Verrat! von Joachim Honnef scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
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Verrat! von Joachim Honnef scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
»Bald haben wir es geschafft«, sagte Edmar und ließ die Peitsche knallen. Der Frachtwagen rumpelte die Steigung hinauf in den Bergpaß. »Heute abend feiere ich Wiedersehen mit der heißen Gerlinde. Hei, das wird ein Fest der Freude.« Ludwig, der Mann neben ihm auf dem Kutschbock, spuckte mißmutig aus. »Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben«, brummte er. Er war ein bißchen neidisch, denn für ihn gab es niemanden, mit dem er feiern konnte, abgesehen von einer kühlen Flasche Wein, die er nach erledigtem Geheimauftrag mit ins Bett nehmen würde.
»Du bist eine alte Unke«, sagte Edmar lachend. »Ich sage dir...« Er sagte nichts mehr. Ein Pfeil schlug in seine Brust. Es war ihm, als hätte ihn ein Blitzschlag getroffen. Seine Brust schien zu zerreißen. Blutige Schleier wallten plötzlich vor seinen Augen ...
Er schwankte auf dem Kutschbock. Wie aus weiter Ferne hörte er gellende Schreie und schrilles Wiehern. Verschwommen sah er drohende Gestalten zwischen den Felsbrocken und Büschen am Wegesrand hervorspringen. Wilde Gestalten, die mit Schwertern, Lanzen und Pfeil und Bogen bewaffnet waren. Edmar stürzte zu Boden. Er glaubte, Ludwigs Stimme in dem Durcheinander von Geräuschen zu erkennen. »Gnade, wir sind nur Holzfäller und ...« Die Stimme ging in ein Röcheln über. Jemand lachte dicht neben Edmar, der wie gelähmt am Boden lag und in dessen Brust die Schmerzen tobten. »Wir wissen genau, was ihr befördert«, sagte eine rauhe Stimme. »Los, Jungs, holen wir uns die Waffen!« Verrat! dachte Edmar noch. Dann wurde es totenstill um ihn, und er dachte nichts mehr. * Angespannt lauschten die Ritter im Tafelsaal von Schloß Camelot König Artus' ernsten Worten. Als der König seine Ansprache beendet hatte, herrschte Betroffenheit, ja Fassungslosigkeit. Ein geheimer Transport war überfallen worden. Als Holzfäller verkleidete Männer des Königs waren von einer Räuberhorde allesamt niedergemacht worden. Die Waffen, die von einem Verwandten des Königs in Verona dringend benötigt wurden, waren erbeutet worden: Armbrüste, Lanzen und Schwerter, mit denen man eine kleine Streitmacht ausrüsten konnte. Auch Rüstungen waren den Räubern in die Hände gefallen. König Artus hatte anklingen lassen, daß die Räuber genau gewußt hatten, welchen Weg die vermeintlichen Holzfäller nahmen und welche Beute zu machen war. Einen Augenblick lang herrschte angespannte Stille im Tafelsaal. Dann setzte aufgeregtes Stimmengewirr ein.
Schließlich verschaffte sich Markus von Hohenstein, ein graubärtiger Ritter, Gehör. »Ihr meint, es sei Verrat im Spiel?« fragte er mit schwerer Stimme, und seine grünen Augen blickten verständnislos. König Artus nickte leicht. »Ungeheuerlich!« rief Dietleib von Auerswald und sprach damit aus, was wohl alle Versammelten dachten. Dietleib war ein großer, schlanker Ritter mit einem schmalen, stets etwas rötlichem Gesicht, das zumeist verkniffen und griesgrämig wirkte. »Wer war in die Geheimaktion eingeweiht?« fragte Dietleib und wischte sich mit fahriger Hand über die Stirn. »Nun, zunächst einmal die hier Versammelten« , erwiderte König Artus. Betretenes Schweigen. Dann Worte der Entrüstung darüber, daß dieser Kreis in Verdacht geraten könne. Eine knappe Handbewegung des Königs, und es herrschte sofort wieder Stille. »Außerdem die Fahrer der Wagen«, fuhr König Artus fort. »Da könnte die undichte Stelle sein«, rief Dietleib von Auerswald erregt. »Wir sollten ...« König Artus unterbrach ihn. »Wir sollten unseren Verstand gebrauchen, bevor wir vorschnelle Schlüsse ziehen«, sagte er freundlich, doch bestimmt. Dietleib war etwas vorlaut und von sich eingenommen, doch nicht dumm. Er verstand die Zurechtweisung. Sein Gesicht rötete sich noch mehr. Einige der anderen Ritter versuchten, ein schadenfrohes Lächeln zu verbergen. Dietleib war ob seiner anmaßenden Art nicht besonders beliebt in dieser Runde. »Die Fahrer der Wagen waren altgediente, von mir sorgfältig ausgewählte Getreue, die über jeden Verdacht erhaben waren«, fuhr König Artus fort. Wieder entstand betretenes Schweigen. »Außerdem sind alle umgebracht worden«, sagte Markus von Hohenstein schließlich und kratzte sich am grauen Bart. »Das
schließt zwar nicht Verrat aus, doch es spricht auch nicht gerade dafür.« »Vielleicht wollten sich die Räuber den Mitwisser vom Hälse schaffen«, sagte Dietleib von Auerswald und blickte beifallheischend in die Runde. Einige nickten zustimmend, denn diese Folgerung war nicht so einfach abzutun. »Aber wir haben doch gehört, daß es gute Männer waren, die nicht als Verräter in Betracht kommen«, ereiferte sich Markus von Hohenstein. »Gewiß, gewiß«, beeilte sich Dietleib zu beteuern, denn er wollte nicht, daß der Eindruck entstand, er wolle König Artus' Urteilskraft in Frage stellen. »Aber wer sonst könnte den Verrat begangen haben, wenn nur die ausgewählten Männer und wir von dem geheimen Transport wußten und der Überfall nicht von irgendwelchen Wegelagerern begangen wurde, die zufällig unerwartete Beute machten?« Die Mienen der Versammelten verrieten Ratlosigkeit. »Es wußte noch jemand von dem Plan«, sagte König Artus. Überrascht richteten sich aller Blicke auf ihn. Der König legte eine Pause ein, als wolle er die Spannung steigern. Er legte die Hände pyramidenförmig gegeneinander und sah einen nach dem anderen in der Runde an. Keiner wich seinem Blick aus. »Ritter Roland«, sagte der König dann. »Ha!« stieß Dietleib hervor, und dieser hämische Ausruf sagte mehr als alle Worte. Die meisten der Ritter wußten, daß Dietleib von Auerswald einen tiefen Groll gegen Ritter Roland hegte, ja fast schon Haß. Ritter Roland hatte das Herz einer jungen verwitweten Gräfin erobert, auf die sich Dietleib Hoffnung gemacht hatte. Roland wußte nichts von der vorherigen Verbindung der beiden, und im Grunde hatte die sinnenfreudige Gräfin den ersten Schritt getan und Roland bei einer Feier auf Camelot schöne Augen gemacht. Doch Dietleib fühlte sich von Roland ausgestochen. König Artus war nichts von der Rivalität zwischen den beiden
Rittern zu Ohren gekommen, und seine Augenbrauen hoben sich befremdet. »Wie soll ich dieses >ha!< verstehen?« Dietleib lächelte überheblich. »Nun, ich könnte mir denken, daß dieser Ritter Roland ...« Er legte eine bedeutungsschwere Pause ein, und als er eine gewisse Unmut in König' Artus Miene zu erkennen glaubte, fuhr er anders fort als beabsichtigt, »... zumindest nicht aus dem Kreis der Verdächtigen auszuschließen ist.« »Unerhört!« rief Harald von Uhlenbruch, ein älterer Ritter, der mit Roland in väterlicher Freundschaft verbunden war. »Hier werden aus persönlicher Feindschaft haltlose Verdächtigungen vorgebracht.« »Wo ist er denn, der tolle Roland?« fragte Dietleib spöttisch und funkelte Harald von Uhlenbruch angriffslustig an. »Ist er zu feige, sich unseren Fragen zu stellen?« Um Beifall heischend, blickte Dietleib in die Runde. Harald von Uhlenbruchs Schnurrbart sträubte sich. Auch andere Ritter blickten empört drein. Doch einige hielten Dietleibs Frage offensichtlich für berechtigt und sahen fragend zu König Artus. »Ritter Roland ist in meinem Auftrag unterwegs«, sagte der König mit kühler Stimme, ohne jedoch Dietleib zurechtzuweisen oder Roland betont in Schutz zu nehmen. »Wenn seine Ermittlungn erfolgreich verlaufen, werden wir wissen, wer der Verräter ist.« Die ruhig gesprochenen Worte schlugen wie ein Donnerschlag ein. Wiederum setzte aufgeregtes Stimmengewirr ein, bis König Artus mit einer leichten Geste Schweigen gebot. »Eine Erklärung ist angezeigt«, sagte er in die erwartungsvolle Stille. »Einer der Wagenfahrer war nicht gleich tot. Er erwachte aus seiner Bewußtlosigkeit, als sich die Räuber davon überzeugten, daß unter den Holzstämmen die Waffen und das Rüstzeug versteckt waren. Er hörte, was die Räuber sprachen. Daraus ging eindeutig hervor, daß sie von einem Verräter auf Camelot Hinweise bekommen hatten. Und es fiel auch der Name des Verräters.« Wieder sah er einen nach dem anderen an. Alle blickten gespannt.
Keiner wich seinem Blick aus, »Die Räuber hielten den Mann wohl für tot und ließen ihn liegen. Er wurde sterbend von einer Frau gefunden. Ihr hat er gesagt, was er gehört hat, und diese Dame hat bei einem Polizisten in Schönau ausgesagt. Über Umwege erreichte mich dann die Nachricht aus dem Bayernlande per Kurier. Ritter Roland weilte dort unten, um den Transport zu übernehmen und weiterzuführen. Ich informierte ihn per Kurier über den Überfall und gab ihm den Auftrag, mit dem Polizisten und der Dame zu sprechen. Der Polizist konnte sich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern, die ihm die aufgeregte Dame berichtete. Ein kleiner Polizist in einem verträumten Ort. Der Mann maß der Aussage der Zeugin keine große Bedeutung bei. Ritter Roland wird ihn und die Frau nach den Einzelheiten befragen.« König Artus legte eine Pause ein und verschränkte die Hände. Dietleib von Auerswald öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schwieg dann jedoch. »Ich erwarte Ritter Roland für morgen abend zurück«, fuhr der König fort. »Und mit großer Wahrscheinlichkeit werden wir dann wissen, wer der Verräter ist.« * Der Polizist von Schönau schnarchte. Ritter Roland klopfte noch einmal von innen gegen die Tür. Das Schnarchen wechselte die Tonart, doch sonst tat sich nichts. Rolands Blick glitt durch den kleinen, schmucklosen Raum. Fliegen summten um ein angebissenes Käsebrot, das neben den Stiefelspitzen des Polizisten auf einem Stapel von Papieren lag. Zuerst dachte Roland, es sei Kümmelkäse, wegen der vielen schwarzen Punkte. Doch bei genauerem Hinsehen stellte er fest, daß das Käsebrot voller Fliegen war. Es war heller Nachmittag, und in den Sonnenstrahlen, die durch die beiden kleinen Fenster in den Raum fielen, tanzten unzählige Staubkörnchen.
Roland schritt zu dem Schläfer. »Guten Tag!« Das Schnarchen verstummte, doch der Mann schlief weiter. Ritter Roland hätte dem Polizisten glatt das Schwert wegnehmen können. Roland schüttelte leicht den Kopf, als das Schnarchen wieder einsetzte. Er neigte sich an das linke abstehende Ohr des Schläfers und brüllte: »Überfall!« Der Mann sprang auf wie von einer Tarantel gestochen. Er riß die Augen auf, starrte Roland an, als sei er ein Geist und stammelte: »Gggnade!« Roland lächelte. »Keine Angst, du unerschrockener Kämpfer für Ordnung und Recht. Ich suchte nur nach einer Möglichkeit, dich zu wecken. Bist du Blasius Schulze?« Die wäßrigen Augen blinzelten. »So ist es. Blasius Schulze.« Er begriff wohl, daß von dem Fremden tatsächlich keine Gefahr drohte, und seine Haltung straffte sich. Sein spitzes Kinn ruckte trotzig vor, und seine bläulichgrauen Augen verloren den schläfrigen Ausdruck. »Und wer bist du?« fragte er ärgerlich. »Was maßt du dir an, mich bei der Vesper zu stören, du nichtsnutziger Hunds ...« »Ich bin Ritter Roland.« Die wäßrigen Augen wurden groß. Der Mund klaffte auf. »Oh, verzeiht, Ritter Roland. Ich wußte ja nicht ... ich habe Euch schon erwartet. Ein Bote des Königs ...« »Ich weiß«, unterbrach Roland. Der schläfrige Polizist verwandelte sich verblüffend. Er wieselte um den Schreibtisch herum, putzte mit einer Hand Staub von einem Stuhl und rückte ihn für Roland zurecht. Dann nahm er Haltung an und sagte dienstbeflissen: »Blasius Schulze, königstreu und pflichtbewußt. Stehe ganz zu Diensten, Ritter!«
Roland setzte sich. Als Blasius Schulze stramm stehenblieb, forderte Roland ihn mit einem Wink auf, ebenfalls wieder Platz zu nehmen und riet ihm, sich zu entspannen. Das nahm Blasius wohl recht wörtlich. Er setzte sich und blickte zu seinem Käsebrot. Dann zwinkerte er Roland, den er gerade noch sehr unterwürfig behandelt hatte, zu wie ein Zechkumpan dem anderen und legte einen Finger auf die Lippen. Roland konnte sich keinen Reim auf das absonderliche Verhalten des Mannes machen. »Kommen wir zur Sache ...« begann er. »Pst! Nicht bewegen!« flüsterte Blasius Schulze. Er rollte ein Stück Papier zusammen und halte langsam damit aus. Klatsch! Die Papierkeule knallte auf das Käsebrot. »Erwischt!« jubelte Blasius. Er hob die Papierkeule langsam an und lugte auf die Beute. Drei Fliegenleichen garnierten das angebissene Käsebrot. Es waren ältere Stubenfliegen gewesen, die nicht mehr so flink der Attacke hatten entgehen können wie die jüngeren. »Fette Beute«, sagte Blasius erfreut, legte die befleckte Papierkeule ab und nahm das Käsebrot. »Trotzdem 'ne ziemliche Sauerei.« Roland stimmte ihm zu. »Ja, aber wir wollten zur Sache kommen.« »Ahso, ja.« Blasius Schulze wischte mit einer Hand die Fliegenleichen vom Käse und biß herzhaft in die Schnitte. »Mein Vesperbrot«, sagte er kauend und schmatzend. »Bin noch gar nicht zum Essen gekommen. Die viele Arbeit, wißt Ihr.« Roland wußte nur, daß ihm dieser Blasius auf den Geist ging. Das war offenbar der Typ, der sich als unterwürfiger Diener vorstellte, wenn er es für angebracht hielt, und der sofort unverschämt wurde und nach der ganzen Hand griff, wenn man ihm den kleinen Finger reichte.
Roland änderte die Taktik. »Hör mit dem Schmatzen auf und berichte mir von dem Überfall!« fuhr er Blasius Schulze an. Blasius verschluckte sich fast an einem Happen Käsebrot und spielte schnell den Eifrigen. »Nun, wie soll ich es sagen ...« begann er. »Faß dich kurz.« »Das war so, äh ...« »Kürzer!« Blasius zuckte zusammen. Dann berichtete er, zunächst knapp, doch dann immer wortreicher, was er von einer gewissen Franziska Hellwig erfahren hatte. Für Roland gab es nur einen Schluß: Der geheime Waffentransport war verraten worden, wie es König Artus in der versiegelten Botschaft andeutete, die Roland durch Kurier erhalten hatte. »Die Räuber erwähnten also einen Namen. Vermutlich den Namen des Mannes, der ihnen Hinweise auf den Transport gab. Was sagte diese Dame, als sie den Überfall meldete?« »Franziska? Die braucht Ihr nicht Dame zu nennen. Das ist nur eine Maid von der Alm. Und was für eine!« Er zwinkerte Roland vertraulich zu, und seine Miene nahm einen verzückten Ausdruck an. »Was sagte sie?« drängte Roland, den es herzlich wenig interessierte, was diese Franziska für eine Maid war. »Was sie sagte? Nun, sie war sehr aufgeregt. Überfall, Überfall! sagte sie. Und dann erzählte sie, daß sie auf dem Weg zur Alm einen sterbenden Mann gefunden hätte, der ihr noch etwas anvertraut hätte.« »Was?« fragte Roland, der Blasius die Antworten am liebsten aus der Knollennase gedreht hätte. »Nun, etwas von >geheim< und >Verrat< und >Mörder<.« »Und den Namen?« »Ach ja ... wartet ... sie sagte doch soviel! Etwas von Leib ...« Er kratzte sich am Kinn und schien zu überlegen. »Leibniz, Leibfried, Leib ...?« Roland fielen im Augenblick keine
weiteren Namen mit Leib ein. Er überlegte, ob eine der in Frage kommenden Personen so ähnlich hieß. Blasius schüttelte den Kopf. »Genau weiß ich es nicht mehr. Vor allem, weil sie auch noch einen anderen Namen nannte. Ich glaube ... Diet ... Dietmar?« Er scheuchte eine Fliege von seinem Kinn. »Oder Dietrich?« überlegte er. »Vielleicht auch Dieter. Ja, ich glaube Dieter im Ohr zu haben. Vielleicht ... Leibdieter?« »Dietleib!« entfuhr es Roland. * Blasius Schulze blickte verdutzt. Dann schlug er sich vor die Stirn, als wolle er eine Fliege totschlagen. »Natürlich! Daß ich nicht gleich darauf gekommen bin. Das muß es sein!« Roland wollte es noch nicht recht glauben. Es gab einen Dietleib unter dem kleinen Kreis der Personen, die von dem Geheimtransport gewußt hatten: Dietleib von Auerswald. Roland glaubte das überhebliche Lächeln des Ritters zu sehen. Dietleib zählte nicht zu seinen Freunden. Schon mehrmals war er mit dem Mann zusammengerasselt. Das letzte Mal bei einer Feier auf Camelot wegen einer Dame ... Und es gab einige Punkte, die Ritter Roland nachdenklich stimmten: Dietleib war erst seit kurzer Zeit auf Camelot. König Artus hatte ihn auf Empfehlung eines Verwandten in seine Dienste genommen. Man erzählte hinter vorgehaltener Hand, daß Dietleib von Auerswald einen lockeren Lebenswandel führe. Wie ein eitler Gockel gebärdete er sich bei den Hofdamen. Er drang zwar selbst mit Vorliebe in andere Reviere ein, tobte aber vor Eifersucht, wenn ihm jemand in die Quere kam. Alles in allem nicht der Sympathischste ...
Roland verdrängte den Gedanken. Er wollte sich nicht von Vorurteilen leiten lassen. »Ihr wißt, wer dieser Haderlump ist?« fragte Blasius Schulze neugierig. »Vielleicht«, antwortete Ritter Roland ausweichend. Er stellte noch einige Fragen, doch sie ergaben nichts mehr. Es blieb bei Dietleib. »Ist diese Franziska Hellwig vertrauenswürdig?« fragte Roland nachdenklich. »Franziska? Gewiß.« Blasius Schulze grinste schwärmerisch. »Das ist eine prächtige Maid, die das Herz und alles sonst auf dem richtigen Fleck hat.« »Und wo finde ich sie?« »Ihr wollt zu ihr rauf?« Blasius Schulze grinste unverschämt, wie Roland fand. »Nun, das ist ein beschwerlicher Weg«, fuhr der Polizist fort. »Aber es lohnt sich. Sie lebt dort ganz allein.« Er zwinkerte Roland zu, wie ein Schwerenöter dem anderen. »Ihr müßt nur auf der Hut sein. Sie hat einen bissigen Köter. Soll ich Euch zum Schutz begleiten?« Das fehlte noch, daß ihm dieser Fliegenfänger Schutz anbot. »Ich kann auf mich aufpassen«, sagte der Ritter mit dem Löwenherzen grollend und wandte sich zur Tür. »Das haben andere auch schon gesagt«, rief ihm Blasius Schulze nach. Roland schloß die Tür hinter sich etwas heftiger als es sonst seine Art war. Blasius Schulze war ihm mit seinem Geschwätz auf die Nerven gegangen. Roland fiel ein, daß er vergessen hatte, nach dem Weg zu Franziska Hellwig zu fragen, doch er hatte keine Lust, zu Blasius zurückzukehren und sich weitere dumme Bemerkungen anzuhören. Gewiß war diese Franziska in Schönau bekannt und jemand anders konnte ihm Auskunft geben.
Roland ging zum Stall, wo er seinen Hengst in der Obhut eines Stallburschen gelassen hatte. Den Stallburschen konnte er zunächst nicht entdecken, doch dann sah er im Halbdunkel neben einem Strohballen ein strammes Hinterteil, das sich ihm entgegenreckte. Entweder suchte der Stallbursche einen verlorenen Silbergroschen im Stroh, oder er pennte wie der Polizist, dann allerdings in absonderlicher Stellung. Ritter Roland war nicht besonders gut gelaunt, und so gab er dem Stallburschen einen Klaps auf den strammen Hintern. Im Stroh regte es sich. Das Gesäß ruckte höher, die Gestalt richtete sich auf und fuhr zu Roland herum. Roland blickte verdutzt. Es war eine Maid. Sie trug zwar derbe Männerhosen, doch alles andere war äußerst weiblich. Ihre Augen schienen Blitze durch das Halbdunkel auf ihn abzuschießen, und unter der dünnen Bluse wogte es heftig. »Verzeiht, Jungfer ...« begann Roland. »Ich bin keine Jungfer!« unterbrach sie ihn zornig. »Dann verzeiht, meine Dame.« »Ich bin auch nicht Eure Dame!« Sie musterte ihn von oben bis unten und wieder zurück, und ihre Miene verlor den zornigen Ausdruck. »Schlagt Ihr immer Frauen?« fragte sie spöttisch. Roland schoß das Blut in die Wangen. Welche Unterstellung! Außerdem konnte man den Klaps kaum als Schlag bezeichnen. »Ich hielt Euch für den Stallburschen«, erwiderte er und ärgerte sich darüber, daß ihm keine spritzigere Bemerkung einfiel. Die Antwort schien sie zu besänftigen. Sie musterte ihn wieder, und er musterte sie, und es entstand ein Schweigen, das etwas Peinliches hatte. Sie ergriff als erste wieder das Wort. »Was starrt Ihr so? Habt Ihr noch nie eine Stallmaid gesehen?« »Doch, doch, ich dachte nur wegen der Hosen ...«
»Mannsbilder!« sagte sie abfällig. »Alle die gleichen. Bilden sich ein, nur sie dürften Hosen tragen - ich meine richtige. Halten unsereins gewiß für abartig, wenn wir uns kleiden, wie es die Arbeit erfordert.« »Keineswegs«, sagte Roland. »Doch durch die Männerhose ließ ich mich dazu hinreißen, Euch irrtümlich einen Klaps zu geben.« »Ah, das bin ich gewohnt«, erwiderte sie und lachte leise. »Ich habe eine Bitte«, sagte Roland. Sie trat etwas näher auf ihn zu, und das Licht der Stallaterne am Ende des Stallgangs fiel auf eine Gesichtshälfte. Es war ein hübsches Gesicht mit großen, dunklen Augen und vollen Schmollippen, das von blonden Locken umrahmt wurde. »Auch das bin ich gewohnt«, sagte sie, und ihre Stimme nahm einen dunkleren Klang an. Sie lächelte mit halb geöffneten Lippen. »Wohlan, sagt nur, was Ihr begehrt.« »Nun, ich wollte fragen ...« Sie schob sich dicht an ihn, bis ihr Busen ihn fast berührte. »Seid Ihr von schüchterner Natur?« Sie lachte leise. »Ihr braucht Euch keinen Zwang anzutun und könnt frei reden. Mein Bruder, der den Stall besitzt, ist im Wirtshaus. Ich habe ganz allein Nachtdienst, wenn Ihr versteht, was ich meine.« Sie blickte zu dem Stroh, ob zufällig oder wohlberechnet, und Roland glaubte längst verstanden zu haben. »Auch ich bin im Dienst«, sagte er. »Ich wollte mein Pferd abholen.« »Ach so.« Klang es ein wenig enttäuscht, oder bildete er sich das nur ein? Roland griff in seine Tasche und holte ein Goldstück hervor. Er reichte es ihr lächelnd. »Ich muß dann weiter«, sagte er. »Leider ...« Sie blickte auf das Goldstück auf ihrer Handfläche, und ihre Augen funkelten. »Nehmt es nur«, sagte Roland. »Für den Klaps und ...«
Eine Auskunft, hatte er sagen wollen, doch er kam nicht mehr dazu. Sie wich einen Schritt zurück und warf ihm das Goldstück vor die Füße. »Ich nehme kein Geld, falls Ihr das meint«, sagte sie zornig. »So eine bin ich nicht. Holt Euren Gaul und verschwindet.« Roland schluckte. Diese Stallmaid, die sich so offenherzig gegeben hatte, schien doch von komplizierterer Natur zu sein, als er gedacht hatte. Roland ärgerte sich ein wenig ob dieser Abfuhr, die er doch gewiß nicht verdient hatte. Er entschloß sich, die Maid einfach zu ignorieren. Er ging zu den Stallboxen. Der Hengst begrüßte ihn mit einem leisen Schnauben. Roland tätschelte ihm den Hals. Manchmal hatte er das Gefühl, sich mit dem Roß besser zu verstehen als mit gewissen Damen. Beim Satteln warf er einen Blick über die Schulter. Die Stallmaid hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Sie senkte hastig den Kopf, als er hinsah und hatte die Hände vor dem Schoß verschränkt. Sie wirkte fast gekränkt. Nun, dachte Roland, auch solche Damen haben ihren Stolz. Vielleicht hat sie mich mißverstanden. Oder ich sie. »Das Goldstück war für eine Auskunft gedacht«, sagte er. »Aber vielleicht seid Ihr so freundlich, schöne Dame, und beantwortet mir meine Frage auch so.« Ihr Kopf ruckte hoch. Bei dem Kompliment schienen ihre Wangen zu erglühen und ihr Busen zu schwellen. Aber das konnte im Halbdunkel auch eine Täuschung sein. »Fragt nur ...« sagte sie leise. »Ich muß zu Franziska Hellwig«, sagte Roland. »Könnt Ihr mir den Weg beschreiben?« »Zu Franzi? Ach so ...« Und jetzt war ihre Stimme voller Enttäuschung, ja nahezu Bitterkeit. Sie atmete tief ein und aus, daß er es sogar ein paar Schritte
entfernt hören konnte. »Nun, da braucht Ihr kein Pferd. Es geht den Berg hinauf zur Hellwig-Alm. Der Weg ist zu steil zum Reiten. Zu Fuß kommt ihr besser zu Franziska auf die Alm. Ihr solltet Euch sputen, wenn Ihr noch bis zur Dunkelheit auf ihr sein wollt.« Und etwas spitz fügte sie hinzu: »Gewiß wird Franzi schon sehnsüchtig auf Euch warten.« Roland schüttelte den Kopf und sattelte wieder ab. »Sie weiß gar nicht, daß ich komme.« »Nicht?« »Ja, mein Besuch wird sie überraschen.« »Die läßt sich nicht so leicht überraschen«, sagte die Stallmaid. »Die weiß besser als unsereine, was sie will.« Erst Andeutungen von Blasius und nun von der Stallmaid. Allmählich begann Ritter Roland auf diese Franziska Hellwig neugierig zu werden. Er kehrte zu der Stalldame zurück und fragte lächelnd: »Beschreibt Ihr mir den Weg?« »Ihr wart noch nie bei ihr droben?« »Nein, ich kenne sie gar nicht.« »Gewiß hat man sie Euch empfohlen?« Roland konnte sich keinen Reim auf all diese seltsamen Anspielungen machen. »Ich habe dienstlich mit ihr zu reden«, sagte er ein wenig schroffer als beabsichtigt. »Beschreibt mir den Weg.« Das tat sie dann. Roland seufzte. Ein beschwerlicher Aufstieg bis zur Alm. Dann der Abstieg. Das konnte spät werden. Er mußte sich beeilen. Er bedankte sich bei der Stalldame und begab sich auf den Weg. »Sie hat einen bissigen Hund!« rief ihm die Maid noch nach, als er den Flügel des Stalltores hinter sich zuzog. *
Es dunkelte, als Roland zur Almhütte gelangte. Gelber Lichtschein fiel aus dem Fenster der Hütte, die von zwei Schuppen flankiert wurde. Kuhglocken läuteten in der Ferne, und Muhen begrüßte Roland auf dem Weg. Als er sich der Hütte näherte, schlug ein Hund an. Ritter Roland dachte an die zweimalige Warnung. Damit es keine Mißverständnisse gab, wenn ein Fremder im Dunkeln auf die Alm schlich, kündigte er sein Kommen an. »Hallo, ist da jemand?« Das Echo des Rufes verhallte. Roland roch den würzigen Duft von Gras, Blumen und Kühen. Er atmete tief ein, und sein Blick tastete über die Hänge der anderen Berge. Der Mond ging auf, und die ersten Sterne funkelten am Himmelszelt. Es war schön in den Bergen. Dann erinnerte er sich an den Auftrag und schritt schneller aus. Er mußte sich sputen, wenn er noch vor Mitternacht wieder unten in Schönau sein wollte. Die Tür der Almhütte ging auf, und im gelben Schein einer Lampe zeichnete sich die Silhouette einer Frau ab. Eine wohlgeformte Gestalt, vom Licht umschmeichelt. Etwas kleines Schwarzes huschte am Saum des langen Kleides vorbei aus der Hütte, und am hellen Kläffen erkannte Roland, daß es ein Hund sein mußte, der den Hang hinab förmlich auf ihn zu flog. Ein kleiner Bursche, kaum größer als eine Katze, und vor lauter Haaren war kaum zu erkennen, wo hinten und wo vorne war. Das Wuschelhündchen war heran. Es tollte um Ritter Rolands Beine, und aus dem hellen Kläffen wurde ein Winseln. Dazu wedelte das Hündchen mit dem Schwanz, wie jetzt zu erkennen war. Roland mußte lächeln. Dieser süße Kleine sollte ein bissiger Hund sein! Da hatte man ihm weiß Gott einen Bären aufgebunden! Er war noch etwa zehn Schritte von der Frau entfernt, die ihm stumm entgegenblickte, als Roland eines Besseren belehrt wurde.
Aus dem Dunkel neben der Hütte schnellte ein gewaltiger Schatten und flog heran wie eine Raubkatze. Lautlos, fast gespenstisch, bedrohlich. Instinktiv zuckte Ritter Rolands Hand zum Schwert. Doch der große, schwarze Hund landete zwei Schritte vor ihm, verharrte sprungbereit mit leisem Knurren und starrte ihn mit funkelnden Lichtern an. »Wer bist du und was willst' du?« Die Stimme der Frau war scharf, doch wohlklingend. Roland ärgerte sich ein wenig über die Anrede und den Tonfall, doch er sagte sich, daß er Verständnis dafür haben mußte. Auf einer einsamen Alm mußte man mißtrauisch gegenüber fremden Besuchern sein, besonders als Frau, wenn man dort ganz allein lebte. »Ich bin Ritter Roland und komme im Auftrag des Königs, um Euch einige Fragen bezüglich des Überfalls zu stellen.« »Ritter Roland!« Es klang überrascht und irgendwie erfreut. »Kommt herein!« Roland setzte sich in Bewegung. Der große Hund knurrte. »Xaver, Leopold, seid brav!« Damit waren zweifellos die Hunde gemeint. Der große wedelte mit der langen Rute, und der kleine tollte spielend um Roland herum, als er zur Hütte schritt. Der kleine haarige Bursche sprang an Roland hoch und japste freudig. Ritter Roland streckte aus einem Reflex heraus die Hand nach ihm aus, um das liebe Wuschelhündchen zu streicheln. Das hätte er besser nicht getan. Das kleine Hündchen biß zu. Recht herzhaft. Und nach dem Biß zu urteilen, mußten das Größte an dem haarigen Knäuel die Zähne sein. Roland war sekundenlang vor Schreck wie betäubt. Dann schleuderte er den Hund von sich, der versuchte, sich in seine Hand zu verbeißen, als wollte er zu den Knochen vordringen, um sie zu
knabbern. Das bissige Haarknäuel überschlug sich mit einem winselnden Laut. Doch sofort wollte es von neuem angreifen. »Leopold!« rief die Frau scharf. »Nun beiß ihn doch nicht tot!« Und mit einem leisen Lachen: »Er ist ein berühmter Ritter!« Da zog sich der kleine Leopold zurück. »Hat er Euch schlimm gebissen?« fragte Leopolds Frauchen besorgt. Roland spürte, wie Blut über seinen schmerzenden Handrücken lief. Er bemühte sich, seinen Groll zu verbergen. »Nicht der Rede wert«, knirschte er. »Kaum ein Mückenstich von diesem Winzling.« Der Kleine kläffte beleidigt aus dem Hintergrund, und der Große knurrte drohend und wirkte wie auf dem Sprung. Roland hatte nicht vor, sich auf einen Kampf mit Franziska Hellwigs Kötern einzulassen. Wenn er sie verletzte, würde sie ihm möglicherweise aus Zorn keine Auskünfte geben. Deshalb beeilte er sich, in die Hütte zu kommen. Franziska wich lächelnd an der Tür zurück, doch sie machte ihm nur wenig Platz, und als er sich an ihr vorbeischob, berührte er ihren Busen. Das und ihr Lächeln ließen ihn schlagartig das unangenehme Zwischenspiel vergessen. Sie schloß die Tür hinter ihm. Ritter Roland sah sich um. Eine gemütliche Stube, einfach, aber liebevoll eingerichtet. Ein Feuer prasselte im Kamin. Ein Strauß roter Rosen in einer Steinvase auf dem Tisch, Margeriten und ein bunter Strauß in Vasen auf einer Kommode und einem Wandbrett. Der Tisch war zum Abendessen gedeckt. Nur für eine Person. Sie lebte wohl tatsächlich nur mit ihren Hunden hier oben auf der Alm. Roland wandte sich um. Er sah sich Franziska genauer an. Eine atemberaubend schöne Frau. Das schwarze Leinenkleid war am tiefen, viereckigen Ausschnitt mit schmaler weißer Spitze verziert. Es gewährte einen
tiefen Einblick auf samten gebräunte Haut. Das Kleid umspannte eng ihren Oberkörper und fiel an der schlanken Taille ein wenig glockenförmig hinab bis zu den Knöcheln ihrer nackten Füße. Ihr Gesicht wurde von großen schwarzen Augen beherrscht. Die schwellenden roten Lippen waren zu einem Lächeln verzogen. Ihr glattes, schwarzes Haar, das bis auf die Schultern fiel, glänzte im Schein der Lampe und des Kaminfeuers. Ihre Züge und ihre Haltung hatten etwas Stolzes. Welch eine Frau! »Zufrieden?« sagte sie lächelnd, und es klang keineswegs wie eine Frage, sondern wie eine Feststellung. Sie schien bewundernde Blicke von Männern gewohnt zu sein und genau zu wissen, wie schön sie war. »Ja - sehr«, entfuhr es Roland, und er kam sich auf einmal wegen dieser Antwort wie ein dummer Junge vor. Ihr leises Lachen schien ihn zu verspotten. »Ihr gefallt mir auch«, sagte sie mit weicher Stimme. »Der berühmte Ritter Roland! Ich hörte vieles über Euch, von Eurer Tapferkeit und Manneskraft ...« Roland schluckte. Sein Puls beschleunigte sich bei ihrem Lächeln. »Und ich sah mal ein Bild von Euch. Ja, der Maler hat Euch ganz gut getroffen. Ritter Roland, der Mann, von dem die Frauen in einsamen Nächten träumen.« Roland war verlegen. »Das ist gewiß Übertreibung«, sagte er. »Na, ich weiß nicht«, erwiderte sie mit einem dunklen Lachen und funkelndem Blick. Diese Frau verwirrte ihn und brachte sein Blut in Wallung. Er mahnte sich zur Ordnung und besann sich auf seinen Auftrag. »Verzeiht die Störung«, sagte er. »Ich konnte meinen Besuch leider nicht anmelden. Blasius Schulze berichtete mir bereits von Eurer Aussage. Doch ich wollte mich vergewissern und noch einige Fragen stellen.« »Gerne stehe ich zu Eurer Verfügung«, sagte sie mit einem Blick,
der ihm unter die Haut ging. »Doch erst möchte ich Eure Verletzung versorgen. Nicht auszudenken, wenn der berühmte Ritter Roland an einer Blutvergiftung stirbt, die mein Leopold verursachte.« Die schwarzen Augen funkelten spöttisch, wie Roland fand. Sie ergriff seine Hand. Sie hatte lange, zarte Finger, und die Berührung war sanft. Sie wirkte so gar nicht wie eine Almmaid. Offensichtlich pflegte sie sich sehr. Sie blickte auf den blutenden Handrücken. »Ziemlich tief - der Mückenstich«, sagte sie. »Ach, nicht der Rede wert«, entgegnete Roland, obwohl die Hand brannte und schmerzte. »Ich hätte nicht versuchen sollen, den Kleinen zu streicheln. Gewiß hat er sich erschrocken und deshalb ein bißchen zugeschnappt.« Franziska schüttelte den Kopf. »Da unterschätzt Ihr meinen Leopold. Das ist ein ganz Scharfer. Der hätte so oder so zugebissen. Er hört nicht so gut auf mich wie Xaver. Im Vergleich zu Leopold ist Xaver lammfromm. Sein Äußeres und sein drohendes Gebaren lassen ihn gefährlicher wirken, aber Leopold ist der bissigere. Die beiden arbeiten immer im Gespann. Xaver lenkt ungebetene Besucher ab, und Leopold, das vermeintlich harmlose Schoßhündchen, beißt zu.« »Interessant«, sagte Roland, und er war tatsächlich verblüfft. Franziska hielt immer noch seine Hand. »Kommt, Ritter«, sagte sie. »Ich werde die Wunde versorgen.« Sie zog ihn mit sich und drückte ihn auf das weiche Lager beim Kamin. Dann ging sie mit leicht schwingenden Hüften zu einem Schrank und holte etwas daraus hervor. Mit einem Fläschchen, einer Dose und Verbandsstoff kehrte sie zurück. Sie war für solche Fälle offenbar bestens ausgerüstet. Sie setzte sich dicht neben ihn. Er spürte ihren Oberschenkel an seinem und nahm den Duft von irgendwelchen Blüten wahr. Er konnte nicht genau bestimmen, welche es waren, doch es duftete sinnenbetörend.
Franziska öffnete das Fläschchen. »Es wird ein bißchen weh tun, Ritter...« »Ihr braucht mich nicht so förmlich anzureden.« »Nun, es wird ein bißchen brennen - Roland.« »Ich werde es gewiß überleben«, erwiderte Roland bewußt spöttisch, weil er sich darüber ärgerte, daß sie sich offenbar über ihn lustig machte. Dann preßte er die Zähne zusammen, als sie die gelblichbraune Flüssigkeit auf die Wunde träufelte. Es brannte, als hätte ihm jemand ein rotglühendes Eisen auf den Handrücken gedrückt. Er glaubte es fast zischen zu hören. »Nun noch ein wenig Pulver darauf, und alles ist im Lot«, sagte Franziska. Mit geschickten Händen legte sie ihm dann einen Verband an. Er bedankte sich höflich. Sie blieb neben ihm sitzen, und ihr Oberschenkel berührte seinen. »Ihr lebt ganz allein hier oben?« fragte Roland, um das Gespräch zu eröffnen. Sie nickte. »Ich war Tänzerin, bevor ich nach einer Enttäuschung hier in die Einsamkeit der Berge zu meinen alten Eltern flüchtete. Sie sind vor einiger Zeit verstorben, und ich führe das hier weiter. Ich weiß noch nicht, wie lange, aber im Augenblick gefällt mir das Leben hier auch wenn ich mich manchmal sehr einsam fühle.« »Der Ort ist nicht weit«, warf Roland ein. »Ach, Schönau ist ein Klatschnest, und die dummen Mannsbilder dort können mir gestohlen bleiben.« Sie lachte leise, doch Roland entging nicht, daß es ein wenig bitter klang. »Die Männer wünschen mich zum Teufel, weil sie nicht so leicht bei mir blankziehen können.« Sie blickte ihn an, und ihre schwarzen Wimpern senkten sich. »Oh, ich vergaß, daß Ihr ein Ritter seid, Roland. Blankziehen nennen es die Kerle hier. In Euren Kreisen heißt es sicherlich -
Damen den Hof machen.« Roland war zu verwirrt, um eine Antwort darauf geben zu können. Ihr Lächeln schien ihn zu verzaubern. Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen. »Und die Weiber«, fuhr sie fort, »die halten mich für ein Lotterluder, weil sie annehmen, jeder Kerl dürfte bei mir blankziehen.« »Und ...?« hörte sich Roland fragend sagen. »Nicht jeder«, erwiderte sie. »Da müßte schon der richtige kommen.« Sie sah ihm tief in die Augen. Sein Herz begann zu hämmern. Und er wußte nicht, wie es geschah. Er hielt sie plötzlich in den Armen! Ihre Lippen waren dicht vor seinen, und er spürte, wie sich ihr Busen heftig an seiner Brust hob und senkte. Er küßte sie. Ihre Lippen waren weich und warm, doch sie blieben ihm verschlossen. Sie verwehrte ihm den Kuß nicht, atmete schneller dabei, und er glaubte ihr Herz an seiner Brust pochen zu hören. Doch eine innere Stimme sagte ihm, daß sie den Kuß nicht erwiderte, ihn nur geschehen ließ. Und dann war plötzlich alles vorbei. Die Berührung ihrer Lippen war fort, und die Frau sagte leise: »Ihr seid gekommen, um mir Fragen zu stellen.« Er nahm die Arme von ihr. Wie hatte er sich so gehen lassen können! Sie mußte ja denken, er wollte zudringlich werden, nur weil sie allein lebte und ihn mit ihrer Schönheit erregte. Wenn er ehrlich war, so hatte sie ihn nicht ermuntert, allenfalls mit ihrem Lächeln. Gewiß hatte sie ihre Worte über die Kerle von Schönau eher als Wink mit dem Zaunpfahl gemeint, daß Zurückhaltung angebracht sei. Er stellte seine Fragen, und allmählich entwickelte sich das Gespräch sachlicher. Ihre Miene war ernst, als sie sich daran erinnerte, wie sie den Sterbenden gefunden hatte.
»Dietleib?« Sie schüttelte den Kopf. »Das hat er nicht gesagt, und das habe ich auch nicht bei Schulze, dieser Schlafmütze, ausgesagt. Allenfalls, daß der Mann einen Pfeil im Leib hatte. Ich erinnere mich genau, was er sagte. Es war nicht viel. Er sagte: »Überfall ... geheim ... Verrat ... und etwas von einer Frau.« »Von einer Frau?« »Vermutlich seine Ehefrau. Ich war natürlich aufgeregt. Ich fragte ihn, wer was verraten und wo es einen Überfall gegeben hatte. Doch er sagte nur noch einen Namen, der mit Diet... begann. Der Rest war unverständlich.« Roland nagte an der Unterlippe. Dieser verdammte Blasius Schulze, der ihm den Namen Dietleib in den Mund gelegt hatte! Natürlich konnte es auch Dietleib bedeuten, doch es war keinerlei Beweis. Mit Diet... fingen nur allzu viele Namen an. Allein unter den Personen, die von dem geheimen und getarnten Transport gewußt hatten, gab es einen Dietherr, Dietmar und Dietrich, abgesehen von dem Dietleib. Er stellte noch weitere Fragen, doch es kam nichts mehr dabei heraus. »Seid Ihr damit zufrieden?« fragte Franziska schließlich, als ihm keine Fragen mehr einfielen. »Nicht ganz«, bekannte Roland in Gedanken. »Gerne hätte ich Euch zufriedengestellt«, sagte sie leise und senkte die langen Wimpern. Er lauschte dem Klang ihrer Worte nach. Nein, das klang wie eine höfliche Floskel und war nicht doppelsinnig gemeint, oder? Er erhob sich. »Ich danke Euch - für alles. Verzeiht, wenn ich Euch Umstände machte.« Ein Kuß, dachte er grimmig amüsiert, andere Umstände hab' ich ihr ja nicht gemacht. Täuschte er sich, oder errötete sie leicht, weil auch sie etwas in dieser Richtung dachte? »Ihr könnt zum Abendbrot bleiben, wenn Ihr wollt«, sagte sie.
Erfreut nahm er die Einladung an. Franziska schnitt einen Laib Roggenbrot an. Dazu gab es Schmalz, Käse, kalten Schweinebraten und Eier. Zum Mahl kredenzte Franziska Wein. Sie plauderten über dies und das, vor allem über die Berge, die Franziska so liebte, und es entwickelte sich eine vertrauliche Atmosphäre zwischen ihnen. Roland hatte fast das Gefühl, er kenne diese Frau schon lange Zeit. Ihm gefiel nicht nur ihre Schönheit, sondern auch ihre Art. Widerstrebend sagte er dann, daß er nicht länger stören wolle. Er hoffte, sie würde widersprechen, daß von Störung keine Rede sei und ihn zum Verweilen ermuntern. Vielleicht sogar die Nacht über ... Ein Gedanke, der von neuem ein prickelndes Gefühl in ihm weckte. Doch Franziska sagte nichts dergleichen. Sie reichte ihm an der Tür die Hand zum Abschied. Sie sah ihm in die Augen. Es war ein langer, undurchschaubarer Blick. Schade, dachte er. Da überraschte sie ihn. Plötzlich schmiegte sie sich an ihn und küßte ihn. Sanft und zärtlich! Roland glaubte, sein Herz, das vom ersten Augenblick an für diese Frau entflammt war, müßte vor Freude zerspringen. Doch der Kuß währte nur kurz, viel zu kurz. Er wollte sie gerade in die Arme schließen, da löste sie sich schon von ihm. »Geh, Ritter«, sagte sie leise. »Aber ...« »Ich bitte dich - geh!« Damit trat sie von ihm fort und öffnete die Tür. »Xaver, Leopold!« Sofort waren die Hunde zur Stelle. Beide knurrten. Diesmal besonders wütend der große Xaver, und in Roland stieg der Verdacht auf, daß Xaver nicht so harmlos war, wie Franziska gesagt hatte. Vermutlich war er das schwere Geschütz, das aufgefahren wurde, wenn der kleine Hund nicht ausreichte. Wahrscheinlich war Xaver
auf ein bestimmtes Kommando abgerichtet, das Franziska gewiß gab, wenn sie sich einen ungebetenen Besucher ernsthaft vom Leib halten wollte. Unbewußt streckte Roland noch einmal die Hand nach der schönen Frau aus. »Geh, Roland«, sagte sie, bevor er die richtigen Worte finden konnte. Beide Hunde knurrten wie zur Bekräftigung. Xaver spannte sich zum Sprung. Der Hund hätte den Ritter mit dem Löwenherzen nicht geschreckt, doch Franziskas Aufforderung klang endgültig. Es war, als hätte man ihm einen köstlichen Wein gezeigt und ihn nur einen Topfen davon nippen lassen. Er bemühte sich, seine Enttäuschung zu verbergen. »Auf Wiedersehen«, sagte er mit belegter Stimme. »Auf Wiedersehen.« Ein letzter Blick, und es war Roland, als hätte er eine schöne Blume ansehen und nicht pflücken dürfen. Er schalt sich einen Narren. Was hatte er erwarten können? Gar nichts. Er hatte einen Auftrag erledigt und sich dabei in Gefühle verstrickt, die nicht erwidert wurden. Wie hatte er nur denken können, Franziska hätte auf ihn gewartet! Er schritt schnell den Berghang hinunter zum Pfad, der von der Alm ins Tal hinab nach Schönau führte. Als er einmal zurückblickte, stand Franziska als Schatten vor dem gelblichen Schein der Lampe in der offenen Tür. Er hob die Hand und winkte, doch sie winkte nicht zurück. * Ritter Roland war denkbar schlechter Laune, als er sich auf den Weg zum Stall begab. Seine Ermittlungen hatten im Grunde zu nichts geführt. Dann hatte er bei Franziska kein Glück gehabt, was ihn noch mehr schmerzte, wenn er ehrlich war.
Und als er dann müde gegen Mitternacht in Schönau eingetroffen war, hatte er in dem einzigen Gasthof kein Zimmer bekommen. Grinsend hatte ihm der Wirt erklärt, daß eine Reisegruppe bei ihm nächtige. Er habe sogar seine Vorratskammer und den Baderaum als Quartiere hergerichtet. Am besten versuche es der Herr im nächsten Ort. Aber bis er dort sein würde, wäre die Nacht ohnehin zu Ende. Roland war ärgerlich, müde und reizbar, als er den Stall betrat, um sein Roß zu holen und die Nacht in Ermangelung eines Quartiers mit Reiten zu verbringen. Am nächsten Tag konnte er dann eine längere Rast einlegen. »Ihr seid nicht bei Franziska geblieben?« fragte die Stallmaid und musterte ihn überrascht. »Nein, verdammt!« entfuhr es ihm gereizt. Sie hob die Lampe an, als wolle sie ihn beleuchten. »Ah, Ihr seid gebissen worden. Von ihr?« Sie lachte leise. »Ich hatte Euch gewarnt.« »Ja, verdammt ...« »Ihr seid verstimmt«, stellte sie fest. »Nun, das kann ich verstehen. Erst der mühsame Aufstieg, und dann ist es gewiß anstrengend, von ihr wieder herunterzukommen.« Er hatte nicht übel Lust, der Stallmaid ein paar zornige Worte zu sagen, doch sie kam ihm zuvor. »Schnauzt mich nicht an!« schnauzte sie, daß er verblüfft den Mund wieder schloß. Darin lächelte sie, und Rolands Unmut verlor sich wider Willen. Irgendwie imponierte ihm diese Stalldame. »Ihr habt bestimmt kein Quartier mehr gefunden«, sagte sie ruhiger. »So ist es.« Er sprach ebenfalls ruhiger. Die Stallmaid konnte schließlich nichts für seinen Ärger. »Gewiß seid Ihr deshalb so übellaunig«, sagte sie. »Ich?« fuhr er sie von neuem gereizt an. »Übellaunig? Keine Spur! Ich ...»Er verstummte ob ihres heiteren Lachens. Und gegen seinen Willen hellte sich seine grimmige Miene auf, und er mußte lächeln.
Wiederum fühlte er sich bemüßigt, sich zu entschuldigen. Es war bestimmt kein Glückstag für ihn gewesen. Erst klopfte er irrtümlich einer Dame auf den Po, dann machte er sich falsche Hoffnungen bei Franziska und schließlich ließ er bei der falschen Dame Dampf ab. »Verzeiht, ich wollte nicht grob sein.« Sie nickte lächelnd. Ihr Blick war herzlich, und da schimmerte noch etwas anderes in ihren Augen, was er nicht recht zu deuten wußte. »Ihr könnt im Stroh schlafen«, sagte sie. »Decken sind auch da. Schließlich habt Ihr dafür bezahlt.« Sie trat einen Schritt zur Seite und leuchtete mit der Lampe. Roland folgte ihrem suchenden Blick. Das Goldstück funkelte am Boden. Sie hatte es nicht aufgehoben. Jetzt bückte sie sich. Dabei gewährte sie ihm einen tiefen Einblick in ihre Bluse. Sie blickte auf, fing seinen Blick auf, und er fühlte sich wie ein ertappter Sünder. Sie steckte das Goldstück in die Tasche der zu weiten Männerhose. »Ich lasse Euch die Lampe hier«, sagte sie und stellte sie am Boden ab. »Gute Nacht.« Damit schritt sie davon. Er blickte ihr nach. »Gute Nacht.« Sie verschwand im Dunkel am Ende des Ganges zwischen den Boxen. Dann klappte eine Tür. Rolands Blick glitt zum Strohlager und den Decken. Es wirkte einladend. Er gähnte und ging mit der Lampe hin. Eine Wolldecke breitete er über dem Stroh aus, praktisch als Laken, und die zweite diente als Überdecke. Erst legte er sich angezogen hin, doch dann zog er sich bis auf die Unterwäsche aus. Als er sich unter der Decke ausgestreckt hatte, schloß er die Augen. Eine Weile beschäftigten sich seine Gedanken mit den Ereignissen dieses Tages und der halben Nacht. Er dachte an seinen Auftrag. Er hatte schon gehofft, mit dem Namen Dietleib bei König Artus aufwarten zu können, doch jetzt
würde er praktisch mit leeren Händen nach Camelot zurückkehren. Mit einem »Diet...« war nicht viel anzufangen ... Es roch gut im Stall, nach Pferd und Leder und Stroh. Er hatte lange nicht mehr in einem Stall genächtigt. Er fühlte sich behaglich, und die Lider fielen ihm vor Müdigkeit zu. Er sah noch einmal Blasius Schulze vor seinem geistigen Auge. Dann sah er die nette Stallmaid. Wie hieß sie eigentlich? Ach egal. Am Morgen würde er Schönau verlassen und sie und Franziska vergessen. Franziska! Er glaubte, sie lächeln zu sehen. Ach, es war nichts gewesen außer einem geraubten Kuß. Und einem geschenkten! Warum nur hatte sie ihn geküßt und dann abgewiesen? Bei dem Gedanken übermannte ihn der Schlaf. Er träumte von Franziska. Sie lag nackt in seinen Armen und küßte ihn voller Zärtlichkeit! Ihre zarte Hand tastete über seinen Körper hinab und streichelte ihn! Er legte die Arme um sie. Er spürte weiche, warme Haut. Sie seufzte an seiner Wange, als er ihr Streicheln erwiderte. Sie schmiegte sich verlangend an ihn. Ihr Haar kitzelte ihn an der Wange. Und ihre Hand, diese zärtliche Hand, weckte ein prickelndes Gefühl in seinen Lenden. Er drehte sich ihr mehr zu. Etwas raschelte. Gewiß das Stroh. Stroh? Ja, er spürte, daß er im Stroh lag. Der Gedanke verwirrte ihn. Wie kam er mit Franziska ins Stroh? Weshalb hatte sie ihn in den Stall mitgenommen, wenn sie doch in der Almhütte waren? »Franzis ...« Ihre Lippen verschlossen ihm den Mund. Eine Weile gab er sich ganz dem Genuß des Kusses hin. Dann löste sie heftig atmend ihre Lippen von seinem Mund. »Ich bin's nur, die Edeltraut«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Plötzlich war er hellwach.
Er kannte die Stimme. Es war die Stallmaid. Sie lag an ihn geschmiegt nackt auf dem Strohlager. Und sie hatte ihn auf recht wonnevolle Weise geweckt. Er öffnete die Augen. Es war dunkel im Stall bis auf den schwachen Mondschein, der durch ein Fenster hereinfiel. Vermutlich war die Lampe ausgegangen, oder Edeltraut hatte sie gelöscht. Er tastete nach ihr, und seine Hand berührte etwas Pralles, Rundes. »Wieso nur?« gab er flüsternd zurück, und seine Hand konnte kaum die pralle Rundung umfassen. Sie lachte leise. »Ich dachte, du träumst von dieser ...« Er fand ihre Lippen wie von selbst, und diesmal verschloß er ihr den Mund, der so gar nicht verschlossen war. »Du hast mir vom ersten Augenblick an gefallen«, wisperte sie nach langer, langer Zeit außer Atem. »Da wußte ich noch nicht, daß du ein Ritter bist.« Ihre Zunge spielte zärtlich mit seinem Ohrläppchen. »Und woher weißt du es jetzt?« fragte er. »Ich habe mich bei Blasius Schulze erkundigt«, bekannte sie. »Er hat mir alles gesagt.« »Alles?« »Weshalb du zu Franziska gingst. Gefiel sie dir - ich meine als Frau?« »Ich bin nicht auf Brautschau«, erwiderte er ausweichend. Sie lachte leise. »Gewiß hat sie dir gefallen. Alle Männer sind verrückt nach ihr. Gefalle ich dir auch ein bißchen?« »Sehr.« Er zog sie fester an sich. »Denkst du jetzt schlecht von mir, weil ich zu dir gekommen bin wie eine ...« Er legte ihr einen Finger auf die Lippen. Sie knabberte scherzhaft daran. »Es ist das erste Mal, daß ich im Stall meinen Bruder vertrete«, flüsterte sie.
»Er feiert mit Freunden und übernachtet bei ihnen. Nicht, daß du meinst, ich würde sonst mit einem Kunden ...« »Das wäre mir nie in den Sinn gekommen.« Es war ein wenig gelogen, und er fügte hinzu: »Allerdings hätte man deine Worte auch mißdeuten können.« »Ich wollte sehen, wie du reagierst«, sagte sie. »Den meisten Mannsbildern sieht man das an der Nase an, was sie denken. Doch du hast mich trotzdem wie eine Dame behandelt. Obwohl ich ein bißchen zornig war, als du mir das Goldstück in die Hand drücktest. Da dachte ich, er ist doch wie die anderen.« Sie seufzte. »Ich habe die ganze Zeit auf dich gewartet«, fuhr sie fort. »Vorhin habe ich gehofft, du würdest mehr als nur Gute Nacht sagen. Ich kämpfte mit meinem Stolz. Er hat verloren. Ich konnte es nicht mehr aushalten. So bin ich aufs Ganze gegangen. Jetzt schäme ich mich, weil ich so kühn war, einen Ritter ...« »Ein Ritter ist auch nur ein Mann«, sagte Roland und lächelte in der Dunkelheit. Ihre Hand glitt an seinem Körper hinab. »Und was für einer«, hauchte sie. Er küßte sie, und sie erwiderte den Kuß voller Glut. Heiß wallte es in ihm auf. »Du warst so zornig und gereizt vorhin«, flüsterte sie dann. »Und jetzt...« Sie verstummte unter seinen Zärtlichkeiten. Von Zorn keine Spur mehr, dachte Roland, doch gereizter denn je, und zwar auf angenehme Weise. »Magst du mich?« fragte sie leise. »Das fragst du noch?« Roland zog sie auf sich. »Oh, Roland!« Und dann sprachen sie lange, lange nichts mehr. Denn mit vollem Munde spricht man nicht. *
Ritter Roland dachte an Edeltraut. Es war eine Nacht im Stroh gewesen, die ihm unvergeßlich bleiben würde. Über Edeltraut hatte er Franziska völlig vergessen. Er glaubte noch Edeltrauts trauriges Lächeln beim Abschied zu sehen. »Werden wir uns wiedersehen, Roland?« »Ja, das werden wir.« Sein Herz hatte geantwortet, bevor er überlegt hatte. Da war ein glückliches Strahlen in ihren Augen gewesen, die nicht dunkel waren, wie es im schwach beleuchteten Stall den Anschein gehabt hatte, sondern hellbraun. Überhaupt sah Edeltraut bei Tageslicht anders aus, viel hübscher. Zum Abschied hatte sie statt der derben Stallburschenhose ein Kleid getragen, in dem ihre sehr weibliche Figur viel besser zur Geltung gekommen war. Er würde wieder zu ihr reiten, sobald wie möglich ... Doch zuerst mußte er König Artus berichten. Der Gedanke war ihm unbehaglich. Viel gab es nicht zu sagen. Vermutlich würde der König enttäuscht sein. Flüchtig dachte er daran, daß er auf Camelot seine Knappen Louis und Pierre wiedersehen würde. Sie ruhten sich auf Camelot aus und warteten auf seine Rückkehr. Sie waren nicht in die Geheimaktion eingeweiht worden. Der Hengst schnaubte und riß Roland aus seinen Gedanken. Hufschlag trommelte heran. Ein Reiter jagte in gestrecktem Galopp um die Wegbiegung. Der Mann hatte es offenbar eilig, als käme er von einem langen Kreuzzug und wollte noch rechtzeitig seine Gemahlin mit ihrem Geliebten auf frischer Tat ertappen. Dann erkannte Roland den Reiter, und er trieb sein Roß zum Galopp. »Volker!« Es war Volker vom Hohentwiel, der Ritter und berühmte Minnesänger, Rolands Freund. Volkers Zähne blitzten im markanten, leicht gebräunten Gesicht,
als er lachend neben Roland seinen Fuchswallach zügelte. »Roland! Gut daß ich dich erwische!« Roland reichte ihm voller Wiedersehensfreude die Hand. »Wie geht's dir, alter Haderlump?« fragte Roland lachend. »Gewiß reitest du wie der Teufel, weil du zu einer Schönen willst, die es ebenso wenig erwarten kann wie du.« Volker schüttelte den Kopf. Seine Miene war plötzlich ernst. »Wie geht's?« fragte Roland. »Es ist doch alles in Ordnung?« Besorgt musterte er den Freund. Volker vom Hohentwiel lächelte gezwungen. »Mir geht's gut, und alles ist soweit in Ordnung«, sagte er ernst. »Doch dir könnte es gleich schlecht ergehen. Deshalb meine Eile.« Roland blickte ihn überrascht an. »Da wartet jemand auf dich«, erklärte Volker. »Nicht weit von hier.« »Wer?« »Den Namen hat er mir nicht verraten«, antwortete Volker, und jetzt grinste er schon wieder heiter. »Und was will er?« »Er will dich ein bißchen tot machen.« * Roland schluckte. Er überlegte schnell, welche Feindschaft er sich in der letzten Zeit zugezogen haben konnte, doch es fiel ihm keiner ein, der als Mörder in Frage kommen konnte. »Warum?« fragte er. Volker vom Hohentwiel zuckte mit den Schultern. »Er handelt vermutlich im Auftrag. Der König hat kundgetan, daß du bei deiner Rückkehr nach Camelot den Namen des Verräters preisgeben würdest. Ist es so?« Volker sah Roland erwartungsvoll an. Roland schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur eine Namenssilbe. Damit läßt sich allenfalls der Kreis der Verdächtigen einengen.«
Volkers Miene verriet Enttäuschung. »Schade. Wir alle dachten, diese Zeugin würde den Verräter entlarven. Na, jedenfalls ist jemand äußerst nervös geworden und hat einen Mörder gedungen, der dich abfangen soll. Du wärst ahnungslos in den Tod geritten.« Roland begriff noch nicht ganz. »König Artus hat kundgetan, ich wüßte ... aber warum hat er das getan? Er kann sich doch an seinem kleinen Finger abzählen, daß er mich damit unnötig in Gefahr bringt.« Volker lachte. »Laß ihn das von dem kleinen Finger lieber nicht hören. Es ist ihm klar, Roland, und deshalb hat er mir den Auftrag gegeben, Schutzengel für dich zu spielen. Ich war bei der Besprechung nicht dabei, doch er hat mir gesagt, daß er die anderen absichtlich so informiert hat, daß der Verräter befürchten muß, du könntest ihn ans Messer liefern. Seit zwei Tagen reite ich den Weg ab, auf dem du kommen mußt, und seit heute morgen beobachte ich einen Bogenschützen, der sich am Wegesrand versteckt, wartet und alles für einen Todesschuß vorbereitet. Ich gehe jede Wette ein, daß er nicht dort lauert, um ein Kaninchen zu schießen, das des Weges hoppelt.« »Der König hat mich als Köder benutzt, um den Verräter zu einem Fehler zu verleiten?« Roland wollte es noch nicht glauben. »So ist es.« »Ziemlich riskant«, murmelte Roland. Volker knuffte ihn freundschaftlich vor die Brust. »Nun sei mal nicht sauer, Roland. Artus traut dir und mir einiges zu. Wir schnappen uns den Kerl, und dann wird er uns singen, wer sein Auftraggeber ist. Und wenn er nicht will, begleite ich ihn leise auf der Laute.« Roland mußte lächeln. Volker vom Hohentwiel hatte gar keine Laute dabei. Doch Roland wußte, wie der Freund die Worte meinte. Volker hatte einmal leise auf der Laute gespielt. Er war einer Räuberbande in die Klauen gefallen. Man wollte für den berühmten Minnesänger ein Lösegeld fordern. In Gefangenschaft bat er seinen
Bewacher, doch ein bißchen auf der Laute spielen zu dürfen. Der Räuber, ein großer Musikliebhaber, willigte ein. »Aber ganz leise, damit mein Herr nicht in seiner Hütte gestört wird.« Volker, seiner Fesseln ledig, nahm die Laute, zupfte ein paar leise Akkorde und schmetterte dem Räuber dann die Laute über den Schädel. Er entkam aus dem Räuberlager, und später wurde die Bande gefaßt. Seither wußten Volkers Freunde, was Volker meinte, wenn er leise Laute spielen wollte. »Wie packen wir den Kerl am besten?« fragte Roland. »Ganz einfach«, erwiderte Volker grinsend. »Du wirst dich von ihm erschießen lassen!« * Kastor beobachtete gelangweilt einen Tausendfüßler, der unter einem Stein hervorgekrochen war und über seinen Köcher lief, den er neben sich abgelegt hatte. So'n kleines Ding soll tausend Füße haben? dachte er. Lachhaft! Er schätzte höchstens drei mal zehn Füße. Er grübelte eine Weile darüber nach, ob ihm der Pfarrer, zu dem ihn damals seine Eltern in die Schule geschickt hatten, etwas über Tausendfüßler erzählt hatte. Nein, er konnte sich nicht erinnern. Vielleicht hätte er doch regelmäßiger den Unterricht besuchen sollen, anstatt mit einer kleinen Bande von Freunden Obst und Hühner zu klauen und Leute aus dem Hinterhalt mit Steinschleudern und selbstgebastelten Pfeilen zu beschießen. Nun, das war gewiß ein gutes Training für spätere Zeiten gewesen, sozusagen die Grundausbildung für einen gestandenen Räuber, doch manchmal bereute Kastor doch, nicht richtig Lesen und Schreiben gelernt zu haben. Und vor allem hatte er nichts über Tausendfüßler erfahren. Neugierig neigte sich Kastor vor und versuchte, die Füße zu
zählen. Das Ding bewegte sich, und Kastor kam mit dem Zählen nicht zurecht. Das war auch etwas, das er nie ganz begriffen hatte. Bis zehn ging es wie geschmiert, und dann kam das große Rätselraten. Er hatte sich angewöhnt, immer in Zehnern zu rechnen. Das hatte ihm nicht mal der Pfarrer beigebracht. Das hatte er von klein auf selbst herausgefunden, und ein größerer Junge, der Anführer der kleinen Bande, hatte gar die Zahlen dafür gewußt, weswegen ihn alle bewundert hatten. Zehn geklaute Äpfel waren gut durch fünf zu teilen, jeder bekam zwei. Nur einmal hatte es ein Problem gegeben, als sie nur zu dritt gewesen waren und zehn Hühnereier beim Bauern Hartmann geklaut hatten. Sie waren in Streit geraten, weil sich die Eier nicht aufteilen ließen. Der kleine Bruno, im Kreis der kleinen Räuber Bruno der Bettnässer genannt, war auf die pfiffige Idee verfallen, das Ei in drei gleiche Teile zu schlagen. Der Anführer hatte es ihm vor Wut an den Kopf geworfen, und somit war das Problem aus der Welt gewesen. Kastor fixierte den Tausendfüßler. Tausend Füße? Das mußte vielmal zehn sein. Höllisch viel. Und er kam und kam nicht über dreimal zehn hinaus. Kastor ließ das keine Ruhe. Er wollte es genau wissen. Er zog sein Messer aus der Lederscheide am Gürtel und drückte mit der Schneide den Tausendfüßler platt. Er war ein verkommener Kerl und dachte nicht daran, daß er damit das Leben einer Kreatur auslöschte. Er verschwendete keinen Gedanken an die Tränen und die Trauer der Angehörigen des Tausendfüßlers. Ja, Kastor war ein herzloser Gesell. Er preßte die Messerklinge fest auf den Tausendfüßler, in der Hoffnung, daß sich damit die Beine gut abspreizten und er somit besser zählen konnte. Neugierig zog er das Messer zurück und betrachtete sein Opfer. Es sah ziemlich übel zugerichtet aus, und fast hatte es den
Anschein, das Viech hätte ihm noch im Tode einen Streich gespielt und die Füße unter den Leib gezogen, um sein Geheimnis mit in die Ewigkeit zu nehmen. Kastor schob die Messerspitze unter - die Tausendfüßlerleiche. Dann begann er zu zählen. Seine Vermutung bestätigte sich. Schon bei der Hälfte stellte er fest, daß es kaum mehr als dreimal zehn Beinpaare sein konnten. Vielleicht war es ein Jungtier gewesen? Ob die Beine erst später nachwuchsen wie die Haare bei einem Säugling? Kastor wurde jäh aus seinen tiefsinnigen Betrachtungen gerissen. Hufschlag nahte von Süden. Er spähte über den Weg. Den Platz für den Hinterhalt hatte er ideal gewählt. Er lag zwischen Büschen im Schatten am Wegesrand, und der Weg verbreiterte sich an dieser Stelle und bog nach Westen ab. Er hatte einen hervorragenden Überblick und konnte selbst nicht entdeckt werden. Der Reiter war noch weit genug entfernt, doch es galt, sich vorzubereiten. Hoffentlich war es der richtige Mann und nicht wieder ein völlig anderer wie schon ein paarmal an diesem Tag. Kastor wischte das Messer mit dem Tausendfüßler an einem Grasbüschel ab und schob es in die Lederscheide. Egal, wie viele Füße das Viech hatte. Er, Kastor, würde nach getaner Arbeit zehn goldene Eier mehr haben, und das war wichtiger als alle Tausendfüßler der Welt. Mit ruhiger Hand zog er einen Pfeil aus dem Köcher und ergriff den Bogen. Er legte den Pfeil auf die Sehne und spannte den Bogen mal kurz zur Probe. Auch das hatte er in jungen Jahren gelernt, und er war stolz darauf: Das Handwerkszeug mußte immer tadellos in Ordnung sein. Er schätzte die Entfernung zu dem Reiter. Jetzt waren es noch etwa zehn mal zehn Klafter. Genau auf zehn Schritt Entfernung würde der
Pfeil treffen. Kastor hatte es abgemessen und einen kleinen weißen Stein als Markierung auf den Weg gelegt, damit er nicht zu früh oder zu spät schoß. In solchen Dingen war Kastor äußerst sorgfältig. Er spähte angespannt zu dem Reiter, der sich im Trab näherte. Zufrieden lächelte er. Ja, das war das richtige Pferd und der richtige Mann. Er hatte auch lange genug gewartet und nicht mehr gewußt, wie er die Zeit totschlagen konnte. Kastor warf einen Blick zu dem weißen Markierungssteinchen und hob den Bogen mit dem Pfeil auf der Sehne. Er zielte über den Markierungsstein hinweg auf einen Baumstamm auf der anderen Seite des Weges, wo er in etwa der richtigen Höhe eine weiße Markierung in den Stamm geritzt hatte. Der Reiter würde ihm genau die Brust zuwenden, und dann brauchte er die Zielrichtung nur noch ein wenig anzupassen. Der Reiter hielt jetzt den Kopf gesenkt. Er hatte einen langen Ritt hinter sich und war gewiß ebenso müde wie sein Roß. Gleich kann er ausschlafen, dachte Kastor, und zwar für immer. Noch etwa zehn Klafter bis zum Markierungsstein. Kastor konzentrierte sich. Dann war es soweit. Er sah das blaugraue Wams des Reiters, das im Schein der Nachmittagssonne rötlich schimmerte, und korrigierte ein wenig Pfeil und Bogen. Jetzt! Er schoß den Pfeil ab. Genau ins Herz. Perfekt. Der Reiter zuckte zusammen und stürzte blitzartig aus dem Sattel. Das Pferd fiel in Galopp und jagte weiter, als befürchte es, auch von einem Pfeil getroffen zu werden. Der Reiter überschlug sich mehrmals im Staub, rollte weiter und landete fast am anderen Wegesrand. Kastor nickte zufrieden vor sich hin. Der Ritter und damit der Auftrag war erledigt.
Er konnte schon den zweiten Teil der goldenen Eier abholen. Plötzlich weiteten sich Kastors Augen vor Entsetzen. Der vermeintlich Tote sprang auf und warf sich in Deckung der Büsche! Das konnte doch nicht wahr sein! Er hätte jeden Eid geschworen, daß er genau getroffen hatte. Sein Blick zuckte über den Weg. Sein Mund klaffte auf. Der Pfeil lag nur ein Stück vom Markierungssteinchen entfernt auf dem Weg. Er mußte förmlich vom Herz des Ritters abgeprallt sein! * Das war natürlich eine irrige Annahme. Man nannte Roland zwar den Ritter mit dem Löwenherzen, doch auch Löwenherzen sind verwundbar. Es sei denn, sie sind durch einen Panzer geschützt. Löwen verfügen selten über solche Möglichkeiten, um ihr Leben zu verlängern, doch für Ritter Roland hatte König Artus, der ihn ja bewußt in diese heikle Situation gebracht hatte, keine Mühen gescheut, um Rolands Leben zu erhalten. Volker vom Hohentwiel hatte einen Brustpanzer und ein Wams mitgebracht, und beides hatte Ritter Roland statt des leichten Kettenhemdes angezogen. Dazu diente ein spezieller Hut zu seinem Schutz, in den Eisen eingearbeitet war, so daß bei gesenktem Kopf der Pfeil abprallen mußte. Doch wahrscheinlicher war, daß ein Heckenschütze das größere Ziel wählte - die Brust. Roland hatte nur einen leichten Anprall gespürt und sofort gehandelt. Er hatte ja von Volker erfahren, daß der heimtückische Schütze bei der Wegbiegung lauerte, und sich darauf eingerichtet. Roland war heilfroh, daß der Kerl nicht zuerst auf seinen prächtigen Hengst geschossen hatte. Immerhin bestand die Möglichkeit, daß sich der Schütze seiner Treffsicherheit nicht so sicher war und erst das Roß als allergrößtes Ziel erledigte, um dann den Reiter zu töten, wenn er am Boden lag. Oder daß er vermeiden
wollte, daß das Opfer, falls es nicht tödlich getroffen wurde, im Sattel blieb und mit dem Roß entkam. Roland hatte sich aus dem Sattel geworfen, sich geschickt abgerollt und war in Deckung gesprungen, denn er mußte mit einem weiteren Pfeil rechnen. Brust und Kopf waren zwar geschützt, doch Roland wollte nicht das Risiko eingehen, an weniger gut geschützten Körperteilen getroffen zu werden. Er wußte, daß jetzt Volker zur Stelle sein würde. Volker war vorausgeritten, um sich dann zu Fuß anzuschleichen, damit sie den üblen Burschen in die Zange nehmen konnten. Roland zückte sein Schwert und spähte zwischen den Büschen hindurch. Auf der anderen Seite des Weges sah er Bewegung und hörte Geräusche. Zweige bewegten sich, Blätter raschelten, Schritte waren zu vernehmen. Roland sprang auf. Volkers Stimme ertönte. »Ergib dich, oder ...« Roland hetzte über den Weg. Volker hatte den Kerl gestellt. Ein Schrei gellte. Roland stockte der Atem. Angst um Volker erfaßte ihn! Sollte der Freund von dem verhinderten Mörder mit einem Trick hereingelegt worden sein? Der Schrei ging in ein Röcheln über. »Roland!« Ritter Roland atmete auf. Volkers Stimme. »Alles in Ordnung?« rief Roland. »Nicht ganz. Aber du kannst kommen.« Roland eilte zwischen die Büsche. Dann verharrte er jäh. Ein Mann lag am Boden. Ein Schwert ragte aus seiner Brust. Sein wachsbleiches Gesicht war vor Schmerzen verzerrt. Die zitternden Hände umkrampften das Schwert. Blut tränkte das Wams. Volker vom Hohentwiel stand in angespannter Haltung vor dem Mann und hielt ein Messer in der Hand.
Seine Miene war bestürzt. »Er wollte sich nicht ergeben«, sagte Volker mit belegter Stimme. »Er stürmte auf mich zu und holte mit dem Messer aus. Es sah verdammt gefährlich aus. Auf ein paar Schritte Entfernung hätte er mich gewiß nicht verfehlt. Für einen Schwerthieb war die Distanz zu groß. So schleuderte ich mein Schwert. Ich zielte auf die Schulter, doch er sprang zur Seite - ausgerechnet zur falschen - und so erwischte ich ihn voll. Sein Messer zischte keine Handbreit an meinem Ohr vorbei.« Das schreckliche Röcheln des Mannes war leiser geworden. Sein Kopf war zurückgesunken. Blut sickerte aus seinem Mundwinkel. Roland kniete sich neben dem Mann nieder. Er sah bereits den glasigen Frost des nahen Todes in den Augen des Mannes. »Hilf...« Kaum hörbar war der wimmernde Laut des Verbrechers. Eine Blutblase zerplatzte vor seinem Mund. Roland wußte, daß keine Macht der Welt dem Mann mehr helfen konnte. »Erleichter dein Gewissen«, sägte Ritter Roland ruhig, doch eindringlich. »Wer hat dich beauftragt, mich aus dem Hinterhalt zu töten?« Die Brust des Mannes hob sich unter einem ächzenden Atemzug. Es war ein schlimmer Anblick, denn das Schwert, das aus der Brust ragte, hob und senkte sich mit. »Wie heißt der Mann?« fragte Volker vom Hohentwiel drängend. Wieder ein zitternder Atemzug, ein rasselnder Laut. Die Augen des Mannes schienen für einen Moment klarer zu werden. »Kein ... Mann ...«, sagte der Sterbende mit erstickter, doch deutlich vernehmbarer Stimme. Roland und Volker tauschten einen überraschten Blick. »Kein Mann?« wiederholte Roland. Die Lippen des Sterbenden zuckten. Es war, als sammele er noch einmal Kraft. »Frau ...«
Das klang wie ein Hauch, doch Roland hatte es ebenso deutlich verstanden wie Volker. »Eine Frau hat dich beauftragt?« vergewisserte sich Roland. »Welche Frau?« Er bekam keine Antwort mehr. Es hatte den Anschein, als wollte der Sterbende noch etwas sagen, doch dann sank sein Kopf zur Seite. Der Mann war tot. Roland kannte nicht den Namen des Mannes, der ihn hatte ermorden wollen. Er wußte nicht, daß es Kastor war, der noch vor ein paar Minuten an seine Jugendzeit gedacht und nachgegrübelt hatte, wie viele Beine ein Tausendfüßler tatsächlich haben mochte. Er wußte nur, daß dieser Mann im Auftrag einer Frau gehandelt hatte. Im Angesicht des Todes überwand Roland seine Abscheu vor dem verhinderten Mörder. Er drückte dem Toten die Augen zu. Dann blickte er zu Volker, der ebenso benommen war wie er. Und Volker vom Hohentwiel sprach aus, was Roland dachte: »Kein Zweifel, er hat den Mordauftrag von einer Frau erhalten!« * König Artus hörte sich mit ernster Miene Rolands und Volkers Bericht an. »Wir wollten den Kerl natürlich lebend«, sagte Volker zerknirscht, »doch er schleuderte sein Messer, und mein Schwert traf ihn unglücklich ...« König Artus winkte mit einer leichten Handbewegung ab. »Ich bin sicher, daß ihr beide euer Bestes getan habt.« Er blickte Roland an. Roland berichtete, was er in Schönau erfahren hatte. Während er sich bemühte, Franziskas Worte so genau wie möglich wiederzugeben, schlug er sich plötzlich vor die Stirn. »Frau! Auch Franziska sagte, daß der Sterbende von einer Frau
gesprochen hat.« Der König musterte Roland. »Franziska?« »Die Zeugin«, erklärte Roland. »Ja, sie sagte, er erwähnte eine Frau, doch sie nahm an, daß damit die Ehefrau gemeint war. Doch offenbar haben die Räuber über diese Frau geredet, die auch der Mann meinte, der mich töten wollte. »Dann müßte sie die Verräterin sein«, murmelte Volker vom Hohentwiel. König Artus schüttelte den Kopf. »Allenfalls eine Kontaktperson, die die Hinweise des Verräters weitergibt«, sagte er. »Schließlich habe ich keine Frau in den geheimen Plan eingeweiht.« Roland überlegte, welche Frauennamen mit »Diet...« in Betracht kamen. Im Augenblick fiel ihm nur Dietlinde ein, doch er kannte keine Dietlinde auf Camelot. Es war einfach zu wenig, was er wußte. Vielleicht gab es auch gar keinen Zusammenhang zwischen dem »Diet... und der Frau. »Wir sind also keinen Schritt weitergekommen«, stellte der König fest. »Prompt fiel der Verräter auf die Falle herein, die ich ihm stellte, und gab einen Mordauftrag. Mit Sicherheit wissen wir jetzt nur, daß Ritter Roland mit größter Wahrscheinlichkeit nicht zu den Verrätern gehören kann.« Roland blinzelte. Das klang ja fast, als hätte ihn der König in den Kreis der Verdächtigen mit einbezogen! Der König schien Rolands Gedanken zu erraten. »Natürlich genießt er mein volles Vertrauen, und ich hätte ihn niemals zu den Verdächtigen gezählt«, sagte er mit einem leichten Lächeln. »Obwohl ...« »Obwohl?« Roland hatte sich gerade entspannt. Jetzt war er von neuem betroffen. »Nun, es gab Stimmung gegen ihn. Ich hörte, er ist einer unserer Damen zugetan, einer Gräfin, die eine recht lustige Witwe sein soll.« Roland schoß das Blut in die Wangen. Er hatte nicht gedacht, daß sich sein Techtelmechtel mit Katharina so schnell herumsprechen würde.
»Wir lernten uns auf der Feier näher kennen ...« begann Roland mit einem Schulterzucken. »Er braucht keine Erklärungen abzugeben«, sagte König Artus. »Er wird selbst wissen, welchen - Damen er sich zuwendet. Doch er sollte sich im klaren darüber sein, daß er sich damit Feinde schafft.« Roland blickte verdutzt. An diese Möglichkeit hatte er gar nicht gedacht. Überhaupt, es war nur ein kurzes Abenteuer gewesen. Weshalb spielte der König die Sache so hoch? »Feinde?« fragte er. »Aber wieso?« »Nun, ich deutete an, daß diese Dame recht - lebenslustig ist, nachdem sie schon drei verstorbene Gatten betrauert hat. Sie hält viel von Abwechslung. Und der letzte in ihrer Gunst könnte sich leicht den Groll all seiner Vorgänger zuziehen, wenn er versteht, was ich damit sagen will.« Roland verstand. Die Worte hatten ihn wie einen Schlag in die Magengrube getroffen. Der König deutete an, daß Katharina nicht wählerisch mit ihren Liebschaften war! Gewiß, Roland hatte gehört, daß über sie geklatscht wurde, doch er hatte sich keine großen Gedanken darüber gemacht. König Artus lächelte leicht, als er Rolands Betroffenheit bemerkte. »Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird«, sagte er, als wolle er Roland aufmuntern. »Ich wollte ihm nur ein wenig die Augen öffnen, und ich bin sicher, daß er den richtigen Schluß ziehen wird.« Er betonte »Schluß«, und Roland hatte das Gefühl, daß der König ihm damit nahelegen wollte, mit Katharina Schluß zu machen. Es war ohnehin nur eine Nacht mit ihr gewesen, zwar eine äußerst aufregende, doch Roland hatte nicht vorgehabt, eine dauerhafte Bindung mit Katharina einzugehen. Sie war eine Frau, die einem Mann Himmel und Hölle zugleich bereiten konnte ... Doch jetzt regte sich Trotz in Roland. Was gingen den König seine Privatangelegenheiten an? »Doch ziehen wir jetzt andere Schlüsse«, fuhr König Artus fort:
»Erstens, der Verräter ist nach wie vor auf Camelot zu suchen. Er muß entlarvt werden. Zweitens, Waffen und Rüstungen müssen nach wie vor nach Verona gebracht werden, damit sich mein Neffe gegen die Rebellen verteidigen kann. Er steht mit dem Rücken zur Wand, und die Zeit drängt. Er ...« Ein Gedanke stieg in Roland auf, und es drängte ihn so sehr, ihn auszusprechen, daß er dem König keck ins Wort fiel. »Die andere Seite! Haben wir überhaupt daran gedacht, daß dort der Verräter stecken könnte?« Der König lächelte milde und schien es Roland nicht zu verübeln, daß er ihn einfach unterbrochen hatte. »Das habe ich in Erwägung gezogen, doch diese Möglichkeit scheidet aus. Mein Neffe hat eine Zusicherung von mir auf sein Hilfeersuchen bekommen, aber das ist auch schon alles. Er weiß weder, wann das benötigte Material geliefert wird, noch auf welchem Wege.« Volker vom Hohentwiel wollte etwas sagen, doch jetzt schien des Königs Geduld strapaziert zu sein. »Laß er mich fortfahren. Wir wissen, daß der Verräter nach wie vor seine Fäden zieht, mal dahingestellt, ob er tatsächlich den Diet ... im Namen hat und sich einer Frau als Mittelsperson bedient. Folglich wird der Verräter auch den nächsten Transport verraten ...« »Er braucht ja nichts davon zu erfahren«, warf Roland ein. Der König lächelte. »Natürlich nicht. Aber er soll davon erfahren. Wir werden zu einer List greifen. Ihr beide werdet die einzigen sein, die diese List in vollem Umfang kennen. Die anderen, die bisher Eingeweihten, werden nur einen Teil des Plans erfahren, den ich ersonnen habe und mit dem ich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen gedenke. Nun hört gut zu.« Das taten sie. Der Plan war riskant, doch zugleich so raffiniert, daß er eigentlich gelingen mußte. Wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischenkam.
* Die anderen Ritter waren begeistert, als König Artus sie im Tafelsaal in den vermeintlich ganzen Plan einweihte. Ein Haupttrupp mit gerüsteter und gut bewaffneter Eskorte sollte Camelot verlassen - der vermeintliche Waffentransport. Zugleich sollten ein paar harmlose Holzfäller auf einem anderen Weg gen Süden aufbrechen und Holz transportieren. Nur ein paar Männer ohne Begleitschutz, doch auf ihren Wagen sollten die Waffen und Rüstungen versteckt sein. Soweit die Version, die König Artus erzählte. Dietleib von Auerswald machte sich wieder einmal zum Sprecher der anderen. »Ein wahrlich geschicktes Ablenkungsmanöver«, lobte er den König. »Die Räuber müssen annehmen, der große, gerüstete Trupp sei der Transport, und in Wirklichkeit bringen ein paar ungeschützte Männer die wertvolle Fracht fort. Genial. Es sei denn ...»Er verstummte unvermittelt und nagte an der Unterlippe. »Es sei denn?« fragte der König. Dietleib lächelte entschuldigend. »Es sei denn, auch diesmal wird das Geheimnis verraten.« Er bedachte Ritter Roland mit einem finsteren Blick. Der König winkte ab. »Ich deutete es schon kurz an. Der Verräter ist entlarvt, dank Ritter Rolands Nachforschungen.« Aufgeregtes Stimmengewirr setzte ein. »Wer ist es?« rief Markus von Hohenstein, der graubärtige Ritter, angespannt. »Er ist nicht in diesem Kreis zu suchen«, sagte König Artus geheimnisvoll, und keiner außer Roland und Volker wußte, daß König Artus ein doppeltes Spiel trieb. »Die Zeugin, die Ritter Roland aufsuchte, hat ihn jedoch genau beschrieben und seinen Namen genannt. Wir brauchen zum geeigneten Zeitpunkt nur noch zuzugreifen.« Erleichterung war in der Runde zu spüren. Der Gedanke, daß ein
Verräter in den eigenen Reihen sein könnte, hatte keinem behagt. Auch Dietleib wirkte zufrieden. Er starrte Roland an und murmelte. »Und ich dachte schon ...« Er senkte den Blick, als Roland ihn scharf ansah. »Es besteht also kein Risiko, daß diesmal etwas verraten wird«, fuhr König Artus fort. Er sah Volker vom Hohentwiel an. »Die Holzfäller, die Ritter vom Hohentwiel führen wird, werden nicht in den Plan eingeweiht. Sie werden denken, eine Holzlieferung zu fahren. Erst in Bayern wird die Fracht vor der Fahrt durch die Berge vertauscht.« Der König nannte den Ort, den Zeitpunkt und noch weitere Einzelheiten. Er ging ja davon aus, daß dieser Plan verraten wurde und wollte die »Holzfäller« keiner Gefahr auf dem gesamten Weg aussetzen. Die Räuber sollten erst zuschlagen, wenn die Fracht angeblich vertauscht war. Und dann würden sie eine große Überraschung erleben. Statt Waffen und Rüstungen würden drei Dutzend entschlossene Kämpfer auf den Wagen versteckt sein ... Und die Waffen und Rüstungen würden gar nicht von den Holzfällern, sondern von dem gut gerüsteten und bewaffneten Haupttrupp transportiert werden ... Davon wußten die anderen nichts, und es herrschte die einhellige Meinung, daß der König einen raffinierten Plan erdacht hatte, was ja auch der Fall war. Als der König die Versammlung für beendet erklärte und sich die Runde auflöste, schob sich Dietleib von Auerswald auf dem Gang an Ritter Roland heran. »Auf ein Wort noch ...« Roland blieb stehen. Volker, an Rolands Seite, grinste wissend. »Ich gehe schon voraus zu den Knappen, Roland«, sagte er. Er ließ Roland und Dietleib allein. Dietleib wirkte verlegen. »Ich muß gestehen, daß ich einen gewissen Verdacht hegte«, sagte er zögernd. Roland hatte inzwischen von Harald von Uhlenbruch erfahren, daß
Dietleib versucht hatte, während seiner Abwesenheit gegen ihn Stimmung zu machen. Er musterte Dietlieb, und er mußte wieder daran denken, daß der Verräter, der vermutlich mit einer Frau gemeinsame Sache machte, einen Namen mit Diet... hatte. Folglich war Dietleib, der ihm ohnehin unsympathisch war, nicht aus dem Kreis der Verdächtigen auszuschließen. »Es - tut mir leid«, sagte Dietleib von Auerswald, und Roland merkte ihm an, daß er sich die Worte abringen mußte. »Ich - möchte mich in aller Form entschuldigen.« Er streckte Roland die Hand hin. Dietleibs Blick war offen. Roland spürte, daß es ehrlich gemeint war. Er ergriff die Hand. Er war der letzte, der eine ehrlich gemeinte Entschuldigung ausschlug. Dietleibs Händedruck war schlaff. Das war wiederum etwas, was Roland an dem Mann nicht leiden konnte. Dietleib zog seine Hand schnell zurück, und sein gezwungenes Lächeln erstarb, als hätte er eine Lampe gelöscht. »Nun, da der Form genüge getan ist«, zischte Dietleib, »möchte ich noch ein anderes Wörtchen mit dir reden.« Roland maß ihn mit kühlem Blick, ohne etwas zu sagen. Er ahnte, was kommen würde. »Laß die Finger von Katharina, oder ...« »Oder?« fragte Roland kalt. »Oder wir unterhalten uns weiter.« Dietleib klopfte bezeichnend auf sein Schwert. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und schritt davon. »Ich stehe jederzeit zur Verfügung«, rief Roland ihm nach. Er wußte inzwischen von Dietleibs Eifersucht und Feindschaft. Harald von Uhlenbruch hatte es ihm ausführlicher gesagt als König Artus. Es wäre Roland nicht in den Sinn gekommen, sich wegen Katharina zu duellieren, doch sein Ritterstolz verbot es ihm, klein beizugeben, wenn Dietleib die Sache auf die Spitze treiben wollte. Nachdenklich schlenderte Roland weiter. Wenn er ehrlich war,
mußte er sich eingestehen, daß ihn Katharina gar nicht mehr so sehr interessierte. Gewiß, sie konnte einen Mann verrückt machen, doch inzwischen hatte er Edeltraut kennengelernt. Edeltraut war nur eine Maid, die ihrem Bruder gelegentlich bei der Arbeit im Stall aushalf, doch sie war bezaubernder als alle Gräfinnen der Welt. Sie war anders als Katharina, nicht so besitzergreifend, mehr Himmel als Hölle, während bei Katharina die Grenzen zu zerfließen schienen ... Doch jetzt war Katharina noch mehr zu einer Herausforderung geworden. Wenn er sich von einem Augenblick zum anderen zurückzog, würde man erst recht über ihn tuscheln und ihn vielleicht gar der Feigheit bezichtigen ... »Roland!« Er blickte auf. Katharina tauchte am Ende des Ganges auf. Wenn man vom Teufel spricht ... dachte er. Sie eilte auf ihn zu und blickte ihn an, als könnte sie nicht fassen, ihn wiederzusehen. Ja, sie war von erregender Schönheit, eine üppige reife Frau Anfang Dreißig, die schon so viele Erfahrungen hinter sich hatte, daß kein Spiel ihr fremd war. Rotblondes gewelltes Haar umrahmte ein Gesicht, das hochmütig wirkte. Doch in den Armen eines Mannes verlor sich dieser Ausdruck. Da sprach sie auch nicht mehr so gewählt. Dann ließ sie sich gehen, wie Roland es selten bei Frauen erlebt hatte. »Ich dachte nicht, dich so bald wieder zu sehen«, sagte sie mit dunkelgetönter Stimme und spielte mit dem güldenen Medaillon, das aufreizend im tiefen Tal zwischen den großen Brüsten ruhte. Sie trug stets tief dekolletierte Kleider von einem französischen Schneider. Sie duftete nach einem schweren süßlichen Parfüm, das fast etwas Berauschendes hatte. Roland mußte an den Hauch von Blütenduft denken, den er bei Franziska wahrgenommen hatte, und in diesem Augenblick war ihm Katharinas Duft ein wenig aufdringlich. Er lächelte. »Ich beeilte mich, nach Camelot zurückzukehren«, sagte er. Der Blick ihrer braunen Augen schien tief in seine Seele
einzudringen. Dieser Blick war es, bei dem er jedesmal das Gefühl hatte, dieser Frau verfallen zu sein. Sie befeuchtete leicht die sinnlichen Lippen mit der Zungenspitze. »Gab es dort unten in Birkenau nicht etwas Passendes für den großen Ritter?« Diese Augen, dieses Lächeln! Roland wurde es heiß. »Schönau«, korrigierte er und fügte mit belegter Stimme hinzu. »Ich war dienstlich dort und ...« Sie lachte. »Du brauchst keine Entschuldigungen vorzubringen, Roland. Ich bin sicher, daß schon irgendeine Dorfschöne die Dienste des großen Ritters zu schätzen wußte.« Roland ärgerte sich über seine Verlegenheit. Diese Frau war eine einzige Herausforderung. Eine gefährliche Schönheit. Ein Spiel mit dem Feuer. »Gewiß hattest auch du inzwischen keine Langeweile«, sagte er und freute sich über diesen Konter. Sie lachte leise und spielte wieder mit dem Medaillon. »Gewiß nicht. Doch irgendwie fehlte mir etwas.« Ihr Blick lockte ihn. »Heute nacht...« begann sie, und er wußte, daß er nicht widerstehen konnte, selbst wenn er gewollt hätte. Manchmal hatte er das Gefühl, sie verfüge über hypnotische Kräfte. Sie legte eine wohlberechnete Pause ein und schien seine Gedanken zu lesen. Es leuchtete zufrieden in den braunen Augen auf. Sie weiß genau um ihre Macht, dachte Roland. »Heute nacht wird der große Ritter vergebens an mein Gemach klopfen«, sagte sie. Roland kam sich vor wie ein dummer Junge, dem man eine Zuckerdose hinhält und sie wegzieht, wenn er danach greifen will. Dieses Gefühl hatte er vor kurzem auch gehabt. Richtig - nachdem Franziska ihn geküßt und dann fortgeschickt hatte. »Ich hatte nicht vor zu klopfen«, erwiderte er absichtlich kühl,
doch seine Stimme klang belegt, und ihr Lächeln verriet ihm, daß sie genau wußte, daß er log. »Oh«, sagte sie spöttisch. »Und ich dachte schon, du wärst vor Sehnsucht brennend nach Camelot zurückgekehrt.« »Eher vor Durst brennend«, erwiderte er, und er hoffte, daß sein Lächeln spöttisch genug ausfiel. Sie lachte wieder. »Mich dünkt, du hast dich ein wenig verändert.« Sie musterte ihn prüfend. »Nun, es war natürlich ein Scherz von mir, um dich auf die Probe zu stellen.« Sie wandte den Kopf. Zwei Ritter tauchten am Ende des Ganges auf. »Meine Kammer wird dir offenstehen«, flüsterte sie schnell. »Aber komm erst nach Mitternacht.« Noch ein verheißungsvoller Blick, der Rolands Blut in Wallung brachte, dann schritt sie hoheitsvoll weiter. Roland setzte ein wenig benommen seinen Weg fort. Die beiden Ritter grinsten anzüglich, als sie ihn passierten. Roland unterdrückte einen Fluch. Inzwischen pfiffen die Spatzen von den Türmen des Schlosses, daß er etwas mit Katharina hatte. Zum Teufel, er selbst hatte kein Sterbenswörtchen erzählt. Konnte das Weib mit ihren Liebschaften nicht diskreter sein? Roland war an diesem Abend hin- und hergerissen von Gefühlen. Er zechte mit den Knappen, doch er war nicht recht bei der Sache. Ständig beschäftigte ihn die Frage: Sollte er zu Katharina gehen oder nicht? Eine kleine Lektion konnte ihr nicht schaden, oder? Kurz vor Mitternacht, als er sich immer noch nicht schlüssig war und zwei Seelen in seiner Brust miteinander rangen, gesellte sich Volker vom Hohentwiel zu ihnen. Volker trug mit allerlei Späßen dazu bei, daß es eine heitere Runde wurde, und bei Wein, Plauderei und Würfelspiel vergaß Roland Katharina. Erst als er weinselig und müde im Bett lag, fiel sie ihm wieder ein. Eine Weile spielte er mit dem lockenden Gedanken, sich wieder anzukleiden und zu ihr zu gehen. Doch dann fielen ihm die Augen
zu, und er schlief tief und fest. Das war gewiß auch besser so. Denn Katharina hätte Roland in dieser Nacht nicht geöffnet. Dietleib war bei ihr. Das hatte sie gewußt, als sie mit Roland gesprochen hatte. Doch sie hatte Dietleib nicht vor Mitternacht weggeschickt, wie sie es zu diesem Zeitpunkt noch vorgehabt hatte. Das Gespräch mit Dietleib war interessanter gewesen, als sie gedacht hatte. Dietleib wußte mit überraschenden Neuigkeiten aufzuwarten. Und später war er dann eingeschlafen. Katharina verzichtete darauf, ihn zu wecken. Roland würde umsonst klopfen. Sie wartete vergebens darauf. Es ärgerte sie, weil sie fest davon überzeugt gewesen war, daß er ihrer Lockung nicht widerstehen konnte. Doch dann brachte sie sein Fernbleiben mit den Dingen in Zusammenhang, die sie von Dietleib erfahren hatte. Und da glaubte sie zu wissen, weshalb Roland nicht kam. Lange lag sie wach neben dem tief schlafenden Dietleib. Und ihr Zorn auf Roland verflog und wurde von kühlen Überlegungen abgelöst. Die neue Entwicklung der Dinge erforderte neue Taten. Sie schmiedete Pläne und kam zu dem Schluß, daß sie Roland ohnehin bald vergessen konnte. Schade um den großen Ritter ... dachte sie noch. Dann schlief auch sie ein. * Tage waren vergangen. Die Sonne lugte über den Berghang im Osten und färbte mit ihren rötlichen Strahlen den Morgennebel, der wie ein zartes Gespinst in der Schlucht lag. Ritter Rolands Blick tastete über die steil abfallenden Berghänge
zur Brücke, die sich über die Schlucht spannte. Es war ein friedlicher Anblick. Nichts wies auf Gefahr hin. Es war auch nicht mit Gefahr zu rechnen. Roland dachte an König Artus' Plan. Danach mußte der Verräter die Räuber auf die vermeintlichen Holzfäller hinweisen, die angeblich die wichtige und wertvolle Fracht beförderten. Die Falle würde zuschnappen. Dennoch blieb Roland wachsam. Irgendwelche Räuber und Wegelagerer, die gar nichts von dem raffinierten Spiel wußten, konnten sich von dem Transport fette Beute erhoffen und aus dem Hinterhalt zuschlagen ... Roland versammelte sein Roß und warf einen Blick zurück. Wie ein gewaltiger Wurm wand sich die Kolonne aus Wagen und Reitern über den Bergweg hinauf zur Brücke. Helme und Rüstungen schimmerten im Sonnenschein. Das Rumpeln der Wagenräder, der Hufschlag und gelegentliches Peitschenknallen der Fahrer, allesamt sorgfältig ausgesuchte Männer, hallten durch die Schlucht zu ihm herauf. Der Ritter mit dem Löwenherz trieb sein Roß auf die Brücke. Dumpf pochten die Hufe über die schweren Eichenbohlen. Tief unten in der Klamm schlängelte sich ein Bach durch die Felsbrocken, von denen der Grund übersät war. Majestätische Fichten, zwischen denen noch die Schatten der Nacht nisteten, erhoben sich am gegenüberliegenden Hang. Nichts regte sich ringsum. Kein Vogel ließ sich sehen und hören, kein Wild floh vor der nahenden Kolonne. Die Stille hatte etwas Beunruhigendes für Roland. Wieder überlegte er, ob es einen Fehler in König Artus' Plan geben konnte. Doch dann sagte er sich, daß es keinen Grund zur Sorge gab. Sie waren zwei Dutzend bewaffneter Männer, die zu kämpfen wußten, wenn es nötig sein sollte. Wenn Räuber auftauchten, würden sie sich blutige Köpfe holen. Er warf einen Blick über die Schulter. Die Wagen waren jetzt auf der Brücke. Stimmen schallten durch die Fahrgeräusche und den Hufschlag der vielen Rösser. Ein Pferd scheute wiehernd, und sein
Reiter parierte es. Der letzte Wagen war auf der Brücke. Die gepanzerte und mit Lanzen und Schwerten bewehrte Nachhut folgte. Roland war noch ein Dutzend Klafter vom anderen Ende der Brücke entfernt, als es geschah. Und ihm und allen Männern des Transports stockte der Atem. Ein Bersten und Knirschen erfüllte plötzlich die Luft. Die Brücke erzitterte. Entsetzte Schreie ertönten. Die Brücke stürzte ein! Und für Ritter Roland und die Männer des Transports tat sich der Schlund der Hölle auf. * Louis lauschte dem Klang der Laute und der sanften volltönenden Stimme, die aus einem der Wagen am Rande des Lagerplatzes drangen. Volker vom Hohentwiel, der berühmte Minnesänger, brachte schon wieder ein Ständchen dar. Der schwarzbärtige Knappe grinste. »Eines muß man sagen, dieser Volker hat eine bewundernswerte Ausdauer. Die ganze Nacht war er schon zugange, und mir scheint, er bereitet die hübsche Diethilde schon wieder auf die Minne vor. Hör nur, wie er mit der Stimme schmeichelt. Klingt ja fast, als streichele er verzückt an den Lauten.« Da verstummten Lautenklang und Volkers schmeichelnde Stimme. Ein helles, fast juchzendes Lachen erklang. Diethilde schien die Ballade genossen zu haben. »Jetzt streichelte er gewiß an was anderem«, fuhr Louis fort, und seine Zähne blitzten im schwarzen Bart, als er Pierre zulächelte. Pierre lächelte nicht. Seine Miene war äußerst betrübt. »Was ist, Pierre?« fragte Louis. »Ist dir eine Laus über die Leber gelaufen, oder bist du gar eifersüchtig, weil Volker die hübsche Anhalterin mitgenommen hat?« Pierre schüttelte leicht den Kopf. Seine Miene war mißmutig.
»Ich hab' die ganze Nacht kein Auge zugetan«, erwiderte er bekümmert. Louis lachte leise. »Kein Wunder, wenn im Nebenwagen ein Paar der Minne frönt. Diese Diethilde muß ein heißes Herzchen sein. Sie sieht aus wie eine Madonna, und ich hielt sie für eine Jungfer, die kein Wässerchen trüben kann. Aber nach allem, was ich so zwischen Wachen und Träumen mitbekam, muß der Schein trügen. Doch gegen sechs heute morgen müssen die beiden eingeschlafen sein. Sag nur, da konntest du immer noch nicht pennen.« Pierres Gesicht verzog sich schmerzlich. »Das ist es nicht. Ich habe einen schlimmen Zahn.« Louis musterte ihn. Erst jetzt bemerkte er, daß Pierre ein bißchen blasser war als sonst. Und in der Tat wirkte die linke Wange noch etwas molliger als die mollige rechte. »Du solltest mit Kamille spülen«, riet Louis. »Hab' ich«, sagte Pierre kläglich, »die ganze Nacht. Deshalb konnte ich ja auch nicht schlafen.« »Schon besser?« fragte Louis mitfühlend. »Kein bißchen. Ich hab' das Gefühl, der Zahn sei größer als mein Kopf, und tausend Trolle hämmerten darin herum.« Jetzt war seine Miene der Inbegriff der Wehleidigkeit. Louis bezweifelte, daß es so schlimm sein konnte. Er kannte Pierre. Manchmal konnte der bei einem Wehwehchen tun, als liege er im Sterben. Vermutlich war sein Seelenkummer der wahre Grund. Schon seit ihrem Aufbruch von Schloß Camelot war er schweigsam und verdrießlich gewesen, was gewiß darauf zurückzuführen war, daß ihn die Zofe Christhilde hatte abblitzen lassen. »Laß mal sehen«, forderte Louis ihn auf. Pierre öffnete den Mund. Louis musterte Pierres Beißer und konnte den Übeltäter nicht entdecken. Allerdings war das Zahnfleisch an der linken Seite ein wenig rot und geschwollen. Vermutlich machte Pierre wieder aus einer Mücke einen Elefanten. »Kein Weisheitszahn«, brummte Louis. »Na, da ist bei dir ohnehin
kaum etwas zu erwarten.« Pierres Miene wurde bei Louis' Scherzchen noch verdrossener. »Du solltest es weiter mit Kamille versuchen«, fuhr Louis fort. »Du wirst sehen, das wirkt Wunder.« »Kein bißchen wirkt es«, maulte Pierre. Louis zuckte mit den breiten Schultern. »Nun, wenn das nicht hilft, dann müssen wir wohl oder übel zu anderen Mitteln greifen.« »Und?« fragte Pierre mißtrauisch. Louis klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. »Ich hab' eine Zange dabei. Ich ziehe dir das Beißerchen, und zackzack tut dir kein Zahn mehr weh.« Das blanke Entsetzen spiegelte sich in Pierres Augen. »Ich - ich versuch's doch lieber nochmal mit Kamille«, sagte er hastig. Louis grinste. »Wie du willst. Aber du weißt, daß du auf mich als Freund immer zählen kannst.« Er wandte den Kopf und lauschte. Schwache Geräusche drangen aus dem Wagen, die nur einen Schluß zuließen. »Sie setzen zum Finale an«, sagte Louis. »Dann werde ich schon mal die Rösser einschirren, damit wir aufbrechen können, bevor Diethilde von neuem entflammt.« Er erhob sich im Gras. »Wir hätten das Holz schon längst abliefern können, wenn Volker dieses Frauenzimmer nicht unterwegs aufgegabelt hätte«, murmelte Pierre. »Es eilt doch nicht«, sagte Louis, »Es ist nicht mehr weit, und wir haben noch bis morgen abend Zeit. Du solltest dich an das Leben eines Fuhrmannes gewöhnen. Ich kannte mal einen, der sagte: Stets langsam fahren, in der Hölle wirst du schon früh genug garen.« »Blöder Spruch«, sagte Pierre und betastete seine etwas molligere Wange. »Außerdem bin ich kein Fuhrmann.« »Zur Zeit doch«, gab Louis zurück. »Sogar Volker vom Hohentwiel, berühmter Minnemann und Ritter, ist zu einem solchen
bestimmt worden.« »Kannst du das verstehen?« fragte Pierre. Die Knappen waren ja nicht in den Plan eingeweiht. Ihnen würde erst ein Licht aufgehen, wenn sie, statt das Holz abzuliefern, zwei Dutzend bewaffnete Männer an Bord nehmen würden. Roland hatte sich zwar für seine Knappen verbürgt, als er sie für diese Aufgabe vorgeschlagen hatte, doch König Artus hatte abgewunken. »Natürlich sind sie vertrauenswürdig, doch ich möchte vermeiden, daß einer außer uns dreien den ganzen Plan kennt. Alle anderen erfahren nur Teile, aus denen sie nur einen Schluß ziehen sollen: Daß die Beute bei den Holzfällern zu holen ist. Die Räuber könnten sich vergewissern wollen, und es ist besser, die Knappen erfahren erst im letzten Augenblick einen Teil des Spiels. »Ich begreife das alles nicht«, seufzte Pierre, als Louis auf seine Frage mit den Schultern zuckte. »Ich auch nicht«, erwiderte Louis. »Vielleicht hat Artus im Augenblick schlechte Verdauung, was ihm auf den Geist schlägt, oder er hat Krach mit seiner Alten.« »Wie sprichst du vom König?« Pierre, der vor seiner Zeit als Ritter Rolands Knappe Page auf Schloß Camelot gewesen war, fand Louis' Worte reichlich respektlos. Louis grinste. »Auch Könige sind nur Menschen. Allerdings finde ich es nicht sehr menschlich, uns mit einer Fuhre Holz auf eine langweilige Reise zu schicken, anstatt uns mit Ritter Roland einen neuen abwechslungsreichen Auftrag zu geben.« »Aber Roland hat doch gesagt, er brauchte Erholung nach dem letzten aufregenden Fall, in dem er ganz alleine einen Verräter zur Strecke gebracht hat.« Louis kraulte seinen Bart. »Wenn ich's mir recht überlege, sah er gar nicht so erholungsbedürftig aus, eher recht tatendurstig. Nun, er wird bei Artus den Erholungsbedürftigen vorgetäuscht haben, weil er befürchtete, Artus könnte ihn wie Volker vom Hohentwiel zum Holzfahrer ernennen.«
»Das glaube ich nie und nimmer«, murmelte Pierre. »Ich hörte auf Camelot, er soll eine andere wichtige Aufgabe übernehmen.« »Dann hätte er uns mitgenommen«, widersprach Louis. »Ich glaube eher, daß er uns für eine Weile loswerden wollte, damit er der schönen Gräfin den Hof machen kann.« Zum ersten Mal an diesem Morgen zeigte Pierre die Andeutung eines Lächelns. »Katharina hat eher ihm den Hof gemacht.« Louis lachte leise. »Und gewiß das Bettchen dazu«, sagte er und schlenderte zu den Pferden, die am Bach zwischen den Pappeln und Weiden angebunden waren. Pierre tastete besorgt seine Wange. Er hatte das Gefühl, die Schwellung nähme von Minute zu Minute zu. * Ritter Roland hatte derweil andere Sorgen als seine Knappen. Einen Augenblick lang war er wie betäubt, als die Brücke über der Schlucht erbebte und ein Bersten und Krachen von den steilen Hängen hallte, als stürze ein gewaltiger gefällter Baum zu Boden. Schreie gellten. Gespannpferde wieherten, und Rösser scheuten auf der Brücke, deren Eichenbohlen sich senkten. »Zurück!« brüllte ein Mann der Eskorte, riß sein Pferd herum und jagte es in Panik gegen die Gespannpferde des ersten Wagens. Das Tier scheute zur Seite, prallte gegen das Geländer, und die Wucht des Aufpralls war so groß, daß die hölzerne Barriere brach. Kopfüber stürzte der Reiter aus dem Sattel und verschwand mit einem markerschütternden Schrei in der Tiefe. Niemand sah es. Jeder war in diesem Augenblick des Schreckens mit sich selbst beschäftigt. Ritter Roland parierte sein scheuendes Roß. Mit einem schnellen Blick erfaßte er, daß es kein Zurück gab. Hinter ihm brach die Brücke in zwei Hälften. Die ersten Eskortenreiter wurden bereits in die Tiefe gerissen, und die Fuhrpferde des nachfolgenden Gespanns rutschten schon hinab, auf
die tödliche Bresche zu. Die Bohlen senkten sich unter der Hinterhand von Rolands Hengst. Roland handelte verzweifelt, ohne zu überlegen. Er wußte, daß es ums Überleben ging. Er trieb den Hengst zum Sprung, obwohl er die Entfernung bis zum Ende der Brücke kaum schaffen konnte. Wie von einem Katapult geschnellt, sprang das Roß. Es war ein gewaltiger Satz, und das prächtige Tier schaffte es. Roland hatte Mühe, beim Aufsetzen im Sattel zu bleiben. Die Rüstung behinderte ihn, machte ihn unbeweglicher. Die Hinterhand des Hengstes rutschte ab, und in das Gellen der Schreie und Krachen und Bersten mischte sich das Poltern von Gestein. Der halbe Weg schien sich unter den Hufen des Hengstes zu lösen und den Brückenbohlen in die Tiefe zu folgen. Noch einmal streckte sich das Roß, schnellte sich auf den rettenden Weg. Roland schwankte im Sattel, doch in diesem Augenblick hätte er jubeln mögen. Nur ein Gedanke beherrschte ihn: Geschafft! Da verspürte er einen harten Schlag gegen die gepanzerte Brust, und es war ihm, als fege ihn eine gigantische Faust vom Pferd. Für einen Augenblick glaubte er noch etwas Braunes zwischen den Fichten oberhalb des Weges wahrzunehmen, eine schnelle Bewegung, und dann stürzte er aus dem Sattel. Er überschlug sich in der Luft, sah für einen Moment durch die Luft wirbelnde Reiter und Rösser und in die Tiefe stürzende Brückenteile. Ein grauenvoller Anblick, der ihm förmlich das Blut in den Adern erstarren ließ. Dann sah er in der Drehung den tiefen Grund der Schlucht, gezackte Felsbrocken, auf denen er zerschmettert werden würde. Dann war die Drehung zu Ende, und ein Baum schien auf ihn zuzurasen und ins Riesige zu wachsen. Aus! durchfuhr es ihn. Er glaubte noch ein weiteres Bersten und Knacken zu hören. Etwas Grünliches schlug ihm ins Gesicht. Dann prallte er auf. Schlagartig hüllten ihn Finsternis und Totenstille ein.
* Diethilde lachte hell. Sie saß neben Volker vom Hohentwiel auf dem Wagenbock, und Volker hatte ihr gerade einen Witz erzählt. Sie war ein schlankes, doch an den richtigen Stellen wohlgerundetes Persönchen, blond, blauäugig und sommersprossig. Das Gesicht hatte tatsächlich etwas Madonnenhaftes, wie der Knappe Louis Volker zugeraunt hatte, als die Maid um Mitfahrt gebeten hatte. Volker kannte sich nicht so recht mit Madonnen aus, doch er war überzeugt davon, daß Diethilde keine war. Er hielt sie eher für eine kleine Abenteurerin, die keinen Genuß ausließ. Schier unersättlich schien sie zu sein. Bei einer Rast in einer Dorfschänke hatte sie ihn um Mitfahrt gebeten, und eine Rast weiter waren ihre anderen Wünsche offenkundig geworden. Jetzt schmiegte sie sich an ihn, und ihr Blick sagte ihm, daß sie die nächste Rast schon kaum erwarten konnte. Volker vom Hohentwiel flogen die Herzen der Damen nur so zu einmal war ihm sogar ein Höschen von einer Gräfin zugeflogen, der es ob seines Gesangs wohl zu heiß geworden war. Dennoch hatte er selten solch eine Diethilde kennengelernt. »Du bist mir schon ein seltsamer Holzfäller.« Die Worte, die sie ihm ins Ohr hauchte, rissen Volker aus seinen Gedanken. Zugleich alarmierten sie ihn. Hatte das zweifelnd geklungen oder gar lauernd? Er dachte an den Geheimauftrag, und eine innere Stimme mahnte ihn zur Vorsicht. »Wieso?« fragte er leichthin. »Na, Holzfäller habe ich mir immer anders vorgestellt.« Volker lauschte dem Klang der Stimme nach. Das hörte sich recht harmlos und unbeschwert an. »Kräftiger?« fragte er. Sie lachte leise. »Bestimmt nicht. Doch nicht so gutaussehend und einfühlsam und zärtlich.«
Volker lachte, daß die weißen Zähne in dem kühngeschnittenen, leicht gebräunten Gesicht blitzten. »So kann man sich irren«, sagte er und versuchte zu verbergen, daß er ein wenig geschmeichelt war. »Die Holzfäller, die ich kenne, vom Hörensagen versteht sich, sollen ungehobelte Kerle mit schwieligen Pranken sein.« »Das sind gewiß Vorurteile.« Volker bedachte sie mit einem Lächeln, doch das alarmierende Gefühl war wieder da. Teufel, sollte sie nicht zufällig aufgetaucht sein? Unsinn, dachte er, niemand außer König Artus, Ritter Roland und mir ist in den Plan eingeweiht. Wenn die Geheimaktion verraten worden war, dann wußte der Verräter, wo die Fracht aufgeladen wurde und brauchte vorher keinen Spitzel einzusetzen. Außerdem hatte Diethilde bislang nicht die geringsten neugierigen Fragen gestellt. »Aber ich habe noch von keinem Holzfäller gehört, der Laute spielen und so schöne Balladen singen kann und alles und so.« Ihr Blick verriet ihm, was sie mit »alles und so« meinte. »Ah, die Leute erzählen viel«, sagte Volker. »Ich kenne ein paar Kollegen, die besser mit Fiedel und Laute umgehen können als mit der Axt. Einer von ihnen hat mir das Lautenspielen beigebracht. Ein richtiger Künstler ist das. Früher dichtete er Balladen, doch davon konnte er nicht leben. So wurde er Holzfäller. Holz ist nun mal gefragter als Dichtung.«, Diethilde lachte. »Du bist mir ein rechter Meister der Zunge. Als Meister der Axt kann ich mir dich gar nicht vorstellen.« »So kann man sich irren.« Volker wollte schnell vom Thema ablenken. Sein Mißtrauen war inzwischen verflogen. Nein, das war kein Aushorchen gewesen, eher das Interesse einer verliebten Frau, die sich wunderte, daß ihr Galan anders ist, als sie zunächst gedacht hatte. »Da fällt mir noch ein Holzfäller-Witz ein, den neulich HolzfällerHeini bei der Arbeit erzählte«, sagte Volker. Flugs modelte er einen
uralten Scherz als »Holzfäller-Witz« um, damit Diethilde auf andere Gedanken kam. »Da sagte der alte Holzfäller zu dem jungen Paar, das ihn bei dräunendem Unwetter in den Bergen um Rat ersuchte: Wenn es donnert und blitzt Dann sei gewitzt Und merke dir den weisen Spruch: Den Eichen weich Die Buchen such!« Diethilde lachte. »Den Spruch kenne ich auch.« Volker nickte. »Und so ließ sich das Pärchen beim Gewitter im Schutz einer Buche nieder. Und pardeutz - da schlug der Blitz in die Buche, anstatt in die Eichen. Und das letzte, was sie hörten, war der Blitz, der mit krachendem Donnerschlag sagte: >Wie man sich doch irren kann.<« Diethilde lachte erheitert. Da ertönte ein lauter Fluch vorn beim ersten Wagen. Louis zügelte heftig das Gespann. Volker vom Hohentwiel spähte angestrengt nach vorn, an dem Wagen vorbei, den Pierre ebenfalls anhielt. Dort vorn, hinter der Wegbiegung, versperrte ein Baumstamm den Weg. Volkers Blick zuckte nach links und rechts. Nichts regte sich zwischen den Büschen und Bäumen. Doch Volker bezweifelte, daß der Baumstamm rein zufällig dort auf den Weg gefallen war. »Was - ist los?« fragte Diethilde angespannt. Das hätte Volker ebenso gern gewußt. Es war mit keiner Gefahr zu rechnen gewesen. Niemals sonst hätte er einer Frau die Mitreise erlaubt. Wenn die Aktion verraten worden war wie erwartet, dann mußten die Räuber davon ausgehen, daß die Beute noch gar nicht auf den Wagen war. Daß die Waffen und Rüstungen überhaupt nicht mit diesen Wagen transportiert werden würden, daß sie nur den Köder für die Falle spielen sollten, konnte der Verräter nicht wissen. Daß wußten nur der König und Roland außer ihm, Volker. Es konnte allerdings ein zufälliger Überfall sein. Doch welche Wegelagerer interessierten sich schon für einen kleinen Holztransport? Allenfalls Kerle, die zu faul waren, selbst Bäume zu
fällen, oder? In diesem Augenblick ertönte eine rauhe Stimme zwischen den Büschen am Wegesrand. »Ergebt euch, oder ihr fahrt zur Hölle!« * Roland hörte Stimmen. Er hatte das Gefühl zu schweben. Es dauerte eine Weile, bis er erkannte, daß er sich tatsächlich in einer Art Schwebezustand befand. Er hing in einem Baum, einer Fichte, wenn ihn nicht alles täuschte. Wie zum Teufel kam er dahin? Sein Schädel schmerzte, und er hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. Er überlegte eine Weile. Dann setzte die Erinnerung ein, und er erschrak so sehr, daß er fast vom Baum abgestürzt wäre. Sie waren überfallen worden! Obwohl der Verräter annehmen mußte, daß die Waffen und Rüstungen auf einem anderen Weg und mit anderen Wagen transportiert wurden. Folglich würden die Räuber auch nicht in die Falle tappen, die König Artus so raffiniert geplant hatte! Scheinbar raffiniert. Roland klammerte sich an der Zweiggabelung fest. Er hatte unglaubliches Glück gehabt. Sein Schutzengel mußte in Hochform gewesen sein. Die Fichte hatte seinen Sturz gebremst. Er wäre sonst auf dem Grund der Schlucht zerschmettert. Er war so in den Zweigen eingeklemmt, daß er in seiner Bewußtlosigkeit nicht heruntergefallen war. Allmählich wurde sein Blick klarer, und die Kopfschmerzen und das Schwindelgefühl ließen etwas nach. Er spähte hinunter. Tief unter ihm waren durch einen Spalt zwischen anderen Fichten die Trümmer der Brücke, zerstörte Wagen, tote Pferde und reglose Gestalten zu erkennen. Zwei gepanzerte Männer lagen im Bach auf dem Bauch und waren mit Sicherheit tot.
Roland schluckte. Der Anblick versetzte ihm einen Schock. Vermutlich war er der einzige des Trupps, der mit dem Leben davongekommen war. Er schloß für einen Moment die Augen und kämpfte gegen das Gefühl der Übelkeit an. Wieder hörte er entfernte Stimmen. Er lauschte, doch er konnte nicht verstehen, was gesprochen wurde. Er drehte den Kopf und spähte angestrengt in die Richtung, aus der die Stimmen zu ihm herüberdrangen. Fichten versperrten ihm die Sicht. Die Räuber schafften offenbar die Beute aus der Schlucht. Ob er es wagen konnte, von der Fichte zu klettern? Wenn er sie nicht sehen konnte, konnten sie ihn auch nicht sehen. Er mußte näher an sie heran. Vielleicht gelang es ihm, sie zu belauschen oder ihnen gar zu folgen. Er begann mit dem Abstieg. Erst jetzt bemerkte er, daß er Hautabschürfungen und Platzwunden davongetragen hatte, und daß sein Körper schmerzte, als hätte er sich sämtliche Knochen verstaucht. Er biß die Zähne zusammen. Mehrmals drehte sich alles vor seinen Augen, und er mußte beim Klettern innehalten und warten, bis das Schwächegefühl nachließ. Irgendwann, nach einer scheinbaren Ewigkeit hatte er es dann geschafft. Er schlich näher zu den Geräuschen und spähte zwischen den Fichten am Berghang hervor. Jetzt konnte er die Verbrecher sehen. Vier Männer banden Kisten an ein Seil. Die Kisten wurden nach oben gezogen. Roland schlich noch weiter vor und verharrte im tiefen Schatten zwischen den Baumstämmen. »Das war's«, sagte eine heisere Stimme.. Ein rotbärtiger Mann winkte hinauf. »Anschließend könnt ihr uns hochziehen.« Roland sah zu, wie sich der erste der vier Männer das Seil um den Leib schlang. Er mußte ebenfalls aus der Schlucht gelangen. Doch wie konnte
ihm das schnell gelingen? Die Räuber würden ihn gewiß nicht an ihrem Seil hochhieven. Und wenn er wartete, bis sie verschwunden waren, machten sie sich mit der Beute über alle Berge, bevor er ein Pferd fand. Er dachte kurz an sein Roß. Im Grunde hatte ihm der Hengst mit seinem gewaltigen Sprung das Leben gerettet und war der eigentliche Schutzengel gewesen. Das Tier war sicherlich oben am Weg weitergelaufen und irgendwann stehengeblieben. Vielleicht hatten die Kerle es nicht eingefangen ... Roland blickte den Hang hinauf. Der Aufstieg war steil und schwierig, doch nicht unmöglich. Schnell legte er den Brustpanzer ab, der ihn nur behinderte. Seine Knie zitterten, und er war schweißgebadet, als er den Berghang erstiegen hatte. Er lauschte mit angehaltenem Atem. Einen Augenblick lang glaubte er nur seinen Herzschlag zu hören. Dann konnte er Geräusche ausmachen. Irgendwo rechts vom Weg. Er schlich weiter. Dann sah er zwischen den Baumstämmen die Wagen. Männer hasteten hin und her. Pferde wurden eingeschirrt. Eine rauhe Stimme gab Kommandos. »Beeilt euch, ihr lahmen Säcke. Wir müssen verschwinden!« »Wozu die Hetze?« rief ein anderer Mann. »Glaubst du, die Toten stehen wieder auf?« Roland glaubte einen Kloß in der Kehle zu haben. »Das nicht, aber jemand könnte zufällig auftauchen«, erwiderte der Mann mit der rauhen Stimme, offenbar der Anführer der Verbrecherhorde. »Da passen unsere Posten schon auf«, maulte der andere, »Noch ein Widerwort, und ich lege dich dort unten schlafen!« Roland kniff die Augen zusammen und spähte zu den Wagen hin. Männer kletterten auf die Fahrerbänke. Eine Peitsche knallte. Der erste Wagen setzte sich in Bewegung. Wenn ich jetzt ein Pferd hätte, dachte er, könnte ich den Kerlen zu
ihrem Versteck folgen und ... Ein anderer Gedanke nahm Gestalt an. Es war riskant, doch er war entschlossen, es zu wagen. Die Wagen fuhren über den gewundenen Weg am Waldrand vorbei. Ritter Roland duckte sich hinter einen Baumstamm. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals, als er auf den letzten Wagen wartete. Er spannte sich zum Sprung. Dann sprang er auf. Er klammerte sich am Heckbrett fest und zog sich hinauf unter die Plane. Völlig außer Atem landete er auf irgendwelchen Kisten. Er lauschte. Nur die Fahrgeräusche und der Hufschlag waren zu hören. Nichts wies darauf hin, daß die Verbrecher ihn bemerkt hatten. Er wartete, bis sich sein Atem normalisiert hatte. Vorsichtig zog er dann die Plane ein Stück zur Seite und spähte aus dem Wagen. Kein Reiter folgte den Wagen. Zufrieden ließ er die Plane sinken. Es war nicht damit zu rechnen, daß die Kerle den Wagen durchsuchten. Sie würden ihn geradewegs in ihr Versteck bringen. Er brauchte nur rechtzeitig auszusteigen, bevor sie die Fracht abluden! * Es waren sechs Räuber, die zwischen den Bäumen und Büschen am Wegesrand hervorsprangen. Schwerter blitzten, und einer der Männer war mit einer Armbrust bewaffnet. Volker vom Hohentwiel sah, daß Louis zornig zum Schwert griff. Er wollte den Knappen mit einem schnellen Ruf stoppen, doch Louis ließ sich nicht mehr aufhalten. Mit einem gewaltigen Satz sprang er vom Wagen und stürmte mit erhobenem Schwert auf den ersten Gegner zu, dessen Augen sich weiteten und der plötzlich wie versteinert wirkte. Volker hatte sich ergeben wollen, denn er hielt einen Kampf für
sinnlos, und außerdem war bei ihnen ja nicht viel zu holen. Doch als er sah, daß Louis dem ersten Räuber mit wuchtigem Schlag das Schwert aus der Hand hieb, entschied er sich ebenfalls fürs Kämpfen. Er zückte sein Schwert und sprang vom Wagen. »Runter!« raunte er dabei Diethilde zu. »Bring dich in Sicherheit.« Federnd landete er auf dem Weg und stellte sich zum Kampf. Die Räuber hatten offenbar nicht mit Widerstand gerechnet und waren von Louis' überraschender Attacke irritiert. Doch jetzt lösten sie sich aus ihrer Erstarrung. Gleich zwei Kerle stürmten auf Louis zu. Volker parierte den Angriff eines großen, breitschultrigen Kerls, dessen stoppelbärtiges Gesicht von einer enorm großen Hakennase beherrscht wurde. Der Kerl wußte höllisch gut die Klinge zu schlagen. Er war offensichtlich der Anführer und der Kampfstärkste. Während er mit Volker die Klinge kreuzte, gab er seinen Männern Kommandos, die von kühlem Kopf und guter Übersicht zeugten. Obwohl doch seine ganze Konzentration Volker gelten mußte, dirigierte er nebenbei seine Männer. »Wilfried, Hannes, erledigt den Schwarzbart!« »Volker, laß die Scheißarmbrust, und schlag den anderen vom Wagen!« Da habe ich aber einen verdammten Namensvetter! dachte Volker vom Hohentwiel. Entsetzt sah er aus den Augenwinkeln, wie Pierre vom Wagen geschlagen wurde, wie Louis zwar einen Gegner zu Boden streckte, im nächsten Augenblick jedoch von einem anderen Mann hinterrücks mit dem Schwert getroffen wurde. Volker kämpfte mit wilder Entschlossenheit weiter. Er parierte eine Attacke des Hakennasigen und konterte. Funken flogen, als Volker den Gegner mit heftigen Schlägen zurücktrieb. Dann hörte Volker Diethilde aufschreien. »Gib auf, oder ich mach deine Freundin kalt!« brüllte einer der Räuber.
Volker erschrak. Sein Blick zuckte zu dem Mädchen. Ein blonder, bärtiger Kerl hielt sie umklammert und drückte ihr sein Schwert in die Seite! Der Mann mit der Hakennase nutzte eiskalt seine Chance, als Volker für einen Sekundenbruchteil abgelenkt war. Volker konnte nicht mehr rechtzeitig ausweichen, als der Gegner nach geglückter Finte zuschlug. Der Schwerthieb streifte Volker noch an der Schulter. Die Klinge schrammte mit hellem Klang über das leichte Kettenhemd. Volkers Arm war auf einmal wie betäubt. Er strauchelte. Ein weiterer Hieb schleuderte ihn zu Boden. Er stürzte in den Sand des Fahrwegs und sah den Hakennasigen drohend über sich aufragen. Der Mann holte zum Schlag aus, und in seinen kleinen schwarzen Augen, die tief in den Höhlen lagen, funkelte böser Triumph. Verzweifelt wollte Volker sein Schwert hochreißen, das ihm beim Sturz gottlob nicht entfallen war. Doch da traf ihn etwas von hinten am Kopf. Er schlug mit der Stirn zu Boden und verlor das Bewußtsein. Der Hakennasige atmete tief ein und aus. »Gut gemacht, Wilfried«, lobte er den Räuber, der Volker hinterrücks niedergestreckt hatte. »Der Knabe schlägt eine verdammt flotte Klinge.« »Schluß«, korrigierte Wilfried und zeigte grinsend eine Zahnlücke. »Aber ich hatte ihn ja ohnehin schon fest im Griff«, fügte der Anführer hinzu. Er blickte von Volkers regloser Gestalt zu Louis und Pierre, die ebenfalls ohnmächtig am Boden lagen. »Hätte nicht gedacht, daß die Kerle trotz unserer Überzahl kämpfen«, sagte er und kratzte sich an den bläulichschwarzen Bartstoppeln. »Na ja, die Dummen werden eben nicht alle.« Dann sah er grinsend zu Diethilde. Sie wurde längst nicht mehr mit dem Schwert bedroht. Sie war auch gar nicht ernsthaft bedroht worden. »He, Diethilde, hast du gepennt, oder was? Du solltest Panik
mimen und uns Bleich vor die Schwerter springen. Da hätten wir uns den Kampf erspart. Statt dessen bleibst du auf deinem heißen Hintern sitzen und hältst Maulaffen feil! Warum hast du deine Rolle nicht eingehalten?« Diethilde zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wollte ich mal ein richtiges Mannsbild gegen dich kämpfen sehen«, sagte sie schnippisch. * Roland hob die Wagenplane an und spähte vorsichtig hinaus. Die Wagen rumpelten eine Steigung hinauf. Links erhob sich ein bewaldeter Hang, rechts ragte eine kahle Felswand empor. Die Dämmerung brach herein. Roland fragte sich, wann die Fahrt endlich zu Ende sein würde. Inzwischen hatte er sich mit einem Schwert bewaffnet. Waffen gab es genug in den Kisten, von denen einige beim Sturz in die Schlucht beschädigt worden waren. Eine kleine Streitmacht hätte er damit bestücken können. Doch er hatte keine Streitmacht zur Verfügung. Er war ganz auf sich allein gestellt, und gegen die Übermacht der Räuber gab es keine Chance in einem offenen Kampf. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, die Kisten mit den Waffen vom Wagen zu werfen, damit sie den Räubern nicht in die Hände fielen, sich dann jedoch dagegen entschieden. Die Geräusche konnten gehört werden, und es war besser, er verhielt sich mucksmäuschenstill. Die Räuber sollten durch nichts gewarnt werden. Wenn sie den Verlust der Waffen in ihrem Versteck entdeckten, würden sie sich leicht zusammenreimen können, daß die Kisten nicht von selbst vom Wagen gefallen sein konnten. Dann würden sie danach suchen und auf der Hut sein. Nein, sie sollten sich ganz sicher fühlen. Mit jeder Minute schien Rolands Spannung noch zu wachsen. Er zermarterte sich den Kopf, weshalb der Plan schiefgegangen
war. Der Verräter mußte König Artus' doppeltes Spiel durchschaut haben. Eine andere Erklärung fand Roland nicht. Immer wieder ließ er sich durch den Kopf gehen, was er in diesem Fall bisher erfahren hatte. Er rief sich Franziskas Worte in Erinnerung und dachte an die letzten Worte des Mannes, der ihn aus dem Hinterhalt hatte töten wollen. Im Auftrag einer Frau. Damit gewann Franziskas Bemerkung Gewicht. Auch sie hatte davon gesprochen, daß der sterbende Mann des überfallenen Transports etwas von »Frau« gesagt hatte. Er hatte nicht nachgehakt, weil Franziska erklärt hatte, damit sei wohl die Ehefrau des Mannes gemeint gewesen. Jetzt hatte es den Anschein, als hätte der Sterbende damit eine wichtige Information geben wollen. Bald werde ich mehr wissen! dachte Roland. Er war dem Geheimnis auf der Spur. Er wollte rechtzeitig aus dem Wagen klettern und sich dann im Schutz der Dunkelheit in das Versteckt der Banditen schleichen. Es kam nur auf den richtigen Zeitpunkt an. Wenn er zu früh ausstieg, mußte er zu Fuß der Kolonne folgen und verlor wertvolle Zeit, und wenn er zu spät ausstieg, verlor er vermutlich seinen noch wertvolleren Kopf. Der Wagen hielt plötzlich und für Roland unerwartet an. Stimmen ertönten. Vorsichtig hob Roland die Plane an und erschrak. Er sah zwei dunkle Gestalten schräg hinter dem Wagen bei einem Felsbrocken. Roland hatte das Gefühl, die Männer würden ihm genau in die Augen starren. Der Wagen fuhr mit einem Ruck wieder an. Ein Pferd wieherte, eine Peitsche knallte. Das Räderrasseln hallte von Felsen wider. Der Weg führte durch einen schmalen Einschnitt, in dem es finster war. Roland ließ die Plane langsam sinken. Die beiden Männer, offenbar Wachtposten, hatten sich nicht gerührt. Er schalt sich einen Narren. Natürlich hatten sie ihn im Dunkel unter der Plane nicht bemerken können. Er mußte noch einen Augenblick warten, bis ihn die Kerle nicht
mehr sehen konnten, und dann aussteigen. Das Versteck konnte nicht mehr weit sein. Er zog die Plane wieder einen Spalt hoch und spähte über die Heckklappe. Die Posten waren nicht mehr zu sehen. Nichts wie raus! Roland konnte den Gedanken nicht in die Tat umsetzen. Schon wieder hielt der Wagen. Schlurfende Schritte näherten sich. »Alles klar?« fragte eine tiefe Stimme. »Alles klar«, erwiderte ein anderer Mann, wohl einer der Fahrer. »Da wird sich die Gnädige aber freuen«, sagte die Baßstimme. »Vor einer halben Stunde erst eingetroffen, und schon wird sie bedient.« »Sag nur, die ist da?« »Selbiges deutete ich an. Viktor war auch überrascht, daß sie sich persönlich herbemühte, statt Kastor zu schicken. Kastor hat's erwischt.« »Krank geworden?« »Tot geworden«, erwiderte die Baßstimme. Der andere fluchte. »Wie ist das passiert?« »Er sollte einen Ritter umlegen, doch der Ritter war damit nicht einverstanden.« Kastor hieß also der Kerl, der mich ermorden sollte! Dachte Roland. Und die Frau, die den Mordauftrag gegeben hatte, hielt sich bei diesen Räubern auf! Besser konnten sich die Dinge gar nicht entwickeln. »Wie sieht es eigentlich aus?« fragte der Fahrer. »Ein scharfes Luder.« »So scharf wie Diethilde?« »Da kannst du Diethilde glatt vergessen.« Der Mann mit der Baßstimme lachte. Diethilde! dachte Roland. Der Name, der mit Diet... begann. Hatte der Sterbende die Frau gemeint, die offenbar ein Räuberliebchen war?
»Viktor wollte sie gleich auf sein Lager bitten«, fuhr der Räuber mit der Baßstimme fort. »Diethilde?« »Quatsch. Die ist noch mit den Jungs unterwegs. Außerdem braucht die nicht gebeten zu werden.« »Und - hat Viktor ...?« »Sie vertröstete ihn auf später, wenn die Ware da ist. Viktor wird mächtig froh sein, daß ihr so schnell kommt.« »Nun, dann wollen wir ihn nicht unnötig warten lassen.« Der Fahrer schnalzte mit der Zunge, der Wagen ruckte an. »He, Jungs, nehmt mich mit ins Lager. Hab' keine Lust, zu wandern.« »Kletter rauf!« Roland erstarrte. Schritte näherten sich dem Wagenheck und verstummten. Die Plane wurde zur Seite gezogen. Eine dunkle Gestalt tauchte auf. Einer der Räuber kletterte zu ihm auf den Wagen! * »Keine Beute!« Die Räuber fluchten. Nur Diethilde blieb gelassen. »Damit war zu rechnen.« Der hakennasige Walther, der die kleine Schar anführte, starrte sie mißmutig an. »Wieso? Du meinst, daß die Ware doch mit dem anderen Trupp transportiert wird?« Diethilde zuckte mit den Schultern. »Für diese Möglichkeit ist ja vorgesorgt. Aber ich glaube eher, daß diese Männer hier den Transport durchführen. Weshalb sonst sollten sie als Holzfäller verkleidet durch die Gegend fahren?« Walther musterte sie finster. »Was ist nun? Hast du etwas erfahren, oder hast du nur dein Vergnügen bei den drei Kerlen gesucht?«
Diethilde lächelte, und ihr Gesicht hatte so gar nichts Madonnenhaftes mehr. Es war ein Lächeln, bei dem nicht nur Walther, sondern auch die anderen unruhig wurden. »Gewiß hatte ich mein Vergnügen«, erklärte sie freimütig und in einem Tonfall, als plaudere sie über das Wetter. »Allerdings nur bei einem. Doch der reichte für drei.« Sie musterte Walther amüsiert. »Eifersüchtig?« Dann blickte sie einen nach dem anderen an, als sei die Frage auch an sie gerichtet. So verstanden sie es auch, und sie las ihre Reaktionen in ihren Blicken. »Ich doch nicht!« Walther tat empört, doch in Wirklichkeit tobten Zorn und Eifersucht in ihm. Schon manches Mal hatte er mit dem Gedanken gespielt, Diethilde zu erwürgen, weil sie sich mit jedem einließ, der ihr gefiel. Und praktisch gefiel ihr alles, was männlich war. Eine mannstolle Hexe! Er, Walther, hatte sie damals zu Viktor ins Lager gebracht, auf ihren Wunsch hin, und er hätte den Tag verfluchen können. Sämtliche Kerle hatte sie verrückt gemacht, und sie war so etwas wie die heimliche Herrin der Bande geworden. Selbst Viktor, der Anführer, war wie Wachs in ihren Händen. Walther wollte schnell ablenken. »Du hattest zweierlei Aufgaben zu erfüllen«, sagte er tadelnd. »Du solltest dich mit den Kerlen anfreunden, sie aushorchen und uns bei dem Überfall als Geisel in die Hände fallen, damit ein Kampf vermieden wird. Schließlich wußten wir nicht, daß wir es nur mit drei Mann zu tun bekommen. Es hätten auch ein Dutzend sein können. Doch selbst gegen die drei mußten wir kämpfen. Außerdem hast du uns kein Zeichen gegeben, ob die Beute auf den Wagen ist oder nicht.« Diethilde zuckte mit den Schultern. »Ich konnte nicht viel herausfinden. Das sind keine dummen Jungen, die sich so leicht verplappern. Doch ich nehme an, daß sie die richtige Fracht erst später in Empfang nehmen. Volker, der gewiß ein verkappter Ritter ist, wollte mich nur bis Erlenhain mitnehmen. Auf keinen Fall weiter.
Vermutlich nehmen sie dort die Ware an Bord. Klar, daß er dann keinen Fremden mehr mitnehmen darf.« Walther kratzte sich an den Bartstoppeln und spuckte aus. »Dann war unser Überfall also für die Katz. Ich möchte wissen, weshalb man auf Camelot diesmal nicht genau Bescheid wußte wie bisher.« Diethilde strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Du hast doch gehört, daß sie vorsichtiger sein mußte als bisher, weil man einen Verdacht hatte.« Walther blickte unschlüssig in die Runde. »Und was machen wir jetzt?« »Ganz einfach«, erklärte Diethilde lächelnd. »Ihr reitet nach Erlenhain. Dort wartet ihr auf mich. Nehmt euch ein Zimmer im Gasthof und laßt euch nicht sehen.« »Und du?« »Ich werde noch eine Nacht mit meinen neuen Freunden verbringen.« Ihr hexenhaftes Lächeln vertiefte sich, als Walther zu fluchen begann. * Ritter Rolands Gedanken überstürzten sich. Wenn es ihm nicht gelang, den Räuber lautlos auszuschalten, war alles aus. Und wenn es ihm gelang, mußte er damit rechnen, daß man den Kerl vermißte und daß eine große Suche begann. Roland entschied sich in Sekundenschnelle. Es war besser, er versteckte sich und wartete auf eine Möglichkeit, sich unbemerkt vom Wagen stehlen zu können. Er duckte sich zwischen zwei Kisten und hielt den Atem an. Es war stockdunkel im Wagen unter der Plane, und es mußte schon mit dem Teufel zugehen, wenn der Räuber ihn auf dem gewiß kurzen Weg ins Lager entdeckte. Es ging mit dem Teufel zu. Der Räuber stolperte in der Dunkelheit gegen eine offene
Waffenkiste. Metall klirrte leise. Ein dumpfer Aufprall folgte. Der Mann wollte sich aufrappeln und tastete haltsuchend um sich. Er stieß einen Laut des Erschreckens aus, als er einen menschlichen Körper berührte. Ritter Roland spürte die Hand an seiner Schulter und verlor keine Sekunde. Er schnellte sich auf die Gestalt zu, die er im Dunkel mehr erahnte als sah. Er prallte gegen den Mann und warf sich über ihn. Der Räuber wollte schreien. Roland erstickte den Aufschrei im Ansatz. Auf gut Glück schlug er mit der geballten Rechten zu. Und er traf. Ein Schmerz zuckte von seiner Faust bis zur Schulter hinauf. Er spürte, wie die Gestalt unter ihm erschlaffte. Gebannt lauschte er. Nichts wies auf Gefahr hin. Die Fahrgeräusche und das Pochen der Hufe hatten die Geräusche des kurzen Kampfes im Wagen übertönt. Roland rieb schnell ein Zündholz an und schirmte das Flämmchen mit der Hand ab. Der Räuber, ein schmächtiger Gesell mit einem buschigen, hellblonden Schnauzbart, war bewußtlos. Roland entdeckte im schwachen Schein der Zündholzflamme einen Strick auf der Ladefläche und zog ihn heran, um damit den Räuber zu fesseln. Wo sollte er den Mann verschwinden lassen? Jeden Augenblick konnte der Wagen im Lager der Bande eintreffen. Vermutlich wurde dann die Fracht abgeladen. Er konnte den Räuber nicht auf dem Wagen lassen. Roland packte den Bewußtlosen unter den Achseln und zog ihn zur Heckklappe. Er wollte gerade mit dem Räuber aussteigen, als der Wagen die Fahrt verlangsamte und mit einem Ruck schließlich stehenblieb. Ritter Roland fühlte sich wie in einer Falle. Angespannt spähte er durch eine Ritze in der Wagenplane. Er sah rötlichen Feuerschein. An den Geräuschen und den Rufen einiger Männer erkannte er, daß die Wagenkolonne am Ziel war.
»He, Benno, wir hörten schon, daß ihr Erfolg hattet«, rief jemand. »War doch klar«, erwiderte Benno selbstbewußt. »Du hättest mal sehen sollen, wie alle in die Schlucht purzelten. Wir brauchten überhaupt nicht zu kämpfen.« Jemand lachte. Roland dachte an die Toten und preßte die Lippen aufeinander. »Ihr sollt gleich zu Viktor kommen und ihm berichten«, hörte er Bennos Gesprächspartner sagen. »Wird gemacht. Viktor wird zufrieden sein. Ich wette, heute nacht steigt 'ne große Feier. Ist Diethilde mit den anderen schon zurück?« »Noch nicht. Die werden ganz schön sauer sein, daß sie umsonst unterwegs waren und ihr den Erfolg buchen könnt.« »Schirrt die Gäule aus und versorgt sie!« rief Benno. Schritte erklangen. Ein Pferd schnaubte. Jemand klopfte gegen die Heckklappe. »Eh, Vitus, pennst du oder was?« Bennos Stimme. Der Räuber ahnte ja nicht, daß er mit seinen Worten den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Was tun? Einen Moment lang hielt Roland den Atem an. Doch schnell entschied er sich für einen Bluff. Wenn sich dieser Vitus nicht meldete, würde Benno mißtrauisch werden und nach ihm sehen. Roland imitierte die tiefe Stimme des Räubers und murmelte undeutlich: »Komme schon.« Dabei verschob er eine Kiste, als würde er sich aufstemmen. »Du kannst den Jungs bei den Pferden helfen«, rief Benno. Genau das konnte Roland nicht. Doch er atmete auf. Im Augenblick schöpfte niemand Verdacht. Schritte entfernten sich. Roland hörte Männerstimmen und das Lachen einer Frau. Die Ankömmlinge wurden von ihren Kumpanen begrüßt. Es war anscheinend eine große Bande. Roland konnte nur hoffen, daß sich niemand weiter für Vitus
interessierte und daß es ihm gelang, in der Dunkelheit unbemerkt vom Wagen zu gelangen. Er befand sich mitten in der Höhle des Löwen. Und es war ihm völlig klar, daß sein Leben keinen Pfifferling mehr wert war, wenn sie ihn entdeckten. * Louis fluchte. »Verdammt, verdammt!« Er stand an einen Baum gefesselt im Wald und fühlte sich ebenso erbärmlich wie Volker vom Hohentwiel und Pierre, die sich in der gleichen mißlichen Lage befanden. »Fällt dir nichts anderes ein?« murmelte Volker und bemühte sich zum xten Male vergebens, die Stricke zu sprengen, mit denen er so eng an den Baumstamm gefesselt war, daß er sich kaum zu bewegen vermochte. Louis schickte einen ellenlangen Fluch hinterher, um seinen Einfallsreichtum zu beweisen. Trotz der üblen Situation mußte Volker vom Hohentwiel lächeln. Selbst Pierre, dessen linke Wange inzwischen noch geschwollener war und der von Zahnschmerzen geplagt wurde, verzog das Gesicht zu einem säuerlichen Grinsen. »Irgendwann muß uns doch jemand finden!« knirschte Louis, als ihm kein Fluch mehr einfiel. »Irgendwann«, stimmte Volker mit gepreßter Stimme zu. »Aber bis dahin sind die Kerle über alle Berge, und wenn ich mir vorstelle, daß Diethilde in ihrer Gewalt ist...« Er sprach nicht weiter. Er machte sich bittere Vorwürfe, daß er Diethilde mitgenommen hatte. Er ahnte ja nicht, welch durchtriebenes Luder dieses Räuberliebchen war. »Ich verstehe nicht, weshalb sie uns hier angebunden haben«, seufzte Pierre. »Ist doch klar«, brummte Louis. »Sie wollten verhindern, daß wir
ihnen folgen.« »Sie haben uns bewußtlos zurückgelassen, und zu Fuß hätten wir sie nicht einholen können.« »Vielleicht haben sie befürchtet, daß wir uns irgendwo Pferde besorgen können.« Volker versuchte mit Blasen und Kopfschütteln eine Mücke von seiner Nasenspitze zu vertreiben. Die Mücke ließ sich nicht verscheuchen. Sie schien zu wissen, daß der große Mensch die Hände nicht bewegen konnte und ein hilfloses Opfer war. Herzhaft stach sie zu. »Irgend etwas kommt mir an der ganzen Sache komisch vor«, murmelte Volker. »Ich hatte fast den Eindruck, daß sie es mehr auf Diethilde abgesehen hatten als auf die Beute. Habt ihr gesehen, wie sie sie angestarrt haben?« »Jaja«, brummte Louis. »Als wüßten sie genau, daß sie bei uns ist«, murmelte Pierre. »Beute ist bei Holzfällern ohnehin nicht zu erwarten«, sagte Louis. »Schließlich haben wir nur Holz ...« Er verstummte unvermittelt und drehte den Kopf zu Volker. »Oder gibt es da irgend etwas, in das wir nicht eingeweiht sind?« Volker überlegte, ob er den Knappen jetzt sagen sollte, was tatsächlich gespielt wurde. Wie es aussah, war der Plan ohnehin gescheitert. Was machte es da schon aus, wenn er den Knappen reinen Wein einschenkte? Der Gedanke an Wein ließ ihn schlukken. Seit er aus seiner Ohnmacht erwacht war, hatte er einen trockenen Mund, und inzwischen verspürte er quälenden Durst. »He, ich fragte mich die ganze Zeit über, was dieser blöde Holztransport soll«, sagte Louis mißtrauisch, als Volker schwieg. »Mir kommt da der Verdacht, daß mehr dahinter steckt. Hatten wir vielleicht unwissentlich mehr als Holz auf den Wagen?« Volker schüttelte den Kopf. »Es war nur Holz.« »Und Diethilde«, warf Pierre ein. »Ich vermute, die Kerle haben uns nur ihretwegen überfallen. Wenn es nicht unmöglich wäre,
könnte man fast meinen, sie hätten genau gewußt, welchen Weg sie nahm, denn der Hinterhalt war ja vorbereitet.« »Nichts ist unmöglich«, brummte Louis. »Ich erinnere nur daran, daß sie sich praktisch aufgedrängt hat. Vielleicht war sie auf der Flucht vor den Kerlen und versprach sich von uns Schutz?« Louis stellte noch einige Spekulationen an, doch er wurde aus seinen Grübeleien gerissen. Hufschlag näherte sich. Alle drei Gefesselten drehten die Köpfe. Ein Reiter galoppierte von Süden heran. Louis begann sofort zu brüllen, um den Reiter auf sie aufmerksam zu machen. Pierre vergaß seine Zahnschmerzen und rief ebenfalls laut. Dann tauchte der Reiter zwischen den Bäumen auf, die sich etwa hundert Klafter entfernt zu lichten begannen. Er trieb das Roß durch den Wald. Ihre Rufe waren gehört worden. »Den schickt uns der Himmel«, sagte Louis, als er erkannte, daß der Reiter die Richtung änderte und auf sie zuhielt. »He, das ist ja gar kein Reiter, sondern ...« »Diethilde!« rief Volker ebenso überrascht. »Die gute Fee«, murmelte Pierre. Diethilde war atemlos und wirkte aufgeregt. Ihre Bluse war zerrissen, das Haar zerzaust. Sie parierte das Roß und schwang sich behende aus dem Sattel. Aus großen Augen blickte sie zu den gefesselten Männern. Dann heftete sie den Blick auf Volker und strahlte ihn an. »O mein Gott, ich dachte schon, ich finde euch nicht.« Sie zog einen Dolch aus den Satteltaschen des Pferdes und eilte zu den Männern, um sie von den Fesseln zu befreien. Dann warf sie sich Volker in die Arme. »Himmel, habe ich eine Angst ausgestanden«, schluchzte sie. »Diese Kerle, oh, es war grauenvoll ...« Volker legte die Arme um das Mädchen, das an seiner Brust erzitterte.
»Wie konntest du ihnen entkommen?« fragte er mit belegter Stimme. Sie hob den Kopf und sah ihm lächelnd in die Augen. »Oh, das war ganz einfach. Die Kerle zwangen mich, mit ihnen zu fahren. Sie wollten erst einmal einen Vorsprung gewinnen. Sie dachten, sie hätten große Beute gemacht. Nach einer Weile hielten sie an und untersuchten die Ladung der Wagen. Doch ihr hattet ja nur Holz geladen. Sie fluchten und ließen die Wagen zurück. Sie wollten mich in ihr Versteck verschleppen ...« Diethilde verstummte mit einem Schluchzen und barg den Kopf an Volkers Brust. Volker streichelte ihr sanft übers Haar. Sie fuhr mit atemloser Stimme fort. »Der Anführer, dieser brutale Kerl - er schickte seine Männer unter einem Vorwand weg. Dann - fiel er über mich her. Doch ich konnte einen Stein packen und ihn damit niederschlagen. Ich flüchtete zu Fuß ...« »Das ist nicht sein Pferd?« fragte Volker überrascht. »Nein, es ist eines der Wagenpferde. Ich war so aufgeregt, ich wollte nur weg.« Volker nickte verständnisvoll. Er schob Diethilde sanft von sich und blickte zu den Knappen. »Wir müssen verschwinden. Bestimmt sind sie ihr gefolgt und können jeden Augenblick auftauchen. Waffenlos haben wir keine Chance.« Diethilde schüttelte den Kopf und lächelte. »Nein, so eilig ist es nicht.« »Aber die anderen werden ihren Anführer finden und ...« »Ich habe ihn gut versteckt«, erklärte Diethilde. Sie wirkte stolz und beinahe heiter. »Außerdem habe ich ihn gefesselt und geknebelt - mit meinem Spitzentuch. Es kann lange dauern, bis ihn seine Freunde finden. Gewiß warten sie lange in ihrem Versteck vergebens auf ihn, und bis sie ihn entdecken, sind wir längst in Erlenhain.« »Prächtig«, sagte Louis anerkennend.
Auch Volker fand bewunderswert, wie umsichtig Diethilde gehandelt hatte - trotz ihrer Aufregung. Irgendein Gedanke wollte Gestalt annehmen, doch noch konnte Volker ihn nicht ganz erfassen. Eine abenteuerliche Geschichte, die Diethilde da erzählt hatte. Fast schon ein Stoff, aus dem sich eine Ballade machen ließ. Doch irgend etwas störte daran. Aber was? Es war gewiß Zufall, daß ausgerechnet in diesem Augenblick das Pferd schnaubte und Volker unwillkürlich hinblickte. Irgend etwas fiel ihm an dem Pferd auf. Es war zweifellos eines der Wagenpferde, doch ... Es war gesattelt und trug Satteltaschen! Vermutlich hatte sie den Sattel vom Roß des Räubers genommen, dachte Volker. Aber warum hat sie dann nicht gleich das Pferd samt Sattel genommen? Der Gedanke bestürzte ihn. Da meldete sich wieder das mißtrauische Gefühl, das er schon einmal gehabt hatte: Als Diethilde von »seltsamer Holzfäller« gesprochen hatte. Und es fielen ihm die Bemerkungen der Knappen ein, daß sie sich ihm praktisch aufgedrängt hatte. »Wo stehen die Wagen?« fragte er nachdenklich. »Nicht weit von hier«, erwiderte Diethilde. »Ah, und der gefesselte Anführer dieser Haderlumpen ist gleich in der Nähe. Fein, dann nehmen wir den Kerl mit.« »Nein - das kostet uns doch nur Zeit.« Diethilde drängte sich wieder an ihn. »Wir sind mindestens eine halbe Stunde lang geritten, nachdem wir die Wagen zurückgelassen hatten. Ich - habe doch ein bißchen Angst, daß die Kerle ihren Anführer früher finden. Vielleicht konnte er sich auch befreien. Laß uns verschwinden.« Und leise, daß nur er es hören konnte, fügte sie hinzu. »So haben wir noch eine Nacht für uns.« Volker lächelte, und nichts verriet seine Gedanken. Jetzt roch er förmlich, daß etwas an der Geschichte faul war, die Diethilde erzählt hatte. Es gab zu viele Widersprüche.
Eine halbe Stunde lang wollte sie den schweren Sattel samt Satteltaschen geschleppt haben, um dann eines der Gespannpferde zu satteln? Nun, das war möglich, doch es paßte zeitlich nicht ganz. Volker wußte zwar nicht genau, wie lange er bewußtlos gewesen war, doch es war noch keine Stunde vergangen, seit er gefesselt am Baum zu sich gekommen war. Natürlich konnte sich Diethilde in der Zeit verschätzt haben, doch Volkers Mißtrauen ließ sich nicht mehr zurückdrängen. Auf dem Weg zu den Wagen plauderte er harmlos mit ihr, und sein Verdacht verstärkte sich immer mehr. Diese »belanglosen« Äußerungen von ihr ergaben für Volker Gewicht, während die Knappen keinerlei Schlüsse daraus zogen, weil sie keine Zweifel hegten. Sie wußten ja nicht soviel wie Volker. »Alles ging so wahnsinnig schnell, und ich war so aufgeregt«, sagte Diethilde. »Nichts wie weg, dachte ich ...« »Das war richtig«, sagte Volker lächelnd, doch er dachte: Wiederum ein großer Widerspruch. Wenn sie nur an Flucht gedacht hätte, wäre sie kaum auf die Idee gekommen, den Anführer zu fesseln und zu knebeln und den Sattel mitzunehmen. Letzteres war ohnehin unverständlich; sie hätte gleich das gesattelte Pferd nehmen können. »Walther war ganz schön sauer, als er nur Holz auf den Wagen fand, statt der Beute, die er sich gewiß erhofft hatte ...« Sie sprach den Namen aus, als sei es ein alter Bekannter, und bei »statt der« zögerte sie, als hätte sie etwas Bestimmtes auf der Zunge gehabt. »Walther?« fragte Volker in verständnislosem Tonfall. Sie lachte, und es klang etwas gezwungen. »Der Anführer. So sprachen ihn die anderen jedenfalls an.« Das war eine einleuchtende Erklärung, doch es konnte Volker nicht über die anderen Ungereimtheiten hinwegtäuschen. Später beobachtete Volker, wie sie sich mit ihrem Spitzentuch Schweiß von der Stirn tupfte. Das Spitzentuch, mit dem sie den Räuber angeblich geknebelt
hatte? Oder besaß sie ein zweites? Wiederum später, in der Nacht, stellte sie dann einige Fragen. Nach dem weiteren Fahrtweg von Erlenhain aus, wo sie die Fracht abliefern sollten, ob sie dann frei hätten oder eine andere Ladung transportieren müßten und derlei mehr. Sie ging dabei äußerst vorsichtig und geschickt vor, doch sie konnte Volker nicht mehr täuschen. Er drehte den Spieß um und täuschte sie, indem er ihr entsprechende Antworten gab. Und er war überzeugt davon, daß sie den Köder schluckte, den er ausgelegt hatte. * Roland atmete auf. Er hatte Glück gehabt. Niemand hatte mehr an Vitus gedacht. Roland hatte den gefesselten und geknebelten Räuber unbemerkt vom Wagen zwischen Büsche und Felsbrocken ins tiefe Dunkel am Fuß des Berges gebracht, der den kleinen Talkessel im Westen begrenzte. Im nachhinein hatte sich die Vorsichtsmaßnahme als überflüssig erwiesen; Roland hätte den Gefangenen auch auf dem Wagen lassen können. Die Wagen standen abseits der drei Blockhütten, die der Bande als Quartiere dienten, weit genug entfernt, und Vitus hätte sich nicht durch Geräusche bemerkbar machen können. Die Wagen wurden auch nicht abgeladen, wie Roland angenommen hatte. Er hätte eine Unterhaltung zwischen zwei Räubern belauscht, aus der hervorgegangen war, daß die Fracht am nächsten Tag, als Lieferung eines Krämers getarnt, weiterbefördert werden sollte. Die Räuber feierten in dieser Nacht den geglückten Raubzug. Sie saßen um ein großes Lagerfeuer. Roland lief das Wasser im Munde zusammen und sein Magen knurrte vor Hunger, als ihm der Duft des Wildschweins in die Nase stieg, das die Räuber am Spieß brieten und verzehrten. So gestärkt tranken die Männer und johlten,
als ein Mädchen zum Spiel zweier Musikanten tanzte, die recht eigentümlich musizierten. Ein Räuber blies in völlig unberechenbaren Zeitabständen in eine Flöte und entlockte ihr dreieinhalb Töne, deren Folge kaum als melodisch zu bezeichnen war, und sein Begleiter hieb dazu unregelmäßig mit einer Keule auf ein Holzfaß, in dem etwas blechern schepperte. Kein Wunder, daß die Tänzerin des öfteren aus dem Takt geriet und einmal fast ins Feuer plumpste. Vielleicht war sie aber auch betrunken. Sie kreischte, als sie auf einem glimmenden Ast am Rande des Feuers landete. Sie sprang auf, und ihr Tanz wurde so temperamentvoll, daß er schon an einen Veitstanz erinnerte. Einer der Räuber half geistesgegenwärtig und kippte seinen Becher mit Wein oder Met über den angesengten Popo der Dame, um das Feuer zu löschen. Ihr Kreischen ging im Johlen der Räuber unter. Ja, die Stimmung war recht ausgelassen, und Roland frohlockte. In ein paar Stunden würden die Räuber vermutlich allesamt berauscht einschlafen. Sein Blick glitt zu den Hütten jenseits des Lagerfeuers. Das Fenster der größten Hütte war schwach erhellt. Roland hatte dort Schatten vor dem Lichtschein beobachtet. Ein Mann und eine Frau hielten sich in der Hütte auf. Vermutlich Viktor, der Räuberhauptmann, und die Frau, die mit ihm gemeinsame Sache machte. Die Frau, die nach allem, was Roland belauscht hatte, zumindest das Bindeglied zwischen der Bande und dem Verräter auf Camelot sein mußte, vielleicht sogar die eigentliche Anführerin. Roland wog alle Möglichkeiten ab. Er spielte kurz mit dem Gedanken, abzuwarten, bis die Räuber schliefen, sie der Reihe nach einzukassieren, auf die Wagen zu verfrachten und mit ihnen aus dem Lager zu verschwinden. Das wäre ein tolldreister Coup! Die Fracht sichergestellt und die Bande geschnappt! Doch dann mußte Roland über sich selbst lächeln. Er war allein,
und es waren zu viele Räuber. Außerdem gab es noch die Wachen am Zugang zu dem kleinen Talkessel. So verlockend der Gedanke auch war, er ließ sich nicht in die Tat umsetzen. Vielleicht war es das beste, er wartete einfach ab, bis die Bande am nächsten Tag mit dem Wagen losfuhr, reiste als blinder Passagier mit und sorgte unterwegs für Verstärkung, auf daß die Kerle gestellt wurden. Oder er wartete gar nicht erst bis zum Morgen ab. Wenn es ihm gelang, zu belauschen, wohin die Waffen und Rüstungen weiter transportiert wurden, konnte er sich noch in der Nacht davonmachen und dafür sorgen, daß die Räuber am Zielort oder auf dem Weg dorthin geschnappt wurden. Zu Fuß konnte er über dem Berg aus dem Talkessel gelangen und ging kein Risiko ein, entdeckt zu werden. Ja, das war das sicherste. Er schlich zu der Hütte. Die tiefe Dunkelheit am Fuße der Berge war seine Verbündete. Und die Feier beim Lagerfeuer half ihm zusätzlich. Zehn Minuten später verharrte er im Schatten neben dem rückwärtigen Fenster der Hütte. Keiner konnte ihn vom Lagerfeuer aus bemerken. Die Fensteröffnung war von einer Decke verhüllt, die von Motten zerfressen war. Schwacher Lichtschein sickerte durch die Löcher. Roland lauschte mit angehaltenem Atem. Er vernahm leise und gedämpfte Stimmen. Viktor und die Frau sprachen miteinander. Doch es war nicht das, was Roland zu hören hoffte. Es war eher Liebesgeflüster. Ein recht einseitiges, aus dem hervorging, daß sie nicht so wollte wie er. Roland neigte sich zu einem der größeren Löcher in der Decke und spähte in die Hütte. Er sah einen großen, stämmigen Mann, der in seiner weinroten Samttracht, die mit Silber verziert war, wie ein Edelmann wirkte.
Natürlich täuschte die noble Hülle. Die Frau sprach den Mann mit Viktor an, und das war der Anführer dieser Verbrecherbande. Der Mann zog die Frau an sich. Mit einem leisen Lachen entzog sie sich ihm. Dabei gab sie den Blick auf Viktor frei, den sie halb verdeckt hatte. Viktors Gesicht sah nicht ganz so edel aus wie die Kleidung. Es war ein Gesicht, in dem ein ausschweifendes Leben seine Spuren hinterlassen hatte. Die breite Nase war gewiß einmal gebrochen. Unter den grauen Augen dicke, rötliche Tränensäkke. Zwei tiefe Falten kerbten die Wangen bis zu den Winkeln des schmallippigen Mundes, was seiner Miene etwas Verkniffenes gab. Die Frau konnte Roland nur von hinten sehen. Eine üppige Figur, Roland stutzte. Irgend etwas kam ihm bekannt vor. Das Kleid! In diesem Augenblick wandte sich die Frau von Viktor ab, schritt zum Tisch und schenkte sich Rotwein aus einem Krug ein. Und im Schein der Kerzen sah Ritter Roland ihr Gesicht. Es war Katharina. * Viktor verharrte und starrte die verwitwete Gräfin an. Er hielt noch eine Hand nach ihr ausgestreckt, als wolle er sie festhalten. Ringe blitzten und funkelten an seinen dicken Fingern. Langsam ließ er die Hand sinken. »Weshalb zeigst du dich so spröde, meine Süße«, sagte er ärgerlich, und seine schwarzen Augenbrauen zogen sich zusammen. »Du hast mir versprochen, daß es eine große Feier gibt, wenn die Ware da ist.« Langsam schritt er auf sie zu. Breitbeinig blieb er einen Schritt vor ihr stehen. Sie wandte sich ihm zu. Sie lächelte mit leicht geöffneten Lippen und sah ihn unter halbgesenkten Lidern an. »Du kannst es wohl kaum erwarten«, sagte sie spöttisch.
Er starrte auf das Medaillon in ihrem Ausschnitt. »So ist es. Die Ware ist da. Und nun pack deine aus.« Seine Stimme klang belegt. »Gewiß, die Ware ist da. Ihr werdet morgen früh aufbrechen, um sie zu meinem Bruder, dem kleinen Rebellen, zu bringen. So weit, so gut.« »So weit, so gut«, äffte er ihren Tonfall nach. »Soll ich vielleicht noch warten, bis dein Bruder den Aufstand gegen den Grafen von Verona gewonnen hat?« Sie schüttelte leicht den Kopf und nippte an ihrem Glas. »Weshalb strapazierst du meine Geduld?« fragte er gereizt. »Ich habe alles zu deiner vollen Zufriedenheit erledigt. Jetzt bist du an der Reihe, meine Forderungen zu erfüllen.« »Habe ich nicht gut bezahlt?« fragte sie. Er nickte langsam. »Das stimmt. Doch außer Gold und einigen Waffen und Rüstungen von der Beute versprachst du mir einen zusätzlichen Preis.« In seinen Augen glitzerte es. »Gewiß, den wirst du bekommen, wenn alles erledigt ist.« Sie prostete ihm zu. »Es ist alles erledigt worden«, brauste er auf. »Noch nicht ganz«, entgegnete sie. »Da gibt es noch ein kleines Problem, das zu einer Gefahr für mich und damit auch für dich werden könnte.« »Du meinst den Ritter, diesen Roland, der im Auftrag des Königs herumschnüffelte? Zugegeben, Kastor hat versagt. Doch jetzt ist der Ritter ebenso in der Hölle wie alle anderen des Trupps.« Sie nickte. »Es war gut, daß ich nicht auf den Schachzug des Königs hereinfiel und dich beauftragte, beide Trupps zu überfallen.« »Du hättest mehr herausfinden müssen«, sagte er mißmutig. »Du sitzt doch an der Quelle.« »Die Quelle sprudelte diesmal nicht so wie sonst.« »Jedenfalls hättest du uns ersparen können, daß ich ein halbes Dutzend meiner Männer umsonst losschicken mußte - dazu noch
Diethilde.« »Du vermißt sie wohl sehr«, sagte Katharina spöttisch. Er streckte die beringten Hände aus und legte sie auf ihre Hüften. Er zog sie an sich. »Jetzt nicht mehr«, sagte er mit belegter Stimme. Katharina hielt das halbvolle Rotweinglas vor sich, und es war für Viktor wie eine Barriere. Diese Frau brachte ihn noch um den Verstand. »Wir beide werden unermeßlich reich sein, wenn mein Bruder mit seinem Feldzug Erfolg hat«, sagte Katharina. »Es dürfte also auch in deinem Interesse sein, wenn ein letzter kleiner Schönheitsfehler beseitigt wird.« Das kühlte ihn etwas ab. Er gab sie frei und trat an den Tisch, um sich ebenfalls Rotwein einzuschenken. Hastig trank er. Dann wischte er sich mit dem behaarten Handrücken über den Mund. »Glaubst du etwa, daß meine Männer mich belügen und daß dieser Ritter noch am Leben sein könnte?« »Nein. Nach der Schilderung deiner Leute bin ich überzeugt davon, daß es keinen Überlebenden gab. Damit ist Roland keine Gefahr mehr.« »Du meinst, er hatte eine heiße Spur und bereits den König eingeweiht?« Katharina schüttelte den Kopf. »Wenn Roland etwas Hieb- und Stichfestes gewußt hätte, so hätte ich das erfahren. Und wenn er beim König nur eine Vermutung äußerte, so kann mir nicht viel geschehen. Niemand weiß, daß der Anführer der sogenannten Rebellen in Verona mein Bruder ist. Außerdem ist er auch kein leiblicher, sondern als Waise angenommener Halbbruder. Nein, auch von daher läßt sich keine Verbindung zu mir herstellen. Roland lebt nicht mehr, und sollte mich jemand verdächtigen, werde ich empört alles als lächerliche Verleumdung abtun, sollte das überhaupt nötig sein.« Viktor grinste. »Sage ich doch. Niemand kann dir etwas beweisen. Außer mir. Und ich werde natürlich schweigen, wenn du meine
Gemahlin bist.« Sie lächelte leicht und nippte an ihrem Rotwein. »Wie kommst du überhaupt zu der Annahme, jemand könnte dir auf die Schliche gekommen sein?« fragte er. »Deine Männer haben beim letzten Überfall geschludert. Einer der Transportleiter war nicht tot. Er wurde sterbend gefunden und nannte noch einen Namen.« »Etwa deinen?« fragte Viktor verwundert. »Aber den kennt doch keiner meiner Männer. Oder meinen?« »Nein, aber einen Männernamen, den man mit mir in Zusammenhang bringen könnte.« Viktor stellte sein Glas ab. Er nagte an der Unterlippe. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, und die Falten um seine Mundwinkel schienen sich zu vertiefen. »Soll ich den Kerl umlegen lassen?« »Nein, den kann ich noch gut gebrauchen, falls in Verona noch mehr Waffen benötigt werden. Aber du kommst der Sache schon näher. Es gibt noch eine Person, deren Aussage mir gefährlich werden könnte, wenn sie wiederholt wird. Zum Glück war das, was sie bisher sagte, nicht besonders präzise. Doch wenn man sie gezielt befragt, könnte sie sich vielleicht noch an etwas Genaueres erinnern. Deshalb muß sie zum Schweigen gebracht werden.« Viktor grinste. »Warum hast du das denn nicht gleich gesagt. Ich schicke sofort meinen besten Mann los.« »Nein, dein bester Mann wird für den Transport nach Verona gebraucht. Diese Aufgabe wirst du selbst erledigen. Sozusagen als Liebesdienst. Das ist der Preis, den ich fordere.« Sie spielte mit dem Medaillon und bedachte ihn mit einem lockenden Lächeln. Viktor starrte sie einen langen Augenblick an. »Also gut«, sagte er zögernd. »Wie heißt der Mann, den ich ins Jenseits schicken soll?« Katharina lächelte zufrieden und selbstsicher. Sie hatte von Anfang an keinen Zweifel gehegt, daß ihr raffinierter Plan aufgehen würde.
Und es bereitete ihr ein ungemeines Vergnügen und ein überwältigendes Gefühl der Macht, Männer wie Schachfiguren in ihrem gefährlichen Spiel hin- und herzuschieben. Auch Viktor war eine Figur für sie, und nicht mal ein König oder ein Läufer - nur ein gemeiner Bauer. Er war ein Werkzeug, dessen sie sich bedient hatte, solange sie es gebraucht hatte. Jetzt brauchte sie ihn nicht mehr. Sie dachte nicht daran, mit ihm Lager und Besitz zu teilen. Es war an der Zeit, ihn loszuwerden. Viktor würde von drei Zeugen bei einem Mord beobachtet werden. Ehrbare Leute, deren Aussagen Gewicht haben würden. »Rein zufällig« würden sie am Ort der Tat sein, und Viktor würde nach dem Mord selbst sein Leben lassen und nicht mehr plaudern können. Um Viktors Räuber würde sich das Bruderherz kümmern. Bei der Übergabe der Waffen und Rüstungen würden die Räuber ahnungslos in die tödliche Falle tappen. Niemand würde je herausbekommen, wer hinter allem gesteckt hatte. Katharina hatte lange an diesem Plan gebrütet. Zu Beginn war sie noch bereit gewesen, Viktor an dem zu erwartenden Reichtum nach den Eroberungen ihres Bruders zu beteiligen. Doch dann hatte Viktor klargemacht, daß er mehr wollte. Er wollte sie. Aber sie hatte ganz andere Pläne. Sie hatte vor, großen Hofstaat zu halten und den Reichtum in vollen Zügen zu genießen. Nicht mit diesem primitiven Räuberhauptmann an ihrer Seite, aus dem nie ein vornehmer Herr werden würde, und wenn er sich in goldene Schale warf. Nein, das war nicht der richtige Mann für die Zukunft, die sie sich vorstellte. Er hatte gesagt, daß er sie in der Hand habe und sie ihm deshalb in Zukunft gefügig sein müsse. Gefügig? Nie war sie einem Mann Untertan gewesen, sondern immer die
Männer ihr. Doch die wenigsten hatten das gewußt und sich stolz für große Herzensbrecher gehalten. Bei diesem Gedanken hätte sie am liebsten laut aufgelacht, aber sie behielt sich eisern unter Kontrolle. »Wen soll ich töten, auf daß du für immer mir gehörst?« fragte Viktor angespannt. »Eine Frau«, erwiderte Katharina. »Sie heißt Franziska und lebt in Schönau.« * Ritter Roland war noch wie betäubt von dem Gehörten. Katharina war die Verräterin! Sie ließ von Viktors Bande Waffen und Rüstungen rauben, um damit ihren Halbbruder in Verona zu versorgen, der gegen einen Verwandten von König Artus Krieg führte. Gewiß war das kein Aufstand von Unterdrückten, sondern ein großangelegter Beutezug. Und mit dem Raub der Waffen wurden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: König Artus' Verwandter wartete vergebens auf die Hilfe im Kampf gegen vermeintliche Rebellen, und Katharina sorgte dafür, daß ihr Bruder mit genau diesen Waffen gestärkt wurde. Katharina, diese Schlange, hatte alle Fäden gezogen. Die Überfälle waren zwar von Viktors Räubern begangen worden, doch im Grunde war Katharina für den Tod der vielen Männer verantwortlich. Er hatte gewußt, daß sie eine gefährliche Frau war, daß es ein Spiel mit dem Feuer war, sich mit ihr einzulassen, doch nie hätte er gedacht, daß sie so über Leichen ging. Roland lief ein Schauer über die Wirbelsäule, als er daran dachte, wie kalt sie über seinen - vermeintlichen - Tod geredet hatte. Und wie sie fast im Plauderton einen weiteren Mordauftrag gegeben hatte. Sie wollte Franziska umbringen lassen! Das werde ich zu verhindern wissen, dachte Roland. Ich werde vor Viktor in Schönau sein und ihn in Empfang nehmen. Und die Räuber müssen auf dem Weg nach Verona geschnappt und der Transport
sichergestellt werden. Dann blieben nur noch Katharina und ihr Halbbruder, denen das Handwerk gelegt werden mußte. Und der Mann auf Camelot, von dem Katharina ihre Informationen hatte. Leider war der Name nicht gefallen. Doch er mußte in Katharinas Bekanntenkreis zu finden sein. Wenn sie nach Camelot zurückkehrte, würde sie dort auf Schritt und Tritt beschattet werden und ... Ein Geräusch riß Roland aus seinen Gedanken. Er wirbelte herum, und seine Rechte zuckte instinktiv zum Schwert. Ein Schatten schnellte aus dem Dunkel hinter der Hütte auf ihn zu. Er war entdeckt! Roland duckte sich, doch er konnte dem Hieb nicht mehr ganz ausweichen. Etwas knallte gegen seine Schulter, daß er das Gefühl hatte, der Arm werde ihm abgerissen. Roland stürzte. Im nächsten Augenblick war der Schatten schon über ihm. Verzweiflung stieg in Roland auf. Ein Alarmschrei, und alles war aus. Nicht nur für ihn, sondern vermutlich auch für Franziska. Hände krallten sich um Rolands Hals. Die Luft wurde ihm knapp. Tränen schössen ihm in die Augen. Keuchende Atemzüge schlugen ihm ins Gesicht. Blindlings schlug er im Dunkeln zu. Seine Faust traf klatschend, und die Umklammerung lockerte sich. Roland hatte nur einen Gedanken: Er mußte verhindern, daß der Räuber schrie und seine Kumpane alarmierte. Er packte mit der Linken das Gelenk einer Hand, die ihn würgte, und schlug wieder mit der geballten Rechten zu. Der Gegner stieß einen ächzenden Laut aus, doch er schrie nicht. Roland riß mit der Linken die Hand des Kerls von seinem Hals. Die Rechte löste sich von selbst von seinem Hals. Roland atmete tief ein. Seine Hände Schossen vor, umklammerten den Gegner und erstickten einen Schrei, wie Roland annahm.
Im nächsten Augenblick erschrak Roland bis ins Mark. Der Räuber hatte die Umklammerung nur gelöst, um ein Messer zu ziehen. Roland spürte, wie die Klinge über seinen Handrücken ratschte. Er warf sich zurück. Der Angreifer setzte nach. Roland riß die Füße hoch und trat zu. Es gab einen dumpfen Laut, als seine Stiefelspitze etwas traf. Der Schatten taumelte zurück und sank zu Boden. Roland warf sich auf ihn, doch der Mann leistete keinerlei Gegenwehr. Er mußte ihn voll getroffen haben. Schweratmend richtete sich Roland auf. Er lauschte. Vom Lagerfeuer schallte Lachen herüber. Dort hatte man gewiß nichts von dem Kampf hinter der Hütte bemerkt. Und in der Hütte? Kein Laut war zu hören. Die plötzliche Stille zerrte an Rolands Nerven. Er spähte durch eine Loch in der Decke und atmete auf. Katharina und Viktor tranken gerade Wein. Deshalb das Schweigen. Nichts wies darauf hin, daß sie etwas von dem Kampf gehört hatten. Ein Glück, daß der Räuber nicht zu einem Schrei gekommen war. Viktor prostete jetzt Katharina zu. »Auf die Zukunft, meine Liebe.« »Auf die Zukunft«, erwiderte Katharina lächelnd. Die wird anders aussehen, als ihr Verbrecher euch das vorstellt! dachte Roland grimmig. Er zog sich zurück. Jetzt war Eile geboten. Er mußte verschwinden, sich ein Pferd besorgen und alles in die Wege leiten, damit dem Mörderpack das Handwerk gelegt wurde. Doch zuerst mußte er den Räuber aus dem Verkehr ziehen wie den anderen, diesen Vitus. Bei der Hütte konnte er zu schnell gefunden werden. Roland fand ein Taschentuch in der Hosentasche des Bewußtlosen
und band es ihm vor den Mund. Dann wuchtete er sich die schlaffe Gestalt über die Schulter und schlich durch die Dunkelheit davon. Der Mann regte sich erst, als Roland mit ihm in sicherer Entfernung von den Hütten und vom Lagerfeuer war. Er stieß ein schwaches, vom Tuch gedämpftes Ächzen aus und zappelte mit den Beinen. Roland legte den Kerl recht unsanft hinter einem Felsbrocken ab, der die Sicht auf das Lager verdeckte. Es widerstrebte ihm, den Mann von neuem mit einem Schlag auszuschalten; die gedämpften Laute waren keine Gefahr. Der Mann stemmte sich auf die Ellenbogen auf. Sein Gesicht geriet in einen Streifen schwachen Mondlichts. Roland stutzte. Er packte den Mann am Kragen und zerrte ihn weiter vor, um sein Gesicht besser sehen zu können. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Der Mann war Dietleib von Auerswald. * Dietleib starrte Roland ebenso überrascht an. »Roland!« Es klang dumpf und undeutlich hinter dem Tuch hervor. »Dreckiger Verräter«, sagte Roland verächtlich. Das Bild hatte sich abgerundet. Das letzte Stückchen des Mosaiks paßte. Katharina war die Verbindung zu den Räubern, und Dietleib von Auerswald war der Verräter auf Camelot, der ihr alle Hinweise gab, die sie für die Überfälle brauchte. Dietleib, das mußte der Name sein, den einer der Männer des überfallenen Transports noch aufgeschnappt hatte, bevor er von neuem das Bewußtsein verloren hatte. Franziska hatte von dem Sterbenden nur noch Diet... gehört, doch Blasius Schulze, der verschlafene Polizist, hatte zufällig den Nagel auf den Kopf
getroffen. So dachte Roland. In Wirklichkeit hatten zwei der Räuber über Diethilde gesprochen, doch das sollte erst später ans Tageslicht kommen. Dietleib schüttelte heftig den Kopf. »Das Leugnen nutzt dir nichts mehr«, zischte Roland. »Dein gemeines Spiel ist zu Ende. Und bald auch dein Leben.« Wiederum schüttelte Dietleib den Kopf. »... kein ... Verräter ...« glaubte Roland zu verstehen. »Gib dir keine Mühe. Ich habe belauscht, was deine Komplizin Katharina mit Viktor besprochen hat.« Roland überlegte, wie er Dietleib fesseln konnte. In Ermangelung von Stricken mußte er den Hosengürtel nehmen. Er würde den Kerl mitnehmen und in sicheren Gewahrsam geben ... Roland hielt das Messer in der Hand, und dennoch überraschte Dietleib ihn. Bevor Roland es verhindern konnte, Schossen Dietleibs Hände hoch und rissen das Tuch vom Mund. Roland sprang auf ihn zu und holte mit dem Messer aus. Dietleib ließ ihm keine Wahl. Roland war entschlossen, zuzustechen, um zu verhindern, daß Dietleib die Räuber alarmierte. Menschenleben standen auf dem Spiel. Das von Franziska und gewiß von vielen anderen Menschen, wenn der Räuberbande nicht das Handwerk gelegt wurde und Waffen und Rüstungen in die Hände von Katharinas Halbbruder fielen, die damit in einen Krieg ziehen würden. Roland holte zum Stoß mit dem Messer aus. Doch Dietleib schrie nicht. »Ich bin kein Verräter!« flüsterte er hastig und hob die Hände vors Gesicht, als könnte er damit den Messerhieb abwehren. Roland verharrte. Er drückte Dietleib die Messerspitze gegen die Brust. »Bevor du schreist, hast du die Klinge zwischen den Rippen!« drohte er. »Ich schreie nicht«, flüsterte Dietleib. Er zog die Hände vom
Gesicht und starrte Roland in die Augen. »Ich hatte Angst, du könntest die Räuber mit einem Schrei alarmieren.« Das klang glaubwürdig. Wenn Roland es recht bedachte, hätte Dietleib vor und während seines Angriffs Gelegenheit gehabt, die Räuber aufmerksam zu machen. »Ich hielt dich für einen von der Bande«, flüsterte Dietleib. »Deshalb griff ich dich an. Ich habe herausgefunden, wer der Verräter ist. Es ist Katharina.« »Ich weiß«, erwiderte Roland. »Versuch nicht, ihr die Schuld allein anzulasten. Du hast ihr die Informationen gegeben, die sie brauchte.« »Ja«, murmelte Dietleib leise und tonlos. »Diese Schuld bekenne ich.« Das Geständnis überraschte Roland trotz allem. Er hatte angenommen, Dietleib würde versuchen, sich herauszulügen. »Wir sollten verschwinden«, raunte Dietleib und sah sich besorgt um. »Wenn sie uns finden, bringen sie uns um. Ich weiß, wie wir die Bande schnappen können.« »Ich auch«, erwiderte Roland gereizt. Er vermutete, daß Dietleib irgendeinen Trick versuchen wollte. Als Komplize der Räuber brauchte er kaum Angst davor zu haben, entdeckt zu werden. Roland hatte Dietleib ohnehin mitnehmen wollen. Deshalb erklärte er sich einverstanden. »In Ordnung«, sagte er. »Verschränke die Hände im Nacken und geh vor mir her. Bei einem Fluchtversuch und beim geringsten Laut hast du das Messer im Rücken!« Dietleib unternahm keinen Fluchtversuch und verhielt sich ebenso leise wie Roland. Auf Zehenspitzen schlich er vor Roland aus dem Talkessel den westlichen Hang hinauf. Roland rutschte einmal auf einem Moospolster ab. Dietleib blieb stehen und hielt ihm die Hand hin, um ihn hochzuziehen. Roland verzichtete auf Hilfe und war auf der Hut, weil er mit einem Angriff rechnete.
Doch Dietleibs Verhalten verstärkte die Zweifel, die in Roland aufgekeimt waren. Sein Gefühl sagte ihm, daß Dietleib doch nichts Böses im Schilde führte. Dennoch blieb Roland wachsam. Unbehelligt gelangten sie über den Berg aus dem Talkessel. Roland ließ sich erschöpft von dem beschwerlichen Auf- und Abstieg und der Anspannung am Fuß einer Tanne nieder. Er gab Dietleib mit dem Schwert, das er gegen das Messer getauscht hatte, einen Wink. Dietleib setzte sich ihm gegenüber hin. »Dann erzähl mal dein Märchen«, sagt Roland. »Aber immer noch leise.« Dietleib nickte. »Die Wachtposten sind zwar am südlichen Zugang zum Talkessel, aber es könnte sein, daß irgendeiner durch die Gegend streift und uns zufällig entdeckt.« Er suchte in der Dunkelheit Rolands Blick. Das Weiße seiner Augen schimmerte. »Ich konnte dich nicht leiden, doch ich danke dem Herrn, dich lebend zu sehen«, fuhr Dietleib fort. »Sie sagten, du seist tot wie die anderen Männer des Transports.« Die Stimme klang jetzt erstickt. Dietleib schlug die Hände vors Gesicht. Seine Schultern zuckten. Ritter Dietleib von Auerswald weinte! Roland schluckte. Ein Trick, mit dem der Mann sein Mißtrauen und seine Wachsamkeit einschläfern wollte? Nein, sein Gefühl sagte ihm, daß das nicht gespielt war. Dietleib war tatsächlich erschüttert. »Und ich bin am Tod dieser wackeren Männer mitschuldig.« Mit zitternder Hand wischte sich Dietleib über die Augen. Roland sagte nichts. Er verspürte ein Gefühl, daß er nicht ganz zu erklären vermochte. Eine Mischung aus Rührung und Mitleid. Er hatte Dietleib nie gemocht, doch irgendwie sah er ihn jetzt in einem anderen Licht als zuvor. Welche Schuld er auch immer auf sich geladen hatte, er bekannte sich ehrlich dazu und litt darunter. Stockend sprach Dietleib weiter. »Ich - habe Katharina erzählt, was
sie wissen wollte. Es - es war, als hätte sie eine übernatürliche Kraft, eine Macht über mich, der ich mich nicht widersetzen konnte. Ich war verrückt nach ihr. Ich war ihr hörig. Und dann, wenn wir im Bett lagen, animierte sie mich, Kräuterlikör mit ihr zu trinken. Er enthielt irgendein Rauschmittel, wie ich inzwischen weiß. Ich - ich war nicht mehr Herr meiner Sinne. Ich fühlte mich wie schwerelos. Sie hatte leichtes Spiel mit ihren geschickten Fragen. Vielleicht habe ich sogar noch im Schlaf ausgeplaudert, was sie wissen wollte. Ich weiß es nicht. Wenn ich nach diesen Nächten erwachte, konnte ich mich an nichts Genaues mehr erinnern. Hat sie es bei dir auch auf diese Weise versucht?« »Nein«, sagte Roland. »Wir haben keinen Kräuterlikör getrunken Doch erzähl weiter.« »Als die Sache mit dem Verrat ruchbar wurde, war ich empört wie alle anderen. Ein Hundsfott von Verräter in unseren eigenen Reihen! Wie konnte ich ahnen, daß ich selbst den Verrat begangen hatte, ohne es zu wissen! Ja, ich gebe zu, daß ich sogar dich verdächtigte. Doch nach dem Mordanschlag auf dich war mir klar, daß du der Verräter nicht sein konntest. Und mir fiel ein, daß sich Katharina beiläufig bei mir erkundigt hatte, wann mit deiner Rückkehr zu rechnen sei, woher du kommst und weitere Einzelheiten. Nun, das war kein Geheimnis auf Camelot, und ich gab ihr Auskunft. Ich war eifersüchtig, weil ich dachte, sie hätte Sehnsucht nach dir. Im nachhinein fiel mir dann auf, daß sie mich ausgehorcht hatte. Ich wäre also auch an deinem Tod schuld gewesen, wenn der Mordanschlag gelungen wäre.« Roland schwieg. Dietleibs Betroffenheit war echt. Roland spürte förmlich wie die Selbstvorwürfe in Dietleib fraßen. »Als sie mich in der letzten Nacht wieder in ihrem Schlafgemach empfing, war ich mißtrauisch«, fuhr Dietleib fort. »Sie stellte zwar geschickt die scheinbar beiläufigen Fragen, doch wenn man einmal einen Verdacht hat, ist man hellhöriger. Ich war also vorsichtiger mit meinen Worten und beschränkte mich auf ausweichende Antworten. Sie drängte mir wieder den Kräuterlikör auf. Und es war wie immer.
Ein Rausch, ein süßer und doch so schlimmer Rausch. Doch diesmal verflog er schneller als sonst. Der verdammte Trunk war wohl nicht so stark wie sonst. Vielleicht lockerte er mir nicht wie sonst die Zunge. Dennoch gab ich ihr genügend Auskünfte - da will ich nichts beschönigen. Doch am Morgen konnte ich mich an einiges erinnern, was wir geredet hatten. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Ich wollte es noch nicht wahrhaben. Immer wieder sagte ich mir, das kann nicht sein.« Wieder wischte er sich mit fahriger Hand über die Augen. »Ich wollte mir letzte Gewißheit verschaffen«, fuhr er fort. »Katharina verließ Camelot mit einer Kutsche. Sie fuhr in der Dunkelheit und ganz allein. Keiner dachte sich etwas dabei, denn sie war für ihre Kapriolen bekannt. Man munkelte, sie fahre zu einem heimlichen Stelldichein. Ich dachte mir etwas anderes. Ich folgte ihr heimlich und beobachtete, wie sie sich mit einem Reiter traf. Leider konnte ich nicht belauschen, was sie besprachen. Sie muß dem Reiter alles erzählt haben, was sie von mir erfahren hatte. Dazu reichte sie ihm einen Brief, in dem gewiß das Wichtigste notiert war. Der Reiter verschwand, und sie fuhr weiter. Ich wollte mir den Reiter schnappen, um ihn auszuquetschen. Doch in der Dunkelheit verlor ich ihn aus den Augen.« Er legte eine Pause ein und atmete tief und seufzend, bevor er fortfuhr: »Ich ahnte, daß ich das Unheil verhindern konnte, wenn ich diesen Reiter abfing, bevor er preisgeben konnte, was er von Katharina erfahren hatte. Verzweifelt suchte ich nach der Fährte. Da kam Katharina mit der Kutsche. Zuerst wollte ich ihr den Hals umdrehen. Doch dann entschloß ich mich, ihr weiter zu folgen. Sie führte mich zum Versteck der Bande. Doch die Räuber hatten längst auf ihre Botschaft hin gehandelt.« »Wie bist du unbemerkt an den Wachen vorbeigekommen?« fragte Roland. »Sie hielt in der Nähe des Verstecks an und gab ein Signal für die Wachen. Da war ich gewarnt und wußte, daß das Versteck in der
Nähe sein mußte. Über den Berg im Osten gelangte ich in das versteckte Tal. Ich konnte Viktor und Katharina belauschen.« Er erzählte ausführlich, was er gehört hatte. Überrascht stellte Roland fest, daß Dietleib auch das wußte, was er selbst hatte belauschen können. Dietleib hatte an der Seitenwand der Hütte gestanden und gleichzeitig gelauscht. Erst später hatte er Roland entdeckt und für einen Räuber gehalten. Dietleib wußte jedoch viele Einzelheiten mehr als Roland. Er kannte zum Beispiel die Route, die der Transport nehmen würde. Er hielt sich ja seit etwa zwei Stunden nach Katharinas Ankunft im Räuberlager auf. »Es bleibt mir nur noch eines, um meine Schuld wenigstens zum Teil wieder gutzumachen«, sagte Dietleib mit dumpfer Stimme. »Ich werde Katharina und die Räuber zur Strecke bringen.« Und mit noch leiserer Stimme fügte er hinzu: »Und dann werde ich die Konsequenzen ziehen und meinem Leben ein Ende setzen.« »Mit ersterem bin ich völlig einverstanden«, sagte Roland. »Und das andere wirst du dir aus dem Kopf schlagen. Laß uns jetzt beraten, wie wir uns die Aufgaben teilen und alles in die Wege leiten.« * Diethilde lachte. Volker hatte gerade wieder einen »Holzfällerwitz« erzählt. Volker gab sich heiter und unbeschwert, und nichts verriet seine Anspannung. Er wußte, daß es nicht mehr lange dauerte, bis sie überfallen wurden. Er selbst hatte mit den Informationen, die er Diethilde gegeben hatte, dafür gesorgt. In Erlenhain hatte er belauscht, was Diethilde mit ihren Kumpanen besprochen hatte. Dann hatte er Diethilde angeboten, sie weiter mitzunehmen. Er sei verrückt nach ihr, hatte er gelogen. Sie hatte das Angebot nur zu gern angenommen. Sie müsse nur
noch im Gasthof die Rechnung bezahlen. Dort hatte sie die Kumpane informiert. Sie ahnte nicht, daß bei der letzten Rast die ohnehin geplanten Vorkehrungen für die Falle getroffen worden waren. Während Volker, die Knappen und Diethilde im Gasthof gespeist hatten, waren zwei der Wagen ausgetauscht worden. Sie waren nur mit ein wenig Holz zur Tarnung und Panzerung beladen und transportierten drei Dutzend gerüstete und bewaffnete Männer, die sich ja nach König Artus' Plan an diesem Ort bereitgehalten hatten, damit die Räuber gefaßt wurden. Daß der Verräter diesmal keine präzisen Angaben erhalten hatte und deshalb, um ganz sicherzugehen, beide Transporte hatte überfallen lassen, das hatte König Artus ja nicht ahnen können. »Ach, ich bin so glücklich, daß du mich noch weiter mitgenommen hast«, sagte Diethilde und schmiegte sich auf der Fahrerbank gegen Volker. »Nie werde ich die schönen Stunden mit dir vergessen, du süßer Holzfäller du.« Volker lächelte sie an, und nichts verriet seine Gedanken. Dieses verkommene Luder mit dem madonnenhaften Gesicht erlaubte sich auch noch ironische Scherze. Sie ging davon aus, daß bei der letzten Rast die Waffen und Rüstungen in Empfang genommen worden waren. Das hatte sich ja Volker, wie es aussah, entlocken lassen, natürlich nur in Andeutungen. Sie wußte genau, daß gleich ihre Kumpane zur Stelle sein würden und daß sich alles wie beim ersten Mal abspielen würde. Diesmal nur mit dem Unterschied, daß sie mit der Beute verschwinden würden. »Nie werde ich die schönen Stunden mit dir vergessen ...»Das war schon als höhnischer Abschied gemeint, »Auch ich werde dich nicht vergessen«, erwiderte Volker grinsend. »So eine wie du ist mir wirklich noch nie untergekommen.« Sie lachte, denn sie ahnte nicht den Doppelsinn seiner Worte. Und dann war es auch schon soweit. Diethildes Kumpane erwiesen sich als wenig einfallsreich. Der
Überfall lief nach der gleichen Art ab wie der erste. Eine günstige Stelle, ein Baumstamm als Blockade hinter der Wegbiegung, und dann stürmten die Räuber zwischen Büschen und Bäumen am Wegesrand hervor. »Keine Bewegung, oder ...« Weiter kam Walther, der Anführer, nicht mehr. Einer der Bogenschützen auf den beiden ersten Wagen schoß durch einen Riß in der Wagenplane seinen Pfeil ab. Der Pfeil traf Walther in die rechte Schulter. Schreiend taumelte er zurück und stürzte zwischen die Büsche. Die Räuber erstarrten vor Schreck. Die Planen der Wagen flogen hoch. Männer mit Schwertern und Lanzen sprangen von den Wagen. Ein Pfeil traf den Räuber mit der Armbrust. Röchelnd sank er zu Boden. »Gebt auf, ihr habt keine Chance!« rief Louis und sprang mit blitzendem Schwert vom Wagenbock herab. Nur einer der Räuber war vernünftig genug, die Ausweglosigkeit seiner Lage zu erkennen. Er ließ sein Schwert fallen, hob die Hände und flehte um Gnade. Sie wurde ihm gewährt. Die anderen waren so dumm zu kämpfen ... Volker blickte zu Diethilde. Sie saß starr neben ihm, mit fassungsloser Miene, und ihre Augen spiegelten das Grauen wider. »O Gott...« stöhnte sie und preßte eine Hand auf den Mund. Dann zuckte ihr Blick zu Volker, und sie begriff anscheinend erst jetzt, daß er ihr und ihren Kumpanen eine Falle gestellt hatte. Sie sprang auf und wollte vom Wagen klettern. Volker vom Hohentwiel hielt sie fest und tippte ihr sein Schwert in die Seite. »Du bleibst hier, du falsches Aas«, sagte er. »Und ich wette, du wirst mir einige interessante Fragen beantworten, bevor du im Kerker über dein verkommenes Leben nachdenken kannst.« Und so war es dann auch. Diethilde sagte alles, was Volker wissen wollte. Sie hoffte auf mildere Bestrafung, wenn sie alles verriet Namen, Zahl der Räuber, ihre bisherigen Untaten und zukünftigen
Pläne und das Versteck. Diethilde war ja über alles bestens informiert. Sie wußte mehr Einzelheiten als jeder von Viktors Räubern. Da sie mal hier und mal da nächtigte, hatte sie mal hier und mal da Einzelheiten erfahren. Nicht zuletzt von Viktor selbst. Zwei tote Räuber wurden begraben, die verletzten Räuber und Diethilde wurden von einigen Männern des Trupps als Gefangene bewacht. Volker, die Knappen und der Rest von König Artus' Mannen machten sich auf den Weg zum Versteck der Räuber. Sie waren nicht mehr sehr weit entfernt, als ein Reiter auftauchte: Dietleib von Auerswald. Roland hatte Dietleib in den Teil des Plans eingeweiht, den König Artus nur Volker und ihm preisgegeben hatte. Dietleib sollte die Männer des Königs informieren, die vermutlich vergebens auf Volker und die Knappen warteten, ohne genau zu wissen, zu welchem Einsatz sie bestimmt waren. Dietleib war erleichtert, daß Volker und die Knappen noch lebten. Er und auch Roland hatten angenommen, sie seien bei einem Überfall der Räuber ums Leben gekommen wie die Männer des anderen Transports. Roland war völlig fertig, als er diese Möglichkeit in Betracht zog. Seine Knappen und sein Freund Volker tot! Er hat Tränen in den Augen gehabt. Wie glücklich wird er sein, wenn er sie wiedersieht! Dietleib erzählte alles, was er wußte, nur eines verschwieg er: Seine Rolle bei der ganzen Sache. »Roland wird also den Räuberhauptmann Viktor in Schönau schnappen«, sagte Volker zufrieden. »Gut. Katharina ist kein Problem. Wir schicken einen Boten nach Camelot, der den König informiert, und dort wird sie gebührend in Empfang genommen. Und die Bande greifen wir uns statt im Versteck, wenn sie unterwegs mit den Wagen ist.« Sie kannten die Fahrtroute der Wagen. Sie legten einen Hinterhalt und überraschten die Bande. Es gab ein paar Tote und Verletzte,
doch dann gaben die Räuber auf. Und es gab noch eine erfreuliche Überraschung: Einer der Räuber hatte Rolands Roß geritten. »Lief doch prächtig«, zog Volker zufrieden Bilanz. »Roland wird sich freuen, seinen Hengst wiederzubekommen. Dank Dietleibs Informationen war das Ganze kinderleicht. Wo ist er eigentlich?« Dietleib war nicht mehr bei dem Trupp. Irgend jemand erinnerte sich daran, daß der Ritter nach Süden davongeritten war. »Wo mag er hin sein?« überlegte Volker. Niemand wußte eine Antwort darauf. * Mondschein tauchte die Alm in silbriges Licht. Viktor blickte zum erleuchteten Fenster der Almhütte. Diese Franziska war also da. Ganz allein sollte sie dort oben leben. Sicher eine verhutzelte, ärmliche Almbäuerin, dachte er, an der sich niemand vergreift. Das machte die Sache einfacher. Viktor hatte schon viele Menschen getötet, doch niemals eine Frau. Doch Katharina verlangte es. Bei dem Gedanken an Katharina grinste er, und sein Gesicht verlor etwas den verkniffenen Ausdruck. Wenn er diese Sache erledigt hatte, würde Katharina ihm gehören ... Ein Hund schlug an, und das helle Kläffen riß ihn aus seinen Gedanken. Die Tür der Hütte wurde einen Spalt geöffnet. Jemand spähte hinaus. Etwas Dunkles lief den Hang hinunter und flog förmlich auf Viktor zu. Viktor legte instinktiv die Rechte aufs Schwert. Dann entspannte er sich. Ein winziger, wuscheliger Hund tollte kläffend um ihn herum. »Wer ist da?« rief eine Frauenstimme. »Grüß Gott. Seid Ihr Franziska Hellwig?« »Ja.« »Ich habe einen Brief für Euch.« »Ihr könnt kommen.« Die Tür wurde aufgeschoben. Die Frau zog
sich scheinbar völlig arglos in die Hütte zurück. Viktor schritt schneller aus. Er war nur noch ein paar Klafter von der Tür entfernt, als ein dunkler Schatten auf ihn zuflog. Viktor erschrak. Es war ein großer Hund, der dicht vor ihm landete und bedrohlich knurrte. »Xaver, Leopold, gebt Ruhe!« rief die Frau aus der Hütte. Das Knurren und Bellen ging in ein Winseln über. Der große Hund trollte sich, doch der kleine sprang um Viktors Beine herum und schnappe nach seinen Stiefeln. Viktor wich aus und wäre fast gestolpert. Wütend trat er nach dem Hund. Im nächsten Augenblick stieß er einen Fluch aus. Das Hündchen schnellte an ihm hoch und biß ihn in die Hand. »Verdammter Köter!« Viktor schleuderte den kleinen Hund von sich. Der große Hund knurrte und duckte sich zum Sprung. »Xaver! Leopold!« rief die Frau in der Hütte. Viktor tastete zu seiner blutenden Hand und beeilte sich, zur Hütte zu gelangen. Er trat ein, zog die Tür zu und erstarrte. Die Frau war da. Noch dazu eine Schönheit, die er nicht erwartet hatte. Doch sie war nicht allein. Ein Mann mit einem Schwert in der Hand stand gleich neben der Tür. Viktor schalt sich einen Narren. Er hätte damit rechnen müssen, daß sich zufällig ein Besucher bei Franziska aufhielt. Viktor zwang sich zu einem Lächeln. Kein Grund zur Aufregung. Den Kerl würde er schon überlisten. »Guten Abend. Ah, Ihr seid bestimmt Herr Hellwig.« Der Mann lächelte. »Guten Abend, Viktor. Ich heiße nicht Hellwig, sondern Roland.« Und damit setzte ihm Roland das Schwert an die Kehle. Viktor erbleichte. »Ritter - Roland. Aber ...« »Du dachtest, ich weile nicht mehr unter den Lebenden? Da siehst
du, wie man sich irren kann. Dreh dich um und streck die Pfoten hoch.« Viktor zögerte. Dann ließ er die Schultern hängen und wandte sich scheinbar resigniert langsam um. Doch als Roland das Schwert etwas zurückzog, handelte Viktor. Aus der Drehung heraus sprang er Roland an. Franziska, die von Roland zum Kamin geschickt worden war, damit sie nicht in Gefahr geriet, schrie auf. Doch Roland war auf der Hut gewesen. Gedankenschnell wich er zur Seite aus, und Viktor stürzte an ihm vorbei und prallte zu Boden. Bevor der Räuberhauptmann sein Schwert zücken konnte, streckte Roland ihn mit einem schnellen Hieb nieder. Reglos blieb Viktor liegen. Roland blickte zu Franziska. »Das hätten wir«, sagte er. »Gib mir die Stricke.« Franziska brachte die Stricke, die schon für Viktors Gefangennahme bereitlagen. Roland fesselte den Verbrecher an Händen und Füßen. Als er sich aufrichtete, sah er, daß Franziska ihn lächelnd betrachtete. Er trat zu ihr. »Danke für die Hilfe.« »Das war doch selbstverständlich. Aber - ich dachte, du würdest mich mal bei anderer Gelegenheit hier besuchen - nicht nur dienstlich. Es enttäuschte mich ein bißchen, daß du nur an ihn dachtest.« Sie nickte zu Viktor hin. Roland blickte sie verblüfft an. Sein Puls beschleunigte sich. »Aber ich dachte ...« Da schlang sie die Arme um ihn und küßte ihn zärtlich wie bei der ersten Begegnung zum Abschied. »Es war ein Ritter, der mir das Herz brach«, sagte sie dann. »Nach dieser Enttäuschung flüchtete ich in die Einsamkeit der Berge. Und ich hörte vieles über dich, Roland. Deshalb wollte ich mein Herz mit einem Panzer umgeben. Deshalb schickte ich dich fort. Doch als du weg warst, sehnte ich mich schon nach einem Wiedersehen. Ich
hoffte, daß du wiederkommst. Und der Panzer? Jetzt ist er völlig geschmolzen.« Roland hielt sie in den Armen, und ein tiefes Glücksgefühl durchpulste ihn. »Ich habe viel nachgedacht«, fuhr Franziska fort. »Hier oben hat man Zeit zum Denken. Dieser Ritter damals - er wollte sich nicht binden. Und auch dich wird es wohl weiter von Abenteuer zu Abenteuer treiben. Deshalb will ich nicht, daß du mir in einem schwachen Moment etwas versprichst, was du nicht zu halten vermagst. Ich werde keine Ansprüche stellen - für die Zukunft meine ich. Ich werde glücklich mit dem sein, was mir der Augenblick schenkt.« Wieder küßte sie ihn zärtlich. In diesem Augenblick schlugen draußen die Hunde an. Roland schob Franziska sanft von sich. Er warf einen Blick zu Viktor. Der Verbrecher war noch bewußtlos. Roland eilte neben das Fenster und spähte durch einen Spalt in der Gardine hinaus. Dann stockte ihm der Atem. Er erkannte die Gestalt, die dort draußen erschrocken verharrte, als der große Xaver aus der Dunkelheit auf sie zuschnellte und knurrend vor ihr verharrte, während Leopold kläffend um die Frau herumtollte. »Katharina!« stieß Roland hervor. »Die Verräterin, die mit den Räubern gemeinsame Sache macht?« fragte Franziska. Roland hatte ihr in groben Zügen alles erzählt. »Ja. Und ich möchte wissen, was sie hier treibt.« Katharina wollte ihren hinterlistigen Plan in die Tat umsetzen. Sie hatte Viktor beobachtet, als er in der Hütte verschwunden war. Sie hatte den Aufschrei einer Frau vernommen. Viktor mußte den Auftrag erledigt haben. Jetzt wollte sie zu ihm gehen. Er würde überrascht, doch nicht argwöhnisch sein. Sie wollte ihm eine einleuchtende Erklärung geben, weshalb sie ihm gefolgt war. Und dann wollte sie ihm einen Dolch ins Herz stoßen und alles so arrangieren, daß es aussah, als hätte es einen Kampf zwischen Viktor und Franziska gegeben. Schreiend wollte sie dann ins Tal laufen und
aussagen, daß sie zufällig Zeugin des Mordes geworden sei. Ihren ursprünglichen Plan, für fremde Zeugen zu sorgen, hatte sie aus Zeitmangel aufgegeben. Sie hielt ihn auch für überflüssig. Niemand kannte sie in dem kleinen Ort, und keiner konnte eine Verbindung zwischen Viktor und ihr herstellen. »Viktor, Viktor!« rief sie jetzt. »Bist du da? Ich bin's, Katharina!« In diesem Augenblick stieß Roland die Tür auf und sprang mit dem Schwert in der Faust aus der Hütte. »Oh, Viktor, schaff mir die Köter vom Hals. Ich ...« Dann erkannte sie, daß es nicht Viktor war. Ihr Mund klaffte auf, und ihre Augen weiteten sich. Sie starrte Roland an, als sehe sie einen Geist. Doch sie faßte sich schnell. »Roland? Oh, Roland, welch ein Zufall. Ich war auf Besuch in dieser Gegend und hörte, daß du hier sein sollst. Ich hatte solche Sehnsucht nach dir und ...« »Xaver, faß!« Franziska rief es zornig aus der Hütte. Da flog der große schwarze Hund wie ein Schatten auf Katharina zu. Er riß die schreiende Frau zu Boden, In Panik schlug Katharina um sich, und ihr Kreischen hallte über die Alm. Roland verharrte an der Tür. Sekundenlang war er erschrocken. »Pfeif den Hund zurück!« rief er Franziska zu. »Er zerfleischt sie ja!« Franziska tauchte gelassen hinter Roland in der Tür auf. »Keine Sorge«, sagte sie. »Xaver beißt nicht zu. Dazu bedarf es noch eines zusätzlichen Kommandos. Aber das bleibt nun wirklich mein Geheimnis, für den Fall, daß ich dich wieder los werden möchte.« Roland mußte lächeln. Franziska hatte also für den Notfall vorgesorgt. Deshalb konnte sie es auch wagen, ganz allein auf dieser Alm zu leben. »Xaver, sei lieb!« rief Franziska. Xaver ließ sofort von der Frau ab, deren Schreie in ein Wimmern
übergegangen waren. Todesangst mußte sie ausgestanden haben. Sie rappelte sich auf. Es sah nicht gerade anmutig aus. Ihr Kleid war eingerissen. »Dein falsches Spiel ist aus«, sagte Roland. Sie warf sich herum und rannte wie von Furien gehetzt den Hang hinunter. Der kleine Wuschelhund folgte ihr, sprang um ihre Beine herum und schnappte nach ihrem Kleid. Mehrmals stolperte Katharina, raffte sich wieder auf, warf einen gehetzten Blick zurück zu Roland und rannte weiter. »Bleib aus der Reichweite des Gefangenen«, sagte Roland zu Franziska. »Ich schnappe mir die unfeine Dame, bevor sie sich aus dem Staub macht.« Roland gürtete sein Schwert und lief los. Katharina hatte einen Vorsprung von gut hundert Klafter, doch sie konnte ihm nicht entkommen. Spätestens im Tal würde er sie fassen. So lange brauchte er nicht zu warten. Katharina blieb plötzlich stehen, als wäre sie gegen ein Hindernis geprallt. Eine Gestalt löste sich aus dem Dunkel bei einigen Kiefern und trat in den Mondschein. »Dietleib!« rief Katharina. Sie lief auf ihn zu, mit vorgestreckten Armen, und wollte sich ihm an den Hals werfen. »Hilf mir, Geliebter!« Dietleib benahm sich nicht wie ein Kavalier. Sein Zorn auf diese Frau, die ihm so übel mitgespielt hatte, war so groß, daß er sämtliche Manieren und alle Ritterlichkeit vergaß. Ungerührt wich er im letzten Augenblick zur Seite. Katharina strauchelte auf dem Hang, wurde von ihrem Schwung weiter gerissen und schlug der Länge lang hin. Bäuchlings schrammte sie noch ein Stück den Hang hinunter. Dietleib trat zu ihr und starrte auf sie hinab. Er zog sein Schwert. »Dietleib!« rief Roland entsetzt und hetzte auf ihn zu. Dietleib wandte den Kopf. »Ich hab' dich schon gesehen, Roland. Keine Sorge. Dieses Drecksstück ist meines Schwertes nicht würdig.
Das Schwert ist für mich bestimmt, da jetzt alles erledigt ist.« Roland zog sein Schwert und war mit zwei langen Sätzen bei Dietleib. »Sei vernünftig!« »Du kannst mich nicht daran hindern!« keuchte Dietlieb. »Und ob!« Roland griff an. Dietleib parierte den Schwerthieb. Wütend konterte er. Hell klirrten die Schwerter, und Funken stieben. Dietleib war ein guter Schwertkämpfer, und Roland hatte einige Mühe. Doch dann lenkte Katharina Dietleib ab. Sie sprang auf und wollte flüchten. Dietleib sah es aus den Augenwinkeln und schlug sie mit der Breitseite der Klinge nieder. Dann wirbelte er zu Roland herum. Darauf hatte Roland nur gewartet. Mit wuchtigem Hieb schmetterte er Dietleib das Schwert aus der Hand. Dietleib rutschte aus und stürzte. Er starrte zu Roland empor. »Stoß schon zu!« keuchte er. Roland schüttelte den Kopf. »Jetzt hör mir mal gut zu. Du hast nicht wissentlich Verrat begangen. Du hattest das Pech, auf eine falsche Schlange hereinzufallen. Das ist deine ganze Schuld. Und als du deinen Fehler erkanntest, hast du alles getan, um ihn wiedergutzumachen.« »Ich kann mit der Schmach nicht leben«, sagte Dietleib gepreßt. »Stoß zu!« »Bist du ein Ritter oder ein Feigling? Denn es bedarf mehr Mut, Problemen, und seien sie noch so groß, gefaßt ins Auge zu sehen und sie zu meistern, als vor ihnen zu fliehen. Wenn du ein Ritter bist, stellst du dich den Richtern auf Erden. Wenn du ein Feigling bist, dann nimm dein Schwert und flüchte in den Tod. In diesem Fall bist du meines Schwertes nicht würdig!« Damit gürtete Roland sein Schwert und wandte sich ab. Er durchlebte bange Sekunden voller Anspannung. Wie mochte Dietleibs Entscheidung ausfallen? Niemand würde ihn jemals von einem Selbstmord abhalten können. Irgendeine Gelegenheit würde er
immer finden. Er allein mußte die Entscheidung treffen, und Roland konnte nur hoffen, daß seine bewußt verächtlich gesprochenen Worte den Mann zur Besinnung brachten. Er lauschte angestrengt und dachte schon, Dietleib würde sein Schwert ergreifen und sich töten. »Wir - müssen sie fesseln«, rief da Dietleib recht lebendig. »Hast du Viktor?« Roland verharrte. Er lächelte. Dietleib hatte die richtige Entscheidung getroffen. »Ja«, sagte er aufatmend. »Ich habe Viktor.« »Die anderen haben wir auch geschnappt«, sagte Dietleib. »Deine Knappen und Volker leben. Und dein Pferd haben wir auch. Die Räuber hatten es mitgenommen. Volker veranlaßt, daß Katharinas Bruder geschnappt wird, wenn er vergebens auf den Transport wartet. Statt Waffen und Rüstungen zu bekommen, wird er in Ketten gelegt werden.« »Welch gute Kunde!« sagte Roland bewegt. »Dies ist wohl der Tag der schönsten Überraschungen.« Er schritt zu Dietleib, der immer noch am Boden hockte. Er reichte ihm die Hand. Dietleib ergriff sie zögernd. »Ich wußte, daß du dich für den Weg eines Ritters entscheiden wirst«, sagte Roland in überzeugtem Tonfall, obwohl er sich dessen nicht ganz sicher gewesen war. »Verzeih meine Worte.« Damit zog er Dietleib hoch. Dietleib drückte Rolands Hand noch einmal, bevor er sie losließ, und Roland spürte, daß es ein stummer Dank war. Dietleib setzte verlegen zu einer Erklärung an. »Ich - ich weiß nicht, weshalb ich erst durch deine Worte ...« »Vertrödeln wir nicht unsere Zeit«, unterbrach Roland ihn schnell. »Wir sollten uns beeilen, die Gefangenen nach Schönau zu bringen. Blasius Schulze wird sie getrennt einsperren. Und morgen bringst du sie nach Camelot und legst sie dem König zu Füßen.« »Und mich kannst du dann gleich dazu legen«, sagte Dietleib mit
einem gezwungenen Lachen. Es sollte wie Galgenhumor klingen, doch Roland hörte die Bitterkeit aus Dietleibs Worten heraus. »Irrtum«, sagte er. »Was du dem König zu erklären hast, kannst du ihm selbst sagen. Und zwar im Stehen. Ich sagte, du lieferst die Gefangenen an. Auf meine Begleitung wirst du leider verzichten müssen.« Dietleib starrte ihn an. Seine Miene war verständnislos, dann stahl sich ganz langsam ein Lächeln um seine Lippen. Roland spürte, daß Dietleib zutiefst bewegt war ob des Vertrauens, das ihm entgegengebracht wurde. »Und ich konnte dich nicht leiden!« entfuhr es Dietleib. »Ich dich auch nicht«, bekannte Roland lächelnd. »So kann man sich irren«, sagte Dietleib verlegen. »So kann man sich irren.« Sie blickten sich in die Augen, und sie wußten, daß die Zeit der Feindschaft vorüber war. »Aber weshalb willst du nicht mitkommen?« fragte Dietleib schließlich. Roland dachte an Franziska. Gewiß würde sie ihn zum Essen einladen. Und diesmal würde sie ihn nicht nur einen Tropfen von ihrem guten Wein nippen lassen. Und dann war da auch noch Edeltraut. Er hatte ihr sein Wort gegeben. Er mußte sich zumindest von ihr verabschieden. Er lächelte. »Hier gibt es noch allerhand für mich zu tun.«
ENDE
»Wer wagt es, mich in meiner Ruhe zu stören?!« brüllte der Burggraf. Aus verquollenen Augen starrte er seinem Sohn Walram entgegen, dessen harte Schritte über den Steinboden der Halle polterten. Wulf von Wolfeneck spuckte auf den mit Essensresten bedeckten Tisch, als er seinen Ältesten erkannte. »Wo treibst du dich herum, Haderlump?« »Spiel dich nicht so auf!« brüllte Walram zurück. »Ich weiß, um was es geht. Ich soll eins von den Weibern von Ludgershall heiraten, damit die Ludgershaller Ruhe vor unseren Schwertern haben. Aber, beim Sensenmann, ich werde weiterhin jedem Ludgershaller, der mir seine Visage in den Weg hält, die Kehle durchschneiden!« »Du hast recht«, gurgelte der betrunkene Vater. »Aber laß dir meinen Plan erklären. Es soll nämlich keine richtige Hochzeit werden, sondern eine Bluthochzeit. ..«
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