Seewölfe 184 1
John Curtis 1.
Der Himmel hatte sich mehr und mehr bezogen. Alles schien in diesen nördlichen Breiten g...
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Seewölfe 184 1
John Curtis 1.
Der Himmel hatte sich mehr und mehr bezogen. Alles schien in diesen nördlichen Breiten grau in grau zu sein. Undeutlich war an Backbord die zerklüftete Felsenküste Labradors zu erkennen. Eine steife Brise aus Nordost füllte die Segel der „Isabella VIII.“ und setzte ihr zu. Denn um den Kurs zu halten, mußte das Schiff ziemlich hoch an den Wind. Auf den Wogen in der dunklen See bildeten sich Gischtköpfe. Immer wieder brachen sie sich schäumend an den Bordwänden der „Isabella“, und das eiskalte Wasser sprühte über die Decks. Ben Brighton, der sich unweit des Ruderhauses auf dem Achterkastell aufhielt, warf zum wiederholten Mal einen prüfenden Blick auf die zerklüftete, tiefgraue Felsenküste, zwischen deren Schroffen sich gerade noch das blauweiße Gletschereis erkennen ließ. Es war eine höllisch unbequeme und unwirtliche Gegend, in die sie mit der „Isabella“ geraten waren. Es sah auch ganz und gar nicht so aus, als ob sich daran in der nächsten Zeit etwas ändern würde. Im Gegenteil, je weiter nördlich sie segelten, desto unwirtlicher und kälter wurde es. Schon hatten sie treibende Eisschollen gesichtet, und Ben Brighton dachte mit Grauen an die Zeit in der Antarktis, wohin sie bei ihrem Versuch, Kap Horn zu umrunden, von einem Orkan verschlagen worden waren. Langsam ließ der erste Offizier der „Isabella“, der zugleich auch die Funktionen des Bootsmannes und des Kapitän-Stellvertreters erfüllte, seinen Blick über das Hauptdeck wandern, das er durch die scharf angebraßten Segel gut übersehen konnte. Die Männer trugen die wärmsten Sachen, die es an Bord gab. Hosen und Jacken aus schwerem Schlechtwettersegeltuch, darunter gefütterte Ledersachen, die sie noch von der Antarktis hatten. Lederstiefel, die zum Teil bis zu den Oberschenkeln reichten und meist von den Spaniern erbeutet worden waren, vervollständigten das Bild.
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Die Stimmung war an diesem Tag an Bord der „Isabella“ nicht sonderlich gut. Zwar machte den Seewölfen das kalte, unfreundliche Wetter kaum etwas aus, aber dieses ewige Grau in Grau, das begann sie zu nerven. Edwin Carberry, der narbengesichtige Profos der „Isabella“, wanderte langsam über das Hauptdeck. Hin und wieder überprüfte er den Sitz einer der Persenninge, mit denen die siebzehnpfündigen Culverinen abgedeckt waren. Aber alles hatte seine Ordnung, und Carberry mußte sich ein anzügliches Grinsen Al Conroys gefallen lassen, der ihn bei seinem Tun beobachtet hatte. Aber Carberry schwieg. Auch er befand sich nicht gerade im Zustand rosigster Laune. Ohne den Geschützmeister eines Blickes zu würdigen, ging er weiter und enterte schließlich zum Vorderkastell auf. Dort traf er auf Ferris Tucker, den hünenhaften Schiffszimmermann der „Isabella“ und auf Big Old Shane, den einstigen Waffenmeister auf Arwenack, der Stammfeste der Killigrew-Sippe. Old Shane blickte auf, und als er Carberry sah, begann er zu grinsen. „Ho, Ed, wie ich sehe, ist deine Laune inzwischen bis zum Kielschwein durchgesackt, genau wie die Temperatur, die innerhalb der letzten Stunden mehr und mehr gefallen ist.“ Auch Ferris Tucker legte den Hammer zur Seite, mit dem er eben noch am Spill herumgeklopft hatte. „Shane hat recht, Ed, die Temperatur ist innerhalb der letzten Stunden ein ganz verdammtes Stück gesunken, das gefällt mir ganz und gar nicht, denn das bedeutet nichts Gutes.“ Carberry, der seinen untrüglichen Instinkt für herannahende Unwetter schon mehr als einmal bewiesen hatte, hob die Nase und begann in den Wind zu schnüffeln. Erst nach einer ganzen Weile wandte er sich den beiden anderen wieder zu. „Stimmt genau, wir kriegen gehör rig einen auf die Mütze, soviel ist mal sicher, aber es kann noch dauern.“ Er verzog mißmutig sein Narbengesicht.
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„Ich werde die Jungens mal ein bißchen auf schwänzen. Luken verschalken und so, Blöcke kontrollieren, ob sie vereist sind, Fallen und Brassen ebenfalls auf Gängigkeit überprüfen. Ich glaube, es ist allerhöchste Zeit, daß sie mal wieder ein bißchen Feuer unter ihre Hintern kriegen, sonst versauern sie noch völlig!“ Der Profos wollte sich abwenden, aber Ferris Tucker hielt ihn zurück. „Wir sollten mit Ben reden, Ed. Er muß den Seewolf aus der Koje purren ...“ Carberry zog sofort ein abweisendes Gesicht. „Nein, das werden wir hübsch bleibenlassen. Weißt du rothaariges Rübenschwein eigentlich, wie lange Hasard und Siri-Tong ohne eine Stunde Schlaf an Deck gestanden haben? Irgendwo ist sogar bei Hasard mal Pause. Nein, Ferris, den lasse ich pennen, solange er will. Und der Teufel soll den holen, der ihn stört, verstanden?“ Wieder wollte Carberry aufs Hauptdeck abentern, aber Ferris Tucker packte ihn am Arm. Seine Augen blitzten zornig. „Jetzt hör mir mal gut zu, du alter Seebulle. Es dauert nicht mehr lange, dann ist es dunkel. Und wenn es stimmt, daß wir einen auf die Mütze kriegen, dann haben wir allen Grund, uns für die Nacht einen sicheren Ankerplatz zu suchen, denn niemand von uns kennt diese lausige Gegend mit ihren spitzen Klippen und den vorspringenden Felsen. Und wenn der Sturm auch noch aus der Richtung blasen sollte, aus der der Wind jetzt weht, dann möchte ich mal sehen, wie du die ,Isabella` vor Legerwall schützen willst. Der Sturm jagt uns auf die Klippen, daß es nur so kracht. So, und wenn du nicht mit Ben reden willst, dann werde ich das besorgen. Ich wundere mich sowieso schon die ganze Zeit, daß Ben nicht die geringsten Anstalten trifft, um nach einem Ankerplatz Ausschau zu halten.“ Big Old Shane nickte. „Ferris hat recht, Ed“, sagte er nur. „Außerdem könnte es sowieso nicht schaden, wenn wir uns in eine Bucht verholen, denn die Frischfleischvorräte des
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Kutschers sind zu Ende. Wir sollten frische Nahrung zu uns nehmen, solange sie sich uns noch anbietet. Der Teufel allein weiß, wie das werden wird, wenn wir weiter und weiter nach Norden segeln ...“ Old Shane unterbrach sich, denn eben erschien der Seewolf auf dem Achterkastell. Carberrys Narbengesicht überzog ein schadenfrohes Grinsen, als er nach achtern deutete. „Das kommt davon, wenn sich die Gentlemen den Kopf unseres Kapitäns zerbrechen. Wetten, daß Hasard längst alles das erkannt und bedacht hat, was eure Kakerlakengehirne da eben ausgebrütet haben? Aber nichts für ungut, nehmt mal einen Schluck aus meiner Buddel, dann stimmt's bei euch wahrscheinlich auch wieder!“ Carberry zog eine Rumbuddel aus seiner Segeltuchjacke und reichte sie den beiden. Grinsend nahmen Tukker und Old Shane einen kräftigen Schluck, dann reichten sie die Flasche dem Profos zurück. „Also, Ed, manchmal hast du gar keine so schlechten Einfälle, das muß man dir lassen. Los dann, runter aufs Hauptdeck, das Spill ist wieder klar. Sicherlich geht der Tanz gleich los, ein paar Blöcke klemmen bestimmt, weil sie wieder vereist sind, da wette ich mit dir!“ Die drei Männer enterten zum Hauptdeck ab. Sie sahen, daß der Seewolf auf dem Achterkastell mit Ben Brighton sprach und zur Küste deutete. Sie wußten auch, über was. die beiden Männer miteinander sprachen. Es hatte sich mehr als einmal erwiesen, daß es gar nicht so leicht war, einen wirklich sicheren Ankerplatz mit gutem Ankergrund zu finden. Doch dann geschah etwas, was alle ihre Pläne total über den Haufen warf. * „Wahrschau, Deck!“ Die Stimme Gary Andrews übertönte die Geräusche an Deck der „Isabella VIII.“. Gary Andrews befand sich zu dieser Zeit als Ausguck im Fockmars.
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Carberry fuhr herum. Ihm schwante nichts Gutes, denn wem, zum Teufel, konnte man in dieser gottverlassenen Gegend schon begegnen? Gary Andrews ließ den Profos nicht lange im unklaren. „Treibendes Boot Backbord voraus. Etwa sieben, acht Yards lang, ich kann nicht erkennen, ob sich jemand an Bord befindet.“ Unwillkürlich warf Carberry einen Blick in die Richtung, und einmal war es ihm, als könne er einen Schatten an Backbord voraus erkennen. In diesem Moment durchschnitt die Stimme des Seewolfs das Stimmengewirr der Männer an Deck. „An die Brassen, klar zum Manöver! Wir sehen uns mal an, wer dort in der See treibt. Vielleicht können wir irgendeinem armen Teufel aus Seenot helfen!“ Sofort stürzten die Seewölfe an die Brassen. Die Rahen schwangen herum, Pete Ballie, der am Ruder stand, griff kräftig in die Speichen des Rades. „Los, wollt ihr mitten am Tage einpennen, ihr Bilgenläuse?“ brüllte Ed Carberry, als die Männer nach dem Segelmanöver erwartungsvoll nach Backbord starrten. „Ein Boot zu Wasser, und, verdammt, beeilt euch, oder ich werde euch mal wieder ein bißchen anlüften. Das habt ihr wohl schon lange nötig. Oder wie, glaubt ihr, sollen wir zu dem treibenden Boot gelangen? Hinschwimmen, wie, was?“ Der Profos hatte die Arme in die Hüften gestemmt und funkelte die Männer an. Batuti, Stenmark, Luke Morgan und Blacky gingen daran, eins der beiden Boote klarzumachen. Luke Morgan, der Carberry am nächsten stand, warf dem Profos einen schiefen Blick zu. „Dir könnte jedenfalls ein kalter Hintern auch nicht schaden“, sagte er, „vielleicht würdest du dann langsam wieder normal!“ Carberry war das nicht entgangen. Mit ein paar Schritten war er bei Luke Morgan. „Sag das noch mal, Luke“, forderte er drohend. „Ich bin heute gerade in der richtigen Stimmung, so einem lausigen Affenarsch wie dir das Fell zu vergerben, ich ...“
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„Mister Carberry!“ Die sanfte Stimme SiriTongs ließ den Profos mitten in der Bewegung erstarren. „Was ist mit euch verdammten Kerlen eigentlich los?“ fragte sie und sah die beiden Kampfhähne aus ihren kohlschwarzen Augen an. „Dreht ihr schon bei so ein bißchen Kälte durch? Es wird noch kälter werden, viel kälter sogar. Dies alles hier ist erst der Anfang. Also an die Arbeit, oder euch alle holt der Teufel, klar?“ Carberry ließ die Fäuste sinken. Luke Morgan kroch in sich zusammen. Es hätte dem hitzköpfigen Engländer überhaupt nichts ausgemacht, sich mit dem riesigen Profos herumzuprügeln — im Gegenteil, vielleicht hätte das die ganze Stimmung an Bord im Nu bereinigt. Aber mit der Roten Korsarin anzubinden, das war schon eine andere Sache. Erstens konnte man sie nicht behandeln wie irgendjemanden aus der Crew, zweitens gab das ganz bestimmt massiven Ärger mit dem Seewolf und drittens wußte sich Siri-Tong auch recht gut selber zu behaupten. Luke Morgan warf Carberry einen Blick zu. Dann hob er resignierend die Schultern und ging zu den anderen hinüber. Auch Carberry verdrückte sich. Er hatte eine Schwäche für die Rote Korsarin, jedermann an Bord wußte das, auch wenn er niemals die Grenzen überschritt. Aber auch er wollte sich mit der Roten Korsarin nicht anlegen, zumal zu allem Unheil in diesem Moment auch noch die beiden Söhne des Seewolfs an Deck erschienen und natürlich prompt aufs Hauptdeck hinunterstürmten. Die Rote Korsarin, die das alles sehr rasch begriff, konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Doch dann wandte sie sich den Männern zu, die eben das Boot von der Persenning befreiten. „Ich übernehme das Ruder“, sagte sie beiläufig. „Such ein paar Männer aus, Profos, die das Boot pullen.“ In diesem Moment, noch ehe Carberry etwas erwidern konnte, meldete sich Gary Andrews erneut aus dem Fockmars. „Es ist jemand im Boot. Vielleicht ein Toter, er rührt sich nicht mehr. Soweit ich
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erkennen kann, handelt es sich um eins jener großen Fellboote, die die Eskimos Umiak nennen. Es ist beschädigt, der Mast ist gebrochen, das Segel zerfetzt, es liegt im Vorschiff und bedeckt eine Gestalt, die ebenfalls dort liegt.“ Der Seewolf gab abermals ein paar Kommandos, die „Isabella“ drehte in den Wind, die Rahen wurden vierkant gebraßt. Langsam verlor das Schiff an Fahrt. Carberry klarierte die Talje an der Großrah, und inzwischen langten auch Ferris Tucker und Big Old Shane mit zu. Der alte O'Flynn humpelte heran, so rasch das mit seinem Holzbein ging. Düster starrte er auf die See hinaus. „Ein Toter“, murmelte er, „das bringt Unglück, das ist der Vorbote herannahenden Unheils“, fügte er noch hinzu, wich aber geschickt zurück, als Carberry ihm einen finsteren Blick zuwarf. Ferris Tucker grinste, ihm war das alles nicht entgangen. „Los, hol den Kutscher, Donegal“, sagte er. „Wahrscheinlich werden wir ihn brauchen. Und beeil dich!“ Der alte O'Flynn stieß eine Verwünschung aus, aber dann humpelte er davon. Das Boot wurde in Rekordzeit zu Wasser gefiert. Ferris Tucker, Ed Carberry, Luke Morgan, Big Old Shane und Batuti, der riesige Gambia-Neger, sprangen hinein. Ihnen folgte die Rote Korsarin und als letzter noch der Kutscher, der zusammen mit dem Profos Posten im Bug des Bootes bezog. Das Boot legte ab. Ein Schneeschauer fegte über die See und eiskalter Gischt übersprühte die beiden Männer im Bug. Carberry quittierte das mit einem Fluch. Batuti, Big Old Shane, Luke Morgan und Ferris Tucker pullten aus Leibeskräften. Die See ging hoch, ein eiskalter Wind, immer wieder vermischt mit dichten Schneeschauern, fegte über das Wasser. Carberry dachte in diesem Moment wehmütig an die Sonne und die Wärme der Karibik. Obwohl er die See vor sich keinen Moment aus den Augen ließ, gaukelte ihm seine Phantasie Trugbilder von blauem Himmel, tiefblauer See und heller Sonne
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vor. Gewaltsam' mußte er diese Phantasien abschütteln. Aber Tatsache blieb, daß der eisenharte Profos der „Isabella“ dieses ewige graue Einerlei, den ewigen Schnee, die Kälte und Nässe, die immer weiter ins Schiff kroch und einen selbst im Schlaf noch verfolgte, haßte. Er hätte das nie zugegeben, aber er haßte sie. Und Carberry dachte mit Grauen daran, was ihnen bevorstand, wenn sie noch weiter nach Norden segelten. Schnee, Eis, erbarmungslose Kälte, gegen die keine Kleidung schützte. Der einzige Ort, an dem man sich allenfalls aufwärmen konnte, war die Kombüse des Kutschers, und der sah das absolut nicht gern, wenn man ihm dort auf die Nerven ging, zumal er schon zeitweise Sir John, den Papagei, und auch Arwenack, dem Schimpansen, Asyl vor der grimmigen Kälte gewährte, denn die Seewölfe wollten vermeiden, daß die beiden Maskottchen der Crew jämmerlich zugrunde gingen. Außerdem hatte er so manchesmal die beiden Rangen des Seewolfs zu Gast — und die waren schlimmer, als Sir John und Arwenack zusammen. Denn so schnell, Wie die beiden dem Kutscher irgendetwas klauten, Kandis oder ein Stück Fleisch oder Schiffszwieback, so schnell konnte er seine Augen gar nicht überall haben. Bei dem Gedanken grinste der Profos plötzlich wieder. Sie waren schon eine ganz verdammte Bande, diese beiden Rübenschweine des Seewolfs! Aber helle waren die Kerlchen, so helle, daß sogar Siri-Tong, die sich viel um die beiden kümmerte, oft ihre liebe Not mit ihnen hatte und ihnen hin und wieder den Hosenboden gehörig strammzog. Jedenfalls war das in der letzten Zeit ein paarmal passiert, wenn sie es gar zu toll an Bord getrieben hatten. Aber sonst schienen die Rote Korsarin und die beiden Jungen ein Herz und eine Seele zu sein, ganz im Gegensatz zur ersten Zeit nach der Schlangen-Insel. Wieder mußte der Profos grinsen. Hatte ihn der Hasard, dieses Rübenschweinchen, doch glatt einmal gefragt, wieso man diese verdammte Siri-Tong nicht einfach an
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Land setzen oder in den Harem stecken könne. Da gehörten nach Meinung des kleinen Hasard nun mal alle Frauen hin. Oh, verdammt, das war gar nicht so leicht gewesen, dem Bürschchen klarzumachen, was es mit Frauen wie Siri-Tong für eine Bewandtnis hatte! Der Profos wurde aus seinen Gedanken gerissen. Vor dem Boot tauchte ein länglicher Schatten auf, der aber immer wieder im Schneegestöber verschwand. „Boot Steuerbord voraus“, sagte Carberry, als er den Schatten wieder gesehen hatte. „Mehr nach Steuerbord, sonst laufen wir glatt vorbei!“ Siri-Tong drückte die Ruderpinne herum. Ed Carberry hob den Enterhaken. Bei diesem Seegang mußte man schnell sein. Wieder klatschte eine Woge gegen den Bug des Bootes und übersprühte seine Insassen mit einem Schwall eiskalten Wassers. Aber dann tauchte das Fellboot vor ihnen auf, und Carberry erkannte, daß der Fockgast der „Isabella“ richtig gesehen hatte. Es handelte sich um eins der Boote, die die Eskimos Umiak nannten. Es war gut acht Yards lang, im Vorschiff stand noch der kümmerliche Rest eines Mastes, an dem die Fetzen eines Mattensegels hingen. Der Profos schlug mit dem Enterhaken zu. Beim erstenmal verfehlte er durch eine hochgehende See das fremde Boot, aber der zweite Versuch gelang. „Los, Kutscher, Leine, belegen!“ befahl er überflüssigerweise, denn der Kutscher hatte längst geschaltet und war an Bord des Fellbootes gesprungen und hatte dort eine der Bootsleinen um den Maststumpf geschlungen. Carberry sprang ebenfalls hinüber, während die anderen Männer auf den Duchten blieben und das schwere Boot der „Isabella“ so gut es ging mit den Riemen zu manövrieren versuchten. Siri-Tong hatte ihren Platz an der Ruderpinne ebenfalls verlassen und balancierte durch die Männer auf den Duchten nach vorn. Dann sprang sie in das Fellboot, wo der Kutscher und Carberry
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bereits neben einer wie leblos wirkenden Gestalt knieten. Die Rote Korsarin drängte sich zwischen die Männer. Und dann blickte sie den Kutscher und Carberry verblüfft an. „Ein Mädchen!“ .stieß sie hervor. „Sie lebt, aber sie hat eine tiefe Wunde in der linken Schulter!“ Der Kutscher nickte nur, gleichzeitig wies er auf die Backbordseite des Fellbootes. Siri-Tong folgte seiner Armbewegung mit den Augen. Und da sah sie es. Die Bordwand war eingedrückt und wies Blutspuren auf. Der obere Rand der Bordwand war völlig zerfetzt. Nur dem Umstand, daß das Fellboot sehr leicht war und wie ein Korken auf den Wogen trieb, war es zuzuschreiben, daß es noch schwamm und nicht allzu viel Wasser übernommen hatte. „Was mag hier geschehen sein?“ fragte sie den Profos und ihre dunklen Augen versuchten, das Geheimnis zu durchdringen. Das Boot mußte mindestens fünf oder sechs Männer außer dem Eskimomädchen an Bord gehabt haben. Aber von ihnen fehlte jede Spur. Und woher stammte die tiefe Wunde in der Schulter des Mädchens? Der Kutscher unterbrach ihre Überlegungen. „Wir müssen sie an Bord nehmen. Hier kann ich die Wunde nicht versorgen. Außerdem übersteht dieses Boot den Sturm wahrscheinlich nicht, der sich anzubahnen scheint.“ Carberry nickte. „Pack an, Kutscher, wir wollen sie erst mal in unser Boot hieven. He, Ferris, Batuti, langt mal mit zu! Hier ist ein verletztes Eskimomädchen, wir nehmen sie mit zur ,Isabella`.“ Ferris Tucker, der hünenhafte, rothaarige Schiffszimmermann der „Isabella“, erhob sich von der Ducht. Batuti, der ebenfalls aufstehen wollte, drückte er wieder auf die Ducht zurück. „Bleib du an den Riemen, das ist wichtiger. Wenn uns eine See auf diesen Fellhaufen wirft, säuft der ab wie ein Stein. Ich erledige das schon.“
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Ferris Tucker packte das Mädchen, das Carberry und der Kutscher ihm zureichten. Mit der Bewußtlosen balancierte er bis zur ersten Ducht. Er schob den Gambia-Neger zur Seite und reichte das Mädchen Big Old Shane an, der es auf die Achterducht bettete. „Was wird mit dem Boot?“ fragte Ferris Tucker Carberry. „Nehmen wir es in Schlepp, das Ding wäre leicht zu reparieren. Und ich denke, daß so ein Boot für die Eskimos einen ungeheuren Wert darstellt, nicht einmal mit Gold zu bezahlen.“ Carberry sah den Schiffszimmermann überrascht an. Soweit hatte er noch gar nicht gedacht. „Du hast verdammt recht, Ferris. Wir nehmen es mit. Ich fürchte, dieses Mädchen da hinten hat schon Schwierigkeiten genug. Also wollen wir wenigstens versuchen, das Boot zu retten!“ Ferris Tucker gab die notwendigen Anweisungen, er merkte nicht einmal, daß die Rote Korsarin ihn dabei aus schmalen Augen beobachtete, eine steile Falte über der Nasenwurzel. Es war nicht das erste Mal, daß ihr auffiel, daß auf der „Isabella“ niemand lange fragte, sondern eine als notwendig erkannte Sache durchgeführt wurde. Die Männer der „Isabella“ waren in allen Dingen sehr selbständig, auch der Seewolf gab nur selten Befehle, jeder wußte grundsätzlich selbst, was er zu tun und zu lassen hatte. Lediglich das Gebrüll Carberrys, mit dem er notwendige Arbeiten oder Manöver gern begleitete, paßte in dieses Schema nicht hinein. Aber das schien nur so, denn Carberry wußte selber nur zu gut, daß er kaum jemals einen Befehl zu geben brauchte, nur konnte er eben nicht anders. Und den Seewölfen hätte auch ganz bestimmt etwas gefehlt, wäre es anders gewesen. Siri-Tong konnte sich an diese nahezu perfekte Zusammenarbeit der Crew nur schwer gewöhnen. Sie hatte immer noch oft das Gefühl, daß die Männer sie einfach übergingen und sie als Frau hier und da von den Seewölfen nicht für voll
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genommen wurde. Aber sie hatte lernen müssen, daß auch das wiederum den Tatsachen nicht entsprach. Nur - ganz im Gegensatz zu ihrer Crew auf dem schwarzen Segler, auf dem sie oder der Wikinger oder der Boston-Mann manchmal gehörig dazwischengehen mußten -, hielt man sich an Bord der „Isabella“ nie mit irgendwelchen Überflüssigkeiten auf. Siri-Tong sagte auch nichts, als Carberry kurzerhand ihren Platz an der Ruderpinne übernahm und sich der Kutscher neben die Verwundete kniete, während Ferris Tucker das Fellboot am Heck ihres Bootes mittels einer langen Leine befestigte. Das Schneegestöber war dichter geworden, und die See ging hoch. Siri-Tong stand nunmehr im Bug des Bootes. Sie suchte die See nach der „Isabella“ ab, aber die schien verschwunden. * Auch der Seewolf hielt Ausschau nach dem Boot und den Männern und der Roten Korsarin. Längst hatte er Dan O'Flynn, der die schärfsten Augen an Bord der „Isabella“ hatte, als Ausguck in den Großmars geschickt. Zusammen mit Bill und Gary Andrews hielt er ebenfalls Ausschau nach dem Boot. Aber es blieb verschwunden. Das Wetter verschlechterte sich von Minute zu Minute. Das Heulen des Windes in den Wanten, Pardunen und der übrigen Takelage wurde so stark, daß die Seewölfe sich nur noch brüllend verständigen konnten. Hasard machte sich schwere Vorwürfe, und Ben Brighton, der neben Pete Ballie am Ruder stand, ging es nicht anders. Aber, zum Teufel, wer kannte sich denn schon in diesen tückischen Breiten aus? Wer hatte wissen können, daß sich das Wetter innerhalb von weniger als einer halben Stunde so rapide verschlechtern würde? Gischt sprühte über das Schiff, und immer noch war von ihrem Boot nichts zu sehen. Das Schneegestöber wurde immer dichter
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und nahm der „Isabella“ die Sicht. Außerdem drehte der Wind. Auch wieder innerhalb von Minuten trieb die „Isabella“ auf die hohen Felsen zu, die sie vor dem Unwetter schon beobachtet hatten. Hasard enterte aufs Hauptdeck ab. Er mußte handeln, und zwar sofort. Es war das erste Mal, daß er von einem Unwetter derartig überrascht wurde, während sich einige seiner Männer und Siri Tong noch in einem Boot draußen befanden. Der Seewolf lief zu Al Conroy hinüber, der sich bei seinen Geschützen auf dem Hauptdeck aufhielt und die Brooktaue kontrollierte. „Rasch, Al, ein paar Männer. Böllerschüsse. Ed und die anderen sind vielleicht vom Sturm abgetrieben worden. Sie können uns bei diesem verdammten Schneegestöber auch nicht sehen, wir müssen ihnen durch Böllerschüsse unsere Position anzeigen.“ Der Seewolf packte selber mit zu. Gleichzeitig warf er immer wieder einen Blick zum Achterdeck, wo Ben Brighton jetzt die notwendigen Vorkehrungen traf, um den Kurs der „Isabella“ zu ändern, denn die Felsenküste an Backbord wurde mehr und mehr zu einer ernsten Bedrohung. Ob sie wollten oder nicht, sie mußten wieder Fahrt aufnehmen, und zwar rasch. Aber noch zögerte Ben Brighton. Sobald sich die Segel der „Isabella“ füllten, hatten die Männer im Boot, das dort bestimmt irgendwo im Schneegestöber nach ihnen suchte, kaum noch eine Chance, die „Isabella“ zu finden. Es war eine ganz verteufelte Situation, eine, in der sie sich, solange der Bootsmann der „Isabella“ sich erinnern konnte, noch nie befunden hatten. Der Wind wurde immer härter. Alle an Bord der „Isabella“ spürten es, wie er sie auf die Küste zujagte. Der Seewolf riß und zerrte die Persenning von einem der Geschütze. Ein paar Seewölfe halfen ihm dabei, Al Conroy hatte inzwischen Pulver besorgt und lud die Culverine für den ersten Böllerschuß. So schnell hatte der Stückmeister der „Isabella“ noch nie ein Geschütz geladen.
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Dann dröhnte der Schuß auf. Der Donner rollte über die See. Wenig später folgte der zweite, dann der dritte. Danach lauschten die Männer angestrengt in den Sturm, aber sie hörten nichts außer dem Heulen in der Takelage und dem Donnern der Brecher, die an die Bordwände der Galeone krachten und die Decks mit ihrem eiskalten Wasser überschütteten. Ben Brighton raste heran. „Wir können nicht mehr warten, oder der Sturm wirft uns in die Felsen. Es ist allerhöchste Zeit!“ Der Seewolf starrte seinen ersten Offizier und Stellvertreter an, der zugleich auch einer seiner engsten Freunde war. Er sah, daß Ben Brighton totenblaß war, sein Atem schwer ging und seine Hände zu Fäusten geballt waren. Da wußte der Seewolf, daß Ben Brighton genauso dachte wie er. Wieder feuerte Al Conroy. Wieder starrten die Seewölfe in die tobende See und duckten sich unter dem Wasser, daß sie ansprang und die Decks überspülte. Die schäumende See schien gierig nach ihnen zu greifen. Die beiden Zwillinge Hasard und Philip, die erst in diesem Augenblick begriffen, vor welch eine Entscheidung ihr Vater gestellt wurde, klammerten sich an den Seewolf. „Ruft Donegal, der alte O'Flynn soll sich um die beiden kümmern. Ben, anbrassen, Kurs aufs offene Meer!“ Die beiden Freunde blickten sich sekundenlang an, einer so blaß wie der andere. Auch die anderen Seewölfe, die sich in Bens und Hasards Nähe befanden, waren kalkweiß im Gesicht. Sie wußten, was das für Carberry, Ferris Tucker, Big Old Shane, Luke Morgan, den Kutscher und Siri-Tong bedeutete. Es war ihr Todesurteil. Denn dieses Wetter in ihrem Boot zu überleben, dazu hatten die Männer und Siri-Tong nicht die geringste Chance. Von Backbord her wurde das Donnern einer gewaltigen Brandung hörbar. Durch die Männer ging es wie ein Ruck. Sie tauschten einen letzten Blick mit ihrem Kapitän, dem Seewolf, dem der Sturm die langen schwarzen Haare wild nach hinten
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zerrte. Dann sprangen sie an die Brassen und in die Wanten. Aber diesmal ohne das Gebrüll Ed Carberrys. Das war der Moment, in dem jeder Mann auf der „Isabella“ begriff, was für ein entsetzlicher Schlag sie alle getroffen hatte. Ed Carberry, Big Old Shane, Ferris Tucker, Batuti, der Kutscher, Luke Morgan, Siri-Tong — aufgegeben, der eisigen See überantwortet. Und niemand an Bord der „Isabella“ war in der Lage, irgend etwas zu ihrer Rettung zu unternehmen. Wenn sie nicht sofort das offene Meer gewannen, dann waren sie ebenso verloren und würden auf den scharfen Klippen der Küste Labradors zerschellen. Zum erstenmal in ihrem Leben waren die Seewölfe ratlos, während sie begannen, den Kampf gegen den Sturm verbissen aufzunehmen. Tränen der Wut liefen Smoky über die Wangen, und er war nicht der einzige, dem es so ging. Die Seewölfe begriffen in diesem Moment, daß es nach diesem Sturm, falls sie ihn überstanden, die alte „Isabella“, die sie kannten, wie sie immer gewesen war, nie wieder geben würde ... 2. Im Boot der „Isabella“ begriff Ferris Tucker als erster die bedrohliche Lage, in der sie sich befanden. Er wandte sich an Ed Carberry, den er trotz der wenigen Yards Entfernung, die sie trennten, in dem dichter und dichter werdenden Schneesturm kaum noch erkennen konnte. Der Schiffszimmermann mußte brüllen, um sich verständlich zu machen. „Ed, das ist eine ganz verdammte Sache. Wie uns hat das Wetter auch die ,Isabella` überrascht. Sie muß anbrassen, oder dieser Sturm wirft sie auf die Klippen. Ich bin sicher, daß wir abgetrieben worden sind, bei diesem Wetter finden wir die ,Isabella` nicht mehr ...“ Von fern dröhnte ein Böllerschuß über die See. Ferris Tucker fuhr hoch. „Ed, verdammt, hast du das gehört?“
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„Glaubst du Rindvieh, ich bin taub?“ brüllte der Profos zurück. Der zweite Böllerschuß löste sich. Auch er war durch das Heulen des Sturms nur schwach zu hören, außerdem mußte sich die „Isabella nicht nur in beträchtlicher Entfernung von ihnen befinden, sondern war auch stark zur Küste hin versetzt worden. Auf keinen Fall aber befand sie sich noch dort, wo sie sie verlassen hatten. Ferris Tucker kannte die Auswirkungen einer Abdrift zu gut, um sich in dieser Hinsicht Illusionen hinzugeben. Siri-Tong kauerte im Bug des Bootes. Auch sie hatte die Böllerschüsse gehört. Ihr überaus feines und empfindliches Gehör sagte ihr sofort, daß die „Isabella“ viel zu weit abgetrieben worden war, als daß man sie noch mit dem Boot erreichen konnte. Sie warf' einen Blick auf die Wasserfläche, die sie umgab. Mit jeder Minute, die verstrich, schienen die Wogen höher zu gehen. Schnee drang in ihre Augen, vom Wind mit solcher Wucht hineingetrieben, daß es schmerzte. Außerdem war die Temperatur weiterhin stark gesunken, und Siri-Tong begann trotz der dicken Kleidung, die sie trug, vor Kälte zu zittern. Dieser Norden war die Hölle! Es pfiff und heulte aus allen Windrichtungen zugleich, jedenfalls kam ihr das so vor. Immer wieder sprang eine der Wogen an dem Boot hoch, immer wieder brach der Gischt über die Bordwände, und schon jetzt schwappte das Wasser im Boot hin und her. Die Rote Korsarin unternahm nicht einmal den Versuch, sich mit Carberry zu verständigen, es wäre sinnlos gewesen. Außerdem nahm sie die Männer im Boot sowieso nur noch als Schemen wahr. „Wir müssen die Leine kappen, an der das Fellboot hängt!“ brüllte Ferris Tucker. „Wir sind so zu langsam! Die ,Isabella` muß sich irgend voraus an Steuerbord befinden, Ed!“ Der Profos hatte verstanden. Er zog sein Entermesser und hieb die Leine mit einem Schlag durch. In diesem Moment dröhnte der dritte Böllerschuß über die See. Etwas näher diesmal.
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Ferris Tucker versuchte, sich auf die Richtung zu konzentrieren, aus der er gekommen sein mußte, aber er schaffte es nicht. Es war, als hätte der Sturm ihn irgendwohin verweht. Die Männer begannen aus Leibeskräften zu pullen. Siri-Tong kauerte im Bug und fühlte sich so überflüssig wie noch nie in ihrem Leben. Denn auf den Duchten war kein Platz für sie, sie mußte das Pullen den Männern überlassen. Immer wieder horchten die Männer in das Heulen und Toben des Sturms, immer wieder mußten sie alle ihre Kräfte aufbieten, um das Boot nicht quer zur See schlagen zu lassen. Dann, eine halbe Stunde später, geschah das, was ihnen die allerletzte Hoffnung raubte. Ein vierter und ein fünfter und kurz darauf auch ein sechster Böllerschuß wurde von der „Isabella“ abgefeuert. Der vierte lag an Steuerbord querab und war deutlich zu hören, weil der Sturm eine winzige Atempause eingelegt hatte - wie, um neue Kraft zu schöpfen. Auch der fünfte war deutlich zu hören. Er lag bereits achteraus, wieder an Steuerbord. Und dann, als gerade der sechste abgefeuert wurde, heulte der Sturm von neuem los. Das Dröhnen des sechsten Schusses ging unter in seinem Toben und war nur noch ganz schwach und wie aus weiter Ferne zu vernehmen. Die Männer im Boot und die Rote Korsarin starrten sich an. Ed Carberry sprach es dann aus. „Sie sind wieder an den Wind gegangen. Sie mußten es tun, weil der Sturm sie sonst auf die Klippen der Küste geworfen hätte. Dem Seewolf blieb keine Wahl. Er mußte versuchen, das offene Meer zu gewinnen, auch ohne uns.“ Eine Weile herrschte Stille. Die Männer bewegten ihre Riemen nur dann, wenn das Boot aus dem Kurs zu laufen drohte. Aber sie hatten begriffen, daß sie von nun an allein auf sich gestellt waren, allein in einer tobenden See, vor einer feindlichen Küste, zusammengepfercht in einer Nußschale von einem Boot, das genau in diesem Moment zum Spielball entfesselter
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Naturgewalten zu werden drohte. Und mit einem Mädchen an Bord, das noch immer nicht das Bewußtsein wiedererlangt hatte. „Ed, wir müssen versuchen, die Küste zu erreichen. Alles, was uns dort widerfahren kann, ist nichts im Vergleich zu dem, was uns hier auf dem eisigen Meer erwartet“, sagte Big Old Shane. Die anderen nickten. Daß auch er gebrüllt hatte, was seine Stimme hergab, das fiel schon keinem mehr auf. Big Old Shane drehte sich zu Siri-Tong um. Gleichzeitig zog er sich seine Pelzkappe vom Kopf. Er sah sie an und gab ihr einen Wink. Die Rote Korsarin schob sich an ihn heran. Es war nicht mehr möglich, sich aufrecht im Boot zu bewegen, dazu tanzte es zu heftig in der hochgehenden See. Big Old Shane sparte sich jedes Wort, statt dessen deutete er auf das über den Schiffsboden schwappende Wasser und vollführte mit der Hand, in der er die Pelzmütze hielt, die Bewegung des Wasserschöpfens. Siri-Tong begriff sofort. Einen Moment starrte sie den einstigen Waffenmeister von Arwenack entgeistert an, aber dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. Shane hatte recht, es ging auf Biegen und Brechen, jeder mußte etwas tun, damit sie diesen Sturm überlebten. Wortlos griff sie nach der Pelzmütze, die ihr Big Old Shane hinhielt, dann begann sie damit, das Wasser aus dem Boot zu ösen. Die Rote Korsarin kämpfte von diesem Augenblick an genauso verbissen und zäh ums nackte Überleben wie jeder andere an Bord. * Nach einer nahezu endlos erscheinenden Zeit, als selbst die härtesten unter den Seewölfen ermattet die Ruder sinken ließen, vollführte das Boot immer noch seinen Höllentanz auf den heranrollenden Brechern, und nur der ausgezeichneten Seemannschaft der Seewölfe war es zu verdanken, daß es nicht längst gekentert oder gesunken war.
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Der Sturm hatte abermals eine Atempause eingelegt, und auch das Schneegestöber hatte für einen Moment nachgelassen. Die Männer blickten sich aus entzündeten Augen um, ebenso wie die Rote Korsarin, die mit dem Ösen ebenfalls erschöpft und schweratmend innegehalten hatte. Sie war es, die die Felsen zuerst erblickte. Und sie war es auch, die die gewaltige Strömung spürte, die das Boot in eine tief eingeschnittene Felsenbucht zog, ohne daß die Seewölfe auch nur noch einen Finger zu rühren brauchten. Mit ein paar hastigen Worten teilte sie den Männern, die zum Teil völlig ausgepumpt und apathisch auf ihren Duchten hockten, ihre Beobachtung mit. Ed Carberry fuhr hoch, mit ihm die anderen. Auch sie sahen jetzt die Felsen und die Bucht, in die sie glitten, ohne einen Finger zu rühren. Hinzu kam noch, daß der Sturm von achtern zusätzlich drückte. Big Old Shane erfaßte als erster, was los war. „Es ist der Gezeitenstrom“, sagte er. „Auflaufendes Wasser, wir haben einen Mordsdusel, daß nicht gerade die Ebbe eingesetzt hat. Sie hätte uns wieder aufs Meer hinausgezogen. Los, Kerls, pullt! Wir müssen Land unter die Beine kriegen. Setzt der Sturm erst wieder ein, dann weiß niemand, was mit dem Boot geschieht!“ In diesem Moment rührte sich zum erstenmal das Eskimomädchen, dem der Kutscher immer wieder mal einen Schluck Rum eingeflößt hatte, nachdem er sich, so gut es ging, ihrer Schulterwunde angenommen hatte. Das Mädchen schlug die Augen auf, blickte die fremden Männer an und setzte sich mit einem Ruck auf. Der Kutscher wollte sie auf die Ducht zurückdrängen, aber sie wischte seine Hand mit einer heftigen Bewegung zur Seite. In einer völlig fremden Spräche, von der niemand im Boot auch nur ein Wort verstand, sagte sie ein paar Worte und deutete dabei erregt in die Bucht, nachdem sie einen Blick auf das Meer und den Himmel geworfen hatte.
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Sie war bleich, der Blutverlust hatte sie geschwächt, aber sie begriff, daß keiner der Männer sie verstand. Abermals deutete sie auf die heranrollenden Wogen und begann mit den Händen Zeichen zu machen, die den Seewölfen signalisierten, daß die Wellen noch viel höher werden würden. Dann führte sie mit beiden Armen die Bewegung des Ruderns aus, hektisch, schnell, voller Angst und deutete auf den Himmel. Ed Carberry starrte sie aus schmalen Augen an. „Das sollte doch der größte Dummkopf begreifen!“ brüllte er, und das Eskimomädchen zuckte unter der Gewalt seiner Stimme zusammen. „Sie meint, daß wir schleunigst anfangen sollen zu pullen, weil der Sturm gleich wieder losbricht und noch schlimmer wird. Also, ihr Heringe, an die Riemen! Los, einer von euch an die Pinne, ich bin ausgeruhter als ihr, ich werde euch beim Pullen helfen ...“ Wieder geschah etwas Überraschendes. Das Eskimomädchen schien den Sinn seiner Worte begriffen zu haben. Sie legte ihm die Linke auf die Schulter und drückte ihn von der Ducht. Dann ergriff sie selbst die Ruderpinne und deutete in die Bucht, während sie die andere Hand mit schmerzverzerrtem Gesicht auf ihre Brust legte. Ed Carberry stierte sie an. Dann suchten seine Blicke Ferris Tucker und Big Old Shane, aber der Kutscher kam ihm zuvor. „Sie kennt diese Bucht, sie will das Ruder übernehmen. Aber verdammt, ihre Schulterwunde ist tief. Ich werde mitpullen, ich bin auch noch einigermaßen bei Kräften. Siri-Tong sollte dem Mädchen helfen!“ Die Rote Korsarin reagierte sofort. Sie balancierte durch das Boot nach achtern, gehalten und gestützt von den Seewölfen, denn bei den wilden Bewegungen, die das Boot vollführte, hätte sie sich nicht auf den Beinen halten können. Die Männer begannen wieder zu pullen. Ed Carberry und der Kutscher lösten Luke Morgan und Big Old Shane ab, der vergeblich dagegen protestierte.
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„In den Bug mit euch, und sperrt eure Augen auf, damit wir nicht auf die Felsen rennen, verstanden? Du, Shane, bist seit fast zwei Tagen pausenlos auf den Beinen, das langt. Luke soll auf dich aufpassen, daß du uns nicht noch im Stehen einpennst. Außerdem sehen vier Augen mehr als zwei, klar?“ Die beiden fügten sich, die anderen legten sich in die Riemen. Siri-Tong und das Eskimomädchen bedienten die Ruderpinne. Schon bald zeigte sich, wie gut es war, daß sie das fremde Mädchen an Bord hatten. Sie näherten sich gerade einem schmalen Seitenarm der Bucht, und das Eskimomädchen hielt genau darauf zu, als der Sturm von einem Moment zum anderen wieder losbrach. Diesmal jedoch mit einer Gewalt und mit einer Wucht, gegen die alles vorher nur ein Kinderspiel gewesen war. Eine Bö packte das Boot und drückte es genau auf die himmelhoch aufragenden Felsen zu, an denen der Gischt donnernd emporschäumte. „Pullen, verdammt noch mal, ihr Lahmärsche, pullt, oder wir saufen alle jämmerlich ab!“ brüllte der Profos und legte sich gleichzeitig mit aller Kraft in die Riemen. Die anderen folgten seinem Beispiel, und sogar Big Old Shane und Luke Morgan quetschten sich noch mit auf die Duchten und packten zu. Unendlich langsam schob sich das Boot in den Seitenarm. Eine von achtern anlaufende Woge überschüttete die beiden Frauen an der Ruderpinne und die Männer auf den Duchten mit einem Schwall eiskalten Wassers. Aber dann hatten sie es geschafft. Das Boot glitt in den Windschatten der hohen Felsen. Wieder gab das Eskimomädchen den Männern aufgeregt Zeichen, weiterzurudern, nicht nachzulassen, und die Männer gehorchten. Eine halbe Stunde hielten sie das Tempo durch, dann knirschte der Kiel des Bootes auf den Strand einer Bucht, die sich ganz hinten im Seitenarm nahezu halbkreisförmig öffnete.
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Ed Carberry und die anderen verloren keine Zeit. Sie zogen die Ruder ein, warfen sie ins Boot, halfen dem Eskimomädchen an Land und begannen, das schwere Boot auf den Strand zu ziehen. Unterdessen heulte der Sturm durch die Felsen und trieb dichte Schneewolken vor sich her, die sie alle im Nu einhüllten. Als Carberry endlich das Boot loslassen wollte, schüttelte Ferris Tucker nur den Kopf. „Weiter auf den Strand damit, Ed!“ brüllte er durch das Heulen des Sturms. „Wir wissen nicht, wie hoch das Wasser aufläuft, wir können auf das Boot nicht verzichten, wenn wir die ,Isabella` je wiederfinden wollen!“ Ed Carberry blickte sich um. Er war so erschöpft, daß ihm schon fast feurige Ringe vor den Augen erschienen, aber dann mußte er Tucker recht geben und packte wieder mit an. Der Schnee drang den Männern unter die Jacken, die Temperatur fiel ständig weiter, und der Sturm schien an Stärke noch zuzunehmen. „Gnade Gott unseren Leuten auf der ,Isabella'„, murmelte der Profos, „wenn sie das offene Wasser nicht mehr rechtzeitig erreicht haben. Sie konnten nicht auf uns warten, ich an Hasards Stelle hätte genauso gehandelt.“ Keiner sagte ein Wort, denn alle rangen verzweifelt nach Luft, aber jeder stimmte Carberry zu. Endlich hatten sie das Boot auf dem Strand, und wieder drängte das Eskimomädchen zur Eile. Big Old Shane warf ihr einen Blick zu. „Dieses Weib scheint durch nichts umzubringen zu sein“, knurrte er, folgte aber ihr und den anderen. Eine gute halbe Stunde marschierte das Eskimomädchen durch den heulenden Sturm und das immer dichter werdende Schneegestöber irgendwo quer durch die Bucht. So genau konnte das niemand sehen, denn mittlerweile neigte sich der Tag dem Ende zu und schon bei der ersten Dämmerung wurde es zwischen den Felsen dunkel.
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Dann blieb sie plötzlich stehen, und jetzt sahen die Männer und die Rote Korsarin, daß das Mädchen sie zu einer kleinen Siedlung in der Bucht geführt hatte. Iglus wuchsen vor ihnen auf, aber kein Mensch zeigte sich. Das Eskimomädchen ging, von Siri-Tong gestützt, auf einen der Iglus zu, dann verschwanden die beiden Frauen im Innern. Carberry und die anderen zögerten nicht. Diese Schneehütten bedeuteten die Rettung. Es war dunkel im Innern. Sie hörten, wie die beiden Frauen irgendwo herumhantierten, dann blakte eine Flamme auf, bewegte sich tanzend über eine Metallschale und gelangte darauf an einem Docht zur Ruhe. Aus schmalen Augen starrten die Männer das Feuer an und entdeckten die Felle, die im Iglu an den Wänden und auf den aus Schnee geformten Sitz- oder Schlafbänken lagen. Sie sahen noch, wie Siri-Tong dem Eskimomädchen half, die nassen Kleider abzustreifen, die aus dünnen, fein gegerbten und reich verzierten Fellen bestanden, wie sie sich in einige der Felle einwickelte und in der nächsten Sekunde das Bewußtsein verlor. „Verdammt, wir sollten ihrem Beispiel folgen“, sagte Carberry, und die anderen nickten. „Die nassen Klamotten müssen runter. In diesem Iglu können wir auf das Ende des Sturms warten. Aber wir sollten noch mal nach dem Mädchen sehen. Kutscher, du verstehst dich darauf!“ Der Kutscher beugte sich über das Eskimomädchen und untersuchte sie noch einmal sorgfältig. Die Männer und die Rote Korsarin hatten sich im Halbkreis um den Feldscher der „Isabella“ und die Schlafende versammelt. Die hin und her tanzende, blakende Tranflamme, die eine wohltuende Wärme im Iglu zu verbreiten begann und die Schatten der Stehenden groteske Tänze an den Wänden der Schneehütte aufführen ließ, warf ihr gelbrotes Licht über die Szene.
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Endlich richtete sich der Kutscher wieder auf. „Die Schulterwunde sah schlimmer aus, als sie ist. Wir sollten sie jetzt schlafen lassen. Aber ich wüßte gern, wer ihr diese Wunde beigebracht hat und wo die anderen geblieben sind, die sich mit ihr im Fellboot befunden haben müssen.“ Ed Carberry räusperte sich. Dann sah er die Rote Korsarin an, und die klapperte vor Kälte mit den Zähnen. „Also, Madam, es hilft nichts, wir müssen raus aus den nassen Klamotten“, sagte er und versuchte, an ihr vorbeizusehen. „Wir müssen es machen wie die da, oder wir gehen trotz allem noch ein wie Kakerlaken, denen man das Feuer in der Kombüse unter den Hintern ausbläst.“ Siri-Tong konnte nicht anders, sie mußte trotz ihrer klappernden Zähne lachen. „Also gut, auf was warten wir noch? Wer übernimmt die erste Wache?“ Damit streifte sie kurzerhand ihre nassen Sachen ab und wickelte sich ebenfalls in ein paar der Felle ein. Verblüfft starrten die Männer sie an, auch dann noch, als alles längst vorbei war. Ed Carberry kratzte sich am Kopf, aber dann zog auch er sich aus. Er hängte sich ein paar Felle um, wickelte sie um seinen Riesenkörper und ließ sich in der Nähe der blakenden Flamme nieder. „Ich übernehme die erste Wache. Du, Luke, die zweite, dann sehen wir weiter. Und jetzt haut euch hin, da draußen tobt es ganz schön. Die armen Schweine auf der ,Isabella` - also, so'n Wetter haben wir alle zusammen noch nicht erlebt ...“ In dem Iglu wurde es still. Einer nach dem anderen versank in tiefen Schlaf. Draußen, in der Bucht, heulte der Sturm und jagte den Schnee vor sich her. Es war eine Höllennacht. Der Profos hatte alle Mühe, sich wachzuhalten, aber er schaffte es. Und seine Gedanken kreisten unablässig um die „Isabella“ und die Seewölfe. Er wußte, was solch eine Nacht auf See bedeutete. 3.
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Ed Carberrys Befürchtungen stimmten. Zwar hatte die „Isabella“ das offene Meer gewinnen können und war damit der Gefahr des Strandes auf den Klippen der Felsküste Labradors entgangen, aber dafür tat sich vor ihr eine andere Hölle auf. Trotz der schweren Brecher, die alle Augenblicke die Decks mit ihrem eisigen Wasser überfluteten, schufteten die Seewölfe wie die Wahnsinnigen. Sie hatten sich an eiligst ge- spannten Strecktauen, die über das Hauptdeck liefen, angelascht, damit sie nicht über Bord gewaschen wurden. Eine Gruppe unter Führung von Smoky war damit beschäftigt, die Niedergänge zu verschalken. Denn ein zerschlagenes Schott oder die zersplitterte Tür eines Niedergangs konnte der „Isabella“ bei den Wassermassen, die immer wieder über das Schiff hereinbrachen, leicht zum Verhängnis werden. Eine andere Gruppe, die sich um Al Conroy scharte, war dabei, die schweren Culverinen so festzuzurren, daß auch die stärkste See sie nach menschlichem Ermessen nicht loszureißen vermochte. Denn das wußte jeder Mann an Bord der „Isabella“: Riß sich eins der schweren Geschütze los und wurde von der See gegen die Aufbauten des Vorderoder Achterkastells geworfen, dann bedeutete das den sicheren Untergang der Galeone. Denn so ein Brocken, wie ihn eine siebzehnpfündige Culverine darstellte, zermalmte, einmal in Bewegung geraten, alles, was sich ihm entgegenstellte. Auch diese Männer wurden dauernd von eisigen Seen begraben, die die Decks überfluteten und an ihren Strecktauen und Gurten zerrten. Allmählich ließen die Kräfte der Männer nach. So etwas war schon in der warmen Karibik nur schwer durchzustehen, aber in diesen eisigen Fluten überforderte das selbst die eisenharte Crew des Seewolfs. Eine dritte Gruppe unter Dan O'Flynn versuchte immer wieder vergeblich, das zweite und größere Rettungsboot der „Isabella“ gegen die anrennenden Seen zu schützen. Zwar war es an Deck
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festgelascht, aber das reichte bei weitem nicht aus, denn gerade das Beiboot bot den überkommenden Brechern immer wieder einen Angriffspunkt, an dem sie sich hartnäckig verbissen und den sie aus dem Weg fegen wollten. Überall fehlte in diesen Stunden Ferris Tucker, der Schiffszimmermann. Er hatte schon so manches geschafft, was anderen kaum möglich war. Und es fehlten die anderen, denn die „Isabella“ brauchte in diesem Sturm jede nur denkbare Hand, wenn sie überleben sollte. Dan tauchte gerade aus einer grün-glasigen See wieder auf. Er schnappte nach Luft und sah' sich nach Stenmark, Gary Andrews und Blacky um. Er fand sie, ebenso atemlos wie er, mit ebenso blaugefrorenen Gesichtern, aber auch die gleiche verbissene Wut in ihren Zügen. „Los, noch mal!“ befahl Dan, während die „Isabella“ bereits wieder einen der gigantischen Wellenberge erklomm. Die vier Männer liefen zum Beiboot, packten die dicken Taue, zurrten sie fest und belegten sie. Blacky hatte sein Tau gerade um die schwere Eisenklampe geschlungen, die Ferris Tucker eigens zum Festlaschen des Bootes im Deck der „Isabella“ verankert hatte, als ein dumpfer Schlag die Galeone erschütterte. Blacky fuhr hoch. Für einen Moment vergaß er das Tau, das er noch sichern mußte, und starrte Dan O'Flynn an. Aber da geriet er an den Falschen. „Blacky, du verdammte Bilgenratte, gaff' nicht blöde in der Gegend herum, sondern sieh zu, daß du vor dem nächsten Brecher mit deinem Tau fertig wirst. Es kann verflucht der Fall sein, daß wir dieses Boot noch im Lauf dieser Nacht brauchen, um unser Leben zu retten, wenn es unsere ,Isabella` erwischen sollte!“ fauchte Dan ihn an. Blacky, fast so ein Hitzkopf wie Luke Morgan, wäre unter anderen Umständen bestimmt sofort auf Dan losgegangen, aber diesmal kapierte er, wie recht Dan hatte. Er sicherte das Tau in der Eisenklampe und wollte sich gerade wieder aufrichten, als
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ein neuer schwerer Schlag die „Isabella“ erzittern ließ. „Himmel und Hölle, Dan!“ brüllte er durch das Heulen des Sturms. „Was ist da los? Fliegen uns jetzt schon die Wrackteile eines abgesoffenen anderen Kahns um die Ohren?“ Seine Frage wurde fast im selben Moment beantwortet. Ein gewaltiger Brecher rollte auf die „Isabella“ zu. Dan konnte gerade noch einen Warnruf ausstoßen, dann brach er über das Steuerbordschanzkleid an Deck. Wieder wurden Dan und seine Männer und alle anderen, die sich auf dem Hauptdeck befanden, von grün-glasigen Wassermassen begraben. Aber dabei blieb es diesmal nicht. Ein ohrenbetäubendes Krachen und Bersten erfüllte ihre Ohren, irgend etwas prallte gegen Blackys Rippen und warf ihn bis zur Nagelbank an Backbord hinüber. Sekunden später lief das Wasser wieder ab. Blacky tauchte prustend auf. Aber dann kriegte er plötzlich ganz große Augen. Verklemmt, zwischen die Culverinen geschmettert, glänzte ihm das blauweiße Eis einer Eisscholle entgegen. Er wollte Dan etwas zurufen, aber Dan hatte die Eisscholle auch schon entdeckt. Sie hatte eine der Lafetten zerschlagen, die Culverine lag auf der Seite, hing aber noch fest in den Tauen, mit denen sie festgezurrt war. Wie durch ein Wunder waren weder Al Conroy noch einer seiner Männer zu Schaden gekommen. Blacky würgte den Fluch, den er auf den Lippen hatte, herunter. Er begriff in diesem Moment, daß die „Isabella“ zusätzlich zu dem schweren Sturm auch noch zwischen treibende Eisschollen geraten war, die genauso wild auf den Brechern herumtanzten wie das Schiff. Ganz abgesehen davon, daß eine an Deck geworfene Eisscholle mit Leichtigkeit mehrere Mann zugleich erschlagen konnte, war der Eisgang auch eine äußerst bedrohliche Sache für das Schiff. Mit reichlicher Verspätung stieß Blacky eine wilde Verwünschung aus. Das hatte
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ihnen zu allem anderen gerade noch gefehlt! * Den drei Männern auf dem Achterdeck der „Isabella“ war nicht entgangen, was sich auf dem Hauptdeck zugetragen hatte. Die Eisscholle, deren Trümmer noch zwischen den Geschützen an Steuerbord steckten und deren Splitter über das ganze Deck verstreut lagen, hatte wie der Einschlag einer vollen Breitseite gewirkt, als sie an Deck gekracht war. Der Seewolf war mit ein paar Sätzen zur Schmuckbalustrade gejagt, dabei ständig das schwankende Deck ausbalancierend. Ben Brighton, der zusammen mit Pete Ballie das Ruder bediente, denn selbst die Pranken Pete Ballies reichten dazu bei diesem Wetter nicht mehr aus, starrte ebenfalls aufs Hauptdeck hinunter, das gerade eben wieder von einer schweren See überspült wurde. Hasard klammerte sich an die Schmuckbalustrade, um von den Wassermassen, die die weit nach Steuerbord krängende „Isabella“ gurgelnd überschwemmten und auch das Achterdeck überspülten, nicht über Bord gerissen zu werden. Auch er begriff, was dieser plötzlich auftretende Eisgang für die „Isabella“ bedeutete. Am schlimmsten empfand er jedoch die Ohnmacht, zu der sie alle verdammt waren, weil sie nichts gegen diese neue Bedrohung zu unternehmen vermochten. Jeder neue Brecher, der das Schiff erreichte und überrollte, konnte die Katastrophe bringen. Der Seewolf tauchte aus dem gurgelnden Wasser wieder auf, und die eisige Kälte lähmte sekundenlang seine Glieder. Er fragte sich, als er die verzerrten Gesichter seiner Männer unten auf dem Hauptdeck sah, die in ihren Strecktauen und Gurten hingen, wie lange sie alle diesen Naturgewalten noch zu trotzen vermochten. Auf dem ganzen Schiff gab es keinen einzigen Platz, an dem man noch Zuflucht vor der Kälte und den ständig
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über das Schiff hereinbrechenden Wassermassen finden konnte. Gleichzeitig dachte er an die Männer, die sie in dem winzigen Beiboot hatten zurücklassen müssen. Jeder einzelne von ihnen bedeutete für die Seewölfe einen unersetzlichen Verlust, und auch Hasard glaubte in diesem Moment nicht daran, daß sie irgendeinen Weg gefunden haben könnten, dem Orkan, zu dem sich der so plötzlich über sie hereingebrochene Sturm entwickelt hatte, zu entkommen. Die „Isabella“ richtete sich langsam wieder auf, gleichzeitig erklomm sie einen gewaltigen Wellenberg, der ihr entgegenrollte und dessen Gischt das ganze Schiff wie dichter Wassernebel einhüllte. Der Seewolf stieß einen lauten Warnschrei aus, denn in den nächsten Sekunden mußte an Bord der „Isabella“ die Hölle los sein. Er wußte, daß er nicht an der Schmuckbalustrade bleiben durfte, kein Mensch hatte soviel Kraft, der Gewalt dieser Wassermassen zu widerstehen. Hasard jagte über das sich stärker und stärker neigende Achterdeck der „Isabella“, rutschte aus, schlug der Länge nach auf die nassen Planken und knallte gegen das achtere Schanzkleid. Ein wilder Schmerz durchzuckte ihn, vor seinen Augen tanzten feurige Kreise und zerplatzten zu Tausenden von Sternen. Dann spürte er noch, wie ihn ein paar harte Fäuste packten und über das Deck zerrten. Alles weitere begrub ein Schwall eisigen Wassers, vermischt mit Dröhnen und Bersten, mit wilden Schreien der Männer auf dem Hauptdeck. Ein schwerer Schlag erschütterte das ganze Schiff und ließ es in allen seinen Verbänden bis zum Kielschwein hinab erbeben. Das Getöse schien kein Ende zu nehmen, der Seewolf, noch halb betäubt von seinem harten Sturz, erfaßte dennoch mit seltsamer Klarheit, daß irgendetwas das Schiff in diesem Moment zerschlug. Das Wasser lief ab, keuchend schnappten Ben Brighton und der Seewolf nach Luft, eisern festgehalten von den gewaltigen Fäusten Pete Ballies, der, um die beiden Männer davor zu retten, über Bord
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gewaschen zu werden, das Ruderrad der „Isabella“ losgelassen hatte. Hasard richtete sich auf. Sein Schädel schmerzte höllisch, aber er war wieder Herr seiner Sinne. Mit ihm richteten sich Pete Ballie und Ben Brighton im engen Ruderhaus der „Isabella“ auf. Und dann stockte ihnen allen dreien der Atem. Die „Isabella“ lag mit dem Bug und dem Vorderkastell tief im Wasser. Blinde und Fockmast waren von einer gewaltigen Eisscholle total zertrümmert worden und hatten auf dem Hauptdeck ein Chaos verursacht, aus dem sich eben die anderen Seewölfe hervorquälten. Die Großrah lag an Deck, das Segeltuch der Blinde, das laufende und stehende Gut des Fockmastes bildeten ein wirres Durcheinander über einem Teil der Culverinen. Der Fockmast war außenbords gegangen und schleifte in der gischtenden See. Hasard stieß einen wilden Fluch aus. „Pete, Ben, ihr bleibt am Ruder. Die ,Isabella` darf jetzt nicht querschlagen, oder wir sind verloren!“ brüllte er und stürmte torkelnd auf den Niedergang zum Hauptdeck zu. Die Männer auf dem Hauptdeck hatten ebenfalls längst begriffen, was geschehen war und welche Gefahr ihrem Schiff drohte. Mit Äxten und Entermessern schlugen sie auf Pardunen und Wanten ein, an denen der Fockmast noch hing. Sie mußten diese Taue kappen, bevor die nächste See sie überrannte. Denn wenn eine der überkommenden Seen den Fockmast an Bord warf, dann zerschlug er möglicherweise auch den Hauptmast oder die Aufbauten des Vorderoder Achterkastells oder rammte gar ein Leck in die Bordwand. Damit aber wäre das Schicksal der „Isabella“ endgültig besiegelt gewesen. Hasard nahm dem alten O'Flynn die Axt ab. Der hatte die beiden Zwillinge längst sicher in der Kammer verwahrt und war sofort wieder an Deck gehumpelt, um überall dort mit zuzupacken, wo es nötig war. „Laß mich!“ sagte er nur und schlug zu. Die Schneide seiner Axt durchtrennte nach
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einigen Schlägen eine der Pardunen, während Dan O'Flynn mit Blacky und noch ein paar anderen Männern auf die Wanten einhieben, an denen der Fockmast noch hing. Sie schafften es gerade, bevor die nächste See die Decks der „Isabella“ überflutete. Mit einem scharfen Knall brach das letzte Tau, das den Fockmast noch mit der „Isabella“ verband. Sofort sackte er achteraus und verschwand in der tobenden See. Smoky schlang dem Seewolf blitzschnell einen Tampen um den Leib und verknotete ihn mit einem der Strecktaue, dann riß eine gewaltige See Hasard die Beine unter dem Leib weg und wirbelte ihn herum. Als die See wieder abgelaufen war, richtete sich der Bug der „Isabella“ auf. Aber das Schiff hatte trotz aller Verschalkungen und Vorkehrungen viel Wasser genommen, das spürte Hasard an den schwerfälligen Bewegungen der „Isabella“ sofort, mit denen sie auf die ständig unter ihr hinwegrollenden Wogen reagierte. „An die Pumpen!“ schrie er, und die Männer begriffen, daß es jetzt ernst wurde, verdammt ernst sogar. „Dan, schnapp du dir ein paar Männer und versuche, den Großmast zu klarieren, alle anderen mit mir an die Pumpen. Pumpt euch die Lungen aus dem Hals, oder wir saufen ab!“ Auf der „Isabella“ begannen Stunden, die niemals wieder einer der Männer, die sie miterlebten, vergessen würde. Unaufhörlich wurde gepumpt, während sich Dan O'Flynn mit Will Thorne, dem Segelmacher der „Isabella“, mit Smoky, Blacky und Gary Andrews und Bill, dem Moses, darum bemühte, den durch den Bruch des Fockmastes schwer in Mitleidenschaft gezogenen Großmast zu klarieren. Es war eine Knochenarbeit. Zu allem Übel wurde es dunkler und dunkler, bis die Nacht die „Isabella“ in ihre Dunkelheit einschloß wie in ein Gefängnis, aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Der Sturm hielt unvermindert an - nur der Eisgang hatte aufgehört. Ein paar kleinere Eisschollen waren noch am Bug der
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„Isabella“ zerschellt und hatten das Vorderkastell mit ihren Splittern übersät, aber sonst hielt sich das schwer angeschlagene Schiff tapfer und trotzte allen heranstürmenden Seen. Erst gegen Morgen, als der Himmel bereits graute, ließ der Sturm nach. Die Männer an Bord der „Isabella“ hatten jedes Gefühl für die Zeit verloren. Aus roten, entzündeten Augen starrten sie sich an. Müde und total erschöpft umkrampften ihre Fäuste Wanten, Brooktaue oder sonst irgendetwas, was ihnen Halt in den taumelnden, schlingernden und rollenden Bewegungen ihres Schiffes verschaffte. Längst hatten sie und auch Hasard mit dem Pumpen aufgehört, halb erfroren, wie sie waren. Ohne jede warme Nahrung, nur hin und wieder mit einem Schluck Rum versehen, hatten die Kräfte sie längst verlassen. Ben Brighton und Pete Ballie war es mit äußerster Anstrengung gelungen, lange, schwere Trossen achtern auszubringen, die verhinderten, daß die heranrollenden Seen das Schiff auch noch von achtern überrollten und es davor bewahrten, querzuschlagen und zu kentern, weil sie zugleich wie riesige Treibanker wirkten. Auch diese beiden Männer waren nun, da der Morgen zu grauen begann und der Sturm an Stärke verlor, so erschöpft, daß sie schon fast nicht mehr klar denken konnten. Drei Stunden später - niemand an Bord der „Isabella“ kannte die Position des Schiffes, lief die arg mitgenommene und von der See übel zugerichtete Galeone eine Bucht an. Die See ging immer noch hoch, aber die Felsen boten Schutz vor Wind und Wetter. Kurze Zeit später, nachdem Hasard die Lebensgeister seiner Crew noch einmal mobilisiert und mit ihnen einen sicheren Ankergrund gesucht hatte, rauschte die Ankertrosse aus. Mit steifen Bewegungen bargen die Seewölfe die Segel des Großmastes und des Besan, soweit sie als Sturmsegel noch gestanden hatten. Hasard enterte genau wie Ben Brighton und Pete Ballie mit auf.
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Aber dann galt es, ein wärmendes Feuer zu entfachen. Die nassen, zum Teil vereisten Sachen mußten trocknen, die Männer sich aufwärmen und vor allem schlafen. Der Seewolf sah seine Männer der Reihe nach an. Wen sollte er zur ersten Wache einteilen, wer war dazu überhaupt noch in der Lage? Ben Brighton trat auf ihn zu. „Ich die erste, du die zweite, Hasard. Dann Smoky, dann Luke und Blacky, die beiden sind ungeheuer zähe Burschen. Ich regle das ...“ Hasard hielt ihn zurück. „Danke für dein Angebot, Ben, aber du hältst dich ja selber kaum noch auf den Beinen. Wie willst du da noch eine Wache überstehen? Wir werden beide zusammen die erste Wache gehen, dann sehen wir weiter. Einverstanden? Und jetzt brauchen wir ein Feuer. Ich wünschte, wir hätten Ferris und die anderen an Bord. Mein Gott, was mag aus ihnen geworden sein? Ed, Luke, Big Old Shane, Batuti und ...“ Der Seewolf sah Siri-Tong vor sich, ihre dunklen Augen, die leicht geschwungenen Lippen, die sich so leicht zu einem spöttischen Lächeln verzogen. Ben Brighton legte ihm die Hand auf die Schulter. „Und wenn du mich für verrückt erklärst, ich glaube nicht daran, daß sie tot sind, ertrunken in dieser verdammten Sturmnacht. Nein, wir waren nicht weit fort von der Küste, der Sturm blies von See her, sie könnten es durchaus geschafft haben. Ich habe in all den schlimmen Stunden, die ich mit Pete am Ruder gestanden habe, darüber nachgedacht. Ein Mann wie unser Profos, ein Kerl wie Ferris oder Big Old Shane, die ersaufen nicht einfach so, von den anderen ganz zu schweigen. Nein, auch nicht in einem solchen Sturm, wenn sie ein gutes Boot unter dem Hintern haben. Das ist kein billiger Trost, ich glaube daran, daß sie noch leben. Irgendwie. Wir werden sie später suchen müssen, wenn wir selber erst wissen, wo wir gelandet sind.“ Hasard sah den Freund an.
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„Ich wünschte, du hättest recht, Ben“, sagte er dumpf. „Ich hätte sie in diesem Wetter nie von Bord lassen dürfen.“ Damit wandte er sich ab, um die notwendigen Vorkehrungen für ein wärmendes Feuer zu treffen. Die „Isabella“ hob und senkte sich immer noch auf der in die Bucht hereinstehenden Dünung. Aber der Sturm hatte aufgehört, fast war es gespenstisch still um das Schiff. 4. Als der Morgen graute, hatte Siri-Tong die Wache. Im Iglu herrschte inzwischen durch die Eskimolampe wohlige Wärme. Die Männer und auch das verwundete Eskimomädchen schliefen fest. Siri-Tong hatte sich inzwischen ihre Sachen wieder übergestreift, sie waren längst getrocknet. Ein eigenartiges Dämmerlicht erfüllte den kuppelförmigen Innenraum des Iglus. Einmal hervorgerufen durch die blakende Flamme der Eskimolampe, zum anderen aber auch durch das Tageslicht, das durch die Rauchabzugsöffnung der Kuppel einfiel. Siri-Tong warf einen Blick auf die schlafenden Männer. Am besten würde es sein, die Männer noch liegen zu lassen, damit sie sich wenigstens wieder halbwegs erholten. Die Rote Korsarin hatte Sorgen. Sie hatten keine Waffen, jedenfalls keine nennenswerten, von ein paar Entermessern abgesehen. Sie verfügten über keine Nahrung, sie wußten nicht, was in dieser entsetzlichen Sturmnacht mit den Seewölfen und der „Isabella“ geschehen war. Sie wußten nicht, wo sie selbst sich befanden und welche Gefahren auf sie hier an der Küste Labradors lauerten. Siri-Tong stand leise auf und ging zu dem schlafenden Eskimomädchen hinüber. Das Mädchen würde vielleicht einige der Fragen beantworten können, aber wie sollten sie sich mit ihr verständigen? Niemand verstand diese eigenartige Sprache der Nordlandbewohner, und alles ließ sich auch über Zeichen nicht regeln.
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Der Wikinger fehlte der Roten Korsarin in diesem Moment. Er hätte bestimmt Rat gewußt, es hatte noch nie eine Klemme gegeben, aus der er nicht wieder herausgefunden hätte. Aber Thorfin Njal und der schwarze Segler und ihre ganze Crew waren weit weg, vermutlich immer noch auf der Schlangen-Insel. Fast bereute die Rote Korsarin in diesem Moment, das Angebot des Seewolfs, mit der „Isabella“ mitzusegeln, angenommen zu haben. Aber sie wischte diese Gedanken sofort wieder fort. Denn da war noch etwas, nämlich der Mann, den sie liebte: Hasard. Er brauchte sie, und das nicht nur der beiden Söhne wegen. Aber wie sollte alles weitergehen? Ewig würde sie bestimmt nicht an Bord der „Isabella“ bleiben, denn dazu hing sie viel zu sehr an ihrem Schiff, dafür liebte sie auch ihre Selbständigkeit. Nicht, daß sie auf der „Isabella“ Einschränkungen hinnehmen mußte, aber die Galeone war nicht ihr Schiff, auf dem sie zusammen mit dem Wikinger das Kommando führte. In dieser Morgenstunde an einer fremden Küste in einem Iglu tobte in der Roten Korsarin ein heftiger Kampf. Sie wußte, daß sie irgendwann wieder auf den schwarzen Segler stoßen würden, denn Thorfin wußte in etwa, was der Seewolf vorhatte und wohin sein Kurs ihn führen würde. Aber wann würde das sein? Und was würde bis dahin noch alles geschehen? Vorausgesetzt, sie fanden die „Isabella“ überhaupt wieder nach dieser Sturmnacht. Denn auch an Bord der „Isabella“ - darüber war sich die Rote Korsarin absolut klar konnte man nicht wissen, was aus der Besatzung des Beibootes geworden war. Alle Wahrscheinlichkeit sprach dafür, daß sie in ihrer Nußschale diese Nacht nicht überlebt hatten. Aber Siri-Tong kannte den Seewolf gut genug, um zu wissen, daß er die Suche aufnehmen und ganz sicher nicht einstellen würde, solange überhaupt noch eine Chance bestand, sie und die anderen Männer der „Isabella“ zu finden.
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Siri-Tong reckte sich. Sie fühlte, sich wie zerschlagen. Jeder einzelne Muskel ihres biegsamen Körpers schmerzte noch vom ewigen Ausösen des Wassers im Boot. Nein, es hatte keinen Zweck, länger zu warten. Sie mußten etwas unternehmen, und zwar so schnell wie möglich. Hinter sich spürte die Rote Korsarin eine Bewegung. Sofort fuhr sie herum, aber es war das Eskimomädchen, das sich erhoben hatte und jetzt hinter ihr stand, lediglich in die Felle gehüllt, in die es sich eingewickelt hatte. Der Verband, den ihr der Kutscher behelfsmäßig angelegt hatte, saß noch, und sie schien keine Schmerzen mehr zu haben. Sie lächelte die Rote Korsarin an, dann deutete sie auf sich und sagte: „Pinigna.“ Siri-Tong verstand. Das Mädchen hieß also Pinigna. Merkwürdig, dachte sie noch, daß sie sich selbst beim Namen nannte. Ihr war aufgefallen, daß die Eskimos sich sonst nie bei ihrem Namen nannten, ebenso wie die Frauen, sondern stattdessen immer von „dieser Mann“ oder „diese Frau“ gesprochen hatten, womit sie sich stets selber meinten. Außerdem fiel der Roten Korsarin in diesem Moment noch etwas auf: Das Eskimomädchen hatte ein völlig anderes Gesicht, als sie es bisher bei den Eskimos gesehen hatte. Die Züge waren schärfer, wesentlich ausgeprägter, das Gesicht nicht so rund, und auch die Augen waren völlig anders. Außerdem hatte sie einen bräunlichen Teint, lange schwarze Haare, die schon fast an die Indios der Neuen Welt erinnerten. Zudem war sie wesentlich schlanker und feingliedriger als die Eskimos. Das alles war Siri-Tong in dem Moment durch den Kopf geschossen, in dem sie das Mädchen angesehen hatte. Pinigna schien ihre Gedanken zu erraten. Wieder lächelte sie und deutete dann auf sich. „Inuit“, sagte sie und schüttelte dabei energisch den Kopf. Dann vollführte ihre Rechte eine Bewegung, die aussah, als ob sie etwas zerteilen wolle.
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„Hurone, Inuit“, sagte sie dabei und legte die beiden Hände zusammen, daß zwei gleiche Hälften entstanden. Die Rote Korsarin wußte nicht, was das Wort „Hurone“ bedeuten sollte, aber ihr wurde klar, daß dieses Eskimomädchen Mutter und Vater hatte, die verschiedenen Rassen angehörten, also ein Mischling war. Siri-Tong deutete auf den Schulterverband, den der Kutscher ihr angelegt hatte. Pinigna nickte, dann hockte sie sich neben die Rote Korsarin und zog ein kleines Messer hervor, das aus feinen Knochen gearbeitet war. Damit begann sie an der Wand des Iglus zu zeichnen. Zuerst ein paar Hütten, offenbar aus Zweigen gefertigt und mit Fellen bespannt. Sie waren rund. Dann ein paar Menschen in der kleinen Siedlung, die irgendwo am Wasser lag. Danach ein Fellboot, ein Umiak, das am Strand der Bucht, in der auch die Hütten standen, lag. Sie zeigte auf eine der Gestalten und deutete auf sich selbst. Danach zeichnete sie ein weiteres Boot, das sich von der Wasserseite her näherte. Schnell wurde Siri-Tong klar, daß es sich um Angreifer handelte, denn Pinigna erklärte ihr durch weitere Zeichnungen, daß sie schließlich geflohen war, nachdem alle Männer der Siedlung von den Ankömmlingen erschlagen worden waren. Pinigna war ins Fellbott gesprungen und hatte versucht, das offene Wasser zu erreichen, nachdem sie das Boot der Feinde mit einer Axt leckgeschlagen hatte. Aber zwei der feindlichen Krieger waren ihr gefolgt. Sie hatte im Boot mit ihnen kämpfen müssen und dabei auch die Wunde in der Schulter erhalten. Dann hatte der Wind das Segel gefüllt und sie auf die offene See hinausgetrieben. Siri-Tong war den Erklärungen des Mädchens aufmerksam gefolgt. Jetzt griff sie jedoch nach dem kleinen Knochenmesser und zeichnete in dem Umiak die Stelle in der Bordwand an, die sie zerstört vorgefunden hatten. Einen Moment überlegte Pinigna, dann lächelte sie Siri-Tong zu. Gleich darauf zeichnete sie ein Walroß, das aus der See
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auftauchte und sie wütend angriff. Und wieder wehrte sich das Mädchen seiner Haut, so gut es konnte. Zum Glück von Pinigna enthielt das Boot eine Harpune, oder sie hatte sie mit hineingenommen. Die Rote Korsarin hatte begriffen. Blieb nur noch die Frage nach der Herkunft des Mädchens, nach ihren Eltern. Durch Zeichen stellte sie ihre Fragen. Pinigna starrte eine Weile ratlos vor sich hin. Dann zeichnete sie eine Frau in Fellkleidern, die in einer großen Siedlung wohnte, aber allem Anschein nach weiter im Norden. Danach wieder andere Männer und Frauen, die offenbar zu Besuch in dieses Dorf kamen. Einer von ihnen hatte einen geschorenen Schädel, auf dem lediglich noch ein Kamm aus dichtem Haar stand, in dem ein paar Federn steckten. Er trug Lederkleidung, die reich verziert war. Daneben setzte Pinigna sechzehnmal den Ball der Sonne. Dann legte sie die Zeigefinger der Rechten und der Linken auf die beiden Figuren, auf den Mann mit den Federn im Haar und auf die Frau in der Siedlung. Anschließend preßte sie beide Hände gegen ihre Brust. Abermals deutete sie wieder auf den Mann mit den Federn im Haar. „Hurone“, sagte sie, und noch ein Wort, das Siri-Tong nicht verstand. Aber der Roten Korsarin war auch so alles klar. Die beiden Frauen hatten sich so in ihre Unterhaltung vertieft, daß ihnen völlig entgangen war, wie einer der Männer nach dem anderen aufwachte, sie beobachtete und genau verfolgte, was Pinigna an die Schneewand des Iglus zeichnete. Ed Carberry räusperte sich, indem er sich auf die Ellenbogen hochstützte. Siri-Tong fuhr herum, aber dann mußte sie lachen, denn Carberry zog verschämt die Felle wieder über den Körper, die bei seiner Bewegung verrutscht waren. „Madam, das war ja eine ganz vertrackte Art von Unterhaltung“, sagte er. „Also, so ungefähr bin ich klargekommen, das Mädchen scheint die Tochter eines Stammeshäuptlings zu sein. Aber was, zum Teufel, meint sie mit diesem Wort ,Hurone`?“
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Die Rote Korsarin hob die Schultern. „Sie sieht einem Indiomädchen aus der Neuen Welt nicht unähnlich“, erwiderte sie. „Vielleicht gibt es hier im Norden ähnliche Stämme, das wäre schließlich denkbar. Nur sieht sie härter aus, ihre Züge sind schärfer ausgebildet - kein Wunder bei diesem Land, in dem ein Mensch nur schwer zu überleben vermag, in dem fast immer Winter herrscht. Seht doch nur, wie tief sie die Sonne über den Horizont gezeichnet hat, vielleicht ist die hier niemals höher!“ Ferris Tucker schaltete sich ein. „Soweit ich zu schätzen vermag, scheint sie um die sechzehn Jahre alt zu sein. Ich habe ihre Geschichte verfolgt, die sie da in den Schnee geritzt hat. Feige ist das Mädchen bestimmt nicht, und zu kämpfen versteht sie auch, sonst hätte sie sich nicht gleichzeitig zweier ihrer Feinde erwehren können. Ich bin dafür, daß wir uns jetzt sofort auf die Suche nach der ,Isabella` begeben. Hasard ist bestimmt nicht weitergesegelt, er wird auch nach uns suchen.“ Luke Morgan richtete sich ebenfalls auf. „Es ist nur nicht sicher für ihn, ob wir noch leben. Aber er wird nichts unversucht lassen. Unsere ungefähre Position, an der wir uns aus den Augen verloren haben, die kennt er. Auch die Windrichtung, aus der der Sturm blies. Er muß also wissen, wo wir ungefähr zu suchen sind. Vielleicht sollten wir an der Küste ein großes Feuer entfachen, vielleicht sollten wir ...“ Big Old Shane lachte leise. „Ein Feuer entfachen! Womit denn wohl, du Schlaumeier? Hast du nicht gestern, als wir an der Küste vorbeisegelten, gesehen, daß es hier weit und breit nur Felsen und Eis gibt? Und Schnee? Nach den gestrigen Schneefällen bestimmt sogar in Massen. Nein, wir müssen uns aus Matten und Fellen ein Segel herrichten. Vielleicht ist irgendwo in dieser Siedlung auch noch ein wenig Holz aufzutreiben, aus dem wir uns dann einen Mast zimmern können. Dann müssen wir an der Küste entlang segeln, jedenfalls zu allererst einmal aus dieser Bucht heraus, denn hier findet uns der
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Seewolf niemals. Hier kann er mit der ,Isabella` nicht einmal herein!“ Ferris Tucker stimmte ihm zu und warf kurzerhand die warmen Felle ab. Innerhalb weniger Augenblicke war er in seine Kleider geschlüpft, die wie die der Roten Korsarin wieder getrocknet waren. Die anderen folgten seinem Beispiel. Nur Batuti, der Gambia-Neger, zögerte etwas. Die beiden Frauen im Iglu irritierten ihn. Aber Siri-Tong, die das bemerkte, zog Pinigna mit sich zur Seite und betrachtete mit ihr noch einmal die Wandzeichnungen. Dabei erklärte sie dem Mädchen, wonach sie jetzt zuerst suchen mußten. Als Pinigna nicht gleich verstand, ritze sie kurzerhand mit ihrem Messer ein Bild des Bootes in die Wand, in dem sie in diese Bucht gelangt waren. Dann zeichnete sie einen Mast mit einem Segel daran in die See, und irgendwo weiter fort, draußen in die See, die „Isabella“. Pinigna verstand. Sie nickte ein paarmal und bat die Seewölfe durch Zeichen, ihr zu folgen. Aber die Rote Korsarin hatte noch eine Frage. Sie wollte wissen, wo sich die Leute befanden, die normalerweise in dieser Siedlung lebten. Es dauerte lange, bis Pinigna ihre Frage begriff. Noch länger dauerte es, bis sie mittels einer Zeichnung zu antworten vermochte. Ed Carberry blickte den Kutscher an. „He, Kutscher, du verstehst dich doch auf so etwas“, sagte er. „Was meint sie mit diesen verrückten Zeichen dort?“ fragte er, und auf seiner narbigen Stirn erschien über der Nasenwurzel eine steile Falte. Der Kutscher grinste, denn er hatte inzwischen längst begriffen. „Sie meint, daß diese Siedlung nur dann bewohnt ist, wenn die Männer zur Jagd fahren. Es gibt ein paar Gerätschaften hier in einer Hütte. Anscheinend auch etwas, woraus wir einen Mast zimmern können. Der Teufel mag wissen, wie wir den ohne jedes Werkzeug im Boot befestigen sollen, aber das ist Ferris' Sache. Im übrigen gehört diese Bucht noch zum Gebiet ihrer Sippe. Soweit ich verstanden hatte, befanden sich die meisten der Männer zur
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Zeit des Überfalls auf Jagd, und zwar weiter im Süden. Das Mädchen hier ist mit den Alten, den Frauen und Kindern zurückgeblieben. Wer von ihrer Sippe überlebt hat, weiß sie nicht. Woher denn auch?“' Carberry nickte. „Sieh dir ihre Wunde an, und dann sorge dafür, daß sie in ihre Kleider kommt. Verdammt, ich habe nicht die Absicht, hier anzuwachsen, auch wenn es hier noch so gemütlich warm ist. Wenn Hasard uns zu lange suchen muß, dann glaubt er am Ende wirklich noch, daß wir abgesoffen seien.“ Er ging auf den Eingang des Iglus zu. Ferris Tucker und Big Old Shane folgten ihm. Luke Morgan und Batuti wickelten noch ein paar der Felle zusammen, um sie mitzunehmen. In diesem Moment passierte es. * Ein ganzer Trupp in graue Felle gekleideter Männer drang in den Iglu ein. Mit solcher Gewalt, daß sie sogar den riesigen Carberry über den Haufen rannten. Zwar wollte der Profos sofort wieder hoch, aber ein kräftiger Hieb, der seinen Schädel traf, vereitelte das. Ed Carberry sackte zusammen, nach ihm Ferris Tucker, der zwar gerade noch einen der Eindringlinge packen und an die Wand des Iglus schleudern konnte, dann aber ebenfalls von einem mit großer Kraft geschlagenem Hieb getroffen wurde, der ihn ebenfalls zu Boden streckte. Big Old Shane, Batuti, Luke Morgan und der Kutscher rissen ihre Entermesser heraus, die einzigen Waffen, die sie hatten. Aber die Eindringlinge waren schlau, sie zogen sich sofort zurück und hielten den Seewölfen stattdessen die scharfen Spitzen ihrer Lanzen entgegen. Big Old Shane packte die Wut. Mit lautem Gebrüll drang er auf die Eskimos ein. Er packte zwei zugleich, unterstützt von der Roten Korsarin, die ebenfalls blitzschnell handelte. Ein wüstes Handgemenge entstand. Der Kampf in der Hütte wogte hin und her. Immer wieder stolperten sie
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über die beiden Bewußtlosen, die am Boden des Iglus lagen - und dabei erwachte Ed Carberry schließlich. Er begriff sofort, als er das Knäuel der Kämpfenden sah. Mit einem Schrei, der den ganzen Iglu erzittern ließ, sprang er auf, griff nach der schweren Eskimolampe, die im hinteren Teil des Iglus stand, und hieb mit der schweren Kupferpfanne, in der immer noch die blakende Tranflamme tanzte, auf die Eskimos ein. Ferris Tucker, von dem Gebrüll ebenfalls wieder wach, sprang auch auf. Das war zuviel, denn der Profos mähte mit seiner Metallpfanne alles um, was ihm in die Quere geriet, aus Versehen auch SiriTong, die sich nicht rasch genug abduckte. Die Eskimos ergriffen die Flucht. Ferris Tucker und Big Old Shane erkannten die neue Gefahr, in der sie schwebten. „Los, den Kerlen nach, oder die klauen uns unser Boot, und dann sind wir geliefert!“ brüllte der Schiffszimmermann. Ed Carberry, Big Old Shane, Batuti, Luke Morgan und Ferris Tucker stürmten ins Freie. Der Kutscher blieb zurück, um sich um die beiden Frauen zu kümmern. Die Rote Korsarin würde mit einer dicken Beule davonkommen, um Pinigna stand es jedoch schlimmer - sie hatte einen Lanzenstich in die Seite abgekriegt, von dem der Kutscher in diesem Augenblick noch nicht wußte, wie tief er ging. Die Eskimos sahen ihre Verfolger, und sie merkten auch schnell, daß die fremden Männer mit ihren langen Beinen schneller liefen als sie. Besonders Batuti rückte ihnen immer mehr und mehr aufs Fell, und dabei zog er Grimassen, die noch ganz andere Gegner in Angst und Schrecken versetzt hätten. Er schrie aus Leibeskräften und stieß dabei in seinem fürchterlichen Englisch die wildesten Flüche aus. Hinter ihm her tobte Ed Carberry. Zwar schmerzte ihm bei jedem Schritt der Schädel, als ob man ihn gerade mit einem Belegnagel bearbeitet hätte, aber das ließ den Profos nur noch wütender werden. Auch er brüllte aus Leibeskräften, und das war schon fast wie ein Weltuntergang.
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Ferris Tucker und Luke Morgan bildeten zusammen mit Big Old Shane die letzte Gruppe der Verfolger. Sie brüllten nicht, sondern änderten ihre Richtung und hielten genau auf das Beiboot der „Isabella“ zu, das unweit von einem Umiak auf dem Strand lag, ganz offenbar bereit, sofort zu Wasser gebracht zu werden. Die Eskimos, die sich bei dem Beiboot befanden, sahen ihre Gefährten flüchten, hörten das wüste Gebrüll Batutis und Carberrys und sahen deren blitzende Entermesser. Und sie sahen auch die drei anderen Männer, den rothaarigen Hünen, den riesigen Big Old Shane mit seinem gewaltigen Bart und Luke Morgan, die ebenfalls ihre Entermesser schwangen und genau auf sie zustürmten. Die Angst packte sie. Sie ließen das Beiboot Beiboot sein und rannten zu ihrem Fellboot hinüber, um es hastig ins Wasser zu stoßen. Gleich darauf schwangen sie sich an Bord und begannen wie verrückt zu paddeln, um das offene Wasser zu erreichen. Sie schafften es gerade noch, ehe der tobende Batuti sie erwischte. Auch etliche der Fliehenden erreichten das Wasser, warfen sich sofort hinein und schwammen wie von Furien gehetzt zu ihrem Fellboot hinüber. Aber einen, der etwas langsamer gewesen und einmal ins Straucheln geraten war, packten Batuti und der Profos. Sie rissen ihn zu Boden und hielten ihn mit ihren Pranken eisern fest, so sehr der Eskimo sich auch wehrte. Dann stellte Ed Carberry den Mann auf die Beine und starrte ihn drohend an, während Batuti ihn gepackt hielt. „So, Freundchen, du wirst uns gleich einiges zu erzählen haben. Das Mädchen wird uns als Dolmetscherin helfen. Und wenn du das Maul nicht auftun solltest, dann vergesse ich glatt meine feine englische Art, darauf kannst du Gift nehmen, du lausiges Rübenschwein!“ Die Männer einigten sich schnell. Luke Morgan und Big Old Shane blieben als Wachen bei dem Boot. Eine weitere Panne wollten sie nicht mehr riskieren. Ed Carberry und Batuti nahmen den
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Gefangenen zwischen sich und schleiften ihn kurzerhand zum Iglu hinüber, als der Mann sich weigerte, zu laufen. „Nicht mit Ed Carberry, du Laus“, sagte der Profos böse. „So einen wie dich lasse ich auf dem Daumen reiten, wenn es sein muß, klar?“ Batuti grinste, und dabei zog er eine fürchterliche Grimasse. „Gut, daß gefangen Mann“, radebrechte er. „Jetzt bald wissen, was los in dieses verdammte Land, wo nix als Schnee, Eis und Räubervolk. Batuti ja nicht ärgern, Mann, nix verstehen Spaß, wenn nicht an Bord von gutes altes ,Isabella`!“ Carberry mußte ebenfalls grinsen. Batuti nannte die Dinge auf seine Weise immer beim Namen. Auch ihm fehlte die „Isabella“ mächtig und diese ganze Horde von Rübenschweinen. Verdammt noch mal, er hatte nicht vor, hier in dieser elenden Bucht zu verrecken. Als er Siri-Tong sah, die ihn im ersten Moment zwar wütend anfunkelte, dann aber doch lachen mußte, indem sie ihre Beule massierte, fiel dem Profos der Unterkiefer herunter. Er vergaß für einen Moment seinen Gefangenen, als der Kutscher auch noch einige bissige Bemerkungen vom Stapel ließ. „Madam, ich — ich ...“ stotterte er, „das wollte ich doch nicht, ich ...“ Siri-Tong erhob sich. „Schon gut, Ed“, sagte sie und massierte ihre Beule auch dann noch, als sie ihm einen flüchtigen Kuß auf die narbige Wange hauchte. „Ich weiß jetzt jedenfalls, daß du selbst einen ausgewachsenen Wal mit einem einzigen Hieb erschlagen könntest, wenn er dir zufällig zwischen die Fäuste schwimmt. Erledigt, klar? Ich hätte eben schneller vor deiner Bratpfanne in Deckung gehen müssen.“ Sie lachte abermals, aber dann wurde sie plötzlich ernst. „Um das Mädchen steht es nicht gut. Die Kerle haben sie mit einer ihrer Lanzen erwischt. Nicht tödlich, wie der Kutscher meint, aber sie wird eine ganze Weile brauchen, ehe sie sich davon wieder erholt.
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Aber sie ist bei Bewußtsein, und jetzt müssen wir wirklich so rasch wie möglich die ,Isabella` wiederfinden, sie soll leben, verstehst du, Ed?“ Der Profos nickte, beugte sich zu Pinigna nieder und strich ihr über das Haar. „Keine Angst, Mädchen, wir werden gut auf dich aufpassen.“ Dann wandte er sich an Siri-Tong und den Kutscher und berichtete knapp, was sich draußen vor dem Iglu ereignet hatte. „Sie sind weg, aber sie könnten Verstärkung holen. Sie hatten es auf unser Boot abgesehen, wahrscheinlich auch vermutet, daß wir Gewehre und anderes hatten, deshalb haben sie uns überfallen. Oder sie sind dem Mädchen gefolgt, ich weiß es nicht. Wir müssen diesen Kerl da verhören, aber dazu brauchen wir Pinigna, Madam.“ Er sah den Kutscher an. „Wie steht es, wird sie uns helfen können?“ Der Kutscher zögerte, aber Pinigna, die offenbar wußte, um was es ging, schlug die Augen auf und nickte. „Gut, fangen wir also an.“ Und damit gab der Profos Batuti einen Wink, und der schleppte den totenblassen Gefangenen vor das Lager Pinignas. 5. Es war Mittag geworden. Immer noch bedeckte ein wolkenverhangener Himmel das Firmament. Was sich an Tageshelligkeit zeigte, glich mehr einer aufgehellten Dämmerung. An Bord der „Isabella“ herrschte zwar immer noch eine gedrückte Stimmung, denn jeder dachte an die seit der Nacht verschollenen Gefährten. Sie alle wußten, was es bedeutete, bei so einem Wetter auf ein kleines Boot angewiesen zu sein, und außerdem an Lee eine Küste zu haben, deren Felsen mit scharfen Schroffen in die gischtende See ragten. Aber wie Ben Brighton zuvor weigerten sich die Seewölfe, auch nur anzunehmen, daß die Gefährten in dieser Nacht umgekommen und dem Sturm zum Opfer gefallen sein sollten.
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Davon abgesehen gab es an Bord der „Isabella“ eine ganze Reihe von anderen Problemen. Die Seewölfe hatten ein paar Stunden geschlafen. An einer eigens dafür hergerichteten Feuerstelle auf dem Hauptdeck hatten sie sich aufgewärmt und ihre Sachen leidlich getrocknet. Rum und etwas warmes Essen, das zum größten Erstaunen in Vertretung des Kutschers von Bill, dem Moses, zubereitet worden war, hatten die Lebensgeister neu entfacht. Aber da waren auch noch die Schäden, die der Sturm auf der „Isabella“ angerichtet hatte. Vom Fockmast stand nur ein etwa zwei Yards hoher Stumpf. Die Großrah des Hauptmastes, die der Fockmast bei seinem Sturz mit an Deck gerissen hatte, mußte erst repariert werden, ehe man sie wieder mittels Taljen hochziehen und am Mast anbringen konnte. Der Bugspriet und die Blinde waren ebenfalls verschwunden, ein knapp yardlanger Stumpf des Bugspriets ragte noch aus dem Vorderkastell. Die Lafette eines der Geschütze war von einer Eisscholle zertrümmert worden, die Culverine lag zwar noch an Deck, gehalten durch ihre Brooktaue, aber einsatzklar war sie jetzt nicht. Auf dem Vorderkastell und auf dem Hauptdeck sah es im übrigen wüst aus. Dafür hatten die herumfliegenden Eisbrocken gesorgt. Außerdem hatte die „Isabella“ in diesem Wetter trotz der verschalkten Niedergänge viel Wasser genommen, es gab also irgendwo eine Undichtigkeit im Schiff, und die mußte man ebenfalls möglichst rasch finden. Smoky, der Decksälteste, besah sich die Bescherung. So gebeutelt worden war die „Isabella“ noch nie zuvor in einem Sturm, aber die Hauptschuld daran trugen diese verfluchten treibenden Eisschollen. Ohne sie wäre alles nur halb so schlimm gewesen. Ben Brighton begleitete Smoky bei seinem Inspektionsgang. Am Stumpf des Fockmastes blieb Smoky stehen. „Kannst du mir sagen, Ben, wie wir das alles wieder in Ordnung bringen sollen ohne unseren Schiffszimmermann?“ fragte
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er und sprach damit genau die Gedanken aus, die Ben Brighton schon seit geraumer Zeit bewegten. Ben schüttelte den Kopf. „Überhaupt nicht, Smoky, das ist mal sicher. Keiner von uns kann das, denn Ferris ist einmalig in seinem Beruf. Wir können nur eins tun, wenn es notwendig werden sollte: provisorisch einen neuen Mast errichten und ihn so gut takeln, wie es eben geht. Das gleiche gilt für die Blinde. Aber was, glaubst du, wird beim nächsten Sturm passieren, den wir abreiten müssen? Wir segeln nach Norden, es wird immer kälter werden und auch immer mehr Eis geben.“ Ben Brighton schwieg einen Moment und strich sich über das Kinn. „Ich habe sogar schon daran gedacht, Hasard zu bewegen, umzukehren, falls wir Ferris und die anderen nicht wiederfinden sollten. Mit diesem Schiff können wir uns auf keine weiteren Stürme in diesen Breiten mehr einlassen. Irgendwo, wo es warm ist und wir uns alles, was wir brauchen, besorgen und dann die ,Isabella` in Ruhe reparieren können, sollten wir ankern. Wenn nötig, sogar zur Schlangen-Insel zurücksegeln, denn dort hätten wir wenigstens die Hilfe des Wikingers.“ Smoky nickte. „Ganz soweit bin ich noch nicht gegangen, aber wir haben tatsächlich keinen Mann an Bord, der diese Reparaturen so ausführen könnte, wie sie ausgeführt werden müßten. Außerdem, wo sollen wir uns eigentlich einen neuen Mast besorgen? Sieh dich mal um, ich sehe nichts als Felsen in diesem verdammten Land. Wald wäre das mindeste, was wir brauchen.“ „Du hast völlig recht, Smoky. Es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als mit Nottakelung an dieser Küste entlangzusegeln, um eine Gegend aufzuspüren, in der es auch Bäume gibt. Das bedeutet aber zugleich, daß wir zunächst hier vor Anker liegen bleiben und mit der Suche nach unseren Gefährten und der Roten Korsarin beginnen. Segeln wir hier fort, dann haben sie kaum noch eine Chance, entweder uns zu finden oder von uns aufgespürt zu werden. Ich werde jetzt
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mit Hasard über diesen Punkt sprechen. Wir müssen aber an Bord eine Besatzung zurücklassen, die in der Lage ist, die ,Isabella` mit allen Mitteln gegen eventuelle Angreifer zu verteidigen. Der Ankerplatz ist gut, niemand kann sich uns nähern, ohne rechtzeitig entdeckt zu werden.“ „Und wie stellst du dir die Suche vor?“ fragte Smoky. „Wir nehmen das große Boot. Wenn unsere Gefährten noch leben, dann befinden sie sich irgendwo an der Felsenküste und halten Ausschau nach uns. Vielleicht entfachen sie sogar ein großes Feuer, um durch den Rauch auf sich aufmerksam zu machen. Oder sie benutzen ihr eigenes Boot, um nach uns zu suchen. Wir müssen jetzt zu allererst festzustellen versuchen, wie weit uns der Sturm seit der vergangenen Nacht abgetrieben hat. Wenn wir herausfinden, wo wir das Boot mit unseren Gefährten verloren haben, dann wissen wir auch, wo wir sie suchen müssen. Denn sie konnten nur eins tun: vor dem Wind so schnell wie möglich die Küste anzusteuern. Alles andere wäre glatter Selbstmord gewesen.“ Smoky nickte, dann ging er zu dem großen Boot hinüber, das fest verzurrt in den eisernen Klampen hing, die Ferris Tucker zu diesem Zweck im Hauptdeck verankert hatte. Prüfend glitten die Finger Smokys über die Planken des Bootes. Er untersuchte es von allen Seiten, aber wie durch ein Wunder hatte es die Sturmnacht und den Eisgang ohne jeden Schaden überstanden. Auch Ben Brighton hatte sich vom einwandfreien Zustand des Bootes überzeugt. „Los, gehen wir zum Seewolf. Der ist schon seit Stunden dabei, zusammen mit Dan herauszufinden, wo wir uns befinden. Wie ich ihn kenne, hat er wenigstens ein halbwegs brauchbares Resultat erzielt. Wahrscheinlich ist er zusammen mit Dan auch schon zu den gleichen Schlußfolgerungen gelangt wie wir. Na, wir werden sehen!“
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Die beiden verschwanden in Richtung Achterkastell. Ihnen folgten die Blicke der anderen Seewölfe, die noch am Feuer hockten, das im achteren Teil des Hauptdecks auf einer sorgfältig mit mehreren Blechen ausgelegten Feuerstelle loderte. Hin und wieder ließen sie eine Rumflasche kreisen. Bill, der Ben Brighton und Smoky nachblickte, stand auf und dehnte seine Glieder. Er hatte sich ganz schön gemausert, aus dem einstigen Bengel war mittlerweile fast ein Mann geworden, auf alle Fälle aber ein vollwertiger Seewolf, das hatte Bill oft genug bewiesen. „Ich glaube, es geht bald los“, sagte er nur, und die anderen gaben ihm recht. So ganz allmählich waren ihre Lebensgeister wieder erwacht. Und eins stand für sie alle fest: Solange auch nur die geringste Chance bestand, die Gefährten zu finden, würden sie diese Gegend nicht verlassen. Gleichgültig, welche Unwetter und Gefahren sie noch zu ertragen hatten. * Der Seewolf und Dan O'Flynn standen über den schweren Bohlentisch in der Kapitänskammer gebeugt. Zwar hatten sie von dieser Gegend nur -sehr mangelhafte Unterlagen, von Seekarten ganz zu schweigen, aber sie hatten gemeinsam versucht, ihre gegenwärtige Position zu bestimmen. Genau war das nicht möglich, weil niemand genau sagen konnte, welchen Kurs die „Isabella“ in der Sturmnacht gesegelt war. Von einem konnten sie allerdings ausgehen: Dan hatte sich eine Besonderheit der Felsenküste gemerkt, die er registriert hatte, als sie das Beiboot zu Wasser ließen, um nach dem Umiak zu sehen. Die Küste hatte an dieser Stelle zwei deutlich sichtbare, höckerartige Erhebungen aufgewiesen. Er hatte diese beiden Erhebungen eben dort in die Küstenlinie Labradors eingetragen, wo er sie vermutete. „Etwa hier müssen sie sein“, sagte Hasard. „Wenn ich dazu die Windrichtung nehme,
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aus der der Sturm geblasen hat, dann könnte das Boot etwa hier die Küste erreicht haben. Wir sollten Bill befragen, der hat im Ausguck gesessen, ebenfalls Gary Andrews. Du bist zwar auch dort gewesen, Dan, und du hast die schärfsten Augen von uns allen, aber drei Augenpaare sehen dennoch mehr. Wir wollen uns vergewissern, daß wir nicht irgendwelchen Hirngespinsten nachjagen.“ Dan O'Flynn nickte. Der Seewolf hatte recht. Auch wenn er, Dan, die schärfsten Augen an Bord hatte, die beiden anderen mußten die beiden höckerartigen Felserhebungen ebenfalls gesehen haben, das war keine Frage. Das war der Moment, in dem Ben Brighton und Smoky die Kapitänskammer betraten. Der Seewolf blickte nur kurz auf. „Ihr kommt wie gerufen“, sagte er. „Smoky, hol uns mal Gary Andrews und Bill, ich will sie etwas fragen!“ Smoky nickte und verschwand. Nach ein paar Minuten tauchte er mit den beiden Seewölfen wieder auf. Hasard verlor keine Zeit, er wies stattdessen nur auf die beiden Höcker, die Dan in die Küstenlinie eingezeichnet hatte. „Ihr wart zusammen mit Dan im Ausguck. Du, Gary, warst aber schon eine ganze Weile vorher dort oben. Lange, bevor du das treibende Fellboot gesichtet hast. Du wirst bestimmt des öfteren einen Blick auf die Felsküste in Lee der ,Isabella` geworfen haben. Hast du diese beiden Höcker gesehen, und wenn ja, wann?“ Der Zeigefinger des Seewolfs wies noch immer auf die Skizze. „Und du, Bill, kannst du dich auch an sie erinnern?“ Gary Andrews brauchte nicht lange zu überlegen. „Ich habe sie gesehen. Das war etwa zu dem Zeitpunkt, an dem ich das Fellboot entdeckte. Später habe ich mich aber nicht mehr um die Küste gekümmert, denn als das Boot im Schneegestöber außer Sicht geriet, hatte ich genug zu tun. Aber was ...“ Hasard unterbrach ihn durch eine Handbewegung. „Und du, Bill?“ fragte er. „Ich habe sie nicht gesehen. Das war durch das Schneegestöber nicht mehr möglich,
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und als der Sturm aufkam und wir das Boot immer noch nicht gefunden hatten, wurde es dunkel. Wenn Dan sie gesehen hat, dann kann er sie nur vom Achterdeck aus gesehen haben, lange, bevor wir damit begannen, das Deck für den Sturm zu klarieren.“ Hasard warf Dan einen fragenden Blick zu. „Stimmt“, sagte Dan. „Als ich sie sah, waren sie noch Backbord voraus. Von Bill und Gary wollte ich wissen, wo sich die Höcker befanden, als wir das Boot entdeckten. Wie war das, Gary?“ Gary Andrews überlegte einen Moment. Er spürte, daß die Beantwortung dieser Frage wichtig war. „Etwa Backbord querab, und später, als wir beigedreht hatten, habe ich sie noch einmal achteraus gesehen. Dann begann das Schneegestöber.“ Hasard nickte. „Demnach befanden wir uns mit der ,Isabella` also hier, den Abstand, den wir von der Küste hatten, schätze ich höchstens auf zwei, drei Meilen, deswegen konnten wir ja auch nicht länger auf das Boot warten, sondern mußten wieder an den Wind, wenn wir nicht auf die Klippen getrieben werden wollten.“ Er zeichnete die Position der „Isabella“ ein und zog dann eine Linie zur Küste. „Etwa hier werden sie die Küste erreicht haben, falls sie das noch schafften. Wenn wir suchen, dann in diesem Gebiet. Es geht also darum, daß wir die beiden Höcker wiederfinden, eine andere Möglichkeit bleibt uns nicht.“ Hasard sah die Gefährten an. „Die ,Isabella` selbst scheidet aus. Wir müssen das zweite Boot nehmen, ich will nur hoffen, daß es den Sturm heil überstanden hat!“ Er warf einen fragenden Blick auf Smoky und Ben Brighton, von denen er wußte, daß sie einen Inspektionsgang durch das Schiff unternommen hatten. Ben nickte. Smoky ebenfalls. Hasard richtete sich auf. „Es ist Mittag. Es hätte keinen Zweck gehabt, mit den Männern in ihrem total erschöpften Zustand und in den nassen Kleidern
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aufzubrechen, das hätten sie nicht ausgehalten. Aber jetzt dürfen wir keine Zeit mehr verlieren. Ben, du übernimmst das Kommando an Bord, Dan wird ebenfalls an Bord bleiben, das Schiff braucht in diesen gefährlichen Gewässern zwei Männer wie euch. Ich werde mit einem Teil der Crew sofort aufbrechen, und die Suche nach den Verschollenen beginnen. Klariert das große Boot, setzt Mast und Segel ein, der Wind scheint unserem Vorhaben nicht ungünstig zu sein. Schafft Musketen und genügend Pulver und auch sonst Waffen an Bord. Ich brauche sechs Männer, genügend Proviant und Wasser für ein paar Tage. Such du die Männer aus, Ben. Wie ich sie kenne, wollen sie alle mit, aber das geht nicht. Die ,Isabella` bleibt hier vor Anker liegen, aber seid auf der Hut. Alle Geschütze, die noch brauchbar sind, und alle Drehbassen laden. Wachen, Ausgucks, Ben. Nicht die geringste Nachlässigkeit darf einreißen. Ohne unser Schiff sind wir verloren.“ „Geht in Ordnung, Hasard. Aber da wäre noch etwas. Ihr solltet euch umsehen, ob es irgendwo eine Bucht gibt, aus der wir uns einen neuen Mast holen können. Hier ist weit und breit kein Baum zu sehen. So wie die ,Isabella` jetzt ist, können wir uns mit ihr nicht mehr weiter nach Norden wagen. Wir müßten umkehren.“ Hasard sah seinen ersten Offizier und langjährigen Freund an. Eine ganze Weile. „Wenn wir Ferris und die anderen nicht finden“, sagte er dann, „werden wir zurücksegeln. Es gibt niemanden an Bord, der Ferris' Arbeit übernehmen könnte, auch ich nicht. Ohne unseren Schiffszimmermann sind wir aufgeschmissen, und ich denke gar nicht daran, irgendeines ehrgeizigen Plans willen Schiff und Besatzung ins Verderben zu segeln. Und jetzt an die Arbeit, in einer halben Stunde lege ich ab.“ Er wollte sich abwenden, aber Bill trat vor ihn hin. „Sir, bitte, ich ...“ Hasard sah den einstigen Schiffsjungen der „Isabella“ an, und ein Lächeln stahl sich um seine Mundwinkel.
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„Wenn du mir etwas zu sagen hast, Bill, dann stottere nicht herum, sondern sprich aus, was du willst. Also?“ „Aye, Sir, jawohl, Sir. Ich möchte mit Ihnen segeln, Sir. Bitte nehmen Sie mich mit!“ Hasard wußte über das besonders enge Verhältnis zwischen dem Profos und Bill. Letzterer hatte sich oft wie ein Vater um den Bengel gekümmert und ihn wohl auch zu dem Seemann erzogen, der er inzwischen war. Aber Hasard wußte auch, wie sehr der Junge an der Roten Korsarin hing - der Wunsch Bills entsprang also nicht nur seiner Abenteuerlust, sondern vor allem seiner Sorge um die Gefährten. „In Ordnung, Bill. Aber das wird wahrscheinlich eine lausig harte Sache. Ben, jetzt brauche ich noch fünf Männer!“ Ben Brighton grinste. Das war so ein Zug, warum sie alle den Seewolf so sehr mochten und sich für ihn glatt in Stücke schlagen lassen oder mit ihm durch die Hölle segeln würden, wenn es sein mußte. Er hatte ein Herz, er zeigte immer wieder Verständnis für jeden Mann der Besatzung, man konnte mit jedem Anliegen zu ihm kommen. Ben Brighton nahm Bill und drehte ihn herum. „Du beginnst jetzt gleich damit, die notwendigen Vorräte zu besorgen. Auch um Pulver und Waffen kümmerst du dich, verstanden? Und daß du mir nichts vergißt!“ „Aye, Sir!“ Damit sauste Bill auch schon los. Eine gute halbe Stunde später legte das große Boot von der „Isabella“ ab. An Bord befanden sich Hasard, Bill, Stenmark, Blacky, Gary Andrews, Matt Davies und Jeff Bowie. An Bord der „Isabella“ blieben nur ein paar Mann zurück — Ben Brighton, Smoky, Dan O'Flynn, der alte Donegal O'Flynn, Will Thorne, der Segelmacher, Sam Roskill, Pete Ballie und Bob Grey. Und natürlich die beiden Zwillinge Hasard und Philip, die zusammen mit dem Schimpansen Arwenack und dem Papagei Sir John in einer Kammer des Achterkastells hausten
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und sich wohl oder übel damit abfinden mußten, daß sie unter der Fuchtel des alten O'Flynn standen. Philip umriß seine Ansicht kurz nach dem Ablegen des Bootes, als sie den Seewölfen vom Schanzkleid aus noch nachblickten, mit den Worten: „Mann, hoffentlich finden Sie Siri-Tong bald wieder. Und den Profos. Beide zusammen sind ja nicht halb so schlimm wie dieser olle Spökenkieker.“ Philip Killigrew hatte mit dieser Äußerung nicht ganz unrecht, denn der Alte war wirklich miserabelster Laune und entsprechend streng mit den beiden Söhnen des Seewolfs. Auch jetzt stand er wieder düsteren Gesichts am Schanzkleid des Achterkastells der „Isabella“ und starrte dem davonsegelnden Boot hinterher. „Ich habe es gleich gesagt“, murmelte er, „die Leiche in dem Fellboot bringt Unglück. Das war schon immer so. Damals als ich noch mit der ,Empreß of Sea` ...“ Dan hatte das gehört und begann zu grinsen. „He, Dad, wie viele Leichen in Fellbooten habt ihr denn damals so aufgefischt?“ fragte er. „Und wer sagt denn überhaupt, daß es eine Leiche war?“ Der alte O'Flynn fuhr herum. „Dir verdammter Grünschnabel sollte man endlich mal das Fell solange, windelweich gerben, bis du wieder den nötigen Respekt vor deinem Vater hast!“ giftete er seinen Sproß an. „Offenbar hast du früher noch viel zu wenig mit dem Holzbein gekriegt, du unverschämter Lümmel!“ Damit humpelte er davon und ließ Dan stehen. Sie würden es schon alle noch sehen, daß er auch diesmal wieder recht behielt. Abermals warf er zu dem dahinsegelnden Boot einen Blick hinüber. „Hoffentlich sehen wir wenigstens den Seewolf wieder“, murmelte er. Und das meinte der alte O'Flynn absolut ehrlich. 6. Auch in der Bucht hatte sich die Lage SiriTongs und ihrer Gefährten weiterhin zugespitzt. Das Verhör des Eskimos war
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schwierig und nur mit Hilfe Pinignas möglich gewesen. Aber an den grimmigen Gesichtern, die ihn umgaben, hatte der Eskimo auch den Ernst seiner eigenen Lage erkannt. Er hauste seit seiner Geburt in einem Land, in dem nur der Stärkere überlebte. Für den Augenblick waren die Fremden die Stärkeren, also fügte er sich. Immer wieder hatte Pinigna auf dem Weg von Wandzeichnungen erklären müssen, was der Fremde aussagte. Pinigna fragte nicht ungeschickt, das erkannten Siri-Tong und ihre Gefährten sehr rasch. Sie schien auch durchaus begriffen zu haben, was sie wissen wollten, und das ersparte Siri-Tong und den anderen, ebenfalls ihre Fragen erst über Zeichensprache oder Wandzeichnungen zu formulieren. Das Ergebnis des Verhörs sah auch so schon schlimm genug aus. Die Eskimos, die sie überfallen hatten, gehörten zu einer größeren Gruppe, die sich weiter hinten in der Bucht aufhielt und dort ihr Lager aufgeschlagen hatte. Sie waren vor dem Sturm zur Jagd aus dem Süden herangesegelt und mit der Sippe Pinignas verfeindet. Der Anführer der Eskimos, die sie im Iglu überfallen hatten, hatte Pinigna sofort erkannt und auch zu töten versucht. Jetzt befanden sie sich bestimmt auf dem Weg in jenen anderen Seitenarm, in dem die anderen lagerten. Siri-Tong und ihre Gefährten konnten sich ausrechnen, wann sie dort eintreffen und wann sie wieder aufbrechen würden, um die Niederlage zu rächen und vor allem, um das Boot der Fremden doch noch in ihren Besitz zu bringen. Denn Boote, das hatte Pinigna den Seewölfen und der Roten Korsarin immer wieder eindringlich erklärt, waren neben den Waffen der wertvollste Besitz der Eskimos Labradors. Ohne Boot konnten sie nicht jagen, ohne Jagd mußten sie erfrieren oder verhungern. Ed Carberry kratzte sich am Kinn. „Eine ziemlich schlimme Lage, in der wir uns befinden“, sagte er und versuchte dabei, sich wegen der Anwesenheit SiriTongs möglichst gewählt auszudrücken. „Wir werden noch einige Zeit brauchen, bis wir uns einen Mast gebastelt und den
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auch im Boot montiert haben. Was meinst du, Ferris?“ fragte er den Schiffszimmermann. Der rothaarige Hüne erhob sich. „Ich muß erst sehen, was uns zur Verfügung steht, dann kann ich was dazu sagen, Ed. Aber ganz gleich, wie es auch sein mag, unsere Zeit ist verdammt knapp. Wir haben keine Waffen, wir können einen massierten Angriff nicht ein zweites Mal ohne Verluste abschlagen, wenn überhaupt. Diese Kerle verstehen zu kämpfen, das läßt sich nicht leugnen.“ Siri-Tong nickte, dann nahm sie das Wort. „Was es ist, weiß ich nicht genau, aber ich glaube, daß es zwischen der Sippe Pinignas und jenen, die weiter hinten in der Bucht sind, eine uralte Fehde gibt. Ich meine sogar, daß Pinigna oder ihre Herkunft ein Teil der Schuld daran tragen. Wahrscheinlich hat sie sich einem Mann versagt, der sie haben wollte oder vielleicht sogar schon für sie bezahlt hat. Ich weiß es nicht, aber ich bin eine Frau, und ich habe sehr wohl gespürt, daß Pinigna uns in dieser Hinsicht etwas verheimlicht. Es ist ihre Sache, wir können uns damit jetzt ganz bestimmt nicht befassen. Wir müssen hier verschwinden, und zwar so rasch wie möglich.“ Sie wandte sich an den Kutscher, der dem Verhör schweigend gefolgt war. „Du hast Pinigna vorhin einen festen Verband angelegt, Kutscher. Kann sie damit laufen oder sich zumindest ausreichend bewegen? Oder müssen wir eine Bahre für sie anfertigen?“ Der Kutscher schüttelte den Kopf. „Sie hat wieder unerhörtes Glück gehabt, Madam, die Lanzenspitze hat eine Rippe getroffen und ist dort abgeglitten, hat dann zwar eine tiefe Fleischwunde hinterlassen, aber mehr nicht. Ohne dieses Abrutschen der Lanze wäre Pinigna ohne Zweifel tot gewesen. Sie kann sich bewe- gen, es besteht auch, wenn sie etwas vorsichtig ist, keine Gefahr, daß die Wunde wieder aufbricht. Aber es gibt noch ein Problem: Wir brauchen Nahrung, an Bord des Bootes ist nichts. Wir wissen nicht, wie lange wir
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wieder auf See sein werden, ohne Nahrung geht es bei dieser Kälte nicht.“ Ferris Tucker und Ed Carberry sahen sich an, dann bückte sich der Schiffszimmermann zu Pinigna hinunter und deutete erst die Geste des Ruderns an, dann die der heranrollenden Seen und die der Kälte und ganz zum Schluß die des Essens. Pinigna verstand sofort. Sie richtete sich auf, bat die Männer durch Zeichen, sich an die Wand des Iglus zurückzuziehen und unterzog dann den festgestampften Boden einer genauen Musterung. Kurz darauf glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie wies auf eine Stelle im Boden, die bei genauem Hinsehen aussah, wie ein in den Boden eingelassener Quader aus festgestampftem Schnee. Dazu vollführte sie die Geste des Grabens. „He, sollten die Kerle hier vielleicht eine heimliche Vorratskammer angelegt haben, für alle Fälle, wie, was?“ fragte der Profos. Sofort ging er mit dem Schiffszimmermann an die Arbeit. Mit ihren Entermessern gruben sie den Boden auf und hoben den Schneeblock hinaus. Batuti, der sich im Hintergrund gehalten hatte, half ihnen dabei. Eine etwa yardtiefe Grube öffnete sich vor ihnen, und in ihr, fein säuberlich geschichtet, lag gefrorenes Robbenfleisch. Da im Boden Dauerfrost herrschte und die beiden Männer auch sofort die Kälte spürten, die dieser Grube entströmte, konnten die Vorräte nicht verderben. Carberry stieß einen Pfiff aus. „Gar nicht so übel, was Ferris, du altes Walroß! Die Kerle wissen sich zu helfen, die nutzen die Kälte auf ihre Art. Wahrscheinlich legen sie sich an vielen Stellen solche Depots an — dann kann ihnen auch nichts passieren, wenn das Jagdglück einmal ausbleibt.“ Er sah den Kutscher an. „Wir kümmern uns jetzt um Mast und Segel fürs Boot. Du bleibst mit Batuti bei dem Mädchen und richtest auf der Tranlampe inzwischen eine Mahlzeit her. Wie du das ohne deine Töpfe und Pfannen bewerkstelligst, ist deine Sache. Frag am besten Pinigna, die weiß hier Bescheid. Dies gefrorene Fleisch
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können wir nicht essen, klar? Und paß auf den Gefangenen auf. Er ist zwar gefesselt, aber trotzdem!“ Er warf dem Kutscher einen unmißverständlichen Blick zu. Dann winkte er Ferris Tucker zu. „Los, allzu viel Zeit bleibt uns nicht. Wenn wir uns nicht die Hände blutig pullen wollen, dann brauchen wir Mast und Segel fürs Boot. Er wandte sich an die Rote Korsarin, aber die hatte bereits ihre Segeltuchjacke an. „Ich gehe mit“, erklärte sie kurz und bündig. „Kutscher, erklär Pinigna, was wir vorhaben und daß wir bald wieder hier sein werden, so oder so.“ „Aye, Madam, wird sofort erledigst“, erwiderte der Kutscher. * Schon nach kurzem Suchen entdeckten sie eine längliche, offenbar ebenfalls aus Schnee errichtete Hütte. Erst beim Näherkommen erkannten sie, daß es sich um eine Konstruktion aus Zweigen, Fellen und Schnee handelte. Vorsichtig gingen die Rote Korsarin und die beiden Männer an die Hütte heran. Ed Carberry winkte Big Old Shane, der noch immer zusammen mit Luke Morgan das Boot bewachte, zu sich heran. So lange sie sich im Freien befanden, genügte eine Wache, und Big Old Shane war neben Ferris Tucker an Bord der „Isabella“ unbestritten einer der findigsten Männer, wenn es darum ging, etwas zu basteln, zu erfinden oder zu reparieren. Sein früheres Handwerk als Waffenschmied, das er auch jetzt noch an Bord ausübte, wenn auch in abgewandelter Form, erklärte das. Big Old Shane hielt sich nicht mit langen Reden auf. Zusammen mit Ferris Tucker umrundete er die Hütte, während die Rote Korsarin und Ed Carberry die Umgebung nicht aus den Augen ließen. Den Zugang hatten sie rasch gefunden. Sie schoben ein paar Felle, die den Eingang verschlossen, kurzerhand zur Seite. Das dämmerige Tageslicht, das durch den Eingang in die Hütte fiel, reichte kaum aus,
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um etwas zu erkennen. Durch den Schnee, der draußen überall die Bucht und die Felsen bedeckte, waren sie ohnehin geblendet. Eine Weile brauchten sie, bis sich ihre Augen an die in der Hütte herrschenden Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Aber dann sahen sie etwas, was sofort ihr Interesse weckte. In der Hütte, schadhaft zwar, aber durchaus noch zu reparieren, lag ein Umiak, eins jener sieben bis acht Yards langen Fellboote, mit denen die Eskimos sogar Wale jagten. „Ich will doch gleich eine lausige Bilgenratte verschlucken, wenn sich in diesem Boot nicht auch die dazugehörige Besegelung befindet. Denn daß die Eskimos dieses Boot bei passender Gelegenheit reparieren wollen, ist doch wohl klar, oder?“ „Selbstverständlich, Ferris“, erwiderte Big Old Shane und trat an das Boot heran, um es zu durchsuchen. Im nächsten Moment stieß er einen freudigen Schrei aus. „Hier, Ferris, Mast und Segel mit stehendem und laufenden Gut, wenn man das so nennen will!“ Zusammen zogen die beiden Männer den Mast ins Freie, dann das Mattensegel, das fein säuberlich zusammengerollt im vorderen Bootsteil gelegen hatte. „Glück muß der Mensch eben haben, Shane“, brummte der Schiffszimmermann. „Aber jetzt das nächste Problem: Wie befestigen wir dieses verdammte Ding so in unserem Boot, daß der Mast nicht gleich beim ersten Windstoß umkippt? Mit Werkzeug kein Problem, aber ohne?“ Big Old Shane grinste den Schiffszimmermann an. „Sieh dich um, da liegen auch noch genügend Lederstreifen. Der Mast muß wegen des Mattensegels sowieso ganz vorn im Boot angebracht werden, hoch an den Wind können wir mit dem Ding nicht, am besten wird unser Boot damit direkt vor dem Wind laufen. Wir werden den Mast mit den Lederriemen festbinden, indem wir eine der vorderen Duchten mit einer Einkerbung versehen, in die der Mast
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genau hineinpaßt. Unten im Boot klemmen wir ihn mit ein paar Holzkeilen fest, die wir uns notfalls aus den Balken auf dem Schiffsboden herausschneiden. Eine verdammte Arbeit, die einige Zeit in Anspruch nehmen wird, aber zu schaffen ist das schon. Außerdem werde ich mich hier ein wenig genauer umsehen, um festzustellen, ob sich nicht sonst noch so einiges findet, was für unsere Zwecke brauchbar ist.“ Big Old Shane wollte im Dunkel der Hütte verschwinden, aber der Schiffszimmermann hielt ihn zurück. „Natürlich ist das alles zu bewerkstelligen, Shane“, sagte er, „aber wir haben verdammt noch mal keine Zeit!“ Und er 'berichtete ihm kurz, was das Verhör des Gefangenen im Iglu ergeben hatte. Big Old Shane wiegte den Kopf. „Mist, Ferris, großer Mist sogar“, erwiderte er. „Wenn das halten soll, auch bei einer steifen Brise, mit der wir jederzeit rechnen müssen, dann wird sich das mit den vorhandenen Mitteln nicht ruckzuck hinkriegen lassen, das kann ich dir jetzt schon sagen. Los, sehen wir uns mal um, oder besser, geh du rasch raus zu Ed und Madam, damit sie auch Bescheid wissen.“ Ferris Tucker verließ die Hütte und unterrichtete Ed Carberry und Siri-Tong. Während der Profos weiterhin draußen Wache hielt, begleitete die Rote Korsarin Ferris Tucker. in die Hütte. Gemeinsam drehten sie sie um. Aber außer ein paar recht handfesten, dicken Baumästen entdeckten sie nichts, was ihnen irgendwie hätte weiterhelfen können. Ferris Tucker belud sich mit den schweren Ästen. Er wußte, daß er sie bei der Befestigung des Mastes noch dringend brauchen würde. Big Old Shane schleppte den Mast und das Segel zum Boot, Ed Carberry belud sich mit einer ganzen Anzahl kräftiger Lederstreifen, die in der Hütte irgendwann einmal zum Trocknen aufgehängt worden sein mußten. „Was soll eigentlich mit dem Gefangenen geschehen?“ fragte Big Old Shane, als sie ihre Beute beim Boot mit Hilfe Luke Morgans abluden.
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„Wir lassen ihn frei, bevor wir von hier verschwinden. Der Mann wäre ja nur eine ständige Belastung und Gefahr für uns. Seine Leute wissen, daß er hier ist, sie werden sich um ihn kümmern“, antwortete SiriTong, und die Männer stimmten zu. Gleich darauf begannen Ferris Tucker und Big Old Shane damit, den Mast ins Boot einzupassen. Einzige Werkzeuge, die zur Verfügung standen, waren ihre schweren Entermesser. Nicht einmal seine Axt hatte der Schiffszimmermann mitgenommen, obwohl er sich sonst nie von ihr trennte. Ed Carberry und Luke Morgan halfen den beiden, so gut es ging. Schließlich zeigten sich auch die ersten Erfolge ihrer gemeinsamen Bemühungen. Zwischendurch brachte der Kutscher eine leidlich warme Mahlzeit aus Robbenfleisch, die die vier Männer heißhungrig verschlangen. Stunden später war es soweit. Ferris Tucker richtete sich auf. Der Mast stand im Boot, und er stand sogar fest. Das Mattensegel war angeschlagen, wenn auch noch eingerollt. „Hol die anderen her, Luke“, sagte er nur. „Wir können los. Mich wundert, daß wir von diesen Kerlen aus dem hinteren Teil der Bucht nicht längst Besuch erhalten haben. Sag den anderen, daß sie sich beeilen sollen, so langsam wird's mir mulmig, irgendetwas stimmt hier nicht, irgendwo lauern die Kerle uns auf!“ Ferris Tucker blickte mißtrauisch in die Bucht hinaus - und dann sah er sie, zwei große Fellboote, die sich - auf dem dunklen Wasser kaum zu erkennen langsam auf sie zubewegten. * Einen Moment stand Ferris Tucker wie erstarrt. Aber dann kam Leben in ihn. „Verdammt, seht ihr diese Hundesöhne? Sie haben es auf uns abgesehen. Mit zwei Booten segeln sie heran. Himmel und Hölle, was sollen wir tun? Ohne Waffen?“ Ed Carberry, Big Old Shane und Luke Morgan waren ebenfalls aus ihrer knienden
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Haltung aufgesprungen und starrten zu den Booten herüber. „Wir dürfen sie nicht zu nah an uns heranlassen, Ferris“, sagte der Profos dumpf. „Die fackeln nicht lange, das haben wir ja schon erlebt. Wir müssen sie angreifen, aber wie ...“ Wie zufällig spielte seine Rechte mit dem Entermesser, und plötzlich hatte er die rettende Idee. „Ich hab's, ihr lausigen Rübenschweine!“ brüllte er los. „Diese Kerle haben Fellboote, wir schwimmen hin und schlitzen sie von unten auf. Dann saufen sie ab wie die Ratten!“ Big Old Shane und Ferris Tucker sahen den Profos aufmerksam an. Sie kannten Carberry gut genug, um zu wissen, daß der Profos keinen Moment vergessen hatte, wie kalt das Wasser in diesen Breiten war. Aber wie, zum Teufel, wollte er das anstellen? Ein paar Minuten in dem eisigen Wasser - und schon erlahmten die Kräfte, auch des allerbesten Schwimmers. „Und wie willst du das aushalten, Ed?“ stellte Luke Morgan genau die Frage, die allen auf den Lippen lag. „Du kämst nicht einmal halb hin zu den Booten, dann wär's aus mit dir, und du würdest absaufen wie eine Ratte.“ Der Profos funkelte Luke Morgan an. „Jetzt will ich dir mal was sagen, Mister Morgan: Wenn ich sage, ich schlitze denen die Fellboote auf, dann tu ich das auch. Kälte hin und Kälte her. Du solltest also deinen Rand halten, klar? Der Profos der ,Isabella` versäuft nicht wie eine Ratte.“ Er wandte sich an die anderen. „Hört zu. Ich habe vorhin, als wir das Robbenfleisch fanden, gesehen, daß in dieser Grube auch noch eine ganze Menge Robbenfett aufbewahrt wird. Damit reiben wir uns ein - ich meine, zwei von uns. Die genügen. Am besten du, Ferris, du bist ein guter und ausdauernder Schwimmer und tauchst wie ein Fisch. Das Fett schützt uns vor der Kälte, jedenfalls für eine Weile und so lange, wie das nötig ist. Ich habe das schon einmal in der Irischen See probiert, auch wenn es lange her ist, aber es hat geklappt. Also, los!“
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Ferris Tucker wußte, daß der Profos recht hatte. Er warf einen prüfenden Blick auf die beiden heransegelnden Boote, die sich ihnen aber nur langsam näherten. Bis sie mit dem Einreiben fertig waren, waren sie nahe genug heran. Einziges Problem bei der Sache - sie mußten ungesehen ins Wasser gelangen. Big Old Shane schaltete sich ein. „Ich hole das Fett und reibe euch hier ein. Wenn wir fertig sind, bringen wir das Boot zu Wasser. Es gibt euch Deckung genug, ungesehen ins Wasser zu gelangen. Hoffentlich sind die Kerle dann nahe genug heran. Überschätzt die Wirkung von dem Robbenfett nicht. Die Kräfte erlahmen im kalten Wasser verdammt schnell, da hat Luke recht!“ fügte er warnend hinzu. Ed Carberry grinste. „Du bist fast wie Vater und Mutter zu mir, Shane. Aber keine Sorge, Ed Carberry paßt schon auf sich auf. Hoffentlich können die Burschen da drüben einigermaßen schwimmen, das werden sie nötig haben, denke ich.“ Er lachte dröhnend. Die Sache war ganz nach seinem Geschmack, und er freute sich schon auf die dämlichen Gesichter der Eskimos, wenn ihnen plötzlich jemand den Bootsboden aufschlitzte und sie einen nassen Hintern kriegten. Big Old Shane brauchte nicht lange, und das war gut so, denn die Eskimos schienen ihre Fahrt jetzt zu beschleunigen. Offenbar waren sie zu einem Entschluß gelangt. Ferris Tucker und Ed Carberry entkleideten sich. Sofort spürten sie die Kälte verdammt unangenehm auf ihrer Haut. Dann begannen Big Old Shane und Luke Morgan sie dick mit Fett einzureiben. Das Boot gab ihnen die nötige Deckung. Der Schiffszimmermann lachte. „Verdammt“, sagte er, als er einmal mit einer Hand über seinen Körper strich, „da muß man doch glatt aufpassen, daß man nicht auf sich selber ins Rutschen gerät!“ Die Männer lachten. Big Old Shane reichte ihnen ihre Gürtel, die sie um die nackten Leiber schnallten und ihre Entermesser hineinsteckten.
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„Viel Glück“, sagte Big Old Shane, dann gab er Luke Morgan das Zeichen, das Boot zu Wasser zu bringen. Es gelang sofort, der Schnee, auf dem das Boot entlangrutschte, erleichterte ihnen ihre Aufgabe. Ed Carberry und Ferris Tucker verschwanden im Wasser. Es war lausig kalt, das spürten sie sofort, aber das Fett schützte sie doch, und zwar erheblich. Die Entfernung zu den beiden Booten betrug gut einhundert Yards. Die Eskimos hatten sich jetzt endgültig zum Angriff entschlossen. Mit wüstem Gebrüll schwangen sie ihre Paddel, denn der Wind half ihnen nicht viel. Auf diese Weise liefen die beiden Boote direkt auf Ferris Tucker und Ed Carberry zu. Die beiden Seewölfe warteten gelassen. Jeder von ihnen kannte die Distanz, die er zu tauchen vermochte, genau. Danach mußten sie sich richten. Sie spürten in diesem Moment die Kälte des Wassers nicht mehr. „Jetzt!“ Ferris Tucker warf dem Profos einen Blick zu. „Du das an Backbord, ich das andere, klar?“ Der Profos nickte, Ferris hatte das längere Stück zu tauchen. Aber er schaffte das leicht, Ed Carberry wußte, ein wie guter Schwimmer und Taucher der Schiffszimmermann war. Ferris Tucker verschwand, wenige Sekunden nach ihm auch Ed Carberry, der bereits das Entermesser aus seinem breiten Ledergurt gezogen hatte. * Ipiutak spähte unter dem Mattensegel hindurch nach vorn. „Diesmal kriegen wir ihr Boot. Quanaq hat genau gesehen, daß sie fast keine Waffen bei sich haben. Vielleicht ist ihr Schiff im Sturm gesunken, es waren schon ein paarmal Fremde an unserer Küste. Aber wieso haben sie Pinigna bei sich?“ Der Anführer des einen Eskimo-Bootes blickte seinen Nebenmann fragend an. Akumalik hob nur die Schultern. Es war schwierig, sich bei dem Geschrei, das die
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anderen im Boot veranstalteten, überhaupt zu unterhalten. „Ich weiß es nicht, aber wir werden sie fragen, falls sie noch lebt, und dann werden wir sie töten. Das habe ich geschworen.“ Das Boot schoß jetzt nur so durchs Wasser. Wieder spähte Ipiutak nach vorn. Er sah, wie die Fremden ihr Boot ins Wasser schoben. „Sie versuchen, uns zu entkommen, aber das wird ihnen nicht gelingen. Diesmal nicht, wir brauchen ihr Boot, und wir werden es uns holen.“ Er packte seine Lanze fester und überprüfte auch den Sitz seines Messers. Dann warf er einen Blick zu dem Nachbarboot hinüber, das von seinem Schwager geführt wurde. „Sie sind schneller als wir, sie werden eher bei dem Boot der Fremden sein als wir!“ stieß er voller Erregung hervor. Gleich darauf brüllte er ein paar Befehle zu den in dicke Felle gekleideten Männern, die wie die Wilden ihre Paddel ins Wasser stachen. In diesem Augenblick geschah es. Drüben, bei dem Nachbarboot, stieß einer der Eskimos einen lauten Schrei aus. Fast gleichzeitig verlor das Fellboot an Fahrt. Ipiutak sah, wie ein Ruck durch das Boot ging. Es verlor weiter an Fahrt und sackte schnell, mit dem Bug voran. tiefer und tiefer ins Wasser. Ein paar der Männer sprangen über Bord, warfen ihre Paddel fort und versuchten verzweifelt, in Richtung Land davonzuschwimmen. Ipiutak wußte nicht, was dort im Boot seines Schwagers geschehen war. Ein Fell konnte gerissen sein, das passierte schon mal. Aber es war unwahrscheinlich, denn es handelte sich bei dem Umiak seines Schwagers um ein ganz neues, besonders starkes Boot. Die restlichen Männer sprangen über Bord, auch sein Schwager. Er brüllte Ipiutak etwas zu, was er aber im allgemeinen Lärm, der in der Bucht herrschte, nicht verstand. Er sah jedoch, wie sein Schwager versuchte, auf sein Boot zu zuschwimmen, und in diesem Moment spürte er unter sich den Stoß, der sein Boot erschütterte.
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Ipiutak fuhr herum. Da sah er die breite, blitzende Klinge, die durch eins der Felle am Boden seines Bootes fuhr und im Nu einen langen Schnitt durch den Bootsboden zog, durch den sofort das Wasser eindrang. Ipiutak sprang auf und riß seine Lanze heraus, um nach dem unsichtbaren Feind zu stechen, wenn es sein mußte, durch den Schiffsboden hindurch. Das war jetzt auch schon egal. Wilder Zorn packte ihn. Aber die Klinge war verschwunden. Trotzdem stieß Ipiutak voller Wut zu. Erst in diesem Augenblick sah er, wie ein langer Schnitt auch den hinteren Teil des Schiffsbodens aufschlitzte und das Wasser sofort hereinsprudelte. Die Männer waren aufgesprungen. Ratlos starrten sie auf das eindringende Wasser, während das Boot bereits an Fahrt verlor, genau wie vorher das seines Schwagers. Mit einem wilden Schrei sprang Ipiutak nach hinten. Das Fellboot schwankte gefährlich unter seinen wilden Bewegungen. Dann riß er seine Lanze hoch und stieß zu. Immer wieder. Ed Carberry, der das Boot Ipiutaks aufgeschlitzt hatte, sah die Lanze. Er unterdrückte einen wilden Fluch, denn sie war verdammt dicht an ihm vorbeigefahren. Dieser verdammte Affenarsch, dachte er grimmig, will den alten Carberry doch glatt abstechen wie eine fette Robbe! Na warte, du Hundesohn, dir werde ich es besorgen.“ Ed Carberry tauchte kurz auf und holte Luft, danach verschwand er sofort wieder unter der Wasseroberfläche und schwamm auf das sinkende Boot zu, in dem die Eskimos immer noch standen und schrien, obwohl ihnen das Wasser bereits die Waden umspülte. Der Profos sah die Umrisse des Bootes über sich. Mit ein paar kräftigen Schwimmbewegungen brachte er sich an die Oberfläche. Genau neben dem Boot tauchte er auf und schnellte sich aus dem Wasser. Mit beiden Pranken packte er das Fellboot, zog es mit aller Kraft nach unten und stieß es gleich darauf wieder hoch.
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Das war zuviel. Das Boot kenterte, und die Eskimos stürzten ins Wasser. Er sah ihre zappelnden Arme und Beine, die wild und voller Verzweiflung um sich schlugen. So, Freunde, das war für den Lanzenstich, dachte Ed Carberry grimmig und tauchte weg. Mit langen Stößen schwamm er auf die Küste zu, tauchte noch einmal auf, um Luft zu holen, und dabei sah er auch Ferris Tucker, der eben an Land stieg. Die Kälte des Wassers begann dem Profos zuzusetzen. Er spürte Grund unter sich und watete an Land. Sie mußten sich jetzt beeilen, dachte er, denn die Kerle würden ebenfalls an Land schwimmen, und vielleicht griffen sie in ihrer Wut auch sofort an. Aber immerhin würden die Chancen dann gleichmäßiger verteilt sein, denn es war kaum anzunehmen, daß noch viele von ihnen ihre Waffen beim Untergang ihrer Boote gerettet hatten. Dazu war alles viel zu schnell über sie hereingebrochen. Ed Carberry erreichte das Boot, vor Kälte schlugen seine Zähne aufeinander. Big Old Shane empfing ihn zusammen mit Luke Morgan. „Rasch in die Kleider, Ed, und vor allem einen kräftigen Schluck aus der Pulle, der wärmt“, sagte -er und hielt dem Profos die Rumflasche hin. Genau wie Ferris Tucker vor ihm nahm der Profos einen gehörigen Schluck. Er spürte, wie der Rum ihm den Leib wärmte, dann fuhr er in die Kleider. Die ersten Eskimos wateten an Land. Die Seewölfe erkannten sofort, daß sie kaum noch Waffen bei sich trugen. „Los, denen werden wir's jetzt zeigen!“ brüllte der Profos, und diesmal bibberte er nicht mehr vor Kälte. Carberry riß sein Entermesser heraus und stürmte los. Dabei brüllte er aus Leibeskräften. Ferris Tucker, Big Old Shane und Luke Morgan folgten ihm. Im Iglu, in dem sich immer noch SiriTong, der Kutscher, Batuti, Pinigna und der Gefangene befanden, war das nicht unbemerkt geblieben, zumal Big Old Shane Siri-Tong und den Kutscher über das informiert hatte, ' was Ferris Tucker und Ed Carberry vorhatten.
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„Bleib im Iglu, Kutscher!“ rief die Rote Korsarin und stürmte ebenfalls los, gefolgt von Batuti, der ebenfalls aus Leibeskräften schrie und die fürchterlichsten Grimassen schnitt. Auch der Gambia-Neger schwang sein Entermesser. Die Eskimos verloren bei diesem Anblick und bei dem völlig überraschenden Angriff von allen Seiten vollends die Nerven. Sie wandten sich ab und ergriffen die Flucht. Sie rannten, als wäre der Teufel hinter ihnen her. „Halt!” Big Old Shane rief es. „Es hat nicht nur keinen Zweck, die Kerle noch weiter zu verfolgen, sondern es wäre auch leichtsinnig. Die kennen sich hier aus, wir aber nicht. Los, alles zum Boot und nichts wie weg. Holt Pinigna, sie dürfen wir auf keinen Fall hier lassen. Den Gefangenen laßt im Iglu, die anderen werden ihn dort schon finden. Folgen können sie uns nicht mehr, weil sie keine Boote mehr haben!“ Die Seewölfe hörten auf den einstigen Waffenmeister von Arwenack. Batuti und Luke Morgan liefen zum Iglu, um Pinigna und den Kutscher zu holen, Siri-Tong eilte mit den anderen zum Boot, um es seeklar zu machen. Knapp zehn Minuten später stießen Ferris Tucker und Ed Carberry das Boot vom Strand der Bucht ab. Der Wind stand günstig und füllte das Mattensegel. Das Boot lief gute Fahrt und war bald darauf hinter der ersten Biegung des Seitenarms verschwunden. Eine Reihe von Augenpaaren starrte ihm nach. Ipiutak hatte Tränen des Zorns in den Augen, wenn er an die soeben erlittene Niederlage dachte, die nicht nur Schande über sie brachte, sondern sie obendrein auch noch ihre beiden Fellboote gekostet hatte. Er wartete noch eine Weile, dann gab er den Seinen ein Zeichen, ihm zu jenem Iglu hinüber zu folgen, der den Fremden in jener Sturmnacht, an die er und seine Eskimos auch noch mit Grauen dachten, das Leben gerettet hatte. Auch sie mußten dort bis auf weiteres Zuflucht suchen — eine andere Chance, in dieser Bucht zu
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überleben, blieb ihnen ohne ihre Boote nicht. 7. Der Seewolf und seine Männer hatten einen schweren Stand. Seit Stunden leisteten sie Knochenarbeit, denn der Wind stand äußerst ungünstig für sie. Das bedeutete, daß sie seit ihrem Auslaufen aus der Bucht mit dem großen Beiboot der „Isabella“ vor der Küste kreuzen mußten und deshalb auch nur langsam vorangelangten. Gary Andrews stand im Bug. Er hatte die Funktion des Ausgucks, denn er war der einzige Mann an Bord, der die beiden Felshöcker, nach denen sie suchten, wirklich sicher identifizieren konnte. Aber noch immer fehlte jede Spur von ihnen, und sie waren bereits etliche Meilen von der Bucht, in der die „Isabella“ ankerte, entfernt. Jeder der Männer an Bord des Bootes wußte, daß ihr ganzes Unternehmen auf sehr wackeligen Füßen stand. Aber keiner von ihnen verlor ein einziges Wort darüber. Sie wollten alles tun, was in ihrer Macht stand, um die Gefährten zu finden, und das hieß eben suchen. Es gab mehrere Möglichkeiten, die sie diskutiert hatten. Der Sturm konnte das Boot gegen die Felsenküste geworfen haben, und den Seewölfen wie der Roten Korsarin war es gelungen, sich zu retten. Aber damit saßen sie in einem fremden und gefährlichen Land hoffnungslos fest. Denn sie hatten bis auf die Entermesser keine Waffen bei sich und waren kaum in der Lage, sich die Nahrung zu erjagen, die sie brauchten. Die andere Möglichkeit war die, daß es ihnen gelungen war, mit dem heilen oder auch beschädigten Boot an Land zu rudern, trotz des Orkans. Die Seewölfe wußten aus Erfahrung, was ein seetüchtiges Boot manchmal aushielt. Dadurch, daß es auf dem Wasser schwamm wie ein Korken, war es einem großen Segler bei solchem Wetter in gewisser Weise sogar überlegen — wenn es nicht querschlug und kenterte.
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Aber selbst wenn ihre Gefährten sich an Land gerettet hatten — wie hatten sie den Sturm, den Schnee, die erbarmungslose Kälte dieser Nacht überstanden? Lebten sie alle noch, oder hatten sich nur ein paar von ihnen retten können? Ganz gleich, was geschehen war — die Seewölfe wollten Gewißheit. Und dafür nahmen sie alles auf sich, egal, was die Suche ihnen abverlangte. Eine Stunde verstrich nach der anderen, ohne daß die Felshöcker, nach denen sie suchten, auftauchten. Es wurde schon merklich dämmeriger. Genau genommen bestand für diesen Tag keine Chance mehr, etwas Entscheidendes zu unternehmen. Sie würden sich stattdessen schon sehr bald nach einem Platz umsehen müssen, wo sie übernachten konnten. Der Ruf Gary Andrews' brachte Leben in die Seewölfe. „Backbord voraus ein Boot, das offenbar von anderen verfolgt wird. Das erste Boot könnte das der unseren sein, auch wenn es im Bug Mast und Segel führt, wie sie bei den Eskimos üblich sind. Das Boot hat günstigen Wind und läuft genau auf uns zu!“ Die Seewölfe starrten in die von Gary Andrews gewiesene Richtung. Hasard hatte längst sein Spektiv aus der Rocktasche gezogen und es an die Augen gesetzt. „Tatsächlich, Männer, es ist unser Boot. Einzelheiten lassen sich noch nicht erkennen, aber es wird hart von seinen Verfolgern bedrängt. Von fünf großen Fellbooten, soweit ich das von hier sehen kann!“ Hasard reichte das Spektiv weiter. Nacheinander blickten die Seewölfe hindurch. Bill, der es als letzter kriegte, behielt es lange an den Augen. „Das Segel im Bug nutzt ihnen nicht viel, die Fellboote sind schneller. Sie werden es einholen, wenn wir uns nicht beeilen. Außerdem scheint einer der Männer in unserem Boot am Mast zu sitzen und hält ihn fest. Nein, ich glaube, es sind sogar zwei!“
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Hasard griff abermals nach dem Spektiv. Erstaunt stellte er fest, daß Bill recht hatte. „Los, an die Riemen! Segel bergen! Wenn wir direkten Kurs nehmen, sind wir schneller. Bill, du übernimmst das Ruder!“ Hasard stand auf und nahm auf einer der Duchten Platz. Es ging jetzt darum, so schnell wie möglich zu den Gefährten zu gelangen, da wurden Männer mit kräftigen Fäusten an den Riemen gebraucht. Die Seewölfe begannen zu pullen, daß es nur so in den Runzeln krachte. „Gary, lade die Musketen, leg jedem von uns eine neben die Ducht. Es kann sein, daß wir sie schon bald brauchen werden!“ ordnete Hasard an, während er sich in die Riemen legte. Das große Beiboot der „Isabella“ schoß über die Wogen, Gischt stäubte über das Boot und die Männer, wenn sich an seinem Bug eine der heranrollenden Wogen brach. Der Seewolf gab die Ruderkommandos. „Hol - weg! Hol - weg!“ Seine Stimme gab den Takt an, und der wurde immer schneller. Matt Davies und Jeff Bowie, die beiden Männer mit den Hakenprothesen an jeweils einem ihrer Unterarme, hatten an ihren Riemen dicke Lederschlingen, in die sie die Haken einhingen. Mühelos hielten sie das gewaltige Tempo, das der Seewolf vorlegte, mit. Gary Andrews hatte die Musketen geladen und so neben die Duchten postiert, daß auch ins Boot spritzendes Seewasser ihnen nichts anhaben konnte. Bill saß an der Ruderpinne. Er wußte genau, auf was es ankam, denn er sah, daß es zwischen ihnen und den Eskimos in ihren Fellbooten ein Rennen geben würde, von dem in diesem Moment noch niemand sagen konnte, wer es gewinnen würde. Bill erkannte bereits deutlich die einzelnen Gestalten im zweiten Beiboot der „Isabella“. Einmal meinte er sogar, die gewaltige Stimme Ed Carberrys zu hören, der ihnen offenbar etwas zugerufen hatte. Aber ganz sicher war er seiner Sache nicht. Bill begann die Gestalten in dem auf sie zulaufenden Beiboot zu zählen, und dann
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durchfuhr ihn ein freudiger Schreck. Es fehlte keiner! Er schrie es dem Seewolf und den anderen zu. Einen Moment starrten die Männer ihn an. Aber dann erbebte das große Beiboot der „Isabella“ unter einem donnernden „Ar-wenack“, dem alten Schlachtruf der Seewölfe. * Ed Carberry hörte den Ruf. Er sah Ferris Tucker und die anderen an, die jetzt ebenfalls aus Leibeskräften pullten, obwohl der Wind das Mattensegel prall gefüllt hielt. „Los!“ sagte er nur. Donnernd brauste die Antwort zu Hasard und seinen Männern über die See. „Ich wußte doch, daß diese dreimal kalfaterten Affenärsche uns finden würden!“ röhrte der Profos. Gleichzeitig warf er einen Blick nach achtern zu den fünf Fellbooten, die tatsächlich trotz ihrer Anstrengungen immer näher rückten. „Na, gut, dann sollen sie ihren Kampf haben“, sagte der Profos, „aber wir werden um jeden Yard kämpfen. Und bevor nicht das erste dieser verdammten Boote Bord an Bord mit uns liegt, wird weitergerudert, klar?“ Siri-Tong, die am Ruder saß, nickte. Carberry hatte recht, es kam wirklich auf jeden Yard an, den sie jetzt noch herausholten. Denn eins war für die Rote Korsarin sicher: Hasard hatte Musketen bei sich, War er erst einmal auf Schußentfernung heran, dann hatten ihre Verfolger verspielt. Neben der Roten Korsarin regte sich Pinigna. Kurz nachdem sie die Bucht mit dem Boot verlassen hatten, war sie in einen totenähnlichen Schlaf gesunken und bisher nicht wieder aufgewacht. „He, Ed, das Mädchen wird wach“, sagte sie zu Carberry, der auf der Ducht vor ihr saß und aus Leibeskräften pullte. „Vielleicht kann Pinigna uns sagen, wer diese Leute in den Fellbooten sind und warum sie uns verfolgen.“
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„Gute Idee, Madam! Los, Kutscher, weck sie auf. Und dann sorg dafür, daß sie ein paar Blicke nach achtern werfen kann. Die Burschen sind uns inzwischen so nahe auf den Pelz gerückt, daß sich Einzelheiten schon gut erkennen lassen. Vor allem aber der merkwürdige Zierat am Bug des ersten Bootes!“ Der Kutscher ging sofort ans Werk. Es dauerte nur ein paar Minuten, dann hatte er Pinigna endgültig wach. In diesem Moment knatterte die erste Salve aus den Musketen der Seewölfe im großen Beiboot zu ihnen herüber. Pinigna zuckte zusammen, dann starrte sie den Kutscher fragend an. Aber der hob sie nur auf die Ducht und wies nach hinten, dorthin, von wo die Verfolger hintereinandergestaffelt heransegelten und heranpullten, was das Zeug hielt. Bei der Salve aus den Musketen hatten sie ihre Paddel zwar sinken lassen, dann jedoch, als die Kugeln weit von ihnen entfernt ins Meer klatschten, sofort wieder weitergepaddelt. Pinigna zuckte zusammen. Es war, als ob ihr hübsches Gesicht mit den indianischen Zügen erstarrte. Sie war unfähig, auch nur einen Laut auszustoßen oder eine Geste auszuführen. Sie saß da, vom Kutscher gestützt, und starrte zu dem ersten Boot der Verfolger hinüber, als sähe sie ein Gespenst. Der Roten Korsarin entging das nicht. „Pinigna“, sagte sie, „wer sind diese Leute? Ich sehe doch, daß du sie kennst. Wer sind sie, und warum verfolgen sie uns?“ Pinigna erwachte wie aus einer Trance. Sie deutete nach achtern, dann schüttelte sie die haltenden Hände des Kutschers ab und stand plötzlich auf der Achterducht des Beibootes. „He, Kutscher, aufgepaßt!“ brüllte Carberry. „Die kippt uns über Bord, wenn du verdammtes Rübenschwein nicht ...“ Auch die Rote Korsarin war aufgesprungen. Sie wollte Pinigna noch packen, aber es war zu spät. Pinigna bekam das Übergewicht, als eine Woge das Boot anhob und unter dem Kiel
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durchrollte. Siri-Tong erwischte sie zwar noch und krallte sich in ihrer Kleidung fest, aber halten konnte die Rote Korsarin sie trotz ihrer beachtlichen Kräfte nicht mehr. Pinigna stürzte in die See, und im Sturz riß sie Siri-Tong mit sich. Ed Carberry und Ferris Tucker, die zusammen auf einer Ducht saßen, waren aufgesprungen - so heftig, daß das Boot gefährlich zu schwanken begann. Ferris Tucker griff nach der Ruderpinne, aber schon trieben die beiden Frauen weit achteraus, genau den Fellbooten der Verfolger entgegen. „Kutscher, du verfluchte Kombüsenkakerlake!“ brüllte der Profos außer sich vor Zorn und Schreck. „Habe ich dir nicht gesagt, daß du aufpassen sollst? Himmel und Hölle, mit was für Vollidioten ...“ Auf dem ersten der Fellboote, das am Bug jene seltsamen Verzierungen trug, erhob sich ein gewaltiges Geschrei. Deutlich sahen die Seewölfe, wie die Rote Korsarin sich bemühte, Pinigna über Wasser zu halten, denn das Mädchen brachte nicht mehr die Kraft zum Schwimmen auf. Die Eskimos paddelten wie verrückt. „Das schaffen wir nie, Ed“, sagte Ferris Tucker, der inzwischen Hartruder gelegt hatte. Batuti tobte auf seiner Ducht wie -ein Irrer. Sogar die Seewölfe Hasards, denen nicht entgangen war, was sich an Bord des zweiten „Isabella“-Beibootes eben für ein Drama abgespielt hatte, ließen sekundenlang vor Schreck die Riemen sinken. Auch sie erkannten sofort, daß jede Hilfe zu spät kommen mußte, denn die Fellboote der Eskimos waren auf jeden Fall eher bei den beiden Frauen als sie oder Carberry mit seinen Männern. Auch der Seewolf stieß bittere Verwünschungen aus. Denn mit der Roten Korsarin hatten die Eskimos jetzt eine Geisel, die sie verdammt gut gegen die Seewölfe ausspielen konnten. Das Boot Ed Carberrys schwang herum, aber in diesem Moment erreichte auch das Fellboot der Eskimos die beiden
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schwimmenden Frauen. Ein Dutzend Arme streckte sich nach ihnen aus und zog die beiden gleich darauf an Bord. „Verdammt, was jetzt?“ Der Profos stellte die Frage in dem Moment, als seine Männer die Riemen sinken ließen. Aber darauf wußte nicht einmal Big Old Shane eine Antwort. Sie sahen nur, wie der Seewolf mit seinem Boot auf sie zuhielt. Aber was, zur Hölle, sollten sie jetzt tun? * Siri-Tong spürte, wie kräftige Männerarme sie an Bord zogen. Sie starrte in finstere Gesichter, mit denen im nächsten Moment jedoch eine überraschende Veränderung vor sich ging. Die Eskimos hatten Pinigna ebenfalls an Bord gezogen. Ein Eskimo, höher gewachsen als die anderen, starrte das Mädchen an. Ungläubiges Erstaunen erfüllte sein Gesicht. „Pinigna!“ stieß er betroffen hervor. „Wieso befindest du dich bei diesen Fremden, die unsere Siedlungen und Hütten ausplündern und unsere Leute töten, wo immer sie auf sie stoßen? Wollten sie dich entführen?“ fragte er, und seine Züge verfinsterten sich augenblicklich wieder. Er musterte SiriTong. „Und was tut eine Frau an Bord der fremden Krieger, Pinigna?“ In diesem Moment erkannte er, daß Pinigna verwundet war. Sein Gesicht verfinsterte sich noch mehr. Er riß ein Messer aus seiner Kleidung und setzte es der Roten Korsarin auf die Brust. Pinigna löste sich aus ihrer freudigen Erstarrung. Zwar hatte sie die Verzierungen am Bug des Fellbootes gesehen, aber es hätte ebensogut sein können, daß dieses Boot, das sie seit vielen Sonnen so gut kannte, von den Feinden beim Überfall auf ihre Siedlung erbeutet worden war. „Halt, Apatak!“ sagte sie und drückte das Messer, das noch immer auf Siri-Tong gerichtet war, zur Seite. „Diese
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Männer da“, sie deutete auf das Boot, in dem Carberry und die anderen saßen und das immer näher an die Fellboote der Eskimos herantrieb, „sind meine Freunde. Sie haben mich in der Sturmnacht gerettet und dann noch einmal, als Ipiutak uns mit seiner Sippe in der Bucht der Walrosse hinterhältig überfiel ...“ Pinigna berichtete in kurzen Zügen in ihrer für Siri-Tong unverständlichen Sprache, was sich seit jener Sturmnacht, in der sie allein und verwundet im Fellboot aufs Meer hinaus geflüchtet war, alles zugetragen hatte. Die Eskimos hörten ihr aufmerksam zu, aber hin und wieder streiften ihre Blicke die Rote Korsarin, und ihre Mienen wurden zusehends freundlicher. Carberry und auch der Seewolf, der inzwischen heran war, beobachteten das, aber sie verstanden in diesem Moment überhaupt nichts mehr. „Sollte man das für möglich halten?“ sagte Big Old Shane in das Schweigen hinein. „Da verfolgt einen diese Bande erst stundenlang, macht einem die Hölle heiß, und jetzt sitzen sie in dem Boot herum und palavern. He, was sagt ihr dazu? Also, wenn mich nicht alles täuscht, dann sind das Freunde von dieser Pinigna, und sie ist dabei, ihnen zu erzählen, was sich inzwischen alles ereignet hat, anders kann ich mir das nicht vorstellen ...“ Big Old Shane verstummte plötzlich, denn deutlich sah er, daß die Rote Korsarin ihnen Zeichen gab, näher an die Fellboote der Eskimos heranzupullen, und auch die Eskimos des ersten Bootes winkten ihnen freundlich zu. Ed Carberry kratzte sich am Schädel. „Also, wenn Thorfin Njal, der Wikinger, jetzt bei uns wäre, ich glaube, der würde sich wieder mal am Helm kratzen“, brummte der Profos in die atemlose Stille hinein. „Und das sage ich euch verdammten Rübenschweinen, wenn ich einen Helm aufhätte, dann würde ich das gleiche tun! Das ist doch nicht zu fassen! Da kanten Siri-Tong und diese Pinigna achtern ab, werden von unseren Verfolgern aufgefischt und anschließend findet mitten
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auf See ein Palaver statt! Fehlt nur noch, daß die Kerls da drüben ihre Rumfässer unter den Fellen hervorholen und mit uns ein Saufgelage beginnen!“ Der Profos lachte dröhnend, und wieder sah er, wie die Rote Korsarin ihnen winkte, heranzupullen. Er hörte auch, daß sie irgendetwas zu ihnen hinüberrief, aber das ging im tosenden Gelächter Carberrys unter. „Los, pullen!“ befahl Ferris Tucker, gleichzeitig unterrichtete er den Seewolf durch Gesten, ihnen zu folgen. Die beiden Beiboote der „Isabella“ nahmen Fahrt auf. „Bei allen See- und Meergeistern, das hätte auch leicht anders ausgehen können, ganz anders“, sagte der Profos und zog den Riemen mit aller Kraft durch. „Fünf Umiaks, in jedem, soweit ich sehen kann, zwölf Eskimos. Wir hätten sechzig dieser Kerle auf dem Hals gehabt!“ Batuti, der. diese Bemerkungen Carberrys gehört hatte, grinste übers ganze Gesicht. „Ho, seit wann Profos Angst?“ fragte er und rollte mit den Augen. „Was los mit Profos? Früher sechzig Eskimos ganz allein in See geworfen,werden alt, Profos?“ Carberry ließ den Riemen fahren. Dann drehte er sich herum und funkelte den Gambia-Neger an. „Hör zu, du geteerter Decksaffe, wenn du noch einmal sagst, daß ich vor irgend jemandem oder vor irgend etwas Angst habe, dann prügel ich dir an Bord der ,Isabella` deine schwarze Seele aus dem Leib, klar? Mir scheint, es wird höchste Zeit, daß ich mich um euch wieder kümmere, ihr scheint ja alle total verlottert zu sein. Man braucht euch bloß mal den Rücken zuzudrehen, und schon ist der Teufel los! Aber der alte Carberry ist wieder da, und der wird euch die Haut von euren Affen ...“ Der Rest seines Lieblingsspruchs ging unter im dröhnenden Gelächter der anderen. Sie alle wußten, was es mit derartigen Sprüchen Carberrys auf sich hatte. Nach außen hin hatte der Profos eine rauhe Schale, und er konnte auch verdammt unangenehm werden, wenn er
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an Bord der „Isabella“ eine Schlamperei entdeckte, aber sonst war er ein gutherziger Kerl, der ohne Not überhaupt keinem etwas zuleide tat. Fast zugleich mit dem Seewolf erreichten sie die Fellboote der Eskimos, die bewegungslos in der Dünung trieben. Die Eskimos empfingen sie freundlich, und Siri-Tong, die der Anführer der Eskimos inzwischen genau wie Pinigna in wärmende Felle gehüllt hatte, erklärte Hasard und den anderen, was geschehen war. „Ich weiß nicht genau, ob Pinigna mit diesen Eskimos hier verwandt oder dieser Apatak 'ihr künftiger Mann ist, ich habe das nicht herausgekriegt. Aber Pinigna hat mir durch Zeichen zu verstehen gegeben, dass die Eskimos uns helfen werden, sofern wir irgendwelche Hilfe brauchen. Am besten, du lädst Apatak und ein paar Eskimos auf die ,Isabella' ein. Wie habt ihr denn überhaupt die Sturmnacht überstanden?“ Die Miene Hasards verdüsterte sich für einen Moment, aber als er Ferris Tucker ansah, mußte er plötzlich lachen, und er berichtete, wie es der „Isabella“ in der Sturmnacht ergangen war und daß sie einen neuen Fockmast brauche. „Aber jetzt, da wir unseren Ferris und Big Old Shane wiederhaben, wird dieses Problem zu lösen sein, auch wenn ich noch nicht weiß, wo wir in dieser Felswüste einen neuen Mast auftreiben sollen.“ Ferris Tucker grinste. „Ich glaube nicht, daß das ein Problem sein wird“, sagte er. „Die Eskimos kennen sich hier aus. Sie werden wissen, wo es Baumbestand gibt. Siri-Tong hat recht, wir sollten sie alle zu einem großen Palaver an Bord der ‚Isabella' einladen. Wenn es sein muß, werden wir eben mit einer Nottakelung bis zu einer Bucht segeln, wo wir finden, was wir brauchen.“ „Wir sollten das wirklich tun“, erwiderte der Seewolf nachdenklich. Dann sah er Siri-Tong, und ein Lächeln kräuselte seine Lippen. „Ich denke, du kannst Pinigna irgendwie erklären, daß wir sie alle zu einem Fest an Bord der ,Isabella` einladen,
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oder? Wenn sie an Bord sind, sehen sie selber, was wir brauchen.“ Die Rote Korsarin lächelte zurück. „Wenn der Kutscher mir hilft, er ist noch erfinderischer als ich, wenn es um Zeichensprache oder um Zeichnungen geht. Los, Kutscher, versuchen wir unser Glück!“ Die Rote Korsarin, die sich noch an Bord des Umiaks befand, wandte sich an Pinigna, und der Kutscher stieg ebenfalls in das Fellboot Apataks über. Der Prof os verfolgte ihn mit einem undefinierbaren Blick. „Gib dir ja Mühe, du Bilgenkakerlake“, sagte er. „Du hast noch einiges gutzumachen, klar?“ Der Kutscher drehte sich kurz um. „Wären die beiden nicht über Bord gefallen, würden wir uns wahrscheinlich mit den Eskimos längst herumprügeln. Da ist also nichts wiedergutzumachen, auch klar?“ Carberry verschlug soviel Aufsässigkeit glatt die Sprache. Aber dann, als der Kutscher sich bereits im Fellboot befand und die Rote Korsarin begonnen hatte, mit den Eskimos und Pinigna zu palavern, sagte er: „Also dir Rübenschwein werde ich mal kräftig die Kombüse aufklaren, daß es bei deinen Tiegeln und Pfannen nur so scheppert. Hat man so was schon erlebt, wird der Kerl auch noch frech, nachdem er die beiden Weibsbilder — äh, ich meine natürlich Madam und Pinigna, hat achtern abkanten lassen!“ Das Palaver dauerte eine ganze Weile, aber dann hatten Pinigna und ihre Freunde begriffen. Freudig stimmten sie zu. Wenig später zog ein Konvoi von sieben Booten vor dem Wind davon. In ein paar Stunden konnten sie in jener Bucht sein, in der die „Isabella“ vor Anker lag. 8. Es war längst Nacht, als sie die Bucht erreichten. Aber die Eskimos, denen der Seewolf mit Hilfe des Kutschers, der Roten Korsarin und Pinignas die Lage der Bucht beschrieben hatte, kannten sich an diesem Teil der Küste bestens aus. Außerdem
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wurde es in diesen Breiten auch nachts nie richtig dunkel. Auf der „Isabella“ herrschte ein Mordshallo, als die beiden Beiboote mit den Seewölfen und der Roten Korsarin an ihr vertäuten. Aber der Seewolf wehrte zunächst alle Fragen ab. „Wir haben Gäste“, sagte er. „Zum Erzählen bleibt nachher auch noch Zeit. Erst müssen wir uns um die Gefährten Pinignas kümmern. Helft ihnen an Bord, laßt Tampen und Jakobsleitern herab!“ Die Seewölfe gingen an die Arbeit, diesmal aber nicht ohne das Gebrüll des Profos', der an Bord sofort wieder das Regiment übernommen hatte. „Beeilt euch gefälligst, ihr Rübenschweine!“ brüllte er und scheuchte die grinsenden Seewölfe durcheinander. „Eure Faulenzerei ist vorbei, klar? Der alte Carberry ist wieder an Bord!“ Nacheinander legten die Fellboote der Eskimos an und wurden sorgfältig an Steuerbord und Backbord vertäut. Als erster betrat Apatak das Deck. Der Profos hatte Anweisung gegeben, ein paar Deckslaternen mehr aufzuhängen, damit sich die Gäste der Seewölfe besser an Bord zurechtfinden konnten. Apatak blieb stehen, während Siri-Tong mit Pinigna in ihre Kammer eilte, damit sie endlich die nassen Sachen gegen trockene austauschen konnten. Zwar hatten die Felle der Eskimos sie gewärmt, aber auf Dauer konnten sie damit an Bord nicht herumlaufen unter all den Männern. Die Rote Korsarin wurde stürmisch von den beiden Söhnen des Seewolfs begrüßt. Und was noch nie geschehen war, das passierte in dieser Nacht. Die beiden Jungen hingen ihr plötzlich am Hals. „Wir sind froh, daß du wieder da bist, Madam“, sagte Hasard Junior. „Mit Old Donegal war's ja nicht mehr zum Aushalten. Und wir werden dich auch ganz bestimmt nie wieder in den Harem von irgendeinem Scheich wünschen, das versprechen wir dir!“ Siri-Tong blieb vor Überraschung buchstäblich die Luft weg.
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„Wo habt ihr mich hingewünscht?“ fragte sie nach einer Weile, um sicher zu gehen, daß sie sich nicht verhört hatte. „In den Harem von irgendeinem Scheich?“ Die Rote Korsarin war immer noch fassungslos. Auf diese Idee wäre sie nie im Leben gekommen. Hasard und Philip nickten. „Ja, aber warum denn bloß? Was soll ich denn da?“ fragte Siri-Tong die beiden, und begriff immer noch nicht, was in den Bengels wohl vorgegangen sein mochte. Philip war es diesmal, der ihr antwortete. „Normalerweise taugen die Weiber alle nichts, Madam“, sagte er altklug. „Die wir gesehen haben, die saßen immer nur rum und malten sich an. Und wenn sie sich die Schminke töpfeweise aufgepinselt hatten, dann glaubten sie immer, daß sie besonders schön seien. Aber in Wirklichkeit sahen sie aus wie alte Kamele, die man vor dem Verkauf wieder herrichtet, damit der Käufer nicht merkt, daß er reingelegt wird.“ Der Roten Korsarin blieb zum zweitenmal die Luft weg. Das waren ja hübsche Vorstellungen, die diese beiden Bürschchen von Frauen zu haben schienen. Siri-Tong beschloß, mit dem Seewolf bei passender Gelegenheit über das Thema zu sprechen. Vielleicht war es gut, wenn ihr Vater ihnen in dieser Hinsicht einmal die Köpfe zurechtsetzte, indem er ihnen von ihrer Mutter und von der Zeit ihrer Geburt erzählte. Hasard Junior beäugte die Rote Korsarin aus schmalen Augen, den Kopf hatte er ein wenig schiefgelegt. „Haben wir etwas Falsches gesagt, Madam? Bist du uns jetzt böse?“ Siri-Tong schüttelte den Kopf, dann mußte sie plötzlich lachen und zog die beiden Jungs an sich. „Nein, natürlich bin ich euch nicht böse. Aber etwas merkwürdig sind eure Vorstellungen schon, die ihr von Frauen im allgemeinen und von mir im besonderen zu haben scheint. Ich glaube, darüber müssen wir uns einmal ausführlicher unterhalten. Aber jetzt an Deck mit euch, da gibt es eine Menge zu sehen und zu hören ...“
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Und ganz schnell berichtete sie den beiden, was sich alles seit jener Sturmnacht ereignet hatte. Hasard und Philip kriegten ganz glänzende Augen, dann stürmten sie an Deck — genau dem Profos in die Arme. „Ho, ihr beiden Rübenschweinchen“, sagte er. „Was ist das denn? Ihr solltet längst schlafen, da soll doch gleich der ...“ „Madam hat uns aber erlaubt, an Deck zu gehen, weil es hier soviel Interessantes zu sehen gibt!“ protestierten die beiden wie aus einem Mund. Carberry mußte lachen. „Na ja, wenn Madam das gesagt hat, ist das natürlich etwas anderes, also los, kommt mit!“ Er nahm die beiden und brachte sie aufs Hauptdeck. „So, setzt euch neben den Kutscher, der kann euch immer erklären, was gesprochen wird, er kennt sich da aus.“ „Gesprochen?“ fragte der kleine Hasard neugierig. „Könnt ihr die denn verstehen?“ Er warf einen Blick auf die Eskimos, die nacheinander an Bord stiegen. „Na ja“, brummte der Profos, „so genau müßt ihr das nun auch wieder nicht nehmen. Ihr werdet schon sehen, wie das geht, und eine Menge daraus lernen. So, und jetzt habe ich keine Zeit mehr für euch!“ Carberry zog sich zurück. Er mußte ein paar Fässer Rum an Deck schaffen lassen und dafür sorgen, daß die Kombüse langsam in Schwung gebracht wurde, damit man den Gästen wenigstens etwas anbieten konnte. Aber dann verwarf er diesen Gedanken wieder, denn was, zum Teufel, aßen Eskimos überhaupt außer Robbenfleisch und Ren? * Es wurde dennoch ein Fest, wie es an Bord der „Isabella“ lange keins mehr gegeben hatte. Pinigna, die sich schon wieder recht wohl fühlte, hielt kräftig mit. Irgendwie spielte sie eine besondere Rolle bei den Eskimos, denn sonst wäre es ihr nie erlaubt worden, an einem solchen Fest
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teilzunehmen. Aber wie das alles zusammenhing, das kriegte auch die Rote Korsarin nicht heraus. Als der Morgen graute, waren alle noch hellwach. Hasard nahm Apatak beiseite und winkte auch Siri-Tong, sich zu ihnen zu gesellen. Er führte ihn zu dem Stumpf des Fockmastes. Diesmal brauchten sie keine langen Erklärungen abzugeben. Durch Zeichen verständigte sich der Eskimo mit der Roten Korsarin. Mit dem Finger zeichnete er auf die Planken des Hauptdecks eine Linie, die die Küste darstellte. Er fuhr an der Linie mit dem Finger entlang, dann stellte er durch ein paar Bewegungen einen tiefen Einschnitt dar, eine größere Bucht, die aber weiter im Norden liegen mußte als ihr gegenwärtiger Ankerplatz. Dort zeichnete er Bäume ein. Ferris Tucker, der sich zu ihnen gesellt hatte, nickte. „Klar, was er meint“, sagte er. „Er kennt eine Bucht weiter im Norden, wo es Bäume gibt. Ich werde also eine Nottakelung errichten, mit der wir dorthin verholen können. Der Rest ist dann kein Problem mehr.“ Der Schiffszimmermann dachte einen Moment nach. Dann sah er die Rote Korsarin plötzlich an. „Sie sollten ihm sagen, Madam, daß es am besten sei, wenn wenigstens er und die Besatzung seines Fellbootes mit uns segelt. Auch für Pinigna wäre es besser, der Kutscher könnte sich an Bord gut um sie kümmern, denn ihre Wunden sind noch nicht verheilt. Schaffen sie das, Madam?“ Gleichzeitig sah er den Seewolf fragend an, und der nickte. Siri-Tong verdolmetschte Apatak den Vorschlag des Schiffszimmermanns. Nach einigem Überlegen stimmte Apatak zu. Während er zu seinen Sippengenossen hinüberging, um sie von seinem Entschluß zu unterrichten und ihnen die notwendigen Anweisungen zu geben, sagte Ferris Tucker zur Roten Korsarin und Hasard: „Ich werde sein Fellboot an Bord hieven lassen, das ist sicherer, als wenn wir es in Schlepp nehmen. Die Boote sind für diese
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Menschen lebenswichtig, es darf also nichts damit passieren.“ Ferris Tucker trommelte ein paar Leute zusammen, die er entsprechend informierte. „Wenn die Sauferei vorbei ist und wir alle ein paar Stunden geschlafen haben, bereiten wir die Nottakelung vor. Dazu brauche ich jede Hand, die ich kriegen kann, es wird keine leichte Arbeit, klar?“ Die Männer hatten verstanden. Am frühen Nachmittag dieses Tages, als die Eskimos mit Ausnahme Apataks, seiner Männer und Pinignas die „Isabella“ längst wieder verlassen hatten und nach Süden davongesegelt waren, begann der Schiffszimmermann mit seiner Arbeit. Am nächsten Morgen, sobald es hell wurde, lichtete die „Isabella“ den Anker. So gut es mit der Nottakelung ging, segelte sie davon, nach Norden, immer an der Küste Labradors entlang. Apatak, Pinigna und elf Eskimos hockten an Deck. Neugierig verfolgten sie alles, was die Fremden taten. Am späten Nachmittag dieses Tages erreichte die „Isabella“ die von Apatak beschriebene Bucht. Der Seewolf stand mit Dan O'Flynn und Ben Brighton auf dem Achterkastell. „Das kommt mir gar nicht wie eine Bucht vor“, sagte er. „Die nimmt ja nach Westen hin überhaupt kein Ende. Aber Bäume gibt es hier, ich denke, wir werden einen finden, der unseren Fockmast ersetzen kann.“ Wie recht der Seewolf mit seiner Bemerkung über die Bucht hatte, das ahnte er in diesem Moment noch nicht. Die „Isabella“ warf Anker. Dann begann der Schiffszimmermann mit seinen Vorbereitungen an Deck. Am nächsten Morgen fierten sie das große Beiboot der „Isabella“ zu Wasser und pullten an Land. Apatak begleitete sie mit ein paar seiner Eskimos. Ferris Tucker brauchte immerhin mehrere Stunden, bis er den richtigen Baum, der in Größe und Durchmesser seinen Wünschen entsprach, gefunden hatte. Sofort gingen die Seewölfe daran, ihn zu fällen.
John Curtis
Seewölfe 184 43
Anschließend wurde er entastet und geschält, dann ins Wasser gebracht und zur „Isabella“ geschleppt. Während die Crew den neuen Mast an Deck hievte, und das wurde eine ziemliche Knochenarbeit, die den Seewölfen so manchen Fluch und dem Profos ein fast ständiges Gebrüll entlockte, pullte Ferris Tucker mit seinen Mannen und Apatak wieder an Land, um auch noch Material für die Rahen und die Stenge zu besorgen. Auch das war bis zum Abend geschafft. Im Schein der Deckslampen schufteten die Seewölfe unter Anleitung ihres Schiffszimmermanns fast die ganze Nacht durch. Am nächsten Mittag stand der neue Mast, und damit begann der letzte und schwierigste Teil der Arbeit, nämlich das Anbringen der Wanten, das Spannen der Pardunen und die Anfertigung der Rahen und der Stenge. Am Nachmittag legte Ferris Tucker eine Pause ein und ließ unter den total ausgepumpten Seewölfen eine Rumflasche kreisen. Danach wartete der Kutscher mit einem besonders guten und reichhaltigen Essen auf, dann noch ein paar Stunden Schlaf, und schon purrte der unerbittliche Schiffszimmermann die Seewölfe wieder hoch, wobei ihn der Profos wirksam mit mächtigem Stimmaufwand und seinem Lieblingsspruch unterstützte. Trotzdem brauchten die Seewölfe noch zwei ganze Tage, bis sie soweit waren, daß auch der letzte Handschlag getan war. Hasard ließ wieder eine Rumbuddel kreisen. Ferris Tucker und die anderen hatten wirklich ganze Arbeit geleistet. Die kleineren Schäden, die das Treibeis der „Isabella“ auf dem Vorderkastell geschlagen hatte, und die zerstörte Geschützlafette, das alles konnte in Ordnung gebracht werden, während sie segelten.
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Am nächsten Morgen verließen Apatak und seine Männer mit Pinigna reich beschenkt das Schiff. Der Seewolf hatte ihnen Äxte, Messer und auch Schmuck gegeben. Apatak verneigte sich noch unten in seinem Fellboot, bevor er ablegte. Und auch Pinigna lächelte den Seewölfen zu und legte ihre Rechte aufs Herz. Die Rote Korsarin stand neben dem Seewolf am Schanzkleid und sah den Eskimos zu, wie sie davonsegelten. Die beiden Zwillinge blickten ihnen ebenfalls nach. Siri-Tong beugte sich zu ihnen hinunter. „Seht ihr, da an Bord bei den Eskimos ist auch eine Frau, die sich nicht anmalt und bestimmt nie in einen Harem muß“, sagte sie. Die beiden Jungen nickten ernsthaft. Hasard war das natürlich nicht entgangen. Fragend blickte er die Rote Korsarin an, aber die lächelte nur geheimnisvoll. „Das erkläre ich dir mal, wenn wir Zeit haben“, sagte sie leise. „Ich glaube, das ist wirklich ein Punkt, über den wir uns eingehend unterhalten sollten.“ Sie lachte leise, als sie das verblüffte Gesicht Hasards sah. Wieder zwölf Stunden später lichtete auch die „Isabella“ den Anker. Hasard hatte beschlossen, die Bucht, deren Ende nicht abzusehen war, genauer zu untersuchen. Bei dieser Gelegenheit konnten sie auch gleich prüfen, ob der neue Fockmast und die neue Blinde hielten, was sich der Schiffszimmermann von ihnen versprach. Dazu war eine Bucht günstiger als die offene See. So jedenfalls dachten die Seewölfe und ahnten nicht, daß sie geradewegs in ein neues Abenteuer segelten - in die Bucht der Häuptlinge...
ENDE