Dracula II
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 110 von Jason Dark, erschienen am 08.05.1990, Titelbild: Steve Crisp
Ru...
31 downloads
899 Views
399KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Dracula II
Sinclair Crew John Sinclair TB Nr. 110 von Jason Dark, erschienen am 08.05.1990, Titelbild: Steve Crisp
Rumänien - ein schönes Land für die einen, ein Alptraum für die anderen, wenn sie an die blutige Vergangenheit dachten, denn in Rumänien hatte vor einigen hundert Jahren ein gewisser Vlad Dracula fürchterlich gewütet und grausam geherrscht. Dracula war gestorben, doch nicht vergessen. In der Literatur war ihm durch Bram Stoker ein Denkmal gesetzt worden, und in unserer Zeit tauchte sein Name abermals auf - als Dracula II. Dahinter verbarg sich Will Malmann, unser ehemaliger Freund. Mit seinem geheimnisvollen Blutstein war er in das Land der tiefen Wälder, der hohen Berge und düsteren Legenden geflohen, um von dort aus die Herrschaft der Vampire zu beginnen. Suko und ich flogen nach Rumänien und sagten Dracula II den Kampf an.
Rumänien im Spätherbst 1989 — wenige Tage vor der Revolution
Sie waren ihm auf den Fersen, aber er sah sie nicht! Sie waren geschickt, sie waren grausam, man kannte sie, aber man sprach nicht über sie, weil es sie offiziell nicht geben durfte. Roman Czesny aber wußte es besser. Er hatte sie gesehen und besaß damit einen Beweis für ihre Existenz. Sie — die Vampire, die Blutsauger, die Untoten, die Monster, die Wiedergänger! Wenn er es schaffte, Brazov, das ehemalige Kronstadt, zu erreichen, hatte er gewonnen. Doch davon war er weit entfernt. Ihn trennten noch über hundert Kilometer. Auf einer Autobahn nicht einmal eine Stunde, aber nicht bei dieser Straße, die den Namen teilweise nicht verdiente. Sie war nicht mehr als eine Piste. Über hundert Kilometer Hölle. Außen für ihn ebenso wie innen. Nur gut, daß er eine Sicherung eingebaut hatte. Auf halber Strecke wollte er sich mit einem Mann treffen, der hier in Rumänien eine Kontaktperson für ihn war. Czesny wußte genau, daß er sich auf diesen Mann hundertprozentig verlassen konnte. Man hatte ihm die entsprechenden Informationen gegeben. Noch mußte er fahren, und das über einen Straßenbelag, der ebenso schlecht war wie die Wirtschaftslage des Landes. Rumänien blutete allmählich aus. Das Land wurde von der Clique um Ceausescu beherrscht. Eine korrupte, machtgierige Bande, für die Worte wie Erneuerung und Freizügigkeit fremd waren. Sture Betonköpfe, die ihr Volk bespitzeln ließen und mutige Männer und Frauen in Gefängnisse steckten. Wer in diesem Land jederzeit über Strom verfügte, mußte schon Glück haben. Immer mehr wurde rationiert, das bekam besonders die Bevölkerung auf dem Lande zu spüren. Roman Czesny hatte selbst einmal zu denen da oben gehört, sich dann entschlossen, sie zu bekämpfen und sich etwas Geld nebenbei zu verdienen. Er besaß seine Verbindungen und arbeitete nun für den Westen. Er wurde finanziell unterstützt, wagte aber nicht, sich einen neuen Wagen zu kaufen und fuhr immer noch den alten Lada, der schon mehr als zehn Jahre auf der Karosserie hatte. Doch er hatte ihn umgebaut. Bessere Stoßdämpfer und ein besonderer Unterbodenschutz sorgten dafür, daß er auch schlechtere Strecken fahren konnte. Winter in Rumänien, das bedeutete eisige Temperaturen, viel Schnee, oft Sturm, besonders in dem Gebiet, das wie eine Wand vom mächtigen Gebirgsmassiv der Karpaten getrennt wurde.
Sein Weg führte ihn durch das südliche Siebenbürgen, auch Transsilvanien genannt. Die mächtige Kette der Südkarpaten lag rechts von ihm, ein ungemein mächtiger Wall, auf dessen Gipfeln bereits der erste Schnee eine dichte, weiße Haube bildete. Schneeregen hatte er schon mitbekommen auf der Fahrt. Ebenso einen kurzen, heftigen Schneesturm. Dicke, graue Wolken klebten an den Berghängen und schlichen wie breite Tücher in die tiefen, menschenfeindlichen Wälder. Roman Czesny befand sich allein auf der Straße. Nur wenn er in die Nähe einer Ortschaft geriet, konnte es passieren, daß ihm jemand entgegenkam. Allerdings kein Wagen, sondern ein Fuhrwerk, gezogen von alten Ackergäulen. Das Gefühl der Bedrohung wollte einfach nicht verschwinden. Er sah die Blutsauger nicht, aber sie hielten ihn unter Kontrolle. Die Wolken und der Dunst boten ihnen genügend Verstecke, denn viele von ihnen konnten sich in Fledermäuse verwandeln. Als lautlose, tödliche Schatten huschten sie heran, brachten den Biß, danach den Tod und anschließend die unheilige Rückkehr als Vampir, der nach Blut gierte. Sehr oft mußte der dunkelhaarige Mann mit dem buschigen Schnauzer daran denken. Jedesmal breitete sich in seinem Innern ein Druck aus, der sich auch auf sein Herz niederlegte und dessen Schlag unregelmäßiger werden ließ. Oft schaute er in die beiden Spiegel, um etwas erkennen zu können. Er sah nur die graue Wand, aus der Regen strömte und die auch vor ihm lag. Ohne Licht konnte er nicht fahren. Nur brachten die Scheinwerfer nicht viel. Das bleiche Leuchten wurde sehr schnell von den Regentropfen verschluckt. Gepflastert war die Fahrbahn nicht. Der dichte Regen hatte sie aufgeweicht. An manchen Stellen war sie zu einer Rutschbahn geworden. Da glänzte der feuchte Lehm, als hätte ihn jemand mit Dreck bestrichen. Er kämpfte sich über die verfluchten Schlaglöcher hinweg, durch seifige Kurven, hinein in die Täler, um an der anderen Seite wieder in die Höhe zu klettern. Einmal überwand er einen Paß. Er kannte ihn als Wetterscheide und hoffte auch auf besseres Wetter. Seine Hoffnung erfüllte sich zwar, aber anders, als er es erwartet hatte. Nebel kam auf. Aus dem Tal trieb er dick in die Höhe. Die gewaltigen Wolken drehten sich, sie tanzten und schienen ihn verschlingen zu wollen. Sie fielen lautlos auf ihn nieder, hüllten seinen Lada ein und schluckten auch die wilden Flüche des Mannes.
Wenn der Nebel blieb, würde er sein Ziel — nicht einmal den Treffpunkt rechtzeitig erreichen können. Es war eine einsam stehende Hütte in einem schmalen Tal, zu dem nur ein Weg hinabführte. Vorbei an dichten Wäldern, an einem kleinen See endend, wo vor langer Zeit einmal ein Kloster gestanden hatte, von dem allerdings nicht einmal mehr Ruinen zu sehen waren. In seiner linken Brusttasche trug er den Beweis. Einen furchtbaren Beweis, ein grauenhaftes Foto, das die Welt vor einer gewaltigen Gefahr warnen konnte, wenn es in die richtigen Hände fiel. Wenn er ehrlich war, fürchtete er sich davor. Deshalb mußte so rasch wie möglich etwas getan werden. Czesny hatte sein eigenes Leben riskiert, um an diesen Beweis heranzukommen. Jetzt konnte er nur hoffen, daß er in die richtigen Hände geriet. Der Nebel packte ihn voll. Er war unterschiedlich dicht, zeigte manchmal Lücken, die allerdings sehr schnell wieder zuwuchsen, so daß Roman auch weiterhin dahinkriechen mußte. Plötzlich war der Schatten da. Vor seinem Wagen tauchte er auf. Er mußte von der Seite gekommen sein. Ein gewaltiger Vogel mit weiten Schwingen, aber das war er nicht. Czesny wußte genau, daß es sich bei dem Schatten um eine Fledermaus handelte. Jetzt hatten sie ihn! Er hatte erst auf die Bremse treten wollen, es sich dann überlegt und fuhr weiter. Schneller, als er es verantworten konnte. Schon bald schrammte der linke Kotflügel über die feuchte Erde einer Böschung und riß dort einige Grassoden los. Czesny fluchte, riß das Lenkrad herum, schlug es dann wieder ein und hoffte, die Mitte der schmalen Fahrbahn erreicht zu haben. Er mußte weiter, eine Pause konnte er sich einfach nicht erlauben. Von ihm hing so verdammt viel ab! Der Nebel lichtete sich etwas. Sofort hielt Czesny an, um sich die Umgebung zu betrachten. Der Schatten war verschwunden. Er sah Baumkronen, durch die graue Schleier trieben, er entdeckte die langen Hänge, aber er sah keine Häuser und noch weniger Menschen. Es gab sicherlich Menschen, die hätten diese Landschaft als grandios bezeichnet. Roman dachte da anders. Sie kam ihm verdammt einsam und menschenfeindlich vor. Hier wollte er nicht begraben sein. Sie war so dicht, so furchtbar, sie deckte ihn zu, sie machte ihm angst. Jede Bergspitze schien ihn auszulachen. Als er sich eine Zigarette anzündete, zitterten seine Hände. Der Tabak schmeckte nach Stroh und Bahndamm, er rauchte das Zeug trotzdem und fuhr weiter, den Glimmstengel /.wischen die Lippen geklemmt. Im
Nacken hatte sich die zweite Haut festgesetzt, dieses kalte Gefühl, das ihn schon die gesamte Strecke über beschlichen hatte. Seine Augen brannten vom langen Starren. Der Nebel kroch wieder heran, jetzt wünschte Czesny sich den Regen zurück, da war der Nebel nicht so dicht, aber den Gefallen tat ihm das Wetter nicht. Ein Blick auf die Uhr ließ ihn fluchen. Er hatte zuviel Zeit verloren. Sein Limit warbereits überschritten. Jetzt würde er über eine Stunde brauchen, um den Treffpunkt xu erreichen. Er mußte natürlich mit dem Einbruch der Dunkelheit rechnen. Gas geben, schneller fahren, diesmal nicht so viel Rücksicht nehmen, das war es, was er wollte. Natürlich kannte er das Risiko, aber, verdammt noch mal, das mußte er eingehen. Er war eigentlich nie ängstlich gewesen und fragte sich plötzlich, ob er in seinem Lada schneller war als ein Vampir, der flog. Czesny wollte es nicht darauf ankommen lassen, aber er blieb seinem Vorsatz treu und erhöhte das Tempo. Es war nicht einfach zu hallen. Trotz des guten Reifenprofils geriet er einige Male ins Rutschen, wobei er sich bei den Richtungen abwechselte. Roman Czesny blieb zunächst auf dem Höhenkamm, der ihn immer weiter nach Osten brachte. Menschenleer war die Umgebung der südlichen Karpaten. Dichte Wälder, tiefe Wolken, plötzlicher Regen, der den Nebel vertrieb. Der Mann erlebte auf wenigen Kilometern ein wahres Wechselspiel der Natur. Er hielt durch. Mit zusammengebissenen Zähnen hockte er hinter dem Lenkrad und lachte plötzlich auf, weil aus der Mischung aus Dunst und Regen ein Schild am Straßenrand erschienen war. Es war so verblichen, daß er den Ortsnamen nicht lesen konnte. Czesny wußte jedoch, daß dieses Dorf Skodar hieß und er sich in dessen Nähe mit der Kontaktperson treffen wollte. Der Herzschlag beruhigte sich. Er hatte es noch vor Einbruch der Dunkelheit geschafft, nun brauchte er nur den Weg zur Hütte zu finden. Zum Ort hin mußte er rechts abfahren und in einen Talkessel hineingleiten. Auf halber Strecke ungefähr lag die Hütte. Der Dunst nahm ihm die Sicht auf die Häuser, allerdings nicht auf die Abzweigung. Wieder kurbelte er am Lenkrad, rutschte hinein und fuhr weiter über ein schmales, lehmiges Band, das manchmal so glatt wie Schmierseife war. Wiesen sahen braun aus. Wolken trieben herbei. Sie schienen aus dem Ort zu kommen, weil man sie dort nicht mehr haben wollte, wie auch den gewaltigen Schatten, der auf einmal da war. Ein riesiger Vogel, der mit ausgebreiteten Schwingen direkt auf den Wagen zusegelte.
Roman erschrak zutiefst. War es eine Fledermaus, ein verfluchter degenerierter Blutsauger, der ihm engültig ans Fell wollte? Gefährlich nahe kam die Bestie an seinen Wagen heran. Wenn er ihr jetzt noch ausweichen wollte, mußte er den Weg verlassen, alles andere hatte keinen Sinn. Der Hieb traf die Scheibe. Schnell und hart geschlagen, so daß sich ein Muster auf dem Glas ausbreitete. Das war kein Sicherheitsglas, es zerbröselte nicht. Die Sicht war auf einmal nicht mehr vorhanden, der Schatten kratzte noch an der linken Seite des Lada entlang, als es sich Czesny endlich überlegt hatte und den Lada wieder herumriß. Der Weg war nicht mehr als eine Schneise, die jemand in den Hang hineingefräst hatte. Doch er bot immerhin etwas Halt, was man vom Hang selbst nicht behaupten konnte. Da gab es nichts, wo sich das Reifenprofil hätte festklammern können, das nasse Gras wurde zu einer Eisbahn. Es packten keine Bremsen mehr, und Roman stellte fest, daß er eigentlich viel zu schnell gefahren war und noch schneller wurde. Schräg ging es abwärts! Er trat auf das Bremspedal, fluchte darüber, weil er vorn nichts sehen konnte, merkte, daß sich der Lada leicht drehte, noch mehr Fahrt bekam und er darüber nachdachte, ob er sein Fahrzeug während der Fahrt verlassen sollte oder nicht. Er hätte es sich früher überlegen müssen. Daß der Waldrand so rasch näher kommen würde, daran hatte er nicht im Traum gedacht. Verschwommen nahm er noch die dunkle Wand wahr. Auf beide wirkte sie wie ein Magnet, der immer stärker zerrte und dem Roman nicht entkommen konnte. Sperriges Unterholz durchbrach er, als wäre es nicht vorhanden. Dahinter standen die Bäume. Die nahm er voll. Es sah so aus, als hätte der Lada noch einmal einen Schub bekommen, der ihn hinein in die Lücken und auch gegen die Stämme der Nadelbäume katapultierte. Die Karosserie litt arg darunter. Auch er kam sich vor wie eine Puppe, die auf dem Sitz hin- und hcrgeschleudert wurde und es auch konnte, weil sich Czesny nicht angeschnallt hatte. Der Gurt tat es nicht mehr. Als hätte noch jemand gegen das Heck geschlagen, so sehr keilte sich der Wagen fest. Er hatte sogar eine Lücke gefunden und >klebte< zwischen zwei hohen Nadelbäumen. Von seiner Kühlerschnauze war nicht mehr viel übriggeblieben, eine Ziehharmonika aus Blech, mehr nicht. Und Czesny lag schräg auf dem Beifahrersitz. Er stöhnte. Es war für ihn einfach zu schnell gegangen. Die Kräfte hatten mit seinem Körper gespielt, ohne dabei sanft mit ihm umzugehen. Mit dem Kopf war er
gegen einige Hindernisse gestoßen, zuletzt frontal mit der Stirn gegen den inneren Türhebel. Stöhnend blieb er liegen. Seine Stirn schmerzte an der Vorder- und der Rückseite. Als er die Hand hob und die Stirn abtastete, spürte er Blut. Es war aus der Wunde gequollen und bereits in Richtung Wange gelaufen. Aus seiner Perspektive sah der Wagen völlig anders aus. Sein Blick traf die Scheibe an der Fahrerseite, hinter der sich dünne, zittrige Schatten abzeichneten. Keine Finger, sondern Zweige mit langen Nadeln daran, die vom Wind bewegt wurden. Er fluchte und stöhnte zugleich. Eingeklemmt wie in einem Sarg kam er sich vor. Dieser Vergleich brachte ihn wieder auf die Vampire und ebenfalls zu dem Schatten, der so plötzlich herangeflogen war und ihm dieses Unglück eingebrockt hatte. Er holte keuchend Luft, dann stellte er fest, daß auch sein Brustkorb schmerzte. Die Vorstellung des eventuell auslaufenden und sich entzünden könnenden Benzins ließ ihn noch schneller handeln, als er eigentlich in der Lage dazu war. Czesny wollte und mußte raus. Dazu drehte er sich stöhnend und hoffte, daß die Tür nicht klemmte, als er mit steifen Fingern den Hebel umklammerte und ihn bewegte. Sie ließ sich öffnen. Zweimal mußte er Druck geben, dann konnte er ins Freie rutschen. Ein weicher, federnder Waldboden fing ihn auf. Wie ein Tier kroch er über das nasse Moos, das Gesicht schnell voller Dreck und Wasser, vermischt mit Blut. Der Hang führte in die Tiefe. Wäre er nicht bewachsen gewesen, Czesny wäre in die Tiefe gerutscht, so aber konnte er sich fangen. Auf dem Rücken blieb er liegen. Über sich sah er die dunklen Zweige, durch die Dunstschwaden wie Tücher trieben. Er lachte scharf auf. Eigentlich war er hier sicher, in diesen Wald konnten ihm die verfluchten Schatten nicht folgen. Da hatten sie keinen Platz, um sich auszubreiten. Nur würde er die Kontaktperson nicht finden, gerade das bereitete ihm Sorgen. Er mußte es einfach schaffen, die Hütte zu erreichen. Alles andere würde sich schon ergeben. Wer in einem Land wie Rumänien lebte und sich dort relativ gut durchschlug, der gehörte zu den zähen Personen. So auch Czesny, ein Mann, der selten an Aufgabe dachte. Mit dem Wagen kam er nicht mehr weiter, er benutzte ihn allerdings als Stütze, um sich aufzurichten. Den ersten Schwindelanfall mußte er abwarten, den zweiten ebenfalls, dann fühlte er sich gut genug, um sich auf den Weg machen zu können.
Es war für ihn trotzdem eine Tortur. Der Wald schien aus zahlreichen Armen und Händen zu bestehen. Sie zerrten, sie packten, sie griffen, und manchmal schlugen sie auch zu. Dann peitschten ihre Nadelzweige in sein Gesicht. Ein paarmal fiel er hin. Er knickte einfach weg, weil sein Sichtfeld auch beeinträchtigt wurde. Immer wieder kämpfte sich Czesny hoch. Es war genau zu hören, welchen Weg ersieh brach. Er räumte auf im Unterholz, mußte manchmal, wenn der Wald zu dicht wurde, unter den Zweigen hinwegkriechen, hielt aber das ebenfalls aus. »Ich packe es!« keuchte er. »Verdammt noch mal, ich packe es!« So machte er sich Mut und hatte tatsächlich Glück. Oder war es Zufall, daß er den Waldrand erreichte? An ihm schmiegte sich die Hütte. Sie war kaum zu erkennen, man mußte schon sehr nahe herangehen, um sie sehen zu können. Czesny suchte nach dem Eingang. Eine Tür war nicht mehr vorhanden. Statt dessen ein Loch in der Vorderwand, durch das es in die Hütte regnen und schneien konnte. Er taumelte darauf zu, klammerte sich noch an der Ecke fest und tauchte in das Dunkel hinein, wo er Furcht davor bekam, daß die Wiedergänger auf ihn lauerten. Das war nicht der Fall. Schon Sekunden später stellte Czesny beruhigt fest, daß er sich allein in der Hütte befand. An einer Wandseite fand er noch eine Pritsche, auf die er sich fallenließ, sich vorbeugte und sein Gesicht in den Händen vergrub. Er hatte es geschafft, wirklich geschafft, auch wenn er aussah, als sei er gerade aus einer Lehm- und Dreckkuhle entstiegen. Es gab keinen trockenen Flecken mehr an seinem Körper. Feuchtigkeit und Erde hatten einen dunklen Schmier auf Jacke und Hose gelegt. Im Gesicht vermischte sich dies mit dem aus der Wunde rinnenden Blut. Erlebte, und darüber freute ersieh. Wer in Rumänien zu Hause war und nicht zu den Günstlingen des Staatspräsidenten gehörte, der hatte es gelernt, mit Schwierigkeiten fertig zu werden und auch zu überleben. Mit beiden Händen tastete Czesny seine Rippen ab und fand sie okay, auch wenn sie beim tiefen Einatmen noch schmerzten. Plötzlich hörte er die Schritte. Zuerst waren sie nicht als solche zu identifizieren, denn das Geräusch hörte sich an, als würde rauhes Leder über eine glatte Fläche streifen. Czesny konnte zwar die Öffnung in der Bude erkennen, aber nicht die Gestalt sehen, die sich dem alten Bau näherte. Ob das sein Kontaktmann war?
Fenster hatte der Bau auch nicht. Czesny blieb hok-ken und wartete ab. Die Schritte waren verstummt. Hatte er sich vielleicht geirrt? Hatte ihm seine überreizte Phantasie einen Streich gespielt? Er wußte es nicht, wollte jedoch auf Nummer Sicher gehen und griff unter seine Jacke, wo die alte deutsche Armeepistole steckte. Sie stammte noch aus dem letzten Krieg, war aber sehr gut von Roman Czesny gepflegt worden. Die Waffe kam ihm ungewöhnlich schwer vor. Vielleicht besaß er auch nicht mehr die Kraft. Erhielt sie mit beiden Händen und zielte auf die Lücke in der Wand. Dort erschien der Schatten. Wieder ein Schatten, dachte er. Aber diesmal einer auf zwei Beinen, keine Fledermaus. Ein Mann, so groß, daß er sich bücken mußte, um die Hütte betreten zu können. Czesnys Augen weiteten sich. Erdachte nicht mehr an seine Waffe, er konnte die Erscheinung nur anstarren. »Wer bist du?« hauchte er. Ein grausamer Mund zog sich in die Breite, bevor der Eindringling die Antwort gab. »Ich bin Dracula II!« *** Komischerweise tat es der alte VW-Käfer noch immer! Sein Besitzer konnte selbst nicht sagen, woran das lag. Entweder an den guten oderan den bösen Geistern, eines davon durfte er sich aussuchen. Von einer Farbe konnte man bei diesem Fahrzeug nicht sprechen. Vielleicht war er mal schwarz, grau oder grün gewesen, jetzt jedenfalls wurde er praktisch nur durch Rost zusammengehalten, und jeder Tropfen Regenwasser, der ihn erwischte, schien wie Säure zu wirken. Aber der Käfer fuhr, und sogar die Heizung funktionierte noch mit halber Kraft. Dennoch schaffte sie es nicht, den Dunstbelag innen von den Scheiben zu vertreiben. Der Fahrer wischte oft genug mit der Hand nach. Es war eine kräftige Hand. Die Haut zeigte jedoch bereits einige Altersflecken. In der Tat zählte der Fahrer nicht mehr zu den jüngsten Männern. Die Sechzig hatte er überschritten, war ein Mensch mit grauen Haaren und einer fast ebensolchen Haut. Die breiten Lippen wirkten verkniffen. Im Gegensatz dazu standen die Augen. Sie blickten hell und klar. Zwar strahlte aus ihnen nicht mehr das Feuer der Jugend, aber sie besaßen doch einen Glanz, der den Willen dieses Mannes widerspiegelte, wenn es darum ging, etwas in die Tat umzusetzen. Dieser Mann, der seinen alten VW auf den Ort Sko-dar zulenkte, war kein geringerer als Frantisek Marek, der auch als Pfähler bezeichnet wurde. Er war einer der größten Vain p i rha sser.
Marek hatte es sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht, die Blutsauger zu jagen, wo immer sie auftauchten. Dafür war das Land Rumänien nahezu prädestiniert. Hier, im alten Transsilvanien, hatte die Vampirbrut schon immer grausame Urständ gefeiert. In den tiefen Wäldern hatten sich die Wiedergänger verkrochen. Marek hatte sie gejagt, nicht allein in Rumänien, auch in London, wo seine besten Freunde lebten, das Team um den Geisterjäger John Sinclair. Es war lange Zeit ruhig um die Blutsauger geblieben, bis zu dem Tag, als sich alles verändert halte und ein BKA-Kommissar namens Mallmann zu einem Blutsauger gemacht worden war. Und er wollte der Vampirflut völlig neue Dimensionen geben. Er hatte die Aktion D, die Aktion Dracula, gegründet, um sie als weltumspannendes Netz über den Globus zu verteilen. Das alles wußte Marek, das wußten seine Freunde, aber dem Blutsauger war bisher immer noch die Flucht gelungen. Und er war mächtiger geworden, denn John Sinclair hatte nicht anders gekonnt, als ihm den Blutstein zu überlassen, sonst hätte sich Mallmann an Sin-clairs Mutter vergangen und sie ebenfalls zu einer untoten Bestie gemacht.* Dieser Blutstein befand sich in Mallmanns Hand. Damit konnte er anfangen, sein Imperium zu errichten. Marek ging davon aus, daß sich Mallmann an gewisse Traditionen hielt und versuchen würde, sein Hauptquartier in Rumänien zu schaffen. Der Blutstein stammte von hier, er war gefüllt mit dem Blut der Opfer, die damals dem echten Vlad Dracula in die Klauen gefallen waren. Rumänien eignete sich wirklich gut. Das Land lag im Sterben, es war wirtschaftlich am Ende, die Leute erlebten täglich neue Repressalien. Sie hatten es gelernt, sich zu ducken, sie begehrten nicht mehr auf, und so waren sie eine fast widerstandslose Beute für den Vampir. Hier konnte er seine Opfer suchen und finden, hier würde er auf kaum einen Widerstand stoßen. Marek war nicht faul gewesen und hatte seine Augen offengehalten und die Beziehungen spielen lassen. Er gehörte ein wenig zu den Privilegierten, da er auch das Ausland kannte und von seinen Reisen stets zurückgekehrt war. Auch offizielle Stellen im Land wußten von der Vampirplage, nur gab man es nie zu, ließ Marek aber werkeln, der den Beinamen als Pfähler nicht grundlos bekommen hatte. Wo immer er die Blutsauger auftreiben konnte, pfählte er sie nach alter Väter Sitte, indem er ihnen seinen Eichenpfahl in die Brust rammte.
* Siehe John Sinclair Band 587: »Leichen-Ladies«
So manche Bestie war unter diesen Stößen schon zu Staub zerfallen. Natürlich hatte es sich auch bei den Vampiren herumgesprochen, wer Marek war. Liebend gern hätten sie ihn zu einem der ihren gemacht, das war ihnen bisher noch nicht gelungen, wohl aber bei seiner Frau, die dann von John Sinclair hatte gepfählt werden müssen. Marek dachte oft daran, obgleich es schon einige Jahre zurücklag. Diese Szene jedoch würde er bis zu seinem Tod nicht vergessen. Aber es zählte das Heute, das allein war wichtig, und darin hüllte er auch die neue Leitfigur der Blutsauger, Dracula II, ein. Wie schon erwähnt, besaß der Pfähler seine Beziehungen, und darauf hatte er sich wieder einmal verlassen können. Einem entfernten Bekannten war auf seinen Reisen durch das Land etwas aufgefallen. Er hatte nicht gesagt, was es war, wohl aus Furcht davor, abgehört zu werden, aber er hatte Marek erklärt, daß er sich wundern würde und die Blutsauger wieder auferstanden waren. Nahe der Ortschaft Skodar wollten sich die beiden in einer Hütte treffen. Das war so abgemacht, und wenn Marek einmal etwas versprochen hatte, hielt er sich daran. Von Petrila, seinem Heimatort, war er losgefahren und hatte die Strecke gut geschafft. Leider machte ihm das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Skodar lag eingehüllt in Wolken, feuchten Nieselregen und wirkte wie ein Ort, der kurz vor dem endgültigen Zusammenfall stand. Von den alten Häusern sah Marek nicht viel, als er mit seinem Wagen in das Dorf hineinknatterte. Wenn er Hauswände sah, versteckten sie sich hinter Dunst und Nebel. Von den Bewohnern sah er kaum jemand auf der Straße, aber Marek mußte mit einem Einheimischen sprechen, um sich nach dem Weg zu erkundigen. Er glaubte nicht daran, daß es hier Kneipen oder Lokale gab. Die Leute besaßen kein Geld für so etwas. Wenn sie Schnaps tranken, dann den Selbstgebrannten. Die Straße besaß kein Pflaster. Der Regen hatte den Boden aufgeweicht, und Marek erreichte, nachdem er eine Kurve durchfahren hatte, einen kleinen Platz, wo ein alter Armeelastwagen traurig im Regen stand. Dahinter parkte ein altes russisches Motorrad. Marek stoppte ebenfalls, drückte mit dem Ellbogen innen gegen die Fahrertür und stieg aus. Als er um den Lastwagen herumgegangen war, sah er die beiden Soldaten. Sie standen unter einem Vordach, trugen lange Mantel mit hochgestellten Kragen und rauchten. Marek bedachten sie mit keinem Blick. Er ging auf eine Tür zu und betrat eine schmale Bude, in der die Hitze stand und ein glatzköpfiger Mann mit aufgekrempelten Ärmeln hintereinem dunklen Schreibtisch saß und Papiere stempelte.
Wahrscheinlich hatten die Soldaten Lebensmittel gebracht, die überall im Land rationiert waren. Der Mann schien im Dorf etwas zu sagen zu haben. Er schaute nicht auf, als Marek eintrat, stempelte weiter, als würde er dafür eine Extraprämie bekommen, zog dabei einige Male die Stirn kraus und haute schließlich den letzten Stempel auf das Papier. »War's das?« fragte Marek. Der Glatzkopf wischte über seine schweißbedeckte Glatze, bevor er hochschaute. »Wer bist du?« »Marek aus Petrila.« Ein Lachen wehte über den Schreibtisch. »Ist einigermaßen weit weg. Bist du zu Fuß gekommen?« »Nein.« »Auto, wie?« »Ja.« Der Glatzkopf nickte. »Na ja, das hat nicht jeder. Und was willst du bei uns?« »Eine Auskunft.« Der Glatzkopf schielte hoch zum verblichenen Bild des großen Staatspräsidenten. »Ich dachte schon, du wolltest etwas zu essen haben. Wir sind hier genau eingeteilt.« . »Weiß ich.« Der Glatzkopf bewegte sich auf seinem Stuhl, und das Holz gab knarrende Geräusche ab. »Ich suche eine Hütte am Wald.« »Mehr nicht?« »Nein.« »Woher soll ich die kennen?« »Die muß bekannt sein. Ich will mich dort mit einem Bekannten treffen. Mehr nicht!« »Kein Schmuggel?« »Bestimmt nicht.« »Schade, du hättest mir ein paar Zigaretten abgeben können. Die Hütte ist nämlich früher von Zigarettenschiebern benutzt worden. Aber auch die Zeiten sind vorbei«, stöhnte er. »Dann gibt es sie also?« »Klar.« Der Glatzkopf griff wieder nach seinem Stempel, ohne ihn auf ein Papier zu drücken. »Und es muß einen Weg geben.« »Sicher. Ich sage ihn dir auch. In diesen Zeiten müssen wir alle zusammenhalten.« »Sehr richtig.« Der Glatzkopf malte die Strecke mit ungelenker Schrift auf ein braun schimmerndes Blatt Papier. »Es ist nicht einfach zu finden, sonst wäre das Ziel auch keine Schmugglerhöhle gewesen. Sie ist auch bei dem Wetter schlecht zu finden.« Er rülpste und malte weiter. Dann erklärte er Marek noch, wie dieser zu fahren hatte. »Zufrieden?« »Ich danke dir, Genosse.« »Mach es nicht so förmlich. Wann kommst du zurück?« »In der Dunkelheit. Kann ich hier irgendwo schlafen?« Der Mann hinter dem Schreibtisch fing an, wiehernd zu lachen. »So etwas fragst du noch? Du kannst dir die
Buden aussuchen. Viele Bewohner sind bei Nacht und Nebel abgehauen, angeblich in ein besseres Leben, obwohl ich daran nicht glaube. Manche sind auch schon in die neuen Betonsilos der Städte umgesiedelt worden. Da stehen sie mehr unter Kontrolle, aber das will der große Meister ja. Kontrolle, Angst, na ja . . .« »Wir verstehen uns«, sagte Marek zum Abschied und verließ das Büro. Die beiden Soldaten standen an Mareks VW und versuchten, durch die nassen Scheiben zu schauen. Der Pfähler räusperte sich. Als sich die Männer aufrichteten, schaute er in noch junge Gesichter. »Wie alt ist er denn?« . »Fast so alt wie ihr.« »Sieht man.« Marek stieg ein. Fr wollte keine Zeit verlieren und freute sich darüber, daß der Motor sofort ansprang. Das tat ihm gut. Die Soldaten sprangen zurück, als die Reifen durch eine Wasserpfütze rollten und die trübe Flüssigkeit hochschleuderten. Den Zettel legte Marek auf seinen Oberschenkel. Zunächst brauchte er ihn nicht. F.r verließ die Ortschaft in entgegengesetzter Richtung und sah schon sehr bald die gewaltigen, dunklen und ansteigenden Flächen, denn auf den Hängen wuchs der dichte Nadelwald, nur hin und wieder von Laubbäumen unterbrochen. Auf einem Feldweg fuhr Marek weiter. Fr hatte sich vor kurzem noch zwei Reifen besorgt, zwar keine nagelneuen mehr, aber diese waren besser als die alten Pneus. Sie schafften es, auch tiefen Boden zu überwinden und ließen den Wagen zudem nicht wegrutschen, als die Strecke Steigung bekam. Der VW quälte sich jetzt tatsächlich wie ein Käfer hoch. Die kleinen Wischblätter schafften es kaum, die Frontscheibe von den zahlreichen braunen Spritzern zu befreien. Je höher Marek fuhr, um so dichter legte sich der Nebel über die Landschaft. Schnee sah er nicht, aber das naßkalte Wetter mit Temperaturen dicht über dem Gefrierpunkt gefiel ihm auch nicht. Er kam trotz aller Widrigkeiten gut voran, erreichte auch die Höhe, wo er mit laufendem Motor anhielt und noch einmal auf den Zettel schaute. Ein Stück mußte er noch fahren, dann ging es links hinab, wieder über einen Hang, aber der Glatzkopf hatte eine Warnung auf den Zettel geschrieben und geraten, den Weg nicht unbedingt zu fahren. Es war ziemlich steil. Runter kam man, aber vielleicht nicht mehr rauf. Marek schaute mehr zur Seite hin. Zudem hatte er etwas Glück, weil der Dunst sich verflüchtigte. Nur mehr Nieselregen sprühte aus den tiefen Wolken. Frantisek Marek fand die Abzweigung. Sie war in der Tat sehr schmal, kaum breiter als der Wagen selbst.
Er stoppte. Der Hang fiel tatsächlich steil ab. Nicht einmal fünf Schritte entfernt wurde er an der rechten Seite von einem dichten Waldstück begrenzt. Irgendwo zwischen den Tannen und Fichten mußte auch die Hütte liegen. Noch stand Marek am Wegrand. An Verfolger hatte er nicht gedacht, dennoch schaute er sich um, bevor er sich auf den Weg machte und mehr rutschend als gehend vorankam. Jetzt konnte er die Warnung des Glatzkopfes verstehen und war froh, seinen Käfer an der Straße geparkt zu haben. Den ersten Schock bekam er nach fast genau drei Minuten. Erst war es nur ein Gefühl, dann blickte er genauer hin und sah tatsächlich so etwas wie eine Schneise am Waldrand, in deren Umgebung etwas auf dem Boden lag und blinkte. Es war Glas, und es stammte von den Scheiben eines fast völlig zerstörten Autos, das genau gegen die Bäume gesetzt worden war. Mit Mühe identifizierte Marek das Fahrzeug als einen Lada. Krallenhände schienen über die dünne Haut auf seinem Rücken zu kriechen. Er fühlte sich umzingelt, denn er wußte, daß sein Informant den Lada gefahren hatte. Marek wühlte sich durch das plattgefahrene Unterholz und schaute in das Fahrzeug. Niemand saß darin. Er entdeckte auch keine Blutflek-ken. Wer immer den Lada vor den Baum gesetzt hatte, es mußte ihm gelungen sein zu fliehen. Wohin war der Mann verschwunden? Für den Pfähler kam nur ihr gemeinsamer 'Treffpunkt, die alte Hütte, in Frage. Wo er sie genau finden konnte, wußte er nicht. Deshalb mußte er sich auf Spuren verlassen, die in der trüben Witterung leider nur schlecht zu entdecken waren. Der Pfähler schaute schon sehr genau hin, sah hier einen flachen Fußabdruck, da einen angeknickten Zweig. Wie ein Pfadfinder kam er sich vor und blieb auch auf dem richtigen Weg. Noch bevor Regen, Dunst und Dämmerung einen Mantel über das Land legen konnten, entdeckte er die Hütte. Oder war sie es nicht? Marek wurde unsicher, denn was sich da zwischen dem Unterholz auftürmte, war nicht mehr als ein Haufen Bretter, wobei noch eine Rückwand stand, weil sie durch Nägel mit dicken Baumstämmen verbunden war.
Mareks Magen zog sich zusammen. Für einen viel zu langen Moment überkam ihn die Depression, daß alles vorbei war und daß die Blutsauger gewonnen hatten. Er wußte nicht, wie sein Informant aussah, eine Beschreibung hatte ihm Roman Czesny leider nicht durch das Telefon gegeben, aber er sah etwas anderes. Fast wäre er gegen den Schuh gelaufen, der unter einem Holzbrett hervorschaute. Der Pfähler ging davon aus, daß es sich nur um seinen Informanten handeln konnte. Vielleicht war noch etwas zu retten. Vielleicht hatten ihn die Trümmer der einstürzenden Hütte nicht erschlagen. Mit beiden Händen räumte Marek die Bretter zur Seite. Czesny lag auf dem Rücken. Blut rann aus einer Platzwunde an der Stirn über sein Gesicht. Die Augen waren halb geschlossen. Regen und Schlamm hatten seine Kleidung völlig durchnäßt. Marek überlegte, was ihm Czesny mitgeteilt hatte. Die Information mußte er bei sich tragen. Das heißt, er konnte sie in seinen Taschen verborgen haben. Er wollte sie durchsuchen, als es geschah. Plötzlich hörte er den giftigen Schrei. Wie vom Katapult geschleudert, sprang der Körper des angeblichen Toten förmlich in die Höhe. Mit der Stirn krachte der Kopf gegen Mareks Stirn, der diesem Anprall nichts entgegenzusetzen hatte. Er flog zurück. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er noch in das Gesicht des anderen schauen können. Starre Augen, ein weit geöffneter Mund und zwei krumme Vampirzähne, die aus dem Oberkiefer wuchsen... *** Czesny hatte es erwischt! Dieser Gedanke schoß durch das Hirn des Pfählers, als er mit dem Hinterkopf auf den feuchten Boden schlug und dabei glücklicherweise nicht auf einen der Bretterränder prallte. Zwar zuckten für einen Moment Sterne vor seinen Augen auf, aber er fing sich relativ schnell wieder. Marek hatte es gelernt, sich zu verteidigen. Er wußte auch, wie der Blutsauger angreifen würde. Ein Vampir zielte immer nach der Kehle eines Menschen, denn er war fixiert auf die Halsschlagader. Daß sich ein Mensch auch wehren konnte, ließ er außer acht. Marek wehrte sich. Er rammte seine Beine vor und erwischte den Vampir mitten im Fall.
Der Blutsauger geriet aus der Richtung. Er schlug noch mit den Armen um sich, ohne allerdings einen Halt zu finden. So kippte er nach rechts weg und prallte auf eines der losen Holzbretter, das unter dem Druck an einer Seite in die Höhe sprang. Auf die Beine kam auch Marek. Er war nicht mehr der Jüngste, deshalb auch nicht der Schnellste, aber seinen Willen und seinen Mut sollte niemand unterschätzen. Das taten die meisten Blutsauger. Und auch dieser Vampir warf sich von der Seite her auf Marek zu. Nur ahnte er nicht, daß Marek seinen Eichenpflock blitzschnell ziehen konnte. Der Blutsauger befand sich im Sprung, als ihm Marek mit dem vorgestreckten Pfahl entgegenkam. Und der Untote fiel genau hinein. Mit der linken Seite zuerst, und dort befand sich auch das nicht mehr schlagende Herz. Der Pfahl rammte hindurch und hinein. Der Vampir hatte sein Maul weit geöffnet. Tierische Laute sprudelten abgehackt über seine Lippen, begleitet von einem weißroten Schleim, der sich wie ein Rinnsal aus dem Mundwinkel schob. Dann fiel er um, den Pflock noch in der Brust stek-kend, den Marek ihm erst Sekunden später herauszog und breitbeinig sowie schwer atmend über ihm stehenblieb. Wieder einmal hatte er bewiesen, daß man ihn nicht ohne Grund den Pfähler nannte. Dieser Blutsauger war von ihm endgültig zur Hölle geschickt worden. Natürlich dachte Marek weiter. Er wußte, daß ein Mensch nicht einfach so zum Vampir wurde. Jemand hatte Czesny aufgelauert und ihn gebissen. Wer kam in Frage? Mareks Gedanken blieben stets bei einer Person hängen. Mallmann, der Supervampir, der den Blutstein besaß und sogar resistent gegen geweihtes Silber war. So etwas hatte es noch nie gegeben. Selbst Marek, ein Kenner der Materie, war erschreckt gewesen, als ihn John Sinclair darüber informiert hatte. Diesen Gedanken schob er zunächst beiseite und begann mit einer gründlichen Durchsuchung der Umgebung. Er wollte nach Spuren forschen. Möglicherweise fand er einen Hinweis auf Dracula IL Da war nichts zu machen. Enttäuscht machte er kehrt und ging wieder dorthin, wo Czesny bewegungslos auf dem Rücken lag. Dieser Mann hatte von einer Information gesprochen, die er bei sich am Körper trug. Frantisek Marek begann mit der Durchsuchung der Jackentaschen. Davon gab es vier. Er fand einen Bund mit Schlüsseln, eine Brieftasche, klappte sie auf.
Geldnoten rutschten in seine offene Hand. Auch D-Mark und Schweizer Franken, aber kein Hinweis, der den Pfähler auf die Spur des Supervampirs Mallmann geführt hätte. Einen Autoschlüssel fand er auch, Zigaretten, ein altes Feuerzeug, dann durchsuchte er die laschen der Hose. In der rechten Gesäßtasche knisterte etwas, als Marek mit der Hand von außen her darüber hinwegfuhr. Mit spitzen Fingern faßte er hinein und zerrte einen blauen Briefumschlag hervor. In ihm mußte sich ein steifer, pappiger Gegenstand befinden. Er schlitzte den Umschlag auf, kippte ihn und schaute zu, wie ein Bild hervorrutschte. Es war ein relativ blasses Farbfoto, geschossen mit einer Sofortbildkamera. Da es mittlerweile ziemlich finster geworden war, holte Marek eine schmale Taschenlampe hervor und schaute sich die Fotografie in ihrem Schein genauer an. Er hatte einiges erwartet, aber nicht dieses Motiv, das zu allem gepaßt hätte, nur nicht zu einem Vampir, denn es zeigte eine Figur, eine Heiligenfigur sogar. Sie stand vor einer Wand, zudem auf einem kleinen Sockel und stellte eine Frau dar, deren langes Haar in gedrehten Locken rechts und links des schmalen Gesichts nach unten fiel und mit seinen Enden leicht die Schulterknochen streifte. Die Frau hielt die Arme vorder Brust verschränkt. Ihr Kopf war leicht nach vorn gesunken, die Füße standen zusammen. Alles in allem hatte sie einen demütigen Ausdruck eingenommen. Marek runzelte die Stirn und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Fr kam nicht so recht dahinter, was dieses Foto sollte. Weshalb war es für Czesny so ungemein wichtig gewesen? Der Pfähler drehte die Fotografie. Er kippte das Bild sogar nach hinten weg, damit er genau auf die Stirn der Figur schauen konnte, leuchtete noch einmal nach — und hielt so heftig den Atem an, als hätte man ihm eine Hand auf die Lippen gepreßt. Schwach, aber dennoch für ihn genau zu erkennen, malte sich auf der Stirn der Figur ein D ab. D wie Dracula! Der Pfähler kniete erstarrt auf der Stelle, seinen Blick ins Leere gerichtet, obgleich hinter derStirn die Gedanken regelrecht tobten. Er hatte lange nachdenken müssen, nun war ihm der Name dieser Figur endlich eingefallen. Die heilige Jovanka! Eine rumänische Heilige, Schutzpatronin zahlreicher Klöster und Kirchen. Allein die Tatsache verursachte bei Marek Herzrasen. Wenn er näher über das Motiv nachdachte, mußte es dem Vampir gelungen sein,
in eine Kirche oder ein Kloster einzudringen und sich dieser Figur bemächtigt zu haben, um bei ihr sein Zeichen zu hinterlassen. Das Sigill des Todes . .. Marek merkte kaum, wie seine Hand nach unten sank. Er bewegte schüttelnd den Kopf, atmete schnaufend durch die Nase und räusperte sich die Kehle frei, um einige Worte sprechen zu können. »Das begreife ich nicht. Das schaffe ich nicht. Allein komme ich dagegen nicht an.« Wo Czesny die Aufnahme geschossen hatte, konnte Marek nicht sagen. Diese Figuren standen in vielen Kirchen und Klöstern. Höchstwahrscheinlich war die heilige Jovanka aus Holz geschnitzt worden, und sie mußte auch älter sein, denn die Farben auf dem Holz waren stark verblaßt. Marek wollte den Toten nicht so liegenlassen. Die Leiche sollte nicht zu einer Beute der Wölfe werden. Da der Boden weich war, schaufelte er mit den Brettern ein flaches Grab. Mit Brettern deckte er auch den Toten ab, das hatte Czesny verdient. Dann ging er zurück, schwerfällig und in finsteren Gedanken versunken. Trotzdem gab er auf seine Sicherheit acht, weil er damit rechnete, daß sich der Blutsauger, der Czesny gebissen hatte, noch in der Nähe herumtrieb. Zudem war es dunkel geworden, für Vampire also ideal. Marek erreichte unangefochten seinen Käfer, stieg ein, startete und fuhr den Weg wieder zurück. Seine Überzeugung hatte sich nicht verändert. Allein würde er mit diesem blutigen Phänomen nicht fertig. Er brauchte Hilfe, und er würde London alarmieren... *** Es gab nur wenige Tage im Jahr, an denen in London derart viele Kranken- und Rettungswagen umherfuhren, wie an diesem Mittwoch im Dezember. Das hatte seinen Grund, denn es war zu einer plötzlichen Temperaturerhöhung gekommen, die manchen Menschen derart auf den Kreislauf schlug, daß sie zusammenbrachen. Auch ich fühlte mich an diesem Morgen nicht gerade in Topform. Ringe lagen unter meinen Augen, obwohl ich nicht durchgemacht, sondern sieben Stunden geschlafen hatte, und Suko war auch sehr schweigsam. Selbst Glendas Kaffee schmeckte nicht wie sonst. »Bist du auch nicht in Form?« fragte ich sie. Unsere Sekretärin runzelte die Stirn. »Wieso? Ist was mit dem Kaffee?« »Na ja . . .« Sie zog mir die Tasse weg. »Dann trinke ich ihn eben allein.« Sprachs und war aus unserem Büro verschwunden.
Verdattert schauten wir hinter ihr her. »Die hat es aber gefressen«, meinte Suko. »Sogar doppelt.« »Hast du sie geärgert?« »Ich nicht.« »Und ich auch nicht.« »Dann muß es wohl am Wetter liegen«, sagte ich und stand auf, um das Büro zu verlassen. Ich fand Glenda im Vorzimmer, wo sie heulte. »He, Mädchen, was ist los? Was hast du?« »Nichts, verflixt, laß mich in Ruhe!« Ich trat nahe an sie heran. »Liegt es vielleicht an mir, daß du so sauer bist?« »Auch.« »Und sonst?« »Ich habe einen schlechten Tag, bin nicht gut drauf. Kann doch passieren, oder?« »Klar, das Wetter. Ich fühle mich auch, als hätte man mich erst längs und danach quer durch irgendeine Mangel gedreht. Am liebsten würde ich wieder nach Hause fahren und mich ins Bett legen.« »Das kannst du nicht.« Glenda schlug den Kalender um, auf das Datum des heutigen Tages. »Du hast eine Verabredung mit diesem Riboc, und zwar im Bukarest.« Ich schlug gegen meine Stirn. »Stimmt, das hatte ich ganz vergessen. Klar, Riboc.« »Kennst du ihn näher?« »Nein, nur vom Telefon her. Er wollte mich treffen, aber es sollte geheim sein. Er sprach von einem Auftrag und bat mich, ihn nach dem Treffen wieder zu vergessen.« Suko war erschienen und hatte mitgehört. »Könnte das eventuell eine Falle sein?« »Wenn, dann ist sie plump gestellt worden.« Mein Freund grinste. »Wenn mich nicht alles täuscht, ist das Bukarest ein Restaurant.« »Ja, balkanesisch.« »Könnte ich auch mal wieder essen.« »Gibst du einen aus?« »Wenn du nicht zuviel ißt.« Ich verzog die Mundwinkel. »Meine Güte, bist du aber geizig.« Suko lachte. »Keine Sorge, das war nur ein Test. Ich bleibe hier und esse unten beim Italiener. Erzähl mir dann später, was es gegeben hat.« »Mach' ich.« Mein Blick auf die Uhr zeigte mir, daß ich losfahren konnte. Das Lokal lag mitten in Soho. Wer wußte schon, wie ich da wieder durchkam! Winkend und mit über den Arm gelegten Mantel verließ ich das Vorzimmer. Wenig später quälte ich den Rover hinein in die schon frühlingshafte Wärme und auch in das Gemisch aus Abgasen,
Nieselregen und Dunst. London erstickte fast unter dieser Glocke, klar, daß es den Menschen schlechtging. Ich wühlte mich durch bis Soho, hätte eigentlich auch die U-Bahn nehmen können, wußte allerdings nicht, was mir noch passierte. Deshalb war es besser, wenn ich mit dem Dienst-Rover fuhr. Ich wußte nur, daß das Bukarest ein Lokal war. Selbst hatte ich es noch nicht betreten. Mit Ach und Krach fand ich einen Parkplatz und ging dorthin, wo das Lokal eigentlich sein mußte. Ja, es war auch da, lag allerdings versetzt von den anderen Fronten und wies mehr HinterhofMileu auf. In seiner Nähe sah ich zahlreiche Südost-Europäer. Es war wohl zu einem Treffpunkt der Rumänen oder Jugoslawen geworden. Mißtrauische Blicke musterten mich, um die ich mich nicht kümmerte, das Lokal betrat und an die Sätze des Anrufers dachte, der erklärt hatte, daß er mich schon erkennen würde. Auch diese Bude war überhitzt. Zudem roch es nach Fett, als hätte jemand Fisch auf einem offenen Feuer gebraten. Die Wände waren dunkel und beklebt mit zahlreichen Bildern aus dem Balkan. Auf den Tischen lagen nicht überall weiße Decken. Ich setzte mich an einen der gedeckten und wartete auf Bedienung. Der Wirt persönlich erschien. Klapperdürr, dem konnte man die Nationalhymne durch die Rippen blasen. Mit seiner langen Nase sah er aus wie eine Comic-figur. »Sie sind doch Mr. Sinclair?« »Sieht man mir das an?« Er zeigte ein Grinsen. »Ich weiß Bescheid. Bitte, kommen Sie mit mir nach hinten.« »Ich wollte eigentlich etwas essen.« »Das können Sie dort auch.« Ich stand auf und folgte dem Dürren dorthin, wo es auch zu den Toiletten ging. Da allerdings wollte er nicht hin und öffnete mir eine Tür mit der berühmten Aufschrift Privat. Ein kleiner Raum schluckte uns. Zwei gedeckte Tische standen dort. Eine weitere Tür führte wohl in die Küche, denn hinter ihr vernahm ich das Klappern von Geschirr. Als ich eintrat, war an einem der Tische ein kleiner Mann im braunen Anzug aufgestanden. Er besaß eine Halbglatze und hatte den Rest seiner schwarzen Haare nach hinten gekämmt. Der breite Mund war zu einem abwartenden Lächeln verzogen, er wußte auch nicht, ob er mir die Hand entgegenstrecken sollte. »Mr. Riboc?« fragte ich. »Ja.« »Okay, hier bin ich. Was haben Sie mir zu sagen?« »Bitte, Sir, wollen Sie sich nicht setzen? Was ich Ihnen zu sagen habe, dauert eventuell länger.«
»Meinetwegen. Kann ich einen Salat bestellen?« fragte ich den Dürren, der noch anwesend war. »Gern und dazu?« »Nur Mineralwasser.« Riboc trank Rotwein. Wir saßen uns gegenüber. Er musterte mich aus flinken Augen, so wie sie ein Gehetzter hatte, der sich ständig verfolgt fühlte. »Haben Sie Angst?« fragte ich direkt. »Und wie. Deshalb habe ich Sie ja zu mir kommen lassen, Sir.« »Dann rücken Sie mal raus mit der Sprache.« Er wartete, bis der Wirt mir mein Wasser serviert hatte. Dann beugte er sich vor. »Es ist nämlich so, Sir, ich bin nicht legal hier in London, verstehen Sie? Heimlich nach England gekommen. Ich . . . ich habe meine Heimat Rumänien verlassen müssen.« Er wartete auf meine Reaktion, die nur aus einem Nicken bestand, so daß er weiterreden konnte. »Ich mußte weg, weil ich den Regierenden nicht ins Konzept paßte, aber ich habe auf sehr verschlungenen Wegen noch durchaus Beziehungen zu meinem Heimatland.« »Das heißt, Sie kennen dort Leute von früher.« »Ja, ich stehe auch mit ihnen in Kontakt. Einer dieser Männer heißt Roman Czesny.« Ich lächelte. »Seien Sie mir nicht böse, aber der Name sagt mir leider nichts.« »Das habe ich auch nicht erwartet. Wie gesagt, Ramon ist mein Freund, und er hat mir etwas aufgetragen. Gewissermaßen als eine DoppelVersicherung, wenn Sie verstehen.« »Nein.« »Sie kennen einen Frantisek Marek?« wisperte er. Ich setzte mich steif hin. »Ach«, sagte ich ebenso leise. »Aus dieser Ecke weht also der Wind?« »Nicht direkt, eher aus der Vampirecke. Ich kann ja auch nichts dafür, aber Marek hat sich ...« Er schüttelte den Kopf. »Nein, es ist anders. Czesny und Marek wollen sich treffen. Mein Freund wollte sich aber doppelt versichern und hat mir deshalb Informationen für Sie gegeben, Sir.« »Woher kennt er mich?« Riboc hob die Schultern. »Da bin ich überfragt. Vielleicht wird Marek Sie erwähnt haben, Sir.« »Das kann sein. Aber weiter, welche Informationen sind es?« Ich mußte meine Neugierde bezähmen, denn der Wirt brachte meinen gemischten Salat. Davon hätten eigentlich zwei Personen satt werden können.
Ich hielt die Gabel in der Hand, ohne die Zinken in den Salat zu stechen. Dann sprach der Rumäne, und was er sagte, haute mich zwar nicht vom Stuhl, es machte mich starr. »Aktion D, Sir. Es geht um die Aktion D, um Dracula IL Das hat mir mein Freund aufgetragen.« »Noch mal«, murmelte ich. Er wiederholte sich, während ich vom Krautsalat probierte und mit seinem Geschmack zufrieden war. »Was sagte er noch?« »Nicht viel mehr. Er meinte nur, daß Sie damit etwas anfangen könnten, Sir.« »Möglich, aber was ist mit Frantisek Marek?« »Das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Jedenfalls kennt mein Freund ihn und hat ihn wahrscheinlich eingeweiht.« Riboc hob die Schultern. »Das war ihm wahrscheinlich nicht genug. Deshalb hat er noch eine zweite Sicherung eingebaut.« »Sie?« »So ist es.« Ich aß und nahm mir deshalb Zeit zum Überlegen. »Natürlich kann ich damit etwas anfangen, aber ich wundere mich, daß ich auf diesem und nicht dem direkten Weg über meinen alten Freund Marek Bescheid bekomme. Das will mir nicht so recht in den Kopf.« Riboc hob die Schultern. »Sir, ich bin nur ein Bote. Zudem einer, der Angst hat, weil ich ohne Papiere hier lebe. Ich kann nur hoffen, daß Sie mich nicht verraten.« »Da brauchen Sie keine Sorge zu haben. Sollte zutreffen, was Sie mir sagten, dann werde ich Ihnen sogar mehr als dankbar sein müssen, Mr. Riboc.« Ich lächelte ihm über den Teller hinweg zu. »Aber das ist noch Spekulation.« »Fahren Sie nach Rumänien?« »Keine Ahnung.« »Wenn ja und wenn Sie meinen Freund Roman treffen sollten, bestellen Sie ihm Grüße und sagen Sie ihm, daß ich mich trotz allem in der Freiheit sehr wohl fühle.« «Werde ich machen, Mr. Riboc.« Den Salat ließ ich zur Hälfte stehen. Nicht weil er mir nicht schmeckte, die Nachricht war mir einfach auf den Magen geschlagen. Als der Wirt kam und ich zahlen wollte, schüttelte der Mann freundlich aber bestimmt den Kopf. »Nein, Sir, Sie waren heute mein Gast. Darf ich das?« »Dann bedanke ich mich.« »Sie sind ein guter Mensch, Sir.« Ich mußte lachen. »Woher wissen Sie das denn?« »So etwas erkenne ich an den Augen eines Menschen.«
Ich winkte ab. »Sagen Sie das mal meiner Freundin. Die glaubt das letztere eher.« Abermals verließ ich lachend den Raum, obwohl mir nicht nach Lachen zumute war. Mich überkam eher das Gefühl einer fürchterlichen Ahnung. Etwas Schreckliches bahnte sich an. Als sein Freund John Sinclair verschwunden war, machte Suko die Beamtenprüfung. Er legte die Beine auf den Schreibtisch, schaute aus dem Fenster und dachte an gar nichts. Das tat mal gut, das mußte mal sein, wenn man normalerweise ständig unter einem fürchterlichen Streß steht. Aus dem An-nichts-denken riß ihn Glenda, die förmlich in das Büro hereinstürmte. Suko schrak zusammen. »Mann, was ist dir denn in die Knochen gefahren, Glenda?« »Wenn schon, dann Frau und nicht Mann. Das ist mir in die Knochen gefahren.« Sie knallte einen Brief auf den Schreibtisch. »Er stammt aus Rumänien. Rate mal, wer der Absender ist?« »Marek?« »Richtig, und der Brief kam per Eilpost.« Suko schüttelte den Kopf. »Wenn es so eilig ist, warum hat er dann nicht angerufen?« Glenda schaute ihn mitleidig an. »Wo bleibt denn da deine tägliche Bildung?« »Ich verstehe nicht. Was hat das mit dem Brief oder dem Anruf zu tun?« »Ganz einfach. Ceausescu hat die Zügel straff angezogen. Ich kann mir vorstellen, daß die Gespräche abgehört werden.« »Kluges Mädchen.« »Mach doch endlich auf.« »Ja, ja, nur keine Hektik.« Suko nahm die Beine von der Schreibtischplatte und faßte den Brief mit spitzen Fingern an, bevor er ihn mit einem schmalen Öffner aufschlitzte. Nicht das Schreiben holte er zuerst hervor, sondern ein Polaroidfoto, das auf den ersten Blick hin völlig normal wirkte und eine Heiligenfigur zeigte. »Darf ich mal sehen?« fragte Glenda, nahm das Bild an sich und ging damit ans Licht. Suko las den Brief. Glenda Perkins beobachtete ihn dabei nicht. Hätte sie es getan, so hätte sie festgestellt, wie bleich er wurde, je länger er las. Er schüttelte den Kopf, flüsterte etwas, legte den Brief zur Seite und schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. Genau in dem Augenblick stieß Glenda einen leisen Schrei aus und fuhr auf dem Absatz herum. »Suko, das kann nicht wahr sein, das ist eigentlich unmöglich. Schau dir mal die Stirn der Figur an. Das ist eine Heiligenfigur und darauf . ..«
»Sieht man das verdammte und berühmte D.« Mallmann verfluchte das Zeichen. »Nicht wahr?« »Ja«, hauchte Glenda, Suko das Foto reichend. Sie bekam als Gegenleistung den Brief, während Suko sich das Foto sogar unter einer Lupe anschaute. In seiner Kehle kratzte es. Wenn ihn nicht alles täuschte, befand sich die Figur in einer Kirche. Und ein Vampir oder Vampirismus in der Kirche, das paßte einfach nicht zusammen. So etwas war wie Feuer und Wasser. Doch Will Mallmann durfte man nicht mit normalen Maßstäben messen. Der widerstand sogar geweihtem Silber und besaß den Blutstein, der ihn mächtig werden lassen konnte. »Rumänien«, murmelte Suko. »Das ist genau sein Land. Dort kann er sich austoben.« »Wie meinst du das?« »Du hast mich doch auf die politischen Verhältnisse aufmerksam gemacht. Rumänien ist ein gewaltiges Gefängnis. Die Menschen kommen nicht mehr heraus. Für einen Vampir wie Mallmann sind es eigentlich ideale Bedingungen. Da kann er schalten und walten, und die Angst der Menschen kommt ihm auch entgegen.« Glendas Gedanken waren ein wenig abgeirrt. »John ist doch auch unterwegs, um einen Rumänen zu treffen.« Suko starrte sie an. »Ja, das stimmt.« Er wedelte mit der Hand. »Ich glaube, hier läuft einiges zusammen, das wir bisher noch nicht gesehen haben.« »Spürst du schon Reisefieber?« »Auch.« Glenda nagte auf der Unterlippe. »Ich könnte mal in diesem Lokal anrufen!« »Wäre nicht schlecht.« Die dunkelhaarige Frau telefonierte vom Vorzimmer aus Suko hörte in der offenen Tür stehend mit und erfuhr, daß John Sinclair das Lokal bereits verlassen hatte. »Dann müßte er eigentlich gleich kommen.« Glenda hatte die Hände in den Schoß gelegt. »Was willst du jetzt unternehmen?« »Wir werden so schnell wie möglich nach Rumänien fahren müssen. Da wird auch Sir James nichts einzuwenden haben.« »Der liegt im Bett und hat die Grippe.« Suko winkte ab. »Stimmt, hast du ja heute morgen schon gesagt.« Suko schüttelte den Kopf. »Wer bei diesem Wetter nicht krank ist, der ist auch nicht gesund.« In der Tat hatte die Grippewelle die Insel regelrecht überfallen und sich wahnsinnig schnell ausgebreitet. Dieses warme Winterwetter war Gift.
»In Rumänien werdet ihr Winter haben«, meinte Glenda. »Zumindest in den Karpaten.« Suko winkte ab. »Zuviel Schnee ist auch nichts.« Dann drehte er sich, weil sich die Tür öffnete und John Sinclair in das Vorzimmer stürmte. Ich wollte mit der Neuigkeit herausplatzen, doch der Inspektor winkte ab. »Sag nichts, Alter, wir fahren nach Rumänien.« Wie vor eine Wand gelaufen, blieb ich stehen. »Kannst du neuerdings hellsehen?« »Ich besitze eben ungeahnte Fähigkeiten.« Danach war für uns der Witz beendet. »Mal ehrlich, Suko, was ist geschehen?« Er winkte mich in unser Büro herein. Auf dem Schreibtisch lagen das Foto und der blaue Briefumschlag mit der Adresse nach oben. Ich erkannte sofort Frantisek Mareks Handschrift. »Die doppelte Sicherung«, murmelte ich. »Wie bitte?« Obwohl ich neugierig war, erklärte ich meinem Freund zuerst, was mir widerfahren war. Staunend hörten er und Glenda zu. »Und jetzt werde ich dir etwas zu lesen geben.« Ich bekam den Brief, las ihn durch und schaute mir anschließend das Foto an. »Sieh besonders genau auf die Stirn und erkläre mir dann, was du davon hältst.« Zunächst bekam ich eine Gänsehaut. Sie kroch vom Nacken her in Richtung des letzten Wirbels, wo sie sich festsetzte. Ich hatte natürlich erkannt, daß es sich dabei um eine Heiligenfigur handelte, sie besaß einen madonnenhaften Ausdruck, stellte aber nicht die Mutter Maria dar. Aus dem Schreiben hatte ich erfahren, daß es sich um die heilige Jovanka handelte. Der Name sagte mir nichts, aber die Tatsache, daß eine Heiligenfigur mit dem rötlich schimmernden D gezeichnet war, die machte mir schon irgendwo angst. Für einen Moment schloß ich die Augen. Ich dachte daran, daß Mallmann, der ja hinter allem steckte, gegen geweihtes Silber resistent war und daß er jetzt sogar damit begann, seine Zeichen in Gebiete zu setzen, die für Schwarzblütler zuvor tabu gewesen waren. Was würde noch folgen? War dies hier erst der Beginn? Suko reagierte sich mit einem freudlosen Lachen ab. »Ich kann mir vorstellen, in welche Richtung sich deine Überlegungen bewegen. Ich denke ähnlich. Wehret den Anfängen!« »Wenn wir da nicht schon darüber hinweg sind«, erwiderte ich leise. »Suko, das sind keine Anfänge mehr. Das ist schon ein Zeichen der Umwandlung. Das ist schon Macht.« »Die wir brechen müssen.« »Hast du schon die Tickets bestellt?«
»Nein, noch nicht. Vielleicht sollten wir zuvor Marek anrufen. Seit unserem letzten Besuch in diesem Land hat sich einiges geändert. Es ist noch schlimmer geworden, die Menschen leiden noch stärker. Es darf keiner raus, auch kaum jemand hinein. Die Versorgungslage bricht zusammen, dafür vermehrt sich der Terror. Wir werden es noch schwieriger haben. Wie sieht es mit den Beziehungen aus?« Ich hob die Schultern. »Die sind mager. Da müßte Sir James etwas daran drehen, trotz seiner Grippe. An etwas anderes denke ich auch. Wir sollten zuvor mit Marek Kontakt aufnehmen, daß er uns wenigstens erwartet.« »Weißt du, ob er sich in Petrila befindet?« »Nein.« Ich setzte mich hinter den Schreibtisch und griff zum Telefonhörer. Nach Rumänien anzurufen, ist nicht einfach. Man muß sich schon verflixt anstrengen und vor allen Dingen Geduld mitbringen. Weit über eine Stunde versuchten Suko und ich es abwechselnd. Ich hatte kein Glück, aber mein Freund bekam plötzlich Verbindung. Sehr schnell merkte ich, daß Marek nicht am Apparat war. Suko sprach auch sehr langsam, wahrscheinlich verstand die Person in Petrila kaum Englisch. Mein Freund machte sich Notizen und verabschiedete sich schließlich mit einem Schweißfilm auf der Stirn. Er drückte sich zurück und atmete tief durch. »Das war anstrengend. Warum hast du nicht mitgehört?« »Vergessen. Was hat es denn gegeben?« »In Petrila werden wir den guten Marek nicht finden können. Er hat mit einem Anruf gerechnet und einen Vertrauten in seinem Haus zurückgelassen. Der Mann sprach nur ein paar Brocken Englisch. Ich hatte Mühe, ihn zu verstehen. Wir sollen, wenn wir in Rumänien sind, nach Skodar fahren.« »Ach du Schreck. Wo liegt das denn?« »Wohl in der Nähe von Brazov, dem ehemaligen Kronstadt.« Vor meinem geistigen Auge erschien die Karte von Rumänien. Ich wußte ungefähr, wo Kronstadt lag. Jedenfalls in einem bergigen Gebiet und nahe der südlichen Kette der Karpaten. Hart lachte ich auf. »Das wird ein Spaß werden. Ich freue mich schon auf die Einreise.« »Das soll Sir James erledigen.« Diesmal telefonierte ich. Sir James kurierte seine Grippe nicht im Club aus, sondern bei sich zu Hause. Als er sich meldete, erkannte ich seine Stimme kaum. Sie hörte sich an, als würde der Hals zusitzen. »Denken Sie auch mal an Ihren Chef, John?« »Immer, Sir. Wie geht es Ihnen?« »Hören Sie das nicht?« »Doch. Wenn es nur die Stimme ist...«
»Leider habe ich noch etwas Fieber hinzubekommen, das ist auch nicht gerade ein Spaß.« »Glaube ich Ihnen gern. Weshalb ich anrufe, hat folgenden Grund. Wir müssen so schnell wie möglich nach Rumänien.« Sir James' Geist hatte unter der Krankheit nicht gelitten. Er schaltete sehr schnell. »Mallmann?« »So ist es. Er hat Zeit genug gehabt, sich umzuschauen, und er hat bereits seine Zeichen gesetzt.« »Ich höre.« Sir James bekam die neuen Infos durch und zeigte sich ebenfalls geschockt. »Da müssen Sie etwas tun, John, und zwar sofort.« »Das meine ich auch. Sie kennen auch die jetzige Lage in diesem Land. Können Sie uns trotzdem noch den Weg ebnen?« »Ich versuche es. Bleiben Sie bitte solange im Büro.« »Natürlich.« Glenda kam mit frischem Kaffee. »Wahrscheinlich der letzte vor eurer Reise.« Wir bedankten uns und probierten ihn. Er war wieder super. Wir lobten Glenda, die ein Lächeln nicht verbergen konnte und einen roten Kopf bekommen hatte. Es dauerte relativ lange, bis uns Sir James zurückrief. Dafür überbrachte er eine gute Nachricht. Trotz der Sperre durften wir einreisen und bekamen sogar einen Schrieb mit. »Ein erster Erfolg«, sagte Suko. »Hoffentlich bleibt es nicht dabei.« Ich hob nur die Schultern. Mit meinen Gedanken war ich schon längst in Transsilvanien und bei Will Mallmann, dem Dracula II! *** Frantisek Marek wußte, daß es dauern würde, bis das Bild und die Nachricht bei John Sinclair in London eintrafen. Diese Zeitspanne mußte er nutzen. Vor allen Dingen wollte Marek herausfinden, wo sich die Statue der heiligen Jovanka befand. Czesny mußte sie schließlich irgendwo fotografiert haben, und Marek ging davon aus, daß dies in einer Kirche oder in einem alten Kloster geschehen war. Klöster gab es in Rumänien noch genug. Viele waren zerstört und ausgeraubt worden, aber andere wiederum zeigten sich noch gut erhalten. Sie lagen oft sehr versteckt in den dunklen Wäldern, fernab irgendwelcher Dörfer, wie auch die zahlreichen Burgruinen, die als Stümpfe auf den Bergrücken standen und über die Wipfel der Bäume hinwegschauten.
Rumänien war bekannt für seine Burgen und Schlösser, und auch die Regierung zerstörte nicht alles, weil sie andere Probleme hatte. Natürlich gab es kaum noch Kunstschätze in den Kirchen oder Klöstern. Wenn doch, dann hielt man sie versteckt oder unter Verschluß. Marek war kein Experte, aber die Figur der heiligen Jovanka hatte schon sehr alt ausgesehen. Ein Originalbild war nur vorhanden gewesen, doch Marek hatte es tatsächlich geschafft, sich davon einen Abzug machen zu lassen, der mehr einer Fotokopie glich, denn Farben waren kaum zu sehen. Jetzt mußte er wissen, wo er den Hebel ansetzen konnte. Marek war in diesem Land alt geworden, er war auch viel herumgekommen, besonders in den letzten Jahren, als er sich darauf eingestellt hatte, Vampire zu jagen. Das war nun zu seiner Lebensaufgabe geworden. Er konnte auch Erfolge an seine Fahne heften, nur Mallmann, den hatten weder er noch John Sinclair geschafft. Von seinem Londoner Freund wußte er auch, wie mächtig der Vampir Mallmann geworden war, denn geweihtes Silber zeigte bei ihm keinen Erfolg. In Rumänien hatte er sein neues schwarzmagisches Wirkungsfeld gefunden, sich eine Basis aufgebaut, um von hier aus den Machtanspruch antreten zu können. Wo steckte Mallmann? Diese Frage beschäftige Marek permanent. Rumänien war groß, es gab zahlreiche Verstecke. Da konnte man jahrelang suchen, ohne überhaupt eine Spur von ihm finden zu können, falls er sich still verhielt. Das würde Mallmann nicht tun, er schaute nach vorn, er wollte Herrschaft, da konnte er nicht untätig in einem Winkel hocken und schmoren. Er mußte sich zeigen. Wenn sich ein Vampir zeigte, hinterließ er Spuren, die man eventuell zurückverfolgen konnte. Das hatte der Pfähler vor. Die Spur war das Bild. Und er kannte Experten, Holzschnitzer, einfache Menschen, keine großartig zur Schau gestellten Künstler, die aber ungemein Bescheid wußten und sich auskannten. Walter Hänle hieß ein solcher Experte! Frantisek Marek hatte ihn schon vor Jahren kennengelernt. Die beiden Männer waren etwa gleichaltrig, sie schätzten sich. Hänles Vorfahren stammten aus Deutschland, aus dem Schwäbischen, und gerade diese Einwanderer waren es damals gewesen, die dem Inneren des Landes zu einer respektablen blute verholfen hatten. Jetzt wollte die Regierung ihre Dörfer zerstören, ihnen alles Heimatliche nehmen und die Menschen in die Städte treiben, wo sie in grauen Betonburgen hok-ken sollten. Walter Hänle wohnfe in Brasov. Die Stadt wurde von den RumänienDeutschen noch immer Kronstadt genannt. Sie war einmal der Stolz der Region gewesen.
Zwar gab es auch noch jetzt die Arkadenhäuser und Laubengänge, aber alles wirkte sehr heruntergekommen, wenn nicht schon verfallen. Es wurde kein Geld dafür ausgegeben, um die Fassaden zu restaurieren oder zu renovieren. Für wen auch? Touristen verirrten sich kaum nach Rumänien. Wenn doch, dann fuhren sie ans Schwarze Meer. In Kronstadt hatte es geschneit, als Marek eintraf. Auf den Dächern der Häuser und den Straßen lag eine dünne, weiße Decke. Es gab sehr breite Straßen, die trotz der frühen Nachmittagsstunde leer wirkten. Kaum Wagen fuhren durch die Stadt. Und wenn, dann überwogen die Militär-Fahrzeuge. Marek kannte sich aus. Er tuckerte mit seinem VW in den alten Stadtkern, wo es noch enge Gassen gab und sich die Häuser schutzsuchend gegeneinander drückten. Früher hatte Hänle hier gewohnt. Frantisek hoffte, daß er ihn noch antreffen würde. Angemeldet hatte er sich nicht. Die Hänles waren gastfreundliche Menschen, sie vergaßen alte Bekannte oder Freunde bestimmt nicht. In einem schmalen Durchgang stellte Marek seinen VW ab. Der Durchgang grenzte an die Rückseite des Hauses, wo die Hänles wohnten und Walter auch seine Werkstatt hatte. Er lebte von der Schnitzerei, verkaufte seine kleinen Werke oft unter der Hand, mußte aber auch die offiziellen Märkte bedienen, wo er weniger verdiente und der Staat ihm einiges von seinem schmalen Gewinn abnahm. Blind sahen die Scheiben der kleinen Werkstatt aus. Es roch nach Holz und nach Rauch, der aus zahlreichen Kaminen kroch und in der grauen Luft kaum auffiel. Werkstatt und Haus gingen ineinander über, so war es auch bei Marek zu Hause der Fall, denn er besaß noch eine kleine Schmiede und reparierte so ziemlich alles, was mit Metall zu tun hatte. Auf dem kleinen Hof kam ihm eine alte Frau entgegen. Sie hatte den Griffeines mit Eiern gefüllten Weidekorbs unter dem Arm geklemmt und ein Kopftuch umgebunden. Mißtrauisch schaute sie Marek an. Der grüßte freundlich und erkundigte sich, ob Walter Hänle zu Hause war. »Was willst du von ihm?« »Ich bin kein Spitzel, nur ein alter Bekannter.« Die Frau musterte ihn, bevor sie nickte. »Ja, er ist da. Ich habe ihn vorhin noch gesehen.« »Danke.« Marek drückte eine Tür auf und wandte sich nach rechts. Der Geruch eines scharfen Pfeifentabaks drang in seine Nase. Er erinnerte sich
wieder, daß Hänle gern Pfeife rauchte. Irgendwie fühlte er sich, als wäre er zurück nach Hause gekommen, der Duft kam ihm bekannt vor. »Komm rein, Frantisek, ich habe dich schon gesehen.« Walter Hänle erhob sich von seinem Schemel und streckte dem Pfähler beide Arme entgegen. Er war ein großer Mann mit weißen Haaren und einer Haut, die wie gegerbtes Leder aussah. Die Augen blickten scharf. Die Finger waren lang, aber trotzdem kräftig. Der linke Ringfinger fehlte ihm zur Hälfte, seitdem er einmal mit dem Schnitzermesser abgerutscht war. Marek sah die Drehscheiben, die Werk- und Hobelbänke, das Holz, die fertigen und unfertigen Teile, die Späne auf dem Boden, aber es war auch kalt in der Werkstatt, denn im Ofen brannte kein Feuer. Hänle nickte, als der Pfähler die Schultern hochzog. »Es ist so etwas mit den Kohlen. Wir heizen im Haus, nicht in der Werkstatt. Doch wenn mir die Hände vor Kälte steif werden, höre ich auf.« Die beiden Männer umarmten sich. Hänle zurrte den dunklen Schal fest, den er um seinen Hals geschlungen hatte und deutete auf einen zweiten Schemel. »Nimm Platz, mein Freund.« Ohne zu fragen, holte Walter Hänle eine Flasche hervor, deren Inhalt fast wasserklar aussah. Doch Wasser befand sich nicht darin. Frantisek schaute gegen einen halbfertigen Schrank. Hänle war dabei, noch an den Türen zu arbeiten und sie mit kunstvollen Schnitzerein zu verzieren. »Machst du so etwas jetzt auch?« fragte er und deutete auf den Schrank. Hänle nickte nicht gerade begeistert. »Ja, ein hoher Polit-Kommissar bat mich darum. Da kann man nicht nein sagen, wenn du verstehst. Vielleicht brauche ich ihn auch einmal.« Marek nickte. »Da hast du recht.« Walter schob ihm ein gut gefülltes Glas zu. »Auf dich, auf uns, auf deinen Besuch bei mir.« Sie tranken. Der Schnaps war ein Räuber. Er >räuberte< im Magen umher, aber Marek kannte so etwas, auch er braute für seinen Gebrauch. Sie tranken noch einen zweiten, aßen auch Speck, dazu trockenes Brot und sprachen von den alten und den neuen Zeiten. Letztere bezeichneten beide als sehr schlecht. Hänle wußte, womit sich Marek beschäftigte. »Jagst du noch immer den Blutsaugern hinterher?« »Mehr denn je.« Hänle wischte über seine Augen. Mit der Spitze eines Messers pickte er ein Stück Speck hoch und stopfte es in seinen Mund. »Mehr als sonst, sagst du? Muß ich davon ausgehen, daß sich die Pest ausbreitet?« »Ich glaube schon.«
Der Rumänien-Deutsche kaute und schluckte. »Ich bin einer der wenigen, die dir glauben, Frantisek. Wenn ich das meinen Enkeln erzähle, halten sie mich für dumm. Aber die wohnen nicht mehr hier. Sie sind nach Deutschland zurück.« »Wie alt. . .?« »Achtzehn und zwanzig, Frantisek. Die Zeit vergeht, obwohl es mir vorkommt, als würde sie für uns stehenbleiben.« Versonnen schaute er gegen das Fenster. »Du bist sicherlich nicht gekommen, um mir nur einen guten Tag zu wünschen.« »So ist es.« »Womit kann ich dir helfen?« Marek räusperte sich. »Es geht eben um diese Vampire, alter Freund. Ich habe eine Spur von ihnen gefunden, komme allerdings ohne deine Hilfe nicht weiter.« »Hängt es mit meinem Beruf zusammen?« Marek nickte. »Schön, Frantisek, dann laß dich nicht zu lange bitten. Was hast du auf dem Herzen?« Der Pfähler holte die etwas schwache Fotografie aus der Tasche und reichte sie dem Schnitzer. »Du müßtest Licht machen, Walter.« Er lachte bitter auf. »Das würde ich gern.« Er lachte wieder und ebenso bitter. »Aber du kennst die Probleme. Man rationiert den Strom. In den nächsten beiden Stunden läuft nichts und ab Mitternacht auch nicht.« »Dann helfe ich dir.« Der Pfähler holte seine kleine Lampe aus der lasche. Er zielte mit dem Strahl genau auf das Blatt und fragte: »Erkennst du was?« »Noch nicht.« Er setzte eine Brille auf. Sie besaß ein altes Nickelgestell. »Man wird alt, die Augen machen da nicht mehr so mit.« Jetzt schaute er genau hin. »Was soll das sein?« »Eine Heiligenfigur.« Walter Hänle schüttelte den Kopf. »Hast du kein besseres Foto auftreiben können?« »Schon, das haben andere.« 1 »Gut, was willst du wissen?« Frantisek beugte sich vor. »Wenn du trotz dieser schlechten Kopie erkennen könntest, wo ich diese Figur finden kann, wäre ich dir sehr dankbar.« Hänle nickte, holte eine Lupe und untersuchte den Abzug genauer. Er ließ sich Zeit. Von draußen hörten sie Frauenstimmen, doch es betrat keine Person die Werkstatt. »Es ist die heilige Jovanka«, gab ihm Marek Schützenhilfe. »Das habe ich mir schon gedacht«, murmelte Hänle. »Ich gehe mal davon aus, daß es sich bei ihr um eine alte Figur handelt — oder?«
»Damit rechne ich auch, jetzt möchte ich nur erfahren, wo ich sie finden könnte.« »Frag mich lieber, wie in zehn Wochen das Wetter wird. Das ist leichter zu beantworten.« »Keine Chance?« »Das habe ich nicht gesagt. Man muß da vorgehen wie ein Detektiv.« Hänle kratzte an seiner faltigen Stirn. »Heiligenfiguren gibt es in diesem Land sehr viele, sie sind noch überall verteilt. Hast du einen Hinweis, Fran-tisek?« »Ja, den könnte ich haben. Ich gehe davon aus, daß diese Figur aus der Umgebung stammt.« »Kronstadt nicht.« »Nein.« »Welcher Umkreis?« »Hundert Kilometer.« Hänle nickte. »Da könnten wir Glück haben«, murmelte er, »da könnten wir wirklich Glück haben.« Er stand auf und näherte sich mit schlurfenden Schritten einem Regal. Auf dem Boden ließ er Schleifspuren zurück, denn er hatte die Holzspäne zur Seite geschoben. Im Regal standen Bücher. Er nahm eines hervor und blies den Staub weg. Dann blätterte eres auf, murmelte dabei und legte es schließlich vor Marek auf den Tisch. »Ist da was?« »Schau selbst hin.« Das Bild sah kaum besser aus als Mareks Abzug. Es war ebenfalls verblichen, aber in der Brust des Pfählers trommelte das Herz plötzlich schneller. Hänle beobachtete ihn und bekam mit, wie sich Marek den Schweiß von der Stirn wischte. »Nu n?« Mit der flachen Hand schlug Frantisek neben das Buch. »Das ist es, verdammt, das ist es!« »Wunderbar.« »Jetzt brauche ich nur zu wissen, wo ich die Kirche oder das Kloster finden kann.« Hänle setzte die Brille ab. »Du hattest recht, es ist nicht sehr weit von hier. Kennst du die Kirche oder das Kloster der schweigenden Münder?« »Ja und nein. Ich habe davon gehört.« »Dort wirst du die heilige Jovanka finden.« »Und weiter?« »Nichts. Die Kirche und das Kloster sind leer, glaube ich. Wenn auch vor einigen Jahren dort noch Mönche lebten.« »Weshalb hießen sie die schweigenden Münder?« »Weil sie das Gelübde abgelegt haben, nicht zu reden. Oder zumindest nur zu bestimmten Zeiten.« i »Hattest du schon Kontakt mit ihnen?« Hänle schüttelte den Kopf. »Nur durch meine Bücher. Wie dir bekannt ist, sind in den Kirchen und Klöstern noch zahlreiche Kunstgegenstände zu finden. Das ist nun mal so, denn alles hat der Staat nicht wegschaffen können.«
Marek lächelte. »Jetzt brauchst du mir nur den genauen Weg zum Kloster zu erklären.« »Das mache ich gern.« Marek erfuhr, daß er sich den Weg eigentlich hätte sparen können, denn die Kirche lag nicht weit vom Ausgangspunkt entfernt, einige Kilometer nördlich von Skodar in den Bergen, ziemlich einsam, versteckt und zugewachsen, wie Walter Hänle meinte. Der Pfähler steckte die Kopie wieder ein und mußte sich nach dem Grund seines Besuchs fragen lassen. »Wie ich es schon ansprach, Walter. Ich jage tatsächlich hinter Vampiren her.« »In der Kirche?« Die drei Worte sollten spöttisch klingen. Hänle lachte dabei. Nur als er das ernste Gesicht des Freundes sah, preßte er die Lippen zusammen. »Davon gehe ich aus, Walter.« Marek sprach jetzt schneller und sogar hektischer. »Es ist vieles anders geworden, alter Freund. Die Blutsauger halten sich nicht nur in Särgen oder finsteren Grüften versteckt. Sie suchten andere Möglichkeiten und haben auch welche gefunden, um ihre Macht ausbreiten zu können. Die Vampire sind stärkerund raffiniertergeworden. Leider haben sie dabei nichts von ihrer Grausamkeit und Brutalität eingebüßt.« Hänle kratzte an seinem Schädel. »Also das muß ich erst noch verkraften.« Frantisek klopfte ihm auf die Schulter. »Keine Sorgen, das brauchst du nicht. Es ist mein Problem, und ich kann nur hoffen, daß es das Problem einiger weniger bleiben wird.« »Hältst du mich auf dem laufenden?« erkundigte sich der RumänienDeutsche, als er Frantisek zur Tür brachte. »Natürlich.« Hänle ging mit bis zum Auto. Mit der flachen Hand klopfte er auf das Dach und lächelte. »Es fährt noch immer, wie?« »Ja, deutsche Wertarbeit.« Die beiden Männer umarmten sich, und Hänle schaute dem Wagen so lange nach, bis er um die Ecke gebogen war. Dann ging er zurück ins Haus. *** Es war selbst für Frantisek Marek nicht leicht gewesen, den Weg zum Kloster oder zur Kirche zu finden. Wieder tuckerte er mit seinem VW los, aber mit dem Wagen kam er nicht bis an das Kloster heran. Der Weg sah aus, als würde er aufhören. Nur mehr als schmaler Pfad wand er sich weiter, vorbei an einem Wasserfall und auf einer brüchigen Holzbrücke über eine kleine
Schlucht, in der der Wasserfall einen kleinen See speicherte. Von dort schäumte er durch sein schmales Bett mit hoher Geschwindigkeit talwärts. Der Pfähler mußte suchen, wo der Weg weiterführte. Dicht an der steilen und mit dunklem Wald bewachsenen Bergflanke führte er entlang, wand sich um eine feuchte Felsnase herum und führte in Serpentinen weiter. Das Rauschen des Wasserfalls begleitete den einsamen Wanderer noch eine Weile, doch das hörte Marek kaum. Fr hatte andere Sinne geschärft, besonders seine Augen, denn diese Umgebung war für Blutsauger wie geschaffen. Die unheimliche, graugrüne Düsternis schwand auch am läge nicht. Selbst das Licht der Sommersonne sickerte iinr spärlich durch das Geäst der Bäume, so blieb der Untergrund auch in den heißen Monaten feucht. Noch wuchsen die Mauern oder Ruinen nicht aus dem Düster hervor. Marek ging weiter, er quälte sich, es war an seinen scharf ausgestoßenen Atemzügen zu hören. Vor den Lippen stand die Luft als Nebel. Es war lausig kalt in der Höhe, und der Wind peitschte die Bäume. Die Kirche der schweigenden Münder! Immer wieder dachte Marek über diesen Begriff nach. Es wunderte ihn, daß er davon noch nichts gehört hatte, gab aber gleichzeitig zu, daß er dieses Land nicht bis in jeden Winkel kennen konnte. Es war zu groß, zu geheimnisvoll. Noch eine große Kurve schlug der schmale Weg. Ein breiter Linksbogen, und Marek fühlte mit dem sicheren Instinkt eines Jägers, daß sich hinter dieser Kurve das Ziel befinden mußte. Er hatte sich nicht getäuscht. Zwar war der Wald nicht völlig verschwunden, er kam ihm allerdings schon vor, als hätte eine gewaltige Sense einen Teil der Bäume gekappt. Die Sicht war besser geworden, und Mareks Blick fiel tatsächlich auf ein dunkles, abweisend wirkendes Gemäuer, das sich gegen das Grau des wolkigen Himmels wie eine gespenstische Zeichnung abhob. Der Pfähler blieb stehen. Er war ein Mensch wie alle anderen auch. Kannte Freude, Leid und Furcht. Dieses alte Kloster mit seiner Kirche flößte ihm Unbehagen ein. Er spürte, daß der ureigenste Geist das Gemäuer verlassen hatte und hinter den Steinen etwas Schreckliches hauste. Große Zerstörungen konnte er nicht entdecken. Hänle hatte ja davon gesprochen, daß dieses Kloster noch bis vor kurzem bewohnt gewesen war, demnach hatte es noch nicht verfallen sein können. Wenn Dracula II sich einen Stützpunkt einrichten wollte, war er hier an der richtigen Stelle. Die Burg des echten Vlad Dracula kam nicht in Frage. Sie war zu einer Touristenattraktion geworden, aber Kloster und Kirche lagen günstig und gleichzeitig gut versteckt.
Er ließ seinen Blick in die Flöhe gleiten, wo düstere Wolken über die Mauern hinwegsegelten. Dazwischen glaubte er, Schatten zu sehen, die ihn an gewaltige Fledermäuse erinnerten, aber das war wohl mehr eine Halluzination. Die hohe Frontseite der Kirche deckte die Gebäude des Klosters gegen eine Entdeckung hin ab. Das traf sich günstig, weil Marek sich zunächst in der Kirche umschauen wollte, denn dort mußte die echte Heiligenfigur zu finden sein. Er bewegte sich vorsichtig auf das Portal zu. Unter seinen Füßen umwuchs feuchtes Moos einen steinigen Belag. Erst jetzt fiel Marek auf, daß sich kein Kreuz mehr auf dem Kirchturm befand. Mallmann hatte sie zu einer heidnischen Stätte gemacht. So wie der Pfähler sich fühlte, mußte es auch Jonathan Harker ergangen sein, als er sich zum erstenmal der Burg des Grafen Dracula genähert hatte, von Bram Stoker, dem Autor des Dracula-Romans, hervorragend beschrieben. Marek blieb vor dem Portal stehen. Bevor er das Kirchenschiff betrat, schaute er sich noch einmal um. Zwischen den Bäumen stiegen Dunstschleier auf. Die mächtige Klinke zeigte einen feuchten Glanz. An ihrer Unterseite hingen die Tropfen wie blasse Tränen. Marek wischte sie ab, als er die Klinke umfaßte, sie nach unten bog, den Druckpunkt erreichte und sie nach innen aufstieß. Was würde ihn erwarten? Lauerten die Blutsauger bereits auf ihn? Hielten sie ihn unter Kontrolle? Waren sie ihm als heimliche Schatten vielleicht gefolgt? Alles konnte eintreffen, war möglich, aber auch das Gegenteil davon. Nein, ein Dom war es nicht, aber eine mächtige Kirche mit sehr hoher Decke und langen Rundbogenfenstern, deren Glas einen bunten Schimmer zeigte. Wie bei einem Puzzle setzten sich die farbigen Glasstücke zu Motiven zusammen. Sie bildeten zumeist Personen, Heilige, die verehrt wurden. Kein fremder kaut drang dem einsamen Frantisek Marek entgegen, als er den Fuß über die Schwelle der Kirche setzte. Nur das schleifende Geräusch seines eigenen Schrittes hörte er und schnupperte die feuchte Kühle, die gleichzeitig von einem anderen Geruch überdeckt wurde, mit dem Marek zunächst nichts anfangen konnte. Dann fand er heraus, daß es sich um ein Konglomerat* aus Moder und Weihrauch handelte. Diese Zusammenstellung irritierte ihn. Moder und Weihrauch. Das paßte zusammen wie Feuer und Wasser, aber bei einem Supervampir wie Mallmann durfte man sich über gar nichts wundern. * Gemisch
Hinter Marek fiel das schwere Portal wieder zu. Er hatte nichts dazu getan. Geisterhafte Hände mußten sich der schweren Eingangstür bemächtigt haben. Um sicherzugehen, drehte sich der einsame Mann um. Nein, hinter ihm hatte niemand die alte Kirche betreten. Er befand sich nach wie vor allein in dieser Stätte. Wenn Licht in das Kirchenschiff floß, drang es nur durch die Fenster. Andere Quellen entdeckte Marek nicht. Es waren auch keine Kerzen angezündet, wie man es eigentlich hätte erwarten können. Die Kirche war zwar hoch, gleichzeitig auch sehr kompakt gebaut. Sie besaß keine großartige Tiefe, die vorhandenen Bankreihen hielten sich in zählbaren Grenzen, und Marek nahm den Weg, der sie teilte. Schritt er geradeaus weiter, erreichte er den Altar. In seiner dicken, vorn offenen Winterjacke wirkte er ebenfalls wie ein Gespenst, als er sich durch die Kirche bewegte. Den Blick starr nach vorn gerichtet, immer wieder lauernd, die Augen leicht verengt und auf jedes fremde Geräusch lauschend. Verdächtige Laute hörte er nicht. Wenn etwas gegen die Außenseiten der Scheiben schlug, waren es die von heftigen Windstößen bewegten Zweige der umstehenden Bäume, denn der Wind hatte in den letzten Minuten aufgefrischt. Im Hinterkopf behielt er stets die Gedanken an die Heiligenfigur. Sie hatte ihm die Spur gegeben. Sollte sie tatsächlich aus dieser Kirche stammen, mußte sie in der Nähe des Altars gestanden oder gehangen haben. Allmählich schoben sich auch für Mareks Sicht die Umrisse des Altars aus dem Dämmerlicht. Die Mönche hatten ihn damals relativ prunkvoll gebaut. Man konnte von einem Hochaltar sprechen, vor den genau ein heller Fleck oder Lichtschein fiel, wenn die Sonne über dem alten Kloster stand. Marek schaute in die Höhe. Direkt über ihm befand sich ein rundes Fenster im Dach der Kirche. Es kam ihm vor wie ein graues Auge, hinter dem sich geheimnisvoll die ebenfalls grauen Wolken bewegten. Der einst so prächtige Hochaltar bot ein schlimmes Bild. Jemand hatte ihn geplündert, regelrecht ausgeraubt. Grausame Hände, die entweihen wollten. Kein Blumenschmuck, kein christliches Symbol. Weder ein Kreuz noch eine Malerei. Mit Waffen mußte gegen den Holzaufbau geschlagen worden sein. Was noch vorhanden war, konnte man nur als Stückwerk bezeichnen.
Marek preßte die Lippen zusammen. Seine Hände zitterten, als er daran dachte, wer hier die Kirche verwüstet hatte. Das konnten nur die Blutsauger gewesen sein. Und den Weg hierher hatte auch Czesny gefunden. Doch er war beobachtet worden, man hatte ihn unter Kontrolle gehalten, man ... Mareks Gedanken brachen ab. Er hatte sich nach links gedreht, sein Blick war gegen eine Wandnische gefallen, und seine Augen weiteten sich plötzlich. Da hing die Figur! Sie stand auf einem Sockel in der Nische und sah so aus, wie Czesny sie fotografiert hatte. Marek trat näher an die heilige Jovanka heran. Obwohl sie relativ hoch hing, konnte er sie gut erkennen, denn sie hielt ihren Kopf leicht gesenkt, als wollte sie dem Betrachter in die Augen schauen. Die Nische war düster, beinahe schon dunkel. Marek nahm seine Taschenlampe zu Hilfe und traf mit dem Strahl direkt den Kopf der Heiligen. Das Gesicht bekam einen blassen Schein, aber das D auf der Stirn trat deutlicher hervor. Als wäre es frisch gemalt oder mit neuem Blut gefüllt worden. So deutlich hatte er sich das Zeichen nicht vorgestellt. Es war die einzige Figur in der entweihten Kirche. Der Bau hatte ihren Namen getragen, aber die heilige Jovanka befand sich nun unter der Kontrolle des Blutsaugers Mallmann. Frantisek Marek gehörte zu den Menschen, die alles genau wissen wollten. Deshalb ging er noch näher, streckte den Arm aus und faßte die Figur an. Ja, sie bestand aus Holz, das war genau zu fühlen. Aber der Pfähler spürte noch mehr. Die Figur hätte eigentlich kalt sein müssen und nicht so ungewöhnlich warm. Es kam ihm vor, als hätte er die Haut eines Menschen angefaßt. Lebte die heilige Jovanka? Vorstellbar war dies nicht, doch der Pfähler wußte genau, daß ein Supervampir wie Mallmann gewisse Gesetze und Grenzen außer Kraft setzen konnte. Das große D auf der Stirn glühte. Marek konnte seine Blicke nicht von diesem Buchstaben nehmen, der ihm den Eindruck machte, als wollte er ihn hypnotisieren. Der Pfähler war stärker. Er hatte seine Zeit gebraucht und sich nun entschieden. Da nur der schmale Holzsockel mit der Wand befestigt gewesen war, konnte Marek, wenn er sich noch einmal streckte, die Figur von der Unterlage abheben. Das tat er auch.
Zwischen seinen Händen spürte er Leben. Ja, die Figurlebte, war von innen her warm, doch Marek sah es als eine gefährliche Wärme an. Er brachte sie dicht vor seine Augen, um sie sich genauer anschauen zu können. Die fein geschnitzten Gesichtszüge zeigten nicht mehr die ursprüngliche Weichheit oder Vergebung. Nein, jetzt schaute aus ihnen eine gewisse Schärfe hervor. Auch die Augen besaßen einen ungewöhnlichen Glanz. Sie hatten die auf dem Foto erkennbare Weichheit verloren, jetzt schauten sie nur noch verändert, hart und grausam. Überall hatte Dracula II seine Spuren hinterlassen. Marek spürte den Haß, der wie eine Lohe in ihm hochstieg. Er haßte diesen Supervampir bis aufs Blut. Er würde ihn bekämpfen, er mußte ihn bekämpfen, gleichzeitig jedoch merkte er auch die Warnung in seinem Innern, die ihm riet, vorsichtig zu sein. Er bewegte sich hier auf einem feindlichen Gelände. Das alte Kloster und die Kirche standen unter der Kontrolle des Blutsaugers. Er besaß hier einen Herrschaftsbereich, er hatte alles an sich gerissen und würde es freiwillig nicht hergeben. Er ließ die Figur fallen. Einfach so. Marek wollte sie nicht mehr halten, er haßte sie plötzlich. Vor seinen Füßen schlug sie mit einem dumpfen Laut auf. Plötzlich überkam ihn der Wunsch, diese verdammte Figur zu zerstören. Einfach zu zertreten, zu zerschlagen, zu.. . Er hatte schon einen Fuß angehoben, als es geschah. Nicht die Figur regte sich, ein anderer Vorgang erwischte ihn wie der Blitz aus heiterem Himmel. Plötzlich läuteten Glocken! *** Frantisek Marek blieb stehen, ohne sich zu rühren. Er konnte nicht anders, er mußte dem Klang der Glocken nachlauschen, der schwer und hallend durch das Kirchenschiff schwang. Für viele Menschen bedeutete der Klang der Glocken Hoffnung oder Botschaft. Letzteres stimmte für Marek. Er sah im Klang der Glocken eine Botschaft, nur konnte er sie nicht unterstreichen. Wenn es überhaupt eine Botschaft gab, dann die der Hölle, denn der Klang dieser Glocken hatte sich angepaßt. Nicht hell und freundlich schwang er über das weite Land, sondern dumpf, unheimlich, grollend. Auch hier mußten die Kräfte des Bösen ihre magische Macht mit eingebracht haben. Frantisek Marek hatte seinen eigentlichen Vorsatz vergessen. Das Läuten der Glocken hatte ihn zu sehr in ihren Bann gezogen. Er drehte sich auf der Stelle und schaute wieder in das Kirchenschiff hinein, wobei
er zu einer Empore am anderen Ende hinblickte, denn dort befand sich die kleine Orgel. Bewegte sich nicht da ein Schatten? Lauerte dort jemand, der ihn schon länger unter Kontrolle gehalten hatte? Marek merkte den Druck an seinem Herzen. Da waren plötzlich dünne Finger, die es umklammerten. Ein leichtes Schwindelgefühl hatte ihn auch befallen. Alles, was er hier erlebte, war so unnatürlich. Er kam einfach nicht damit zurecht. Auf leisen Sohlen ging er den Weg zurück. Er glaubte einfach nicht daran, daß die Glocken von sich aus geläutet hatten. Da mußte jemand mitgeholfen haben. Mallmanns Helfer? War diese Kirche oder das Kloster von Blutsaugern besetzt, die er bisher noch nicht zu Gesicht bekommen hatte? Bis zur Eingangstür begleitete ihn nur der dumpfe, unheimliche Glockenklang. Etwas irritiert blickte er sich um. Die Glocken hingen in einem Turm, und es mußte einfach einen Weg geben, der ihn in den Turm hineinbrachte. Frantisek Marek suchte weiter. Erschlich an den alten Tauf- und Weihwasserbecken vorbei. Die großen Schalen waren leer. Nur mehr auf dem Boden schimmerten einige weiße Kristalle. Nicht einmal ein feuchter Fleck war zu sehen. Die schmale Tür befand sich an der linken Seite, direkt neben einem alten hölzernen Beichtstuhl, dessen schmale Eingangstür zugeklappt war. Der Beichtstuhl interessierte den Pfähler nicht. Er wollte den Weg in den Glockenturm finden. Die Tür neben dem Beichtstuhl war nicht verschlossen. Wesentlich leichter als das Eingangsportal schwang sie dem Pfähler entgegen. Marek zuckte zurück, denn der Klang war übermächtig geworden. Kein Licht brannte in dem Glockenturm, dafür drang ihm der Geruch von altem Staub entgegen. Noch stand er auf der Schwelle. Seine Augen sollten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Mit der Zeit nahm er Umrisse wahr. Innerhalb der grauen Finsternis zeichneten sich tanzende Gegenstände ab. Sie hüpften nach oben, dann wieder herab, und das Spiel begann von neuem. Eigentlich nicht ungewöhnlich, denn in den alten Kirchen und Kapellen brauchte man Menschen, die an den Glockensträngen ziehen konnten. Die Glocken selbst befanden sich hoch im Turm. Er ging noch nicht weiter und holte erst seine Lampe hervor. Ein erster sichernder Blick war immer besser, als ins eigene Unheil zu rennen. Der Strahl schnitt hinein in die Wolken aus Staub. Der mächtige, unheimliche Klang ließ den Kopf des Pfählers beinahe zerspringen. Die Enden der Glockenstricke schwangen auf und nieder. Sie waren beschwert worden, jemand zog an ihnen und zog trotzdem nicht daran,
denn man hatte sie zu Henkersschiingen geformt. Aus ihnen schauten bleich und verzerrt die Gesichter von drei Mönchen hervor... *** Marek empfand das Grauen wie einen körperlichen Schlag. Mit dieser furchtbaren Szene hatte er nicht gerechnet. Das war so schlimm und schrecklich, daß er sich fast weigerte, dies zu begreifen. Wie makabre Stehaufmännchen tanzten die Körper auf und nieder. Die Mönche trugen noch ihre Kutten. Schwarzbraune Gewänder mit blassen Kordeln in der Mitte. Ihre Gesichter sahen aus wie ein zerfurchtes Gelände. Falten, kleine Krater, aufgesprungene, bleiche Lippen und Augen, die verdreht standen. Die Leichen schafften es tatsächlich, durch ihr Gewicht und ihre Pendelbewegungen, das Läuten der mächtigen Kirchenglocken fortzuführen. Eine Botschaft ließen sie über Berge und durch Täler wehen, doch die war anders als sonst. Marek verstand sie genau. Er hörte den schlimmen Unterton hervor. Die Glocken, von Toten in Bewegung gehalten, berichteten vom Grauen, von der Angst und von der Macht der Blutsauger. Damit feierte Dracula II seinen ersten Triumph. Jemand mußte die Schlingen geknüpft und die Toten hineingehängt haben. Für Marek kam nur Mallmann in Frage. Damit war ihm auch klargeworden, daß sich der Vampir in der Umgebung aufhalten mußte. Marek sah sich als Vampirjäger an, er suchte sie förmlich, um sie vernichten zu können. Mallmann jedoch war eine Spur zu groß für ihn, das sah er auch ein. Vielleicht hätte er auf Sinclair warten sollen, das wiederum konnte er auch nicht. Wenn er eine Spur aufgenommen hatte, mußte er ihr nachgehen. Die drei Toten führten in den Schlingen hängend noch immer ihren makabren Reigen auf. Wie Bälle tanzten die Gesichter vor den Augen des Vampirjägers. Mal glitten sie aus dem Strahl heraus, dann tauchten sie wieder ein. Marek irritierte der Glockenklang. Er wollte ihn abstellen, und er wollte die Toten nicht in den Schlingen hängen lassen. Die Lampe steckte er weg, da er beide Hände benötigte und die Umgebung jetzt besser kannte. Beim ersten packte er zu. Tief gruben sich die Finger in die Kuttenkleidung des Toten. Er mußte sich selbst mit seinem Gewicht an den Körper hängen, um diesen in eine Ruheposition zu bekommen. Marek keuchte, aber der Schmied hatte sein ganzes Leben körperlich gearbeitet und dementsprechend Kraft. Es gelang ihm, den ersten Toten festzuhalten, daß er nicht mehr pendelte.
Eine Glocke klang aus, für Marek kaum zu hören, denn er kümmerte sich bereits um den zweiten. Auch hier benötigte er sämtliche Kräfte, um den pendelnden Körper in eine Ruhestellung zu bekommen. Nur mehr eine Glocke dröhnte über ihm im Turm. Für Sekunden erschreckte ihn der Gedanke, daß sich die Glocke aus ihrer Halterung lösen und nach unten fallen könnte. Mit letzten, sehr kräftigen Rucken gelang es ihm, auch den dritten Toten in eine Ruhestellung zu bringen. Was er getan hatte, darüber dachte er nicht nach. Die Tatsache, daß Glocken durch Tote geläutet wurden, war eigentlich furchtbar genug. Ein letztes Nachschwingen der Klänge noch, dann kehrte die Stille ein. Eine Ruhe, die Marek nicht so recht begreifen konnte. Noch immer schwang der Glockenklang in seinem Kopf nach. An die fremdartige Stille konnte er sich einfach nicht so recht gewöhnen. Nun fiel ihm auf, daß er noch immer den dritten Toten umklammerte. Er wollte ihn loslassen, als er die erste sanfte, dann härtere Berührung auf seiner linken Schulter spürte. Marek erstarrte. Urplötzlich fühlte er sich in eine irreale, bizarre Welt hineingeschleudert. Er wollte es nicht glauben, er konnte es nicht glauben, er drehte sich auch nicht sofort um, sondern konzentrierte sich. War ihm jemand gefolgt? Marek atmete scharfein. Dann — und sehr vorsichtig — drehte er sich um. Seine Hände rutschten dabei von der Kutte des Toten ab. Er sah genau, daß der zweite Tote seinen Arm ausgestreckt und die Hand auf Mareks Schulter gelegt hatte. Beide starrten einander an. Marek blickte in ein bleiches Leichengesicht, dessen Augen noch immer starr waren, wo sich die Lippen aber bewegten und so weit zurückgezogen hatten, daß zwei scheußliche Vampirhauer zu sehen waren. Marek hatte den Beweis. Die Mönche waren nicht tot, sie gehörten zu den Untoten. Man hatte sie zu Blutsaugern gemacht! *** Selbst einen alten Vampirjäger wie Frantisek Marek konnten gewisse Ereignisse schocken. Das war hier der Fall. Wie angewachsen stand er auf dem Fleck. Das Blut war aus seinem Gesicht gewichen. Er hörte sich selbst zu, wie er den Atem zischend ausstieß und sah auch, daß die drei Vampire anfingen zu zappeln. Sie wollten sich aus den Schlingen befreien. Vor
ihnen stand ein Mensch, dessen Blut sie witterten. Sie brauchten Blut, um überleben zu können. Fast zugleich winkelten sie ihre Arme an, hoben sie in Richtung Hals und versuchten, die krummen Finger zwischen Haut und Seil zu klemmen. Da sie den Boden mit ihren Füßen nicht berührten, pendelten und schwangen sie auf und nieder. Marek entging durch eine schnelle Drehung dem Zugriff einer bleichen Klaue, und noch in der Bewegung griff er unter seine Jacke, um die Waffe hervorzuholen, die ihm seinen Namen Pfähler verliehen hatte. Es war der alte, vorn zugespitzte Eichenpflock, mit dem er schon zahlreiche Blutsauger zum Teufel geschickt hatte. Wenn Marek ihn festhielt, wurde er zu einem anderen. Dann verwandelte er sich regelrecht, wurde zu einem Zerstörer, zu einem auch äußerlich erkennbaren Vampirhasser. Mit der rechten Hand umklammerte er den Pflock. Seine Augen hatte er zu Schlitzen verengt. Ein Gänsehautschauer legte sich über seinen Rücken. Die Nasenflügel zitterten, als er noch einmal Maß nahm. Der Vampir hing noch in der Schlinge. Er hatte Mühe, sie über sein Gesicht ziehen zu können, drehte sich dabei, schwang mal nach rechts, dann zurück, und eine dieser Bewegungen, die gleichförmig verliefen, nutzte Marek aus. Er rammte den Pfahl nach vorn. Die Spitze drang hinein in den Körper, begleitet von einem Knacken. In der Schlinge hängend bäumte sich der Untote auf, warf den Kopf zurück und röchelte, wie ein Tier, das allmählich sein Leben aushaucht. Marek hatte den Pfahl schon wieder aus dem Körper hervorgerissen und drehte sich dem zweiten Blutsauger zu. Der hatte es fast geschafft. Als Marek zustoßen wollte, fiel er aus der Schlinge, sackte in die Hocke, kam fauchend wieder hoch und wurde im Sprung erwischt. Auch diese Kutte bekam in Herzhöhe ein Loch, das sich mit Knorpeln, Flüssigkeit, zertrennten Adern und Knochenstücken füllte, aber kein Blut hervorschießen ließ, denn diese Gestalt war leergesaugt worden. Als der Untote nach hinten kippte, trat Marek zurück. Noch hatte er den dritten vor sich. Und der hatte sich befreien können. Er war aus der Schlinge hervorgerutscht, stand breitbeinig und hatte auch die Arme vom Körper abgespreizt. »Du willst mir was?« keuchte Marek ihn an, noch immer unter Streß stehend. »Los, komm her, ich bin scharf auf dich.« Der Pfähler war in seinem Element. Wie ein Rausch war es über ihn gekommen. Endlich hatte er eine Spur gefunden und ein Ziel gesehen. Der Vampir war gewitzt. Als Marek vorsprang, huschte er hinter die Gestalt, die noch in der Schlinge hing, gab ihr einen heftigen Stoß, so
daß sie auf Franti-sek zuschwang und ihn daran hinderte, den Pfahl nach vorn zu rammen. Der Pfähler brauchte einige Sekunden, um sich neu orientieren zu können. Zeit, die dem Blutsauger zugute kam. Er war tiefer in den Glockenturm hineingetaucht und hatte sich bewaffnet. Mit einer Eisenstange in der Hand erschien er wieder. Brutal schlug er zu. Marek mußte achtgeben, daß der Blutsauger ihn nicht erwischte. Ein Treffer mit dieser Eisenstange konnte das Ende des Pfählers bedeuten. Er griff zum gleichen Trick wie zuvor der Vampir. Blitzschnell gab er dem in der Schlinge hängenden Körper einen Stoß, folgte ihm sofort, bekam mit, wie der Blutsauger durch den auf ihn zupendclnden Körper abgelenkt wurde und nutzte seine Chance eiskalt aus. Von der Seite her erwischte er die Bestie. Es sah so aus, als wollte sie sich gegen den Pfahl stemmen, sie kippte sogar noch nach vorn, und Marek trat gegen ihn, um ihn zurückzustoßen. Der Blutsauger landete auf dem Rücken. Beide Hände preßte er gegen die Wunde, als wollte er seine endgültige Vernichtung rückgängig machen, was er natürlich nicht schaffte, denn der Eichenpflock hatte auch den dritten Blutsauger vernichtet. Seine magische Kraft war nach wie vor ungebrochen. Auch Marek war nur ein Mensch, und er reagierte wie ein Mensch. Die unheimliche Anspannung fiel von ihm ab; der Schock folgte, das verdammte, weiche Gefühl in den Knien, der Schwindel ebenfalls, und er ging wankend zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Wand des Glockenturms stieß und dort stehenblieb. Er atmete tief durch, zitterte und wischte den kalten Schweiß von seiner Stirn. Drei Vampire hatte er erledigt und zur Hölle geschickt. Drei Mönche aus dem Kloster. Frantisek verstand nichts von Hochrechnung, aber er setzte seinen gesunden Menschenverstand ein und kam auch zu einem Resultat. Wenn drei Mönche in den Schlingen gehangen hatten, war das nur der Anfang, aber nicht das Ende. Was war mit den anderen Mönchen geschehen? Hatten sie fliehen können, oder waren sie zu Opfern der oder des Blutsaugers geworden? Marek rechnete damit, daß Dracula II in diesem alten Kloster blutige Ernte gehalten hatte. Er spürte plötzlich die Furcht, ballte seine freie linke Hand, schüttelte sich, als hätte er einen Wasserguß abbekommen und verließ den Ort des Grauens. In der entweihten Kirche blieb er stehen, den Blick starr nach vorn und gleichzeitig ins Leere gerichtet. Seine Augen brannten, das Kirchenschiff
strömte kein Vertrauen und keine Geborgenheit aus. Es war unheimlich und düster geworden, zwischen den Mauern hockte das Grauen wie ein unsichtbares Tier. Zum Kloster gehörte nicht nur die Kirche, auch andere Bauten waren vorhanden. Sie schmiegten sich in das Gelände hinein, wirkten von außen klein, was allerdings täuschte, denn in ihrem Innern besaßen sie bestimmt viel Platz. Klöster besaßen Grüften oder eigene Friedhöfe. Nach all dem mußte Marek Ausschau halten, wollte er das Kloster von der Vampirbrut befreien. Er erinnerte sich an die Statue und daran, daß er sie zerstören wollte. Einmal in Form wollte er daran nicht vorbeigehen. Sie lag noch vor dem entweihten Altar, wo er sie zurückgelassen hatte. Marek bückte sich. Das Holz war hart, aber auch trok-ken genug, um es anzünden zu können. Genau das hatte er vor. Aus der Hosentasche holte er eine Schachtel mit Zündhölzern, ging in die Hocke, riß ein Streichholz an, schirmte die Flamme ab und hielt sie gegen die Figur. Er benötigte vier Zündhölzer, um die Heiligenfigur in Brand zu stecken. Zuerst kohlte sie nur an, dann stieg beißender Rauch in die Höhe und wehte an seiner Nase vorbei. Das alte Holz brannte schließlich. Marek schaute gegen die kleinen Flammen, wie sie über das Holz züngelten. Es tat Marek ein wenig leid, einen derart wertvollen Kunstgegenstand zerstören zu müssen, doch für ihn gab es keine andere Möglichkeit. Die Figur war ein Zeichen des Bösen, sie besaß die Kraft eines mörderischen Vampirs, und sie durfte auf keinen Fall länger ihren Einfluß ausüben. Frantisek stand wieder auf. Mit beiden Händen wedelte er den hochsteigenden Rauch zur Seite und schaute in die Höhe, wo sich unter der Decke das runde Fenster abzeichnete. Schon einmal hatte er hindurchblicken und gegen die grauen Wolken sehen können. Auch jetzt sah er etwas dahinter. Nur waren es diesmal keine Wolken. Der Umriß des Fensters war groß genug, um Platz für einen Menschen zu bieten. Marek erstarrte. Die Gestalt, die dort oben hockte, sah zwar aus wie ein Mensch, sie war aber keiner. Denn da oben hockte, den Oberkörper und den Kopf nach vorn gebeugt, kein Geringerer als Will Mallmann, Dracula II! Marek tat nichts. Erstand nur da, den Kopf etwas in den Nacken gelegt und starrte hoch zu diesem Bild des Schreckens. Dabei hatte er das Gefühl, als würde sich die Distanz zwischen ihm und dem Blutsauger allmählich verringern.
Das war natürlich nicht der Fall, nur ging von Mallmann eine suggestive Kraft aus, die den Pfähler erschreckte. In diesen ihm lang vorkommenden Sekunden drang ein Wissen in seinen Kopf wie eine starke Botschaft. Ihm war plötzlich klar, daß er gegen diesen Blutsauger nicht ankam, daß Mallmann für ihn zu stark war. Erschreckt und verunsichert über seine eigenen Gedanken senkte der Pfähler den Kopf. Er wollte die Gestalt nicht mehr länger sehen und schaute statt dessen zu, wie die letzten Reste der Figur ein Opfer der Flammen wurden. Auch der Rauch verflüchtigte sich, und Marek blickte wieder dem runden Deckenfenster entgegen. Mallmann war verschwunden! Der Pfähler schüttelte den Kopf. Er wischte über seine Augen, war allerdings nicht beruhigt, denn er glaubte partout nicht daran, daß er sich die Gestalt nur eingebildet hatte. Dracula II war echt gewesen. Er hatte deutlich das schwarze Haar erkennen können, das wie ein dünner Teppich auf dem Kopf lag und an einer Stelle wie die Spitze eines Pfeils in die Stirn wies. Dazu die glühenden Augen, der offenstehende Mund und natürlich das rötliche D auf seiner Stirn, das Markenzeichen des Dracula-Nach folgers. In dieser entweihten Kirche fühlte sich Frantisek Marek eingeschlossen wie in einem Gefängnis. Keine Minute länger wollte er vor dem entweihten Altar verbringen, deshalb verließ er mit beinahe fluchtartigen Schritten den Ort. Draußen empfing ihn eine ziemlich veränderte Welt. Zwar wirbelte noch immer der graue Wolkensturm über den Himmel, aber die Dämmerung kroch allmählich vor. Ihr würde die Dunkelheit folgen, und sie wiederum war die Zeit der Vampire. Wenn sich die Blutsauger tagsüber in Grüften oder Särgen versteckten, so krochen sie in den Nächten hervor, um auf blutgierige Raubzüge zu gehen. Sie beherrschten die Umgebung hier, sie verhielten sich noch still, doch wo immer sie lagen, sie würden sehr bald erwachen und auf Beutezug gehen. Marek fror plötzlich. Es war eine innere Kälte, die ihn umklammert hielt. Unwillkürlich faßte er seinen Eichenpflock an. Er wollte sich durch den Kontakt mit dem alten Holz beruhigen, und er mußte es schaffen, zurück nach Skodar zu fahren, denn John Sinclair war möglicherweise schon eingetroffen. Marek hatte sich ausgerechnet, wann die Nachricht bei ihm eingetroffen war. Zudem war ihm Johns Entscheidungsfreude bekannt. Der Geisterjäger gehörte zu den Menschen, die nicht lange zögerten, wenn es darum ging, rasch handeln zu müssen.
Zu dem Glatzkopf hatte Marek Vertrauen gefunden und ihm Bescheid gegeben, daß er sich, sollten zwei Fremde erscheinen, um sie kümmerte. Marek blieb nicht mehr länger vor dem Portal stehen. Geduckt hastete er weiter und wurde schon bald vom Karpatenwald verschluckt. Er lief, als würde er gehetzt. Geduckt, mit vorgezogenem und gleichzeitig eingezogenem Kopf, als hätte er Angst vor irgendwelchen Vampiren, die sich seinen Nacken als Landeplatz aussuchen wollten. Er kam gut weiter. Es machte ihm auch nichts aus, daß aus den Tälern die abendlichen, feuchten Schwaden in die Höhe wallten. Vom Kloster der schweigenden Münder war längst nichts mehr zu sehen. Die Bäume verbauten Marek die Sicht, wenn er sich umdrehte. Für ihn war es ein gutes Gefühl, das Rauschen des Wasserfalls zu hören. Dort in der Nähe hatte er seinen alten VW abgestellt. Die Beklemmung vor Mallmann würde zwar nie verschwinden, doch unter Menschen fühlte sich Marek sicherer. Der VW stand noch immer auf dem gleichen Fleck und kam ihm vor wie eine sichere Insel. Ein treuer Gefährte, der ihn nie im Stich gelassen hatte. Der Pfähler kletterte hinein, setzte sich hinter das Lenkrad und wollte starten. Nie hatte ihn das Fahrzeug im Stich gelassen, ausgerechnet heute, wo es darauf ankam, tat es der Motor nicht. Ein Adrenalinstoß zuckte durch Mareks Körper. Der VW war alt, aber sehr gepflegt, was den Motor und die übrige Technik anging. Weshalb ließ er ihn ausgerechnet jetzt im Stich? Der Schweiß auf seiner Stirn war kalt. Marek merkte, wie er nervös wurde und die Hände anfingen zu zittern. Mur rnühsam beherrschte er sich. Er hätte seine Enttäuschung am liebsten hinausgeschrien. Draußen wurde es immer dunkler . . . Der Pfähler fröstelte, als er den VW verließ. Er schaute sich um, aber die Schatten zwischen den Bäumen konnte er mit seinen menschlichen Blicken nicht durchdringen. Es war nicht einmal Restlicht vorhanden, nur diese verdammte, graugrüne Düsternis. Sie hatte sich wie ein Vorhang über den alten Karpatenwald gehängt. Tiere sah Marek nicht. Kein Vogel schrie, nicht einmal ein Käuzchen. Keine Eule ging auf die Jagd nach Beute. Die Stille belastete ihn, und selbst das Atmen störte ihn. Frantisek blieb am Heck des Wagens stehen, wo sich hinter der Klappe der Motor verbarg. Fr verstand einiges von Technik, besaß vor allen Dingen Phantasie, um sich auch mit geringen Mitteln helfen zu können. Das Gefühl, zu spät zu kommen, bemächtigte sich seiner schon, bevor er die Klappe noch angehoben hatte.
Als er es tat und schaute, hätte er beinahe vor Wut losgeschrien. Doch er beherrschte sich, stand unbeweglich auf dem Fleck und starrte mit leeren Blicken auf den Wirrwarr, den der Motor bot. Jemand hatte ihn regelrecht zerstört, zertrümmert, funktionsuntüchtig gemacht, in einem wahren Anfall von kalter, genau berechnender Wut. Dann hörte er das Lachen! Es peitschte plötzlich auf, war wie ein gellender, tödlicher Sturm und schien von überall her seine Ohren zu erreichen. Ihm war klar, wer da seinen grauenvollen Triumph hinausschrie — Will Mallmann, der Supervampir! *** Wir hatten eine verdammt harte Reise hinter uns, bis wir endlich das Ziel erreichten. Skodar hieß der Ort! Gehört hatten wir noch nie zuvor von ihm, aber es mit Glück und einer guten Karte geschafft, ihn zu erreichen. Man hatte uns einen zwei Jahre alten Fiat zur Verfügung gestellt, für den Normalbürger in diesem Land ein Luxusfahrzeug, aber bei Gästen gaben sich die Offiziellen gern großzügig. Zudem waren wir bei bestimmten Stellen von früher her bekannt. Man wußte, daß man .mit uns relativ gut zusammenarbeiten konnte. Außerdem hatten wir in Rumänien so manches Mal die Karre aus dem Dreck gezogen. Der Fiat hatte die Strecke brav hinter sich gelassen. Trotz der mehr pistenmäßigen Straßen waren wir ziemlich schnell gefahren, denn uns saß die Zeit im Nacken. Und Skodar lag im Sterben. Ja, anders konnte ich die Situation nicht bezeichnen. Was wir bisher aus der Presse oder TV-Berichten erfahren hatten, bekamen wir hier mit eigenen Augen präsentiert. Nicht daß es nur die alten Häuser gewesen wären, die vor sich hin gammelten, so etwas hatte es auch Vorjahren schon gegeben, nein, es war einfach die Atmosphäre, die über dem Ort lag. Sie war anders als normal. Man konnte von einer großen Depression sprechen. Ich spürte, daß hier niemand richtig Lust hatte, etwas zu tun. Die Menschen, die unserem Wagen nachschauten, sahen verbissen oder traurig aus. Hier war nichts von dem Willen zu merken, etwas zu verändern. Rumänien litt nicht nur innerlich, auch nach außen hin. Die Stromrationierungen hatten sich bis zu uns herumgesprochen. Es konnte uns also passieren, daß wir im Dunkeln saßen und auf die nächste Ration warten mußten. Der Ort lag nahe der mächtigen Südkette der Karpaten, dieses mächtigen Gebirges, dem ein düsterer Ruf vorausging, denn der alte
Vlad Dracula hatte schließlich hier ebenfalls gelebt. Auch wir hatten uns oft genug in den Wäldern herumgetrieben und Vampire oder auch Nachzehrer gejagt. Mir fiel auf, daß Suko seinen Kopf mehrmals nach rechts und links bewegte. »Suchst du was?« »Im Prinzip unseren Freund Frantisek.« »Der wird schon erscheinen.« »Wo sollen wir warten?« Eine gute Frage, denn ein Gasthaus entdeckten wir nicht. Nur die Fassaden der alten Häuser reihten sich aneinander, hin und wieder durch die Einmündungen schmaler Gassen unterbrochen. Der Ort hätte auch in der ungarischen Pußta stehen können und nicht unbedingt im tiefsten Rumänien. »Denk mal an den Bürgermeister von Petrila«, sagte Suko. »Wieso?« »So etwas wie ihn müßte es hier auch geben.« »Zumindest eine Niederlassung der Partei.« Suko verzog die Lippen. »Willst du dorthin?« »Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig.« Wir hatten tatsächlich von Marek keine Spur entdeckt, wobei wir besonders auf sein Auto achteten, einen alten VW unbestimmter Farbe, der aber noch immer fuhr. In einem Dorf, wo es kaum Fahrzeuge gab, mußte er einfach auffallen. Wir fuhren bis zur Mitte durch, sahen ein graues zweistöckiges, kastenartiges Haus, vor dem ein alter Lastwagen stand, dessen Ladefläche leer war. Ich hielt hinter dem Wagen an. »Hier kann ich mal fragen. Das Ding sieht mir ziemlich offiziell aus.« »Meinetwegen.« Wir stiegen aus der Wärme des Fahrzeugs in die Kälte. Es war nicht eisig, das einmal vorweggenommen, aber naßkalt. Dafür sorgte auch der Wind, der von den Hängen der Berge hinab in die Täler wehte und die feuchte Kälte mitbrachte. Auf den Gipfeln lag dicker Schnee. Darunter hoben sich die dunklen Wälder an den Hängen wie ein nie enden wollender Teppich ab. Über allem lag ein grauer, wolkenverhangener Himmel, durch den hin und wieder große Vögel schwebten, die sich mit trägen Flügelbewegungen ihren Weg schufen oder sich von Aufwinden treiben ließen. Suko hatte meinen Blick bemerkt, den ich zum Himmel warf. Er lachte leise. »Das sind normale Vögel, keine Fledermäuse.« »Woher weißt du, daß ich mit Fledermäusen rechne?« »Weil ich dich kenne.« »Stimmt auch wieder.«
Natürlich hatte uns ein Name stets wie eine Drohung begleitet. Dracula II. Wir hatten nicht darüber gesprochen, doch jeder von uns wußte schon, woran er war. Dieses Monstrum hatte hier in Rumänien einen idealen Ausgangspunkt für seine Pläne gefunden. Wenn ich mir die Umgebung so anschaute und auch die Menschen sah, konnte ich mir vorstellen, daß sie einer Vampirbrut keinen Widerstand entgegensetzten. Von der Eingangstür war die Farbe abgeblättert. Die Fenster sahen auch aus, als hätten sie bessere Zeiten erlebt. Zur Hälfte waren sie undurchsichtig gemacht worden. Kaum hatte ich die Tür offen, drang schon die schreiende Männerstimme an unsere Ohren. Was der Mann sagte, konnten wir nicht verstehen, es hörte sich jedoch nach einem Parteiorgan an. Suko grinste. »Da scheint ja Holland in Not zu sein.« »Sag lieber Rumänien.« Daß wir ihn so schreien hörten, lag auch an der spaltbreit offenstehenden Tür, die links von uns lag. Wir schauten durch den Spalt und sahen einen Mann mit Glatze hinter dem Schreibtisch sitzen. Wer davor stand, erkannten wir erst, als wir die Tür weiter aufgezogen hatten und leise in den Raum hineinschritten. Der >Sünder< trug einen dunklen Overall. Mit gesenktem Kopf stand der Mann vor dem Schreibtisch und hörte sich die Schimpfkanonade an. Mit den Händen zerknüllte er den Stoff einer Schirmmütze. Der Schreier sah uns, brüllte uns etwas zu, das wir nicht verstanden. Er schimpfte weiter und hörte mitten in seiner Tirade auf, denn ihm war nicht entgangen, daß wir noch im Zimmer standen. Diesmal sprang er hoch und schrie uns etwas zu. Mit dem ausgestreckten Zeigefinger deutete er dabei auf die Tür. Ich hob nur die Schultern. Plötzlich wurde der Mann ruhig. Selbst seine Glatze hatte sich gerötet. Er schickte den Mann mit der Mütze aus dem Zimmer, starrte uns aus seinen kleinen Augen an und fragte dabei mit völlig normal klingender Stimme: »John Sinclair und Suko?« »Das sind wir.« Seine Stimmung wechselte wie das Wetter in den Bergen. Von einem Augenblick zum anderen war er ein völlig neuer Mensch. »Marek hat gesagt, daß ihr kommen würdet.« Er sprach kein Englisch, aber mit einer Mischung aus Deutsch und etwas Italienisch konnten wir uns verständigen. Sogar Stühle bekamen wir angeboten. Wir erfuhren, daß der Mann Hotic hieß und aus Jugoslawien stammte. Er war ganz im Norden des Landes, dicht an der Grenze zu Italien geboren worden.
Hotic hatte in Skodar eine offizielle Position inne. Er war der Vertreter der Partei in diesem Ort. So welche wie ihn gab es in jedem kleinen Dorf. »Hat Marek Ihnen was gesagt?« fragte Suko. »Ja.« »Wo ist er?« Hotic hob die Schultern und breitete zusätzlich seine Arme aus. »Ich weiß es nicht.« » Wegge f a h ren?« Er nickte Suko zu, der mich anschaute, weil ich die nächste Frage stellen sollte. »In die Berge möglicherweise?« »Kann sein.« »Die sind groß. Wo?« ' »Auch gefährlich, wenn man sie nicht kennt.« Ich beugte mich vor. »Das kann ich mir denken, aber wir wollen Marek finden, verstehen Sie? Deshalb müssen wir ihm nachfahren. Das heißt, Sie müßten uns sagen, welchen Weg er genommen hat. Fr hat mit Ihnen gesprochen?« »Das hat er.« »Dann mal los.« »Wie bitte?« »Reden Sie!« sagte Suko. Und er sprach. Zunächst erklärte er, daß er für nichts garantieren könnte und daß die Karpaten sehr einsam, dunkel und gefährlich wären. Das kannten wir alles, unterbrachen Hotic dennoch nicht, der schließlich zum Kern des Problems kam. »Er kam aus Brazov und suchte nach einem Kloster.« »In den Bergen?« »Ja, ein Kloster mit Kirche. Beides ist leer.« Ich lächelte schmal. »Ob er von dort auch das Foto hat?« »Welches?« »Eine Heiligenfigur, Jovanka.« Hotic nickte heftig. »Ja, davon hat er gesprochen. Er wollte die Figur suchen.« »Im Kloster?« »Bestimmt.« »Wann ist er gefahren?« »Na ja, gestern, glaube ich. Die Nacht über ist er nicht zurückgekommen. Ich habe seinen Wagen nicht gesehen — ehrlich.« Hotic schlug gegen seine Brust. Nach dieser Antwort spürte ich den Stich in der Brust. Daß sich Marek so lange nicht gemeldet hatte, gefiel mir überhaupt nicht. Er konnte einen Erfolg gehabt haben, was sich allerdings auch negativ ausgewirkt haben könnte. Suko dachte ähnlich, was ich an seiner von Sorgenfalten gezeichneten Stirn sah. Ich legte meine Hand auf den alten Schreibtisch. »Und Sie haben ihn auch nicht suchen lassen?« »Nein — warum? Er hat nichts davon gesagt?« »Was hat er überhaupt gesagt.«
Hotic atmete schnaufend, als würde eine alte Lok Dampf ablassen. »Er sagte, daß ihr kommen würdet und daß alles in Ordnung gehen würde. Das ist es.« »Mehr also nicht?« »Nein. Nicht wann er zurückkommen würde oder so. Er war sehr still, finde ich.« »Leider.« Suko stellte die nächste Frage. »Er hat auch nicht darüber gesprochen, was er in diesem Kloster suchte?« »Nichts.« »Hat es einen Namen?« »Es heißt Kirche oder Kloster der schweigenden Münder. Ich weiß, es ist nicht gut, aber das stimmt eben. Die Leute oder die Mönche haben es verlassen, bitte sehr. Deshalb ist dort Ruhe. Aber die Mönche haben schon immer wenig gesprochen.« »Glauben Sie an Vampire, Hotic?« fragte ich ihn. Seine Gesichtszüge erstarrten. Er glotzte mich an, atmete scharf und bekreuzigte sich. »Nehmen Sie so etwas nicht in den Mund. Damit spaßt man nicht.« »Sie glauben daran?« Er wollte nicht so recht mit der Sprache heraus und hob die Schultern. »Sagen wir so. Ich habe sie noch nicht gesehen, wenn Sie verstehen. Aber ich kenne jemand, der hat sie schon erlebt.« »Und wer?« »Ein Mann aus dem Dorf hier. Ein Arbeiter, der im Wald immer Holz geschlagen hat.« »Wo hat er sie gesehen? Am Kloster?« Hotic bekam einen starren Blick. »Aber da sind doch die Mönche und nicht die Vampire.« »Schließt das eine das andere aus?« fragte Suko. »Für mich ja.« Suko lächelte. »Aber Marek ist zum Kloster hochgefahren. Oder liege ich da falsch?« Hotic kaute auf seiner dicken Lippe. »Gesagt hat er es. Er wollte sich dort umschauen.« »Und Vampire jagen!« Sukos Bemerkung gefiel dem Mann nicht. Er schloß sekundenlang die Augen. »Davon hat er nichts gesagt. Er erklärte mir nur, daß zwei Ausländer kommen würden und ich mit euch reden sollte, wenn er nicht da ist. Er sagte, daß die Regierung euch unterstützt und . . .« »Kennen Sie eigentlich Mareks zweiten Namen, den man ihm gegeben hat?« »Nein, wie? Hat er einen?« »Aber sicher. Man nennt ihn den Pfähler. Frantisek Marek ist Vampirjäger. Schon jahrelang ist erden Blutsaugern dicht auf den
Fersen. Wenn er weiß, daß es diese Bestien in seiner Nähe gibt, kennt er keine Ruhe, mein Lieber.« »Das kann ich nicht glauben. Ich habe noch keine Vampire gesehen. Viele sprechen davon, doch . . .« »Es gibt sie!« flüsterte ich. »Und gerade in Ihrem Land, Hotic. Ich habe sie schon öfter gesehen, mein Freund auch. Wir haben die verdammte Brut gejagt, und ich habe weiterhin den Eindruck, daß Frantisek Marek diesmal in ihre Falle gegangen ist.« Hotic hob beide Arme, bevor er anfing zu lamentieren. »Das kann doch nicht sein. Das Kloster ist ein guter Ort. Es steht leer, die Mönche sind . . .« »Weil es leersteht, ist es ein idealer Unterschlupf für die Blutsauger. Ich sage Ihnen etwas: Die Vampire haben sich organisiert, sie besitzen inzwischen einen Anführer.« »Wie Dracula damals?« »Richtig, sogar Dracula II. So nennt er sich. Behalten Sie den Namen. Dracula II.« Hotic gab keine Antwort. Er zog nur einige Male die Nase hoch. Sein Blick irrtezum Fenster. Dahinter zeichnete sich kein Blutsauger ab, nur das düstere Grau des naßkalten Tages. Er rieb seine Handflächen gegeneinander. »Was wollen Sie denn tun?« »Wir müssen hin.« »Zum Kloster in den Bergen?« »Richtig. Und Sie werden uns den Weg erklären.« Er räusperte sich. »Das ist nicht einfach, aber ich kann es versuchen. Jedenfalls werde ich nicht mitfahren. Ich will dem Teufel nicht die Hand schütteln.« »Das sollen Sie auch nicht. Es reicht, wenn wir es versuchen.« Hotic zeichnete uns den Weg auf. Dabei zitterte seine Hand. Immer wieder hob er den Blick, um uns anzuschauen. Wahrscheinlich hielt er uns für Selbstmörder. Nach einigen Minuten war er fertig, drehte die Zeichnung herum und schob sie rüber. Er fügte noch einige Erklärungen hinzu und erkundigte sich, wann wir fahren wollten. »So schnell wie möglich.« »Oh . . . oh . . .«, er winkte ab. »Dann werden Sie in den dunklen Wald fahren, wenn der Tag zu Ende geht.« »Das stimmt wohl.« »Dort ist es dann noch gefährlicher.« Ich lächelte. »Damit müssen wir leben, Hotic. Wir sind hergekommen, um eine Vampirbrut zu stellen und nichts anderes. Wir kennen Dracula II. Er ist schon eine Macht, und wir müssen alles tun, daß er nicht noch stärker wird.« Suko wollte noch etwas wissen. »Von den Mönchen, die das Kloster verließen, haben Sie zufällig keinen gesehen — oder?«
»Nein, nein. Sie sind nicht in den Ort gekommen. Das können Sie mir glauben.« »Dann ist es gut.« Gemeinsam erhoben wir uns und verließen das Haus. Hotic ging mit. Er schaute zu, wie wir aus einem der beiden Reservekanister Benzin nachfüllten. Treibstoff gehörte auch in Rumänien zu den rationierten Waren. Hotic blickte gegen den Himmel. Über dem Land stand er wie eine graue Wand. »Ist noch etwas?« fragte ich. »Nein, ich hoffe nur . . .«, er schüttelte den Kopf. »Also, wenn es sie wirklich gibt, dann hoffe ich nur, daß sie nicht in dieses Dorf kommen. Sie verstehen?« »Klar, wir verstehen«, erwiderte Suko. »Nur garantieren können wir leider für nichts.« Hotic nickte, senkte den Kopf und ging davon. Wir aber stiegen ein und starteten zu einer Reise ins Ungewisse... *** Frantisek Marek gehörte zu den Menschen, die einen Schock schnell wegstecken konnten. Daß man seinen Wagen fahruntüchtig gemacht hatte, das war nicht mehr zu ändern. Nun mußte er aus seiner Lage das Beste machen. Noch war es nicht zu dunkel, er hatte etwas Zeit, um sich einen Plan auszudenken, auch wenn er davon ausging, daß Mallmann bereits unterwegs war, sein Lachen hatte schließlich durch den verdammten Wald geklungen. Was hatte Mallmann vor? Zu einem direkten Angriff war er nicht gestartet. Er hielt sich lieber im Hintergrund. Marek konnte sich vorstellen, daß ein Mann wie er die Schlinge enger ziehen würde. Ja, davon mußte er ausgehen. Vielleicht wollte Mallmann mit ihm spielen, ihm eine Galgenfrist bis zur Dunkelheit einräumen, um dann besser zuschlagen zu können. Weiterhin ging der Pfähler davon aus, daß er Skodar so schnell nicht würde erreichen können. Er mußte zu Fuß gehen. Viele Kilometer durch den stockfinsteren Wald. Da konnte hinter jedem Baumstamm, hinter jedem Dickicht ein Blutsauger lauern. Vielleicht rechneten sie damit, daß Marek dies tat, nur wollte er ihnen diesen Gefallen nicht tun. Möglicherweise arbeitete die Zeit noch für ihn. Da war es besser, wenn er sich ein Versteck aussuchte. Er klopfte noch einmal auf das Dach des VW. »Tut mir leid, mein Freund«, sagte er mit kratziger Stimme. »Du hast mir lange die Treue gehalten. Jetzt weiß ich nicht, wie es mit uns beiden weitergehen wird. Ich hoffe, daß wir es noch einmal schaffen.« Erwischte über seine Augen. Aus dem Wagen brauchte er nichts mehr mitzunehmen. Was er benötigte, trug er bei sich. Da kam es ihm vor allen Dingen auf seinen
Eichenpflock an. Aber er besaß noch eine Waffe. Sie hatte in der Lücke zwischen Vorder- und Rücksitz gelegen, und er gehörte zu den Menschen, die diese Waffe nur in außergewöhnlichen Fällen einsetzten. Vor Jahren hatte er sie in seinen Besitz genommen und sie sehr gepflegt. Es war ein Bogen, den er in mühevoller Arbeit selbst hergestellt hatte. Die Waffe bestand aus biegsamem und trotzdem festen Holz. Die dazu gehörigen Pfeile, zwölf an der Zahl, hatte er aus den Ästen einer Eiche so zurechtgeschnitten und angespitzt, daß sie beim Schießen die Balance behielten. Mochte Mallmann auch den Heckmotor des VW zerstört haben, Pfeile und Bogen hatte er nicht entdeckt. Marek hatte sich den Köcher aus dichtem Weidegeflecht über die Schulter gehängt. Die Pfeile schauten mit ihren Enden oben hervor. Wenn es darauf ankam, konnte Marek sie sehr schnell auflegen und auch treffen, denn lange genug hatte er schließlich geübt. So bewaffnet, machte er sich auf den Weg. Den normalen Weg wollte er nicht nehmen, weil er davon ausging, daß Mallmann oder seine Helfer dort lauerten. Er schlug allerdings die Richtung ein, nur tauchte er in das düstere Gelände ein, das heißt, er versuchte, den Hang in einer lang angesetzten Schräge zu nehmen und Deckung zwischen den hohen Stämmen zu finden. Hoch wucherte das Unkraut. Manchmal streifte es sogar die Schultern des Pfählers, aber der ließ sich durch nichts aufhalten. Er mußte weiter und kämpfte sich voran. Von Dracula II hörte er nichts mehr. Für ihn hatte das nichts zu sagen. Er mußte einfach davon ausgehen, daß Mallmann ihn auch weiterhin belauerte, möglicherweise in der Gestalt einer Riesenfledermaus, die sich über den Kronen der Bäume aufhielt. Deshalb blickte er des öfteren in die Höhe, aber der Himmel hatte bereits eine derart dunkle Farbe angenommen, daß er so gut wie nichts erkennen konnte. Still war es nicht, Marek hörte den Wasserfall. Hoch über ihm schoß er über den Rand hinweg, um in die Tiefe zu fallen wie ein nie abreißender Strom. Der Pfähler erinnerte sich daran, daß fließendes Wasser für Vampire tödlich war. Wenn es ihm gelang, den oder die Blutsauger unter den breiten Strahl zu locken, war das schon die halbe Miete. Dann würde das Wasser sie zerstören. Er hastete weiter. Einmal hörte er in seiner Nähe ein Krachen. Sofort blieb er stehen, die Hand um den Pfahl gekrallt. Das Krachen wiederholte sich, dann grunzte das Wildschwein, als es aus dem Dickicht schoß und an ihm vorbeirannte, als wäre der Teufel persönlich hinter ihm her. Marek bekam eine Gänsehaut. Er dachte daran, daß dieses Wildschwein nicht grundlos die Flucht ergriffen hatte. Es
mußte demnach etwas gespürt haben. Er hatte sich breitbeinig hingestellt und schaute sich vorsichtig um. Lauerte einer dieser Blutsauger in der Nähe? Dem Pfähler fiel auf, daß ihm der Zufall einen günstigen Platz beschert hatte. Hier konnte er sich einigermaßen bewegen, ohne von irgendwelchen sperrigen Büschen behindert zu werden. Er ließ den Bogen von der Schulter rutschen und legte einen Pfeil auf. Hart spannte er die Sehne und ließ sie auch in dieser Stellung. Sollte eine Bestie auftauchen, war er bereit, sofort zu schießen. Noch tat sich nichts. Marek atmete durch den offenen Mund. Der Wasserfall rauschte vor ihm. Wenn er durch eine Lücke schaute, konnte er trotz der Finsternis die lange, nach unten fallende Zunge sehen, die mit brausenden Geräuschen innerhalb des Sees landete. Als sich nach einigen Minuten nichts getan hatte, setzte er den Weg fort. Es war auch für ihn nicht einfach, den steilen Hang hinabzuklettern. Normal konnte er nicht gehen, er hatte eine Schräglage eingenommen und stützte sich vor jedem Schritt mit der Hacke ab. Plötzlich war er da! Der Blutsauger hatte sich einen günstigen Zeitpunkt ausgesucht, als Marek zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Es war nicht Dracula II, diese Bestie hatte einen Diener geschickt. Wieder einen der Mönche, dessen graues Gesicht aus der Kutte hervorschaute. Die zurückgezogenen kippen zuckten, die beiden Vampirhauer lagen frei, und Marek kam so schnell nicht weg. Der andere warf sich gegen ihn. Seine langen Finger waren wie Stricknadeln, als sie sich in Mareks Jacke festklammerten. Sie zerrten heftig an der Kleidung, als wollten sie die Jacke vom Körper reißen. Marek verlor den Halt. Plötzlich rutschte er mit dem rechten Fuß weg, fiel auf den Rücken, spürte noch den Druck des Köchers, dann war der Vampir über ihm. Marek kämpfte. Leider war es ihm nicht gelungen, an seine Waffe heranzukommen. Der Blutsauger klemmte Mareks rechten Arm fest, und die gurgelnden Laute drangen an Mareks Ohren. Der ehemalige Mönch gierte nach dem Blut des Pfählers, aber Marek war ein Mensch, der sich wehren konnte. Zudem kamen ihm der abwärts führende Hang und der glatte Untergrund zugute. Beide rutschten sie vor. Marek begann zu trampeln, während er mit beiden Händen gegen die Brust des Vampirs drückte, um ihn zurückzuschieben. Das gelang ihm nicht. Der andere hatte sich regelrecht an ihm festgeklemmt.
Ein knorriger Baumstamm hieltbeide auf. Das mächtige Wurzelwerk ragte teilweise aus dem Boden. Die unterschiedlichen Gegner verfingen sich darin, und einige Enden verhakten sich auch im Rücken des Blutsaugers, so daß sie ihn praktisch festhielten und Marek seine Chance bekam. Der Vampir war etwas nach unten gerutscht. Das gab Marek die Gelegenheit, an seinen Pflock zu gelangen. Er war es gewohnt, die Waffe aus allen möglichen Lagen zu ziehen, auch in einer Schräglage konnte er an sie herankommen. Sofort stieß er zu. Diesmal erwischte er den Blutsauger im Rücken. Der Pflock traf in eine Lücke zwischen den Wurzeln. Auf dem Bauch liegend bäumte sich die Bestie auf, als Marek den Pflock aus dem Körper zog. Für wenige Augenblicke schimmerte das bleiche Gesicht wie ein gezeichneter Fleck vor ihm, dann war es vorbei. Der Vampir sackte zusammen und hatte sein untotes Dasein endlich ausgehaucht. Auch Marek war geschafft. Keuchend blieb er liegen und froh darüber, den ersten Angriff abgewehrt zu haben. Die Muskeln zuckten, die Adern unter seiner dünnen Halshaut ebenfalls. Er rollte sich langsam zur Seite und stand auf. Am Stamm stützte er sich ab. Die Pfeile hatten glücklicherweise keinen Schaden erlitten, sie waren auch nicht herausgerutscht, aber Frantisek wußte nun, was ihm bevorstand. Die nächste Attacke der Blutsauger würde nicht so harmlos sein, davon ging er aus. Vielleicht versuchten sie dann, zu dritt oder viert über ihn herzufallen, noch konnte er sich allerdings frei bewegen. Nur — wo sollte er hingehen? Als einzige Wegmarkierung diente ihm das Rauschen des Wasserfalls. Und der ließ ihn nicht los. Immer stärker drehten sich seine Gedanken um das fließende Wasser, das mit einer gewaltigen Wucht in die Tiefe schoß. Es tötete Vampire . .. Würden sich die Blutsauger überhaupt in seine Nähe trauen? Der Pfähler lächelte grimmig, als er daran dachte. Wenn er ehrlich gegen sich selbst war, glaubte er nicht daran. Mallmann vielleicht, aber nicht seine Helfer. Es ärgerte ihn jetzt, daß er sich auf dem Hinweg den Wasserfall und dessen nähere Umgebung nicht genau angeschaut hatte. Jetzt war es zu dunkel, um Einzelheiten auszumachen. Er mußte sich auf sein Glück verlassen. In der Dunkelheit des Waldes tastete sich Marek voran. Noch traute er sich nicht, die Taschenlampe einzuschalten, das Licht hätte einfach zu weit gesehen werden können. Er brauchte ein Versteck. Wenigstens die
Nacht wollte er überstehen, und da kam ihm der Wasserfall gerade recht. Vielleicht gelang es ihm, die Stunden hinter dem nach unten fallenden Schwall zu verbringen. Bis jetzt hatte alles geklappt. Dann aber kippte der Hang plötzlich weg. Marek sah es im letzten Augenblick, als er über die Kante schaute und unter sich den schäumenden See erkannte, in den der Strahl hineinraste. Ersah auch den Gebirgsbach, der durch die Enge der Schlucht tobte. Wenn ihn die Massen erfaßten, würde er jämmerlich ertrinken. Frantisek stand bereits am Rand der Schlucht und schaute hinab. Er suchte nach einer Möglichkeit, an den gegenüberliegenden Wasserfall zu gelangen. Wenn er erst einmal unten war, ging es leichter. Dann konnte er den Fluß auch überqueren, in dem er von Stein zu Stein sprang. Aber die gefährlichste Strecke lag noch vor ihm. Wie kam er hinab? Gehen war unmöglich, auch eine schräge Haltung würde ihm nichts mehr nutzen. Am besten war es, wenn er sich weiterhangelte. Das war zu schaffen, denn fast im rechten Winkel wuchsen vom Steilhang Bäume in die Leere hinein. Sie besaßen starke Äste, so jedenfalls sah es aus. Marek mußte sich auf ihre Kraft verlassen. Er begann mit seiner Kletterei. Daß er in seinem Alter noch derartige Torturen auf sich nehmen mußte, damit hätte er nicht gerechnet. Als er mit beiden Beinen zum erstenmal über dem Abgrund hing, rutschte ihm das Herz beinahe in die Hose, und seine Augen quollen aus den Höhlen. Zudem bog sich der Ast durch, aber er hielt, und Marek fand sogar Halt für seine Füße. Das beruhigte ihn wieder, so konnte er sich den nächsten Ast aussuchen, der glücklicherweise über einem kleinen Vorsprung hing. Wenn ihn jetzt ein Blutsauger angriff, war er verloren. Marek wollte daran nicht denken, trotzdem suchte er ab und zu den düsteren Himmel nach einem noch dunklen Schatten ab. Dort blieb alles ruhig. Es zeigte sich keine Riesenfledermaus, und er kletterte beruhigt weiter. Marek hatte sogar Glück. Aus der Höhe hatte er den Fallwinkel des Hangs nicht richtig einschätzen können, aber nahe des Wassers kam er ihm entgegen. Nachdem er bäuchlings durch ein Gebüsch gerutscht war, fanden seine Füße auf der Schräge Halt, die er auch hinangehen konnte, wenn er die richtige Haltung einnahm. Zunächst blieb Marek sitzen und ruhte sich aus. Sein Atem mußte sich erst beruhigen. Es gab keine Stelle an seinem Körper, die nicht zitterte.
Trotz der Kälte war er schweißnaß, sein Körper dampfte regelrecht, die Arme schmerzten in den Schultergelenken. Er konnte jedoch weitermachen. Mehr als die Hälfte der Strecke lag jetzt hinter ihm. Vor sich sah Marek die lange, helle Zunge des Wasserfalls. Sie hämmerte der Tiefe entgegen und tauchte mit einem donnernden Geräusch in den kleinen See, wobei sie Wolken von Gischt in die Höhe schleuderte. Plötzlich sah Frantisek etwas, das ihm überhaupt nicht gefiel. Als hätte jemand einen Vorhang am Himmel zur Seite geschoben, tauchte dort ein Gegenstand auf, der von keiner Wolke verdeckt wurde. Der Mond! Aber welch ein Mond! Fahl, bleich — und rund! Der ideale Kraftspender für Vampire. Vollmond, das Vampirwetter. Da würden sich Mallmann und seine Heiter in ihrem Element fühlen. Der Mond würde auch die letzten Blutsauger aus ihren makabren Verstecken locken. Marek war es egal. Er hatte sowieso mit ihnen zu tun. Ob nun Vollmond war oder nicht. Bevor er sich in Bewegung setzte, leuchtete er den Hang hinab. Das Risiko wollte er einfach eingehen. Zudem wußten die Blutsauger, daß er sich in der Nähe aufhielt. Die Schräge behielt den Winkel ungefähr bei. Für Marek hieß es, daß er nicht mehr zu hangeln brauchte, er konnte sich auf dem normalen Boden weiterbewegen. Auch jetzt mußte er höllisch achtgeben, denn der Untergrund war ziemlich glatt. Ein falscher Tritt konnte das Aus bedeuten. Dann rollte er in den eiskalten See und würde möglicherweise von den tonnenschweren Massen des Wasserfalls erschlagen. Frantisek Marek ging seinen Weg mit dem Mut eines Mannes, der es gewohnt war, alles auf eine Karte zu setzen. Nichts hielt ihn davon ab. Er fand immer wieder Buckel, um sich abstützen zu können. Meter für Meter ließ er hinter sich, begleitet vom geisterhaft fahlen Licht des Mondes, der sich in dieser Nacht besonders zur Schau stellen wollte. Er mußte noch seine Richtung leicht verändern, weil er dort aufkommen wollte, wo der reißende Gebirgs-bach begann und die Massen den See verließen. Marek keuchte vor Anstrengung und Konzentration. Mehr als einmal war er ins Wanken geraten, aber er hatte sich immer wieder fangen können, was ihm jedesmal Mut gab, weiterzumachen. Zudem gab es auch keine andere Möglichkeit. Fast wäre er auf den letzten Metern noch ausgerutscht. Er konnte sich gerade noch am hoch wachsenden Gras festklammern. Einen Fluch
quetschte er durch die Zähne, machte weiter und ließ mit einem letzten bewußt angesetzten Rutscherden Hang hinter sich. Marek sank zusammen. Er fiel einfach in die Hocke, setzte sich hin, stützte sich ab und war dem Flerrgott einfach dankbar, daß er ihm bei dieser Kletterei zur Seite gestanden hatte. In der Nähe des Wassers fühlte er sich einfach wohler. Wenn er nach vorn schaute, den Kopf dabei nach rechts drehte, sah er den mächtigen Schwall aus der Höhe schießen. Das waren Tonnen, die in den kleinen See hineinschmetterten. Die würden einem Menschen, wenn sie trafen, sämtliche Knochen brechen. Was hinter dem Wasserfall lag, konnte Marek nicht erkennen. Wahrscheinlich Fels. Zischend atmete er aus, drückte sich in die Höhe und suchte nach dem weiteren Weg. Dabei wandte er sich nach links, denn genau dort hatte er die Steine entdeckt, die aus dem Wasser ragten. Zwar schössen die Fluten über manche von ihnen hinweg, für Marek waren sie insofern günstig, als daß er sie mit kleinen Sprüngen würde erreichen können. Er probierte es. Im Gegensatz zu seiner lebensgefahrlichen Kletterei war dies ein Kinderspiel. Marek war auch über seine Schuhe mit den dicken Sohlen froh. Der Weg war relativ sicher, und er erreichte auch ohne große Mühe den zweiten Stein. Wenn er den dritten berührte, hatte er die Hälfte bereits hinter sich. Um ihn herum schäumte und gurgelte das eiskalte Wasser. Natürlich hatte er nasse Füße bekommen, auf derartige Kleinigkeiten aber achtete er nicht. Er wollte weiter, er mußte weiter, stieß sich ab, machte einen großen Schritt, erreichte den dritten Stein und hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. Nur mit viel Glück und äußerster Mühe konnte er sich fangen. Er klappte die ausgebreiteten Arme wieder zusammen, atmete tief durch und dankte seinem Schöpfer abermals, daß dieser ihn vor dem Schlimmsten bewahrt hatte. Marek drehte sich nach rechts. Er schaute am Wasserfall vorbei in die Höhe, wo der Himmel dunkel war. Noch dunkler zeichneten sich die Umrisse der großen Fledermaus ab, die Marek entdeckt haben mußte und so wirkte, als würde sie direkt auf ihn zufliegen. Obwohl der Halt nicht eben optimal war, mußte der Pfähler es versuchen. Er holte seinen Pfeil aus dem Kcicher, legte ihn auf und spannte den Bogen. Dann drehte er sich und zielte auf die heransegelnde Fledermaus. Viel konnte er nicht sehen, sie befand sich noch nicht in Höhe des Wasserfctlls, glitt aber nun mit wehenden Schwingen an ihn heran, und Marek glaubte, die kleinen roten Augen zu
sehen, oder war es ein rotes D, das sich auf dem kleinen Kopf zwischen den beiden Schwingen abzeichnete? In der Finsternis zu zielen und zu treffen war nicht ganz einfach, aber Marek tat es. Er wartete den Zeitpunkt ab, bis sich die unheimliche Fledermaus in Höhe des Wasserfalls befand, dann schickte er seinen Eichenpfeil auf die Reise. Die Sehne schlug wieder zurück. Der Bogen zitterte noch in seiner Hand nach, er konnte den Weg des Pfeils verfolgen und bekam auch mit, wie er den Körper erwischte. Frantisek lachte hart auf. Hatte er ihn voll getroffen oder nur angeritzt? Die Fledermaus bewegte sich weiter. Nur nicht mehr so elegant wie zuvor. Sie hatte einen Drall nach rechts bekommen, was für sie gefährlich wurde, denn sie näherte sich dem Wasserfall. Dann kippte sie weg, geriet noch weiter nach rechts, und das Wasser griff plötzlich zu wie eine gewaltige Kralle. Der Pfähler sah den Körper darin verschwinden. Für einen Moment wirkte es so, als könnte er sich halten, doch die Kraft des fallenden Wassers war stärker. Die Fledermaus wurde in die Tiefe gerissen. Der Körper zeichnete sich innerhalb des hellen Wassers ab, und Marek bekam sogar mit, wie er zu fetzenartigen Teilen wurde, die von den Fluten nach unten gerissen wurden. Dann war die Fledermaus verschwunden! Der kochende See am Ende des Wasserfalls hatte sie regelrecht verschluckt. Der Vampirjäger schüttelte den Kopf, als könnte er seinen Erfolg selbst nicht glauben. Wenig später begann er laut zu lachen und stieß die Sätze in einem wahren Triumph hervor. »Geschafft! Ich habe es tatsächlich geschafft! Verdammt noch mal, ich habe es gepackt!« An einer trockenen Stelle hätte ersichtlich vor Freude getanzt, so aber ließ er es bleiben und mußte zusehen, daß er möglichst sicher auf die andere Seite kam. Es war schwer genug, denn die nächsten Steinflächen boten ihm weniger Platz. Mit Geschick, Geduld und Mut schaffte es Marek trotzdem, das Ufer sicher zu erreichen, wobei man von einem Ufer nicht sprechen konnte. Es war nur mehr ein schmaler Raum zwischen dem Bachbett und der senkrecht hochsteigenden Felswand, immerhin breit genug, um Frantisek den nötigen Halt zu geben. Nicht weil entfernt brandete der Wasserfall in die Tiefe. Er donnerte nicht direkt an der Felswand entlang. Es befand sich zwischen ihm und dem Gestein eine Lücke.
Das konnte Marek erkennen, als er mit der Lampe hinleuchtete. In ihrem Strahl glitzerten die unzähligen Wassertropfen wie kostbare Perlen, und die Gischt schien aus zahlreichen Diamantsplittern zu bestehen. Marek atmete auf. Der Rest müßte eigentlich ein Kinderspiel für ihn sein. Er ging ihn sehr vorsichtig an, denn auch hier war der Untergrund seifenglatt. Je mehr sich Frantisek dem Wasserfall näherte, um so nasser wurde er. Die Gischtwolken sprühten ihm entgegen. Auf seinem Gesicht spürte er sie wie eisigkalte Körner. Hätte er sich jetzt mit jemandem unterhalten müssen, er hätte sein eigenes Wort nicht verstanden. Mit der linken Hand an der nassen Felswand entlanggleitend und den Kopf geduckt, überwand er auch die letzten Meter. So glatt die Felswand auch aus der Distanz ausgesehen hatte, das war sie beileibe nicht. Sie zeigte Risse, kleine Kuhlen — und direkt hinter dem Wasserfall den Eingang einer Höhle. Das hatte sich Marek gewünscht, es aber nicht zu hoffen gewagt. Ihm war bekannt, daß es hinter den langen Zungen oft Verstecke oder Höhlen gab, doch daß ausgerechnet er das Glück hatte, wollte ihm noch nicht in den Kopf. Dennoch paßte er auf. Konnten sich in der Höhle ebenfalls Blutsauger aufhalten? Marek rechnete mit allem. Fallen konnten die Vampire überall aufgestellt haben. Zudem hatten sie womöglich gemerkt, welchen Weg er genommen hatte. Um sicherzugehen, holte er wieder die Lampe hervor und strahlte hinein in das Dunkel. Auf seinem Rücken spürte er die Nässe, und immer mehr Gischt übersprühte ihn. Marek leuchtete die Höhle aus, von deren Wänden Wasser tropfte. Im nächsten Augenblick kam er sich vor wie der Beobachter einer schaurigen Szene. Von der Seite her drängte ein Gegenstand in den hellen Schein der Taschenlampe. Es war eine Hand, die gedreht wurde, so daß die Fläche nach oben zeigte. Und der Mittelfinger bewegte sich lockend vor und zurück. Frantisek Marek griff zur Waffe... *** Er ließ seine rechte Hand allerdings auf dem Griff liegen und zog den Eichenpflock noch nicht hervor. Er war unsicher geworden, so reagierte kein Vampir. Wer dann?
Die Hand blieb noch für wenige Augenblicke im Lichtschein, dann schob sich ein Arm hinein, dem eine Schulter folgte. Marek hatte bereits die Mönchskutte erkannt. Also doch ein Blutsauger! Mit einer wütenden Bewegung riß er den Pflock hervor, als eine Stimme das Brausen hinter ihm übertönte. »Laß es!« Sprach so ein Vampir? Marek kamen Zweifel, er zog den Pflock nicht hervor und wartete ab, bis die Kuttengestalt sich zu voller Größe in den hellen Streifen gestellt hatte. Marek atmete aus. Zum erstenmal überkam ihn das grennzenlose Gefühl der Erleichterung. Er spürte den Boden zwar unter den Füßen, hatte aber das Gefühl, er müßte hineinversinken. Fs war die Reaktion auf das Erlebte, so schnell würde Marek es nicht verkraften. Daß er nach vorn kippte, merkte er nicht, aber der Mönch reagierte schneller und fing ihn ab. Wie ein Kind lag Marek in den Armen des Mannes und ließ sich willenlos in den Hintergrund der feuchten Höhle zerren, wo der Helfer ihn auf ein weiches Lager bettete und die Welt erneut um den Pfähler herum versank. Er wurde nicht bewußtlos, aber er trat irgendwie weg und hatte den Eindruck, von geisterhaften Armen irgendwo hingeschleppt zu werden. Dann öffnete er die Augen. Gleichzeitig drückte etwas gegen seine Lippen. Marek merkte, daß es die Öffnung einer Flasche war. Eine flüsternde Stimme riet ihm zu trinken, und der Pfähler kam dieser Aufforderung nach. Automatisch schluckte er die Flüssigkeit, bei der es sich nicht um Wasser handelte, sondern um ein scharfes Gebräu, das Tote zum Leben erwecken konnte. Er trank, hätte sich beinahe verschluckt, öffnete erst jetzt die Augen und sah die weichen Umrisse eines Gesichts über sich. Die Haut wurde vom Schein einer Kerze umschmeichelt, so daß helle und dunkle Flecken auf ihr erschienen. Das Rauschen des Wasserfalls hörte Marek wie aus weiter Ferne. Er freute sich über die Weicheit des Lagers unter seinem Rücken und auch über das wohlige Gefühl in seinem Magen. So hätte es seiner Ansicht nach immer bleiben können. In den letzten Minuten hatte er die Vampire vergessen, erinnerte sich plötzlich wieder daran und wollte in die Höhe schnellen, aber zwei Hände drückten ihn an den Schultern zurück. »Ruhig, nur ruhig bleiben, mein Freund. Wir sind hier in Sicherheit, glaub es mir.« Marek holte tief Luft. Erst jetzt arbeitete sein Gehirn wieder. »Wer . . . wer bist du?« »Ich bin der Abt, Bruder Askin!«
Der Pfähler brauchte seine Zeit, um die Gedanken ordnen zu können. »Du bist — wer?« »Der Abt des Klosters, das von seinen Mönchen verlassen wurde. Ich habe es auch verlassen, jedoch rechtzeitig genug. Vielleicht hatte ich auch einfach nur Glück.« »Und die anderen?« Der Abt hob die Schultern und drückte seinen Oberkörper zurück. »Muß ich dir das sagen?« »Nein«, flüsterte Marek, »nein.« Er starrte gegen die Decke, wo das Kerzenlicht Reflexe schuf, die einen unruhigen Tanz aufführten. »Nein, du brauchst nichts mehr zu sagen, nur deinen Namen möchte ich wissen. Ich heiße übrigens Marek, man nennt mich auch den Pfähler.« »Ich weiß es.« »Oh — woher?« »Wir haben zwar nicht viel in unserem Kloster geredet, aber gewisse Vorfälle sprechen sich doch herum und erreichen auch unsere Ohren, mein Lieber.« »Ja, das glaube ich.« »Du hast mich nach meinem Namen gefragt. Ich heiße Bruder Askin, nichts weiter.« »Askin, der Abt.« »Richtig.« »Das ist mir neu.« Der Mönch hob die Schultern. »Kann ich mir vorstellen. Man kennt uns, aber man weiß nicht viel von uns. Ich habe dich übrigens beobachtet, mein Freund. Bei deiner Flucht. Es war nicht einfach. Ich muß dir meine Gratulation aussprechen.« Mit einer müde wirkenden Handbewegung winkte Marek ab. »Das war reine Glückssache. Mir blieb nichts anderes übrig. Ich sah keinen zweiten Ausweg, sie jagten mich.« »Ja, meine Brüder«, flüsterte der Abt. »Oder meine ehemaligen Brüder, muß ich wohl sagen.« »Sie hatten keine Chance?« Askin ließ sich mit der Antwort Zeit. Zwei Finger zeichneten die scharfen Falten in seinem schmalen Gesicht nach, dem anzusehen war, daß der Mönch die Askese wörtlich genommen hatte. Er besaß schmale Lippen, die wie zwei Messerrücken aufeinander lagen. Seine Augen blickten ruhig. Wahrscheinlich besaßen die grauen Pupillen die gleiche Farbe wie das Haar. »Nein, sie hatten keine Chance. Wir wurden überfallen. Es war ein schrecklicher Mensch, der in das Kloster hineinstürmte. Schwarze Haare, ein D auf der Stirn, und er erklärte uns, daß er Dracula II wäre. Er war furchtbar, er war grausam, er besaß den Blutstein, der ihm eine zu große Macht gab, und er zerstörte in einem Anfall von Wut unsere Kirche. Einige von uns versuchten zu fliehen, mir gelang es, weil ich keinen Ausweg sah, obwohl ich mich jetzt als Feigling fühle, weil ich mich diesem Blutsauger nicht entgegengestellt habe, aber ich denke, daß ich ihn aus dieser sicherer Distanz besser bekämpfen kann.« »Das meine ich auch«, erwiderte Marek. »Noch etwas zu deinen Brüdern, Abt. Sie . . . sie haben es wohl alle nicht geschafft. Der Vampir
war schneller.« Frantisek hatte sich gesetzt und schaute auf den dunklen Steinboden der Höhle. »Sie überraschten uns während des Gebets. Der Blutstein bannte viele von uns, dieser Vampir legte ihn auf den Altar, dann konnten wir nichts mehr tun.« »Wie bist du entkommen?« »Durch einen Seitenausgang! Ich habe das Chaos noch nutzen können und lloh in diese Höhle.« Die beiden Männer schauten sich an. »Kennst du dich bei Vampiren aus?« fragte Marek. Der Abt hob unter der Kutte die breiten Schultern. »Ich habe mich mal mit ihnen beschäftigt, als ich die Geschichte dieses Landes studierte. Ja, ich weiß über die Bescheid, obwohl Vlad Dracula nicht der Vampir gewesen ist, zu dem man ihn gemacht hat.« »Es gab auch andere Geschichten über Vampire, die man sich in diesem Lande erzählte. Nur schenkte man denen von außerhalb keinerlei Beachtung.« »Das weiß ich.« Marek strich über seine Wangen. »Hast du einen Vorschlag, was wir jetzt machen sollen?« ' »Warten.« »Worauf?« »Wenn die Nacht vorbei ist und das Tageslicht erscheint, können wir die Höhle verlassen.« »Wohin sollen wir gehen?« »Ich kann es dir sagen. Zurück . . .« »In das Kloster?« »Ja.« »Das ist gefährlich, das ist zu gefährlich, Askin.« Marek schüttelte den Kopf. »Gibt es noch eine andere Chance?« Der Pfähler verengte die Augen. »Ich denke schon«, murmelte er. »Ja, ich denke, daß wir noch eine Chance haben.« »Und welche?« »Zwei Freunde von mir müßten bald hier eintreffen. Gegen sie bin ich eigentlich nur ein Schatten. Sie jagen nicht nur Vampire, sondern auch andere Dämonen und schwarzmagische Wesen — und, was besonders wichtig ist, sie haben mit Dracula II noch eine große Rechnung zu begleichen. Wenn sie eingetroffen sind, sieht es auch für uns besser aus.« »Wissen sie denn, wo sie dich finden können?« Marek schüttelte den Kopf. »Das ist eben das Problem. Vielleicht können wir sie abfangen oder ihnen ein Stück entgegengehen. Ich weiß es noch nicht.« »Aber hier sind wir sicher!« Marek nickte. »Stimmt. Es wird, so glaube ich, kein Blutsauger den Wasserfall durchdringen können.« »Das meine ich auch.«
»Wie lange lebst du schon in der Höhle!« wollte der Pfähler wissen und sah gleichzeitig das Lächeln des Mannes. »Es werden Wochen sein.« »Und du hast überlebt?« Der Abt hob die Schultern. »Ich brauche wenig zum Leben. Ich denke und bete viel. Ich bin es gewohnt, nur das Nötigste zu mir zu nehmen. Ich habe mich von den Früchten des Waldes ernährt, und Wasser steht mir genug zur Verfügung.« »Das sehe und höre ich«, erwiderte Marek lachend. »Wie dem auch sei, wir müssen zunächst einmal hier hocken bleiben und die lange Nacht abwarten. Ich hoffe ja, daß meine Freunde morgen das Gebiet hier erreichen werden.« Er stand auf, bekam einen leichten Schwindelanfall und verließ den Lichtschein der drei Kerzen. »Sag mal, Bruder, gibt es noch einen anderen Weg aus der Höhle?« Der Abt schaute Marek nachdenklich an. »Wie kommst du auf diese Idee?« »Ganz einfach, die Erfahrung sagt es mir. Ich weiß, daß Burgen oder Klöster, als sie gebaut wurden, gewisse Gänge, Stollen oder Tunnels besaßen, die zur Flucht genutzt werden konnten, wenn die Feinde zu stark waren.« Er schaute gegen die Decke. »Wenn mich nicht alles täuscht, müßten wir uns hier direkt über dem Kloster befinden. Und ein Schacht, der von hier aus in die Höhe oder Tiefe führt, wäre doch nicht so unrealistisch. Oder irre ich mich?« Der Abt senkte den Blick. »Nein, Marek, es ist kein Irrtum. Es gibt ihn tatsächlich.« In die Augen des Pfählers kehrte das Funkeln zurück. Er sah plötzlich wieder eine Perspektive. »Und?« fragte er hastig. »Werden wir ihn nehmen können?« »Das ist die Frage, mein Freund. Der Schacht ist sehr alt, auch sehr eng.« »Hat man ihn denn mit Klettersprossen versehen?« »Ja.« »Dann kennst du ihn?« Der Abt nickte. »Ich bin durch ihn entkommen, um bei der Wahrheit zu bleiben. Aber ich habe Furcht davor, daß ihn die Blutsauger auch entdecken.« »Bisher ist das nicht geschehen?« »Richtig. Wenn wir ihn hochsteigen wollen, landen wir in den alten Verliesen des Klosters. Sie sind aus dem Fels herausgehauen worden. Wir haben dort Vorräte aufbewahrt. Jetzt werden diese Kasematten sicherlich von den Blutsaugern in Beschlag genommen worden sein, aber daran kann ich nichts ändern.« »Marek nickte. »Wie du mir das erzählt hast, könnten es für sie die idealen Tagesverstecke sein.«
»Stimmt.« »Zeig mir den Zugang.« Der Abt wehrte sich noch. »Es ist besser, wenn du nicht diesen Weg nimmst, sondern den normalen.« »Anschauen kann ich ihn mir doch.« »Wie du willst.« Askin ging vor. Er war größer als Marek und wirkte ziemlich eckig, trotz der Kutte. Auf eine Kerze hatte er verzichtet. Statt dessen verließ er sich auf die Taschenlampe des Pfählers, der den geisterhaft bleichen Strahl über den Boden streifen ließ. Im Hintergrund verengte die Höhle sich stark. Am Ende des Schlauchs wuchsen die Mauern von zwei Seiten zusammen. Rechts und links gab es keine Lücke mehr, aber nach oben hin war der Weg frei. Kein Luftstrom fuhr in Mareks Gesicht, als er in die Höhe leuchtete. Ein Zeichen, daß sich am Ende des Schachts keine Öffnung befand. Und wenn, dann war sie verschlossen. Im Licht sah Marek auch die Sprossen. Sie mußten sehr alt sein, dennoch sahen sie aus, als wären sie in der Lage, das Gewicht der beiden Männer halten zu können. Er drehte sich wieder um. »Das ist doch schon was«, flüsterte er dem Abt zu, dessen Gesicht unverschlossen blieb. »In der Tat.« Er legte Marek eine Hand auf die Schulter. »Ich würde trotzdem warten, bis der Tag angebrochen ist.« »Natürlich. Außerdem habe ich die Nase voll. Etwas Schlaf kann mir guttun.« »Dann werde ich wachen.« »Tu das, Askin.« Marek wollte schlafen, das gelang ihm nicht. Er lag wach, fiel ab und zu in einen Sekundenschlaf, um aus ihm schreckhaft zu erwachen, weil ihn die Schritte des Abtes störten. Dann schielte er auf die hochgewachsene Gestalt, die sich durch die Höhle bewegte und hin und wieder leise Worte murmelte, möglicherweise alte Gebete. Irgendwann schlief Marek trotzdem ein. Die Erschöpfung war einfach zu groß gewesen. Und er schlief sehr lange, denn als er wieder erwachte und einen Blick auf die Uhr warf, erschrak er. Die zehnte Morgenstunde war bereits vorbei. Zwar konnte man draußen nicht von einem hellen Tag sprechen, auch dieser war wieder grau geworden, aber das Vampirwetter, die Dunkelheit, hatte sich längst verzogen. »Mann, so etwas ist doch nicht möglich.« Marek schimpfte über sich selbst. Als er sich bewegte, stellte er fest, daß ihn der Muskelkater quälte.
Durch den Höhleneingang drang Licht. Davor fiel der Wasserfall aus der Höhe wie ein nie abreißender Vorhang. Marek mußte einige Minuten auf dem Rand des Lagers sitzenbleiben, um mit sich und seinen Gedanken ins reine zu kommen. Irgend etwas hatte ihn gestört. Der Pfähler überlegte, was dies hatte sein können, bis es ihm plötzlich einfiel. Der Abt war nicht mehr da! Marek stand auf, rief den Namen, duchsuchte die Höhle und lief auch in den Hintergrund, wo der Schacht den Fels durchnitt. Kein Spur von Askin! Frantisek Marek geriet ins Grübeln. Er hatte den Abt als Helfer kennengelernt, aber er kannte ihn nicht gut genug, um seine Reaktionen voraussagen zu können. In der Nacht hatte er noch Wache gehalten. Jetzt war er verschwunden. Weshalb? Hatte er nur einfach mal weggehen und frische Luft schnappen wollen? Nein, so simpel machte es sich Marek nicht. Am Eingang der Höhle war er stehengeblieben und schaute gegen den tosenden Wasserfall. Dabei überkam ihn ein böses, sehr böses Gefühl... *** Geschafft! Unser Wagen hatte es geschafft. Ein Hoch auf den Leihwagen, denn der Weg in die Berge war nicht einfach zu fahren gewesen. Steigungen, Schlamm, sehr enge Kurven oft seifiger Lehm, dann Büsche, die bis dicht an den Rand wuchsen und mit ihren Zweigen gegen die Karosserie schlugen. Das alles lag hinter uns. Und was lag oder besser gesagt stand vor uns? Einen VW-Käfer! Mareks Wagen. Er hatte ihn dort stehengelassen, wo er beim besten Willen nicht mehr weiterkam, und auch wir mußten aussteigen und den Rest des Weges zum Kloster hoch zu Fuß gehen. Die Strecke hatte doch ziemlich viel Zeit in Anspruch genommen. Der erste Dunst des späten Nachmittags wehte als bleiches Gespinst durch den Wald, die Wolkendecke hatte sich zwar nicht verdichtet, sie war sogar an einigen Stellen aufgerissen, aber die langen Schatten der Dämmerung warteten darauf, sich über die Berge und Täler legen zu können. Im Wald herrschte ein unsicheres Zwielicht, das ein normales Sehen nicht zuließ. Suko war auf den VW zugegangen und umschlich ihn wie jemand, der den Wagen stehlen wollte. »Was suchst du?«
Am Heck blieb erstehen. »Eigentlich nichts. Es ... es war nur so ein Gefühl, verstehst du?« »Eigentlich nicht.« Suko bückte sich. »Verdammt, John, die Motorklappe ist nicht ganz geschlossen.« »Na und?« Ich hatte mir nichts dabei gedacht, sah zu, wie Suko sie anhob und einen Fluch ausstieß. »Komm her, sieh es dir an. Verdammt, da hat jemand den guten Marek reingelegt.« Ich schaute ebenfalls hin und mußte mit Schrecken feststellen, daß nichts mehr so war, wie es sein sollte. Jemand hatte mit einer wahren Brachialgewalt den Motor zertrümmert. »Und Marek?« flüsterte ich, wobei ich mir selbst die Antwort gab. »Ich könnte mir vorstellen, daß er noch nicht von seinem Pech erfahren hat. Was meinst du?« »Keine Ahnung.« Suko hob die Schultern. Flüsternd oder normal konnten wir uns kaum unterhalten, denn in der Nähe hörten wir das gewaltige Rauschen und Donnern eines mächtigen Wasserfalls. Wir hatten die breite Flut auch schon gesehen, die wie ausgespuckt aus einem breiten Loch in der Felswand strömte. Der Wasserfall beherrschte mit seinem Krach die gesamte Umgebung. Er war wie ein brüllendes Ungeheuer, das davor warnen wollte, ihm zu nahe zu kommen. Vampire würden sich daran halten, für sie war fließendes Wasser absolut tödlich. Ich suchte den Boden nach Spuren ab, und Suko half mir dabei. Wir fanden einige Abdrücke im Boden, wobei keiner von uns sagen konnte, ob sie tatsächlich von Mareks Schuhen stammten. Mit gerunzelter Stirn schaute ich Suko an. »Es wird keinen Sinn haben, wenn wir hier stehenbleiben und darüber nachdenken, was geschehen sein könnte. Wir müssen zum Kloster.« »Dafür bin ich«, stimmte Suko zu. »Aber ein bißchen schnell, Alter, sonst kommt die Dunkelheit.« »Okay denn.« Wir machten uns auf den Weg. Daß er so beschwerlich werden würde, damit hatten wir nicht gerechnet. Wer diesem Kloster damals einen Besuch abgestattet hatte, der wußte wirklich, was hinter ihm lag. Wir kamen ins Schwitzen, während die Dämmerung immer mehr zunahm und sich der Wald um uns herum veränderte. Es gab kaum noch helle Stellen, alles wurde von dem geheimnisvollen Mantel der Finsternis umschlungen. Das Unterholz, auch das Dickicht und die Baumstämme. Nur durch ihre Kronen lugte ab und zu der blasse, gräuliche Himmel, auf dem sich der Mond wie ein runder Fleck abgezeignet hatte und sein silbriges Licht verstreute.
Ich hatte die Führung übernommen. Der Wasserfall lag hinter uns. Wir waren auch an einer gefährlichen Stelle vorbeigegangen und hatten eine spitze Felsnase Umschriften. Dann war es soweit. Beinahe schon zu plötzlich, um es fassen zu können. Vor dem Hintergrund der abendlichen Finsternis hoben sich die Mauern des Klosters gemeinsam mit denen der Kirche ab, die auch einen Turm besaß, der sich dem Himmel entgegenschob. Wir waren beide stehengeblieben, überwältigt vom Anblick dieses einsamen Bergklosters. »Da haben sie nun gelebt«, flüsterte Suko. »Und jetzt gehört es Mallmann.« Suko räusperte sich. »Solltest du recht haben, hätte er sich keine andere oder bessere Basis aussuchen können. Das Ding ist wie eine gewaltige Trutzburg, von der man herrschen kann.« »Kein Licht«, murmelte ich. »Brauchen Vampire Licht?« Da hatte Suko recht. Ich schaute zum Himmel. Okay, er war dunkel, hatte aber durch den Mond eine gewisse Helligkeit bekommen, so daß er schon kitschig wirkte, als hätte jemand eine Fimkulisse für einen Gruselstreifen gemalt. Wenn wir geradeaus weitergingen, führte uns der Weg direkt aul das Kirchenportal zu. Natürlich hatten wir auch das Heiligenbild nicht vergessen. Sein Standplatz konnte durchaus in dieser Klosterkirche gewesen sein. Wir waren sehr vorsichtig, denn ein Wetter wie dieses reizte Vampire zu einem plötzlichen Überfall. Mallmann befand sich zudem im Besitz des Blutsteins, der hatte ihm sogar die Resistenz gegen geweihtes Silber gegeben. Fr konnte rücksichtslos vorgehen, und erging auch so vor. Gnade kannte er nicht. Wenn es nach ihm gegangen wäre, bestünden die Bewohner der Welt fast nur aus Vampiren. Er hatte vor, sich ein gewaltiges Reich aufzubauen, Rumänien als Basis kam ihm da gerade recht, besonders deshalb, weil die herrschende Kaste das Land fast abgeschottet hatte. Wer einmal hier saß und sich auch arrangierte, der konnte frei schalten und walten. Suko hatte das Portal der Kirche als erster erreicht. Lauschend blieb er stehen, denn die breite Tür war nicht geschlossen worden. Aus dem Dunkel dahinter vernahmen wir keinen Laut. Die Stille eines Grabs umgab das Innere des Kirchenschiffs. Als Suko mich anschaute, leuchteten seine Augen. »Wir sollten einen Versuch starten, Alter.« »Bin dafür.«
Suko zog das Tor vorsichtig auf, während ich nach meiner zweiten Waffe tastete, die ich mir eingesteckt hatte. Es war ebenfalls eine Pistole, etwas unförmiger und klobiger als die normale Beretta, dafür war die Zweitwaffe auch mit geweihten Eichenbolzen geladen. Eine Druckluftpatrone sorgte dafür, daß die Bolzen mit immenser Kraft aus dem Lauf hinausgetrieben wurden. In der Kirche kam es uns etwas wärmer vor als draußen, obgleich die Feuchtigkeit auch hier zwischen den Wänden hing. Sofort fiel uns der Geruch auf. Weihrauch verband sich mit einem scheußlichen Modergestank. Er schlug uns beide auf den Magen. Suko stand dicht neben mir, so daß er mir ins Ohr flüstern konnte. »Der hat es geschafft und die Kirche tatsächlich in Besitz genommen, John. Verflixt auch!« »Mallmann ist eben mächtig. Früher hat es ein Blutsauger nicht gewagt, einen derartigen Ort zu betreten«, sagte ich und verzog mich. Wir hatten uns für den Weg zwischen den Bankreihen entschieden. Er war leer, kein Hindernis lag auf dem Boden, und in der Staubschicht entdeckten wir Abd rücke. Der Altar zeigte eine Zerstörung, die mir vor Wut die Galle hochsteigen ließ. Plötzlich überschwemmte mich der Haß. Ich gehörte zu den Menschen, die Ehrfurcht vor diesen Dingen hatten. Dabei spielte es keine Rolle, welcher Glaubensgemeinschaft ein Mensch angehörte. Einen Altar zu zerstören, war für mich ein Ding der Unmöglichkeit. Wahrscheinlich hatte Dracula II damit dokumentieren wollen, wozu er alles fähig war. Und das hatte er auch geschafft. Suko war etwas aufgefallen. Er kniete nicht weit von mir entfernt, ich sah ihn winken. »Schau dir das an, John.« Neben ihm ging ich in die Hocke. »Asche . . .« »Genau. Hier hat jemand etwas verbrannt.« Er holte seine Leuchte hervor und strahlte die Reste an. Es war nicht der gesamte Gegenstand zu Asche geworden. Einige Reste waren noch zurückgeblieben. Ein helles Holz mit einem leichten Farbmuster versehen. Suko nahm ein Stück auf. Es klemmte zwischen Daumen und Zeigefinger. Er brachte es in den Lichtstrahl und flüsterte: »Dreimal darfst du raten, für was ich das halte.« »Das kann ich dir sagen. Für die Reste einer Figur.« »Genau. Wie hieß unsere Heilige noch? Jovanka, glaube ich.« »Richtig, und sie hatte ein blutiges D auf der Stirn.« Ich drückte mich wieder in die Höhe. »Allmählich habe ich das Gefühl, als wären wir hier in einer gewaltigen Gruft.« »Fehlen nur noch die Vampire.« »Und Marek.«
Das war unser Problem. Bis auf den verlassenen Wagen hatten wir von ihm keine Spur entdeckt. Aber auch von den Blutsaugern nicht, wobei wir beide davon überzeugt waren, daß sie sich irgendwo in der Nähe versteckt hielten und eigentlich nur das Kloster in Frage kam. Die Kirche war einfach zu klein. »Nehmen wir uns das Kloster vor?« fragte ich. »Wo gibt es einen Weg? Ich glaube, daß eine Verbindung zwischen der Kirche und dem Kloster existieren muß.« Da hörten wir das Läuten. Nur ein Schlag mit dem Klöppel gegen die Glocke, mehr geschah nicht. Dieses Geräusch allerdings hatte uns aufmerksam werden lassen. Beide blieben wir stehen, und Suko deutete nach vorn und gleichzeitig schräg in die Höhe. Er meinte den Turm. Er befand sich dort, wo wir die Kirche betreten hatten. Diesmal gingen wir den Weg schneller zurück. Hinter den langen, schmalen Scheiben ballte sich die Dunkelheit zusammen. Nur die Lichtarme unserer Lampen geisterten durch das Kirchenschiff, huschten über den Boden oder holten Bänke aus der Finsternis. Den Zugang zum Glockenturm hatten wir sehr schnell gefunden. Die schmale Tür stand ollen, wir schoben uns vor, leuchteten hinein und blieben wie vom Donner gerührt stehen. Das Licht der beiden Lampen fiel geradewegs auf drei vernichtete Vampire. Sekundenlang blieben wir stumm, weil jeder für sich dieses Bild aufnehmen und verarbeiten mußte. Das war wie eine Horrorschau! Ein Blutsauger hing sogar noch in der Schlinge, die beiden anderen lagen am Boden. Alle drei jedoch wiesen ein gemeinsames Merkmal auf. Die Löcher oder tiefen Wunden in den Oberkörpern, und zwar dort, wo bei einem Menschen das Herz schlägt. Auf meinen Handflächen sammelte sich der Schweiß. Die Luft kam mir dick vor, als hätte jemand zusätzlich eine gewaltige Glocke über meinen Schädel gestülpt. Suko sprach meine Gedanken aus. »Marek war hier. Das ist seine Arbeit. Er hat sich gewehrt.« »Klar. Schau dir die Toten an. Sie tragen Mönchskutten. Demnach muß Mallmann es geschafft haben, die Besatzung eines ganzen Klosters in seine Klauen zu bekommen.« »Leider. Wo sind die anderen?« Ich räusperte mich. »Man kann Marek viel zutrauen, aber ich glaube einfach nicht, daß er sie auch geschafft hat. Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.«
»LJnd wer hat geläutet, John?« »Ich habe geläutet!« Wir schraken unter dem harten Klang der Stimme zusammen, die von oben her über uns fiel. Im Gebälk des Glockenturms mußte der verdammte Blutsauger hocken, und es war kein geringerer als Will Mallmann oder Dracula II... *** Wir reagierten synchron. Unsere Arme bewegten sich in die Höhe, ebenso die scharfen Lichtstrahlen der beiden Lampen. Sie schnitten in die Schwärze hinein, zeichneten helle Striche, erreichten aber kein Ziel, weil der Glockenturm einfach zu hoch war. Mallmann hatte sich einen sehr guten Platz ausgesucht. Er konnte uns beobachten, wir jedoch sahen ihn nicht. Da allerdings unsere Lampen brannten, standen wir zu sehr im Licht oder wie auf dem Präsentierteller. Wieder handelten wir, ohne uns abgesprochen zu haben. In verschiedene Richtungen tauchten wir weg und knipsten auch die Lampen aus. Sackartig senkte sich die Dunkelheit über uns. Ich zog meine Waffe mit den Bolzen. Vielleicht hatte ich Glück mit einem Zufallstreffer. Suko ahnte meine Bewegungen mehr, als er sie sah. Ich hörte sein leises Lachen, ein akustischer Beweis, daß auch er einverstanden war. , Im nächsten Augenblick erwischte uns das Gelächter. Es fiel auf uns herab wie aus einem Schacht, hüllte uns ein, und wir hörten aus ihm Mallmanns großen Triumph heraus. »Willkommen in meinem Reich, meine ehemaligen Freunde. Ja, seid mir herzlich willkommen im Land der Vampire, des Mondes, der Dunkelheit und des Schrek-kens.« »Noch was?« rief ich hoch. »Sicher, Sinclair. Du weißt, daß ich kein undankbarer Mensch bin, und deshalb wollte ich mich bei dir recht herzlich dafür bedanken, daß du mir die entsprechende Macht gegeben hast, dies alles in die Wege leiten zu können.« »So? Habe ich das?« »Natürlich. Denke nur an den Blutstein, Sinclair. Du hast ihn mir doch gegeben.« Das hatte ich tatsächlich. Damit war es mir gelungen, das Leben meiner Mutter zu retten, die sich wochenlang in der Hand des Blutsaugers als Geisel befunden hatte.*
* Siehe John Sinclair Band 597: »Leichen-Ladies«
»Willst du ihn sehen?« fragte er höhnisch. Unwillkürlich schaute ich in die Höhe. Dort leuchtete für einen Moment etwas auf wie ein rotes Auge. Das war es nicht, sondern der verfluchte Blutstein, der seine Kraft und Magie an diese Bestie weitergab. Ich schoß. Der Blutstein war ein Ziel. Ich hielt dicht darunter, hörte das leicht puffende Geräusch und den Fluch des Vampirs. Hatte ich ihn erwischt? Das Leuchten verschwand. Suko und ich preßten uns gegen die Wand, hörten einen gurgelnden Laut, und einen Augenblick später löste sich ein Schatten aus der Finsternis des Turms, der mit einem atemberaubenden Tempo in die Tiefe raste. Ich sah noch, wie sich die Kleidung aufblähte, dann knallte er zwischen uns zu Boden. Für einen Moment überkam mich tatsächlich die wahnwitzige Idee, daß Mallmann vor unseren Füßen liegen konnte. Ich riskierte es und leuchtete ihn an. Es war ein Mönch! Zufall oder nicht. Jedenfalls hatte ihn mein Geschoß genau zwischen die Augen getroffen. Ich ballte die freie Hand zur Taust. Klar, daß Mallmann so nicht zu überwinden war. Ich ärgerte mich jetzt, daß ich mich zu dieser Aktion hatte hinreißen lassen. Und Mallmann freute sich. »Wolltest du tatsächlich die Aktion D stoppen, Sinclair? Durch ein lächerliches Druckluftgeschoß? Nein, das ist nicht dein Ernst gewesen. Oder solltest du vergessen haben, wie stark ich tatsächlich bin?« »Es war nur eine kleine Warnung, Mallmann. Die größeren Geschütze fahren wir später auf.« »Das weiß ich, ihr werdet alles versuchen, doch an mir beißt ihr euch die Zähne aus. Ich habe euch schon einige Male ins Leere laufen lassen. Dieses Kloster gehört mir, es steht unter meiner Kontrolle, wenn du verstehst, was ich meine.« »Klar. Wo sind die Mönche?« »Ho, ho . . .«, wieder gab er sein hartes Lachen ab. »Sie leben. Sie leben in meinem Sinne. Mit ihnen mache ich den Anfang. Einige haben leider Tribut zollen müssen, aber die Mehrzahl wird sich rächen. Wartet es ab.« »Ja, Marek hat aufgeräumt.« Ich war gespannt, wie er auf diese Bemerkung reagieren würde. Zunächst sagte er nichts, dann fing er wieder damit an, spöttisch zu
lachen. »Der Pfähler hat nur anfängliche Erfolge errungen, Sinclair. Mehr ist es nicht gewesen.« »Aber er lebt — oder?« »Natürlich lebt er. Nur werde ich dir nicht sagen, in wessen Sinne er existiert. Ich werde sehr bald nachschauen, was aus dem berühmten Pfähler geworden ist. Wundert euch nicht, wenn er euch plötzlich als einer meiner Diener entgegentritt.« Diese Vorstellung war furchtbar. Ich erinnerte mich daran, daß Mareks Frau damals ebenfalls zu einer Blutsaugerin geworden war und ich sie hatte töten müssen. Suko ahnte meine Gedanken und hauchte mir zu: »Laß dich nur nicht verrückt machen, John.« »Keine Sorge, ich behalte schon den Überblick.« Über uns schlug abermals die Glocke an. Es warnte uns trotzdem. Wir sprangen zurück und hechteten dann hinein in das Kirchenschiff. Keine Sekunde zu früh. Aus der Finsternis des oberen Turmdrittels hämmerte die Glocke mit elementarer Wucht nach unten. Sie zerschlug alles, was sich ihr in den Weg stellte. Sie begrub auch die endgültig toten Blutsauger unter sich. Uns hätte sie ebenfalls zerschmettert, wären wir eine Sekunde länger auf unserem Platz stehengeblieben. So aber waren wir gerade noch einmal davongekommen. Die Glocke blieb natürlich nicht heil, als sie mit dieser vehementen Wucht auf dem Boden landete. Das schwere Gußeisen bekam nicht nur Risse, es zersprang auch, und wieder hatten wir Glück, daß wir nicht von einem schweren Teil erwischt wurden. Gefährlich nahe schepperte es an uns vorbei. Suko rollte sich keuchend herum und sprang mit einem Satz auf die Beine. »Der versucht es mit allen Tricks.« Dann war er an der Tür und riß sie auf. Ich schaute noch einmal zurück in den Glockenturm, aus dem mir große Staubwolken entgegenquollen. Das war haarscharf gewesen, da konnte ich meinem Schutzengel nur danken. Einen Vorteil hatte diese hinterlistige Attacke gebracht. Ich wußte jetzt, daß sich Will Mallmann nicht allein auf seine Vampire verließ und auch zu anderen, gemeinen Mitteln griff. »Weißt du was«, sagte Suko, als er zu den Gebäuden des Klosters hinschaute. »Dieser Hundesohn wird den Bau in eine Todesfälle verwandelt haben.« »Hat uns das je gestört?« »Nie.« »Dann los, zeigen wir es ihm!«
*** Auch als einige Zeit vergangen war, hatte es Frantisek Marek noch nicht geschafft, über das Verschwinden seines neuen Pariners hinwegzukommen. Er konnte den Abt einfach nicht verstehen. Seiner Ansicht nach hatte es keinen Grund gegeben, ihn, den Pfähler, allein in der finsteren Höhle zurückzulassen. Marek hatte lange Stunden gezögert, sein Versteck zu verlassen. Er hatte zwar immer wieder hinausgeschaut und auch darauf gehofft, daß Askin zurückkehren würde, aber da hatte sich nichts getan. Dieser Kerl blieb verschwunden. Es war bereits früher Nachmittag, als sich der Pfähler zu einem Entschluß durchrang. Er glaubte plötzlich nicht mehr daran, daß sein Partner noch einmal in die Höhle zurückkehren würde. Der war verschwunden, stellte sich nur die Frage, ob er Marek freiwillig allein gelassen hatte oder ob Dracula II letztendlich doch stärker gewesen war. Der Gedanke daran bereitete dem guten Marek Unbehagen, und er spürte im Magen den Druck wie einen Klotz. Sehr oft hatte er auch an John Sinclair denken müssen. Heute war eigentlich der Tag, wo er und Suko eintreffen mußten. Gesehen hatte er nichts von ihnen. In der Höhle war er relativ sicher, er fühlte sich jedenfalls so, aber er konnte auch nicht für alle Zeiten dort hockenbleiben. Dazu war Marek kein Typ. Er gehörte zu den Menschen, die immer etwas unternehmen mußten, auch in sehr schwierigen oder bedrohlichen Situationen. Beide Wege waren beschwerlich. Der durch den Schacht allerdings kürzerund zielsicherer. Marek fühlte sich zudem gut erholt, um diesen harten Gang in Angriff nehmen zu können. Mit der Lampe leuchtete er noch einmal in die Höhe. Der Strahl wischte über die vorstehenden Steigeisen hinweg, die natürlich im Laufe der langen Jahre einen dicken Rostfilm angesetzt hatten, wobei Marek plötzlich etwas auffiel und er sich darüber ärgerte, daß es ihm nicht schon früher ins Auge gestochen war. An einigen Sprossen entdeckte er blanke Stellen. Dort war der Rost verschwunden, und bestimmt nicht, weil jemand erschienen war und sie heimlich geputzt hatte. Seiner Ansicht nach mußte jemand in die Höhe gestiegen sein. Also hatte der Abt heimlich diesen Weg genommen. Marek verstand ihn immer weniger. Weshalb hatte er das getan? Wollte er sich der Brut allein stellen? Hatte ihn sein schlechtes Gewissen geplagt, daß er als einziger dem Grauen entwischt war? Den endgültigen Beweis für seine Annahme bekam Frantisek, als er den Felsboden ableuchtete und die Rostpartikel sah, die sich dort verteilt hatten. Beinahe senkrecht waren sie hinab in die Tiefe gefallen.
Wenn Askin den Weg geschafft hatte, mußte er ihn auch packen. Marek klemmte den Bogen schräg über seine Schultern, drückte noch einmal die restlichen elf Pfeile tiefer in den Köcher und fühlte auch nach, ob sein Eichenpflock fest genug saß. Er war mit allem zufrieden. Jetzt brauchte er nur den Aufstieg gut hinter sich bringen. Das war nicht einfach. Er brauchte schon Kraft, hielt sich an den Sprossen fest, eine erste Probe, die einigermaßen günstig ausfiel. Zwar bog sich das Metall durch, aber das Eisen blieb in der Felswand. Wer immer sie hineingeschlagen hatte, konnte sich für seine Arbeit beglückwünschen. Marek ärgerte sich darüber, daß seine Gelenkigkeit im Laufe der Jahre gelitten hatte. Das heißt, er hatte nie zu den guten Turnern gezählt, aber das Einrosten der Knochen gefiel ihm überhaupt nicht. Ziemlich mühsam stieg er in die Höhe, immer darauf wartend, daß einer der Griffe sich letztendlich noch löste. Marek hatte Glück. Höher und höher kam er, nur dehnte sich dabei die Zeit wie Kaugummi. Seinem Gefühl nach auf halber Strecke streifte etwas über sein Gesicht. Zunächst maß er dieser Tatsache kaum Bedeutung bei, bis ihm klar wurde, daß es ein Luftzug gewesen war, und daß dieser Luftzug ihn von oben berührt hatte. Dann war es dort frei? Der Pfähler merkte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Auf deine alten Tage wirst du noch nervös, dachte er. Verdammt noch mal, das kann doch nicht wahr sein. Wer immer diesen Weg auch genommen haben mochte, er hatte die Luke oder Klappe an seinem Ende nicht geschlossen, und der von oben herabwehende Hauch war so kalt, als käme er direkt aus einer Gruft. In gewissen gruftartigen Kellern endete der Weg ja auch, wie er von Askin erfahren hatte. Marek war ins Schwitzen gekommen. Immer schärfer pustete er die Luft aus. Die Schauer, die über seinen Rücken wieselten, wechselten sich fast in jeder Sekunde ab. Er kämpfte sich weiter vor. In den Armen spürte er das Ziehen. Es ging jetzt längst nicht mehr so schnell, die Bewegungen erlahmten, er mußte mehr Pausen einlegen und spürte immer dann, wenn er stehenblieb, daß die Sprossen manchmal unter seinem Gewicht nachgaben. Das war für ihn dann der Ansporn, es wieder zu versuchen und weiterzumachen. Nur nicht aufgeben, nur nicht schlapp werden. Eine Pause legte er noch ein. Dabei hangelte er nach seiner Lampe und ging das Risiko einfach ein. Er schickte den Strahl in die Höhe. Fast hätte er geschrien. Die offene Luke befand sich zum Greifen.
Nur sechs Sprossen mußte er zurücklegen, um den Schacht endgültig verlassen zu können, wo dann ein Kellergewölbe auf ihn wartete. Der Anblick hatte ihm die nötige Kraft verliehen. Beinahe schon leichtfüßig ließ er den letzten Rest der Strecke zurück, machte aber nicht den Fehler, durch die Luke zu schnellen, sondern schob sich auf den letzten halben Meter behutsam in die Höhe, um einen Blick über den Rand werfen zu können. Finsternis begegnete ihm. Er konnte überhaupt nichts erkennen, wagte auch nicht, seine Lampe einzuschalten, sondern würgte seinen Körper förmlich über den Rand hinweg, rollte noch ein Stück weiter und blieb auf dem Rücken liegen. Marek war völlig fertig. Er fühlte sich erledigt, ausgebrannt und leergepumpt. Die Augen hielt er weit offen, ohne allerdings auch nur die Decke über ihm ahnen zu können. Er starrte ins Leere, hielt den Mund weit offen und atmete laut und keuchend. Wenn jetzt ein Blutsauger erschien, hatte er mit dem Pfähler leichte Beute. Er kam nicht. Marek konnte sich ausruhen, nur das Stechen in seiner Brust ließ nicht nach. Immer wieder rang er heftig nach Atem, die Lungen schmerzten, und dieser Druck breitete sich auch bis in seinen Rücken hin aus. Sein Herzschlag raste, und der eigene Atem überklang fast alle anderen Geräusche. Aber nicht das geheimnisvolle Schleifen. Es hörte sich an, als würde Haut über rissiges Leder gleiten. Daß Marek es überhaupt hörte, lag auch am Steinboden, der trug das Echo weiter. Der Pfähler wußte, daß etwas auf ihn zukam. Leider war er zu kaputt, um handeln zu können. Zudem konnte eres nicht riskieren, liegen zu bleiben. Er mußte weg. Der Pfähler rollte sich auf den Bauch, streckte die Arme aus und benutzte die Hände als Stütze. So robbte er über den alten Kellerboden. Er traute sich nicht, seine Lampe einzuschalten, zu stark hätte er die Zielscheibe abgegeben. Widerstand spürte er sehr rasch. Das mußte eine Wand sein. Er wußte nur, daß er von der Luke weggekrochen war. Die Wand verströmte ein beruhigendes Gefühl. Marek blieb hocken. Er hatte sich wieder einigermaßen gefangen und schrak plötzlich zusammen, als er aus der tiefen Dunkelheit heraus angesprochen wurde. »He, Marek!« Frantisek mußte erst nachdenken, sich selbst überprüfen, weil er sich kaum vorstellen konnte, daß ausgerechnet eine bestimmte Person zu ihm geredet hatte. »Gib Antwort, Marek!«
Das tat er Sekunden später und nachdem er geschluckt hatte. In das unheimliche Dunkel flüsterte er: »Bist. . . bist du es tatsächlich, Abt?« »Ja.. .« »Verdammt, du hast mich reingelegt. Du hast mich wirklich genervt, gelinkt.« Der Pfähler begann leise zu kichern. Er reagierte sich ab, es war die Erleichterung. »Im Stich gelassen hast du mich, einfach im Stich gelassen.« »Ich weiß.« »Warum hast du das getan?« »Das war ich mir schuldig.« »Begreife ich nicht.« Marek holte tief Luft und schaltete wieder die Lampe ein. Der Strahl schnitt durch die Finsternis, fächerte und traf das Gesicht des Abts, der den Kopf rasch zur Seite drehte, weil er nicht geblendet werden wollte. »Laß uns im Dunkeln weiterreden, Marek. Es ist besser, die sehen sonst alles.« »Meinst du die Blutsauger?« »Wen sonst?« Marek löschte die Lampe. »Du bist mir noch eine Erklärung schuldig, Abt. Weshalb hast du mich einfach im Stich gelassen? Warum so plötzlich, ohne mir Bescheid zu geben?« »Das mußte ich vor mir selbst machen. Ich habe mich als Versager gefühlt, Marek.« »Unsinn!« »Doch, Marek, doch. Wie ein Versager kam ich mir vor. Mich hat es nicht erwischt, ich hätte mich auch den anderen in den Weg stellen können. Aus Feigheit tat ich es nicht. Ich will es nachholen, verstehst du? Ich will sie mir. . .« »Da bin ich besser. Du hättest mich wecken können. Ich wäre mit dir gegangen.« »Nein, daß mußte ich alleine durchstehen.« Marek gab es auf, dem anderen Vorwürfe zu machen, weil es nichts brachte. Wichtig war, daß sie zusammenblieben. »Hast du denn Vampire entdecken können?« »Noch nicht.« Das wunderte Marek. »Hör zu, Abt. Du warst lange vor mir in diesen Gewölben und . ..« »Rede nicht, Marek. Sie sind raffiniert. Sie haben sich eingeschlossen. Es gibt hier ein altes Verlies, das sehr kühl ist, weil es tief im Fels liegt. Dort haben wir unsere Toten bis zur Bestattung aufbewahrt. Da müssen sich die Vampire versteckt halten. Ich kann nicht hinein, denn sie haben abgesperrt, und einen zweiten Schlüssel besitze ich nicht. Das ist alles.« Da klang einleuchtend. »Wann, so meinst du, werden sie das Verlies verlassen?« »Bei Dunkelheit.«
Marek nickte in die Finsternis hinein. »Okay, Abt, sehr lange dauert es nicht. Wenn wir uns beeilen, werden wir sie vielleicht noch erwischen.« Der Abt staunte laut. »Du willst dich der Meute tatsächlich stellen, Marek?« »Deshalb bin ich gekommen. Ich muß die Brut ausrotten, sonst können wir hier einpacken.« »Einverstanden.« Der Pfähler ließ für einen kurzen Moment die Lampe aufblitzen. Bleich huschte der Schein über den Boden und streifte die Gestalt des Abts. »Ich will, daß du mich führst.« »Gut, halte dich an meiner Seite.« »Mit Licht?« »Am besten ohne.« Damit war Marek nicht einverstanden. »Ich werde den Schein mit der Hand abdecken. Etwas möchte ich schon noch sehen, mein Freund. Ich mag es nicht, wenn ich mich halbblind durch fremdes Gelände vortasten muß.« Askin brummte etwas Unverständliches, protestierte allerdings nicht, als Marek seinen Vorschlag in die Tat umsetzte und die leicht gespreizten Finger der rechten Hand vor den Lichtkegel drückte. Nur wenig Helligkeit strömte durch die Lücken. Sie reichte aus, um die wattige Finsternis relativ gut zu erhellen. Zum erstenmal hatte Frantisek Zeit, sich auch um die Gerüche in seiner Umgebung zu kümmern. Er befand sich in einem Raum, in dem nicht nur die Feuchtigkeit vorhanden war, auch der Geruch erinnerte ihn an Moder und Verwesung, an uraltes Gestein, das vor sich hin gammelte, mit einer dicken Schimmelschicht bedeckt war und an einigen Stellen gelbgrüne Flecken zeigte. Der Pfähler gehörte zu den Menschen, die eine große Erfahrung gesammelt hatten. Er war eine Person, der die Vampire riechen konnte. Erschnüffeln, wie eres des öfteren behauptet hatte. Den Blutsaugern gegenüber zeigte er eine besondere Sensibilität, und auch hier kam sie ihm zugute. Er hatte längst festgestellt, daß sich die Blutsauger hier unten bewegt hatten. Sie mußten einfach vorhanden gewesen sein, ein Geruch von Blut wollte nicht weichen. Marek hielt sich an der Seite des Abts. Er ließ ihn trotzdem einen Schritt vorgehen. Der eckige Körper bewegte sich unter der Kutte. Auf dem Boden lag eine dicke Staubschicht, die allerdings auch Schleifspuren aufwies. Marek hatte nicht damit gerechnet, in einem derartigen großen Raum zu stecken. An seiner Seite standen Fässer. Wenn das abgeschirmte Licht des Scheinwerfers darüber hinwegstrich, schimmerten die Metallringe matt. Einer plötzlichen Idee folgend, wechselte Marek die Richtung, trat
an eines der Fässer heran und hob den Deckel ab. Er wollte nachschauen, ob sich dort jemand verbarg. Das war nicht der Fall. Sein Blick fiel in ein leeres Faß. Beruhigt drehte er sich um. Der Abt hatte das Gewölbe durch einen offenen Durchgang verlassen und befand sich schon in einem schmalen Gang, dessen Lehmboden leicht abfiel. Vor einer alten Tür blieben sie stehen. Marek leuchtete sie an. Das Holz war sehr dick, hatte jedoch im Laufe der Zeit gelitten, so daß es weich aussah. Dennoch besaß die Tür ein großes Schloß. »Dahinter liegt das Verlies«, wisperte der Abt. »Und du bist sicher, daß sich deine ehemaligen Brüder dort verkrochen haben?« »Davon gehe ich aus.« Marek legte seine Hand auf den Griff des Pflocks. »Versuche es jetzt mal, Abt.« Askin nickte. Dann fragte er: »Bist du bereit, dich ihnen zu stellen?« In den Augen des Angesprochenen blitzte es auf. »Weshalb nennt man mich wohl den Pfähler?« »Schon gut.« Askin drehte sich zur Seite und legte eine Hand auf die schwere Klinke. Sie quietschte erbärmlich, als sie sich in Bewegung setzte. Marek war gespannt. Den Pflock hielt er noch fest. Er war allerdings auch bereit, zu seinem Bogen zu greifen und Pfeile aus dem Köcher zu holen. Zuvor aber wollte er mit dem Pfahl aufräumen. Der Abt hatte die alte Klinke so weit nach unten gedrückt, daß er die Tür öffnen konnte. Er zog sie zu sich heran. Das Quietschen machte einem anderen Geräusch Platz. Es war ein hartes und gleichzeitig schaurig klingendes Knarren. Der Tonmeister eines Gruselfilm hätte es nicht besser imitieren können. Marek spürte genau die Spannung, die ihn erfaßt hielt. Auch ein gewisses Jagdfieber war über ihn gekommen. Auf seinem Rücken spannte sich die Haut, als hätte man sie glatt gezerrt. Der Abt hob den Fuß und gab der Tür einen Tritt. Er schleuderte sie nach innen, Marek sprang vor, leuchtete in den dunklen, unheimlichen Raum und rechnete damit, daß der Eampenstrahl über bleiche Vampirgesichter streichen würde. Er irrte sich. Vor ihm lag ein leerer Raum. Der Strahl fand kein Ziel, nur mehr die staubige und spinnwebenverhangene Wand an der gegenüberliegenden Seite. Gleichzeitig ging auch Askin vor. Er breitete die Arme aus und ließ sie wieder fallen. »Leer«, kommentierte er, »das habe ich gewußt. Sie sind verschwunden.«
Marek ärgerte sich, daß er zu spät gekommen war. Wieder einmal waren die Blutsauger schneller gewesen. Man durfte ihren Anführer, Dracula II, eben nicht unterschätzen. Der Vampirjäger drängte sich an Askin vorbei. Er nahm noch den Leichen- und Modergeruch war, der unsichtbar zwischen den Mauern schwebte. Auf dem Boden sah er die Abdrücke der Schuhe. Unter der Decke klebten die Spinnweben. Hinter ihm stand der Abt regungslos wie ein Denkmal. Er rührte sich nicht, er tat überhaupt nichts, er war vollkommen stumm. Stumm? Etwas klickte in Mareks Gehirn. Etwas hatte ihn gedanklich stolpern lassen, vobei er nicht wußte, um was es sich handelte. Da war eine Sache, die ihm querging. Ein Frösteln rann über seine Schultern. Er forschte nach, womit es wohl zusammenhängen konnte, und seine Augen weiteten sich plötzlich, als er die Lösung fand. Jetzt wußte er, was ihn die Zeit über gestört hatte. Askin, der Abt, atmete nicht! Das konnte nur eines bedeuten. Dieser Klostervorsteher war selbst zu einem Vampir geworden! Noch weigerte sich Marek, es hundertprozentig zu glauben, er konnte auch nicht fragen, er mußte den Beweis haben und Askin dabei anschauen. Auf der Stelle drehte er sich herum, nicht zu schnell und nicht zu langsam, der Abt sollte nicht mißtrauisch werden. Er war es längst. Wäre Marek schneller gewesen, er hätte möglicherweise noch die Chance gehabt. So aber lief er dem Abt genau ins Messer oder besser gesagt in den Schlag. Knochenhart erwischte ihn die Handkante des Abts am Hals. Eine glühende Schmerzspirale zuckte von dieser Stelle hoch in das Hirn des Pfählers. Die Wucht des Treffers schleuderte ihn nach vorn. Er bekam weiche Knie. Seine Füße schleiften über den Boden, und er brach zusammen, als er das Lachen des Abts hörte und seinen anschließenden Kommentar. »Idiot, Marek, du eingebildeter Idiot. . .« Dann schlug der Pfähler auf! *** Als ich das Klirren hörte, war es eine Warnung, die leider einen Moment zu spät kam. Etwas tickte links von mir gegen den Steinboden und schnellte schattenhaft auf mich zu. Ich sprang zur Seite, dennoch erwischte mich die verdammte Eisenkralle am Fuß.
Ein Haken bohrte sich in meinen Schuh, der andere stach dicht unter dem Knöchel in das Fleisch und hakte sich dort fest. Ein böser Schmerz durchzuckte mein linkes Bein. Ich schrie unwillkürlich auf und merkte auch den plötzlichen Ruck, dem ich nichts entgegensetzen konnte. Ich wurde zu Boden geschleudert. Trampelnd wollte ich die Eisenkralle loswerden, die an einer Schnur oder einem Band hing, das von jemandem gehalten wurde, der irgendwo in der Finsternis steckte. Da wuchtete die zweite Kralle heran. Diesmal von rechts. Tödliche Eisenfinger umkrallten meine Schulter. Daß ich nicht schwer verletzt wurde, konnte ich nur meiner dicken Jacke verdanken, die die größte Wucht abhielt. Und eine dritte Kralle flog wie eine tödliche Botschaft aus dem Dunkel hervor. Da ich sie erst im letzten Augenblick sah, kam ich nicht schnell genug weg. Das verdammte Ding hatte mich irgendwo am Hals erwischt, durch das Ausweichen aber klammerten sich die drei gebogenen Eisenfinger in meiner Kleidung in Brusthöhe fest. Wer immer sie festhielt, er besaß auch die nötige Kraft, um damit umgehen zu können. Ich wurde buchstäblich von den Beinen gerissen, landete sehr hart, überschlug mich dabei, aber ich war nicht in der Lage, die Krallen zu lösen. Sie hielten mich fest wie tödliche Hände, und eine vierte flog ebenfalls gezielt herbei. Sie erwischte meinen rechten Arm. Ich merkte, wie sie mich traf, durch den Stoff drang, sich festhakte, aber die Haut zum Glück nicht stark verletzte. Da würden einige Schrammen zurückbleiben, mehr nicht. An den anderen Stellen geschah sicherlich das gleiche, bis auf meinen linken Fuß, der voll erwischt worden war. Der Schuh hatte sich bereits mit Blut gefüllt, das aus der tiefen Wunde quoll. Aus der Finsternis hörte ich das Flüstern der scharfen Stimmen, auch mal ein kratziges Lachen. Ich dachte daran, wie ich überhaupt in diese verfluchte Lage hineingeraten war. Suko und ich hatten uns getrennt. Getrennt marschieren, vereint zuschlagen, so lautete unser Wahlspruch. Durch eine Seitentür an der Westseite war ich in das Kloster eingedrunken, hatte lange, kahle Gänge durchquert und war in diesem Raum gelandet, wo Säulen die Decke stützten. Ich lag zwischen zwei Säulen. Durch Fenster sickerte der Mondschein. Hier hatten sie gelauert, versteckt im Dunkeln, ohne zu atmen oder sich zunächst anderweitig bemerkbar zu machen.
Natürlich hatte mich mein Kreuzvordem Einfluß des Bösen gewarnt, aber die leichte Erwärmung hatte ich bereits in der mißbrauchten Kirche gespürt, es war nur ein Beweis dafür, daß die Schwarze Magie vorhanden war. Jetzt lag ich hier. Durch die Eisenkrallen konnte ich die Arme nicht bewegen, und wenn ich versuchte, sie an den Körper zu ziehen, spürte ich sofort den Gegendruck. Ich war auf eine gewisse Art und Weise hilflos, obwohl ich noch alle Waffen bei mir trug. Doch hatte ich nicht selbst schuld? Mallmann hatte es uns erklärt, daß er eine Falle aufbauen würde. Er war raffiniert, er war hinterhältig, mit allen Wassern gewaschen. Ein Vampir, der sich noch verflucht gut an sein vorheriges Leben und an seinen Beruf als BKA-Mann erinnerte und nichts verlernt hatte. Ich kam mir vor wie ein großer Käfer, der es nicht schaffte, aus der Rückenlage freizukommen. Dann dachte ich an Suko und konnte nur hoffen, daß es ihm nicht so ergangen war wie mir. Das Flüstern verstummte. Auch ich kam einigermaßen zur Ruhe, obwohl es mir nicht gelang, die Vampire ausfindig zu machen. Dazu war es einfach zu finster. Sie waren da, sie flüsterten miteinander, ich hörte ein bestimmtes Geräusch, dann flackerten die ersten Lichter auf, die sehr schnell ruhiger brannten, als Kerzendochte ihre Nahrung gefunden hatten. Lichtinseln entstanden. Unruhige Flecken, vermischt mit dunklen Schatten und rotgelben Flammenzungen, die sich tanzend bewegten. Sie drehten sich hoch bis zur düsteren Decke, wo sie wiederum tanzende Flecken hinterließen. Noch brannten nur die Kerzen, noch bewegte sich niemand, was sich in den nächsten Sekunden änderte, denn da hörte ich die ersten Schritte. Ich blieb mit halb geschlossenen Augen liegen und wartete darauf, daß sich der Druck der Bänder und damit auch der der Krallen lockern würde. Eine Hoffnung, die schnell zerplatzte, denn die Blutsauger wußten genau, wie sie vorzugehen hatten. Einige von ihnen trugen die Kerzen. Hinter den sich bewegenden Flammen sahen ihre Gesichter aus wie bleiche, tanzende Masken, die mal zur Seite glitten oder in die Höhe schwangen, um einen Moment später wieder nach unten zu tauchen. Es kam mir alles so unwirklich vor, so nicht begreifbar. Eine Szene wie in einem Film, und ich spürte wieder einmal die Kälte über meinen Körper kriechen. Auch die innere Kälte stieg in mir hoch. Sie erreichte die Kehle als Druck und blieb dort hängen. Unheimliche Gestalten hatten sich aus dem Grau der
Finsternis gelöst. Mönche in langen Kutten. Die Gestalten hatten die Kapuzen in die Höhe gestreift, so daß nur mehr die bleichen Gesichter zu sehen waren. Alles andere war verdeckt. Sie hatten einen Halbkreis gebildet und ihre Mäulcr geöffnet. Nicht nur in ihren Kutten sahen sie alle gleich aus, auch die Gesichter wirkten so, denn es gab keinen zwischen ihnen, der nicht zu einem Vampir geworden war. Alle besaßen die gefährlichen Bluthauer und auch den kalten, grausamen Glanz in den Augen, wobei das Kerzenlicht sich als flackerndes Etwas in den Pupillen festsetzte und dort unheimliche Schattenlichter erzeugte. Mindestens sechs zählte ich. Drei von ihnen trugen die brennenden Kerzen. Dahinter standen sie ruhig, aber das tanzende Licht ließ auch sie bewegen, so daß sie mehr Schatten glichen. Tatsächlich zählten sie auch zu den Schattenwesen, denn sie lebten nicht richtig. Eine unheilige Kraft sorgte dafür, daß sie auf den Beinen blieben und das Grauen verbreiten konnten. Ich wartete ab. In Intervallen zuckten die Schmerzströme von meinem blutenden linken Fuß aus durch das Bein. Bleiche, aus den Kuttenärmeln hervorschauende Hände umklammerten die Enden der Lederseile und hielten sie so stramm, daß ich mich nicht bewegen konnte. Dracula II hatte ich nicht gesehen, ging allerdings davon aus, daß er sich in der Nähe aufhielt. Der war eine Gestalt, die warten und lauern konnte, um dann gedankenschnell zuschlagen zu können. Es sah so aus, als wollten sie sehr nahe an mich herankommen, aber sie blieben in einer gewissen Entfernung stehen. Vielleicht eine Körperlänge weg. Sie? sprachen kein Wort. Nur ihre Köpfe hatten sie gesenkt und mir ihre bleichen Vampirfratzen zugewandt. Der Widerschein ließ sie noch scheußlicher aussehen. Am liebsten hätte ich in jedes Gesicht hineingedroschen, was mir leider nicht möglich war. So mußte ich weiterhin abwarten. Die Kerzen träger stellten ihre Kerzen ab. Zuvor kippten sie die dunklen Gegenstände, ließen Talg auf den Boden tropfen und drückten die Stümpfe hinein. Dann stellten sie sich wieder hin. Ich schaute über den Kerzenschein hinweg auf die stummen Gestalten mit den verzerrten Vampirgesichtern. Ich erkannte auch die Gier in ihren Augen. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätten sie sich längst auf mich gestürzt, aber es ging nicht nach ihnen. Mallmann mußte ihnen die entsprechenden Befehle gegeben haben, denn es war klar, daß er mit mir auf eine besondere Art und Weise abrechnen würde.
Wann würde er kommen? Oder hatte Suko ihn bereits erwischt und kämpfte jetzt. . . Meine Gedanken stockten, denn aus dem Hintergrund des saalgroßen Raumes vernahm ich Schritte. Nicht schleifend, wie man bei einem Blutsauger eigentlich hätte vermuten können, nein, dieser Ankömmling trat hart auf, als wollte er mit jedem Schritt eine Botschaft verbreiten. So ähnlich mußte es auch sein, denn je näher er mir kam, um so dichterstand ich einem fürchterlichen Ende als Mensch gegenüber und das, wo ich meine Waffen trug. Es war für mich nicht einfach, über das Licht hinwegzuschauen und genaue Einzelheiten im Hintergrund zu erkennen. Die Schritte blieben, sie kamen auch näher, und der Steinboden gab die harten Geräusche als ihre Echos weiter. Vor mir und hinter den aufgebauten Kerzen traten einige Vampirmönche zur Seite und schufen eine Lücke, damit er, Dracula II, ohne Schwierigkeiten nahe an mich herantreten konnte. Obwohl ich nur seinen Umriß sah, wußte ich genau, daß es sich bei dieser Gestalt nur um Will Mallmann handeln konnte. Ich kannte ihn schließlich lange genug, wußte, wie er ging, und das hatte sich auch als Vampir nicht geändert. Er schritt zumeist etwas wiegend und bewegte dabei seine Arme schaukelnd hin und her. Wie immer bevorzugte er die dunkle Kleidung. Ob grau oder schwarz, war nicht auszumachen, aber ich sah sein bleiches Gesicht mit dem schwach leuchtenden D auf der breiten Stirn. Und die Leuchtkraft des Ds verstärkte sich. Als wäre aus dem Kopf hervor Blut in den Buchstaben hineingeflossen, so trat es von Sekunde zu Sekunde deutlicher hervor. Das gleiche geschah bei seinen Dienern. Auf ihren Stirnen erschien jeweils dieser Buchstabe. Für mich ein äußeres Zeichen, wie stark Mallmann und seine Diener miteinander verbunden waren. Mallmann hielt seine Hände vor dem Körper. Nur undeutlich entdeckte ich die Umrisse eines bestimmten Gegenstands, der mir vorkam, als wäre er ein großes Kreuz. In meiner Kehle spürte ich das Kratzen, der Druck verstärkte sich, und ich atmete heftiger. Sollte es dem verfluchten Blutsauger tatsächlich gelungen sein, das Kreuz zu überwinden? Allein die Vorstellung daran ließ mich frösteln und trieb den Schauer der Furcht in mir hoch. Schließlich blieb er stehen. Durch die Lücke schaute er mich an. Um seine Mundwinkel zuckte es. Die Pupillen lagen wie zwei dunkle Knöpfe in den Höhlen. »So ist es richtig, Sinclair. Genau so habe ich es mir vorgestellt. So wollte ich dich haben. Am Boden, fast zerstört, hilflos und deprimiert.« Er lachte schrill, was ich von ihm als Mensch nicht gekannt hatte. Dann
schüttelte er den Kopf und legte ein Faltenmuster auf seine Stirn, wobei sich das D veränderte und aussah, als bestünde es aus Gummi. »Bevor ich mich mit dir beschäftige, werde ich dir etwas zeigen, das wahrscheinlich dein gesamtes bisheriges Weltbild zerstören wird. Schau her, was ich hier habe.« Ich mußte hinsehen, ich wollte es auch. Mallmann riß den Gegenstand in die Höhe, den er bisher versteckt gehalten hatte. Es war ein Kreuz! Groß, größer als ein normales, aus sehr breiten Balken bestehend, so daß es praktisch sein gesamtes Gesicht verdeckte. Noch verbarg, denn er hatte mir etwas versprochen, hatte von einem Weltbild geredet, das auf meiner Seite zusammenbrechen würde. Und er hatte nicht gelogen. Aus seinem Maul drang ein irrer Schrei. Gleichzeitig füllte sich das Holzkreuz mit einem grünbleichen Licht, und innerhalb der Balken zeichnete sich geisterhaft fahl die unheimliche Vampirfratze des Will Mallmann ab. Für mich war es ein Schock, dies zu erleben. Die beiden bösen Augen verteilten sich in den waagerechten Balken, die Nase befand sich in der Mitte, die Stirn höher, aber der breite, offene Mund verdeckte die Fläche des unteren Balkens. Er war weit geöffnet, ich starrte gegen die fürchterliche Zahnreihe mit den beiden langen Bluthauern,, die links und rechts aus dem Oberkiefer hervorwuchsen. Noch klebten dort rötliche Flecken, und auch an den anderen Zähnen hing noch Blut. Das Licht blieb. Fahl und schaurig zeichnete es jede Kontur in der Vampirfratze nach. Für mich war es zugleich eine Botschaft. Der Sieg des Bösen über das Gute. Was ganzen Heerscharen von Blutsaugern nicht gelungen war, hatte Will Mallmann geschafft. Selbst Dracula war am Kreuz verzweifelt, sein Nachfolger beherrschte es. Mallmann hatte mit seiner Prophezeiung tatsächlich richtig gelegen. Für mich brach in diesen langen Sekunden ein Weltbild zusammen. Dieses von einer Vampirfratze beherrschte Kreuz war für mich das Synonym dafür, daß es Dracula II schaffen konnte, der Welt seinen grausamen Stempel aufzudrücken. Wie lange das schreckliche Zeugnis vor meinen Augen schwebte, konnte ich nicht sagen. Irgendwie war mir das Zeitgefühl verlorengegangen. Ich kam mir vor wie in einer anderen Welt schwebend, die Realität war irreal geworden. Das schreckliche Bild beherrschte alles. Die anderen Vampire waren in den Hintergrund gedrängt worden. Ich sah mich sowieso nur mehr als
Statist an und mußte zur Kenntnis nehmen, daß Mallman der große Sieger geworden war. Auf einmal knisterte das Holzkreuz, dann sah ich die Flammen, die aus ihm hervorschossen. Es waren breite Feuerzungen. Im Nu hielten sie das Kreuz umschlungen, sie brannten es nieder, ohne daß sie dabei Rauch verteilten und die Vampirfratze verschwand. Für mich sah es aus, als hätten die Flammen sie gelöscht. Ein Wunschtraum, denn als die aschigen Reste zu Boden regneten, starrte mich Mallman mit grinsend verzogenem Mund an. »Hast du es gesehen?« flüsterte er. »Hast du gesehen, wie es mir gelang, das Kreuz zu vernichten, vor dem wir, die Vampire, stets eine schreckliche Angst gehabt haben? Hast du es gesehen?« ) »Ja, zum Henker!« »Das ist nun vorbei, Sinclair.« Er schüttelte leicht den Kopf. »Das Kreuz ist kein Sieger mehr, es wird nie mehr Sieger werden. Das kann ich dir versprechen. Und du, Sinclair, trägst daran die Schuld.« »Ich?« keuchte ich erstaunt. »Ein Witz, Mallmann.« »Nein, es ist keiner.« Er griff unter seine Kleidung und holte den Blutstein hervor. Wie ein roter gefrorener Klumpen lag er auf seiner linken Handfläche. »Du hast mir den Stein gegeben, der gefüllt ist mit dem gestockten Blut der Opfer des echten Dracula. Du glaubst gar nicht, welch ein Instrument der Macht ich damit in den Händen halte. Macht, die auch das Kreuz überwunden hat.« »Was willst du wirklich?« »Das kann ich dir sagen. Ein Kreuz habe ich zerstört, nein, schon mehrere, ich habe das letzte aus der Klosterkirche geholt, um dir die Demonstration zu ermöglichen. Aber es gibt in diesem Raum noch ein Kreuz, wie du genau weißt, nicht wahr?« Seine Stimme hatte einen lauernden Unterton bekommen, die Augen leuchteten hinterlistig, und ich hatte natürlich sofort gewußt, auf was er anspielte. Auf das geweihte Kreuz, das auf meiner Brust lag! »Alles klar?« fragte er. »Sicher!« »Dann werde ich dir sagen, daß ich den Blutstein gegen dein Kreuz einsetzen will. Danach, wenn seine Macht gebrochen ist, kommst du an die Reihe, damit ich dich endlich in den Kreis meiner Getreuen aufnehmen kann, John Sinclair . . .« Es war Zufall, daß der Inspektor nach links schaute, denn in Augenhöhe befand sich ein Fenster. Dunkel war die Scheibe, doch hinter ihr sah er die schattenhafte Fratze mit dem weit aufgerissenen Maul des Blutsaugers. Im gleichen Augenblick zerplatzte vor ihm das Glas. Die Teile wirbelten ihm entgegen, Suko schloß für einen Moment die Augen. Er spürte, wie
sie gegen seine Haut prallten und dort winzige Wunden rissen, aus denen kleine Blutstropfen quollen. Dann griff die Klaue zu. Sie war verdammt schnell gewesen und hatte auch das Ziel beim ersten Zupacken gefunden. Wie eine Klammer aus Stahl legte sie sich um den Hals des Inspektors und drückte eisenhart zu. Gleichzeitig setzte der Vampir seine Kraft ein, um Suko zuerst in die Höhe und dann durch das Fenster zu sich heran zu zerren. Er wollte ihn dort im Kloster fertigmachen. Keuchende Urlaute wehten dem Inspektor zusammen mit einem widerlichen Modergestank entgegen. Der Ekel schüttelte Suko, er wand sich im Griff des anderen, der aber tat ihm nicht den Gefallen und hielt eisern fest. Er wollte Suko über die Fensterbank zerren, brachte ihn in eine Schräglage, wobei Suko dies ausnutzte und seine rechte Faust vorstieß. Die erwischte das Gesicht des Blutsaugers und trieb ihn zurück. Er ließ den Chinesen aber nicht los und zerrte ihn mit hinein in das Zimmer, das einmal eine Betkammer für Mönche gewesen war. Beide landeten auf dem Boden. Suko bekam keine Luft mehr. Mit der rechten Hand tastete er nach der Beretta, bekam sie auch frei und bohrte die Mündung irgendwo in den Stoff der Kutte. Dann drückte er ab. Die Kutte wirkte wie ein schalldämpfendes Kissen. Sie verschluckte den größten Teil des Abschußknalls, aber das Silbergeschoß hatte sich schräg in den seelenlosen Körper des Blutsaugers gebohrt und begann damit, ihn zu vernichten. Die Klaue löste sich von Sukos Hals. Er hatte den Eindruck, als würden die Finger regelrecht zurückschnellen. Plötzlich konnte er wieder atmen und saugte die Luft tief in seine Lungen. Sie schmeckte kalt und besaß einen bestimmten Geruch. Moder und Fäulnis mischten sich zusammen mit dem Gestank von Feuchtigkeit und einem ekelhaften Verwesungsaroma. Der Vampir kippte von Suko weg. Fr rollte auf die Seite, vor seinen Lippen entstand Schaum, dann lag er still. Er verweste nicht, wurde auch nicht zu Asche, denn so lange hatte er noch kein Vampirdasein geführt. Mit einer ruckhaften Bewegung setzte Suko sich auf, steckte die Waffe weg und massierte mit beiden Händen seinen Ffals. Dann zupfte er die kleinen Splitter aus seinem Gesicht und tupfte auch mit dem sauberen Taschentuch die Wunden ab.
Dieser Angriff hatte auch seine positiven Seiten gehabt. Suko befand sich zumindest im Innern des Klosters, wo sich seiner und Johns Meinung nach auch Dracula II aufhalten mußte. Er stand auf und ließ kurz die Bleistiftlcuchte aufstrahlen. Vor ihm befand sich eine schmale Tür. Sie war geschlossen aber nicht verschlossen, wie Suko sehr bald merkte, als er sie öffnete und es auch riskierte, in den Gang hineinzuleuchten. Der Staub lag dort fingerdick. Allerdings nur an den Rändern zu Türen und der Wand. In der Mitte zeichnete sich sehr deutlich eine Spur ab. Suko konnte erkennen, daß dieser Weg oft genug von den Mönchen oder den Vampiren benutzt worden war. Die Richtung konnte er sich aussuchen und entschied sich, nach rechts zu gehen. Dort zeigte sich die Spur stärker als die, die zur anderen Seite hinführte. Er schritt durch den Gang, der an der rechten Seite zahlreiche Türen aufwies. Dort hatten die Mönche ihre Zimmer oder Kammern gehabt. Suko schaute nicht in jede hinein, er machte Stichproben und sah oft genug zerstörte Bücher und zerschlagene Kreuze neben dem umgekippten spärlichen Mobiliar auf dem Boden liegen. Nach ihrer Verwandlung hatten die Vampirmönche gewütet und all das vernichtet, was einmal an ihr früheres Leben erinnert hatte. Wo der Gang endete, wußte er nicht. Es konnte durchaus sein, daß er ihn in die falsche Richtung führte, aber das Risiko mußte der Inspektor eingehen. Vor einer Tür stoppte er einen Moment. Mit gezogener Waffe trat er sie auf. Kalte Luft schlug in sein Gesicht. Suko stellte fest, daß ersieh wieder im Freien befand. Argerlich schüttelte er den Kopf. Da war er also in die falsche Richtung gelaufen. Wie ging es weiter? Er trat hinaus in einen kleinen Innenhof. Von drei Seiten wurde dieser Hof durch Mauern begrenzt. Zum Norden hin lag er offen. Dort stand, hoch über den Bergkuppen und den dunklen Wäldern die Scheibe des fahlen Mondes wieein Gemälde. Der Nebel hatte sich zurückgezogen. Die Sicht war deshalb einigermaßen klar. Suko erkannte einige Dinge. Zum Beispiel innerhalb des dichten Waldes das Blitzen der Lichter, die geisterhaft durch die Dunkelheit wischten. Dafür hatte er keine Erklärung, konnte auch nichts dagegen tun und nahm es zunächst einmal hin. Dennoch machte es ihn mißtrauisch, denn die Lichter zuckten an verschiedenen Stellen auf. Die Entfernung war in der Dunkelheit schlecht
zu schätzen. Näherten sie sich dem Kloster, oder blieben sie einfach auf Distanz? Aus der Ferne glaubte er auch, ein tiefes Brummen zu hören. Das mußte von einem Flugzeug oder einem Hubschrauber stammen. Auch darauf konnte sich der Inspektor keinen Reim machen. Es war in diesen Momenten zudem unwichtig für ihn. Ihn quälten andere Sorgen, Dracula II und seine verfluchte Blutbrut. Als Suko über den Hof schritt, wurde er nicht angegriffen. Die Feinde hielten sich zurück, aber ersah eine schmale Tür, die ihn wieder in das Innere des Klosters brachte. Kühle Dunkelheit hüllte ihn ein. Er schnupperte, denn manchmal waren die Blutsauger auch zu riechen, der Modergeruch eilte ihnen voraus. Nichts dergleichen war zu merken. Suko ging weiter und kam sich vor wie ein einsamer Wanderer in einer fremden Welt. Diesmal hatte er Glück. In einem offenen Durchgang blieb er stehen und sah vor sich einen Schatten. Dem Umriß nach zu urteilen, konnte es sich nur um einen Mönch handeln. Er hatte Suko zugleich gehört, fuhr herum, da sprang der Chinese schon auf ihn zu. Als der Blutsauger sein Maul aufriß, spürte erden kalten Stahl des Berettalaufs zwischen seinen Zähnen und hörte die flüsternde Stimme des Mannes. »Diese Waffe ist mit geweihten Silberkugeln geladen. Sie werden dein verfluchtes Dasein sofort zerstören, wenn du nicht genau das tust, was ich dir sage. Klar?« Suko war nicht sicher, er ging jedoch davon aus, daß der Blutsauger so etwas wie ein Nicken andeutete... *** Wenn du jetzt bewußtlos wirst, ist alles vorbei! Dieser eine Satz schoß durch den Kopf des Pfählers, der sich am Boden zusammengekrümmt hatte und momentan nicht fähig war, auf die Füße zu kommen, denn der verdammte Treffer hatte ihn regelrecht paralysiert. Er konnte nur denken, nicht handeln, aber hören. Und er nahm die Schritte wahr, die sich ihm näherten. Der Blutsauger kam ... Er ging diesmal zielsicher. Marek hörte ihn leise lachen, eine Vorfreude auf den Blutgenuß, der sich ihm bald bieten würde. Dicht neben dem Pfähler blieb er stehen. Marek schielte in die Höhe, sah aber nur den kompakten Umriß des Teuflischen, der sich jetzt bewegte, sich bückte und die Arme ausstreckte.
Ergriff hart zu. Eine Hand umklammerte die Schulter des Pfählers, die anderen Finger wühlten sich in das lange graue Haar, rissen einige Strähnen hervor, als er Marek wuchtig in die Höhe zerrte, der sich vorkam wie ein Ballon, aus dem der meiste Teil der Luft entfernt worden war. So schlapp hing er sekundenlang im Griff des Blutsaugers, der noch nicht zubiß, sondern dem Pfähler einen harten Stoß gab und ihn dann losließ. Marek torkelte zurück. Er krachte gegen die Wand, wäre dort zusammengesackt, aber der Abt griff hart zu und hielt ihn eisern fest, wobei er ihn noch gegen das Gestein drückte und dafür sorgte, daß sich Marek nicht rührte. In seinem Kopf hatte sich eine gewisse Taubheit ausgebreitet, der er leider nichts entgegensetzen konnte. Hier regierte einzig und allein der Blutsauger! Daß Marek etwas erkennen konnte, lag daran, daß er seine Lampe verloren hatte. Sie lag auf dem Boden und leuchtete dort weiter. IhrStrahl stach schräg an den beiden vorbei, gab allerdings genügend Restlicht ab, das einen Blick in die Fratze des Vampirs erlaubte. Der Abt hatte ich auf fürchterliche Art und Weise verändert. Im Prinzip war sein Gesicht glattgeblieben, nur die Haut sah aus wie eine gelblichweiße Fettschicht, die dünn und in die Länge gezogen die Knochen umspannte. Askin hatte den Mund verzogen. Aus dem Oberkiefer stachen die beiden langen Zähne hervor. Mit ihren Spitzen berührten sie die Unterlippe des Blutsaugers, der den Mund noch nicht zum Biß geöffnet hatte. Marek wollte Zeit gewinnen. Der andere drückte ihn gegen die Wand. Seine Pranke lag auf der Brust des Pfählers, der nicht an seine Waffe herankonnte. »Warum!« keuchte Marek, »warum hast du das getan, verdammt noch mal? Nenn mir den Grund!« Der Abt kicherte. »Ich wollte zu ihm. Ich habe gespürt, daß er mächtiger ist. Ich versteckte mich lange in der Höhle, doch als du kamst, wußte ich, daß ich den Schritt machen mußte. Ich suchte, ich fand ihn, er biß mich, und er versprach mir, daß ich dein Blut trinken kann, Marek. Das Blut des berühmten Pfählers wird bald durch meinen Körper fließen und mir die nötige Kraft verleihen.« Frantisek konnte nicht begreifen, daß diese Blutsauger auf manche Menschen eine derart starke Faszination ausübte. Sie gerieten in ihren Bann und gaben sich ihnen sogar freiwillig hin. Er schaute in Askins Augen. Viel konnte Marek nicht erkennen, das Licht war einfach zu schwach. Für ihn waren die Pupillen graue Flek-ken mit der Härte von Kieselsteinen.
Diese Augen bewegten sich jetzt, die Pupillen nahmen an Größe zu, was für Marek ein Zeichen war. In den folgenden Sekunden würde der Blutsauger zubeißen! Konnte er sich noch wehren, sich gegen die übermenschliche Kraft des Vampirs anstemmen? Diese Kreaturen verspürten keine Schmerzen, sie reagierten höchstens auf die Gesetze der Physik. Marek wagte es. Mochte sein Hals auch steif und gelähmt sein, wobei ihn noch immer Schmerzen durchzuckten, die Beine waren es glücklicherweise nicht. Zudem stand der Vampir nicht so nahe vor ihm, als das Marek es nicht geschafft hätte, ihn zu treffen. Er riß sein rechtes Bein hoch, winkelte es im gleichen Moment ab und rammte das Knie vor. Es bohrte sich in die Gestalt des Blutsaugers und trieb ihn zurück. Vielleicht war es auch ein Zufall, daß Askin das Gleichgewicht verlor oder über den Saum seiner Kutte stolperte, jedenfalls fiel er zu Boden, wirbelte sofort herum und tanzte wie ein kompakter Schatten durch den Strahl der Lampe. Dann sprang er hoch. Marek hatte seinen Pfahl hervorgerissen. Noch immer zitterte er; auch weiterhin wirkten seine Bewegungen kraftlos, aber den kleinen Erfolg hatte er errungen und schleuderte den Pflock auf den sich aufrichtenden Vampir zu. Der Abt sah ihn im letzten Augenblick. Er riß die Arme hoch und wehrte den harten Gegenstand ab. In seine Brust rammte er nicht, das freute den Blutsauger, wobei er ein hartes, fast gierig klingendes Lachen ausstieß. Marek hatte damit gerechnet, keinen Erfolg zu erzielen und hatte sich auf die nächste Attacke konzentriert. Daß er auf den Beinen blieb, als er sich von der Wand abstieß, kam ihm wie ein kleines Wunder vor. Aber es gab ihm auch die nötige Kraft, über seine Schulter hinwegzugreifen und nach einem Pfeil zu fassen. Während er ihn aus dem Köcher zog, beugte er sich zur Seite. Er fiel genau in Mareks Hand, der mit einer fließenden Bewegung den Pfeil auflegte und die Sehne zurückzog, wobei er aufstöhnte, weil es ihm an der nötigen Kraft fehlte. Der Abt schlich herbei, schlug Bögen - und Marek ließ die Sehne los. Schnell war der Pfeil. Er zischte auf sein Ziel zu, und Askin zog den Kopf ein. Genau zwischen der Stirn, den Haaren und dem Saum der Kapuze jagte der Pfeil hindurch. Er zog einen Scheitel auf dem Schädel des Abtes nach, und Askin brüllte auf, als hätte man ihm heißes Wasser über den Kopf gekippt.
Er war angeschlagen, aber nicht fertig. Daß angeschlagene Gegner noch gefährlicher sein konnten, wußte auch der Pfähler und richtete sich dementsprechend darauf ein. Der Vampir brüllte. Er stand auf dem Fleck, wo er sich drehte und aus seiner Kapuze dünne Rauchwolken hervorquollen. Vergeblich suchte er nach der Richtung, um sich Marek entgegenstürzen zu können. Der hatte mittlerweile einen zweiten Pfeil auf die Sehne gelegt und sie weit nach hinten gezogen. Ihm kam dabei zugute, daß sich der Blutsauger nur auf der Stelle drehte und sich sonst nicht bewegte. Frantisek schoß. Nicht nur die Sehne schnellte nach vorn, auch er konnte sein Gleichgewicht nicht halten. Die plötzliche Wucht riß ihn um. Im Fallen bekam er mit, daß der Pfeil genau ins Ziel traf. Er stach in die Brust des Vampirs, blieb tief im Körper stecken und hätte auch ebensogut an der anderen Seite wieder hervortreten können. Der Abt keuchte jetzt. Vor seinen Lippen bildete sich Schaum, das Gesicht war nur noch das Zerrbild eines Menschen. Er schlug die Hände dorthin, wo der Pfeil in der Brust steckte, nur schaffte er es nicht, ihn wieder hervorzuzerren. Tief blieb er in diesem unheiligen Körper, und Marek spürte das alte Gefühl des Siegers. Er ging hin und hob die Lampe auf. Dann steckte er den Eichenpfahl in seinen Gürtel. Einen letzten Blick noch warf er auf den sterbenden Vampir, zugleich richtete er das Licht in dessen fürchterlich verzerrtes Gesicht. Askin kniete noch auf dem Stein. Den Oberkörper aber so weit nach hinten gedrückt wie ein Bodenturner bei seiner Übung. Der Blick zeigte keinen Glanz mehr, die Hände rutschten langsam von der Brust weg und klatschten neben dem Körper gegen den kalten Untergrund, auf den der Blutsauger ebenfalls kippte. Es war vorbei. Marek nickte, ein hartes Lächeln kerbte zudem seine Lippen. Dann suchte er sich den Weg ins Freie. Er mußte aus diesen verdammten unterirdischen Kasematten heraus. Es hatte keinen Sinn, wenn er durch diese Welt irrte. Hier stand er auf verlorenem Posten, zudem glaubte er nicht, daß ihm Mallmann über den Weg laufen würde. Anhand der Lampe orientierte er sich und hatte Glück, daß er eine alte Steintreppe fand, die nach oben führte. Wo er landen würde, konnte er nicht sagen. Mit der Schulter brach er eine Tür auf, stand in einer kleinen leeren Halle, blickte durch eine Fensteröffnung und glaubte, von draußen her Stimmen zu hören. Sogar ein Licht blitzte auf, als hätte jemand einen Scheinwerfer geschwenkt.
Marek dachte sofort an John und Suko. Sie hätten jetzt eigentlich hier sein müssen. Wenn ja, würde er sie durch das Kloster führen können. Mit seinem sicheren Instinkt fand Marek auch den Ausgang. Er riß die Tür auf, lief die ersten Schritte und sah plötzlich die Schatten. Hände packten ihn, er kam nicht einmal dazu, einen Schrei auszustoßen, denn eine schwielige, nach Waffenöl riechende Handfläche preßte sich auf seine Lippen. Andere drückten ihn zu Boden, er dachte an die Vampire, und daran, daß alles vorbei war. Weit riß er die Augen auf. Was Frantisek tatsächlich im silbrigen Schein des Mondes erkannte, ließ ihn beinahe an seinem Verstand zweifeln... *** Dracula II alias Will Mallmann kam auf mich zu. Begleitet von sich bewegenden Schein der Kerzen fühlte er sich als der absolute Sieger, der nun daranging, mit der Vernichtung meines geweihten Kreuzes das Tüpfelchen auf das i zu setzen. Wie eingefroren lagt der Blutstein auf seiner Handfläche. Ihm traute er mehr zu als der Kraft meines Kreuzes, und auch mich ließ seine Sicherheit zweifeln. Aber hätte ich ihm damals den Blutstein nicht geben und ihm statt dessen das Leben meiner Mutter überlassen sollen? Nein, das konnte ich nicht, das hätte mich mein Leben lang verfolgt. So wollte ich jetzt die Folgen trägen, auch wenn sie möglicherweise mein Ende brachten. Noch immer hingen die Haken fest. An meinem linken Fuß hatten die Schmerzen zwar nicht gestoppt, sie waren mehr einem heißen Zucken gewichen, das durch mein Bein drang. Von oben her schaute Mallmann auf mich herab. Sein Gesicht schwebte so bleich über mir wie der Mond. Nur lag über dieser bleichen Fläche ein schwarzer Teppich, der nach vorn hin einen pfeilförmigen Keil ausstreckte und etwas in die Mitte der Stirn hineinragte. Darunter leuchtete satt und blutprall das D! »Du schaffst es nicht, Mallmann!« keuchte ich ihm entgegen, »du wirst es nicht schaffen.« »Glaubst du?« »Ja, verdammt! Mein Kreuz hat Luzifer widerstanden, es hat den Teufel in seine Schranken gewiesen, es hat...« »Noch nie Kontakt mit dem Blutstein gehabt, Sinclair«, veränderte er meine Rede. »Hast du nicht gesehen, wie meine Macht über das alte Holzkreuz der Mönche kam? Wie ich es zerstören konnte, als wäre es niemals da gewesen. Auch dieses Kreuz war geweiht, das kannst du mir glauben.«
»Es bestand nicht aus Silber.« Mit der freien Hand winkte er ab. »Was macht das schon? Erinnere dich daran, daß Jane Collins auf mich schoß, ich aber resistent gegen geweihtes Silber war. Das muß dir doch einen Schock fürs Leben versetzt haben, Geisterjäger.« »Stimmt, es war schlimm.« »Was nun folgt, wird noch schlimmer.« Leider gehörte Mallmann nicht zu den Dämonen, die nur großartige Versprechungen machten. Der war ein Typ, der so etwas gnadenlos in die Tat umsetzte. Er verließ sich voll und ganz auf seinen Blutstein. Um mich zu ärgern, schleuderte er ihn in die Höhe und ließ ihn wieder auf die Handfläche klatschen. Dabei lachte er, und seine Augen blitzten, als wollte darin der Widerschein des Kerzenlichts explodieren. »Darauf habe ich gewartet, Geisterjäger. Diesen Moment habe ich herbeigesehnt.« Während seiner Worte senkte er den Oberkörper und ging allmählich in die Knie, sehr wohl beobachtet von seinen zahlreichen Helfern, die sich, sollte etwas schieflaufen, sofort auf seine Seite stellten und sich an mir festbissen. Dann kniete er tatsächlich vor mir. Nur war es keine Haltung, die Demut ausdrückte, sie versprach eher das Gegenteil. »Willst du das Kreuz selbst hervorholen?« Ich schaute in sein Gesicht. Es steckte voller Heimtücke. »Das würde ich gern, Mallmann, aber meine Arme sind bewegungslos und .. .« Sein schrilles Lachen unterbrach mich. »Entschuldige, Sinclair, ich habe nicht mehr daran gedacht. Dann werde ich es wohl selbst machen müssen, nicht wahr?« Sein erster Fehler. Wenn Dracula II das Kreuz auch nur berührte, würde ich es durch das Rufen der Formel aktivieren. Dann war ich mal gespannt, was passierte. Der Gedanke an diese Situation schaffte es sogar, meine Furcht zu unterdrücken. Doch Mallmann war nicht nur grausam, auch schlau und link. Und er besaß zwei Hände. In der einen hielt er den Blutstein, die andere aber war frei, und sie preßte er dermaßen hart auf meinen Mund, als wollte er mir die Zähne einzeln in den Rachen drücken. Ich konnte nur mehr durch die Nase atmen und lauschte seiner scharfen Stimme nach. »Sinclair, ich habe genau gewußt, was du tun wolltest, aber das ist vorbei. Du wirst nicht dazu kommen, die Formel zu rufen. Verstanden?« Ja, verflucht, ich hatte es gehört, und ich wußte auch, daß ich mich dagegen nicht wehren konnte.
Mallmann ließ sich Zeit. Er genoß diese für mich so schrecklichen Momente sichtlich. Bedächtig legte er den Blutstein aus der Hand, damit er die Finger frei hatte. Sie sollten mein Hemd aufknöpfen. Er begann am zweitobersten Knopf. Ich schaute ihm dabei zu, sofern es der Blickwinkel ermöglichte. Ich spürte nicht nur, daß Mallmann weitere Knöpfe öffnete, ich sah es auch seinem Gesicht an. Bei jedem Knopf, den er aufbekam, vertiefte sich das grausame Lächeln seiner Vampirlippen. Seine Diener rührten sich nicht. Sie umstanden ihn wie stumme Wächter, aber auch sie würden den Triumph des Grauens über das Gute miterleben. War es tatsächlich ein Triumph? Hatte ich schon verloren? Ja, es sah so aus. Mallmann hätte auch eine meiner anderen Waffen nehmen und mich erschießen oder erstechen können. Ich hätte nicht einmal den kleinen Finger rühren können. »Das ist dein Ende, Sinclair«, versprach er mir und freute sich darüber, daß der Schweißfilm auf meiner Stirn immer dicker wurde. »Angst, wie? Das glaube ich dir. Ich will dir ehrlich sagen, wir kennen uns verflucht lange. Als ich den Blutstein noch nicht besaß, hatte ich ebenfalls Angst vor dir. Schließlich ist mir bekannt, welche Erfolge du errungen hast, manchmal haben wir sogar gemeinsam darum gekämpft. Aber diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei.« Ja, ich kannte ihn schon sehr lange. Ich hatte ihn mit seinen Hochs und Tiefs erlebt, auch an dem Tag, als er heiraten wollte und er mit seiner jungen Frau Karin nach der Trauung die kleine Kirche im Odenwald verlassen hatte, um im nächsten Moment den Tod zu erleben, der grausam zugeschlagen hatte. Der Schwarze Tod, ein mächtiger Dämon, war mit seiner Sense erschienen und hatte Karin Mallmann vor den Augen ihres Mannes grausam umgebracht. In der schweren Zeit hatten meine Freunde und ich den Kommissar getröstet, aber er hatte den Tod dieser jungen Person niemals richtig überwinden können. Will war zu einem Hasser der dämonischen Welt geworden und hatte sie gejagt bis zum, ja, bitteren Fnde, für ihn bitteren Ende. Er öffnete auch noch den letzten Knopf des Hemdes, der dicht über der Gürtelschnalle lag. »Es ist geschafft, Sinclair«, erklärte er mir. »Jetzt brauche ich nur noch dein Unterhemd hochzuzerren.« In mir kochte es. Ich atmete immer heftiger aus. Die Luft aus meinen Nasenlöchern strömte über seine Hand. Er freute sich darüber, daß sich meine innere Angst und Zerrissenheit auf diese Art und Weise dokumentierte.
Mallmann zog mit spitzen Fingern mein Unterhemd in die Höhe. Die Kälte strich über meine blanke Haut, die sofort einen Schauer bekam. Er hatte das Kreuz nicht berührt, davor hütete er sich, ich jedoch spürte die Wärme meines Talismans. Das Licht der Kerzen umrahmte diese für mich bisher einmalige und schaurige Szene. In den folgenden Minuten konnte alles vorbei sein, da gab es mich nicht mehr. Ausgelöscht, besiegt, vorbei — und ein widerliches Leben als Vampir führend. In einem Anfall von Verzweiflung bäumte ich mich auf, doch Mallmann verstärkte den Druck auf meinem Mund, und ich ließ mich wieder zurücksinken. »Mach doch keinen Unsinn, Sinclair«, sagte er mit einer Stimme, die einem Vater gehören konnte, wenn er seinen Sohn wegen eines kleinen Delikts zur Rechenschaft zieht. »Du kannst nicht mehr entwischen, du hast verloren, sieh es ein.« Diese Stimme erhöhte meine innerliche Wut. Gab es denn keine Chance mehr für mich? Leise lachend zog er die Beretta aus der Halfter, brachte sie in die Nähe meines Gesicht und strich mit der Mündung über die schweißnasse Stirn, als wollte er mich streicheln. »Damit, Sinclair, wirst du nie mehr auf deine Brüder schießen, glaube es mir!« Verdammt noch mal, er hatte den Begriff Brüder erwähnt. Die Blutsauger sollten zu meinen Brüdern gemacht werden. Ich drehte bald durch. Was ich hier erlebte, war mehr, als ein Mensch ertragen konnte. Erlegte die Beretta neben den Blutstein, bevor er sich um ihn kümmerte und ihn mit spitzen Fingern so hoch anhob, daß ich ihn auch sehen konnte. Noch ließ er ihn auf seiner Handfläche liegen, schaute ihn genau an und bewegte die Lippen. Was er da flüsternd sagte, verstand ich nicht, bekam allerdings mit, daß der Blutstein reagierte, denn er strahlte noch kräftiger auf, und gleichzeitig leuchtete auch das D auf Mallmanns Stirn in einem sehr tiefen Rot. Er schnalzte mit den Lippen wie jemand, der etwas genießen will. Dabei senkte er den Kopf, schaute mir direkt in die Augen, nickte leicht und sah plötzlich ernst aus. Der Triumph war aus seinem Gesicht verschwunden. »Du wirst die letzten Sekunden deines menschlichen Lebens erleben, Sinclair. Es ist vorbei mit dir. Du kannst nicht sprechen, dir wird es nicht gelingen, das Kreuz zu aktivieren. Ich weiß auch, daß es nicht hilft, wenn du versuchst, die Formel in Gedanken auszusprechen. Du mußt sie schon laut sagen.«
Ja, verdammt, er hatte recht. Er wußte viel, eigentlich zuviel. Aber wir hatten auch lange genug Dämonen gejagt. Ich >rief< gedanklich um Hilfe. Ich dachte an den Seher, der ja sogar ein Teil von mir war. Wie in einem Gebet flehte ich ihn an, daß er mir zu Hilfe kam. Doch die Kräfte der anderen Welten blieben stumm. Sie machten nicht einmal den Versuch, sich zu melden. »Jetzt!« flüsterte Mallmann, nickte und drückte den Blutstein dem Kreuz entgegen... *** In Sukos Hand reagierte der Vampirmönch wie eine Marionette. Vielleicht spürte er auch die nahe Kraft der geweihten Silberkugeln, er traf jedenfalls keinerlei Anstalten, sich gegen Suko zu wehren und mußte den Weg einschlagen, den Suko ihm vorgab. Der führte ihn durch das tiefgraue Kloster, hinein in hohe Gänge, sie durchquerten kleine und größere Räume. Wo etwas auf die christliche Gesinnung hingewiesen hatte, war es von den Kräften der Finsternis zersteirt worden. Suko hatte den Blutsauger herumgedreht und preßte ihm die Mündung der Beretta in den Nacken. Immer wieder trieb er ihn an, nicht allein durch Befehle, auch durch harte Stöße in den Rücken. Manchmal gab der Blutsauger gepreßt klingende Laute ab, was den Inspektor überhaupt nicht störte, denn er wollte Mallmann erwischen und auch seinen Freund John finden. Wieder einmal mußten sie eine Tür öffnen. Dabei war Suko stets vorsichtig. Das nicht ohne Grund, denn als er diese Tür aufzog, da schaute er in einen hallenartigen Säulenraum hinein, in dessen Hintergrund sich der Lichtschein mehrerer Kerzen ausbreitete und dort eine Insel in der Dunkelheit schuf. Ohne daß Suko etwas Genaues erkannt hatte, wußte er, daß sich dort ein Drama abspielen würde. Das Finale? »Ist Mallmann dort hinten?« wisperte er dem Blutsauger ins Ohr. Der gestattete sich so etwas wie ein Nicken, hüttete sich allerdings davor, einen Laut zu sagen. »Wunderbar, geh weiter. Aber lautlos, mein Freund. Und nutze die Deckung der Säulen aus.« Der Vampirmönch gehorchte. Er konnte sich tatsächlich so leise bewegen, daß seine Schritte nicht zu hören waren. Die Säulen waren zudem breit genug, um ihnen beiden Schutz zu bieten.
Als Suko mit seiner Geisel einen gewissen Weg zurückgelegt hatte, hörte er plötzlich die Stimme. Mallmanns Organ! Die Spitze einer Lanze schien Sukos Herz zu durchbohren. Alte und neue Erinnerungen flammten in ihm hoch. Sie wischten alles weg, sie ließen den roten Schleier vor seinen Augen entstehen, und der Inspektor war nahe daran, loszurennen und sich auf Dracula II zu stürzen. Das ließ er bleiben. Statt dessen schaffte er es, wieder die Übersicht zu gewinnen und blieb bei seinem Plan. Schon bald entdeckte er die Rücken der Vampirmönche, die eine gewisse Szene als stumme Wächter umstanden. Sie hatten eine kleine Gasse geschaffen. Suko, der hinter der letzten Säule stand und dem Blutsauger die Mündung in den Nacken drückte, hörte Mallmann sprechen. Diesmal verstand er die Worte des Supervampirs. Was er ZU hören bekam, war ungeheuerlich. Mallmann redete von seinem Triumph, für ihn war der Blutstein wichtig. Vor ihm lag John Sinclair regungslos, ohne auch nur den Laut einer Antwort zu geben. So mußte sich Suko aus dem, was der Blutsauger erklärte, seinen Teil zusammenreimen. Es war nicht schwer. Er brauchte nur eins und eins zusammenzuzählen, dann kam er zu einem Resultat. Für John Sinclair sah es fürchterlich aus. Sein bester Freund lebte zwar noch, doch er befand sich bereits auf der Schwelle zum Jenseits, und Mallmann wollte das Kreuz mit dem Blutstein zerstören. Konnte ihm das gelingen? Besaß der Blutstein, den er ja von John bekommen hatte, tatsächlich diese Macht? Suko wollte es darauf nicht ankommen lassen. Ersah, wie sich Mallmann bewegte und den Stein über den vor ihm liegenden John Sinclair brachte, bekam auch die letzten Worte mit und wußte genau in diesem Augenblick, was er zu tun hatte. Sein Stab, mit dem er die Zeit für fünf Sekunden anhalten und Feinde zur Bewegungslosigkeit verdammen konnte, half ihm in diesen Augenblicken nichts. Es gab nur eine Lösung. Suko schleuderte den Vampir vor, so daß dieser gegen seine Artgenossen fiel, und tat das, was er tun mußte. Er rief die Formel! ***
Und die hörte auch ich! »Terra pestem teneto — salus hic maneto!« Dieser Satz war wie ein Funke, auch wenn er von einer fremden Stimme gesprochen worden war. Er hallte durch den großen, saalartigen Raum, er erreichte nicht nur meine Ohren, sondern auch das Kreuz. Es spielte bei uns keine Rolle, wer die Formel zur Aktivierung aufsagte, denn Suko stand ebenso auf der Seite des Guten wie ich. Wir ergänzten uns da ausgezeichnet. Und mein Kreuz handelte! Der Blutstein hatte die Masse aus Silber noch nicht berührt. Während der von Suko weggestoßene Blutsauger gegen seine Artgenossen fiel und zwei von ihnen umriß, >explodierte< das Kreuz in einer wahren magischen Lautlosigkeit. Mir kam es vor, als würde es nach allen Seiten wegfliegen, doch es war nur das grelle, augenschmerzende Licht, das uns alle einhüllte. Wie Speerspitzen jagte es in die verschiedenen Richtungen, und es erwischte alle Vampire. Auf der Stelle verbrannten die Kräfte die Mächte des Bösen. Obgleich alles blitzartig ablief, bekam ich die Szenen mit wie im Zeitlupentempo. Für einen Moment standen die Blutsauger im magischen Chaos. Sie sahen aus, als würden sie sich vom Boden erheben, dann fraßen sie die Flammen auf, und letzte Staubsäulen sackten ineinander. Hinter der Wand sah ich Suko wie eine Silhouette stehen. Er hatte den linken Arm erhoben und ihn so vor die Augen gedrückt, daß er nicht geblendet wurde. Bisher hatten mich die verdammten Krallen behindert. Sie steckten auch jetzt noch fest, aber sie wurden nicht mehr von den Vampiren gehalten, denn die waren nur mehr Erinnerung. Und Dracula II? Ein jeder von uns hatte wohl gehofft, daß es auch ihn erwischt hätte. Er aber saß nach wie vor auf dem Boden, den Kopf zurückgelegt, das Gesicht verzerrt, den Mund geöffnet, den Blutstein festhaltend. Und er zeigte ihm, daß er seinen Besitzer nicht im Stich lassen würde. Bevor ich mich rühren konnte, fegte Mallmann, eingehüllt in eine rote Wolke, der Decke des Raumes entgegen und schaffte es sogar, sie zu durchbrechen. Nein, das geschah nicht. Ich war einer Täuschung erlegen, aber innerhalb der Wolke veränderte sich die Gestalt des Will Mallmann. Sie wurde zu einer gewaltigen Fledermaus, die nichts anderes zu tun hatte, als zu fliehen. Zwischen mir und Suko huschte sie vorbei, ihr Ziel war eines der großen Fenster. Da rammte sie hindurch.
Das Glas splitterte, doch was machte es einem Super-vampir wie ihm schon aus? Er jagte hinaus in die Nacht, um dort dem Mond entgegenzufliegen, der ihm so wohl gesonnen war. Suko stürzte nicht zum Fenster, weil es keinen Sinn hatte. Er lief auf mich zu und half mir auf die Beine, wobei ich aufschrie, als ich meinen linken, verletzten Fuß zu stark belastete. Ich knickte ein. Suko hielt mich, er wollte mich wegzerren, als plötzlich mehrere Scheiben zu Bruch gingen. Scheinwerfer in den Raum leuchteten, uns blendeten und auch die Tür mit einem mächtigen Knall aufflog. Waffen schimmerten, Schüsse peitschten, Kugeln jagten in die Decke, es war die Hölle! Suko und ich warfen uns zu Boden. Während der Bewegung hatte ich noch die Uniform der Männer erkannt, die in den Raum stürmten. Soldaten also. Mein Freund und ich begriffen überhaupt nichts, wollten auf die Füße kommen, da aber waren sie bei uns und hielten uns fest. Ich schaffte es mit einer gewaltigen Kraftanstrengung trotzdem. »Verdammt noch mal, ihr Idioten!« brüllte ich. »Verfolgt den Vampir! Verfolgt ihn doch! Seid ihr denn wahnsinnig!« Ich zerrte, ich trat um mich, aber sie hielten fest. Dann erschien dicht vor meinen Augen das böse Gesicht eines Soldaten. Mich erinnerte es an eine Comicfigur, so surrealistisch überzeichnet wirkte es in diesem Moment. Die Augen sagten mir, was der Mann vorhatte. Dem Schlag konnte ich nicht ausweichen. Ein Gewehrkolben hatte mich in den Nacken getroffen. Der Treffer löschte mein Bewußtsein aus! *** Jemand umwickelte meine Stirn mit kalten Lappen, flößte mir etwas zu trinken ein, dann hörte ich eine mir bekannte Stimme, die sagte: »Er kommt wieder zu sich, Suko.« »Wurde auch Zeit, der kann sich ja nicht ewig ausruhen.« Jetzt schaute ich richtig hin und sah die Augen meines alten Freundes Marek auf mich gerichtet. »John, du alter Teufel!« »Gleichfalls.« Ich tastete nach seiner Hand und drückte sie fest. Die Erinnerung war sofort da. »Wir haben es nicht geschafft, nicht wahr?« »So ist es.« »Wieso, verdammt?« »Pssst, nicht so laut!« Marek schaute sich scheu um. »Die Soldaten sind sowieso sauer.«
»Das ist mir scheißegal!« fluchte ich, wollte hochkommen, schaffte es nur bis zur Hälfte, denn die Stiche rasten durch meinen Kopf, als hätte jemand mit einer Nadel hineingestochen. »Denk auch an deinen Fuß«, sagte Suko. »Klar doch, aber...« »Kein aber, John, dich hat es erwischt.« »Und Mallmann ist entwischt.« »Sicher.« Ich schwieg und schaute mich um. Wir befanden uns im Hof des Klosters. Eine Zeltplane schützte etwas gegen den böigen Wind. Soldaten patrouillierten in der Nähe. Ihr harter Stechschritt gefiel mir überhaupt nicht. Ungläubig starrte ich ihnen hinterher. »Kann mir mal einer erklären, was das zu bedeuten hat?« Marek gab die Antwort. »Ja, mein lieber Freund. Wir haben Pech gehabt. Das heißt, unser Land hat Pech gehabt. An der Grenze zu Ungarn haben Menschen gegen dieses unwürdige Dasein protestiert. Es hat wohl Hunderte von Toten gegeben, wie ich durch Flüsterpropaganda hörte. Die Reform ist zunächst erstickt worden. Der Apparat reagiert rasend schnell. Man hat den Befehl gegeben, jeden Ausländer unter Kontrolle zu halten. Leider wußte man, wo ihr euch aufhaltet. Flotic konnte nichts machen, er mußte gehorchen. Die Soldaten waren schnell da. Sie sind sogar mit dem Hubschrauber gekommen und zu Fuß.« Ich konnte es nicht fassen, schüttelte den Kopf, und Suko hob nur die Schultern. »Was geschieht denn jetzt?« fragte ich, meinen verbundenen linken Fuß anschauend, der schuhlos war. »Man wird euch mit Begleitung bis zum Flughafen bringen und zuschauen, wie ihr abfliegt.« »Und du, Frantisek?« »Ich bleibe hier«, erwiderte er leise, »ich muß hier im Land bleiben und den Kampf weiterführen. Rumänien ist zu einem gewaltigen Gefängnis geworden. Es sind Zustände, die man kaum beschreiben kann, wirklich nicht, aber was soll ich machen? Vielleicht ändert es sich bald schon.« »Für Mallmann ideale Bedingungen«, flüsterte ich und bekam dabei eine Gänsehaut. »Du sagst es.« Marek verstummte, weil ein Offizier auf uns zutrat, grüßte nund erklärte, daß wir fahren würden. »Jetzt?« fragte ich. »Ja!« schnarrte er. Suko half mir auf die Beine und begleitete mich auch zum Hubschrauber, wo wir von Marek einen traurigen Abschied nahmen. »Es wird besser, John«, flüsterte er mir zu, während wir uns umarmten. »Man muß nur fest daran glauben.« »Dann glaube ich für dich mit, alter Freund.«
Eine Minute später starteten wir. Schweigend und in Gedanken versunken hockten wir nebeneinander. Einmal schaute ich aus dem Fenster. Da war es mir, als würde die Scheibe des Mondes vom Umriß einer gewaltigen Fledermaus verdunkelt. Dracula II war noch im Spiel...
ENDE