Chronator Artikel - Regelwerke
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März 99
Zürich in den Schatten - Teil 2 Eine Shadowrun - Geschichte Es w...
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Chronator Artikel - Regelwerke
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März 99
Zürich in den Schatten - Teil 2 Eine Shadowrun - Geschichte Es war eine Zeit der Wunder. Atemberaubend und unvorhersehbar. Jeder Tag von neuem gespickt mit Rätsel und Überraschungen. Sowohl der angenehmen, wie auch der... unangenehmer, schrecklicheren Art. Manchmal erinnerte ich mich an jeden Augenblick, als wäre es erst gestern gewesen.
von Cristo Fe Crespo
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nd manchmal, auch wenn sehr selten, sehnte ich mich sogar zurück... Zwar nur kurz. Das Konzert war eine absolute Wucht gewesen und ich befand mich gerade in einer Art Schwebezustand, so dass es mir nicht schwer fiel, hier und jetzt, an der UraniaBahnhofstrasse-Kreuzung - fünf Uhr in der Frühe und mit einer Lufttemperatur, als hätte Petrus den K ühlschrank schon lange offen gelassen - mich in meinen Erinnerungen zu verlieren... Und plötzlich war mir, als k önnte ich es förmlich riechen, wurde ich mit den alltäglichen Eindrücken einer Weltmetropole bombardiert, die fast schon für die Ewigkeit erbaut schien. Und dies alles gewürzt mit dem ohrenbetäubenden Quietschen der allgegenwärtigen Trams und durchtränkt mit den unschlüssigen Gedanken an... Heirat. Ich weiss heute nicht mehr, worum es eigentlich ging oder weshalb ich damals gerade an das dachte, denn einzig das Wissen, dass ich mich damit beschäftigte ist mir noch geblieben. Und das Wissen, das ich glücklich war. Ach 'Berend! Gedankenverloren stand ich also dort vor dem mit Brautmode geschm ückten Schaufenster "Und dass da draussen und blickte ins Leere, als mich der Luftzug von Dinge unser harrten, wie Leuten streifte, die wie Superhelden, den Comics wir sie bloss in unseren entsprungen, die meine Jugend gezeichnet hatten, schlimmsten Alpträumen über mich in Richtung Paradeplatz flogen. Sechs oder erwarten würden." sieben Jugendliche waren es, darunter auch Swetlana mit ihren neckischen Jeansshorts. Das Bild war nach all den Jahren immer noch gestochen scharf präsent. Wie sie mit vor Anstrengung verzerrtem Gesicht knapp an mir vorbeischoss und ich zuerst ihre wohlgeformten Beine bewunderte, Tausende von verschiedenen Eindrücken und Überlegungen schossen mir in diesem Augenblick durch den Kopf, bis mir erstmals wirklich gewahr wurde, dass sie flog! Damals f ühlte ich mich wie im Paradies, fast schon im Himmel. Ich glaube sogar, dass es in genau diesem Moment war, als mir auf einen Schlag endgültig bewusst wurde, dass nichts mehr so sein w ürde wie bisher; dass wir wirklich in einer erwachten Welt lebten! Und dass da draussen Dinge unser harrten, wie wir sie bloss in unseren schlimmsten Alpträumen erwarten würden. Abrupt hatte mich die Kälte wieder und ich machte mich rasch wieder auf den Weg Richtung Tesraerinellé. Mit zittrigen Fingern steckte ich mir indes eine Ancient Select an und drehte das goldbraune, mit holographischen Effekten aufgepeppte P äckchen in meiner Hand. 'Berend hatte immer gemeint, dass sie gut zu mir passten, da ich mich ja selbst für ein Fossil hielt. Ich musste lächeln. Danach meinte sie aber meistens, dass wenn ich das Ding noch anzünde, sie mich mit einem Feuerball in die
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23.08.2000
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neun Höllen jagen würde. Oh Gott, wie ich sie vermisste! Eigentlich galt Rauchen heutzutage ja als Staatsdelikt, auf das die Todesstrafe stand, bloss war man zu faul sie auszuführen. Aber erstens störte es zu dieser Tageszeit wirklich kein Schwein und anderseits musste man ab und zu seinen Lastern frönen, um auf anderen Gedanken zu kommen. Es lag wohl sicherlich an der überfrischen Morgenluft, dass mich fröstelte. Oder an meinen Erinnerungen? Denn damals folgte eben so rasch dem Himmel die Hölle. Die traumhaften ruhmreichen Rächer wurden durch das Bild der drei Polizisten verdrängt. Und dies war eine Erinnerung, die ich liebend gerne verdrängt hätte. Doch so sehr ich mich auf die Zigarette konzentrierte, es nützte nichts. Es war so tief in mein Gedächtnis gebrannt, dass dies schlicht ein Ding der Unm öglichkeit war. Wie sie mit hässlichen Fratzen, - nein, keinen erkennbaren Gesichtern - nackter, unbeschreiblicher Angst meinen Weg kreuzten. Rennend rempelte mich einer an, warf mich beiseite, als wäre ich bloss ein weiteres, nichtiges Hindernis. Und noch im fallen spürte ich diese unbeschreibliche Präsenz, die hinter ihnen her war! Die folgenden Eindrücke werden wohl für den Rest meines Lebens verschwommen bleiben. Es war wie ein eiskalter, unangenehmer Hauch, den man einige Millimeter unter der Haut fühlte und der eine bleibende Verbrennung hinterliess. Stimmt, ich fühlte jetzt noch das irritierende und beängstigende Kribbeln. Die Eindrücke dagegen kamen wie bei einer überstürzten Diashow: Wie ich schmerzhaft gegen das Schaufenster krache und mir eine Platzwunde über dem rechten Auge holte... Wie mir war, als erreiche die unsichtbare Präsenz einen der Polizisten. Jetzt erst nahm ich ihre Schreie wahr, als käme der Ton aus weiter Ferne und mit einer störenden Verzerrung. Und dann konnte ich sehen... nein... spüren, wie ihm im Rennen... die Arme abgerissen wurden. Plötzlich war überall Blut. In Panik rannten unzählige Passanten weg, wurde einer von einem herannahenden Tram erfasst und mitgeschleift. Von irgendwoher erklang das nicht enden wollende Geräusch von zerreissendem Fleisch. Inzwischen war ich schon bei der zweiten Zigarette und mir brannte auch jetzt noch die Schulter wie damals, als hätte mich der Gehörnte selbst dort berührt... Ja, derart begannen die Jugendunruhen von 2024. Ich versuchte momentan in der Gegenwart zu verharren und unterdrücke die Bilder eines in der Luft hängenden Mannes, wie er bei lebendigem Leibe gehäutet wurde. Später sollte das geschockte Zürich erfahren, dass einige Polizisten während einer Demonstration linker "Später sollte das Jugendlicher scheinbar ausgerastet waren und auf geschockte Zürich erfahren, offener Strasse einen aufsässigen Demonstranten dass einige Polizisten totgeprügelt hatten. Dies jedoch vor den Augen während einer seiner Schwester, einer Wolfschamanin... Das Demonstration linker Desaster nahm seinen Lauf mit dem Tod von über 32 Jugendlicher scheinbar Wachmänner, bis es den Kumpels der Wolfschamanin endlich gelang den Geist zu bannen. ausgerastet waren und auf offener Strasse einen Natürlich hatte damals weder die Zürcher Polizei noch irgendwelche staatliche Institution aufsässigen irgendwelche magische Schutzvorrichtungen. Wie Demonstranten immer bei uns Schweizern war man bis zu diesem totgeprügelt hatten." Augenblick davon ausgegangen, dass so etwas nur die anderen nötig hatten und lebenswichtige Massnahmen auf die lange Bank geschoben. Doch das erste Blut war geflossen und dieser fatale Fehler würde für einige höllische Wochen sorgen! Gedankenverloren blieb ich nun vor einem unscheinbaren, neongelben Swatch C von Daimler Benz stehen und versuchte die aufkommende Melancholie zu verdrängen, bewunderte das ultraleichte Chassis des kleinen Strassenflohs. Ja ja Zürich... wie hast du dich verändert. Wenn ich bedachte, dass in anderen Städte solche Fahrzeuge
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23.08.2000
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immer in Garagen aufbewahrt und mit ausgeklügelten Sicherheitsvorrichtungen ausgestattet wurden. Denn jeder normale Troll konnte sich ein solches sündhaft teures Auto unter den Arm klemmen und damit stiften gehen. Der Kleine war zwar fast so schnell wie ein Street Reaper, was schon was heissen wollte, aber immer noch ein Luxusobjekt. Doch hier, liess jeder normale Shaikujin seinen Floh gutparkiert am Strassenrand stehen und musste sich keine Sorgen machen, dass das kleine Juwel abhanden kam! Zürich! "Halt, bewegen Sie sich nicht und geben Sie sich bitte in den nächsten 32 Sekunden zu erkennen. Dies ist ein offizieller Hinweis: Eine entsicherte Waffe ist auf Sie gerichtet!" Wenn wir schon beim Thema waren... "Ich bitte Sie ebenso, Ihre Zigarette auszumachen. Das Rauchen hier an der Bahnhofstrasse ist rechtswidrig!" Genau... Wenn ich nicht all zu sehr daneben lag, musste dies wohl Cedric sein, wenn mir der Einsatzplan der Garde noch einigermassen präsent war. Also verharrte ich wie befohlen, trat meine Ancient aus und hob die Hände. Stimmt, an das hatte ich wieder einmal nicht gedacht. Zu dieser Zeit wagte sich ja kein normaler Bürger mehr auf die Strasse. Nur noch zwielichtes Gesindel! Ich hielt meine Hand mit dem implantierten ID -Sensor leicht in seine Richtung als er mit entsicherter P5000 näher kam und seinen Scanner ablas. "Ach ... Sie sind es! Tschuldigung, hatte Sie nicht erkannt!" "Macht nichts Cedric," erfreut nahm ich zur Kenntnis, dass er kurz überrascht wirkte, es dann aber wahrscheinlich meiner langjährigen Erfahrung zuschrieb, "Du kannst mich ruhig duzen!" Risiko war das A und O jedes persönlichen Rufes. "Wie läuft's heute?" Cedric, ein braunhaariger Hüne von knapp zwei Meter Höhe rückte sich sein karmesinrotes Barett zurecht und gähnte, als er sich die Waffe überwarf. "Wie immer absolut nichts los, Z ürich ist nun mal die Peripherie des Paradieses." Wie ich diesen Werbeslogan hasste! "Bin gerade auf dem Weg zum alten Bahnhof, willst du mir Gesellschaft leisten?" "Wieso nicht, meine Schicht ist sowieso bald vorbei!" Er streckte sich noch einmal ausgiebig und folgte mir dann. Kurz verharrten wir dabei vor den Swissfun©Vitrinen, die gerade für Abenteuerferien in der Adria "Dies ist ein offizieller warben. Durch unzählige Öffnungen um das Hinweis: Eine entsicherte Schaufenster herum wurde ein kaum Waffe ist auf Sie gerichtet!" wahrnehmbares Aerosol ausgeblasen, das den verlockenden Geruch nach Tang und frischen Salzwasser verbreitete, durchmischt mit Pheromonen, die einen auf die halbnackten Holographien glücklicher Urlauber aufmerksam machen sollten. Kein Wunder, dass hier Singles stundenlang andächtig verharren konnten! Schliesslich gaben noch einige Wärmestrahler der holografischen Projektion eines idyllischen Sandstrandes im Mondlicht den letzten Schliff. Schade, dass wegen eines Gerichtsbeschlusses die Liebesszene im Hintergrund hatte gelöscht werden m üssen. Wenn man jedoch ganz genau hinhörte, konnte man noch ganz schwach das ekstatische Stöhnen hören! Schweigend w ärmten wir hier unsere kalten Füsse auf und genossen das atemberaubende Panorama, als Cedric sehnsüchtig stöhnte. "Nächstes Jahr darf ich endlich wieder Ferien nehmen... ich zähle schon heute die Tage!" Kurz kramte er dabei unter seiner gepanzerten Jacke herum, um mir dann eine nachtschwarze Box entgegen zu halten. "Sorry wegen vorher. Willst du eine?" Ich drehte die Box in seiner Hand kurz um, um das glühende 'HELLBENDER SLUDGEPIT FILTERLESS' zu entziffern und schüttelte dann höflich den Kopf. Es war irgendwie das Schicksal von Typen mit Luftfiltern, dass sie sich deswegen dazu gezwungen sahen, zu Mitteln zu greifen, welche ganze Elefantenherden ausrotten konnten. Aber das war nicht meine Sache. Ich wollte zumindest noch einige Jahre leben. Während er sich gerade eine dieser als Glimmstengel getarnten Säurebomben anmachte, schien ihm etwas in den Sinn zu kommen. "Hey, da ist was, das ich dich schon immer persönlich fragen wollte: Stimmt es, dass du den Dienst wegen
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23.08.2000
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diesem legendären Wendigo-Zwischenfall quittiert hast?" "Eigentlich schon. Aber es ist schon ziemlich übertrieben, was man sich darüber erzählt. Ich bin nicht gerade ein Rambo-Typ!" "Rambower?" "Ja, Rambo... Rocky, der Boxer... oder... Cobra!" Cedric sah mich in diesem Moment an, als würde ich ihm gerade die koreanische Verfassung in südpolinesisch vortragen. "Sagt dir wenigstens der Name Sylvester Stallone etwas?" "Ist das vielleicht ein Urban-Brawl-Champion?" "Ähh..." Ach Gott, diese Beatgeneration. Wieso fühlte ich mich plötzlich so unendlich alt? "Irre ich mich," begann ich deswegen einige Schritte später, um auf andere Gedanken zu kommen und überhaupt etwas zu sagen, "oder warst Du auch bei der Ausräucherung der UB an der Susenbergstrasse beteiligt?" Augenblicklich wusste ich, dass das ein klassischer Fauxpas gewesen war. Cedric verkrampfte sich sichtlich, als er seine Zigarette mit einem einzigen Zug fast komplett rauchte. Seine Schritte wurden immer schneller und er wirkte um Jahrzehnte gealtert. "J-ja... aber ich rede nicht gerne drüber!" Für seine knapp dreissig Jahre, besass wohl auch er seine ganz persönlichen Dämonen, die ihn jagten. Kurz streifte die Erinnerung der drei Polizisten mein Bewusstsein, als ich ihm beruhigend meine Hand auf die Schulter legte. "Sorry, tut mir wirklich leid. Und du kannst es mir glauben. Denn auch ich hatte es schon mal mit Käfern zu tun!" Momentan zitterte er am ganzen Leib und wirkte überhaupt nicht heroisch oder unerschrocken, wie es "Dennoch liess ich mich das Image der Zürcher Garde eigentlich wollte. Er nicht beirren, legte beide wirkte eher wie ein eingeschüchtertes Kind. "Einige Hände auf die von ihnen konnte ich sogar wiedererkennen. Ich Abtastflächen und blickte meine, da war dieses Mädchen... ich wollte nicht starr in den Irisscanner." schiessen aber sie war so... so..." Ich gebot ihm zu schweigen, da wir uns nun einem der Checkpoints näherten, nickte ihm jedoch verständnisvoll zu. Ich wusste wirklich nicht, was ich ihm hätte sagen sollen, denn jedes weitere Wort wäre in diesem Fall sinnlos gewesen. Jeder der es irgendwann mit den Käfern zu tun bekommen hatte, hatte früher oder später etwas seiner Menschlichkeit einbüssen m üssen. Nun, die UB oder Universelle Bruderschaft, war wohl einer jener weiteren Aspekte der Erwachten Welt, auf die JEDER von uns gerne verzichtet hätte! Inzwischen waren wir von knapp einem Dutzend Watchern umkreist worden, die uns äusserst neugierig aber auch ziemlich nervig angingen. Cedric hatte sich rasch wieder gefasst, als wir zu dem weissen Betonblock aufschlossen, der den Durchgang ins Reich Tesraerinellés darstellte. Eine schlicht gehaltenen, aber beeindruckende Einrichtung, deren Fassade mit einer Fotogalerie dekoriert war, die den Hauptbahnhof in seinen besseren Jahren während der Jahrhundertwende zeigte. Es gab sogar einen Automaten, bei dem man zensurierte SimSinns zu den Jugendunruhen kaufen konnte oder Werbechips, die eine bescheuerte Geschichte über Tesraerinellé erzählte. Tourist, du willst belogen werden! Während sich nun Cedric mit einem freundschaftlichen "bis bald!" verabschiedete und an einem Kampfmagier vorbei in die W ärme des Kontrollposten eintauchte, trat ich dagegen furchtlos in die bedrohlich wirkende Panzerschleuse. Irgendwie war mir jedes Mal, als w äre den Erbauer dieser Anlage das Bild eines tödlichen Tumors, der nicht entfernt, aber sauber isoliert werden konnte, vorgeschwebt. Es gehörte wohl zum Image, dass die porzellanerne Einrichtung dieser Passage eher an ein Krankenhaus, als an eine militärische Anlage mahnte. Dennoch liess ich mich nicht beirren, legte beide H ände auf die Abtastfl ächen und blickte starr in den Irisscanner. Eine kleine rote Lampe, übrigens die einzige Beleuchtung hier drinnen, wechselte darauf auf grün. Erst jetzt erklang eine emotionslose Stimme. "Grund f ür den Besuch zu solch unüblicher Stunde?" Ich wandte mich träge einer der unzähligen Kameras zu und fuhr dabei über die patentierte, Graffitiabweisende Lackierung der Inneneinrichtung. Wenn ich bedachte, dass eigentlich jeder
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23.08.2000
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Tourist und Dorftrottel hier rein durfte, um sich scannen zu lassen und eine Absage zu kassieren, dann war schon klar, weshalb das ganze chemisch rein und zu 100% Vandalismussicher war. Einer dieser weiteren dummdeutschen Worte, die ich hasste! Anderseits, kannte ich kaum eine billigere Methode, Fingerabdrücke und Irisbild verdächtiger Personen derart freiwillig zu erhalten! Noch bevor ich etwas erwidern konnte, öffnete sich die Schleuse mit einem dumpfen Zischen. Ich konnte hierbei die Irritation auf der anderen Seite der Mikros förmlich spüren, als sie mich bloss mit einem farblosen "Sie können passieren... scheinbar werden Sie erwartet!" abfertigten. So viel zu denen, die hier das Sagen hatten. Durch zwei weiteren gepanzerten Sicherheitsschleusen und einem Auraleser, gelangte ich schliesslich auf den mit Selbstschussanlagen gesicherten Korridor. An Stacheldrahtwällen, Sentry-Anlagen und einem patrouillierenden Schwebepanzer vorbei f ührte der Weg zu einigen enttäuschenden, schwarzen Stahlplatten am Boden. Indes konnte ich die Präsenz mehrerer neugieriger Geister um mich herum wahrnehmen. Aber ich versuchte mich nicht davon beirren zu lassen. Ansonsten fühlte man sich hier wirklich wie inmitten eines Schlachtfeldes des dritten Weltkrieges. Eine Bräme surrte gerade über meinen Kopf. Ich grüsste kurz in die Nacht. Tja, diese unscheinbaren Platten waren alles, was heutzutage noch von dem Durchgang in den Bahnhofplatz des Shop-Ville übrig geblieben waren! Ich ging in die Knie und stemmte vorsichtig eine der Platten beiseite. Überreste einer Marmortreppe kamen zum Vorschein. Ebenso eine erschreckende Ansammlung zusammengetragenen Schrottes und unzähliger Kabel. Ansonsten empfing mich Dunkelheit. Vorsichtig stieg ich hinunter. "Halt, wer da?" erklang nun plötzlich eine Stimme, als die Platte über mir wieder zufuhr. Undurchdringliche Schwärze umfing mich. "Ich bin's!" "Was ist Ihr begehren? Wir dulden hier in Tesraerinellé keine feindlichen Aktionen!" "Fuchs, Junge, jetzt übertreibst du es aber. Ich bin doch nicht Ayako Yuriko, die Blinde vom Death's Dragon Tournament, die Werwölfe zum Frühstück verspeist. Was sollte ich schon im Dunkeln tun, ausser hinfallen. Doktor Rom wollte mich sehen!" "Moment..." Inzwischen hatten sich meine Augen bereits an die Dunkelheit gewöhnt und schlug mir bereits der einzigartige Geruch Tesraerinellés entgegen. Dieser faszinierende Duft einer anarchistischen Freiheit war so in etwa, als mische man einen orientalischen Bazar mit einer chinesischen Opiumhöhle und gebe noch je eine Prise Tolkien, Pratchett und Star Wars hinzu! Des weiteren war dieser so trügerische Vorraum, trotz seines heruntergekommenen Aussehens eine absolut perfekte Todesfalle, falls einmal ein ungebetener Gast hinein geraten sollte. Schritte vor mir öffnete sich ein Durchgang und eine nicht ganz ernst gemeinte Stimme erklärte mir, dass ich "für dieses Mal passieren durfte". Und Tesraerinellé empfing mich. Die einst prunkvollen, schwarzweiss gestreiften Pseudomarmorfassaden hatten vor dem Zahn der Zeit und abertausender Graffitikünstler kapitulieren müssen. Ebenso alles was jemals diesen Ort vor den Jugendunruhen ausgemacht hatte. Jedes Mal kam ich mir von neuem wie Sinbad vor, der soeben den literarischen Bazar von Bagdad "An Stacheldrahtwällen, betrat. Hier unten fand man alles, was die Schweizer Sentry-Anlagen und einem Gesellschaft als nicht erstrebensw ürdig empfand. patrouillierenden Opiumhöhlen, Meditationsräume, Technikpaläste, Schwebepanzer vorbei Tanzhallen, Ateliers und ganz besondere Magiezirkel. führte der Weg zu einigen Für jeden Rebellen sein eigenes Steckenpferd. Aber es war auch der einzige Ort in Zürich, in dem dir enttäuschenden, schwarzen derart viele Gnome, Trolle, Orks und sogar der eine Stahlplatten am Boden." oder andere Nächtliche begegnen konnte! DL Cavegn oder Ladina, wie ich sie nennen durfte, erwartete mich bereits. Die sehnige, schwarzhaarige Adeptin, hüpfte bereits ungeduldig von einem Fuss auf
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den anderen, als ich an den Wache stehenden Riesen vorbei, die hier sitzend ihren Dienst schoben, zu ihr stiess. Nach den üblichen drei Begrüssungsk üsschen und der höflichen Abgabe meiner Waffe, ging es durch diesen anarchistischen Bazar unerfüllter Sehnsüchte die Passage Bahnhofstrasse hinunter. "Was hat es mit dieser Type auf sich, weswegen mich Dr. Rom sehen wollte?" "Er gehört zu einem Runnerteam, dass vor einigen Tagen in Basel von Fuchi aufgerieben wurde. Hat bei uns um Asyl gebeten." Nachdenklich blieb ich vor einer Nische stehen in der sich einst eine staatlich anerkannte Bank befunden hatte. Meine Erinnerungen schweiften dabei kurz zurück zu vergangenen Sonntage, an denen die Leute hier Schlange gestanden waren, um über primitive Automaten Geld zu beziehen. Heute befanden sich eine Kerzengiesserei und eine Töpferei darin. Dafür war der Kiosk am anderen Ende der Nische einem elektronischen Alptraum gewichen. Auf engstem Raum stapelten sich dort Ersatzteile, Module und Chips f ür sicher knapp eine Million Cyberdecks. Darunter sicherlich auch Militärmaterial, wofür jeder normale Runner sein linkes Auge opfern würde. Doch der Ladenbesitzer, ein knapp fünfzig Zentimeter grosser Gnom, beherrschte sein Handwerk derart gut, dass bisher noch nie was gestohlen worden war. Nein, er war sogar so gut, dass ich hier unten sogar regelmässig Dinge entdeckte, die sicherlich bald einer der Zürcher Garde vermisste. "Und was ist so speziell daran?" Inzwischen waren wir an dem Ort angekommen, der für mich die meisten Erinnerungen besass. Hinter Spannplatten verborgen war Matthys kleines Reich. Ich wollte schon hinüber gehen, als... ... mich Ladina am Arm packte und in ihren Dojo verschleppte. "Es war die Bezahlung, die er uns anbot, die Nemesis stutzig werden liess. Ich weiss aber auch nicht mehr!" Bevor ich reklamieren konnte, waren wir bereits innerhalb der ehemaligen Migrosgeschäftsstelle. "Matthys ist sowieso nicht da!" liess hier ein unerwartet nervöser Doktor Rom, ein Chiphead, dessen Gesicht unter einem Bärtchen, Datenbuchsen und zahllosen Piercings förmlich verschwand, verlauten. "Danke... O.K. und was soll so speziell an dieser Bezahlung sein?" Dr. Rom hielt mir ein kleines Terminal unter die Nase. "Die Aufzeichnung ist einwandfrei KEINE Fälschung, "Darunter sicherlich auch ebenso stimmt auch das Datum. Das ganze wurde wirklich vor genau fünf Tagen aufgezeichnet. Und ich Militärmaterial, wofür verwette meinen Arsch drauf, dass Fuchi absolut jeder normale Runner sein nichts damit zu tun hat!" Ich liess den Trid laufen, linkes Auge opfern würde." während mir Ladina über die Schulter blickte. "Was geschah am 12. September 2057?" meldete sich indes Dr. Rom wieder zu Wort. Ohne zu zögern antwortete DL Cavegn, als sie sich ihm zuwandte. "Der Staat liess die Bundesanwältin Lisoàlfa in einem getürkten Anschlag hinrichten! Ich war damals zusammen mit etwa weiteren fünfzigtausend Sympathisanten bei ihrer Beerdigung!" "Daniela!" Mir lief es eiskalt den R ücken hinab, als ich mit wachsender Besorgnis aufsah. "Das glaubst vielleicht du..." "Wie bitte?" "Eher trifft es zu, dass sie bis vor fünf Tagen noch lebte, bevor sie in einen Hinterhalt der BuPo geriet!" (c) 2000, dieser Artikel und seine Illustrationen sind urheberrechtlich gesch ützt. Vervielf ältigung nur mit Genehmigung der Rechtsinhaber erlaubt.
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