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Silber � Dollar � ar Nr. 29 � 29
H.C. Nagel �
Verrat am Big Horn �
Sahara
Als Chuck Diamond seinen Grauschimmel an der Haltestange festgebunden hat, geht er die wenigen Stufen des hölzernen Gehsteigs hinauf. Er stößt gegen die halbhohe Pendeltür des ›Last Frontier‹-Saloons, die weit aufschwingt. Mit dem ersten Blick erkennt er, daß seine Befürchtungen wieder einmal eingetreten sind: Sunny Morgan sitzt inmitten einer schweigsamen Pokerrunde. Jede seiner dreihundertvierundsechzig Sommersprossen scheint das Grinsen, das seine Mundwinkel den Ohren beängstigend nahe bringt, noch zu stärken. Das ist aber auch das einzige grinsende Gesicht der Runde. Die drei Mitspieler, darunter Cedrick Felton, der Townmarshal von Grey Bull, sehen mit mürrischem Gesicht zu, wie Sunny den Pot einstreicht. Und es ist zweifellos nicht das erstemal, daß Sunny diese einnehmende Handbewegung ausführt, das beweist der ansehnliche Haufen von Dollarstücken, die vor ihm auf dem Tisch liegen. »Have a drink, friends – nehmt einen Schluck, Freunde«, lädt Sunny großzügig die Verlierer zu einer Runde ein. Aber auch der scharfe Stoff, den sie hinunterkippen, hellt ihre Mienen nicht wesentlich auf. »Das ist schon kein Schwein mehr, Morgan, das ist eine Mordssau, die Sie beim Poker haben. Hier, nehmen Sie selbst mal die Bank. Schlechtere Karten als ich sie mir selbst ausgeteilt habe, können Sie mir auch nicht geben«, sagt der Marshal und schiebt Sunny das Kartenpäckchen zu. Spielerisch biegt der die Karten zwischen den Händen, läßt sie dann mit einer Hand knatternd nach vorn schnellen und legt sie wieder auf den Tisch. »Ich brauche eine kleine Pause«, grinst er dann die Mitspieler an und geht nach hinten, wo eine Tür die Aufschrift »Gentlemen« trägt. Einer der Mitspieler geht nach einer Weile hinterher, während der Marshal und der dritte Mann sich über Poker im 2 �
allgemeinen und Sunnys Glück unterhalten. Chuck Diamond benutzt die Pause, um sich an einem leeren Tisch, ein kurzes Stück von der Pokerrunde entfernt, niederzulassen. Seine Augen fangen mit schnellen Blicken alles Sehenswerte im Saloon ein. Über dreißig Fuß lang ist die polierte Mahagoni-Bar, an der sich die Bewohner der kleinen Rinderstadt Grey Bull und die Boys der umliegenden Ranches die harten Schnäpse hinter die Binde kippen. Das Orchestrion hat seine liebe Not, mit seinen quäkenden Tönen gegen den Lärm anzukommen, den die Männer dabei veranstalten. Eilfertig schenken die zwei Barmänner die Gläser nach. Zwei »Ladies«, leichtgeschürzt und aufgetakelt, die offensichtlich eigentlich gar keine Ladies sind, sorgen dann dafür, daß die Gläser schnellstens wieder geleert werden. Diese beiden Barmädchen sind der Grund, weshalb die holde Weiblichkeit von Grey Bull verachtungsvoll auf Bess Avaron, die Besitzerin des »Last Frontier«, herabblickt. Verdammt, und keine von diesen alten, moralinsauren Schachteln kann ihr das Wasser reichen, denkt Chuck Diamond, als er zu dem linken Ende der Bar hinüberblickt, wo Bess hinter ihrer Kasse sitzt. »Reddy«, das ist der Name, unter dem die rothaarige Bess Avaron bekannt ist, thront hinter ihrer Kasse wie eine Königin. Sie trägt in bezug auf Schulterfreiheit so ziemlich das tollste Kleid, das ich jemals gesehen habe, spinnt Chuck seine Gedanken fort. Er sieht sie aus vollem Hals in der Runde der Männer mitlachen, die ihre Kasse umlagert. Wirklich, Zimperlichkeit ist so ziemlich das letzte, was man Bess Avaron zum Vorwurf machen kann. Trotzdem versteht sie immer jenen letzten Rest von Abstand zu wahren, der sie von der üblichen Art der Barmädchen unterscheidet. Sie weiß eben ganz genau, was sie will, besser gesagt, sie weiß, was sie nicht will. Da kehrt Sunny Morgan von seinem Ausflug zurück. Mit einem leichten, erstaunten Heben der Augenbrauen quittiert er 3 �
Chucks Anwesenheit, läßt sich aber ohne ein Wort wieder an seinem Pokertisch nieder. »Well, Leute, machen wir blind die Einsätze«, sagt er und schiebt mehrere Dollarstücke zur Mitte des Tisches. Erst als der schnauzbärtigeMarshal, der eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Walroß hat, ebenfalls seine Dollars dazulegt, folgen auch die anderen seinem Beispiel. Erst als alle ihren Einsatz gemacht haben, nimmt Sunny die Karten auf, die bis dahin unberührt vor ihm auf dem Tisch lagen. Die Männer schauen auf seine Hände, die mit taschenspielerischer Geschicklichkeit die Karten mischen. Sunny läßt das Päckchen von seinem Nebenmann abheben und teilt die Karten aus. Nur einen kurzen Blick wirft er unter sein eigenes Blatt, dann wartet er auf die Kartenwünsche seiner Mitspieler. Erst als alle mit Austauschkarten versorgt sind, schiebt er auch seinerseits zwei Karten zu den abgelegten Blättern und nimmt sich dafür zwei neue. Chuck Diamonds Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen. Was keiner der Mitspieler gesehen hat, ist seinen Augen nicht entgangen. Nur eine der Austauschkarten, die Sunny genommen hat, stammt aus dem Kartenpäckchen, die zweite kam – aus Sunnys Ärmel. Dieser dreimal verfluchte Windhund, denkt Chuck. In Zukunft muß ich noch besser auf ihn aufpassen als bisher. Aber Chuck denkt nicht daran, einzugreifen, und beobachtet weiter, was dort am Nebentisch geschieht. Zwei-, dreimal wird der Einsatz erhöht, dann steigen zwei Mann aus. Nur Felton und Sunny Morgan bleiben im Spiel. Es müssen fast hundert Dollar auf dem Tisch liegen, als sie endlich die Karten aufdecken. Chuck sieht, wie Feltons Hals anschwillt und eine dunkelrote Färbung annimmt. Die Röte breitet sich rasch über sein ganzes Gesicht aus. »Hölle, Morgan, Sie spielen falsch!« 4 �
Das ist die schwerste Beschuldigung, die man beim Spiel gegen einen Mann vorbringen kann, und Feltons Revolver verleiht dieser Beschuldigung Nachdruck. »Nicht auf die Magengrube zielen, Marshal. Dann wird mir immer gleich so lächerlich ums Gemüt«, lächelt Sunny den Marshal ruhig an und macht mit der Hand eine wedelnde Bewegung, so, als ob er dadurch den Revolverlauf ablenken könnte. Chuck kann die Ruhe seines Freundes nur still bewundern. Dieser sommersprossige Sunny Morgan hat falsch gespielt, das hat er selbst gesehen. Jetzt ist er gespannt auf dessen weitere Verteidigung. Da Felton noch nichts weiter gesagt hat, wendet sich Sunny den übrigen Mitspielern zu. »Hat vielleicht von Ihnen auch jemand etwas dazu zu sagen? Oder wollen Sie mir nicht sagen, Marshal, wie ich das gemacht haben soll?« Deutlich ist Feltons plötzliche Unsicherheit zu erkennen. Er druckst eine Weile herum, bis er schließlich heiser hervorstößt: »Es ist ein überzähliges As im Spiel!« Er zeigt auf die aufgedeckten Karten. Sein Blatt besteht aus drei Königen, einem As und einer Sieben. Vor Sunny liegen drei Asse und zwei Neunen. Als ob er die harten Worte des Marshals entschuldigen wollte, zuckt Sunny die Schultern. »Ich sehe hier vier Asse. Woher wollen Sie also wissen, daß noch ein überzähliges im Spiel ist?« Wieder dauert es eine ganze Weile, bis Felton endlich krächzt: »Ich habe ein As abgelegt.« »Soooo…?« Beißender Spott liegt in Sunnys Tonfall. Scharf wendet er sich dann an die beiden Mitspieler, die hinter ihren Stühlen stehen und jede seiner Bewegungen genau beobachten. »Habe ich die abgelegten Karten angerührt?« Als er keine Antwort erhält, nimmt seine Stimme an Schärfe 5 �
noch erheblich zu, als er zum zweiten Male fragt: »Los, raus mit der Sprache, habe ich die abgelegten Karten angerührt?« Beide schütteln schließlich stumm den Kopf. »Well«, sagt Sunny und schiebt beide Ärmel empor. Mit spitzen Fingern legt er dann eine Karte nach der anderen um. Es ist kein As unter den abgelegten Karten! Ohne Zögern greift Sunny nun nach den Blättern der Mitspieler und deckt sie auf. Kein As! Schließlich wendet er auch die restlichen Karten um, die nicht mit im Spiel waren. »Sie werden alt, Felton! An Ihrer Stelle würde ich mir beizeiten eine Brille zulegen. Wird zwar nicht gut aussehen, ein Marshal mit Brille, aber die Gesundheit geht schließlich vor, meinen Sie nicht? – Hier liegt ein komplettes Kartenspiel. Keine Karte zu viel und keine zu wenig. Wie ist es also, wollen Sie sich höflichst entschuldigen?« Die Röte in Cedrick Feltons Gesicht ist einer unwahrscheinlichen Blässe gewichen. »Ich – ich – muß mich geirrt haben.« Seine Worte sind kaum zu verstehen, so gepreßt kommen sie aus seinem Mund. »Sorry, Marshal, das ist keine Entschuldigung! Daß Sie sich geirrt haben, kann jedermann auch ohne Ihr Reden feststellen. Sie müssen schon etwas deutlicher werden!« In der Stille, die diesen Worten folgt, hört es sich fast wie ein Bellen an. »Es tut mir leid!« Im gleichen Augenblick hat Felton auch schon nach seinem Hut gegriffen, dreht sich um und verschwindet mit gewollt festen Schritten durch die Pendeltür. Während sich der Halbkreis von Männern, der sich um den Pokertisch gebildet hat, wieder auflöst, streicht Sunny grinsend 6 �
seinen Gewinn und den Pot in seinen Hut. »Für heut machen wir wohl Schluß, Leute«, wendet er sich den beiden anderen Mitspielern zu, die schweigend nicken und zur Bar gehen. »Hallo, Boß!« Sunny kommt zu Chucks Tisch hinüber, angelt sich einen Stuhl und beginnt, sein Geld in einem Beutel zu verstauen. Chuck sieht ihm eine ganze Weile zu. Erst als Sunny seinen Beutel verschnürt, klingt leise und gedehnt, aber mit einem drohenden Unterton seine Stimme auf. »Sunny, hast du falsch gespielt?« Mit einem schnellen Blick vergewissert sich Sunny, daß niemand so nahe an ihrem Tisch ist, daß er seine Worte hören könnte. »Sure, Boß!« Er sagt es so ganz leicht hin, so, als ob Chuck ihn eben gefragt hätte, wie spät es ist. »Und wo ist das überzählige As?« Da beginnen die Sommersprossen in Sunnys Gesicht zu tanzen, so unverschämt feixt er zu Chuck hinüber. »Im Ärmel des Marshals, Boß!« Chuck Diamond ist bei seinem Freund an Überraschungen gewöhnt, aber diesmal weiß er sich keinen Reim auf seine Worte zu machen. Fragend blickt er Sunny an. Der grinst unentwegt weiter, beginnt aber mit leiser Stimme zu erklären: »Felton, dieser Stinkfisch, hat die ganze Zeit verloren, ehrlich verloren. Ich konnte dem alten Geizhals seinen Ärger ansehen. Bevor er mir die Bank abgab, ließ er eine Karte aus dem Spiel verschwinden, in seinen Ärmel, versteht sich. Als ich dann das Päckchen durchblätterte, sah ich, daß er sich das Herz-As geangelt hatte. Da bin ich mal rausgegangen. Du weißt, daß ich 7 �
immer ein Kartenspiel bei mir habe, das gleiche, daß wir hier hatten. Well, ich habe mir auch ein Herz-As in den Ärmel gesteckt. Es war sein Pech, das meine Karte eher im Spiel war als seine. Er wollte wohl, aber er ist eben ein Anfänger. Ich hatte ihn immer so im Auge, daß er sich nicht traute, es hervorzuzaubern. Jetzt wird er vor Wut platzen. Er weiß genau, daß ich den gleichen Trick angewandt habe wie er, aber er konnte es nicht sagen. Er hatte vor Angst Hummeln in der Hose, daß ich vielleicht nach seinem Ärmel greifen könnte. Du hast ja gesehen, wie schnell er verschwand!« Mit gedämpfter Stimme hat Sunny diese Erklärung abgegeben. Seine Augen glitzern vor Schadenfreude über den hereingelegten Marshal. Auch Chuck verzieht nun seinen schmalen Mund zu einem sparsamen Lächeln. »Wenn das so ist, dann all right, Sunny! Dieses Walroß kann es gut vertragen, daß es mal eins auf die Nase gekriegt hat. Vor Stolz wäre ihm sonst noch mal der Kragen geplatzt. – Aber jetzt zur Sache, Freund. Du hättest schon mittags auf der Ranch sein sollen. Meiner Schätzung nach hast du die fünfzig Pferde schon vor drei Tagen abgeliefert. Das Geld, das du dafür bekommen hast, war doch sicher dein Anfangskapital bei diesem Spiel, habe ich recht?« Sunny kramt unter seinem Hemd und holt schließlich eine dünne Ledertasche heraus, die er an einem schmalen Riemen um den Hals trägt. Er entnimmt ihr ein Bündel Geldscheine, zählt sie Chuck vor und legt schließlich aus seinem eigenen Beutel noch fünfzig Dollar dazu. »Da ist das Anfangskapital wieder zurück, Boß! Es hat sich bei mir heute prächtig verzinst.« Lächelnd schiebt Chuck die fünfzig Dollar wieder zu ihm zurück. 8 �
»Das ist dein Treiberlohn. Ich wußte, daß du nicht mehr davon nehmen würdest als dir zustand, old fellow!« »Darf man die Gentlemen bei dieser angenehmen Beschäftigung des Geldzählens stören?« Chuck schließt den Knopf seiner Brusttasche, in der er das Geld verwahrt hat, springt auf und wendet sich der dunklen Stimme zu, die ihn überrascht hat. Seinem Beispiel folgend, erhebt sich auch Sunny. »Sie sind seit langer Zeit der erste Mann, der vor mir aufsteht, Chuck«, sagt Bess Avaron. »Du, Chuck, ich hätte noch was zu erledigen. Treffen wir uns doch in einer knappen Stunde am Stadtausgang«, redet Sunny dazwischen. Ohne eine Erwiderung abzuwarten, zieht er vor Bess seinen Hut und räumt das Feld. Erst jetzt findet Chuck Worte. »Setzen Sie sich doch, Bess!« Er tritt hinter sie und rückt ihr den Stuhl zurecht. Dann erst setzt er sich ihr gegenüber. Mehr als er ihn empfindet, ahnt er den verlockenden Duft, der von dieser Frau ausgeht. Er sieht das weiche, vollendete Rund der Schultern, die sich aus dem weiten Ausschnitt des Kleides herausheben. »Was wird Ihre Braut dazu sagen, daß Sie hier vor allen Leuten allein mit mir am Tisch sitzen?« fragt Bess und wirft eine widerspenstige Haarsträhne, die ihr rot wie eine Flamme ins Gesicht baumelt, unwillig zurück. »Sie sollten nicht so ironisch fragen, Bess! Lilly Comstock ist nicht so kleinlich wie die anderen Leute dieser ehrenwerten Stadt. Daß wir zwei befreundet waren, schon lange, bevor ich mich mit ihr verlobte, weiß sie. Deshalb wird es ihr nichts ausmachen, wenn sie erfährt, daß ich hier mit Ihnen gesessen habe.« »Schon gut, Chuck. Ich will Sie in Ihrem Glauben nicht beirren. 9 �
Mir ist nur aufgefallen, daß Sie seit Ihrer Verlobung mit Lilly Comstock nicht mehr hiergewesen sind. Darüber habe ich mir Gedanken gemacht. Und Ihr guter Marmaduke hat nur Porzellan zerschlagen, wenn er zum Einkaufen in die Stadt kam.« Verständnislos schaute Chuck das Mädchen an. »Porzellan zerschlagen?« »Ja, wie wollen Sie es sonst nennen, wenn er jedem in der Stadt den Südstaaten-Captain Chuck Diamond, Sproß einer vornehmen Großgrundbesitzerfamilie, als strahlendes Beispiel eines wahren Gentleman vorhält.« Chucks Mundwinkel ziehen sich zu einem bitteren Lächeln herab. Er muß bei Bess Worten an die völlig verwüstete und verbrannte elterliche Plantage denken, die er bei seiner Heimkehr nach dem Sezessionskrieg vorfand. Verwüstetes, ödes Land, Ruinen – und Marmaduke, den riesenhaften Neger, der in unwandelbarer Treue auf seinen Herrn gewartet hatte. Ohne finanzielle Mittel, ohne Arbeitskräfte wäre es unmöglich gewesen, die Plantage wieder aufzubauen, zumal in einem Land, in dem die Not nach einem verlorenen Krieg eingekehrt war und wo Korruption das politische Feld beherrschte. Ja, er hatte alles verkauft und war mit Marmaduke nach Norden gezogen, bis hierher nach Wyoming, ins Big Horn Basin, wo er auf einer Bergfalte seine kleine Pferderanch aufbaute. »Hallo, Gentleman, wo sind Sie?« ruft ihn Bess wieder in die Wirklichkeit zurück. »Entschuldigen Sie bitte, Bess. Ich mußte gerade daran denken, um wieviel rauher es hier zugeht. Glauben Sie mir, ich kann auch mächtig rauh werden – ohne meine guten Manieren dabei abzulegen.« Mit ihrer dunklen, etwas guttural klingenden Stimme lacht Bess auf. »Da haben wir es! Immer Gentleman! Immer dem anderen die 10 �
Chance geben, die Ihnen selbst kein Mensch einräumen würde. – Das hat mit Manieren nichts mehr zu tun, Chuck, das ist Dummheit.« Einen Augenblick überlegt Bess, um dann hinzuzufügen: »Oder auch Eitelkeit!« Eine leichte Röte steigt in Chucks Gesicht, bevor er antwortet: »Mag sein, Bess, aber ich glaube, ich kann mich nicht mehr ändern.« »Schon gut, mein Freund. Eigentlich bin ich aus einem ganz anderen Grund zu Ihnen an den Tisch gekommen. Sehen Sie, Chuck, in einem Saloon erfährt man Neuigkeiten schneller als anderswo, wo der Alkohol nicht den Männern die Zunge lockert. Es waren heute zwei Burschen von der C-Ranch hier. Wenn ich sie richtig verstanden habe, will der große William D. Comstock auf den Kriegspfad ziehen. Obgleich der größte Teil seiner Weide auf Regierungsland liegt, will er jeden Maverickjäger davonjagen. Ich habe mir gedacht, daß Sie das interessieren würde.« Chuck stutzt bei ihren Worten einen Augenblick, dann schüttelt er den Kopf. »Das ist doch Unsinn, Bess. Die Burschen haben sicher zuviel getrunken. William D. wird sich doch nicht ins Unrecht setzen und Ansprüche auf die Regierungsweide erheben, die ihm nicht zustehen. Seit Jahren werden die Mavericks von dem gebrändet, der sie findet. Das wird auch Comstock nicht ändern können. Wenn ich nicht irre, sind Sie doch auch daran interessiert. Sie haben doch mit Ihrer Cattle-Transport-Company immer recht gut beim Ankauf der Mavericks verdient.« »Sicher, Chuck, sicher! Aber noch mehr daran interessiert sein müßte Sunny Morgan. Von ihm hat die Company immer die. weitaus größten Maverick-Herden übernommen.« Chuck nestelt an seiner Tasche und legt ein Dollarstück auf den Tisch. Dann greift er nach seinem verbeulten hellgrauen 11 �
Armeehut. »Es wird nicht so schlimm sein, Bess. Jedenfalls danke ich Ihnen für den Tip. – Ich muß jetzt gehen, damit ich Sunny nicht verpasse. Er stellt sonst noch mehr Unfug an. So long, Bess!« Er reicht dem Mädchen die Hand und spürt ihren ruhigen und festen Händedruck. Bess Avarons langer, überlegener Blick, den sie ihm zuwirft, ist nicht zu deuten. Zu sehr hat diese Frau ihr Mienenspiel in der Gewalt, als daß ihre Gefühle in ihrem Gesicht abzulesen wären. Aber im gleichen Augenblick erkennt Chuck in ihren Augen jene Erregung, die nur ein plötzlicher Schreck bei ihr hervorzurufen vermag. Und dann ist da eine Hand, die sich auf seine Schulter legt. Chuck macht sich ganz steif. Wenn er etwas sehr haßt, so ist es eine plump-vertrauliche körperliche Berührung. Er macht keine Bewegung. In seinem Nacken ist ein eigenartiges Kribbeln, so, als wenn sich seine Haare sträubten. »Sieh mal einer an, der stolze und tugendhafte Chuck Diamond, erster Anwärter auf die Hand meiner Schwester, im traulichen Gespräch mit seiner Flamme!« »Ich meine, du solltest deine Worte etwas sorgfältiger wählen, Dan Comstock! Ich weiß, daß dir die Sache zwischen mir und Lilly nicht recht ist, aber du solltest dich in der Öffentlichkeit etwas mehr zusammennehmen.« Irgend etwas in Dan Comstocks Gesicht erinnert an den Ausdruck eines wütenden Büffels. Er schüttelt den Kopf, als wenn er Chucks Worte noch nicht erfassen könnte. Chuck sieht ihm starr ins Gesicht, das vom Alkohol gerötet ist. »Hör zu, Diamond, es genügt mir vollauf, wenn ich tagtäglich von meinem Alten dich als Vorbild hingestellt bekomme. Auf deinen verdammten Rat kann ich verzichten, du Musterknabe! Ich mache meinen Mund auf, wann und wo und so weit ich will. Und jetzt will ich, verdammt noch mal! Wenn du schon mal mit 12 �
meiner Schwester verlobt bist, dann laß gefälligst die Finger von anderen Weibern. Jeder in der Stadt weiß, daß du früher mit Reddy befreundet warst. Jetzt möchtest du wohl die Freundschaft verstärkt wieder aufleben lassen, was?« Chuck hört das erregte Atmen Bess Avarons in seinem Rücken. Sein Gesicht ist bleich geworden, und seine Zähne nagen in mühsamer Beherrschung an seiner Unterlippe. »Hör auf, Dan! Ich sage dir, hör auf. Du bist Lillys Bruder, aber du hast dein Limit schon überschritten. Es gibt Sachen, die ich mir auch von dir nicht sagen lasse.« Etwas begütigend fährt er dann fort: »Sei vernünftig, Dan. Du hast getrunken. Reite zurück auf deine Außenstation und laß uns die Sache vergessen.« Dan Comstock lacht kurz und höhnisch auf. »Vergessen! Vergessen hast du gesagt!« Ein unruhiges Feuer flackert in seinen Augen. »Ich will dir etwas sagen, Chuck Diamond. Niemals werde ich zulassen, daß ein verdammter, dreckiger Südstaaten-Rebell meine Schwester zur Frau bekommt. Du streckst die Nase viel zu hoch in den Wind. Es ist höchste Zeit, daß du auf deine richtige Größe zurechtgestutzt wirst.« Chuck öffnet seine Gürtelschnalle. »Tragen wir es also gleich aus, Dan. Vielleicht siehst du dann die Sache mit anderen Augen.« Verächtlich spuckt Dan Comstock auf den Boden und legt auch seinerseits den Waffengurt ab. »Du hast dir eine schlechte Gelegenheit ausgesucht, Diamond, um dich bei Reddy hervorzutun. Ich trete dich vor ihr in den Dreck und mache dich so fertig, daß dir die Lust vergeht, auch nur einen Tag länger in Wyoming zu bleiben.« »Rede nicht soviel, Dan. Come on, ich bin dir was schuldig.« Eiskalt erwartet Chuck den Ansturm Dans, der wie ein gereizter Büffelbulle vor ihm steht, ihn mit seinem Gewicht zu erdrücken droht. 13 �
Mit einer wilden Doublette eröffnet Comstock den Kampf. Die Rechte streift nur Chucks Ohr, die Linke knallt wuchtig auf Chucks Herzgrube und nimmt ihm den Atem. Als wenn ihm die Luft abgeschnürt wäre, japst Chuck auf und zieht gierig den Atem ein. Mit knapper Not entgeht er einem weithergeholten Schwinger, der ihn von den Beinen gerissen hätte, wenn er sein Ziel getroffen hätte. Einige Augenblicke muß sich Chuck auf die Verteidigung beschränken, dann ist er wieder fit. Die ersten Konter knallen glashart auf Comstocks Rippen, immer schneller werden Chucks Bewegungen. Wie ein Irrwisch taucht er unter Dans Schlägen weg, fintet, setzt nach und trifft immer wieder. Comstock ist glatt zwanzig Pfund schwerer als Chuck, dementsprechend sitzt immer noch ein unheimlicher Dampf hinter seinen Schlägen, denen Chuck mit raschen Sidesteps zu entgehen sucht. Nachdem sein überraschender Anfangserfolg verpufft ist, stellt sich Comstock mehr und mehr auf Chucks Kampfweise ein. Er wird vorsichtiger und überlegter. Trotzdem bleibt er im Angriff. Aber Chuck ist schnell, seine gestochenen Linken kommen unvorhergesehen, treffen Comstocks Lebergegend und Magengrube. Rasselnd geht dessen Atem. Als Chuck einen Haken auf kürzeste Distanz angebracht hat, reißt Comstock die Arme hoch, umklammert ihn und reißt ihn mit seinem Gewicht von den Beinen. Eine blitzschnelle Wendung von Chucks Kopf rettet sein Gesicht vor einem wuchtigen Hieb, den Comstock von oben herabschmettert. Es gibt einen knirschenden Laut, als die Knöchel der Faust auf die Dielen aufprallen. Dan Comstock stöhnt wild auf. Einen Augenblick krümmt er sich vor Schmerz zusammen. Diese Zeitspanne genügt Chuck, um sich zur Seite zu rollen und wieder auf die Beine zu kommen. Er hätte jetzt die Gelegenheit, dem Kampf ein kurzes und hartes Ende zu machen. Dan Comstock kniet noch vor ihm am Boden. Wild stiert er erst auf 14 �
die Dielen und dann auf die Knöchel seiner rasch anschwellenden Hand. Chucks Atem geht kurz. Sein Gesicht ist vom Kampf gerötet, aber ein seltsam verhaltenes, spöttisches Lächeln spielt um seine Mundwinkel. »Wie hart bist du eigentlich, Dan Comstock? Du wolltest mich doch in den Dreck treten. Fang an damit!« Chuck steht jetzt mit dem Rücken zur Bar, an der die Männer weit zur Seite zurückgewichen sind. Mit schwimmenden Augen starrt Comstock ihn an, kommt langsam wieder hoch. Aber Comstock ist wirklich hart. Verbissen ringt er gegen den Schmerz in seiner Hand, senkt den Kopf und fegt mit wildem Ansturm erneut auf Chuck zu. Glashart kommt der Uppercut, der seinen Schädel hochreißt, aber er ist nicht aufzuhalten. Rücksichtslos spielt er seine körperliche Überlegenheit aus, quetscht Chuck gegen die Bar, die unter ihrem Anprall ächzt. Mit einem blitzschnellen Ruck stößt sich Chuck von der Bartheke ab, schiebt Comstock vor sich her, löst sich und schlägt zwei, drei blitzschnelle Haken. Ächzend stößt Comstock die Luft aus. Er taumelt rückwärts, erbarmungslos von Chuck verfolgt. Wieder landet ein Punch in seiner Magengrube, Comstock knickt nach vorn ein. Einen kurzen Augenblick scheint Chuck zu zögern, dann läßt er seine Handkante hart und trocken in Comstocks Nacken krachen. Ohne einen Laut sackt der zusammen, patscht auf den Boden. Er rollt auf den Rücken und bleibt liegen. Die Stille im Raum ist fast mit einem Messer zu schneiden. »Well, das war’s also«, sagt Chuck und hebt seinen Hut auf. Er staubt ihn sorgfältig ab und schiebt ihn auf den Hinterkopf. Sein Gesicht ist unheimlich ruhig und beherrscht. Einen kurzen, beruhigenden Blick wirft er Bess Avaron zu. Dann schnallt er seinen 15 �
Gurt um und geht durch die zurückweichenden Männer hinaus. Elastisch wie immer, schwingt er sich in den Sattel. Er spürt das Zerren und Reißen in seiner Brust, das Stechen in seiner Schläfe, die ein Schwinger Comstocks gestreift hat. Aber nichts auf der Welt würde ihn dazu bewegen, seine Not vor den anderen zu zeigen. Chuck Diamond ist nun mal so. Als er sein Pferd aus der Reihe der angebundenen Gäule herauslenkt, sind seine Gedanken schon wieder mit anderen Dingen beschäftigt. * Mit übereifrigen Bücklingen komplimentiert Ben Wheeler eine Lady zur Tür seines Stores hinaus. Er ist ein feister, fast schwammiger Mann, der Besitzer des General-Stores von Grey Bull. Trotzdem bewegt er seinen massigen Körper mit einer wieselhaften Flinkheit. Der spärliche Rest eines Haarkranzes bedeckt den äußeren Rand seines ansonsten glattpolierten Schädels. Wie zerzauste Fransen umgeben diese wenigen Haare seine Mondscheinglatze. Sein rundes Gesicht weist große Ähnlichkeit mit den rosigen, zerknitterten Zügen eines Säuglings auf. »Good evening, Mistreß Warner!« sagte Chuck Diamond, der gerade in diesem Augenblick am Store vorbeireitet, und zieht den Hut. – Der Kampf, den er noch vor wenigen Minuten ausgetragen hat, ist vergessen. Ein hochmütiges Nicken mit dem Kopf ist der Dank für seinen Gruß. Mit schnellen Schritten rauscht die würdige, aber spitznäsige Matrone, die Gattin des Bürgermeisters von Grey Bull, auf dem hölzernen Gehsteig davon. »Essiggurke«, knurrt Chuck leise vor sich hin und bringt damit seine wahre Meinung über Mistreß Warner zum Ausdruck, der 16 �
man nachsagt, daß ihre Zunge an Schärfe einem Rasiermesser kaum nachsteht. »Hallo, Diamond, auch nach langer Zeit mal wieder in der Stadt?« Chuck drängt sein Pferd näher an den Store heran und blickt zu Wheeler hinüber, der ihn so angerufen hat. »‘n Abend, Wheeler, verehrter Handelsmann. Marmaduke wird in den nächsten Tagen bei Ihnen vorbeikommen, um einzukaufen und die Rechnung zu bezahlen. Ich habe eine Pferdeherde verkauft, da reicht das Geld wieder für eine Weile.« Großzügig winkt Wheeler mit der Hand ab. »Das hat nicht solche Eile, Diamond. Aber wenn er schon einkauft, sollte er vielleicht sofort für Sie einen neuen Hut erstehen. – Oder wollen Sie noch länger mit diesem verrückten Südstaaten-Armeehut herumlaufen? Müssen Sie den Leuten denn unbedingt damit ins Gesicht springen, daß Sie kein Yankee sind?« Chuck nimmt seinen Hut in die Hand und betrachtet ihn von allen Seiten. Dann stülpt er ihn wieder auf den Kopf. »Ich weiß gar nicht, was Sie wollen, Wheeler. Dieses prachtvolle Stück ist ja noch fast neu. Ich trage ihn doch erst neun Jahre. Ich glaube, Sie wollen mir diesen wundervollen Hut bloß madig reden, damit Sie mir einen neuen verkaufen können!« Todernst ist Chucks Gesicht bei diesen Worten, aber kleine Spottfalten sitzen in seinen Augenwinkeln. »Ich geb es auf, Diamond. Sie werden sich bei diesen Spießern hier in der Stadt noch mal sehr verhaßt machen. Davor kann Sie auch das Benehmen eines Gentleman nicht schützen. Diese Leutchen sehen es nun mal nicht gern, wenn man auf sie herabblickt; ganz gleich, ob das mit höflichem Lächeln geschieht.« Chucks Mundwinkel ziehen sich zu einem spöttischen Lächeln nach unten. »Ich weiß das, mein teurer Mister Wheeler, aber was soll ich 17 �
machen? Wenn ich im Sattel sitze, muß ich schließlich auf die Leute herabblicken, oder haben Sie einen anderen Vorschlag?« »Ach«, winkt Wheeler mit ärgerlicher Gebärde ab. »Sie wissen ganz genau, was ich meine, Sie betrachten uns wohl hier als eine Art Hinterwäldler, was?« »Das haben Sie gesagt, Wheeler, nicht ich!« Die Zornesadern an Wheelers Schläfen beginnen anzuschwellen. Er hat schon oft im Wortgefecht mit Chuck den kürzeren gezogen und will das nicht wieder tun. Er geht zu der immer noch offenstehenden Tür des Stores und will gerade ärgerlich das Feld räumen, als ihn Chuck noch einmal anruft. »Ach, bitte, mein hochverehrter Mister Wheeler, wenn ich mir nun bei Ihnen einen Hut kaufte…« Interessiert erscheint Wheelers Gesicht wieder im Türrahmen. »Ja, wie hoch würden Sie mir dann meinen alten in Zahlung nehmen?« Da knallt die Tür zu, daß die Wände wackeln. Chuck ist mit sich zufrieden. Wenn der Storekeeper einen Kunden so behandelt, ist er in Weißglut. Und es bereitet Chuck immer wieder einen Mordsspaß, den bulligen Wheeler in diese Weißglut zu versetzen. Vergnügt vor sich hinpfeifend, gibt er seinem Pferd einen leichten Schlag auf die Kruppe und reitet davon. * Wie verabredet, wartet Sunny am Stadtausgang auf ihn. Er schließt sich ihm an, und sie reiten gemeinsam in die sinkende Dämmerung. Sie haben zunächst den Big Horn River zu durchfurten, der das große Becken nach Osten begrenzt. Dahinter kommen sie in ein leicht ansteigendes Gelände, das sich in einer Ausdehnung von etwa vier bis fünf Meilen zwischen Fluß und 18 �
den Big Horn Mountains erstreckt. Es ist Regierungsland, das von demjenigen Rancher beansprucht werden kann, der seine Rinder darauf hält. Und auf diesem Land stehen die Longhorns der C-Ranch, deren Besitzer William D. Comstock ist. »Sunny, hast du etwas davon gehört, daß William D. die Mavericks auf seiner Weide für sich beansprucht?« Sunny Morgans Gesicht ist ein einziges Fragezeichen. »No, Chuck, gehört nicht, aber ich würde es ihm zutrauen.« Chuck zuckt die Achseln. Immerhin ist Comstock der Vater von Lilly Comstock, also sein zukünftiger Schwiegervater. Big William D., wie er im Lande genannt wird, ist der weitaus größte Rancher des Beckens und der Boß einer starken und rauhen Mannschaft, der seine Stärke zu nutzen und im richtigen Augenblick auszuspielen weiß. Chuck schaut nach Süden über das weite Weideland, das erst von den Bergen begrenzt wird. Und da sieht er die kleine Staubfahne, kurz darauf auch das Reiterrudel, das ihren Weg schneidet. Sechs Reiter sind es, die dort im Galopp angeritten kommen. Chuck erkennt die große Gestalt an der Spitze. So sitzt nur ein Mann dieses Beckens im Sattel: Big William D., der große William D. Comstock. Chuck hält sein Pferd an, Sunny hält etwas hinter ihm. Sie warten die Ankunft des Reiterrudels ab. Comstock pariert erst wenige Yards vor ihnen seinen Rappwallach. Groß und hager ist seine Gestalt. Ein Oldtimer mit zerfurchtem Gesicht und wettergegerbter Haut sitzt hier im Sattel, der der Last seiner Jahre Trotz bietet. Neben ihm hält auf einer Fuchsstute Lilly Comstock, ihre großen, fragenden Augen sind auf Chuck gerichtet. Aber sie sagt nichts. Statt dessen ergreift der Rancher das Wort, jedes seiner Worte hat Gewicht. »Nun, Sohn, wir haben dich lange nicht mehr bei uns gesehen. 19 �
Lilly würde sich sicher freuen, wenn du mal zur C-Ranch herüberkämst.« Chuck hat den Hut gezogen und blickt seine Braut an. »Guten Abend, Lilly«, sagt er und wendet sich dann erst Comstock zu, »Es hat viel Arbeit gegeben. Ich war abends immer zu müde, um noch zehn Meilen bis zur C-Ranch zu reiten. In den nächsten Tagen werde ich aber bestimmt mal vorbeikommen.« Ärgerlich schüttelt Lilly Comstock den Kopf. »Pa hat dir schon mehrfach angeboten, einen von unseren Reitern als Hilfe zu dir auf die Grey Horse Ranch zu schicken. Warum nimmst du das Angebot nicht an? Dann hättest du genügend Zeit, dich auch mal um deine Braut zu kümmern!« Verärgert darüber, daß Lilly dieses Thema in Gegenwart der drei Weidereiter anschneidet, schaut Chuck sie an. »Das ist noch nicht drin, Lilly. Wenn es so weit ist, daß ich einen Reiter brauche, dann werde ich einen einstellen und mir keinen ausleihen. Bis dahin mache ich meine Arbeit selbst.« »Chuck hat recht, Mädel«, mischt sich Comstock ein. »Als ich auf diese Weide kam, hatte ich ein einziges Hemd. Heute schätzt man mich auf zweihunderttausend!« Es ist der Stolz des Mannes, der sich selbst emporgearbeitet hat, der Comstock so sprechen läßt, eines Mannes, der noch in seinem Alter mit eiserner Faust eine große und rauhe Mannschaft im Zaune hält. »Was macht er wohl mit zweihunderttausend Hemden?« raunt Sunny grinsend zu Chuck hinüber, aber er sagt es so leise, daß niemand, außer Chuck, diese Worte verstehen kann. Nur ein leichtes Zucken der Mundwinkel zeigt an, daß Chuck sich das Lachen verbeißen muß, als er merkt, wie boshaft Sunny die Worte des Ranchers absichtlich mißversteht. »Aber da ist noch was, Sohn«, fährt Comstock fort. »Ich habe 20 �
festgestellt, daß mir Rinder abgetrieben werden. Es sind nicht nur Mavericks, die irgendwelche Burschen abtreiben. Darum mache ich jetzt Schluß. Die Maverickjagd auf meinen Weiden hat ein Ende, das gebe ich überall bekannt. Wen ich von den Burschen auf meiner Weide erwische, ist mir ganz gleich. Ich lasse jeden zum Teufel jagen.« Comstock wirft bei diesen Worten einen bezeichnenden Blick auf Sunny Morgan, der sich bisher im Hintergrund gehalten hat. »Falls Sie mich damit meinen sollten, Comstock, so habe ich Ihre Ranch noch nicht betreten. Es war immer nur Regierungsland, wo ich meine Mavericks eingefangen habe, und da werde ich es weiter tun. Sie werfen einen mächtig großen Schatten, Comstock, aber um mich darin einzuwickeln, ist er noch nicht groß genug.« Es ist, als ob der Rancher Sunnys Worte gar nicht gehört hätte. Ruhig wendet er sich Chuck zu. »Als zukünftiger Schwiegersohn von William D. Comstock solltest du dir deine Freunde sehr sorgfältig aussuchen, Sohn. Bevor ich schießen lasse, warne ich die Burschen, die ich im Verdacht habe. – Nun, ich habe jetzt gewarnt. So long!« Damit treibt Comstock sein Pferd an und läßt es in einen raumgreifenden Trab fallen. Seine Reiter folgen ihm, nur Lilly verhält ihre Stute noch einen Augenblick. »Ich hätte noch einiges mit dir zu besprechen, Chuck. Allein mit dir! Komm in den nächsten Tagen zur Ranch!« Dann, bevor Chuck noch eine Erwiderung herausgebracht hat, reitet sie dem Rudel nach. »Yeah, sie ist die Tochter von Big William D. Chuck! Sie verfügt genauso gern über andere Leute wie ihr stolzer Vater.« Chuck Diamond gibt dem Freund keine Antwort. Er reitet an und jagt sein Pferd sofort in Galopp. Eine halbe Stunde später erreichen sie das Gatter, das das Tal, 21 �
in dem Chucks Pferderanch liegt, zur offenen Weide hin abgrenzt. Es ist eine weitausladende Bergfalte mit waldbestandenen Hängen, die sich Chuck für seine Ranch ausgesucht hat. Fast eine Quadratmeile groß ist die Weide, auf der sich fast vierhundert Stuten, zwölf Deckhengste und ein Rudel Junghengste in verschiedenen riesigen Korrals tummeln. Ein schmaler Bach kommt, herabgeflossen, fließt dicht neben dem Tor unter dem Gatter hindurch und nimmt seinen Weg zum Big Horn River. Chuck drückt das breite Gattertor auf und reitet mit Sunny hindurch. Unter dem Druck eines Zuggewichtes, einer Erfindung von Marmaduke, schließt es sich selbsttätig hinter ihnen. Nach ein paar Minuten haben sie die Ranch erreicht. Es ist ein mittelgroßes, massives Blockhaus mit vier Räumen, das da auf einem Natursteinsockel steht. Zwei Nebengebäude sind in ähnlicher Bauweise errichtet. Offenbar ist es ein Stall und eine Remise für Wagen und Geräte. Als sie in den kleinen Hof einreiten, der von diesen Gebäuden umschlossen wird, tritt eine riesenhafte Gestalt aus der Tür. Krauses Wollhaar umgibt das gutmütige, großflächige Gesicht des Negers, der mit einem Baumwollhemd und ebensolcher Hose bekleidet ist. Die Fülle seiner Muskeln scheint die Kleidung sprengen zu wollen. Chuck sitzt ab und nickt ihm zu. Er führt sein Pferd zum Stall und beginnt es abzusatteln. Bevor Sunny ihm folgt, ruft er Marmaduke zu: »He, Marmaduke, gibt es bald was zu essen?« Grinsend rollt der Schwarze die Augen. »Erst waschen und rasieren, Mister Morgan. Sonst nicht kommen Essen auf Grey Horse Ranch!« Sunny schüttelt den Kopf und führt sein Pferd ebenfalls zum Stall hinüber. »Immer noch dasselbe Theater bei dir, Chuck. Als ich zuletzt 22 �
hier war, hat er mit dem Essen so lange gewartet, bis ich mir die Fingernägel sauber gemacht hatte. Wann wirst du endlich zeigen, daß du der Boß hier auf der Ranch bist?« Chuck reibt seinen Grauschimmel trocken und blickt lächelnd zu Sunny hinüber. »Das werde ich niemals zeigen können, denn ich bin es nicht. Marmaduke ist ein Tyrann, aber ein Tyrann, der ausgezeichnet kocht. Außerdem ist er Pferdepfleger, Gärtner, Putzmädchen, Schreiner und was weiß ich noch alles. Aber das Wichtigste: Er hat schon meinem Vater als Sklave gedient und war in meiner Jugend mein ständiger Begleiter. Wenn ich ihn nicht mitgenommen hätte, wäre er mir bestimmt zu Fuß nach Wyoming gefolgt. Er fühlt sich als eine Art Amme, und ich lasse ihn dabei, weil ich es doch nicht ändern kann. Er arbeitet wie ein Pferd, aber wenn ich ihm Lohn geben will, wird er wild. Du wirst es gleich sehen können. Ich habe im Hause einen Lederbeutel, darin hebe ich ihm sein Geld auf und lege ihm jeden Monat neue Dollars hinzu. Der Beutel ist für ihn der verhaßteste Gegenstand auf der Welt.« Sie haben ihre Pferde versorgt und gehen zum Haus hinüber. Sunny hat sein Waschzeug aus der Satteltasche genommen, Chuck holt sich Seife und Handtuch aus dem Haus. An der linken Hauswand, unter einem Wetterdach, verläuft eine hölzerne Rohrleitung etwa in Brusthöhe. Chuck öffnet einen Schieber und läßt Wasser in einen ausgehöhlten Baumstamm fließen, der darunter angebracht ist. Während des Rasierens bestaunt Sunny die genial einfache Anlage. Etwa zwanzig Yards oberhalb führt die Rohrleitung zum Bach, wo das Wasser hineinfließt. Mit einer schmalen Rinne, die weiter unterhalb zum Bach führt, ist der Abfluß geschaffen. Endlich spült sich Sunny den Schaum aus dem Gesicht und trocknet sich ab. Er hofft jetzt, vor Marmadukes gestrengen 23 �
Augen bestehen zu können. Gemeinsam gehen sie ins Haus. Chuck geht zu einem Schrank und entnimmt ihm einen Beutel. »Marmaduke, komm mal schnell her«, ruft er zur Küche hinüber, worauf eilfertig der Neger in der Tür erscheint. »Sieh zu, alter Freund. Ich stecke deinen Monatslohn in den Beutel. Daß mir später keine Beschwerden kommen!« Unwillig schüttelt der Schwarze den Wollschädel. »Wozu Lohn, Mastah? Warum Marmaduke immer sagen, daß Geld in Beutel stecken? Mastah sorgen für Marmaduke, dann auch Marmaduke sorgen für Mastah, warum dann noch Lohn? Ich gar nicht gern haben schnell reich werden.« Sunny verschlägt diese Logik fast die Sprache. Daß ein Mensch, wenn auch mit schwarzer Hautfarbe, keinen Lohn haben und auch nicht reich werden will, kann er nicht verstehen. Und mit ein paar hundert Dollar würde sich Marmaduke zweifellos schon reich vorkommen. Sunny findet keine Gelegenheit mehr, Marmaduke über die Irrigkeit seiner Meinung aufzuklären, denn er ist schon wieder in der Küche verschwunden. * Es ist wieder Abend geworden, als Chuck Diamond die C-Ranch fast erreicht hat. Er hat eingesehen, daß Arbeitsüberlastung kein Grund ist, um seine Braut zu vernachlässigen, zumal wenn es sich bei der Braut um ein so schönes Mädchen handelt wie Lilly Comstock. Und er liebt Lilly, so wie ein Mann ein Mädchen nur lieben kann. Nach einiger Zeit sieht Chuck vor sich auf dem Weg einen hochrädrigen Buggy, der ebenfalls die Richtung zur ComstockRanch einschlägt. Kurz nach diesem Wagen trifft er auf der mächtigen Ranch ein. Er sieht, daß Doc Ward Clanton von dem 24 �
Wagen absteigt und in der Bunk verschwindet, Clantons hochgewachsene, drahtige Gestalt mit dem schwarzen Hut und seiner Handtasche ist nicht zu verkennen. Chuck lockert seinem Pferd den Sattelgurt und bringt es in den Korral für die Sattelpferde, der sich direkt neben dem Hof befindet. Dann geht er zum Haus hinüber. Der Gedanke an seine Auseinandersetzung mit Dan bereitet ihm einiges Unbehagen. Aber Dan ist auf der Außenstation der Ranch, fünfzehn Meilen entfernt. Lilly tritt ihm schon auf der Veranda entgegen. Bevor sie ihm einen Kuß auf die Wange gibt, bemerkt Chuck die Blässe ihres Gesichtes und die Schatten unter ihren Augen. »Gibt’s was Besonderes, Mädel?« fragt er besorgt. Lilly schüttelt nur schweigend den Kopf, ergreift seinen Arm und zieht ihn mit ins Haus. Sie setzen sich in der großen Halle, die als Wohnraum dient, auf die gepolsterte Wandbank. »Pa kommt auch gleich, Chuck. Er wird sich sicher freuen, daß du schon hier bist.« Chuck Diamond hält die Hand des Mädchens fest und blickt ihr aufmerksam ins Gesicht. »Da ist doch irgend etwas, Lilly. Spiele nicht Versteck mit mir. Ich merke dir deutlich an, daß dich etwas bedrückt.« Lilly löst ihre Hand und steht auf. Sie tritt ans Fenster und wendet ihm den Rücken zu. Ohne sich umzuwenden, fängt sie an zu sprechen. »Was hältst du von Pas Ansicht, keine Maverickjägerei mehr zu dulden? Meinst du, daß er im Recht ist?« Auf eine so direkte Frage ist Chuck nicht vorbereitet. Trotzdem zögert er keine Sekunde mit der Antwort. »Nein. Ich meine, daß er im Unrecht ist. Es ist freies Regierungsland, auf dem er den größten Teil seiner Herden hält. Du weißt selbst, daß oft eure Rinder mit denen von Nachbarranches 25 �
durcheinandergeraten und dann beim Herbst-Roundup wieder auseinandersortiert werden müssen. Es gibt also auch fremde Mavericks auf euren Weiden. Die Burschen, die sich damit befassen, die Mavericks einzufangen, sind, soweit ich sie kenne, ehrliche und harte und rauhe Kerle. Deshalb werden sie sich ihr Recht auf der freien Regierungsweide nicht nehmen lassen, und es wird Ärger und Verdruß geben, wenn dein Vater auf seiner Absicht besteht.« Lilly Comstock wendet sich um und blickt Chuck, der hinter sie getreten ist, kühl und beherrscht ins Gesicht. »Und wenn Pa trotzdem auf seiner Ansicht beharrt, auf welcher Seite wirst du dann stehen?« Chuck spürt die Erregung, die Lilly bei dieser Frage ergriffen hat. »Ich werde versuchen, es deinem Vater auszureden«, versucht er das Mädchen zu beschwichtigen. »Bitte, beantworte meine Frage, Chuck. Auf welcher Seite wirst du dann stehen?« Chuck ergreift sie bei den Schultern und zieht die Widerstrebende zu sich heran. »Es ist nicht meine Sache, Lilly. Ich halte mich aus allem heraus. Aber nur dann, wenn dein Vater Sunny Morgan und die Burschen, die mit ihm reiten, zufrieden läßt.« Irgendwie ist Chuck von der Bedeutung beeindruckt, die Lilly ihrer Frage beimißt. Er fühlt, daß irgend etwas geschehen ist, was Lilly dazu bringt, Klarheit zu schaffen. Klarheit zu schaffen, noch bevor er von diesem Geschehen erfährt. Ein unbeschreiblicher Ausdruck des Hochmuts verändert Lillys Gesicht, als sie sich über Chucks Antwort klargeworden ist. »Du willst also damit sagen, daß du dich gegen uns stellst, wenn Pa deine Freunde nicht ungeschoren läßt?« »So ist es, Lilly. Was auch immer geschehen mag, ich bin davon 26 �
überzeugt, daß Sunny und seine Burschen sich niemals an euren Herden vergreifen. Im Gegenteil, wenn er davon erführe, daß euch Rinder abgetrieben werden, habt ihr in ihm den besten Verbündeten. Er weiß, daß alle ehrlichen Burschen auf dieser Weide, die sich ihre Mavericks suchen, durch einen einzigen Rustler allesamt in falschen Verdacht geraten. Darum wird er schon von sich aus jedem Viehdieb die Zähne zeigen, genauso wie er sie deinem Vater zeigen wird, wenn er sich in seinen Rechten geschmälert fühlt.« Lillys Gesicht wirkt wie versteinert. Eine unwirkliche Starrheit läßt ihr Gesicht noch schöner, aber geisterhafter erscheinen. »Es ist zu spät, Chuck. Da, seh’ hinüber zur Bunk!« Sie deutet mit der Hand durch das Fenster zum Bunkhouse hinüber, in dem vor Chucks Ankunft Doc Clanton verschwunden ist. Mit jäher Deutlichkeit hat Chuck den schicksalhaften, unheilschweren Unterton in Lillys Stimme wahrgenommen. Er weiß nicht, was er denken soll. Er folgt mit den Blicken ihrem Fingerzeig und sieht William Comstock und Doc Clanton mit ernsten Gesichtern aus dem Bunkhouse kommen. Verdammt, denkt Chuck, sollte Sunny schon mit einem Reiter Comstocks aneinandergeraten sein und hat den Finger nicht vom Abzug lassen können? Er kennt Sunny als schnellen Schützen, dem eine unbedachte Handlung zuzutrauen wäre. Schweigend geht er hinaus und überquert den Hof. Erstaunt blicken Comstock und Clanton auf, als er mit einem kurzen Kopfnicken an ihnen vorbeigeht und die Bunk betritt. Der erste Gedanke, den Chuck dann wieder fassen kann, bleibt noch lange in seinem Hirn haften. Komisch, denkt er, wie ein kleiner, sommersprossiger Junge sieht er aus – jetzt, wo er tot ist. Viel später erst, auf dem Heimweg, kommt Chuck wieder zum Bewußtsein, daß er wortlos die C-Ranch verlassen hat, daß er weder Lilly noch den Männern auf dem Hof auch nur einen ein27 �
zigen Blick zugeworfen hat, als er in den Sattel stieg und davonritt. Alles war dumpf und unbewußt in ihm gewesen. Sunny Morgan ist tot, hämmert es in seinem Schädel, der immer hilfsbereite und zum Scherzen aufgelegte Freund mit seinem sympathischen, sommersprossigen Lausejungengesicht liegt tot in der Bunk der Comstock-Ranch, erschossen, wie er mit einem einzigen Blick wahrgenommen hat. Nach William D. Comstocks gestriger Warnung gibt es dafür nur eine einzige Erklärung: er hat schießen lassen, hart und unbarmherzig ein junges Leben auslöschen lassen. Alles auf den unbegründeten Verdacht hin, daß Sunny mit Rustlern in Verbindung stehen könnte, vielleicht selbst einer der Männer wäre, die sich an seinen Herden bereichern. – Ganz unbewußt lenkt Chuck sein Pferd der Stadt zu, die seitab an seinem Weg liegt. Seine eben erst keimenden Gedanken nehmen immer klarere Formen an, und mit ihnen wächst in Chuck ein stiller, eiskalter Haß empor, der sich so zum Herrn über Leben und Tod aufgeschwungen hat. Dieser Haß schnürt ihm die Brust ein, läßt ihn scharf und zischend atmen. Er sieht seinen Weg jetzt klar und deutlich vorgezeichnet. Er wird auf Sunnys Fährte weiterreiten, wird mit allen Kräften dafür sorgen, daß die anderen jungen Kerle, die sich mit herrenlosen Mavericks eine Existenz aufbauen wollen, ihr Recht behaupten können. Vor dem Last Frontier Saloon sitzt er ab und geht hinein. Bess Avaron wirft nur einen kurzen Blick zu ihm hinüber, dann weiß sie, daß etwas geschehen ist. Dumpf vor sich hinbrütend, steht Chuck an der langen Bartheke. Er achtet nicht auf die Blicke der umstehenden Männer, die ihn aus den Augenwinkeln beobachten, und schüttet wahllos mehrere Gläser Whisky hinunter. Als er erneut nach seinem Glas greift, spürt er eine kühle Hand, die sich auf die seine legt und sie festhält. 28 �
»Eigentlich sollte es mir gleichgültig sein, ob Sie sich hier sinnlos vollaufen lassen, Chuck. Aber komischerweise kann ich es nicht mit ansehen.« Chucks Augen haben einen fiebrigen Glanz angenommen. Alkohol und innere Erregung haben ihre Wirkung getan. Seine Sinne sind leicht umnebelt. »Was wollen Sie, Bess? Warum soll ich nicht auch einmal trinken wie die anderen Burschen trinken, bis ich die schmutzige Wirklichkeit vergessen habe?« »Weil die schmutzige Wirklichkeit davon nicht besser wird, Chuck! Sagen Sie mir, was ist los? Irgend etwas hat Sie total durcheinandergebracht.« Aus schmalen Augen blickt Chuck das Mädchen an. »Sagen Sie mir, Bess, mit welchen Jungen hatte sich Sunny Morgan zusammengetan? Er sprach immer von zwei oder drei anderen Boys, die mit ihm auf die Suche nach Mavericks gingen.« Bess läßt den Strahl einer Sodafontäne in ein Glas zischen, dessen Boden nur knapp mit Whisky bedeckt ist. Sie schiebt Chuck das Glas zu. »Alle paar Wochen kam er mit dem jungen Clayborne hierher, um seine Mavericks zu verkaufen. Es waren fast immer mehr als ein Dutzend Tiere. Wie er erzählte, hielten sie sie in einem Korral hinter der Schmiede, bis sie eine gewisse Anzahl zusammen hatten. Manchmal waren dann auch Jacky Needle und Sam Bentworth bei ihnen. Ich glaube, daß diese beiden mit zu ihrer Mannschaft gehörten.« »Haben Sie jemals andere Tiere als ungebrannte Jungrinder bei ihnen gesehen, Bess?« Skeptisch sind Bess Avarons Augen einen Augenblick auf Chuck gerichtet, als sie den eigentlichen Sinn dieser Frage begriffen hat. »So betrunken können Sie von den paar Glas 29 �
Whisky doch noch nicht sein, Chuck. Glauben Sie denn, daß wir Rinder mit Brandzeichen von jemand kaufen, wenn es nicht gerade der Besitzer ist?« Mit befriedigtem Gesichtsausdruck schwenkt Chuck das Glas und leert es dann auf einen Zug. »Mehr wollte ich nicht wissen, Bess.« * Wütendes Hundegebell weckt Chuck aus dem Schlaf, Er taumelt hoch und fährt schlaftrunken in Hose und Stiefel. Mit einem Griff nimmt er den Revolvergurt vom Haken und geht ans Fenster. Der Hof der Ranch ist von mattem Mondlicht in ein milchiges Dämmergrau getaucht. Dicht vor der Wand des Stalles kann Chuck einen schwarzen Farbklecks ausmachen, den der wütende Terrier umspringt und erregt ankläfft. Im gleichen Moment hört Chuck die Haustür gehen und sieht kurz darauf Marmadukes Hünengestalt, die eine Flinte in der Hand trägt und zum Stall hinüberschlürft. Als er auch seinerseits den Hof betritt, hört er die heisere Stimme eines Mannes. »Verflucht, geh doch weg, Köter. Mach, daß du fortkommst.« Chuck tritt heran, hält den Colt in der Hand, während Marmaduke das Halsband des Hundes ergreift und ihn von dem am Boden liegenden Mann wegzieht. »Es war gut, daß Sie nicht weggelaufen sind, Mann. Terry hätte sonst Ihr Hinterviertel als prächtiges Beefsteak zugerichtet. Was machen Sie hier? Stehen Sie auf!« »Gott sei Dank, Diamond, helfen Sie mir. Schnell, ich werde verfolgt, Sie müssen mir helfen«, krächzt wieder die heisere Stimme, und eine Hand reckt sich hilfesuchend Chuck entgegen. 30 �
Chuck greift zu und hilft dem Mann auf die Beine, der sich ächzend auf ihn stürzt. »Bring den Hund in den Stall, Marmaduke. Wir wollen uns unseren Besuch bei Licht besehen«, ruft Chuck dem Neger zu und geht mit dem hinkenden Mann zum Haus hinüber. Sie haben erst ein paar Schritte gemacht, als Chuck den dumpfen Trommelwirbel galoppierender Pferdehufe vernimmt. »Schnell, Diamond«, kreischt der Verletzte, »wenn sie mich erwischen, ist es aus!« Immer stärker wird der Hufschlag. Chuck läßt den Mann los und wendet sich um. »Gehen Sie ins Haus. Ich werde sehen, was da noch für Gäste kommen.« Zwei, drei Schritte macht der Mann noch zur Haustür hin, dann knickt er wimmernd zusammen. In diesem Moment biegen drei Reiter in den Hof ein und reißen ihre Pferde auf die Haken. »Hoooy, wir haben ihn, Jungens«, ruft eine dröhnende Stimme, die Chuck beim ersten Wort erkennt. Es ist Brian Hastings, der erste Vormann der C-Ranch, der aus dem Sattel springt und seinen Revolver auf den Verletzten richtet. Mit einem schnellen Seitenblick erkennt Chuck den Colt, der plötzlich in der Hand des Burschen liegt. Sein rascher Fußtritt befördert die Waffe in weitem Bogen mitten auf den Hof. »Gut gemacht, Diamond. Es ist uns viel lieber, den Kerl lebend in die Finger zu bekommen«, brüllt Hastings und schnellt vorwärts, auf den am Boden Liegenden zu. Er erreicht ihn nicht. Chuck tritt ihm in den Weg, daß Hastings jäh gegen ihn prallt, und schiebt ihn dann zurück. »Stopp, Freund, ich möchte erst einmal wissen, wie die Karten in diesem Spiel verteilt sind. Was wollt ihr von dem Burschen?« »Abknallen wollen sie mich«, schrillt da hinter Chuck die Stimme. »Abknallen, genauso wie sie Sunny abgeknallt haben.« 31 �
Diese Worte erzeugen einen Kurzschluß in Chucks Gehirn. So wie sie Sunny abgeknallt haben, dröhnt es in seinen Ohren. »Zurück, Hastings! Zurück, sage ich! Diesen Mann brauche ich noch, den bekommt ihr nicht.« Zwei Schritte weicht Hastings zurück. Dann bellt er los. »Verdammt, wir werden ihn mitnehmen, ob Sie wollen oder nicht, Diamond. Wir haben ihn erwischt, wie er uns Rinder weggetrieben hat. Er gehört uns. Wir haben ihn fast eine Stunde lang gejagt. Wir werden ihn mitnehmen.« »Well, dann fangt an damit«, sagt Chuck, und seine Hand legt sich hinter den Revolverkolben an seinem Oberschenkel. »Ich hab ihn auf dem Korn, Brian«, ruft da einer der Reiter aus dem Hintergrund. Chuck sieht mit einem Blick, daß er die Wahrheit sagt. Sein Revolverlauf zeigt unbeweglich zu Chuck herüber. »Immer noch so mutig?« fragt Hastings und grinst Chuck überlegen an. »Soll er den Finger erst krumm machen, oder gehen Sie freiwillig aus dem Weg? Sie konnten wohl Dan Comstock verprügeln, weil er kein Gehirn hat, aber mit mir werden Sie nicht so einfach fertig!« »Wer zuviel redet, blamiert sich oft, Hastings. Und Sie reden viel zu viel.« Chucks Stimme klingt eiskalt und beherrscht. Er blickt Brian Hastings an, und gefährliche Funken tanzen im Hintergrund seiner rauchgrauen Augen. »Es wird langsam Zeit, daß Sie Farbe bekennen, Diamond«, sagt Hastings höhnisch. »Wenn Sie jetzt versuchen, uns in den Weg zu treten, wird Sie William D. demnächst mit der Bullpeitsche von der Ranch jagen. Gehen Sie jetzt endlich weg, sonst ist meine Geduld zu Ende.« »Wie sieht es bei dir aus, Marmaduke?« ruft da Chuck zum Stall hinüber. »Au fein, Mastah. Zwei Läufe mit dieses ganz gefährliche Sau32 �
posten. Marmaduke auch haben stolzen Mann auf Korn. Schade, wenn abdrücken, dann mächtig viel Löcher in gutes Fell.« Eine kalte Dusche hätte nicht ernüchternder auf Hastings und seine zwei Reiter wirken können, als diese schadenfrohen Worte Marmadukes, der den Lauf seiner Flinte durch ein Stallfenster steckt. Nur seine Augäpfel sind als weiße Flecke in der Dunkelheit des Stalles zu erkennen. »Yeah, so ist das, Hastings. Reiten Sie los, Mann. Es gibt hier für Sie nichts mehr zu tun.« Hastings Stimme klingt kehlig vor unterdrückter Wut, an der er fast zu ersticken droht. »Diesmal haben Sie gewonnen, Diamond. Es war das letzte Mal, verlassen Sie sich darauf.« Er sitzt schon im Sattel, als er weiterspricht. »Haben Sie eine gute Erklärung dafür, warum dieser verdammte Viehdieb ausgerechnet zu Ihrer Ranch geritten ist? Überlegen Sie sich eine, Sie brauchen sie noch, denn William D. wird sie von Ihnen verlangen. Diese Runde hier geht an Sie, aber das ganze Spiel haben Sie verloren. Comstock wird Sie fertigmachen, wenn ich ihm erzähle, daß Sie mit den Männern, die seit Monaten seine Rinder wegtreiben, unter einer Decke stecken. Sie wollten sich wohl einen kleinen Vorschuß auf die Mitgift holen, was? Yeah, William D. gibt Ihnen Vorschuß, aber einen Vorschuß auf die Hölle, Sie verdammter Südstaaten-Rebell. Wenn wir uns wieder begegnen, dann ziehen Sie blank, Diamond, denn ich will mir den Kopfpreis verdienen, den Comstock auf Sie aussetzen wird.« »Genug jetzt!« Kurz und abgehackt, nur mühsam beherrscht, klingen Chucks Worte. »Erzählen Sie Comstock, was Sie wollen, aber machen Sie, daß Sie von der Ranch kommen, Hastings.« Chuck wartet ab, bis der Hufschlag der Pferde verklungen ist. Nur dumpf und dunkel nehmen seine Gedanken ihre Tätigkeit 33 �
wieder auf. Immer noch hat der eine Satz in seinem Gehirn Platz: »… so wie sie Sunny abgeknallt haben.« Marmadukes Schattenriß löst sich aus dem Dunkel der Stallwand und kommt heran. Er hilft dem Verletzten auf die Beine und geht mit ihm dem Haus zu. Chuck betritt den Raum erst, als der Neger schon Licht gemacht hat. Kühl ruhen seine Augen auf dem jungen Burschen, der in der Ecke neben dem Herd sitzt und sich ächzend sein Bein hält. »Erzähle!« Das wilde, hysterische Flackern in den Augen des Jungen erlischt. Er richtet sich auf. »Ich bin Donald Clayborne, Diamond. Mit Sunny Morgan, Jacky Needle und Sam Bentworth habe ich Mavericks von Comstocks Regierungsweide geholt. Auch heute. Wir haben schon früh morgens in den Smoky Hills angefangen. Getrennt kämmten wir die Senken und Gebüschstreifen durch und hatten mittags schon vier von diesen störrischen Biestern eingefangen. Es waren ungebrannte Mavericks, Diamond, sie waren allein, und kein Muttertier war in der Nähe. Ich blieb bei ihnen in der Senke, damit sie nicht wieder ausrissen. Die anderen wollten noch weiter suchen. Gegen Mittag sah ich drei von Comstocks Reitern vorbeikommen. Ich ahnte nichts Gutes und verhielt mich ruhig. Es verging noch eine Stunde, dann hörte ich zwei Schüsse. Sie kamen aus der Richtung, in der Sunny gesucht hatte. Wieder eine Stunde später kamen sie erneut in der Nähe vorbei, diesmal waren es nur zwei Mann. Sie hatten Sunny im Sattel festgebunden und ritten in Richtung zur C-Ranch weiter. Weder Sam noch Jacky ließen sich blicken. Da wartete ich bis zur Dunkelheit und trieb dann die Mavericks vor mir her, nach Grey Bull hinunter. Kurz vor dem Fluß wurde ich dann angerufen. Sie ließen mir keine Zeit zu einer Antwort, sondern schossen wie die Wilden hinter mir her. Sie hatten mir den Weg zum Fluß und zur Stadt 34 �
hin abgeschnitten und trieben mich auf die Mountains zu. Für eine Weile hatte ich sie abgeschüttelt. Ich nahm den Weg hier herauf, wollte mich zum Wald durchschlagen. Da stürzte mein Pferd. Es lag auf mir. Mein Bein wollte nicht mehr. Bevor ich den Gaul festhalten konnte, lief er davon, irgendwo in die Dunkelheit hinein, wo einer Ihrer Hengste gewiehert hatte. Mit aller Kraft schleppte ich mich zu Ihnen hierher. Den Rest wissen Sie. – Es waren Mavericks, Diamond, ich schwöre es Ihnen! – Nie hat jemand von uns ein gebranntes Rind angefaßt oder ein Kalb von seiner Mutter weggetrieben. – Sie hatten keinen Grund, Sunny abzuschießen. Es war Mord, nackter Mord, und wenn sie mich erwischt hätten, wäre es noch ein zweiter geworden.« »Du kannst hierbleiben, Clayborne. Marmaduke wird sich um dein Bein kümmern. Ein Mann ist getötet worden, es wird Kummer und viel Verdruß im Becken geben, denn dieser Mann war mein Freund.« * Graue Wolken hüllen die Spitzen der Big Horn Mountains ein. Chuck zieht den Mackinaw-Mantel fester um die Schultern. Regentropfen perlen über den Stoff, fallen herab. Etwas abseits von den übrigen Männern sitzt er auf seinem Pferd. Er sieht dem hochräderigen Flachwagen entgegen, der aus der Stadt herangerollt kommt. Starr sind seine Augen auf den schwarzen Holzsarg gerichtet, der die einzige Ladung des Wagens bildet. Keinen Blick schenkt er dem Wagen, der dicht dahinter fährt. William D. Comstock begleitet mit Lilly im Wagen die traurige Fracht. Zu Pferde wird er von Brian Hastings begleitet, der Chuck mit finsteren Blicken mustert. Dan Comstock und zwei Weidereiter der C-Ranch reiten hinterher. Chuck läßt einen großen Abstand zwischen sich und den Com35 �
stock-Leuten, bevor er sich diesem kleinen Trauerzug anschließt. Es sind Weidereiter der T-im-Viereck und der Halbmond-Ranch, die sich als letzte einordnen, Männer, die Sunny Morgan gekannt und geschätzt haben. Der Weg zu dem kleinen Friedhof von Grey Bull ist nicht weit, aber Chuck scheint es wie eine Ewigkeit zu dauern, bis sie endlich angelangt sind. Einige Frauen warten in der Nähe des aufgeworfenen Grabes. Sie haben dunkle Tücher über den Kopf geschlungen, um sich vor den immer wieder niederprasselnden Regengüssen zu schützen. Wie Marionetten stehen die Menschen einsam in der düsteren Landschaft. Regentropfen klatschen dem Mann ins Gesicht, der hastig am Grabe einige Verse eines Psalms vorliest, schließlich mit einigen salbungsvollen Worten endet. Wie im Traum beobachtet Chuck die Leute. Es ist, als ob er aus sich selbst herausgeschlüpft wäre, ein wesenloses Etwas, das die Handlungen der Umstehenden registriert. Er sieht Comstock, der wort- und grußlos an ihm vorbei zum Fuß des Hügels geht, wo der Wagen und die Pferde zurückgeblieben sind. Er sieht auch Lilly und ihren fragenden Blick, er sieht ihn, aber er scheint nicht zu begreifen, was vorgeht. Selbst Dan Comstocks haßerfülltes Gesicht und Brian Hastings’ selbstbewußt emporgerecktes Kinn dringen nicht in sein Bewußtsein. – Wenige Augenblicke später steht Chuck allein vor der flüchtig mit Erde zugeschaufelten Grube. Selbst der Totengräber hat es bei diesem Wetter eilig, wieder unter Dach zu kommen. Chuck greift nach dem Spaten, der im locker aufgeworfenen Erdreich steckt. Mit langsamen und schwerfälligen Bewegungen beendet er das eilig verrichtete Werk, wirft das Grab ganz zu und wirft einen kleinen Hügel darüber. Ohne auf seine mit Erdklumpen behafteten Hände zu achten, nimmt er dann seinen Hut vom Kopf und verharrt vor dem Erdhügel, der seinem 36 �
Freund den letzten Aufenthalt bietet. Sein Haar ist durchnäßt, und kleine Rinnsale von Wasser furchen durch sein Gesicht. Er achtet nicht darauf. »So long, Sunny«, murmeln seine Lippen. »Ich werde nicht ruhen, bis du auf deiner Reise den Mann zum Begleiter hast, der dich traf. Es kann eine Zeit dauern, Sunny, aber irgendwann wird er dir folgen.« Mit einer abschließenden Bewegung stülpt er dann den Hut wieder auf und geht zu seinem Pferd. Die letzten Nachzügler des Trauerzuges verschwinden gerade zwischen den Häusern der Stadt, als Chuck sich allein auf den Weg macht. Er sieht schon von weitem den Reiter, der am Wegrand auf ihn wartet. Lässig und selbstbewußt sitzt Ward Clanton im Sattel. Man möchte in ihm eher einen Weidereiter als einen Arzt vermuten. Chuck mustert ihn im Vorbeireiten mit einem Seitenblick aus den Augenwinkeln. Wortlos lenkt Clanton sein Pferd neben Chucks Stute. Schweigsam lassen sie die Gäule im Schritt dahintrotten. Endlich ergreift Clanton das Wort. »Geben Sie acht, Diamond, daß Sie in Zukunft nicht auf der falschen Fährte reiten. Vieles sieht anders aus, als es in Wirklichkeit ist. Sie geben Comstock die Schuld an Morgans Tod, nicht wahr?« »Hat er Sie zu mir geschickt, Doc?« »Nein, Diamond, niemand hat mich geschickt. Ich komme aus eigenem Antrieb. Glauben Sie, daß Comstock Ihnen jemals nachlaufen würde? – Es ist etwas anderes, was ich Ihnen zu sagen habe. – Ich wollte Ihnen das Ergebnis der Leichenschau mitteilen. Es lautet auf Mord durch einen oder mehrere unbekannte Täter.« Zum erstenmal wendet Chuck dem Arzt voll sein Gesicht zu. »Mord sagten Sie? Nicht Tötung auf frischer Tat? Comstock braucht doch das Mäntelchen der Gesetzmäßigkeit für seinen 37 �
Weidekrieg, er möchte Sunny doch zum Viehdieb stempeln, denke ich.« Abweisend schüttelt Ward Clanton den Kopf. Kleine Sturzbäche von Wasser ergießen sich dabei vom Rande seines Hutes herab. »Sie setzen auf das falsche Pferd, Diamond. Wenn Big William D. einen Mann hat erschießen lassen, dann gibt er es offen zu. Er ist der starke Mann in unserem Becken und kann es sich leisten. Aber er behauptet, daß Sunny Morgan von seinen Leuten schwerverwundet auf der Weide gefunden wurde. Sie hätten ihn dann zur Ranch gebracht, und da sei er gestorben.« Chucks Mundwinkel ziehen sich herab, so daß der Mund einen schmalen Halbkreis bildet. »Sollte Comstock ganz plötzlich alt geworden sein? Will er jetzt kneifen wie ein altes Weib, das sich vor den Folgen seiner Tat fürchtet? Hören Sie, Clanton, es hat nicht viel Sinn, mich davon überzeugen zu wollen, daß William ein Unschuldslamm ist. Ich kenne seinen Starrsinn und seine harte Faust. Mag sein, daß er Lillys wegen versucht, diese Tat von sich abzuwälzen. Mich kann er damit nicht mehr irritieren.« »Überlegen Sie sich Ihre Einstellung noch einmal, Diamond«, schwenkt der Doktor zur Seite ab, wo sein Haus steht. Ein schweigendes Winken mit der Hand ist Chucks Antwort. Erst vor dem Last Frontier hält er sein Pferd an. Am liebsten möchte Chuck auf dem Absatz, kehrtmachen, als er neben einem Großteil der Mannschaft der C-Ranch auch den alten Comstock und sogar Lilly an einem der Tische erblickt. Aber dann schiebt er unmerklich sein Kinn vor und steuert geradewegs auf die Bar zu. Bess Avaron kommt hinter der Bar zu Chuck herüber. »Sie sollten jetzt nicht hierbleiben, Chuck. Es sind eine Menge Leute hier, die Ihnen Ihre Einstellung verübeln«, raunt Bess ihm 38 �
verhalten zu. Chuck schiebt nur den Hut in den Nacken und sieht sie herausfordernd an. »Yeah, das wird wohl so sein, Bess«, sagt er mit leicht erhobener Stimme, die für die Umstehenden deutlich zu verstehen ist. »Ich sehe darin aber keinen Grund, meinerseits das Feld zu räumen. Es gibt genauso viel Leute, denen ich mehr als nur ihre Einstellung verüble. Es ist Zeit, daß einiges klargestellt wird. Irgend jemand hat mir einmal gesagt, daß er seine Gegner warnt, bevor geschossen wird. Ich möchte nicht zurückstehen vor soviel Edelmut. Auch ich werde schießen, auf den Mann, der Sunny auslöschte – und auf seine Auftraggeber. Falls Sie jemanden davon treffen sollten, Bess, so können Sie ihnen das ausrichten.« Während Chucks Rede ist jedes Gespräch im Raum verstummt. Bis in den hintersten Winkel war seine Stimme zuhören. In der plötzlichen Stille wirkt das Zurückschieben eines Stuhles geradezu wie eine Erlösung. Unverwandt läßt Chuck seinen Blick auf Bess gerichtet. Er hört den schweren Schritt, der sich ihm nähert, aber er verändert seine Haltung nicht. Erst ein heftiges Schnaufen direkt hinter ihm läßt ihn sich langsam umwenden. Er muß zu Comstock aufblicken, der ihn um mehrere Zoll überragt. Das von eisgrauem Haar umrahmte, scharfgeschnittene Gesicht ist zorngerötet, und die Schläfenadern treten wie dicke Knoten hervor. In seiner typischen, leicht vorwärtsgeneigten Haltung steht Comstock vor Chuck und blickt ihn durchbohrend an. »Es ist weder der Ort noch die Zeit, solche Redensarten zu führen, Sohn. Ich bin gewohnt, daß hinter meinem Rücken geredet wird, aber nicht von dir. Wir sollten uns allein aussprechen, nicht hier in einem Saloon. Komm zu mir auf die Ranch, wenn du mir etwas zu sagen hast.« »Ich finde, daß wir es hier ebensogut machen können. Außer39 �
dem gibt es wohl auch nichts mehr zu besprechen, Comstock. Ich habe gesagt, was gesagt werden mußte, und alle konnten es hören. Zuerst beschaffe ich mir die Beweise für den Mord, und dann wird’s wohl hart und rauh zugehen.« William D. Comstock ist eine solche Sprache nicht gewohnt, und sein Mund wird schmal wie ein Messerrücken. »Ich weiß nicht, wie ich dazu komme, mir von dir Derartiges sagen zu lassen, Chuck Diamond. Aber tue es trotzdem nie mehr wieder, nie mehr, hörst du? Ich habe erfahren, daß du dich mit Dan geprügelt hast. Nun, ihr seid beide erwachsen und müßt wissen, warum ihr aufeinander losgeht. Ich habe es hingenommen. Brian erzählt mir, daß ein verwundeter Viehdieb zu dir auf die Grey Horse Ranch flieht und daß du ihn vor meiner Mannschaft in Schutz nimmst. Damit hast du dich auf die Gegenseite geschlagen. Ich wäre aber trotzdem bereit gewesen, dich anzuhören. Du bist ein Mann, Chuck Diamond, einer von den wenigen, die zu großen Bossen werden, und unter deiner Höflichkeit versteckst du mehr Härte, als meine ganze Mannschaft besitzt. Immer habe ich Dan und den Jungens dich als Vorbild hingestellt – das ist vorbei, Chuck Diamond. Nach dieser Kampfansage brauchst du eine lange Zeit, um dir mein Vertrauen wiederzugewinnen. Bleib weg von der C-Ranch, bleib weg, bis du eingesehen hast, daß du im Unrecht gewesen bist. Dann kannst du kommen – mit dem Hut in der Hand. Und bis dahin überlege dir jede deiner Handlungen und Worte sehr genau, es könnte sonst sein, daß du vergebens kommst!« Chuck hat sich mit den Ellenbogen rückwärts auf die Bar gelehnt und einen Absatz hinter die Stange gehakt, die dicht über dem Boden angebracht ist. Es ist ein herausforderndes Glitzern in seinen Augen. »Das war eine lange Rede, Comstock. Doch leider vergebens. Genauso vergebens, wie Sie auf den Tag warten werden, wo ich 40 �
mit dem Hut in der Hand zu Ihnen komme. Vielleicht komme ich einmal – aber mit etwas anderem in der Hand als dem Hut. Ich habe Ihre Unduldsamkeit und Härte jetzt erst richtig erkannt, ich werde Ihnen in gleicher Münze heimzahlen. Auge um Auge, Zahn um Zahn, Comstock. So will es das Gesetz der Weide.« Es ist, als ob jemand Comstock einen Schlag ins Gesicht versetzt hätte. Seine Fäuste verkrampfen sich, und es sieht aus, als ob er sich im nächsten Augenblick auf Chuck stürzen wollte, der in unveränderter Haltung vor ihm steht. Im gleichen Augenblick tauchen Dan und Brian Hastings neben dem Rancher auf. »Laß mich es machen, Dad. Laß mich diesen hochnäsigen Rebellen in den Boden stampfen. Verdammt, wir haben uns schon zuviel von ihm bieten lassen.« Dan Comstocks Hand liegt auf dem Revolverkolben. Sein Gesicht weist immer noch Spuren des Kampfes mit Chuck auf. Auch Brian Hastings Hand hängt neben dem Colt. Ein Funken würde jetzt genügen, um das Pulverfaß zur Explosion zu bringen. »Schert euch zum Teufel, ihr zwei. Wenn William D. Comstock einen Kampf auszufechten hat, macht er das allein. Ich bin noch nicht so alt, daß ich mich auf die Hilfe anderer verlassen müßte. Geht zurück! Es wird hier keinen Kampf geben. Wenn er den Kampf haben will, dann soll er ihn haben.« Mit spöttisch-bitterem Lächeln verzieht Chuck seine Mundwinkel. »Yeah, mit den gleichen hinterhältigen Mitteln, mit denen Sunny Morgan von ihren Revolverschwingern zurechtgestutzt wurde, Comstock. Das macht sich für Sie viel besser als ein offener Kampf. So haben Sie es doch gemeint, oder nicht?« sagt Chuck. Sowohl Chuck als auch Comstock sind vom Du wieder zum 41 �
Sie übergegangen. Es ist offensichtlich, daß die Kluft, die sie mit ihren Worten aufgerissen haben, nicht mehr zu überbrücken sein wird. »Sie sind also der Meinung, daß ich Ihren Freund habe erschießen lassen?« »Wenn jetzt wieder das Märchen aufgetischt werden soll, daß Sunny tot auf Ihrer Weide aufgefunden wurde, dann können Sie sich Ihren Atem sparen, Comstock!« »Zum Teufel, das ist kein Märchen, das ist die Wahrheit!« Nur einen kurzen Blick wirft Chuck zu Lilly hinüber, die von ihrem Stuhl aufsteht und hinter ihrem Vater vorbei zur Tür geht. Ihr Gesicht ist gerötet, und sie würdigt Chuck keines Blickes. Sofort wendet Chuck sich wieder dem Rancher zu. »Eine Frage nur, Comstock: Haben Sie Befehl gegeben, auf Maverickjäger, die auf Ihrer Weide angetroffen werden, zu schießen?« Ärgerlich schüttelt Comstock den Kopf. »Natürlich habe ich das getan. Aber nur im Notfall sollte geschossen werden. Und außerdem ändert das nichts daran, daß Morgan schon angeschossen war, als er gefunden wurde.« Chucks Handbewegung zeigt nur zu deutlich, daß ihn nichts mehr überzeugen kann. »Es hat keinen Zweck, Comstock. Ich weiß, was ich von der Sache zu halten habe. Geben Sie sich keine Mühe mehr.« Damit wendet Chuck dem Rancher einfach den Rücken zu und beschäftigt sich mit seinem Glas. Da wird er an der Schulter herumgerissen, vielmehr war es wohl nur eine Berührung, die Chuck zum plötzlichen Herumwirbeln veranlaßte. Sprungbereit, geduckt steht er vor Comstock. »Ist noch was?« Scharf, fast zischend stößt er die Worte hervor. »Yeah, es ist noch was, Diamond«, faucht Comstock ihm haßvoll ins Gesicht. »Ich habe bis jetzt Maß gehalten. Sie behandeln 42 �
mich, wie es noch niemand gewagt hat. Jetzt muß ich Ihnen zeigen, daß ich hart und rauh werden kann. Hier«, knallhart schlägt Comstock ihm den Handrücken ins Gesicht. »Hüten Sie sich in Zukunft vor mir, Diamond.« Mit langsamer, beherrschter Gebärde wischt sich Chuck über die leicht aufgeplatzte Lippe. Er schaut auf seine Hand und betrachtet die leichte Blutspur, die darin zurückgeblieben ist. »Sie sind schon lange nicht mehr Big William D. Comstock. Sie sehen nur noch so aus. In Wirklichkeit sind Sie längst ein alter Mann. Deshalb gebe ich Ihnen diesen Schlag nicht einmal zurück. Dafür werde ich Sie an Ihrer empfindlichsten Stelle treffen: die C-Ranch, Comstock. Sie sind ein gewaltiger Riese, aber ein Riese, der von innen schon ganz hohl ist. Dieses Standbild bringe ich zum Einsturz, Comstock, und eine Menge Leute warten darauf, mir dabei zu helfen.« Comstock wirft einen auffordernden Blick zu seinen Leuten hinüber, die daraufhin herankommen. »Versuchen Sie es nur, Diamond. Noch ist die C-Ranch Herr über dieses Becken. Verbünden Sie sich nur mit diesen Kreaturen, die an den Grenzen meines Reiches darauf lauern, daß die C-Ranch zusammenbricht. Ihre Rechnung wird nicht aufgehen, Diamond. Die Comstock-Ranch tritt euch alle in den Dreck, daß ihr euch nie wieder daraus erheben könnt.« Der Rancher greift hinter sich, wo ihm einer seiner Reiter den Hut reicht. Von seinem Gefolge begleitet, verläßt er den Saloon. Mit leerem Gesichtsausdruck starrt Chuck einen Augenblick hinterher. Dann kommt wieder Leben in ihn. »Schicke mir diese beiden Burschen, Bentworth und Needle, zur Ranch hinaus, Bess. Ich erwarte sie.« Mehr als ein anerkennender Blick folgt Chuck Diamond, als er hinausgeht. Die Weidereiter stehen an der Bar herum und besprechen diesen Kampf, der sich zwischen Chuck Diamond 43 �
und der mächtigen C-Ranch abzuzeichnen beginnt. Und ihre Sympathien sind auf seiten Chucks. Zu lange schon regiert Comstock mit harter Hand das County, und zu lange schon hält er jeden anderen von seinen Weidegrenzen fern. Nur Bess Avaron beteiligt sich nicht an der angeregten Unterhaltung. Ihre Augen sind umschattet, als sie den Schankraum verlaßt und durch eine Tür zu ihren Privaträumen verschwindet. * »Habt ihr euch die Angelegenheit auch genau überlegt, Boys?« fragt Chuck Diamond die beiden Weidereiter, die neben ihm am Lager Donald Claybornes stehen. »Wir geraten bestimmt mit Comstocks Reitern aneinander und ich kann keine Garantie dafür übernehmen, daß die Luft dann nicht stark bleihaltig wird.« Lässig winkt Sam Bentworth mit der schwieligen Pranke ab. »Wir wollen auf Ihre Lohnliste, Diamond, Donald, Jacky und ich. Comstock soll uns nur in die Quere kommen, darauf warten wir!« Bentworth mag etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein. Seine ruhige und betont lässige Art läßt ihn aber bedeutend älter erscheinen. Seine Haut ist von Wind und Wetter gegerbt, und sein Haar hat darüber die weißblonde Farbe reifen Weizens angenommen. Er ist hager und lang aufgeschossen. Seine Beine sind stark gekrümmt und er setzt die Hacken leicht nach außen. Jack Needle, sein Kamerad, ist das genaue Gegenteil davon. Er ist klein, breit und außergewöhnlich muskulös. Den Mangel an körperlicher Größe versucht er durch einen besonders hohen Stetson auszugleichen, ohne allerdings einen Erfolg verzeichnen zu können. 44 �
»Wir sind dabei, Boß«, quäkt er mit etwas schriller Stimme. »Lassen Sie nur endlich die Katze aus dem Sack. Seitdem Sunny erschossen worden ist, möchte ich sowieso jeden einzelnen Burschen von der C-Ranch am liebsten fünf Fuß unter der Erde sehen!« »Stopp, Jacky! Wir wollen uns im Rahmen des Gesetzes halten, nicht gegen alles, was den C-Brand trägt Amok laufen. Denkt immer daran. Laßt die Finger von den Eisen solange ihr nicht angegriffen werdet. Es gibt nur einen Mann, den wir uns vor den Lauf holen, und den kennen wir noch nicht. Sunnys Mörder! Wenn wir ihn kennen, dann lasse ich euch die Zügel locker, eher nicht. Macht euch also auf eine Geduldsprobe gefaßt. Wir müssen erst einmal Comstock auf die Hühneraugen treten. Wenn er dann nicht wild wird, sollte mich das sehr wundern. Dann wird sich schon eine Gelegenheit ergeben, den wahren Sachverhalt von Sunnys Tod zu erfahren. – Das wär’s also. Jetzt, ist die erste Arbeit, für eine Bunk zu sorgen. In zwei Tagen können wir es schaffen. Dann holen wir eine kleine Herde von Cody herüber und es kann losgehen.« Der folgende Tag sieht sie mit Sonnenaufgang wieder auf den Beinen. Chuck, der kräftig mit anpackt, beobachtet seine neuen Reiter von Zeit zu Zeit. Er ist mit seiner Wahl zufrieden. So gegensätzlich Sam Bentworth und Jacky Needle auf den ersten Blick erscheinen mögen, so sehr ergänzen sie sich bei der Arbeit. Ohne mürrisch zu wirken, läßt Sam in seiner ruhigen, besonnenen Art die Sticheleien und Hänseleien Jackys über sich ergehen. An diesem Abend kann Clayborne schon in die neuerrichtete Bunk umziehen. Seine Beinquetschung hat gute Fortschritte gemacht und er humpelt etwas umher. Das ist gut so, denn am folgenden Morgen treibt Chuck seine neue Mannschaft noch vor dem ersten Hahnenschrei aus den Bunks. »Mmppf, mmppf«, würgt Jacky an seinem Porridge, »deine 45 �
Seele muß noch viel schwärzer sein, als deine Haut, und wahrscheinlich auch noch abgebrühter als dein Kaffee. In ganz Wyoming gibt es keine Ranch, auf der der Koch von den Boys verlangt, daß sie rasiert zum Frühstück kommen. Ich werde mir gelegentlich ein Haarwuchsmittel besorgen und es dir auf das Kinn schmieren, damit du erkennen kannst, welche Höllenarbeit wir jeden Morgen schon vor dem Frühstück zu verrichten haben.« * »Well, du willst es also doch mit der Rinderzucht versuchen, Junge? das freut mich, das freut mich mächtig. Ich habe dir ja schon immer gesagt, daß mit Longhorns noch Geld zu verdienen ist. Und das wird immer besser. Bis Sheridan ist die Eisenbahn schon vorgestoßen; noch zwei oder drei Jahre, dann könnt ihr in Grey Bull das Vieh direkt zum Osten verladen.« Samuel Lees Stimme klingt etwas brüchig, aber seine stolz aufgerichtete Gestalt straft diesen ersten Eindruck Lügen. Sein dunkles, nur von einzelnnen Silberfäden durchzogenes Haar liegt wie eine Kappe dicht an den schmalen Schädel an. Sein dunkler Kinnbart ist spitz gestutzt und ebenso gepflegt wie das Bärtchen auf der Oberlippe, das den schmalen Mund überschattet. Samuel Lee könnte seinem Äußeren nach ein spanischer Grande sein. Irgend etwas scheint Chuck daran zu hindern, frei und offen zu seinem väterlichen Freund zu sprechen. Er druckst einen Augenblick herum, bevor er mit belegter Stimme endlich zum Sprechen ansetzt. »Es ist so, Mister Lee, ich möchte sehr gern mit der Zucht anfangen, aber ich kann im Augenblick nicht das erforderliche Geld für eine Zuchtherde aus meiner kleinen Pferderanch her46 �
ausquetschen. Vielleicht wäre es in diesem Herbst möglich, aber das ist noch sehr fraglich. Well, Mister Lee, ich bin ganz gut in der Lage, mit Sicherheiten einen Kredit bei der Northern Bank zu decken. Deshalb habe ich mir gedacht, daß Sie mir vielleicht die Wege zum Direktor etwas ebnen könnten.« »Nein, laufe gefälligst nicht zu einem Bankier, wenn du Rinder kaufen willst. Diese Yankees hier sehen doch in jedem Südstaatler nur den Rebellen. Ich gönne es diesem aalglatten Bankdirektor nicht, daß ein Chuck Diamond kreditsuchend vor ihm steht – Hoo, wir sind doch nur zwei Südstaatler im ganzen Becken, und da sollten wir uns nicht allein helfen können? Hier, bei Samuel Lee gibt es Rinder. Hier wirst du sie holen, nicht bei diesem abgeleckten Geldsack. Zwei Reiter hast du bei dir, habe ich gesehen. Well, strengt euch an, dann könnt ihr die fünfhundert Longhorns allein nach Grey Bull treiben, die ihr von hier mitnehmt. Hast du kapiert?« »Ich soll also… Sie meinen, ich soll einfach von Ihrer Ranch fünfhundert Rinder mitnehmen? Ja, wie machen wir das denn mit der Sicherheit? Das muß doch irgendwie geregelt werden?« Fast ärgerlich schüttelt Lee seinen Kopf. »Santa simplicitas! Höre doch endlich auf mit deiner Sicherheit, Sohn. Habe ich sie verlangt? Sorge dafür, daß in drei Jahren statt der fünfhundert mindestens zweitausend Longhorns auf deiner Weide stehen. Mir werden jedes Jahr schätzungsweise dreihundert Rinder gestohlen. Was sollen da die paar Longhorns ausmachen, die du mitnimmst.« * Siebzig Meilen durch das Big Horn Basin. Fünfhundert Longhorns und dahinter nur drei Reiter. – Das bedeutet hartes Treiben, unablässige Wachsamkeit und Staub, immer wieder Staub, � 47 �
der die Männer und ihre Pferde fast bis zur Unkenntlichkeit überzieht. Chuck stutzt plötzlich. Weit am Horizont kann er die Umrisse zweier Conestoga-Schoner erkennen. Es scheinen Maultiere zu sein, Sechsergespanne, die die Wagen ziehen. Sie kommen der Herde genau entgegen. Chuck hält sich nun an der Spitze der Herde und beobachtet die Wagen. Da löst sich ein Reiter aus dem Troß und kommt auf ihn zu. Chuck hat den Mann schnell erkannt. Es ist einer der Siedler, die sich in dem Hügelland westlich von Grey Bull seßhaft gemacht haben. Dicht vor ihm pariert der Mann sein Pferd. »‘n Tag, Stranger. Holla, sind Sie nicht Chuck Diamond von der Grey Horse-Ranch, Mann?« Chuck nimmt den Hut ab und wischt sich den Schweiß von der Stirn. »Yeah, und Sie haben eine Siedlerstelle hinten im Hügelland, hab’ ich recht?« »No, Diamond, keine mehr, seitdem Ihr Schwiegervater wild geworden ist.« »Was soll das Gerede von Schwiegervater?« »Sind Sie wirklich so harmlos, oder stellen Sie sich nur dumm? Sie wissen nicht, daß Comstock uns vertrieben bat? Vor drei Tagen versiegte plötzlich der Bach, der unsere Felder bewässert. Comstock hatte ihn auf seinem Gelände abgraben lassen. In der folgenden Nacht waren seine Burschen da und warfen tote Cojoten in unseren Brunnen. Wir haben sie mit Schrotschüssen vertrieben, aber da war es schon passiert, der Brunnen war verseucht. Mit ihren Gewehren haben uns diese Lumpen im Haus festgenagelt. Als sie gegen Morgen endlich abzogen, sahen wir die Bescherung. Unsere Felder waren restlos zertrampelt. Sie hatten eine Herde darüber getrieben. Jeder im County weiß Bescheid, nur Sie haben keine Ahnung davon, was? Sie gehören 48 �
doch zur gleichen Sippe, da dürfen Sie natürlich den Mund nicht auftun!« Die Wagen sind inzwischen herangekommen. Einige Milchkühe sind hinten angebunden. Unter dem einen Wagen ist ein hölzerner Käfig befestigt, in dem eine Hühnerschar gackert. Ein Hund kommt herangekläfft. Chuck sieht Frauen und Kinder auf dem ersten Wagen, den zweiten lenkt ein verbittert aussehender Siedler. In den Augen des Mannes ist nicht nur die nackte Not, sondern auch die hilflose, eiskalte Wut dieser Menschen zu erkennen. Der Mann reißt sein Pferd herum und galoppiert den Wagen nach, die einigen Vorsprung gewonnen haben. Chuck läßt gedankenversunken die Herde an sich vorüberziehen, greift dann zu seiner Peitsche und beteiligt sich wieder am Treiben. Aber er ist mit den Gedanken nicht bei der Sache. Immer wieder sieht er die Frauen und die Kinder, denen durch die Willkür eines Mannes die Heimat genommen worden ist. »Was ist mit den Leuten los, Boß? Es waren doch Siedler aus den Hügeln. Warum gehen sie auf den Treck?« reißt Sam Bentworth ihn aus seinen Gedanken und klatscht dabei einer störrischen Kuh das lange Leder der Peitsche um die Ohren. Mit kurzen Worten erklärt ihm Chuck die Situation, so wie sie ihm der Siedler geschildert hat. Als er endet, durchfurchen tiefe Falten Sams Stirn. »Oha, Boß! Er will seine Grenzen sauber halten, sagten Sie? Dieser mistige alte Trottel! Er sollte Gott dafür danken, wenn er anständige Siedler an seinen Weidegrenzen sitzen hat. Gibt es einen besseren Schutz gegen Rustler, als wenn eine Ranch von Siedlerstellen umgeben ist? Es wird wohl einen heißen Tanz geben, wenn er merkt, daß wir anfangen, an seinem Weideland herumzuknabbern.« Gegen Abend des zweiten Tages erreichen sie den Big Horn 49 �
River. Der Fluß ist seicht und ist ohne Schwimmen zu überqueren. Sie wenden sich nach Süden und folgen dem River flußabwärts, der heimatlichen Weide entgegen. Bei Sonnenuntergang endlich durchfurtet die Herde den schmalen Snake-Creek, der in Zukunft die nördliche Grenze von Chucks Weide bilden soll. Aufatmend läßt sich Jacky im Sattel zusammensinken. »Geschafft!« * »Ich habe ihn deutlich erkannt, Boß. Es war Diamond und zwei von diesen Burschen, die mit Morgan auf Maverickjagd gegangen sind. Wenn ich durch die Staubfahne der Herde nicht gewarnt gewesen wäre, hätten sie mich bestimmt gesehen.« Ruhelos wie ein gereizter Tiger wandert Comstock in der Halle auf und ab. Seine Hände sind auf dem Rücken verkrampft, und seine Lippen bewegen sich in der Erregung wie in einem Selbstgespräch. Aus schmalen Augen beobachtet Dan Comstock seinen Vater. »Geh’ hinüber zu den Korrals und hole Hastings her.« Damit schickt Comstock den Weidereiter hinaus und nimmt seine Wanderungen wieder auf. Mit gehässigem Gesichtsausdruck verfolgt ihn Dan. Da war es wieder, was seit Jahren den Haß gegen Chuck Diamond in ihm aufstachelte. Für seinen Vater war er unbedingt der bessere Mann, ganz gleich, welche Meinung er vertreten würde. Er selbst, als Erbe der Comstock-Ranch, mußte sich immer wieder einen dahergelaufenen Südstaatler als leuchtendes Beispiel vor Augen halten lassen. Und Dan Comstock fühlt, daß sein Vater mit seiner hohen Meinung vielleicht, ja sogar bestimmt, recht hat, aber diese Erkenntnis macht den aufsteigenden Haß nicht 50 �
besser. Brian Hastings tritt ein. Seine Stiefel sind mit dem Staub der Korrals überpudert. Sein Hemd steht offen und läßt die haarige, verschwitzte Brust erkennen. Er nimmt den Hut ab und bleibt abwartend neben der Tür stehen. Nur einen kurzen Blick schießt Comstock unter zusammengezogenen Augenbrauen zu ihm hinüber, dann rennt er ungerührt weiter auf und ab. Ein freundliches, trotzdem aber irgendwie bedrohlich wirkendes Lächeln überzieht Comstocks Gesicht. »Wir müssen hart werden, viel härter, als wir es in den vergangenen Jähren gewesen sind. Es wird uns in letzter Zeit immer mehr Vieh gestohlen, das wißt ihr. Ich habe deshalb die Maverickjagd auf unserer Weide verboten. Nun, wir haben jetzt Chuck Diamond auf dem Hals. Er hat eine Herde herangetrieben, die jetzt auf unserer Weide steht. Was würden Sie machen, Brian?« Fast hilfesuchend wandern Hastings’ Augen zu Dan Comstock hinüber, der sich mit bleichem Gesicht in einen Sessel zurückgelehnt hat. Sein Vater hat wieder einmal zu Hastings gesprochen, aber ihn selbst gemeint. Dan Comstock ist von seiner Idee besessen, in ihm tobt die Hölle. Für ihn ist es zu spät, um einzusehen, daß sein Vater aus ihm den Mann machen will, der er selbst ist. William D. Comstock ist hart zu anderen, aber genauso auch zu sich selbst. Die Härte anderen gegenüber hat Dan längst geschluckt, aber als Erbe einer Riesenranch glaubt er, für sich selbst Ansprüche an das Leben stellen zu können, bevor er sich im Leben bewährt hat. Und es gibt für ihn Möglichkeiten, um seinen Hang zu Ausschweifung zu bilanzieren. Seiner Meinung nach nimmt er damit nur einen Vorschuß auf sein Erbe, aber dafür würde sein Vater nicht den geringsten Funken von Verständnis aufbringen. Er blickt zu Brian Hastings hinüber und 51 �
bemerkt dessen Gesichtsausdruck. Fast unmerklich schüttelt er den Kopf. »Wir wollen diese Burschen zum Teufel jagen, Boß, So wie wir es vor Jahren auch mit anderen gemacht haben. Dieser Diamond kann zum Kopf des Widerstandes gegen die C-Ranch werden. Das dürfen wir uns nicht bieten lassen.« Bestätigend nickt Big William D. mit dem Kopf. »Yeah, Brian, das denke ich auch. Diamond muß weg. Er hat sich öffentlich gegen uns gestellt, wir haben keine andere Wahl. Ich nehme keine Rücksicht darauf, daß er mit Lilly verlobt war. Es geht um die C-Ranch und ihre Machtstellung hier im Becken. Nun, Dan, wie würdest du die Sache anpacken? Du hast gehört, daß Chuck seine Herde auf unserer Weide vor seinem Taleingang stehen hat. Seit dem vorigen Jahr haben wir dieses Gebiet nicht mehr benutzt. Seine Rinder stehen also allein und isoliert. Was machen wir also?« Mit einem Ruck stemmt sich Dan Comstock von dem Sessel ab und kommt heran. »Wir nehmen eine starke Crew und zerstreuen seine Rinder in alle Winde, Dad. Was sich uns in den Weg stellt, wird mit Blei empfangen!« »Und dann stecken seine Rinder zum Teil in unserer Herde, und wir sind selbst nicht besser als die Viehdiebe, die wir verfolgen, was? So ungefähr hattest du es dir gedacht, Dan. – No, das erledigen wir sofort. Vor einer Stunde sind sie mit ihren Rindern angekommen. Sie sind bestimmt hundemüde und rechnen nicht so schnell damit, daß wir ihnen auf den Pelz rücken. Das ist genau die richtige Zeit. Wir kreisen die Herde ein und jagen sie einen der Canyons in die Berge hinauf. Die Rinder werden abstürzen, und er sieht kaum soviel davon wieder, wie er sich an zehn Fingern abzählen kann. So wird es gemacht. Los, Brian, rufe einen großen Teil der Mannschaft zusammen. Du, Dan, rei52 �
test zur Außenstation und bringst jeden Reiter mit, der nur irgendwie entbehrlich ist. Wir treffen uns an der Furt. Ich selbst werde an der Spitze reiten.« * Es ist die Zeit vor Aufgang des Mondes. Schwarz wie Tinte ist die Nacht. Nur aus kürzester Entfernung sind die Rinder wahrzunehmen, die sich niedergelegt haben und wiederkäuen. Die Herde ist über ein Gebiet von einer Quadratmeile verteilt. Alles ist ruhig, nur der Wind rauscht manchmal gespenstisch in den Föhren des Berghanges. Hier und da ist auch das Heulen eines Bergwolfes zu hören, das mit einem jaulenden Laut ansetzt, zu schriller Höhe emporsteigt und dann mit einem quäkenden Seufzer abbricht. Es ist ein unheimliches Geräusch, aber Donald hat sich in den vergangenen Tagen auf der Ranch daran gewöhnt. Seine Hand umspannt den Kolben seiner Winchester. Es ist unglaublich, wie lang so eine Wache sein kann, wenn nichts, aber auch gar nichts passiert. Mit hartem Griff reißt Donald ruckartig seinem Pferd die Trense in die Lefzen. Da war ein fremdes Geräusch in der Nacht. Er versucht, mit den Augen die Dunkelheit zu durchdringen. Vergebens! Aber da ist der Laut wieder. Gewandt wie eine Katze, gleitet er aus dem Sattel. Von seiner Beinquetschung ist nichts mehr zu bemerken. Am langen Zügel hält er sein Pferd fest und legt sich flach auf den Boden, preßt das Ohr auf die Erde. Jetzt ist es deutlicher. Irgendwo in der Nacht reitet ein starkes Rudel. Es nähert sich gegen den Wind, deshalb wird der Schall in der Luft weggerissen. Fast zwei Minuten bleibt er ruhig liegen, hält den Atem an, um sich keinen Lauf der trommelnden Pferdehufe entgehen zu lassen. Der dumpfe Wirbel kommt näher, verebbt, wird sto53 �
ckend. Langsam, überlegend steht der junge Reiter auf. Es gibt kaum eine harmlose Erklärung für ein so starkes Reiterrudel mitten in der Nacht. Die Gedanken jagen in Donalds Gehirn. Viehdiebe, ist sein erster Gedanke. Und er ist allein bei der Herde. Keine Möglichkeit, den Boß zu verständigen. Selbst einige Schüsse wären bis zur Ranch nicht zu hören, weil der Wind ziemlich stark von den Bergen herab weht. Da springt Donald in den Sattel und treibt das Pferd vorsichtig an. Im Schritt, möglichst leise, lenkt er es von der lagernden Herde weg. Er schlägt einen großen Bogen, nimmt die Richtung zum Fluß. Als er endlich der Überzeugung ist, das Rudel überflügelt zu haben; biegt er gegen den Wind ein. Ohne Zweifel, er hat die Reiter vor sich, der Wind trägt ihm nun die Geräusche zu, den Hufschlag einer weit auseinandergezogenen Reiterkette. »Treibt sie!« Ganz dünn werden die zweifellos laut geschrienen Worte an sein Ohr getragen. Dann folgt das Klatschen der Treiberpeitschen und die Geräusche, die eine aufgestörte Herde von Longhorns verursacht. Der Lärm wird nun so stark, daß Donald es gefahrlos riskieren kann, sein Pferd in Galopp zu jagen. Schnell holt er auf, kann schließlich vereinzelte Reiter erkennen, die auf die Rinder lospeitschen, sie rücksichtslos antreiben. Zunächst ist Donald verdutzt über die Richtung, die die Viehdiebe einschlagen. Es gebt nach Südosten, auf den Fork-Canyon zu, der sich oben im Gebirge in einem Gewirr von Schroffen und Abgründen verliert. Da funkt es plötzlich bei ihm. Er erkennt den Plan, dem diese Burschen da vorn folgen. Jetzt gibt es kein Halten mehr. Der starke Wind peitscht ihm ins Gesicht und drückt die Hutkrempe gegen seine Stirn. Wie ein Gnom hockt er auf seinem Gaul und jagt das Tier in voller Carriere durch die Nacht. Es ist jetzt gleichgültig, ob das Tier in diesem wahnwitzigen Tempo in einen Präriehundebau tritt und er sich den Hals 54 �
bricht. Nur eins zählt noch: die Mannschaft früh genug auf die Beine zu bringen, um den Fork-Canyon abzuriegeln. Fast wäre das Pferd in der Dunkelheit gegen das Gatter geprallt, das das eigentliche Tal der Grey Horse-Ranch begrenzt. Im selben Augenblick kann Donald es zur Seite reißen. Fluchend reitet er bis zum Tor an dem Zaun entlang, zwängt sich mit seinem Pferd hindurch und prescht mitten durch ein Pferderudel hindurch. Minuten später hat er die Ranch erreicht. Sein Gewehrkolben donnert gegen die Tür des Hauses. Es hätte dieses Alarms nicht mehr bedurft. Das Bellen Terrys hat Chuck und seine Männer schon auf die Beine gebracht. »Die Herde! Die Herde wird weggetrieben. Mindestens fünfzehn Reiter jagen sie in den Fork-Canyon!« Es dauert keine zwei Minuten, bis Sam Bentworth die Pferde gesattelt aus dem Stall führt. Hose, Stiefel und Revolvergurt bilden seine einzige Bekleidung. Marmaduke kommt aus dem Haus gestürzt und stopft im Laufen mit einer Hand die letzten Zipfel seines Hemdes in die Hose. Die andere Hand schwingt wild entschlossen eine Schrotflinte. Jacky hüpft wie ein erschreckter Sandfloh herum. In der Eile hat er seine Stiefel verwechselt. Schließlich läßt er sich mit einem Plumps auf die Erde fallen und zieht sie fluchend wieder aus. Donald ist längst aus dem Sattel gesprungen und führt, als Chuck zum Stall gerannt kommt, zwei weitere Sattelpferde heraus. Chuck sitzt als erster im Sattel. Jacky springt schließlich vom Boden auf, hastet noch einmal in die Bunk zurück und kommt mit zwei Gewehren wieder heraus, von denen er eines Sam Bentworth zuwirft. Drei Minuten nach Donalds Alarm donnert das Rudel geschlossen vom Hof. Während des Reitens schreit Clayborne seinen Bericht zu 55 �
Chuck hinüber. Er muß sich gewaltig anstrengen, um den Hufschlag der galoppierenden Pferde zu übertönen. Hinter dem Gatter hält Chuck seinen grauen Wallach plötzlich an. Sofort bildet das Rudel eine dichte Traube um ihn. »Sam, kennst du den Vorderhang der Big Horn-Mountains?« Sam Bentworth drängt sein Pferd dicht an Chuck heran. »Wie meinen Tabaksbeutel, Boß. Von hier noch drei Meilen bis zum Fork-Canyon!« »Gut Sie werden bis dahin fast eine Stunde brauchen. Von da an noch ein paar Minuten bis zur Gabelung. Haltet euch dicht am Bergabhang und seht zu, daß ihr sie überholt und die Felskanzel an der Canyon-Gabel vor ihnen erreicht. Klettert hinauf und haltet zwischen sie, wenn sie herauftreiben. Geht gut in Deckung. Schießt wie die Teufel. Sie müssen glauben, daß sie eine ganze Schwadron empfängt.« Jacky kann es sich bei diesen Worten nicht verkneifen, liebevoll über seine prall gefüllten Hosentaschen zu streicheln, die er voll Munition gepfropft hat »Wo wollen Sie denn hin, Boß? Sie können nicht allein losreiten. Gegen fünfzehn Mann haben Sie nicht die geringste Chance.« Chuck tut diese Erwiderung mit einer schroffen Handbewegung ab. »Kümmert euch nicht um mach. Ihr müßt mit eurem Feuer die Herde aufhalten. Jagt sie in Stampede.« Da lacht Sam Bentworth schallend auf. Sein Oberkörper ist immer noch nackt, und er krault mit den Fingern in dem Urwald auf seiner Brust. »So geht es, Boß. Bestimmt wird es gehen! Die Burschen müssen sich ja alle hinter der Herde halten. Sie werden laufen wie die Karnickel, wenn die Herde kehrtmacht und sie auf die Hörner nimmt. Das wird die schönste Karnickeljagd meines Lebens! 56 �
William D. wird seine Mannschaft mit dem Löffel aus dem ForkCanyon kratzen müssen, wenn die Herde darüber getrampelt ist. Los, Jungens! Three Cheers für unseren Boß und seine Strategie.« Auf Chucks Wink schließt sich auch Marmaduke der anreitenden Mannschaft an. Es scheint ihm zwar gegen den Strich zu gehen, daß er seinen ›Little Boy‹, wie er ihn in Gedanken immer noch nennt, allein lassen soll, aber er weiß, daß er auf Chucks Fähigkeiten vertrauen kann. Allein bleibt Chuck auf der Weide zurück. Er drückt sich den Hut tief ins Gesicht und reitet los. Seine Augen haben in der Dunkelheit einen leicht phosphoreszierenden Schimmer. Er sieht bei Nacht fast so gut wie eine Katze. Diesen Umstand hat er während des Krieges schätzen gelernt und will ihn sich nun zunutze machen. Von vorn ist Klatschen der Peitschen und ab und zu das Schreien eines der Treiber zu hören, mit dem sie sich bei der Dunkelheit miteinander verständigen. Noch einmal zieht Chuck seinen Hut tiefer ins Gesicht. Dann löst er sein Lasso vom Sattel und wickelt die Schlingen so, daß sie ungefähr die Länge einer Bullpeitsche haben. Er verlangsamt seinen Ritt und schiebt sich immer näher an die Treiberkette heran. Zwei Reiter kann er erkennen. Weiter rechts scheint eine Lücke zu sein, jedenfalls verschwindet der Anschlußmann in der Schwärze der Nacht. Ohne Zögern lenkt Chuck sein Pferd dort hinüber, reiht sich in die Treiberkette ein und beginnt, sein Lasso wie eine Peitsche zu schwingen. Für den Treiber links von ihm muß es so aussehen, als ob dort einer seiner Kumpane hinter der Herde reitet. Ganz unmerklich erweitert Chuck den Abstand, schiebt sich immer weiter nach rechts. Da taucht endlich der nächste Treiber auf. Chuck läßt seinen Gaul etwas zurückfallen. Er will Abstand gewinnen, um sich hinter diesem Burschen vorbei weiter nach 57 �
rechts zu schieben. Da kommt ihm ein unerwarteter Glückszufall zu Hilfe. Fast wäre er von dem großen Rappen gerammt worden, der mit trommelnden Hufen aus der Dunkelheit heranjagt. Dicht hinter ihm prasselt der Hufschlag vorbei, verstummt für einen Augenblick. »Verdammt, bleibt an der Herde, treibt sie! Los, Cowboys! Gebt ihnen, was sie brauchen.« In dem kurzen Augenblick des Vorbeireitens, muß Comstock aufgefallen sein, daß einer der Reiter viel zuviel Abstand von den Rindern hat, um sie wirksam treiben zu können. Unwillkürlich zieht Chuck seinen Kopf zwischen die Schultern, verändert seine ganze Körperhaltung. Es ist dunkel, und er wendet William D. den Rücken zu. Trotzdem will er jedes Risiko des Erkanntwerdens vermeiden, denn davon hängt das Gelingen seines Planes ab. Wie ein Weidereiter, der bei einer Nachlässigkeit von seinem Boß ertappt wurde, schwingt er um so eifriger sein Slongstick und treibt sein Pferd an die hintersten Rinder heran. Der Hufschlag in seinem Rücken setzt wieder ein und entfernt sich. Da reißt Chuck seinen Wallach mit hartem Griff herum und setzt hinterher. Seiner Schätzung nach müssen sie schon dreihundert Yard von der Treiberkette entfernt sein, das ist für Chucks Plan ausreichend. Er zieht die Zügel an und bringt das Pferd zum Stehen. Mit einem Satz ist er aus dem Sattel. Er kniet am Boden, so daß sein Pferd sich zwischen ihm und dem herangaloppierenden Comstock befindet. »Verdammt, was gibt es denn hier so Aufregendes?« Der Stimme des Ranchers ist der Ärger deutlich anzuhören. Er pariert seinen mächtigen Gaul durch, legt sich für einen Augenblick im Sattel nach hinten und stemmt die Beine mit den Steig58 �
bügeln nach vorn. Als der Gaul, der die letzten Yards mit eingestemmten Beinen gerutscht ist, endlich zum Stillstand kommt, beugt er sich vor und späht über den Rücken von Chucks Pferd zu dem knienden Mann hinüber, um zu sehen, was sich dort am Boden abspielt. Viel zu spät erkennt er den Schatten, der plötzlich aufschnellt, im Bruchteil einer Sekunde im Sattel sitzt und ihm den Revolverlauf unangenehm nahe unter die Nase hält. »Goddam – Diamond«, entfährt es ihm schließlich. »Yeah, goddam Diamond«, äfft Chuck seine verbissene Sprechweise nach. »Wissen Sie jetzt, was es hier Aufregendes gibt, Comstock? Ich habe mir erlaubt, die Herde ein bißchen mitzutreiben. Jetzt möchte ich von Ihnen meinen Treiberlohn.« William D. Comstock ist ein harter Brocken, der im Laufe seines Lebens manche gefahrvolle Situation durchgestanden hat. Die Schrecksekunde ist vorüber. Et hat sich völlig in der Gewalt. »Ich habe es den Burschen immer gesagt, daß Sie gefährlicher sind als ein Jaguar, Diamond. Was wollen Sie von mir? Wollen Sie mich hier voll Blei pumpen, oder was haben Sie sonst vor?« Gewollt langsam hebt Chuck die Revolvermündung zum Mund, bläst überlegend hinein, während seine Augen keinen Zoll von dem alten Weidepiraten weichen. »Ihre Ideen sind manchmal wirklich gut, William D., aber dieses Vergnügen hebe ich mir bis zu dem Tag auf, an dem ich Ihnen den Mord an Sunny nachweisen kann. Heute will ich nur den Treiberlohn: fünfhundert Rinder, die Ihre Meute da hinten wegtreibt.« »Und Sie glauben wirklich, daß meine Mannschaft klein beigeben wird, nur weil Sie mir Ihren Colt unter die Nase halten? Versuchen Sie es ruhig, sich einem von den Burschen zu nähern. Sie werden schon sehen, welche Antwort Sie bekommen!« Von Chucks Selbstsicherheit ist Comstock aber dann doch 59 �
etwas beeindruckt, als er nun ganz leichthin sagt: »Sie scheinen meine Gedanken zu lesen, Comstock. Gerade das hatte ich eben vor!« In unmißverständlicher Deutlichkeit bleibt der Lauf von Chucks Colt auf Comstocks Magen gerichtet, als er ein Bein über das Sattelhorn schwingt und zu Boden rutscht. Mit einem geschickten Griff angelt er sich dessen schwere Waffe aus dem Halfter und wirft sie mit Schwung in die Dunkelheit hinaus. Comstock stützt sich auf das Sattelhorn und blickt mit verkniffenen Augen zu Chuck hinab. »Ich bin gespannt, was Sie jetzt anstellen wollen. Haben Sie Ihr Testament schon gemacht, Diamond?« Chucks Gesicht bleibt unbewegt. »Sie denn, Comstock? Sie haben es nötiger als ich, denn jede Kugel, die mich treffen soll, wird erst Sie durchlöchern müssen. Los, nehmen Sie die Füße aus den Bügeln!« Chuck steht jetzt seitlich von Comstock, vorsichtshalber immer außer Reichweite von dessen Beinen und den sporenbewehrten Stiefel. Als Comstock seinem Befehl nachgekommen ist, fährt er fort: »Jetzt rutschen Sie nach vorn, rüber über das Sattelhorn!« Comstock macht keine Anstalten, dieser Aufforderung zu folgen. »Sie sollten mit Ihrem Leben etwas sorgfältiger umgehen, mein Lieber! Ich habe keine Zeit, jedes Wort zu wiederholen.« Jetzt beugt sich Comstock seitlich aus dem Sattel zu Chuck herab, und sein Gesicht ist zu einer Grimasse verzerrt. »Was wollen Sie schon machen, wenn ich es nicht tue?« Abschätzend wiegt Chuck seine Waffe in der Hand. »Sie würden mich dann zwingen, einen Viehdieb ins Jenseits zu befördern. So einfach ist das, Comstock!« Bei dem Wort Viehdieb zuckt Comstock zurück. Von dieser 60 �
Seite hat er die Angelegenheit anscheinend noch nicht betrachtet. »Sie – Sie bluffen doch nur, Diamond.« »An Ihrer Stelle würde ich mich nicht darauf verlassen.« Ganz leise hat Chuck die Worte gesprochen, spröde wie brüchiges Eis. Ein eigenartiges Gefühl beschleicht Comstock bei diesem Tonfall. Als Viehdieb erschossen zu werden, ist nicht die Todesart, die er sich wünscht. Einen Augenblick herrscht Schweigen. Eckig und marionettenhaft wirken Comstocks Bewegungen, als er schließlich nach vorn auf den Hals des Pferdes rutscht. Mit einem Satz sitzt Chuck hinter ihm im Sattel und drückt den Lauf des Colts unbarmherzig hart gegen die Rippen des Ranchers. »Wir reiten jetzt hinter der Herde her. Nehmen Sie selbst die Zügel. Ich nehme an, daß Sie alles an Revolverschwingern mitgebracht haben, was Sie auf die Beine stellen konnten. Brian Hastings wird also auch mit von der Partie sein. Rufen Sie ihn heran und denken Sie immer daran, daß mein Daumen auf dem Hammer liegt.« Chuck schlägt dem Gaul die Sporen in die Flanken. Das Tier trabt an. Nach kurzer Zeit haben Sie die Herde erreicht, »Rufen Sie jetzt«, zischt Chuck seinem Gefangenen ins Ohr. Einen Moment scheint Comstock einen Kloß in seinem Hals hinunterzuwürgen. »Brian! Brian Hastings!« Seine Stimme klingt rauh und heiser. Von rechts taucht ein Schatten auf. »Der Vormann ist auf der anderen Flanke, Boß!« Ein leichter Druck mit dem Revolverlauf unterstützt Chucks nachfolgende Worte: »Schicken Sie ihn weg, schnell, bevor er etwas erkennt!« Comstock braucht trotzdem einen kurzen Moment des Anlaufs, bevor er tatsächlich den Reiter zu Hastings schickt, um 61 �
ihn herzuholen. Schweigend warten die zwei Reiter auf dem einen Pferd auf die Ankunft des Vormannes. Die Herde zieht langsam weiter, und das Getrappel der Rinderhufe wird langsam schwächer. Irgendwie muß der Reiter, den Comstock weggeschickt hat, aber doch Verdacht geschöpft haben. Eine gewisse Unruhe ist bei den Treibern zu bemerken. Laute Zurufe sind zu hören. Da kommt Brian Hastings in Begleitung des Boten herangaloppiert. Zur gleichen Zeit nähert sich vom anderen Ende der Kette ein Rudel von drei Reitern. Es ist Dan Comstock, der an der Spitze reitet. »Jetzt überlegen Sie sich schnell, wie Sie es haben wollen, Comstock. Ich sitze in der Tinte, aber ich habe Sie als Pfand. Wenn es rauh werden sollte, sind Sie der erste, der darunter zu leiden hat!« Chuck sieht, wie Comstock bei seinen Worten den Kopf zurückwirft. Es ist eine brutale, unduldsame Bewegung, so, als ob er damit sagen wollte: ›Laß mich jetzt in Ruhe. Ich weiß, was ich zu tun habe.‹ – Chuck spürt die Entschlossenheit, die nun von dem Rancher ausgeht. Wozu er sich entschlossen hat, werden die nächsten Sekunden zeigen. »Bleibt stehen! Stehenbleiben, sage ich!« Knapp fünfzehn Yard entfernt hatten die Reiter tatsächlich ihre Pferde an. Nur schemenhaft können sie in der Dunkelheit erkennen, daß irgend etwas mit Comstock nicht in Ordnung ist. Die Härte und Rauheit in seiner Stimme bannt sie an ihren Platz. In diesem Augenblick kommt auch Hastings mit seinem Begleiter heran. Er muß das Rufen des Ranchers schon gehört haben, denn ohne Aufforderung reißt er neben den anderen Reitern sein Pferd auf die Hacken. »Was ist los, Boß? Wer sitzt da mit Ihnen auf dem Gaul?« ruft er herüber. 62 �
Und Comstock ist nun wirklich wieder der große Boß dieser rauhen Mannschaft. Ruhig und überlegen hebt er die Hand empor. »Holen Sie die ganze Mannschaft von der Herde weg, Brian. Für heute ist die Vorstellung zu Ende.« Atemberaubendes Schweigen folgt seinen Worten. Hastings braucht eine ganze Weile, um mit dem Gehörten fertig zu werden. »Das ist doch nicht Ihr Ernst, Boß. Wir stehen eine halbe Meile vordem Fork-Canyon!« »Mag sein, daß es nicht mein Ernst ist, Brian. Aber Chuck Diamond, der hinter mir auf dem Pferd sitzt, läßt mir keine andere Wahl. Machen Sie schon endlich. Rufen Sie die Boys zusammen!« Es ist fast ein Unterton von Humor, der in Comstocks Stimme mitklingt. Chuck verzieht in der Dunkelheit seinen Mund zu einem anerkennenden Grinsen. Yeah, William D. Comstock hat schon ein besonderes Format. Auch als alter Mann wirft er noch einen gewaltigen Schatten über das ganze County. »Wir kommen jetzt zu Ihnen, Boß. He, Diamond, wenn Comstock auch nur eine Schramme abkriegt, werden wir Sie am offenen Feuer im eigenen Fett gar rösten! Wir kommen und holen unseren Boß ab, Sie können unbehelligt abhauen. Seine Freiheit gegen Ihre! Keine Angst, Boß. Dieser verdammte…« »Brian Hastings«, bellt Comstocks scharfe Stimme dazwischen, »hier bin ich der Boß. Machen Sie sofort genau das, was ich Ihnen befohlen habe. Ich weiß genau, wann ich einen Bluff riskieren kann. Aber hinter mir sitzt Diamond. Er hat einen verdammt hohen Trumpf in der Hand. Los, machen Sie, Mann, bevor ich Sie zum Teufel jage.« Mit großer Aufmerksamkeit verfolgt Chuck den Wortwechsel. Gleichzeitig behält er seine Umgebung im Auge. Diese Mann63 �
schaft ist zu rauh und zu gerissen, um ohne weiteres auf diesen Handel einzugehen. Chuck hat einen sechsten Sinn für Gefahr. Dieser Sinn hat ihm mehr als einmal das Leben gerettet. Gerade jetzt aber durchzuckt ihn wieder das Bewußtsein einer tödlichen Bedrohung. Und Chuck reagiert blitzschnell. Er hat den Schatten, der jäh seitlich hinter ihm aus dem Boden zu wachsen scheint, mehr geahnt als gesehen. Dumpf rollend werfen die Hänge der Berge das Echo seines Schusses zurück. Für den Bruchteil einer Sekunde erhellt das Mündungsfeuer seiner Waffe den Umkreis. In dieser Helle erkennt Chuck den Mann, der sich herangeschlichen hat und auf ihn zuschnellen wollte. Und er erkennt auch, daß sein Schuß gesessen hat. Ein lauter Aufschrei bringt im selben Moment die Bestätigung. Da hat Chuck seine Waffe schon wieder in Comstocks Rippen gepreßt. »Wenn das noch einmal passiert, durchlöchere ich euren Boß! Ihr könnt mich vielleicht erwischen, aber auch eine Kugel zwischen meinen Rippen wird mich nicht davon abhalten, ihm das Blei ins Rückgrat zu jagen.« Ein gemeiner Fluch Hastings’ ist die Antwort auf Chucks Warte. Dann reißt der Vormann sein Pferd herum und jagt davon. »Das wird Sie teuer zu stehen kommen, Diamond«, klingt da Dan Comstocks Stimme herüber. »Ist geschenkt!« antwortet Chuck. Sofort senkt er dann seine Stimme und raunt Comstock zu: »Sie scheinen doch ein guter Menschenkenner zu sein, Big William. Ich hätte wirklich geschossen.« Chuck schwingt sich in den Sattel. »Meinetwegen können Sie sich jetzt zum Teufel scheren, Comstock. Aber eins merken Sie sich noch: die Regierungsweide kann jeder beanspruchen, der seine Rinder darauf hält. Auf der 64 �
Weide nördlich vom Snake-Creek stehen ab heute meine Rinder! Es wäre gut, wenn Sie sich an diesen Gedanken gewöhnten.« * »Dieser Bursche ist viel zu ruhig und überlegend, als daß man ihn in eine faule Sache hineinhetzen könnte. Gib diese Idee auf, Dan. Um Diamond wegzuputzen, muß man ein größeres Kaliber haben.« Brian Hastings, der bisher am Fenster gestanden hat und den Hof der kleinen Außenstation beobachtet, wendet sich nun den beiden zu. »Matt hat recht, Dan. Es gibt nur eine Möglichkeit. Wir müssen es so einrichten, daß Diamond als Viehdieb überführt wird. Dann ist er fertig hier im County. Wir müssen uns diesen Burschen vom Hals schaffen, und zwar auf eine unauffällige Weise. Wenn er seine Schnüffelnase erst einmal richtig in unsere Geschäfte gesteckt hat, ist es dazu zu spät.« »Yeah«, sagt Matt Coldway, und es hat den Anschein, als ob er jedes Wort zwischen den Zähnen zerkaut, »es waren doch wirklich gute Geschäfte, die wir gemacht haben. Schade, wenn so ein verdammter Rebell uns dazwischen funkte. Es kann zwar nichts schaden, wenn du deinen Alten auf ihn hetzt, aber wir können uns nicht darauf verlassen, daß er ihn fertigmacht. Machen wir es doch selbst. Eine Nacht Arbeit, dann haben wir es geschafft.« Brian Hastings nickte zustimmend zu den Worten Coldways. »Überlege dir die Sache nicht lange, Dan. Laß Matt an den Drücker, dann sind wir diese Sorge bald los. Die Randweide an der Hügelkette ist am günstigsten. Wir treiben eine Herde zu Diamond hinüber. Um Mitternacht reitest du dann mit auf Streife. Mache es nicht zu auffällig, wenn du den Verlust der Herde entdeckst. Matt wird die Spur deutlich genug zur Grey 65 �
Horse-Ranch hinüberziehen. Ich bleibe auf der Ranch, und warte die Ankunft deines Boten ab. Verlaßt euch darauf, ich mache den Alten so scharf, daß er explodiert wie ein Pulverfaß. Der Rest ist dann nur noch Kinderspiel.« * Und wieder wird eine Herde durch die Nacht getrieben. Es ist Matt Coldway und seine Rustler-Mannschaft, die etwa dreihundert Tiere nach Norden treiben, am Rand der Big Horn-Mountains entlang. Aber dann erreichen sie eine Stelle, wo der Grasbewuchs von steinigem Geröllboden abgelöst wird. Coldway wartet, bis die ganze Herde das Grasland verlassen hat, dann stößt er einen gellenden Pfiff aus. Es ist Les Noel, der in der berüchtigten Rustlerbande Coldways die Rolle eines Leutnants spielt. »Ist es soweit, Matt?« »Yeah, hier trennen sich unsere Wege. Treibe deinen Teil auf diesem Weg weiter. In zwei Stunden habt ihr die Biester auf Diamonds Weide. Seht zu, daß sie gleich mit seinen Rindern durcheinander geraten. Ich treibe weiter nach Broken Hill. Wenn ihr euch beeilt, könnt ihr uns noch einholen. So long! Laßt euch nicht von Diamond sehen.« »Keine Sorge, Matt. Bringe du nur unser Taschengeld heil über die Hills. Wenn ihr vor uns da sein solltet, laßt uns einen kräftigen Schluck kaltstellen.« Dann geschieht etwas Seltsames. Kaum hundert Rinder bleiben auf dem Weg nach Norden. Der Rest aber biegt in die Smoky Hills ab und verschwindet in der steinigen Falte, die sich wie ein Paß weit in das Hügelland erstreckt. * 66 �
»Jetzt ist es endlich soweit, Boß. Wenn es so ist, wie der Bursche es uns erzählt, werden wir die Fährte bestimmt bis zum Ende verfolgen können. Wir haben ihn, und dieser Idiot ist uns noch zu Hilfe gekommen.« Es müßte Comstock normalerweise auffallen, daß Hastings trotz der späten Stunde vollständig angezogen ist, aber die Erregung läßt ihn nicht auf diesen Gedanken kommen. Mit blutunterlaufenen Augen starrt er zu dem Weidereiter hinüber, der eben die Meldung von einem frechen Viehdiebstahl von der. Außenstation gebracht hat. »Ihr habt die Fährte verfolgt, bei Nacht?« »Sure, Boß! Sie ist deutlich genug. Eine ganze Herde haben diese verdammten Hundesöhne weggetrieben. Vielleicht haben sie nicht damit gerechnet, daß wir es so bald entdecken würden. Jedenfalls haben sie genau nach Norden zu ihrer Ranch getrieben.« Comstock zieht mit einem letzten Ruck seinen linken Stiefel fest an den Fuß und stampft mit dem Absatz einige Male auf den Boden. »Brian, holen Sie die Mannschaft aus den Betten. Es soll sein letzter Streich gewesen sein.« Comstock braucht seinen Worten nichts mehr hinzuzufügen, denn der Vormann hatte den Türdrücker schon in der Hand und ist im selben Augenblick verschwunden. Einige Atemzüge später schallt schon seine Stimme aus der Bunk herüber. Wenige Minuten später donnert William D. Comstock an der Spitze einer starken Mannschaft von der Ranch und schlägt die Richtung zum Fluß ein, hinter dem die Big Horn-Mountains wie eine schwarz drohende Mauer sich emportürmen. Und niemand kann ahnen, daß es ein alter Mann ist, der dieses Rudel anführt, ein Mann, dem nur noch das Bewußtsein, daß er um den 67 �
Bestand seines Lebenswerkes kämpfen muß, daß er das Erbe seiner Kinder zu schützen hat, die Kraft gibt, einen letzten Krieg anzufangen. In scharfem Ritt braucht die Mannschaft nur eine halbe Stunde, bis sie den Fluß überquert. Zwei scharfe Pfiffe dringen zu ihnen herüber. »Das ist Dan, Boß. Er wollte hier in der Nähe mit den zwei Jungens, die noch bei ihm sind, auf uns warten.« Es hätte dieser Erklärung nicht mehr bedurft, denn im gleichen Augenblick kommen die drei schon herangetrabt. »Es gibt keinen Zweifel, Dad. Wir haben die Spuren bis zum Creek verfolgt. Sie haben die Herde direkt auf ihre Weide getrieben, diese Anfänger!« William D. Comstock gibt keine Antwort. Er bemerkt auch nicht den schnellen Blick schweigenden Einverständnisses, den Dan mit Brian wechselt. Er wendet seinen Rappen nach Norden. Eine halbe Stunde später überschreiten sie den Creek. Bald stoßen sie auf vereinzelte Rinderrudel, die sich niedergelegt haben. Von einem Wächter fehlt jede Spur. »Brian, sehen Sie sich das Brandzeichen an«, weist Comstock zu den Tieren hinüber. Hastings springt aus dem Sattel und nähert sich den Rindern, die inzwischen unruhig aufgesprungen sind. Nach kurzer Zeit kommt er zurück. »Die Hälfte davon trägt den C-Brand, Boß. Sie haben die Herde einfach unter ihre eigenen Rinder gemischt.« »Das sieht Chuck Diamond gar nicht ähnlich«, sagt der Rancher fast bedauernd. »Er muß sich verdammt sicher gefühlt haben. Aber das ist jetzt gleichgültig. Die Würfel sind gefallen. Die C-Ranch steht im Recht. Vorwärts, wir haben ein Rustlernest auszutilgen!« Comstock zügelt sein Pferd unmittelbar vor dem Gattertor. 68 �
Undeutlich ist die dunkle Gestalt eines Reiters zu erkennen, der auf der anderen Zaunseite schweigend auf seinem Pferd verharrt. »Öffnet das Tor, schnell. Sie sind jetzt alarmiert. Wenn wir sie erwischen wollen, müssen wir uns beeilen.« Brian Hastings ist es, der diese Worte hervorstößt. Zwei Reiter drängen sich an das Gatter heran und greifen nach dem Zuggewicht, »Piiiuuu«, macht die Kugel, die vor ihnen auf den Boden prallt und als Querschläger vor einen der Gatterpfosten patscht. »Hier ist die Grey Horse-Ranch, Freunde«, klingt eine Stimme aus dem Dunkel. »Wer sie betreten will, hat vorher um Erlaubnis zu fragen, auch wenn es Burschen von der großmächtigen CRanch sind!« Es ist ein haarsträubendes Revolverfeuer, das dem mutigen Sprecher im nächsten Augenblick entgegenschlägt. Mehr als ein Dutzend Colts erhellen mit ihren Mündungsfeuern die Nacht. Es müssen mindestens drei Unzen Blei pro Quadratfuß sein, die die C-Mannschaft auf die Reise schickt. Wie giftige Hummeln umbrummen die Geschosse den einsamen Reiter. Nur dem Umstand, daß der größte Teil der Schützen sein Ziel noch gar nicht erkannt hat, ist es zu verdanken, daß keiner der Schüsse trifft. Der Reiter reißt sein Pferd herum, feuert zweimal nach rückwärts und jagt davon. Einer seiner Kugeln fegt einen der Angreifer aus dem Sattel, aber im gleichen Augenblick passiert es. Nur Hastings hat es noch gesehen, wie der Reiter drüben plötzlich im Sattel zusammensinkt. Dann hat ihn die Dunkelheit verschluckt. »Wir haben ihn erwischt«, jubelt er auf und drängt sein Pferd als erster durch das Gattertor. Direkt hinter ihm folgt Comstock. Sofort hetzen sie die Pferde im Galopp. Dicht gedrängt folgt hinter ihnen das übrige Rudel. Die Fäuste umkrampfen die Revol69 �
ver. Alle starren nach vorn, um den verfolgten Gegner zu entdecken. Immer wieder glauben sie, ihn eingeholt zu haben, aber jedesmal hat sie ein aufgestörtes Pferderudel genarrt. Dann blitzt es auf einmal vor ihnen auf. Einige Pferde überschlagen sich und werfen ihre Reiter ab. Für einen Augenblick herrscht ein wüstes Durcheinander. Pferde wiehern erschreckt, Männer schimpfen und fluchen, und dazwischen blitzt es von der anderen Seite immer wieder auf. Einige Male dröhnen dumpfe Schrotschüsse. Die Schrotkörner prasseln zwischen die Angreifer, treffen die Pferde und vergrößern den Wirrwarr. »Von den Gäulen runter, umstellt sie«, übertönt da Comstocks Stimme den Lärm. Wild feuernd werfen sich die Männer sofort aus den Sätteln, lassen ihre Pferde laufen. Nur zwei der Tiere bleiben wild auskeilend am Boden liegen. Aber Big William hat urplötzlich wieder Ordnung in seine Mannschaft gebracht. Sie formiert sich zu einer auseinandergezogenen Kette. Die Männer werfen sich zu Boden, laden ihre Waffen nach, feuern zu den Umrissen des Korrals hinüber, von wo ihnen die Schüsse entgegenschlagen. Und nun erweist es sich, daß der Feuerüberfall der Angegriffenen nur für wenige Augenblicke Erfolg gehabt hat. Die Comstock-Mannschaft ist zu stark. Die Wut der Männer ist zu groß. Die Kette wächst in die Breite, überall zucken die orangefarbenen Stichflammen der Mündungsfeuer auf. Es ist eine richtige Zange, in die der Korral nun genommen wird. Auf der anderen Seite erkennt nun auch Chuck Diamond das Ausweglose der Lage. »Marmaduke, lauf zurück und sattele uns Pferde. Halte sie hinter dem Stall fertig. Packe Proviant dazu«, ruft er zu Marmaduke hinüber, der wie ein Schatten hinter einem der Korralpfosten kauert und mit stoischem Gleichmut immer wieder seine Schrotflinte nachlädt. Mit einer Gewandtheit, die niemand diesem rie70 �
senhaften Neger zutrauen würde, schlängelt er sich durch den Korral und verschwindet. Zwischen zwei Schüssen wirft Chuck einen besorgten Blick zu Sam Bentworth hinüber. Sein rechter Arm baumelt haltlos herab. Mit einer Hand lädt er seine Waffe nach und sein Gesicht ist verkniffen. Sam ist der Reiter, der durch seine Alarmschüsse die Grey Horse-Ranch rechtzeitig gewarnt hat. Noch im Wegreiten hat es ihn an der rechten Schulter erwischt. Es sieht böse mit ihm aus. Chuck ist überzeugt, daß er nicht mehr lange wird durchhalten können. Einem schnellen Entschluß folgend, schreit er plötzlich zu der Angreiferkette hinüber: »Comstock! He, Comstock, hören Sie mich?« Das Feuer ebbt ab, verstummt schließlich ganz. In der Mitte vor dem Korral erhebt sich die große Gestalt des Ranchers. Auch Chuck steht auf und tritt einige Schritte vor. »Verdammt, Diamond, werden Sie auf einmal weich? Was wollen Sie?« dröhnt sein Baß herüber. »Ergeben Sie sich mit Ihren Leuten, Diamond. Wir werden Sie dann vor ein Gericht bringen. Das ist der einzige Vorschlag, den ich Ihnen machen kann. Für Viehdiebe gibt es keinen Pardon.« »Was faselt dieser alte Idiot da?« raunt Jacky Needle zu Chuck hinüber. »Er hat anscheinend vollständig den Verstand verloren!« »Wir werden es sicher gleich hören, Jacky«, antwortet Chuck und ruft dann zu Comstock hinüber: »Sie sind dickschädeliger als ein San Saba-Stier, Comstock. Wenn sie wegen einiger Mavericks in den Weidekrieg ziehen wollen, stellen Sie sich gegen das Gesetz!« Ein höhnisches Lachen klingt herüber, bevor Comstock eine Antwort gibt. »Sie bluffen nicht schlecht, Diamond. Ich verstehe immer 71 �
Mavericks. Aber geben Sie sich keine Mühe, diesmal haben wir Sie festgenagelt. Wir haben Beweise, die jeder Jury der Welt genügen würden. Wie dumm, denken Sie eigentlich, daß ich bin? Wir haben die Spur bis zu Ihrer Weide verfolgt und meine Herde zwischen Ihren Rindern gefunden. Sie hätten sich ein besseres Versteck aussuchen müssen. Aber Schluß jetzt damit. Ergeben Sie sich – oder kämpfen Sie wie ein Mann!« Chuck zerbeißt einen Fluch zwischen den Zähnen. »Dieser alte Weidepirat hat mich mit einem Trick reingelegt«, murmelt er vor sich hin. Er ist überzeugt, daß Comstock seine Anschuldigungen auch wird beweisen können. Und dann hat Comstock wirklich recht. Diese Beweise würden jeder Jury in Wyoming genügen. Blitzschnell erkennt Chuck die neue Lage: dieser Teufel hat ihn ausgespielt, mit gemeinen und schmutzigen Mitteln. Chuck hat nicht den geringsten Zweifel, daß Comstock selbst die Herde auf seine Weide hat treiben lassen. Comstock oder einer seiner Handlanger. »Donald, schleiche dich mit Sam zu den Pferden. Es wird gleich noch einmal knallen, dann macht euch davon, rauf in die Berge. Jacky und ich versuchen, euch zu folgen.« Diese Worte sind das Ergebnis von Diamonds Gedankengängen. Er wird Comstock beweisen müssen, daß er diesen schmutzigen Trick angewandt hat. Deshalb muß er sich seine Handlungsfreiheit bewahren. Es gibt keine andere Möglichkeit, wenn er nicht auf den langen Trail der Verfemten gehen will. »Krieche zurück, Jacky. Zähle dabei bis dreißig, dann rennst du zu den Pferden, so schnell du kannst. Ich komme sofort hinterher.« Noch einmal lädt Chuck seine Waffe auf. Das Feuer der anderen wird schwächer. Das ist schlimm, denn es ist das sicherste Zeichen, daß sie sich nicht mehr auf das Schießen beschränken, sondern sich an den Korral heranarbeiten. 72 �
Dann ist es endlich soweit. Die letzten Kugeln jagt er aus dem Lauf, wartet die Antwortschüsse der Gegner ab und springt auf. In langen, geduckten Sätzen hetzt er der Stallecke entgegen. * Es ist die letzte Stunde vor Tagesanbruch. Graues Dämmerlicht hüllt das Land in seinen geheimnisvollen Schleier, verändert die Dinge und läßt jeden Sagebusch wie einen geduckten Gegner erscheinen. Chuck hätte sich für seinen Ritt keine bessere Zeit aussuchen können. Als die ersten Flammenzungen der Morgenröte die gezackten Ränder der Big Horn-Mountains erglühen lassen, hat er den Stadtrand von Grey Bull erreicht. In wenigen Minuten wird die Sonne aufgehen, dann muß er spätestens sein Ziel erreicht haben. Nun, Chuck kommt rechtzeitig hin. Grey Bull liegt in tiefem Schlaf, ebenso wie der Last Frontier-Saloon. Langsam reitet Chuck von hinten in den Hof. Er hat zuvor einen weiten Bogen geschlagen und so die Stadt von Westen her betreten. Rasch tritt er an die Hintertür des Hauses und drängt sich dagegen. Er legt keinen Wert darauf, noch in letzter Sekunde von den neugierigen Augen eines Küchenmädchens oder Barmannes, von denen einige auch im Haus wohnen, gesehen zu werden. Kein Laut ist zu vernehmen, nicht einmal das Quietschen einer Stufe oder Diele. Trotzdem öffnet sich die Tür, ohne daß ein Mensch zu sehen ist. Kaum eine Minute ist vergangen, seitdem Bess den Mann im Hof gesehen hat. In einen Morgenrock gehüllt, steht sie hinter der Tür und läßt Chuck eintreten. Leise schiebt sie wieder den Riegel vor. Bess Avaron ist eine junge Frau, die mit beiden Beinen fest auf 73 �
dem Boden der Tatsachen steht. Ihr Leben ist keineswegs immer in der Geborgenheit des elterlichen Hauses verlaufen. »Blut, Chuck! Du bist verwundet!« Es sind die ersten Worte, die zwischen ihnen gewechselt werden. Ohne es selbst zu bemerken, hat sie ihn geduzt. Und Chuck erkennt den Ausdruck jähen Erschreckens in ihrem Gesicht. »Ein Streifschuß«, sagt er und bemüht sich, seiner Stimme einen leichten und sorglosen Tonfall zu geben. Es gelingt ihm nicht ganz. Bess tritt schnell an ihn heran. Ihre Augen wandern suchend über seine Gestalt hin. Sie bleiben an dem dunklen Flecken auf seinem Oberarm hängen. Jetzt, wo sie den ersten Schrecken überwunden hat, strömen Ruhe und Sicherheit von ihr aus. »Setze dich da hin, Häuptling! Ich bin gleich wieder da.« Sie geht hinaus, und kurz darauf hört Chuck aus der Küche das gurgelnde Geräusch, das das emporgesaugte Wasser im Pumpenrohr verursacht. Einige Töpfe klappern und bald nimmt Chuck den Geruch frisch angebrannten Holzes wahr. Bess stellt die Schüssel ab und legt das Leinenzeug auf den Tisch. Mit leisen, schnellen Schritten kommt sie heran, wirft einen beunruhigten Blick auf den Mann und legt ihre kühle Hand auf seine Stirn. Chuck schlägt die Augen zu ihr auf, und ein sparsames Lächeln verzieht seinen schmalen Mund. »No, kein Fieber, Bess! Nur sechzig Meilen im Sattel.« Sie beginnt wortlos sein Hemd aufzuknöpfen. Sofort richtet er sich auf und greift ebenfalls zu. Ihre Hände berühren sich. Für einen Sekundenbruchteil stockt sie, aber dann macht sie unbeirrt weiter, und Chuck läßt sie gewähren. Schließlich ist sie ihm behilflich, das Hemd abzustreifen. Es ist wirklich nur eine stark blutende Schramme, die die Kugel über den Muskel seines Oberarms gerissen hat. 74 �
»Warum tust du das, Bess, wortlos und ohne zu fragen, woher die Verletzung kommt?« »Warum kommst du bei Nacht und Nebel zu mir und gehst nicht zum Doc, Chuck?« Sie antwortet mit dieser Gegenfrage und gibt sofort selbst die Antwort darauf. »Du wirst wissen, warum du es tust, und du weißt auch, warum ich dir helfe. Sage es nur ehrlich, wenn du es wirklich weißt, Chuck!« »Du – du liebst mich, Bess Avaron! Ist es das? Du liebst mich, obgleich ich mich immer zurückhielt und Lilly Comstock den Vorzug gab?« Sie wendet sich von ihm ab und bleibt vor dem Schreibtisch stehen. »Ich ahnte, daß du es weißt, Häuptling. Vielleicht ahnst auch du, was es für eine Frau bedeutet, es offen zuzugeben. Ja, ich liebe dich, Chuck Diamond! Obgleich du die andere wolltest, liebe ich dich. Aber, nachdem du mit Lilly gebrochen hast, ist der Weg für mich versperrt. Ich will kein Mitleid von dir, Häuptling, merke dir das!« Chuck streift sein Hemd über und tritt hinter sie. Ganz sacht legt er seine Hände um ihre Schultern. Er fühlt die warme Rundung ihrer Arme und bemerkt ihr Zusammenzucken. Da schließen sich seine Hände zu einem festen Griff zusammen. »Du – tust – mir – weh, Chuck!« Der schluchzende Unterton ihrer Stimme läßt ihn sie an sich ziehen. Ihr Kopf lehnt nun dicht unter seinem Kinn an seiner Brust. Verlockender Duft aus ihrem Haar steigt Chuck in die Nase und ruft ein eigenartiges, prickelndes Gefühl in ihm wach. »Es ist kein Mitleid, Bess. Seitdem Sunny tot ist, sind mir die Augen über Lilly Comstock aufgegangen. Sie ist kalt und herzlos. Was sie im Auge hat, ist nie der Mensch selbst, sondern nur der Vorteil, den er ihr bringen könnte. Ich bin froh, daß ich die falsche Fährte, auf der ich geritten bin, früh genug erkannt habe. 75 �
Ich habe sie geliebt – oder es mir zumindest eingebildet. Vielleicht waren es auch nur mein Stolz und meine Überheblichkeit. Vielleicht wollte ich den Yankees einmal zeigen, daß einer von den verfluchten Südstaaten-Rebellen gut genug war, um die beste Partie im ganzen County zu machen. Vielleicht war es so, Bess, obgleich ich mir selbst darüber nie Rechenschaft gegeben habe. Aber eins habe ich bei Lilly nie gefunden und würde es auch niemals gefunden haben, die Wärme des echten Gefühls, die selbstverständliche Kameradschaft und die Hilfsbereitschaft, die du mir zeigst! Es ist gut, daß diese Prüfung früh genug gekommen ist. So konnte ich ihre egoistische Eigenliebe noch rechtzeitig erkennen. Es ist nichts als die Erinnerung an ein kurzes Stück gemeinsamen Weges, die mich noch mit Lilly verbindet, und diese Erinnerung wird bald verlöschen!« Er dreht Bess mit sanfter Gewalt zu sich herum und blickt sie an. »Du bist der beste Kamerad fürs Leben, den sich ein Mann nur wünschen kann. Deine Liebe wäre gleichzeitig Opferbereitschaft, nicht nur Egoismus, Bess! Und gerade das kann ich heute nicht mehr verlangen. Unser Weg zueinander ist wirklich versperrt, Mädel, aber aus anderen Gründen, als du glaubst.« Chuck sieht, wie sich ihre Augen einen Augenblick verdunkeln, als wäre der Schatten einer schwarzen Wolke darüber hingezogen. Aber dann sind es wieder klare und festblickende Augen, die zu ihm aufsehen. »Sag es, Chuck! Was steht zwischen uns?« Bess Avaron ist nun wieder die junge, selbstsichere und zielstrebige Frau, die jeder Schwierigkeit fest ins Auge sieht. »Ich bin ein Gehetzter, Bess. Comstock hat es endlich geschafft, mich ins Unrecht zu setzen. Er hat Beweise dafür, daß ich ein Viehdieb bin. Gefälschte Beweise! Aber zusammen mit den Tatsachen, daß Big William Comstock sie vorbringen wird, und daß 76 �
ich nur ein Südstaatler bin, genügen sie vollständig, um mich auf den Wild Bunch zu treiben, auf den langen Trail der Verfolgten. William D. hat sein Ziel erreicht, Bess, er hat mich ausgeschaltet. Wenn es mir nicht gelingt, die Fälschung der Beweise nachzuweisen, bin ich hier erledigt. Ich bin davon überzeugt, daß schon jetzt ein wildes Rudel von der C-Ranch die Grey Horse-Ranch besetzt hat.« Herausfordernd schüttelt Bess den Kopf und rümpft in unnachahmlicher Weise ihre kleine Nase. »Willst du aufgeben, Häuptling? Warum bist du dann hierher gekommen? Doch sicher nicht, um dir nur deinen Arm verbinden zu lassen. Das hättest du allein genauso gut gemacht.« »Ich bin nicht meinetwegen gekommen, Bess. Oben in den Bergen sitzen die braven Burschen, die für mich zum Kugelfang für das Blei der C-Mannschaft geworden sind. Sam Bentworth hat es erwischt, als er uns im letzten Augenblick warnen wollte. Er braucht einen Arzt. Du mußt Ward Clanton hierher holen!« »Gar nichts ist verloren, Mister! Ich werde die Ranch zurückholen, und Comstock, dieser alte Weidepirat wird sich wundern, wie ich ihm mit meinen Waffen die Ranch aus den Zähnen reiße.« Da geht Chuck einige Schritte zurück und läßt sich in den Sessel sinken, während Bess ihm wie eine sprungbereite Pantherkatze folgt. »Und willst du mir auch sagen, Bess, wie du das anstellen willst?« Spöttisch schürzt sie die Lippen. »Wo ihr Männer mit eurem Latein am Ende seid, gibt es für eine Frau noch tausend Möglichkeiten und Winkelzüge. Du wirst mir für einen einzigen, lumpigen Dollar deine Ranch verkaufen, Chuck Diamond. Dann wollen wir mal sehen, ob Comstock es wagt, seine Revolverschwinger gegen eine Frau auszu77 �
schicken! Er wirft einen mächtigen Schatten, Big William D., aber das kann er sich nicht erlauben. Seine erste Unternehmung gegen meine Ranch wird zugleich seine letzte sein. Es gibt hundert rauhe Burschen in diesem County, die auf einen Wink meines kleinen Fingers dem Teufel ins Auge spucken würden. Und sie tun es nur, um mir einen Gefallen zu erweisen! Warte einen Augenblick, Häuptling. Ich ziehe mich schnell an, und dann wollen wir weiterreden.« * »Eine Blutvergiftung, sagen Sie, Bess? Dann ist es höchste Zeit. Wir wollen sofort hinüber gehen!« Damit greift Doc Clanton nach seiner Handtasche, die sein ärztliches Besteck enthält, und eilt aus dem Haus. Bess Avaron, die nun ein wildledernes Reitkleid trägt, folgt ihm auf dem Fuße. Sie hat ihm ein Märchen von einem Küchenmädchen erzählt, das mit einer Blutvergiftung im Last FrontierSaloon liegt, und Ward Clanton ist prompt darauf hereingefallen. Es ist nicht weit vom Doktorhaus zum Last Frontier-Saloon. Sie haben schnell die Straße überquert und treten in die Schankstube ein, wo gerade einige Mädchen und ein Barmann damit beschäftigt sind, Ordnung schaffen. Bess führt den Doc ohne Aufenthalt nach hinten. Sie öffnet ihm eine Tür und läßt ihn zuerst eintreten, sie folgt sofort und schließt die Tür. Suchend blickt sich Clanton um, als er keine Patientin entdecken kann. »Sie brauchen nicht zu suchen, Doc. Wir haben Sie auf den Leim geführt.« Beim Klang der Stimme fährt Ward Clanton herum und sieht 78 �
Chuck Diamond mit verschränkten Armen hinter der Tür an der Wand lehnen. Mit spöttischem Ausdruck schaut Chuck zu ihm herüber! »Was soll das, Diamond? Soll es ein Scherz sein?« Bess tritt neben Chuck und hakt ihre Hand unter seinen Arm. »Es ist kein Scherz, Doktor. Hier ist zwar keine Patientin für Sie, dafür braucht Sie aber ein Mann oben in den Bergen. Außerdem können Sie uns noch einen Gefallen tun, einen Vertrag als Zeuge zu unterschreiben.« Erstaunt blickt Clanton auf das Paar. »Hier stinkt doch etwas! Weshalb kommen Sie nicht selbst zu mir, Diamond?« Und während Bess sich auf die Armlehne seines Sessels kauert, berichtet Chuck von den Begebenheiten der letzten Nacht, von dem Kampf mit Comstock und seiner Mannschaft und von ihrer Flucht. »Well, und jetzt haben wir oben in den Bergen ein Camp aufgeschlagen. Sam Bentworth hat einen Schulterschuß erwischt und fiebert sehr stark. Er braucht Ihre Hilfe, Doc! Comstock wird nicht lockerlassen, bis er uns erwischt hat. Wir sind jetzt Gehetzte, denn er hat den Schein des Rechts auf seiner Seite – und die Macht.« »Mann, ich bin doch Arzt! Was spielt es da für eine Rolle, wer meine Hilfe braucht? Ich bin dazu da, um allen Menschen ohne Unterschied zu helfen. Ob es zufällig ein Viehdieb ist, spielt keine Rolle für den Arzt in mir. Aber als Bürger von Grey Bull wollte ich es gerne wissen. Deshalb habe ich Ihnen auf den Zahn gefühlt. – Wann wollen wir reiten?« »Sie sind ein anständiger Kerl, Doc«, sagt Bess und steht auf. Sie geht zum Schreibtisch hinüber und nimmt ein Blatt Papier zur Hand. Es ist ein Kaufvertrag für die Grey Horse-Ranch mit allem lebenden und toten Inventar, und der Kaufpreis beträgt 79 �
einen Dollar. In ein paar Augenblicken hat Clanton das Schriftstück überflogen. Er blickt davon auf und schaut zu Chuck hinüber. »Wo liegt der Sinn bei diesem Spielchen, Diamond?« »Comstock hat meine Ranch von ein paar Revolverschwingern für sich besetzen lassen.« Der Schein des Verstehens überfliegt das Gesicht des Doktors. Wortlos greift er nach der Feder, die Bess ihm anreicht, und setzt als Zeuge seinen Namen unter den Vertrag, den Chuck und Bess schon vorher unterschrieben haben. * Es ist inzwischen heller Vormittag geworden. Sie schlagen den Weg durch die Smoky Hills ein und befinden sich am Anfang der steinigen Senke. Chuck kneift plötzlich die Augen zusammen. Die breite und deutlich erkennbare Fährte einer Rinderherde führt von Süden her auf das rauhe und steinige Gelände zu. Das taunasse Gras macht es sehr leicht, diese Fährte bis hierher zu verfolgen. Was Chuck aber auffällt, ist der Umstand, daß die Fährte auf der anderen Seite, wo sie wieder in das Grasland einmündet, wesentlich schmäler geworden ist. Wie eine Zunge reicht das Geröll etwa eine halbe Meile in das Weideland hinein, das es von drei Seiten umschließt. Wenn also hier auf dem steinigen Boden ein Teil der Spur verschwindet, gibt es dafür nur eine Lösung: die Mehrzahl der Rinder ist nach Osten abgetrieben worden, hinein in die Hügel, die dem Fuß der Big Horn-Mountains vorgelagert sind. Nachdem seine Aufmerksamkeit einmal geweckt ist, hält Chuck weiter die Augen offen. Vereinzelt herumliegende Rinderlosung bestätigt seine Vermutung: Hier wurden Rinder über 80 �
die Berge getrieben, weitab von jedem Treibherdenweg. »Haben Sie es auch bemerkt, Clanton?« »Die Fährte meine Sie, Diamond? Sicher! Eine Herde, die über die Berge geht. An einer Stelle, wo kein Viehzüchter es sich einfallen lassen würde. Und der kleine Rest ist zu Ihrer Weide getrieben worden. Es sieht fast so aus, als ob das Schicksal Ihnen einen Wink geben wollte, Diamond. Wer auch immer die Tiere auf Ihre Weide getrieben hat, er muß auch von dem Verbleib der anderen Tiere wissen. – Von dieser Seite besehen, erscheint es mir noch nicht so sicher, daß es wirklich Comstock war, der Sie mit einem Trick reingelegt hat. Wie wäre es denn, wenn er selbst auch reingelegt wurde?« »Verdammt, es wäre nicht auszudenken. Er hat schon die ganze Zeit von Viehdiebstählen gefaselt. Ich habe immer geglaubt, daß er damit nur seine Handlungsweise rechtfertigen wollte. – Es müssen mindestens hundertfünfzig Rinder gewesen sein, die hier getrieben wurden. In diesem verfluchten Gelände heißt das, daß es eine ganze Mannschaft gewesen sein muß. – Ich bringe Sie schnell zum Camp, Clanton, und dann muß ich mir diese Sache hier genauer ansehen!« »Passen Sie auf, Diamond. Wir kriegen Besuch!« Dieser leisen Warnung Clantons hätte es nicht mehr bedurft. Chuck hat den Reiter schon gesehen, der seitlich von den Hügeln herabkommt und sein Pferd genau auf sie zu lenkt. »Ich halte mich hinter Ihnen, Clanton. Vielleicht biegt er noch früh genug ab.« Clanton nickt und reitet ein paar Schritte vor. Dadurch entzieht er Chuck den Blicken des Reiters, der nun bis auf hundert Yard herangekommen ist. »Doc! Doc Clanton!« Der Bursche schreit es schon auf diese Entfernung. Ward Clanton erkennt, daß ihre Hoffnung auf ein frühzeitiges Abbiegen 81 �
des Reiters vergeblich war. Er hält sein Pferd an und sieht ihm entgegen. »Ich bin auf dem Wege zu Ihnen, Doc. Wir haben einige Verwundete auf der Ranch, die Ihre Hilfe brauchen. Am besten kommen Sie sofort mit.« Da fällt der Blick des Mannes auf Chuck. Seine Augen weiten sich. »Goddam, das ist doch…« Seine Hand zuckt nach der Hüfte, fliegt wieder hoch. Chuck ist einen Sekundenbruchteil schneller. Trotzdem bellt die Waffe des Weidereiters zuerst. Die Kugel reißt Chuck den Hut vom Kopf. Erst in diesem Augenblick donnert auch Chucks Colt. Es ist kein Schrei und auch kein Stöhnen, das der Mann ausstößt. Am ehesten wäre der Laut als Röcheln zu bezeichnen. Die Waffe ist seiner Hand entfallen. Eine blutige Furche zieht von seinem Handrücken aus über den ganzen Unterarm bis fast zum Ellenbogen. Er hält die verwundete Rechte mit der linken Hand fest, und sein Gesicht ist bleich geworden. »Das werden Sie noch büßen, Diamond!« »Was werde ich büßen? Daß ich dir das Leben gerettet habe, du blutiger Narr? Warum mußt du gleich nach der Kanone schnappen!« Clanton steigt aus dem Sattel und hebt den Revolver des Burschen auf. »Steigen Sie ab, Mann. Haben Sie denn nicht gemerkt, daß er Sie geschont hat, so gut er nur konnte? Wenn der Schußwinkel günstiger gewesen wäre, hätte er Ihnen die Waffe aus der Hand geschossen. Aber weil er Ihnen von vorn dabei die ganze Hand zerschmettert hätte, hat er Ihnen nur die Haut vom Unterarm geschrammt. – Steigen Sie ab, damit ich Ihnen den Kratzer verbinden kann.« Der Bursche ist nun plötzlich wesentlich kleinlauter geworden. 82 �
Sein aufflackernder Zorn ist erloschen. Wahrscheinlich muß er einsehen, daß Clanton die Wahrheit gesagt hat. Schweigend läßt er sich von ihm verbinden. »Und nun steig wieder auf und reite voraus, du wilder Krieger. Ich kann es mir nicht erlauben, daß du mir das ganze ComstockRudel auf den Hals hetzt. Deshalb wirst du uns ein Stück auf unserem Ausflug begleiten.« Dann stehen sie ganz unvermittelt vor einer Felswand. Mitten aus dem Wald ragt sie auf, der ihren Fuß mit dichtem Gehölz umgibt. Zweimal ahmt Chuck den Ruf des Bergkautzes nach. Von links kommt Antwort. Kurz darauf stehen sie vor der Höhle. Marmaduke empfängt seinen Herrn mit breitem Grinsen. Jacky Needle und Donald Clayborne lassen ihre Gewehre sinken, als sie Chuck erkennen. Sie blicken auf den waffenlosen Begleiter mit dem verbundenen Unterarm. »Was kommt denn da noch für ein lieber Gast. Dieses Gesicht habe ich doch in Comstocks Revolverschwinger-Garde gesehen. Wie kommen wir zu dieser Ehre.« Gift und Galle schwingen in Jackys Worten mit. Chuck nimmt den Hut vom Kopf und greift hinein. Sein Zeigefinger kommt durch das vordere Kugelloch wieder zum Vorschein. »Unser Freund ist Fachmann für Entlüftungsanlagen. Ich wollte seinen Rat einholen, wie wir unsere Höhle mit einem besseren Kamin versehen.« Während Clanton absteigt und in die Höhle hineingeht, bewundert er diesen fast unauffindbaren Unterschlupf, den die Natur geschaffen hat. Die an dieser Stelle weit überhängende Felswand bietet einen geräumigen Wetterschutz für die Pferde, die hier angebunden sind. Fast wie ein Teller ragt dieses Dach 83 �
waagerecht aus der Wand hervor. Weiter oben dringt aus einer Spalte leichter Rauch, der sich in den Wipfeln der Bäume restlos verteilt. Auf einem Lager aus weichen Fichtenzweigen liegt Sam Bentworth im Fieber. Clanton macht sich sofort daran, seine Wunde zu untersuchen. Die Kugel hat das Schulterblatt gestreift und ist vorn unter dem Schlüsselbein wieder ausgetreten. Sam Bentworth schlägt seine fiebrig glänzenden Augen auf und schaut den Arzt einen Augenblick verständnislos an. Dann huscht der Schimmer des Erkennens über sein Gesicht. »Hallo, Doc«, sagt er schwach. Doc Clanton steht auf und geht hinaus. Sein Gesicht hat einen nachdenklichen Ausdruck angenommen. Draußen sind die Männer dabei, ihre Pferde abzusatteln. »Diamond«, ruft Clanton, »ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen.« Er winkt Chuck zu, und sie gehen etwas zur Seite. »Sagen Sie, Diamond, kann Ihr Neger boxen?« In flüsterndem Ton unterhalten sie sich eine Weile, dann ruft Chuck auch die anderen heran. Vorsichtshalber schickt er aber vorher den Gefangenen in die Höhle hinein. Etwas später sind alle Vorbereitungen getroffen. Mit Deckenrollen haben sie für Sam eine erhöhte Auflage gebildet, so daß er nun in halb sitzender Stellung der Dinge harrt, die da kommen sollen. Zusammen mit dem kräftigen Jacky Needle ist Chuck hinter Sam Bentworth getreten. Sie halten seine Arme fest. Mit mißtrauischen Augen mustert Sam den Doktor. »Wenn ihr mich hier abschlachten wollt, nehmt lieber einen Colt!« Clanton macht eine beruhigende Bewegung. »Keine Angst, Sam. Es tut nicht weh, Sie werden gar nichts 84 �
merken. Halte die Fackel etwas höher, Freund«, sagt er dann zu Clayborne, der für die Beleuchtung des improvisierten Operationstisches zu sorgen hat. Das Besteck ist auf einem weißen Lappen ausgebreitet. Der Doc kniet neben Sam auf dem Boden. Mit einem leichten Blinzeln gibt er Marmaduke das Zeichen. Der Schwarze eröffnet die Operation. Schneller, als Sam es erfassen kann, wuchtet seine Faust mit einem Uppercut unter das Kinn des Patienten, der daraufhin merkwürdig schlaff wird und die Augen schließt. Befriedigt nickt Clanton Marmaduke zu. Dann fängt er an. Noch einmal muß der schwarze Herkules seine Narkose wiederholen, als Sam während der Operation zu stöhnen beginnt. Danach verläuft alles glatt. Als Sam Bentworth wieder zu sich kommt, hat er tatsächlich von der Arbeit des Doktors nichts gemerkt. Dafür tastet er mit der Hand langsam sein Kinn ab. »Ooh – ooh, daß mir ein Pferd unter die Kinnlade feuern sollte, habe ich euch nicht gesagt. Ich bin tot! An meinem Kopf fehlt irgendwo ein Stück. Durch das Loch müssen ein paar Hornissen hineingeschlüpft sein.« Noch bevor Sam zu sich kam, hatte Clanton schon einen festen Verband angelegt. Jetzt packt er seine Instrumente zusammen und knurrt Sam an: »Sie haben mich selbst auf den Gedanken gebracht, Bentworth. Ich werde in einer medizinischen Zeitschrift eine Abhandlung über neue Wege der Vollnarkose schreiben und Sie dabei lobend als den Erfinder erwähnen.« Fast eine Stunde hält sich Clanton noch im Camp auf. Sie essen auf Vorrat, und Chuck läßt sich mit kaltem Fleisch verproviantieren. Dann brechen Chuck und der Doktor wieder auf. Sie reiten auf ihrer eigenen Fährte zurück und trennen sich erst 85 �
am Fuße der Mountains. »Good luck, Diamond. Ich halte in der Stadt für Sie die Augen auf. Geben Sie mir Nachricht, wenn Sie Hilfe brauchen. Sie können auf mich rechnen!« »So long, Clanton. Und vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich will versuchen, allein aus der Klemme herauszukommen.« Dann reitet Chuck Diamond wieder allein. Er nimmt die Fährte auf und klebt daran wie ein Bluthund. Oftmals verliert er in dem steinigen, unübersichtlichen Gelände jeden Anhaltspunkt. Aber der Umstand, daß Rinder, einem natürlichen Bedürfnis entsprechend, hier und da den Boden mit grünen Farbklecksen bekleckern, läßt ihn immer wieder auf die Spur zurückfinden. * Gleich nach Chucks Wegritt am Morgen entfaltet Bess Avaron eine fieberhafte Tätigkeit. Sie ruft ihre drei Barmänner zu sich ins Büro. »Jed Brown, waren Sie früher einmal Weidereiter?« Brown ist ein stiernackiger Bursche, dessen Schädel inzwischen bedenklich kahle Stellen aufweist. Aus einem faltigen Gesicht blitzen schmale, verschmitzte Schweinsäuglein. »Yeah, Miß Bess«, antwortet er, »ich war lange Cowpuncher. Ich wäre es sogar heute noch, wenn die verdammten Schulden nicht gewesen wären.« Fragend zieht Bess Avaron die Augenbrauen hoch, und auch die beiden anderen Männer blicken, gespannt auf eine Erklärung, zu ihrem Kollegen hinüber. »Können Sie noch mit Pferden umgehen, Jed?« »‘tschuldigen Sie, Miß, aber das ist eine dumme Frage. Sowas verlernt man nie.« »Und würden Sie für mich einige Tage wieder Weidearbeit 86 �
machen, Jed? Vielleicht sogar gefährliche Weidearbeit?« Brown ist schon an der Tür, als er zurückruft: »Zwei Minuten, Miß Bess. Ich bin gleich wieder da!« Bess Avaron muß einen Augenblick gerührt schlucken. Sie weiß, daß dieser Bursche, wie auch ihre anderen Angestellten, für sie durchs Feuer gehen würden. Es kostet nur wenige Worte, um mit den beiden Zurückbleibenden die Leitung des Saloons für die Zeit von Bess’ Abwesenheit zu regeln. Dann ist Jed Brown wieder da. Und er ist nicht mehr wiederzuerkennen. Von Kopf bis Fuß trägt er die Tracht eines Weidereiters. Sogar Chaparejos, die sogenannten Chaps, die hier im Norden kaum gebräuchlich sind, hat er angelegt. »Fertig, Miß Bess.« Mehr als zwei Stunden später trifft Bess Avaron mit ihrem Begleiter auf der Grey Horse-Ranch ein. Zwei schlaksige Burschen lümmeln sich in der Sonne auf der Bank herum. Unbeirrt steuert Bess mit ihrem Pferd genau auf sie zu. Bei ihrem Anblick stößt der eine der Burschen einen anerkennenden Pfiff aus. »Hölle und Schwefel, das ist eine freudige Überraschung. Ich muß sagen, Sie sehen in Ihrem Reitdreß fast noch besser aus als im Kleid, Bess. Wenn Sie jetzt noch eine anständige Flasche Whisky mitgebracht haben, können wir es hier aushalten.« Bess hat ihr Pferd zum Stehen gebracht. Neben ihr hält Jed Brown und blickt finster auf die spottlustigen Burschen hinab. Bei seinem Anblick brechen sie plötzlich in ein brüllendes Lachen aus, das ihnen fast den Atem zu nehmen scheint. »Mensch, sieh dir das an, Jed als Weidereiter. Ich werde verrückt. Vielleicht ist das gar kein Gaul, auf dem er sitzt, sondern ein Whiskyfaß mit vier Beinen!« Gerade will Jed zu einer geharnischten Erwiderung ansetzen, 87 �
als Brian Hastings in der Tür erscheint. »Willkommen auf unserer Ranch, Bess! Sie können uns hier ruhig öfter besuchen. Wir sind für ein bißchen Abwechslung dankbar.« Bess nestelt an ihrer Lederjacke und zieht ein zusammengefaltetes Dokument heraus. »Mein Besuch dauert länger, als Ihnen lieb ist, Brian Hastings. Ich bleibe nämlich ganz hier, und Sie werden mit Ihren Radauschlägern abziehen. Sie befinden sich auf meinem Grund und Boden!« Jedes Lachen auf den Gesichtern ist wie weggeblasen. Hastings starrt die Frau aus verkniffenen Augen an. »Sie sind verrückt, Bess. Dies Gebiet gehört jetzt zur C-Ranch. Wir haben es Ihrem Freund Diamond abgenommen. Als Quittung für seine Viehdiebstähle.« Jed Brown blickt erstaunt zu seiner Chefin hinüber, denn so sanft wie jetzt hat ihre Stimme noch nie geklungen. »Sie meinen also, ich wäre verrückt, Hastings. Gut! Ich bin in drei Minuten sogar so verrückt, daß ich Sie eigenhändig von meiner Ranch peitsche, wenn Sie bis dahin nicht verschwunden sind. Hier habe ich den Kaufvertrag für dieses Land«, schwenkt sie das Blatt durch die Luft, »und ich werde meine Rechte aus diesem Vertrag wahrnehmen, verlassen Sie sich darauf, Hastings.« »Jetzt ist es aber genug!« Hastings ist mit einem Satz neben Bess’ Pferd, reckt sich hoch und reißt ihr blitzschnell das Blatt aus der Hand. Er hat keine Zeit mehr, auszuweichen. Bess Avarons lederüberzogene Reitgerte pfeift durch die Luft und klatscht quer über sein Gesicht. Eine blutigrote Strieme zieht sich über seinen Nasenrücken und die Wange. »Du verdammte Bestie!« 88 �
Hastings läßt seine Maske fallen. Mit leicht eingezogenem Kopf nähert er sich wieder und läßt achtlos den Vertrag zu Boden fallen. Jed Brown will sein Pferd zwischen Hastings und Bess drängen, da springen ihn die beiden Handlanger Hastings’ an. Im Nu ist ein erbittertes Handgemenge im Gange. Brown wird aus dem Sattel gerissen, am Boden nimmt die Prügelei ihren Fortgang. Hastings hat keinen Blick von Bess gelassen. Jetzt ist er heran. Mit brutalem Griff entreißt er der Frau die kleine Waffe, die sie aus einem Halfter an ihrem Gürtel hervorgezaubert hat. Er läßt den Revolver zu Boden fallen und ergreift die Zügel des Pferdes genau in dem Moment, wo Bess das Tier emporreißen will, um sich Luft zu verschaffen. Noch einmal zischt die Peitsche herab und klatscht über Hastings Handrücken, der mit hartem Ruck das Pferd herunterzwingt. Dann hat seine Pranke Bess’ Bein gepackt und zerrt sie aus dem Sattel. Mit einem kleinen Schmerzensschrei rutscht sie herab, fällt hin. Sofort ist sie wieder auf den Beinen. »Sie sind nichts weiter als ein Bandit, Hastings«, schleudert sie ihm entgegen. »Für das hier werd…« Roh schlägt Hastings ihr den Handrücken ins Gesicht. Sie taumelt, weicht zurück und fühlt sich im gleichen Augenblick schon wieder von seinen harten Fäusten gepackt. »Hastings!« Wie Donnergrollen klingt die Stimme über den Hof. Der Vormann fährt zusammen, läßt Bess los und dreht sich ganz langsam um. Auch die beiden Reiter lassen nun von Jed Brown ab, stehen auf und sehen zur Stallecke hinüber. Auf seinem schwarzen Rappwallach hält dort an der Spitze eines verstaubten Reiterrudels Big William D. Comstock. Sein Gesicht ist grimmig verzerrt. 89 �
Jetzt treibt er sein Pferd mit einem Schenkeldruck näher heran, bringt es unmittelbar vor dem Vormann zum Stehen. »Sie sind ein verdammter Bastard, Hastings. Was Sie gerade getan haben, kann sich kein Mann in diesem Land erlauben, ohne dafür geprügelt zu werden.« Comstock löst sein Lasso vom Sattel, rollt es aus. Hastings steht erstarrt und rührt sich nicht von der Stelle. Mit zusammengeballten Fäusten folgt er Comstocks Bewegungen. »Boß«, würgt er endlich krampfhaft heraus, »Boß, sie hat mich gepeitscht. Sie will die Grey Horse-Ra…« Ein halb ausgerolltes Lasso wirkt genau wie eine schwere Bullenpeitsche, wenn der lederne Riemen richtig trifft. Und Comstocks Hand ist noch sicher. Mit sausendem Geräusch zischen die drei- oder vierfachen Lederschlingen durch die Luft und fetzen die Haut von Hastings Backenknochen. Im gleichen Augenblick schlägt der Rancher seinem Pferd die Sporen ein. Der riesenhafte Rappwallach rammt seine Brust vor den Vormann, der schützend die Arme vor das Gesicht gelegt hat. Mit wildem Brüllen wälzt sich Hastings im Staub. Glücklicherweise wird er von den Hufen des Pferdes nicht getroffen. Mit einem raubtierhaften Satz schnellt Hastings wieder empor und greift zur Waffe, aber sein Colt ist aus dem Halfter gerutscht und liegt im Dreck. Bevor er sich danach bücken kann, hat Comstock sein Tier herumgerissen. Das Tier scheut, aber mit harter Hand zwingt Comstock es zu einem erneuten Rammstoß – dann liegt Hastings wieder am Boden. Als er sich wieder aufrappelt, sieht er den Colt des Alten auf sich gerichtet. »Ich habe nie geglaubt, daß ich in meinem Alter noch einmal meinen eigenen Vormann so rauh anfassen müßte. Aber es ist besser, keinen Vormann zu haben, als die Führung der Mann90 �
schaft einem Bastard zu überlassen, der es fertigbringt, eine Frau zu prügeln. – Scheren Sie sich fort, Hastings! Die C-Ranch hat keinen Vormann mehr! – Und ihr da drüben, packt euch ebenfalls! Für euch ist auf meiner Lohnliste kein Platz mehr!«. Eine tierische Wildheit liegt in Hastings Blick, als er sich langsam abwendet und zum Haus hinüberhinkt. Mit verbissenen Gesichtern folgen ihm die beiden Burschen, die sich mit Jed geprügelt hatten. Unbewegt läßt Comstock sie gehen. Im Sattel sitzend wartet er ab, bis sie mit ihren Bündeln wieder zum Vorschein kommen. Sie gehen zum Stall hinüber, aber ihre Blicke wandern dabei zu ihren fünf Kameraden, die hinter Comstock auf ihren Pferden sitzen und mit zuckenden Gesichtern die Szene verfolgt haben. Aber sie lesen nur Ablehnung in ihren Blicken. Ein Bursche, der sich an einer Frau vergreift, kann kein Verständnis erwarten. Und sie haben Brian Hastings Handlangerdienste geleistet. Kurze Zeit später reiten sie mit Hastings davon, ohne ihren Kameraden oder jemand anderem noch einen Blick zu schenken. Erst als sie in sicherer Entfernung sind, reißt Hastings sein Pferd noch einmal auf die Hacken. Drohend schüttelt er die Faust zu Comstock hinüber. Dann reitet er den beiden anderen nach. Jetzt endlich kommt wieder Bewegung in Comstock und seine Reiter. Sie sitzen ab, und einer nimmt auch das Pferd des Ranchers an den Zügeln und führt es zum Korral hinüber. Bess Avaron tritt vor Comstock hin. »Ich danke Ihnen, Mister Comstock«, sagt sie schlicht und streckt ihm die Hand entgegen. Ganz leicht nimmt der Rancher die kleine Hand in seine Pranke. »Es war eine Selbstverständlichkeit, Miß Avaron. Sie brauchen sich nicht dafür zu bedanken. Bitte, kommen Sie doch ins Haus!« 91 �
Damit geht er voraus und wartet an der Tür, bis Bess vor ihm eingetreten ist. Während ihr Blick die zerschossenen Fensterscheiben und einige Kugeleinschläge in der Wand streift, geht sie zu einem Sessel und läßt sich nieder. Comstock geht vor dem Kamin auf und ab und entzündet sich eine Zigarre. Irgendwie muß sich die innere Anspannung entladen, die ihn seit diesem Zusammenstoß mit Hastings gepackt hält. Die körperliche Bewegung schafft ihm diese Entspannung. Bess beobachtet ihn. Ein starkes Gefühl des Mitleids mit diesem alten Mann steigt in ihr empor. Ja, Comstock ist ein alter Mann. Seine beste Zeit ist lange vorbei, wenn er es auch vielleicht nicht wahrhaben will. Was er hinterläßt, ist ein riesiges Weidereich – und ein Sohn, der nicht in der Lage ist, dieses Reich nach seinem Tode zu regieren. »Sie hatten einen bestimmten Grund, weshalb Sie hierher auf die Grey Horse-Ranch gekommen sind, Miß Avaron?« fragt er schließlich. »Ja, Mister Comstock. Ich bin hierhergekommen, um die Ranch zu übernehmen. Sie gehört mir!« Bess stockt fast der Atem, als sie sieht, wie Comstock sich bei ihren Worten verfärbt. Der alte Riese ringt einen Augenblick nach Luft. »Sie – gehört – Ihnen?« »Sie gehört mir! Ich habe sie gekauft«, sagt Bess und blickt ihn dabei offen an. »Sie können hier den Kaufvertrag sehen.« Ohne recht zu wissen, was er tut, greift der Rancher nach dem Blatt, das sie ihm hinstreckt. Seine Augen fliegen darüber hin, ohne zu begreifen oder zu erfassen, was er liest. Erst als er zum zweitenmal die Schrift in sich aufgenommen hat, blickt er wieder auf. »Sie stehen also auch auf Diamonds Seite, Miß Avaron!« 92 �
Es ist eine Feststellung, keine Präge, und ein bitterer Zug gräbt tiefe Furchen um Comstocks Mundwinkel. »Was wollen Sie jetzt von mir hören, Mister Comstock«, fragt Bess leise. »Soll ich Sie belügen?« Da fährt der Rancher auf. »Soweit ist es noch nicht mit mir, Miß Avaron. Noch kann mir jeder schonungslos die Wahrheit ins Gesicht sagen. – Ah, ich weiß, daß sich alle gegen mich verbünden. Die Siedler, die Farmer, meine Nachbarn und diese Burschen, die auf meinem Land Mavericks jagen und mir das Vieh stehlen. Sie alle sind neidisch auf die Macht und die Größe der C-Ranch. Aber sie ist mein Lebenswerk, und nur über meine Leiche werden diese Aasgeier an mein Land herankommen. Ich war es, der als erster in dieses Land kam. Ich habe es noch mit Shoshonen ausgetragen. Und ich werde es auch mit diesen verdammten Banditen austragen, offen und auf meine Art!« Es ist eine wütende Anklage gegen das Schicksal, die Comstock herausschleudert… er selbst merkt es nicht. »War der Trick, den Sie gegen Chuck Diamond angewandt haben, auch so offen von Ihrer Art?« Der Rancher stockt. Verständnislos blickt er zu dem Mädchen herab. »Der Trick? Was für ein Trick?« Das Erstaunen in seinen Worten ist so ehrlich, daß Bess im gleichen Augenblick Zweifel kommen, ob es richtig war, ihm diesen Tiefschlag zu versetzen. »Nun, Mister Comstock«, fährt sie fort, und ihre Stimme ist nicht mehr ganz so sicher, »war es kein Trick, eigene Rinder auf Chucks Weide zu treiben, um ihn des Viehdiebstahls zu bezichtigen?« Comstocks Augen werden groß. »Das müssen Sie mir noch einmal erklären, Miß Avaron. Ich 93 �
soll selbst Rinder auf die Weide getrieben haben, die Diamond benutzt? Seien Sie vernünftig, Mädel! Welchen Zweck sollte ich damit verfolgen?« »Ist das so schwer zu durchschauen, Mister Comstock? Genau den Zweck, den Sie tatsächlich damit erreicht haben, nämlich Chuck aus dem Lande zu jagen, ihn zum Gesetzlosen zu machen. Sie wissen doch ganz genau, daß Chuck nach Sunny Morgans Tod zur Seele des Widerstandes gegen Ihren übermäßigen Machtanspruch geworden ist. Was ist einfacher, als diesen Widerstand, dadurch zu brechen, daß man seinen Führer zum Verbrecher, zum Viehdieb stempelt?« Erst nach langer Zeit, und dann ganz zögernd, kommt Comstocks Erwiderung. »Glauben das außer Ihnen noch mehr Leute im County, Mädel? Sehen auch die anderen in mir einen Weidepiraten, der einen Mann ohne Grund zum Teufel jagt, ihn in den Boden stampft?« »Haben Sie nicht selbst mit Ihren Taten Veranlassung dazu gegeben, daß man Sie in diesem Licht sieht, Mister Comstock«, antwortet Bess geschickt mit einer Gegenfrage. »Erst vor wenigen Tagen hat ihre Mannschaft zwei Siedlerfamilien davongejagt. Das ganze County weiß es, Mister Comstock, wissen Sie es nicht? Was haben diese Menschen Ihnen getan?« Diese Frage ist wieder ein Tiefschlag für den Rancher, viel mehr, als Bess es ahnen kann. Und er erholt sich ganz langsam von diesem Schlag. »Meine Mannschaft – davongejagt…« Comstock läßt sich in einen Sessel sinken. Er gleicht einer mächtigen Eiche, die vom Sturm bedenklich ins Wanken gebracht wird. Und eine Frau hat diesen Sturm entfacht. »Bitte, Miß Avaron«, kehrt Comstock endlich wieder in die Wirklichkeit zurück, »bitte erzählen Sie mir genau, was Sie von 94 �
alledem wissen. Mein Reich scheint zu groß geworden zu sein, denn bis zu mir ist diese Neuigkeit noch nicht gedrungen.« Es scheint Bess unbegreiflich, was der Rancher da sagt, aber trotzdem ist sie von der Wahrheit seiner Worte überzeugt. »Vor einigen Tagen war es, Mister Comstock. In der Nacht haben Ihre Leute zwei Siedlerstätten am Südrand der Smoky Hills überfallen, nachdem sie zwei Tage zuvor den Creek abgegraben hatten, der über ihr Land fließt. Mit Tierkadavern hatten sie den Brunnen der Siedler verseucht, die Leute mit Schüssen so lange in ihren Häusern festgehalten, bis sie eine Herde über ihre Pflanzungen getrieben und die ganze Ernte vernichtet hatten. Was blieb den Leuten anders übrig, als abzuziehen, ihre Hütten im Stich zu lassen und weiter weg neu anzufangen. Hier hätte ihnen jederzeit das gleiche passieren können. – Und da wundern Sie sich, Mister Comstock, daß Sie keine Freunde im Land haben?« Wie unter einem Peitschenhieb zuckt Comstock unter diesen Worten zusammen. »Ich habe das nicht gewußt, Mädel. Glauben Sie mir, ich habe es nicht gewußt!« Dann schweigt Comstock wieder, aber in seinem Gesicht arbeitet es; Bess kann seine jagenden Gedanken deutlich an seinem Mienenspiel ablesen. »Ich glaube Ihnen, Mister Comstock«, sagt sie einfach. »Aber dann sollten auch Sie mir glauben, daß Chuck Diamond niemals auch nur ein einziges Rind von Ihrer Weide gestohlen hat. Chuck und auch Sie sind beide getäuscht worden. Wer es war, der sie aufeinander gehetzt hat, müssen Sie selbst herausfinden, ich weiß es nicht.« *
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Die Sonne hat ihren höchsten Stand erreicht. Reiter und Pferd sind von einer dichten, grauen Staubschicht überzogen. Immer noch verfolgt Chuck Diamond die Fährte. Als Chuck eine Buschecke umreitet, erkennt er vor sich eine ausgedehnte Senke, die an ihrem hinteren Rand von einem Hügel begrenzt wird. Die eigenartige Form dieses langgestreckten Hügels ist es, die Chucks Augenmerk auf sich zieht. Ein tiefer, canyonartiger Einschnitt durchfurcht den Rücken. Es sieht aus, als ob der Hügel in der Mitte auseinandergebrochen wäre. Broken Hill – der zerbrochene Hügel, zuckt es durch Chucks Gehirn. Irgendwo hat er diesen Namen schon einmal gehört. Und dann sieht er die dünne, kaum erkennbare Rauchfahne, die aus einer Bodenfalte emporsteigt. Es ist sein sicherer Instinkt für jede Gefahr, der ihn an dieser Stelle von der Fährte abweichen läßt. In einem großen Bogen, sich möglichst immer am Fuße der kleineren Bodenwellen haltend, hat er schließlich einen Punkt erreicht, der ihm freien Einblick in die Senke ermöglicht. Er sieht eine Ranch. Eine kleine Ranch – weitab von jeder Verkehrsverbindung. Die dünne Rauchfahne entquillt dem gemauerten Schornstein eines Blockhauses, neben dem sich ein verwitterter Schuppen befindet. In einem langgestreckten Korral weiden Rinder. Etwa zweihundert Longhoms schätzt Chuck. So nah, wie es ohne Gefahr des Entdecktwerdens möglich ist, reitet er heran. In einer Buschgruppe läßt er schließlich sein Pferd zurück, schleicht zu Fuß weiter und erreicht den Rand des Korrals. Die Rinder tragen den C-Brand! Eine grimmige Genugtuung ergreift von Chuck Besitz. Er hat sie gefasst! Hier muß das Rustlernest, der Stützpunkt der Bande sein, an deren Vorhandensein er bisher nicht geglaubt hatte – 96 �
nicht hatte glauben wollen. Er hat es zum Greifen nahe vor sich. Hier ist der Beweis dafür, daß Comstock tatsächlich Rinder gestohlen wurden. Im stillen nimmt Chuck manches zurück, was er über den Rancher gedacht hat. Aber was ihm im Augenblick wichtiger ist, hier müssen auch die Burschen zu finden sein, die die Comstock-Rinder auf seine Weide getrieben haben. Es gibt für Chuck keine Sekunde des Überlegens. Ein Kampf steht ihm bevor – sicher! Trotzdem ist eine freudige Erregung in ihm. – Jetzt liegt es bei ihm selbst, seinen guten Namen aus dem Feuer zu reißen, vielleicht sogar im eigentlichen Sinne des Wortes. Mit katzenhaft gewandten Bewegungen arbeitet er sich an das Blockhaus heran. Er erreicht die Rückwand des Schuppens. Mahlende Geräusche von Pferdezähnen, Stampfen und Schnaufen verraten ihm, daß er auch als Pferdestall Verwendung findet. Gedämpft und undeutlich erklingen Stimmen aus dem Inneren des Blockhauses. Chuck kann zwar kein Wort verstehen, aber er erkennt, daß es drei Männer sind, die sich dort unterhalten. Immer mit dem Rücken zur Wand umrundet er die Hausecke, um an die Tür heranzukommen. Noch einmal überfliegen seine Augen den Schuppen, das Tal, die Weide. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, daß sich noch Mitglieder der Bande außerhalb des Hauses befinden. Und wenn es doch so sein sollte, er muß es riskieren. Die Überraschung ist in diesem Kampf sein wichtigster Bundesgenosse. Chuck stellt sich dicht vor die Tür, beide Colts an den Hüften. Jetzt! Krachend fliegt die Tür unter seinem Fußtritt auf, mit einem Satz ist er im Raum. Zwei Schritte bringen ihn neben die Tür, er steht mit dem Rücken an der Wand. Drei Männer fahren von ihren rohgezimmerten Stühlen empor. Der Schrecken verzerrt ihre Gesichter. 97 �
Mit lautem Gepolter fliegt der schwere Tisch um, fegt den davorstehenden Mann zu Boden. »Hölle«, schreit eine heisere Stimme. Und dann ist die Hölle da. Der Bursche, der am Boden liegt, springt auf, schnellt sich die wenigen Schritte zu Chuck hinüber. Er achtet nicht auf die schußbereiten Waffen. Die Kugel trifft ihn mitten im Lauf. Zwei Schüsse werden zu Chuck herübergejagt. Eine Kugel schlägt dicht neben seinem Kopf in die Wand, die andere streift sein leeres Halfter. Wie einen Schatten hat Chuck die Hand auftauchen sehen. Sein Antwortschuß geht in einem willen Schrei unter. Dann ist es auf einmal vorbei. »Hör’ auf! Wir steigen aus!« heult eine Stimme. Chuck hat sich tief zusammengeduckt. Mit der Wachsamkeit eines in die Enge getriebenen Pumas läßt er die Tischplatte nicht aus den Augen. Zögernd erscheint dahinter ein blutüberströmtes Gesicht. Halb geblendet taumelt der Bursche hervor und hebt die Hände. »Kommt beide heraus und streckt sie hoch. Ich schieße nicht, wenn ihr keine faulen Tricks versucht«, sagt Chuck mit belegter Stimme. Ein Bein, das seitlich hinter dem Tisch hervorschaut, gerät in Bewegung. Langsam erscheint ein zweites Gesicht, bleich, aber mit einem erstarrten Grinsen. »Hallo, Diamond«, sagt Matt Coldway und streift dabei ungerührt mit seinen Blicken den Toten. Steifbeinig kommt er ganz hervor. Sein Pferdegebiß schimmert gelblich. Seine Augen flackern, aber das starre Grinsen verschwindet nicht aus seinen Zügen. Chuck blickt den ihm unbekannten Pferdeschädel an, steckt 98 �
dann eine Waffe weg und geht um den Toten herum. Er tritt von hinten an die beiden heran und tastet sie mit der freien Hand nach verborgenen Waffen ab. Mit zwei Fußtritten befördert er ihre Colts in eine Ecke. »Da hinüber! Verbinde ihn!« weist er mit dem Revolverlauf zu einem primitiven Bett an der Wand. Coldway läßt die Hände sinken. Er erfaßt seinen Kumpan an der Schulter und dirigiert ihn zu der Liegestatt. Mit einer Routine, die beweist, daß er es nicht zum erstenmal tut, zerreißt Coldway einen ehemals weißen Lappen und verbindet den Verwundeten. Chuck lehnt sich an die Wand und dreht eine Zigarette. Er. schafft es, ohne auf seine Hände zu blicken, denn seine Augen ruhen unbeirrt auf den beiden Rustlern. »Beeilt euch, ich will hier weg. Und euch nehme ich mit!« »Wollen Sie uns wirklich durch die Gegend schleifen, Diamond? Was können Sie damit schon erreichen? Bevor Sie mit uns in Grey Bull sind, haben Sie soviel Blei geschluckt, daß Sie kein Knochenflicker mehr auf die Beine bringt. Sie haben uns überrascht, Diamond, aber Sie haben trotzdem keine Chance.« Trotz seiner Anspannung läßt sich Chuck nicht aus der Ruhe bringen. »Wo habe ich dein Pferdegesicht nur schon einmal gesehen, Buddy? Irgendwo müssen wir uns doch schon einmal begegnet sein, daß du mich so genau kennst. – Mache dir nur keine Sorgen um meine Chancen, Freund. Ich habe schon in ekligeren Klemmen gesessen und bin heil herausgekommen. An eurer Stelle würde ich mir nur Sorgen um meinen Hals machen, savvy?« Zum erstenmal scheint Coldway aus der Fassung zu geraten. Der Gedanke an einen Strick scheint ihm nicht zu behagen. »Goddam, Diamond, was haben Sie davon, wenn Sie hier den 99 �
wilden Mann spielen. Schlimmstenfalls würden sie uns ein paar Jahre einsperren. Ihnen haben wir doch keinen einzigen Kuhschwanz weggetrieben!« »Im Gegenteil, ganz im Gegenteil. Ihr habt dafür gesorgt, daß sich meine Herde noch um einige Kuhschwänze vermehrte. Das war sehr freundlich von euch, aber ich nehme euch mit nach Grey Bull, damit ich es euch zurückgeben kann. Wer hat euch denn dafür bezahlt? Ihr spielt doch nicht umsonst die Wohltäter der Menschheit.« »Finde es doch selbst heraus, du verdammter Hund«, heult da der Verwundete auf. Sein immer noch blutendes Gesicht bietet einen grauenvollen Anblick. Obgleich seine Augen aus verquollenen Lidern zu Chuck herüberstarren, ist ihr Blick merkwürdig tot. »Laß ihn nur, Les«, mahnt Matt Coldway seinen Kumpan – es ist Les Noel – zur Ruhe. »Er hat sein Spiel noch nicht gewonnen.« »Macht jetzt, daß ihr rauskommt. Wir reiten sofort los!« Da zeigt Coldway mit der Hand auf den Toten. »Verdammt, wollen Sie ihn hier einfach liegen lassen?« »Yeah, das will ich«, sagt Chuck und tritt mit dem Absatz seine Zigarette aus. »Wenn du mich mit so lausigen Tricks reinlegen willst, mußt du es unauffälliger anfangen. Die Beerdigung überlasse ich der Meute, die du hier noch erwartest. Sie sollen sich ruhig damit aufhalten. Ich habe keine Zeit dazu. Los jetzt! Wenn ihr nicht gutwillig gehen wollt, dann muß ich es eben auf die rauhe Art machen.« Der Rustlerboß läßt es nicht darauf ankommen. Er steht auf und geht zur Tür. »Matt!« Hilfesuchend klingt die Stimme Noels. Er ist ebenfalls aufgestanden und hat zwei Schritte gemacht. Aber dann bleibt er ste100 �
hen, die Hände tastend vorgestreckt. Les Noel ist blind. Seine Augen sind von kleinen Holzsplittern verletzt. »Nimm ihn mit«, sagt Chuck und schiebt Noel langsam vor sich her, bis Coldway ihn bei der Hand ergreifen kann. Seine Gedanken sind aber nicht bei der Sache. Noels Anruf hat ihm über die Persönlichkeit des pferdegesichtigen Rustlers Klarheit verschafft. Coldway ist ein weit über die Grenzen Wyomings hinaus berüchtigter Viehdieb. Chuck pfeift befriedigt durch die Zähne. Kurze Zeit später sind sie auf dem Weg. Auf einem sattellosen Gaul hat Chuck die Strecke bis zu seinem eigenen Pferd zurückgelegt. Das ledige Tier jagt er dann mit einem Schlag auf die Kruppe davon. Coldways Hände sind nun auf dem Rücken gefesselt, und Chucks Lasso ist um seine Brust geschlungen. Das andere Ende des Lassos hält Chuck in der Hand. Das Pferd Les Noels ist mit einer langen Leine an Coldways Sattelhorn befestigt »Wer hat euch dafür bezahlt, daß ihr die Comstock-Rinder in meine Herde gejagt habt?« fragt Chuck mit Beharrlichkeit. Coldway wendet sich im Sattel um und fletscht hämisch grinsend die Zähne. »Den Mann lernst du noch früh genug kennen, Diamond, und zwar von seiner besten Seite. Glaube nicht, daß ihr uns in eurem lausigen Käfig in Grey Bull lange halten könnt. Du wirst den heutigen Tag noch einmal verfluchen, wenn du mit heißem Blei die Quittung dafür bekommst.« Er setzt den Ritt fort, ohne auf die hereinbrechende Nacht zu achten. »Willst du, daß wir uns in diesen verdammten Bergen den Hals brechen, Diamond? Ich reite nicht weiter!« Chuck wischt sich mit seinem Halstuch den Staub aus dem Gesicht und blickt Coldway verkniffen an. 101 �
»Versuche es nur, Bruder! Versuche nur, gegen den Stachel zu locken. Du wirst dich wundern, wie schnell du dann deine Meinung ändern wirst.« »Goddam, dann reiten wir eben weiter. Aber es kann auch deinen Hals kosten.« »Deine Sorge um mein Wohlergehen rührt mich zutiefst, Coldway. Aber mein Hals ist meine Sache, savvy? Und um eure Hälse ist es nicht schade. Ob ihr mit einem Strick um den Hals oder mit gebrochenem Genick zur Hölle fahrt, ist doch egal.« »Du hundsgemeiner…« »Shut up!« Chuck zischt es ganz leise, aber Coldway spürt die Härte, die hinter diesen beiden Worten steht, und zieht es vor, seinen Satz nicht zu Ende zu sprechen. Zwei Stunden später überschreiten sie die Paßhöhe der Big Horn Mountains. Als sie in den finsteren Einschnitt eines Canyons hineinreiten, passiert es dann. Coldways Pferd bleibt plötzlich stehen. Es bäumt sich auf, als ob es gegen ein unsichtbares Hindernis gelaufen wäre. Chucks Gaul bricht erschreckt zur Seite aus. Bevor er ihn wieder fest in der Hand hat, klingt hinter ihm eine rauhe, heisere Stimme auf. »Stick ‘em up, Diamond – streck sie hoch, Diamond!« Schnell wie ein flüchtiger Schatten will Chuck herumfahren, da trifft ihn ein Felsbrocken an der Schulter, der ihn aus dem Sattel reißt. * »Na, großer Mann, wie fühlst du dich jetzt?« sagt Brian Hastings. Er steht vor Chuck, der verbissen die Wirkung des plötzlichen Sturzes zu überwinden sucht, und spielt mit seinem schwe102 �
ren Colt. Chucks Verstand hat seine Funktion wieder aufgenommen. Obgleich eines seiner Augen fast zugeschwollen ist, beobachtet er die Dinge um sich herum. Wie Schuppen fällt es ihm von den Augen. Hastings ist mit diesem Rustlerboß sehr vertraut. Jetzt ist das Spiel auf einmal klar. Das alte Spiel eines schuftigen und korrupten Vormannes, der sich an den Herden seines Ranchers mit Hilfe irgendwelcher Viehdiebe bereichert. Auch die Gesichter der beiden Begleiter Hastings sind ihm bekannt. Er hat sie schon in der C-Mannschaft gesehen. Bitter lacht Hastings auf, so daß Coldway unwillkürlich zu ihm hinüberblickt. »Das ruhige Geschäft ist aus, Matt. Es hat sich inzwischen einiges geändert.« Er gibt dem Rustler einen Wink, und sie setzen sich ans Feuer. Einer der Burschen, den Hastings vorhin mit Abe angeredet hatte, hockt sich wenige Schritte von Chuck entfernt auf den Boden und läßt ihn nicht aus den Augen. Und Brian Hastings beginnt mit leiser Stimme zu erzählen. Da die Entfernung zum Feuer aber nur sehr klein ist, kann Chuck die meisten seiner Worte verstehen. So erfährt er von dem Vorfall auf der Grey Horse-Ranch, der dazu führte, daß Brian Hastings von Comstock zum Teufel gejagt wurde. »Wir haben noch keinen Grund, das Rennen aufzugeben, Brian«, sagt in diesem Augenblick Matt Coldway zu Hastings. »Wir brauchen nur die Rollen etwas anders zu verteilen, das ist alles. Ich kann in meiner Mannschaft einige harte Brocken noch ganz gut gebrauchen. Du kommst mit den beiden Burschen zu mir. Im Becken macht dann Dan Comstock allein die Sache.« Chuck horcht auf. ›Dan Comstock macht allein die Sache!‹ Er kann den Sinn dieser Worte nicht so schnell erfassen. 103 �
»Pah, Dan Comstock, dieser Waschlappen. Er weiß nicht, was er will. Er hat allein nicht den Mut dazu, es weiterzuführen. Wenn ich ihm nicht immer im Nacken gesessen hätte, wäre der Laden schon längst aufgeflogen. Er hat nicht den Mut, richtig schlecht zu sein. Ich habe ihm goldene Brücken bauen müssen, damit überhaupt etwas daraus wurde. Ich habe sein Gewissen immer damit getröstet, daß es ja nur ein Vorschuß auf seine Erbschaft wäre, wenn er uns ein paar Herden zuschanzt. Der Alte hat ihn immer kurz gehalten. Er bekam nur seinen CowboyMonatslohn, genau wie die anderen, und damit wollte er als Sohn von Big William D. große Ansprüche stellen. Weißt du, was er mit dem Geld für die erste Herde gemacht hat, die er uns zuschanzte? – Er hat seine Schuldscheine eingelöst, aus Angst, daß sie der Alte irgendwann einmal zu Gesicht bekommen könnte. Und als er einmal gemerkt hatte, daß alles gut ging, kam er auf den Geschmack. Aber wenn ich nicht dahintersitze, wird er schlappmachen, das ist sicher.« »Du verdammter Bastard«, entfährt es Chuck Diamond ohne seinen Willen. Hastings Kopf schnellt herum. Seine buschigen Augenbrauen sind zusammengezogen, daß sie fast ineinander übergehen. »Du hast es verdammt eilig, in die ewigen Jagdgründe zu kommen, fellow. Nur gemach. Wir müssen erst überlegen, ob wir dich nicht noch etwas zu fragen haben, bevor es für immer zu spät ist. Du wirst noch früh genug deinem Freund Morgan Gesellschaft leisten.« »Sunny Morgan«, keucht Chuck. »Ihr habt ihn auf dem Gewissen? Aah, das ist hart! Nun kann ich mein Ziel nicht mehr erreichen, ihm seinen Mörder nachzuschicken. Allmächtiger Gott – warum muß ich es erst jetzt erfahren!« »Rege dich wieder ab, Diamond. Wir waren es nicht! Ein anderer hat es für uns getan.« 104 �
Die ruhige Sicherheit von Hastings Stimme läßt Chuck stocken. »Wer war es denn sonst?« »Dan Comstock war es, Freund. – Morgan überraschte uns, als wir eine Herde zu den Hügeln trieben. Ohne daß wir es wußten, suchte er mit seinen Freunden in der gleichen Gegend nach Mavericks. Nun, Dan Comstock hatte sein Gesicht zu wahren.« Die Flammen des Feuers flackern und werfen absonderliche Schatten auf die Gesichter der Männer. Und es ist kein Zug in diesen Gesichtern, der Chuck etwas anderes herauslesen ließe als nur das eine: den Tod. »Matt! Laß mich es machen! Du hast es mir versprochen. Vielleicht bin ich für den Rest meines Lebens blind. Dann will ich den Hall des Schusses vor mir haben, mit dem ich meine blinden Augen gerächt habe.« Der im wahrsten Sinne des Wortes blinde unmenschliche Haß, den Les Noel in diese Worte legt, ist fast mit Händen zu greifen. »Verdammt, dann komme her, Les.« Mit blinden Augen tastet sich Les Noel heran. Er ergreift Matt Coldway an der Schulter. »Gib mir einen Colt, Matt, ich will es tun!« * Ward Clanton hält nicht viel von Ahnungen. Als nüchtern denkender Mediziner weist er weit von sich, solchen Regungen eine Berechtigung zuzusprechen. – Das Bild Chuck Diamonds aber, der allein auf heiße Fährte in die Berge reitet, bringt eine Saite in ihm zum Klingen, von deren Vorhandensein er bisher nicht die geringste Ahnung hatte. Als Ward Clanton mit seinen Gedanken so weit gekommen ist, gibt es kein Halten mehr. Er kennt den Weg ja nun, der zu Diamonds Bergcamp führt. 105 �
Jack Needle macht ein saudummes Gesicht, als er den Doc so plötzlich wieder vor sich sieht, der das Lager erst vor wenigen Stunden zusammen mit Chuck verlassen hat. »Nach dem Zustand Ihres Gaules zu rechnen, muß ein Hornissenschwarm hinter Ihnen her gewesen sein, Doc. Verdammt, was hat diese Eile zu bedeuten? Was Gutes ist es doch bestimmt nicht! Ich vergreife mich nur ungern an einem Doktor, aber wenn Sie nicht bald die Neuigkeit ausspucken, deretwegen Sie wiedergekommen sind, dann übernehme ich für meine Nerven keine Verantwortung!« »Diamond geht es noch gut, hoffe ich. Noch, aber das kann sich meiner Meinung nach jeden Augenblick ändern. Er ist einer Rustler-Bande auf der Spur, allein!« Das Fluchen Sam Bentworths klingt zwar noch etwas schwach, die Flüche selbst sind deshalb aber um so kräftiger. Da wirft Clanton einen Blick zum Himmel. Die Sonne ist schon tief hinter der Felswand verschwunden. »In spätestens einer Stunde haben wir kein Licht mehr. So lange brauchen wir aber, um aus den Bergen herauszukommen und die Stelle zu erreichen, an der wir auf die Fährte stoßen. Ich schlage vor, wir warten die Nacht ab und reiten morgen vor Sonnenaufgang los, damit wir mit dem ersten Tageslicht die Spur aufnehmen können.« Als die vier Reiter, Clanton, Jack Needle, Donald Clayborne und Marmaduke am nächsten Morgen noch in der Dunkelheit aufbrechen, haben sie eine unruhige Nacht hinter sich. Dafür sitzen sie auf ausgeruhten Pferden und sind mit kaltem Fleisch als Proviant reichlich versehen. Alle sind sie von einer fiebernden Erregung ergriffen. Nur Marmaduke trägt nach wie vor seine stoische Ruhe zur Schau. Doc Clanton ist aber trotzdem davon überzeugt, daß er innerlich stärker darauf brennt, seinen Herrn aus irgendeiner Patsche zu ziehen, als es bei den anderen der 106 �
Fall ist. Sie reiten den ganzen Vormittag. Die Fährte ist inzwischen einen Tag älter, ist davon bestimmt nicht klarer geworden. Als sie gegen Mittag eine kurze Rast einlegen, haben Pferde und Reiter sich diese Verschnaufpause redlich verdient. Lustlos würgen sie ihr kaltes Fleisch hinunter. Wenn nicht die Pferde diese Rast dringend brauchten, sie würden ohne Aufenthalt weiterreiten. Aber, wie gesagt, die Fährte ist nicht besser geworden. Wind und Staub haben ihr Werk verrichtet. Im Laufe des Nachmittags kommen sie auf einmal zu dem Schluß, daß sie endgültig von der Spur abgekommen sind. Seit fast zwei Stunden sind sie im Kreis geritten. Diese Feststellung übt eine niederschmetternde Wirkung auf die Männer aus. Ihre Gesichter sind verbissen, sie sind mit sich selbst nicht zufrieden und sehen doch keine Möglichkeit, es besser zu machen. »Dieser dreimal verfluchte Steinboden!« wettert Jack los. »Auch nicht das Haar eines Kuhschwanzes ist mehr zu sehen, als wenn eine ganze Longhorn-Herde plötzlich Flügel bekommen hätte. Was machen wir jetzt? Ich könnte verrückt werden bei dem Gedanken, daß der Boß jetzt vielleicht in einer Klemme sitzt, während wir hier durch die Gegend sausen wie aufgescheuchte Hühner.« »Wir müssen zurück bis zu der Stelle, wo wir die Fährte zuletzt deutlich gesehen haben«, knurrt Doc Clanton, und der Mißmut gräbt Falten in sein Gesicht, so gut wie in die der anderen Männer. Aber sie murren nicht, weil sie wissen, daß ihnen tatsächlich keine andere Wahl bleibt. Kostbare Stunden verstreichen mit der Suche nach dem Schlußpunkt der Spur. Als sie die Stelle endlich erreicht haben, senkt sich die Dämmerung herab und macht die weitere Suche 107 �
unmöglich. »Wir wollen allgemein die Richtung nach Osten beibehalten und auf diese Weise versuchen, den Boß zu finden«, macht Donald Clayborne zaghaft einen Vorschlag. »Yeah, und dann morgen irgendwo in den Bergen stecken und die Fährte bis zum Jüngsten Tage nicht mehr wiederfinden, du Kindskopf«, erwidert Jacky Needle und macht dabei eine Bewegung zu Donald hinüber, mit der er seine Ansicht über dessen Vorschlag noch deutlicher zum Ausdruck bringt als mit seinen nicht gerade schonenden Worten. »No, Clayborne, es hat wirklich keinen Zweck, zumal dabei die Möglichkeit besteht, daß wir mit unserem planlosen Umherreiten in eine Falle geraten und Diamond mehr schaden als nützen. Wir müssen lagern und es morgen wieder versuchen.« Das zerklüftete Bergland bietet tausend Gelegenheiten zum Aufschlagen eines Lagers. Sie brauchen nicht sehr weit zu reiten, um einen geschützten kleinen Felsenkessel zu erreichen. Im Schutze der Wände wachsen sogar einige spärliche Büsche, deren grüne Farbe jedoch dem Grau des alles bedeckenden Staubes zum Opfer gefallen ist. Sie losen unter sich die Wachen aus, lockern den Pferden die Sattelgurte und nehmen ihnen die Trensen aus dem Maul. Bis auf den ersten Posten rollt sich dann alles in die Decken und legt sich nieder. Marmaduke hat die erste Wache erwischt. Er hockt sich auf einen fast pyramidenförmig aufragenden Block, der aus einer Seitenwand des Kessels hervorspringt und einen guten Überblick ermöglicht. Und er weckt keinen der anderen. Die Stunden verstreichen. Regungslos harrt der Schwarze auf seinem Posten aus. Seine Gedanken weilen bei seinem Herrn, bei seinem Little Boy. Selbst wenn er sich jetzt hinlegen würde, an Schlaf wäre für ihn nicht 108 �
zu denken. Es muß wohl schon die dritte Wache sein, die Marmaduke durchhält. Da steht plötzlich der Hall eines Schusses in der stillen Nacht. * »Gib mir einen Colt, Matt. Ich will es tun«, sagt Les Noel, und seine Stimme klingt schrill vor hemmungsloser Rachsucht. Coldway zieht die beiden Waffen aus den Halftern, die er Chuck abgenommen hat, und drückt eine davon dem Blinden in die Hand. Sein Gesicht ist bleich geworden. Mehrfach fährt seine Zunge über die ausgedörrten Lippen. »Er steht vor dir, Les«, murmelt er tonlos. Aus den Augenwinkeln sieht Chuck Diamond den Revolver seines Wächters auf sich gerichtet. Aber er sieht auch den taumelnden Schritt, den Noel in besinnungsloser Mordgier vorwärts tut. Er gibt sich keine Rechenschaft über seine Gedanken und Empfindungen. Er ist kein Übermensch, und er weiß, daß in diesem Augenblick der Tod seine kalte Hand nach ihm ausstreckt. Instinktiv schnellt er vor. Im gleichen Augenblick, wo sich der Colt Noels donnernd entlädt und die feurige Lohe der Mündungsflamme sengend über sein Gesicht fährt, prallt er auf den blinden Rustler und wirft ihn in einem Schwung gegen Coldway. Wie ein wildes Tier brüllt Noel auf, rollt sich auf dem Boden und tastet nach dem Revolver, der seiner Hand entfallen ist. Wüstes Geschrei gellt auf. Auch Coldway ist zu Boden gerissen worden. Mit den Beinen fällt er ins Feuer. Funken stieben auf, überschütten Brian Hastings mit ihrem feurigen Regen. Es ist ein verzweifelter Satz, mit dem Chuck nach der Waffe 109 �
hechtet. Er prallt auf Noel, der blindlings um sich zu treten beginnt und wüste Flüche herausbrüllt. Chucks Hand erreicht die Waffe, reißt sie an sich. Einen Augenblick erfüllt ihn eine wilde Freude. Die Waffe – er hat sie in der Hand. Er will den Colt emporreißen, aber er kommt nicht einmal mehr dazu, den Finger durchzukrümmen. Wie eine dumpfe, dunkle und gähnende Leere empfindet er den Schlag, den Hastings mit dem Revolverlauf in seinen ungeschützten Nacken herabschmettert. Er spürt nicht einmal einen Schmerz. Er sinkt in eine bodenlose Tiefe. * Chuck öffnet die Augen. Er blickt sich einen Augenblick um, aber nicht der geringste Funke des Verständnisses blitzt in seinen Augen auf. Er ist von diesem wüsten Hieb in seinen Nacken noch vollständig benommen und kann das Bild, das sich ihm bietet, nicht erfassen. »Sieh dir schnell noch einmal alles an, Diamond. Es ist die letzte Gelegenheit dazu!« Langsam kehrt Chuck die Erinnerung zurück. Er legt eine Hand in den Nacken und biegt seinen Kopf weit nach hinten zurück. Er hat das Gefühl, als ob tausend Trommeln auf seinem Kopf dröhnten, die seinen Schädel jeden Moment zum Platzen bringen könnten. Und mit der Erinnerung kehrt ihm das Bewußtsein zurück, daß es hier um alles geht, daß er nur mit klarem Kopf Aussicht hat, noch etwas am Ausgang dieses Spiels zu ändern. Von einer urhaften Wildheit ist der kehlige Schrei. Fast körperlich springt sie dieser Schrei an. Coldway stockt für einen Augenblick der Atem. Auch die anderen haben ihre Waffen gezogen und starren mit brennenden 110 �
Augen in die Dunkelheit des Schluchteinganges. Und da ist Marmaduke heran. Wie ein riesenhafter Schatten taucht seine Gestalt auf, stolpert, stürzt vorwärts, und bevor sich die Rustler von ihrem Schrecken erholt haben, donnert zweimal schnell hintereinander seine Schrotflinte auf. Abe sackt schreiend in sich zusammen. Aber noch immer sind drei Revolverläufe da, aus denen dem Neger nun ein Bleihagel entgegenfetzt. Nur durch sein überraschendes Auftauchen und den Umstand, daß die Augen der Rustler sich erst an die Dunkelheit gewöhnen müssen, konnte er so weit kommen. Und da hat es ihn auch schon erwischt. In wilder Verzweiflung will Marmaduke sein Ziel doch noch erreichen. Seine Augen sind weit aufgerissen, wie eine Keule hält er die Flinte beim Lauf gepackt. Aber sein Atem geht rasselnd. Furchterregend tritt das Weiße in seinen Augen hervor. Mehrere Schüsse haben sie ihm entgegengejagt. Einer davon hat sein Ziel gefunden. Mit letzter Energie taumelt der Schwarze noch einige Schritte näher. Seine Kaumuskeln arbeiten wie in einem Krampf. Hastings hebt den Coltlauf, läßt Marmaduke noch einen Schritt näherkommen. Da tritt Chuck mit aller Kraft vor sein Knie. Hastings kippt vornüber, und im gleichen Augenblick schmettert ihm der Kolben von Marmadukes Flinte auf den Schädel. Dann erst sinkt der Schwarze zusammen, fällt über seinen Herrn und bleibt liegen. In der Dunkelheit des Schluchteinganges blitzt es wieder auf. Diesmal ist es nicht der dumpfe, hallende Klang der Schrotschüsse, sondern das peitschende Bellen eines Revolvers. Jaulend zwitschert ein Querschläger über die Köpfe der Männer. Coldway hat sich auf ein Knie fallen lassen und jagt Schuß auf Schuß hinaus. Nur zweimal hat er das Mündungsfeuer dort drüben aufblitzen sehen. Von einer Art Panik erfaßt, streut er mit 111 �
seinen wenigen Schüssen den ganzen Schluchteingang ab. Viermal zuckt der grellrote Blitz aus seiner Mündung, dann macht es nur noch »klick«, als der Hammer auf eine leere Hülse trifft. Mit einem Fluch schleudert Coldway die Waffe in die Dunkelheit hinein, springt zu Noel hinüber und reißt dessen Revolver an sich. Da wird es im Dunkel da vorn lebendig. Wieder fetzen die Schüsse herüber, dann jagen dunkle Schatten heran. Doc Clanton hält die Spitze. Seine Hände, die sonst mit viel Gefühl das ärztliche Besteck führen, lassen nun auf die beiden noch kampffähigen Rustler die Hölle los. Da sind auch Jack Needle und Donald Clayborne heran. Auch ihre Schüsse finden ihr Ziel. Der letzte der Rustler, der das Rennen aufgegeben hatte und zu den Pferden rennt, überschlägt sich und bleibt liegen. »Boß, o Boß! Wir haben es noch geschafft!« Jacky Needle wirft sich neben Chuck auf die Knie und erkennt die reglose Gestalt Marmadukes, der halb über dem betäubten Chuck liegt. »Doc, schnell! Marmaduke hat es erwischt. O Hölle! Er stirbt uns unter den Händen.« Während Clanton heranhastet, dreht Jacky den Schwarzen langsam auf den Rücken. Hastig reißt er das Hemd Marmadukes auf der Brust auf. Ächzend streckt Chuck seine Beine aus. Seine Augen sind noch etwas verschleiert. Eine Riesenfaust scheint noch immer seinen Kopf in den Nacken zu zerren. Beim Anblick des verwundeten Marmaduke ist Chuck in Sekundenschnelle wieder klar. »Herrgott! – Was ist mit ihm?« Chuck richtet sich mühsam auf und blickt zu Doc Clanton hinüber, der beruhigend abwinkt. »Nicht so schlimm wie es aussieht, Diamond. Lungendurch112 �
schuß. Er verliert eine Menge Blut, hoffe, daß ich die Blutung stillen kann. Schnell, Needle. Ich brauche meine Satteltasche mit dem Verbandzeug.« Daß der Tag schon graut, bemerken sie erst, als sie ihre Arbeit endlich beendet haben. Im Hintergrund der kleinen Schlucht erhebt sich nun ein Steinhaufen. Coldway und die beiden Begleiter Hastings haben dort ihr Grab gefunden. Für Marmaduke, Hastings und Noel haben sie aus Decken ein provisorisches Lager hergerichtet. Soweit Clanton es ohne Hilfsmittel feststellen kann, hat Hastings nur eine Gehirnerschütterung davongetragen. Marmadukes Gesicht hat eine graue Färbung angenommen, aber Clanton ist zuversichtlich. Verhältnismäßig schnell ist es ihm gelungen, die Blutung zum Stillstand zu bringen. Aller Voraussicht nach wird er es schaffen. Einmal schlägt er die Augen auf, erkennt Chuck, der immer wieder zu seinem Lager tritt, um nach ihm zu sehen. »Little Boy«, murmeln die Lippen Marmadukes nur für Chuck verständlich, dann fallen ihm wieder die Augen zu. Mit Rücksicht auf seinen Zustand verbringen sie diesen Tag in dem provisorischen Lager. Erst am folgenden Tag können sie Marmaduke auf eine Schleiftrage heben, die sie aus Stangen angefertigt haben. Erst nach Einbruch der Dunkelheit erreichen sie Grey Bull. Sobald sie die Hauptstraße erreicht haben, umgibt sie eine Traube von Menschen. Ohne auf die vielen Zurufe zu achten, setzen sie schweigend ihren Weg fort. Erst vor dem Marshal-Office bringen sie ihre Pferde zum Stehen. Chuck springt als einziger aus dem Sattel. Schon in der Tür stößt er mit Cedrick Felton zusammen. »Kommen Sie rein, Marshal, ich habe mit Ihnen zu reden!« 113 �
Damit drängt er den Townmarshal in das Office zurück und schließt hinter sich die Tür. Die Zeitspanne, die nun verstreicht, nutzt Doc Clanton aus, um von einigen kräftigen Männern Marmaduke in sein Haus tragen zu lassen, das dem Office schräg gegenüberliegt. Als Chuck mit dem Marshal wieder in der Tür erscheint, ist dessen Gesicht merkwürdig gerötet. Es sind auch keineswegs freundliche Blicke, die er Chuck zuwirft. »Bringt sie rein!« schnauzt er zu Jack Needle hinunter. »Jetzt haben Sie Ihren Willen. Warum gehe ich Esel nur auf Ihre Ideen ein? Big William wird mich aus dem Land jagen oder in Stücke reißen lassen, wenn er erfährt, daß ich dem Mann geholfen habe, den er von seiner ganzen Mannschaft jagen läßt. Was werden Sie jetzt machen, Diamond?« Chuck lächelt ihn in seiner zurückhaltenden, aber selbstsicheren Art an. »Jetzt warte ich noch auf Big William D. Comstock. Er hat seine Augen und Ohren überall. In spätestens einer halben Stunde weiß er durch seine Freunde aus der Stadt, daß ich hier bin, Ich wette zehn zu eins, daß er innerhalb von drei Stunden hier in der Stadt ist, Marshal!« Es wird ein langes Warten. Chuck zweifelt schon, ob er die Wette mit dem Marshal gewonnen hatte. Mitternacht ist schon vorbei, aber Grey Bull kommt heute nacht nicht zur Ruhe. Die Fenster der Kneipen sind hell erleuchtet. Die ganze Stadt sieht mit Spannung dieser vermutlich letzten Auseinandersetzung zwischen Chuck Diamond und Comstock entgegen. Chuck hat es sich auf einem Stuhl bequem gemacht, während Clanton alle Augenblicke zum Fenster läuft und die Straße hinabspäht. »Bald weiß ich nicht mehr, was ich von der Geschichte halten soll«, wendet er sich Chuck wieder zu. »Comstocks Nachrichten114 �
dienst scheint doch nicht mehr reibungslos…« Er bricht ab und geht schnell zum Fenster zurück. »Verdammt, es geht los!« Ein Rudel von sechs Reitern kommt auf der Hauptstraße heran. Ihre Pferde laufen im Trab, nicht in vollem Galopp, wie Clanton es vermutet hätte. Im Schein der Laternen, die hier und da auf einer Veranda baumeln, kann der Doktor die hochgewachsene Gestalt Comstocks erkennen. Chuck macht sich nicht einmal die Mühe, sich von seinem bequemen Stuhl zu erheben. Durch das Fenster kann er erkennen, wie aus der Pendeltür des gegenüberliegenden Saloons ein Mann heraustritt und die Ankunft der Reiter abwartet. Schließlich kommt auch Comstock in sein Gesichtsfeld. Der Mann auf der Veranda scheint Comstock irgend etwas zu sagen. Dann zeigt er zum Office herüber. Doc Clanton ist zurückgetreten und hat seitlich hinter Chuck Aufstellung genommen. Aus dem Getrampel der Stiefel auf der Veranda sind Comstocks schwere und ruhige Schritte deutlich herauszuhören. Ohne anzuklopfen stößt der Rancher die Tür weit auf. Die Schritte der Männer sind verstummt. In die plötzliche spannungsgeladene Stille tönt das Quietschen der Türangeln. Dann tritt Comstock ein, macht zwei Schritte und bleibt mit versteinertem Gesicht stehen. Hinter ihm drängen sich seine Begleiter herein. Sie bilden eine drohende Gruppe, die ihre Hände auf den Kolben ihrer Revolver liegen haben. Und seitlich hinter seinem Vater steht Dan Comstock! Seine Mundwinkel zucken nervös. »Ich bin gekommen, Chuck Diamond«, sagt Comstock langsam. Seine Stimme klingt ungewöhnlich leise. »Die C-Ranch fordert Rechenschaft von Ihnen.« Chuck steht auf und tritt einige Schritte vor. Auge in Auge stehen sich die Männer gegenüber. Für die Umstehenden ist es 115 �
noch nie so klar zu erkennen gewesen, daß diese beiden Männer, der alte Riese und der junge Rebell, aus dem gleichen Holz geschnitzt sind. »Deshalb habe ich hier auf Sie gewartet, Comstock. Ich will Ihnen Rede und Antwort stehen. Wir haben beide Fehler gemacht: Sie, als Sie Sunny Morgan und seine Burschen für Viehdiebe hielten, ich, als ich nicht daran glauben wollte, daß Ihnen Vieh gestohlen wurde.« In Comstocks Gesicht ist kein Echo auf Chucks Worte zu entdecken. Unter zusammengezogenen Brauen liegen seine Augen tief in den Höhlen. Unbewegt starrt er Chuck an. »Reden Sie weiter, Diamond! Nur, um mir das zu sagen, haben Sie doch nicht auf mich gewartet.« »No«, schüttelt Chuck ruhig den Kopf, »ich will Ihnen zwei der Schuldigen hier präsentieren. Sehen Sie nur genau hin, Comstock! Vielleicht kennen Sie den Burschen, der mit den Viehdieben gemeinsame Sache machte.« Chuck tritt zur Seite und gibt dem Rancher den Blick auf die Gitter frei. Wie ein Beben geht es durch Comstocks mächtige Gestalt. »Brian Hastings!« stößt er rauh hervor. »Dieser verdammte Schuft«, schrillt im selben Moment eine Stimme. Chuck sieht Dan Comstocks Waffe emporfliegen. Seine Hände zucken zur Hüfte, aber er weiß von vornherein, daß er zu spät kommen wird. Dan Comstock hat sich den Augenblick der Überraschung sehr günstig gewählt, um einen unerwünschten Mitwisser für immer stumm zu machen. Der Schuß bellt auf, bevor Chucks Waffe aus dem Halfter ist. Wie mit Riesenfäusten reißt es ihn herum. Ein leichter Faden von Pulverdampf kräuselt sich aus dem Lauf des kleinen Derringers, den Hastings in der herabhängenden Hand hält. Das 116 �
Gesicht des Vormannes ist grimmig verzerrt. »Hier«, wirft er die doppelläufige Waffe mit einer Gebärde zwischen den Gitterstäben hindurch, die irgendwie Abscheu ausdrückt. »Ich habe gewußt, daß dieser Kojote es so versuchen würde.« Langsam wendet Chuck sich wieder um. Er ahnt das Bild, das sich ihm bieten wird. Seltsam verkrümmt steht Comstock mit hängenden Armen da. Vor ihm liegt sein Sohn, das Gesicht dem Boden zugewandt. Seine Hand umklammert noch die Waffe, die seine Rettung vor der Entdeckung werden sollte. Dan Comstock ist tot. Vier Weidereiter der C-Ranch stehen hinter ihrem toten JuniorBoß – vier Revolverläufe sind auf Brian Hastings gerichtet. Ohne den Blick von seinem toten Sohn zu erheben, läßt Comstock die Worte zäh von seinen Lippen tropfen: »Holt – ihn – raus! – Hängt – ihn – auf!« Es ist das Kommando, auf das seine Männer gewartet haben. Die Stiefel der Männer poltern durch den Raum. »Stop!« Hell, kalt und schneidend steht Chucks Stimme im Raum. Er selbst lehnt mit dem Rücken vor der Gittertür, die zu Hastings Zelle führt. »Rufen Sie sie zurück, Comstock!« Die vier Burschen verharren einen Augenblick, um auf die Entscheidung des Alten zu warten. »Warum?« Drohend und schwerfällig sagt Comstock dieses eine Wort, während seine Augen immer noch an der leblosen Gestalt haften. Doc Clanton kniet neben Dan Comstock am Boden. Er hat ihn auf den Rücken gedreht. Mit einer hilflosen Bewegung zuckt er bedauernd die Achseln und sieht Comstock an, der ihn nicht 117 �
zu bemerken scheint. »Es war glatte Notwehr, Comstock«, kommt da wieder Chucks Stimme. »Ich wußte nicht, daß Hastings noch eine Waffe versteckt bei sich hatte. Aber hätte er sie nicht gehabt, wäre er jetzt tot.« Chuck macht eine kurze Pause, dann fährt er leiser fort: »Es bleibt Ihnen nicht viel erspart, Comstock! Der Hauptschuldige an den Viehdiebstählen – liegt vor Ihnen!« Nichts an Comstocks Haltung deutet darauf hin, daß er Chucks Worte erfaßt hat. Die Männer halten den Atem an. Erst nach langer Zeit hebt Comstock langsam den Kopf. Das Gesicht, das Chuck anblickt, ist alt und verfallen. Seltsam schlaff und energielos ist das Kinn des Ranchers herabgesunken. Ein starkes Gefühl des Mitleids wallt in Chuck auf. Hätte er es ihm verschweigen sollen? Noch einmal scheint ein Hoffnungsfunken in Comstocks Augen aufzuflackern. »Sie haben Beweise für das, was Sie behaupten?« »Yeah«, nickt Chuck, »völlig klare Beweise. Dan hat Sie überspielt, Comstock. Er hat auch Ihre Rinder zwischen meine Herde treiben lassen. Er war es auch, der Sunny Morgan erschoß, weil der ihn beim Abtrieb seiner Herde zusammen mit Viehdieben ertappte. Ihr Reich war zu groß, Comstock. Es ist Ihren Händen entglitten. Ihr eigener Sohn und Ihr Vormann haben sich das zunutze gemacht und auf eigene Rechnung gewirtschaftet. Um der Entdeckung zu entgehen, wollte Dan einen lästigen Zeugen von dieser Welt fegen. – Das Schicksal hat einen Strich durch seine Rechnung gemacht. – Jetzt seien Sie so hart zu sich selbst, wie Sie es oft anderen gegenüber gewesen sind, Comstock. Sie haben noch eine Tochter, sie ist besser als Ihr Sohn.« William D. Comstock ist bis ins Mark getroffen. Etwas in ihm ist zerbrochen und wird nie wieder heilen. Aber als er sich umwendet ist sein Schritt ruhig und fest. Vielleicht nicht mehr so 118 �
herrisch und achtungheischend wie zuvor, aber er zeigt die unheimliche Beherrschung dieses großen alten Mannes. Mit einer schweren Bewegung steigt Comstock in den Sattel. Im Schritt reitet er an der Spitze seiner Männer an, und achtungsvolles Schweigen begleitet seinen Wegritt. Chuck, Doc Clanton und Marshal Felton sehen lange hinterher, »Geht ins Bett, Leute«, ruft Felton. »Es gibt nichts mehr zu sehen.« Und damit drückt er seine ganze Verachtung für die Sensationsgier der Bürger aus. * Die wenigen Stunden Schlaf haben Chuck gutgetan. Die Haushälterin Clantons hat ihm in der Nacht ein Lager zurechtgemacht, das ihm besser als ein Daunenbett erschien. Mit einem wohligen Gefühl lauscht er dem schabenden Geräusch des Messers, mit dem sein Stoppelbart der scharfen Klinge des Doktors zum Opfer fällt. Nachdem er ausgiebige Mengen von Waschwasser verplanscht hat, führt sein erster Weg an Marmadukes Krankenlager, wo sich auch Clanton zu ihm gesellt. Der Schwarze schläft noch, aber seine Atemzüge gehen ruhig und tief. »Er hat eine Natur wie ein San-Saba-Stier. In vier Wochen ist er wieder im Sattel«, flüstert der Doktor und zieht dann Chuck leise mit hinaus. »Kommen Sie, Diamond, wir wollen frühstücken.« Da schüttelt Chuck abwehrend den Kopf. »No, seien Sie mir nicht böse, Doc, aber das erste Frühstück nach diesen Tagen will ich auf meiner eigenen Ranch einnehmen. Wollen Sie nicht mit mir hinauskommen?« »Danke für die Einladung, Chuck. Ich mache einen Ritt in ent119 �
gegengesetzter Richtung: zur C-Ranch. Ich muß mich um Comstock kümmern – und um Lilly!« »All right, Ward«, sagt Chuck, und als Freunde reichen sich die Männer zum Abschied die Hand. Mit raschen Schritten strebt Chuck dem Mietstall zu, wo er noch in der Nacht sein Pferd abgestellt hatte. Eine halbe Stunde später verdampft das Wasser des Big HornRiver aus dem Fell des Tieres, als er im Galopp den Bergen entgegenjagt. Irgendwie erscheint ihm an diesem Tag der Himmel blauer und die Sonne heller als sonst. Die glitzernden Perlen des Taus im Gras, denen er sonst kaum Beachtung geschenkt hatte, scheinen ihm heute wie ein funkelndes Meer. Erst der Anblick seiner Rinder, die ohne Bewachung weitverteilt grasen, dämpft den Überschwang seines Gemütszustandes. »Wir werden sie bald brennen müssen«, schießt es ihm durch den Kopf. Kurze Zeit später hat er das Gitter erreicht, dessen Tor sich quietschend vor der Brust seines Pferdes öffnet. Mit gierigen Blicken nimmt Chuck das Bild der friedlich weidenden Pferderudel in sich auf. Die Anspannung der letzten Tage löst sich in einem beglückenden Gefühl des Zuhauseseins. Hell schimmern die frischen Stämme der neuerrichteten Bunk zu ihm herüber. Leichter Rauch kräuselt sich aus dem Kamin des Ranchhauses. Aber sonst ist alles still. Aufatmend bemerkt Chuck die Pferde im Sattel-Korrall. Auch der Gaul Sam Bentworths ist dabei. Er sattelt sein Pferd ab und läßt es in den Korral hinaus. Obgleich er schon längst bemerkt worden sein muß, rührt sich immer noch nichts. Chuck geht zum Haus hinüber und will eintreten. Die Tür ist verschlossen. »O Hölle«, fluchte er da lauthals los. »Ob ich wohl auf meiner eigenen Ranch ein Frühstück bekommen kann?« 120 �
Als wenn diese Worte ein Signal gewesen wären, öffnet sich im gleichen Moment die Tür, und Bess Avaron kommt heraus. Sie trägt ein straff sitzendes, hochgeschlossenes Kleid, das sich über ihrer Büste etwas spannt. Ihr Haar hat sie hochgekämmt. – So sieht eine Rancherfrau aus. »Sprachen Sie von Ihrer eigenen Ranch, Mister? Sie haben wohl vergessen daß ich Ihnen dieses Land abgekauft habe?« Ihre Augen blicken dabei so ernst und fragend, daß Chuck stutzt und einen Schritt rückwärts macht. »Bess, zum Teufel, mache nicht solche Mätzchen mit mir. Ich bin hungrig wie ein Bergwolf!« »Es ist kein Spaß, Mister! Diese Ranch gehört mir. Es ist alles streng gesetzlich geregelt worden, sogar ein Zeuge hat den Vertrag unterschrieben. – Aber ich bin kein Unmensch. Vielleicht nehme ich Sie als Teilhaber auf. – Als Teilhaber auf Lebenszeit, Mister Diamond!« Und bei diesen Worten bricht der Übermut aus ihren Augen, daß es auch der verdatterte Chuck nicht mehr übersehen kann. Ohne Zögern packt er sie beim Haarschopf und biegt ihren Kopf zurück. »Was ich mir bei Ihrem Temperament noch einmal überlegen werde! Miß Avaron?« Diese Frage scheint aber nur rhetorisch gemeint zu sein, denn infolge anderweitiger Beschäftigung kann Bess Avaron ihren Mund nicht mehr zum Sprechen gebrauchen, und schuld daran ist Chuck. Erst als sich die Tür des Hauses schon eine ganze Weile hinter den beiden geschlossen hat, verschwinden die grinsenden Gesichter der ›schlafenden‹ Weidereiter wieder vom Fenster der Bunk. ENDE 121