KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR- UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
J O S E F MAGNUS WEHNER
WALLEN STE...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR- UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
J O S E F MAGNUS WEHNER
WALLEN STEIN F E L D H E R R U N D STAATSMANN IM D R E I S S I G J Ä H R I G E N KRIEG
VERLAG SEBASTIAN
LUX
MURNAU • MÜNCHEN • I N N S B R U C K • BASEL
Am 22. Februar 1634, um 9 Uhr vormittags, verließ ein seltsam gemischter Zug die böhmische Stadt Pilsen. Fünf berittene Kornetts von den Hackebüchsenreitern und fünf Sachsenkürassiere bildeten die Spitze; sie sicherten vorpreschend die tausend Landsknechte, die sich ohne Lied und Witz aus der noch schlafenden Stadt drückten. In der Mitte der buntscheckigen Fähnlein aus fast allen Völkern Europas schaukelte in einer roten Sänfte zwischen zwei Maultieren ein bleicher, kranker Mann von fünfzig Jahren, der noch vor kurzem als Generalissimus des Heiligen Römischen Reiches die größte europäische Armee befehligt hatte: Albrecht Wenzel Eusebius von Wallenstein, Herzog von Friedland und Mecklenburg. Der Kaiser in Wien, Ferdinand IL, hatte'ihn abgesetzt. Plakate in Pilsen und anderen Städten Böhmens schrien seine Schande in die Welt: Verräter! Man hatte dem Schwerkranken diese letzte Demütigung verheimlicht; seine gichtischen Beine schmerzten; die Ärzte hatten noch in Pilsen wucherndes Fleisch aus seinen Schenkeln geschnitten und die Wunden mit frischem Rindfleisch bedeckt; er griff zuweilen nach dem Arzneifläschchen, das an einer Goldkette über seiner Brust hing, aber sein grüngelbes Gesicht, dessen Züge von seiner tschechischen Mutter geprägt waren, drückte äußerste Willenskraft aus. Neben der Sänfte ritten der Generaladjutant Oberst Breuner, der Stallmeister Graf Hardegg, der Kriegszahlmeister Falchetti und der Kanzler von Eltz. Drei Ärzte und der Astrologe Seni sprachen auf den Leidenden ein. Im Troß fuhr die Kutsche mit der Kriegskasse, die der getreue Landsknechtsführer Terzka den aufrührerischen Regimentern entrissen hatte. Schon waren in dem abfallenden Heere die Mörder Wallensteins gedungen; in Wien wurden Bittgottesdienste für die glückliche Beseitigung des Hochverräters abgehalten, aber Wallenstein hoffte immer noch: Wenn das kaiserliche Wien ihn im Stiche ließ, mußten die Gegner des Kaisers helfen. Wallenstein hatte während der fünfzehn Kriegsjahre nie die diplomatischen Fäden, die zu den Reichsfeinden führten, abreißen lassen: zu Bernhard von Sachsen-Weimar und zu Graf Matthias von Thurn, der die Truppen des sächsischen Kurfürsten 2
befehligte. Audi jetzt hatte er Eilkuriere zu den beiden geschickt. Unaufhörlich spähten seine Offiziere Jhlow und Kinsky über die Packpferde hinweg gegen Norden — würden die Kuriere rechtzeitig zurückkommen? Mußten nicht bald die sächsischen Hilfstruppen in den Pässen des Berglandes zwischen Pilsen und Eger auftauchen? Dann hatte man Zeit gewonnen, viel Zeit, und vielleicht konnte der todgeweihte Feldherr doch »och seinen Lebenswunsch erfüllen: den Frieden um jeden Preis, auch gegen den Kaiser! Aus den unbestellten Äckern rauchte der Nebel. Der tauende Schnee bildete Lachen und Pfützen. Nur die Wälder waren noch weiß. Wallenstein richtete sich stöhnend auf. In seiner Brusttasche knisterte ein kostbares Pergament; es enthielt das Horoskop, das ihm vor Jahren der berühmteste Sterndeuter Europas, der kaiserliche Hofmathematikus und Astronom Johannes Kepler, gestellt hatte. Kepler war zwar vor zwei Jahren gestorben, aber die Zahlen seines Horoskops waren dem abergläubischen Kranken heilig geblieben: Sie kündeten ihm erst für den März dieses Jahres „bedrohliche Ereignisse" an, er hatte also noch ein paar Tage Zeit und wollte diese Gnadenfrist nutzen. Aber auch am folgenden Tage, dem 23. Februar, kamen die Kuriere nicht zurück. Wallenstein konnte nicht ahnen, daß Bernhard von Weimar den Unterhändlern des Generalissimus erklärt hatte, Wallenstein glaube nicht mehr an Gott und er wolle seinetwegen keinen Hund satteln. Auch Thurns Truppen zeigten sich nicht. Aber was war das .. .? Bei dem Städtchen Wies, hoch über einer bewaldeten Bergschlucht, erklangen plötzlich Trompetensignale. Dreihundert irische Dragoner näherten sich, ohne ein Anzeichen feindlicher Gesinnung. So ließ man sie herankommen; ihr Oberst Walter Butler sprang vom Pferd, ging feierlich auf die rote Plüschsänfte zu, schwur dem abgesetzten Feldherrn Treue und bot ihm seinen Schutz an. Nur der Kaiser wußte, daß sich der biedere Oberst Butler verpflichtet hatte, Wallenstein tot oder lebendig in Wien einzuliefern. Mit lautem Geschrei begrüßten die Landsknechte am Nachmittag des 24. Februar die massigen Türme von Eger, die über den verschneiten Hügeln auftauchten. 3
Der Platzkommandant, Oberstleutnant Gordon, ein Schotte, öffnete mit Major Leslie dem Feldherrn die Tore. Wallenstein war zwar dieser beiden Offiziere nicht ganz sicher, aber er ließ sich im Vertrauen auf sein Horoskop doch mit allen Ehren in das JunkerPachelbelsche Bürgermeisterhaus am Markt geleiten und dankte den schottischen Herren, die sich alsbald zu ihren Truppen im Schloß zurückzogen, für die Gastfreundschaft. Der schwarze Wolkenhimmel brachte an diesem Abend keine Sterne hervor, Wallenstein und sein Astronom Seni warteten vergeblich auf ein Zeichen vom Firmament. Um dieselbe Zeit lud Oberst Butler die Herren Gordon und Leslie insgeheim zu sich und deckte seine Karten auf. Die drei gaben sich die Hand. Noch vor Mitternacht traf ein Bote aus Pilsen ein; er überbrachte in Abschrift die Anklage des Kaisers gegen Wallenstein auf Hochverrat. Major Leslie führte den Boten zu dem Feldherrn und hörte schweigend seinen Zornesausbruch an. Doch Wallenstein gab noch nicht auf. In der Frühe des folgenden Morgens berief sein getreuer Gefährte Ihlow die Herren Gordon, Leslie und Butler sowie alle Truppenführer der Stadt Eger in das Bürgermeisterhaus am Markt. Dort hielt Ihlow eine flammende Ansprache und sagte den Anwesenden hohe Belohnungen zu, wenn sie zu Wallenstein hielten. Alle leisteten ohne äußeres Widerstreben den Treueid auf den Generalissimus. Noch am gleichen Vormittag aber warben Butler und Gordon vier Irländer und einen Schotten, dazu einen Italiener und einen Spanier: Wallenstein sollte noch an diesem Abend ermordet werden. Der Kaiser hatte mehr geboten als Ihlow! Der meineidige Gordon übernahm es, die wallensteinischen Offiziere Terzka, Ihlow und Kinsky und den deutschen Hauptmann Nieman ins Schloß zu bitten unter der Vorspiegelung, daß der Treueid von heute morgen mit einem Bankett gebührend gefeiert werden solle. Es war der Sonnabend der Faschingswoche. Aus allen Schenken drang böhmische Tanzmusik. Wallensteins Offiziere hatten die Einladung Gordons angenommen. Sie hatten ihre Waffen an die Wand gehängt, der Wein floß in Strömen; eben gelobte der Deutsche Nieman, er werde seine Hand noch im Blut der Wiener Herren waschen, da stieß der Dragonerkapitän Devereux, von sechs Mann begleitet, 4
In der Trinkstube der Burg von Eger: WaUenstems Getreue werden überfallen und niedergemacht (Zeitgenössischer Stich) die Tür auf und schrie der Trinkrunde zu: „Wer ist gut kaiserlich?" Zugleich sprangen Gordon, Leslie und Butler auf, zogen ihre Degen und riefen: „Vivat Ferdinandus!" Ihlow, Kinsky und Nieman wurden niedergestochen; nur Terzka gelang es, seinen Degen von der Wand zu reißen; er erledigte unter gewaltigen Schimpfreden einen Offizier und zwei Dragoner und schlug den Degen Devereux' in zwei Stücke, bis auch er, von einem Gewehrkolben getroffen, sein Leben aushauchte. Auch die Diener der Gäste wurden ermordet; nur ein einziger von ihnen entkam und alarmierte das Haus Wallensteins. Es war höchste Zeit für die Verschwörer! Devereux ergriff eine Hellebarde und stürzte mit zwanzig Musketieren in den Schneesturm hinaus, der sich in diesem Augenblick zum Orkan steigerte. Wallenstein hatte soeben — es war elf Uhr nachts — Degen, Stiefel und Rock abgelegt und in goldener Schale seinen Schlaftrunk ge5
nomraen: Pilsencr Bier. Da hörte er Lärm im Hofe, hörte den Todesschrei seines Dieners, der auf der Treppe niedergemacht wurde, und sprang zum Fenster. Ehe er es öffnen konnte, stand Devereux vor ihm und schrie: „Du schlimmer meineidiger rebellischer Schuft!" Im nächsten Augenblick drang die Hellebarde Devereux' durch Wallensteins Brust. Zusammenbrechend rief er noch um Pardon, aber schon war das blutige Werk vollbracht. Die Dragoner wickelten den Leichnam des Herzogs in einen roten Teppich, fuhren ihn in einer Kutsche auf die Burg und legten ihn neben die Leichen seiner Getreuen. So endete die kometenhafte Laufbahn des großen Feldherrn, des mächtigsten Mannes in der Mitte des Dreißigjährigen Krieges. Aber war Wallenstein wirklich ein großer Mann und tragischer Held, oder war er ein Abenteurer und Verräter? Wir wollen versuchen, sein Leben nachzuzeichnen, seinen schwankenden Charakter aufzuhellen und seinen Tod, der Friedrich Schiller zu der berühmten Wallenstein-Trilogie begeisterte, menschlich und geschichtlich zu verstehen.
Die Welt drängt zum Krieg Das Adelsgeschlecht der Wallenstein oder Waldstein war einst aus der Steiermark über Schlesien nach Böhmen ausgewandert und hatte dort, am Oberlauf der Elbe, Güter erworben. Albrecht, den später einmal ein Maler als lockiges Bübchen mit einem zahmen Buchfinken auf der Hand darstellte, kam am 24. September 1583 im Dorfe Hermanitz zur Welt, ein Siebenmonatskind und das letzte von vierzehn Geschwistern, die kurz nach der Geburt verstorben waren. Schon mit zehn Jahren verlor er die Mutter, die slawischen Blutes war, mit zwölf Jahren den Vater. Der Schwager seiner Mutter, Heinrich Slawata von Chlum, ließ den Waisenknaben auf Schloß Koschumberg protestantisch erziehen; schon sehr früh wurde das Kind in das Geheimnis seines Horoskops eingeweiht und damit sein Leben lang der Astrologie hörig gemacht. Bereits als fünfzehnjähriger Lateinschüler im schlesischen Goldberg duellierte sich Albrecht mit einem Soldaten, der ihn einen calvinistischen Schelm genannt hatte. Mit sechzehn Jahren studierte er ne-
ben andern Fächern Militärwissenschaft und Astrologie auf der lutherischen Akademie in dem fränkischen Städtchen Altdorf bei Nürnberg. Neben der Turmuhr der Akademie hielten die Figuren „Zeit" und „Ewigkeit" mit Szepter und Stundenglas Wache, aber der junge Student dachte weder über die Zeit noch über die ewigen Dinge nach und entwickelte sich zunächst zum weltlich gesinnten Raufbold. Mit einer Rotte seiner Kommilitonen zertrümmerte er am 7. Dezember 1599 die Türen und Fenster am Hause des verhaßten Professors Schopper. Kaum aus dem Karzer entlassen, griff er, kurz vor Weihnachten, mit mehreren Kameraden einen Fähnrich der Stadtmiliz an, und als dieser von einem der Studenten erstochen wurde, organisierte Albrecht einen Aufruhr gegen die verstärkte Stadtwache. Als er gar im Januar 1600 einen dreizehnjährigen Laufburschen mit dem Ledergürtel verprügelte, weil der Unglückliche den betrunkenen Studenten keinen Wein mehr vom Wirt brachte, war das Maß voll: Albrecht wurde mit Schimpf und Schande von der Akademie verwiesen. Er reiste mit seinem Hauslehrer studienhalber durch Deutschland, Frankreich und Italien, lernte den Mathematiker und Astrologen Peter Virdungus, einen Freund Keplers, kennen und trat zum Katholizismus über. Mit zwanzig Jahren war er ausgebildeter Kavalier; er sprach tschechisch, deutsch und italienisch, beherrschte die Wirtschaftswissenschaft und die militärische Technik und war ein leidenschaftlicher Freund der Künste. Kaiser Rudolf IL schickte ihn 1604 als jungen Offizier gegen die Türken, deren Zelte schon seit 1593 unbehelligt in der Pußta standen. Dort lernte er den fünfundvierzigjährigen Oberst Tilly kennen, der als Artillerie-Kommandant kämpfte. Von Tilly wurde er, als eines Tages die Löhnung ausblieb, vierhundert Meilen weit nach Prag geschickt, um Geld aus den kaiserlichen Truhen herbeizuschaffen. Auf diesem höllischen Weg durch den Winter holte sich der junge Wallenstein den Keim zu seiner Lebenskrankheit, der Gicht. Aber der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, König von Böhmen und Ungarn, nomineller Herr über zweihundertfünfzig deutsche Reichsfürsten war arm. Sein persönliches Einkommen betrug jährlich nur dreizehntausend Gulden; davon erhielt allein sein Hofastrologe, der Däne Tycho Brahe, dreitausend Gulden, wozu noch zweitausend
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Gulden als Honorar für Privathoroskope kamen. Die Höfe von Wien und Prag litten manchen Tag buchstäblich Hunger. Wallenstein mußte viele Tage in den Vorzimmern warten. In der Unterhaltung mit den ebenfalls antichambrierenden Gesandten und Höflingen erfuhr er zum erstenmal, in welchen Nöten sich Kaiser und Reich befanden. Er ließ sich über die allerorts auflodernden Glaubenskämpfe unterrichten und über die politische Ausnutzung des Konfessionsstreites durch die deutschen Fürsten und die europäischen Mächte Frankreich, England und Schweden, die sich abwechselnd mit den Großen des Reiches verbündeten, um durch den Sturz des alten mitteleuropäischen Kaisertums selber mächtiger zu werden. Der sächsische Kurfürst allein, so sagte man ihm, halte die Ausrüstung für siebzigtausend Landsknechte bereit und werde sie eines Tages gegen die katholischen Anhänger des Kaisers marschieren lassen. Als Wallenstein endlich den Sold nach Ungarn gebracht und als Kommissar das kleine Streifkorps demobilisiert hatte, wurde er zum Obersten eines deutschen Regiments und 1607 zum Hofkämmerer des Erzherzogs Matthias ernannt. Als im selben Jahr der Halleysche Komet Europa in Schrecken versetzte, ließ er sich von Johannes Kepler das Horoskop stellen, das, von anderen Horoskopen ergänzt, von nun an sein Leben beherrschte. Kepler warnte ihn darin vor „Ehrdurst und Machtstreben", verglich sein Horoskop mit dem der Königin Elisabeth von England und verhieß ihm den Aufstieg zu Reichtum und Würden, wenn er nur „den Weltlauf in acht nehmen würde." Wallenstein hielt sich, durch die Sterne gewarnt, in, den nächsten Jahren zurück, während die Anhänger der wiedererstarkten katholischen und der um ihren Bestand ringenden protestantischen Kirche in der „Liga" und der „Union" fast unversöhnliche Fronten bezogen und rings hinter den Grenzen fremde Völker zum Einfall in das tödlich entzweite Reichsgebiet rüsteten. Frankreich stellte, zunächst auf dem Papier, eine aus den Angehörigen vieler Nationen gemischte Armee von dreihunderttausend Mann Infanterie und sechzigtausend Mann Kavallerie auf. England verlegte sich auf Intrigen, Gustav Adolf von Schweden, der das 17. Jahrhundert das „Jahrhundert der Feigheit" nannte, bereitete sich ebenfalls auf den Krieg 8
gegen das Heihge Römische Reich vor Auch der Kaiser blieb nicht untatig. Er erhob den tatkräftigen Kurfürsten Maximilian von Bayern zum Führer der katholischen Liga. Ein Funke genügte, um Europa in Brand aufgehen zu lassen
Es begann in Böhmen Kaiser Rudolf IL hatte den protestantischen Böhmen in seinem „Majestätsbrief" vom 9. Juli 1609 Glaubensfreiheit und den Bau von Kirchen und Schulen gestattet. Sein Nachfolger Matthias indessen hielt sich nicht an diese Zugeständnisse und durchsetzte die böhmische Landesregierung immer stärker mit katholischen Räten. Die Erbitterung darüber wuchs und schlug in Nationalismus um; an der Spitze der böhmisch-nationalistischen Bewegung stand Graf von Thurn, ein deutscher Calvinist, der vom ehemaligen kaiser-
Im Bürgermeisterhause zu Eger: Wallensteins Ermordung (Zeitgenössische Zeichnung) 9
liehen Offizier in die böhmische Aufstandsbewegung hinübergewechselt war. Unter seiner Führung zogen am 23. Mai 1618 bewaffnete Böhmen den Schlangenpfad zum Hradschin, der Prager Burg, hinauf, zum Sitz der kaiserlichen Regierung, um den kaiserlichen Statthaltern Martinitz und Slawata ihre Beschwerdebriefe zu überreichen. Die beiden nervösen Herren machten Einwendungen, es kam zur tätlichen Auseinandersetzung. Thurn packte Slawata, der ein Vetter Wallensteins war, am Arm, andere stürzten sich auf Martinitz — man warf die beiden und den Schreiber Fabricius zum Fenster hinaus. Sie fielen sechzehneinhalb Meter tief in den Morast, der ihnen das Leben rettete; Statthalter Slawata aber war schwer verletzt, Martinitz half ihm auf. Einige Hitzköpfe schössen auf die Fliehenden. Der Fenstersturz war der Alarm zum Aufstand in der Stadt. Man verjagte den Erzbischof, die Äbte. Die Welt draußen aber erschrak: Das war offener Aufruhr, das war die Kriegserklärung an den Kaiser. Überall tauchten Flugblätter über den „Prager Fenstersturz" auf. Die Schüsse auf dem Hradschin waren die ersten Schüsse des Dreißigjährigen Krieges, in dessen blutiger Flut die Bevölkerung Böhmens von drei Millionen auf achthunderttausend, die des deutschen Reiches von sechzehn auf sieben Millionen herabsank. Die Zeit des Wartens war nun für Wallenstein vorbei. Ohne Bedenken gab er seine böhmischen Güter auf, die vom Grafen von Thurn beschlagnahmt wurden, und trat auf die Seite des Erzherzogs Ferdinand; dieser Vetter des soeben verstorbenen Kaisers Matthias wartete auf seine Wahl zum Kaiser. Sein Oberst Wallenstein erstach in Olmütz den Obristenwachtmeister Khuen, weil er vor Thurn zurückgewichen war, erbeutete die Stadtkasse von Olmütz mit sechsundneunzigtausend Talern, ritt in Wien ein, das von dem eilig nachrückenden Grafen Thurn bedroht wurde, und zersprengte die Rebellen so nachdrücklich, daß Ferdinand nach Frankfurt ziehen konnte. Dort wurde er zum Kaiser gewählt und gekrönt. Vom 28. August 1619 an lenkte er als Ferdinand II. die Geschicke des Heiligen Römischen Reiches. Zwei Tage zuvor aber hatten die protestantischen Stände zu Prag den dreiundzwanzigjährigen Grafen Friedrich von der Pfalz zum, König von Böhmen gewählt. Ein tragikomisches Zwischenspiel begann, 10
Der junge, idealistische Graf zog mit seiner englischen Gemahlin nach Prag, wurde im Veitsdom zum König gekrönt und wartete auf die Hilfe seines Schwiegervaters, des Königs Jakob I. von England. Kaiser Ferdinand hielt in Wien noch Nachfeier, als der Graf von Thurn und der halb barbarische ungarische Bandenführer Bethlen Gabor bereits ihre Lagerfeuer im Wiener Wald angezündet hatten. Wallenstein warf sie zurück und erhielt zur Belohnung den Oberbefehl über zwei Regimenter. Tilly gelang es dann, nach der siegreichen Schlacht am Weißen Berge bei Prag, den „Winterkönig" Friedrich zur Flucht zu zwingen und gemeinsam mit Maximilian von Bayern das böhmische Kronland blutig zu säubern. Wallenstein aber ließ sich durch diese Erfolge der kaiserlichen Partei nicht täuschen. Er sah in klarer Erkenntnis der Weltlage einen langen Krieg voraus und begann, sich darauf einzurichten. Der kaiserliche Statthalter in Böhmen, Fürst Liechtenstein, übertrug ihm viele beschlagnahmte Güter der abtrünnigen böhmischen Adeligen, und Wallenstein hatte Zeit genug, sich zum Organisator und Finanzgenie europäischen Stils zu entwickeln. Er kaufte und verkaufte Güter, stellte von dem Erlös neue Regimenter auf und lieh dem Kaiser Geld. Bald konnte er von Ferdinand für sechs Millionen Gulden das Münzprägerecht in Böhmen, Mähren und Österreich erwerben. In wenigen Jahren gingen hundert Güter durch seine Hände. Durch seine Verbindungen mit den größten europäischen Bankhäusern wurde er der reichste Mann Europas; selbst der Kaiser wurde zu seinem Schuldner und ernannte ihn im Jahre 1623 zum Fürsten und Pfalzgrafen von Friedland, mit dem Recht, den Adelstitel zu verleihen. Als ersten adelte Wallenstein seinen treuen Hofmeister und Lehrer Hans Graf. Sein eigenes Wappen trug von nun an den Wahlspruch „Invita invidia": Dem Neid zum Trotz. Sein Fürstentum mit neun Städten und zweiundfünfzig Dörfern auf bestem böhmischen Ackerboden war zwanzig bis dreißig Millionen Gulden wert. Fast gleichzeitig mit seiner Erhebung in den Fürstenstand heiratete er, als seine erste Frau an der Pest gestorben war, die bildschöne Komteß Katharina von Harrach, deren Vater der nächste Berater des Kaisers war; der Hofkriegsrat von Questenberg und der kaiserliche Rat von Eggenberg wurden seine Freunde. Als Wallenstein in diesem Glücksjahr 1623 noch den geächteten Markgrafen 11
Mit dem Aufbegehren der böhmischen. Hussiten und dem. „Prager Fenstersturz" begann der Dreißigjährige Krieg (Holzschnitt aus einem Flugblatt der Zeit) von Brandenburg samt seinem Verbündeten Bethlen Gabor besiegt und verjagt hatte, machte ihn der Kaiser zum Befehlshaber der gesamten Infanterie beim Reichsheer. Jetzt konnte er handeln.
Aufstieg zum Feldherrn Tilly war nach dem Sieg am Weißen Berg in die Rheinpfalz des vertriebenen Winterkönigs eingerückt, hatte Heidelberg erobert und zusammen mit den Spaniern das Land nach hartem Kriegsrecht „gestraft". Kurfürst Maximilian von Bayern erhielt nun neben dem bayerischen auch den pfälzischen Kurhut; sein Mißtrauen gegen den „Böhmen" Wallenstein, dessen Gesicht er nicht leiden konnte, wuchs: Der „tschechische" General wurde ihm zu mächtig, seine kalte, rechnerische Betriebsamkeit ärgerte ihn, der doch der Führer der ReichsLiga war. 12
Wallenstein begann mit dem Bau eines Palastes in Prag; ein Pariser Schneider fertigte ihm den Herzogstaat an: den Elchkoller mit breitem Spitzenkragen und der scharlachroten Schärpe über der Brust, den grauen Biberhut mit roten Federn und die gutgefütterten Ledergamaschen gegen die Gicht; der neue Söldnerführer errichtete Werbeplätze in Böhmen, Schwaben und Franken und baute seine heimischen Güter zu riesigen Arsenalen für den Nachschub aus. Alles Kriegsgerät bis zum letzten Knopf, aller Proviant bis zum Bier wurde dort zum Abtransport auf der Elbe griffbereit gestellt — für einen langen, sehr langen Krieg, den weder der Kaiser noch Maximilian von Bayern wünschte; der Hof in Wien war für schnelle, glänzende Siege. Die ausländischen Reichsfeinde schlössen sich zusammen, um das Reich unter sich aufzuteilen. Holland versprach Truppen, England sammelte Geld, Richelieu, der mächtigste Staatsmann Frankreichs, bestach den noch zögernden Schwedenkönig Gustav Adolf, der an der deutschen Seite der Ostsee Besitzungen hatte und Anspruch auf Polen erhob. Im Nordwesten drohte der protestantische Söldnerführer Mansfeld, der „tolle" Christian von Braunschweig bereitete den Angriff vor, der dänische König Christian rüstete eine Flotte aus. In dieser bedrohlichen Stunde bot Wallenstein dem von allen Seiten bedrängten Kaiser ein Heer von fünfzigtausend Mann an, eine für damalige Verhältnisse ungeheure Armee. Der Kaiser zögerte, seinem Infanterieführer so viel Macht zu bewilligen, er schlug zwölftausend Mann vor, aber Wallenstein lehnte ab. Der Astronom Kepler hatte ihm noch im Dezember 1624 zehn astrologische Fragen beantwortet: Die Sterne standen günstig. Im Frühling 1625 brach der dänische König überraschend in Mitteldeutschland ein, Mansfeld marschierte vom Niederrhein heran, auch Christian von Braunschweig eröffnete die Feindseligkeiten gegen den Kaiser. Endlich bewilligte Ferdinand Wallenstein im Juni zwanzigtausend Mann und ernannte ihn gegen den Willen Maximilians zum Herzog von Friedland und alleinigen General der von ihm gestellten Truppen. Es war das buntscheckigste Heer der Welt, dessen Parade Wallenstein am 31. Juli 1625 abnahm. Deutsche, italienische, spanische, französische, wallonische, irische, schottische, litauische Söldner und 13
russische Kosaken gehörten ihm an. Nicht minder bunt gemischt waren die Heerführer, unter ihnen der junge italienische Fürst Ottavio Piccolomini, der italienische Grafensohn Isolani, der Spanier Marradas, der märkische Junker von Ihlow. Nur strengste Disziplin bis zum drohenden Galgen hielt dieses Söldnerheer zusammen, mehr aber noch der ansehnliche Sold, den der reiche Wallenstein pünktlich zahlte. Wie ein König trat er auf, der seit kurzem so schroffe, hochfahrende und verschlossene General. Auch sein Gefolge war fürstlich; Kammerherren., Stallmeister, Advokaten, Sekretäre und gallonierte Diener in Lichtblau und Karmoisin begleiteten ihn; fünfzig sechsspännige Karossen wurden für ihn und seinen Stab mitgeführt, fünfzig vierspännige Reisewagen nahmen die Diener und Köche und zehn Kutschen mit Glasfenstern die Sekretäre auf. Der alte Tilly in roten Paradehosen, grünem Atlaswams und gelben Stulpenstiefeln auf seinem kleinen Tigerschimmel wirkte bei der ersten Zusammenkunft in Ahlefeld gegen den böhmischen Fürsten geradezu armselig. Wallenstein führte die ersten Schläge mit sicherer Wucht. Der Herzog von Weimar und der tolle Christian wurden besiegt. Jüterbog wurde eingenommen, die Dänen und Braunschweiger bis nach Wolfenbüttel zurückgeworfen, die Elbebrücke bei Dessau gesichert. Nach der Einnahme Goslars warf sich Wallenstein auf den Dänenkönig und verfolgte ihn bis nach Tangermünde, seine Reiter saßen vierzig Stunden lang im Sattel. Mitten in seinem Siegeslauf wurde Wallenstein hinterbracht, Maximilian von Bayern habe dem Kaiser vorgeschlagen, er solle Tilly den Oberbefehl übergeben und Wallenstein nach Böhmen zurückschicken. Der Feldherr hatte indessen keine Zeit, diese Intrige zu zerschlagen; denn Mansfeld hatte inzwischen Zerbst eingenommen und rückte gegen die Dessauer Brücke vor, um Wallensteins Nachschub auf dem Wasserwege abzuschneiden. Der Herzog konnte diese Absicht vereiteln und errang an der Dessauer Brücke mit Kriegslist und Tapferkeit den glänzendsten Sieg dieses Feldzugs. Mansfeld verlor dreitausend Mann, dreißig Fahnen und zehn Kanonen. Die Söldner Wallensteins sangen von diesem Tage an das Lied: „Hell scheint die Sonne auf den Forst. Von Dessau kommt eine freudige Post: 14
Gebt acht!" Wallenstein nahm die gefangenen Iren, Engländer und Schotten in Sold und brachte sein Heer dadurch in kurzer Zeit auf fünfzigtausend, später auf siebzigtausend Mann. Die Beute schickte er nach Wien. Seine wiederholt vorgebrachte Hauptbitte wurde indessen abgeschlagen: die Besetzung Schlesiens. Die Flankendeckung an dieser Stelle schien ihm lebenswichtig, einmal, um die Kaiserstadt Wien zu sichern, dann aber auch, um die Verbindung der im Norden stehenden Feinde mit dem aufständischen Ungarnführer Bethlen Gabor zu verhindern. Der Kaiser wiederum wollte seine schlesischen Lande vor den Übeln einer Besetzung bewahren. Ferdinands Kurzsichtigkeit rächte sich schon bald. Mansfeld rüstete blitzschnell wieder auf. Zwanzigtausend Mann seiner Infanterie rollten auf requirierten Bauernwagen gegen das nidit geschützte Schlesien vor, wo Bethlen Gabor mit vierzigtausend Ungarn und Türken auf ihn wartete. Diese Nachricht wirkte in Wien wie ein Donnersdilag. Wallenstein, der mit seinem Rücktritt gedroht hatte, wurde gegen den Protest Maximilians von Bayern zum obersten Befehlshaber aller kaiserlichen Truppen zwischen Donau und Scheide ernannt. Dann marschierte er nach Schlesien; in drei Wochen legte sein Heer fünfhundert Kilometer zurück. Sein Nimbus als Sieger wirkte Wunder; er brachte Bethlen Gabor ohne einen Schwertstreich durch bloße Verhandlung dazu, sich von Mansfeld loszusagen und einen Vertrag mit dem Kaiser zu schließen. Mansfeld floh über die Berge auf den Balkan; an der Grenze von Bosnien und Dalmatien, im Dorfe Kakowa, packte ihn das Fieber. Todkrank ließ er sich seine Rüstung anlegen und focht mit seinem Schwert draußen in der Dunkelheit im Delirium gegen einen vermeintlichen Feind, bis er tot zusammenbrach; kurz vorher war auch der tolle Christian gestorben, Tilly hatte bei Lutter am Barenberg die Dänen geschlagen, und so schien alles zum besten zu stehen. Wallenstein hielt sich jetzt auf Grund der veränderten Lage für berechtigt, dem Kaiser seinen Gesamtkriegsplan zu unterbreiten. Hauptziel dieses Planes war nicht der Vernichtungskrieg mit schnellen Siegen, wie es der Kaiser wünschte, sondern der Ermattungskrieg. Der hellsichtige Feldherr sah voraus, daß weitere ausländische 15
Truppen über kurz oder lang die deutsche Grenze überschreiten •würden; deshalb mußte das Reichsheer möglichst geschont werden, um Schweden, Dänemark, Frankreich und Holland kräftig entgegentreten zu können; wurde es vorzeitig abgenutzt, so wäre es den Fremdmächten ein leichtes gewesen, dem verhaßten Reich den Todesstoß zu versetzen. Wallenstein mahnte den Kaiser auch, die Reformation nicht mit blutigen Mitteln zu unterdrücken; er schlug ihm vielmehr vor, ein eigenes kaiserliches Heer auf die Beine zu stellen, die Kurfürsten zum Gehorsam und Frieden zu zwingen und erst nach der Herstellung des Reichsfriedens die ausländischen Invasionsheere über die Grenzen zu jagen. Ferdinand II. nahm den Plan scheinbar an. Wallenstein ging nach Prag, legte den böhmischen Ständen unnachgiebig Kriegssteuern auf und quartierte einen Teil seiner Truppen in den kaiserlichen Gütern Schweidnitz und Jauer ein. Als der Kaiser protestierte, schrieb er ihm: „Der König (gemeint war Ferdinand als König von Böhmen) muß gedenken, daß er soll Monarch der Welt werden und nicht nur Herr von Schweidnitz und Jauer, die ohnehin nichts einbringen." Auf diesen stolzen Verweis hin wurde Wallenstein nach Wien zitiert, damit er dort mit dem Kriegsrat seinen Gesamtplan berate. Trotz seiner Gicht machte sich der Feldherr auf den Weg, lag auf der Reise krank in einem Dorfwirtshaus und traf erst nach vier Wochen in der Reichshauptstadt ein. Schon in Prag hatte er erleben müssen, wie ein Teil seines Palastes in Flammen aufging; jetzt, am Tage nach seiner Ankunft, brannte das Wiener erzbischöfliche Palais samt zwei Klöstern und hundertachtundvierzig Häusern nieder, und die Intriganten am Hofe erblickten darin ein Teufelswerk, das der „Ketzer" Wallenstein auf dem Gewissen habe. Da die Kurfürsten aus Eigennutz gegen seinen Plan zur Bildung einer kaiserlichen Hausarmee protestierten, beschloß Wallenstein am Ende der Wiener Beratungen, dem Hof seine Begabung auch für den Blitzkrieg zu beweisen. Schon hatten Mansfeld, der Herzog von Weimar und der Däne die schlesischen Festungen Leobschütz, Jägerndorf, Kosel, Teschen und Troppau wieder besetzt, zur tiefen Beschämung des Kaisers, der noch vor kurzem Wallenstein untersagt hatte, Schlesien ausreichend zu sichern. 16
Der Hradschln, das böhmische Königsschloß zu Prag, zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges
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Der Sommerfeldzug wurde mit der äußersten Erbitterung geführt. Die Wallensteiner überquerten auf ihrem zweiten Marsch nach Schlesien Gebirge, Ströme und Moore. Vor den befestigten Städten wurden sie mit brennendem Pech und Schwefel und siedendem Wasser von den Türmen und Mauern herab überschüttet. Eine Kanonenkugel zerfetzte das Zelt Wallensteins — aber nach ein paar Wochen fielen alle Festungen, und die erbeuteten Standarten wurden im Triumph durch die Straßen Wiens getragen. Der siegreiche Feldherr ließ fünfzehntausend Mann in Schlesien zurück, eilte in Gewaltmärschen siebenhundertfünfzig Kilometer weit nach Norden, vereinigte sich bei Lauenburg mit Tilly, nahm Pinneberg an der Eibmündung, jagte Thurns Kavallerie gegen Rendsburg und führte die kroatischen Reiter über die von den Dänen durchstochenen Deiche. Im rasenden Sturm fielen Elmshorn, Steinburg, Hasseldorf und Keltingen, danach Rendsburg und Itzehoe. Wallenstein erstürmte selber Schloß Breitenstein, ließ die schottischen Verteidiger niederhauen und erledigte die Reste der dänischen Kavallerie bei Aalborg. Als am Ende dieses blutigen, furiosen Meisterstücks die dänische Armee vernichtet und König Christian auf die Inseln geflohen war, riet Wallenstein dem Kaiser, mit Dänemark Frieden zu schließen, die Türken anzugreifen und eine europäische Verfassung zu verkünden. Er stand im Zenit seines Ruhmes, im Lichtschein eines Reiches, das sich von der Ostsee bis nach Sizilien und Spanien erstreckte. Man bot ihm insgeheim die dänische Königskrone an, wenn er den Kaiser verriete; er lehnte ab, der Kaiser machte ihn zum Herrn des Herzogtums Mecklenburg. Um diese Zeit gebar ihm seine Gemahlin Isabella den Erben, ein Knäblein; er eilte auf sein Schloß Gitschin und ließ im Norden seine Offiziere Arnim, Piccolomini und Gallas zurück. Im überströmenden Glücksgefühl äußerte er: „Jetzt kann ich noch viermal mehr schaffen als bisher!" Das Knäblein wurde auf den Namen Karl Albrecht getauft. Der Kaiser verkaufte dem glücklichen Vater das Fürstentum Sagan und erlaubte ihm, bei der Audienz und beim Bankett den Hut aufzubehalten — eine unerhörte Gunst, die sonst nur den reichsunmittelbaren Fürsten gewährt wurde. Wallensteins umfangreiche lateinische Titulatur lautete in dieser Zeit: 18
„Albrecht, von Gottes Gnaden Herzog des Großstaates Friedland, Sagan und Glogau, Fürst der Wenden, Graf von Schwerin, Herr von Rostock und Stargard, Generalissimus des Kriegsheeres Seiner Kaiserlichen Majestät, Großadmiral des ozeanischen und baltischen Meeres." In diesen Tagen wurde der kaiserliche Kronprinz, der wie sein Vater Ferdinand hieß, in Prag zum König gekrönt. Nach den rauschenden Festen, bei denen italienische Komödien und kostspieliges Feuerwerk gezeigt wurden, begann jedoch der Stern des zweitmächtigsten Mannes im Reiche, des zweifachen Herzogs, des Fürsten und Generalissimus Wallenstein sich mehr und mehr zu verdunkeln. So machtvoll die Würdetitel des mächtigen Mannes auch klangen — es gab noch einen Titel, der ihm versagt war, der des Princeps Vandalorum, des Fürsten der Wenden und Polen. Diesen uralten Beinamen aus den Kämpfen zwischen Germanen und Slawen in der norddeutschen Tiefebene wollte sich Gustav Adolf von Schweden neu verdienen; er lag auf dem Sprunge, um Polen aus dem Reich zu brechen. In ihm mußte Wallenstein, der Mensch mit der germanisch-slawischen Doppelseele, den Feind seines Lebens sehen.
Das Kriegsglück wechselt Drei Wochen nach dem letzten glücklichen Weihnachtsfest, am 13. Januar 1628, starb das Söhnchen Wallensteins im Alter von zwei Monaten und wurde in der Kirche von Walditz neben der ersten Frau begraben. Isabella konnte nach der ärztlichen Diagnose kein Kind mehr empfangen. Dieser Schicksalsschlag traf den unglücklichen Vater tief. Die Einsamkeit wuchs um ihn ebenso, wie sich der Neid und die Intrigen gegen ihn am kaiserlichen Hofe verstärkten. Um so heftiger warf er sich nun m die Aufgaben, die ihm die Geschichte stellte: Es galt, unter allen Umständen eine Landung der Schweden unter Gustav Adolf auf deutschem Boden zu verhindern. Er schlug dem Kaiser vor, die achtundzwanzig Häfen in Pommern zu befestigen und den Glanz und die Pracht der alten Hansestädte zu erneuern: Sie sollten eine Flotte ausrüsten, mit der er die Ostsee 19
abriegeln wollte. Gustav Adolf indessen kam ihm zuvor und schloß mit dem dänischen König einen Vertrag des Inhalts, daß acht schwedische Kriegsschiffe in der Ostsee kreuzen dürften. Ein schottischer Kaufmann bot Wallenstein an, er wolle für dreißigtausend Taler diese Flotte in Brand stecken; der Mann verschwand aber auf Nimmerwiedersehen, als er das Handgeld erhalten hatte. Verhängnisvoller war ein zweiter Fehler Wallensteins: Er erteilte Piccolimini einen Verweis, weil er, ohne ihn zu fragen, eine Stadt im Norden wegen der Ermordung eines Fähnrichs mit dreißigtausend Talern Strafe belegt hatte. Der gekränkte Italiener sagte sich von diesem Tage an von Wallenstein los. Um diese Zeit vertraute der Feldherr sein Geschick abermals den Sternen an. Kepler erhielt ein Jahresgehalt von tausend Talern für regelmäßige Horoskope; andere Astrologen stellten ihm Horoskope über Gustav Adolf und sämtliche europäischen Herrscher. Hatte Wallenstein die Nerven verloren? Mit dem höchsten europäischen Orden, dem Goldenen Vlies ausgezeichnet, nahm er am 13. Mai 1628 Abschied von Wien, um die feste Stadt Stralsund zu erobern. Mörserkugeln und Brandgranaten hagelten auf die dicken Backsteinmauern. Die protestantischen Stralsunder Bürger aber warfen einen gefangenen Kaiserlichen, reich gekleidet und mit vergoldeter Hellebarde, vor den Augen der Belagerer in den Knieperteich und schrien: „Auf das Wohl des Papstes!" Dänische Segler setzten zum Schutz der Stadt tausend Schotten und Deutsche an Land. Wallenstein rief im Schein der Blinkfeuer, mit denen sich die Stralsunder mit den Dänen verständigten, aus: „Stralsund muß herab, und wäre es mit Ketten an den Himmel gefesselt!" Er erstürmte mit tausend Mann die Außenwerke des Frankentores. An einem einzigen Tage fielen 1564 Schuß Artillerie auf die Stadt, aber die Mauern hielten stand. Am 17. Juli landeten elftausend Dänen unter General Holk, tags darauf weitere achttausend Mann, es regnete in Strömen, und Wallenstein brach die Belagerung ab. Wohl konnte er, in tiefem Schlamme watend, noch Wolgast erobern, aber nun fielen auch die Hansestädte ab, und ihr spöttischer Spruch, der auf den kaiserlichen Doppeladler anspielte, machte die Runde durch Europa: „Niemals hat ein Adler schwimmen können". 20
Der Schwedenkönig Gustav Adolf, Wallensteins großer Gegner, nach seiner Landung an der deutschen Küste Zu der Schlappe von Stralsund kamen weitere unheilvolle Ereignisse. Ohne daß Wallenstein oder ein anderer es verhindern konnte, rückte Frankreich in Italien ein und griff die dortigen habsburgischen Besitzungen an. Die deutschen Fürsten erwirkten beim Kaiser ein Verbot, nach dem Wallenstein keine neuen Truppen mehr ausheben durfte; zugleich drohten sie, sie würden ein Bündnis mit Frankreich schließen, wenn Seine Majestät die Reichsverfassung ändere. Auf dem Höhepunkt dieser allgemeinen Verwirrung erließ 1629 Kaiser Ferdinand II. das Restitutionsedikt: Alle seit 1552 protestantisch gewordenen Kirchengüter und Bistümer sollten den Katholiken zurückerstattet werden. Wallenstein war tief empört und stellte sich zum ersten Male öffentlich gegen den Kaiser; um die Hansestädte wieder auf seine 21
Seite zu ziehen, versprach er ihnen, daß er das Restitutionsedikt nicht durchführen werde. Ein Sturm der Entrüstung brach unter den Kaiserlichen gegen ihn los. Der Reichstag wurde nach Regensburg einberufen. Die kaisertreuen Fürsten verdächtigten ihn, er strebe nach der Krone Karls des Großen. Man nannte ihn „den H a ß und Ekel des Menschengeschlechtes", und schließlich wurden die Herren Werdenberg und Questenberg beauftragt, Wallenstein, der währenddessen mit aller Pracht in Memmingen Hof hielt, zum Rücktritt zu bewegen. Zu ihrer höchsten Überraschung empfing er sie mit großer Freundlichkeit: die Sterne hätten ihm längst alles vorausgesagt, erklärte er, und er sei bereit, zurückzutreten. Beim Abschied beschenkte er die Gesandten reichlich und reiste nach Prag zu seiner Frau. Noch einmal genoß er hier die Süßigkeit des großen Lebens. Täglich wurden hundert Gerichte aufgetragen, täglich erhielt Isabella frische Blumen, täglich versorgte er Tillys Truppen mit Proviant und wechselte Briefe mit allen europäischen Herrschern, auch mit dem Papst. Der Florentiner Maler Bienco malte ihn im Festsaal des Prager Schlosses als lorbeerumkränzten antiken Triumphator, der mit vier weißen Sonnenrossen über den Himmel f ä h r t . . . Während Gustav Adolf, dem Frankreich dreihunderttausend Taler ausgezahlt hatte, mit großen schwedischen Aufgeboten in Pommern landete und Kolberg, Landsberg an der Warthe, Frankfurt an der Oder und Neubrandenburg eroberte, empfing Wallenstein in Prag die Abgesandten der böhmischen Vertriebenen, unter ihnen Terzka und Kinsky. Durch Terzkas Mutter nahm er Verbindung mit dem
Wallensteins Namenszug als Herzog von Friedland; die Schrittzeichen bedeuten A H Z Friedland: Albrecht Herzog zu Friedland 22
Grafen Thurn auf, dessen Devise lautete: „Meine Instruktion, Herz und Gemüt ist, den Kaiser um alles zu bringen." In französischen Zeitungen tauchte die Nachricht auf, England und Schweden hätten Wallenstein ihre Hilfe gegen den Kaiser angeboten. Bereitete Wallenstein den Verrat vor? Vieles deutete darauf hin: Er rührte sich nicht, als die Schweden sein Herzogtum Mecklenburg besetzten, er schickte Tilly keinen Proviant mehr, er verkaufte die Getreideernte des Jahres 1631 an Hamburg und verhandelte mit Gustav Adolf. Der Schwedenkönig versprach ihm, zu seiner Unterstützung zehn- bis zwölftausend Mann samt Artillerie nach Prag zu schicken, böhmische Verbannte boten Wallenstein die Königskrone an. Der Friedländer spielte offenbar ein gefährliches Spiel. Zwar waren solche „Praktiken" damals ein wichtiges und von allen Seiten gebrauchtes Mittel, um auf dem Wege des Unterhandelns den Gegner auszukundschaften. Als sich aber die Lage bedenklich zuspitzte, ohne daß Wallenstein einen Finger rührte, zweifelte niemand mehr daran, daß der Herzog sich am Kaiser zu rächen suchte. Die Schweden rückten weiter vor, Sachsen trat offen zu Gustav Adolf über, ebenso Brandenburg. Wallenstein kostete offensichtlich seine Rache weiter aus. Er sandte an den Grafen Thurn tausend Dukaten als Geschenk, er sah zu, wie Tilly von Gustav Adolf geschlagen wurde und der Schwedenkönig in einer kühnen Schwenkung über Erfurt, Würzburg, Nürnberg nach Mainz zog. Erst im Dezember 1631 stellte er dem Kaiser die Bedingungen, unter denen er den Oberbefehl wieder übernehmen und ein Heer von vierzigtausend Mann auf die Beine stellen wolle: Er forderte Aufhebung des Restitutionsediktes und Einführung eines Wahlkönigtums in Böhmen. Außerdem verlangte er, daß er allein alle Offiziere ernennen dürfe. Als Gustav Adolf Bamberg besetzte, preßte Wallenstein dem Kaiser noch das Recht der Begnadigung, der Konfiskation und des Vertragsabschlusses mit anderen Monarchen ab: Er war zum Diktator Kaiser Ferdinands geworden, der sich all seinen Forderungen fügte. Wallenstein erschien aber erst auf dem Kriegsschauplatz, als der einundsiebzigjährige Tilly in Rain am Lech tödlich verwundet worden war und Gustav Adolf Augsburg und München besetzt hatte. In 23
kurzer Zeit gelang es ihm, die Sachsen aus Böhmen zu verjagen, und Gustav Adolf ging nach Nürnberg zurück. Dort besiegte ihn der Friedländer so schnell, daß er nur mit knapper Not von finnischen Kürassieren gerettet wurde; der Schwedenkönig führte sein Heer über die Thüringer Berge nach Sachsen, und dort, auf dem Marsch nach Leipzig, schlug ihm die letzte Stunde. Am 16. November 1632 hielt Gustav Adolf auf der nebligen Ebene bei Lützen die Morgenandacht. Auf der Gegenseite ließ sich indessen Wallenstein in der roten Sänfte von Stellung zu Stellung tragen. Beide, der König und der Feldherr, ermunterten ihre Reihen in verschiedenen europäischen Sprachen zur Tapferkeit. Gustav Adolf trug wegen einer alten Wunde keinen Panzer. Als die Sonne durch den Nebel brach, legte auch Wallenstein seinen Panzer ab, ebenso alle seine höheren Offiziere: Es schien ein ritterlicher Zweikampf zwischen den beiden Führern bevorzustehen. Die Truppen beider Männer hatten die Länder ausgesogen, nach dem Grundsatz: Der Krieg muß den Krieg ernähren. Brennende Dörfer und Städte, beraubte, getötete Menschen säumten die Heeresstraßen — kein Feldherr dieser Zeit war frei von Schuld. Um zehn Uhr vormittags stimmten die Schweden ihren Schlachtruf an: „Herr Jesu, hilf!" Die Kaiserlichen riefen: „Jesus, Maria!" Auf der rechten Flanke brannte Lützen. Der Kampf begann. i Um zwei Uhr nachmittags ritt Gustav Adolf Attacke gegen die schweren Reiter Piccolominis, der bereits auf dem fünften Pferde saß: Vier waren ihm unter dem Leib weggeschossen worden. Auch Pappenheim ritt Attacke, sein Ruf: „Wo kommandiert der König?" gellte durch den sinkenden Nebel, dann traf ihn die tödliche Kugel. Gustav Adolf hatte bei einem Sturz den linken Arm gebrochen. Kaum wieder im Sattel, durchbohrte eine Kugel seinen Rücken. Der Herzog von Lauenburg, der neben ihm ritt, hastete davon, der achtzehnjährige Page Laublfing, selber verwundet, bettete seinen todwunden König auf die Erde. Piccolominis Kürassiere preschten heran. Einer rief: „Wer liegt da?" Gustav Adolf richtete sich auf und antwortete: „Ich war der König von Schweden." Darauf wurde er erschlagen und bis auf die Strümpfe entkleidet. Sein weißes Schlachtroß, dem das Blut aus Hals und Nüstern troff, irrte durch die schwedischen Reihen. 24
Die Kaiserlichen unter Tilly vor Magdeburg, 1631 25
Wallenstein blieb unverletzt; mehrere Kugeln hatten seinen schweren Mantel durchbohrt, eine Kanonenkugel hatte ihm einen seiner Sporen abgeschlagen. Die Nacht sank herab. Auf dem Schlachtfeld lagen sechstausend erschlagene Kaiserliche und viertausend aus dem Schwedenheer. Nach Gustav Adolfs Tode, den Wallenstein mit den Worten zur Kenntnis genommen hatte: „Es war kein Platz für uns beide in Deutschland", führte der Friedländer seine Truppen gen Leipzig, statt die zurückflutenden Scharen seines toten Gegners zu verfolgen. In Wien wurde ein Tedeum gehalten, in Madrid ein Schauspiel „Der Tod des Königs von Schweden" aufgeführt. Aber hatte der Kaiser wirklich gesiegt?
Im Zwielicht der Sterne Oxenstjerna übernahm den Oberbefehl über das schwedische Heer. In diesem geschichtlichen Augenblick, während in Sachsen, Westfalen, Schwaben, im Elsaß und in Italien die weit voneinander getrennten Gegner kämpften — auch Frankreich war in die deutschen Lande eingedrungen und hatte Metz und Trier besetzt —, versprach Wallensteins Kriegsplan der Zermürbungstaktik offensichtlich keinen Erfolg mehr; er hätte jetzt unstreitig, wie der Wiener Kriegsrat es wollte, die verstreuten Feinde angreifen und einen nach dem anderen erledigen können. Statt dessen führte er seine Armeen in die Winterquartiere in den böhmisch-mährischen Erblanden. Von seiner Gicht geplagt, saß er mit seinem Astrologen Seni in einem Kabinett seines Prager Palastes und beobachtete in klaren Winternächten die Sterne. Seine Offiziere und Soldaten belohnte er reichlich mit Geld und Adelstiteln. Der Däne Holk erhielt allein achtzehn böhmische Dörfer und den Feldmarschallstab. Wallenstein fühlte sich als Herr über Leben und Tod: Am 14. Februar 1633 wurden auf seinen Befehl in Prag achtzehn „empörerische" Offiziere hingerichtet. Er suchte erneut Verbindung mit Frankreich und Schweden und nahm den Grafen Thurn als Generalleutnant in seine neue Armee auf, die — eine geniale Leistung seines militärischen Organisationstalentes — aus hundertzwanzigtausend Mann bestand. 26
Immer noch beherrschte ihn die Idee eines allgemeinen Friedens und spaltete seine Entschlußkraft bis zum krankhaften Eigensinn. Als der spanische Gesandte in Wien eine spanische Hilfsarmee von vierundzwanzigtausend Mann anbot, die dem Vizekönig von Mailand unterstellt werden sollte, schrie er: „Der König von Spanien soll wissen, daß ich im Römischen Reich Generalissimus bin. Ich erkenne keinen General an, er komme, woher er wolle!" Mit diesem größenwahnsinnigen Spruch hatte er abermals die Grenze überschritten, die seinem Amt gezogen war. Sein Heer hielt er in Böhmen zurück — wozu? Hatten seine Feinde recht, wenn sie behaupteten, er strebe nach der böhmischen Königskrone und behandle den Kaiser wie den eigenen Hofnarren? Daß er mit dem böhmischen Adel paktierte, daß er auf die Angebote Frankreichs zwar nicht ja aber auch nicht nein sagte, war Tatsache. Und worüber verhandelte er am 12. Juni mit dem Grafen Thurn in einem türkischen Zelt, das er sich eigens in Konstantinopel hatte anfertigen lassen? Als dann bekannt wurde, daß Oxenstjerna mit der Übertragung der böhmischen Königskrone an Wallenstein und mit einem allgemeinen Frieden einverstanden sei, war das die offene Rebellion gegen den Kaiser als Führer der Reichspolitik. Wallenstein gab keine Erklärung ab. Als aber die angekündigte spanische Armee nun tatsächlich in Marsch gesetzt wurde, soll er sich bereiterklärt haben, die Offensive gegen den Kaiser einzuleiten, obwohl er in diesen Tagen der Kaiserin Eleonore einen kostbaren Ring nach Wien schicken ließ. Wien wollte endlich Klarheit haben und entsandte am 13. August den Grafen Schlick zur Überprüfung seiner Absichten zu Wallenstein; er hatte den Nebenauftrag, Piccolomini und Gallas zu bestechen, falls „mit dem Oberbefehlshaber krankheitshalber oder aus anderen Gründen eine Veränderung vorgegangen sei." Wallenstein warf den Grafen aus seinem Haus. Überall, auch an der Frankfurter, Hamburger und Bremer Börse wurden Wetten abgeschlossen, ob Wallenstein abfallen werde oder nicht. Wallenstein schwieg nach allen Seiten. So zogen sich auch Frankreich, Venedig und Schweden von dem Manne zurück, der an „schiefrigen" Anfällen litt und seine „schlafende Armee" nicht im Bunde mit ihnen marschieren ließ. 27
Nur einmal noch, als das Horoskop Sems ihm einen Sieg verhieß, bewies er, daß er konnte, wenn er nur wollte. Plötzlich brach er auf, warf die Truppen Arnims, der längst zu den Sachsen übergewechselt war, zurück, zwang Thurn bei Steinau an der Oder zur Waffenstreckung, eroberte Glogau und Krossen, Landsberg und Frankfurt an der Oder, drang bis Berlin vor und besetzte Görlitz und Bautzen. Aber vor Dresden machte er ebenso plötzlich halt. So konnte Bernhard von Weimar ungestört Regensburg erobern. Das Grab Keplers, der während des letzten Regensburger Reichstags dort gestorben war, wurde von den Bomben unkenntlich gemacht. Vergebens erbat und befahl der Kaiser den Gegenangriff: Wallenstein zog sich wieder nach Böhmen zurück. Mit diesem Akt offenen Ungehorsams sagte sich Wallenstein von Kaiser und Reich los. Streitschriften bezeichneten ihn von da an offen als Verräter. Der kaiserliche Rat Questenberg, mit dem Wallenstein durch eine zwanzigjährige Freundschaft verbunden war, bewog den Kaiser noch einmal, Wallenstein den Angriff zu befehlen. Der Feldherr gab keine Antwort und rief am 17. Dezember 1633 seine Offiziere zusammen. Man beschloß, in den Winterquartieren zu bleiben: Die „Pfaffen und Höflinge sollten es den Soldaten überlassen, Krieg zu führen". Wallensteins Gicht war in dieser Zeit brandig entartet. Ständig war er von Ärzten umgeben. Der Verbrauch an Räucherkerzen, Herzkräutern und Klistiermitteln war übermäßig hoch. Täglich brachte er mehrere Stunden im Schwitzbad zu. Auch fürchtete er, vergiftet zu werden. Über alles körperliche Elend hinaus aber tönte der Schrei seiner wunden Seele: „Oh Friede, Friede, Friede!" In seinen Augen hatte der Kaiser durch sein Restitutionsedikt diesen Reichsfrieden zerstört, als er den alten Zustand wiederherstellen wollte: niemals würden die protestantischen Fürsten ihre beschlagnahmten Kirchengüter wieder herausgeben! Da der Generalissimus sich versagte, befahl der Kaiser dem Oberst de Suys, gegen Regensburg zu marschieren. Wallenstein drohte, er werde dem Oberst den Kopf vor die Füße legen, wenn er dem Kaiser gehorche. 28
Im Januar 1634 lud Wallensteins Vertreter Ihlow sämtliche Obersten nach Pilsen ein. Bei einem Bankett brachte er sie dazu, ein Schriftstück zu unterzeichnen, in dem sie ihrem General unverbrüchliche Treue gelobten. Die strenge Disziplin, die Wallenstein bisher geübt hatte, zerbrach an diesem Abend, an einem Hexensabbath der Landsknechte. Stühle und Fenster wurden zerschlagen, Becher und Teller unter Johlen auf die Straße geworfen. Man beschimpfte sich gegenseitig als „Hundsnasen" und zog die Degen — aber man blieb bei dem gemeinsam unterschriebenen Gelöbnis, und der Treueschwur ging als „Erster Pilsener Schluß" schriftlich nach 'Wien. Am 24. Januar unterzeichnete Kaiser Ferdinand II. die Urkunde über die Absetzung Wallensteins. Alle seine Offiziere wurden vom Treueid entbunden, Kronprinz Ferdinand wurde zum Generalissimus ernannt, Gallas und Aldringen, Generale Wallensteins, erhielten selbständige Kommandos, Piccolomini und Colleredo wurden mit dem Feldmarschallstab ausgezeichnet. Rädelsführer und Hauptverschworene sollten gefangen oder getötet, Wallenstein selbst lebendig oder tot nach Wien gebracht werden. Aber man scheute sich, diese Urkunde zu veröffentlichen. Sie wurde nur den Haupteingeweihten, vor allem Piccolomini, Gallas und Colleredo, mitgeteilt. Der Kaiser selbst korrespondierte mit Wallenstein in der bisher üblichen Form. Wallensteins Unterhändler Franz Albrecht verhandelte währenddessen mit Arnim, dem Befehlshaber der sächsischen Truppen, und mit dem Kurfürsten von Brandenburg, ohne Wallenstein vom Scheitern dieser Verhandlung Mitteilung zu machen. Am 13. Februar verbot Gallas insgeheim sämtlichen kaisertreuen Offizieren, weiterhin Befehle von Wallenstein, Terzka und Ihlow auszuführen; er sicherte Budweis, Tabor und die Pässe nach Österreich. Colleredo bewog auch die schlesischen Regimenter zum Abfall. Wallenstein, immer noch ahnungslos, setzte den Treulosen ab und gab Anweisung, die eigenen und die sächsischen Regimenter dem Oberbefehl unter Arnim, der indes von dem kranken Feldherrn nichts mehr wissen wollte, zusammenzufassen. Während er krank darniederlag, verließen seine Offiziere und Mannschaften heimlich die Stadt. Pilsen wurde menschenleer. Nur wenige Obristen und Sterndeuter sowie ein paar tausend Lands29
knechte blieben zurück. Auch der spanische Resident Novarro reiste ab, der bayerische Agent schrieb nach München: „Ich bin auch allhier schier net sicher!" Franz Albrecht, von Berlin zurückgekehrt, schrieb verzweifelte Briefe an Arnim und bat ihn, wenigstens etliche tausend Reiter an der Meißenschen Grenze zum Eingreifen bereitzuhalten: „Bei Gott, wir dürfen den Herzog nicht verlassen." Schließlich begab er sich sogar nach Regensburg, um beim Herzog Bernhard von Weimar Hilfe für Wallenstein zu suchen. Am 18. Februar wurde ein kaiserlicher Fehmebrief veröffentlicht, der die Armee davon unterrichtete, Wallenstein sei ein Verschwörer gegen die Majestät des Kaisers; die Ächtung wurde jedoch in Pilsen nicht bekannt gemacht. Wallenstein hatte dort am 20. Januar noch einmal seine treu gebliebenen Offiziere zum zweiten Pilsener Schluß zusammengerufen, ohne zu wissen, daß Piccolomini zur gleichen Zeit bereits mit dreitausend Reitern gegen die Stadt vorrückte, um den „furfante traditore", den „nichtswürdigen Verräter", zu fangen. Erst am 21. Februar, als das kaiserliche Dekret auch in Pilsen angeschlagen wurde, ward Wallenstein sich seiner bedrohlichen Lage bewußt. Noch am gleichen Tage entschloß sich das Hauptquartier zur Flucht nach Eger. Dort hoffte man, schneller mit den ersehnten Truppen Bernhards von Weimar Fühlung nehmen zu können. Hinter dem fliehenden Wallenstein brach die ganze Armee, brach sein Lebenswerk zusammen. Der letzte, katastrophale Akt der Tragödie begann.
Das Nachspiel Als dem Kaiser am 3. März die Ordenskette des Goldenen Vlieses, die der tote Feldherr getragen hatte, zurückgegeben wurde, rief er aus „Ach, mein Wallenstein! Sie haben ihn schwärzer gemalt, als er war." Er ließ dreitausend Messen für das Heil seiner Seele halten — seiner Seele, die, wie Gallas berichtete, mit flintenschußartigem Getöse während eines Februargewitters ausgefahren sei. Gallas war es auch, der Piccolomini daran hinderte, die Leiche Wallensteins in Prag öffentlich auszustellen; sie wurde schließlich Max von Waldstein übergeben und erst 1785 samt der sterblichen Hülle seiner Frau in der Kapuzinerkapelle in Münchengrätz beigesetzt. Genau dreihundert Jahre nach seinem Tode, 1934, wurde dem Generalissimus ein Grabmal aus schwarzem Marmor errichtet. 30
Die Mörder wurden reichlich belohnt. Butler erhielt Wallensteins Besitz in Hirschberg, Leslie bekam Neustadt, Devereux wurde zum Kämmerer ernannt und empfing einen ansehnlichen Ehrensold und einige Landgüter. Das Herzogtum Friedland wurde aufgeteilt. Gallas erhielt einen reichen Teil davon, dazu Reichenberg, Kinskys Haus und Garten in Prag und Ihlows Silber. Nachod fiel an Piccolomini, Aicha und Terzkys Gut in Teplitz kamen an Aldringen, die schlesischen Güter kehrten in den Besitz des Kaisers zurück.
* Das unruhige, zerschlagene, kranke Leben Wallensteins war zum Symbol des Reiches geworden. Seine Genialität ist unbestritten. Der kühle Rechner stellte nicht nur seine ungeheuren Heere immer zum festgesetzten Zeitpunkt auf die Beine und versorgte sie bis zum letzten Schuhnagel, er leistete auch täglich die Arbeit eines ganzen Armeestabes. Er sah und ordnete viele Dinge zugleich. Die Geschichtsschreiber stellen ihn in dieser Hinsicht über Cäsar und Napoleon. Er verstand es, alle Stände und Gewerbe Böhmens für die Kriegsversorgung zu mobilisieren und die Industrien anzukurbeln. Er kaufte rechtzeitig die Rohstoffe ein, gab die Getreidesorten an, die angebaut werden sollten, legte Wege und Brücken an und regulierte die Bäche, so daß der Nachschub auf dem schnellsten Wege zu Wasser und zu Lande an die Truppe herangebracht werden konnte. Als Finanzmann hatte er europäischen Ruf; er zahlte den Sold meist auf drei Monate im voraus. Sein zerrüttetes Herzogtum Mecklenburg baute er von Grund auf zu einem modernen Staatswesen aus; seine Gesetzgebung war ein gegliedertes Kunstwerk, in dem auch das soziale Armenrecht nicht vergessen war. Er wäre imstande gewesen, einen ganzen Kontinent neu aufzubauen, hätte ihn nicht die tückische Gicht oft wochenlang gelähmt; sie zwang schon den jungen Offizier, auf Wein und Weib zu verzichten; sie isolierte ihn, machte ihn mißtrauisch, unentschieden, überempfindlich und maßlos heftig in seinen Ausbrüchen. Diese elende Krankheit, die sein Fleisch fraß, förderte auch seinen hörigen Glauben an die Sterne und machte ihn blind für gesunde Menschenkenntnis. 31
Wahrscheinlich verachtete er den Kaiser, der über seiner Jagdleidenschaft die Politik vergaß und nach der Landung Gustav Adolfs nur äußerte: „Ham mer halt a Kriegerl mehr!" Das eigentliche Verhängnis dieses Mannes, dessen Gemüt sich besonders nach dem Tode seines einzigen Söhnleins zusehends verfinsterte, war sein wuchernder Machttrieb. Es genügte ihm nicht mehr, die höchsten Ehrentitel zu tragen, er zerstörte die Idee des Reiches schließlich selber, als er sich über den Kaiser hinwegsetzte und so die fürstlichen Rebellen, die er doch bisher bekämpft hatte, rechtfertigte. Damit hob er den Sinn seiner Lebensarbeit auf und verlor den Anspruch, eine Zentralgestalt der Reichsgeschichte zu werden — ein böhmischer Rebell aus dem Grenzland. Nach seinem Tode schlössen Sachsen und Brandenburg Frieden mit dem Kaiser. Ferdinand hob das Restitutionsedikt auf, aber die Stunde des Reiches hatte geschlagen. Frankreich und Schweden zwangen im Westfälischen Frieden zu Münster und Osnabrück den Kaiser Ferdinand III. in die Knie, und der Große Kurfürst schuf die Grundlagen für den Aufstieg des brandenburgisch-preußischen Staates, auf den zweihundertdreißig Jahre später die Kaiserkrone überging. Die tragische Frage, ob der hinhaltende Krieg, wie ihn Wallenstein wollte, oder die rasche Vernichtung der einzelnen Feinde, wie der Kaiser es wollte, zum Sieg des Reiches geführt hätte, muß offen bleiben. Der dunkle und zweideutige Glanz der böhmischen und anderer Königskronen, die Wallenstein angeboten wurden, und sein offener Ungehorsam nicht nur der Person des Kaisers, sondern der Idee des Reiches gegenüber haben verhindert, daß der mächtige Generalissimus jenes großartige Opfer der Unterordnung brachte, das ihn zum größten Mann und guten Geist des Jahrhunderts erhoben hätte. Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Bilder: Verlagsarehiv L u x - L e s e b o g e n 3 4 0 (Geschichte) H e f t p r e i s 3 0 P f g . Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (Vierteljahr! 6 Hefte DM 1.80) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt. — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig. — Druck: Hieronymus Mühlberger, Augsburg. — Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München. — Herausgeber: Antonius Lux,
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