst. Ich kehrte auf den Hof zurück und nahm meine Arbeit wieder auf. Immer wieder schaute ich nach Westen, ob Cargo Flatt nicht vielleicht doch noch auftauchen würde. Aber die Ebene und das Hügelland blieben leer und ohne Leben. Die Sonne brannte heiß. Ich arbeitete bis zum Mittag. Von Jeff Bogart hatte ich während der vergangenen Stunden nicht einen Hemdzipfel gesehen. Wahrscheinlich lag er in seiner Kammer und schnarchte. Die Sonne stand am Zenit, als ich vom Dach des Schuppens kletterte, mir am Brunnen den Staub von Gesicht und Händen wusch, und dann ins Haus ging. Ich bewegte mich leise, blieb ab und zu stehen und lauschte, aber es blieb alles still im Haus. Etwas wehmütig schaute ich mein Bett an, als ich meine Kammer verließ, nachdem ich meinen Revolver, die Pulverflasche, den Kugelbeutel und die Zündhütchen geholt hatte. Das, mein Messer und eine Feldflasche waren mein ganzer Besitz. Ich begab mich in die Speisekammer. In einen Kopfkissenbezug stopfte ich ein Brot, Trockenfleisch, einen Knochen für Shita, ein Säckchen mit Bohnen, geräucherten Speck und ein paar getrocknete Früchte. Dann verließ ich das Haus. Shita wartete auf dem Hof. Er schaute mich mit schiefem Kopf an. Seine großen Augen musterten mich fragend. »Wir hauen ab«, sagte ich zu ihm. »Es hat keinen Sinn, jetzt noch lange darüber nachzudenken. Das hab ich schon getan. Also los.« Ich füllte am Brunnen meine Wasserflasche und ging dann westwärts. Womöglich würde Bogart den Grund für mein Verschwinden erraten und Dundee benachrichtigen. Vermutlich würden die Banditen mich dann suchen. Aber ein paar Meilen westlich der Station gab es eine Furt, abseits der Wagenstraßen. Das hatte Bogart mir erzählt. Wenn ich meine Spur verwischen wollte, mußte ich dorthin.
Ich schritt schnell und zügig voran. Anfangs fiel es mir schwer, aber je weiter ich die Station hinter mir zurückließ, um so leichter wurde mir die Trennung. Ich hatte richtig gehandelt. Ich brauchte mir nichts mehr vorzuwerfen. Das war das wichtigste. Alles andere würde sich finden. Einmal drehte ich mich um. Da war die Station bereits hinter ein paar Hügeln verschwunden. Ich summte vor mich hin, während ich weiterlief. Ab und zu hielt ich am Fluß an und wusch mir den Schweiß vom Gesicht. Solange ich das Wasser so dicht bei mir hatte, mußte ich es ausnutzen. Die Sonne rückte am Horizont weiter nach Westen. Sie stach mir bereits direkt in die Augen. Als ich zwei oder drei Stunden unterwegs war, hielt ich an, zog die Schuhe aus und ließ die Füße ins Wasser hängen, um sie zu kühlen. Shita streckte sich neben mir aus und starrte mich unverwandt an. »Wahrscheinlich findest du das alles blöd«, sagte ich, während ich über den Fluß schaute. »Du hattest deine Ordnung, genauso wie ich. Du konntest jede Nacht im Trockenen schlafen. Wenn du Hunger hattest, kriegtest du einen Knochen. Aber das ist nicht alles. Es gibt manchmal Wichtigeres als einen vollen Bauch und ein weiches Bett, verstehst du?« Ich blickte ihn an, und er sah aus, als verstünde er, was ich meinte. »Jeff Bogart war kein schlechter Mensch«, sagte ich. »Wenigstens nicht wie dieser Dundee. Aber was er getan hat, war falsch.« Ich richtete mich auf und zog meine Schuhe wieder an, von denen sich langsam die Sohlen zu lösen begannen. »Gehen wir weiter. Wir finden schon was, wo wir die Nacht verbringen können.« Wir gingen bis zum Abend. Ich hatte die Furt nicht gefunden. Entweder hatte sich das Bett des Stromes verändert, oder Jeff Bogart hatte sich in der Entfernung geirrt. Zweifel stiegen in mir auf, ob ich richtig gehandelt hatte, daß ich westwärts gegangen war. Jetzt mußte ich womöglich umkehren, wenn ich keine Stelle fand, an der ich den Fluß überqueren konnte. Vor mir schrien ein paar Krähen. Die Sonne versank in einem roten Flammenmeer. Im Abendschimmer wirkten die schwarzen,
flatternden Krähen wie Geistervögel. Ich hielt an. Shita lief jedoch weiter, begann zu bellen und hetzte plötzlich mit großen Sätzen voraus. Ich fluchte leise und folgte ihm dann eilig. Buschreiches Gelände tauchte vor mir auf. Shita verschwand darin. Ich zögerte, denn ich dachte sofort an die Banditen. Ob Shita sie gewittert hatte? Hatten sie ihr Lager in dem Buschland am Arkansas? Verzweiflung wollte in mir aufsteigen. Ich zwang mich zur Ruhe und folgte Shita. Die Krähen über dem Fluß krächzten wütend und schwebten davon. Ich hörte Shita nicht mehr bellen, und als ich durch das dichte Gesträuch irrte und nach einer Spur von Shita suchte, knackte plötzlich ein Gewehrhahn hinter mir. Meine Haltung versteifte sich. Ich fühlte, wie sich meine Nackenhärchen sträubten. Trotz der drückenden Hitze, die an diesem Abend auch dicht am Fluß herrschte, fror ich. Ganz langsam drehte ich mich um. Da sah ich, halb verdeckt von tiefhängenden Zweigen, unter einem Schlehenbusch einen Menschen sitzen. Der Mann war mager wie ein Skelett. Seine Kleidung war blutgetränkt und von Dornen zerrissen. Ein tagealter Stoppelbart bedeckte ein hohlwangiges Gesicht, in dem die Augen in tiefen Höhlen lagen und die Schädelknochen weißlich unter der Haut, die wie Pergament wirkte, hervorschimmerten. Das Gespenst hielt einen Sharps-Karabiner in den knochigen Fäusten, der jetzt plötzlich zu zittern begann und herabsackte. Dann rollte auch der Kopf des Mannes auf die Seite. Er röchelte laut, rang nach Atem. Ich lief zu dem Menschen hinüber und hockte mich neben ihn. Shita war auf einmal auch da. Er stürmte mit triumphierendem Gebell durch die Büsche, während ich meine Feldflasche vom Gürtel nestelte und den Kopf des Mannes etwas anhob. Ich schaute in fiebrig glänzende Augen, und da erst erkannte ich ihn wieder: Cargo Flatt.
8.
Im letzten Tageslicht sammelte ich trockenes Reisig und entfachte, als die Nacht hereinbrach, ein rauchloses Feuer. Cargo Flatt lehnte mit dem Rücken an einem Baumstamm und beobachtete mich mit dem Ausdruck neu erwachenden Lebensmutes in den Augen. Etwas abseits hatte ich auch Flatts Pferd im Buschland gefunden, mit dem Kochgeschirr, das am Sattel hing. Als das Wasser im Kessel, den ich an einem Dreibein über dem Feuer aufgehängt hatte, zu kochen begann, warf ich Sarsaparillastengel hinein. Ein scharfer Duft stieg auf, das Wasser nahm eine milchige Farbe an. Ich hob den Kopf vom Feuer und füllte den bitteren Tee in einen Blechbecher. Cargo Flatt war bereits wieder in der Lage, mit beiden Händen den Becher allein zu halten und zu trinken. Ich wußte, das Gebräu schmeckte abscheulich, aber es senkte das Fieber, reinigte das Blut und bekämpfte innere Entzündungen. Flatt trank auch noch einen zweiten Becher. Dann kochte ich aus dem Rest einen Absud und strich ihn, nachdem er etwas erkaltet war, auf die Wunde, die ich zuvor sorgfältig und vorsichtig von verkrustetem Blut und Eiter gereinigt hatte. Flatt hatte mehr Glück als Verstand gehabt. Das Einschußloch war so groß, daß ein Silberdollar es gerade bedecken konnte. Dort, wo die Kugel ausgetreten war, war die Wunde noch größer. Mich schockte der Anblick nicht sonderlich. Ich wußte, welche Verheerungen ein Sharps-Geschoß anrichten konnte. Mich wunderte vielmehr, daß Flatt überlebt hatte. Nachdem ich ihn versorgt und aus seinem Hemd einen Verband angefertigt hatte, der sich jetzt um seinen Oberkörper wand, sank er zurück und ließ sich von mir in eine Satteldecke hüllen. Ich erledigte alles mit Eifer, denn ich fühlte mich mitschuldig daran, daß Cargo Flatt fast ermordet worden wäre. Wenn ich nicht geschwiegen hätte … Ich dachte nicht länger darüber nach, es änderte doch nichts an den Tatsachen. Cargo Flatt bewegte die Lippen, als ich mich über ihn beugte, um ihm den Schweiß vom Gesicht zu wischen. Ich lauschte, und dann hörte ich ihn flüstern: »Danke.« Dann schloß er die Augen. Ich löschte das Feuer und streckte mich neben Shita auf dem Boden aus.
Vor Sonnenaufgang erwachte ich wieder, suchte Feuerholz und fand auch noch etwas Sarsaparilla. Als ich zum Lager zurückkehrte, war Cargo Flatt wach. Er hatte kein Fieber mehr. Er wirkte kräftiger als gestern abend, als ich ihn gefunden hatte. Schweigend schaute er zu, wie ich Feuer entfachte und Tee für ihn aufbrühte. Er trank ihn, und dann aß er von meinem Brot und meinem Trockenfleisch, aber nicht viel, denn er hatte anscheinend ein paar Tage lang nichts Festes gegessen und mußte seinen Magen, nach Beeren und Baumrinde, erst wieder an Fleisch gewöhnen. »Wie hast da mich gefunden?« Das war das erste, was er sagte, nachdem er getrunken und gegessen hatte und sich wieder flach am Boden ausstreckte. Er mußte über eine Bärennatur verfügen. Seine Stimme klang erstaunlich kräftig für einen Mann, der, hätte ich ihn nicht gefunden, wahrscheinlich den heutigen Morgen nicht mehr erlebt hätte. »Shita hat Sie aufgespürt«, antwortete ich. »Und was machst du hier? Bin ich so nahe bei der Station?« »Bis dahin sind es mindestens fünf, sechs Meilen oder noch mehr«, sagte ich. »Wie kommst du hierher?« »Ich bin abgehauen«, sagte ich kurz. Seine tiefliegenden Augen musterten mich scharf. Er sagte nichts. »Mr. Bogart arbeitet mit den Kutschenräubern zusammen«, sagte ich. Ich schaute Flatt dabei nicht an. »Der Anführer heißt Dundee. Ich habe die beiden belauscht.« Jetzt war es heraus, jetzt war mir wohler. Ich atmete auf. »Das hast du doch schon vorher gewußt«, sagte Flatt. »Nein«, erwiderte ich. »Vermutet habe ich es. Geahnt vielleicht. Mehr nicht.« »Na gut«, sagte Flatt. Er schaute nachdenklich zum Himmel. »Das hätten wir dann ja. Aber das nutzt mir im Moment gar nichts.« »Bogart wollte nichts mehr damit zu tun haben«, sagte ich. Ich fühlte mich verpflichtet, den Stationer ein wenig in Schutz zu nehmen. »Dieser Dundee hat ihn zusammengeschlagen, zweimal. Bogart hat mich anständig behandelt, er ist nicht schlecht.« »Es sind eine Menge Menschen bei den Überfällen erschossen
worden«, sagte Cargo Flatt. »Bogart ist daran mitschuldig.« »Er war gegen die Morde«, sagte ich. »Davon werden die Toten nicht mehr lebendig.« Flatt versuchte, zu lächeln. Es sah nicht sehr schön aus. Sein hageres Gesicht wurde zu einer Fratze. »Du bist in Ordnung, Junge. Ich kann verstehen, daß es nicht einfach für dich ist, mir das alles zu erzählen. Wie heißt du eigentlich?« »Ronco«, sagte ich. »Weiter nichts?« »Nein«, sagte ich. »Ich habe keine Eltern, und deshalb habe ich keinen Nachnamen.« »Wo hast du gelernt, Wunden zu behandeln?« »Bei den Apachen«, sagte ich. Flatt nickte, als hätte er nichts anderes erwartet. »Du hast keine feste Arbeit?« »Nein.« »Jungen wie dich können wir brauchen«, sagte Flatt. »Du solltest mit mir nach St. Joseph gehen.« »Sie müssen mir nicht unbedingt dankbar sein«, erwiderte ich. »Ich hätte jedem geholfen.« »Ich will dich nicht beleidigen.« Flatt grinste wieder. »Die Overland-Company stellt auch niemanden aus Dankbarkeit ein, er muß schon ein bißchen mehr können. Vor allem aber geht es darum, daß den Halunken hier jetzt das Handwerk gelegt wird.« »Sie werden lange Ruhe brauchen«, sagte ich. »Ist mir klar. Aber mein Pferd ist doch da?« Als ich nickte, fuhr er fort: »Du könntest reiten und Hilfe holen.« »Und wer versorgt Sie? Außerdem kenne ich mich nicht im Land aus.« »Du reitest nach Fort Dodge«, sagte Flatt. »Dazu brauchst du nur dem Flußlauf zu folgen. Und ich kann mich allein versorgen. Ich fühle mich sehr gut.« »Wenn Sie sich bewegen, kann Ihre Wunde wieder aufbrechen.« »Die spüre ich kaum noch.« »Im Moment.« Ich erhob mich und ging zum Flußufer hinunter. Hier zog ich mein Hemd aus und wusch mich. Als ich zurückkehrte,
hantierte Cargo Flatt, in seine Decke gerollt und sitzend, am Feuer. »Du siehst, es geht!« rief er mir entgegen. Aber seine gepreßt klingende Stimme zeigte mir, daß er Schmerzen hatte. Er war ein verdammt harter Mann. Meine Hochachtung vor ihm wuchs. Bei den Apachen hatte ich Ausdauer und Zähigkeit kennengelernt. Cargo Flatt war so hart wie ein Indianer. Ich glaubte nun auch, daß er es allein schaffen würde. Er hatte das Fieber überstanden, das war das wichtigste. »Sie haben keine Vorräte«, sagte ich. »Während ich weg bin, können Sie verhungern. Ich reite vorher zur Station.« »Und was ist mit Bogart?« »Dem sage ich, daß ich auf die Jagd gegangen bin. Das Pferd lasse ich ein Stück vor der Station zurück. Vielleicht sieht er mich nicht.« Cargo Flatt lehnte sich zurück. Skeptisch blickte er mich an. »Wenn er dich erwischt und festhält …« »Mich hält niemand fest.« Ich griff unter mein Hemd und zog den Navy-Colt aus dem Hosenbund. Flatt kriegte runde Augen. Er sagte nichts mehr. Ich steckte den Colt wieder ein und drehte mich zu Shita um, der neben dem Feuer saß und an seinem Knochen nagte, den ich von der Station mitgenommen hatte. »Du bleibst hier, hörst du«, sagte ich. »Wenn ich schnell reiten muß, kannst du nicht mit. Du bleibst hier und paßt auf.« Er hob den Kopf von seinem Knochen und schaute mich aufmerksam an. Ich wußte, er hatte mich verstanden. Ich wandte mich Flatt wieder zu. »Wenn Shita da ist, können Sie schlafen«, sagte ich. »Er weckt Sie, wenn sich jemand nähert.« Er nickte. Ich blickte Shita noch einmal an. Dann ging ich zu Flatts Pferd, zurrte die Sattelgurte fest und stieg auf. »Hier!« rief er. »Falls man dir Schwierigkeiten bereitet.« Er griff in seine Jacke, die ich neben seinem Lager ins Gras gelegt hatte, zog ein kleines Lederetui heraus und warf es mir zu. »Mein Ausweis«, sagte er. »Wenn du in Fort Dodge bist, melde dich gleich beim Agenten der Russel, Majors und Waddell Company.«
»Ich komm ja noch mal zurück«, sagte ich. »Dann können Sie mir das genauer erklären.« Ich trieb das Pferd an und ritt am Flußufer ostwärts. * Kurz vor Mittag sah ich die Station vor mir liegen. Die Fähre war am Ufer vertäut. Hinter einem Hügel ließ ich das Pferd stehen und ging zu Fuß weiter. Ich bewegte mich so, daß ich vom Haus aus nur schwer zu entdecken war. Es war nicht ganz einfach, aber schließlich hatte ich die Rückfront des Hauptgebäudes erreicht. Es schien kein Leben auf der Station zu geben. Von Bogart war nichts zu sehen. Einen Moment dachte ich, daß er vielleicht auch das Weite gesucht hätte, verwarf den Gedanken dann aber wieder. Das Fenster der Kammer, in der ich gewohnt hatte, stand offen. Ich schlüpfte geräuschlos hinein und begab mich von da aus in den Gang zur Küche. Auch im Haus war alles still. Die Küche war leer. Ich betrat die Speisekammer, griff schnell nach einem an einem Haken hängenden Schinken und nach einem Brot. Als ich nach einem Behälter suchte, in den ich etwas Kaffee für Flatt abfüllen konnte, hörte ich Hufschlag, und wenig später hielt ein Reiter auf dem Hof. Ich wartete ab, angespannt lauschend. Ein Mann stürmte ins Haus. Dann hörte ich die rauhe, unangenehme Stimme Dundees. Ich dachte, mir gefriere das Blut in den Adern. Wie gelähmt verharrte ich. In meinem Kopf begann sich alles zu drehen. Da war schon die Stimme Bogarts zu hören, und dann fielen ein paar Stühle um. Bogart schrie vor Schmerzen. Ein schwerer Fall war zu hören. Ich setzte mich zögernd in Bewegung. Meine Beine waren schwer wie Blei. Ich verließ die Speisekammer, durchquerte die Küche und blieb an der Tür stehen. »Du dreckiger Hund!« hörte ich Dundee schreien. »Warum hast du nicht gesagt, daß der Transport von zwei Kerlen begleitet wird, die bis an die Zähne bewaffnet sind?« Ich hörte keine Antwort von Bogart, statt dessen schien Dundee
auf ihn einzuschlagen. »Meine Leute sind tot!« brüllte Dundee. »Tot, hörst du! Ich hab den Kutscher und die beiden Kerle erwischt, aber es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre auch erledigt worden. Das wolltest du wohl, du verdammter Scheißkerl, darauf hast du wohl spekuliert, wie? Pech gehabt, Bogart. Ich lebe. Unkraut vergeht nicht. Ich lebe, und ich habe das Geld, aber du, du bist jetzt fertig!« »Hör – hör doch zu!« rief Bogart jetzt. Seine Stimme schnappte fast über vor Angst. »Ich hatte doch keine Ahnung von der Bewachung. Ich hab die beiden Kerle doch erst beim Pferdewechsel auf der Station gesehen.« »Du lügst schlecht, Bogart, zu schlecht für mich. Du lügst dich glatt ins Grab.« »Ich schwöre dir … Dundee, ich laß den Revolver stecken, Dundee!« Bogarts Stimme überschlug sich jetzt. Er kreischte geradezu. Ein Schuß krachte, dann hörte ich Bogart wieder schreien, und etwas polterte auf die Dielen. Ich stieß die Tür einen Spalt auf und sah, daß sich Bogart und Dundee ineinander verkrallt über den Boden rollten. Bogart schlug Dundee in wilder Verzweiflung beide Fäuste ins Gesicht. Der Killer sackte zurück. Da sprang Bogart auf, drehte sich um und floh – auf die Küche zu. Mein Herz blieb fast stehen. Instinktiv ließ ich mich seitlich gegen den Küchenschrank fallen, sonst wäre mir die Tür gegen den Schädel geknallt. Bogart stürmte wie ein Büffel herein. Sein Gesicht war puterrot. Wirr hing ihm das Haar um den Kopf. In seinen Augen flackerte wahnsinnige Angst. Er stürmte an mir vorbei, ohne mich zu sehen. Ich ließ Brot und Schinken fallen und riß meinen Revolver aus dem Hosenbund. Den Schock hatte ich überwunden. Jetzt war ich eiskalt. Ich würde mich durchkämpfen müssen, und ich würde es tun, ohne zu zögern. Dundee folgte Bogart fast auf dem Fuße – und er übersah mich nicht. Er wirbelte herum wie von einer Natter gebissen, im selben Moment stieß ich mich von der Wand ab und warf mich gegen ihn. Der Angriff erfolgte zu überraschend für ihn. Er verlor das
Gleichgewicht und stürzte rücklings gegen die kalte Kochstelle. Ich sah noch die entsetzt geweiteten Augen, mit denen Bogart, der jetzt mit dem Rücken zum Fenster stand, mich anstarrte, dann war ich aus der Küche, mit leeren Händen zwar, aber lebend. Ich hetzte durch den Aufenthaltsraum, in dem zerbrochene Stühle am Boden lagen. Ein Tisch war umgestürzt. Ich lief daran vorbei, durch die offenstehende Tür auf den Hof hinaus. Eines war mir klar, ich konnte nicht zu Cargo Flatt zurückkehren. Zunächst einmal war es sinnlos, mit leeren Händen zu ihm zu reiten. Außerdem mußte ich damit rechnen, daß Dundee mich jetzt jagte. Er brauchte nur meiner Spur zu folgen, um Cargo Flatt zu finden. Ich mußte ihn von Cargo Flatt weglocken, ich mußte auf direktem Weg nach Fort Dodge reiten und unterwegs versuchen, Dundee abzuschütteln. Daran dachte ich, während ich mit langen Sätzen westwärts jagte, um das Pferd zu holen. Hinter mir krachte ein Schuß. Ich spürte den sengenden Luftzug des Projektils am linken Ohr, dann war ich außer Sichtweite der Station, und wenig später erreichte ich das Pferd. Ich schwang mich in den Sattel und hämmerte dem Tier meine Absätze in die Weichen. Es galoppierte fast aus dem Stand los. Ich zog die Zügel herum und sprengte in weitem Bogen an der Station vorbei. Dundee eilte über den Hof und schwang sich auf sein Pferd. Er versuchte, mir den Weg abzuschneiden. Ich duckte mich tief auf den Pferdehals und schoß zurück, als er mit dem Revolver auf mich zielte. Er hatte sein Pferd gerade angetrieben, als es von meiner Kugel getroffen wurde. Es schien gegen eine Wand zu prallen. Unvermittelt blieb es stehen, warf den Kopf hoch und brach mit den Vorderläufen zusammen. Dundee wurde aus dem Sattel geworfen. Ich sah noch, wie er durch den Staub des Hofes rollte, dann tauchte ich im Hügelland unter und jagte nach Osten davon. Mir war klar, daß ich nur eine Atempause hatte. Dundee würde ein neues Pferd satteln und mir folgen. Diese kurze Spanne mußte ich nutzen, um mir einen Vorsprung zu verschaffen. Dundee war kein
Narr. Er würde sich ausrechnen, was ich vorhatte, welches Ziel ich ansteuerte. Er war ein gefährlicher Mann, aber ich fühlte mich ihm gewachsen. Reiten konnte ich, das hatte ich bei den Apachen gelernt. Im Reiten konnte ich es mit jedem aufnehmen. Vor mir lagen mehr als dreißig Meilen, ein Tagesritt, wenn ich es schaffte. Ich war sicher, ich würde es schaffen.
9. Dundee war hinter mir. Er besaß den Instinkt eines wilden Tieres und die Zähigkeit eines hungrigen Wolfes. Ich hatte im Verlauf von zwei oder drei Stunden alles versucht, um ihn abzuhängen. Ohne Erfolg. Lange war ich durch seichtes Uferwasser geritten, um die Spur zu verwischen. Ich hatte versucht, harten Boden zu finden, auf dem keine Fährte zurückbleiben konnte. Es hatte alles nichts genutzt. Dundee hatte sich nicht täuschen lassen. Wenn ich zurückschaute, konnte ich ihn sehen. Der Abstand zwischen uns betrug vielleicht eine Meile. Es ging auf den Abend zu. Die Flanken des Pferdes, das ich ritt, waren schweißnaß. Schaumflocken tropften aus seinen Nüstern. Ich hatte keine Lust, es zuschanden zu reiten. Irgendwann mußte ich rasten, damit es neue Kraft sammeln konnte. Vor mir erstreckten sich die baumlosen Niederungen des Arkansas. Es gab keine Deckung. Hier durfte ich nicht bleiben. Kurz entschlossen nahm ich das Tier herum und sprengte vom Fluß weg nach Norden. In einem Schattenmeer zwischen den Hügelrücken tauchte ich unter. Dämmerung bedeckte das Land. Ich ritt, bis die Sonne im Westen verglühte. Das Pferd stolperte immer häufiger, sein Atem ging rasselnd. Ich zügelte es und ritt im leichten Trab weiter. Ein Waldgürtel tauchte vor mir auf. Ich lenkte das Pferd darauf zu. Es war höchste Zeit. Auch ich fühlte mich ausgebrannt und leer. Ich wollte etwas essen und selbst ein wenig rasten. Am Waldrand glitt ich zu Boden und führte das Pferd ins dichte Unterholz. Hier lockerte ich die Sattelgurte und hockte mich ins Moos, nachdem ich festgestellt hatte, daß die Satteltaschen leer waren. Ich hatte Cargo Flatt jedes Krümel dagelassen. So stillte ich
den gröbsten Hunger mit ein paar Beeren und tröstete mich damit, daß ich noch in der Nacht Fort Dodge erreichen würde, wenn Dundee mich nicht vorher erwischte. Die Sonne ging unter, die Dunkelheit über der Ebene verdichtete sich. Ich spähte angestrengt hinaus, bis mir die Augen tränten. Von Dundee entdeckte ich nichts. Vermutlich hatte auch er eine Rast eingelegt, wahrscheinlich hatte er gesehen, daß ich vom Fluß weg über die Ebene geritten war, um eine Deckung zu suchen. Ich lehnte mich zurück und trank einen Schluck aus meiner Feldflasche. Die Dunkelheit umfing mich wie ein Netz, und für einen Moment sehnte ich Shita herbei. Ich fühlte mich einsam ohne ihn. Aber wie hätte er die wilde Verfolgungsjagd durchstehen sollen? Ich hätte ihn mit in den Sattel nehmen müssen, und das hätte mich Zeit gekostet. Er war bei Cargo Flatt gut aufgehoben. Was mir immer wieder im Kopf herumging, war die Postkutsche, die Dundee und seinen Halunken wieder in die Falle gegangen war. Ich hatte nicht mehr daran gedacht, daß Bogart Dundee vor zwei Tagen den Tip von dem Geldtransport gegeben hatte. Aber Dundee hatte Pech gehabt. Er hatte seine beiden Leute verloren. Trotzdem waren der Kutscher und die Begleitmannschaft umgebracht worden. Ich hätte es nicht verhindern können. Es hätte nichts genutzt, wenn ich es Cargo Flatt gesagt hätte, und trotzdem: Wenn ich schneller gehandelt hätte, wäre vielleicht der letzte Überfall verhindert worden, oder nicht? Ich richtete mich auf. Schon wieder quälte ich mich mit Selbstvorwürfen, die doch nichts an den Tatsachen ändern konnten. Außerdem entbehrten sie jeder Grundlage. Ich hatte nicht die Möglichkeit, Dinge zu tun, vor denen bisher sogar die Postkutschengesellschaft versagt hatte. Das Pferd hatte sich etwas ausgeruht. Ich lauschte in die Nacht. Es war alles still. Vielleicht hatte ich Glück und konnte Dundee jetzt in der Dunkelheit abhängen. Ich zurrte die Sattelgurte fest und schwang mich wieder auf den Rücken des Tieres. Ich trieb es auf die Ebene hinaus und lenkte es nach Westen in die Nacht, die rechte Hand am Griff des Colts haltend, der in meinem Gürtel steckte. Der weiche Boden schluckte die Hufgeräusche fast völlig,
dennoch erschien mir das dumpfe Floppen der beschlagenen Hufe übernatürlich laut in der Stille der Nacht. Nachdem ich fast eine Meile geritten war, kehrte ich zum Fluß zurück und folgte seinem Lauf. Ich ritt nicht sehr schnell, um das Pferd zu schonen. Ich war sicher, es mir leisten zu können, da ich von meinem Verfolger nichts mehr bemerkte. Gegen Mitternacht spürte ich die ersten Anzeichen beginnender Müdigkeit. Bleiern kroch die Erschöpfung durch meinen Körper, aber ich ritt weiter. Hätte ich das Pferd zu schärferem Tempo angetrieben, wäre ich bereits in Fort Dodge gewesen, so aber ließ ich mir Zeit, denn ich sagte mir, daß ich das Pferd auch noch für den Rückweg brauchte. Eine Stunde nach Mitternacht rastete ich noch einmal. Ich ließ das Tier im Fluß saufen und führte es ins seichte Uferwasser, damit seine Fesseln gekühlt wurden. Dann ritt ich weiter. Als der Morgen graute, konnte ich in der Ferne flache Militärbaracken vor mir sehen, die auf einem Hügel, beiderseits der Overlandstraße am Nordufer des Arkansas lagen. An einem hohen Mast flatterte ein Sternenbanner. Etwa eine halbe Meile davor, unweit vom Flußufer, standen die Ruinen eines Handelspostens. Ich ritt darauf zu, denn im Fort war noch alles still, und ich wollte mich vom Staub reinigen, bevor ich das Militärlager erreichte. Schwerfällig stieg ich aus dem Sattel, nachdem ich das Pferd neben dem Brunnen gezügelt hatte. Meine Augenlider waren schwer wie Blei. Ich vermochte mich kaum auf den Beinen zu halten. Etwas benommen tappte ich zum Brunnen, neben dem ich einen alten, morschen Holzeimer entdeckt hatte. Für meine Zwecke würde er reichen. Ich hängte ihn an die rostige Kette und ließ ihn in den Schacht des alten Brunnens hinab. Brunnenwasser war kälter und klarer als Flußwasser, deshalb ging ich nicht zum Arkansas hinunter, um mich zu waschen. Ich zog den Eimer hoch, der zwei Löcher hatte, wie ich erst jetzt bemerkte, aber durchaus in der Lage war, das Wasser eine Weile zu halten. Als ich ihn über die Brunnenfassung gehoben und auf den Boden gestellt hatte, hörte ich Schritte.
Ich fuhr herum. Der Mann, der aus der Ruine des alten Handelspostens getreten war, lachte leise. Mit wiegenden, geschmeidigen Schritten überquerte er den Hof. Dundee glitt auf mich zu! Also hatte er bei Einbruch der Dunkelheit nicht gerastet, sondern war weitergeritten, um mir den Weg in letzter Minute abzuschneiden. Er hatte offenbar gewußt, daß ich mich nicht sehr gut im Land auskannte und den Fluß als Wegweiser brauchte, so daß ich ganz zwangsläufig an der alten Ruine vorbeireiten mußte. Ich blieb neben dem Brunnen stehen, ließ den Eimer los und richtete mich langsam auf. Einen Moment lang war mir alles egal. Mit hängenden Schultern erwartete ich den Mörder. Müdigkeit und Erschöpfung waren so stark in mir, daß mir Dundees Auftauchen im ersten Moment allen Mut nahm. »Du bist ein sehr bemerkenswerter Junge«, sagte Dundee. Seine Stimme knarrte so heiser und unangenehm wie immer. Er wirkte nicht im geringsten müde. Ich starrte die Kette auf seiner Brust an, die Menschenzähne an der Schnur. Bald würde er meine Zähne dazuhängen können. »Dein Pech, daß du gerade bei Bogart gelandet bist«, sagte Dundee. »Er ist ein Schwein.« »Nicht so ein Schwein wie Sie«, sagte ich. »Du hast mich ganz schön herumgehetzt«, sagte Dundee, ohne auf meine Worte einzugehen. »Es war nicht einfach, deiner Fährte zu folgen. Als ich dann aber wußte, was für ein Ziel du hast, warst du schon erledigt, du hast es nur nicht gewußt, als du in der Nacht weitergeritten bist. Wahrscheinlich hast du gedacht, du hättest mich abgehängt.« Er lachte wieder sein leises, durchdringendes häßliches Lachen. Ich antwortete nicht. »Zu wem willst du denn in Fort Dodge? Bogart hat mir gesagt, du seist fremd hier. Du willst doch nicht etwa zur Agentur der Kutschengesellschaft, wie?« Jetzt schüttelte er sich aus vor Lachen. Ich ließ ihn reden, aber in mir stieg langsam wilder Zorn auf, der nach und nach die bleierne Müdigkeit in meinen Gliedern verdrängte.
»Ich frage mich, woher du so genau Bescheid weißt.« Dundee stemmte die Fäuste in die Hüften. Breitbeinig stand er da und musterte mich wie ein lästiges Insekt. »Bogart hat dir nichts gesagt«, fuhr er fort. »Er ist vielleicht ein hinterhältiges Schwein, aber er liefert sich nicht selbst an den Strick. Er würde versuchen, mich um die Ecke zu bringen, aber er würde nichts seinen Vorgesetzten oder den Behörden verraten, denn er steckt ja selbst bis über beide Ohren mit in der Sache. Also, woher weißt du von Fort Dodge, und daß hier eine Generalagentur der Kutschengesellschaft ist?« Ich antwortete nicht, ich dachte an Cargo Flatt, und ich begriff, wie sehr ich Dundee unterschätzt hatte. Er hatte mich nicht nur in der Nacht überlistet und hier abgefangen, er konnte auch logisch denken und kombinieren. Dundee war gefährlicher, als ich gedacht hatte. »Du bist ja so still. Warum sagst du denn nichts?« Dundee lachte. Seine Augen glitzerten kalt. »Es muß noch einen anderen Kerl geben, zu dem du Kontakt gehabt hast.« Er runzelte die Stirn. »Es gibt nur einen«, sagte er. »Aber der ist …« Er verstummte. Ich wußte, jetzt dachte auch er an Cargo Flatt. Meine Müdigkeit war wie weggeblasen. Ich überlegte fieberhaft, was ich tun sollte. Dundee mußte jeden beseitigen, der ihm gefährlich werden konnte. Das war nicht nur ich, das war auch derjenige, der mich informiert hatte, denn auch der wußte über ihn Bescheid. Wenn Dundee mich aus dem Weg geräumt hatte, hatte Cargo Flatt keine Chance mehr. Er war zu schwer verletzt. Er konnte sich nicht wehren, noch nicht. Noch hielt Dundee ihn für tot, aber darauf kam es gar nicht an. Es genügte, daß er von der Existenz eines weiteren Menschen wußte, der für ihn eine Gefahr bedeutete. Meine Haltung spannte sich. Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben. Ich durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Solange ich lebte, hatte ich eine Chance, ich mußte sie nur richtig nutzen. »Du brauchst mir nichts zu sagen«, erklärte Dundee. »Du hattest dein Pferd westlich, von der Station versteckt, als du vor mir abgehauen bist. Du bist also von Westen gekommen. Nun gut, ich werde dich erledigen, zurückreiten und versuchen, deine Spur zu finden. Wenn ich sie zurückverfolge – vielleicht finde ich dann
deinen geheimnisvollen Freund. Was meinst du?« Ich antwortete wieder nicht, und Dundee schien es zu amüsieren, daß ich so beharrlich schwieg. Er schrieb das meiner Verblüffung zu, und vielleicht glaubte er auch, ich hätte Angst. »Ich murkse nicht gern Kinder ab«, sagte Dundee. »Einmal, da mußte es sein, da saß so ein kleiner Junge in einer Kutsche, vielleicht halb so alt wie du. Er hatte mich ohne Maske gesehen. Na ja, da ging es nicht anders.« »Tun Sie sich keinen Zwang an«, sagte ich. »In spätestens einer halben Stunde wird drüben im Fort zum Wecken geblasen«, sagte Dundee. »Dann muß ich hier wieder weg sein. Also, Junge, du bist ein verdammt harter Brocken, aber jetzt ist es aus.« Er griff zum Revolver. Gerade rissen die Schwaden des Frühnebels über dem Fluß auf. Ich duckte mich und langte mit der Rechten blitzschnell unter das Hemd. Dundee schien nicht zu wissen, daß ich bewaffnet war. Das war meine Chance. Und als ich den Revolver unter dem Hemd hervorzog, zögerte Dundee tatsächlich einen Augenblick. Seine Augen weiteten sich. Das hatte er nicht erwartet. Seine Waffe zeigte noch schräg zu Boden, als ich bereits den Hammer zurückzog. Ich feuerte, und Dundee wurde vom Aufprall des Geschosses zurückgeworfen. Er taumelte, versuchte, das Gleichgewicht zu halten, gab einen Schuß ab, der die Brunnenfassung traf und eine Fontäne von Gesteinssplittern hochschleuderte, und drehte sich einmal um sich selbst, bevor er zu Boden sackte. Der Revolver entfiel seiner Hand. Stinkend hingen die Pulverdampfschwaden auf dem Hof. Mit dem Gesicht nach unten lag er in verkrümmter Haltung im Staub. Einen Moment stand ich stumm neben dem Brunnen und blickte auf den reglosen Körper. Ich war überzeugt, daß Dundee tot war. Mit eckiger Bewegung schob ich den Revolver in meinen Gürtel zurück, drehte mich um und bestieg das Pferd. Der löchrige Wassereimer war leer. Um ihn herum hatte sich eine Pfütze gebildet. Ich hatte keine Lust mehr, mich hier vom Staub des Ritts zu reinigen. Als ich das Pferd herumzog und auf das Fort zuritt, klang mir von
dort der blecherne Ton einer Trompete entgegen. Ich schaute mich nicht um. Ich hatte ein übles Gefühl im Leib, wie immer, wenn ich gezwungen worden war, zu töten, um mein eigenes Leben zu retten. Daran hat sich im Laufe von zwanzig Jahren bis heute nichts geändert. Ich brauchte mich jetzt nicht mehr zu beeilen. Cargo Flatt drohte keine Gefahr mehr. Meine Müdigkeit kehrte zurück, als ich an den ersten Mannschaftsbaracken vorbeiritt. An der Westecke des Militärcamps, das von keiner Palisade umschlossen wurde, setzte sich ein Treck von Westwanderern in Bewegung. Zwanzig oder dreißig Planwagen rollten nacheinander an. Peitschen knallten. Kutscher stießen rauhe Anfeuerungsschreie aus. Ich achtete kaum darauf. Meine Blicke glitten über die Schilder an den Baracken, die meistens auf Kompaniequartiere hinwiesen. Dann erreichte ich ein langgestrecktes Magazingebäude, und direkt daneben lag die Agentur der Russel, Majors und Waddell Company. Es war ein großes Gebäude, mit einer angebauten Remise, deren Tür offenstand, so daß ich drei Concord-Kutschen sehen konnte. In den Korrals hinter dem Haus befanden sich ungefähr zwanzig Gespannpferde. Etwa zwanzig Yard entfernt traten gerade die Soldaten des Forts neben dem Flaggenmast zum Morgenappell an. Ich rutschte steifbeinig aus dem Sattel, klopfte dem Pferd auf den Hals und trottete mit müden Schritten auf die Agentur zu. Die Tür war nur angelehnt. Ich stieß sie auf und trat ein. Ein grauhaariger, unrasierter Clerk hockte wie ein Affe auf einem hohen Schreibtischschemel und schielte mich über ein Tintenfaß fragend an, als ich den Vorraum, in dem auch ein paar Tische und Bänke für wartende Fahrgäste standen, durchschritt. Ich blieb vor ihm stehen. »Sind Sie der Boß hier?« Hätte ich ihn tödlich beleidigt, er hätte mich nicht wütender ansehen können. Vermutlich ärgerte er sich, daß er nicht der war, für den ich ihn hielt. »Was willst du?«
»Mr. Cargo Flatt hat mich geschickt«, sagte ich. »Kennen wir nicht«, sagte er. »Noch was?« Ich holte den Ausweis hervor, den Cargo Flatt mir zugeworfen hatte, und präsentierte ihn wortlos dem Clerk, der jetzt echt beeindruckt zu sein schien. Er starrte abwechselnd mich und den Ausweis an und versank in schweigender Ratlosigkeit. »Wie lange soll ich hier noch stehenbleiben«, sagte ich. Ich hatte es jetzt satt. Ich war müde. »Sofort.« Er kletterte von seinem hohen Sitz herunter und verschwand durch eine Tür in den hinteren Teil des Gebäudes. Wenig später erschien ein Mann in mittlerem Alter, sauber gekleidet mit einem Kattunhemd, einer Lederweste und einer Köperhose. Er hielt den Ausweis Cargo Flatts in der Rechten, als er auf mich zutrat. »Dillon ist mein Name«, sagte er. »Ich leite die Agentur hier. Woher hast du den Ausweis?« »Von Mr. Flatt.« Meine Stimme klang mürrisch und ungeduldig. Meine Energien waren fast erschöpft. »Komm mit.« Er führte mich an dem Clerk vorbei, der mich wie ein Wundertier anstaunte, in ein einfach ausgestattetes Office. Er nahm hinter einem wackligen Schreibtisch Platz, während ich mich auf eine mit Aktendeckeln gefüllte Frachtkiste neben der Tür setzte. »Hat Flatt dich geschickt?« »Sonst wäre ich nicht hier.« Ich schaute den Agenten an. Er sah vertrauenswürdig aus, wirkte aber auch etwas schwerfällig und langsam. »Hören Sie«, sagte ich. »Ich habe seit fast vierundzwanzig Stunden im Sattel gesessen. Was ich brauche, ist ein Bett. Mein Pferd draußen muß abgerieben, gefüttert und in einen Stall gestellt werden.« »Aus was für einem Grund hat Flatt dich geschickt?« fragte Dillon unbeeindruckt. »Er liegt halbtot im Buschgebiet am Arkansas und wartet darauf, daß er geholt wird.« »Halbtot?« Dillon zog die Augenbrauen hoch. »Die Überfälle sind geklärt«, sagte ich. »Die Banditen haben
versucht, Mr. Flatt umzubringen. Ich habe ihn gefunden und versorgt, deshalb hat er mich losgeschickt. Der Anführer der Banditen hat mich verfolgt. Ich habe ihn ein Stück westlich von hier in den Ruinen am Fluß erschossen.« »Du hast ihn …« Dillon schüttelte den Kopf. »Womit hast du ihn …« »Mit dem ausgestreckten Zeigefinger«, sagte ich wütend. »Flatt braucht Hilfe, und der Komplice der Banditen ist Jeff Bogart. Er muß festgenommen werden.« »Bogart ist … Woher weißt du das?« »Ich hab dort gearbeitet. Also, was ist? Genügt der Ausweis nicht?« »Doch, doch.« Dillon nickte eifrig. »Natürlich. Aber wenn du den Anführer der Kerle schon erledigt hast … Bogart läuft uns nicht weg. Es ist nicht so einfach, hier ein paar Leute zusammenzukriegen, die eine solche Sache anpacken. Es kann ein paar Stunden dauern, bis wir losreiten können. Geht es Flatt sehr schlecht?« »Er springt wie ein Hase über Stock und Stein.« Ich richtete mich auf. »Was meinen Sie wohl, warum ich hier bin?« Dillon runzelte die Stirn. Meine Antworten schienen ihm nicht zu gefallen, aber das war mir verdammt egal. Ich hatte eine höllische Nacht hinter mir, und vor einer Viertelstunde hatte ich einen Menschen erschossen, einen Banditen zwar, der mich hatte aus dem Weg räumen wollen, aber doch einen Menschen. »Da war ein Geldtransport unterwegs«, sagte Dillon. »Vorgestern ist er hier abgefahren.« »Der Fahrer und die beiden Begleiter sind tot«, sagte ich. »Bei dem Überfall hat es auch zwei von den Banditen erwischt.« »Tot.« Dillon blickte einen Moment ins Leere. Er schüttelte den Kopf, als könne er die Welt nicht mehr verstehen. »Bis zum Mittag habe ich sicher ein paar Männer zusammen, die mitreiten.« »Gut«, sagte ich. »Wo kann ich mich ausruhen? Wer versorgt mein Pferd?« »Wir haben ein paar Gästebetten im Haus«, sagte Dillon. »Wenn Fahrgäste mal über Nacht bleiben, brauchen wir die Kammern. Jetzt
sind alle leer. Dein Pferd wird von unseren Stallmännern versorgt.« Ich nickte. Mir war jetzt alles egal. Dillon erhob sich und ging hinaus. Er kehrte mit dem grauköpfigen Clerk zurück, der die Anweisung erhielt, mich in eine Kammer zu führen. Ich folgte ihm und stolperte beim Gehen fast über meine eigenen Füße. Halb schlafend taumelte ich in die Kammer, die er mir zeigte. Als der schmächtige, krummrückige Mann die Tür hinter mir schloß, fiel ich bäuchlings aufs Bett, schloß die Augen und schlief auf der Stelle ein. Gegen Mittag erwachte ich wieder. Auf dem Hof direkt vor dem Fenster meiner Kammer exerzierte eine Kavalleriekompanie. Mit lautem Gebrüll jagten junge Kavalleristen mit schwingenden Säbeln auf Sandsäcke zu, die an zwischen zwei Pfählen gespannten Seilen aufgehängt waren. Sie hieben auf die Säcke ein und fielen manchmal dabei sogar aus dem Sattel. Es hatte keinen Sinn, daß ich versuchte, weiterzuschlafen. Ich erhob mich, schaute mich in der Kammer um und entdeckte eine Waschkommode. Jetzt endlich reinigte ich mich. Das kühle Wasser in dem Tonkrug tat mir gut. Als ich mich abtrocknete, fühlte ich mich wieder frisch. Ich verließ die Kammer und fand nach einigem Suchen das Office von Dillon. Es war leer. Der Agent befand sich vorn im Aufenthaltsraum der Agentur. Überrascht und, wie mir schien, etwas erschrocken schaute er mich an. Das schlechte Gewissen war ihm ins Gesicht geschrieben. »Es ist Mittag«, sagte ich. »Wo sind die Männer, mit denen ich zurückreiten kann?« Dillon betrachtete angelegentlich ein Bündel Papiere in seinen Händen. »Tut mir leid«, sagte er. »Ich hab dir ja gesagt, daß es nicht so einfach ist, hier ein paar Männer aufzutreiben, die für so eine Sache geeignet sind. Die Agentur ist unterbesetzt. Eigentlich müßte ich solche Leute hier haben, aber …« Er zuckte mit den Schultern. Ich hätte jede Summe gewettet, daß er noch keinen Finger gerührt hatte, um bewaffnete Reiter aufzutreiben, die mich hätten zu Bogarts Station begleiten können. Ich fühlte, wie Wut in mir aufstieg, denn ich dachte an Cargo Flatt, der Kopf und Kragen riskiert hatte, um die
Postkutschenüberfälle aufzuklären. Und nun kümmerte sich dieser Agent nicht einmal um sein Schicksal. Ich beherrschte mich. »Wo ist mein Pferd?« fragte ich. »Im Stall, wieso?« »Ich reite allein«, sagte ich. »Ich möchte nicht, daß Flatt verhungert, bis Ihre Leute sich bequemen, in die Sättel zu steigen, um den Rest der Arbeit zu erledigen, für die er beinahe ermordet wurde.« »Hör mal«, sagte Dillon. »So kannst du nicht mit mir reden. Du bist noch verdammt jung, und …« »Geben Sie mir Proviant für Cargo Flatt mit«, unterbrach ich ihn. »Und schicken Sie Ihre Leute nach, wenn Sie nächstes Jahr Zeit dazu finden. Es sind ja nur ein paar Fahrgäste ermordet und ein paar Kutschen ausgeplündert worden.« Er rief mir etwas nach. Ich hörte es nicht. Ich ging hinaus und suchte den Stalleingang. Der Stall war leer, als ich eintrat. Wahrscheinlich saßen die Stallknechte bereits beim Mittagsmahl. Als ich daran dachte, spürte ich selbst den Hunger. Aber ich wollte keine Minute länger hierbleiben als nötig. Ich hatte auf einmal ein ungutes Gefühl, und ein unerklärlicher Instinkt sagte mir, daß es nötig war, zurückzureiten. Ich konnte auch im Sattel essen. Das Pferd stand ausgeruht und gut versorgt in einer Box. Ich legte ihm den Sattel auf. Als ich es aus der Box führte, stiefelte mir der grauköpfige Clerk aus der Agentur entgegen. Er brachte mir ein Proviantpaket, das er mir mit eisiger Miene überreichte. Schweigend drehte er sich um und ging davon. Ich steckte das Paket in die linke Satteltasche und schwang mich in den Sattel. Im leichten Trab verließ ich das Fortgelände nach Westen. Als ich den Arkansas erreichte, trieb ich das Pferd zu rascherem Tempo an. Das Fort blieb hinter mir zurück. Von Süden sah ich ein paar Büffeljäger mit zwei Wagen, auf denen sich frische Häute stapelten, auf den Fluß zufahren. Ich ritt an der Furt vorbei, durch die die Männer gleich ans Nordufer gelangen würden, und erreichte wenig später die Ruinen des alten Handelspostens. Ich wollte ohne Pause daran vorbeireiten. Ein innerer Zwang trieb
mich unerklärlicherweise dazu, hinzureiten. Ich sah keine Krähen über dem Gemäuer, erklärte das aber damit, daß die menschliche Ansiedlung zu nahe war und die Aasvögel sich daher nicht herantrauten. Trotzdem war mir nicht wohl zumute. Auf meinen Instinkt hatte ich mich immer verlassen können. Er war durch das Leben in der Wildnis, durch die ständige Gefahr, in der ich als weißer Apache gelebt hatte, geschärft worden. Ich ritt auf den Hof der Station und am Brunnen vorbei. Vergeblich suchte ich nach der Leiche Dundees. Vor der Ruine, an der Stelle, wo er gelegen hatte, befand sich ein eingetrockneter Blutfleck im Boden. Dundee aber war verschwunden. Ich sprang vom Pferd und durchsuchte den alten Handelsposten. Es gab kein Leben hier. Dundee war nicht mehr da. Er war nicht tot gewesen. Wie in Trance ging ich zu meinem Pferd zurück. Eine eiskalte Hand schien nach meinem Herzen zu greifen. Ich dachte an Cargo Flatt und Shita. Dundee lebte. Mochte er angeschossen und verletzt sein, er lebte, und er war gefährlich. Ich bestieg wieder das Pferd und trieb es an. Im Galopp jagte ich westwärts. Ich hätte viel gegeben, hätte ich gewußt, wie groß der Vorsprung Dundees war. Vielleicht war bereits alles zu spät.
10. Milchig lag das Mondlicht über den Niederungen des Arkansas. Der einsame Reiter näherte sich auf einem erschöpften Pferd der Station auf dem Hügel über dem Fluß. Er saß zusammengesunken im Sattel, hob nur manchmal den Kopf und trieb sein immer wieder stolperndes Pferd an. Mit letzter Kraftanstrengung trabte das Tier die Abzweigung von der Overlandstraße, die zur Station hinaufführte, hoch. Auf dem Hof blieb es schwankend stehen. Sein Kopf hing tief herab. Es schnaubte schwach und zitterte am ganzen Körper. Der Reiter rutschte mühsam aus dem Sattel und brach fast zusammen, als er festen Boden unter den Füßen spürte. Er klammerte sich noch eine Weile am Sattelhorn fest und schleppte sich dann auf
das Haus zu. Er wirkte im Mondlicht so hager wie ein Strich und ging so gekrümmt wie ein uralter Mann. Den linken Arm hielt er angewinkelt, die Hand vor den Leib gepreßt. Die rechte Faust lag auf dem Griff des schweren Revolvers im Gürtel. Als er die Tür erreicht hatte, zog er die Waffe heraus und schlug mit dem Lauf gegen das Holz. Das dumpfe Pochen hallte hohl durch das stille Gebäude. Der Mann stöhnte laut, als heftige Schmerzen ihn durchflossen, und er lehnte sich kurz mit dem Kopf gegen den rissigen Türrahmen. Dann hörte er Schritte im Innern. Seine Haltung straffte sich etwas. Er behielt den Revolver in der Faust und keuchte vor Anstrengung. Die Tür schwang auf. Barfuß, nur mit einer Hose bekleidet, den schweren Oberkörper nackt, stand Jeff Bogart auf der Schwelle. Aus kleinen, verschlafenen Augen stierte er den nächtlichen Besucher verwirrt an. In der Rechten hielt er locker seine Schrotflinte. »Dundee …« Der Mann vor ihm verzog sein hageres Gesicht zu einem häßlichen Grinsen. Er zielte mit dem Revolver auf Bogarts nackten Bauch. »Laß das Gewehr fallen.« Seine Stimme klang brüchig und schwach, aber es steckte genug Energie darin, daß Bogart gehorchte. Die Schrotflinte polterte zu Boden. »Vorwärts!« Dundee winkte mit dem Colt. Da bewegte sich Bogart rückwärts in den Raum hinein. Dundee folgte ihm. Er warf hinter sich die Tür ins Schloß. Der Aufenthaltsraum war aufgeklart, die zerbrochenen Stühle waren fortgeräumt worden. Auf der Theke stand eine Petroleumlampe, die einen trüben Lichtschein verbreitete. »Verbandszeug, Bogart.« Dundee ließ sich auf den nächstbesten Stuhl fallen, ohne den Revolver zu senken. Bogart starrte ihn hilflos an. »Was stehst du so herum, du Idiot! Heißes Wasser, Verbandszeug, Salbe, was du hast. Los, los! Beweg dich, du fettes Schwein!« Bogart drehte sich langsam um. Er watschelte schwerfällig auf die Küchentür zu.
»Begeh keinen Fehler«, rief Dundee hinter ihm. »Bring keine Kanone mit. Brüh mir einen Kaffee auf, aber schön stark.« Bogart ging, ohne ein Wort zu sagen. Dundee wartete, bis er draußen war, dann fiel er mit dem Oberkörper nach vorn und konnte ein durchdringendes Stöhnen nicht mehr unterdrücken. Sein hageres Gesicht verzerrte sich vor Schmerz zu einer Grimasse. Er rang nach Atem, und als er sich mühsam wieder aufrichtete und den Oberkörper zurücklehnte, bedeckte ein dünner Schweißfilm sein Gesicht. Bogart kehrte zurück. Er hatte Verbandszeug und einen Salbentopf bei sich. »Was ist passiert?« Bogart hatte sich ein Hemd übergestreift. Er wirkte jetzt sicherer und selbstbewußter als vorher. Daß Dundee seine Schwäche nur mühsam verbarg, war ihm nicht entgangen. »Unwichtig«, schnappte der Killer. »Du wolltest doch Ronco verfolgen.« Bogart riß unsanft das Hemd Dundees über der Brust auf, so daß dieser laut aufstöhnte. »Ist dir was dazwischengeraten?« »Tu das nicht noch mal.« Dundee preßte dem Stationer die Mündung des Revolvers in die Seite. Seine Stimme zitterte vor Schmerz. »Ich denke, du hast den Jungen unterschätzt«, sagte Bogart, während er die große Wunde in Dundees Brust von verkrustetem Blut befreite. Die Kugel war an einer metallenen Tabakdose in der Hemdtasche abgeglitten und hatte so nur eine große Fleischwunde gerissen, die Dundee aber viel Blut gekostet hatte. »Wahrscheinlich werde ich jetzt auch türmen müssen, nur weil du den Hals nicht vollkriegen konntest, du blöder Hund.« Bogart strich Salbe auf die Verletzung. Er sprach, als könne ihn der Revolver Dundees nicht im geringsten beeindrucken. »Du hast keinen Grund, frech zu werden, Bogart«, sagte Dundee. »Du warst es, der den Jungen eingestellt hat. Du hast uns die Schwierigkeiten eingebrockt. Vielleicht ist der Junge gar nicht zufällig hier aufgekreuzt. Er hat irgendwo in der Gegend eine Kontaktperson sitzen, die ihm den Weg nach Fort Dodge beschrieben hat.« »Das ist jetzt auch egal.« Bogart wand einen Verband um Dundees
Oberkörper. »Wir müssen weg, sonst schnappen sie uns und hängen uns auf. Gib mir meinen Anteil an der letzten Beute.« Dundee zuckte zurück, so daß Bogart fast das Ende des Verbands aus der Hand rutschte. »Was hast du gesagt?« »Meinen Anteil an der letzten Beute«, sagte Bogart drohend. Er befestigte den Verband und trat einen Schritt zurück. Er glich jetzt einem gereizten Bluthund. Er hatte keine Angst mehr und sah nicht so aus, als würde er sich einschüchtern lassen. »Du hast dich sehr verändert, Bogart, wirklich, sehr verändert«, sagte Dundee. »Ich stelle fest, daß du ein verdammt großes Maul gekriegt hast, seit ich zuletzt hier war. Das war erst vorgestern, und da hast du gewinselt und gejammert. Warum soll ich dir einen Anteil geben? Du hast mich reingelegt, du hast gehofft, ich würde bei der Sache draufgehen. Und jetzt willst du auch noch einen Anteil dafür.« »Ich hab dich verbunden, nicht wahr.« Bogart verschränkte die fleischigen Arme vor der Brust. »Ich hab immer die Schnauze gehalten, wenn du gegen unsere Vereinbarungen verstoßen hast. Ich habe mir alles von dir gefallen lassen. Ist das nicht einen Anteil wert?« »Vielleicht, Bogart.« Dundee krümmte sich wieder vor Schmerzen. Keuchend richtete, er sich auf. »Wenn ich es mir recht überlege … Wo bleibt der Kaffee?« Bogart ging und holte den Kaffee. Er war sehr schwarz und sehr heiß, und er war auch sehr bitter. Dundee hielt die Tasse mit der linken Hand und trank mit kleinen Schlucken. »Du willst also einen Anteil, Bogart.« Dundee schien der Kaffee gutzutun. Er blickte den Stationer aus engen Augen über den Rand der Tasse an. »An wieviel dachtest du?« »Frag nicht so dämlich, Dundee. Es sind nur wir zwei übrig. Also die Hälfte.« »Die Hälfte?« Dundee leerte die Tasse. »Ich weiß was Besseres, Bogart. Ich habe mich mit den Begleitleuten und dem Kutscher herumschlagen müssen und habe zwei Leute dabei verloren, meine letzten beiden, nachdem du mir schon einen totgeschlagen hattest. An einen Anteil daran denkst du gar nicht, wie?« Bogart lachte, und Dundee hob den Revolver, den er in den Schoß gesenkt hatte, und
feuerte. Die Schußdetonation fing sich dröhnend im Raum. Stinkend stieg ein Pulverwölkchen auf. Jeff Bogarts Lachen brach ab. Er wurde vom Aufschlag der Kugel rücklings gegen die Theke geschleudert. Einen Moment lang stand er da und klammerte sich am Rand des Tresens fest. Eine Mischung aus Entsetzen, Überraschung und Wut lag in seinen Augen, als er Dundee anschaute. Ihm war anzusehen, daß er mit allem gerechnet hatte, nur nicht damit, daß Dundee ihn in seinem Zustand, da er ihn doch brauchte, ermorden würde. »Du – Schwein …«, flüsterte er. Dann brach er wie vom Blitz getroffen zusammen und blieb mit dem Gesicht nach unten liegen. Dundee stemmte sich an der Tischkante hoch. Er schob den Revolver in die Halfter zurück, prüfte den festen Sitz des Verbandes und tappte zur Tür. Er trat in die kühle Nachtluft hinaus. Sein Pferd lag auf dem Hof. Es war zusammengebrochen. Dundee ging darauf zu und fluchte. Dann zerrte er den Sattel vom Rücken des erschöpften Tieres. Ohne sich weiter um das Pferd zu kümmern, ging er, mit dem Sattel zum Stall der Station. Hier nahm er sich ein anderes Pferd. Unter Vermeidung hastiger Bewegungen zog er sich in den Sattel und ritt westwärts vom Hof. Am Fuße des Hügels, auf dem die Station stand, zügelte er das Tier kurz. Seine scharfen Augen suchten im Mondlicht den Boden ab. Es dauerte eine Weile, bis er gefunden hatte, was er suchte, von Pferdehufen geknickte Grashalme, eine Fährte, die schnurgerade am Ufer des Arkansas westwärts führte. Dundee trieb sein Pferd an und folgte der Spur. * Der Morgen graute, als ich die Station am Arkansas vor mir auftauchen sah. Das erste, was ich sah, als ich auf den Hof ritt, war das Pferd Dundees. Auch mein Tier war nicht mehr frisch, aber ich hatte es geschont, war in Intervallen geritten und hatte kurze Pausen eingelegt. Ich sprang aus dem Sattel und ging zu dem Pferd. Es war tot. Sein Maul stand unnatürlich offen. Sein Fell war noch jetzt schweißnaß.
Die Augen waren weit aus den Höhlen gequollen. Ich wandte mich rasch ab und ging zum Haus. Aufmerksam ließ ich meine Blicke umherwandern. Bevor ich zur Tür trat, zog ich meinen Revolver aus dem Gürtel. Versuchshalber drückte ich die Klinke der Tür nach unten. Da glitt die Tür ins Innere. Ich sprang rasch zur Seite und wartete, angespannt lauschend. Aber es blieb alles still. Mir schwante Schlimmes. Zögernd trat ich ins Haus. Ein Stück Verbandsstoff lag auf dem Boden, eine benutzte Kaffeetasse stand auf dem Tisch. An der Theke klebte Blut. Ich ging durch den Aufenthaltsraum. Ich fragte mich, warum ich zuerst hierher, statt gleich zu Cargo Flatt geritten war. Es war eine Eingebung gewesen. Ich hatte plötzlich das Bedürfnis verspürt, noch einmal mit Jeff Bogart zu sprechen. Er hatte mich immerhin aufgenommen, als ich ziellos durch die Gegend getrampt war. Er hatte mir eine Kammer und Essen gegeben und mich wie einen gleichberechtigten Partner behandelt. Er hatte Fehler begangen, aber ich war sicher, daß er innerlich bereits vieles bereut hatte. Ich wäre mir gemein vorgekommen, wenn ich nicht noch einmal mit Bogart gesprochen hätte, nachdem ich dafür gesorgt hatte, daß er wahrscheinlich bald ins Gefängnis gesteckt werden würde. Jetzt wußte ich zumindest, daß Dundee hier gewesen war. Er konnte nicht sehr schwer verletzt gewesen sein. Zumindest hatte er weiterreiten können, wohin, darüber brauchte ich mir nicht den Kopf zu zerbrechen. Aber wo war Bogart? Eine Diele knarrte hinter mir. Ich fuhr herum. Jeff Bogart stand in der Tür der Küche. Er lehnte am Türrahmen und hielt die doppelläufige Schrotflinte in den Fäusten. Sein Oberkörper war nackt und blutverschmiert. Ich sah die große Schußwunde in der Brust. Bogart taumelte, schwankte, zielte mit dem Gewehr auf mich und stürzte unvermittelt vornüber zu Boden. Er wälzte sich herum und blieb auf der Seite liegen. Ein lautes Röcheln drang aus seinem weit geöffneten Mund. Ich ging langsam auf ihn zu. Stumm schaute ich auf ihn hinunter. Er schien mich gar nicht wahrzunehmen. Seine Augen waren halb geschlossen. Er rang nach Atem. Ich ging in die Knie und schob den Revolver in den Gürtel zurück.
»Jeff.« Meine Stimme klang belegt, ich erkannte sie kaum wieder. »War Dundee hier, Jeff?« Er wandte mir den Kopf zu und bewegte die Lippen. Seine Stimme klang, als käme sie aus einer anderen Welt. »Dieses – Schwein …« »Wann war er da, Jeff?« fragte ich. »Hörst du mich, Jeff?« »Nachts …«, flüsterte Bogart. »Wann genau?« »Drei – Stunden, vielleicht.« »Geht es ihm schlecht?« »Schießen konnte er.« Bogart öffnete die Augen und schaute mich an. »Warum – hast – du – das – getan?« Mir wurde heiß. Einen Moment wußte ich nicht, was ich antworten sollte. Dann sagte ich: »Es sind viele Menschen umgebracht worden, Jeff. Bei so was mache ich nicht mit. Nachdem ich gewußt habe, was hier vorgeht, durfte ich nicht den Mund halten, sonst wäre ich mitschuldig geworden. Ich wollte nichts von dir verraten, deswegen bin ich weggegangen. Dann habe ich Flatt gefunden, und es ging nicht anders, ich mußte reden und sagen, was ich wußte. Nicht wegen dir, wegen Dundee. Deswegen bin ich noch mal hergeritten, weil ich mit dir sprechen wollte« »Lebt – Flatt?« »Dundee hat ihn übel erwischt«, sagte ich. »Aber er ist ein harter Mann. Er schafft es.« »Ich nicht«, sagte Bogart. »Mich hat das Schwein fertiggemacht.« Ich antwortete nicht. Was hätte ich sagen sollen? Bogart starb, daran gab es nichts zu rütteln. Meine Gedanken wanderten zu Flatt und Shita. Ob Dundee sie finden würde? Er mußte viel Blut verloren haben. Ich fragte mich, wieso ich ihn nicht richtig getroffen hatte. Er hatte wie tot dagelegen. Er hatte aus der Brust geblutet. Er hatte wirklich verdammt viel Glück für einen gemeinen Killer. Ein anderer hätte vermutlich nicht überlebt. »Bitte – Wasser …« Ich erhob mich, ging in die Küche und holte einen Becher, den ich mit Wasser füllte. Ich hockte mich neben Bogart, hob seinen Kopf ein wenig an und flößte ihm Wasser ein. Er trank mit kleinen
Schlucken und sank schließlich hustend zurück. »Schmerzen?« fragte ich. Er verzog den Mund ein wenig. »Nein«, sagte er schwach. »Ich fühle – gar nichts. Alles ist taub. Alles. In den Füßen hat es angefangen. Jetzt ist es schon bis – über den Gürtel.« Er atmete rasselnd nach dem langen Satz und schloß die Augen. »Es war – alles falsch«, preßte er hervor. »Aber … Ich war immer ein armes Schwein, verstehst du.« Seine Stimme wurde auf einmal erstaunlich kräftig. »Erst die Farm, mit der ich nichts verdient habe, obwohl ich schuften mußte wie ein Pferd. Dann die Station. Hier ging es mir gut, aber so viel, daß ich mal hätte Schluß machen und mich in Ruhe in einen Schaukelstuhl hätte setzen können, hat die Sache auch nicht abgeworfen. Ich hätte weiter schuften müssen, bis zum Schluß, und wenn die Kutschenlinie mal verlegt worden wäre, wäre es sowieso aus gewesen. Nein, Ronco, ich wollte es mal etwas besser haben. Und dann erschien dieses Schwein, dieser Dundee. Gib mir noch Wasser.« Ich gab ihm Wasser und wunderte mich über die Energie, die er auf einmal wieder aufbrachte. »Ich hab immer vorher gewußt, wann Geldtransporte durchgeführt wurden oder wichtige Leute mit einem Haufen Geld mitgereist sind. Dundee hatte drei Leute, ich habe einen Anteil gekriegt.« Bogart hustete heftig. Sein mächtiger Körper wurde geschüttelt. Sein Gesicht lief rot an. Keuchend sank er zurück. »Mist«, flüsterte er leise. »Daß ich noch mal draufgehen würde.« Er stöhnte. »Wenn ich bloß mehr Luft kriegte …« Ich ging zu den Fenstern und öffnete die Läden und die Tür. Draußen ging gerade die Sonne auf. Das Licht des jungen Tages flutete in den Aufenthaltsraum, in dem die stickige Luft von dem intensiven Geruch nach Schweiß, Blut und Angst durchsetzt war. Frische Luft trieb herein. Ich dachte wieder an Cargo Flatt und Shita. Ich mußte weg, mußte versuchen, Flatt zu helfen. Vielleicht hatte Dundee ihn und Shita schon gefunden. Womöglich war es sogar schon zu spät. Ich verwarf die Gedanken und versuchte, meine innere Anspannung zu unterdrücken. Bogart starb. Ich durfte ihn nicht allein
lassen. Das hatte er nicht verdient. Ich kehrte zu ihm zurück und hockte mich auf die Dielen. Bogart schaute mich an. Er schien die kurze Schwäche überwunden zu haben. »Dundee wurde in Texas gesucht. Er war mit seinen Leuten nach Kansas geflohen. Ich glaube, sie wollten mich ausrauben.« Bogart grinste jetzt sogar. »Hier ist nichts zu holen. Hier war nie etwas zu holen. Das hat er wohl auch eingesehen, und dann hat er nach den Kutschen gefragt, die hier verkehren. Ich hab gleich gewußt, was er wollte, und ich hab mir gesagt, warum soll ich eigentlich nicht dabei mit abkassieren. Die Kutschengesellschaft hat genug Geld und ist versichert, und die meisten Leute, die mit einem Haufen Geld auf die Reise gehen, auch. Wer wird schon geschädigt? habe ich mir gedacht. Und ich krieg so viel Geld zusammen, daß ich eines Tages den Laden schließen kann. So war das. Und dann hab ich Dundee die Sache vorgeschlagen. Ich gebe Tips, habe ich gesagt, und du erledigst den Rest, und dann wird geteilt.« Bogart verlangte wieder nach Wasser. »Ich spür schon bis zur Brust nichts mehr«, flüsterte er. »Ich – ich glaube, jetzt geht's zu Ende.« Ich antwortete nicht. Ich sah, daß sich ein feiner Schweißfilm auf seiner Stirn bildete, und wischte ihn ab. »Keine Toten, hab ich ihm gesagt«, fuhr Bogart fort. »Keine Morde. Da spiele ich nicht mit.« »Er hat geschossen«, sagte ich. »Er war – ein Schwein …« Bogarts Stimme wurde wieder schwächer. »Er hatte Spaß am Morden. Er hat mir alles versprochen, was ich wollte, denn es war ein gutes Geschäft für ihn, für mich auch, aber für ihn noch mehr. Gute Tips, sichere Jobs. Es hat sich immer gelohnt. Und nachdem er den ersten Mann umgebracht hatte, konnte ich nicht mehr raus. Ich steckte mit drin, ich mußte die Klappe halten, wenn ich mich nicht selbst um Kopf und Kragen bringen wollte. Ich mußte es hinnehmen, daß er keinen Menschen bei den Überfällen am Leben ließ. Er hat mich nur ausgelacht, und ich hab das Geld genommen, das er brachte. So war es. Ich – ich bin froh, daß es vorbei ist.«
»Und der Mann?« fragte ich. »Der Mann, den du erschlagen hast, als ich hier auf tauchte?« »Der gehörte zu ihm.« Bogart schnaufte heftig. Er rang wieder nach Luft und wälzte sich hin und her. Ich stemmte mich auf seine Schultern, damit er ruhig lag. »Wir hatten vereinbart, daß er im Zusammenhang mit den Überfällen nie mit mir Kontakt aufnehmen dürfe, also unmittelbar danach oder davor, bei Tage und so. Er sollte nur in unregelmäßigen Abständen hier auftauchen wie ein Tramp oder ein Jäger, der durch das Land reitet und ab und zu hier rastet. Und dann schickt er mir einen Mann her, direkt nach dem Überfall, der vom Kutscher verletzt worden war. Ich sollte den Kerl aufnehmen, ihm ein Bett geben, ihn versorgen, ihn solange hier behalten und verpflegen, bis es ihm bessergehen würde. Ich war die ganze Sache da schon leid. Und dann passierte das. Als ich den Kerl rausschmeißen wollte, zog er seinen Revolver, und dann erschienst du … Es hat mir Spaß bereitet, das Schwein zu erschlagen. Ich schäme mich nicht, das zu sagen. Diese Halunken haben mir das Leben versaut. Sie haben mich betrogen, bedroht und ausgequetscht. Ernsthaft getan haben sie mir nichts, weil sie mich brauchten. Aber was sie taten, und daß sie ständig gegen unsere Vereinbarungen verstießen, das hat schon genügt. Ich war die Sache schon nach ein paar Wochen leid. Ich hab kaum noch richtig geschlafen, vor lauter Angst, es könnte alles entdeckt werden. Und dann taucht dieses dumme Schwein hier auf und verlangt, daß ich ihn versorge. Ich habe keine Gewissensbisse gehabt, ihm den Schädel einzuschlagen. Schon weil ich es diesem Dundee endlich einmal zeigen konnte, daß alles seine Grenzen hat, daß ich mir nicht alles gefallen lasse. Ich wollte aussteigen, aber er ließ mich nicht. Ich dachte, wenn ich ihm einen seiner Leute totschlage, sieht er vielleicht ein, daß es so nicht weitergeht. Gestritten hatte ich mich vorher schon ständig mit ihm. Aber der Kerl war gierig wie eine Krähe und so gemein wie eine Schlange. Er – hat – mich …« Bogarts Kopf rollte auf die Seite. Ich beugte mich erschrocken über ihn. Er atmete noch. Er bewegte auch die Lippen noch, aber er war zu schwach, um noch Worte zu formen, um seiner Stimme Kraft zu geben, so daß das, was er sagte, verständlich geworden wäre. Ich
versuchte, ihm Wasser einzuflößen, aber es lief ihm zu den Mundwinkeln wieder heraus. Er schluckte nicht mehr. »Jeff!« rief ich. »Jeff, hörst du?« Er bewegte die Augenlider schwach. Unvermittelt begann er zu röcheln. Seine Arme bewegten sich ruckartig wie in Krämpfen. Seine Hände fuhren zum Hals hoch. Sein Mund öffnete sich weit. Er schnappte nach Atem wie ein aus dem Wasser gezogener Fisch. Er wand sich. Eine ungeheure Kraft erfüllte seinen Körper. Ich versuchte, ihn festzuhalten, aber es gelang mir nicht. Er wälzte sich keuchend über den Boden, versuchte sogar, noch einmal aufzustehen. Blut sickerte über seinen verschmierten Oberkörper. Die Wunde hatte sich geöffnet. Er schien es nicht zu spüren. Und unvermittelt lag er still. Er schnaufte noch, dann gab er keinen Ton mehr von sich. Als ich mich über ihn beugte; starrten mich gläsern schimmernde Augen an. Jeff Bogart war tot. Ich erhob mich und ging zur Tür. Hier konnte ich nichts mehr tun. Ich war in seinen letzten Minuten bei ihm gewesen, er hatte nicht allein sterben müssen. Jetzt mußte ich reiten, um zu verhindern, daß ein weiterer Mensch starb, der Dundee im Wege stand. Als ich im Hof in den Sattel stieg und nach Osten spähte, konnte ich immer noch keine Reiter entdecken. Der Agent in Fort Dodge hatte wohl noch keine geeigneten Männer gefunden. Ich unterdrückte die aufsteigende Wut und trieb mein Pferd an. Unterhalb der Station fand ich die frische Spur Dundees. Sie führte nach Westen.
11. Es war Mittag. Das Buschland am Fluß lag vor mir. Mein Pferd war erschöpft, und ich spürte erneut Müdigkeit in mir, die wie weggeblasen war, als ich die Detonationen von Schüssen hörte. Das scharfe Peitschen eines Karabiners hallte mir entgegen. Dumpf dröhnte dazwischen das Belfern eines Revolvers. Dundee hatte das Versteck Cargo Flatts gefunden. Aber Flatt lebte noch. Er wehrte sich. Ich kam nicht zu spät. Ich zog das Pferd herum und ritt vom Fluß weg, um das Buschgebiet vom Hügelland aus zu erreichen, so daß ich nicht gleich
gesehen wurde. Als ich zwischen den Hügeln untertauchte, verstummten die Schüsse. Angespannt lauschte ich, während ich dahinritt. War der Kampf schon zu Ende? Oder war nur eine Pause eingetreten? Ich unterdrückte die aufkeimende Nervosität. Ich ritt durch die Hügel bis zum Rand des Buschgebiets. Dann glitt ich aus dem Sattel, nahm das Pferd beim Zügel und führte es hinter mir her. Nach jeweils fünf Schritten blieb ich stehen und lauschte, bevor ich meinen Weg fortsetzte. Unvermittelt begannen vor mir Schüsse zu peitschen. Ich ging sofort in die Knie und zog meinen Revolver aus dem Gürtel. Einer der beiden Schützen befand sich nicht weit von mir. Es mußte Dundee sein. Ich hörte am Klang der Waffe, daß es sich um einen Revolver handelte. Cargo Flatt aber hatte nur einen SharpsKarabiner besessen. Seine Revolverhalfter war leer gewesen. Ich versuchte, Dundees Standort festzustellen. Mein Pferd zurücklassend, schlich ich geduckt durch das dichte Gebüsch, jedes Geräusch vermeidend. Das Peitschen der Schüsse brach wieder ab. Im Unterholz raschelte es. Ich feuerte nach Gehör in das Gebüsch. Jemand fluchte, und ich schoß noch einmal. Dann knackte es ein paarmal, und es wurde still. Getroffen hatte ich ihn wohl nicht, aber jetzt wußte er, daß er es nicht mehr mit nur einem Gegner zu tun hatte, der zudem schwer verletzt war und sich, das konnte ich nur vermuten, nur unter großen Mühen verteidigen konnte. Auch Dundee war verletzt, aber ich durfte ihn nicht noch einmal unterschätzen. Einmal wäre es mir beinahe zum Verhängnis geworden. Diesmal war ich klüger. Ich wechselte sofort lautlos meinen Standort, nachdem ich geschossen hatte. Dundee erwiderte mein Feuer nicht. Auch er verhielt sich still. Zäh verstrich die Zeit. Im Unterholz staute sich die Hitze des Mittags. Schweiß rann mir über das Gesicht. Ich schmeckte ihn salzig auf den Lippen. Meine Glieder wurden langsam steif, trotzdem blieb ich reglos hocken. Um meine Füße wimmelten Ameisen. Ein paar dicke, schwarze Käfer mit glänzendem Panzer rannten geschäftig hin und her. Unweit
von meinem Gesicht ließ sich eine Spinne an einem dünnen Faden von einem Zweig hinunter. Ab und zu knackte es im Gehölz. Manchmal ertönte der Flügelschlag eines Vogels. Es raschelte auf einmal seitlich von mir. Ich fuhr herum und nahm den Revolver hoch. Der Griff der Waffe klebte im Schweiß meiner Hand. Zweige bewegten sich, wieder raschelte und knackte es. Irgend etwas näherte sich mir. Ich legte den Daumen auf den Hammer des Colts. Da tauchte ein struppiges Wesen aus dem Dickicht auf. Shita. Ich atmete auf. Meine Anspannung ließ nach. Ich senkte die Faust mit der Waffe. Shita sprang auf mich zu und winselte vor Freude. Sein Schwanz bewegte sich heftig hin und her. Er drängte den Kopf an mich, und ich kraulte ihn. Seine warme Zunge fuhr mir blitzschnell über die Hände. Er konnte sich kaum beruhigen. Ich sprach mit leiser Stimme auf ihn ein, und er hörte auf zu winseln. Er lief ein paar Yard von mir weg, drehte sich um und blickte mich auffordernd an. Da richtete ich mich auf, holte mein Pferd und folgte ihm. Er führte mich durch das Gesträuch auf den Fluß zu. Ab und zu blieb er stehen, lauschte mit aufgerichteten Ohren ins Dickicht und glitt dann weiter. Ich wußte, ich konnte mich auf ihn verlassen. Wenn er mich führte, gab es keine Gefahr. Wir waren vielleicht zehn Minuten unterwegs, dann öffnete sich das Dickicht vor mir. Ich konnte den Fluß sehen und nahm den Geruch einer kalten Feuerstelle wahr. Als ich hinter Shita durch das Unterholz auf die zum Strom hin offene Lichtung trat, hockte nur wenige Schritte vor mir Cargo Flatt am Boden und zielte mit seinem Sharps-Karabiner auf mich. Er erkannte mich sofort und ließ die Waffe sinken. Der Verband, den ich aus seinem Hemd gefertigt und ihm um den Oberkörper gewunden hatte, war schmutzig, aber er tat noch immer seinen Dienst. Flatt hatte sich seine Jacke über den bloßen Oberkörper gestreift. Ein dunkler Bart bedeckte bereits Kinn und Wangen. Wirr hing ihm sein Haar um den Schädel. Seine Wunde schien ihn jedoch nicht mehr allzu sehr zu behindern. Noch immer
wirkte er hager und stark abgemagert, aber er erinnerte mich kaum noch an den Tag, als ich ihn halbtot hier im Buschland entdeckt hatte. »Du bist zurück?« Er war heiser. »Wo sind die Männer aus Fort Dodge?« »Ich bin allein.« Ich setzte mich ihm gegenüber. »Dieser Dillon, mit dem ich gesprochen habe, hält nicht viel von Arbeit. Als ich Fort Dodge verließ, hatte er noch keine Männer zusammen.« Flatt starrte mich mit offenem Mund an. »Das hat er gesagt?« »Genau das.« Flatt fluchte lästerlich. »Halb so schlimm«, sagte ich. »Es ist nur ein Mann, mit dem wir es zu tun haben. Es ist Dundee, und der ist angekratzt. Er hat Bogart umgebracht, bevor er versucht hat, Sie zu finden.« »Dafür, daß er verletzt ist, ist er verdammt lebendig.« »Er ist zäh«, sagte ich. »Und gefährlich. Wie geht's der Wunde?« »Ich hab den Verband nicht abgelöst«, sagte Flatt. »Aber ich habe kein Fieber mehr, und die Schmerzen sind erträglich. Deine Medizin war gut.« Er grinste. Im selben Moment fiel ein Schuß. Direkt über unseren Köpfen schlug die Kugel in einen Baum und ließ Rindensplitter auf unsere Köpfe regnen. Ich warf mich sofort flach auf den Boden, genau wie Flatt. Auch Shita streckte sich neben der kalten Feuerstelle aus. »So treibt er es, seit er hier aufgetaucht ist«, flüsterte Flatt. »Ich habe ihn bisher nicht zu Gesicht gekriegt, aber er ist immer in meiner Nähe.« »Wenn er uns wirklich gefährlich werden könnte, würde er nicht auf Bäume schießen«, sagte ich. »Ich kriege euch!« erklang in diesem Moment eine Stimme. »Ich weiß, daß ihr jetzt zu zweit seid. Aber ich werde mit euch beiden fertig. Ihr denkt, ich bin erledigt, weil ich allein und verletzt bin. Aber ihr werdet euch wundern.« Ich schoß zweimal in die Richtung, aus der die Stimme ertönte. Die Detonationen verhallten über dem Fluß. Dann erschallte ein höhnisches Gelächter, danach wurde es wieder still.
* Es wurde Abend. Mit dem Colt auf den Knien hockte ich im Gras. Shita lag neben mir. In den vergangenen Stunden hatte Dundee sich nicht mehr gerührt. Es war still geblieben. Mir war klar, daß es seine Absicht war, uns zu zermürben. Gelungen war ihm das nicht. Ich hatte Cargo Flatt von meinen Erlebnissen erzählt, die ich gehabt hatte, nachdem ich von ihm fortgeritten war. Ich mußte ihm erklären, warum ich nicht, wie vereinbart, mit Proviant hatte zurückkehren können. Jetzt schlief Flatt. Ich hätte auch gern geschlafen, aber Flatt war erschöpft von dem Kampf gegen Dundee. Die Verwundung hatte ihn mehr Kraft gekostet, als er eingestehen wollte. Die Dämmerung sank aus der Kuppel des Himmels, die sich im Licht der Abendsonne wie eine Hülle aus geschmiedetem Kupfer über das Land spannte. Schläfrige Trägheit breitete sich in mir aus. Müde lauschte ich dem monotonen Plätschern des Wassers, das leise gegen die sandigen Ufer schlug. Da hob Shita den Kopf und knurrte. Im nächsten Moment knackte es im Unterholz, und durch den Abend krachte ein Schuß. Cargo Flatt schreckte aus dem Schlaf hoch. Ein paar Vögel, die sich in den Zweigen der Bäume niedergelassen hatten, flatterten auf. Sengend heiß strich das Geschoß an meinem Kopf vorbei. Dundees rauhes Lachen ertönte, etwas hohl, wie es mir schien, etwas kraftloser, etwas gezwungener als sonst. Immerhin konnte er noch schießen, das allein zählte. Ich zog den Kopf ein und wartete angespannt. Cargo Flatt kroch hinter mir auf allen vieren zu seinem Gewehr, das neben der Feuerstelle am Boden lag, und wandte sich der Rückseite unseres Camps zu. Die Dämmerung verdichtete sich. Es wurde immer dunkler. Plötzlich knackte es seitlich von mir im Gesträuch. Ich warf den Kopf herum, und in Shitas wütendes Bellen hinein krachte abermals ein Schuß. Ich sah den orangeroten Mündungsblitz aus der Finsternis des Unterholzes auf mich zustechen. Instinktiv ließ ich mich fallen und schoß zurück. Ich sah einen Schatten, dann peitschte wieder ein
Schuß. Cargo Flatt feuerte mit seiner Sharps, und der Schatten im Unterholz lachte und war plötzlich verschwunden. Shita sprang auf und wollte ins Gebüsch stürmen. Ich rief ihn zurück und schrie ihn geradezu an. Er hatte keine Chance gegen einen bewaffneten Mann, und ich wollte nicht schon wieder einen Freund verlieren. Shita war mein Freund. Dann erhob ich mich. Doch sosehr ich in das Unterholz starrte, wo der Schatten Dundees vor wenigen Sekunden noch gewesen war, ich konnte nichts mehr entdecken. Dundee war verletzt, aber schnell wie ein wildes Tier. Cargo Flatt lag stöhnend am Boden. Erst dachte ich, Dundee habe ihn erwischt, dann sah ich, daß er übereilt geschossen hatte. Der Rückschlag hatte ihm den Kolben der Sharps, die er nicht fest genug in Anschlag genommen hatte, gegen die Brust gestoßen. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Ich hockte mich neben ihn und tastete mit spitzen Fingern den Verband ab. Die Wunde war in Ordnung. Er richtete sich auch bereits wieder auf. »Bleib sitzen«, sagte ich. »Ich hole ihn mir.« »Du kannst doch nicht …« Er hob die Rechte, um mich festzuhalten. »Ich war ein Apache«, sagte ich. »Ich weiß, wie man in der Dunkelheit kämpft.« Ich zog meinen Colt und glitt geräuschlos ins Dickicht. Fast Sekunden später sah ich Dundee vor mir auftauchen. Es war nur ein Zufall, daß ich ihn so schnell fand, aber er wollte offenbar von der Westseite an unser Camp heran, und ich versperrte ihm den Weg. Als ich mich aufrichtete, um zu zielen, trat ich auf einen Ast, der knackend unter meinem rechten Absatz zerbrach. Dundee fuhr herum und schoß sofort. Gleichzeitig feuerte ich. Das grelle Mündungsfeuer blendete mich. Schemenhaft sah ich Dundee taumeln und glaubte, daß ich ihn getroffen hätte. Ich schoß abermals, dann deckte er mich mit einer Salve ein, daß ich mich zu Boden werfen mußte, um nicht getroffen zu werden. Ich hörte es im Gebüsch rascheln, brechen und knacken. Dundee schleppte sich davon. Er war getroffen. Jetzt war ich sicher. Aber ich wollte ihm
nicht folgen. Noch war er in der Lage, sich zu verteidigen. Als es still wurde, kehrte ich zu Cargo Flatt zurück.
12. Es blieb die ganze Nacht ruhig. Ich löste mich mit Cargo Flatt beim Wachehalten ab. Jedes Geräusch schreckte uns auf, aber Dundee versuchte nicht mehr, sich an unser Lager heranzupirschen. Ich fühlte mich wie zerschlagen, als sich nach einer mir endlos erscheinenden Kette von Stunden im Osten der Himmel grau färbte und milchige Nebelschwaden über dem Arkansas wallten. Eine lange Nacht ging zu Ende. Mit steifen Gliedern erhob ich mich und ging zum Flußufer hinunter. Hier hockte ich mich hin, schöpfte mit beiden Händen Wasser aus dem Strom und klatschte es mir ins Gesicht. Fröstelnd kehrte ich zum Lager zurück. Das kalte Wasser hatte meine Müdigkeit nicht vertreiben können. Cargo Flatt erwachte, als ich kaltes Fleisch aufschnitt und das Brot in zwei Hälften teilte. »Wie geht es?« Ich schaute ihn an. »Keine Schmerzen«, sagte er. Er griff nach Fleisch und Brot und musterte mich aufmerksam. »Du siehst müde aus.« »Ich bin müde«, sagte ich. »Schlaf jetzt. Ich kann ein paar Stunden wachen.« Ich nickte, aß mein Fleisch, ließ das Brot liegen und streckte mich am Boden aus. Im Nu war ich eingeschlafen. Als ich erwachte, war es Mittag. Die Sonne stand hoch über dem Fluß. Shita wedelte mit dem Schwanz. Er lag zwischen mir und Cargo Flatt und war der einzige, der Wache gehalten hatte. Cargo Flatt hatte vermutlich einen Schwächeanfall erlitten. Kein Wunder für einen Mann, der so schwer verletzt war wie er, und der dennoch in den letzten Tagen mehr Energie hatte aufbringen müssen als ein Gesunder. Er war nicht bei Bewußtsein. Wenn sich in der Zwischenzeit Dundee angeschlichen hätte? Kein angenehmer Gedanke. Auch wenn Shita gebellt hätte, es wäre
vermutlich zu spät gewesen. Ich stand auf. Warum war Dundee nicht erschienen? Die Frage schoß mir plötzlich durch den Kopf. Er mußte die Stille in unserem Lager bemerkt haben. Er besaß einen Instinkt zum Kämpfen. Oder hatte er nicht kommen können? In der Nacht hatte ich noch lange darüber nachgedacht, ob ich ihn getroffen hatte oder nicht. Am Ende war ich selbst im Zweifel darüber gewesen. Jetzt wollte ich es genau wissen. Ich weckte Cargo Flatt nicht und schärfte Shita ein, daß er im Lager zurückblieb. Dann brach ich auf. Ich bewegte mich in die Richtung, in die ich Dundee in der Nacht hatte fliehen sehen. Als ich an die Stelle gelangte, an der wir gekämpft hatten, sah ich einen dunklen Fleck am Boden. Auf ein paar Blättern von tiefhängenden Zweigen klebte verkrustetes Blut. Ich hatte ihn getroffen. Er hatte eine Spur von geknickten Zweigen; zertretenem Laub und kleinen Blutflecken hinterlassen. Es war nicht schwer, ihr zu folgen. Sie führte nach Norden auf die Hügel zu. Hier fand ich schließlich den Killer. Dundee lag unter ein paar Bäumen in einer Bodenvertiefung. Ein Stück abseits stand sein Pferd. Dundee war tot. Er hatte die Beine an den Leib gezogen und war in dieser Haltung erstarrt. Die Leichenstarre war bereits eingetreten, er mußte seit Stunden tot sein. Er war hart gestorben. Noch im Tode waren seinem Gesicht die Schmerzen anzusehen, die er hatte erdulden müssen. Sein Mund stand weit offen. Ein dünner Blutfaden war aus dem linken Mundwinkel gesickert und auf dem Kinn verkrustet. In den Augen spiegelte sich der heiße Himmel. Ich ließ ihn liegen. Er war zu schwer, als daß ich ihn hätte allein auf den Rücken seines Pferdes legen können. Ich kehrte zum Lager zurück. Cargo Flatt erwachte gerade. Er blinzelte in die Sonne und fuhr dann erschrocken hoch, als mein Schatten auf ihn fiel. »Tut mir leid.« Er schaute mich nicht an. »Ich weiß nicht, was mit mir los war, aber …« »Sie haben mehr ertragen als andere, die längst aufgegeben
hätten«, sagte ich. »Außerdem war Shita noch da.« Ich setzte mich und packte unsere Sachen zusammen. »Wir können los«, sagte ich dann. »Wenn Sie sich stark genug fühlen, um zu reiten.« »Reiten?« Er schaute mich verwirrt an. »Dundee ist tot«, sagte ich. * Wir erreichten die Station gegen Abend und wurden von fünf Männern empfangen, die bis an die Zähne bewaffnet waren und sich darauf vorbereitet hatten, einer Horde Banditen eine wilde Schlacht zu liefern. Dillon hatte also in Fort Dodge doch noch ein paar Leute aufgetrieben. Sie waren erst am Morgen eingetroffen und schienen fast ein wenig enttäuscht zu sein, daß schon alles vorbei war. Mir war das alles egal. Ich suchte meine alte Kammer auf und legte mich ins Bett. Dann schlief ich bis zum nächsten Morgen. Am anderen Tag traf ich Cargo Flatt im Aufenthaltsraum. Er trug ein frisches Hemd und hatte sich rasiert. Es schien ihm prächtig zu gehen. »Morgen fahre ich zurück nach St. Joseph«, sagte er. »Wie ist es, begleitest du mich? Mein Angebot gilt. Wir brauchen Leute wie dich.« Ich überlegte. Das Angebot war verlockend. Aber ich zögerte. Nach den Erfahrungen, die ich hier am Arkansas gesammelt hatte, wollte ich es erst einmal woanders versuchen. »Ist es egal, wann ich mich wieder melde?« »Wenn du nicht mit mir fahren willst – sicher kannst du kommen, wann du willst. Du kennst mich, und du weißt, zu welcher Kutschengesellschaft ich gehöre. Wenn du in St. Joseph bist, brauchst du nur nach mir zu fragen.« »Das werd ich tun.« Ich schaute mich noch einmal in der Station um. »Du hast für Bogart gearbeitet, kriegst du noch Geld?« hörte ich Flatt hinter mir fragen.
»Zwölf Dollar im Monat«, sagte ich. Flatt griff in die Tasche und zog zwei goldene Zwanzigdollarstücke heraus. »Mehr habe ich nicht bei mir. Du hast dir dein Geld redlich verdient.« Ich zögerte, dann nahm ich es an. Er hatte recht. Immerhin hatte ich meinen Kopf riskiert. Ich nickte ihm zu. Dann ging ich hinaus. Der Abschied sollte kurz und schmerzlos verlaufen. Shita sprang neben mir her. Mit einem Proviantbündel versehen zog ich nordostwärts. Ich hatte wieder kein Ziel, aber ich fühlte mich frei, und das war ein gutes Gefühl. Vielleicht würde ich nach St. Joseph gehen. Ich wußte nicht, wie weit es bis dorthin war. Aber es war gut zu wissen, daß es einen festen Punkt auf dieser Welt gab, den ich ansteuern konnte, wenn ich wollte, und wo ich eine Bleibe finden konnte. Der Wind der Savanne umstrich mich und Shita. Er war voller Leben, erfüllt von dem Duft der weiten Wildnis. Hier gehörte ich hin, das spürte ich. Ohne mich umzuschauen ging ich meinen Weg …
ENDE
Vorschau Wieder krachten Schüsse. Wütendes Geschrei war von den Schießern zu hören. Harte Schritte wurden laut. Ronco und Lobo hasteten weiter, auf den nächsten Hinterhof zu. Carmoly wimmerte nicht mehr, hüpfte auf seinen krummen Beinen, so schnell er konnte. Das Gebrüll der aufgewiegelten Bürger schien jetzt von allen Seiten zu kommen. Sie kannten ihre Stadt, und sie wußten, wie man diese Stadt zielstrebig durchsuchte und abriegelte. Die Chancen der Freunde schmolzen dahin. Ronco wußte, daß ihr Leben keinen Cent mehr wert war, wenn sie der tobenden Meute in die Hände fielen. Ihnen blieben höchstens noch Minuten. Minuten, die sie nutzen mußten, um ein sicheres Versteck zu finden. Denn es gab keinen anderen Ausweg. Und selbst diese Möglichkeit erschien wie der Strohhalm, nach dem der Ertrinkende greift … Die Jagd auf Ronco, den Geächteten, geht weiter. Lesen Sie nächste Woche Band 181 dieser großen deutschen WesternSerie:
Terror in Wayside