Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 719 Die Daila
Zielstern Gyd von Arndt Elimer Das Treffen der Mutanten Auf Terra...
24 downloads
319 Views
989KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 719 Die Daila
Zielstern Gyd von Arndt Elimer Das Treffen der Mutanten Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide sich nach einer plötzlichen Ortsversetzung in einer unbekannten Umgebung wiederfindet, wo unseren Helden alsbald ebenso gefährliche Abenteuer erwarten wie in Alkordoom. Atlans neue Umgebung, das ist die Galaxis Manam-Turu. Und das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit bietet, die Spur des Erleuchteten, seines alten Gegners, wieder aufzunehmen, ist ein hochwertiges Raumschiff, das Atlan auf den Namen STERNSCHNUPPE tauft. Das Schiff sorgt für manche Überraschung – ebenso wie Chipol, der junge Daila, der zum treuen Gefährten des Arkoniden wird. In den knapp sechs Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben die beiden schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums für Leid und Unfrieden verantwortlich waren. Die Hauptsorge Atlans gilt gegenwärtig den Daila des Planeten Akiard, der bereits von Invasoren kontrolliert wird. Und während der Arkonide Unterstützung bei den im Weltraum verstreuten Daila-Mutanten für deren alte Heimatwelt sucht, werden einige der Mutanten selbst aktiv. Ein verschlüsselter Funkspruch ruft sie zum ZIELSTERN GYD …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan - Der Arkonide hat Probleme mit seinen Begleitern. Elyl - Der Gesandte von Trysh. Aksuum - Oberster Rat von Aklard. Florinth - Sprecher der Daila-Mutanten. Klssmen-Jon - Anführer der Lasquen. Minimar - Ein »falscher« Lasque.
1. »… wobei es mir nicht ganz in den Kopf hinein will, daß wir mit dieser Suchtaktik etwas erreichen können. Wir fliegen blindlings in unsere Galaxis hinein!« Trom stieß die Schwingtür auf, die den Vorraum mit seinem Gleitschott von der eigentlichen Kantine trennte. Wie angewurzelt blieb er stehen, und Ganno stieß gegen ihn. Er machte »Heh!« und blickte dem Gefährten über die Schultern. Seine schräggestellten Schlitzaugen weiteten sich, und im Schatten der Tür leuchteten seine bläulichen Augäpfel hell auf. Entgeistert starrten die beiden Daila auf den Tisch, der ihnen am nächsten stand. Die sechs Drehsessel schwenkten auf ihren Säulen hin und her. Wie von Geisterhand bewegt, drehten sie sich nach links, dann nach rechts. Die Lager der Drehkränze gaben keine Geräusche von sich. Das verstärkte den unheimlichen Eindruck noch, den der Vorgang machte. »Weg hier!« zischte Trom und wandte sich dem Ausgang zu. Ihm lief ein kalter Schauer den Rücken hinab. »Wir müssen sofort Norgis informieren und Atlan. Etwas geht hier vor!« Ganno blieb stehen. Seine Augen schweiften suchend umher und entdeckten die Gestalt im Hintergrund der Kantine. Sie stand in einer Nische des Robotbüfetts und stellte sich ein Menü auf einem Tablett zusammen. Der Daila stieß einen Ruf aus. Er eilte in die
Kantine hinein auf die Gestalt zu. »Du bist das!« schrie er. »Was machst du da?« Die Gestalt fuhr herum. Sie wirkte erschrocken, als sei sie tief in Gedanken versunken gewesen. »Ich habe euch nicht kommen gehört«, klang die Stimme auf, die sie inzwischen gut genug kannten. Trom sah, daß es Saylimandar war, der noch größer als Ganno war und eigentlich alle Daila überragte, die sich an Bord befanden. »Ich bin gerade dabei, mir eine Mahlzeit herzurichten!« »Das sehen wir!« bellte Ganno. »Und was soll das?« Er deutete auf die Sessel, die langsam ausschaukelten und dann zur Ruhe kamen. »Entschuldigt, Brüder«, erklärte der Mutant mit sanfter Stimme. »Ich wollte euch nicht erschrecken!« »Dazu ist es zu spät«, entgegnete Ganno scharf. »Deine Späße gehen uns auf die Nerven.« Trom zog den Bordtechniker der GHYLTIROON am Arm, aber obwohl er selbst robust gebaut war, gelang es ihm nicht, den dicklichen Mann von der Stelle zu bewegen. Ganno sträubte sich. Drohend bewegte er sich auf den Mutanten zu. »Es hat seinen Grund, warum wir Aklard von Leuten wie dir säubern, sobald sie im flugfähigen Alter sind. Ihr richtet nur Unheil an, überall wo ihr hinkommt!« Saylimandar war von seinem Tablett zurückgewichen. Deutlich war seinem Gesicht das Unbehagen anzusehen. Rasch griff er nach seiner unvollständigen Mahlzeit und zog sich in den Hintergrund der Kantine zurück. »Wir sind alle Daila, oder?« sagte er ruhig. »Warum bist du nur immer so aufbrausend, Ganno. Für meine Fähigkeiten kann ich nichts, sie sind mir angeboren. Und hast du vergessen, warum ich euch begleite? Warum wir mit dem reparierten Schiff unterwegs sind?« »Das mußt gerade du sagen«, entgegnete der Bordtechniker.
»Natürlich sollen wir nach Mutanten suchen. Nach Leuten, die einem Angst einjagen, wo immer man sich in diesem Schiff bewegt.« Wieder wollte er sich Saylimandar nähern, doch diesmal trat Trom ihn gegen das Schienbein, daß er laut aufschrie. »Hör auf mit dem Theater, Ganno«, mahnte der Mechaniker. »Wir wollen nicht streiten, selbst wenn er uns unheimlich ist. Du vergißt, in welcher Gefahr Aklard sich befindet!« Der Daila sog hörbar die Luft ein. Er ließ die Schultern ein wenig sinken und wandte sich dem Büfett zu. Gemeinsam wählten sie ihr Essen aus, dann trugen sie die Tablette hinüber zu dem Tisch, an dem Saylimandar sich niedergelassen hatte. »Verzeih mir, ich habe es nicht so gemeint«, murmelte Ganno. »Aber es ist einfach ungewohnt. Du mußt es verstehen, Saylimandar. Aklard ist eine Welt, auf der es keine übernatürlichen Kräfte gibt. Längst hat unser Planet den Schritt zur Harmonie getan, und nichts stört den Frieden.« Der Mutant entgegnete nichts. Er aß weiter, und als er seine Mahlzeit beendet hatte, wischte er sich die Finger an der Serviette ab. »Ich versuche, es zu verstehen«, meinte er düster. »Aber ich habe mir den Kontakt zu Bewohnern der Heimatwelt anders vorgestellt. Ist deine Aggressivität der Friede, von dem du redest, Ganno? Oder liegt dein aufbrausendes Temperament in deiner Figur begründet? Oder etwa in der schweren Kindheit, die du hattest?« Damit beging Saylimandar natürlich einen Fehler. Er wußte es, und er hob beschwichtigend die Arme und senkte den Kopf. Auf Nolien wäre ihm so etwas nicht passiert. Dort kam er als Psi-Star mit den Einheimischen und ihren Gepflogenheiten gut zurecht. Im Kreise der Angehörigen seines Volkes jedoch war er unbefangen, nur hatte er sich noch nicht damit abgefunden, daß er sich nicht in einem Lager voller Mutanten befand, sondern bei Leuten, die nicht über Psi-Fähigkeiten verfügten, ja sogar eine deutliche Abneigung dagegen zeigten. Diese Abneigung, das wußte Saylimandar, war
nicht vorurteilsbezogen. Sie steckte tiefer in den Seelen der Daila, und der Mutant fragte sich, was früher auf Aklard gewesen sein mochte, als alle Daila noch miteinander gelebt hatten. Ganno stieß einen Schrei aus und sprang auf. Er hätte den Tisch umgestoßen, wenn er nicht wie die Sessel am Boden befestigt gewesen wäre. Der Schwung riß ihn zur Seite, und er klammerte sich an der Tischkante fest und machte Anstalten, sich auf Saylimandar zu stürzen. »Was weißt du von meiner Kindheit?« ächzte er. »Du kannst es nicht wissen! Es sei denn, du hättest in mir …« »Es geschah unbeabsichtigt!« Saylimandar sprang ebenfalls auf. »Glaube mir. Ich will es nicht bewußt. Es war ein Fehler, und ich entschuldige mich dafür!« Trom hatte sich ebenfalls erhoben. Er wollte sich zwischen die beiden stellen. Eine gewisse Scheu vor dem Mutanten hielt ihn davon zurück, und er bemerkte zu seinem Erstaunen, daß Ganno sich vom Tisch in Richtung Ausgang zurückzog. »Komm!« sagte er zu Trom. »Mir ist der Appetit vergangen!« Seufzend sank Saylimandar in seinen Sessel zurück. Er beobachtete, wie die beiden Daila die Kantine verließen. Er sah auf sein Tablett und dachte nach. Er schob es mit einer Handbewegung von sich und wollte seine Kabine aufsuchen. Er wollte sich schon konzentrieren, aber da kam Trom zurück. Er schob nur den Kopf durch die Flügeltür hindurch. »Er ist nun mal so«, sagte er und meinte Ganno. »Aber du mußt dich vorsehen. Ich glaube, du hast ihn dir zum Feind gemacht!« »Ich wollte es nicht«, rief Saylimandar laut aus. »Es war ein Mißverständnis. Ich habe Anpassungsschwierigkeiten wie ihr. Meine Fähigkeiten sind ungewöhnlich und erschreckend für euch. Aber was soll ich tun? Ich kann mich nicht immer in meiner Kabine einschließen!« »Es wäre auch kein Hindernis für dich, sie sofort wieder zu verlassen«, knurrte Trom. »Aber wie es auch sei. Du gehst Ganno
am besten aus dem Weg. Zumindest in den nächsten Tagen!« Sein Kopf verschwand, und Saylimandar dachte bekümmert, daß es in einem Schiff wie der GHYL-TIROON nicht gerade einfach war, dem Bordtechniker aus dem Weg zu gehen. Wieder konzentrierte er sich darauf, seine Mutantenfähigkeiten anzuwenden. Dann besann er sich jedoch eines Besseren. Er setzte sich in Bewegung und verließ die Kantine zu Fuß. Ohne jemandem zu begegnen, gelangte er zu seiner Kabine.
* Wir hatten Nolien vor einer Woche verlassen. Die GHYLTIROON flog durch Manam-Turu und suchte nach Anzeichen eines Planeten, auf dem verbannte Daila lebten, die über Mutantenfähigkeiten verfügten. Unablässig arbeiteten die Ortungsgeräte und suchten nach Sonnensystemen, die von raumfahrenden Völkern bewohnt wurden. Von den Ligriden und ihren Helfern fanden wir zur Zeit keine Spur, und das war uns recht. Wir waren von Aklard aufgebrochen, um Hilfe für die Heimat der Daila zu bekommen. Die Ligriden hatten sich den Planeten unter den Nagel gerissen, und wir wußten nicht, wie es dort zur Zeit aussah. Wir wußten nur, daß uns die Zeit unter den Nägeln brannte. Die wenigen Mutanten, die sich auf Nolien befunden hatten, waren nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Für einen Aufstand gegen die Ligriden hätten sie nicht ausgereicht. Also hieß es weitersuchen. Saylimandar war der einzige, der uns begleitete. Er sprach nicht über seine eigentlichen Beweggründe, aber es war offensichtlich, daß Aklard für ihn das Stichwort war. Er hoffte, daß er mit unserer Hilfe die Heimat erreichen konnte. Das Zusammensein mit den vier Besatzungsmitgliedern und mit Chipol muß eine große Ernüchterung für ihn sein, meldete sich der Extrasinn. Du wirst ein wenig auf ihn aufpassen müssen. Wozu verwirrte Mutanten
fähig sind, weißt du aus eigener Erfahrung! Es gab Hunderte von Beispielen aus meinem langen Leben, wo Mutanten die Nerven verloren hatten und durchdrehten. Bei Saylimandar glaubte ich nicht daran. Auf Nolien hatte er einen ausgeglichenen Eindruck auf mich gemacht. Allerdings hatte er sich dort oft unter seinesgleichen aufgehalten, und die Maske eines Noliers hatte ihn geschützt. Jetzt war er seiner bisherigen Wurzeln beraubt, und die Sehnsucht nach Aklard konnte dazu führen, daß seine psychische Stabilität irgendwann zusammenbrach. Es war jedoch nicht das einzige, was mir Kopfzerbrechen bereitete. Auch das Verhalten der Besatzungsmitglieder der GHYLTIROON gegenüber dem Mutanten ließ zu wünschen übrig. Besonders der hitzköpfige Ganno war schwer einzuschätzen. Ich wandte den Kopf und blickte zu Norgis hinüber. Der Kommandant des Schiffes beobachtete die Ortungsanzeigen. Auf dem Frontbildschirm waren mehrere Sonnen zu sehen, die in relativer Nähe zu unserem Schiff standen. Ihr Abstand betrug ein halbes bis vier Lichtjahre. Die Fernortung hatte bereits ergeben, daß alle Sterne über Planeten verfügten. Wir hatten also ein ganzes Feld vor uns, und die Anzahl der vorhandenen Sonnenbegleiter weckte die Hoffnung in mir, daß wir endlich unserem Ziel näher kamen. Norgis bemerkte meinen Blick. Er verzog das Gesicht, daß es mich an das Aussehen einer Katze erinnerte. »Alles klar?« erkundigte ich mich. Er bestätigte es. »Das Schiff könnte nicht besser fliegen, Atlan. Wir sind eine eingespielte Mannschaft. Ohne Männer wie Ganno säßen wir noch immer auf Nolien fest!« Er redet viel! bemerkte der Extrasinn. Es ist sonst nicht seine Art! »Wir suchen die vor uns liegenden Sonnensysteme ab. Ich bin zuversichtlich. Ich habe so ein Gefühl, als hätten wir bei einem dieser Sterne Erfolg!« »Mag sein!« erklärte Norgis. »Ich lasse den Computer einen gescheiten Kurs berechnen. Einen Piloten brauchten wir jetzt!«
Er selbst flog das Schiff zuverlässig und ohne Probleme. Aber seine Worte erinnerten uns daran, daß wir Raegul verloren hatten. Er stand unter dem Einfluß der Hyptons und war auf Nolien nicht mehr aufgetaucht, nachdem er die Schiffe der Ligriden herbeigerufen hatte. Ich glaubte, daß er von einem von ihnen aufgenommen worden war. Neben Saylimandar war Raegul der zweite Punkt, der dazu beitrug, daß sich die Stimmung an Bord mit jedem Tag verschlechterte, den wir unterwegs waren. Die GHYLTIROON änderte den Kurs und flog der uns am nächsten stehenden Sonne zu, einem weißgelben Stern von etwa dem fünffachen Durchmesser der rötlichgelben Suuma. »Ihr seid alle Raumfahrer«, stellte ich fest, nachdem ich eine Weile den Bildschirm betrachtet hatte. »Die GHYLTIROON ist ein Forschungs- und Handelsschiff. Die Besatzung kommt mit anderen Völkern in Kontakt und ist dafür ausgebildet worden, sich mit Fremdrassigen und allen möglichen Mentalitäten zu verständigen. Das scheint überall zu funktionieren, nur nicht bei den Mutanten eures eigenen Volkes. Was ist die Ursache dafür, Norgis?« Der Kommandant begann sich unruhig in seinem Sessel zu bewegen. Mit dem Kopf deutete er hinüber an das linke Ende des Halbrunds, wo Mallosh in seinem Sessel saß. »Frag ihn. Vielleicht kann er dir besser Antwort geben als ich!« Der Funker und Waffenmeister war für seinen ruhigen Charakter und sein ausgleichendes Gemüt bekannt. Ich schritt langsam zu ihm hinüber. »Es gibt keine Antwort darauf, Atlan«, erklärte der Daila. »Wenn es eine gäbe, wüßten wir, was wir falsch machen. Tatsache ist, daß die Spannungen an Bord ständig zunehmen, seit Saylimandar hier ist.« »Du glaubst, es kann nicht euer Unvermögen sein, mit Andersartigen umzugehen?« forschte ich, obwohl ich längst davon überzeugt war.
»Es ist etwas anderes. Keiner von uns kann es erfassen. Saylimandar stört einfach, ohne etwas dafür zu können. Er bringt Unruhe in unsere Herzen. Wir wissen, daß Leute wie er durchaus fähig wären, Aklard von den Ligriden zu befreien. Und dennoch glaube ich nicht, daß es dazu kommen wird.« »Warum?« »Weil die Ankunft einiger tausend Mutanten die Bewohner unseres Mutterplaneten rasend machen würde.« »Du bist ein Fremder und würdest uns nie verstehen«, fügte Norgis hinzu. »In meinen Augen macht ihr es euch zu leicht«, entgegnete ich. Ich wandte mich ab. Die Vorurteile der Daila gegen die Mutanten saßen tiefer, als ich ursprünglich hatte annehmen können. Malloshs Worte näherten die Zweifel in mir, ob wir mit unserer Mission überhaupt etwas ausrichten konnten. Was aber dann, Arkonide? Willst du so einfach die Segel streichen? Ich hatte Urlysh ein Versprechen gegeben. Der Oberste Rat baute darauf, daß wir mit unserer Mission Erfolg hatten. Aklard mußte geholfen werden, um dem Expansionsdrang der Hyptons und ihrer Helfer einen empfindlichen Dämpfer zu versetzen. Und daß wir das Ziel erreichen konnten, dafür hielten wir bereits Beweise in den Händen. Ich dachte an die Erzählung des Rebellenführers Kyrkodh zurück. Der alte Daila hatte berichtet, daß es in jenem Raumkubus, in dem Aklard Handel mit anderen Völkern trieb, keine verbannten Daila gab. Sie hatten sich auf keinem dieser Planeten niedergelassen. Jenseits dieser gedachten Raumgrenze jedoch hatte Kyrkodh in seiner Raumfahrerzeit Welten mit Verbannten gefunden. Es hatte sich herausgestellt, daß diese sich noch immer als Angehörige des Volkes von Aklard fühlten. Sie hatten die Behauptung aufgestellt, daß alle Verbannten so dachten und sie es spüren würden, wenn Aklard in Gefahr wäre. Die Verbannten hatten Kyrkodh geholfen und ihm einen glücklichen Rückflug in seinen Lebensbereich
ermöglicht. Diese Erzählung war es gewesen, die mich und Chipol bewogen hatte, das Unternehmen zu starten, auf dessen Flug wir nach Nolien gekommen waren. Kyrkodhs Erzählung hatte sich dort bestätigt. Die Verbannten besaßen eine starke Anhänglichkeit an ihre Heimatwelt. Bereits bei Chipol hatte ich damals auf Joquor-Sa und Cairon diese starke Anhänglichkeit und Sehnsucht nach Aklard beobachtet, obwohl er kein Mutant, sondern im Gegenteil ein Unbegabter in einer Familie aus lauter Mutanten gewesen war. Der Gedanke an den Jungen führte mir vor Augen, daß ich Chipol seit Stunden nicht mehr in der Zentrale gesehen hatte. Er hatte sich unbemerkt davongemacht. Das Verhalten des jungen Daila gab mir noch mehr Rätsel auf als das der Besatzungsmitglieder des Schiffes. Seine instinktive und stark ausgeprägte Abneigung gegen alles, was mit psionischen Kräften zu tun hatte, war mir bekannt. In den letzten Wochen hatte ich jedoch das Gefühl, als wüchse diese Abneigung. Chipol wirkte verschlossen, und er ging Saylimandar aus dem Weg. Urlysh hatte in dem Jungen eine Chance gesehen, die Brücke zu den Verbannten zu schlagen, da Chipol selbst ein Verbannter war. Dies mochte dazu geführt haben, daß er unter starkem Streß stand und immer mehr Abneigung entwickelte, diesen Kontakt herzustellen. Saylimandar schien da schon der bessere Botschafter für die gemeinsame Sache zu sein. Das ist alles zu theoretisch, um nicht zu sagen unlogisch, warf der Extrasinn ein. Chipol spürt, daß Saylimandar die größere Autorität ist. Er glaubt, daß der Mutant ihm das sprichwörtliche Wasser abgräbt. Seine Abneigung gegen Mutanten war schon vorher da, lehnte ich ab. Sie entstammt den schlimmen Erfahren mit seiner Familie, in der er als schwarzes Schaf behandelt wurde. Das ist richtig, aber der Abstand zu jenen Ereignissen ist groß genug!
Kaum, Logiksektor. Du vergißt, daß er noch ein halbes Kind ist und von seinen Träumen und Erinnerungen lebt, auch wenn er sich manchmal betont altklug und erfahren gibt. Auch das ist kein Widerspruch zu meinen Anmerkungen. Du wirst es später einmal einsehen. Ich setzte den gedanklichen Dialog nicht fort. Es kam nichts dabei heraus. Es schaffte unsere Probleme nicht aus der Welt. Ich wurde zudem abgelenkt, denn der zentrale Antigravschacht spuckte den jungen Daila aus, und er kam im Spurt zu mir herübergerannt und blieb keuchend vor mir stehen. »Er verbarrikadiert sich in seiner Kabine«, stieß Chipol hervor. »Du mußt etwas dagegen unternehmen. Er heckt etwas aus. Ich weiß nicht, was es ist. Aber du mußt eingreifen, bevor es geschieht.« »Wen meinst du eigentlich?« erkundigte ich mich, wohl wissend, daß er von dem Mutanten sprach. Er starrte mich an, als sei ich ein Geist. »Saylimandar ist es. Ich rede von dem Unglückseligen, den wir auf Nolien an Bord genommen haben. Was will er hier? Warum bespitzelt er uns fortwährend?« »Wo bespitzelt er uns denn?« »Überall. In der Zentrale, in den Kabinen, im Aufenthaltsraum und in der Kantine. Überall tauchte er auf. Nirgendwo ist man vor ihm sicher. Er kommt und geht so unauffällig, daß man ihn meistens erst bemerkt, wenn man ihm auf die Füße tritt!« »Mäßige dich, Chipol!« herrschte ich den Jungen an. »Es steht dir nicht zu, so über ein Mitglied deines Volkes zu reden. Auch deine Abneigung gegenüber allen psi-begabten Wesen darf nicht dazu führen, daß sie in Intoleranz oder gar Haß umschlägt.« Der Junge bewegte unschlüssig den Kopf und ließ sich dann in den nächsten Sessel sinken. Er seufzte tief. »Ich weiß selbst nicht, was ich denken soll«, erklärte er. »Ich kann kaum noch schlafen. Immer fühle ich mich beobachtet. Dieser Saylimandar ist wie ein Geist. Wenn ich um eine Ecke biege, spüre
ich seinen durchdringenden Blick in meinem Rücken und fahre herum. Aber er ist nirgends. Er verfolgt uns alle geistig. Glaube mir, Atlan, es geht eine Gefahr von ihm aus!« »Es ist die Andersartigkeit, die dich verwirrt. Einerseits verfolgt er dich geistig, andererseits trittst du ihm überall auf die Füße. Ich frage mich, wer da wen verfolgt. Woher weißt du, daß er sich in seiner Kabine eingeschlossen hat?« Chipol schluckte und schloß für kurze Zeit die Augen. »Ich bin ihm hinterhergeschlichen. Ich wollte wissen, was er treibt. Er kam aus der Kantine und suchte seine Kabine auf. Deutlich hörte ich, wie er den Schlüssel drehte.« »Also verfolgst du ihn und nicht umgekehrt«, stellte ich fest. »Was wird er wohl in der Kantine getan haben? Glaubst du, er hat Gift in die bereitstehenden Nahrungsmittel getan, um uns umzubringen?« Der junge Daila schüttelte resignierend den Kopf. »Ich glaube nicht. Aber er hat etwas vor. Er will etwas von uns. Das steht fest!« »Natürlich«, sagte ich. Saylimandar wollte vor allem nach Aklard. Das war jedem in unserem Schiff bekannt. Er hatte sich uns angeschlossen, um dieses Ziel auf Umwegen zu erreichen. »Wenn du in deiner Kabine nicht schlafen kannst, dann tu es hier«, sagte ich weiter. Ich trat zur Seite, weil der Junge einen Sessel herumschwenkte und ihn so arretierte, daß er den Antigravschacht beobachten konnte, der von der Kommandozentrale oben in der Kugel durch das ganze Schiff ging bis hinunter zur Hauptschleuse. Es dauerte nicht einmal eine halbe Minute, dann verließ der Mutant den Schacht und schritt langsam und nachdenklich auf uns zu. »Noch immer nichts«, stellte er fest. »Du willst all diese Sonnensysteme absuchen lassen, Atlan?« Norgis stieß einen Ruf aus. »Was hat Atlan damit zu tun?« rief er scharf. »Ich bin hier der Kommandant!« Fassungslos stand ich da und hörte zu. Es war nicht möglich.
Spielten jetzt auch die Besonnenen verrückt? »Saylimandar, wir sollten miteinander reden«, begann ich. »Wir müssen die Probleme ausdiskutieren, die es im Augenblick an Bord gibt.« »Oh, ich habe keine Probleme. Es geht mir gut«, lächelte der Mutant. »Aber ich kann es kaum erwarten, bis wir am Ziel sind!« Er sehnt sich nach der befreienden Gegenwart anderer Mutanten! Beziehe das in deine Überlegungen ein! Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete ich, wie Chipol sich aus seinem Sessel schnellte und rasch durch die Zentrale bis an ihr entgegengesetztes Ende ging. Dort ließ er sich demonstrativ auf einer Konsole nieder. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen zusammengezogen, die silbrigweißen Fingernägel schimmerten im Licht der Deckenbeleuchtung. Er saß dort wie festgegossen, und ich befürchtete schon, er könnte im nächsten Augenblick die Beherrschung verlieren. »Machen wir uns nichts vor«, meinte ich nachsichtig. »Die Daila von Aklard behandeln dich nicht gerade freundlich. Und du leidest darunter, denn du begreifst es nicht. Dein Idealbild von der Heimatwelt wird dadurch gestört. Es wird einige Zeit dauern, bis du dich daran gewöhnt haben wirst, daß eben nicht alles so ist, wie es sich dir im Traum darstellt. Andererseits beruhigt mich deine Unwissenheit. Sie zeigt mir, daß wir dir vertrauen können!« »Warum?« rief Chipol scharf. »Beweise es, Atlan!« Früher hatte er meine Worte nie anzuzweifeln gewagt, jetzt tat er es. Er befand sich in einer Verfassung, die mich alarmierte. »Der Beweis ist einfach«, sagte ich. »Ich hoffe auch, daß Norgis und Mallosh meine Worte an ihre Kollegen weitergeben, die sich irgendwo im Schiff aufhalten. Saylimandar hätte sich die Informationen ohne weiteres aus dem Unterbewußtsein eines von euch holen können. Dann wäre er nicht so bestürzt über euer Verhalten. Daß er es nicht tat, spricht für ihn. Reicht das?« »Es reicht«, erklärte Norgis. Er hatte sich wieder gefaßt und war so
ruhig wie immer. »Es wäre Unsinn, etwas anderes anzunehmen.« »Dann ist es gut«, sagte ich. Saylimandar hatte sich während unserer Unterhaltung nicht von der Stelle bewegt. Wie ein Angeklagter und mit schuldbewußtem Blick stand er da, und ich warf ihm ein paar aufmunternde Worte zu. Er gab sich einen Ruck. »Wir sollten diese Sonne da nicht anfliegen«, sagte er. »Die Planeten sind nicht bewohnt. Weder von Daila noch von anderen Rassen. Ich kann es mit meinen Gedanken nicht erfassen, aber ich glaube, daß uns von diesem Stern Gefahr droht!«
* Die GHYLTIROON mit ihren knapp neunzig Metern Durchmesser war ein kleines Kugelraumschiff, jedoch auf dem modernsten dailanischen Stand der Technik und weitgehend automatisiert. Im Notfall konnte das Schiff von einem einzigen Daila geflogen werden. Die reguläre Stammbesatzung bestand aus fünf Daila, die aufeinander eingespielt waren. Jeder konnte zur Not auch die Funktionen des anderen übernehmen. Durch den Ausfall und das Verschwinden Raeguls war dies bereits der Fall. Ursprünglich hatte das Schiff zu einem weit entfernten Planeten fliegen und neue Handelskontakte schaffen sollen. Die Invasion der Ligriden hatte es verhindert. Die GHYLTIROON war auf der Oberfläche geblieben und erst gestartet, nachdem die Naldrynengeiseln an Bord gebracht worden waren. Die Geiseln hatte man inzwischen an die Hyptons herausgeben müssen, aber das Schiff selbst hatte alle Gefahren überstanden und war nach etlichen Reparaturen so flugfähig wie zuvor. Die Kommandozentrale lag ganz oben im Schiff. Darunter befanden sich Laboratorien und Arbeitsräume, dann folgten die Wohnkabinen und die Kantine. Zwei Drittel des vorhandenen
Raumes waren für die Ladung gedacht, also für Handelsgüter. Ein zentraler Antigrav-Schacht verband die beiden Kugelpole. Die Hauptschleuse an der unteren Wölbung besaß eine ausfahrbare Metallrampe. Neben der Schleuse befand sich ein Hangar mit einem Erkundungs- und zwei Transportfahrzeugen. Außerdem verfügte das Schiff über zwei Rettungskapseln, die auch für Erkundungsflüge eingesetzt werden konnten und maximal zehn Personen für zehn Tage am Leben erhielten. Die Triebwerke waren im unteren Schiffsdrittel in Form eines warzigen, buckligen Wulstes angeordnet, ein zweiter, weniger deutlich ausgeprägter Wulst im oberen Drittel enthielt Waffen, Beobachtungssysteme und ferngelenkte Sonden. Die GHYL-TIROON verfügte über Antigrav-, Impuls- und Lineartriebwerke. Neben etlichen Paralysestrahlern besaß sie außerdem vier starke Lasergeschütze. Das war eine leichte Bewaffnung, die einzig dazu diente, das Handelsschiff vor Piraten zu schützen. Im Augenblick nützte sie uns gar nichts, denn der einsetzende Alarm belehrte uns, daß mit dem Schiff selbst etwas nicht in Ordnung war. Ich stürzte zu Norgis und musterte die Kontrollen. »Störung im Antriebsbereich«, knurrte der Kommandant. »Hat uns noch gefehlt. Möchte wissen, was da los ist!« »Wo sind Ganno und Trom?« fragte ich. Mallosh versuchte sie bereits zu erreichen, aber sie befanden sich nicht in ihren Kabinen. Der Funker schaltete den schiffsinternen Rundruf ein. »Ganno und Trom sofort in den Trieb Werksbereich«, gab er durch. »Fehlfunktion in Sektor drei!« Sektor drei war der Bereich der Energieerzeuger. Ich dachte sofort an das Iridium, das wir auf Nolien erhalten hatten. War damit etwas nicht in Ordnung? Die beiden Daila meldeten sich nicht. Ich winkte Chipol zu mir. »Mallosh soll mitkommen. Wir suchen die beiden«, meinte ich. »Wenn ihnen etwas zugestoßen ist, benötigen sie Hilfe!«
Saylimandar setzte sich ebenfalls in Bewegung, aber Chipol spurtete zum Antigravschacht hinüber und stellte sich mit ausgebreiteten Armen davor. Er wollte den Mutanten nicht hinauslassen. »Chipol!« rief ich warnend. Er hörte nicht. Langsam verlor ich die Geduld. Ich eilte zu ihm und riß ihn von dem Ausgang weg. Er wehrte sich dagegen, aber ich hielt seine Oberarme umklammert und hob ihn ein paar Zentimeter vom Boden ab. Ich trug ihn zu Norgis hinüber. Dort stellte ich den Jungen mit Nachdruck auf den Boden der Tatsachen zurück. Der Kommandant fluchte laut. »Ich kann das Schiff nicht mehr steuern«, erklärte er. »Es weicht nicht aus seiner Bahn.« Und diese Bahn führte uns innerhalb weniger Stunden in die weißgelbe Sonne. »Los!« rief ich. »Wir brauchen die GHYLTIROON noch. Wir müssen sie retten!« Wir wollten uns entfernen, aber da tauchten die beiden vermißten Daila aus dem Antigrav auf. Ganno sprang vorwärts und deutete anklagend auf Saylimandar. »Der da ist schuld«, rief er aus. »Er hat etwas mit dem Antrieb angestellt. Wir kommen nicht an die Fehlerquelle heran!« Norgis und Mallosh erhoben sich aus ihren Sesseln. Drohend schritten sie auf den Mutanten zu, der sich instinktiv versteifte. Norgis riß ihn herum und holte mit der freien Faust zum Schlag aus. Ich fiel ihm in den Arm und schleuderte ihn zur Seite. Mir war das hämische Grinsen nicht entgangen, das für einen Sekundenbruchteil über Gannos Gesicht gehuscht war. Norgis wehrte sich. Ich drohte damit, ihn bewußtlos zu schlagen, wenn er nicht endlich Vernunft annahm. »Wir gehen hinunter«, sagte ich mit Nachdruck. »Gemeinsam. Und wir sehen es uns an. Es muß eine Möglichkeit geben!« »Ich habe nichts damit zu tun«, flüsterte der Mutant
eingeschüchtert. Ich sah, wie er zitterte, und ich glaubte ihm sogar. Ich konnte mir zusammenreimen, was los war. »Er simuliert«, meinte Chipol und erntete einen bösen Blick von mir. Wir machten uns auf nach unten. Wir beeilten uns, denn der Verlust der GHYLTIROON bedeutete, daß wir in diesem Raumsektor strandeten. Mit den Rettungskapseln kamen wir nicht weit, höchtens ein paar Lichtjahre. Noch immer dröhnte das Alarmgeheul in unseren Ohren. Es ließ sich nicht abschalten, und es zerrte zusätzlich an unseren Nerven. Wir erreichten den Triebwerksbereich und Sektor drei. Die Sicherheitsschotte waren geschlossen, und Norgis öffnete sie mit Hilfe eines Kodes, der nur dem Kommandanten zugänglich war. Ich schnupperte. Es roch nicht nach Qualm und anderen Anzeichen eines Unglücks. Es gab keinen Hinweis, und die Daila drangen in Sektor drei ein und sahen sich um. Nichts deutete auf einen Ausfall hin, nur die Lampen an den Kontrolltafeln blinkten in warnendem Gelb. Über eine Viertelstunde suchten sie, und Ganno war der eifrigste dabei. Er öffnete jeden Maschinentrakt und befragte die Computer. Lediglich einen winzigen Bereich ließ er außer acht. Mir selbst fiel es nicht auf, aber der Extrasinn wertete meine Beobachtungen aus und kam zu dem entsprechenden Schluß. »Ihr sucht an der falschen Stelle«, sagte ich. »Kommt hier hinüber.« Norgis und Mailosh eilten herbei, und ich zeigte ihnen jenen Maschinentrakt, den ich meinte. Norgis ließ ein Prüfgerät holen und schickte Prüfimpulse durch die Anschlüsse des computergesteuerten Trakts. Als er sich aufrichtete, stieß er ein gefährliches Knurren aus. Seine Augen blitzten Saylimandar an, der sich im Hintergrund hielt. »Einer der Energieträger ist unterbrochen. Wenn wir uns nicht beeilen, kommt es in Kürze zu einer Überladung von Meiler acht. Dann fliegt hier einiges auseinander!«
»Hast du einen Infrarottaster da?« erkundigte ich mich. Mailosh hielt mir ein kleines Gehäuse entgegen. Ich stieg durch eine Öffnung in den Trakt hinein bis zu der Stelle, an der Norgis das fehlende Teil lokalisiert hatte. Mir war ein Gedanke gekommen. Ich suchte nach Fingerabdrücken und fand sie auch. Ich speicherte sie in dem Gerät und steckte es in meinen Gürtel. Mailosh und Trom waren bereits auf dem Weg, ein Ersatzteil zu besorgen. Sie brachten es keuchend an, und Norgis und Ganno fügten es ein und beseitigten den Schaden. Der Alarm brach ab, die Kontrollichter wechselten auf Blau und Grün über. Der Kommandant trat zu dem Mutanten. »Wenn du das warst, wirst du es bereuen!« drohte er. »Wir werden das ausgebaute Teil finden!« »Dann durchsucht zunächst seine Kabine, in der er sich verbarrikadiert hatte«, schlug Chipol vor. Ich wurde regelrecht wütend auf ihn. Bisher hatte ich wenig Grund gehabt, mich über seine menschlichen Qualitäten zu beklagen. Seit Saylimandar an Bord war, schien sich seine Abneigung gegen Psi-Wesen jedoch zu einem Trauma zu entwickeln. Wir kehrten in die Zentrale zurück, und ich weihte Norgis in meine Absichten ein. Alle mußten sich die Fingerabdrücke nehmen lassen, und dann warteten wir, bis Mallosh und Trom ihre Suche beendet hatten. Sie fanden das ausgebaute Teil in einem der Beiboote. Dort hätte man es lange suchen können, und inzwischen wäre die GHYLTIROON in der Sonne verglüht, an der der Kommandant das Schiff nun vorbeiführte. Es bremste ab, und die Nahauswertung begann. Acht Planeten wies der Stern auf, aber keiner davon war von einer Zivilisation bewohnt. Keiner eignete sich für Daila als Heimat, und wir flogen bedrückt davon und hielten Kurs auf den nächsten Stern. Inzwischen hatte ich auch das angebrachte Teil auf Fingerabdrücke untersucht. Ich rief die Daila zu mir und erklärte
ihnen, was es mit meinem Tun auf sich hatte. Fingerabdrücke waren das simpelste, wenn es um die Spurensicherung ging. Der Täter hatte in seinem Haß nicht daran gedacht. Ich beobachtete, wie Chipol sich langsam nach hinten entfernte. Er zog sich an den Einstieg zum Antigrav zurück. »Damit ist es erwiesen!« sagte ich und überspielte den Inhalt des Infrarottasterspeichers auf den Hauptbildschirm. »Ganno ist der Täter!« Der Daila warf sich mit einem wütenden Aufschrei auf mich. Ich wich geistesgegenwärtig zur Seite und stellte ihm ein Bein. Vom eigenen Schwung getragen, stürzte er und schlitterte über den Fußboden. Er schlug mit dem Kopf gegen ein Hindernis und blieb benommen liegen. Trom erging sich in Ausrufen des Entsetzens. »Zu mir hat er gesagt, er wolle sich hinlegen und mich danach abholen, um in die Zentrale zu gehen. Jetzt weiß ich, wo er war. Er haßt Saylimandar, weil dieser in seiner Erinnerung gelesen hat. Deshalb hat er es getan!« Chipol hatte seinen Wachtposten am Ausgang aufgegeben und stellte sich neben Ganno auf, der sich schüttelte und versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Keiner half ihm dabei, und schließlich blieb er halb aufgerichtet an der Verkleidung der Steueranlagen liegen. Ich legte Saylimandar eine Hand auf die Schulter. »Dieser Mann ist ein Mitglied eures Volkes«, sagte ich. »Er ist ein Mutant, und er ist es gewohnt, sich seiner Fähigkeiten zu bedienen. Denkt nur daran, daß er sie brauchte, um ungesehen zwischen Karmenfunkel und dem Versteck der Daila hin und her zu kommen. Er weiß, daß er sich umstellen muß, aber es gelingt ihm nicht immer. Zu viele Dinge tut er aus Gewohnheit. Euch geht es genauso. Ihr müßt versuchen, euch daran zu gewöhnen. Ich weiß, es widerspricht euren Instinkten und eurer innersten Überzeugung.« »Wir können uns einfach nicht damit abfinden«, murmelte Norgis
düster. »Selbst wenn wir es versuchen. Etwas hält uns davon ab. Wir werden mit dem Mutanten nicht warm. Und das eigentliche Ziel, nämlich Welten der Verbannten, wo ist es? Wir fliegen sinnund ziellos herum!« Er hatte recht, und ich begriff, daß der Zeitpunkt für eine Entscheidung gekommen war. Die Abneigung saß so tief, daß sie nicht von einer Woche auf die andere abgebaut werden konnte. Unser Auftrag und unser Versprechen gegenüber dem Vertreter von Aklard wurde immer undurchführbarer. »Wir werden unsere Mission nicht fortführen«, erklärte ich. »Nicht in dieser Form. Es hat keinen Sinn. Wir lassen diese Sonnen Sonnen sein und kehren zurück.« Ich wandte mich allein Norgis zu. »Wir fliegen mit der GHYLTIROON Zyrph an. Ich werde mir die STERNSCHNUPPE holen. Dann könnt ihr Daila fliegen, wohin ihr wollt. Von mir aus auch zurück nach Aklard.« »Kann ich mit dir kommen?« klang Saylimandars Stimme auf. Ich nickte, ohne mich um Chipols Reaktion zu kümmern. Mit den beiden allein würde ich schon fertig werden, und Chipol war kein Ganno und auch kein Raegul, die vor lauter Unbeherrschtheit einen Boshaftigkeitsorden verdient hatten. Der Bordmechaniker hatte sich inzwischen aufgerafft. Er schüttelte die Benommenheit von sich ab und trat vor den Mutanten. Er hielt ihm die leeren Handflächen entgegen, und nach kurzem Zögern legte Saylimandar seine darauf. »Verzeih mir«, sagte Ganno laut. »Ich war blind vor Wut. Ich sehe ein, daß ich einen schweren Fehler gemacht habe. Es wird nicht wieder vorkommen!« »Ich verzeihe dir«, antwortete der Mutant, aber es klang traurig. Er wußte, daß sein Verhältnis zu den normalen Daila sich dadurch nicht wesentlich bessern würde.
*
Das Schiff hatte seine Flugrichtung geändert. Es flog in jenes Gebiet zurück, das mir bereits bekannt war, weil ich es mit der STERNSCHNUPPE oder an Bord ligridischer Schiffe durchstreift hatte. Der Gedanke an die STERNSCHNUPPE rief mir erneut all das in Erinnerung, was mit meinem Auftrag zu tun hatte. Ich befand mich in Manam-Turu, um den Erleuchteten zu finden und nach Spuren von EVOLO zu suchen. Ich wußte, daß EVOLO etwas Gefährliches war, was nicht nur Manam-Turu bedrohen konnte. Gleichzeitig aber war ich mit einer anderen Gefahr konfrontiert, die von den Hyptons und ihren Hilfsvölkern ausging. Und bei all diesen Dingen war ich allein und ohne die Unterstützung durch die Kosmokraten, die mich hierhergeschickt hatten. Ich wußte, daß das Kodewort Varnhagher-Ghynnst keine Wirkung mehr besaß. Es war mir nicht möglich, einfach in den Wasserpalast auf Kran zurückzukehren und meine Rolle als Orakel von Krandhor weiterzuspielen. Ich war dazu verdammt, meine Rolle in Manam-Turu weiterzuspielen. Zurück zum Wasserkran! machte sich der Extrasinn bemerkbar. Er versuchte mich aufzuheitern, aber es gelang ihm nicht. Ich hatte keine Zeit, mich mit seinem Wortspiel zu beschäftigen, denn Norgis hob den Kopf und murmelte etwas von fünf Minuten, in denen das Schiff in den Linearraum eintreten würde. »Wir empfangen Funkimpulse«, meldete Mallosh fast gleichzeitig. »Sie werden ständig wiederholt.« »Ein Hilferuf?« »Nein, eher eine Botschaft. Sie ist in der Sprache der Daila abgefaßt.« »Laß sie uns hören«, bat ich. Er schaltete die Lautsprecher der Zentrale hinzu, und wir vernahmen eine leicht verzerrte, aber deutliche Stimme. »Hier spricht Elyl vom Planeten Trysh«, vernahmen wir die
Worte. »Ich rufe alle Freunde der Sonne, sich möglichst bald im Mittelpunkt des Lichts einzufinden!« »Damit können wir nichts anfangen«, brummte Norgis. »Der Funkspruch ergibt keinen Sinn. Was sind Freunde der Sonne und der Mittelpunkt des Lichts?« Auch Chipol wußte nichts damit anzufangen. Lediglich Saylimandar rührte sich. Er sprang plötzlich herbei und ruderte mit den Armen. »Das ist ein Zeichen!« rief er aus. »Ich weiß, was es bedeutet. Vor Jahren traf ich auf Nolien einen Verbannten, der von einem anderen, besseren Planeten kam. Er berichtete mir, daß es zwischen den Verbannten auf den anderen Welten ständige Kontakte gibt und sie zur Sicherheit ihrer Kommunikation ein paar Kodebezeichnungen benutzen. Ich weiß, wohin wir fliegen müssen!« Saylimandar erklärte, daß mit den Freunden der Sonne die Verbannten und mit dem Mittelpunkt des Lichts ein bestimmter Stern gemeint waren, so daß der Funkspruch als Aufruf zu einem Treffen oder dem Aufsuchen eines Treffpunkts verstanden werden mußte. Der Stern war in seiner Position leicht zu bestimmen. »Es ist eine neue Chance«, erkannte Norgis. »Und die Dringlichkeit des Funkspruchs läßt vermuten, daß dieses Treffen sehr bald stattfinden wird.« Er sah mich auffordernd an. Ich nickte leicht. Wenn wir die Chance hatten, Mutanten aller von ihnen besiedelten Welten zu treffen, dann war das eine einmalige Chance. Wir würden sie vertun, wenn wir uns jetzt nach Zyrph wandten, um die STERNSCHNUPPE zu holen. »Erneuter Kurswechsel«, schlug ich vor. »Wir fliegen den Mittelpunkt des Lichts an!« Ich sah, wie sich die Daila versteiften. Chipol hatte sich sowieso in eine Ecke gedrückt und rührte sich nicht. Natürlich bereitete den Daila der Gedanke Unbehagen, plötzlich einer riesigen Meute von Mutanten zu begegnen. Andererseits brauchten wir nicht mehr aufs
Geratewohl durch die Leere zu fliegen und Pleiten zu erleben. Nolien war nicht gerade dazu angetan gewesen, uns Hoffnung zu machen. Nach der Euphorie war recht schnell der sprichwörtliche Kater gefolgt. »Danke, Atlan, vielen Dank!« rief Saylimandar freudig aus. Die Normalen schlossen die Augen, bis schließlich Norgis seine Besatzungsmitglieder ins Gebet nahm und ihnen ins Gewissen redete. Danach stand endgültig fest, daß wir unser neues Ziel ansteuerten und zumindest der Flug dorthin ohne Schwierigkeiten verlaufen würde. Und am Ziel? Was würde dort geschehen, wenn sich vier normale Besatzungsmitglieder und Chipol plötzlich Hunderten oder Tausenden von Mutanten gegenübersahen? Es ist gut, daß du es nicht weißt und Saylimandar nur Erinnerungen ausfindig machen kann, meldete sich der Extrasinn. Sonst hättest du keine ruhige Sekunde in der GHYLTIROON mehr. Die habe ich auch so nicht, gab ich lautlos zurück. Oder meinst du, Chipol bringt soviel Beherrschung auf, die nächsten Stunden keine Nörgeleien von sich zu geben? Sieh ihn dir nur an. Ein so verbissenes Gesicht hat er noch nie zur Schau getragen. Ich glaube, er träumt davon, daß es besser gewesen wäre, wenn ich ihn damals auf Joquor-Sa zurückgelassen hätte.
2. Diese Sonne, ist das Suuma? dachte Aksuum unruhig, aber die Gedankenstimme, die sein Inneres erfüllte, antwortete: Nein, das ist nicht Suuma, das ist Kerbarlon. Siehst du die Farben? Der Oberste Rat erkannte, daß der Stern bläulich leuchtete, so blau wie die Augäpfel eines jeden Daila. Automatisch stellte er eine Verbindung zwischen dem Stern und den Verbannten her, und ein
bestätigender Gedankenimpuls erreichte ihn. Das Blau dieser Sonne zieht einen Daila unweigerlich an. Kerbarlon leuchtet wie ein übergroßes, dailanisches Auge und bestrahlt seinen einzigen Planeten. Aksuum suchte, aber noch empfing er keine Bilder von dieser Welt. Nur die Sonne war vorhanden, und sie prägte sich seinem Geist mit einer Intensität ein, die ihn erschauern ließ. Aklys wurde der Stern von den Daila genannt, und die Urbewohner des Planeten akzeptierten es, daß die Verbannten einen anderen Namen für Kerbarlon verwendeten. Aklys und Aklard, einen engeren Zusammenhang und deutlicheren Bezug konnte es kaum geben. Aksuum erlebte in Gedanken mit, wie die Sonne größer und größer wurde und der Planet langsam in sein Blickfeld wanderte. Es stellte sich ihm dar, als blickte er auf den Bildschirm des Raumschiffs, und doch befand er sich auf einer Liege in einer kleinen Kammer, und um ihn herum waren die reglosen Körper von Mutanten und hinter ihnen die Wände und eine Tür. All das nahm er nicht wahr, denn er wollte nicht von den Bildern lassen, die sich direkt in seinem Bewußtsein manifestierten. In hundert Millionen Kilometern Entfernung von Kerbarlon lag ein Ring aus Gesteinsbrocken. Er umgab den gesamten Raum, den man als die Hauptebene der Planeten bezeichnen konnte, wenn man die Ebene des einzigen Planeten als Hauptebene annahm. Er deutete auf einen ehemaligen zweiten Planeten hin, der irgendwann zerstört worden war. Eine kosmische Katastrophe oder etwas anderes. Es gab keine Informationen darüber, und Aksuums gedankliche Frage danach wurde nicht beantwortet. Dann tauchte der Planet auf. Von weitem leuchtete er dunkelgrün, aus der Nähe hellgrün. Er befand sich am äußersten Rand der Ökosphäre des Systems, und die Temperaturen auf seiner Oberfläche waren niedriger als die auf Aklard. Aksuum ahnte den Namen dieser Welt, und die fremden Gedanken in seinem Kopf
bestätigten es. Das war Trysh, die Welt, auf der Verbannte vor etlichen Jahrhunderten Zuflucht gefunden hatten. Trysh war eine kalte, unwirtliche Welt, sie war noch am ehesten mit Uschriin zu vergleichen, nur waren ihre Kontinente ausgedehnter und stellenweise oder, solange sie nicht der Bearbeitung durch die Völker unterlagen. Das Bild von Aklys mit Trysh verschwand. Ein hellgrüner Himmel hob sich über den Horizont des Obersten Rates. Aksuum warf einen ersten Blick auf die eigentliche Oberfläche von Elyls Heimat. Er stieß einen lautlosen Ruf der Bewunderung aus. Der Kontinent, auf dem er sich befand, war von Horizont zu Horizont von einem einzigen, durchsichtigen Dach überzogen. Es lag etwa zweihundert Meter über der Oberfläche, und es waren keine Stützsäulen erkennbar, die es hielten. Es bestand aus einem durchsichtigen Material, das verschiedene Strahlungsspektren Kerbarlons ausfilterte. Der Stern sah von hier weißlich aus, nicht mehr bläulich. Der Eindruck von dem dailanischen Auge war vorbei. Warm war es auf der Oberfläche, und die Gedankenstimme sagte: Es ist der Kontinent Abeg, eines der Paradiese des Planeten. Er ähnelt einem Treibhaus, und auch auf den acht anderen Kontinenten gibt es diese Technik. Die durchsichtigen Dächer werden von Antigravsystemen und von der Wärme gehalten. Unter ihrem Schutz gedeiht auf Trysh alles, was das Leben angenehm macht. Ein Paradies, dachte Aksuum. Er begann sich zu wundern, wieso Elyl so starke Idealvorstellungen von Aklard mit zur Heimatwelt gebracht hatte, obwohl Trysh doch stärker an die Geschichte vom Paradies erinnerte. Wir Daila haben eine starke innere Bindung zur Heimat, erfuhr er das, was er bereits wußte. Aklard ist vielleicht nicht so schön wie die Treibländer dieser Welt, aber es ist ein natürliches Paradies,
während Trysh aufgrund des hohen Standards seiner Urbevölkerung zu einer Wunderwelt geworden ist. Wir zeigen dir noch mehr. Der Oberste Rat erreichte das Ufer eines Kontinents. Das durchsichtige Dach über ihm war zu Ende, und vor der Küste wogten graue Wolken, ein Produkt des Zusammentreffens der warmen Treibhausluft über dem Land mit der kalten Luft über dem Meer. Er machte einen Korridor aus. der von unsichtbaren Kräften gebildet wurde. Von einer Uferstelle des Kontinents aus erstreckte sich eine Brücke bis weit hinaus über das Meer, wölbte sich bis zu einer Höhe von etwa dreißig Metern über dem Ozean auf, ohne diesen zu berühren. Die Brücke bestand aus Wasser, Süßwasser, wie die Mutanten in Aksuum flüsterten. Am Ende der Brücke lagen kleine Boote vertäut. Der Oberste Rat bestieg eines und löste die Haltekette. Langsam wurde das Boot von einem Sog auf die Wasserbrücke hinausgezogen, die sich in der Art eines Regenbogens von einem Kontinent zum anderen spannte. Sie brachte ihn vom Pfianzkontinent hinüber zum Wohnkontinent, und es gab keine Ruder in dem Boot, die es führten, und keinen Mechanismus, der es zog. Es folgte der Schwerkraft, die in ihrer künstlichen Vollendung sogar die gleichmäßige Bewegung auf der Wasserbrücke bewirkte und verhinderte, daß das Boot abstürzen konnte. Aksuum zählte nicht die Stunden. Er gab sich ganz dem Rausch des Genießens hin, und das Boot folgte dem Tageslicht der wandernden Sonne und hielt Schritt mit ihm. Unter dem Boot tauchte das Ufer Baduns auf, und der Oberste Rat entdeckte einen Raumhafen hoch in der Luft, eine riesige, schwebende Plattform von etlichen Kilometern Durchmesser, von der Antigravschächte wie Schnüre bis hinab zum Boden hingen und in flachen Gebäuden mündeten, über denen sie hin und her schaukelten. Auch über Badun schien die weiße Kerbarlon-Aklys, und es wehte ein warmer Wind, ohne daß eine treibhausähnliche Abschirmung zu erkennen war.
Aksuum erreichte das Ufer und verließ das Boot. Übergangslos war er in eine Stadt versetzt, deren Gebäude atmeten und lebten. Er begann den Reichtum dieser Welt zu ermessen und stellte fest, daß Urbewohner und Daila in gutem Einvernehmen miteinander lebten. Und er fragte sich, warum dies auf Aklard zwischen normalen Daila und Mutanten nicht möglich erschien. Gut gefragt, empfing er die Gedanken. Vielleicht hängt davon das Schicksal Aklards ab. Aksuum wanderte weiter. Immer mehr begriff er, daß Trysh eine hochzivilisierte Welt war, die voller Reichtümer steckte. Die Daila hatten hier hohes Ansehen erworben und bekleideten wichtige Posten im gesellschaftlichen Gefüge des Planeten. Sie fühlten sich durchaus imstande, Aklard zu helfen. Das also ist Trysh, dachte er, und die Mutanten antworteten in ihm: Es ist ein Teil von Trysh. Der andere Teil ist kalt und unwirtlich, wie du es von deinem Kontinent Uschriin gewohnt bist. Nur die Hälfte von Trysh ist ein Paradies. Die andere Hälfte wehrt sich mit ungestümer Naturkraft dagegen. Längst wissen wir, daß es keinen Sinn hat, ihr weitere Kontinente abzutrotzen. Das Leben dort ist hart, aber das Gleichgewicht der Natur ist hergestellt. Es darf nicht verändert werden. Welche Weisheit! erkannte Aksuum. Wo ist die Weisheit der normalen Daila auf der Heimatwelt geblieben? Wo, Aksuum? Die Bilder in ihm verblaßten, aber die wohlige Wärme blieb. Er räkelte sich auf der Liege, und nach einer Weile des Schweigens in ihm schlug er die Augen auf. Er blickte in das Gesicht des Gesandten. Elyl half ihm beim Aufstehen und führte ihn hinüber in die Zentrale der GUNDBAD AKLYS. Aksuum war benommen und brauchte ein paar Minuten, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Die Mutanten, die die Gedankenbilder in ihm erzeugt hatten, versammelten sich in seiner Nähe und warteten, bis er ihnen ein Zeichen gab.
»Ich danke euch«, seufzte er. »Ihr bestärkt mich in meinem Vorhaben, und Elyls Andeutungen, was es mit dem Funkspruch auf sich hat, haben mich neugierig gemacht.« »Eigentlich wollte ich dir den Inhalt der Hyperfunkbotschaft sofort erläutern«, stimmte Elyl zu. »Aber meine Landsleute wollten, daß du zuerst das Wissen über Trysh erhalten solltest. Auch ich weiß jetzt, daß es so besser war. Du wirst alles andere leichter verstehen.« »Ich hoffe es«, bestätigte der Oberste Rat. »Trysh ist keine problemlose Welt«, begann einer der Mutanten, den Aksuum unter dem Namen Albyrn kennengelernt hatte. »Du hast es durch unsere Mentalbotschaft erkannt. Gerade das mag der Grund sein, warum wir Aklard hochstilisieren. Die tiefste Wahrheit ist jedoch die, daß ein starkes Band in uns ist, das uns noch immer mit der Heimatwelt verknüpft. Nur wir Mutanten spüren dieses Band deutlich, und es ermöglicht uns, jederzeit einen empathischen Kontakt mit Aklard herzustellen. Elyl kam zu euch als Botschafter. Er wurde nicht geschickt, um sich nach eurem Befinden zu erkundigen. Er wurde auch nicht nach Unscher gesandt, damit ihn ein Schiff von dort nach Aklard bringen sollte, nur um Gerüchten nachzugehen, die sich zufällig bis nach Trysh herumgesprochen hatten. Nein, all das, was mit den Ligriden zusammenhängt, war niemandem im Aklys-System klar. Wir spürten es, daß mit der Heimatwelt eine Veränderung vor sich ging, und alle Mutanten auf den vielen fremden Welten Manam-Turus haben es ebenso gespürt. Deshalb der Funkspruch, und wir hoffen und flehen nur, daß es nicht zu spät ist. Der Mittelpunkt des Lichts wartet!« Albyrn schwieg, und Aksuum setzte sich in einen Sessel. Sein Kopf dröhnte, und er machte keinen Hehl daraus, daß es ihm schwerfiel, all das in so kurzer Zeit zu verdauen. Elyl setzte sich in einen Sessel ihm gegenüber. »Neben dieser empathischen Verbindung gibt es aber auch direkte Kontakte der Verbannten untereinander«, führte er den Faden fort.
»Es finden Besuche anderer Welten statt, auf denen Verbannte leben. Es werden Meinungen ausgetauscht und auch Kulturgüter. Begreifst du jetzt, wie stark die Macht der Mutanten tatsächlich ist? Nicht einmal ich kann es genau erfassen, denn meine Fähigkeiten sind nur schwach ausgeprägt. Die Freunde der Sonne sind die Verbannten, und der Mittelpunkt des Lichts ist dort!« Er deutete auf den Bildschirm, der lediglich das Grau des Linearraums zeigte. Es gab nichts dort draußen in jenem Zwischenraum zwischen den Dimensionen, was die Optiken der Kameras hätten erfassen und vermitteln können. Für das menschliche Auge erweckte es den Eindruck, als säße das Schiff in einer kompakten Masse gefangen, in einer Art Grauguß, der es lückenlos umhüllte. »Der Hauch vom erlöschenden Feuer«, sagte Elyl eindringlich. »Dort ist das Ziel!« Aksuum holte tief Luft. Er kannte die ungefähre Lage jener Sternengruppe. Sie stand an jener Stelle in einem fernen Arm des riesigen Spiralnebels Manam-Turu, an der der Rauch seinen Ursprung hatte. Von Aklard aus war lediglich ein nebelartiges Gebilde mit einem hellen Stern zu erkennen, so als gäbe es dort noch einen letzten Rest Glut, der von dem ehemals Großen Feuer übriggeblieben war. »Die zentrale Sonne des Sternhaufens heißt Gyd«, erklärte der Gesandte. Es bedeutete Glut. »Gyd ist der Mittelpunkt der Glut und erscheint deshalb als heller Einzelstern, weil er Aklard näher steht als die übrigen Sterne der Gruppe.« »Du weißt bestimmt noch mehr über jene Zone«, erkannte Aksuum. Elyl machte ein Zeichen der Bestätigung. »Es ist jedoch im Augenblick nicht wichtig. Wir sind Gyd bereits näher, als du glaubst. Alles andere wirst du mit eigenen Augen miterleben.« Aksuum dachte an die Überlieferung der Daila, an den Mythos, auf dem die Religion und ihre Einzelgruppen basierten. Als der
Mythos entstanden war, hatten die Daila noch keine Raumfahrt besessen. Sie hatten den Himmel betrachtet und sich ihre eigenen Phantasiegebilde geschaffen. Erst in späterer Zeit hatten sie festgestellt, daß der Mythos vom Großen Feuer einen bestimmten Hintersinn besaß. Er stimmte nicht mit den Gegebenheiten in Manam-Turu überein, aber er war dennoch so etwas wie ein Spiegelbild einer kosmischen Entwicklung. Alles war aus dem Großen Feuer gekommen. Die kleinen Feuer breiteten sich in alle Richtungen des Universums aus, um eines Tages der Vereinigung mit dem Großen Feuer entgegenzustreben und mit ihm zu verschmelzen. Das war es, was allein wichtig war. Und die Daila? Wann strebten sie der Wiedervereinigung aller Volksgruppen entgegen? Der Oberste Rat empfand Ohnmacht vor dem Gedanken, daß die Entwicklung seines Volkes vielleicht einem übermenschlichen, natürlichen Gesetz folgte, von dem er keine Ahnung hatte. Hatten die Mutanten dieses Gesetz erkannt? Waren sie den Daila auf Aklard voraus? Das Grau auf dem Bildschirm begann sich aufzulösen. Die Daila und die Urbewohner von Trysh, die sich in der Zentrale des kochtopfähnlichen Schiffes aufhielten, wandten ihre Aufmerksamkeit der Rückkehr des Schiffes in den Normalraum zu. Ein Energieblitz huschte über den Schirm, dann leuchteten die Sterne Manam-Turus in die Zentrale herein. In der Mitte des Bildschirms war jener Teil des Spiralarms zu erkennen, in dem sich die Sternengruppe befand. Der nebelhafte Eindruck war auf diese Entfernung nicht mehr vorhanden, lediglich der Rest des Spiralarms leuchtete wie ein heller Vorhang im Hintergrund. Aksuum streckte einen Arm aus. Die rötliche Glut faszinierte ihn. »Gyd!« rief er aus. »Der letzte Rest!« »Ein roter Riese«, bestätigte Albyrn. »Ein Stern aus ferner Vergangenheit. Eigentlich müßte er längst erloschen sein. Vielleicht hält ihn das Wissen um sein Alter am Leben!«
Wissenschaftlich war das barer Unsinn, aber Aksuum schwieg, weil er die Mutanten nicht kränken wollte. Er wußte, daß ihr Weltbild anders war als das jener Wesen, die nicht über paranormale Fähigkeiten verfügten. »Das Schiff wird langsamer«, erkannte der Oberste Rat. »Was soll das Manöver bedeuten?« »Es ist nötig«, sagte Elyl. »Zwar sind wir ziemlich sicher, daß uns die Ligriden von Aklard nicht bis hierher gefolgt sind. Aber es besteht die Möglichkeit, daß sie in dieser Gegend ebenfalls Schiffe fliegen haben. Wir wollen ihnen nicht gerade in eine ihrer Fallen laufen!« Aksuum mußte die Umsicht bewundern, mit der die Mutanten vorgingen. »Ich glaube, wir haben auf Aklard noch einiges zu lernen«, sagte er. »Ich freue mich schon auf den Zeitpunkt, an dem ihr die Heimatwelt nicht nur vom Raumschiff aus kennenlernt.« »Ihr habt den inneren Frieden und wir unsere Psi-Fähigkeiten«, lächelte Albyrn. »Was willst du mehr?« Aksuum hatte nie mehr gewollt. Die Sorge um sein Volk hatte ihn hinausgetrieben und die Ahnung, daß der Fremde namens Atlan zwar guter Dinge gewesen war, aber nichts erreichen konnte. Wie sollte er die Verbannten finden, wenn er ihren Aufenthalt nicht kannte. »Ich habe geschlafen«, bekannte er halblaut. »Damals, als Urlysh mich von den Vorgängen verständigte, hätte ich das Geheimnis von Rhyikeinym preisgeben müssen. Ich hätte mir denken sollen, daß die Mutanten im Tal der heilenden Quellen Kontakte zu Verbannten auf anderen Planeten pflegten. Wir hätten eine gezielte Aktion gegen die Ligriden starten können. Aber ich war durch die Folgen der Invasion wie gelähmt!« »Jetzt ist die Chance für eine sinnvolle Hilfsaktion größer«, sagte Elyl. Es war ihm nichts mehr von der Verwirrung anzumerken, in die ihn der Erinnerungsverlust in Rhyikeinym gestürzt hatte. »Es
werden alle Verbannten kommen, sofern es auf ihren Planeten Schiffe gibt!« Aksuum musterte wieder den zentralen Stern. Gyd leuchtete glutrot und erwies sich der Überlieferung als würdig. Die Glut durfte nicht erlöschen. Der Oberste Rat würde alles tun, um dies zu verhindern.
3. Lukasch-Sam packte die Kiste mit beiden Armen und riß sie zu sich empor. Aus seinem Mund kam ein inbrünstiges Knurren, dann warf er die Kiste von sich. Sie flog quer durch den Raum genau auf die Gruppe der Lasquen zu, die einmütig beim Treuer saßen, einem mikadoähnlichen Spiel, bei dem es immer um dasselbe ging, nämlich um eine Frau. Die Spieler kümmerten sich nicht um die fliegende Kiste, sondern lachten plötzlich auf. »Ferti-Sam hat verloren!« pfiff Harold-Sam. Er bewegte den Kopf und starrte zur Seite. Er sah den Schatten und warf sich zur Seite, so schnell es sein massiger Körper zuließ. Die Kiste zischte an seinem Kopf vorbei und schlug zwischen Ferti-Sam und Alkmich-Sam zu Boden. Es knirschte, und die Holzsparren zersprangen wie dünne Strohhalme. Die Kiste brach auseinander, und der Inhalt verteilte sich nach allen Seiten. Harold-Sam, dem vor Überraschung der Mund aufklappte, hatte mit einemmal ein Päckchen feinsten Kubabpulvers zwischen den Zähnen hängen. Verdutzt biß er zu, und die sich mit seinem Speichel vermischenden Wohltaten ließen übergangslos jeden Ärger in ihm ersticken. Er begann zu kauen und zu saugen, und nach einer Weile spuckte er die leere Verpackung aus. »Exzellent!« murmelte er. »Vielen Dank für die Wohltat. Haben wir noch mehr von dem Pulver?« Lukasch-Sam arbeitete sich herbei. Seine Bewegungen ähnelten
denen einer mechanischen Ramme, aber solche Geräte gab es in der Feste Quem nicht. »Ruryn, der Teufel, hat seine Hand im Spiel. Er läßt alles mißraten, was ich anfasse!« schrillte er mit heller Stimme. »Aber gut. Wenn es so nicht geht, dann anders!« Er warf sich auf Harold-Sam, und der Lasque wich mit affenartiger Geschwindigkeit aus und streckte im Herumrollen ein Bein aus. Lukasch-Sam stolperte darüber und schlug der Länge nach auf die Treller-Stäbchen, die schon mehr kleinen Balken glichen. Er zerbrach einige, und sofort ging ein Donnerwetter los. Ferti-Sam, Alkmich-Sam, Tottel-Sam und Harold-Sam warfen sich auf ihn, und ihre Faste bearbeiteten den Körper in seiner olivfarbenen Stoffschale. Wieder stieß Lukasch-Sam ein Knurren aus. Diesmal hörte es sich gefährlich an. Der Lasque warf sich herum und teilte seinerseits Hiebe und Püffe aus. Ferti-Sam erhielt einen Schlag in die Nähe eines rechten Knopfauges und schied blitzartig aus der Auseinandersetzung aus. »Ich werde es dem hilfreichen Goggoler-Sam melden«, beschwerte er sich. »Du verstößt gegen die Spielregeln. Noch nie hat ein Lasque den anderen an den Kopf geschlagen!« Lukasch-Sam vergaß für ein paar Augenblicke die Balgerei. Er arbeitete sich unter seinen Artgenossen hervor, so daß er wenigstens den Oberkörper frei bekam. »Ja, ja«, brüllte er. »Melde es nur. Es war schließlich keine Absicht. Wenn du deinen hirnlosen Schädel in die Flugbahn meiner Faust bringst, dann bist du selbst schuld. Niemand hat dich geheißen. Wärest du ein anständiger Lasque, würdest du den Kopf einziehen!« »So wie du«, dröhnte Harold-Sam und schlug ihm gegen den Hinterkopf, daß Lukasch-Sam es vorzog, schleunigst wieder unter und zwischen den Leibern seiner Peiniger zu verschwinden. Eine Weile klang noch das Schmatzen und Dröhnen von Püffen an Ferti-
Sams Ohren, dann herrschte Ruhe. Lukasch-Sam ergab sich, und die Lasquen wandten sich von ihm ab und beobachteten, wie er sich langsam und schwankend aufrichtete, bis er seine normale Größe erreicht hatte. Er war dreimal so hoch wie die Kiste, die er geworfen und zerstört hatte. Während Alkmich-Sam die heil gebliebenen Hölzer einsammelte – es waren nur wenige –, machten sich die übrigen über die herumliegenden Essensrationen her. Sie setzten sich friedlich zusammen und verzehrten alles, und sogar Ferti-Sam vergaß seine Beschwerden und sah zu, daß er sich den Bauch so voll wir nur möglich schlagen konnte. »Hoffentlich hat niemand den Lärm gehört«, meinte Harold-Sam nach einer Weile. Er warf einen schiefen Blick hinauf zur Decke, als müßten sie dort jeden Augenblick mit einem Durchbruch rechnen. Sie lauschten, aber es blieb alles still. Seit Monaten herrschte Entwarnung, und sie waren froh, daß sie das schrille Gekreische des Frühwarnsystems nicht ertragen mußten. Jedesmal ging es ihnen an die Nerven, aber manche Lasquen vertraten auch die Ansicht, daß es immer noch besser war als der Besuch der fremden Lasquen, auf die das Frühwarnsystem nicht ansprach. Sie verzehrten alle Vorräte, die sich in der Kiste befunden hatten, dann schoben sie die leeren Verpackungen zusammen mit den Trümmern der Kiste in eine Ecke des Aufenthaltsraums und starrten sich schweigend an. Lasquen waren Wesen von unterschiedlicher Größe. Es gab Artgenossen, die nicht größer waren als eine kleine Kiste, jedoch auch solche, die eine Höhe von fünf großen Kisten erreichten und beinahe den oberen Rand eines Containers fassen konnten, wie sie droben in den Hangars standen. »Ich habe keine Lust, hinaufzugehen und Wache zu schieben«, bekannte Alkmich-Sam. »Es ist niemand da, vor dem wir die Hangars schützen müßten. Sie sind gut getarnt.« »Also gut, bleiben wir hier«, erklärte Ferti-Sam. »Unter einer
Bedingung. Lukasch-Sam besorgt eine weitere Kiste!« Der Angesprochene stöhnte auf und bewegte seinen trägen Körper. Verlegen wischte er über das behaarte Gesicht. Die blauen Knopfaugen wurden fast völlig bedeckt, und er mußte ein paar Strähnen beiseite wischen, um genug sehen zu können. Dann schlug er gegen die seitlich aus dem Kopf ragenden, kurzen Hörner. »Es wird einer nicht glücklich darüber sein«, erklärte er. »DominoSam. Ich muß ihn erneut bewußtlos schlagen und das so, daß er es nicht merkt. Und der Wächter des Lagers 4 ist so klein, daß ich Hemmungen habe, ihn nochmals zu belästigen!« Domino-Sam war nur halb so groß wie eine kleine Kiste, und es war ein unverzeihlicher Fehler von Kissmen-Jon gewesen, den Kleinen zur Wache einzuteilen. »Wenn er Leute wie dich zu den Wachen einteilen würde, müßten wir hier verhungern«, sagte Harold-Sam laut. »Doch still. Ich habe ein Geräusch gehört!« Sie schwiegen und legten die Köpfe ein wenig zur Seite. Verborgene Ohren lauschten. Ein leises Kratzen drang an ihre Gehörgänge. Sie versuchten, es zu interpretieren. Manchmal hörten sie Dinge in der Feste, die ihnen unheimlich waren. Aber sie maßen ihnen keine Bedeutung bei, da sie keinen Einfluß auf ihr Leben nahmen. Jetzt aber schien sich etwas zu nähern, was faßbar war. Es schabte und kratzte draußen auf dem Korridor, der zu den übrigen Aufenthaltsräumen führte. Ein Summen kam auf, und die Lasquen hielten den Atem an. »Geister!« hauchte Alkmich-Sam. »Es gibt Geister in der Feste!« Sie sahen, wie sich die dichte Behaarung seines Kopfes und seines Gesichts aufrichtete. Alles in dem Lasquen sträubte sich gegen die unliebsame Begegnung. Harold-Sam erkannte den Ausdruck in den Augen seiner Artgenossen und wußte ihn zu deuten, obwohl es gewöhnlich nicht möglich war, etwas auf diese Weise zu erkennen. Wir hätten auf den Steinehandel mit den fremden Lasquen nie eingehen dürfen, redete er sich ein. Selbst die Annehmlichkeiten, die
Quem uns bietet, hätten uns längst auf die Gefährlichkeit unserer Existenz aufmerksam machen müssen. Wenn er es sich recht überlegte, hatte er Angst. Angst vor der Oberfläche Pultars und Angst vor den Fremden, die aussahen wie sie und doch nicht zu ihnen gehörten. Er dachte aber auch an all die Köstlichkeiten, die jedesmal in den Lebensmittellieferungen enthalten waren. Das versöhnte ihn ein wenig, nur half es über die jetzige Situation nicht hinweg. Das Summen war lauter geworden. Es näherte sich der offenen Tür, und die Lasquen erstarrten und wirkten wie sitzende Standbilder. Das Summen erreichte die Tür. Ein Schatten schob sich in die Öffnung, und er glich einer mittelgroßen Kiste mit unüberschaubar vielen Auswüchsen. Sie blinkte im künstlichen Gelblicht, das von der Decke und den Wänden strahlte. Ein paar der Wandstrahler funktionierten nicht mehr. Sie waren bei früheren Raufereien zu Bruch gegangen. Der fremdartige Kasten zischelte etwas Unverständliches, und die Lasquen erwachten langsam wieder zum Leben. »Eine Maschine!« stieß Lukasch-Sam hervor, froh darüber, vorläufig von seiner Verpflichtung entbunden zu sein, weitere Nahrung herbeizuschaffen. »Ein Reinigungsapparat!« Die Maschine rollte herein und fuhr mehrere Sensoren aus. Sie stellte fest, daß in einer Ecke ein Trümmerhaufen lag, und blieb stehen. Sie rührte sich nicht, nur ein paar Lichter auf ihren Buckeln und Höckern blinkten regelmäßig. Es dauerte nicht lange, da näherten sich draußen weitere Maschinen. »Es sind Schnüffler«, knurrte Ferti-Sam. »Der magische Nettel hat sie uns auf die Hörner gesetzt!« Die Lasquen begannen zu frieren. Der magische Nettel erinnerte sie an etwas, was sie selbst nicht mehr miterlebt hatten. Generationen vor ihnen hatte es sich ereignet und mahnte sie, daß sie in der Feste Quem nichts anderes als Flüchtlinge waren, die der
Zufall diese Anlage hatte finden lassen. Sie waren von weit hergekommen, und dem magischen Nettel schrieben sie die Schuld daran zu, daß von ihrem Volk nur ein paar tausend Wesen überlebt hatten. »Sprich nicht darüber«, mahnte Harold-Sam. »Nimm diesen Namen nicht in den Schmollmund. Du weißt ja nicht, was du damit anrichtest. Rufe Ruryn an oder irgendeinen anderen Teufel!« Ferti-Sam schwieg. Er wußte wie alle anderen Lasquen, daß die Maschinen Automaten waren, die zur Feste gehörten wie die Beleuchtung und die Versorgungseinrichtungen. Sie waren nicht wegzudenken, und einmal hatte Knittel-Sam einen Ausflug in jene Bereiche gemacht, in denen solche Maschinen repariert und erzeugt wurden. Er hatte lauthals darüber berichtet, und Kissmen-Jon hatte ihn eine Zeitlang beobachtet und ihm dann den Mund verboten für die laufende Dekade. Nur zum Essen durfte er ihn noch öffnen, und da Knittel-Sam für sein großes Mundwerk bekannt war, übte er sich seither im Daueressen, was keine geringen Auswirkungen auf seine Körperfülle hatte. Böse Hörner verkündeten, daß er sich kaum mehr bewegen konnte und ihm das Atmen der gefilterten Luft schwerfiel. Fünf Maschinen waren es, die sich nun in dem Aufenthaltsraum befanden, und ihnen saßen fünf Lasquen gegenüber. Es brauchte keiner von ihnen etwas zu sagen. Fast automatisch erhoben sie sich und warfen sich vorwärts. Es dröhnte, als die wuchtigen und massigen Körper der Lebewesen mit den Maschinen zusammentrafen. Fäuste schnellten nach vorn, kräftige Finger begannen an den Antennen zu zerren. Die Maschinen merkten, daß sie angegriffen wurden. Ihre Programme ließen sich nicht mehr ausführen, und die Kontakte zum zentralen Steuerzentrum brachen nach und nach ab. Die Reinigungsgeräte begannen sich im Kreis zu drehen oder ständig vorwärts und rückwärts zu fahren. An eine Beseitigung des Mülls in der Ecke war nicht mehr zu denken. Lukasch-Sam stieß einen Ruf der Begeisterung aus. Er brach
soeben einen der Höcker ab und warf ihn gegen die Wand, wo er zersplitterte. Ein paar Antennen folgten, und dann schlug der Lasque so kräftig zu, daß die Maschine in der Mitte auseinanderbrach. Sie quittierte die Behandlung mit Rauch und Gestank, die selbst einen Haudegen wie Lukasch-Sam in die Flucht schlugen. Es dauerte keine hundert Atemzüge, dann waren alle Maschinen zerstört, und die Klimaanlage hatte den Qualm abgesaugt. Die Sicht klärte sich und zeigte fünf Lasquen, die friedlich und ausgeglichen beieinander saßen und gelangweilt gähnten. Der Trümmerhaufen in der Ecke war auf den sechsfachen Umfang angewachsen. »Das ist schöner als Wacheschieben«, meinten sie einstimmig. »Aber jetzt ist es Zeit zum Essen!« »Wartet doch«, maulte Lukasch-Sam. »In zwei Phasen gibt es die Mittagsrationen in der Kantine. Bis dahin werdet ihr nicht verhungert sein!« »Nicht ganz, aber fast«, grollte Alkmich-Sam. »Und etwas zu trinken brauchten wir auch!« »Schon gut, schon gut«, Lukasch-Sam erhob sich. »Ich habe verstanden!« Er verließ den Aufenthaltsraum und schritt gemächlich den Korridor entlang. Wenn er es sich so überlegte, dann war er eigentlich zu faul, den umständlichen Weg zum Lager zurückzulegen. Domino-Sam war ihm egal, aber er produzierte Mitleid mit dem kleinen Artgenossen, um für sich selbst ein wirksames Argument zu haben, den Weg dorthin nicht zurückzulegen. Aus einem anderen Aufenthaltsraum hörte er Stimmen. Sie kamen ihm bekannt vor, und er öffnete kurzerhand die Tür und trat ein. Es war die Gruppe, die von ihm und seinen Begleitern eigentlich demnächst von der Wache in den Hangars abgelöst werden sollte. Sie saßen und lagen faul herum und bedienten sich aus einer großen Kiste, die sie unmöglich allein hergeschafft haben konnten.
»Volle Bäuche!« grüßte er. »Habt ihr etwas da, womit ich mir den Magen vollschlagen kann?« Da die Lasquen in ihrer Trägheit keine Antwort gaben, setzte er sich zu ihnen und begann mit der Völlerei.
* Manchmal hängte es Kissmen-Jon aus. Er nahm dann irgend etwas, das er gerade greifen konnte, und warf es von sich. Auch diesmal war es so, und der Unglückliche hieß Surfen-Jon. Er fühlte sich von den Beinen gerissen und beschrieb eine ballistische Flugkurve, auf deren höchstem Punkt er sich verzweifelt bemühte, sich an einem Beleuchtungselement der Decke festzuhalten. Seine Arme waren jedoch viel zu kurz, und er stürzte wieder abwärts und dem Boden der Kommandoplattform entgegen, die lediglich von einem durchlässigen Geländer begrenzt wurde. Dahinter herrschte leerer Raum, weil der Boden der umgebenden Hallen gut zehn Kisten tiefer lag. In seiner Not gelang es Surfen-Jon, das Horn eines der Stellvertreter zu ergreifen. Er klammerte sich daran fest und riß Gallen-Jon mit sich zu Boden. Quem sei es gedankt, wenigstens wurde dadurch seine kinetische Energie derart aufgebraucht, daß er nicht zwischen den Geländerstäben hindurchrutschte und in die Tiefe fiel. Auch ein Lasque war trotz seiner guten Polsterung verletzlich, und ab und zu kam es vor, daß einer sich zu Tode stürzte, weil er betrunken oder vom vielen Essen schwindlig war oder im Liebesrausch irgendwo hintrat, wo es keinen Boden gab. Lasquenlos nannte man das, und es gab keinen unter den Überlebenden dieses Volkes, der sich ernsthaft dagegen aufgelehnt hätte. Dafür war das Leben in Quem viel zu angenehm und zu schön. Es gab keine Probleme, und manchmal erzählte einer der
Alten, die noch zur Nachfolgegeneration der einstigen Flüchtlinge gehörten, daß es die ausgleichende Gerechtigkeit des Schicksals war, die ihnen ein solches Leben in Saus und Braus ermöglichte. Zumindest immer dann, wenn genug Vorräte da waren. »Ihr sollt verhungern und verdursten, wenn ihr euch nicht beherrscht!« schrie Kissmen-Jon durch die Kommandohalle. Tief unten unter der Plattform waren seine Worte ebenso gewaltig zu vernehmen wie oben. Die Lasquen spitzten verwundert ihre Hörner und rätselten, welche Meldungen wohl eingegangen sein mochten. »Was ist geschehen?« Gallen-Jon erhob sich schwerfällig und schob Surfen-Jon beiseite. »Sie scheren sich einen Dreck um ihren Dienst«, knurrte der oberste Anführer des Volkes. »Sie feiern in den Aufenthaltsräumen, statt die Hangars zu bewachen. Ich hätte es nicht bemerkt, wenn sie nicht ein paar der Reinigungsmaschinen zerstört hätten. Es ist nur gut, daß uns die fremden Lasquen in der Bedienung der Kontrollanlagen unterwiesen haben. Es wäre mir sonst nicht möglich, die Vielfraße zu kontrollieren. Degeneration würde sich in Quem breitmachen!« »Was ist das?« pfiff Surfen-Jon. Alle Knochen taten ihm weh. »Gibt es dafür keinen harmloseren Ausdruck?« »Nein«, grollte Kissmen-Jon. »Was willst du damit sagen?« Er wuchtete seinen Körper herum, der mindestens doppelt so breit und dick war wie der seines dritten Stellvertreters Gallen-Jon. Surfen-Jon war im Vergleich zu ihm lediglich ein etwas groß geratener Medizinball, aber ebenso rund wie hoch. »Nichts. Laß uns eine deiner Geschichten aus der Vergangenheit hören, damit wir auf andere Gedanken kommen und nicht nur ans Essen denken!« »Vergangenheit!« Kissmen-Jon stieß es mühsam hervor. »An die Gegenwart müssen wir denken und an die Zukunft. Lange hat es keine Störung unserer Ruhe mehr gegeben. Wie langweilig!« Er beugte sich wieder über das Mikrofon, in das er bereits
gesprochen hatte, um die Faulenzer in den Aufenthaltsräumen aufzuscheuchen. Es gab keine Bildverbindung dorthin, so daß er nicht wußte, ob sie seinen Anweisungen folgten. Er fluchte kräftig, dann fuhr er fort, über die Aufgaben seines Volkes zu reden. »Pultar ist eine einsame Welt«, sagte er. »Sie wird von einer einsamen Sonne gewärmt. Ohne diesen Stern könnten wir im Innern nicht leben. Und was tun wir? Anstatt uns an die Weisungen unserer Wohltäter zu halten, verkriechen wir uns in den untersten Etagen der Feste wie Ungeziefer. Nicht einmal die Verbindungsstollen zu den weiter entfernten Kavernen werden von uns beobachtet. Überall kann schon der Feind lauern. Wir sind ihm schutzlos ausgeliefert, weil wir ihn nicht kennen.« Er machte eine kurze Atempause und redete dann mit steigender Stimme weiter. »Glaubt ihr, die Gefahr kommt nur aus dem Weltall? Das war bei unserer Heimat so. Aber hier ist es anders. Die Gefahr kommt vor allem aus uns selbst. Wir weichen auf, und ich sehe schon, wie die Würmer aus euren Pelzen und euren Stoffschalen kriechen. Welch schmackhafte Köstlichkeiten für meine alten Tage. Ihr Stinker! Wurde nicht unsere Heimatwelt zerstört? Ist es nicht unsere Aufgabe, all die Erinnerungen an die Vergangenheit hochzuhalten? Statt dessen habt ihr nur Essen und Saufen im Kopf, und ihr streitet euch um die Weiber und vernachlässigt dabei eure eigenen Kinder. Fettes und träges Volk. Erinnert euch an das, was damals geschah. Jeder von euch kennt die Überlieferungen eurer Vorväter. Ja, ja!« Er stöhnte auf, weil ihn selbst die Erinnerung übermannte. Sie waren damals geflohen. Ein paar Tausend waren es gewesen, die in den Raumschiffen Platz gefunden hatten. Es war ihnen die Flucht geglückt, und eines Tages hatten sie den einsamen roten Stern und seinen einsamen Planeten entdeckt. Zitternd hatten sie in einem Orbit gewartet, aber die Verfolger waren nicht gekommen. Sie hatten die Fliehenden aus den Augen verloren. Die Wissenschaftler an Bord hatten vorgeschlagen, den Planeten
zu untersuchen. Sie hatten einen Stützpunkt entdeckt, ein paar quaderförmige Bauten an der Oberfläche. Sie waren verlassen gewesen, und sie hatten sie für Bunker gehalten. Darunter hatten sie zahlreiche Stockwerke entdeckt, eine richtige unterirdische Stadt war es mit allen Versorgungseinrichtungen. Dankbar hatten die Lasquen das Geschenk des Schicksals angenommen, und als es endgültig feststand, daß die Anlagen niemand gehörten, da waren die Schiffe gelandet und die Lebensmittel in die unterirdische Stadt gebracht worden. Die Lasquen hatten sich niedergelassen und eine Zivilisation im geheimen aufgebaut. Ab und zu hatten sie anfangs Ausflüge in die Kavernen unternommen, aber dort gab es nichts, was ihnen weiterhelfen konnte. Sie hatten nichts entdeckt, was auf die Erbauer hinwies. Sie nahmen die untersten Stockwerke der Stadt für sich in Anspruch, und aus Furcht vor jenen Wesen, die ihre Heimatwelt zerstört hatten, sorgten sie dafür, daß die Anlagen weiterhin einen unbewohnten Eindruck machten. Fremde Besucher zogen erfahrungsgemäß bald wieder ab, wenn sie merkten, daß es hier nichts zu holen gab. Dann jedoch kamen die Jahre der Not. Die Vorräte aus den Fluchtschiffen waren aufgebraucht, und die Versuche, aus eigenen Mitteln Nahrung herzustellen oder die Anlagen dafür heranzuziehen, steckten noch im Anfangsstadium. Die Existenz der Flüchtlinge war bedroht, und der damalige Anführer Raffel-Jon startete eine Expedition zur Oberfläche. Sie führte zu jener schicksalhaften Begegnung, die die Weichen für die Zukunft stellte. »Ihr scheint das alles vergessen zu haben«, brüllte Kissmen-Jon in sein Mikrofon. »Ihr dankt es ihnen mit Verachtung und Faulheit. Man sollte euch in den Sand von Pultars Oberfläche setzen und in der Sonne dörren lassen!« Die Expedition war auf Artgenossen gestoßen. Zunächst wenigstens hatten sie danach ausgesehen. Sie hatten ihnen mitgeteilt, daß die Anlagen ihr Eigentum seien und sie auch einen
Namen besaßen. Feste Quem wurden sie genannt, und Feste Quem hieß sie von da an auch bei den Lasquen. Die Artgenossen folgten ihnen hinunter in die Zuflucht. Noch immer sahen sie aus wie sie, aber sie schienen von ständiger Unrast erfüllt und hielten es nicht lange in der Tiefe aus. Die Flüchtlinge spürten die Kluft, die nicht nur im Verhalten bestand. Es war der arttypische Instinkt, der ihnen sagte, daß die fremden Lasquen nicht zu ihrem Volk gehörten. Und dennoch kam der Handel zustande. Es gab gar keine andere Möglichkeit. Die Flüchtlinge wollten ihre Zuflucht nicht verlassen. Sie konnten es nicht, denn die meisten waren schon zu geschwächt vom Hunger. Der Handel ermöglichte es, das Überleben aller zu sichern bis ir. fernste Zukunft. Sie hatten nichts anderes zu tun, als dafür zu sorgen, daß die Feste Quem auch in Zukunft so aussah, als sei sie unbewohnt und beherberge nichts, was interessant sei. Die Lasquen sollten einige der gut getarnten Hangars an der Oberfläche in Schuß halten und auf gewisse Waren achten, die in versteckten Hallen gehortet wurden. Sie verpflichteten sich außerdem dazu, Fremde aller Art zu beobachten und notfalls in die Flucht zu schlagen, falls sie etwas entdecken sollten. Als Gegenleistung erhielten sie von den fremden Artgenossen alles, was sie zum Leben brauchten. Raffel-Jon hatte den Handel seines Lebens abgeschlossen, und als er mitten in einem Festmahl an Herzversagen starb, da wurde ihm ein pompöser Leichenschmaus gewidmet, der die Lasquen erneut an den Rand des Hungertods trieb. Nur das verfrühte Auftauchen ihrer Gönner ließ das Volk weiterleben. Und so war es auch heute noch. Waren genug Vorräte vorhanden, praßten sie hemmungslos. Die unweigerlich folgende Fastenzeit ließ sie in tiefe Depressionen fallen und machte sie unfähig, bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Die guten Vorsätze wurden
spätestens dann über Bord geworfen, wenn neue Vorräte eintrafen. »Nutzloses Pack. Durchtriebene Fettwänste!« schrie und tobte Kissmen-Jon, und seine Worte, die in alle bewohnten Räume Querns übertragen wurden, donnerten wie Schicksalsschläge aus den Lautsprechern und jagten den Kindern Angst ein. Es war, als sei ein zorniger Gott aus dem Weltall herabgestiegen, um die Lasquen zur Besinnung zu rufen. Das Phlegma dieses Volkes hatte jedoch auch seine guten Seiten. Es regte sie überhaupt nicht auf, wenn über ihnen Raumschiffe auftauchten und Fremde in der Feste herumschnüffelten. Sie stellten sich einfach tot, und nie kam jemand in die untersten Stockwerke herab und bemerkte etwas von ihren Bewohnern. Gegenwehr hätte die Feste interessant gemacht. Das Fehlen jedes Widerstands selbst im Augenblick der Gefahr machte Quem harmlos. Das war das Verdienst der Lasquen. »Und wenn ihr euch das nicht hinter eure Hörner schreibt, lasse ich sie euch allen absägen. Dann könnt ihr euer Leben lang in Schande herumlaufen und euch meine Spottgesänge anhören!« beendete Kissmen-Jon seine flammende Rede. Er schaltete die Mikrofone ab und rülpste verhalten. In seinem Bauch rumorte und rumpelte es, er hatte zuviel Luft in sich aufgenommen. Das war nicht gut, denn zur Mittagsration paßte dann zu wenig Nahrung hinein. Wie ein Sieger wandte sich der Anführer der Lasquen an seine Stellvertreter und Untergebenen. Vereinzelt klang das Krachen von Hörnern auf, ein Zeichen der Beifallsbekundung. Irgendwo zischte es, Wasser plätscherte. Kissmen-Jon stieß einen Urschrei aus und fegte hinüber zur Rolltreppe, die ihn rasch hinab in die Halle brachte. Einer der Lasquen hatte mit einem Horn eine Versorgungsleitung beschädigt, und die Mechaniker rannten beim Anblick des Kommandanten wild durcheinander und bemühten sich, das Leck sofort abzudichten. Ein paar lagen bereits am Boden und schlürften von dem See, der sich rasch ausbreitete.
Mit dunklen Augen wandte Kissmen-Jon sich ab. Er wankte zu seiner Treppe zurück und suchte seinen Platz auf der Plattform wieder auf. »Ich bin traurig«, murmelte er, »und jedesmal, wenn ich traurig bin, bekomme ich unstillbaren Hunger. Bringt mir eine große Kiste mit Lebensmitteln!« Die Lasquen kamen nicht mehr dazu, den Befehl auszuführen. Ein völlig betrunkener und rülpsender Artgenosse wankte die Rolltreppe herauf und blieb an ihrem oberen Ende liegen. Die wandernden Treppenstufen schoben ihn hinein in die Plattform, bis er mit den Füßen keinen Kontakt mehr zu ihnen hatte. »Habt ihr etwas von Essen gesagt?« brabbelte er. Es war LukaschSam. »Es ist nichts mehr da. Alles weg. Hoppla!« Er drehte sich rasch auf den Rücken, damit sein Magen nichts von dem hergab, was er in sich hineingestopft hatte. »Bist du nur gekommen, um mir das zu sagen?« schrie KissmenJon. Er machte Anstalten, sich auf den Wehrlosen zu stürzen. »Nein, das nicht«, ächzte Lukasch-Sam. »Es sind wieder Fremde angekommen!« Kissmen-Jon stürzte an die Kontrollanlagen und fauchte dann gefährlich. »Unhold!« rief er. »Die Anlagen zeigen nichts an. Es gibt über oder auf Pultar kein einziges fremdes Schiff!« »Nein«, bestätigte der Lasque. »Ich meine auch nicht die Fremden im allgemeinen, sondern die fremden Lasquen. Sie sind mal wieder zu früh da. Sie scheinen uns zu kennen!« »Bei Donnyrmar und Ruryn!« brüllte Kissmen-Jon. »Warum müßt ihr nur alle dazu beitragen, daß mir der ganze Tag verdorben ist?«
* Es wurde lebendig in der Feste Quem. Zunächst wirkte es sich nicht
direkt auf den Lebensbereich der Lasquen aus, aber die. Zahl der Anlagen, die in Betrieb waren, stieg ständig. Kissmen-Jon hatte sich wieder beruhigt und erwartete die Wesen am Rand des obersten von seinem Volk bewohnten Stockwerkes. Er tat es so, weil es seine Vorgänger alle so getan hatten. Es war ein Ritual, die Fremden hier zu empfangen und ein paar Höflichkeiten auszutauschen, bevor man sich an den Transport der Vorräte machte. Als erstes nahm die Zahl der Reinigungsroboter zu, die sich unterwegs befanden. Sie behinderten sogar die Empfangsdelegation, und Surfen-Jon, der ein tragbares Sprechgerät bei sich hatte und die Gruppe über den genauen Stand der Dinge auf dem laufenden hielt, hatte Mühe, sich gegen eine solche mechanische Kreatur zu wehren, als diese ihn mit einem besonders hartnäckigen Abfallbrocken verwechselte. Surfen-Jon hatte sich zwei Stockwerke höher aufgestellt, gewissermaßen als vorgeschobener Außenposten. Er stand vor einem Bildschirm, der ihm zeigte, was weiter droben in den versteckten Hangars und geheimen Hallen vor sich ging. Die Waren dort nahmen fast sprungartig zu. Es war unbegreiflich, wie sie hineingeschafft wurden. Surfen-Jon konnte es sich nicht erklären. Er beruhigte sich damit, daß er eben nicht mit dort oben war. Die Bildübertragung zeigte nur einen Ausschnitt, und die fremden Lasquen ließen sie nur das sehen, was sie sehen sollten. Wir sollten unser Phlegma überwinden, dachte Surfen-Jon. Wir müssen hinauf und uns mehr um die Vorgänge dort droben kümmern. Bestimmt haben jene Wesen mit unserer Gestalt die Mittel, festzustellen, wann wir zum letzten Mal unserer Pflicht der Bewachung nachgekommen sind. Warum haben sie nie etwas gesagt? Er hatte das untrügliche Gefühl, daß es irgendwann schon losgehen würde. Die Wesen waren in manchen Dingen das genaue Gegenteil eines Lasquen. »Vielleicht sind sie die Lasquen und wir die Laxen«, murmelte er halblaut.
»Was hast du gesagt?« drang die forschende Stimme Kissmen-Jons an seine Ohren, die unter dem dichten Haarbewuchs kaum festzustellen waren. »Was ist da oben los?« »Nichts ist los. Ich sehe die ersten fahrbaren Container mit unseren Vorräten. Du wirst bald zu deinem Festmahl kommen, Anführer!« Kissmen-Jon gab keine Antwort, aber Surfen-Jon hörte sein freudiges Schnaufen. Es war bedauerlich, daß sie die Ankunft der fremden Lasquen nie rechtzeitig mitbekämen. Es lag daran, daß die Geräte der Feste nur die Annäherung fremder Schiffe meldeten, in denen keine »Lasquen« kamen. Deshalb war es auch nicht feststellbar, wie die Schiffe der Wohltäter aussahen und ob sie überhaupt Schiffe benutzten. Für die Lasquen in den Tiefen der Festung spielte das keine Rolle. Nur die Vorräte zählten, die sie erhielten und die ihnen ein Leben im Überfluß ermöglichten. Gedanken ernsthafter Art machten sie sich keine darüber mit Ausnahme von Kissmen-Jon vielleicht. Aber Surfen-Jon zweifelte, ob der Anführer seines Volkes alles so ernst meinte, wie er es sagte. Bei einem Lasquen war das kaum zu erwarten. Ein Rollen klang auf. Endlich kamen sie. In einem der Antigravschächte tauchte der erste Schatten eines Containers auf. Er schwebte hinaus und setzte sich auf seinen Rollen ab. Er kam das Stockwerk entlang zu einem anderen Schacht, der weiter hinab in den Lebensbereich der Lasquen führte. »Aus dem Weg!« sagte der Container, und Surfen-Jon machte indigniert Platz. Er glaubte, der mechanischen Stimme dieselbe Nervosität anzuhören, von der alle fremden Lasquen erfüllt waren, wenn sie sich in der Feste aufhielten. Er trat in eine Nische und gab seine Beobachtungen durch. Es war eine unüberschaubare Flut von Containern, die kam und automatisch die Lager in den untersten Stockwerken ansteuerte. Aus der Gegenrichtung kamen die leeren Container, teils demoliert, teils ganz und suchten sich den Weg hinauf zur Oberfläche.
»Achtung, es sieht aus, als müßten wir uns diesmal für eine längere Unterbrechung einrichten«, gab Surfen-Jon durch. »Es sind mindestens doppelt so viele Container wie üblich.« »Ausgezeichnet«, lobte Kissmen-Jon. »Ich werde sie so verschließen lassen, daß niemand außer mir an sie herankommt. Ich habe eine Geheimkombination für mehrere positronische Schlösser. Sie vererbt sich nur von Anführer auf Anführer!« »Guten Appetit«, sagte Surfen-Jon anzüglich. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen, und er schwor sich, alles zu tun, um an diese Kombination heranzukommen. Die Schlange der automatischen Container fand ein Ende. Ein Bildschirm über dem Antigrav leuchtete auf und zeigte die fremden Lasquen, die sich auf dem Weg in die Tiefe befanden. Surfen-Jon zog sich zurück. Er kehrte zu seinem Anführer zurück und steckte das Funkgerät ein. Geduldig und fast ein wenig gleichgültig warteten die Lasquen, bis sich der Besuch einstellte. Es war immer dasselbe Zeremoniell, und die Reaktion der fremden Wesen war vorausberechenbar. Dennoch lag es Kissmen-Jon fern, daraus Kapital zu schlagen. Sie wurden hier ernährt, ohne viel dafür tun zu müssen. Deshalb war es nur recht und billig, wenn sie sich bedankten und höflich waren. Beschwerden gab es so gut wie nie, und die Lasquen lebten in dem Bewußtsein, daß die automatischen Anlagen der Feste sowieso alles aufzeichneten und es nicht geraten war, den Fremden etwas vorzumachen. Sie kamen. Sie tänzelten aus dem Antigravschacht und eilten ungestüm auf die Lasquen zu. Bei ihrem Anblick beschlich die Flüchtlinge doch ein wenig Beklemmung. Jene dort waren in keiner Äußerlichkeit von ihnen selbst zu unterscheiden. Lediglich die Größenunterschiede waren nicht so stark ausgeprägt. Sie benahmen sich auch nicht wie Lasquen, denn sie waren immer in Eile. Der vorderste von ihnen beugte sich über Kissmen-Jon und rieb sein eigenes Horn am Kopf des Anführers. Kissmen-Jon tat es ihm nach, und der Fremde Lasque sagte:
»Ich bin Minimar. Wir sind froh, daß ihr gute Arbeit geleistet habt. Niemand hat die Feste entdeckt!« Er eilte bereits an dem Anführer vorbei in die tieferen Stockwerke hinab. Um nicht unhöflich zu erscheinen, folgte Kissmen-Jon ihm eiligst und überholte ihn ein wenig. Zwei Schritte vor dem Gast hetzte er dahin. Bald bedeckte sich sein Kopfhaar mit Schweiß, und er keuchte so laut, daß es bis ans Ende der Gruppe zu hören war. »Was hast du anderes erwartet?« erkundigte er sich holprig und völlig außer Atem. »Einen Trageroboter könnte ich gebrauchen. Gibt es so etwas in der Feste?« »Nein, Kissmen-Jon. Die Feste ist spezialisiert und nur für das Notwendigste eingerichtet. Alles hier dient der Wahrung des Geheimnisses!« Der Anführer der Lasquen schwieg. Diese Antwort hatte er schon über ein Dutzend Male erhalten. Sie stellte ihn nach wie vor nicht zufrieden, aber er beruhigte sich mit dem Gedanken, daß er es ein andermal erfahren würde. »Das Festmahl ist angerichtet«, sagte er mit erzwungener Freundlichkeit, als sie den Lebensbereich erreicht hatten. Der Festsaal befand sich im obersten der bewohnten Stockwerke. Hier blitzte alles vor Sauberkeit, was man von anderen Etagen nicht unbedingt behaupten konnte. »Warum stehen dort Reinigungsroboter?« rief Minimar aus. »Sie sehen aus, als sollten sie uns bewachen. Schafft sie weg!« Es ist wieder soweit, erkannte der Anführer der Lasquen. Kaum sind sie hier unten, werden sie nervös. Er gab eine Anweisung, und die Reinigungsmaschinen, die eigentlich wegen des guten Eindrucks hier Aufstellung genommen hatten, rollten davon. Es waren die einzigen, die derzeit nicht irgendwie demoliert waren oder völligen Schrottwert besaßen. Unter dem Eingang zur Festhalle blieb Minimar erneut stehen. Seine siebzehn Begleiter waren noch nervöser als er. »Zwei Mann hinauf. Seht nach, ob alles in Ordnung ist. Wir dürfen
die Oberfläche keine Stunde außer acht lassen. Beobachtet und macht mir Meldung!« Die beiden stürmten davon und verschwanden um eine Biegung. Sie rannten mit einer Geschwindigkeit, zu der ein Lasque wohl kaum fähig gewesen wäre. Kissmen-Jon hörte das Geflüster unter den Mitgliedern seines Volkes und verschaffte sich mit einem lauten Ruf Schweigen und Gehör. »Laßt uns unsere Gäste begrüßen«, rief er. »Wir wollen sie mit einem gebührenden Schluck empfangen!« Becher mit süßem Sirup wurden gereicht. Die Lasquen tranken in genüßlichen Zügen, aber die Gäste machten sich kaum etwas daraus. Sie stellten die unbenutzten Pokale zur Seite und ließen sich hastig zum Essen nieder. Wieder einmal begann eine gelungene Völlerei, und bald hallte die Halle vom Rülpsen und Schmatzen der Lasquen und von anderem mehr. »Ihr eßt nichts!« stellte Kissmen-Jon plötzlich fest. »Was ist in euch gefahren?« Er sah, daß von den fünfzehn Begleitern Minimars nur noch sechs übrig waren. Die anderen hatten sich entfernt, und an ihrer Stelle betraten vier andere die Halle und gesellten sich zu dem Wortführer der fremden Wesen. Sie flüsterten mit ihm, und Kissmen-Jon konnte sie nicht verstehen, obwohl er seine Ohren anstrengte. Minimar sprang plötzlich auf. »Es gibt Gerüchte, wonach Feinde sich in die Feste eingeschlichen haben«, erklärte er. »Warum habt ihr uns nichts davon gesagt?« »Es stimmt nicht«, platzte Kissmen-Jon heraus. »So wahr ich hier stehe, ist es erlogen. Außer uns ist niemand da!« »Wir haben Spuren gefunden!« Minimar befand sich bereits unter der Tür. »Kommt mit. Helft uns, sie auszuwerten!« Kissmen-Jon gab zwei seiner Stellvertreter einen Wink. Nur einer kam der Aufforderung nach. Es war Gallen-Jon. Er hatte bereits soviel gegessen, daß nichts mehr hineinpaßte. »Ich begleite euch«, erklärte er dumpf. »Aber macht langsam.«
Sie suchten jenen Bereich auf, in dem die Spuren gefunden worden waren. Es handelte sich um einen Verbindungsstollen zu einer der weit entfernt liegenden Kavernen. Gallen-Jon lachte auf, als er die Beweisstücke sah. »Zwei Trinkhörner«, stellte er fest und roch daran. »Sie gehören zu unserem Volk. Mehrere Lasquen betätigen sich als Künstler und Handwerker. Sie verarbeiten die Hörner der Toten und machen Becker und Behälter für die Kosmetika der Frauen daraus!« »Wir dachten schon, jemand habe ein Mitglied deines Volkes getötet und die Hörner hier liegenlassen«, brummte Minimar dumpf. »Manchmal frage ich mich, wieso …«, begann Gallen-Jon, schwieg dann jedoch. Es hatte keinen Sinn, er würde keine Antwort erhalten. Und doch hätte er zu gern gewußt, warum die fremden Wesen aussahen wie Lasquen und doch keine waren. »Kommt mit zurück«, fuhr er fort. »Das Festmahl ist noch nicht zu Ende.« Die unheimlichen Wesen lehnten es ab. Sie waren nervös, und das störte ihn. Er begleitete sie zum Antigravschacht, dann kehrte er erleichtert in die Festhalle zurück. »Es ist überstanden«, meinte er. »Es wird nicht lange dauern, dann sind sie wieder verschwunden!« Kissmen-Jon wiederholte die Worte für sich. Er war nachdenklich geworden. Er kannte die Mentalität der fremden Lasquen nur oberflächlich, aber etwas machte ihn stutzig. Es war nicht einmal der überhastete Rückzug der ganzen Gruppe. »Da, wo sie herkommen, muß sich etwas ereignet haben«, sagte er laut. »Ich weiß nicht, was es ist und was es bedeutet. Aber sie sind noch nervöser als bisher. Wir müssen uns vorsehen. Vielleicht steht die Sicherheit der Feste Quem auf dem Spiel.« »Aber nicht doch«, klang die Stimme von Lukasch-Sam auf. Er sprach wie fast immer mit vollem Mund, und er war noch nicht wieder nüchtern. »Immer wenn sie bei uns unten sind, müssen sie
ständig hinauf und nachsehen, ob alles in Ordnung ist. Etwas muß dort oben sein, was ihnen ständig Angst einjagt.« Kissmen-Jon gab keine Antwort. Das Gefühl der Verunsicherung in ihm wuchs jedoch, und er legte sein Besteck beiseite und beendete das Mahl vorzeitig. Er hatte noch kein Völlegefühl und schwor sich, die geheime Positronikkombination dazu zu benutzen, das Festmahl bei Gelegenheit nachzuholen. Er konnte nicht ahnen, daß er vorläufig keine Gelegenheit dazu erhalten würde. Etwas lag über der Feste Quem, was er spürte, ohne es in Worte fassen zu können.
* »Da sind die dreimal gesteinigten Teufel schon wieder!« Ferti-Sam richtete sich auf und wies zur offenen Tür hinaus. Er hatte sich ein wenig von seiner Familie abgesondert. Jetzt bereute er, daß er seine Wohnung aufgesucht und die Zeit nicht in der Festhalle verbracht hatte. Aus einer Nische schob sich ein weiterer Lasque. Es war HaroldSam. Er stellte sich neben Ferti-Sam und beobachtete, was sich abspielte. Die fremden Lasquen quollen aus dem Antigrav. Es war eine beachtliche Schar, über fünfzig Stück. So viele hatte man noch nie in den unteren Stockwerken gesehen. »Rasch!« zischte Harold-Sam. »Wir müssen es melden!« Er wandte sich ab, doch Ferti-Sam ergriff ihn von hinten und ließ ihn nicht weg. »Steckt dich ihre Nervosität an?« fragte er heiser. »Sieh nur, wie sie über den Boden tänzeln. Das ist nicht normal. Wir sollten sehen, daß wir sie verjagen. Sollen sie uns die Vorräte bringen, sich selbst jedoch nicht in unserem Lebensbereich blicken lassen.« »Wahrscheinlich hast du recht«, entgegnete Harold-Sam. »Aber
ich glaube, es hat sich etwas Wichtiges ereignet. Ich berichte dir, wenn ich zurück bin!« Er beeilte sich, und es gelang ihm, die Wesen einzuholen, bevor sie die Halle erreichten und Kissmen-Jon von seiner Plattform herunterriefen. Der Anführer der Lasquen kam erschüttert die Rolltreppe herab, und sein fortwährendes Gejammer war nicht gerade ein Zeichen, daß er sich in bester Stimmung befand. »Warum wurden wir nicht gewarnt?« schrillte Minimar. Seine Stimme klang verzerrt und hatte fast nichts mehr mit der Stimme eines Lasquen gemeinsam. »Wie kannst du nur fragen?« erwiderte Kissmen-Jon. »Wir waren alle beim Festmahl. Es war niemand hier, der die Meßwerte ablas. Natürlich wissen wir es jetzt alle, daß sich zwei Raumschiffe nähern. Ein drittes befindet sich neben der Sonne und erweckt den Anschein, als sei Pultar ebenfalls sein Ziel!« »Wir müssen hinauf«, gellte Minimars Stimme auf. »Ihr müßt uns helfen!« »Warum denn?« Kissmen-Jon verschluckte sich fast. Natürlich kannte der Anführer der Lasquen den inneren Drang dieser Wesen, ständig hinauf in die Hangars zu eilen, als würden sie sonst den Anschluß an das letzte Raumschiff verpassen. So oder ähnlich stellte er sich das vor. Aber zum jetzigen Zeitpunkt würde kein Schiff starten, und die Hangars oben waren so gut versteckt, daß niemand sie finden konnte. »Wir machen es wie immer«, brachte er dem fremden Lasquen bei. »Du kannst uns vertrauen. Solche Situationen haben wir schon oft erlebt. Es ist ganz harmlos. Wir brauchen nur hier unten zu bleiben und abzuwarten, dann geht der Spuk von allein vorbei!« Minimar erweckte nicht den Eindruck, als habe er ihm zugehört. Er trat von einem Bein auf das andere, und seine Begleiter taten es ihm nach. Nach kurzer Zeit wogte eine Horde falscher Lasquen vor Kissmen-Jon auf und ab. Zu allem Überfluß trat auch noch HaroldSam vor.
»Ich sehe es dir an, Anführer, daß auch du etwas spürst. Du weißt die Zeichen besser zu deuten als wir. Willst du uns eine Anweisung geben? Sieh dir diese Wesen an. Sie vergehen vor Angst. Erinnerst du dich, daß auch die Überlebenden unseres Volkes vor langer Zeit solche Angst gehabt haben, als es um ihre Existenz ging? Wie willst du entscheiden?« Er ist weise, durchzuckte es Kissmen-Jon. Oder er tut nur so. Wie soll ich entscheiden? Er starrte die falschen Lasquen an. Sie vergingen fast vor Angst. Einige hielten es nicht mehr aus und stürmten dem Ausgang entgegen. Dort jedoch hatte sich eine Traube Neugieriger gebildet, es gab kein Durchkommen. »Wartet!« rief Kissmen-Jon aus. »Es muß eine Möglichkeit geben. Ja, ich sehe eine Chance!« Er wandte den Kopf hinauf zur Plattform. »Gallen-Jon, wie ist die Lage?« »Zwei Schiffe sind in der Nähe der oberirdischen Gebäude gelandet. Das dritte im Landeanflug. Die Schiffe kommunizieren miteinander, sind jedoch unterschiedlicher Bauart. Weitere Schiffe nähern sich dem System. Aber warum ist das so interessant?« Der Anführer gab ihm keine Antwort. Er wandte sich wieder zu Minimar, der leise seufzte und sichtbar zitterte. »Wir helfen euch!« versprach er. »Wir wissen um eure innere Not. Wir wollen euch dankbar sein, deshalb werden wir etwas tun, was wir lange nicht mehr getan haben. Ihr müßt hinauf, könnt es aber nicht, weil sich Feinde nähern. Vielleicht sind sie auch unsere Feinde. Wir werden es sehen!« »Was wollt ihr tun?« ächzte Minimar. »Euch helfen. Wir werden die Fremden vertreiben. Sie werden einen solchen Schrecken bekommen, daß sie ihr Heil in der Flucht suchen und nie mehr nach Pultar zurückkehren!« In seine massige Gestalt kam Leben. Er hechtete herum und rannte auf die Rolltreppe zu, die ihn rasch nach oben brachte. Er fingerte an den Kontrollen, soweit sie ihm zugänglich waren und er sie
beherrschte. »Hier spricht Kissmen-Jön«, brüllte er in das Mikrofon. »Alle männlichen Lasquen halten sich sofort bereit. Achtung, die Computer überspielen euch die Daten von Schlachtplan drei. Wir greifen ein. Jeder merkt sich seine Position und seine Aufgabe. Durchführung in einer Zeitphase. Hebt eure Stinkpelze an. Es gilt, den Gegner zu verjagen!« Er stieß, ein schreckliches Geheul aus, was wohl ein Schlachtruf sein sollte. Nicht nur die Fremden, sondern auch die Lasquen seines Volkes waren einhellig der Meinung, daß wohl noch nie ein Intelligenzwesen einen solchen Ruf ausgestoßen hatte. Minimars Worte gingen in dem Lärm beinahe unter. »Wir danken euch«, erklärte der fremde Lasque gerührt. »Vielen Dank, Freunde!«
4. Sie kamen aus dem Nichts. Aus den Weiten ihrer Galaxis waren sie dem Ruf gefolgt, und noch immer spielte das Memoband den Hyperfunkspruch ab, dessen Sender seine Tätigkeit längst eingestellt hatte. »Hier spricht Elyl vom Planeten Trysh. Ich rufe alle Freunde der Sonne, sich möglichst bald im Mittelpunkt des Lichts einzufinden!« Der Mittelpunkt des Lichts war Gyd. Die Koordinaten waren bekannt, denn es hatte auf jener einsamen Welt der einsamen Sonne bereits in früherer Zeit Zusammenkünfte der Verbannten gegeben. Die unterirdische Anlage eignete sich besonders dazu, und der allein im All stehende Stern lag außerhalb der beflogenen Gebiete Manam-Turus, so daß die Gefahr einer Entdeckung gering war. Vorläufig waren sie die einzigen, die sich dem Ziel näherten. Sie flogen einen Umweg, um ihre Herkunft zu verheimlichen. Sie kamen aus dem finstersten Teil der Galaxis, wo dichte Nebel- und
Gaswolken den Blick auf ihr Inneres versperrten. Dort gab es die schwarzen Schlünde, riesige Gravitationsgebilde, die alles an sich rissen, was in ihre Nähe kam. Es waren keine Schwarzen Löcher, sondern eine Art von Aquarien. Die Planeten und Sonnen, die sie in sich aufsogen, waren wie durch ein Fenster weiterhin zu sehen, aber sie waren im Gravitationsstrudel geschrumpft. Sie hielten sich jenseits der Grenze auf, und kein Raumschiff wagte es, die gefährliche Zone zu erkunden. Manchmal flogen Robotschiffe hin, die mit großen Teleskopen ausgerüstet waren. Wurden sie von den starken Kräften erfaßt und hinübergerissen, dann waren sie für immer verloren. Sie befanden sich dann in jenem Bereich, der sich als eine Art Miniuniversum darstellte. Die Daila waren sich nicht sicher, ob das, was sie da beobachteten, überhaupt der physikalischen Realität entsprach. Im Augenblick spielte diese Frage für sie auch keine Rolle. Schiffe befanden sich in der Nähe der SE-DENMAG, und diese Schiffe besaßen Diskusform und zeichneten sich durch ihre Wendigkeit aus. Gegenüber der trägen Walze vom Planeten Ansaid befanden sie sich eindeutig im Vorteil, aber Florinth, der Kommandant des Handelsschiffs, war nicht bereit, so leicht aufzugeben. »Alle Energie auf die Jenseitsschleuder!« wies er seine Techniker an. »Wir werden den Invasoren einen kleinen Feuerzauber bieten!« Es hatte sich bis nach Ansaid herumgesprochen, daß fremde Wesen in Manam-Turu aufgetaucht waren, die nichts anderes im Sinn hatten, als bewohnte Planeten unter ihre Herrschaft zu zwingen. Ihre Schiffe kreuzten überall in der Galaxis und waren bestrebt, ihren Machtbereich so schnell wie möglich auszuweiten. »Jenseitsschleuder fertig«, kam die Meldung. »Einsatz!« nickte Florinth. Einer der Techniker betätigte eine Sensoreinheit an einem gesondert angebrachten Kontrollpult, dann riß die Schwärze des Vergessens die Daila hinweg und umfing sie mit tödlicher Sicherheit. Für die Ligriden in den Diskusschiffen hatte es den Anschein, als
sei das Schiff mitten im Flug gegen ein unsichtbares Hindernis geprallt und explodiert. Ihre Geräte konnten nichts erkennen, und sie drehten ab und suchten eine Weile nach Überresten des verfolgten Schiffes. Sie fanden keine und kehrten schließlich zu ihren Basen zurück. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die SEDENMAG etwa fünfhundert Lichtjahre entfernt an einem sicheren Ort. Die Jenseitsschleuder war nichts anderes als eine Art neuer Hyperantrieb, der es ermöglichte, auch weite Entfernungen zurückzulegen, ohne Zeit zu verlieren. Er war leistungsstärker als der Linearantrieb, den die Daila von ihrer eigenen Raumfahrt kannten. Die SEDENMAG war auch kein dailanisches Schiff, sondern es gehörte den Baumwesen von Ansaid, bei denen die Verbannten Zuflucht und Schutz gefunden hatten. Es dauerte etliche Zeiteinheiten, bis die Daila aus der Bewußtlosigkeit erwachten. Der Antrieb war noch nicht ausgereift, es würde sicherlich ein paar Jahrzehnte dauern, bis die Nebenwirkungen eliminiert werden konnten. Florinth erkannte sofort, daß sie die Verfolger abgehängt hatten. Da sich keine anderen Schiffe in der Reichweite der Ortungsgeräte befanden, justierte der Kommandant den Kurs neu und gab Anweisung, alles für die Meditation vorzubereiten. Die Daila erwachten und erholten sich rasch. Als Mutanten besaßen sie größere Möglichkeiten, die Folgen einer Bewußtlosigkeit zu überwinden. Ein Daila ohne Fähigkeiten hätte den Flug mit der Jenseitsschleuder sowieso nicht überlebt, und sie mochte ihren Namen deshalb erhalten haben, weil die Gefahr bestand, daß man hinterher nicht mehr aufwachte. Die SEDENMAG flog direkt nach Gyd. Sie führte mehrere Linearetappen durch, dann tauchte der glutrote Stern auf dem Bildschirm auf und wurde rasch zum Orientierungspunkt für die Computerberechnungen. »Fernortung negativ«, wurde gemeldet. Florinth war zufrieden, wunderte sich gleichzeitig jedoch. Einerseits war es gut, wenn sie in
der Nähe des geheimen Treffpunkts niemandem begegneten, andererseits hatte er erwartet, weitere Schiffe mit Verbannten auszumachen, die dem Ruf gefolgt waren. »Es kann doch nicht nur ein Zufall sein, daß wir die ersten sind«, überlegte er laut. »Sind wir aus Versehen durch das Netz einer weiten Absperrung geschlüpft?« Die Frage ließ sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten, und der Kommandant verließ die Zentrale und suchte jenen Steuer räum auf, dessen Türzeichen darauf hinwies, daß hier etwas anderes gesteuert wurde als die technischen Anlagen des Schiffes. Als Florinth eintrat, hatten sich dreißig Mutanten in einem Kreis versammelt und am Boden niedergelassen. Sie hielten sich an den Händen, um Körperkontakt herzustellen. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Nasenflügel bebten. Ich bin da! dachte Florinth. Es ist gut, kam die telepathische Antwort. Du willst wissen, was wir »sehen«. Denkt! Es sind Schiffe in der Nähe. Sie müssen jenseits des Erfaßbaren sein. Aber wir erkennen die Anwesenheit von verwandten Gedanken, und es sind Gedanken, die sich ausschließlich mit Gyd und dem Funkspruch beschäftigen. Es kann sich nur um Daila handeln, die wie wir auf dem Weg sind. Dann ist es gut, erwiderte Florinth. Wir können also handeln. Wir werden vor dem Ziel keine Orientierungspause mehr einlegen. Er blendete sich aus dem Geistesverband aus und orientierte sich nach der Tür. Er kehrte in die Zentrale zurück und gab letzte Anweisungen. Es ging alles glatt. Es war so, wie sie es gehofft hatten. Der Funkspruch war nicht nur auf Ansaid vernommen worden, sondern er hatte alle Bereiche Manam-Turus durchdrungen. Auch nicht betroffene Völker mußten ihn empfangen haben. Sie konnten mit der verschlüsselten Botschaft nichts anfangen.
Nur die Daila wußten, welche Bedeutung Gyd besaß, denn der Stern bildete den Mittelpunkt ihrer alten Mythologie. Nach zwei weiteren Linearetappen tauchte zum ersten Mal der Planet auf dem Optikschirm auf, und kurz darauf gingen die ersten Ortungsergebnisse ein. Funkkontakt zu einem zweiten Schiff kam zustande. Es besaß Radform und schob sich gemächlich an die Sonne heran. Das Gesicht eines Daila tauchte auf dem Bildschirm auf. »Seid gegrüßt, Helden des Rades«, empfing Florinth den Artgenossen. »Der Mittelpunkt des Lichts wartet auf uns. Habt ihr Kontakt mit anderen Mutanten erhalten?« »Wir haben Schiffe gesehen, aber sie folgten nicht dem Ruf. Sie waren in Auseinandersetzungen um ihren Planeten verwickelt. Wir wollten ihnen zu Hilfe eilen, aber sie baten uns, unseren Weg fortzusetzen. Wir wissen nicht, was aus ihnen geworden ist.« »Mana schütze sie!« rief der Kommandant der SEDENMAG aus. »Sie werden alle ihre Kräfte brauchen, um sich zu wehren. Welcherart sind die Gegner unserer Brüder?« Der Daila konnte es nicht sagen. Florinth schilderte seine Begegnung mit den Diskusschiffen, aber auch das half nicht weiter. Es blieb bei Vermutungen. Während sich die beiden Mutanten unterhielten, hatte sich ihre Schiffe so weit angenähert, daß sie im Licht Gyds auch auf den Bildschirmen wahrzunehmen waren. Das Rad machte einen imposanten Eindruck, und die kleine Walze der SEDENMAG nahm sich winzig daneben aus. Dennoch betrug die Besatzung des Rades nicht mehr als zweihundert Daila und noch einmal hundert Mitglieder eines anderen Volkes, das auf jener Welt Zuflucht gefunden hatte, auf der die Verbannten seit über hundert Jahren lebten. Die Daila hatten ihnen ebenso Zuflucht gewährt, wie andere Völker es bei ihnen getan hatten. Es gab keinen bekannten Fall, wo dieses Zusammenleben nicht Vorteile für beide Seiten gebracht hätte.
Der heiße und unwirtliche Planet Gyds schob sich langsam in die Mitte der Schirme. Die beiden Schiffe waren in Umlaufbahnen um die Sonne eingetreten und steuerten die sonnennahe Welt an. Ihre Nähe zum Muttergestirn war ein Vorteil, denn auf weite Entfernungen war sie nicht zu orten. Es hatte den Anschein, als stünde die rote Sonne allein im Raum. »Wir Daila von Ansaid fühlen uns nicht wohl«, sagte Florinth in das Mikrofon, das seine Stimme zum Rad hinübertrug. »Etwas ist nicht in Ordnung, und wir glauben, daß es mit Aklard zusammenhängt. Unser Gespür für die Mutterwelt ist stärker als zuvor.« »Auch uns ergeht es so«, erhielt er zur Antwort. »Wir sind sofort aufgebrochen, und wir hoffen, daß dieser Elyl von Trysh uns Rede und Antwort stehen wird. Der Planet Trysh ist uns nur wenig bekannt, niemand weiß, was sich dort entwickelt hat. Und noch viel weniger wissen wir es von Aklard. Die Kontakte zur Mutterwelt sind mehr als dürftig, aus verständlichen Rücksichten heraus, die mit den dortigen Daila und ihrer Abneigung gegen Mutanten zusammenhängen.« Ein drittes Schiff näherte sich. Es besaß Kugelform, und die Insassen setzten sich sofort mit den beiden Ankömmlingen in Verbindung. Florinth erkannte auf den ersten Blick, daß jenes Wesen, dem er sich gegenübersah, kein Daila sein konnte, auch wenn er den Angehörigen seiner Rasse verblüffend ähnlich sah. Ein Gedankenimpuls an die stärksten Mutanten in der SEDENMAG verließ ihn, und er streckte die Hand nach den Kontrollen aus. In dem Schiff von Ansaid begann der Alarm zu heulen.
* Bei der Annäherung löste sich Gyd langsam von der Sternengruppe,
die sich weiter entfernt von der roten Riesensonne befand, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Gleichzeitig mit den Werten über den Glutstern trafen auch die ersten über den einzigen Planeten ein. Er war keine Welt, die zum Verweilen einlud, und wir hatten es nicht eilig, dorthin zu kommen. »Wahrhaftig, es ist die Urglut«, flüsterte Chipol dicht neben mir. Gebannt starrte er auf den Bildschirm, und seine Hände, die bisher zu Fäusten geballt gewesen waren, entkrampften sich. »Ein schöner Mythos«, entgegnete ich. »Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, daß er mit der Realität übereinstimmt?« Der junge Daila blickte mich aus aufblitzenden Augen an. Er wandte rasch den Kopf nach rechts und links, aber Saylimandar war nicht anwesend. Er hatte sich zurückgezogen. Vermutlich lauschte er nach Anzeichen von Spuren anderer Mutanten. »Ich will es gar nicht wissen«, sagte Chipol rasch. »Aber ich freue mich, daß ich den Rauchstreifen vom verlöschenden Feuer aus der Nähe sehen kann. Erinnerst du dich, was ich dir von unserer Mythologie erzählte?« Ich nickte, und der Daila nahm es als Aufforderung, seine Erzählung zu wiederholen. »Einst hat es an Stelle der vielen einzelnen Sterne am Himmel der Galaxis ein einziges großes Feuer gegeben, an dem alle Götter, Geister und Dämonen sich wärmen konnten. Das Feuer war für alle da, aber dann gab es Streit, weil die unterschiedlichen Gruppen oder Einzelwesen ein eigenes Feuer beanspruchten oder das eine für sich allein. Entgegen aller Weisheit schlichen sie sich heimlich an den Wächtern vorbei und stahlen Teile des Feuers. Dabei griffen sie unterschiedlich weit in die Glut, und ein Dieb erwischte ein Teil, das rot glühte, ein anderer eines, das hellgelb glühte oder weiß. Jedes Glutstück besaß ein wenig eine abweichende Farbe vom anderen, und genauso ist der heutige Himmel Manam-Turus gestaltet. Die Diebe legten also viele kleine Feuer und entzogen dem großen Feuer viel von seiner Kraft. Darüber wurden die Wächter des Feuers böse,
und sie schleuderten den Dieben glühende Brocken nach. Auf unserem Weg von Joquor-Sa nach Cairon sind wir einem davon begegnet. Du nanntest ihn einen Kometen, aber es war ein Unglücksbote, der dort, wo er auftrifft, Unheil hervorrufen wird. Heute ist von dem großen Feuer nur noch der Rauch übrig, der die eigentliche Urglut verdeckt. Es macht mich froh, daß ich endlich den Beweis vor Augen habe, daß die Glut nicht völlig erloschen ist, wie die meisten Daila annehmen. Das Mahnmal ist da, und es warnt alle Wesen, sich noch einmal des Diebstahls schuldig zu machen.« »Wer will es überwachen?« fragte ich. Chipol blickte mich an, und seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. »Darüber möchte ich nicht sprechen«, meinte er. »Die Mutanten werden sich hier treffen, und es ist zu befürchten, daß Gyd nicht zum ersten Mal von ihnen besucht wird!« »Du solltest vorsichtig sein«, mahnte ich. »In den vergangenen Stunden und Tagen hast du nicht den besten Eindruck gemacht. Du scheinst nicht richtig zu wissen, was auf dem Spiel steht. Halte dir immer vor Augen, daß die Verbannten mit ihren Psi-Fähigkeiten die einzige Hoffnung für Aklard sind. Ohne sie werden die Ligriden den Planeten bald völlig kontrollieren!« Meinst du wirklich, daß der Junge sich mit rationalen Argumenten überzeugen läßt? warf der Extrasinn ein. Langsam solltest du ihn gut genug kennen! »Ich weiß.« Chipol senkte den Kopf. Dann wandte er sich unvermittelt ab und stürmte durch die Zentrale auf den Ausgang zu. »Eines Tages werden sich alle kleinen Feuer wieder zu einem einzigen großen vereinigen, und dann wird sowieso alles anders sein!« Am Antigravschacht prallte er zurück und machte hastig Platz. Saylimandar kam. Er erkannte sehr wohl die Bedeutung von Chipols Verhalten, aber er sah darüber hinweg. Er eilte auf mich zu, da ich der einzige war, der von seiner Ankunft bewußt Kenntnis nahm.
»Ich spüre sie«, rief er aus. »Sie sind in der Nähe. Der Funkspruch, den wir aufgefangen haben, zeigt seine Wirkung!« Norgis im Pilotensessel fuhr herum, als erwachte er aus einem Traum. »Zwei Schiffe auf der Ortung«, meldete er. »Sie sind dem Planeten ziemlich nah. Wir holen auf.« »Funkverbindung aufnehmen«, sagte ich. Mallosh bestätigte es, aber er nahm sich Zeit. Schleppend langsam justierte er die Anlage, und als der Monitor aufflammte, da surrten und rasten lediglich Schlieren über den Schirm. »Störung!« meldete der Funker, den ich wegen seines zurückhaltenden und ausgleichenden Charakters schätzte. Manchmal wirkte Mallosh ein wenig wie ein Betäubungsmittel auf aufbrausende Daila wie Ganno. Jetzt aber schien er sich genauso wenig wohl zu fühlen wie alle seine Artgenossen von Aklard. Endlich wurde das Bild deutlich. Ich erkannte einen Daila und trat vor die optische Erfassung unseres Geräts. Ich sah, wie sich die Augen des Mannes weiteten. Sein Oberkörper bewegte sich, dann drang das Schrillen einer Alarmglocke an meine Ohren. »Haltet ein«, rief ich aus. »Hier ist das aklardische Kugelraumschiff GHYLTIROON. Wir haben den Funkspruch empfangen. Es besteht kein Grund zum Mißtrauen!« Der Daila fixierte mich. »Dreh sofort ab mit deinem Schiff, Fremder. Du bist sicherlich ein Spion der Ligriden!« Ich winkte Saylimandar zu mir, und der Mutant trat an meine Stelle. Er machte eine Geste, die mir unbekannt war. Der Daila auf dem Bildschirm blinzelte, er mußte sie verstanden haben. »Ich bin Saylimandar«, sagte der Verbannte. »Saylimandar von Nolien?« rief der Daila erfreut. »Ich kenne deinen Namen und habe dein Zeichen verstanden. Sei willkommen. Nenne mich Florinth. Wer ist der Fremde in deinem Schiff?« »Es ist Atlan, der Arkonide. Er ist ein Freund Aklards und hat uns
geholfen, die GHYLTTROON auf den Weg zu bringen. Ein weiterer Verbannter ist bei uns an Bord, ein junger Daila namens Chipol. Die vier regulären Besatzungsmitglieder sind Daila von Aklard.« »Von der Heimatwelt!« dehnte Florinth. »Ich komme zu euch an Bord. Folgt uns zum Treffpunkt!« Der Schirm erlosch, und ich nickte Norgis aufmunternd zu. Der Kommandant brummte etwas Unverständliches und änderte den Kurs des Schiffes. Ich beobachtete Ganno. Der Bordtechniker rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her. Er warf fahrige Blicke durch die Zentrale, und nach einer Weile erhob er sich und trat neben Trom, mit dem er sich flüsternd unterhielt. Danach suchten beide Norgis auf. »Es ist zu gefährlich«, meinte der Bordtechniker. »Wer weiß, was alles passieren kann, wenn sich so viele Mutanten auf einem Haufen befinden. Wie viele sind in den beiden Schiffen? Warum meldet sich die Walze nicht?« Norgis gab keine Antwort, und ich beschloß, ihm ein wenig Erleichterung zu verschaffen und ihn aus der Klemme zu erlösen. »Die Daila werden es nicht für nötig halten«, sagte ich. »Sie begnügen sich damit, uns erst am Treffpunkt kennenzulernen!« Mit dem Treffpunkt war entweder eine Umlaufbahn um den Planeten oder die Oberfläche selbst gemeint. Kurz darauf bestätigte sich die zweite Vermutung, als die beiden Schiffe in eine stationäre Umlaufbahn gingen und bemannte Beiboote absetzten, die hinabflogen und landeten. Gleichzeitig erkannten wir, daß sich auf der sandbedeckten Planetenoberfläche mehrere Bauwerke befanden. »Die Station oder wie man es nennen soll«, sagte Mallosh, aber ich zweifelte noch. Die Umrisse der Gebäude machten nicht den Eindruck, als seien sie von Daila errichtet worden. Wie willst du wissen, aus welcher dailanischen Bauepoche sie stammen? fragte der Extrasinn. Es gibt bestimmt Verbannte, die die Bauweise jenes Planeten übernommen haben, auf dem sie ihre zweite Heimat fanden. Ich mußte dem Extrasinn Recht geben, ließ meine Vermutung aber
dennoch nicht fallen. Erst eine exakte Untersuchung würde darüber Aufschluß geben, was es mit den Gebäuden auf sich hatte. Ich bat Norgis, die GHYLTIROON in unmittelbarer Nähe der Beiboote der anderen Schiffe zu landen. Wir waren rechtzeitig genug zu dem Treffen gekommen, und ich bereute meinen Entschluß nicht, dem Vorschlag Saylimandars gefolgt zu sein. »Jetzt wird alles gut«, erklärte der Mutant von Nolien. »Ich spüre es. Bald wird Aklard keine Sorgen mehr haben!« Ich bemerkte, wie sich die vier normalen Daila versteiften. Chipol war nicht mehr da. Er war irgendwo in den unteren Etagen des Schiffes verschwunden. »Norgis, Ganno, Mallosh und Trom!« rief ich. »Reißt euch zusammen. Es muß sein. Ihr dürft nicht den Verstand verlieren. Die Mutanten tun euch nichts. Konzentriert euch gedanklich darauf, daß ihr ruhig bleibt!« »Das ist leichter gesagt als getan«, erwiderte Trom. Wir landeten. Die Ortung zeigte an, daß sich mehrere Dutzend Schiffe dem roten Riesen näherten. Sie alle folgten dem Ruf, und wir bekamen mit, daß sie aus unterschiedlichen Gegenden ManamTurus kamen. Manche Schiffe trugen Daila in sich, die auf Welten lebten, die keine Raumfahrt besaßen, zu denen aber Kontakte bestanden. Sie waren von anderen Verbannten abgeholt worden. Unser Schiff setzte zwischen mehreren quaderförmigen Bauwerken auf, die mich stark an die irdischen Bunker des zwanzigsten Jahrhunderts erinnerten. Die Außenfarbe war dem sie umgebenden Sand angepaßt, und wir entdeckten keinerlei Spuren, die darauf hinwiesen, daß es hier noch Leben gab. Eine verlassene Anlage, und es deutete darauf hin, daß sie doch von den Daila errichtet worden war und lediglich bei den Zusammenkünften wie jetzt benutzt wurde. Dabei ließ die Bauart der Bunker jedoch Zweifel aufkommen, ob sie im Notfall vernünftig verteidigt werden konnten. Wir beobachteten die Schirme. Aus den Beibooten der Schiffe
lösten sich Gestalten und eilten auf uns zu. Sie vereinigten sich zu einer einzigen Gruppe. »Nein!« stieß Ganno aus. »Sie kommen zu uns. Sind es alles Mutanten?« Ich biß die Zähne zusammen. Es war anzunehmen, daß es sich ausschließlich um psionisch begabte Verbannte handelte. Mit einem Blick erfaßte ich alle in der Zentrale Anwesenden. Saylimandars Augen leuchteten vor Begeisterung. Die vier Besatzungsmitglieder hingegen blickten düster drein, und Ganno begann plötzlich zu toben. »Sie sollen nicht hierherkommen!« schrie er und trat vor mich. »Hörst du, Fremder? Sie haben kein Recht, in dieses Schiff zu kommen!« Norgis, Mallosh und Trom verhielten sich abwartend. Sie wollten zu diesem Zeitpunkt keine Stellung beziehen. »Sie haben es doch. Verstehst du das nicht?« entgegnete ich scharf. »Hast du noch immer nicht begriffen, mit welcher Intensität und Hingabe die Verbannten an ihrer Heimatwelt Aklard hängen? Die GHYLTIROON ist für sie ein Symbol!« Er hatte es schon verstanden, und er wand sich wie ein Wurm unter meinen Worten. Er druckste herum und knurrte etwas. Die dichten Stirnhaare richteten sich ein wenig auf, und ich wurde an das Verhalten einer Katze erinnert. Ich wollte darüber lächeln, beherrschte mich jedoch. Jedes meiner Worte konnte eine Katastrophe auslösen, jedes Zeichen von Mimik eine Überreaktion. Mit steinerner Miene beobachtete ich, wie Ganno zu seinem Sessel zurückschlich. »Ihr seid Gastgeber«, fuhr ich bedachtsam fort. »Es sind Angehörige eurer Rasse. Ihr dürft sie nicht verstoßen. Sie haben zu allen Zeiten Aklard verlassen, um den Frieden der Heimatwelt zu sichern. Enttäuscht sie nicht!« »Du hast wohl recht«, sagte Norgis leise. »Aber erinnerst du dich, was ich dir über das sagte, was in unserem Innern vorgeht?
Vielleicht unterscheidet uns das von den Mutanten, daß wir nicht über unseren eigenen Schatten springen können.« »Es ist nicht der Schatten«, klang Saylimandars Stimme auf. »Wenn es der Schatten wäre, würde es Krieg zwischen uns und euch bedeuten. Es steht etwas anderes zwischen uns, ich spüre es deutlich. Aber ich kann es nicht in Worte und nicht einmal in Gedanken fassen!« »Er bespitzelt uns wieder!« sagte Trom laut. Der Mutant verneinte. »Ich verhalte mich wie ein Gelähmter, nur um keinem von euch zu nahe zu treten«, bekannte er. »Und dennoch glaube ich zu erkennen, wie es um euch steht!« Er wandte sich an mich und hob beschwörend die Hände. »Atlan, du bist ein Fremder. Wenn jemand helfen kann, dann du. Worunter leiden wir? Was macht es unmöglich, daß Normale und Verbannte friedlich nebeneinandersitzen und miteinander leben können?« Da war sie also, die Schicksalsfrage. Fast hatte ich damit gerechnet, daß der Schwarze Peter an mir hängenbleiben würde. Wie sollte ich mich verhalten? Ich hatte meine Ziele und Aufgaben in ManamTuru, die ich aus eigener Kraft lösen mußte. Auf die Rückendeckung der Kosmokraten mußte ich verzichten, und ich tat es auch gern. Ich war in meinen Entscheidungen und Wegen freier geworden und machte mir manchmal Gedanken darüber, wie sie mich eines Tages zurückholen würden in das Herzogtum von Krandhor, wo ich meine Rolle als Orakel zu spielen hatte. Im Augenblick kam ich mir nicht nur ein wenig hilflos vor. Mitten in der Spurensuche war ich wie so oft zum Mittelpunkt eines Konflikts geworden. Die Verantwortung hing an mir, und die Daila waren klug genug zu wissen, daß sie im Zweifelsfall immer mir die Schuld in die Schuhe schieben konnten. Schließlich war ich es gewesen, der ausdrücklich für diesen Flug und die Hilfsexpedition eingetreten war. »Ich bin ein Fremder und deshalb unparteiisch«, antwortete ich.
»Aber ich bin kein Daila. Ich kenne die Geschichte eures Volkes wenig, dafür umso mehr eure Mythologie. Wenn sie euch die Antwort nicht geben kann, wie soll ich es dann können?« »Ein Rauchstreifen mit einem Rest Glut ist keine Antwort«, meldete sich Mallosh zu Wort, doch ich widersprach. »Vielleicht wirst du eines Tages die Antwort finden. Was ist Rauch anderes als eine Sichtbarmachung eines Vorgangs? Und wozu dient die Glut anderes, als neben Wärme auch Rauch zu erzeugen? Wodurch wird Rauch sichtbar?« »Durch Licht«, brummte der Funker. Er deutete auf den Bildschirm. Die Gruppe war auf über zwanzig Personen angewachsen, und sie hatte die GHYLTIROON beinahe erreicht. »Dann hoffe ich, daß du bald Erleuchtung findest. Norgis, öffne bitte die Bodenschleuse und fahre die Rampe aus. Es wäre unhöflich von uns, wenn wir die Daila warten ließen.« Der Kommandant folgte schweigend meiner Aufforderung. Der Hauptbildschirm teilte sich in zwei Hälften. Die eine zeigte wie bisher die Umgebung des Schiffes. Die andere übermittelte uns Bilder vom Schleuseneingang und einem Teil des Korridors, der zum zentralen Antigravschacht führte. Die Daila stürmten herein. Wir hörten ihre Ausrufe. Sie klangen bewundernd, und ich machte eine Bemerkung zur Technik des Schiffes. Sie sollte ein Lob für die Daila sein und sie davon überzeugen, wie ehrlich die Mutanten es meinten. Vorsicht, Arkonide! warnte mein Logiksektor. Die Begabten werden im Überschwang ihrer Begeisterung nicht immer das richtige Maß finden, mit ihren Artgenossen umzugehen! Es war mir klar, daß ich gerade darauf achten mußte. Ich eilte zum Ausstieg hinüber, um die Ankömmlinge zu empfangen und mit ein paar raschen Worten zur Vorsicht zu ermahnen. Saylimandar folgte mir. »Inzwischen sind es über dreißig Schiffe, die sich dem Planeten nähern«, rief Norgis alarmiert. »Sie setzen alle zur Landung an!«
Ein Funkanruf ging ein. Er brachte eine Überraschung, und er lenkte die Besatzungsmitglieder der GHYLTIROON wenigstens für kurze Zeit ab, so daß ich ein wenig Luft erhielt. Ich erkannte das Gesicht eines Daila im mittleren Alter. »Hier spricht Elyl von Trysh. Ich habe euch zum Mittelpunkt des Lichts gerufen. Es ist einer an Bord der GUNDBAD AKLYS, der mit euch reden muß!« Ich sprang ans Mikrofon. »Hier Atlan«, erklärte ich. »Wir kommen von Aklard. Wir haben deinen Ruf vernommen. Wir brauchen Hilfe!« Der Daila schien nicht überrascht zu sein, in mir einen Fremden vor sich zu haben. Er lächelte zustimmend und machte einem Artgenossen Platz, der das rote Gewand eines Kranken trug. »Der Oberste Rat grüßt dich, Atlan«, sagte der Mann würdevoll, und Norgis, Ganno, Mallosh und Trom sprangen auf. »Das ist Aksuum!« schrien sie durcheinander. »Der Oberste Rat Aksuum aus Bajukkan. Er wird uns verstehen!«
* Ich unterbrach mein Gespräch mit Aksuum, denn die Mutanten hatten die Zentrale unseres Schiffes erreicht. Sie eilten auf uns zu. Saylimandar fing sie ab, während die vier Normalen aus ihren Sesseln herausschnellten und sich unter allen Anzeichen der Furcht in einer abgelegenen Ecke zusammendrängten. Der Mutant von Nolien klarte die Ankömmlinge auf und gab ihnen Ratschläge, wie sie sich zu verhalten hatten. Einer von ihnen trat vor. Es war Florinth. »Aber dies ist ein Schiff von Aklard!« rief er aus. »Ein Bote der Heimat. Wir Verbannten lieben unsere Heimat und sind froh, mit Vertretern des Planeten in Kontakt zu kommen!« Ich schritt zu Norgis hinüber und packte ihn am Arm. Ich zog ihn
mit mir, und er folgte mir mit leichtem Widerstreben. »Dies ist der Kommandant des Schiffes«, sagte ich. »Er wird jetzt seiner Pflicht nachkommen!« Norgis schnappte überrascht nach Luft. »Willkommen!« prustete er. »Willkommen an Bord der GHYLTIROON!« »Das wird dir noch leid tun«, hörte ich Ganno unterdrückt rufen, aber niemand achtete darauf. Die Mutanten betrachteten die Vertreter der Heimatwelt mit leuchtenden Augen und schienen nichts wahrzunehmen, was sie irgendwie stören konnte. Trotz ihrer Fähigkeiten sind sie blind. Sie wollen die Wahrheit nicht erkennen! Es ließ sich nicht ändern, und ich überließ die Mutanten dem Geschick Saylimandars und schickte Ganno, Mallosh und Trom hinunter in die Wohnetage. Ich selbst nahm erneut Verbindung mit der GUNDBAD AKLYS auf. Elyl unterhielt sich mit mir, und von ihm erfuhr ich erste Einzelheiten über das, was seit unserem Abflug von Aklard dort vorgefallen war. Mir wurde klar, daß wir auf dem Kontinent Uschriin schneller Hilfe hätten finden können, doch niemand hatte etwas davon gewußt außer Aksuum. Der aber hatte geschwiegen. Und trotz der Schwierigkeiten, die sich zwischen den Mutanten und den normalen Daila anbahnten, glaubte ich den Silberstreifen am Horizont zu sehen. Wir hatten das Ziel unseres Fluges fast erreicht, und ich war mir sicher, daß Aksuum dasselbe Ziel hatte wie ich. Er war lediglich unter besseren Voraussetzungen aufgebrochen. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen. Das Unheil brach über die Zentrale der GHYLTIROON herein, und es kam in der Gestalt von Chipol. Der Junge hielt einen Lederriemen wie eine Peitsche in der Hand und stürzte sich aus dem Schacht auf die anwesenden Mutanten. Ich rief eine Warnung, aber Chipol achtete nicht darauf. Mehrere
der Verbannten stießen Schmerzensschreie aus und wichen hastig zurück. Er drehte durch, erkannte ich und warf mich vorwärts. Ich sprang hinter dem Wütenden her, und es gelang mir, ihn am Hals zu fassen und ihm den Riemen zu entreißen. »Hör auf!« zischte ich. »Sonst vergesse ich mich!« Er entwand sich meinem Griff und verschwand dorthin, wo er hergekommen war. »Es tut mir leid«, sagte Saylimandar. »Aber er ist ein Unbegabter und reagiert auf eure Anwesenheit ganz schlimm. Bitte habt Verständnis dafür!« Die Mutanten unter Florinths Führung wandten sich schweigend ab. Sie, machten Gesichter, als seien sie aus dem Traum ihres Lebens gerissen worden. Unsicher und hastig verließen sie das Schiff wieder, und wir folgten ihnen. Ich brauchte Saylimandar nicht zu sagen, wie er sich zu verhalten hatte. Er ging mit ihnen und redete mit Engelszungen auf sie ein. Sie ließen nicht erkennen, ob sie ihm zuhörten. Da ist etwas zu Bruch gegangen, sagte der Extrasinn. Es wird Zeit brauchen, das wieder zu flicken. Ich hatte keine Zeit, mich mit dieser Schwarzmalerei auseinanderzusetzen. Am Rand des Landefelds trafen wir mit Aksuum und seinen Begleitern zusammen. Norgis, Ganno, Mallosh und Trom waren plötzlich wie aus dem Boden gewachsen neben mir und begrüßten Aksuum wie einen alten Freund. »Hört meine Geschichte«, verkündete der Oberste Rat, während er auf Elyl deutete, der uns voraus in eines der Gebäude hineinging. Es war nicht nur seine Geschichte, die wir erfuhren, sondern auch die Elyls vom Planeten Trysh, der nur ein wenig Begabter war und dem es deshalb auch nicht so schwerfiel, mit den Daila von Aklard auszukommen. Ich hielt ihn ein wenig auf und brachte ihn mit Norgis und seinen Begleitern zusammen. Die Daila reagierten kaum, und es konnte nicht nur daran liegen, daß sie von Aksuums
Erzählung so gefesselt waren. Ihre Abneigung gegenüber Elyl mußte nicht so stark ausgeprägt sein wie die gegenüber den vollwertigen Mutanten. Es war ein Geheimnis, das zu ergründen mir mit Sicherheit noch einiges Kopfzerbrechen bereiten würde. Ich erfuhr, daß die Verbannten seit langem einen Treffpunkt auf dem einzigen Planeten Gyds unterhielten. Sie machten sich die leeren Anlagen unter der Oberfläche zunutze, zu denen die Quadergebäude lediglich die Zugänge bildeten. Es stellte sich heraus, daß es sich tatsächlich nicht um Bauwerke von Daila handelte. Ein anderes Volk mußte sie errichtet haben. Im stillen beschloß ich, mir die Anlagen genau anzusehen. Es konnte nichts schaden, wenn ich bei der Suche nach dem Erleuchteten und EVO-LO sowie beim Kampf gegen die Hyptons eine Basis besaß, zu der ich immer wieder zurückkehren konnte. Vergiß die STERNSCHNUPPE nicht. Sie ist deine eigentliche Ausgangsbasis. Das Schiff der Kosmokraten hat eine Bedeutung für dich. Ich vergaß es nicht. Elyl führte uns abwärts. Wir stiegen in einen Antigrav und schwebten rund hundert Meter in die Tiefe. Immer wieder kamen wir an Etagen vorbei, aber die Mutanten beachteten sie nicht. Am Ziel betraten wir eine große Halle, in der sich nierenförmige Tische und Sessel befanden, die für die Daila zu groß waren. Sie setzten sich dennoch hinein. Über zweihundert Daila hatten sich zusammengefunden, und sie warteten auf das Eintreffen weiterer Gesandtschaften verschiedener Planeten. Ich hielt nach Chipol Ausschau. Ich war beruhigt, als ich ihn nirgends sah, aber ich frohlockte zu früh. Irgendwann tauchte er auf. Er sprang auf einen der Tische, daß es krachte. »Hört gut zu!« brüllte er. »Ihr seid die Verfluchten! Niemand will euch haben, niemand will euch hören. Ihr dürft nicht nach Aklard, und niemand wird euch dorthin lassen. Warum also seid ihr gekommen?«
Ich hatte jetzt endgültig genug. Der dumme Junge war übergeschnappt und brachte unsere ganze Mission in Gefahr. Die Psyche der Mutanten war mir nicht so geläufig, daß ich eine ruhige Reaktion erwartete. Ich holte ihn vom Tisch und gab ihm ein paar Ohrfeigen. Er ließ es sich gefallen, aber seine Augen irrlichterten. Wieder riß er sich los und stürzte hinaus. Ich wandte mich an Saylimandar. »Ihr müßt ihm helfen«, bat ich. »Suche dir ein paar fähige Mutanten zusammen. Ich muß unbedingt wissen, was es mit seiner immer stärker werdenden Antipathie gegen Psi-Kräfte auf sich hat. Er verhält sich anders als früher.« Der Mutant von Nolien entfernte sich schweigend. Ich suchte Aksuum und Elyl auf und besprach mich mit ihnen. Wir waren ungeduldig und mußten noch über fünf Stunden warten, bis feststand, daß sich vorläufig kein weiteres Schiff der roten Riesensonne näherte. Die Konferenz konnte beginnen. »Aklard erwartet Hilfe von den Verbannten!« begann Aksuum. »Ich als politischer Gesandter bitte euch formell darum. Helft uns, den Planeten von den Nachstellungen durch die Ligriden zu befreien.« Spontaner Beifall kam auf. Alle Mutanten spürten, in welcher Bedrängnis sich ihre Heimat befand. Dann stand Florinth auf und ergriff das Wort. »Wir helfen gern«, erwiderte er. »Aber halte dir die Abneigung dieser Besatzungsmitglieder der GHYLTIROON vor Augen. Gibt es etwas Schlimmeres für uns? Aklard ist unsere Heimat, aber ihre Bewohner überschütten uns mit Haß und Ablehnung. Wer kann es uns verübeln, wenn wir nichts von ihnen wissen wollen? Räumt Aklard von allen normalen Daila, die uns ablehnen, dann werden wir dem Planeten helfen!« Jetzt war die Bombe also geplatzt. Ich hatte es kommen sehen. Sie konnten es nicht hinnehmen. Ganno und Konsorten hatten ihnen ihren Traum von der schönen Heimat geraubt, sie fühlten sich
wiederum verstoßen. Es machte ihnen zu schaffen, und sie würden bestimmt lange Zeit an dieser Erfahrung zu kauen haben. »Hört mich an!« bat ich, aber meine Worte gingen in lauten Unmutsrufen unter. »Wir nehmen von einem Unbegabten keine Worte mehr entgegen«, taten die Verbannten kund. Eisiges Schweigen war alles, was blieb. Unsere Mission und die Aksuums war gescheitert.
5. Chipol zitterte, während er sich in die Nische hinter den Maschinen drückte. Um ihn herum summte alles, und die Arbeitsgeräusche übertrugen sich auf die Wände und den Fußboden. Sie verstärkten das Unbehagen noch, das den jungen Daila erfüllte. Er dachte an seine Familie und an den Haß auf den Erleuchteten, den er in sich trug. Den Erleuchteten machte er für das Verschwinden seiner Familie verantwortlich, und er litt darunter, daß er noch immer keine Spur gefunden hatte. Auch Atlan hatte nichts entdeckt, und zur Zeit sah es so aus, daß sie alles andere taten als nach dem Erleuchteten zu suchen. Sie kümmerten sich um Aklard, das sich in Gefahr befand. Hier begann das Dilemma des Jungen. Seit seinem Besuch in der alten Heimat, die er im Kindesalter hatte verlassen müssen, fühlte er sich den normalen Daila in einer Weise verbunden, wie er sie früher nicht gekannt hatte. Er wußte jetzt, daß es sich lohnte, diesem Volk zu helfen. Zu seiner Sehnsucht nach seiner psionisch begabten Familie kam die Sehnsucht nach dem Planeten dazu. Die Duplizität war es, die den Zwiespalt in seinem Innern hervorrief. Er verwischte die Grenzen, und Chipol begann nur noch in den Kategorien Normaler und Mutant zu denken. Alles, was er an übernatürlichen Erscheinungen und Fähigkeiten im Lauf seines
Lebens mitbekommen hatte, unterlag nun starker Ablehnung. Nur das, was er aus sich selbst heraus als normal betrachtete, war gut, und er handelte danach, ohne sich der Konsequenzen richtig bewußt zu sein. Unter anderen Umständen hätte man gesagt, daß Chipol einfach ausgeflippt sei. Im Zusammenhang mit den Ereignissen in ManamTuru war es jedoch stärker zu bewerten, und sein Handeln beeinflußte den Fortgang der Entwicklung. Es war ein seelischer Ausbruch, und der junge Daila schimpfte innerlich auf Atlan, von dem er sich ungerecht behandelt fühlte. Der Arkonide hatte ihn sogar geschlagen, aber er würde es ihm bei nächster Gelegenheit heimzahlen, indem er ihn bloßstellte. Chipol atmete hastig. Er hatte sich ein Versteck gesucht, weil er ahnte, daß Atlan sich sein Verhalten nicht mehr gefallen lassen würde. Aufmerksam äugte er zwischen den Maschinen hindurch auf den Korridor hinaus, der von dem Antigravschacht wegführte. Niemand ließ sich dort blicken. Vermutlich hatte der Arkonide genug mit den Mutanten zu tun. Und die Besatzungsmitglieder der GHYLTIROON waren auch keine hilfreichen Begleiter für den Silberhaarigen. Der junge Daila faßte den Entschluß, sich in der Nähe zu halten. Er hoffte, daß Atlans Mission und der Versuch dieses Aksuum scheitern würde. Es durften keine Mutanten nach Aklard fliegen, es war genug mit jenen, die sich in der Oase Rhyikeinym aufhielten. Noch immer waren keine Verfolger sichtbar, und Chipol löste sich langsam aus der Nische und schob sich zwischen den Maschinenverkleidungen hindurch. Er spähte in den Korridor hinein. Er war leer. Der Daila duckte sich, dann rannte er los. Der Korridor führte bis zu einer Tür, die verschlossen war. Der Öffnungsmechanismus reagierte nicht, und er legte ein Ohr auf das kalte Metall. Nichts rührte sich, es war, als befände sich hinter der Tür das Weltall. Plötzlich richtete er sich ruckartig auf. Er hatte etwas gespürt. Es
war in ihm drin. Es war wie ein Tasten, und der junge Daila stöhnte in der Erkenntnis auf. Sie verfolgten ihn doch. Sie hatten seinen Aufenthaltsort bereits ausfindig gemacht. Verzweifelt hämmerten seine Hände auf den Öffnungsmechanismus der Tür. Diesmal sprach er an, die Tür glitt seitlich in die Wand. Er stürzte hindurch und fiel beinahe die Treppe hinunter, die sich unmittelbar anschloß. Er bekam das Geländer zu fassen und nahm mehrere Stufen auf einmal. Hundert Meter etwa führte die Treppe in die Tiefe, dann mündete sie in eine Halle. Daila! Drei Stück waren es, und sie erwarteten ihn. Sie standen unter dem gegenüberliegenden Ausgang. Sie bewegten sich nicht, nur ihre Augen leuchteten ein wenig und zeigten ihm, daß es sich um lebende Wesen handelte. Zurück! schrien seine Gedanken. Die Treppe hinauf. Er fuhr herum und starrte aus geweiteten Augen auf das, was sich vor seinen Augen abspielte. Mitten auf der Treppe bildete sich ein dunkler Fleck. Er manifestierte sich in Bruchteilen von Sekunden und nahm die Gestalt eines weiteren Daila an. Der Mann stand auf einer der Stufen und lächelte ihn an. Mutanten! Chipol stieß einen heiseren Schrei aus. Er faßte sich an den Kopf, in dem die tastenden Impulse immer stärker wurden. Du bist krank, vernahm er fremde Gedanken. Verhalte dich ruhig. Wir wollen dir nichts tun! »Ihr lügt!« stieß er hervor. Sie taten ihm bereits etwas, und er versuchte, sich dagegen aufzulehnen. »Mörder!« schrie er. »Was wollt ihr von mir? Was habe ich euch getan?« Er verlor jeden Bezug zur Wirklichkeit und warf sich auf den Daila, der die Treppe blockierte. Er wollte nur noch weg von diesem Ort. Es gelang ihm, den Mutanten zu fassen, und er riß ihn zu Boden. Aber unter seinen Händen verschwand der Mann, und
Chipol stieß sich die Fingerknöchel an, daß er schmerzgepeinigt aufschrie. Er stolperte und kam wieder hoch, packte das Treppengeländer und hastete die Stufen empor. Über zweihundert mochten es sein, und die Wände entzogen ihn den Blicken jener, die sich noch in der Halle aufhielten. Sie tasteten wieder in seinem Kopf, aber als der Daila die Tür erreichte, brach der Kontakt abrupt ab. Chipol warf sich gegen den Öffner und durch die aufgleitende Tür. Er rannte den Korridor zurück und bog an der nächsten Abzweigung rechts ab. Er rannte kreuz und quer durch die Etage, bis der Weg erneut zu Ende war. Der junge Daila stand an einem Schacht, der in weiten Abständen von Lampen erhellt wurde. Leitersprossen waren in die Wandung eingelassen. Er schwang sich über den Rand und kletterte hinab. Der Schacht schien kein Ende zu haben. Als er längst die obere Mündung aus den Augen verloren hatte, erstreckten sich die Sprossen noch immer ins Bodenlose. Wie er aus den Gesprächen gehört hatte, befand er sich auf dem Weg in jene unteren Bereiche der Anlage, die von den Mutanten vor langer Zeit flüchtig erkundet .worden waren. Diese Bereiche waren leer, es hielten sich keine Lebewesen darin auf. Aber vielleicht gab es Roboter, vor denen er sich in acht nehmen mußte. »Hier werdet ihr mich nicht finden!« flüsterte er zwischen zusammengepreßten Lippen. Endlich erreichte er den Grund. Er hatte die Sprossen nicht gezählt und nicht die Zeit, die der Abstieg gedauert hatte. Er fand sich in einem kreisrunden Raum, und von draußen jenseits der Wände drang ein Säuseln und Rumpeln an seine Ohren. Auf Zehenspitzen schlich er hinüber bis zu einer Klappe, die fast zu klein für ihn war und eine simple mechanische Öffnungsvorrichtung besaß. Sie knirschte, als er sie betätigte und die Klappe nach außen drückte. Gelbes Licht traf seine Augen. Er sah Kisten, die aufgestapelt waren, und entdeckte Schatten von Wesen, die sich bewegten. Die Klappe wurde zugeschlagen, und Chipol erhielt einen Schlag gegen
den Kopf, daß er halb besinnungslos zu Boden stürzte. Erneut entstand Bewegung an der Klappe, dann tauchte der Kopf eines fremdartigen Wesens auf. Chipol ächzte und zog sich hastig zurück, doch das Wesen grunzte ihn nur an und zog sich dann blitzartig von der Öffnung zurück. Die Klappe blieb offen, und nach einer Weile riskierte der junge Daila erneut einen Blick. Das seltsame Lebewesen mit dem gehörnten Kopf war nirgends mehr zu entdecken, und er stieg vorsichtig durch die Öffnung in den Raum hinein, der den Eindruck erweckte, als handle es sich um ein Lager für irgendwelche Gegenstände. Die Kisten trugen keine Aufschriften, nur jeweils ein einziges Zeichen, das der Junge nicht verstand. »Hallo?« rief er vorsichtig. »Wo steckst du?« Er erhielt keine Antwort, und nach einer Weile des Suchens erkannte er, daß der Raum leer war. Chipol suchte nach einer Tür oder sonst einem Ausgang und hoffte, daß es sich bei dem Fremden nicht um einen Mutanten, sondern um ein normales Lebewesen handelte. Wenn er es sich recht überlegte, dann fühlte er sich schon wesentlich wohler als die ganze Zeit in der Nähe dieser unübersehbaren Scharen von Mutanten.
* »Da haben wir die Bescherung«, sagte Aksuum. »Wie ist so etwas nur möglich? Warum zeigen sich die Mutanten plötzlich so uneinsichtig?« Wir hatten die Konferenzhalle verlassen und befanden uns in einem kleineren Zimmer in der Nähe. Ich dachte flüchtig an Chipol, der wieder verschwunden war. Ich würde mich bald um ihn kümmern müssen und hoffte, daß auch die Mutanten etwas
erreichten. Du kennst seine Aversion gegen Psi. Er wird es dir nicht danken, wenn du ihm Mutanten hinterherschickst! Ich konnte es auch nicht ändern. Wir mußten etwas tun, und vor allem mußte ich wissen, was dahintersteckte. Es konnte nicht so weitergehen. »Ich verstehe sie«, erwiderte Elyl. »Sie zeigen ähnliche Schocksymptome wie die Normalen unter den Daila. Im Extremfall werden wir mit ähnlichen Fällen wie diesem Chipol rechnen müssen. Nur spielen die Psi-Fähigkeiten eine Rolle. Die Mutanten werden um einiges gefährlicher sein.« Draußen kam Lärm auf. Ich richtete mich alarmiert auf und eilte zur Tür. Vorsichtig öffnete ich sie und warf einen Blick hinaus. Der Korridor zwischen hier und der Halle hatte sich in eine Art Schlachtfeld verwandelt. Ich sah Daila, die sich mit seltsamen Wesen prügelten. »Ein Angriff!« rief ich über die Schulter zurück. »Die Annäherung der dailanischen Schiffe an Gyd und den Planeten scheint doch nicht so unbemerkt vor sich gegangen zu sein!« Norgis und Ganno drängten sich an mir vorbei, aber ich zog sie zurück und schloß die Tür. Ich hatte genug gesehen, und da außer den vier Besatzungsmitgliedern der GHYLTIROON keiner von uns bewaffnet war, hielt ich es für günstiger, einer Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. Man hatte uns jedoch entdeckt. Die Tür öffnete sich, und fremde Wesen unterschiedlicher Größe drängten herein. Sie sahen mehr oder minder gleich aus, behaarte Kreaturen in Stoffanzügen, mit einem wulstigen Kopf und zwei kleinen, blauen Knopfaugen, die kaum zu sehen waren. Seitlich ragten zwei spitze Hörner aus dem Kopf. Auf den ersten Augenblick sahen sie aus wie Karikaturen von Wikingern, die statt eines Helmes eine Pelzmütze trugen. Sie warfen sich uns entgegen, und ich wich hastig bis zur Rückwand des Zimmers zurück.
»Lähmt sie!« rief ich. Das Singen von vier Paralysatoren klang auf. Die erste Reihe der Fremdwesen stürzte und brachte die Horde ins Stocken. Ich versuchte, aus den unterschiedlichen Lauten der fremden Sprache etwas herauszuhören, aber es gelang mir nicht. Und dann verschwand die Hälfte von ihnen plötzlich. Sie wurden durchsichtig und lösten sich auf, und die Zurückbleibenden stießen ein fürchterliches Geheul aus. Sie drängten zum Ausgang, aber die Paralysestrahlen der Waffen holten sie ein und schickten sie in einen länger andauernden Schlummer hinüber. »Wir müssen zurück in die Halle!« schrie ich. Der Lärm draußen machte es so gut wie unmöglich, sich mit normaler Lautstärke zu verständigen. Es war leichter gesagt als getan. Kaum waren wir auf dem Korridor, umgaben uns von allen Seiten die fremdartigen Wesen. Sie trugen seltsame Prügel in den Händen, denen nicht anzusehen war, ob sie nun zum Schlagen oder auch zum Schießen verwendet werden konnten. Sie drängten uns davon, und unser Weg führte zu jenem Antigravschacht, den wir gekommen waren. In einem Pulk in der Nähe erkannte ich Florinth. »He!« rief ich. »Das müssen die eigentlichen Herren der Anlage sein, so wie sie sich benehmen. Sie sind zum falschen Zeitpunkt zurückgekehrt!« »Ich weiß nicht«, kam die Antwort. »Unsere Telepathen und Teleporter haben sich noch kein vollständiges Bild von der Lage verschafft!« Ich interpretierte es so, daß sich die Verbannten entschlossen hatten, mit ihren Fähigkeiten einzugreifen. Ob sie damit Glück haben würden, war noch nicht abzusehen. »Auch ein Teil der Angreifer besitzt übernatürliche Kräfte«, rief ich, aber ein Teil meiner Worte verhallte ungehört. Ich hatte eine kurze Berührung an meinem Arm gespürt, dann veränderte sich die Umgebung um mich herum schlagartig. Der Korridor verschwand, und ich fand mich in einem Kuppelraum inmitten einer
Ansammlung von Daila wieder. Fast gleichzeitig mit mir tauchte Florinth mit einem Teleporter auf. Die Mutanten verschwanden sofort wieder, und sie kamen mit meinen Gefährten und anderen Verbannten zurück, die nicht über die Fähigkeit verfügten, sich blitzartig aus dem Staub zu machen. »Die ersten Erkenntnisse liegen vor«, berichtete ein Daila. »Es handelt sich bei den Pelzwesen um Angehörige des Volkes der Lasquen. Sie hausen in den untersten Stockwerken der Anlage und werden dort von sogenannten fremden Lasquen mit Lebensmitteln versorgt. Jetzt scheinen beide Gruppen anwesend zu sein, und sie haben den Entschluß gefaßt, uns zu vertreiben. Warum dies geschieht, ist schleierhaft. Zu keinem früheren Zeitpunkt sind die Besucher der Feste Quem, wie die Anlage heißt, belästigt worden.« Ich dachte an die Lasquen, die spurlos verschwunden waren. Handelte es sich bei ihnen um die fremden? Die Worte des Daila bestätigten es mir kurz darauf, und ich sagte: »Dann müssen wir uns vorsehen. Sie werden nicht lange brauchen, bis sie uns lokalisiert haben. Und ein ständiger Standortwechsel bringt nicht viel!« »Wir werden den Spieß umdrehen«, sagte Florinth. »Wir werden sie hinunter in ihren Lebensraum jagen und die Ausgänge so versperren, daß wir unsere Ruhe haben, bis wir unsere eigenen Probleme geklärt haben.« »Ihr wollt also vorläufig mit uns zusammenarbeiten«, stellte ich erleichtert fest. »Gegen den gemeinsamen Gegner, ja. Alles andere muß noch eindringlicher diskutiert werden!« »Das hilft nicht viel«, meinte Aksuum. »Aklard braucht bald Hilfe!« Weitere Daila trafen ein, aber gleichzeitig ging ein Warnruf um. An den Wänden und Türen bildeten sich seltsame Unschärfephänomene, und dann drangen Lasquen in den Raum ein. Mir fiel auf, daß diese alle ungefähr dieselbe Größe hatten, während
die draußen im Korridor von fünfzig Zentimeter Höhe bis drei Meter alle Maße aufgewiesen hatten. Die dailanischen Mutanten versteiften sich. Sie bildeten einen Geistesblock, ich sah es ihren verkrampften Gesichtern an. Sie errichteten eine psionische Wand, gegen die die Lasquen anrannten. Sie wurden zurückgeschleudert und rannten wirr durcheinander. Ich vernahm Laute, die nicht an das eigentliche Idiom der Lasquen erinnerten. Sie wichen zurück und verschwanden durch die Wände, wie sie gekommen waren. Ein schnell herbeigebrachter Detektor brachte keine Erkenntnisse, über welche Fähigkeiten die Fremden verfügten. Draußen auf dem Korridor war keine Spur mehr von ihnen zu entdecken. Halte dich an sie, sagte der Logiksektor. Sie besitzen den Schlüssel zu dem, was hier vorgeht! Ein weiterer Gedanke kam mir, es war die Fortsetzung einer logischen Schlußfolgerung. Wenn die Verbannten sich in der Vergangenheit immer wieder in der Feste Quem getroffen hatten, ohne etwas von den Lasquen zu bemerken, dann mußte es so etwas wie eine Psi-Abschirmung der unteren Stockwerke geben. Die Gefährlichkeit der Anlage stieg mit dem Vorhandensein solcher Mittel natürlich, und wir mußten von nun an weitaus vorsichtiger agieren als bisher. Und wir mußten uns fragen, welche Bedeutung die Feste besaß mit Ausnahme derer, daß sie tief unten ein Volk oder Teile eines Volkes beherbergte. »Wie gehen wir vor?« wollte Aksuum wissen. Ich wandte mich zu den vier Daila von der GHYL-TIROON um. Sie hielten ihre Strahler umklammert und machten entschlossene Gesichter. »Wir werden sie abwehren«, meinten sie. »Es wird sich noch herausstellen, wer mehr Erfolg hat. Wir mit unseren Waffen oder die Verbannten mit ihren furchterweckenden Fähigkeiten!«
* Wir drangen in die Tiefe der Feste vor. Überall stießen wir auf Barrikaden, und die Lasquen bewiesen großen Einfallsreichtum im Verschanzen. Auch ihr Angriffsgeist ließ nichts zu wünschen übrig, und es kam nur deshalb nicht zu Auseinandersetzungen zwischen Einzelpersonen, weil immer wieder die Mutanten mit ihren Fähigkeiten eingriffen. Der Stellungskrieg wogte hin und her. Mal machten die Lasquen ein paar Meter gut, dann wieder wir. Auch auf ihrer Seite wurden Paralysatoren und klobige Schmelzwaffen eingesetzt, die aus Omas Klamottenkiste zu stammen schienen. Ihre Effektivität war gering, aber sie beachteten es nicht. Eine ganz erstaunliche Entdeckung machten die Mutanten. Florinth tauchte in meiner Nähe auf und rief mich an, während ich mich in einen Tunnel zurückzog, der in Richtung des mir bekannten Antigravschachtes führte. »Es ist seltsam«, berichtete der Mutant. »In den Tiefen der Festung rennen die psionisch begabten Lasquen wie aufgeschreckte Tiere umher. Sie wissen weder ein noch aus. Sie feuern ihre Artgenossen an, endlich einen Weg nach oben freizumachen. Andererseits finden sie nicht den Mut, hinaufzugehen, solange wir da sind. Es ist ein Dilemma, in dem sie sich befinden. Sie benehmen sich nicht normal!« Das war wirklich seltsam. Ein Teil von ihnen hatte die Planetenoberfläche doch so gut wie erreicht. Außerdem waren sie nicht faßbar für uns, niemand konnte sie daran hindern, sich zu entfernen. Ich fragte mich, was es damit auf sich hatte. »Ich hab eine Idee«, sagte ich. »Kannst du innerhalb von ein paar Minuten einige deiner fähigsten Telepathen herbeischaffen? Und wir brauchten auch ein paar Hypnos und Telekineten, um sicherzugehen.« Florinth bestätigte es. »Was hast du vor, Fremder?« wollte er wissen.
»Ich will eines dieser nicht faßbaren Wesen fangen, in einer PsiFalle. Es muß uns Auskunft geben, was hier gespielt wird!« Einen Augenblick lang dachte ich sogar an den Erleuchteten und daran, daß die falschen Lasquen vielleicht Psioniker in seinem Dienst waren. Egal, wie es sich verhielt, wir brauchten Gewißheit, und die konnten wir nur dann erhalten, wenn wir mit den Wesen in Kontakt kamen. Ich suchte Elyl und Aksuum und entdeckte sie ein Stockwerk höher in einer kleinen Befehlszentrale. Sie hatten ein paar Bildschirme aktiviert und beobachteten einen Teil der Anlage. Mit Hilfe der Optikerfassung wurde es sehr bald deutlich, daß die Beobachtungen der Mutanten der Wahrheit entsprachen. Die Wesen schlüpften durch jede Wand und jeden Fußboden. Sie waren nicht faßbar, und dennoch trauten sie sich nicht bis an die Oberfläche. »Was glaubst du?« fragte der Gesandte von Trysh mich. »Gibt es etwas auf dem Planeten, das sie behindert? Sind es wirklich wir, die an diesem Zustand schuld sind?« Ich nickte. Telepathen hatten es aus den Gedanken der normalen Lasquen einwandfrei entnommen. Nur an den Wandelbaren, wie ich sie nannte, versagten ihre Fähigkeiten. Sie waren gegen Telepathie immun und konnten auch von Telekineten kaum aufgehalten werden. Dennoch wollten wir es versuchen. »Kommt mit!« sagte ich. Wir stiegen hinauf bis in die zweite Etage unter dem Raumhafen. Wir wählten einen kleinen Saal, der gebogen war. Sein hinterer Teil konnte von der Tür her nicht eingesehen werden. Eigentlich war es egal, welche Form der Raum besaß, denn die Lasquen kamen selten durch eine offene Tür. Dennoch hoffte ich, daß unsere Falle ein Erfolg würde. Florinth kam mit den Mutanten. Ich hatte ihm eine Nachricht geschickt, wohin wir gegangen waren. Wir verteilten die Telepathen, Hypnos und Telekineten gleichmäßig über den Saal. Sie bildeten einen Geistesverbund, und
ich instruierte sie, wie sie sich verhalten sollten. »Es geht darum, den wandelbaren Lasquen eine heile Welt vorzugaukeln, gewissermaßen einen Ausschnitt der Feste, in dem sich niemand von uns aufhält. Einige werden sicher kommen, und einen davon versuchen wir zu fangen. Dies ist vor allem eine Aufgabe der Hypnos, ihn geistig so zu lähmen oder zu verwirren, daß er nicht sofort die Flucht ergreifen kann. In dieser Zeit müssen wir versuchen, soviel wie möglich aus ihm herauszubekommen!« Die Mutanten machten sich an die Arbeit. Florinth, der selbst telepathische Kräfte besaß, kommentierte den Vorgang. »Sie rufen«, erklärte er die Arbeit der Telepathen. »Sie verkünden, daß es hier eine Lücke gibt, in der sich noch niemand von uns aufgehalten hat. Die Hypnos suggerieren jedem, der sich nähert, daß dies tatsächlich stimmt. Die Telekineten warten darauf, daß sie zuschlagen können. Sie werden diesen Raum teilweise mit einem Feld umgeben, in dem sich niemand mehr rühren kann. Einen Teleporter werden sie allerdings nicht halten können.« Die Wandelbaren mit ihrer Fähigkeit, durch geschlossene Türen zu gehen, waren etwas Ähnliches wie Teleporter. Das Warten dauerte über eine halbe Stunde. In dieser Zeit hatten wir nur über Florinth Kontakt zur Außenwelt, der uns berichtete, daß seine Mutanten sich langsam nach oben zurückzogen. Längst hatten sich die Überraschungsangriffe der Lasquen aus der Tiefe totgelaufen, und ihre Bereitschaft zum Angriff ließ nach. Es kamen auch Meldungen, daß ein paar der falschen Lasquen den Durchbruch zur Oberfläche geschafft hatten. Sie waren spurlos verschwunden und einfach durch die Decke gegangen. Es mußten seltsam konfuse Wesen sein, und ich war begierig, sie kennenzulernen. Einen Unsicherheitsfaktor haben wir noch, meldete sich der Extrasinn. Chipol ist spurlos verschwunden und nicht wieder aufgetaucht. Unkraut verdirbt nicht, dachte ich. Wie ich ihn kenne, ist er in die GHYLTIROON zurückgekehrt und froh, endlich nichts mehr mit
den Mutanten zu tun zu haben. Florinth hob warnend eine Hand. Wir versteiften uns und schwiegen. Ich musterte verstohlen die Wand und erkannte, daß sie an mehreren Stellen Unscharfe zu zeigen begann. Aus verschiedenen Richtungen kamen mehrere Wandelbare herbei, um die Quelle der Verlockung ausfindig zu machen. Sie wurden sichtbar und materiell, und gleichzeitig gerieten sie voll unter den Bann der Hypnos und in den Bereich des telekinetischen Feldes, der es ihnen unmöglich machte, zurückzuweichen, solange sie materiell waren. Ich sah Florinths geweitete Augen. Der Sprecher der Mutanten hielt die Hände verkrampft, die bläulichen Augäpfel leuchteten stark. Er fuhr herum, und ich sah, daß sich mehrere der Wandelbaren wieder verflüchtigten. Der Verbannte zeigte plötzlich auf ein Wesen, und die Mutanten konzentrierten sich darauf. Fast augenblicklich verschwanden alle anderen aus dem Raum. »Sie haben das Telekinesefeld verkleinert«, erklärte Florinth. Ich hörte kaum zu. Ich hielt die Augen auf den Fremden gerichtet, der sich deutlich sichtbar in seiner Umklammerung wand. Er strengte sich an, aber es gelang ihm nicht, sich gegen die Kräfte aufzulehnen. Die Hypnos machten ihm zu sehr zu schaffen. »Er ist jetzt hilflos«, sagte Florinth. »Willst du mit ihm reden? Ich werde ihm deine Worte auf gedanklicher Ebene übermitteln!« »Ich bin bereit«, bestätigte ich. »Frage ihn, warum seine Artgenossen Angst vor uns haben. Wir sind selbst Fremde auf dieser Welt und wollen nichts Böses. Wir sind durch die Angriffe der Lasquen überrascht worden. Hätten wir von Anfang an gewußt, was dahintersteckt, hätten wir uns gar nicht gewehrt, sondern den Rückzug angetreten!« »Er hat es verstanden«, sagte Florinth. »Aber er befindet sich in einem Zustand panischer Angst. Er kann nicht antworten. Seine Gedanken gehen wirr durcheinander!«
Ich beobachtete das Wesen in der Gestalt eines Lasquen und fragte mich, ob dies tatsächlich seine eigentliche Körperform war. Handelte es sich bei den Wandelbaren um eine höher entwickelte Spezies von Lasquen, die auf einem anderen Planeten angesiedelt waren und nur deshalb regelmäßig hierherkamen, um die Artgenossen zu versorgen? Eigentlich hatte ich nicht diesen Eindruck, und die Meldungen, die von telepathisch begabten Mutanten immer wieder eingetroffen waren, untermauerten meinen Verdacht. Es sah nicht so aus, als hätten die beiden Erscheinungsformen direkt miteinander zu tun. »Wir sind seine Freunde«, sagte ich zu Florinth. »Wir wollen ihm und seinen Artgenossen helfen. Wir werden uns zurückziehen, damit sie sich entfernen können!« Florinth versteifte sich ein wenig, dann öffnete er hastig den Mund. »Der Fremde nennt sich Maximon. Er fürchtet sich. Er hat Angst vor dem Ende. Er denkt an den Tod, der eintritt, wenn wir ihn noch länger festhalten.« »Das wollen wir nicht. Maximon, wir lassen dich sofort frei. Aber sage uns, wer du bist, wer ihr alle seid!« Florinth gab die Worte gedanklich weiter. Der Körper des Lasquen ruckte herum, die blauen Knopfaugen starrten mich an. »Sie sind keine Lasquen. Sie sind Diener Gurays. Sie müssen hinauf zur Oberfläche, ehe es zu spät ist. Wir dürfen ihn nicht länger halten!« »Er braucht keine Angst zu haben«, erklärte ich. »Aber wer ist Guray?« »Guray ist der Schutzpatron der Piraten«, eröffnete Florinth mir. »Er ist eine mythologische Figur. Er wird von den Dienern verherrlicht. Weitere Informationen scheinen jedoch einer gedanklichen Sperre zu unterliegen!« Mit den Piraten Manam-Turus hatten wir schon Kontakt gehabt. Über ihre Rolle in der Galaxis waren wir uns nicht im klaren. Es
sah danach aus, daß sie eine nicht zu unterschätzende Kraft waren. Und ihr Schutzpatron Guray nahm plötzlich einen Hauch von Realität an, nachdem wir hier auf seine seltsamen Diener gestoßen waren. Eine Entscheidung, wie wir weiter mit Maximon verfahren sollten, wurde uns abgenommen. Mehrere Verbannte erschienen und berichteten, daß tief unten in der Feste des Planeten Pultar die Wandelbaren plötzlich zu verzweifelter Gegenwehr übergegangen seien, die sich auch körperlich bemerkbar machte. Sie gingen wie die anderen Lasquen plötzlich mit Nachdruck gegen die Mutanten vor. Sie schrien nach Guray, um dann plötzlich zu feinem Staub zu zerfallen, anstatt sich wie gewohnt durch die Wand zu entfernen. »Sofort alle Mutanten zurückziehen«, sagte ich. »Wir treffen uns in der Konferenzhalle. Zieht euch augenblicklich aus der Nähe der Antigravschächte zurück. Ermöglicht den konfusen Dienern Gurays die Flucht!« Ich gab Florinth einen Wink und deutete zur Decke. Er verstand mich. Die Mutanten setzten sich in Bewegung. Ein paar mußten die Hypnos führen, die sich stark verausgabten, um dem Diener Gurays die Flucht zu ermöglichen. Wir suchten den Antigrav auf und befanden uns zwei Minuten später auf der Oberfläche des Planeten. »Merke dir meinen Namen«, übermittelte ich Maximon. »Ich bin Atlan. Vielleicht sehen wir uns ein andermal wieder. Ich würde mich freuen, Guray persönlich kennenzulernen.« »Laßt mich jetzt!« schrie der falsche Lasque. »Ich muß zurückkehren!« Ich gab den Verbannten einen Wink. Sie entließen den Diener Gurays aus ihrem Bann und sanken entkräftet zu Boden. Maximon setzte sich augenblicklich in Bewegung. Er rannte auf einen Felsen zu, der sich keine hundert Meter von unserem Standort erhob. Dabei verlor er langsam seine Lasquengestalt und nahm etwas an, was wohl seine ursprüngliche Form sein mußte. Wir konnten sie jedoch nicht genau erkennen, weil der Diener Gurays in
den Schatten des Felsens eintauchte und dann im Fels selbst verschwand. Augenblicke später dröhnte der Boden, löste sich aus dem Felsen ein Raumschiff und donnerte in den Himmel hinein. Wir wurden von einer Hitzewelle erfaßt und brachten uns schleunigst in Sicherheit. Es ist nur logisch, was geschah, sagte der Extrasinn. Diese Wesen können ihre eigentliche Gestalt nur für kurze. Zeit aufgeben. Deshalb diese panische Angst. Was geschieht, wenn sie zu lange in einer Fremdgestalt verharren, haben wir ja gehört. Es gab da noch ein paar andere Dinge, die dazugehörten, von uns aber nicht geklärt werden konnten. Die Bedeutung der Feste Quern war nicht klar geworden, und ich fragte mich, ob es einen Zusammenhang gab zwischen dem einzigen Planeten Gyds als Symbol der letzten Glut in der Mythologie der Daila und der Tatsache, daß hier offenbar der Rest eines früher großen Volkes lebte und seine Zeit damit verbrachte, irgendwelche Dinge zu bewachen. Ich hoffte, daß die Telepathen unter den Verbannten noch einiges Interessante zu Tage fördern würden. Überall in Sichtweite kam es jetzt zu Raumschiffstarts. Wir zogen uns wieder unter die Oberfläche zurück und sondierten die Lage. Die Verbannten hatten sich überall zurückgezogen, und dennoch kam es an verschiedenen Stellen zu weiteren Zusammenstößen. Die Diener Gurays erkannten in ihrer Panik nicht, daß man ihnen Fluchtwege offenhielt. Sie versuchten, mit Unterstützung der richtigen Lasquen gegen die Mutanten vorzugehen, aber diese zogen sich immer weiter zurück, so daß kein Sichtkontakt zustande kam. Nicht immer ging das gut, denn die Diener Gurays waren psionisch kaum wahrnehmbar, und sie Stellten damit die Mutanten auch vor psychische Probleme. Ich wies Florinth darauf hin, aber er hatte es schon erkannt und versprach, diese Probleme sowie ihre Spätfolgen sehr schnell zu beseitigen. Je mehr der falschen Lasquen den Weg in die Freiheit fanden, desto ruhiger wurden die echten Bewohner der Feste. Sie bauten
ihre Barrikaden ab und schleppten sie mit sich hinunter in die untersten Stockwerke. Sie verloren ihr Interesse an uns und fanden zu ihrer üblichen Methode zurück, nämlich sich totzustellen. Daß wir bereits von ihrer Existenz wußten, daran störten sie sich offensichtlich nicht. Sie schienen selbst verwirrt, und ich rechnete es der Anwesenheit der Diener Gurays zu, die sie als die falschen Lasquen bezeichneten. Auch das war merkwürdig, daß sie sich daran nicht störten und sich noch nie die Mühe gemacht hatten, hinter das Geheimnis ihrer Gönner zu kommen. Die Mutanten berichteten noch einiges, was sie aus den Gedanken der Lasquen erfahren hatten. Diese bewachten ein Geheimnis. Etwas war in gut gesicherten Verstecken untergebracht, von dem niemand wußte, was es war. Wurde hier etwas gehortet und gelagert, was Manam-Turu gefährlich war? Oder sollte es eines Tages zur Hilfe werden? Es mochte durchaus gewöhnliches Diebesgut der Piraten sein, aber der Aufwand, machte mich stutzig. »Eines Tages wird es vielleicht nötig sein, hierher zurückzukehren und die Geheimnisse der Feste zu enträtseln«, sagte ich zu Aksuum. »Bis dahin sollten wir Stillschweigen bewahren!« »Daran bin ich gewohnt«, erklärte der Oberste Rat mit einem bedeutungsvollen Seitenblick auf Elyl. Der Gesandte von Trysh lächelte fein. »Nachdem die Diener Gurays verschwunden sind, können wir auf unser eigentliches Thema zurückkommen«, meinte er.
* Wieder hatten wir uns in der Konferenzhalle versammelt. Bezeichnenderweise hielten die vier von der GHYLTIROON draußen Wache. Aksuum und ich waren die einzigen Normalen, die sich unter die Mutanten gemischt hatten.
»Ich glaube«, begann der Oberste Rat seine Ausführungen, »die Ereignisse um die Lasquen haben auch euch etwas gelehrt. Hier wird einem Überrest eines Volkes Asyl gewährt, und die Diener Gurays versorgen es mit allem, was es zum Leben braucht. Dafür erfüllen die Lasquen relativ geringfügige Wächterdienste. Ist es nicht bei uns ähnlich? Die Verbannten sind mächtig. Elyl wurde von Trysh gesandt, um Aklard Hilfe anzubieten. Jetzt sind wir hier, um darüber zu beraten, wie diese Hilfe aussehen könnte. Schimpft nicht und seid nicht traurig, wenn Aklard euch nicht viel als Gegenleistung für die Hilfe anbieten kann!« »Es ist eben zu wenig«, erwiderte Florinth. »Wir helfen gern. Alles in uns drängt uns, der Heimatwelt aus der Patsche zu helfen. Aber wir wollen nicht Haß und Undank dafür ernten. Das Verhalten der Besatzungsmitglieder der GHYLTIROON und dieses Chipol hat uns deutlich gezeigt, was uns erwartet!« Aksuum senkte den Kopf. Er dachte nach, und nach einer Weile rang er sich zu einer Entscheidung durch. »Atlan ist zu der Mission aufgebrochen, Hilfe bei den Verbannten zu holen. Ich habe dies ermöglicht. Allein dies muß euch doch zeigen, wie sehr wir an eurer Hilfe interessiert sind. Daß die Bewohner Aklards nicht viel von Mutanten halten, egal, welchem Volk sie angehören, wißt ihr so gut wie ich. Es wird sich nicht vermeiden lassen, daß es Anfeindungen geben wird. Die Bevölkerung wird protestieren, aber sie wird es einsehen, daß ihr den Planeten und damit alle seine Bewohner gerettet habt. Ich kann euch nicht versprechen, daß ihr ins Paradies kommen werdet, aber ich biete euch Sicherheit für Leib und Leben, angemessene Behandlung durch die Regierenden und bürge dafür, daß Aklard sich an die Abmachungen halten wird, die wir treffen!« Seine Worte besaßen Gewicht, und ich merkte deutlich, daß die Mutanten beeindruckt waren. Sie kannten ihn als ihren Freund und vertrauten ihm auch. Und wenn sie sich angesichts ihrer Erlebnisse in der GHYLTIROON und mit Chipol zunächst ablehnend verhalten
hatten, dann schienen sie das nur zu gern zu vergessen. »Die wahre Größe zeigt sich erst dann, wenn man hilft, ohne auf Dank und Anerkennung zu warten«, klang Saylimandars Stimme auf. »Ich will euch eine Geschichte erzählen, die noch nicht alle von euch kennen!« Er berichtete von Nolien und der vereitelten Invasion der Ligriden. Er erzählte über die Veränderung, die im Bewußtsein der Nolier vor sich gegangen war und noch ging. Sie hatten feststellen müssen, daß jene Daila, die auf ihrer Welt lebten, zu Rettern ihres Volkes geworden waren. Aus Verachtung war Zuneigung geworden, aus Haß Liebe und Entgegenkommen. Die Voraussetzungen, daß es in Zukunft eine gemeinsame Gesellschaft geben würde, waren gut. »Glaubt ihr, unser eigenes Volk würde sich weniger aufgeschlossen und dankbar zeigen?« Die Mutanten tauten endgültig auf. Ihre Bedenken schwanden, aber sie wagten dennoch nicht den Sprung ins kalte Wasser. Es dauerte noch Stunden, in denen sie sich mit Aksuum über die Details einig werden mußten. In dieser Zeit hatte ich nichts zu tun, und ich ging hinaus und winkte Norgis und seine Mannschaft zu mir. »Wir gehen Chipol suchen«, sagte ich. Wir machten uns auf den Weg hinab in die untersten Stockwerke. Wir erreichten überall eine Endstation, wo der Weg nicht weiterging oder ein Antigrav blockiert war. Ein Schacht war plötzlich zu Ende, obwohl wir sicher waren, daß er noch weiterführte. »Sie stellen sich endgültig tot«, knurrte Ganno. »Sie sind nicht gerade tapfer, diese Wesen. Oder wie soll man ihr Verhalten sonst bezeichnen?« Es war egal. Nötigenfalls mußten wir mit Gewalt eindringen, aber zuerst wollten wir alle Stockwerke weiter oben absuchen, nachdem es sich schon herausgestellt hatte, daß Chipol sich nicht in der GHYLTIROON oder einem anderen Schiff aufhielt. Auch auf der Oberfläche war er nirgends zu finden.
Überrascht begegneten wir doch noch ein paar Lasquen. Sie führten Chipol mit sich, und als sie uns bemerkten, stießen sie ihn von sich und machten, daß sie verschwanden. Wir hörten eine Tür knallen und ein Rumpeln, als würde irgendwo ein riesiger Felsblock gewälzt. Jetzt, das begriff ich, hatten sie endgültig den letzten Zugang nach unten versperrt. Sie wollen ihre Ruhe, und das ist gut so. Sie werden Zeit brauchen, um sich von den Vorkommnissen zu erholen' Chipol wankte uns entgegen. Er hatte eine große Beule an der Stirn, und als er mich sah, machte er alle Gesten der Erleichterung. »Mana sei Dank«, murmelte er, »daß ich endlich aus diesem Irrenhaus befreit bin. Es war schlimm. Ich glaubte schon, den Verstand zu verlieren, und konnte mich nicht wehren. Die Verrückten gingen ja noch, aber diese furchtbaren Erscheinungen, die durch Wände gehen können, haben fast dazu geführt, daß ich gestorben wäre!« Er machte einen ernüchterten Eindruck, und ich faßte ihn am Arm und zog ihn mit mir. »So schlimm war es?« lachte ich. »Dann sind ja die Mutanten deines eigenen Volkes harmlos dagegen!« Er seufzte tief, und ich nahm an, daß er mir Recht geben wollte. Dennoch war damit nicht alles in Ordnung, und die Warnung des Extrasinns besaß ihre Berechtigung. Der Schock hat ihn ernüchtert. Er hat eingesehen, daß er sich dumm und sogar gefährlich verhalten hat. Das wird in nächster Zeit kaum mehr vorkommen. Dennoch ist er nicht geheilt. Ich wußte es. Ein Geheimnis umgab seine Aversion gegen Mutanten. Der Widerspruch, der in der Anhänglichkeit an seine Familie und der Abneigung gegen Psi bestand, blieb nach wie vor ungelöst. Ich glaubte jedoch zu spüren, daß irgendwann in der Zukunft dieses Geheimnis eine Bedeutung erlangen würde. Spätestens dann, wenn er wieder mit Mitgliedern seiner Familie zusammentraf.
Als wir oben ankamen, trafen wir auf Aksuum und Florinth. Die Mutanten hatten sich mit dem Obersten Rat geeinigt. Nach anfänglichen Spannungen machte sich eine versöhnliche Stimmung breit. Die Mutanten drängten an die Oberfläche, der Aufbruch vom Planeten Pultar ließ sich nicht aufschieben. Wir waren vollzählig, und ich schickte Chipol mit den Besatzungsmitgliedern der GHYLTIROON in das Schiff voraus. »Die Feste Quem gehört wieder allein den Lasquen«, sagte Elyl. »Sie werden allein sein, bis eines Tages die Diener Gurays zurückkehren.« »Ich habe Gewissensbisse«, erklärte ich. »Was ist, wenn die Diener so große Angst haben, daß sie keine Rückkehr mehr zustande bringen? Dann werden die Lasquen in ihrem unterirdischen Gefängnis verhungern!« »Ich glaube nicht«, sagte der Gesandte. »Auch die Diener sind an ihre Aufträge gebunden, wie ich an meinen. Ich kann der Regierung von Trysh endlich melden, daß unsere Hilfe erwünscht ist.« Das war ein Lichtblick und als wir uns zwischen den bunkerähnlichen Gebäuden verabschiedeten, da hatte ich das untrügliche Gefühl, bei meiner Arbeit in Manam-Turu ein gutes Stück weitergekommen zu sein. Wenn sich die Mutanten erst einmal bereit erklärt hatten, uns beim Kampf gegen die Hyptons und Ligriden zu unterstützen, dann mochte dies vielleicht auch in dem anderen Kampf der Fall sein, wenn es um den Erleuchteten und EVOLO ging. Du gibst dich wieder mal den üblichen Illusionen hin, meckerte der Extrasinn. Hört das bei dir nie auf? Nie. Solange ich lebe, nicht! Ich lachte laut bei der lautlosen Antwort und handelte mir ein paar verwunderte Blicke ein. So manche Illusion war wie eine Fata Morgana zerstoben. Manche waren aber auch Wahrheit geworden. Ein gesunder Optimismus konnte nichts schaden.
* Wir verließen Pultar. Auch die Beiboote und Schiffe der Mutanten hoben ab und formierten sich in einer Umlaufbahn zu einem geschlossenen Pulk. Das Ziel hieß Aklard. Aksuum konnte es kaum erwarten, seine Heimatwelt wiederzusehen. Auch die Mutanten wurden von regelrechter Sehnsucht erfaßt, wenn der Name des Heimatplaneten aller Daila fiel. Und Elyl hatte vor, irgendwann noch einmal nach Rhyikeinym zu gehen, wo seine Tasche lag, mit der er von Trysh aufgebrochen war. Ich selbst war über die Möglichkeit, nach Aklard zurückzukehren, nicht so glücklich. Ich wußte die Sache bei den Daila in guten Händen. Und zum Schlachtenführer oder Kriegsherrn fühlte ich mich nicht berufen. Ich hatte andere Aufgaben in Manam-Turu. Meine Mission, Hilfe für die Hauptwelt der Daila zu holen, war zu Ende. Meine Gedanken weilten bei der STERNSCHNUPPE, die noch immer auf Zyrph stand, und bei Guray, diesem mythischen Wesen, dessen Existenz ich noch nicht als vollständig gesichert ansah. Vielleicht bediente sich jemand dieses Namens. Ich nahm mir vor, herauszufinden, was dahintersteckte. Vermutlich war Guray eine Macht, die mit sich reden ließ. In meiner Situation durfte ich keine Gelegenheit ungenutzt lassen, Verbündete für meinen Schlagabtausch mit dem Erleuchteten zu gewinnen. Keine Mühe durfte mir dabei zuviel sein. Ich warf einen Blick auf Norgis, der die GHYLTIROON soeben aus der Umlaufbahn hinaussteuerte und beschleunigte. Wie Mallosh, Ganno und Trom war er froh, bald wieder daheim zu sein. Es schien ihm nicht einmal etwas auszumachen, daß Saylimandar in seiner Nähe stand und ihm zusah, wie er das Schiff flog. Der Mutant von Nolien schwieg, aber ab und zu warf er einen freundschaftlichen
Blick hinüber zu Chipol, den dieser zu erwidern versuchte. Nun gut, dachte ich. Es ist nicht gerade Liebe auf den ersten Blick, aber die Zeit heilt Wunden. Es wird gutgehen, und die Daila werden wieder so glücklich sein wie in früheren Zeiten. Und du, Einsamer der Zeit? Auch Weisheit ist eine Form des Glücks, dachte ich sarkastisch. Ich erinnerte mich daran, wie alles angefangen hatte. Damals, als ich noch ein Jugendlicher gewesen war. Mein ganzes Leben lief wie ein Film vor mir ab, und ganz zuletzt mußte ich an zwei Wesen denken, die mir auch etwas bedeutet hatten, obwohl sie viel zu früh von mir gegangen waren. Ich dachte an ANIMA. Und an Colemayn. Beide gab es nicht mehr. Sie waren dem Erleuchteten zum Opfer gefallen.
ENDE
Das Treffen der Mutanten und die Begegnung mit Atlan und seiner kleinen Gruppe verliefen viel dramatischer, als alle Beteiligten erwartet hatten. Ebenso dramatisch entwickeln sich die weiteren Ereignisse auf dem Planeten Zyrph, auf dem Atlan sein denkendes Raumschiff, die STERNSCHNUPPE, hatte zurücklassen müssen. Mrothyr, der Rebell, führt den Freiheitskampf gegen die Invasoren seiner Heimat weiter und gerät dabei in die Falle der Hyptons … DIE FALLE DER HYPTONS – so lautet auch der Titel des nächsten AtlanBandes. Als Autor des Romans zeichnet H. G. Francis.