Hoffnung, Liebe - Zukunft Kate Walker Als die schöne Serena aus monatelan gem Koma im Krankenhaus erwacht, kann sie sic...
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Hoffnung, Liebe - Zukunft Kate Walker Als die schöne Serena aus monatelan gem Koma im Krankenhaus erwacht, kann sie sich an nichts erinnern. Sie scheint keine Verwandten zu haben, nie manden, der sie vermisst - bis ein gut aussehender Mann sich um sie bemüht: Der vermögende Rafael Cordoba nimmt sie nach ihrer Entlassung auf. Und plötz lich ist die Gegenwart wichtiger als die Vergangenheit. Denn zwischen ihr und Rafael herrscht eine starke erotische Anziehungskraft, und Rafael hat einen entzückenden klei nen Sohn, den Serena liebt wie ein eigenes Kind...
1. KAPITEL „Wie heißen Sie?" Die Frage wurde in eigenartig scharfem Ton gestellt, und Serena versuchte verzweifelt, die Augen ganz zu öffnen, um ihre Umgebung klarer wahrzunehmen. Ihr Verstand schien umnebelt, und ihre Gedanken waren völlig wirr. „Dumme Frage - natürlich weiß ich, wer ich bin! Mein Name ist Serena Martin. Und ..." Sie runzelte leicht die Stirn, kniff die braunen Augen zusammen und fuhr sich mit zittriger Hand durchs rote Haar, während sie sich umsah und ihre Umgebung aufzunehmen versuchte: den pastellfarbenen Raum mit den hell rosa Vorhängen, die genau zu den Bettbezügen passten. Trotz der freundlichen Farben wirkte das Krankenzimmer unpersönlich und kalt. Die dunkelhaarige Frau, die neben Serenas Bett saß und sie mit ihren grauen Augen anblickte, trug einen weißen Arztkittel. „ . . . und ich nehme an, dies ist ein Krankenhaus." „Das stimmt." „Wissen Sie auch, was geschehen ist?" Zwei Stimmen auf einmal, für Serena war es fast unmöglich, sie auseinander zu halten. Aber ihr war klar, dass die Zustimmung von der Ärztin kam, während die Fragen von einer anderen Person gestellt wurden. Von dem Mann, der auf der anderen Seite des Raumes im Türrahmen stand, den er mit seiner kräftigen Ge stalt fast ausfüllte. Seine Haltung war gerade, und seine Schultern waren breit. Er war groß, eine stattliche Erscheinung, und hatte einen dunklen Teint. Er beeindruckte sie - und machte ihr gleichzeitig Angst. Angst? Sie wusste ziemlich genau, dass sie diesen Mann noch nie zuvor gesehen hatte. Wieso brachte sie dann dieses Wort mit ihm in Verbindung? Das war ihr schleierhaft. „Nun, wissen Sie es?" beharrte er auf seiner Frage und verlieh
seinem Tonfall, der Serena gleich faszinierte, besonderen Nachdruck. „Können Sie mir sagen, wie Sie hierher gekommen sind?" Für sie war es äußerst schwierig, darauf eine Antwort zu geben. Sie war völlig durcheinander. Da waren nebelhafte Gedanken und schwache Erinnerungsfetzen - Lärm, Panik, ein fürchterliches Krachen und jemand, der vor Angst schrie. War sie das selbst? „Ich ... ich vermute, es muss irgendeinen Unfall gegeben haben." „Was für einen Unfall?" Während des kurzen Gesprächs war der Mann nicht von seinem Platz gewichen. Ihr schien es aber, als wäre er weiter ins Zimmer gedrungen, als hätte er sich ihr gefährlich genähert und als wollte er sie förmlich an die Wand drängen. „Das weiß ich nicht!" Zum ersten Mal wandte sie sich ihm direkt zu und richtete den Blick ihrer braunen Augen herausfordernd auf sein Gesicht. „Warum sagen Sie es mir denn nicht?" Wer war das eigentlich? Noch ein Arzt? Er trug keinen weißen Kittel wie die Ärztin an ihrer Seite, sondern einen dunklen Maßanzug, dessen hervorragender Stoff und vorzügliche Machart von Wohlhabenheit zeugten. Vielleicht war er ein höher gestellter Arzt, ein Chirurg oder ein Facharzt. Die trugen bekanntlich keine weißen Kittel und wurden mit „Mister" angesprochen, nicht mit „Doktor". Wie auch immer, er war ein erstaunlicher, unwahrscheinlich gut aussehender Mann. Serena konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Er übte eine verheerende Wirkung auf sie aus. Zu seiner eindrucksvollen Größe kam noch volles, glatt nach hinten gekämmtes pechschwarzes Haar. Das unterstrich seine wohlgeformten Gesichtszüge. Ganz benommen betrachtete sie seine gerade, kräftige Nase, sein energisches Kinn und einen überraschend sinnlichen Mund. Die Augen begeisterten sie jedoch am meisten. Sie waren von unglaublich dichten schwarzen Wimpern gesäumt, hatten eine Farbe wie flammendes Gold und leuchteten hell. Der dunkle Teint war sicher auch nicht das Ergebnis eines Urlaubs am Mittelmeer, sondern offensichtlich seine natürliche Hautfarbe, ein Erbe von Vorfahren, die nicht aus England stammten. Ihr wurde plötzlich heiß, und sie konnte nicht länger still im Bett liegen. Eine merkwürdige Unruhe erfasste sie, ließ ihr Herz schneller schlagen und ihr das Blut in den Kopf steigen. Auf
einmal wurde Serena bewusst, dass sie unter der Bettdecke nicht mehr anhatte als das Kliniknachthemd. Sein leidenschaftlicher Blick verriet ihr, dass der Mann ihre Gefühle erwiderte, obwohl sein Gesichtsausdruck abschätzend blieb. Gerade dieser Widerspruch zwischen Beherrschtheit und wildem Feuer war der Grund, dass sie einige Male trocken schlucken musste. „Wieso meinen Sie, ich könnte Ihnen etwas sagen?" erwiderte der Mann scharf, wobei sein fremdartiger Tonfall besonders deutlich zu huren war. „Mr. Cordoba ...", mischte sich die Ärztin warnend ein, aber keiner von ihnen kümmerte sich darum, so sehr waren sie mit sich beschäftigt. „Kennen wir uns?" erkundigte sich Serena. „Ganz sicher nicht!" Mit einem lässigen Schnippen seiner feingliedrigen Finger tat er das als Unsinn ab. „Sie haben mich ganz bestimmt noch nie gesehen." Serena war etwas erleichtert. So viel war ihr klar: Hätte sie diesen Mann irgendwann schon einmal gesehen, dann hätte sie sich unter allen Umständen wieder an ihn erinnert. Sie wusste zwar nicht, wie sie hierher gekommen war, hatte keine Vorstellung von dem, was passiert war, doch es beruhigte sie sehr, dass dieser - wie hieß er doch gleich? Mr. Cordoba in ihrem Leben noch keine Rolle gespielt hatte. „Wer sind Sie denn?" „Ich heiße Rafael Cordoba." Er erwartete offensichtlich, dass ihr der Name etwas sagte. Serena konnte allerdings nichts damit verbinden und hätte in dem Moment viel darum gegeben, Näheres über diesen Rafael Cordoba und seine Bedeutung für sie zu erfahren. Sie empfand ihn als Bedrohung und wollte endlich dieser zermürbenden Fra gerei entkommen. Im Grunde aber wollte sie nur dieses beunruhigende Gefühl loswerden, das er in ihr hervorrief. Noch nie war sie sich der körperlichen Anziehungskraft eines Mannes so bewusst geworden. All ihre Gedanken drehten sich plötzlich um sinnliche Lust. Und Rafael Cordoba war schuld daran. Sie konnte an nichts anderes denken. „Und wer sind Sie?" Serena wandte sich der Frau an ihrem Bett zu. „Ich bin Dr. Greene." Serena war erleichtert, dass die Frau
ihren heimlichen Hilferuf verstanden hatte und sie beschwichti-gend fragte: „Sind Sie in der Lage, einige Fragen zu beantworten?" „Ich werde es versuchen." Es fiel Serena schwer, sich von Rafael Cordoba abzuwenden. Und sie beobachtete ihn weiter aus den Augenwinkeln, obwohl sie versuchte, sich ganz auf die Ärztin zu konzentrieren. „Sie heißen Serena Martin?" „Richtig." „Und wie alt sind Sie?" „Dreiundzwanzig." Langsam begann Serena sich zu entspannen. Dr. Greene machte es ihr leicht. Ihre Fragen warfen keine Probleme auf, machten ihr keine Angst. Serenas Verwirrung begann sich langsam zu le gen. Offensichtlich hatte sie auch keine schwer wiegenden Verletzungen erlitten, denn sie konnte prompt antworten. „Wo wohnen Sie?" „Alban Road fünfunddreißig in Ryeton ... Stimmt was nicht?" fragte Serena, als die Ärztin plötzlich zu schreiben aufhörte und sie statt dessen überrascht ansah. „Ryeton in Yorkshire?" „Genau." „Und was machen Sie in London?" Da war die Stimme wieder, die sie erregte und erschauern ließ. Es war klar, dass Rafael Cordoba nicht lange ruhig bleiben konnte. „Sind wir denn wirklich in London?" „Dieses Krankenhaus ist es jedenfalls", bestätigte er kurz an gebunden und übersah einfach Dr. Greenes tadelnden Blick. „In London, wo Sie jetzt sind, wo der Unfall sich ereignete, wo ..." „Es reicht, Mr. Cordoba!" Doch Rafael Cordoba ließ sich dadurch nicht beeindrucken. Mit einer heftigen Kopfbewegung und blitzenden Augen wies er den Tadel zurück. „Also, was machen Sie hier, wenn Sie in Ryeton ...?" „Das weiß ich nicht!" Serena war am Ende ihrer Kräfte. Ihr Kopf schmerzte, und sie war erschöpft wie nach einem Marathonlauf. Heftig schüttelte sie den Kopf, Tränen schössen ihr in die Augen und ließen sie Rafael Cordobas dunkles, entschlossenes Gesicht nur noch schemenhaft wahrnehmen. „Vielleicht verbringe ich hier meinen Urlaub. Vielleicht ..." „Ich sagte, genug'!" Dr. Greene bewies, dass Rafael Cordoba
sie nicht übermäßig eingeschüchtert hatte. Trotzdem milderte sie ihren Ton gleich wieder. „Ich muss auf das Wohl meiner Patientin achten. Miss Martin hat Ruhe nötig. Sie hat Schlimmes durchgemacht, das jedem von uns zugesetzt hätte, selbst dem Kräftigsten. Sie braucht dringend eine Erholungspause, und ich muss darauf bestehen, dass sie die bekommt." Derartig Belehrendes mochte er offensichtlich nicht hören. Serena sah, wie in seinen wunderschönen Augen Wut aufloderte und er sich nur mühsam beherrschte, indem er die sinnlichen Lippen zusammenpresste. Sie konnte diese Zeichen höchster Anspannung in seinem Ge sicht sofort deuten, als wäre sie schon lange mit seiner Art vertraut. Wer auch immer er war, er war offensichtlich keinen Widerstand gewohnt von jemandem, der nicht seine gesellschaftliche Stellung hatte. Er atmete tief ein und wollte etwas entgegnen. Serena hatte sich gerade darauf eingestellt, dass ein Donnerwetter auf die Ärztin niedergehen würde, als er sich plötzlich doch besann. „Wie Sie wünschen!" sagte er eisig. Dr. Greene wandte sich daraufhin wieder Serena zu. „Können wir jemanden benachrichtigen? Ihre Eltern? Oder andere Verwandte?" „Nein." Serena schüttelte niedergeschlagen den Kopf. „Meine Eltern leben nicht mehr. Meine Mutter starb letztes Jahr an Krebs, und mein Vater ist schon früher einem Herzversagen erlegen. Sonst habe ich keine Verwandten mehr." Sie musste wieder mit den Tränen kämpfen. Die Ärztin beugte sich vor und streichelte ihr tröstend die Hände. „Sie dürfen sich nicht aufregen. Sie brauchen jetzt Ruhe und Erholung..." „Aber wie kann ich ruhig sein, wenn ich nicht weiß, was geschehen ist?" Serena war wieder den Tränen nahe. „Bitte!" Sie nahm die Hand der Ärztin und hielt sie fest, als wäre Dr. Greene die einzige vertrauenswürdige Verbindung zur Außenwelt. „Sie müssen es mir sagen! Was ist geschehen?" „Sie hatten einen Unfall", fing Dr. Greene zögernd an. „Einen Autounfall. Dabei hat Ihr Kopf einen heftigen Schlag abbekommen. Sie sind eine Zeit lang nicht ganz da gewesen." „Eine Zeit lang? Wie lange denn?" „Mit heute sind es zehn Tage. Zuerst waren Sie bewusstlos, vor kurzem haben Sie dann begonnen, etwas wahrzunehmen." „Wirklich?"
Serena versuchte, Klarheit in ihre Gedanken zu bringen. Und es war ihr in der Tat möglich, sich Dinge ins Gedächtnis zu rufen, von denen sie bisher angenommen hatte, sie hätte sie geträumt. Verzweifelt hatte sie versucht, an die Oberfläche einer Art trüben Gewässers zu gelangen, indem sie nach einem Halt gesucht hatte, Sie erinnerte sich, dass sie dann für kurze Zeit in der Lage gewesen war, die Augen aufzumachen und die Umgebung zu betrachten, ohne allerdings alles ganz deutlich erkennen zu können. Bald hatte sich dann wieder die schwere, bedrückende Dunkelheit auf sie gesenkt und sie erneut von der Wirklichkeit ausgeschlossen, „Da war jemand ..." Jemand hatte an ihrem Bett gesessen, sie beobachtet und darauf gewartet, dass sie aus der Bewusstlosigkeit erwachte. Diese Person hatte ihr Stöhnen wahrgenommen, als sie sich im Bett gewälzt und gegen die Albträume angekämpft hatte, die sie nicht loslassen wollten. Dieser Jemand hatte ihr auch das schweißnasse Haar sanft aus der fieberheißen Stirn gestrichen. Und später hatte dasselbe hilfsbereite Wesen ihr Wasser ein gegossen, sie gehalten, als sie versuchte zu trinken, und sie freundlich, aber bestimmt davon abgebracht, zu viel auf einmal hinunterzustürzen, um die Schmerzen in ihrem ausgetrockneten Hals zu lindern. „Es war jemand hier ..." „Ja, natürlich, eine Krankenschwester. Sie waren unter dauernder Beobachtung." „Nein, nein ..." Es war keine Krankenschwester gewesen. Serena hatte keine Ahnung, woher sie das wusste, aber sie war sich dessen absolut sicher. Der barmherzige Samariter mit der sanften Stimme, der sich während ihrer tiefen Bewusstlosigkeit in ihren schwierigsten Momenten um sie gekümmert hatte, hatte nichts von einem berufsmäßigen Pfleger an sich gehabt. Und die Stimme, die sie immer wieder gehört hatte ... Genau, die Stimme! Die Augen geöffnet, wandte Serena sich Cordoba zu und begegnete dem frostigen Blick seiner goldbraunen Augen. Seine schönen Gesichtszüge erschienen ihr wie gemeißelt. Aber von dem Mann bekam sie keine Reaktion, keine Antwort auf ihre unausgesprochene Frage, nichts. „Sie haben die bestmögliche Betreuung erhalten, Miss Martin", sagte er zurückhaltend.
Serena wusste allerdings auch so, dass es diese Stimme gewesen war, die sie während ihrer schweren Zeit begleitet hatte. Doch warum war aus dem barmherzigen Samariter plötzlich ein unbarmherziger „Untersuchungsbeamter" geworden? , Aber...", begann sie. Doch dann schüttelte sie nur noch müde den schmerzenden Kopf. „Ich möchte wissen ..." Sie konnte nicht mehr weitersprechen. Schließlich war nur noch ein Seufzer von ihr zu hören. „Sie sind müde", meinte Dr. Greene sanft. „Sie dürfen jetzt nicht zu viel auf einmal wollen. Spüren Sie selbst, was gut für Sie ist. Ruhen Sie sich aus." Serena nickte erschöpft. Sie war in der Tat sehr müde, konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und sank mit halb geschlossenen Augen in die Kissen zurück. „Ich werde bald wieder bei Ihnen sein. Alles wird gut werden." Sein Ausruf durchbrach die entstandene Stille, und Rafael Cordoba unterstrich ihn mit einer heftigen Geste. „Alles! Madre de Dios, wie wäre es ...?" „Mr. Cordoba!" Die Ärztin war jetzt wirklich verärgert. „Ich sagte, es sei genug! Ich möchte, dass Sie nun gehen und Miss Martin allein lassen." Zuerst wollte er sich offensichtlich gegen ihre Zurechtweisung auflehnen. Wieder richtete er einen wütenden Blick auf die Ärztin, dann einen entnervten auf Serena. Sekunden später hatte er sich wieder gefasst, und seine Miene wirkte entschlossen. „Nun gut", sagte er kurz und bündig mit eisiger Stimme, „ich werde gehen, aber..." Dann wandte er sich an Serena. „Ich werde zurückkommen. Das verspreche ich. Sobald ich kann, werde ich Sie wieder aufsuchen." Schöne Worte, versuchte Serena sich einzureden, Worte, die auch von der Ärztin stammen könnten. Sie hatte jedoch das eigenartige Schimmern in Cordobas Augen nicht übersehen. Die Glut in seinem Blick ließ sie insgeheim erschauern, und sein Versprechen zurückzukehren erregte sie, machte sie unruhig. Da halfen auch Dr. Greenes begütigende Äußerungen nicht. Er würde zurückkommen, dessen war Serena sich jetzt sicher. Und die Wahrheit war, dass sie dieser erneuten Begegnung ungeduldig und beklommen zugleich entgegensah.
2. KAPITEL „Ich habe Besuch mitgebracht." „Was?" Serena ließ die Zeitschrift, die sie ohne großes Interesse durchgeblättert hatte, sinken und blickte zu Rafael Cordoba, der an der Tür stand. Fünf Tage waren vergangen, seit sie aus der Bewusstlosigkeit erwacht war und sich gleich seinen heftigen Fragen hatte stellen müssen. Er hatte versprochen zurückzukommen, und tatsächlich war er am nächsten Morgen zur Stelle gewesen. Kein Tag war daraufhin ohne seine Anwesenheit vergangen. Sein Ton ihr gegenüber hatte sich geändert, Rafael Cordoba war fast nie mehr so barsch wie am ersten Tag und stellte nur noch selten derart bohrende Fragen. Dr. Greene hatte wohl entsprechend auf ihn eingewirkt. Selbst die zuerst so deutlich gezeigte Begehrlichkeit ihr, Serena, gegenüber hatte er jetzt sichtlich im Griff. „Entschuldigung - was sagten Sie?" Serena hoffte, dass Rafael Cordoba das Beben in ihrer Stimme als Zeichen der Überraschung deuten würde. Auf keinen Fall sollte er spüren, dass allein seine Gegenwart sie so in Erregung versetzte. Schon der Anblick seiner großen, schlanken Gestalt, seiner pechschwarzen Haare und der lodernden goldbraunen Augen ließen ihren Atem stocken und ihr Herz schneller klopfen. Dieses Mal übte er eine noch stärkere Wirkung auf sie aus. Hatte er bislang stets elegante Anzüge angehabt, so trug er heute - wohl wegen des schönen Wetters - Jeans und ein kurzärmeliges Hemd. Die eng anliegende Hose betonte seine schmalen Hüften und die schlanke Taille. Das blütenweiße Hemd bildete einen starken Kontrast zu den bronzefarbenen Armen. Seine Männlichkeit erschien Serena noch anziehender und weckte sündhafte Gedan
ken in ihr. Nervös zupfte sie an der apricotfarbenen Bettdecke, als sie an ihre blasse, sommersprossige Haut dachte, die ihr ärmelloses, cremefarbenes Nachthemd mit dem V-Ausschnitt freigab. Am liebsten hätte sie sich ganz zugedeckt, wollte Rafael Cordoba durch eine ungeschickte Bewegung aber nicht ihre Gefühle verraten. „Ich habe jemanden mitgebracht..." „Noch einen Besucher? Was für eine Überraschung! Ich wusste gar nicht, dass ich in London Bekannte habe." Noch immer konnte sie sich an den Unfall und die Tage davor nicht erinnern, und Serena war sehr ärgerlich darüber, dass weder die Ärztin noch Rafael Cordoba ihr helfen wollten, etwas darüber zu erzählen. „Sie müssen Geduld haben", lautete die Antwort, wenn sie Fragen stellte oder ihr lückenhaftes Gedächtnis verwünschte. „Die Erinnerung muss sich von allein wieder einstellen. Wir dürfen Ihnen nicht zu viel sagen." „Aber wo ist denn Ihr Freund? Ich sehe niemanden." „Hier ist er ...", erwiderte Rafael Cordoba und stellte eine Tragetasche auf ihr Bett. Darin lag, wie sie verwirrt feststellte, ein Baby in einem blauen Strampelhöschen und mit bloßen Füßchen. „Oh! Ist der aber süß!" rief sie und lachte vor Entzücken. Un willkürlich wollte sie das kleine Wesen auf den Arm nehmen, schreckte jedoch davor zurück, weil sie sich plötzlich fragte, was Rafael Cordoba wohl dazu sagen würde. „Meinen Sie das wirklich?" Sein angespannter Tonfall machte sie nervös. „Natürlich meine ich das ernst. Würde nicht jeder ...?" Sie verstummte, denn sie hatten das Baby aufgeweckt. Es rührte sich, strampelte heftig mit den Beinchen, und seine kleinen Fäuste fuhren durch die Luft. Mit großen Augen blickte es Serena an. Unwillkürlich wollte sie auf diese Bewegungen reagieren, wusste aber nicht, wie. „Wie heißt er denn?" brachte sie mühsam heraus. Das Baby hatte einen Flaum schwarzer Haare. Deren Farbe und etwas an seinen Gesichtszügen erinnerten sie stark an den Mann neben ihrem Bett, der ihre Gedanken tagsüber beherrschte und ihr nachts in erotischen Träumen erschien. Oft wachte sie dann schweißgebadet und mit Herzrasen auf. „Er heißt Antonio Felipe Martinez Cordoba."
Cordoba! Das hatte sie befürchtet. Aber warum konnte ihr eine mögliche Bindung und Vaterschaft dieses Mannes, den sie erst ein paar Tage kannte, so viel ausmachen? „Wie winzig er ist!" Serena betrachtete das Baby aufmerksam, streckte einen Fin ger aus und musste lachen, als eine kleine Faust ihn fest umschloss. In diesem Moment spürte sie, dass der kleine Junge nicht nur den Finger umfasst, sondern auch ihr Herz erobert hatte. Eine Welle der Zuneigung zu diesem verletzlichen Wesen erfasste sie. „Das ist aber ein langer Name für so einen Zwerg." „Ich nenne ihn auch nur Tonio." „Das passt besser." Sie beugte sich vor und lächelte beim Anblick der Kinderaugen. Das Haar war ihr in die Stirn gefallen und verbarg ihr Gesicht vor dem aufmerksamen Blick Rafael Cordobas. „Ist es Ihr Sohn?" Serena beachtete sein unverständliches Gemurmel nicht und fuhr fort: „Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie verheiratet sind." „Bin ich auch nicht." Diese Antwort verwirrte sie völlig. „Ich bin nie verheiratet gewesen, obwohl es einmal fast passiert wäre." „Dann ist Tonio ein Kind der Liebe?" „Ein Kind der Liebe?" Rafael Cordoba verzog leicht zynisch den Mund. „Manche Menschen würden es anders nennen." „Aber wenn Sie und seine Mutter zusammen sind ..." „Nein!" Das klang heftig, und seine Augen blitzten. „Tonios Mutter und ich sind eben nicht zusammen." Serenas Herz, das gerade etwas ruhiger zu schlagen begonnen hatte, geriet bei diesem Ausbruch erneut aus dem Takt. Sie hatte offensichtlich bestimmte Grenzen überschritten, die für ihn tabu waren. Der Mann, an dessen wohlwollende Art sie sich in den letzten Tagen gewöhnt hatte, war plötzlich wieder der harte Mensch geworden, der sie bei ihrer ersten Zusammenkunft so erregt und geängstigt hatte. „Es tut mir Leid. Ich wollte mich nicht in Ihr Privatleben ein mischen." Etwas brüsk entzog sie dem Baby ihren Finger. „Ich würde niemals ..." Weiter kam sie nicht. Tonio war plötzlich wütend, weil ihm das neue Spielzeug so unvermittelt entrissen worden war. Zuerst protestierte er leise, dann folgte zorniges Geschrei. Er verzog das
Gesicht und bekam krebsrote Bäckchen. „Oh, mein Kleiner, entschuldige bitte!" Serena wandte sich sofort wieder dem Baby zu und wollte es trösten. Aber Rafael Cordoba kam ihr zuvor, nahm das Kind sanft in seine Arme. „Ja, ja, mein Liebling", beschwichtigte er es leise. „Ist ja gut. Du bist doch in Sicherheit. Ich bin bei dir. " Als sie sah, wie er das Baby an seiner starken, breiten Männerbrust barg, kra mpfte sich ihr Herz zusammen. Das verletzliche Menschlein wirkte noch winziger und feiner im Vergleich zu den kräftigen Armen und der großen Hand, die seinen Kopf hielt und ihn streichelte. Mit einem Mal kehrten mit Macht die Einsamkeit und die Besorgnis zurück, die sie vor Rafael Cordobas Besuch überwältigt hatten. Serena dachte daran, wie froh sie trotz der anfänglichen Angst vor ihm gewesen war, als er am Tag nach ihrem Erwachen aus der Bewusstlosigkeit wieder bei ihr war. Niemand besuchte sie sonst. An keine andere Person konnte sie sich wenden, um die kleinen Dinge zu bekommen, die den Krankenhausaufenthalt ein wenig erträglicher machten. Sie brauchte Rafael Cordoba nicht einmal zu bitten. Schon am ersten Tag war er mit Blumen, Früchten und verschiedenen Toilettenartikeln alles teure Markenwaren - erschienen. Solche kostbaren Dinge hatte sie sich bisher nicht leisten können. Er hatte sogar daran gedacht, einige Nachthemden mitzubringen. Dass sie ihr passten, sprach für seine Erfahrung mit Frauen. Sie wollte gar nicht wissen, wie er diese Erkenntnisse gewonnen hatte. „Nehmen Sie sie ruhig!" hatte er ihren Protest abgewehrt. „Das sind doch nur Kleinigkeiten." Erst am Morgen hatte sie erfahren, dass seine Großzügigkeit noch viel weiter ging. Zu weit für ihren Geschmack. „Stimmt es, dass Sie all meine Rechnungen bisher beglichen haben?" Rafael Cordoba hob stolz den Kopf und kniff die goldbraunen Augen zusammen. „Wer hat Ihnen das gesagt?" fragte er mit einer Stimme, die für den, der das verraten hatte, nichts Gutes verhieß. „Also, Mr. Cordoba", erwiderte Serena, „ich hatte zwar einen Unfall mit bösen Folgen für meinen Kopf, aber meinen Verstand
habe ich dabei nicht verloren." „Ich dachte, wir hätten uns auf ‚Rafael' geeinigt", warf er kühl ein. um sie abzulenken. „Wir haben uns auf gar nichts geeinigt! Sie sagten, ich solle Sie so nennen, um mein schönes Köpfchen nicht zu sehr zu belasten ..." Schwach und hilflos, wie sie gewesen war, hatte sie es hinge nommen. Sie hatte seine Anwesenheit gutgeheißen, wie die Ärzte auch. Zunächst hatte sie nicht weiter darauf beharrt, die Antworten zu bekommen, die ihr immer noch schmerzender und wirrer Kopf ihr nicht geben wollte. Sie hatte angenommen, dass Rafael Cordoba in der Zeit, an die sie sich nicht erinnern konnte, eine Rolle in ihrem Leben gespielt hatte. Allerdings wollte sie das jetzt nicht mehr so einfach akzeptieren. Sie wollte endlich Antworten hören. „Es war ja nicht nur ein Schlag auf den Kopf", fuhr Rafael Cordoba ruhig fort. „Sie waren eine Zeit lang bewusstlos, und Sie können froh sein, dass es Sie nicht schlimmer getroffen hat." „Das weiß ich doch alles!" erwiderte Serena abwehrend. Wenn sie an die Zeit nach dem Unfall zurückdachte, lief es ihr kalt den Rücken hinunter. Besonders eindrücklich war ihr der Moment in Erinnerung geblieben, als sie mit Hilfe einer Krankenschwester in eines der schönen Nachthemden geschlüpft war, die Rafael Cordoba mitgebracht hatte. Zum ersten Mal hatte sie all die blauen Flecken gesehen, die Schürfwunden und Schnittverletzungen, die ihre makellose Haut verunstalteten. Nach dem Schock dauerte es eine Weile, bis sie den Mut fasste, sich im Spiegel zu betrachten. Ihr Gesicht war ebenfalls von Blutergüssen übersät. Die Farbschattierungen reichten von tiefem Purpur bis zu einem hässlichen blassen Gelb. Besonders die Stirn und die rechte Gesichtshälfte waren betroffen. Schaudernd hatte sie die Verletzung über dem rechten Auge bemerkt. Daran hatte sie ermessen können, wie viel Glück im Unglück sie gehabt hatte. „Aber jetzt fühle ich mich wieder wohl. Ich kann normal denken, ich bin Privatpatientin und müsste schon sehr dumm sein, wenn ich glauben würde, dass irgendeine Serena Soundso ohne jeglichen Beistand in den Genuss all dieser Zuwendungen und dieses Luxus gekommen wäre. Deshalb habe ich einige Fragen gestellt..." Seine harten Gesichtszüge zeigten ihr, dass ihm das alles nicht gefiel. Rafael Cordoba hatte die sinnlichen Lippen fest zusam
mengepresst. Es fiel Serena schwer weiterzusprechen. „Man sagte mir, Sie würden die Kosten für meine Behandlung tragen. Stimmt das?" Einige beklemmende Sekunden lang schien es, als wollte er nicht antworten. Aber dann bejahte er die Frage mit einem geringschätzigen Nicken. „Warum? Warum sollten Sie, ein Fremder, dies alles für mich tun? Falls Sie wirklich dieser Fremde sind." „Warum, zum Teufel, sollte ich Sie anlügen?" Unter seinen blitzenden Augen schmolz ihre neu gewonnene Selbstsicherheit dahin. Serena fühlte sich irgendwie ausgeliefert und legte unwillkürlich die Arme um sich. Ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie sich mit diesem geheim nisvollen, attraktiven Mann in so etwas wie einem Schlafzimmer befand - sie im Nachthemd, er vollständig angezogen. „Ich begreife gar nichts. Wie können Sie das alles für mich tun?" „Ich sagte doch, das s ich mir das ohne Probleme leisten kann." „Ich weiß, was Sie gesagt haben." Sie machte eine heftige, abwehrende Geste und gab dadurch den Blick auf die üppigen Rundungen ihrer Brüste frei. „Mich beunruhigt, was Sie nicht sagen. Ob Sie irgendein su perreicher Banker sind, interessiert mich nicht. Ich möchte wis sen, welche Rolle Sie hier spielen - und behaupten Sie jetzt bloß nicht..." Er hatte überraschend die Hände hochgenommen, als wollte er ihrem Drängen nachgeben. Sein zusammengekniffener Mund und der entschiedene Blick drückten jedoch das Gegenteil aus. „Es geht Ihnen offensichtlich schon viel besser", stellte Rafael Cordoba trocken fest. „Die Ärztin meint allerdings ..." „Ja, ich weiß, dass sie abwarten will, bis mein Erinnerungs vermögen von selbst zurückkehrt. Aber das klappt nicht. Es bringt mich um den Verstand. Ich habe Angst, verrückt zu werden. Ich ..." Ihr versagte die Stimme, Tränen standen ihr in den Augen. „Sie scheinen der einzige Mensch zu sein, den ich kenne, und nicht einmal Sie kenne ich wirklich. Ich weiß nur, dass Sie hier sind und viel für mich tun ..." „Maldito sea! Ich habe mich für Sie verantwortlich gefühlt."
Serena sah ihn entgeistert an.
„Aber warum?"
Sie verwünschte sogleich ihre Worte, als sie seinen traurigen Blick bemerkte. „Es war mein Auto." „Ihr...?" Fassungslos sank sie in die Kissen zurück und fragte aschfahl und mit bebender Stimme: „Sie sind gefahren?" „Nein! Ich war zu der Zeit nicht in England, aber mein ..." Er riss sich zusammen, suchte nach Worten. „Mein Auto war in den Unfall verwickelt." „Ihr Auto?" Verwirrt wandte sie sich ihm wieder langsam zu. „Bin ich gefahren?" „Nein, Sie waren Beifahrerin", antwortete er fast grob und of fensichtlich widerwillig. „Und...? Wie.,.?" „Miss Martin ..." Mit Förmlichkeit versuchte Rafael Cordoba ihre Flut von Fragen einzudämmen. „Darf ich Sie daran erin nern, dass ich von den Ärzten die Anweisung habe, Ihnen keine Einzelheiten mitzuteilen?" Jetzt war sie richtig beunruhigt. Die Vorstellung, dass man ihr etwas Schreckliches verheimlichen wollte, quälte Serena aufs Äußerste. „Warum denn nur? Ist da was ganz Fürchterliches geschehen? Wer war der Fahrer? Wo ist er - sie - jetzt?" „Miss Martin .,. Serena ..." „Rafael!" Ganz spontan kam ihr dieser Name jetzt über die Lippen, als sie seine Hand nahm und nicht mehr loslassen wollte. „Bitte!" Eine Ewigkeit schien zu vergehen, ohne dass Rafael Cordoba etwas erwiderte. In seinen halb geschlossenen Augen konnte Serena sehen, wie er mit sich kämpfte. „Bitte!" wiederholte sie, obwohl sie schon ahnte, dass er ihr den Gefallen nicht tun würde. „Ich muss es wissen." Sein Seufzer verriet Verärgerung und Resignation. „Serena ...", sagte Rafael Cordoba schließlich. „Der Fahrer hat den Zusammenstoß nicht überlebt." „Nein!" Die Nachricht entsetzte Serena. „Wer war es denn? Kannte ich ihn?" Aber seine Miene verriet nichts mehr. „Das müssen Sie wissen." „So könnt ihr doch nicht mit mir umgehen!" Er blieb hart, half ihr nicht weiter.
Den Fahrer muss ich zumindest gekannt haben. Ich wäre doch nie mit einem Fremden gefahren." Sein Gesicht war maskenhaft starr. Das hätte ich nie getan!" meinte Serena, laut wiederholen zu müssen. „So eine Frau bin ich nicht." Rafael Cordoba zeigte keine Reaktion, aber irgendetwas an seinen Gesichtszügen und seiner Körperhaltung ließ sie zweifeln, dass er ihr das abnahm. „Sie glauben mir nicht?" Es hielt sie nicht länger im Bett. Sie stand auf, schnappte sich den halblangen Morgenmantel, zog ihn an und verknotete den Gürtel mit einer energischen Bewegung. So fühlte sie sich wohler. Sie konnte Rafael Cordoba jetzt immerhin fast auf gleicher Höhe in die Augen blicken. „Was erlauben Sie sich eigentlich? Was für ein Recht haben Sie. über mich zu urteilen, ohne mich - wie Sie sagen - zu kennen? Oder stimmt das gar nicht?" „Ich hatte Sie wirklich nicht gekannt, bevor ich Sie das erste Mal hier bewusstlos liegen sah." „Also, dann können Sie überhaupt nicht sagen, was ich zur Zeit des Unfalls getan habe und warum." Serena trat auf dem weichen Teppich von einem Fuß auf den anderen und wollte am liebsten gar nicht daran denken, wie er noch vor Tagen dagestanden und sie von seiner hohen Warte aus in ihrer Bewusstlosigkeit betrachtet hatte. Allein der Gedanke. dass seine kalten Adleraugen alles an ihr beurteilt, abgeschätzt hatten, während sie völlig hilflos war, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. „Sie wissen nichts von mir - also müssen Sie mir glauben, dass ich eine anständige Frau bin." „Vielleicht meinen Sie auch nur von sich ..." Rafael Cordoba verstummte, aber nicht schnell genug. Sie hatte natürlich verstanden, was er damit sagen wollte. „Was wollen Sie damit andeuten? Was verschweigen Sie mir?" Er wich ihrem Blick aus und wandte sich Tonio zu, der friedlich schlief. „Ich muss leider gehen", erklärte er und überhörte ihre besorgten Fragen einfach. „Tonio hat Hunger." „Nein, das können Sie mir nicht antun. Ich lasse Sie nicht gehen!" Der gleichgültige Blick, den Rafael Cordoba ihr zuwarf, sollte ausdrücken, dass er sehr wohl machen konnte, was er wollte.
Von ihr ließe er sich nicht daran hindern. Hatte sie wirklich kein Druckmittel in der Hand? Als er die Babytragetasche hochhob, eilte Serena zur Tür und verstellte ihm den Weg. „Ich meine es ernst!" verkündete sie und hoffte, dass er ihr nicht anmerkte, wie unsicher sie war. „Serena ..." Seine versteckte Warnung war nicht zu überhören. Serena wollte den Kampf trotzdem nicht so einfach aufgeben. „Nein, ich lasse Sie erst gehen, wenn Sie mir sagen, was Sie wissen. Es geht um mein Leben. Ich habe ein Recht darauf, alles zu erfahren!" Sein Mienenspiel zeigte ihr, dass sie mit ihren trotzigen Forderungen genau das Gegenteil erreichte. Schnell änderte sie ihre Taktik. „Rafael, bitte ...", schmeichelte sie. „Serena, lassen Sie das doch ..." Insgeheim zweifelte Serena daran, dass ihre Vorgehensweise richtig war. „Nein!" Energisch verdrängte sie die negativen Gedanken. Wenn sie ihn jetzt ohne Antwort gehen lassen würde, hätte sie eine entscheidende Chance vertan. Sie würde dann immer wieder den Kürzeren ziehen. „Bitte ... versuchen Sie doch, mich zu verstehen. Auch die Nächte habe ich wach gelegen und über das Vergessene gegrübelt, aber da ist nur eine große Leere, ein riesiges schwarzes Loch. Können Sie sich vorstellen, wie viel Angst mir das macht?" „Madre de Dios!" Rafael Cordoba setzte die Tragetasche wieder ab und fuhr sich ärgerlich durchs volle schwarze Haar. Serena konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Sie wusste, dass sie ihrem Ziel näher gekommen war. „Sie werden das noch bereuen." Das war keine Drohung, sondern nur eine kühle Feststellung. „Ich würde es ganz sicher bereuen, wenn ich jetzt nicht versuchen würde zu erfahren, was Sie mir verheimlichen. Es geht um meine Vergangenheit, um mein Leben." Rafael Cordoba reagierte mit einem weiteren heftigen Ausruf auf Spanisch. Dann gab er schließlich nach. „Also gut, Sie wollen es unbedingt wissen. Vielleicht ist es so in Ordnung. Das Alter, das Sie angegeben haben ..."
Stimmte das nicht? War ich viel länger bewusstlos?" "Nein, das nicht, aber ..." "Ich begreife nichts." "Sie haben der Ärztin ein falsches Alter genannt. Sie sind heute vierundzwanzig, nicht dreiundzwanzig Jahre alt und können sich nicht nur an einige Tage nicht mehr erinnern. Sie haben ein ganzes Jahr Ihres Lebens verloren."
3. KAPITEL Sie haben ein ganzes Jahr Ihres Lebens verloren. Ein Jahr Ihres Lebens. Ein ganzes Jahr. Rafael Cordobas Worte gingen Serena ständig im Kopf herum, da sie Zeit im Überfluss hatte. Sie konnte sich auf nichts anderes konzentrieren, nichts vermochte sie von den ständig wiederkehrenden Fragen abzulenken. Die ungeheuren Worte beherrschten ihr Denken und machten ihr panische Angst. Während der langen Nächte war alles noch quälender. Sie haben ein ganzes Jahr Ihres Lebens verloren. Wie konnte das nur geschehen? Wodurch waren dreihundert fünfundsechzig Tage einfach ausgelöscht worden? „Nein!" rief sie laut, um sich von den schrecklichen Gedanken zu befreien. Serena schwor sich insgeheim, vor dieser schlimmen Situation nicht zu kapitulieren. Mit der ihr zur Verfügung stehenden Kraft würde sie Widerstand leisten und daran arbeiten, dass die Erinnerungen eines Tages zurückkehrten, Dabei hatte sie kaum Anhaltspunkte. Ihre wenigen Habseligkeiten waren keine Hilfe . Die Kleidung, die sie beim Unfall getragen hatte, wäre - so hatte man ihr gesagt - unauffällige Dutzendware gewesen, und ihre Handtasche hätte lediglich ein Portemonnaie mit ein paar Pfund, ein Päckchen Papiertaschentücher und einen Schlüssel enthalten, kein Tagebuch, nicht eine einzige Adresse. Dr. Greene hatte ihr versichert, dass man ihr nichts vorenthalten hätte. „Das war alles, was man uns übergeben hat. Die Polizei hat den Ort in Yorkshire aufgesucht, den Sie uns genannt haben. Aber dabei ist nichts herausgekommen." „Keine Hilfe?" Die Ärztin schüttelte den Kopf und sah sie voller Mitgefühl an. „Tut mir Leid, nein. Es war nur ein Haus mit mehreren Studentenbuden. Die Personen, die mit Ihnen dort gelebt haben, sind
längst in alle Winde zerstreut." „Und Leanne?" An ihre beste Freundin aus der Studienzeit konnte Serena sich. erinnern. Ich ging ziemlich spät zur Universität. Meine Mutter hatte Krebs, und ich blieb zu Hause, um sie zu pflegen. Mit zweiund-zwanzig begann ich dann mein Studium. Ich war älter als die anderen. Feste Freundschaften schloss ich erst, als ich in die Alban Road zog. Dort traf ich auch Leanne." „Sagten Sie nicht, dass Leanne nach Australien ausgewandert ist?" „Ja, richtig, das wollte sie nach der Heirat mit einem australischen Arzt tun." Serena wusste noch genau, dass sie zur Hochzeit eingeladen worden war. Und sie hätte den großen Tag ihrer Freundin sicher um nichts in der Welt verpasst. Aber jetzt erinnerte sie sich an keine Einzelheit mehr. Es schien ihr, als hätte sie seit der Hochzeit ihr Gedächtnis verloren. „Jemanden in Australien finden zu wollen wäre wirklich wie die sprichwörtliche Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Ich hatte mal ihre neue Adresse. Wenn ich nur wüsste, wo die geblieben ist." Die musste dort sein, wo sie, Serena, nach ihrem Aufenthalt in Yorkshire gelebt hatte. Denn so viel war ihr klar geworden: Irgendetwas Besonderes, Schlimmes war geschehen, so dass sie ihr Studium abgebrochen hatte und ... Doch was war das gewesen? Serena lag wach in ihrem dunklen Zimmer. Mit ohnmächtiger Wut schlug sie auf ihr Kopfkissen ein. Eine Antwort fand sie nicht. „Was soll ich bloß tun?" Irgendetwas musste sie unternehmen. Ihre Verletzungen heilten gut, selbst die schlimmsten Prellungen verschwanden allmählich. Ein weiterer Aufenthalt im Krankenhaus war nicht mehr nötig. „Was das anbetrifft, da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen", meinte Dr. Greene und lächelte. „Mr. Cordoba wird schon für alles sorgen." „Also, was haben Sie mit mir vor?" Rafael Cordoba war an jenem Abend noch nicht einmal richtig zur Tür hereingekommen, als Serena ihm diese Frage entgegen-schleuderte. „Was ich mit Ihnen vorhabe? Meine liebe Miss Martin, wovon
reden Sie denn eigentlich?" „Sie wissen ganz genau, was ich meine" Sie stellte sich ihm herausfordernd entgegen. Ihre dunkelbraunen Augen blitzten, den Kopf hatte sie leicht gehoben. Ihre ganze Haltung verriet, dass sie seine eigenmächtige Handlungsweise ablehnte. Gleichzeitig stellte Serena erleichtert fest, dass Cordoba den kleinen Tonio nicht mitgebracht hatte. Der hätte sie sicher davon abgehalten, diese wichtige Frage zu stellen. „Außerdem bin ich nicht Ihre, liebe Miss Martin! Wie kommen Sie überhaupt dazu, einfach in mein Leben zu treten und das Kommando zu übernehmen?" „Können Sie mir mal genau erklären, was Sie damit meinen?“ Seine kühlen Worte machten sie genauso wütend wie der betont abschätzende Blick seiner leicht zusammengekniffenen Augen, mit dem er sie von oben bis unten betrachtete und den er kurz auf ihrer hellen Leinenhose und der cremefarbenen Bluse ruhen ließ. „Die Sachen stehen Ihnen wirklich ausgezeichnet." „Lenken Sie jetzt bitte nicht vom Thema ab!" fuhr sie ihn an. Gleichzeitig kam ihr in den Sinn, dass sie ohne Rafael Cordoba ja überhaupt nichts Schönes zum Anziehen hätte. „Wir sprechen über mein Leben. Sie können doch Schicksale von Menschen nicht wie Bilanzen behandeln und wie ein Buchhalter prüfen, ob bestimmte Investitionen sich rechnen, dann einen sauberen Schlussstrich ziehen - abgehandelt, erledigt ..." Sein Lächeln machte ihr klar, dass er das durchaus nicht lustig fand, und Serena schauderte leicht. „Wer, um alles in der Welt, hat Ihnen den Namen Serena gegeben, bei dem Naturell?" meinte er süffisant und setzte sich lässig in der Nähe des Fensters in einen Sessel. „Auf der anderen Seite hätte ich es erwarten müssen von ..." „Von wem?" hakte Serena nach, als er den Satz nicht zu Ende brachte und aufmerksam nach draußen schaute. „Von wem hätten Sie das erwarten müssen?"' Sie bedauerte sogleich ihren aufsässigen Ton, denn Rafael Cordoba blickte sie mit Eiseskälte an, „Von jemandem mit Ihrer Haarfarbe", erklärte er kurz angebunden. „Feuriges Haar, hitziges Temperament - so heißt es doch?" „Ich ...", begann sie entrüstet, verstummte jedoch, als er sie warnend anblickte, „Sie können es mir glauben, so bin ich sonst nicht. Ich bin im
Grunde ein sehr ausgeglichener Mensch. Aber Sie sollten mich nicht so ansehen!" herrschte sie ihn an, weil seine zweifelnde Miene signalisierte, dass er ihre Versicherungen infrage stellte. Ich lasse den Fall erst mal auf sich beruhen", murmelte er ein wenig zynisch. Sie bringen mich aus der Fassung, es ist Ihr Werk!" "Warum ist das so? Was meinen Sie?" "warum?" Serena schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht mehr weiter. Wie konnte es nur geschehen, dass ein Wort oder eine Geste von ihm ausreichte, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen? Das kannte sie nicht von sich. Aber wenn Rafael Cordoba in ihrer Nähe war, wurde sie unsicher und reagierte ängstlich auf seine jeweilige Stimmung, „Weil Sie ein höchst provozierender Mann sind, einer, wie ich vorher noch keinem begegnet bin. Und Ihr Benehmen ist - denke ich - nur eine übertriebene Reaktion auf die Tatsache, dass ich in Ihrem Auto verletzt wurde." „Ich bin es gewohnt, mich meinen Verantwortlichkeiten zu stellen." Wie bei Tonio, kam es ihr in den Sinn. Rafael Cordoba hatte nie vom Schicksal der Mutter des Kleinen gesprochen. Er wollte allerdings ganz eindeutig seinen Pflichten als Vater genügen. Hatte er die Frau vielleicht auch so überfahren, wie er es jetzt bei ihr tat? „Seinen Verpflichtungen gerecht zu werden ist eine Sache, eine andere ist es, sich dabei über andere Menschen hinwegzusetzen!" Sein übertriebenes Seufzen bewies, dass seine Geduld sich erschöpfte. „Haben Sie eigentlich vor, den Rest des Abends weiter so mit mir zu schimpfen?" fragte er gereizt. „Oder hätten Sie die Güte, mir zu erklären, was Sie derart aufregt?" „Ist das denn nicht klar? Mich regt ganz einfach auf. wie Sie meine Zukunft planen und davon ausgehen, dass ich zu allem Ja und Amen sage. Sie überlegen doch nur noch, ob Sie mir Ihre Pläne im Voraus mitteilen oder mich vor vollendete Tatsachen stellen sollen. Ist es nicht so?" Rafael Cordoba blieb kühl und sagte nichts. Der Blick seiner sonst so strahlenden Augen war ausdruckslos auf sie gerichtet. Wenn er sie so von oben herab betrachtete, hatte Serena das Ge fühl, als würde ein etwas gelangweilter und zugleich kritischer Vater ein trotziges Kind betrachten. Das machte sie nur noch wütender.
„So war es jedenfalls bisher. Ich hatte überhaupt keine Chance, allein zu entscheiden. Ich will jetzt wissen, was Sie mit mir vorhaben." „Ich dachte, dass Sie zu mir ziehen und so lange bei mir leben, bis Sie herausgefunden haben, was Sie machen wollen." „Was?" Sie konnte nicht glauben, was sie gehört hatte, und schüttelte nur den Kopf. „Bei Ihnen leben! Kommt gar nicht infrage!" „Was wollen Sie denn sonst tun?" Mit einer geschmeidigen Bewegung war Rafael Cordoba aufgesprungen. „Sie haben kein Geld, kein Zuhause und keine Möglichkeit, auf eigenen Beinen zu stehen ..." „Meinen Sie vielleicht, ich weiß das nicht?" „Was schlagen Sie also vor?" Da war er wieder, der unerbittliche „Untersuchungsbeamte". Unwillkürlich wich Serena einige Schritte vor seiner übermächtig erscheinenden Gestalt zurück, Gleichzeitig atmete sie jedoch seinen Duft ein - ein frisches, leichtes After Shave. All ihre Sinne waren plötzlich geschärft, und sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. „Ich weiß es nicht", antwortete sie ausweichend. „Also, warum kommen Sie dann nicht zu mir, bis Sie eine Lö sung gefunden haben?" „Das wissen Sie genau!" „Ich muss Sie schon bitten, mich darüber aufzuklären“ Je aufgebrachter und verzweifelter sie wurde, umso gelassener schien Rafael Cordoba zu sein. Schließlich hatte sie das Gefühl, sie würde gegen eine Mauer anrennen. „Ich weiß genau, was in Ihrem Kopf vorgeht!“ „Jetzt sind Sie auch noch Gedankenleserin! Dann sagen Sie mir doch, was ich von Ihnen will, Miss Martin." „Ich ... Sie ..." Serena rang nach Worten. Er musste doch verstehen, was sie meinte. . Merkte er wirklich nicht, was sich zwischen ihnen abspielte? Hatte er kein Gespür für die sich stetig steigernde Spannung, die geradezu nach einer heftigen Entladung verlangte? In seinem Haus würde dies natürlich viel eher geschehen. Allein der Gedanke daran erregte sie noch mehr. „Sagen Sie mir jetzt, was Sie meinen?" forderte Rafael Cordoba sie scharf auf. „Oder wollen Sie den ganzen Tag so dastehen und vage Äußerungen von sich geben, ohne den Mut zur Ehrlich
keit zu haben? Das brachte Serena in Fahrt. „Ich meine, dass Sie sich vor allem für meinen Körper interessieren!“ Damit war es endlich heraus, und sie wurde noch mutiger. „Dass Sie mit mir schlafen wollen. Ihr Blick verrät das ganz deutlich wenn Sie sich unbeobachtet fühlen. Sagen Sie jetzt bloß nicht, das sei alles nur Einbildung ..." „Ich denke nicht im Traum daran", unterbrach er sie kühl, was ihr den Atem verschlug. „Weshalb sollte ich leugnen, was ganz eindeutig ist? Das wäre doch total widersinnig." Sein heiserer, sinnlicher Tonfall ging ihr durch und durch. „Ich werde das gar nicht erst versuchen." Plötzlich stand Rafael Cordoba direkt vor ihr, Seine Größe und spürbare Stärke beeindruckten sie so, dass Serena kaum noch zu atmen vermochte. Wenn sie wollte, könnte sie ihn berühren, könnte seine warme, samtene Haut mit den Fingerspitzen spüren und die Hände durch sein glänzendes schwarzes Haar gleiten lassen. Wenn sie es wollte! Sie musste bei dem Gedanken fast lachen. Und wie sie es wollte! Ihr Herz schmerzte vor Verlangen. Aber sie wagte es nicht, ihrem Verlangen nachzugeben. Etwas in ihr sagte, dass die Folgen verheerend wären. Das käme einem Spiel mit dem Feuer gleich, das sich nicht mehr eindämmen ließe und ihr ganzes bisheriges Leben infrage stellte. „Sie sind sehr schön, Serena Martin. So schön, dass ich mich nach Ihnen verzehre. Vom ersten Moment an hatte ich nur einen Gedanken …" „Einen Gedanken?" konnte Serena nur wiederholen, denn ihr Verstand schien nicht mehr zu funktionieren. „Seit dem Moment, als ich Sie im Krankenhausbett liegen sah, wusste ich, dass ich nicht eher ruhen könnte, bis ich Sie in den Armen halten und küssen würde." Noch während er das sagte, legte Rafael Cordoba die Arme um sie und zog sie an sich. Wie in Trance schmiegte sie sich an ihn, als wäre das immer schon ihre Bestimmung gewesen. Als er sich zu ihr hinunterbeugte, bot sie ihm ganz selbstverständlich die Lippen zum Kuss. Sein Kuss war nicht sanft. Er war herrisch und fordernd, wie eine alles verzehrende Flamme. So, als hätte Rafael Cordoba das Recht, wie ein Eroberer in die Tiefe ihrer Seele einzudringen. Serena stieß einen rauen Schrei aus, als sie ihm, leicht schwan
kend, die Arme um den Nacken legte. Berauschende Gefühle durchfluteten sie, löschten jeden klaren Gedanken aus. Sie war so erregt, sehnte sich nach seiner Berührung. Ihr ganzes Sein strebte nach liebevoller Vereinigung mit diesem Mann, der sie so magisch anzog. Verlangend umfasste Rafael Cordoba ihre Hüften, presste Serena eng an sich, und sie spürte seine leidenschaftliche Begierde. Sie stellte sich vor, dass sie diesen Mann schrittweise zum apri cotfarben bezogenen Bett ziehen, mit ihm darauf sinken und sein Gewicht genüsslich auf sich spüren würde. Sie würden sich darin gegenseitig ungeduldig und wild die Sachen vom Leib zerren, um endlich ... Ehe Serena ihrer Fantasie noch weiter freien Lauf lassen konnte, hatte Rafael Cordoba schon angefangen, ihre Träume wahr zu machen. Seine gebräunten Hände hatten ihr T-Shirt hochgeschoben, sie glitten weiter langsam nach oben und hinterließen feurige Spuren auf ihrer Haut. Die Wirklichkeit war noch weit beglückender, als Serena es sich hatte ausmalen können. Ihr Herz raste wie im Fieber, und sie geriet in Ekstase, als seine Hände endlich ihre Brüste umfingen und sanft liebkosten. „Rafael..." Mit einem weiteren heftigen Kuss verschloss er ihr den Mund. Serena riss ungeduldig sein Hemd auf und genoss es, seine Brust unter ihren Händen zu spüren. Als er ihre Brüste erneut umfasste, stöhnte sie vor Lust. Ihr Stöhnen steigerte sich noch, als seine Daumen ihre Spitzen umkreisten und sie zur Ekstase trieben. Sie hatte ihre Umgebung völlig vergessen. Erst als sie durch die offene Tür eine Stimme hörte, kam sie wieder etwas zur Besinnung. „Ich glaube, Mr. Cordoba ist gerade drinnen." Rafael schreckte auf wie ein überraschtes Raubtier. Seine Muskeln waren angespannt, sein Atem ging ungleichmäßig, und er lauschte angespannt. Erst als sich die Stimme wieder entfernte, wurde er etwas lockerer, blickte ihr, Serena, in die Augen und verzog reumütig und amüsiert zugleich den Mund. „Dies ist nicht der richtige Ort für uns.“ Er löste sich von ihr und knöpfte sein Hemd wieder zu. Er war wie umgewandelt. Aus dem glühenden Liebhaber war wieder ein distanzierter Geschäftsmann geworden - ein Schock für Serena. „Rafael ...", begann sie. Aber seine herrische Art ließ sie auf
der Stelle erschreckt verstummen. „Nicht hier und nicht jetzt", fuhr Rafael sie an, und ihr schien es als ginge eine kalte Dusche auf sie nieder. „Überhaupt nie mehr, wenn ich vernünftig bin." Sie stand wie vom Donner gerührt da und vermochte nicht zu glauben, was sie gehört hatte. Ihre Erregung wich herber Enttäuschung und Frust. Serena schien es, als hätte sie nach den Sternen gegriffen. „Jetzt nicht?" Das „nie mehr" brachte sie nicht über die Lip pen. „Miss Martin ... Serena ..." Rafael schien sich im Handumdrehen völlig im Griff zu haben. Sein Äußeres war nahezu wieder perfekt. Kaum eine Spur der leidenschaftlichen Umarmung war bei ihm noch zu entdecken, selbst das bisschen Lippenstift an seinem Mund hatte er entfernt. „Entschuldige. Das hätte nicht passieren dürfen. Ich möchte mich für mein Benehmen entschuldigen." Seine Förmlichkeit war wie ein Schlag ins Gesicht, für Serena. Sie hatte einen schalen Geschmack im Mund, und ihr Magen rebellierte leicht. Wie konnte Rafael so etwas Wunderbares innerhalb von Sekunden zu einem großen Fehler erklären? „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen ..." Ihr Tonfall ähnelte seinem jetzt ebenso wie ihre Haltung. Auch sie schuf Distanz zu ihm, glättete ihre Kleidung und strich sich übers Haar. „Du hast mich zu nichts gezwungen. Ich wusste genau, was ich tue." „Serena!" Rafael war wütend. „Ein ganzes Jahr fehlt dir in deinem Gedächtnis. Wer weiß, was da alles passiert ist und mit wem du zusammen warst. Du kannst erst Entscheidungen für die Zukunft treffen, wenn du dich daran erinnerst." „Mit wem ich zusammen war - hast du irgendwelche Informationen?" Doch er blieb stumm und verschlossen. „Und wenn du etwas wüsstest, würdest du mir nichts sagen, das ist mir schon klar", fuhr sie niedergeschlagen fort. „Ich hätte dich nicht berühren dürfen." „Auch wenn ich es dir erlaubt hätte?" Mit einem energischen Kopfschütteln nahm er ihr jede Hoffnung. „Zwischen uns darf es nichts geben, solange dein Gedächtnis so lückenhaft ist." Ganz kalt sagte er das. „Gar nichts." „Dann möchtest du also nicht, dass ich zu dir komme?"
„Im Gegenteil. Meinen ersten Plan halte ich immer noch für den besten." „Deinen ersten Plan? Aber wenn du nicht mit mir..." Zornig blickte er sie an. „Hast du denn wirklich geglaubt, das sei der Grund gewesen, warum ich dich eingeladen habe, zu mir zu kommen?" Jetzt war er ein richtiger Spanier. Arrogant und stolz wie ein Matador. Mit erhobenem Kopf und entschlossenen Gesichtszügen wies er ihre Unterstellungen zurück. Serena war sich bewusst, dass sie ihn beleidigt hatte. Deutlich spürte sie, wie er in nerlich auf Abstand ging. „Es tut mir Leid ...", fing sie an. Aber er unterbrach sie mit einer brüsken Geste. „Daran habe ich nicht gedacht. Ich dachte an Tonio ..." „Was, in aller Welt, hat Tonio damit zu tun?" „Sehr viel", fuhr Rafael sie an. „Ich bin Geschäftsmann, Serena. Ich bin in ganz Europa tätig, habe viel zu tun und muss ständig abrufbereit sein. Und Tonio braucht eine Bezugsperson." Endlich begriff sie, was er meinte, „Jemanden wie mich." Er nickte nur kurz. „Du willst mich also als Kindermädchen anstellen ..." Ihre Stimme bebte. Serena wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, und hielt mit Mühe die Tränen zurück. Das also hatte er im Sinn gehabt. Wie hatte sie nur so naiv sein können zu glauben, er meinte sie und wollte sie bei sich haben? Ganz nüchtern hatte er lediglich, eine Lösung für seine und ihre Probleme gesucht. Sie sollte Tonio betreuen und bekam dafür freie Kost und Logis. Alles andere war Nebensache. „Ich habe aber keine Ahnung, wie man mit Babys umgeht!" „Das kann man lernen", schmetterte er ihren Einwand einfach ab, „Ich habe doch gesehen, wie liebevoll du den Kleinen angesehen hast. Ich wünsche mir eine Betreuerin, die ihn wirklich gern hat und die Arbeit nicht nur als Job auffasst." Jemanden, der kein eigenes Zuhause hat, dachte Serena bitter und vermied es, Rafael anzublicken. Sie wusste nicht, wohin sie gehen sollte, und das nutzte er rücksichtslos aus. Er hatte sie in der Hand. Dann dachte sie an Tonio, an seine hellwachen Augen und wie er ihren Finger umfasst hatte, und sie spürte, dass sie ihn lieb hatte. Das Baby war Rafaels Trumpfkarte. Er hatte gemerkt, dass sie
das mutterlose Kind ins Herz geschlossen hatte und es nicht einfach seinem Schicksal überlassen konnte. Du brauchst ein Zuhause, wo du dich erholen kannst, und Tonio braucht eine Betreuerin. Ich habe genug Platz in meinem Haus. Es ist eine Haushälterin da, die dir Gesellschaft leistet, wenn du willst. Du bekommst ein bescheidenes Gehalt, Allen ist somit gedient." Das hört sich nicht schlecht an." Zufrieden war sie mit diesem so vernünftig scheinenden Angebot trotzdem nicht. Gestern noch, bevor er sie in die Arme genommen und geküsst und damit ihre Beziehung völlig verändert hatte, wäre es ihr vielleicht sehr willkommen gewesen. Aber das war nun geschehen und hatte große Hoffnungen in ihr geweckt. Was er ihr nun anbot, entsprach nicht mehr ihren wirklichen Wünschen. „Bist du einverstanden?" Hatte sie denn eine Wahl? „Serena?" Rafael forderte eine sofortige Entscheidung. Langsam und widerstrebend willigte sie ein; „Ja, ich bin ein verstanden." Mit einem kurzen Nicken gab er ihr zu verstehen, dass er diese Antwort erwartet hatte. Dann sah er auf seine Uhr. „Ich muss jetzt gehen", sagte er mit zufriedener Miene, wobei er in Gedanken offenbar schon woanders war. „Ich werde morgen früh zu rück sein. Dr. Greene meinte, sie könnte dich morgen entlassen. Also, bis gegen halb elf?" „Halb elf, okay." Rafael wandte sich zur Tür. Da vermochte Serena sich nicht mehr zu beherrschen. Ihre Gefühle brachen sich Bahn, und ungestüm rief sie: „Rafael!" Er blieb sofort stehen und drehte sich um. „Was gibt es?" „Du hast gesagt, dass nichts zwischen uns sein könnte, solange mir meine Vergangenheit verborgen bliebe ... Was wird sein, wenn sich die Erinnerung wieder einstellt?" Rafael atmete tief ein. Eine Pause entstand, und das Herz klopfte Serena bis zum Hals. „Wenn das geschieht, wird alles anders sein. In dem Fall werden alle Abmachungen null und nichtig sein", erwiderte er ruhig, den Blick unverwandt auf sie gerichtet.
4. KAPITEL Für Serena war es fast wie in einem Märchen, als sie aus ihrem Schlafzimmerfenster blickte. Der Kontrast zum Krankenhaus hätte nicht größer sein können. In diesem Haus könnte man problemlos eine zwölfköpfige Familie mit einer Schar von Kindermädchen unterbringen, Nach allen Seiten hin erstreckten sich große Gärten. Es war kaum zu glauben, dass London nur wenige Autominuten entfernt lag. Dabei war dies nur Rafaels Wohnsitz in England, sein Aufenthaltsort, wenn die Geschäfte ihn nach England riefen. Wie kam sie, Serena Martin, eine junge Frau aus den Yorkshire Dales, die eigentlich Geschichte studieren und unterrichten wollte, dazu, hier mit einem spanischen Millionär als Kindermädchen zu le ben? „Wie ich dir schon sagte, brauche ich jemand, der sich um Tonio kümmert", hatte er ihr während der Hinfahrt ungeduldig erklärt. „Alle Ausbildungsnachweise der Welt sind nichts wert, wenn die Zuneigung fehlt. Es gibt genug abschreckende Beispiele, und ich vertraue meinem gesunden Menschenverstand." „Und wie beurteilst du mich? Was kann ich deinem Sohn bieten?" „Zwei Arme, die ihn sicher halten, eine sanfte Stimme, die ihn beruhigt, wenn er schreit, die Fähigkeit, ihn abzulenken, wenn er unruhig ist..." „Das kann jede Frau! Warum muss ausgerechnet ich es sein?" „Soll das heißen, dass du den Job nicht willst?" fragte Rafael scharf. „Nein, das meine ich nicht. Ich möchte nur wissen, warum du so eindeutig mir den Vorzug gibst ..." Als sie die Doppeldeutigkeit ihrer Worte erkannte und das bekannte Blitzen in seinen Augen wahrnahm, verstummte Serena. Außerdem trat Rafael in diesem Moment das Gaspedal durch, so dass sie in ihren Sitz gedrückt wurde.
„Du passt zu mir, Serena Martin", sagte er dann ruhig, während der Motor aufheulte. „Und ich meine, du passt auch zu Tonio." Plötzlich kam ihr ein Gedanke, und verwirrt wandte sie sich Rafael zu. „Woher wusstest du überhaupt von dem Unfall? Hat man dich in Spanien benachrichtigt?" „Ich war doch bereits auf dem Weg nach England." Sein Gesicht wirkte angespannt und streng - für sie eine Warnung dass sie wieder die Grenze überschritten hatte. „Ich hatte an dem Tag ein wichtiges Treffen hier, und habe bei meiner Ankunft die Polizei angetroffen ..." Er schaltete ganz plötzlich und so heftig, dass das Getriebe knirschte, und fluchte laut auf Spanisch. „Mein Auto hatte Totalschaden, und du hast im Krankenhaus gelegen, von aller Welt verlassen." „Wetten, dass dir das gefallen hat?" Serena flüchtete sich in Flapsigkeit, um zu verbergen, dass ihr noch immer ein kalter Schauer den Rücken hinunterlief, wenn sie daran dachte, wie er sie in ihrer Bewusstlosigkeit gesehen hatte. „Ich habe schon bessere Tage erlebt", erwiderte er beherrscht. „Ich … Was ist mit dir?" fragte er dann, als er merkte, wie sie das Gesicht mit den Händen bedeckte und entsetzt aufstöhnte. „Ich denke gerade an den Mann, der das Auto gefahren hat. Du sagtest, er sei tot. Hätte ich denn zu seiner Beerdigung gehen oder Blumen schicken sollen, vielleicht meine Anteilnahme ausdrücken ...?" „Die Trauerfeier fand fünf Tage nach dem Unfall statt", antwortete er eisig und kurz angebunden, denn er schien sich aufs Autofahren zu konzentrieren. „Zu jener Zeit konntest du gar nichts unternehmen. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen. dass seine Familie dich gern gesehen oder etwas von dir gehört hätte." Erneut wurde ihr klar, dass Rafael viel mehr über sie wusste, als er zuzugeben bereit war. Die Vorstellung quälte sie, dass sie nicht selbst über ihr Leben bestimmen konnte und dieser Mann über etwas verfügte, das ihr nicht zugänglich war. „Aber warum? War etwas geschehen, womit ich sie beleidigt hatte?" Serena konnte sich gut daran erinnern, dass Rafael im Krankenhaus einmal eine Bemerkung gemacht hatte, die ihre Integrität infrage stellte. Das beschäftigte sie noch immer. „Du willst doch nicht behaupten, dass ich mit ihm eine Affäre hatte, oder? Ich hätte nicht... Rafael, sag mir bitte, dass er nicht
verheiratet war." „Wäre das Gegenteil schlimm für dich?" „Natürlich. Ich würde doch nie eine Beziehung zu einem ver heirateten Mann eingehen - zumindest ..." Voller Panik dachte sie daran, dass sie über einen gewissen Zeitabschnitt noch nicht die Verantwortung übernehmen konnte. „Gedächtnisschwund kann auch vorsätzlich herbeigeführt werden", hatte Dr. Greene ihr einmal gesagt. „Es kommt vor, dass gewisse Patienten Erinnerungen ausblenden, die für sie sonst unerträglich wären." „Nein, das würde ich nicht tun, nicht mit einem verheirateten Mann." Lange Zeit schien es. als wollte Rafael nicht antworten, als müsste er seine ganze Aufmerksamkeit auf den Verkehr richten. Endlich schüttelte er langsam den Kopf. „Nein, er war wirklich nicht verheiratet." „Dem Himmel sei Dank." Serena versuchte sich zu entspannen, konnte aber gleichzeitig nicht vergessen, dass er nur die halbe Wahrheit preisgegeben hatte. Welches Verhältnis hatte sie denn nun zu dem Fahrer gehabt? Das würde sie jetzt sicherlich nicht erfahren. Rafael hatte offenbar die feste Absicht, sich an die Anweisung der Ärzte zu halten. Mehr als die wenigen Andeutungen, die sie bisher erhalten hatte, würde sie nicht bekommen. Weiteres Drängen nützte nichts. Schließlich bog er in die Auffahrt zu einem herrschaftlichen Anwesen ein. „Hier ist es?" Sie blickte sich erstaunt um. „Du liebe Güte, das ist ja eine riesige Anlage!" Riesig und bedrohlich zugleich, dachte sie dabei. Aber nicht das schöne, imposante, mit Efeu bewachsene Ge bäude machte ihr Angst, sondern eine Vorstellung, die sie damit in Verbindung brachte. Es war wie eine dunkle Vorahnung von etwas, das sie noch nicht erfassen konnte. Serena wurde dieses Gefühl, das durch Rafaels Reserviertheit noch verstärkt wurde, für den Rest des Tages nicht mehr los. Ablenkung fand sie erst, als sie Tonio füttern und baden musste. Das Baden war für sie und Tonio ein absolutes Vergnügen. Er genoss es in vollen Zügen und planschte so wild, dass sie bald genauso nass war wie er. „Wer badet hier eigentlich wen?" fragte Rafael beiläufig, als er sie beide bei einem lustigen Versteckspiel überraschte. „Du hättest auch gleich zu ihm ins Wasser steigen können."
„Das bisschen Nässe ist doch nicht tragisch", erwiderte Serena, während sie Tonio aus der Wanne nahm und in ein flauschiges Badetuch wickelte. Rafael blickte zwar ein wenig skeptisch auf die Wasserlachen im Badezimmer, aber sie stellte erfreut fest, dass seine Stimmung besser geworden war. „Ich würde gern etwas mehr über diesen Kleinen erfahren", sagte sie, während sie den zappelnden Tonio abtrocknete. „Wenn ich mich mit ihm beschäftigen soll, muss ich doch etwas über ihn wissen. Wie alt ist er denn?" „Fast zwölf Wochen alt. Er wurde am neunten Juni geboren.“ "So jung ist er?" Erschüttert sah sie den kleinen Knirps auf ihrem Schoß an. Wie hatte seine Mutter ihn nur weggeben können? Wie erging es ihr wohl damit? Und wie hatte Rafael das alleinige Sorgerecht erhalten? Das bekam doch normalerweise eher die Mutter! „Was bedrückt dich?" fragte Rafael, der sie beobachtet hatte. „Es ist schon eine ziemliche Verantwortung, so ein kleines Kind zu betreuen", erklärte Serena und vermied es, ihm direkt in die Augen zu blicken. Sie beschäftigte sich mit Tonio und brachte ihn zum Lachen, um ihre wirklichen Gedanken zu verbergen. „Daran wirst du dich bald gewöhnen. Zurzeit isst und schläft er nur. Du hast nichts weiter zu tun, als ihn zu beruhigen, wenn er schreit, und ihm die Flasche zu geben." „Hat er ein Lieblingsspielzeug?" Rafael nickte. „Ja, das ist Conejo." „Wie bitte?" „Conejo." Er lächelte schalkhaft, und für einen Moment sah er um Jahre jünger aus, fast jungenhaft. Es rührte Serena an. So musste er mit ungefähr zehn Jahren ausgesehen haben. Wie ein kleiner Teufel und doch verletzlich. Einfach unwiderstehlich. In etlichen Jahren würde Tonio ihm ähneln. „Wer oder was ist Conejo?" Sie brachte die Frage kaum über die Lippen, denn sein Lächeln hatte sie völlig aus der Fassung gebracht. >,Ein ziemlich hässliches handgestricktes Häschen, das Tonio abgöttisch liebt. Es muss in seinem Bettchen sein, sonst ist an Schlaf nicht zu denken." „Ich werde es mir merken. Ist ‚Conejo' das spanische Wort für ‚Hase’?" Ob die Mutter Spanierin war? „Genau. Gib ihn mir, wenn du mit ihm fertig bist, ich werde
ihn dann anziehen." Das war ein Befehl, keine Bitte, und Serena blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Nur ungern übergab sie den Kleinen Rafael. Zu sehr hatte sie Gefallen gefunden an dem weichen, vom Bad rosigen Baby, an seinem sauberen Duft. Ohne das kleine, stämmige Kerlchen fühlte sie sich ziemlich verlassen. „Du machst das sehr gut", bemerkte sie, als sie zusah, wie Rafael dem quirligen Tonio den marineblauen Schlafanzug überstreifte. „Das könnte nicht jeder." Einmal mehr entspannten sich seine Gesichtszüge. Er lächelte versonnen. „Ich wollte immer Kinder haben. Meine Eltern sind noch verrückter nach Tonio." „Das würde allen Großeltern so gehen. Warum hast du ihn nicht bei ihnen gelassen?" „Ich wollte ihn bei mir haben." Rafael hatte den Kleinen fertig angezogen, hob ihn hoch und wandte sich zur Tür. „Zeit zum Schlafen, gatito." Sie hatten Tonio gerade in sein Bettchen gelegt, da überkam Serena wieder das Gefühl, das sie von ihrer Ankunft her kannte. Sie musste darüber sprechen. „War ich schon einmal in diesem Haus?" fragte sie verzagt. „Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht", erwiderte Rafael, als er den skeptischen Ausdruck in ihren Augen sah. „Und wenn ich es wüsste, würde ich es dir nicht sagen. Du weißt, wa rum." ,,Ja, ja, ich weiß ... ärztliche Anweisungen ...", bemerkte sie sarkastisch. „Es ist immer die gleiche Leier, richtig papageienhaft ..." Sie verstummte, als er sich umdrehte, mit düsterem Blick und zusammengepressten Lippen. „Genau, ärztliche Anordnungen!" fuhr er sie an. „Nur bin ich kein Papagei, der alles nachplappert. In diesem Fall stehe ich voll) auf Dr. Greenes Seite." „Wirklich?" Er nickte entschieden. „Es ist einfach besser, darauf zu vertrauen, dass die Zeit dir helfen wird. Dabei darf nichts überstürzt werden. Du wirst dich an alles erinnern können, wenn du dafür bereit bist. Das ist deine Hauptaufgabe in diesem Haus." Skeptisch blickte sie ihn an, und Rafael reagierte gereizt. „Zum Teufel, Serena! Warum nimmst du von mir immer nur das Schlechteste an? Dass ich ,.."
„Anders kann ich mir das alles nicht zusammenreimen. Was du getan hast, tut man normalerweise nicht. Man liest nicht irgendeine Frau von der Straße auf, nimmt sie mit nach Hause, ohne dass ..." „Ohne dass?" Seine Stimme verriet, dass er langsam die Geduld verlor. „Was meinst du denn, warum ich das getan habe? Denkst du, ich will dich als Gefangene halten und an einen Frauenhändler verschachern? " „Jetzt ziehst du es ins Lächerliche. Natürlich nicht." Vielleicht ist aber doch etwas dran, dachte Serena. Was wusste sie eigentlich von Rafael? Geschwächt durch ihren Unfall, war sie ihm blind hierher gefolgt. Ich dachte mehr an die Probleme, die ich anderen bereiten könnte, weil ich nicht weiß, was geschehen ist. Wie es das Beispiel mit dem Fahrer des Unfallwagens zeigt, wo ich möglicherweise die Gefühle anderer Menschen hätte verletzen können." Rafael schwieg eine Weile und betrachtete sie abschätzend, und sie kam sich vor wie auf dem Prüfstand. „Wenn dir das wirklich Sorgen bereitet, kann ich dir versichern, dass es nicht eintreten wird." „Ganz bestimmt nicht? Ist das ein Versprechen?" Serena versuchte, die Unsicherheit, die sein abschätzender Blick in ihr ausgelöst hatte, durch selbstsicheres Auftreten zu überspielen, wich allerdings zurück, als Rafael auf sie zukam. Aber er umfasste rasch ihr Handgelenk und hielt sie mühelos fest. „Das schwöre ich bei allem, was mir heilig ist", erklärte er mit tiefer, fester Stimme. „Wenn du willst, schwöre ich es auch bei meinem guten Namen oder dem meiner Familie." „Das klingt wirklich so, als könntest du das Versprechen halten." „Solange du in meinem Haus bist und mir vertraust, wirst du niemanden in irgendeiner Weise durch irgendetwas verletzen können, was in Zusammenhang mit dem Unfall steht. Ich werde stets als Vermittler zwischen dir und der Umwelt auftreten. Und wenn ich mein Versprechen nicht mehr halten kann, werde ich dir alles sagen, was ich weiß, und mich dann aus deinem Leben verabschieden." „Das ist in der Tat ein Versprechen. Und glaubst du wirklich, dass du dazu in der Lage bist?" „Ich bin mir sicher. Abgemacht, Miss Martin?" Was blieb ihr anderes übrig, als Rafael zu vertrauen? Es gab
sonst niemanden, der die Folgen ihrer Amnesie mit ihr tragen würde. Also legte Serena die Hand in seine und schob ihre Zweifel beiseite. „Abgemacht, Mr. Cordoba", erwiderte sie mit bebender Stimme und erschauerte leicht, weil sie nach wie vor unsicher und verwirrt war. Warum hatte sie zugestimmt? Hatte sie nicht ihre ganze Zukunft, ihr Leben in Rafael Cordobas Hände gelegt, ohne sicher zu sein, dass er auf ihrer Seite war?
5. KAPITEL „Serena!" Serena schrak zusammen, und es kostete sie einige Mühe, aus ihren Tagträumen wieder in die Realität zurückzufinden. „Serena? Bist du da?" Das war typisch Rafael. Selbst eine Frage konnte bei ihm noch wie ein Kommando klingen. Wie gern hätte sie sich taub gestellt oder ihn glatt ignoriert. Sie wollte Zeit für sich haben, allein sein und ihren Gedanken nachhängen. Sie hatte keine Lust zu sprechen, am wenigsten mit dem Mann, der sie hierher gebracht und sie so verwirrt hatte, dass sie schon nervös wurde, wenn sie nur an ihn dachte. Ihr Herz pochte sofort schneller. Das nachdrückliche Klopfen und das Rütteln an der Türklinke bewiesen, dass Rafael nicht länger hingehalten werden wollte. Serena ahnte, dass er es fertig bringen könnte, die Tür aufzubrechen. „Serena!" „Ich komme ja schon", rief sie. „Warum machst du nicht schneller auf? Hast du mein Klopfen nicht gehört?" Er stürmte wie ein Eroberer durch die geöffnete Tür. „Doch, es war nicht zu überhören!" erwiderte sie. „Selbst die Nachbarn, die fünf Meilen entfernt wohnen, werden es vernommen haben. Du kannst von Glück reden, dass du Tonio mit deinem Krach nicht aufgeweckt hast." „Der schläft fest", tat Rafael ihren Ärger mit einer Lässigkeit ab, die sie noch wütender machte. „Gibt es einen Grund für diese Invasion?" „Weißt du, wie spät es ist?" Er hielt ihr seine goldene Armbanduhr vors Gesicht. Serena begriff nichts, denn in seiner Nähe konnte sie nicht mehr klar denken. Sein Erscheinen verwirrte sie jedes Mal und
machte sie hochgradig nervös. Auch jetzt war sie fasziniert von seiner großen, kräftigen Gestalt. Rafael hatte sich für den Abend umgezogen, und der schwarze Leinenanzug unterstrich seine männliche Ausstrahlung so sehr dass ihre Gedanken auf Abwege gerieten. Sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Er hatte ganz offensichtlich gerade geduscht und duftete herrlich. Jede Bewegung seiner feingliedrigen Hände steigerte ihre Erregung. Wie gern hätte sie mit den Fingerspitzen seine markanten Handrücken berührt! „Wie spät ist es denn?" brachte Serena hervor. „Es ist Viertel nach acht", erwiderte er ungeduldig. „Seit über zehn Minuten ist das Abendessen fertig." Schwach erinnerte sie sich, dass er gesagt hatte, sie solle ihm dabei Gesellschaft leisten. „Du meinst doch nicht im Ernst, dass ich mit dir essen soll? Die Hausangestellten sind ..." „Dazu gehörst du nicht!" „Nicht? Dann möchte ich genau wissen, was ich hier bin." „Du bist ein Gast ..." „Ein Gast? Ich dachte, ich wäre als Tonios Betreuerin angestellt. Würdest du bei einem Gast einfach so ins Zimmer eindringen, wie du es bei mir getan hast?" „Serena", erklärte Rafael übertrieben geduldig, „du hast dich gerade von einem schweren Unfall erholt. Da ist es doch einleuchtend, dass ich mir Sorgen mache, wenn du nicht zum Essen kommst. Es hätte dir ja etwas passiert sein können." Er ließ den Blick seiner goldfarbenen Augen über sie gleiten, erfasste die Blässe ihrer Wangen, die in krassem Gegensatz zu ihrer kräftigen Haarfarbe stand. „Du bist sehr blass. Geht es dir auch gut? Keine Kopfschmerzen oder Sehstörungen?" „Danke, es geht mir gut." Rafael schien ihr nicht recht zu glauben. „Ganz sicher! Es tut mir Leid, wenn ich dich beunruhigt habe. Ich muss nur so viele Eindrücke verarbeiten, mich an so viele neue Dinge gewöhnen. Ich brauche einfach Zeit. Aber wenn du es unbedingt wissen willst, ich habe gerade mal wieder krampfhaft versucht, mich zu erinnern." Sie hatte sich in der Tat jedes kleinste Detail ins Gedächtnis zurückgerufen in der Hoffnung, es würde sich zu einem Ganzen fügen. „So wirst du nicht weiterkommen ..." „Du meinst, es sei reine Zeitverschwendung? Ich muss es doch
immer wieder versuchen! Würdest du dich denn anders verhalten,
wenn es um dein Leben ginge?"
Eine geraume Zeit überlegte er und kniff dabei die goldfarbe-
en zusammen. Dann schüttelte er den Kopf.
"Nein", gab er zu. "Ich würde das Gleiche tun. Aber du solltest
zu lange darüber brüten. Verdränge das Problem mal. Dusch dich, zieh dich um - und komm zum Essen." Sich umziehen. Erst jetzt bemerkte Serena, wie fein er sich gemacht hatte. Aber ..- ich habe nichts Passendes." Ein wenig ungehalten ging Rafael zum Kleiderschrank und öffnete ihn. „Und was ist das hier? Alles Sachen für den Flohmarkt Serena brauchte einige Sekunden, um sich zu fangen. „Ich dachte, die Kleider gehörten deiner ... Tonios Mutter ..." Wenn du Elena meinst, wir waren nicht verheiratet. Sie ist nie in England gewesen, nie in diesem Haus." Dann ..." Langsam begriff sie die Situation. „Du meinst doch nicht...?" „Aber natürlich", erwiderte er sanft und beobachtete dabei genau ihr Mienenspiel. „Sie können nicht für mich sein." "Warum nicht?" „Ich ... Nein!" Sie schüttelte heftig den Kopf. „Nein, kommt nicht infrage. Ich werde das nicht annehmen!" „Aber ich habe sie extra für dich gekauft." „Dann bring sie wieder zurück. Als Geschäftsmann hast du sicher die Quittungen aufbewahrt. Du hättest nie ..." „Gefallen dir die Sachen nicht? Möchtest du andere haben?" „Sie gefallen mir schon!" Als sie sie das erste Mal im Schrank gesehen hatte, war sie ganz hingerissen gewesen von den Farben, Stoffen und Schnitten. Sie war neidisch gewesen auf die Frau, die eine so tolle Garderobe besaß. Jetzt konnte sie kaum fassen, dass Rafael diese schönen Kleider nur für sie ausgesucht hatte. „Wo also liegt das Problem, Liebes?" Trotz der offensichtlich liebevollen Anrede blickte Serena ihn wütend an. „Das Problem sind Sie, Mr. Cordoba! Du und die Art, wie du in mein Leben eindringst und das Kommando übernimmst. Seitdem ich in der Klinik das Bewusstsein wiedererlangt habe, bist du
ganz versessen darauf, alles nach deinem Geschmack zu regeln ohne auch nur nach meinen Vorstellungen zu fragen." „Magst du keine Kleider?" fragte Rafael ironisch. „Da wärst du die einzige Frau auf der Welt." „Natürlich möchte ... brauche ich Kleider! Aber nicht diese! Auch wenn ich das Gedächtnis verloren habe, meinen Verstand habe ich nicht eingebüßt. Ich benötige durchaus etwas zum Anziehen, und ich werde es mir selbst beschaffen." „Womit denn?" fragte er leicht ironisch und zog dabei die Au genbrauen bedeutsam hoch. „Hast du das nötige Kleingeld?" „Ich ..." Sie suchte nach einem Ausweg. „Nun, als dein Kin dermädchen wolltest du mich doch bezahlen." „Natürlich", bestätigte er mit einem süffisanten Lächeln. „Davon werde ich mir Kleider kaufen." Sein Lächeln vertiefte sich. „Und was willst du bitte in der Zwischenzeit tragen? Ich hätte zwar nichts dagegen, dich völlig nackt zu sehen, aber vielleicht..." Er machte eine Pause, als suchte er nach der richtigen Formulierung. „Vielleicht wäre das ein bisschen unpraktisch im Alltag." Serena ging auf seinen spaßigen Ton nicht ein. „Ich habe einige Sachen!" entgegnete sie scharf. Gleichzeitig wurde ihr ganz heiß bei dem Gedanken, dass Rafael sie nackt sehen würde. Als sie sich vorstellte, wie er sich ebenfalls so, wie Gott ihn geschaffen hatte, im Haus bewegte und sie seinen gestählten Körper betrachtete, schoss ihr das Blut ins Gesicht. Sie spürte förmlich schon seine samtene, sonnengebräunte Haut, seine kräftigen Arme ... Energisch verscheuchte sie die erotischen Gedanken und zwang sich, wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren. „Das Wichtigste zum Anziehen habe ich." „Vergiss nicht, dass ich das alles besorgt habe", erinnerte er sie ironisch. „In Ordnung, du hast mir die Sachen zur Verfügung gestellt", stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich werde sie bezahlen, glaub mir." „Ich will aber kein Geld haben. Das waren Geschenke, so wie diese Kleider hier." Mit einer großzügigen Geste wies er zum Schrank. „Ich verstehe nur nicht, warum du die Sachen im Ge gensatz zu früher nicht annehmen willst." „Damals hatte ich keine Wahl - und war verzweifelt." Serena hatte zwar keine Ahnung, wie viel ihr Rafael für ihre
Tätigkeit als Kindermädchen bezahlen würde, war sich aber sicher dass sie davon zwar nicht die erlesenen Designeroutfits, die vor ihr hingen bezahlen konnte, dafür aber die Sachen, die er ihr ins Krankenhaus gebracht hatte. "Jetzt kann ich entscheiden ..." "Dann tu das", fiel er ihr ins Wort, „und entscheide, ob du mich glücklich machen oder tief enttäuschen willst." Er meinte es offensichtlich ernst, denn ein Schatten war über sein Gesicht gehuscht. Womit sollte ich dich schon enttäuschen?" "Als ich diese Kleider gekauft habe, habe ich es für eine Frau getan, für eine ganz bestimmte Frau." "Für mich?" Sie konnte vor Betroffenheit nur flüstern. Rafael nickte. "Für dich", bestätigte er verführerisch sanft. „Jedes einzelne Stück habe ich sorgfältig ausgesucht und mir dabei immer vorgestellt wie du darin aussehen würdest und ob es zu deiner Haarfarbe passen würde ..." Er strich ihr übers Haar. ".... und zu deinem Teint." Dann streichelte er ihre Wange und zeichnete ganz sacht die Konturen ihres Kinns nach. Serena konnte sich nicht rühren, ihr Mund war wie ausgedörrt, ihr Herz schlug kaum spürbar. Seine zärtlichen Worte versetzten sie in Trance. „Ich habe Sachen ausgewählt, die deinen Augen schmeicheln sollten ..." Rafael hauchte ihr einen Kuss auf die Lider. „Deinem schönen Hals ... den zierlichen Schultern ..." Sein Gesicht war ihrem jetzt ganz nah, und sie spürte seine Wärme. Er blickte sie innig an. „Raf..." Bevor sie seinen Namen ganz aussprechen konnte, verschloss er ihr den Mund mit seinem Finger. „Ich musste ständig an deine Schönheit denken, an deine herrlichen Brüste, deine langen, schlanken Beine. Für all das war das Feinste gerade gut genug." „Rafael...", begann sie erneut, aber ihr versagte die Stimme. „Sag jetzt nichts. Wir wissen beide, was los ist, was hinter unserer höflichen Konversation steckt." Serena wurde von einer Welle der Glückseligkeit getragen. Für sie gab es in dem Moment nichts anderes auf der Welt als diesen Mann, seine starken Arme und seinen hinreißenden Duft. Sie wollte diesen Duft, ja den ganzen Menschen Rafael in sich aufnehmen. Sie sehnte sich danach, eins mit ihm zu werden.
„Ich bin sicher, dass du mich heute Abend nicht enttäuschen wirst." Rafael ließ eine Hand sanft in ihren Ausschnitt gleiten und Serena stöhnte leise auf. Eine Weile verharrte er so, fühlte ihren rasenden Puls, und ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen. Als er sprach, klang seine Stimme irgendwie triumphierend. „Ich möchte, dass du die Sachen annimmst, Serena. Nimm sie und trag heute Abend bitte eins davon. Wirst du das tun, carina?'' „Ja", antwortete Serena so leise, dass er es kaum verstand." Ja, das werde ich." Sie würde alles für ihn tun, wenn er sie nur so in den Armen hielte. Völlig willenlos schmiegte sie sich an Rafael und stellte glücklich fest, dass auch seine Lust erwacht war und es ihn ebenso nach Erfüllung verlangte. Sie sehnte sich nach seinem Kuss, nach seiner Liebe. Als Rafael sie aber plötzlich von sich schob, wurde sie jäh aus ihrem Gefühlsrausch gerissen, „Dann lass uns nicht länger diskutieren, belleza. Das Abendessen ist fertig. Wenn wir noch lange warten, wird es kalt." Er blickte wieder auf seine Uhr und runzelte die Stirn. „Ich gehe schon mal runter und mixe dir einen Drink. Zehn Minuten gebe ich dir Zeit. Reicht das?" Verblüfft über seinen abrupten Stimmungswechsel, nickte Serena etwas benommen. Noch vor wenigen Sekunden war sie sich sicher gewesen, dass Rafael nichts anderes wollte, als sie zu küssen und zu liebkosen. Sie wäre überglücklich gewesen, wenn er sie auf seinen Armen zum Bett getragen hätte. Noch jetzt kribbelte ihr die Haut, wo er sie berührt hatte. „Also dann in zehn Minuten", sagte er kurz angebunden. „Ich warte unten auf dich." „In zehn Minuten", brachte Serena völlig verwirrt und mit zittriger Stimme hervor. Rafael reagierte sofort, indem er ihr sanft die Wange streichelte. In diesem Moment wurde ihr klar, dass er sein Ziel unbeirrt verfolgen würde, denn als er sie in die Arme genommen hatte, hatte die Reaktion ihres Körpers ihm verraten, was er hatte wis sen wollen. Es war ein stummes Zwiegespräch zwischen Mann und Frau gewesen, das alles zwischen ihnen geklärt hatte. Serena wusste zwar nicht, warum Rafael nun nicht mehr warten wollte, bis sie das Gedächtnis vollständig wiedererlangt hatte, war sich jedoch darüber im Klaren, dass ihre Beziehung zueinander in ein neues Stadium getreten war. Das Unvermeidliche würde seinen Lauf
nehmen, und ein paar Tage mehr oder weniger spielten dabei keine Rolle, Sie konnten es auf sich zukommen lassen und die Vorfreude auf das Kommende genießen. Deshalb vermochte Serena ihm jetzt lächelnd zuzuflüstern: "Ich werde dich nicht lange warten lassen", wohl wissend, dass er die Doppeldeutigkeit ihrer Worte verstehen würde und es seine Freude steigern würde festzustellen, wie gut sie aufeinander eingespielt waren und dass sie auf derselben Wellenlänge lagen. "Bis nachher", sagte Rafael und winkte ihr lässig zu. " Es wird nicht lange dauern", erwiderte Serena und meinte damit keineswegs die Zeit, bis sie sich wieder sahen. Auf der Türschwelle drehte er sich noch einmal um und warf ihr einen begehrlichen Blick zu. Zieh das goldfarbene Kleid an", forderte er sie auf. „Ich möchte dich darin sehen." Als sie allein war, nahm sie das Kleid hervor. Wenn er das wollte, sollte er es bekommen. Es gefiel ihr, als sie es sich vor dem Spiegel anhielt. Er hatte gut gewählt, es stand ihr hervorragend. Sie war sicher, dass der Abend wunderbar werden und Rafael und sie ihn als Liebende beschließen würden.
6. KAPITEL „Möchtest du noch Kaffee?" Sie hatten gegessen und saßen jetzt beim Kaffee. Die Kerzen waren heruntergebrannt. „Nein, danke." Lächelnd schüttelte Serena den Kopf. „Sonst kann ich nachher nicht schlafen." Sie war ohnehin schon so aufgedreht. Sein Lächeln ließ sie förmlich dahin schmelzen, und ihr Magen krampfte sich zusammen, als sie Rafael in die Augen sah. „Tonio wacht immer gegen sechs auf. Du brauchst genug Schlaf, wenn du dich einen ganzen Tag um ihn kümmerst. Dabei fällt mir ein ..." Er trank sein Weinglas leer, schob seinen Stuhl zurück und stand auf. „Ich sehe lieber mal nach, ob er noch schläft. Bin gleich wieder da." „Du brauchst dich nicht zu beeilen", versicherte sie. Ich kann gut einen Moment allein sein, dachte sie, als er das Zimmer verließ. Es gab ihr die Gelegenheit, einmal tief durchzuatmen und sich etwas zu beruhigen, denn bei jedem Lächeln und jedem seiner Blicke hatte ihr Herz schneller geklopft. Er hatte keinen Hehl aus seinem Verlangen gemacht, und daher war sie den ganzen Abend angespannt gewesen. Ihre Haut prickelte bereits, wenn ihr Haar ihre Schultern streifte, und auch das Gefühl des goldfarbenen Seidenkleids war äußerst sinnlich. Fast konnte Serena sich vorstellen, dass Rafaels Hände und Lippen diese Empfindungen hervorriefen, und heiße Wellen der Erregung durchfluteten sie bei dem Gedanken daran, was noch kommen würde. Schließlich blies sie die Kerzen aus, stand auf und verließ, ihr halb volles Weinglas in der Hand, das elegante Esszimmer. Da es eine laue Nacht war und sie frische Luft brauchte, ging sie in den großen Wintergarten, „Du brauchst genug Schlaf", hatte Rafael
gesagt, doch er hatte etwas ganz anderes mit ihr vor. Wenn er zurückkehrte, würde er sie in die Arme nehmen und küssen, davon war sie überzeugt. „Wir wissen beide, was los ist", wiederholte sie seine Worte und lachte nervös, „Oh ja, wir wissen es!" Übermütig begann sie, sich um sich selbst zu drehen, immer schneller, bis sie das Gleichgewicht verlor und stolperte. Sie schrie erschrocken auf und hielt sich an einem kleinen Beistelltisch aus Pinienholz fest, so dass die Zeitschriften, die darauf gelegen hatten, hinunterfielen. „Oh nein!" Schnell stellte sie ihr Glas weg und kniete sich hin, um die Zeitschriften wieder einzusammeln. Dabei fiel ihr Blick auf ein Foto, das unter einem Magazin lag. „Was...?" Langsam nahm sie es in die Hand, und ein eisiger Schauer überlief sie, als sie in die Augen der Frau auf dem Foto sah. Sie hatte langes schwarzes Haar, wunderschöne mandelförmige, dunkle Augen und volle Lippen. Ihre aristokratischen Züge und ihre Ausstrahlung deuteten darauf hin, dass sie Spanierin sein musste. Das musste ... „Das ist Elena", ließ sich eine schroffe Stimme hinter ihr vernehmen. Schnell stand Serena auf und drehte sich zu Rafael um, der den Wintergarten betreten hatte. Elena. Tonios Mutter. Wieder betrachtete sie die Aufnahme und suchte nach Ähnlichkeit zwischen Elena und Tonio, doch dieser schien ganz nach seinem Vater geraten zu sein. „Sie ... sie ist sehr schön", brachte sie hervor. Ihr Herz hatte sich schmerzhaft zusammengekrampft, denn wenn Rafael noch ein Foto von dieser Frau besaß, hatte er auch bestimmt noch Kontakt zu ihr. „Tonios Mutter und ich sind nicht zusammen." Das war alles, was er gesagt hatte, und er hatte damit nicht verraten, ob er Ele na gern hatte gehen lassen oder ob er nach wie vor etwas für sie empfand. „War sehr schön", korrigierte er sie schroff. „War?" Serena glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. „Rafael..." Schweigend streckte er die Hand aus, und sie reichte ihm das Foto.
„Was ist passiert?" fragte sie mit bebender Stimme, während er es betrachtete. „Sie ist gestorben", erwiderte er schließlich rau und seufzte. „Sie hatte Brustkrebs." „Sie war doch noch so jung!" rief sie entsetzt. Sie konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass diese Frau, die einen so lebenslustigen Eindruck machte und ungefähr in ihrem Alter gewesen sein musste, nicht mehr lebte. „Jung - und schwanger", bestätigte Rafael. „Man hat ihr gesagt, sie könne sich behandeln lassen, aber es würde dem Baby schaden. Daher kam es für sie nicht infrage. Das hat sie umgebracht." „Oh nein! Rafael, ich ..." „Nein..." Unvermittelt wandte er sich ab, als sie die Hand nach ihm ausstreckte. „Ich will deinen Trost nicht, Serena. Bitte erspar mir das." Warum er sie zurückwies, konnte sie sich nicht erklären. Erneut krampfte ihr Herz sich zusammen. „Warum weinst du?" „Ich ... ich weine nicht!" „Ach nein?" Er stöhnte verzweifelt auf und drehte sich wieder zu ihr um. Dann zog er sie an sich und strich ihr mit dem Daumen über die Wange. Bestürzt stellte sie fest, dass tatsächlich eine Träne daran hing. „Und was ist das, mi belleza?" „Ich ... ich ..." Da seine Reaktion sie verwirrte und verletzte, hätte Serena ihn am liebsten geohrfeigt, zumal er sie vorwurfsvoll anblickte. „Na und? Dann weine ich eben!" Sie warf den Kopf zurück und funkelte ihn wütend an. „Und, was ist schon dabei? Das mit Elena ... ist sehr traurig. Jeder würde darüber weinen ..." „Ja, jeder!" fiel Rafael ihr zornig ins Wort. „Jeder, aber nicht du. Nicht du, belleza, Warum solltest du um eine Frau weinen, der du nie begegnet bist und die du nur auf diesem Foto gesehen hast? Warum sollten dir die Tränen kommen, wenn ... Dias!" Unvermittelt löste er sich von ihr, wandte sich ab und blickte aus dem Fenster, die Hände in den Hosentaschen. Seine Haltung war so abweisend, dass Serena ihn nur stumm betrachtete. Fast schien es, als hätte Rafael sich in der Zeit, in der er sie allein gelassen hatte, völlig verwandelt.
Sie konnte nicht glauben, dass dies derselbe Mann war, der ihr an diesem Abend gegenübergesessen und sie mit seinen geistreichen Bemerkungen unterhalten hatte. Derselbe Rafael, der mit seinem natürlichen Charme alle bezauberte, vor allem eine gewisse naive Frau, die bereits im Begriff war, sich in ihn zu verlieben. Jetzt hatte sie es sich eingestanden. Die Gefühle, die sie für Rafael hegte, gingen weit über die starke Anziehungskraft hinaus, die er zuerst auf sie ausgeübt hatte. In seiner Nähe hatte sie das Gefühl zu leben, und ihre Sinne waren geschärft, sie nahm alles viel intensiver wahr. Aber war das Liebe? War es möglich, jemanden zu lieben, über den man so wenig wusste? Jemanden, den man erst wenige Tage kannte? Nein, sie machte sich etwas vor, und ihre Fantasie ging mit ihr durch. Tatsache war, dass Rafael wegen ihres Gedächtnisverlusts in vieler Hinsicht der einzige Mensch war, den sie momentan kannte. Deswegen und wegen ihrer Verletzlichkeit hatte sie sich von ihren Gefühlen statt von ihrem Verstand leiten lassen. „Rafael ...", begann Serena zögernd, um zu ihm durchzudringen. „Ich verstehe dich nicht. Möchtest du ... möchtest du darüber reden?" Daraufhin wirbelte er herum. Als sie sein Gesicht sah, wich sie unwillkürlich einige Schritte zurück, denn es war aschfahl und sehr angespannt, und das verlangende Funkeln in seinen Augen war einem gequälten Ausdruck gewichen. „Nein, Serena, ich möchte nicht darüber reden! Ich möchte weder über Elena und ihre Schönheit noch über die Tage reden, die ich mit ihr verbracht habe - die Nacht, in der wir das Kind gezeugt haben." „Das habe ich nicht gemeint!" protestierte sie, weil es das Letzte war, was sie in diesem Moment hätte hören mögen. Auf keinen Fall wollte sie sich von ihm sagen lassen, wie er Elena geliebt und wie viele leidenschaftliche Nächte er mit ihr verbracht hatte - Nächte, aus denen dieser hübsche kleine Junge hervorgegangen war, der nun oben schlief. „Und ich möchte auch nicht über ihr viel zu kurzes Leben und ihren tragischen Tod reden. Ich erwarte nicht von dir, dass dich das interessiert!" „Das erwartest du nicht von mir", wiederholte Serena bitter, ohne darauf zu achten, ob er ihr anmerkte, wie es in ihr aussah. „Du hältst mir immer vor Augen, was ich falsch mache, aber du
gibst mir nie zu verstehen, wie ich es richtig machen soll und was du von mir erwartest!" Nach ihrem Ausbruch herrschte Schweigen, und sie wurde noch nervöser. Sag etwas! hätte sie am liebsten geschrien. Sag irgendetwas, und sei es nur „Scher dich zum Teufel". Gleichzeitig wünschte sie jedoch, Rafael würde nichts sagen, denn in ihrem tiefsten Inneren fürchtete sie, er würde sie tatsächlich auffordern zu gehen und aus seinem Leben zu verschwinden. Und sie wusste nicht, wie sie damit fertig werden sollte. Er war ihr innerhalb kürzester Zeit so wichtig geworden, dass sie gar nicht daran denken mochte, wie einsam und verzweifelt sie ohne ihn wäre. Schließlich atmete Rafael tief durch, strich sich mit beiden Händen durch das dichte schwarze Haar und schüttelte kaum merklich den Kopf. „Oh Serena", erwiderte er leise und seltsam heiser. „Musst du das wirklich fragen? Ich dachte, es wäre offensichtlich, was ich von dir will." Wie hatte sie je denken können, das verlangende Funkeln in seinen Augen wäre verschwunden? Es war immer noch da, intensiver als vorher, und sein Blick schien sie zu verbrennen. „Du weißt, was ich will - was ich immer gewollt habe. Ich brauche es dir nicht zu sagen - zumindest nicht mit Worten. Denn du willst es auch. Ich habe es von Anfang an gewusst. Ich sehe es in deinen Augen, wenn du mich anblickst, höre es an deiner Stimme, wenn du sprichst." Mit einer für ihn so typischen überheblichen Geste bedeutete Rafael ihr, zu ihm zu kommen, und Serena ertappte sich dabei, wie sie tatsächlich auf ihn zuging. Dann besann sie sich auf ihren gesunden Menschenverstand und blieb stehen. „Ich weiß nicht, was du meinst." Seit er in den Wintergarten gekommen war, hatte sie so ein Gefühlchaos durchlebt, dass sie nun völlig erschöpft war. Er hatte sie angefahren und sie so brutal zurückgewiesen, dass es immer noch schmerzte. Und jetzt erwartete er von ihr, dass sie sich an ihn schmiegte, sobald er sie dazu aufforderte. Doch so leicht würde sie es ihm nicht machen. „Wovon redest du?" Oh, das passte ihm nicht. Offensichtlich war der große Rafael Cordoba es gewohnt, dass die Frauen - und wahrscheinlich auch viele Männer - sprangen, wenn er mit dem Finger schnippte. Er runzelte die Stirn und gab ihr damit zu verstehen, dass sie ihn
nicht weiter herausfordern sollte. „Spiel keine Spielchen mit mir, Serena!" sagte er eisig. „Das passt nicht zu dir." „Was für Spielchen?" erkundigte Serena sich in demselben Tonfall. „Ich meine es ernst. Schon in dem Moment, als ich im Krankenhaus aufgewacht bin, wusste ich, dass du etwas mit mir vorhast. Etwas, in das du mich nicht einweihen willst." Rafael seufzte resigniert. „Das ist unwichtig ..." „Für dich vielleicht, aber für mich ist es sehr wohl wichtig! Ich möchte wissen, woher du dir das Recht nimmst ..." „Du hast mir das Recht gegeben", unterbrach er sie ruhig, und sie verstummte. „Ich? Wie...? Wann?" „Als du im Krankenhaus die Sachen angenommen hast, die ich für dich gekauft hatte. Als du dich bereit erklärt hast, zu mir zu kommen." „Ich..." Sie wollte protestieren, schaffte es allerdings nicht. Dies war eine ganz neue Seite an ihm. Oder vielmehr erinnerte er sie an den Mann, der in ihrem Krankenzimmer gewesen war, als sie aufgewacht war. Den Mann, dessen wachsamer Blick und angespannte Haltung sie an einen Jäger erinnert hatte, der nur auf den richtigen Moment wartete, um seine Beute zu erlegen. Dies war der Rafael, den sie fast vergessen hatte. Doch nun musste sie sich mit der Tatsache auseinander setzen, dass es der wahre Rafael war. „Aber wir wissen beide, dass es schon vorher der Fall war", fuhr er trügerisch sanft fort. „Schon in der Sekunde, als du die Augen geöffnet und mich angesehen hast..." „Nein ..." Verzweifelt schüttelte Serena den Kopf, weil sie es nicht wahrhaben wollte. „Doch", entgegnete er sanft. „Und wenn du es leugnest, verleugnest du einen Teil von dir. Du vergisst, dass ich dich in den Armen gehalten und geküsst habe. Und ich habe ganz deutlich gespürt, wie du darauf reagiert hast. Also, warum hören wir nicht mit diesen Spielchen auf?" „Ich spiele keine Spie lchen!" brauste sie auf. „Im Gegenteil, es ist mir sehr ernst." Ehe sie sich's versah, hatte er einen Schritt auf sie zu gemacht und stand jetzt dicht vor ihr. Seine Augen funkelten gefährlich, und er hatte einen harten Zug um den Mund. Das Knistern, das noch vor wenigen Sekunden in der Luft gelegen hatte, war ver
schwunden, und er wirkte nur noch Furcht einflößend. „Mir auch", sagte er drohend. „Es ist mir noch nie im Leben so ernst gewesen. Deshalb habe ich deine kindischen Ausflüchte und das ständige Hin und Her auch langsam satt." „Das ständige Hin und Her? Und was ist mit dir? Im Krankenhaus hast du gesagt: ,Überhaupt nie mehr, wenn ich vernünftig bin', und nun ..." „Nun gebe ich zu, dass ich in deiner Gegenwart gar nicht vernünftig sein kann. Ich kann nicht mehr dagegen ankämpfen. Was zwischen uns ist, soll so sein, und je eher du es akzeptierst, desto einfacher wird es sein." „Einfacher!" wiederholte sie. „Für dich oder für mich?" Rafael lächelte triumphierend. „Für uns beide, mi amor." Er streckte die Hand aus und strich ihr mit dem Zeigefinger über die Wange. Es war eine zärtliche und zugleich bedrohliche Geste. „Das ist alles unnötig, glaub mir. Ich werde dich nicht mehr begehren, wenn du dich zierst." Serena stieß einen wütenden Laut aus, doch er achtete nicht darauf, sondern lächelte wieder Unheil verkündend. „Bei dir habe ich überhaupt keine Hemmungen. Meine Beherrschung habe ich in dem Moment verloren, als ich dich in dem Krankenhausbett liegen sah, und ich habe mich nur aus Rücksicht auf deine Gesundheit zurückgehalten." „Und dafür soll ich dir dankbar sein, ja? Dafür, dass ich mich erst erholen darf, bevor du deine Absichten zu erkennen gibst." Was mache ich nur? fragte sie sich. Noch vor kurzem war sie sehr erregt gewesen und hatte es kaum erwarten können, mit die sem Mann ins Bett zu gehen und seine Geliebte zu werden. Und trotzdem setzte sie nun alles daran, auf größtmögliche Distanz zu ihm zu gehen und ihn dadurch so wütend zu machen, dass sie Gefahr lief, ihn ganz zu verlieren. Doch der Mann, den sie so begehrt hatte, war jemand anders gewesen, nicht dieser grausame Jäger, der sich an ihr rächen würde, wenn sie sich nicht vorbehaltlos mit seinen Plänen einverstanden erklärte. „Ach, das nennst du also Zurückhaltung!" fügte sie aufbracht hinzu. „Du redest zu viel", konterte Rafael grimmig. „Anscheinend kann man dich nur so zum Schweigen bringen ..." Bevor ihr richtig klar wurde, was er vorhatte, umfasste er ihre Arme mit hartem Griff, zog sie an sich und presste die Lippen auf
ihre, um sie brutal zu küssen. Serena war entsetzt, denn obwohl sie nicht daran zweifelte, dass er sie mit diesem Kuss kontrollieren, ja bestrafen wollte, reagierte sie genauso darauf wie auf den im Krankenhaus. Er brachte ihr Blut zum Sieden, ließ ihr Herz schneller klopfen und löschte jeden klaren Gedanken aus. Rafael ließ die Hände durch ihr Haar gleiten, faltete sie dann in ihrem Nacken und hielt sie fest, so dass sie ihm hilflos ausgeliefert war. Allerdings besaß sie nicht einmal genug Willenskraft, um sich gegen ihn zu wehren. Sie hatte ganz weiche Knie und schmiegte sich Halt suchend an ihn. „Du stehst in Flammen, wenn ich dich nur berühre", flüsterte er ihr triumphierend ins Ohr. „Das gefällt mir - sehr sogar! Es beweist, dass wir zumindest in dieser Hinsicht zusammengehören. Ich habe noch nie eine Frau so begehrt wie dich, und ich werde dir das Gefühl vermitteln, dass dich noch nie ein anderer Mann berührt hat." Das war es. Mit einem einfachen - oder vielmehr komplizierten Satz hatte er es auf den Punkt gebracht. Mit einem unterdrückten Aufschrei löste Serena sich von Rafael und wankte durch den Raum. „Merkst du es denn nicht?" rief sie und blickte ihn flehend an. „Genau das ist ja das Problem?" „Was für ein Problem?" Falls sie auf sein Mitgefühl gehofft hatte, wurde sie enttäuscht. Sein eisiger Tonfall und der kühle Ausdruck in seinen Augen machten sie noch unsicherer, so dass sie sich an der Wand abstützen musste, um sich aufrecht zu halten. „Ich weiß es nicht!" rief sie schrill und schluchzte dann auf. „Ich weiß nicht, ob es schon mal passiert ist ... ob mich schon einmal ein Mann berührt hat... und ..." „Meinst du, es interessiert mich?" Seine herrische Geste, mit der er ihre Befürchtungen wegwischte, überraschte sie nicht. „Glaubst du, die Vergangenheit ist wichtig? Was mich interessiert, ist das Hier und Jetzt. Das, was zwischen uns ist - diese starke Anziehungskraft." Serena presste die Hände an die Wand, als würde seine Ge fühllosigkeit ihr dabei helfen, diese Auseinandersetzung besser durchzustehen. „Das reicht nicht!"
„Für mich schon. Es ist alles, was ich will, und alles, was mir wichtig ist ..." „Du würdest mich nur benutzen ... um deine Gelüste vorübergehend zu befriedigen ..." „Wir würden uns gegenseitig benutzen", verbesserte Rafael sie beinah sanft. „Und es muss auch nicht vorübergehend sein. Im Gegenteil, mi corazón, einige Tage oder Wochen werden mir sicher nicht genügen, um das Verlangen zu stillen, das du in mir weckst. Und ich würde nicht nur nehmen." Ich habe ihn in seinem Machostolz verletzt, dachte sie bitter, Er glaubte, sie hätte seine Fähigkeiten als Liebhaber infrage gestellt, und wollte sich verteidigen. „Es könnte so schön sein. Ich würde dir deine geheimsten Wünsche erfüllen." Sie meinte zu wissen, dass die Nächte mit ih m wunderschön sein würden - zuerst das leidenschaftliche Liebesspiel. und anschließend würde sie in seinen Armen einschlafen. Doch der nächste Tag würde unweigerlich folgen und damit auch die Er nüchterung. Würde ihr dann gefallen, was sie im Spiegel sah, wenn sie sich darin betrachtete? „Serena", sagte Rafael leise, fast beschwörend, und kam langsam auf sie zu. „Kämpf nicht gegen mich, belleza. Du weißt, dass du nichts dagegen tun kannst. Genau wie ein Schmetterling, der mit den Flügeln gegen eine Fensterscheibe schlägt, wirst du dir nur wehtun, wenn du dagegen ankämpfst." Serena war unfähig sich zu rühren, sosehr sie es auch wollte. Sie konnte nicht einmal den Kopf abwenden, als Rafael mit dem Handrücken ihre Wange streichelte, und erschauerte heftig. „Und ich möchte nicht, dass du leidest. Du sollst fühlen, es genießen. Du sollst wissen, was du mir antust ..." Er umfasste ihr Handgelenk und presste ihre Hand an seine Hose, so dass sie spürte, wie erregt er war. Mit funkelten Augen blickte er sie an, und ihr Mund wurde ganz trocken. „Du hast mich gefragt, was ich von dir erwarte. Das werde ich dir sagen. Ich möchte ein Geschenk. Ich möchte etwas Freude und etwas Glück. Elena und ihr tragischer Tod gehören der Vergangenheit an, aber ich lebe noch. Was ich von dir möchte, das möchte ich heute. Heute und solange das mit uns andauert." Das mit uns! Es war, als würde Rafael ihr einen Dolch ins Herz stoßen, und sie hätte am liebsten aufgeschrien. Elena gehörte der Vergangenheit an. Sie, Serena, schien seine
Gegenwart zu sein. Und die Zukunft? Darin war offenbar kein Platz für sie. „,Heute und solange das mit uns andauert!'" schleuderte sie ihm entgegen. „Und wie lange ist das genau? Ein Monat? Zwei, wenn ich Glück habe?" Er zuckte lässig die Schultern, und das brachte sie noch mehr auf die Palme. Plötzlich verschwamm ihr alles vor den Augen. Aber das war gut so. Wenn sie in sein attraktives Gesicht hätte blicken müssen, wäre sie nur wieder schwach geworden. „Für einen Mann, der nicht einmal richtig um seine große Liebe trauern kann, sind sechs armselige Wochen wahrscheinlich sehr lang." „Cristo!" fuhr Rafael sie an. „Wie kannst du es wagen, du kleine Hexe? Wie kannst ausgerechnet du es wagen, mir vorzuwerfen, ich hätte sie nicht richtig geliebt und ich ...?" „Oh, ich werfe es dir nicht vor, Rafael. Das brauche ich gar nicht." Jetzt konnte sie nicht mehr an sich halten. Die Worte sprudelten nur so aus ihr hervor. „Es liegt doch auf der Hand. Du hast mir selbst gesagt, dass Tonio nicht einmal drei Monate alt ist. Also selbst wenn deine wunderschöne Elena bei der Geburt gestorben ist, dann ist sie nicht einmal zwölf Wochen tot. Nicht einmal neunzig Tage, du kaltherziger, mieser Kerl! Du schlägst mir eine kurze Affäre vor, aber die Wahrheit ist ..." Zu ihrem Entsetzen spürte Serena, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Er würde merken, dass sie mit ihrer Wut nur ein anderes, viel tiefer gehendes Gefühl verbarg. Wenn er ahnte, was sie für ihn empfand, würde sie sich seinen Annäherungsversuchen erst recht nicht widersetzen können. „Die Wahrheit...", setzte sie erneut an, verstummte jedoch, als er fluchte. „Die Wahrheit!" wiederholte er in einem Tonfall, der ihr das Blut in den Adern gefrieren und ihren Zorn sofort verrauchen ließ. „La verdad, wenn du es wirklich wissen willst, meine liebe Serena, ist ganz anders, als du sie darstellst. Aber wenn du so darauf beharrst, werde ich dir die Wahrheit sagen. Denn ..." Weiter kam er allerdings nicht, denn in dem Moment erklang hinter ihm ein leises Schluchzen. „Was ist?" Verwirrt drehte er sich um und stellte dann fest, woher das Geräusch kam.
In jedem Raum befand sich ein Babyphon, und Serena eilte hin. Im selben Augenblick wuchs sich das leise Schluchzen zu lautem Geschrei aus. „Tonio!" rief sie und lief zur Tür. „Es ist Tonio, und er hat irgendetwas!" So schnell sie konnte, eilte sie die Treppe hinauf, dicht gefolgt von Rafael,
7. KAPITEL „Glaubst du, wir haben es jetzt geschafft?" flüsterte Serena. Rafael betrachtete das kleine Bündel in seinen Armen und lä chelte ein wenig müde. „Ich glaube, wir sind auf dem besten Wege dazu, aber ich würde nicht darauf wetten. Nach allem, was dieser kleine Kerl uns heute Abend zugemutet hat, kann ich nicht sagen, ob er überhaupt je wieder einschlafen wird." „Na, jedenfalls hat er bewies en, dass seine Lungen in Ordnung sind", bemerkte sie trocken. „Ich glaube, er schläft in einigen Minuten ein." Sie betrachtete Tonios dunklen Schöpf, während sie sprach, weil sie Rafael noch immer nicht ins Gesicht sehen konnte. Er war ihr zu nahe, und die Atmosphäre war zu intim, als dass sie ihm in die Augen hätte blicken können. Zuerst war es nebensächlich gewesen. Als sie sein Zimmer erreicht hatten - Rafael hatte immer zwei Stufen auf einmal genommen und war vor ihr hier gewesen -, schrie Tonio so laut und war so rot angelaufen, dass sie ihm ihre ganze Aufmerksamkeit widmeten. Sie setzten alles daran, ihn wieder zu beruhigen, damit sie ihn wieder in sein Bett legen konnten. Tonio schrie jedoch weiter. Obwohl sie den Grund für seinen Kummer sofort herausfanden - Conejo, der kleine Stoffhase, war aus seinem Bett gefallen, und sie legten ihn wieder hinein -, ließ der Kleine sich einfach nicht trösten. Trotz seiner Müdigkeit und der Tatsache, dass Rafael ihn in den Armen hielt, hatte er weiter mit den Ärmchen und Beinchen gestrampelt und überhaupt nicht an Schlaf gedacht. „Anscheinend hat er Hunger", sagte Rafael nun. „Kannst du ihn halten? Dann gehe ich nach unten und mache ihm seine Fla sche." „Bist du sicher?" erkundigte Serena sich skeptisch. „Ich meine, es macht mir natürlich nichts aus, ihn zu halten, aber wäre es
nicht besser, wenn sein Daddy ihn halten würde, während ich ihm seine Flasche hole?" „Oh ja, momentan ist er auch überglücklich in den Armen seines Daddys", bemerkte er ironisch, als der Kleine sich anspannte und dann erneut zu strampeln begann. „Vielleicht hast du ja mehr Glück bei ihm. Außerdem kennst du dich in der Küche noch nicht so gut aus." „Also gut." Sie streckte die Arme aus. „Komm zu mir, du kleines Ungeheuer." Es schien ihr, als würde er einige Sekunden zögern und als wäre der Blick, den er ihr zuwarf, abschätzend. Unwillkürlich erschauerte sie. Doch gerade als sie ihn fragen wollte, ob er ihr seinen kostbaren Sohn nicht anvertrauen mochte, verschwand der wachsame Ausdruck aus seinem Gesicht, und Rafael überreichte ihr Tonio vorsichtig. „Ich verspreche dir, gut auf ihn aufzupassen", erklärte sie scharf und wusste selbst nicht, warum sie das sagte. „Ich habe vielleicht keine Erfahrung mit Babys, aber ich werde mein Bestes tun." Trotzdem schien er das Zimmer nicht verlassen zu wollen. „Wir kommen schon klar", versicherte sie. „Ich rufe dich, wenn ich dich brauche." Er ließ die Hand einen Moment lang an Tonios Wange ruhen, und genau wie an dem Tag im Krankenhaus, als sie Tonio zum ersten Mal gesehen hatte, krampfte ihr Herz sich zusammen, weil Rafael so stark und sein Sohn so winzig war. Serena blinzelte einige Male, um die Tränen zurückzuhalten, und biss sich auf die Lippe. „Sch, mi corazón", sagte er rau zu dem Kiemen. „Wein nicht." Tonio hörte auf zu strampeln, und sein Schreien verwandelte sich in ein Schluchzen, während er zu ihm aufblickte. Gerade als sie überlegte, ob nun endlich Ruhe eintreten würde, veränderte sich sein Gesichtsausdruck allerdings wieder, und Tonio begann erneut zu brüllen. „Okay, okay", meinte Rafael trocken. „Ich merke, dass du nur Ruhe gibst, wenn du deine Flasche bekommst. Sie ist schon unterwegs." Nachdem Rafael das Zimmer verlassen hatte, folgte Serena ihrem Gefühl, indem sie den vom vielen Schreien erhitzten Kleinen an sich drückte und langsam mit ihm auf und ab ging. Dabei erinnerte sie sich plötzlich an ein altmodisches Kinderlied, das ihre
Mutter ihr früher vorgesungen hatte und das sie jetzt automa tisch anstimmte. Es schien zu funktionieren. Er beruhigte sich allmählich, als würde die unbekannte Stimme ihn neugierig machen. Regungslos lag er in ihren Armen und sah sie an. „So ist es besser, nicht, mein Schatz? Was möchtest du sonst gern hören?" Nachdem sie einen Moment nachgedacht hatte, sang sie ein anderes Lied und wiegte ihn dabei sanft hin und her. Nun entspannte er sich, und sein Gesicht nahm wieder seine natürliche Farbe an. „Na also, es geht doch", sagte sie und war schon wesentlich zuversichtlicher. Dennoch wagte sie es nicht stehen zu ble iben, sondern ging weiter im Zimmer auf und ab, wobei sie leise sang. Es war ein wunderschönes Gefühl, den Kleinen so in den Ar men zu halten. Sein süßer, sauberer Babyduft, der sich mit dem des Puders mischte, stieg ihr in die Nase, so dass sie am liebsten das Gesicht an seinem Hals geborgen hätte. Plötzlich seufzte Tonio und drehte sich so in ihren Armen, dass er mit dem Gesicht an ihrer Brust lag. Suchend bewegte er die Lippen. „Oh, mein Schatz! Du hast tatsächlich Hunger. Aber ich kann dir leider nichts geben." Ihre Stimme bebte, denn die Verletzlichkeit des Kleinen, seine instinktive vertrauensvolle Reaktion gingen ihr zu Herzen, und sie empfand ein überwältigendes Gefühl der Liebe. Plötzlich wusste Serena, dass sie alles tun würde, um dieses kleine Kin d zu beschützen. „Ist ja gut, Daddy bringt dir gleich deine Milch." Wieder begann sie, auf und ab zu gehen und dabei ein Kinderl ied zu singen. Sie war so darauf konzentriert, dass sie gar nicht hörte, wie Rafael die Treppe heraufkam und das Zimmer betrat. Erst als sie sich auf der anderen Seite befand und sich umdrehte, sah sie ihn auf der Türschwelle stehen. „Oh, du hast mich erschreckt! Ich habe dich gar nicht kommen hören." „Offensichtlich," Serena konnte seinen Tonfall genauso wenig deuten wie den Ausdruck in seinen Augen, als Rafael näher kam und dabei das Kind in ihren Armen betrachtete. „Du scheinst magische Fähigkeiten zu besitzen." „Ich habe ihm nur vorgesungen - lauter Unsinn, der mir aus
meiner Kindheit in Erinnerung geblieben ist." „Na, hoffen wir, dass das hier ..." Er deutete auf die Milchfla sche in seiner Hand. „... ihn endgültig zur Ruhe bringen wird." Sofort reichte sie ihm den Kleinen, damit er ihn füttern konnte. „Nein", sagte er rau und räusperte sich. „Es ist besser, wenn er bei dir bleibt. Gib du ihm die Flasche. Setz dich ..." Rafael umfasste ihren Arm und führte sie zu dem Sessel, der in der Nähe des Fensters an der Wand stand. „Sitzt du bequem?" Die Kehle war ihr wie zugeschnürt, und daher konnte Serena nur nicken. Dabei sah sie ihm in die Augen. „So. gatito ..." Mit einer Hand nahm er den Deckel von der Flasche und reichte sie ihr. „Ich glaube, das hast du gewollt." Es schien ihr, als würde sie träumen und als würde sie sich wie in Zeitlupe bewegen, als sie die Flasche entgegennahm und Tonio so hinlegte, dass sein Kopf an ihrem Arm ruhte. Sie setzte ihm die Flasche an den Mund und lachte entzückt, als er den Sauger mit dem Mund umschloss und gierig zu nuckeln begann. „Sieh mal!" Zärtlich berührte sie seine Wange. „Wie schnell er trinkt. Man sollte meinen, er hätte den ganzen Tag nichts zu essen bekommen. Er ..." Als ihr bewusst wurde, dass Rafael schwieg, verstummte sie und drehte sich bestürzt zu ihm um. Er betrachtete sie wieder. „Was ... was ist?" fragte sie mit bebender Stimme. „Mache ich irgendwas falsch?" „Du machst das prima", erwiderte er, und sein Akzent war nun besonders deutlich zu hören. „Tonio fühlt sich in deinen Armen wohl. Was könntest du dir mehr wünschen?" Dass es wahr wäre und kein Traum. Dass es immer so weitergehen würde. Dass Tonio unser Sohn wäre - deiner und meiner -und wir uns als seine Eltern um ihn kümmern würden, nicht als Kindermädchen und Arbeitgeber. Sie wusste nicht, woher diese Worte gekommen waren, konnte nicht einmal sagen, ob sie sie bewusst formulie rt hatte. Sie schienen ihrem Unterbewusstsein, ihrem Herzen entsprungen zu sein. „Soll ich ihn alles trinken lassen?" brachte sie hervor und spürte dabei Rafaels durchdringenden Blick auf sich gerichtet. „Wenn er es möchte", erwiderte Rafael leise. „Dann wird er uns vielleicht für den Rest der Nacht in Ruhe lassen." Für den Rest der Nacht. Unwillkürlich erschauerte Serena. Nach dem Auf und Ab der Gefühle, das sie erlebt hatte, seit sie
sein Haus betreten hatte, wusste sie nicht, was als Nächstes kommen würde. „Die Wahrheit", hatte er erklärt, bevor Tonio sich bemerkbar gemacht hatte und sie in sein Zimmer geeilt waren. „Wenn du so darauf beharrst, werde ich dir die Wahrheit sagen." Allerdings hatte es eher wie eine Drohung geklungen. „Ist dir kalt?" Seine Frage kam so unerwartet, dass Serena erschrak. „Nein, es geht mir gut." Wenn Rafael sie berührte, würde er sofort merken, dass sie gelogen hatte. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt, als hätte sie Fieber, und sie wusste, dass ihre Stimme vor Nervosität und Unsicherheit bebte. „Bist du sicher?" erkundigte er sich eindringlich. „Ich bin vielleicht ein bisschen müde", gestand Serena und hörte, wie er leise auf Spanisch fluchte. „Perdón! Ich hatte ganz vergessen, dass man dich gerade aus dem Krankenhaus entlassen hat. Gib mir jetzt den Kleinen." „Schon gut." Es klang schärfer als beabsichtigt, denn sie wollte ihm Tonio nicht geben. Es war so schön, ihn in den Armen zu halten, seinen süßen Duft einzuatmen und ihn dabei zu beobachten, wie er zu frieden an der Flasche nuckelte. „Er ist fast fertig ... So ... Und was ist mit dem Bäuerchen, junger Mann?" Serena hob ihn hoch und strich ihm sanft über den Rücken. „Ah, da!" Sie lachte, als Tonio ein Bäuerchen machte, und sah unwillkürlich zu Rafael. Als sie seinem durchdringenden Blick begegnete, wurde sie jedoch sofort wieder ernst. Es schien, als wollte er auf den Grund ihrer Seele schauen und ihre innersten Geheimnisse ergründen. „Nicht!" flüsterte sie. ohne genau zu wissen, was sie damit eigentlich meinte. Sie hörte, wie Rafael sich bewegte, wagte es allerdings nicht, ihn anzusehen, und erschrak, als er dann ihren Nacken berührte. Zärtlich strich er ihr das Haar zur Seite und küsste sie. Serena erstarrte. Sein Atem ließ ihre Haut prickeln, erregte sie und ließ ihren Puls schneller schlagen, genau wie vorher. Doch vorher war alles einfacher gewesen. Inzwischen war alles komplizierter, und sie betrachtete die Dinge von einer anderen Warte aus. Als Rafael wieder den Kopf neigte, verspannte sie sich daher.
„Nicht!" protestierte sie. Sie war sich schmerzlich der Tatsache bewusst, dass er auch erstarrte. Dann zog er die Hand weg. „Perdón!" sagte er wieder, diesmal allerdings in einem anderen Tonfall. Er ging zur anderen Seite des Zimmers, wo er sich an die Wand lehnte und schweigend wartete, während sie Tonio sanft hin und her wiegte. Jetzt endlich schien der Kleine einzuschlafen, und Rafael kam auf sie zu. „Gib ihn mir", forderte er sie in einem Tonfall auf, der keinen Widerspruch duldete. Seufzend reichte sie ihm Tonio und stieß einen besorgten Laut aus, als dieser daraufhin kurz die Augen öffnete. „Er schläft noch nicht richtig ...", begann sie, doch Rafael brachte sie mit einem Blick zum Schweigen. „Du hast aber genug getan." Obwohl er ganz leise sprach, wusste sie, dass Widerspruch zwecklos war. „Du solltest jetzt ins Bett gehen. Du siehst sehr müde aus." „Es geht mir gut", entgegnete sie und hob trotzig das Kinn, doch er ignorierte es. „Du bist blass und hast ganz kleine Augen, genau wie Tonio. Dr. Greene würde es mir nie verzeihen, wenn du gleich am ersten Tag einen Rückfall hättest." „Und was ist mit Tonio?" „Ich werde mich um ihn kümmern. Serena", fügte er hinzu, als sie protestieren wollte, „ich will nichts mehr hören. Du musst jetzt schlafen." „Du behandelst mich, als wäre ich auch noch ein Baby." Serena verzog den Mund und rührte sich nicht von der Stelle. „In diesem Moment benimmst du dich auch so", erwiderte er streng. „Aber glaub ja nicht, dass ich meinen Anweisungen aus Rücksicht auf Tonio nicht Nachdruck verleihen würde." Er meinte es ernst, wie das Funkeln in seinen Augen bewies. Als er scharf einatmete, krampfte ihr Magen sich zusammen. Trotzdem konnte sie sich nicht von der Stelle rühren. Sie konnte nicht glauben, dass der Abend so enden würde. Es hatte so zwischen ihnen geknistert, und sie hatte fest damit gerechnet, dass Rafael mit ihr schlafen würde. Als sie das Foto von Elena gefunden und sich anschließend mit ihm gestritten hatte, war es vorbei gewesen. Allerdings wäre es vielleicht doch nicht
der Fall gewesen, wenn Tonio sie nicht gestört hätte. Sie würde es nie erfahren. Und nun war es zu spät - zumindest an diesem Abend. Sie wusste nicht viel über Rafael Cordoba, diesen Mann, der so plötzlich in ihr Leben getreten war und es völlig auf den Kopf gestellt hatte, aber eines wusste sie. Wenn er diese abweisende Miene aufsetzte, würde sie ihn nicht umstimmen können. Also musste sie sich damit abfinden, dass dieser Abend ruiniert war. „Serena", sagte Rafael mit einem drohenden Unterton. „Ab ins Bet t sofort!" Schnell stand Serena auf. „Jawohl, Sir!" Dann salutierte sie zum Spaß. Er lächelte kurz und deutete anschließend mit dem Kopf zur Tür. „Gute Nacht", sagte er demonstrativ. Einen Moment lang fragte sie sich, was passieren würde, wenn sie dem Impuls nachgeben würde, zu ihm zu gehen und ihm einen Gutenachtkuss auf die Wange zu hauchen. Oder auf seinen sinnlichen Mund. Sie traute sich jedoch nicht. Sicher würde er sie zurückweisen, und damit würde sie nicht zurechtkommen. In seiner jetzigen Stimmu ng würde er sich vermutlich unvermittelt abwenden. Außerdem war sie wirklich müde. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen, und das ständige Auf und Ab ihrer Gefühle hatte sie völlig ausgelaugt. „Dann gute Nacht", sagte sie ausdruckslos und zwang sich, das Zimmer zu verlassen. Allerdings konnte sie der Versuchung nicht widerstehen, sich an der Tür noch einmal umzudrehen. Sie musste den Mann noch einmal ansehen, der in so kurzer Zeit ihr Herz erobert hatte. „Raf..." begann sie, verstummte aber, als sie merkte, dass er sie überhaupt nicht hörte. Er hatte sich abgewandt und seine Aufmerksamkeit auf Tonio gerichtet, und es war offensichtlich, dass er überhaupt nicht mehr an sie dachte.
8. KAPITEL Als Serena am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sie sich schrecklich einsam, wusste jedoch nicht, warum. Sie lehnte sich in dem luxuriösen Zimmer, das Rafael ihr zur Verfügung gestellt hatte, in die Kissen zurück und blickte starr an die Decke, während sie zu ergründen versuchte, warum ihr so zu Mute war. Noch bevor sie die Augen geöffnet hatte, waren die Erinnerungen an den vergangenen Abend auf sie eingestürmt. Noch einmal hatte sie die prickelnde Erregung durchlebt, die sie zuerst verspürt hatte, das Entsetzen, das sie beim Anblick von Elenas Foto und Rafaels Eröffnung über ihren tragischen Tod empfunden hatte. „Nein", sagte sie und strich sich durchs Haar, als sie dem Ge sang der Vögel draußen lauschte. „Nein, daran liegt es nicht." Es war auch nicht die Erinnerung an den letzten Moment, als Rafael sie so unmissverständlich zurückgewiesen hatte, das Ge fühl, dass für sie kein Platz in seinem Leben war, was sie förmlich zerfraß. Sie hatte sogar einige Tränen vergossen, als sie allein in ihrem Bett gelegen und sich vorgestellt hatte, was hätte sein können. Diese Empfindung ging tiefer. Sie entsprang einem tief verwurzelten Gefühl des Verlusts, der Erkenntnis, dass irgend etwas mit ihr nicht stimmte und sie nicht wusste, was es war, Das Schlimmste daran war, dass sie sich wieder daran erinnerte, wie ihr in der Woche, nachdem ihre Mutter gestorben war, zu Mute gewesen war. „Das führt zu nichts!" sagte Serena laut zu sich selbst, „Steh auf, und mach etwas. Du musst dich um Tonio kümmern." Tonio. Beim Gedanken an den Kleinen schlug sie die Decke zurück und sprang aus dem Bett. Schnell zog sie den zu ihrem Nachthemd passenden Morgenmantel über, machte den Gürtel jedoch nicht zu. Was war mit Tonio los? Im Haus war es ganz still. Sicher war
er längst wach und hatte Hunger. Oder schlief er heute länger, weil er so spät noch getrunken hatte? Ob alles in Ordnung war? Mit klopfendem Herzen eilte sie in den Flur und zu seinem Zimmer, das schräg gegenüber von ihrem lag. Auf der Schwelle blieb sie entsetzt stehen. Das Bett war leer. „Tonio?" Angst schnürte Serena die Kehle zu. Wo war er? Was war passiert? Panik überkam sie, doch im selben Moment hörte sie ein leises Geräusch, das sie sofort erkannte. Ohne nachzudenken, ob es richtig war oder nicht, öffnete sie die Tür zu dem Raum, aus dem das Geräusch gekommen war, und eilte hinein. Als ihr klar wurde, was sie getan hatte, blieb sie unvermittelt stehen. Dies war Rafaels Zimmer. Das marineblaue und weiße Dekor verlieh ihm eine unverkennbare maskuline Note. Und Rafael saß direkt vor ihr. Er trug ein schwarzes T-Shirt mit V-Ausschnitt und eine weite blaue Hose und hatte es sich barfuss im Schneidersitz auf dem Bett bequem gemacht. Sein Haar war noch vom Schlaf zerzaust. Er hatte Tonio auf dem Arm und betrachtete ihn. Da er sie offenbar nicht bemerkt hatte, nutzte sie die Gelegenheit, um ihn und das Baby anzusehen. Wie immer krampfte sich ihr Herz beim Anblick seines kräftigen Körpers und dem winzigen Baby zusammen, und in ihren Augen schimmerten Tränen. In diesem Moment hätte sie nicht sagen können, wer von ihnen sie am meisten bezauberte. Sie wusste nur, dass die beiden ihr innerhalb weniger Tage sehr wichtig geworden waren und sie sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen konnte. Schließlich bewegte sich Tonio und gluckste zufrieden. Daraufhin lächelte Rafael zärtlich und zog mit dem Finger die Kontur seines Gesichtchens nach. Sein Lächeln vertiefte sich, als der Kleine daraufhin zu brabbeln begann. Erst dann stellte sie fest, dass Rafael offenbar geweint hatte, denn seine Wimpern waren feucht, und Tränenspuren zeichneten sich auf seinen Wangen ab. Sie war schockiert und verspürte heftige Schuldgefühle, als sie daran dachte, wie sie ihm vorgeworfen hatte, er wäre nicht einmal fähig, um Elena zu trauern. Ich sollte gehen, dachte sie. Sie hätte die beiden in diesem intimen Moment nicht stören dürfen. Als sie sich abwandte und das Zimmer verlassen wollte, stolperte sie jedoch über den Gürtel ih
res Morgenmantels, der offenbar hinuntergerutscht war, und musste sich an der Türklinke festhalten. Sofort blickte Rafael auf und sah s ie stirnrunzelnd an, „B... Buenos dias", grüßte sie verlegen und setzte ein Lächeln auf, um die Atmosphäre aufzulockern. Statt ihr Lächeln zu erwidern, betrachtete er sie kühl, und ihr Magen krampfte sich zusammen. „Das ist doch richtig, oder?" versuchte sie es erneut. „, Buenos dias' heißt. 'Guten Morgen', nicht?" „Ja. " Rafaels Stimme schien von ganz weit her zu kommen. „Buenos dias, querida.“ Das letzte Wort sprach Rafael mit einem so ironischen Unterton aus, dass es wie eine Beleidigung klang. Allerdin gs war das nicht der Grund dafür, dass Serena entsetzt aufstöhnte und sich schnell die Hand vor den Mund hielt. In dem Moment, als er gesprochen hatte, hatte es in ihrem Kopf „Klick" gemacht, und sie erinnerte sich geradezu schockierend deutlich. „Ein Trau m!" sagte sie mit bebender Stimme, „Es war ein Traum.“ „Cómo?" fragte er, doch sie schüttelte nur gequält den Kopf. Wie kurze, zusammenhanglose Fetzen aus einem Film tauchten bestimmte Szenen vor ihrem geistigen Auge auf, allerdings nur für einige Sekunden. „Ich hatte letzte Nacht einen Traum.“ Wieder schüttelte sie den Kopf, während sie Klarheit zu ge winnen versuchte. „Es war dunkel... abends... Ich... ich saß in einem Wagen... " „Dios!" Rafael widmete ihr nun seine ganze Aufmerksamkeit. Nach dem er Tonio vorsichtig aufs Bett gelegt und ihn auf jeder Seite mit zwei Kissen gestützt hatte, damit er nicht hinunterrollte, kam er zu ihr. Sie machte eine flehende Geste, denn sie wollte ihn berühren, von ihm in den Armen gehalten werden. Er blieb jedoch auf Dis tanz, und seine Miene war abweisend. „In einem Wagen", wiederholte er scharf. „Was für ein Wa gen?" „Ich... ich weiß nicht. Er war schwarz. Lang, niedrig... die Sitze waren aus hellem Leder... " Rafael fluchte heftig. „El mio coche", sagte er leise, und be stürzt sah sie ihn an. „Mio... Du meinst, es war dein Wagen. Der Wagen, in dem ich
verunglückt bin?" „Genau. Was hast du sonst noch geträumt?" „Ich... " „Serena!" Jetzt schien es wieder, als würde er sie einem Verhör unterziehen. „Was hast du sonst noch geträumt?" „Es ist alles so verworren... " Serena presste die Hände an die Schläfen und bedeckte die Augen, während sie sich zu konzentrieren versuchte. Sie sah die Dunkelheit und die grellen Scheinwerferlichter vor ihnen auf der Straße. Der Wagen bewegte sich mit halsbrecherischer Geschwindigkeit. Über das Motorengeräusch hinweg flehte jemand, und eine andere Stimme, die eisig klang... "Du!" Ihre Gedanken wirbelten durcheinander, und entsetzt blickte Serena ihn an. „Du warst es, Du hast den Wagen gefahren.“ „Madre de Dios!" Rafael hob verzweifelt die Hände. „Ich dachte, du würdest dich wieder erinnern... " „Das habe ich auch... " Sein vernichtender Blick ließ sie verstummen, und ihre Hoffnung schwand. „Ich dachte, ich würde mich erinnern", verbesserte Serena sich traurig. „Du hast gesagt, das mit dem Wagen würde stimmen.“ „Du hast meinen Wagen richtig beschrieben", bestätigte er. „Aber wenn du mich auf dem Fahrersitz gesehen hast, kann ich dir versichern, dass du dich nicht erinnerst, sondern fantasierst.“ Niedergeschlagen senkte sie den Kopf. Sie wollte die Bilder nicht loslassen. Zusammen mit dem schrecklichen Gefühl der Einsamkeit, dass sie eben noch verspürt hatte, schienen sie der beste Weg gewesen zu sein, sich an das verlorene Jahr zu erinnern. Aber wenn Rafael sagte... Unvermittelt blickte sie wieder auf. „Möchtest du denn, dass ich mich erinnere?" erkundigte sie sich herausfordernd. „Natürlich. " Seine Antwort kam prompt, und ein unbeteiligter Beobachter hätte angenommen, dass Rafael die Wahrheit sagte. Da sie ihn jedoch mittlerweile so gut kannte und jede Gefühlsregung registrierte, bezweifelte Serena es. Sie war sicher, dass er für den Bruchteil einer Sekunde gezögert und ganz kurz den Blick gesenkt hatte, so dass sie den Ausdruck in seinen Augen nicht deuten konnte.
„Das behauptest du! Kann ich dir denn vertrauen? Du hast mir erzählt, du wärst zu dem Zeitpunkt nicht mal in England gewesen, aber ich weiß nicht, ob es stimmt! Du hast behauptet, der Mann am Steuer wäre... " „Ich habe nichts behauptet, warf Rafael trügerisch ruhig ein, und seine Augen funkelten kalt. „Ich habe dir gesagt... " „Oh, ich weiß, was du gesagt hast, aber du hättest mir alles Mögliche erzählen können! Du hättest mir weismachen können, ich wäre deine Frau und Tonio mein Kind. Wenn du behauptet hättest, ich hätte den Wagen gefahren, hätte ich es dir glauben müssen, weil ich nicht weiß, was passiert ist. " Er hatte die Hände zu Fäusten geballt, und es war offensichtlich, dass er sich nur mühsam beherrschte. Serena war allerdings zu aufgebracht, um an die Folgen zu denken. „Woher soll ich denn wissen, ob du nicht lügst, um etwas zu vertuschen?" „Was sollte ich vertuschen?" fragte er scharf und betrachtete sie aus zusammengekniffenen Augen. Sie überlegte angestrengt. „Na ja, vielleicht hast du den Wagen gefahren und den Unfall... " Seine Reaktion verblüffte sie. Rafael warf den Kopf zurück und lachte schallend. Seine weißen Zähne bildeten einen faszinierenden Kontrast zu seinem dunklen Teint. „Was ist?" erkundigte Serena sich entrüstet, sobald sie die Sprache wieder gefunden hatte. „Oh Serena, querida", meinte er lässig und mit einem spöttischen Unterton, der sie noch nervöser machte. „Jetzt weiß ich, dass du nicht klar denkst, belleza. Wenn ich den Wagen wirklich gefahren hätte, wie du es dir zusammenfantasierst, hätte eure tüchtige englische Polizei es bestimmt längst herausgefunden. Glaubst du nicht, sie hätte...?“ „Okay, okay, ich habe verstanden", unterbrach sie ihn scharf. „Du hast den Wagen also nicht gefahren. Und... und der Fahrer... Ist er wirklich tot?" Sein Lächeln verschwand, und er wurde trotz seiner Bräune blass. „Si", bestätigte er ernst. „Der Fahrer war sofort tot.“ Nervös zupfte sie am Revers ihres Morgenmantels. „Ich denke immer noch, ich hätte etwas untern ehmen sollen... " „Nein!" verkündete Rafael in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. „Ich habe dir doch gestern bereits gesagt, dass du
nichts tun konntest. " „Trotzdem... " Sie verstummte, als Tonio zu schreien begann. Offenbar langweilte es ihn, immer nur an die Decke zu blicken oder seine Händchen zu betrachten. Sofort wandten Rafael und sie sich ihm zu. „Was ist denn, mein Kleider?" erkundigte Serena sich liebevoll und beugte sich über ihn. Fasziniert begann er, nach ihrem Haar zu greifen. „Hast du Hunger?" „Bestimmt nicht", erklärte Rafael. „Ich hatte ihm gerade seine Flasche gegeben, als du reingekommen bist." Er deutete auf die leere Flasche auf dem Nachttisch, die sie erst in diesem Moment bemerkte. „Aber ich nehme an, dass seine Windel jetzt gewechselt werden muss. Das überlasse ich gern dir. " „Danke", konterte sie trocken, erleichtert über den Themenwechsel. Dann hob sie Tonio vom Bett. „Ich kümmere mich gleich darum.“ „Vielleicht solltest du erst deinen Morgenmantel zumachen", erklärte er zu ihrer Überraschung. „Du möchtest mit ihm auf den Armen bestimmt nicht hinfallen.“ Serena folgte seinem Blick und sah an sich hinunter. Erschrocken schrie sie auf und errötete, als sie dabei feststellte, dass sie viel Haut zeigte und ihre Brüste sich verführerisch unter dem Nachthemd abzeichneten. Der Gedanke, dass Rafael sie die ganze Zeit so gesehen hatte, beschleunigte ihren Puls. „Du hättest es mir sagen können!" warf sie ihm vor und versuchte mit einer Hand, den Morgenmantel zusammenzuraffen. „Ich habe den Anblick genossen", erwiderte er lässig und betrachtete sie dabei mit einem verlangenden Ausdruck in den Augen, der sie noch tiefer erröten ließ. „Und du brauchst wirklich nicht in Panik zu geraten. Du zeigst auch nicht mehr Haut, als du es am Strand tun würdest oder... " „Ich bin aber nicht am Strand!" unterbrach sie ihn scharf, weil sie es partout nicht schaffte, ihre Blöße zu bedecken. Sie bezweifelte, dass sie sich besser fühlen würde, wenn Rafael und sie am Strand wären oder sie statt des dünnen Nachthemds ein Baumwollkleid tragen würde. Was sie verlegen machte, war einzig und allein seine Reaktion - das unverhohlene Funkeln in seinen Augen, sein anerkennendes Lächeln und sein wissender Blick. Fast erschien es ihr unanständig sich auszumalen, wie er sie
streichelte, heiße Küsse auf ihrer erhitzten Haut verteilte und sie dabei an sich presste, während sie seinen drei Monate alten Sohn auf dem Arm hielt. „Komm... " Unvermittelt machte er einen Schritt auf sie zu. „Ich helfe dir. " „Danke", erwiderte sie, doch erst dann wurde ihr klar, was er vorhatte. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass er ihr Tonio abnehmen würde, damit sie ihren Gürtel zumachen konnte. Statt dessen nahm er sich jedoch ihres Morgenmantels an und nutzte es schamlos aus, dass sie Tonio auf dem Arm hatte und ihn nicht daran hindern konnte, sie überall zu berühren. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als stillzuhalten und innerlich vor Wut zu kochen, während er den Morgenmantel zuzog und dabei absichtlich mit den Fingern ihre Knospen streifte, die sich sofort aufrichteten. Serena schluckte mühsam. Sie war fest davon überzeugt, dass er merkte, wie sehr er sie erregte, aber er sagte nichts, sondern strich ihren Morgenmantel glatt. Serena erschauerte unter seinen Berührungen und biss die Zähne zusammen. Schließlich ließ er die Hände tiefer gleiten, so dass sie noch mehr Qualen litt. Als er ihren Po umfasste, bekam sie ganz weiche Knie. Sie wusste nicht, wie sie es schaffte, sich ihm nicht entgegenzudrängen. Wenn sie Tonio nicht auf dem Arm gehabt hätte, dann hätte sie Rafael eine schallende Ohrfeige verabreicht, um seinen herausfordernden Gesichtsausdruck zu vertreiben. Allerdings verwarf sie den Gedanken schnell wieder. Wem machte sie etwas vor? Sie hätte ihn nicht davon abgehalten, selbst wenn sie es gekonnt hätte. Immerhin hätte sie ja auch etwas sagen können, statt lediglich scharf einzuatmen. Ihr Herz klopfte schneller, ihr Atem ging unregelmäßig, sie stand in Flammen, und ihr verschwamm alles vor den Augen, so heftig sie auch blinzelte. Und gerade als sie glaubte, es wäre vorbei, verknotete Rafael ihren Gürtel und streifte dabei wieder ihre Brüste. Endlich, nach einer Ewigkeit, wie es ihr schien, löste er sich von ihr und wich einen Schritt zurück. Sofort wich ihr Verlangen tiefem Frust. „Zufrieden?" fragte Serena scharf und bereute es sofort. Rafael lächelte verführerisch. „Zufrieden?" Seine Augen funkelten spöttisch. „Im Gegenteil, querida. Viel lieber würde ich
dich ausziehen, ganz langsam, als würde ich einen reifen Pfirsich schälen, und... " „Ich fürchte, deine Fantasie geht mit dir durch, du Mache", unterbrach sie ihn eisig. „Und wenn du jetzt nicht damit aufhörst und mich andere Sachen machen lässt, wird der andere Mann in meinem Leben sich lautstark bemerkbar machen.“ „Der andere... ?" Einen Moment lang wirkte er verwirrt. „Ich rede von Tonio", erklärte sie entschlossen. „Wenn mein Geruchssinn mich nicht trügt, braucht er ganz schnell eine neue Windel.“ „Na, dann geh lieber.“ Schnell wich er noch einen Schritt zurück. „So, mein Kleiner", sagte sie zu Tonio, als sie an Rafael vorbei ins Kinderzimmer ging. „Bei Daddy rutscht der Verstand manchmal in die Hose. Wenn du größer bist... " „Wenn Tonio größer ist... ", rief Rafael ihr im Flur hinterher. „wird er weibliche Rundungen bestimmt so bezaubernd finden wie ich. " „Natürlich wird er das", rief sie über die Schulter und drehte sich noch einmal kurz zu ihm um. „Schließlich ist er dein Sohn und Erbe. Und wie der Vater, so der Sohn. " Sofort merkte sie, dass sie zu weit gegangen war, denn das Lächeln, das seine sinnlichen Lippen umspielt hatte, verschwand, und seine Miene verfinsterte sich. „Ich habe dich eingestellt, damit du dich um Tonio kümmerst", erklärte er scharf, „und nicht, damit du Bemerkungen über meinen Charakter und meine Lebensweise machst. Es wäre schön, wenn du daran denken würdest. Wenn du ihm die Windel gewechselt hast, leg ihn in sein Bett. Er muss jetzt sein Nickerchen machen. " „Ja, Sir!" sagte Serena und salutierte, bevor sie das Kinderzimmer betrat. Dort legte sie Tonio auf die Wickelkommode und betrachtete ihn lächelnd. „Ich frage mich, was deinem Daddy für eine Laus über die Leber gelaufen ist", meinte sie amüsiert und verwirrt zugleich. „Hast du eine Ahnung?" Doch Tonio sah sie nur an und begann, wild zu strampeln, als sie ihm den Schlafanzug auszog. Als er eine Viertelstunde später mit einer frischen Windel und in einem sauberen Strampelanzug in seinem Bett lag und im Be griff war einzuschlafen, kehrte sie in ihr Zimmer zurück, um zu duschen und sich das Haar zu waschen.
Seit sie an diesem Morgen aufgewacht war und so deprimiert gewesen war, schien eine Ewigkeit vergangen zu sein. Stirnrunzelnd sank sie auf den Stuhl vor dem Frisiertisch und betrachtete sich zerknirscht im Spiegel. Die Ringe unter ihren Augen verrieten, dass sie schlecht geschlafen hatte. Die Erinnerungen an ihren Traum trübten ihre Gedanken und drohten ihr den Tag zu verderben. „Ich war mir so sicher", sagte sie. „So sicher, dass es kein Traum war, sondern Erinnerungen, " Als Rafael gelacht hatte, war ihr allerdings klar gewesen, dass er nicht am Steuer gesessen hatte. Wie war sie bloß darauf gekommen, dass er der Fahrer gewesen sein konnte, der Mann, der den Unfall verursacht hatte? Leider war der Traum von Anfang an sehr undeutlich gewesen. Seufzend stützte sie das Kinn in die Hände und blickte in den Spiegel. „Warum, warum ist es passiert?" fragte sie sich. „Warum, in aller Welt, träume ich ausgerechnet von Rafael?" „Die Antwort liegt auf der Hand", erwiderte jemand hinter ihr leise. Als sie aufsah, bemerkte sie Rafael, der auf der Schwelle stand und eine Hand lässig gegen den Türrahmen gestützt hatte. „Weißt du, querida", fuhr er fort, als sie wie erstarrt dasaß und schwieg, „es überrascht mich nicht, dass du von mir geträumt hast. Schließlich habe ich nachts so oft wach gelegen und an dich gedacht. Und wir wissen beide, warum. " „Ach, tatsächlich?" brachte Serena mühsam hervor. Offenbar hielt er es nicht für nötig, darauf zu antworten. Er straffte sich und machte einen Schritt auf sie zu. Sofort sprang sie auf, wirbelte herum und blickte ihn ängstlich an, wie ein Reh, das von einem Jäger in die Enge getrieben worden war. „Was meinst du damit?" „Ach komm, mi belleza.“ Ungläubig schüttelte er den Kopf. „Du weißt genau, was ich meine. Ich habe von dir geträumt, weil du vom ersten Moment an eine Wirkung auf mich ausgeübt hast wie noch nie eine Frau zuvor. Ich begehre dich so sehr, dass es wehtut, egal, ob ich wach bin oder schlafe. Deswegen träume ich von dir. Es sind erregende Träume, die so viel verheißen und doch nicht in Erfüllung gehen. Wenn ich aufwache, ist der Schmerz... das Verlangen noch da, und es ist schlimmer denn je, weil ich nahe daran war... " Rafael sah ihr tief in die Augen. Seine Pupillen waren so groß,
dass die Iris kaum noch zu sehen war. „Und du verstehst es, weil es dir ganz genauso geht.“ „N... " Serena wollte es leugnen, brachte jedoch kein Wort über die Lippen. Sie schluckte verzweifelt, befeuchtete sich mit der Zunge die trockenen Lippen und versuchte es wieder, allerdings mit demselben Ergebnis. So gern sie es auch abgestritten hätte, sie konnte einfach nicht sprechen. "Ja", fuhr er rau fort, „du weißt, was ich durchgemacht habe, weil du genauso von mir geträumt und dich nach mir gesehnt hast wie ich mich nach dir. Soll ich dir von meinen Träumen erzählen, Serena?" „N... nein. " Diesmal schaffte sie es tatsächlich, das Wort über die Lippen zu bringen. Es klang wie ein verzweifeltes Stöhnen, weil sie von Panik ergriffen war. In der Nacht davor hatte sie von einem Moment wie diesem geträumt. Sie hatte geträumt, wie Rafael zu ihr kam, als leiden schaftlicher Liebhaber, der seiner Begierde auch mit Worten Ausdruck verlieh. Nun, da ihr Traum Wirklichkeit geworden war, musste sie allerdings der Tatsache ins Auge blicken, dass er einen bitteren Beigeschmack hatte, Denn Rafael bot ihr nicht sein Herz. Was er von ihr wollte, hatte nichts mit Gefühlen zu tun, und er wiederum würde ihr nichts als seinen Körper schenken. In der kurzen Zeit, die sie ihn und Tonio kannte, hatte sie sie so ins Herz geschlossen, dass sie nicht mehr ohne sie leben konnte. Er hingegen empfand nur Verlangen für sie. „Nein, Rafael", versuchte sie es wieder, und ihre Stimme klang ganz heiser. Aber er hörte ihr nicht zu. „Soll ich dir erzählen, wie du zu mir kommst - nackt und warm, so warm, dass ich sofort in Flammen stehe? Wie du mir die Arme um den Nacken legst, die Finger in mein Haar schiebst und mich küsst, bis mir ganz schwindlig wird und ich nur noch an dich denken kann?" „Rafael, bitte... ", flüsterte Serena und bemerkte sein flüchtiges, gefährlich verführerisches Lächeln. „Weißt du, wie oft ich dich das in meinen Träumen habe sagen hören? Wie oft du mich angefleht hast, dich endlich zu nehmen und dich zu lieben, bis wir beide so erschöpft sind, dass wir kaum noch atmen können? Und kannst du dir vorstellen, wie mir zu Mute ist, wenn ich aufwache und feststelle, dass nichts davon wahr ist? Dass es nur in meiner Fantasie passiert ist? Kannst du
dir vorstellen, wie das ist?" „Oh ja!" Mühsam brachte sie die Worte über die Lippen, als sie sich an den Traum erinnerte, den sie im Krankenhaus und letzte Nacht gehabt hatte. Und daran, wie leer sie sich gefühlt hatte, nachdem sie aufgewacht war. „Ich wusste es", sagte Rafael triumphierend. „Ich wusste, dass es dir genauso ergangen ist. Aber heute ist der Tag, an dem wir aufhören zu träumen. Heute, mi corazón, finden wir heraus, ob die Realität genauso schön ist. " Dann kam er ins Zimmer und stieß die Tür mit dem Fuß zu.
9. KAPITEL „Rafael... " Es war Protest, Bitte und Verlockung zugleich. „Rafael, ich glaube, ich kann das nicht.“ Rafael lächelte flüchtig, doch es war kein amüsiertes, sondern ein grausames Lächeln, und seine Augen funkelten kühl. „Oh Serena... " Sein Akzent war jetzt besonders deutlich zu hören, und es klang so sinnlich, dass ein Schauer sie überlief. „Serena, mi amor, du musst dich jetzt von deinen Gefühlen leiten lassen, und wir setzen das, was wir gedacht haben, in die Tat um. Außerdem möchte ich mich an dir rächen. " Entsetzt sah sie Rafael an. „Rächen?" Damit hatte sie nicht gerechnet, und es machte ihr Angst. Diesmal war sein Lächeln richtig sexy. „Du hast mir alles Mögliche vorgeworfen - dass mein Verstand manchmal in die Hose rutscht, dass meine Fantasie mit mir durchgeht und ich ein Macho bin... Madre de Dios!" Seine Augen blitzten. „Ich werde dir jetzt beweisen, dass ich kein Macho bin, das bist du mir schuldig. Komm zu mir, mi corazón... " Er streckte die Hand aus, und ihr Mund wurde schon ganz trocken bei dem Gedanken, wie Rafael ihre Hand mit seinen langen, kräftigen Fingern umschloss. „Komm zu mir, und lass mich dir beweisen, dass ich nur an dich denken kann, wenn ich mit dir zusammen bin. Wie ich dich auf so unterschiedliche Arten küssen kann, dass du nie genug davon bekommst. Wie ich dich berühren, streicheln kann, bis du in Flammen stehst und in meinen Armen dahin schmilzt. Ich werde dir Dinge beibringen, die du nie für möglich gehalten hättest, und dich an Stellen erregen, von deren Existenz du bisher nichts geahnt hast... "
Sie stand bereits in Flammen, und er redete nur mit ihr! Serena wagte nicht sich vorzustellen, wie es sein würde, wenn er sein Versprechen in die Tat umsetzte. Und ihr Verstand war offenbar auch schon ausgeschaltet, denn sie konnte sich nicht entsinnen, auch nur einen Schritt nach vorn gemacht zu haben. Trotzdem stand sie plötzlich so dicht vor Rafael, dass seine Hand fast ihr Gesicht berührte. „Komm zu mir", wiederholte er rau, und Serena erschauerte. „Komm zu mir, und lass mich dir zeigen, wie man sich richtig liebt.“ „Rafael... " Sie konnte ihre Gefühle jetzt nicht länger leugnen. Impulsiv ging sie zu ihm, legte ihm die Arme um den Nacken und zog seinen Kopf zu sich herunter. Als sein Mund nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt war, hielt sie inne und blickte ihm tief in die Augen. „Du solltest dein Versprechen endlich einlösen!" sagte sie heiser. Da sie ihm immer noch in die Augen blickte, konnte sie sein Lächeln nicht sehen, doch es spiegelte sich in seinen Augen. Es war, als würde die Sonne über dem Horizont aufgehen, zu Beginn eines schwülen Sommertages. „Darauf gebe ich dir mein Wort", erwiderte er rau. „Alles, was ich dir versprochen habe, wirst du auch bekommen. Alles - und noch mehr. " Und dann neigte er den Kopf und presste die Lippen verlangend auf ihre, womit er sein erstes Versprechen erfüllte. Ein Kuss, und Serena konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Noch gestern hatte sie Zweifel gehabt. Jetzt hatte sie allerdings keine Zeit für solche Gefühle. Jetzt war sie fast verhungert, und Rafael bot ihr ein Festmahl, dem sie nicht länger widerstehen konnte. Seine Lippen auf ihren waren die reinste Verführung. Im einen Moment war es Feuer und Hitze, Verlangen und Nehmen, bis ihr schwindlig wurde und sie die Finger in seine breiten Schultern krallte. Aber irgendwie spürte er intuitiv immer, wann es zu viel wurde, und mäßigte sich in letzter Sekunde. Dann wurde sein Kuss so zärtlich, dass er sie bis ins Innerste anrührte. Heiße Tränen brannten ihr in den Augen und drangen unter ihren geschlossenen Lidern hervor, als sie sich diesem Gefühl hingab, das ihr die Seele aus dem Körper zu reißen schien. Ihr Herz schien aufgehört haben zu schlagen, als Rafael sich ihr entgegen
drängte, und sie spürte, wie erregt er war.1 „Siehst du, was du mir antust?" fragte er rau an ihren prickelnden Lippen. „Siehst du, wie viel Macht du über mich hast?" „Macht?" brachte sie hervor und glaubte, sich verhört zu haben. Ihr schien es, als wäre er derjenige, der hier Macht ausübte und die Kontrolle hatte. Seine physische Stärke und ihr schmerzliches Verlangen waren eine Kraft, der sie nicht widerstehen konnte. „Ich habe keine... " „Oh doch", entgegnete er rau. „Du hast die Macht, mir den Himmel zu zeigen oder mich in die Hölle zu verdammen. Mich vor Verlangen um den Verstand zu bringen oder meine wildesten Fantasien wahr werden zu lassen... Und die erste ist die hier... " Ungeduldig zerrte er an dem Gürtel ihres Morgenmantels, so dass dieser auseinander klaffte. Serena erschauerte, als er zu Boden glitt, allerdings vor Vorfreude und nicht vor Angst. Noch1 nie hatte sie sich so lebendig gefühlt, und heiße Wellen der Erregung durchfluteten sie bei seinen Berührungen und ließen ihre Haut prickeln. „Rafael... " Sie wollte es ihm sagen. Er sollte wissen, was sie empfand, was für eine Wirkung er auf sie ausübte. Aber sie konnte das süße, wilde Verlangen, das immer stärker wurde und ihr Blut zum Sie den brachte, nicht in Worte fassen. „Rafael... ", versuchte sie es wieder. „Was ist?" Sein Flüstern an ihrer Haut erregte sie noch mehr. „Küss... " Sie konnte es nicht aussprechen. Doch er brauchte keine weiteren Anweisungen mehr. Nachdem sie einige Male aufgestöhnt hatte, hörte er auf, sie zu küssen, und ließ die Lippen über ihren Hals und ihre Schultern gleiten.1 „Du willst das hier", sagte er rau. „Das... " Mit der Zunge liebkoste er den Ansatz ihrer Brüste, „Und das... " Rafael ließ den Mund noch tiefer gleiten. Als sie seine heißen Lippen durch den dünnen Stoff ihres Nachthemds spürte, drehte sich ihr alles. „Ja", brachte sie hervor und seufzte. „Oh ja... " Ihre Unsicherheit und Angst waren verflogen, und Serena gab sich ganz seinen Zärtlichkeiten hin. Sie zweifelte nicht daran, dass sie ihm ihren Körper bedin gungslos anvertrauen konnte. Dass er sie leidenschaftlich lieben würde.
Aber vor allem wusste sie, dass sie ihm die Führung überlassen konnte und er ihr ungeahnte Lust bereiten würde. Dass er ihr die Befriedigung verschaffen würde, nach der sie sich sehnte, die Er füllung, die er ihr versprochen hatte. Dennoch konnte sie sich nicht zurückhalten und drängte ihn weiter.1 „Mehr", flehte sie verlangend. „Mehr. " Und sie spürte seinen warmen Atem, als er lachte, wie eine Liebkosung. „Oh, du wirst mehr bekommen, querida", erwiderte er heiser. „Immer mehr, bis du vor Lust zu vergehen glaubst. Was soll ich machen? Dich hier küssen?" Rafael umfasste ihre Brüste, und Serena warf den Kopf zurück und schrie unkontrolliert auf, als er eine Spitze durch den dünnen Stoff hindurch mit der Zunge zu reizen begann, bis dieser ganz feucht war. Dann umschloss er die feste Knospe mit den Lippen und begann, daran zu saugen. Heißes Verlangen durchzuckte Serena. Sie krallte die Hände in sein dunkles Haar und drängte sich ihm entgegen, so dass er wiederum vor Lust aufstöhnte. „Dios!" brachte er hervor. „Ich möchte dich nackt sehen... " Nachdem er ihr das Nachthemd ausgezogen und es achtlos beiseite geworfen hatte, streichelte er sie überall. Er ließ die Hände immer tiefer gleiten, bis sie ihrer empfindsamsten Stelle gefährlich nahe waren, ohne sie jedoch dort zu berühren. Am liebsten hätte sie frustriert aufgeschrien. "Rafael!" Diesmal war es ein wütender Protest. Serena schob die Hände in sein Haar, umfasste seinen Kopf und presste die Lippen auf seine, um ihm zu zeigen, was er ihr antat. Sie spürte den Stoff seines T-Shirts an den empfindsamen Knospen und sehnte sich danach, seine nackte Haut zu spüren. „Du hast zu viel an!" beschwerte sie sich. „Tatsächlich?" Seine goldfarbenen Augen funkelten, und der Ausdruck darin bewies, dass Rafael genau wusste, wie nahe sie daran war, die Kontrolle zu verlieren. „Das kann ich ändern.“ Er zog das T-Shirt aus dem Hosenbund. „Nein... Lass mich das machen. " Serena beschloss, sich auf diese Weise dafür an ihm zu rächen, dass er sie so gequält hatte. Bewusst langsam streifte sie ihm das T-Shirt ab. Dann ließ sie die Fingerspitzen über seine erhitzte
Haut gleiten und lächelte triumphierend, als sie spürte, wie seine Muskeln sich zusammenzogen, und er erregt aufstöhnte. Sobald sie die Hände zu seiner Gürtelschnalle gleiten ließ, verharrte er jedoch regungslos. Angespannt wartete er, bis sie die Schnalle geöffnet hatte. Ihre Finger zitterten ein wenig, als sie den Reißverschluss seiner Hose hinunterzog und die Hand. unter den Bund seiner seidenen Boxershorts schob. „Maldito sea!" In dem Moment, als er die Beherrschung verlor, schien er auch des Englischen nicht mehr mächtig zu sein. Ungeduldig streifte er seine restlichen Sachen ab und zog Serena an sich. Er hob sie hoch, trug sie zum Bett und ließ sie einfach darauf fallen. Schnell legte er sich neben sie und schob ihre zarten weißen Schenkel mit seinem muskulösen, gebräunten Bein auseinander. Und dann endlich berührte er sie dort, wo sie sich am meisten danach sehnte. Mit gekonnten Bewegungen streichelte und reizte er ihre empfindsamste Stelle und weckte ungeahnte Empfindungen in ihr, die sie fast bis an den Rand der Ekstase brachten. Serena konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, nur noch fühlen. Verzweifelt streckte sie die Hände nach ihm aus. Sie verzehrte sich so danach, eins mit ihm zu werden, dass sie fest davon überzeugt war, sterben zu müssen, wenn er sie jetzt nicht nahm. „Ja", sagte sie verlangend. „Rafael, ja... ja... " Doch zu ihrem Entsetzen verharrte er plötzlich mitten in der Bewegung, und sein unerwarteter Stimmungswechsel war wie ein Schlag für sie. „Rafael... ?" Ängstlich öffnete sie die Augen und versuchte, sich auf sein dunkles Gesicht zu konzentrieren. „Rafael, was ist?" „Serena, mi corazón", sagte er leise, und seine Stimme zitterte genauso wie seine Hände, als er ihr Gesicht umfasste. „Du musst ganz sicher sein, dass du es auch willst. Wenn du nur einen Moment lang glaubst, du wirst es bereuen, dann halte mich jetzt davon ab. Halte mich davon ab, solange ich noch einen klaren Gedanken fassen kann, solange... " „Nein!" Serena hob ein wenig den Kopf und presste die Lippen auf seine, um ihn zum Schweigen zu bringen. „Nein!" wiederholte sie, diesmal noch eindringlicher. „Nein, ich werde e1 nicht bereuen. Nein, ich könnte niemals wünschen,
dass es nicht passiert wäre. Und vor allem möchte ich nicht, dass du aufhörst. " „Dios gracias!" erwiderte er inbrünstig. „Dios gracias, ich möchte es nämlich auch nicht.“ Dann küsste er sie wieder und schob dabei die Hände unter ihren Po, um sie hochzuheben. Mit einem kräftigen Stoß drang er in sie ein. Schockiert und entzückt zugleich schrien sie beide auf und sahen sich tief in 1ie Augen, als Rafael sich hin und her zu bewegen begann. Heiße Wellen der Lust durchfluteten ihren Körper, bis Serena es nicht mehr ertragen zu können glaubte. Doch es war noch nicht alles, und Rafael bestimmte den Rhythmus. Mit jedem Stoß trieb er sie höher und höher, bis sie schließlich den Gipfel der Ekstase erreichte und sich aufbäumte. Verzückt flüsterte sie seinen Namen, während sie sich dem unbeschreiblichen Vergnügen hingab. Sie wusste nicht, wie lange es dauerte, bis die Wellen der Lust abgeebbt waren und ihr Verstand wieder funktionierte. Sie wusste nur, dass die Wirklichkeit, in die sie zurückkehrte, nicht mehr dieselbe war wie vorher und auch nie wieder dieselbe sein würde. Rafael war nun ihr Liebhaber, und das war der Weg, dem sie folgen musste, egal, was passieren würde. Und jetzt hatte er die Macht, ihr den Himmel zu zeigen oder sie in die Hölle zu schicken. Denn1dieser Mann, der ihr solche Wonnen bereitet hatte, hatte auch ihr Herz erobert. Sie hatte sich unwiderruflich und hoffnungslos in Rafael Cordoba verliebt, und daher würde ihr Leben nie wieder dasselbe sein. Rafael, der neben ihr lag, bewegte sich und seufzte zufrieden. Da sie sich der neuartigen Gefühle, die sie verspürte, zu sehr bewusst war und sich zu verletzlich fühlte, um die Augen zu öffnen und seinem forschenden Blick zu begegnen, streckte sie die Hand aus und berührte ihn leicht am Arm. „Eins muss man dir lassen", sagte sie leise und rang sich ein lässiges Lächeln ab, „wenn du etwas versprichst, hältst du es auch.“ Sie konnte sein Lächeln nicht sehen, hörte es aber an seiner Stimme, als er in verführerischem Tonfall erwiderte: „Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich mein Wort immer halte. Un11jetzt verspreche ich dir noch etwas. Was immer du diesmal empfunden hast, es war nur der Anfang, glaub mir. Wir haben noch einige sehr lange Nächte vor uns, querida. Nächte, in denen ich dir zeigen werde, was Leidenschaft wirklich bedeutet. "
Während der ganzen folgenden Woche ging Serena das Versprechen nicht aus dem Kopf, und sie musste immer lächeln, wenn sie daran dachte. Und als die Woche vorbei war, wusste sie, dass Ra1ael es ernst gemeint hatte. Jede Nacht brachte neue Verzückung, neue Varianten von Sinnlichkeit und eine Steigerung der Lust, die sie niemals für möglich gehalten hätte, und sie entdeckte ihre Sexualität immer wieder von neuem. Und mit jedem Tag wuchs ihre Liebe zu Rafael in dem selbem Maße wie ihr Verlangen, bis Serena nach sieben Tagen und sieben Nächten wusste, dass er für sie so wichtig war wie ihr Herzschlag und die Luft, die sie atmete. Doch wenn sie es sich eingestand, verschwand ihr Lächeln manchmal, und ein trauriger Ausdruck trat in ihre Augen. Denn obwohl Rafael ihr zu verstehen gegeben hatte, dass sie momentan ein wichtiger Teil seines Lebens war, gingen seine Gefühle über Leidenschaft nicht hinaus, Er redete nicht über seine Empfindungen, machte keine Versprechen und schien nicht einmal auf den G1danken zu kommen, dass sie sich vielleicht mehr erträumte. Er brauchte nicht mehr, und er schien zu glauben, dass es ihr auch genügte. Und da war immer noch das Problem mit ihrem Gedächtnis. Nach wie vor konnte sie sich an die fehlenden zwölf Monate nicht erinnern. Seit sie im Krankenhaus aufgewacht war, hatte sie in der Hinsicht überhaupt keine Fortschritte gemacht. Deswegen verspürte Serena ein Hochgefühl und schöpfte wieder Hoffnung, als Rafael eines Nachmittags mit aufregenden Neuigkeiten nach Hause kam. „Sagt dir das hier etwas?" fragte er und hielt ihr ein Blatt entgegen. Sie ließ sich von seinem lässigen Tonfall allerdings nicht täuschen und riss es ihm buchstäblich aus der Hand. Nachdem sie die Adresse, die darauf stand, überflogen hatte, verspürte si1 wieder jene vertraute Enttäuschung. Niedergeschlagen schüttelte sie den Kopf. „Ich kenne die Adresse nicht. Warum? Müsste sie mir etwas sagen?" Rafael betrachtete sie abschätzend und nachdenklich zugleich. Offenbar prägte er sich jede Einzelheit ihrer Reaktion genau ein. „Man hat mir gesagt, dass das die Adresse in London ist, wo du vor dem Unfall gewohnt hast.“ „Tatsächlich?" Serena las die Adresse noch einmal und versuchte dabei ver
zweifelt, etwas damit in Verbindung zu bringen. Vergeblich. Es war nichts weiter als eine Aneinanderreihung von Wörtern auf einem Blatt Papier. Sie sah weder ein Haus vor sich, noch kannte sie den Stadtteil von London. „Ich kenne die Norway Street nicht", erklärte sie und seufzte. „Der Name sagt mir nichts. Woher hast du die Adresse?" „Von einem Privatdetektiv, den ich engagiert habe. " Sein Gesicht war ausdruckslos. Falls Rafael genauso aufgeregt oder enttäuscht war wie sie, ließ er es sich nicht anmerken. „Er arbeitet jetzt schon eine ganze Weile an dem Fall.“ „Das hast du mir nie erzählt!" „Es gab auch nichts zu erzählen. Und ich wollte dich nicht unnötig aufregen, bevor er irgendwelche Ergebnisse vorweist. " „Ist diese Adresse das Erste, was er herausgefunden hat?" „Das Erste, was für dich von Bedeutung ist. Aber vielleicht bringt es uns nicht weiter. " „Das kann nicht sein!" Serena umfasste das Blatt, als wäre es ein Rettungsanker, und genauso erschien es ihr in diesem Moment auch. Es war ihre einzige Verbindung zu ihrem früheren Leben. „Sicher lässt sich damit etwas anfangen. Wir könnten hinfahren und sehen, was wir herausfinden. " Rafael verzog abschätzig den Mund. „Das ist nicht gerade eine der feinsten Gegenden in London", erwiderte er. „Soweit ich weiß, ist die Norway Street ziemlich heruntergekommen.“ „Und wenn es das Ende der Welt wäre - es ist mir egal!" beharrte sie. „Es hat etwas mit meiner Vergangenheit zu tun, und ich möchte dorthin fahren.“
10. KAPITEL „Ich habe dich ja gewarnt.“ Rafael schaltete den Motor ab und drehte sich auf seinem Sitz um. Aufmerksam betrachtete er Serena, die schockiert drein blickte. „Ich weiß, was du gesagt hast, aber das hatte ich nicht erwartet... " Unsicher deutete sie auf das baufällige Haus. „So ein Dreckloch! Bist du sicher, dass das die richtige Adresse ist?" „Ganz sicher. " Sein Tonfall war kühl. Seit sie verkündet hatte, dass sie das Haus in der Norway Street mit eigenen Augen sehen wollte, schien Rafael sich von ihr zurückgezogen zu haben, denn er wirkte sehr distanziert. „Dann erkennst du es also nicht?" „Ich habe es noch nie gesehen. Ich meine, ich weiß, dass ich es schon einmal gesehen haben muss, aber ich erinnere mich nicht daran. Vielleicht sollten wir mal reingehen. " Sie konnte sich jedoch nicht überwinden auszusteigen. Norway Street Nummer drei war mit der abgeblätterten Farbe und den schmuddeligen Vorhängen in den Fenstern wahrhaft kein schöner Anblick. Allerdings war das nicht der einzige Grund. Während sie im Wagen saß und das heruntergekommene Gebäude betrachtete, fühlte sie sich plötzlich ganz beklommen, als würde etwas Schreckliches hinter der schäbigen blauen Tür auf sie warten, „Würdest... würdest du mit mir kommen?" „Klar. Ich muss nur Tonio aus dem Wagen nehmen. " Als Serena kurz darauf unsicher an die Tür klopfte, stellte sie fest, dass sie aus irgendeinem unerfindlichen Grund dankbar dafür war, dass Tonio geschlafen hatte und selbst dann nicht aufgewacht war, als Rafael ihn von seinem Babysitz in den Kinderwagen verfrachtet hatte. Obwohl er nichts verstanden und seine Umgebung wahrscheinlich nicht einmal richtig wahrgenommen
hätte, fand sie es besser, wenn er nichts mitbekam. Falls ich hier einmal gelebt habe, bin ich bestimmt nicht so herumgelaufen wie jetzt, dachte sie nervös. Ihre Sachen, ein cremefarbener Hosenanzug und ein gleichfarbiges T-Shirt, wa ren zwar lässig, aber der perfekte Schnitt und das hochwertige Material verrieten die Exklusivität. Rafael trug ein marineblaues Polohemd, eine gleichfarbige Hose und ein legeres Jackett. Sie wirkten hier beide völlig fehl am Platz. „Jemand kommt", warnte Rafael sie leise, bevor die Tür aufgerissen wurde. „Ja?" Eine Frau um die fünfzig mit platinblondem Haar und harten Gesichtszügen stand in einem dunklen, schmuddeligen Flur und betrachtete sie misstrauisch. Sie kniff anerkennend die Augen zusammen, als sie Rafael musterte, und als sie den Blick zu Serena schweifen ließ, wich der kühle Ausdruck in ihren Augen blankem Erstaunen. „Soso... Wenn das nicht die geheimnisvolle Miss Martin ist. Taucht aus heiterem Himmel wieder auf. " „Sie... kennen mich?" brachte Serena nervös hervor. „Ob ich Sie kenne? Das sollte man meinen! Und ich hätte Sie auch nicht so schnell vergessen, nachdem Sie einfach so verschwunden sind und mir noch die Miete für dr... " Die Frau ließ den Blick zu Rafael schweifen, und nachdem sie sich vergewissert hatte, dass er wohlhabend aussah, verbesserte sie sich: „... für fünf Monate schulden.“ „Miete? Ich habe hier gewohnt?" „Im hinteren Zimmer im ersten Stock... " Die Frau deutete in die entsprechende Richtung, bevor ihr klar wurde, was Serena gemeint hatte. „Was meinen Sie damit?" „Könnten wir uns das Zimmer ansehen, Mrs...?" warf Rafael ein, bevor sie unangenehme Fragen stellen konnte. „Potter. Marcia Potter. Und nein, Sie können sich das Zimmer nicht ansehen. Ich habe es an jemand anders vermietet... Na ja, Sie waren ja wie vom Erdboden verschluckt", fügte die Frau scharf hinzu, als Serena bestürzt aufschrie. „Ich konnte ja nicht wissen, ob Sie je wieder zurückkommen, und Sie haben mir schließlich Geld geschuldet.“ Rafael seufzte resigniert. „Die Miete für fünf Monate, sagten Sie.“ Er warf Serena einen warnenden Blick zu. als sie protestieren wollte. „Wenn wir kurz reinkommen könnten, werden wir das Ganze sicher regeln.“
„Für Leute wie Sie ist es vielleicht eine Lappalie", begann Marcia Potter entrüstet, doch als sie sah, wie er sein Scheckbuch zückte, fügte sie schnell hinzu: „Dann kommen Sie am Besten rein. " Serena stöhnte entsetzt auf, als Marcia Potter den Betrag nannte, den sie ihr angeblich schu ldete, aber Rafael stellte unge rührt einen Scheck über die Summe aus. „Und Miss Martin kann das Zimmer sehen", erklärte er so läs sig, dass Marcia Potter zunächst nicht merkte, wie entschlossen er war. Als sie seinem Blick begegnete, erwiderte sie allerdings schnell: „Kann ja nicht schaden. Schließlich ist Mr. Parkin nicht da. Er arbeitet nachts... " „Das hintere Zimmer im ersten Stock, sagten Sie?" fragte Rafael unbeirrt. „Richtig. " Sie nahm einen Schlüsselbund aus der Tasche und wählte einen Schlüssel aus. „Nummer vier. " Das Zimmer war schlimmer, als Serena erwartet hatte - ein trister, voll gestopfter Raum mit einer hässlichen Blumentapete, die sich bereits von den Wänden löste, und einem fleckigen Lino leumfußboden. Die einzigen Möbel waren ein durchg elegenes Bett, das neben dem Fenster stand, sowie eine billige Kommode und ein Schrank mit Kunststofffurnier. Entsetzt blieb Serena auf der Schwelle stehen und schlug sich die Hand vor den Mund, um nicht aufzuschreien. Ihr war übel. Wie hatte sie hier auch nur drei Sekunden, geschweige denn drei Monate wohnen können? Und was war passiert, dass sie so tief gesunken war? „Serena?" Rafaels Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Sie hatte gar nicht gehört, dass Rafael ihr nach oben gefolgt war. „Erkennst du... ? Madre de Dios!" Er wirkte noch schockierter als sie, Kein Wunder, überlegte sie bitter. Schließlich hatte Rafael Cordoba, der Bankier, der Häuser in London, Almeria und Madrid besaß, noch nie ein derartiges Zimmer gesehen, geschweige denn darin wohnen müssen . „Jetzt siehst du mal, wie die andere Hälfte der Menschheit lebt, stimmt's?" erkundigte sie sich herausfordernd. Sie konnte sich nicht beherrschen, weil sie so entsetzt und gleichzeitig zutiefst enttäuscht war. „Es ist nicht dasselbe wie dein luxuriöses Her renhaus, oder?" „Du hast hier gewohnt?"
„Anscheinend", erwiderte sie betont forsch, damit er nicht merkte, wie ihr zu Mute war. „Das war mein Luxusapartment mit jedem erdenklichen Komfort, wunderschön eingerichtet... " „Du erinnerst dich daran?" Seine Frage traf Serena wie ein Schlag. „Ach komm, Rafael! Du erwartest doch nicht, dass ich darauf antworte, oder?" „Doch, das tue ich", entgegnete er mit einem drohenden Unterton, und ihr Magen krampfte sich zusammen. Trotzdem versuchte sie, sich zusammenzureißen und ihren Kummer weiter zu überspielen. „Woher willst du denn wissen, dass du eine ehrliche Antwort bekommst? Wenn ich mich an alles erinnern würde, brauchtest du dich ja nicht mehr um mich zu kümmern, und ich würde in mein altes Leben zurückkehren. Und wer würde schon in dieses Leben zurückkehren wollen?" „Das würde ich dir nicht antun.“ „Nein?" Serena rang sich ein strahlendes Lächeln ab, was ihr äußerst schwer fiel. „Natürlich nicht. Schließlich bist du der edle Ritter, der mir in seiner Luxuslimousine zu Hilfe geeilt ist und tapfer sein Scheckbuch gezückt hat. " Unwillkürlich hatte sie an sein resigniertes Seufzen denken müssen. "Serena!" Sie war zu weit gegangen. Seine goldfarbenen Augen blitzten, und Rafael hatte die Lippen wütend zusammengepresst. „Erinnerst du dich nun an dieses grässliche Loch oder nicht?" „Ich... Nein", gestand sie niedergeschlagen. „Nein, ich erinnere mich an gar nichts. Ich schätze, in meinem tiefsten Inneren habe ich damit gerechnet, aber ich musste es wenigstens versuchen. " Plötzlich kam ihr ein Gedanke. „Wo ist Tonio?" „Unten. 11 Er verzog das Gesicht. „Mrs. Potter meinte, sie würde ein Auge auf ihn haben. Zum Glück sah er so aus, als würde er noch eine Weile schlafen. " „Lass uns lieber zu ihm gehen.“ Serena trat in den dunklen Flur, blieb allerdings abrupt stehen, als Rafael ihren Arm umfasste. „Serena, es gibt da etwas, das du wissen solltest.“ Schreckliche Bilder tauchten vor ihrem geistigen Auge auf. Vielleicht hatte Marcia Potter sich mit ihm unterhalten und ihm erzählt, welche Lebensumstände sie, Serena, damals in dieses Dreckloch verschlagen hatten. „Was ist? Rafael!" fügte sie hinzu, als er zögerte.
„Deine Sachen... Mrs. Potter hat sie verkauft. Sie sagte, sie wollte etwas von dem Geld reinbekommen, das du ihr geschuldet hast. Deshalb... " ,,Oh, ist das alles?" Nachdem sie mit schlechten Nachrichten gerechnet hatte, war sie nun unendlich erleichtert. „Mach dir deswegen keine Gedanken. Wenn meine Sachen auch so ausgesehen haben wie dieses Zimmer, ist es sicher kein großer Verlust. Jetzt brauche ich sie sowieso nicht mehr. Ich habe ja eine neue Garderobe und würde sie wahrscheinlich wegwerfen. " So hatte sie es eigentlich nicht gemeint, und sie merkte sofort, dass sie wieder zu weit gegangen war, denn seine Augen waren dunkler geworden, und er hatte die Lippen zusammengepresst. „Ich... ich weiß nicht, wie ich dir je danken soll", fügte sie schnell hinzu, um es wieder gutzumachen. „Ach nein?" Sein Lächeln zeigte ihr, was er im Sinn hatte, noch bevor er sie unvermittelt an sich zog. „Ich glaube, du weißt genau, wie du dich mir gegenüber erkenntlich zeigen kannst", fuhr er heiser fort. „Aber da es im Moment unpassend wäre, begnüge ich mich erst einmal damit... " Er presste die Lippen so hart auf ihre, als wäre er sich seiner Rechte bewusst und als wollte er auch Gebrauch davon machen. Sein Kuss war alles andere als zärtlich oder gar sinnlich, und Se-rena war so durcheinander und fühlte sich so verletzlich, dass ihr beinah die Tränen kamen. „Wenn wir zu Hause sind, kannst du weitermachen.“ Seine Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht, und sie wurde mit einer Tatsache konfrontiert, die sie bisher verdrängt hatte. In den letzten Tagen hatte sie sich bei Rafael eingelebt, als würde sie dorthin gehören. Sie hatte seine und Tonios Gesellschaft genossen und sich in dem Haus sehr wohl gefühlt. Doch sie hatte in einer Traumwelt gelebt. Sie hatte Rafael und sich sogar als Partner betrachtet, die sich gemeinsam um das Baby kümmerten. Und sie hatte geglaubt, sie würde an seiner Seite bleiben und bei Tonio die Mutterrolle übernehmen. Aber Rafael hatte ihr nichts dergleichen geboten. Ihm genügte es, so wie es war, mehr erwartete er offenbar nicht. Irgendwie schaffte sie es, sich wieder ein strahlendes Lächeln abzuringen. „Das glaubst du doch selbst nicht!" konterte Serena scharf,
doch dann erregte ein Geräusch, das von unten kam, ihre Auf merksamkeit. „Tonio hat sich anscheinend bewegt. Ich möchte nicht, dass er aufwacht und in ein fremdes Gesicht blickt. " Erleichtert über die Ablenkung, eilte sie die Treppe hinunter und beugte sich über den Kinderwagen, als Tonio die Augen öffnete. So konnte Rafael ihr Gesicht nicht sehen, und sie hatte etwas Zeit, um sich zu fangen und eine unbeteiligte Miene aufzu setzen. „Na, Süßer, hast du schön geschlafen? Wir sollten jetzt losfahren, Rafael. Er bekommt bestimmt bald Hunger. " Sie waren schon draußen, als Marcia Potter, die in einem Zimmer verschwunden war, plötzlich wieder auftauchte, und Serenas Arm umfasste. „Das sollten Sie mitnehmen... " Sie hielt ihr einen großen Karton hin, so dass Serena nichts anderes übrig blieb, als ihn entgegenzunehmen. „Was ist das?" „Einige Sachen, die Sie hier gelassen haben. Natürlich nur, wenn Sie sie noch haben wollen, jetzt, wo es Ihnen so gut geht. " Marcia Potter deutete mit einem Nicken auf Rafael. Er war gerade dabei, den lautstark protestierenden Tonio in seinen Babysitz zu verfrachten. „Mrs. Potter", sagte Serena impulsiv, „als ich hier war... als ich bei Ihnen gewohnt habe, habe ich je über... über meine Vergangenheit gesprochen? Es ist wichtig", fügte sie eindringlich hinzu, als die ältere Frau sie argwöhnisch betrachtete, „Na ja, Sie waren nie besonders redselig. Und Sie kennen mich doch ich pflege meine Nase nicht in die Angelegenheiten meiner Mieter zu stecken. Aber Sie haben mir erzählt, dass Sie aus Yorkshire kommen und eine Pechsträhne hatten. " Dass sie aus Yorkshire kam, wusste sie, Serena, bereits, und dass sie eine Pechsträhne gehabt haben musste, war ihr bei ihrem Besuch hier klar geworden. Sie biss sich auf die Lippe, um nicht enttäuscht aufzustöhnen. „Ich muss zugeben, dass ich immer ziemlich skeptisch war, was Ihren reichen Spanier betraf, aber es sieht so aus, als wären Sie doch auf die Füße gefallen.“ „Was?" Entsetzt und verwirrt zugleich runzelte Serena die Stirn. „Ich verstehe nicht ganz.“ „Ich war sicher, dass er das Weite gesucht hatte, aber Sie hatten einen ganz verträumten Blick und waren davon überzeugt, dass er zu Ihnen halten würde. Das beweist nur... "
„Serena!" Sein ung eduldiger Tonfall zeigte Serena, dass Rafael endlich losfahren wollte. „Wenn wir nicht bald aufbrechen, schreit Tonio hier alles zu sammen.“ „An Ihrer Stelle würde ich losfahren", riet Marcia Potter ihr sachlich. „Sieht nicht wie ein Mann aus, der gern wartet, Ihr Freund. Bestimmt wollen Sie ihn nicht zu weit treiben. Ich wette, er kann ganz schön wütend werden. " „Das kann man wohl sagen", erwiderte Serena, wandte sich allerdings um, als Rafael erneut nach ihr rief. „Ich komme ja", fügte sie schnell hinzu, um ihn zu beschwichtigen. „Ehrlich! Es ist nur... " Als sie sich wieder zu Marcia umdrehte, war diese jedoch nicht mehr da. Sie war ins Haus zurückgekehrt und knallte die Tür hin ter sich zu - ein deutliches Zeichen dafür, dass sie ihre Unterhaltung für beendet hielt. Serena!" Es war offensichtlich, dass Rafael nicht länger warten würde. Er ließ bereits den Motor an und gab wütend Gas. Daher eilte Serena zum Wagen und sprang hinein, aus Angst, er würde sonst ohne sie losfahren. „Warum hat das so lange ged auert?" erkundigte er sich, nach dem sie die Norway Street längst hinter sich gelassen hatten. Dass er so schnell fuhr, lag wohl eher an seinem Unmut als an der Tatsache, dass Tonio seine Flasche brauchte, wie Serena vermu tete. „Ich hätte nicht gedacht, dass du so viel mit Mrs. Potter zu besprechen hast.“ „Wenn du es unbedingt wissen willst... Ich habe sie gefragt, ob ich ihr etwas über mich erzählt habe, während ich bei ihr ge wohnt habe. Musst du eigentlich so rasen?" fragte sie vorwurfs voll, sobald der Motor wieder aufheulte. „Wir haben ein Baby auf dem Rücksitz!" „Das ist mir durchaus bewusst!" konterte Rafael, und sie be merkte den angespannten Zug um seinen Mund. „Und ich habe alles im Griff.“ „Das glaube ich - zumindest den Wagen! Ich wünschte nur, ich könnte dasselbe auch von deiner Laune sagen. Fahr langsamer!" Er stieß lediglich einen wütenden Laut aus, doch sie stellte er leichtert fest, dass er den Fuß ein wenig vom Gas nahm. „Danke", sagte sie höflich und erntete dafür einen ärgerlichen Blick, der allerdings auch etwas Belustigung verriet.
„Du hast nichts Neues von Senora Potter erfahren", erklärte er schließlich unvermittelt, und es dauerte einige Sekunden, bis sie begriff, dass es keine Frage, sondern eine Feststellung war. „Ich hatte sie schon über dich ausgequetscht", fuhr er fort, als sie sich verwirrt zu ihm umdrehte. „Das hättest du mir ruhig erzählen können!" Rafael zuckte gleichgültig die Schultern. „Es war nicht wichtig. Im Grunde hat sie nichts gesagt. " Außer dass sie einen reichen Spanier erwähnt hat, erinnerte Serena sich unbehaglich und wohl wissend, dass sie noch nicht bereit war, über jene geheimnisvolle Bemerkung ihrer ehemaligen Vermieterin zu sprechen - falls sie es überhaupt je sein würde. Was hatte Marcia damit gemeint? Sicher nicht Rafael, denn er war die ganze Zeit in Almeria gewesen, während sie, Serena, in der Norway Street gewohnt hatte. Oder doch nicht? Er hatte gesagt, er sei in Spanien gewesen, als der Unfall sich ereignet hatte, hatte aber nie über die Zeit davor geredet. Konnte es sein, dass es zwei reiche Spanier in ihrem Leben gegeben hatte? Obwohl die Sonne in den Wagen schien, fröstelte Serena plötzlich. „Was ist in dem Karton?" Rafael hatte ihren Stimmungswechsel nicht bemerkt. „Dies und das... Sachen, die ich zurückgelassen hatte. " „Sachen, die Marcia Potter nicht verkaufen konnte, weil sie zu wenig eingebracht hätten", bemerkte er zynisch. „Ist etwas dabei, das deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen könnte?" „Ich weiß nicht.“ Hatte sein Tonfall sich plötzlich verändert, oder bildete sie es sich nur ein? Unruhig rutschte sie auf ihrem Sitz hin und her. Die Gefühle, die sie beschlichen, waren ihr unangenehm. Eigentlich hätte sie Rafael direkt fragen müssen, aber sie traute sich nicht. Sie hatte einfach zu große Angst davor, an die möglichen Konsequenzen für ihre Zukunft denken zu müssen, wenn sie etwas herausfand, das sie nicht wissen wollte. „Ich habe noch nicht hineingesehen.“ „Findest du nicht, dass du es langsam mal tun solltest?" Serena nahm den Deckel ab, der ziemlich fest auf dem Karton saß, und war so nervös, als hätte man ihr gesagt, darin wäre eine wütende Kobra. „Da ist ein Pass", verkündete sie, während sie in den wenigen Sachen wühlte. „Einige Fotos von meiner Mum und meinem Dad - und hier ist eins von mir mit Leanne! Ein Heft von einer Bau
Sparkasse - natürlich mit der Adresse in Ryeton - und der stolzen Summe von zwanzig Pfund auf meinen Namen. Oh, das hier ist schon viel versprechender... " Sie hob ein kleines Notizbuch mit einem roten Rücken hoch. „Was ist das?" Rafael klang sehr lässig. Offenbar richtete er seine ganze Auf merksamkeit auf den Verkehr. Bestimmt bildete sie es sich nur ein, dass er etwas vor ihr zu verbergen hatte, oder? „Das ist mein Adressbuch. Zumindest werde ich mich so mit Leanne in Verbindung setzen können. " „Stehen noch andere Namen drin, die dir helfen könnten?" „Nein. Ich erinnere mich an all diese Leute. Ich muss sie also schon gekannt haben, bevor ich das Gedächtnis verloren habe. " Da sie inzwischen das Tor zu seinem Anwesen erreicht hatten, ließ Serena das Adressbuch wieder in den Karton fallen und machte diesen zu. „Wie spät mag es jetzt in Sydney sein?" „Lass mich mal überlegen... Ungefähr drei Uhr morgens. Zu dieser Zeit würde ich Leanne jedenfalls nicht anrufen. " „Du hast Recht.“ Widerstrebend musste sie sich eingestehen, dass es keine gute Idee war. „Aber wenn ich Tonio gefüttert, gebadet und ins Bett gebracht habe... " „Ja, das klingt vernünftiger.“ Rafael stoppte den Wagen vor dem Haus. „Geh doch schon rein, und mach die Flasche fertig, während ich Seine Lordschaft ins Haus bringe.“ Tonio zu füttern, baden und für die Nacht fertig zu machen hob wie immer ihre Stimmung und ließ Serena die Enttäuschung und das Unbehagen, die sie nach dem Besuch in der Norway Street verspürt hatte, zumindest zeitweise vergessen. Den Karton hatte sie in ihr Zimmer gebracht und ebenfalls vergessen, bis sie es betrat, um sich umziehen, weil Tonio sie ganz nass gespritzt hatte. Als sie dabei war, ihr nasses T-Shirt auszuziehen, warf sie schnell einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war erst acht, also immer noch sehr früh in Australien. Sie würde noch einige Stunden warten müssen. Nachdem sie das T-Shirt zu Boden hatte fallen lassen, öffnete sie den Karton und nahm wieder das Adres sbuch heraus. Während sie es auf der Suche nach Leannes Telefonnummer durchblätterte, fiel ein Zettel heraus, den sie zuvor nicht bemerkt hatte, und landete auf dem Teppich. Sie bückte sich, hob ihn auf und erstarrte, als sie las, was darauf stand.
Es waren lediglich ein Wort und einige Zahlen, und dennoch schien es ihr, als würde man ihr einen Dolch ins Herz stoßen. Ihr wurde schwindlig, und ihr stockte der Atem. Schließlich stöhnte sie gequält auf. Das Wort lautete Cordoba, und es war eindeutig ihre Hand schrift. Und bei den Zahlen handelte es sich um die Telefonnummer des Hauses, in dem sie sich befand - Rafaels Haus.
11. KAPITEL „Serena?" Rafaels Stimme riss sie aus ihrer Erstarrung. Abrupt sah Serena auf und überlegte fieberhaft, wo sie den verfänglichen Zettel verstecken konnte. Sie musste erst darüber nachdenken, was dieser ihr bedeutete, bevor sie Rafael darauf ansprach. In den Karton konnte sie ihn nicht tun, denn Rafael wollte bestimmt einen Blick hineinwerfen. Und sie war zu weit von der Kommode entfernt... Die Tür wurde bereits geöffnet. Sie hatte den Zettel immer noch in der Hand. Schnell steckte Serena ihn in ihre Hosentasche und zerknüllte ihn dadurch völlig. „Serena?" Sie wirbelte zu Rafael herum, gerade noch rechtzeitig, um zu merken, wie seine Miene sich veränderte. Der leicht verärgerte Ausdruck in seinen Augen wich unverhohlenem Verlangen, und sein Blick war wie eine Liebkosung, als Rafael erst ihr erhitztes Gesicht und dann ihre Brüste betrachtete, die sich unter ihrem cremefarbenen Spitzen-BH abzeichneten. „Das sehe ich gern", meinte er lässig. „Eine Frau, die mir die halbe Arbeit abnimmt. " Nur mit Mühe widerstand sie dem Impuls, ihre Blöße zu bedecken, indem sie die Arme um sich legte. Da sie schuldbewusst an den Zettel in ihrer Tasche denken musste, ging sie, ohne nachzudenken, zum Angriff über. „Klopfst du eigentlich nie an?" Rafael zog die schwarzen Brauen hoch. „Hätte ich das tun sollen? Ich dachte, über das Stadium wä ren wir längst hinaus, Außerdem hatten wir eine Abmachung' „Eine Abmachung? Was für eine Abmachung?" Noch während sie sprach, wurde ihr klar, was er damit meinte. Ich weiß nicht, wie ich dir je danken soll, hatte sie gesagt. Und er hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass es für sie eine
ganz einfache Möglichkeit gab, sich ihm gegenüber erken1tlich zu zeigen. „Was ist, querida?" erkundigte er sich spöttisch, als sie zögerte. „Bist du doch nicht so dankbar?" „Im Gegenteil", gestand Serena. „Nach dem, was ich heute Nachmittag gesehen habe, bin ich dir dankbarer denn je. Wenn ich daran denke, wovor du mich bewahrt hast, wohin ich vielleicht hätte zurückkehren müssen... " Unwillkürlich schauderte sie, als sie sich an das schäbige Haus in der Norway Street erinnerte. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie viel es mir bedeutet.“ „Dann zeig es mir... " Mit der für ihn so typischen bestimmten Geste streckte Rafael die Hand aus und bedeutete ihr, zu ihm zu kommen. Und dennoch schien diesmal etwas anderes dahinter zu stecken. Er wirkte angespannt, und sie konnte den Ausdruck in seinen goldfarbenen Augen nicht deuten. „Zeig es mir, Serena. Zeig mir, wie dankbar du bist. Zeig mir, was du empfindest... " Zeig mir, was du empfindest. Wenn sie es nur gekonnt hätte! Wenn sie nur den Mut dazu gehabt hätte! Nein. Sie schreckte sogar im selben Moment davor zurück, als sich ein leiser Hoffnungsschimmer in ihr regte. Wie konnte sie sich Rafael so offenbaren, wenn er ihr mit keinem Wort und mit keiner Geste zu verstehen gegeben hatte, dass er mehr von ihr erwartete? Wie konnte sie für immer über etwas schweigen, das ihr so viel bedeutete? Wie lange wäre sie imstande, ihre Gefühle vor ihm zu verbergen? Für den Rest ihres Lebens? Jemand musste den ersten Schritt tun. Jemand musste das Risiko eingehen, über seine Gefühle zu sprechen, ohne dass diese vielleicht erwidert wurden. Und plötzlich war es ganz einfach, geradezu beängstigend einfach. Alles, was sie tun musste, war, auf Rafael zuzugehen, ihm die Arme um den Nacken zu legen, seinen Kopf zu sich herunterzuziehen und die Lippen auf seine zu pressen. „Ich werde es dir zeigen", flüsterte Serena. „Ich werde dir zeigen, was es bedeutet - was ich für dich empfinde... " Dann verstummte sie, denn er presste die Lippen auf ihre und erwiderte ihren Kuss so leidenschaftlich, dass heftiges Verlangen in ihr aufflammte. Falls sie geglaubt hatte, ihn bereits erregt erlebt zu haben,
war es nichts im Vergleich zu der Begierde, die er nun zeigte. Es war, als hätte sie eine Schleuse geöffnet und würde nun von den Fluten davongetragen, Rafael stöhnte lustvoll auf. Er hatte die Augen geschlossen, als wollte er etwas vor ihr verbergen. Doch mit seinen Lippen und Händen bewies er ihr, wie stark sein Verlangen war. Dann legte er ihr einen Arm um die Schultern und den anderen um die Taille. Im nächsten Moment hob er sie hoch und trug sie zum Bett, um sich mit ihr darauf zu legen. Schließlich öffnete er die Augen. Und als sie ihn ansah, stellte sie fest, dass diese nun tiefschwarz waren und sie magisch anzogen. „Serena, mi encantadora", brachte er hervor und streifte die Träger ihres BHs hinunter, um ihre Brüste zu entblößen. „Du bist so schön. Wie könnte ein Mann dir widerstehen?" Ihr Lächeln war ein wenig unsicher, und in ihren Augen schimmerten Tränen. „Dann versuch es nicht", flüsterte Serena. „Versuch... " Sie verstummte und schrie entzückt auf, als sein Mund ihre Brüste fand. Sobald Rafael eine feste Spitze mit den Lippen umschloss und mit der Zunge zu reizen begann, konnte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen. Es war ihr egal, was er für sie emp fand. Es spielte keine Rolle mehr. Er hatte gesagt, sie wäre schön und unwiderstehlich - und im Moment reichte es ihr. Wenn er ihr nicht widerstehen konnte, würde er bei ihr bleiben, und das war alles, was sie jetzt brauchte. Und als er schließlich mit ih r eins wurde, schrie sie auf, weil ihre Gefühle sie überwältigten. Begierig drängte sie sich ihm entgegen, um ihm so nahe wie möglich zu sein. So passte sie sich seinem Rhythmus an, bis sie den Gipfel der Ekstase erreichte und von einem Strudel der Leidenschaft erfasst wurde. Serena wusste nicht, wie lange es gedauert hatte, bis sie in die Wirklichkeit zurückgekehrt war, oder wie lange Rafael sie schon betrachtete. Sie wusste nur, dass er neben ihr lag, auf einen Ellbogen gestützt, und sie mit einem unergründlichen Ausdruck ansah, als sie die Augen öffnete, „Warum weinst du?" fragte er leise. „Ich... " Unsicher runzelte sie die Stirn. „Ich weine nicht. " „Nein?" Er streckte die andere Hand aus und strich ihr unendlich zärt
liech mit der Fingerspitze über die Stelle unter dem Auge. Be stürzt stellte sie fest, dass eine Träne daran haften blieb, und als sie sich schnell mit den Händen über die Wangen fuhr, waren diese feucht. „Ich wusste nicht... " Schnell setzte sie sich auf und lehnte sich in die Kissen. Als er ihr dann in die Augen blickte, erstarrte sie. „Du wusstest nicht... ", wiederholte er rau. „Und deswegen möchte ich umso mehr erfahren, warum. Warum die Tränen, querida? Warum weinst du, wenn wir miteinander geschlafen haben?" „Weil... " Serena suchte nach einer Erklärung, doch ihr fiel nichts ein. Nichts außer der Wahrheit. „Weil es so schön war. So wunderschön. Weil du so schön bist. " „Schön?" Sichtlich schockiert warf er den Kopf zurück. „Serena... " „Oh, ich weiß!" Sie musste über seinen Gesichtsausdruck lachen. „Schön' ist deiner Meinung nach keine passende Bezeichnung für einen Mann, stimmt's? Aber es ist das einzige Wort, das ich benutzen möchte, um dich zu beschreiben. Denn für mich bist du schön- weil ich... weil ich dich liebe!" Da, nun hatte sie es ausgesprochen, und sie war froh darüber. Sie bereute es nicht, denn es war die Wahrheit, und sie konnte sie nicht länger vor ihm verbergen. Als sie dann jedoch in sein Gesicht blickte, das im Dämmerlicht noch markanter wirkte, krampfte ihr Herz sich zusammen, denn der zärtliche Ausdruck war verschwunden. „Madre de Dios!" Unvermittelt stand Rafael auf, hob seine Sachen auf, die er vorher achtlos zu Boden geworfen hatte, und zog sich wütend an. Nachdem sie sich eben noch so nahe gewesen waren, hätte er nicht distanzierter wirken können. „Rafael... " Serena war so traurig und schockiert, dass sie nicht mehr über die Lippen brachte als seinen Namen. Doch statt ihr zu erklären, warum er so reagierte, wandte er ihr weiterhin den Rücken zu und schlüpfte in seine Schuhe. „Rafael... Bitte... " Jetzt drehte er sich um, aber als sie sein Gesicht sah, wünschte sie, er hätte es nicht getan, weil er noch abweisender wirkte.
Noch nie hatte sie ihn so feindselig erlebt. "Liebe", meinte er verächtlich. „Sag so etwas nicht, Serena, nicht einmal aus Spaß." "Aus Spaß?" Sie glaubte, sich verhört zu haben. „Ich habe keinen Spaß gemacht. Es war mir ernst, Rafael! Ich... ich... " Allerdings konnte sie es nicht noch einmal aussprechen, nicht solange er sie so ansah wie ein Raubtier, das im Begriff war, sich auf seine Beute zu stürzen. Rafael machte eine wegwerfende Geste. „Du kannst mich nicht lieben, weil du mich überhaupt nicht kennst. Und du kannst nicht behaupten, du würdest jemanden kennen, solange du an Gedächtnisverlust leidest und dir ein ganzes Jahr fehlt, Du... " „Merkst du es denn nicht? Genau darum geht es doch! Wenn ich mit dir zusammen bin, spielt es gar keine Rolle mehr, dass mir ein Jahr fehlt. Es wäre mir sogar egal, wenn ich mich nie wieder daran erinnern würde, weil ich mit dir jemanden habe, mit dem ich die Lücke ausfüllen kann. " „Maldito sea! Sag so etwas nicht! Du kannst diese Lücke nicht mit mir ausfüllen. Ich kann dir nichts bedeuten. Ich will dir nichts bedeuten. " Seine schroffen Worte trafen sie wie ein Schlag. Serena sank zurück in die Kissen und war sich schmerzlich ihrer Nacktheit bewusst, während er angezogen und ihr dadurch überlegen war. Sie ließ den Blick zu ihren Sachen auf dem Boden schweifen. Sie wünschte, sie hätte die Kraft, sie aufzuheben, um wenigstens ihre Blöße zu bedecken. Ihre Sachen. Der Anblick ihrer zerknüllten Kleidung rief ihr den Moment ins Gedächtnis» als Rafael ins Zimmer gekommen war und sie schnell den Zettel in ihre Hosentasche gesteckt hatte. Den Zettel, der zu beweisen schien, dass Rafael nicht die Wahrheit sagte, wenn er behauptete, er hätte sie vorher nicht gekannt. „Was... empfindest du für mich?" brachte sie schließlich hervor. Ihre Frage schien ihn zu schockieren. „Du weißt, was ich für dich empfinde. Ich begehre dich - du bist eine sehr verführerische Frau. Ich muss dich nur ansehen, und schon bin ich erregt. Und dieses Verlangen wird nicht schwächer, egal, wie oft wir miteinander schlafen. Aber ich liebe dich nicht. " „Nicht?"
Wie naiv war sie eigentlich? War sie so masochistisch? Sie hatte doch gehört, was er gesagt hatte. Genauso hätte sie ihm anbieten können, ihr das Herz aus der Brust zu reißen. Der Effekt wäre derselbe gewesen. „Serena. " Sein Tonfall war rau und sein Akzent besonders stark. „Habe ich dich je getäuscht - oder dir je mehr geboten als das, was wir bereits haben? Habe ich dir je Liebe und eine gemeinsame Zukunft versprochen?" „N... nein. " „Nein. Und ich habe es deswegen nicht getan, weil ich es nicht könnte. Ich verspreche nie etwas, das ich nicht halten kann, und ich werde auch jetzt nicht damit anfangen. Wenn du das suchst, bist du bei mir an der falschen Adresse. " „Ich glaube, du hast Recht.“ Ihre Stimme war ausdruckslos. Serena erinnerte sich an das, was er ihr auf dem Weg vom Krankenhaus versprochen hatte. „Solange du in meinem Haus bist und mir vertraust, wirst du niemanden in irgendeiner Weise durch irgendetwas verletzen können, was in Zusammenhang mit dem Unfall steht", hatte er gesagt. Doch er hatte ihr nicht versprechen können, dass sie sich selbst nicht verletzen würde. Und sie war verletzt. So sehr, dass sie sich am liebsten zusam mengerollt hätte. Allerdings würde sie es nie tun. solange Rafael noch im Zimmer war. „Ich möchte, dass du jetzt gehst", erklärte sie steif. „Serena?" Mehr konnte sie nicht ertragen. „Geh endlich!" rief sie. „Verschwinde aus meinem Zimmer, und lass mich in Ruhe!" Sie hatte bereits zu wissen geglaubt, was tiefe Traurigkeit bedeutete. Doch erst als Rafael kaum merklich nickte und sich dann abwandte und das Zimmer verließ, ohne noch einmal zurückzublicken, wurde es ihr klar. Tränen stiegen ihr in die Augen, und nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte, begann sie, hemmungslos zu weinen. Serena hatte keine Ahnung, wann sie endlich eingenickt war. Sie wusste nur. dass ihre Verzweiflung und Erschöpfung sie irgendwann in der Nacht überwältigt hatten und sie in einen unruhigen Schlaf gefallen war. Zu dem Zeitpunkt war sie noch trauriger gewesen, weil sie vergeblich versucht hatte, Leanne in Aus
tralien zu erreichen. Da sich lediglich der Anrufbeantworter ein geschaltet hatte, war sie gezwungen gewesen, eine Nachricht zu hinterlassen, und hatte nicht mit ihrer Freundin sprechen kön nen. Außerdem hatte sie furchtbare Albträume gehabt, eine be ängstigende Aneinanderreihung von Bildern und Momenten, die keinen Sinn ergaben, aus denen sie schließlich aufgeschreckt war. Nun lag sie zitternd und schweißgebadet da, und das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Tonio. Ihr erster klarer Gedanke galt dem Baby. Plötzlich verspürte sie Panik, denn sie hatte das Gefühl, dass etwas mit dem Kleinen nicht stimmte, Dass er sie brauchte. Dass er nach ihr schrie... Erst als sie in sein Zimmer eilte, wurde ihr klar, dass sie sich geirrt hatte. Die Angst war nicht real gewesen, sondern eine Folge der Albträume, die noch immer nachwirkten. „Tonio... " Serena kniete sich neben sein Bett und lehnte die Stirn gegen die Gitterstäbe. Zärtlich betrachtete sie Tonio, der tief und fest schlief, und strich ihm mit zitternder Hand das Haar aus dem Gesichtchen. Allmählich beruhigte sie sich, und auch ihr Puls wurde langsamer. Sie hatte von Tonio geträumt. Und nun erinnerte sie sich auch genau an den Traum, und der Grund dafür wurde ihr klar. Es war der Zettel mit Rafaels Telefonnummer. Noch immer hatte sie ihn in der Hand. Sie hatte ihn aus ihrer Hosentasche genom men und wie einen Talisman festgehalten, und so war sie schließlich eingeschlafen. Und jetzt wusste sie genau, warum sie gleich nach dem Auf wachen an Rafael gedacht hatte. Die dunkle, männliche Gestalt in ihrem Traum war nur schemenhaft gewesen, aber sie hatte seine Stimme deutlich gehört. Was er ihr an den Kopf geworfen hatte, vermochte Serena nicht mehr zu sagen, doch sein spanischer Akzent war unver kennbar gewesen, Ich muss zugeben, dass ich immer ziemlich skeptisch war, was Ihren reichen Spanier betraf. Sie musste wieder an Marcia Pot ters Worte denken, genau wie an den Zettel, den sie in ihrem Adressbuch gefunden hatte. „Oh nein!" Verzweifelt stöhnte sie auf, als sie der Tatsache ins Auge blickte, die sie so lange verdrängt hatte .
Sie hatte Rafael vertraut, ihr Leben in seine Hände gelegt. Sie hatte ihm sogar ihr Herz geschenkt, obwohl sie ihn nicht einmal kannte. Einem Mann, der sie seinen eigenen Worten zufolge nicht liebte. Und einem Mann, wie es jetzt schien, der sie die ganze Zeit angelogen hatte. Sie konnte hier nicht bleiben. Sobald sie den Schock etwas überwunden hatte, fasste sie diesen Entschluss. Sie konnte nicht mehr in diesem Haus wohnen, in demselben Bett mit dem Mann schlafen und sich demselben Mann hingeben, der ihr Vertrauen missbraucht hatte. Sie war außer Stande, eine Minute länger hier zu bleiben. Doch wenn sie Rafael verließ, musste sie auch Tonio verlassen. Sofort geriet ihr Entschluss ins Wanken. Plötzlich hatte sie überhaupt keine Willenskraft mehr. Tonio. Wie konnte sie je den kleinen Jungen verlassen, der genauso ihr Herz erobert hatte wie sein Vater? „Oh, ich bringe es nicht fertig!" platzte Serena heraus, ob wohl ihr klar war, dass Tonio, der immer noch fest schlief, sie nicht hörte. „Ich kann nicht. Ich kann nicht!" „Was kannst du nicht?" Rafael sprach leise, um den Kleinen nicht zu wecken, aber so nachdrücklich, dass sie zusammenzuckte und sich umdrehte. Er stand auf der Schwelle und war im Gegensatz zu ihr angezogen. Entweder hatte er sich schnell etwas übergestreift, als er Geräusche gehört hatte, oder noch gar nicht im Bett gelegen. Vermutlich Letzteres, dachte sie, als sie sah, dass er noch immer das marineblaue Polohemd und die gleichfarbige Hose trug. Er wirkte müde. „Ich... habe dich gar nicht kommen hören!" „Offensichtlich, sonst hättest du deine Gefühle wohl nicht eingestanden, oder? Und, willst du mir jetzt sagen, was du damit gemeint hast?" Das war keine Frage, sondern ein Befehl. Und Rafael erwartete, dass man ihn befolgte. Als sie seinen durchdringenden Blick erwiderte, wurde Serena klar, dass er sich nur mit der Wahrheit zufrieden geben würde. Außerdem war sie - nicht zuletzt wegen ihres Albtraums - zu mitgenommen, um eine glaubwürdige Geschichte erfinden zu können.
„Ich kann Tonio nicht verlassen", erklärte sie und hob dabei trotzig das Kinn. „Ich liebe ihn so sehr. Er hat mein Herz ero bert, und das wollte ich nicht. " Tonio und sein Vater, fügte sie im Stillen hinzu. Trotz seiner brutalen Zurückweisung war sie nicht imstande, aus Rafaels Le ben zu verschwinden. „Und warum solltest du ihn verlassen?" erkundigte er sich in einem trügerisch ruhigen Tonfall, der ihr mehr Angst machte als der scharfe zuvor. „Du weißt, warum!" fuhr sie ihn an, bereute es allerdings sofort und blickte schnell zum Bett, um sich zu vergewissern, dass der Kleine nicht aufgewacht war. Dieser bewegte sich jedoch nur kurz, gab einen Laut von sich und atmete dann regelmäßig weiter. „Ich hatte heute Nacht wieder diesen Traum' 1 , fuhr sie leise fort. „Den, in dem ich im Wagen sitze. " Offenbar ließ ihn etwas an ihrem Tonfall und ihrem Gesichts ausdruck aufhorchen. Rafael kniff die Augen zusammen. „Lass uns draußen darüber reden", erwiderte er grimmig und streckte die Hand aus, um ihr aufzuhelfen. Einige Sekunden lang war Serena versucht, es einfach zu ignorieren, überlegte es sich aber anders, als Tonio wieder einen leisen Laut von sich gab. Es war besser, wenn Rafael und sie ihre Differenzen nicht in seinem Zimmer austrugen. Daher ergriff sie schließlich seine Hand und ließ sich von ihm hochziehen. Er ließ sie jedoch nicht los. „Rafael!" fauchte sie ihn an. Rafael achtete allerdings nicht darauf, so dass ihr nichts anderes übrig blieb, als ihm in sein Schlafzimmer zu folgen. „Hier möchte ich nicht mit dir reden", protestierte sie. Sie war nicht einmal in der Lage, den Blick zu dem großen Doppelbett schweifen zu lassen, in dem Rafael und sie so viele leidenschaftliche Nächte verbracht hatten. „Wo wir miteinander reden, spielt keine Rolle. Wichtig ist, worüber wir reden", konterte er und schaltete das Licht ein, so dass sie zusammenzuckte und einige Male blinzeln musste. „Und nun", fuhr er fort und wandte sich drohend zu ihr um, „wirst du mir sagen, warum du mit dem Gedanken gespielt hast, hier wegzugehen.“ „Ist das nicht offensichtlich?" Die Tatsache, dass er überhaupt fragen musste, versetzte Serena einen weiteren Dolchstoß. Glaubte er wirklich, sie würde
seine Behauptung, dass er sie nicht liebte, einfach schlucken und ihre Beziehung zueinander weiterhin aufs rein Sexuelle beschränken? „Der Traum. " Sein Blick war ungläubig und verächtlich zugleich. „Du bist also nur wegen eines nächtlichen Albtraums bereit, deine Sachen zu packen... " „Es ist nicht nur ein nächtlicher Albtraum, und das weißt du ganz genau!'1 unterbrach sie ihn. „Es ist viel mehr als das. Es ist eine Verbindung zu meiner Vergangenheit... " „Das bildest du dir nur ein.“ „Ich weiß es, Rafael. Vergiss nicht, dass ich diesen Traum schon einmal hatte und du gesagt hast, der Wagen, den ich beschrieben hätte, wäre der richtige. Und heute Abend hätte ich mich beinah erinnert... " Nun fand sie seine ungeteilte Aufmerksamkeit, und sie schluckte nervös, bevor sie weitersprach. „Ich habe die Stimme des Fahrers gehört, Er hat mit mir gesprochen, bevor ich geschrien habe... " „Dann wirst du mir jetzt vermutlich vorhalten, ich wäre der Fahrer gewesen... " „Warst du es denn nicht? Diesmal möchte ich die Wahrheit wissen, Rafael! Versuch nicht, mir weiszumachen, es wäre je mand anders gewesen, dein Chauffeur vielleicht, ein Chauffeur, der denselben spanischen Akzent hat wie du. Ich möchte wissen, wohin ich gefahren bin und mit wem und... " Plötzlich merkte sie, dass sie immer noch den Zettel in der Hand hatte, den sie in ihrem Adressbuch gefunden hatte. „Und ich möchte, dass du mir das hier erklärst!" Serena schleuderte ihm den Zettel entgegen. Rafael beobachtete gleichgültig, wie er zu Boden flatterte, und bückte sich dann, um ihn aufzuheben. Als er die Adresse las, war seine Miene plötzlich angespannt. „Wo hast du den gefunden?" „In meinem Adressbuch. Es war in dem Karton, den Marcia Potter mir gegeben hat. Das ist meine Handschrift, Rafael. Meine Handschrift und deine Telefonnummer, was beweist, das ich dich gekannt habe, bevor du mich im Krankenhaus besucht hast. So, und nun sag mir die Wahrheit über den Fahrer... " „No estaba el chófer!" unterbrach er sie rau, offenbar so aufgewühlt, dass er unwillkürlich in seine Muttersprache verfiel. „Estaba mi hermano!" „Was?" Entsetzt über seinen heftigen Tonfall, blickte Serena
ihn starr an. „Ich verstehe nicht ganz... " Er atmete scharf ein und strich sich mit beiden Händen durchs Haar, offensichtlich um Fassung ringend. „Der Fahrer war nicht der Chauffeur", übersetzte er widerstrebend, und in seinen Augen lag ein gequälter Ausdruck. „Es war mein Bruder.“
12. KAPITEL Sobald Rafael den Wagen vor dem Haus gestoppt hatte, öffnete Serena die Tür und stieg schnell aus, weil sie nicht länger in seiner Nähe sein konnte. Die letzten Tage waren eine große Belastung gewesen und die Fahrt heute die Hölle auf Erden. Und die reinste Zeitverschwendung. Als Rafael vorgeschlagen hatte, nach Yorkshire zu fahren und die Orte aufzusuchen, an die sie sich erinnern konnte, war sie begeistert darauf eingegangen. Sie hätte alles getan, um eine Erklärung dafür zu bekommen, was passiert war und, was noch wichtiger war. warum sie sich so verhalten hatte. Selbst jetzt, fünf Tage später, hatte sie noch immer nicht ganz verarbeitet, was Rafael ihr erzählt hatte. „Der Fahrer war nicht der Chauffeur", hatte er in jenem alb traumhaften Moment gesagt. „Es war mein Bruder.“ „Dein... '; Es war ihr schwer gefallen, die Worte auszusprechen. „Ich wusste nicht einmal, dass du einen Bruder hast!" „Mein jüngerer Bruder", hatte er ihr entgegengeschleudert. „Ich bin... war... fünf Jahre älter.“ Und dann hatte er ihr etwas eröffnet, das sie in tiefste Verwirrung gestürzt hatte. „Du und Felipe wart ein Paar.“ „Du siehst mitgenommen aus.“ Rafael stand jetzt hinter ihr, die Tragetasche mit Tonio in der Hand. „Warum gehst du nicht gleich ins Bett? Ich kümmere mich um den Kleinen. " „Nein!" Heftig schüttelte Serena den Kopf. Sie würde ohnehin nicht schlafen können, sondern so wie jede Nacht, seit sie die Wahrheit erfahren hatte, daliegen, starr an die Decke blicken und grübeln, wie sie einen Mann hatte vergessen können, der ihr Liebhaber gewesen war - fast ein Jahr lang, wie es schien. „Ich mache es. Du musst das Gepäck reinbringen. " Wenn sie sich um Tonio kümmerte, würde sie Rafael aus dem
Weg gehen können. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und sie fühlte sich sehr verletzlich. Daher brauchte sie unbedingt etwas Zeit für sich. „Na gut", räumte Rafael in demselben höflichen Tonfall ein, in dem er in den letzten Tagen immer mit ihr gesprochen hatte. „Ich bringe deine Tasche in dein Zimmer.“ Serena nickte schweigend. Dann nahm sie Tonio von ihm entgegen und eilte ins Haus, damit er nicht sah, dass sie den Trä nen nahe war. Dein Zimmer. Falls irgendetwas symbolisch für die Kluft war, die sich zwischen ihnen aufgetan hatte, dann das. Rafael hatte in jedem Hotel, in dem sie im Norden gewohnt hatten, getrennte Zimmer gebucht. Und er hatte ihr Zimmer nie betreten. Als sie Tonio für die Nacht fertig machte, ließ Serena sich so viel Zeit wie möglich. Da es schon spät war, schlief er längst und bewegte sich kaum, als sie ihm die Windel wechselte und ihn an schließend in sein Bett legte. Unschlüssig blieb sie stehen und überlegte, was sie mit dem restlichen Abend an fangen sollte. „Serena!" rief Rafael im nächsten Moment aus der Eingangs halle. „Ich habe Kaffee gemacht. Bist du mit Tonio fertig? Du kannst bestimmt eine Tasse vertragen. " Sicher würde sie keinen Schluck hinunterbringen. Doch sie nahm an, dass er kommen und sie holen würde, wenn sie oben blieb. Daher verbrachte sie noch etwas Zeit in dem Bad, das an ihr Zimmer angrenzte. Sie wusch sich das Gesicht mit kaltem Was ser, in dem vergeblichen Versuch, etwas Farbe zu bekommen, und kämmte sich das Haar. Ihr war klar, dass sie Rafaels Geduld auf eine harte Probe stellte. Nachdem sie das dunkelgrüne Top aus Baumwollstretch und die farblich dazu passende Leinenhose, die sie trug, glatt gestrichen hatte, atmete sie noch einmal tief durch und ging nach unten. „Ich habe auch Sandwiches gemacht .“ Sein Tonfall war sachlich. Falls Rafael die Ringe unter ihren Augen und ihre trotzige Haltung gesehen hatte, ließ er es sich nicht anmerken. Er deutete auf den Couchtisch und das Tablett, das darauf stand. „Ich habe keinen Hunge r.“ „Aber du hast unterwegs überhaupt nichts gegessen. Du... " „Rafael, ich habe gesagt, ich habe keinen Hunger! Ich bin nicht Tonio - du musst bei mir nicht aufpassen, ob ich genug esse." „Sich um Tonio zu kümmern ist einfacher, als mit dir klarzu
kommen!" sagte er leise, und sein starker Akzent verriet seinen Ärger. „Serena, ich weiß, dass die letzten Tage schwer für dich waren... " „Schwer!" wiederholte sie zynisch. „Das ist wohl leicht untertrieben. Zuerst bin ich in ein großes schwarzes Loch gefallen, was das vergangene Jahr betrifft. Dann habe ich erfahren, dass ich ungefähr zwölf Monate lang einen spanischen Liebhaber hatte -einen Mann, an dessen Namen ich mich nicht einmal erinnert habe, als du ihn mir gesagt hast. Einen Mann, an dessen Gesicht ich mich nicht erinnern würde, wenn du mir nicht die Fotos von ihm gezeigt hättest. " Ihre Stimme bebte, als Serena daran dachte, wie entsetzlich es für sie gewesen war, das Foto zu betrachten, das seinen Worte zufolge seinen Bruder Felipe zeigte. Starr hatte sie in das Gesicht eines Mannes geblickt, das ihr nur wegen der Ähnlichkeit mit Rafael bekannt vorkam, und sich gefühlt, als würde eine Welt für sie zusammenbrechen. „Einen Mann, von dem du gesagt hast, er wäre mein Liebhaber gewesen, und trotzdem kann ich mich nicht daran erinnern, je mit ihm zusammen gewesen zu sein... " Allerdings konnte sie sich daran erinnern, mit Rafael geschlafen zu haben. Noch immer spürte sie seine Berührungen, seine Küsse, als hätten sie sich in ihre Haut eingebrannt. Es würde mehr als eine Ge hirnerschütterung erfordern, um die Erinnerung daran auszulö schen. „Und nun haben wir die letzten fünf Tage damit verbracht, durch Yorkshire zu fahren, auf den Spuren der Vergangenheit und auf der Suche nach einem Hinweis darauf, wo ich diesen Mann kennen gelernt habe... Und was hat es gebracht?" Ihr versagte die Stimme, und Serena kämpfte mit den Tränen. „Überhaupt nichts!" Aber wenigstens hatte Rafael es versucht, das musste sie ihm lassen. Als er gemerkt hatte, wie schockiert und bestürzt sie über seine Enthüllung war, hatte er vorgeschlagen, nach Yorkshire zu fahren in der Hoffnung, ihrem Gedächtnis damit auf die Sprünge zu helfen. Er konnte nichts dafür, dass es ein Desaster gewesen war. „Trotzdem sollte ich dir dankbar sein, dass du es versucht hast. Es war nett... " „Nett!" Es klang ungläubig und verzweifelt zugleich. „Ich habe das nicht gemacht, weil ich nett sein wollte! Ich…
Er verstummte und fluchte heftig, als das Telefon in der Ein gangshalle zu klingeln begann und sie beide erschreckte. „Lass es läuten!" befahl er, als Serena sich umwandte. „Ich kann nicht... Womöglich wacht Tonio davon auf. " Außerdem war sie froh, wenn sie einen Moment allein sein konnte, um ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen. „Hallo?" Entsetzt stellte sie fest, dass ihre Stimme schrill klang. „Serena?" erwiderte eine fröhliche Frauenstimme. „Bist du das? Du klingst so merkwürdig. " „Entschuldigung, kenne...?" Dann begriff Serena. „Lee? Leanne... Du bist es, stimmt's?" „Natürlich bin ich es!" verkündete ihre Freundin, und es klang so, als würde sie aus der Nachbarschaft anrufen und nicht vom anderen Ende der Welt. „Du hast eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen, dass ich dich so schnell wie möglich zurückrufen soll. Es tut mir Le id, dass es so lange gedauert hat, aber wir waren weg. Was ist mit dir? Da du mir diese Nummer gegeben hast, bist du offenbar wieder mit Felipe zusammen, oder?" Felipe. Serena war so schockiert, dass ihr schwindlig wurde und sie sich an einem Stuhl festhalten musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. „Hast du, Felipe' gesagt? Du weißt über ihn Bescheid?" „Natürlich weiß ich über ihn Bescheid", erwiderte Leanne of fensichtlich verwirrt. „Stimmt etwas nicht, Serena? Mir war so, als hättest du gesagt, es wäre die Nummer von Cordoba. Also habe ich angenommen... " „Es ist die Nummer von Cordoba, aber... aber es ist nicht Felipes Haus. Es ist Rafaels... " Während sie sprach, war Serena sich bewusst, dass die Tür zum Wohnzimmer offen stand. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Rafael, der die ganze Zeit nervös auf und ab gegangen war, nun stehen blieb und wie erstarrt ihren Worten lauschte. Ein Schauer überlief sie. „Rafael?" wiederholte Leanne in einem Tonfall, der Serena noch mehr Angst machte. „Ist sein großer Bruder da? Ach du meine Güte, Süße! Was hat Felipe denn nun schon wieder angestellt?" Serena fühlte sich, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen. Sie sank auf den Stuhl, da die Beine ihr plötzlich den Dienst versagten. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht.
„Etwas Schlimmes", brachte sie schließlich hervor. „Lee, es hat einen Unfall gegeben... Felipe ist tot. " Leanne schwieg schockiert. Sie musste einige Male ansetzen, und als sie schließlich wieder sprechen konnte, klang sie überhaupt nicht mehr fröhlich. „Tot?" wiederholte sie ungläubig. „Oh Serena... Dann ist es ja kein Wunder, dass sein großer Bruder aufgetaucht ist. Er wird natürlich alles regeln, Aber was ist mit dir - und dem kleinen Tonio? Wie geht es Tonio?" „Tonio? Woher.,. ?" Serena verstummte, als sie im Wohnzimmer eine Bewegung bemerkte. Rafael hatte einen Schritt auf sie zu gemacht, war dann stehen geblieben und hatte resigniert die Hände gehoben. Er sah ihr in die Augen, und sie erwiderte wie gebannt seinen Blick, während sie weiterzusprechen versuchte. „Woher weißt du von Tonio? Ich meine... natürlich ist er hier, bei seinem Vater. " „Seinem Vater?" Leanne klang nun richtig benommen. „Sere na, ist alles in Ordnung mit dir? Du hast gerade gesagt... " „Ich hätte es dir erklären sollen", sprudelte Serena heraus. „Es war ein Autounfall. Ich habe auch in dem Wagen gesessen, und mein Kopf hat einen schweren Schlag abbekommen. Ich bin völlig durcheinander, Lee. Es gibt so viele Dinge, an die ich mich nicht mehr erinnere. Das ganze letzte Jahr ist einfach weg. Falls es etwas gibt, das du weißt... irgendetwas... " Leanne atmete tief durch, woraufhin Serenas Anspannung sich noch verstärkte. „Das letzte Jahr? Und du erinnerst dich an gar nichts mehr? Dann gibt es etwas sehr Wichtiges, das du wissen solltest, Serena. Und aus irgendeinem Grund sieht es so aus, als sei ich diejenige, die es dir erzählen muss. " Serena hatte keine Ahnung, wie lange sie dort saß - fünf, zehn oder zwanzig Minuten. Sie wusste nur, dass sie sich nicht von der Stelle hätte rühren können, selbst wenn sie es versucht hätte. Sie konnte nicht einmal mehr einen klaren Gedanken fassen. Nur durch schiere Willenskraft schaffte sie es, sich aufrecht zu halten. Und die ganze Zeit erwiderte sie Rafaels Blick, bis Leanne mit ihrer unglaublichen Geschichte geendet hatte. Serena war nicht einmal sicher, ob sie sich bei ihr für die In formationen bedankt oder sich von ihr verabschiedet hatte. Sie wusste nur, dass ihr fast der Schädel platzte, nachdem sie
schließlich aufgelegt hatte. Wie eine Schlafwandlerin ging sie langsam auf Rafael zu. Sie konnte nicht einmal mehr glauben, dass dies derselbe Mann war, den sie einmal gekannt hatte. Der Mann, dem sie vertraut, an den sie geglaubt und dem sie ihr Herz geschenkt hatte. Falls Leanne Recht hatte - und es gab nichts, was dagegen sprach -, dann hatte er ihr Vertrauen und ihre Liebe missbraucht. „Du... " Mehr brachte sie nicht über die Lippen. Rafael war aschfahl geworden, seine Augen und sogar sein Haar wirkten plötzlich farblos. Und als er antwortete, war seine Stimme ganz heiser. „Sie hat es dir erzählt, stimmt's?" Serena nickte nur, denn noch immer fiel es ihr schwer, das Ausmaß dessen, was sie erfahren hatte, zu begreifen. Es konnte nicht wahr sein. Und dennoch schien sein Verhalten Leannes Enthüllung zu bestätigen... „Es tut mir Leid. 11 Diese vier schlichten Worte drangen zu ihr durch, und der Schock ließ allmählich nach. „Stimmt es? Ist das, was Leanne mir erzählt hat, wirklich passiert? Ist es...?" Ihr versagte die Stimme. „Rafael, ist es wirklich wahr?" „Es ist wahr", bestätigte Rafael rau. „Nein... " Verzweifelt stöhnte Serena auf. Sie schwankte und musste sich an der Wand abstützen. Unwillkürlich machte er einen. Schritt auf sie zu, um ihr zu helfen, blieb dann jedoch wieder wie erstarrt stehen, worüber sie sehr erleichtert war. Wenn er sie jetzt berührt hätte, hätte sie vollends die Beherrschung verloren. „ Sie hat gesagt... sie hat gesagt... " Es erschien ihr schier unmöglich, es in Worte zu fassen, doch sie musste es versuchen. „Sie hat gesagt, dass Tonio... mein Sohn ist.“ Ohne mit der Wimper zu zucken, sah er ihr in die Augen. Noch bevor er antwortete, wusste sie Bescheid. „Ja", erwiderte er leise. „Er ist nur mein Neffe, aber er ist dein Sohn deiner und Felipes.“ „Mein Sohn... " Serena schrie auf und presste sich die Hände an die Schläfen, als könnte der körperliche Schmerz, den sie sich dadurch zufügte, ihre Seelenqualen auslöschen.
Sie hatte höllische Kopfschmerzen, und erneut schienen die Beine ihr den Dienst zu versagen. Benommen sah sie, wie Rafael die Stirn runzelte, und hörte, wie er etwas sagte, das wie ihr Name klang. Doch noch während er auf sie zukam, diesmal ohne zu zögern, wurde ihr schwarz vor Augen. Als sie das Bewusstsein wiedererlangte, lag sie auf dem großen Sofa im Wohnzimmer, mit weichen Kissen unter dem Kopf und den Füßen. Langsam öffnete sie die Augen und richtete den Blick auf den Mann, der ihr gegenübersaß und sie betrachtete. Er hatte die Hände im Schoß zu Fäusten geballt und wirkte sehr angespannt. „Wie geht es dir?" Seine Stimme war so rau, dass Serena sie kaum erkannte. „ Ich... ich weiß nicht... " Vorsichtig hob sie den Kopf und sah sich in dem Raum um, der ihr plötzlich aus irgendeinem Grund so fremd erschien. „Möchtest du ein Glas Wasser oder eine Tasse Kaffee? Etwas Stärkeres vielleicht?" „Nichts... " In dem Moment begriff sie. Ihre Umgebung war nicht fremd im Gegenteil. „Das Zimmer! Rafael, ich... ich erkenne es wieder. Nicht aus der Zeit mit dir, sondern von früher - mit... " „Mit Felipe?" Intuitiv hatte er erraten, was sie sagen wollte. Er stand auf, setzte sich zu ihr aufs Sofa und nahm ihre Hände. „Serena, querida. gibt es noch etwas?" „Ich weiß nicht... Ich erinnere mich daran, dass ich mit Tonio und Felipe hier war und in den Wagen gestiegen bin... " Panik überkam Serena, als ihr weitere Einzelheiten einfielen. „Tonio war auch im Wagen!" „Richtig. Aber ihm ist nichts passiert", versicherte Rafael schnell, als er den besorgten Ausdruck in ihren Augen bemerkte. „Er war im Babysitz auf dem Rücksit z festgeschnallt und wurde nicht verletzt. Am schlimmsten hat es Felipe erwischt. Aber was war vorher? Kannst du dich an irgendetwas erinnern? Wo hast du Felipe kennen gelernt?" „Auf Leannes Hochzeit. " Sie sprach langsam, während sie versuchte, die Bilder zu ordnen, die vor ihrem geistigen Auge auftauchten. Nach Wochen erinnerte sie sich auf einmal wieder an alles, und es war schwer, es in die richtige Reihenfolge zu bringen. „Er war ein Freund von Mark, Leannes Mann. Sie haben zu
sammen studiert, aber Felipe war nur für ein Jahr an der Uni. " Rafael verzog ironisch den Mund und nickte. „Man hat ihn rausgeworfen, nachdem er die Prüfungen nicht bestanden hatte - und die Nachprüfungen, Aber das Studentenleben hat ihm gefallen, und deswegen hat er das Studienfach gewechselt und unseren Vater überredet, ihn finanziell zu unterstützen. Nachdem er damit auch gescheitert war, wollte er Künstler werden und danach Journalist, glaube ich. Durchhaltevermö gen war leider keine herausragende Tugend von ihm. " „Oh!" rief sie bestürzt. Seine Augen wurden dunkler, und als ihm bewusst wurde, dass er immer noch ihre Hände hielt, ließ er sie unvermittelt los. „Es tut mir Leid. Ich hatte ganz vergessen, dass er dir etwas bedeutet hat. " Sein Tonfall veranlasste sie sich aufzusetzen. Stirnrunzelnd betrachtete sie Rafael. „Und was soll das heißen? Es klingt, als würdest du daran zweifeln. " Er atmete scharf aus und strich sich mit beiden Händen durchs Haar. „Ich weiß nicht, was du für meinen Bruder empfunden hast - was du von ihm gehalten hast. Und ehrlich gesagt, interessiert es mich auch nicht sonderlich. Aber ich weiß, was er über dich gesagt hat... " „Und das wäre?" Unvermittelt stand er auf und begann, wie ein Tiger im Käfig auf und ab zu gehen. Bestürzt über seine Reaktion, erhob Serena sich ebenfalls und zwang ihn stehen zu bleiben, indem sie seinen Arm umfasste. „Und das wäre?" Seiner Miene und dem Ausdruck in seinen Augen nach zu urteilen, war es nichts Gutes gewesen. „Du solltest es mir erzählen", drängte sie ihn. „Also, wie hat Felipe sich über mich geäußert?" Mit der freien Hand klopfte er sich nervös auf den Schenkel -eine Geste, die mehr über seinen Gemütszustand verriet als sein mittlerweile betont gleichgültiger Gesichtsausdruck. „Er meinte, du wärst ein billiges Flittchen", erwiderte Rafael schließlich schroff und beinah bedauernd. „Du hättest dich auf der Hochzeit an ihn herangemacht, als du völlig beschwipst warst, und ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass du sofort mit ihm schlafen wolltest.“
Falls sie das Gedächtnis nicht wiedererlangt hätte, wäre sie jetzt verletzt gewesen. Es war allerdings nicht der Fall, denn sie hatte sich bereits daran erinnert, wie Felipe Cordoba gewesen war. Was ihr wirklich zu schaffen machte und ihr fast das Herz zerriss, war die Tatsache, dass Rafael es glaubte. Das spöttische Funkeln in seinen Augen und der verächtliche Zug um seinen Mund bewiesen es. „Was noch?" Gehörte diese harte, schrille Stimme wirklich ihr? Rafael befreite sich aus ihrem Griff und ging weiter nervös im Zimmer auf und ab. Er blieb auf der anderen Seite neben dem großen marmornen Kamin stehen und blickte eine Weile zu Boden, bevor er sich wieder zu ihr umdrehte. „Er sagte, für ihn sei es nur ein Abenteuer für eine Nacht gewesen und er habe es schon vor dem nächsten Morgen bedauert, dich überhaupt kennen gelernt zu haben. Er sei nach London zu rückgekommen und habe geglaubt, dass er dich nie wieder sehen würde, aber... " „Aber ich habe ihn ausfindig gemacht", beendete Serena den Satz für ihn, als Rafael verstummte. „Ich bin zu ihm gefahren und habe ihm erzählt, ich sei von ihm schwanger und er der Va ter, stimmt's? Ich habe von ihm verlangt, dass er mich finanziell unterstützt und ihm damit gedroht, ihn zu erpressen, falls er es nicht tun würde? Hat er dir das erzählt?" „Nein", entgegnete er zu ihrer Verblüffung. „Nein?" Sie war ganz sicher gewesen, dass Felipe sie bei ihm schlecht gemacht hatte, um als das unschuldige Opfer dazustehen. „Er hat gesagt, du seist plötzlich mit dem Baby bei ihm aufgetaucht und hättest behauptet, es sei von ihm - und du hättest es ihm für eine Million Pfund verkaufen wollen.“ „Er hat gesagt, ich...?“ Erneut war sie nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie wollte einfach nicht wahrhaben, was Rafael gerade erzählt hatte. Dass er ihr so etwas Verabscheuungswürdiges überhaupt zutraute. „Er bat behauptet, ich hätte Tonio verkaufen wollen? Mein eigenes Baby? Er hat behauptet...?“ „Er hat gesagt, du hättest herausgefunden, wie reich unser Vater sei - wie reich ich sei. Dass du das Baby nie gewollt und es nur deshalb nicht abgetrieben hättest, weil du bereits diesen Plan
gemacht hättest. Dass... " „Nein!" rief Serena gequält. „Nein! Nein! Nein! So war es nicht! Niemals! Hast du mich verstanden?" Da sie die Tränen nicht zurückhalten und seinen kühlen, vor wurfsvollen Blick nicht länger ertragen konnte, schlug sie die Hände vors Gesicht. „So war es nicht", wiederholte sie stockend. Eine Weile lang herrschte angespanntes Schweigen. Schließlich hörte sie, wie Rafael tief durchatmete. „Und warum erzählst du mir dann nicht, wie es wirklich war? Serena... " Überraschend sanft zog er ihre Hände hinunter und umfasste ihr Kinn, damit sie ihn anblickte. „Sag mir, was wirklich passiert ist.“ Wenn er mich so ansieht und mich so berührt, würde ich ihm alles erzählen, dachte sie. Wenn seine Augen so dunkel waren und ein so zärtlicher Ausdruck darin lag, schien es ihr, als würde Rafael bis auf den Grund ihrer Seele blicken und alles sehen. All den Schmerz. All den Zorn. All die Einsamkeit. Das schreckliche Gefühl, hintergangen worden zu sein. Das Gefühl, hintergangen worden zu sein. Der Gedanke daran brach den Bann und nahm ihr alle Hoffnungen. Sie konnte Rafael nicht mehr vertrauen, als sie seinem egoistischen jüngeren Bruder hatte vertrauen können. Er hatte sie auch belogen. Er hatte die ganze Zeit gewusst, dass Tonio ihr Sohn war. Sie war von beiden Brüdern hintergangen worden, doch während Felipe sie lediglich verletzt hatte, hatte Rafael ihr das Herz gebrochen.
13. KAPITEL „Was wirklich passiert ist.“ Serena warf den Kopf zurück und funkelte Rafael an. „Du willst also die Wahrheit wissen, stimmt's? Aber ich muss dich warnen - sie wird dir nicht gefallen. " „Wetten, dass?" meinte er leise und nahm ihr damit fast den Wind aus den Segeln. Aber nur fast. Um sich wieder auf ihren Zorn zu besinnen, brauchte sie sich nur ins Gedächtnis zu rufen, was Felipe vorgehabt hatte, Was er ihr an jenem letzten Abend - dem Abend vor dem Unfall - gesagt hatte. „Ja, ich habe Felipe auf Leannes Hochzeit kennen gelernt und ja, ich war beschwipst - weil dein Bruder mir so viel Champagner eingeflößt hat. Er wusste nämlich genau, dass ich keinen Alkohol vertrage, und später habe ich erfahren, dass er ihn mit reichlich Wodka angereichert hatte. " Rafael fluchte heftig, doch als sie ihn ansah, machte er nur eine ungeduldige Geste und bedeutete ihr fortzufahren. „Ich kann nicht abstreiten, dass wir in der Nacht im Bett gelandet sind. Allerdings war es mein Bett, und Felipe hat sich mir förmlich aufgedrängt, weil er genau wusste, dass ich ihn nicht davon abhalten konnte. Ich habe nicht freiwillig mit ihm geschlafen... " Bei der Erinnerung daran wurden ihre Augen dunkel vor Schmerz, und ihre Lippen bebten so stark, dass sie kaum sprechen konnte. Aber sie musste weiterreden, Rafael sollte alles erfahren. Und danach konnte er ihr glauben oder nicht. Inzwischen war es ihr egal. „Ich... ich hatte noch nie mit einem Mann geschlafen. Ich war noch unschuldig und so naiv. Dass ich schwanger bin, habe ich erst gemerkt, als ich schon im vierten Monat war. Als ich es erfahren habe, hatte ich schreckliche Angst. Ich hatte kein Geld, keine Wohnung, niemanden, an den ich mich wenden konnte.
Dann habe ich ein Foto von Felipe in der Zeitung gesehen - es war auf einem Empfang aufgenommen worden. Ich bin nach London gefahren, um ihn zu suchen. " „Aber warum? Nachdem er dich so behandelt hatte?" Serena lächelte unsicher. „Ich hatte die verrückte Idee, dass ich ihn vielleicht völlig falsch verstanden hatte. Dass er womöglich gar nicht so gemein sein wollte. Dass er mir vielleicht helfen würde, wenn ich ihm erzählen würde, ich sei von ihm schwanger. Und ich... ich dachte, ich wäre es ihm schuldig. " „Madre de Dios!" rief er, sichtlich schockiert. „Was?" „Ihm die Chance zu geben, sein Baby kennen zu lernen. Vater zu sein. Ich habe Monate gebraucht, um herauszufinden, wo er wohnt. Es war eine schwere Zeit, und schließlich stand ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Es ging mir so schlecht, dass ich Tonio nach der Geburt nicht einmal stillen konnte. Zu dem Zeitpunkt habe ich in der Norway Street gewohnt. Ich habe Felipes Adresse erst kurz vor Tonios Geburt in Erfahrung gebracht. Als er sagte, ich sollte mir keine Sorgen machen, er würde sich um alles kümmern, habe ich ihm geglaubt. " „Dabei hatte er vor, dir das Baby wegzunehmen und dir wieder den Laufpass zu geben.“ Entsetzt sah sie ihn an. „Woher weißt du das?" „Serena, ich kannte meinen Bruder. Ich habe ihn geliebt, aber ich war nicht blind für seine Fehler. Er war ein oberflächlicher, egoistischer, raffgieriger junger Mann. Einer, der andere Leute um ihr Geld beneidete, aber zu faul war, sein eigenes Geld zu verdienen. Als du ihm begegnet bist, hatte er das ganze Geld durchgebracht, das mein Vater ihm gegeben hatte. Er hatte angefangen zu trinken und zu spielen und ein Vermögen durchgebracht. Mein Vater hat vielleicht ein weiches Herz, aber er ist kein Dummkopf. Er hat Felipe klar gemacht, dass er ihn erst wieder unterstützen würde, wenn er mehr Verantwortung zeigte. " „Tonio", brachte sie hervor, und er nickte grimmig. „Ich vermute, dass er ihm Tonio als das Enkelkind präsentieren wollte, das mein Vater sich so sehr gewünscht hatte. Und das sowohl mein Vater als auch ich finanziell unterstützt hätten. " Serena ahnte bereits, warum sein Tonfall so bitter war und Rafael verächtlich den Mund verzog. „Du hast gesagt, du wärst schon auf dem Weg nach England gewesen... "
Wieder nickte er grimmig. „Felipe hatte mich angerufen. Er sagte, er hätte gerade von dem Baby erfahren, und du würdest es zum Verkauf anbieten. Er brauchte eine Million Pfund, um dich auszuzahlen, sonst würdest du woandershin gehen. " „Und du solltest ihm das nötige Kleingeld zur Verfügung stellen?" „Er wusste, dass ich alles tun würde, wenn es um ein Kind ging, vor allem nachdem ich meinen Sohn verloren hatte. Ich sollte ihm das Geld geben... Allerdings bezweifle ich, dass du je etwas davon gesehen hättest. Als ich in England eintraf, erfuhr ich von dem Unfall. Felipe war tot, und du lagst im Krankenhaus. " Die Frau, von der er geglaubt hatte, sie wäre nur ein Flittchen und egoistisch und raffgierig genug, um ihr Kind an den Meistbietenden zu verkaufen. Also warum hatte er sich um sie gekümmert? Was hatte er an jenem Tag zu ihr gesagt, als er Tonio zum ersten Mal mit ins Krankenhaus genommen hatte? An jenem Tag, auf den sie nun aus einer ganz anderen Perspektive zurückblickte? „Ich habe mich für Sie verantwortlich gefühlt", hatte er gesagt und alles auf seine Schultern genommen, obwohl er sie verachtet hatte. Langsam wandte Serena sich ab, denn sie musste einen Moment nachdenken, ohne vom Anblick seines umwerfend attraktiven Äußeren abgelenkt zu werden - und der Tatsache, dass sie ihn zu lieben geglaubt hatte. Und was empfand sie jetzt? Sie konnte die Frage nicht beantworten. In ihrem tiefsten Inneren empfand sie vielleicht noch etwas für ihn, doch sie wusste es nicht. Und sie hatte keine Zeit gehabt, um es zu ergründen - sie war sich nicht einmal sicher, ob sie es überhaupt wollte. Denn es gab so viel mehr, über das sie sich noch klar werden musste. „Du hast also die Verantwortung für mich und mein Baby übernommen", erklärte sie und blickte starr aus dem Fenster in die Dunkelheit. Rafael spiegelte sich in der Scheibe, und sie sah, wie er einen Schritt auf sie zu machte und dann stehen blieb. „Aber du hast mir nicht erzählt, dass Tonio mein Sohn ist.“ „Du weißt, warum, Serena. Du warst geschwächt und konntest dich an nichts erinnern. Die Ärzte hatten mir geraten... " „Oh, ich weiß, was die Ärzte dir geraten haben!" fiel sie ihm bitter ins Wort. „Aber sei ehrlich, Rafael. Es hat dir genau in den
Kram gepasst, stimmt's?" Als er nicht antwortete, drehte sie sich widerstrebend zu ihm um. Ihr war klar, dass sie aschfahl war, und sie bemerkte, wie er die Stirn runzelte, als er ihrem Blick begegnete, „Erzähl mir von deinem Kind, Rafael. Von dem Baby, das mit Elena gestorben ist. So war es doch, oder?" „Ja. " Rafael seufzte tief und betrachtete angelegentlich den Teppich. „Ja, er ist gestorben, als sie gestorben ist. Als Elena erfahren hat, dass sie Krebs hat, hat sie jegliche Behandlung verweigert in der Hoffnung, dass wenigstens unser Baby überleben würde. Aber sie war in einem schlimmeren Zustand, als wir befürchtet hatten. Sie ist vor dem sechsten Monat gestorben und unser Sohn mit ihr. " „Und wann war das?" „Vor achtzehn Monaten. " Plötzlich blickte er wieder auf, und als sie seinen gequälten und zugleich wütenden Gesichtsausdruck sah, empfand Serena Mitgefühl mit ihm. „Ich hätte alles getan, um ihn zu retten. Ich hätte sogar mein Leben dafür gegeben. " Daran zweifelte sie nicht eine Sekunde. „Und deswegen wolltest du mein Kind.“ „Dios! Nein!" „Die Wahrheit, Rafael! Willst du behaupten, du hättest Tonio nicht gewollt?" Als sie bemerkte, wie seine Augen dunkler wurden und er die Lippen zusammenpresste, starb etwas in ihr. „Ich bin nach London gekommen, um zwischen Felipe und dir zu vermitteln", erwiderte er schließlich langsam. „Er hatte mir weisgemacht, du wärst eine geldgierige Hexe, die ihr Baby jedem verkaufen würde, wenn die Summe stimmte. Und ich war mir ganz sicher, dass er kein guter Vater sein würde, wenn er sich nicht zusammenriss. Ich dachte, ich könnte dich auszahlen, das Baby nehmen und es seinen Großeltern - meiner Mutter und meinem Vater - geben. " Resigniert fuhr er sich über die Stirn, als könnte er dadurch die unangenehmen Erinnerungen auslöschen. „Mit zwei Dingen hatte ich allerdings nicht gerechnet. Erstens, dass ich Tonio auf Anhieb ins Herz schließen würde. Ich wollte ihn beschützen, ihn lieben, ein Vater für ihn sein. Und ich brauchte ihn. Ich hatte meinen eigenen Sohn verloren, und es schien mir,
als würde ich nun eine zweite Chance bekommen. " „Und deswegen hast du mir meinen Sohn vorenthalten.“ Traurig fragte sie sich, ob man sich so fühlte, wenn es einem das Herz brach. Sie war wie betäubt, keiner Empfindung fähig, so dass nur eine große innere Leere blieb. „Du hast mir nicht von ihm erzählt, weil du ihn für dich haben wolltest.“ „Nein. '" rief Rafael wütend und funkelte sie an. „So war es nicht. Zuerst - bevor du das Bewusstsein wiedererlangt hast -hatte ich keine Ahnung, dass du an Gedächtnisschwund leiden würdest. Als mir dann klar wurde, dass du dich an nichts erinnern kannst, musste ich meine Pläne schnell ändern. " Wieder hatte er begonnen, im Zimmer auf und ab zu gehen. „Die Ärzte bestanden darauf, dass du dich mit der Zeit von selbst an alles erinnern würdest. Dass niemand dich zu etwas zwingen sollte. Sie meinten, du wolltest dich eigentlich an nichts erinnern, weil du ein Trauma erlebt hättest. " „Als du Tonio mit ins Krankenhaus genommen hast, was wolltest du damit bezwecken? Hattest du vor, mich auf die Probe zu stellen?" Er blieb auf der anderen Seite des Raumes stehen und sah ihr in die Augen. „Dr. Greene sagte, es sei einen Versuch wert. Und ich musste wissen, wie du mit dem Kleinen umgehst. Amnesie ist, als würde man unter Hypnose stehen. Man kann sein wahres Ich nicht vergessen. Als ich merkte, wie du dich Tonio gegenüber verhalten hast, obwohl du dachtest, er wäre mein Sohn, war mir klar, dass Felipe mir nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Da habe ich beschlossen, dich mit zu mir zu nehmen. " „Um mich im Auge zu behalten, während du dir darüber klar werden wolltest, ob ich mich um meinen Sohn kümmern kann oder nicht?" „So war es nicht, Serena, das schwöre ich. Ich wollte dir die Geborgenheit geben, die du gesucht hast, als du Felipe um Geld gebeten hast - falls du es überhaupt getan hast. Und ich wollte dir Zeit geben, damit du mit deinem Sohn vertraut werden konntest und ihm eine richtige Mutter sein würdest, wenn du das Ge dächtnis wiedererlangtest. " „Aber... " Verwirrt schüttelte Serena den Kopf, denn seine Worte widersprachen dem, was er vorher gesagt hatte. „Du hast doch zugegeben, dass du Tonio gebraucht hast. Dass deine Eltern ihren Enkel gebraucht hätten. Also warum hast du...?“
„Weil Tonio dich brauchte! Du bist seine Mutter! Und ich war mir sicher, dass du ihn auch brauchtest, selbst wenn es dir noch nicht bewusst war. " „Und... und wenn ich deine Erwartungen nicht erfüllt hätte? Wenn du zu dem Ergebnis gekommen wärst, dass ich Tonio keine gute Mutter sein kann?" Wenn ich dem Neffen des großen Rafael Cordoba keine gute Mutter hätte sein können, fügte eine innere Stimme hinzu. „Was wäre, wenn ich wirklich hinter dem Geld her gewesen wäre?" „Dann hätte ich dir eine größere Summe gezahlt, als du es dir je erträumt hättest, und dich weggeschickt- Vorher hätte ich mir allerdings von dir die Vormundschaft für Tonio übertragen lassen.“ Nun wusste sie, warum er ihr an dem Tag, als er sie hierher gebracht hatte, versichert hatte, er würde dafür sorgen, dass sie niemanden in irgendeiner Weise durch irgendetwas verletzen könnte, was in Zusammenhang mit dem Unfall stehen würde. Er hatte alles bis ins letzte Detail geplant, und sie war lediglich eine Schachfigur gewesen. „Weißt du, was ich überhaupt nicht verstehe?" rief Serena bitter. „Dass du Tonio nicht einfach genommen hast und gegangen bist. Schließlich hatte dein verdammter Bruder das auch vor. Warum hast du dich überhaupt mit mir abgegeben?" „Warum?" Entschlossen kam Rafael auf sie zu. Dicht vor ihr blieb er stehen und blickte ihr so tief in die Augen, dass sie zusammenzuckte. Dann lächelte er. Es war ein zärtliches und zugleich trauriges Lächeln. „Kannst du es dir nicht denken, Serena? Ich sagte, mit zwei Dingen hätte ich nicht gerechnet, als ich nach England gekommen bin. Das erste habe ich dir erzählt. Das zweite war ein noch größerer Schock für mich. Die Wahrheit ist, querida, dass ich dich gesehen und mehr begehrt habe, als ich je eine Frau begehrt hatte. Es war, als hätte mich der Blitz getroffen. Ich vermochte keinen klaren Gedanken zu fassen - ich konnte nicht einmal atmen! Und ich hätte dir Tonio niemals wegnehmen und dich im Stich lassen können. " Sie wusste genau, was er meinte. Hatte sie nicht dasselbe erlebt, als sie die Augen geöffnet und in sein attraktives Gesicht geblickt hatte? Hatte sie nicht in ihrem tiefsten Inneren gewusst, dass dieser Mann ihr Schicksal war und ihr Leben nie wieder so
sein würde wie vorher, wenn sie diese Chance nicht ergriff? „Und... und jetzt?" „Jetzt?" Zu ihrer Verblüffung nahm er ihre Hand, kniete sich vor sie und sah ernst zu ihr auf. „Jetzt weiß ich, dass ich dich niemals gehen lassen kann. Es würde mich umbringen. Ich möchte, dass du mich heiratest... " Das konnte nicht sein! Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Kniete der überhebliche, selbstbewusste, energische Rafael Cordoba tatsächlich vor ihr und fragte sie ...? „Nein?" Offenbar hatte er ihr Kopfschütteln falsch gedeutet. „Deine Antwort lautet, nein ?" „Ich weiß nicht, wie meine Antwort lautet. Ich... " Rafael stöhnte auf und fuhr sich mit der freien Hand durchs Haar. Am liebsten hätte Serena es wieder glatt gestrichen, doch sie traute sich nicht aus Angst, das Verlangen zwischen ihnen zu entfachen, das so leicht aufflammte und jeden vernünftigen Ge danken auslöschte. Und sie musste nachdenken. Ihre Zukunft und die Zukunft ihres Babys hingen davon ab. „Du... du hast gesagt, du liebst mich nicht... " „Madre de Dios!" brachte er hervor. „Da war ich wütend und verwirrt. Ich war davon überzeugt gewesen, dass du nicht so warst, wie mein Bruder dich dargestellt hatte. Aber als wir in die Norway Street gefahren sind, warst du plötzlich ganz anders. Du hast mir zu verstehen gegeben, dass du den Luxus, den ich dir biete, zu schätzen weißt - und bereit warst, als Gegenleistung mit mir ins Bett zu gehen. " „Als ich sah, wie ich dort gelebt hatte, war ich schockiert und hatte Angst! Ich dachte, wenn du erfährst, woher ich komme, würdest du dich von mir abwenden. " „Das hätte ich nie getan. Aber ich wusste nicht, welche die wahre Serena war. " Unwillkürlich verstärkte er seinen Griff. „Und dann hast du aus heiterem Himmel verkündet, du würdest mich lieben. Ich wusste nicht, ob du es ernst gemeint oder nur behauptet hast, um mich an dich zu binden. " „Nein!" Nun verstärkte sie ihren Griff. „Auf die Idee wäre ich nie gekommen. Ich liebe dich zu sehr. " „Dann wirst du mich also heiraten? Du wirst meine Frau sein, und du und Tonio werdet mit mir zusammenleben..." Du und Tonio. Serena biss sich auf die Lippe. Du und Tonio. Wenn er das nicht gesagt hätte, dann hätte sie
ihm vielleicht eine Antwort gegeben. Sie hätte Ja gesagt und würde jetzt vielleicht in seinen Armen liegen und ihn küssen. Sie wäre seine Verlobte gewesen und überglücklich. Denn ihr wurde klar, dass sie ihn vorher nicht annähernd so sehr geliebt hatte wie in diesem Moment. Doch er hatte jene verhängnisvollen Worte ausgesprochen und damit alles kaputtgemacht. Sie konnte ihm nicht mehr die Antwort geben, die sie ihm gern gegeben hätte. „Nein", erwiderte sie daher. „Nein?" Es war das Letzte, was er erwartet hatte, so viel war klar. Rafael wurde aschfahl. Darm sprang er auf, ließ ihre Hand los und umfasste stattdessen ihre Arme. „Warum nicht? Das meinst du nicht ernst, Serena. Das kannst du mir... uns nicht antun. Ich weiß, dass du mich liebst. Ich habe dir gesagt, wie sehr ich dich liebe... " „Das reicht nicht", brachte sie hervor und wusste selbst nicht, wie sie es schaffte. „Das reicht nicht? Serena, carina, du kannst von mir haben, was du willst. Ich lege dir die Welt zu Füßen... " „Nicht, Rafael!'1 rief sie verzweifelt. Heiße Tränen liefen ihr übers Gesicht, so dass ihr alles vor den Augen verschwamm. Aber sie konnte seine goldfarbenen Augen sehen und blickte ihn flehend an. „Mach nicht alles noch schlimmer, als es ohnehin schon ist. Versteh mich doch... " „Verstehen?" Nun war er wieder der alte Rafael, kühl und distanziert. „Ich verstehe kein Wort. Ich habe dir gesagt, dass ich dich liebe und dass ich dich heiraten möchte... " „Aber willst du wirklich mich? Willst du mich um meinetwillen oder Tonios wegen? Würdest du mich um jeden Preis heiraten wollen? Oder magst du mich nur und akzeptierst mich, weil du dir so sehr ein Kind wünschst?" Daraufhin herrschte beklemmendes Schweigen, und sie spürte, wie Rafael sich innerlich von ihr distanzierte, obwohl er sie weiterhin festhielt. „Du würdest mir doch nicht glauben", antwortete er schließlich, als sie die Anspannung nicht länger ertrug, „selbst wenn ich dir meine Liebe schwören würde. Du glaubst, ich will dich nur Tonios wegen, und wenn ich versuchte, dich vom Gegenteil zu überzeugen, wäre es für dich lediglich ein Beweis dafür,
wie sehr ich ihn will. Wenn ich sagte, dass ich dich nur seinetwegen heirate, würdest du meinen Antrag sofort ablehnen. Egal, was ich mache, es ist falsch. " Er ließ sie los und hob die Hände. „Und daher tue ich, was du von mir verlangst. Ich werde es dir so leicht wie möglich machen. Komm... " Verwirrt blickte Serena auf seine ausgestreckte Hand. Dann reichte sie ihm die Hand und ließ sich von ihm aus dem Raum führen. Rafael ging mit ihr die Treppe hoch und den Flur entlang an ihrem und seinem Zimmer vorbei. Es überraschte sie nicht, als er schließlich die Tür zu Tonios Zimmer öffnete und sie hineinzog. Sobald sie vor dem Bett standen, ließ er ihre Hand los und beugte sich über den schlafenden Tonio. Ganz vorsichtig hob er ihn aus dem Bett, um ihn nicht zu wecken. Eine Weile lang betrachtete er ihn nur, und sein Gesichtsausdruck erinnerte Serena an den Moment, als sie ihn mit Tonio im Arm im Schneidersitz auf seinem Bett beobachtet hatte. Zärtlich streichelte er mit dem Finger sein Gesichtchen, atmete scharf ein und küsste ihn auf die Stirn. „Adiós, mi corazón", flüsterte er und hielt ihn ihr dann entgegen. „Nimm ihn, Serena. Er ist dein Sohn. " Ihr Sohn. Serena nahm Tonio und presste ihn an ihre Brust. Tief atmete sie seinen süßen Duft ein, rieb die Nase in seinem flaumigen Schöpf und weinte um die Tage und Wochen, in denen sie nicht gewusst hatte, dass er ihr Sohn war. „Gott sei Dank habe ich dich wieder", flüsterte sie ihm ins Ohr. Sie wusste nicht, wie lange sie dort gestanden hatte. Irgendwann erregte ein leises Geräusch unten ihre Aufmerksamkeit und brachte sie in die Gegenwart zurück. Erst als sie sich umsah, stellte sie fest, dass sie allein war. Rafael war gegangen, und sie hatte es nicht einmal gehört. Rafael! Plötzlich wurde ihr bewusst, was sie wahrgenommen hatte. Er hatte die Haustür geöffnet und anschließend den Kofferraum seines Wagens. Rafael. Vorsichtig legte sie Tonio in sein Bett zurück. Sie würde noch viel Zeit haben, ihm ihre Liebe zu zeigen. Ihr Gefühl sagte ihr, dass es bei dem anderen geliebten Mann in ihrem Leben nicht der Fall sein würde, wenn sie sich nicht beeilte. Serena scharrte es gerade noch rechtzeitig. Rafael kam gerade
in die Eingangshalle zurück, um den Koffer zu holen, der am Fuß der Treppe stand. Durch die geöffnete Haustür sah sie seinen Wagen. Der Schlüssel steckte im Zündschloss. „Rafael, warte!" Unvermittelt blieb Rafael stehen und blickte schockiert zu ihr auf. Ihr Herz krampfte sich zusammen, denn er schien um Jahre gealtert zu sein. „Was machst du da? Wo willst du hin?" „Ich reise ab. Ich kehre nach Spanien zurück", erwiderte er kurz angebunden. „Aber warum?" „Du weißt, warum, Serena! Du willst mir nicht glauben, dass ich dich liebe, und ich kann nicht hier bleiben. Ich ertrage es nicht, bei dir zu sein und dich nicht lieben zu können. Ich habe dir einen Brief hinterlassen... " Er deutete auf den weißen Umschlag, der auf dem Flurtisch lag. „Geh damit zu meinem Anwalt - die Adresse steht drauf -, und er wird alles für dich regeln. Tonio ist anscheinend Alleinerbe seines Vaters, aber ich habe auch dafür gesorgt, dass du abgesichert bist. Ich gebe dir das Haus... " „Du gibst mir das Haus!" Sie war so entsetzt, dass sie nach unten eilte. „Warum, Rafael? Warum?" „Weil du alles haben sollst, was du brauchst. Ich möchte, dass du so leben kannst, wie du es dir vorstellst. " Rafael wandte sich zu ihr um. Den Koffer in der einen Hand, streichelte er mit der anderen ihre Wange, umfasste dann ihr Kinn und strich mit dem Daumen über ihren Mund. „Werde glücklich, Serena", drängte er leise. „Versprich mir das.“ Einen Moment lang betrachtete er ihren Mund, als würde er sich danach sehnen, sie zu küssen. Schließlich schüttelte er jedoch den Kopf, zog die Hand beinah abrupt zurück und ging zur Tür. Serena atmete scharf ein. Jetzt oder nie, dachte sie. „Rafael!" rief sie. „Geh nicht!" Rafael blieb stehen, drehte sich allerdings nicht um. Den Koffer in der Hand, blickte er zur Tür. „Was hast du gesagt?" fragte er rau. „Geh nicht, habe ich gesagt. Verlass mich nicht, bitte!" Daraufhin wandte er sich endlich zu ihr um.
„Ich kann nicht bleiben, Serena. Ich kann nicht mit dir zusam menleben, wenn du nicht meine Frau bist. Es würde mir das Herz brechen. " Falls sie noch den geringsten Zweifel gehabt hatte, war sie sich jetzt ganz sicher. „Bleib bei mir, und heirate mich, und sei Tonio ein Vater.“ Er ließ den Koffer fallen, blieb jedoch reglos stehen. „Warum?" „Es gibt ein Sprichwort", sagte sie. „Es geht darum, dass man loslassen muss, wenn man etwas unbedingt haben will. Wenn man es verliert, hat es einem nie gehört, aber wenn es zurückkommt, wird es einem für immer gehören. " Rafael betrachtete sie prüfend. „Das hast du für mich getan, Rafael. Du hast mich losgelassen - du hast mir das größte Geschenk gemacht, das ein Mann einer Frau machen kann. Du hast mir meinen Sohn geschenkt und mein Leben, und wenn ich es gewollt hätte, wärst du bereit gewesen, mich in Ruhe zu lassen... Du.., " Ihr versagte die Stimme. „Du warst sogar bereit, mich finanziell zu unterstützen und mir das Haus zu überlassen... Aber ich will das Geld nicht, Rafael, und ich will auch das Haus nicht, weil es ohne dich kein Zuhause wäre. Alles, was ich will, bist du. Wenn du mich noch haben willst, komme ich zurück zu dir, mein Schatz. Ich komme zurück und möchte für immer bleiben. " Ehe Serena sich's versah, hatte er sie in den Arm genommen. Sie spürte, dass sein Herz genauso schnell schlug wie ihres. Sie spürte seinen Mund auf ihrem, warm und verlangend, aber vor allem liebevoll. Eine ganze Weile gab sie sich ganz ihren Gefühlen hin und nahm nichts um sich her wahr außer diesen Mann, den sie mehr liebte als das Leben. Schließlich kehrte sie in die Wirklichkeit zurück, und als sie Rafael in die Augen sah, stellte sie fest, dass die diese Liebe, die sie für ihn empfand, tausendfach widerspie gelten. „Dann wirst du mich also heiraten", erklärte er rau. „Ich werde dich heiraten", flüsterte sie und lächelte strahlend, als seine Miene sich aufhellte. „Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dein Mann zu sein, und ich werde versuchen, Tonio der beste Vater zu sein, den es gibt.“ „Das wirst du auch", versicherte Serena. „Er wird dein Kind der Liebe sein, und nur darauf kommt es an. Und vielleicht wird
er eines Tages einen Bruder oder eine Schwester bekommen, Und mir wirst du der beste Ehemann sein, den ich mir vorstellen kann. " Sein strahlendes Lächeln machte sie überglücklich, und sein leidenschaftlicher Kuss weckte heißes Verlangen in ihr. „Ich verspreche dir, dass ich dich glücklich machen werde", sagte Rafael und zog sie wieder an sich. Es war ein Versprechen fürs Leben. Und sie wusste, dass Rafael seine Versprechen immer hielt. -ENDE