Gespenster-
Krimi � Zur Spannung noch die Gänsehaut � Nr.474 � .474
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Gespenster-
Krimi � Zur Spannung noch die Gänsehaut � Nr.474 � .474
Frederic Collins �
Drachenjagd �
2 �
Muriel Lennox starrte schweißgebadet in die Dunkelheit des Schlafzimmers. Komm! lockte die Stimme aus dem Nichts. Ich brauche dein Leben, Muriel! Lautlos verließ Muriel ihr Zimmer und öffnete die Tür zum angrenzenden Museum. Ich fühle dich, Muriel, geiferte die lautlose Stimme. Gleich endest du in meinen Krallen! Bebend durchschritt Muriel menschenleere, finstere Räume und blieb vor einer Vitrine stehen. Als sie das grauenhafte Monster sah, wollte sie fliehen. Es war zu spät. Das Monster schlug zu. Muriel Lennox hatte keine Chance. *** George Swan war sechsundvierzig Jahre alt und seit zwanzig Jahren Museumswächter in Stockton. Die kleine schottische Stadt Stockton konnte sich für das MiniMuseum nur einen Wächter leisten. George Swan war dementsprechend auch Mädchen für alles. Er verdiente gerade so viel, daß es für ihn, seine Frau Myrna und seinen Sohn Bobby reichte. Tag für Tag lief für ihn die gleiche Tretmühle ab. In den dreizehn Jahren seiner Ehe war Myrna stets vor ihm aufgestanden und hatte ihn erst zum Frühstück geweckt. An diesem Morgen Anfang Mai war es erst sieben Uhr, als Myrna ihn wachrüttelte. »Was ist denn?« fragte George
erschrocken und setzte sich auf. »Ist eingebrochen worden?« Seine Frau schüttelte den Kopf. »Muriel ist verschwunden«, sagte sie fassungslos. »Ich habe in ihrem Zimmer nachgesehen. Ihr Bett ist leer.« Erleichtert ließ sich George Swan zurück sinken. »Na und?« meinte er gelassen. »Warum sollte deine Schwester nicht schon aufgestanden sein? Sie ist bei uns zwar zu Besuch und könnte länger schlafen, aber das ist ihre Sache.« »George, ihre Kleider sind alle noch da«, sagte seine Frau eindringlich. »Sie kann doch nicht in Pyjama und Hausmantel weggegangen sein!« George stutzte, dachte sich aber nichts dabei. »Sie wird schon wieder auftauchen«, meinte er und rollte 3 �
sich bequem auf die andere Seite. »Weck mich, wenn das Frühstück fertig ist.« Myrna Swan war keineswegs beruhigt. Da ihr Mann ihre Sorge nicht ernst nahm, konnte sie auch nichts weiter machen. Sie schickte Bobby in die Schule und weckte George endgültig. Wie jeden Morgen schloß er nach dem Frühstück das Museum auf. Eine Schulklasse mit zwei Lehrern wartete schon. Lärmend verteilten sich die Kinder in dem kleinen Museum, in dem alles mögliche augestellt war. Es glich eher einem Kuriositätenkabinett. George Swan ging langsam seine Runde. Allmählich sorgte auch er sich um die jüngere Schwester seiner Frau. Womöglich hatte sich Muriel auf ein Abenteuer mit einem Mann aus der Nachbarschaft eingelassen und wagte sich nun bei Tageslicht in ihrem Bademantel nicht auf die Straße. Kichern der Kinder lenkte ihn ab. Sie standen vor der Vitrine mit dem Ei der Flugechse und machten flapsige Bemerkungen. Einer der Lehrer warf einen Blick in die Vitrine. »Toll, was ihr hier alles ausstellt, rief der junge Lehrer dem Museumswächter grinsend zu. Stirnrunzelnd blickte George Swan in die Vitrine und erschrak zu Tode. Was die Besucher zum Lachen brachte, jagte ihm einen eisigen
Schauer über den Rücken. Er kannte den Pyjama und den Bademantel, die neben dem Flugechsenei lagen. Sie gehörten Muriel. Bevor er etwas unternehmen konnte, gellte ein schriller Schrei durch das Museum. George wirbelte herum. Seine Frau stand im Eingang und starrte leichenblass in eine Ecke des Hauptraums. In einer künstlichen Felsenlandschaft waren einige ausgestopfte Affen zwischen Büschen aufgestellt. Auf den ersten Blick war Muriel nicht zu erkennen. Sie wurde von Felsen und Zweigen fast völlig verdeckt. Nur die Augen waren deutlich zu sehen. In ihnen spiegelte sich das Entsetzen ihrer letzten Momente. Minuten später wußte ganz Stockton, daß sich im Museum ein grauenhaftes Verbrechen ereignet hatte. Noch bevor der erste Polizist im Museum eintraf, machten sich schon die Reporter der Lokalzeitungen auf den Weg. Für sie war es die große Chance. Endlich hatte sich in dieser friedlichen Gegend etwas Sensationelles ereignet. Als bekannt wurde, in welchem Zustand sich die Leiche befand, rückten auch Fernsehteams an. Stockton war über Nacht zum Mittelpunkt des Interesses eines ganzen Landes geworden. 4 �
Die Nachrichten jagten sich. Myrna Swan, die Schwester der Ermordeten, wurde mit einem Schock ins Krankenhaus gebracht. George Swan, der Museumswächter, wurde vorläufig festgenommen. Nur er besaß einen Schlüssel zu der Vitrine, in der die Kleider der Ermordeten gefunden worden waren. Die Vitrine war zum Zeitpunkt der makabren Entdeckung verschlossen gewesen. Der zwölfjährige Sohn des Museumswächters war für die Reporter unauffindbar. Die Beamten der Mordkommission gaben im Fernsehen nur sehr zurückhaltende Stellungnahmen ab. Niemand wollte bestätigen, daß der Museumswächter unter Mordverdacht stand. Immer wieder wurde auf den Bildschirmen die Vitrine gezeigt. Auch die künstliche Felsenlandschaft des Museums flimmerte über die Mattscheiben. Die Tote und ihre Kleider waren vorher allerdings weggebracht worden. Noch ahnte niemand, daß dieser Aufsehen erregende Mord hauptsächlich diesem Zweck gedient hatte. Ein ganzes Land sollte das Museum von Stockton kennenlernen. An zahlreichen Stellen des Landes begann eine fieberhafte Tätigkeit. Von allen Seiten strömten die Helfer des Bösen herbei, um dem Ruf des
Meisters zu folgen. Niemand außer ihnen hatte die Botschaft verstanden. Der Meister war erwacht. Sein jahrhundertelanger Schlaf war zu Ende. Die Epoche des Schreckens sollte beginnen. Die Zeit war reif, die Menschen vorbereitet. Zank und Streit überall auf der Welt. Kriege und Grausamkeiten zwischen Völkern oder innerhalb der einzelnen Länder. Das war die Atmosphäre, die das Monster brauchte. Es verstand sich selbst als Meister, weil es über sich keinen Herrn anerkannte. Das tat es mit gutem Grund. Ein gefährlicheres Wesen als dieses Monster war kaum vorstellbar. Die Anhänger des Bösen wussten, daß sie geschlagen hatte – die Stunde des Meisters. * »Seit wann interessierst du dich für Fernsehen?« fragte Maud Orwell. Offiziell arbeitete sie auf dem Landsitz Sagon Manor als Hausmädchen. In Wirklichkeit war sie die rechte Hand des Großmeisters des Ordens der Weissmagier. Maud wollte den Fernseher ausschalten. »Lass das!« fuhr Peter Winslow sie an. 5 �
Der junge Großmeister war sonst die Ruhe selbst, gelassen und zu allen freundlich. Deshalb wunderte sich Maud über seinen schroffen Ton. Sie setzte sich wortlos und sah gelangweilt auf den Bildschirm. Ein Reporterteam berichtete aus einer schottischen Kleinstadt. Im dortigen Museum war ein Mord begangen worden. Der Reporter schilderte den Zustand der Leiche. »Scheußlich!« rief Maud. Sie hatte schon viele Kämpfe gegen Schwarzmagier, Dämonen und Untote hinter sich und war keineswegs zartbesaitet. Die Schilderung des Reporters ließ ihr jedoch das Blut in den Adern stocken. Wieder winkte Peter Winslow heftig ab. Der blonde junge Mann saß vornüber gebeugt. Seine strahlend blauen Augen wirkten seltsam starr. Maud verzichtete auf weitere Bemerkungen. Irgend etwas stimmte hier nicht. Sie würde schon rechtzeitig erfahren, was es war. Butler Harvey trat ein. Als er Maud im Fernsehraum bemerkte, zog er tadelnd die Augenbrauen in die Höhe. Für den Butler zählte nicht, daß Maud und Peter Winslow miteinander befreundet waren. In seinen Augen war Maud eine Angestellte, und Angestellte sollten Abstand halten. Vor allem schickte es sich nicht, daß Personal mit der Herrschaft zusammen saß. Von die-
sen altmodischen Ideen ließ Butler Harvey sich nicht abbringen. Maud störte sich nicht an dem verweisenden Blick, und Peter Winslow kam seinem Butler zuvor. Bevor Harvey Maud etwas zuflüstern konnte, wandte sich Peter seufzend vom Fernseher ab und schaltete ihn mit der Fernsteuerung aus. Benommen wischte er sich über die Augen. »Was war los?« fragte er verwirrt. »Das frage ich dich«, antwortete Maud. »Du hast den Fernseher angestarrt, als gäbe es nichts Wichtigeres. Ich habe nur ein Wort gesagt, und du hast mich angefaucht. War der Bericht über den Mord in Stockton so wichtig?« »Es war ein Ruf«, murmelte Peter. »Ich habe ihn deutlich gefühlt, aber nicht verstanden. Er war nicht an mich, sondern an die Gegenseite gerichtet.« Butler Harvey räusperte sich. »Wollen Sie andeuten, Sir, daß die Anhänger des Bösen verschlüsselte Nachrichten über das Fernsehen schicken?« fragte er in seiner altmodischen, geschraubten Weise. »Ich möchte das stark bezweifeln. Das Medium Fernsehen scheint mir nicht geeignet.« »Ob es Ihnen scheint oder nicht, ist unwichtig«, sagte Peter Winslow gereizt. »Der Ruf kam klar und deutlich! Wenn ich nur wüsste, an welcher Stelle des Berichts es passiert 6 �
ist!« Butler Harvey war über den Verweis keineswegs beleidigt. Obwohl er altersmäßig der Vater, sogar der Großvater seines Großmeisters sein konnte, war für ihn Peter Winslow die höchste Autorität innerhalb des Ordens. Alle, die sich dem Kampf gegen das Böse verschrieben und dem Orden angehörten, anerkannten Peter Winslow. »Sie haben soeben eine Nachrichtensendung gesehen, Sir«, erklärte Butler Harvey. »Wenn ich mir den Hinweis erlauben darf, Sir! Die nächsten Nachrichten kommen in einer Stunde über den Sender. Vielleicht sollten wir sie aufzeichnen.« »Ja. ja, machen Sie, was Sie wollen«, murmelte Peter. Er schlang die muskulösen Arme um seinen durchtrainierten Körper, als friere er. »Peter, stimmt mit dir etwas nicht?« fragte Maud besorgt, während Butler Harvey sich am Videorecorder zu schaffen machte. »Bist du krank?« »Unsinn, lass mich in Ruhe!« schrie Peter seine Helferin und Freundin an. Maud warf Butler Harvey einen bestürzten Blick zu. So kannten sie den Großmeister nicht. Butler Harvey hatte offenbar auch keine Erklärung für Peters Verhalten. »Ich habe eine Kassette eingelegt«, sagte er nur. »Wenn Sie es
wünschen, Sir, schalte ich sie bei der nächsten Nachrichtensendung ein.« »Tun Sie das, und lassen Sie Ihre dämlichen Sprüche!« schrie Peter den Butler an. »Ich kann Ihr geschraubtes Gerede nicht mehr hören!« Diesmal wurde Butler Harvey doch einen Schein blasser, deutete eine steife Verbeugung an und verließ hastig den Fernsehraum. »Was willst du noch hier?« fuhr Peter seine Freundin an. »Verschwinde!« Maud biss die Zähne zusammen und folgte dem Butler. In der Halle trafen die beiden zusammen. Butler Harvey war viel stärker erschüttert, als er sich vor Peter hatte anmerken lassen. Seine Hände zitterten, als er sich die Haare glatt strich. »Regen Sie sich nicht so auf, Harvey«, sagte Maud mitfühlend. »Der Großmeister meint es nicht böse. Sie wissen, wie sehr er Sie schätzt.« Butler Harvey schüttelte knapp den Kopf. »Sie brauchen mich nicht zu trösten, Maud«, meinte er leise und gehetzt. »Ein solcher Ausfall kann mich nicht kränken. Sehen Sie nicht, was geschehen ist?« »Peter hat schlechte Laune«, stellte Maud fest. Der Butler seufzte. »Sagon Manor ist als Sitz des Großmeisters durch einen weißmagischen Bann gegen Einflüsse des Bösen geschützt. Kein 7 �
böser Bann, keine schwarzmagische Botschaft dürfte von draußen nach Sagon Manor herein dringen. Deshalb leben wir in diesem Herrenhaus absolut sicher.« »Ja, ich weiß«, wehrte Maud ungeduldig ab. »Das ist wirklich nichts Neues.« »Überlegen Sie doch«, drängte der Butler. »Der Großmeister hat während der Fernsehsendung eine mächtige schwarzmagische Botschaft gefühlt. Können Sie sich vorstellen, wie stark die Kraft des Bösen war, daß sie den Bann von Sagon Manor durchbrechen konnte? Haben Sie die Verfassung des Großmeisters gesehen? Trotz der Abschwächung durch den Schutzbann von Sagon Manor hat der Großmeister nervlich gelitten. Und nun malen Sie sich die Folgen aus, hätte der Großmeister diese Sendung außerhalb von Sagon Manor gesehen.« Schlagartig verstand Maud die Aufregung des Butlers. Sie wurde blaß. »Der Absender der schwarzmagischen Botschaft muß unbeschreiblich mächtig sein«, flüsterte Maud und sah sich besorgt um, als könne sich der Absender der Botschaft an sie heran schleichen. »Was meinen Sie, Harvey, was steckt dahinter?« »Jedenfalls kein gewöhnlicher Mord«, behauptete der Butler. »Wir müssen die nächsten Nachrichten abwarten. Danach sehen wir hof-
fentlich klarer.« Voll Ungeduld fieberte Maud Orwell den Nachrichten entgegen. Peter warf ihr und Butler Harvey einen erschöpften, gereizten Blick zu, als sie wenige Minuten vor der Sendung in den Fernsehraum kamen. Er widersprach jedoch nicht, als Harvey den Videorecorder einschaltete und sich neben Maud setzte. Der Mord in Stockton bildete auch jetzt das erste Thema. Fotos der Toten wurden gezeigt. Danach kam das Museum ins Bild. Butler Harvey und Maud beobachteten gleichzeitig den Großmeister und den Bildschirm. Peter blieb vorerst unverändert. Plötzlich richtete sich der Großmeister jedoch auf. Seine Augen wurden wieder so starr, wie Maud es schon einmal an ihm bemerkt hatte. Rasch sah sie auf den Fernseher. Die Kamera erfasste die Vitrine, in der die Kleider der Ermordeten gefunden worden waren. Gleich darauf wechselte das Bild, und Peter sank erneut entspannt in den Sessel zurück. Die Nachrichten brachten nichts Neues. Butler Harvey spulte das Videoband zurück. »Hast du bemerkt, was los war?« fragte Maud vorsichtig. Peter schüttelte den Kopf. Auch jetzt machte er einen verwirrten Ein8 �
druck. »An dieser Stelle sind Sie in Trance verfallen, Sir.« Der Butler drückte die Wiedergabetaste. Der Bildschirm erhellte sich. Die Vitrine war zu sehen. Ein eiförmiger Gegenstand lag darin, sonst nichts. »Was ist damit?« fragte Peter. »Du spürst offenbar keine Wirkung, wenn du die Vitrine in einer Aufzeichnung siehst«, vermutete Maud. »Bei einer Direktsendung empfängst du eine Botschaft.« Peter nickte. »Ihr habt recht«, gab er zu. Im Moment litt er nicht mehr unter den Nachwirkungen der schwarzmagischen Sendung. »Okay, ich sehe mir dieses Museum und vor allem die Vitrine an.« »Sie fahren diesmal auf keinen Fall allein«, bestimmte Butler Harvey. »Maud und ich müssen Sie begleiten.« Peter richtete sich erstaunt auf. »Was ist in Sie gefahren, Harvey?« fragte er. »Sie reden mir sonst auch nicht in meine Planung drein.« Harvey und Maud klärten Peter über die Vermutungen des Butlers auf. Erst jetzt erkannte der Großmeister, was im Verborgenen vor sich ging. »Also gut, wir fahren zu dritt«, entschied er. »Harvey! Nehmen Sie bloß einige sehr wirksame Waffen gegen das Böse mit, sonst schneiden wir diesmal schlecht ab.« Der Butler nickte ungewöhnlich
ernst. Er verzichtete sogar auf seine verschnörkelte Ausdrucksweise. Das war bei ihm stets ein Zeichen dafür, daß er höchste Gefahr ahnte. »Ich werde mir etwas einfallen lassen, Sir«, versicherte Harvey. »Notfalls müssen wir weitere Ordensmitglieder einschalten. Was auch immer sich in Stockton anbahnt, eines steht schon fest. Falls wir keinen Erfolg haben, gibt es eine Katastrophe.« Betroffen blickten Peter Winslow und Maud Orwell dem Butler nach, der sich beim Hinausgehen nicht einmal verbeugte. Maud schaltete Videorecorder und Fernseher aus. Sie wechselte mit Peter einen langen Blick. Sonst hatten die beiden bei einer solchen Gelegenheit eine lockere Bemerkung bei der Hand, um die Stimmung zu entkrampfen. Diesmal versuchten sie nur ein Lächeln, das aber kläglich misslang. Beiden steckte der Schreck über die unverständliche Sendung des Bösen in den Knochen. Butler Harvey und das Personal arbeiteten auf Hochtouren. Schon zwei Stunden später waren die drei besten Kämpfer des Ordens der Weissmagier reisefertig. Sie traten die Fahrt nach Schottland an, eine Fahrt ins Ungewisse. Und jeder von ihnen dachte das gleiche. Vielleicht wurde es eine Fahrt ins Verderben. 9 �
* � Die Polizei ließ George Swan wieder laufen. Die Beweise reichten nicht aus. Er besaß zwar den einzigen Schlüssel für die Vitrine. Dieser Schlüssel hing jedoch zusammen mit anderen auf einem Brett in Swans Büro. Jeder Einbrecher wäre an den Schlüssel heran gekommen. Auf seinen eigenen Wunsch brachten ihn die Polizisten nicht nach Hause. Sie ließen ihn auch nicht aus der Polizeiwache hinaus gehen, sondern fuhren ihn an den Ortsrand von Stockton. Erst als die Polizisten sicher waren, die Reporter abgehängt zu haben, sprang George Swan ins Freie und verschwand zwischen den Büschen eines kleinen Parks. Am anderen Ende der Grünanlage stand das Krankenhaus. George Swan wollte seine Frau besuchen, ohne mit Reportern zusammen zu treffen. Der Museumswächter ging mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf durch den Park. Um diese Tageszeit war er der einzige Spaziergänger. Niemand beachtete den müden, niedergeschlagenen Mann, der wie unter einer schweren Last gebeugt ging. George Swan war so in Gedanken versunken, daß er erst im letzten Moment durch ein Geräusch
gewarnt wurde. Hinter ihm knackte ein trockener Zweig. Mit einem Hechtsprung warf George Swan sich zur Seite. Die blitzschnelle Reaktion rettete ihm das Leben. Haarscharf an seinem Kopf vorbei sauste ein schweres Wurfmesser und bohrte sich mit einem dumpfen Geräusch in einen Baumstamm. Swan rollte sich hinter einem Busch in Deckung. Angespannt blickte er sich um, entdeckte jedoch keinen Feind. Sie waren hinter ihm her und hatten die gnadenlose Jagd eröffnet. Sie waren schneller hier, als George Swan erwartet hatte. Von jetzt an war sein Leben nichts mehr wert. Niemand hatte bisher den Museumswächter von Stockton beachtet. Keiner seiner Mitbürger hätte ihm die kämpferischen Fähigkeiten zugetraut, die er nun entwickelte. Wie eine Schlange wand sich George Swan zwischen den Büschen durch, ohne einen Zweig zu bewegen. Er atmete mit weit geöffnetem Mund, um kein Geräusch zu verursachen. Sein Plan war denkbar einfach. Wer immer ihm ans Leben wollte, konnte kein Aufsehen brauchen. Deshalb mußte er sich das Wurfmesser wiederholen, bevor es andere fanden. Kaum war George in der Nähe des Baums angelangt, in dem das Mes10 �
ser steckte, als der Attentäter auftauchte. George wollte ihn überrumpeln und zum Reden bringen. Wie erwartet, hatte George den Mann noch nie gesehen. Er wirkte klein und gedrungen, mit überlangen Armen, die locker seitlich herunter baumelten. Der Mann machte insgesamt den Eindruck eines haarlosen Gorillas. George wartete, bis sich sein Gegner bis auf wenige Schritte genähert hatte. Dann warf er sich dem Fremden entgegen. George hatte schon lange nicht mehr von Mann zu Mann um sein Leben gekämpft. Jetzt legte er hinter den Schlag seine ganze Kraft. Die Wirkung war schauerlich. Georges Faust durchdrang den Fremden, der wie vom Blitz getroffen zusammen brach. Entsetzt taumelte George zurück und starrte auf sein Opfer. Anstelle der Augen blickte er in rote Glut. Die Haut des Fremden färbte sich dunkel. Stechender Gestank von Pech und Schwefel stieg George in die Nase und reizte ihn zum Husten. Der Körper des Fremden löste sich in eine schwarze, beißend riechende Flüssigkeit auf und versickerte im Boden. Schaudernd wich George zurück und blickte sich nach dem Wurfmesser um. Im selben Moment flammte es auf und verging in dem lautlosen
Feuer. Im Stamm blieben ein Loch und ein schwarzer Brandfleck zurück. Es hatte keinen Sinn, die Polizei zu verständigen. George konnte nicht einmal beweisen, daß er überfallen worden war. Schon gar nicht konnte er den Polizisten erklären, wer den Mordanschlag verübt hatte und wo der Attentäter geblieben war. Der Museumswächter tat das einzig Vernünftige in dieser Situation. Er lief zum Krankenhaus. Eine Schwester brachte ihn zu seiner Frau und ließ ihn mit ein paar Ermahnungen allein. Myrna war wach, drehte den Kopf jedoch sehr langsam. »George, wie geht es dir?« fragte sie schleppend. Hastig setzte sich George Swan zu seiner Frau. »Mir geht es gut«, versicherte er und nahm sanft ihre kalte Hand. »Aber was haben sie mit dir gemacht?« Myrnas Gesicht blieb unbeweglich. Sie war eine attraktive Frau, nicht gerade eine Schönheit, aber sehr reizvoll. Im Moment bot sie jedoch ein Bild des Jammers. »Sie haben mir starke Beruhigungsmittel gegeben«, murmelte sie. »Ich kann es noch gar nicht glauben, daß Muriel tot ist. Wer hat das getan, George?« Er zögerte einen Herzschlag zu lang. Unter normalen Umständen wäre seine Frau sofort misstrauisch geworden. In ihrem Zustand 11 �
bemerkte sie jedoch nichts. »Die Polizei wird es heraus finden«, behauptete George und hoffte, daß er einigermaßen überzeugend log. »Pass auf, Myrna, es ist lebenswichtig. Wir verlangen, daß sie dir keine Medikamente mehr geben. Du mußt völlig klar sein. Dann besprechen wir beide etwas. Anschließend verlässt du Stockton. Spätestens morgen früh darfst du nicht mehr hier sein.« »Warum denn nicht?« Ihre stumpfen Augen belebten sich ein wenig. »Sag mir den Grund!« George schüttelte mit einem erzwungenen Lächeln den Kopf. »Nicht jetzt, Darling«, lehnte er ab. »Schlaf dich aus. Ich spreche mit dem Arzt, damit du keine Medikamente mehr bekommst. Einverstanden?« Sie nickte. Als George gehen wollte, hielt sie ihn zurück. »Geht es Bobby gut?« fragte sie besorgt. Der Gedanke an ihren Sohn durchbrach sogar die Wirkung der Beruhigungsmittel. »Er ist bei deinen Eltern«, versicherte George und hoffte, daß das noch stimmte. »Es geht ihm sehr gut. Mach dir keine Sorgen, Myrna. Morgen früh ist alles vorbei.« Sie schlief schon, als er das Zimmer verließ. Der Arzt erhob Einwände, doch George bestand darauf, daß die Mittel abgesetzt wurden. »Meine Frau ist stark genug«,
behauptete George. »Sie wird mit dem Schock ohne Spritzen und Tabletten fertig.« Er konnte dem Arzt nicht erklären, daß Myrna schnellstens aus dem Ort verschwinden mußte, weil ihr Leben sonst genau so wenig wert war wie sein eigenes. Der Arzt warnte George noch, daß dies das einzige Krankenhaus in weitem Umkreis wäre. »Sie wissen, wie weit es bis zu irgend einer Stadt ist«, meinte er. »In unserer einsamen Gegend…« George ließ ihn einfach stehen. Er war in Gedanken schon weit weg. Die Helfer des Bösen wollten ihn aus dem Weg räumen. George wollte leben und seine Familie schützen. Vor allem aber mußte er die selbst gewählte Aufgabe ausführen. Wenn er starb, war niemand mehr da, der die Katastrophe verhinderte. Auf dem Weg zum Ausgang kam George Swan ein Pfleger entgegen. George schenkte ihm nur einen flüchtigen Blick und ging weiter. Plötzlich wirbelte er herum und starrte hinter dem Pfleger her. »Halt!« schrie er. Der Pfleger ging unbeirrt weiter. Er hatte überlange Arme, die locker an den Seiten herunter hingen. Die Haare wuchsen ihm tief in die Stirn. Mit weiten Sätzen holte George den Pfleger ein. Seine Hand tauchte unter sein Hemd. Er riß ein silbernes 12 �
Amulett hervor. Im letzten Moment wich der Pfleger zur Seite. George taumelte an ihm vorbei. In der Hand des Mannes blitzte ein Dolch, aus dessen Spitze Flammen züngelten. George sah die hohnlachende Fratze und versuchte, dem tödlichen Stoß auszuweichen. Es gelang ihm nicht ganz. Die Dolchspitze glitt über seine Jacke. Zischend verschmorte der Stoff. George schrie auf, als er die Hitze auf der Haut fühlte. Mit einem kräftigen Ruck zerriss er die Silberkette, an der sein Amulett hing. Außer ihnen beiden hielt sich niemand in dem Korridor auf. George wich bis an die Wand aus und verbarg das Amulett in der rechten Hand. Sein Gegner kam langsam näher. Er konnte sich Zeit lassen. Niemand vom Personal des Krankenhauses vermochte ihn aufzuhalten. »Lasst meine Frau in Ruhe, ihr Bestien«, zischte George Swan. »Sie hat mit der ganzen Sache nichts zu tun. Sie weiß nicht einmal, worum es geht!« Der Dämon grinste kalt. George war wenigstens überzeugt, daß auch dieser Angreifer genau wie der im Park ein Dämon war. Der Pfleger wechselte den Dolch in die andere Hand. Schritt um Schritt ging George rückwärts. Sein Blick hing wie
gebannt an der Hand seines Feindes, die sich langsam veränderte. Die Finger wurden länger und krümmten sich zu mörderischen Klauen. Eine gelbe Flüssigkeit tropfte von den Spitzen der Krallen wie von den Giftzähnen einer Schlange. Breit grinsend öffnete der Dämon den Mund. Aus seinem Oberkiefer ragten zwei lange, spitze Zähne. Auch sie sonderten gelben Saft ab. Wo Tropfen auf den Steinboden fielen, stieg zischend Dampf auf. Löcher bildeten sich im Fußboden. Mit einem kurzen Zucken seiner Finger schleuderte der Dämon George einige Gifttropfen entgegen. Der Wächter zuckte zusammen und unterdrückte nur mit Mühe einen Aufschrei. Die gelbe Flüssigkeit brannte höllisch. George merkte, daß er nicht mehr lange durchhielt. Er mußte alles auf eine Karte setzen. Ächzend sank er in die Knie. Der Dämon fiel auf den Trick herein und hielt seinen Feind für erledigt, Mit dem brennenden Dolch wollte er George den Todesstoß versetzen. Der Wächter lag röchelnd auf den Steinplatten, als sich der Dämon über ihn beugte. »Lange genug hast du den Meister gefangen gehalten«, kam es dumpf aus dem Mund der Bestie. »Wir rotten euch alle aus, deine ganze Familie und dich!« Als der Dämon zustach, riß 13 �
George Swan mit letzter Kraft das Amulett hoch. Es traf den Arm der Bestie, glitt daran ab und drang in den Körper des Angreifers ein. Im letzten Moment riß George schützend die Arme über den Kopf, bevor der Dämon durch die reinigende Macht des Silbers zerplatzte. Sekundenlang kam es George vor, als würde vor ihm eine Sprengladung explodieren, doch er blieb unverletzt. Gerade als er sich aufraffte, bog eine Krankenschwester um die Ecke des Korridors. »Haben Sie sich verletzt?« rief sie erschrocken und wollte George Swan helfen. »Schon gut, ich bin gestolpert«, murmelte George. Er biss die Zähne zusammen und ignorierte die Schmerzen seiner Wunden. Äußerlich war nichts zu sehen. Daher schöpfte die Krankenschwester auch keinen Verdacht. Der Dämon selbst hatte keine Spuren hinterlassen. Hastig kehrte der Museumswächter zu seiner Frau zurück. Unter dem Protest der Stationsschwester half George Myrna beim Anziehen und brachte die halb Betäubte weg. Mit einem Taxi fuhren sie zu dem kleinen Museum am Hauptplatz von Stockton. Die Dienstwohnung des Museumswächters lag im selben Gebäude und besaß einen eigenen Eingang. Georges Hoffnung, mit Myrna unbe-
lästigt ins Haus zu gelangen, erfüllte sich nicht. Überall warteten Reporter. Myrna bekam von dem Ansturm nichts mit. Sie hing schwer an dem Arm ihres Mannes und schleppte sich zur Haustür. Auf dem kurzen Weg klickten ununterbrochen die Verschlüsse der Fotoapparate. Ein Kameramann des Fernsehens drängte sich vor und richtete die Kamera auf das Ehepaar Swan. »Ich bin Marsha Glendis!« rief eine schwarzhaarige junge Frau. »Mrs. Swan! Ich bin Fernsehreporterin! Was haben Sie uns zu sagen?« George schob die Schwarzhaarige wütend zur Seite. »Lassen Sie uns in Ruhe!« fauchte er Marsha Glendis an. »Sehen Sie nicht, daß meine Frau krank ist?« »Warum holen Sie sie dann aus dem Krankenhaus heim?« fragte Marsha Glendis aggressiv. Dabei richtete sie den durchdringenden Blick ihrer schwarzen Augen auf George. Er war viel zu sehr mit Myrna beschäftigt, als daß er genauer auf die Reporterin und ihren Kameramann geachtet hätte. George knallte hinter sich die Haustür zu und schloß von innen ab. Erst als er Myrna zu Bett gebracht hatte, atmete er ein wenig auf. Seine Erleichterung dauerte jedoch nicht lange. »George«, rief Myrna ihm schwach 14 �
hinterher. »Du weißt, wer Muriel umgebracht hat. Ich fühle es. Er ist ganz in der Nähe.« George drehte sich langsam um. Er sah ein, daß er nicht länger schweigen durfte. »Ja«, sagte er schleppend, »er belauert uns auf Schritt und Tritt.« Er gab sich einen Ruck und kehrte zu seiner Frau zurück. Jetzt half nur noch die Wahrheit. * Peter Winslow hatte diesmal auf seinen weißen Geländewägen verzichtet. Für die lange Fahrt nach Schottland wäre er zu unbequem gewesen. Nun saß der junge Großmeister am Steuer eines schnellen Wagens. Butler Harvey und Maud schliefen auf den Rücksitzen. Sie hatten sich am Steuer abgelöst und waren pausenlos durchgefahren. Peter überschlug die Strecke. Es konnte nicht mehr weit bis Stockton sein. In diesem Teil Schottlands war er noch nie gewesen. Es war eine einsame Gegend. Seit Meilen hatte er kein Dorf mehr gesehen. Die Straßen waren schmal und wanden sich durch eine dunkle, abweisende Hügellandschaft. Der Wagen näherte sich einem Dahinter mußte Höhenrücken. Stockton liegen. Seit Peter von seinem Vater das
Amt des Großmeisters übernommen hatte, waren ihm zusätzliche Kräfte zugeflossen. Er konnte nicht sagen, woher sie stammten. Sie waren aber eindeutig positiv. Vielleicht sorgten längst verstorbene Weissmagier dafür, daß er in kritischen Situationen besser gegen die Mächte der Finsternis bestehen konnte. Auch der Geist seiner von Schwarzmagiern ermordeten Mutter hatte sich schon mehrmals gemeldet. Er war der einzige Geist, der sich bei Peter identifiziert hatte. Die übrigen Kräfte wirkten aus der Anonymität heraus. Harvey und Maud fuhren hoch, als Peter plötzlich den Fuß auf die Bremse rammte und das Steuer herum riß. Der Wagen holperte über die angrenzende Wiese. Der Motor erstarb mit einem letzten Glucksen. Dann herrschte Stille. Der Wagen saß fest. »Peter!« rief Maud. »Bist du eingeschlafen?« Harvey reagierte anders. Er hatte in einer reflexartigen Bewegung seine Pistole gezogen und spähte durch die Fenster nach draußen. »Peter, so sag doch etwas«, drängte Maud. »Was ist passiert?« Peter Winslow preßte die Lippen aufeinander. Er wollte nicht preisgeben, daß er einer nebelhaften Gestalt auf der Straße ausgewichen war. Obwohl er seine Mutter nie gese15 �
hen hatte, kannte er sie von Gemälden her. Peter war überzeugt, daß er den Geist seiner Mutter gesehen hatte. »Irgend etwas stimmt hier nicht«, sagte Peter knapp. »Ich hatte das deutliche Gefühl, daß dort vorne eine Gefahr lauert.« Als nach einiger Zeit noch immer nichts passiert war, stieß Peter die Tür auf. »Sei vorsichtig!« rief Maud und stieg auf ihrer Seite aus. »Möglich, daß jemand auf der Passhöhe lauert.« »Wir können nicht ewig warten«, antwortete Peter. »Der Wagen sitzt fest. Wir müssen uns abschleppen lassen.« »Ich höre einen Motor«, stellte Butler Harvey fest. Auch er sah ein, daß sie aus eigener Kraft den Wagen nicht flott machen konnten. Die Räder saßen bis an die Naben in der feuchten Wiese. Sie sanken mit ihren Schuhen ebenfalls auf dem weichen Untergrund ein. »Sehen Sie, Sir, ein Geländewagen! Genau das Richtige für uns.« Der Butler lief zur Straße zurück und hielt den Wagen an. Zwei junge Männer und eine junge Frau stiegen aus. »Pech gehabt?« rief die Frau. Sie hatte glänzend schwarze Haare und schwarze Augen, die an blank polierte Steine erinnerten. Maud gefiel der Blick nicht, mit
dem die Fremde Peter betrachtete. Sie hatte sich zwar daran gewöhnt, daß Frauen für Peter schwärmten, doch an ihrer Eifersucht änderte das nichts. »Sie sind vom Fernsehen?« fragte Peter und deutete auf die Schrift am Wagen. »Kommerzielle Nachrichtengesellschaft«, erwiderte die Schwarzhaarige. »Ich bin Marsha Glendis, Reporterin. Das ist mein Kameramann Alex Blixwell.« Peter nickte dem breitschulterigen blonden Mann zu. Alex Blixwell hatte ein auffallendes Merkmal. Seine Augen waren hellgrau. Manchmal schimmerten sie weiß, so daß die Pupillen stechend wie Schlangenaugen wirkten. »Mark Henderson, mein Toningenieur«, sagte Marsha Glendis. Peter begrüßte auch Mark Henderson freundlich. Henderson war nicht besonders groß. Dafür sprengten seine Muskeln fast Jeans und Lederjacke. Wie Marsha hatte auch er schwarze Haare und schwarze Augen. Ein dichter Bart verdeckte den Großteil seines Gesichts. »Wir haben eine Abschleppvorrichtung an unserem Wagen«, sagte Alex Blixwell, nachdem Peter sich selbst und seine Begleiter vorgestellt hatte. »Was wollen Sie in Stockton? Sie fahren doch dorthin, oder etwa nicht?« 16 �
»Wir machen Ihnen keine Konkurrenz«, erwiderte Peter lächelnd. »Wir sind lediglich neugierig.« Marsha Glendis klatschte in die Hände. »Steht hier nicht 'rum!« rief sie ihren Begleitern zu. »Holt das Stahlseil!« Peter war froh, daß sie keine Fragen stellten. Er hatte sich zwar vorgenommen, sich und seine Begleiter als Reporter auszugeben, weil das im Moment am unverdächtigsten war, aber gar keine Fragen waren ihm doch lieber. »He, was habt ihr denn hier angestellt?« rief Mark Henderson. Er versuchte, die Stahltrosse unter Peters Wagen zu befestigen und deutete auf eine Stelle unter dem linken Scheinwerfer. Peter betrachtete das große Loch in der Karosserie und sah Harvey bestürzt an. Der Butler nickte ihm zu. Sie dachten dasselbe. »Ihre Ahnung war richtig, Sir«, murmelte Harvey. »Das muß während unserer letzten Rast passiert sein«, schwindelte Peter. »Jemand hat sich mit unserem Wagen einen schlechten Scherz erlaubt;« »Schlechter Scherz ist gut«, stellte Maud trocken fest. »Das war eine Elefantenbüchse.« Sie lächelte Peter zu. Er verstand sie. Sie bedankte sich bei ihm dafür, daß er ihnen das Leben gerettet hatte.
»Seil ist befestigt!« rief Mark Henderson und winkte Alex Blixwell zu. Der Kameramann saß am Steuer des Geländewagens und bugsierte Peters Auto aus der Wiese. Butler Harvey steuerte den Wagen von Sagon Manor. Inzwischen wandte, sich Peter an Marsha Glendis. »Haben Sie vorhin da oben auf der Passhöhe jemanden bemerkt?« erkundigte er sich. »War da ein anderes Auto?« »Nein, aber wir beide könnten einen kleinen Spaziergang unternehmen und nachsehen«, erwiderte sie mit einem trägen Lächeln. »Was halten Sie davon, Peter?« Er verstand das Angebot und ging auf ihr Spiel ein. »Müssen Sie nicht arbeiten, Marsha?« »Sicher«, bestätigte sie, und ihr Lächeln vertiefte sich. »Aber man soll die Feste feiern, wie sie fallen.« »Vielleicht später«, erwiderte Peter. »Zuerst müssen wir uns eine Unterkunft in Stockton suchen.« »Da werden Sie Pech haben«, mischte sich Mark Henderson ein. Er war einen Kopf kleiner als Peter und betrachtete ihn ärgerlich. Der Flirt zwischen Peter und Marsha gefiel ihm offenbar nicht. »In Stockton gibt es nur ein einziges Hotel, und das ist restlos ausgebucht. Wir wohnen in Zelten.« »In meinem Zelt ist noch Platz«, sagte Marsha leise. »Marsha!« rief Mark Henderson 17 �
wütend und spannte die Muskeln unter seiner Lederjacke, als wolle er sich auf Peter stürzen. »Mark, verschwinde!« zischte Marsha. Er zuckte zusammen und schlich davon, als habe er Prügel bezogen. »Ihr Freund?« fragte Peter. »Er wäre es gern, aber ich nehme nicht jeden.« Marshas Augen verrieten, daß Peter im Gegensatz zu Mark Chancen hatte. »Überlegen Sie sich das Angebot mit dem Zelt, Peter.« Marsha streifte Maud mit einem flüchtigen Blick. »Oder haben Sie schon ein anderes Zelt, in dem Sie übernachten?« »Wir drei bleiben zusammen«, sagte Peter und amüsierte sich im stillen über Mauds kaum verhüllte Eifersucht. Alex Blixwell gab Hupzeichen. Der Wagen von Sagon Manor stand wieder auf der Straße. Mark Henderson löste soeben das Stahlseil. »Vielen Dank«, sagte Peter zu Marsha. »Vielleicht sehen wir uns noch.« »Ganz bestimmt, Peter«, entgegnete sie, wandte sich um und ging mit wiegenden Hüften zu ihrem Wagen zurück. »Wach aus deinen Träumen auf, Peter«, sagte Maud bissig und hakte sich demonstrativ bei ihm unter. Peter zuckte grinsend die Schultern. »Du mußt zugeben, Maud, daß ihr der Lederanzug blendend steht«,
zog er seine Freundin auf. Maud lächelte kühl. »Denk lieber an deine Freunde, die dir ein Loch in die Karosserie geschossen haben«, mahnte sie. »Wer immer es war, wollte dich nicht bloß erschrecken. Mit einem solchen Kaliber schießt man nur, wenn man jemanden töten will.« Peter nickte und war schlagartig wieder ernst. Er winkte noch den Fernsehleuten zu, die soeben abfuhren, und deutete zum Pass hinauf. »Die Gegenseite weiß, daß wir nach Stockton wollen«, sagte er. »Der Anschlag ist ein Beweis, daß sich in dieser Stadt etwas Wichtiges anbahnt.« »Falls es nicht schon vorbei ist«, entgegnete Mau. »Fahren wir«, entschied Peter. »Wenn wir hier herumstehen, erfahren wir es nie.« Mit schussbereiten Waffen fuhren sie schließlich das letzte Stück zur Passhöhe hinauf. Außer ein paar Möwen, die über der dunklen Landschaft ihre Kreise zogen, war nichts zu sehen. »Denkst du dasselbe wie ich?« fragte Maud. Peter nickte. »Diese Fernsehleute müssen wir uns genauer ansehen«, bestätigte er. »Vielleicht sind sie harmlos, aber eigentlich müßten sie den Attentäter gesehen haben. Hier oben gibt es keine Deckung.« Sie waren ein eingespieltes Team 18 �
und brauchten keine langen Besprechungen. Jeder wußte, was zu tun war. Peter hielt auf dem Hauptplatz von Stockton und schickte Butler Harvey in das Museum. Er sollte sich nach George Swan, dem Wächter erkundigen. »Und wir beide versuchen, Zimmer aufzutreiben«, sagte Peter zu seiner Begleiterin. »Auch wenn nichts frei ist, werden wir mit Geld schon etwas erreichen.« Eine halbe Stunde später mussten sie einsehen, daß sie kein Glück hatten. Auch alle Privatzimmer waren schon vermietet. »Mal sehen, wo Harvey bleibt«, meinte Peter enttäuscht. »Vielleicht hat er Glück gehabt.« Sie mussten jedoch noch ziemlich lange auf den Butler warten. Als sie sich endlich auf die Suche nach ihm machten, entdeckten sie ihn hinter dem Museum auf einer Mülltonne. Harvey legte den Zeigefinger an die Lippen. Peter wollte sich zurückziehen, als Maud ihm einen kräftigen Stoß in die Rippen versetzte. Sie zeigte auf eines der Kellerfenster des Museums. Jetzt sah auch Peter, daß es aufgebrochen worden war. »Los!« zischte er seiner Begleiterin zu. Er ließ sich als erster durch das Fenster in die Tiefe gleiten. Im
nächsten Moment bereute er seine Unvorsichtigkeit. * Myrna Swan überwand langsam die Wirkung der Medikamente. Ihr Blick belebte sich, als sie Georges Hände ergriff. »Sag mir, wer meine Schwester umgebracht hat«, bat sie. »Ich muß es wissen.« »lass mich der Reihe nach erzählen«, bat George. »Du würdest es sonst nicht verstehen. Es hängt damit zusammen, daß ich erst so spät geheiratet habe. Ich war schon vierunddreißig, als ich dich kennen gelernt habe.« »Ich dachte, du hättest vorher dein Leben ungebunden genießen wollen«, murmelte Myrna. »In Stockton? Mitten im schottischen Hochland?« George lachte bitter. »Ich hatte die Stelle als Museumswärter. Und ich war ein ganz normaler junger Mann mit Plänen und Träumen und mit einer verborgenen Leidenschaft. Ich habe mich brennend für Weisse Magie interessiert. Ich habe alle Bücher studiert, die sich mit dem Kampf gegen das Böse, das Dunkle beschäftigten.« »Davon hast du mir nie etwas erzählt«, warf Myrna erstaunt ein. »Vor genau zwanzig Jahren habe ich bei einer Wanderung im Hochmoor das Ei gefunden«, fuhr George 19 �
fort, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen. »Zuerst habe ich es wirklich für einen prähistorischen Fund gehalten. Aber dann habe ich seine Stimme gehört und seine Bösartigkeit gefühlt.« Myrna richtete sich bestürzt auf. »Was redest du daher?« fragte sie. »Die Stimme des Eis? Kann ein Ei bösartig sein? Bist du nicht mehr ganz richtig im Kopf?« George schüttelte seufzend den Kopf. »Er wollte, daß ich ihm zu neuem Leben verhelfe. Er steckt in dem Ei, verstehst du nicht? Er nennt sich selbst Meister und strahlt eine unbeschreibliche Bösartigkeit aus. Ich habe mir vorgestellt, jemand könne dieses Ei finden und den Befehl des Meisters befolgen. Ich weiß nicht, Myrna, wie dieses Ungeheuer aussehen würde. Ich weiß nur, daß es grauenhaft wäre, ein Monster, wie wir es uns nicht vorstellen können.« Seine Frau ließ sich seufzend in die Kissen sinken. »Also hast du ein Drachenei gefunden, das willst du doch damit sagen«, stellte sie enttäuscht fest. »Du nimmst mich auf den Arm.« George überging erneut ihren Einwand. »Ich konnte die Brutzelle nicht vernichten. Ich habe alles versucht. Es ließ sich nicht verbrennen, zerschlagen oder zersägen. Darum habe ich es in das Museum gebracht und als Ei einer prähistorischen
Flugechse ausgegeben. Niemand hat Verdacht geschöpft. Ich habe behauptet, es im Keller gefunden zu haben. Danach habe ich die Vitrine mit Weißer Magie abgeschirmt und ängstlich darauf gewartet, wie der Meister reagieren wird. Er hat sich nicht mehr gemeldet. Niemand hat versucht, das Ei dieses Drachenwesens zu stehlen. Nach acht Jahren hat sich meine Angst gelegt. Ich habe den Mut gefunden, eine eigene Familie zu gründen. Weil ich dachte, daß dieses Ungeheuer für immer unschädlich ist, habe ich dir nichts erzählt. Ich weiß nicht, wie es passieren konnte, daß Muriel dem Meister in die Hände gefallen ist. Er hat sie umgebracht.« »Woher willst du das wissen?« rief Myrna alarmiert. »George, du bist krank! Du hast Muriel getötet und erfindest jetzt eine abenteuerliche Geschichte!« Betroffen wich er vor seiner Frau zurück. »Das traust du mir zu?« rief er bestürzt. »Du selbst hast gesagt, daß du den Mörder fühlst. Er belauert uns! Das hast du gesagt.« »Damit du endlich redest, George!« rief Myrna. »Ich wollte dich zum Sprechen bringen!« Mit geballten Fäusten stand er neben ihrem Bett. Er zitterte vor Aufregung und konnte kaum sprechen. »Zwei Dämonen haben mich angegriffen, als ich dich aus dem Kran20 �
kenhaus holte«, rief er heiser. »Ich habe um dein und mein Leben gekämpft! Und jetzt wirfst du mir vor… Los, komm!« schrie er seine Frau an, packte sie und zog sie aus dem Bett. Myrna war zu schwach, um sich gegen ihn zu wehren. »Willst du mich auch umbringen?« rief sie ängstlich. George antwortete nicht. Wie von Sinnen zog er sie in das Museum hinüber. Es war leer. Die Polizei hatte ihre Untersuchungen abgeschlossen und war abgezogen. Vor der Vitrine blieb George stehen. Er deutete auf das fußballgroße versteinerte Ei. »Pass genau auf«, flüsterte er heiser. »Ich habe die Vitrine weißmagisch gesichert. Jetzt entferne ich den Schutz.« Seine Finger glitten über die Unterseite des Kastens. Er holte eine silberne Platte von der Größe einer Streichholzschachtel hervor. Flüchtig sah Myrna die eingravierten fremdartigen Zeichen. Im nächsten Moment riß sie stöhnend die Hände hoch und hielt sich die Ohren zu. Eine böse, höhnische, lautlose Stimme dröhnte in ihrem Kopf und schmähte sie mit fürchterlichen Ausdrücken. Das versteinerte Ei wurde vor ihren Augen durchsichtig. Darin
wälzte sich ein Wesen, das keine genaue Gestalt besaß. Dennoch wirkte es auf Myrna so abstoßend, daß sie entsetzt zurück wich. »Mein Gott, er ist schon so groß!« rief George Swan erschrocken und wollte die Silberplatte wieder in die Vitrine einfügen. »George, hilf mir!« rief Myrna. »Ich ertrage dieses Scheusal nicht länger!« Die lautlose Stimme schilderte Myrna höhnisch, wie die Bestie ihre Schwester ermordet hatte. Myrna sah die Ereignisse der Todesnacht in allen Einzelheiten vor sich. Keuchend klammerte sie sich an einer anderen Vitrine fest. Sie sah, wie ihr Mann sich bückte, um das Ungeheuer durch die Silberplatte unschädlich zu machen. Sie sah aber auch die drei Männer, die plötzlich in den Raum stürmten. Ihr Warnschrei kam zu spät. Ehe George sich auch nur umdrehte, traf ihn bereits ein Schlag am Hinterkopf. Lautlos kippte er zu Boden. Die Silberplatte rutschte ihm aus den Händen und blieb vor Myrnas Füßen liegen. Es ging alles so blitzschnell vor sich, daß Myrna nicht zur Besinnung kam. Die drei Männer zerschlugen die Scheiben der Vitrine. Einer packte das Ei. Ohne sich weiter um George oder Myrna Swan zu kümmern, stürmten die drei Räuber wieder hinaus. 21 �
Als sie sich über ihren reglosen Mann beugte, hörte sie im Geist das schauerliche Hohnlachen der Bestie, die sich selbst Meister nannte. * Peter kam nicht dazu, Maud zu warnen. Seine Füße berührten noch nicht den Boden, als sich auch schon messerscharfe Krallen an seine Kehle legten. Maud glitt neben ihm in den Kellerraum. Sofort erlitt sie das gleiche Schicksal. Sie pressten sich nebeneinander mit dem Rücken zur Mauer. Vor ihnen standen zwei Dämonen, die einen seltsamen Anblick boten. Sie waren von Peter dabei gestört worden, als sie sich menschliche Gestalten annahmen. Körper und Köpfe waren von echten Menschen nicht mehr zu unterscheiden. Nur die Arme waren noch mit dichten schwarzen Schuppen bedeckt. Und anstelle der Finger besaßen sie jene dolchartigen Klauen, die den Großmeister und seine Begleiterin bedrohten. Peter brach Schweiß am ganzen Körper aus. Er fühlte den leichten Druck der scharfen Krallen und konnte sich nicht wehren. »Kein Laut«, flüsterte der vor Peter stehende Dämon. Sein Gesicht blieb unbewegt, die Augen wirkten leblos.
Oben im Haus erklang ein kurzer Schrei, gleich darauf heftiges Poltern und Klirren von berstendem Glas. Peter brauchte kein Hellseher zu sein, um zu wissen, daß im Museum ein Überfall ablief. Zweifellos gehörten diese beiden Dämonen dazu. Die Frage war, was sie mit ihren Gefangenen machten, wenn der Überfall vorüber war. Die Antwort ließ Peters Herz rasen. »Kommt, wir haben es!« rief jemand in den Keller herunter. Peter verkrampfte sich innerlich. Jetzt mußte sich sein Schicksal und das seiner Begleiterin entscheiden. Es zischte zweimal. Das Geräusch erinnerte an pneumatische Türen. Die Dämonen rührten sich nicht. Auch die Krallen an Peters und Mauds Kehlen zuckten nicht einmal. Doch die Haut der Dämonen färbte sich dunkel. Die Kleider, die nur Tarnung gewesen waren, fielen von ihnen ab. Die ursprünglichen schuppenbedeckten Körper kamen zum Vorschein. Ängstlich wartete Peter auf eine Reaktion der Dämonen. Warum zögerten sie, ihn und Maud zu töten? Neben sich hörte der junge Großmeister ein schabendes Geräusch. Butler Harvey ließ sich in den Kellerraum gleiten und wandte sich an ihn. »Verzeihung, Sir, Sie gestatten«, sagte Harvey und griff nach den 22 �
mörderischen Klauen des Dämons. »Ich empfehle, diese tödlichen Waffen behutsam zu entfernen.« Mit einem kurzen Ruck knickte Harvey die Krallen nach außen. Sie fielen mit einem trockenen Knacken zu Boden und verwandelten sich dort zu Staub. Angewidert stieß Harvey den Dämon an. Die Bestie aus einer anderen Dimension kippte nach hinten. Als sie auf den Kellerboden schlug, zerbröckelte sie, als wäre sie aus Staub gemacht. »Noch nicht bewegen, Maud«, warnte Harvey, befreite auch sie von den Krallen und zerstörte den zweiten Dämon auf die gleiche Weise. Peter hatte inzwischen die Druckluftpistole seines Butlers entdeckt, mit der Harvey weißmagisch präparierte Kugeln verschoss. Sie hatten die Dämonen getötet. »Danke, Harvey«, sagte Peter und deutete nach oben. »Überfall! Sie haben etwas geraubt und wollen fliehen!« Zu dritt hetzten sie die Kellertreppe hinauf. Sie kamen zu spät, das sahen sie auf den ersten Blick. Die Verbindungstür zu den Wohnräumen des Wächters stand offen. Am Ende des Korridors war die ins Freie führende Tür zu sehen. Sie war ebenfalls geöffnet, »Peter, hierher!« rief Maud. Sie beugte sich über einen reglosen
Mann. Eine ungefähr vierzigjährige Frau stand daneben. Sie trug einen Morgenmantel und sah schlecht aus, war jedoch unverletzt. Der Mann kam soeben wieder zu sich. Während Maud sich um die Frau kümmerte, trugen Peter und Butler Harvey den Verletzten in die Wohnung des Wächters. Stammelnd erzählte die Frau, was geschehen war. Harvey informierte leise seinen Großmeister, daß er das Wächterehepaar vor dem Überfall belauscht hatte und nun die Geschichte des mysteriösen Eis kannte. George Swan lehnte einen Arzt ab. Seine Frau und Maud versorgten die harmlose Platzwunde an seinem Kopf. Butler Harvey nutzte die Zeit und schilderte Peter Winslow die Geschichte der Brutzelle des Bösen, die Swan als Flugechsenei ausgegeben hatte. »Beschreiben Sie die Räuber«, bat Peter Winslow Mr. und Mrs. Swan, hatte damit jedoch wenig Erfolg. »Ich habe sie gar nicht gesehen, weil sie mich von hinten niedergeschlagen haben«, erklärte George Swan. Myrna Swan war noch viel zu benommen gewesen, um auf Einzelheiten zu achten. Sie war nur sicher, daß es drei Männer gewesen waren. »Du hast auch an die Leute vom Fernsehteam gedacht«, stellte Maud 23 �
leise fest. Peter nickte. »Die drei sind mir nicht geheuer«, gab er zu. »Aber wenn es drei Männer waren, bedeutet das, daß sich noch mehr Helfer des Bösen in der Stadt aufhalten.« Er schilderte Maud kurz, was Harvey belauscht hatte. »Zwei Dämonen im Park und im Krankenhaus«, zählte Peter auf. »Zwei Dämonen unten im Keller. Die Gegenseite ist zu einem Großeinsatz aufgebrochen.« »Das bestätigt meine Vermutung«, mischte sich Butler Harvey ein. »Es handelt sich bei dem Dämonenwesen in der Brutzelle um eine besonders gefährliche Waffe.« »Von der die Schwarzmagier bisher selbst nichts wussten«, fügte Peter hinzu. »Erst nach dem Aufsehen erregenden Mord an Muriel Lennox haben sie über das Fernsehen die Botschaft erhalten, genau wie ich. Im Gegensatz zu mir haben sie die Nachricht verstanden. Ich möchte wissen, wie viele der angeblichen Reporter in Stockton in Wirklichkeit Schwarzmagier sind.« »Jedenfalls haben sie ihr Ziel schon erreicht«, sagte Butler Harvey entmutigt. »Sie haben die Brutzelle des Meisters in ihren Besitz gebracht und können jetzt an einem abgeschiedenen Ort der Bestie helfen, sich zu entfalten und Kraft zu gewinnen.« »Abwarten«, meinte Peter. »Vielleicht haben wir doch noch eine
Chance. Diese ungeborene Bestie scheint zwar sehr mächtig, aber auch ziemlich hilflos zu sein. Zumindest konnte sie sich zwanzig Jahre lang nicht selbst helfen und auch keine Schwarzmagier zu sich rufen. Die große Zahl unserer Feinde in Stockton könnte noch einen weiteren Grund haben. Unter Umständen braucht diese Bestie besondere Fürsorge und kann auch nicht so einfach weggeschafft werden. Dieses Wesen stammt aus Dimensionen, in denen sich kein Mensch zurecht finden würde. Warum sollte es nicht auch umgekehrt so sein?« Harvey dachte an das Nächstliegende. »Wir müssen Mr. und Mrs. Swan erklären, wer wir sind«, meinte er. »So kommen wir am leichtesten voran. Mr. Swan weiß bisher mehr über die Bestie als wir alle.« Der Museumswächter hatte sich inzwischen so weit von dem Überfall erholt, daß sie vernünftig mit ihm sprechen konnten. Es stellte sich heraus, daß er zwar schon von dem Orden der Weissmagier gehört, sich aber nie darum gekümmert hatte. »Ich bin ein Einzelgänger«, erklärte er. »Vereine haben mich nie interessiert. Außerdem wollte ich seit meiner Hochzeit gar nichts mehr mit Magie zu tun haben. Die Brutzelle der Bestie hat scheinbar Ruhe gegeben. Daher habe ich geglaubt, 24 �
nie wieder mit Magie in Berührung zu kommen.« »Jetzt stehen die Dinge anders«, mahnte Peter Winslow. »Ihre Schwägerin wurde ermordet. Ihre Familie befindet sich in Gefahr, es sei denn, wir; vernichten die Brutzelle. Dazu brauchen, wir Ihre Hilfe.« Gegen den heftigen Widerspruch seiner Frau erklärte sich George Swan bereit. »Myrna«, redete er ihr zu, »wir hätten nie wieder Ruhe, siehst du das nicht ein? Ich muß Mr. Winslow helfen, damit der Spuk aufhört. Du fährst so lange zu deinen Eltern und bleibst bei Bobby. Wir müssen auch an unseren Sohn denken.« »Gerade seinetwegen habe ich grauenhafte Angst«, gestand Myrna. »Ich wollte diese ganze Geschichte zuerst nicht glauben, aber nach dem Kontakt mit der Bestie fürchte ich mich. Was soll denn werden, George, wenn dir etwas zustößt?« »Besser mir, als euch«, antwortete der Wächter düster. Es gelang ihnen allen schließlich, Mrs. Swan zu überreden. Butler Harvey bot sich an, sie zu ihren Eltern zu fahren. »Ich werde Ordensmitglieder zu Ihrem Schutz einteilen«, versicherte Harvey. »Denn ganz gleich, wo auf der Welt Sie sich verbergen, Ihre Feinde finden Sie überall. Auch Ihr Sohn ist in Gefahr.« »Unsere Leute tun ihr Bestes«, ver-
sicherte Peter. Er schränkte in Gedanken allerdings ein, daß sie nicht allmächtig waren. Ihre Feinde kannten keinen Skrupel und schreckten vor nichts zurück. Der Schutz konnte deshalb nie hundertprozentig sein. Myrna Swan bewies, daß sie sich selbst nichts vormachte. »Auch wenn Sie uns schützen, schweben wir in Lebensgefahr.« »Nur so lange, bis die Bestie vernichtet ist«, gab Maud zu bedenken. »Je schneller wir es hinter uns bringen, desto eher sind Sie in Sicherheit.« Sie einigten sich. Butler Harvey machte sich sofort mit Mrs. Swan auf den Weg zu ihren Eltern. Damit löste sich auch das Problem der Unterkunft. George Swan nahm die Spitzen des Ordens in seinem Haus auf. Peter Winslow führte zwei Telefongespräche mit London. Er bestellte zwei seiner wichtigsten Helfer nach Stockton. Es würde einige Zeit dauern, bis sie in der gefährdeten Kleinstadt ankamen. Bis dahin durfte Peter nicht untätig abwarten. Falls sich das Ei der Bestie überhaupt noch in der Nähe befand, mussten sie schnell handeln. Brachte die Gegenseite die Bestie erst einmal weg, verlor sich die Spur. »Peter, willst du zu mir ehrlich sein?« fragte Maud, als sie endlich 25 �
allein waren. »Wieso hast du überhaupt noch Hoffnung, die Brutzelle könne in der Stadt sein?« Der junge Großmeister zuckte die Schultern. »Ehrlich gesagt, ich kann es dir nicht erklären. Ich habe nur das undeutliche Gefühl, daß sich in meiner Nähe eine mächtige Quelle des Bösen befindet.« »Nicht viel, aber immerhin etwas«, sagte Maud scherzhaft und versuchte, die gedrückte Stimmung aufzulockern. »Auf deine Gefühle kann man sich verlassen.« Sie wurden unterbrochen. George Swan kam in den Raum, den er ihnen überlassen hatte. »Mr. Winslow, Sie werden am Telefon verlangt«, meldete er. Überrascht folgte Peter dem Museumswächter. Er war gespannt, wer ihn sprechen wollte. Der Anrufer nannte keinen Namen, als Peter sich meldete. Er kam sofort zur Sache. »Wenn Sie die, Brutzelle des Meisters haben wollen, kommen Sie in die alte Kathedrale«, sagte er. »Wir sind bereit, über die Rückgabe zu verhandeln. Aber beeilen Sie sich, Großmeister. Die Zeit drängt!« Bevor Peter auch nur eine einzige Frage stellen konnte, legte der Anrufer auf. Maud war genau so verblüfft wie Peter, als er ihr den Inhalt des Gesprächs schilderte. »Was wirst du jetzt machen?«
fragte sie. »Hingehen, was sonst?« erwiderte er. »Das riecht nach Falle«, behauptete Maud. »Das riecht nicht nur danach, sondern es ist auch eine«, bestätigte Peter. »Mach mir einen anderen Vorschlag!« Maud hatte keinen. Also machte sich Peter Winslow allein auf den Weg zu der Kathedrale, die ihm George Swan genau beschrieben hatte. Maud folgte in einigem Abstand. Sie wurde das Gefühl nicht los, daß Peter blindlings in sein Verderben lief. Weshalb sollte die Gegenseite die Brutzelle zurückgeben? Dahinter konnte nur eine ausgemachte Teufelei stecken. Beide wünschten sich, Butler Harvey wäre jetzt hier. Doch da die Zeit drängte, mussten sie das Unternehmen allein durchziehen. Als Peter Winslow die so genannte Kathedrale vor sich sah, verdüsterte sich der Himmel. Die einstmals prächtige Kirche war schon vor Jahrzehnten teilweise eingestürzt. Die Mauern der Ruine ragten schwarz und zerbrochen in den düsteren Himmel. Der Wind orgelte in Mauerritzen und glaslosen Fenstern. Dies war kein geweihter Ort mehr, sondern eine Stätte des Bösen. Peter fühlte es mit jeder Faser seines Körpers. Trotzdem gab er sich einen Ruck 26 �
und schritt weiter. Seine Feinde ließen ihm keine andere Wahl. Er oder sie. Eine dritte Möglichkeit gab es nicht. * Während der Fahrt redet Myrna Swan fast pausenlos. Sie fand in Butler Harvey einen verständnisvollen Gesprächspartner, der auf ihre Sorgen einging. »Es tut mir gut, über alles reden zu können«, meinte Mrs. Swan, als sie sich bereits Edinburgh näherten. »Und dabei habe ich Sie anfangs für…« Sie brach ab. Butler Harvey wandte lächelnd den Kopf. »Sprechen Sie es ruhig aus, ich bin nicht beleidigt«, meinte er. »Sie haben mich für steif und förmlich gehalten.« »Nun ja, das stimmt«, gab Mrs. Swan verlegen zu. »Sagen Sie, was wird aus uns? Wird es gut ausgehen?« Harvey zögerte etwas zu lange. »Ich verstehe«, murmelte Mrs. Swan. »Sie geben uns keine Chancen.« »Nein, das möchte ich nicht sagen«, wehrte Butler Harvey ab. »Im Gegenteil, die Chancen stehen nicht schlecht. Unsere Leute werden Sie und Ihre Familie beschützen. Ihr Mann befindet sich bei uns. Wir achten persönlich auf ihn.«
Er verschwieg Myrna Swan, daß er die Chancen fünfzig zu fünfzig einschätzte. Sie brauchte viel Mut, um die nächsten Tage oder Wochen durchzustehen. Das Einfamilienhaus der Familie Lennox lag am Stadtrand. Hier erlebte Butler Harvey eine angenehme Überraschung. Sie wurden von vier Ordensmitgliedern in Empfang genommen. Bei der Begrüßung schimmerten ihre Augen sekundenlang in einem leuchtenden Blau, das kein Schwarzmagier nachahmen konnte. Das Erkennungszeichen des Ordens war absolut sicher. »Alles in Ordnung«, meldete eine junge Frau, die Sprecherin der Gruppe. »Wir werden laufend von anderen Mitgliedern abgelöst.. Es kann gar nichts geschehen.« Der Butler war anschließend dabei, als Myrna Swan ihren Sohn Bobby und ihre Eltern wieder sah. Es war eine stille Freude, die durch Muriels Tod getrübt wurde. Auch der zwölfjährige Bobby wirkte gedrückt. »Er hat sehr an seiner Tante Muriel gehangen«, erklärte Mrs. Lennox dem Butler, nachdem der Junge wortlos aus dem Raum gegangen war. »Wir können noch gar nicht begreifen, daß unsere Tochter nicht mehr lebt.« Mr. Lennox wandte sich heftig an Butler Harvey. »Fangen Sie den 27 �
Mörder meiner Tochter«, sagte er heiser. »Ich will, daß dieser Kerl die gerechte Strafe erhält!« Butler Harvey versprach, die Polizei nach Kräften zu unterstützen. Er hatte mit Myrna Swan vereinbart, ihre Eltern nicht über die wahren Hintergründe zu informieren. Daher glaubten die alten Leute, daß der Mörder ihrer Tochter vor Gericht kommen würde. Harvey war froh, als er sich endlich auf den Rückweg machen konnte. Die traurige Stimmung in dem Haus am Stadtrand bedrückte ihn. Außerdem wollte er seinem Großmeister helfen. Er schärfte den Wachen noch einmal höchste Aufmerksamkeit ein und deutete an, wie gefährlich ihr Gegner diesmal war. Der Orden hatte so viele Mitglieder, daß sich die Wachen alle paar Stunden ablösen lassen konnten. Es durfte eigentlich keine Probleme geben. Trotzdem hatte Butler Harvey ein merkwürdiges Gefühl, als er dieses Haus verließ. Irgendwie wurde er den Eindruck nicht los, daß etwas nicht stimmte. Das mochte aber auch nur seine Nervosität sein. Als er anfuhr, winkte Myrna Swan vom Wohnzimmerfenster aus. Sie war diesem wortkargen, steifen und manchmal übertrieben würdevollen Mann für seine Hilfe sehr dankbar. »Wären nur alle Menschen wie der
Butler«, sagte Myrna. »Dann gäbe es auf der Welt kein Unglück mehr.« Sie erhielt von ihren Eltern keine Antwort. Verwundert drehte sie sich um. Ihre Eltern und der kleine Bobby standen direkt vor ihr. Lautlos waren die drei hinter sie getreten. »Was habt ihr?« fragte Myrna erstaunt. Sie hatte keine Zeit zum Schreien. Bevor sie begriff, was mit ihr geschah, hatten die drei sie zu Boden gerungen. Sie hielten ihr den Mund zu, fesselten und knebelten sie. Erst in einem Kellerverschlag kam Myrna Swan zu Bewußtsein, was sie soeben erlebt hatte. Sie kam sich in einem Alptraum gefangen vor. Doch es war die schreckliche Wirklichkeit. Verzweifelt dachte sie an Butler Harvey, der ahnungslos nach Stockton zurückfuhr. Und draußen vor dem Haus standen die ebenfalls nichts ahnenden Wächter des Ordens. In diesem Moment gab Myrna Swan sich und ihre ganze Familie verloren. Butler Harvey hatte sich verschätzt. Sie hatten keine Chance mehr. Die Gegenseite hatte schon längst gewonnen. * Die Wolken zogen so rasend schnell � auf, daß Peter Winslow an keinen � 28 �
Zufall glaubte. Es wurde dunkel wie am späten Abend. Gleichzeitig fiel Nebel in den Talkessel von Stockton ein. Der junge Großmeister ging langsam weiter. Was die Leute von Stockton Kathedrale nannten, war wirklich nur noch eine Ruine. Man brauchte sie nicht zu betreten, um sie zu überblicken. Von einem Hügel neben der Ruine hatte man freie Sicht in den Innenraum. Doch als Peter die Hügelkuppe erreichte, schob sich eine Nebelwand zwischen ihn und die Ruine. Maud holte den Großmeister ein. »Geh nicht hinein«, warnte sie. »Merkst du nicht, daß sie mit allen schmutzigen Tricks versuchen, dich anzulocken?« Peter nickte. »Sie zeigen zu auffällig, daß ich die Kathedrale nicht von außen inspizieren soll.« Er fasste in die Innentasche seiner Jacke. »Mal sehen, ob sich die Bestie daran erinnert«, meinte er mit einem kalten Lächeln. Maud betrachtete die silberne Platte in seiner Hand. »Das Amulett, mit dem George Swan zwanzig Jahre lang das angebliche Saurierei abgeschirmt hat«, sagte sie zufrieden. »Gute Idee, Peter, es mitzunehmen. Und was jetzt?« »Harvey entwickelt manchmal scheinbar kindische Waffen«, sagte der Großmeister und holte eine handliche Steinschleuder aus der
Tasche. »Gib mir Feuerschutz«, bat er. Er pirschte sich an die ehemalige Kirche heran. Maud hielt ruhig eine schwere Pistole in ihren schmalen Händen. Sie beobachtete ununterbrochen die Ruine, bei der sich nichts regte. Die Sicht reichte nur bis zu dem Portal. Dahinter lastete der Nebel so dicht, daß man nichts erkannte. Peter war jederzeit zur Flucht bereit. Wenn sich in der verlassenen Kirche Schwarzmagier und Dämonen aufhielten, kamen er und Maud nicht gegen die Feinde an. Dann war Rückzug besser als sinnloser Heldentod. Sie beobachteten ihn bestimmt von allen Seiten. Wenn sie seine Absicht schon durchschaut hatten, griffen sie jeden Moment an. Peter legte die silberne Platte in die Steinschleuder und wollte das Gummiband spannen. Es kam nicht dazu. Der Boden unter ihm wölbte sich auf. Peter verlor das Gleichgewicht. Die Steinschleuder fiel aus seiner Hand, ebenso die Silberplatte. Er landete hart auf dem Boden. Aus der Erde schob sich ein Skelett. Der Schädel tauchte so dicht neben Peter auf, daß er nur die Hand auszustrecken brauchte, um ihn zu berühren. Ein scharfer Knall peitschte durch die Stille. Das Skelett barst in unzäh29 �
lige Einzelteile. Peter sprang auf. Maud, die präzise geschossen hatte, winkte ihm zu. Er sah gleich darauf, was sie meinte. Rings um ihn entstanden ähnliche Erdhügel. Offenbar befand er sich auf einem uralten Friedhof, von dem an der Oberfläche nichts mehr existierte. Seine Feinde riefen die Skelette aus der Tiefe. Die Knochenmänner mussten gehorchen. Arme und Beine ragten aus dem Boden. Bleich schimmernde Skelette zogen sich an die Oberfläche. Peter schätzte mindestens drei Dutzend Gräber, die sich in seiner Nähe öffneten. Rufend lief Maud näher. Sie feuerte noch einmal. Neben Peter sank ein zweites Skelett in die Erde zurück. Geschockt sah er sich nach der Silberplatte um. Er hatte mit einem Angriff aus der Ruine gerechnet. Seine Gegner waren aber schlauer, als er dachte. »Rechts von dir!« schrie Maud. Peter blickte in die angegebene Richtung und entdeckte silbriges Glitzern. Er wich einem auftauchenden Skelett aus, doch er fand nur die Schleuder, nicht das Amulett. Maud blieb außerhalb des Kreises aus Erdhügeln, um dem Großmeister den Rückzug offen zu halten. »Peter, komm endlich!« rief sie
ihm zu. »Du schaffst es nicht!« Wieder verlor Peter den Boden unter den Füßen. Diesmal tauchte der Knochenmann so schnell auf, daß Peter nicht rechtzeitig zur Seite springen konnte. Harte, eisige Finger legten sich um seinen Fuß. Es fühlte sich an, als wäre er in einen Schraubstock geraten. Maud konnte nicht schießen. Peter lag in der Schusslinie. Der Großmeister wollte nach seiner Pistole greifen. Bisher hatte er sich zu sehr auf die Schleuder und die Silberplatte konzentriert. Nun schaffte er es nicht mehr. Die zweite Hand des Knochenmannes schnellte aus der Erde hervor und schloß sich um Peters Handgelenk. Vergeblich zog und zerrte Peter. Er kam nicht mehr frei, Maud erkannte die Gefahr. Sie durfte nicht länger im Hintergrund bleiben. Sie bewies, wie gut sie trainiert war. Im Zickzack hetzte sie über den aufgelassenen Friedhof, übersprang Erdhügel so hoch, daß die Skelette sie nicht packen konnten, und wich neu aufbrechenden Gräbern aus. Der Arm des Skeletts preßte sich gegen Peters Hals und schnürte ihm die Luft ab. Die Finger zerquetschten ihr fast die Arme. »Maud!« stieß Peter röchelnd hervor. Sie war nur noch zwanzig Meter von ihm entfernt, als sie stehen 30 �
blieb. Mehr sah Peter nicht mehr. Das Skelett zog ihn mit sich. Voll Todesangst erkannte der Großmeister die Absicht des Knochenmannes. Er wollte sein Opfer zu sich in das Grab zerren. Und Maud rührte sich nicht von der Stelle! Es kam Peter wie eine Ewigkeit vor, bis sein Kopf in das Erdloch eintauchte. Noch einmal holte er tief Luft, um möglichst lange zu überleben. Dann schloß sich die Erde um ihn. Das also war das Ende, schoß es dem jungen Großmeister durch den Kopf. Mit einem so simplen Trick hatten sie ihn überrumpelt und erstickten ihn nun in einem uralten Grab! Doch er erstickte nicht. Er bekam plötzlich wieder Luft. Helles Tageslicht blendete ihn. Als er sich dazu zwang, blinzelnd die Augen zu öffnen, sah er direkt in Mauds besorgtes Gesicht. »Hier, schieß endlich!« rief sie ihm zu und drückte ihm etwas in die Hände. Verwirrt blickte Peter um sich. Er mußte sich erst orientieren. Noch immer waren sie auf dem aufgelassenen Friedhof. Immer mehr Skelette kletterten an die Oberfläche. In den Händen hielt er die Schleuder und die Silberplatte aus dem Museum. Deshalb also war Maud stehen geblieben. Sie hatte das Amu-
lett gefunden! Erst danach hatte sie ihn aus den Klauen des Skeletts befreit. Peter überlegte nicht lange. Blitzschnell legte er die Silberplatte in die Schlaufe der Schleuder, spannte und schoß. Wie ein hell strahlender Stern flog das Amulett durch das Portal der Ruine und fiel drinnen klirrend auf den Boden. Sehen konnte Peter nichts. Der Nebel innerhalb der Kathedrale war noch immer zu dicht. »Los, weg hier!« rief Maud und zog Peter mit sich. Er stieß einen Schmerzensschrei aus, daß Maud erschrocken zurückzuckte. Der kurze, aber heftige Schmerz im Oberarm brachte Peter völlig zur Besinnung. Neben Maud floh er aus dem Gebiet des ehemaligen Friedhofs. Während sie springend und Haken schlagend den Skeletten auswichen, hörten sie hinter sich dumpfes Grollen. Ein schriller Schrei zitterte durch die Stille. Er klang so entsetzt und gleichzeitig wütend, daß sich Peter die Haare aufstellten. Keine menschliche Kehle konnte einen solchen Laut erzeugen. Ein heftiger Schlag erschütterte den Boden. Peter blieb stehen und sah zu der Ruine zurück. Die Mauern der Kathedrale schwankten heftig. Der Nebel ent31 �
wich aus dem Inneren der Ruine und trieb in dicken Schwaden davon. Rote Blitze schossen nach allen Seiten. Wo sie einschlugen, explodierten Felsen und verdampfte Wiese. Einige Skelette wurden ebenfalls Opfer dieser schwarzmagischen Entladungen. Das Wimmern und Heulen brach wie abgeschnitten ab. Der Erdboden beruhigte sich. Die Knochenmänner waren nicht mehr zu sehen. Sie hatten sich in die Erde zurückgezogen. Auch die dunklen Wolken waren verschwunden. Das Tageslicht erreichte die Erde mit normaler Kraft. »Sehen wir nach«, sagte Peter heiser vor Aufregung. »Da drinnen hat sich jedenfalls eine ganze Menge abgespielt.« »Geh nicht rein«, warnte Maud, doch Peter hörte nicht auf sie. Er mußte sich informieren, wie es in der Ruine aussah. Diesmal tauchten keine Skelette aus der Erde, als sie sich der Ruine näherten. Von außen schien das ehemalige Kirchengewölbe leer zu sein. Als Peter eintrat, merkte er sofort, daß hier drinnen keine normalen Verhältnisse herrschten. Der Boden der Ruine war blank, als wäre er jeden Tag gefegt worden. In den Ritzen zwischen den Steinplatten wuchs kein Unkraut.
Peter fand das silberne Amulett. Die Platte war kaum noch zu erkennen. Sie war zu einem formlosen Klumpen zusammengeschmolzen. Er stieß sie mit dem Fuß an. Das Amulett zerfiel zu Staub. Damit waren seine Entdeckungen aber auch schon beendet. Er kehrte zu Maud mit leeren Händen zurück. Wer hat vorhin so geschrien?« fragte Maud. »Könnte es das Monster gewesen sein?« Peter nickte. »Ganz bestimmt, Maud. Die ehemalige Kirche steht in einem direkten Zusammenhang mit Schwarzer Magie und mit der Bestie. Aber frag mich jetzt nicht, ich sehe noch nicht durch. Ich weiß nicht, warum sie mich hierher gelockt haben. Ich weiß auch nicht, was das Amulett angerichtet hat. Fest steht nur, daß in der Ruine ein unbeschreiblicher Kampf zwischen Schwarzer und Weißer Magie stattgefunden hat.« »Welche Seite hat gewonnen?« fragte Maud nun doch. Sie erhielt nur ein Achselzucken als Antwort. Es wäre schön gewesen, hätte die Silberplatte die Brutzelle der Bestie vernichtet. Doch daran konnte Peter nicht glauben. Es wäre viel zu leicht gewesen. Ihr Gegner war zu mächtig, um sich mit einem Schlag besiegen zu lassen. Sie mussten auf den nächsten Schritt der Schwarzmagier warten, ehe sie handeln konnten. 32 �
Peter warf noch einen Blick zu der Stelle zurück, an welcher ihn das Skelett in die Erde gezogen hatte. Es war ein merkwürdiges Gefühl, sein eigenes Grab zu betrachten, in dem man nach dem Willen seiner Feinde liegen sollte. * Die Entfernungen in Stockton und der näheren Umgebung waren so gering, daß Peter kein Auto gemietet hatte. Er und Maud waren zu der Kathedrale zu Fuß gegangen, da Harvey noch mit Mrs. Swan unterwegs war. Als sie nun in die Stadt zurückkehrten, fiel Peter sofort etwas auf. »Das Sensationelle an der Mordgeschichte ist vorbei«, meinte er. »Merkst du, daß schon viele Reporter abgereist sind?« »Es sind weniger Autos zu sehen«, bestätigte Maud. »Wir können davon ausgehen, daß die meisten Zurückgebliebenen Schwarzmagier sind.« Auf dem Hauptplatz entdeckte Peter einen Geländewagen, der ihn sofort interessierte. »Da sind unsere Freunde, die uns aus dem Morast gezogen haben«, sagte er zu Maud. »Geh schon ins Museum. Ich komme nach.« »Soll ich nicht lieber in deiner Nähe bleiben«, bot Maud an. »Wenn die Fernsehleute zur Gegenseite
gehören, wird es gefährlich.« »Du hast bloß Angst vor Marsha Glendis«, meinte Peter lächelnd. »Du fürchtest, daß mir die schwarzhaarige Schönheit gefährlich werden könnte.« »Wieso Schönheit?« fragte Maud spitz. »Ich habe nicht bemerkt, daß sie besonders schön ist.« »Du bist auch kein Mann«, sagte Peter lachend. »Zu meinem Glück«, fügte er hinzu. »Ich werde schon aufpassen, daß mir weder Dämonen, noch schöne Frauen gefährlich werden.« »Einfach kindisch«, sagte Maud schnippisch, während sie allein weiterging. »Ich bin nicht eifersüchtig. Das bildest du dir nur ein. Ich doch nicht!« Peter blickte ihr lächelnd nach. Er war überzeugt, daß sie ihn von einem Fenster des Museums aus beobachten würde. Es war ein gutes Gefühl, eine so starke Rückendeckung hinter sich zu wissen. Der Geländewagen der Fernsehleute stand zwischen einigen anderen Wagen eingekeilt. Peter hoffte, daß ihn niemand bemerkte. Er mußte sich dem Auto ohne Deckung nähern. Im Wagen selbst saß niemand, aber das einzige Hotel der Stadt lag am Hauptplatz. Von seinen Fenstern aus konnte man den ganzen Platz überblicken. Das Stoffverdeck war geschlossen. 33 �
Peter wollte nicht so weit gehen, es an einer Stelle zu öffnen. Das hätte er nur schwer rechtfertigen können. Er blickte jedoch durch die Seitenscheiben in den Wagen und suchte nach irgendwelchen Hinweisen. Als ihn jemand am Arm ergriff, zuckte er wieder schmerzlich zusammen und drehte sich rasch um. Maud hatte vorhin gewußt, weshalb er so heftig reagierte. Marsha Glendis aber sah ihn verständnislos an. »Was ist denn?« fragte sie verwirrt. »Sagen Sie bloß, ich habe Ihnen wehgetan.« Peter schüttelte unbekümmert lächelnd den Kopf. »Ich hatte nur eine kleine Auseinandersetzung. Mein Gegner hat meine Arme so hart festgehalten, daß sie morgen wahrscheinlich grün und blau sein werden.« Marsha atmete erleichtert auf. »Ich habe schon das Schlimmste angenommen.« Sie deutete mit einem Kopfnicken auf ihren Wagen. »Was interessiert Sie daran?« Peter lächelte unverändert weiter. »Bei unserer ersten Begegnung waren Sie viel charmanter, Marsha. Ich vermisse den verführerischen Augenaufschlag und das atemberaubende sinnliche Beben Ihrer Stimme. Was ist denn geschehen?« »Machen Sie sich ruhig über mich lustig«, fuhr sie ihn gereizt an. »Ich mag es nicht, wenn jemand um mei-
nen Wagen herumschnüffelt.« »Und ich mag es nicht«, erwiderte Peter scharf, »wenn sich jemand als Helfer ausgibt, in Wahrheit aber ein Gewehr unter dem Sitz liegen hat. Sie hätten es besser verstecken sollen. Der Lauf ragt ein Stück hervor, und er hat ein verdammt großes Kaliber!« Marsha Glendis verhielt sich nicht so, wie Peter es erwartete. Sie zeigte sich keineswegs von seinen Vorwürfen beeindruckt, sondern zuckte nur die Schultern. »Sie haben mich belogen!« fuhr Peter die Schwarzhaarige an. »Sie haben auch nicht mit offenen Karten gespielt«, entgegnete Marsha ungerührt. »Warum sollte ich Ihnen reinen Wein einschenken.« »Soll ich die Polizei holen und ihr das Gewehr zeigen?« drohte Peter. »Würde Ihnen schwer fallen, den Besitz dieser Waffe zu erklären. Vielleicht versuchen Sie es einmal bei mir.« Marsha lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Wagen und lächelte spöttisch. »Sie vergessen, daß wir eine Kamera besitzen. Wir könnten der Polizei jederzeit im Film zeigen, wie wir das Gewehr gefunden haben. Sie waren über das Loch in Ihrem Wagen so bestürzt, daß ich Verdacht geschöpft habe. Und Sie haben mich gefragt, ob ich jemand auf dem Pass gesehen habe. Warum? Doch nur, weil von dort 34 �
oben auf Sie geschossen worden war. Also haben wir uns noch einmal neben der Straße umgesehen und das Gewehr gefunden.« »Ist die Märchenstunde zu Ende?« fragte Peter freundlich. Marsha wandte sich verärgert ab und ging zum Hotel. Peter folgte ihr. »So leicht kommen Sie nicht weg«, rief er ihr nach. »Für wen arbeiten Sie und Ihre Freunde?« »Für wen arbeiten denn Sie?« antwortete Marsha mit einer Gegenfrage. »Gibt es Schwierigkeiten?« Mark Henderson kam ihnen aus dem Hotel entgegen. Er schoß Peter einen wütenden Blick zu. »Verschwinden Sie!« »Immer langsam«, antwortete Peter gereizt. »Ich will in das Hotel, und Sie werden mich nicht daran hindern.« »Oh doch, genau das werde ich«, fauchte Henderson ihn an. Der kleine, bullige Mann versperrte Peter den Weg. »Sie sollen verschwinden. Haben Sie nicht gehört?« »Mach keinen Ärger, Mark«, mahnte Marsha besorgt. »Den können wir nicht brauchen. Lass ihn doch herumschnüffeln, wenn es ihm Spaß bereitet.« Doch Mark Henderson hörte nicht auf sie und wich nicht zur Seite. Als Peter einen Schritt weiterging, sprang Mark ihn an.
Der Großmeister war vorbereitet. Trotzdem überraschte ihn die Kraft, die hinter dem Schlag gegen seine Brust steckte. Er taumelte zurück und stolperte. Mark sah sich schon als Sieger, griff Peter an und wollte ihn zu Boden schicken. Mit einer kaum sichtbaren Drehung wich Peter aus und ließ Mark an sich vorbei laufen. Vom eigenen Schwung mitgerissen, torkelte Mark gegen einen geparkten Wagen und fuhr wütend herum. »lass mich in Ruhe«, warnte Peter leise. »Ich will mich nicht schlagen.« »Mark, hör auf!« befahl Marsha Glendis scharf. Doch Mark Henderson war durch nichts zu bremsen. Er stieß ein heiseres Knurren aus, als er Peter noch einmal angriff. Der Schlag hätte einen Ochsen gefällt, wäre er im Ziel gelandet. Doch wieder wich Peter aus und schlug kurz und trocken nach. Mark schwankte und prallte gegen Marsha. Die Hand der Schwarzhaarigen zuckte hoch und landete zweimal klatschend in Marks Gesicht. Der Erfolg war durchschlagend. Das zornrote Gesicht des Bulligen wurde kreidebleich. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Für einen Moment glaubte Peter, Mark würde zurückschlagen. Doch 35 �
der Toningenieur wandte sich ab und verschwand wortlos im Hotel. Marsha deutete mit einer übertrieben höflichen Handbewegung auf die Drehtür des alten Restaurants. »Bitte sehr, nach Ihnen, Peter«, sagte sie ärgerlich. »Sie wollten in das Hotel. Jetzt ist der Eingang frei.« Peter blieb kopfschüttelnd stehen. schließen wir nicht »Wieso Frieden?« bot er an. »Sie brauchen mir nur zu erzählen, woher Sie das Gewehr wirklich haben.« »Sie wollen mir einen Mordversuch anhängen und sprechen von Versöhnung?« Marsha sah Peter fast mitleidig an. »Für wie dumm halten Sie mich? Überlegen Sie es sich noch einmal, bevor Sie mir ein solches Angebot machen.« Sie musterte Peter vom Scheitel bis zur Sohle. »Schade! Ein so toll aussehender Mann, und nichts im Kopf!« Damit ließ sie ihn stehen und verschwand hoch erhobenen Kopfes im Hotelrestaurant. Peter verzichtete auf weiteren Kontakt mit den angeblichen Fernsehleuten. Er kehrte zu Maud zurück, die ihm vorwurfsvoll entgegenblickte. »Daß ihr Männer euch immer prügeln müßt, sagte sie abfällig. »Und immer einer Frau wegen! Ihr benehmt euch wie die dümmsten Hähne auf dem Hühnerhof.« »Ja, hack du auch noch auf mir herum, du bissiges Huhn!« fuhr
Peter sie an. »So ist es recht!« Maud machte große Augen. »Was ist denn dir über die Leber gelaufen?« fragte sie verblüfft. »Diese Marsha will mich verschaukeln«, sagte Peter wütend. »Ist sie auf dein Liebesgeflüster nicht eingestiegen?« fragte Maud genüsslich. »Marsha Glendis wird mir direkt sympathisch.« Peter deutete auf den geparkten Geländewagen der Fernsehleute. »Ist sie dir auch noch sympathisch, wenn sie ein Gewehr im Wagen liegen hat? Dem Kaliber nach ist es die Elefantenbüchse, mit der auf uns geschossen wurde. Marsha behauptet, sie habe das Gewehr auf der Passhöhe gefunden.« Maud stieß einen schrillen Pfiff aus. »Sieh mal an! Harmlose Fernsehreporterin? Daß ich nicht lache.« Sie beugte sich aus dem Fenster. »Aufgepasst, da kommt sie.« Marsha Glendis ging zu ihrem Wagen und schloß auf. Peter machte sich bereit. Er wollte sie verfolgen oder eingreifen, falls sie das Gewehr wegschaffte. Doch Maud stieß ihn an und zeigte nach links. Peter stieß einen Schmerzensschrei aus. »Soll ich mir eine Tafel umhängen, daß mir das Skelett die Arme fast zerquetscht hat?« rief er. »Keiner passt auf!« »Tut mir leid«, erwiderte Maud
zerknirscht. »Jammern kannst du später.« Sie deutete auf den Polizeiwagen, der auf den Platz einbog und neben Marsha Glendis hielt. Zwei Polizisten stiegen aus. Marsha sprach mit ihnen und deutete in ihren Wagen. Als schließlich einer der Polizisten ein kurzläufiges Gewehr unter dem Sitz hervorholte, stieß Maud den zweiten schrillen Pfiff aus. »Entweder ist sie ganz durchtrieben, oder sehr harmlos«, stellte sie fest. »Ich wette, daß sie den Polizisten eine rührende Story erzählt und für den Fund des Gewehrs sogar noch einen Orden bekommt.« Peter rieb sich den schmerzenden Arm, grinste aber. »Etwas in diesem Verwirrspiel steht fest«, sagte er. »Du magst Marsha Glendis nicht.« »Wie bist du bloß dahinter gekommen?« fragte Maud. »Ich habe manchmal rätselhafte Ahnungen«, antwortete Peter lachend. »Wie wäre es, wenn du mir die Arme und die Schultern einreibst? Ohne Behandlung kann ich mich morgen nicht mehr bewegen.« Maud lächelte versöhnt. »Okay, komm«, forderte sie ihn auf. »Ich habe für alles ein passendes Mittel.« Peter folgte ihr zu den Zimmern, die George Swan für sie hergerichtet hatte. »Eines mußt du zugeben«, sagte er betont harmlos. »Marsha sieht trotz allem phantastisch aus.« Maud drehte sich lächelnd um.
»Wenn du nicht vorsichtig bist, bekommst du statt der Einreibung eine Abreibung«, erklärte sie süß. »Du kannst es dir aussuchen.« Peter betrachtete ihre karategestählten Hände und entschied sich für die Einreibung. Er bereute es nicht, weil Maud ihr Handwerk verstand. »Woran denkst du?« erkundigte sich Maud, während sie ihn sanft massierte. »An Marsha«, murmelte Peter entspannt. Sofort hob Maud drohend die Hände, doch der junge Großmeister winkte lachend ab. »Nicht so, wie du denkst«, verbesserte er sich. »Marsha hat bei unserer Ankunft behauptet, sie und ihre Begleiter würden in Zelten wohnen. Jetzt wohnen sie aber offenbar im Hotel.« »Du selbst hast gesagt, daß schon viele Leute abgereist sind«, erwiderte Maud und setzte die behutsame Behandlung fort. »Okay, aber wo sind die Zelte?« Peter rollte sich auf den Rücken und zog nachdenklich die. Unterlippen zwischen die Zähne. »Im Wagen waren sie nicht. Wer verstaut zusammengefaltete Zelte in seinem Hotelzimmer? Niemand.« Maud beugte sich lächelnd über ihn. »Vielleicht bewahren sie die Zelte in einem Abstellraum des Hotels auf.«
»Das werde ich herausfinden«, antwortete Peter. »Ist noch etwas?« fragte er, als Maud gebeugt stehen blieb. »Habe ich etwas übersehen?« »Ja, mich«, sagte Maud und küsste ihn. »Jetzt kannst du meinetwegen weitermachen. Ich bleibe im Museum und sehe mich hier um. Einverstanden?« Peter nickte. »Du hast aber auch etwas vergessen«, rief er ihr nach, als sie den Raum verlassen wollte. »Mich!« Maud kam zurück. Peter küsste sie und gab sie nicht so schnell wie vorhin frei. »Ich dachte«, murmelte Maud mit geschlossenen Augen, »daß wir etwas zu tun haben.« »Eben«, sagte Peter leise. »Genau das meine ich auch. Marsha Glendis muß noch ein wenig auf mich warten.« Diesmal protestierte Maud nicht, als er die hübsche Reporterin erwähnte. * Vorsichtshalber warf Peter erst einen Blick durch das Fenster in das Hotelrestaurant. Er hatte keine Lust, sich schon wieder mit dem hitzigen Mark Henderson zu schlagen. Als er sicher war, daß sich im Restaurant nur Fremde aufhielten, trat er ein und wählte einen Tisch an der Wand. Bei einer hübschen rot-
haarigen Kellnerin bestellte er eine Kleinigkeit und hielt sie am Tisch zurück. »Wollen Sie zehn Pfund verdienen?« bot er an und beschrieb die Fernsehleute. »Kenne ich«, erwiderte die Kellnerin pfiffig. »Sie haben es bestimmt auf die Schwarzhaarige abgesehen.« »Ja, aber nicht so, wie Sie denken«, antwortete Peter lachend. »Stellen Sie fest, ob die drei hier im Hotel Zelte aufbewahren.« Die Kellnerin sah ihn an, als zweifelte sie an seinem Verstand. »So, Zelte«, murmelte sie. »Na, meinetwegen, wenn es dafür zehn Pfund gibt, soll es mir recht sein.« »Noch etwas«, rief Peter, als sie schon wieder gehen wollte. »Jetzt kommt es«, meinte sie trocken. »Die Zimmernummer von der Schwarzhaarigen.« Peter schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Was haben Sie bloß für eine Phantasie! Ich will wissen, ob die Fernsehleute irgend etwas anderes zur Aufbewahrung gegeben haben, Kisten, Koffer oder ähnliche Behälter.« »Für zehn Pfund stelle ich alles fest«, sagte die Kellnerin und verschwand. Ohne besonderen Appetit aß Peter die bestellte Pastete. Er war gerade fertig, als die Kellnerin zurückkehrte. »Ich bekomme zehn Pfund?« ver-
gewisserte sie sich und nahm vorsorglich den Schein in Empfang. »Also, Zelte haben sie nicht bei sich, aber einen großen Metallkoffer! Er steht im ersten Stock in der Wäschekammer. Sonst noch Wünsche?« Peter bedankte sich und verließ das Restaurant durch den Ausgang, der direkt zur Treppe führte. An der Rezeption war gerade niemand, so daß der Großmeister unbemerkt den ersten Stock erreichte. Der Metallkoffer interessierte ihn brennend. Warum stellten ihn die Fernsehleute in einer Wäschekammer unter, obwohl sie Zimmer angemietet hatten? Der Korridor war leer. Peter fand auf Anhieb die Wäschekammer. Sie war verschlossen, aber das bereitete ihm keine Schwierigkeiten. Sekunden später glitt er lautlos in den engen Raum. Ringsum an den Wänden waren Regale mit Wäsche aufgestellt. Der freie Platz auf dem Fußboden wurde zum größten Teil von einem Metallkoffer eingenommen. Die Außenwände waren vielfach verbeult. Peter hob den Koffer probeweise an. Dem Gewicht nach schätzte der Großmeister, daß sich nur einige leichte Gegenstände im Koffer befanden. Trotzdem wollte er nun wissen, was hier gespielt wurde. Vor allem machte ihn stutzig, daß der offenbar fast leere Koffer mit zwei massiven Vorhängeschlössern
gesichert war. Sie hielten Peter länger auf als die Tür der Wäschekammer. Schließlich öffneten sich auch die Vorhängeschlösser. Peter klappte den Deckel zurück und blickte enttäuscht in den leeren Koffer. Um ganz sicher zu gehen, tastete er die Innenwände ab. Es gab keinen doppelten Boden, und der Koffer hatte auch keinen unsichtbaren Inhalt. Während Peter noch rätselte, was das alles zu bedeuten hatte, öffnete sich hinter ihm die Tür. Er drehte sich rasch um und blickte von unten in Alex Blixwells fast weiße, kalte Augen. »Hau ab«, sagte Alex Blixwell leise, ohne dabei die Lippen zu bewegen. »Ich kann Schnüffler nicht ausstehen.« Peter stand wortlos auf und ging. Er wußte, daß er eine schlechte Figur gemacht hatte. Alex hatte einen guten Grund gehabt, ihn wegzujagen. Und er konnte nicht erklären, was er in der Wäschekammer gesucht hatte. Denkbar schlechter Laune wollte er das Hotel verlassen, als ihn die Kellnerin anhielt. »Für Ihre zehn Pfund habe ich mich noch einmal unter den Kollegen umgehört«, sagte sie lächelnd. »Die Fernsehleute haben Zelte gehabt. Der Kollege an der Rezeption hat sie gesehen, bevor die Reporter bei uns eingezogen sind. Es 39 �
sind dunkelgraue Zelte mit weißer Aufschrift: TV-Nachrichten-Dienst.« »Okay, vielen Dank«, meinte Peter. »Vor allem vielen Dank, daß Sie mir nicht auf den Arm getippt haben.« Der verständnislose Blick der Kellnerin entschädigte ihn für die erlittenen Schlappen. Als er im Museum auch noch mit Harvey zusammentraf, der Mrs. Swan sicher zu Hause bei den Eltern abgeliefert hatte, hob sich seine Laune. »Ich nehme den Wagen und sehe mir die Umgebung an«, entschied Peter. »Ich begleite dich«, bot Maud an. Doch Peter lehnte ab. »Draußen ist es noch hell«, beruhigte er Maud. »Ich komme schon allein zurecht. Harvey muß sich ausruhen, und einer von uns muß das Museum bewachen.« »Die Brutzelle des Ungeheuers ist bereits gestohlen worden«, wandte Maud ein. Sie wollte gern bei Peter sein. »Was soll ich hier noch bewachen?« »Mr. Swan zum Beispiel«, antwortete Peter. »Wo ist er überhaupt?« »Er hat mit seiner Frau in Edinburgh telefoniert und sich dann hingelegt«, erwiderte sie. »Pass auf dich auf, Peter.« Er lächelte ihr aufmunternd zu, übernahm von Harvey die Autoschlüssel und machte sich auf den Weg zu der Kathedrale. Nicht von ungefähr hatten ihm seine Gegner
gerade dort aufgelauert. Die Fahrt brachte nichts ein. In der Ruine hatte sich nichts verändert. Auf dem ehemaligen Friedhof blieb alles ruhig. Auf der Rückfahrt schlug Peter einen anderen Weg ein. Er nahm eine schmale Nebenstraße, die ihn über einen Höhenrücken führte. Von oben konnte er das Tal mit der Ruine überblicken. Beinahe wäre er an den Zelten vorbeigefahren. Durch ihre dunkelgraue Farbe hoben sie sich kaum von der Umgebung ab. Nur die leuchtend weiße Schrift machte ihn aufmerksam. Als er aus dem Wagen stieg, war seine Ankunft schon bemerkt worden. Aus einem der drei Zelte kam ein Mann. Er trug einen Jeansanzug, der sich unter der linken Achsel ausbeulte. Die untere Hälfte seines Gesichts wurde durch einen dichten blonden Vollbart, die obere durch eine Sonnenbrille verdeckt. Dabei war der Himmel bewölkt, und die Abenddämmerung hing bereits zwischen den Hügeln. »Was wollen Sie?« fragte der Mann schroff. Peter blieb ein paar Schritte vor ihm stehen. »Gehören Sie zu dem Reporterteam?« erkundigte er sich. »Das geht Sie nichts an«, antwortete der Blonde unfreundlich. »Ich kenne Marsha Glendis«, fuhr Peter fort und hoffte, auf diese 40 �
Weise etwas zu erfahren. Er erntete jedoch nur ein Achselzucken. »Interessieren Sie sich für die Ruine?« Der Blonde öffnete seine Jeansjacke an der Brust so weit, daß Peter das Halfter und den Pistolengriff sah. »Sonst noch Fragen?« erkundigte sich der Unbekannte. Peter nickte. »Schießen Sie mir in den Rücken, wenn ich zu meinem Wagen gehe?« »Probieren Sie es doch aus«, schlug der Blonde vor und grinste breit. Peter zeigte ihm nicht, wie wütend ihn dieser neuerliche Misserfolg machte. Er ging zu seinem Wagen und fühlte ein unangenehmes Kribbeln zwischen den Schulterblättern. Der andere schoß nicht, und Peter machte sich erleichtert auf den Rückweg. Sein Misstrauen gegen Marsha Glendis und ihre Begleiter war jedoch neu erwacht. Es wurde schnell dunkel. Als er den Hauptplatz erreichte, brannte schon die Straßenbeleuchtung. Der Wagen der Fernsehleute stand nicht mehr an seinem Platz. Peter wollte soeben das Museum betreten, als hinter den Fenstern ein grellroter Blitz aufleuchtete. Blutroter Qualm erfüllte blitzartig die Räume. Vergeblich wartete Peter auf die Druckwelle einer Explosion. Ein lautloses Feuer wütete in dem
Museum. Mit einem Satz war Peter an der Haustür und stieß sie auf. Maud taumelte ihm entgegen. Als sie ihn sah, verdrehte sie die Augen und brach zusammen. * An Händen und Füßen gefesselt und geknebelt lag Myrna Swan in dem Kellerraum. Sie war der Verzweiflung nahe. Ihr eigenes Kind hatte sie angegriffen! Ihre eigenen Eltern! Bisher hatte sie Georges Berichte über Schwarze Magie nur halb geglaubt. Auch die Leute vom Orden hatten in ihren Augen übertrieben. Ihrer Meinung nach waren Schwarzmagier eine Handvoll seltsamer Leute, die geheime Kulte betrieben und sich dabei einbildeten, dem Bösen zu dienen. Weil alles gar so unverständlich war, hatte Myrna sogar geglaubt, ihr schreckliches Erlebnis mit der Brutzelle wäre nur ein Trick gewesen. Sie hatte einfach nicht glauben wollen, daß es so fürchterliche Dinge gab. Aber nun war sie restlos überzeugt, und dieses Wissen traf sie härter als ihre aussichtslose Lage. Oben im Haus erklangen laute Stimmen. »Wir müssen einen Spaziergang machen!« rief ihre Mutter. »Ich halte es im Haus nicht mehr aus.« 41 �
»Draußen im Freien sind Sie viel gefährdeter«, redete ihr einer der Wächter des Ordens zu. »Uns wird schon nichts passieren«, behauptete Myrnas Vater. »Sie werden uns begleiten.« »In der Zwischenzeit könnte jemand in Ihr Haus eindringen«, mahnte der Wächter. »Machen Sie nicht so ein Theater!« fuhr ihn Myrnas Vater an. »Wenn wir zurückkommen, durchsuchen wir gemeinsam das Haus. So groß ist es nicht, daß sich jemand verstecken kann.« Offenbar gaben die Ordenswächter nach, weil der Streit zu Ende war. Myrna schöpfte Hoffnung. Die Weissmagier mussten sie vermissen und sich nach ihr erkundigen. »So, Myrna, kümmere du dich um Bobby« sagte ihre Mutter. »Gehen wir!« Und dann meinte Myrna, den Verstand zu verlieren. »Ja, Mama, ich komme schon«, hörte sie sich selbst im Wohnzimmer sagen. »Los, Bobby, warum trödelst du so lange herum?« »Ich bin doch schon fertig«, antwortete Bobby. Die Haustür fiel zu. Tiefe Stille umgab Myrna. Allmählich durchschaute sie den Trick. Die Schwarzmagier hatten sie durch eine Kopie ersetzt. Die Wächter merkten nichts. In ihren Augen
nahm Myrna an dem Spaziergang teil. Ihre Mutlosigkeit wandelte sich in helles Entsetzen, als sich die Tür ihres Verlieses öffnete. Die Deckenlampe flammte auf. Drei Männer, die sie noch nie gesehen hatte, kamen herein. Sie sahen einander verblüffend ähnlich, hatten alle die gleiche niedrige Stirn und zu lange Arme. Ihre Gesichter waren stumpf, ihre Augen unbeteiligt. Sie bückten sich und zogen die Wehrlose vom Boden hoch. Erst oben im Wohnzimmer entfernten sie die Fesseln und den Knebel. »Wenn Sie schreien oder jemandem ein Zeichen geben, sterben Ihre Verwandten«, sagte einer der Männer kalt. Seine leblose Stimme jagte Myrna einen Schauer über den Rücken. Die Drohung wirkte auf sie gefährlicher, als wenn der Mann sie angeschrieen hätte. Sie fühlte, daß diese drei Verbrecher nicht zögern würden, einen Mord zu begehen. Sie führten Myrna rasch zu einem in der Parallelstraße wartenden Lieferwagen. Sie mußte auf die Ladefläche steigen. Als sich die Türen schlossen, konnte sie nicht mehr nach draußen sehen. Nach einer Weile erreichten sie die Fernstraße. Myrna merkte es an der höheren Geschwindigkeit. Sie lehnte an der Bordwand und versuchte, die Nerven zu behalten. 42 �
Es ging nicht nur um ihr Leben, sondern auch um das ihres Sohnes und ihrer Eltern. Im Laderaum brannte eine Lampe. Den Mann oder die Männer im Führerhaus konnte Myrna nicht sehen, dafür aber ihre drei Wächter. Wie Statuen kauerten sie auf dem Boden und kümmerten sich scheinbar nicht um ihr Opfer. »Wohin… wohin bringt ihr mich?« fragte Myrna leise. Keiner der drei sah sie auch nur an. »Was habt ihr mit meinen Eltern und meinem Kind gemacht?« fragte sie lauter. »Wieso sind sie auf mich losgegangen?« Noch immer rührte sich keiner ihrer Bewacher. »Was ist mit meinem Jungen passiert?« schrie Myrna. Sie warf sich auf den neben ihr sitzenden Mann, doch er packte sie blitzschnell und drückte sie auf ihren Platz zurück. »Noch ein Wort, und es ist aus«, sagte er so leise, daß sie ihn kaum verstand. Die Drohung nahm ihr jedoch den letzten Mut. Weinend sank sie in sich zusammen. Als der Wagen nach einer langen Fahrt über kurvenreiche Straßen endlich hielt, hob Myrna Swan langsam den Kopf. Bevor sie richtig zu sich kam, war auch schon alles vorbei. Die drei Männer packten sie, zerrten sie ins
Freie und durch einen Mauerbogen. Nur für Sekunden sah Myrna alte Steinmauern und den Nachthimmel. Dann stolperte sie durch Dunkelheit, ohne die Hand vor Augen zu erkennen. Die Wächter führten sie und stützten sie, wenn sie strauchelte. Das Licht einer Fackel war für Myrna nach der langen Dunkelheit viel zu grell. Sie zwang sich trotzdem, die Augen offen zu halten. Der Anblick erfüllte sie mit unbeschreiblichem Grauen. Nur unterbewußt nahm sie das Gewölbe wahr, in das die drei Männer sie geführt hatten. Sie sah vor sich fünf Steintische. Dahinter ragte eine steinerne Säule auf. Den runden Gegenstand auf der Säulenspitze kannte sie. Es war das falsche Flugechsenei aus dem Museum. Zwei Tische waren leer. Auf den anderen lagen ihre Eltern und Bobby. Keiner der drei bewegte sich. Ihre Arme waren vor der Brust gekreuzt, ihre Haut wächsern bleich. Myrna öffnete den Mund zu einem Entsetzensschrei, als ihr schwarz vor Augen wurde. Sie fühlte kaum noch die Hände, die sie packten und auf einen Steintisch hoben. Einmal kam sie für Momente voll zu sich. Ihr Blick saugte sich an der Brutzelle der Bestie fest. Eine lautlose Stimme wisperte in ihren Gedanken, aber Myrna Swan 43 �
verstand sie nicht. Dann fiel sie endgültig in todesähnliche Starre. * Peter streckte geistesgegenwärtig die Arme aus und fing Maud auf. Haltlos fiel sie ihm entgegen. Der Ruck ließ ihn aufschreien. Seine vom Kampf mit dem Skelett lädierten Arme schmerzten, als würden sie ihm aus den Schultergelenken gerissen. Behutsam ließ er Maud zu Boden gleiten. Sie war bewusstlos, und Peter bemerkte den Süßlich-Stehenden Geruch in der Luft. Von der schwarzmagischen Explosion im Museum konnte er nicht stammen. »Sir!« schrie Butler Harvey aus dem ersten Stock zu ihm herunter. Mehr hörte Peter nicht, weil er sich mit einem Sprung ins Freie rettete. Er riß sein Taschentuch hervor und preßte es gegen die Nase, holte tief Luft und rannte los. Mit weiten Sätzen jagte er die Treppe hinauf. Butler Harvey kam ihm entgegen, hatte jedoch keine Kraft mehr. Er stützte sich auf das Treppengeländer. Die Beine knickten unter ihm weg. Zum zweiten Mal jagte stechender Schmerz durch Peters Arme und Schultern, als er Harvey stützte und nach unten schleppte.
Er konnte die Luft nicht so lange anhalten. Das Betäubungsgas ließ ihn husten und würgen, aber er schaffte es ins Freie. Keuchend sog er die unverdorbene Luft in seine Lungen. Hinter Peters Stirn hämmerte eine Batterie Pressluftbohrer. Das Gas zeigte auch bei ihm Wirkung. »Harvey, wo ist Mr. Swan?« rief Peter und beugte sich über seinen Butler. Maud rührte sich noch immer nicht. »Harvey, hören Sie mich?« Peter rüttelte den benommenen Butler, bis dieser die Augen aufschlug. »Weggegangen«, murmelte Harvey. »Nicht ins Museum… hier bleiben und…!« Er brach ab und rang nach Luft. »Haben Sie jemanden gesehen, Harvey?« drängte Peter. Er mußte wissen, was geschehen war. Ohne Gasmaske kam er nicht in das Museum hinein. Mit übermenschlicher Anstrengung zwang sich Harvey zum Sprechen. »Unbekannte haben einen schwarzmagischen Sprengsatz im Museum gezündet. Wir waren abgelenkt. Gegen uns haben sie Gas eingesetzt und die Vitrine gestohlen.« »Die Vitrine, in der das Flugechsenei gelegen hat?« fragte Peter überrascht. Harvey nickte. »Die Wirkung des Gases läßt langsam nach, Sir. Es geht 44 �
schon wieder. Maud hat es schlimmer erwischt. Direkt neben ihr ist eine Gasgranate geplatzt.« »Wieso kommt uns niemand zu Hilfe?« fragte Peter, während er sich um Maud bemühte. »Wir haben das Fenster zum Hauptplatz verschlossen und die Vorhänge zugezogen.« Harvey stand aus eigener Kraft auf. »Der Lichtschein dringt nicht ins Freie, und der ganze Überfall lief lautlos ab.« Maud schlug die Augen auf. »O Gott, ist mir schlecht«, murmelte sie. Harvey ging ins Haus und öffnete alle Fenster, damit das Gas abzog. Peter wollte Maud zu einem Arzt bringen, doch sie protestierte. »Das bisschen Gas haut mich nicht um«, murmelte sie. »Gib nicht so an«, sagte Peter erleichtert. »Es hat dich schon umgehauen.« Er wollte sie ins Haus tragen, verzichtete jedoch, als er die Schmerzen spürte. Maud klammerte sich an ihm fest, und er stützte sie, so gut er konnte. Auch so kamen sie in den ersten Stock, wo Maud sich sofort in ihrem Zimmer hinlegte. Butler Harvey übernahm die Wache, so weit überhaupt noch etwas zu bewachen war. Jetzt ging es eigentlich nur noch darum, weitere Überfälle auf sie selbst zu verhindern. Zehn Minuten später kam George
Swan nach Hause. Peter informierte ihn kurz. »Ich habe nur einen Rundgang durch die Stadt gemacht«, erklärte der Wächter. »Und dann habe ich mich eine Weile mit den Leuten von diesem Fernsehteam unterhalten. Ich habe ihnen aber nichts verraten.« Peter beschrieb Marsha Glendis und ihre beiden Begleiter. »Genau die waren es«, versicherte George Swan. »Hätte ich nicht mit ihnen sprechen sollen? Sie wollten mich schon interviewen, als ich Myrna aus dem Krankenhaus nach Hause brachte.« »Sie sollten gar nicht aus dem Haus gehen«, erklärte Peter. »Sie sehen ja, was geschehen ist. Haben Sie mit der Vitrine eigentlich mehr gemacht, als die Silberplatte daran zu befestigen? Ich meine, haben Sie die ganze Vitrine mit einem Bann belegt oder sonst wie präpariert?« George Swan winkte ab. Als Peter nicht locker ließ, fiel ihm etwas ein. »Das liegt nun schon zwanzig Jahre zurück«, entschuldigte sich der Wächter. »Kein Wunder, daß ich nicht gleich daran gedacht habe. Damals habe ich einige Steine von der Stelle mitgenommen, an der ich die Brutzelle gefunden habe. Eigentlich habe ich mir gar nichts dabei gedacht. Es sollte in der Vitrine echt aussehen, verstehen Sie?« »Und ob ich verstehe«, sagte Peter nachdenklich. »Rufen Sie doch Ihre 45 �
Frau an und erkundigen Sie sich, ob alles in Ordnung ist.« Er ging zu Maud und Harvey, während der Wächter telefonierte. »Jetzt wissen wir, warum sie offenbar die Vitrine brauchen«, sagte Maud erschöpft. »Deine Theorie stimmt, Peter. Die Brutzelle läßt sich nicht so einfach wegschaffen.« »Die Schwarzmagier haben mit ihrem Meister Probleme«, bestätigte Butler Harvey. »Deshalb haben sie die Vitrine mitsamt den Steinen geholt. Die Bestie braucht ihre gewohnte Umgebung.« George Swan kam noch einmal zu ihnen und meldete, daß es seinen Verwandten gut ging. Er hatte mit seiner Frau und seinem Sohn am Telefon gesprochen. »Ich gehe schlafen«, meinte George Swan. »Wenn Sie mich brauchen, rufen Sie mich. Seit das mit meiner Schwägerin passiert ist, habe ich einen sehr leichten Schlaf.« »Schon gut, ruhen Sie sich aus«, entschied Peter. Er wußte nicht, wie weit er dem Wächter vertrauen konnte. Deshalb teilte er die Nachtwache lieber unter sich und seinen Begleitern auf. Peter übernahm die erste Wache, weil er sich von allen am besten fühlte. Er wollte gerade Butler Harvey wecken, als es Mitternacht schlug. Peter beugte sich über seinen schlafenden Butler.
Harvey bewies wieder einmal seine ausgezeichneten Reflexe. Er schlug die Augen auf und hielt im nächsten Moment seine Pistole in der Hand. Als er Peter erkannte, entspannte er sich. »Ich übernehme, Sir«, sagte Harvey und setzte sich auf. Sie sahen beide nicht, woher die dichten Nebelschwaden kamen, die blitzartig durch alle Ritzen zogen und das Zimmer füllten. Bevor Peter oder Butler Harvey etwas unternehmen konnten, hörten sie aus dem Nebenzimmer Mauds Warnschrei. Er kam ebenfalls zu spät. Peter konnte sich gerade noch an Harveys Bett abstützen, um seinen Sturz zu mildern. Dann verlor er auch schon das Bewußtsein. * Ahnungslos schlug Peter Winslow die Augen auf. Weil er in helles Sonnenlicht blinzelte, glaubte er nichts anderes, als die Nacht durchgeschlafen zu haben. Erst als er um sich blickte, bemerkte er den Irrtum. Er lag quer auf einem fremden Bett, neben ihm Butler Harvey. Der Butler versuchte soeben, sich umzudrehen. Dabei stieß er gegen Peter und wachte auf. Es dauerte noch ein paar Sekunden, bis Peter sich an den geheimnisvollen Nebel erinnerte. 46 �
»Wir sind betäubt worden, Harvey!« rief er seinem Butler zu. »Wo ist Maud?« Erschrocken sprang Peter auf. Er war nicht benommen und fühlte überhaupt keine Nachwirkungen. Beim zweiten Mal waren die Schwarzmagier wesentlich schonender vorgegangen. Sie hatten kein Betäubungsgas eingesetzt, sondern ein unbekanntes Mittel. Während er ins Nebenzimmer hetzte, stellte Peter sich die möglichen Folgen des neuerlichen Anschlags vor. Er und seine Begleiter waren völlig hilflos gewesen. Die Schwarzmagier hätten sie alle umbringen oder entführen können. Da er und Harvey noch da waren, hatten sie es bestimmt auf Maud abgesehen gehabt. Doch auch Maud lag in ihrem Bett. Als Peter in das Zimmer stürmte, fuhr sie hoch. »Was willst du?« rief sie schläfrig, aber keineswegs benommen. Peter brauchte nichts zu erklären. Maud erinnerte sich von allein. »Zieh dich an, ich sehe nach Mr. Swan.« Peter kam nicht ganz bis zu dem Zimmer des Wächters. Swan trat ihm schon entgegen. Es stellte sich schnell heraus, daß der Wächter überhaupt nichts von dem Anschlag mitbekommen hatte. Gemeinsam mit Peter unternahm er einen Kontrollgang. »Harvey! Maud!« schrie Peter,
kaum daß er den Hauptraum des Museums betrat. Sekunden später stürmten die beiden herein und blieben wie angewurzelt stehen. Die Vitrine befand sich wieder an ihrem ursprünglichen Platz. Die Glasseheiben waren bei dem Raub der Brutzelle zerschlagen worden. Noch jetzt hingen einzelne lange Splitter im Rahmen. Doch das war nicht das Wichtigste. »Die Brutzelle der Bestie«, flüsterte Maud und ging vorsichtig näher an das Ei heran. »Sogar die Steine des Untergrunds sind wieder da«, flüsterte George Swan. »Ich erkenne sie genau.« Peter wandte sich an seinen Butler, der jedoch nur die Schultern zuckte. Auch Harvey hatte keine Erklärung. »Eines steht fest«, sagte Peter. »Die Schwarzmagier selbst haben uns dieses Kuckucksei zurückgebracht.« »Vielleicht ist das Wesen in der Brutzelle tot«, meinte Maud. »Es wäre für die Gegenseite wertlos geworden.« »Warum sollten sie das Ei dann noch zurückbringen?« fragte Peter kopfschüttelnd. »Sie hätten es irgendwo liegenlassen.« Harvey lief in den Wohntrakt und kam bald zurück. Peter Winslow kannte das Instrument, das sein Butler in der Hand hielt. Es war ein einfacher silberner Stab, der auf alles Magische 47 �
ansprach. Wie mit einer Sonde untersuchte Harvey die Vitrine, das Gestein und das Ei. »Schwarzmagisch«, stellte er knapp fest. »Die Bestie lebt.« »Jetzt sind wir genau so schlau wie vorher«, sagte Maud. »Wir müssen die Bestie isolieren.« »Was nicht ganz einfach sein wird«, behauptete Peter. »Unsere Gegner haben mit uns bisher so ziemlich gemacht, was sie wollten. Wir brauchen Verstärkung, sonst stehlen sie die Brutzelle, wann immer sie wollen.« »Warum sollten sie das tun, Sir?« warf Harvey ein. »Warum haben sie das Ding überhaupt wiedergebracht?« hielt Peter ihm vor. »Ich will kein Risiko eingehen.« Klingeln an der Eingangstür des Museums unterbrach ihn. Zusammen mit dem Wächter sah er nach, wer so zeitig am Morgen ins Haus wollte. Peter atmete erleichtert auf, als er die beiden Personen erkannte. »Da ist ja schon unsere Verstärkung«, sagte er lächelnd und ließ sie eintreten. Er wandte sich an George Swan. »Wollen Sie unserem Orden beitreten, Mr. Swan?« Der Wächter schüttelte heftig den Kopf. »Ich muß an meine Familie denken«, sagte er hastig. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich
von diesem Alptraum befreien, aber danach will ich nur noch als ganz gewöhnlicher Privatmann leben. Hoffentlich nehmen Sie mir das nicht übel.« »Keineswegs«, versicherte Peter. »Dann kann ich Ihnen aber nicht verraten, wer die beiden hier sind. Es muß Ihnen genügen, daß die zwei zum Orden gehören.« »Ich habe verstanden«, murmelte George Swan. »Rufen Sie mich, wenn Sie mich brauchen.« Auch Maud und Harvey waren erleichtert, als sie die neuen Helfer erkannten. Ihnen brauchte Peter Mr. Baker und Miss Jones nicht vorzustellen. Sie wussten auch, daß Mr. Baker, der Satansspürer, der Spur des Bösen folgen konnte. Sie waren über Miss Jones Gabe informiert, in Vergangenheit und Zukunft zu blicken. Dieser Fähigkeit wegen nannte man sie die Frau mit den vier Augen, da sie zu ihren beiden normalen Augen eines für Vergangenheit und eines für Zukunft besaß. Ohne lange Vorrede erklärte der Großmeister seinen neuen Helfern, worum es ging. »Ihre Dienste, Mr. Baker, brauche ich im Moment nicht«, sagte er zu dem Satansspürer. »Es sei denn, Sie können feststellen, wohin die Brutzelle von hier aus gebracht wurde und auf welchem Weg sie zu uns 48 �
zurückkam.« »Ich werde es versuchen«, versprach Mr. Baker, ein etwa vierzigjähriger Mann mit einem dünnen Haarkranz und dichtem schwarzem Vollbart. »Ich habe aber schon bei der Ankunft gefühlt, daß Stockton von unzähligen Spuren des Bösen durchzogen ist.« »Das kann ich mir lebhaft vorstellen.« Peter wandte sich an die grauhaarige, verhärmt wirkende Miss Jones. Man sah ihr die visionären Gaben nicht an. Dennoch waren ihre Augen bemerkenswert. Sie hatten nicht nur ständig einen starren Ausdruck, sondern waren auch von einer absolut unbeschreiblichen Farbe, die sie auch ständig wechselten. »Miss Jones, versuchen Sie, in der Vergangenheit der Brutzelle nachzuforschen. Ich muß erfahren, warum die Schwarzmagier uns dieses gefährliche Ding zurückgebracht haben. Anschließend versuchen Sie es mit der Zukunft. Mir wäre wohler, wenn ich wüsste, wie sich das Ei entwickeln wird.« »Ich begleite Mr. Baker«, bot Harvey an. »Und ich bleibe bei Miss Jones«, ergänzte Maud. Damit waren die Rollen verteilt. Peter wünschte dem Satansspürer viel Glück und blieb im Museum. Er versprach sich diesmal von der Frau mit den vier Augen mehr. Zum ersten Mal beobachtete Peter
seine wertvolle Helferin genauer bei der Arbeit. Selbst er kam aus dem Staunen nicht heraus. Sie setzte sich und richtete ihren Blick auf die Brutzelle der Bestie. Schon nach wenigen Sekunden entspannte sich ihr Gesicht, als sie sich selbst in Trance versetzte. Plötzlich veränderte sich ihr linkes Auge. Es verlor seine Starre, schien von innen heraus zu leuchten und schillerte in allen Regenbogenfarben. Der Eindruck war so gewaltig, daß Peter Mühe hatte, nicht selbst in Trance zu verfallen. »Lebensgefahr«, murmelte Miss Jones. Die Frau mit den vier Augen sprach langsam und abgehackt, als müsse sie einen undeutlich geschriebenen Text vorlesen. »Höchste Gefahr für die Brutzelle… die Bestie stirbt… Rettung… schnelle Rettung… Urbehälter und Steine… jede Minute zählt!« rief sie heftig und schreckte hoch. »Habe ich schon etwas gesagt?« murmelte sie verstört. »Ich bekomme es selbst nie mit.« Peter nickte. »Ich erzähle es Ihnen hinterher, um Sie nicht zu beeinflussen. Können Sie noch einen Blick in die Vergangenheit tun?« Ihre beiden Augen sahen wieder gleich aus, starr und von undefinierbarer Farbe. Miss Jones schüttelte den Kopf. »Der Kontakt zur Vergangenheit ist gerissen. Ich muß es mit der Zukunft versuchen.« 49 �
Peter wunderte sich nicht mehr, als sie sich in Trance versetzte und ihr rechtes Auge zu schillern und zu leuchten begann. »Fesseln… fesseln… fesseln…«, flüsterte Miss Jones. »Die Stunde des Meisters wird kommen. Die Schwarzmagier haben Angst vor der Bestie. Keiner weiß, was aus ihr wird, wie sie aussieht, welche Kräfte sie besitzt. Die Kraft der Bestie soll die Leute von Sagon Manor treffen und die Spitze des Ordens auslöschen.« Damit war der Blick in die Zukunft beendet. Die Frau mit den vier Augen sah Peter forschend an. Er nickte und gab wieder, was sie ihm offenbart hatte. »Obwohl mich eines stört«, fügte der Großmeister hinzu. »Die Vergangenheit haben Sie stockend und stammelnd erzählt. Die Zukunft ist Ihnen flüssig über die Lippen gegangen, als ob es Ihnen jemand vorgesagt hätte.« »Ich war unbeeinflußt«, versicherte Miss Jones. »Der Blick in die war allerdings Vergangenheit äußerst anstrengend.« »Die Gegenseite kocht eine trübe Suppe«, murmelte Peter. »Wir sollten erfahren, daß die Bestie nach dem Raub fast gestorben wäre. Man hat das Ei zurückgebracht, damit das Ungeheuer in seiner gewohnten Umgebung wachsen und schlüpfen kann. Wir sollen von dem Ungeheuer vernichtet werden, vor dem
sogar seine eigenen Helfer Angst haben. Was wollen die Schwarzmagier eigentlich? Rechnen sie nicht mit der Möglichkeit, daß wir den Meister ausschalten?« Maud mischte sich ein. Bisher hatte sie sich ganz im Hintergrund gehalten. »Wir haben noch nicht versucht, dieses Ei zu zerstören«, gab sie zu bedenken. »Sobald Harvey zurückkommt, sollten wir beginnen. Schließlich wissen wir nicht, wann das Ungeheuer schlüpfen wird.« Wie auf Stichwort kamen Butler Harvey und Mr. Baker zurück. Der Satansspürer konnte nur einen Misserfolg melden, wie Peter sofort an seinem Gesicht merkte. »Stecken Sie einen Jagdhund in ein Gehege, in dem vorher hundert Hasen herumgelaufen sind«, sagte der Satansspürer wütend. »Und dann sagen Sie dem Hund, daß er die Spur des dritten Hasen von links finden soll.« Peter lächelte flüchtig über den grimmigen Scherz. »Es ist nicht Ihre Schuld«, tröstete er Mr. Baker. »Okay, beginnen wir! Irgendwie wird sich auch dieses Ei in die Pfanne hauen lassen.« »Wobei ich allerdings davon kein Spiegelei haben möchte«, gab Butler Harvey von sich. Peter wandte sich grinsend an seinen Butler. »Sie haben ja sogar Humor, Harvey.« 50 �
»Galgenhumor, Sir, reinster Galgenhumor«, versicherte der Butler. »Ich habe meine Waffen bereits zusammengesucht. Alle sollten sicherheitshalber den Raum verlassen. Übernehmen Sie die Außendeckung. Die Schwarzmagier werden vermutlich angreifen, wenn es für ihren Meister gefährlich wird. Übrigens genügt es, wenn ich mich der Gefahr von Rückschlagenergien aussetze. Wir wissen nicht, ob der Meister sich gegen uns wehren kann.« Peter, Maud, Mr. Baker und Miss Jones bewaffneten sich aus Butler Harveys Vorräten. Mit schussbereiten Revolvern und Pistolen sicherten sie den Museumssaal ab. Harvey ging sorgfältig vor. Zuerst untersuchte er die Brutzelle, um festzustellen, ob die Bestie überhaupt noch lebte. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, brachte er die erste Waffe in die Vitrine. Er zündete eine Granate, die keine Sprengwirkung besaß, sondern ausschließlich konzentrierte weißmagische Energien abgab. Mit solchen Granaten konnte er unzählige Zombies gleichzeitig ausschalten. In atemloser Spannung warteten die Ordensmitglieder auf die Wirkung. Sie dachten in diesem Moment alle das gleiche. Wenn sogar Schwarzmagier den Meister fürchteten, waren gegen diese Bestie die Drachen aus alten Sagen die reinsten
Schoßhündchen. Und dann ging die erste Granate in der Vitrine hoch… * Die Angst um seine Familie brachte George Swan fast um den Verstand. Er machte sich die heftigsten Vorwürfe. Hätte er sich damals bloß nicht um das Ei der Bestie gekümmert! Andererseits hätte es dann den falschen Leuten in die Hände fallen können. Also war es richtig gewesen, die Brutzelle in das Museum zu bringen. Doch warum hatte er geheiratet und dadurch Frau und Kind in höchste Gefahr gebracht? Warum hatte er sich nicht schon viel früher an den Orden der Weissmagier gewandt, obwohl er davon gehört hatte? Die Ordensmitglieder hätten ihm dieses Problem abgenommen, Myrna und Bobby hätten nichts davon erfahren, und Muriel könnte jetzt noch leben. Mittlerweile wußte George, warum sie hatte sterben müssen. Es war nur darum gegangen, Reporter anzulocken und über Fernsehen eine Nachricht an alle Schwarzmagier des Landes zu schicken. Was für eine grauenvolle, makabre Vorstellung! Muriels Tod war bloß ein Signal gewesen. Die Selbstvorwürfe wurden so stark, daß George Swan es nicht mehr in seinem Haus aushielt. Er 51 �
rief kurz bei seiner Frau an und überzeugte sich, daß es der Familie gut ging. Dann verließ er das Museum. Um Peter Winslow und seine Helfer kümmerte er sich nicht. Der Großmeister wollte ihn nicht ins Vertrauen ziehen, und George war dafür sogar dankbar. Je weniger er wußte, desto geringer waren die Belastungen. Bekannte, die früher stehen geblieben waren und sich mit ihm unterhalten hatten, wichen heute auf die andere Straßenseite aus. Nicht einmal Geschäftsleute, bei denen er seit zwanzig Jahren einkaufte, grüßten ihn. Sie benahmen sich, als habe er selbst seine Schwägerin umgebracht. George beschloss, nach der Klärung dieses Falles von Stockton wegzuziehen. Vielleicht fanden er und seine Familie in der Großstadt Edinburgh Frieden. Er achtete nicht darauf, wohin er ging. Erst als die Häuser hinter ihm lagen, blieb er stehen. So ganz allein vor der Stadt war es ihm unheimlich. Er wollte umkehren, doch als er sich umdrehte, sah er die Stadt nicht. Eine undurchdringliche Nebelwand wuchs aus dem Boden. George wollte ausweichen, aber der Nebel umhüllte ihn. Schon beim ersten Atemzug wurde es schwarz um ihn herum. Er
hörte einen Automotor. Danach sank er ins Nichts. Es kam George so vor, als wäre er nur wenige Sekunden ohnmächtig gewesen. Er lag jedoch nicht mehr auf der Straße, sondern auf dem Steinboden eines Gewölbes. Vor ihm ragten fünf Steintische empor. Undeutlich erkannte er, daß auf vier Tischen jemand lag. Hinter den Podesten stand eine Steinsäule, die jedoch leer war. Mühsam raffte sich George auf und stieß einen heiseren Schrei aus. Die Augen traten ihm aus den Höhlen, als er seinen Jungen, seine Frau und seine Schwiegereltern auf den Tischen erkannte. Schreiend wollte er sich auf seinen reglosen Sohn werfen und prallte gegen eine unsichtbare Wand. Weinend tobte George Swan gegen die Barriere an, trommelte mit den Fäusten dagegen und schlug mit den Füßen ins Leere. Seine Angehörigen hielten die Augen geschlossen. Ihre Gesichter waren wächsern, als wären sie bereits tot. Bei keinem konnte er Atmung erkennen, obwohl er höchstens einen Meter von ihnen entfernt war. George brüllte und tobte so lange, bis er entkräftet zu Boden sank. Er war so schwach, daß er sich nicht einmal aufrichtete, als jemand neben ihn trat. »Sie sind das?« murmelte er ver52 �
zweifelt. »Warum quälen Sie mich so?« »Weil ich Ihre Hilfe brauche«, lautete die Antwort. »Ich will Ihnen keinen Schaden zufügen.« Schluchzend hob George Swan die zitternde Hand und deutete auf die Steintische. »Mein Junge«, flüsterte er erstickt. »Meine Frau! Ihre Eltern! Was haben Sie mit ihnen gemacht?« »Nichts«, kam die Antwort. »Es ist ihnen nichts passiert. Sie liegen nur in absoluter Starre. Sie wissen nicht einmal, was mit ihnen geschehen ist. Wenn ich sie wecke, werden sie sich an nichts erinnern.« George richtete sich auf die Knie auf und hob flehend die Hände. »Wecken Sie meine Familie auf und geben Sie uns frei!« bat er. Der ruhige, versöhnliche Ton seines Gesprächspartners ließ ihn hoffen. »Nehmen Sie mir die Erinnerung, damit ich Sie nicht verraten kann! Aber lassen Sie uns gehen!« Das Kopfnicken trieb seine Hoffnungen noch höher. »Das werde ich tun«, bestätigte die Person, die sich im Dunkel des Gewölbes hielt. »Doch zuvor erfüllen Sie einen Auftrag. Er ist ganz einfach. Merken Sie ihn sich wortgetreu!« George Swan sog die Anweisungen förmlich in sich auf. Zuletzt nickte er hastig. »Ich werde alles so machen«, schwor er. »Lassen Sie wenigstens
meinen Jungen jetzt gleich gehen.« Er griff nach der entgegengestreckten Hand und fühlte einen harten Gegenstand. Verwundert betrachtete er eine völlig blanke schwarze Kugel. »Als Erinnerung, daß Sie nicht geträumt haben«, sagte die Stimme aus der Dunkelheit, ohne auf seine Bitte um Bobbys Freilassung einzugehen. »Und mein Junge?« rief George, doch er bekam keine Antwort. Als er sich zu dem Steintisch umwandte, hüllte ihn erneut undurchdringlicher Nebel ein. Er sank langsam zu Boden, schlug die Augen auf und blinzelte in helles Sonnenlicht. Stöhnend richtete sich George Swan auf. Er lag ein Stück außerhalb von Stockton neben der Straße. Offenbar war er vorhin gestürzt und für kurze Zeit ohnmächtig geworden. Der verrückte Traum fiel ihm ein. Er schauderte bei der Vorstellung, seine Familie könnte in einem unterirdischen Gewölbe in Todesstarre auf Steintischen liegen. Und der vermeintliche Auftrag war mindestens genau so fürchterlich, kam er doch einem Mord gleich. George Swan schüttelte sich und versuchte aufzustehen. Etwas Hartes in seiner Hand störte ihn dabei. Er öffnete die verkrampfte Faust und stieß einen Schrei aus. Wie hypnotisiert starrte er auf die blank 53 �
polierte schwarze Steinkugel. Sie war der Beweis, daß er sich nichts einbildete. Er hatte alles erlebt. Bobby, Myrna und die Schwiegereltern waren Gefangene der Schwarzmagier! Und er mußte einen Menschen an die Bestie ausliefern, sonst starb seine Familie. Voll verzweifelter Wut wollte George die schwarze Kugel von sich schleudern, doch sie klebte an seinen Fingern. Keuchend und ächzend versuchte er, sie abzuziehen. Sie blieb an ihm haften. Erst als er sie in die Jackentasche schob, löste sie sich von seiner Haut. Während er in die Stadt zurückkehrte, spürte er durch den Jackenstoff hindurch ein pulsierendes, brennendes Ziehen. Die Schwarzmagier sorgten dafür, daß er keine Sekunde seinen Auftrag und die schreckliche Lage seiner Angehörigen vergaß. * Äußerlich war von der Explosion der Granate nur ein greller, weißer Lichtblitz zu sehen. Die Wirkung spielte sich auf der Ebene der Magie ab, in die Menschen keinen Einblick hatten. Als der Lichtblitz in sich zusammenfiel, war die Granate verschwunden. Das Ei der Bestie lag jedoch unversehrt in der Vitrine.
»Fehlschlag«, murmelte Miss Jones. »Das ist noch nicht gesagt«, antwortete Peter Winslow. »Harvey muß erst untersuchen, ob das Ungeheuer noch lebt. Vielleicht hat es die Explosion nicht überstanden.« Harvey benutzte den silbernen Fühler und schüttelte den Kopf. »Die Bestie lebt«, sagte er und griff ohne sichtliche Gemütsbewegung in seine Jackentasche. Das Tuch wirkte unscheinbar. Peter kannte diese Waffe gar nicht. Er war jedoch sicher, daß es sich nicht um einen gewöhnlichen weißen Stoff handelte. Harvey wickelte die Brutzelle darin ein, entzündete ein Streichholz und hielt es an eine Ecke der Umhüllung. Eine kleine blaue Flamme fraß sich in rätselhaften Schlingen und Kurven durch den Stoff und zeichnete ein Muster hinein. Nach einigen Minuten zerfiel das Tuch zu Staub. Die Linien, weißmagische Zeichen, hatten sich auf die Oberfläche der Zelle übertragen und strahlten in leuchtendem Blau. Gleich darauf schlugen dunkelrote Flammen aus dem Ei und löschten das Leuchten aus. Hinterher lag die Zelle unversehrt vor den enttäuschten Weissmagiern. Peter brauchte die Untersuchung durch den Butler gar nicht abzuwarten. Er wußte auch so, daß die Bestie 54 �
den zweiten Versuch ebenfalls überstanden hatte. Und so ging es weiter. Butler Harvey probierte alle Waffen und Beschwörungen aus, die er kannte. Nach zwei Stunden mußte er erschöpft eingestehen, daß er keinen Rat mehr wußte. »Die Bestie lebt«, sagte er entmutigt. Erschöpft wandte sich Peter Winslow an seine Helfer. In ihren ratlosen Gesichtern las er, daß auch sie keine Ahnung hatten, was zu tun war. »Schaffen wir die Brutzelle weg«, schlug Maud halbherzig vor. »Bringen wir sie an einen sicheren Ort, an dem Schwarzmagier nicht an sie herankommen und wo wir das Ungeheuer unter Kontrolle haben, falls es ausschlüpft.« »Wo ist dieser Ort?« fragte Peter. »Wie kontrolliert man das Ungeheuer?« Seufzend ging Maud zu der Vitrine und starrte voll Abscheu auf das so harmlos wirkende Objekt darin. »Man müßte es sichern«, murmelte sie. »Es darf keine Sekunde ohne Aufsicht bleiben.« Peter dachte an die praktischen Dinge, die sie als nächstes tun mussten. Harvey war von seinen zahlreichen Versuchen völlig erschöpft. »Legen Sie sich für ein paar Stunden aufs Ohr, Harvey«, riet Peter seinem Butler. »Ich kümmere mich um alles.«
Der Satansspürer und die Frau mit den vier Augen waren in eine heftige Diskussion verwickelt. Maud versprach, auf die Vitrine mit ihrem schauerlichen Inhalt zu achten. George Swan war von einem Spaziergang noch nicht zurückgekehrt. Peter fand Zeit, um seinen Vater anzurufen. Lord Hubbard Winslow war dreißig Jahre lang Großmeister des Ordens gewesen, bevor sein Amt auf seinen Sohn übergegangen war. Die Erfahrung des Lords war unschätzbar, obwohl Peter neue Wege einschlug. Peter erreichte seinen Vater zu Hause. Lord Hubbard hielt die Stellung auf Sagon Manor und nahm die zahlreichen Anfragen und Hilferufe entgegen, um sie an die entsprechenden Ordensmitglieder weiterzugeben. Er ließ sich von Peter den Fall in Stockton genau schildern. »Mauds Idee, das Ei an einen sicheren Ort zu bringen, ist gut«, meinte Lord Hubbard zuletzt. »Nur kenne ich leider einen solchen Ort auch nicht. Sagon Manor wäre gut, aber kein Gegenstand der Schwarzen Magie kann die Grenze passieren.« »Außerdem würde ich das Ei nicht in die Nähe von Mortland bringen«, sagte Peter. Das Herrenhaus Mortland, direkt neben Sagon Manor gelegen, war Sitz des Bösen. »Viel55 �
leicht wollen unsere Gegner nur, daß ich den Transport von Schottland nach Brighton übernehme, um mir das Ei am Ziel abzunehmen. Auf Mortland könnte das Ungeheuer leicht zum vollen Leben erweckt werden.« »Ich kann dir leider nicht helfen«, erwiderte Lord Hubbard. »Selbstverständlich werde ich sofort in unserer Bibliothek nachsehen, ob ich einen Hinweis auf dieses Dämonenei finde. Wenn ich eine Methode entdecke, wie du das Ei zerstören kannst, rufe ich sofort an.« Der Lord zögerte einen Moment. Peter merkte deutlich, daß sein Vater noch etwas sagen wollte. »Peter.« Lord Hubbard räusperte sich: »Hast du keine Hilfe von anderer Seite erhalten?« Peter verstand seinen Vater. Der Lord dachte an den Geist seiner ermordeten Frau. Obwohl ihr Tod schon zwanzig Jahre zurücklag, hatte ihn Lord Hubbard nicht verwunden. Deshalb konnte er nur schwer darüber sprechen. »Ich habe einmal eine undeutliche Warnung erhalten«, erwiderte Peter. Er schilderte den Anschlag bei der Ankunft in Stockton. »Seither herrscht absolute Stille. Ich empfange keine Botschaften.« »Stockton ist vermutlich von den Schwarzmagiern völlig abgeschirmt worden«, behauptete der Lord. »Deshalb kommen keine Stimmen
aus anderen Dimensionen zu dir durch.« Peter sah ein, daß er von seinem Vater im Moment keine Hilfe erwarten durfte. »Okay, Dad, vielen Dank«, sagte er abschließend. »Melde dich, sobald du etwas entdeckst. Sollte sich bei mir etwas tun, rufe ich dich an.« »Alles Gute, Peter«, wünschte ihm sein Vater. Das Verhältnis zwischen dem alten und dem jungen Großmeister war sehr unterschiedlich. Vater und Sohn verstanden einander an sich gut, doch manchmal war es auch zu Spannungen gekommen. Lord Hubbard hatte sich eine Zeitlang zu sehr in die Einsätze seines Sohnes eingemischt. Dafür hielt er sich in letzter Zeit zurück. Als der junge Großmeister in das zurückkehrte, sprach Museum George Swan eindringlich mit Maud. Sie entdeckte Peter und winkte ihn aufgeregt zu sich. »Mr. Swan ist in dieser Gegend aufgewachsen, Peter«, sagte sie aufgeregt. »Deshalb habe ich ihn gefragt, ob er einen sicheren Ort für das Dämonenei weiß.« »Leider kenne ich kein geeignetes Versteck«, antwortete George Swan bedauernd. »Ich habe aber einen anderen Vorschlag gemacht, wie man das Ei sichern könnte.« Maud übernahm die Erklärung. »Es darf der Gegenseite auf keinen 56 �
Fall mehr in die Hände fallen«, sagte sie entschlossen. »Deshalb werde ich mich mit einer Kette an das Ei fesseln.« Peter sah sie verblüfft an. »Was ist denn das für eine Schnapsidee?« fragte er gereizt. »Natürlich verwende ich keine normale Kette«, fügte Maud hinzu. »Harvey müßte eine weißmagisch gesicherte Silberkette herstellen. Auf diese Weise könnte die Brutzelle nicht unbemerkt verschwinden.« Peter warf dem Butler einen zweifelnden Blick zu. »Technisch läßt sich das machen, Sir«, erwiderte Harvey. »Ich habe den Laden eines Goldschmieds auf dem Hauptplatz gesehen. Gegen entsprechende Bezahlung würde der Mann sicherlich eine solche Kette in Rekordzeit herstellen.« »Und Sie könnten die Kette praktisch unzerreißbar machen?« fragte Peter. Harvey nickte. »Bei aller Bescheidenheit, Sir, meine Kenntnisse reichen dafür aus«, bestätigte er. »Und warum gerade du?« fragte Peter seine Freundin. »Warum sollte sich nicht ein anderer anketten?« »Weil du auf jeden Fall frei bleiben mußt«, erklärte Maud. »Harvey ist für die Waffen zuständig. Auch er muß beweglich sein. Also komme nur ich in Frage.« »Ich könnte auch…«, bot der Satansspürer an.
»Das ist kein Misstrauen gegen Sie, Mr. Baker«, fiel Maud ihm ins Wort. »Aber ich möchte es doch lieber selbst machen.« Sie war auf jeden Fall die wesentlich bessere Kämpferin. Mark Baker und seine Frau mit den vier Augen setzten für gewöhnlich nur ihre spezielle Begabung ein, waren aber kaum in direkte Kämpfe verwickelt. »Peter, warum sagst du nichts?« drängte Maud. »Ich finde Mr. Swans' Idee großartig.« »Kein schlechter Einfall«, lobte auch Butler Harvey, der sonst mit Anerkennung eher spärlich umging. »Nun gut, das könnte tatsächlich funktionieren«, stellte Peter fest. »Trotzdem gefällt mir die Idee nicht. Bei einem Angriff von Schwarzmagiern wärst du das erste Opfer, Maud.« »Dieses Risiko gehen wir doch immer ein«, hielt sie ihm entgegen. »Das ist kein gutes Argument.« Endlich war Peter überzeugt. »Na, schön, wenn du diese Unbequemlichkeit auf dich nehmen willst, soll es mir recht sein. Aber du kennst die Gefahr, Maud.« Sie lächelte ihm beruhigend zu, erreichte jedoch ihr Ziel nicht. Peter machte sich die größten Sorgen um sie. Er tröstete sich damit, daß Maud älter als er war und daher auch über mehr Erfahrung verfügte. Sie konnte abschätzen, worauf sie sich einließ. Butler Harvey! ging sofort zu dem 57 �
örtlichen Goldschmied, um bei ihm die Silberkette zu bestellen. Wieder einmal teilte Peter die Wachen im Museum ein. Im Hinausgehen fiel ihm auf, daß der Satansspürer überrascht zu Boden blickte, wo Swan gestanden hatte, den Kopf schüttelte und weiterging. Auf Peters Frage wich er aus. Da dem Großmeister so viel im Kopf herum schwirrte, dachte er bald nicht mehr an diese kleine Beobachtung. In nervöser Spannung vergingen die Stunden. Immer wieder warf Peter einen Blick aus den Fenstern zu den Hügelketten rings um Stockton. Je näher der Abend rückte, desto gereizter wurde er. Schließlich holte er die Autoschlüssel, um erneut die alte Kathedrale zu kontrollieren. Er wollte sich auch informieren, ob die Männer in den Zelten noch da waren und was sie oberhalb der Kathedrale taten. Als er auf den Hauptplatz hinaustrat, gellte ein schriller Schrei durch die kleinstädtische Stille. * Ungefähr zwei Dutzend Personen hielten sich auf dem Platz auf. Drüben vor dem Hotel standen Marsha Glendis und ihre beiden Begleiter. Sie wussten offenbar nicht, was geschehen war, weil auch sie sich
überrascht umsahen. Mehrere Passanten wichen vor einer Frau zurück, die schreiend die Arme ausbreitete, den Kopf in den Nacken warf und sich nicht beruhigte. Peter lief in weiten Sätzen über den Platz und trat als einziger an die Frau heran. Er sprach sie an, doch sie reagierte nicht und schrie weiter. Erst als er sie an den Händen fasste und ihren Kopf so drehte, daß sie ihn ansah, verstummte sie. »Was ist denn geschehen?« fragte er freundlich. »Worüber sind Sie so erschrocken?« Er hatte keine Ahnung, was er von der ungefähr dreißigjährigen Frau halten sollte. Sie gehörte der Kleidung nach zu den Einwohnern von Stockton, machte einen absolut durchschnittlichen Eindruck und benahm sich jetzt wieder ganz normal. »Was war denn?« fragte sie verwundert. »Warum starren mich die Leute so an?« Peter erklärte es ihr. »Ich weiß nicht, was mit mir los war«,; behauptete sie. »Vielen Dank, tut mir leid.« Verlegen hastete sie davon. Peter kam noch nicht dazu, seinen ursprünglichen Vorsatz auszuführen. Der Juwelier trat vor seinen Laden und winkte ihm zu. Butler Harvey eilte aus dem Museum quer über den Platz. Peter schloß sich ihm 58 �
an. Stolz zeigte der Goldschmied seine Arbeit, eine hauchdünne Silberkette. »Reicht das denn?« fragte Peter verwundert seinen Butler. »Diese Kette kann jedes Kind zerreißen.« »Es reicht«, versicherte der Butler, nickte Peter beruhigend zu und gab keine weiteren Erklärungen. Er wollte offenbar nicht vor dem Goldschmied sprechen. »Was hat die Verrückte denn erzählt?« wandte sich der Juwelier an Peter. »Verrückte?« wiederholte der Großmeister. »Meinen Sie die Frau, die geschrien hat? Zu mir hat sie gar nichts gesagt.« »Die Leute munkeln, daß sie nicht ganz richtig im Kopf ist«, behauptete der Goldschmied. »Solche Anfälle hat sie von Zeit zu Zeit, wenn sie am Museum vorbeigeht.« Peter und Butler Harvey horchten auf. »Sie schreit, wenn sie das Museum passiert?« Peter dachte an die schwarzmagische Ausstrahlung der Brutzelle. Die Frau hatte auf ihn den Eindruck gemacht, als wäre sie ganz vernünftig und nur zeitweise in Trance verfallen. »Sie kam auch schon einmal schreiend in die Stadt gelaufen«, erzählte der Goldschmied. »Hinterher hat sie ihre Handtasche vermisst. Ein paar Kinder haben die Tasche nach Tagen in der Alten Kathedrale
gefunden.« Das genügte Peter. Als er und Harvey den Laden verließen, sprach er seine Gedanken aus. »Diese Frau fühlt offenbar das Wirken des Bösen«, sagte er zu Harvey. »Das Museum und die Kathedrale sind Orte der Finsternis. Ich fahre jetzt übrigens zur Kathedrale.« »Sehen Sie, Sir«, murmelte Harvey und deutete zum Hotel. Marsha Glendis, Mark Henderson und Alex Blixwell stiegen in ihren Wagen. Peter spurtete los, um ihnen zu folgen. Eine Beobachtung außerhalb der Stadt war sehr schwierig, weil es keine Deckung gab, aber Peter wollte es wenigstens versuchen. Es war einfacher als erwartet. Sie schlugen den Weg zur Kathedrale ein, bogen kurz vorher ab und hielten neben den Zelten. Peter beobachtete aus einiger Entfernung, wie sie mit den Männern aus den Zelten sprachen. Er nagte an seiner Unterlippe, um seine Ungeduld zu zügeln. Die Fernsehleute taten nichts Verdächtiges. Die alte Kathedrale unterschied sich nicht von normalen Ruinen. Stockton lag unter einem Netz böser Einflüsse. Das gestohlene Ei des Monsters wurde ihm zurückgegeben. Und niemand ahnte, wie alles zusammenhing und was eigentlich im Untergrund passierte. »Es ist zum Verrücktwerden«, 59 �
murmelte Peter und dachte intensiv an seine Mutter. Wieso meldete sie sich nicht bei ihm? Sie hatte es mehrmals getan, wenn er in eine Sackgasse geraten war oder in Lebensgefahr schwebte. Hier in Stockton traf beides zu. Peter wollte den Motor wieder anlassen, als ihm eine Bemerkung seines Vaters am Telefon einfiel. Stockton lag vermutlich unter einer lückenlosen schwarzmagischen Abschirmung, so daß keine Hilfe eindringen konnte. Peter gab Gas und kümmerte sich nicht weiter um die Fernsehleute. Er fuhr zur Hauptstraße zurück und jagte seinen Wagen weiter, weg von Stockton mit seinen schwarzmagischen Einflüssen. Daß er nicht gleich daran gedacht hatte! Wenn er aus dem Bereich von Stockton gelangte, kam wahrscheinlich eine Botschaft zu ihm durch. Er lag richtig. Es dauerte nicht lange, bis er leises Wispern in seinen Gedanken spürte. Jemand wollte Kontakt zu ihm aufnehmen. Der Ruf wiederholte sich pausenlos wie eine Endlos-Tonbandschleife, doch die Störungen waren noch zu stark. Peter konnte die Botschaft nicht verstehen. Angespannt saß er hinter dem Steuer und preschte über die kurvenreiche Straße durch das düstere Hochland. Er kontrollierte von Zeit zu Zeit die gefahrene Strecke. Erst
nach einer halben Stunde war er ungefähr dreißig Kilometer Luftlinie von Stockton entfernt. Er lenkte seinen Wagen in eine Ausweiche, schaltete den Motor aus und lehnte sich zurück. Er versuchte, alle anderen Gedanken abzuschotten. Es gelang ihm nur mühsam, weil ihn zu viele Sorgen belasteten, doch nach einigen Minuten wurde der Ruf lauter und drängender. Jetzt war Peter sicher, daß seine Mutter aus einer anderen Dimension heraus versuchte, ihn zu warnen. … nicht anketten, vernahm er. Falle! Die Silberkette ist… nicht anketten, sond… und Maud verloren…! Trotz aller Konzentration auf den Ruf kam die Botschaft bei Peter verstümmelt an. Gleich darauf brach der Kontakt ganz ab. Peter war sicher, daß die Schwarzmagier von Stockton seinen Versuch bemerkt und unterbrochen hatten. Er wartete eine Weile. Als sich nichts mehr rührte, wendete er. Die Angst um Mavid saß ihm im Nacken. Er raste mit heulenden Reifen durch die Kurven, ließ den Wagen bis an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit driften und erreichte Stockton in der halben Zeit. Seine Mutter hatte ihm nicht mitteilen können, weshalb die silberne Kette Mauds Verderben bedeutete. Der Hinweis genügte jedoch. Peter 60 �
mußte unter allen Umständen verhindern, daß Maud ihren verhängnisvollen Plan ausführte. Hinter dem Museum bremste er mit kreischenden Reifen und rannte sofort in den Ausstellungsraum. »Fertig, Sir!« meldete Butler Harvey, trat zur Seite und deutete zufrieden auf sein Werk. Peter hatte sich hervorragend unter Kontrolle. Er verzog keine Miene, als er Maud, die Silberkette und das Ei des Ungeheuers sah. Ein Silberring lag um die Brutzelle. Davon lief die hauchdünne, etwa drei Meter lange Kette zu Maud und schloß sich um ihr linkes Handgelenk. Maud hob lächelnd die rechte Hand. »Ich habe sie frei behalten, damit ich notfalls besser kämpfen kann«, sagte sie. »Wie findest du das, Peter?« Der junge Großmeister mußte sich zusammennehmen, damit Maud seine Angst nicht fühlte. »Ist die Kette schon unzerreißbar?« fragte er und fürchtete, seine Stimme könnte ihn verraten. Der Satansspürer drückte Peter ein Beil in die Hand. »Versuchen Sie, damit die Kette zu zerschlagen.« Harvey legte ein Stück der Kette auf einen Stein. Peter schlug mit voller Wucht darauf. Das Beil wurde zurückgeprellt. Aus dem Stein brach ein Stück heraus. In der Schneide klaffte eine
breite Scharte. Die Kette war unversehrt. Peter deutete auf Mauds Handgelenk, das von einer schmalen Handschelle umschlossen war. »Nicht zu öffnen«, kam Maud seiner Frage zuvor. »Und der Ring an der Brutzelle sitzt ebenfalls fest.« Peter nickte und schob die Hände in die Taschen, damit niemand sah, wie er sie zu Fäusten ballte. »Harvey, noch eine Frage«, sagte Peter und mußte sich räuspern. In seinem Hals steckte ein Kloß. »Können Sie den weißmagischen Bann dieser Kette lösen?« Harvey schüttelte stolz den Kopf. »Nein, Sir, das ist der besonders raffinierte Trick dabei. Ich habe es so eingerichtet, daß sich die Kette erst löst, wenn der Meister, also der Dämon, nicht mehr existiert.« »Und wenn das besonders lange dauert?« wandte Peter ein. Er war am Rand seiner Selbstbeherrschung angekommen. »Dann bleibe ich eben so lange an diese Bestie gefesselt«, erwiderte Maud unbesorgt. »Aber ihr werdet schon ein Mittel finden.« »Sie machen keinen zufriedenen Eindruck, Sir«, sagte Butler Harvey besorgt. »Stimmt etwas nicht?« Peter stand vor der Entscheidung, ob er Maud die Wahrheit sagen sollte oder nicht. Ändern ließ sich nichts mehr. Sollte sie wissen, daß sie wahrscheinlich in eine gefährli61 �
che Falle geraten war? Die Entscheidung wurde Peter vorläufig abgenommen. Hinter dem Museum gellte ein Schrei, den Peter sofort erkannte. Das war jene Frau, die der Goldschmied für verrückt hielt und die auf Einflüsse des Bösen besonders heftig reagierte. Mit einem Satz war Peter am Fenster. Er glaubte fest, daß sie von Schwarzmagiern angegriffen wurden. Doch die Fremde stand wie versteinert allein hinter dem Museum und schrie. George Swan redete beruhigend auf sie ein. Als sie jedoch nicht aufhörte, lief Swan weg und verschwand in einer Seitenstraße. Die Frau verstummte, schüttelte verwirrt den Kopf und ging weiter, als wäre nichts geschehen. Peter brauchte einen Herzschlag lang, um die Zusammenhänge zu verstehen. Die Fremde hatte nicht die Einflüsse aus dem Museum gefühlt, sondern wegen George Swan geschrien. »Keiner verlässt das Haus!« rief Peter seinen Leuten zu. »Seid auf alles vorbereitet!« Er hatte keine Zeit für lange Erklärungen, hetzte ins Freie und lief hinter Swan her. Der Museumswächter würde Peter einige Fragen beantworten müssen.
Und es waren sehr unangenehme Fragen! * Da auch George Swan zu Fuß unterwegs war, verzichtete Peter auf das Auto. Er war ein ausgezeichneter Läufer, so daß er Swan schon nach wenigen Minuten einholte. Der Museumswächter wandte den Kopf, entdeckte Peter und erschrak sichtlich. Gehetzt blickte er sich um. »Warten Sie, Mr. Swan!« rief Peter. Swan dachte nicht daran. Er verschwand in einem schmalen Durchgang zwischen zwei Häusern. Als Peter den Weg erreichte, bog Swan soeben in die Parallelstraße ein. Spätestens jetzt war Peter überzeugt, daß mit dem Wächter etwas nicht stimmte. Er mochte anfangs auf der Seite des Guten gestanden haben. Inzwischen hatte sich das gründlich geändert. Peter erreichte die Straße, stieß beinahe mit Passanten zusammen und entdeckte Swan. Der Mann lief, als ginge es um sein Leben. Gegen den durchtrainierten Großmeister hatte er jedoch keine Chance. Peter legte einen Spurt ein und hatte Swan fast erreicht, als er auf weitere Verfolger aufmerksam wurde. Peter hörte zuerst neben sich einen Motor, wandte den Kopf und entdeckte Marsha Glendis und ihre 62 �
Begleiter im Geländewagen. Die Szene wirkte harmlos. Alex Blixwell hielt seine Kamera auf Peter gerichtet. Für Passanten sah es so aus, als wollte Blixwell den Großmeister filmen. Peter mußte nach vorne sehen, um Swan nicht aus den Augen zu verlieren. Zwischendurch wandte er kurz den Kopf. Marsha Glendis lächelte rätselhaft. Mark Henderson saß am Steuer und machte ein unbeteiligtes Gesicht. Swan tat das in seiner Situation Klügste. Er verschwand mit einem Satz von der Straße. Der Wächter war über einen niedrigen Gartenzaun geflankt. Peter schnellte sich Sekunden später darüber hinweg und sah gerade noch, wie Swan hinter den Büschen untertauchte. Die Jagd war zu Ende. Entkräftet sank George Swan mit krebsrotem Gesicht zu Boden. Keuchend kauert sich Peter neben ihn und zog seine Pistole. »Verschonen Sie mich«, stammelte Swan. »Ich habe es nicht freiwillig getan!« »Unsinn, ich will Sie nicht erschießen«, stieß Peter hervor. »Die Leute von dem Fernsehteam sind hinter uns her.« Swan bäumte sich entsetzt auf, für Peter ein Beweis, daß Marsha Glendis und ihre Begleiter in den Fall verstrickt waren.
»Schnell«, drängte Peter und spähte zwischen den Büschen durch. »Was ist mit Ihnen geschehen? Sie haben doch früher für das Gute gekämpft!« »Meine Familie«, stammelte George Swan und stockte. Sein Gesicht lief dunkelrot an. Es sah aus, als müsse er jeden Moment ersticken. Peter war in einer scheußlichen Situation. Er mußte Swan helfen, gleichzeitig aber aufpassen, daß Marsha und ihre Helfer ihn nicht überraschten. »Was fehlt Ihnen?« zischte Peter. »Schnell, sagen Sie es mir! Ich weiß nicht, was ich für Sie tun kann!« »Die Kugel, die schwarze Kugel«, stammelte George Swan und machte eine matte Bewegung, als wolle er sich ans Herz greifen. Peter bemerkte erst jetzt eine Ausbuchtung der Hemdtasche. Rasch griff er in die Tasche und förderte eine blank polierte, schwarze Steinkugel ans Tageslicht. Besorgt beobachtete er Swan. der Wächter schien sich rasch zu erholen. Sein Gesicht verlor die ungesunde Farbe. Es beunruhigte Peter immer mehr, daß seine Gegner sich nicht zeigten. Bis zu dem unvermeidlichen Kampf wollte er jedoch noch etwas erfahren. »Was ist mit Ihrer Familie, Swan?« fragte er. »Ich habe die Kugel. Ihnen 63 �
kann also nichts mehr geschehen.« Der Wächter schüttelte zu Peters Enttäuschung den Kopf. »Haben Sie eine eigene Familie, Mr. Winslow? So viel ich weiß, nein! Also können Sie mich nicht verstehen.« »Unsere Leute schützen Ihre Angehörigen rund um die Uhr«, sagte Peter. Swan hatte dafür nur ein bitteres Lachen. »Geben Sie mir die Kugel und lassen Sie mich gehen«, verlangte er schroff. »Ich verspreche Ihnen, daß ich Ihnen nicht mehr in die Quere komme.« Peter betrachtete die Kugel. »Sie kennen die Frau, die vorhin bei Ihrem Anblick geschrien hat«, sagte er eindringlich. »Sie hat die schwarzmagische Ausstrahlung dieser Kugel gefühlt. Wo haben Sie das Teufelsding her?« George Swan preßte die Lippen aufeinander. Von ihm würde Peter nichts mehr erfahren. »Okay, dann eben nicht«, meinte der Großmeister. Er schleuderte die Kugel weit von sich. Sobald sie zu Boden fiel, feuerte Peter. Eines von Harveys lautlosen Spezialgeschossen traf den schwarzen Stein, der sich in einem glutroten Lichtblitz auflöste. »Sind Sie jetzt beruhigt?« fragte Peter. George Swans Stirn war mit Schweißtropfen bedeckt. Er schüttelte verbissen den Kopf.
»Sie begleiten mich ins Museum«, bestimmte Peter. »Von Ihnen stammt der Rat, Miss Orwell an die Brutzelle zu ketten. Sie haben ihr eine Falle gestellt, richtig? Ich garantiere Ihnen, daß es nicht klappen wird. Sie bleiben so lange bei uns, bis ich Miss Orwell befreit habe. Je schneller Sie mir helfen, desto eher dürfen Sie gehen.« »Ich weiß nichts«, behauptete George Swan. Peter schob die Pistole in die Tasche zurück. »Gehen wir«, sagte er und stand auf. Swan hatte sich mit seinem Schicksal nicht abgefunden. Er versetzte Peter einen blitzschnellen Tritt. Der Großmeister stürzte in einen Busch, und ehe er sich aufraffte, rannte George Swan davon. Mit einer Verwünschung jagte Peter hoch und verfolgte Swan. Die Gegenseite war schneller. Swan sprang wieder über den Zaun und wollte die Straße überqueren. Peter war nicht einmal noch am Zaun, als Mark Henderson und Alex Blixwell neben Swan auftauchten. Er wehrte sich kaum, als sie ihn packten und zu ihrem Geländewagen zerrten. Marsha Glendis hatte das Steuer übernommen. Die beiden Männer stießen Swan auf den Rücksitz, sprangen auf und klammerten sich fest. Marsha raste mit durchdrehenden Reifen davon. 64 �
Peter murmelte eine zweite Verwünschung. Swan war seinen Todfeinden genau in die Hände gelaufen. Er war für die Gegenseite offenbar wichtig genug, daß sie dafür die Maske fallen ließ. Am hellen Tag hatten Marsha und ihre Begleiter einen Menschen gekidnappt. Es hatte sie nicht einmal gestört, daß Peter Zeuge war. Er hatte kein Auto, und eine Verfolgung zu Fuß wäre geradezu lächerlich gewesen. Niedergeschlagen machte Peter sich auf den Rückweg. Butler Harvey stand an einem Fenster des Museums und gab Peter ein beruhigendes Zeichen. Bei Harvey und Maud war alles ruhig. Peter erinnerte sich an den Metallkoffer der Fernsehleute. Er gelangte ungehindert in den ersten Stock des Hotels und sah in der Wäschekammer nach. Der Koffer war noch da, diesmal unverschlossen. Er war auch jetzt leer, doch Peter fand kleine Steinsplitter. Die gleichen Splitter lagen in der Vitrine des Ungeheuers. In diesem Koffer war die Brutzelle transportiert worden. Deshalb hatten die angeblichen Fernsehleute den Behälter außerhalb ihrer Zimmer abgestellt. Sie waren sicher gewesen, daß Peter ihn früher oder später untersuchen würde. Nachdem sich der Großmeister von der Bedeutungslosigkeit des Koffers
überzeugt hatte, würde er sich nicht mehr darum kümmern. Ungehindert konnten die Schwarzmagier darin alles wegschaffen. Peter erkannte immer deutlicher, daß die Gegenseite den Schlag besonders sorgfältig vorbereitet hatte. Nichts war dem Zufall überlassen. Alles war vorher berechnet. Und er, Peter, hatte sich genau so verhalten, wie seine Gegner es von ihm erwarteten. Er hatte sogar zugelassen, daß Maud an die Kette gelegt wurde. Schweren Herzens entschloss er sich, Maud reinen Wein einzuschenken. Sie durfte nicht länger im unklaren bleiben. Auf dem Rückweg ins Museum fühlte Peter, daß er und seine Leute bereits geschlagen waren. Vielleicht geschah noch ein Wunder, doch daran konnte er nicht glauben. Am liebsten hätte er sich in seinen Wagen gesetzt und wäre weit weg gefahren. Nur die Verantwortung für seine Begleiter zwang ihn dazu, die Stätte des Unglücks zu betreten. * Die Frau mit den vier Augen kam Peter in der Eingangshalle des kleinen Museums entgegen. »Setzen Sie sich mit unseren Leuten in Edinburgh in Verbindung«, bat Peter. »Erkundigen Sie sich nach Mr. Swans Angehörigen und lassen 65 �
Sie die Wachen verdoppeln.« Miss Jones verschwand wortlos in dem Büro des entführten Wächters. Maud war guter Laune. Die anderen hatten für sie eine Couch in den Ausstellungsraum geschafft, so daß sie bequem liegen konnte. »Swans Familie geht es ausgezeichnet, Sir«, meldete Miss Jones nach einigen Minuten. Peter hatte sich einen Stuhl herangezogen. Als nun die Frau mit den vier Augen wieder zu ihnen stieß, brach er sein Schweigen. »Wir müssen über Mauds Lage sprechen«, sagte er bedrückt. »Ich fühle mich blendend«, erklärte Maud. »Wenn ich hier liegen kann und mit allem verwöhnt werde, was ich mir wünsche, ist das ein richtiger Urlaub.« »George Swan ist zur Gegenseite übergelaufen«, sagte Peter schleppend. »Als ich ihn ausquetschen wollte, haben Marsha Glendis und ihre Begleiter ihn entführt.« Maud wurde blaß. Ihre gute Laune war wie weggeblasen. »Ist er vor dem Tip mit der Kette oder nachher übergelaufen?« fragte sie besorgt. »Vorher«, antwortete Peter. »Es hat keinen Sinn, Maud, etwas zu verschweigen. Aus Angst um seine Angehörigen hat er einen Befehl der Schwarzmagier ausgeführt.« Peter räusperte sich. Im Museum herrschte Totenstille. »Ich habe
einen Hinweis erhalten, daß die Kette eine Falle ist.« Mehr brauchte er nicht zu sagen. Seine Mitarbeiter kannten seine Visionen und Kontakte mit einer anderen Welt. Maud fasste sich als erste. Sie lächelte schmerzlich. »Also wird es doch nichts aus meinem schönsten Urlaub«, sagte sie mit Galgenhumor. »Hast du schon eine Ahnung, worin die Falle besteht?« »Wahrscheinlich darin, daß du von dem Monster nicht mehr loskommst«, meinte Peter und schilderte seinen Helfern haargenau, was er getan und erfahren hat. »Ich wüsste gern, wohin sie Swan gebracht haben«, meldete sich der Satansspürer zu Wort. »Können Sie das nicht feststellen?« fragte Butler Harvey. »Bei seiner Entführung war keine Schwarze Magie im Spiel«, wehrte Mr. Baker ab. »Also gibt es keine Spur, die ich verfolgen könnte.« »Ich warte, bis es dunkel ist«, warf Peter ein. »Dann sehe ich mich noch einmal bei der Kathedrale um. Bei Tageslicht komme ich nicht unbemerkt näher.« »Bleiben Sie bei uns, Sir«, mahnte Butler Harvey. »Wir brauchen jeden einzelnen Kämpfer. Ich habe zwar Vorsorge gegen einen Angriff getroffen, aber unsere Gegner sind bestimmt in der Überzahl.« »Fordern Sie Verstärkung an«, 66 �
schlug Peter vor. Harvey schüttelte den Kopf. »Die meisten unserer Leute sind keine Kämpfer. Sie studieren Beschwörungsformeln oder besitzen übersinnliche Fähigkeiten. Sie können jedoch kein Gebäude verteidigen.« Peter widersprach nicht. Aus dem gleichen Grund hatte er selbst bisher darauf verzichtet, noch mehr Ordensmitglieder nach Stockton zu rufen. Maud gab sich Mühe, ihre Angst zu verbergen. »Können Sie nichts für mich tun, Miss Jones?« wandte sie sich an die Frau mit den vier Augen. »Werfen Sie wenigstens einen Blick in meine Zukunft.« »Nein«, sagte Peter hart. »Es ist eine ungeschriebene Regel des Ordens, daß wir unsere eigene Zukunft nicht erforschen!« Maud lächelte ihm verzerrt zu. »Würdest du an meiner Stelle hier liegen, wärst du sehr, sehr froh, deine Zukunft zu kennen.« Leise fügte sie nach einer Weile hinzu: »Oder meinst du, daß ich keine mehr habe?« Peter setzte sich rasch zu ihr und ergriff ihre Hände. Die Silberkette klirrte leise. »So darfst du nicht einmal denken«, redete er ihr zu. »Du hast keinen Grund zur Sorge. Vielleicht war die Idee mit der Silberkette eine Falle. Wir sind aber bei dir und werden dafür sorgen, daß dir nichts
geschieht.« Maud erwiderte seinen Händedruck. »Danke, Peter«, murmelte sie seufzend. »Ich zerbreche mir den Kopf über Mr. Swan«, meldete sich Butler Harvey zu Wort. »Wieso hat er die Seiten gewechselt? Er machte auf mich einen anständigen Eindruck.« »Angst um seine Angehörigen, ich habe es doch gesagt«, erwiderte Peter ungeduldig. »Swan hat uns vertraut«, versicherte Harvey. »Er hat mit seiner Frau telefoniert. Alles war in Ordnung. Was hat ihn so verändert?« »Die schwarze Kugel, die er bei sich hatte«, vermutete Peter. »Sie hat ihn schwarzmagisch beeinflusst.« »Das allein kann es nicht gewesen sein«, widersprach der Butler. »Sie haben ihn von der Kugel befreit. Er ist trotzdem verstockt geblieben.« »Dann haben die Schwarzmagier eben gedroht, seine Angehörigen zu töten!« Peter sprang auf und lief unruhig auf und ab. »Ich weiß es auch nicht!« »Swan wäre zu uns gekommen und hätte uns um verstärkten Schutz gebeten«, behauptete der Butler. Peter blieb vor Harvey stehen. »Was hat sich denn Ihrer Meinung nach zugetragen?« fragte er gereizt. »Ich telefoniere noch einmal mit Edinburgh«, sagte Harvey und ging ins Büro hinüber. Nach nur zwei Minuten kam er 67 �
kreidebleich zurück. »Unsere Wächter sind vor einer Viertelstunde mißtrauisch geworden, weil sich im Haus nichts bewegt hat«, berichtete er. »Sie sind hineingegangen.« Maud richtete sich bestürzt auf. »Sind Swans Verwandte tot?« rief sie. Butler Harvey zuckte die Schultern. »Im Haus war niemand, obwohl unsere Wächter schwören, daß es keiner verlassen hat.« Peter brauchte einige Zeit, bis er diesen neuen Rückschlag verarbeitet hatte. »Dann haben unsere Feinde Mr. und Mrs. Lennox und Bobby schon viel früher entführt und durch Kopien ersetzt«, sagte er dumpf. »Harvey, Sie haben Mrs. Swan nicht bei Verwandten, sondern bei Dämonen abgeliefert.« Der Butler nickte mit steinerner Miene. »Ich hatte ein seltsames Gefühl, aber äußerlich war nichts zu erkennen. Die Falle war perfekt.« »Jetzt wissen wir, warum Swan die Seiten gewechselt hat«, stellte der Satansspürer fest. »Er mußte alles tun, was die Leute von ihm verlangten, weil sie seine Familie gefangen haben.« Peter stand entschlossen auf. »Ihr könnt sagen, was ihr wollt, ich sehe mich jetzt bei der Kathedrale um«, entschied er. »Ich kann nicht still sitzen und abwarten.« Er beugte sich noch einmal zu
Maud. Sie lächelte schwach und nickte ihm zu. »Ich halte durch«, sagte sie leise. »Alles Gute, Peter!« »Alles Gute, Maud«, erwiderte Peter, doch seine Kehle schnürte sich zusammen. Er vermied es, das Ei des Ungeheuers anzusehen. In der unscheinbaren Schale wuchs die Bestie unbemerkt heran, wurde stärker und näherte sich dem Zeitpunkt ihres endgültigen Sieges. Die Stunde des Meisters rückte näher, und bisher konnte niemand den unheilvollen Prozess aufhalten. Peter Winslow verließ das Museum in der Abenddämmerung. Er wurde von der verzweifelten Hoffnung getrieben, Maud retten zu können. Dabei war es fraglich, ob sie überhaupt noch lebte, wenn er zurück kam… Er stieg in den Wagen und ließ den Motor an. Als er anfuhr, spürte er plötzlich einen harten, kalten Druck im Nacken. »Hallo, Peter«, sagte eine rauchige Frauenstimme. »Hallo, Marsha«, antwortete er beherrscht, obwohl ihm eine Gänsehaut über den Rücken lief. Wie er Marsha inzwischen einschätzte, würde sie nicht zögern, ihn zu erschießen. »Fahr weiter«, zischte sie ihm ins 68 �
Ohr. »Ich brauche dir nichts zu erklären, oder? Du weißt, was dir blüht.« Peter schüttelte den Kopf. Marsha hatte ihn in der Hand. »Wohin?« fragte er rauh. »Zur Kathedrale, wohin sonst?« fragte sie belustigt. »Oder weißt du noch immer nicht, daß um Mitternacht die Stunde des Meisters schlägt? Ich glaube, wir haben dich gewaltig überschätzt. Du schmückst dich mit einem hochtrabenden Titel, aber sonst ist nichts mit dir los. Wie habe ich gleich am Anfang gesagt? Schade, daß ein so toll aussehender Mann gar nichts im Kopf hat.« Peter verzichtete auf eine Antwort. Er dachte an Maud und daran, daß er ihr nun nicht mehr helfen konnte. Sein Blick zuckte zu der Uhr im Armaturenbrett. In drei Stunden schlug die Geburtsstunde des Meisters. In drei Stunden sollte Maud sterben. * Butler Harvey verteilte Waffen. Er brauchte ihre Anwendung nicht zu erklären, weil sie so einfach waren. Der Satansspürer und die Frau mit den vier Augen erhielten allerdings nur Munition, die Menschen nicht einmal verletzte. Ihre Patronen wirkten nur gegen Dämonen, Skelette, Zombies und andere nicht-menschli-
che Helfer des Bösen. Waffen, die man auch gegen Schwarzmagier einsetzen konnte, behielten sich Harvey und Maud vor. Im Gegensatz zu Mark Baker und Miss Jones waren sie trainiert und wesentlich kühler, wenn es einen Kampf auf Leben und Tod gab. »Glauben Sie, daß wir angegriffen werden?« fragte Miss Jones, als sie vergeblich warteten. »Ich halte diese Ungewissheit nicht lange aus.« »Wünschen Sie sich vielleicht an meine Stelle?« fragte Maud nervös. »Ich habe wenigstens die Gewissheit, daß ich von dieser Bestie nicht loskomme.« Miss Jones sah sie verstört an. »Tut mir leid, daran habe ich gar nicht gedacht«, murmelte sie. »Wir werden garantiert angegriffen«, sagte Butler Harvey. »Die Schwarzmagier überlassen uns die Brutzelle ganz bestimmt nicht.« »Sie sollen nur kommen«, rief Mark Baker. »Wir schlagen sie mit ihren eigenen Tricks! Bei uns haben sie keine Chance.« Maud hörte mit halb geschlossenen Augen zu. Sie wußte, daß Baker ihr nur Mut machen wollte. In Wirklichkeit waren sie alle nervös und unsicher. Vergeblich kämpfte Maud gegen die Müdigkeit an. Waren es Auswirkungen der Anstrengung? Oder wurde sie von einer geheimnisvollen 69 �
Kraft in Schlaf versetzt? Für die anderen wirkte sie einfach müde. Butler Harvey griff daher auch nicht ein, als Maud die Augen schloß und sich auf die Seite rollte. Doch Maud schlief nicht. Durch die geschlossenen Lider hindurch sah sie die Silberkette, die sie mit der Bestie verband. Sie strahlte hell und rein. Der künstliche Trancezustand ließ Mauds Gedanken unberührt. Sie fühlte, daß die Kette mit Weißer Magie zum Bersten gefüllt war. Deshalb konnte sie auch nicht zerstört werden und hielt die Brutzelle der Bestie fest. Doch schon nach wenigen Minuten sah Maud, wie sich das Ei veränderte. Seine Schale begann zu glühen. Das tiefe Rot griff auf die Kette über. Maud fröstelte. Der noch ungeborene Dämon sandte seine Kräfte aus und stemmte sich gegen den Zwang der Kette. Er wollte sie jedoch nicht abstreifen, sondern nur unter seine Kontrolle bringen. An der Veränderung der Farbe las Maud ab, wie die Kräfte des Guten und des Bösen gegeneinander kämpften. Unwillkürlich dachte sie an ein Thermometer mit roter Quecksilbersäule, die ständig schwankte. Mal drang das Rot bis zur Mitte der Kette vor, mal wurde es fast völlig zurückgedrängt. Bei jedem Vorstoß eroberte der
Dämon ein größeres Stück und ließ sich weniger weit zurückschlagen. Maud wollte um Hilfe rufen. Harvey hätte die für ihn unsichtbare gefährliche Entwicklung sicher gestoppt. Maud lag jedoch wie betäubt auf der Couch. »Lasst sie schlafen«, hörte sie die Stimme des Butlers. »Die Nacht ist noch lang, und sie braucht frische Kräfte.« Wenn ihr wüsstet, dachte Maud und erschrak fürchterlich. Die Kräfte des Dämons verdrängten den Bann, den Harvey über die Kette gelegt hatte. Bis in Mauds Handschelle flutete das rote Leuchten. Nun waren die Rollen vertauscht. Nicht die Brutzelle war an Maud gefesselt, sondern Maud an die Brutzelle. Die Kette hatte sich äußerlich nicht verändert und war bestimmt noch immer unzerreißbar. Der Dämon hielt Maud fest. Er brauchte sie. Und dann hörte sie die Stimme ihres Todfeindes. Das Wispern kam aus dem Ei des Ungeheuers. Die Stimme entstand mitten in Mauds Gehirn. Ich habe dich ausgewählt, Maud Orwell, flüsterte der Dämon. Du wirst mir helfen, meine volle Stärke zu erlangen. Ich werde deine Kenntnisse der Weißen Magie in mich aufsaugen und dadurch unschlagbar werden. Du wirst mich stärken, Maud Orwell. Sei stolz, denn du 70 �
wirst mein erstes Opfer in der Stunde des Meisters. Ich werde dich verschlingen, um unbesiegbar zu werden. Maud hatte etwas Ähnliches gefürchtet. Als sie es nun von dem Dämon bestätigt bekam, erschrak sie trotzdem tödlich. Wie gelähmt lag sie auf dem Bett, unfähig, ihre Gefährten um Hilfe zu bitten. Gleichzeitig wußte sie, daß die anderen ihr gar nicht helfen konnten. Nur zu deutlich erinnerte sie sich daran, wie Butler Harvey vergeblich versucht hatte, die Brutzelle zu zerstören. In Gedanken rief sie nach Peter, aber der Großmeister konnte ihren Hilferuf nicht hören. So allein hatte sich Maud noch nie gefühlt. Von allen Freunden abgeschnitten, hilflos einem heranwachsenden Ungeheuer ausgeliefert. Als der Überfall der Schwarzmagier begann, war Maud beinahe erleichtert. Auf diese Weise dauerte ihre Gefangenschaft wenigstens nicht mehr all zu lange. * »Ich hätte nie gedacht, daß es so leicht ist, einen Großmeister zu fangen«, spottete Marsha Glendis. »Du fühlst dich sehr sicher, Schwarzmagierin«, antwortete Peter verächtlich. »Das ist leicht, wenn
man dem Gegner eine Pistole ins Genick drückt.« Er wollte Marsha reizen, damit sie eine Unvorsichtigkeit beging und sich eine Blöße gab. »Ich lasse mich nicht provozieren«, sagte Marsha, aber ihre Stimme wurde scharf und böse. »Vielleicht hätte ich die Pistole wirklich nicht gebraucht. Du bist wie ein Anfänger in die Falle gegangen. Hast du noch nie etwas davon gehört, daß man sich im Auto eines Feindes verstecken kann?« »Weissmagier sind nicht allwissend und nicht allmächtig.« Peter steuerte den Wagen scheinbar gelassen über die schmale Straße zu der alten Kathedrale. »Wir machen Fehler.« »Rechts ab!« befahl Marsha, als sie die Abzweigung erreichten, die zu den Zelten führte. »Keine Sorge, Großmeister. Du sollst noch nicht sterben. Ich brauche dich als Zuschauer.« »Wofür?« fragte Peter und erwartete keine Antwort. Er bekam eine, die ihm kalten Schweiß auf die Stirn trieb. »Du sollst zusehen, wie Maud Orwell getötet wird.« Marsha Glendis lachte leise und gehässig. »Du wirst es zu schätzen wissen. Erst danach kommt die Familie Swan an die Reihe. Ganz zuletzt wirst du nach allen deinen Helfern sterben. Zufrieden?« 71 �
»Und wann wird das Ungeheuer euch, seine Erwecker, vernichten?« fragte Peter mit zusammengebissenen Zähnen. »Oder glaubst du, ich hätte nicht bemerkt, daß ihr vor eurem so genannten Verbündeten Angst habt? Warum sonst hättet ihr ihn uns zurückgebracht?« »Dein heimtückischer Angriff auf die Kathedrale hat den Meister geschwächt«, rief Marsha. »Die Silberplatte hat ihm arg zugesetzt. Aber die Verbindung mit Maud Orwell tut der Bestie gut. Sie wächst in der Brutzelle rasend schnell heran.« Vor ihnen tauchten die dunklen Zelte des angeblichen Fernsehteams auf. »Ach ja«, sagte Marsha spöttisch. »In diesem Moment läuft der Überfall auf das Museum an. Meine Leute holen sich Maud Orwell und die Vitrine mit der Brutzelle. Halt! Aussteigen!« Peter fand alle seine schlimmen. Befürchtungen bestätigt. Es gab kein Unglück, das in diesem Fall nicht über ihn und seine Anhänger hereinbrach. Aus den Zelten kamen die Männer, die er schon beobachtet hatte. Marsha stieg aus und winkte mit dem Lauf der Waffe. Peter hatte – keine andere Wahl. Er mußte gehorchen, wenn er sich keine Kugel einhandeln wollte. Doch Marsha Glendis war einen
Schritt zu weit gegangen. Sie hatte Peter in eine Lage gebracht, in der ihm alles egal war. Marsha stand neben dem Wagen und richtete die Pistole auf ihn. Er saß noch am Steuer. Der Motor lief. Peter hatte den Gang eingelegt. Er setzte alles auf eine Karte. Wenn sie ihn ohnedies umbringen wollten, konnte er nichts mehr verlieren. Deshalb ließ er die Kupplung hart kommen und rammte den Fuß auf das Gaspedal. Der schwere Motor heulte auf. Der Wagen machte einen gewaltigen Satz vorwärts, daß einer der Männer schreiend zur Seite sprang. Marsha Glendis schoß sofort, doch sie traf Peter nicht. Er hörte die Kugeln in die Karosserie einschlagen und duckte sich tief über das Steuer, riß es herum und ließ den Wagen auf der Stelle drehen. Die Reifen griffen, schleuderten Fontänen von Schlamm und Gras hoch und katapultierten den Wagen vorwärts. Das Fahrzeug schlingerte auf dem lockeren Untergrund. Das erschwerte Marsha das Zielen. Ihre Waffe knallte noch sechsmal. Bevor die Helfer der Schwarzmagierin zu ihren eigenen Waffen griffen, raste Peter um die erste Kurve. Er war hinter einem Hang in Sicherheit. Die halsbrecherische Fahrt forderte 72 �
Peter alles ab. Die Kleider klebten ihm schweißnass am Körper, als er die Lichter von Stockton vor sich sah. Wenn Marsha recht hatte, kam er auf jeden Fall zu spät. Dann war der Überfall auf das Museum schon vorbei. Trotzdem nahm er den Fuß nicht vom Gaspedal. Die Sorge um Maud und seine anderen Helfer ließ ihn alles vergessen. Er riß das Lenkrad links und rechts fast bis zum Anschlag und trieb den Wagen durch die Kurven, daß nach beiden Seiten Steine wegspritzten und die Räder mehrmals gefährlich nahe an den Straßengraben heran kamen. Peter fing das Auto jedes Mal im letzten Moment ab, presste den Fuß eisern auf das Gaspedal und wechselte erst auf die Bremse, als er das Museum vor sich sah. Drinnen schien alles ruhig zu sein, doch darauf verließ sich der Großmeister nicht. Marsha hatte ihn entwaffnet. Nicht einmal das hielt ihn auf. Er sprang aus dem Wagen, riß den Zündschlüssel heraus, damit ihm niemand das Auto stahl, und hetzte in das Gebäude. Hinter der Tür prallte er mit einem Fremden zusammen, der eine unbekannte Waffe auf Peter richtete. Sie sah wie ein Blasrohr aus. Peter ließ dem Mann kleine Gelegenheit, die Waffe einzusetzen.
Er fegte den Gegner von den Füßen. Mit drei Sprüngen war Peter im ersten Stock und stand vor dem Zugang zum Schauraum zwei Männern gegenüber. Sie hielten blutrot glühende Dolche in den Händen. Das ernüchterte Peter auf der Stelle. Die schwarzmagischen Waffen waren bei der geringsten Berührung tödlich. Er fintete, sprang die beiden an und wich blitzartig zur Seite. Sie stießen zu, doch ihre Dolche berührten ihn nicht. Zwei Karateschläge, denen das Auge kaum folgen konnte, und die Schwarzmagier stürzten zu Boden. Peter konnte nicht verhindern, daß der eine auf die Klinge des Dolches seines Komplizen fiel. Obwohl die beiden ihn hatten töten wollen, wandte Peter sich schaudernd ab. Der schwarzmagische Dolch machte keinen Unterschied zwischen Feinden und eigenen Leuten. Doch damit war Peter auch schon am Ende. Er schnellte sich in den Ausstellungsraum und fand sich einer Reihe von Skeletten gegenüber. Sie streckten ihm die weißen Knochenfinger entgegen. Ohne Waffen kam er hier nicht durch. Die Skelette rührten sich nicht von der Stelle. Sie sollten ihn offenbar nur daran hindern, zu seinen Freun73 �
den vorzudringen. Peter entdeckte Maud. Sie lag reglos auf der Couch. Butler Harvey, der Satansspürer und die Frau mit den vier Augen verteidigten Maud gegen ein halbes Dutzend Männer. Sie schossen nicht, obwohl sie mit Pistolen ausgerüstet waren. Und ihre Feinde versuchten nur, sie mit langen rotglühenden Stöcken zu vertreiben. Das erinnerte Peter an die beiden Dolche seiner Feinde. Er wirbelte herum, löste den Dolch aus den Fingern des Toten und stürzte sich auf die Skelette. Die schwarzmagische Waffe wirkte auch gegen die Knochenmänner und fällte sie bei der kleinsten Berührung. Dennoch wurde Peter aufgehalten. Während er sich gegen die Skelette wehrte und sich von Klammergriffen an Armen und Beinen befreite, sah er, daß er zu spät kam. Butler Harvey verteidigte sich noch schwach, obwohl er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Miss Wood und Mark Baker lagen reglos am Boden. Die Schwarzmagier packten die Vitrine und trugen sie zum Ausgang, als wäre sie federleicht. Dabei wußte Peter, daß das Stahlgestell sich kaum von der Stelle rücken ließ. Was ihn am meisten erschreckte, war die Silberkette. Sie riß nicht. Maud hing an der Vitrine und
wurde mitgeschleift. Dabei berührte sie nicht den Boden, sondern schwebte dicht darüber. In einer übermenschlichen Anstrengung schüttelte Peter ein Skelett ab und stellte sich den Schwarzmagiern in den Weg. Der Vorderste schlug mit dem Stock nach Peter. Die Spitze der rotglühenden Waffe streifte den Großmeister am Arm. Peter taumelte zurück. Er konnte sich plötzlich nicht mehr richtig bewegen, als wären seine Gelenke eingefroren. Seine Beine zitterten vor Schwäche. Nun verstand er, wieso seine Freunde sich nicht hatten wehren können. Diese Stöcke entzogen den Menschen die Kraft, bis sie zusammenbrachen. Einer der Schwarzmagier streckte die Hand nach Peter aus und wollte ihn mit sich ziehen. Ein weißer Lichtblitz zuckte durch den Raum. Butler Harvey setzte endlich seine Pistole ein. Die Wirkung des Geschosses verpuffte. Um die Schwarzmagier, die Vitrine und Maud legte sich ein rotes Flimmern. Sie waren völlig abgeschirmt. Noch ein Stockschlag traf den jungen Großmeister und fällte ihn. Peter wurde nicht ohnmächtig, aber er konnte sich nicht mehr bewegen. Butler Harvey kam mit steifen Bewegungen auf ihn zu, während die Schwarzmagier Maud und die 74 �
Brutzelle des Dämons wegschafften. »Warum haben Sie nicht früher geschossen?« fragte Peter mit schwerer Zunge. Er konnte den Mund kaum bewegen. »Die Pistolen haben versagt«, antwortete Butler Harvey lallend. »Der Dämon hat sie ausgeschaltet. Nur Hieb- und Stichwaffen haben funktioniert.« Harvey hatte sich mit den wenigen Schritten total verausgabt. Entkräftet sank er neben dem Großmeister zu Boden. »Sie haben Maud«, murmelte Harvey dumpf. »Wir werden sie nicht wieder sehen.« Das mobilisierte Peters letzte Kraftreserven. Er nahm Harvey die Pistole ab und schleppte sich ans Fenster. Hinter dem Haus hoben die Schwarzmagier soeben die Vitrine mit ihrem schauerlichen Inhalt sowie die gefesselte Maud auf die Ladefläche eines Lastwagens. Peter zielte auf das Dämonenei und feuerte das ganze Magazin ohne den geringsten Erfolg leer. Der Lastwagen war in die schützende Aura gehüllt. Kein einziges Geschoß erreichte sein Ziel. Peter starrte den Schlusslichtern des Wagens nach. Sie verschwammen vor seinen Augen. Ächzend rutschte er auf den Boden. Die Gegenseite hatte gewonnen. Maud war verloren.
Das waren Peters letzte Gedanken, bevor er in tiefe Ohnmacht fiel. * Ein hartnäckig wiederkehrendes Klingeln riß Peter Winslow aus einer Ohnmacht. Es dauerte lange, bis er es richtig einordnete. Das Telefon klingelte. Noch mit geschlossenen Augen richtete er sich auf die Knie auf und tappte auf allen vieren herum, bis er gegen einen Tisch stieß. Er wußte selbst nicht, wie er es geschafft hatte, in diesem Zustand das Büro zu erreichen und das Telefon zu ertasten. »Hallo«, murmelte er in den Hörer. »Peter, bist du das?« »Hallo, Dad!« Peter ließ sich auf den Boden zurücksinken und zog den Hörer mit sich. »Was gibt es Neues?« »Hast du geschlafen?« erkundigte sich Lord Hubbard Winslow. »Deine Stimme klingt danach.« »Ja, so ungefähr.« Peter hatte Mühe, zusammenhängend zu denken. »Dad, wie spät ist es genau?« »Zwanzig Minuten vor Mitternacht«, antwortete Lord Hubbard. »Bist du in Ordnung, Peter?« »Ja, natürlich«, erwiderte Peter. Es hatte keinen Sinn, seinem Vater die Lage zu schildern. Er hätte sich nur Sorgen gemacht, ohne helfen zu 75 �
können. »Beeile dich, Dad. Ich habe um Mitternacht eine wichtige Verabredung. Was gibt es?« »Ich wollte dir eigentlich nur sagen, daß es gegen die Bestie in der Brutzelle kein Mittel gibt.« Der Lord seufzte. »Ich habe eine Quelle gefunden, in der dieses Ungeheuer beschrieben wird. Alle paar hundert Jahre taucht es auf. Es fühlt sich nur auf der Erde wohl, wenn die allgemeine Stimmung schlecht ist. Krankheiten und Kriege ziehen es an. Verbessert sich die Lage der Menschheit, verschwindet das Monster von selbst und zieht sich in die Brutzelle zurück. Bis heute ist es niemandem gelungen, das Ungeheuer oder die Brutzelle auszuschalten.« »Danke, Dad.« Peter stemmte sich hoch. »Ich muß jetzt zu meiner Verabredung. Du hörst wieder von mir!« Hoffentlich, fügte er in seinen Gedanken hinzu und legte auf. Butler Harvey war auch wieder bei Besinnung. Der Satansspürer und die Frau mit den vier Augen kamen nur langsam zu sich. »Sie beide bleiben hier«, schärfte Peter ihnen ein. »Kommen Sie, Harvey, wir holen die restlichen Waffen, die wir noch im Haus haben.« Sie fühlten sich beide elend, doch der Gedanke an Maud vertrieb die eigene Schwäche. In Harveys Zimmer stand ein voluminöser Koffer. Zu zweit
schleppten sie ihn nach unten und luden ihn in den Wagen. Unterwegs erklärte Harvey dem Großmeister die Funktion der Waffen, die ihm noch geblieben waren. »Marsha Glendis ist die Anführerin der Schwarzmagier in Stockton«, sagte Peter, als sie sich der Kathedrale näherten. »Sie hat einen Fehler begangen. Sie hat mir verraten, daß mein Angriff mit der Silberplatte dem Meister geschadet hat.« Harvey nickte. »Alle verfügbaren weißmagischen Granaten in die Kathedrale«, sagte er knapp. Peter half ihm dabei, die einzelnen Sprengkörper – miteinander zu verbinden. Harvey schaltete einen Zeitzünder vor und stellte ihn auf fünf Minuten ein. Die geballte Ladung sollte genau um Mitternacht losgehen. »In den Wagen!« rief Peter seinem Butler zu. Harvey gehorchte augenblicklich. Erst im Auto protestierte er. »Der Zugang muß in der Ruine liegen«, behauptete er. »Wo immer Maud und die Brutzelle sind, wir kommen nur über die Kathedrale an sie heran.« »Wir haben keine Zeit, um einen Eingang zu suchen«, antwortete Peter und wendete. Verbissen rammte er den Gang hinein. »Aber oben bei den Zelten haben wir noch eine Chance. Nicht umsonst haben sich die Schwarzmagier ausgerech76 �
net diese Stelle für ihr Camp ausgesucht.« »Okay, ich bin vorbereitet.« Harvey zeigte Peter einen weiteren Sprengkörper. »Ich habe mich auch mit Betäubungsgas versorgt.« Sie selbst nahmen Nasenfilter. »Ich hasse diese Kämpfe«, murmelte Peter, bevor er seine Filter einsetzte. »Gewalt ist so sinnlos!« Harvey widersprach nicht. Peter jagte die Zufahrt zu den Zelten fast genau so schnell wie bei seiner Flucht hinauf. Er wollte den Schwarzmagiern möglichst wenig Zeit lassen, sich auf seine Ankunft vorzubereiten. Die Überraschung gelang nicht ganz. Sie preschten auf die Zelte los und blendeten die Scheinwerfer erst im letzten Moment voll auf. Die Lichtkegel erfassten den bärtigen Blonden. Er richtete eine Maschinenpistole auf den Wagen und feuerte eine Garbe ab. Die ersten Kugeln lagen zu tief, und Butler Harvey ließ dem Killer keine Chance, seinen Fehler zu korrigieren. Er schleuderte noch aus dem fahrenden Wagen die Granate mit dem Betäubungsgas. Der Schütze und seine Komplizen, die aus den anderen Zelten stürmten, brachen zusammen. Die beiden besten Kämpfer des Ordens erlebten eine bittere Enttäuschung. Sie warfen in jedes Zelt
einen Blick. Sie waren leer. »Was nun, Sir?« fragte Harvey ratlos Peters Zähne knirschten aufeinander. »Ich war so sicher, daß es in den Zelten einen Zugang zu dem Versteck der Schwarzmagier gibt«, murmelte er und entfernte die Nasenfilter. »Ob ich diese Männer befragen kann?« »Ausgeschlossen, Sir«, versicherte Harvey. »Sie bleiben bestimmt mehrere Stunden bewusstlos.« »Was für ein Teufelsgas haben Sie verwendet?« fragte Peter erschrocken. »Doch kein richtiges Kampfgas?« »Das würde ich niemals tun«, versicherte Harvey. »Dieses Gas stelle ich selbst her. Es wirkt nur auf Personen, die magische Kräfte besitzen. Der Nachteil ist, daß es nicht zwischen uns und Schwarzmagiern unterscheidet. Daher sind für uns die Nasenfilter wichtig.« Peter zuckte zusammen, als in Stockton die Turmuhr zu schlagen begann. Mitternacht! »Geben Sie mir die Hand, Harvey«, verlangte der Großmeister. »Wir müssen es einfach versuchen. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht mehr.« »Und wenn Sie sich täuschen?« fragte Harvey. Gemeinsam betraten sie das erste Zelt. 77 �
»Wenn ich mich täusche, ist alles verloren«, murmelte Peter niedergeschlagen. »Dann habe ich Maud auf dem Gewissen.« »Aber nein, Sie können nichts…«, setzte Harvey an. Er brach ab, als der Boden unter ihnen aufzubrechen schien. Sie stürzten in einen unermesslichen Abgrund – und fanden sich im nächsten Moment in einem hell erleuchteten Gewölbe wieder. »Maud!« schrie Peter auf und wollte seiner Freundin zu Hilfe kommen. Mitten im Sprung prallte er gegen eine unsichtbare Wand und torkelte benommen zurück. Schauerliches Gelächter hallte durch das Gewölbe. »Herzlich willkommen!« schrie Marsha Glendis. »Du kommst gerade rechtzeitig, Peter. Die Stunde des Meisters beginnt!« * Der Anblick prägte sich Peter Winslow unauslöschlich ein. Das Gewölbe entsprach in den Abmessungen ungefähr der Kathedrale an der Erdoberfläche. Das Licht kam aus zahlreichen Höhlungen in den verwitterten Ziegelmauern. Dunkelrote Glut drang aus den unerforschlichen Löchern, als strahle sie direkt aus den Tiefen der Hölle.
Fünf Steintische standen nebeneinander. Auf jedem Tisch lag ein Mitglied der Familie Swan. Peter kannte zwar nur George und Myrna, doch der Junge an ihrer Seite mußte Bobby sein. Demnach waren die beiden anderen Gefangenen Mrs. Swans Eltern. Sie alle befanden sich in todesähnlicher Starre. Ihre wächsernen Gesichter zeigten keinen Ausdruck. Wahrscheinlich war es für die Gefangenen sogar besser so. Auf diese Weise bekamen sie nicht mit, was um sie herum vor sich ging. Am Kopfende der Tische ragte eine Steinsäule auf. Auf der Spitze lag die Brutzelle. Sie hatte sich in erschreckender Weise verändert. Die vorher unscheinbare Schale strahlte nun ebenfalls in dem dunklen Rot, das überall in Stockton an den Stätten der Schwarzen Magie anzutreffen war. Das Schlimmste aber waren die zahlreichen Risse, die in der Schale des Eis klafften. Peter dachte sofort an ein platzendes Hühnerei. Der Vergleich stimmte haargenau. Durch einen breiten Riß hindurch erkannte man einen zuckenden Körper. Schützend über dem Ei des Ungeheuers kauerte ein Dämon der niedrigsten Klasse. Peter kannte diese Handlanger des Bösen von zahlreichen Kämpfen auf Mortland. Sie 78 �
konnten nicht einmal feste Gestalt annehmen. Wie eine pulsierende schwarze Masse klebte der Dämon auf der Brutzelle und schirmte sie gegen Einflüsse von außen ab. »Maud«, flüsterte Peter heiser. Die Silberkette existierte unverändert. Sie verband das Ei mit Maud, die am Fuß der Säule kauerte. Sie war bei vollem Bewußtsein und blickte verzweifelt zu Peter herüber. Er konnte nicht zu ihr. Die unsichtbare Barriere war undurchdringlich. Butler Harvey behielt in allen Situationen kühlen Kopf. Er versuchte sämtliche Waffen, die er mitgebracht hatte, an der Sperre. Doch er versagte ähnlich wie bei der Brutzelle selbst. Er konnte nicht den kleinsten Durchlass schaffen. Peter starrte unentwegt auf Maud, während er die Barriere abtastete. Sie mußte irgendwo zu Ende sein! Doch er stieß gegen die Steinmauer des Gewölbes, ohne auch nur einen einzigen Schritt näher zu Maud zu gelangen. Harvey erging es auf der anderen Seite genau so. Sie waren in einem Käfig gefangen. Das also war der Logenplatz, von dem Marsha Glendis gesprochen hatte. Von hier aus sollte Peter Mauds Tod mit ansehen. »Was ist mit der Ladung?« flüsterte Peter seinem Butler zu. Harvey zuckte die Schultern. Sie
hätte eigentlich schon hochgehen sollen. Die Sprünge in der Schale des Eis verbreiterten sich. Das rote Leuchten in dem Gewölbe verstärkte sich. Erst jetzt bemerkte Peter die ungefähr fünfzig Personen, die sich in respektvollem Abstand um die Steintische scharten. Flüchtig schätzte er die Männer und Frauen als Schwarzmagier ein. Er glaubte nicht, daß sie Dämonen in Menschengestalt waren. Für ihn spielte es keine Rolle. Sie kümmerten sich nicht um ihn, und sie ließen Maud in Ruhe. Sie war als Opfer für den Meister gedacht. Kein Schwarzmagier durfte sich an ihr vergreifen. Maud bewegte die Lippen. Peter konnte nicht hören, was sie rief. »Ich hätte nicht gedacht, daß mir der Großmeister freiwillig entgegenkommt«, höhnte Marsha Glendis. »Du stirbst noch in dieser Nacht, Peter Winslow!« Das erinnerte ihn wieder an Marsha Glendis. Er sah sie jedoch nicht. Harvey tippte ihn an und deutete nach oben. Peters Augen verengten sich, als er die oberste Schwarzmagierin in Stockton erblickte. Sie schien hoch über den Köpfen ihrer Gefährten zu schweben und von dort oben die Zeremonie zu leiten. Ungewollt verriet sie Peter 79 �
etwas. Diese unsichtbaren Wände existierten überall in dem Gewölbe. Sie reichten sogar bis knapp unter die Decke. Marsha Glendis konnte nicht schweben. Sie stand auf einer Art Plattform aus unsichtbarer Masse. Butler Harvey beugte sich zu Peter. »Sie hat Angst vor der Bestie«, flüsterte er dem Großmeister zu. Peter wehrte ihn unwillig ab. Er war wütend, weil die Ladung in der Kathedrale noch nicht gezündet hatte. Peters Gedanken überschlugen sich. Irgendwie mußte er Maud retten. Es war ausgeschlossen, daß sie vor seinen Augen starb und er untätig blieb. Dabei übersah er ganz, wie kurz er sich erst in dem Gewölbe aufhielt. Das Grauen streckte für ihn die Sekunden zu Minuten und Stunden. Das Ei platzte. Sogar die Schwarzmagier schrien entsetzt auf, als ein pulsierendes schwarzes Wesen aus den Überresten hervorschnellte. Es bewegte sich ununterbrochen und so schnell, daß man seine Form kaum erkennen konnte. Am passendsten schien Peter der Vergleich mit einer riesigen, zuckenden Spinne. Die einzelnen Beine waren jedoch ebenfalls dick und fleischig und schlugen wild um sich. Das Ungeheuer besaß einen Schädel mit einem schwarzen Kamm. Giftig rote
Augen leuchteten tückisch. Aus dem breiten Maul quoll stoßweise schwarzer Qualm. Der menschliche Geist versagte, wenn es um die schauerlichen Formen des Ungeheuers ging. Es spottete jeder Beschreibung. Noch war es nicht besonders groß, höchstens einen Meter im Durchmesser und halb so hoch. Aber seine Kräfte waren schon jetzt erschreckend. Die zahlreichen Beine peitschten nach oben und packten den Dämon, der das Ungeheuer bisher geschützt hatte. Peter hatte nicht das geringste Mitleid mit dem niedrigen Dämon. Dennoch krampfte sich sein Herz zusammen, als die Bestie den Dämon verschlang und sich gleich darauf aufblähte. Sie wuchs zusehends und verdoppelte ihre Abmessungen. »Um alles in der Welt«, rief Butler Harvey stöhnend. Unwillkürlich krallte er sich an Peter fest. Der Anblick war für einen Menschen zu viel. Auch die Schwarzmagier, die eigentlich Verbündete der Bestie waren, wichen zurück. Einige von ihnen stießen gegen die unsichtbare Barriere, die Peter von ihnen trennte. Marsha Glendis verstummte. Alex Blixwell und Mark Henderson, die sich unter den Schwarzmagiern im Gewölbe befanden, rührten sich 80 �
nicht. Alle standen unter dem Bann des Monsters. Und Maud hing noch immer an der Kette! Jetzt war das eine Ende nicht mehr an der Schale, sondern an einem Bein des Monsters befestigt. Peter stöhnte auf, als sich das Ungeheuer oben auf der Säule vorbeugte. Der Kopf pendelte haltlos hin und her. Die tückischen Augen richteten sich auf Maud. Die Entscheidung war da! Maud Orwell preßte sich flach gegen die Säule. Sie zitterte am ganzen Körper. Für sie war der Anblick der Bestie noch grässlicher als für alle anderen. Sie war dem Scheusal am nächsten, und sie sollte innerhalb von Sekunden von diesem Ungeheuer verschlungen werden. Peter stieß einen markerschütternden Schrei aus und schnellte sich vom Boden hoch. Nach allen Seiten hatte er einen Ausgang gesucht, nur nicht nach oben. Instinktiv wählte er nun diese Richtung, um Maud in ihrer schwersten Stunde beizustehen. Die Bestie wurde durch seinen Schrei abgelenkt. Als Peter den Blick der roten Augen auf sich gerichtet fühlte, wäre er fast zusammengebrochen. Wie mußte sich erst Maud fühlen! Der Großmeister ertastete den oberen Rand der Barriere. Sie reichte
nicht bis an die Decke! Während Peter sich festkrallte und hochzog, ließ sich das Ungeheuer fallen. Es landete nicht auf Maud, die sich blitzartig zur Seite wälzte. Das Ungeheuer richtete sich auf. Es war mittlerweile doppelt so groß wie Maud, riß das Maul auf und sprang Maud an. Peter schwang sich über die Barriere. In diesem Moment erzitterte der schwarzmagische Dom unter einem fürchterlichen Schlag. Überall flogen Steine aus den Wänden. Das rote Leuchten erlosch, so daß für Sekundenbruchteile absolute Finsternis herrschte. Dann jagten aus den Öffnungen weiße Lichtblitze, Vorboten Weißer Magie! Die Ladung war mit Verspätung doch noch hochgegangen. Ihre Wirkung fegte in das Gewölbe und ließ die Schwarzmagier aufschreien. Das Monster heulte. Sein Biss verfehlte Maud, die mit atemberaubender Geschwindigkeit die unzerreißbare Silberkette um den plumpen Hals des Ungeheuers schlang und fest zuzog. Von der weissmagischen Ladung geschwächt, sank das Ungeheuer in sich zusammen. Maud schnürte ihm den Hals ab, und Peter richtete seine Pistole auf das Monster. Er schoß, bis das Magazin leer 81 �
war, schob ein neues ein und schoß weiter. Keiner der Schwarzmagier hinderte ihn daran. Sie hatten offenbar begriffen, daß dieses Ungeheuer zuerst Maud, danach die Familie Swan und danach wiederum alle Schwarzmagier verschlungen und anschließend das Gewölbe gesprengt und sich auf die Menschheit gestürzt hätte. Peters Todfeinde waren froh, daß er sie von ihrem eigenen Geschöpf befreite! Noch einmal bäumte sich die Bestie auf. Mit einem hellen Ton zersprang die Silberkette, und gleichzeitig brach das Monster tot zusammen. Hoch über Peters Kopf ertönte ein entsetzter Aufschrei. Er riß den Kopf in den Nacken. Marsha Glendis hatte den Halt verloren. Sie stürzte ab. Als ihr Körper auf dem Steinboden aufschlug, stockte Peters Herzschlag. Er beugte sich über Marsha. Die Anführerin der Schwarzmagier war tot… Schluchzend fiel Maud Peter um den Hals. Er fing die Zusammenbrechende auf. Harvey stützte Maud und seinen Großmeister. In einer Wand des Gewölbes hatte sich ein Tor geöffnet. Stufen führten nach oben und endeten in der Ruine
der Kathedrale. Die Schwarzmagier beachteten Peter und seine Begleiter nicht. Sie hoben die tote Marsha Glendis auf. Mark Henderson und Alex Blixwell warfen Peter finstere Blicke zu, ließen sich jedoch auf keinen Kampf ein. Sie folgten der Toten. Peter war sicher, daß sie eines Tages wieder gegen ihn kämpfen würden, doch im Moment hatte keine der beiden Seiten mehr Kraft dazu. Maud erholte sich rasch. Gemeinsam mit Peter und Butler Harvey führte sie die Familie Swan aus dem Gewölbe. Die fünf Personen waren ohne Erinnerung an die schauerlichen Ereignisse erwacht und fühlten sich noch so benommen, daß sie ihre Umgebung kaum wahrnahmen. Eine schweigende Prozession verließ das Gewölbe. Für Erklärungen war später Zeit. Noch saß der Schock über das Erlebte zu tief. Das vernichtete Ungeheuer hatte schlimmer gewütet, als menschliche Phantasie sich vorstellen konnte. Als sie ins Freie traten, sahen Peter und Maud einander an. Gleichzeitig huschte über ihre Gesichter ein geisterhaftes Lächeln, aber es war immerhin schon ein Lächeln und es deutete an, daß sie es auch diesmal überstanden hatten.
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