Gruselspannung pur!
Earl of Morlich – Schottlands Fluch
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Nebel hing über dem...
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Gruselspannung pur!
Earl of Morlich – Schottlands Fluch
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Nebel hing über dem See, den verkarstete Berge umgaben. Verschwommen war die Mondsichel über den Grampian Mountains zu erkennen. Ich ging am Ufer des Sees entlang, einen derben Knotenstock in der Hand. Plötzlich ertönte ein gräßlicher Schrei. Ich wirbelte herum und sah sofort den Schädel über dem Wasser schweben. »Du wolltest dem Earl of Morlich begegnen, Mark Hellmann?« schrie der frei schwebende Kopf. »Hier bin ich!« Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt! Ich stand da, den Stock in der Hand. Aus dem Wasser erscholl laute und schrille Dudelsackmusik, meisterhaft gespielt. Ich hatte die Klänge des Dudelsacks schon immer gemocht. Sie kündeten vom Stolz des Hochländers, der urwüchsigen Natur sowie der glorreichen Vergangenheit. Jetzt lief es mir eiskalt über den
Rücken, obwohl ich manches gewöhnt war. Aus dem tiefschwarzen Wasser stieg ein kopfloser Rumpf! Es war der Körper eines großen, kräftigen Mannes mit Jacke und Kilt. Ein mächtiger Beidhänder. Sein langes Schwert hing schwer an seiner Seite. Der Kopflose spielte den Dudelsack. Highlands Pride erscholl, Schottlands Stolz, meisterhaft vorgetragen. Der kopflose Earl of Morlich schwebte dabei etwa einen Meter über dem Wasser. Ein paar Meter links von ihm stand sein Kopf mit dem lang herabfallenden Haar in der Luft. Die Augen glotzten mich böse an. »Der Fluch der Morlichs wird dich vernichten, Mark Hellmann!« stieß er hervor. »Du hättest nicht herkommen sollen.« Obwohl ich in Lebensgefahr schwebte, hatte ich in dem Moment einen völlig absurden Gedanken: Wie bläst ein Kopfloser einen Dudelsack auf? Doch bei der Zauberei und den magischen Kräften, die hier im Spiel waren, stellte dies wohl das geringste Problem dar. Der schreiende Schädel von Morlich Castle flog rasend schnell durch die Luft auf mich zu. Sein Mund war weit aufgerissen, die Zähne gefletscht. Ich riß gerade noch rechtzeitig den Stock hoch und drosch ihn dem Schädel ins Gebiß. Die spitzen Zähne hackten in den Knotenstock, während weiterhin der Dudelsack erklang. Wäre der Stock nicht gewesen, hätten mich die Zähne am Hals erwischt. Der freischwebende Kopf drückte mit ungeheurer Kraft. Ich hatte alle Mühe, ihn auf Abstand zu halten, obwohl ich als ehemaliger Zehnkampfmeister nicht gerade ein Schlappschwanz bin. Die Kiefermuskeln des Schädels traten deutlich hervor, während die Zähne in das Holz hackten. Der Kerl hatte ein Gebiß wie ein Panther. Mein Ring hatte sich erwärmt, nutzte mir als Waffe gegen den Schädel jedoch nicht viel. Ich rang mit ihm, anders konnte man es nicht nennen. Eine ungeheure Kraft riß mich herum, zwang mich in die Knie und löste sich dann von dem Knotenstock. Der Kopf jagte durch die Luft und dann abermals auf meine Gurgel zu. Ich schmetterte ihm die Rechte genau ins Gesicht. Der Schmerz zuckte bis hoch in meine Schulter. Immerhin brachte ich den Schädel in der Luft zum Stoppen. Mehr aber auch nicht.
»Das nutzt dir nichts, Hellmann«, sagte der Schädel, obwohl ich ihn genau mit dem inzwischen silbrig leuchtenden Ring getroffen hatte. »Jetzt geht es dir an den Kragen. Jetzt sollst du erfahren, was ein Kopfloser kann!« Der Schädel griff wieder an. Die Hände ließen den Dudelsack fallen und zogen den einssechzig langen Beidhänder. Es war eine schartige, doch immer noch scharfe Klinge mit einer Blutrinne in der Mitte. Ich schaffte es gerade noch, den anfliegenden Schädel mit einem Stockschlag abzuwehren. Der Rumpf jedoch holte mit dem Beidhänder zu einem furchtbaren Schlag aus, der mich von einer Sekunde zur anderen ausgelöscht hätte. Mein Knotenstock war gegen den Beidhänder des kopflosen Earls of Morlich ein Nichts, zumal der Schädel bereits darauf lauerte, wieder auf mich loszufliegen. Im nächsten Moment spürte ich Hände an mir. Ich wurde kräftig gerüttelt. Der Rumpf mit dem Schwert, der Schädel, der schottische Hochlandsee und die gesamte Umgebung verschwanden. Ich zuckte hoch, riß die Augen auf und sah eine hübsche Frau vor mir sitzen. Sie schüttelte mich. »Mark, Liebster, komm wieder zu dir! Du hast geträumt.« »Wie? Was? Wo bin ich?« »Bei mir, in meiner Wohnung in Weimar. Was ist los mit dir? Du bist völlig verwirrt. Du hast so geschrien, daß ich aufgewacht bin und mir angst und bange wurde. – Wir kennen uns ja nun eine Weile. Doch so einen heftigen Alptraum hattest du noch nie. – Was hast du denn bloß geträumt?« Ich versuchte die Benommenheit abzuschütteln. Der Traum war ungeheuer plastisch gewesen. Meine blonden Haare waren verklebt, so sehr hatte ich geschwitzt. Nur langsam gelang es mir, in die Realität zurückzukehren. Mein Ring leuchtete und prickelte an meiner Hand, ein sicheres Zeichen, daß eine dämonische Kraft im Spiel war. Das war mehr als ein Traum gewesen, vielleicht eine Vorschau auf ein zukünftiges Erlebnis. »Tess«, sagte ich mit schwerer Stimme. »Ich habe geträumt, ein kopfloser Dudelsackspieler wollte mich mit einem Beidhänder in Stücke hacken. Ich bin fix und fertig. Augenblick, ich muß erst mal durchatmen, dann können wir gern unter die Dusche gehen.«
Als ich in der Duschkabine stand und die Wasserstrahlen auf meinen Körper niederprasselten, erinnerte ich mich, wie alles am Vortag begonnen hatte. * Ich saß in der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in dem schönen Rokoko-Lesesaal und schmökerte in alten Legenden und Sagen. Das tat ich mitunter gern. Seit ich wußte, daß ich als Träger des Rings eine besondere Bestimmung hatte, nämlich das Böse zu bekämpfen sowie alte Mythen und Sagen zu vollenden, interessierte mich diese Materie noch mehr als früher. Mein großer Gegenspieler war Mephisto, nach Lucifuge Rofocale oberster Höllenteufel. Ein uralter Megadämon mit ungeheuren Kräften, listig, verschlagen, aus allen Poren nach List und Tücke stinkend. Mephisto konnte jede Gestalt annehmen und war wohl als einziger Höllendämon fähig, Zeitreisen zu unternehmen und in verschiedenen Zeiten zu agieren. Was es genau mit unserer Feindschaft auf sich hatte und woher sie rührte, wußte ich noch nicht. Doch Mephisto hatte es speziell auf mich abgesehen, der ich überhaupt ein Geschick hatte, mich mit allen möglichen Gruselgeschöpfen anzulegen. Mein Name ist Mark Hellmann. Ich wohne in Weimar, in der Florian-Geyer-Straße, habe Ethnologie, Geschichte und Vorgeschichte studiert, mich als Reporter durchgeschlagen und bin jetzt der Kämpfer gegen das Böse. Da ich davon noch nicht leben kann, greife ich meine Reserven an und hoffe, bald mal aufgrund meiner Verstrickung in Sagen und Mythen einen verborgenen Schatz zu finden, der mir den Gerichtsvollzieher vom Leib hält. Ist übertrieben, klar. Aber rosig sind meine finanziellen Verhältnisse wirklich nicht. Ich bin blond, habe blaue Augen, bin einsneunzig groß und als ehemaliger Sportler natürlich Nichtraucher. Ich trinke ab und zu mal einen, besonders gern mit meinem besten Freund, dem Kripohauptkommissar Pit Langenbach – wenn ihm seine Frau mal freigibt. Meine ganz große Leidenschaft sind Frauen. Ich kann mich
einfach nicht mit dem Gedanken abfinden, immer nur mit einer einzigen zusammenzusein. Meine Freundin Tessa, Fahnderin bei der Weimarer Kripo, kennt meine Schwäche, doch sie hat es noch nicht aufgegeben, mich für sich allein zu haben. Und da ich sie liebe, versuche ich mich etwas zurückzuhalten, nicht gleich jedem Weiberrock nachzuschauen oder zu steigen. Aber es fällt mir sehr schwer. Wenn ich mich irgendwann mal »beruhigt« habe, bin ich vielleicht reif oder geeignet für die Ehe. Vorher jedoch wohl nicht. Gleich zu Beginn unserer Beziehung hatte gestanden. Sie hatte genickt, aber nicht gern.
ich
ihr
das
Wer weiß, vielleicht kriegt mich Mephisto irgendwann und steckt mich in der Hölle in den großen Topf, wo ich dann Jahrtausende überm Feuer brate. Dämonen und Teufelchen mit kleinen Spießen prüfen dann ab und zu nach, ob Mark Hellmann schon weichgekocht ist. Bei diesen Aussichten kann man vielleicht verstehen, warum ich lebenssüchtig bin. Mephisto dagegen ist rachsüchtig. Sollte ich jemals in seine Gewalt geraten und in die Hölle kommen, wird er sich einiges ausdenken, um sich an mir zu rächen. Ich weiß nicht, wie und ob ich ihn überhaupt vernichten kann. Der Bursche ist etliche Jahrmillionen alt und war schon aktiv, als noch Saurier die Erde bevölkerten und Vulkane zahlreicher und viel aktiver waren als heute. Aber wir sind noch nicht fertig miteinander. Bisher habe ich ihm immer wieder Schnippchen geschlagen, auf die Hörner gehauen und bin in dem Kampf zwischen uns jedenfalls nicht unterlegen. Vielleicht finde ich irgendwann doch einmal ein Mittel, um ihn zu zerstören oder für immer in die Hölle zu bannen, die er dann nicht mehr verlassen kann. Dann gnade dir Luzifer, Mephisto! Dann kannst du in der tiefsten Hölle mit bloßen Klauen die glühenden Kohlen schaufeln, um den Höllensumpf anzuheizen. Oder du wirst deiner Kräfte beraubt und mußt als eine Made umherkriechen und wirst täglich aufs Neue zertreten werden. Mein besonderes Kennzeichen ist ein siebenzackiges, sternförmiges Mal in der Herzgegend. Woher es rührt, weiß niemand. Ich wurde im Alter von zehn Jahren, am 1. Mai 1980, in der Weimarer Altstadt aufgegriffen, als ich nackt und völlig verstört umherirrte. Nur meinen Siegelring mit den Buchstaben M. N. einem stilisierten Drachen und einigen Runensymbolen trug
ich an einem Lederband um den Hals. Meine Story ist hinlänglich bekannt: Adoption und Erziehung durch Ulrich und Lydia Hellmann, die mir ihren Namen gaben. Was in meinen ersten zehn Lebensjahren geschah, wer meine leiblichen Eltern sind, weshalb ich nach der Walpurgisnacht in Weimar war, weiß ich bis heute nicht. Eine Amnesie hat mir die Erinnerung an meine ersten zehn Lebensjahre geraubt. Mephisto weiß sicherlich über mich Bescheid. Aber er sagt es mir nicht, er bekämpft mich nur immer mal wieder in einem kosmischen Spiel, dessen Regeln ich noch nicht vollständig begriffen habe. Mit dem Ring kann ich Zeitreisen unternehmen. Er zeigt mir auch jeweils dämonisches Wirken an, doch eine Superwaffe ist er nicht. Die suche ich noch. Bisher mußte ich im Kampf gegen die Mächte der Finsternis und gegen die Unwesen, die ich bekämpfe, alle meine Kräfte aufbieten. – Zum Glück finde ich immer wieder Verbündete, oder es gelingt mir ein Trick, um die Gegner zu schlagen. Doch irgendwann erwischt es mich doch einmal. Daran dachte ich, als ich an dem schönen Septembernachmittag in der Bibliothek saß. An dem Tag hatte ich bereits einen gemütlichen Waldlauf gemacht, um mich von den Strapazen meines letzten Einsatzes gegen die Mächte des Bösen zu erholen. Danach war ich im Stadion gewesen und hatte trainiert. Für den Abend stand noch Selbstverteidigung im Polizeisportverein auf dem Programm. Ich muß schließlich fit bleiben, damit ich im Jenseits eine gute Figur abgebe, auch geistig, deshalb lese ich viel. Spaß beiseite, mein Schicksal ist ein sehr ernstes Thema, doch sehe ich keinen Grund, ständig mit einer Leichenbittermiene durch die Gegend zu laufen und depressive Gedanken zu hegen. Warum aber gerade ich? Andere sind Topmanager, erfolgreiche Juristen oder Schauspieler und verdienen ein Schweinegeld, und ich, ich rassele in ein dämonisches Abenteuer nach dem anderen und habe die größte Mühe, dabei nicht draufzugehen. Andererseits ist der Job interessant, man lernt viele Typen kennen, nicht nur Menschen, und es passiert immer was Neues. Ich las also schottische Sagen und Legenden. Manche Geschichten las ich gründlicher, andere überflog ich. Schottland mit seinen Hochmooren, langen und dunklen Wintern und seiner
romantisch-düsteren Geschichte war für Gespenstergeschichten wie geschaffen. Die Schotten kannten jede Menge Geister und Spukgestalten. Zumindest auf dem Gebiet, sich diese auszudenken, waren sie nicht geizig gewesen. Vielleicht, weil das nichts kostete. Die Sage vom Fluch der Morlichs faszinierte mich. Ich las also von dem kopflosen Earl of Morlich, dessen Dudelsackspiel in seinem schottischen Stammschloß jeweils das erneute Auftreten eines jahrhundertealten Fluchs verkündigte. Dieser brachte Familienmitgliedern der Morlichs den Tod und wiederholte sich alle paar Generationen. Das Dudelsackspiel rief sie in den Tod! Ich schaute mir gerade eine Farbzeichnung des kopflosen Karls an, wie er seinen Dudelsack spielte, und spürte plötzlich ein Prickeln im Ringfinger meiner rechten Hand. Als ich hinschaute, glühte der Siegelring schwach, ein sicheres Anzeichen für eine dämonische Aktivität. Ich schaute mich um und überzeugte mich, daß sich nicht etwa Mephisto oder irgendein anderes Höllenwesen im Lesesaal an mich heranschlich. Weder sichtbar noch unsichtbar. Dabei drehte ich den Ring. Nichts tat sich. In meiner Nähe befanden sich nur die spießige Bibliothekarin und ein weißhaariger Mann, der in ein Buch vertieft war. Ich saß an einem Lesetisch. Es war still in dem großen Saal mit den hohen Buchregalen und der holzgetäfelten Decke. Wären die elektrischen Lampen nicht gewesen, hätte man glauben können, die Zeit sei hier stehengeblieben. Das Glühen des Rings und das Prickeln, das er verursachte, wurden stärker, wenn ich ihn gegen das Buch hielt. Sobald ich ihn gegen die Zeichnung des Kopflosen hielt, waren die Erscheinungen am stärksten. Unbeteiligten Beobachtern fielen sie jedoch nicht auf. Ich vergewisserte mich, daß mich niemand beobachtete. Dann malte ich mit dem Ring ein paar Runen aus dem FutharkAlphabet auf den Tisch. Damit aktivierte ich den Ring. Sofort sandte er einen Lichtstrahl aus. Damit schrieb ich die Runen für das altgermanische Wort Prüfe! auf das Buch. Die Runen brannten sich in die Seiten ein, würden jedoch nach
einer Weile wieder verschwinden und keinen Schaden zurücklassen. Den magischen Effekt kannte ich mittlerweile. Mit dem Buch tat sich nichts, obwohl das Runenwort auf der aufgeschlagenen Seite stand. Als ich genauer hinschaute, sah ich, daß sich das Bild verändert hatte. Neben dem kopflosen Rumpf war undeutlich der schreiende Schädel zu erkennen. Ich beugte mich über das Buch. »Der Fluch«, hörte ich es wispern. Dann folgten gälische Worte. Dank meiner Studien verstand ich ein paar davon und begriff, daß es sich um schreckliche Verwünschungen handelte. Von Schrecken und Heimsuchungen war die Rede. Dann jedoch verblaßte der Schädel, und das Gewisper verstummte. Die Runen, die ich ins Buch gezeichnet hatte, verblaßten allmählich. Der Ring hatte bereits zu strahlen aufgehört. Buch und Ring waren völlig normal, die Gebrauchsgegenstände ohne jedes dämonische Fluidum. Ich fragte mich, ob das Buch verhext war. Oder, was wahrscheinlicher war, ob der Fluch von Morlich im Gegensatz zu anderen Spukgeschichten im Buch tatsächlich existierte und bald wieder in Erscheinung treten sollte. Ausleihen konnte ich dieses Buch nicht, es war eine Kostbarkeit. Als ich die Geschichte über den Spuk von Morlich zu Ende lesen wollte, legten sich plötzlich zwei kalte Hände über meine Augen. Im ersten Moment wollte ich aufspringen. Dann jedoch bemerkte ich einen angenehmen Parfümduft und stellte fest, daß die Hände keineswegs eiskalt waren. Sondern so, wie Hände eben waren, die man kurz zuvor mit kaltem Wasser gewaschen hatte. »Wer bin ich?« fragte eine weibliche Stimme mit russischem Akzent. »Schneewittchen?« »Nein.« »Boris Jelzin?« »Schon eher. Rate weiter. Wenn du rätst, wer es ist, kriegst du drei Küsse von mir. Wohin, darfst du dir aussuchen. Wenn du mich nicht errätst, habe ich drei Wünsche frei.« Das war vielversprechend. Natürlich wußte ich längst, wen ich hinter mir hatte. Sie sagte mir, daß ich noch drei Versuche hätte. Ich tippte auf Sharon Stone, Cinderella und die Hausmeistersfrau
von schräg gegenüber, »Nein. Ich bin es, Natascha.« Natascha Borissowa Kalugina war eine Austauschstudentin aus Sankt Petersburg. Jung, schwarzhaarig, rassig, mit enormen weiblichen Reizen. Natascha war an der Jenaer Universität für Germanistik eingeschrieben und kam öfter mal nach Weimar herüber, um sich die klassischen Stätten anzusehen, wo Goethe, Schiller, Herder und der Komponist Liszt gelebt hatten. Daß Natascha dabei diese Bibliothek aufsuchte, die mit ihrer Riesensammlung eine wahre Fundgrube darstellte, lag auf der Hand. Ich hatte die junge Russin vor vier Tagen bei einer Aufführung im Nationaltheater kennengelernt. Danach waren ihre Clique und meine in den Biergarten beim Stadtschloß gegangen. Dort hatten wir uns zum ersten Mal in die Augen gesehen. Dafür, daß ich Tessa treu blieb, sorgte ein eifersüchtiger Bekannter von Natascha. Er drohte mir Prügel an, und es kam zu ersten Handgreiflichkeiten. Die Stimmung jedoch war dahin. Die Studenten aus Jena murrten, Natascha fuhr mit ihnen nach Hause. Jetzt aber stand sie allein vor mir! Das Buch lief mir nicht weg. Ich beschloß also, die Hintergründe des Fluchs vom Morlich am folgenden Tag nachzulesen. Wir fuhren zu mir, weil sie es so wollte. Und weil ich nicht widersprach. Ich weiß, ich bin ein Schwein, hatte auch wegen Tessa stärkste Gewissensbisse, doch ich konnte nicht anders. Wir waren wie Magnet und Eisen. Nataschas dunkle Augen leuchteten voller Vorfreude. Die Kleider fielen. Mit Liebkosungen und Streicheleinheiten heizten wir uns auf. Natascha hatte einen herrlich gewachsenen Körper, volle Brüste und einen prallen Po. Sie war eine wahre Augenweide, da konnte doch ein echter Mann nicht widerstehen! War Natascha erst mal in Fahrt, gab es kein Halten mehr. Keine Notbremse konnte sie mehr stoppen. Ich war auf den Zug aufgesprungen, also fuhr ich mit. Mit derselben Geschwindigkeit, durchs selbe Paradies. Dann jedoch, als wir zur Sache kommen wollten, wurde die Tür aufgeschlossen. Tessa Hayden trat ein! Ich war ertappt. Im kurzen Rock und roter Seidenbluse stand sie vor unserem Bett. Ein
hochdramatischer Auftritt. Als sie mit einem verkniffenen Lächeln sagte »Des kleinen Mannes Sonnenschein ist vögeln und besoffen sein«, glaubte ich schon, mit einem blauen Auge davongekommen zu sein, aber dann erwischte es mich voll! Mit hochgezogenen Augenbrauen deutete sie auf Natascha. »Wer ist das?« »Natascha Kalugina«, sagte ich. »Natascha Kalugina?« Tessa spuckte den Namen förmlich aus und explodierte vor Eifersucht. Ihre grünen Augen sprühten Blitze. Mit krallenartig vorgestreckten Fingern stürzte sie sich auf Natascha. »Dir kratze ich die Augen aus! Du Miststück!« Natascha war nicht die Frau, die sich so anmachen ließ. Sie wehrte sich ihrer nackten Haut. Ein handfester Damenringkampf entbrannte. Kontrahentinnen wälzten sich übers Bett.
Die
beiden
Natascha war stärker, Tessa als Kripobeamtin jedoch in Judo ausgebildet. Vor lauter Zorn vergaß sie das jedoch, riß Natascha an den Haaren und drosch mit einem Schuh auf die Rivalin ein. Natascha wußte sich nicht anders zu helfen, als Tessa in die Wade zu beißen. Beide Gegnerinnen schrien erbärmlich. Sie rollten vom Bett herunter, rammten den Tisch in der Diele und warfen eine große Standblumenvase um, die zu Bruch ging. Jetzt mußte ich eingreifen, bevor am Ende noch ein größeres Unglück geschah. Es war gar nicht so einfach, die beiden Frauen auseinanderzubringen. Wie fauchende Katzen hatten sie sich ineinander verbissen. Endlich schaffte ich es, schleppte die sich sträubende Tessa zum Bad und wehrte Natascha ab. Die Russin war außer sich, weil Tessa ihr ein paar Haarbüschel ausgerissen hatte, und sie wollte sie mit allen möglichen Gegenständen bombardieren. Das verhinderte ich. Mit einiger Mühe gelang es mir, Tessa im Bad einzusperren. Sie trommelte gegen die Tür und beschimpfte Natascha und mich. Außerdem schepperte und klirrte es im Bad ganz gewaltig. »Es ist besser, wenn du dich jetzt anziehst und gehst«, sagte ich zu Natascha. »Meine Freundin mag dich nicht besonders, aber
das hast du wohl schon bemerkt.« »Du hast eine feste Freundin?« fragte Natascha. »Das hast du mir aber nicht gesagt, Mark.« »Trotzdem mußt du jetzt gehen.« »Mark, du hast ein ernstes Problem.« Ich gab ihr einen Klaps auf die zerkratzte Kehrseite. Natascha streifte ihre Kleider über. Dann reckte sie sich auf die Zehenspitzen, gab mir einen Kuß, fummelte noch besitzergreifend an mir herum und verabschiedete sich dann doch. Ich zog meine Hose an und öffnete die Badezimmertür, hinter der es ruhig geworden war. Dafür sah mein Bad aus, als ob ein Hurrican durchgebraust wäre. Sogar den Arzneimittelschrank hatte die wütende Tessa aufgerissen und seinen Inhalt am Boden zerstreut. Haarspray, Duschgel und Cremes bildeten einen Schmierfilm am Boden des Badezimmers. Durch die Fichtennadelbrausetabletten, die sich darin auflösten, sah er richtig künstlerisch aus. An den Spiegelschrank hatte Tessa mit Lippenstift ein Wort hingeschrieben, das eine Dame normalerweise nicht gebrauchte. Gemeint war das menschliche Körperteil, auf dem man zu sitzen pflegt. Das Eifersuchtsdrama war schon schlimm genug, doch dann klingelte der Hausbesitzer. »Was ist denn bei Ihnen los, Herr Hellmann? Eine Schlägerei? Und dann noch Ihre ständigen Damenbesuche. Ich muß doch sehr bitten! Wir hatten in der Annonce damals ausdrücklich einen ruhigen Mieter gesucht.« »Ich bin ruhig. Die anderen machen den Lärm.« »Sie wissen genau, was ich meine. Wenn es bei Ihnen weiter so laut zugeht, muß ich Ihnen leider kündigen.« Ich nickte und schlug ihm vor der Nase die Tür zu. Ich hatte Wichtigeres zu tun. Ich säuberte gerade das Bad, als das Telefon klingelte. Ich hob ab. Tessa war am Apparat. »Ich bringe mich um«, schluchzte sie hemmungslos. »Und du hast mich auf dem Gewissen.« »Tessa, es war doch nichts…« stammelte ich hilflos.
»Interessiert mich nicht. Ich schlucke jetzt Schlaftabletten, und dann adieu, schnöde Welt. Tessa Hayden verläßt dich. Die Liebe zu einem Unwürdigen, der nur mit ihr spielte, hat ihr das Herz gebrochen und sie des Lebens überdrüssig gemacht. – Mein Motorrad kriegt mein kleiner Bruder.« Der war siebzehn und lebte bei den Eltern in Gera. Ich wollte noch etwas sagen. Aber Tessa legte auf. Ich zog mich sofort komplett an, eilte aus dem Haus, sprang in den BMW und raste zu dem Haus, in dem sich Tessas Wohnung befand. Während der Fahrt rief ich übers Handy bei Pit Langenbach zuhause an. Der Hauptkommissar meinte: »Schau erst mal selbst nach dem Rechten. Vielleicht ist es blinder Alarm. Wenn ich die Feuerwehr oder einen Streifenwagen hinschicke, kriegt Tessa Ärger in ihrer Dienststelle.« Kurz darauf stellte ich den BMW vor Tessas Haus ins Halteverbot, drückte wahllos alle Klingeln, bis jemand die Schließanlage öffnete, dann sprintete ich die Treppe hoch. Bei Tessas Wohnung drückte ich gegen die Tür und stellte fest, daß sie nur angelehnt war. Das konnte ein Zufall sein. Ich trat ein. Auf dem Tisch war ein Briefumschlag an die Blumenvase gelehnt. Darauf stand »Mein Abschiedsbrief«. Ich erschrak, als ich auch noch ein leeres Tablettenröhrchen vor dem Bad liegen sah. Es handelte sich um ein starkes Mittel, mit dem es durchaus möglich war, sich ins Jenseits zu befördern. Ich riß also die Badezimmertür auf und trat vor, weil ich niemanden sah. Dann kriegte ich von hinten eins mit dem Gummiknüppel über den Kopf gezogen. Benommen drehte ich mich um, da holte Tessa gerade zum zweiten Schlag aus. Ich fing den Gummiknüppel ab, mit viel Glück, entwand ihr ihn und fragte Tessa: »Bist du verrückt geworden? Willst du mich erschlagen?« »Mark, Mark, bitte verzeih mir. Ich liebe dich doch so sehr.« Das Ende vom Lied war, daß wir im Bett landeten. Tessa klammerte sich an mich, und ich tröstete sie. Bald schlief sie ein. Ich ebenfalls. Frauen, war mein letzter Gedanke. Manchmal setzten sie mir mehr zu als mancher Dämon.
Später träumte ich dann von dem kopflosen Dudelsackspieler und dem schreienden Schädel, der mir die Kehle durchbeißen wollte. Bis mich Tessa aus dem Alptraum weckte. Nachdem ich die Dusche verlassen hatte, schliefen wir nebeneinander noch eine Weile. An diesem Tag stand ich früh auf. Ich war unruhig, es hielt mich nicht im Bett. Beim Rasieren vor dem Spiegel betastete ich die große Beule an meinem Kopf, die von Tessas Gummiknüppel herrührte. So bald wie möglich fuhr ich zu der Bibliothek und ließ mir noch einmal das Buch mit den schottischen Legenden und Sagen geben. Ich schlug das Kapitel mit dem Fluch von Morlich Castle auf, um die Hintergründe und die Entstehungsgeschichte des Fluchs nachzulesen. Da erwärmte sich mein Ring abermals. Im nächsten Moment hielt ich statt des Buchs einen handgroßen Skorpion in den Händen. Da ich durch den Ring vorgewarnt war, rettete mir meine rasche Reaktion das Leben. Gedankenschnell zog ich die Hände weg. Der Giftstachel des Skorpions zuckte vor und verfehlte mich knapp. Seine Zangen kniffen mich ins linke Handgelenk. Ich schüttelte das giftige Kriechtier ab und zertrat es, als es zu Boden fiel. Nachdenklich schaute ich zu Boden. Im Hintergrund der Bibliothek, zwischen den Buchregalen, glaubte ich ein leises Kichern zu hören. Ich konnte mich auch getäuscht haben. Das Auftauchen des Skorpions ließ auf Mephisto schließen, der gern mit ihnen sowie Schlangen und anderem Giftgetier arbeitete. Auch Fliegen, besonders die fetten, schwarzen, ekligen hatten es ihm angetan. Der Fluch von Morlich konnte das Buch in der Weimarer Bibliothek nicht verwandelt haben. Jetzt fragte ich mich, ob Mephisto bei dem Fluch von Morlich irgendwie seine Satansklauen im Spiel hatte und sich seiner bediente. Oder ob er mir mit dem Giftskorpion nur einen Schabernack spielte. Mir sozusagen auf die Schulter tippte und vermittelte: Hallo, ich bin noch da. Ich habe dich nicht vergessen. Während ich noch überlegte, summte mein Handy. Ich zog es aus der Tasche und handelte mir dafür einen vorwurfsvollen Blick der Bibliothekarin ein.
Mein Vater war dran. »Mark, wo bist du? – Kannst du mal zu uns kommen? Ein gewisser Richard McPherson, seines Zeichens Diamantensucher, hat mich von Südafrika aus angerufen. Er braucht Hilfe. Es handelt sich um einen uralten Fluch, der ihn mit Macht nach Schottland zieht und sein Leben bedroht. Um den Fluch des Earls of Morlich.«
* Richard McPherson war fünfundvierzig, eine knorrige Erscheinung mit schütterem Haar, Backenbart, Knollennase, wasserblauen Augen und Sommersprossen. Er war mit seinem Boy Tschombe als Diamantensucher in der Kalahari unterwegs. Heiß brannte die Sonne Südafrikas auf die Hochsteppe mit den Salzpfannen und fast ausgetrockneten Flußbetten. Stachlige Gräser, Succulenten, Dornbüsche und Gestrüpp wuchsen hier. Im Hintergrund waren die flachen Bergketten von Botswana zu sehen. Ein paar Gnus wanderten durch die Steppe, grasten mal hier und mal dort. McPherson, ein gebürtiger Schotte, stammte aus dem Clan der Morlichs, bei denen der älteste Sohn jeweils den erblichen Titel Earl trug. Sein voller Name war Herbert McPherson, Earl of Morlich. Er, der älteste der drei Brüder, bewohnte Schloß Morlich am gleichnamigen See. Richard McPherson war der Zweitälteste Sohn, ein unsteter Abenteurer und eine rastlose Natur. Er trug eine schwere Elefantenbüchse über der Schulter und eine großkalibrige Pistole in der geschlossenen Halfter am Gürtel. McPherson suchte mit geübtem Blick nach Seifen, was geologisch Sand- und Kieselablagerungen bedeutete. In diesen lagerten sich oft Metalle, Erze oder Diamanten ab. Die Kalahari war für ihre Diamanten bekannt und berühmt. McPherson kannte aus jahrelanger Erfahrung die Diamantfundstellen. Die lukrativsten in der Kalahari hatten sich längst die großen Konzerne und Bergbaugesellschaften gesichert. Für Abenteurer wie Richard McPherson fielen im Vergleich zu der Ausbeute der Großen nur Peanuts ab. Aber davon konnten man trotzdem leben. Und wer einen großen Diamanten fand oder sogar einen Place, wo es viele Diamanten gab, der war über
Nacht reich. Freilich bleichten in der Wüstensteppe mehr Knochen von unglücklichen Diamantsuchern, als daß die Kalahari Millionäre geschaffen hatte. Doch Männer wie Richard McPherson wollten das nicht wahrhaben. Sie glaubten fest, eines Tages den ganz großen Fund zu machen. McPherson stapfte dem heißen Wind entgegen, der ihm ständig Sandkörner und Staub ins Gesicht blies. Der knorrige Schotte hatte als Schutz vor dem allgegenwärtigen Zephyr, dem heißen Wind, ein Tuch vor das Gesicht gebunden. Dazu trug er einen Sonnenschutz auf dem Kopf und eine Schutzbrille. McPherson war mittelgroß. Er kleidete sich in Khakizeug und trug halbhohe Stiefel. Der Schotte war nervös wie schon lange nicht mehr. Sein Blick schweifte unstet umher. Bei jedem Dornbusch, der etwas ungewöhnlich aussah, jedem Strauch und jeder Windhose schrak er zusammen. Er hatte zum erstenmal in seinem Leben Angst. Dabei war der Schotte ein passionierter Großwildjäger. Einer von der Sorte, die kaltblütig bis zum letzten Moment warteten. »Massa!« rief Tschombe, der ein paar Meter vor seinem Herrn marschiert war. »Massa herkommen. Ist das Diamantenbett?« Er hatte in einem ausgetrockneten Bachbett eine Sand- und Kieselablagerung entdeckt. Richard McPherson lief zu ihm hinüber. Ging sein Traum vom Reichtum endlich in Erfüllung? Doch jetzt, da er vielleicht kurz vor dem Ziel stand, zögerte er. Wieder hörte er den schottischen Dudelsack. Highlands Pride spielte er. McPherson hörte die Töne ganz deutlich und klar. Sie wurden immer lauter. Ihm platzte fast der Kopf. Er sank in die Knie, preßte die Hände an seine Schläfen und stöhnte: »Aufhören! Habt Erbarmen, ihr Geister! Laßt mich in Frieden, ich halte es nicht mehr aus!« Die Dudelsackmusik wurde etwas leiser. »Geh nach Schottland, nach Morlich Castle!« hörte McPherson die geheimnisvolle Stimme. »Es ist Zeit. – Wir warten auf dich.« Das Dudelsackspiel und das Wispern verstummten. McPherson stand auf. Er stolperte durch die Staubschleier zu seinem Boy, der aufgeregt winkte. Doch ehe er ihn erreichte, schoß plötzlich ein schreiender Schädel aus den wirbelnden Staubschleiern. Er
fletschte die Zähne. Das lange, braune Haar flatterte hinter ihm her. Der Schädel mit der breiten Nase und dem Kinnbart in der Art des 16. Jahrhunderts umkreiste McPherson und bedrohte ihn zähnefletschend. Er fauchte und spuckte. »Nach Schottland«, rief er immer wieder. »Geh nach Schottland, oder du wirst es bereuen! – Willst du wohl nach Schottland gehen!« Grauenvolle Verwünschungen und Drohungen drangen aus dem Mund des Schädels. Er trieb McPherson in die andere Richtung. Der Boy sah den Schädel nicht. Er wunderte sich nur; es war ihm unbegreiflich, daß McPherson jetzt, so kurz vor dem großen Fund, davonlief. Der Schädel benahm sich, allerdings auf unheimliche, grauenvolle Weise, wie ein Schäferhund, der ein verirrtes Schaf zu der Herde trieb. McPherson ging nicht zu der Ablagerung, die sein Boy entdeckt hatte, sondern kehrte um. Tschombe folgte ihm kopfschüttelnd und ohne jedes Verständnis. McPherson hatte Angst und Schmerzen. Jedesmal, wenn er nur daran dachte, zu der Diamantentasche zurückzugehen oder einen anderen Weg einzuschlagen, hörte er die Dudelsackmusik. Oder der Schädel tauchte auf, den nur er sehen konnte. Die Richtung war klar. McPherson mußte nach Schottland, zum Stammsitz seiner Familie! Der Zephyr ließ nach. McPherson marschierte zu seinem Jeep zurück, der unter ein paar breitästigen Bäumen stand. Er fuhr zu der Piste, die aus der Kalahari in Richtung Pretoria führte. Das Grauen saß ihm im Nacken und trieb ihn an. In Pretoria buchte er sofort den nächsten Flug nach London, von wo er weiter nach Glasgow wollte. Seinen Boy hatte er am Rand der Kalahari zurückgelassen und ausgezahlt. Ehe er abflog, wandte sich Richard McPherson telefonisch an einen Privatgelehrten in Pretoria, den er gut kannte. Dieser Mann, ein grauhaariger Neger, der in einem kleinen Häuschen am südlichen Stadtrand lebte, war Parapsychologe. Er kam, als er von McPhersons Problem hörte, extra zum Flughafen. Kurz vor dem Abflug der Maschine unterhielt sich der südafrikanische Parapsychologe mit dem Diamantensucher aus
der Kalahari über den schottischen Fluch. »Er fängt wieder an«, sagte McPherson. Völlig fertig saß er in der Lounge. »Alle paar Generationen tritt dieser Fluch auf.« McPherson schilderte ein paar Einzelheiten. »Es gibt keine Flucht und keine Rettung vor ihm. Jedesmal fordert er Todesopfer.« »Wie kann ich Ihnen helfen?« fragte Paul Abaringo. »Was können Sie denn für mich tun, Doktor?« erkundigte sich Richard McPherson erschöpft. »Wäre es zuviel verlangt, mich nach Schottland zu begleiten? Ich bezahle den Flug.« Abaringo schüttelte den Kopf. »Das ist leider nicht möglich. Geister, Spuk und Flüche sind nicht mein Fachgebiet. Außerdem bin ich unabkömmlich. Doch ich kenne Leute, die sich mit der Bekämpfung des Bösen auskennen. In Weimar, in Deutschland, gibt es, zum Beispiel, den pensionierten Kriminalbeamten Ulrich Hellmann. Er hat ein Archiv der Geheimwissenschaften und pflegt Kontakte zu Okkultisten und Parapsychologen auf der ganzen Welt. An ihn werde ich mich wenden. Er oder sein Beauftragter werden in Morlich Castle Kontakt mit Ihnen aufnehmen, Richard.« Er legte dem jüngeren Mann die Hand auf die Schulter. »Ich wünsche Ihnen alles Gute, Richard. Seien Sie zuversichtlich. Sie werden nicht ohne Unterstützung bleiben.« Der Schotte atmete tief aus. »Ich bin gefaßt«, sagte er. »Jeder Mensch hat sein Schicksal. Meines ist es, daß ich ein Morlich bin. Wenn es mir bestimmt ist, daß mich der Fluch meines Geschlechts umbringt, kann man es nicht ändern. Doch ich werde nicht kampflos in den Tod gehen.« Richard McPherson war eine verkrachte Existenz. Ein Spieler und Abenteurer, der schon vor vielen Jahren die schottische Heimat verlassen hatte, um in der weiten Welt sein Glück zu suchen. Schottland war ihm zu eng und zu provinziell erschienen. Von dem Familienfluch der Morlichs hatte Richard McPherson erst an seinem zwölften Geburtstag erfahren.
* Etwa zur selben Zeit schaute Richards jüngster Bruder Martin McPherson in Australien den Schafscherern zu. Zu tausenden
drängten sie sich in den Pferchen der McPherson-Farm südlich von Alice Springs, Queensland, Australien. Die Sonne brannte auf das weitläufige Gelände der Schaffarm mit den weißen Häusern und Anbauten, Ställen und Pferchen nieder. Die Luft war erfüllt von dem Geblöke der Schafe und dem feinen Staub, der beim Scheren aus ihrer Wolle stieg. Es roch nach Schweiß und nach Schafurin. Die Schafe wurden jeweils aus den Pferchen durch Laufgatter zum Scherplatz getrieben. Dort schufteten acht Schafscherer von Sonnenauf- bis -Untergang im Akkord. Helfer warfen das Schaf nieder, hielten es fest und brachten es in die richtige Stellung. Der Schafscherer fuhr mit der Schermaschine an ihm entlang und befreite es innerhalb weniger Augenblicke von seiner Wolle. McPherson konnte stolz darauf sein, eine Musterfarm aufgebaut zu haben. Normalerweise führte er beim Sheep-shearing das Kommando, doch heute war der achtundvierzigjährige Schafzüchter fahrig und unaufmerksam. Mehrmals waren ihm bei seinen Anweisungen Fehler unterlaufen, oder er hatte schlichtweg versäumt, sie zu geben. Das war natürlich aufgefallen. Der Schafzüchter schaute den kahlgeschorenen Schafen nach, die jämmerlich blökend und ihrer Wolle beraubt zum Auffangpferch liefen. Er sah einen Jährling, der von den Scherblättern ein paar Schrammen abbekommen hatte. Ins Schafgeblöke mischte sich jetzt wieder die Dudelsackmusik, die McPherson schon mehrmals an diesem Morgen gehört hatte. Sie machte ihn fast wahnsinnig. Highlands Pride hörte der gebürtige Schotte. Die klaren, durchdringenden Klänge erinnerten ihn an seine Heimat, die er schon vor zwanzig Jahren verlassen hatte. Und an den Fluch der Morlichs. Die Musik wurde immer lauter. McPherson wankte. Er glaubte, sein Kopf würde platzen. Er preßte die Hände an die Schläfen. Der Vorarbeiter und andere sahen es, hatten jedoch alle Hände voll zu tun und erledigten ihre Arbeit. Martin McPherson, ein hochgewachsener, schlanker Mann, sah plötzlich einen schreienden Schädel über den Scherplatz jagen. Dieser umkreiste ihn, fletschte die Zähne und spie einen Schwall von Verwünschungen und Drohungen aus. Braune Haare umwehten den Kopf eines brutal aussehenden Mannes, der auf magische Weise lebte, obwohl er abgehackt worden war.
Der Spuk von Morlich trat auf. Er verfolgte Martin McPherson bis nach Australien. Der Schafzüchter hörte die schrille Dudelsackmusik und sah den schreienden Schädel als einziger. Die anderen am Scherplatz bekamen nichts davon mit, sondern wunderten sich nur über sein Benehmen. McPherson resignierte. Er band die lederne Schererschürze ab, die er wie alle anderen am Scherplatz trug. Achtlos warf er sie zur Seite und ging weg, ohne ein Wort zu sagen oder für eine Vertretung zu sorgen. Der Vorarbeiter nahm seine Stelle ein. McPherson ließ den Scherplatz, seine Existenz und vielleicht sein Leben hinter sich zurück. Er konnte nicht anders. Der Spuk, der ihm zusetzte, ließ ihm keine Ruhe. Jetzt, da er entschlossen war und tat, was von ihm verlangt wurde, hatte er eine Ruhepause. Doch sobald er es unterließ, das zu tun, wozu er gedrängt wurde, würde der Spuk wieder einsetzen. Seine Frau Anne fand ihn eine halbe Stunde später im Wohnhaus beim Kofferpacken. »Martin, du willst verreisen?« fragte sie höchst erstaunt. »Jetzt, mitten während der Schafschur? Ich wollte es nicht glauben, als der Vorarbeiter mir sagte, du seist einfach weggegangen.« »Doch«, antwortete McPherson seiner drei Jahre jüngeren Frau wortkarg. Anne war eine gebürtige Australierin. Sie hatten zwei Töchter, Daphne und Jane. »Wohin willst du?« fragte Anne ihren Mann. »Nach Hause.« Ein schwerer Atemzug entrang sich McPhersons Brust. »Nach Morlich Castle.« Er lachte bitter. »Dort findet ein Familientreffen statt.« Er blickte auf die Uhr. »Ich muß mich beeilen, damit ich noch die Maschine von Alice Springs nach Sidney kriege. In Sidney will ich sehen, ob es einen Direktflug nach Glasgow gibt. Andernfalls fliege ich über London.« »So plötzlich?« fragte Anne. Sie sah, daß ihr Mann wild entschlossen war. »Seit wann weißt du es? Hättest du mir nicht früher Bescheid geben können?« »Das war leider nicht möglich. Ein Bote hat mir mitgeteilt, daß meine Anwesenheit dringend erforderlich ist.« »Ein Bote? Ich habe niemanden gesehen.«
Martin McPherson dachte an den schreienden Schädel. Davon konnte er seiner Frau jedoch nichts erzählen. Er küßte sie auf die Wange. »Sei ohne Sorge, Anne«, sagte er, obwohl er selbst nicht daran glaubte. »Es ist alles Ordnung. Ich bin bald wieder da.« »Wie lange willst du in Schottland bleiben? Ist jemand gestorben? Dein Bruder, der Earl? Geht es um die Testamentsvollstreckung und Erbfolge?« »Nein, es handelt sich um etwas anderes. Ich bleibe höchstens einen Monat auf Morlich Castle.« Eine halbe Stunde später verließ Martin McPherson seine Farm. Ein Angestellter lenkte den vollklimatisierten Oldsmobile Cutlass, der ja nicht einen Monat am Flughafen stehen konnte. Der Mann würde ihn wieder zurückbringen. McPherson drehte sich noch einmal nach seiner Farm um. Er glaubte nicht, daß er lebend zurückkehren würde. Vielleicht im Sarg, wenn der Spuk etwas von ihm übrigließ und seine Frau und die Kinder auf die Überführung Wert legten. Martin dachte bitter: Warum muß ich ausgerechnet ein Morlich sein?
* Ein paar Minuten nach dem Anruf meines Vaters parkte ich den BMW vor dem Reihenhaus in der Siedlung Landfried. Im Vorgarten blühten die Rosen. Meine Eltern – Adoptiveltern nannte ich sie nie – waren leidenschaftliche Rosenzüchter und hatten schon zahlreiche Preise bei Ausstellungen gewonnen. Vielleicht würde es auch einmal eine »Mark Hellmann«-Rose geben, bestimmt eine mit sehr großen Dornen. Ulrich, mein Vater, erwartete mich an der Tür. Vater war fünfundsechzig, hatte schlohweißes, volles Haar, einen Schnauzbart und trug eine Hornbrille. Er war immer noch groß und stattlich. Am linken Handgelenk trug er eine Ledermanschette. Sein rechter Fuß war steif, und er war deshalb auf einen Krückstock angewiesen. Abgesehen von der Versteifung seiner linken Hand und des
rechten Fußes war er sehr rüstig und gut beisammen. Die beiden Behinderungen hatte er sich vor etwa acht Jahren zugezogen. Was damals genau vorgefallen war, wußte ich nicht. Es hing mit mir zusammen. Vater hatte sich einer Gefahr gestellt, der eigentlich ich hätte entgegentreten müssen. Doch damals hatte ich den Ring noch nicht getragen und keine Ahnung von meiner Bestimmung gehabt. Für mich wäre es noch zu früh gewesen, diese Gefahr zu bestehen. Sei es nun, Mephisto oder einem anderen Höllenwesen entgegenzutreten. Vater war also an meiner Stelle gegangen und hatte sein Engagement mit schweren Verletzungen bezahlt. Irgendeine starke Energie schien durch seinen Körper gefahren zu sein. An der linken Hand war sie eingetreten, durch den rechten Fuß wieder hinausgejagt. Drei Tage später hatten Spaziergänger meinen Vater bewußtlos im Wald gefunden. Er hatte danach in den Hufeland-Kliniken tagelang im Koma gelegen, und es hatte auf der Kippe gestanden, ob er am Leben bleiben würde oder nicht. Lydia, meine Mutter, rief aus der Küche, es würde Sauerbraten geben, und ich sollte zum Essen bleiben. Als ich erwiderte, ich hätte es eilig und leider keine Zeit, erschien sie in der Küchentür, durch die es verlockend roch. Lydia, drei Jahre älter als Ulrich, rundlich und mit silbergrauem Haar, trocknete sich die Hände ab. »Das kommt überhaupt nicht in Frage, daß du gleich wieder davonläufst, Mark.« Sie sprach zu mir, als ob ich vierzehn Jahre alt sei. »Hiergeblieben wird – und gegessen. Verstanden?« »Ja, Mutter«, antwortete ich gehorsam und küßte sie. Sie verschwand wieder in der Küche. Ich folgte Vater in sein Arbeitszimmer im ersten Stock. Dort setzten wir uns hin. Vater zeigte mir ein Fax, das ihm ein gewisser Paul Abaringo aus Pretoria geschickt hatte. Gleichzeitig erzählte er mir, Dr. Abaringo, den er bei einem Okkultistenkongreß in Amsterdam vor drei Jahren persönlich kennengelernt hatte, habe ihn am Vormittag angerufen. »Es handelt sich um den Fluch der Morlichs«, berichtete Ulrich. Der Name elektrisierte mich. Genau auf diesen Fluch war ich in dem Buch Schottische Sagen und Legenden gestoßen. Zufällig. Im Prinzip gab es keine Zufälle, was schon in der Bibel stand.
Kein Sperling verliert eine Feder, ohne daß er es will. Kein Ding war also zu unbedeutend, daß es überhaupt nichts zu besagen hatte, und es gab Zusammenhänge, die weit über das menschliche Verständnis und die wissenschaftlichen Erkenntnisse hinausgingen. Ulrich erzählte weiter, und ich las in dem Fax ein paar Daten über die Hintergründe und die Ursache des Fluchs von Morlich Castle. Es war eine grauenvolle, unheimliche Geschichte in der Art von dem »Hund von Baskerville«, die Sir Arthur Conan Doyle als »Sherlock Holmes«-Abenteuer geschildert hatte. Nur daß es bei dem Spuk von Morlich Castle keine natürliche Erklärung geben würde. Das Fax war in Englisch geschrieben und knapp und präzise verfaßt. »Paul Abaringo solltest du einmal kennenlernen, Mark«, sagte mein Vater. »Er ist schwarz und nur so groß.« Vater zeigte mit der Hand eine Höhe von ungefähr einssechzig. »Er ist um die Sechzig und hat ein tiefzerfurchtes Gesicht. Und er ist einer der klügsten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Er versteht es auch, faszinierend zu erzählen. Der afrikanische Kontinent birgt noch immer viele Geheimnisse, auch unheimliche und übernatürliche. Paul Abaringo kann dir eine Menge darüber erzählen.« »Komm endlich zur Sache!« bat ich meinen Vater. Er war manchmal zu weitschweifig. In den letzten Jahren hatte sich das noch verstärkt. »Ja. Mark, du bist aufgefordert, den Fluch von Morlich Castle zu bekämpfen. Dafür erhältst du ein Honorar. – Was sagst du dazu?« »Geld kann ich immer gebrauchen. Aber wie komme ich zu der Ehre eines solchen Auftrags?« »Ich habe mir erlaubt, in Morlich Castle anzurufen und mit Earl Herbert zu sprechen, der mit seiner Familie genauso wie andere Morlichs, die auf der ganzen Welt verstreut sind, von dem Fluch bedroht wird. Er zahlt dir ein Erfolgshonorar, wenn du den Fluch beendest und die McPhersons rettest.« Den Zusammenhang zwischen den Namen McPherson und Morlich kannte ich bereits. Vater nannte eine Summe, die mir den Atem verschlug. Ich fragte nach, weil ich glaubte, mich verhört zu
haben. Der Betrag stimmte aber. »Plus Reisekosten und Spesen«, sagte Vater stolz. »Für die McPhersons geht es um Leben und Tod. Arm sind sie nicht. Warum sollst du für umsonst Kopf und Kragen sowie das Heil deiner Seele riskieren?« Da hatte er auch wieder recht. Mein Vater hatte die Zahlungszusage des Earls und ein paar Vertragsklauseln schriftlich in den Händen. Das hatte er gut ausgehandelt. Andererseits sah es so aus, daß ich nur im Erfolgsfall bezahlt wurde und das Risiko hatte, dabei drauf zugehen. In Weimar gab es für mich nichts Dringendes, was mich unbedingt zurückgehalten hätte. Ich erwog, über meine schottischen Abenteuer einen Bericht zu schreiben und ihn an die »Weimarer Rundschau« und andere Zeitungen zu geben, für die ich als Reporter regelmäßig berichtete. Diese Tätigkeit, die ich als freier Mitarbeiter ausübte, hatte ich zurückgestellt, seit ich mir meiner Bestimmung als Ringträger und Kämpfer gegen das Böse bewußt war. Leider blieben deswegen auch die Brötchen, sprich Honorare aus, von denen ich nun mal leben mußte. Mephisto hatte es gut, was das leidige Thema von dem lieben Geld betraf. Der war ein Teufel und konnte in der Not sogar Fliegen fressen. Ich wurde davon nicht satt. Auch kannte Mephisto verborgene Schätze. Ich wünschte, das wäre bei mir auch der Fall gewesen. Ich beschloß, unverzüglich nach Schottland aufzubrechen. Die Angelegenheit duldete keinen Aufschub. Ehe ich zu meiner Junggesellenwohnung fuhr, aß ich bei meinen Eltern. Lydia gab mir auf den Teller, bis ich abwinkte. Sie meinte es wieder einmal zu gut. Ihre Kost hätte gereicht, um nicht nur einen, sondern gleich zwei Schwerathleten zu ernähren. Lydia geriet wieder mal an ihr Lieblingsthema. »Was, nach Schottland willst du? Was ist das doch für ein unsolides Leben? Immer auf Achse, ständig auf dem Sprung. Du solltest heiraten, Mark, eine Familie gründen und deine Regelmäßigkeit haben. Da würdest du endlich zur Ruhe kommen.« »Daran glaubst du doch selbst nicht, Mutter. Der Typ dazu bin ich nicht. Ich würde ausflippen. Den ganzen Tag im Büro, das halte ich nicht aus. Zwischendurch mit dem Dackel Gassi gehen. Kinderlein versorgen, die immer etwas ausgefressen haben oder
krank sind, und eine Gattin, die mir als Krönung ihres Tagesablaufs erzählt, daß man ihr an der Supermarktkasse zu wenig herausgegeben hat. Da schlage ich mich lieber mit den Mächten des Bösen herum und hetze durch die Welt.« Von meinen Zeitreisen hatte ich meinen Eltern noch nichts erzählt. Lydia schüttelte den Kopf. »Was hast du denn nur gegen das Familienleben, Mark?« »Überhaupt nichts. Ich bin nur nicht der Typ dafür.« Ich verabschiedete mich. Lydia gab mir noch den Rat mit auf den Weg, in Schottland gut aufzupassen, damit ich mich nicht erkältete. Ich grinste, als ich ins Auto stieg. Mephisto war hinter mir her; die Mächte des Bösen hatten es auf mich abgesehen, und Lydia empfahl mir einen Schal, damit ich keinen Husten kriegte! – So sind eben Mütter. Im Prinzip hatte sie ja recht. Einfache, praktische Dinge sind wichtig. Gegen die Mächte der Hölle konnten sie mir jedoch nicht helfen. Ich fuhr zu meiner Wohnung und stellte den BMW vor dem Haus in der Florian-Geyer-Straße ab. Als ich ausstieg, kam Tessa auf ihrem Motorrad angerauscht, ganz in Leder und mit Sturzhelm. Sie bockte die Suzuki auf, von der sie behauptete, daß sie männliche Eigenschaften hätte. »Sie qualmt«, pflegte Tessa zu sagen, »säuft, macht eine Menge Krach und ist aufgemotzt.« Wahrscheinlich hatte Tessa recht. Nur mit Sex lief bei der Maschine nichts. Tessa küßte mich auf die Wange und war lieb und süß. Vorwurfsvoll rieb ich mir die Beule am Kopf, die sie mir am Vorabend mit dem Gummiknüppel zugefügt hatte. Wir gingen ins Haus. Der Hausbesitzer hatte uns ankommen sehen und trat aus der Wohnungstür. »Also, Herr Hellmann, das mit dem Lotterleben und der Lärmbelästigung bei Ihnen muß aufhören. Parties, Frauen, was glauben Sie eigentlich, bei wem Sie hier sind?« »Bei jemandem, der sich in Dinge einmischt, die ihn nichts angehen«, antwortete ich. Bevormundungen haßte ich. »Sie sind
ja bloß neidisch.« »Das brauche ich mir nicht sagen zu lassen!« fuhr mich der kleine Sachse an und richtete sich zur >stolzen< Höhe seiner Einsachtundsechzig auf. »Seit fünfundzwanzig Jahren bin ich glücklich verheiratet. Wissen Sie, was meine Frau von Ihrem Lotterleben hält?« »Halten Sie doch endlich die Luft an«, wies ihn Tessa zurecht. »Um Ihre Alte wird Sie ja wohl wirklich keiner beneiden. Mit ihrem Anblick müssen Sie selbst fertig werden. Guten Tag wünsche ich!« Das Geschimpfe des kleinen Sachsen hallte im Treppenhaus wider. Er stapfte in seine Wohnung zurück. »Warum hast du ihm denn keine Ohrfeige gegeben?« fragte seine Frau, die hinter der Tür gelauscht hatte. »Diesmal habe ich ihn noch geschont«, erwiderte der kleine Mann. »Aber das nächste Mal kriegt er eine. Außerdem, ich habe noch andere Mittel und Wege, um ihm eins auszuwischen. Bei der Umlegung der Nebenkosten werde ich mich rächen.« »Und wenn er dir draufkommt?« »Dann sage ich einfach, daß ich mich leider geirrt habe.« Tessa war sehr enttäuscht, als ich ihr mitteilte, daß ich unverzüglich nach Schottland reisen mußte. Doch sie half mir beim Packen. Das ging bei mir schnell. Ich reiste mit leichtem Gepäck. Als meine Reisetasche gepackt war, rief ich Max Unruh an, den Chefredakteur der »Weimarer Rundschau«, der mir bei meinem Einstieg als Reporter ein väterlicher Gönner und Mentor gewesen war. Unruh, der seinem Namen übrigens alle Ehre machte, wollte von meinen Plänen, ein schottisches Geisterabenteuer in seine Rundschau zu bringen, nichts wissen. »Tut mir leid, Mark, aber wir sind kein Okkultistenblatt. Über solche Dinge kannst du ein Buch schreiben. Zeitungen interessieren sich nicht dafür. Bei den Aktualitätsmedien wirst du damit überhaupt nicht landen, da bin ich mir sicher.« »Danke, Max, war ja nur eine Frage.« Damit war dieses Thema vom Tisch. Mich hatte es sowieso nicht gereizt, als Geisterreporter tätig zu werden. Diesmal kriegte
ich ein Honorar von dem Earl of Morlich und seinem Clan. Dann würde ich meine Konten für ein paar Wochen wieder ausgeglichen haben. Ich wollte am Abend mit dem Zug nach Berlin fahren und von dort aus nach Glasgow fliegen. Tessa klimperte vielversprechend mit den langen Wimpern. »Dann bleibt uns noch eine gute Stunde Zeit, Mark. Küß mich.« Ich nahm Tessa in die Arme, küßte sie, daß ihr die Luft wegblieb, und trug sie zum Bett, obwohl wir beide nicht müde waren…
* Helen Sanders, achtundzwanzig, nahm an der Cocktailparty teil, die der Gouverneur von New York zum Jahrestag seines Amtsantritts im Rockefeller Center, Manhattan, für die Oberen Zehntausend der Stadt gab. Helen gehörte dazu. Sie war eine sehr schöne Frau, blond, langbeinig, perfekt gestylt, im Modellkleid. Ihre vierjährige Tochter Janet tollte mit anderen Prominentenkindern in den Betreuungsräumen unter der Obhut von Kindergärtnerinnen. Helen war seit zwei Jahren von einem New Yorker Baulöwen geschieden. Sie hatte ihn ganz jung geheiratet und dann feststellen müssen, daß sie nicht zueinander paßten. Die despotische Art ihres Mannes und seine Affären stießen sie ab. Einmal hatte er es fertiggebracht, eine junge Farbige, sie war Aushilfsfahrerin bei einem Paketdienst, auf seinen Schreibtisch zu legen. Da war er endgültig für sie gestorben. Helen plauderte mit einer anderen geschiedenen Baulöwengattin, die aus dem Osten stammte und weltweit pressepräsent und bekannt war. Die bildhübsche junge Frau nippte an ihrem Champagnerflip und hielt ein Kaviarbrötchen in der Hand. Plötzlich hörte sie trotz des Stimmengewirrs in der exklusiv eingerichteten Lounge im 38. Stock des Rockefeller Centers Dudelsackmusik! Helen stutzte. Sie wischte sich über die Stirn. Sie hatte ein paarmal Träume gehabt, die mit Schottland zu tun hatten. Deswegen hatte sie mit ihrem Psychiater gesprochen, der
gemeint hatte, das hätte mit den seelischen Verletzungen ihrer Psyche durch die grobschlächtige Art ihres Mannes bei der Scheidung zu schaffen. Schottland sei ein Symbol für ihre innere Einsamkeit, die klaren Hochlandseen dort würden für die Reinheit von Helens Seele stehen. Der Psychiater hatte Fachausdrücke gebraucht, in mehreren Sitzungen zu zweihundertfünfzig Dollar die Stunde die Alpträume jedoch nicht weggebracht. Lautsprecher übertrugen klassische Musik oder moderne, jedoch keine aufpeitschende als Geräuschkulisse in die Lounge. Dudelsackmusik war jedoch völlig ungewöhnlich. Vielleicht hat jemand die CDs verwechselt, dachte Helen. Sie fragte Dudelsack?«
ihre
Gesprächspartnerin:
»Hören
Sie
den
»Wieso Dudelsack. Das ist Vivaldi.« Ein klassisches Klavierkonzert. Helen verstand die Welt nicht mehr. Dann raste plötzlich der Schädel aus dem kalten Büfett, das sich unter den Köstlichkeiten bog. Lange, braune Haare umwehten ihn. Das brutale Gesicht hatte die Zähne gefletscht. Der Schädel umkreiste Helen, die angstvoll die Hände vor das Gesicht schlug. »Geh nach Schottland, du Hure!« beschimpfte er sie. »Man erwartet dich in Morlich Castle. Ich bringe dich um, wenn du nicht unverzüglich tust, was ich dir befehle.« Ein Schwall weiterer Drohungen folgte. Helen stolperte hinaus. Ihre Gesprächspartnerin und andere schauten ihr erstaunt nach. Die junge Frau glaubte, ihr Kopf würde von der Dudelsackmusik platzen, die nur sie hörte. Außer ihr sah jedoch niemand den schreienden Schädel, der sie immer wieder attackierte. Helen lief in den Waschraum. Dort hatte sie endlich Ruhe. Sie beugte sich über das Waschbecken und schaute in den teuren Spiegel mit Goldrahmen. Schon wollte sie aufatmen. Da ertönte ein gellender Schrei. Der Schädel mit dem langen Haar und dem Kinnbart erschien in dem Spiegel. »Nach Schottland!« schrie er. »Du bist eine McPherson. Ab nach Morlich Castle!« Mit einem Aufschrei fiel Helen in Ohnmacht. Drei Stunden später rief sie in Morlich Castle in Schottland an.
Man hatte sie im Rockefeller Center ärztlich behandelt, nachdem sie bewußtlos im Waschraum aufgefunden worden war. Helen hatte ein Beruhigungsmittel eingenommen und war mit ihrer Tochter im Taxi nach Hause gefahren. Zu ihrer luxuriösen Penthousewohnung am Central Park West. Dort wanderte sie ruhelos umher, hörte wieder den gräßlichen Dudelsack und sah bald den abgehackten Kopf umherfliegen, der sie beschimpfte und bedrohte. Ihr Psychiater konnte ihr da nicht helfen. Helen gehörte zu einem Zweig der McPhersons, der schon vor drei Generationen in die USA ausgewandert war. Mit dem alten Kontinent und den Morlichs (McPhersons) in Schottland hatte sie, leger ausgedrückt, nichts mehr am Hut. Glaubte sie. Sie war nie in Schottland gewesen, hatte sich nie mehr dafür interessiert, seit sie als kleines Mädchen die Erzählungen ihrer Großmutter gehört hatte. Diese war noch in Schottland geboren und hatte ihre ersten fünfzehn Lebensjahre dort verbracht. Es gab nicht mehr viele McPhersons aus der adligen MorlichLinie. Sie waren in der ganzen Welt verstreut. Den Namen Earl of Morlich führte jeweils nur der Träger des Adelstitels. Von dem Familienfluch der Morlichs hatte Helen noch nie gehört. Sie fiel daher aus allen Wolken, als ihr Earl Herbert, ihr Cousin siebten Grades, tief betroffen erzählte, was es damit auf sich hatte. Helen hatte in den Familienunterlagen gekramt und ein Foto von Morlich Castle mit der ungefähren Anschrift auf der Rückseite gefunden. Die Telefonnummer hatte sie nach einigen Mühen über einen Bekannten erhalten, der sich bei der Auslandsauskunft und per Internet über den Führer der schottischen Schlösser bemühte. »Wenn du nicht nach Schottland kommst, bringt dich der Schädel um, oder du verlierst bei dem Dudelsackgedudel den Verstand«, schloß Earl Herbert bitter. »Das kommt überhaupt nicht in Frage«, antwortete Helen sofort. »Warum soll ich denn nach Schottland fliegen und mich von irgendeinem Geist, der mich überhaupt nichts angeht, zersäbeln oder ertränken lassen? – Nein, nicht mit mir. Ich lasse mich hypnotisieren oder in einen Tiefschlaf versetzen. Dann wollen wir mal sehen.«
Am nächsten Tag, nach zwei weiteren Attacken des schreienden Schädels, flog sie doch mit ihrer kleinen Tochter vom JFK-Airport nach Glasgow. Janet war ebenfalls eine McPherson. Helen war entsetzt gewesen, als das Kind zu ihr kam und ihr sagte, daß sie seltsame Musik – Dudelsackmusik – hörte. Earl Herbert hatte Helen bereits mitgeteilt, sie müsse Janet mitbringen. Es gab kein Entrinnen.
* Mit der Frühmaschine flog ich von Schönefeld nach Glasgow. Dort hatte ich mich telefonisch in Morlich Castle angemeldet. Ich wurde auch prompt abgeholt. In der Halle erwarteten mich ein livrierter Chauffeur sowie ein großer, hagerer, streng und steif wirkender Gentleman im grauen Anzug. Er trug einen Regenschirm über dem Arm und sah eher so aus wie ein typischer Londoner Geschäftsmann, stellte sich aber als der Earl of Morlich vor. Er war Anfang Fünfzig, hatte sandfarbenes Haar und schien große Sorgen zu haben. Sein flackernder Blick irrte in der Flughafenhalle hin und her. »Wovor fürchten Sie sich, Sir?« fragte ich ihn, als wir Richtung Ausgang gingen. »Vor dem Dudelsack, den ich manchmal aus dem Nichts höre. Er treibt mich noch in den Wahnsinn«, erklärte der Earl of Morlich. »Vor dem schreienden Schädel, der mich angreift und verwünscht und beschimpft. – Ach, Ahnherr Harold, was hast du uns angetan? Warum mußtest du derart grausam zu uns sein? – Mr. Hellmann, ich danke Ihnen vielmals, daß Sie gleich gekommen sind. Meinen Sie, daß Sie den Fluch von Morlich Castle beenden und diesen Höllenspuk ein für allemal besiegen können?« »Ich rechne mir gute Chancen aus. Schließlich bin ich schon mit anderen Dingen fertig geworden.« Earl Herbert teilte mir mit, wir müßten bis zum Nachmittag in
Glasgow bleiben. Er erwartete noch zwei Fluggäste, nämlich Helen Sanders, geborene McPherson, und ihre vierjährige Tochter Janet aus New York City. Ein weiterer McPherson, der australische Schafzüchter Martin McPherson, war am Vortag in Glasgow gelandet und hielt sich derzeit in einem Flughafenhotel auf. Richard McPherson, der Abenteurer und das schwarze Schaf der Familie, war als erster in Schottland eingetroffen und befand sich bereits in Morlich Castle. Earl Herbert hatte sein Schloß am Vortag verlassen. Er sorgte sich sehr wegen seiner Frau und seiner Tochter. In der Nacht war der Spuk nämlich wieder aufgetreten. »Margaret, meine Gattin, ist herzleidend«, sagte er. »Sie überlebt diesen Höllenspuk nicht mal dann, wenn die Rache der Lady im See sie nicht persönlich trifft.« Mit der Ankunft von Helen und ihrer Tochter würde der derzeitige Morlich Clan, also die Blutsverwandten, vollzählig anwesend sein. Es gab nur noch eine Handvoll McPhersons aus der Sippe der Morlichs auf der ganzen Welt. Der Fluch hatte sie grausam heimgesucht und dezimiert. Seit Jahrhunderten schon wurden sie von Mächten aus dem Jenseits heimgesucht und verfolgt. Es gab nirgendwo einen Schutz für sie. »Der Fluch ruft die Morlichs immer nach Morlich Castle, wenn die Zeit dafür reif ist«, erklärte Earl Herbert düster. »Im vergangenen Jahrhundert in der englischen Kronkolonie Indien, am andern Ende der Welt. Das teuflische Dudelsackspiel und der schreiende Schädel zwangen sie zur Heimkehr. Es gibt kein Mittel dagegen.« Earl Herberts Stimme klang tieftraurig und resigniert. Wir verließen den Flughafen und erreichten über eine Fußgängerüberführung das Hotel. Martin McPherson, der Schafzüchter, saß an der Bar und starrte trübselig in seinen Whisky. Er war reichlich angetrunken, obwohl es noch früh war. Als Earl Herbert mich vorstellte, hellte sich seine Miene ein wenig auf. Gleich darauf verfiel er jedoch wieder in seine Verzweiflung. »Mit dem Fluch von Morlich Castle ist noch keiner fertig geworden«, sagte er niedergeschlagen. »Mr. Hellmann wird es auch nicht schaffen.« »Wenn ich so denken würde, brauchte ich erst gar nicht
anzufangen, Mr. McPherson«, erklärte ich. »Reißen Sie sich zusammen! Noch ist nicht aller Tage Abend. Sind Sie ein Mann oder ein Jammerlappen?« »Sie haben gut reden, junger Mann. Sie werden schließlich nicht von einem teuflischen Spuk bedroht.« Martin McPherson hatte überhaupt keine Ahnung. Hinter mir war der Oberteufel und Megadämon Mephisto persönlich her. Das konnte ich den McPhersons jedoch nicht erzählen. Um 19.15 Uhr Ortszeit holten wir Helen Sanders und ihre süße kleine Tochter am Airport ab. Helen war elegant gekleidet, etwas jünger als ich und vermögend. Der Blick ihrer kühlen, grauen Augen taxierte mich prüfend. »Sind Sie auch ein McPherson?« fragte sie dann. »Nein, Madam. Ich bin hergekommen, um den Spuk zu bekämpfen, der Sie alle bedroht.« Fragend hob Helen Sanders die gezupften Augenbrauen. Earl Herbert of Morlich gab eilig eine Erklärung ab. Helen meinte, das müsse er wissen, ob er es für sinnvoll erachte, einen Kämpfer gegen das Böse hinzuzuziehen. Earl Herbert hatte mich so bezeichnet. Ich gebrauchte diese Bezeichnung für meinen Job. Die kleine Janet war nach dem Flug überdreht. Sie hüpfte umher und zeigte sich übermäßig munter. Helen Sanders hatte zwei große Reisekoffer und eine Reisetasche mitgebracht. Man konnte glauben, sie führe in Urlaub. Helen Sanders begrüßte ihre Verwandten kühl und ohne Herzlichkeit. Für sie waren das Fremde. Auf die Familienzugehörigkeit zu den Morlichs hätte sie gern verzichtet. Die einzelnen Familienmitglieder waren sich ziemlich fremd. Selbst Earl Herbert und sein Bruder Martin, die immerhin zusammen aufgewachsen waren, schienen sich nicht viel zu sagen zu haben. Der Chauffeur wartete nun vor dem Rolls-Royce. Wir luden unser Gepäck ein. Der Silver Cloud, für die Upper Class und deren Ansprüche gebaut, nahm alles auf. Der livrierte Chauffeur öffnete für die McPhersons die Wagentüren. Ich stieg formlos auf der anderen Seite ein. Ich brauchte keinen Lakaien, der mir die Tür aufhielt. Als wir vom Flughafen wegfuhren, dämmerte es schon. Über
uns sahen wir die Positionslichter der startenden und landenden Maschinen. Der Flughafen war eine Stadt für sich. Überall blinkten Lichter. Auch auf den Start- und Landebahnen. Der Airport und die Lichter der Millionenstadt Glasgow blieben hinter uns zurück. Auf der Autobahn ging es durch das dichtbesiedelte Gebiet um Glasgow herum zuerst nach Osten in Richtung Edinburgh, am Autobahnkreuz Larbert nach Perth und von dort in den Norden, wo wir bei Inverdruie die Autobahn verlassen würden. Alles in allem hatten wir gut dreihundert Kilometer zu fahren. Im Rolls-Royce glitten wir leise und sehr komfortabel dahin. Die Dunkelheit war hereingebrochen. Die Autobahn führte durchs Bergland, manchmal durch kurze Tunnels. Während der Fahrt hatte ich Gelegenheit, die McPhersons noch einmal gründlich wegen des Spuks zu befragen. Janet war eingeschlafen. Wegen des Kindes brauchten wir keine Rücksicht zu nehmen, um sie nicht zu erschrecken. Der Chauffeur wußte über den Fluch von Morlich Bescheid. Earl Herbert, der rechts neben mir im Fond saß, beantwortete meine Fragen geduldig. Wie er dasaß, hätte man meinen können, er wäre die Ruhe in Person. Nur seine Finger, die immer wieder auf seine Knie trommelten oder ein Papiertaschentuch in kleine Fetzen zerknüllten, verrieten seine Nervosität. »Ja«, sagte der Earl. »Das war eine verdammte Geschichte damals. Unser Vorfahr Harold McPherson, Earl of Morlich, hat sich abscheulich benommen. Das ist aber kein Grund, über Jahrhunderte die gesamte Familie heimzusuchen. Folgendes geschah im Jahr 1583…« Er fuhr fort. Während ich zuhörte, entstand die Szene in meiner Phantasie. Ich konnte mir vorstellen, was damals passiert war.
* Frühjahr 1583: Der Winter war hart gewesen und hatte zahlreiche Alte und Schwache dahingerafft. Aus den Kaminen und Rauchabzügen von Inverdruie, einem Marktflecken unterhalb der Quelle des Morlich-Flüßchens, stiegen Rauchfahnen in den blauen
Himmel. Die Bäume und Sträucher hatten grüne Blattknospen. Die Krokusse streckten bereits die Köpfe aus der Erde. Ein Hauch von Frühling lag bereits in der Luft. Die Zugvögel kehrten aus dem Süden zurück und flogen in großen Schwärmen über die Berge und Hochmoore. Doch immer noch brachten die Nächte Rauhreif. Morlich Castle ragte einen halben Kilometer vom gleichnamigen See entfernt auf einer Anhöhe auf. Der Earl von Morlich, Harold, kontrollierte die vorbeiführende Handelsstraße und erhob damals von den Kaufmannszügen einen hohen Zoll für die Durchfahrt über sein Land. Außer dieser lohnenden Geldquelle hatte er Grundbesitz. Viele Parzellen hatte er an Häusler und Bauern verpachtet, die unter der Pacht arg stöhnten. Der zehn Kilometer vom Schloß entfernte Marktflecken Inverdruie und andere kleinere Ortschaften gehörten zudem dem Earl of Morlich. Es war Nachmittag. Weiße Wolken trieben am blauen Himmel. Raben kreisten krächzend über der Burg. Die junge Frau im zerfetzten Seidenkleid und im Kapuzenmantel, ein Bündel über der Schulter und mit hochschwangerem Leib, bog von der Handelsstraße ab und ging zum Schloß. Sie atmete stoßweise wegen der fortgeschrittenen Schwangerschaft. Barbara Dunbar, so hieß die blutjunge werdende Mutter, hatte dunkle Haare und blaue Augen. Früher hatten diese Augen oft gelacht und gestrahlt. Jetzt waren sie voller Tränen und kannten keine frohe Stunde mehr. Barbaras Herz klopfte heftig, als sie über den Hügelkamm kam und hinter den Bäumen Morlich Castle mit seinen Wehrgängen und den Kanonen auf den Wällen erblickte. Die Zugbrücke war hochgezogen. Kanonen drohten von den Wällen der Burg, über deren Zinnen und Türmen das Wappen derer von Morlich im Wind flatterte. Bei dem Wappen handelte es sich um einen Löwen, der aufgerichtet auf den Hinterbeinen stand und ein halbes Dutzend Wölfe erfolgreich bekämpfte. Die schöne Barbara Dunbar hatte Angst, sich dem Schloß zu nähern, das stark befestigt war. Harold, der vierzehnte Earl of Morlich, schaute vom Fenster eines Wachtturms auf die achtzehnjährige Schwangere nieder. Er hatte
gerade mit seinen Knechten einen Schoppen getrunken, als ihm das Auftauchen der jungen Frau gemeldet wurde. »Ist denn das Flittchen schon wieder da?« brummte Earl Harold. »Hat man denn niemals Ruhe vor ihr? Ich werde dieser Hure Beine machen!« Wütend stieg er vom Turm herunter und rief im Schloßhof acht seiner Knechte zusammen. Sie holten ein paar Pferde und Hetzhunde. Barbara Dunbar stolperte unterdessen mit schmerzenden Füßen der Burg entgegen. Sie schritt über die Zugbrücke des wasserlosen Ringgrabens, der die Feste umgab, und betätigte den eisernen Türklopfer. Das war kaum geschehen, als das wuchtige, eisenbeschlagene Tor nach innen aufschwang. Earl Harold, hoch zu Roß, in voller Rüstung mit Harnisch und Panzerschurz, hielt vor der Unglücklichen. Ein roter Federbusch wehte an seinem Eisenhelm. Er hatte zwei schwere Luntenschloßpistolen am Sattel und trug ein langes Schwert an der Seite. Herrisch und höhnisch schaute er auf seine verstoßene Geliebte nieder. Hinter ihm hielten, teils zu Pferd, teils zu Fuß seine Knechte. Sie waren nicht alle so schwer gerüstet wie ihr Anführer, es stand schließlich kein gefährlicher Feind vor dem Tor. Drei Hetzhunde kläfften an der Leine. Die Knechte hielten sie nur mühsam zurück. »Was willst du, was hast du hier noch zu suchen?« fragte Earl Harold abweisend. »Nehmt mich bitte wieder auf!« flehte Barbara und hob ihre Hände. »Vor acht Tagen habt ihr mich aus der Burg gejagt. Ich habe in Heuschobern und bei Bauern übernachtet. Doch auch sie schickten mich fort, als sie erfuhren, wer ich bin. – In Inverdruie und Umgebung gibt mir niemand auch nur ein Stück Brot. Ich werde geächtet, weil ich die Tochter des Hexers Cedric Dunbar bin.« Der war im vorigen Jahr auf dem Marktplatz von Inverdruie verbrannt worden. Die Leute fürchteten dennoch, daß auch sie eine Hexe war. »Was kümmert mich das?« fragte der Earl mit rauher Stimme. »Das sind deine Angelegenheiten. Ich habe anderes im Kopf, als mich darum zu scheren, was du ißt. Ein Kaufmannszug ist auf dem Weg hierher. Das wird eine fette Beute. Für dich habe ich
keine Zeit. Scher dich davon, du hast dich lange genug bei mir durchgefressen.« Barbara legte die Hände auf ihren Leib. Ihr Mantel stand offen. Man sah, daß sie kurz vor der Niederkunft stand. »Bitte, Herr, wenn ihr Euch nicht meiner erbarmt, dann habt ein Herz wegen Eures Kindes. Wo soll ich es denn zur Welt bringen? Ich habe kein Dach überm Kopf, niemand steht mir bei.« Jeden anderen hätte das Flehen der jungen Frau gerührt. Earl Harold nicht. »Was weiß ich, von wem das Balg ist. Meinst du, nur weil ich mich ein paarmal mit dir eingelassen habe, könntest du dich bis ans Ende deiner Tage in meiner Burg einnisten wie Ungeziefer? Dann hätte ich hundert Frauen hier. – Geh mir endlich aus den Augen! Ich will einen Erkundungsritt unternehmen und habe keine Zeit.« Er riß sein Schlachtroß so hart am Zügel, daß es sich aufbäumte und wieherte. Die Hufe schlugen nach der armen Frau. Sie wich erschrocken zurück und wäre fast gestürzt. Die Hetzhunde kläfften und wollten auf sie los, wurden jedoch zurückgerissen. Die Knechte lachten. Es waren rohe Kerle, die sich auch bei einer Hexenverbrennung weidlich amüsierten, wenn sie sie angetrunken beobachteten. Barbara versuchte noch einmal, das Herz des Unholds zu erweichen. Sie fiel vor ihm auf die Knie, als sein Roß wieder tänzelte. Flehend reckte sie die Arme empor. »Harold of Morlich, ich schwöre, es ist Euer Kind, das ich im Leib trage. Ihr wißt es selbst. Ihr habt mich vor einem Jahr in Inverdruie gerettet, als ich nach dem Tod meines Vaters der grausamen Hexenprobe unterzogen werden sollte. Ihr zerstreutet die Bürger hoch zu Roß und sagtet: >Das ist keine Hex, Will mir jemand widersprechen?< Natürlich wagte es keiner, denn Euer Jähzorn ist bekannt und gefürchtet. Dann zogt ihr mich auf Euer Pferd und nahmt mich mit in die Burg. Am selben Abend noch habt Ihr mich zu Eurer Geliebten gemacht.« »Und?« fragte Harold of Morlich. Er war groß und kräftig und hatte ein grobes Gesicht mit breiter Nase und Kinnbart. Das Haar
trug er schulterlang. »Warum erzählst du mir das?« »Monatelang bin ich Eure Geliebte gewesen, und ich tat alles, was Ihr wolltet.« Barbara war nichts anderes übriggeblieben. Als Hexe verfemt, wo hätte sie hingesollt, wenn sie nicht in der Burg bleiben konnte? »Dann seid ihr meiner überdrüssig geworden. Als meine Schwangerschaft fortschritt, habt ihr mich verstoßen. – Dabei habt ihr mir damals geschworen, mich stets zu beschützen.« »Das ist lange her, die Frist ist zu Ende. – Bleib mir vom Leib mit deinem Geflenne, Weib! Geh aus dem Weg, oder ich reite dich nieder!« »Herr, bitte, laßt mich wenigstens in der Burg mein Kind zur Welt bringen und die erste Zeit zubringen. Dann will ich mit dem Kind in die weite Welt hinausziehen, und ihr sollt uns nie wiedersehen. Ihr habt genug Platz, mir genügt eine kleine Kammer. Das ist nicht zuviel verlangt. Ich will als Magd in der Burg arbeiten, so gut ich es kann, um für Kost und Logis zu bezahlen.« »Unter meinem Dach ist kein Platz. Ich dulde kein Bettelpack. Bring deinen Bastard in einer Strohmiete zur Welt oder wo immer du willst. Oder ersäuf dich von mir aus im See. Ich will dich nicht hier haben. Wenn du nicht auf der Stelle verschwindest, lasse ich dich von meinen Knechten mit Hunden und Peitschen davonjagen.« »Bitte, habt doch Erbarmen! Erbarme dich unseres Kindes! Ich flehe dich an!« »Hau ab! Du kostest mich unnütz die Zeit.« Der grausame Earl trieb sein Pferd an, das eine Panzerdecke trug. Die hochschwangere junge Frau hängte sich an seinen Steigbügel und schrie zu ihm hoch. Mit steinernem Gesicht, nichts als Zorn und wilde Grausamkeit im Herzen, galoppierte der Earl voran. Fast wäre Barbara unter die Hufe des Schlachtrosses geraten. Sie wurde ein Stück mitgeschleift. Dann endlich ließ sie los. Schluchzend, von Schmerzen geschüttelt, lag sie neben dem Weg und schaute Earl Harold nach. Von vier Begleitern gefolgt ritt er mit dröhnenden Hufschlag zur Handelsstraße und bog auf diese ab. Vier seiner Knechte hielten vor der Zugbrücke. Sie hatten die
Hetzhunde an der Leine und waren mit Spießen, Peitschen und Schwertern ausgerüstet. Drohend schauten sie die verzweifelte junge Frau an. Die Hetzhunde kläfften, jappten und wären auf Barbara losgesprungen, wenn die Knechte sie nicht zurückgehalten hätten. Barbara schaute dem Earl nach. Seine davonreitende Gestalt verschwamm vor ihren Augen, die vor Tränen überflossen. Sie hatte ihn wirklich geliebt. In der ersten Zeit war er zärtlich zu ihr gewesen. Dann hatte er sich an sie gewöhnt und wurde immer unfreundlicher. Zuletzt störte ihn jede Kleinigkeit an ihr. Barbara hatte ihn wirklich von Herzen geliebt, bis die Liebe in ihrem Herzen gestorben war. Jetzt dachte sie nur noch an das Kind in ihrem Leib. Ihr eigenes Leben war ihr unwichtig geworden. Die Knechte drohten ihr und forderten sie erneut auf, sofort zu verschwinden. »Oder wir werden dir Beine machen!« rief ihr Wortführer, ein grobschlächtiger Kerl, den man den Knochenbrecher nannte. Er saß als einziger von den vier Knechten hoch zu Roß. »Dann werden wir ausprobieren, wie schnell du in deinem Zustand noch rennen kannst.« Die vier Rohlinge waren an Brutalität und Gemeinheit kaum noch zu überbieten, >würdige< Diener ihres Herrn. Die dunkelhaarige junge Frau mit den blauen Augen stand auf. Sie resignierte. Hier konnte sie kein Mitleid erwarten. Weinend ging sie davon und schlug die Richtung zum See ein. Es war kalt, und die Raben krächzten heiser über ihr und dem Schloß wie Todesboten. Der Knecht Knochenbrecher trabte eine Strecke hinter der unglücklichen jungen Frau her. Er sah, wie sie sich am Seeufer in eine Hütte verkroch, in der Fischereigerät aufbewahrt wurde. Hohnlachend ritt er dorthin. »He, schöne Barbara!« rief er. »Hörst du mich? Wenn du auf Erden keinen Platz für das Kind und für dich hast, kannst du immer noch auf dem Grund des Sees wohnen. Geh doch zu deinem Vater, dem Hexer, wenn dich unser Earl verstoßen hat. – Fleh den Teufel an, Hexerstochter!«
Barbara öffnete die knarrende, schief in den Angeln hängende Tür. Ihre Augen waren stumpf und wie tot. Als ob sie bereits aus einer anderen Welt blicken würden, so schien es. Ihr Gesicht war wie Stein. »Das wird dich gereuen«, sagte sie zu dem Rohling. Er hob seine Peitsche. Doch etwas in dem Blick und der Haltung der Hochschwangeren ließ ihn die Hand senken. »An dir mache ich mir nicht die Finger schmutzig«, sagte er. »Hexerstochter. – Du hast gehört, was unser Herr gesagt hat: Verschwinde von seinem Land.« Nach diesen Worten ritt er an. Barbara schaute über die kahlen Fluren, wo die Gräser die grünen Spitzen gerade erst aus der Erde streckten. Sie legte die Hände auf den hochgewölbten Leib und spürte die Bewegungen ihres ungeborenen Kindes. Es mußte ein kräftiges und gesundes Kind sein. »Es tut mir leid, daß ich keine Wiege, kein Bettchen und nichts für dich habe, Kind«, sagte Barbara. »Kein Dach überm Kopf und keinen warmen Platz, dich zur Welt zu bringen. Dein Vater hat uns verstoßen. Die Herzen der Menschen sind hart wie Stein. Jener, der Knochenbrecher, hat etwas Wahres gesagt: Wir sollen deinen Großvater und den Teufel anrufen. Wenn schon kein lebendiger Mensch mit uns Mitleid hat, dann vielleicht ein Toter. Und wenn Gott uns nicht hört, vielleicht hört uns dann der Teufel.« Als die Dämmerung hereinbrach, schritt Barbara ans Seeufer. Neblig wurde es. Dunstschwaden krochen aus dem Wasser und hüllten sie ein. Barbara stellte sich ins Schilf. Sie rief eine Formel, die sie von ihrem Vater, dem Hexer Cedric, gehört hatte. Sie war nie eine Hexe gewesen, doch manches hatte sie aufgeschnappt. »Vater!« rief sie. »Ich bin von allen Menschen verstoßen und verlassen. Ich bin so verzweifelt. – Bitte, hilf mir!« Nichts geschah. Nur der Abendwind ließ das Schilf rauschen. Die junge Frau wiederholte die Beschwörung. Mit einem kleinen Messer, das sie noch bei sich trug, ritzte sie sich die Hand. Drei Blutstropfen fielen in den See und lösten sich auf. »Mein Blut für den Teufel!« rief Barbara Duncan. »Vater, zeige
dich mir! Aus den Abgründen der Hölle, wo immer du seist, rufe ich dich. Vater, erscheine! – Satanas, auch dich rufe ich an! Hilf du mir, wo alles andere versagt!« Es raschelte im Schilf. Barbara drehte sich um. Ein Schatten erschien. Er war hochgewachsen für jene Zeit und trug ein Büßergewand und eine Papiermütze auf dem Kopf. Es war die Gewandung, in der die Einwohner von Inverdruie den Hexer Cedric Duncan zum Scheiterhaufen geführt und verbrannt hatten. Ein bleiches, durchscheinendes Gesicht war zu sehen. Eisige Kälte strahlte von der Erscheinung aus. »Tochter«, flüsterte es in das Rauschen des Windes. »Ich habe meine Hexerei und die Schwarze Kunst mit dem Leben und dem Heil meiner Seele bezahlt. – Was willst du von mir?« »Hilfe für mich und das Kind.« »Die kann ich dir nicht geben. Ein anderer kann es. Dafür mußt du einen Pakt mit ihm schließen.« Die Erscheinung verschwand. Im letzten Tageslicht sah Barbara niemanden mehr. Doch dann sagte eine Stimme hinter ihr: »Guten Abend, junge Frau. Was kann ich für Euch tun?« Sie drehte sich um. Ein Mann, der wie ein fahrender Scholar aussah, stand am Ufer. Er hatte grüne Wanderkleidung an und trug einen grünen Hut mit einer Feder daran. Seine Augen unter dem Hut glühten rot. Fahles Licht umgab ihn. »Man nennt mich Mephisto«, sagte er mit wohlklingender, ja, betörender Stimme. »Wie ich hörte, ist Euch übel mitgespielt worden, Barbara Duncan. – Nun, ich kann Eure Probleme lösen. Zu Diensten. Ich biete Euch eine schöne Bleibe für Euch und das Kind an. Dazu sind einige Veränderungen notwendig, doch das Leben ist ohnehin ein ständiger Wandel. Es wird Euch gefallen, was ich Euch zu bieten habe. – Vor allem aber: Eure Feinde sollen vor Euch zittern. Ihr könnt Rache nehmen an Earl Harold of Morlich und seinem Geschlecht. Diejenigen, die Euch verhöhnten und verlachten, werden zittern, wenn sie nur Euren Namen hören. Euer Kind soll schöne Spielsachen und freundliche Spielgefährten haben. Ihr werdet keine Geldsorgen mehr kennen, keinen Hunger leiden.«
»Das hört sich gut an«, sagte Barbara. »Was verlangt Ihr dafür?« »Ihr seid eine kluge junge Frau, die immer direkt fragt, damit sie keine unliebsamen Überraschungen erlebt«, sagte Mephisto schmeichlerisch. »Das gefällt mir. – Nun, Eure Seele und die Eures Kindes sind nicht zuviel verlangt, denke ich.« Ein letzter Rest von Gewissen und Glauben hielt Barbara zurück, ihre Zustimmung zu erteilen. »Meine Seele könnt Ihr gern haben«, sagte sie. »Doch über die meines Kindes kann ich nicht verfügen.« »Da weiß ich einen Ausweg«, sagte Mephisto glatt. »Ihr könnt erlöst werden, wenn es jemandem gelingt, den Spuk zu beenden, den Ihr entfachen werdet. Oder wenn ihr davon ablaßt. – Ist das ein Vorschlag?« Barbara überlegte und nickte. Sie wußte nicht, wie verschlagen und listig der Teufel war. »Abgemacht«, sagte sie. Eine halbe Stunde später schritt sie, nachdem sie eine gräßliche Verwünschung zum Schloß hin gesprochen hatte, an Mephistos Hand in den See hinein. Glühendes Leuchten umgab sie. Im Schilf quarrte eine Ente. Das letzte Glühen des Abendrots war erloschen. Eisige Kälte stieg über Barbaras Leib hoch, als sie ins Wasser ging. Doch Mephistos Hand strahlte Wärme aus. Das Kind in Barbaras Leib strampelte, als ob es ahnte, was kam. Es schien sich zu wehren. Barbara zögerte. Das Wasser reichte ihr schon bis zu den Brüsten. Ein letzter innerer Widerstand hielt sie zurück. »Was ist, schöne Barbara?« fragte Mephisto. »Dein Nixenkind wird im Loch Morlich mit den Fischen spielen. Da unten wartet ein Palast auf dich. Es wird alles gut. – Warum zögerst du? Vom Leben zum Tod ist es nur ein Schritt. Das Leben ist schwerer, glaub mir.« Barbara schaute ihm in die rotglühenden Augen, lächelte verzerrt und ging weiter.
*
Gegenwart: Der Motor des schweren Rolls-Royce lief wie ein Uhrwerk. Wir bogen von der Autobahn ab und fuhren ins Hochland, an Inverdruie vorbei und zum Loch Morlich, dann weiter nach Morlich Castle. Ich wußte, woher der Fluch der Morlichs rührte. Von der Untat des ungeheuer hartherzigen und grausamen Ahnen Harold nämlich, der seine hochschwangere Geliebte davongejagt hatte. Sie war ums Leben gekommen. Vorher mußte sie ihn verflucht und einen Pakt mit dem Teufel geschlossen haben. Zwei Tage, nachdem sie gestorben war, war der Earl Harold in seiner Burg von einem Unwesen enthauptet worden, überlieferte die Legende. Eine riesige Schattengestalt hatte ihn heimgesucht und ihm mit dem Beidhänder den Kopf abgehackt. Ein Knecht namens Knochenbrecher war bei der Gelegenheit gleichfalls ums Leben gekommen, ein anderer Knecht schwer verletzt worden. Earl Haralds Rumpf und die Leiche hatten seine Leute in der Ahnengruft beigesetzt. Von dort war sie kurz danach spurlos verschwunden. Vorher hatte man Dudelsackspiel in der Burg gehört. Harold of Morlich, ein Wüstling von hohen Graden, Raubritter, Despot und Tyrann, war ein ausgezeichneter Dudelsackbläser gewesen. Diese Musik hatte er geliebt, was vielleicht seine einzige gute Seite gewesen war. Highlands Pride – Hochlandstolz – war seine Lieblingsmelodie gewesen, jene klare Weise, zu deren Klängen die Clans der McMasters, McElroys, Fergusons und andere zu ihren blutigen Stammesfehden antraten. Tapfer und stolz waren sie alle gewesen. Schottlands Geschichte kündete von ihren ruhmvollen Taten und war ein Bericht über menschliche Leidenschaften. Alle drei oder vier Generationen seit dem Tod der unglücklichen Barbara Dunbar und Earl Harolds, der sie auf dem Gewissen hatte, trat dann der Fluch auf. Erstmals war das um 1650 geschehen. Dudelsackmusik kündigte den Spuk des kopflosen Earls an. Magische Zwänge riefen die Morlichs in ihre Stammburg und hielten sie dort fest. Mehrere starben. Nachdem der Fluch von Morlich grausam gewütet hatte, war eine Zeitlang Ruhe. Dann wiederholte sich das teuflische Spiel. Zum letzten Mal war der Fluch von Morlich Castle zur Zeit des Ersten Weltkriegs aufgetreten. Damals waren vier McPhersons
ums Leben gekommen. Der kopflose Earl brachte sie um. Sein schreiender Schädel war immer dabei. Ich dachte an meinen Traum und die Ereignisse in Weimar. Bald würde ich, das spürte ich deutlich, dem kopflosen Dudelsackspieler begegnen. Was im Jahr 1583 geschehen war, als Barbara Dunbar spurlos verschwand, konnte ich mir ungefähr vorstellen. Sie mußte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen und jenes Schattenwesen gerufen haben, das Earl Harold umbrachte. Ich überlegte, ob sie selbst zu diesem Schattenwesen geworden war. Doch das erschien mir wenig wahrscheinlich. Es paßte nicht zu der Machart der ganzen Sache. Bald würde ich alles wissen. Ich war ein Vollender von Sagen und Legenden, das hatte ich schon erfahren. Mit dem Schattenwesen mußte es eine besondere Bewandtnis haben. Die Frage war: Wer hatte Earl Harold enthauptet, und wie entstand der spezielle Ablauf des Fluchs? Das mußte ich noch ergründen. Ich schaute mir meine Mitfahrer an. Earl Herbert saß mit steinerner Miene neben seinem Chauffeur. Martin McPherson, der Schafzüchter, war auf seinem Platz im Fond neben mir eingeschlafen. Er atmete rasselnd und roch kräftig nach Whisky. Helen Sanders, geborene McPherson, wirkte sehr nachdenklich. Auf ihrem Schoß saß die schlafende vierjährige Tochter. Die Spannung bei ihr und bei Earl Herbert wuchs, je mehr wir uns Morlich Castle näherten. Martin McPherson verschlief alles. Der Alkohol und die Müdigkeit hatten ihn überwältigt. Mein Ring erreichten.
erwärmte
sich
nicht,
als
wir
Morlich
Castle
Obwohl September, war es bereits neblig im seenreichen Nordschottischen Hochland. Karg war der Boden hier, er barg jedoch Erze und Kohle. Ein harter, genügsamer Menschenschlag war hier gewachsen. Einzelne Lichter von Morlich Castle strahlten in Nacht und Nebel. Die Zufahrt über die alte Zugbrücke war von Lampen beleuchtet. Seit dem Mittelalter war im Innern der Burg einiges verändert worden. Die wuchtigen Außenmauern mit ihren Zinnen und Türmen hatte man jedoch kaum verändert. Der Chauffeur betätigte eine Fernsteuerung. Das Burgtor
schwang auf, und wir fuhren in den Innenhof. Ich stieg aus, reckte und streckte mich nach der langen Fahrt, die nur ein kurze Pause unterbrochen hatte. Dann nahm ich Helen Sanders’ schlafende Tochter entgegen und hielt sie in den Armen, während ihre Mutter ausstieg und ihren Mantel anzog. Es war kühl in Schottland. Die Uhr zeigte nach Mitternacht. Helen Sanders war nach dem Transatlantikflug und der langen Fahrt erschöpft. Gern hätten Earl Herbert und wir anderen ihr und ihrer Tochter eine Übernachtung im Hotel in Glasgow gegönnt, ehe wir nach Morlich Castle abfuhren. Doch der schreiende Schädel und der kopflose Dudelsackspieler duldeten keinen Aufschub. Wären wir in Glasgow geblieben, wäre der Spuk sicher noch einmal aufgetreten. Jetzt waren die Morlichs sämtlich in der Stammburg versammelt, wo alles seinen Anfang genommen hatte. Ich schaute mich um, das Kind in den Armen, um mich mit meiner neuen Umgebung vertraut zu machen. Im hinteren Teil der Burg stand der Hauptturm, auch Bergfried genannt. Er war aus starken Mauern errichtet und in früheren Zeiten die letzte Zuflucht der Verteidiger gewesen, wenn Feinde die Burg eroberten oder es versuchten. Im Innenhof war ein Ziehbrunnen. Ob man ihn noch benutzte, wußte ich nicht. Morlich Castle war jedenfalls an die Wasserleitung und ans Stromnetz angeschlossen. Ich sah mehrere Gebäude, das Haupthaus, in dem sich der Rittersaal und die Räume für die Burgbewohner befanden. Den Palas, in dem die Burgfräulein und die ledigen Frauen gewohnt hatten, ein Gesindehaus und einige Anbauten und Nebengebäude. Von meinen Geschichtsstudien kannte ich mich mit der Anlage mittelalterlicher und spätmittelalterlicher Burgen gut aus. Große Abwandlungen gab es da nicht im europäischen Raum. Heutzutage war natürlich einiges umgestaltet worden. Earl Herbert erklärte mir, ich wäre im Haupthaus untergebracht, während im Seitenflügel die Wohnräume für seine Familie waren. Die übrigen McPhersons wohnten im Palas, der zum Gästehaus umgestaltet worden war. »Das hast du getan, weil du Mark Hellmann zum Schutz für deine Familie und dich in eurer Nähe haben willst, Bruder«, warf Martin McPherson dem Earl vor. »Wir sind weiter weg. Wenn uns
der Spuk des Kopflosen umbringt, stört dich das erst in zweiter Linie.« Der Schafzüchter war aufgewacht, schlecht gelaunt und knurrig. Earl Herbert beschwichtigte ihn, irgendwo müsse Hellmann schließlich wohnen. Vom Haupthaus zum Palas wären es nur ein paar Schritte. Martin McPherson schimpfte, das könnten ein paar Schritte zuviel sein. »Brauchst du ein Kindermädchen, Martin?« fragte da eine joviale Stimme. »Bist du noch immer dieselbe Memme wie früher?« Der Ton und das Auftreten des Sprechers milderten die Aggressivität dieser Worte. Unsere Ankunft war bemerkt worden. Die Bewohner der Burg erschienen im Hof, um uns zu begrüßen. Wegen des Spuks, mit dem sie stündlich rechnen mußten, schliefen sie sowieso schlecht. Der Sprecher, der den Schaffarmer gefragt hatte, war ein untersetzter, stämmiger Mann mit Backenbart und Knollennase. Das mußte Richard McPherson sein, der Abenteurer, der zuletzt als Diamantensucher in Südafrika sein Glück gesucht hatte. Er trug Stoffhosen, ein kariertes Baumwollhemd und eine gefütterte Wildleder Jacke. Er kleidete sich also leger und gediegen, zwanglos, ohne Krawatte, im Gegensatz zu seinem ältesten Bruder, dem Earl, der eher ein steifer Typ war. Grinsend ging er zu Martin McPherson, dem mittleren Bruder. Er packte ihn bei den Schultern, schüttelte ihn kräftig und umarmte ihn dann. »Martin, du altes Haus! Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Zwanzig Jahre? Wo sind deine Haare geblieben? Haben die Schafe sie dir vom Kopf gefressen?« Martin McPherson zögerte zuerst. Aber der gewinnenden, wenn auch rauhen Art seines Bruders konnte er nicht widerstehen. Er erwiderte Richards Umarmung. »Alter Bandit?« rief er. »Lebst du noch immer, du Galgenstrick? Bis nach Südafrika hat es dich verschlagen, hörte ich. Anderswo kannst du dich wohl nicht mehr blicken lassen vor lauter Gläubigern und Alimentenklagen.« »Sei bloß ruhig, du Schafbock.« Earl Herbert stand hölzern daneben. Er räusperte sich. »Richard, Martin, darf ich Euch meine
Frau Margaret und meine Tochter Elizabeth vorstellen? Margaret, Beth, das sind Mrs. Helen Sanders und ihre Tochter Janet aus New York. Helen ist eine entfernte Cousine von uns. – Der junge Mann dort ist Mark Hellmann aus Weimar in Deutschland. Er ist Spezialist für übernatürliche Phänomene und hat schon manchen Spuk beseitigt. Wir setzen unsere Hoffnung auf ihn, den grausamen Fluch zu beenden, der unser Geschlecht bedroht.« Ein paar Bedienstete der schottischen Adelsfamilie Morlich standen im Hintergrund. Der Chauffeur brachte mit ihnen zusammen bereits die Koffer ins Schloß. Vor ihnen standen die Lady of Morlich, Margaret, eine gepflegte Dame von siebenundvierzig Jahren mit aschblondem Haar, das bereits ein paar attraktive graue Strähnen zeigte. Lady Margaret trug einen Mantel. Neben ihr sah ich eine Schönheit, bei deren Anblick es mir schier den Atem verschlug. Beth McPherson, die Tochter des Earl und der Lady, war wasserstoffblond und sexy. Sie hatte einen enganliegenden Hosenanzug an, mit durchgehendem Reißverschluß, der dazu einlud, daran zu ziehen. Ihr üppiger Mund war die Verlockung persönlich und lächelte mich an. Ihre blauen Augen strahlten sinnlich und lebenshungrig. Sie strahlte Sex-Appeal aus. »Hi«, sagte sie und wiegte sich in den Hüften »Sie sind also der Mann, der uns von dem kopflosen Earl und dem schreienden Schädel befreien will? Ich setzte meine ganze Hoffnung auf Sie.« »Ich werde Sie hoffentlich nicht enttäuschen«, sagte ich und schaute ihr tief in die Augen. Ich fragte mich, wie der steife Earl Herbert der Vater eines solch sinnlichen Geschöpfs hatte werden können. Entweder schlugen da die Gene von Vorfahren durch, oder seine Frau… Egal, ging mich nichts an. Die McPhersons begrüßten die entfernte New Yorker Verwandte herzlich, mich dagegen mit gelinder Skepsis. Die Brüder Richard und Martin nahmen Earl Herbert in ihre Mitte und klopften ihm auf die Schultern. Martin McPherson war mit seiner Familie zuletzt vor drei Jahren in Schottland in Morlich Castle gewesen. Earl Herbert und die Seinen hatten die McPherson’sche Schaffarm in Australien zwei Jahre vor diesem Termin besucht. Richard hatte sich bei der Familie rar gemacht, seit er vor vielen Jahren unter
Zurücklassung kehrte.
erheblicher
Schulden
Schottland
den
Rücken
Vom schottischen Geiz und der Sparsamkeit hatte Richard McPherson jedenfalls nichts geerbt. Es war eine interessante Familie mit völlig unterschiedlichen Charakteren und Wertmaßstäben, der ich da begegnete. Da es uns draußen kalt wurde, gingen wir ins Haupthaus, wo zuerst trotz der späten Stunde ein Willkommenstrunk und ein kleiner Imbiß eingenommen werden konnten. Nebel wallten im Innenhof der Burg mit den meterdicken Mauern. Die Lampen und Leuchten hatten einen Lichthof um sich. Kein Stern war zu sehen. Alles in allem strahlte die Burg, von der einige Fenster erleuchtet waren, eine unheimliche und schaurige Atmosphäre aus. Ich trug immer noch die kleine Janet, die selig in meinen Armen schlief. Der Pelzkragen ihres Anoraks kitzelte mich an der Nase. Kaum hatte ich den Fuß auf die erste Treppenstufe vor dem Eingang des Haupthauses gesetzt, als plötzlich schaurig im Haupthaus der Dudelsack erklang. Zugleich war im ersten Stock hinter den Fenstern ein grünliches, fahles Licht zu sehen. »Das Licht ist im Rittersaal!« rief der steife Earl Herbert schreckensbleich. »Der kopflose Earl sucht uns wieder heim.« Er schaute mich an. »Unternehmen Sie etwas, Herr Hellmann! Jetzt zeigen Sie mal, was Sie können.« Ich drückte Janet dem Martin McPherson in die Arme und rannte ins Haus. Schaurig erscholl die Musik. Der Ring an meiner Hand hatte sich erwärmt. In dem Finger, über den er gestreift war, spürte ich ein Prickeln. Der Ring leuchtete schwach. Im Vorbeilaufen riß ich ein Schwert von der Wand, wo es wie andere Waffen und Gemälde als Dekoration diente. Im Haupthaus mit dreißig Zimmern war es außer in den Gängen, die um die Zeit benutzt wurden, stockdunkel. Mir blieb keine Zeit, irgendwelche Lichtschalter zu suchen. Ich folgte dem Klang der Musik, erreichte den Rittersaal und riß die zweiflügelige Tür auf. Im selben Augenblick verstummten die Klänge des Dudelsacks. Ein eisiger Lufthauch wehte mich an.
»Flieh!« raunte mir eine Geisterstimme ins Ohr, »oder du bist verloren! Der Spuk von Morlich Castle tötet dich, wenn du bleibst.« Damit war auch schon alles vorbei. Ich schaute auf meinen Ring, der zu leuchten aufgehört hatte und nicht mehr prickelte. Er kühlte rasch ab. Langsam kehrte ich zu den anderen zurück, die in der beleuchteten Eingangshalle auf mich warteten. Als sie mich fragend anschauten, zuckte ich mit den Achseln.
* Im rustikal eingerichteten Rittersaal war an der langen Tafel ein Imbiß aufgebaut. Rechts und links in dem Saal war ein Säulengang. An der Stirnseite des Saals stand ein Tisch quer, so daß er und die lange Tafel ein Kreuz bildeten. Ritterrüstungen standen in den Bogen der Säulengänge. Schwerter, Schilde und altertümliche Waffen hingen an den Wänden. An der Stirnseite des Rittersaals war ein kolossaler Wandteppich angebracht, der ein Kreuzfahrerheer vor Jerusalem zeigte. Angeführt von Richard Löwenherz hielten die Ritter auf einer Anhöhe und schauten auf die Stadt. Der Anführer zeigte mit gezogenem Schwert auf die Stadt. Meines Wissens war Richard Löwenherz zwar nie bis vor Jerusalem gelangt. Der englische König Löwenherz hatte am dritten Kreuzzug von 1189 bis 1192 teilgenommen. Als jedoch Kaiser Barbarossa, der Anführer des Kreuzzugs, in einem Bergbach ertrank, war der Mut des Heeres gebrochen. Jerusalem erreichten sie nicht. Aber wenn die Schotten meinten, ihr Löwenherz wäre dort gewesen, würde ich darüber nicht mit ihnen diskutieren. Auf dem Wandteppich fiel besonders ein Ritter auf, über dem das Wappen der Morlichs wehte: der auf den Hinterbeinen stehende Löwe, der ein halbes Dutzend Wölfe bekämpfte. Dieser Ritter sollte der Begründer des Morlich-Geschlechts sein, Robert der Kühne, der ins Heilige Land gezogen war. Den Titel Earl hatte er noch nicht gehabt. Der war der Sippe erst später verliehen worden. Der Butler der Familie hatte die kleine Janet ins Bett im Palas getragen. Ihre Mutter war mitgegangen und hatte sich überzeugt,
daß mit dem Kind alles seine Ordnung hatte. Danach gesellte sie sich wieder zu uns. Zu siebt standen wir da. Earl Herbert hob sein Glas und gab zwei Bediensteten ein Zeichen. Er hatte allerhand aufgeboten, um seine Verwandten und mich willkommen zu heißen. Es war ein Familientreffen unter makabren Umständen. Der ehrwürdige Butler, ein grauhaariger Mann mit der Würde eines Erzbischofs, hob die Speiseglocke hoch. Ein Aufschrei der drei Frauen erfolgte. Auf der Platte unter der Speiseglocke befand sich statt kalter Hühnchen ein Totenschädel. Er war aufgestellt. Eine Kerze brannte darin und ließ die Augenhöhlen und den Mund leuchten. Der nächste Schrecken erfolgte, als Richard McPherson den Deckel der Suppenschüssel hochhob. Statt einer nahrhaften Pilzsuppe befand sich darin ein Gewimmel von Asseln, Skorpionen, schwarzen Käfern, Schlangen und Spinnen. Das Ungeziefer kroch heraus und quoll förmlich über den Tisch. Es sah scheußlich aus. Jetzt wollte ich es wissen. Ich nahm die Schutzkappen von den Puddingschalen. Darin hockten fette, warzige Kröten. Sie glotzten mich an. Eine hüpfte auf den Tisch und plärrte dumpf. Quaken konnte sie nicht. Wir beeilten uns, des Ungeziefers Herr zu werden. Earl Herbert rief seine sechs Schloßbediensteten hinzu. Noch ehe sie im Rittersaal erschienen, erklang schaurig der Dudelsack. Die Töne drangen einem durch Mark und Bein. Der kopflose Earl oder der schreiende Schädel zeigten sich jedoch nicht. Mein Ring erwärmte sich, zeigte sonst jedoch keine Reaktion. Es war nicht möglich, das Dudelsackspiel zu unterbinden. Schluchzend verließ Lady Margaret den Rittersaal. Ihre Tochter begleitete sie fürsorglich. Vier Dienstmädchen, der Butler und der Chauffeur sowie wir Männer bekämpften das Ungeziefer, zertraten es, erschlugen es mit Schaufeln, die herbeigeholt worden waren, fegten es mit Besen von den Wandgesimsen und erledigten es dann. Die Reste wurden zusammengefegt. Das Dudelsackspiel verstummte abrupt, nachdem es zwanzig Minuten lang unsere Nerven geplagt hatte. Zum Abschluß des schaurigen Konzerts erklang noch ein
höhnisches, teuflisches Lachen. Helen Sanders half zunächst mit, was ich von einer SocietyLady nicht erwartet hätte. Dann jedoch wurde es ihr vom Anblick der krabbelnden Spinnen, Skorpione und Asseln übel. Sie rannte hinaus, um sich zu übergeben. Als wir das Ungeziefer erledigt hatten, atmeten wir auf. Einiges war noch übrig und verbarg sich in irgendwelchen Verstecken. Damit würden sich die Dienstboten herumschlagen müssen. Earl Herbert wollte Gelassenheit demonstrieren. »Das war ein übles Willkommen«, sagte er. »Entschuldigt es bitte. Dafür bin nicht ich verantwortlich, sondern ein Vorfahr, dem wir letztendlich den Schrecken verdanken. – Trotzdem wollen wir wenigstens ein Glas Wein trinken.« Wir nahmen die Gläser mit dem Rotwein vom Tisch. Earl Herbert brachte den Toast aus. Beth McPherson kehrte zurück und erklärte, ihre Mutter habe ein Beruhigungsmittel eingenommen und sich hingelegt. Auch die kurvenreiche Beth hob ein Glas. »Auf gutes Gelingen!« rief ihr Vater. »Daß es mit dem Fluch von Morlich Castle bald vorbei sein möge.« Ich trank einen Schluck aus dem Glas und spie ihn gleich wieder aus. Er schmeckte scheußlich süß. In dem Glas war statt Rotwein Blut. Der Wein hatte sich in Blut verwandelt. Auch die anderen spien aus und setzten die Gläser ab. Den Willkommenstrunk hatten wir noch nicht verwunden, als Helen Sanders hereinstürzte. Sie war schreckensbleich. »Ich habe den kopflosen Earl gesehen!« rief sie. »Er hat mich mit einem Beidhänder bedroht. Und der schreiende Schädel meinte, daß ich bald in der Hölle landen werde.« Wir liefen sofort in den Korridor hinaus. Doch den kopflosen Earl und seinen schreienden Schädel fanden wir nicht. Helen war einem Nervenzusammenbruch nahe. »Das halte ich nicht lange aus«, klagte sie. »Wenn ich länger hierbleiben muß, werde ich wahnsinnig.« *
Nach diesem gräßlichen Empfang in Morlich Castle saßen wir noch eine Weile in einem anderen Raum des Schlosses zusammen und berieten Maßnahmen gegen den Fluch. Ich erfuhr noch mehr Einzelheiten darüber. Die McPhersons fragten mich, wie ich gegen den Spuk des Kopflosen vorgehen wollte. »Ich werde das Übel bei der Wurzel packen«, antwortete ich, erklärte jedoch nicht näher, wie das vor sich gehen sollte. »Das ist mein Geheimnis«, antwortete ich auf die mir gestellten Fragen. »Jeder Spezialist hat seine Methoden, über die er nicht gern spricht. Der Erfolg ist entscheidend.« Wir saßen im holzgetäfelten Herrenzimmer am offenen Kamin. Es war schon drei Uhr nachts, aber die McPhersons fanden allesamt keine Ruhe. Nur Lady Margaret schlummerte in ihrem Bett unter dem Einfluß eines starken Schlafmittels. Die McPhersons waren allesamt sehr nervös. Jedesmal, wenn ein Scheit im Kamin knackte, zuckten sie alle zusammen. Richard McPherson rauchte Kette und warf seine Kippen in den Kamin, obwohl Earl Herbert ihn schon zweimal ermahnt hatte, das nicht zu tun. Martin McPherson hing wieder an der Whiskyflasche. Helen Sanders rauchte Zigaretten mit Goldmundstück und nippte an ihrem Martini. Sie hatte sich ausgezeichnet unter Kontrolle, doch in ihrem Innern sah es ganz anders aus. »Mein Kind ist in Gefahr«, murmelte sie einmal. Ein Dienstmädchen paßte auf Janet auf. Übers Haustelefon konnte sie jederzeit im Herrensalon anrufen, wenn etwas geschah. Helen Sanders stand ein paarmal auf und ging hinüber, um nach ihrer Tochter zu sehen. Die schlief friedlich. Sie war eine gute Mutter. Ihr Kind ging ihr über alles. Helens häufiges Hinund Hergelaufe ging den anderen auf die Nerven. Sie sagten jedoch nichts dazu. Ich hatte mein Handy mitgebracht und für alle Fälle einstecken. So konnte man mich aus Deutschland jederzeit erreichen. Earl Herbert saß stocksteif da. Nur sein linker Mundwinkel zuckte ab und zu nervös. Beth McPherson räkelte sich attraktiv auf der Couch und schaute mich hin und wieder schläfrig an. Ich trat leger auf, in Jeans und mit Freizeitpulli. Earl Herbert gefiel das nicht. Vermutlich hatte er einen ernst blickenden, geheimnisvoll tuenden Menschen mit Rauschebart und einem Amulett um den
Hals erwartet. Ich ging, wobei ich mir des Ernsts der Sache völlig bewußt war, die Dinge lieber lässig an. Jetzt spürte ich eine innere Anspannung. Der Fluch von Morlich Castle bedrohte auch mich. Dessen war ich mir bewußt. Wieder fiel mir mein Traum ein, den ich vor ein paar Tagen in Deutschland gehabt hatte. Die Wanderung am Seeufer, als der kopflose Earl aus dem Wasser gestiegen war und mich zusammen mit dem schreienden Schädel angegriffen hatte. Der Traum war ein Vorzeichen gewesen, und ich konnte mir gut vorstellen, daß ich in diese Situation geraten würde. Wie würde sie für mich enden? Als mich Tessa wachrüttelte, hatte mich der kopflose Earl ziemlich in der Klemme gehabt. Mir war klar, daß ich in die Vergangenheit zurückgehen mußte, um dem Spuk von Morlich Castle Einhalt zu gebieten. Das war nur möglich, wenn ich seine Ursache beseitigte, die bei der unglücklichen Barbara Duncan lag. Ich mußte sie aufsuchen und irgendwie davon abbringen, den Pakt mit dem Teufel zu schließen. Aber wie? Ich hatte mit meinem Ring schon einmal eine Zeitreise unternommen und war im Jahr 1198 gewesen, wo ich Walter von der Vogelweide, dem mittelalterlichen Minnesänger, begegnete und gegen den Schwarzen Ritter kämpfte. (Siehe Mark Hellmann Band 2.) Ritter, Tod und Teufel hatten mir das Leben schwer gemacht. Nur mit knapper Not hatte ich dieses gefährliche Abenteuer überstanden. Das war meine erste Zeitreise gewesen. Ich hatte einiges über die Materie gelernt. Diesmal würde es anders sein. Große Rätsel waren zu lösen. Wenn ich den Spuk beseitigte, also dafür sorgte, daß der Fluch von Morlich gar nicht erst auftrat, dann würden etliche Menschen, die ihm zum Opfer gefallen waren, am Leben bleiben. Dann änderte ich die Vergangenheit. Die Auswirkungen waren nicht abzusehen. Ich würde in der Praxis erfahren, wie sich das auswirkte. Später wollte ich meinen Ring aktivieren und den geeigneten Platz finden, um die Runenbeschwörung durchzuführen, die mich in das Jahr 1583 versetzte. Was der richtige Platz für die Zeitreise war, war das Problem. Nackt und bloß würde ich in der Vergangenheit ankommen und dort einige Minuten brauchen, um aktionsfähig zu sein.
An der Wand des Herrenzimmers hingen Jagdtrophäen, alte Waffen, Flinten und Kupferstiche. Martin McPherson nahm eine Schrotflinte von der Wand. Der Schaffarmer war stark angetrunken. Er fürchtete sich derart vor dem Spuk, daß er sich in den Rausch flüchtete und nur noch betrunken war. »Ich werde schon aufräumen mit dem kopflosen Earl und dem schreienden Schädel«, prahlte er mutig vom Alkoholnebel und fuchtelte mit der Flinte herum. »Irgendein Gegenmittel wird es schon geben. Vielleicht Kugeln aus Silber oder geweihte Kugeln mit einem kreuzförmigen Einschnitt. – Wenn sich der kopflose Earl wieder zeigt, paff-paff, durchlöchere ich ihn wie ein Sieb. Hicks!« »Martin, du bist betrunken«, ermahnte ihn der Earl Herbert. »Leg dich ins Bett.« Martin schwankte leicht hin und her. Er klappte die Flinte auf. »Das Ding ist ja überhaupt nicht geladen«, stellte er fest. Dann wandte er sich an seinen ältesten Bruder. »Du hast mir nichts zu befehlen. Besorge Silberkugeln oder sonst was, was gegen einen Geist fruchten kann. – Was sitzt du denn noch herum?« Martin McPherson zielte auf die Wand. »Zeig dich, Harold of Morlich!« rief er. »Hier steht dein Nachkomme, der dich vernichten wird. Ich knalle dir ein Loch in den Dudelsack und in dich dazu, daß du die Engelchen pfeifen hörst. Hicks.« Earl Herbert beachtete den Betrunkenen nicht. Die anderen McPhersons, auch Helen, schauten pikiert drein, daß jemand so aus der Rolle fiel. Der Earl wandte sich an mich. »Meine Vorfahren haben schon alles versucht, um mit dem Spuk aufzuräumen«, sagte er. »Silberkugeln und geweihte Waffen wurden verwendet, Beschwörungen und Dutzende von Exorzismen durchgeführt. Geister- und Dämonenbanner sind angebracht worden. Alle möglichen und unmöglichen Dämonenbekämpfer waren in der Vergangenheit schon im Schloß. Es war alles vergebens. Sie, Mr. Hellmann, sind unsere letzte Hoffnung. Wollen Sie uns wirklich nicht sagen, wie Sie vorgehen wollen?« »Nein«, antwortete ich knapp. Wir verabschiedeten uns und gingen zu Bett. Es war schon sehr
spät oder, wie man es auch nennen konnte, früh. Ehe ich mich hinlegte, drückte ich noch hundert Liegestütze, um meine Kondition zu erhalten. Dann streckte ich mich im Himmelbett aus und war im Nu eingeschlafen. Dann, in der Nacht! Ein Prickeln am Ringfinger meiner rechten Hand weckte mich! Als ich die Augen aufschlug, sah ich, daß der Ring leuchtete. Ein dämonischer Einfluß machte sich bemerkbar. Ich tastete nach der Nachttischlampe und drückte den Schalter. Doch sie funktionierte nicht. Ich wollte mich aufsetzen. Das schaffte ich nicht. Ich stieß mit dem Kopf gegen etwas Weiches, das schwer war und mich mit Wucht niederdrückte. Ich wurde aufs Bett gepreßt. Vergeblich versuchte ich noch, mich aus dem Bett zu wälzen. Es war schon zu spät. Beim Umhertasten bemerkte ich, daß sich der schwer gewordene Betthimmel auf mein Gesicht senkte und den Körper zerquetschen wollte. Ich hatte geglaubt, der Betthimmel sei nur ein Tuch. Jetzt stellte sich heraus, daß er sehr dick war und mindestens den Durchmesser von zwei Matratzen hatte. Darunter konnte man ersticken. Es gab eine Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe, in der eine solche Situation geschildert wurde. Bei Poe hatte es sich um eine technische Vorrichtung gehandelt, mit Schienen in den Bettpfosten, um jemanden umzubringen. Bei mir war Schwarze Magie im Spiel! Mit aller Kraft stemmte ich mich gegen die weiche Masse. Die Kraft, die auf mich einwirkte, war jedoch stärker. Leider hatte ich kein Messer, mit dem ich den Betthimmel hätte aufschlitzen können. Mein Ring leuchtete zwar, doch nutzte er nichts gegen den Höllenspuk. Schon wurde mir die Luft knapp. Rote Kreise tanzten vor meinen Augen. Meine Lungen pumpten nach Luft. Ich schmeckte den Staub in dem Betthimmel. Roter Samt war es, der sich auf mich niedersenkte. Jetzt hörte ich den Dudelsack spielen. Etwas – jemand – schrie Verwünschungen auf Gälisch. Es mußte der schreiende Schädel sein. Vielleicht, das wußte ich nicht, stand der kopflose Earl bei mir im Zimmer, spielte den
Dudelsack und würde mich im nächsten Moment mit seinem Beidhänder durch den Betthimmel durchbohren. Um dieser Gefahr zu entrinnen, bot ich meine letzten Kräfte auf und riß mit den Zähnen den Samtstoff auf. Endlich zahlten sich mal meine guten Zähne aus. Ich riß und zerrte mit den Zähnen, schnappte nach Luft und stieß mit dem Kopf nach. Nach einer Weile gelang es mir, den Kopf durch die dicke Masse zu stecken. Im selben Moment, als das geschah, verwandelte sich die Masse, die mich hatte ersticken wollen, in einen normalen samtenen Betthimmel. Ich streifte ihn über den Kopf ab. Das Tuch lag neben mir. Es sah aus, als ob es sich aus den Halterungen gelöst hätte und heruntergefallen sei, was eine harmlose Angelegenheit gewesen wäre. Ich wußte es besser. Ich war schweißgebadet und keuchte nach Luft. Das Dudelsackspiel war in dem Moment verstummt, als ich den Kopf durch das Samttuch steckte. Weder der kopflose Earl noch der schreiende Schädel waren zu sehen. Ich atmete tief durch, als ich rennende Schritte hörte. Jemand klopfte heftig gegen die Tür. »Mr. Hellmann, ist alles in Ordnung?« hörte ich Richard McPhersons Stimme. »Jetzt ja«, antwortete ich. Der Diamantensucher rüttelte an der Türklinke. Ich stand auf, warf den Betthimmel zur Seite und sperrte die Tür auf. Sicherheitshalber hatte ich sie abgeschlossen und den Riegel vorgeschoben. Jetzt funktionierte das Licht in meinem Zimmer wieder. Auch im Korridor brannte Licht. Earl Herbert sowie Martin McPherson, Helen Sanders, der Butler und der Chauffeur standen draußen. Im Schlafanzug. Herbert of Morlich hielt einen Stockdegen in der Hand, von dem er sich eine Wirkung gegen den Spuk zu versprechen schien. Vielleicht klammerte er sich auch nur daran wie der Ertrinkende an den sprichwörtlichen Strohhalm. »Was ist vorgefallen?« fragte der Earl. »Ich habe das Dudelsackspiel aus Ihrem Zimmer gehört und sofort die anderen zusammengerufen.« Ich war im Haupthaus einquartiert, im ersten Stock. Auf
demselben Korridor hatten auch Earl Herbert und Lady Margaret ihre Räume. Im Hausmantel und in Pantoffeln sah der Earl seltsam aus. Zudem war sein Pyjama zu kurz und zeigte bleiche, behaarte und ziemlich dürre Unterschenkel. Ich schilderte ihm, was vorgefallen war. »Sind schon früher Dämonenbekämpfer gegen den Spuk umgekommen?« fragte ich dann. »Ein paar«, antwortete mir Earl Herbert. »Verläßt Sie jetzt der Mut?« »Nein. Aber das hätten Sie mir früher sagen können.« Die Fünf schauten sich den Betthimmel an. Sie glaubten mir meine Geschichte. »Was wird wohl noch alles auf uns zukommen?« fragte Helen Sanders ahnungsvoll. »Meine arme Tochter. – Gibt es denn gar keine Möglichkeit für mich, wenigstens das Kind in Sicherheit zu bringen, Herbert?« Der Earl schüttelte kummervoll den Kopf. »Das wird nicht gehen. Auch in Janets Adern fließt McPherson-Blut. Magische Kräfte halten sie fest, bis der Fluch für diesmal vorbei ist und seine Opfer gefunden hat. Ich sagte bereits, wie die Magische Fessel wirkt. Wer versucht, die nähere Umgebung von Morlich Castle zu verlassen, hört den Dudelsack, bis er fast wahnsinnig wird und ihm der Schädel platzt. Der kopflose Earl und sein schreiender Schädel treiben den Flüchtling zurück. – Helen, wollen Sie Janet wirklich diese Schrecken zumuten? Hoffen wir lieber, daß der Fluch das Kind verschont oder Mr. Hellmann Erfolg hat. Ich will ein Beispiel nennen, was mit jemandem geschieht, der zu flüchten versucht. Im vergangenen Jahrhundert hat sich ein ganz krasser Fall ereignet. Thomas McPherson, ein Sohn des damaligen Earl, wollte entfliehen. Er ließ sich in einen Bleisarg legen, der Luftlöcher hatte. Ein Kreuz wurde an diesen Bleisarg geschmiedet, von dem sich der junge Thomas McPherson eine heilsame Wirkung versprach. Eine Kutsche sollte ihn nach Edinburgh bringen, wo er sich in Sicherheit wähnte. – Nun, der Kutscher und ein Priester, der die ganze Zeit bei dem Bleisarg saß, brachten ihn fort. Kurz vor Inverdruie fing Thomas gräßlich zu schreien an. Der Priester bemerkte, abgesehen von dem Geschrei, keine Gefahr. Da Thomas strikt befohlen hatte, ihn auf jeden Fall weiterzufahren, ganz gleich, was er aus dem Sarg
sagen oder verlangen würde, betete der Priester, und man fuhr weiter.« Earl Herbert legte eine kurze Pause ein. »Nach einer Weile fing Thomas zu wimmern an. Er flehte den Priester an, anzuhalten und umzukehren. Eingedenk der Abmachung, sich nicht beirren zu lassen, befahl dieser die Weiterfahrt. Nach ein paar Kilometern lachte Thomas irr. Dann regte sich nichts mehr. Beunruhigt ließ der Priester anhalten. Der Sarg wurde geöffnet. Thomas McPherson lag in dem Sarg. Seine Haare waren schlohweiß geworden. Er wurde von Krampfanfällen geschüttelt. Aus seinen Ohren und aus der Nase sickerte ihm Blut. Er hatte die Sprache verloren und war wahnsinnig geworden. Daran änderte sich nichts mehr, bis er starb.« Wir schwiegen beeindruckt. Helen war tief betroffen. »Dann gibt es kein Entrinnen«, seufzte sie. »Gnade Gott den McPhersons.« * Wir gingen wieder zu Bett. Diesmal konnte kein Betthimmel mehr auf mich niedersinken. Doch kaum war ich eingeschlafen, als wieder der Dudelsack spielte. Es war eine verrückte Nacht, die uns keine Pause gönnte und den dämonischen Terror zu einem Höhepunkt brachte. Rasch sprang ich aus dem Bett, schlüpfte in die Jeans und lief auf den Korridor. Nur zwei Räume weiter befanden sich die Schlafräume von Earl Herbert und Lady Margaret. Beth McPherson, die Sexbombe, hatte ihr Zimmer im zweiten Stock. Von dort ertönte die Musik und erklangen jetzt gellende Hilfeschreie von einer Frauenstimme. Earl Herbert stand im Korridor, den Stockdegen in der rechten Faust, ein drahtloses Telefon in der Linken. Aus dem Zimmer hörte ich die verschlafene Stimme seiner Frau, deren Zunge durch die eingenommenen Schlaftabletten schwer war. Der Earl hatte bereits in den Palas telefoniert, wo die anderen
McPhersons übernachteten, und die Dienerschaft alarmiert. Das schloß ich aus dem Telefon in seiner Hand. »Retten Sie unsere Tochter, Mr. Hellmann!« rief Earl Herbert. »Der Kopflose hat es auf sie abgesehen!« Ich spurtete die Treppe hoch und nahm immer sechs Stufen auf einmal. Im Korridor oben war durch Magie das Licht ausgefallen. Doch ein fahles, geisterhaftes Leuchten beschien die Szene. Ein grauenvoller Anblick bot sich mir. Der kopflose Earl, so wie ich ihn in meinem Traum gesehen hatte, stand in der offenen Tür eines Zimmers, aus dem Beth’ gellende Schreie erklangen. Sie schrie wie am Spieß. Der Kopflose spielte den Dudelsack. Ein langer und schwerer Beidhänder hing an seiner Seite. Der Geist trug Jacke und Kilt, genau wie im Traum. Die Klänge seines Dudelsacks schnitten mir wie Messer ins Gehör. Im Zimmer hörte ich die gälisch geschrienen Verwünschungen und Drohungen. Der schreiende Schädel war dort aktiv und bedrohte Beth McPherson oder attackierte sie sogar bereits. Der Kopflose war noch nicht auf mich aufmerksam geworden. Ich riß eine Hellebarde von der Wand, die als Dekoration dort hing. Weit holte ich zum Wurf aus, wie ich es als Zehnkämpfer in der Disziplin Speerwerfen gelernt hatte. Mein Ring hatte sich erwärmt und leuchtete. Ich preßte ihn gegen die Hellebarde. »Im Namen des Rings!« rief ich. »Fahr zurück in die Hölle, Kopfloser! Sei gebannt!« Dann schleuderte ich die Waffe mit aller Kraft. Die Hellebarde, eine Lanze mit einem Beil und einem Dorn unterhalb der Spitze, zischte auf den kopflosen Dudelsackspieler zu. Sie durchbohrte ihn glatt, drehte sich im Korridor um die eigene Achse und raste dann wie ein Geschoß auf mich zu. Nur meiner schnellen Reaktion verdankte ich mein Leben. Die Hellebarde flog so schnell, daß sie zu einem heranjagenden Schemen wurde. Sie zerfetzte mein Hemd, hinterließ dabei eine Schramme an der Seite, und durchschlug dann krachend die Wand am Ende des Korridors. Wenn sie mich voll getroffen hätte, wäre das das Aus gewesen. Der kopflose Earl löste sich auf wie Rauch in der Luft. Im selben Moment verstummte sein Dudelsack. Ich riß einen Schild von der Wand, der mit anderen mittelalterlichen Waffen da hing, und lief
zu dem Zimmer. Der schreiende Schädel war noch da. Er hing über der zu Tode geängstigten Beth und fletschte die Zähne zu ihr. Seine langen, braunen Haare flatterten hinter ihm her, als er sie lauernd umkreiste. Dann schaute er mich an. »Ich werde ihr Blut trinken, Menschenwurm!« fauchte der Schädel des vierzehnten Earl of Morlich. »Zittere vor dem Fluch, Menschlein!« Beth trug nur ein hauchdünnes Neglige, das von ihren prachtvollen Formen mehr zeigte als verhüllte. Sie lag auf dem Bett, die Beine gespreizt, und hielt abwehrend den linken Unterarm hoch. Der Schädel lachte höhnisch. Mit weitaufgerissenem Rachen zischte er auf Beth’ Schulter zu. Ich hechtete vor und knallte ihm den Schild entgegen. Krachend schlugen die dolchspitzen Zähne des schreienden Schädels dagegen. Er war durchaus stofflich und massiv, im Gegensatz zu dem kopflosen Earl mit dem Dudelsack. Es knallte, als ob eine Kanonenkugel den Schild getroffen hätte. Der Schmerz zuckte mir durch den ganzen Körper. Bis hinab in die Zehenspitzen. Mein Arm ließ sich kaum noch bewegen. Der schreiende Schädel griff nun mich an. Ich schlug ihm, als er heranflog, den Schildrand zwischen die Zähne. Es krachte abermals. Der Schädel biß mit aller Kraft in den eisernen Schild, der von seinem Aufprall bereits eine tiefe Delle aufwies. Ich versuchte, ihn wegzudrücken. Er war kalt wie Eis und so fest wie ein Stein. Während er in den Schild biß, fauchte und spuckte er und stieß Verwünschungen hervor. Was er genau alles sagte, verstand ich nicht. Gälisch konnte ich nur ein paar Brocken. Ich schlug mit der Faust auf ihn ein, holte mir dabei jedoch nur aufgeplatzte Knöchel. »Stirb!« fauchte der Schädel. Es gelang mir, ihn abzulenken, während er vehement drückte und mich wegdrängte. Von seiner eigenen Wucht getrieben knallte er gegen die Wand, daß der Putz wegflog. Noch immer hatte er sich in den Schild verbissen, ein grauenvolles, mordlüsternes Ding, das nicht von dieser Welt war. Ich sprang über den Tisch, packte den Schädel, klemmte ihn zwischen
Unterarm und Brust und preßte Siegelring seitlich gegen den Kopf.
ihm
meinen
leuchtenden
»Apanage, Satanas! – Fahr aus, Satan!« rief ich dazu eine allgemeine Beschwörung. Sehr weit war ich noch nicht in der Kunst gediehen, wirkungsvolle Beschwörungsformeln zu finden und konnte mich auch nicht wochenlang zu Hause hinsetzen und aus alten Schwarten welche heraussuchen und ausprobieren. So etwas probierte ich lieber in der Praxis aus. Der Schädel zuckte in meinem Griff. Ich preßte ihn fester zusammen, doch er war viel zu kompakt, als daß ich ihn hätte zerdrücken können. Mit dem Ring hämmerte ich auf ihn ein und rief immer wieder »Apanage! – Fahr aus! – Weiche in den Abgrund, Gezücht der Finsternis. Du Verfluchter!« Dann probierte ich es mit dem Schlüssel Salomonis, der mir ein Begriff war. Damit konnte man über die niederen Geister gebieten. »Xywoleh Vay Barec Het Vay Yo-mar!« rief ich. Der Schädel spuckte eine lange Feuerzunge, die mir den Arm versengte. Eine gespaltene schwarze Zunge zuckte hervor. Dann zerplatzte er zu einer stinkenden Wolke und war damit verschwunden. Beth und ich husteten wegen der stechenden Dämpfe. Der schreiende Schädel kehrte nicht zurück. Ich riß das Fenster auf, um die stinkenden Dämpfe rauszulassen. »Hast du ihn vernichtet?« fragte Beth hoffnungsvoll. »Hast du den Fluch von Morlich Castle beendet?« »Weder noch«, antwortete ich ehrlich. »Damit werden wir noch zu rechnen haben.« Ich wußte nicht mal genau, was dem schreienden Schädel am meisten zugesetzt hatte. Mein Ring, die Beschwörungen oder alles zusammen. Als Dämonenbekämpfer stand ich noch am Anfang und verfügte weder über exzellente Beschwörungen und Magieformeln noch über besondere magische Waffen. Darum mußte ich mich baldmöglichst kümmern. Ich konnte nicht ständig die Knochen hinhalten und darauf vertrauen, daß ich das richtige Mittel erwischte. »Mein Held«, seufzte Beth. Damit sank sie mir in die Arme. Wir
küßten uns. Und ich vergaß meine Umgebung… Das Räuspern des Earls unterbrach unseren Dauerkuß. Earl Herbert, Richard und Martin McPherson sowie der Butler und der Chauffeur standen vor der Tür. Martin McPherson war so verkatert, daß er kaum die Augen offenhalten konnte. »Wo isser denn?« fragte er blinzelnd. »Weg«, antwortete ich. »Ich habe den Kopflosen und den Schädel vertrieben. Für wie lange, weiß ich nicht.« Earl Herbert hatte seinen Stockdegen. Richard McPherson hielt ein afrikanisches Amulett in der Hand, ob als Waffe gegen Dämonen oder als Talisman, wußte ich nicht. Der Butler und der Chauffeur hatten ein Holzkreuz und ein Kruzifix in der Hand. Das hätte wohl alles nichts oder nicht viel gegen den Spuk geholfen. Auf die Idee, solche Gegenmittel einzusetzen, waren schon andere verfallen und hatten damit keinen Erfolg gehabt. Für diese Nacht war der Spuk vorbei. Es war ohnehin Morgen. Bald würde die Sonne aufgehen. Earl Herbert schaute streng auf die allzu freizügige Bekleidung seiner zweiundzwanzigjährigen Tochter Daraufhin zog sie einen seidenen Hausmantel über. Der Butler brachte mir eine Brandsalbe, mit der ich meine zum Glück nur oberflächlichen Verbrennungen bestrich. Mein Ring war erkaltet und leuchtete nicht mehr. Ohne ihn hätte ich den Kampf gegen den schreienden Schädel nicht bestehen können. Beth schmachtete mich dankbar an, und ich wußte, für ihre Rettung konnte ich alles von ihr haben. Da sich die stechenden Dämpfe verzogen hatten, blieb Beth der Einfachheit halber in ihrem Zimmer. Wir trennten uns, völlig geschafft. Jeder suchte sein Zimmer auf, um doch noch ein wenig Ruhe zu finden. Einen weiteren Spuk würde es hoffentlich nicht mehr geben. Mir war keine Ruhe vergönnt. Kaum daß ich mich im Bett ausgestreckt hatte, ertönte ein leises Schaben. Ich war sofort wach. Durch den Spalt zwischen den Stores sickerte bereits trübes Frühlicht ins Zimmer. Ich sah eine helle und lila Gestalt auf mich zuhuschen. Sofort war ich kampfbereit, was sich jedoch legte, als ich Parfüm roch und die Gestalt zu mir ins Bett schlüpfte. Es war Beth McPherson. Sie trug nur ein hauchdünnes lila
Neglige. Und drängte sich gegen mich. Ihre vollen Lippen preßten sich auf meinen Mund, und wir tauschten einen langen und heißen Kuß aus, den diesmal niemand störte. »Wie bist du hereingekommen?« fragte ich Beth, während wir uns drückten. »Durch die Geheimtür«, antwortete Beth, als ob das selbstverständlich sei. »Morlich Castle birgt viele Geheimnisse. Es gibt ein paar Geheimgänge in den dicken Mauern. Durch einen davon kann man von meinem Zimmer aus in das deine gelangen.« »Sehr praktisch«, sagte ich und genoß den Augenblick. Bis zum Frühstück lagen wir uns in den Armen. Beth zeigte mir dann die Geheimtür in der Wand. Mit einer Messerklinge fuhr sie in eine Ritze und löste einen Kontakt aus. Ein Teil der Wand bewegte sich zur Seite. Der Geheimgang war so eng, daß ich Schwierigkeiten gehabt hätte, mich durchzuzwängen. Beth warf mir noch eine Kußhand zu und stieg die Treppe in der Wand hoch. Hinter ihr schloß sich die Geheimtür wieder. Es war nichts zu erkennen. Nur wenn man genau Bescheid wußte, konnte man die haarfeinen Linien von der Geheimtür sehen. Der Mechanismus funktionierte einwandfrei, obwohl er schon jahrhundertealt sein mußte. Da war nichts verrostet, nichts klemmte oder quietschte. Jemand mußte den Mechanismus pflegen und die Geheimgänge instandhalten. Ich nahm mir vor, Earl Herbert gelegentlich danach zu fragen. Oder mich bei Beth zu erkundigen. Bevor ich in den Speiseraum ging, machte ich noch ein paar Übungen und wusch mich dann. Martin und Richard McPherson fand ich beim Frühstücksbüfett. Der Schaffarmer aß wie ein Scheunendrescher, was man bei seinem alkoholischen Exzeß eigentlich nicht erwartet hätte. Ich mußte wohl noch etwas mitgenommen wirken, denn Richard fragte mich: »Wie sehen Sie denn aus, Mr. Hellmann? Völlig geschafft. Der Kampf gegen den schreienden Schädel hat Ihnen wohl alles abverlangt.« »So ist es«, antwortete ich und stellte mir ein reichhaltiges Frühstück zusammen. Haferbrei, Würstchen, Speck und Eier, Toast- und Vollkornbrot
mit Marmelade und Honig. »Und der Kratzer am Hals?« fragte der knorrige Diamantensucher. »Stammt der auch von dem schreienden Schädel?« »Allerdings. Ein paar Zentimeter weiter, und er hätte mir mit seinen Dolchzähnen glatt den Hals durchgebissen.« Der Kratzer stammte von Beth, doch das mußte ihr Onkel nicht wissen. Ich setzte mich an den Frühstückstisch. Mein Aufenthalt in Morlich Castle hatte es in sich und forderte mich in jeder Beziehung. Ein Höllenspuk und eine liebeshungrige Frau – das zu bewältigen, bedurfte es stählerner Nerven und einer eisernen Kondition. Zum Glück hatte ich beides.
* Helen Sanders hatte die Burg verlassen und war mit ihrer Tochter zum nahen Loch Morlich gewandert. Es war ein sonniger Morgen. Nebel und Dunst hatten sich längst verzogen. Es war bereits später Vormittag. Die vierjährige Janet war wie immer früh aufgewacht und plapperte in einer Tour. Zum Glück hatte das Kind von dem Höllenspuk und dem Fluch von Morlich Castle bisher nichts mitbekommen. Die Vierjährige hatte eine rote Wollmütze mit blauen Mustern auf und trug einen Anorak, Hose und kleine blaue Stiefel. Mit ihren langen, blonden Haaren und blauen Augen sah sie putzig aus und fand immer etwas Neues am See. »Mama, sieh mal, der blaue Vogel da. Und dort ist ein Hase. – Wie süß. Das ist schöner hier als im Central Park. Sind auch Eichhörnchen da?« »Sicher gibt es irgendwo welche«, antwortete Helen. »Aber hier gibt es keine zahmen, die man füttern kann – wie bei uns zuhause.« Sie trug eine Jacke, einen langen Wollrock und hochhackige Schuhe. Helen Sanders war müde. Sie litt unter dem Spuk und hatte in der vergangenen Nacht kaum ein Auge zugetan. Sie gähnte hinter der vorgehaltenen Hand. Doch sie wollte ihre kleine Tochter nicht merken lassen, wie verzweifelt sie war. Janet galt ihre Hauptsorge. Sonst mochte Helen sein, wie sie wollte,
jedenfalls war sie eine gute Mutter. Janet lief vor ihr her. Sie war wie ein Wirbelwind, ein sehr lebhaftes, aufgewecktes Kind. Ihr Vater kümmerte sich kaum um sie, was Helen schade fand. Obwohl sie mit diesem Mann nicht mehr zusammenleben mochte, fand sie doch, er hätte seine Vaterrolle ernster nehmen können. Aber er hatte nie Zeit. Dafür zahlte er gut und regelmäßig, was ihm nicht weh tat, und das war auch etwas wert. Helen ermahnte ihre Tochter, nicht zu nahe ans Ufer zu gehen, damit sie nicht ins Wasser fiel. »Du kannst nicht schwimmen«, sagte die blonde New Yorkerin, »und ich habe keine Lust, deinetwegen ein Bad zu nehmen, weil ich dich herausfischen muß. Außerdem würdest du dich erkälten. Dann hast du Halsweh und Schnupfen und Fieber und mußt die nächsten Tage im Bett bleiben.« »Dann kannst du mir vorlesen«, unbekümmert. Sie lief wieder voraus.
meinte
das
Kind
Helen ließ ihren Wirbelwind gehen. Sie hatte schon lange begriffen, daß es zwecklos war, Janet an die Leine legen zu wollen. Helen war von dem Anblick der schottischen Landschaft, aus der ihre Vorfahren vor drei Generationen weggezogen waren, tief berührt. Sie fühlte sich dieser Gegend verbunden, und ihr war, als ob sie den tiefen, klaren See mit Schilf und Weiden am Ufer kennen würde, an dem sie jetzt dahinschlenderte. Helen spürte die Stimme des Blutes, die Wurzeln ihrer Herkunft, die sie hier hatte. Zu Morlich Castle und Loch Morlich hatte sie eine andere Beziehung als zu einer X-beliebigen anderen Gegend. Janet schaute sich indessen mit der Begeisterung eines Kindes um, für das jeder Tag ein neues Erlebnis war. Sie sah Taucherenten und war fasziniert von ihnen. Als die Enten wieder auftauchten, warf die Vierjährige einen Stock ins Wasser. Daraufhin tauchten die Enten blitzschnell weg. Das kleine Mädchen klatschte begeistert in die Hände und lachte. Plötzlich sagte eine Kinderstimme: »Warum erschreckst du die armen Enten?« Janet schaute sich um, doch sie sah niemanden. Sie hatte keine Angst. Der Stimme nach mußte es sich um ein Kind in ihrem Alter handeln.
»Wo bist du?« fragte sie. »Wenn du ein Stück weiter vorgehst, kannst du mich sehen«, antwortete ihr die Kinderstimme. »Knie vorn auf dem Steg nieder und beuge dich vor.« Janet zögerte einen Moment. Ihre Mutter hatte ihr verboten, zu nah ans Wasser zu gehen. Dann jedoch siegte die Neugierde des Kindes. Sie trat auf den morschen, bemoosten Bootssteg im Schilf und tat, wie ihr die Stimme geheißen hatte. Doch als sie sich vorbeugte, sah sie nur Schilf und Wasser. Plötzlich bewegte sich das Wasser. Etwas Schuppiges, Grünes tauchte auf. Noch bevor sich Janet zurückziehen konnte, durchstieß ein grünschuppiger Kopf mit gelben Haaren die Wasseroberfläche. Es plätscherte. Zwei Schuppenhände packten Janet, um sie ins Wasser zu ziehen, doch sie ließen sie gleich wieder los. Janet weinte, weil sie erschrocken war. Doch das Wesen, das aufgetaucht war und sich am Rand des Bootsstegs festhielt, lachte sie freundlich aus und tröstete sie. »Jetzt siehst du, wie es ist, erschreckt zu werden. Genauso hast du die Enten erschreckt. – Jetzt hör auf zu weinen, es ist ja schon alles wieder gut. – Wollen wir zusammen spielen? Es ist langweilig für mich, immer nur mit den Fischen zu spielen.« Janet sah erstaunt, daß es sich bei dem Wesen um einen Nixenjungen handelte. Er mußte, so wie sie das abschätzte, etwas älter als sie sein. Oben herum war er ein grünschuppiger Junge. Statt Beinen hatte er jedoch einen Fischschwanz, der am Ende geteilt war. Damit konnte er an Land watscheln wie ein Pinguin. Jetzt lachte er glockenhell. »Was schaust du denn so? Ich bin Peter. Ich wohne am Grund von dem See.« »Wie heißt du mit Nachnamen?« »Dunbar.« »Und deine Mutter? Wohnt sie auch in dem See?« »Natürlich. Sie ist wunderschön, die schönste Nixe der Welt. Von meinem Vater wollen wir jedoch nichts wissen. Er ist schuld daran, daß wir im See unten sind. Er taucht nur in größeren Zeitabständen auf. Dann richtet er allerlei Unheil an. Bei uns läßt
er sich nie blicken.« Janet erfuhr, daß Peter Dunbar keinen Kindergarten besuchte und außer seiner Mutter nie ein lebendes Wesen von seiner Art im See sah. Den Zweibeinern wich er aus. Die waren, wie er sagte, gefährlich. Denn sie lauerten seinen Freunden, den Fischen, mit Angeln auf und stellten ihnen mit Netzen nach. Wie lange Peter schon in dem See wohnte, wußte er nicht. Er meinte, es sei eine unendlich lange Zeit. Seine Mutter hatte ihn aufgezogen, die Nixe Barbara Dunbar. Peters Entwicklungsstadium entsprach dem eines fünf- bis sechsjährigen Menschenkindes. Er holte einen goldenen Ball aus der Tiefe und warf ihn Janet zu. Sie warf ihn wieder zurück. Das Spiel ging ein paarmal hin und her, bis Janet ihre Mutter rufen hörte. Helen war ernsthaft besorgt. »Janet, wo steckst du denn nur? Kind, ist etwas passiert? – Janet, mein Engel.« »Hier bin ich, Mom«, antwortete Janet. Als Helen hinzueilte, verabschiedete sich der Nixenjunge. »Verrate mich nicht«, bat er. »Treffen wir uns morgen wieder? Am See, an derselben Stelle? Oder stell dich einfach ins Schilf und rufe meinen Namen.« Janet versprach es. Peter tauchte weg. Im Wasser verliefen zitternde Kreise von der Stelle aus, wo er untergetaucht war. Helen betrat den Bootssteg. Außer sich vor Sorge umarmte sie ihre Tochter und drückte sie an sich. »Kind, du hast mir vielleicht einen Schreck eingejagt. Das darfst du nie wieder tun. Ich hatte dir doch verboten, so nahe ans Ufer zu gehen?« »Peter hat mich gerufen.« Janet konnte ihr Geheimnis nicht für sich behalten. Auf die Frage ihrer Mutter, wer Peter sei, erzählte sie ihr von dem Nixenjungen. Helen glaubte ihr nicht. Sie hielt die Geschichte für eine Ausgeburt von Janets kindlicher Phantasie. Manche Kinder erzählten phantastische Geschichten, die sie sich ausgedacht hatten. Sie logen nicht, sie konnten nur Traum und Wirklichkeit noch nicht richtig unterscheiden. Helen führte ihre Tochter zur Burg zurück.
* Um 13 Uhr, als wir alle im Speiseraum beim Dinner saßen, schlug die große Standuhr. Kaum daß der Glockenschlag verstummte, setzte das schaurige Dudelsackspiel ein. Der kopflose Earl und der schreiende Schädel waren nicht zu sehen. Doch direkt aus der Standuhr sagte eine Stimme: »Heute nacht stirbt der erste McPherson. – Wehe den Morlichs! Der Tag der Rache ist da!« Allen, die es hörten, lief es eiskalt über den Rücken. Die McPhersons schauten sich an. Wer würde von ihnen der erste sein? Die Dudelsackmusik war leiser geworden, als die Geisterstimme sprach. Nachdem sie geendet hatte, schwoll sie noch einmal mächtig an, daß wir uns die Ohren zuhielten. Abrupt brach sie dann ab. Die Stille marterte die Nerven. »Mr. Hellmann, unternehmen Sie etwas!« forderte mich Earl Herbert auf. »Oder wollen Sie zusehen, wie uns der Fluch den Tod bringt?« Seine Frau schluchzte auf. »Über vierhundert Jahre sind vergangen, seit unser Vorfahr seine Schandtat beging«, jammerte sie. »Und immer noch werden wir heimgesucht und verfolgt. Dabei haben wir überhaupt nichts verbrochen. Wir sind unschuldig an Harold of Morlichs Verbrechen. – Unschuldig!« Das letzte Wort schrie sie hinaus und reckte die zusammengekrampften Fäuste empor und schüttelte sie. Ihr Mann und Helen Sanders hielten sie fest und sprachen beruhigend auf sie ein. Lady Margaret konnte den Streß, dem sie ausgesetzt war, nur unter Tabletten ertragen. Dennoch versagten ihre Nerven manchmal. Ich fragte die Anwesenden, bevor wir uns trennten und jeder seinem Tagesablauf nachging, ob jemand etwas Ungewöhnliches aufgefallen sei. Zunächst sagte niemand etwas. Doch als die andern schon teils gegangen waren, teils im Burggarten draußen rauchten und plauderten, sprach mich Helen Sanders an. Sie berichtete mir von dem, was ihre Tochter ihr erzählt hatte. »Ich nehme das nicht ernst«, sagte sie. »Aber ich wollte nicht versäumen, Ihnen davon zu berichten, Herr Hellmann.«
Sie sagte, obwohl sie kaum einen Brocken Deutsch konnte, Herr statt Mister zu mir. Ich tat Janets Erzählungen nicht von vornherein als ein Phantasieprodukt ab. Die Vierjährige spielte draußen, Helen holte sie herein. Janet war zunächst verstimmt, weil ihr Spiel unterbrochen worden war. Dann jedoch gewann ich ihr Vertrauen, was mir bei Kindern nie schwerfiel. Ich hatte Kinder schon immer für den besseren Teil der Menschheit gehalten und konnte gut auf sie eingehen. Janet setzte sich auf meinen Schoß und plapperte von dem Nixenjungen. Sie nannte ihn nicht Dunbar, sondern Dunboy. Den Nachnamen hatte sie wohl durcheinandergebracht. Ich erfuhr von ihr, daß sie sich für den nächsten Tag wieder mit ihrem Freund Peter verabredet hatte. »Wir werden Peter gemeinsam besuchen«, sagte ich. »Jetzt geh wieder spielen, Janet.« Die Kleine lief hinaus. Ich wandte mich an ihre Mutter und bat sie, zunächst niemandem etwas von dem zu erzählen, was ihre Tochter berichtet hatte. Jetzt ging ich selber hinunter zum See. Doch weder erwärmte sich mein Ring dort oder strahlte, noch bemerkte ich sonst etwas Ungewöhnliches. Mit einiger Mühe fand ich den verrotteten alten Bootssteg, von dem Janet mir erzählt hatte. Aber dort konnte ich nicht feststellen, ob ein Nixenjunge dagewesen war oder nicht. Als ich in die Burg zurückkehrte, wartete Beth McPherson auf mich. Sie zog mich in der Eingangshalle in eine Nische, hängte sich an mich und küßte mich voll Verlangen. »Ich bin toll verliebt in dich«, stammelte sie. »Einen Mann wie dich habe ich noch nie kennengelernt. Du bist so stark und stehst über den Dingen des Alltags. Du bist anders als die anderen Männer in deinem Alter, Mark.« »So sehr nun auch wieder nicht.« »Wollen wir zu dir oder zu mir gehen?« Eigentlich hatte ich mich zwei oder drei Stunden aufs Ohr legen und schlafen wollen. Ich war nämlich hundemüde. Doch Beth’ Sex-Appeal möbelte mich auf. Ich folgte ihr in ihr Zimmer, wo wir sofort aufs Bett sanken. Die weißblonde Sexbombe Beth war außer Rand und Band. Plötzlich hielt sie
inne, tippte mit dem Finger auf das
siebenzackige Mal auf meiner Brust und fragte: »Woher hast du das?« »Das ist angeboren«, antwortete ich, denn irgendwas mußte ich sagen. »Es ist eine Art Muttermal.« »In der Form und Größe, zweifarbig?« »Es ist halt ein ausgefallenes Exemplar. Absolut schmerzunempfindlich. Als Jugendlicher habe ich mal Versuche mit brennenden Zigaretten daran gemacht und mit einer Nadel hineingestochen. Und ich habe nichts gespürt. Mein Vater, dem ich davon berichtete, hatte mir strikt verboten, diese Experimente noch einmal zu unternehmen.« Das Mal mußte ein Hexen- oder Hexermal sein. Das sagte ich jedoch nicht. Die Überlieferung berichtete, und in den mittelalterlichen Verordnungen zur hochnotpeinlichen Befragung von der Hexerei Verdächtigen stand geschrieben, daß Hexer und Hexen an ihrem Körper ein schmerzunempfindliches Mal hatten. Angeblich war der Teufel durch dieses Mal in sie hineingefahren. Der siebenzackige Stern auf meiner Brust barg ein Geheimnis, das ich irgendwann noch ergründen mußte. Es mußte mit meiner Herkunft zu tun haben. Jetzt galt es jedoch zunächst einmal, sich mit dem Fluch von Morlich Castle auseinanderzusetzen. Die Nacht kam, von der die Geisterstimme aus der Standuhr gesagt hatte, sie würde ein Mitglied der Sippe das Leben kosten. Am Nachmittag hatte ich Beth McPhersons Zimmer durch den Geheimgang verlassen und mich in meinem Zimmer für zwei Stunden zum Schlafen hingelegt. Die Geheimtür blockierte ich mit einer Messerklinge, falls Beth auf den Gedanken verfiel, mich aufzusuchen, um sich einen Nachschlag zu holen. Auch ein Träger des Rings, Dämonenbekämpfer und Held, falls ich einer war, brauchte einmal Ruhe und Schlaf.
* Mitternacht war es, als das Dudelsackspiel plötzlich erscholl und der schreiende Schädel heulend und seine Verwünschungen ausstoßend durch die Gänge der Burg flog. Auch in den Zimmern tauchte er auf. Helen Sanders preßte ihre Tochter mit dem
Gesicht an sich, damit sie den Schrecken nicht sah. »Was ist das, Mom?« fragte die Kleine, die aus dem Schlaf aufgeschreckt war. »Ein Spuk, Janet. Ein böser Geist. Aber du brauchst keine Angst zu haben. Onkel Mark wird damit fertig.« Der kopflose Earl schritt durch die Burg und versetzte mit seinem Dudelsack alle in Angst und Schrecken. Manchmal fuchtelte der Geist mit dem Beidhänder oder teilte damit sausende Hiebe aus. Dann konnte sich nur durch die Flucht retten, wer in seiner Nähe war. Ich hatte keine Möglichkeit, mich dem Spuk in den Weg zu stellen. Mir schien er auszuweichen. Es war unmöglich, den kopflosen Earl und den schreienden Schädel zu verfolgen. Beide konnten Wände durchdringen oder tauchten plötzlich in einem ganz anderen Gebäudeteil auf wie zuvor. Ich hatte kein Mittel, ihnen Einhalt zu gebieten, jedenfalls nicht in der Gegenwart. Um in die Vergangenheit zu gelangen, mußte ich jedoch den Platz finden, von dem die dämonische Aktivität ausgegangen oder wo sie am stärksten war. Nach dem Dinner hatte ich am Vortag ein paar Versuche in der Burg unternommen. Ich war durch die Burg gegangen. Sämtliche Räume vom Dachboden bis zum Keller hatte ich betreten und kein Gebäude ausgelassen. Doch nirgends zeigte mir der Ring eine dämonische Ausstrahlung, die es ermöglicht hätte, ihn zu aktivieren und mit seinen Lichtstrahlen das keltische Wort für Reise auf den Boden zu zeichnen. Damit konnte ich mich in die Zeit hineinversetzen, in der die dämonische Aktivität ihren Ursprung genommen hatte. Hier war es nicht möglich, der richtige Ort fehlte. In der Geisterstunde erreichte der Spuk seinen Höhepunkt. Morlich Castle glich einem dämonischen Tollhaus. Die McPhersons und die Burgangestellten bebten. Richard McPherson hatte sich eine Schrotflinte beschafft, die angeblich mit geweihten Kugeln geladen war. Damit ballerte er durch die Gänge, wenn er den kopflosen Earl oder den schreienden Schädel sah. Das Ergebnis war gleich Null. Die Kugeln flogen durch die Geistererscheinungen hindurch und beschädigten nur die Paneele, Wände und anderes in der Burg. Zudem gefährdete Richard McPherson uns alle mit seiner Ballerei. Martin McPherson saß zitternd vor Angst in der Ahnengalerie, aus der Earl Harolds Bild entfernt worden war.
Der Schafzüchter hielt sich an der Whiskyflasche fest. Er war völlig entnervt. Earl Herbert, seine Gattin und ihre Tochter saßen in den Räumen der Burgherrenfamilie und gruselten sich. Zwar hielt der Earl seinen Stockdegen, doch dieser war mehr eine Dekoration. Die Bediensteten verkrochen sich genauso wie ihre Herrschaft und wagten erst gar nicht den Versuch einer Gegenwehr. Ich lief durch die Burg und hatte das Gefühl, von dem kopflosen Earl und dem schreienden Schädel an der Nase herumgeführt zu werden. Sie tauchten mal vor mir auf, verschwanden jedoch gleich wieder in der Wand, durch die ich nicht hindurchkonnte. Es kam zu keiner Auseinandersetzung. Martin McPherson war dem Spuk nicht länger gewachsen. Vom schreienden Schädel völlig entnervt, taumelte er durch die Burggänge. Der kopflose Earl verfolgte ihn mit seinem Dudelsackspiel und trieb ihn vor sich her. Der Schaffarmer meinte, sein Schädel würde platzen. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Mit einem letzten Verzweiflungsakt warf er die leere Flasche gegen den Kopflosen. Der trieb ihn mit seinem Beidhänder, dessen Spitze er ihm gegen die Brust setzte, vor sich her. Der Butler der Morlichs sah es, doch er wagte nicht einzugreifen. Er verkroch sich in einer Ecke und bekreuzigte sich. Martin McPherson wurde von dem Kopflosen und seinem Schädel die Wendeltreppe im Eckturm der Burg hinaufgetrieben. Wimmernd preßte er die Hände an seinen Schädel, zu keiner Gegenwehr mehr fähig. Dann stand er auf dem Außengang des Eckturms. Der Nachtwind drang ihm durchs Hemd und ließ seine Haare flattern. »Erbarmen!« schrie Martin McPherson. »Verschont mich. Was habe ich denn getan?« »Du bist ein McPherson!« kreischte der schreiende Schädel, während der kopflose Earl mit dem Beidhänder ausholte. Der Dudelsack plärrte dabei schaurig weiter. »Du bist doch selbst ein McPherson!« rief Martin dem Kopflosen zu. »Werkzeug Schädel.
der
Rache!«
kreischte
der
zähnefletschende
Ehe der Beidhänder ihn traf, sprang Martin McPherson in Todesangst über die Brüstung. Mit einem gellenden Schrei stürzte er fünfzehn Meter tief und prallte hart auf das Kopfsteinpflaster. Jäh brach sein Schrei ab.
* Wir fanden den Schaffarmer sterbend. Er röchelte noch: »Ruft meine Familie in Australien an und sagt ihnen, was passiert ist. Heute – habe ich am Telefon kein Wort von dem Spuk über die Lippen gebracht.« Damit schloß er die Augen. Earl Herbert stand tief erschüttert vor der Leiche seines Bruders. »Kein Außenstehender kann informiert werden, wenn der Spuk seinen Höhepunkt erreicht hat«, sagte er. »Erst wenn alles vorbei. Martins Frau und seine beiden Töchter werden noch eine Weile auf die Todesnachricht warten müssen.« Wir trugen den Toten in die Schloßkapelle, wo er in einem Sarg aufgebahrt wurde. Makaber berührt sah ich, daß noch weitere Särge an der Wand aufgestapelt waren. Die McPhersons rechneten mit allem. Wir waren alle geschockt, auch ich, weil ich Martin McPhersons Tod nicht hatte verhindern können. Das Dudelsackspiel und der Spuk hatten in dem Moment aufgehört, als er vom Turm sprang. Niedergeschlagen suchten wir unsere Zimmer auf. In dieser Nacht wollte ich von Beth nichts wissen. Ich bat sie zu gehen und grübelte vor mich hin, was ich hätte tun können, um den Tod Martin McPhersons zu verhindern. Am späten Vormittag trafen wir uns alle am Frühstückstisch und brachten kaum einen Bissen runter. Auch Lady Margaret war aufgestanden, blaß und zitternd wie Espenlaub, trotz ihrer starken Beruhigungsmittel. An diesem Tag versuchte ich abermals, einen geeigneten Platz für den Sprung in die Vergangenheit zu finden. Es gelang mir jedoch nicht. Am frühen Nachmittag ging ich mit Helen und ihrer Tochter zum See hinunter. Es war ein trüber, regnerischer Tag. Wir
hatten wetterfeste Kleidung angezogen. Janet war verspielt wie immer. »Ob Peter wohl da ist? Hoffentlich hat er unsere Verabredung nicht vergessen«, sagte sie fast ein wenig altklug. »Das glaube ich kaum«, beruhigte ich das Kind. »Er wartet bestimmt schon auf dich.« Am See ließen wir Janet zum Steg gehen. Sie rief, aber der Nixenjunge zeigte sich nicht. »Er ist nicht da, er hat mich vergessen«, sagte das kleine Mädchen enttäuscht zu uns. Ich winkte ihr zu. »Ruf ihn noch einmal, Janet. Wenn wir weg sind, wird er sich sicher zeigen.« Ich sagte Helen, daß wir uns weiter entfernen müßten. Mit etwas Sorge begleitete sie mich. Wir schlenderten am Ufer entlang. Von weitem hörten wir Janet jauchzen. Ihr Freund aus dem See war gekommen. Helen beunruhigte es, daß sie ihre Tochter nicht sehen konnte. Immerhin spielte sie nahe am Wasser. Aber ich beruhigte sie. Es gab keinen Grund, weshalb der kopflose Earl oder der schreiende Schädel die Vierjährige am See angreifen sollten. In diesem Fall hätten wir sie aber schreien gehört. Ich hätte hinzurennen und eingreifen können. Helen wartete unter einer Weide. Ihre Augen blickten in die Richtung, in der sich ihre Tochter befand. Durch das hohe Schilf war Janet nicht zu sehen. Aber es schien alles in Ordnung zu sein. Ich ging ein Stück weiter am Ufer entlang. Eine Frauenstimme ertönte. Ein leises, melodisches Singen. Neugierig lief ich ins Schilf und sah eine bildschöne, bleichhäutige Nixe mit rotblondem Haar. »Es spielt das Nixenkind im See«, sang sie vor sich hin. »Es kennt nicht Regen, Frost noch Schnee. Der Mutter tut das Herz so weh, der armen Barbara Dunbar. – Ach, Mephisto, was hast du mir angetan? Hätte ich doch nur niemals den Pakt mit dir geschlossen.« Ich stutzte, als ich den Namen meines Erzfeinds hörte. Dann trat ich ans Ufer und kniete da nieder. Mein Ring prickelte leicht.
»Hallo, schöne Nixe«, sagte ich zu der Blonden mit dem Fischschwanz. »Ich bin Mark Hellmann. Ich will dir helfen und den Fluch von Morlich Castle beenden. Auch du sollst erlöst werden. Doch dazu muß ich in die Vergangenheit reisen und dich bewegen, im Jahr 1583 den Pakt mit Mephisto zu unterlassen.« Die Nixe schaute mich an. Sie staunte nicht über meine Worte, denn sie war selbst ein Fabel- oder Spukwesen, deshalb wunderte sie sich nicht. »Wie kann ich dir helfen?« fragte sie. »Was brauchst du von mir?« »Ich muß den Platz wissen, an dem ich in die Vergangenheit reisen kann. Am besten die Stelle, wo du damals Mephisto begegnet bist und den Pakt mit ihm geschlossen hast.« »Dort drüben habe ich mich in seine Hand begeben«, antwortete die Nixe und deutete auf die Stelle. »Da, wo jetzt die Trauerweide steht. Damals war sie noch nicht da. Da faßte er mich bei der Hand, und wir gingen ins Wasser hinein.« Die Nixe sprach ein altertümliches Englisch. Ich erfuhr, was sich abgespielt hatte, nachdem Mephisto sie in den See hineinführte. Ein gräßlicher Schmerz war ihr durch den ganzen Körper gezuckt. Ihr gesamter Organismus hatte sich umgewandelt. Barbara Duncan war ohnmächtig geworden. Als sie wieder zu sich kam, lag sie am Grund des Sees bei einer Muschelhütte, die ihr Mephisto gezaubert hatte. Sie war eine Nixe geworden. Sie empfand alles ganz anders als zuvor, hatte jedoch ihre menschlichen Erinnerungen beibehalten. Eine Existenz war in die nächste übergegangen, wie bei einem Schmetterling, der davor eine Larve und vorher eine Raupe gewesen war. Die Nixe Barbara hatte ihr Kind zur Welt gebracht. Im See herrschte ein anderer Zeitablauf. Peter war seit 1583 erst fünfeinhalb Jahre alt geworden. Die Nixe Barbara kaum biologisch gealtert. »Ich habe Earl Harold und seine Sippe verflucht«, sagte sie. »Doch jetzt tut es mir leid. Es bereitet mir keine Freude, daß der Fluch von Morlich Castle immer wieder auftritt und die Sippe der McPhersons dezimiert. Was habe ich davon? Ich muß mit meinem Kind ein unnatürliches, ödes Leben am Grund des Sees führen. Erst wenn der Fluch endet, bin ich erlöst.«
»Dafür will ich sorgen«, erwiderte ich. Barbara bat mich zu warten. Sie tauchte weg und erschien bald darauf wieder. Sie drückte mir ein aus Seetang geflochtenes Armband in die Hand, in das ein Rubin eingearbeitet war. »Das mußt du mir geben, wenn du mich im Jahr 1583 triffst«, sagte sie. »Ich habe es mit einem Bann belegt, der die Frau beeinflussen wird, die ich damals war. – Die unglückliche Barbara Duncan. Harold of Morlich hat mich grausam mißbraucht, Mephisto mich betrogen. Er versprach mir ein schönes Leben. Alles sollte gut werden. Doch seither bin ich in diesem See gefangen. Wie ein uralter Fisch. Nein, schlechter noch bin ich dran. Denn ein Fisch kann nicht denken und hat keine Seele. Meine Seele und die meines Kindes können nur erlöst werden, wenn der Fluch endet. Dann wird Mephisto um seinen Preis betrogen.« »Ich kann nichts mit in die Vergangenheit nehmen«, sagte ich. »Nur meinen Ring.« »Dieses Armband kannst du mitnehmen«, antwortete mir die Nixe. »Ich fand es in der Muschelhütte am Grund des Sees, 1583, gleich nach meiner Verwandlung. Es stammt aus jener Zeit.« Sie reckte sich aus dem Wasser und küßte mich mit eiskaltem Mund. »Alles Gute, Mark Hellmann. Eins noch: Du kannst nur zu der Uhrzeit in die Vergangenheit reisen, zu der ich damals den Pakt mit dem Teufel schloß. – Mephisto. Hätte ich ihn nur nie gesehen!« Ich dankte der Nixe. Daß ich eine bestimmte Uhrzeit einhalten mußte, um an der Ausgangsstelle der dämonischen Aktivität in die Vergangenheit zu reisen, war mir bisher unbekannt gewesen. Bei meiner ersten Zeitreise hatte es sich anders verhalten. Doch in diesem Fall konnte es durchaus so sein, und ich hatte keinen Grund, der Nixe Barbara zu mißtrauen. Ich ging zu Helen Sanders. Wir ließen die kleine Janet noch eine Weile mit ihrem Freund, dem Nixenjungen, spielen, ehe wir hingingen. »Für morgen habe ich mich wieder mit Peter verabredet«, sagte die kleine Janet. »Er ist ein netter Spielkamerad.« Wenn mein Vorhaben gelang und der Fluch endete, würde es
für die beiden kein Wiedersehen geben. Doch Janets Kummer mußten wir in Kauf nehmen für das Ende des Fluchs von Morlich Castle und Barbara und Peter Duncans Erlösung.
* Nebel hing über dem See. Es war genau jene Szene, die ich in meinem Traum erlebt hatte! Der kopflose Earl holte mit dem Beidhänder aus. Der schreiende Schädel flog auf mich los. Knapp duckte ich mich unter ihm weg. Dann riß ich den Knotenstock hoch, als der Beidhänder durch die Luft zischte. Er zerhaute den Stock glatt. Haarscharf pfiff der Hieb des anderthalb Meter langen Schwertes an mir vorbei. Abermals holte der kopflose Earl aus. Der Schädel näherte sich mir. Ich wußte, jetzt war ich verloren. Gegen beide konnte ich nicht gewinnen. »Fahr zur Hölle, Mark Hellmann!« grollte der Schädel. Aus dem Dudelsack des Kopflosen klangen ein paar schaurige Töne. Ich wurde von zwei Seiten angegriffen. Das ist dein Ende, Mark Hellmann! schoß es mir durch den Kopf. Mephisto hat gesiegt. Doch in dem Moment, als mir die Situation völlig aussichtslos erschien und ich mit meinem Leben abschloß, krachten zwei Schüsse. In den kopflosen Dudelsackspieler riß es große Löcher. Der Schädel wurde förmlich zerfetzt, und beide lösten sich mit einem letzten klagenden Dudelsackpfeifen auf. Als ich mich umdrehte, sah ich Richard McPherson und seinen älteren Bruder. Richard McPherson hielt eine rauchende Schrotflinte in den Händen. Earl Herbert hatte ein Kreuz erhoben. »Der Schuß mit dem geweihten Erbsilber hat gewirkt«, sagte der Diamantensucher. »Gott sei dank, sonst wären Sie verloren gewesen, Mr. Hellmann.« Ich bedankte mich bei den beiden. Erbsilber war Generationen altes Silber. Der Earl und sein Bruder Martin hatten sich überlegt, was sie tun könnten, hatten altes Familiensilber eingeschmolzen und zu Schrotkugeln gegossen. Geweiht hatten sie es mit Auflegen eines Kreuzes und einem Gebet. Vernichtet waren der
kopflose Dudelsackspieler und der schreiende Schädel damit noch nicht, aber immerhin erst mal vertrieben. Ich aktivierte den Ring, indem ich an der Stelle, die mir die Nixe Barbara gezeigt hatte, gegen die Weide klopfte und altgermanische Runen an die Rinde zeichnete. Der leuchtende, bereits warm gewordene Ring fing zu leuchten an. Ich zeichnete mit dem Lichtstrahl die Runen für das keltische Wort »Reise« auf den Boden. Die Zeitreise begann. Licht explodierte in meinem Kopf. Ich hörte Sphärenklänge und sah einen hellen, pulsierenden Schacht, in den ich hineinfiel. Alles übrige, genau wie bei meiner ersten Zeitreise, geschah. Als die Reise endete, landete ich abrupt aus dem Nichts am Ufer des Loch Morlich, jedoch im Jahr 1583. Ich trug keinen Faden am Leib.
* Die hochschwangere junge Frau wollte gerade den Teufel anrufen, als ich zu ihr trat. Ein paar Minuten hatte ich gebraucht, um wieder aktionsfähig zu werden. In einer Fischerhütte am Ufer hatte ich einen groben Kittel gefunden. Er war zwar nicht elegant, doch besser, als nackt umherlaufen zu müssen. Barbara Duncan schaute mich an. Kalt war es. Nebel und Dunstschwaden hingen über dem Wasser. Die junge Frau glaubte mir gleich, als ich ihr das Armband gab. Es hatte eine magische Wirkung auf sie. »Nein«, sagte sie. »Ich rufe den Teufel nicht an. Ich will leben. Bring mich weit weg von hier, Mark Hellmann. Vielleicht nach Edinburgh, wo mich keiner kennt und niemand weiß, daß ich die Tochter des Hexers Cedric Dunbar bin.« Dem wollte ich gerade zustimmen, als Hufschlag ertönte. Der Earl of Morlich galoppierte heran, gefolgt von sechs seiner Leute. Das konnte nichts Gutes zu bedeuten haben. Im Schilf lag ein Fischerkahn. Rasch stiegen wir hinein, und ich ruderte über den See. Barbara saß am Heck, das Armband an der Hand. Sie hatte die Hände auf den hochschwangeren Leib gelegt. Die Gewappneten hielten am Ufer an.
Earl Harold selbst hob die Armbrust. »Kehre um, blonder Fremder!« befahl er. »Oder ich töte dich.« Ich ruderte schneller und duckte mich. Der Earl drückte los. Die Entfernung war schon ziemlich groß. Vielleicht trog ihn das schlechte Licht; vielleicht hatte er auch schlecht gezielt. Jedenfalls traf er Barbara Duncan. Sie zuckte zusammen. »Der Schurke«, stöhnte sie. »Jetzt hat er – mich auf dem Gewissen. Mein armes Kind. – Es war alles vergebens. Dafür will ich mich rächen. – Mephisto, wo bist du?« Ehe ich es verhindern konnte, stürzte Barbara über den Bootsrand und versank im eiskalten Wasser. Tief unten sah ich ein Licht. Mephisto erwartete sie auf dem Grund des Sees. Ich hörte sein höhnisches Kichern im Nachtwind. Der Fluch von Morlich Castle kam doch zustande. Die Vergangenheit ließ sich nicht grundlegend ändern. Für mich galt es, mein Leben zu retten. Earl Harold of Morlich und seine Knappen schossen weitere Armbrustbolzen auf mich ab. Kurz gesagt, ich entkam über den See, wurde jedoch von dem Earl of Morlich erbarmungslos gejagt. Der beste Platz, mich vor ihm zu verstecken, schien mir seine Burg zu sein. Dort schlich ich mich ein. Drei Tage nach meiner Ankunft im Jahr 1583 stellte ich den grausamen Harold McPherson, den 14. Earl of Morlich, als er von der Hetzjagd auf mich zurückkehrte. Im Rittersaal hieben wir mit Beidhändern wuchtig aufeinander ein. Earl Harold hatte seine Mannen hinausgewiesen. Er wollte allein mit mir abrechnen, gewaltiger Kämpe, der er war. Doch es kam anders. Der Ring an meiner Rechten verlieh mir die Kenntnis des Schwertkampfs. Ich führte einen wuchtigen Hieb in Form einer Acht. Beim Rückschwung erwischte ich den grausamen Earl, der nicht damit gerechnet hatte, und schlug ihm den Kopf ab. Der Schädel mit den langen, braunen Haaren, der groben Nase und dem Kinnbart flog durch die Luft. Er rollte dann über den Boden. Rasch aktivierte ich meinen Ring und schrieb das keltische Runenwort Reise, denn auf die automatische Rückkehr konnte ich nicht warten. Ein paar Knechte des Earls drangen auf mich ein. Einer, sie nannten ihn Knochenbrecher, richtete eine
Luntenpistole auf mich. Mit einem letzten Hieb des Beidhänders schlug ich ihm die Pistolenhand ab. So büßte er seine zahlreichen Verbrechen. Ehe die anderen Bewaffneten etwas gegen mich unternehmen konnten, war es schon zu spät. Ich fiel in den Dimensionsschacht. Jetzt wußte ich, wie der Spuk mit dem kopflosen Earl und dem schreienden Schädel zustandegekommen war. Ich selbst, Mark Hellmann, hatte den Kopflosen geschaffen! Er wurde dann in der Vergangenheit in den Sarg gelegt. Mephistos Magie belebte ihn. Als ich nackt am Seeufer landete, spürte ich zunächst gräßliche Schmerzen und eine abgrundtiefe Verzweiflung. Earl Herbert und Martin McPherson halfen mir. Ich zog meine Kleider an, die in der Gegenwart am Seeufer zurückgeblieben waren. Hatte ich vollständig versagt und war zu Mephistos Werkzeug geworden? Ein Singen und Klingen erschallte vom See. Als wir hinschauten, ragten die Oberkörper der Nixe Barbara Duncan und ihres Sohns Peter aus dem Wasser. »Wir sind erlöst«, sangen sie. Barbara sprach, als ich näher kam: »Du hast die Legende vom Fluch von Morlich Castle vollendet, Mark Hellmann. Doch durch deine Zeitreise in die Vergangenheit, als du mir das magische Armband aus der Gegenwart gabst, hat sich etwas verändert. Der Pakt mit Mephisto, möge er ewig in den Abgründen der Hölle schmoren, wurde geändert. Ganz konnte ich ihn nicht mehr zurücknehmen. Jetzt ist meine Zunge gelöst, und ich kann frei zu dir sprechen. – Heute endet der Fluch. Nie wieder wird er die Morlichs heimsuchen. Du hast gleich zweimal die Legende vollendet.« Nixe und Nixenkind lösten sich auf. Zwei Lichtstrahlen fuhren hoch gen Himmel. Das Singen und Klingen, das sie zurückließen, war noch lange zu hören. Den Dudelsack des kopflosen Earl und den schreienden Schädel hörte man niemals mehr. ENDE