Roy Palmer Wölfe im Schafspelz
1. »Verdammt und zugenäht, ich fahr gleich aus der Haut«, sagte der alte Donegal Daniel ...
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Roy Palmer Wölfe im Schafspelz
1. »Verdammt und zugenäht, ich fahr gleich aus der Haut«, sagte der alte Donegal Daniel O’Flynn. Er hockte auf dem Rand der Kuhlgräting und funkelte jeden angriffslustig an, der in seine Nähe geriet. Sein verwittertes Gesicht war zorngerötet, aber um die Nasenspitze herum war er käseweiß ein sicheres Zeichen dafür, daß er jeden Augenblick explodieren konnte. Wer keinen Ärger wollte, ging ihm also tunlichst aus dem Weg. Arwenack, der Schimpanse, hockte bei dem jungen Dan O’Flynn im Großmars und behielt den Alten dort unten argwöhnisch im Auge. Arwenack hatte bisweilen schon Bekanntschaft mit den Krücken von Old O’Flynn gemacht. Unter diesem Aspekt war und blieb der Großmars der sicherste Zufluchtsort, wenn der Alte mal wieder fuchsteufelswild wurde. »Himmelarsch, ist das alles ein verfluchter Mist hier«, wetterte der alte Donegal. Seine Worte bildeten einen krassen Gegensatz zu der Schönheit und Harmonie, die die Umgebung bot. Die Insel, in deren Bucht die ›Isabella VIII.‹ und der Zweimaster mit den blutroten Lateinersegeln ankerten, mutete wie das Paradies auf Erden an. Bizarre Lavafelsen türmten sich rundum auf, ihren Spitzen hatte das Sonnenlicht goldene Kronen aufgesetzt. Weiter landeinwärts gab es Dattelpalmen, Bananenstauden, Büsche der wilden Marau, Sträucher mit den roten Prachtblüten des Hibiskus rosa sinensis, Tiere, die man jagen konnte, eine Trinkwasserquelle. Die See selbst bot Fisch und anderes Getier in den erstaunlichsten Spielarten.
Genug Nahrung also, kein parasitenverseuchter Dschungel und keine Kannibalen - ein Platz zum Verweilen. Nicht von ungefähr hatten zunächst Siri-Tong, die Rote Korsarin, und dann auch der Seewolf diesen Traum der Karibik als Schlupfwinkel ausgewählt. Azurblauer Himmel spannte sich über dem Eiland. Eine leichte Brise umfächelte die einzige Frau und die Männer auf den Oberdecks der beiden Schiffe. Von Verdruß konnte jetzt nicht mehr die Rede sein, hier waren sie sicher. Es war ein stilles Idyll, eine Szene der Beschaulichkeit und doch setzte Old O’Flynns Gemecker dem Ganzen einen Dämpfer auf. »Euch Nachttopfseglern sollte man doch die Haut in Streifen vom Hintern ziehen«, tönte es da über Deck. Carberry trat hinter den Alten. »He, Donegal, klaust du mir jetzt meine Lieblingssprüche? Was ist eigentlich in dich gefahren?« »Das fragst du noch?« Zornbebend wies O’Flynn seinen Beinstummel vor. Die beiden Krücken hatte er auf die Gräting gelegt. Er hockte mit aufgestützten Händen und erweckte - wenn man es genau betrachtete - einen mehr verbitterten als aufgebrachten Eindruck. Er hatte eben so seine Art, Kummer zum Ausdruck zu bringen. »Ach so«, erwiderte Carberry. »Dein Holzbein, das du im Kampf gegen Caligu verloren hast. Na ja, sicher, du brauchst Ersatz.« »Na ja, sicher«, äffte O’Flynn ihn nach. »Du nimmst das auf die leichte Schulter, aber du brauchst ja auch nicht mit nur einem Bein durch die Weltgeschichte zu hinken, Profos.« »Nun hab dich doch nicht so. Wir sind gerade erst zurückgekehrt und müssen wenigstens ein bißchen verschnaufen, bevor wir mit den wichtigsten Ausbesserungsarbeiten anfangen.« Carberry grinste, es sollte beschwichtigend wirken. »Dann kommst du auch ganz flink
wieder zu deinem Holzflunken.« Old O’Flynn schnitt eine Grimasse, als wolle er Gift und kleine Steine auf Deck spucken. »Du weißt, wie das gleich läuft, du weißt das ganz genau, du alter Stinkstiefel.« Er wandte den Kopf und blickte zu dem arg angeschlagenen Zweimaster hinüber. Der hatte einige kopfgroße Löcher in den Bordwänden, und auch die Takelage war bei dem Gefecht in Mitleidenschaft gezogen worden. Sie hatten Caligu, dem Piraten, einen Besuch abgestattet. Sie waren bis vor Tortuga gesegelt, und dieses Mal war es übel ausgegangen für den Schrecken der Karibik. Aber auch SiriTong und ihre Mannschaft und die Seewölfe hatten Federn lassen müssen. Ja, sie hatten in diesem einzigartigen Raid Caligu aufgespürt und die alte, noch offene Rechnung mit ihm beglichen. Hasard hatte Caligu schon damals, als er die Karibik verließ, geschworen, daß er ihn eines Tages töten würde. Dieser ausgekochteste aller Schnapphähne zur See hatte ihm schon vor Grand Cayman arg zugesetzt, dann aber eine gewaltige Niederlage erlitten. Danach hatte er ihn noch einmal bei den kleinen Cayman-Inseln zu überrumpeln versucht, anschließend in einer furchtbaren Seeschlacht in der Mona-Passage. Jedesmal waren der Seewolf und seine Crew mit heiler Haut davongekommen. Aber der Name Caligu hatte sich unauslöschlich in Hasards Gedächtnis eingeprägt. Und Siri-Tong? Caligu hatte sie vergewaltigt und ihr damit die größte Schmach ihres Lebens zugefügt. Ihr lodernder Haß hatte nach Vergeltung geschrien: In Hasard hatte sie einen willkommenen Verbündeten gegen Caligu gefunden. Jetzt, Mitte Februar 1581, hatte Caligu büßen müssen. Er lebte nicht mehr. Sie hatten seinen kleinen Schiffsverband zerschlagen, zerrieben, zu den Haifischen geschickt. Hasard hatte Caligu nach einem dramatischen Zweikampf das Entermesser tief in die Brust gerammt. Dieser Moment hatte
fast etwas Symbolisches gehabt. Philip Hasard Killigrew hatte den drastischen Beweis geliefert, daß auch ein Mann wie Caligu zu besiegen war. Hier, in der Karibik, herrschte das Gesetz des Stärkeren. Überheblichkeit führte zu Unachtsamkeit, Unachtsamkeit zu Fehlern. Wer einen Fehler beging, bezahlte mit seinem Blut. Maria Juanita, Caligus Geliebte, war einem ähnlichen Schicksal entgangen. Sie hatte sich in einem Boot an Land retten können. Dem Seewolf und der Roten Korsarin hatte sie fürchterliche Rache geschworen, denn ein zweiter Schnitt entstellte ihr Gesicht. Siri-Tong hatte ihr den verpaßt. Die ›Isabella VIII.‹ und der Zweimaster waren zurück zur Insel gesegelt. Das kristallklare Wasser, das in einem bestimmten Rhythmus einen Höchststand erreichte, hatte sie wieder über die tückische Felsenbarriere hinweggehoben und sicher in die Bucht der Insel getragen. Schlangeninsel hatte Hasard dieses Eiland getauft wegen des Tempels, den sie im Höhlenlabyrinth entdeckt hatten. Sie lag etwa zwanzig Meilen nördlich der Caicos-Inseln, die zum großen Bahama-Archipel zählten. Damit, so hatte Hasard herausgefunden, befanden sie sich auch nicht weit von den Bahama-Inseln Mayaguana, Little Inagua und Great Inagua entfernt. Seine Karten zeigten ihm, daß sie westlich zu finden waren. Nur Hasard und Siri-Tong kannten das Geheimnis der Passage, die in die Bucht der Schlangeninsel führte. Dieses Wissen würden sie auch weiterhin wie einen Schatz hüten, denn es sicherte ihnen ein Versteck zu, das praktisch unentdeckbar und um keinen Preis der Welt einzunehmen war. Die Crews konnten sich erholen. Da Siri-Tongs Schiff aber so arg beschädigt war, war es unerläßlich, sofort die notwendigen Ausbesserungsarbeiten vorzunehmen. Die Rote Korsarin hatte selbst keinen Schiffszimmermann. Wieder boten die Seewölfe also ihre Hilfe an. Sie hatten den Zweimaster ja schon einmal
unter Ferris Tuckers Anleitung repariert, und das, obwohl die Rote Korsarin anfänglich vorgehabt hatte, ihnen allen von ihren zwölf wüsten Kerlen die Gurgeln durchschneiden zu lassen. Ferris, der rothaarige Riese, und Big Old Shane hatten einen sechsköpfigen Trupp zusammengestellt, mit dem sie zu dem Zweimaster übersetzen wollten. Sie schickten sich gerade an, eines der Beiboote abzufieren. Old O’Flynn wies mit ausgestreckter Hand auf sie. »Da hast du’s«, sagte er zu Carberry. »Habe ich’s nicht gesagt? Hölle und Teufel, das halte ich im Kopf nicht aus. Unsereins zählt hier überhaupt nicht mehr. Immer nur SiriTong! Siri-Tong pfeift, und diese Himmelhunde springen. Ihr blinden Ochsen, seid ihr denn verrückt geworden, daß ihr euch so ausnutzen laßt?« Er schüttelte die Faust. »Was bildet ihr Affen euch ein? Sie läßt euch ja doch nicht an sich ran, dazu seid ihr viel zu häßlich, verdammt noch mal.« Shane grinste. Ferris blieb völlig gelassen. Aber die anderen sechs ließen von dem Beiboot ab,und rückten langsam auf den Alten zu Blacky, Matt Davies, Stenmark, Smoky, Jeff Bowie und Bob Grey. Ihre Mienen waren drohend. »Alles kannst du tun«, sagte Matt Davies. »Bloß beleidigen darfst du uns nicht.« »Hör bloß mit dem Gemecker auf«, sagte Smoky. »Ha!« rief der Alte aus. »Das paßt euch nicht, wie? Es versaut euch die Festtagsstimmung. Aber mich beeindruckt ihr nicht. Ich kann bloß lachen über euch, ihr Hammelherde. Ich lache soviel, wie ich will. Ich könnte mich ausschütten vor Lachen, wenn ich mir die Gesichter vorstelle, die ihr schneidet, wenn Siri-Tong euch abblitzen läßt.« Matt Davis stellte sich dicht vor Donegal O’Flynn hin. Er reckte den Eisenhaken, der seine rechte Armprothese zierte. Wahrscheinlich hätte er seinen berühmten Spruch aufgesagt, was er mit dem Eisenhaken alles tun konnte, wenn man ihn
reizte, aber plötzlich trat Stille ein. Der Seewolf war zwischen Carberry und den alten O’Flynn getreten. Er hatte vom Achterdeck aus vernommen, was gesprochen worden war. In seinen eisblauen Augen blitzte es, aber mehr amüsiert als ärgerlich. »So«, sagte er. »Du bist also dagegen, daß wir Siri-Tongs Schiff reparieren, Donegal. Das finde ich aber nicht fair von dir. Immerhin ist sie jetzt unsere Verbündete. Außerdem habe ich den Befehl erteilt, daß Ferris und die anderen zu ihr hinüberpullen.« Old O’Flynn wurde plötzlich verlegen. Er rutschte auf der Gräting herum und suchte krampfhaft nach einer passenden Antwort. »So hab ich das nicht gemeint«, entgegnete er schließlich. »Sondern wie?« erkundigte sich Hasard. »Ich sage nur, es gibt vordringlichere Aufgaben.« »Zum Beispiel?« »Ihr könnt einen alten Mann doch hier nicht so rumhängen lassen so ganz ohne Holzbein.« »Piff«, machte Blacky. »Hör mal, Donegal, für eine Weile kannst du doch auch mal ohne das Ding herumlaufen. Immerhin sind die Krücken noch ganz.« »Früher wart ihr anders«, erwiderte der Alte giftig. »Früher, als ihr mich aufgefischt habt und so, da wart ihr so besorgt um mich, wie mir das als altem Mann zusteht.« »Mann«, entfuhr es Bob Grey. »Jetzt wird doch der Hund in der Pfanne verrückt. Du bist ja richtig eifersüchtig!« »Eifersüchtig?« Old O’Flynn setzte sich kerzengerade auf. »Was willst du damit sagen? Ich bin doch nicht verkehrt rum, und wenn du so was noch einmal anklingen läßt, schnalle ich mir das Holzbein ab und ...« Bob unterbrach ihn: »Wie denn, wenn du keins mehr hast?« Die gesamte Crew brach in brüllendes Gelächter aus. Selbst Dan oben im Großmars amüsierte sich prächtig über die Szene.
Sie war ergötzlich. Und er sah nicht ein, warum er seinen Alten verteidigen sollte - der befand sich mit seinen Unterstellungen nun mal gewaltig auf dem Holzweg. Old O’Flynn sagte etwas über mangelnden Respekt vor dem Alter und griff nach seinen Krücken. Matt Davies wich vorsorglich schon zurück. Hasard griff wieder ein. Er hob die Hand. Das Gelächter verstummte. »Schluß jetzt«, sagte er. »Ferris, du bleibst hier, nimmst bei Donegal Maß und verpaßt ihm eine Prothese, wie sie noch kein gottverdammter Sargtischler in ganz England zustande gebracht hat. Ist das ein Wort, Donegal?« »Und ob!« Der Alte hielt in der Bewegung inne. Er ließ die Krücken liegen und setzte eine etwas versöhnlichere Miene auf. »Will«, sagte Hasard zu seinem Segelmacher. »Sir?« »Du fertigst passende Ledermanschetten für das Holzbein an. Donegal soll mit dem Ding laufen können, als ob’s wirklich ein Teil von ihm wäre. Du hast doch damals auch Jeff Bowie entsprechend verarztet, und auch Matt hat eine Strumpfmanschette für seinen Eisenhaken gekriegt, die den ganzen Arm bekleidet und so das Abrutschen verhindert.« Matt nickte. »Stimmt. Hat sich bestens bewährt.« »Ja«, sagte Jeff gedehnt. »Aber vergeßt nicht, daß Old O’Flynn von Zeit zu Zeit sein Holzbein wieder abschnallen muß, vor allem, wenn er Dan, seinem Sproß, damit eins überziehen will.« »Nun hört endlich auf!« rief Dan aus dem Hauptmars. »Der Witz hat einen Bart, den man allmählich mit dem Ankerspill aufwickeln kann.« Jeff wollte etwas erwidern, aber ein Blick Hasards bremste ihn. Hasard schaute zu Will Thorne, und der entgegnete jetzt: »Aye, aye, Sir. Ich werde mein Bestes tun.«
Hasard wandte sich an Shane. »Du und die anderen sechs, ihr setzt in der Zwischenzeit mit dem Boot zu Siri-Tong über und fangt drüben mit den Arbeiten an. Ferris und auch Will kommen nach, sobald sie mit Donegal fertig sind. Und anschließend gibt es dann ja auch auf unserer ›Isabella‹ noch einiges an Schiff und Rigg zu tun. Aber das können wir langsam angehen lassen.« »Aye, aye«, erwiderte Shane. Er führte seine sechs Begleiter zu dem Boot. Sie brachten es an dem Galgen aus, fierten es ab und enterten dann über die Jakobsleiter ab. »Danke«, sagte Old O’Flynn zu Hasard. »Nicht schlecht, wie du diese Heringe eben zusammengestaucht hast. Die werden langsam übermütig. Aber natürlich wäre ich auch allein mit ihnen fertiggeworden.« Hasard verkniff sich ein Grinsen. »Ist doch klar. Gibt es noch was, worüber du dich zu beschweren hast?« »Nein. Alles in bester Ordnung«, sagte der Alte. Der Seewolf kehrte aufs Achterdeck zurück. Er schaute dem Beiboot nach. Die sechs Männer pullten es zu dem Zweimaster hinüber. Shane saß auf der Achterducht und hielt die Ruderpinne. Wirklich, sie schienen es kaum erwarten zu können, Siri-Tong und ihren wilden Kerlen einen Besuch abzustatten. In der Beziehung mußte Hasard seinem Schwiegervater recht geben. Siri-Tong war eine berückend schöne Frau. Sie verdrehte hier sämtlichen Männern den Kopf, und es war schon fast ein Wunder, daß nicht auch noch Arwenack durchdrehte. Die Rote Korsarin war eine Versuchung, ein Geschöpf, dessen Reizen man nicht widerstehen konnte und die einen Mann sehr gut um den Verstand bringen konnte, wenn er schon lange keine Frau mehr gehabt hatte. Aber sie war noch mehr. Man konnte sich die Finger an ihr verbrennen, und durch sie konnte sich eine Situation entwickeln, in der alles in einem
fatalen Höhepunkt kulminierte. Einfacher: Sie war ein Pulverfaß, das irgendwann in die Luft fliegen würde. Wer von seiner Crew würde sich als erster an sie heranpirschen? Und er, Philip Hasard Killigrew war er nicht auch betroffen? Die Rote Korsarin hatte ihn nicht nur achten und schätzen gelernt. Sie betrachtete ihn bereits mit Blicken, die viel verhießen, die Hasard aber doch nicht ganz glücklich stimmten. Ein Seitensprung wäre etwas gewesen, das er seiner Frau Gwen gegenüber niemals hätte rechtfertigen können. Und er wollte Gwen nicht so schändlich hintergehen, ganz abgesehen davon, daß der alte O’Flynn und Dan, sein Schwager, ihm gefährlich aufs Dach gestiegen wären. Donegal Daniel O’Flynn war sein Schwiegervater. Der alte Mann zeigte manchmal wirklich schon richtige Verkalkungserscheinungen, obwohl er in Kämpfen so manchen jungen Specht noch in die Tasche steckte. Und das trotz Holzbein und Krücken! Da war nur sein unausgesetztes Gemäkel. Gerade seit dem Zusammentreffen mit Siri-Tong hatte er sich zu einem richtigen Meckerbeutel vom Dienst entwickelt. Er hockte immer noch auf der Kuhlgräting. Widerwillig ließ er die Prozedur des Maßnehmens und des Herumfummelns an seinem Beinstumpf über sich ergehen. Er vollführte dabei Gesten, als wolle er Ferris Tucker und Will Thorne wie lästige Fliegen wegscheuchen. »Ihr Hornochsen«, sagte er. »Dauert das noch lange? Beim Geier, ich bin doch kein Weib, das ihr angrapschen könnt, wie’s euch gefällt. Habt ihr einen Sonnenstich, oder was ist los? Ferris, mach das bloß nicht falsch. He, Will, du siehst ja aus wie eine Kuh kurz vorm Kalben. Was glotzt du immer so zu dem Scheiß Piratenschiff hinüber?« So ging das fast pausenlos. Aber auch der alte O’Flynn schickte dann und wann einen Blick zu dem Zweimaster
hinüber. Ahnte er, daß der Frieden nicht lange andauern würde? * Das Beiboot der ›Isabella‹ ging längsseits der Backbordwand des Zweimasters. Von oben wurde eine Festmacherleine geworfen. Blacky fing sie geschickt auf und knotete sie fest. Dann enterten sie an der ausgebrachten Jakobsleiter hoch, allen voran Shane. Shane schwang sich über das Schanzkleid und war auf dem Deck des Piratenschiffes. Und da waren sie wieder, die zwölf Gestalten, bei deren bloßem Anblick nicht nur Landratten das kalte Grausen kriegten. Da war Juan, da war Sidi Mansur, da war Bill, der Bogenschütze. Batuti hatte ihn bei dem Wettkampf besiegt, bei dem es um die Übergabe der ›Isabella‹ gegangen war. Auch der riesige Kerl, den sie den Schlächter nannten, befand sich auf Oberdeck. Er war im Zweikampf mit der Axt gegen Ferris Tucker der Unterlegene gewesen. Hatte er die Niederlage verwunden? Er stand mit verschränkten Armen und musterte die Ankömmlinge. Nichts in seiner Miene ließ auf Freude oder Widerwillen schließen. Da waren auch die anderen acht Piraten, und nach wie vor verspürten die Seewölfe das Unbehagen, das sie von Anfang an in Gesellschaft dieser Kerle empfunden hatten. Die hatten keine Skrupel, die gingen kompromißlos brutal und wie Bestien vor. Ein Korsar war da anders. Nicht, daß er sich selbstherrlich als »etwas Besseres« empfand, nein, ein Korsar Ihrer Majestät, der Königin von England, war gleichfalls auf Kaperfahrt aus und nahm den Spaniern weg, was sich ihnen entreißen ließ. Aber er kämpfte mit Fairneß und metzelte beispielsweise keinen Gegner nieder, der bereits die Flagge gestrichen hatte. Siri-Tongs Kerle taten das. Sie waren zwar Verbündete der
Seewölfe geworden. Doch der Vorbehalt, mit dem sich beide Seiten begegneten, schloß eine echte Freundschaft aus. Big Old Shane grüßte die Piraten knapp, dann schritt er auf Siri-Tong zu. Die Frau hatte soeben das Achterkastell des Schiffes verlassen. Stolz hielt sie den Kopf erhoben und blickte den Männern der ›Isabella‹ aus ihren schräggestellten schwarzen Augen entgegen. Das lange schwarze Haar umfloß ihr Gesichtsoval, dann wurde es von der Brise erfaßt und ein wenig zerzaust. Offenbar hatte sie sich umgezogen. Sie trug eine jener verwaschenen, eng anliegenden Hosen, in der Hasard und seine Männer sie auch kennengelernt hatten. Ihre Füße steckten in den üblichen weichen Stiefeln, deren obere Ränder umgeschlagen waren. Die rote Bluse hatte sie diesmal mit einer weißen vertauscht. Von ihrem schlanken Hals ab war sie zwei oder drei Knöpfe weit geöffnet. Shane vermochte gar nicht zu zählen, wie viele Knöpfe das waren, denn er war viel zu fasziniert von dem, was die Bluse barg: hochsitzende Brüste, prall wie Pfirsiche. Die hatten kein Mieder nötig, brauchten nicht gestützt zu werden, hätten das als eine Art Beleidigung empfunden. Sie waren einfach da, straff und schön, und die Kronen zeichneten sich deutlich unter dem Stoff ab. Shane fühlte, wie sein Herz schneller schlug. Siri-Tongs übriger Körper war genauso vollkommen proportioniert wie die Brustpartie. Sie hatte eine schlanke Taille, weich gerundete Hüften und Beine, die in ihrer Länge und Geradlinigkeit an die Läufe eines Rehes erinnerten. Aber sie war nicht nur Körper, sie hatte ein Gesicht, das in seiner Ebenmäßigkeit und seinem tiefen Ausdruck einzigartig zu sein schien. Exotischer Zauber war darin zu lesen, Stolz, manchmal etwas Hoheitsvoll, aber auch Versonnenheit und Sentimentalität. Es kam ganz auf die Situation an.
Shane blieb stehen. Matt war dicht hinter ihm. Er trat Shane glatt auf die Hacken. »Mensch«, sagte Big Old Shane. »Kannst du nicht aufpassen?« Er blickte sich kurz um. Matt, Blacky, Stenmark, Smoky, Jeff und Bob schienen geistig weggetreten zu sein. Sie hatten nur noch Augen für die Rote Korsarin. Jeff stolperte fast über ein Tau. Hinter seinem Rücken lachte jemand kehlig. Es war der Schlächter. Jeff hörte nicht darauf. Eine Frau unter fast drei Dutzend Vollblutmännern - ein unerträglicher Zustand! Dennoch, Shane bemühte sich, die Fassung zu behalten und Disziplin zu bewahren. »Der Seewolf schickt uns, Madame«,, sagte er. »Ihr Schiff hat eine Reparatur am dringendsten nötig. Deshalb sollen wir hier anfangen. Ferris Tucker und Will Thorne kommen nach, wenn Old O’Flynns Holzbein fertig ist.« Siri-Tong lächelte, und Shane kam sich ein wenig albern vor. »Und Hasard?« sagte sie. Ihre Stimme klang hell. Silberhell, fand Big Old Shane. Alter Trottel, schalt er sich selbst, dann antwortete er: »Der ist drüben auf der ›Isabella‹ geblieben.« »Ja, das sehe ich. Aber er stattet mir doch noch einen Besuch ab, oder?« »Madame, ich glaube er ist im Moment sehr beschäftigt, nehme ich an,« »So?« Siri-Tongs Gesichtsausdruck hatte plötzlich etwas Rabiates. »Ach, so ist das. Eigentlich gehört es sich ja für einen englischen Kavalier, seine Mitstreiterin nach einem gewonnenen Kampf zu besuchen. Aber so fein scheint er nun auch wieder nicht zu sein, der edle Seewolf.« »Madame«, sagte Shane. »Ja, lassen wir das. Juan, John, Bill und ihr anderen, ihr unterstützt diese Männer nach Kräften. Daß sich ja keiner auf die faule Haut legt, bis der verdammte Kahn nicht wieder einigermaßen aufgeklart ist, verstanden? Danach habt ihr
immer noch genügend Zeit zum Pennen.« Die Piraten murmelten durcheinander, aber keiner erhob einen Einwand. Siri-Tong gehörte dem sogenannten schwachen Geschlecht an, schön und gut. Aber sie wußte sich Respekt zu verschaffen. Im Degenfechten hatte sie bisher noch keiner übertrumpft, genau wie im Schwimmen. Die wilden Kerle weigerten sich also nicht, mit zuzupacken, obwohl sie noch von den durchstandenen Strapazen erschöpft waren. »Wir unternehmen als erstes einen Rundgang durch das gesamte Schiff und sehen, wie viele Lecks es hat«, sagte Shane. Siri-Tong fixierte ihn. »Was meinen Sie, Shane, müssen wir es aufs Trockene legen, um es gründlich zu überholen?« »Das glaube ich nicht. Wir schaffen es auch so. Wenn es Lecks unterhalb der Wasserlinie gibt, können wir eventuell auch mit Tauen krängen, die wir bis zum Ufer ausfahren und dort belegen. Das ist auf jeden Fall einfacher, als hier ein Schiff aufs Trockene zu legen.« Die Rote Korsarin blickte zu den himmelhoch aufragenden Lavafelsen. Es gab nur ein schmales Stück Sandstrand, und dort würde man schwerlich Helling und Stapelklötze plazieren können, um den Zweimaster aufzudocken. Sie nickte. »Gut. Ich danke für die Hilfe, Shane. Wenn einer meiner Männer nicht pariert, melden Sie mir das bitte, ja? Da Sie uns schon behilflich sind, soll sich meine Mannschaft wenigstens auch dort ins Zeug legen, wo sie mit zupacken kann.« »In Ordnung«, erwiderte Shane höflich. Er hatte gar nicht gewußt, daß er so höflich sein konnte. »Begleiten Sie uns jetzt?« »Nein, ich habe noch in meiner Kammer zu tun.« Sie drehte sich um und verschwand im Backbordschott des Achterkastells. Shane schnitt eine etwas belämmerte Miene, dann besann er sich auf seine Rolle als Anführer des Trupps.
Sie stiegen in die Frachträume des Zweimasters hinunter. Rasch hatten sie festgestellt, daß es hier praktisch nur einen Einschuß gab, der Hauptplanken und Wegerung zerrissen und einen der Verdecksbalken lädiert hatte. »Ein Stück Blei«, sagte Shane und deutete auf die Stelle, wo das Metallfragment im Balken steckte. »Wäre es eine ganze Kanonenkugel gewesen, hätte das Schiff die Insel nicht mehr erreicht.« Juan, einer von Siri-Tongs Männern, erwiderte: »Wir stehen hier schon knöcheltief im Wasser. Wenn ich so sehe, wie es da durch das Leck eintritt, krieg ich Bedenken.« »Rasch«, sagte Shane. »Zimmern wir Planken, mit denen wir das Loch verschalen können. Wenn wir es richtig anpacken, brauchen wir die Außenhaut nicht zu reparieren. Das würde heißen, daß wir das Schiff nicht zu krängen brauchen.«
2. Während Big Old Shane und die anderen mit diesen dringenden praktischen Problemen beschäftigt waren und alle Hände voll zu tun hatten, brütete Siri-Tong in der Kapitänskammer über etwas ganz anderem. Sie wußte, daß das falsch und ungerecht war. Sie hätte bei der Untersuchung ihres Schiffes mit dabeisein müssen, um sich über den Stand der Dinge zu vergewissern aber sie konnte es nicht. Sie war verärgert. Der Seewolf hätte ihr gleichgültig sein sollen. Sie hätte darauf pfeifen sollen, ob er ihr nun einen Besuch abstattete oder nicht. Wenn sie es sich recht überlegte, wäre es das Vernünftigste gewesen. Welches Recht hatte sie denn, irgendwelche Gunstbezeugungen von ihm zu erwarten? Keines. Sie hatte erfahren, daß er verheiratet war und zwei Kinder hatte. Und er schien ein Mann mit strengem Moralkodex zu sein.
Trotzdem. Sie beobachtete ihn. Sie hatte sich dabei ertappt, von ihm geträumt zu haben. Sie geriet mehr und mehr in seinen Bann. Und diese widersprüchliche Situation stimmte sie wütend. Es war richtig, wenn er Distanz hielt. Dennoch war sie darüber aufgebracht. Was konnte sie tun, um auf andere Gedanken zu kommen? Sie beschloß, einen Teil der Insel zu erkunden, den sie bisher nicht betreten hatte. Bei dieser Gelegenheit wollte sie ein Bad nehmen. Sie begab sich wieder auf Deck. Sämtliche Männer, ihre und die des Seewolfs, befanden sich noch in den Frachträumen. Siri-Tong nutzte die Gelegenheit, sich ungesehen abzusetzen. Es interessierte sie nicht, was mit ihrem Schiff war und was damit geschah, in ihrem derzeitigen Gemütszustand war ihr alles so verdammt egal. Sollte der Zweimaster absaufen! Sollten die zwölf wüsten Kerle, die sich großspurig als Mannschaft bezeichneten, doch zum Teufel gehen! Siri-Tong fierte das kleine Beiboot ab, stieg hinein und pullte davon. Ihr Schiff ankerte näher an der tückischen Unterwasserbarriere als die stolze DreimastGaleone des Seewolfs. Binnen kurzem hatte sie sie erreicht und setzte ohne Behinderung darüber hinweg. Für das Boot mit seinem geringen Tiefgang waren die Riffs kein Hindernis. Es glitt also durch die schmale Passage. Siri-Tong blickte zu den Felsen auf. Sie mußte dazu den Kopf in den Nacken legen. Oben stieß das Lavagestein fast zusammen, so daß es eine Art Tor bildete. Ein Tor zum Paradies, in dem ihr nur noch ein Mann wie dieser Seewolf zum vollendeten Glück fehlte. Warum verlegte sie sich nur darauf! Sie verdrängte den Gedanken an ihn, ruderte trotzig und rundete die Schlangeninsel ein Stück. Nach knapp einer Viertelstunde hatte sie den Platz erreicht, der sie interessierte.
Hier waren die Felsen stark abgeflacht und öffneten sich zu einer kleinen, lagunenartigen Bucht. Siri-Tong ruderte hinein. Nie und nimmer hätte hier ein größeres Schiff Einlaß gefunden, schon eine Schaluppe wäre aufgelaufen. Das Boot indessen schob sich in die winzige Bucht. Während sie pullte, blickte Siri-Tong aufmerksam in das klare Wasser. Sie hielt nach jenen vertrackten Schatten Ausschau, die sie zu fürchten gelernt hatte. Hier gab es Kraken, und hätte Hasard sie nicht vor so einem hinterhältigen Kalmar gerettet, befände sie sich nicht mehr im Diesseits. Vielleicht war es auch das, was sie mehr und mehr an ihn und seine faszinierende Persönlichkeit band. Er hatte ihr das Leben gerettet. Aber sie fühlte sich nicht aus Dankbarkeit in seinen Bann geschlagen. Da war mehr. Sie vertäute das Boot an einem Felsen. Verdächtige Schatten, die pfeilschnell unter Wasser dahinschossen, hatte sie nicht entdeckt. Möglicherweise existierten an dieser Stelle der Insel keine Krakenhöhlen. Dennoch beschloß sie, vorsichtig zu sein und nicht tief zu tauchen. Sie knöpfte ihre Bluse ganz auf, streifte sie ab und legte sie ins Boot unter eine Ducht. Sie entledigte sich auch ihres Degens, ihrer Hosen und ihrer Stiefel. Nackt stand sie für eine Weile in dem leicht schwankenden Boot. Die Mittagssonne stach auf sie nieder und übergoß ihre venushaften Formen mit Glanz. Siri-Tong warf den Kopf in den Nacken. Ihre schwarzen Haare flogen über die Schultern nach hinten zurück. Sie kletterten aufs Dollbord. Das Boot neigte sich. Sie kippte mit gestreckten Armen vornüber, stieß elegant in die Fluten und schwamm mit ausholenden Zügen mehrere Yards weit dicht unter der Wasseroberfläche dahin. Sie tauchte wieder auf, schöpfte Luft und genoß die erfrischende Kühle des Seewassers. Die winzige Bucht schien
wie geschaffen für dieses einsame Bad zu sein. * Hasard war es nicht entgangen, wie Siri-Tong sich entfernt hatte. Er blickte ihr von der Five-Rail des Achterkastells aus nach und schüttelte den Kopf. Was hatte sie dort draußen, jenseits der Passage, zu suchen? Mußte ihr Platz nicht an Bord des Zweimasters sein, jetzt, da die Lecks ausgebessert wurden? Aber sie hatte nun mal ihre impulsive Art, ausgefallene Entscheidungen zu treffen. Hasard konnte sich vorstellen, daß sie wütend auf ihn war, weil er Shane und die anderen nicht nach drüben begleitet hatte. Aber er war absichtlich auf der ›Isabella‹ geblieben. Falls Siri-Tong ihn wirklich mochte oder sogar in ihn verschossen war, mußte sie irgendwie damit fertig werden. Er konnte und wollte sich nicht provozieren lassen. Ganz abgesehen einmal von Gwen und den Kindern oder den beiden O’Flynns - auch die Crew würde das nicht billigen. Da waren also ein paar Riegel vorgeschoben, die Hasard respektierte und aus seinem absoluten Treueverhältnis zu Gwen auch für richtig hielt. Hasards Gestalt straffte sich plötzlich. Aus schmalen Augen verfolgte er, wie ein Mann geduckt über das Oberdeck des Zweimasters lief, übers Schanzkleid jumpte und ins Wasser sprang. Die Sicht auf den Mann war jetzt verdeckt, aber dann schwamm er hinter dem Heck des Piratenschiffes hervor und hielt in hastigen Zügen auf das Ufer zu. Hasard hatte ihn erkannt. Es war der gorillahafte Typ, den sie den Schlächter nannten. Außer ihm hatte sich niemand über das Deck des Zweimastseglers bewegt. Shane und alle anderen befanden sich im Schiffsbauch, um etwaige Lecks auszubessern, wie Hasard
sich vorstellen konnte. Das Verschwinden des Schlächters war offensichtlich also drüben nicht bemerkt worden. Der Seewolf blickte zur Kuhl der ›Isabella‹. Old O’Flynn war verschwunden. Ferris und Will hatten ihn mitgenommen, um ihm im Vorschiff das neue Holzbein anzupassen. Ferris hatte dort seine Werkstatt untergebracht, und die nötigen Feinarbeiten mußten dort vorgenommen werden. Ben Brighton, Hasards erster Offizier, hatte sich zur Ruhe begeben, einige andere bereiteten sich auf den Landgang vor, den Hasard ihnen gestattet hatte, aber niemand schien das Unternehmen des Schlächters zu verfolgen? Niemand? Aus dem Großmars ertönte ein Laut. Hasard blickte hoch. Dan gab ihm ein Zeichen. Hasard nickte, schaute wieder in Richtung Ufer und sah, wie der hünenhafte Pirat jetzt bereits in die Felsen stieg und verschwand. Sich darauf einen Reim zu bilden, bedurfte keines Scharfsinns. Hasard konnte sich ausmalen, wie der Kerl auf dem Landweg Siri-Tong verfolgte, während sie mit ihrem Boot an der Inselküste entlangpullte. Er handelte, ohne zu zögern. Er hastete den Niedergang zur Kuhl hinunter, lief bis zum Vordeck und lugte durch das halb offenstehende Kombüsenschott. Der Kutscher, der den Landgängertrupp anführen sollte, stellte gerade seine Holzkübel und Pützen zurecht. Auch die ›Isabella‹ mußte ihre Trinkwasservorräte erneuern, und sie wußten ja jetzt, wo sich die Quelle befand. »Kutscher«, sagte Hasard. »Ich brauche das zweite Beiboot. Wenn Shane und die anderen zurückkehren, um Ferris und Will abzuholen, sagt ihr ihnen, daß sie euch ihr Boot zur Verfügung stellen sollen, klar?« »Klar, Sir. Was ist denn los?« Der Kutscher machte große Augen. »Ich muß mal kurz einen Ausflug unternehmen.« »Brauchst du Hilfe?«
»Danke, nein. Bis später. Knapp eine Minute darauf pullte Hasard von der Galeone fort und hielt auf die Passage zu. Dan stieß einen Pfiff aus. Er bedeutete ihm durch Gebärden, daß der Schlächter sich landeinwärts gewandt hatte. Dan mochte unter anderen Voraussetzungen Einwände dagegen haben, daß sein Kapitän und Schwager der Roten Korsarin nachstellte, jetzt aber spürte auch er, daß sich etwas anbahnte, das er nicht billigen durfte. Und Hasard war derjenige, der die Entwicklung der Dinge von Beginn an verfolgt hatte. Er und kein anderer mußte da eingreifen, wenn es notwendig war. Hasard befand sich neben der Backbordwand des Zweimasters, als oben über dem Schanzkleid das Gesicht von Matt Davis erschien. »Wahrschau!« rief er. »Hölle und Teufel, hast du den Schlächter gesehen, Hasard?« »Ja. Er ist an Land geschwommen.« Matt spuckte wütend aus. »Stiften gegangen, wolltest du wohl sagen. Dieser Lumpenhund! Die Rote Korsarin hat extra den Befehl gegeben, daß jeder Mann an Bord dieses idiotischen Waschzubers mit zupackt, wenn wir die Lecks dichten. Und jetzt hat sich das Schwein verholt. Shane hat gesagt, ich sollte das Siri-Tong melden, aber die ist auch weg.« »Von Borddisziplin keine Rede, was, Matt?« »Was sagst du?« »Das ist ein Sauhaufen«, gab Hasard grinsend zurück. »Kannst du wohl sagen. Was sollen wir tun?« »Weitermachen, Matt. Ich kümmere mich um den Schlächter.« »Aye, aye, Sir.« Hasard bugsierte sein Boot sicher über die Barriere und steuerte auf die offene See hinaus. Die Brisen, die in fast regelmäßigen Abständen aus Nordosten bliesen, kräuselten die Wasserfläche. Hasard ruderte nach Westen. Er glaubte gesehen
zu haben, wie sich die Rote Korsarin dorthin gewandt hatte, aber er war sich nicht ganz sicher. Hatte sie die entgegengesetzte Richtung gewählt, dann würde er auf das, was sich hier anbahnte, keinen Einfluß mehr haben. * Der Schlächter beglückwünschte sich zu dieser Fügung des Schicksals. Er hatte sich im Frachtraum des Zweimasters einfach von den hart arbeitenden Männern abgesondert, weil er keine Lust gehabt hatte, den Seewölfen zur Hand zu gehen. Diese eingebildeten Burschen! Er konnte sie auf den Tod nicht leiden. Was er tat, war seinen eigenen Kumpanen gegenüber zwar höchst unkameradschaftlich, aber das scherte ihn einen Dreck. Er hatte sich also aufs Oberdeck geschlichen und noch überlegt, wohin er sich am besten verkriechen konnte, um in Ruhe zu dösen, da hatte er gesehen, wie Siri-Tong mit dem Boot durch die Felsenpassage der Bucht verschwunden war. Sofort war er ihr nachgehetzt. Daß er auf die offene See hinausschwamm, war absurd. Erstens hätte Siri-Tong ihn gleich entdeckt, zweitens hätte sie ihn mühelos abhängen können, drittens war er kein so guter Schwimmer. Der Weg durch das Felsland der Insel öffnete sich vor ihm, und er sah jetzt wieder das Boot, wie es sich durch die Einfahrt einer winzigen Bucht stahl. Der Schlächter lachte kehlig. Er hatte also richtig gehandelt! Endlich konnte er Siri-Tong einmal begegnen, ohne daß die anderen dabei waren oder ihn jemand störte. Er hatte sie schon immer mit lüsternen Augen betrachtet. Es machte ihn ganz verrückt, wenn sie so aufreizend über Deck stolzierte und ihre Befehle erteilte. Er starrte auf ihre stolz geschwellten Brüste, auf ihre Hüften und auf ihr Hinterteil, wenn sie es nicht bemerkte. Nie hatte er es sich erlaubt, sie
offen und unverhohlen zu begaffen, obwohl er sich manchmal am liebsten auf sie gestürzt und wild vor den Kumpanen genommen hätte. Aber die Angst vor ihrem Degen hatte ihn zurückgehalten. Sie konnte hervorragend damit umgehen. Sie hätte ihm den Leib aufgeschlitzt, bevor er nach ihr hätte greifen können. Und freiwillig hätte sie sich ja nie mit ihm eingelassen. Der Schlächter war ein urprimitiver Kerl. Sein Hirn gab ihm ein, daß nur eine Art zum gewünschten Erfolg führen würde. Er mußte Siri-Tong überraschen, und dann konnte er sich endlich nehmen, wonach es ihn schon so lange gelüstet hatte. Er hastete durch flaches Dornengestrüpp zu der kleinen Bucht hinunter. Stacheln ritzten seine Haut, einmal trat er mit dem nackten Fuß auf einen spitzen Stein, aber das alles kümmerte ihn nicht. Nichts konnte ihn aufhalten. Er stapfte über Geröll, schob sich durch Breschen im Gestein und geriet dicht ans Ufer. Klobige Steinquadern versperrten noch den Weg zum schmalen Strand, aber auch die würden kein Hindernis für ihn sein. Er blieb stehen und verfolgte mit stierem Blick, wie die schöne Frau sich entkleidete und ins Wasser sprang. Dabei sah er die lange Narbe, die sich unter ihren Brüsten quer über ihren Leib zog. Der Schlächter sah sie zum erstenmal nackt. Noch keiner an Bord des Zweimasters hatte das erleben dürfen. Nein, sie hielt sie ja alle auf Distanz und ließ sich tatsächlich mit keinem von ihnen ein. Sie waren ja der letzte Dreck, er und seine Kumpane. Da mußte schon ein Kerl wie der Seewolf auftauchen, um ihre Meinung zu ändern. Siri-Tong, dachte der Schlächter, jetzt werde ich dir mal zeigen, was für Qualitäten in mir stecken. Er grinste. Sein brutales Gesicht nahm einen diabolischen Ausdruck an. Er riß sich Hemd und Hose vom Leib. Er war ein grobschlächtiger, stumpfsinniger Mann mit stark behaartem Leib. Sein eines Ohr war nur noch halb und ausgefranst, und er
trug eine große Narbe am Hals. Sein gesamter Oberkörper war mit Messerstichen übersät. Es waren die Relikte erbarmungsloser Kämpfe. Der Schlächter hatte seinen Namen nicht umsonst erhalten. Er tötete gnadenlos, wenn er ein Ziel vor Augen hatte. Er konnte unglaublich blutrünstig sein. Siri-Tong schwamm auf dem Rücken, als sie den bulligen Mann hinter den Felsenquadern hervorstürmen sah. Er sah wirklich aus wie ein Gorilla, wie er da über den Strand rannte und auf den Platz zuhielt, an dem sie das Boot vertäut hatte. Sein kleiderloser Zustand ließ keine Fehldeutung zu. Er war erschienen, um sie zu bezwingen und zu erniedrigen wie Caligu. Siri-Tong erschrak zutiefst. Gleichzeitig stieg unbändiger Haß gegen den Schlächter in ihr auf. Einer aus ihrer Crew ausgerechnet! Was bildete der sich eigentlich ein? Sie drehte sich und hielt in normaler Brustlage auf ihr Boot zu. Der Schlächter war schneller. Er gelangte als erster hin, stieg hinein und bückte sich nach etwas. Er richtete sich wieder auf und hielt grinsend ihre Bluse hoch, einen weißen Fetzen, der wie ein lächerlicher Wimpel in der Brise flatterte. »Hol sie dir Madame!« rief er höhnisch aus. Siri-Tongs Gesicht färbte sich rot. Vor Wut. »Schlächter, laß den Quatsch. Leg die Bluse wieder hin und hau ab. Das ist ein Befehl.« Der Kerl lachte auf. Er schleuderte das Fetzchen von sich. Es landete im Wasser. Er las auch Siri-Tongs Hose auf und warf sie hinterher. Dann stemmte er die Fäuste in die Seiten und blickte sie triumphierend an. Er trug nur noch sein speckiges Kopftuch, und Siri-Tong sah deutlich, wie bereit er war. Es war ungeheuerlich. Bedingungslos hatten sie ihr bisher gehorcht, diese zwölf Bastarde und jetzt dies! Siri-Tong wußte, daß sie die Partie gewinnen mußte. Sie mußte ihm zeigen, welche Autorität in ihr steckte. Es war die unabdingbare
Stärke, die die Position eines Piratenführers erforderte. Sie verhielt und trat Wasser. »Schlächter, zum letztenmal. Verschwinde. Zeig die Hacken. Wirble Staub auf. Du weißt, was dir blüht, wenn du das nicht läßt.« Ihre Stimme klang kalt und schneidend. Wieder lachte der Schlächter. »Madame, mich legst du nicht rein. Schrei doch. Dich hört ja doch keiner. Wir sind zu weit von den Schiffen entfernt. Dir hilft keiner.« »Ich kann mir auch allein helfen. Du Dreckskerl, pack dich und laß dich hier nicht wieder sehen.« Er nahm ihren Degen und schleuderte ihn hinter sich. Die Waffe landete klirrend zwischen den Felsen. »Dein Degen - damit bist du doch stark, oder? Hol ihn dir. Na los, komm und hol ihn dir.« »Dich lasse ich kielholen.« »Du gehörst mir, Siri-Tong.« »Ich lasse dich auspeitschen, an der Rahnock aufhängen und den Haien zum Fraß vorwerfen!« schrie sie ihn an. Er stapfte im Boot nach vorn. Es schwankte bedenklich, kenterte aber nicht. Der Schlächter sprang vom Bug ins Wasser und steuerte genau auf die Rote Korsarin zu. Siri-Tong fühlte, wie sich eine eisige Klammer um ihren Hals legte. Ihr war, als würde ihr die Luft abgeschnürt. Sie wußte, was das war Panik. Sie bezwang sich und tauchte, bevor er sie erreichte. Ihr Plan war, unter ihm hindurchzustoßen und zum Boot zu schwimmen. Der Schlächter vereitelte es. Er ließ sich ebenfalls sinken. Unter Wasser prallte er fast mit ihr zusammen. Seine riesigen Hände packten ihre Hüften. Siri-Tong zappelte, wand sich wie ein Fisch und trat mit den Füßen nach ihm. Sie entschlüpfte seinem Griff, geriet mit dem Auftrieb nach oben und schöpfte Luft. Verzweifelt schwamm sie in der anderen Richtung auf den Strand zu. Sie war eine hervorragende Schwimmerin und hatte sogar den Seewolf übertrumpft, sie
mußte es schaffen. Auf dem Landweg würde sie zu den Schiffen zurückkehren und ihre Crew auf den Schlächter hetzen. Es kam anders. Mit zwei, drei Zügen stieß er ihr nach und erwischte ihren Fußknöchel. Grölend riß er sie zu sich heran. Sie rammte ihm ein Knie gegen die Lenden, aber er lachte wieder nur. Sie trachtete ihn in der empfindlichsten Körperpartie zu treffen, aber er verteidigte sich geschickt. Sie tauchten unter und wieder auf, und er stieß keuchend hervor: »Du bist mein, du gehörst mir, du Luder.« »Verrecke!« schrie sie zurück. Mit dem Degen war sie eine exzellente Kämpferin, aber der Degen war weit außerhalb ihrer Reichweite. Im Nahkampf kannte sie einige Tricks, aber was letztlich zählte, war die körperliche Überlegenheit des wilden Kerls. Siri-Tong schluchzte und jammerte, aber es nutzte ihr nichts. Er hielt sie in erbarmungslosem Griff. So verbissen sie sich auch wehrte, sie konnte es nicht mehr verhindern. Der Schlächter war so gierig und erregt, daß er nicht das Boot bemerkte, das sich fast geräuschlos in die Einfahrt schob. Hasard holte ziemlich gelassen die Riemen ein, erhob sich von der Ducht und hechtete aus dem auslaufenden Boot ins Wasser. Schon aus einiger Entfernung hatte er gesehen, was sich hier abspielte. Er hatte sich der meisten Kleider entledigt und trug nur noch eine kurze Hose. Pfeilgerade schoß er auf die im Wasser Ringenden zu.
3. Siri-Tong hatte Wasser geschluckt. Sie hustete und spuckte und glaubte in diesem schrecklichen Augenblick, jämmerlich ertrinken zu müssen. Der Schlächter stieß grunzende Laute aus.
Offenbar hatte er sich vorgenommen, sie doch an Land zu schaffen, weil er es dort einfacher hatte. Er schleppte sie ab. Plötzlich fühlte er sich beim Arm gepackt. Er wandte den Kopf, sah nichts, bemerkte dann aber doch den grauen Schatten unter sich im Wasser. Er stöhnte entsetzt auf. Zuerst dachte er an einen Kraken, der sich angepirscht hatte und Beute zu schlagen versuchte. Dann erkannte er, daß sein Gegner ein Mensch war. Ein Mann. Der Seewolf. Der Schlächter warf noch einen Blick über die Schulter zurück. Er sah das Beiboot der ›Isabella VIII.‹ auf den kleinen Wellen schaukeln. Dieses Zurückschauen, dieses Verharren war sein Fehler. Hasard drehte ihm von unten her den Arm um, und der Schlächter heulte auf. Er hatte einfach nicht damit gerechnet, überrascht zu werden. Zudem hatte das unbändige Verlangen seinen Geist richtig umnebelt. Er reagierte viel zu spät. Er mußte Siri-Tong loslassen. Sie tauchte weg, schob sich wieder hoch und schwamm auf das Ufer zu. Ihr Atem ging japsend. Sie fühlte sich elend und angewidert und hatte bloß noch den Wunsch, Boden unter die Füße zu kriegen. Hasard schlug dem Schlächter in die Magengrube, dann tauchte er neben ihm hoch und verpaßte ihm einen regelrechten Jagdhieb hinters Ohr. Der Kerl strampelte nur noch schwach mit den Beinen. Er war benommen. Er schlug zwar nach Hasard, aber seinen Hieben fehlte die Kraft. Der Seewolf nutzte diesen Moment aus, um den Burschen an Land zu zerren. Er drehte ihn auf den Rücken, legte ihm einfach die Hand unters Kinn und schleppte ihn an. Der Schlächter schluckte dabei Wasser und ging fast unter, aber das scherte Hasard einen Dreck. Hasard war stocksauer auf diesen Gorilla und auf Siri-Tong. Kaum im flachen Uferwasser angelangt, rappelte sich der Schlächter wieder auf. Er würgte, spuckte Wasser aus, und nach jedem Schwall Naß folgte ein Fluch.
»Du Hund du Bastard dir breche ich die Knochen ...« »Versuch’s doch mal«, sagte Hasard. In seinen blauen Augen blitzte es, es tanzten tausend Teufel darin. Wer ihn kannte wie die Männer seiner Crew, wußte, was das zu bedeuten hatte. In Hasard war so etwas wie eine Barriere gefallen. Er ging rücksichtslos vor. Der Schlächter rückte taumelnd an. Zwei, drei Schläge schoß er auf Hasard ab, dann konterte dieser. Er zog sämtliche Register, und ein wahrer Hagel von Hieben deckte den Schlächter ein. Der kam nicht mehr zur Gegenwehr. Er bezog die Tracht Prügel seines Lebens. Feurige Räder rotierten und tanzten vor seinen Augen, es dröhnte in seinem Schädel, als bewegten sich riesige Bronzeglocken darin, dann deckte ein schwarzer Schleier alles zu. Hasard blickte auf den bewußtlos zusammengebrochenen Mann. »Narr«, sagte er. Er bückte sich, zog ihn aus dem Flachwasser auf den Strand und ging zu Siri-Tong. Sie gab sich keine Mühe, ihre Blößen zu bedecken. Sie lächelte ihn an und traf Anstalten, ihm um den Hals zu fallen. »Danke, Hasard«, sagte sie. »Wenn du nicht gewesen wärst ...« Er holte aus und gab ihr eine Ohrfeige. Sie taumelte rückwärts, stolperte und landete auf ihrem entzückenden Po. Grenzenlos verdattert schaute sie zu dem Seewolf auf. Sie war fassungslos, aber dann, nach ein paar Sekunden, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Diesmal war es nicht die Wut, die ihre Gefühle zum Ausbruch brachte. Diesmal war es die Enttäuschung. »Was ist eigentlich in Sie gefahren?« fauchte er sie an. »Können Sie sich nicht denken, daß diese Horde von Wölfen verrückt auf sie ist? Meine Männer wissen auch schon nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Und dann rudern Sie los und nehmen ein Nacktbad. Das war eine offene Herausforderung!
Letztlich haben Sie sich selbst zuzuschreiben, was hier fast passiert wäre.« »Ich wußte nicht, daß ich beobachtet wurde«, gab sie mit erstickter Stimme zurück. »Es ist eine abgelegene Bucht. Ich dachte ...« »Ich dachte«, wiederholte er. »Manchmal habe ich den Eindruck, in Ihrem verdammt hübschen Kopf steckt doch weniger, als ich geglaubt habe. Ziehen Sie sich jetzt endlich was an, verdammt!« Sie erhob sich. Sie hatte sich wieder einigermaßen gefangen und erwiderte: »Meine Sachen schwimmen im Wasser. Bis auf die Stiefel. Soll ich die Stiefel überstreifen?« Er fixierte sie scharf, und ihr Blick wurde flackernd. »Reißen Sie auch noch Witze, Madame«, sagte er. »Los, gehen Sie zum Boot. Ich schwimme inzwischen noch mal raus und fische ihre Bluse und die Hose auf. Sie werden sich eben das nasse Zeug anlegen müssen. Das ist besser als gar nichts.« »Sie sind ja so gemein.« »Ich denke bloß daran, wie es ist, wenn die ganze Horde über Sie herfällt und Sie vergewaltigt.« »Jetzt übertreiben Sie. Maßlos. Sie Zyniker!« »So abwegig ist das nicht.« »Hasard«, versetzte sie leise. »Kann eine Frau wie ich Sie denn überhaupt nicht reizen? Was haben Sie eigentlich gegen mich?« »Nichts«, erwiderte er. »Das wissen Sie ganz genau. Aber Ihnen ist auch bekannt, daß ich daheim in England Frau und Kinder habe, nicht wahr?« »Hasard - deine Gwen würde es niemals erfahren, wenn zwischen uns beiden etwas geschehen würde. Jetzt. Hier.« Sie brachte erneut ein Lächeln zustande. Der Seewolf blieb unbeirrt. Er war kein Kostverächter, nein, das war er ganz gewiß nicht. Aber er empfand doch nicht die innere Beteiligung, die man brauchte, um so zu handeln, wie
Siri-Tong es sich ausmalte. Deshalb sagte er nur barsch: »Ich schätze, Sie wollen noch eine Ohrfeige haben.« Da platzte es aus ihr heraus: »O, du elender Dickschädel! Du mit deinen Prinzipien, deiner Treue du du kaltschnäuziger englischer Bastard, wer hat dich bloß auf die Menschheit losgelassen?« Ihre Worte prallten wirkungslos an ihm ab. Er nahm sie einfach bei der Hand, zog sie mit sich über Strand und Felsen bis zum Boot und verfrachtete sie auf eine der Duchten. Er holte ihren Degen, den er auf einem platten Felsen entdeckte. Danach tauchte er noch einmal mit einem Kopfsprung in die Fluten. Er sammelte ihre weiße Bluse und die Hose ein, kehrte an Bord zurück und bedeutete ihr, sich die Sachen überzustreifen. Siri-Tong tat es widerstrebend. Unter den klitschnassen Kleidern zeichneten sich ihre Formen überdeutlich ab, es war, als trüge sie eine zweite Haut. Hasard löste die Leine, setzte sich hin und begann zu pullen. Er saß ihr gegenüber, sie hatte die Heckducht des Bootes eingenommen. Er stellte fest, daß sie in ihrem derzeitigen Zustand eine fast noch größere Herausforderung als vorher war. Er kam sich nun doch lächerlich vor. Wie ein Mönch, der dem ehernen Schwur des Zölibats unterworfen war und um keinen Preis der Welt sündigen durfte. Warum mußte bloß alles so kompliziert sein? Ihm fiel ein, daß in dem Beiboot der ›Isabella‹ vorn im Bug ein Stück Segeltuch verstaut lag. Er hielt auf das Boot zu und ging längsseits. Mit einem raschen Griff fischte er den harten, sperrigen Stoff unter der Vorderducht hervor und warf ihn der Roten Korsarin zu. »Ziehen Sie sich das auch über, Madame.« Sie gehorchte schmollend. Sie war jetzt nicht mehr aufgebracht über seine Hartnäckigkeit, sie war nur noch pikiert.
Hasard verband beide Boote durch eine Leine. Er pullte zum Strand und hatte das Beiboot der ›Isabella‹ im Schlepp. Er ließ sich ins Flachwasser gleiten, lief auf den Sand und hievte sich den immer noch bewußtlosen Schlächter auf die Schulter. Als er ihn in das Boot der ›Isabella‹ sinken ließ, schwankte es bedrohlich. Hasard stieg wieder zu Siri-Tong und pullte aus der Bucht heraus. Es war kein leichtes Stück Arbeit wegen der doppelten Last, und er hatte auch Mühe, beide Gefährte sicher durch die gefährlich schmale Ausfahrt zu dirigieren. Es gelang jedoch ohne bemerkenswerte Zwischenfälle. Nur die Steuerbordwand des Bootes im Schlepp scheuerte ein Stück an den Felsen entlang, nahm aber keinen Schaden. Etwas später, auf offener See, betätigte Hasard die Riemen in kräftigen Zügen und dabei doch so langsam, daß es sanft und mühelos wirkte. Fast unausgesetzt sah er Siri-Tong dabei an. Sie wich seinem Blick nicht aus, sie begegnete ihm mit Stolz. »Einen Bastard haben Sie mich genannt«, sagte er schließlich. »Damit haben Sie nicht ganz unrecht, wissen Sie das? Ich bin einer, der nicht genau weiß, wohin er gehört - in Spanien geboren als Sohn eines Malteserritters aus dem Norden Europas und einer adligen Spanierin, in England aufgewachsen unter der Fuchtel eines verfluchten Schlitzohres namens John Killigrew. Kein Spanier, kein Engländer, kein Deutscher. Die Spanier hassen mich, die Engländer hetzten mich auch, obwohl ich ihnen Schätze von ungeheurem Wert überbracht habe. Nirgendwo fühle ich mich richtig zu Hause. O, ich sage das nicht aus Selbstmitleid. Ich mache Ihnen nur klar, daß Sie den Nagel auf den Kopf getroffen haben, Madame. Was wollen Sie also von einem verdammten Bastard wie mir erwarten?« Sie senkte den Blick. »So war das nicht gemeint.« »Bleiben wir lieber gute Freunde, Korsarin.« »Daß wir Feinde werden, möchte ich auf gar keinen Fall«, entgegnete sie.
Obwohl die Sonne mit Macht vom Himmel brannte, mußte sie plötzlich niesen. Das lag an den nassen Kleidungsstücken, die ihr am Körper klebten. Hasard sah sie an. Siri-Tong erweckte jetzt einen bekümmerten und hilflosen Eindruck. Es war nichts Geschauspielertes daran. Das mußte man ihr lassen: Sie war in allen ihren Äußerungen grundehrlich. In diesem Augenblick war sie nicht die gefürchtete Rote Korsarin, sie war nur noch ein kleines Mädchen mit einem Anflug von Schnupfen und einem schlechten Gewissen. Sie tat ihm beinahe ein wenig leid. * Dan O’Flynns Ruf erscholl aus dem Großmars der ›Isabella‹. Die beiden Boote waren in der Passage und glitten auf die Segler zu. Im Nu hatten sich beide Crews auf den Hauptdecks versammelt und hielten neugierig Ausschau nach den Booten. Ferris Tucker war mittlerweile auch drüben auf dem Zweimaster von Siri-Tong. Er enterte sofort mit Big Old Shane, Matt, Smoky und Blacky in das zweite Beiboot der ›Isabella‹ ab, das am Zweimaster vertäut lag. Sie legten ab, pullten auf den Seewolf und die Rote Korsarin zu und waren ihnen behilflich. Der Schlächter, immer noch im Reich der Träume, wurde sofort an Deck des ZweimastSeglers befördert. Alle drei Boote schwojten schließlich an den Leinen, die sie mit Siri-Tongs Schiff verbanden. Hasard und die Rote Korsarin waren mit Shane und den anderen auf geentert. Hasards Miene war verschlossen. Weder die Piraten noch seine Männer stellten Fragen. Drüben auf der ›Isabella‹ stierte sich der junge O’Flynn fast die Augen aus den Höhlen, und er lehnte sich dabei so weit über die Verkleidung des Hauptmarses, daß er nach unten zu stürzen drohte. Arwenack war neben ihm.
Er guckte ergötzlicherweise durch das Spektiv, während Dan auch so sah, was sich abspielte. Ben Brighton und alle anderen an Bord der Galeone Verbliebenen standen am Schanzkleid. Sie hielten die Hände aufgestützt und beobachteten schweigend. Carberry fluchte nicht. Auch Old O’Flynn, der nun endlich sein neues Holzbein hatte, ließ keine seiner Bemerkungen fallen. Kurz: Jeder hielt die Luft an, weil sich der dramatische Gipfelpunkt der Ereignisse erst noch anbahnte. Der Schlächter lag auf der Kuhl des Zweimasters. Seine Kumpane umstanden ihn - Juan, Sidi Mansur, Don Ravella, Muddi, Bill und die anderen. Siri-Tong hatte nichts Eiligeres zu tun, als im Achterkastell zu verschwinden. Sie hatte sich das Stück Segeltuch um die Schultern zusammengerafft. Aber es war nicht lang genug, um ihre Beine zu verdecken. Alle konnten die straffen Schenkel und Waden sehen, die von der pitschnassen Hose umschlossen wurden. Siri-Tong tauchte in der Luke an der Backbordseite des Achterkastells unter. Die Dunkelheit des Innenraumes verschluckte ihre Gestalt. Shane, der ihr fasziniert nachgeblickt hatte, ließ einen Seufzer vernehmen. »Mann o Mann, mal wieder so ein Paar Antilopenbeine streicheln.« »Noch einmal die Hand auf so einen Hintern legen, bevor ich krepiere!« sagte Matt Davies. Blacky hatte den gleichen verklärten Blick wie die anderen. »So ein paar niedliche Möpse kitzeln und so einen Kirschmund küssen dürfen«, schwärmte er. »Da war noch was«, sagte Bob Grey. »Du hast was vergessen, das Allerwichtigste ...« »Hört auf«, sagte Hasard leise. Es klang gefährlich leise. »Die Sache ist ernst, da könnt ihr keine blöden Witze reißen.« »Was ist eigentlich passiert?« wollte Shane wissen.
Der Seewolf sah ihn an. Ihre Blicke verfingen sich ineinander, und da waren zwei granitharte, durch unauslöschliche Erinnerungen zusammen geschmiedete Männer, die sich auch ohne Worte verstanden. »Shane«, sagte Hasard. »Wie sieht es eigentlich mit den Arbeiten aus? Was steht ihr hier herum wie die Ölgötzen?« »Das Leck im Frachtraum ist abgedichtet ...« »Und der Rest?« Der Seewolf wies auf eine splittrige Bresche, die eine Kanonenkugel in das Schanzkleid des Zweimasters gerissen hatte, und deutete auf die kopf großen Löcher in Decksplanken und Aufbauten. Er schaute zur Takelung hoch und registrierte, daß auch die sich nach wie vor in einem erbarmungswürdigen Zustand befand. »Da fällt gleich alles runter«, sagte er. »Wir können doch nicht hexen«, protestierte Big Old Shane. Hölle und Teufel, was wollte dieser Teufelsbraten von einem Kapitän eigentlich von ihm? Eben hatte er ihn noch begriffen. Es lag ja auf der Hand, was der kecken Roten Korsarin da widerfahren sein mußte. Aber jetzt? »Shane«, sagte Hasard leise. »Willst du dich mit mir herumstreiten? Hast du Lust zum Meutern?« Shane riß sich zusammen. »Nein, Sir.« »Dann macht weiter, ihr Halunken. Und nehmt die Figuren da mit.« Er wies auf die Piraten. »Zimmert, hobelt, streicht, nagelt, klart auf, aber laßt hier bloß keinen Schlendrian einreißen.« »Aye, aye, Sir«, sagte Shane. Jetzt ging ihm endlich ein Licht auf. Was geschehen war, war geschehen, aber der Seewolf wollte ablenken und auf diese Weise Siri-Tong helfen, ihr Gesicht zu wahren. Doch dazu war es zu spät. Bill, der Bogenschütze unter den Piraten, sagte gerade in diesem Augenblick: »Da fragt ihr noch? Hölle, euch fehlt
wirklich der Grips in den Gehirnkästen.« Er sprach seine Kumpane an. »Seht euch doch das nackte, haarige Schwein an, seht, wie Siri-Tong verwirrt ist. Der Schlächter, dieser Hund, hat sie vergewaltigt. Dann ist der Seewolf hinzugekommen und hat ihn niedergeschlagen.« Die Piraten begannen zu grinsen, zu kichern und zu tuscheln. Bill tickte den Schlächter zwar mit der Fußspitze an, aber das war keine offene Mißbilligung. Nein, sie bewunderten ihn noch. Sie lachten und rissen ihre Zoten darüber, wie sich das Ganze wohl abgespielt haben mochte. „Bill, Juan, Boston-Mann, Don Ravella!“ Die Stimme tönte gellend über Deck und brachte sie schlagartig zum Verstummen. In der Luke des Achterkastells war wieder die Rote Korsarin aufgetaucht. Sie trug volle Montur und hatte sich auch wieder den Degen und das Wehrgehänge umgebunden. Totenstille brach über die Szene herein. Siri-Tong schritt katzengleich auf ihre Crew zu. Sie zückte den Degen nicht, er schien wie durch Zauber in ihre Hand zu fliegen. Die Spitze richtete sie auf Bills Hals. »Wiederhole es.« »Ich ich weiß nicht, was du meinst«, sagte er. Siri-Tong drückte etwas zu. Die nadelspitze Klinge ritzte Bills Hals. Ein Blutstropfen quoll aus der kleinen Wunde hervor, suchte sich seinen Weg, perlte an der Kehle herab und verschwand im Hemdausschnitt. »Ich warte«, sagte sie schneidend. Bills Augen hatten sich geweitet. Er hielt die Hände geballt und kämpfte mit sich. Dann stieß er aber doch hervor: »Der Schlächter, dieser Hund ...« »Weiter!« »Er hat Sie vergewaltigt, Madame, und dann ...« »Seewolf!« rief Siri-Tong. »Ist das die Wahrheit?« Hasard schüttelte den Kopf. »Der Schlächter fiel über eure
Anführerin her, Männer, aber es blieb bei dem reinen Versuch. Ich traf rechtzeitig ein.« »Würden Sie das beschwören, Seewolf?« bohrte die Korsarin weiter. »Jederzeit.« »Bill«, sagte Siri-Tong drohend. »Noch eine solche Unterstellung, und ich lasse dich die Neunschwänzige spüren. Dreißigmal.« »Ja, Madame.« Sie trat zurück und ließ den Degen etwas sinken. Plötzlich lachte sie verächtlich auf. »Aber ihr findet es großartig, was der Schlächter da unternommen hat. Nachmachen würdet ihr es ihm, nicht wahr, ihr Scheißkerle?« »Niemals, Madame«, wandte Juan ein. Sie funkelte ihn an. »Schweig doch, du Heuchler. Ich kenne euch. Ihr seid Bestien, keine Männer mit einem Gefühl für Anstand und Respekt. Ihr braucht eine harte Hand, die euch regiert, sonst werdet ihr frech und fallt aus dem Rahmen.« Sie blickte wild um sich. »Aber damit ihr endgültig begreift, wie ihr unter meinem Kommando zu parieren habt, werde ich ein Exempel statuieren. Muddi!« »Madame?« »Hol Wasser. Beeil dich, dalli, dalli, oder soll ich dir erst Beine machen?« Muddi flitzte über Deck. Die Schnelligkeit, mit der er einen Holzkübel Wasser angeschleppt brachte, war bereits ein Beweis für Unterwürfigkeit und Folgsamkeit. Aber Siri-Tong wußte, daß das nicht ausreichte. Nicht alle würden kuschen wie Muddi, wenn sie nicht mit erbarmungsloser Härte durchgriff. Hasard beobachtete sie und begriff, was in ihr vorging. Und er war mit ihr einer Meinung: Stellte sie jetzt nicht ihre Position als Kapitän kompromißlos heraus, würden ihr die wüsten Kerle bald auf die Füße treten und meutern. »Kippe ihm das Wasser über den Schädel«, befahl Siri-Tong.
Muddi entleerte den Holzkübel über dem Schlächter. Das Naß tat seine Wirkung. Der Gorilla stöhnte, schüttelte sich und erhob sich langsam aus der Pfütze, die sich unter seinem Leib gebildet hatte. »Gebt ihm einen Degen«, sagte Siri-Tong kalt. Bill zog seine Waffe und warf sie dem Schlächter zu. Der fing sie in einer instinktiven Geste auf. Sein Blick irrte über Deck. Die Männer wichen vor ihm und Siri-Tong zurück. Auch Hasard, Shane und die anderen von der ›Isabella‹ wußten, daß sie hier nur Zuschauer sein durften. Sie lehnten sich mit den Rücken gegen das Schanzkleid.
4. Siri-Tong vergeudete keine Zeit. Sie tänzelte auf den Schlächter zu und streckte den Waffenarm aus. Die Degenspitze pendelte vor der Brust des Riesen. Er grunzte erbost, riß ebenfalls die Waffe hoch und wehrte ab. Es war eine wilde Bewegung. Siri-Tong verharrte, zog den Degen hoch und lächelte grausam. Der Schlächter hieb zu. Surrend glitt sein Degen durch die Luft. Seine Absicht war, Siri-Tongs Waffe zu zertrümmern. Es lag auch genug Kraft in der Parade, aber die Rote Korsarin reagierte blitzschnell und rückte zur Seite. Der Schlächter geriet durch den Schwung seiner Bewegung fast aus dem Gleichgewicht. Er stolperte einen Schritt nach vorn, fluchte und unternahm einen nächsten Ausfall auf die Frau. »Dich schneide ich in Stücke«, drohte er. »Vieh«, gab sie zurück. »Ich zeige dir, was es heißt, SiriTong zu nahe zutreten.« »Gib auf«, brüllte er. »Gegen mich kommst du nicht an.« »Und doch hat dich Hasards Zimmermann besiegt«, erwiderte
sie höhnisch. Der Schlächter geriet in Wut. Er benutzte den Degen wie eine Axt damit konnte er schließlich am besten umgehen. Derb hackte er mal von links, mal von rechts quer nach unten durch die Luft, in dem Bestreben, Siri-Tongs Kopf oder Schultern zu treffen. Sie wich vor ihm zurück. Er wertete das als Schwäche. Diese Entwicklung verlieh ihm inneren Auftrieb. Er stapfte ihr nach und trieb sie an der Kuhlgräting vorbei zum Niedergang des Achterkastells. Die Rote Korsarin steppte die Holzstufen rückwärts hoch, war bald an der Schmuckbalustrade vorbei und ließ sich bis an den Kolderstock zurückdrängen. Gespieltes Entsetzen zeichnete jetzt ihre Miene. Der Schlächter befand sich in einem fast rauschartigen Zustand. »Du«, stieß er aus. »Steck auf. Ich laß dich leben. Du gehörst mir. Auch das Schiff ist jetzt mein. Kapitän bin ich.« »Und ich wäre demnach deine Geliebte, nicht wahr?« erwiderte sie. »Ja ...« »Narr! Bastard! Tier!« Siri-Tongs Gesichtsausdruck veränderte sich wieder. Plötzlich waren ihre Züge wie aus Stein gemeißelt, alles Weiche, Sinnliche war von ihr abgefallen. Sie hob den Degen und hieb von unten gegen die Waffe ihres Gegners. Es klirrte. Der Schlächter schrak unwillkürlich zusammen. Siri-Tong zeigte wieder ihr grausames Lächeln, dann schnitt sie in einer blitzschnellen Bewegung mit der Klinge ein Kreuz in die Luft. Das Sirren war die Melodie, die des Schlächters Untergang einleitete. Rasant und unversehens erfolgte ihr Ausfall. Sie krümmte das rechte Bein, streckte das linke lang, federte nach vorn und stach nach dem Leib des wuchtigen Mannes. Der Schlächter
quittierte es mit einem entsetzten Grunzen. Er blockte ab und versuchte, eine Verteidigung aufzubauen. Aber Siri-Tong war jetzt ein Wirbelwind. Sie um tanzte ihn, ließ ihm keine Chance. Der Schlächter war rauhe Kampfsitten gewohnt, aber keine Finessen wie diese. Und hier bewies sich wieder, worin ihre Überlegenheit über den Haufen Piraten bestand. Sie glänzte durch brillante Einfälle, geistige Überlegenheit und unglaubliche Schnelligkeit. Wenn der Schlächter nach den Seiten hieb, war die Korsarin hinter ihm, fuhr er herum und suchte sie in seinem Rücken, war sie bereits wieder auf einem anderen Platz. Sie hatte ihn zum Narren gehalten, als sie die Unterlegene gespielt hatte. Jetzt hielt sie ihn noch für eine Weile hin aber dann unternahm sie die entscheidenden Paraden. Der Schlächter schrie auf. Siri-Tongs Degen hatte seine Schulter getroffen. Er rückte torkelnd gegen sie vor, aber sie brachte sich mit Leichtigkeit vor seiner Abwehr in Sicherheit. Seine Degenhiebe waren plump. In ihren Finten und Paraden lagen Eleganz und Harmonie. Siri-Tong bereitete dem Hin und Her ein Ende, indem sie ihn auflaufen ließ und ihm den Degen bis über die Hälfte der Klinge in die Brust trieb. Sie tauchte unter seiner Waffe und seinen rudernden Armen weg, lief zur Seite und stand plötzlich an der Schmuckbalustrade des Achterdecks. Von hier aus sah sie zu, wie er zusammenbrach. Der Schlächter sank auf die Knie. Sein Oberkörper schwankte vor und zurück. Anklagend blickte er zu der Roten Korsarin. Sie antwortete mit einer Geste grenzenloser Verachtung. Der Mann öffnete den Mund es sah aus, als ob er noch etwas sagen wollte. Es war eine groteske, gespenstische Szene. Zum Schluß kippte er vornüber und trieb sich die Klinge bis zum Heft ins Herz. »Packt ihn!« rief Siri-Tong. »Werft ihn über Bord!«
Juan, Muddi, Bill und ein vierter Mann stiegen auf das Acherdeck und hoben den Toten von den Planken auf. Bill zog ihm mit einem Ruck den Degen aus der Herzwunde. Während sie den Schlächter an Armen und Beinen hielten, händigte Bill seiner Herrin die Waffe aus. Sie wischte den Degen an einem Tuch ab und steckte ihn zurück in die Scheide. Sie stand erhobenen Hauptes, der Wind griff nach ihren langen schwarzen Haaren und stellte sie in Strähnen auf. Dies war ihr Augenblick, ihr Triumph, die Zurschaustellung ihrer unumschränkten Macht an Bord des Schiffes mit den blutroten Lateinersegeln. Schweigend wohnten der Seewolf und seine Männer der nun folgenden Szene bei. Stumm verharrten auch Siri-Tongs Kerle auf der Kuhl, als nun die vier den Leichnam zum Backbordschanzkleid der Kuhl beförderten und außenbords warfen. Keine Bestattung, wie sie einem Seemann gebührte kein Segeltuchkleid für die letzte Reise des Schlächters, kein Gebet, nicht einmal ein knapper Gruß seiner Kumpane. Mit einem Klatscher tauchte sein Körper in den Fluten unter, schwappte wieder hoch und wurde von dem ablaufenden Wasser der Passage entgegengetragen. Der Ebbstrom schleuste ihn hindurch, der Schlächter trieb auf die See hinaus und entzog sich den Blicken der stillen Beobachter. Siri-Tongs Stimme erklang wieder. »So geht es jedem, der mich beleidigt und sich gegen mich auflehnt«, verkündete sie von ihrem Platz auf dem Achterkastell. »Ihr Kanaillen, laßt es euch ein Beispiel sein.« Es war erstaunlich, fast ergreifend anzusehen, wie die elf Piraten sie von unten her anschauten. Ehrfurcht und Bewunderung lagen nun wieder in ihren Blicken, aber auch eine gehörige Portion Angst. »Es lebe die Rote Korsarin!« rief Juan, und die Piratencrew wiederholte es brüllend.
Siri-Tong lächelte. Sie wies auf Hasard und sagte nun ihrerseits: »Es lebe der Seewolf!« Shane räusperte sich, dann brach es grollend aus ihm hervor: »Ein dreifaches Hurra für den Seewolf! Ein dreifaches Hurra für Siri-Tong!« Das Grölen, Pfeifen und Jubeln ertönte nun von beiden Schiffen. Deutlich mischte sich von seiten der auf der ›Isabella‹ stehenden Männer auch ein »Arwenack, Arwenack« darunter. Es war ihr Schlachtruf, aber er konnte auch zu einem schrägen Lobgesang werden, ganz nach Erfordernis. Hasard stand gelassen am Schanzkleid des Zweimasters. Er hielt Siri-Tong das Gesicht zugewandt und lächelte ein wenig. Damit sprach er ihr seine Anerkennung aus. Ein Mann hatte sterben müssen, aber es war nicht schade um ihn. Das Fazit lautete: Der Frieden war wiederhergestellt. Und nur das war wichtig. * Die Lust am Liebesabenteuer war beiden Crews gründlich vergangen. Da beäugte keiner mehr lüstern die Rote Korsarin, da schlich ihr keiner mehr nach, da wurden kaum noch anzügliche Bemerkungen fallengelassen. Und Siri-Tong nahm natürlich auch keine Nacktbäder mehr. Davon und von abgelegenen, romantischen Buchten hatte sie vorläufig die Nase voll. Die Tage vergingen mit den Ausbesserungsarbeiten an den Schiffen, Landgängen zur näheren Erkundung der Insel, baden, schlafen, fischen. Nach einer Woche waren die Galeone und der Zweimaster wieder völlig intakt. Die Mannschaften hatten sich von den Strapazen erholt, es befanden sich genügend Proviant und Trinkwasser an Bord. Hasard suchte mit Ben Brighton, Ferris Tucker und Edwin Carberry die Rote Korsarin auf.
Sie lud sie in ihre Kapitänskammer ein. Es war ein ruhiger Abend. Die Bleiglasfenster der Heckgalerie standen offen, laue Luft wehte aus der Bucht herein, ein paar Mücken umtanzten das Öllicht, das Siri-Tong entzündete. Die Männer setzten sich, und Hasard sagte: »Siri-Tong, wir brauchen wieder Beschäftigung. Alle Arbeiten sind erledigt, und die Männer schieben Müßiggang. Das ist schlecht. Es bringt sie erfahrungsgemäß auf dumme Gedanken.« Die Rote Korsarin schenkte ihnen Rotwein in silbrig glänzende Kelche, teilte sie aus und nahm dann auch Platz. »Ja. Mit anderen Worten, keiner hat Lust, hier zu vergammeln.« Carberry grinste. »Mir juckt’s schon wieder in den Fingern, Madame. Ich hätte nicht übel Laune, mal wieder ein paar Dons die Haut in Streifen vom, äh, Allerwertesten zu ziehen.« Siri-Tong lachte silberhell. »Wie ich Sie kenne, haben Sie bereits wieder einen Plan entwickelt, Hasard.« »Allerdings.« »Sie übertrumpfen mich. In allem.« Hasard ging nicht darauf ein. Er hatte sich geschworen, nicht einmal auf kompromittierende oder schmeichelnde Äußerungen zu reagieren. Siri-Tong wollte gern wieder einen Annäherungsversuch unternehmen. Sie strich wie die Katze um den heißen Brei. Hasard blieb stur. »Beide Schiffe verlassen die Schlangeninsel zu einem neuen Raid«, sagte er. »Ich will dorthin, wo die Geleitzüge nach Spanien zusammengestellt werden. Nach Havanna auf Kuba.« Ferris rieb sich die Hände. »Jawohl, und da werden wir den Dons mal wieder kräftig eins überbraten. Ich glaube, die haben verlernt, was es heißt mit uns zu fechten.« »Eure Tollkühnheit in Ehren«, erwiderte Siri-Tong. »Aber ich bin da skeptisch. Havanna ist bestens abgesichert. Viele Piraten von Tortuga haben versucht, sich an die Schatzgaleonen heranzupirschen, aber keinem ist es gelungen, einen entscheidenden Schlag zu landen. Ich bin auch einmal
herangesegelt, habe jedoch feststellen müssen, daß Havanna ein paar Nummern zu groß für mich ist. Man kann sich da gehörig die Finger verbrennen. Ich bin lieber wieder umgekehrt, bevor mich die Spanier bemerkten. Ja, ich gebe offen zu: Ich habe gekniffen.« »Das ist keine Schande«, sagte Ben Brighton. »Aber wir haben zwei Schiffe. Die ›Isabella‹ ist bestens bestückt, und im Verband sind wir stärker.« »Das ist es nicht ...« »Moment«, sagte Hasard. »Wir reden um den Kernpunkt des Problems herum. Wie überlisten wir die Spanier? Ich stelle mir die Sache ganz anders vor als ihr. Es wäre eine Riesendummheit, den Feind offen anzugreifen.« »Wir schleichen uns bei Nacht einfach in den Hafen«, entgegnete der Profos. »Es wäre ja schließlich nicht das erste Mal, daß wir die Philipps auf diese Weise überraschen. Denkt mal an Panama zurück ...« »Wissen wir«, sagte Ferris. »Aber unterbrich den Seewolf nicht.« »In Havanna wird die Hafeneinfahrt durch eine dicke Eisenkette verhängt«, fuhr Hasard fort. »Ich habe deswegen und auch aus anderen Gründen Bedenken, es auf diese Art zu versuchen. Meine Strategie lautet diesmal: Wir gehen nicht wie üblich von außen an die Geleitzüge heran, sondern von innen.« »Was, wie?« sagte Carberry. »Wie ist das zu verstehen?« »Wenn du mich ausreden läßt, steigst du gleich dahinter.« »Aye, aye, Sir.« »Ben und ich, wir begeben uns nach Kuba. Wir gehen irgendwo an Land, marschieren nach Havanna und hören uns in den Hafenkneipen um, welcher Geleitzug als nächster ausläuft. Wir werden noch Sam Roskill mitnehmen, der beherrscht die spanische Sprache auch vorzüglich.« »Da würde ich auch gern mit von der Partie sein«, erklärte Carberry.
Ferris grinste. »Du mit deinem Kauderwelsch. Hasard hat uns allen ja mühsam Spanisch beigebogen, aber wenn die Dons dich radebrechen hören, fliegt der Schwindel sofort auf.« »Weißt du, was du mich kannst?« grollte Carberry. Der rothaarige Riese hob die Hand. »Halt, vergiß nicht, daß wir uns in der Gesellschaft einer Lady befinden.« Der Profos kratzte sich am Rammkinn, blickte zu Siri-Tong und sagte: »Oh, verdammt, Madame, da wäre mir fast was rausgerutscht. Bitte um Entschuldigung.« »Weiter im Text«, sagte Hasard. »Wir müssen versuchen, uns auf dem Flaggschiff des betreffenden Geleitzuges anheuern zu lassen. Haben wir das geschafft, ist der Rest kein Problem mehr. Wir nehmen den Generalkapitän als Geisel, sobald der Konvoi Havanna verläßt. Wir vereinbaren ein Zeichen. Ferris, du übernimmst das Kommando auf der ›Isabella‹. Ihr wartet zusammen mit Siri-Tong draußen auf offener See, und wenn ihr das Zeichen seht, greift ihr mit ein.« »Dann gibt’s Senge«, sagte der Profos. »Seid doch endlich mal still«, brummte Ferris. »Kannst du deine verdammte Klappe nicht halten?« »Du Holzwurm«, zischte Carberry. »Wir sprechen uns noch. Ich werde dich schleifen, bis dir das ...« Er bremste sich diesmal rechtzeitig. Siri-Tong lächelte, aber es fiel doch etwas schief aus, weil sie sich an gewisse Ausdrücke der harten Männer zur See immer noch nicht gewöhnt hatte. Hasard blickte seinen Profos zurechtweisend an. »Streite dich nicht mit Ferris herum. Dich sticht wohl der Hafer, wie?« »Ja, Sir.« »Nun, du kriegst bald Gelegenheit, dich auszutoben. Zurück zur Sache jetzt und keine Zwischenreden mehr, verstanden? Wenn ich es mir recht überlege, wäre es gut, wenn wir auch noch Blacky mitnehmen würden. Mit seinen schwarzen Haaren geht er auf Kuba ebenfalls glatt als waschechter Spanier durch.
Wir drei Mann müssen das Flaggschiff besetzen, ich kann da weder dich, Ben, noch Sam entbehren, aber wir brauchen einen vierten Mann, der als Melder fungiert.« »Da blicke ich jetzt wieder nicht durch«, sagte der Profos. Er handelte sich erneut tadelnde Blicke ein, diesmal von allen Anwesenden. Siri-Tong konnte aber nicht ernst bleiben, als sie die belämmerte Miene des Profos sah. Sie kicherte hinter vorgehaltener Hand. Hasard sagte: »Blacky begleitet uns bis in die Höhle des Löwen. Wenn aber feststeht, daß wir auf dem Flaggschiff anheuern können, verschwindet er wieder und kehrt zu euch anderen zurück. Wie solltet ihr sonst erfahren, daß überhaupt etwas aus unserem Vorhaben wird? Will das in deinen dicken Schädel, Ed?« »Ja. Jawohl. Sir.« »Also weiter. Vom Flaggschiff aus geben wir das Zeichen, sobald sich der Capitan in unserer Gewalt befindet. Dann können die ›Isabella‹ und der Zweimaster heransegeln, die Beute übernehmen und das Flaggschiff ausschlachten und eventuell versenken. Die Besatzung und die Passagiere schicken wir natürlich in Booten an Land.« »Wie nachsichtig«, sagte Siri-Tong in einem Anflug von Ironie. »Sie kennen doch jetzt meine Prinzipien, oder?« fragte Hasard zurück. »Ja.« »Und daran gibt es nichts zu rütteln. Ich will kein Gemetzel.« »Aye, aye, Sir.« Siri-Tong schnitt eine Grimasse, aber sie begehrte nicht gegen diese Verhaltensmaßregel auf. Einer mußte das Oberkommando haben, und das war nun mal der Seewolf. Siri-Tong akzeptierte mehr und mehr seine Führerrolle in dieser Koexistenz. Er war der erste Mann in ihrem Leben, dem sie sich wirklich unterordnete. Hasard ließ den Blick über das Grüppchen schweifen.
Zuckender Lichtschein erhellte die Gesichter. Die Aura der Verschwörung ging von der Szene aus. »Es ist ein verwegener Plan«, sagte der Seewolf. »Sehr riskant, aber andererseits auch so frech, daß er einfach klappen muß. Ist es nicht so, Ed? Jetzt kannst du deine Meinung zum besten geben.« Carberry nickte eifrig. »Es ist ein Unternehmen nach meinem Geschmack. Je dreister, desto besser. Was die Dons nicht erwarten, wirft sie total aus dem Konzept. Wir fallen wie der Blitz über sie her und ...« »... und wenn bei euch doch etwas schiefgehen sollte, Hasard, sind wir in der Nähe, halten Fühlung und können jederzeit eingreifen«, meinte der besonnene, umsichtige Ferris Tucker. »Unterbrich mich bloß nicht noch mal«, sagte Carberry. »Und wenn ich’s tue?« »Dann zieh’ ich dir die Hammelbeine lang.« »Eher umgekehrt«, widersprach Ferris grinsend. »Vergiß nicht, daß ich das Kommando über unser Schiff übernehme, wenn Hasard nicht mehr an Bord ist.« »Hol’s der Teufel. Spiel dich bloß nicht auf.« »Ed«, warnte Hasard. »Dein undiszipliniertes Verhalten geht mir langsam auf die Nerven.« Mehr sagte er nicht. Wie ernst er es meinte, war in seinen glitzernden Augen zu lesen. Carberry zwang sich zum Schweigen. Was ihn so aus dem Häuschen brachte, wußten alle: SiriTong. In ihrer Nähe wollte jeder beweisen, was für ein verwegener Kerl er doch war. Hasard hatte allmählich die Nase voll. Die Rote Korsarin spürte es, sie bemühte sich um Sachlichkeit. »Sind Sie denn überhaupt sicher, daß die spanischen Kapitäne noch Männer für ihre Schiffe suchen, Hasard?« »Ja. Die Galeonen sind ständig unterbemannt, ein Handicap für alle Geleitzüge der Tierra-Ferma-Flotte. Es mangelt ganz gewaltig an ausgebildeten Seeleuten. Die Besatzungen
bestehen zu einem Teil aus Verbrechern, Abenteurern, Negersklaven, Indianern und anderen Leuten, die von Schiffen soviel verstehen wie unser Profos von den guten Manieren eines englischen Edelmanns.« Siri-Tong entblößte ihre makellosen Zähne zu einem Lächeln. »Eine fabelhafte Idee also. Sie scheinen in Havanna besser Bescheid zu wissen als ich, Hasard.« »Zu meiner Crew gehören ehemalige Karibik-Piraten. Und bei mir an Bord fuhren Jean Ribault und Karl von Hutten, die sich von allen am besten auf diesen Iseln auskennen. Sie haben mir manchen brauchbaren Tip gegeben. Und nicht zuletzt hatten wir sogar mal einen Spanier in unserer Mannschaft, der allerhand über die Gewohnheiten seiner Landsleute in der Neuen Welt zu berichten wußte.« »Valdez, der alte Haudegen«, sagte Carberry. »Was aus dem wohl geworden ist.« »Das Zeichen«, sagte die Rote Korsarin. »Wir müssen es noch vereinbaren.« »Viermal drei Lichtblitze«, erklärte der Seewolf. »Ich nehme stark an, daß wir unseren entscheidenden Schlag in der Dunkelheit landen werden.« Punktum und basta. Damit hatte er entschieden, was getan werden mußte, und Siri-Tong blieben zwei Möglichkeiten. Entweder willigte sie bedingungslos ein oder sie verzichtete auf die Kaperfahrt. Hasard musterte sie im Licht der Öllampe. Widerstreitende Gedanken schienen ihr sekundenlang durch den Kopf zu schießen. Dann erhob sie sich. »Gut. Einverstanden. Ich unterrichte meine Männer. Wann brechen wir auf?« »Im Morgengrauen«, sagte Hasard.
5.
Eine frische Brise füllte die Segel der ›Isabella VIII.‹ und des Zweimasters mit der blutroten Takelage, als beide Schiffe im milchiggrauen Morgenlicht ankerauf gingen und Vollzeug setzten. Hasard hatte rasch gelernt und verstand es nun, den richtigen Zeitpunkt für das Auslaufen zu bestimmen. Tatsächlich rauschten die Schiffe auf dem höchsten Stand des Tidenhubs durch die Passage, ohne die Unterwasserbarriere zu berühren. Sie glitten auf See hinaus, fielen im bald handig aus Osten einfallenden Wind ab und gingen mit prall gebauschten Segeln auf westlichen Kurs. Das Wetter blieb beständig, und innerhalb der folgenden Tage schoben sich die Schiffe mit gut sechs bis sieben Knoten Geschwindigkeit und einem Etmal von durchschnittlich 150 Seemeilen voran. Hasard hätte eine größere Tagesleistung erreichen können, aber damit hätte er Siri-Tong abgehängt. Sie hatte das kleinere, aber auch wendigere und schlankere Schiff, und eigentlich war sie damit den herkömmlichen Galeonen überlegen, ganz gleich, ob sie spanischen oder englischen Ursprungs waren. Der Zweimaster mit seinen Lateinersegeln an den langen Gaffelruten war ein ausgezeichneter Am-Wind-Segler. Dazu besaß er die größere Manövrierfähigkeit als die behäbigen Rahsegler. Aber Hasards Schiff war schneller, weil es nun einmal keine Galeone nach der konventionellen Bauweise war. Er hatte es in Plymouth gekauft beim besten Schiffbauer von ganz England. Das war keine Übertreibung. Die ›Isabella VIII.‹ war ihrer Zeit im Grunde weit voraus, nur hatte eben ein Wagemutiger wie er, Hasard, aufkreuzen müssen, um sich in das fortschrittliche Modell zu verlieben und es auszuprobieren. Er hatte das nicht bereut. Die ›Isabella VIII.‹ war nicht nur rein äußerlich schöner und ranker als ihre Vorgängerinnen. Man hätte einen Vortrag über ihre neuartige Konstruktion
halten können. Das fing beispielsweise bei der Form der Spanten an. Die unteren Krummhölzer, aus denen sie zusammengesetzt waren, waren nicht schwach gekrümmt, also flach wie bei den bisher gebauten Galeonen. Solche Segler nannte man im Sprachgebrauch der Fachleute völlige oder stumpfe Schiffe. Wenn die unteren Hölzer der Spanten jedoch stark gekrümmt waren wie bei der ›Isabella VIII.‹, so sprach man von scharfen Schiffen. Und sie war ein »scharfer Kahn«, wie die Crew festgestellt hatte. Von den Spanten, die über den Kiel eingeschnitten und durch Bolzen mit ihm verbunden waren, hing nicht nur die äußere Figur des Schiffskörpers ab. Die Form bestimmte auch die Eigenschaften: Schnellsegeln, Wenden, Steuern, Seehalten, Laden und anderes mehr. All diese Dinge waren bei der neuen ›Isabella‹ perfektioniert worden. Zudem verfügte sie über ein flaches Vorder- und Achterkastell. Die Masten waren überhoch und boten daher viel Segelfläche. Statt des üblichen Kolderstockes hatte sie ein richtiges Ruderrad, und dieses wurde von einem Ruderhaus überdeckt, das noch Ferris Tucker auf der Werft in Plymouth gezimmert hatte. So waren Pete Ballie oder wer ihn als Rudergänger ablöste nicht ständig überkommenden Seen ausgesetzt. Von den drei Masten trug nur der achtere, Besan- oder Kreuzmast genannt, ein Lateinersegel. Die übrige Takelung bestand aus Rahsegeln. Die Größe bewegte sich um die 250 Tonnen, und die Armierung war ausgezeichnet. Je acht 17-Pfünder, also Culverinen, standen an Back- und Steuerbordseite in ihren Brooktauen festgezurrt. Vorn und achtern hatte die ›Isabella‹ je zwei Drehbassen zum schnellen Feuern. Diese Hinterlader hatten sich bei vielen Gefechten bewährt, und Hasard und die Crew hatten selbstverständlich nicht darauf verzichten wollen. Etwas Besonderes waren die Culverinen. Sie trugen überlange Rohre, wodurch eine größere Reichweite und Treffsicherheit erlangt wurde.
Das Schiff hatte drei Frachträume, wovon zwei unter der Kuhl und dem Hauptdeck lagen. Der dritte befand sich unter dem Vordeck, vor den Mannschaftsräumen, war aber nur sehr klein. Sonst war sie geräumig, die stolze ›Isabella‹, sie hatte ausreichend Kammern für den Kapitän und seine Mannschaft und sogar eine Messe im Achterkastell. Und die Hauptsache: Sie war ihr Eigentum, denn sie hatten sie keinem spanischen Kapitän unter den Beinen weggekapert, sondern mit ihrem Beuteanteil rechtmäßig erstanden. Eigentlich konnte es ihnen egal sein, ob sie ein Prisenschiff oder einen gekauften Kahn fuhren und doch, es schwang jetzt immer eine ganz besondere Art von Stolz in ihren Stimmen, wenn sie von ›Ihrer Isabella‹ sprachen. Big Old Shane trat am dritten Tag nach ihrem Auslaufen aus der Bucht der Schlangeninsel auf das Achterdeck und hielt zufrieden lächelnd die Nase in den Morgenwind. Er sah Hasard stehen, schritt auf ihn zu und stellte sich vor ihn hin. »Seewölfe, das sind wir doch, oder?« »Mensch, Shane«, erwiderte Hasard lachend. »Sind dir daran heute nacht etwa Zweifel gekommen?« »Denk bloß nicht, der Schmied von Arwenack wird zickig«, polterte Shane los. »Aber mir ist da was eingefallen. Nenne es ein geflügeltes Wort, wenn du willst.« »Donnerschlag, Shane ...« »Wölfe im Schafspelz«, sagte der riesige, graubärtige Mann. »Die werdet ihr Ben, Sam, Blacky und du, wenn ihr euch unter die Spanier mischt, oder? Ich finde, das ist ein treffender Vergleich.« Er hieb Hasard auf die Schulter, daß es krachte. »Nun sag doch was, ist das nicht gut? Hat’s dir etwa die Sprache verschlagen?« Hasard boxte ihm mit voller Wucht in den Bauch, wie er es früher getan hatte, auf Arwenack. Und wieder war da Widerstand, so hart wie eine Eisenplatte. »Himmel«, stieß Hasard aus. »Das ist es also! Und ich dachte
schon, das vertrackte Leben an Bord hätte deinem Grips geschadet. Wölfe im Schafspelz, das ist wirklich großartig!« Sie brüllten beide vor Vergnügen und bogen sich dabei. Die Männer auf Oberdeck blickten verdutzt zu ihnen auf. Dan O’Flynn und Arwenack lugten aus dem Großmars und zeigten nicht weniger verblüffte Mienen, und sogar der Kutscher vergaß seine Kübel, Töpfe und sein Kombüsenfeuer und spähte aus dem Schott des Vordecks hervor. Shane stieg kopfschüttelnd den Niedergang zur Kuhl hinunter. Er lachte immer noch, und ihm standen dabei sogar Tränen in den Augen. »Wölfe im Schafspelz - hol’s der Henker.« Er wollte sich ausschütten. Old Donegal Daniel O’Flynn trat ihm in den Weg. Er hielt die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen und linste Shane mißtrauisch an. »Du Bär«, sagte er. »Wie kann man in deinem Alter noch so närrisch und bescheuert sein?« Shane verhielt, erwiderte den Blick und zog langsam die Augenbrauen hoch. Dann brach es wieder aus ihm hervor. Er schlug sich auf die Knie, prustete und ließ von neuem sein grollendes Gelächter vernehmen. Old O’Flynn war drauf und dran, sein neues Holzbein abzuschnallen und es Shane schmecken zu lassen. * Mitte März ankerten die beiden Schiffe in einer versteckten Bucht der Insel Kuba nicht weit von Havanna entfernt. Batuti und Stenmark pullten im Beiboot der ›Isabella‹ mit ihrem Kapitän Ben Brighton, Sam Roskill und Blacky bis zum Ufer, setzten sie ab und kehrten zur Galeone zurück. Alles Erforderliche war besprochen worden. Ferris als jetziger Kapitän der ›Isabella‹ und die Rote Korsarin wußten, was sie zu tun hatten. Hasard winkte den Crews noch einmal zu, bevor sie im Unterholz verschwanden. Die Männer grüßten
zurück. Siri-Tong stand auf dem Achterdeck ihres kleinen Schiffes. Sie erwiderte die Geste ebenfalls Der Seewolf glaubte, Sehnsucht und ein wenig Traurigkeit in ihrer Miene zu lesen. Er wandte sich ab, bahnte sich einen Weg durch das Dickicht und führte seinen kleinen Trupp ins Landesinnere, Bald stieg der Untergrund an und sie fanden sich inmitten sanft geschwungener Hänge wieder. Die Vegetation war üppig, es roch nach würzigen Kräutern und hin und wieder auch nach Mimosen, Mangroven und dem Harz der Pinien. Sie stießen auf Tiere, die nur träge die Flucht vor ihnen ergriffen. Einmal war ihnen ein Vierbeiner fast zum Greifen nahe. Blacky zückte die Pistole und wollte darauf anlegen. Das Tier hatte lange, dünne Beine, einen Stummelschwanz, große Augen und eine schwarze Nase und ähnelte im großen und ganzen einem Reh. Hasard drückte mit der Hand auf Blackys Waffenarm. »Laß das. Ich kann ja verstehen, daß du Lust zum Jagen kriegst, aber wir dürfen um keinen Preis auffallen. Jemand könnte den Schuß hören.« Das Tier hetzte in langen Sprüngen davon. »Teufel, was war denn das?« wollte Blacky wissen. »Eine Antilopenart«, erklärte Sam Roskill. »Die gibt es auf dieser Insel viel. Sie sollen auch weiter nördlich auf dem großen Kontinent leben, hab ich gehört.« »Sind sie schmackhaft?« fragte Blacky. »Sehr.« »Darauf kommt es an.« Hasard marschierte weiter. Er war plötzlich tief in seltsame Gedanken verstrickt. Was Sam da hatte anklingen lassen ja, auch er hatte vernommen, daß die Neue Welt sich nicht auf das Gebiet beschränkte, das sie bisher kennengelernt und ergründet hatten. Im Norden führte das Land noch hoch hinauf, wahrscheinlich bis dorthin, wo das ganze Jahr über Eis und
Schnee das Überleben zum Kampf machten. Jenes Land wartete noch auf ihn. Er hatte sich geschworen, auch dorthin noch vorzustoßen und vielleicht würden auch die Seewölfe zu wahren Entdeckern werden und die Spanier in dieser Beziehung übertrumpfen. Die versteckte Bucht, in der die ›Isabella‹ und der Zweimaster der Roten Korsarin ankerten, lag schätzungsweise zehn Meilen östlich von Havanna an der Nordküste der Insel. Als Hasard und seine drei Begleiter etwa zwei Stunden strammen Marsches hinter sich hatten, sahen sie die Stadt von der Kuppe eines Hügels aus unter sich liegen.
6. Havanna. Deutlich vermochten die vier die Umrisse der säuberlich zueinandergeordneten Häuser zu erkennen, obwohl die Schatten der Abenddämmerung sich bereits über Land und See senkten. Da war auch die Festung El Moro am Hafeneingang, der auf einem Felsen errichtete Turm und die Eisenkette, die um diese Stunde bereits die Zufahrt verhängte. Draußen auf der Reede ankerten Schiffe. Viele Schiffe. Dickbäuchige spanische Galeonen mit Mastwerk, das gegen den spiegelnden Hintergrund der Wasserfläche von hier oben aus wie etwas Skeletthaftes anmutete. »Fast drei Dutzend«, sagte Ben Brighton nach raschem Zählen. »Hier sind wir richtig«, meinte Blacky. »Wartet doch die Zeit ab.« Der Seewolf nahm das Bild in sich auf, sann nach und wartete, bis die ersten Lichter in der Stadt aufflackerten. Dann setzte er sich wieder in Marsch. Er strebte den ebenmäßig abfallenden Hang hinab. Seine Männer waren neben ihm.
»Ich war noch nie in Havanna«, sagte der Seewolf zu Sam Roskill. »Du?« »Einmal, aber nur kurz. Ich sollte für eine der Silbergaleonen gepreßt werden, aber ich konnte den verfluchten Hunden entgehen. Später wurde ich dann Mitglied in der Teufelscrew des Arabers, und wir kehrten eigentlich nicht mehr hierher zurück. Der Araber hatte auch davon gehört, daß die Dons die Stadt schärfer bewachen und wollte sich keinen überbraten lassen.« »Dieser Narr«, sagte Ben Brighton. »Er hat dann ja doch sein gerechtes Ende gefunden, genau wie Mac Dundee, das Einohr.« Sie sprachen von dem Tag, an dem Hasard die KaribikPiraten in seine Mannschaft aufgenommen hatte. Er hatte es nicht bereut, von Ausnahmen wie Gordon Watts und Patrick O’Driscoll abgesehen. Sie lebten nicht mehr. Der Rest der einstigen Piraten war froh, einen Kapitän wie Hasard gefunden zu haben. Mit der Stammcrew hatten sie sich so eng verbündet, als wären sie schon immer gemeinsam gefahren. Nur Jean Ribault, Karl von Hutten, die beiden Dänen und die beiden Holländer fehlten. Hasard hätte sie gern bei dem bevorstehenden Unternehmen dabeigehabt. Gerade jetzt erinnerte er sich daran, wie brillant Jean Ribault in Panama aufgetreten war, damals ... Hasard kehrte aus seinen Phantasiebildern in die Wirklichkeit zurück. Die ersten Häuser von Havanna lagen vor ihnen. Geräusche drangen jetzt an ihre Ohren. Es herrschte Betrieb im Herzen der Stadt, Männer grölten irgendwo, ein Mädchenkreischen wehte herüber, Gitarren und andere Saiteninstrumente klimperten. »Bevor die Konvois auslaufen, ist hier der Teufel los«, erläuterte Sam grinsend. »In der Beziehung ist Havanna ein Paradies, das kann ich euch versichern - mehr als jede andere Stadt, die die Philipps in der Neuen Welt gegründet haben. Wer
aus Portobello oder Vera Cruz hier herüberkommt, kann sich wirklich beglückwünschen.« Hasard nickte. »Die Anlegehäfen der Spanier sind im allgemeinen wirklich ziemlich ungastlich, aber hier werden die Seeleute mit Luxus und Laster empfangen. Jedenfalls habe ich immer wieder vernommen auch von Karl und Jean, daß Havanna alle Annehmlichkeiten der Zivilisation bietet, die man auch in Spanien findet. Oder in England. Hafenhuren lassen sich in jedem Land auftreiben, und zwar von jeder Güteklasse.« »Hier erwartet uns die Spitzenklasse«, sagte Sam. »Wie in Vigo?« Blacky war sofort Feuer und Flamme. »Wie in Vigo.« »Wenn das der Profos wüßte«, sagte Blacky. »Der hat den Edelpuff doch damals aufgespürt, wie es sich für einen anständigen Profos gehört.« »Carberry zerplatzt vor Neid, wenn wir ihm das erzählen«, sagte Sam. »Wenn ihr ihm was erzählt?« forschte der Seewolf. Blacky verzog den Mund. »Schön, wir wissen ja, daß wir in besonderer Mission hier sind. Aber wir sind doch keine Eunuchen, Hasard. Die gibt’s nur in Algier. Erst keine SiriTong, dann keine Ladys vom feinen Gewerbe wo soll denn das noch enden?« »Hör auf«, erwiderte Hasard. »Ihr kriegt schon noch Landgang. Aber alles zu seiner Zeit. Du weißt ganz genau, was passieren kann, wenn einer von uns nur Weiberröcken nachguckt und darüber die Hauptsache vergißt. So was kann manchmal verdammt gefährlich sein und tödlich.« »Ja«, murrte Blacky. »Ich denke daran.« Sie verstummten, denn das Leben der Stadt nahm sie gefangen. Im Nu wurden sie von dem Treiben aufgenommen und geschluckt. Es war eine andere Dimension, in die sie sich begaben. Wer wochen- und monatelang auf Schiffsplanken und
felsigen Inseln verweilte, mußte in dieser Umgebung zunächst irritiert sein. Viele Menschen bevölkerten die Gassen und Straßen. In der Randzone unterhielten sich Frauen von Fenster zu Fenster, lehnten Männer in den Türen ihrer Häuser oder hockten auf den Schwellen, um zu diskutieren, zu spielen oder einfach nur interessiert zu beobachten. Quirlige Kinder tollten über die Pflastersteine der Gassen. Sie lachten und benahmen sich völlig unbefangen. Mädchen sah man in dieser Gegend weniger. Die tauchten erst im Hafenviertel auf, und sie waren allesamt von der Kategorie, die nicht von eifersüchtigen Männern strengstens überwacht wurde. Hasard und seine drei Männer erreichten eine Straße, die die pulsierende Hauptader des Viertels zu sein schien. Hier war der Trubel am größten. Die Straße war regelrecht vollgestopft mit Menschenleibern. Gesichter der verschiedensten Hautschattierungen tauchten vor den Seewölfen auf. Neugierige, aber nicht feindselige Blicke streiften die Ankömmlinge, und rasch hatten sie sich völlig integriert. Ein Mischling bot ihnen Rum in kleinen Tonkrügen an, andere Händler wollten mit ihnen um Edelsteine, Tabak, Gewürze und andere Objekte feilschen. Sam Roskill kaufte nur einen Krug Rum, das war alles. Und er bezahlte mit spanischem Geld. Sie hatten alles, was sie irgendwie als Engländer verraten konnte, an Bord der ›Isabella‹ zurückgelassen. Hasard wußte aus Erfahrung, daß es schwierig sein würde, sie zu entlarven. Da bestand im Grunde nur eine konstante Gefahr: daß ihnen nämlich jemand über den Weg lief, der sie schon einmal irgendwo gesehen hatte. Aber der Seewolf hoffte inständig, nicht ausgerechnet auf einen der Spanier zu treffen, die sie hier in der Neuen Welt bereits getäuscht, geprellt oder verprügelt hatten. Ein bärtiger Spanier schritt plötzlich neben Blacky her. Er
setzte ein schmieriges Grinsen auf, zupfte Blacky am Hemdsärmel und stieß ihn mit dem Ellbogen an. »Was willst du?« sagte Blacky. »Ich kaufe nichts. Dein Plunder interessiert mich nicht.« Der Spanier kicherte. »Ich habe besondere Ware - Frauen, nett, fett, zu günstigen Preisen. Verbringe eine Nacht mit ihnen, und du wirst ihre Dienste zu schätzen wissen. Lade auch deine Freunde ein. Ihr werdet es nicht bereuen.« »Fett, hast du gesagt?« Blacky schoß einen drohenden Blick auf ihn ab. »Hau ab. Speck kann ich nicht leiden.« Er wimmelte den aufdringlichen Burschen tatsächlich ab, und sie steuerten unbehelligt weiter durch das Gewimmel. Die Musik, die das einsetzende Nachtleben begleitete, wurde lauter. Hasard und seine Männer sahen eine Gruppe von weiß gekleideten Männern, die vor einer Schenke auf verschieden großen Gitarren und Vihuelas spielten. Einige traktierten ihre Instrumente mit Eisenplättchen, einer Art Ringe, die man sich über die vorderen Fingerglieder schieben konnte. Ein Mitglied der kleinen Kapelle war ein Indianer. Er zupfte auf einer jener simplen Harfen, wie man sie in vielen Gegenden des neu entdeckten Kontinents finden konnte. Es war eine rhythmische, entfesselte Musik. Hasard fragte sich unwillkürlich, was wohl passieren würde, wenn eine solche Gruppe in den Salons der eitlen englischen Adligen und Hofschranzen auftreten würde. Manche piekfeine Lady würde da vor Schreck in Ohnmacht fallen oder vor Begeisterung über die »wilden Kerle« durchdrehen. Die arroganten Edelmänner würden die Nasen rümpfen. Nein, er hatte keine gute Meinung mehr von der feinen englischen Gesellschaft. Dazu hatte sie ihm zu arg mitgespielt. Sie hatten ihm zuzusetzen vermocht, bis er ihnen verbittert den Rücken gekehrt hatte. Zur Zeit fühlte er sich in Umgebungen wie dieser wirklich wohler als dort, wo er seinen immensen Schatz abgeliefert
hatte und dann mit Füßen getreten worden war - am Hofe der Königin von England. Havanna - Lärm und Laster, Spiel und hitzige Duelle, die auf offener Straße ausgetragen wurden. Die vier Seewölfe wurden Zeugen einer Messerstecherei. Eine Menschentraube umhüllte die beiden Gegner, und niemand traf Anstalten, die Zankhähne zu trennen. Man ging bis zur letzten Konsequenz, so verlangte es der Ehrenkodex. Wegen einer Nichtigkeit konnte ein Mann sterben. Betrunkene torkelten vorüber, lagen vor den Hausmauern oder in düsteren Eingängen. An den meisten Hausecken, unter Torbögen und in Nebengassen hatten die Mädchen Aufstellung genommen. Scheinbar teilnahmslos lehnten sie da. Sie trugen bunte, oft aufwendige Kleider. Ihre Gesichter waren stark geschminkt. Die Männer, mit denen sie handelseinig wurden, begleiteten sie in meist sündhaft luxuriöse Gemächer, wie Hasard gehört hatte. Dort empfing den Besucher bereits der andere Hauch, den diese Stadt vermittelte. Beispiellose Verschwendungssucht herrschte in den Palästen und den Häusern der spanischen Edlen. Der Gouverneur und andere Würdenträger wetteiferten im Veranstalten prunkvoller Empfänge und Gelage, mit denen sie die eintreffenden Seeleute willkommen hießen. In Luxusgemächern mit kostbaren Wandteppichen und verschnörkeltem Mobiliar wurden Orgien gefeiert. Es war die erstaunlichste Stadt auf diesem Kontinent - eine Art Bindeglied zwischen der Alten und der Neuen Welt. Hasard hatte entdeckt, was er suchte: eine große Hafenkneipe mit einer Steintreppe, die drei, vier Stufen weit in den Kellerraum führte. Er drehte sich zu den Freunden um. Sam und Ben waren hinter ihm, nur Blacky fehlte. Ben sagte nichts, er wies nur grinsend mit dem Daumen über die Schultern zurück. Hasard blickte in die Richtung und entdeckte Blacky. Der stand in der Öffnung einer Seitengasse
und sprach auf eine Schwarzhaarige mit großem Brustausschnitt ein. Sie antwortete lächelnd und unterstrich das Gesagte durch Gesten, die keine Andersdeutungen zuließen. Hasard drängte sich an Sam und Ben vorbei und schritt zu Blacky. Was ihnen da aus dem Ausschnitt der Schönen entgegenlachte, konnte einem wirklich den Atem rauben. Aber, wie gesagt, dies war nicht der Zeitpunkt zum Süßholzraspeln. Blacky bemerkte den Seewolf erst, als dieser ihm die Hand auf die Schulter legte. »Hasard, ich äh, du mußt schon entschuldigen. Sie hat mich angesprochen. Da gebietet es doch die Höflichkeit, etwas zu erwidern, oder?« Er sagte das natürlich auf spanisch und lächelte abwechselnd seinem Kapitän und dem Mädchen zu. »Ja«, erwiderte Hasard gedehnt. »Aber jetzt haben wir was anderes vor.« Er sagte das in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Blacky schob sich betreten zur Seite. Die Senorita vom ältesten Gewerbe der Welt funkelte Hasard aus dunklen Augen an. »Hombre, willst du mich beleidigen?« »Natürlich nicht, Juanita.« »Ich heiße Ilaria.« »Also schön, Ilaria du gefällst mir auch, sehr sogar.« Hasard lächelte breit. »Aber im Augenblick haben wir Wichtiges zu erledigen, verstehst du? Wir sprechen uns später wieder.« Sie war immer noch verstimmt. »Was gibt es Wichtigeres als das, was Ilaria dir zeigen will?« »Geschäfte«, erwiderte Hasard mit gedämpfter Stimme. »Es geht um Edelsteine, die der Wirt der Kneipe dort uns verkaufen will.« »Jorge?« »Ja, Jorge.« »Gut.« Sie lächelte jetzt auch wieder. Geschäfte das galt. Wenn ein spanischer Mann zu handeln, zu feilschen und über
Gott und die Welt zu diskutieren hatte, mußte auch die Liebe warten. Ilaria trat einen Schritt näher auf Hasard zu und raunte: »Ich warte auf dich, mein großer Stier. Du sagst mir mehr zu als der andere Bursche dort. Du scheinst Qualitäten zu haben.« Hasard warf ihr einen Handkuß zu, dann machte er auf dem Stiefelabsatz kehrt. Er führte Blacky, Ben und Sam jetzt geradewegs in die Kellerkneipe. * Die Luft in dem großen Raum war rauchgeschwängert. Der Brauch der Indianer, den getrockneten Tabak in Pfeifen zu rauchen, hatte sich auch hier bereits durchgesetzt. Bei den Seewölfen allerdings nicht. Blacky hustete und wedelte mit der Hand. »Himmel, wie halten die Leute es in dieser Kaschemme bloß aus?« »Halt den Mund«, sagte Hasard. »Du mußt dich eben daran gewöhnen. Ich schätze, dieser Brauch wird eines Tages noch die gesamte Alte Welt begeistern.« Blacky sah ihn zweifelnd an. »Mann, Hasard. Was ist denn daran nun schön? Man pumpt sich die Lunge mit beißendem Rauch voll, und es wird einem kotzelend davon.« Sam Roskill grinste. »Wenn man es richtig macht, nicht.« Sie gingen an Tischen vorbei, an denen mit Karten und Würfeln gespielt wurde. Dunkelroter Wein glänzte in bauchigen Krügen, viele Zecher waren schon stark angetrunken. Ein Mann lag unter einem Tisch und schlief seinen Rausch aus. In einer Ecke hockte ein Vihuela-Spieler. Vor einigen waren die Vorhänge zugezogen, dahinter ertönten Getuschel und Gekicher. Hasard wußte, wie animierend diese ganze Stimmung auf seine Männer wirkte. Das war menschlich. Er wollte ihnen ihr Vergnügen auch nicht verwehren, ebensogut hätte er sich auf
ein Pulverfaß mit schwelender Lunte setzen können. Nur wollte er einige Dinge klarstellen, bevor er ihnen mehr oder weniger freie Bahn ließ. Er schritt bis an die Theke. Ben, Blacky und Sam nahmen neben ihm Aufstellung. Hinter dem abgewetzten Holztresen hantierten drei Männer, zwei junge und einer um die Mitte Vierzig. Sie hatten alle Hände voll zu tun, um die Gäste zu bedienen. Immer mehr Männer erschienen. Bald waren Theke und Tische bis auf den letzten Platz belagert. Dem älteren Mann hinterm Schanktisch fehlte nur noch die Perücke. Damit hätte er Nathaniel Plymson, dem durchtriebenen Wirt der »Bloody Mary« in Plymouth, ziemlich ähnlich gesehen. Er war beleibt und hatte ein Doppelkinn, das offenbar bald auch noch eine dritte Speckfalte bilden würde. Die rosigen Wangen seines Gesichts und die vergnügt blitzenden kleinen Augen ließen ihn als eine heitere Figur erscheinen. Er schien unerschütterlich zu sein in seinem Humor und seiner Duldsamkeit. Aber Hasard wußte, daß der Eindruck täuschte. Hinter der Fassade verbarg sich ein eiskalter, berechnender Charakter - die Härte eines abgebrühten Spelunkenwirts und Geschäftemachers, der sich mit den Fäusten Respekt verschaffte, falls es nötig war. Kein Zweifel, das war Jorge, der Besitzer. Hasard bestellte bei einem der jungen Männer Rotwein. Sie tranken aus klobigen Bechern. Dann, als der Schankwirt und seine Gehilfen dem größten Ansturm Herr geworden waren und ein wenig Ruhe in der Bedienungsarbeit eintrat, wandte sich Hasard an Jorge. »Ich habe eine Frage, Jorge.« Der Wirt kriegte schmale Augen. »Woher kennst du meinen Namen? Ich habe dich noch nie hier gesehen.« »Eine Taube namens Ilaria hat ihn mir ins Ohr geflüstert«, erwiderte Hasard grinsend.
Jetzt grinste Jorge auch. »Gute Ilaria - immer um ihre Mitmenschen bemüht. Was willst du? Juwelen, Goldschmuck, Silber, Gewürze, Tabak, besonders guten Wein aus meiner privaten Reserve oder eine hübsche, kundige Frau?« »Da hätte ich mich ja an Ilaria halten können.« »Ja«, sagte Jorge gedehnt. »Hättest du. Sie ist Sonderklasse, ich kann sie dir wärmstens empfehlen.« »Danke, im Moment suche ich was anderes.« »Was denn?« »Edelsteine, habe ich zu Ilaria gesagt.« Jorges Miene wurde listig. »Und was willst du wirklich?« »Meine drei Freunde und ich, wir brauchen Arbeit«, versetzte Hasard. »Wir sind ziemlich abgebrannt.« Er tat so, als wäre ihm das peinlich. Jorge rieb sich lachend den Bauch. »Por Dios, das ist köstlich! Deswegen hättest du doch nicht so lange um den heißen Brei herumreden zu brauchen.« Er stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tresen und schlug einen vertrauensvollen Ton an. »Also, ich selbst brauche keine Hilfskräfte mehr. Aber ich kenne ein paar andere Wirte, die noch jemanden als Bedienung oder als Küchenhilfe benötigen. Es sind Freunde von mir, ich kann euch ihnen empfehlen, wenn ihr nicht allzu viel auf dem Kerbholz habt. Woher kommt ihr denn?« »Wir haben lange in Port Royal auf Jamaica festgelegen«, log Hasard. »Dann ergab sich die Möglichkeit, mit einem Kauffahrer nach Kuba überzusetzen, aber dessen Mannschaft war auch schon vollzählig.« »Ihr seid Seeleute?« »Ja, und wir halten nicht nach Arbeit auf dem Land, sondern auf einem guten Schiff Ausschau.« »Da habt ihr gedacht, versuchen wir doch mal unser Glück in Havanna.« Jorge strahlte. »Hombre, ihr habt wirklich Schwein. Sag bloß, ihr habt noch keinen Blick auf die Reede geworfen?« »Wir sind eben erst angelangt aus dem Landesinneren, aus
Richtung Cienfuegos.« »Verstehe. Herrgott, hier liegen etwa dreißig Schiffe zum Auslaufen bereit. Sie werden einen Geleitzug bilden und nach Spanien fahren. Wäre das nichts für euch?« »Schon«, meinte Hasard. Er stellte sich jetzt dumm. »Mit wem müßten wir uns denn in Verbindung setzen, mit dem Generalkapitän des Konvois etwa?« „Mit Capitan Juan de Campos? Nein, nicht nötig. Ihr wartet am besten einfach hier bei mir. Ich gebe einen für euch aus.« Er winkte einem seiner Gehilfen zu, und der rückte mit dem Weinkrug an. Jorge musterte Blacky, Ben und Sam ungeniert von oben bis unten. »Stark genug seht ihr ja aus, nicht so abgezehrt und schwächlich wie manche dieser Vagabunden. Was könnt ihr denn?« »Alles«, erwiderte Hasard. »Mein Freund Benito und ich, wir sind als Rudergänger spezialisiert, und die anderen beiden dort Samuele und Moro waren zuletzt dem Besanmast zugeteilt.« »Interessant«, sagte Jorge. »Und du, wie heißt du?« »Alfredo.« Sie hatten es vorher natürlich abgesprochen, damit ihre falsche Identität als Spanier auch hieb und stichfest war. Vornamen genügten, nach Nachnamen und Herkunft würde kein Mensch weiter fragen, das war nicht üblich. Ben Brighton war also Benito, Sam Roskill hieß jetzt Samuele, und Blacky war Moro. »Hör mal, ich finde es merkwürdig, daß vier so fähige Burschen wie ihr ohne feste Betätigung seid«, sagte der dicke Wirt. Hasard lächelte schief. »Das ist eine verteufelte Geschichte. Also, wir sind in Port Royal mit unserem Schiff, Heimathafen Cadiz, eingelaufen, und dann haben wir uns eine Nacht um die Ohren geschlagen. Am Morgen erwachten wir zwar am weichen Busen von gewissen Weibsbildern, aber unser Dreimaster war weg. Der war nach Portobello weitergesegelt
und hatte auf uns gepfiffen. Als der Capitan uns Urlaub bis zum Wecken gewährt hatte, hatte er ausdrücklich erklärt, daß er keine Minute länger auf die Nachzügler waren würde.« »Und wir schoben erst nach dem Wecken wieder an und guckten blöd aus der Wäsche«, fügte Blacky-Moro hinzu. »So war das.« Jorge lachte schallend. »Wirklich großartig. Ihr seid mir vielleicht ein paar Himmelhunde!« »Sind wir wohl«, gab Hasard-Alfredo zurück und dachte dabei: Wölfe im Schafspelz, Amigo, Wölfe im Schafspelz! Der Wirt senkte die Stimme. »Ihr könnt tatsächlich hierbleiben und auf eure Chance warten. Im Vertrauen: Juan de Campos wird heute nacht seine Preßkommandos ausschicken, denn dem Konvoi fehlen mal wieder jede Menge Besatzungsmitglieder. Wenn ihr keinen Widerstand leistet, sondern freiwillig mitgeht, kann euch gar nichts passieren und euer Problem ist gelöst.« Hasard reichte ihm die Hand. »Dank für deine Hilfe, Jorge. Das müssen wir begießen.« Sie lachten, schlürften den schweren, süffigen Rotwein in sich hinein und tranken anschließend noch einige Gläser von Sam Roskills soeben erstandenem Rum. »Wann soll denn der Geleitzug auslauten?« fragte der Seewolf. »Übermorgen vormittag«, antwortete Jorge. »Und wie lange müssen wir uns hier die Beine in den Bauch stehen?« erkundigte sich Black. »Ich meine, wann können wir damit rechnen, daß das Preß ...« Jorge legte den Finger gegen die feuchten Lippen. Seine Augen irrten beunruhigt hin und her. »Still doch, außer euch und mir weiß keiner davon. Es gäbe einen Heidenaufstand, wenn die übrigen Zecher davon erfahren würden. Das sind allesamt Landratten, die im Gegensatz zu euch keine Lust haben, auf einem Schiff Seiner Königlichen Majestät, Philipps II. von Spanien, anzuheuern.« »Seiner Allerkatholischsten Majestät«, berichtigte Ben-Benito
grinsend. Der Teufel soll ihn holen, dachte er. »Ich schätze, daß wir mit der Überraschung so gegen Mitternacht rechnen können«, sagte Jorge. »Mierda«, gab Blacky-Moro zurück. »So eine Scheiße. Sag mal, wie heißt deine Kneipe eigentlich, Wirt? Ich habe draußen kein Schild und keine Aufschrift entdecken können.« »Vongola«, sagte Jorge. »Dreimal ist mir das Schild von Radaubrüdern und Besoffenen kaputtgeschlagen worden, einmal hat’s der Sturm zerschmettert. Danach habe ich keins mehr aufgehängt.« Blacky nickte schwerfällig. Er tat so, als habe er schon tüchtig einen sitzen. »Fein. Und hast du auch Zimmer in deiner Vongola?« »Oben«, raunte der Wirt in den Stimmenlärm der anderen Gäste. Man konnte ihn kaum verstehen. »Eine Treppe führt von der hinteren Raumecke ins erste Stockwerk hinauf.« »Ich seh sie«, brummte Blacky. »Was verlangst du für so ein Zimmer?« »Für eine Nacht?« »Für ein paar Stunden bis Mitternacht.« »Zwei Escudos«, sagte Jorge. »Ich habe noch zehn Escudos«, sagte Blacky. »Caballeros, ich gehe jetzt raus zu Ilaria und frage sie mal, ob sie für acht bereit wäre, uns beiden die Zeit zu vertreiben. Was haltet ihr davon?« »Das fragst du?« gab Sam-Samuele zurück. »Du brauchst wohl eine Amme, was?« »Ich hau dir eins auf die Schnauze«, sagte Blacky mit schwerer Zunge. Hasard mischte sich ein. »Nun schieb schon ab, Moro. Du hast noch das meiste Geld von uns allen in der Tasche. Zieh Ilaria an Land, solange sie noch frei ist, und zettele ja keinen Stunk an.« Blacky schob in Richtung Ausgang ab. Er gab sich redlich
Mühe, gelegentlich zu wanken, und machte seine Sache wirklich nicht schlecht. Wein und Rum hatten ihn augenscheinlich beschwipst, Ilaria wurde ihm den Rest geben. Von einem Mann wie diesem Schwarzhaarigen würde man nichts Unverhofftes zu erwarten haben dachte Jorge. Dies war eine wichtige Voraussetzung für Blackys künftige Aktionen. Denn Jorge, der die Geschicke seiner Gäste leitete und alle Fäden in der Hand zu halten schien, durfte ihn nicht weiter beachten. Blacky begab sich ins Freie. Er war wirklich froh, wieder frische Nachtluft atmen zu können. Nach wie vor leicht torkelnd bewegte er sich auf die Gassenmündung zu, in der er mit dem Mädchen gesprochen hatte. Sie stand noch da. Blacky war heilfroh. Er lächelte sie an. »Die Geschäfte sind abgewickelt. Ich habe freie Bahn, Querida, schönes Kind. Auf jeden Topf paßt ein Deckel, und ich schätze, wir sind füreinander wie geschaffen.« »Du übertreibst«, sagte sie. »Für fünf Ecudos beweise ich dir, was für einen Narren ich an dir gefressen habe.« »Zehn.« Blacky tat entrüstet. »Nun hör aber auf! Du willst doch wohl nicht etwa mit mir feilschen?« »Doch«, sagte sie amüsiert. »Zehn Escudos.« »Sechs.« »Neun.« Sie einigten sich tatsächlich auf acht. Blacky legte ihr den Arm um die Hüfte, dann sagte er: »Komm, ich führe dich in die Vongola. Jorge ist ein guter Freund von uns geworden, der bedient uns anständig.« Sie begaben sich in das Kellerlokal. Blacky ging frech auf Sam Roskill zu und nahm ihm den kleinen Tonkrug mit dem Rum weg. »Leih mir das Zeug, Amigo«, sagte er beschwingt. »Du wirst
es nicht bereuen.« Sam markierte den Wütenden, aber Hasard hielt ihn zurück. Blacky marschierte mit Ilaria in Richtung Treppe und sang ein fröhliches Lied. Das Mädchen warf noch einen Blick zurück auf den Seewolf. Sie zuckte bedauernd mit den Schultern, kicherte und wandte sich dann ab. »Und uns beißen die Hunde«, sagte Ben Brighton. »Was bleibt uns noch anderes übrig, als uns sinnlos zu besaufen?« »Ihr seid meine Gäste«, verkündete Jorge überschwenglich. »Und vielleicht kann ich Ilaria zu einem kleinen Freundschaftsdienst überreden, wenn sie mit eurem Schwarzen fertig ist. Wieviel Geld habt ihr denn noch?« »Schmeißen wir mal zusammen«, sagte Hasard. Sie legten ihre Escudos auf die Tonbank. Hasard zählte. Es waren fünfeinhalb Escudos. Jorge grinste. »Tja, das ist zwar ein bißchen wenig, aber ich regle das schon. Ihr sollt auch zu eurem Recht kommen.« »Du bist ein richtiger Freund«, sagte der Seewolf im Brustton der Überzeugung. »Amigos wie dich findet man nicht oft, ehrlich nicht.« Er steckte seine Münzen wieder ein, immer bemüht, nichts von den Waffen zu zeigen, die er wie die Freunde unter der Kleidung versteckt hielt. Die doppelläufige Radschloßpistole hatte er sich auf dem Rücken in den Gurt geschoben, und zwar unter dem bauschigen Hemd. Sein Messer klemmte am Bein. Es wurde von einem Rohlederriemen gehalten, den er um den Oberschenkel geknotet hatte. Jorge watschelte hinter seinem Tresen hervor. Er versorgte sie mit einem seiner dickbäuchigen Krüge, aus dem der Wein überschwappte, gab ihnen die Becher in die Hände und sorgte dafür, daß ein Ecktisch geräumt wurde. Die drei Seewölfe durften sich hier niederlassen. »Ich habe noch zu tun«, sagte Jorge. »Aber von Zeit zu Zeit besuche ich euch und stoße mit euch an.«
»Laß dich nicht stören«, sagte Hasard, »Du hast auch so schon genug für uns getan.« Jorge ging davon. Er suchte wieder seinen Platz hinter der Theke auf. Männer und jauchzende Mädchen bewegten sich zwischen der Theke und dem Tisch der Seewölfe auf und ab. Dennoch entging Hasard, Ben und Sam nicht, wie der Dicke nach einer Weile einen seiner Gehilfen fortschickte. »Dachte ich mir’s doch«, sagte Hasard leise. »Er läßt diesen Generalkapitän de Campos unterrichten, daß hier willfährige Beute wartet. Bestimmt kriegt er für jeden von uns ein Kopfgeld.« »Dieses verdammte alte Schwein«, stieß Sam voll Verachtung aus. Jorge, der Spelunkenwirt, stand dem hinterlistigen Plymson drüben im fernen England wirklich in nichts nach. Wie sich die Schlitzohrigen und Intriganten auf der Welt doch ähneln, dachte der Seewolf.
7. Sie erschienen um kurz nach Mitternacht. Hasard, Ben und Sam saßen um diese Zeit immer noch brav an ihrem Ecktisch. Blacky hielt sich nach wie vor oben bei Ilaria auf - aus dem Vorschlag, den Jorge im Hinblick auf das Mädchen unterbreitet hatte, würde sich nichts Konkretes mehr ergeben. Denn jetzt waren sie da, die Kerle von der spanischen Preßgang. Sie traten nacheinander ein, sechs große, robuste Männer, denen die Brutalität ihrer Aufgabe in den Mienen geschrieben stand. Der Mann an der Spitze hatte ein glattrasiertes, fast vierkantiges Gesicht. Hasard, der die Spanier inzwischen ziemlich gut nach ihrer Herkunft einstufen konnte, erkannte die typische Physiognomie des Basken. Der Baske war also der Anführer des Trupps.
Die Kneipe hatte sich jetzt um gut die Hälfte der Zecher geleert. Wer das Pech hatte, noch den zu Gästen zu zählen, wurde nun von den Männern des Generalkapitäns de Campos genau in Augenschein genommen. Natürlich nahmen sie nicht jeden. Wer zu alt oder zu schwach für die harte Arbeit an Bord eines Schiffes war, wurde nicht weiter beachtet. Anders die kräftigen Männer. Einen stockbetrunkenen Kleiderschrank von Burschen lasen die Ankömmlinge einfach vom Fußboden auf. Einen anderen, der noch wach war, schlugen sie kurzerhand nieder, als er Protest erhob. Drei Männer kümmerten sich um den Schlafenden und den Besinnungslosen. Sie schleppten ihn nach draußen. Danach kehrten sie zurück und holten sich zwei weitere Opfer. Die anderen drei unter der Führung des Basken rückten auf die Seewölfe los. Jorge war wie durch Magie hinter der Theke verschwunden, desgleichen seine beiden Gehilfen. Sie hatten ein Hinterzimmer aufgesucht, wie es die Spielregeln verlangten. Offiziell durfte nicht verlauten, was Jorge ihnen schon mitgeteilt hatte. Das wußte Hasard. Auch das gehörte zur Farce. Was der Wirt mit dem Generalkapitän aushandelte, war eine Sache, aber der Baske und seine Schergen brauchten davon nicht unbedingt etwas zu wissen. Unter anderen Bedingungen hätte Hasard den ganzen Schwindel und das schmutzige Geschäft des Spelunkenwirts natürlich auffliegen lassen aber sie wollten ja auf das Flaggschiff des Konvois. Er mimte den Betroffenen. »He! Was hat denn das zu bedeuten? Seid ihr die Stadtgarde? Warum tragt ihr keine Uniform?« »Du hast hier keine Fragen zu stellen«, sagte der Baske. »Aber wir haben nichts verbrochen ...« Ben sagte: »Ich glaube, die suchen Männer für ein Schiff.« »Stimmt«, meinte Hasard jetzt auch. »Die Sache sieht ganz
danach aus.« Der Baske fixierte ihn scharf und mißtrauisch. »Woher willst du denn das wissen, du Klugscheißer?« Sam Roskill lachte auf. »Madre de Dios, heilige Mutter Gottes, ihr wollt doch einer salzgewässerten Teerjacke nichts vorspinnen, oder? Mir ist klar, daß ihr ein Preßkommando seid.« »Das sind Seeleute«, sagte der Spanier neben dem Anführer. Der Baske grinste mit einem Mal. »Das nenne ich Glück. Wir brauchen noch fähige Männer. Diese hier könnten direkt auf das Flaggschiff verfrachtet werden, dann haben wir beim Capitan General einen Stein im Brett.« Seine Worte bewiesen: Er ahnte nichts von dem Handel zwischen Jorge und dem Generalkapitän. De Campos hatte ihn in die Kneipe geschickt, aber keine genauen Angaben über die Seewölfe verlauten lassen, dieser gerissene Hund! Für Blacky war das ein Vorteil. Der Baske wußte ja nicht, daß sie eigentlich zu viert waren - noch nicht. »Mitkommen«, sagte er jetzt. »Widerstand ist zwecklos. Wir prügeln euch windelweich, wenn ihr nicht vernünftig seid.« Hasard lachte. »Mann, selbstverständlich gehen wir freiwillig mit. Wir suchen ja ein Schiff, auf dem wir anheuern können. Ihr seid genau richtig. Gehen wir also?« Der Baske war verblüfft. Wahrscheinlich war es das erste Mal, daß ihm etwas Derartiges widerfuhr. Er sah einige Sekunden lang völlig verdattert aus, aber dann lachte er auch und schlug Hasard auf die Schulter. »Gut so, das lob ich mir. Draußen steht ein Karren mit einem Zweiergespann, auf den wir die anderen Männer geworfen haben. Ihr könnt mit auf den Bock steigen, wenn ihr wollt.« »Wir können auch zu Fuß gehen«, sagte der Seewolf. »Hinter dem Karren her mit euch.« »Wie ihr wollt.« Der Baske zeigte zwei schadhafte Zahnreihen. »Übrigens, ich heiße Oreste und bin der Erste auf
der ›Flor de Espana‹. Sie ist das Flaggschiff des Geleitzuges.« »Ich bin Alfrede, das sind Samuele und Benito«, erklärte Hasard bereitwillig. »Paco«, sagte Oreste zu seinem Nebenmann. »Du und Jose, ihr steigt die Treppe hinauf und sucht oben in den Zimmern nach Männern. Vielleicht erwischt ihr ja noch einen brauchbaren Kerl beim Schäferstündchen mit einer Hure.« »Das wäre ein Heidenspaß«, sagte Paco grinsend. Jose und er, beide regelrechte Bullen von Kerlen, eilten zur Treppe. Hasard, Ben und Sam begannen zu schwitzen. * Blacky war der Lärm unten im Schankraum nicht entgangen obwohl sie den Krug bis auf den letzten Tropfen geleert hatten. Aber es bedurfte schon einiger Schlucke Rum mehr, um Blacky aus den Stiefeln zu werfen und zum Einschlafen zu bringen. Er war vom Bett gerutscht, hatte seine Kleider zusammengerafft und war zur Tür geschlichen. Er hatte sie vorsichtig spaltbreit geöffnet und vernommen, was geredet worden war. »Komm doch«, sagte Ilaria. »Da zanken sich mal wieder betrunkene Kerle. Das passiert hier jeden Tag. Sollen die sich doch die Schädel einschlagen was kümmert es uns? Spielen wir weiter, mein Großer, oder soll das schon die letzte Runde gewesen sein?« Blacky hatte es auf einmal sehr eilig, in seine Sachen zu steigen. Er zog sich in Windeseile an. Er trat dabei gegen die Pistole, die ihm Will Thorne mit ein Paar Stichen im Beinkleid festgenäht hatte, und es war fast ein Wunder, daß sie sich nicht löste und zu Boden polterte. »He!« Ilaria, splitternackt, jung, schön vollbusig, richtete sich kerzengerade vom Lager auf. »Was hat das zu bedeuten?« Er ging zu ihr, beugte sich über sie und küßte sie noch einmal
innig. »Das ist ein Preßkommando. Die wollen mich schnappen. Wärst du damit einverstanden?« »Nein, mein Großer ...« Er zählte ihr die acht Escudos in die Hand, aber die zwei Münzen, die er Jorge schuldig war, behielt er. »Wir sehen uns wieder«, versprach er, »aber jetzt muß ich scheiden, Blume von Havanna.« »Du warst gut, Großer.« »Du bist der Stern meiner schlaflosen Nächte.« Blacky eilte zum Fenster, drückte es auf und glitt über die Bank ins Freie. Mit einem Satz landete er auf den Katzenköpfen der Gasse hinter der Spelunke. Es war kein großer Sprung, denn der Schankraum lag ja zur Hälfte im Keller, und die obere Etage des Gebäudes war im Grunde ein etwas erhöhtes Erdgeschoß. Keine Gefahr also, sich die Knochen zu brechen. Blacky lief los. Die Finsternis der Gasse verschluckte seine Gestalt. Trotz des feurigen Intermezzos mit Ilaria und des Alkohols hatte er noch unerschöpfliche Energien. Er würde laufen, nur noch laufen, bis er die ›Isabella‹ und den Zweimaster der Roten Korsarin in der versteckten Bucht erreicht haben würde. Oben im Zimmer flog die Tür auf und knallte gegen die Wand. Paco und Jose stürmten herein. Ilaria hatte gerade noch Zeit, die Bettdecke vor ihren Blößen zusammenzuraffen. »Wo steckt dein Freier?« rief Paco. »Was ist das für eine Art, hier einfach einzudringen, ihr Hurenböcke?« schrie Ilaria zurück. »Hat die Welt denn so was schon gesehen? Haut ab!« Paco trat vor sie hin. »Beantworte meine Frage.« »Gar nichts tue ich. Wer bist du? Der Sohn eines räudigen Hundes?« Paco riß ihr die Decke weg. Jose las die Münzen auf, bevor Ilaria sie an sich reißen konnte. Das Mädchen fluchte und
wollte die Männer kratzen, aber Paco hielt ihre Arme fest. Jose trat durch Zufall gegen den leeren Krug, er kollerte quer durch den Raum. Paco grinste. »Und du willst uns wohl noch erzählen, daß du allein gewesen bist, du Flittchen!« »Satan«, zischte sie. »Wo hat er sich verkrochen?« In diesem Augenblick ertönte auf dem Flur das Trappeln von Schritten. Jose drehte sich um und hetzte aus dem Raum. Draußen wurde geflucht, dann kehrte Jose mit einem zappelnden Mann am Schlafittchen zurück. »Der wollte gerade türmen«, sagte Jose. »Ist er das?« »Wer?« fragte Ilaria zurück. Paco beugte sich zu ihr, sein Gesicht war dicht vor dem ihren. »Ich warne dich, du Schlange. Stell dich nicht so begriffsstutzig an. Ist das dein Freier oder nicht?« »Nein!« schrie der Gefangene. »Ich war nebenan mit einem anderen Frauenzimmer beschäftigt. Laßt ihr mich jetzt frei?« Paco lachte rauh. »Das könnte dir so passen.« Er zückte plötzlich sein Messer und wandte sich von neuem schroff an Ilaria. »Zum letzten Mal sprich, oder ich kitzle dich mit der Klinge.« »Also gut«, entgegnete sie höhnisch. »Er ist abgehauen. Inzwischen hat er genügend Vorsprung. Versucht doch mal, ihn zu kriegen.« Wütend verließen die beiden mit ihrem Gefangenen den Raum. Sie schafften ihn nach unten. Als er plötzlich einen Ausbruch unternahm, stellte Paco ihm ein Bein. Jose schlug mit der Faust zu, traf den Nacken des Mannes und schickte ihn ins Reich der Träume. Paco und Jose berichteten ihrem Anführer. »Auf den, der getürmt ist, können wir verzichten«, erwiderte Oreste. »Erstens habe ich keine Lust, mir seinetwegen die ganze Nacht um die Ohren zu schlagen, und zweitens haben
wir auch so schon genug Leute.« Er blickte zu Hasard. »Was ist, Alfredo, gehen wir?« »Si, Senor«, erwiderte der Seewolf. Er grinste, schaute zu Ben-Benito und Sam-Samuele und sah sie ebenfalls feixen. Blacky hatte die Kurve gekratzt. Teil eins ihres Planes hatte prächtig funktioniert. * Der Holzkarren wurde von dem Zweiergespann müden Gäulen mit hängenden Köpfen an der Feste El Moro vorbei gezogen. Fast zwanzig total Betrunkene und bewußtlos Geschlagene waren auf der Ladefläche zusammengepfercht worden. Hinter dem Gefährt schritten Oreste, Paco, Jose und die anderen Männer des Preßkommandos. Insgesamt waren es mehr als ein Dutzend Spanier. Zwei andere kleine Gruppen, die andere Schenken des Hafenviertels durchstöbert hatten, waren nach dem Verlassen der Kneipe zu ihnen gestoßen. Hasard und seine beiden Gefährten schritten zwischen Oreste, Paco, Jose und einigen anderen Kerlen. Sie waren regelrecht eingekeilt. Dieser Baske war kein dummer Bursche, er rechnete immer noch mit einem Trick Hasards. Vielleicht, so dachte er, haben sich diese drei nur als »Freiwllige« deklariert, um in einem günstigen Moment das Weite zu suchen. Hasard, Ben und Sam räumten durch ihr Verhalten bald seine Zweifel aus. An einer langgestreckten Pier jenseits der Festung lagen Schaluppen vertäut. Die Seewölfe packten mit zu, als die Leinen gelöst werden mußten, und sie halfen, die Besinnungslosen mit an Bord zu schaffen. Schließlich betätigten sie sich als Schlagmänner und legten sich kräftig in die Riemen. Die Schaluppen, drei an der Zahl, lösten sich von der Pier und glitten auf die Reede hinaus. Die Konturen der dort ankernden
Galeonen waren schemenhafte Schattenrisse vor dem Dunkel der Nacht. Nur der Mond verbreitete fahles Licht, es setzte den Wellen silbrige Kronen auf. Auf den Schiffen brannten keine Laternen. Das hatte zwei Gründe. Man sparte gern Öl, und außerdem fingen die Holzschiffe leicht Feuer. Nur bei Nachtfahrt wurden die großen, verschnörkelten Eisenlaternen an den Hecks als Positionslichter angezündet. Zwei Schaluppen fächerten von dem kleinen, schweigsamen Verband ab und wandten sich den westwärts ankernden Schiffen zu. Die Schaluppe, in der die Seewölfe mitpullten, steuerte schnurstracks auf das Flaggschiff zu. Oreste, der Baske, ergriff jetzt wieder das Wort. »Das ist sie, die ›Flor de Espana‹. Gleich lernt ihr den Generalkapitän höchstpersönlich kennen. Macht mir bloß keine Schande.« »Bestimmt nicht«, erwiderte Hasard. »Du kannst dich auf uns verlassen. Es ist doch in unserem Interesse, einen anständigen Eindruck zu erwecken.« Er blickte zu Ben und Sam. Die hatten Mühe, ihr Lachen zurückzuhalten, denn sie begriffen ja, wie zweideutig das gemeint war. Hasard schaute kurz über die Schulter zurück zur ›Flor de Espana‹. Sie entpuppte sich als großer, dickbauchiger Dreimaster von der üblichen Bauart. Sie war eine Galeone wie beispielsweise die ›San Josefe‹, die Hasard gekapert und dann lange Zeit als ›Isabella V.‹ gefahren hatte. Nur hatte er das untrügliche Gefühl, daß diese »Blume von Spanien« hier bei weitem kein so prunkvoller Kasten wie damals die ›San Josefe‹ war. Er rümpfte schon jetzt die Nase. Er drehte sich wieder um und konzentrierte sich auf das Pullen. Im übrigen gab es da etwas, das seine Aufmerksamkeit viel mehr fesselte aus dieses Flaggschiff. Eisenbeschlagene Kisten! Sie lagerten gut verteilt unter den Duchten der Schaluppe und verliehen dem Gefährt entsprechenden Tiefgang. Und auf den
anderen beiden Schaluppen wurden wahrscheinlich ähnliche Behältnisse transportiert. Hasard warf Ben einen Seitenblick zu. Ben grinste flüchtig. Natürlich, er und Sam beäugten die Kisten ebenfalls. Eine einzige Frage beschäftigte den Geist der drei Männer was enthielten die Truhen? Die Antwort darauf schien auf der Hand zu liegen. Bitte schön, was nahmen die fetten Galeonen der Tierra-FermaFlotte denn in ihren Bäuchen auf, wenn sie in die Alte Welt zurücksegelten? Doch nicht nur Tabak, Gewürze oder Kürbisse! Und deswegen waren sie ja schließlich hier. Die Kisten übten also eine geradezu magische Anziehungskraft auf die Seewölfe aus. Die Schaluppe ging an der Steuerbordseite der Galeone längsseits. Oben am Schanzkleid war eine Jakobsleiter belegt worden, sie baumelte bereits herab. Die Schaluppe glitt fast bis zum Vorsteven, machte fest, und der Baske wahrschaute die Deckswache der Galeone. Mit den Vortoppwinden wurden die Kisten nach oben gehievt. Hasard, Ben und Sam packten wieder bereitwillig mit zu. Sie stellten fest, daß diese Kisten wirklich ein enormes Gewicht hatten. Sie zwinkerten sich zu. Es waren Schatztruhen, daran gab es keinen Zweifel mehr. Die bewußtlosen Männer, die in der Kneipe gepreßt worden waren, wurden ebenfalls einfach nach oben gehievt. Danach durften die Seewölfe mit den spanischen Seeleuten an der Jakobsleiter aufentern, und die Schaluppe wurde nach oben gezogen, in den Galgen auf Deck geschwenkt und schließlich in ihren Laschings festgezurrt. »Bringt die Kisten in den großen Laderaum«, ordnete Oreste an. Hasard, Ben, Sam, Paco, Jose und einige andere schleppten die kostbare Fracht nach achtern und hinunter in den
Laderaum. Der Weg führte durch die prunkvoll eingerichtete Kammer des Generalkapitäns. Oreste begleitete den Trupp und klopfte an, bevor sie die Tür zur Kammer öffnen durften. Generalkapitän Juan de Campos gestattete gnädigst den Transit, aber er würdigte die Männer keines Blickes. Während sie mit den Truhen an ihm vorbeidefilierten, sprach er nur seinen Ersten kurz an. Hasard gewann in diesem Augenblick nur einen flüchtigen Eindruck von dem Capitan, aber der genügte ihm schon. De Campos, das war ein hagerer Mann mit Knebelbart, und etwas in seinem Äußeren erinnerte an einen Geier, der blasiert auf einem Krüppelbaum hockt und seine Beute betrachtet. Die Menschenkenntnis verriet Hasard schon jetzt: de Campos war arrogant und unbeherrscht und behandelte das »gemeine Schiffsvolk« wie den letzten Dreck. Ein richtiger Aasfresser. Hasard sollte recht behalten. Der Frachtraum war ein stinkendes Loch, in dem man sich wegen der Dunkelheit den Schädel einrammen konnte. Nur oben in der Kapitänskammer hatte eine Lampe gebrannt, aber de Campos dachte gar nicht daran, seinem Schiffsvolk Licht mitzugeben. Sie setzten also einfach die Kisten ab. »Verdammt«, sagte Paco. »Verfluchte Taredos. Eines Tages brech ich mir noch die Knochen auf dem Scheiß-Schiff hier.« »Still«, zischte Jose. Taredos waren Schiffswürmer, und Paco war auf einem von ihnen ausgerutscht, gegen den Kameraden geprallt und fast gestürzt. Das hatten die Seewölfe auch trotz der Dunkelheit mitgekriegt. Hasard begriff mehr und mehr, auf was für einem höllischen Waschzuber sie gelandet waren. Jose hatte seine guten Gründe, Paco zu warnen. Lichtschein näherte sich. De Campos stieg in Begleitung von Oreste, dem Basken, den Niedergang hinunter. De Campos hielt die verschnörkelte Öllaterne, die Hasard in
seiner Kammer gesehen hatte, und fuhr sie sogleich an: »Was steht ihr so blöd rum, ihr Ratten? Zurrt die Kisten fest.« »Si«, erwiderte Jose. »Si, Senor Capitan General.« Bei der Arbeit stellte Hasard fest, daß der Frachtraum wirklich sehr groß und sehr verkommen war, und daß sich hier bereits die Kisten stapelten. Im leicht flackernden Lichtschein konstatierte er auch, daß Bewegung auf den Planken herrschte. Es war ein bedenklicher Verkehr. Blinde Passagiere erzeugten ihn - die Taredos, Kakerlaken, Schaben, Wanzen und Ratten, die sich hier eingenistet hatten. Und es stank. Auf jedem Schiff gab es Ratten, und auch die anderen Mitbewohner ließen sich nicht immer ganz vertreiben. Aber eine so faulige Blüte von Spanien war dem Seewolf selten begegnet. De Campos scherte sich wahrhaftig einen Dreck um den Zustand seiner Galeone. Und er war einer jener Kapitäne, die ihre Mannschaften getrost an Skorbut krepieren ließen, solange sie selbst noch ausreichend verpflegt waren. Es war nur ein Beispiel, aber de Campos hatte garantiert eine Menge solcher Tugenden. Wut sieg in Hasard auf. Wenn dies sein Schiff gewesen wäre, hätte er es zunächst mal von oben bis unten umgekrempelt. Auf Sauberkeit und Hygiene legte er nämlich großen Wert. Sie ließen sich nicht immer vollkommen einhalten, aber man konnte viel tun, um aus einem Schiff keinen verlausten und vergammelten Pfuhl werden zu lassen. Sie hatten die Kisten festgezurrt und richteten sich auf. Als sie sich umdrehten, sah Hasard, daß sie beim Eintreten eine Barriere aus Eisenstäben passiert hatten. Erst jetzt ragte das Gitter deutlich sichtbar vor ihnen auf. Vorher war es in der Dunkelheit nicht zu sehen gewesen. »’raus mit euch«, kommandierte der Erste. Sie verließen den vergitterten Teil des Laderaumes. Juan de Campos schloß die Tür selbst ab. Hasard sah, daß er den
Schlüssel an einer Kette um den Hals trug. De Campos wandte sich ihnen zu und musterte sie voll Widerwillen. »Die neuen hier«, sagte er zu Oreste. »Sollten das nicht vier sein?« »Vier?« Der Baske kratzte sich am Hinterkopf. »Wir haben noch eine Menge Kerle aus den Kneipen aufgefischt, mi Capitan. Einige, meiner Meinung nach die besten, habe ich mit auf das Flaggschiff nehmen lassen. Der Rest von ihnen befindet sich auf Oberdeck. Fünf Mann.« »Hör mit deinem Gequatsche auf«, fuhr de Campos ihn an. »Ich spreche von diesem Grüppchen hier.« »Das waren drei. Wir haben sie aus der Vongola geholt.« »Weiß ich«, erwiderte der Generalkapitän unwirsch und Oreste war verblüfft. »Ich kann das Rätsel lösen«, sagte Hasard. »Wir hatten tatsächlich noch einen vierten Mann dabei Moro. Der hatte sich nach oben in eines der Zimmer verzogen. Mit einem Mädchen.« »Mit einer Hure«, stellte Sam Roskill richtig. »Und mit meiner Flasche Rum.« »Ja, und dann muß er ziemlich betrunken und völlig ermattet unter die Koje gefallen sein«, fügte Ben hinzu. Paco sagte: »Das Mädchen haben wir gesehen, aber der Kerl war durch das Fenster entwischt.« »Ach, der war das«, sagte Oreste, der Baske. De Campos war dunkel angelaufen. »Schweigt. Euer Gekläff beleidigt mich. Kehrt aufs Oberdeck zurück, ihr elenden Hunde, der Profos wird euch eure Plätze im Vordeck anweisen.« »Danke«, sagte Hasard. De Campos warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Er begegnete ihm mit Gelassenheit. Wir haben uns gesucht und gefunden, Amigo, dachte der Seewolf, und es wird noch eine innige Freundschaft daraus entstehen.
Oreste blieb im Achterkastell. Paco und Jose begleiteten die Seewölfe noch auf Deck, dann verschwanden auch sie und der Profos erschien auf der Bildfläche! Ein paar Gepreßte hatte er schon traktiert, jetzt rückte er auf die drei Freunde los. Er war ein stiernackiger Bursche mit Glatze und bloßem Oberkörper. An Körpergröße und Kraft konnte er es beispielsweise mit Big Old Shane aufnehmen. Er hielt die neunschwänzige Katze, ließ die Arme baumeln, daß die Lederstriemen der Geißel die Planken berührten, und stierte sie aus blutunterlaufenen Augen an. Sein Gesicht war eine narbige Wüste. Edwin Carberry mutete im Vergleich zu ihm wie ein Engel an. »Ich bin Oleg, der Profos«, sagte er drohend. »Soso«, entgegnete Hasard grinsend. »Ich bin Alf redo, und das sind Benito und Samuele.« »Willst du mich auf den Arm nehmen?« »Nein, mein Freund. Wir sind Freiwillige, hat Oreste dir das nicht gesagt?« Der Profos ließ die Neunschwänzige knallen. »Deswegen hat euch noch lange nicht der Respekt zu fehlen. Ins Vordeck mit euch, ihr Drecksacke, oder ich lüfte euch an.« Sie gehorchten. In den Räumen des Vorschiffes herrschte der gleiche verdreckte Zustand wie im Achterdeck - wie sollte es auch anders sein. Hinzu kamen die Ausdünstungen der Männer in den verwanzten Kojen. Das konnte einem den Magen umkrempeln, selbst, wenn man nicht zart besaitet war. »Wir warten einige Zeit ab«, sagte Hasard. »Dann gehen wir nach oben und pennen auf der Back. Da haben wir wenigstens frische Luft.« Etwas später kletterten sie nach oben zurück, hielten nach Oleg Ausschau und stellten fest, daß er sich zurückgezogen hatte. Ohne daß die Deckswache es merkte, bezogen sie auf der Back Quartier und schliefen rasch ein.
8. Bei Tageslicht wurde erst richtig klar, was für ein gottverfluchter Kahn diese ›Flor de Espana‹ war. Hasard und seine Gefährten lernten die Besatzung kennen - einen wilden, zusammengewürfelten Haufen unterschiedlichster Nationalität, in der Mehrzahl allerdings Spanier. Hasard wußte, daß auf manchen spanischen Galeonen der Flota bis zu zwölf Nationen vertreten waren, und dort wie hier herrschte dann ein geradezu babylonisches Sprachgewirr, in dem einer den anderen nicht verstehen konnte und oftmals gerade wegen dieser Schwierigkeiten Streitigkeiten ausbrachen. Außerdem watete man auf diesem Schiff beinahe im Dreck und Ungeziefer. Es war das klügste, auf der Back zu verweilen und der Dinge zu harren, die da auf sie zukamen. Es gab ein bißchen Aufruhr unter den Gepreßten, aber Profos Oleg verschaffte sich sofort den nötigen Respekt. Oreste, der erste Offizier, und andere Betreßte betrachteten die Szene vom Achterdeck aus, ohne einzugreifen. De Campos ließ sich überhaupt nicht blicken. Ein Bootsmann, dessen Namen Carmine lautete, begann, Seeleute und Nichtseeleute unter den Zwangsverpflichteten auszusortieren. Als er zu den Seewölfen gelangte, erklärte Hasard ihm sofort: »Hör zu, ich bin schon als Rudergänger gefahren, und mein Freund Benito hier hat mich bei dem Dienst am Kolderstock abgelöst. Samuele ist ein guter Mann am Besanmast.« Carmine, der Bootsmann, stand zunächst sprachlos da, dann begann er zu grinsen. »Ihr seid die Freiwilligen, wie? O Santa Madre de Dios, endlich mal ein Wink des Himmels in dem ganzen verfluchten Mist hier. Wir haben händeringend einen Rudergänger gesucht, Leute, und keinen gefunden und jetzt haben wir gleich zwei. Zwei!« »Fehlt noch, daß du mir um den Hals fällst«, sagte Hasard.
»Und ob ich euch da gebrauchen kann«, fuhr der Spanier fort, ohne auf die Erwiderung einzugehen. »Anda, anda, geht gleich mal hin und macht euch mit dem Ruder vertraut. Allmächtiger, vielleicht kriegen wir jetzt doch endlich mal eine brauchbare Mannschaft zusammen und müssen nicht um unser aller Leben bangen, wenn wir den Atlantik überqueren.« Er redete und redete und teilte schließlich auch Sam Roskill den Besanhands zu. Er war ein impulsiver, überschwenglicher, in Grunde seines Herzens aber wohl gutmütiger Mensch, dieser Carmine. Er strahlte und war zufrieden und die Seewölfe auch. Sie waren von Anfang an darauf aus gewesen, die strategisch wichtigen Plätze auf dem Achterkastell zu besetzen. Ihr Unternehmen ließ sich gut an, Teil zwei des Planes hatte geklappt. Die Vorzeichen standen gut, alles deutete darauf hin, daß sie die Situation wirklich in den Griff kriegten. Aber Hasard hütete sich, übermütig zu werden. Noch war die bevorstehende Auseinandersetzung nicht gewonnen. Noch konnten sich einige Hindernisse bieten. Das vergaß er nicht. Wie war das doch gleich? Wer sich selbst überschätzt, der stolpert. Ein Mann mußte seine Grenzen kennen und durfte sich niemals für unbesiegbar halten. Solche Überheblichkeit verleitete nämlich zu Unachtsamkeit und damit zu fatalen Fehlern. Wer in der Karibik einen Fehler beging, konnte ihn tödlich bezahlen. Wie Caligu, der Hasard und die Rote Korsarin unterschätzt hatte. Der Tag verging mit Segelexerzieren und anderen unvermeidlichen Tätigkeiten an Bord der Schiffe. Die Gepreßten mußten in die Crews eingegliedert werden, und da sie zum Hauptteil Landratten waren, ging das nicht ohne Höllengebrüll und Schikanen der Stockmeister ab. Auf der ›Flor de Espana‹ war Sam Roskill praktisch der einzige, der dem »gemeinen Schiffsvolk« noch etwas beibringen
konnte, statt von ihm zu lernen. Von Olegs Hieben mit der neunschwänzigen Katze blieb er also verschont. Und Hasard und Ben? Nun, die durften gemütlich zusehen, ohne kreuz und quer über Deck und die Wanten rauf und runtergescheucht zu werden. Im Umgang mit dem Ruder waren sie ja firm. Außerdem standen Rudergänger im Bordstatus über den gewöhnlichen Mannschaftsmitgliedern. Der Hackordnung nach hatten sie also nicht nur nach oben zu buckeln, sie durften auch mal Schnabelhiebe austeilen. Hasard verfolgte unter anderem, wie drüben beim Fort El Moro wieder Schaluppen mit Kisten beladen und herübergepullt wurden. Die letzten Frachtgüter wurden übernommen, bis die Galeonen des Konvois kragenvoll mit Reichtümern waren. Ein wirklich gefundenes Fressen für die Wölfe im Schafspelz, dachte Hasard und mußte grinsen. Natürlich hatte er darüber nachgedacht, warum in der Nacht die Schaluppen unbewacht an der Pier hatten liegen können. Hätten die Schatzkisten nicht geraubt werden können? Die Erklärung war einfach. Er konnte mit bloßen Augen die Soldaten erkennen, die auf den Wehrgängen und dem Turm der Festung postiert waren und wie die Schießhunde die Transporte überwachten. Selbstverständlich waren sie auch in der Nacht zugegen gewesen. Man hatte sie nur nicht sehen können. Am Abend gab es Verdruß. Paco, dieser bullige Bursche, hatte schon den Tag über neidvoll zu Hasard und Ben hochgeblickt. Der Seewolf hatte geahnt, daß sich da etwas zusammenbraute. Jetzt kochte Paco über. Er baute sich vor Hasard auf und stemmte die Fäuste in die Seiten. »Hör zu, es will mir nicht in den Kopf, daß ihr beiden Bastarde was Besseres seid. Wir hätten euch heute nacht zusammenschlagen sollen. Jose und ich, wir fahren schon drei Jahre auf diesem Schiff, aber zu Rudergängern sind wir noch nicht befördert worden. Jetzt kommt ihr einfach angeschissen
und markiert die Könner. Ungerecht ist das. Paßt bloß auf, daß ihr nicht die Jacken vollkriegt.« Hasard äugte nach den Seiten. Von Oreste war nichts zu sehen, von Oleg und Carmine auch nicht, und der Generalkapitän befand sich auch in seiner Kammer des Achterkastells. Sie nahmen da eine außerordentlich wichtige Amtshandlung vor - das Abendessen. Paco hatte sich also einen günstigen Augenblick zum Stänkern ausgesucht. Unten auf der Kuhl standen schon Jose und einige andere bereit. Sie würden mit in die Kerbe hauen und Paco unterstützen. Es wurde verdammt brenzlig. Hasard grinste kalt. »Wir markieren nicht. Wir sind tatsächlich Rudergänger. Es gehört ein bißchen Grips dazu. Im Gegensatz zu dir scheinen wir nicht nur Stroh im Gehirnkasten zu haben.« »Sag das noch mal«, stie Paco aus. Hasard verfolgte aus den Augenwinkeln, wie Ben einen strategisch günstigen Standort an der Schmuckbalustrade des Achterdecks auswähltte. Er machte sich auch auf alles gefaßt. Der Seewolf provozierte gewollt. Er wollte Paco reizen, denn die Lage mußte jetzt bereinigt werden, sofort, das Kräfteverhältnis wollte geklärt sein. »Ich sag dir was anderes«, erwiderte Hasard. »Das mit dem Zusammenschlagen kannst du immer noch versuchen, wenn du willst. Oder bist zu zu feige?« Er grinste weiterhin, und das brachte Paco zum Überkochen. Er ging mit den Fäusten auf Hasard los. Zu spät merkte er, auf was er sich da eingelassen hatte. Hasard explodierte förmlich. Er ließ den Burschen auflaufen, grub ihm die Faust in den Magen und feuerte einen weiteren Hieb auf seine Brust ab. Dann nahm er eine Reihe von Schlägen hin. Er konnte nicht nur austeilen, er vermochte auch was einzustecken. Aber danach war für Paco nichts mehr drin.
Hasards Fäuste knallten wie Hämmer gegen seinen Leib und seinen Kopf, so heftig und ausdauernd, daß er zur Gegenwehr keine Chance mehr erhielt. Paco wurde zurückgetrieben. Hasard prügelte ihn bis an die Schmuckbalustrade. Paco blutete aus der Nase, hatte Schrammen und Platzwunden im Gesicht. Hasard hatte kein Mitleid, jetzt nicht, jetzt mußte er rigoros sein und sich vor der versammelten Crew dieses Dreckschiffes behaupten. Er riß die Rechte hoch und ließ sie unter Pacos Kinnlade krachen. Paco verdrehte die Augen. Langsam sackte er an den Taljen der Balustrade nach unten. Bevor er sich auf den Planken ausstreckte, bückte sich Hasard und packte ihn bei den Beinen. Er hob ihn hoch, hievte ihn über die Balustrade und ließ ihn auf die Kuhl stürzen. Paco landete hart. Es gab einen dumpfen Laut. Er brach sich aber keine Knochen, denn Hasard hatte sehr wohl berechnet, daß es aus dieser Höhe nicht möglich war. Er hatte auch aufgepaßt, daß Paco nicht auf den Kopf fiel. Jose und ein paar andere waren schon auf dem Backbordniedergang zum Achterdeck. Sie verharrten nicht wegen Ben, der kampfbereit dastand, sondern wegen Hasard. Sie hatten die Nase voll, ohne was draufbekommen zu haben. Hasards Demonstration hatte ihnen genügt. Bewußt hatte er ihnen etwas vorexerziert, damit sie gerade im Hinblick auf die geplante Aktion den nötigen Respekt vor ihm hatten. Er verzeichnete vollen Erfolg. Langsam zogen sie sich zurück. Nur Jose blieb noch murrend auf den Stufen stehen. Hasard trat an den Niedergang und blickte ihn drohend an. »Und?« Mehr sagte er nicht. Jose gab eine Art Seufzer von sich, kehrte um und ging auf die Kuhl, um sich um seinen Freund Paco zu kümmern. Als der Profos auf Deck erschien, weil er etwas von Pacos Gebrüll vernommen hatte, war der Besinnungslose bereits verschwunden. Oleg blickte zu Hasard und Ben. Sie zeigten
gelangweilte Mienen. Oleg sah zur Crew, aber es meldete sich niemand, der über den Vorfall richten wollte. Denunzieren, das war unter der Ehre eines Mannes, ganz gleich, aus welchem Holz er geschnitzt war. In dieser Hinsicht gewann Hasard sogar eine gewisse Sympathie für diese Mannschaft. * Am nächsten Morgen herrschte ein beispielloser Betrieb im Hafen und auf der Reede. Die schwere Eisenkette, mit der man die Hafeneinfahrt verhängt hatte, war jetzt geöffnet worden. Schiffe schoben sich an der Feste El Moro vorbei. An den Hafenanlagen hatten sich Scharen von Neugierigen versammelt, um den Abreisenden zuzujubeln. Havanna lebte von dem, was die Seeleute brachten und in der Stadt taten. Da war es nur allzu verständlich, wenn die Bewohner eine turbulente Abschiedsszene darboten. So hielt man die Besatzungen auch für die Zukunft bei Laune, sie würden immer wieder gern hierher, ins Paradies, zurückkehren. Die Schiffe, die den Hafen verließen und sich auf die Reede begaben, waren Galeonen und Karavellen. Hasard beobachtete aufmerksam und stellte fest, daß es sich um generalüberholte Fahrzeuge handelte. Man hatte sie in den Werften der Stadt auf die Hellingen gelegt, vom Muschelbewuchs befreit, sie kalfatert und gepönt und auch die Aufbauten und Takelagen ausgebessert. Jetzt waren sie bereit, sich dem Konvoi anzuschließen. So waren die Spanier - sie hatten sich nicht als die besten Seefahrer erwiesen. Die Engländer, Franzosen und Holländer waren ihnen diesbezüglich überlegen, wenn sie auch aus dem sogenannten »Armenhaus« von Europa stammten. Die Dons oder Philipps, wie man die Spanier nannte, befuhren die Meere mit oftmals entsetzlich herabgewirtschafteten Kästen, die den
Ausdruck Schiff nicht mehr verdienten. Aber sie waren Meister in der Kunst des Zusammenflickens und Improvisierens. Oft richteten sie Schiffe, die zum Abwracken reif waren, wieder so her, daß sie wie neu aussahen und tatsächlich den beschwerlichen Weg bis nach Spanien schafften, ohne unterwegs abzusaufen. Alle Schiffe, die den Geleitzug bilden sollten, liefen schließlich einzeln von der Reede ab. Der Sammelplatz lag eine halbe Seemeile vor der Küste. Sechzehn Galeonen und fünfzehn Karavellen waren es, deren Kapitäne am Abend zuvor noch einmal zu einer Generalbesprechung auf der ›Flor de Espana‹ gewesen waren. Kanonenböller erklangen, über den Wehrgängen und dem Söller des Forts El Moro sowie den anderen Bastionen der Stadt pufften weiße Qualmwolken hoch. Es wurde Salut geschossen. Wohl jeder an Bord der Schiffe war sich im klaren darüber, wie gefährlich der weite Weg über den Atlantik werden würde. Äußerlich jedoch bot der Konvoi ein Bild von Zuversicht und Tapferkeit. Eine Galeone und Karavelle nach der anderen erwiderte die Salutschüsse aus ihren Bordkanonen, als die Schiffe majestätisch aufs Meer hinausglitten. Oleg, der Profos, tobte auf der Kuhl und netzte die Männer an eine Batterie Demi-Culverinen. Als dann die ›Flor de Espana‹ als letztes Schiff zum Sammelplatz segelte, waren auch ihre Geschütze schußbereit und spuckten zum Abschied Feuer, Blei und Rauch. Die Menge an Land jubelte immer noch und winkte zum Abschied. Hasard stand am Kolderstock. Es war weiß Gott keine dankbare Aufgabe, auf so einem dicken, behäbigen Schiff der Rudergänger zu sein. Man hatte seine liebe Not, den Bug in der vorgeschriebenen Richtung zu halten, denn bei der geringen Geschwindigkeit reagierte die Galeone kaum auf die Bewegungen des Steuerruders.
Zudem wehte der Wind aus Westen. Eine Galeone war ein. miserabler Am-Wind-Segler. Dennoch behielt Hasard die ›Flor de Espana‹ unter Kontrolle. Sam Roskill versah ordnungsgemäß seine Aufgaben am Besanmast. Ben war neben Hasard auch nicht untätig. Beispielsweise agierte er als Vermittler und Melder zwischen Hasard und Bootsmann Carmine. »Ben, sag dem Bootsmann, er soll die Blinde setzen lassen!« rief Hasard. Ben wäre fast ein »Aye, aye, Sir«, entfahren. Er bezwang sich im letzten Augenblick. Er lief auf die Kuhl, fand Carmine und teilte ihm mit, was Hasard ihm aufgetragen hatte. »Die Blinde?« Carmine war verdutzt. »Die setzen wir normalerweise erst viel später, auf hoher See.« »Unsinn, sie verleiht dem Schiff mehr Kursgenauigkeit«, sagte Ben. »Nun mach schon. Die Männer sollen von uns aus die Fock wegnehmen, aber die Blinde brauchen wir jetzt unbedingt.« Carmine stand mit weit geöffnetem Mund, dann erwiderte er: »Hör mal, wollt ihr mir Befehle geben?« »Nein. Nur gute Ratschläge. Sind wir nun die Rudergänger auf diesem Kasten oder nicht?« »Ja.« Carmine tat, wie ihm geheißen. Als die Galeone dann tatsächlich besser den Kurs zum Sammelplatz hielt, grinste er wie ein Teufel, formte die Hände zum Schalltrichter vor dem Mund und rief Hasard und Ben von der Kuhl aus zu: »Ihr Satansbraten, nur weiter so!« »Ich fange an, mich hier zu Hause zu fühlen«, sagte Hasard. »Bei dem Dreck?« fragte Ben. »Das ist was anderes, Benito.« »Verstehe. Ja, du würdest auch diesen Sauhaufen von einer Mannschaft zurechtbiegen Alfrede.« Gegen elf Uhr formierte sich der Geleitzug zur Kiellinie. Das Flaggschiff lag nun an der Spitze, und der Konvoi ging bei
nach wie vor aus Westen einfallendem, leichtem bis mittlerem Wind auf Nordost-Kurs zur Florida-Straße. Auf dem Rückweg in die Alte Welt folgten die Schiffe der Flota stets der gleichen Reiseroute. Sie fuhren über die Bahamainseln hinaus, bis sie etwa bei den Bermudas auf die Westwinde trafen und den Golfstrom ausnutzen konnten. Die Azoren bildeten dann die nächste Etappe, von dort aus ging es auf fast geradlinigem Kurs nach Spanien. Die Reise konnte drei bis vier Monate dauern wenn alles gut ging. Es ging aber eben nicht immer alles gut. Generalkapitän Juan de Campos erschien. Er stelzte auf dem Achterdeck herum und meckerte über so gut wie alles. Er stauchte den Profos zusammen, legte sich mit Oreste, dem ersten Offizier an, schnauzte Carmine an nur bei dem Rudergänger hatte er nichts zu bemängeln und zu nörgeln. Der steuerte das Schiff wie eine Eins. De Campos betrachtete diesen schwarzhaarigen, blauäugigen Mann immer wieder. Dieses junge und doch schon alte Gesicht, diese Kühnheit und Verwegenheit in der Miene, die Narbe, die sich von der Stirn bis über die Wange zog fast - war ihm der Mann ein wenig unheimlich. De Campos beschieß, nicht weiter darüber nachzudenken. Es führte ja doch zu nichts. »Solche Leute brauchen wir«, sagte er nur zu Oreste. »Sorge gefälligst dafür, daß Alfredo, Benito und Samuele auch nach unserer Ankunft in der Heimat weiterhin bei der Mannschaft bleiben.« »Si, Senor«, entgegnete Oreste. Was sollte er hinzufügen? Es war auf diesem Schiff besser, so wenig wie möglich zu reden. Philip Hasard Killigrew beobachtete indessen scharf. Über die Offiziere konnte er sich nun ein Bild machen. Es befanden sich außer den Seeleuten zwölf Soldaten an Bord, auf die man besonders achten mußte. Unter den Seeleuten konnten sich höchstens Paco und Jose als erbitterte Kämpfer hervortun.
Orestes Verhalten den Seewölfen gegenüber wandelte sich. Er war neidisch auf das Ansehen, das sie bei dem Generalkapitän genossen. Er hatte Lorbeeren für sich erhofft, nachdem er die drei aufgestöbert hatte. Oder bildete er sich das nur ein? Ihm war die Sache nicht geheuer, und er ließ seinen Ärger an Hasard, Ben und Sam aus. Besonders Sam Roskill erteilte er unnütze Befehle. Sam und seine Freunde nahmen das hin, sie lehnten sich kaum auf. Wenigstens hütete sich der Baske, sich offen mit den beiden Rudergängern anzulegen. Er verfuhr nur nach dem uralten Prinzip der Hackordnung: nach unten trat er, nach oben buckelte er. Er zeigte jetzt seinen Charakter unverblümt, offen. Er war eine unangenehme Type. »Auch so ein Mistfresser«, sagte Ben zu Hasard. »Und da fühlst du dich auf diesem speckigen Kakerlakenzuchtkübel auch noch wohl.« »Mir wird immer wohler«, erwiderte der Seewolf grinsend. »Sei mal still und hör zu, was de Campos mit Oreste zu besprechen hat.« De Campos war kurz im Achterkastell verschwunden. Jetzt erschien er wieder auf der Bildfläche und wandte sich am Backbordschanzkleid des Achterdecks an seinen Ersten. »Die verfluchten Karavellen«, sagte der Generalkapitän. »Der Teufel soll sie holen. Die liegen mit ihren schweren Silberbarren doch viel zu tief.« »Eine üble Sache«, gab Oreste pflichtschuldigst zurück. »Und? Ist das alles?« »Was soll ich tun, Generalkapitän?« sagte Oreste verzweifelt. »Ich kann sie doch auch nicht erleichtern.« De Campos sprach zischelnd, aber Hasard und Ben kriegten trotzdem jedes Wort mit. »Du Narr. Bevor wir ausgelaufen sind, hättest du mich darauf hinweisen müssen. Kann man sich auf keinen mehr verlassen? Die verflixten Karavellen! Wenn
Sturm aufkommt oder Piraten angreifen, geraten sie ins Hintertreffen. Im Sturm saufen sie unweigerlich ab, bei einem Piratenangriff können sie nicht ausbüchsen, weil sie viel zu langsam sind.« Der Baske blickte sich um und prüfte, ob die beiden Rudergänger etwas mitgehört hatten. Hasard und Ben taten so, als wären sie vollauf mit ihren Manövern und dem Kurshalten beschäftigt. Sie mußten sich ihr Grinsen verkneifen.
9. Die ›Isabella VIII.‹ und der Zweimaster mit den blutroten Lateinersegeln hielten an dem Geleitzug Fühlung. Sie hatten in der versteckten Bucht Blacky, den Melder, aufgenommen, dann hatten sie praktisch nur noch auf den Geleitzug zu warten brauchen. Aus sicherer Entfernung hatten sie verfolgt, wie Mastspitzen an der nördlichen Kimm erschienen waren und sich zu einer imposanten Parade vereint hatten. Daraufhin waren sie ausgelaufen. Die ›Isabella‹ segelte Siri-Tongs Schiff voraus. Dan O’Flynn, der im Hauptmars Dauerposten bezogen hatte, hatte nun mal die schärfsten Augen und sah auch dort noch etwas, wo andere schon kapitulierten. So gelang es, den Tag über auf den Fersen des Konvois zu bleiben, ohne von ihm bemerkt zu werden. Dan konnte gerade eben noch die Mastspitzen des letzten Schiffes der Spanier erkennen. Dabei hoffte er, daß jener Segler nicht ausgrechnet auch über einen vorzüglichen Ausguck verfügte, der irgendwann auf die ›Isabella‹ aufmerksam wurde. Er betete ganz einfach, der spanische Ausguck möge doch pennen, wie die meisten seiner Landsleute es gewöhnlich taten. Ferris Tucker hatte keine Schwierigkeiten, die ›Isabella‹ zu befehligen. Es war ein schöner Tag, und das Schiff lief gut bei
dem Westwind. Einfacher konnte es nicht sein. Es wurde ein richtiger Schlabbertön, aber die ganze Zeit über quälte den rothaarigen Riesen und die übrigen Crewmitglieder ein Gedanke. Ferris sprach ihn Shane, Carberry, Blacky, Smoky und dem alten O’Flynn gegenüber aus. »Hölle und Teufel, was ist nun eigentlich, wenn der Seewolf schon bei Tag losschlägt? Wie will er uns dann das Zeichen geben?« »Er wartet die Nacht ab«, meinte Blacky. »Weißt du das?« »Ich vermute es.« Ferris knirschte mit den Zähnen. »Glauben ist nicht wissen. Ich würde mir selbst in den Hintern beißen, wenn wir in der Beziehung den Anschluß verpassen würden.« »Hauptsache, wir verlieren den Konvoi nicht aus den Augen«, sagte Carberry. »Tritt das nicht ein, kann uns doch gar nichts passieren. Wir warten einfach ab.« »Für dich ist das ganz einfach, oder?« sagte Ferris. »Ja, verdammt noch mal.« »Das sieht dir ähnlich, du Einfaltspinsel.« Ed Carberry lief dunkel an. »Ferris, noch so eine Beleidigung, und ich zieh dir die Haut in Streifen von deinem Affenarsch, ob du nun das Kommando hast oder nicht ...« »Hört doch auf«, sagte Big Old Shane. »Ihr benehmt euch wie die Narren. Was ist eigentlich in euch gefahren?« Old O’Flynn lachte sich eins. »Es sind die Nerven, Shane. Den Burschen juckt’s in den Fingern. Laß uns erst mal Tuchfühlung mit den Dons kriegen, dann sind alle Zankereien vergessen.« Auf dem Achterdeck des Zweimasters stand Siri-Tong und hob zum wiederholten Mal das Spektiv ans Auge. Durch die Optik erkannte sie, wie die Männer der ›Isabella‹ debattierten. Die Korsarin lächelte nicht. Sie war stockernst. Die Spannung nahm auch sie gefangen. Ihre Pfirsichhaut hatte sich an den
Wangen rötlich gefärbt. Unerklärliche Hitze stieg in ihr auf. Es war die Ruhe vor dem Sturm. Wie und wann würden Philipp Hasard Killigrew und seine beiden Gefährten auf dem Flaggschiff des Konvois zuschlagen? * Die Abendwache als Rudergänger übernahm Ben Brighton. Hasard hätte sich der Form halber zurückziehen können, um wenigstens so zu tun, als lege er sich aufs Ohr. Er verweilte aber noch bei Ben und erzählte ihm ein paar Witze. Das war natürlich ein reiner Vorwand, um bleiben zu können. Hasard wollte erfahren, welche Entscheidung de Campos in Bezug auf die Formierung des Konvois während der Nacht getroffen hatte. Oreste erschien und wandte sich gleich unwirsch an Hasard. »Was treibst du noch hier? Leg dich schlafen, du hast doch die Mitternachtswache.« »Si, Senor.« »Du«, sagte Oreste zu Ben Brighton. »Laß das Schiff nach achtern sacken, bis wir die letzten im Geleitzug sind. Auf diese Weise können wir in der Dunkelheit alle besser beisammenhalten.« »Si, Senor«, antwortete auch Ben. Oreste begab sich auf die Kuhl und sprach mit Oleg und Carmine, und dann schallten die üblichen Kommandorufe für die Segelmanöver über Deck. Die ›Flor de Espana‹ wurde langsamer und ließ die anderen Galeonen und Karavellen an sich vorbeisegeln. »Und so hüten wir die Schäfchen«, sagte Hasard zu Ben. »Si, Senor. Und wann schlagen die Wölfe im Schafspelz zu?« »Um Mitternacht, Benito.« Sie grinsten sich offen an, denn es schaute gerade keiner her. Hasard suchte die Back auf und legte sich wirklich aufs Ohr.
Ben Brighton unterrichtete bei der ersten Gelegenheit, die sich bot, Sam Roskill. Günstiger hätte es nicht kommen können. Hasard sagte sich im stillen: Du bist ein Narr, wenn du nicht gleich in dieser ersten Nacht zuschlägst. Um Mitternacht wehte der Wind immer noch aus Westen. Der Kurs der Schiffe war Nordost, sie segelten also mit rauhem Wind. Hasard erhob sich von den Planken der Back und schaute sich um. Niemand außer den für die Nacht eingeteilten Hands befand sich auf Oberdeck, niemand wie Oreste, der selbst in letzter Minute noch alles zerstören konnte, weil er außerordentlich mißtrauisch war. Hasard begann mit seiner Aktion. Er löste die Deckswache ab. Seine Bewegungen waren ruhig, sein Verhalten im Ganzen gesehen völlig normal. Er konstatierte: Sam war vom Besan verschwunden, drei andere Hands hatten dort Dienst. Hasard ging zu Ben aufs Achterdeck und fragte leise: »Wo ist Samuele?« Ben blickte nur zu einer der Schaluppen, die auf dem Hauptdeck festgezurrt lag. Unter der Segeltuchverkleidung des Bootes lauerte also Sam. Hasard nickte, schritt weiter und näherte sich den drei Hands am Besanmast. Er setzte eine freundliche Miene auf. Jose und Paco waren nicht dabei, das war ein Segen. Dann ergab sich eine wirklich glückliche Fügung. Generalkapitän Juan de Campos hatte das Achterkastell verlassen und stieg den Steuerbordniedergang zum Achterdeck hoch. Das schien so eine Eigenart von ihm zu sein. Er tauchte zu den unpassendsten Gelegenheiten auf, um seine Flüche und Beleidigungen vom Stapel zu lassen diesmal aber war’s ein hundertprozentig passender Auftritt. Von nun an ging alles sehr, sehr schnell. De Campos trat auf Ben zu und beäugte ihn interessiert. Er
wollte eine Frage stellen. Ben wußte, was er zu tun hatte. Er wies zur Back. Der Generalkapitän drehte sich um und blickte hin. Ben zückte seine Pistole und drückte sie dem hageren Spanier ins Kreuz. »Keinen Laut, Amigo, sonst ist es um dich geschehen«, zischte er ihm ins Ohr. Er packte ihn mit der freien Hand. De Campos begriff sofort, daß dies kein fauler Scherz war. Die Lage war von tödlichem Ernst. Er erstarrte. Hasard hatte sich hinter die drei Besan-Hands gebracht. Sie starrten verdutzt nach vorn zum Kolderstock. Hasard bewaffnete sich rasch mit zwei Belegnägeln, trat hinter die drei und zog ihnen die massiven Knüppel mit aller Macht über die Köpfe. Unter Stöhnen und gurgelnden Lauten brachen sie zusammen. Ben Brighton bewegte sich mit dem Generalkapitän rückwärts, stieß zu Hasard, und so hatten sie beide den Rücken frei. Oleg, der Profos, und Carmine, der Bootsmann, klommen den Steuerbordniedergang zum Achterdeck hoch. Wahrscheinlich hatte de Campos ihnen vorher den Befehl erteilt, auf Oberdeck zu erscheinen. Allein der Himmel wußte, was sie zu bereden hatten, aber das war jetzt auch nicht mehr von Belang. Sam Roskill schlüpfte gewandt aus seinem Versteck, der Schaluppe. Er hatte sich gleichfalls mit Koffeynägeln bewaffnet. Als er dicht hinter den beiden Spaniern stand, hörte Oleg das Scharren von Füßen hinter sich, fuhr herum und kriegte einen der Belegnägel auf die Stirn. Er ächzte, wankte, wollte nicht fallen, und Sam hieb nochmals zu. Carmine wollte sich wehren, aber Sam war flink. Er knallte ihm den Belegnagel an den Schädel, und Carmine streckte sich sofort auf den Stufen des Niederganges aus, ohne auch nur noch »A« zu sagen. »Gut«, raunte Hasard. »Das Achterdeck ist in unserer Hand« Sam Roskill trat auf sie zu, und der Seewolf sagte: »Samuele,
du verrammelst den Niedergang achtern zu den Kammern und läßt keinen hinein.« Sam antwortete auf englisch. »Aye, aye, Sir. Nur über meine Leiche, Sir.« Während Ben Brighton die Bewußtlosen bewachte und den erschütterten de Campos sicher im Griff hielt, sprang Hasard wieder ans Ruder und ließ die Galeone in den Wind laufen. Sie blieben hinter dem Geleitzug zurück. Die Lichttupfer der Hecklaternen auf den Schiffen verschwanden allmählich in der Nacht. De Campos bekam es jetzt erst richtig mit der Angst zu tun. Bisher hatte er sich in einer Art Schreckstarre befunden. Jetzt stammelte er: »Por Dios, was hat das zu bedeuten? Madre Santa, das könnt ihr nicht, das dürft ihr nicht ...« »Ruhig«, unterbrach ihn Ben. »Noch ein Sterbenswörtchen, und ich schick dich zu den Haien.« Juan de Campos brach der kalte Schweiß aus. Voll Panik verfolgte er, wie dieser grinsende schwarzhaarige Teufel am Kolderstock dem anderen Satansbraten am Niedergang zu den Kammern ein Zeichen gab und wie jener Samuele eine Öllampe in Brand setzte, die er irgendwo an Bord geklaut haben mußte. Er sandte Lichtblitze in die Nacht hinaus, indem er die Flamme mit einer Hand verdeckte und die Hand wieder wegnahm. Viermal drei Lichtzeichen! Dann blies der Bursche die Lampe wieder aus. Er hatte den Niedergang zu den Kammern des Achterkastells regelrecht verbarrikadiert, jetzt lief er zu diesem Bastard, diesem Alfredo, und beide bewachten die Niedergänge zur Kuhl. »Falls jetzt jemand von den Soldaten oder Seeleuten den Helden spielen will bitte schön«, sagte der schwarzhaarige Teufel. Tausend Dämonen schienen in seinen glitzernden Augen zu tanzen. Er hatte das Schiff in der Hand. Er konnte mit ihm, Juan de Campos, und allen anderen tun, was er wollte. Wer bist du? wollte de Campos ihn fragen, wer bist du
wirklich? Aber er hütete sich, denn der dritte Satan in seinem Rücken hatte ja gedroht, ihn zu den Haien zu schicken, falls er etwas sagte. Und de Campo glaubte daran. Hasard rechnete mit einem Zwischenfall, aber es war wie ein Wunder. Die meisten Seeleute und Soldaten schliefen. Und diejenigen, die bemerkten, daß das Schiff keine Fahrt mehr lief, waren darüber keineswegs beunruhigt Die Devise lautete: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Wenn die Rudergänger und Hands etwas verbockt hatten, was ging es den Rest der Crew an? Sollte de Campos die Verantwortlichen zusammenstauchen. Man war froh, nicht selbst angebrüllt zu werden. Diese sonst so gesunde Einstellung wurde der Crew jetzt zum Verhängnis. De Campos fühlte sein Herz in die Wamstasche und noch tiefer rutschen, als plötzlich zwei gigantische Schatten aus dem Dunkel der Nacht hervorwuchsen. Eine Galeone und ein Zweimaster! Die Galeone war erstaunlich flach und schlank gebaut, verfügte aber über ungewöhnlich hohe Masten. Der Zweimaster führte rote Lateinersegel, und er hatte die Totenkopfflagge gehißt. Hatte der Generalkapitän anfangs noch an Gespenster zu glauben begonnen, so wußte er jetzt, mit wem er es zu tun hatte. Die Rote Korsarin! Wer die Karibik befuhr, kannte ihr Schiff oder hatte zumindest davon gehört. Diese Frau war schon zu ihren Lebzeiten eine Legende. Beide Schiffe gingen an Backbord und Steuerbord der ›Flor de Espana‹ längsseits. Sie nahmen sie in die Zange, die verwanzte Galeone, und de Campos mußte zu seinem größten Entsetzen miterleben, wie abenteuerliche Gestalten enterten. In der Kuhl der ›Flor de Espana‹ erwachte die Mannschaft zu sprachloser Betroffenheit. Aber jetzt war es zu spät zu einer Gegenreaktion.
Siri-Tong ging zu Hasard, während die Männer der ›Isabella‹ und des Zweimasters ausschwärmten, um die spanische Crew gefangenzusetzen. Wer noch schlief, wurde unsanft in die Wirklichkeit zurückgeholt und an Oberdeck getrieben. »Seewolf«, sagte die Rote Korsarin. »Ich finde, dies ist eine ergreifende Stunde. Meinen Glückwunsch, wie Sie das geschaukelt haben einfach umwerfend.« Da war er wieder, dieser knisternde Funke, der von ihr zu ihm übersprang und umgekehrt. Aber Hasard hielt sich zurück. Es wäre wohl der Augenblick gewesen, sich einen Kuß der Begeisterung zu geben. Doch da waren Old O’Flynn, der junge Dan, all die anderen nein, er bezwang sich lieber. De Campos geriet ins Taumeln, Ben Brighton mußte ihn stützen. Der Seewolf! El Lobo del Mar! Wer hatte nicht auch diesen gefürchteten und gehaßten Namen schon vernommen, betete, ihm niemals zu begegnen, diesem Schapphahn der englischen Krone? Und er, Generalkapitän Juan de Campos, hatte ausgerechnet diesen Teufel pressen lassen und zu sich an Bord geholt, hatte ihn sogar noch gelobt! Verflucht sei Jorge, dachte de Campos in Erinnerung an den Wirt der Vongola, verflucht auch du, Oreste! Die Seewölfe und die Piraten von Siri-Tong hatten die Beiboote abgefiert und mit den Spaniern vollgestopft. Jose und Paco wollten aufbegehren, aber Matt Davies und Stenmark schlugen sie kurzerhand nieder. Die beiden bulligen Kerle sanken ins Reich der Träume und kriegten nicht mehr mit, was sich im weiteren abspielte. Das Achterkastell wurde gestürmt. Die übrige Schiffsführung erschien vor den Waffen der Besatzer auf Oberdeck. Oreste, der erste Offizier, sah plötzlich rot. Er brüllte, riß die Hände wie Krallen hoch und wollte sich auf den Erstbesten stürzen, der in seiner Nähe war. Das war Carberry. »Komm her, du Rübenschwein«, sagte er mit dröhnender
Stimme. »Darauf hab ich gewartet. Oh, wie gern zieh ich dir die Haut ...« »... in Streifen von deinem Affenarsch!« rief Hasards Crew im Chor. Oreste schlug mit seinen Fäusten ins Leere. Dann geschah noch etwas Merkwürdiges plötzlich hatte er keinen Boden mehr unter den Füßen. Der Profos der ›Isabella‹ hatte ihn einfach hochgehoben und ließ ihn jetzt zappeln. »Du Stinkstiefel, du Kanalratte«, grollte er. »Ich könnte dich am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Aber ich bin ja nicht so.« Ein Schwung, ein Aufschrei - Oreste flog außenbords. Mit einem breiten Klatscher landete er unten in den schwarzen Fluten. Für kurze Zeit war er verschwunden, dann tauchte er wieder auf. Etwas sauste aus den Leehauptwanten der ›Isabella‹ hinter ihm drein und traf ihn am Kopf. Oreste stöhnte auf. In den Wanten keckerte es, die Seewölfe und die Piraten lachten grölend. Arwenack, der Schimpansenjunge, hatte eine seiner Kokosnußschalen geschleudert. Oreste wurde von einem der Boote aufgenommen. Hasard und Ben begleiteten Generalkapitän Juan de Campos zur Jakobsleiter. Hasard nahm ihm die Kette mit dem Schlüssel für den vergitterten Frachtraum ab. Hasard verabschiedete sich als Gentleman. »Adelante, Senor Capitan General, vorwärts, gehen Sie nur. Sie sind frei wie Ihre Mannschaft. Bestellen Sie vor allem Oreste, Carmine, Oleg, Jose und Paco noch schöne Grüße. Wir haben sie kennen und schätzen gelernt, jeden auf seine Art. Es wird etwas eng werden in den Booten. Aber so lernen Sie wenigstens mal, mit dem gemeinen Schiffsvolk auszukommen. De Campos erwiderte nichts. Er war total fertig mit den Nerven. Beim Abentern fiel er fast von den Holzsprossen der Jakobsleiter. Etwas später verschwanden die Boote fluchtartig in der Nacht. Das Gelächter der Seewölfe und der Piraten
schallte ihnen nach. Hasard sah zu den Piraten. Er las in ihren Mienen, daß sie nicht übel Lust gehabt hätten, den Spaniern die Kehlen durchzuschneiden. Aber ein sinnloses Gemetzel würde er niemals zulassen. In der Beziehung mußte auch Siri-Tong die Gebote der Fairneß lernen. Die Männer begannen zu arbeiten. Die Beute wurde aus dem Frachtraum der ›Flor de Espana‹ geholt und auf die ›Isabella VIII.‹ und den Zweimaster verteilt. Schon nach oberflächlicher Prüfung stellten Hasard und Siri-Tong fest, daß sie einen sagenhaft fetten Fang erwischt hatten. »Und das alles ohne einen Schuß und ohne Blutvergießen«, sagte die Rote Korsarin. »Ich bewundere Sie, Philip Hasard Killigrew.« Sie blieb jetzt beim distanzierten Siezen, weil sie ihn nicht wieder gegen sich aufbringen wollte, diesen störrischen, dickschädeligen, wunderbaren Bastard, in den sie regelrecht vernarrt war! Aus den Räumen des spanischen Flaggschiffes wurde noch übernommen, was man gebrauchen konnte: Werkzeuge, Waffe, Munition, Segeltuch, Lebensmittel und Trinkwasser. Danach bohrte Ferris Tucker das Schiff an. Seewölfe und Piraten kehrten auf ihre Schiffe zurück. Die Umklammerung loste sich. Als die Galeone auf Tiefe ging, segelten Hasard und SiriTong bereits wieder auf Nordost-Kurs und folgten dem Geleitzug.
10. In der vierten Morgenstunde lief ihnen eine der Galeonen entgegen. »Kein Zweifel«, sagte Hasard zu Ben, Shane, Ferris und den anderen auf dem Achterdeck der ›Isabella‹. Er blickte durch
den Kieker. »Die sucht das Flaggschiff.« »Ein schwerer Brocken, gut armiert«, meldete Dan aus dem Großmars. »Aber viel zu langsam für uns und den Zweimaster«, sagte der Seewolf. »Schiff klar zum Gefecht!« brüllte Edwin Carberry. Sein Ruf wehte zu Siri-Tongs Zweimaster hinüber, und auch dort ertönten jetzt die Befehle, trappelten nackte Fußsohlen über Deck, wurden unter Gerumpel und Geratter die Geschütze ausgefahren. Siri-Tong ließ die Totenkopfflagge aufziehen. Munter flatterte sie im Wind. Die Nacht verblaßte, der Morgen erhob sich träge und mit trübem Licht im Osten die Spanier mußten die Flagge bereits erkennen können. Dann begann es. Die ›Isabella‹ und das Schiff mit den blutroten Lateinersegeln umkreisten die spanische Galeone. Hasard gab den Feuerbefehl. Diesmal nutzte er die Überlegenheit der langen Culverinen-Rohre aus. Donnernd lösten sich die Schüsse aus den Kanonen, die Decks der ›Isabella‹ vibrierten, beißender Feuerrauch und Pulverqualm breiteten sich aus. Die Takelage des Dons wurde gründlich zerschossen. Die Seewölfe jubelten. Der Gegner war manövrierunfähig, jetzt pirschten sich die ›Isabella‹ und die Karavelle zum Entern an. »Die ›Isabella‹ schob sich auf das Heck der Galeone zu. Ein paar wagemutige Dons, die ihre Musketen und Arkebusen auf sie anlegten, wurden von Smoky und Al Conroy mit gezieltem Feuer aus den Drehbassen weggeschossen, bevor sie die Lunten ihrer Waffen zünden konnten. Dann flogen die Enterhaken, die ›Isabella‹ hatte als erste Berührung mit dem Feindschiff. Männer flankten als quirlige Traube von Bord zu Bord über, allen voran Hasard mit einem kurzklingigen Cutlass. Er trieb einen Keil in die Masse der Gegner. Ein Spanier legte mit dem Tromblon auf ihn an, hatte aber die
Rechnung ohne Big Old Shane gemacht. Shane holte aus. Sein Entermesser blinkte für einen Sekundenbruchteil hoch über den Häuptern der Kämpfenden. Er warf es, es surrte auf den Don mit dem Tromblon zu und stieß ihn bis ans Schanzkleid zurück. Auch dieser Mann starb, ohne einen Schuß abzufeuern. Hasard arbeitete sich bis zu dem spanischen Kapitän vor. »Streich die Flagge, Philipp!« rief er. »Es ist aus.« Und der Mann ergab sich. Juan, der Boston-Mann, Bill und die anderen Piraten der Roten Korsarin wollten die Besatzung niedermetzeln. Hasard schritt dagegen ein. Auch dieses Mal entließ er die Überlebenden. Sie durften in den Beibooten davonpullen. Hasard stellte sich vor die Piraten hin. »Einen Gegner, der sich bereits unterworfen hat, massakriert man nicht. Ich schätze furchtlose Kämpfer, aber keine Mörder.« Bill, der Bogenschütze, erwiderte aufgebracht: »Diese Schweine von Spaniern werden irgendwo an Land gehen und die wildesten Schauermärchen über uns verbreiten. Die sagen nicht, daß wir sie geschont haben. Und je mehr es von diesen Kastanienfressern gibt, desto mehr Verfolger haben wir in Zukunft am Hals.« »Willst du dich mit mir anlegen?« Hasards Stimme war nicht laut, nur von eisiger Kälte. »Nein«, sagte Bill. »Nein, ganz bestimmt nicht.« Die Piraten kuschten vor dem Seewolf. Aber in ihrer primitiven Mentalität begriffen sie trotzdem nicht, warum man einen Gegner schonen sollte. Da war es wieder: Es existierte kein vollkommenes Einverständnis zwischen Piraten und Korsaren, und eines Tages würde die Diskrepanz zu fatalen Folgen führen. Hasard wußte das, und er vergaß es nicht. Die Galeone hatte Perlen geladen - Margaritas, wie die Spanier sie nannten. Außerdem entdeckten die Seewölfe und ihre Verbündeten Goldbarren. Sie führten einen verrückten Freudentanz auf. Dann wurden
die Schätze wieder auf beide Schiffe übernommen und die spanische Galeone versenkt. Hasard hatte aus der Kapitänskammer dieses Beuteschiffes wieder wertvolles Kartenmaterial geborgen. Daraus ging eindeutig hervor: Der Generalkurs der Schatzschiffe der TierraFerma-Flotte führte über die Bermudas und die Azoren nach Spanien, und auch dieser Konvoi würde die gleiche Richtung nehmen. Hasard steuerte die Bermudas an. Er malte sich aus, was ein Raid mehrerer gut armierter englischer Schnellsegler erreichen könnte, wenn er einen der Geleitzüge beispielsweise bei den Bermudas abfing und auf löste. Er dachte in weiten Räumen und sann über die Zukunft nach. Ein Lebensnerv der Spanier konnte empfindlich getroffen werden, man mußte nur die richtigen Mittel und eine entsprechende Organisation haben. * Hasards nächster Angriff war eine der Silberkaravellen, die plump und behäbig mit ihrem bedenklichen Tiefgang als letztes Schiff im Konvoi segelte und mehr und mehr zurückfiel. Am Nachmittag dieses Tages überraschten die Seewölfe die Karavalle, und wieder erfolgte ein Angriff nach der bewährten Methode. Diesmal schossen auch Batuti und Big Old Shane ihre Brandpfeile ab, und die Besatzung des Feindschiffes rettete sich schon in die Boote, bevor Hasard, Siri-Tong und die beiden Crews überhaupt enterten. Die Seewölfe und die Piraten hatten ihre liebe Mühe, die Silberbarren und Pulverfässer der Karavelle auf die ›Isabella‹ und den Zweimaster hinüberzuschaffen, bevor die Kravelle ein Opfer der See wurde. Gegen Abend überraschten sie eine weitere Karavelle. Smoky
und Al Conroy zerschossen ihr mit den Drehbassen der Back das Steuerruder, sobald die richtige Entfernung erreicht war. Damit war das Schiff manövrierunfähig. Unter dem Feuer der Culverinen der ›Isabella‹ und der Geschütze von Siri-Tongs Zweimaster gingen dann auch Masten und Gaffelruten der Karavelle zu Bruch. Der »Salat«, wie Shane ihn bezeichnete, hing samt dem laufenden und stehenden Gut außenbords, und die Karavelle krängte. Die Seewölfe und die Piraten enterten. Auch hier stießen sie kaum noch auf Widerstand. Nachdem die Überlebenden auf Hasards Anordnung hin das Weite suchen durften, ließ der Seewolf die nach Steuerbord überhängenden Masten und das Rigg kappen. Anschließend wurden Silberbarren von Bord zu Bord übergenommen. Mehr konnten die Laderäume der beiden Schiffe nicht fassen, ohne sich selbst zu gefährden. »Schade«, sagte Siri-Tong. »Wir hätten noch mehr Konvoischiffe aufbringen und kapern können zumal wir so schön im Zug waren. Wie denn, wenn es uns gelänge, eine Prisengaleone oder Karavelle bis zur Schlangeninsel zu steuern?« Hasard lächelte. »Ich habe auch schon daran gedacht. Aber wir brauchen sämtliche Männer, um allein die ›Isabella‹ und Ihren Zweimaster segeln zu können, Madame.« »Also brechen wir das Unternehmen ab?« »Wir müssen.« »Einverstanden Alfredo.« Sie begab sich auf ihr Schiff zurück, und beide, ›Isabella‹ und Zweimaster, lösten sich von der sinkenden Karavelle. Die Rückreise zur Schlangeninsel, wo die Beute gehortet werden würde, begann. Man schrieb den 10. April 1581.
ENDE
Meuterei auf der Schlangeninsel von Fred McMason
Sie hatten einigen der Kerle aus der Crew der Roten Korsarin nie so recht getraut, und dennoch waren sie völlig überrascht, als Dan O’Flynn plötzlich spurlos verschwunden war und nur der Schimpanse Arwenack zu wissen schien, wo er steckte. Aber Arwenack konnte nicht sprechen, sonst hätten die Seewölfe schneller erfahren, in welcher Gefahr Dan O’Flynn schwebte ...