KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
FRITZ
HEFTE
BOLLE
Mit der Fangflotte u...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
FRITZ
HEFTE
BOLLE
Mit der Fangflotte unterwegs in die Antarktis
V E R L A G S E B A S T I A N LUX MURNAU • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • ÖLTEN
lo—o—o—o—w— ah — blo —o—o—o—w ! „Er bläst! — Da! — Er bläst!" Ein langgezogener, gellend-singender Ruf tönt hoch aus den Masten über Deck des Walfangschiffes „Kattegatt", das irgendwann in den vierziger Jahren des vorigen J a h r hunderts unter leichtem Wind und blauem Himmel durch die Weiten des Stillen Ozeans südwärts segelt. „Bio—o—o—o—w! Bio—o—o—o—w— ah — blo—o— o—o—-o—w!" Wal in Sicht! Ein Ruf, den alle kennen, die in jenen Tagen auf den Meeren die Riesen der Tiefe jagen. Der Mann im Krähennest haushoch oben im Topp „singt" einen Wal „aus". Und wie ein elektrischer Schlag geht es durch die „Crew", die aus Fahrensleuten aller Länder zusammengewürfelte Mannschaft. Der Kapitän des Walfängers stürzt aus dem Kartenhaus, das Fernrohr in der Hand, und laut ruft er hinauf zum Topp: „Wo hinaus?" Alle Männer an Bord starren gebannt zum Krähennest, aus dem jetzt die Antwort herunterschallt, während die Hand des Mannes da droben in nördliche Richtung weist: „Dwars an Lee" — „Anderthalb Meilen ab!" Quer auf der vom Wind abgekehrten Seite also — über zweieinhalb Kilometer entfernt, so würde die Landratte in diesem Fall sagen — hat der Ausguckposten auf dem obersten Ende des Großmastes die Atemwolke eines Wales gesichtet. — Nun wird es lebendig an Deck. Der Kapitän entert blitzschnell zum Ausguck auf, und mit Donnerstimme kommt sein Kommando: „Alle Mann an Deck! — Klar bei den Booten!"
Was folgt, ist ein wildes Durcheinander — wenigstens möchte es dem Uneingeweihten so scheinen. Wer aber je auf einem Walfangschiff gefahren ist mit einer Crew alter Waljäger, denen die Stürme aller Meere auf jahrelangen wilden Fahrten in die Jagdgründe um die Ohren wehte, der weiß, hier tut keiner einen Handschlag zuviel, keiner einen Schritt zuwenig. Und schon folgen die Kommandos, werden die Davits •—• die Krane, an denen die Fangboote hängen — ausgeschwungen, wird die Großrah, an der das unterste und größte Segel des Großmastes hängt, backgeholt; schon schweben die Boote über dem Wasser, stehen die Männer, eine Hand hoch auf der Reling, einen Fuß schon auf dem oberen Bootsrand, und erwarten die erste Jagd dieser Fahrt. „Alles klar?" kommt die Stimme des „Alten", der jetzt im Krähennest sitzt, um seine Boote gegen den Wal einsetzen und lenken zu können wie ein Feldherr seine Truppen. „Alles klar, Sir!" tönt es von den Booten zurück. „Ausschwingen!" schallt es über Deck und „Fier weg die Boote!" Schon fallen die langen Walboote ab; mit einem einzigen Satz sind die Männer über die Reling; acht für jedes Boot, sechs Ruderer, ein Steuermann, ein Harpunier. Schon klatschen die Boote aufs Wasser. Die Matrosen springen vom schlingernden Schiff aus hinterher und hinein ins Boot, mit einer Schnelligkeit und Gewandtheit, wie nur Walfänger sie haben. Ein paar geschickte Manöver mit dem großen Steuerriemen bringen die Boote von der Schiffsseite frei, der Mast wird aufgerichtet, das Segel gesetzt, und nun jagen die Walboote dahin über die weite Wasserfläche, über die rollenden Wellen, dem Wal entgegen, zum Kampf mit dem größten Tier, das diese Erde trägt. Fünf Boote in breiter Front, weiße Segel unter blauem Himmel über grünen Wogen, in jedem Boot vorn im Bug der Harpunier, die hellen Augen im wettergebräunten Gesicht funkelnd vor Freude auf diese Jagd. Scharf wird ausgespäht dorthin, wo jetzt wieder wie eine fremdartige Fontäne der „Dampfspaut" des ausatmenden Wales in der klaren kühlen Luft emporsteigt. Die Spannung wächst — jetzt müssen sie heran sein. „Fier auf die Schot", kommt fast leise das Kommando des Steuermanns, der doch sonst wahrlich laut genug schreien kann; schon läuft die Segelleine ab, dreht sich das Segel, flattert kraftlos ein wenig 3
hin und her; langsam wird die Fahrt des Bootes, jetzt schlingert es in der Dünung, und ebenso still liegen die anderen vier Boote. Leise, oh, so leise ist es jetzt bei den Männern, hier bedarf es keiner wilden, blutrünstigen Drohungen, wie sie der Steuermann wohl Neulingen im Walboot zuraunen muß, daß sie nicht reden oder mit den Füßen scharren. Die hier in den Booten sitzen, wissen, wie feinhörig der Wal ist, wie leicht er durch das geringste Geräusch „gallied" — erschreckt — wird und dann auf Nimmerwiedersehen wegtaucht. Regungslos sitzen die Männer, sie wissen, hier irgendwo muß der Wal jetzt hochkommen, wenn er atmen will. Immer noch dümpeln die Boote in der langen Dünung. Minute auf Minute verrinnt. Da steigt im Großtopp der „Kattegatt", von dem aus der Kapitän seine Boote, den Wal und das Jagdgelände wie von einem Hügel aus übersehen kann, eine große rote Fahne auf, das Kommando, daß die Segel erneut gesetzt werden sollen, und schon jagen alle fünf Boote durchs Wasser, dem Wal zu, der keine tausend Meter gerade voraus ahnungslos auftaucht und „bläst". Ein ungeheuerliches Schnauben erfüllt die Luft, fünf, sechs Meter und mehr steigt dröhnend der Dampfstrahl hoch, als das erste Boot herangeschossen kommt. Da — da ist der I breite, gewölbte Rücken, naß und schwarzblau glänzend ragt er knapp einen Meter aus den glitzernden Wellen. Und dann — gellend der Schrei des Steuermanns „Give it to him!" — „Gib'sihm!" Hochaufgerichtet steht der Harpunier, in der Faust wie eine Lanze die tödliche Waffe, an der die ; rasiermesserscharfe, mit starken Widerhaken versehene Schneide in der Sonne funkelt. Mit wilder Kraft schleudert er die Harpune, und blitzschnell mit derselben Beherrschung jeder Faser des muskulösen Armes die zweite. Wie eine Schlange fliegt die lange. Leine durch die Luft, an der die Harpunen befestigt sind. Vierhundert Meter ist sie lang, I diese Leine, die im Heck des Bootes zu einem runden Stapel 1 dichtgepackter Scheiben „aufgeschossen" liegt. Ein k u n s t - i voller Bau dieser Stapel, fast ein Meter im Durchmesser. Vom Stapel aus durchzieht die Leine in verzwickten Windun- • gen das ganze Boot, ehe sie mit der Harpune verbunden ist. 4
Fieberhaft ist die Erregung an Bord und wild das Bild, das die eben noch so friedliche Wasserfläche bietet. Der riesige Körper des getroffenen Wales bäumt sich auf, mit fürchterlichen Schlägen peitscht seine gewaltige „Fluke", die mächtige Schwanzflosse, das Wasser. „Hol ein Stecken und Segel", schreit der Steuermann, der den Platz mit dem Harpunier gewechselt hat. Die anderen hören den Ruf. Sie wissen, der Wal ist „fest", und mit schnellen Ruderschlägen kommen sie heran, zu helfen. Noch ein krachender Schlag mit der fürchterlichen Fluke, dann taucht der Wal. Jäh läuft die Leine ab, das Boot fliegt über das Wasser dahin, gezogen von dem getauchten Riesen. Tief senkt sich der Bug, nimmt Wasser über, krampfhaft halten die Männer sich an ihren Duchten, den Ruderbänken, fest. Da — der Zug läßt nach, die Bootsspitze taucht wieder auf, schlapp hängt die Leine herab. „Holt ein die Leine!" — Hand über Hand wird sie hereingezogen und in großen Windungen „aufgeschossen". Gleich wird der Wal wieder auftauchen. Da ist schon der riesige Kopf des Meeresgiganten, er hebt sich aus der Flut, zischend und brausend atmet er aus, stöhnend fast klingt das ziehende Einatmen, das jetzt viel schneller folgt als vorhin. Das verwundete Ungeheuer rast vor Erregung. Da wendet es sich um, dem Boot entgegen! „Pullt, Jungs, pullt! Pullt, Kerls, pullt — so ist's recht, meine Herzchen — zuuu-gleich — zuuuu-gleich! Pullt und wenn euch das Kreuze bricht — zuuuu-gleich — zuuuugleich! Wollt ihr wohl, ihr Lorbasse, pullt . . ." Wie ein Besessener schreit der Steuermann, mit aller Verzweiflung arbeiten die Männer an den Riemen, hier geht es um das nackte Leben! Heraus aus dem zermalmenden Bereich des sich wälzenden Wals, um den die Fluten brodeln und spritzen, als kochten sie. Grauenhaft hört sich das immer schneller werdende rasselnde, schnaubende, zischende Atmen des Untiers an, das sich zu Tode tobt. Da aber ist das zweite Boot heran, wieder blitzen die Harpunen durch die Luft, und wieder taucht der Wal mit einem donnernden Schlag seiner Fluke. 5
Zwei Boote hat er jetzt im Schlepp, und es bedarf aller Kunst der Männer, den drohenden Zusammenstoß zu verhindern, denn diese Fangboote haben verdammt dünne Wandüngen. Schon aber taucht der Wal wieder auf, rast aufs neue wie toll, wälzt sich hin und her, sich immer mehr in die Leinen verstrickend, peitscht das Wasser mit fürchterlichen Schlägen der Fluke, daß mächtige Wellen aufsteigen und Schaum und Gischt weit umherspritzen. Aber immer noch zeigt er nicht die „rote Flagge", noch ist kein Blut in seinem Atemstrahl, immer noch bleibt der Dampfspaut weiß. „Holt ein die Leine!" brüllt jetzt der Steuermann vorn im Boot und faßt die Lanze fester, denn jetzt ist er dran! Der Harpunier macht den Wal nur „fest", der Bootsführer aber tötet ihn. Der Steuermann hat erkannt: es ist soweit! Immer näher kommt das Boot dem bedrohlich sich wälzenden schwarzen Rücken; jetzt stößt es an, und nun geschieht das Furchtbare: Mit einem wilden Fluch jagt der Bootsführer zielsicher die lange scharfe Lanze bis ans Heft in den nassen dunklen Körper. Das letzte Drama des entsetzlichen mörderischen Kampfes mit dem schwerverwundeten Tier beginnt, das blitzschnelle Ausweichen des Bootes vor den tödlichen Schlägen der Fluke, das ebenso schnelle Heranpullen, damit der Steuermann zum nächsten Stoß ausholen kann. Jedem Stoß folgt neues Rasen. Immer noch heißt es Ausweichen. Und dann noch einmal „Heran!" — Aber da •— da ist die „rote Fahne" — Blut im Atemdampf. Und dann hat der Riese ausgelitten, die furchtbare Arbeit ist getan. Der stundenlange Kampf, der in jeder Sekunde Boot und Mannschaft verderben konnte, ist vorbei. Nun atmet alles auf, Lachen und Johlen klingt aus den Booten — leblos treibt der Wal auf dem Wasser. Ein Loch wird in die mächtige Schwanzflosse geschnitten, eine Leine darin befestigt. Dann schleppen drei Boote den erlegten Riesen dem Schiff entgegen. Die „Kattegatt" rauscht heran, schwere Ketten werden rasselnd herabgelassen; der Wal wird mit dem Kopf am Heck und mit dem Schwanz dem Bug zu längsseits festgemacht. Jetzt eine Pause zur Erholung nach dem schweren Kampf und zur Stärkung. Jungs, es gibt gebratenes Walsteak! Ein Schifferklavier klingt auf, und über das Deck tönt das Lied der Walfänger: 6
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„Der Käpt'n stand auf seiner Schanz, kiekt durch sein langes Rohr. Er schaute sich die Wale an und kommt sich wichtig vor. An die Brassen, Jungs, und rum die Ra', hinein mit euch ins Boot, den allerdicksten Walfisch, ja, den fangt und schlagt ihn tot. Und lustig, Jungs, und kaltes Blut und jagt den Wal und trefft ihn gut — und jagt den Wal und trefft ihn gut!" Vorbei ist die Pause — von nun an gibt es keine ruhige Minute mehr an Bord. Die harte Arbeit beginnt. Zuerst kommt das Flensen oder Einschneiden. Am Großmast werden zwei schwere Rollen angebracht. Starke Taue laufen hindurch, deren Enden am Gangspill, an der Ankerwinde, befestigt sind, ein anderes Tau aber hängt über Bord herab. An ihm wird der mächtige Kopf befestigt, der die kostbaren „Barten" enthält, aus denen man Fischbein macht. Bis zu den Halswirbeln wird der Kopf emporgewunden und dann am Genick vom Körper getrennt. Es ist eine schwere Arbeit, dieses Durchschlagen der Wirbelsäule mit der Axt, bis die riesige Masse frei ist und sich langsam höher und höher hebt. Taue und Rollen ächzen unter der schweren Last — jetzt schwebt der Kopf des Wales über dem Deck. Der große Moment ist da, einen Augenblick lang stockt alle Arbeit, und über das ganze Schiff hinweg dröhnt aus allen Kehlen der alte Jagd- und Siegesruf der Walfänger: „Five and fourty more! Hurrah for five and fourty more!" — „Hurra für fünfundvierzig mehr!" Dieser Höhepunkt des Walfanges ist aber zugleich der Schluß der wilden Romantik von Kraft und Mannesmut. Was nun folgt, heißt Arbeit, schwerste, schmutzigste Arbeit. Aber so wie das rauhe, wilde und ungebundene Leben der Walfänger sein eigenes Gesicht hat, so auch ihre Arbeit. Schmale Gerüste, die „cutting stages", werden an starken Tauen 7
herabgelassen und hängen außerbords über dem Wal. Auf ihnen stehen die Speckschneider, die mit langstieligen, sehr scharfen Spaten um den Körper herum,' über den Rücken und Bauch meterbreite Streifen des „blubber", der rötlichweißen Fettschicht, abstechen und jeden der so entstehenden „blankets" an einem Tau befestigen, an dem er aufgewunden wird. Durch abwechselndes „Hieven" — Aufziehen — und „Fieren" — Ablaufenlassen — der beiden Gangspills dreht sich der Walkörper ständig den Arbeitenden zu; die Speckschneider helfen mit ihren scharfen Spaten nach und trennen den Speck, bis aller „blubber" in schraubenartig gewundenen Streifen abgeschält und an Deck geheißt ist. Dann kommt das Kommando „Hol ein die Leinen — laß treiben den Kadaver!" Der abgeschälte Leichnam, immer noch ein Koloß, wird von den Wellen davongeführt, willkommener Fraß für Haie und Seevögel. Der Walfänger zieht weiter seines Weges. Aber die Arbeit an Deck ruht noch lange nicht. Mit Schreien und Schimpfen, Lachen und Fluchen wird sie getan. Die „Schanties" der Matrosen, ihre Lieder zur Arbeit, sind nicht für feine Ohren. Nach dem Aufwinden sind die „blankets" oder „Deckstücke" in die „Last" im Zwischendeck gebracht worden, wo sie mit Pike, Kuhfuß und Kapmesser zu „Vinken" zerkleinert werden. Diese Stücke übernimmt dann der „mincer". Er schneidet sie mit unglaublicher Geschwindigkeit so zu, daß die einzelnen Scheiben wie die Blätter eines Buches — der Walfänger nennt sie deshalb auch „Bibelblätter" — voneinander abstehen. Je dünner der „mincer" schneidet, desto besser, denn um so schneller und ergiebiger kocht sich dann das Öl aus. Die Kocherei mit den beiden Kupferkesseln, deren jeder mehrere hundert Liter faßt, steht in einem gemauerten Herd zwischen Vormast und Großmast. Hierhinein wandern die „Bibelblätter", hier werden sie ausgekocht. Ein mächtiges Feuer brennt Tag und Nacht unter beiden Kesseln, das erstemal angefacht mit den Spänen und Holzabfällen, die der Schiffszimmermann während der Fahrt dorthinein gestopft hat, anfangs auch wohl mit Treibholz oder Kohlen unterhalten. Dann aber wird das Feuer mit „cressets", den 8
übrigbleibenden Stücken des ausgekochten „blubbers" genährt, die auch nachts als düster und fettig qualmende Fackeln das Deck beleuchten. Ein „hopper" nach dem andern, Kästen, in denen die kochfertigen Speckstücke zum Herd transportiert werden, kommt in die Kessel, in denen das Öl brodelt und zischt. Ein unvorstellbarer Betrieb herrscht am Tage und während der Nacht an Deck und in der Last. Und immer wieder dasselbe: Schneiden, mit den „hoppers" die „mincen" heranschleppen, Kochen, Abfüllen und Wegrollen der Fässer. „In ihren schlechtesten Kleidern, halbnackt, tanzend und singend, sich jagend und ihre Gerätschaften schwingend, triefend von Tran und rußig wie die Teufel" — so schildert ein Naturforscher, der an Bord eines Walfängers mitgefahren ist, diesen wahrhaften Höllentanz. „Um den Herd tummeln sich die Schiffsleute. Ein doppelt reges Leben herrscht überall an Bord. Überraschend zumal ist der Anblick dieses Treibens des Nachts, wenn in erhöhten eisernen Körben ein Haufen ausgesottener Speckstücke lustig brennt und die lodernden Flammen grelle Streiflichter auf das Deck, die schwarzen Rauchwolken, die ragenden Masten mit ihren Segeln und weit hinaus auf die Wellen werfen. Am Tage verraten mächtige Rauchmassen im Gesichtskreise einen auskochenden Walfänger lange, bevor man das Schiff selbst in Sicht bekommt."
Eine Romantik eigener Art liegt um dieses Walfängerleben, wie es vor hundert Jahren war, als das Segelschiff und das dünnwandige Walboot — wahrhaftig eine Nußschale gegenüber den wilden Wellen und dem Toben des verwundeten Wals —, als die von starker Hand geworfene Harpune und der Ruderriemen die einzigen Waffen im Kampf gegen den riesigen Herrscher des Ozeans waren. Heute freilich ist diese Romantik verschwunden — geblieben aber ist der eigenartige Schleier des Geheimnisses, der immer noch um das Leben der Wale webt. Von keinem Tier der Erde wer9
den wohl so viele Fabeln erzählt und so viele Irrtümer verbreitet wie vom Wal. Immer noch meinen viele, die „Walfische" seien wirkliche Fische. Selbst sonst in der Naturkunde Erfahrene huldigen dem alten Irrtum, Wale gebe es nur in der Arktis, im hohen Norden also, und sie spritzten Wasser, wenn sie „blasen". Daß schließlich durchaus nicht alle Wale Meeresbewohner sind, sondern daß es auch Süßwasserwale gibt, das wissen eigentlich nur die Zoologen. Darum lohnt es sich wohl, die Naturgeschichte der Wale etwas aufzuhellen. Seehund, Seelöwe und Walroß leben im Meer wie der Wal, aber sie haben jederzeit die Möglichkeit, an Land zu gehen. Sie sind in beiden Bereichen zu Hause. An Land ruhen sie aus; hier versammeln sie sich zu gewissen Zeiten in riesigen Scharen. Sie sind zwar nicht sehr geschickt auf festem Grund und Boden. Auf schnellstem Wege rutschen sie dem rettenden Wasser zu, wenn ihnen Gefahr droht. Aber sie sind eben doch noch dem Land verbunden, dem Lebenselement aller Säugetiere. Auch die Wale sind Säugetiere, denn wie Affe und Löwe, wie Pferd und Kamel, wie Elefant und Hirsch bringen sie lebendige Junge zur Welt und ernähren diese Jungen mit Milch — aber sie leben ganz und gar im Wasser. Fische sind sie deshalb nicht, weil sie durch Lungen atmen und eine eigene Körperwärme haben. Niemals wäre ein Wal in der Lage, das Wasser zu verlassen und sich außerhalb des nassen Elements zu bewegen. Diesem völligen Wasserleben ist ihr Körperbau und ihre Lebensweise so trefflich angepaßt, daß sie in der Tat wie Fische aussehen und darum jahrhundertelang und wohl auch heute noch von Unwissenden für Fische gehalten werden. Daß sie Fische sein könnten, hat vielleicht mancher auch deshalb geglaubt, weil dem Wal das Haarkleid fehlt, das allen anderen Säugetieren, und nur diesen, eigen ist. Heute weiß die Wissenschaft, daß auch der Wal ursprünglich ein solches Haarkleid getragen hat, daß es aber, eben in Anpassung an . das Wasserleben, nach und nach verschwunden ist. Den Wärmeschutz für den Körper hat dann an Stelle der Haare die dicke Speckschicht übernommen. Aber noch eine weitere Eigenschaft schien für die Fisch- . natur der Wale zu sprechen. Alle Säugetiere haben bekannt10
lieh vier Gliedmaßen, die meist auch zu viert der Fortbewegung dienen. Wenn das Känguruh nur auf seinen Hinterfüßen springt, die Fledermäuse ihre Vordergliedmaßen in Flügel umgewandelt haben, mit denen sie fliegen, so ist doch auch bei ihnen die Vierzahl der Gliedmaßen noch vorhanden. Bei den Walen scheint das nun ganz anders zu sein. Wenn sie wirklich Säugetiere sind, dann müßte sich doch auch bei ihnen die Vierzahl nachweisen lassen. Das ist nun anscheinend ganz und gar nicht der Fall. Tragen die Wale doch Brustflossen und achtern eine mächtige Schwanzflosse, mit der sie sich fortbewegen. Flossen aber haben doch nur die Fische! Also spricht auch dieser Grund dafür, daß die Wale Fische sind. Aber schon diese Schwanzflosse, Fluke genannt, gibt zu denken. Denn sie steht waagerecht, wie es in dieser .Form in der ganzen Tierwelt nicht wieder vorkommt, vor allem nicht unter den Fischen, deren Schwanzflosse immer senkrecht gerichtet ist. So hebt sich also der Wal schon durch diese seine Antriebsflosse klar von den Fischen ab. Die Wissenschaftler haben zudem auch nachgewiesen, daß die Brustflossen der Wale, seitlich gerichtete Platten, im Grunde nichts anderes sind als verwandelte Vordergliedmaßen, und daß auch die Hintergliedmaßen in einer letzten Erinnerung noch vorhanden sind: dort nämlich, wo bei allen anderen Säugetieren Becken und hinteres Beinpaar sitzen, finden sich beim Wal, in das Muskelfleisch eingebettet, ein paar winzige Knochen als „rudimentäre Organe", wie die Wissenschaft solche verkümmerten letzten Reste ehemals gebrauchsfähiger Organe nennt. Auch beim Menschen kennt man solche rudimentären Organe. Das bekannteste ist der Wurmfortsatz des Blinddarmes, der offenbar nur noch zu dem Zwecke da ist, sich zu entzünden, um dann operiert zu werden. Wir kommen nach alledem zu dem Schluß, daß die Wale im Reiche der Säugetiere nur scheinbar eine Ausnahme bilden. Die Brustflossen, äußerlich eine einzige geschlossene Platte, erweisen sich bei der zergliedernden wissenschaftlichen Untersuchung als richtige „Arme", bei denen allerdings der Oberarmknochen sehr verkürzt ist und die Unterarmknochen Speiche und Elle ebenfalls sehr kurz und sehr breit sind. Während diese Brustflossen das Steuerorgan des 11
„Unterseebootes" Wal sind, ist die waagerechte Schwanzflosse das Antriebsorgan. Es wird nicht von irgendwelche! Knochen getragen, sondern ist aus seitlichen Hautfalten des Schwanzes gebildet. Die drehende Bewegung dieser „Fluke" um eine Achse, die gleichsam die gedachte Fortsetzung der Wirbelsäule ist, treibt den Wal genauso durch das Wasser vorwärts wie die Schiffsschraubendrehung das Schiff. Selbstverständlich kann sich die Schwanzflosse nicht ganz und gar um die Achse drehen, wie eine richtige Schraube das vermag. Dennoch verleiht sie dem riesigen Körper eine oft erstaunliche Geschwindigkeit. Ein ruhig dahinschwimmender Pottwal leistet im Wasser dasselbe wie ein gehender Mensch auf dem Lande: sechs Kilometer in der Stunde etwa. Erregt oder gejagt aber rast der Wal schnell wie ein Motorboot durch die Fluten, daß das Wasser brausend aufkocht und die ruhige See Wellen schlägt, die sich weithin verbreiten. Mit der Schwanzflosse regelt der Wal auch das Auftauchen und Versinken. Schläge nach oben bewegen den riesigen Leib abwärts, Bewegungen nach unten lenken ihn hinauf. Eine ungeheure Kraft liegt in diesem Antriebsorgan. Unzählige Fälle sind bekannt, in denen Wale mit einem einzigen Schlag ihrer „Fluke" ein Boot völlig zertrümmert haben. Nicht nur Haut und Gliedmaßen erweisen die vollendete Anpassung der Wale an das Wasserleben. Auch die Form des Leibes ist ganz auf das Dasein im Wasser zugeschnitten. Der Körper des Wals ist fisch- oder bootsförmig gestaltet. Der Gewichtsverringerung dient die dicke Fettschicht, und da „Fett oben schwimmt", ist die Bewegung der riesigen Körpermasse dadurch sehr erleichtert. Der meist dicke Kopf verliert durch luftgefüllte Hohlräume im Schädelknochen oder durch die Anhäufung von öl im vorderen Kopfteil viel an Gewichtigkeit. Ohne deutliche Grenzen geht der Kopf gleitend in den Rumpf über. Das äußere Ohr fehlt ganz, dennoch hört der Wal unter Wasser sehr gut. Das Auge ist verhältnismäßig klein, bei den größten Arten ist es etwa faustgroß. Die Nase hat ihre Be deutung als Geruchsorgan völlig verloren, sie dient einzi. und allein zum Atmen. Wie alle anderen Säugetiere atmet der Wal die freie Luft außerhalb des Wassers, und zwar mit Hilfe seiner riesigen 12
Lungen, nicht wie die Fische die dem Wasser beigemengte Luft durch Kiemen aufnehmen. Er muß also von Zeit zu Zeit aus den Tiefen des Meeres auftauchen, an der Oberfläche ausatmen und seine Lungen mit frischer Luft füllen. Normalerweise atmet ein Wal alle zwei bis drei Minuten, man hat jedoch beobachtet, daß manche Wale, verfolgt oder verwundet, auch sehr viel länger ohne atmen zu müssen unter Wasser verbleiben können. Zuverlässige Walfänger haben berichtet, daß solche Tiere oftmals erst nach einer Stunde wieder emporgetaucht sind. Die Nasenlöcher, von den Walfängern „Spautlöcher" genannt, sind so günstig gelegen, daß der Wal beim Auftauchen immer mit ihnen zuerst ins Freie kommt. Die große Gruppe der Zahnwale besitzt übrigens nur ein Nasenloch. Bevor der Wal ausatmet, ziehen sich auf der Oberfläche des Kopfes die Weichteile um die schlitzförmigen Spautlöcher zusammen; ein kleiner Hügel entsteht, der allein über die Wasserfläche ragt, und aus ihm bläst er mit weithin hörbarem Geräusch die verbrauchte Luft. Genau wie unser Atem in kalter Winterluft als Wasserdampfwolke sichtbar wird, so bildet sich auch beim Wal beim Ausatmen eine Wolke von Wasserdampf, einem Springbrunnen vergleichbar. Die riesige Dampfsäule steigt viele Meter hoch auf. Wir sagten schon, daß diese Fontäne — und darin irren alle alten Walbilder und viele Schilderungen vergangener Zeiten — niemals ein Wasserstrahl ist, sondern immef nur Dampf. Erfahrene Waljäger können aus der Höhe, Richtung und Stärke des Spauts und aus der Zeit, die zwischen dem Ein- und Ausatmen vergeht, die einzelnen Walarten schon in weiten Entfernungen genau voneinander unterscheiden. Unter Wasser bleiben die Nasenlöcher fest geschlossen; aber diese Sicherung der Atmungsorgane gegen eindringendes Wasser hat der Natur noch nicht genügt. Im Gegensatz zu allen anderen Säugetieren und zum Menschen, bei denen die innere Nase mit der Mundhöhle in dauernd offener Verbindung steht (wir kennen das, wenn wir beim Kaffeetrinken lachen müssen — und dann durch die Nase ausprusten), dient beim Wal die Nase nur noch als Luftweg zur Lunge. Ungefährdet kann er unter Wasser sein Maul öffnen — niemals wird Wasser aus dem Rachen in die Luftröhre gelangen, weil jeder Zugang 18
dahin verschlossen ist. Noch für Brehm war es unbegreiflich, weshalb die Wale, die doch nur Luft atmen, bei einer Strandung an Land in verhältnismäßig kurzer Zeit sterben, genau wie die Fische, die aufs Trockene geraten sind. An Land, so meinte der große Tierforscher, fehle es dem Wal doch wahrlich nicht an Luft, und auch der Hunger könne ein so großes Tier schwerlich so überaus schnell töten, wie es tatsächlich der Fall ist. Heute wissen wir den Grund: Dem Körper des ganz an das Wasserleben angepaßten Tieres fehlt die nötige Festigkeit für den Aufenthalt auf dem Lande.. Wird der Wal durch Sturm und Brandung auf den Strand geworfen, so werden die lebenswichtigen Organe Herz und Lunge vom Druck der zusammensinkenden Körpermasse in ihrer Tätigkeit so gestört, daß das Tier bald zugrunde gehen muß. Lange hat man sich gestritten, ob die Wale auch eine Stimme haben. Wir dürfen diese Frage heute wohl bejahen. So berichtet der alte Brehm auf Grund von Aussagen zahlreicher Ohrenzeugen, daß die Wale in großer Gefahr, in Todesnot, unter dem Schmerzgefühl schwerer Verwundungen und nach der Strandung ein entsetzliches Brüllen ausstoßen, und der Walforscher Kükenthal erzählt, daß geängstigte Buckelwale wie Schweine schreien, die abgestochen werden. Besonders merkwürdig ist die Ernährung der Wale. Alle nähren sich von Tieren, und es ist eigenartig, daß gerade die größten Arten von den kleinsten Meerestieren leben. „Krill" nennt der Walfänger die Millionen und aber Millionen winziger Meeresschnecken und -krebschen, die sich schwebend im Wasser halten und die obersten Wasserschichten der Meere weithin bevölkern. Der Wissenschaftler nennt diese Kleinsttiere der Meere „Plankton", das heißt, nach dem griechischen Wort „planktos", das Umhergetriebene. Diese kleinen Tierchen nun sind die einzige Nahrung, die zum Beispiel die Bartenwale zu sich nehmen können. Das ist seltsam bei diesen Riesentieren; gibt es doch unter ihnen Kolosse von dreißig Meter Länge und hundertfünfzigtausend Kilogramm Gewicht. Freilich, die Mengen, die diese Giganten benötigen, sind unvorstellbar groß. Zu einer einzigen Mahl14
zeit braucht ein größerer Bartenwal nicht weniger als zehn Hektoliter, tausend Liter also dieses Planktons, will er seinen gewaltigen Magen damit füllen. Um diese wahrhaft ungeheuren Mengen überhaupt aufnehmen zu können, ist das Maul des Bartenwals riesig groß. Zwanzig Menschen fänden in ihm Platz! Zum Zerkleinern der kleinen weichen Tierchen braucht der Bartenwal keine Zähne; statt ihrer hängen vom Gaumen des zahnlosen Maules in zwei Längsreihen dreihundert bis vierhundert quergestellte Hornplatten, die Barten, herab, früher beim Walfang besonders begehrt, weil sie das wertvolle Fischbein lieferten. Heute ist das Fischbein durch Kunststoffe fast ganz verdrängt. Der innere Rand dieser flach dreieckigen Platten, deren größte bis fünf Meter lang und sechzig Zentimeter breit sind, ist wie eine Feder gefasert. Diese Barten bilden ein feines Sieb, mit dem der Wal den Krill schöpft, öffnet er das mächtige Maul, so wird gleichzeitig die am Boden der Mundhöhle festgewachsene Zunge durch kräftige Muskeln nach unten gedrückt. Dieser Druck setzt sich auch auf die Haut an der Unterseite des Kopfes fort, die in zahlreichen Längsfalten,
Querschnitt durch den Kopf eines Bartenwals (hier eines Blauwals) bei geschlossenem M a u l
die Kehlfurchen, gelegt ist. Diese Furchen glätten sich beim Öffnen des Maules wie die Falten im Balg einer ausgezogenen Ziehharmonika, und der gewaltige Mundraum wird dadurch so stark erweitert, daß ein kleines Boot mit Leichtigkeit in 15
ihm Platz fände. In diesen riesigen Raum hinein strömt nun das Wasser und mit ihm Millionen Schwebetierchen des Krills. Jetzt schließt sich das Maul, die Kehlfurchen vertiefen sich wieder, die Zunge legt sich gegen die Mitte des Gaumens und gegen die Barten und drückt das Wasser wie durch ein Sieb aus der Mundhöhle heraus. Die Tierchen aber bleiben in den engen Maschen der Barten hängen, werden von der Zunge in die Rachenhöhle befördert und schließlich verschluckt. So ist es auch verständlich, daß die Speiseröhre im Verhältnis zu den riesigen Abmessungen des Kopfes und der außerordentliehen Länge der Kiefer geradezu lächerlich eng ist. Hier geht bestenfalls ein Fisch von der Größe eines Herings hindurch.
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Ganz anders die Zahnwale. Ihnen merkt man es an, daß die fl Wale — so unwahrscheinlich es klingen mag — Verwandte längst ausgestorbener Raubtiere sind. Die langen spitzen Schnauzen, in deren Kiefern viele gleichartige, kegelförmige Zähne stecken, beweisen uns, daß es sich hier um Räuber handelt. Das Gebiß ist vorzüglich geeignet, die glatten Fische festzuhalten. Aber trotz seiner Zähne kaut der Zahnwal seine Beute nicht. Er schlingt sie im ganzen herunter, und da auch Speicheldrüsen fehlen, hat der Magen eine recht schwere Arbeit zu leisten. Deshalb haben die Wale auch eine Art Vormagen, der zum Aufweichen und Zerreiben der heruntergeschluckten Nahrung dient. Unter den Räubern ist ein fürchterlicher Mörder der Schwertwal, der Seehunde, Robben und kleinere Delphine frißt — die übrigens selbst Waltiere sind — und, wenn er sich in Schwärmen stark genug fühlt, sogar größere Bartenwale angreift. Im Magen eines solchen Schwert- . wales wurden einmal dreizehn Delphine und fünfzehn Seehunde vorgefunden, die bis auf einen durchgebissenen Seehund allesamt unzerteilt heruntergeschluckt worden waren. i Eine ganz besonders eigenartige Form der Ernährung hat | eine Schnabelwalart, die den wissenschaftlichen Namen Mesoplodon layardi trägt — einen deutschen Namen besitzt dieser j Wal nicht. Er ist bisher auch nur in sehr wenigen Exemplaren 1 bekanntgeworden. Der Naturforscher Othenio Abel erzählt von ihm: „Wie bei den anderen Arten der Gattung Mesoplodon ist auch bei dieser das Gebiß bis auf wenige, hochgradig verkümmerte und nur noch lose im Zahnfleisch steckende Reste von Zähnen zurückgebildet, mit Ausnahme des einen 16
großen Zahnpaares im Unterkiefer, das für alle Mesoplodonarteri kennzeichnend ist. Bei dieser Art aber sind die beiden Unterkieferzähne gegeneinander gebogen, derart, daß sie sich oberhalb des Oberkiefers begegnen und so die Schnauze von oben umfassen. Die Mundspalte kann also nur wenige Zentimeter weit geöffnet werden. Man hat sich früher den Kopf darüber zerbrochen, wie sich diese Tiere überhaupt ernähren können. Die Lösung des Rätsels ergab die genaue Untersuchung der Unterkieferzähne. Am Vorderende, dort wo sie das Zahnfleisch verlassen, sind die beiden Zähne eines von mir untersuchten Exemplars stark abgenützt, als ob sie an diesen Stellen angefeilt worden wären. Diese Abnutzungsstellen sind aber die Erklärung für die Ernährungsart der Tiere. Da wir wissen, daß die Schnabelwale Tintenfischfresser sind ebenso wie die Pottwale, und daß es ihnen gelingt, den Kraken die Arme abzureißen und diese zu verschlucken, so verstehen wir, was für Abnutzungsspuren hier vorliegen. Es sind die Reibungsspuren der Tintenfischarme beim Losreißen vom Tintenfischkörper. Eine andere Ernährungsweise wäre für den Layards-Wal überhaupt ausgeschlossen, weil ja die beiden Kiefer nur wenige Zentimeter weit geöffnet werden können. Daß diese Wale noch nicht ausgestorben sind, verdanken sie wohl einzig dem Umstände, daß die Öffnungsweite der Mundspalte ihnen gerade noch gestattet, Arme von Tintenfischen zu ergreifen." Wie alle Säugetiere bringen die Wale lebende Junge zur Welt, die bei der Geburt bereits hoch entwickelt sind und vom ersten Augenblick an der Mutter im Wasser zu folgen vermögen. Der Blauwal zum Beispiel hat bei der Geburt schon eine Länge von sieben Meter, nach sieben Monaten ist er bereits sechzehn Meter lang, und wenn er zwei Jahre alt ist, mißt er durchschnittlich vierundzwanzig Meter. Das Wachstum hält — allerdings immer schwächer werdend — bis zum zwölften Lebensjahr an, aber am auffallendsten ist es im ersten Jahr. In dieser Zeit nimmt der Blauwal täglich um drei bis vier Zentimeter an Länge und um zwei Zentner an Gewicht zu, eine wahrhaft unglaubliche Leistung, wenn man bedenkt, daß auch der Blauwal nur von Planktontierchen lebt. Bei der Schilderung der Ernährung lernten wir bereits die beiden großen Gruppen kennen, in die man die Wale einteilt: 17
Der G r ö n l a n d w a l ist fast ausgestorben
Das Skelett des o b e n a b g e b i l d e t e n G r ö n l a n d w a l s (20-m-Maßstab zum Vergleich),
Der Finnwal w i r d bis zu 25 m lang
a Pottwal (zum Vergleich d a n e b e n ein erwachsener Mann)
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Der fürchterliche Räuber O r c a (Schwert- oder M o r d w a l )
Der N a r w a l mit dem 3 m langen Stoßzahn
Indischer Flußdelphin — e i n Binnenwasserwal
Der Delphin des Meeres — er gehört zu den Zahnwalen
Bartenwale und Zahnwale. Beide Gruppen gibt es in allen Meeren und in Zonen aller Wärmegrade; allerdings sind einzelne Arten auf bestimmte Gebiete beschränkt, andere aber 19
Weltenwanderer. Manche Arten leben sogar im Süßwasser. Der große deutsche Naturforscher Alexander von Humboldt war der erste, der über diese Süßwasserwale berichtet hat, aber erst Jahrzehnte nach seiner Veröffentlichung im Jahre 1819 erfuhr man, daß tatsächlich tief im Innern Südamerikas ein delphinähnlicher Wal zu finden ist, Bonto oder Inia genannt, der bis zu drei Meter lang wird. Im Amazonenstrom leben drei verschiedene Flußwale, in den indischen Flüssen Ganges, Indus und Bramaputra ein anderer, der Schnabeldelphin, gekennzeichnet durch seine verkümmerten Augen. Die weitaus meisten Wale aber sind Meeresbewohner. Hier gibt es nun wirklich unübertroffene Riesen. Die größten Bartenwale sind* der fast völlig ausgerottete Grönlandwal, etwa zwanzig Meter lang, der fünfundzwanzig Meter lange Finnwal und der Blauwal mit gar dreißig Meter Körperlänge. Der Grönlandwal hat keine Kehlfurchen, aber ein so riesiges Maul, daß fast fünf Meter lange Barten darin gewachsen sind. Ebenso selten wie der Grönlandwal ist der schwarze Nordkaper, der im Nordatlantik lebt und siebzehn Meter lang wird. Die großen Bartenwale, zu denen noch Buckelwal und Seiwal kommen, sind — Grönlandwal und Nordkaper ausgenommen •— Weltenbummler, denn sie leben im Nordatlantik und Nordpazifik ebenso wie in den Meeren der antarktischen Zone auf der südlichen Halbkugel. Nur in den Tropen fehlen sie. Der größte Zahnwal ist der Pottwal, der die Ozeane der tropischen und gemäßigten Erdstriche bewohnt und oft weit bis in die kalten Gebiete vorstößt. Er wird bis dreiundzwanzig Meter lang; die Jagd auf ihn ist besonders gefährlich. Dafür gilt er aber auch als kostbare Beute, denn dem vorderen Teil seines Kopfes ist eine mächtige Fettmasse eingelagert, die ein wertvolles Öl liefert, das „Walrat", das zur Herstellung von Kerzen, Seifen und Salben dient. Im Darm des Pottwals wird eine wachsartige Masse, die Ambra, ausgeschieden, über deren Entstehung die Gelehrten sich noch nicht ganz einig sind. Meist treibt die ausgeschiedene Ambra im Meer, manchmal in Klumpen von Zentnerschwere, oft wird sie aber auch im Darm des erlegten Pottwals gefunden. Sie wird als krampfstillende Arznei und als Duftstoff in der Parfümerie- und Seifenindustrie sehr geschätzt und hoch bezahlt. Ein Kilogramm Ambra hat einen Wert von dreitausend Mark. 20
Zu den Zahnwalen gehören schließlich auch die kleinen, etwa zwei Meter langen Delphine, die jedem Seereisenden bekannt sind. Mit lustigen Spielen und übermütigen Sprüngen begleiten sie tagelang selbst die schnellsten Schiffe. Von dem fürchterlichen Räuber, dem Schwertwal, auch Orca genannt, hörten wir schon. Auch unsere heimischen Meere beherbergen einen Wal, den Braunfisch oder kleinen Tümmler, der sich hauptsächlich von Heringen ernährt. Er spielt ebensogern an der Wasseroberfläche wie der Delphin; bei den Fischern aber ist er unbeliebt, weil er ihre Netze zerreißt und plündert. Im Nordpolarmeer schließlich lebt der sehr seltsame Narwal, ein friedliebendes Tier von ungefähr fünf Meter Länge. Er ist ein Sonderling unter den Walen; denn im Oberkiefer der männlichen Narwale stehen zwei schraubenartig gedrehte, bis drei Meter lange Stoßzähne, von denen einer meist verkümmert ist. Die Weibchen besitzen diesen eigenartigen Schmuck nicht, und das ist weniger sonderbar, denn auch bei unseren Hirschen und Rehen tragen nur die männlichen Tiere Geweih und Gehörn.
Doch zurück zu den Riesenwalen! Eine Waljagd der Art, wie wir sie geschildert haben, gibt es heute nicht mehr. Sie gehört der Vergangenheit an, einer Epoche, in der die Walfängerei mit einem Zauber wilder Romantik umwoben war. Für alle Zeiten hat der große amerikanische Dichter Herman Melville das gefahrvolle Leben der Männer verewigt, die jahrelang mit ihren Segelschiffen die Meere auf der Jagd nach den Riesen des Ozeans durchquert haben. Sein großartiger Roman „Moby Dick", erschienen im Jahre 1851, ist ein einziger Lobgesang auf den Wal, auf die Walfängerei und die Mannet, die sich ihr verschrieben hatten. Welcher Stolz spricht aus diesen Worten: „Die Walfängerei ist ein Geschäft, welches merkwürdigerweise an Land als roh und gemein verschrien ist, und ich will mir Mühe geben, dir, mein Freund, zu beweisen, wie unrecht du uns damit tust. 21
Zu den Hauptgründen, aus denen die Welt dazu neigt, uns Walfänger zu mißachten, gehört zweifellos folgender: Bestenfalls, heißt es, sei unser Gewerbe eine Art Schlächterei, und wir steckten bei der Arbeit bis über den Hals im Schmutz. Schlächter sind wir, das ist richtig, die Generale aber, welche die Welt von jeher mit Ehren überschüttet hat, sind auch Schlächter, und zwar Schlächter von der allerblutigsten Sorte. Und wenn man meint, wir trieben ein schmutziges Handwerk, so hoffe ich, mit meinen Schilderungen unserem Schiff einen rühmlichen Platz unter den reinlichsten Dingen dieser säuberlich aufgeklärten Erde zu erobern. Ist es aber die Gefahr, die den Soldatenstand in der Menge verklärt, so kann ich den Lesern nur versichern: mancher alte Haudegen, der ohne Zaudern auf eine feuernde Batterie losmarschiert ist, würde schleunigst den Rückzug antreten, wenn über seinem Kopf der Riesenschwanz eines Pottwals durch die Luft peitschte. Wie sehr die Welt uns Walfänger auch verachtet: ohne es zu ahnen, huldigt sie uns doch wie Königen, wie Göttern. Denn was an Kerzen, Laternen, Lichtern rings um den Erdball brennt, das leuchtet wie vor Altären uns zum Ruhm. Wir aber scheuen kein Licht und lassen uns mit allen Maßen messen. Ich behaupte keck, daß niemand, der sich'über die Beziehungen der Völker seine Gedanken macht, etwas anzuführen weiß, was in den letzten sechzig Jahren auf friedlichem Wege so stark auf die weite Welt als Ganzes eingewirkt hätte wie der Walfang in seiner Größe und Macht — die bedeutendsten und folgenschwersten Ereignisse sind darauf zurückzuführen! Alles aufzuzählen, wäre ein unabsehbares Unterfangen; eine Handvoll Beispiele mag daher genügen. Das Pionierschiff, das am weitesten auf den unbekannten Meeren dieser Erde vorstößt, ist seit Jahren der Walfänger; Inseln und Gewässer hat er erkundet, die auf keiner Karte verzeichnet waren, wohin kein Cook und kein Vancouver gelangte. Amerikanische und europäische Kriegsschiffe, die jetzt friedlich in einstmals verrufenen Barbarenhäfen ankern, sollten Salut schießen, wenn sie einem Walfänger begegnen. Er hat ihnen zuerst den Weg gewiesen und zwischen ihnen und den Eingeborenen vermittelt. Ehe die Großfischerei nicht um Kap Hoorn herum vorstieß, hatte die lange Reihe üppiger spanischer Provinzen an der pazifischen Küste kaum Beziehungen zu Europa, außer zu 22
dem Mutterlande, mit dem allein sie Handel trieben. Diese eifersüchtige Kolonialpolitik der spanischen Krone hat zuerst der Walfänger durchbrochen, und wenn hier Raum dafür wäre, wollte ich wohl beweisen, daß Peru, Chile und Bolivien ihre Befreiung vom Joche des alten Spanien sowie die demokratische Verfassung, die sie sich für alle Zeiten gegeben haben, ursprünglich diesen Waljägern verdanken. Die Neue Welt auf der anderen Seite des Globus, Australien, war ein Geschenk der Waljäger an das Jahrhundert der Aufklärung. Nach der ersten Entdeckung durch einen Holländer, der dahin verschlagen wurde, haben lange Jahre alle See-fahrer seine Küste gemieden, weil sicherer Untergang sie dort erwartete. Der Walfänger aber steuerte sie an, er ist in Wahrheit der Begründer der heute so mächtigen Kolonie. Als die ersten australischen Ansiedlungen noch in den Kinderschuhen steckten, sind die Einwanderer mehr als einmal durch den Schiffszwieback eines barmherzigen Walfängers vom Hungertod errettet worden. Die zahllosen Inseln Polynesiens legen das gleiche Zeugnis ab und preisen mit ihren Erträgen den Walfänger, der der Mission und dem Handel den Weg gebahnt und häufig selber den ersten Missionar dort abgesetzt hat. Da wird mir entgegengehalten, kein großer Dichter habe den Wal besungen, kein berühmter Chronist die Geschichte des Walfangs aufgezeichnet. Sollte der Wal wirklich keinen berühmten Dichter, der Walfang keinen berühmten Chronisten gefunden haben? Wer hat denn den ersten Bericht über den Leviathan geschrieben? Der gewaltige Hiob im Alten Testament. Und wer die erste Beschreibung einer Walfangreise? Kein Geringerer als Alfred der Große, der mit seiner eigenen königlichen Feder die Worte Others festhielt, des norwegischen Walfängers seiner Zeit. Mag sein! Die Walfischer selbst aber sind arme Teufel; in ihren Adern fließt gewöhnliches Blut. Gewöhnliches Blut? Edleres als das von Königen! Mary Morrel, die spätere Mary Folger, eine der ersten Ansiedlerinnen auf Nantucket, die Urahnin einer langen Reihe von Harpunieren dieses Namens, ist die Großmutter Benjamin Franklins, und ihre Kinder und Kindeskinder, die bis auf den heutigen Tag von einem Ende der Welt zum anderen die Harpune schleudern, sind alle von seinem Geblüt. 23
Ganz gut und schön! Trotzdem heißt es allgemein, ein ehrbares Gewerbe sei der Walfang nicht. Kein ehrbares Gewerbe? Ein königliches! In alten englischen Rechtsbüchern wird der Wal zum ,Fisch des Königs' erklärt. Nun, auch das sei zugegeben, doch man mag sagen, was man will, die rechte Würde hat der Walfang nicht. Keine Würde? Die Würde unseres Berufes verleiht uns der Himmel selber; der Wal ist ein Sternbild am südlichen Firmament. Und damit sei es nun genug. Ich kenne einen, der hat in seinem Leben dreihundertfünfzig Wale erlegt und ist damit, scheint mir, höherer Ehren wert als der große Feldhauptmann des Altertums, der sich rühmte, ebenso viele feste Städte erobert zu haben." Die Geschichte des Walfangs, dessen Ruhm und Ehre Melville so lebhaft gepriesen hat, beginnt im Grau der Vorzeit; damals allerdings gingen die Menschen nicht in die Boote, um dem Wal ins offene Meer zu folgen; sie begnügten sich damit, einen gestrandeten Wal „auszuschlachten". Es sind nicht immer nur einzelne Tiere, die von Sturm und Wetter aufs Land geworfen werden. Die Wale leben meist gesellig, und wenn einmal ein schwerer Orkan eine unter Land dahinschwimmende Herde erfaßt, kann es vorkommen, daß mehrere hundert Tiere stranden und elend umkommen. Sonderbarerweise hat man in vielen Fällen aber auch ganze „Schulen" — so heißen die Walverbände bei ihren Verfolgern — wie rasend auf das Ufer zustürmen und sich aufs Land werfen sehen, so daß man von „Massen-Selbstmord" gesprochen hat. Es ist nicht leicht, die Triebkräfte für diese Vorgänge zu erforschen. Zahnwale sind vielleicht bei der wilden Verfolgung von Fischzügen in die Flachsee vorgestoßen und haben sich dann nicht mehr daraus retten können. In anderen Fällen ergab sich, daß „jedesmal vor der Todesfahrt der Tiere ein starker Sturm geherrscht hatte. Mächtige Sandmengen waren im Wasser aufgewirbelt worden, so daß sich das Meer durch die Sandkörner ganz verfärbte. Vermutlich drangen dabei unzählige Körnchen den Walen in die Augen, ins Maul, in die Blaslöcher und reizten sie, so daß die Tiere, irrsinnig und blind vor Schmerzen, in ihren Qualen losstürmten und nicht darauf achteten, daß ihr Weg in die Vernichtung führte." Diese Erklärung reicht jedoch nach Ansicht mancher Forscher nicht aus, um andere 24
Katastrophen zu begründen, bei denen solche sandaufwirbelnden Stürme nicht beobachtet worden sind. Gestrandete Wale haben jedenfalls den Blick des Menschen zum ersten Male auf den Reichtum an Fleisch und Fett gerichtet, den diese Tiere bargen. Die ersten, von denen wir wissen, daß sie dem Wal auch in der Weite der Meere nachgestellt haben, waren die Basken, jenes Volk in Nordspanien und an der Biskaya, das eine mit den übrigen europäischen Sprachen überhaupt nicht verwandte Sprache, das Eskuara, spricht. Sie sind ein letzter, in Kleidung und Gesittung selbständig gebliebener Rest der einstigen Ureinwohner Westeuropas. Schon vor neunhundert Jahren stellten die Basken in der wilden Biskaya dem Nordkaper nach, folgten ihm dann, als er hier seltener wurde, immer weiter nach Norden, nach Island, Grönland und Neufundland. Von den Basken lernten die Isländer die Waljagd; Basken wurden aber auch die Lehrmeister der Engländer und Holländer, der Dänen und Friesen, die nun auch dem viel wertvolleren Grönlandwal nachzustellen begannen. Um das Jahr 1600 zog alljährlich ein halbes Hundert Walschiffe in die Nordmeere. Schon lange vorher aber hatte der Italiener Giovanni Colboto, von den Engländern John Cabot genannt, den Walfängern folgend, am 24. Juni 1497 das nordamerikanische Festland betreten, das war fünf Jahre nach der ersten Landung des Christoph Columbus auf einer mittelamerikanischen Insel. John Cabots Berichte über den unvorstellbaren Reichtum an Robben und Walen lockten immer mehr mutige Männer in die Polarmeere, so daß der Fang in den Gewässern um Spitzbergen und Grönland immer größere Ausdehnung annahm. Walöl wurde zu dieser Zeit die Hauptquelle der künstlichen Beleuchtung. Ein wahrer Raubbau setzte ein. Allein die Holländer fingen in den hundert Jahren von 1669 bis 1769 mit vierzehntausend Schiffen über fünfzigtausend große Wale. Als die alten Jagdgründe immer leerer wurden, zog man in die Gewässer westlich Grönlands, die aber ebenfalls bald leergejagt waren. Der Grönlandwal galt sogar als völlig ausgerottet; erst im Jahre 1927 wurde durch den Fang einiger dieser Riesen der Beweis erbracht, daß sie noch nicht ganz ausgestorben sind. Mit dem Ende der Waljagd im Nordmeer ging die Führung im Walfang an die Amerikaner über, die seit Beginn des acht25
zehnten Jahrhunderts den Pottwal jagten. Nantucket, eine sandige Insel vor der Küste des Staates Massachusetts, halbwegs zwischen Boston und New York gelegen, war das Hauptquartier der Pottwalfischerei. In den Jahren zwischen 1835 und 1872 erbeuteten die Pottwaljäger 3865 Pottwale und 2875 Bartenwale und gewannen daraus mehr als sechseinhalb Millionen Tonnen Tran und über dreieinhalb Millionen Faß Walrat im Wert von zweihundertzweiundsiebzig Millionen Dollar. Aber auch hier ging es bergab. Während im Jahre 1837 der Pottwalfang allein siebzehn Millionen Mark einbrachte, sank der Ertrag zu Ende des neunzehnten Jahrhunderts auf eine halbe Million. Nicht zuletzt hat dabei die Verdrängung der „Tranfunzel" durch die Petroleumlampe eine entscheidende Rolle gespielt. Wieder aber war der Niedergang der einen Fangart der Auftakt zum Aufstieg einer anderen. Die Norweger wandten sich der Jagd auf den Finnwal zu. Für ihn, von dem noch Melville sagt, „er ist ein Einsiedler, ein Tier von so wunderbarer Kraft und Schnelligkeit, daß noch kein Mensch ihn in seiner Einsamkeit je hat stellen können", mußte allerdings eine.völlig neuartige Methode des Walfangs eingeführt werden, die der Norweger Svend Foyn erdacht und zuerst in seiner Heimat angewandt hatte. An die Stelle der Ruderboote setzte er kleine Dampfer, mit denen die Wale verfolgt wurden, wenn sie im Frühling die Nähe der Küsten aufsuchten; auf diesen Dampfern wird nicht mehr von der starken Hand eines kühnen Harpuniers die todbringende Lanze geschleudert, sondern von einer kleinen Kanone wird sie abgeschossen. Den Tod des Wals führt nicht mehr die Geschicklichkeit des Bootsführers herbei, wenn er zum Todesstoß ansetzt, sondern eine Sprengladung, die in der Herpune angebracht ist und nach dem Auftreffen im Innern des gewaltigen Tierkörpers detoniert. Und da schließlich der erlegte Finnwal, der eine weit dünnere Speckschicht besitzt als seine Vettern, nicht an der Wasseroberfläche schwimmt, muß er „leichter" gemacht werden, und man bläst ihn deshalb mit Wasserdampf auf. Seit dem Jahre 1864 haben die Norweger nach dieser Methode zunächst an den Küsten ihres eigenen Landes gejagt. Die Verarbeitung der Beute erfolgte nicht auf Schiffen, sondern in Landstationen, denen der Wal zugeschleppt wurde. Als der Wal etwa seit der Jahrhundertwende auch an der norwegischen Küste vor 26
der Ausrottung stand, wurde die Finnwaljagd auf die Seegebiete um Island, die Faröer, Shetlandinseln und Hebriden ausgedehnt. Den kleinen Fangschiffen folgten „schwimmende Kochereien", die freilich zunächst auch nur den Speck auskochten, wenn auch in etwas zweckmäßigerer Weise, als es in den altertümlichen Kesseln der Segelschiffe hatte erfolgen können. Gelegentlich wurde hier auch schon Düngemehl aus dem Fleisch und den Knochen des abgeflensten Kadavers gewonnen, den man in der Zeit der Walromantik einfach als wertlos ins Meer geworfen hatte. Doch auch die nordeuropäischen Gewässer waren bald leergejagt. Da brachte im Jahre 1901 der Norweger Larsen die Kunde von dem unermeßlichen Eeichtum des Roßmeeres an Blau- und Finnwalen. Das Roßmeer — benannt nach dem im Jahre 1862 gestorbenen englischen Polarforscher James Clarke Roß — ist ein Teil des Südlichen Eismeeres, das als große Bucht tief in das um den Südpol gelegene Festland hineingreift und im Süden von einer siebenhundertfünfzig Kilometer langen und drei- bis vierhundert Meter hohen Eisbarriere begrenzt wird, die Roß im Jahre 1841 entdeckt hatte. Von nun an wurde die Antarktis das Hauptjagdgebiet der Walfänger, zuerst der Norweger, dann auch der Engländer. Der erste Weltkrieg unterbrach vier Jahre lang den Walfang; als man nach seiner Beendigung die Jagd wieder aufnahm, hatte man eingesehen, daß an die Stelle des bisherigen Raubbaues eine vernünftige Ausnützung der im Wal ruhenden Rohstoffe treten müsse. Größere und technisch vollkommener ausgestattete Kochschiffe wurden gebaut; im Jahre 1922 erhielten diese „Walfangmutterschiffe" die Form, die sie noch heute haben. Achtern öffnet sich der „slip", eine Rampe, die vom Schiffsdeck zu einem Tor im Heck führt (siehe das Bild auf der letzten Umschlagseite). Nun brauchte der Wal nicht mehr mit Tauen und Ketten außenbords festgemacht und mühselig abgefienst zu werden; jetzt wurde der ganze riesige Körper an Deck der „floating factory", der schwimmenden Fabrik, gezogen und dort viel schneller und zweckmäßiger zerlegt. Bis zum J a h r e 1931 blieb die Zahl der in der Antarktis jagenden Walflotten ständig im Wachsen, zuletzt zählte man sechs Landstationen, einundvierzig Mutterschiffe, zweihundertzweiunddreißig Fangboote; zehntausend Menschen waren 27
dort unten am Rande des ewigen Eises beschäftigt, über dreiundeinehalbe Million Tonnen Tran wurden durch ihre Arbeit gewonnen. Selbstverständlich mußte diese starke Bejagung wieder zu einer schnellen Verminderung der Walbestände führen. Eine kurze Pause, die das J a h r 1931 brachte, hatte den Erfolg, daß die am Walfang interessierten und beteiligten Völker endlich zur Einsicht kamen; die Zeit der hemmungslosen Ausplünderung der Walgründe mußte vorbei sein, die Ausrottung der wertvollen Tiere mußte verhütet werden. So kam man zu internationalen Vereinbarungen über die Schonung der Wale und die Einschränkung der ölerzeugung. Nur die modernsten Flotten sollten noch eingesetzt werden. Das „Londoner Abkommen" begrenzte die Fangzeit auf jährlich neunzig Tage, und zwar auf die Zeit zwischen Anfang Dezember und Anfang März, den Südpol-Frühling: diese Zeit wurde gewählt, v/eil die wertvollen Blauwale, die nach den Ergebnissen der Walforschung die stärksten Verluste gehabt hatten, hauptsächlich in den Monaten Oktober und November anzutreffen sind, nicht aber später, während die Finnwale, die noch recht häufig sind, erst von Ende Dezember ab auftreten. Schließlich hat man auch die Zahl der zu jagenden Tiere festgesetzt. Walmütter mit Jungen sind überhaupt völlig geschützt, und vom Blauwal dürfen in der „season", der Fangperiode, von allen beteiligten Flotten nur insgesamt sechzehntausend Tiere erlegt werden, auf keinen Fall mehr. Besonders wichtig aber ist die Bestimmung, daß jeder gefangene Wal restlos verarbeitet werden muß und nicht mehr über Bord gehen darf, weil er angeblich wertlos sei. Zu dieser völligen Ausnützung der erbeuteten Tiere sind die modernen schwimmenden Fabriken auch ohnedies gezwungen, da ihre Anschaffung und Unterhaltung sich so teuer stellt, daß der Gewinn an Tran allein die kostspielige Expedition ins Südpolarmeer nicht mehr lohnen würde. Für diese restlose Auswertung der Rohstoffe, die der Wal bietet, hat Deutschland, das erst in jüngerer Zeit mit einer eigenenWalfangnotte in den Fanggründen erschienen war, durch besonders wichtige Erfindungen beigetragen. Neuartige Kochapparaturen wurden entwickelt, mit deren Hilfe man den Tran nicht nur aus dem Speck, sondern auch aus fettem Fleisch und 2S
aus den Knochen herauskochen kann. Die so erzielte hohe Ausbeute ist es nicht allein, was diese neuen Kochapparate so wertvoll macht. Das in ihnen gewonnene Walöl ist auch in seiner Qualität unvergleichlich besser als der Tran, der einst aus den alten Speckkochern geschöpft wurde. Walöl, einst für Beleuchtungszwecke und als Schmiermittel verwendet, war eine Zeitlang, als die Erdölindustrie mit dem Petroleum und den mineralischen Schmiermitteln und Ölen den Markt eroberte, wenig begehrt. Als Nahrungsmittel kam der „Tran" wegen seiner unangenehmen Geruchs- und Geschmacksstoffe nicht in Betracht. Ein deutscher Erfinder, Normann, war es, der um das J a h r 1900 den Weg fand, aus dem tranigen Walöl ein Hartfett herzustellen, das ein ausgezeichneter Ausgangsstoff für die Feinseifenindustrie und für die Herstellung von Margarine wurde. Diese „Kunstbutter", die einst auf Anregung des französischen Kaisers Napoleon III. von dem Pariser Professor Meges-Mouries erfunden worden war, konnte sich in größerem Umfange erst durchsetzen, als ihr mit dem durch Normanns Erfindung verbesserten Walöl der billige Rohstoff zur Verfügung gestellt wurde. Deutsche Erfindungen sind es auch, die das Walfleisch auszunützen gestatten, von dem früher die Matrosen des Fangschiffes sich höchstens ein frisches Steak brieten, es sonst aber den Haien überließen. Walfleisch findet mancherlei Verwendung: Man kann ein Fleischmehl daraus bereiten, das ein hervorragendes Kraft- und Mastfutter ist. Besonders gutes Walfleischmehl hat man auch der Wurst zugesetzt und zu einem nahrhaften Brotaufstrich verarbeitet; da dieses Walmehl sehr eiweißhaltig ist, besitzt es einen hohen Nährwert. Aus Walfleisch kann man aber auch einen vorzüglichen Fleischextrakt herstellen, der dem berühmten „Liebig'schen Extrakt" durchaus gleichwertig ist. Schließlich aber ist man auch auf den Einfall gekommen, das Walfleisch unmittelbar der Ernährung zugänglich zu machen. Dazu muß es aber frisch sein, wie das Bratstück aus der Fluke, das sich die alten Walfänger mit Behagen zu Gemüte geführt haben; im „Moby Dick" ist das an vielen Stellen nachzulesen. Altes Walfleisch jedoch ist tranig und ranzig. Ein Transport des Frischfleisches nach Europa, im Kühlschiff etwa, wäre zu teuer, also konserviert man es. An Bord der modernen Fabrikschiffe befinden sich große Konservierungsanlagen, die in der Fangzeit etwa eine halbe Million 29
Dosen füllen und verschließen können. Dieses Büchsenfleisch vom Wal schmeckt, so versichern alle, die es gegessen haben, ganz wie gutes Rindfleisch. Aber damit noch nicht genug. Der Wal liefert noch mehr, und zwar „Lebensstoffe", Stoffe, die schon in winzigen Men-, gen den Haushalt des menschlichen Körpers günstig beeinflussen, Krankheiten heilen und vorbeugen helfen. Das Wachstumsvitamin, bei dessen Fehlen sich Nachtblindheit und andere Augen- und Hautkrankheiten einstellen können, ist in der Leber des Wals in außerordentlich starkem Maße vorhanden. Aus seinen Bauchorganen gewinnt man den für die Bekämpfung der Zuckerkrankheit wichtigen Lebensstoff Insulin. Sogar Faserstoffe kann man heute aus der bisher ganz unbeachteten Haut des Wales gewinnen — vielleicht tragen wir eines Tages einen Anzug aus der Zellwolle eines im Südpolarmeer erlegten Finnwales. Und noch ist nicht abzusehen, welche weiteren Verwendungsmöglichkeiten die nimmermüde Forschung aus den Körpern dieser Meeresriesen hervorzaubert, deren einer soviel wiegt wie fünfundzwanzig Elefanten, hundertfünfzig Rinder oder anderthalbtausend Menschen, bei dem die Zunge allein das Gewicht eines Elefanten hat, ein Rückenwirbel so schwer ist wie eine Kuh, und dessen Herz man nur mit einem Zwei-Tonner-Lastwagen wegfahren könnte. Die lange Pause, die der letzte unselige Krieg dem Walfang gesetzt hatte, war für die Wale der Antarktis eine Zeit der Erholung. Ungestört konnten sie leben und sich vermehren, und so ist es kein Wunder, daß der Fang jetzt wieder erheblich höhere Erträge liefert als vor dem Kriege. Schon die erste Nachkriegs-„Season" 1946/1947, an der sechs Länder mit fünfzehn Mutterschiffen, drei Landstationen und hundertsechsundvierzig Fangschiffen teilgenommen haben, an der Spitze Norwegen mit einer Landstation, sieben Fabrikschiffen und dreiundsechzig Fangdampfern, brachte ein Ergebnis, das um fast ein Drittel höher lag als das der letzten Vorkriegsfangzeit. Rund dreihundertvierzigtausend Tonnen Walöl wurden gewonnen. Aber auch die Walforschung ist wieder aufgeblüht. Sie sammelt Erkenntnisse über das Leben, die Wohngebiete und Wanderungen der Wale. Man hat begonnen, die Tiere zu markieren, indem man ihnen numerierte Metall30
marken auf die dicke Haut schießt. Wie man bei einem beringten Zugvogel, den man fern der Heimat fängt oder am alten Brutplatz wiederfindet, aussagen kann, wohin sein Wandertrieb ihn geführt hat, so geben die Walmarken wichtige Anhaltspunkte für die Klärung der Frage, in welchen Gegenden der südlichen Weltmeere die Walschulen umherziehen, wann sie erscheinen, wie alt die Tiere werden und vieles andere mehr. Manches Rätsel um das Leben dieser Riesen des Ozeans ist noch zu klären, manchen wertvollen Rohstoff wird die Technik noch aus ihm herstellen lernen, immer aber — auch heute noch in der Zeit der schwimmenden Fabriken und der Harpunenkanonen — wird die Jagd auf den Wal ganze Männer verlangen, die bereit sind, am Ende der Welt den Nahrungs- und Rohstoffhunger der Menschheit stillen zu helfen.
Die 2. Umschlagseite zeigt ein über 12 000 BRT großes Walfangmutterschiff von 170 m Länge mit der Rampe, dem „slip", auf dem gerade ein Finnwal hochgezogen wird.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky
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Beim Lesen von Zierers abendländischer Geschichte Öffneten sich immer w i e d e r Ausblicke in d i e Räume jenseits der weitgezogenen Grenzen des A b e n d l a n d e s und ließen d i e Ausstrahlungen der abendländischen W e l t auf d i e Reiche des Orients, Asiens, Afrikas und Amerikas sichtbar w e r d e n . Diesen außereuropäischen Großräumen ist
eine neue Buchreihe von Otto Zierer gewidmet, d i e d i e Geschichte und Kultur der gelben Rasse, des Islams, Indiens, A f r i k a s , Ostasiens und des amerikanischen Kontinents f a r b i g und anschaulich schildert. Als erstes abgeschlossenes W e r k erscheint d i e
Geschichte Indiens und des Islams 1. Band „ V ö l k e r aus Steppen und W ü s t e n " (2500 vor Chr. bis 700 nach Chr.) 2. Band „Kaiser und K a l i f e n " (700 bis 1500) 3. Band „ D i e g o l d e n e n Tempel" (1500 bis 1760) 4. Band „ G o u v e r n e u r e und Rebellen" (von 1760 bis zur Gegenwart) Jeder Band enthält Kunstdrucktafeln, historische Karten und im A n h a n g Anmerkungen, ausführliche Begriffserklärungen, Zeittafeln, Q u e l l e n - und Literaturnachweise. Die Buchreihe entspricht im Format und Umfang den Bänden der abendländischen Serie „ B i l d der Jahrhunderte", ist aber in der Einbandfarbe und in der Umschlaggestaltung deutlich a b g e h o b e n . Jeder Band in Ganzleinen 9,— D M , in Lux-Luxuseinband 10,50 D M . Prospekte in jeder Buchhandlung und beim V e r l a g .
VERLAG
SEBASTIAN
LUX
MURNAU • MÜNCHEN • INNSBRUCK • ÖLTEN