Philip Hasard Killigrew betete - aber der Himmel schickte ihm keinen Sturm. Er wußte, daß ihm vier schnelle bretonische...
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Philip Hasard Killigrew betete - aber der Himmel schickte ihm keinen Sturm. Er wußte, daß ihm vier schnelle bretonische Karavellen folgten. Sie waren eine tödliche Gefahr für die ›Isabella von Kastilien‹, die 30 Tonnen Silber für Englands Krone an Bord hatte. Und auf einer der Karavellen war »La Roche, der Hai«, der sich an Hasard rächen wollte. Doch auch der Seewolf hatte Zähne, und die zeigte er, als der Kampf auf Leben und Tod unausweichlich geworden war...
PHILIP HASARD KILLIGREW wurde ›Seewolf‹ genannt, denn er war der Härteste in der Seeräubersippe der Killigrews. Er machte nicht nur die Küste Cornwalls unsicher. Er segelte über alle alle Meere der Welt, als Seemann so perfekt wie als Pirat. Ihm folgten noch viele Generationen der Seewölfe. Sie alle waren Kaperfahrer, Eroberer und Entdecker. P. H. Killigrews große Seeabenteuer begannen 1576 an Bord der ›Marygold‹ - unter dem Kommando von Sir Francis Drake, dem größten Korsaren unter Königin Elisabeth I., der dazu beitrug, daß England zur größten Seemacht der Welt aufstieg.
John Curtis Duell in der Piratenbucht
Seewölfe Band 16
DIE AUTH ENTIS CHEN ERLEBN ISS E,
KAPERFAHRTEN UND SEES CHLACHTEN
DES PHILIP HASARD KILLIGREW
1.
Auf einer langen Dünung segelte die ›Isabella von Kastilien‹ mit schäumender Bugwelle auf Nordwestkurs in den Atlantik hinaus. Die Belle Ile lag schon weit hinter der Galeone, vor achterlichem Wind lief das Schiff gute Fahrt. Philip Hasard Killigrew stand auf dem Quarterdeck. Der Wind zerrte an seinen schwarzen Haaren. Seine eisblauen Augen blickten prüfend auf den schmalen hellen Streifen, der an Steuerbord der ›Isabella‹ den nahenden M orgen ankündigte. Dann sah er Ben Brighton, seinen Bootsmann, an. »Ich traue dem Frieden nicht, Ben«, sagte er. »Irgendwo lauern die Karavellen auf uns. Diese Schlappe schlucken die Kerle nie.« Ben Brighton nickte. Noch einmal zogen die vergangenen Stunden in seiner Erinnerung vorbei: Das plötzliche Auftau chen der fünf bretonischen Karavellen, der heimtückische Trick, mit dem die bretonischen Freibeuter ein Kommando auf die ›Isabella‹ schleusten, der erbitterte Kampf, in dessen Verlauf Hasard und seine Crew eine der Karavellen zu den Fischen schickten, eine andere schwer beschädigten. Dann ihr tollkühnes Unternehmen auf der Belle Ile, durch das sie sich das verlorengegangene Trinkwasser wiederbesorgten. Nein, Hasard hatte recht: Diese Schlappe würden die Bretonen niemals hinnehmen. Auch Ben Brightons Blick wanderte jetzt zu dem hellen Streifen an Steuerbord. »Wir müssen mit vier Karavellen rechnen«, sagte er dann. »Sie sind schneller als wir, besonders bei diesem Wind. Eine gute Chance, ihnen zu entwischen, hätten wir nur bei schwe rem Sturm, aber danach sieht es noch nicht aus. Vielleicht wird der Wind noch steifer - aber diese Bastarde haben wir im Nacken, das ist auch meine M einung. Und ich glaube, sie werden sich nach Sonnenaufgang an uns Heranpir
schen.« Hasard wußte, wie recht sein Bootsmann hatte. Die vier Karavellen waren für die Galeone eine geradezu tödliche Gefahr. Sie waren wesentlich schneller und beweglicher als die schwere, dickbäuchige ›Isabella‹, die außerdem noch dreißig Tonnen Silber in ihrem Rumpf mit sich schleppte. Hasard preßte die Lippen zusammen, bis sie nur noch ein schmaler Strich waren. »Ben, du weißt, daß wir Plymouth auf jeden Fall erreichen müssen. Nicht nur wegen des Silbers, sondern vor allem wegen der Kassette, die wir dem Don abgenommen haben. Ihr Inhalt ist für uns und England wertvoller als alles Gold und Silber, was wir den Dons noch irgendwann abjagen. Los, Ben, schick Dan in den Hauptmars. Er hat von uns allen die schärfsten Augen. Er wird die Karavellen entdecken, noch bevor sie uns ausmachen können.« Ben Brighton nickte nur kurz, dann wandte er sich um. Gleich darauf dröhnte seine mächtige Stimme über Deck: »Dan, raus aus der Koje und rauf in den Ausguck. Und der Teufel wird dich lotweise holen, wenn du da oben weiter pennst!« Der Seewolf grinste. Ben Brightons Stim me konnte wirklich Tote erwecken. Gleich darauf sah er den schlanken Jungen wie ein Schemen über das Deck huschen und die Wanten hochen tern. Der Seewolf sah ihm nach, bis er im Hauptmars verschwand. Er hatte diesen Jungen in sein Herz geschlossen, und es mußte mit dem Teufel zugehen, wenn er aus Dan nicht einen Kerl machte, der später einmal als Kapitän mit seinem Schiff quer durch die Hölle segelte, wenn es sein mußte. »Ferris!« brüllte er dann und beugte sich gleichzeitig zum Rudergänger Pete Ballie hinab, der unter dem Quarterdeck am Kolderstock stand. »Kurs weiterhin Nordwest, Pete, bis ich einen anderen Befehl
gebe, klar?« »Klar«, sagte Ballie nur und seine riesigen Fäuste umklam merten den Kolderstock noch fester. Ferris Tucker, der hünenhafte Schiffszimmermann, tauchte auf dem Quarterdeck auf. »Ferris, stell jeden verfügbaren M ann an die Kanonen. Sorg dafür, daß Backbord und Steuerbord feuerbereit sind. Laß jedes einzelne Geschütz sorgfältig überprüfen. Schick mir ein paar Leute aufs Vor - und aufs Achterkastell, ich kümmere m ich mit ihnen um die Drehbassen. Laß alle verfügbaren M usketen laden.« Ferris Tucker schob die schrankbreiten Schultern vor. Und der Seewolf wußte, was diese Bewegung bedeutete: Kampfes lust und die Entschlossenheit, sich eher in Stücke schießen zu lassen, als aufzugeben. »Wieviel Kartuschen haben wir noch, Ferris?« fragte Hasard. »So viel, daß wir die Bastarde damit zur Hölle schicken können, wenn sie es noch mal mit uns versuchen.« Hasard hob fragend die Brauen, aber der riesige Schiffszim mermann grinste ihn an. »Ich habe im Ballast noch einen Posten Segeltuch entdeckt, der uns bisher entgangen war. M eine Leute sind seit Stunden damit beschäftigt, neue Kartuschen herzustellen. Und glaube mir, daß sie es gern tun. Wenn diese Kerle wirklich wieder mit uns anbändeln, dann gnade ihnen Gott!« Damit drehte sich Tucker um und war gleich dar auf ver schwunden. Der Seewolf hob unwillkürlich die Oberlippe hoch. Bei allen Stürmen der sieben Weltmeere - das war eine Bande, mit der sich etwas anfangen ließ. Wieder ließ er seine Blicke über die Kimm hinter der ›Isabel la‹ gleiten. Aber er vermochte keine M astspitze zu entdecken, obwohl sich inzwischen die M orgendämmerung den Horizont hinauf
geschoben hatte und erstes, fahles Licht über die schwarze See warf.
Um dieselbe Zeit trieb Capitain La Roche, den die bretoni schen Freibeuter wegen seiner Habgier und Grausamkeit »den Hai« nannten, seine Leute an. Der Hai kochte vor Wut. Er konnte es nicht fassen, daß die fünf Karavellen, die unter seinem Kommando standen, von einer einzigen Galeone geschlagen worden waren. Daß offenbar auch die M änner, die er mit soviel List an Bord dieses verdammten schwarzen Teufels geschmuggelt hatte, so jämmerlich versagt hatten und allesamt getötet worden waren. Vom Hauptdeck vernahm er die brüllende Stimme seines Bootsmanns, dann Schreie. Gleich darauf dumpfe, klatschende Schläge. »Ich mache euch Beine, ihr verdammten faulen Hunde!« hörte er den Bootsmann brüllen. »Los, bewegt euch, ihr Affen. Ist das Großsegel noch nicht klar? Wollt ihr hier anwachsen?« La Roche verfolgte die Arbeiten vom Achterdeck aus schma len Augen. Er sah, wie sich das Großsegel im Wind blähte, spürte, wie die Karavelle an Fahrt gewann. Er warf einen flüchtigen Blick auf die drei anderen Schiffe, die achteraus an Backbord und Steuerbord aufstaffelten. Nein, dieser schwarze Teufel mit den weißen, blitzenden Zähnen, der das Schiff seines Bruders vernichtet hatte, sollte ihm nicht entkommen. La Roche wußte, daß sie die schwerfäl lige Galeone schon bald eingeholt haben würden. Der achterli che, steife Wind war für seine Karavellen geradezu ideal. Im Gegensatz zu ihrem unheim lichen Gegner hatten die Karavel len nur wenig Tiefgang, liefen wesentlich schneller und manövrierten besser und leichter. Und genau das war ihre
Stärke. Allerdings - La Roche wußte, daß ihnen diesmal kein Fehler mehr unterlaufen durfte. Beim ersten Angriff waren sie sich ihrer Beute zu sicher gewesen. Aber dieser Engländer verstand zu kämpfen. Der Hai kannte M änner dieser Art, und er wußte, daß dieser große M ann mit den tiefschwarzen Haaren beißen und kämpfen würde, solange noch ein einziger Funke Leben in ihm war. Wieder warf er einen Blick auf die hinter ihm segelnden Karavellen. Sie schlossen auf. La Roche überlegte. Er versuchte sich in die Situation des Fremden zu versetzen. Welchen Kurs hätte er an Stelle der Englänger gesegelt? Ein böses Lächeln zuckte um seine M undwinkel. »Signal an alle: Kurs Nordwest. Verband ausschwärmen auf Sichtweite. Keiner greift ohne meinen ausdrücklichen Befehl an, keiner nähert sich der Galeone auf Schußweite!« befahl er. Es war kein Problem, den Befehl zu signalisieren. La Roche und seine Schiffe waren aufeinander eingespielt. Sie verfügten über genügend Signale, um sich gegenseitig alles Notwendige zu übermitteln, ohne daß Fremde in der Lage gewesen wären, diese Signale zu deuten. Auf dem Hauptmars der Karavelle flammte eine speziell für diesen Zweck hergerichtete Signallampe in rhythmischen Intervallen auf. Es dauerte nur M inuten, dann hatten die anderen ihr »Verstanden« übermittelt. Der Hai ging unruhig auf dem Achterdeck auf und ab. Unter seinen Füßen hob und senkte sich die »M inouche« in der langen Dünung.
Donegal Daniel O’Flynn starrte sich die Augen aus dem
Kopf. Es war heller geworden. Die Kimm trat jetzt scharf und
klar aus dem M orgendunst hervor. Unter ihm blähte sich das
Großmarssegel im Wind. Weißer Gischt sprang über das Vorkastell, wenn die ›Isabella‹ eine See durchpflügte. Kom mandos und Befehle schallten über Deck und drangen bis zu ihm im Großm ars herauf. Plötzlich zuckte Dan zusammen. Unwillkürlich krampften sich seine Finger um eine der zum Groß topp führenden Wanten. Zuerst sah er eine M astspitze, dann zwei und dann auch die restlichen beiden. Und dann erkannte er den Umriß eines Lateinersegels. Dan beugte sich aus dem Hauptmars und legte beide Hände an den M und. »M asten, achteraus an Backbord und an Steuerbord! Vier Karavellen segeln in weit auseinandergezogener Formation auf!« Der Seewolf fuhr herum. Also doch, dachte er. Dann lief er zum Großmast hinüber und enterte auf. Er erreichte den Großmars in Rekordzeit, riß sein Spektiv aus der Tasche seiner dunkelblauen Segeltuchjacke und blickte zu den Verfolgern hinüber. Dan stand neben ihm, verfolgte jede seiner Bewegungen voll Spannung, versuchte, in den Zügen des Seewolfs zu lesen. Aber im Gesicht Philip Hasard Killigrews zuckte kein M uskel. Endlich setzte er das Spektiv ab, schob es zusammen und ließ es wieder in seiner Tasche verschwinden. »Sie wollen uns in die Zange nehmen, Dan. Von beiden Seiten. Gut, wir werden ihnen einen heißen Empfang bereiten.« Er blickte nochmals zu den Karavellen hinüber. Und aus ihren M anövern erkannte er, daß auch sie die Galeone entdeckt hatten. Er wandte sich Dan wieder zu. »Sie werden uns gegen M ittag eingeholt haben. Du bleibst hier oben, Dan. Ich will über jede Bewegung der Karavellen sofort unterrichtet werden. Ich laß dir etwas zu essen und zu
trinken heraufschicken. Wenn sie heran sind, kommst du ‘runter. Und du hältst dich an meiner Seite auf, weichst mir nicht von der Pelle, ist das klar, Dan?« Der Seewolf sah das Zucken in Dans Zügen, die Enttäu schung, die über die Züge des Jungen flog. »Du wirst kämpfen, Dan jeder von uns wird kämpfen. Aber ich will, daß du an meiner Seite bleibst, Dan. Das ist ein Befehl!« Dans Augen leuchteten auf. »Wir werden zusammen kämpfen, wir …« Der Seewolf nickte ihm zu. Dann enterte er ab. Und er tat es so schnell und so geschmeidig, daß selbst Dan ihm für einen M oment überrascht nachstarrte. Doch dann wandte der Junge sich wieder den vier Gegnern zu. Er sah, daß sich die Karavellen formierten. Eine fiel etwas nach Backbord ab, eine andere scherte nach Steuerbord aus. Die beiden anderen folgten der Galeone im Kielwasser. Als die Sonne die M ittagslinie erreichte, hatte die ›Isabella von Kastilien‹ fast den 48. Breitengrad erreicht und segelte etwa fünfzig M eilen westlich von der Ile de Sein unter vollem Zeug nach Norden. Ein Umstand, der für Hasard und seine M änner noch von allergrößter Bedeutung werden sollte.
Die vier Karavellen waren auf rund tausend Yards heran. Deutlich erkannten Hasard und seine M änner die an Deck der Schiffe hin und her laufenden M änner. Dan, der neben Hasard auf dem Achterkastell stand, sah, wie eine der Karavellen plötzlich ihren Kurs änderte. Wir ein wütender Schwan mit ausgebreiteten Schwingen rauschte sie von Luv heran.
»Es ist soweit, M änner, sie greifen an!« rief Hasard. Er wuß te, daß er sich gegenwärtig in einer üblen Lage befand. Er konnte die von Luv herannahende Karavelle nicht ausma növrieren, denn auf der Leeseite befand sich die andere. In diesem M oment begannen auch die beiden Karavellen, die ihnen bisher im Kielwasser gefolgt waren, aufzusegeln. Der Seewolf stand wie ein Baum. Auf Entermanöver durfte er sich nicht einlassen, das wußte er. Gegen die vier Karavellen mit ihren zahlenmäßig viel stärkeren Besatzungen hatte er nicht die geringste Chance, auch wenn sie alle wie leibhaftige Teufel kämpfen würden. Aber zusammen mit Ben Brighton, Ferris Tucker und dem dicken Lewis Pattern, dem Segelmacher der ›Isabella‹, hatte er sich etwas einf allen lassen. Eine böse Überraschung für die Angreifer, wie er hoffte. Er blickte zum Hauptdeck hinunter. Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, grinste ihn an und zeigte dabei sein Raubtiergebiß. Er hockte hinter den Geschützpforten vor einer Pfanne mit glühenden Kohlen. Neben der Pfanne sah Hasard die Pfeile, die mit geteertem Segeltuch umwickelten Spitzen, den riesigen Bogen, mit dem Batuti meisterhaft umzugehen wußte. Neben dem herkulischen Schwarzen stand mit schwelender Lunte Smoky, der ehemalige Decksälteste der ›Marygold‹. In seinem harten Gesicht zuckte es bereits vor Ungeduld, es dem Gegner zu zeigen, ihm an die Kehle zu springen. Auch er blickte für einen M oment zum Seewolf empor, und sein Kinn stieß unwillkürlich nach vorn. An den Brassen, zum sofortigen M anöver bereit, die besten und schnellsten M änner, eigenhändig von Ben Brighton ausgesucht für diesen Zweck. Hasard wußte, daß er mit der Pfanne voller glühender Kohlen gegen eine der wichtigsten Regeln des Kampfes auf See verstieß: Außer an den Geschützen alles Feuer auf dem Schiff zu löschen. Aber das nahm er in Kauf - die vier Karavellen
waren da ein weit größeres Risiko. Dan starrte aus großen Augen auf die heranbrausende Kara velle. Er sah die gestikulierenden M änner auf dem Voder kastell, sah den Kapitän auf dem Achterdeck, glaubte schon, die Befehle, die er brüllte, durch das brausende Geräusch der weiß gischtenden Bugwelle zu hören. Dann zuckten die Augen Dans nach Lee. Und trotz seines M utes erschrak er. Auch diese Karavelle schien auf sie zuzuja gen - aber das lag daran, weil der Seewolf die Galeone in diesem M oment auf einen anderen Kurs legen ließ. Knapp fünfhundert Yards trennten die Galeone und die Kara velle an ihrer Luvseite noch. Noch immer unternahm der Seewolf nichts. Aus scharfen Augen fixierte er das Schiff. Und dann, in einer Entfernung von knapp dreihundert Yards, gab er das Zeichen. Die Stückpforten flogen hoch. Die Galeone schwang aber mals herum, die Steuerbordkanonen brüllten auf, das Deck erzitterte unter den Füßen der M änner. Aus den Rohren der Geschütze flogen Tod und Verderben zu der schräg heranlau fenden Karavelle hinüber. Die Wirkung der Breitseite war verheerend. Der Fockmast der Karavelle zersplitterte, Rahen, laufendes und stehendes Gut stürzten auf Deck, der M ast krachte auf das Schanzkleid an Backbord, das Focksegel deckte die schreienden M änner zu. Das war der Augenblick für Batuti. Er sprang auf, hatte den riesigen Bogen in seinen Fäusten, zündete einen der Brandpfei le und schoß ihn auf die Karavelle ab. Dann sofort den nächsten, dann wieder einen. Der Schwarze entwickelte dabei ein Tempo, daß Dan nur noch M und und Nase aufreißen konnte. Batuti traf. Nicht einer seiner Pfeile verfehlte sein Ziel, und im Nu standen die Segel der havarierten Karavelle in hellen Flammen. Unterdessen blieb der Seewolf auch nicht untätig. Seine
Kommandos gellten über Deck. Die M änner an den Brassen reagierten blitzartig, ohne zu denken. Sie taten nur das, was der Seewolf von ihnen verlangte. Ebenso der Rudergänger Pete Ballie am Kolderstock, der wieder einmal vor sich hin fluchte, weil er unter Deck stand und von dem ganzen Kampf so gut wie nichts sah. Die Galeone schwang herum. Ihre Segel füllten sich mit Wind. Sie nahm Kurs auf die Karavelle leewärts, auf der die Entermannschaften bereits brüllend und die Entermes, ser schwingend in den Wanten hingen. »Klar bei Drehbassen, klar bei Backbordkanonen!« schrie der Seewolf und sprang selbst an die Drehbassen auf dem Achter kastell. »Dan, hierher, die Lunte!« Und Dan war schon neben ihm. Gleichzeitig hatte Batuti die Kohlenpfanne nach Backbord geschleppt, auch die restlichen Brandpfeile, und einer der M änner zündete sie an den glühenden Kohlen an. Die beiden Schiffe näherten sich einander rasend schnell. Denn auch die Karavelle schwang herum und ging auf Gegen kurs. Der Kapitän hatte die Gefahr, die ihm vom Seewolf drohte, erkannt. Die Geschütze der Karavelle brüllten auf. Dumpfe Schläge erschütterten den Rumpf der Galeone. Einer der M änner an Backbord schrie auf, dann ein zweiter. Der Seewolf hörte das, er spürte auch die Einschläge, aber er war jetzt in seinem Elem ent. »Backbordkanonen Feuer!« brüllte er und wußte, daß Ferris Tucker und seine M änner die Geschütze längst auf die Kara velle eingerichtet hatten. Wieder brüllten die schweren Kanonen auf, wieder erzitterte der schwere Rumpf der Galeone unter den zurückrollenden Lafetten der Geschütze, unter den mörderischen Rucken, m it denen die Brooktaue diese Bewegungen stoppten.
Und die M anner auf dem Hauptdeck arbeiteten wie die Teu fel. Auswischer mit nassen Schwämmen fuhren in die glüh endheißen Geschützrohre. Kartuschen wurden eingeschoben und verdämmt, dann Ku geln und abermals Verdammung. Die Drehbassen auf dem Vorder- und auf dem Achterkastell entluden sich donnernd, spuckten tödliches, gehacktes Blei in die M änner der feindlichen Besatzung, zerfetzten Tauwerk und rissen Stücke aus den M asten und den Decksplanken. Dann schoß Batuti. Seine Brandpfeile zischten zum Gegner hinüber und setzten auch diese Karavelle im Nu in Brand. Schreie der Wut, der Schmerzen, des Grauens durchbrachen den Geschützdonner. Und wieder gab der Seewolf seine Kommandos. Erneut schwang die ›Isabella‹ herum. Und diesmal wußte der Seewolf, wußte jeder seiner M änner, daß es um Haaresbreite abgehen würde. Die Karavelle auf der Luvseite, die lichterloh brannte und von der das Prasseln der weiter und weiter um sich greifenden Flammen zu ihnen herüberdrang, trieb auf sie zu. Der Seewolf mußte mit seiner Galeone abfallen, wenn er nicht gerammt werden wollte. Dadurch näherte er sich aber auch der anderen Karavelle in Lee bedenklich, die von der Breitseite der Back bordkanonen zwar schwer beschädigt, jedoch nicht so vernich tend getroffen worden war wie die andere. Auch sie brannte, aber die M änner ihrer Besatzung schossen noch mit Musketen. Klatschend fuhren die Kugeln in die Bordwand der ›Isabella‹, schlugen in M asten und das Schanzkleid an Backbord der Galeone. An Steuerbord dröhnten die Kanonen abermals auf. Ferris Tucker hatte eine weitere Br eitseite auf die brennende Karavel le feuern lassen. Dies war ein Kampf, bei dem es für die M änner des Seewolfs ums nackte Leben ging, und jeder wußte - das Pardon gab es nicht.
Die Breitseite lag wiederum voll im Ziel. Tucker hatte einige der Kanonen auf die Wasserlinie der Karavelle richten lassen. Seine kundigen Augen erkannten sofort, daß diese Breitseite ihr 4en Rest gegeben hatte. Seine M änner brüllten vor Freude - aber dann blieben ihnen die Freudenschreie plötzlich im Hals stecken. Die Galeone lief auf die Karavelle an Backbord zu. Hasard erkannte die Gefahr. »Alle M ann an Backbord! Paßt auf, daß die Kerle nicht en tern, laßt keinen an Bord!« durchschnitt seine gewaltige Stimme den Kampfeslärm. Unterdessen hatte Dan die beiden Drehbassen auf dem Ach terkastell nachgeladen. Gerade wollte er die Lunte an das Zündloch halten, als ein Ruck durch die ›Isabella‹ ging. Dan stieß einen Schrei aus, stürzte rücklings zu Boden und schlug schwer auf die Decksplanken. Der Seewolf sah es aus den Augenwinkeln, aber er hatte jetzt keine Zeit, sich um den Jungen zu kümmern. M it gewaltigem Stimmaufwand gab er seine Befehle - und er hatte Glück: Die ›Isabella‹ gehorchte Ruder und Segeln, kam von der Karavelle, die sie gestreift hatte, wieder frei und gewann Raum. Ferris Tuckers Stimme donnerte durch den allgemeinen Aufruhr - und ein zweites M al entluden sich die Kanonen an der Backbordseite. Diesmal aus allernächster Nähe. Keine der Kugeln verfehlte ihr Ziel. Die Wirkung dieser Breitseite war verheerend. Die Karavelle legte sich unter der Wucht der Einschläge weit nach Steuerbord über. Ihre Bordwand zersplitterte unter den schweren Kugeln der ›Isabella‹, die Schreie an Bord der Karavelle verstummten, dann segelte die Galeone in freies Wasser. Philip Hasard Küligrew sah sich um. Wo, zum Teufel, waren die beiden anderen Karavellen geblieben? Er entdeckte sie wenige Augenblicke später. Die eine hatte abgedreht. Die
andere stand noch achteraus an Steuerbord, zu weit entfernt, um in den Kampf eingreifen zu können. Hasard zückte sein Spektiv, richtete es auf die Karavelle, die direkt auf die beiden sinkenden Schiffe zuhielt. Und zu seinem Erstaunen sah er einen massigen M ann, der sich auf dem Achterkastell wie rasend gebärdete und drohend beide Fäuste in Richtung der Galeone schüttelte. Dan war inzwischen wieder aufgestanden, Blut rann ihm von der Stirn. Sein Schädel schmerzte, als habe man ihm soeben einen M orgenstern um die Ohren geschlagen. Aber er grinste, wenn auch mit schmerzlich verzogenem Gesicht. Hasard lachte. »Die kommen sobald nicht wieder, Dan. Ich denke, die haben genug«, sagte er. Der Junge nickte. »Verdammt, ich könnte jetzt einen Schluck gebrauchen«, sagte er. Hasard fixierte ihn aus schmalen Augen. Das Bürschchen gefiel ihm von Tag zu Tag besser. »Wir können alle einen gebrauchen, nicht nur du, Dan«, sagte er dann. »Aber erst werden wir uns jetzt mal um das Schiff kümmern, ich denke, wir haben einiges abgekriegt. Los, ab m it dir, melde dich bei Ferris Tucker, der wird jetzt jede Hand brauchen können.« Damit verließ er selbst das Achterkastell und stieg zum Quarterdeck hinab. Die Ahnungen Hasards trogen nicht; Es sah sogar noch etwas schlimmer aus, als er angenommen hatte. Der Wind hatte gedreht. Er blies jetzt aus Südwest und trieb dunkle schwere Regenwolken vor sich her. Philip Hasard Killigrew war wieder in den Großmars aufge entert. Durch sein Spektiv beobachtete er die beiden Karavel len, die nicht mehr am Kampf teilgenommen hatten und daher auch unbeschädigt geblieben waren. Sie lagen jetzt an der
Stelle, wo vor wenigen M inuten die tödlich getroffene Karavel le gesunken war. Auf der anderen Karavelle, die die ›Isabella‹ von der Leeseite her hatte angr eifen und entern wollen, kämpf ten die Bretonen verbissen gegen das immer noch lodernde Feuer. Auch diese Karavelle sah böse aus. Die letzte Breitseite hatte die Backbordseite der Karavelle mittschiffs zerschmettert. Das Schanzkleid hing zerfetzt zwischen zerrissenem Tauwerk. Aus den Stückpforten drang der Qualm. M anchmal leckten lange Flammen an der Bordwand empor. Weißer Wasserdampf vermischte sich mehr und mehr mit dem schwarzen Rauch, der sowohl aus dem Schiffsinneren als auch aus der Takelage aufstieg. Hasard setzte das Spektiv ab. Die Bretonen waren wirklich zähe Burschen. Verbissen kämpften sie um dieses Schiff, und daran erkannte der Seewolf, daß sie den Verlust einer weiteren Karavelle mit allen M itteln verhindern wollten. Sie brauchten also jedes einzelne Schiff. Er warf einen letzten Blick auf die Stätte des Kampfes. Nein, um die ›Isabella‹ würden die Bretonen sich vorerst nicht mehr kümmern. Sie hatten jetzt ganz offensichtlich andere Sorgen. Außerdem waren sie gebrannte Kinder. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Ja, verdammt noch mal, denen hatten sie nun wirklich eine harte Lektion erteilt! Die ersten Regentropfen fielen. Die Karavellen verschwanden plötzlich hinter dichten Regenschleiern, die sich wie Vorhänge zwischen sie und die Galeone legten. »Gut«, murmelte Hasard, »das ist gut. Der Regen kommt uns wie gerufen, er nimmt ihnen die Sicht.« Und wieder dachte er an jenen merkwürdigen massigen M ann, der sich wie rasend auf dem Achterkastell seiner Karavelle gebärdet und ihnen mit den Fäusten gedroht hatte. Er spürte instinktiv, daß sie in diesem M ann einen unversöhnlichen Gegner gefunden hatten, der sie seiner Niederlagen wegen bis aufs Blut haßte. Und Hasard ahnte in diesem M oment noch nicht, wie bald er diesem
M ann wieder gegenüberstehen sollte. Lautes Rufen schreckte ihn aus seinen Gedanken hoch. Er sah Ben Brighton unten auf dem Quarterdeck stehen. Der Seewolf beugte sich aus dem Großmars. »He, Ben, was gibt’s denn?« fragte er. »Diese verdammten Bretonen haben uns ein paar üble Löcher in das Schiff geschossen. Die Verankerung vom Großmast ist von einer Kugel schwer angeknackst worden, das Ruder hat einen bösen Treffer, und aus zwei Löchern strömt Wasser ins Schiff. Ferris glaubt nicht, daß er diese Schaden auf See beheben kann. Er will mit dir sprechen.« Schon während der letzten Worte des Bootsmanns hatte sich der Seewolf aus dem M ars geschwungen und enterte ab. Er kannte Ferris gut genug, um genau zu wissen, daß dieser rotmähnige Hüne so etwas nicht sagen würde, wenn er dazu nicht gewichtige Gründe hätte. Hasard stieß eine Verwünschung aus, als er an Deck sprang. Auf dem Hauptdeck, unweit eines Niederganges, prallte er mit dem riesigen Schiffszimmermann fast zusammen. Tuckers Oberkörper war nackt, Schweiß bedeckte seine m ächtige Brust, rann an seinen Armen herab. Sein Gesicht war noch vom Pulverdampf verschmiert. Der rothaarige Riese sah geradezu furchterregend aus. Als er den Seewolf sah, blieb er am Niedergang stehen. Dann schüttelte er den Kopf. »Nichts zu machen. Die Lecks kann ich bei diesem Wetter nur von innen her dichtschlagen. Wenn der Wind aber stärker wird, dann ist der Großmast in Gefahr. Außerdem könnte uns das angeschossene Ruder brechen. Wir müssen irgendwo an Land. Nur dort kann ich das Schiff wieder seeklar kriegen.« Regenschauer prasselten an Deck. Der steife Wind pfiff in den Pardunen. Der Regen ließ die Segel brettsteif werden. Im ganzen Rigg knirschte und knarrte es, während sich das schwere Schiff in der höher gehenden See stampfend vorwärts
bewegte. Ferris Tucker verschwand im Niedergang. Er war kein M ann, der viele Worte machte. Hasard folgte ihm. Aus den Tiefen des Rumpfes hörte er die dumpfen Schläge, mit denen die M änner Rundkeile in die Lecks trieben und die Keile anschließend m it Balken sicherten. Unter ihnen, in der Bilge, schwappte das Wasser. An Deck trieb Ben Brighton die M änner an die Pumpen. Hasard sah sich die Bescherung an. Eine der feindlichen Kugeln hatte die Bordwand durchschlagen und dann den Großmast dicht über seiner Ver ankerung schwer demoliert. Der M ast war fast auf Yardlänge völlig zersplittert. Hasard war sofort klar, wie gefährlich dieser Treffer werden konnte, sobald Sturm aufkam - und das war gerade im Kanal, den sie noch durchqueren mußten, keine Seltenheit. »Und das Ruder?« fragte er und konnte dabei nur mühsam seinen Grimm verber gen. »Von einer Kugel durchschlagen, einige der Scharniere wahr scheinlich verzogen. Pete Ballie schafft es schon nicht mehr allein, den Kolderstock zu bewegen. Das Ruder klemmt, und ich fürchte, es wird brechen, sobald es mehr Druck kriegt.« Hasard stieß einen Fluch aus. »Los, tut, was ihr könnt! Ich muß erst mal sehen, wo wir eine Stelle finden, an der wir das Schiff vor Anker legen können. Diese Küste ist verdammt gefährlich!« Hasard stürmte davon. Es war das erste M al auf dieser Reise, daß er sich ernstlich um sein Schiff sorgte. Um sein Schiff, um die dreißig Tonnen Silberbarren in seinem Bauch und um die kostbaren Seekarten, die unter allen Umständen in die Hände von Kapitän Francis Drake gelangen mußten - koste es, was es wolle! Auf dem Weg in seine Kammer griff sich Hasard Ben Brigh ton. »Sorge dafür, daß immer ein M ann im Großmars ist, Ben. Ich
rechne zwar nicht damit, daß die Bretonen uns auch weiterhin verfolgen, aber auszuschließen ist das nicht. Und laß jetzt nicht zuviel Zeug auf dem Großmast stehen, auf den müssen wir aufpassen.« Der Bootsmann sah Hasard nach. Er spürte, daß sich der Seewolf sorgte.
Hasard brütete in seiner Kammer eine ganze Weile über den Karten, die er von der fr anzösischen Küste besaß. Er kannte sich einigermaßen aus, weil er schon mehrfach mit dem Schiff seines Vaters dort gewesen war. Aber immer hatte es Schwie rigkeiten gegeben, besonders mit den Bretonen, die ein ganz verdammt stures Volk waren. Und verbissene Kämpfer dazu. Aufgeben war für die ein Fremdwort. Seine Augen wanderten über die Karte und musterten das Gebiet, in dem die ›Isabella‹ sich befand. Und dann fiel sein Blick auf eine Insel, die er zwar nicht kannte, von der er aber schon mehrfach gehört hatte. Sie hieß Ile de Sein, war der bretonischen Küste in Höhe von Audierne etwa sechs bis sieben M eilen vorgelagert, selbst höchstens zwei M eilen lang, eine halbe M eile breit und besaß an ihrer Südseite eine tiefe Bucht, die für ihre Zwecke geeignet sein konnte. Unter Um ständen war sie sogar wie geschaffen, denn auf der Ile de Sein wohnten zumindest keine Fischer, es gab keine Ansiedlung die Insel war zu klein und zu felsig. Der Seewolf entschloß sich schnell. Er rechnete nach, wo sich die ›Isabella‹ zur Zeit befand, dann verließ er die Kammer und stürmte wieder an Deck. »An die Brassen, M änner!« dröhnte seine Stimme über Deck. »Neuer Kurs Nordost zu Ost!« Er sprang aufs Quarterdeck hinab.
»Pete, Vorsicht mit dem Ruder. Laß langsam kommen, lang sam, Pete!« Pete Ballie nickte. Zusammen mit einem anderen M ann der Besatzung drückte er den Kolderstock herum. Über ihm ächzte und knirschte das laufende Gut, langsam schwangen die Rahen herum. Der Wind, der immer noch aus Südwest blies und an Stärke auch weiterhin zugenommen hatte, war dem Vorhaben des Seewolfs günstig. Bei fast achterlichem Wind lief die Galeone gute Fahrt, und Hasard befahl, das Großmarssegel zu reffen, um den Großmast auf diese Weise zu entlasten. Der Besan, das Großsegel, die Besegelung des Fockmastes und die Blinde unter dem Bugspriet gaben der ›Isabella‹ genügend Fahrt, solange sie keine Verfolger im Nacken hatten. Aber die Karavellen schienen wirklich aufgegeben zu haben, zumindest war von ihnen auch nicht eine M astspitze zu sehen. Hinzu kamen die dichten Regenschleier, die der Wind über die gischtende See trieb. Sie waren der beste Schutz, den Hasard sich in diesem M oment nur denken konnte. Als das Schiff auf dem neuen Kurs lag, stieg er hinunter aufs Hauptdeck. Dort war Ben Brighton damit beschäftigt, die letzten Spuren des Gefechts mit einer Gruppe von M ännern zu beseitigen. Hasard sah ihm und seinen Leuten einen M oment lang zu. Dann runzelte er plötzlich die Stirn. »Ben, was haben wir noch an Pulvervorräten?« fragte er unvermittelt. Der Bootsmann wandte sich um. »Nicht mehr viel. Dreißig fertige Kartuschen, zwei Fässer, zwei Dutzend Kugeln. Nur für die Drehbassen achtern und vorn ist noch genügend gehacktes Eisen da.« Hasard nickte nur. Das war vorauszusehen gewesen. Die zwei Gefechte mit den Karavellen hatten ihre Vorräte gehörig erschöpft. Und damit wurde ihre Lage um noch einiges schwie riger.
Wortlos drehte er sich um und stieg zu Ferris Tucker und seinen Leuten hinab, unter denen auch Dan sich befand. Der Schiffszimmermann arbeitete wie besessen. Als er Ha sard sah, blickte er kurz auf. »Ferris, wie lange brauchst du für deine Arbeiten, wenn wir die ›Isabella‹ vor Anker legen?« Und dann erklärte er ihm, welche Sor gen er hatte. Ferris Tucker wiegte den Kopf. »Vier, fünf Stunden, vielleicht sechs. Ich muß erst sehen, was mit dem Ruder los ist. Den Großmast stütze ich ab. Das kriege ich vielleicht sogar schon innerhalb der nächsten Stunden hin, wenn alles so klappt, wie ich hoffe.« Der Seewolf sah den rothaarigen Riesen sekundenlang an. »Wir segeln zur Ile de Sein«, sagte er dann. »Dort gibt es am Südufer eine Bucht, in der wir uns verstecken können und wo wir auch vor dem Sturm sicher sind, falls der Wind weiterhin zunehmen sollte. Nimm dir jeden M ann, Ferris, den du brauchst. Du mußt das Schiff so schnell wie möglich seeklar kriegen. Ile de Sein hin und Bucht her - wenn uns dort ein bretonischer Kaper entdeckt, sitzen wir in einer M ausefalle. Außerdem reicht unser Pulvervorrat nicht mehr zu einem langen Gefecht.« Hasard drehte sich um und verließ das Zwischendeck, in dem Ferris Tucker mit seinen M annen schuftete, daß ihnen der Schweiß nur so über die Körper lief. Die M änner starrten Hasard nach. Sie hatten ihn verstanden. »Vorwärts, M änner«, trieb Tucker sie an. »Ihr habt gehört, was los ist. Wenn wir hier fertig sind, bereiten wir die Repara tur des Ruders vor, soweit wir können. Stützt jetzt den Groß mast ab, so, wie ich es euch gesagt habe. Ich sehe mir inzwi schen an, was mit dem Ruder ist.« Dan legte seine A xt zur Seite. »Nimm mich mit, Ferris«, sagte er. »Das kannst du nicht allein tun. Einer muß dich sichern, du …«
»In Ordnung, Dan, du kommst mit. Besorge eine Leine, Junge. Wir belegen sie an der Heckgalerie. I ch denke, der Seewolf wird mit zupacken. Los jetzt!« Er verpaßte Dan einen freundschaftlichen Knuff in die Rip pen und trieb ihn vor sich her, nachdem er nochmals einen prüfenden Blick auf die Stützbalken geworfen hatte, die die M änner gerade mit schweren Eisenbeschlägen am Großmast befestigten. An Deck pumpte immer noch eine Gruppe von Ben Brightons M änner das durch das Leck ins Schiff eingedrungene Wasser heraus. Aber die Lecks waren dicht, auch wenn die mit Eisen gesicherten und von innen in die Bordwand hineingetriebenen Keile nur als Provisorium gelten konnten.
Ferris Tucker hatte sich nicht geirrt. Hasard packte nicht nur zu, sondern seilte sich mit ihm zusammen an sorgfältig beleg ten Tauen zum Ruder ab. »Aufpassen, Ferris!« schrie er durch das Tosen der achterli chen See. Denn gerade packte ihn eine Woge und schleuderte ihn gegen das Heck der Galeone, das über ihm turmhoch in den grauen, von jagenden Regenwolken verhangenen Himmel zu wachsen schien. Die See preßte ihn gegen das Schiff, überspülte ihn, und für einen M oment war um den Seewolf nichts als glasige, grüne Dämmerung. Dann hob sich das Heck der ›Isabella‹ aus der See. Hasard tauchte wieder auf und holte prustend Luft. Er sah, daß Ferris Tucker das Ruder bereits erreicht hatte und sich am Ruderblatt festklammerte. Immer wieder verschwand der Riese unter den gischtenden Seen, aber er hielt sich eisern
fest, schöpfte Luft, sooft er konnte. Dann war Hasard an seiner Seite. Auch er packte das Ruder, klammerte sich mit den Händen in den großen Scharnieren, in denen es sich bewegte, fest. Und dann sah er, welche Verwüstungen die Kanonenkugel der Karavelle angerichtet hatte. Eins der Scharniere war fast aus dem Heck der ›Isabella‹ herausgerissen worden. Das Ruder selbst war gesplittert, hielt aber durch Eisenbeschläge, die die Erbauer der Galeone aus irgendeinem Grund einmal ange bracht haben mußten, noch zusammen. Aber die beiden M änner sahen, wie es in sich arbeitete, wie es sich unter den Beschlägen verzog, sobald eine Ruderbewegung Pete Ballies Druck auf das Ruderblatt brachte. Hasard schüttelte den Kopf. Eine Verständigung war dort unten fast nicht möglich. Die Hecksee zerrte an ihren Körpern. Immer wieder schlugen glasgrüne Wogen über ihnen zusam men, begruben mal den einen, dann den anderen unter sich. Hasard gab mit dem Daumen das Zeichen zum Aufentern. Wenige Augenblicke später standen die beiden M änner vor Nässe triefend wieder auf der Heckgalerie der ›Isabella‹. »Wir haben Glück, Ferris, wenn das Ruder noch bis zur Ile de Sein hält. Hätte der Schuß etwas besser getroffen, etwas mehr zur M itte, dann hätten diese verdammten Bastarde uns gehabt, weil wir uns in der Karavelle in Lee festgerannt hätten.« Der Seewolf grinste und schüttelte sich das Wasser aus den Haaren. »Wir haben schon soviel Glück gehabt - wir schaffen auch noch den Rest. Und wenn ich den Teufel persönlich aus der Hölle holen müßte!« Der Schiffszimmermann grinste ebenfalls. »Und ob wir es schaffen«, sagte er nur. Dann stampfte er über das Achterkastell und war gleich darauf verschwunden.
Sie erreichten die Ile de Sein eine Stunde vor Sonnenunter gang. Der Wind hatte etwas nachgelassen, dafür regnete es um so heftiger. Hasard stand auf dem Achterkastell, weil er von dort den besten Überblick hatte. Dan stand seiner scharfen Augen wegen im Fockmars, auf der Back sang der Lot gast die Wassertiefe aus. Die ›Isabella‹ glitt auf die Insel zu, die wie ein dunkler Koloß vor ihnen aus den Regenschleiern emporwuchs. An ihrer Südflanke, genau dort, wo sich die Einfahrt zu jener weiten Bucht befand, türmten sich Felsen zu beiden Seiten der Ein fahrt auf. An Backbord fielen die Berge ab und gingen in flachere Formationen über. Hasard musterte die Insel. Er fühlte sich nicht recht wohl in seiner Haut, denn ihm war sofort klar geworden, daß sich die Galeone innerhalb der Bucht kaum mehr aus eigener Kraft manövrieren lassen würde, weil die felsigen Erhöhungen ihr den Wind nahmen. Sie mußten also einlaufen, Anker fallen lassen und das Schiff später wieder mit dem Boot, das sie den Fischern auf der Belle Ile abgenommen und dann an Bord gehievt hatten, wieder herausschleppen. Eine Knochenarbeit, denn sie verfügten nur über ein kleines Boot von zwei Duch ten, auf denen höchstens acht M änner Platz fanden. Hasard zerbiß einen Fluch auf den Lippen. Er mußte gut aufpassen. Zumindest mußte er die ›Isabella‹ so legen, daß sie einen etwaigen Angreifer mit einer Breitseite und den vier Drehbassen. auf dem Vorder- und dem Achterkastell abwehren konnte, falls dies notwendig werden sollte. Das bedeutete aber, daß sie zusätzlich noch einen Heckanker ausbringen mußten. Hasard gab sofort die notwendigen Befehle, während die ›Isabella‹ bereits in die Einfahrt zur Bucht hineinglitt. Und wieder hatte Hasard ein ungutes Gefühl. Die Einfahrt war nur schmal, hinter ihr öffnete sich eine Bucht, die wie ein Hafenbecken aussah. Und dann zuckte er zusammen. Vor ihnen, auf den Strand gezogen, lag das Wrack einer Galeone,
die ungefähr die gleiche Größe hatte wie die ›Isabella‹. Aber wie sah das Schiff aus! Unwillkürlich unterbrachen die M änner an Deck ihre Arbeit. Selbst Ben Brighton sah aus großen Augen auf das Bild, das sich seinen Augen bot. »Verdammt«, sagte er leise, »das sieht ja fast so aus, als seien wir hier in ein Seeräubernest geraten!« Seine Blicke flogen über die verfallenen Hütten, zwischen denen sich Kisten, Fässer und Takelwerk stapelten. Aber sonst zeigte sich keine M enscheseele. Ferris Tucker war mit einigen Sprügen auf dem Achterkastell neben dem Seewolf. Aus zusammengekniffenen Augen starrte er auf das Wrack. »Das Ruder - es ist intakt. Wir holen uns das Ruder von dem Kahn, das erspart uns Stunden an Arbeit, und wir können dieses Rattenloch schneller wieder verlassen.« Der Seewolf nickte. »M ach das Boot fertig zum Abfieren. Für jeden M ann eine M uskete, genügend Pulver und Kugeln. Einen Trupp vorn auf die Felsen - ich will hier nicht überrascht werden. Sobald sich auch nur eine M astspitze zeigt, sofort melden! Wir legen die ›Isabella‹ da hinten vor den Felsen, und zwar so, daß wir die Einfahrt mit unseren Steuerbordkanonen voll unter Kontrolle haben. Sofort alle Steuerbordgeschütze und die Drehbassen laden, M usketen bereitlegen. Verdammt noch mal, auf was wartet ihr eigentlich noch?« Hasard hatte seine sächsische Radschloßpistole aus dem Gürtel gezogen und warf sie Ben Brighton zu. »Laden! Paß auf, daß sie nicht naß wird. Ich fahr mit ‘rüber. Du, Ben, übernimmst hier das Kommando für die Dauer meiner Abwesenheit.« Die ›Isabella‹ wurde langsamer. Hasard stand bereits auf dem Quarterdeck und gab Pete Ballie die notwendigen Befehle. Das schwere Schiff schwang herum. Einen M oment lang
begannen die Segel zu schlagen, dann wurden sie von den harten Fäusten der M änner auch schon eingeholt. »Klar bei Buganker - klar bei Heckanker!« dröhnte Hasards Stimme durch die plötzliche Stille, die nur vom Rauschen des Regens durchbrochen wurde. »Fallen Anker!« Die Anker klatschten ins Wasser der Bucht. Und die ›Isabel la‹ lag genau so, wie Hasard das haben wollte. Kein fremdes Schiff konnte die Einfahrt in die Bucht passieren, ohne in eine volle Breitseite der Steuerbordgeschütze zu laufen.
Auf dem Hauptdeck wurden Kommandos laut. Ben Brighton war mit mehreren M ännern dabei, das Boot an Taljen abzufie ren. Die M änner arbeiteten schnell und geschickt. Ferris Tucker hatte sich mit Werkzeug beladen. Dan half ihm, die schwere Kiste zu schleppen. Der Schiffszimmerm ann wußte, daß sie keine Zeit zu verlieren hatten, und deshalb gedachte er drüben beim Wrack auch sofort ans Werk zu gehen. Hasard warf einen Blick in den Himmel. Der Regen hatte etwas nachgelassen, und es war spürbar wärmer geworden. Prüfend sog Hasard die Luft ein. Dieser plötzliche Temperaturanstieg, dazu noch am Abend, gefiel ihm nicht recht. Die Felsen, die die Bucht zum Atlantik hin abschirmten, hinderten ihn jedoch, einen prüfenden Blick zum Horizont zu werfen. Er spürte aber, daß sich hinter diesen Felsen irgend etwas zusammenbraute. Er verließ das Achterkastell und sprang zum Hauptdeck hinunter. »Was ist mit der Gruppe vorn auf den Felsen?« fragte er den Bootsmann.
Ben Brighton grinste und wies über Bord. »Da schwimmen sie. Dan hat Ferris noch geholfen, das Werkzeug an Deck und ins Boot zu schaffen. Ich habe ihn ebenfalls für diese Gruppe eingeteilt. Ich weiß, daß es ihm nicht paßt, aber er hat nun mal die schärfsten Augen von uns allen. Also, Dan - was stehst du hier noch herum? Los, ab mit dir!« Donegal Daniel Q’Flynn bedachte den Bootsmann mit einem giftigen Blick. Dann schaute er den Seewolf hilfesuchend an, aber Hasard dachte gar nicht daran, dem Jungen zu helfen. Statt dessen zog er ein grimmiges Gesicht, obwohl er innerlich beinahe lachen mußte, denn er verstand Dan nur zu gut. Ein Wrack am Strand einer Seeräuberbucht - und Dan durfte nicht mit, sein Jungenherz mußte wahrhaftig bluten. Aber wenn er jetzt nachgab, dann würde das die Autorität Ben Brightons untergraben, und das durfte nicht geschehen. Die Disziplin an Bord der ›Isabella‹ war die wichtigste Voraussetzung für das reibungslose Funktionieren dieser M annschaft. Hasard sagte nichts, aber er registrierte, wie Dan die Lippen zusammenpreßte. Um seinen M und erschien ein trotziger, wilder Zug, gleich darauf schoß sein geschmeidiger Körper über das Schanzkleid und verschwand im aufspritzenden Wasser der Bucht. Hasard sah ihm einen M oment lang nach. Dan schwamm wie ein Fisch. Dem Jungen würde es ein leichtes sein, die anderen, die auf die Felsenküste zuschwammen, einzuholen. »Fertig?« fragte er Ben Brighton. Der Bootsmann nickte. Hasard schwang sich über das Schanzkleid und kletterte nach unten. Er warf einen raschen Blick auf die M änner im Boot. Batuti, Tucker, Stenmark, Blacky, M att Davies und Smoky. Alles M änner, auf die Hasard sich nicht nur verlassen konnte, sondern die jeder für sich im Kampf M ann gegen M ann Gold wert waren. Er warf einen raschen Blick auf M att Davies, den M ann, dem
im Kampf einst die rechte Hand abgeschlagen worden war und der nun an ihrer Stelle am Ende einer kunstvoll gefertigten Ledermanschette, die bis zum Ellenbogen geschnürt war, einen spitzgeschliffenen Eisenhaken trug. Er hatte diesen M ann kämpfen sehen, und Hasard wußte, was für eine mörderische Waffe dieser Eisenhaken war und wie gut M att Davies mit ihm umzugehen wußte. Hasard sprang ins Boot. »Ablegen!« befahl er. Ferris Tucker stieß das Boot von der Bordwand ab, dann tauchten die M änner die Riemen ein. »Hört zu«, sagte Hasard, als sie sich bereits in der Bucht befanden, »ich glaube nicht, daß hier in dieser Bucht Leute sind. Aus irgendeinem Grund muß dieser Schlupfwinkel einmal ver lassen worden sein. Aber natürlich weiß ich das nicht genau. Sie können auch im Hinterhalt auf uns lauern. Wenn wir an Land gehen, haltet eure M usketen feuerbereit. Seid wachsam. Zwei von euch gehen Ferris zur Hand, wenn er das Ruder vom Wrack abmontiert. Du, Smoky, dringst mit mir in das Wrack ein. Ich will wissen, ob es in diesem Schiff noch irgend etwas gibt, was uns entweder von Nutzen sein oder aber Aufschluß darüber geben kann, wie es hierher kam und wel ches Schicksal seine Besatzung erlitt. M att und Stenmark sehen sich bei den Hütten um. Aber geht nicht weiter, als bis zu den ersten und seid auf der Hut. Wenn Gefehr droht, feuert sofort eine M uskete ab.« M att Davies hob die Rechte mit dem Eisenhaken. »Sie sollen nur aufkreuzen, diese Bastarde. Ich schlitze ihnen die Bäuche einzeln auf.« Hasard mußte grinsen. Er kannte M att - dieser M ann war der geborene Kämpfer. Trotzdem hielt er es für richtig, ihm einen Dämpfer zu verpassen. »Kein unnötiges Risiko, M att, das ist ein Befehl. Wir brau chen an Bord der ›Isabella‹ jeden einzelnen M ann. Wenn ihr
auf Feinde stoßt, dann zieht ihr euch sofort zurück, oder ich ziehe euch später eigenhändig das Fell ab.« Er sah die anderen ebenfalls an. »Wir sind in dieser Bucht, um die ›Isabella‹ so schnell wie möglich wieder seeklar zu kriegen. Unser Ziel ist es, dieses Schiff heil nach Plymouth zu bringen. Wenn wir gezwungen werden, zu kämpfen, dann kämpfen wir, das haben wir den Bretonen bewiesen. Aber nochmals: kein unnötiges Risiko, habt ihr das endlich in euren verdammten Dickschädeln?« Smoky, der frühere Decksälteste, knurrte irgend etwas vor sich hin. Aber dann legten sich die M änner mit aller Kraft in die Riemen, und das kleine Boot flog nur so über die Bucht.
Etwa fünfzig Yards vor dem flachen Strand, auf dem das Wrack der fremden Galeone lag, ließ Hasard das Boot stoppen. Er bedeutete seinen M ännern zu schweigen. Angestrengt blickte er zum Strand hinüber - aber dort rührte sich nichts. »Die Bucht ist verlassen«, sagte Ferris Tucker in das Schwei gen hinein. »Was auch immer mit der Galeone dort geschehen ist, es befindet sich niemand mehr an Bord des Wracks, und auch in den Hütten rührt sich nichts.« Hasard nickte. »Weiterpullen!« befahl er. Noch immer war ihm diese Bucht unheimlich. Hinzu kam, daß der Ile de Sein noch mehrere winzige Inseln vorgelagert waren. M anche von ihnen hatten einen Durchmesser von nur einigen hundert Yards. Das Boot lief knirschend auf den Strand. Hasard und seine Gefährten sprangen heraus. Gemeinsam zogen sie es noch ein Stück weiter durch den gelbbraunen Sand, bis es festlag und
auf keinen Fall mehr abtreiben konnte. Wieder blieb Hasard sichernd stehen, in der Rechten die schußbereite Radschloßpistole. Die anderen hatten ihre M uske ten leicht angehoben, und die M ündungen der Waffen zeigten zu den Hütten hinüber. Aber auch jetzt rührte sich auf der Insel nichts. Hasard ließ seine Pistole sinken. »Los, vorwärts!« befahl er. »Wir verfahren wie besprochen.« Er winkte Smoky zu sich heran und machte sich mit ihm auf den Weg zur Galeone, die etwa fünfzig Yards rechts von ihrer Landestelle lag. Ferris Tucker lief mit dem riesigen Batuti und Blacky eben falls zum Wrack der Galeone hinüber. Gemeinsam schleppten sie die schwere Werkzeugkiste. M att Davies und Stenmark gingen in Richtung der verfallenen Hütten davon. Und M att Davies grinste unternehmungslustig, während er die schwere M uskete wie einen Spazierstock in der Linken hin und her schwang. Trotzdem täuschte diese zur Schau getragene Sorglo sigkeit. M att Davies, der M ann mit dem Eisenhaken, besaß außerordentlich scharfe Sinne, und in diesem M oment waren sie alle auf einen Punkt konzentriert: auf die Hütten vor ihm. Hasard und Smoky erreichten die Galeone noch vor dem Schiffszimmermann und seinen beiden Gehilfen. Es war ein ziemlich großes Schiff. Der Seewolf schätzte es auf mindestens zweihundert Tonnen, damit war es also genauso groß wie die ›Isabella‹. Tauwerk hing über die Bordwand her ab. Hasard und Smoky fackelten nicht lange. M it kundigen Griffen prüften sie es auf seine Haltbarkeit, dann enterten sie auf. Zwar behinderten sie die beiden M usketen, aber die beiden M änner schafften es trotzdem. Hasard schwang sich über das Schanzkleid - und blieb ruckar tig stehen. Ihm bot sich ein Bild des Grauens. Auf dem Haupt deck des übel zerschossenen Schiffes lagen von Sonne und
Wind schneeweiß gebleichte Gerippe. Die Augenhöhlen in den Totenschädeln glotzten den Seewolf an. Hasard sog die Luft scharf ein. Sein Blick wanderte weiter über das Deck. Er entdeckte merkwürdige, beim ersten Hinse hen zusammenhanglos erscheinende Ansammlungen von menschlichen Knochen. Sie lagen auf dem Deck herum, als waren sie irgendwann einmal aus großer Höhe herabgestürzt. Unwillkürlich glitt sein Blick am Großmast hoch, wanderte weiter zu den wenigen Rahen, die sich noch an Ort und Stelle befanden. Und dann sah er es: Taue, deren eines Ende im mer noch eine Schlinge bildete, deren anderes um die Rah geknüpft worden war. Nachdem er das gesehen hatte, war dem Seewolf alles klar. Langsam wandte er sich zu Smoky um, der aus schmalen Augen auf das grauenhafte Bild starrte. »Irgend jemand hat dieses Schiff überfallen, es erobert, auf Strand gesetzt und die gesamte M annschaft umgebracht«, sagte Hasard, und seine Stimme hatte einen erbitterten Klang. »Die armen Teufel, die man an die Rahen gehängt hat, fielen wieder herunter, als ihre Körper verwest waren und die Knochen nicht mehr durch Sehnen und M uskeln zusammengehalten wurden. Andere scheint man sofort an Deck getötet zu haben, und zwar erschlagen.« Hasard hob einen der Schädel auf, dessen Hirn schale total zertrümmert war. Dann ließ er ihn fallen, und der Totenschädel rollte polternd über das nach Backbord geneigte Deck, bis er am Schanzkleid schließlich liegen blieb. Hasard war ein harter M ann. Furcht war für ihn ein fremder Begriff, aber er wäre niemals imstande gewesen, nach einem Sieg ein solches M assaker zu veranstalten. »Das müssen die reinsten Bestien gewesen sein«, murmelte Smoky. »Vielleicht war dies einmal der Schlupfwinkel jener verdammten Bretonen, die es auf die ›Isabella‹ abgesehen hatten.« Er spuckte angewidert aus. »Wenn ich diese Kerle, die das hier auf dem Gewissen haben, zwischen meine Fäuste
kriegen würde, ich glaube, ich könnte mich glatt vergessen. Denen würde ich die Haut in Streifen abziehen!« Hasard nickte finster. »Versuch herauszubekommen, wie der Name dieses Schiffes war, Smoky. Ich sehe mal nach, wie es unter Deck ausschaut.« Hasard wartete keine Antwort ab, sondern setzte sich sofort in Bewegung. Er überquerte das Hauptdeck und stieg zum Quarterdeck hinauf. Von achtern ertönten die Stimmen von Tucker und seinen beiden Gehilfen. Ferris Tucker war also schon dabei, das Ruder der Galeone abzumontieren. Hasard erreichte den Niedergang an der Backbordseite. Auch das Quarterdeck trug die Spuren jenes erbarmungslosen Kampfes, dem die Besatzung dieses Schiffes zum Opfer gefallen war. Nicht einmal der Regen vergangener M onate hatte die dunklen Flecken jener Blutlachen abzuwaschen vermocht, die von den Decksplanken aufgesogen worden waren. M it der schußbereiten Radschloßpistole in der Rechten stieg der Seewolf den Niedergang hinab. Aber schon bald blieb er stehen. Es war stockdunkel im Schiff, und ein widerlicher Geruch stieg aus den Tiefen des Rumpfes zu ihm herauf. Hasard wandte sich angewidert ab, stieg die wenigen Stufen des Niedergangs wieder hinauf und ging zum Achterkastell hinüber, wo er die Kapitänskammer zu inspizieren gedachte. Dort fiel durch ein Fenster auf der Galerie noch Licht ein, und wenn es auf diesem Totenschiff überhaupt noch etwas zu finden gab, dann dort. Aber Hasards Erwartungen wurden auch in der Kapitäns kammer enttäuscht. Er fand nichts. Sie war von den Siegern geplündert worden. Anschließend hatten diese Kerle sogar noch das gesamte M obiliar kurz und klein geschlagen. Hasard schüttelte den Kopf. Dann steckte er die Radschloß pistole wieder in den Gürtel. Auf diesem Schiff gab es kein Leben mehr. Sie würden wahrscheinlich niemals mehr erfah
ren, was sich hier für ein Drama abgespielt hatte. Und genauso wie in der Kapitänskammer würde es wahrscheinlich im ganzen Schiff aussehen - das war Hasard jetzt klar. Er kehrte der Kammer den Rücken und trat auf die Galerie am Heck des Schiffes hinaus. Er sah, wie Tucker bereits dabei war, mit seinen M ännern das schwere Ruder aus den Scharnie ren zu lösen. »He, Ferris!« rief er hinunter. »Klappt alles?« Der Schiffszimmermann unterbrach seine Arbeit. »Das Ruder ist tadellos. M it einigen unbedeutenden Ände rungen werden wir es an der ›Isabella‹ verwenden können. Was habt ihr im Schiff vorgefunden?« Hasard berichtete, was Smoky und er entdeckt hatten. Ferris Tucker ließ seinen schweren Hammer sinken. »Ich habe schon viel über br etonische Piraten gehört, und das hier würde durchaus zu ihnen passen. Diese Kerle geben kein Pardon, wenn man ihnen in die Hände fällt. Wir sollten hier so schnell wie möglich wieder verschwinden!« Er hob den Ham mer und arbeitete weiter. Batuti und Blacky starrten Hasard immer noch ungläubig an. Der Schwarze war ganz grau im Gesicht geworden. Aber dann griffen auch die beiden wieder nach ihrem Werkzeug und begannen zu arbeiten, als säße ihnen der Leibhaftige im Nacken. Hasard verließ das Achterkastell. Auf dem Quarterdeck stieß er auf Smoky, der bereits nach ihm gesucht hatte. »M an hat die Namen von diesem Schiff entfernt. Und wo das nicht ging, hat man sie unleserlich gemacht. Nur an einer Stelle habe ich ein paar der Buchstaben noch entziffern können. Dieses Schiff könnte »Hidalgo« oder zumindest ähnlich geheißen haben - genau läßt sich das nicht mehr herausfinden.« »Komm«, sagte Hasard nur. »Wir packen bei Ferris mit an. Ich glaube wirklich, daß wir hier so rasch wie möglich wieder verschwinden sollten.« Er warf noch rasch einen prüfenden Blick zum Himmel
empor. Und was er dort und über den Felsen der Insel sah, gefiel ihm ganz und gar nicht. An die Stelle des Graus der Regenwolken war jetzt eine bleigraue Färbung des Him mels getreten. Der Wind war fast eingeschlafen, und über die rotbraunen Felsen der Bucht schoben sich langsam, wie die wehenden Gewänder von Gespenstern, weiße Schwaden in die Bucht. »Nebel, verdammt, wir haben in wenigen Stunden die reinste Waschküche hier!« stieß Smoky wütend hervor. »Das kann unter Umständen Tage dauern. Ich kenne diese verdammte Küste noch von früher. Hier hält sich der Nebel lange, wenn ihn nicht ein plötzlich von der Biskaya kom mender Sturm wieder vertreibt.« Smoky sah Hasard an. Auch dessen Züge hatten sich bei dieser Entdeckung verfinstert. Er nickte nur kurz. »Das hat uns gerade noch gefehlt«, sagte er und ging mit langen Schritten auf das Schanzkleid zu. Er konnte nicht wissen, wie nötig er und seine M änner den Nebel noch haben sollten. Eine Viertelstunde später kehrten M att und Stenmark von ihrem Erkundungsgang zurück. Ihre Gesichter drückten Enttäuschung aus. »Nichts als altes, verrottetes Gerümpel überall. Halb verf aul tes Takelwerk, ein paar verrostete M esser, überall leere Fässer, die irgendwann einmal Whisky enthalten haben. Diese Insel ist so leer wie ein alter Hut, aber sie war einmal ein Piratennest. Es gibt da weiter hinter eine Schmiede und außerdem ber eits zugeschnittene Hölzer in M engen, mit denen die Kerle wahr scheinlich ihre beschädigten Schiffe ausgebessert haben. Und da sind eine Reihe von großen Feuerstellen und sorgfältig angelegten Versammlungsplätzen. Aber das ist alles. Die Hütten sind bestimmt schon seit mehr als einem Jahr verlassen. M anche von ihnen weisen die Spuren eines schweren Beschus ses von der See her aus. Und eine M enge Gräber befinden sich
hinter den Hütten.« Stenmark spuckte aus. Doch dann hörte er aufmerksam zu, als Smoky erzählte, was sie auf der Galeone gefunden hatten. Und noch während Smoky berichtete, während sie das Ruder aus den Scharnieren am Heck des Wracks lösten und es mit einem Flaschenzug, den sie am Achterkastell befestigt hatten, schließ lich abfierten, flossen die ersten Nebelschwaden bereits um den Rumpf der Galeone und hüllten bald darauf die arbeitenden M änner ein. Es dauerte noch bis zum Einbruch der Dunkelheit, dann pullten sie durch den Nebel, der inzwischen die Bucht schon fast bedeckt hatte, zur ›Isabella‹ zurück. Das schwere hölzerne Ruder hatten sie im Schlepp, und die M änner an den Riemen fluchten verhalten, während ihre Körper im Takt vor und zurück schwangen. Ferris Tucker verlor auch nach ihrer Rückkehr keine Sekun de. Im Licht einiger Bordlampen begann er sofort damit, das alte Ruder abzumontieren und es durch das neue zu ersetzen. Es war ein hartes Stück Arbeit, aber Ferris Tucker kam m it seinen M ännern gut voran. Wenn keine weiteren Komplikatio nen mehr auftraten, dann konnte er bis Tagesanbruch fertig sein. Eine andere Gruppe unter Führung von Ben Brighton nahm sich der auf See nur provisorisch abgedichteten Lecks an. Andere enterten in die Wanten und überprüften trotz des Nebels das Rigg. Und niemand von ihnen wußte etwas von der drohenden Gefahr, die langsam aber unaufhaltsam von See her durch den Nebel heranglitt. 3. Donegal Daniel O’Flynn saß übelster Laune auf einer der Felsklippen vor der Bucht. Neben ihm hockte Gary Andrews, der Fockmastgast der ›Isabella‹, und sah Dan von der Seite her
an. Der drehte sich plötzlich herum. »He, du Blödmann, was gaffst du mich dauernd an? Sieh lieber zu, daß du da draußen in der Suppe den verdammten Kahn entdeckst, auf den wir jetzt schon seit unserer Ankunft in der Bucht warten.« »Was hast du eigentlich, Dan? Hasard hatte recht, wenn er uns hierher schickte. Immerhin sind da draußen auf dem Atlantik, immer noch ganz in unserer Nähe, zwei Karavellen, vielleicht sogar noch eine dritte, denn es sah verdammt nicht danach aus, als wenn wir den Kahn auch zu den Fischen geschickt hätten. Glaubst du, Hasard ist so blöd und läßt sich von diesen Banditen in der Bucht überraschen, noch dazu, wenn sein Schiff jetzt so gut wie wehrlos ist?« Sie waren insgesamt vier M ann. Zwei auf dieser Seite der Einfahrt, zwei auf der anderen. Es war praktisch unmöglich, daß sich auch nur ein Ruderboot der Einfahrt nähern konnte, ohne daß sie es bemerkten. Allerdings hatte der Nebel, der mit jeder M inute dichter wurde, ihnen einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Dan war aufgesprungen. Giftig starrte er Gary Andrews an. »Hör mal, du Decksaffe: Falls es dir entgangen sein sollte, es ist inzwischen nicht nur dunkel draußen, sondern auch noch neblig dazu. M eine Augen nutzen mir gar nichts. Wenn wirklich eine Karavelle die Bucht ansegeln sollte - und bei diesem Nebel wird sie sich hüten, das zu tun -, dann können wir sie bestenfalls rechtzeitig genug hören. Und das kann ein M ann allein. Ich hätte also ruhig mit Ferris Tucker zum Wrack hinüberfahren können. Klar?« Gary Andrews, ein hagerer, aber sehr starker und zäher M ann mit hellblondem Haar und nordischem Langschädel, grinste Dan an. Er wußte genau, daß Dan keins seiner Worte wirklich ernst meinte, aber er wußte, wie sauer es dem Jungen geworden war, dem Seewolf zu gehorchen und auf das große Abenteuer
in der Piratenbucht zu verzichten. »Nun reg dich endlich ab, Dan. Damit erreichst du auch nichts. Du kannst Hasard ja später sagen, was für ein Dumm kopf er war, weil er nicht gleich gewußt hat, daß es später Nebel geben würde und wir auf deine scharfen Augen also gut hätten verzichten können. Mal sehen, was er dann mit dir anstellt, ich schau es mir bestimmt an.« Dans Augen blitzten, und ger ade wollte er zu einer gehar nischten Antwort ansetzen, als sein scharfes Gehör plötzlich etwas wahrnahm, was ihn auf der Stelle zur Salzsäule erstarren ließ. Er vernahm ein feines Rauschen, hin und wieder ein leichtes Knarren, so wie er es schon oft gehört hatte, wenn schwacher Wind ein Segelschiff langsam durchs Wasser gleiten ließ. Dann hörte er plötzlich durch den Nebel den fernen Singsang einer Stimme, die in fremder Sprache etwas aussang. Dan brauchte nur wenige Sekunden, um zu begreifen. Er starrte Gary Andrews aus großen Augen an. »Gary - eine Karavelle. Die Kerle haben uns gefunden. Jeden Augenblick werden sie in die Einfahrt zur Bucht einlaufen …« Er verstummte, horchte in die Dunkelheit hinaus, vernahm wieder jenes hohle Rauschen der Bugwelle. Diesm al schon näher, deutlicher. Und wieder die Stimme des Lotgasten auf der Back, der die Wassertiefe aussang. Gary Andrews packte Dan an der Schulter. »Los, Dan, renn, was du kannst. Du mußt auf der ›Isabella‹ sein, bevor die Kerle in die Bucht einlaufen. Hasard und die anderen dürfen von den Bretonen nicht überrascht werden. Ein Glück, daß der Nebel in der Bucht noch dichter ist als hier. Los, Dan, hau ab, du bist schneller als ich. Ich bleibe hier, bis die Kerle an mir vorbei sind, bis ich genau weiß, daß sie die Einfahrt passiert haben.« Dan verlor keine Sekunde mehr. Er lief los und entwickelte ein beachtliches Tempo. Er hatte sich für alle Fälle den Weg
genau eingeprägt. Er brauchte bis zur Bucht gut fünf M inuten. Einen M oment blieb er auf dem Felsen hinter der Einfahrt stehen. Er konnte die ›Isabella‹ nicht sehen, der Nebel in der Bucht war viel zu dicht. Aber Dan wußte, wo das Schiff lag. Er holte tief Atem, dann sprang er. Das Wasser schlug hochaufspritzend über seinem biegsamen Körper zusammen. Dan schwamm aus Leibeskräften. Er wußte nicht genau, wie weit die Karavelle noch von der Einfahrt der Bucht entfernt gewesen war. Im Nebel konnte man sich da ganz hübsch täuschen. Er wußte nur eins: die Zeit, die ihm blieb, das Schiff zu erreichen, war verdammt knapp bemessen. Und noch knapper würde es für Hasard werden, die Steuerbordkanonen für den Augenblick feuerbereit zu haben, wenn die Karavelle vor ihre M ündungen lief. Dan war ein zäher Bursche, aber bei dem Tempo, das er vorlegte, ging sogar ihm die Luft aus. Aber er hielt durch. Er sah den m ächtigen Rumpf der ›Isabel la‹ wie einen Schemen vor sich aufwachsen, nur gerade in den Umrissen zu erkennen. Dann berührten seine Hände auch schon die Bordwand. Er schwamm am Schiff entlang, hörte, wie Ferris Tucker am Hecks Befehle gab, hörte ebenfalls die Stimme Hasards. Er gab seine Absicht, aufzuentern, auf und schwamm zum Heck. Neben dem Boot, das unmittelbar unter dem Spiegel der Galeone lag, tauchte er auf. »Eine Karavelle«, japste er. »Sie läuft in die Bucht ein, ich …« Hasard packte zu. M it einem Ruck zog er den völlig erschöpf ten Jungen aus dem Wasser. »Eine Karavelle, Dan?« fragte er und sah, wie der Junge nach Atem ringend nickte. Es war unnötig, daß Hasard dem Schiffszimmermann und seinen Gehilfen irgendwelche Befehle gab. Alle Gespräche
verstummten sofort. Hasard griff nach einem herabhängenden Tau und enterte zusammen mit Dan auf. Ferris Tucker und die anderen folgten ihm. Eine lautlose, gespenstische Prozession. Hasard verlor keine Sekunde. Er lief hinunter zum Hauptdeck und stieß auf Ben Brighton. »Ben, alle M ann an die Steuerbordgeschütze. Bem annt die Drehbassen vorn und achtern. Eine Karavelle läuft jeden M oment in die Bucht ein.« Aus schmalen Augen starrte er vor sich in die Dunkelheit, die durch den dichten Nebel völlig undurchdringlich wurde. Wir können die Karavelle gar nicht sehen, wenn sie an uns vorbeiläuft, dachte er. Und nach Gehör schießen - das ist im Nebel nicht möglich. Sie wissen also gar nicht, daß wir hier sind, sondern kehren in ihren Schlupfwinkel zurück, weil sie wahrscheinlich mit der havarierten Karavelle in ihrem jetzigen Zustand nicht länger auf See bleiben können. Er hörte die Schritte der herbeieilenden M änner. »Ben, geschossen wird nur auf meinen ausdrücklichen Be fehl. Wenn die Karavelle an uns vorbeiläuft, ohne uns zu bemerken, dann verhalten wir uns ruhig. Absolutes Redeverbot im Schiff. Haltet die Lunten so, daß sie uns nicht verraten.« Ben Brighton sah Hasard verständnislos an. »Es wird nicht geschossen?« vergewisserte er sich. »Aber die Brüder laufen uns doch genau vor die Rohre, und wir …« Hasard war mit einem einzigen Schritt bei ihm. »Ben, ich diskutiere meine Befehle nicht«, erwiderte er scharf. »Aber damit es auch der letzte M ann an Bord kapiert: Der Nebel und die Dunkelheit verhindern ein genaues Zielen. Wenn wir die Karavelle verfehlen, dann haben wir die Kerle auf dem Hals, so oder so. Und vielleicht hat sie so viele Schiffsbrüchige von dem versenkten Schiff an Bord, daß sie uns entern können. Wenn sie aber von unserer Anwesenheit in der Bucht nichts ahnen, dann haben wir die M öglichkeit, das ankernde Schiff im Lauf der Nacht zu überfallen und zu
vernichten. Hat das jetzt jeder begriffen?« Zustimmendes Gemurmel ertönte. Und dann herrschte sofort wieder absolute Stille an Bord der ›Isabella‹. Hasard gab Dan einen Wink, ihm zu folgen. Zusammen liefen sie zum Achterkastell, weil man von dort den besten Überblick hatte und die herannahende Karavelle am besten hören konnte. Dan und Hasard standen auf dem Achterkastell. Keiner der beiden bewegten sich. Sie wußten, daß die nächsten M inuten über ihr Schicksal entscheiden würden.
Gary Andrews horchte angestrengt in die wattige Dunkelheit. Immer deutlicher drang das Rauschen der Bugwelle zu ihm herüber, immer lauter die Stimme des Lotgasten. Andere Geräusche kamen hinzu, Knarren von Tauwerk, Kommandos, die über Deck schallten. Und dann glitt plötzlich ein kaum wahrnehmbarer Schemen an ihm vorbei. Unwillkürlich krampften sich die Finger von Gary Andrew fester um den Felsklotz, auf dem er kauerte. Die Kerle, die da eben an ihm vorbeisegelten, mußten sich hier verdammt gut auskennen, wenn sie es wagten, bei diesem Nebel unter Segeln in die Bucht einzulaufen. Ihr übriges Verhalten deutete eben falls darauf hin, daß sie keine Ahnung hatten, wer in der Bucht auf sie lauerte. Gary Andrew erhob sich. Die Geräusche verklangen. Die Karavelle entfernte sich demnach ziemlich rasch. Er wußte, daß gerade die flach gebauten Karavellen vorzügliche Flauten läufer waren. Gary Andrew lief los. Er gehörte jetzt auf sein Schiff. Er wußte, daß auch die beiden M änner auf der anderen Seite der
Bucht, die sich genau wie er mucksmäuschenstül verhalten hatten, jetzt ihren Beobachtungsposten verlassen und zur ›Isabella‹ zurückkehren würden. Während er lief, horchte er unwillkürlich auf die donnernde Salve der Steuerbordgeschütze, die seiner M einung nach jeden Augenblick über die einlaufende Karavelle hereinbrechen mußte. Aber es geschah nichts, auch nicht, als er auf dem Felsen stand, von dem Dan schon vor ihm ins Wasser gesprun gen war. Es war, als hätten Dunkelheit und Nebel alles Leben in dieser Bucht verschluckt. Der Fockmastgast der ›Isabella‹ blieb stehen. Einmal glaubte er Stim men zu hören, das brandende Geräusch einer entfernten Bugwelle, dann war es wieder still um ihn herum. Er kletterte die Felsen bis zum Wasser hinunter. Genau wie Dan wußte er, wo der Liegeplatz der ›Isabella‹ war. M it kräftigen Schwimmstößen glitt er durch das nachtschwarze Wasser, und immer noch hoffte er, daß die Geschütze der ›Isabella‹ die Stille der Nacht zerreißen würden.
Unterdessen stand Hasard auf dem Achterkastell. Seine schar fen Ohren vernahmen die schwachen Geräusche der sich nähernden Kar avelle. lange bevor sie seine Galeone passierte. Seine Gedanken arbeiteten fieberhaft. An den lauten Komman dos, die jetzt an Bord des feindlichen Schiffes erschallten, erkannte er, daß die Karavelle zum Ankern vorbereitet wurde. Außerdem bewies ihm die Sorglosigkeit der Bretonen, daß sie sich in der Bucht allein wähnten. Wenn Hasard noch vor wenigen Stunden den Nebel ver wünscht hatte, jetzt hoffte er inständig, daß kein Wind auf kommen möge, der ihn wieder vertrieb.
Die Karavelle lief noch einige hundert Yards weiter, dann erschallten abermals laute Kommandos an Deck, die Hasard sofort als die Kommandos zum Segelbergen erkannte. Wenig später klatschte der Anker ins Wasser, und die M änner an Bord der ›Isabella‹ hörten deutlich, wie das schwere Tau durch die Ankerklüse lief. Dan, der in diesem M oment etwas sagen wollte, spürte die harte Hand Hasards auf seinen Lippen. Hasard hiel ihm wütend den M und zu, denn das Geräusch der auslaufenden Ankertrosse war für Hasard die einzige M öglichkeit, noch rasch abzuschät zen, wo die Karavelle in der Bucht lag und wie weit sie von ihrem Schiff entfernt war. Er wußte, daß die M änner unten auf dem Hauptdeck genauso angestrengt lauschten wie er. Nach und nach verstummten die Geräusche, noch ein paar Kom mandos erschollen, dann herrschte in der Bucht wieder Stille. »Bleib hier auf dem Achterkastell, Dan«, flüsterte Hasard, nachdem er den Jungen aus seinem harten Griff gelassen hatte. »Du paßt genau auf, ob sich da drüben bei den Bretonen noch irgend etwas tut. Ich werde jetzt mit Ferris und Ben alles vorbereiten. Wir müssen uns höllisch beeilen, die Karavelle da drüben auszuschalten. Sie ist nicht ohne Grund hier eingelau fen. Ich vermute, daß die andere und die von unseren Geschüt zen zusammengeschossene Karavelle ebenfalls hier einlaufen werden. Und dann wird es kritisch für uns. Bevor diese beiden Schiffe hier sind, müssen wir verschwunden sein.« »Und das Ruder? Ferris ist noch nicht fertig, wir können gar nicht weg.« Hasard klopfte Dan auf die Schulter. »Wir müssen, also können wir auch. Wenn wir mit der Kara velle f ertig sind, schleppen wir unser Schiff mit dem Ruderboot aus der Bucht. Das wird eine wüste Schinderei, läßt sich aber nicht ändern. Draußen kann Ferris seine Arbeit beenden, dann sitzen wir wenigstens nicht mehr in der Falle, falls die beiden
anderen Karavellen aufkreuzen sollten. Kapiert, Dan?« Dan nickte. Aber dann hatte er noch eine Frage an Hasard, die ihm auf den Lippen brannte. »Nimmst du mich mit, wenn du diese verdammten Bastar de …« Hasard sah das Bürschchen an. Und trotz der herrschenden Dunkelheit meinte er, die brennenden Augen Dans zu sehen. »Du kommst mit, Dan. Du bist einer unserer besten Schwim mer und Taucher, und darum werde ich dich brauchen.« »Taucher?« fragte Dan, aber Hasard winkte ab. »Paß jetzt gut auf, Dan, ich muß wissen, ob sich da drüben noch etwas rührt.« Damit verschwand er in der Dunkelheit. Geschmeidig turnte er den Niedergang vom Achterkastell aufs Hauptdeck hinunter. Ben Brighton, Ferris Tucker, Batuti, Stenmark, Smoky und die anderen M änner erwarteten ihn schon. Noch immer hielten sie die glimmenden Lunten in den Händen. »Lunten aus«, sagte Hasard. Gleichzeitig winkte er Ferris Tucker und Ben Brighton zu sich heran. Aus den Augenwinkeln registrierte er die hagere, schmalbrüstige Gestalt des Kutschers, der neben dem Boots mann gestanden hatte. »Ferris, Ben - ich brauche zwei Fässer mit Pulver. Ihr müßt sie in geteertes Segeltuch einnähen, damit sie absolut wasser dicht sind und das Pulver nicht naß werden kann. Wenn das geschehen ist, schwimmt ihr beide und Dan mit mir hinüber zu den Bretonen. Jedes der Fässer erhält eine Zündschnur, die etwa zwei bis drei M inuten brennt, aber nicht länger. Eines der Fässer befestigen wir unter dem Spiegel der Karavelle am Ruder, das andere bringe ich ins Innere des Schiffes. Ich kenn mich auf den Kar avellen aus. Los, fangt an. Wir müssen so rasch wie möglich hier weg.« Hasard erklärte den M ännern, was er für Vermutungen bezüglich der beiden anderen Karavel len hegte.
Daß er gedachte, sich den Kapitän der vor Anker liegenden Karavelle vorzunehmen und ihn nach den ermordeten Seeleu ten auf dem am Strand liegenden Wrack zu befragen, davon sagte er nichts. Ferris Tucker trat auf den Seewolf zu. »Warum nehmen wir nicht das Boot? Wenn wie die Riemen umwickeln, werden sie uns nicht hören. Wir könnten Waffen mitnehmen, wir wären schneller, wir …« »Ferris, wir schwimmen. Jedes Boot verursacht Geräusche, auch wenn man noch so vorsichtig ist. Uns darf bei diesem Unternehmen keine Panne passieren, nicht eine - habt ihr das alle verstanden?« Hasard sah sich suchend um. »Smoky, für die Zeit unserer Abwesenheit übernimmst du das Kommando. Nur, wenn wirklich etwas schiefläuft, greift ihr ein.« Smoky nickte. M inuten später begann an Bord der ›Isabella‹ eine emsige Tätigkeit. Ferris Tucker und ein paar M ann richteten die beiden Fässer her und versahen sie mit Zündschnüren. Hasard und Ben Brighton entkleideten sich und rieben ihre Körper mit Fett ein. Sollte es trotz aller Vorsicht dennoch zum Kampf mit den Bretonen kommen, war eine solide Fettschicht auf ihren Körpern immer noch eine üble Überraschung für ihre Gegner. Dann holte Hasard Dan vom Achterdeck, und der Junge wurde auf die gleiche Weise behandelt. Die Fettschicht würde außerdem ihre Körper vor Unterkühlung schützen. Denn niemand von ihnen wußte, wie lange sie im Wasser bleiben mußten, bis sie die beiden Pulverfässer richtig placiert hatten. Als alle Vorbereitungen abgeschlossen waren und auch Ferris Tucker seinen hünenhaften Körper eingefettet hatte, ließen sich die drei M änner und der Junge an Steuerbord der Galeone ins Wasser gleiten. Vorsichtig, jedes Geräusch vermeidend, fierten Smoky und
ein paar M änner das kleine Floß ab, das die beiden Pulverfäs ser mit den Zündschnüren aufnehmen sollte. Anschließend die beiden Fässer selbst, die Hasard sorgfältig an dafür vorgesehene Klampen vertäute. Als letztes warf Smoky Hasard noch ein paar Leinen zu, die Hasard ebenfalls auf dem Boot deponierte. Dann gab Hasard seinen Gefährten ein Zeichen, und sie schwammen, das Floß vor sich herschie bend, los. Schon nach wenigen Yards hatten der Nebel und die Dunkel heit sie verschluckt.
Die Karavelle »M inouche« lag im dichten Nebel der Bucht. An Deck des Schiffes konnte man nicht von einem M ast zum anderen sehen. Weißgr aue Schwaden trieben träge durch das Licht der wenigen Deckslaternen, die an Bord der »M inouche« brannten. Die M änner der Besatzung lagen total erschöpft unter Deck. Sie alle hatten schlimme Stunden hinter sich. Um die angeschossene Karavelle ihres Verbandes zu retten, hatten sie pausenlos an den Pumpen des Schiffes gestanden, während die Feldschere versuchten, die stöhnenden und fluchenden Ver wundeten dieses Kampfes zu versorgen. Erst nach und nach war es gelungen, den Rumpf der Karavel le, die von der ›Isabella‹ aus allernächster Nähe eine volle Breitseite der Backbordkanonen hatte einstecken müssen, soweit abzudichten, daß sie schwimmfähig blieb. Und dann hatte die schwere Arbeit im Rigg begonnen. Großmast und Besan waren von den Kanonenkugeln der ›Isabella‹ zerschlagen worden. Sie mußten gekappt werden. Der Fockmast stand noch, aber Segel und Tauwerk waren den Brandpfeilen Batutis zum Opfer gefallen. Außerdem loderten
trotz der Löscharbeiten im Rumpf immer wieder Brände auf, dichter, schwarzer Qualm wölkte durch die Decks und er schwerte alle Arbeiten. Dann kamen die Überlebenden der gesunkenen Karavelle, die sich auf das nächstgelegene Schiff zu retten trachteten. Es hatte an Bord der drei Karavellen, die diesen erbarmungslosen Kampf überstanden hatten, entsetzliche Szenen gegeben. Diejenigen, die die Feldschere nicht zu behandeln vermochten, warf man über Bord. Capitain La Roche, den seine Leute wegen seiner Grausamkeit und seiner Gier nach Beute fast nur den »Hai« nannten, hatte an Bord der Schiffe gewütet wie ein Wahnsinniger. Er schob den Kapitänen der beiden Karavellen, die die ›Isabella‹ angegriffen hatten, die Schuld der Niederlage zu. Es hatte Streit gegeben, und der Hai hatte den Kapitän der zusammengeschossenen Karavelle im Duell getötet. Erst als die M änner an Bord der Schiffe zu murren begannen, als sich die Besatzungen der beiden Schiff e zusammenrotteten, die der Seewolf so vernichtend geschlagen hatte, gab der Hai Ruhe. Anschließend hatten sie beschlossen, ihren früheren Schlupf winkel, die Bucht der Ile de Sein, anzulaufen und dort die beschädigte Karavelle wenigstens so weit wieder zu reparieren, daß sie die Reise zu ihrem derzeitigen Seeräubernest wagen konnten. Denn La Roche konnte es sich nicht leisten, auch noch das dritte Schiff seines Verbandes zu verlieren. Wenn sie auch weiterhin gute Beute erwerben wollten, mußten sie wie bisher zusammen ihre meist größeren und oft auch stärkeren Gegner stellen und angreifen. M ochten die anderen den Hai hassen und auch fürchten - sie erkannten seine Führerqualitäten dennoch an und ordneten sich ihm deshalb unter. Capitain La Roche wußte, wie erschöpft seine M änner waren. Aber er selbst schloß kein Auge. Unruhig wälzte er sich auf seinem Lager hin und her. Immer wieder zuckten die Szenen dieses entsetzlichen Kampfes durch seine Erinnerung, und sie peinigten ihn. In ohnmächtiger Wut ballte er die Hände und
preßte sie gegen die Stirn. Was war das nur für ein M ann, der so mit zwei kriegsstarken Karavellen umsprang, die ihn schon in der Zange hatten? Was für eine Besatzung mußte diese verdammte Galeone an Bord haben, die so zu kämpfen verstand? La Roche hatte dergleichen in seinem langen Seefahrerleben noch nie gesehen. Er konnte einfach nicht begreifen, daß die Galeone es geschafft hatte, seinen vier Karavellen abermals zu entwischen, nachdem sie vorher ohnehin schon eins seiner Schiffe vernichtet hatte. Der Hai sprang auf. Die Bilanz war und blieb vernichtend. Er hatte zwei seiner kostbaren Schiffe verloren. Das dritte war zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nicht mehr viel wert, und es blieb fraglich, ob die schweren Schäden, die besonders der Rumpf dieses Schiffes durch die Breitseite aus allernächster Nähe erlitten hatte, wirklich wieder ausgebessert werden konnten. Unruhig lief der Hai in seiner Kammer im Achterkastell der »M inouche« hin und her. Und jetzt noch dieser Nebel, kaum Wind. Die beiden anderen Schiffe würden noch Stunden benötigen, bis sie diese Bucht erreichten. Es würde eine ganze Weile dauern, ehe sie die anfallenden Reparaturen durchge führt hatten und wieder auslaufen konnten. Er wollte in dieser Bucht nicht länger bleiben als unbedingt nötig, denn der Hai war bei aller Brutalität ein aber gläubischer M ann. Er trat an eines der Fenster seiner Kammer und starrte in die Richtung, wo das Wrack der einst von ihm geenterten Galeone lag. Und wieder hörte er die Schreie und Flüche der Sterbenden, das Röcheln derjenigen, die seine Leute auf seinen Befehl hin an den Rahen aufgeknüpft hatten. Und er dachte an jenen Abend in einem kleinen bretonischen Hafen, an dem ihm eine Zigeunerin die Handlinien gelesen hatte. Wieder sah er, wie sie plötzlich zurückzuckte, wie sie ihn aus ihren kohlschwarzen Augen anstarrte.
Er hatte sie - betrunken wie er war - angeschrien, zu reden. Und als sie nicht wollte, hatte er sie bei ihren langen schwarzen Haaren gepackt und das Entermesser aus dem Gürtel gerissen. »Rede!« hatte er gesagt und ihr die scharfe Klinge an den Hals gesetzt. Die Zigeunerin hatte ihn angestarrt, Angst und Schrecken in den Augen. »Du hast gemordet, Hai«, hatte sie dann gesagt. »Die Geister der Ermordeten jagen dich. Sie werden dich an die Stätte ihres Todes zurückholen, und dort wird ihr Rächer auf dich warten. Hüte dich vor der kleinen Insel und ihrer Bucht, in der du das Blut von Männern und Frauen vergossen hast …« Den Hai hatte die Wut gepackt, er hatte ausgeholt und mit seinem Entermesser zugestoßen. Doch die Zigeunerin war schneller gewesen, hatte sich zur Seite gedr eht und sich aus seinen Armen gewunden, bevor der Hai zum tödlichen Stoß ansetzen konnte. Sein Entermesser schlitzte ihr nur noch die rechte Seite auf. Er sah, wie dunkles Blut ihr Kleid verfärbte, und er hörte, wie sie ihn verf luchte. »Du wirst sterben, Hai, dort, in jener Bucht …« Das waren die letzten Worte gewesen, die er von jener Zigeu nerin gehört hatte. Er hatte sie nie wiedergesehen. Das alles war lange her - und dennoch trieb es ihm immer noch den Schweiß auf die Stirn. Er hatte es stets vermieden, die Ile de Sein anzulaufen, und diesen Schlupfwinkel gegen den Protest der anderen aufgegeben. Aber jetzt war er hier. Genau, wie die Zigeunerin es ihm vorausgesagt hatte. Der Hai fuhr sich über die Stirn. Dann stieß er die Tür zur Galerie des Achterkastells auf. Er brauchte Luft, er mußte diese verfluchten Gedanken aus seinem Gehirn vertreiben. Er krampfte seine Hände um die Reling und stieß ein gequältes Lachen aus. »Sterben«, murmelte er. »Ich sterbe noch lange nicht. Der Teufel holt seinesgleichen nicht zu sich in die Hölle …«
Er sah die große Gestalt, die plötzlich von der anderen Seite der Galerie auf ihn zuschnellte. Seine Rechte fuhr zur Hüfte, gleichzeitig warf er sich zurück, riß sein breites Entermesser heraus und stieß seine Linke dem Gegner entgegen. Er spürte, wie seine Faust wirkungslos auf einer fettigen, aalglatten Haut abglitt … 4. Der Seewolf und seine M änner hatten Glück gehabt. Fast auf Anhieb fanden sie die feindliche Karavelle, die nur etwa dreihundert Yards von der ›Isabella‹ entfernt Anker geworfen hatte. Hasard hatte sich also nicht verschätzt. Als das Schiff plötzlich vor ihnen aus dem Nebel aufwuchs, blieben sie wie auf Kommando reglos im Wasser liegen. Hasard hörte den Jungen neben sich voller Erregung atmen, und abermals legte er ihm warnend seine Hand auf die Lippen. Hasard wußte nicht, ob die bretonischen Freibeuter Wachen aufgestellt hatten, aber er vermutete es. Eine Weile blieben sie still liegen und horchten angespannt zu der »M inouche« hinüber. Aber dort drüben regte sich nichts. M anchmal vernahmen sie das Glucksen des Wassers am Rumpf des Schiffes. Hin und wieder sprang irgendwo ein Fisch hoch und fiel klatschend ins Wasser zurück. »Zum Heck«, flüsterte Hasard schließlich und begann wieder, das Floß, auf dem die beiden Pulverfässer standen, voranzu treiben. Die anderen folgten seinem Beispiel. Niemand verur sachte auch nur das geringste Geräusch. Sie bewegten sich alle ganz langsam. Ihre Beine, mit denen sie im Wasser arbeiteten, durchbrachen nicht ein einziges M al die Wasseroberfläche. Ferris Tucker und Ben Brighton sahen sich an. Ihre Augen glitzerten in dem schwachen Widerschein des Wassers. Sie ahnten, daß die Besatzung dieses Schiffes schlimme Stunden
hinter sich hatte. Sie wußten nur zu gut, wie es war, wenn man mehr tot als lebendig ir gendwo unter Deck zu Boden sank und sofort schlief, ganz gleich, wo man gerade lag. Fast zuckte in Ferris Tucker so etwas wie Bedauern hoch, wenn er daran dachte, was diese M änner erwartete. Aber dann schüttelte er unwillig den Kopf. Sie oder wir, dachte er und schob das Floß mit energischen Schwimmstößen voran. Sie erreichten das Heck der Karavelle ohne den geringsten Zwischenfall, als der Seewolf plötzlich stutzte. Er hob die Hand, gleichzeitig flüsterte er: »Stopp!« Die M änner und Dan verharrten augenblicklich. Und dann sahen sie es auch. Durch den Nebel, gerade noch erkennbar für ihre scharfen Augen, schim merte gebliches Licht zu ihnen herunter. Es mußte sich um die Fenster der Kapitänskammer im Achterkastell der Karavelle handeln. »Er ist noch wach«, flüsterte Hasard. Gleichzeitig überlegte er. Und dann hatte er auch schon seinen Entschluß gefaßt. »Wir bringen das eine Faß am Ruder an. Aber seid vorsichtig, das geringste Geräusch jagt uns die ganze Bande sofort auf den Hals. Dann enter ich auf und hieve das zweite Faß auf die Galerie. Schöpft der Kapitän Verdacht, wird er nachschauen. Tut er es nicht, nehme ich ihn m ir vor.« Er wandte sich an Dan. »Du tauchst jetzt zum Ruder der Karavelle. Nimm einige der Leinen und bereite dort alles vor, so daß wir das Faß samt Lunte sofort anbringen können. Aber keine Extratouren, Dan«, fügte er warnend hinzu. Und er nahm sich vor, dem unterneh mungslustigen Bürschchen sofort zu folgen. »Ihr anderen schiebt euch mit dem Floß langsam heran. Dicht unter dem Heck der Karavelle bleibt ihr liegen, bis Dan fertig ist und euch ein Zeichen gibt. Dann an das Ruder mit dem Faß und bereitet alles zur Zündung vor. Aber paßt auf, daß man euch nicht von Bord der Karavelle aus bemerkt.«
Dan hatte sich ein paar der Leinen gegriffen und versank gleich darauf vor ihren Augen lautlos im Wasser. Hasard blickte unterdessen zu den gelblich schimmernden Flecken der Fenster des Achterkastells hinauf. Und in diesem M oment änderte er seinen Plan. »Ich gehe an Bord«, flüsterte er. »Ich schleiche mich ans Achterkastell heran und sehe nach, was dort los ist. Ihr haltet das zweite Faß bereit, denn ich fürchte, es wird alles verdammt schnell gehen müssen. Zündet aber erst, wenn ich es euch sage!« Hasard schwamm in dem ihm eigenen Stil zur »M inouche« hinüber. Er hielt jedoch nicht auf das Heck zu, sondern auf das tiefer gelegene Schanzkleid des Hauptdecks an der Backbord seite der Karavelle. Innerhalb weniger M inuten hatte er das Schiff erreicht, und seine Hände tasteten die Bordwand ab. Dann hatte er gefunden, wonach er suchte. Ein dickes Tau hing über die Bordwand und verschwand neben ihm im Wasser der Bucht. Hasard probierte vorsichtig, indem er an dem Tau zog. Es hielt. Hasard packte zu. Geschmeidig zog er seinen Körper hoch und erreichte innerhalb von Sekunden das Schanzkleid. Hier verhielt er einen M oment lauschend. Von irgendwo drang Schnarchen an seine Ohren. Es mußte von unten aus dem Schiff kommen. Hasard zog sich aufs Schanzkleid und ließ sich an Deck der Karavelle gleiten. Zwischen den Zähnen hielt er ein Entermes ser. Als er an Deck der Karavelle stand, nahm er es in die Rechte. Dann huschte er auf das Quarterdeck zu und zum Achterkastell hinüber. Vor dem Achterkastell blieb er abermals lauschend stehen. Im Schiff rührte sich nichts. Alles schien hier in tiefem Schlaf zu liegen. Alles? Er huschte die Stufen zum Achterkastell hinauf. Das schwa
che Licht der Bordlaternen beleuchtete seinen nackten Körper sekundenlang. Es war zwar ungewöhnlich, daß Karavellen eine Heckgalerie hatten, aber dieses Schiff hatte eine, das erkannte Hasard sofort. Ob sie nachträglich angebaut worden war oder nicht - er wußte es nicht, und es war ihm auch gleichgültig. Viel wichti ger war für ihn, daß er jetzt nicht lange nach dem Zugang zur Kapitänskammer zu suchen brauchte, daß er keine Tür öffnen mußte, die vielleicht laut in ihren Angeln knarrte. Von der schmalen Heckgaler ie aus mußte es auf jeden Fall einen Zugang geben. Hasard bewegte sich nur noch langsam vorwärts. Dann blieb er aberm als lauschend stehen, denn er hatte Schritte gehört. Die Schritte eines M annes, der in seiner Kammer hin und her ging. Hasard glitt lautlos weiter. Ein Blick zeigte ihm, daß es nicht schwer war, auf die Heckgalerie zu gelangen. Er trat an die Reling des Achterkastells, lief ein Stück an ihr entlang und ließ sich dann auf ihrer Außenseite nach unten gleiten. Sein fettiger, glatter Körper rutschte lautlos am Holz entlang, das Entermes ser hielt er wieder zwischen den Zähnen. Er erreichte die Galerie, indem er sich den letzten halben Yard einfach fallen ließ. M it federnden Knien fing er den Sprung ab. Lediglich ein dumpfes Geräusch wurde hörbar. Hasard spähte über die Reling. Seine scharfen Augen erblick ten das Floß mit den Pulverfässern, die beiden M änner, die es heranschoben. Von Dan sah er nichts, aber er wußte, daß der Junge seine Aufgabe gut erledigen würde. Hasard trat an eins der Fenster und wollte in die Kabine spähen. Er fuhr zurück, und sein Entermesser flog in seine Rechte. Er hatte gerade noch gesehen, wie der Kapitän der Karavelle die Tür zur Heckgalerie öffnete - und schon vernahm er das Geräusch sich drehender Angeln. Hasard verschwand und preßte sich an die Außenwand des Achterkastells. Dann trat der Kapitän der Karavelle aus der Tür
auf die Galerie hinaus. Er hörte ihn etwas murmeln, verstand ihn aber nicht. Er hörte sein gequältes Lachen und beobachtete, wie er sich über die Reling der Galerie beugen wollte. Hasard schnellte sich auf den Hai zu. Er registrierte noch, wie höllisch schnell dieser M ann reagierte, nach seinem Entermes ser griff und ihm die Linke entgegenrammte. Dann war Hasard heran. Die Faust seines Gegners glitt an seinem fettigen Körper ab, die Rechte Hasards mit dem Enter messer stieß vor - aber sein Gegner hatte die Gefahr erkannt und wich blitzschnell zurück. Hasard wußte, daß es jetzt nur noch um Bruchteile von Se kunden ging, bis dieser M ann das ganze Schiff alarmierte. M it einem Riesensatz flog er heran. Seine Linke schlug dem Hai das hochgerissene Entermesser zur Seite, dann prallte er auf seinen Gegner. Der Anprall war so heftig, daß er den Hai durch die offene Tür in seine Kammer katapultierte und selbst ebenfalls hinterherflog. Hasard kam mit einer Rolle wieder auf die Füße. Er sah, wie sein Gegner den M und auf riß zu einem Schrei, wie er ihn, einen nackten schwarzhaarigen Teufel, aus weit aufgerissenen Augen anstarrte - dann war Hasard heran und stieß zu. Die Klinge seines Entermessers bohrte sich dem Hai in die Brust, er fiel zurück, riß den M und auf - und ein Blutstrom quoll zwischen seinen Lippen hervor. »Der Rächer - die Toten auf dem Wrack - die Zigeunerin, sie hatte recht …« Röchelte der Hai, und Todesfurcht schüttelte ihn. Das Entermesser, das seine Rechte noch umschlossen gehalten hatte, rutschte aus seiner erschlaffenden Hand, seine Augen brachen. Sein m assiger Körper zuckte noch ein paarmal, dann lag er plötzlich still. Hasard beugte sich zu ihm hinunter. Er fühlte Bedauern. Sein M esser hatte den fremden Kapitän zu gut getroffen. Aber er hatte keine andere M öglichkeit gehabt.
Er zog die lange Klinge aus der Brust des Toten und lief auf die Galerie hinaus. Er beugte sich über die Reling, lauschte. Im Schiff blieb alles still, nur das Schnarchen einiger M änner drang zu ihm herauf. »Schnell, das Faß!« rief er leise und fing gleich darauf eine ihm zugeworfene Leine auf. Er spürte, wie sie sieh straff zog, dann holte er das Pulverf aß Hand über Hand hoch. »Ich hab’s!« rief er leise hinunter. »Wie weit seid ihr?« »Fertig«, ertönte leise die Antwort. »Wartet auf mich. Setzt die Zündschnur in Brand, sobald ihr mich über Bord springen hört. Und dann schwimmt um euer Leben!« Hasard packte das Faß und eilte zum Hauptdeck hinunter. Von dort lief er weiter zum Vorkastell, wo er einen Niedergang vermutete, der zur Bilge führte. Hasard irrte sich nicht. Auch seine andere Vermutung trog ihn nicht: Niem and hielt sich im Bereich des Vorkastells auf. Die Besatzung dieses Schiffs war wirklich mehr als leichtfer tig, daß sie nicht einmal eine Wache aufstellte. Der Seewolf stieß die Tür des Nieder gangs auf. Gleichzeitig nahm er eine der Deckslampen, die in seiner unmittelbaren Nähe hing. Das vereinfachte die Sache für ihn bedeutend. Er stieg die Stufen des Niedergangs hinunter. Brackiger, fauliger Geruch stieg zu ihm auf, irgendwo hörte er das hasten de Rascheln von Ratten, ihr widerliches Gequieke. »Ihr werdet euch wundern«, murmelte er, und er dachte daran, wie ihn die Ratten auf der ›Marygold‹ in der Vorpiek fast aufgefressen hatten. Hasard erreichte die Bilge. Er stieß die Tür zu einem der Ballasträume im Vorschiff auf. Im Schein sah er die dicken Spanten, das schwere Holz, aus dem diese Karavelle erbaut worden war, und wie Bedauern huschte es über seine Züge. M it den Augen des Kenners erkannte er, daß dies hier ein ausge zeichnetes Schiff war - stabil, äußerst seetüchtig, schnell und
wendig. Aber er wußte, daß sie dieses Schiff nicht kapern konnten, sondern vernichten mußten, wenn sie ungeschoren die Bucht verlassen wollten. Er stellte das Faß ab, rollte die Zündschnur auf und legte sie aus. Er schätzte ihre Länge ab. Sie würde knapp drei M inuten brennen, bevor sie die Pulverladung des Fasses zündete. Hasard warf einen letzten Blick in den Raum. Er wußte, daß hinter ihm nur noch die Vorpiek lag. Einen M oment zögerte er, überlegte, ob er das Pulverfaß nicht doch besser in die Vorpiek schaffen sollte, aber dann schüttelte er entschlossen den Kopf. Er hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Der tote Kapitän konnte entdeckt werden, außerdem tat die Pulverladung hier, zwei Yards unter der Wasserlinie, bestimmt ihre Wirkung. Hasard nahm das Entermesser zwischen die Zähne, packte die blakende Öllampe und hielt deren Flamme an die Zündschnur. Ein paar Funken sprühten auf, gleich darauf begann sich eine kleine, bläuliche Flamme zischend auf das Pulverfaß zuzufres sen. Hasard wartete nicht länger. Er nahm die Lampe, feuerte sie in den Ballastraum und turnte blitzartig die Stufen zum Vor kastell und zur Back hinauf. Er schaffte es in knapp einer M inute. »Zünden!« schrie er und hechtete über Bord. Sein nackter Körper verschwand aufklatschend in der See. Hasard blickte nicht rechts und nicht links. Er sah zu, sich schleunigst von der Karavelle abzusetzen. Irgendwo vom Heck des Schiffes antworteten ihm Dan und die anderen. Aber Hasard hörte nur noch einen Teil dessen, was sie schrien. Er tauchte, und zwar so tief, wie er konnte. Dann erschütterte eine Explosion das Wasser. Hasard glaubte, ihm würden die Trommelfelle platzen. Eine Druckwelle traf ihn und beförderte ihn ruckartig an die Oberfläche. Als er auftauchte, war hinter ihm die Hölle los. Von Bord der Karavelle vernahm er Schreie. Aus dem Vorschiff der »M inou
che« stach eine riesige Stichflamme hoch, erfaßte den Fock mast und setzte ihn augenblicklich in Brand. M änner hasteten über Deck, Kommandos, Flüche erschallten - und dann zerriß eine weitere Explosion die Nacht. Am Heck der Karavelle stieg eine Feuersäule empor, ein schwerer Stoß hob das schwere Schiff einige Fuß aus dem Wasser, das Achterkastell wurde in Stücke gerissen. Schreie erfüllten die Nacht, Flammen loderten auf, erfaßten das Rigg, sprangen auf die gerefften Segel über. Hasard hörte, wie hinter ihm M enschen in panischer Angst ins Wasser sprangen, sah, wie die Besonneren unter ihnen daran gingen, ein Boot zu Wasser zu bringen. Hasard wandte sich ab. Er mußte auf sein Schiff. Er schwamm, so schnell er konnte. Hinter sich hörte er die Stimm e Dans. Er antwortete ihm, gleich darauf meldeten sich auch Ben Brighton und Ferris Tucker. Der Baß des Schiffszimmermanns grollte über die See wie ein Unwetter. Unangefochten erreichten sie die ›Isabella‹ und enterten an Bord. Hasard fuhr in seine Hose. Dann blickte er zu der Stelle hinüber, von der lautes Schreien und das Prasseln von Flam men zu ihnen herüberdrang. Aber außer einem gelblich-roten Zucken hinter der dichten Nebelwand sahen sie nichts. Sie sahen nicht, wie sich die »M inouche« auf die Seite legte, wie ihr Rumpf tiefer und tiefer ins Wasser der Bucht eintauchte, wie M änner um ihr Leben schwammen oder pullten, oder wie sie mit weitaufgerissenen Augen gurgelnd versanken. Sie hörten das Klatschen, als die »M inouche« kenterte, hör ten, wie das Rigg zersplitterte, wie das Prasseln der Flammen erstarb. Und sie hörten, wie die stolze Karavelle in den Fluten der Bucht versank, wie Wrackteile zur Oberfläche emporschos sen und klatschend aufs Wasser zurückfielen. Siebzig Yards sank die »M inouche«, bis ihr zerborstener Rumpf und ihr toter Kapitän, den der Fluch der Zigeunerin in dieser Bucht, am Ort seiner Untaten, ereilt hatte, auf dem
felsigen Grund die ewige Ruhe fanden.
Hasard und seine M änner gönnten sich keine Ruhe. Sie wuß ten, daß die beiden anderen Schiffe erscheinen würden, aber sie wußten nicht, wann sie in der Einfahrt auftauchen und ihnen den Weg versperren würden. Hasard ließ das kleine Beiboot, das sie den Bretonen auf der Belle Ile abgenommen hatten, bemannen. Auf der Back und auf der Poop holten zwei Gruppen von M ännern die Anker ein. Auch das war ein hartes Stück Arbeit, denn der Buganker hatte sich im Seeboden verfangen. Aber es gelang, ohne daß sie gezwungen waren, die Ankertrosse zu kappen. Ben Brighton befestigte die Schleppleinen, dann legten sich die M änner auf den Duchten in die Riemen. Die Galeone reagierte überhaupt nicht, sie trotzte den An strengungen der acht M änner. Erst nach und nach, als der Schweiß bereits in Strömen über ihre Körper lief, bewegte sie sich. Langsam und widerwillig nahm sie Fahrt auf. Hasard stand auf dem Vorkastell. Neben ihm Dan, der m it seinen Adleraugen den dichten Nebel zu durchbohren versuch te. Die ›Isabella‹ kam nur langsam vorwärts. Und während das kleine Boot und die Kraft von acht Rudergasten - Hasard ließ sie alle halbe Stunde ablösen und packte selbst auch mit zu -, die Galeone der Einfahrt entgegen schleppte, arbeitete der riesige Schiffszimmermann mit einigen M ännern von Boots mannsstühlen aus an der endgültigen Einpassung und Befesti gung des neuen Ruders. Es wurde eine stundenlange, schweißtreibende Prozedur. Die M änner der ›Isabella‹ bissen die Zähne zusammen, während ihre harten Fäuste im Takt die schweren Riemen schwangen.
Als der M orgen graute, passierte die ›Isabella‹ die beiden Klippen, auf denen noch Stunden zuvor die Beobachtungs gruppen gesessen hatten. Aber Hasard ließ sie weiterrudern. Sie mußten sich von der Ausfahrt der Bucht erst noch ein ganzes Stück nach Steuerbord absetzen, denn irgendwo von der Backbordseite her erwartete Hasard die beiden Karavellen. Immer noch hing dichter Nebel über der Bucht, und auch draußen auf See betrug die Sicht keine fünfzig Yards. Hasard wischte sich den Schweiß von der Stirn, als die ablö sende Rudermannschaft kam. Es war der fünfte Turn, den er hinter sich hatte, und er spürte alle Knochen einzeln in seinem Körper. Er enterte auf und ging zum Quarterdeck hinüber, von dort zum Achterkastell und durch seine Kammer auf die Heckgalerie. Er beugte sich weit über die Reling. »He, Ferris, wie weit bist du?« fragte er. Der rothaarige Hüne wandte ihm den gewaltigen Schädel zu. »Noch einen Bolzen muß ich einschlagen, dann ist alles in Ordnung.« Und damit hob er den schweren Hammer und trieb den Ei senbolzen Schlag um Schlag in das harte Holz des Rumpfes. Der Seewolf grinste. »Wenn du fertig bist, Rum für alle. Dann setzen wir Segel, und nichts wie ab nach Plymouth.« Er verschwand in seiner Kammer. Im nächsten M oment tauchte er auf dem Quarterdeck auf. »Kutscher!« brüllte er. »Bring ein paar Pützen kaltes Wasser. Ich stinke wie ein toter Wal. Los, beeil dich! Und dann hol eins von den Rumfässern raus, Rum für alle!« Die M änner, die das gehört hatten, begannen zu johlen. Der Kutscher erschien mit den Pützen, einige der M änner halfen ihm, und im Nu hatten sie den Seewolf auf dem Hauptdeck mit ihren harten Fäusten abgeschrubbt. Es war die einzige M etho de, auch die allerletzten Spuren des Fettes, mit dem er seinen
Körper vor Stunden eingerieben hatte, zu entfernen. Anschließend war Dan an der Reihe, und je wütender er protestierte, desto härter packten die derben Fäuste der M änner zu. Hasard stand wenige Yards entfernt und beobachtete die Prozedur. Er lachte und fing sich von Dan empörte Blicke dafür ein. Ben Brighton und Ferris Tucker schlossen sich an. Gegenseitig schrubbten sie sich das Fett aus den Poren, und hinterher fühlten sie sich wie neugeboren. Unterdessen jagte Hasard die M änner an die Brassen und in die Wanten. Ein leichter Wind war auf gekommen. Segel um Segel blähte sich, und langsam nahm die ›Isabella von Kasti lien‹ Fahrt auf. Die Rumbecher kreisten an Deck, das Beiboot lag festgezurrt auf dem M itteldeck. Einer der M änner begann zu singen, die anderen fielen ein. Sie alle wußten, daß sie neben ihrem M ut, ihrer Tüchtigkeit und Ausdauer auch eine gute Portion Glück vor dem sicheren Untergang bewahrt hatte.
Es wurde fast M ittag, ehe die anderen beiden Karavellen in die Bucht der Ile de Sein einliefen. Der Nebel hatte sich etwas gelichtet, die Sicht betrug gut zweihundert Yards. Die havarier te Karavelle lag tief im Wasser. Selbst das intensive Pumpen nutzte auf die Dauer nichts. Das Schiff mußte zur Reparatur auf den Strand gelegt werden. Hohläugig starrten die M änner in die Bucht, in der Gewißheit, die »M inouche« vorzufinden. Doch so sehr sie auch Ausschau hielten, von der »M inouche« war nichts zu sehen. Eine Viertelstunde später rammte die eine Karavelle den zerfetzten und zersplitterten Großmast der »M inouche«, in dem
verkohltes Takelwerk hing. Der Kapitän des Freibeuterschiffes starrte aus schmalen Augen auf das Wrackteil. Und dann, als sie sich dem Strand näherten, auf dem sich das Wrack der Galeone und die zerfal lenen Hütten ihrer einstigen Behausungen befanden, sahen sie den Schein mehrer er lodernder Feuer. Lautes Geschrei empfing die beiden Karavellen. Ein Boot löste sich vom Strand und steuerte die noch intakte Karavelle an, während die andere m it letzter Fahrt das Ufer erreichte und mit dem Vorschiff im sandigen Boden steckenblieb. Und dann erfuhr der Kapitän von dem Ende der »M inouche«. Schweigend umstanden die M änner seiner Besatzung die Schiffsbrüchigen. »Es waren die Geister der Ermordeten, die den Hai geholt haben!« hörten sie einen alten weißbärtigen Freibeuter im mer wieder sagen. »Die Zigeunerin hatte ihn verflucht, sie hatte ihm gesagt, daß er in dieser Bucht sterben würde. Ich habe es gehört …« Der Kapitän der Karavelle schwieg. Er hatte so seine eigenen Gedanken über das, was vermutlich geschehen war. Aber er empfand auch keine Trauer. Der Hai hatte zuviel Schuld auf sich geladen. Sie alle kämpften hart, wenn es sein mußte, aber sie waren keine M örder. »Heute ist Ruhetag«, sagte er dann. »Wir kümmern uns um die Verwundeten, morgen baut ein Teil von uns die verfallenen Hütten wieder auf, dann werden wir sehen, ob wir die andere Karavelle wieder reparieren können. Wir werden wieder hierher übersiedeln. Sobald es möglich ist, läuft eins unserer Schiffe aus und holt die Frauen und Kinder hierher.« Die M änner schwiegen einen M oment. Dann brandeten ihre Stimmen auf. Der alte weißbärtige Pirat schwang sich auf eins der leeren Fässer an Oderdeck. »Der Kapitän hat recht!« rief er. »Die Geister der Toten sind versöhnt, in Zukunft werden sie uns ihren Schutz gewähren.
Glaubt mir, ich kenne mich aus …« Am Abend dieses Tages loderten auf der Insel die Feuer. Etliche der Hütten waren Neil gedeckt, Rum floß in Strömen, wilde Lieder stiegen von den Feuern auf, Betrunkene torkelten über den Strand. Nur ein M ann stand allein auf seinem Schiff. Der hünenhafte, rotblonde Kapitän der einzigen noch völlig unversehrten Karavelle. Aus harten Augen sah er in die Bucht hinaus. Er dachte an jenen schwarzhaarigen, blauäugigen M ann auf der fremden Galeone, der wie ein Teufel zu kämpfen verstand. Und er wußte, daß dieser M ann ein Wolf war, einer jener Seewölf e, wie sie jedes Jahrhundert nur einmal gebar. »Ich werde dich Wiedersehen, Seewolf«, sagte er in die Stille hinein. »So oder so. Denn ich weiß, daß auch die »M inouche« auf dein Konto geht!« Sein Blick löste sich von der nebelverhangenen Bucht und wanderte zum Hauptdeck seines Schiffes hinunter. Dort unten irgendwo lag jenes Floß, das seine M änner bei der Suche nach weiteren Wrackteilen der »M inouche« geborgen hatten. Lange hatte er sich die tief ins Holz eingeschlagenen Klampen und die Reste der durchtrennten Taue angesehen. Und schlagartig war ihm klargeworden, wie sich das Ende des Hais und seiner Karavelle abgespielt hatte. Ob er wollte oder nicht, irgendwo tief in seinem Innern keimte Bewunderung für die M änner jener fremden Galeone auf. Fünf Karavellen hatten sie gejagt sein Schiff war von diesen fünfen das letzte, das überhaupt noch seetüchtig war. Er wandte sich ab. Er hörte die Gesänge, die von Land zu ihm herüberdrangen, er sah den flackernden Schein lodernder Feuer. »Ich werde dich Wiedersehen, Seewolf«, murmelte er noch einmal, während er bereits das Achterkastell seines Schiffes verließ. Und er wußte in diesem M oment noch nicht einmal, ob dieses Versprechen von ihm als Drohung gemeint war.
5.
Stunden waren ver gangen. Unangefochten hatte die ›Isabella‹ die offene See erreicht. Rund hundertfünfzig M eilen lagen bis Plymouth noch vor ihr. Hasard stand auf dem Quarterdeck. Er hatte sich eigentlich ein wenig Ruhe gpnnen wollen, aber das Wetter gefiel ihm nicht. Er kannte diese Ecke des Kanals gut und wußte, wie schnell in dieser Gegend Stürme losbrechen konnten. Der Wind hatte in den letzten beiden Stunden aufgebrist, den über der See hängenden Nebel verjagt und nahm immer noch zu. Er sang in der Takelage der ›Isabella‹ und blähte die Segel wie Ballons. Das Schiff lief gute Fahrt, denn der Wind wehte nach Nordost - eine Richtung, wie sie besser gar nicht hätte sein können. Trotzdem gefiel dem Seewolf das Wetter nicht. Immer wieder musterte er den aufklarenden Himmel, die achteraus bleibenden Seen, die inzwischen weiße Schaumköpfe zeigten. Eine lange Dünung stand von der Biskaya her in den Kanal, aber auch sie wurde steiler und steiler. »Ben!« Die Stimme des Seewolfs dröhnte über Deck, und Ben Brigh ton beeilte sich, aufs Quarterdeck zu kommen. »Ben, alle Niedergänge sichern, alle Luken verschalken, besonders die Stückpforten. Geschütze kontrollieren, die Brooktaue verstärken. Alles, was an Bord nicht absolut fest ist, sichern. Wir kriegen schwer es Wetter, und zwar innerhalb der nächsten beiden Stunden, wenn mich nicht alles täuscht.« Ben Brighton warf ebenf alls einen Blick zum Himmel, der sich vom Blau mehr und mehr ins Bleigraue verfärbte. »Ben, laß die Zurrings der Silberbarren kontrollieren. Spann jetzt jeden M ann ein, der verfügbar ist. Und beeil dich!« Ben Brighton sauste los. Gleich darauf hallten seine Befehle über Deck, und Smoky, der jetzt auf der ›Isabella‹ wieder Decksältester war, scheuchte die Freiwachen aus den Hänge
matten. Im Nu herrschte an Bord der ›Isabella‹ emsige Betriebsam keit. Die M änner spürten, daß Hasard sich auf einen Kampf vorbereitete, der vielleicht noch schlimmer werden würde, als der gegen die bretonischen Karavellen. Denn gegen die Ele mente halfen keine Kanonen und auch keine Entermesser. Ferris Tucker leistete ganze Arbeit. Der rothaarige Hüne war einfach nicht totzukriegen. Er hatte seit ihrem Einlaufen in die Piratenbucht kaum eine Stunde geschlafen, aber er schuftete unentwegt, trieb seine M änner dabei noch an. Sie verschalkten die Luken, sicherten die Kanonen und Drehbassen durch weitere Brooktaue und zusätzliche Augbolzen, die sie m it wuchtigen Schlägen in das starke Holz des Hauptdecks trieben. Eine andere Gruppe sicherte die Silberbarren im Rumpf des Schiffes. Jedermann wußte, daß es das Ende der ›Isabella‹ bedeuten würde, wenn diese dreißig Tonnen während des Sturms verrutschten und übergingen. Hasard hatte sich nicht verschätzt. Fast auf die M inute genau pfiff die erste Sturmbö von achtern heran. Sie heulte durch das Rigg, ließ die Wanten und Pardunen unter dem plötzlichen Druck ächzen und trieb die Galeone mit solcher Gewalt durch die Wogen, daß das ganze Vorschiff von den gischtenden Wassermassen begraben wurde. Dieser ersten Bö folgte eine zweite, und mit ihr jagten die ersten schweren Regenwolken heran. Auf dem ganzen Schiff hatte Ben Brighton Strecktaue spannen lassen, an denen die M änner bei plötzlich über die Galeone hereinbrechenden Seen Halt fanden. Hasard blickte skeptisch achteraus. Er fürchtete die grobe, von achtern anlaufende See fast noch mehr als die Gewalt des Sturmes, der nun über sie hereinbrach. Er wußte, solange die ›Isabella‹ genügend Fahrt lief, konnte dem Schiff nicht allzu viel passieren. Ihr massiger Rumpf, ihre starken Verbände würden den Seen und Brechern trotzen. Aber wenn das Schiff aus dem Ruder lief, wenn es sich quer legte zur achterlichen
See - dann wurde es dort gefährlich. Flüchtig dachte er daran, daß die dreißig Tonnen Silber tief unten im Rumpf der ›Isabel la‹ eine M enge Stabilität verliehen. Wieder heulte eine Sturm bö heran. Unwillkürlich klammerte sich Hasard an einem der Strecktaue fest. Er sah, wie die Bö in die Takelage fuhr, wie sich unter ihrem Druck die Segel weit nach vorn wölbten dann gab es über ihm ein berstendes Geräusch. Sein Kopf flog in den Nacken - und er sah gerade noch, wie das Großsegel knallend aus den Lieken riß, wie es knatternd an den Rahen hing. Kommandos gellten über Deck, M änner enterten die Wanten auf. Der Sturm zerrte an ihrer Kleidung, drückte sie immer wieder in die Wanten zurück, machte es ihnen fast unmöglich, auf die Großrah zu gelangen und die Überreste des zerfetzten Segels zu bergen. Die ›Isabella‹ stampfte durch den Aufruhr der Elemente. M anchmal, wenn eine See sie seitlich packte, holte die Galeone weit über. Brecher überfluteten das M ittel deck, sprangen bis zum Quarterdeck hinauf, überschütteten sogar das Achterkastell. Das Vorschiff tauchte immer wieder tief in die See ein, die Seen schlugen in die Blinde und begru ben den Bugspriet unter ihren Wassermassen. Dan kauerte zusamm en m it anderen M ännern auf dem Quart erdeck. Er gehörte zur Backbordwache Smokys, während Ben Brighton die Steuerbordwache befehligte. Pete Ballie, der zusammen mit einem anderen M ann am Kolderstock stand, spuckte fluchend Seewasser, wenn eine der Wogen die ›Isabel la‹ überrollte. Die einzelnen Sturmböen hatten sich längst zu einem pausenlos aus Südwest heranheulenden Orkan vereinigt. Hasard hatte alles an Segeln bergen lassen, was nicht unbedingt für die M anövrierfähigkeit der ›Isabella‹ benötigt wurde. Die Galeone lenzte vor dem Sturm und lief mit der Fock im mer noch gute Fahrt. Die M änner an Bord waren todmüde, total überanstrengt und hungrig wie die Wölfe. Der Kutscher in seiner Kombüse bemühte sich redlich, etwas für die M änner zu
tun, aber er konnte es nicht riskieren, bei diesem Wetter Feuer in der Kombüse zu entfachen. Er gab lediglich kaltes Salz fleisch und salzwassergetränkten Schiffszwieback aus. Aber die M änner murrten nicht. Irgendwie hatte sich jeder von ihnen einen einigermaßen windgeschützten Platz hinter dem Schanzkleid gesucht. Sie hockten in ihren nassen Sachen da und warteten, daß der Sturm nachließ. Die meisten von ihnen wußten, daß Stürme im Kanal ebenso schnell wieder gingen, wie sie kamen. Hasard stand seit Stunden in der Nähe des Kolderstocks. Immer wieder gab er Pete Ballie und seinem Gehilfen die notwendigen Kommandos. Schon glaubte er, ein Nachlassen des Sturms zu spüren, als er von achtern eine turmhohe Woge heranrollen sah. Weiß leuchtete ihre Gischtkrone zu ihm herüber. Ihm erschien es in diesem M oment, als blecke die See ihre Zähne, als bereite sie sich eben genüßlich darauf vor, die ›Isabella‹ und ihre M annschaft endgültig zu verschlingen. Hasard schrie eine Warnung über Deck. Der Sturm trug seine Stimme zu den M ännern hinüber. Hasard sah noch, wie Dan zu einem der Strecktaue hechtete und sich festklammerte. Dann war die Woge heran. Ihr Brausen erfüllte das ganze Schiff, machte jede Verständigung unmöglich. Hasard wußte, wer sich jetzt nicht festhielt, der war verloren. Er sah den gläsernen grünen Berg auf sich zurollen und spür te, wie die Woge das Schiff anhob, wie dann ihre Wassermas sen das Achterkastell unter sich begruben, wie sie über das ganze Schiff sprangen und es tief in die See drückten. Dann war um Hasard nichts mehr als die zerrende, wirbelnde, brüllende grüne Hölle, die ihn mit sich fortreißen wollte, die ihm den Atem nahm. Neben ihm begrub sie Pete Ballie unter ihren Wassermassen und schleuderte seinen Gehilfen vom Kolderstock hinweg gegen eine Bohle. Dann wurde es plötzlich wieder hell. Rauschend liefen die Wassermassen durch die Speigatten ab, die Galeone richtete
sich langsam wieder auf, die M änner rangen verzweifelt nach Luft. Hasard sah, wie der riesige Ferris Tucker Dan in letzter Se kunde gepackt und gegen seinen m ächtigen Körper gedrückt hatte. Er schüttelte sich eben wie ein nasser Hund. Er ließ Dan los und winkte Hasard zu. »Ich glaube, jetzt haben wir das Schlimmste hinter uns!« röhrte er über das Deck. »Ho, M änner, seht nach, ob die See noch etwas an unserem Schiff ganz gelassen hat!« Das Bürschchen grinste Hasard an, und dann r annte es immer noch Salzwasser spuckend - hinter Ferris Tucker her. Die ›Isabella‹ hatte auch diese See fast ohne Schaden über standen. Etwas Wasser war ins Zwischendeck eingedrungen, hatte die Blinde aus den Lieken gefetzt und eins der Fenster über der Heckgalerie zerschlagen. Ferris Tucker und Ben Brighton gingen mit ihren M ännern sofort an die Arbeit. Es war, als habe der Orkan mit dieser gewaltigen See wirklich seinen letzten Versuch unternommen, die Galeone in sein nasses Reich zu holen. Innerhalb der nächsten Stunde flaute er merklich ab. Auf grober See, die sich nach und nach in eine hohe achterliche Dünung verwandelte, rollte die ›Isabella‹ mit schäumender Bugwelle nach Nordosten, endgültig Plymouth entgegen. Hasard ließ Rum an die erschöpften M änner ausgeben, dann schickte er jeden unter Deck, der nicht unbedingt für das Schiff gebraucht wurde. Er selbst blieb an Deck. Er wollte die aller letzten Stunden ihrer Heimreise jetzt auch noch durchstehen.
Unter Vollzeug pflügte die ›Isabella von Kastilien‹ durch den
Ärmelkanal. Das Schiff hatte nahezu direkten Kurs auf Ply mouth, der steife und stetig wehende Wind aus Südwest ermöglichte das. Und doch ahnte keiner an Bord des Schiffes, wie sehnsüchtig die ›Isabella‹ bereits in Plymouth erwartet wurde. Die Flucht der Galeone von der Reede von Cadiz hatte bei den Spaniern mächtig Staub aufgewirbelt. M ehr noch - sie hatte die Flotte Seiner spanischen M ajestät, Philipp II., gerade zu geschockt. Denn mit der ›Isabella von Kastilien‹ war nicht allein Capitan Romero Valdez verschwunden, sondern auch die äußerst wichtigen und nur mit einer Ladung Gold aufzuwie genden Seekarten, die Valdez der spanischen Krone hatte übergeben sollen - von den dreißig Tonnen Silberbarren, ebenfalls für die spanische Krone bestimmt, ganz zu schwei gen. Hasard, der die Wichtigkeit dieser Karten sofort erkannt hatte, hütete sie wie seine Augäpfel. Niemand an Bord der ›Isabella‹ wußte etwas von der Existenz dieser Seekarten von den Küsten der neuen Welt - nicht einmal Ben Brighton, Ferris Tucker oder Donegal Daniel O’Flynn. Jedermann an Bord wußte zwar, daß sie eine Kassette mit äußerst wertvollem Schmuck erbeutet hatten. Ben Brighton, der Bootsmann der ›Isabella‹, hatte sogar Kenntnis davon, daß die Schmuckversi on nicht stimmte und der Inhalt dieser Kassette so wichtig war, daß Hasard sie nur Kapitän Francis Drake persönlich überge ben würde, aber das war auch alles. Nachdem Hasard Capitan Valdez und seine M änner am dritten Tag nach ihrer Flucht von der Reede von Cadiz auf den Berlenga-Inseln, einer öden Inselgruppe etwa vierzig Seemei len nördlich des Kaps da Roca, ausgesetzt hatte, war es dem Capitan sehr bald gelungen, das nahegelegene Festland zu erreichen. Unverzüglich hatte Valdez M eldung erstattet. Diese Nachricht hatte wie eine volle Breitseite bei den Ver antwortlichen eingeschlagen. Es gab niemanden, der sich
traute, die spanische Krone von dieser Hiobsbotschaft zu unterrichten. Statt dessen verfiel man auf einen gänzlich anderen Ausweg. Die Karten mußten wiederbeschafft werden, koste es, was es wolle. Daß Capitan Romero Valdez mit dieser Aufgabe betraut wurde, verbot sich von selbst, so sehr er auch darum bat. Statt dessen setzte man mit dem schnellsten Schiff, über das die spanische Flotte verfügte, zwei M änner in M arsch, die schon des öfteren dergleichen Aufgaben erledigt hatten. Noch während die ›Isabella‹ in der Bucht Ile de Sein lag, um ihre Schäden auszubessern, landeten diese beiden zwielichtigen Ehrenmänner in einer stockdunklen, nebligen Nacht in der St. Austel Bay, unweit des gefürchteten Black Head, einem ins M eer ragenden Felsen, der schon manchem Schiff zum Ver hängnis geworden war. Sie nannten sich Patrick O’M oore und Neil Griffith. Beide sprachen vorzüglich Englisch, beide galten als hochin telligente M änner, beide waren in Spanien bei allen Eingeweih ten wegen ihrer Brutalität, ihrer Gerissenheit und Beharrlich keit, mit der sie ihr Wild hetzten, über alle M aßen gefürchtet. Sie setzten sich unverzüglich nach Plymouth in M arsch, mieteten sich am Hafen ein, forschten unauffällig die Seeleute aus und lauerten auf die Ankunft der ›Isabella von Kastilien‹. Sie verfügten über genaue Beschreibungen dieses Schiff und wußten genau über Philip Hasard Killigrew und seine Besat zung Bescheid.
An diesem M orgen, an dem noch immer von See her ein kühler Wind durch die Straßen pfiff, hatten sich O’M oore und Griffith in einer Kneipe niedergelassen, von der aus sie die Hafeneinfahrt genau im Auge behalten konnten.
O’M oore war ein großer, hagerer M ann mit einem Raubvo gelgesicht. Die schmalen Lippen und die vorspringende gebogene Nase verliehen seinen Zügen zusammen mit den dunklen, tiefliegenden Augen etwas Grausames, Kaltes. Seine schmalen Hände hatten lange Finger, die wie die Krallen eines Greifvogels wirkten. Alles in allem war Partrick O’M oore ein M ann, dem jeder nach M öglichkeit aus dem Weg ging. Daß er dennoch nicht besonders auffiel, hing damit zusammen, daß er sich unauffällig zu kleiden und zu benehmen wußte und daß es in der Hafengegend von Plymouth eine M enge Gelichter gab, das noch weit weniger vertrauenserweckend aussah als O’M oore. Er hob sein Glas mit heißem Rum gerade an die Lippen, als sein Gefährte, Neil Griffith, mit dem Kopf zum Fenster deute te. O’M oore nahm einen winzigen Schluck von dem heißen Rum, dann setzte er das Glas ab und blickte durch das Fenster nach draußen. Im Hafen war Bewegung entstanden. Seeleute blieben plötz lich stehen und deuteten aufs M eer hinaus. O’M oore nickte seinem Gefährten zu, anschließend winkte er dem Wirt und legte ein paar M ünzen auf den glattgescheuerten Holztisch. Der Wirt, ein großer, schwammiger M ann, verneigte sich, denn O’M oore hatte das Trinkgeld wie immer auch diesmal wieder reichlich bemessen. Er sah den beiden nach, als sie durch die schwere Holztür auf die Straße hinaustraten. Dann wischte er sich die fettigen Hände an der Schürze ab und verzog sich wieder hinter die Theke. Er hatte Angst vor diesen beiden M ännern, sie waren ihm irgendwie umheimlich. Besonders der Hagere. Der andere, den der Hagere immer mit Neil anredete, wirkte dagegen fast gutmütig. Ein Kraftpaket, stämmig, muskelbepackt, sehr wache, eigentümlich helle Augen, schwere, derbe Fäuste, die nicht so recht zu seiner
einfachen, aber vorzüglichen Kleidung paßten - aber dieser M ann lachte wenigstens hin und wieder, wobei er eine Reihe blendendweißer Zähne zeigte. Während der Hagere düster wirkte, sah der Stämmige geradezu heiter aus. Der Wirt ahnte nicht, wie sehr dieser Eindruck täuschte. Wenn es darauf ankam, dann entwickelte sich Neil Griffith zu einer fast seelenlosen Kampfmaschine. O’M oore holte ein teures und qualitativ sehr hochwertiges Spektiv aus der Tasche, zog es behutsam auseinander, spähte hindurch und unterzog das einlaufende Schiff einer gründli chen M usterung. Der scharfe, kühle Wind bauschte seine Pluderhosen, wirbelte um seine langen Beine, die in roten Strümpfen steckten und brachte den Degen zum Klirren, der an seiner Hüfte hing. Aber alles bemerkte der Hagere nicht. Ihn interessierte in diesem M oment einzig und allein das einlau fende Segelschiff. Endlich setzte er das Spektiv ab. Dann schob er es zusammen und schüttelte den Kopf. »Nicht die, Isabella«, sagte er leise. »Ein Kauffahrteifahrer, soweit ich erkennen kann, ein ziemlich großes Schiff, aber nichts, was uns interessieren könnte.« Neil Griffith zuckte mit den Schultern. »Die ›Isabella‹ ist bereits überfällig«, sagte er. »Hoffentlich kommt sie überhaupt hierher. Immerhin …« O’M oore schüttelte den Kopf. »Sie kommt, Neil, verlaß dich drauf. Da hinten liegt schon eine Prise von diesem Drake, also hat auch die zweite Order, Plymouth anzulaufen. Außerdem hat der neue Kapitän der ›Isabella‹, dieser verdammte und dreimal verfluchte Killigrew, Romero Valdez gegenüber Plymouth als seinen Zielhafen erwähnt. Ob Valdez das nur erlauscht hat oder ob dieser schwarzhaarige Teufel es ihm selber gesagt hat, weiß ich nicht, es spielt auch keine Rolle.« Er schwieg eine Weile und fuhr dann fort: »Außerdem liegt die ›Marygold‹, Drakes Schiff, auch immer in Plymouth, wenn
er sich nicht gerade auf See befindet. Nein, nein, wir sind hier schon am richtigen Ort. Warten wir also noch eine Weile. Wichtig ist nur, daß wir sehen, wann sie einläuft.« Er steckte das Spektiv wieder in die Tasche. Anschließend sahen sie zu, wie der Segler in den Hafen einlief und an einer der Piers vertäut wurde. Und während er zuschaute, überlegte O’M oore noch einmal genau, wie er nach dem Einlaufen der ›Isabella von Kastilien‹ vorgehen wollte. Gewiß, das hing natürlich von den besonderen Umständen ab, aber im großen und ganzen stand sein Plan fest. O’M oore hatte immer ziemlich konkrete Vorstellungen dar über, wie er eine Aufgabe lösen würde, bevor er ans Werk ging. Und man konnte diesem M ann nicht nachsagen, daß er dabei besonders wählerisch in seinen M ethoden war. Für ihn zählte nur eins - der Erfolg. Keineswegs ein M enschenleben oder mehrere, wenn es sich nicht anders regeln ließ.
Von alledem ahnte der Seewolf nichts. Er hatte ganz im Gegenteil das beruhigende Gefühl, endgültig alle Klippen dieser gefährlichen Reise umsegelt zu haben. Er stand wieder auf dem Achterkastell, weil er von dort aus den besten Überblick über die ›Isabella‹ hatte. Land war noch nicht in Sicht, aber er wußte, daß es nicht mehr lange dauern konnte. Längst hatten sie die Höhe von Kap Lizard passiert, allerdings, ohne es gesehen zu haben. Noch immer stand eine lange Dünung vom Atlantik her in den Kanal, aber nach wie vor blies der Wind in unverminderter Stärke aus Südwest. Dan hatte er in den Großmars geschickt. Die scharfen Augen O’Flynns würden das Land zuerst erspähen. Das Wasser des Kanals hatte an diesem Tag eine grüngraue Färbung. Der
hünenhafte Ferris Tucker gönnte sich eine Ruhepause. Er saß auf dem Quarterdeck, streckte behaglich alle viere von sich, und Hasard ließ ihn gewähren. Tucker hatte sich auf dieser Reise genug geschunden, eigentlich weit über die Kraft eines M annes hinaus. Fast jeder M ann seiner Besatzung hatte das getan, und deshalb hatte Hasard an Wachen nur eingeteilt, was für das Schiff unerläßlich war. Hasard nahm sich vor, bei Francis Drake zu versuchen, für seine Leute eine Sonderprämie herauszuschlagen. Das hatten sie wirklich verdient. Eine Stunde verging und noch eine halbe. Dann scholl aus dem Großmars Dans Stimme herab: »Land in Sicht!« Hasard hörte den Ruf und gleich darauf das Gebrüll seiner M änner, die diesen Ruf O’Flynns ebenfalls gehört hatten. Einige von ihnen vollführten an Deck einen wahren Freuden tanz. Hasard enterte in den Großmars auf. Er zog sein Spektiv aus der blauen Segeltuchjacke und sah lange hindurch. »Da, Dan«, sagte er endlich, und sein Gesicht strahlte Befrie digung aus. »Plymouth an Steuerbord voraus.« Er enterte wieder ab, das Spektiv überließ er dem Jungen, mochte Dan schauen, soviel er wollte. Das Bürschchen hatte sich wacker gehalten. Er trat an den Kolderstock. »Neuer Kurs Ostnordost, Pete«, sagte er. Ein gebrummtes »Aye, aye«, tönte ihm ent gegen, dann schwang der Bug der ›Isabella‹ schon langsam herum. Es war nur eine geringfügige Kurskorrektur, die Pete Ballie vornehmen mußte. Hasard warf einen Blick in die Segel. Sie standen gut, eine Änderung der Segelstellung war vorerst noch nicht nötig. Immer noch unter Vollzeug liefen sie dem Plymouth Sound entgegen, der die Einfahrt zum Kriegshafen bildete. Hasard blieb auf dem Quarterdeck. Er beobachtete, wie sich die Umrisse der Küste und dann auch die der Stadt nach und nach aus dem Dunst schälten. Unsägliche Erleichterung erfüllte
ihn, aber davon ließ sich der Seewolf nichts anmerken. Er hatte es geschafft. Die Silberbarren und vor allem die kostbaren Karten waren endlich in Sicherheit. »Alle M ann an die Brassen!« kommandierte er dann, und die M änner flogen förmlich über Deck. Sie näherten sich r asch der Hafeneinfahrt. Laute Kommandos von Ben Brighton und Smoky schallten über Deck. Patrick O’M oore und Neil Griffith standen in der Nähe der Galeone »Santa Cruz«, die Francis Drake zuerst erobert hatte und die schon seit einiger Zeit im Hafen von Plymouth lag. Von dort konnten sie den Plymouth Sound und damit auch die Hafeneinfahrt hervorragend überblicken. Wieder hatte O’M oore sein Spektiv vor dem rechten Auge. Eine ganze Weile stand er so da. Dann reichte er es Neil Griffith. »Das ist sie, Neil. Unser Warten hat sich gelohnt. Der Junge segelt unter Vollzeug herein. Alle Achtung, der versteht sein Handwerk.« Neil Griffith blickte durch das Spektiv, und dann nickte er. Er war ein seebefahrener M ann und wußte zu beurteilen, wie ein Schiff geführt wurde und wie nicht. Was ihm Hasard da allerdings vorexerzierte, das grenzte für seine Begriffe schon an Hexerei. Fasziniert starrte er dem Schiff entgegen, und als es nahe genug heran war, setzte er das Glas wieder ab. Dann schüttelte er den Kopf. »Der Kerl rauscht in die M ill Bay herein, als wenn es gar nichts wäre«, sagte er bissig. »Bin mal gespannt, wie er die Fahrt aus dem Schiff kriegt, wenn er an die Pier gehen will!« O’M oore sagte nichts. Ihn interessierte das gekonnte M anö ver der ›Isabella‹ nicht so sehr, wohl aber faßte er es als eine sehr nachdrückliche Warnung vor jenem M ann auf, der an Bord dieses Schiffes das Kommando führte. Er nahm sich vor, bei der Lösung dieses Auftrags ganz besonders auf der Hut zu sein.
Die ›Isabella‹ hatte ihren Kurs geändert. Die Rahen schwan gen herum, das Schiff lag jetzt auf Steuerbordbug. Laute Kommandos erschallten an Deck. Abermals schwangen die Rahen herum, wurden mittschiffs gebraßt, und dann packten die M änner auf den Rahen zu und refften die Segel. Nur der Lateinerbesan und die Fock nebst Blinde blieben stehen. Die ›Isabella‹ glitt in die M ill Bay, von den lauten Jubelrufen der zuschauenden Fahrensleute begrüßt. Hasard stand auf dem Quarterdeck wie ein Baum. Längst hatte er die gekaperte Galeone an der weit in die M ill Bay hinausragenden Pier entdeckt. Wieder ein kurzes Kommando, Fock, Blinde und Lateinerbesan verschwanden. M it letzter Fahrt rauschte die ›Isabella‹ heran, und ging an der anderen Galeone längsseits. Leinen flogen von Bord zu Bord, harte Seemannsfäuste packten zu, holten die Leinen durch und belegten sie an den Klampen. Das Tauwerk knirschte, die Fahrt kam aus dem Schiff. Lang sam und majestätisch legte sich die ›Isabella‹ neben die »Santa Cruz«. Neil Griffith stand wie erstarrt. »Alle Achtung«, sagte er dann. »Das macht diesem Killigrew so leicht keiner nach!« Prüfend schnupperte er in den Wind, der immer noch in beachtlicher Stärke durch den Hafen und die Straßen von Plymouth pfiff. »So einen M ann kannst du suchen, Patrick, aber du wirst ihn kaum finden.« Er reichte seinem Gefährten das Spektiv, und dieser schob es in die Tasche. »Schon gut«, sagte er dann und wandte sich der Wirtschaft zu, in der sie schon oft gesessen hatten. »Wir werden jetzt etwas essen und trinken. Dabei können wir die ›Isabella‹ im Auge behalten. Verläßt dieser Killigrew die ›Isabella‹, können wir ihn packen. Verläßt sie ein anderer, werden wir ihm folgen und knöpfen uns den M ann vor. Du weißt schon, was ich
meine. Ich habe einen Plan, aber ich muß erst einmal abwarten, was sich an Bord des Schiffes tut.« Griffith nickte, dann betraten sie die alte Seemannskneipe, und der schwimmige Wirt empfing sie wie stets dienernd und mit tiefen Bücklingen. »Was zu essen und zu trinken. Aber was Ordentliches, oder wir ziehen dir das Fell ab«, sagte O’M oore, und der Stämmige nickte dem Wirt bedeutsam zu. »Sofort, die Herren, nur ein wenig Geduld. Sie erhalten das Beste, was meine Küche zu bieten hat. Wünschen die Herren eine Flasche Wein? Oder soll es wieder heißer Rum sein?« »Wein diesmal, aber vom besten.« Der Wirt dienerte abermals, dann verschwand er in einem der Nebenräume. Außer O’M oore und Griffith befanden sich noch ein paar andere Gäste in der Wirtschaft. Sie kannten die beiden Frem den schon und schenkten ihnen kaum noch Beachtung. »Ich vermute, daß dieser Killigrew irgendwann dem dicken Plymson in der »Bloody M ary« einen Besuch abstatten wird. Ich jedenfalls an seiner Stelle würde es tun. Wenn das der Fall sein sollte, werden wir leichtes Spiel mit diesem blauäugigen Satan haben. Also aufgepaßt!« Der Wirt erschien und stellte einen dickbauchigen Krug mit Wein auf den Tisch. O’M oore probierte, während sich der Wirt vorsichtig ein paar Schritte zurückzog. »In Ordnung. Beeil dich mit dem Essen, wir haben Hunger!« Er goß sich ein und schob den Krug Griffith zu. Während sie tranken, beobachteten sie unauffällig die beiden Galeonen, die nebeneinander - von der Kneipe aus gut zu überblicken - an der Pier lagen. Doch vorerst tat sich auf den Schiffen nichts, und Griffith stieß schließlich eine Verwünschung aus. »Warten«, sagte sein Komplice lediglich. »Geduld muß man bei unserem Geschäft schon haben. Das Schiff ist hier, alles
andere erledigt sich fast von selbst.« Neil Grif fith kratzte sich den Kopf. »Von selbst?« meinte er dann und sah den Hageren zweifelnd an. »Also das würde ich lieber nicht sagen. Du weißt, daß ich selbst den Teufel nicht fürchte, aber diesen Satan da, das ist, glaube ich, etwas ganz ander es.« Und damit sollte er zweifellos recht behalten. Aber seine und die Geduld seines Gefährten wurden bis dahin noch auf eine harte Probe gestellt. 6. Schon bald nachdem die ›Isabella‹ bei der anderen Beutega leone längsseits gegangen war, bat Hasard Ben Brighton, Smoky und Ferris Tucker in seine Kam mer. Er wartete, bis die drei M änner erschienen. Dann entkorkte er eine Flasche Wein, schenkte ein, und trank ihnen zu. »Ich habe einiges auf dem Herzen«, begann er dann. »Ich möchte euch und allen M ännern dieses Schiffes meinen Dank sagen. Wir hatten viele Hindernisse auf unserer Reise zu überwinden. Die gesamte M annschaft hat sich die ganze Reise über hervorragend geschlagen. Ich sage das hier in kleinem Kreis mit der Bitte, es weiterzugeben, weil ich vermeiden möchte, daß allzuviele fremde Ohren davon erfahren, was wir hinter uns gebracht haben. Ich halte es nicht für ratsam, auf Deck die M annschaft zu versammeln, das würde eine M enge von Gaffern anlocken. Sagt es jedem einzelnen weiter, und bittet ihn, über die Vorfälle dieser Reise strengstes Stillschwei gen zu bewahren.« Er prostete den drei M ännern zu. »Ich wißt alle, welche Ladung wir im Schiff haben. Wir liegen zwar in einem englischen Hafen, aber das besagt nicht viel, jedenfalls was die Sicherheit der Ladung betrifft. Wenn
sich herumspricht, daß wir dreißig Tonnen Silberbarren an Bord haben, dann ist auf diesem Schiff der Teufel los, und wir kommen aus den Schwier igkeiten nicht mehr heraus. Und nun zum Wichtigsten: Ab sofort verstärkte Wachen auf dem Schiff. Besonders abgesichert wird der Laderaum, in dem das Silber liegt und alle Niedergänge, die dorthin führen. Du, Ben, bist mir dafür voll verantwortlich. Weiter ordne ich an: Kein Fremder betritt das Schiff ohne meine ausdrückliche Erlaubnis, gleichgültig, wer er ist. Wenn nötig, wird das Betreten der ›Isabella‹ auch mit Gewalt verhindert. Haben wir uns in diesem Punkt verstanden?« Die drei M änner nickten, und Hasard prostete ihnen zu. Dann fuhr er fort: »Wachen ebenfalls an Backbord zur Wasserseite. Von dort erlebt man zumeist die übelsten Überraschungen. Jeweils vier M änner erhalten für zwölf Stunden Landurlaub. Teilt die Wachen also entsprechend ein. Alle M änner, die Wachdienst haben, werden mit Musketen bewaffnet. Ich hoffe, unser Pulver reicht noch aus.« Ein fragender Blick traf Ferris Tucker. »Reicht - nur fünf Karavellen, die sind nicht mehr drin …« Ein befreiendes Lachen schallte durch die Kammer. Doch dann wurde Hasard wieder ernst. »Es wird schwierig sein, die Kontakte zur »Santa Cruz« zu unterbinden oder zumindest auf ein M inimum zu beschränken, das ist mir klar. Achtet bitte trotzdem darauf, soweit das möglich ist. Richtet es so ein, daß immer einer von euch an Deck ist. Außerdem werden Smoky, Batuti und Blacky als Wachführer fungieren. Sollte ich von Bord gehen, werde ich immer hinterlassen, wo ich zu finden bin. So, das war’s. Und wer etwas über unsere Silberladung ausplappert, dem ziehe ich persönlich die Haut vom Hintern.« Ben Brighton, Smoky und Ferris Tucker grinsten. Sie hoben ihr Glas und tranken Hasard noch mal zu, ehe sie seine Kam mer verließen. Anschließend ging Hasard daran, für Francis
Drake einen ausführlichen Bericht zu verfassen. Lediglich die Kassette und deren Inhalt sowie alles, was damit zusammen hing, erwähnte er aus Sicherheitsgründen nicht. Es war später Nachmittag, als er seine Kammer verließ und auf Deck trat. Er wußte nicht, daß er dabei sogleich von vier scharfen Augen beobachtet wurde. Neil Griffith stieß eine Verwünschung aus, als er den Seewolf sah. Längst hatten sich die beiden vom Wirt der »M ill Bay Inn« eine zum Hafen gelegene Kammer zuweisen lassen, denn schließlich konnten sie nicht, ohne aufzufallen, ständig in der Kneipe am Fenster sitzen und zu den beiden Galeonen hinüber starren. »Es ist wie verhext - sie bewachen diesen verdammten Kasten wie einen Kronschatz. Wenn das so weitergeht, möchte ich gern mal wissen, wie wir uns die Kassette schnappen sollen?« O’M oore wiegte den Kopf. »Nur mit der Ruhe, Neu«, sagte er. »Dieser Killigrew ent wischt uns nicht. Er hat keine Ahnung, daß wir auf ihn lauern. Und wenn ich es mir recht überlege, würde ich an seiner Stelle ebenfalls verdammt aufpassen, wenn ich außer der Kassette noch obendrein dreißig Tonnen Silberbarren an Bord hätte.« Er sagte das beinahe in sanftem Tonfall, aber der Tonfall täuschte Neil Griffith nicht. Er kannte seinen Partner, mit dem er schon oft derartige Aufträge erledigt hatte, gut genug. O’M oore war mindestens so nervös und gereizt wie er selber, nur vermochte er sich wesentlich besser zu beherrschen. Trotzdem war diese stundenlange Warterei, dieses ständige Lauern, ermüdend. Und gerade wollte Neil Griffith aufstehen und sich aus der Kneipe etwas zu trinken holen, als plötzlich O’M oore aufsprang. Wie weggeblasen war seine eben noch zur Schau getragene Beherrschung. M it einem Satz war Neil Grif fith neben ihm. »He, was gibt es?« fragte er und starrte aus dem Fenster. O’M oore deutete auf die Pier, an der die beiden Galeonen
nebeneinander vertäut lagen. Eine prachtvoll verzierte Kutsche, die von vier Pferden gezogen wurde, rollte eben aus der M ill Bay Road heraus und bog auf die mit Kopfsteinpflaster be deckte Pier. »Hier, nimm das Spektiv und beobachte alles, was an Bord der ›Isabella‹ geschieht. Ich werde mir die Sache aus der Nähe betrachten. Ich ahne, wer da eben eingetroffen ist. Wenn mich nicht alles täuscht, gibt es da unten gleich Schwierigkeiten.« Neil Griffith wollte noch eine Frage stellen, aber O’M oore hatte den Raum bereits verlassen. Er hörte seinen Gef ährten die Treppe hinunterpoltern, dann erschien er auch schon auf der Straße. Es war ein leichtes für ihn, sich unter die Gaffer zu mischen und sich mehr und mehr nach vorn zu schieben. Als die Kutsche endlich vor den beiden Schiffen hielt, hatte er schon einen Platz eingenommen, von dem aus er alles nicht nur überblicken, sondern auch jedes Wort, das gesprochen wurde, recht gut verstehen konnte. Denn Patrick O’M oore, der Agent der spanischen Krone, hatte extrem scharfe Ohren.
Ziemlich bald nach dem Einlaufen und Festmachen der ›Isa bella‹ in der M ill Bay hatte sich Hasard bei dem Kapitän der »Santa Cruz« melden lassen, neben der sein Schiff lag. Zu seiner Überraschung hatte er erfahren müssen, daß sich Kapi tän John Thomas gegenwärtig nicht an Bord befinde, sondern für einige Tage zu seiner Familie nach Exeter gereist sei. Das war für Hasard eine üble Überraschung, denn er hatte mit Kapitän Thomas, der diese Prise auf Befehl von Francis Drake nach Plymouth gesegelt hatte, eine Lagebesprechung abhalten wollen. Und Hasard war am Rat dieses erfahrenen M annes eine
M enge gelegen. Denn immerhin hatte ihm Drake aufgetragen, Schiff und Ladung nach seiner Ankunft in Plymouth an Kapitän Thomas zu übergeben. Inzwischen hatte sich aber vieles geändert. Zunächst einmal war es Hasard gelungen, auf der Fahrt nach Plymouth selber ein spanisches Schiff, die »Barcelona«, aufzubringen und zur Prise zu machen. Zusammen mit der »Santa Barbara«, die Hasard befehligte, seit Drake ihm über dieses Schiff das Kommando übertragen hatte, waren sie in ein spanisches Geleit geraten. Wohl oder übel hatten sich die beiden Schiff e unter den mißtrauischen Blicken der den Konvoi umkreisenden Kriegsgaleonen dem Geleit anschließen müssen, wenn sie nicht Verdacht erregen wollten, was ihre sofortige Vernichtung zur Folge gehabt hätte. Erst auf der Reede von Cadiz, wohin der spanische Verband gelaufen war, glückte Hasard dann jener Piratenstreich, der die Spanier aufscheuchte wie der berühmte Stich ins Wespennest. Hasard kaperte tollkühn unter Anwen dung einer Kriegslist die ›Isabella von Kastilien‹, ein Schiff, das schon wegen seiner Ladung von dreißig Tonnen Silberbar ren einen ungleich höheren Wert besaß als die »Santa Barbara« und »Barcelona« zusammen. Es war Hasard jedoch völlig unmöglich, die »Santa Barbara«, die ihm von Drake anvertraute Prise, und die »Barcelona« ebenfalls zu behalten. Im Gegenteil, er gab diese beiden Schiffe nicht nur auf, sondern setzte sie tollkühn als Brander gegen die spanischen Kriegs galeonen ein, die der nun von ihm gekaperten ›Isabella‹ den Weg in. die offene See versperrten. Das Unternehmen glückte. Die überraschten Spanier kamen nicht einmal dazu, eine wirksame Verfolgung einzuleiten. Erst viel später gerieten dann durch dramatische Ereignisse jene streng gehüteten Seekarten der Neuen Welt in Hasards Hände. Und jetzt lag er hier in Plymouth, in der M ill Bay, aber kein M ensch war da, der ihm hätte sagen können, was weiterhin m it Schiff und Ladung geschehen sollte. Für Hasard war jedenfalls
klar, daß eine Übergabe der ›Isabella‹ samt Ladung und Seekarten nur an Francis Drake persönlich erfolgen würde. Aber auch dieser Entschluß änderte nichts daran, daß Hasard sich reichlich unwohl in seiner Haut fühlte. Und so beschloß er, zunächst einmal die Rückkehr von Kapitän John Thomas abzuwarten, um mit ihm über alles zu reden. Denn Thomas besaß das Vertrauen Drakes in hohem Grade. Hasard stand auf dem Achterkastell und sah seinen Leuten zu, wie sie das Schiff nach der langen Reise aufklarten und es vom Kiel bis zum Topp in Schuß brauchten. Neben Hasard stand Ben Brighton. Immer wieder schweiften seine Blicke über den Hafen und die Pier, an der sie und die »Santa Cruz« lagen. Ben Brighton kannte sich in Plymouth aus wie kaum ein anderer. Und er war es auch, der sofort die schwere Karosse bemerkte, die eben über das Kopfsteinpflaster der Kaianlagen zu ihnen herüber rumpelte. Seine Augen zogen sich unwillkürlich zusammen. »Das gilt uns«, sagte er nur und musterte die reichen Verzie rungen an der Karosse. »Das ist einer, der bei Hof nicht ohne Einfluß ist. Ich bin gespannt, was der von uns will!« Hasard war herumgefahren und starrte die Karosse an. Tau send Gedanken wirbelten durch seinen Kopf. Er wußte um die Intrigen, die bei Hof gesponnen wurden, und er wußte auch, daß man sich vor jenen Höflingen, die oft genug über eine bedrohliche M acht verfügten, sehr in acht zu nehmen hatte. Er sah Ben Brighton an. »Du empfängst den Burschen, Ben. Du kennst dich mit dieser Sorte doch aus, oder nicht?« Ben Brighton nickte und ließ dabei die Karosse nicht aus den Augen. »Aber du läßt den Kerl oder auch seine Begleiter nicht weiter als bis aufs Quarterdeck. Ich werde mich hier auf dem Achter kastell aufhalten. Je nachdem, wie es sich ergibt, greife ich dann ein.« Hasard hatte diese Worte hastig hervorgestoßen, denn die
Karosse stoppte neben der direkt an der Pier liegenden »Santa Cruz«. Ihre Türen klappten auf, und zwei M änner entstiegen der Karosse, die respektvoll einem dritten heraushalfen. »Ach du heiliger Satan!« entfuhr es Ben Brighton unwillkür lich, als er den dritten M ann erkannte. Dieser M ann war schlank, hatte ein farbloses, glattes Gesicht, einen Spitzbart und war tadellos gekleidet. Seine Füße steckten in sogenannten »Kuhmäulern«, breiten Schuhen, die von den Vornehmen und Reichen bevorzugt wurden. Er trug eine beinenge, seidene Strumpfhose, darüber eine kurze Hose - eine der sogenannten Kürbishosen kostbarster Ausführung in Kugelform und mit Roßhaar gepolstert. Sein Leib wurde von einem Schoßwams umschlossen, darüber befand sich ein saloppes kurzes Cape und auf dem Kopf saß ein schmalkrem piger Filzhut, an dem eine Straußenfeder im Wind wippte. An der Hüfte hing in einem Wehrgehänge ein zierlicher Stoßde gen. Der M ann erweckte durchaus den Eindruck, als wisse er mit dieser Waffe auch umzugehen. Seine beiden Begleiter trugen ebenfalls Degen. Auch sie waren gut gekleidet, aber deutlich erkennbar m inderen Ranges. Hasard war der Ausruf seines Bootsmanns nicht entgangen. »Du kennst ihn?« fragte er. »Wer ist das, Ben?« »Sir Thomas Doughty. Einer der Eigner der M arygold, ein geschniegelter, aalglatter Lackaffe, aber ein intriganter, gefähr licher Bursche, vor dem man sich hüten muß.« Hasards Stirn umwölkte sich. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. »Und die beiden anderen, wer sind die?« fragte Hasard. »Seine Kettenhunde. M an erzählt sich von ihnen, daß sie in dunkler Nacht schon manchen abgemurkst hätten, der ihrem Herrn und Gebieter im Wege war oder nicht so tat, wie Sir Doughty wollte.« Hasard spürte ein leichtes Ziehen im Nacken. Er kannte das
ein untrügliches Zeichen dafür, daß es Ärger geben würde. »Also los, Ben, tu jetzt, wie ich gesagt habe. Bis aufs Quart erdeck, keinen Schritt weiter. Alles andere überlasse dann mir.« Ben Brighton ging los. Er war aber durchaus nicht der einzi ge, der die Ankunft der Karosse bemerkt hatte. Batuti, der herkulische Schwarze, der an Steuerbord Wache ging, war ebenfalls stehengeblieben und starrte zu der kostba ren Karosse hinüber. Andere M änner der Besatzung kletterten in die Wanten, bis sie genügend Überblick hatten, um sich von dem Schauspiel ja nichts entgehen zu lassen. Niemand achtete durch die konzentrierte Aufmerksamkeit, die den hochgestellten Ankömmlingen zuteil wurde, auf Patrick O’M oore, den das Gehabe Sir Doughtys keineswegs beeindruckte. Er schwang sich behende an Bord der am Pier liegenden »Santa Cruz« und verschwand gleich darauf hinter einer Taurolle. Dabei witterte er bereits eine Gelegenheit, endlich in seiner Sache einen Schritt weiterzukommen, und in seinem Kopf reifte ein teuflischer Plan. Langsam, immer darauf bedacht, nicht entdeckt zu werden, schob er sich an der Backbordseite der Galeone weiter, bis er sich in Höhe des Quarterdecks der ›Isabella‹ befand. Hinter einem auf dem Hauptdeck festgezurrteh Beiboot fand er eine ideale Deckung. Dann harrte er der Dinge, die da kommen würden. Und daß sie kamen, das wußte er noch genauer als Ben Brighton oder sogar Hasard, denn er besaß eine M enge Informationen über Sir Thomas Doughty.
Sir Thomas Doughty musterte die beiden Galeonen mit
Wohlgefallen. Immerhin waren sie Prisen, die Francis Drake
mit der ›Marygold‹ erjagt hatte, mit dem Schiff also, zu dessen
Eignern er, Doughty, gehörte. Deshalb würde er an diesen Prisen auch einen ganzen Batzen Geld verdienen. Und Sir Thomas Doughty hatte absolut nichts gegen Geld, auf diese Weise mühelos und ungefährlich verdient, einzuwenden. »Gehen wir. Sehen wir uns einmal an, was uns die ›Isabella von Kastilien‹ zu bieten hat«, sagte er und setzte sich sogleich in Bewegung. Gefolgt von seinen beiden Begleitern betrat er die Galeone von Kapitän Thomas. Keiner der M änner an Bord der »Santa Cruz« hinderte ihn daran, aber sie grinsten schon in der Vor freude auf das, was diesen geschniegelten Kerl auf der ›Isabel la‹ erwarten würde. Denn sie wußten, wie streng dieses Schiff von seiner Crew bewacht wurde, daß es unmöglich war, auch nur einen Fuß bei ihnen an Bord zu setzen. Und das, obwohl man sich schließlich verdammt gut kannte. Verdutzt blieb Sir Doughty stehen, als er Batuti entdeckte. Er musterte den riesigen Neger wie ein seltenes Insekt, und um seine M undwinkel zuckte es unwillig, als sich Batuti in seiner vollen Größe vor ihm aufbaute. »Nix Besuch, Sir«, radebrechte er in seinem schauderhaften Englisch. »Kapitän jeden Besuch verboten. Gehen wieder, ich lasse nicht durch Sir.« Sir Thomas Doughty glaubte, nicht richtig gehört zu haben. »Gib den Weg frei, du Affe«, sagte er mit leiser Stimme. »Ich bin es nicht gewöhnt; daß mich ein Kerl wie du daran hindert, ein Schiff zu betreten, wenn ich es betreten will.« Er wollte schon seinen beiden Begleitern einen Wink geben, den Schwarzen aus dem Weg zu schaffen, und die Hände der beiden fuhren bereits zum Wehrgehänge, zu den Stoßdegen an ihrer Seite, aber da hatte Batuti plötzlich einen Belegnagel in der Rechten - in einer Faust, die fast so groß war wie Sir Doughtys feinstrukturierter Schädel. »Versuchen, Sir. Dann tot, Sir. Alle drei, ganz schnell.« Batuti grinste ihn an und schwang den Belegnagel drohend
empor. Unter seiner dunklen Haut spielten die M uskeln, und unwillkürlich zuckten die beiden Begleiter zurück. In diesem M oment betrat Ben Brighton die Szene. »Schon gut, Batuti«, sagte er und musterte die Ankömmlinge scharf. »Vorsicht m it dem Belegnagel, ich will keinen Ärger an Bord« Er trat auf Sir Thomas Doughty zu und grüßte knapp. »Was kann ich für Sie tun, Sir?« fragte er höflich. Doughtys Gesicht entspannte sich. Er zauberte ein Lächeln auf seine glatten Züge. »Das hört sich schon viel besser an, mein Sohn«, sagte er. »Aber da du mich schon fragst - ich wünsche den Kapitän dieses Schiffes zu sprechen. Führe mich zu ihm.« Ben Brightons Blicke blieben auf den beiden Begleitern Sir Doughtys hängen. »Und die beiden da?« fragte er, und diesmal klang seine Stimme schon weniger höflich. Sir Doughty entging das nicht. Also hatte sich der M ann da geärgert, daß er ihn geduzt hatte. Interessant, dachte er, und er nahm sich vor, bei passender Gelegenheit dem M ann eine Rüge zu erteilen. »M eine Begleiter kommen mit«, sagte Doughty deshalb kurzangebunden und schritt über die Gangway, die die beiden nebeneinanderliegenden Schiffe miteinander verband. Ben Brighton ließ ihn gewähren, denn er sah, daß Hasard sich bereits auf dem Quarterdeck der ›Isabella‹ befand. Als Sir Doughty jedoch in Richtung Achterkastell weiterge hen wollte, vertrat Ben Brighton ihm den Weg. »Bitte da hinauf, Sir«, sagte er nur und wies auf den Auf gang, der zum Quarterdeck hinaufführte. Unwillig runzelte Sir Doughty die Brauen. »Seit wann ist es üblich, daß der Kapitän eines Schiffes hoch gestellte Gäste auf dem Quarterdeck empfängt?« fragte Sir Doughty, und diesmal gab er sich keine M ühe, die Schärfe in
seiner Stimme zu verbergen. Wieder fuhren die Hände seiner Begleiter an die Wehrgehänge - aber Ben Brighton warf ihnen einen so drohenden Blick zu, daß sie abermals zögerten. »Gäste?« fragte der Bootsmann der ›Isabella‹ gedehnt - und allein schon der Tonfall, in dem er diese Frage stellte, war eine glatte Beleidigung für Doughty. »Bei uns an Bord entscheidet Kapitän Killigrew grundsätzlich selber, wer zu seinen Gästen zählt und wer nicht. Wenn Sie mir jetzt also bitte aufs Quart erdeck folgen wollen, Sir.« Ben Brighton ging einf ach voraus, und Sir Thomas Doughty fügte sich ins Unvermeidliche, zumal sich langsam, aber unübersehbar für ihn und seine Begleiter die M änner der Besatzung von allen Seiten näher an ihn und seine beiden Begleiter heranschoben. Ver gessen würde er diese Demütigung vor diesen verdamm ten Kerlen aber nicht, das schwor sich Sir Doughty in diesem M oment. Doch dann siegte seine Neugier. Killigrew? Sollte es sich um einen aus der Sippe der Killigrews aus Falmouth handeln? Jener Sippe, die in der alten Seeräuberfeste Arwenack hoch über dem Hafen hauste? Dann war dieser Kapitän ja ein M ann von Stand, ein Adeliger wie er! Sir Thomas Doughty beschleunigte seine Schritte. Er wollte, nein, er mußte diesen M ann sehen. Und er sah ihn. Philip Hasard Killigrew stand breitbeinig auf dem Quarterdeck. Eine schlanke, hohe Gestalt. Schmal in den Hüften, breit in den Schultern. Schwarzes Haar flatterte im Wind, eisblaue Augen blitzten ihn an. Der geborene Kämpfer, dachte Sir Doughty und nahm sich in diesem M oment vor, sich auf keinerlei Händel an Bord der »Isabella« einzulassen. Doughty hatte scharfe Augen, und er besaß einen Blick für M änner wie Philip Hasard Killigrew. Sir Thomas Doughty stieg die letzten Stufen zum Quarterd eck empor. Dann blieb er stehen und erwartete einen Gruß,
eine Geste Killigrews - vergeblich. Hasard sah ihn aus seinen eisblauen Augen an und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Instinktiv erkannte er sofort die Gefähr lichkeit dieses M annes, seine Neigung zu Intrigen und Ränke spiel. Da half auch das wohlwollende Lächeln nichts, das der Spitzbart in seine Züge zauberte, während seine beiden Beglei ter sichtlich nervös an ihren Degen herumfingerten. Innerlich kochte Sir Doughty, auch wenn ihm die Haltung dieses jungen Kapitäns imponierte, aber äußerlich trachtete er seine wahren Gefühle sorgfältig zu verbergen. Er ging auf Hasard zu. »Nun, mein lieber junger Freund«, brach er das Schweigen. »Ich freue mich, einen der tüchtigen und tapferen Kapitäne des von uns allen sehr geschätzten und verehrten Francis Drake kennenzulernen. Allerdings will mir scheinen, daß Sie, lieber Freund, für ein solches Kommando doch wohl ungewöhnlich jung sind, nicht wahr? Besonders, wenn es sich um eine so wertvolle Prise handelt wie die ›Isabella von Kastilien‹. Von Ihrer Tapferkeit und von der Ladung Ihres Schiffes erzählt man sich ja geradezu Wunderdinge, sogar Ihre M ajestät, Königin Elisabeth von England, ist auf Sie aufmerksam geworden.« Bei Hasard lösten diese Worte auf der Stelle etwas aus, das er selbst am ehesten mit dem Kommando »klar Schiff zum Gefecht!« verglichen hätte. Der Kerl ging ja auf unerhört raffinierte Weise zum Frontangriff über! Hasard verstand innerhalb von Sekunden. M it einem Lächeln, das Sir Thomas Doughty noch weniger gefiel als alles Bisheri ge, was er auf diesem Schiff erlebt hatte, deutete Hasard eine Verneigung an. »Es freut micht ungemein, daß man von meinen M ännern und mir bei Hof eine so hohe M einung hat, aber trotzdem würde es mich freuen, zu erfahren, mit wem ich eigentlich die Ehre habe.« Er sah, wie es in den Zügen Sir Doughtys zuckte. Und des
halb fügte er der ersten Demütigung auch sogleich noch eine zweite hinzu. Er wollte diesen aalglatten M ann aus der Reserve locken. »Es ist im allgemeinen üblich, daß derjenige, der ein Schiff betritt, sich dem Kapitän vorstellt.« Sir Doughty schluckte. Aus seinen braunen Augen traf Ha sard ein scharfer, unwilliger Blick. Aber dann holte er dennoch das Versäumte nach und nannte seinen Namen. »Sie wissen jetzt also, wer ich bin, Kapitän Killigrew. Ich gehöre zu den Eignern der ›Marygold‹, und aus diesem Grund gehört auch diese Prise mit den entsprechenden Anteilen mir. Ich habe Sie aufgesucht, um mir die Ladung des Schiffes anzusehen und ihren Wert zu schätzen. Also seien Sie so freundlich, und begleiten Sie mich dabei, damit Sie mir Fragen, die ich stellen werde, beantworten können.« Hasard grinste, aber es war ein wölfisches Grinsen, das seine makellosen Zähne bloßlegte. »Bedaure aufrichtig, Sir. Ich habe Order, diese Ladung und dieses Schiff an Kapitän John Thomas zu über geben. Besonde re Umstände verbieten es mir, außer Francis Drake und Kapi tän Thomas sonst irgend jem andem Zugang zur Ladung zu gewähren. Ich kann auch in Ihrem Fall, Sir Doughty, leider keine Ausnahme gestatten.« Bei seinen letzten Worten waren die beiden Begleiter Dough tys an den Seewolf herangetreten. Ihre Hände flogen förmlich an die Waffen, r issen sie aus den Wehrgehängen, aber Doughty stoppte sie mit einem scharfen Befehl. Verständnislos starrten sie ihn an, aber dann verfärbten sich ihre Gesichter plötzlich. Wie von Geisterhand herbeigezaubert, schoben sich die M änner der ›Isabella‹ heran. Sie hielten schwere Belegnägel, M usketen, Entermesser und dicke Knüp pel in den Fäusten. Ihre M ienen ließen keinen Zweifel daran, was mit Doughty und seinen Begleitern passieren würde, wenn sie auch nur noch eine Bewegung ausführten, die ihnen nicht
gefiel. Allen voran schoben sich Smoky, der hünenhafte Ferris Tucker, Batuti, Gary Andrews, M att Davies - der M ann mit dem Eisenhaken -, Blacky und Dan heran. Letzterer trat einem der Begleiter gekonnt auf die Zehen, was der mit einem wüsten Fluch quittierte. »Wollten Sie etwas sagen, Sir?« fragte Dan scheinheilig und wippte provozierend mit seinem Belegnagel. Aber Hasard gab ihm einen Wink, sofort von dem M ann abzulassen. Sir Doughty bewahrte die Fassung. Es wurde ihm höllisch schwer, aber er schaffte es. Er hatte schon ganz andere Situati onen gemeistert. Und hier, an Bord dieses Schiffes, hatte er nicht die Spur einer Chance, mit Gewalt zu erreichen, was dieser junge Teufel ihm verwehrte. Er wiegte statt dessen den Kopf. »Nun, gut, lieber junger Freund«, sagte er schließlich, und sein Spitzbart vibrierte verräterisch dabei. »Ich gebe zu, daß mich Ihr Verhalten einem Eigner der ›Marygold‹ und dem besonderen Vertrauen Lord Burghleys gegenüber sehr verwun dert, ja, sogar verletzt. Sie wissen doch sicher, wer Lord Berghley ist?« Hasard verneinte. »Hm - das freilich ändert die Sache erheblich.« Sir Doughty warf ihm einen forschenden Blick aus seinen, braunen Augen zu und bemerkte, daß Hasard den Lord wahrhaftig nicht kannte. »Ihr Verhalten imponiert mir, Kapitän. Es mag von Kapitän Drake vielleicht ein Fehler gewesen sein, einen so jungen M ann seiner Besatzung mit diesem Kommando betraut zu haben - aber ich habe dennoch den Eindruck, daß die ›Isabella von Kastilien‹ bei Ihnen und Ihren M ännern in ausgezeichneten und sicheren Händen ist. Ich werde mich m it Kapitän Thomas in Verbindung setzen, dann werden sich, denke ich, alle M ißverständnisse leicht klären lassen.« Er legte eine Pause ein und sah Hasard nachdenklich an.
»Wir beide jedoch, lieber junger Freund, sollten die Zeit, die verstreicht, bis Kapitän Thomas eintrifft, dazu benutzen, einander etwas besser kennenzulernen. Ich werde m ir erlauben, Ihnen noch heute eine Einladung zu einem Galadiner im »Queen’s Hotel« schicken zu lassen. Eine Kutsche wird Sie hier abholen. Es gibt eine ganze Reihe von Herren und Damen, die darauf brennen, diesen jungen Draufgänger kennenzuler nen, der es fertigbrachte, mitten aus einem Verband von Kriegsschiffen Ihrer katholischen M ajestät von Spanien die ›Isabella von Kastilien‹ samt ihrer Ladung und Besatzung zu entführen. Ich halte es sogar für möglich, daß Ihre M ajestät, die Königin von England, Sie später nach der Rückkehr von Kapitän Drake zu einer Audienz bitten wird. Ich hoffe, Sie schlagen m ir diese Einladung nicht ab?« Hasard erkannte erst in diesem M oment, wie gefährlich Sir Thomas Doughty tatsächlich war. Er hatte seine Einladung so raffiniert formuliert, daß Hasard gar nicht absagen konnte, ohne Sir Thomas Doughty und andere hochgestellte Persön lichkeiten aufs Schwerste zu brüskieren. Das aber wäre ganz gewiß etwas gewesen, was auch Francis Drake keineswegs gutgeheißen hätte, denn auch er war darauf angewiesen, daß die Krone weiterhin finanzielle M ittel zur Verfügung stellte, um mit ihnen neue Schiffe und neue Reisen ausrüsten zu können. »Ich nehme Ihre Einladung an, Sir Doughty. Ich freue mich, daß Sie Verständnis für meine Situation haben«, erwiderte Hasard, und diese beiden Sätze kosteten ihn erhebliche Über windung. Er spürte die Gefahr, die sich hinter der Einladung dieses aalglatten M annes verbarg. Aber er konnte genausowenig wie Sir Thomas Doughty wissen, daß durch diese Einladung noch eine ganz andere, weitaus schlimmere Gefahr auf ihn zukam aus dem Hinterhalt. Sir Doughty nickte.
»Gut, gut, mein lieber junger Freund. Wir sehen uns also heute noch. Und ich verspreche Ihnen, daß Sie den Abend in allerbester Erinnerung. behalten werden. Ich kenne da eine junge Lady, eine Schönheit, möchte ich meinen, die darauf brennt, Sie kennenzulernen. Viel Glück, junger Freund. Ich werde dafür sorgen, daß diese junge schöne Lady Ihre Tisch dame sein wird.« Sir Doughty zwinkerte Hasard vertraulich zu. Dann winkte er seinen beiden Begleitern und verließ mit ihnen das Schiff. Hasard begleitete ihn bis zur anderen Galeone, die Höflich keit verlangte diese Geste von ihm. Dann kehrte er zum Quarterdeck und zu seinen M ännern zurück. Er hörte, wie die Karosse mit Sir Thomas Doughty davonfuhr, und gleichzeitig grübelte er darüber nach, woher dieser M ann seine umfassen den Informationen haben mochte. Wußte Doughty, daß die ›Isabella‹ dreißig Tonnen Silberbarren in ihrem Bauch hatte? Hatte er auch von den Karten Kenntnis erhalten? Hasard dachte den Gedanken nicht zu Ende. Er ging in seine Kammer im Achterkastell der ›Isabella‹ und tauchte erst nach gut zwei Stunden wieder an Deck auf. Ein Lächeln umspielte steine Lippen. Jetzt konnten sie tun, was sie wollten - die Karten würden sie nur noch entdecken, wenn sie die ›Isabella‹ auseinandernahmen. 7. O’M oore hatte alles gehört, was er wissen mußte. Niemand hatte sich um ihn gekümmert, die Abfahrt von Sir Thomas Doughty hatte die allgemeine Aufmerksamkeit völlig in Anspruch genommen. O’M oore und sein Partner Neil Griffith hatten keine Sekunde verloren. Kurz nachdem Doughty mit seinen Begleitern davongefahren war, hatten auch diese beiden dunklen Ehren
männer die »M ill Bay Inn« verlassen. Die schmalen Lippen O’M oores wirkten noch verkniffener als sonst, als sie die M ill Bay Road entlangeilten, vorbei an der »Bloody M ary«, in der gerade jener r ätselhafte Besuch Sir Doughtys auf der ›Isabella‹ lautstark diskutiert wurde. »Wir werden auf diesen Killigrew gut aufpassen müssen, Neil«, sagte O’M oore unvermittelt. »Dieser Kerl ist ein noch viel härterer Brocken, als ich gedacht habe. Nicht einmal Francis Drake hätte es gewagt, so mit diesem Doughty umzu springen. Ich denke, wir werden noch eine M enge Ärger kriegen, ehe dieser Bursche uns die Seekarten herausrückt.« Neil Griffith nickte. »Das mit Doughty war nicht nur M ut, das grenzte schon fast an Dummheit. Natürlich ist Killigrew nicht dumm, aber er hat offenbar nicht die geringsten Erfah rungen m it Leuten wie Doughty. Ich bin nur nicht sicher, ob wir ihm Gelegenheit geben werden, noch diesbezügliche Erfahrungen zu sammeln. Und auch zu dem Rendezvous mit der schönen jungen Lady wird er wohl leider nicht mehr kommen - dabei hätte ich ihm zumindest das noch gegönnt.« Neil Griffith lachte, aber sein Kumpan ging auf sein Gerede nicht ein. Er hatte keine Zeit dazu und auch nicht den Nerv. Sie mußten sich höllisch beeilen, wenn ihr Plan gelingen sollte. Vor allem brauchten sie jetzt eine Kutsche, die einigermaßen gut aussah, und dazu mußten sie in die Stadt. Die paar Kale schen, die es hier im Hafenviertel gab, taugten für ihre Absich ten nicht. Es vergingen fast eineinhalb Stunden - aber dann hatten sie gefunden, wonach sie suchten. Es war eine stattliche Kutsche, die vor einem herrschaftlichen Haus offenbar auf Fahrgäste wartete. O’M oore und Griffith brauchten keine langen Worte mitein ander zu wechseln, jeder von ihnen wußte, was er zu tun hatte. Der Kutscher saß auf dem Bock und döste vor sich hin. Er hatte den M antelkragen hochgeschlagen, denn der Wind, der
durch die engen Straßen der Hafenstadt pfiff, war kalt. Er war bestellt worden - daß er trotzdem sicher noch eine ganze Weile würde warten müssen, daran war er bei den hohen Herrschaften längst gewöhnt. Es machte ihm nichts aus, denn eine Fahrt mit solchen Gästen pflegte sich weitaus m ehr zu lohnen als irgend eine andere. O’M oore warf einen Blick auf das Haus, dessen Fenster erleuchtet waren und deren warmes Licht durch die Dunkelheit zu ihm herüberschimmerte. Dann trat er von der Seite her an die Kutsche heran. Er sah, wie Neil Griffith ebenfalls neben dem Kutschbock auftauchte, in der Hand einen kurzen, kräftigen Knüppel. O’M oore rief den Kutscher an. Unwillkürlich fuhr der dösen de M ann hoch und beugte sich zu ihm hinunter. In diesem M oment traf ihn der Schlag Griffiths auf den Kopf. Lautlos sackte der Kutscher in sich zusammen. Alles weitere ging sehr schnell. Neil Griffith fing den M ann auf und warf ihn in die Kutsche. O’M oore stieg ein, Griffith warf hinter seinem Kumpan die Tür zu. Dann schwang er sich auf den Bock, ein kurzer Ruck mit den Zügeln, ein Schnalzlaut zu den Pferden, und die Kutsche setzte sich in Bewegung. Unterdessen fesselte O’M oore den Kutscher sorgfältig und knebelte ihn. Am Stonehouse M ill Pond, einem breiten Was serarm, der sich weit in die Stadt hineinzog, stoppte Neil Griffith die Kutsche und sprang vom Kutschbock. »Los, pack schon an!« zischte O’M oore ihm zu und schob den Bewußtlosen aus der Kutsche. Neil Griffith fing ihn auf, hob ihn hoch, lief die wenigen Schritte bis zum Stonehouse M ill Pond hinüber und warf den Kutscher über das Geländer. Ein dumpfes Klatschen, das durch den heulenden Wind zu ihm heraufdrang, sagte ihm, daß sie zumindest von diesem M ann keine Schwierigkeiten m ehr zu erwarten hatten. »Erledigt«, teilte er O’M oore nur kurz mit, dann schwang er sich wieder auf den Kutschbock und trieb die Pferde an.
Es galt jetzt, die M ill Bay so rasch wie möglich zu erreichen. Wenn das gelang, dann würde dieser Philip Hasard Killigrew, ohne Verdacht zu schöpfen, in die Falle tappen, die sie ihm gestellt hatten.
Dan erspähte die Kutsche, als sie durch die M ill Bay Road fuhr und zur Pier abbog. Er konnte das allerdings vom Quarterdeck aus nicht allzugut sehen, und so stürmte er zum Achterkastell hinüber, von wo aus er einen wesentlich besseren Überblick hatte. Er lief an die Reling und beugte sich weit vor, als wenn ihm das etwas nutzen könnte. Seine Hände krampften sich dabei um das harte, vom Seewasser gebeizte Holz. Aus schmalen Augen fixierte er die Kutsche, die jetzt auf die beiden Galeonen zuschwankte und über das Kopfsteinpflaster der Pier rumpelte. Und dies gefiel ihm so wenig, daß er fast einen Wutanfall kriegte. Hasard, der in diesem M oment seine Kammer verlassen hatte und ebenfalls das Achterkastell betrat, sah, wie Dan vor Zorn mit dem Fuß auf das Deck stampfte. M it einigen Schritten war er bei ihm. »He, Dan, was gibt es denn?« fragte er und blickte gleichf alls auf die Pier hinüber, wo die Kutsche gerade vor den beiden Schiffen stehenblieb. Dan drehte sich blitzartig um. Dabei schoß er wütende Blicke auf Hasard ab. »Was los ist?« fragte er in einem Ton, der Hasard unwillkür lich die Kopfhaut kribbeln ließ. Und er nahm sich vor, dieses Bürschchen künftig doch ein wenig gründlicher an die Leine zu nehmen. »Wenn das die Kutsche ist, die dich abholen soll, dann ist das
von Sir Doughty eine bodenlose Gemeinheit!« schimpfte er. »Das ist eine ganz gewöhnliche Kalesche. Was für einen Eindruck wirst du, der Kapitän der ›Isabella von Kastilien‹ wohl hinterlassen, wenn du mit diesem Schinderkarren zu dieser Gesellschaft von Lackaffen fährst? Wenn du es nicht weißt, dann sage ich es dir eben: Dieser Doughty will dich für seine Schlappe, die er hier an Bord erlitten hat, demütigen. Du solltest absagen, du solltest es ablehnen, in diesen Gemü sekarren da unten überhaupt einzusteigen.« Hasard grinste, und das ließ das Bürschchen noch wütender werden. »Da gibt es nichts zu grinsen!« schrie er aufgebracht. »Ein M ann, der der Königin von England im Auftrag von Kapitän Drake ein Schiff wie die ›Isabella‹ mit dreißig Tonnen Silber nach Plymouth segelt, der es fertigbringt, ein Geschwader von fünf Karavellen bis auf eine einzige außer Gefecht zu setzen oder sogar zu versenken, der verdient Respekt. Der verdient es, mit genau derselben Kutsche abgeholt zu werden, mit der dieser geschniegelte Lackaffe aufgekreuzt ist. Dieser Doughty führt Böses gegen dich im Schilde, und wenn du das nicht merkst, oder wenn dir die Aussicht auf die junge Lady schon jetzt den Kopf verdreht haben sollte, dann renn doch blind in dein Verderben!« Dan tauchte unter der blitzschnell zugreifenden Hand Hasards weg. Hasard sah ihn wie einen Schatten über das Achterkastell huschen, dann war der Junge verschwunden. Hasard starrte ihm nach. Es ging nicht an, daß Dan sich diesen Ton ihm gegenüber herausnahm - der Junge machte seit ihrer Rückkehr in den Hafen vom Plymouth überhaupt einen merkwürdigen Eindruck auf ihn, so als habe er irgendwelche Schwierigkeiten, die er allein nicht recht zu meistern wußte aber im Grund genommen hatte Dan recht. Denn das Bürschchen verfügte nicht nur über scharfe Augen, sondern auch über einen wachen Verstand und eine ausge
zeichnete Beobachtungsgabe. Gut, mochte dieser Doughty versuchen, ihn, Philip Hasard Killigrew, zu demütigen - er würde dieser Herausforderung nicht ausweichen. Jetzt erst recht nicht. Hasard tastete zu seinem Gürtel, wo unter der blauen Segeltuchjacke die doppel schüssige sächsische Radschloßpistole steckte. Er hatte sie sorgfältig geladen. Und gerade sah er, wie sich die eine Tür der Kutsche öffnete und ein großer, hagerer M ann ausstieg, als Ben Brighton die Stufen zum Achterdeck hochstieg. »Die Kutsche dieses Sir Doughty ist da. Er hat einen seiner Lakaien geschickt, um dich abzuholen. M erkwürdig ist nur dieser Hagere sieht mir nicht wie ein Lakai aus. Der Kerl gefällt mir nicht - er hat die Visage eines Raubvogels, der seine Beute erspäht hat und bereit ist, jeden M oment zuzustoßen.« Ben Brighton starrte abermals über die Reling. Dann wandte er sich ruckartig um. »Was ist eigentlich mit Dan? Er hat mich eben fast über den Haufen gerannt, und als ich ihn zurechtwies, fauchte er mich an wie ein gereizter Tiger.« Hasard nickte, dann sah er seinen Bootsmann an. »Ich glaube, aus diesem Kerlchen wird eines Tages noch einmal ein Tiger. Einer, vor dem die anderen zittern. Aber wir müssen auf ihn etwas besser aufpassen als bisher. Beschäftige ihn künftig stärker, Ben, und hab ein waches Auge auf ihn. M orgen werde ich ihn mir mal vorknöpfen - irgend etwas stimmt mit ihm nicht.« Hasard verließ das Achterkastell. Doch noch auf dem Nieder gang drehte er sich wieder um. »Kein Fremder betritt das Schiff«, sagte er. »Verschärft die Wachen und beobachtet die Seeseite. Ich rechne mit allem, denn auch dieser Doughty ist einzig und allein hinter unserer Ladung her. Ich glaube sogar, er will sie haben, noch ehe ihm Kapitän Drake dabei in die Quere geraten kann. Aber er soll sich wundern!«
Hasard stieg zum Hauptdeck hinunter. An der Gangway stand Blacky. Auch Smoky und der riesige Ferris Tucker drückten sich dort herum. Vor ihnen stand der Fremde und wartete. Er hatte es nicht fertiggebr acht, auch nur einen Fuß auf die ›Isabella‹ zu setzen. Er sah Hasard und trat auf das Hauptdeck der anderen Galeo ne zurück. »Sie sind Kapitän Killigrew?« vergewisserte er sich. Und als Hasard mit einem knappen Nicken antwortete, wollte er weitersprechen. »Ich habe den Auftrag, Sie zu Sir Thomas Doughty …« »Ich bin bereit«, schnitt ihm Hasard kurz angebunden das Wort ab. »Fahren wir.« Geschmeidig bewegte er sich über das Deck der Galeone, dann sprang er über das Schanzkleid und landete auf der Pier. Ohne sich im geringsten um den Hageren zu kümmern, ging er auf die Kutsche zu. Dabei erfaßten seine Augen den M ann auf dem Kutschbock - und ins geheim leistete Hasard Dan fast Abbitte. Dieser Kerl sah so wenig nach einem Kutscher aus wie der andere nach einem Lakaien. Hasard beschloß, von nun an sehr auf der Hut zu sein. Er wäre nicht der erste Kapitän gewesen, der währ end einer solchen Fahrt spurlos irgendwo im Hafen verschwand. Er wartete an der Kutsche, bis der andere heran war. Dann erst stieg er ein. Der Hagere folgte ihm, zog die Tür der Kalesche hinter sich zu, und die Pferde zogen an.
Neil Griffith verstand es, eine Kutsche zu lenken. Er wendete
kurz und wollte dann, wie mit seinem Partner O’M oore be
sprochen, schleunigst von der Pier in die engen Gassen der
Stadt entschwinden. Bis zu jenem abgebrannten Haus, das sich ganz in der Nähe vom Hoe Park befand, von dem aus man die hochaufragenden Zitadelle sehen konnte. Aber dann passierte es. O’M oore und Griffith hatten mit ihrem Opfer die Pier noch nicht verlassen, als sich aus der M ill Bay Road eine vierspän nige Kutsche näherte. Eine teure, reich verzierte Karosse, wie Neil Griffith auf den ersten Blick erkannte. Er stieß einen Fluch aus, denn er wußte sofort, was das be deutete. Es war die Karosse Sir Doughtys, die diesen Killigrew von der ›Isabella‹ abholen sollte. Neil Griffith konnte nicht anders, er mußte der heranrum pelnden Karosse ausweichen, wenn ihn das schwere Gefährt nicht einfach über den Haufen fahren sollte. Er griff in die Zügel, riß die Pferde herum - und in diesem Augenblick löste sich hinter ihm in der Kutsche donnernd ein Schuß. Neil Griffith spürte nur noch, wie ein Ruck durch die Pferde ging. Sie wieherten schrill auf, ihre Hufe trommelten auf das Pflaster und schlugen lange Funken aus den Steinen. Dann stoben die verängstigten Tiere in wilder Panik davon. Neil Griffith riß wie ein Wahnsinniger an den Zügeln - vergeblich, die Tiere reagierten überhaupt nicht.
O’M oore hatte die heranjagende Karosse Sir Doughtys nur Sekunden später erblickt als sein Komplice auf dem Kutsch bock. Er saß neben Hasard, jedoch in der günstigeren Position. Er wußte, daß durch dieses unvorhergesehene Ereignis ihr ganzer Plan in allergrößte Gefahr geriet, und er handelte sofort. M it vorgestreckten, zu Krallen gebogenen Händen warf er sich auf Hasard, der um den Bruchteil einer Sekunde zu spät
reagierte. Die Hände O’M oores schlossen sich wie Stahlklam mern um seinen Hals. Gleichzeitig traf ihn ein furchtbarer Kopfstoß unter das Kinn. Hasard sah für einen M oment nur noch feurige Kreise und flammende, nach allen Seiten zerplat zende Sterne. Noch ehe er seine Benommenheit überwinden konnte, traf ihn ein zweiter Kopfstoß, diesmal seitlich gegen die Kinnlade. Hasard hatte für einen M oment das Gefühl, als würde ihm der Kopf vom Rumpf gerissen. Er begriff plötzlich, daß dieser Hagere ein ebenbürtiger Gegner war, ein M ann, der jeden Trick kannte und auch skrupellos genug war, ihn anzuwenden. Hasard hatte die Hände frei, aber er war viel zu benommen, um sie wirksam und mit seiner ganzen gewaltigen Kraft einzusetzen. In seiner Verzweiflung zog er seine Pistole, und irgendwie löste sich dabei ein Schuß. Der Knall, verstärkt durch die Enge der Kutsche, sprengte den M ännern fast die Trommelfelle. Die Kugel durchschlug das Dach der Karosse und klatschte irgendwo ins Wasser. O’M oore zuckte zurück. Für einen winzigen Augenblick lockerte sich sein mörderischer Würgegriff um den Hals Hasards. Dieser M oment genügte dem Seewolf. Er warf sich mit aller Kraft zur Seite und sein rechtes Bein schnellte hoch, während er bereits mit der Radschloßpistole zuschlug. Krachend traf der Hieb die Schulter O’M oores, und der Fußtritt schleuderte ihn quer durch den Fond der Kutsche. Genau in diesem Augenblick gingen die Pferde durch. Hasard flog nach hinten in die Polster, auf der anderen Seite der Karosse brüllte O’M oore, denn der Hieb, den Hasard ihm verpaßt hatte, war einfach höllisch. Die Kutsche schleuderte über das Kopfsteinpflaster, die Pferde wieherten schrill, irgendwo schrien M enschen. Hasard wußte, daß er seinem Gegner keine Zeit für neue Aktionen geben durfte. Er stieß sich ab und warf sich auf
O’M oore. Seine Fäuste bekamen O’M oore, der trotz des wahnsinnigen Schmerzes, der von seiner Schulter aus durch den ganzen Körper tobte, blitzartig zur Seite ausgewichen war, nur am linken Arm zu fassen. In der Kutsche war es dunkel, Hasard sah nichts. Er hebelte den Arm seines Gegners hoch und wollte ihn herumdrehen, da traf ihn ein mit voller Wucht geführter Hieb seitlich am Kopf. Hasard spürte die schwarze Woge, die auf ihn zubrandete, aber er ließ nicht los. Er warf sich mit aller Kraft zurück und riß O’M oore, der das Gefühl hatte, sein Arm wäre in eine Bärenfalle geraten, mit sich. Die beiden M änner krachten gegen die Rückwand der Kutsche, und diesmal wuchtete Hasard sein Knie hoch, ließ den Arm fahren, schwang beide Fäuste hoch und ließ sie mit ineinander verschränkten Fingern auf O’M oore herabsausen. Er hörte das dumpfe Stöhnen seines Gegners. Seine weißen Zähne entblößten sich zu einem Grinsen, und er fühlte sich schon wieder viel besser. »So, Freundchen!« stieß er hervor. »Und jetzt werden wir beide uns ein wenig unterhalten!« Er packte abermals zu, aber in diesem M oment begann die Kutsche wie irrsinnig zu schleudern. Oben, auf dem Kutschbock, schrie Neil Griffith auf. Die Pferde brachen aus. M it hervorquellenden und weit aufgerisse nen Augen rasten sie direkt auf einen entgegenkommenden Frachtwagen zu. Verzweifelt zerrte Neil Griffith an den Zügeln, aber davon wurden die Pferde nur noch wilder. Sie brachen aberm als aus, zur linken Fahrbahnseite diesmal, genau auf die M ill Bay zu, deren Hafenbecken an dieser Seite den Abschluß der Straße bildete. Neil Griffith sprang. Sein stämmiger Körper löste sich vom Kutschbock, prallte auf das harte Pflaster und überschlug sich ein paarmal. Die Pferde rasten weiter. Eins von ihnen geriet mit den Hufen
in eine herumliegende Taurolle und stürzte im Geschirr. Die Deichsel brach, das andere Pferd wieherte schrill auf, machte noch einen Satz und verschwand mit weit nach vorn gerecktem Hals in der M ill Bay. Die Kutsche knallte gegen einen der großen Poller, an denen häufig Frachtkähne vertäut wurden. Ein entsetzlicher Ruck ging durch das Gefährt. Eins der Räder wurde samt Achse von der Kutsche abgefetzt. Die Kalesche überschlug sich, traf noch einen M ann, der nicht schnell genug aus gewichen war, und verschwand dann im hochaufspritzenden Wasser der M ill Bay. Hasard und O’M oore flogen in der Kutsche von einer Ecke in die andere. Längst hatte Hasard sich zusammengerollt und schützte seinen Kopf mit den Armen. Der letzte Stoß, mit dem die Kutsche über die Kaimauer in das Hafenbecken schoß, katapultierte ihn gegen eine der Türen. Splitternd brach sie aus ihrer Verriegelung, und Hasard flog ins Freie. Fast gleichzeitig mit der Kutsche landete er im Wasser der M ill Bay. Er spürte, wie er in die Tiefe sank, aber er war sekundenlang so benommen, daß er die Orientierung verlor und nicht imstan de war, überhaupt irgend etwas zu tun. Sein großer sehniger Körper streckte sich, fast automatisch vollführte Hasard schwache Schwimmbewegungen, und gleich darauf stieß er auf den Grund, der an dieser Stelle nicht sehr tiefen M ill Bay. Immer noch benommen, tastete er in der ihn umgebenden Dunkelheit herum, aber dann begriff er seine Situation schlag artig. M it einem energischen Tritt stieß er sich vom Grund ab und tauchte Sekunden später auf. Prustend spuckte er Wasser und holte tief Luft. Er blickte sich um. Von der Kutsche war nichts mehr zu sehen. Verdammt! durchfuhr es Hasard. In der Kutsche steckt mög licherweise noch dieser Kerl, der mich überfallen hat! Er wollte tauchen, aber laute Rufe ließen ihn einen M oment
zögern. Und dann huschte ein befreiendes Lächeln über seine Züge. Da stürmten sie heran - allen voran Dan! Und das Bürschchen schrie von allen am lautesten. Gleich hinter ihm der riesige Ferris Tucker, der einen Belegnagel in der Faust schwang. Dann Smoky, der Kutscher, Pete Ballie, der Rudergänger und M att Davies, der M ann mit dem Eisenhaken an der Rechten. Etwas weiter hinten erkannte Hasard im Schein der Straßenla ternen noch Stenmark und Gary Andrews, der ein langes Entermesser in der Rechten schwang. Hasard wollte rufen, aber in diesem Augenblick hechtete Dan ins Wasser, mit einem Sprung, der einem Tiger alle Ehre gemachthätte. »Dan, hierher!« brüllte der Seewolf mit Stentorstimme. Das Bürschchen richtete sich im Wasser auf. »He, Hasard, warte, ich komme! Hurra, Leute, er lebt, diese Ratten haben Hasard nicht geschafft!« Dan warf sich wieder ins Wasser und schoß wie ein Delphin auf den Seewolf zu. Am Land brüllten die M änner vor Begeis terung, schwangen ihre Belegnägel und Entermesser und Pieken. Dan hatte unterdessen Hasard erreicht, aber der ließ ihm gar keine Zeit zu lagen Fragen oder Begrüßungsreden. »Dan, du tauchst besser als ich. Da unten liegt irgendwo die Kutsche. Dieser Kerl, der mich umbringen oder entführen wollte, steckt sicher noch drin. Sieh nach, aber beeil dich!« Dan verschwand wie der Blitz. Sein schmächtiger Körper glitt durchs Wasser. Er fand die Kutsche sofort. Noch einmal schoß er an die Wasseroberfläche zurück, holte tief Luft und tauchte dann wieder. Die Kutsche lag günstig. M it seinen Fingerspitzen ertastete er die Öffnung an der Seite, aus der Hasards Körper die Tür herausgerissen hatte. Er glitt in das Gefährt. Da er nichts sehen konnte, tastete er blitzschnell die Sitze und den Boden der
Kutsche wie auch die Dachfläche ab. Er fand nichts - der M ann, den er suchte, war nicht da. Dan wurde die Luft knapp, er schoß nach oben. Dicht neben Hasard tauchte er auf. »Nichts«, japste er. »Dieser Bastard ist nicht in der Kutsche. Vielleicht hat es ihn erwischt, und er liegt jetzt irgendwo auf dem Grund. Warte, ich sehe nach!« Dan tauchte abermals, aber so sehr er sich auch, bemühte, er fand nichts. Als er zum drittenmal auftauchte, beendete Hasard die Suche. »Laß es, Dan«, sagte er nur, »es hat keinen Zweck. Entweder ist er ertrunken, oder er hat sich abgesetzt, was für ihn auch das Gesündeste wäre. Denn wenn ich diesen elenden M istkerl noch mal zwischen die Fäuste kriege, dann …« Hasard sagte nicht, was er dann tun würde, aber Dan wußte es auch so. Wenige Augenblicke später zogen Smoky und Ferris Tucker die beiden aus dem Wasser. Und genau in diesem M oment erscholl weiter hinten auf dem Kai wüstes Geschrei. »Halt, M ann! Bleib stehen, du verdammter Bastard!« »Das ist Stenmark, los, sehen wir nach, was da passiert ist!« Hasard lief los, und die anderen folgten ihm.
Auch Patrick O’M oore hörte das Geschrei. In seinem Schädel schien zwar ein ganzes Kanonendeck ständig Breitseiten abzufeuern, aber O’M oore war zäh und außerdem ein äußerst gewandter und ausdauernder Schwimmer. Auch er hatte den Sturz der Kutsche einigermaßen überstanden, sich fast gleich zeitig mit Hasard aus der sinkenden Kutsche befreit und war, so schnell er konnte, davongeschwomm en. In die M ill Bay
hinaus, dort, wo ihn die Dunkelheit gegen Entdeckung schütz te. Voller Schrecken dachte er daran, daß möglicherweise Neil Griffith in die Hände Killigrews und seiner Leute gefallen sein könnte - und er wußte genau, was das bei einem M ann vom Zuschnitt des jungen Kapitäns bedeutete. Er schwamm weiter, und zwar so leise, so schnell und so unauffällig, wie er konnte. Er konnte Neil Griffith jetzt nicht helfen. Er mußte sehen, daß er selbst so schnell wie möglich irgendwo an Land kam und sich trockene Kleider besorgte, wenn nötig, auch mit Gewalt. Patrick O’M oore war da nicht wählerisch. Er verschwand im Dunkel der Nacht, während drüben am Kai wütende Rufe zu ihm herüberschallten. Doch dann richtete er sich plötzlich steil im Wasser auf. »Oh, verflucht - das habe ich ja total ver gessen«, murm elte er. Und in seinem Gehirn begann eine fieberhafte Tätigkeit. Alles war so verdammt schief gegangen - und jetzt auch noch das. Er dachte daran, daß die ›Isabella‹ diese Nacht nicht überleben würde - gar nicht überleben konnte. Weder die Queen noch sonst irgend jemand würde die Silberbarren je erhalten, die tief im Rumpf der Galeone lagen. Blitzartig durchdachte O’M oore alle M öglichkeiten. Aber da war nichts mehr zu ändern. Die Aktion war angekurbelt, und nicht nur das, sie lief bereits. Er stieß einen wüsten Fluch aus. Denn jetzt konnte es gesche hen, daß auch die wertvollen Karten vernichtet werden würden. Es war das erstemal, daß Patrick O’M oore ein Auftrag derartig danebengeriet.
Allen voran jagte der Schwede Stenmark durch die engen
Gassen des Hafengebiets. Er schwang sein Entermesser und
brüllte ununterbrochen aus Leibeskräften. Von Zeit zu Zeit
erblickte er vor sich die schemenhafte Gestalt des Flüchtenden, der sich in geradezu unglaublichem Tempo bewegte. M eister haft benutzte er jede sich bietende Deckung, tauchte immer wieder in pechschwarze Schatten ein. Neil Griffith wußte, daß er um sein Leben lief. Es grenzte sowieso schon fast an ein Wunder, daß er diesen Kerlen von der ›Isabella‹ überhaupt entwischt war. Stenmark hatte ihn gefunden. Sofort hatte er mit seinen mäch tigen Pranken zugepackt und ihn vom Straßenpflaster hochge rissen. Neil Griffith war übergangslos hellwach gewesen, jede Benommenheit war schlagartig von ihm abgef allen. Er hatte alles in allem viel Glück gehabt, denn sein Sturz war glimpf lich verlaufen. Er spielte jedoch weiterhin den Benommenen, der noch halb ohnmächtig in den Pranken Stenmarks hing. Und dann, als sich der richtige Augenblick ergeben hatte, als der Schwede ihn zu den anderen schleifen wollte und schon ansetzte, um ihnen diese Neuigkeit zuzubrüllen, da hatte Neil Griffith ihm die Beine unter dem Körper weggetreten und gleichzeitig zuge schlagen. Der völlig überraschte Stenmark war zu Boden gegangen und hatte auch einige Sekunden gebraucht, bis er wieder auf den Füßen stand. Aber da war Neil Griffith längst auf und davon - und der Flüchtende hörte nur noch das wilde Gebrüll der M änner hinter sich, die ihn jetzt durch die Hafengassen von Plymouth hetzten. Immer wieder schlug er Haken, aber die Kerle waren einf ach nicht abzuschütteln. Doch dann hatte Neil Griffith Glück. Er gelangte an eine schmale, stockfinstere Gasse, in der keine einzige Lampe brannte. Er rannte hinein, stolperte völlig ausgepumpt ein paar Stufen empor, taumelte in eine zweite noch dunklere Gasse und verschwand schließlich in einem Torweg, in dem er nicht einmal die eigene Hand vor Augen sehen konnte. Er ertastete einen Stapel von Fässern, und gleich darauf war
er hinter den Fässern verschwunden. Er hörte das Gebrüll des Schweden und die Rufe der anderen. Aber die Verfolger rückten nicht näher, sondern entfernten sich von Neil Griffith. Griffith rutschte in sich zusammen. Nur ganz allmählich beruhigte sich sein Atem, hörten seine Pulse auf zu hämmern. Diesmal war er noch entwischt. Aber was jetzt?
Hasard brach die sinnlose Jagd ab. Er kochte innerlich vor Zorn, daß ihm diese beiden Dunkelmänner durch die Lappen gegangen waren. Und dann durchzuckte ihn ein eisiger Schreck. Seine Radschloßpistole - sie mußte noch in der Kutsche liegen. Er dachte gar nicht daran, auf diese Waffe zu verzichten - jetzt war alles andere ohnehin schon egal. Er griff sich Dan. Wenn überhaupt jemand Chancen hatte, diese kostbare Waffe wieder ans Tageslicht zu befördern, dann Daniel O’Flynn. Das Bürschchen hörte nur kurz zu. »Stimmt, ich habe da irgend etwas gefühlt, ich glaube, ich weiß, wo die Pistole liegt. Aber ich habe vorhin einfach nicht darauf geachtet, weil ich nach diesem verdammten Bastard suchte …« Damit lief er auch schon los. Und der brauchte nicht lange. Triumphierend tauchte er wieder auf. »Ich habe sie!« schr ie er, und seine helle Stimme, die sich noch im Stimmbruch befand, überschlug sich dabei. Hasard nahm die triefnasse Waffe in Empfang. »Das bringt dir eine Flasche vom besten Schottischen ein und noch mehr, Dan«, versprach er, und Dan grinste. »Halte dich nur an mich. Hättest du auf mich gehört, als ich
dir sagte, daß diese Kutsche für dich nicht taugt, daß diese Karre nicht nur eine Frechheit, sondern auch sonst noch alles M ögliche andere sei, dann brauchtest du dich jetzt nicht erst trocken zu legen. Denn die richtige Karosse dieses Sir Doughty steht vor der ›Isabella‹ an der Pier, und Ben Brighton hält die Leute fest.« Dan warf sich in die Brust, gleichzeitig sah er, wie Hasard zusammenzuckte. »Was sagst du da, Dan? Die richtige Karosse steht vor der ›Isabella‹ auf der Pier?« Viele Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Er starrte über die M ill Bay, dorthin, wo er die beiden Gale oen wußte und auch die Umrisse ihrer Rümpfe und Takelage eben noch erkennen konnte. Also steckte hinter dieser ganzen Geschichte doch nicht Sir Doughty? Das war ja die Hölle! Eine andere Seite jagte also ebenfalls nach der Ladung der ›Isabel la‹. Die Seekarten fielen Hasard in diesem M oment nicht ein. Er wußte nur, daß er jetzt unter allen Umständen der Einladung Doughtys Folge leisten würde. Das wurde ja alles immer toller! Er setzte sich in Bewegung. »Dan, lauf los, sag Ben, daß ich trockene Sachen brauche, daß ich jetzt so schnell wie möglich zu Sir Doughty fahren werde.« »Allein?« fragte Dan, und in seinen Zügen stand überdeutlich die Hoffnung, daß Hasard ihn vielleicht mitnehmen würde. »Allein, Dan. Das wäre ein schwerer Verstoß gegen die Etikette, wenn ich dich mitnähme. Wir müssen uns aber benehmen, das erwartet Kapitän Drake von uns. Und im übrigen möchte ich, daß die Wachen ein höllisch scharfes Auge auf unser Schiff haben, während ich weg bin. Da ist noch eine andere Seite im Spiel, ein Gegner, den wir nicht kennen. Allmählich habe ich das Gefühl, daß unser Kampf mit den fünf Karavellen geradezu ein Kinderspiel war gegen das, was uns
hier in Plymouth erwartet. Die Karavellen griffen uns offen an, dieser Gegner hier schlägt voller Heimtücke aus dem Dunkel und von hinten zu.« Er versetzte Dan einen leichten Schlag auf die Schulter. »Los, lauf schon, Dan. Ich komme mit den anderen sofort nach.« Dan war bei den letzten Sätzen Hasards nachdenklich gewor den und sauste los. Doch weder er noch die anderen M änner der Besatzung konnten ahnen, was die ›Isabella‹ noch in dieser Nacht erwartete. 8. Hasard war ein M ann aus Eisen. Er schüttelte die eben über standene Gefahr ab, wie ein sibirischer Tiger die Nässe aus seinem Fell, wenn er einen der großen Ströme durchschwöm men hat, die sein einsames Reich durchziehen. Er brauchte nur M inuten, um sich trockene Sachen anzuzie hen, die Ben Brighton ihm besorgt hatte. Bevor er das Schiff verließ, blieb er noch einmal stehen. »Paßt gut auf die ›Isabella‹ auf, Ben. Ich will sie nicht bis hierher gesegelt haben, damit sie jetzt, im sicheren Hafen, an irgendeinem Hundsfott zuschanden wird.« Das »im sicheren Hafen« sprach er mit unverkennbarem Hohn in der Stimme aus. »Ben, diese Bastarde werden sich an uns die Zähne ausbeißen. Ich möchte jetzt zu gern herausfinden, was dieser Doughty eigentlich wirklich von mir will.« Hasard verließ die Galeone. Einer der völlig verdatterten Lakaien riß den Schlag der Karosse auf. M it einem tiefen Bückling komplimentierte er Hasard in das Gefährt. »Sir«, sagte er dabei, »ich verstehe nicht - ich weiß nicht, woher diese andere Kutsche kam, ich …« »Ich auch nicht, aber ich finde es her aus. Los, abfahren, ich möchte Sir Doughty nicht noch länger warten lassen«, erwider
te er kurz angebunden. Die Karosse Sir Doughtys rollte davon. Sie brachte Hasard zum Queen’s Hotel, das im Westen der Stadt lag. Fast eine Stunde währte die Fahrt, dann stoppte die schwere Karosse vor einem hellerleuchteten Bau, wie Hasard ihn in dieser Pracht noch nie gesehen hatte. Er scherte sich einen Teufel darum, daß sein Aufzug zwischen all diesem Prunk reichlich deplaciert wirkte. Sir Doughty hatte ihn hierher eingeladen, also mußte er mit ihm vorlieb nehmen, wie er war. Basta. Schon in der riesigen Empfangshalle, in der über und über mit Kerzen bestückte Lüster ihr warmes, helles Licht verbreiteten, empfing ihn Sir Thomas Doughty. Eine blendende Erschei nung, wie Hasard sich in diesem M oment eingestehen mußte. Er schien alle Helligkeit, alles Strahlen der brennenden Kerzen auf sich zu vereinigen. Er machte in diesem M oment auf Hasard einen gänzlich anderen Eindruck, als an Bord der ›Isabella‹. Und instinktiv erfaßte Hasard, daß dies die Welt war, in der Sir Doughty sich zu bewegen wußte, in der er M ittelpunkt und Herrscher zugleich war. Ein M ann, den niemand ungestraft demütigen oder unterschätzen durfte. Sir Doughty trat Hasard gemessenen Schrittes entgegen. »Willkommen, mein lieber junger Freund. Wir warten schon alle voller Ungeduld auf Sie, unsere Zeit ist so arm an echten Helden. Und wie ich hörte, hatten Sie erneut Schwierigkeiten? Doch, doch, mein junger Freund, Thomas Doughty hört in Plymouth das Gras wachsen, wenn es sein muß«, fügte er auf den fragenden Blick Hasards hinzu. »Ich habe befohlen, jene M änner zu ermitteln und festzunehmen, die die Frechheit besaßen, Hand an den Kapitän eines der Schiffe meines Freundes Francis Drake zu legen. Doch kommen Sie, Kapitän Killigrew, sonst werden unsere Gäste, vor allen Dingen aber unsere Damen, die schon mit allergrößter Spannung Ihrer harren, wirklich ungeduldig.« Doch so einfach war das alles mit Hasard nicht. Dem Seewolf
war einfach rätselhaft, woher dieser unheimliche M ann, den er im stillen mit einem bösartigen, schillernden Insekt verglich, immer so prompt seine Informationen erhielt. »Einen Augenblick noch, Sir Doughty«, sagte Hasard, und eine steile Falte stand über seiner Nasenwurzel. Doughty, bereits im Begriff zu gehen, blieb stehen. Unwillig hob sich eine seiner Augenbrauen, als er Hasard ansah. Doch dann entspannte sich sein glattes, faltenloses Gesicht eben soschnell wieder. »Ich weiß, mein lieber junger Freund - Sie fragen sich, woher ich so rasch meine Informationen erhalte. Das gehört zu meinem Geschäft, Kapitän, es ist nicht gerade billig. Denken Sie imm er daran - im Hafen geschieht nichts, absolut nichts, ohne daß ich sofort davon erfahre …« Und diesmal hörte Hasard die Drohung deutlich heraus, die in diesen Worten lag. Aber Sir Doughty ließ ihm keine Zeit, darüber weiter nachzu denken, er zog ihn mit sanfter Gewalt mit sich fort. Durch den prunkvoll eingerichteten Saal ging ein Raunen, als Hasard eintrat. Seine hochgewachsene, sehnige Gestalt mit den schlanken Hüften, den breiten Schultern, dem rabenschwarzen Haar und den blitzenden eisblauen Augen, die von den kräfti gen, makellosen Zähnen nur noch ergänzt wurden - diese Gestalt unterschied sich von den kostbar gekleideten anderen Gästen so sehr, daß besonders die Damen Hasard begehrlich und mit angehaltenem Atem anstarrten. Instinktiv spürten sie, daß ihnen in Hasard ein M ann gegenü berstand, für den die Gesetze dieser Gesellschaft nicht galten. Ein M ann, der nicht lange fragte, sondern zupackte und sich nahm, was er haben wollte. Ein Kerl, der es mit jedem einzel nen der hier Anwesenden spielend aufnehmen konnte, dem nicht einmal ein Dutzend jener mit zierlichen Stoßdegen einherstolzierenden Kavalier e zugleich gewachsen sein würde. Sir Doughty entging diese Reaktion vor allem bei den Ladys
nicht. Ein rätselhaftes Lächeln umspielte für einen winzigen M oment seine Lippen. Aber es verlor sich zu schnell, als daß irgend jemand es bei dem unruhigen Licht der vielen Kerzen hätte bemerken können. Er deutete eine Verneigung an, dann stellte er Hasard vor. Gleich darauf ging er mit ihm zu der festlich gedeckten Tafel hinüber. Neben einer jungen Lady, von deren Schönheit Doughty nicht zuviel auf der ›Isabella‹ versprochen hatte, hieß er Hasard Platz nehmen. Die breiten Türen des Festsaals flogen auf, eine lange Kette von Lakaien rückte ein und trug auf. Und selbst der Seewolf mußte zugeben, daß ihm beim An blick der Köstlichkeiten sofort das Wasser im M unde zusam menlief. Golden schimmernder Wein floß in schwere Pokale, und Sir Doughty prostete seinem Gast zu, indem er sich erhob und einen Toast auf den großen, unbezwinglichen Seehelden ausbrachte, der Ihrer M ajestät, Königin Elisabeth I von Eng land, eine höchst wertvolle Prise zugeführt hatte. Und wieder betonte Sir Doughty das Wort wertvoll auf eine Weise, die dem Seewolf absolut nicht gefiel. Für ihn stand fest, daß dieser M ann weit mehr wußte, als er sagte. Daß Doughty alles, aber auch alles daransetzen würde, sich die Ladung der ›Isabella‹ anzueignen. Die Frage war nur: wußte Doughty auch etwas von den Seekarten, die er dem spanischen Kapitän Romero Valdez abgejagt hatte? Plötzlich war er nicht mehr so sicher, ob der Überfall auf ihn am Hafen wirklich nichts mit diesem gefähr lichen M ann zu tun hatte, den er sich ganz bestimmt zu einem unversöhnlichen Gegner gemacht hatte. Wieder kam Hasard nicht dazu, seine Gedanken zu Ende zu denken, denn die Schöne zu seiner Rechten begann, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Hasard sah das Feuer, sah die Glut, die in ihren Augen brann te, wenn er sie ansah. Er spürte, wie ihm langsam, aber sicher
heiß und immer heißer wurde. Hasard aß und trank, redete, stellte Fragen und gab Antwor ten. Aber keinen Augenblick vergaß er das schöne M ädchen an seiner Seite, das ihm immer verlockendere, immer verhei ßungsvollere Blicke zuwarf, je weiter die Nacht fortschritt. Und bei alledem floß der Wein in Strömen. Immer wieder trugen die Lakaien auf. Hasard, der eine M enge vertragen konnte, spürte schließlich doch die Wirkung. M it Staunen beobachtete er, in welch hohem M aße Sir Doughty seine Trinkfestigkeit unter Beweis stellte. Er blieb keinen Toast, keinen ihm zugetrunkenen Schluck schuldig. Aber er zeigte keinerlei Wirkung, blieb höflich, beherrscht, lachte auch, wenn es ihm angezeigt schien, verlor jedoch nie die Übersicht. Irgendwo ganz tief innen spürte Hasard die Gefahr - aber er war bereits benebelt und wischte derartige Gedanken einfach zur Seite. Er sah nur noch die junge Lady an seiner Seite, ihre Augen, ihre Lippen, las das Versprechen in ihren Blicken und das wilde Verlangen, das ganz unten, auf dem Grund ihrer Augen brannte. Hasard wußte, daß es mit diesem M ädchen an seiner Seite noch eine Reihe heißer Stunden geben würde. Er trank ihr zu, und gleichzeitig spürte er, wie sich ihre Schenkel unter dem Tisch gegen seine preßten …
Ben Brighton hatte nicht vergessen, was Hasard ihm gesagt hatte, bevor er von Bord gegangen war. Diese M ill Bay war ja der reinste Höllenpfuhl! Der Bootsmann der ›Isabella‹ hatte sich mit dem erfahrenen Ferris Tucker besprochen. Auch Smoky, der Decksälteste, war schließlich noch hinzugezogen worden. »Es genügt nicht, wenn wir uns an Bord auf die Lauer legen.
Denk an die Ile de Sein«, hatte Ferris Tucker gesagt. »Warum sollten diese Bastarde nicht auf eine ähnliche Idee wie wir verfallen? Vor allen Dingen könnten sie dann gleich beide Galeonen zu den Fischen schicken. Denn die beiden Schiffe kriegen wir nicht schnell genug auseinander.« Smoky hatte den Kopf geschüttelt. »Verrückt«, sagte er nur. »Wir fangen an, Klabautermänner zu sehen. Die Kerle sind an irgend etwas auf der ›Isabella‹ interessiert, wenn nicht an der Ladung überhaupt. Aber wie wollen sie an das, was sie offenbar haben wollen, herankom men, wenn sie die ›Isabella‹ zu den Fischen schicken?« Smoky schüttelte wieder den Kopf. Auch Ben Brighton wiegte zweifelnd den Kopf, aber Ferris Tucker blieb hartnäckig. »Und ich sage, verdammt noch mal, wir müssen auch die Wasserlinie und das Wasser rings um die Schiffe im Auge behalten. Es ist mir völlig gleichgültig, ob ihr beide mich für verrückt haltet oder nicht, ich werde jedenfalls mit ein paar M ännern das Boot zu Wasser fieren und Wachturns rudern lassen.« Ben Brighton schüttelte abermals den Kopf. Aber dann dachte er daran, was Hasard ihm über den Inhalt jener mysteriösen Kassette gesagt hatte - ihm als einzigen an Bord. Er warf Ferris Tucker einen schrägen Blick zu. Ahnte der am Ende etwas? Ben Brighton war kein schneller Denker, aber er war gründ lich. Und ein Gedanke, der sich einmal in seinem Schädel festgesetzt hatte, wurde immer wieder hin und her gewälzt, bis der Bootsmann zu einem Ergebnis gelangte, das ihn zumindest halbwegs befriedigte. M ehr und mehr war er davon überzeugt, daß diese ganzen Aktionen der Unbekannten mit jener Kassette in Zusammenhang stehen mußten. »Gut, Ferris, tu das. Du hast freie Hand. Lieber etwas tun, auch auf die Gefahr hin, daß es sich als überflüssig erweist, als
etwas unterlassen, womit wir das Schiff hätten schützen können.« Der hünenhafte Schiffszimmermann brummte irgend etwas, dann stieg er zum Hauptdeck hinunter. Gemeinsam mit Stenmark und Blacky machte er das Boot klar, holte dann noch ein paar M änner heran und ließ das Boot, das höchstens Platz für acht M änner bot, zu Wasser. Anschlie ßend bewaffneten sich Tucker, Stenmark, Blacky, Dan - der natürlich Wind von der Sache gekr iegt hatte und sofort Feuer und Flamme war - und Batuti mit M usketen und turnten in das Boot hinunter. Hasard war schon seit mindestens zwei Stunden von Bord und immer noch hatte sich nichts getan. Achtern, auf dem Vorkastell, auf dem Haupt - und Quarterdeck gingen die Wachen. Die M änner murrten nicht - der Zwischenfall mit ihrem Kapitän hatte ihnen zu denken gegeben. Ben Brighton war sogar so weit gegangen, daß er auch die Leute der neben ihnen liegenden Galeone überredet hatte, auf ihrem Schiff ebenfalls verstärkte Wachen einzurichten. Noch eine Stunde verstrich, Hasard fing im Queen’s Hotel gerade bei der neben ihm sitzenden Schönen endgültig Feuer und immer noch herrschte in der M ill Bay absolute Stille. Selbst die M ill Bay Road lag wie ausgestorben da. Lediglich in der »Bloody M ary« und der »M ill Bay Inn« ging es noch hoch her. Vom Sund pfiff ein kalter Wind in die M ill Bay, strich über die Galeonen und sang in ihren Wanten. Das Tauwerk ächzte und krachte, wenn die Schiffe sich bewegten. Ferris Tucker ließ wieder einen seiner Wachturns rudern. Langsam, fast lautlos glitt das Boot am mächtigen Rumpf der ›Isabella‹ entlang, passierte die Geschützpforten und schob sich dann unter den Spiegel. Und in genau diesem M oment sah Ferris Tucker das Boot, das sich aus der Dunkelheit der M ill Bay auf die ›Isabella‹ zuschob.
Er glaubte zuerst, seine Nerven und seine Augen hätten ihn genarrt, aber Dan, dem er seine Entdeckung rasch zugeflüstert hatte, sah das unheimliche Boot ebenfalls. Sofort hörten Batuti, Stenmark und Blacky ebenfalls mit dem Pullen auf. »Verdammt, Ferris, das ist ein Schiff, das man über und über schwarz gestrichen hat. Sogar das Segel ist dunkel. Was wollen diese Kerle eigentlich, was …« Erst jetzt bemerkte Dan, wie rasch sich das unheimliche Schiff der ›Isabella‹ näherte. Und in diesem M oment sprang auf dem unheimlichen Fahrzeug ein Funken über Deck jedenfalls sah es so aus. Dan, Tucker und die anderen starrten wie gelähmt auf das Schauspiel, das sich ihnen innerhalb der nächsten Augenblicke bot. Auf dem schwarzen Schiff züngelte eine Flamme empor, waberte einige Sekunden hierhin und dahin und schnellte plötzlich in die Höhe. Im Nu hatte sie den M ast, den Rumpf und schließlich auch das Segel erfaßt, das tatsächlich aus schwarzem Stoff bestand. »Ein Brander!« schrie Ferris Tucker in die atemlose Stille. »Diese verfluchten Hunde schicken uns einen Brander, und ich gehe jede Wette ein, daß dieser Kahn auch noch einige Fäß chen Pulver an Bord hat, die genau zur rechten Zeit losgehen werden!« Flüchtig tauchten die Ereignisse auf der Reede von Cadiz vor seiner Erinnerung auf, wo Hasard die »Santa Barbara« und die »Barcelona« ebenfalls als Brander benutzt und damit die gefährlichen Kriegs galeonen vernichtet hatte. An Bord der ›Isabella‹ wurden Rufe laut, M änner liefen über Deck oder starrten aus weit aufgerissenen Augen dem Brander entgegen, der mit jeder Sekunde näher und näher rückte. Schon hörten sie das laute, bedrohliche Prasseln der Flammen ganz deutlich.
Ferris Tucker wußte, daß sie nur eins tun konnten. Er faßte innerhalb weniger Augenblicke seinen Entschluß, und er wußte, daß sie, falls ihnen ihr Vorhaben gelang, wahrscheinlich dennoch nicht überleben würden. Aber das war für den rothaa rigen Hünen nicht ausschlaggebend. »Vorwärts, legt euch in die Riemen!« befahl er. Die M änner fragten nicht, sie wußten genausogut wie Ferris Tucker, daß dieser teuflische Brander die ›Isabella‹ nicht erreichen durfte. Das Beiboot schoß hinter dem Spiegel der Galeone vor. Ferris Tucker hatte Dan ans Ruder gesetzt, weil Dan noch nicht über die Kräfte verfügte wie er, Batuti, Stenmark oder Blacky. Ferris Tucker wußte jedoch, daß von nun an jede M inute zählte. Ben Brighton sah von Deck aus, wie das Beiboot dem Brander entgegenschoß. »Ferris!« brüllte er, so laut er konnte. »Du bist verrückt! Der Kahn hat Pulverfässer an Bord! Kehrt um, verdammt noch mal …« Aber Tucker hörte nicht, gleichmäßig tauchten die Riemen ein und bogen sich unter der Gewalt, mit der sie von den vier M ännern durch das Wasser gerissen wurden. »Dan!« schrie Tucker nach einem r aschen Blick, den er dem Brander über die Schulter zugeworfen hatte. »Von hinten heran! Hinten brennt der Kahn noch nicht. Paß gut auf, Dan!« Dan biß die Zähne zusammen. Auch er hatte begriffen, auf was sie sich da einließen. Zum erstenmal spürte er, wie Furcht in ihm emporstieg, aber er unterdrückte sie und hielt auf den Brander zu. Die Flammen prasselten, Holz krachte und knackte. Der Brander warf einen hellen, zuckenden Schein über die M ill Bay. Auf der Pier, aus den Häusern der M ill Bay Road stürzten M enschen hervor und rannten auf die Pier. Selbst die »Bloody M ary« und die »M ill Bay Inn« leerten sich schlagartig. Der
feiste Plymson rannte wild gestikulierend hinter seinen Gästen her, in der Furcht, sie könnten ihm mit der Zeche durchgehen. Es war eine höllische Szene. Dan preßte die Lippen zusam men, als sie jetzt vor dem Bug des Branders vorbeiliefen und die ungeheure Hitze des brennenden Schiffes sie traf. Schweiß stand auf seiner Stirn, aus zusammengekniffenen Augen starrte er auf das Inferno an Backbord. »Ans Heck, Dan, Ruder hart Steuerbord!« brüllte Ferris Tucker, erhob sich von der Ducht, auf der er neben Stenmark saß, und schwang seine riesige Zimmermannsaxt, die er als Waffe neben der M uskete mitgenommen hatte. M an sagte Ferris Tucker nach, er könne mit dieser A xt so gut umgehen, daß bisher noch keiner seiner Gegner eine Chance zum Überleben erhalten hatte. Er schlug mit ihr im Nahkampf um sich, er wußte sie meisterhaft und mit tödlicher Sicherheit zu werfen, er parierte mit ihrem langen Stiel jeden Degenstoß, jeden Hieb mit dem Entermesser. Stenmark starrte ihn an. Erst jetzt begriff er, was Tucker vorhatte. »Nein, Ferris, nein, tu’s nicht! Du bist verrückt, du …« Der rothaarige Hüne reagierte nicht auf das Geschrei, er gab Dan noch einen Wink, und dann, als das Beiboot hinter dem Brander vorbeiglitt, enterte er. Die Hitze sprang Ferris Tucker an, nahm ihm den Atem, und er wußte, daß er nicht viel Zeit haben würde. Rasch blickte er sich um - und dann sah er, daß er sich nicht geirrt hatte. Ein paar Schritte vor ihm, am Boden des Branders festgezurrt, aber noch außerhalb des Feuers, das sich schnell weiterfraß, standen drei Pulverfässer. Ferris Tucker holte tief Atem, dann sprang er. Die Hitze, die das über und über brennende Vorschiff des Branders und der wie eine gigantische Fackel zum Himmel lodernde M ast ausstrahlten, versengte ihm die Haare, griff nach seiner Klei dung.
Ferris Tucker entschloß sich blitzschnell. Die Hitze war schon zu groß. Er packte die Reling, ließ sich für einen M oment außenbords gleiten, damit wenigstens seine Kleidung und die Haare naß waren. M it einem Ruck zog er sich wieder in den Brander, packte seine A xt und hieb auf die Taue ein, mit denen die Fässer festgezurrt waren. Er arbeitete wie besessen, dann hatte er es geschafft. Eins der Fässer nach dem anderen packte er und warf es in hohem Bogen über Bord. Vom Ufer und aus dem Boot, das in seiner Nähe geblieben war, drang wüstes Gebrüll an seine Ohren. Doch Ferris Tucker war noch nicht fertig. Immer noch be wegte sich der Brander ziemlich rasch auf die ›Isabella‹ zu und bildete für das hölzerne Schiff eine riesige Gefahr. Der Schiffszimmermann schwang die Axt von Neuem. M it wuchtigen Schlägen trieb er die messerscharfe Schneide in den Schiffsboden. Imm er wieder in dieselbe Stelle, und sie riß lange Stücke aus dem harten Holz. Die Flammen sprangen auf das Achterschiff über. Die Hitze wurde so groß und unerträglich, daß vor Ferris Tuckers Augen feurige Kreise zu tanzen begannen. Verzweifelt rang er nach Atem und sog doch nur glühende Luft in seine Lungen. Aber er gab nicht auf, m it gewaltigen Streichen zertrümmerte er den Schiffsboden des Branders. Und plötzlich schoß das Wasser in das Schiff. In dickem Strahl ergoß es sich ins Innere des Branders. Der Riese schlug noch ein paarmal zu und erweiterte das Loch - dann aber packten ihn die brausenden, prasselnden Flammen. Seine Kleidung fing Feuer. Tucker sprang. M it einem Hechtsatz verschwand er im hoch aufspritzenden Wasser der M ill Bay. Wie ein elektrischer Schlag fuhr die Kälte durch seinen Kör per, dann packten ihn auch schon hilfreiche Fäuste und zogen ihn ins Boot. Ferris Tucker wollte etwas sagen, aber er schaffte es nicht
mehr. Er klappte im Beiboot zusammen. Sein Herz hämmerte, seine Pulse flogen, selbst für einen Hünen wie ihn war es zuviel gewesen, was ihm Hitze, Sauerstoffmangel und die gigantische Anstrengung und Kraft, mit der er den Schiffsbo den zertrümmert hatte, zugemutet hatten. Stenmark schüttelte den Kopf, und selbst Batuti, dem herkulischen Neger, war das Grinsen vergangen. Stenmark sagte: »Ich bin gewiß nicht feige, das weiß jeder an Bord. Aber das da« - er wies auf den Brander, der tiefer und tiefer sackte und fast seine ganze Fahrt verloren hatte -, »das hätte ich nicht gewagt!« »Er hat die ›Isabella‹ gerettet«, stieß Smoky hervor, der vor Aufregung kaum sprechen konnte. Er hatte so etwas noch nie zuvor in seinem Leben gesehen. Und noch immer hatte er das Bild vor Augen, wie Ferris Tucker wie der Leibhaftige persönlich zwischen den Flammen des Branders stand und seine Axt schwang. Auch von Bord der ›Isabella‹ hatten die M änner um Ben Brighton den verzweifelten Kampf Ferris Tuckers beobachtet. Sie schwiegen - ihr Gebrüll war verstummt, denn ihnen wurde klar, was Tucker für sie getan hatte. Sie hätten dem Brander nichts entgegenzusetzen gehabt - er hätte beide Galeonen vernichtet. Und dann war da noch die Frage, die allen unausgesprochen auf den Lippen lag. Wer steckte hinter diesen teuflischen Aktionen? Wer konnte daran interessiert sein, ein Schiff, das dreißig Tonnen Silberbarren geladen hatte, zu den Fischen zu schicken? Der Brander sackte auf ebenem Kiel weg, nachdem sein M ast funkensprühend in sich zusammengestürzt war. Die prasselnden, brausenden Flammen verzischten im Wasser der M ill Bay, und dann herrschte eine beinahe gespenstische Stille. Als das Boot an der Galeone vertäut worden war und die M anner an Bord stiegen, allen voran Ferris Tucker, wenn auch
noch etwas wacklig, da wurden sie von den M ännern umringt, und alles schrie wie verrückt durcheinander. Auch die Leute auf der Pier stimmten in das Gebrüll ein. Vor Brighton blieb der rothaarige Riese stehen und grinste ihn an. Seine Augen unter den versengten Haaren lachten. »Siehst du, Ben, manchmal ist es doch ganz gut, wenn der alte Tucker seinen Dickschädel dur chsetzt. Es ging um M inu ten …« Er hustete und spie den Ruß und Dreck, die seinen Gaumen und seine Kehle aus getrocknet hatten, über Bord. Und dabei hatte er das Gefühl, als wäre gleich ein ganzer Lungenflügel mit außenbords geflogen. »Gib mir was zu trinken, Ben, uns allen. Wir haben von dieser verdammten Hitze eine ebenso verdammt trockne Kehle«, krächzte er, und ein neuer Hustenanfall schüttelte ihn. Ben Brighton nickte nur, dann jagte er den Kutscher, der hinter ihm stand, in die Kombüse.
In der Hafengegend wurde es eine lange Nacht. Der dicke Plymson verdiente gut, und auch der Wirt der »M ill Bay Inn« stand sich nicht schlecht. Denn die mannigfaltigen Ereignisse dieser Nacht wurden heftig diskutiert. Nur ein paar M änner auf der anderen Seite der M ill Bay starrten wütend zu den beiden Galeonen an der Pier hinüber. Sie konnten es nicht fassen, daß ihr Brander die Schiffe nicht erreicht hatte, daß der Branderangriff fehlgeschlagen war. »Wir wollen uns schleunigst verdrücken«, sagte der eine dumpf. »Wenn O’M oore und Griffith von unserem Versagen erfahren, dann lassen sie die Hölle los. Ich kenne diese beiden
Bluthunde. Ich will m it der Sache nichts mehr zu schaffen haben.« Er drehte sich um und verschwand in der Nacht. Seine Kom plicen zögerten noch eine Weile, fluchten und wetterten vor sich hin, aber dann verzogen sie sich ebenfalls. 9. Genau um M itternacht - zur Wachablösung - hatte der riesige Ferris Tucker schon ganz schön einen sitzen. Und da jetzt vier M änner der ›Isabella‹ an Land gehen konnten, zog er mit Donegal Daniel O’Flynn, Smoky und Lewis Pattern los, um, wie er Ben Brighton lautstark verkündete, beim dicken Plym son in der »Bloody M ary« einen auf die Pauke zu hauen. Ben Brighton saß zwischen zwei Stühlen. Einerseits gönnte er dem Riesen den Landgang, ander erseits wurde ihm doch etwas mulmig, wenn er an die Ereignisse dachte, die sich seit ihrem Einlaufen in Plymouth abgespielt hatten. Ferris Tucker wischte seine Einwände beiseite. »Für heute ist genug passiert«, sagte er und hatte dabei einen Schluckauf, der wie eine Breitseite über das Deck grollte. »Oder meinst du vielleicht, da - daß die Armada noch über uns herfällt?« »Armada? Wieso die Arm ada?« »Na ja, eben die - Arm ada!« Ferris Tucker schaukelte auf die Gangway zu, stieß die Pranke mehrmals in die Luft, als gelte es, eine Attacke zu reiten, und brüllte: »Dan! Smoky! Lewis! M ir nach!« Und so schlingerten sie, der Riese voran, über die wippende Gangway, turnten über das M itteldeck der »Santa Cruz«, kletterten auf die Pier und zogen krakeelend am Kai entlang in Richtung der »Bloody M ary«. Ben Brighton schüttelte den Kopf und seufzte abgrundtief.
Wenn das nur gut geht, dachte er. Aber schließlich hatte sich Ferris den Landurlaub redlich verdient, besonders nach seinem Bravourstück mit dem Brander. Vor der Luke zum Frachtraum war der Kutscher als Posten aufgezogen. Ben Brighton ging noch eine Runde übers Ober deck, kontrollierte die Festmacher, schnüffelte in den Wind und stellte fest, daß er inzwischen auf West gedreht hatte. Er grinste vor sich hin. Wenigstens war jetzt der Wind ihr Verbündeter. Ein zweiter Branderangriff aus Westen war unmöglich, weil sich dort in etwa hundert Yards Entfernung eine M ole entlangzog. Von dort konnte kein Brander angreifen. Und wenn er es so recht bedachte, sollte eigentlich für diese Nacht Ruhe sein. Wer auch immer es auf die Ladung der ›Isabella‹ abgesehen hatte - der oder die noch unbekannten Gegner mußten inzwischen kapiert haben, daß mit den M än nern des Seewolfes nicht gut Kirschen essen war. Ben Brighton gähnte, schärfte dem Kutscher ein, nur ja nicht einzupennen und ständig seine Runden zu gehen und verzog sich dann ins Vorschiff, um ein paar Stunden zu schlafen. Er konnte nicht wissen, daß um diese Zeit bereits fünf Au genpaare aus der Deckung der Kaianlagen her aus die ›Isabella‹ belauerten. Fünf Kerle, mit Knüppeln bewaffnet, begannen, sich im Schutz der Dunkelheit an die beiden Galeonen heran zuarbeiten.
Unterdessen war das Festmahl im Queen’s Hotel beendet, und es ging hoch her. Allerdings hingen bereits einige der Kavalie re trunken in ihren Stühlen und starrten aus glasigen Augen in den wogenden Trubel. Es wurde nur noch einmal etwas ruhiger, als Sir Doughty in die Hände klatschte und den Vortrag eines italienischen Lautenspielers ankündigte. Ein
M urmeln und Kichern durchlief die festlichen Räume - an scheinend kannten einige den Lautenkünstler, der wie ein schmalziger Faun aussah und auch genauso lüstern grinste. Und was er sang, während er die Akkorde auf der Laute zupfte, war durchaus eindeutig. Jedenfalls offenbarte der Text, daß alle Frauen und M ädchen Blumen seien, die sich pflücken lassen sollten, bevor sie am Stengel verdorrten. Hasards Schöne seufzte und flüsterte in sein Ohr, wobei sie an seinem Ohrläppchen herumknabberte: »Pflückst du mich, starker M ann?« »Na ja«, sagte Hasard und wischte sich das feuchte Ohrläpp chen trocken. »Was bist du denn für ein Blümlein?« »Eine Lilie«, hauchte sie und schmiegte sich an ihn. Sie küßte Hasard, daß ihm Hören und Sehen verging. Er spürte, wie das Blut durch seine Adern pulste. »Komm«, sagte sie dann und zog ihn mit sich fort. »Ich habe oben im Hotel eine Suite, dort sind wir ungestört.« Hasard grinste. Das war ein M ädchen nach seinem Ge schmack, keine dieser verdammten Puppen, die sich wer weiß wie lange zierten. Als er die Stufen hinaufstieg, spürte er, daß er einen Brumm schädel hatte, aber das war ihm egal. Diese Nacht hatte er sich verdient - und die junge Lady da, die vor ihm leichtfüßig die Stufen hinauf balancierte, o M ann, die war genau richtig! Hasard tastete mit seinen Blicken ihren Körper ab. Und alles, was er sah, war so erfreulich,, wie er es nur selten zuvor gesehen hatte. Sie erreichten die Etage, in der die Lady wohnte, gingen den mit dicken, schwellenden Teppichen aus gelegten Flur entlang und standen vor der Tür jener Suite, in der die junge Lady wohnte. Sie angelte einen Schlüssel aus ihrem perlenbesetzten Täsch chen, und dabei schwankte sie leicht. Ungeschickt versuchte sie immer wieder, den Schlüssel ins Schloß zu stecken, bis Hasard ihr schließlich dabei half. Es knirschte vernehmlich, als
sich der Schlüssel drehte und die Zuhaltungen aufschnappten. Die Lilie schwankte ins Zimmer, dabei drehte sie sich noch einmal um und lächelte Hasard verführerisch zu. Hasard war mit einem langen Schritt bei ihr und riß sie in seine Arme, während er der offenen Tür einen heftigen Stoß versetzte, der sie krachend ins Schloß fallen ließ. Doch dann gewahrte er die beiden Schatten, die sich aus dem Hintergrund des Raumes lösten und ihn ansprangen. Hasard katapultierte das M ädchen auf das breite Bett, vor dem sie standen. Er duckte sich ab, warf sich herum und schlug sofort zu. Der erste Hieb ging ins Leere, und die Wucht, mit der Hasard diesen Schlag geführt hatte, riß ihn aus der Drehung heraus nach vorn. Haarscharf an seinem Kopf vorbei zischte ein schwerer Knüppel und zertrümmerte krachend eine zierli che Kommode, auf die er traf. Hasard warf sich herum. Er kochte vor Wut, und der Alkohol, den er zu sich genommen hatte, baute alle Hemmungen bei ihm ab. Er erwischte einen der beiden M änner, die ihn in die Zange nehmen wollten. Er zog ihn zu sich heran, packte ihn, hob ihn blitzschnell hoch über seinen Kopf und schleuderte ihn quer durch das Zimmer. Der M ann schrie noch, während er durch die Luft flog. Er prallte gegen eine Fensterbank und krachte in die Scheibe, die unter seinem Anprall zersplitterte. Ein gräßlicher Schrei gellte durch die Nacht, dann kippte der M ann mit Händen und Füßen um sich schlagend über die Brüstung und verschwand in der Tiefe. Hasard beging nicht den Fehler, sich durch den Schrei und den Sturz dieses Gegners ablenken zu lassen - denn schon drang der andere mit einem Wutschrei auf ihn ein. Er schwang ebenfalls einen Knüppel - und wieder duckte Hasard blitz schnell ab. Dann war er am M ann. Seine Rechte explodierte in der M a gengrube seines Gegners. Der knickte zusammen, wurde aber sofort von einer mit voller Kraft hinterhergeschlagenen Linken wieder emporgerissen. Der Prügel polterte zu Boden, ein
schwerer Tritt erwischte Hasard am Schienbein. Diesmal schrie sogar Hasard auf - aber dann sprang er seinen Gegner von Neuem an. Seine Augen funkelten. Er hörte, wie die Lady auf dem Bett aufschrie. Hasard trieb seinen Gegner mit einer blitzschnell geschlagenen Serie von Körperhaken vor sich her. Dann sah er, wie die Klinge eines langen M essers aufblitzte. Er spürte den scharfen Schmerz, als sie ihm in den linken Unterarm fuhr. Da verlor Hasard endgültig den Rest seiner Beherrschung. M it einem Schrei, der den Raum erzittern ließ, warf er sich auf den M ann, schlug ihm das lange M esser aus der Hand, packte ihn und warf ihn durch das zerbrochene Fenster in die Nacht hinaus. Irgendwann hörte Hasard, wie das Gebrüll, das der M ann während seines Falles ausstieß, erstarb, als der Körper aufschlug. Schwer atmend richtete er sich auf, wischte das Blut, das an seinem Arm herunterlief, mit dem Ärmel der Rechten ab. Dann war er mit einem Schritt bei der Lady. Ein wölfisches Grinsen überzog sein Gesicht. Er versetzte der Schönen einen derben Klaps auf die Kehrseite und warf sie aufs Bett zurück. »Nicht mit Philip Hasard Killigrew, du Lilie«, sagte er. »Am liebsten würde ich dich den beiden hinterherwerfen - aber immerhin, du bist eine Lady, und das ist dein Glück.« Er wandte sich ab und achtete nicht auf die vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen des M ädchens. Er riß die Tür auf und warf sie hinter sich donnernd ins Schloß. Ein paar Lakaien, die von dem Lärm aufgescheucht heranstürmten, wischte er mit seiner Rechten zur Seite wie lästige Insekten. Er eilte die Stufen hinunter, durchquerte die Hotelhalle und trat nach draußen auf die Straße. Die Nacht verschluckte ihn … ENDE
In 14 Tagen erscheint SEEWOLFE Band 17
Feind im Dunkel von Davis J. Harbord Die Erkenntnis war bitter: Philip Hasard Killigrew hatte viele Feinde und Neider. Besonders niederträchtig war der Plan dieses Sir Thomas Doughty, den Seewolf aufs Kreuz zu legen. Und die beiden spanischen Agenten, die ihn mit tödlichem Maß verfolgten, warteten nur auf einen winzigen Fehler, um sich für die Kaperung der ›Isabella‹ zu rächen. Hasard merkte es auf Schritt und Tritt: In Plymouth war in dieser Nacht der Teufel los. Er hätte mit der ›Isabella‹ auslaufen können, und das wäre seine Rettung gewesen. Aber die Crew leistete sich gerade ein Riesenbesäufnis ... PHILIP HASARD KILLIGREW wurde Seewolf genannt, denn er war der Härteste in der Seeraubersippe der Killigrews. Er machte nicht nur die Küste Cornwalls unsicher. Er segelte über alle Meere der Welt, als Seemann so perfekt wie als Pirat. Ihm folgten noch viele Generationen der Seewölfe. Sie alle waren Kaperfahrer, Eroberer und Entdecker. P. H. Killigrews große Seeabenteuer begannen 1576 an Bord der Marygold - unter dem Kommando von Sir Francis Drake, dem größten Korsaren unter Königin Elisabeth I., der dazu beitrug, daß England zur größten Seemacht der Welt aufstieg.