ADRIANA W IPPERLING
Star Trek
DEFENDER Band 1
Ein Paradies in Aufruhr 1
Adriana Wipperling Star Trek
Defender Band 1: Ein Paradies in Aufruhr
Der Zweck, der die Mittel rechtfertigt, wird von den Mitteln überwältigt. (Hannah Arendt)
Sämtliche Bände von „Star Trek - Defender“ erscheinen zuerst als nichtkommerzielle Fanzines beim „Star Trek Forum“. Ein kostenloser Star Trek Roman von www.WARP-online.de, dem Fantastik Magazin. Alle Rechte der Geschichten und Bilder verbleiben bei den jeweiligen Autoren und Künstlern. Die Vervielfälltigung für den rein privaten Gebrauch ist erlaubt. Die Übernahme dieses eBooks durch andere Anbieter (z.B. WebSites,Verlage), das Verändern in Inhalt und Form oder der gewerblicher Vertrieb sind ausdrücklich untersagt. eBook Star Trek Defender, Band 1: Ein Paradies in Aufruhr Copyright 2004 WARP-online Herausgeber: www.WARP-online.de Satz und Layout: Bernd Timm
Weder das Fehlen noch das Vorhandensein von Warenzeichenkennzeichnungen berührt die Rechtslage eingetragener Warenzeichnungen.
1000 Seiten Fantastik www.WARP-online.de bringt das ganze Spektrum der Fantastik: Bilder, Geschichten, Artikel, Projekte, Reportagen, Interviews, Wissenschaft, Comic, Kostüme, SF-Kabarett, Lyrik, Film-& TV-Projekte, Modelle und mehr!
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Prolog Die junge Frau in der gelben Starfleet-Uniform kauerte hinter ihrer Deckung - ein bizarres Konglomerat aus eingeschmolzenem Glas und Metall, das einmal die taktische Konsole gewesen war. Ihr langer, kastanienbrauner Zopf hing ihr halb aufgelöst über die Schulter. Fast jeder Muskel ihres Körpers war angespannt und die Menge an Adrenalin, die durch ihre Adern kreiste, war wahrscheinlich schon gesundheitsschädlich. Vor ihrem geistigen Auge flimmerte Bilder von monströsen Borg-Kuben und brennenden, explodierenden Sternenflottenschiffen. Und von Captain Jean-Luc Picard, der - halb Mensch, halb Maschine, die eigene Persönlichkeit abgewürgt von Implantaten, Kabeln und Schaltkreisen, ein Gesicht von grauer, fast cardassianischer Blässe - mit blecherner, monotoner Stimme ständig die Worte „Ich bin Locutus von Borg. Sie werden assimiliert werden. Widerstand ist zwecklos!“ wiederholte. Als Locutus zum ersten Mal auf dem Hauptbildschirm der U. S. S. PRETORIA erschienen war, hatte die junge Starfleet-Offizierin nicht gewußt, was sie entsetzlicher finden sollte: Die Tatsache, daß die Föderation möglicherweise kurz vor ihrer Vernichtung stand oder das Schicksal Captain Picards, eines Mannes, dem früher nichts wichtiger gewesen war, als seine Crew und die Werte der Föderation zu beschützen. Nun war dieser Mann nichts weiter als eine Marionette der Borg, ein Werkzeug gegen all das, was ihm einst so viel bedeutet hatte... Die junge Frau in der gelben Uniform war ziemlich froh, daß der Monitor nicht mehr funktionierte. Mit ihren Händen umklammerte sie eine antike bajoranische Waffe: eine handliche kleine Jagd-armbrust, die einst ihrem Vater gehört hatte. Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht: Oh ja, ihr Dad, der passionierte Bastler... Man hätte ihm eine Drahtspule und einen Schraubenzieher in die Hand drücken können, und er hätte damit vielleicht sogar den Schiffscomputer repariert. Auch diese Armbrust hatte er selbst gebaut. Als seine Tochter dem bajoranischen Widerstand beigetreten war, hatte er ihr die Waffe feierlich überreicht. „Hier, meine Kleine! Damit kannst du den verdammten Cardis die Ärsche perforieren, falls ihr keine Energie für eure Phaser mehr habt!“ In der Tat hatte ihr die Armbrust im Kampf gegen die Cardassianer gute Dienste geleistet. Seit sie zur Sternenflotte gehörte, war das Gerät als Waffe nicht mehr zum Einsatz gekommen, doch es hatte während der Jahre immer mehr Bedeutung als Talisman gewonnen. Als auf dem Schiff der Rote Alarm ertönt war, hatte die junge Bajoranerin ganz instinktiv danach gegriffen. „Commander Lairis...“ eine Männerstimme, seltsam verzerrt und heiser, aber dennoch vertraut. „Commander ... Lairis, he... helfen Sie mir!“ Die Augen des Mannes blickten starr und glasig, als er auf die junge Frau zu wankte. Plötzlich schien sich jede Ader an seinem Hals aufzublähen und grau zu verfärben, so als würde ein Heer anthrazitgrauer Würmer unter seiner Haut entlang kriechen. Die häßlichen, dunkelgrauen Linien wanderten weiter zu seinem Gesicht, um daraus den letzten Rest von Menschlichkeit zu tilgen. Voller Entsetzen wich Lairis vor ihm zurück. Ohne nachzudenken ließ sie die Armbrust fallen, zog ihren Phaser und feuerte eine Energiesalve auf ihn ab. Er brach zusammen. Sein Gesichtsausdruck war der eines eingefrorenen Fisches. Ihr nächsten Schuß traf den Borg, der hinter dem Mann gestanden und ihm vor wenigen Sekunden seine Assimilationsröhrchen in den Hals gebohrt hatte. Lairis spürte, wie sich ihre Eingeweide zusammenzogen und sie kämpfte gegen den Drang, unkontrolliert zu schluchzen. Natürlich weinte sie der Borgdrohne keine Träne nach - doch der Tote zu ihren Füßen, der Tote mit dem blutleeren, von Nanosonden zerfressenen Gesicht, war einmal Commander Cliff Darrel gewesen, der Erste Offizier der U. S. S. PRETORIA, eines der vielen Sternenflottenschiffe, die sich in der Schlacht bei W OLF 359 den Borg entgegenstellten... Ich habe Commander Darrel erschossen, ich habe Commander Darrel erschossen...
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„Oh Shit, die kommen wohl zur Beerdigung!“ rief in diesem Moment Lieutanant Donahue, der Steuermann, der dicht neben Lairis in Deckung gegangen war. Er hielt ein Phasergewehr, dessen Lauf fast so lang war wie sein Arm. Da sah sie sie. Sechs - nein, sieben - Borgdrohnen hatten sich auf der Brücke materialisiert. Mit schweren, mechanischen Schritten kamen sie näher und näher. Die roten Lämpchen an ihren Okular-Implantaten sandten scharfe Strahlen aus, die sich durch die Dunkelheit schnitten und durch den Dampf, der aus verschiedenen kaputten Leitungen quoll. Es war ein faszinierender Anblick, der Lairis kalte Schauer über den Rücken jagte. Ihr und den anderen überleben Brückenoffizieren gelang es, drei der Borg zu erschießen. Doch die anderen vier Drohnen paßten ihre Schutzschilde an. Das Phaserfeuer berührte sie nicht mehr. „He ihr wollt uns doch nicht etwa assimilieren, ihr Zombies?!“ Lairis versuchte, witzig und tapfer zu sein, doch ihre Stimme klang dünn und verloren, fast wie die eines kleinen Mädchens. Da kam ihr eine Idee... Die Borg mochten zwar gegen Energiewaffen resistent sein - doch was war mit Materie? Sie griff nach ihrer Armbrust, spannte die Sehne - und ein etwa 30 Zentimeter langer Metallpfeil sauste durch die Luft. Er bohrte sich in den Hals eines Borg. Die Drohne gab ein merkwürdiges Röcheln von sich und wirkte für einen Augenblick desorientiert. Doch als einer der Brückenoffiziere die Gelegenheit nutzte, um zu feuern, zeigte sich, daß die Schilde des Borg noch immer funktionierten. Lairis zielte erneut - und dieses Mal traf der Pfeil ins Auge. Der Borg fiel um wie um wie eine Statue, der man einen heftigen Tritt versetzt hatte. Dann löste er sich auf. Lairis stieß einen kurzen Jubelschrei aus und Donahue grinste euphorisch. In der Ladevorrichtung von Lairis’ Armbrust befanden sich noch sechs Pfeile. Sechs Pfeile - drei Borg ... Sie mußte gut zielen! Normalerweise war das kein Problem für sie. Sie hatte viel Übung im Umgang mit Waffen aller Art und war selbst bei Gefechten mit den Cardassianern meist sehr ruhig geblieben. Doch dieser Kampfeinsatz unterschied sich von allen anderen. Dieser Feind war gefährlicher und furchteinflößender als jeder, dem sie früher gegenübergestanden hatte. Sie verachtete sich dafür, daß ihre Hände zitterten und sie versuchte, die Waffe, so gut es ging, ruhig zu halten. Der erste Pfeil bohrte sich in die Wange des nächsten Borg, der zweite prallte an dessen Schädelpanzerung ab, bevor der dritte endlich das Auge traf. Die nächsten beiden Schüsse würden auf Anhieb sitzen müssen... Lairis erledigte Drohne Nummer drei - doch Drohne Nummer vier schmetterte den letzten Pfeil mit seinem Arm ab. Lairis verfiel in Panik. Der Borg war jetzt weniger als zwei Meter von ihr entfernt. Die Phaserschüsse, die die anderen Crewmitglieder auf ihn abfeuerten, waren lediglich ein Ausdruck der Verzweiflung, denn sie verfehlten ihre Wirkung völlig. Lairis saß in der Falle. Die Wege rechts und links waren durch Trümmer verbaut. Schritt für Schritt wich sie vor dem unheimlichen Wesen zurück, bis sie im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Rücken an der Wand stand. Sie stellte sich vor, wie aus dem metallenen Exoskelett an der Hand des Borg gleich zwei Assimilationsröhrchen fahren und sich in ihren Hals bohren würden. Wie Nanosonden sich durch ihre Blutgefäße fraßen wie bei Commander Darrel... Wie Borg-Implantate in ihr wuchsen und sich den Weg durch ihr Fleisch bahnten... Wie ihre Individualität, ihre Persönlichkeit, ihr gesamtes Wesen vom Kollektiv gefressen wurde... „Donahue, verdammt, tun Sie endlich was!“ schrie sie. Der junge Lieutenant hatte bisher wie versteinert daneben gestanden. Nun löste er sich aus seine Erstarrung und packte sein Phasergewehr - jedoch nicht, um damit zu schießen... Er ließ es mit voller Wucht auf den Schädel des Borg niedersausen. Die Drohne drehte orientierungslos den Kopf hin und her. Ihr Maschinenarm zuckte unkontrolliert. Diese Gelegenheit nutzte Lairis, um die Kabel und Schläuche, die dem Borg aus dem Hals ragten, die das Lebewesen mit der Maschine verbanden, zu packen und herauszureißen. Die Drohne löste sich augenblicklich auf. Mit einem Seufzen der Erleichterung sank Lairis gegen die Wand. Der Kommunikationsoffizier vergewisserte sich, daß keine weiteren Drohnen an Bord waren.
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„Befehle, Commander?“ fragte eine müde Stimme. Sie gehörte dem Waffenoffizier, einem Bolianer, dessen blaue Glatze vor Schweiß glänzte. Neben ihm stand Fähnrich Beldan, eine junge Be-tazoidin mit großen, angsterfüllten Augen. „Nichts wie weg hier!“ erwiderte Lairis. Sie kam sich feige und schäbig vor, als sie das sagte, doch sie wußte, daß die PRETORIA keinen weiteren Kampf überstehen konnte. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind an Bord würde getötet oder assimiliert werden... Lairis dachte an ihre eigene Tochter Julianna, die jetzt zusammen mit den anderen Zivilisten in einem „sicheren“ Bereich des Schiffes ausharrte und wahrscheinlich vor lauter Angst nicht mehr wußte, wo oben und unten war. Den Rest der Schlacht verbrachte die PRETORIA angekuschelt an den kahlen Felsboden im Krater eines Mondes. Donahue hatte wahre Glanzleistungen der Flugkunst vollbracht, um dorthin zu gelangen, Phaserblitzen und Photonentorpedos auszuweichen und dabei die Aufmerksamkeit der Borg nicht zu erregen. Die Lobeshymnen Laytons auf Lairis und die Crew waren der Bajoranerin dennoch ziemlich peinlich. Ihrer Ansicht nach hatte sie bei dieser ganzen Schlacht mehr Glück als Verstand gehabt. Doch die Borg zu besiegen war fast unmöglich - und ohne ein wenig Glück war es wohl nicht einmal möglich, ihnen zu entkommen. Lairis erinnerte sich noch gut daran, wie Captain Layton einen Tag nach der Schlacht auf die verwüstete Brücke der U. S. S. PRETORIA gekommen war. Die Sternenflotte hatte ihn geschickt, um das Kommando über dieses Schiff zu übernehmen. Er deutete ein Lächeln an, das ihm jedoch schnell verging, als er die Schäden genauer betrachtete. Besonders, als er einen Blick auf die Verlustliste warf, auf der über hundert Namen standen - unter anderem auch die des Captains und des Ersten Offiziers. „Sie alle haben der Föderation hervorragend gedient“, bemerkte Layton mit Blick in die Runde. „Captain Wagner wäre stolz auf Sie!“ Der Gedanke an Captain Wagner bereitete Lairis fast genauso viel Schmerz wie der an Commander Darrel. Doch wenigstens war der Captain nicht assimiliert worden... „Wer hatte hier als letztes das Kommando?“ wollte Layton nun wissen. Lairis trat vor und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn - was einen breiten Streifen von Dreck auf ihrem fast klassisch schönen Gesicht hinterließ. „Ich, Sir!“ antwortete sie. „Lieutenant Commander Lairis Ilana. Leitender Taktischer Offizier.“ „Gut, Lieutenant Commander Lairis Ilana...“ Captain Layton lächelte erneut. „Ich werde Sie zum Ersten Offizier befördern - mit dem Rang eines Commanders.“
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Sieben Jahre später...
1. Kapitel Über dem Campus der Sternenflottenakademie erstreckte sich ein wolkenloser, azurblauer Himmel. Die weitläufigen, an einen barocken Schloßgarten erinnernden Parkanlagen waren vom Gezwitscher der Vögel und vom lebhaften Schwatzen der durch das Gelände bummelnden, eilenden oder joggenden Kadetten und Offiziere erfüllt. Zudem war es für diese frühe Stunde ungewöhnlich warm, so daß Kadett Nog in seiner hochgeschlossenen Uniform schwitzte. Für den jungen Ferengi war es noch immer nichts selbstverständliches, daß, wenn man sich längere Zeit im Freien aufhielt, die Klamotten vom eigenen Schweiß durchgeweicht wurden und nicht vom Regen. Er begann, zu grübeln, weshalb noch kein Wetterkontrollsystem erfunden worden war, das seine Heimatwelt vor der totalen Überschwemmung retten konnte. Normalerweise machte er sich nicht allzu viele Gedanken über das Wetter, doch in diesem Augenblick langweilte er sich ziemlich. Seine Freunde, mit denen er auf dem Weg zur ersten Vorlesung war, waren nämlich nicht gerade unterhaltsam. „Welcher hirnlose Freak ist eigentlich auf die Idee gekommen, früh um acht Quantenmechanik-Vorlesungen abzuhalten!“ beschwerte sich Diana de Marco. Es war der erste vollständige Satz, den sie seit Tagesanbruch von sich gegeben hatte. Nog mußte grinsen und entblößte dabei kleine spitze Zähne. Diana hatte in den letzten zwanzig Minuten fast ununterbrochen gegähnt. Ihre sonst so großen, lebendigen schwarzen Augen waren zu rot unterlaufenen Schweinsritzen zusammengeschrumpft. Ihr Freund Raymond Edwardson sah nicht viel besser aus, schien aber etwas munterer zu sein. Für Nog war der Zustand seiner Freunde ein größeres Rätsel als die geldlose Föderationswirtschaft. Natürlich hatte die Party am Abend zuvor lange gedauert, doch es war nicht der Schlafmangel, der den beiden so zu schaffen machte. Was Ray und Diana ins Reich der Scheintoten versetzt hatte, waren zwei oder drei Gläschen saurianischer Brandy. Nog begriff nur schwerlich, wie jemand von so wenig Alkohol so schnell umgeworfen werden konnte. Er selbst hatte heimlich die verschiedensten alkoholischen Getränke probiert, als er noch ein Kellner in der Bar seines Onkels gewesen war. Nog musterte die beiden nachdenklich, und plötzlich war Raymond derjenige, der grinste. „Nog, das Objekt deiner Anbetung nähert sich mit Viertel Impuls!“ sagte er. Der Ferengi wandte sich abrupt um. Kilari Kayn trat aus dem Schatten einer Palme ins Gegenlicht - und Nog griff sich mit einer fast unbewußten Bewegung ans Ohr. Er fand, daß sie wie immer umwerfend aussah. Sie hatte ihr langes, goldblondes Haar zu einem französischen Zopf geflochten. Ihre Augen - blau wie der Himmel an einem strahlenden Oktobertag - blickten kein bißchen trübe oder glasig, obwohl sie ebenfalls bis zum Schluß auf der Party geblieben war. Die Uniform, die an den meisten Kadetten wie ein unförmiger grauer Pyjama aussah, saß an ihr perfekt und betonte ihre nicht gerade schwach ausgeprägten weiblichen Rundungen. Ein Muster von leopardenartigen Flecken, das in einem durchgehenden Streifen über ihre Schläfen, ihre Wangen und ihren Hals lief, gab ihrem Gesicht eine besonders attraktive Note. „Wie weit gehen eigentlich die Flecken runter?“ war eine der häufigsten Fragen, die ihr die Jungs von der Akademie stellten. Es war jedoch das Maximum an Anzüglichkeit, das man ihr entgegenbrachte, denn Kilari war auf dem Campus fast eine Respektsperson. Nun kam sie auf Nog und seine Freunde zu und betrachtete die kleine Gruppe mit einem ironischen Lächeln: Ray und Diana, die ihre Augen kaum offenhalten konnten, und Nog, der daneben stand, mit einem verklärten Gesichtsausdruck, als wäre ihm der Hüter des heiligen Finanzministeriums persönlich erschienen. „Hi Ki... Kilari!“ stammelte er. 6
„Hallo Nog, hallo Ray, hallo Diana!“ erwiderte diese, noch immer lächelnd. „Quantenmechanik am frühen Morgen kann ... stimulierend sein, nicht wahr?“ Nog und den anderen entging die Zweideutigkeit ihrer Worte nicht. „Ich ... ich hab’ gehört, daß wir nächste Woche einen Test schreiben“, entgegnete Nog. „Und, habt ihr schon was dafür gemacht?“ fragte Ray. Nog und Diana verneinten - Kilari natürlich auch. Die Trill lernte so gut wie nie für ihre Prüfungen. Dennoch war sie Jahrgangsbeste auf der Akademie. Sie erklärte es damit, daß sie immerhin „zwei Gehirne“ besaß und die Erinnerungen aller vorherigen Wirte in sich trug. Doch da war sie schlicht und ergreifend zu bescheiden. Kilari Kayn galt als brillant. Obwohl ein Trill normalerweise mindestens 25 bis 30 Jahre alt sein mußte, um mit einem Symbionten vereinigt zu werden, war ihr diese Ehre schon im Alter von 23 Jahren zugekommen. Nach einem Studium der Xenogenetik und Molekularbiologie, das sie natürlich mit Auszeichnung abgeschlossen hatte, war sie an der Akademie der Sternenflotte aufgenommen worden. Genau wie Nog, Diana und Ray befand sie sich im ersten Semester, doch sie hatte bereits den Stoff von anderthalb Jahren geschafft. „Na, was ist, Flecki, willst du mir nicht mal deinen Symbionten ausleihen?“ scherzte Raymond. „Das würde ich nicht empfehlen“, entgegnete Kilari. „Du würdest erst höllische Kopfschmerzen kriegen, dann Bauchkrämpfe, die Abstände, in denen du dich übergeben mußt, werden immer kürzer, bis du irgendwann Blut spuckst...“ Die Trill lächelte amüsiert, als Diana angeekelt das Gesicht verzog. „Na, soll ich weitermachen?“ „Ich riskiere alles, um nicht wieder durchzurasseln!“ konterte Ray. „Das letzte Mal war es nämlich gar nicht witzig! Ich dachte schon, ich stehe vorm Cardassianischen Hohen Tribunal so hat mein Alter mich ‘runtergeputzt!“ Er äffte Captain Philip Edwardsons volltönende Barritonstimme nach: „Ich bin dein Herr, dein Gul...“ Die anderen krümmten sich vor Lachen. „Was hast du da eigentlich unterm Arm?“ fragte Kilari Raymond. Dieser schien dem flachen, rechteckigen Objekt, das er bereits den ganzen Morgen bei sich trug, erstmals wirklich Beachtung zu schenken. „Ach, das soll ich meinem Dad bringen“, erwiderte er so beiläufig wie möglich. „Es sieht aus wie eine Sicherheitsbox“, bemerkte Kilari. „Ist auch eine“, sagte Ray. „Dad hat mich angerufen, weil er sie heute früh nicht finden konnte. Er dachte, ich hätte vielleicht mehr Glück als er.“ „Eine reine Verzweiflungstat!“ kommentierte Diana sarkastisch. „Die doch aber ihren Zweck erfüllt hat!“ ergänzte Ray. „Mein Dad fliegt heute noch zu dieser komischen Konferenz nach Antwerpen, und daher ...“ „Antwerpen? Meinst du die Konferenz mit den Romulanern?“ unterbrach ihn Diana. „Ja, genau die! Ich glaube, es geht um den Einsatz von Tarnvorrichtungen im Alpha-Quadranten oder so. Und das hier ...“ Er deutete auf die Box und senkte verschwörerisch die Stimme. „... sind die Konstruktionspläne für eine Tarnvorrichtung.“ „Echt?“ fragte Diana. Ray zuckte die Schultern. „Keine Ahnung. Jedenfalls hat die Sternenflotte eine neue Art von Kriegsschiffen entwickelt. Der Prototyp ist wohl schon fertig - und mein Dad soll das Teil kommandieren. Jetzt verhandeln wir mit den Romulanern, ob die Föderation Tarnvorrichtungen verwenden darf. Also, was könnte das da drin wohl sein?“ „Und so was erzählst du uns?“ entgegnete Kilari. „Immerhin könnten wir alle Wechselbälger sein!“ Raymond grinste. „Bist du denn ein Wechselbalg?“ Anstelle einer Antwort zog Kilari ein nachgemachtes Schweizer Armeemesser aus ihrer Uniformtasche, ließ eine der Klingen aufschnappen und fuhr damit über die Innenfläche ihrer linken Hand. Diana stöhnte. „Bitte nicht, Kilari! Nicht am frühen Morgen!“ 7
Aus Kilaris Wunde quoll hellrotes Blut. Es tropfte auf den Boden, sickerte darin ein und blieb, was es war - nämlich Blut. „Na, ganz offensichtlich bist du kein Wechselbalg!“ bemerkte Raymond trocken. „Du hast Glück gehabt!“ entgegnete Kilari. „Aber es hätte auch schiefgehen können!“ Nog stand fassungslos daneben. Er verehrte Kilari, zweifellos, doch er konnte nicht behaupten, daß er sie verstand. Dafür tat sie zu oft Dinge, die niemand erwartete. Sie amüsierte sich manches Mal über Probleme, die ihre Mitstudenten tagelang quälen und beschäftigen konnten. Dann wiederum zeigte sie einen ungewöhnlichen Ernst an Stellen, wo sich die anderen keinerlei Gedanken machten. Auf der Party war sie ihm als eine ganz normale, ausgelassene 24jährige erschienen. Doch in Augenblicken wie diesem wirkte sie regelrecht abgeklärt, ja beinahe zynisch. „Alle vereinigten Trills sind multiple Persönlichkeiten. Das liegt in ihrer Natur“, sagte Ray, der Nogs Gedanken zu lesen schien. Kilari war inzwischen gegangen. „Wofür hält die sich eigentlich? Für die Weisheitsgöttin von Betazed?“ regte sich Diana auf. Sie hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, daß sie die Trill nicht besonders mochte und sogar einmal zugegeben, daß sie sie unheimlich fand. Nun, in letzterem Punkt mußte Nog ihr Recht geben... „Diese eingebildeten Red-Squad-Typen gehen mir vielleicht auf die Gondeln!“ schimpfte sie weiter. „Kilari ist nicht eingebildet!“ widerspracht Nog. „Und wir wissen auch nicht, ob sie beim ‘Red Squad’ ist!“ „Ach nein?“ spottete Diana. „Ein vereinigter Trill mit dem IQ von Zefram Cochrane und Noten, die man als Normalsterblicher nur kriegen kann, indem man sie fälscht...“ Nog schwieg, als er erkannte, daß Diana höchstwahrscheinlich Recht hatte. Er wünschte sich zur Zeit nichts sehnlicher, als selbst zum „Red Squad“ zu gehören. Doch über eines machte er sich keine Illusionen: Die Sternenflotte mochte zwar ungewöhnlich tolerant sein - doch wenn es für einen Menschen, Vulkanier oder Trill schon an eine göttliche Weihe grenzte, in diesen geheimen Club von Elitekadetten aufgenommen zu werden, schien es für einen Ferengi fast unmöglich. Nog hatte bereits oft versucht, Kilari über die „Red Squad“ auszufragen, doch die Trill verstand es sehr geschickt, das Thema zu wechseln. Der Ferengi schwieg und hing seinen Gedanken nach, während Ray und Diana wieder einmal klagten, daß sie am liebsten im Bett geblieben wären. *** Als sich die Luftschleuse hinter ihm schloß, betete Captain Philip Edwardson, daß von nun an nichts mehr schiefgehen möge. Es hatte damit angefangen, daß sämtliche Transporter in der Stadt ausgefallen waren, weil die neuen Energiespar-Transmitter, die man gestern eingebaut hatte, Fehlfunktionen aufwiesen. Ich hoffe, das wird der Föderation eine Lehre sein, nie wieder Handel mit Ferengi zu treiben! dachte Edwardson. Doch als wäre das nicht schon genug Ärger für einen gerade erst anbrechenden Tag, hatte er auch noch die Unterlagen für die Konferenz verlegt und beinahe einen wichtigen Termin mit zwei Admirälen der Sternenflotte verpaßt. Dennoch schien Murphys Gesetz keine unbegrenzte Macht über ihn zu besitzen. Das Sternenflottenkommando hatte ihm ein Shuttle gestellt, die Transporter sollten bis spätestens morgen früh wieder funktionsfähig sein und sein ausnahmsweise einmal zuverlässiger Sohn hatte ihm die vermißten Unterlagen vorbei gebracht. Raymond hatte behauptet, sie hätten auf seinem Schreibtisch gelegen, genau dort, wo er sie am Abend zuvor hingepackt hatte. Captain Edwardson runzelte die Stirn. Verlor er etwa vor lauter Streß langsam den Verstand? Er legte die Sicherheitsbox auf einen kleinen Tisch in der Mannschaftskabine und setzte sich dann hinters Steuer. Den Inhalt überprüfte er nicht. Doch das hätte er besser tun sollen, denn die Box löste sich auf...
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Es war nicht etwa so, daß sie plötzlich verschwand, als wäre sie weggebeamt worden. Nein, sie verwandelte sich in eine bräunliche, dickflüssige, gallertartige Masse. Das, was von der Masse bisher umschlossen gewesen war, lag nun unverhüllt auf dem Tisch: Ein winziges, metallisches Objekt, nicht größer oder breiter als eine Rasierklinge. Aber die Verheerungen, die es anrichten konnte, wenn es an eine Plasmaleitung angeschlossen wurde, durfte man nicht unterschätzen. Dieses kleine Ding war in der Lage, hunderte von Menschen zu töten. Ganz so viele sollten es diesmal nicht sein. Nur siebenundzwanzig... ***
„Quark, Sie widerliches kleines Henkelohrenmonster!“ Der Ferengi - Besitzer der meistbesuchten Bar auf der Raumstation DEEP SPACE NINE - verzog das Gesicht. Auch wenn die meisten Gäste diese häßlichen Worte nicht gehört hatten woran ohne Zweifel der hohe Geräuschpegel in diesem Etablissement Schuld war - so fuhren sie doch Quark schmerzhaft in die Ohren. Es war eine weibliche Stimme, bajoranisch - und verdammt wütend. Quark wollte gerade mit seinem obligatorischen „Hallo Major Kira! Was kann ich für Sie tun?“ antworten, doch diese Frau war nicht Major Kira. Quark fuhr herum. Die Bajoranerin war eine äußerst attraktive Erscheinung. Ihr schlanker, wohlproportionierter Körper steckte in einer maßgeschneiderten Starfleet-Uniform, ihr langes kastanienbraunes Haar war im Nacken zu einem lockeren Knoten geschlungen und ihre ausdrucksvollen türkisgrünen Augen funkelten ihn herausfordern an. Vor allem aber kam sie dem Ferengi auf merkwürdige Weise bekannt vor... „Ilana!“ rief er, als er es endlich geschafft hatte, sie einzuordnen. „Für Sie Captain Lairis!“ erwiderte die Bajoranerin kühl. „Captain? Oh, Sie haben es weit gebracht!“ Lairis Ilana antwortete nicht, sondern knallte ihm wortlos einen Datenblock auf die Theke. Das Bild zeigte eine sehr spärlich bekleidete junge Frau, die sich aufreizend auf einem DaboTisch räkelte. Quark riß vor Überraschung die Augen auf - große blaue Kullern, die von violetten Schatten umrahmt waren. Doch er faßte sich relativ schnell wieder. Ganz offensichtlich angetan von dem, was er sah, fuhr er lüstern sich mit der Zungenspitze über die Lippen. „Hinreißend, nicht wahr!“ Lairis funkelte ihn noch immer wütend an. „Naja, Sie müssen verstehen, Captain, das Bild ist immerhin 20 Jahre alt und...“ „Man kann mich aber immer noch erkennen!“ entgegnete Lairis. „Das stimmt, Sie haben sich kein bißchen verändert in diesen zwanzig harten Jahren! So wunderschön wie eh und je...“ „Hören Sie auf mit dieser elenden Schleimerei Quark!“ fuhr die Bajoranerin ihn an. Mein Schiff wird verschrottet und mein guter Ruf gleich dazu... Prima, dank dieses sabbernden kleinen Latinum-Fetischisten wußte jetzt also der halbe Alpha-Quadrant, womit sich Lairis Ilana ihr Geld verdient hatte, bevor sie zur Sternenflotte gegangen war. Nicht, daß sie sich sonderlich dafür geschämt hätte. Irgendwie hatte sie schließlich die Studiengebühren fürs College bezahlen müssen, die zur Besatzungszeit natürlich nur von Bajoranern verlangt worden waren... Lairis wollte lediglich verhindern, daß jemand aus ihrer Crew das lebensgroße Holoplakat neben dem Eingang sah. Das wäre ihr doch verdammt peinlich gewesen! „Wissen Sie, Quark, ich würde jetzt liebend gern Chief O’Briens Dartpfeile nehmen und damit ihre häßlichen Ohren an die Wand nageln - aber wenn ich mir eine Anklage wegen Körperverletzung einhandle, ruiniert das wohl meine Karriere, also...“ „Richtig, das ist diese Kröte wirklich nicht wert!“ ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihnen. Lairis drehte sich um. In ihrem Ärger über Quark hatte sie fast vergessen, weshalb sie diese Bar eigentlich aufgesucht hatte: um ihre alte Freundin Kira Nerys wiederzusehen. Kira lächelte warm und die beiden Frauen umarmte sich. „Schön, dich wiederzusehen, Nerys!“ „Ich bin froh, daß du dir die Zeit genommen hast, Ilana!“ 9
Die beiden gingen zu dem Tisch, den Major Kira reserviert hatte. „Ich kann mir schon denken, weshalb du Quark in die Zange genommen hast!“ sagte Kira. „Es ist ja auch kaum zu übersehen!“ entgegnete Lairis trocken. „Was darf ich den Damen bringen?“ fragte Quark übertrieben freundlich. „Zwei mal bajoranischen Frühlingswein bitte!“ bestellte Kira. „Ach ja, und entfernen Sie Ilanas Bild aus Ihrer Schmuddelecke!“ Quark verdrehte die Augen. „Ja ja, natürlich! Ich werde mich so bald, wie es geht, darum kümmern - aber im Moment warten sehr viele ungeduldige Kunden auf mich!“ „Quark, erinnern Sie sich noch an meine Kollegin Linatrel?“ fragte Lairis Ilana zuckersüß. Der Ferengi fauchte verächtlich. „Wie könnte ich dieses Höllenweib vergessen! Packt mich an den Ohren und schleift mich über das halbe Promenadendeck! Dabei wollte ich doch nur ein bißchen Umox...“ Lairis und Kira lachten lauthals. „Wie ich sehe, haben Sie nicht viel daraus gelernt, Quark!“ meinte Kira. „Doch, er hat nie wieder eine Cardassianerin als Dabo-Mädchen eingestellt“, konterte Lairis, während Quark sich ärgerlich davon trollte. „Seid ihr denn inzwischen die Wühlmaus-Plage los?“ fragte sie dann, an Kira gewandt. „Chief O’Brien arbeitet daran“, erwiderte der Major und lächelte. „Ach, ich dachte, er wäre Ingenieur und kein Kammerjäger!“ „Der Chief ist ein Mann mit vielen Talenten!“ Captain Lairis lachte. „Ich muß schon sagen, da hast du uns ganz schön was eingebrockt, Ilana!“ „Also, wenn ich geahnt hätte, daß diese Station eines Tages an die Föderation fällt, hätte ich mir was anderes einfallen lassen!“ entgegnete Lairis. Das sogenannte „Wühlmaus-Inferno“ gehörte zu den wenigen lustigen Geschichten, die es über die cardassianische Besetzung zu erzählen gab. Als Novizin im bajoranischen Widerstand hatte Lairis Ilana einmal die Getreidevorräte auf Terok Nor mit Hormonen präpariert, die die Wühlmäuse dazu brachten, sich pro Jahr mindestens fünf mal häufiger als üblich zu paaren. War die vorhandene Population schon vorher ein Ärgernis gewesen, wurden die Mäuse nun zum echten Pro-blem. Natürlich vor allem für die Cardassianer... „Dann wirst du mir wohl nicht bei meinem Dankschreiben helfen...“ sagte Lairis zu Kira. „Dankschreiben?“ „Na, du weißt schon, das Dankschreiben, was ich schon immer mal an meine cardassianische Biologieprofessorin schicken wollte.“ Sie zitierte aus einem imaginären Brief: „Sehr geehrte Frau Professor Merak, Ihre Vorlesungen am Lakaran-College auf Bajor haben mir sehr viel gegeben. Vor allem Ihr Vortrag über die Physiologie cardassianische Wühlmäuse war nicht nur interessant und informativ, sondern auch äußerst praxisrelevant! Mit freundlichen Grüßen eine kreative Studentin ...“ Lairis liebte es, Kira zum lachen zu bringen. Deshalb war sie auch ziemlich enttäuscht, als ihre Freundin das Thema wechselte und dabei - ohne es zu wollen einen wunden Punkt bei ihr berührte... „Ich habe gehört, daß dein Schiff verschrottet werden soll“, begann Kira, als sie endlich aufhören konnte, zu lachen. „Das tut mir leid!“ Lairis seufzte. „Die CASABLANCA ist über 80 Jahre alt und dauernd geht irgendwas an ihr kaputt. Wir alle haben sie schon mal einen ‘alten Schrotthaufen’ genannt - aber jetzt, wo man tatsächlich einen Schrotthaufen aus ihr machen will, werde ich sentimental.“ Kira öffnete gerade ihren Mund, um etwas zu erwidern, als sich Lairis’ Kommunikator meldete. „Captain, eine gewisse Lieutenant Commander T’Liza bittet, an Bord kommen zu dürfen“, ertönte die Stimme ihres Ersten Offiziers, Commander Charles Devereaux. „Sie will das Schiff besichtigen.“ „Worauf warten Sie? Bitten Sie sie in die gute Stube und machen sie eine ausgiebige Sightseeing-Tour mit ihr! Denken Sie daran - die Gelegenheit ergibt sich nie wieder!“
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„Ay, Captain!“ erwiderte Devereaux. Seine Stimme klang leicht amüsiert, und obwohl kein visueller Kontakt bestand, konnte Lairis sein schelmisches Lächeln vor sich sehen. Es war ihr ziemlich egal, wer diese T’Liza war und weshalb sie sich das Schiff ansehen wollte. In diesem Moment kam Odo an ihren Tisch. Er nickte Lairis kurz zu und wandte sich dann an Kira. „Haben sie Dax gesehen, Major?“ fragte er. Es klang ziemlich verärgert. Kira schüttelte den Kopf. „Nein, tut mir leid, Odo!“ Mit einem mürrischen Brummen entfernte sich der Formwandler. „Was ist dem denn über die Leber gelaufen?“ wunderte sich Lairis. „Das kann ich Ihnen sagen!“ mischte sich Quark ein. „Unser ewig schlecht gelaunter Ordnungsfanatiker langweilt sich ganz offensichtlich!“ „Ach, meinen Sie?“ fragte Kira mit einem säuerlichen Lächeln. „Aber natürlich! Seit ich ihn kenne, weigert er sich, eine meiner Holosuiten auszuprobieren oder sich sonst irgendwie zu amüsieren! Ich wette, eine Amöbe weiß besser, wie man das Leben genießt! Alles, wofür dieses griesgrämige Häufchen Glibber lebt, ist seine Arbeit. Wenn es nicht genügend kriminelle Aktivitäten gibt, erfindet er einfach welche!“ Der Ferengi verdrehte die Augen. „In letzter Zeit bildet er sich ein, Commander Dax würde in sein Quartier einbrechen, während er sich regeneriert, und seine Möbel verrücken: Ein paar Zentimeter nach rechts, ein paar Zentimeter nach links...“ „Quark!“ unterbrach Kira ihn mit scharfer Stimme. „Odo bildet sich das nicht ein!“ „Ach nein? Meinen Sie im Ernst, eine Frau wie Dax hätte nichts besseres zu tun, als Odos Möbel ‘durcheinanderzubringen’?“ konterte der Ferengi. „Das frage ich mich allerdings auch!“ pflichtete Lairis ihm bei. „Dax tut das, um Odo zu testen“, erklärte Kira. „Es war Captain Siskos Idee. Er will dadurch sichergehen, daß Odo nicht...“ Sie legte eine sekundenlange Pause ein. „...durch einen Wechselbalg aus dem Dominion ersetzt wird.“ *** Eine Eigenart älterer Schiffe war, daß man dem Computer vieles nicht verbal befehlen konnte, sondern dafür irgendwelche Knöpfe drücken mußte. Wie zum Beispiel, um einen Turbolift zu rufen... Captain Lairis Ilana strich gedankenverloren, ja beinahe zärtlich über das Armaturenbrett, das aussah, als stammte es direkt aus dem Raumfahrtmuseum. Als der Turbolift endlich kam und die Tür zur Seite glitt, stand Lairis plötzlich einer fremden Frau in blauer StarfleetUniform gegenüber. Ein Ausdruck des Wiedererkennens, des Schmerzes und des fassungslosen Erstaunens lag in den großen grauen Augen der Unbekannten. „Corazón...“ flüsterte sie kaum hörbar. „Corazón?“ wiederholte Lairis verständnislos. War das vielleicht irgendein Gott? Sie vergaß glatt, daß sie eigentlich in den Lift steigen wollte. Im nächsten Augenblick wirkte die Frau wieder so förmlich und distanziert, wie es sich für einen Offizier der Sternenflotte einem ranghöheren Offizier gegenüber ziemte. „Bitte entschuldigen Sie mein unangemessenes Verhalten, Captain! Sie haben mich... an eine alte Freundin erinnert.“ „So was kommt vor!“ entgegnete der Captain und lächelte. „Sie sind Lieutenant Commander T’Liza, nicht wahr?“ „Ja, das ist richtig.“ „Angenehm! Ich bin Captain Lairis Ilana, die Kommandantin dieses unglücklichen Vehikels.“ „Ich weiß“, erwiderte T’Liza knapp. „Den Eindruck machten Sie vorhin aber nicht!“ entgegnete Lairis. Es war eine ziemlich sarkastische Bemerkung, doch sie konnte sie sich in diesem Augenblick nicht verkneifen. T’Liza... der Name klang vulkanisch, und Lairis begriff nun, weshalb sie ihn nicht sofort mit der Fremden im Turbolift in Verbindung gebracht hatte. Die Frau trug ihr Haar länger als jeder andere Vulkanier, den sie kannte. Es war schwarz, dicht und glänzend und reichte ihr bis zu 11
den Schultern. Damit verdeckte es natürlich ihre Ohren. Doch der blaßgrüne Schimmer auf ihren Wangen und die spitz nach oben zulaufenden Augenbrauen gaben ebenfalls Hinweis auf ihre Rasse. „Leben Sie lange und in Frieden, Captain!“ sagte sie und spreizte die Finger ihrer rechten Hand zum vulkanischen Gruß. „Ich muß zurück zur Erde. Eine Patientin wartet auf mich.“ „Schade, daß wir uns nicht länger unterhalten können!“ erwiderte Lairis. Sie sah zu, wie T’Liza von Bord ging, bevor die U.S.S. CASABLANCA DEEP SPACE NINE verließ. Dann betrat Lairis den Turbolift und betete zu den Propheten, daß er nicht wieder auf halbem Wege ausfallen möge, wie er es in letzter Zeit so oft getan hatte. Doch der Lift brachte sie ohne Zwischenfälle zur Brücke, so als wollte das Schiff ein letztes Mal beweisen, daß es der Sternenflotte noch immer gute Dienste leisten konnte. „Na, haben Sie schon die Daten für den Totengräber zusammengestellt?“ begrüßte Lairis ihren ersten Offizier mit dem Anflug eines wehmütigen Lächelns. „Klar!“ erwiderte Devereaux und aktivierte sein Datenpad. „U.S.S. CASABLANCA, NCC-2518-A, Excelsior-Klasse, in den Dienst gestellt: 2292 oder auch Sternzeit 9342.1, 470 Mann Besatzung, erster Kommandant: Captain Corazón Inserra...“ „Corazón ...“ Die Augen des Captains leuchteten in einem plötzlichen Aha-Effekt auf. „Diese vulkanische Ärztin hat mich vorhin ‘Corazón’ genannt!“ Commander Devereaux hob fragend die Augenbrauen. „Dann hat sie wohl einen Geist gesehen. Corazón Inserra ist seit über vierzig Jahren tot!“ „Es ist nicht gerade logisch, mich mit einer toten Frau zu verwechseln“, meinte Lairis. „Das ist wohl wahr“, sagte Devereaux. „Übrigens: Wie kommen Sie darauf, daß T’Liza Ärztin ist?“ „Sie sagte, sie müsse sich um eine Patientin kümmern.“ Devereaux grinste. „Sie ist aber keine Ärztin - Sie ist Counselor.“ „Was?“ rief Lairis ungläubig. „Eine vulkanische Psychologin? Das ist ja fast so außergewöhnlich wie ein Klingone, der mit Messer und Gabel ißt!“ „Ich kenne einen Klingonen, der mit Messer und Gabel essen kann, und sein Name ist Worf!“ „Ja, ich weiß. Und er trinkt am liebsten Pflaumensaft, was noch viel merkwürdiger ist! Aber...“ „Captain, eine Nachricht für Sie vom Sternenflottenkommando!“ rief plötzlich der Kommunikationsoffizier. „Stellen Sie durch!“ befahl Lairis. „Ähm... Es ist Admiral Layton, und er möchte Sie unter vier Augen sprechen.“ „Dann leiten Sie ihn in mein Büro um!“ „Ay, Ma’am!“ Lairis machte sich eiligen Schrittes auf den Weg zu ihrem Bereitschaftsraum und aktivierte den Computerterminal auf ihrem Schreibtisch. Was mochte der Admiral von ihr wollen? „Schön, Sie wiederzusehen, Sir!“ sagte sie, als das ernste Gesicht Laytons auf dem Monitor erschien. „Ich wünschte, es gäbe einen Anlaß, der die Bezeichnung ‘schön’ verdient, Ilana!“ erwiderte Admiral Layton. „Was ist passiert?“ fragte Lairis alarmiert. „Das sollten Sie sich selbst ansehen!“ entgegnete der Admiral. Dann verschwand sein Gesicht vom Bildschirm und Lairis sah statt dessen einen Konferenzraum voller Sternenflottenoffiziere und Romulaner. Plötzlich nahm sie einen weißglühenden Blitz wahr, ein Knall ertönte und im nächsten Augenblick wurde der Raum von einem gigantischen Feuerball verschlungen. „Das... das ist ja entsetzlich!“ rief sie. „Haben Sie eine Ahnung, wie das passieren konnte, ich meine, was den Unfall verursacht hat?“ Layton schwieg, und seine düstere Miene verhieß nichts Gutes. „Es war doch ein Unfall, oder?“ hakte Lairis nach. Ihre Stimme klang dabei mindestens zwei Oktaven höher als sonst.
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„Es war eine Bombe“, erwiderte Layton, die Augen starr auf einen Punkt gerichtet, den Lairis nicht sehen konnte. „Was?“ rief die Bajoranerin entsetzt. „Ganz recht, Captain! Das Sternenflottenkommando hat ähnlich reagiert wie Sie. Wir konnten zuerst auch nicht glauben, was wir da sahen“, Für einen Moment schwieg der Admiral, dann fuhr er fort. „Sie wollten doch wissen, wie es dazu gekommen ist... Spielen Sie die Aufzeichnung noch einmal ab, mit 1/4 Normalgeschwindigkeit und fünffacher Vergrößerung!“ Lairis folgte seinen Anweisungen. „Halt! Frieren Sie das Bild ein und achten Sie auf die Vase in der Ecke!“ „Ja, ich sehe sie. Und jetzt?“ „Fahren Sie mit 1/10 Normalgeschwindigkeit fort!“ „Okay!“ Was Lairis nun sah, ließ sie für einen Bruchteil der Ewigkeit den Atem anhalten. Ihre Hände umklammerten die Kante des Schreibtischs wie Schraubzwingen und sie vermeinte, zu spüren, wie die Temperatur im Raum um mindestens fünf Grad sank. Die Vase schien zu schmelzen, obwohl man wußte, daß das bei einem Tongefäß eigentlich nicht möglich war. Dennoch zerfloß sie, und ein unförmiges Schleimgebilde landete mit einem kaum hörbaren „Plop“ auf dem Fußboden. „Ein Wechselbalg?“ rief Lairis und wußte dabei selbst nicht genau, ob das eine Feststellung oder eine Frage sein sollte. „Ein Wechselbalg“, wiederholte Layton. „Wir haben keine Ahnung, ob diese Bilder schon zu den Medien durchgesickert sind - aber ganz offensichtlich wissen viele Starfleet-Angehörige noch nichts davon.“ „Aber warum zeigen Sie mir das?“ fragte Lairis. „Ich meine, ich hätte es doch früher oder später aus den Nachrichten erfahren...“ „Ich habe gehört, daß Ihr Schiff außer Dienst gestellt werden soll...“ wechselte Layton unvermittelt das Thema. „Ja, diese Woche noch!“ erwiderte Lairis überrascht. „Wissen Sie schon, was dann aus Ihnen wird?“ „Keine Ahnung. Aber die Sternenflotte wird mich und meine Crew schon irgendwie beschäftigen“, antwortete Lairis. „Ehrlich gesagt, geht es mir besser, wenn ich mir keine Gedanken über das ‘wo’ und ‘wie’ mache...“ „Das brauchen Sie auch nicht“, sagte Layton. „Ich habe nämlich einen neuen Job für Sie!“ Lairis zeigte keine überschwengliche Begeisterung. Da momentan kein anderes Raumschiffkommando frei war, wartete wohl irgendein langweiliger Posten als Admiralsassistentin auf sie. „Nicht das, was Sie denken, Captain“, fuhr der Admiral fort, und Lairis fragte sich, ob er vielleicht telepathische Fähigkeiten hatte. „Wissen Sie, zu den Konferenzteilnehmern gehörte auch Captain Philipp Edwardson, der Mann, der das Kommando über die U.S.S. DEFENDER übernehmen sollte, das modernste Kriegsschiff der Sternenflotte...“ „Er... er hat nicht überlebt, oder?“ „Es gab keine Überlebenden, Captain!“ erwiderte Layton ausdruckslos. „Diese verdammten Wechselbälger sind überall..“, murmelte Lairis. „Ich fürchte, ja!“ meinte Layton. „Deshalb möchten ich auch die Details Ihrer nächsten Mission nicht über Funk mit Ihnen besprechen. Fliegen Sie zur Erde - und zwar so bald wie möglich!“
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2. Kapitel Gerade im Hauptquartier der Sternenflotte angekommen, war Captain Lairis ziemlich überrascht, dort ausgerechnet der geheimnisvollen Vulkanierin wieder zu begegnen. „Ich arbeite hier“, erklärte T’Liza, die auch ohne Telepathie und Geistesverschmelzung ahnen konnte, was Lairis gerade dachte. „Oh, dann gehören Sie wohl zur ‘Creme de la Creme’ der Sternenflottenpsychologen?“ „Solche Bezeichnungen sind ausgesprochen subjektiv“, entgegnete T’Liza. Die Bajoranerin lachte kurz. „Ich hätte da eine Frage...“ sagte sie dann. „Es geht mich vielleicht nichts an - aber woher kennen Sie eigentlich Captain Inserra? Und wieso habe ich Sie an sie erinnert?“ T’Liza schwieg einen Moment. Dann begann sie, ihre Geschichte zu erzählen. „Ich war neun Jahre alt, als ich Captain Inserra zum ersten Mal begegnete. Mein Vater war Kapitän eines kleines vulkanischen Forschungsschiffes, das astronomische Phänomene und Weltraumanomalien untersuchte und daher oft in die Randzonen flog. Eines Tages geriet das Schiff in Schwierigkeiten und Vater schwebte in Lebensgefahr. Er funkte ein Notsignal, das von der U.S.S. CASA-BLANCA aufgefangen wurde. Captain Inserra und ihre Crew haben meinem Vater das Leben gerettet. Wie es die vulkanische Tradition verlangt, hat meine Mutter daraufhin die Brückenoffiziere zum Essen eingeladen. Die Menschen faszinierten mich von ersten Augenblick an, vor allem Captain Inserra. Beim Essen fragte ich sie, was ihr Vorname zu bedeuten hätte. Sie erklärte mir, daß ‘Corazón’ das spanische Wort für ‘Herz’ sei und daß dieses Organ ein Symbol für menschliche Gefühle wäre ... Sie wissen sicher, welche Meinung Vulkanier zu Gefühlen haben. Also fragte ich sie voller Mitleid, weshalb ihre Eltern sie so gehaßt hätten...1“ Captain Lairis lachte aus voller Kehle. Als T’Liza kurz in ihr Gelächter einfiel, blickte sie die Vulkanierin verdutzt an. „Meine Eltern waren verärgert, weil ich Corazóns Privatsphäre so grob verletzt hatte, also schickten sie mich auf mein Zimmer. Captain Inserra entschuldigte sich, weil sie nicht bedacht hatte, wie unterschiedlich doch Vulkanier und Menschen sind. Dann erklärte sie mir, daß Gefühle für die Menschen etwas völlig normales und im Grunde sogar etwas schönes seien. Zum Abschied schenkte sie mir ein altes Papierbuch mit Gedichten von Frederico Garcia Lorca. Sie meinte, das würde mir helfen, die Menschen besser zu verstehen...“ „Frederico Garcia Lorca?“ „Ein Dichter von der Erde, frühes zwanzigstes Jahrhundert“, erklärte T’Liza. „Als ich seine Worte las, hätte ich beinahe meinem Vater recht gegeben, der ständig spöttische Bemerkungen über die mangelnde Logik der Menschen machte ... Sie müssen wissen, daß seit Surak auf Vulkan keine Gedichte mehr geschrieben werden. Lyrik gilt unlogischer Umgang mit der Sprache.“ „Aber es waren doch Menschen, die Ihren Vater gerettet hatten!“ entgegnete Lairis. „Trotzdem hat er sich über ihre mangelnde Logik mokiert?“ „Ja...“ T’Liza hielt einen Moment inne. Die unlogische Arroganz ihres Vater war für sie Grund genug gewesen, sich gegen ihn aufzulehnen. Zumindest hatte sie stets tief im Inneren gegen seine Ansichten rebelliert, auch wenn sie nicht in der Lage gewesen war, offen mit ihm zu streiten. Um sie so etwas anzumaßen, hätte sie mindestens fünfzig alt sein müssen, doch sie war damals erst neun gewesen... „Ich empfand es ebenfalls als undankbar, daß mein Vater Wesen, die ihm das Leben gerettet hatten, als minderwertig betrachtete“, erwiderte sie. „Ist Captain Inserra wiedergekommen?“
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Siehe: Anneliese Wipperling: Der weite Weg zur Erde (Hoffentlich bald als Star Trek Forum Produktion erhältlich).
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T’Liza nickte. „Viele Male sogar.“ In Wahrheit war Corazón bei weitem nicht nur ein Sternenflottencaptain gewesen, der der Etikette halber ein paar mal zu Besucht gekommen war. Sie wurde für die neunjährige T’Liza zu einem Vorbild, einer Freundin, einem Kindheitsidol, das ihr Interesse an der menschlichen Kultur geweckt hatte. Ohne ihren Einfluß hätte T’Liza nie beschlossen, auf der Erde zu studieren und sich dazu noch für so „überflüssige“ Fächer wie Literaturwissenschaften und Psychologie einzuschreiben... „Sie sehen ihr auf den ersten Blick sehr ähnlich“, sagte sie schließlich zu Lairis. „Abgesehen von der Nase.“ Die letzte Bemerkung war für vulkanische Verhältnisse recht scherzhaft formuliert, doch T’Lizas ernste, nachdenkliche Miene ließ nicht gerade vermuten, daß die Counselor zum Scherzen aufgelegt war. „Sie wirken besorgt“, sagte Lairis, ohne wirklich sicher zu sein, daß sie den Gesichtsausdruck der anderen Frau richtig gedeutet hatte. T’Liza schien zwar eine Art Dissidentin zu sein und sich gegen die fremdenfeindliche Strömung in ihrem Volk zu stellen, doch das änderte nichts an der Tatsache, daß ihre vulkanische Erziehung sie kaum Gefühle zeigen ließ. „Ich bin auch besorgt“, erwiderte die Vulkanierin zu ihrer Überraschung. „Das sind wir wohl alle“, meinte Lairis. „Immerhin wurde ein Bombenanschlag auf eine äußerst wichtige Konferenz verübt, und auf der Erde treiben sich Wechselbälger ‘rum! Wenn es einen triftigen Grund zur Besorgnis gibt, dann haben wir ihn jetzt.“ „Das ist richtig“, sagte T’Liza. Lairis nickte. „Entschuldigen Sie mich, aber die Pflicht ruft“, verabschiedete sie sich dann. „Admiral Layton wartet schon sehnsüchtig auf mich!“ T’Liza hatte verschwiegen, daß ihre wahre Sorge ihrer Patientin galt. Sie beriet diese Frau bereits seit elf Wochen und betrachtete sie aus verschiedenen Gründen als einen ihrer schwersten Fälle. Während sie der Bajoranerin nachblickte, reisten ihre Gedanken in die Vergangenheit zurück... „Ich fürchte, Sie sind unsere letzte Hoffnung, T’Liza!“ Dr. Klages, der Chef der medizinisch-psychologischen Abteilung der Sternenflotte musterte die Vulkanierin ernst. „Ist diese Karthal wirklich so schlimm?“ hakte sie nach. Dr. Andersen, Karthals letzter Counselor, verdrehte die Augen. „’Schlimm’ ist gar kein Ausdruck! Sechs unserer besten Psychologen sind schon an ihr verzweifelt! Ich persönlich habe mir nur zwei Sitzungen mit dieser Frau angetan - und anschließend sämtlichen Göttern des Universums gedankt, daß ich noch lebe!“ „Ich nehme an, daß Sie in typisch menschlicher Eigenheit maßlos übertreiben“, entgegnete T’Liza sachlich. „Glin Belora Karthal ist zwar eine Cardassianerin, aber keine wilde Bestie!“ „Ha! Sie haben ja keine Ahnung!“ konterte Dr. Andersen. „Sie ist vollkommen unkooperativ! Man kann beim besten Willen kein vernünftiges Gespräch mit ihr führen! Sie... sie steht die ganze Zeit in irgend einer Ecke und starrt einen mit diesen glühenden schwarzen Augen an!“ „Kann es sein, daß Sie sich nie die Mühe gemacht haben, sich in Karthals Lage zu versetzen?“ entgegnete T’Liza. Sie hatte sich selbstverständlich über den Fall informiert: Glin Belora Karthal war als Kommandantin der Ersten Kampffliegerstaffel eines cardassianischen Kriegsschiffes auf der Jagd nach einem Maquis-Terroristen, gewesen, als ihr Kampfflieger in einen Plasmasturm geriet und auf einem Planeten in den Badlands abstürzte. Ein Sondereinsatzkommando der Sternenflotte hatte Karthal mit schweren inneren Verletzungen aus dem Wrack geborgen. Sie war in eine Spezialklinik auf der Erde gebracht worden, wo sie knapp drei Wochen im Koma gelegen hatte. Nun mußte sie damit fertig werden, daß die Cardassianer aus Angst vor dem Dominion ihre Grenzen dichtgemacht hatten und sie infolge dessen nicht nach Hause zurückkehren konnte. „Die größte... Herausforderung ist, Karthal klarzumachen, daß die cardassianische Militärregierung durch eine Revolte der Zivilisten gestürzt worden ist und Cardassia sich im Krieg mit den Klingonen befindet“, sagte Dr. Klages. „Das bedeutet, sie glaubt es nicht“, schlußfolgerte T’Liza. 15
Dr. Andersen verdrehte die Augen. „’Sie glaubt es nicht’ ist noch eine Untertreibung! Karthal denkt, die Allianz zwischen Cardassia und der Föderation wäre zerbrochen und sie sei eine Art Kriegsgefangene. Vorgestern kam sie zu der kuriosen Schlußfolgerung, sie befände sich in einer Holosuite, alles, was sie seit ihrem Erwachen aus dem Koma erlebt hat, sei nicht real, und das ganze wäre eine Art Gehirnwäsche, um sie dazu zu bringen, Cardassia zu verraten.“ „Sie begreift einfach nicht, daß die Sternenflotte sie nicht foltern will“, bemerkte Dr. Klages. „Vielleicht sollten wir ihre Erwartungen einfach erfüllen“, murmelte Dr. Andersen. T’Liza warf ihm einen scharfen Blick zu. „Sie hegen gewisse Vorbehalte gegen Cardassianer.“ „Wer tut das nicht!“ konterte Dr. Andersen. „Die pauschale Verurteilung einer gesamten Spezies ist nicht gerade förderlich für die Arbeit eines Psychologen!“ entgegnete sie kühl. „Na dann versuchen Sie mal Ihr Glück bei dieser charmanten Dame!“ schoß Dr. Andersen zurück. „Wir sprechen uns in zwei Tagen wieder!“ T’Liza hatte es schon vor ihrer Ausbildung als Psychologin sehr gut verstanden, sich in die Denkweise anderer Wesen hineinzuversetzen. Wenn es sich dabei um logisch denkende Wesen handelte, fiel es ihr besonders leicht. Anders als zum Beispiel Dr. Andersen sah sie in Karthal keine paranoide cardassianische Gewitterziege, die sich unvernünftiger Weise weigerte, mit ihren gütigen Helfern von der Sternenflotte zu kooperieren. Statt dessen sah Sie eine Frau, die - abgeschnitten von ihrer Heimat - in einem Hospital der Sternenflotte aufgewacht war und die - dazu erzogen, in der Föderation einen Feind zu sehen - nun das Schlimmste erwartete. Karthals Logik war demzufolge makellos, doch sie stützte sich auf unzureichende Informationen. Bei ihren Gesprächen mit der Cardassianerin mußte T’Liza jedoch feststellen, daß es alles andere als einfach war, eine Mauer aus makelloser Logik - kombiniert mit Sturheit - zu durchbrechen... „Es sieht so aus, als ob alle Versuche, Glin Karthal verbal zu überzeugen, zum scheitern verurteilt sind“, sagte sie später zu Dr. Klages. „Hm...“ Der Mann schien enttäuscht. „Ich hatte gehofft, Ihnen würde etwas einfallen.“ T’Liza seufzte leise. Sie wußte nicht, woher ihre Kollegen die Naivität nahmen, ihr sämtliche Weisheit des Universums zuzutrauen, nur weil sie Vulkanierin war... „Es gibt nur zwei Alternativen“, entgegnete Dr. Klages. „Entweder Karthal begreift, daß wir nicht ihre Feinde sind, oder wir müssen sie in Sicherheitsverwahrung behalten, bis die cardassianischen Grenzen wieder offen sind.“ „Sie wollen sie einsperren?“ hakte T’Liza nach. „Hat sie denn irgendwas getan, was diese Maßnahme rechtfertigt?“ „Noch nicht“, antwortete Dr. Klages. „Aber Sie verstehen sicher, daß wir sie nicht frei herumlaufen lassen können!“ „Geben Sie mir noch etwas Zeit“, bat die Vulkanierin. Dr. Klages nickte. „In Ordnung.“ ‘Also gut...’ dachte T’Liza. ‘Sie wollten unbedingt, daß eine Vulkanierin diesen Fall übernimmt! Dann müssen sie sich auch damit abfinden, daß ich das Problem auf eine Art und Weise löse, wie es nur eine Vulkanierin kann!’ Als sie Karthals Zimmer betrat, sprach die gewohnte Feindseligkeit aus den Augen der Cardassianerin. „Sie geben wohl nicht so schnell auf“, bemerkte sie sarkastisch. „Sie erfüllen mit vulkanischer Geduld und Zähigkeit Ihre Pflichten...“ T’Liza trat auf die Cardassianerin zu und berührte impulsiv ihre Hand. „Ganz ruhig, Belora, ich habe nicht vor, Ihnen etwas anzutun!“ „Was soll das werden?“ fragte Karthal irritiert, als die Vulkanierin mit der anderen Hand ihr Gesicht berührte. Doch ihr Protest verebbte. Wie fast alle Vulkanier konnte T’Liza ihre mentalen Kräfte nur wirken lassen, wenn sie ein anderes Lebewesen berührte. Zuerst hatte sie große Zweifel an ihrem eigenen Plan gehegt. 16
Das, was sie vorhatte, stellte nicht nur eine Verletzung vulkanischer Gesetze dar, sondern widersprach auch ihren ureigenen moralischen Prinzipien. Doch T’Liza sah keine logische Alternative, um zu verhindern, daß Karthal in einem Gefängnis oder einer geschlossenen Anstalt eingesperrt wurde. Und letzteres wollte sie um jeden Preis verhindern. Sie selbst hatte vor 74 Jahren mehrere Tage in einem vulkanischen Untersuchungsgefängnis gesessen - eine Erinnerung, die sie mit äußersten Unbehagen erfüllte... „Entspannen Sie sich!“ sagte sie eindringlich zu Karthal und drängte sie unauffällig in Richtung Couch. „Entspannen Sie sich und legen Sie sich hin...“ Unerwarteter Weise gehorchte die Cardassianerin. T’Liza lächelte innerlich. Jetzt - nach stunden-langer Meditation - war ihr Geist frei von Zweifeln und Widersprüchen, ihr Nehau makellos und klar. Es gelang ihr problemlos, einen beruhigenden Einfluß auf Karthal auszuüben und die Cardassianerin so auf das Kommende vorzubereiten... Blitzschnell und unvermittelt ertastete T’Liza die Nervenpunkte in Karthals Gesicht. Bevor die Cardassianerin auf die Idee kam, sich zur Wehr zu setzen oder ihren Geist zu leeren, drückte T’Liza sie mit sanfter Gewalt in die Kissen. Daß die Warzen an Karthals Schädel sich dabei recht schmerzhaft in ihre Fingerkuppen bohrten, ignorierte sie. „Dein Geist zu meinem Geist, deine Gedanken zu meinen Gedanken...“ Die Vulkanierin ertränkte Karthal zuerst in einer indifferenten Flutwelle aus Gedankenfragmenten, Bildern und Emotionen, bevor sie ihre mentale Disziplin aufbrachte, um Ordnung in dieses Chaos zu bringen... Plötzlich fand sie sich in einem grauen, dämmrigen Raum wieder. Die Decke war ein Gitter, durch das sporadisch das Tageslicht fiel und karierte Schatten hinterließ. Eine Cardassianerin mit einer bizarr anmutenden Hochsteckfrisur fixierte sie mit stechendem, durchdringendem Blick. Da erkannte die Vulkanierin, wo sie sich befand: Im Hauptverhandlungssaal des Obersten Gerichtshofes von Cardassia Prime. Die scharfäugige Frau auf dem Podest war niemand anderes als Aachon Makbar, die oberste Richterin der cardassianischen Justiz. Und Karthal saß auf der Anklagebank! Sie hatte keine Ahnung, welchen Verbrechens sie beschuldigt wurde - doch die Strafe kannte sie bereits: den Tod. Das Urteil war längst gefällt, der Prozeß nur noch eine Farce, eine eloquente Reality-Show fürs cardassianische Fernsehen... Karthal wollte instinktiv aufspringen und flüchten, doch etwas hielt sie fest... Sie blickte an sich herunter und stellte fest, daß sie mit schweren Hand- und Fußschellen an die Bank gekettet war. Vielleicht lösten sich die Fesseln nach einiger Zeit von selbst, und sie konnte durch die Wüste fliehen - allein, auf sich gestellt, allen Gefahren und Naturgewalten ausgeliefert, aber dennoch frei. Vielleicht mußte sie aber auch ausharren und auf ihr Todesurteil warten... T’Liza schluckte hart. Das war einfach nicht richtig... Sie atmete tief durch und ging zielstrebig auf die Cardassianerin zu. „T’Liza!“ rief Karthal überrascht. „Was hat das hier zu bedeuten? Sind Sie mein Nestor2?“ „Ich bin in gewisser Weise Ihre Beraterin“, erwiderte T’Liza ausweichend. „Aber warum stehe ich vor Gericht, verdammt noch mal?“ Ein Hauch von Panik hatte sich in Karthals Stimme geschlichen. T’Liza überlegte, während eine vage Ahnung in ihr aufstieg. „Wir werden es gemeinsam herausfinden müssen“, sagte sie zu der Cardassianerin. „Aber wie?“ „Stehen Sie auf uns kommen Sie mit mir!“ „Sehr witzig!“ spottete Karthal. „Besitzen Sie zufällig den Schlüssel für meine Fußschellen?“ „Es ist allein Ihre Angst, die Sie fesselt“, entgegnete T’Liza. „Schließen Sie Ihre Augen und vergessen Sie diesen Ort! Dann werden Sie auch die Kraft finden, sich zu befreien!“ „Wie sollte ich diesen Ort einfach vergessen! Ich werde wahrscheinlich morgen hingerichtet!“ „Sie werden nicht hingerichtet!“ „Wie können Sie sich da so sicher sein?“ 2
Nestor = Berater(in) eines verurteilten Straftäters an cardassianischen Gerichtshöfen (Siehe: Star Trek - Deep Space Nine, Episode 45: „Das Tribunal“)
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„Weil das hier nicht deine Verhandlung ist, sondern meine“, erklärte die Vulkanierin, als die Klarheit ihren Geist so plötzlich erhellte wie ein Leuchtfeuer. „Ich habe vor 74 Jahren gegen die Gesetze meiner Heimatwelt verstoßen und die Konsequenzen dafür getragen.“ „Aber warum findet deine Verhandlung auf Cardassia statt, wenn du lediglich gegen die Gesetze Vulkans verstoßen hast?“ „Weil wir beide eins sind, Belora.“ „Weil wir eins sind...“ wiederholte Karthal nachdenklich. „Deshalb sitze ich wohl auch an deiner Stelle auf der Anklagebank.“ „Richtig“, sagte die Vulkanierin. „Es heißt nicht umsonst Gedankenverschmelzung. In diesem Augenblick verschmelzen die Schatten meiner Vergangenheit mit deinen unterschwelligen Ängsten.“ „Ich verstehe“, erwiderte Karthal. Es war wohl ihr bisher kürzester Ausspruch, denn Cardassianer redeten normalerweise für ihr Leben gern und drückten sich dabei in möglichst druckreifen, komplizierten Sätzen aus. „T’Liza aus dem Hause Boras...“ ertönte plötzlich die donnernde Stimme Makbars. „Bekennen Sie sich des Verbrechens der Tötung auf Verlangen für schuldig?“ „Schuldig, Euer Ehren“, antwortete die Vulkanierin. „Sie geben also zu, Ihre Urgroßtante T’Lursa auf deren Wunsch zum Sterben in die Wüste gebracht zu haben? Sie geben zu, dafür gesorgt zu haben, daß das Katra T’Lursas, der Ältesten Mutter vom Clan des Sadam, für immer verloren geht?“ „Ja, Euer Ehren.“ „T’Liza, Sie werden im Gefängnis bleiben, bis Sie zu der Einsicht gelangen, daß Ihr Verhalten unlogisch war. Einer unserer Gedankentechniker wird Sie regelmäßig prüfen, um sicherzugehen, daß Sie in Zukunft nicht mehr gegen die Regeln der Allgemeinheit verstoßen werden.“ Makbars Hammer sauste mit einem ohrenbetäubenden Knall auf das Rednerpult nieder. Die Wachen - zwei männliche Vulkanier - begleiteten T’Liza nach draußen. Karthal stellte fest, daß ihre Fesseln unbemerkt verschwunden waren. Kurz entschlossen stand sie auf und folgte T’Liza. Sie trat durch die Tür des Gerichtssaales - und landete in einem Raum, der ihr verdammt bekannt vorkam... Es war ihr Wohnzimmer. Jorel, ihr Ehemann, lag auf dem Sofa, schnarchend, völlig weggetreten. Sein Gehirn schwamm wieder einmal in ein paar Litern Kanar. Die Flaschen lagen im ganzen Wohnzimmer verstreut herum, wie auf einer Müllkippe... Plötzlich wußte Karthal, was zu tun war: Sie schnappte sich eine der Flaschen, fest entschlossen, sie auf Jorels Schädel zu zertrümmern... Doch ihre Hände gehorchten ihr nicht. Die Flasche rutschte ihr langsam aus den Fingern und landete klirrend auf einem Berg anderer Flaschen. „Du bist dazu nicht fähig“, stellte T’Liza nüchtern fest. Karthal fuhr herum und erkannte, daß die Vulkanierin direkt hinter ihr stand. „Da wäre ich mir an,deiner Stelle nicht so sicher!“ konterte sie. „Du bringst es nicht fertig, weil du ihn trotz allem noch liebst“, meinte T’Liza. „Oh nein, du besserwisserisches Spitzohr - da irrst du dich gewaltig!“ rief Karthal aufgebracht - worauf T’Liza zweifelnd die rechte Augenbraue hob. „Ich liebe Jorel nicht - das ist lange vorbei! Es ist für mich nichts weiter, als ein Klotz am Bein, der das Familienbudget versäuft! Wenn ich mir vorstelle, welches jämmerliche Vorbild für unseren Sohn er abgibt, wird mir ganz schlecht...“ „Deinen Sohn?“ hakte die Vulkanierin nach. Karthal nickte. „Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob es richtig war, Turo in ein Internat auf Cardassia Prime zu stecken. Ich frage mich oft, ob er sich einsam fühlt, seine Familie vermißt... Leider ist mein Vater zu beschäftigt, um sich um ihn zu kümmern - und seiner Haushälterin würde ich nicht einmal einen Goldfisch ausliefern! Doch ich denke, das Leben auf einen Internat ist immer noch besser, als Tag für Tag dieses Elend zu Hause mit ansehen zu müssen! Ich wünschte, ich könnte ihm das alles ersparen, immerhin ist er erst zehn Jahre alt...“ 18
„Warum läßt du dich nicht scheiden?“ Karthal lachte kurz und humorlos. „Gute Frage! Fast jeder, den ich kenne, hat sie mir schon mal gestellt... Sicher wäre es für mich und für Cardassia das beste, wenn ich Jorel verlasse und mir einen Mann suche, der besser für Turo sorgt. Aber wenn ich mich scheiden lasse, muß ich für diesen Versager Unterhalt zahlen - von den Prozeßkosten ganz zu schweigen! So habe ich wenigstens noch Kontrolle über mein Konto.“ „Ist das tatsächlich der einzige Grund?“ „Verdammt, ich sagte doch bereits, ich liebe Jorel nicht mehr!“ fuhr Karthal die Vulkanierin an. „Glaub mir - ich empfinde nichts als Verachtung für diesen Kerl!“ „Seit wann ist er denn...“ T’Liza warf einen Blick auf den schnarchenden, nach Alkohol stinkenden Jorel. „... in diesem Zustand?“ Karthal seufzte. „Seit der Schlacht gegen die Sternenflotte auf Settlik III ... Wir haben uns auf der Akademie kennengelernt, mußt du wissen... Gleich nach dem Abschluß heirateten wir. Und dann brachen die Grenzkriege aus... Mich haben Sie damals nicht an die Front geschickt, weil ich schwanger war. Und Jorel... Als er aus den Krieg zurückkam, war nichts mehr wie früher! Ich sehe noch immer das ausdruckslose Gesicht der Ärztin vor mir, als sie sagte: ‘Er behält einen leich-ten Herzfehler zurück. Es ist möglich, daß er nie wieder diensttauglich sein wird.’ Was für ein folgenschwerer Satz! Als ich erfuhr, daß Jorel überleben würde, war mir alles andere nicht wichtig. Herzfehler... So schlimm klang das in diesem Augenblick gar nicht. Damals war mir noch nicht klar, daß dieser Phaser-Treffer viel mehr beschädigt hatte als nur sein Herz... Inzwischen wünsche ich mir manchmal, dieses inkompetente Sternenflottenpack hätte wenigstens richtig gezielt! Nun wird der Kanar früher oder später das erledigen, was die Sternenflotte auf Settlik III nicht zu Ende gebracht hat...“ Die Cardassianerin wandte sich entschlossen zur Tür. „Gehen wir, T’Liza, ich halte das nicht mehr aus!“ „In Ordnung“, sagte die Vulkanierin und begleitete Karthal nach draußen. Der Himmel war von einem leuchtenden Orangerot. Anstatt der Militärbasis, auf der sich Karthals Haus befand, erstreckte sich vor ihnen eine unendliche Wüste. Lediglich ein hüfthoher, eiserner Zaun trennte der Vorgarten vom Rest des Geländes. Unter Karthals Füßen war der Boden grau und steinig, hinter den Zaun dagegen wie eine zart gelbe Düne. „Wir sind jetzt auf Vulkan, nicht wahr?“ vergewisserte sich Karthal. T’Liza schritt durch das Gartentor und versank bis zu den Knöcheln im feinen Wüstensand. „Ich bin jetzt auf Vulkan, das ist richtig. Aber der Boden, auf dem du stehst, Belora, ist noch immer cardassianisch.“ Dann passierte etwas seltsames mit T’Liza. Aus ihren Zehen, Fersen und Knöcheln wuchsen eigenartige Tentakeln, die sich in den Wüstensand bohrten. Nein, keine Tentakel - Wurzeln... T’Liza Beine verwuchsen zu knorrigen, hölzernen Stämmen und bedeckten sich mit Rinde. „Ich mag meine Heimat verlassen haben - aber meine Wurzeln befinden sich noch immer dort“, sagte sie. „Ein Teil von mir ist auf Vulkan geblieben und wird auch für immer dort bleiben. Wenn sich jedoch deine Wurzeln nicht fest im Boden verankern, sondern lediglich durch den lockeren Sand kriechen, wirst du weder Halt finden, noch allein überleben können. Du wirst immer jemanden oder etwas brauchen, woran du dich festhalten kannst, was dir Wasser gibt, Nahrung und Kraft... Deine Identität ist fremdbestimmt, Belora. Dein Weltbild wurde in der Matrix cardassianischer Staatsdoktrinen zurecht gestanzt, dein Überleben wird von einer rücksichtslosen Militärmaschinerie gesichert, in der du nichts weiter als ein unbedeutendes austauschbares Rädchen bist! Auf diese Weise kann man keine Wurzeln schlagen...“ „Aber du bist Sternenflottenoffizier - also gewissermaßen auch nur ein Rädchen in einer großen Militärmaschinerie, die genauso gut ohne dich zurechtkommen könnte! Wo bitte ist dann der Unterschied zwischen dir und mir?“ „Sieh selbst“, erwiderte T’Liza knapp. Karthals Blick wanderte tiefer ... bis zu ihren Fußspitzen. Plötzlich wuchsen auch aus ihren Füßen Wurzeln - doch sie bohrten sich nicht in den Boden. Sie krochen lediglich über die Ebe19
ne, durch den lockeren Sand, unter dem Zaun hindurch... bis sie sich zur vulkanischen Wüste vorgearbeitet hatten. Erst dort drangen sie langsam in die Tiefe... „Verstehst du jetzt?“ fragte T’Liza. Dann löste sie sich plötzlich in Rauch auf und an ihrer Stelle erschien ein Mann. Es war ein Vulkanier, doch seine Haut wirkte fast schwarz. Die Augen in dem sanftmütigen, zeitlosen Gesicht waren hellgrau und funkelten wie zwei Sterne am Nachthimmel. Dieser Mann war nicht nur auf fesselnde Weise attraktiv, er strahlte auch eine Autorität und Weisheit aus, die es Karthal unmöglich machte, den Blick von ihm zu lösen. Unvermittelt kamen ihr Worte in den Sinn: Aus weißem Licht strömt schwarzer Rauch, ein dunkler Mann, der alles umfließt, alles durchdringt. Seine Augen sind Pforten in eine andere gleißende Welt...3 Karthal blinzelte überrascht. Sie hätte nie gedacht, daß sie eine Begabung für Lyrik besaß. Doch dann erkannte sie, daß die Worte nicht aus ihrem eigenen Geist kamen, sondern vor vielen Jahrzehnten, lange bevor sie selbst geboren worden war, im Kopf eines anderen gereift waren. T’Liza hatte sie dem schwarzen Mann in der Wüste gewidmet... Karthal blickte gebannt in seine Augen, verlor sich darin, wurde förmlich von ihnen aufgesogen ... Ein reinigendes Licht, das alles andere auslöschte... Eine Pforte in eine andere, gleißende Welt... Plötzlich befand sie sich nicht mehr in der Wüste, sondern auf einem Raumschiff. Ein Schiff der Sternenflotte - Excelsior-Klasse, soweit sie es beurteilen konnte. Nun war auch T’Liza wieder an ihrer Seite. Der Captain des Schiffes, eine menschliche, rothaarige Frau in einer altmodischen roten Uniform, trat lächelnd auf die beiden zu. „Corazón Inserra!“ rief T’Liza tadelnd. „Das hättest du nicht tun sollen!“ „Willst du lieber für den Rest deines Lebens im Knast versauern?“ konterte die Terranerin. „Ich kenne dich zu gut, T’Liza! Du hättest nie und nimmer eingesehen, daß dein Verhalten unlogisch ist! Und zwar, weil es da nichts einzusehen gibt! Du hast das richtige getan - das weißt du genauso gut wie ich! Also, warum willst du dein Leben wegwerfen? Und das ausgerechnet wegen dieser Schreckschraube T’Lursa!“ „Corazón, bitte...“ unterbrach T’Liza sie. „Ich habe das nicht für T’Lursa getan, sondern weil ich die Aufbewahrung von Katras ablehne. Du ... du bist nicht dort gewesen. Es ist kalt, es ist öde, es gibt dort nichts, was die Katras tun können, um sich zu beschäftigen! Ich wünsche niemanden - nicht einmal T’Lursa - daß er nach seinem Tod in dieser sogenannten Halle der Alten Gedanken verrotten muß! Aber trotzdem ... Du hättest dich nicht einmischen dürfen!“ „Wie du meinst!“ entgegnete Corazón leicht schnippisch. „Wenn du so viel Wert drauf legst, eingesperrt zu werden, lasse ich dich wieder auf den Planeten beamen! Ich hoffe, du amüsierst dich gut, wenn du die Wände in deiner Zelle anstarrst!“ „Erstens: Es ist keine ‘Zelle’, sondern im Grunde ein Appartement mit allem Komfort“, widersprach T’Liza. „Zweitens: Ich habe nicht gesagt, daß du mich wieder auf Vulkan beamen sollst!“ Corazón lächelte. „Dann verstehen wir uns ja prima!“ Sie drehte den Kopf in Richtung Hauptbildschirm. „Steuermann, setzen Sie Kurs auf die Erde!“ „Captain!“ rief in diesem Augenblick eine junge Trill mit lockigem hellbraunem Haar. „Die klingonische Flotte hat sich neu formiert - und sie nimmt direkt Kurs auf Cardassia!“ „Ach du Sch...!“ murmelte Captain Inserra. „Wenn die Klingonen zu ihren alten Gewohnheiten zurückkehren, sehe ich schwarz für die Föderation!“ 3
Aus: Anneliese Wipperling: Der weite Weg zur Erde
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„Hinzu kommt, daß die Cardassianer den Klingonen nicht viel entgegenzusetzen haben“, meinte die Trill. „Seit der Obsidianische Orden vernichtet wurde und rebellierende Zivilisten die Militärdiktatur gestürzt haben, sind sie ziemlich hilflos. Dann haben sie auch noch ihre Grenzen dicht gemacht, so daß wir ihnen nicht einmal Verstärkung schicken können...“ „Ich finde, die Cardassianer hatten recht damit, ihre Grenzen dichtzumachen!“ rief ein männlicher Fähnrich. „Wenn ihr mich fragt, ist das Dominion mindestens so gefährlich wie die Borg!“ Karthals Blick haftete am Hauptbildschirm - so wie der aller anderen Personen auf diesem Schiff. Der Monitor wurde ausgefüllt von einer endlosen Armada klingonischer „Birds of Prey“. „Sie müssen sie aufhalten!“ rief Karthal. „Verdammt, Captain, bitte tun Sie irgendwas!“ Doch die Kommandantin rührte sich nicht. „Menschen!“ knurrte Karthal verächtlich. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und verließ die Brücke. T’Liza folgte ihr in den Turbolift. Keine von beiden hatte dem Computer irgend ein Ziel angegeben - doch der Lift stoppte nach zwei Minuten unvermittelt. Die Türen glitten zur Seite. T’Liza trat unsicher auf den Gang hinaus. Verschwunden war die sternenflotten-typisch freundliche Atmosphäre, verschwunden waren das helle Licht, die pastellfarbenen Wände und das etwas plumpe, aber funktionelle Design der Armaturen. Nein, dies hier war nicht mehr die U. S. S. CASABLANCA. Das war ganz gewiß kein Schiff der Sternenflotte... Der Korridor wirkte finster, und T’Liza kam sich vor wie im Darm eines Monsters. „Wo sind wir?“ fragte sie. „Auf der KAL RANOR. Meinem Schiff“, antwortete Karthal. Sie klang jedoch nicht gerade, als würde sie sich zu Hause fühlen. Da kam wie aus dem Nichts ein uniformierter Mann auf sie zu getorkelt. Er hielt eine halbvolle Flasche Kanar in der Hand und rülpste. Als er Karthal erblickte, breitete sich auf seinem grauen, echsenhaften Gesicht ein anzügliches Grinsen aus. „Hallo, meine Schöne“ lallte er. Karthal wich instinktiv zurück und tastete nach ihrem Phaser. „Was biste denn schon wieder so ... abweisend?“ tadelte er mit schleppender Stimme. „Laß uns doch mal ‘n bißchen ... Spaß haben!“ „Bleiben Sie mir vom Leibe, Lemak!“ rief Karthal scharf. „Oder ich muß Sie leider betäuben!“ „Aber Belora!“ Er wankte noch einen Schritt auf die Cardassianerin zu, breitete seine Arme aus - und mußte sich im nächsten Moment an der Wand abstützen. „Sei doch mal ‘n bißchen lieb! Ich bin dein...“ Rülps! „...vorgesetzter Offizier - und das is ‘n...“ Rülps! „... Befehl!“ „Zu Ihren Diensten, Sir!“ erwiderte T’Liza ironisch. Mit einem Satz war sie bei dem betrunkenen Cardassianer, umfaßte mit Daumen und Zeigefinger einen seiner schuppigen Nackenkämme, er-tastete die Nervenpunkte und drückte blitzschnell zu. Der Mann stieß ein ersticktes Röcheln aus und knallte der Länge nach auf den Fußboden. Karthal klatschte spontan Beifall. „Kannst du mir diesen vulkanischen Nackengriff bei Gelegenheit mal beibringen?“ fragte sie. T’Liza wandte sich mit einem schelmischen Funkeln in den Augen zu ihr um. „Vielleicht.“ „Diese traurige Gestalt war übrigens Gul Lemak, mein inzwischen verblichener Vorgesetzter“, erklärte Karthal. „Seinetwegen bin ich in den Badlands abgestürzt.“ „Seinetwegen?“ „Der Maquis, den ich verfolgt hatte, war verantwortlich für ein Bombenattentat, bei dem Lemak getötet wurde ... Leider sind neben dem Gul auch 34 cardassianische Zivilisten umgekommen, die das Pech hatten, daß Lemak zufällig in ihrem Kulturhaus auf dem Klo saß.“ Die Lippen der Cardassianerin verzogen sich zu einem knappen, ironischen Lächeln. „Wer weiß vielleicht würde ich den Maquis sogar lieben, wenn er sich darauf beschränkt hätte, Lemak ins Jenseits zu befördern. Dieser Kerl war ein unberechenbarer, sadistischer Tyrann und als Kommandant völlig unfähig. Ganz zu schweigen davon, daß er mir jedes Mal an die Wäsche gegangen ist, wenn er betrunken war. Die Crew hat sogar Wetten abgeschlossen, wie viele Flaschen Kanar nötig sind, damit er versucht, mich zu begrapschen...“ „Wieso hast du mich hier her geführt?“ fragte T’Liza. Karthal zuckte die Schultern. „Ich dachte, du bist diejenige, die uns beide führt...“ 21
„Wie ich bereits sagte - wir beide sind eins. Es liegt mir fern, dich zu dominieren.“ Karthal verdrehte die Augen. „Schön, schön! Aber jetzt könntest du ruhig ein bißchen dominieren und mich hier wegbringen. Ich mag diesen Ort nicht besonders!“ „Wie du willst“, sagte T’Liza. Dann trennte sie die Verbindung. Die Cardassianerin richtete sich auf. „Das war ja eine faszinierende geistige Achterbahnfahrt! Ich bin mir nur nicht sicher, was die Sache mit den Wurzeln bedeuten soll. Ich werde auf keinen Fall meiner Heimat den Rücken zu kehren und nach Vulkan auswandern!“ „Vulkan ist nur eine Option von vielen“, entgegnete T’Liza gelassen. Karthal hob resigniert die Hände. „Am besten, ich vergesse das alles! Naja, zumindest weiß ich jetzt, daß die Sternenflotte es ehrlich meint und mich keiner Gehirnwäsche unterziehen will.“ Ein flüchtiges, kaum merkliches Lächeln zuckte um T’Lizas Mundwinkel. „Ni tú ni yos estamos, en disposición de encontrarnos.4“ Karthal blickte irritiert auf. „Was heißt das bitte?“ „Das ist eine alte Sprache von der Erde, Spanisch. In der Übersetzung heißt es so viel wie: Nicht du bist vorbereitet und nicht ich, einander zu begegnen.“ „Hm, das trifft es ziemlich gut“, meinte Karthal. „Übrigens - hab ich das richtig verstanden, daß du von Vulkan verbannt wurdest, weil du gewissermaßen die geistige Essenz deiner verhaßten Urgroßtante T’Lursa vernichtet hast?“ T’Liza nickte. „Zu verhindern, daß ein Katra in der Halle der alten Gedanken aufbewahrt wird, gilt auf meiner Heimatwelt als ziemlich schweres Verbrechen.“ „Und diese Corazón Inserra hat dich vor deiner Strafe bewahrt, indem sie dich auf ihr Schiff gebeamt hat?“ „Das ist nicht ganz korrekt. Captain Inserra hätte zwar sicher gern verhindert, daß ich ins Gefängnis komme, aber in Wirklichkeit habe ich meine Freiheit unseren Clanältesten zu verdanken. Es gab eine Art... Vergleich und ich wurde lediglich für fünf Jahre verbannt.“ „Aber warum haben wir dann nicht das gesehen, was wirklich passiert ist?“ „Schwer zu sagen“, erwiderte T’Liza. „Es ist nicht ungewöhnlich, daß bei der Vereinigung zweier Geister die Erinnerung an reale Ereignisse stark verfremdet wird.“ Karthals Blick wurde mißtrauisch. „Wie kann ich dann sicher sein, daß das, was ich über Cardassia und den Krieg gegen die Klingonen erfahren habe, wirklich real ist?“ „Ich habe dir meinen Geist geöffnet. Einen größeren Vertrauensbeweis gibt es nicht“, entgegnete die Vulkanierin. Sie verschwieg allerdings, daß sie sehr sorgfältig gesteuert hatte, was die Cardassianerin sehen durfte und was nicht. „Du hast recht“, sagte Karthal. „Wie hättest du mich in dieser Situation belügen können.“ Dann hob sie den Kopf und sah T’Liza prüfend in die Augen. „Eines verstehe ich allerdings nicht: deine Gerichtsverhandlung ist jetzt 74 Jahre her, und verbannt wurdest du für lediglich fünf Jahre... Hattest du nie die Absicht, nach Vulkan zurückzukehren?“ „Doch“, erwiderte T’Liza ehrlich. Es hatte Zeiten gegeben, in denen sie am liebsten fortgegangen wäre... fort von Vulkan, fort von ihrem Vater, fort von dem Zwang, ihre Gefühle verleugnen zu müssen. Doch dann war sie Andal begegnet, einem Mann, der ihr eine andere, unbekannte Seite Vulkans gezeigt hatte. Die Erinnerung an seine kühlen, grauen Augen, sein ebenmäßiges dunkles Gesicht, seine klugen Gedanken und seine starke mentale Präsenz hatte ein festen Platz in T’Lizas Geist. Andal war zu ihrem Lehrer geworden, ihrem Freund, ihrer ersten heimlichen Liebe - und ihrem Vater, nachdem ihre Mutter sich endgültig von T’Lizas leiblichem Vater Plumok getrennt hatte. Andal stammte von einem kleinen vulkanischen Volksstamm ab, der etwas andere Sitten und Gebräuche pflegte als die übrigen Vulkanier. Die Turuska - so nannte sich dieses Volk - liebten und achteten zwar die Logik, doch sie verstießen
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Aus: Frederico Garcia Lorca: Gedichte, Reclam, Leipzig 1971.
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ihre Gefühle nicht. Sie waren das Wasser, der Lebenssaft, der T’Lizas Wurzeln auf Vulkan nährte... „Ich werde bald heimkehren“, sagte sie fest. „Das weiß ich!“ „Und was ist mit mir?“ fragte die Cardassianerin leise. T’Liza verstand. Karthal saß im Gebiet der Föderation fest, solange die cardassianischen Grenzen gesperrt waren. Man hatte sie nach ihrem Absturz für tot gehalten und von der Liste des aktiven Personals gestrichen. Dennoch brauchte sie ein Einkommen, um ihre Familie zu ernähren. Also legte T’Liza ihr nahe, sich für das neue Offiziers-Austauschprogramm zwischen Cardassia und der Sternenflotte zu melden. Dieses Programm war vor knapp einem Jahr ins Leben gerufen worden, um die Allianz zwischen Cardassia und der Föderation zu festigen, doch es hatte sich - salopp ausgedrückt - als wahrer Flop erwiesen. Das Interesse auf Seiten der Sternenflotte war gleich null gewesen und die wenigen Cardassianer, die sich dafür gemeldet hatten, waren letztendlich nicht zugelassen worden, weil das Zentralkommando sie als „potentiell ideologisch unzuverlässig“ eingestuft hatte. Somit war Karthal die einzige, die dieses Austauschprogramm in Anspruch nahm... Inzwischen hätte sie nach Cardassia zurückkehren können, doch T’Liza nahm an, daß es ihr bei der Sternenflotte recht gut gefiel. Karthal war jedoch noch nicht bereit, sich das einzugestehen. Dazu saß der cardassianischen Patriotismus, den man ihr aufoktroyiert hatte, einfach zu tief... Nicht du bist vorbereitet und nicht ich, einander zu begegnen... wiederholte T’Liza in Gedanken. Sie blickte stets mit gemischten Gefühlen auf diesen Tag zurück. Ihr Handeln war zwar nicht die Ursache, aber immerhin der Auslöser dafür, daß Karthal regelmäßig in eine Identitätskrise stürzte und einen Counselor brauchte. Sie konnte diese Frau einfach nicht im Stich lassen! Doch es war nicht nur Schulbewußtsein, das ihr Verhältnis zu Karthal prägte. Sie empfand Sympathie für die Cardassianerin und auch eine gewisse Vertrautheit, die sich für gewöhnlich nach Gedankenverschmelzungen einstellte... Karthal betrat T’Lizas Büro pünktlich zum vereinbarten Termin. Entgegen ihrer üblichen Art, rhetorisch ausgefeilte Reden zu halten, kam sie gleich zur Sache. „Ich hatte mich für einen Posten auf der U.S.S. DEFENDER beworben“, begann sie. „Captain Edwardson war bereit, mich als Crewmitglied zu akzeptieren - aber nun ist er tot, und ich überlege, ob ich meine Bewerbung nicht besser zurückziehen sollte. Ich dachte... da du immerhin Tag für Tag mit Admirals zu tun hast, wüßtest du eventuell, wer der nächste Captain der DEFENDER wird...“ „Hundertprozentig weiß ich es nicht“, erwiderte T’Liza. „Aber ich kenne Admiral Laytons Favoritin: Lairis Ilana. Ich hoffe, es macht dir nichts aus, daß sie Bajoranerin ist.“ „Bajoranerin?“ hakte Karthal mit scharfer Stimme nach. „Dann vergessen wir die Bewerbung am besten gleich! Bei gewissen konservativen Kreisen auf Cardassia bin ich jetzt schon unten durch! Aber wenn ich auch noch unter einer Bajoranerin diene, ist es endgültig vorbei...“ „Die Frage ist, wieviel dir an der Meinung dieser konservativen Kreise liegt, Belora“, konterte die Vulkanierin. „Ich sehe nur zwei Möglichkeiten: entweder du übst aus cardassianischer Sicht Schadensbegrenzung und ziehst deine Bewerbung zurück, oder du setzt ein Zeichen für den Frieden zwischen Bajor und Cardassia, indem du es nicht tust.“ Karthal überlegte einen Moment. Dann leuchteten ihre Augen plötzlich auf. „Das Zentralkommando interessiert sich nicht für fehlgeschlagene Bewerbungen - also werde ich ein wenig guten Willen im Sinne des Friedens mit Bajor zeigen und dieser Lairis meine Dienste anbieten. Daß sie mich nimmt, ist mehr als unwahrscheinlich - also werde ich im Endeffekt auch keine Nachteile auf Cardassia haben...“ Sie lächelte. „Das ist einfach brillant! Danke, T’Liza!“
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3. Kapitel Auf dem Weg zu Admiral Laytons Büro nahm Captain Lairis eine Abkürzung über den Campus der Akademie. Noch immer war der Himmel wolkenlos und strahlend blau. Lairis fühlte einen irrationalen Ärger angesichts dieses herrlichen Wetters in sich aufsteigen. Sie empfand es beinahe als Betrug, daß das Paradies trotz allem noch wie ein perfektes Paradies aussah. Es war, als befände sie sich in einer Holosuite, als bräuchte sie nur „Computer - Programm beenden!“ zu rufen und durch eine Tür zu treten - hinaus in eine kalte, stürmische Einöde... „Ilana!“ rief plötzlich eine männliche Stimme. Eine Stimme, die Lairis wohlbekannt war und von der sie gehofft hatte, sie nie wieder hören zu müssen. Ihre ohnehin schon schlechte Laune steigerte sich zu einem Ausmaß an Mißmutigkeit, das ihr fast die Spucke im Mund sauer werden ließ. Der Mann, der nach ihr gerufen hatte, war Matthew Thornton, ihr Ex-Ehemann. Als Zwanzigjährige war Lairis Ilana ihm auf einer Sternenbasis begegnet. Sie hatte sich bald in ihn verliebt - doch das war nicht ihr einziger Grund, den zehn Jahre älteren Wartungsingenieur zu heiraten. Damals - wenige Monate nach ihrer Flucht von Bajor - hatte sie nicht gewußt, wo ihr Platz war. Matthew hatte ihr ein Zuhause gegeben. Spätestens als sie sich in den Kopf setzte, zur Sternenflotte zu gehen, beschlich sie das Gefühl, in einen unsichtbaren Gefängnis zu sitzen. Es war jedoch kein Käfig, aus dem sie sich befreien konnte, indem sie seine Gitterstäbe zerschlug, sondern eine Zelle mit weichen, gallertartigen Wänden, die sich jedesmal, wenn sie dagegen trat, gefällig verformten, um sich dann wieder ein Stück enger um sie zu schließen... „Also wirklich, Ilana, muß es denn unbedingt die Sternenflotte sein? Ich meine, ich finde es ja toll, daß du Karriere machen möchtest, aber da gibt es doch noch andere Möglichkeiten! Das hier ist die Föderation, Baby! Ein begabtes Mädchen wie du kann hier alles werden, was es werden will!“ „Ja, und ich will Sternenflottenoffizier werden!“ erwiderte sie. Sternenflottenoffizier oder Schriftstellerin. Am besten beides. Nach ihrer Flucht hatte sie angefangen, einen Roman zu schreiben. Eine weitgehend autobiographische Geschichte über die Besetzung Bajors und den Kampf gegen die Cardassianer. Doch im Laufe ihrer Ehe mit Matthew hatte sie die Lust und die Inspiration verloren. Nun lag das Werk - abgebrochen auf Seite 57 - nutzlos in irgend einer Schublade. „Ich weiß, daß es für ehemalige Guerillakämpfer nicht immer leicht ist, ins zivile Leben zurückzukehren...“ begann Matthew. „Allerdings!“ konterte sie aufgebracht. „Wenn du mit ‘zivilem Leben’ das hier...“ Mit einer ausladenden Handbewegung beschrieb sie ihr nicht sehr geräumiges Quartier auf der Sternenbasis. „...meinst, dann habe ich in der Tat ein Problem damit!“ „Nein, nicht doch...“ beschwichtigte Matthew sie. „Ehrlich, es imponiert mir wirklich, daß du dich bei der Sternenflotte bewerben willst - und ich wäre auch verdammt stolz auf dich, wenn du es schaffst! Es ist nur... Ich müßte mir dauernd Sorgen machen, wenn du bei der Sternenflotte wärst. Ich liebe dich, Ilana, und ich würde es nicht aushalten, wenn dir was passiert!“ Für eine Sekunde war sie gerührt, doch sie wußte, daß es neben Matthews Sorge um sie noch zwei andere Gründe für seine Skepsis gab. Erstens: Er hatte selbst zwei Mal versucht, auf die Akademie zu kommen, war jedoch beide Male an der Aufnahmeprüfung gescheitert. Wahrscheinlich würde der Neid ihn zerfressen wie konzentrierte Schwefelsäure, falls seine Frau es schaffen sollte. Zweitens: In den letzten Wochen hatte Lairis Ilana fast jede freie Minute damit verbracht, sich auf die Akademie vorzubereiten. Matthew beklagte sich oft, daß sie sich zu wenig Zeit für ihn nahm... Sie öffnete den Mund, um ihm diese unangenehmen Wahrheiten ins Gesicht zu schleudern, doch die Worte gingen in einem akuten Niesanfall unter. 24
„Ja, das wäre dann ein weiterer Grund!“ bemerkte Matthew mit einem schiefen Lächeln. „Ach so, du glaubst, daß ich das Baby und die Akademie nicht unter einen Hut bringen kann!“ „Naja, es wird auf keinen Fall leicht werden...“ „Du graulst dich wohl davor, die Windeln wechseln, während ich in der Vorlesung sitze, du Ärmster!“ schoß sie sarkastisch zurück. Ihre Nase juckte noch immer wie verrückt, und sie war in der Stimmung, Matthew den Hals so oft herumzudrehen, bis dieser einem Korkenzieher glich. Besonders jetzt, wo er zärtlich über ihren bereits leicht gewölbten Bauch strich... Drei Wochen später verließ sie ihn. Sie hatte die Aufnahmeprüfung für die Sternenflottenakademie auf Anhieb bestanden, ließ sich jedoch für ein Jahr zurückstellen, um sich um ihr Baby zu kümmern. Unterkunft fand sie bei einer WG am Stadtrand San Franciscos - ein recht schrilles Häufchen von Wesen aus dem ganzen Quadranten, die im Grunde nur gemeinsam hatten, daß sie in ihrer Gesellschaft als Außenseiter galten. Sie mochten alle einen mehr oder weniger heftigen Spleen haben, doch für Lairis waren sie wie eine zweite Familie - und sie wurden auch zu einer Familie für ihre Tochter. Wenn Lairis an den Wochenenden oder in den Semesterferien zu ihren Freunden zurückkehrte, hatte sie stets das Gefühl, zwischen zwei Welten zu schweben: Der, wo Disziplin und Pflichterfüllung alles bedeutete, und der, wo nur die Freiheit des Geistes zählte. Es war jedes Mal Schwerstarbeit gewesen, die anderen davon zu überzeugen, daß die Sternenflotte keine Spießerin aus ihr gemacht hatte... Da war zum Beispiel Frederik, der Anarchist, der ihr ständig ein zureden versuchte, sie würde ihre Seele verkaufen, wenn sie sich in eine Uniform stecken lasse. „Ach weißt du, Fred, ich habe schon so viele Cardassianer getötet, daß meine Seele sowieso nicht mehr zu retten ist!“ hatte sie einmal erwidert. Dann gab es noch Tok’Hana, die klingonische Computerprogrammiererin, die sich von der Kriegerkultur ihres Volkes abgestoßen fühlte, aber dennoch mit ihrem Bat’leth die Wacholderhecke der Nachbarn kurz und klein schlug, wenn sie wütend war. Zudem verspürte sie jedes Wochenende einen Heißhunger auf Gagh und durchwühlte dann aus lauter Verzweiflung den Komposthaufen in Frederiks Biogarten nach Regenwürmern. Der Dritte im Bunde war Porkan, der schweigsame Tellarit, der preisgekrönte abstrakte Bilder malte. Er tunkte dazu seine überdimensionierte Nase in verschiedene Behälter mit Lebensmittelfarbe und schmierte damit - ganz „den Schwingungen seines inneren Ich“ folgend - über ein aufgespanntes Blatt Papier. Später bekamen sie Zuwachs durch Mooral, den bolianischen Nudisten, der schon mehrfach wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet worden war, und Leshta, die FerengiFeministin, die wiederum überhaupt nicht verstehen konnte, weshalb jemand freiwillig nackt herumlief. Schließlich hatte sie Ferenginar verlassen, weil es den Frauen auf ihrer Welt weder gestattet war, Kleidung zu tragen, noch Geschäfte zu machen. Nicht zuletzt gab es noch M’rass, die Caitanerin, die im 17. oder 18. Semester Philosophie studierte. Sie hatte Julianna immer in den Schlaf geschnurrt. Später war die Kleine sehr enttäuscht gewesen, daß Mama nicht ebenfalls schnurren konnte. Um sie zu trösten, hatte Lairis ihr einen Kater von der Erde geschenkt... Matthew rief erneut ihren Namen. Dieses Mal stand er ihr direkt gegenüber und hielt einen Strauß Blumen in der Hand. „Was machst du hier?“ fragte sie kalt. Sie ging ungerührt weiter, doch Matthew hielt mühelos mit ihr Schritt. „Ich wollte dich sehen“, erwiderte er zerknirscht. „Ich will dich aber nicht sehen!“ fuhr sie ihn an. „Ich hab’ jetzt einen verdammt wichtigen Termin mit Admiral Layton - also nimm dein Grünzeug und verschwinde!“ „Das ist alles, was du mir nach sieben Jahren zu sagen hast?“ Sieben Jahre ... Die Schlacht bei Wolf 359 ... Die erste Begegnung mit Layton ... Der Prozeß um das Sorgerecht für Julianna und der Tag, an dem Lairis Ilana ihre Tochter zum letzten Mal gesehen hatte... „Ilana, ich kann verstehen, daß du mich haßt! Ich wollte dir Julianna nicht wegnehmen...“ „Hast du aber!“ 25
Matthew seufzte. „Ich hatte schon immer Bedenken bei der Vorstellung, daß sie auf Raumschiffen aufwächst - aber der Gedanke, daß sie als Borgdrohne endet, war einfach zu viel!“ „Die Berichte über Juliannas Assimilierung waren stark übertrieben!“ konterte Lairis trocken. „Das mag ja sein, aber... Auf Sternenflottenschiffen ist es für kleine Kinder viel zu gefährlich!“ „Ach, deswegen hast du mich vor Gericht als Psychowrack hinstellen lassen? Deswegen hat man behauptet, ich wäre nach dem Angriff der Borg zu labil, um für mein Kind zu sorgen?“ „Mein Anwalt hat lediglich dein psychologisches Gutachten ausgewertet...“ „Er hat es total verdreht!“ rief sie wütend. Matthew wirkte geknickt. „Oh Mann, Ilana, so hatte ich das wirklich nicht geplant! Das Ganze ist irgendwie... ausgeartet. Du weißt ja, wie Anwälte so sind...“ „Ach, willst du jetzt etwa behaupten, du hast nicht gewußt, was dein Anwalt vorhat?“ entgegnete sie spöttisch. „Für wie blöd hältst du mich eigentlich?“ „Ilana, du hast zwar eine Menge... unbequemer Eigenschaften - was ich übrigens schon immer faszinierend an dir fand - aber Blödheit gehört ganz bestimmt nicht dazu.“ „Wie hast du eigentlich erreicht, daß Julianna nicht mehr mit mir reden will?“ fragte Lairis, ohne auf sein Kompliment einzugehen. „Hast du ihr ein paar ‘unangenehme Wahrheiten’ über ihre egoistische Rabenmutter erzählt, die für ihre Karriere über Leichen geht und ihr armes, hilfloses Kind bei einem Haufen Freaks geparkt hat?“ „Sei doch mal ehrlich, Ilana, die Karriere hat bei dir immer an erster Stelle gestanden!“ „Jetzt machst du’s dir aber ein bißchen zu einfach!“ rief sie wütend. Im nächsten Moment verfluchte sie sich dafür. Matthew hatte es wieder einmal geschafft, Schuldgefühle in ihr zu wecken, sie dazu gebracht, sich zu rechtfertigen. Sie war mit Cardassianern, Romulanern, Klingonen und sogar mit Borg fertig geworden. Sie hatte den Ruf, als Captain sehr souverän zu sein. Noch nie hatte sich ein Mitglied ihrer Crew ihren Befehlen widersetzt. Doch ihr Ex-Mann schaffte es immer wieder, sie in die Defensive zu drängen. „Was willst du eigentlich, Matthew?“ fragte sie ungehalten. „Ich wollte dir nur gratulieren!“ erwiderte er freundlich. „Gratulieren? Wozu?“ fragte sie irritiert. „Na, zu deinem neuen Kommando natürlich! Wie heißt doch gleich das Schiff? Defender?“ „Woher weißt du, daß ich die DEFENDER übernehmen soll?“ wunderte sie sich. „Ich hab’ Freunde in der Sternenflotte!“ erwiderte er leichthin. Dann lächelte er und reichte ihr die Blumen. „Herzlichen Glückwunsch!“ Sie riß ihm den Strauß mit säuerlicher Miene aus der Hand. „Naja, vielleicht kann Fähnrich Vixpan was damit anfangen...“ sagte sie mehr zu sich selbst. Matthew ging dennoch darauf ein. „Fähnrich Vixpan? Wer ist das? Dein neuer Liebhaber?“ „Nein, ein Mitglied meiner Crew!“ entgegnete sie ärgerlich. „Er stammt von einer Rasse von Grasfressern ab. Das hier...“ Sie hielt kurz die Blumen hoch. „... dürfte ein Dessert nach seinem Geschmack sein!“ Matthews Blick wurde hart. „Es ist wirklich nicht fair, wie du mich behandelst, Ilana!“ „Dein Problem!“ entgegnete sie kalt. Zu ihrer Erleichterung hatten sie inzwischen das Hauptgebäude erreicht. „Du bleibst draußen!“ sagte sie zu ihrem Ex-Mann in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zuließ. Die Luft im Gebäude war angenehm kühl. Lairis ließ den Blumenstrauß in den nächsten Papierkorb fallen und stieg dann in einen Turbolift, der sie zu Admiral Laytons Büro brachte. „Sie wirken... verstört, Captain!“ bemerkte der Admiral. „Stimmt was nicht?“ „Sie meinen, außer daß Ihr Schreibtisch ein Spion des Dominion sein könnte?“ Captain Lairis’ schlagfertige Erwiderung entlockte dem Admiral nicht einmal ein müdes Lächeln. Sein Erfolg als Sternenflottenoffizier hatte ganz offensichtlich nichts mit seinem Sinn für Humor zu tun... „Scherze über Formwandler sind das Letzte, worüber ich zur Zeit lachen will, Captain!“ entgegnete er scharf. „Tut mir leid, Sir!“ entschuldigte sich Lairis. „Schon gut, Captain... Also, was ist los?“ 26
„Bei allem Respekt, Sir... Ich glaube nicht, daß Sie das wirklich wissen wollen!“ „Ach, meinen Sie?“ Lairis seufzte. „Ich habe gerade meinen Ex-Mann getroffen...“ „Matthew Thornton?“ „Ja, ich fürchte, er versucht... sozusagen wieder bei mir anzudocken.“ „Sie hatten recht - ich will es wirklich nicht wissen!“ „Admiral, Sie wollten mit mir über die DEFENDER sprechen...“ wechselte Lairis das Thema. Diesmal lächelte Layton sogar ein wenig. „Stimmt, Captain, deswegen hab’ ich Sie herbestellt.“ Er reichte ihr einen Datenblock. Sie überflog den Text - einen Sternenflotten-Standardvertrag für Raumschiffcaptains - und legte den Block langsam zurück auf Laytons Schreibtisch. „Alles, was noch fehlt, ist Ihre Unterschrift“, ermunterte sie der Admiral. „Tja, also, wer kann dazu schon nein sagen...“ „Na, dann verstehen wir uns ja prima!“ Captain Lairis lächelte. „Kann ich mir meine Crew selbst aussuchen?“ „Natürlich!“ „Es hätte ja sein können, daß Captain Edwardson...“ „Wissen Sie, Ilana, unser Baby hat noch nicht einmal die ‘Utopia Planitia’-Werft verlassen!“ erklärte Admiral Layton. „Natürlich hat Captain Edwardson schon einige Offiziere in die engere Wahl genommen - und Sie können sich die Liste gern ansehen! Aber Sie haben selbstverständlich freie Hand bei der Auswahl der Crew.“ „Danke, Sir!“ sagte Lairis schlicht. „Keine Ursache, Captain“, erwiderte der Admiral. „Sie waren einer meiner besten Offiziere, und ich vertraue Ihnen, also...“ Er reichte ihr die Hand. „Herzlichen Glückwunsch, Lairis Ilana, Captain der U.S.S. DEFENDER!“ ***
Die Relaisstation R-27 war ein wahres Eldorado der Langeweile. Jerad jedenfalls hätte diesen Ort so beschrieben, falls ihn jemand gefragt hätte. Doch es fragte ihn keiner. Niemand interessierte sich für R-27 - oder für Jerad Silgon, den Commander dieses im All schwebenden Stückchens Tristesse. Eine Raumstation, auf der es nur fünf Besatzungsmitglieder gab und die zudem in einer besonders dünn besiedelten Region der Entmilitarisierten Zone lag, konnte nun einmal nicht der beliebteste Ort des Universums sein. Nicht einmal der Maquis verirrte sich in diese Gegend. Schade. Vielleicht wäre ein kleines Gefecht mit einem Maquis-Raider genau das, was die Crew brauchte, um wieder ein bißchen lebendiger zu werden. Doch statt dessen taten sie nichts anderes, als Nachrichten weiterzuleiten - und das bereits seit sieben langen Jahren... Vor einigen Monaten hatte Jerad aus Jux eine Partnerschaftsannonce an ein nahegelegenes cardassianisches Observatorium geschickt. Eine der Mitarbeiterinnen hatte sogar genug Humor besessen, um ihm zu antworten. Sie hieß Lanara Tormak, war 26 Jahre alt und Diplom-Astrophysikerin. Inzwischen tauschten sie regelmäßig Nachrichten aus. Lanara berichtete, was sich seit dem Sturz der Militärdiktatur auf Cardassia verändert hatte und wie sich der Krieg gegen die Klingonen für ihr Volk entwickelte. In ihrem letzten Brief hatte sie erwähnt, daß sie ihre Verlobung mit einem gewissen Glin Sowieso platzen lassen wollte. „Ich sehe nicht ein, wieso ich einen Mann heiraten soll, der den Intelligenzquotienten einer takalianischen Waldassel besitzt!“ lautete ihr wenig schmeichelhafter Kommentar. Lanara war geistreich und witzig, und Jerad hätte gern gewußt, wie sie aussah - obwohl er normalerweise nicht auf Frauen stand, die einen Hals voller Schuppen hatten und diese auch noch blau anmalten. „Eine Nachricht für Commander Jerad Silgon“, ertönte plötzlich die Computerstimme. Da die Message an ihn persönlich adressiert war, rechnete Jerad mit einer weiteren audiomail von Lanara. Doch als er auf Empfang schaltete, erhielt er eine audiovisuelle SubraumNachricht. Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht einer Frau - und es war definitiv keine 27
Cardassianerin... Nein, es war eine Frau, die er gut kannte, und die er seit 14 Jahren zu vergessen versuchte. Er erinnerte sich... Sommer 2360. Jerad Silgons Leben hätte nicht besser laufen können. Er war Ausbilder an der Sternenflottenakademie, aussichtsreicher Kandidat für eine Beförderung, und er hatte die Initiaten-Prüfung bei der Trill-Symbiosis-Kommission bestanden. Die Vorstellung, einen jahrhundertealten Wurm in den Körper gepflanzt zu bekommen und sich mit den Erinnerungen von mindestens fünf Trill-Wirten herumschlagen zu müssen, machte ihm natürlich ein bißchen Angst. Aber es war die Angst, die ihn vor jeder bedeutenden Veränderung in seinem Leben beschlich, und die stets mit Vorfreude gepaart war. Doch dann tappte er in die älteste Falle eines jeden Lehrers: Er verliebte sich in eine Schülerin. Es war eine bildschöne und außergewöhnliche junge Frau namens Lairis Ilana. Sie war damals 23 Jahre alt gewesen, er lediglich fünf Jahre älter. Unter normalen Umständen hätte er sie zu einem Kaffee eingeladen und versucht, sie näher kennenzulernen. Aber sie war ein Kadett - und somit für ihn tabu. Das vernünftigste, was er tun konnte, war, ihr aus dem Weg zu gehen. Doch eines Tages kam sie nach dem Unterricht zu ihm, um mit ihm zu reden. Angeblich über das Flugmanöver, das sie gerade geübt hatten ... Daß das nur ein Vorwand war, erkannte er ziemlich schnell. Lairis erwiderte seine Zuneigung - das war offensichtlich. „Weißt du, Ilana...“ begann er, nachdem sie in einem langen, ausgiebigen Gespräch ihre Gefühle füreinander offenbart hatten. „Ich werde diesen Ausbilderjob an den Nagel hängen und mich auf irgendein Raumschiff versetzen lassen. Dann können wir uns zwar nicht mehr so oft sehen, aber wenigsten zerrt man mich nicht vors Kriegsgericht, nur weil wir beide Händchen halten.“ „Also, ich weiß nicht“, zweifelte sie. „Dieser Job an der Akademie ist deine große Chance! Ich möchte nicht, daß du meinetwegen alles in den Sand setzt!“ „Ach, so wichtig ist die Karriere nun auch wieder nicht“, meinte er.. „Das sagst du jetzt ... Später bereust du es vielleicht und haßt mich dafür.“ „Dich hassen? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen!“ „Ich denke trotzdem, wir sollten warten, bis ich mit der Akademie fertig bin“, meinte sie und lächelte aufmunternd. „Sind doch nur noch zwei Jahre.“ „Zwei Jahre... Ich weiß nicht, ob ich so lange warten kann!“ Sie seufzte. „Ich auch nicht!“ „Aber uns bleibt wohl nichts weiter übrig, oder?“ „Wahrscheinlich nicht.“ Dann küßten sie sich. Ein folgenschwerer Fehler... Doch wer hätte ahnen sollen, daß sie ausgerechnet in diesem Moment von Lairis Ilanas tratschsüchtiger Zimmergenossin beobachtet wurden? Dann kamen die langen, entwürdigenden Verhandlungen der Sternenflotte gegen Lieutenant Commander Jerad Silgon wegen Unzucht mit einer Abhängigen. Unzucht... So ein Blödsinn! Als ob er nichts anderes im Sinn gehabt hätte, als Lairis Ilana in die Büsche zu zerren und zu besteigen! Selbstverständlich gerieten einige seiner Phantasien recht intim und eindeutig - doch in der Realität war zwischen ihm und dieser Frau nicht das Geringste passiert! Gut, sie hatten sich geküßt - aber sie hatten auch beide geschworen, es dabei zu belassen. Diese elenden Sternenflotten-Bürokraten! Selbst wenn man sie mit vorgehaltenem Phaser gezwungen hätte, „Meyer’s Enzyklopädie der Paarungsrituale bekannter Spezies“ von vorn bis hinten durchzulesen, hätten sie nicht verstanden, was Leidenschaft bedeutete! Wahrscheinlich waren ihre Geschlechtsorgane schon seit Anbeginn der Föderation vertrocknet... Jerad wurde aus dem Ausbildercorps geworfen und auf ein Konvoi-Schiff versetzt - mit der strengen Auflage, sich von Kadett Lairis fernzuhalten. Zwei Jahre später hatte er sie dennoch besucht, um ihr zu ihren Offizierspatent zu gratulieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits eine andere Freundin. Seine Gefühle für Lairis Ilana verdrängte er... Doch nun sah er sie wieder vor sich, seit mehr als zehn Jahren... 28
„Ilana?“ fragte er verblüfft. „Bist du’s wirklich?“ Sie schmunzelte. „Nein, ich bin ein Wechselbalg, und melde mich nur, weil ich dich entführen und zu meinem willenlosen Sklaven machen will.“ „Das ist nicht witzig!“ rief er gespielt streng. „Ach nein? Du lachst aber!“ Jerad pfiff leise durch die Zähne. „Du wirst alle Jahre hübscher! Weißt du das?“ „Süßholzraspler!“ konterte Lairis. „Komisch, Matthew möchte ich jedes Mal am liebsten aus irgendeiner Luftschleuse werfen, wenn er versucht, mich mit dieser Art Schleimerei weich zu kochen.“ Jerad lachte. „Ich will dich aber nicht weichkochen! Wozu auch? Du gefällst mir so, wie du bist: unerbittlich, eiskalt und hart wie tallonianischer Granitfels!“ Lairis fiel in sein Lachen ein. „Ich hab’ gehört, du bist jetzt Captain“, fuhr Jerad fort. „Wenn du mich fragst: Ich hab’ schon immer gewußt, daß du eine große Karriere vor dir hast!“ „Das war ja schon wieder ein Kompliment!“ konterte Lairis mit hochgezogenen Augenbrauen. „Übrigens hab’ ich auch eins für dich: Du wärst ein hervorragender Erster Offizier.“ „Du meinst: Dein ersten Offizier...“ „Ganz richtig“, erwiderte sie. „Admiral Layton hat mir nämlich gerade das Kommando über so nagelneues, ultramodernes Superkriegsschiff übertragen! Frag mich bitte nicht, womit ich das verdient habe... Jedenfalls kann ich mir meine Crew selbst zusammenstellen - und ich möchte dich als Ersten Offizier!“ „Du meinst es tatsächlich ernst!“ „Glaubst du, ich hätte mir sonst die Mühe gemacht, dich zu finden?“ Jerads Miene verdüsterte sich für einen Augenblick. „Ich hoffe, du tust das nicht nur, weil du dir die Schuld für meinen Karriereknick gibst!“ „Ich gebe zu, das habe ich“, sagte Lairis. „Natürlich fühle ich mich mitverantwortlich für das, was damals passiert ist! Aber ich würde dich ganz bestimmt nicht zu meinem Ersten Offizier ernennen, nur um irgendwas wieder gut zu machen! Jedenfalls nicht, wenn ich auch nur den geringsten Zweifel an deinen Fähigkeiten hätte... Ich halte sehr viel von dir, Jerad - persönlich wie beruflich - und denke, daß die Sternenflotte mehr als dumm sein muß, wenn sie dich mit all deinen Talenten in dieser Blechbüchse vermodern läßt!“ Jerad verzog die Mundwinkel. „Das kann man wohl sagen ... Wie heißt eigentlich dein Schiff?“ „Defender.“ „Klingt ja nach ‘nem richtig martialischen, waffenstarrenden Kampfkreuzer!“ „Ist es auch!“ erwiderte Lairis. „Jerad, das Schiff ist einfach unglaublich! Es kann mehrere Tage hintereinander mit Warp 9,9 fliegen, hat eine Feuerkraft, mit der man einen kleinen Mond vaporisieren könnte und eine Tarnvorrichtung, die...“ „Weißt du, Ilana...“ unterbrach er sie. „Selbst wenn das Schiff ein hundert Jahre alter Rosteimer der Constitution-Klasse wäre und der Rest der Crew aus lauter mies gelaunten Tellariten bestünde, würde ich zusagen.“ „Danke, Jerad!“ Lairis Ilana lächelte glücklich. „Keine Ursache“, erwiderte der Trill. „Du hast mich gerade vor einem langsamen und qualvollen Tod durch chronische Langeweile bewahrt! Außerdem möchte ich dich gern als Captain erleben. Dann kann ich endlich mal feststellen, was du auf der Akademie bei mir gelernt hast!“ „Worauf du dich verlassen kannst!“ sagte Lairis. „Bis bald auf der Erde, Jerad!“ Der Trill lächelte. „Wir sehn uns, Ilana!“ ***
Captain Lairis beendete das Gespräch mit Jerad und schaltete den Com-Terminal aus.
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„Na, haben Sie schon Ihre Mannschaft beisammen, Ilana?“ fragte Admiral Layton, der gerade hereingekommen war. Lairis lachte kurz. „Soll das ein Witz sein, Admiral? Dafür brauche ich schon ein bißchen mehr als eine Stunde!“ „Aber trödeln Sie nicht zu lange herum! Uns steht womöglich ein Kampf mit dem Dominion bevor. Und dann will ich, daß die DEFENDER einsatzbereit ist!“ „Ay, Sir!“ Falls der Admiral den spöttischen Unterton in Captain Lairis’ Stimme bemerkt haben sollte, ließ er es sich zumindest nicht anmerken. Sein bärtiges Gesicht war so unbeweglich wie immer. „Allerdings dachte ich, ich hätte noch gut eine Woche Zeit“, fuhr Lairis fort. Layton, der gerade den Raum verlassen wollte, wandte sich noch einmal um. Etwas widerstrebend, wie ihr schien... „Ach tatsächlich?“ fragte er. „Soviel ich weiß, soll der Jungfernflug der DEFENDER erst am vierzehnten stattfinden“, konterte Lairis. „Stimmt!“ erwiderte Layton abwesend. „Aber Sie haben schon recht, Admiral. Man kann nie wissen, wann das Dominion zuschlägt.“ „Richtig“, murmelte Layton. Dann ging er. Lairis runzelte nachdenklich die Stirn. Irrte sie sich oder hatte sich der Admiral bei den letzten Worten, die sie miteinander gewechselt hatten, merklich versteift? So, als hätte sie ein Thema angeschnitten, über das er nicht reden wollte... Doch was sollte ihn am geplanten Jungfernflug der DEFENDER derartig verstören? Merkwürdig... Lairis schob die Grübeleien beiseite und wandte sich Captain Edwardsons Personaldatenbank zu. Layton hatte ja recht: Sie mußte sich entscheiden. Das Problem war, daß sie selbst noch keine Vorstellung hatte, für wen... Lediglich der Posten des Ersten Offiziers war bereits besetzt und als Schiffscounselor hatte sie auch schon eine spezielle Person im Auge. Doch was den Rest betraf, würde sie sich auf Personalakten, Empfehlungsschreiben und Bewerbungen verlassen müssen. Die Führungsoffiziere der U.S.S. CASABLANCA waren bereits auf andere Posten versetzt worden. Devereaux hatte man sogar zum Captain befördert. Während Lairis die Akten von sämtlichen Offizieren auf Captain Edwardsons Liste durchsah, wurde es draußen allmählich dunkel. Inzwischen hatte sie zumindest unter den potentiellen Sicherheitschefs, Ärzten und Chefingenieuren ihre Wahl getroffen und beschloß, ihre Favoriten zu einem persönlichen Gespräch einzuladen. Doch als sie die Männer kontaktierte, erreichte sie lediglich Lieutenant Marc van Emden, den Ingenieur. Den anderen beiden - Lieutenant Commander Jeremy Prescott und Dr. Ron Tygins - hinterließ sie jeweils eine Nachricht. Lairis spürte, wie sich ihre Kopfschmerzen meldeten, die sie immer bekam, wenn sie zu lange am Computer arbeitete. Sie buchte noch schnell ein Zimmer in einem nahegelegenen Hotel und schaltete dann den Terminal aus. Es war ein langer Tag gewesen, und alle Gedanken an Wechselbälger, Invasionen oder Personaldateien wurden langsam aber unerbittlich von dem Bedürfnis nach einer heißen Dusche, einem gemütlichen Bett und einer Riesenportion Hasperat-Soufflé verdrängt. Sie nahm ihr Gepäck und verließ das Hauptquartier der Sternenflotte. Als sie im Hotel ankam, war es kurz vor 22 Uhr. „Guten Abend, Ma’am,“ sagte die Frau hinter der Rezeption - eine etwa 50-jährige, korpulente Dame in einem cremefarbenen Kostüm. Lairis rang sich ein müdes Lächeln ab. „Ich habe ein Zimmer reserviert“, erwiderte sie. „Name?“ „Lairis Ilana.“ „Ah ja...“ Die Frau lächelte ihr zu - freundlich, aber durch und durch unverbindlich und professionell. „Nummer 241. Zwei Etagen mit dem Fahrstuhl, dann die dritte oder vierte Tür links.“ „Danke“, erwiderte Lairis. „Ach, Ma’am...“ rief die Empfangsdame ihr nach. „Wie lange wollen Sie eigentlich bleiben?“ „Keine Ahnung“, antwortete Lairis wahrheitsgemäß. „Ich schätze, so lange, bis die Sternenflotte weiß, was wegen der Formwandler unternommen werden soll.“ 30
Bei dem Wort „Formwandler“ zuckte die Frau sichtlich zusammen. „Ist es wahr, daß sie die Gestalt von allem und jedem annehmen können - von meinem Chef bis zu meiner Schreibtischlampe?“ fragte sie unsicher. „Ja, das ist leider wahr.“ „Und man kann sie mit normalen Scannern nicht entdecken?“ „Nein, dummer Weise nicht.“ „Oh Gott!“ rief die Empfangsdame entsetzt. „Mit war ja schon ganz schlecht, als ich in den Nachrichten von diesem Attentat erfahren habe - Aber wenn ich mir vorstelle, was die Wechselbälger noch alles anrichten können...“ „Keine Sorge!“ entgegnete Lairis und lächelte aufmunternd. „Diese Wechselbälger werden sicherlich Besseres zu tun haben, als Schreibtischlampen zu imitieren.“ „Richtig. Vielleicht imitieren sie gerade den Präsidenten!“ meinte die Frau. „Das glaube ich nicht. Dafür wird das Regierungsgebäude viel zu gut bewacht“, erwiderte Lairis, und fügte in Gedanken zynisch hinzu: Schön wär’s! „Also, ich finde, man sollte sofort den Ausnahmezustand ausrufen und den ganzen Planeten mit Phasern abtasten!“ Der Captain winkte lächelnd ab. „Solche radikalen Schritte sind bestimmt nicht nötig.“ „Naja, Sie sind bei der Sternenflotte. Sie müssen ’s ja wissen“, meinte die Empfangsdame. Der Blick, den sie der bajoranischen Offizierin nachwarf, war jedoch voller Zweifel. Auf ihrem Zimmer angekommen, entledigte sich Lairis schnellstens ihrer Uniform und ging unter die Dusche. Ursprünglich hatte sie vorgehabt, danach todmüde ins Bett zu fallen, doch ihre Unterhaltung mit der Empfangsdame hatte alle Sorgen, die für einen Moment unter Müdigkeit verschüttet gewesen war, wieder aufgewühlt. Sie wies den Computer an, ein HasperatSoufflé und bajoranischen Frühlingswein, verdünnt mit Mineralwasser, zu replizieren. Als sie jedoch einen Schluck von dem Getränk nahm, mußte sie angewidert das Gesicht verziehen. Sie stellte das Glas samt Inhalt zurück in den Replikator. „Computer - Frühlingswein! Kein Synthohol!“ verlangte sie nachdrücklich. Ein zweites Glas materialisierte sich - doch sein Inhalt schmeckte so fade wie das des ersten. „Verdammt noch mal, ich sagte Frühlingswein und nicht ‘Spülwasser’, du schwachsinnige Maschine!“ schrie sie sinnloser Weise den Replikator an. Der Computer piepste verständnislos. Kurz entschlossen hängte Lairis ihren Bademantel an den Haken, verschlang die letzten Bissen ihres Hasperat-Soufflé und schlüpfte dann in ein enganliegendes grünes Kleid mit Spaghettiträgern. Sie trocknete schnell ihre Haare, zog sich das zum Kleid passende BoleroJäckchen über und griff nach ihrer Handtasche. „Hallo, noch mal!“ rief die Empfangsdame, als Lairis an der Rezeption vorbei lief. „Wohin soll’s denn noch gehen?“ „In den nächstbesten Laden, wo’s was richtiges zu trinken gibt!“ antwortete Lairis. Die Frau lächelte verschmitzt. „Gehen Sie einfach über die Straße, dann immer nach links. Nach ungefähr fünf Minuten werden Sie regelrecht in die ‘Blue Planet Taverne’ stolpern. Dort gibt es so ziemlich alles zu trinken, was die Galaxie zu bieten hat - mit oder ohne Alkohol.“ „Danke“, erwiderte Lairis mit einem freundlichen Lächeln. Die ‘Blue Planet Taverne“ war ein faszinierender Ort. So ähnlich muß das sein, wenn man die Tag-und-Nacht-Grenze eines Planeten überschreitet, dachte die Bajoranerin, als sie eintrat. Statt im nächtlichen San Francisco befand sie sich plötzlich auf einer tropischen Insel, unter strahlend blauem Himmel inmitten von Palmen. Zuerst glaubte sie, daß es sich bei diesem Szenario um eine holographische Projektion handelte, doch dann erkannte sie, daß sämtliche Wände in dieser Bar - selbst die Decke und der Fußboden - mit 3D-Videoschirmen verkleidet waren. Das erzeugte eine fast ebenso perfekte Illusion, war jedoch mit Sicherheit sehr viel weniger energieaufwendig als eine Holosuite. Inmitten der simulierten Idylle standen ein Tresen, sowie mehrere Tische und Stühle aus hellem, lackiertem Holz. „Bajoranischen Frühlingswein, bitte“, sagte Lairis zu dem Barmann. „Nein, warten Sie, ich hab’s mir anders überlegt: Einen ‘Samarian Sunset’.“ 31
„Kommt sofort!“ „Tja, hier könnte man fast vergessen, daß Wechselbälger die Erde unsicher machen, was?“ sagte plötzlich der Mann neben ihr. Lairis wandte sich zu ihm um. Er war etwa 35 Jahre alt (vielleicht auch ein wenig jünger), dunkelhaarig und trug lässige, weit geschnittene Klamotten. Mit seinem Outfit und seinem herausfordernden Lächeln erinnerte er sie an einen dieser frechen, selbstbewußten Draufgänger aus einem terranischen Western des 20. Jahrhunderts. Doch nicht sein Charme oder sein gutes Aussehen fesselten Lairis, sondern die langsam aufsteigende Gewißheit, daß sie diesen Mann kannte, sich jedoch beim besten Willen nicht erinnern konnte, woher... Sie lächelte zurück. „Ach wissen Sie, eigentlich wollte ich die Wörter ‘Formwandler’, ‘Wechsel-balg’ und ‘Dominion’ heute abend nicht mehr hören!“ „Entschuldigen Sie“, erwiderte der junge Mann. Er wirkte plötzlich sehr viel weniger selbstsicher. „Sie brauchen sich doch nicht zu entschuldigen!“ sagte Lairis. Inzwischen war sie sich hundertprozentig sicher, daß sie ihn schon einmal gesehen hatte. Nur wo? Und wann? „Es ist nur so ...“ begann er. „Als Sternenflottenoffizier ist man ständig gezwungen, sich mit diesen Dingen zu beschäftigen. Da ist es gar nicht so einfach, abzuschalten.“ „Ich weiß“, erwiderte Lairis. „Ich bin auch bei der Sternenflotte.“ Die braunen Augen des Mannes weiteten sich fast zur doppelten Größe. „Das ist ja ‘n Ding!“ rief er. Dann grinste wieder. „Klasse! Vielleicht fliegen wir ja mal ‘nen Kampfeinsatz zusammen! Das wär’ wirklich nicht schlecht...“ „Sagen Sie, kennen wir uns vielleicht irgendwoher?“ unterbrach sie ihn. „Nicht, daß ich wüßte“, erwiderte er. „Aber das läßt sich ja nachholen! Wir könnten uns absprechen, wann wir beide Landurlaub haben, und mal was zusammen unternehmen ... Was halten Sie davon? Ich meine, wenn wir nicht gerade morgen im Krieg mit dem Dom...“ Er lächelte entwaffnend. „Verzeihen Sie: Mit einem Haufen White-abhängiger Retorten-Krieger unter dem Kommando einer faschistoiden Schleimsuppe aus dem Gamma-Quadranten...“ Lairis lachte. „Dann bleibt uns immer noch der Kampfeinsatz.“ „Stimmt“, meinte er. „Aber, ehrlich gesagt, würde ich Sie lieber zum Essen einladen.“ „Sind Sie sich wirklich sicher, daß wir uns nicht kennen?“ hakte sie noch einmal nach. „Also, jemanden wie Sie würde ich bestimmt nicht vergessen!“ antwortete er. „Sie haben wirklich unglaubliche Augen...“ „Haben Sie eigentlich einen Namen?“ fragte sie leicht spöttisch. Er verzog das Gesicht und schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Sorry - ich hab’ doch glatt vergessen, mich vorzustellen!“ rief er. „Ich bin...“ „Jeremy Prescott“, ergänzte eine andere männliche Stimme. Lairis glaubte, einen Schuß Ironie darin zu erkennen. Jeremy Prescott... Jetzt wußte Lairis, wo sie diesen Mann schon einmal gesehen hatte: Auf einem Foto in einer Starfleet-Personalakte! Sie hatte tatsächlich mit ihrem zukünftigen Sicherheits-chef geflirtet und ihn noch nicht einmal erkannt! Natürlich konnte man bei über 50 Akten leicht den Überblick verlieren, und Prescott war zwar attraktiv, aber kein sonderlich einprägsamer Typ. Außerdem hatte er auf dem Foto noch einen Bart getragen. Doch Lairis mußte sich auch eingestehen, daß sie dem Bild nicht allzu viel Beachtung geschenkt hatte. Schließlich wollte sie den Mann nicht wegen seines Aussehens einstellen. Hinter ihnen stand Lieutenant Marc van Emden, blond, blauäugig und stupsnasig, wie Lairis ihn in Erinnerung hatte. Jetzt, wo sie ihn in Natura sah, fiel ihr auf, daß er überdurchschnittlich groß war. Mindestens 1,90 Meter. „Marc!“ rief Prescott. „Marc - alter Kumpel!“ Van Emden lächelte. „Ich wußte genau, daß ich dich hier finde!“ Die beiden Männer umarmten sich mit einem freudigen Begrüßungsschrei. Für Lairis klang es mehr wie das Kriegsgeheul der Ureinwohner von Altira V.
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„Schön, dich wiederzusehen!“ sagte van Emden zu Prescott. „Weißt du schon, daß wir auf ’s selbe Schiff versetzt werden?“ „Mann, das ist ja wunderbar!“ rief Prescott. „Wenn jemand diese verdammten Wechselbälger aus dem Universum beamen könnte, wär’ das Leben perfekt!“ „Stimmt“, meinte van Emden. Dann fiel sein Blick auf Lairis. „Ich sehe, du machst gerade Bekanntschaft mit unserem neuen Captain!“ Prescott wandte sich abrupt zu Lairis um. „Sie sind der Captain der DEFENDER?“ vergewisserte er sich. Sein Tonfall klang jedoch eher nach einem Satz á la „Was, die Jem’Hadar greifen die Erde an?“. Lairis nickte langsam. „Ich bin Captain Lairis Ilana.“ Dann wandte sie sich an van Emden: „Sieht so aus, als müßten wir unsere Einsatzbesprechungen künftig in dieser Bar abhalten, was, Lieutenant?“ Van Emden lachte kurz. „Entschuldigen Sie mich einen Augenblick!“ sagte Lairis zu den beiden Männern, bevor sie in Richtung Damentoilette verschwand. Prescott wurde bis hinter beide Ohren rot und ließ entmutigt seinen Kopf in die Hände sinken. „Oh Gott - ich hab’ den Captain angebaggert! Am besten, ich laß mich sofort versetzen!“ „Quatsch!“ widersprach van Emden energisch. „Captain Lairis wird ‘s dir schon nicht krumm nehmen. War schließlich nur ein dummes Mißverständnis. Am besten, du redest gleich mit ihr!“ „Und was, wenn sie es doch als... unverschämtes Verhalten ansieht?“ „Hattest du denn den Eindruck?“ konterte van Emden. Dann grinste er. „Ich glaube, ich muß mir auch mal die Nase pudern!“ Als er Prescotts verzweifelten Blick bemerkte, klopfte er ihm aufmunternd auf die Schulter. Kaum war van Emden gegangen, kam Lairis zurück. „Es... es tut mir leid, Captain“, stammelte Prescott. „Ich wollte Ihnen gegenüber wirklich nicht respektlos sein!“ Die Bajoranerin lächelte hintergründig. „Ich fühle mich doch nicht respektlos behandelt, wenn mich jüngere Männer zum Essen einladen wollen!“ konterte sie. „Allerdings: Mit Crewmitgliedern laß ich mich auf so was nicht ein.“ Prescott lächelte erleichtert. „Verstehe!“ „Es war ja vor allem mein Fehler“, gestand sie. „Schließlich hab’ ich mir erst heute nachmittag Ihre Akte inklusive Foto angesehen. Ich fürchte, mein Gedächtnis ist auch nicht mehr das, was es mal war...“ „Ich wußte gar nicht, daß die Sternenflotte schon einen Nachfolger für Edwardson gefunden hat“, sagte Prescott. „Ich hab’ Ihnen eine Nachricht geschickt“, erwiderte Lairis. „Tut mir leid, die hab’ ich mir noch gar nicht angesehen“, entschuldigte sich Prescott. „Ich bin ein paar Stunden vor den Attentat auf der Erde angekommen. Captain Edwardson hatte mich zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Aber dann erfuhr ich plötzlich, daß Edwardson umgekommen ist. Also hab’ ich das Sternenflottenkommando angerufen und wurde vorübergehend dem Clan der Vampire zugeteilt...“ „Clan der Vampire?“ Prescott lachte kurz. „Unsere inoffizielle Bezeichnung für eine Crew von Sicherheitsoffizieren, die bei Angehörigen der Sternenflotte und Föderationsfunktionären Bluttests macht.“ Lairis nickte. „Ja, die neuen Sicherheitsvorkehrungen. Admiral Layton hat mir alles erklärt.“ „Wenn Sie mich fragen, waren diese Sicherheitsbestimmungen mehr als überfällig“, meinte Prescott. „Die Föderation hat mindestens fünf Kriege hinter sich - aber man kann immer noch auf dem Campus der Sternenflottenakademie ‘rumspazieren, als wäre es ein Vergnügungspark! Mich würde nicht wundern, wenn die Wechselbälger schon den einen oder anderen Admiral ersetzt haben...“ Lairis nickte beipflichtend. „Die Sternenflotte war bisher erstaunlich naiv. Ein Wunder, daß die Föderation so lange überlebt hat!“ 33
„Richtig, Captain!“ sagte van Emden, der gerade von der Toilette zurückgekommen war. Plötzlich lächelte Captain Lairis. „Wissen Sie, Jungs, wenn wir schon taktische Probleme in der Kneipe besprechen, sollten wir uns dazu wenigstens an einen Tisch setzen.“ Lieutenant van Emden, der als Einziger von ihnen seine Uniform trug, nutzte die in den letzten Tagen sprunghaft gestiegene Popularität der Sternenflotte, um besonders schöne Plätze zu ergattern. Inzwischen hatte das Szenario gewechselt. Sie befanden sich jetzt nicht mehr auf einer tropischen Insel, sondern auf einer Almwiese. Im Hintergrund ragten Berge mit schneebedeckten Gipfeln auf. Eine Kuh muhte. „Hauptsache, es fängt keiner an zu jodeln!“ lästerte Prescott. Marc lachte, aber Lairis, deren Wissen über die Kulturen der Erde nicht in jeder Hinsicht komplett war, sah die beiden nur verständnislos an. „Entschuldigen Sie, Captain“, murmelte Prescott hastig. Lairis lächelte flüchtig. „Commander Jerad Silgon, mein Erster Offizier, müßte morgen auf der Erde ankommen“, begann sie. „Wenn ich Dr. Tygins erreichen kann, und die Dame, die ich gern als Schiffscounselor hätte, zusagt, ist unser Kommandostab so gut wie komplett.“ „Was ist mit den niederen Rängen?“ fragte Prescott. „Ich habe 120 Besatzungsmitglieder von der U.S.S. CASABLANCA übernommen“, antwortete Lairis. „Die CASABLANCA war mein früheres Schiff und soll verschrottet werden. Sie hatte mal 470 Mann Besatzung, ein Teil davon ist schon anderweitig untergekommen.“ „Und wie viele Besatzungsmitglieder soll die DEFENDER haben?“ wollte van Emden wissen. „Also, als Stammcrew werden 100 - 150 Mann empfohlen, aber im Schiff gibt es Platz für 500. Wahrscheinlich, um im Kriegsfall Truppen zu transportieren“, erklärte Lairis. Im Laufe des Abends erzählte sie den beiden Männern noch einiges über die DEFENDER und ihre zukünftige Besatzung, bevor sie sich verabschiedete. Prescott blickte ihr lächelnd nach. „Ich freu’ mich schon auf unseren ersten Einsatz“, sagte er und nippte an seinem Tequila. Van Emden grinste. „Selbst wenn es sich dabei um einen Kampf gegen fünfzig Jem’HadarSchiffe handelt?“ „Selbst dann!“
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4. Kapitel Sieht gar nicht aus wie eine Strafkolonie... dachte Dr. Ron Tygins, als er sich auf dem Gelände des „New Zealand Prision District“ materialisierte. Auf den ersten Blick erinnerte die Anlage an einen Nationalpark, doch Arbeitsbrigaden von Gefangenen in grauen Overalls und mit elektronischen Fußringen vermittelten doch einen etwas anderen Eindruck. „Ich möchte Rebecca Tygins besuchen“, sagte der Doktor zu einem der Wachleute. Der Mann forderte Tygins auf, ihm zu folgen. Rebecca saß an einem Tisch im Freien und reparierte einen kaputten Tricorder. Eine Mähne wilder, schwarzen Locken verbarg ihr Gesicht. „Hi, Rebecca!“ sagte Tygins. Die junge Frau blickte von ihrer Arbeit auf. Als sie lächelte, entblößte sie eine Reihe perlweißer Zähne, die einen auffallenden Kontrast zu ihrer dunklen Haut bildeten. Sie sprang auf, um ihren Bruder zu umarmen. „Wie geht ‘s dir?“ fragte Ron. „Könnte schlimmer sein“, erwiderte Rebecca. „Und dir? Ich hab’ gehört, man hätte dir einen Job angeboten, nach dem sich 90 Prozent aller Starfleet-Angehörigen die Finger lecken!“ Sie grinste. „Oder die Tentakel. Oder was auch immer.“ „Stimmt. Ich soll leitender medizinischer Offizier auf der DEFENDER werden.“ „Du klingst aber nicht sehr begeistert“, stellte Rebecca fest. „Ich bin auch nicht begeistert, für eine Organisation zu arbeiten, die meine Schwester eingelocht hat!“ konterte Tygins hitzig. „Also, unter ‘eingelocht’ stell ich mir was anderes vor!“ meinte Rebecca mit Blick auf den sonnenüberfluteten blühenden Garten um sie herum. „Trotzdem. Ich werde die Sternenflotte wahrscheinlich verlassen.“ Rebecca blickte ihn entgeistert an. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“ „Oh doch! Ich werde nicht auf diesem Monster-Kriegsschiff dienen! Jetzt nicht mehr! Das ist schlicht und einfach gegen meine Prinzipien!“ Rebecca grinste. „Prinzipien! Ich fürchte, davon hast du mehr, als gut für dich ist!“ „Wieso nimmst du das alles so gelassen hin?“ wunderte er sich. „Weil ich Glück im Unglück hatte“, antwortete Rebecca. „Ich kannte das Risiko, als ich zum Ma-quis gegangen bin. Eigentlich bin ich der Sternenflotte sogar dankbar, daß sie mich gefangen hat, bevor es den Cardis gelingen konnte.“ „Da hast du nicht unrecht“, mußte Tygins zugeben. „Trotzdem ist die Sternenflotte mit schuld, daß Tausende von Bürgern der Föderation ihre Heimat verloren haben - unsere Familie eingeschlossen! Die Föderationsregierung und das Sternenflottenkommando waren leider so dumm, sich von den Cardis über ’n Tisch ziehen zu lassen - und dafür könnte ich sie heute noch in den Hintern treten, verdammt noch mal!“ Rebecca schmunzelte. „Weißt du, wenn man dich so reden hört, fragt man sich, warum ich damals zum Maquis gegangen bin und nicht du!“ „Ja, das frage ich mich inzwischen auch!“ rief Tygins. „Wenn du noch lauter schreist, behalten sie dich womöglich gleich hier“, entgegnete Rebecca trocken. Der Doktor lächelte schief. „Das würde aber kein so gutes Licht auf die Föderation werfen!“ „Stimmt“, meinte Rebecca. „Ich schlage vor, du triffst dich trotzdem mit diesem Captain... Wie heißt er doch gleich?“ „Lairis. Und es ist eine ‘sie’.“ „Also, ich finde, du solltest dir diese Lairis und das Schiff wenigstens mal ansehen, bevor du eine Entscheidung triffst!“ Dr. Tygins nickte. „Du hast recht.“ 35
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„Ich bin froh, daß Sie gekommen sind“, sagte Lairis zu T’Liza. Sie standen vor dem Hauptgebäude der „Starfleet Headquarters“ und bewunderten eine Blumenrabatte, in der irdische rosa Rosen und türkisblaue, andorianische Lilien wuchsen. „Ich sah keinen logischen Grund, nicht zu kommen“, entgegnete die Vulkanierin. Der Captain lächelte. „Ein Hoch auf die vulkanische Logik!“ T’Liza nickte nur, denn es lag ihr fern, sich zu beklagen. Doch ihre Entscheidung war weniger von Logik beeinflußt worden, als von dem ganz und gar emotionalen Wunsch, der Arbeit im Hauptquartier endlich zu entfliehen. Glin Karthal „den Kopf zurecht zu rücken“ (so hatte es Dr. Klages einmal ausgedrückt), war seit zwanzig Jahren ihr interessantester Auftrag gewesen... Sie überlegte einen Moment, ob sie Captain Lairis „vorwarnen“ sollte, daß Karthal beabsichtigte, sich als Offizier auf ihrem Schiff zu bewerben. Doch sie entschied sich dagegen. „Was ist eigentlich der Zweck dieses Treffens?“ fragte sie statt dessen. „Wir werden mit einem Shuttle zur ‘Utopia Planitia’-Werft fliegen und die DEFENDER besichtigen“, antwortete Lairis. „Mit ‘wir’ meine ich: Ich und meine Führungsoffiziere, zu denen Sie hoffentlich auch bald gehören werden.“ „Wenn es nach mir ginge, wäre das kein Problem“, erwiderte T’Liza. „Aber das Sternenflottenkommando muß meiner Versetzung erst noch zustimmen.“ „Ich hoffe doch, das tut es!“ sagte Lairis. „Ich fühle mich geehrt“, erwiderte T’Liza. „Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich Ihren Vorstellungen von einer idealen Sternenflottencounselor entspreche. Ich bin nicht immer verständnisvoll, ich bin nicht immer nett und meine Methoden sind zum Teil recht unorthodox.“ „Ja, so was ähnliches behauptet die Sternenflotte von mir auch“, gab Lairis zurück. Dann wandte sie sich lächelnd zu der Vulkanierin um. „Das bedeutet wohl: Entweder wir beide werden ein unschlagbares Team oder wir erwürgen uns gegenseitig!“ „Ich schätze, trotz Ihrer offensichtlichen Neigung zu drastischen Übertreibungen haben Sie die Situation richtig analysiert, Captain“, entgegnete T’Liza. „Sie scheinen mir in der Tat keine Frau für dezente Zwischentöne zu sein!“ In diesem Moment trat Jerad aus der Tür des Hauptgebäudes. Über seiner Schulter hing eine große schwarze Reisetasche. Er umarmte Lairis und nickte T’Liza förmlich zu. „So früh hab’ ich gar nicht mit dir gerechnet“, bemerkte Lairis „Ich hätte auch nicht gedacht, daß ich es pünktlich schaffe“, erwiderte Jerad. „Zwar hat mich die CRAZY HORSE netter Weise von DEEP SPACE NINE bis Alpha Centauri mitgenommen, aber als ich zum Hauptquartier gebeamt bin, um meine Versetzungsorder bestätigen zu lassen, ist mir Laytons reizende Adjutantin über ’n Weg gelaufen. Ich fragte sie, wie die Sternenflotte auf das Attentat von Antwerpen reagiert hat, und sie schwärmte natürlich prompt von den neuen Sicherheitsvorkehrungen gegen Wechselbälger. Ich wurde neugierig und hab ihr ein paar Fragen dazu gestellt. Sie hat sie auch alle sehr ausführlich beantwortet - natürlich nicht, ohne in jedem zweiten Satz zu erwähnen, wie brillant Layton und Sisko sind.“ „Sisko? Du meinst, das mit den Blutuntersuchungen und Phaserabtastungen war seine Idee?“ Jerad nickte. „Er ist der neue Chef der Sicherheit auf der Erde.“ „Ich weiß“, erwiderte Lairis. „Sisko hat früher unter Layton gedient - genau wie ich“, bemerkte sie dann nachdenklich. „Sieht so aus, als würde der gute Admiral eine nette kleine Kungelrunde um sich scharen...“ „Ja, den Eindruck habe ich auch“, meldete sich T’Liza. „Es könnte aber auch genauso gut ein Zufall sein, daß er gleichzeitig Sisko und mich befördert hat“, meinte Lairis. T’Liza schüttelte kaum merklich den Kopf. „Als Counselor im Hauptquartier der Sternenflotte hab’ ich eine ganze Reihe von Admirals beraten - Layton gehörte dazu. Er hat in letzter Zeit
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sehr viele Offiziere befördert, die früher mal unter ihm gedient haben. Und ‘in letzter Zeit’ bedeutet: seit dem Attentat von Antwerpen.“ Kaum hatte die Vulkanierin den Satz beendet, trafen Jeremy Prescott und Marc van Emden ein, die - wie Lairis amüsiert feststellte - leicht übernächtigt aussahen. Kurz nach ihnen erschien ein stämmiger dunkelhäutiger Mann in blauer Uniform. Dr. Ron Tygins. „Ich freu’ mich, daß Sie hier sind, Doktor!“ Captain Lairis lächelte ihm freundlich zu und schüttelte seine Hand. Der Arzt erwiderte ihren Händedruck, jedoch nicht ihr Lächeln. Sein Gesicht blieb so unbeweglich wie das einer afrikanischen Steinskulptur. „Nett, Sie kennenzulernen, Captain - aber ich kann Ihnen nicht versprechen, daß ich in Zukunft auf der DEFENDER oder irgend einem anderen Schiff der Sternenflotte dienen werde.“ Prescott und van Emden warfen sich vielsagende Blicke zu. T’Liza zog eine Augenbraue hoch. Allmählich verschwand auch das Lächeln vom Gesicht des Captains. „Nun, das bleibt natürlich Ihnen überlassen“, entgegnete Lairis. „Aber wenn Sie wollen, können Sie gern mitkommen und sich das Schiff ansehen.“ „Okay“, erwiderte Tygins. „Allerdings glaubte ich nicht, daß der Anblick von ein paar modernisierten Phaserbänken meine Meinung ändert.“ Ohne auf die letzte Bemerkung des Arztes einzugehen, machte Lairis die Mitglieder ihrer Crew miteinander bekannt. Das meiste Interesse erregte mit Abstand T’Liza. „Verzeihen Sie die Frage...“ begann Prescott. „Aber Psychologin ist nicht gerade ein typischer Beruf für Vulkanier. Ich dachte, Emotionen seien auf ihrem Heimatplaneten verpönt. Wie sind Sie also darauf gekommen, sie ... zu studieren?“ „Sie haben Recht, Commander“, erwiderte die Counselor. „Emotionen sind auf Vulkan tatsächlich verpönt. Zumindest offiziell. Ich denke allerdings, daß es keineswegs unlogisch ist, sich mit Gefühlen auseinanderzusetzen. Im Gegenteil! Auch Gefühle folgen einem logischen Muster - sonst hätte man ihnen kaum einen ganzen Wissenschaftszweig gewidmet. Surak würde sicher ... Wie drücken es die Menschen aus? ... im Grab rotieren, wenn er wüßte, was unsere Philosophiebürokraten aus seiner Lehre gemacht haben!“ Lairis zwinkerte irritiert, so überrascht war sie von T’Lizas drastischer Ausdrucksweise. „Also, jetzt, wo wir vollständig versammelt sind, kann’s eigentlich losgehen!“ sagte sie dann. Die anderen stimmten zu. Sogar Tygins, der sich jedoch etwas abseits von der Gruppe hielt. Lairis steuerte das Shuttle, mit dem sie zum Mars flogen. In der „Utopia Planitia“ Werft angekommen, war selbst sie beeindruckt vom Anblick der DEFENDER. Das Schiff erinnerte im Design an die ENTERPRISE-E, war jedoch nicht ganz so groß. Die Warpgondeln schmiegten sich rechts und links an den elegant gebogenen Schiffsrumpf. Auf dem Diskussegment stand in schwarzen Lettern: U.S.S. DEFENDER NCC-74985. Das gesamte Schiff schimmerte in einem matten silber. Der Rumpf und das Diskussegment sahen aus, als wären sie aus einem Stück, obwohl Lairis wußte, daß sie - wie bei allen Schiffen der Sternenflotte - trennbar waren. Sie konnte dem Impuls, die linke Warpgondel anzufassen, nicht widerstehen. Da das Schiff auf seinen Landestützen stand, reichte sie gerade mit den Fingerspitzen heran. Sie spürte das kühle glatte Metall und bedauerte heftig, daß sie nicht dabei gewesen war, als dieses Schiff getauft wurde. Sie hätte ihm ganz sicher keinen so nichtssagenden Namen verpaßt wie „Defender“... Der leitende Konstruktionsingenieur wuselte eifrig um die Gruppe herum und erklärte jedes technische Detail. Nun wurde eine Art Gangway ausgefahren, die die Crew ins Innere führte. Die Besichtigungstour begann im Maschinenraum. Van Emden löcherte den Konstruktionsingenieur mit Fragen zu den neuartigen Warpkern-Overdrives, während sich Prescott besonders für die Tarnvorrichtung interessierte. „Ist es wahr, daß sie ein Schiff sozusagen ... aus der Phase schiebt?“ fragte er. Der Konstrukteur nickte. „Diese Tarnvorrichtung verändert die Struktur der Materie eines Schiffes sowie aller Dinge und Personen, die sich an Bord dieses Schiffes befinden.“ „Das bedeutet, man kann in getarntem Zustand theoretisch durch Materie fliegen? Durch ganze Planeten, wenn ’s sein muß?“
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„Theoretisch ja. Aber ich würde es nicht empfehlen“, entgegnete Lairis. „Die PEGASUS, das erste Schiff, das mit dieser Art Tarnvorrichtung ausgestattet war, wurde bei einem schrecklichen Unfall zerstört: Die Tarnvorrichtung hatte eine Fehlfunktion und das Schiff verschmolz mit einem Asteroiden.“ Einige Crewmitglieder verzogen angewidert das Gesicht. „Das Ganze ist vor ungefähr vierzehn Jahren passiert“, fuhr Lairis fort. „Das Projekt war zu diesem Zeitpunkt illegal, weil die Föderation nach dem Friedensabkommen von Algeron keine Tarnvorrichtungen entwickeln durfte. Die Crew der PEGASUS war sich dessen bewußt und meuterte gegen den Captain. Die Tarnvorrichtung wurde vor zwei Jahren von der ENTERPRISE-D geborgen und - wie man heute weiß - heimlich von der Sternenflotte weiterentwickelt. Und zwar unter der Leitung von Admiral Layton... Auf der Konferenz von Antwerpen sollte schließlich mit den Romulanern über die Aufhebung der sogenannten ‘Algeron-Klausel’ verhandelt werden.“ „Diese Tarnvorrichtung ist also eigentlich illegal?“ hakte Jerad nach. „Sie ohne Zustimmung der Romulaner im Alpha-Quadranten einzusetzen, wäre illegal“, stellte Lairis richtig. „Das heißt, wir können sie nicht verwenden“, meinte Prescott. Seine Stimme war voller Bedauern. „Seit die Konferenz von Antwerpen...“ er sprach den Satz nicht zu Ende. Lairis nickte. „Stimmt. Vorerst nützt uns diese Tarnvorrichtung nichts.“ Sie schmunzelte leicht. „Außer, um damit zu protzen.“ Die Besichtigungstour ging weiter. Sie führte an den Mannschaftsquartieren vorbei, über die Krankenstation und das Astro-Lab zur Brücke. Dann ging der Konstrukteur von Bord. Prescott und van Emden bewunderten die Waffenphalanx, während sich Lairis probehalber im CaptainSessel niederließ. Jerad und T’Liza taten es ihr nach und setzten sich auf ihre Plätze rechts und links des Captains. „Und jetzt fliegen wir das Schiff aus der Werft!“ befahl Lairis. Prescott blickte sie irritiert an. „Dürfen wir denn das?“ „Ich hab’ mich mit dem Boß von ‘Utopia Planitia’ abgesprochen. Das geht klar“, erwiderte Lairis. „Außerdem fliegen wir lediglich vom Mars zur Erde. Also, Jerad, Prescott: Sie kümmern sich um die Navigation, van Emden: Sie fahren den Impulsantrieb hoch und überprüfen die Maschinen. T’Liza: Sie haben die Brücke. Dr. Tygins: Sie kommen bitte mit in meinen Bereitschaftsraum!“ Die Miene des Arztes war undurchdringlich wie immer, als er dem Befehl des Captains folgte. „Was ist los mit Ihnen, Doktor?“ fragte Lairis geradezu. „Wie kommen Sie darauf, daß irgend etwas ‘mit mir los ist’, Captain?“ erwiderte Tygins ruhig. „Tja, wo soll ich anfangen? Seit wir uns getroffen haben, versprühen Sie den Charme eines Breen in Stasis! Wenn das auch Ihre Art ist, mit Patienten umzugehen, suche ich mir besser einen anderen medizinischen Offizier!“ „Das ist gar keine schlechte Idee!“ entgegnete Tygins kühl. „Fein!“ rief Lairis. Ihre Augen begannen bereits angriffslustig zu funkeln. „Ich weiß zwar nicht, was Sie gegen mich oder meine Offiziere haben, aber ...“ „Ich habe nichts gegen Sie persönlich, Captain. Und auch nicht gegen Ihre Offiziere.“ „Ach, dann haben Sie wohl eine Wut auf die Sternenflotte im Allgemeinen uns lassen es an dieser Crew aus!“ Lairis ahnte nicht, wie genau sie ins Schwarze getroffen hatte. „Ich schlage vor, Sie reden darüber - nur, um weitere Mißverständnisse zu vermeiden!“ „Bei allem Respekt, Captain, aber das ist persönlich“, erwiderte Tygins. „Dann schlage ich vor, Sie behalten Ihre persönlichen Befindlichkeiten für sich“, konterte Lairis. „Da Sie einer der besten Ärzte in der Sternenflotte sind, würde ich Sie ungern verlieren. Aber, wie gesagt: Es bleibt Ihnen überlassen, ob Sie auf der DEFENDER dienen wollen. Falls Sie sich - wider Erwarten - doch für uns entscheiden sollten, müssen wir dringend etwas gegen unser Kommunikationsproblem tun.“ „Ay, Captain.“ „Gut!“ sagte Lairis. „Wegtreten!“ ***
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Der Himmel über Lissabon war sternenklar, als die kleine Gruppe von Starfleet-Kadetten zur Division für Planetare Operationen gebeamt wurde. Kilari Kayn fröstelte trotz der lauen, mediterranen Frühlingsluft. Es war die Heimlichtuerei, die ihr Unbehagen bereitete. Ein Instruktionsoffizier, der seinen Namen nicht nannte, Befehle, die keinen Sinn ergaben, der selbstreplizierende Computervirus, den Kilari programmiert hatte, aber dessen Funktion sie nicht kannte... Dazu kam noch die Tatsache, daß lediglich ein paar der älteren Semester über den Charakter dieser Mission Bescheid wußten... Kilari war sich darüber im Klaren, daß man als Sternenflottenoffizier manchmal Befehle befolgen mußte, ohne Frage zu stellen. Im Laufe ihrer verschiedenen Leben hatte sie jedoch ein sicheres Gespür für Gefahr entwickelt - und auch dafür, wann ein krummes Ding gedreht wurde. Genau dieses Gespür meldete sich jetzt... „Ich finde, du könntest mir endlich sagen, worum es hier geht!“ sagte sie zum dem Kadetten neben ihr, Riley Aldren Shepard. Dieser grinste. „Das erfährst du noch früh genug.“ Kilari schluckte ihren Ärger herunter. Shepard ließ keine Gelegenheit aus, um ihr zu zeigen, daß er in der Rangordnung der „Red Squad“ über ihr stand. Dabei war sie ein vereinigter Trill mit fünf Leben und außerdem älter als er. Doch wie viele andere Kadetten, die zu dieser Elitetruppe gehörten, hatte Shepard einen Höhenflug ohnegleichen. Kilari fürchtete, daß sein rationales Denkvermögen davon stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Sein herablassendes Verhalten ihr gegenüber rührte vor allem daher, daß die „Red Squad“ normalerweise keine Erstsemester aufnahmen. Bei Kilari Kayn hatte man eine Ausnahme gemacht. „Es ist alles bereit. Wir können anfangen“, sagte der Anführer der Gruppe. „Anfangen? Womit?“ wagte Kilari zu fragen. Shepard drehte sich zu ihr um - und grinste wieder einmal selbstgefällig. Sein Spektrum an mimischen Ausdrucksmöglichkeiten war offenbar recht gering... „Wir werden das globale Energienetz abschalten!“ verkündete er. „Was?“ rief die Trill entgeistert. „Die Codes und die Ausrüstung dafür haben wir auf der LAKOTA erhalten. Nun müssen wir nur noch dafür sorgen, daß dein Virus brav von Energierelais zu Energierelais springt - sonst sind wir nämlich angeschissen!“ „Der selbstreplizierende Virus... Ich dachte, das wäre eine Waffe gegen das Dominion!“ „Ist es auch“, entgegnete Shepard. „Bitte, Kilari! Du mußt uns schon vertrauen!“ mischte sich der Anführer ein. „Aber, wenn wir jetzt die Energie abschalten, ist die Erde wehrlos, falls das Dominion angreift“, protestierte die Trill. „Was bitte soll das für einen Sinn machen?“ „Los, fangen wir an!“ rief der Anführer. Kilari verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. „Ohne mich!“ Der Anführer verdrehte die Augen. „Komm schon, Kilari! Laß die Faxen!“ „Ich fasse nichts an, solange ich nicht weiß, was hier gespielt wird!“ entgegnete die Trill. „Mein Gott, wenn die noch länger ‘rumzickt, werden wir noch erwischt!“ rief ein Mädchen. Das Wort „erwischt“ ließ Kilari aufhorchen. „Es ist also doch illegal, oder?“ Niemand beantwortete ihre Frage. Shepard allerdings aktivierte seinen Kommunikator. „LAKOTA - ich fürchte, wir haben ein Problem!“ *** „Sag mal, Ilana, weißt du irgendwas über die ‘Red Squad’?“ fragte Jerad. Lairis schüttelte den Kopf. „Was soll das sein?“ „Keine Ahnung! Ich hab’ nur mitgekriegt, wie Sisko zu Layton sagte, ein Freund seines Sohnes wolle unbedingt zu den ‘Red Squad’ gehören.“ „Offenbar eine Art Studentenvereinigung“, vermutete Lairis. „Also, ich weiß nicht... Für mich klingt das eher nach irgend einem obskuren Geheimbund. Und du weißt, was ich von solchen Sachen halte!“
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„Ich habe vor, Captain Edwardsons Sohn zu besuchen und ihm mein Beileid auszusprechen. Bei der Gelegenheit kann ich ihn gleich fragen, was es mit diesen ‘Red Squad’ auf sich hat.“ „Ja, tu das!“ sagte Jerad. „Werde ich auch“, erwiderte Lairis. „Aber erst mal muß ich einen Blick in meine Mailbox werfen. Devereaux hat nämlich versprochen, die Schiffsdatenbank der CASABLANCA für mich zu überspielen. Ich werde ja sehen, was ich davon noch gebrauchen kann.“ Sie setzte sich hinter einen Terminal im Aufenthaltsraum und schaltete ihn ein. Bei der ersten Datei, die sie herunter lud, handelte es sich um ein Bild: Das 3D-Foto einer Frau, die eine rote Starfleet-Uniform aus dem späten 23. Jahrhundert trug. Die Frau war eine Humanoide und etwa 40 Jahre alt. T’Lizas Reaktion im Turbolift der CASABLANCA hatte Lairis auf das, was sie sah, bereits vorbereitet. Dennoch glaubte sie für einen Moment, keinen Computerbildschirm vor sich zu haben, sondern einen Spiegel. Zwar waren Corazón Inserras Haare etwas heller und rötlicher als ihre eigenen, die Augen nicht türkis, sondern von einem intensiven, klaren Jadegrün. Und natürlich hatte Captain Inserra auch keine Rillen auf dem Nasenrücken. Trotzdem: Die Ähnlichkeit war geradezu schockierend. Corazón trug selbst ihre Haare zu der selben, lockeren Hochsteckfrisur zusammengedreht wie Lairis... Jerad stieß einen bewundernden Pfiff aus. „Ich wußte ja gar nicht, daß du mal auf ‘ner Undercover-Mission im 23. Jahrhundert warst, Ilana!“ „Das bin nicht ich!“ entgegnete Lairis. Jerad sah sie verblüfft an. „Deine verschollene Zwillingsschwester?“ Lairis lächelte amüsiert. „Selbst wenn ich eine Zwillingsschwester hätte, wäre sie wohl kaum ein Mensch!“ „Wieso bist du dir so sicher, daß sie ein Mensch ist? Vielleicht hat sie sich ja die Nase operieren lassen...“ Lairis blickte ihren Ersten Offizier an wie eine Lehrerin einen Schüler ansah, der nicht begreifen wollte, wie man multipliziert. „Jerad, das ist Captain Corazón Inserra. Die erste Kommandantin der U.S.S. CASABLANCA.“ „Unglaublich!“ rief Jerad. „Was hat Devereaux dir sonst noch geschickt?“ „Dienstliche und persönliche Logbücher aller Captains, Missionsberichte... Das Übliche.“ „Spiel doch mal einen Logbucheintrag dieser Corazón Inserra ab!“ schlug Jerad vor. „Okay! Welchen Eintrag?“ „Egal. Meinetwegen den Allerersten.“ „Warum nicht“, erwiderte Lairis. „Persönliches Computerlogbuch, Captain Inserra, Sternzeit 9346.2...“ ertönte kurz darauf Corazóns Stimme. Sie klang ein wenig dunkler und rauchiger als die von Lairis. „Es war gar nicht einfach, dem Sternenflottenkommando zu erklären, weshalb ich die CASABLANCA zu Bruch fliegen mußte. Mir hat es ja auch in der Seele weh getan. Sie war ein gutes Schiff, und ich werde sie vermissen. Aber die verdammten Klingonen waren dabei, das Chanara-System zu erobern. Die einzige Chance, sie zu besiegen, war, ihr Flaggschiff zu zerstören. Aber zerstör’ erst mal einen Kreuzer der Vor’Cha-Klasse! Mit Phasern und Torpedos läßt sich da nicht viel machen... Also hab’ ich die Crew evakuiert und direkten Kurs auf dieses Monstrum genommen. Ich kam mir vor wie einer dieser lebensmüden japanischen Piloten. Wie heißen die doch gleich? ... Kamikaze! Zu sterben hatte ich allerdings nicht vor. Wenige Sekunden, bevor die CASABLANCA in die äußeren Plasmaverteiler des Klingonen-Kreuzers gekracht ist, hat mich Kerala von Bord gebeamt. Himmel, war das knapp! Dann saß ich mit meiner Crew auf diesem gräßlichen Klasse-L-Planeten fest... Da war es sogar noch heißer und staubiger als auf Vulkan! Hätte nie gedacht, daß das möglich ist... Zum Glück wurden wir bald von der LANZELOT hochgebeamt. Den Kampf hatten unsere Leute inzwischen gewonnen. Durch den Crash mit der CASABLANCA war das Flaggschiff explodiert und hatte vier ‘Birds of Prey’ mitgerissen. Ich will mich ja nicht selber loben, aber ich glaube, das war es, was die Schlacht zugunsten der Sternenflotte entschieden hat.
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Und dann verstehe einer diese Admiräle... Erst hängen sie mir eine Tapferkeitsmedaille um den Hals und dann schmeißen sie mir Verschwendung von Ressourcen vor! Und natürlich Verstoß gegen das Starfleet-Protokoll für die Kriegführung in bewohnten Sternensystemen! Verdammt, die sollten erst mal gegen diese blutrünstigen, klingonischen Wikinger kämpfen - dann wüßten sie, was ihr dusseliges Protokoll wert ist! Aber, was beschwer’ ich mich überhaupt... Schließlich hab’ ich heute das Kommando über dieses Prachtstück erhalten! Excelsior-Klasse - der letzte Schrei! Angeblich hat sie sogar Transwarp-Antrieb, aber als ich ihn ausprobieren wollte, ist mir fast der Warpkern abgesoffen! Soviel zum Fortschritt... Natürlich trägt auch dieses Schiff den wundervollen Namen CASABLANCA. Die meisten denken, ich hätte es nach einer Stadt auf der Erde benannt, aber das stimmt nicht ganz... ‘Casablanca’ ist der Titel eines Filmklassikers aus dem 20. Jahrhundert. Es ist mir ein wenig peinlich, das zuzugeben, aber ich habe eine Schwäche für alte Liebesfilme...“ Plötzlich verschwand Captain Inserras Gesicht vom Bildschirm und es gab nur noch Schwärze. Weniger als eine Sekunde später erlosch auch das Licht im Raum. Lairis und Jerad waren von völliger Dunkelheit umgeben.
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5. Kapitel Zur Hölle mit der Sternenflotte und ihrem elenden Technikwahn!“ fluchte Lairis. „Wenn diese Tür eine Klinke hätte, wären wir längst draußen!“ „Da ist was dran“, stimmte Jerad zu. Lairis war es inzwischen gelungen, die Tür mit ihrem Taschenmesser einen Zentimeter weit aufzustemmen, und Jerad schob sie mit aller Kraft seiner Muskeln zur Seite. Im Gang war es genauso finster wie im Aufenthaltsraum. „Sieht so aus, als wäre im ganzen Gebäude der Strom ausgefallen“, sagte der Trill. „Wahrscheinlich ist irgendwo ‘ne Sicherung durchgebrannt“, vermutete Lairis. Tief in ihrem Inneren fürchtete sie jedoch, daß die Lage wesentlich ernster war und ihr Erster Offizier empfand offenbar genauso. Während sie sich vorsichtig die Wände entlang tasteten, tauchte plötzlich ein grelles weißes Licht wie aus dem Nichts auf. Geblendet schloß Lairis die Augen. Als sie begriff, daß es sich nur um eine Taschenlampe handelte, öffnete sie sie langsam wieder. „Verdammt, müssen Sie mir so direkt ins Gesicht leuchten!“ schimpfte sie. „Entschuldigung!“ entgegnete eine weibliche Stimme fast genauso mürrisch. „Commander Benteen!“ rief Jerad, als er die Frau erkannte. Hinter Benteen kamen Layton und Sisko um die Ecke. Auch sie hielten Taschenlampen in den Händen. „Commander Benteen, Captain Sisko, darf ich vorstellen: Captain Lairis von der U.S.S. DEFENDER und ihr Erster Offizier, Commander Jerad Silgon“, sagte der Admiral. Der Blick, den Sisko Lairis zuwarf, war schwer zu deuten. „Die DEFENDER? Herzlichen Glückwunsch, Captain!“ „Danke“, erwiderte Lairis. „Weiß einer von Ihnen, was hier passiert ist?“ „Das kann ich erklären, Captain - aber es wird Ihnen sicher nicht gefallen!“ antwortete Layton. „Da der Strom offenbar auf dem gesamten Planeten ausgefallen ist, nehmen wir an, daß das globale Energieversorgungsnetz ... sabotiert wurde.“ Lairis riß alarmiert die Augen auf sog zischend die Luft ein. „Wechselbälger?“ fragte Jerad. „Wer sonst?“ entgegnete Benteen leicht spöttisch. Lairis warf ihr einen giftgrünen Blick zu. Diese Frau und Jerad mochten zwar gleichrangig sein - dennoch mißfiel ihr der Ton, in dem Laytons Adjutantin mit ihrem Ersten Offizier sprach. „Was werden Sie jetzt tun?“ fragte sie dann, an Layton gewandt. „Captain Sisko und ich werden zum Präsidenten gehen und ihn davon überzeugen, den Ausnahmezustand auszurufen.“ Lairis konnte sich ein schockiertes „Was?“ nicht verkneifen. „Es befinden sich Wechselbälger auf der Erde - und sie haben das globale Energienetz sabotiert!“ konterte Benteen. Sisko verzog grimmig das Gesicht. „Mir gefällt das Ganze auch nicht, Captain, aber ich fürchte, wir haben keine andere Wahl.“ Lairis nickte ergeben. „Sie haben ja Recht.“ Sisko warf ihr seine Taschenlampe zu. „Sieht so aus, als ob Sie die brauchen!“ „Danke, Captain“, murmelte Lairis abwesend. Dann entfernten sich die drei. Lairis und Jerad konnten noch ein paar Satzfetzen aufschnappen, etwas, das wie „...hätten testen sollen, ob sie Formwandler sind...“ klang. Ohne Zweifel Benteens Stimme. Schweigend suchten sie einen Weg nach draußen. Dort setzten sie sich auf den Rand der Blumenrabatte, bei der sie sich am Morgen versammelt hatten, bevor sie zur
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„Utopia Planitia“-Werft aufgebrochen waren. Über dem Horizont lag noch ein heller Schimmer, doch ansonsten war es dunkel. Nur die Sterne spendeten ein wenig Licht. „Ich denke, es war richtig, den Ausnahmezustand auszurufen“, meinte Jerad. „Ohne Energie ist die Erde schließlich wehrlos - ein gefundenes Fressen für ’s Dominion!“ „Wenn das Dominion jetzt angreift, sind wir alle verloren! Da nützt es auch nichts, wenn Layton einen Sicherheitsoffizier neben jedem einzelnen Laternenpfahl postieren läßt!“ konterte Lairis. „Ich sag ‘s nicht gern - aber das einzige, was zwischen uns und der Vernichtung steht, ist die DEFENDER!“ „Ich fürchte, ein einzelnes Schiff kann gegen eine Jem’Hadar-Flotte nicht viel ausrichten.“ Lairis nickte. „So ist es.“ „Meinst du allen Ernstes, wir sollten lieber Däumchen drehen und auf das Begrüßungskomitee der Jem’Hadar warten?“ „Natürlich nicht!“ rief Lairis. „Es ist schon richtig, so viele Sternenflottenoffiziere, wie es geht, zu mobilisieren, und es ist auch richtig, in so einer Situation den Ausnahmezustand auszurufen. Ich hab’ nur ein verdammt schlechtes Gefühl bei der Sache.“ „Ein schlechtes Gefühl? Inwiefern?“ „Also, ich finde, Layton handelt ein bißchen... übereilt. Da ist der Strom noch nicht einmal zehn Minuten weg - und schon glaubt er, zu wissen, daß die Energieversorgung durch Wechselbälger sabotiert wurde!“ „Hast du etwa eine andere Erklärung?“ Lairis schüttelte zögernd den Kopf. „Wahrscheinlich möchte ich nur nicht wahr haben, daß die Erde praktisch unter Kontrolle der Wechselbälger steht. Aber du hast leider recht: Es ist die einzig logische Erklärung.“ „Und wir können nichts weiter tun, als auf die Entscheidung des Präsidenten zu warten...“ „Wenn ich Jaresh Indio richtig einschätze, wird es eine Weile dauern, bis Layton ihn überzeugt hat. In der Zwischenzeit kann ich Raymond Edwardson besuchen“, sagte Lairis. „Du trommelst schon mal die Crew zusammen, Jerad! Wir müssen Kriegsrat halten!“ Der Trill lächelte schief. „Kriegsrat! Welch eine passende Bezeichnung!“ *** Raymond Edwardson kniete auf dem Boden und fummelte an einem Gerät herum, das entfernt einem antiken Fahrrad ähnelte. Neben ihm hockte ein blasses Mädchen mit dunkelbraunen Locken und großen dunklen Augen. Die jungen Leute trugen beide ihre Kadettenuniformen. Als Raymond Captain Lairis hereinkommen sah, stand er auf. Das Mädchen tat es ihm nach. Beide nahmen augenblicklich militärische Haltung an und bemühten sich um einen ernsten, dienstbeflissenen Gesichtsausdruck. „Kadett Raymond Edwardson, Dienstnummer 51398-72!“ „Kadett Diana de Marco, Dienstnummer 409...“ Lairis konnte sich ein belustigtes Lächeln nicht verkneifen. „Ich bin nicht wegen eurer Dienstnummern gekommen“, unterbrach sie das Mädchen. Diana blickte etwas verwirrt. „Wie Sie meinen, Captain.“ Lairis lächelte ihr noch einmal kurz zu und wandte sich dann an Raymond. „Ich bin Captain Lairis Ilana. Das Sternenflottenkommando hat mir die Befehlsgewalt über die U. S. S. DEFENDER übertragen.“ „Defender...“ echote Raymond fast mechanisch. „Ich weiß, daß Ihr Vater dieses Schiff ursprünglich kommandieren sollte“, fuhr Lairis fort. „Als seine Nachfolgerin möchte ich nur sagen, wie leid es mir für Sie und Ihre Familie tut.“ Raymond nickte. „Danke, Captain!“ „Die Sternenflotte hat mit Ihrem Vater einen hervorragenden Offizier verloren. Sie sollten stolz auf ihn sein, Raymond!“ „Das bin ich, Captain!“ Der Junge versuchte, so gefaßt wie möglich zu klingen, doch Lairis erkannte, daß er die Tränen nur schwer zurückhalten konnte. 43
„Captain, ist es wahr, daß die Energieversorgung durch Wechselbälger sabotiert wurde? Und daß es mehrere Tage dauert, bis die Relais wieder funktionieren?“ fragte Diana. Lairis nickte. „Ja, ich fürchte, das ist beides wahr.“ „Denken Sie, das Dominion greift bald an?“ „Ich hoffe, nicht!“ entgegnete sie. Sie wußte, das war kein Trost, doch sie brachte es nicht fertig, zwei Kadetten der Sternenflotte zu belügen. „Sagen Sie, was wissen Sie eigentlich über die ‘Red Squad’?“ fragte sie dann. Diana seufzte leise. „Ich fürchte, da fragen Sie die falschen Leute! Vielleicht wenden Sie sich besser an Kilari Kayn oder irgend einen anderen dieser Überflieger...“ „Überflieger?“ „Die ‘Red Squad’ sind die Besten der Besten“, erklärte Raymond. „Sozusagen ein Eliteteam von Kadetten der Sternenflottenakademie. Wenn Kilari Kayn nichts darüber weiß, können Sie auch Nog fragen. Er unternimmt in letzter Zeit ganz schöne Klimmzüge, um die Namen der ‘Red Squad’-Leute ‘rauszukriegen. Er will selber unbedingt dazugehören, wissen Sie...“ „Danke, Kadett“, erwiderte Lairis. „Übrigens...“ Sie zeigte auf das Gerät, an dem Raymond bis vor kurzen gebastelt hatte. „Was ist das für ein Ding?“ „Ein Tretgenerator“, antwortete der Junge. „Mein Kumpel Carlos hat ihn gebaut. Ziemlich geniale Konstruktion. Carlos wird bestimmt mal Chefingenieur!“ „Sie wissen sich zu helfen - das ist gut!“ meinte Lairis. Dann verabschiedete sie sich und verließ die Kadettenbaracke. Eine Minute später merkte sie, daß Raymond ihr nachlief. „Captain...“ rief er. „Captain Ilana! Warten Sie!“ „Captain Lairis!“ korrigierte sie lächelnd. Raymond senkte verlegen den Blick. „Tut mir leid, Ma’am.“ „Macht nichts! Alle Bajoraner sind es gewohnt, daß man ihre Namen verdreht“, erwiderte Lairis. „Also, was gibt es noch?“ „Mir ist noch was eingefallen...“ begann Raymond. „Ich habe die Sicherheitsbox gefunden, die mein Vater zur Konferenz mitnehmen wollte. Ich dachte zwar, ich hätte sie ihm gegeben, aber das, was ich ihm statt dessen gegeben habe, war wohl was anderes...“ „Der Wechselbalg“, bemerkte Lairis trocken. Raymond nickte. „Ja, ich fürchte auch, mein Dad hat ihn in Antwerpen eingeschleppt. Aber ich hab die echte Sicherheitsbox gefunden, als ich gestern seine persönlichen Sachen durchgesehen habe. Ich weiß nicht, was drin ist. Wir hatten vermutet, daß es die Konstruktionspläne für eine Tarnvorrichtung sind, aber natürlich konnten wir es nicht wissen. Jedenfalls ... was immer es ist - ich denke, es gehört jetzt Ihnen.“ „Danke, Raymond“, sagte Lairis. „Ist die Box hier in Ihrem Quartier?“ Der Kadett schüttelte den Kopf. „Leider nicht. Aber wir können den Transporterchief der LAKOTA fragen, ob er uns zum Haus meiner Eltern in Seattle beamt.“ „Ich würde ja die Transporter der DEFENDER benutzen, wenn jemand an Bord wäre, der sie bedient“, sagte Lairis. „Aber die LAKOTA zu kontaktieren, ist auch keine schlechte Idee.“ Zwei Minuten später materialisierten sich beide in Seattle. Der Regen, der dort auf sie niederprasselte wie eine biblische Sintflut, erinnerte sie daran, daß mit der Energie auch das Wetterkontrollsystem ausgefallen war. „Das nächste Mal sagen Sie diesem verdammten Transporterchief, er soll uns direkt ins Haus beamen!“ schimpfte Lairis. Sie bemerkte nicht, wie der junge Kadett grinste. Zu sehr war sie gefesselt vom Anblick Dutzender Menschen, die - vollgepackt mit überquellenden Einkaufstüten, Taschen oder Rucksäcken - durch die Straßen eilten wie aufgescheuchte Hühner. Der Regen schien ihnen nicht das geringste auszumachen. „Seit dem Energieausfall sind alle am hamstern und horten“ erklärte Raymond. „Die Leute stürmen sämtliche Lebensmittelläden und Restaurants, als ob morgen die Welt untergehen würde!“ Dann warf er einen verstohlenen Blick auf Lairis. „So abwegig ist das gar nicht, oder?“
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Der Captain stimmte ihm zu. „Ich fürchte, Föderationsbürger, die ohne Replikator überleben können, sind inzwischen fast so selten wie Bajoraner, die nicht an die Propheten glauben!“ Als die beiden das Haus betraten, lag es völlig im Dunkeln. Nicht einmal eine Kerze brannte. Offenbar war auch Raymond Edwardsons Mutter zum „hamstern“ aufgebrochen, wie der Junge es auszudrücken pflegte. Trotzdem... Im Wohnzimmer bewegte sich etwas. Vielleicht war es ein Haustier, vielleicht auch nur eine Gardine, die von einem Luftzug gestreift wurde... Lairis zog dennoch ihren Phaser. „Bleiben Sie hinter mir!“ flüsterte sie Raymond zu. Der Junge gehorchte. Dann wieder eine Bewegung... Schritte... Kein Tier machte einen solchen Krach beim Laufen... Lairis versteckte sich schnell hinter einem Schrank und zog Raymond mit sich. Dann leuchtete plötzlich ein Licht in der Dunkelheit auf. Das Licht bewegte sich direkt auf sie zu. Sie erkannte die Silhouette eines Menschen. Eines Menschen mit einer Taschenlampe in der Hand. Offenbar doch ein Mitglied der Familie Edwardson... Dann sah Lairis, daß es Raymond war. Raymond... Das kann unmöglich Raymond sein! Raymond steht doch hinter mir... Sie betätigte den Abzug ihres Phasers. Die Waffe war auf Betäubung eingestellt, und der Strahl traf den Jungen in der Brust. Doch statt daß er bewußtlos zu Boden ging, verbog und deformierte sich sein Körper, zuckte, ja waberte unkontrolliert. Innerhalb von Sekundenbruchteilen verwandelte sich Raymond Edwardsons Arm in einen meterlangen Tentakel, der sich mit eisernem Griff um Lairis’ Handgelenke schlang. Sie schrie, als sich ein scheußlicher Schmerz durch ihre Nervenbahnen fraß. Wie konnte ein Wesen, das im Grunde nur aus gallertartigem Protoplasma bestand, eine derartige Kraft entwickeln? Ihre Finger lockerten sich und der Phaser fiel zu Boden. Zum Glück war Raymond - der echte Raymond - geistesgegenwärtig genug, sich die Waffe zu schnappen und zu schießen. Dort, wo wenige Sekunden zuvor noch sein haargenaues Abbild gestanden hatte, schoß nun eine Schlange aus bräunlichem Gallert in die Höhe. Sie verschwand blitzschnell durch einen Lüftungsschacht unter der Decke. Etwas fiel laut scheppernd zu Boden. Die Sicherheitsbox. „Mist, der Wechselbalg ist entwischt!“ fluchte Raymond. Dann kümmerte er sich um Captain Lairis, die mit schmerzverzerrtem Gesicht an der Wand lehnte und angewidert die blutigen Quetschungen an ihren Handgelenken betrachtete. „Warten Sie, Captain, meine Mutter muß irgendwo ‘nen Hautregenerator haben...“ „Ich hoffe, das Ding flickt auch meine Knochen!“ stieß Lairis zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Dieses Mistding hat zugedrückt wie ‘ne andorianische Boa!“ Nachdem Raymond den Hautregenerator gefunden und den Captain erfolgreich verarztet hatte, nahmen sie die Box und beamten zurück nach San Francisco. *** Die Glasveranda des Hotels war zertrümmert worden. Entsetzt und gleichzeitig fasziniert betrachtete Lairis, was davon übrig geblieben war: Ein Haufen Scherben. Genau wie von der Föderation... „Blödsinn!“ schimpfte Lairis im nächsten Augenblick mit sich selbst. Wieso kam sie auf die Idee, daß die Föderation bereits in Scherben lag? Weil ein Wechselbalg sie angegriffen hatte? Weil es ein paar Rowdys Spaß machte, Scheiben einzuwerfen? Weil die Bewohner der Erde in Endzeit-Stimmung verfallen waren? Hatte sie tatsächlich geglaubt, es gäbe keinen Ausweg aus dieser Krise? Das sah Lairis Ilana gar nicht ähnlich... Sie schüttelte irritiert den Kopf, weil sie sich plötzlich selbst nicht mehr verstand. Dann stieg sie vorsichtig über die Glasscherben hinweg und betrat das Foyer. Die mollige Empfangsdame war nicht hier. Niemand war hier... Lairis umklammerte ihren Phaser und zielte abwechselnd in verschiedene Richtungen. Dieses Mal hatte sie die Waffe auf Töten eingestellt. Ein weiterer Nahkampf mit einem Wechselbalg war das Letzte, was sie sich im Moment wünschte. Auf ihrem Zimmer angekommen, suchte sie sich erst einmal ein paar trockene Sachen heraus. Es war kühler geworden, und sie hatte in ihrer durchnäßten Uniform regelrecht gefroren. 45
Also zog sie sich um, rieb ihre nassen Haare notdürftig mit einem Handtuch trocken und machte sich dann auf die Suche nach einer Notfallausrüstung. Als sie auf ihrem Zimmer nichts dergleichen fand, brach sie in die Räume des Hausmeisters ein. Dort fielen ihr zumindest eine Taschenlampe und ein paar Batterien in die Hände. Den Rest hatte ganz offensichtlich jemand mitgehen lassen, der schneller gewesen war als sie... Auch die Vorräte in der Küche waren mehr oder weniger geplündert worden. Als Lairis das Hotel verlassen wollte, stieß sie in der Empfangshalle mit jemanden zusammen. Ihr erster Impuls war, den Phaser zu ziehen - doch anstatt Tentakel auszufahren, die sie würgten oder ihre Handgelenke in Brei verwandelten, sagte die Person schlicht „Entschuldigung!“ Lairis betrachtete sie im Schein der Taschenlampe genauer. Es handelte sich um ein junges Mädchen mit blonder Lockenmähne, das ein blaues oder grünes Minikleid trug. Das Mädchen blickte auf - und Lairis sah plötzlich in ein Gesicht, das fast ihr eigenes sein konnte. Sie erkannte auch die feinen, im Grunde nur angedeuteten Riffeln auf dem Nasenrücken, die auf bajoranische Erbanlagen schließen ließen. Das Mädchen blickte den Captain ungläubig an. „Mom!“ rief sie, völlig perplex. „Julianna!“ stammelte Lairis nur und nahm ihre Tochter impulsiv in die Arme. Julianna wirkte für einen Augenblick ziemlich überrumpelt, dann erwiderte sie die Umarmung. Doch sie tat es so steif und mechanisch, als würde es für sie keinen Unterschied machen, ob sie ihre Mutter oder einen Bergbau-Androiden umarmte. Nach einem kurzen Moment wich sie zurück. „Julianna... Was ist mit dir los?“ fragte Lairis irritiert. „Was machst du überhaupt hier?“ „Bitte tu mir einen Gefallen und laß mich in Ruhe!“ entgegnete das Mädchen schroff. Lairis brauchte eine Weile, um sich über die Bedeutung dieser harten Worte klar zu werden. Es war, als hätte ihre Tochter sie ohne Vorwarnung k.o. geschlagen oder ins kalte Wasser geschmissen. Sie hielt es für das Klügste, das Thema zu wechseln, um sich selbst davor zu bewahren, völlig die Fassung zu verlieren. Sie hatte Angst, etwas zu tun, was ihr peinlich sein könnte - oder was ihr später einmal sehr leid täte... „Julianna... ich dachte, ihr würdet noch auf Sternenbasis 517 leben...“ begann sie. „Dad ja - ich nicht“, entgegnete Julianna cool. Lairis starrte ihre Tochter fassungslos an „Du bist abgehauen?“ „Sag bloß, du hast ein Problem damit“, konterte Julianna sarkastisch. „Allerdings! Das habe ich!“ rief Lairis hitzig. „Tu jetzt bloß nicht so, als würdest du dich für mich interessieren! Du hast doch nur deine scheiß Karriere in der Birne! Kannst froh sein, daß du mich endlich los bist...“ „Das ist nicht wahr!“ erwiderte Lairis aufgebracht. „Ach nein? Und warum hast du mich dann zu Dad abgeschoben, dieser Nervensäge?“ „Ich habe dich nicht abgeschoben“, erklärte Lairis, so ruhig sie konnte. „Das Gericht hat so entschieden. Ich war dagegen ziemlich machtlos.“ Julianna verdrehte die Augen. „Das Gericht! Toll!“ „Julianna, bitte, was soll das...“ „Das kann ich dir sagen“, erwiderte das Mädchen. „Ich will nichts mehr mit euch zu tun haben: Nicht mit Dad - und mit dir auch nicht!“ „Sehr durchdacht! Wirklich, Julianna!“ Lairis versuchte hinter ihrem Sarkasmus zu verbergen, wie verletzt sie war. „Sarek von Vulkan hätte kaum logischer entscheiden können!“ „Soll ich jetzt etwa beleidigt sein?“ motzte Julianna. „Das bleibt dir überlassen“, konterte Ilana traurig. Plötzlich begann der Boden unter ihnen zu zittern. Das Zittern wurde von Sekunde zu Sekunde heftiger - bis es den beiden Frauen kaum noch möglich war, sich auf den Füßen zu halten. Ein unheilverkündendes Knirschen ließ vermuten, daß sich Risse in der Decke bildeten. Kalk rieselte herab wie fein vermahlenes Fallout. „Los, raus hier!“ rief Lairis. Sie nahm ihre Tochter bei der Hand und zerrte sie einfach mit sich. 46
„Oh Gott, sie greifen an!“ wimmerte Julianna. Ihre Stimme schien mit jedem Wort eine Oktave höher zu klettern. „Die Jem’Hadar greifen an! Oh Mann, jetzt sind wir alle erledigt!“ Sie klammerte sich ängstlich an ihre Mutter, die wie automatisch die Arme um sie schlang. „Das sind keine Jem’Hadar“, beruhigte Lairis das Mädchen. „Das war nur ein Erdbeben.“ Julianna nickte und verstand. Seit dem Energieausfall funktionierten die seismischen Kontrollsysteme nicht mehr. Und San Francisco lag nun einmal in einem Erdbebengebiet... Lairis verzog die Lippen zu einem ironischen Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte. „Na, soll ich dich immer noch in Ruhe lassen?“ fragte sie ihre Tochter. Julianna rang sich ein kurzes Lachen ab. „Ich hab ’s nicht so gemeint, Mom. Es ist nur so... Als ich abgehauen bin, war ich unheimlich wütend auf Dad. Während ich zur Erde geflogen bin, hatte ich ‘ne Menge Zeit zum nachdenken - also hab ich mich immer mehr in meine Wut ‘reingesteigert. Am Ende war ich dann sauer auf alles und jeden: Auf Dad, auf dich, auf die Wechselbälger, weil sie uns den Saft abgeschaltet haben, auf die Föderation, weil sie ihn nicht wieder eingeschaltet kriegt...“ „Das heißt, du nimmst alles zurück?“ fragte Lairis zweifelnd. „Mal seh’n!“ entgegnete Julianna gedehnt. „Du hast dich immerhin fast sieben Jahre nicht gemeldet, und da dachte ich...“ „Moment mal, ich hab’ euch so oft kontaktiert, daß fast der Subraum heißgelaufen ist!“ unterbrach Lairis ihre Tochter. „Dummer Weise war dein Vater jedesmal am anderen Ende der Leitung. Entweder hat er behauptet, du wärst nicht da, oder du hättest keine Lust, mit mir zu reden...“ Julianna nickte langsam. „Es gab Zeiten, da war ich so sauer auf dich, daß ich dich nie wieder sehen wollte. Ich meine, ich wußte ja nicht, was bei eurem komischen Sorgerechtsstreit abgelaufen ist, und ich weiß es heute immer noch nicht so genau...“ „Es würde dir nicht gefallen“, entgegnete Lairis trocken. Julianna sah sie fragend an. „Na, egal“, meinte sie dann. „Du kannst es mir ja irgendwann erzählen... Dad glaubt jedenfalls, daß du ihn damals verlassen hast, weil er nicht gut genug für dich war. Und ich dachte... das wär’ ich auch nicht.“ Lairis rang um ihre Fassung. „Hat Matthew dir diesen Blödsinn eingeredet?“ Julianna schüttelte langsam den Kopf. „Nein, das hat er nicht! Jedenfalls nicht direkt...“ „Er sagt niemals irgend etwas direkt“, meinte Ilana steif. „Ich kann mich nicht erinnern, daß er jemals irgendwas schlechtes über dich gesagt hätte“, fuhr das Mädchen fort. „Im Gegenteil: Er hat immer von dir geschwärmt, als wärst du ein höheres Wesen oder so was. Dazu kamen noch seine Kumpels von der Sternenflotte, für die du nach dieser Schlacht bei W OLF 359 so ‘ne Art lebende Legende geworden warst. Immerhin war dein Schiff das einzige, das dort mit den Borg zusammen gerasselt ist und einigermaßen heil wiederkam...“ „Ja, weil wir abgehauen sind und uns in einem Mondkrater verkrochen haben!“ fuhr Lairis hitzig dazwischen. „Ist das vielleicht das Verhalten einer lebenden Legende?“ „Hey, ich will nicht mit dir streiten, wie man heldenhaft Krieg führt!“ Julianna grinste. „Das ist nun wirklich nicht mein Metier!“ „Also, wenn ich dich richtig verstanden habe, wolltest du nichts mehr mit mir zu tun haben, weil du mir gegenüber Komplexe hast?“ faßte Lairis zusammen. „Nein!“ Julianna seufzte. „Doch...“ Sie lächelte schief. „Ich meine, ich kann verstehen, daß du Dad verlassen hast. Er ist wirklich ein ganz schöner Langweiler, eben der totale Durchschnittstyp. Und ich fürchte, das bin ich auch.“ Julianna meinte es ehrlich. Obwohl sie immer gut in der Schule gewesen war, fiel ihr kein Gebiet ein, auf dem sie jemals überragendes geleistet hätte. Sie war weder ein Genie noch eine Weltschönheit, sondern nur ein ganz normaler Teenager. Zwar hübsch und intelligent, aber dennoch mittelmäßig... „Jedenfalls kann ich nie so sein wie du!“ sagte sie zu ihrer Mutter. „Ach, Julianna!“ seufzte Lairis und bemühte sich um ein versöhnliches Lächeln. „Du sollst doch nicht so werden wie ich! Wenn ich das gewollt hätte, hätte ich dich einfach geklont!“ 47
„Die Frage ist, ob du mich überhaupt gewollt hast...“ entgegnete Julianna leise. Lairis sah ihre Tochter schockiert an. Alles in ihr verkrampfte sich. Jahrelang hatte sie Matthew dafür verantwortlich gemacht, daß Julianna nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Dadurch hatte sie sich etwas besser gefühlt. Doch vielleicht war sie selbst nicht ganz unschuldig an Juliannas verkorkster Gefühlslage... War Julianna die Tochter, die sie sich vorgestellt hatte? Eigentlich hatte Lairis nie eine konkrete Vorstellung gehabt, was einmal aus ihrem Kind werden sollte. Als sie das Sorgerecht verloren hatte, war Julianna erst zehn gewesen. Ein Alter, in dem fast alles offen war... Doch nun wurde sie bald siebzehn. „Wie kommst du auf die Idee, daß ich dich nicht gewollt hätte?“ fragte sie das Mädchen. Sie konnte nicht verhindern, daß ihre Stimme dabei leicht zitterte. Julianna zuckte die Achseln. „Schwer zu sagen. Es war so ein Gefühl...“ Lairis enthielt sich eines Kommentars und hörte statt dessen zu, wie ihre Tochter weiter erzählte: „Du hast uns zum Beispiel nie besucht ... naja, bis auf dieses eine Mal ... also dachte ich, die Sache wäre für dich erledigt...“ „Ich gebe zu, mein Dienstplan hat mir nicht gerade viel Spielraum gelassen - aber ich habe euch mehrmals besucht“, stellte Lairis richtig. „Ach ja? Davon hat Dad nichts erzählt!“ „Das wundert mich gar nicht“, konterte Lairis. „Was meintest du eigentlich mit ‘dieses eine Mal’?“ fragte sie dann. Julianna seufzte und begann zu erzählen: „Das eine Mal, als du uns besucht hast - so vor drei oder vier Jahren... Ich hörte, wie Dad mit dir geredet hat, und ich war sogar kurz davor, zur Tür zu rennen und ‘Hallo’ zu sagen. Die Phase, wo ich dich gehaßt habe, hatte ich eigentlich schon hinter mir... Aber dann hörte ich, wie ihr euch meinetwegen gestritten habt... Dad versuchte, dich abzuwimmeln, aber du hast gedroht, ihn mit dem Phaser zu betäuben, falls er dich nicht ‘rein-läßt... Sorry, Mom, aber das war mir einfach zu blöd! Ich kam mir dabei vor wie... wie ein Stück Latinum, um das sich zwei Ferengi keilen! Also hab ich mich heimlich aus dem Quartier beamen lassen, während ihr damit beschäftigt wart, euch anzugiften...“ „Okay, es war ganz schön peinlich, wie ich mich da aufgeführt habe...“ Lairis verzog das Gesicht. „Allerdings war ich, wie gesagt, schon ein paar mal bei euch gewesen - und du warst angeblich nie zu Hause. Dein Vater ist - Entschuldige, Schatz! - leider nicht gerade das ehrlichste Lebewesen im Universum. Also wollte ich mich endlich mal selber überzeugen...“ „Ich war wirklich fast nie zu Hause“, unterbrach Julianna ihre Mutter. „Es gab ‘ne Phase, da hab’ ich mich in so ziemlich alle Aktivitäten gestürzt, die im Sektor angeboten wurden: Vom Pfadfinderclub bis hin zu vulkanischen Meditationsübungen...“ Sie grinste. „Nicht, daß ich besonders gut darin gewesen wäre... Aber es war immer noch besser, als zu Hause ‘rumzuhängen und sich zu langweilen.“ „Bist du deswegen ausgerissen? Weil du dich gelangweilt hast?“ fragte Lairis. „Eigentlich nicht“, erwiderte Julianna. „Mit einem langweiligen Vater kann ich leben - aber nicht mit einem, der versucht, mein Leben total zu verplanen!“ „Wie meinst du das?“ hakte Lairis nach, obwohl sie die Antwort ihrer Tochter bereits erahnte. „Zum Beispiel hat er mich ständig gefragt, was ich mache... wo ich war... was ich vorhabe... Ich glaube, er hat so ‘ne Art krankhaften Kontrollzwang! Die Jungs, mit denen ich ausgegangen bin, hat er damit auch vergrault, obwohl er eigentlich nett zu ihnen war. Ich hab’ ihm schon mindestens fünfhundert mal gesagt, wie sehr mich das nervt!“ „Und er hat natürlich geantwortet, daß er das nicht etwa tut, weil er dich kontrollieren will, sondern weil ihn dein Leben so wahnsinnig interessiert!“ Julianna grinste. „Du bist wohl Telepathin, Mom!“ „Nein, aber ich war mal seine Frau.“ Julianna verdrehte die Augen. „Kein Wunder, daß du Transwarp gemacht hast!“ Beide lachten.
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„Seit mein letztes Highschool-Jahr angefangen hat, wird es immer schlimmer“, erzählte das Mädchen weiter. „Ich will später Anthropologie studieren, aber Dad hält das für Quatsch und meint, ich könnte später nichts damit anfangen. Wir haben uns immer wieder deswegen gestritten - das heißt, er jedesmal so getan, als würde er mich verstehen, und mir versprochen, daß er mich zu nichts überreden wird, was ich nicht will. Aber zwei oder drei Tage später brachte er dann wieder Bewerbungsformulare für Rechtswissenschaften oder irgendso‘n anderes Langweiler-Fach angeschleppt...“ „Sieht so aus als hätte er sich kein bißchen verändert“, kommentierte Lairis. „Eines Tages hatte ich dermaßen die Schnauze voll von ihm, daß ich einfach meine Sachen gepackt hab’ und mit dem nächstbesten Frachter mitgeflogen bin. Ich landete erst mal auf irgend einer anderen Sternenbasis und hab’ schnell gecheckt, welches Schiff als nächstes zur Erde fliegt. Auf diesem hab’ ich mich dann als blinder Passagier versteckt. Ich glaube, es war die U.S.S. CARTHAGIA...“ „Wie lange bist du schon hier?“ fragte Lairis. „Noch nicht lange. Eine Woche.“ „Und wo hast du geschlafen? Von was hast du gelebt?“ „Gepennt hab’ ich meistens unter freiem Himmel und Fressalien hab’ ich mir beschafft, indem ich die Replikatoren in irgendwelchen öffentlichen Gebäuden benutzt hab’.“ „Und wo hast du dich gewaschen?“ Julianna grinste. „Wozu gibt’s Schwimmhallen!“ „Wirklich clever! Du hättest sogar beim bajoranischen Widerstand überleben können!“ Lairis verdrehte die Augen. „Es wäre trotzdem vernünftiger gewesen, du hättest dir ein Hotelzimmer oder irgend eine andere Bleibe gesucht!“ „Ein Hotelzimmer! Tolle Idee!“ Julianna lachte kurz. „Wenn ich irgendwo meinen Namen angebe, steckt man mich zwei Tage später ins nächstbeste Raumschiff und ich lande wieder zu Hause bei Daddy! Außerdem - auf der Erde ist es schließlich sicher.“ „Du meinst, solange die Energieversorgung funktioniert“, konterte Lairis mit Blick auf die Hektik um sie herum. Es war das gleiche Szenario wie in Seattle. Doch dann kam etwas anderes hinzu... Männer und Frauen in Sternenflottenuniformen, die sich plötzlich in den Straßen materialisierten. Sicherheitsoffiziere, bewaffnet mit Phasergewehren. Der Ausnahmezustand... Admiral Layton war also erfolgreich gewesen. Captain Lairis wußte nicht, was sie davon halten sollte. „Als hier das Chaos ausgebrochen ist, hab’ ich mich ja auch nach ‘ner Bleibe umgesehen“, sagte Julianna gerade. „Da bin ich auf dieses verlassene Hotel gestoßen und hab’ dort einfach ein Zimmer besetzt.“ Inzwischen hatten sie das Hauptquartier der Sternenflotte erreicht. Julianna war die ganze Zeit einfach neben ihrer Mutter hergelaufen. Das Ziel war ihr egal gewesen. „Jetzt ist mir vieles klarer“, sagte Lairis. „Was denn zum Beispiel?“ „Warum dein Vater wieder Kontakt zu mir aufgenommen hat. Angeblich wollte er mir nur zu meinem neuen Kommando gratulieren. Er überlegt wahrscheinlich noch, wie er mir schonend beibringen kann, daß du von zu Hause abgehauen bist.“ „Dad hat mit dir gesprochen?“ „Vor zwei Tagen. Er hat mich auf dem Weg zum Hauptquartier abgefangen und...“ „Was? Er ist hier?“ rief Julianna entgeistert. „Hier auf der Erde?“ „Ja.“ „Oh Scheiße!“ „Beruhige dich, meine Kleine! Die Erde ist groß.“ „Aber er ist hier in San Francisco, oder?“ „San Francisco ist auch groß.“
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„Na klasse!“ Julianna stöhnte frustriert. „Familientreffen bei Stromausfall! Vielleicht kommen ja die Jem’Hadar zu unserer Wiedersehensparty! Oder wie wär‘s mit ‘nem netten Wechselbalg, der sich für uns mal schnell in Elvis verwandelt?“ „Ilana! Da bist du ja endlich! Wir haben dich schon vermißt!“ meldete sich unvermittelt eine männliche Stimme. Es war Jerad. „Sagen wir, ich wurde verschiedentlich aufgehalten“, erwiderte Lairis. „Jerad, das ist übrigens meine Tochter Julianna - Julianna, das ist Commander Jerad Silgon, mein Erster Offizier.“ Die beiden lächelten sich an und schüttelten sich höflich die Hand. Dann fiel Jerads Blick auf die Sicherheitsbox, die Lairis sich unter den Arm geklemmt hatte. „Was ist da drin?“ fragte er. „Keine Ahnung“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Aber es scheint wichtig zu sein. Jedenfalls wichtig genug für ein Wechselbalg, um mich anzugreifen.“ „Was, ein Wechselbalg hat dich angegriffen?“ fragten Jerad und Julianna fast gleichzeitig. „Es geht mir wieder gut“, versicherte Lairis schnell. Dann erzählte sie, was passiert war. „Noch ein Grund mehr, um Kriegsrat abzuhalten“, bemerkte der Trill grimmig. Captain Lairis wandte sich an ihre Tochter. „Ich hab’ was wichtiges mit meinen Offizieren zu besprechen. Keine Ahnung, wie lange es dauert.“ Julianna nickte. „Ich warte hier.“
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6. Kapitel Es war schon seltsam, auf dem Gelände der „Starfleet Headquarters“ ein Lagerfeuer brennen zu sehen. Noch merkwürdiger war allerdings, daß einige der um das Feuer versammelten Sternenflottenoffiziere weiße Styroporwürfel über den Flammen rösteten und diese auch noch aßen! „Das sind Marshmallows. Der Transporterchief der LAKOTA hat sie uns geschickt“, erklärte Jerad und hielt Lairis die Tüte hin. „Willst du mal probieren?“ Zögernd schob sie sich einen der weißen Würfel in den Mund. Im nächsten Moment verzog sie angewidert das Gesicht. Dieses Zeug schmeckte wie der pure Zucker und war obendrein noch klebrig! „Bäh, wie kann man so was nur freiwillig essen!“ Jerad zuckte die Schultern. „Die Menschen sind ganz verrückt danach.“ „Menschen sind komische Geschöpfe.“ Jerad lachte. „Sie sollten Sie rösten! Dann schmecken sie gar nicht so schlecht!“ „Die Menschen?“ „Nein, die Marshmallows!“ Lairis bedachte ihren Ersten Offizier mit einem amüsierten Lächeln. Seine Empörung wirkte so echt... Dann trat sie näher ans Feuer heran und ließ ihren Blick über die versammelten Offiziere schweifen: Jerad, neben ihr, hochgewachsen und athletisch, mit kantigen Gesichtszügen, leicht ergrauten braunen Haaren und scharfen blauen Augen, ein markantes Profil, verziert mit einem aparten Fleckenmuster. Dann Prescott, noch nicht einmal 1,70 Meter groß, aber dafür ein wahres Muskelpaket. Neben ihm ragte Lieutenant van Emden wie eine lange schmale Latte auf. Daneben stand Dr. Tygins, ein mittelgroßer, stämmiger Mann mit vollen Lippen, einer breiten Nase und ernsten schwarzen Augen. Sein Gesicht wirkte bei dieser Beleuchtung wie eine Maske aus schwarzen Onyx. Schließlich T’Liza, die schmale hochgewachsene Vulkanierin, deren scharf geschnittene Gesichtszüge im Schein des Feuers noch exotischer anmuteten als sonst. Sie strich gedankenverloren ihre Haare hinter die langen, spitzen Ohren. Da stellte Lairis fest, daß neben T’Liza jemand stand, der nicht in diese Runde gehörte: Eine Cardassianerin in der Uniform des cardassianischen Militärs. „Darf ich vorstellen: Das ist Belora Karthal, Glin Dritten Grades der cardassianischen Raumstreitkräfte, Expertin für taktische Operationen und zur Zeit Austauschoffizier bei der Sternenflotte“, sagte die Vulkanierin, als der Captain sich merklich räusperte. Lairis bemerkte, daß Dr. Tygins der unbekannten Dame Blicke voller Verachtung zuwarf. Offenbar haßte er die Cardassianer noch mehr als sie selbst. „Was will sie hier?“ fragte der Captain, als wäre Karthal gar nicht anwesend. „Glin Karthal hat eine recht interessante Theorie, was das Verhalten Laytons und die Situation auf der Erde betrifft“, antwortete T’Liza. „Sie sollte bei der Besprechung dabei sein, wenn Sie gestatten, Captain.“ Lairis nickte widerwillig. „Na schön!“ Sie berichtete kurz von der Attacke des Formwandlers in Seattle, von der Sicherheitsbox, von der Panik, die seit dem Energieausfall überall auf der Erde ausgebrochen war, davon, was sie über die „Red Squad“ erfahren hatte, und schließlich von ihren Bedenken in Bezug auf Admiral Laytons Vorgehensweise. Dann ließ sie die anderen zu Wort kommen. Als erste meldete sich Karthal. Als sie vortrat, warfen ihr alle männlichen Anwesenden außer Tygins verklärte Blicke zu. Lairis verstand - wenn auch mit einem Zähneknirschen - wieso: Die Cardassianerin bewegte sich nicht nur elegant und sexy - sie war auch das, was Prescott vermutlich als „Kurvenwunder“ bezeichnet hätte. Im Vergleich zu ihrem Busen, der fast die Uniform sprengte, hatte sie eine verblüffend schmale Taille. Ihre kräftigen Oberschenkel und ihr knackiger, runder Hintern kamen in den engen, schwarzen Leggins mehr als deutlich zur Geltung. Ihr Gesichtszüge bildeten eine Kombination von bestechender Harmonie. Die langen, 51
blauschwarzen Haare trug sie mit einer platinfarbenen Spange im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihre großen schwarzen Augen blickten wach und intelligent. Wenn sich ein nicht-cardassianischer Betrachter erst einmal an all die Warzen und echsenhaften Schuppen gewöhnt hatte, konnte er sie durchaus als „schön“ bezeichnen. Lairis brauchte nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie ihre sonst so zivilisierten Brükkenoffiziere die Augen aus dem Kopf hängen ließen und dazu kleine Niagara-Fälle sabberten... „Sprechen Sie, Karthal“, befahl sie. „Unter anderen Umständen würde ich jetzt sagen, daß mich die internen Angelegenheiten der Föderation nichts angehen“, begann die Cardassianerin. „Aber da ich quasi zur Sternenflotte gehöre - auch wenn es nur vorübergehend ist...“ „Ja, ja, schön und gut! Was wollen Sie eigentlich sagen?“ „Vor etwa 200 Jahren befand sich Cardassia auf einem Entwicklungsstand, den die Erde etwa Mitte des 21. Jahrhunderts erreicht hatte. Die Globalisierung war weitestgehend vollzogen und es gab nur noch zwei große Nationalstaaten, die sich dummer Weise feindlich gegenüberstanden. Eines Tages brach in einem dieser beiden Staaten eine Hungersnot aus. Wodurch sie verursacht wurde, weiß man heute nicht mehr so genau. Offizielle Quellen streiten sich, ob die Mißwirtschaft der damaligen Regierung oder ein Sabotageakt schuld gewesen sei. Andere sprechen von einer Sonneneruption, wieder andere von einer Umweltkatastrophe...“ „Kommen Sie zur Sache!“ fuhr Lairis frostig dazwischen. „Wie Sie wünschen, Captain. Jedenfalls behauptete das Militär des von der Hungersnot betroffenen Staates, der Feind hätte die Ernte vergiftet. Konkrete Beweise dafür gab es wahrscheinlich nicht. Trotzdem gelang es einigen fanatischen Legates, die Bevölkerung soweit aufzuhetzen, daß sie am Ende ziemlich geschlossen hinter dem Militär stand. Dann stützte das Zentralkommando die gewählte Zivilregierung und ließ erst mal jeden hinrichten, der ideologisch nicht ganz auf der richtigen Wellenlänge war. Damit wurde das Problem Hungersnot auf recht effiziente wenn auch brutale Weise gelöst: Es gab nach dieser ‘Säuberungswelle’ einfach nicht mehr so viele Mäuler zu stopfen. Nachdem der ‘Feind in Inneren’ besiegt worden war, wurde der andere, friedlichere Staat überfallen und erobert. So konnte also das Zentralkommando ohne Widerstand eine globale Militärdiktatur errichten...“ „Das sind ja überaus faszinierende Einblicke in die cardassianischen Geschichte“, bemerkte Lairis. „Aber was hat das alles mit uns und dem Dominion zu tun?“ „Das Dominion ... eine Hungersnot - wo liegt da der Unterschied?“ konterte Karthal. „Es ist doch immer wieder das selbe: Es gibt eine existenzbedrohende Krise, das Militär versucht, die Situation für seine Zwecke auszunutzen, der Ausnahmezustand wird ausgerufen...“ „Bei allem Respekt - aber wir sind keine Cardassianer“, entgegnete Prescott. Karthal wandte sich augenblicklich zu ihm um. „Ich weiß ja nicht, was Sie in der Schule gelernt haben, Lieutenant Commander, aber bevor Sie so herablassend über mein Volk sprechen, sollten Sie sich erst mal genauer mit der Geschichte Ihres jetzt so keimfreien Lieblingsparadieses, der Erde, befassen!“ „Oder der Vulkans“, ergänzte T’Liza. „Moment mal, Karthal, wollen Sie etwa behaupten, Admiral Layton plant einen Putsch?“ fragte Lairis. Ihr ungläubiger Tonfall drückte genau das aus, was auch die anderen empfanden. „Also, ich glaube zwar nicht, daß Layton die Bedrohung durch das Dominion ausnutzt, um die Macht zu übernehmen. Aber ich denke trotzdem, Karthals Analogie ist nicht so ganz von der Hand zu weisen“, meinte Jerad. Lairis warf ihm einen Blick voller Zweifel zu. „Aber das hier ist die Föderation!“ protestierte Prescott. „Verdammt, wir reden hier von Admiral Layton und nicht von General Pinochet!“ „General wer?“ fragte Lairis. „Pinochet. Ein Diktator aus dem 20. Jahrhundert. Niemand, den man kennen muß...“ „Die Sternenflotte ist erstaunlich naiv“, meinte Karthal. 52
Captain Lairis sah verblüfft auf. Dieser Satz kam ihr sehr bekannt vor. Eigenartig, daß Karthal genau die selben Worte benutzte wie sie selbst, als sie vor 24 Stunden ihre Meinung in der „Blue Planet Taverne“ zum Besten gegeben hatte... „Da muß ich Ihnen leider zustimmen“, sagte sie zu der Cardassianerin. „Die Sternenflotte hat die Bedrohung durch das Dominion bisher unterschätzt.“ „Und sie unterschätzt völlig die Bedrohung aus den eigenen Reihen“, erwiderte Karthal. „Ihre Admirals sind trotz aller Föderationsethik und allem euphemistischen Gefasel von Frieden und Freundschaft noch immer Soldaten. Aber Sie haben schon Recht, Mr. Prescott: Es sind keine Cardassianer. Das cardassianische Zentralkommando hätte nicht erst gewartet, bis die Wechselbälger das globale Energienetz sabotieren - es hätte schon bei dem Gerücht, daß irgendein Formwandler unserem Sonnensystem zu nahe käme, das Kriegsrecht verhängt!“ „Die Föderation ist noch immer eine Demokratie - und diese Tatsache lassen Sie leider außer Acht“, entgegnete van Emden, der sich bisher noch gar nicht zu Wort gemeldet und die ganze Zeit an seinen Marshmallows geknabbert hatte. Die Cardassianerin lächelte leicht. „Deshalb mußte Admiral Layton auch erst den Präsidenten überzeugen. Der Anschlag auf die Konferenz von Antwerpen hat Jaresh Indio soweit aufgerüttelt, daß er sich mit den radikaleren Sicherheitsmaßnahmen einverstanden erklärt hat. Aber erst die Sabotage der Energieversorgung durch Wechselbälger hat ihn dazu gebracht, die Kontrolle über die Erde in Laytons Hand zu geben.“ „Admiral Layton hat den Ausnahmezustand ausgerufen, weil das die einzige Möglichkeit ist, die Erde und ihre Bewohner zu beschützen“, konterte Prescott und verspeiste drei weitere Marshmallows. „Niemand von uns - nicht einmal Glin Karthal - bezweifelt, daß Layton ehrenwerte Absichten hat“, erwiderte T’Liza. „Allerdings hat der gute Admiral jetzt von der Macht gekostet - und das kann erwiesenermaßen süchtig machen.“ Eine beklemmende Spannung hatte sich zwischen den Führungsoffizieren der U.S.S. DEFENDER aufgebaut. Diese verdammten Cardis schaffen es doch immer wieder, Unfrieden zu stiften! dachte Lairis. Noch mehr als Karthals penetrante Art, sich zur Schau zu stellen, ärgerte sie die Tatsache, daß die Cardassianerin möglicherweise recht hatte. Nein... letzteres ärgerte sie nicht. Es beunruhigte sie. Und zwar in höchstem Maße. „Im Moment bleibt uns nichts weiter übrig, als Laytons Befehle zu befolgen“, sagte sie schließlich. „Solange wir keine Beweise haben, können wir nur abwarten und ihm scharf auf die Finger schauen.“ Da äußerte sich zum ersten Mal Dr. Tygins. „Falls Layton tatsächlich einen Putsch plant, wird er nicht so dumm sein, Beweise zu hinterlassen.“ „Das ist richtig“, erwiderte Lairis. „Aber er wird auch nicht damit rechnen, daß jemand nach Beweise sucht.“ „Da muß ich dem Captain recht geben“, sagte T’Liza. „Noch glaubt Layton, daß die Sternenflotte geschlossen hinter ihm steht. Sogar die Zivilbevölkerung unterstützt das, was er tut!“ Glin Karthal pflichtete der Vulkanierin bei. „Wir sollten mit Captain Sisko sprechen“, schlug Jerad vor. „Gute Idee!“ meinte Lairis. „Entschuldigung, ist eine gewisse Lairis Ilana hier?“ fragte plötzlich eine männliche Stimme. „Ja, das bin ich“, antwortete der Captain und wandte sich um. Vor ihr stand ein junger, rothaariger Sicherheitsoffizier in Begleitung einer reichlich mürrisch dreinblickenden Julianna. „Captain Lairis, dieses Mädchen behauptet, es wäre Ihre Tochter...“ „Stimmt, das ist meine Tochter.“ „Tja, Captain, ich nehme an, sie wußte noch nichts von den neuen Vorschriften. Es ist ja auch schwierig, sie allgemein bekanntzugeben, so ganz ohne globales Com-System ...“ „Welche Vorschriften?“ fragte Lairis argwöhnisch. „Zivilisten dürfen sich bis auf weiteres nicht auf den Straßen aufhalten.“ „Eine Ausgangssperre?“ rief Lairis ungehalten. 53
Der junge Mann nickte. „Ja, Captain. Es ist nur zur Sicherheit der Zivilbevölkerung...“ „Sagen Sie, ist Admiral Layton eigentlich noch klar bei Verstand?“ fauchte Lairis. Die Führungsoffiziere warfen ihr schockierte Blicke zu. Der Sicherheitsoffizier verabschiedete sich hastig und verschwand. Offenbar fürchtete er sich vor dem bevorstehenden Wutausbruch des Captains. Glin Karthal lächelte süffisant. Julianna kicherte leise. „Sie warten hier!“ befahl Lairis den anderen. „Bin gleich wieder zurück!“ Dann machte sie sich eiligen Schrittes auf den Weg in Richtung Hauptgebäude. Die anderen blickten ihr fassungslos nach. Jerad beschloß schließlich, ihr zu folgen. „Aber Sir, der Captain hat befohlen, daß wir hier warten sollen“, erinnerte ihn Prescott. „Wenn ihr nicht jemand ganz schnell ‘ne Ladung kaltes Wasser über ’n Kopf schüttet, ist sie bald kein Captain mehr“, konterte der Trill. „Sie haben wahrscheinlich recht“, meinte T’Liza. „Allerdings verstehe ich Captain Lairis’ emotionale Überreaktion angesichts der erschütternden Unlogik des Admirals.“ Jerad nickte nur. Im Laufschritt setzte er Lairis nach und holte sie schließlich ein. „Moment mal, ist das nicht tätlicher Angriff auf einen ranghöheren Offizier, was der Commander da vorhat?“ fragte Glin Karthal mit weit aufgerissenen Augen. Lieutenant van Emden lächelte ihr zu. „Das mit dem kalten Wasser war nur bildlich gesprochen“, erklärte er. „Außerdem scheinen sich Commander Silgon und Captain Lairis recht gut zu kennen. Der Commander wird schon wissen, was er tut.“ Karthal lächelte ironisch. „Die Sternenflotte scheint genauso ein Irrenhaus zu sein wie das cardassianische Militär!“ Van Emden grinste. „Nicht die ganze Sternenflotte. Nur die U.S.S. DEFENDER!“ Karthal blickte ihn verunsichert an. „Ich hoffe doch, das war ein Witz!“ Der blonde Ingenieur lächelte. „Klar!“ „Gut! Ich habe nämlich vor, mich für einen Posten auf diesem Schiff zu bewerben.“ Van Emden warf ihr einen schrägen Blick zu. „Und es stört Sie nicht, daß der Captain eine Bajoranerin ist?“ „Nein, ich habe kein Problem mit Captain Lairis. Aber ich fürchte, sie hat ein Problem mit mir!“ „Sie müssen das verstehen, Belora... Ich darf Sie doch Belora nennen?“ „Das ist schließlich mein Name“, erwiderte sie spitz. „Gut. Also, ich habe bisher noch keinen Bajoraner getroffen, der nicht ein gestörtes Verhältnis zu Ihren Leuten gehabt hätte. Wenn man bedenkt, daß die Cardassianer ihren Planeten fünfzig Jahren lang besetzt und ausgeplündert haben, kann man das auch niemandem verübeln. Die Erfahrungen, die Captain Lairis bisher mit Cardassianern gemacht hat, werden wohl auch ziemlich schlimm gewesen sein.“ „Schon gut. Ich kann mich durchaus in Captain Lairis ‘reinversetzen. Aber was ist mit diesem Kerl?“ Sie zeigte auf Doktor Tygins, der abwesend auf irgend einen Punkt in der Ferne starrte. „Er hat mich angesehen, als wollte er mich am liebsten erwürgen - aber er ist ganz offensichtlich kein Bajoraner.“ Van Emden zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Vielleicht hat er im Krieg gegen die Cardassianer gekämpft. Aber, ehrlich gesagt, war er schon so frostig, bevor Sie hier aufgetaucht sind. Ich wüßte ja gern, was er für ein Problem hat, aber ich fürchte, darüber redet er nicht freiwillig.“ „Dann hilft wohl nur noch T’Lizas Spezialtherapie.“ „Ich will lieber nicht wissen, was das ist“, meinte van Emden. Dr. Tygins beobachtete Julianna, die etwas abseits von den Offizieren auf einem Frachtcontainer saß mit einem elektronischen Stift eifrig auf einem Datenpad herum kritzelte. Aus einem spontanen Impuls heraus setzte er sich neben sie. Im Moment war ihm die Gesellschaft dieses Mädchens lieber als die irgendwelcher Sternenflottenoffiziere. Die Sternenflotte... Tygins hatte sie in den letzten Tagen kaum wiedererkannt. Auch ohne seinen Groll wegen der Verhaftung Rebeccas hätte er die beunruhigenden Veränderungen wahrgenommen. „Sie sind immer noch Soldaten“ hatte Glin Karthal gesagt. Tygins war jedoch der Überzeugung, daß die Angehörigen der Sternenflotte viel mehr waren als das. Für ihn hatten sie stets die Prinzipien und Werte der 54
Föderation verkörpert. Humanismus, Toleranz, Freiheit... Waren diese Ideale so zerbrechlich? Genügten bereits ein oder zwei Anschläge der Wechselbälger, um Menschen, die einst geschworen hatten, diese Werte zu verteidigen, binnen einer Woche in rücksichtslose Militaristen zu verwandeln? Sollte es dem Dominion so schnell gelingen, alles zu zerstören, was die Föderation einzigartig machte? In letzter Zeit schienen besonders die hochrangigen Offiziere mehr Gewicht auf den Kampf gegen Formwandler zu legen, als auf das Wohlergehen der Erdbevölkerung. Captain Lairis bildete da offenbar eine Ausnahme. Ob ihre Führungsoffiziere tatsächlich die selben Ansichten teilten oder ihr lediglich nach dem Mund redeten, weil sie der Captain war, konnte Tygins jedoch nicht beurteilen. „Sagen Sie, was hat das mit Ausgangssperre zu bedeuten?“ fragte er das Mädchen. Julianna legte schnell ihr Datenpad beiseite und sah auf. „Genau das, was der Typ vorhin gesagt hat! Ich hab’ vorm Haupteingang auf meine Mutter gewartet - da läuft er mir über ’n Weg und wundert sich, weshalb ich nicht vor ihm salutiere. Er dachte tatsächlich, ich wäre ein Sternenflottenkadett! Als er merkte, daß ich Zivilistin bin, hat er mich aufgefordert, in mein Quartier zu gehen - anderenfalls müßte er mich leider unter Arrest stellen. Ich sagte, ich hätte kein Quartier und wäre nur hier, um meine Mutter zu besuchen. Also hat er mich zu Mom geführt. Das ist die ganze Story. “ Dr. Tygins nickte langsam. „Wie sieht es draußen aus?“ fragte er, obwohl er bereits eine Version von Captain Lairis gehört hatte. „Chaotisch“, antwortete Julianna. „Als die Energie ausgefallen ist, sind eine Menge Leute in Panik geraten. Ein normaler Stromausfall macht wahrscheinlich niemanden heiß, aber man muß ja damit rechnen, daß das Dominion angreift... Naja, die meisten Leute sind erst mal in die Geschäfte gestürzt und haben sich so viele Lebensmittel wie möglich gekrallt. Ist ja auch verständlich, wenn die Replikatoren nicht mehr funktionieren. Ein paar haben sogar geplündert, aber das waren zum Glück nur ganz wenige. Die meisten versuchen sich irgendwie zu helfen, indem sie Notstromaggregate und so was selber bauen. Ein paar rennen rum wie Hund ohne Schwanz und jammern. Und drei Straßen weiter predigt so ’n durchgeknallter Typ den Weltuntergang.“ „Gibt es medizinische Notfälle?“ fragte Tygins. Julianna zuckte die Achseln. „Schon möglich.“ „Tja, das wird wohl der Grund sein, weshalb der gute Admiral Layton die Ausgangssperre verhängt hat: Um das Chaos unter Kontrolle zu bekommen.“ „Finden Sie das etwa gut?“ fragte Julianna vorsichtig. „Ehrlich gesagt, nein“, erwiderte Tygins. „Deine Mutter hat ganz recht: Admiral Layton handelt ziemlich vorschnell. Diese Cardassianerin denkt sogar, er will die Macht übernehmen!“ Julianna sah ihn bestürzt an. „Glauben Sie das?“ Tygins seufzte „Am Anfang dachte ich, sie will sich nur wichtig tun, aber inzwischen... Eigentlich gebe ich nicht viel auf die Meinung von Cardassianern, aber die Argumente dieser Dame entbehren nicht einer gewissen Logik. Trotzdem... Die Vorstellung ist einfach ungeheuerlich!“ „Ja, finde ich auch“, meinte Julianna. „Aber meine Mutter schien wegen der Ausgangssperre ziemlich sauer zu sein. Was meinen Sie - ob sie jetzt Admiral Layton die Meinung geigt?“ *** „Also, mit dem Kriegsrecht war ich ja noch einverstanden - aber das hier geht eindeutig zu weit!“ rief Lairis wütend. „Der Meinung bin ich ja auch“, erwiderte Jerad. „Aber das, was du vorhast, ist schlicht und einfach Insubordination!“ „Das, was du gerade mit mir machst, aber auch“, konterte Lairis. „Verdammt, ich versuche doch nur, deinen Hals und deine Karriere zu retten!“ „Wie lieb von dir, Jerad!“ schoß sie zurück. „Danke, aber auf meinen Hals und diverse andere Körperteile kann ich selbst aufpassen!“
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„Das hättest du dir vorhin überlegen sollen, als du diesen armen Sicherheitsoffizier angebrüllt hast! Was ist, wenn der Junge bei der nächstbesten Gelegenheit zu Admiral Layton rennt und ihm erzählt, du hättest gesagt, er sei nicht mehr klar bei Verstand?“ „Und jetzt laß mich mal eines klarstellen: Wir sind nicht mehr auf der Akademie und ich bin nicht mehr dein Kadett! Bitte vergiß das nie!“ Ein drohender Unterton lag in Lairis’ Stimme. „Richtig. Du bist nicht mehr mein Kadett - du bist jetzt mein Captain“, entgegnete Jerad. „Aber du hattest schon als Kadett Schwierigkeiten, dich unterzuordnen oder dein Temperament zu zügeln. Und als Captain kannst du das offenbar noch schlechter.“ Plötzlich lächelte Captain Lairis, und auch das zornige Funkeln verschwand langsam aus ihren Augen. „Du hast ja Recht“, sagte sie zu ihrem Ersten Offizier. „Mein Temperament ist wirklich ein Problem. Aber ich werde Layton trotzdem sagen, was ich von dieser idiotischen Ausgangssperre halte - natürlich höflich und respektvoll. Dafür kann er mich weder einsperren noch degradieren - nicht einmal unter Kriegsrecht!“ „Bist du sicher?“ „Um mit Commander Prescott zu sprechen: Das hier ist immer noch die Föderation.“ Mit einen zuversichtlichen Lächeln wandte sich Lairis noch einmal zu Jerad um. Dann betrat sie das Hauptgebäude. Sie fand Admiral Layton in seinem Büro, das im Schein der vielen Kerzen eher einer Kirchenkrypta glich als einem Raum im Hauptquartier der Sternenflotte. Captain Sisko war ebenfalls anwesend. Der Admiral lächelte flüchtig. „Ah, Captain Lairis! Was kann ich für Sie tun?“ „Ich möchte mit Ihnen über die Ausgangssperre sprechen.“ Layton hob die Augenbrauen. „Ach ja?“ Lairis überlegte einen Moment, wie sie ihre Bedenken am diplomatischsten formulieren sollte. „Kann ich offen sprechen?“ fragte sie schließlich. „Natürlich“, antwortete Layton. Sein Gesicht blieb dabei völlig ausdruckslos. „Ich verstehe durchaus Ihre Beweggründe, Sir...“ begann sie. „Allerdings bezweifle ich sehr, daß die Ausgangssperre angemessen ist. Wenn man bedenkt, daß das hier das Zentrum der Föderation ist und kein Gefängnisplanet, und daß der Ausnahmezustand ausgerufen wurde, um die Bevölkerung zu schützen...“ „Ich fürchte, Sie verdrehen ein wenig die Tatsachen, Captain“, fuhr Layton dazwischen. „Meinen Sie?“ konterte Lairis. Ihre Stimme klang noch immer ruhig und distanziert, doch ihre Augen begannen schon wieder entrüstet zu funkeln. „Admiral, Sie wissen vielleicht nicht, wie es da draußen aussieht - aber für einer Zivilisation, die so computerabhängig ist wie diese, kann ein planetenweiter Energieausfall verheerende Folgen haben: Es funktioniert kein Replikator mehr, kein Wetterkontrollsystem, keine Wasserversorgung, ganz zu schweigen von der Heizung in den Teilen der Erde, wo jetzt Winter ist... Die Menschen sind gezwungen, sich selbst zu helfen - aber das können sie nicht, wenn man sie in ihren Wohnungen einsperrt!“ „Captain!“ unterbrach der Admiral sie. „Diese Ausgangssperre ist leider notwendig, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten. Es gab Berichte über Unruhen, Plünderungen, Schlägereien...“ „Das sind doch Einzelfälle“, meinte Lairis. „Mag sein“, erwiderte der Admiral. „Aber ich möchte nicht riskieren, daß aufgrund dieser ‘Einzelfälle’ ein planetenweites Chaos ausbricht!“ Er deutetet ein Lächeln an. „Außerdem - in zwei oder drei Tagen ist die Energieversorgung wieder hergestellt.“ „Zwei oder drei Tage ohne Nahrung, Wasser und Heizung können ganz schön lang sein“, gab Lairis zu bedenken. „Captain, wie lange mußten Sie während Ihrer Zeit beim bajoranischen Widerstand manchmal ohne Nahrung und Wasser überleben?“ „Okay, das waren manchmal mehr als zwei Tage“, erwiderte Lairis. „Trotzdem! Was man Guerillakämpfern zumuten kann, sollte man noch lange nicht Zivilisten zumuten!“ „Wenn es zum Krieg mit dem Dominion kommt, werden wir der Zivilbevölkerung noch ganz andere Sachen zumuten müssen“, entgegnete Layton ungerührt. 56
Lairis wußte nicht, was sie wütender machte: die menschenverachtende Einstellung des Admirals oder der Tonfall, in dem er mit ihr sprach - so betont langsam und deutlich, als wäre sie höchstens vier Jahre alt oder schwer von Begriff... Sie sah kurz zu Sisko. Auch er wirkte bestürzt. „Ist das Ihr Ernst?“ fuhr sie Layton an. „Sagen Sie, haben Sie eigentlich eine Vorstellung, wie kaltschnäuzig das klingt? Bei allem Respekt - aber das ist absolut verantwortungslos!“ „Captain, verlassen Sie augenblicklich mein Büro, bevor ich Sie wegen Insubordination verhaften lasse!“ stieß der Admiral hervor. Lairis atmete zischend aus. „Ich sag nichts mehr“, murmelte sie bevor sie sich auf dem Absatz umdrehte und hinaus stürmte. Sisko stieß einen leisen Pfiff aus. Die Überraschung hatte ihn getroffen wie ein Photonentorpedo. Er zog kurz die Augenbrauen hoch und schüttelte sich leicht. „Noch ein falsches Wort von Ihnen, Admiral, und die gute Frau wäre explodiert wie ein überlasteter Warpkern!“ Layton wandte sich alarmiert um. „Was heißt hier ‘falsches Wort’, Ben?“ Siskos Miene war ernst und in seinen Augen lag ein fast ebenso zorniges Funkeln wie in denen von Lairis. „Sir, ich hoffe inständig, daß lediglich Ihre Wortwahl ein bißchen unglücklich war, denn ansonsten...“ „Captain, es gibt Momente, in denen ein Offizier dem Urteil seines Vorgesetzten bedingungslos vertrauen muß“, unterbrach Layton ihn kühl. „Sie haben bisher immer gewußt, wann es Zeit dafür ist - aber ich fürchte, Captain Lairis weiß das nicht.“ Sisko schüttelte langsam den Kopf. „Sie hat sich vielleicht im Ton vergriffen - aber sie hat leider recht, Admiral.“ *** Weniger als fünf Minuten, nachdem Lairis das Büro des Admirals verlassen und ihren Frust bei Jerad abgeladen hatte, meldete sich ihr Kommunikator. Es war Admiral Layton, der ihr befahl, die Notversorgung der Bevölkerung zu organisieren. „Sieht aus, als wäre er doch nicht so verantwortungslos“, meinte Jerad. „Ich schätze, er wird nur nicht gern daran erinnert, wenn er einen Fehler gemacht hat.“ „Hoffen wir ‘s!“ „Sag mal, wie stellt Layton sich das mit der Notversorgung eigentlich vor?“ „Admirals haben keine konkreten Vorstellungen.“ Lairis schmunzelte. „Sie geben irgendwelche diffusen Befehle und wir Captains müssen sehen, wie wir klarkommen. Das ist nun mal die Ordnung der Dinge.“ Jerad grinste. „Die Ordnung der Dinge... Du redest ja schon wie ein Jem’Hadar!“ „Das kommt wohl daher, daß mich Layton in letzter Zeit mehr an einen Vorta erinnert als an einen Sternenflotten-Admiral.“ Der Trill wurde augenblicklich ernst. „Ich glaube, jetzt übertreibst du!“ „Schön, wenn ‘s so wäre“, konterte Lairis. „Aber ich fürchte, Quark interessiert sich mehr fürs bajoranische Sozialhilfegesetz als Layton dafür, wie es seinen Leuten auf der Erde geht! Meiner Meinung nach haben wir es hier mit einem Mann zu tun, der militärische Ziele über alles stellt. Die eigentlichen Grundsätze der Sternenflotte verliert er dabei leider aus den Augen.“ „Wie du schon sagtest - das ist deine Meinung!“ „Richtig. Ich kann mich natürlich auch irren“, gab Lairis zu. „Es kann genauso gut sein, daß Laytons Wortwahl ein bißchen unpassend war und sein Standpunkt dadurch viel extremer rüberkam, als er tatsächlich ist.“ „Das denkst du?“ „Sisko hat so was in der Art gesagt“, entgegnete Lairis. „Ich hab es aufgeschnappt, kurz nachdem ich aus Laytons Büro gestürmt war.“ „Das bedeutet, Sisko könnte auf unserer Seite sein...“ überlegte Jerad. Lairis lächelte ironisch. „Erst behauptest du, ich übertreibe, was Layton betrifft - und nun redest du sogar von ‘Seiten’? Sag mal, änderst du immer so schnell deine Meinung?“ 57
„Ich versuche nur, die Sache objektiv zu betrachten“, konterte Jerad. „Es bringt jetzt nichts, uns in irgendwelche Emotionen reinzusteigern.“ „Wozu brauche ich eigentlich ‘ne Vulkanierin an Bord, wenn ich dich habe!“ scherzte Lairis. „Also, zum Vulkaniersein gehört schon ein bißchen mehr!“ bemerkte T’Liza spitzzüngig. Der Captain und Jerad waren nämlich fast beim Lagerfeuer angekommen, wo die anderen Brückenoffiziere warteten. Lairis stellte voller Überraschung fest, daß Julianna sich angeregt mit Dr. Tygins unterhielt. Van Emden und Karthal diskutierten offenbar über Kunst, denn die Cardassianerin behauptete gerade, daß die Literatur der Erde wesentlich aufregender gewesen sei, bevor dieser Planet der Föderation beigetreten war. Prescott beklagte sich, weil die Marshmallows alle waren. Lairis bat kurz um Aufmerksamkeit und berichtete dann von ihrem Gespräch mit dem Admiral. „Das hört sich nicht gut an“, meinte Dr. Tygins, als sie fertig war. Die anderen nickten zustimmend. Karthal setzte eine selbstgefällige Miene auf, die wohl soviel sagen sollte wie: „Hab’ ich mir doch gleich gedacht!“ „Layton hat uns immerhin befohlen, den Leuten zu helfen. Also war alles andere vielleicht doch nur ... unglückliche Rhetorik“, meinte Prescott. „Habe ich das richtig verstanden, Captain? Erst wollte Layton Sie am liebsten einsperren und nun sollen Sie auf einmal die Erde retten?“ hakte Karthal spöttisch nach. „Richtig“, erwiderte Lairis knapp. „Ich spare mir besser jede Bemerkung zu Admiral Laytons Logik - oder dem Fehlen derselben!“ sagte T’Liza. „Wie packen wir die ‘Rettung der Welt’ am besten an, Captain?“ wollte van Emden wissen. „Tja... Ich hab’ zwar schon darüber nachgedacht, bevor Layton mir den Befehl gegeben hat, aber es wäre leichter, wenn wir die ganze Crew beisammen hätten“, erwiderte Lairis. „Aber da meine Offiziere von der CASABLANCA frühestens übermorgen eintreffen, müssen wir improvisieren... Auf jeden Fall sollten wir uns mit den Sicherheitsoffizieren vor Ort und mit der LAKOTA in Verbindung setzen. Ich stelle mir das so vor, daß wir die DEFENDER als eine Art Schaltzentrale einsetzen, um die verschiedenen Hilfsmaßnahmen zu koordinieren. Was die Details betrifft, höre ich mir gern Vorschläge an.“ „Ich wünschte, ich hätte welche - aber mit einem Schiff und acht Leuten kann man wirklich nicht viel ausrichten“, meinte Jerad. Indem er von „acht Leuten“ sprach, hatte er ganz unbewußt auch Julianna und Karthal einbezogen. „Jedenfalls nichts, was über den berühmten Tropfen auf den heißen Stein hinausgeht. Kurz: Mir fällt im Moment nichts besseres ein als Hilfslieferungen runter zu beamen.“ „Können wir nicht versuchen, mehr Leute zu kriegen?“ fragte Prescott. „Layton hat alle Sternenflottenoffiziere außer uns für die Sicherheit mobilisiert. Er wird nur schwerlich einen seiner Wachhunde entbehren“, gab Lairis zurück. „Aber Sie haben recht: Versuchen können wir ‘s natürlich.“ „Wir können ja erst mal die Atmosphäre scannen. Wenn wir Tornados oder irgendwelche anderen Turbulenzen entdecken, versuchen wir, sie aufzulösen“, schlug van Emden vor. „Ich bin zwar Arzt und kein Meteorologe - aber das klingt vernünftig“, meinte Dr. Tygins. „Damit könnten wir eine Menge Probleme verhindern.“ „Ja“, stimmte Lairis zu. „Wir müssen verhindern, daß es Tote gibt. Das hat Priorität vor allem anderen! Allerdings halte ich es für effizienter, die Wetterkontrolle und die seismische Kontrolle mit Notenergie zu versorgen.“ „Ich schätze, das läßt sich machen“, erwiderte van Emden. „Gut!“ meinte Lairis. „Also los, begeben wir uns endlich an Bord der DEFENDER! Mein Shuttle steht am Eastern Quad.“ Sie machte sich auf den Weg und die anderen folgten ihr. Nur Karthal blieb für einen Moment unschlüssig stehen. „Sie auch!“ forderte der Captain die Cardassianerin auf.
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Dann stellte Lairis fest, daß sie sich geirrt hatte: Ihr Shuttle stand nicht mehr am Eastern Quad. Jedenfalls nicht mehr... „Ich... ich weiß genau, daß ich es hier abgestellt habe!“ rief sie verunsichert. „Dann hat’s wohl jemand geklaut“, meinte Julianna. „Die Leute glauben, daß das Dominion heute oder morgen über die Erde herfällt - also versuchen sie, ihre Haut zu retten und mit allem was fliegen kann von hier zu verschwinden“, erklärte ihrer bestürzten Mutter. „So eine verdammte...“ Lairis brach ab, bevor sie in jugendgefährdende Fäkaliensprache verfiel. „Das hat mir gerade noch gefehlt!“ Mit einem Stöhnen der Resignation aktivierte sie ihren Kommunikator: „LAKOTA...“ „Hier Lieutenant Merkel“, meldete sich der amtierende Transporterchief. „Hier ist Captain Lairis Ilana. Beamen Sie bitte acht Leute an Bord der DEFENDER!“ „Sie müssen sich leider hinten anstellen, Captain“, entgegnete Lieutenant Merkel. „Ich habe so viele Transportaufträge, daß ich kaum hinterherkomme! In zehn/zwanzig Minuten kann ich Sie vielleicht beamen.“ Die Verbindung brach ab. Lairis unterdrückte ein weiters Stöhnen. „Genau das hatte ich befürchtet“, sagte sie zu ihrer Crew. Dann kontaktierte sie die LAKOTA erneut. „Lieutenant, genau in diesem Moment wird vielleicht Kansas City durch einen Hurrikan von der Landkarte gefegt - und wir sind die einzigen, die das verhindern können! Also beamen Sie uns hoch - und zwar sofort! Das ist ein Befehl!“ Lairis’ gebieterischer Tonfall verfehlte nicht seine Wirkung. „Ja, natürlich, Captain“, stammelte Lieutenant Merkel. Die Crew löste sich in einem Energieflimmern auf und materialisierte sich Sekunden später auf der DEFENDER. „Gut gemacht, Mom!“ sagte Julianna und drückte damit aus, was alle dachten. „Und was jetzt?“ fragte Jerad. „Van Emden - Sie versuchen, die Wetterkontrolle mit Energie zu versorgen! Jerad - du kümmerst dich um die seismischen Kontrollsysteme. Prescott, T’Liza - Sie nehmen Kontakt mit den Sicherheitschefs der einzelnen Distrikte auf. Dr. Tygins - Sie fangen an, die Med-Kits zusammenzustellen, Karthal - Sie replizieren die Heizaggregate und du, Julianna, replizierst die Notrationen und Wasservorräte!“ „Captain, wenn das einigermaßen effizient funktionieren soll, brauchen wir noch mindestens zehn/zwanzig Leute!“ wandte Prescott ein. „Ja, so viele könnte ich im Maschinenraum auch brauchen“, sagte van Emden. „Und die werden Sie auch kriegen“, versprach Lairis. „Darum kümmere ich mich.“ „Das bedeutet, du redest jetzt mit Layton“, interpretierte Jerad ihre Aussage. „Ich wende mich erst an diesen Betonkopf Layton, wenn mir nichts anderes übrigbleibt“, entgegnete Lairis. „Zuerst rede ich mit Captain Sisko.“
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7. Kapitel Vier Tage waren inzwischen seit dem globalen Stromausfall vergangen und man hatte die Energieversorgung wieder hergestellt. Auf der Erde war beinahe wieder Normalität eingekehrt. Selbst Captain Lairis’ Shuttle war auf wundersame Weise wieder aufgetaucht - und zwar genau dort, wo sie es abgestellt hatte. „Das war gute Arbeit“, sagte Captain Sisko. „Ihnen haben wir wohl zu verdanken, daß es bei dieser Sache nur ein Minimum an Toten gab!“ „Ja, wir haben unser Bestes gegeben - obwohl wir am Ende den Energietransfer zur Wetterkontrolle abbrechen mußten, weil bei uns schon das Licht geflackert hat“, erwiderte Lairis. Dann lächelte sie. „Sie haben aber auch gute Arbeit geleistet: Sie haben Layton überredet, die Ausgangssperre auf zwölf Stunden zu beschränken und außerdem fünfzig seiner Leute abzustellen. Wie haben Sie das geschafft?“ Siskos Augen blitzen auf. „Ich habe Layton zu gar nichts überredet, Captain. Was die Ausgangssperre betrifft, hatte der gute Admiral einen unerwarteten Anfall von Einsicht und diese fünfzig Offiziere...“ Er lächelte schelmisch. „Ich bin der Sicherheitschef der Erde - also habe ich sie einfach auf die DEFENDER versetzt. Falls sich jemand darüber mokieren sollte: Ich hatte keine Ahnung, daß man dafür eine Sondererlaubnis des Sternenflottenkommandos braucht!“ „Sie hätten deswegen einen Riesenärger bekommen können - und das wissen Sie genau!“ erwiderte Lairis ernst. „Aber trotzdem: Danke!“ „Glauben Sie mir - ein Verweis in meiner Akte ist zur Zeit die geringste meiner Sorgen!“ Lairis wurde hellhörig. „Was wollen Sie damit sagen?“ „Ich hatte in den letzten vier Tagen viel Zeit zum Nachdenken...“ begann Sisko. „Ich habe den Bericht über die Sabotage der Energierelais immer wieder gelesen - und je öfter ich ihn lese, desto mehr Ungereimtheiten entdecke ich. Bei all diesen Sicherheitsvorkehrungen - Phaserabtastungen, Bluttests... Wie zum Teufel ist es den Wechselbälgern da gelungen, die Division für planetare Operationen zu infiltrieren? Und selbst wenn man annimmt, daß sie das irgendwie geschafft haben, können sie kaum an die Codes für das Energierelais gelangt sein!“ Lairis zuckte die Schultern. „Es dürfte für einen Wechselbalg, der die Gestalt eines Sternenflottenoffiziers angenommen hat, nicht allzu schwer sein, diese Codes aus einem anderen Sternenflottenoffizier rauszukriegen.“ „Also, ich wäre verdammt mißtrauisch, wenn mich jemand nach solchen Codes fragen würde!“ konterte Sisko energisch. „Vielleicht ist ja nicht jeder Sternenflottenoffizier so mißtrauisch wie Sie...“ „Jeder, der nur einen Funken Verstand hat, sollte mißtrauisch sein, seit Wechselbälger die Erde erreicht haben!“ entgegnete Sisko hitzig. „Da haben Sie allerdings recht“, meinte Lairis. Sisko atmete langsam aus. „Ich weiß ja, daß das alles nur vage Indizien sind, aber...“ „Ich habe etwas weniger vage Indizien für Sie“, begann Lairis. „Kurz nach dem Energieausfall hab ich mich mit zwei Kadetten der Sternenflotte unterhalten. Ich fragte sie ganz nebenbei nach den ‘Red Squad’, und sie nannten mir sogar einen Namen: Kilari Kayn...“ „Und?“ fragte Sisko erwartungsvoll. „Ich hab versucht, diese Kilari Kayn zu erreichen, um mit ihr zu reden. Aber - jetzt kommt der Hammer - man läßt mich nicht mit ihr sprechen, denn sie sitzt auf der LAKOTA in einer Arrestzelle. Wegen Befehlsverweigerung.“ Sisko verzog das Gesicht. „Soviel zur zukünftigen Elite der Sternenflotte!“ „Ich sehe das anders“, widersprach Lairis. „Wissen Sie, ich hab mir Kilaris Akte angesehen. Sehr vorbildlich! Voller überschwenglicher Empfehlungsschreiben von Professoren, von Ausbildern, von der Trill-Symbiose-Kommission...“ 60
Sisko fuhr überrascht zu ihr herum. „Sie ist ein vereinigter Trill?“ Lairis nickte. „Captain, dieses Mädchen ist noch nie irgendwo negativ aufgefallen! Eigentlich kann man nicht verstehen, weshalb jemand wie sie auf einmal Befehle verweigert! Es sei denn, die Befehle waren ethisch fragwürdig oder sogar illegal...“ „Ich weiß nicht...“ erwiderte Sisko. „Wenn die Wechselbälger die Division für planetare Operationen unterwandert haben - warum sollte ihnen das beim ‘Red Squad’ nicht auch gelingen?“ „Ich glaube nicht, daß sie ein Wechselbalg ist. Die Offiziere auf der LAKOTA haben sie doch sicher getestet!“ „Stimmt auch wieder“, erwiderte Sisko nachdenklich. „Übrigens hab ich auch ein paar Neuigkeiten über die ‘Red Squad’. Odo und ich haben vorhin darüber gesprochen. Er ist nämlich auf eine ziemlich merkwürdige Transporteraufzeichnung gestoßen...“ „Inwiefern merkwürdig?“ „Laut Transporterlogbuch der LAKOTA sind die ‘Red Squad’ 26 Minuten nach Ausrufung des Ausnahmezustands zur Akademie zurück gebeamt worden. Drei Stunden später wurden sie jedoch wieder mobilisiert“, erklärte Sisko. „Wir haben das Sternenflottenkommando danach gefragt - aber der diensthabende Admiral sagte, es dürfte eigentlich gar keine Aufzeichnung im Transporterlogbuch geben...“ „Das ist wirklich merkwürdig“, meinte Lairis. „Vielleicht war es Kilari Kayns Aufgabe, die Transporterlogbücher zu löschen, und sie hat es sabotiert...“ „Mag sein“, erwiderte Sisko. „Wir müssen, verdammt noch mal, mehr über die ‘Red Squad’ rausfinden!“ „Kadett Edwardson meinte, man solle Nog fragen.“ „Gute Idee! Genau das hatte ich vor!“ „Gut“, sagte Lairis. „Reden Sie mit Nog! Ich werde mich mit einer gewissen anderen Quelle befassen.“ *** Die Vorstellung, mit Matthew zu reden, behagte ihr ganz und gar nicht. Doch er hatte erfahren, daß sie die DEFENDER kommandieren sollte - etwas, was er als Zivilist eigentlich gar nicht wissen durfte. Das bedeutete, einer seiner Freunde in der Sternenflotte war ein Vertrauter Admiral Laytons ... Lairis biß die Zähne zusammen und dachte an die Informationen, als sie an der Tür zu Matthews Hotelzimmer klingelte. Ihr Ex-Mann erschien in einem marineblau-orange gestreiften Bademantel, mit einem Ausdruck äußerster Verblüffung in den sonst wenig lebhaften, blaugrauen Augen. Sein welliges dunkelblondes Haar war etwas feucht. Auf seinem Gesicht, das einmal sehr attraktiv gewesen war, inzwischen jedoch einem zerknitterten Stück Wäsche glich, machte sich langsam ein charmantes Lächeln breit. Er erinnerte Lairis an einen alternden Playboy. Abgesehen von diesem geschmacklosen Bademantel... „Ilana!“ rief er. „Wie komm ich denn zu dieser unerwarteten netten Überraschung?“ „Bilde dir bloß nichts drauf ein!“ schoß sie zurück. „Willst du reinkommen?“ Lairis zögerte. „Nein... ich meine, es muß nicht sein. Es dauert nicht lange.“ „Aber deswegen müssen wir doch nicht im Flur ‘rum stehen“, konterte er. „Na, komm schon! Ich habe auch so etwas wie Stil!“ Sie lachte kurz auf. „Ich weiß, du trinkst kein Bier aus der Büchse, du haßt Kunststoffplatzdeckchen, pinkfarbenen Lippenstift und Blumen, die von Kellerasseln angefressen wurden...“ „Und ich hasse es, mich zwischen Tür und Angel mit schönen Frauen zu unterhalten“, fügte Matthew lächelnd hinzu. „Also, komm rein!“ „Na, meinetwegen“, knurrte Lairis. Sie trat vorsichtig ein, so, als ob in diesem Raum ein angriffslustiger Wechselbalg oder irgendein anderes gefährliches Wesen lauerte. Das einzige gefährliche Wesen war jedoch Matthew, der gerade ganz gentlemanlike den Sessel für sie zurechtrückte. „Möchtest du Kaffee?“ fragte er. 61
„Nein danke“, antwortete sie kühl. „Ich bleibe nicht so lange. Ich bin nur dienstlich hier.“ „Aber Kaffee darf man doch auch im Dienst trinken...“ entgegnete er unschuldig. „Ich will aber keinen Kaffee mit dir trinken! Geht das nicht in deinen Schädel?“ fauchte sie ärgerlich. Matthew stöhnte frustriert. „Es geht mir doch gar nicht darum, dich wieder anzubaggern oder einzuwickeln oder was immer du dir jetzt vorstellst! Ich verstehe nicht, warum zwei Menschen, die sich im Grunde sympathisch sind, keinen Kaffee miteinander trinken dürfen...“ „Du verstehst zwei Dinge nicht, Matthew“, konterte Lairis. „Erstens: Ich bin kein Mensch und zweitens: Du bist mir nicht sympathisch.“ „Dann eben nicht“, seufzte ihr Ex-Mann. „Also verkehren wir ganz geschäftlich miteinander was immer das heißen mag. Die Sache ist nur... Ich hab dir was wichtiges zu sagen.“ „Julianna ist abgehauen. Ja, ich weiß“, unterbrach sie ihn gelangweilt. Er sah auf und starrte sie perplex an. „Du weißt es? Woher denn?“ „Von Julianna.“ „Du... du hast sie getroffen?“ stammelte Matthew aufgeregt. „Wo ist sie?“ „In Sicherheit.“ „Kann ich mit ihr reden?“ „Ich werde Julianna fragen, ob sie das will“, erwiderte Lairis distanziert. Er nickte ergeben. „Okay.“ „So, und jetzt zum wichtigen Teil: Wer hat dir erzählt, daß ich die DEFENDER übernehme?“ Matthew lächelte humorlos. „Du klingst wie ‘ne Polizistin, die jemanden verhört!“ „Ich bin nur neugierig.“ „Ach ja? Vorhin hast du noch gesagt, es wäre wichtig“, konterte Matthew. „Neugier ist eine wichtige Eigenschaft“, erwiderte sie trocken. „Wie ich schon sagte - ich hab ein paar Kumpels in der Sternenflotte“, beantwortete Matthew ihre Frage. „Das bleibt nicht aus, wenn man auf einer Raumstation arbeitet und jeden Abend sein Bier im Stationskasino trinkt... Einer meinen Kumpels hat mir von der DEFENDER erzählt und davon, daß dieser Admiral... Wie heißt er doch gleich?“ „Layton.“ „Also, er sagte mir, daß Admiral Layton einen Ersatz für diesen Kerl gefunden hat, der in Antwerpen getötet wurde. Und dann fragte er: ‘Hey, Matt, ist das nicht deine Ex-Frau’?“ „Wie heißt der Typ?“ „Mein Kumpel? Lieutenant Pedro Arreyaga. Wieso?“ „Ich muß dringend mit ihm reden“, antwortete Lairis. „Wieso denn?“ fragte Matthew. „Das darf ich nicht sagen. Befehl vom Sternenflottenkommando.“ Matthew verdrehte die Augen. „Ich hasse es, wenn du so redest!“ „Klar, du haßt alles, was sich deiner Kontrolle entzieht“, konterte sie. „Bitte, fang nicht schon wieder damit an!“ stöhnte Matthew. „Ich hatte nicht vor, mit irgendwas ‘anzufangen’“, entgegnete Lairis. „Ich wollte eigentlich nur fragen, wo ich diesen Lieutenant Arreyaga erreichen kann.“ „Soviel ich weiß, wurde er vorige Woche auf die DEFIANT versetzt.“ Lairis erhob sich von ihrem Sessel. „Danke, Matthew! Das ist alles, was ich wissen wollte.“ „Willst du nicht noch ein bißchen bleiben?“ „Nein!“ fuhr sie ihn an. Matthew hob resigniert die Hände. „Schon gut!“ Er deutete ein Lächeln an. „Sag mal, lebt eigentlich mein Blumenstrauß noch?“ „Keine Ahnung. Frag das besser die Putzfrau im Hauptquartier der Sternenflotte“, antwortete Lairis gleichmütig. „Ich dachte, du hättest ihn an diesen Fähnrich Sowieso verfüttert“, konterte Matthew ironisch. „Fähnrich Vixpan war gerade nicht in der Gegend. Aber wenn du mir noch mal Blumen schenken willst - er ist gestern mit dem Rest meiner Crew hier eingetroffen.“ 62
„Dann schenke ich die Blumen doch besser gleich ihm“, entgegnete Matthew kühl. „Gute Idee!“ gab sie säuerlich zurück. Matthews Blick wurde unvermittelt weicher. „Es war schön, mit dir zu reden“, sagte er. „Ach, stehst du plötzlich auf Verhöre?“ „Nein, aber auf dich.“ „Ich muß gehen“, erwiderte sie steif. Ohne weiter auf Matthew zu achten, verließ sie das Zimmer. *** Sie stellte sich einen kleinen, aber tiefen See vor, auf dem eine dünne Eisschicht lag. Was Eis war, wußte sie theoretisch, denn sie hatte schon genügend Planeten gesehen, deren Klima weniger tropisch war, als das auf Cardassia Prime. Gefrorenes Wasser konnte spiegelglatte und makellose Flächen bilden, die ihre Umwelt nahezu perfekt reflektierten - egal wie stürmisch und turbulent sich das Wetter gebärdete. Wenn jedoch ein Meteorit aus heiterem Himmel in den See stürzte, konnte er das Eis durchbrechen und eine Menge an Dreck aufwirbeln, von der bisher niemand etwas geahnt hatte... Seit der Gedankenverschmelzung mit T’Liza waren mehr als zwei Monate vergangen, doch das Wasser beruhigte sich nicht. Karthal mußte erkennen, daß ihr früheres Leben nicht viel mehr als eine Reflexion gewesen war. Diese Tatsache beunruhigte, ja, ängstigte sie. Es war vor allem als die Angst davor, was aus ihr werden würde, wenn es ihr nicht gelingen sollte, das aufgewühlte Wasser zur Ruhe zu bringen und all diesen diffusen Mist, den T’Liza in ihr aufgewirbelt hatte, wieder auf den tiefsten Grund ihrer Seele sinken zu lassen. Mist - genau das war es. Jedenfalls aus cardassianischer Sicht... Sie schaffte es lediglich, die Oberfläche zu glätten, jene reflektierende Fassade wieder aufzubauen, ohne die man in der cardassianischen Gesellschaft keinen Tag überleben konnte. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis sämtliche unerwünschten Gedanken und Gefühle wie ein Geysir durch das Eis brechen würden... Was war los mit ihr? Früher hatte sie sich für eine gute Cardassianerin gehalten, hatte von sich gegeben, was man von ihr erwartete und sogar geglaubt, daß es aus ihrem Inneren kam. Ihre Familie, ihre Lehrer, ihre Vorgesetzen beim Militär hatten es ebenfalls geglaubt und glaubten es wahrscheinlich noch immer. Doch wenn sie nun nach Cardassia zurückkehrte, würde sie die anderen bewußt täuschen müssen. Nun, wo sie die Fähigkeit verloren hatte, sich selbst zu täuschen... Sich selbst... Was bedeutete das überhaupt noch? Die Person, die sie geglaubt oder vorgegeben hatte, zu sein, war lediglich ein Kunstprodukt gewesen - zudem aus einem Material, das den Witterungsverhältnissen außerhalb Cardassias nicht standhalten konnte. Seit Karthal der Sternenflotte beigetreten war, zerbröselte es mit jedem Tag ein wenig mehr... Was habe ich mir nur dabei gedacht? fragte sie sich. Sie hatte nicht einmal gezögert, „ja“ zu sagen, als Marc van Emden sie zum Essen eingeladen hatte! Wie war sie dazu gekommen, sich mit einem Menschen zu verabreden - einem Sternenflottenoffizier? Zugeben, van Emden war neben T’Liza einer der wenigen Starfleet-Angehörigen, die ernsthaft in Erwägung zogen, sich mit ihr anzufreunden. Karthal hatte vorher auf der U.S.S. ULYSSES gedient. Am Anfang war sie angenehm überrascht gewesen, denn man brachte ihr viel weniger Feindseligkeiten und Vorurteile entgegen, als sie erwartet hatte. Dennoch waren die meisten ihrer Kollegen bestenfalls höflich zu ihr. Freunde wie Marc konnten sich also durchaus als nützlich erweisen... Karthal grinste freudlos. Offenbar hatte sie doch noch nicht verlernt, sich selbst etwas vorzumachen. Zumindest schaffte sie es ganz erfolgreich, sich einzureden, daß alle Entscheidungen, die sie seit dem Erwachen aus dem Koma getroffen hatte, rein pragmatischer Natur gewesen waren. Nun, was ihren Posten als Austauschoffizier bei Starfleet anging, mochte das sogar zutreffen - aber nicht in Bezug auf Marc van Emden... Karthal betrachtete sich kritisch im Spiegel. Das Kleid, das sie trug, war ein knöchellanger, rauchblauer Schlauch mit langen Ärmeln und einem viereckigen Ausschnitt. Es war so eng, daß sich die Schuppen auf ihren Hüften darunter abzeichneten... Mit schlafwandlerischer Si63
cherheit hatte sie sich das wohl aufreizendste Kleidungsstück gegriffen, das in dieser Boutique ausgelegen hatte! Sie grinste, während sie sorgfältig ihre Haare bürstete. Einen Moment überlegte sie, ob sie sie offen tragen sollte, doch dann entschied sie sich für eine elegante Hochsteckfrisur. Als nach dem Döschen mit dem Lidschatten griff, fiel ihr Blick auf die Innenfläche ihrer rechten Hand. Eine Wahrsagerin könnte damit nicht mehr viel anfangen, dachte sie in einem Anflug makaberer Ironie. Das Gewebe war unnatürlich weiß und beinahe völlig frei von Linien oder Falten. Eine Erinnerung an ihre erste Meinungsverschiedenheit mit Gul Lemak... Glin Karthals berüchtigte Eigenmächtigkeit war wohl der Grund, weshalb man ihr für die Nachtschicht das Kommando auf der Brücke übertragen hatte. Gul Lemak wünschte nämlich während seiner Nachtruhe nicht, gestört zu werden und akzeptierte nur in extremen Notfällen, daß man ihn weckte. Die anderen Offiziere auf der KAL RANOR wagten jedoch seit langem nicht mehr, selbständig zu entscheiden, was ein „extremer Notfall“ war und was nicht... Eines Tages empfing Karthal ein Notsignal eines Sternenflotten-Shuttles, das durch einen Meteoritensturm schweren Schaden erlitten hatte und in den cardassianischen Raum abgedriftet war. Durch intensive Scans entdeckte die Brückencrew der KAL RANOR, daß der Reaktor des Shuttles kurz davor war, zu explodieren. Karthal ließ die drei Starfleet-Offiziere an Bord beamen und in der nächsten Föderationskolonie absetzen, bevor Gul Lemaks Wecker klingelte. Doch als sie dachte, dieser Vorfall würde zu jenen Lappalien gehören, die ihren Herrn und Meister nicht interessierten, irrte sie sich gewaltig. Das dünne, freudlose Lächeln, mit dem der Gul sie am nächsten Morgen in der Offiziersmesse empfing, verhieß nichts Gutes. „Ah, Glin Karthal, einen wunderschönen Tag wünsche ich Ihnen!“ begrüßte er sie. Ein leichtes Frösteln durchlief Karthal und ihre Schuppen zogen sich zusammen. Lemak gab sich freundlich - noch ein schlechtes Zeichen! Auf einem kleinen Tisch in der Ecke stand eine altmodische Kochplatte mit einer Kanne voller dampfendem, blubberndem Rotblatt-Tee. Lemak haßte replizierten Tee, deshalb ließ er sich sein Lieblingsgetränk stets von einem der niederen Besatzungsmitglieder aufbrühen. „Ich habe gehört, Sie haben Starfleet-Angehörige an Bord gebracht...“ begann der Gul. Sein Tonfall war noch immer geprägt von jener gleichmütigen Freundlichkeit, die in Karthals Hirn sämtliche Alarmsirenen schrillen ließ. „Wir haben sie sofort in die Habitatebene gebeamt und durch mehrere Männer bewachen lassen, Sir“, erklärte sie. „Sie hätten das aber nicht über meinen Kopf hinweg entscheiden dürfen, Glin!“ erwiderte Lemak. Es klang, als tadelte er ein vorlautes keines Mädchen. „Es tut mir leid, Sir!“ beteuerte Karthal. „Ich dachte, Sie wollten nicht gestört werden...“ „Sie sind nicht hier, um für mich zu denken!“ konterte Lemak mit scharfer Stimme. Jede aufgesetzte Freundlichkeit war mit einem Mal daraus verschwunden. Karthal fühlte sich, als ob ihr das Herz in den Magen rutschte. „Sie sind hier, um meine Befehle zu befolgen! Ist Ihnen das auch wirklich klar?“ „Selbstverständlich, Sir!“ erwiderte sie hastig. „Jeden Befehl? Bedingungslos?“ „Natürlich, Sir!“ Lemak nahm in einem spontanen Impuls die Teekanne vom Herd. Die Platte glühte rot, doch er schaltete sie nicht aus. Dann grinste boshaft. „Legen Sie Ihre Hand auf die Kochplatte!“ Die Gespräche in der Messe verstummten augenblicklich. Sämtliche Köpfe fuhren zu Lemak und Karthal herum. In den Augen der Männer und Frauen (der Anteil an weiblichen Offizieren war auf der KAL RANOR auffällig hoch) lag Entsetzen - aber auch eine Art erwartungsvolle Neugier darauf, was als nächstes passieren würde. Die Glin starrte den Gul mit großen Augen an. „Wie bitte?“ „Muß ich mich wiederholen? Ich dachte, Sie wären bereit, meine Befehle zu befolgen?“ 64
Karthal schnappte nach Luft - nun mehr empört als erschrocken. „Bei allem Respekt, Sir aber das interpretiere ich nicht als Befehl, sondern als schlechten Witz!“ Lemak erwiderte nichts. Er sprang unvermittelt auf, packte Karthal am Arm und zerrte sie in Richtung Herd. Bevor die junge Frau sich aus seiner Umklammerung befreien konnte, preßte er ihre rechte Hand gegen das rotglühende Metall. Karthals Schrei zwang einige der Anwesen, sich die Ohren zuzuhalten. Sie versuchte verzweifelt, sich loszureißen, den höllischen Schmerzen und dem ekelerregenden Geruch nach ihrem eigenen, verbrannten Fleisch zu entkommen. Wäre es ihr möglich gewesen, hätte sie Lemak sogar einen Tritt in die Weichteile verpaßt. Sicher war die Strafe für einen solchen Angriff auf die Männlichkeit eines ranghöheren Offiziers um einiges schlimmer als das, was Karthal gerade durchmachte. Doch darüber dachte sie nicht nach. Der Schmerz fegte alle anderen Eindrücke aus ihrem Bewußtsein. Was sie tat, war nicht viel mehr als eine Reaktion ihres vegetativen Nervensystems. Dann ließ Lemak sie los. Sie stolperte rückwärts und fiel. Ganz instinktiv achtete sie darauf, daß die Hand, mit der sie den Sturz abfing, nicht ihre rechte war. Zwei der anderen Offiziere eilten augenblicklich herbei und halfen ihr auf. Die Blicke der beiden Männer ruhten einen Moment besorgt auf Karthal und wanderten dann ängstlich zu Lemak. „Keine Sorge, meine Liebe, mit einem Hautregenerator läßt sich das innerhalb von fünf Minuten in Ordnung bringen“, sagte der Gul und lächelte dünn. „Darf ich jetzt auf die Krankenstation gehen?“ fragte Karthal gepreßt. Lemak machte eine wegwerfende Handbewegung. „Natürlich.“ Eine medizinische Meisterleistung hat der gute Doktor nicht gerade vollbracht, dachte Karthal, als sie später ihre Handfläche betrachtete. Sie hatte endgültig genug von diesem Irrsinn. Im Sturmschritt begab sie sich zu ihrem Quartier, aktivierte den Com-Terminal und verlangte die Kommandantin des fünften Ordens, Gul Ocett. Ocett war eine vergleichsweise kleine Frau mit einem verkniffenen, rostbraun geschminkten Mund. Ihre unruhigen, angriffslustig funkelnden blaugrauen Augen schienen soviel zu sagen wie: „Was, du willst was von mir? Ich hoffe für dein Leben, daß es wichtig ist!“ Dennoch ging der Gul eine gewisse Attraktivität nicht ab, und es hieß, daß ihre männlichen Untergebenen ihr „aus der Hand fraßen“. Karthal nannte ihren Namen, ihren Rang und ihre Dienstnummer und schloß mit dem Satz: „Ich möchte meine Versetzung beantragen!“ Gul Ocett verdrehte die Augen gen Zimmerdecke und deutete ein entnervtes Stöhnen an. „Sagen Sie jetzt bitte nicht, daß Sie von der KAL RANOR kommen!“ rief sie. „Doch“, erwiderte Karthal wahrheitsgemäß. „Hören Sie zu, Mädchen, wenn wir jeden Offizier, der mit seinem Dienst auf der KAL RANOR nicht zufrieden ist, versetzen würden, müßten wir dieses Schiff irgendwann voll automatisieren!“ meinte Ocett. „Keine schlechte Idee!“ wagte Karthal zu kontern. Dann berichtete sie von dem Vorfall mit der Herdplatte. Die Gul verzog angewidert das Gesicht. „Gibt es Zeugen dafür?“ fragte sie. „Sieben oder acht Brückenoffiziere der KAL RANOR“, antwortete Karthal triumphierend. „Nun ja... Ich werde mir Gul Lemak persönlich zur Brust nehmen und ihm einen Verweis erteilen. Vielleicht kommt er ja zur Vernunft, wenn ich drohe, ihn zu degradieren. Das ist leider alles, was ich für Sie tun kann, Glin Karthal. Ocett Ende.“ Die Verbindung wurde abgebrochen. Karthal seufzte frustriert. Sie hatte sich zwar nicht allzu viel von diesem Gespräch erhofft, aber auf das Ausmaß an Resignation, daß sie nun empfand, war sie nicht gefaßt gewesen. Nach Abschluß der Akademie hatte sie ausdrücklich verlangt, nicht dem Orden zugeteilt zu werden, den ihr Vater kommandierte. Inzwischen bereute sie diesen Entschluß. Wenn ihr einflußreicher Vater ihr nicht helfen konnte - wer dann? Gul Ocett bestimmt nicht! Es war zwar be65
kannt, daß sie durchaus wirkungsvoll keifen konnte - aber die Wirkung hielt bei Lemak leider nie lange vor. Ihre Vorgesetzten würde Ocett wegen diesem Vorfall sicher auch nicht belästigen. Sie hatte den Ehrgeiz, der erste weibliche Legat seit 35 Jahren zu werden - und das konnte sie wahrscheinlich vergessen, wenn sie sich beim Zentralkommando mit allzu vielen Beschwerden unbeliebt machte... Hinzu kam, daß die KAL RANOR eine Art Endstation für Soldaten und Offiziere darstellte, die als unbequem galten, aber nicht so sehr aus dem Rahmen fielen, daß man sie ins Gefängnis steckte oder gar verschwinden ließ. Eine Versetzung dorthin galt als inoffizielle Strafe - oder als letzte Bewährungsprobe. Wen Gul Lemaks „feste Hand“ nicht in einen mustergültigen cardassianischen Soldaten verwandelte, den erwartete wohl ein Schicksal, über das Karthal nicht nachdenken mochte... Sie schmunzelte über sich selbst. Ganz so glatt und angepaßt, wie sie sich Glauben machen wollte, hatte sie sich wohl nie verhalten - denn sonst wäre sie nicht auf der KAL RANOR gelandet. An Götter, Propheten, Geister oder ähnliche übernatürliche Wesen glaubte sie nicht. Doch sie glaubte an so etwas wie Schicksal - an eine Macht, die jedes Lebewesen seiner Bestimmung zuführte... Karthal runzelte die Stirn. Sollte es etwa ihre Bestimmung sein, irgendwann in einer dieser häßlichen Sternenflottenuniformen auf der Brücke der U.S.S. DEFENDER herumzulaufen? Wohl kaum! Oder? Das letzte Gespräch mit Captain Lairis kam ihr wieder in den Sinn. Zuerst hatte die Bajoranerin auf Karthals Bewerbung ähnlich reagiert wie eine Amazone auf den Heiratsantrag eines Ferengi. Doch dann passierte etwas merkwürdiges... Lairis’ Gesichtsausdruck wechselte innerhalb weniger Minuten von Verblüffung über Ärger und Nachdenklichkeit zu einen kleinen hintergründigen Lächeln. Wie fast alle Bajoraner machte sie sich nicht einmal die Mühe, ihre Gefühle zu verbergen. Daß die Cardassianerin durch ihre Fassade blicken konnte, als wäre sie ein Gallamit mit einem transparenten Schädel, schien den Captain nicht zu stören. Im Gegenteil. Ich schätze, Sie fragen sich, wie ich als Angehörige einer so minderwertigen Rasse überhaupt Kommandantin eines Raumschiffes geworden bin, dachte Lairis ganz offensichtlich. Bestimmt haben Sie schon während der Versorgungsmission darauf gewartet, daß ich auf die Knie falle und zu den Propheten bete - oder etwas ähnlich blödsinniges! Glauben Sie bloß nicht, daß ich Sie wegen Ihrer Persönlichkeit einstellen würde! Ich freue mich nur wahnsinnig darauf, Sie zu enttäuschen, wenn Sie sehen, daß auch eine Bajoranerin fähig ist, ein Raumschiff zu kommandieren... Laut sagte der Captain nur: „Willkommen an Bord!“ Nach einem kurzen, förmlichen Händedruck wies Lairis die Cardassianerin aus ihrem Büro. Marc van Emden und T’Liza schienen sich ehrlich über Karthals Aufnahme in die Crew zu freuen. „Das müssen wir eigentlich feiern“, hatte Marc gesagt. „Wie wär‘s mit einem Essen? Ich kenne ein tolles Restaurant in New Orleans! Es gehört dem Vater eines berühmten Sternenflotten-Captains namens Sisko - und ich sage Ihnen: Dieser Mann versteht sein Handwerk!“ Karthal wandte sich zu T’Liza um, doch diese schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht mitkommen. Die Arbeit wächst mir sonst über den Kopf“, erklärte sie. So eine faule Ausrede! Dabei dachte ich, Vulkanier dürften nicht lügen! Daß T’Liza die beiden allein lassen wollte, war recht offensichtlich. Merkwürdigerweise war Karthal ihr sogar dankbar dafür. Als sie sich vor Siskos Restaurant in New Orleans materialisierte, starrte Lieutenant van Emden sie an wie ein höheres Wesen. „Wow!“ rief er. „Sie sehen ... Sie sehen wunderschön aus!“ Karthal lächelte geschmeichelt. „Danke, Sie sehen auch sehr nett aus! Gehen wir rein?“ Van Emden nickte. „Na, wie finden Sie es?“ fragte er erwartungsvoll, als die Cardassianerin sich gründlich in der kleinen, rustikalen Gaststätte umsah. „Das Mobiliar ist angemessen. Die Dekoration wurde von jemandem angebracht, der weniger Sinn für Ästhetik hat, als ein Vorta. Aber das Licht ist in Ordnung.“ Der junge Lieutenant lachte kurz. „Wenn Sie erst mal das Essen probiert haben, vergessen Sie die Ästhetik. Das verspreche ich Ihnen!“ 66
„Mag sein. Wenn ich wüßte, was ich bestellen soll, würde ich eventuell mehr Begeisterung aufbringen.“ „Die kreolischen Shrimps kann ich nur empfehlen!“ „Und was ist das?“ fragte Karthal mißtrauisch. „Probieren geht über studieren“, konterte van Emden. „Wie Sie meinen...“ murmelte sie abwesend. Ihr Blick wanderte zum Nebentisch. Dort speiste ein junger Ferengi mit einem dunkelhäutigen, kahlköpfigen Menschen in Starfleet-Uniform. Angeekelt stellte sie fest, daß sich das Essen auf der Gabel des Jungen noch bewegte... Ferengi! dachte sich voller Verachtung. Widerliche Kreaturen! Als wäre es nicht genug, daß sie frauenfeindlich waren und sich ausschließlich damit beschäftigen, wie das Geld aus ihres Nächsten Tasche in ihre eigene Tasche gelangen konnte, aßen sie auch noch lebende Maden! Karthal hätte wahrscheinlich schon gekreischt, wenn diese Viecher auch nur in ihrer Wohnung herum gekrabbelt wären... Sie wollte sich gerade von dem Ferengi ab- und statt dessen dem wesentlich ansehnlicheren Marc van Emden zuwenden, als der dunkelhäutige, menschliche Sternenflottenoffizier plötzlich ihre Aufmerksamkeit auf sich zog... „Sie denken wohl, ich würde Sie hier um einen Gefallen bitten!“ fuhr er den jungen Ferengi an. „Aber ich will einen Namen, und ich will ihn jetzt - und das ist ein Befehl!“5 Karthal drehte sich zu van Emden um und warf ihm einen fragenden Blick zu. Der junge Lieutenant zuckte die Schultern. „Ich weiß auch nicht, was das bedeuten soll!“ Da fiel der Cardassianerin etwas auf... Der graue Overall mit den roten Schulterstücken, den dieser Ferengi trug, war eine Kadettenuniform der Sternenflotte. Möglicherweise stauchte der Offizier nur einen ungehorsamen Kadetten zusammen - doch Karthal hatte das untrügliche Gefühl, daß mehr dahintersteckte... In diesem Augenblick kam ein Kellner an ihren Tisch. Es handelte sich um einen älteren Terraner mit blitzenden schwarzen Augen und Nasenlöchern wie eine klaestronische Robbe. Seine Haut war noch eine Nuance schwärzer als die des Sternenflottenoffiziers am Nebentisch. „Na, was darf ich Ihnen bringen, Freunde?“ fragte er. Seine Stimme klang so munter und lebhaft, wie seine Augen funkelten. Karthal staunte, denn so viel Energie hätte sie diesem alten Mann gar nicht zugetraut. Van Emden lächelte übers ganze Gesicht. „Mister Sisko!“ Der dunkelhäutige alte Mann strahlte ebenfalls. „Ganz recht, mein Junge! Sie und Ihre hinreißende Begleiterin haben heute das Glück, vom Küchenchef persönlich bedient zu werden! Also was darf ich Ihnen bringen?“ „Kreolische Shrimps bitte“, bestellte van Emden. „Und ein Heineken-Pils.“ Joseph Siskos Augen leuchteten sichtlich auf, und seine sagenhaften Nasenlöcher schienen sich noch ein Stück zu weiten. „Ah, gute Wahl! Und die Lady?“ „Ich ... ich muß noch überlegen“, erwiderte Karthal. „Ich kenne mich mit der irdischen Küche nicht besonders gut aus.“ „Kein Problem“, konterte Sisko energisch. „Ich kann über 20 verschiedene cardassianische Gerichte zubereiten! Was immer Sie wünschen, meine Liebe! Aber - unter uns - Sie machen einen nicht wieder gutzumachenden Fehler, wenn Sie mein Brotpudding-Soufflé nicht probieren!“ Van Emden lachte, und auch Karthal konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Nein danke, ich fürchte, ich habe keine Hunger“, erwiderte sie wahrheitsgemäß. Der Anblick dieser sich windenden Rohrmaden hatte ihr den Appetit endgültig verdorben. „Wie wär’s dann mit einem Glas Kanar?“ schlug Sisko vor. „Replizierter Kanar?“ fragte Karthal abfällig. Sisko schüttelte heftig den Kopf. „Oh nein! Nicht repliziert! Dieser ganze nachgemachte Mist kommt mir nicht ins Haus!“
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Sisko in: Star Trek - Deep Space Nine, Episode 82: „Das verlorene Paradies“
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„Sie führen hier echten Kanar?“ fragte Karthal zweifelnd. „Haben Sie denn genug cardassianische Kunden, daß sich das lohnt?“ „Sie ahnen nicht, wie viele Menschen nach diesem Zeug verrückt sind“, konterte Sisko. „Gut, ich nehme ein Glas!“ beschloß Karthal, und der alte Sisko rauschte zufrieden ab. Alkohol - besonders Kanar - auf nüchternen Magen zu trinken, war eigentlich nicht zu empfehlen. Doch Karthal hatte schon lange vorher die Grenze dessen überschritten, was vernünftig war. Zumindest sah sie das selbst so. „Haben Sie denn inzwischen Ihre Leute auf Cardassia erreicht?“ fragte van Emden. Die Cardassianerin nickte. „Meinem Sohn geht es gut, mein Vater ist zum Legat befördert wor-den und mein Mann hat trotz seiner Schrumpfleber erstaunlicher Weise noch immer nicht das Zeitliche gesegnet.“ Auf van Emdens schockierten Blick gab sie eine knappe Zusammenfassung von Jorels Alkoholiker-Karriere zum Besten - einschließlich der Begründung, weshalb sie sich nicht scheiden ließ. „Möglicherweise halten Sie mich jetzt für die kaltschnäuzigste Person des gesamten Quadranten“, schloß sie. „Aber - ehrlich gesagt - kann ich mir nicht den Luxus erlauben, darüber nachzudenken, was andere von mir halten mögen.“ Van Emden schüttelte langsam und nachdenklich den Kopf. „Ich halte Sie nicht für kaltschnäuzig, Belora“, erwiderte er und lächelte leicht. „Höchstens für ein bißchen zynisch.“ „Damit kann ich leben“, entgegnete die Cardassianerin gleichmütig. „Mir ist nur nicht ganz klar, worin der feine Unterschied zwischen ‘kaltschnäuzig’ und ‘zynisch’ bestehen soll...“ Der junge Ingenieur lächelte. „Also, ich bin zwar kein Synonym-Wörterbuch, aber ich sehe das so: ‘Kaltschnäuzig’ ist jemand aus einer inneren Gleichgültigkeit heraus, jemand, dem das Schicksal anderer egal ist und der auch ehrlich genug ist, das zu äußern. ‘Zynisch’ wird man dagegen durch äußere Umstände - auch man im Grunde seines Herzens nicht gleichgültig ist.“ „Eine interessante Interpretation, wenn auch ziemlich sentimental“, bemerkte Karthal. „Warum haben Sie Ihren kleinen Sohn nicht mit aufs Schiff genommen?“ wollte Marc wissen. „Es ist nicht erlaubt, Kinder an Bord von cardassianischen Kriegsschiffen zu bringen“, sagte Karthal - eine Antwort, mit der der Ingenieur bereits gerechnet hatte. „Und Ihr Vater? Würde er Sie nicht finanziell unterstützen, wenn Sie...“ Karthal schüttelte nur den Kopf. Ihr Vater war von Anfang an gegen ihre Beziehung mit Jorel gewesen. In seinen Augen war er ein Niemand, der aus einer kleinen, unbedeutenden Familie stammte. Karthals Clan dagegen hatte Generationen von bedeutenden Wissenschaftlerinnen, Politikern und hohen Offizieren hervorgebracht. Allein Beloras Überredungskünsten und Gul Yarkan Karthals abgöttischer Liebe zu seiner einzigen Tochter war es zu verdanken, daß Jorel sie nicht nur heiraten, sondern sogar ihren Namen annehmen und damit ihrer ehrbaren Familie beitreten durfte. Allerdings ging Yarkans Affenliebe nicht so weit, daß er bereit gewesen wäre, Jorels Pension zu zahlen. „Dieser elende Schmarotzer soll gefälligst für seinen Lebensunterhalt arbeiten, wie jeder achtbare Cardassianer!“ meinte Beloras Vater. „Tut mir leid, meine Liebe - aber ich bin weder ein Wohltätigkeitsinstitut noch ein Schnapslieferant! Wenn du dich von jämmerlichen, willensschwachen Subjekt trennen willst, hast du natürlich meine volle Unterstützung! Aber Jorel muß selbst sehen, wie er zurechtkommt!“ Damit war die Diskussion für Yarkan Karthal beendet gewesen. Für seinen Lebensunterhalt arbeiten... Aus dem Mund ihres Vaters klang das simpel, doch Belora wußte, daß Jorel nach den äußerst strengen medizinischen Richtlinien des cardassianischen Militärs nie mehr diensttauglich sein würde. Eine anderer Job kam für ihn auch nicht in Frage. Als Ingenieur im zivilen Bereich Arbeit zu finden, war für einen Mann auf Cardassia ohnehin schwer genug - und für einen Mann mit Alkoholproblemen nahezu unmöglich... „Nach den cardassianischen Gesetzen bin ich verpflichtet, in jeder Situation für meinen Ehepartner zu sorgen“, erklärte Karthal ihrem Gegenüber. „Meine Familie ist dazu eigentlich auch verpflichtet, aber mein Vater weigert sich konsequent - und es ist so gut wie unmöglich, ihn umzustimmen, wenn er erst mal eine Entscheidung getroffen hat.“ „Was ist mit Ihrer Mutter?“ fragte van Emden. 68
„Meine Mutter ist tot.“ „Tot?“ Der blonde Ingenieur machte ein betroffenes Gesicht. „Das tut mir leid!“ „Es ist zwanzig Jahre her“, erwiderte die Cardassianerin. „Meine Mutter war Xenosoziologin, spezialisiert auf die Geschichte und Kultur verschiedener Welten der Föderation. Zum Schluß war sie diplomatischer Attaché im Dienste unseres Botschafters auf Andor.“ „Und ... wie ist sie...“ „Sie fing sich einen tödlichen Virus ein“, beantwortete Karthal seine unvollendete Frage. „Einen Virus, gegen den die meisten Föderationsvölker immun zu sein scheinen, Cardassianer aber nicht. Es grenzt an ein Wunder, daß sie den Botschafter nicht angesteckt hat. Sie ...“ Belora schluckte. „Sie starb wenige Tage später in Quarantäne.“ „Eine Föderationsspezialistin - interessant!“ meinte van Emden. „Daher wissen Sie also so viel über die Literatur der Erde...“ Karthal nickte. „Das meiste, was ich über andere Kulturen weiß, habe ich von ihr gelernt. Bedauerlicher Weise war ich erst zwölf, als sie starb.“ „Ich hab mir schon gedacht, daß ‘Ein Yankee an König Arthurs Hof’ nicht gerade zum Lehrplan an cardassianischen Schulen gehört...“ „Sie wäre erstaunt, was man alles auf cardassianischen Schulen lernen kann“, konterte Karthal. „Aber Sie haben trotzdem recht.“ Die Cardassianerin griff nach dem inzwischen nur noch halbvollen Glas Kanar und trank es auf einen Zug aus. „Was gibt es eigentlich über Ihre Familie zu erzählen, Lieutenant?“ „Nicht viel“, antwortete van Emden ausweichend. Er grinste. „Jedenfalls kann ich nicht mit der Tochter einer Diplomatin und eines Legat mithalten...“ „Das ist mir egal. Ich bin trotzdem neugierig.“ „Na schön... Meine Mutter besitzt eine Gärtnerei auf der Erde und mein Vater...“ Van Emden hielt kurz inne. „Mein Vater war ebenfalls Sternenflottenoffizier. Er ist im Krieg gegen die Cardassianer gefallen.“ Mit angehaltenem Atem wartete der junge Lieutenant auf Karthals Reaktion. Doch die Miene seiner Begleiterin blieb ausdruckslos. „Naja, ich dachte, nach dem, was mit Ihrem Mann passiert ist...“ fuhr er hastig fort. „...würden Sie sich in meiner Gesellschaft nicht mehr wohl fühlen, wenn Sie wüßten...“ „Ich muß schon sagen, Ihre Logik ist ziemlich schwer nachvollziehbar“, unterbrach ihn die Cardassianerin. In ihrer Stimme lag die selbe undurchdringliche Distanziertheit wie in ihrem Gesichtsausdruck. „Mein Mann wurde lediglich verwundet - Ihr Vater dagegen ist tot. Trotzdem scheinen Sie sich in meiner Gesellschaft durchaus wohl zu fühlen!“ „Nun ja...“ van Emden lächelte verkrampft. „Sie waren schließlich nicht auf Settlik III - und mir geht es ab, eine ganze Spezies zu hassen.“ „Eine lobenswerte Einstellung“, meinte Karthal. Van Emden war sich nicht sicher, ob sie es ernst meinte, oder ob nicht eine Spur Sarkasmus in ihren Worten mit schwang. „Es reicht, daß meine Mutter alle Cardassianer haßt...“ entgegnete er leise. Karthal horchte auf. „Was würde Ihre Mutter wohl dazu sagen, daß Ihr Sohn mit einer Cardassianerin essen geht?“ Van Emden grinste jungenhaft. „Ich schätze, sie würde mir eine Szene machen - aber sie weiß es ja nicht.“ Karthals Miene blieb ernst und ihre Stimme klang eine Idee schärfer, als sie sagte: „Das ändert nichts an der Tatsache, daß Sie ihren Willen mißachten, indem Sie sich mit mir treffen!“ Van Emdens Gesicht wurde mit jeder Sekunde röter. Er hatte vergessen, daß es für Cardassianer kaum etwas gab, das so unantastbar war wie die Familie. Sein Verhalten mußte Belora Karthal als glatter Verrat erscheinen. Der scharfe, mißbilligende Blick, der auf ihm ruhte, ließ keinen Zweifel daran... In solchen Moment verströmte Karthal eine Aura, die selbst in der heißesten Wüste von Vulkan Frost erzeugen konnte. Van Emden befürchtete, sie könnte just aufspringen und gehen, weil er gerade ihre heiligsten Prinzipien durch den Dreck gezogen hatte... „Wollen Sie noch eine Glas Kanar?“ fragte er schnell und hoffte, damit das Eis zu brechen. „Na gut“, erwiderte Karthal nach einer Weile. 69
Van Emden versuchte sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen. Es hätte ihn sehr unglücklich gemacht, wenn dieser Abend so abrupt zu Ende gegangen wäre. Belora Karthal war ebenso schön wie intelligent und kultiviert. Sie durch irgendeine Dummheit zu vergraulen, bevor er sie richtig kennengelernt hatte, fiel für ihn unter den Begriff „sinnlose Tragödie“. „Schon gut, Marc, welche Beziehung Sie zu Ihrer Mutter oder dem Rest Ihrer Familie pflegen, ist nicht meine Angelegenheit“, sagte sie, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Dann lächelte sie leicht. „Ich bin nicht sicher, ob ich mich jemals an diese ganzen interkulturellen Mißverständnisse gewöhnen kann!“ Van Emden grinste. „Wir Föderationsbürger wachsen damit auf!“ „Hm, ich weiß nicht, ob ich euch deswegen bedauern oder beneiden soll!“ Wie immer, wenn Karthal eine witzige Bemerkung von sich gab, war ihre Miene dabei todernst. Marc lachte. „Tja, ich bin zwar nicht gerade scharf auf ‘interkulturelle Mißverständnisse’, aber ich hab’ auch keine Ahnung, wie ich sie auf Dauer vermeiden soll...“ „Vielleicht hilft uns ja der Alkohol dabei“, konterte die Cardassianerin. Van Emden wurde wieder einmal rot, weil sie ihn gnadenlos durchschaut hatte. Dann rief sie Mister Sisko heran. „Möchten Sie noch ein Glas Kanar?“ fragte dieser. Karthal Antwort ließ dem jungen Ingenieur glatt die Kinnlade herunterklappen... „Ich nehme die ganze Flasche“, erklärte sie seelenruhig.
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8. Kapitel Gehen Sie zurück nach DEEP SPACE NINE, Benjamin! Sie gehören nicht hier her6... Captain Sisko seufzte leise. Admiral Laytons Worte klangen ihm noch immer in den Ohren. Damit, daß er bei seinem Chef in Ungnade gefallen war, konnte er leben. Auch auf seinen Posten als Sicherheitschef der Erde verzichtete er gern. Er hatte diesen Job im Grunde nie gemocht und bereits am ersten Tag seine Freunde auf DEEP SPACE NINE vermißt. Dennoch war er sich der Bedeutung seiner Pflicht sehr wohl bewußt gewesen. Layton hatte ihn angefordert, weil er angeblich jemanden an seiner Seite wissen wollte, der wußte, wie man Wechselbälger bekämpft. Wie hätte Sisko ahnen sollen, daß er statt dessen gegen einen machtgierigen Sternenflotten-Admiral kämpfen mußte? Die Straßen von San Francisco waren dunkel und leer. Vor zwei Stunden hatte die Ausgangssperre begonnen. Natürlich lief Sisko als Sternenflottenoffizier nicht Gefahr, von der Sicherheit aufgriffen und irgendwo eingesperrt zu werden... Die Zivilisten dagegen hatte man zu Menschen zweiter Klasse degradiert, indem man ihnen das Recht genommen hatte, sich frei zu bewegen. Das war einfach nicht richtig... Layton mochte gute Absichten haben - doch er durfte auf keinen Fall die zivile Regierung stürzen! Die Föderation konnte sich sonst in einer Weise verändern, wie es vorher undenkbar gewesen wäre. Und sicher würde das keine Veränderung zum positiven sein... War es möglich, daß ein Sternenflottenoffizier nach einigen Jahren Militärdiktatur ebenso willkürlich und repressiv herrschte wie ein romulanischer Kaiser, ein cardassianischer Legat oder ein Vorta? Würde es dann überhaupt noch einen Unterschied machen, ob Layton die Macht auf der Erde übernahm oder ob eine Invasionsstreitmacht des Dominion das Paradies zerstörte? Sisko war fest entschlossen, sowohl die eine als auch die andere unerfreuliche Alternative zu verhindern. Sein Paradies mochte in Aufruhr geraten sein - doch er würde verbissen darum kämpfen, es zu retten. Nur leider hatte Admiral Layton in einem Punkt recht: Sisko gehörte nicht hier her. Auf DEEP SPACE NINE hätte er seine Offiziere um sich gehabt, seine Freunde, die ihm vertrauten, ihn respektierten und ihn unterstützten. Doch hier war ein allein mit seinen Zweifeln, ein Außenseiter inmitten seiner eigenen Leute. Der einzige, dem er noch trauen konnte, war Odo. Sisko grinste freudlos, als er sich der Ironie dieser Lage bewußt wurde. Ausgerechnet ein Wechselbalg stand auf seiner Seite, während ihn scheinbar die gesamte Sternenflotte als Renegaten sah... Plötzlich hellte sich seine Miene auf. Nein - die gesamte Sternenflotte hatte sich nicht gegen ihn gewandt! Es gab noch eine Person, die die selbe Uniform trug wie er und seine Ansichten teilte... Kurz entschlossen aktivierte er seinen Kommunikator und verlangte eine Verbindung zur U.S.S. DEFENDER. *** Captain Lairis Ilana hievte den schweren Topf mit der zwei Meter hohen rigelianischen Gumminesselazalee auf den Schreibtisch in ihrem Bereitschaftsraum. Wegen ihrer Schwäche für Grünpflanzen hatte sie schon auf der CASABLANCA den Ruf genossen, ihr Büro in ein Gewächshaus zu verwandeln... Da fiel ihr auf, daß manche der großen fleischigen Blätter ihrer neuesten Tischdekoration ein wenig angeknabbert waren... Na warten Sie, Fähnrich Vixpan, wenn ich Sie erwische, zieh ich Ihnen die Hammelbeine lang! dachte sie. In diesem Moment piepte der Com-Terminal und Lairis eilte hinter den Schreibtisch. Als sie die Nachricht entgegennahm, blickte sie direkt in das dunkle, ernste Gesicht Captain Benjamin Siskos. „Sind Sie allein, Captain Lairis?“ fragte er ohne jede Einleitung. Die Bajoranerin lächelte belustigt. „Was wird das? Eine kriminelle Verschwörung?“ 6
Layton in: Star Trek - Deep Space Nine, Episode 82: „Das verlorene Paradies“
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Sisko schnitt eine Grimasse, als hätte er aus Versehen auf einen Kieselstein gebissen. „Ich hoffe nicht!“ Dann begann er, zu erzählen... „Moment mal, dieser Kadett Shepard hat zugegeben, daß die ‘Red Squad’ für die Sabotage der Energieversorgung verantwortlich sind?“ unterbrach Lairis seinen Bericht. Sisko nickte grimmig. „Es kommt sogar noch schlimmer! Als ich Layton deswegen zur Rede gestellt hab’, hat er mich suspendiert.“ „Er hat Sie aus der Sternenflotte geworfen?“ fragte Lairis entsetzt. „Nein, er hat mich nur als Sicherheitschef der Erde abgesetzt und nach DEEP SPACE NINE zurückgeschickt.“ „Das geht ja noch...“ „Sehe ich auch so - aber es beweist leider, daß es Laytons ganz eigene wahnwitzige Idee war, die Energierelais abzuschalten“, konterte Sisko. „Bis dahin hatten Odo und ich noch gehofft, das Sternenflottenkommando wäre von Wechselbälgern unterwandert worden...“ „Sie haben gehofft, das Sternenflottenkommando wäre von Wechselbälgern unterwandert worden?“ wiederholte Lairis schockiert. „Das müssen Sie sich mal auf der Zunge zergehen lassen!“ „Ich weiß!“ Sisko seufzte. „Aber es wäre mir immer noch lieber gewesen, als Sternenflottenoffiziere, die Verrat begehen!“ Lairis nickte langsam. „Es geht doch nichts über ein bißchen Schwarzweiß-Malerei“, meinte sie und verzog unwillig das Gesicht. „Wir auf der guten Seite, das Dominion auf der bösen... Zumindest hat man da noch gewußt, wer der Feind war!“ „Da ist was dran“, erwiderte Sisko nachdenklich. „Wir sollten mit dem Präsidenten sprechen“, schlug Lairis vor. Sisko seufzte mutlos. „Da war ich mit Odo schon! Der Präsident wollte uns nicht glauben was ich sogar nachvollziehen kann...“ „Und nun?“ „Er verlangt einen Beweis.“ „Dann liefern wir ihm einen!“ „Nichts leichter als das, Captain!“ entgegnete Sisko spöttisch. „Ich schätze, der Name Pedro Arreyaga sagt Ihnen was...“ „Er ist ein Mitglied meiner Crew, einer der neuen Sicherheitsoffiziere auf der DEFIANT. Aber was zum Teufel soll er mit dieser ganzen Sache zu tun haben?“ „Sie sollten nachprüfen, ob er mal unter Admiral Layton gedient hat oder aus irgend welchen anderen Gründen mit ihn befreundet sein könnte.“ „Gut, meine Leute werden ihn verhören. Unter irgend einem Vorwand“, ging Sisko auf den Vorschlag von Lairis ein. „Und meine Leute werden versuchen, diese Sicherheitsbox zu knacken. Vielleicht enthält sie ja irgend welche Hinweise...“ Da leuchteten Siskos Augen unvermittelt auf. „Apropos knacken - Sie haben mich gerade auf eine Idee gebracht...“ *** Es schien auch Vorteile zu haben, daß Glin Karthal sich nichts zu essen bestellt hatte. Ansonsten wäre sie nämlich glatt mit dem Gesicht darin gelandet. Andererseits... Wenn sie noch etwas anderes zu sich genommen hätte als sieben oder acht Gläser Kanar, wäre sie vielleicht nie in diese peinliche Lage geraten... „Ich wußte, sie macht einen großen Fehler, wenn sie mein Brotpudding-Soufflé nicht bestellt!“ rief Joseph Sisko wie aufs Stichwort. „Habe ich sie nicht gewarnt?“ „Doch, haben Sie“, mußte Lieutenant van Emden zugeben. „Was hat sie sich nur dabei gedacht, diesen ganzen Kanar in sich rein zu schütten, ohne Sinn und Verstand...“
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„Tja, was soll ich sagen, Junge... das Leben als Cardassianer ist wahrscheinlich nur im Suff zu ertragen! Und wenn man dann, wie sie, auch noch auf einen fremden Planeten festsitzt, kann man sich wohl nur noch den Strick nehmen...“ Van Emden blickte den alten Sisko entsetzt an. „Ich hoffe doch, das macht sie nicht!“ Der dunkelhäutige Mann grinste. „Sie werden das schon zu verhindern wissen, mein Sohn!“ Van Emden warf einen weiteren, nachdenklichen Blick auf die bewußtlose Karthal. „Ich habe die Cardassianer für trinkfester gehalten...“ Sisko zuckte mit den Schultern. „Vielleicht trifft das ja nicht auf ihre Frauen zu.“ „Und was sollen wir jetzt mit ihr machen?“ fragte der junge Lieutenant. „Sie auf ihr Schiff beamen?“ schlug der alte Sisko vor. Van Emden schüttelte langsam den Kopf. Es war ihm nicht ganz klar, wieso - doch er wollte nicht, daß die Cardassianerin ihr Gesicht verlor, indem sie sturzbetrunken durch die Gänge der DEFENDER torkelte. Der alte Sisko seufzte. „Na gut, ich hab’ noch ‘ne Couch im Hinterzimmer zu stehen...“ Van Emden lächelte dankbar. „Fassen Sie mit an?“ fragte er. Mit vereinten Kräften schleppten die beiden Männer Karthal zur Couch in dem kleinen Aufenthaltsraum hinter der Küche. Van Emden beamte zurück zur DEFENDER und erkundigte sich ab und zu beim alten Sisko, ob seine Freundin inzwischen ihren Rausch ausgeschlafen hätte. Auf diese Weise waren mindestens zwanzig Stunden verstrichen... Da beschloß der junge Ingenieur spontan, nach New Orleans zurückzukehren und - wie er es scherzhaft ausdrückte - nach seiner „cardassianischen Schnapsleiche“ zu sehen. Im Hinterzimmer von Siskos Restaurant erwartete ihn ein spaßiger Anblick: Karthal lag noch immer reglos auf der Couch und schien nicht einmal annäherungsweise zu registrieren, daß sie Gesellschaft hatte... Ein halbwüchsiges Kätzchen mit glänzendem blaugrauem Fell schnupperte höchst interessiert an der Cardassianerin herum. Es hatte die orangefarbenen Augen weit aufgerissen und den Schwanz derart aufgeplustert, daß er doppelt so dick erschien, als er in Wirklichkeit war. Dann streckte es zaghaft eines seiner kleinen, runden, pummeligen Tätzchen aus und berührte einen von Karthals schuppigen Nackenkämmen... Als hätte die Katze einen leichten Stromschlag erhalten, zuckte die Pfote zurück. In den Augen des Tierchens lag nun ein fast menschlicher Ausdruck. Es betrachtete den Hals der Cardassianerin so nachdenklich, als stünde es kurz vor einer großen wissenschaftlichen Entdeckung. Dann hob es noch einmal wagemutig die Pfote und ... van Emden blinzelte überrascht ... das Kätzchen schob seine kleinen spitzen Krallen unter eine von Karthals Halsschuppen... Nun ja, es sah so ganz aus, als müßte Marc diesem entzückenden kleinen Geschöpf das Handwerk legen! Denn falls Karthal aufwachte... Er hatte keine Lust, herauszufinden, wie laut eine Cardassianerin kreischen konnte. Bevor er zur Sternenflotte gegangen war, hatte er mehrere Katzen besessen. Das hieß, er hatte allerlei Erfahrung im Umgang mit diesen Tieren... „Miez, Miez, Miez, Miez...“ rief er und ging vorsichtig in die Hocke. „Miez, Miez, Miez...“ Das Kätzchen ließ von Karthal ab und wandte sich zu ihm um. „Miez, Miez, Miez, Miez....“ Mit einem leisen, eigenartigen Trillern oder Gurren sprang die Katze von der Couch und eilte ihm auf ihren pummeligen, runden Pfötchen entgegen. Van Emden streckte langsam die Hand aus. „Miez, Miez. Miez...“ Das Kätzchen zögerte einen Moment und beschnupperte seine Finger. Plötzlich stieß es einen Laut irgendwo zwischen „Miau“ und „Quack“ aus und rieb seinen kleinen, pelzigen Kopf völlig begeistert, ja beinahe ekstatisch an van Emdens Arm. Der junge Lieutenant war willenlos gegenüber dem umwerfenden Charme dieses Wesens. Vergessen war das cardassianische Dornröschen auf der Couch, vergessen war die Sorge, wie er die ganzen Katzenhaare aus seiner Uniform herausbekommen sollte... Er kraulte das unglaublich weiche, edle Fell der Katze, ließ sie um seine Beine streichen und fühlte sich wie der glücklichste Mensch des ganzen Universums. 73
„Ach Misty, was machst du denn schon wieder hier!“ durchfuhr eine müde, männliche Stimme die idyllische Zweisamkeit. Van Emden wandte sich um - jedoch ohne seine Hände von der Katze zu lassen. Der alte Sisko hatte sich bemüht, ärgerlich zu klingen, doch in Wirklichkeit lag in seinem Tonfall sehr viel Nachsicht. „Ist das Ihre Katze?“ fragte der Lieutenant und nahm sich vor, nicht allzu enttäuscht zu sein, falls Siskos Antwort ein „Ja“ sein sollte. Doch der alte Mann schüttelte den Kopf. „Ihr Frauchen ist an Herzinfarkt gestoben, als die Energie ausgefallen ist. Eine sehr nette alte Dame - es tut mir verdammt leid um sie...“ „Eine Nachbarin von Ihnen?“ Joseph Sisko nickte. „Seit sie von uns gegangen ist, treibt sich Misty hinter meinem Restaurant herum und bettelt. Natürlich kriegt die arme Katze von uns was zu fressen - Aber wenn die Hygiene sie erwischt, wie sie in meiner Küche ‘rumlungert, kann ich einpacken!“ „Und wenn Sie sie mit nach Hause nehmen?“ Der alte Sisko schüttelte so heftig den Kopf, daß van Emden beinahe befürchtete, er könnte ihm von den Schultern fallen. „Nein, nein, das ist nichts für mich! Ich hab’ genug zu tun, auf mich selbst aufzupassen - und wer weiß, wie lange ich überhaupt noch auf Erden weile! Ganz zu schweigen davon, daß hier immer noch Formwandler ‘rumkriechen und alles auf den Kopf stellen! Tut mir leid, mein Junge - aber da kann ich mir nicht auch noch Sorgen um ein Haustier machen!“ „Dann nehme ich sie mit“, beschloß van Emden und staunte im nächsten Augenblick selber über seiner Spontaneität. Sisko blickte ihn zweifelnd an. „Sie wollen die Katze mitnehmen? Auf ein Raumschiff?“ „Immer noch besser, als wenn sie für den Rest ihres Lebens vor Restaurants ‘rumhängen und bettelt muß“, konterte van Emden. „Hm.“ Sisko strich sich nachdenklich übers Kinn. „Wenn’s Ihr Captain erlaubt - warum nicht?“ „Er... erlaubt? Was ... erlaubt?“ ertönt plötzlich eine schleppende, weibliche Stimme. Karthal war aufgewacht. „Au, mein Schädel!“ wimmerte sie im nächsten Augenblick. „Wo... wo bin ich?“ Van Emden eilte zu ihr, wobei er beinahe über Misty gestolpert wäre, die ihm ständig vor die Füße lief. „Sie sind in Sisko Restaurant, Belora“, antwortete er und bemühte sich dabei, so leise und so sanft wie möglich zu sprechen. Er wußte leider nur zu gut, wie sich ein richtiger Kater anfühlte. Jedes zu laute, schrille Geräusch konnte einem den Schädel explodieren lassen. „Wie spät ist es?“ fragte Karthal, schon etwas weniger schleppend. „18 Uhr“, antwortete er nach einem kurzen Zögern. „Wa... warten Sie ... Das... das kann nicht sein! Ich bin erst 17 Uhr hier her gebeamt...“ „Belora...“ begann er und überlegte, wie er ihr die Wahrheit am schonendsten beibringen sollte. „Das stimmt, wir haben uns um 17 Uhr verabredet. Aber ... das war gestern.“ Karthals Oberkörper schnellte hoch wie die Klinge eines automatischen Klappmessers. Ein scharfer Schmerz in ihrem Kopf ließ sie jedoch - begleitet von einem qualvollen Stöhnen - zurück in die Kissen sinken. „Na wunderbar!“ brummelte Sisko und seine Nasenlöcher weiteten sich für Moment. „Da sitz’ ich nun hier, mit einer verfressenen, streunenden Katze und einer verkaterten Cardassianerin und warte auf den nächsten Sternenflotten-Vampir, der mir mein Blut abzapfen will! Lieber Gott, mach diesem Elend endlich ein Ende!“ „Können wir ihr nicht irgendwas einflößen, das sie wieder halbwegs ansprechbar macht?“ fragte van Emden. Der alte Sisko wog nachdenklich den Kopf hin und her. „Nun ja, ich kenne da zwar ein phantastisches Hausmittel - sozusagen altes Familienrezept - aber ich hab keine Ahnung, ob das auch bei Cardassianern wirkt.“ „Ausprobieren“, meinte der Lieutenant. „Gut, gut“, murmelte Sisko und verschwand in der Küche. Nach einer Viertelstunde kam er zurück, ein Glas mit einer dampfenden schwärzlich-grünen Flüssigkeit in der Hand. Als er es Karthal unter die Nase hielt, verzog die Cardassianerin das 74
Gesicht. Vielleicht wegen der Kopfschmerzen, vielleicht aber auch wegen des recht eigenartigen Geruchs, den dieses Zeug verströmte... „Solange ich nicht wissen muß, was da drin ist, trinke ich es meinetwegen“, sagte sie, bevor sie nach einem langen mißtrauischen Blick das Glas in einem Zug leerte. Van Emden wandte sich wieder Misty zu, die eifrig um seine Beine wuselte und mit fordernden „Miau“s nach Aufmerksamkeit verlangte. Nach ein paar Minuten meinte Karthal: „Das Zeug mag zwar widerlich schmecken, aber es erfüllt seinen Zweck ganz offensichtlich!“ Marc fuhr zu ihr herum und lächelte. „Geht’s Ihnen besser?“ Karthal nickte, obwohl sie selbst für cardassianische Verhältnisse noch immer ziemlich blaß aussah. „Kein Wunder, daß mein Mann nichts zustande bringt“, meinte sie. „Wenn so sein... Dauerzustand aussieht!“ „Ein Hoch auf die alten Hausmittel!“ rief van Emden. Siskos Augen blitzten schelmisch auf. „Naja, eigentlich ist das eine alte Voodoo-Medizin aber Sie dürfen deswegen nicht denken, daß ich an solchen Unsinn glaube!“ In diesem Moment meldete sich van Emdens Kommunikator. „Lairis an alle Besatzungsmitglieder...“ ertönte kurz darauf die Stimme des Captains. „Finden Sie sich so schnell wie möglich an Bord ein! Die DEFENDER startet in zwei Stunden zum Testflug.“ Karthal stöhnte „Das hat mir gerade noch gefehlt!“ „Reißen Sie sich zusammen, Belora!“ sagte van Emden, worauf die Cardassianerin einen zornigen Blick auf ihn abschoß. Kurz darauf materialisierten sie sich auf der Transporterplattform der DEFENDER. Der junge Mann hinter dem Transporter blinzelte überrascht bei dem Anblick, der sich ihm bot: Mit einem Arm stützte Lieutenant van Emden die noch immer etwas benommene Karthal, unter den anderen Arm hatte er eine zappelnde, kläglich maunzende Katze geklemmt. Ein drohender Blick der Cardassianerin machte dem jungen Fähnrich klar, daß er besser schweigen sollte... „Erfassen Sie die Katze und beamen Sie sie in mein Quartier!“ befahl van Emden. „Ay, Sir“, erwiderte der Transporterchief leicht verwirrt. „Und Sie bringe ich wohl besser zur Krankenstation“, sagte der Lieutenant dann zu Karthal. „Nein, nein! Nicht nötig! Mir geht es gut“, versicherte die Cardassianerin schnell. „Sind Sie sicher?“ hakte van Emden besorgt nach. „Sie sagten vorhin, ich sollte mich zusammenreißen. Genau das werde ich tun!“ konterte Karthal scharf. „Dr. Tygins sieht mir leider nicht aus wie jemand, der Verständnis für eine Cardassianerin aufbringt, die sich sinnlos betrunken hat.“ „Da haben Sie wohl recht“, mußte van Emden zugeben. „Ich verstehe ja selber nicht, was mich gefahren ist...“ fuhr die Cardassianerin fort. „Nicht nur, daß ich zweieinhalb Flaschen von einem Gesöff geschluckt habe, von dem ich normalerweise nicht mehr als zwei Gläser auf einmal trinke...“ „Belora...“ entgegnete van Emden sanft. „Jeder macht mal solche Dummheiten - und vor allem in Ihrer Situation...“ „Werden Sie jetzt bloß nicht gönnerhaft!“ fuhr sie ihn an. „Es wird nicht meine letzte Dummheit und es war auch nicht meine erste! Die erste bestand darin, auf diesem verdammten Schiff anzuheuern!“ Die Cardassianerin holte kurz Luft und schimpfte dann weiter. „Es war schon töricht genug von mir, diesen Vertrag mit der Sternenflotte zu unterschreiben! Aber - als wäre das nicht bereits schlimm genug - mußte ich mir auch noch das einzige Schiff aussuchen, das von einer Bajoranerin kommandiert wird!“ „Ich dachte, Sie hätten kein Problem mit Captain Lairis?“ konterte van Emden. „Ich habe kein Problem mit der Person des Captains“, stellte die Cardassianerin richtig. „Ich habe nicht einmal ein Problem mit ihrer Rasse! Mir persönlich haben die Bajoraner noch keinen Ärger gemacht. Allerdings wird mein Ansehen auf Cardassia jetzt in den tiefsten Keller sinken...“
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„Warum haben Sie sich dann überhaupt für einen Posten auf der DEFENDER beworben?“ fragte van Emden geradeheraus. „Ich hatte mich zu einem Zeitpunkt beworben, als Captain Edwardson noch gelebt hat. Als Lairis seine Nachfolgerin wurde, war ich mir völlig sicher, daß sie mich ablehnen würde. Also habe ich mir gar nicht erst die Mühe gemacht, meine Bewerbung zurückzuziehen“, entgegnete die Cardassianerin. „Außerdem: Wer sich erst mal mit der Föderation eingelassen, wird zu Hause nicht gerade mit offenen Armen empfangen... Für die meisten meiner ehemaligen ‘Freunde’ wird es daher keinen großen Unterschied machen, ob ich zuletzt unter Lairis gedient habe oder unter irgend einem Menschen. Und auf diesem Schiff habe ich wenigstens ein oder zwei Freunde...“ „Aber, Sie hatten doch gar keine andere Wahl, als sich ‘mit der Föderation einzulassen’?“ „Ich weiß ja auch nicht, was unsere Hardliner von mir erwartet haben... Daß ich mich umbringe? Oder daß ich versuche, trotz Ausnahmezustand über die cardassianische Grenze zu kommen - was in etwa auf den selben Effekt hinausgelaufen wäre? Nur daß leider niemand von diesen Fanatikern einen Gedanken daran verschwendet, wer dann für meine Familie sorgen soll...“ „Ich verstehe nur nicht, weshalb man Sie für diesen Job so gut bezahlt, obwohl man Sie dafür verachtet, daß Sie mit der Föderation zusammenarbeiten“, wunderte sich van Emden. „Eigentlich könnte man gleich fragen, wofür dieses hirnrissige Offiziersaustauschprogramm überhaupt eingerichtet wurde.“ Karthal lächelte freudlos. „Logik ist eine wundervolle Sache, aber das cardassianische Zentralkommando sieht das offenbar anders.“ Van Emden lieferte die Cardassianerin ihrem Quartier ab, wo sie ihr zerknittertes Kleid mit ihrer Uniform vertauschen konnte. Sie ging zielstrebig auf ihren Kleiderschrank zu - doch anstatt eine der Uniformen vom Bügel zu nehmen und die Schranktüren dann wieder zu schließen, begann sie sorgfältig, die Innenwände abzutasten. Nach einem schwer zu deutenden Stirnrunzeln ließ sie vom Kleiderschrank ab und warf statt dessen prüfende Blicke hinter die Vorhänge... „Belora...“ unterbrach van Emden sie irritiert. „Sie suchen doch nicht etwa nach Wanzen des Obsidianischen Ordens, oder?“ Karthal wandte sich um und seufzte. „Alte Gewohnheiten legt man nur schwer ab, Lieutenant.“ „Sind Sie auch wirklich sicher, daß Sie keine Tabletten oder so was brauchen?“ fragte van Emden noch einmal vorsichtig. Im nächsten Moment hätte er sich dafür ohrfeigen mögen. Manchmal glaubte er, im Inneren einen Tricorder zu haben, der speziell dafür gemacht war, Fettnäpfchen aufzuspüren. Nur leider besaß er keine Sensoren, die ihn vor diesen Fettnäpfchen warnten - so daß er jedes Mal zielsicher hinein tapste... „Ja, ich bin sicher!“ schoß Karthal wie zur Bestätigung zurück. „Mister Siskos ... Hausmittel war völlig ausreichend! Danke!“ Van Emden hob resigniert die Hände und zog sich dann zurück. Sollte diese Frau sich doch mit ihrem verdammten cardassianischen Stolz und ihrem Brummschädel durch den Dienst quälen! Es war schließlich nicht seine Gesundheit. Doch in seinem Magen hatte sich ein Kloß gebildet, der sich einfach nicht lösen wollten... *** T’Liza konnte gut verstehen, weshalb ihr jüngerer Bruder Tilan Meeresbiologe geworden war. Sie liebte das kühle, beruhigende blaugrün des Meeres, die glitzernden Lichtreflexe des Wasser und das berauschende Gefühl, in eine andere Welt einzutauchen, obwohl sie lediglich unter einem gläsernen Tunnel stand. Das war einer der Gründe, weshalb sie so oft wie nur möglich hier her kam. Der andere Grund war ihr alter Freund Willy Jwahiiin. Leider konnte die Vulkanierin sein Quartier bestenfalls mit einem Taucheranzug betreten, denn Willy Jwahiin war ein Buckelwal.
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Seinen Nachnamen konnte kein Humanoider korrekt aussprechen, und sein Vorname stammte aus einem fast vierhundert Jahre alten Film von der Erde. Willys Eltern mußten einen ziemlich schrägen Sinn für Humor besessen haben, denn sie hatten sich über die Art und Weise, wie die Wale in diesem Film dargestellt wurden, stets köstlich amüsiert. Allerdings war im zwanzigsten Jahrhundert, einer Zeit, in der Wale gnadenlos gejagt, gegessen und schließlich ausgerottet worden waren, ein Film wie „Free Willy“ sicher ausgesprochen ambitioniert gewesen. Hinzu kam, daß Willys Eltern von der Kultur der Menschen in besonderem Maße fasziniert waren. Vielleicht lag es daran, daß Willys Mutter eine direkte Nachfahrin von George und Gracie war, jenen beiden Walen, die dank der Hilfe eines Vulkaniers namens Spock als erste ihrer Spezies mit den Menschen Kontakt aufgenommen hatten. In der Walgemeinde wurden George und Gracie nicht nur als Helden, sondern als Retter, als Schöpfer, ja fast als höhere Wesen verehrt. Immerhin waren sie die Eltern einer ganzen Generation - einer neuen Zivilisation - von Buckelwalen. Die Schuld, eine intelligente Spezies ausgerottet zu haben, lastete schwer auf der Menschheit. Eine Schuld, die man wohl nie beglichen hätte, wären Captain James Kirk und seine Crew nicht durch die Zeit gereist, um zwei lebende Wale ins 23. Jahrhundert zu transportieren.7 Seit dem sie George und Gracie - das Buckelwal-Pendant zu Adam und Eva - auf der Erde neu angesiedelt hatten, bemühten sich die Menschen, alles nur erdenkliche für die Wale zu tun. Sie errichteten in den Zuschauerrängen jedes größeren Theaters oder Sportstadions Wassergräben für Wale, sie bauten Wassertunnel zur Sternenflottenakademie und zum Parlament der Föderation, Raumschiffe mit Unterwasserquartieren... Schließlich kamen sie sogar dem Wunsch einiger Buckelwale nach, einen ihrer Abgesandten in den Rat der Föderation zu entsenden. Der derzeitige Vertreter der Wale im Föderationsrat war niemand anderes als Willy Jwahiiin... „Was führt dich her, T’Liza?“ fragte Willy. Seine Stimme - ein sanftes Wispern, Singen, Pfeifen - klang sehr melodisch, obwohl sie durch den Unterwasser-Translator stark verzerrt wurde. „Ich wollte mich verabschieden“, erwiderte die Vulkanierin. Jwahiin wedelte sachte mit den Flossen, wodurch die Lichtreflexe um T’Liza in Aufruhr gerieten. „Ein Abschied ist kein Ende, liebe Freundin! Es sei denn, du wünschst, daß sich unsere Wege sich nicht mehr kreuzen...“ T’Liza lächelte leicht. „Ich breche doch nur mit der DEFENDER auf, Willy!“ Der Buckelwal pfiff leise. „Die DEFENDER ... Ein Kriegsschiff! Ich dachte, dein Weg wäre ein Weg des Friedens?“ „Das ist er noch immer - obwohl Gewalt in manchen Situationen logischer sein mag als Friedfertigkeit“, entgegnete T’Liza. „Trotzdem ... Ich würde am liebsten nicht hochbeamen.“ „Warum?“ „Es... es ist wegen Admiral Layton“, gab die Vulkanierin zu. „Ich bin nicht bereit, im DenebSektor auf Asteroiden zu schießen, während dieser Mann die Weltherrschaft an sich reißt!“ Jwahiiiin stieß ein schrilles, ärgerliches Pfeifen aus. „Layton soll verflucht sein bis in die finsterste Tiefsee! Es waren Männer wie er, die sein Volk beinahe in den Untergang geführt hätten und meines zu Steaks verarbeitet haben! Kriegstreiber und machtgierige Subjekte! Wie naiv war doch die Hoffnung, die Menschheit hätte das alles überwunden...“ T’Liza nickte. „Er muß geahnt haben, daß Lairis und Sisko sich gegen ihn verschwören wollen. Die Entscheidung, die DEFENDER zum Testflug zu schicken, kam für seine Verhältnisse ein bißchen zu spontan...“ „Da magst du recht haben, meine Freundin“, meinte der Buckelwal. „Aber warum kommst du mit diesen Problemen zu mir? Du weißt genau, daß ich dir nicht helfen kann!“ T’Liza senkte den Kopf. „Du hast recht. Wahrscheinlich wollte ich einfach nur mit jemandem reden ... mit jemandem, der nicht zur Sternenflotte gehört.“
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Siehe: Vonda McIntyre: Zurück in die Gegenwart (Roman zum Film „Star Trek IV“).
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„Ich bin keine Klagemauer. T’Liza“, tadelte Jwahiiin. „Es ist unlogisch, bei einem anderen Lebewesen seinen Frust abzuladen, ohne sich Rat zu holen!“ Der Vulkanierin seufzte. „Auch meine Logik ist nicht immer makellos. Vielleicht lebe ich ja schon zu lange unter Menschen... Trotzdem - danke!“ Sie tippte ihren Kommunikator an. „DEFENDER - eine Person zum beamen!“ *** „Bist du wirklich sicher, daß du mitkommen willst?“ fragte Lairis ihre Tochter. „Natürlich!“ Julianna grinste. „Mit ein paar Lichtjahren Vakuum zwischen mir und Dad geht es mir doch gleich viel besser! Außerdem - ich muß doch dein Schiff kennenlernen! Wie sollte ich sonst rausfinden, ob ‘s mir hier gefällt?“ „Du willst auf der DEFENDER leben?“ fragte Lairis überrascht. „Was spricht denn dagegen?“ konterte Julianna. „Sicher, es gibt hier kaum Leute in meinem Alter“, beantwortete sie dann die unausgesprochene Frage ihrer Mutter. „Das stimmt. Abgesehen von ein paar Kadetten, die bei uns Praktikum machen...“ „Und die kommen und gehen. Ich weiß“, erwiderte Julianna. „Aber das war auf Sternenbasis 517 genauso. Richtige Freunde hat man da auch nicht gefunden...“ Lairis erhob sich von ihrem Sessel und umarmte ihre Tochter spontan. „Ich freu mich so, daß du hier bleiben willst!“ „Tja, ich weiß zwar nicht, ob wir auf die Dauer was miteinander anfangen können...“ „Aber es ist einen Versuch wert“, beendete sie den Satz. Als ihr Kommunikator piepte, verzog sie ärgerlich das Gesicht. „Lairis hier“, antwortete sie knapp. „Was ist los?“ fragte Julianna. „Nichts wichtiges. Nur mein Chefingenieur, der irgendwas von mir will...“ *** Captain Lairis’ Blick ruhte erwartungsvoll und leicht spöttisch auf Lieutenant van Emden. „Ich dachte, Sie wollten mir jemanden vorstellen? Also - wo steckt diese ungemein wichtige Persönlichkeit?“ „Unter meinem Bett, fürchte ich“, gab van Emden verlegen zu. Lairis zog die Augenbrauen hoch. „Wie bitte?“ Der Lieutenant seufzte, bevor er sich zur Erheiterung seines Captains flach auf den Bauch legte und mit dem Arm unter seinem Bett herumfuchtelte. „Misty!“ wisperte er. „Miez, Miez, Miez...“ „Es handelt sich um eine Katze?“ fragte Lairis überrascht. Der Lieutenant nickte. „Ich dachte, ich brauche Ihre Erlaubnis, wenn ich...“ „Also, meinetwegen können Sie sich einen ganzen Zoo halten – solange er sich auf ihr Quartier beschränkt“, entgegnete der Captain. „Danke!“ rief van Emden erleichtert. Plötzlich grinste er versonnen. „Ich hab sie!“ verkündete er. „Ja, Misty! Ach, bist du weich ... ja, meine süße Kuschelmotte ... ja, mein Knuddelmäuschen ... mein Goldfunkelauge ... ach, bist du süß ... mmmmh ...“ Plötzlich registrierte er, daß Captain Lairis neben ihm lag, und ebenfalls ihrem Arm unter dem Bett ausstreckte. „Hören Sie, wie sie schnurrt?“ fragte er und strahlte dabei wie ein kleines Kind unterm Weihnachtsbaum. „Hey, sie faßt mich an!“ rief er und sein Lächeln wurde noch breiter. „Sie faßt mich mit ihren kleinen Pfötchen richtig an...“ „Ah, ich hab’ sie auch!“ rief Lairis. „Miez, Miez, Miez...“ „Sie heißt Misty“, erklärte van Emden. „Wo haben Sie sie her?“ fragte Lairis. „Aus New Orleans“, antwortete er und erzählte schnell die Geschichte. Den Teil, der Karthal betraf, sparte er allerdings geschickt aus. 78
Da ertönte plötzlich ein gurrendes Miauen, ein blaugrauer Blitz schoß unter dem Bett hervor und etwas weiches, pelziges rieb sich an Captain Lairis’ Arm. Die Bajoranerin lächelte nun fast ebenso verklärt wie ihr Chefingenieur und vergrub ihre Hände in dem weichen, blaugrauen Fell. „Was halten Sie davon, wenn wir sie zum Schiffsmascottchen ernennen?“ Van Emden grinste. „Warum nicht, Captain!“ In diesem Augenblick meldete sich Lairis’ Kommunikator. „Hier ist alles bereit, Ilana. Wenn du einverstanden bist, können wir starten“, sagte Jerad. Lairis rappelte sich auf und antwortete. „In Ordnung, mich hält hier nichts mehr! Ich komm’ gleich auf die Brücke.“ Sie tauschte einen kurzen, verschwörerischen Blick mit ihrem Chefingenieur. Dann bürsteten sie sich gegenseitig die Katzenhaare aus den Uniformen. *** Die DEFIANT war auf dem Weg zur Erde... Etwas besser fühlte Captain Sisko sich, als er sich nach dem letzten, alles klärenden Gespräch mit Major Kira im Sessel zurücklehnte. Für einen Augenblick grinste er sogar zufrieden. Die Präsident wollte einen Beweis - er sollte seinen Beweis bekommen! Lieutenant Arreyaga hatte gestanden, einen Sender am Wurmloch angebracht zu haben, der dafür sorgte, daß es sich willkürlich öffnete und schloß. Somit sollte den Leuten Glauben gemacht werden, daß eine getarnte Flotte des Dominion durch das Wurmloch flog. Nun ja... Wenn man Jaresh Indio das Geständnis inklusive Täter unter die Nase hielt, würde der Präsident sicher nicht mehr glauben, Sisko sei paranoid oder hätte zuviel saurianischen Brandy getrunken... Hinzu kamen noch die Beweise, die Odo in Laytons persönlicher Datenbank gefunden hatten: Die Beförderungen aller von Layton protegierten Offiziere sollten erst am vierzehnten in Kraft treten - einen Tag vor der Rede des Präsidenten! Das war doch mit Sicherheit mehr als ein bloßer Zufall... Sisko konnte kaum erwarten, diese Neuigkeiten Captain Lairis mitzuteilen. Doch als er einen Com-Kanal zur DEFENDER öffnen wollte, wurde das Gespräch ins Hauptquartier umgeleitet. „Die DEFENDER ist gerade zum Waffentesten ins Deneb-System aufgebrochen!“ erklärte der bolianische Admiral, mit dem sich Sisko bereits zwei Tage zuvor über die Mission der „Red Squad“ unterhalten hatte. „Das Deneb-System liegt aber nicht außer Kommunikationsreichweite“, konterte der Captain mit einer scharfen Stimme, in der ein leicht spöttischer Unterton lag. „Das ist richtig“, sagte der Admiral. „Aber es gibt da ein paar Subrauminterferenzen. Unsere Ingenieure versuchen gerade, dieses Problem ... zu kompensieren. Sie müssen sich nur noch ein wenig gedulden.“ „Lassen Sie mich raten ... Bis zum Vierzehnten?“ Der spöttische Unterton in Siskos Stimme war noch eine Nuance stärker geworden. „Warten Sie ab!“ entgegnete der Admiral. Dann wurde der Bildschirm unvermittelt schwarz. Sisko murmelte einen Fluch und schlug mit der Faust auf den Tisch. Er wurde das Gefühl nicht los, daß diese Subrauminterferenzen allein in der Phantasie Admiral Laytons existierten.
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9. Kapitel Captain, Admiral Layton meldet sich über Subraum!“ verkündete Prescott. Lairis’ Lippen verzögen sich zu einem spöttischen Lächeln. „Faszinierend! Diese geheimnisvolle Subraum-Störung scheint also auf die selbe wundersame Weise verschwunden zu sein, wie sie aufgetaucht ist!“ „Soll ich ‘s in Ihren Bereitschaftsraum durch stellen, Captain?“ fragte Prescott. Lairis schüttelte den Kopf. „Nein, Commander, das geht uns sicher alle was an!“ Wie in einer stummen Übereinkunft drehte sich sämtliche Köpfe zum Hauptbildschirm um, als Laytons Gesicht darauf erschien. „Wie laufen die Waffentests, Captain?“ fragte der Admiral. „Bis jetzt hervorragend, Sir!“ Layton deutete ein Lächeln an, das jedoch seine Augen unberührt ließ. „Gut! Ich habe nämlich neue Befehle für Sie...“ „Neue Befehle?“ „Ich hoffe, daß Sie Ihre Waffen nicht brauchen werden - aber wenn doch, sollten sie einsatzbereit sein“, fuhr der Admiral fort. „Selbstverständlich, Sir! Was sollen wir tun?“ Layton zögerte einen Moment, bevor er seinen Befehl erteilte. „Die DEFIANT ist auf dem Weg zur Erde. Sorgen Sie dafür, daß sie das Sonnensystem nicht erreicht!“ Plötzlich wurde es auf der Brücke totenstill. Man hörte nur noch das leise Summen des Computerkerns. Über den von Schock und Verblüffung gezeichneten Gesichtern der anwesenden Offiziere schienen in Großbuchstaben die Wörter „Wie bitte?“ zu hängen. Captain Lairis war die erste, die das Schweigen brach. „Habe ich das richtig verstanden, Admiral?“ fragte sie zweifelnd. „Die DEFIANT ist doch...“ „Ein Schiff der Sternenflotte. Ich weiß“, beendete Layton den Satz. „Aber wir haben den Verdacht, daß sich Formwandler an Bord befinden - und die dürfen auf keinen Fall einen Fuß oder was auch immer auf unseren Planeten setzen!“ „Ich verstehe Sir“, erwiderte die Bajoranerin tonlos. Dann beendete sie das Gespräch. „Wechselbälger auf der DEFIANT?“ hakte Jerad stirnrunzelnd nach. Lairis warf ihm einen spöttischen Blick zu. „Wer ‘s glaubt wird selig!“ „Was soll das heißen, Captain?“ fragte Prescott mit weit aufgerissenen Augen. „Ganz einfach, Lieutenant Commander: Wir werden uns selbst vergewissern, ob Formwandler an Bord der DEFIANT sind! Und ich verwette meine Nase, daß wir keinen einzigen Tropfen Wechselselbalg-Protoplasma finden werden!“ *** „Das ist doch wohl die Höhe!“ schimpfte Major Kira. Wie immer, wenn sie wütend war, bekam sie einen leichten, kaum wahrnehmbaren Silberblick. Lairis atmete tief durch. „Bitte, Nerys ... ich hab’ mir diesen Blödsinn nicht ausgedacht! Aber du bist die einzige, die mich noch vorm Kriegsgericht retten kann - also laß mich bitte mit meinen Leuten an Bord kommen und die Bluttests durchführen!“ Kira beruhigte sich ein wenig. „Na gut, Ilana. Ich laß euch rüber beamen.“ Sie überlegte einen Moment. „Glaubst du, Admiral Layton wird seinen Befehl widerrufen, wenn er erfährt, daß wir keine Formwandler an Bord haben?“ Lairis seufzte. „Ich glaube es nicht, aber ich hoffe es!“ Kira lächelte warm. „Bei den Propheten - das hoffe ich auch!“ 80
Kurz darauf materialisierte sich Lairis mit Prescott und fünf weiteren Sicherheitsoffizieren auf der Brücke der DEFIANT. „Sie möchten also unser Blut testen, Captain?“ vergewisserte sich Worf, der bei dieser Mission das Kommando inne hatte. Die Stimme des Klingonen klang wie immer tief und grollend. Lairis nickte und gab Prescott einen stummen Befehl. Doch bevor einer der Sicherheitsleute mit einem Injektor an ihn herantreten konnte, zog Worf einen klingonischen Zeremoniendolch aus seinem Waffengürtel und ritzte sich damit langsam - ja fast genüßlich - in die Handfläche. Dunkelrotes Blut tropfte auf den Fußboden. Lairis verzog mißbilligend das Gesicht. „Vielen Dank, Commander - aber ich hätte eine weniger ... archaische Methode vorgezogen!“ Worf knurrte. Die anderen Besatzungsmitglieder zeigten sich alle sehr kooperativ. Lairis und ihre Sicherheitsoffiziere beamten mit den Blutproben zurück auf die DEFENDER. Dort befahl der Captain, sofort Verbindung zum Hauptquartier der Sternenflotte aufzunehmen. „Wollen Sie damit sagen, es befinden sich keine Wechselbälger auf der DEFIANT?“ hakte Layton nach, als Lairis ihren Bericht beendet hatte. „Ganz recht“, erwiderte die Bajoranerin. „Admiral, ich habe alle Blutproben von der Crew nun ja, bis auf die von Commander Worf, die leider im Teppich versickert ist...“ „Ihr Befehl lautete, das Schiff abzufangen - nicht, Bluttests bei der Crew durchzuführen!“ konterte Layton scharf. „Und diesen Befehl werden Sie auch durchführen - oder Sie landen vorm Kriegsgericht!“ „Ich schieße nicht auf ein Schiff der Sternenflotte!“ entgegnete Lairis und betonte dabei jedes einzelne Wort. „Wenn Sie es nicht tun, dann tut es Captain Benteen“, erwiderte der Admiral gleichmütig. „Captain Benteen?“ hakte Lairis nach. „Ich hab’ ihr das Kommando der LAKOTA übergeben“, erklärte Layton knapp. Dann wurde die Verbindung abgebrochen. „Benteen ist also befördert worden. Wie schade, das wir ihr nicht gratulieren können!“ bemerkte Jerad sarkastisch. „Ich kann ihr ja als Zeichen meiner Wertschätzung eine meiner fleischfressenden Pflanzen schicken“, konterte Lairis mit einem boshaften Lächeln. „Hoffentlich steckt sie ihre Finger bis zum Anschlag rein!“ „Denken Sie wirklich, Benteen würde auf ein Schiff der Sternenflotte feuern?“ fragte Prescott ungläubig. „Wenn es ihr ein ranghöherer Offizier befiehlt - auf jeden Fall“, meinte Lairis. „Diese Frau denkt ungefähr so selbständig wie ein Replikator!“ Plötzlich blinkte ein Signal auf und Prescott wandte sich wieder der taktischen Konsole zu. „Captain, wir empfangen einen Notruf... und zwar von einem cardassianischen Forschungsobservatorium!“ Beim letzten Teil dieses Satzes horchte Karthal sichtbar auf. „Von welchem Observatorium?“ „Panora-System. Entmilitarisierte Zone. Sie wurden von Klingonen angegriffen.“ Nun wurde plötzlich auch Jerad hellhörig. „Das Panora-Observatorium ... Lanara arbeitet dort!“ sagte er mehr zu sich selbst. „Wer?“ fragte Lairis. „Lanara Tormak. Eine Art ... Brieffreundin von mir.“ „Sagten Sie Lanara Tormak?“ vergewisserte sich Karthal und hob den Kopf. Ihre schwarzen Augen waren weit aufgerissen. „Kennen Sie sie?“ fragte Jerad überrascht. „’Tormak’ war der Geburtsname meiner Mutter“, erklärte die Cardassianerin. „Lanara ist meine Cousine.“ „Schön!“ bemerkte Captain Lairis. „Fliegen wir also zu einem Familientreffen!“
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*** Prescott war fast ein wenig enttäuscht, als das Schiff sich tarnte... Was hatte er erwartet? Ein leichtes Kribbeln, wie bei einem Beamvorgang? Einen Schock? Eine Schmerzwelle? Das Gefühl, auf eine andere Ebene transformiert zu werden? Er spürte gar nichts dergleichen. Wieso sollte er sich also sicher sein, daß die Tarnvorrichtung tatsächlich funktionierte? Wenn die Struktur seiner Materie verändert worden war, merkte er zumindest nichts davon... Captain Lairis schien jedoch nicht im Geringsten daran zu zweifeln, daß alles in bester Ordnung war - oder daß sie richtig handelte. Obwohl sie gerade die Algeron-Klausel mit Füßen trat... Prescott schüttelte den Kopf. Natürlich wäre es ohne Tarnung unmöglich, heil an den cardassianischen Grenzpatrouillen vorbeizukommen - ganz zu schweigen von den klingonischen Kriegsschiffen, die überall lauern konnten... Trotzdem - noch vor wenigen Wochen hätte Prescott wegen einer derart groben Verletzung der Vorschriften eine offizielle Beschwerde eingelegt. Doch sein Weltbild war in den letzten Tagen regelrecht auf den Kopf gestellt worden. Vorschriften entpuppten sich als beliebig austauschbares Werkzeug, Cardassianer erschienen auf einmal vertrauenswürdiger als Sternenflottenoffiziere... Prescott runzelte die Stirn. Cardassianer... Er gab Lairis durch ein Zeichen zu verstehen, daß er sie sprechen wollte. Sie übergab Jerad das Kommando und machte sich mit ihrem Sicherheits-chef auf den Weg in den Bereitschaftsraum. „Captain, ich denke, daß wir Glin Karthal nicht uneingeschränkt vertrauen dürfen“, begann Prescott. „Ganz meine Meinung, Commander!“ entgegnete Lairis. „Um was konkret geht es?“ „Um die Tarnvorrichtung. Wir sollten Karthal den Zutritt zum Maschinenraum verbieten und dafür sorgen, daß sie die technischen Daten der Tarnvorrichtung nicht abrufen kann.“ Lairis nickte. „Daran habe ich auch schon gedacht. Glauben Sie mir - ich werde ganz bestimmt nicht zulassen, daß irgendwelche neuartigen Föderationstechnologien in die Hände der Cardassianer fallen! Sie mögen zwar im Augenblick unsere Alliierten sein - aber das kann sich auch sehr schnell wieder ändern...“ Als der Captain ihr die Bedingungen überbrachte, war Karthal fast erfreut über diese Ablenkung. Es tat gut, sich wieder einmal richtig zu ärgern und für einen Moment das PanoraObservatorium zu vergessen... In den letzten zwei Stunden hatte sie sich nämlich ununterbrochen mit der Frage gequält, ob Lanara noch lebte und wie die Klingonen sie wohl zugerichtet hatten... „Bei allem Respekt, Captain - aber das ist einfach lächerlich!“ fuhr die Cardassianerin Lairis an. „Wenn ich je die Absicht gehabt hätte, Sie auszuspionieren, wäre Ihre kostbare Tarnvorrichtung längst in Serienproduktion gegangen - und zwar mit dem Label ‘Made in Cardassia’!“ „Ich bezweifle ja gar nicht Ihr Talent, zu schnüffeln, Karthal“, konterte Lairis. „Ich möchte nur auf Nummer Sicher gehen - und laut Sternenflottenprotokoll steht mir das auch zu.“ Karthal lächelte ironisch. „Mir scheint, Sie befolgen das Sternenflottenprotokoll recht... sporadisch und nach Gutdünken, Captain!“ „Lassen Sie das bitte mein Problem sein“, entgegnete Lairis. „Außerdem - wenn ich das Sternenflottenprotokoll weniger ‘sporadisch’ befolgen würde, würden wir jetzt nicht in phasenverschobenem Zustand durch die Entmilitarisierte Zone fliegen, um Ihre Cousine zu retten!“ Bei dem Wort „Cousine“ zuckte Karthal kaum merklich zusammen. „Ich bin sicher, daß es ihr gutgeht“, sagte Lairis. Ihre Stimme klang plötzlich viel leiser und sanfter. Die Cardassianerin blickte überrascht auf. „Das hoffe ich, Captain!“ Inzwischen hatten sie das Panora-System erreicht. Karthal wurde schwarz vor den Augen und sie verfluchte sich selbst für ihre Schwäche. Zögernd wanderte ihr Blick zum Hauptbildschirm. „Sieht eigentlich noch ganz gut aus“, meinte Prescott neben ihr.
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Karthal mußte ihm recht geben. Doch was hatte sie erwartet? Ein brennendes Wrack? Einen Haufen Raumschrott? Durchs All treibende Leichenteile? Im Gegensatz dazu sah die Station fast unberührt aus... „Suchen Sie eine unauffällige Stelle zum Andocken und heben Sie dann die Tarnung auf!“ befahl Lairis. Nachdem Prescott und die Navigatorin, Lieutenant Yumiko, einen Platz gefunden hatten, der dem Begriff „unauffällige Stelle“ zumindest sehr nahekam, sagte der Captain: „Jerad, Karthal, Dr. Tygins - Sie bilden das Außenteam.“ Im Transporterraum stellte Karthal fest, daß der Doktor ganz zielsicher auf jene Transportermatrix zusteuerte, die am weitesten von ihrer entfernt war. Das kann ja lustig werden! dachte sie voller Sarkasmus, bevor sie und die anderen vom Beamstrahl transformiert wurden. Sie materialisierten sich in einem der Gänge. Auf den ersten Blick machte das Innere der Station einen ebenso intakten Eindruck wie das Äußere. Braune Teppiche, hellgraue Wände ... Doch dann wurde Karthals Blick von einem Farbtupfen angezogen, der ganz sicher nicht hier hin gehörte... Ein großer, unförmiger Klecks von einem flammenden tiefen Rot... Karthals Magen verkrampfte sich leicht, als sie erkannte, daß es ein Blutfleck war. Ihre Augen wanderten unwillig tiefer, ruhten kurz auf langem, schwarzbraunem Haar, gipsgrauen Schuppen und dunkelviolettem Stoff... Dr. Tygins beugte sich bereits über die leblose Cardassianerin und untersuchte sie mit seinem Tricorder. „Sie ist tot“, stellte er mit ausdrucksloser Stimme fest. „Eine weibliche, cardassianische Leiche, Alter: 39 Jahre, Todesursache: zwei Stichwunden, davon eine an der rechten Herzklappe.“ Tygins warf einen finsteren Blick auf Jerad und Karthal, die fast gleichzeitig erleichtert aufatmeten. Diese Frau war zwar auf brutale Weise abgeschlachtet worden, aber sie war auch mehr als zehn Jahre zu alt, um Lanara Tormak zu sein... „Jetzt wissen wir, warum die Station von außen so unbeschädigt aussah“, stieß Karthal grimmig hervor. „Diese verfluchten Klingonen haben sie geentert!“ „Sie könnten sogar noch hier sein“, meinte Jerad und griff nach seinem Phaser. Karthal tat es ihm gleich. „Lebenszeichen, Doktor?“ fragte der Trill. Tygins schüttelte den Kopf. „Bis jetzt kann ich noch keine registrieren, aber...“ Er wandte sich zu Karthal um. „... die Lebenszeichen von Verletzten sind oft recht schwach - und die Wände der Station bestehen aus massivem Duranium. Es ist also trotzdem nicht ausgeschlossen, daß es Überlebende gibt.“ „Danke, Doktor“, erwiderte die Cardassianerin. Obwohl das Gesicht des Arztes noch immer unbeweglich blieb, hatte sie fast den Eindruck, er wollte sie trösten... „Sehen wir mal, wie es in der Zentrale aussieht“, ordnete Jerad an. Karthal nickte und setzte vorwitzig ihren Fuß in den nächsten Turbolift. Da trat sie in etwas flüssiges, klebriges... Die Cardassianerin unterdrückte den Impuls, zurückzuweichen und zwang sich, auf den Boden zu sehen. Sie schluckte. Noch mehr Blut... Es fiel auf dem braunen Fußboden nicht sofort auf, doch es bildete einen unverkennbaren dunklen Schatten. Einen entsetzlich großen Schatten... Das Blut allein konnte noch keine Alpträume verursachen. Jedenfalls nicht, wenn man verdrängte, woher es kam. Karthals Augen jedoch verfolgte seine Spur mit masochistischer Konsequenz. Bis zu ihrem Endpunkt ... Dort lag jemand zusammengesunken in der Ecke... Die junge Frau war vom Halsansatz bis zum Bauchnabel förmlich aufgeschlitzt worden. Ihre vormals elegante Hochsteckfrisur hatte sich fast vollständig gelöst und einige der langen, schwarzen Strähnen klebten an ihren hervorquellenden Eingeweiden. Karthal taumelte aus dem Lift. Ihr Gesicht, normalerweise von einem dezent rosig untersetzten hellgrau, hatte nun die Farbe von schmutzigem Kalk angenommen. „Wir nehmen wohl besser einen anderen Turbolift!“ stieß sie hervor. Jerad trat vorsichtig neben sie. „Ist ... ist es...“ Karthal zwang sich, einen letzten Blick auf das grotesk verzerrte Gesicht der toten Cardassianerin zu werfen. „Es ist nicht Lanara.“
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Der Trill atmete langsam aus. „Es tut mir leid, daß ich Ihnen das zumuten mußte, aber ich ... ich weiß leider nicht, wie sie aussieht.“ Karthal nickte nur. Dr. Tygins trat mit versteinertem Gesicht neben die Leiche und scannte sie mit seinem Tricorder. Der Trill und die Cardassianerin waren dankbar, daß sie diesen Job nicht tun mußten. „Ich dachte, die Klingonen legen Wert auf ihre Ehre“, bemerkte der Doktor. „Also, ich finde es nicht sehr ehrenhaft, unbewaffnete Frauen abzuschlachten!“ „Das hier ist ein ziviles Forschungsobservatorium. Bewaffnete Männer werden sich den Klingonen hier kaum in den Weg gestellt haben“, entgegnete Karthal. „Ich schlage vor, wir trennen uns und suchen in verschiedenen Richtungen nach Lebenszeichen“, sagte Jerad. „Gute Idee!“ stimmte Karthal zu, obwohl sie nicht die geringste Lust hatte, noch einmal über eine aufgeschlitzte Leiche zu stolpern. Schon gar nicht, wenn sie allein war... Sie lief - den Tricorder in der einen Hand, den Phaser in der anderen - durch endlose Gänge, düster, leer und tot... Doch wenigstens warteten abgesehen von ein paar zertrümmerten Computerterminals keine weiter unangenehmen Überraschungen auf sie. Nach einigen Minuten meldete sich ihr Kommunikator. „Tygins an Karthal...“ erklang die kühle, professionelle Stimme des Doktors. „Ich bin hier in der Zentrale, Ebene vier, Sektor 12. Ich habe zwei Überlebende gefunden. Die Frauen stehen beide unter Schock und haben Bat’leth-Schnittwunden - aber nichts lebensgefährliches.“ Karthal seufzte erleichtert auf. „Ich komme!“ Für ein oder zwei Sekunden blieb sie unschlüssig vor der Tür zum nächsten Turbolift stehen, doch schließlich ging sie lieber zu Fuß. In der Zentrale warf sie einen kurzen Blick auf die beiden Frauen, die gerade von Dr. Tygins notdürftig verarztet wurden, und ließ sie zur Behandlung auf die Krankenstation der DEFENDER beamen. Keine von beiden war Lanara Tormak. Dann trat Karthal an die nächste Computerkonsole und aktivierte die Datenbank der Station. „Was tun Sie da?“ fragte Tygins mißtrauisch. „Ich versuche, einen Blick in die persönlichen Logbücher der Projektleiterin zu werfen“, antwortete die Cardassianerin. „Und was bitte soll das bringen?“ „Es verrät uns vielleicht, warum die Station angegriffen wurde. Forschungsobservatorien wie dieses sind mit Sensoren ausgestattet, die eine Reichweite von mehreren Parsec haben. Das Militär benutzt sie daher oft als getarnte Horchposten, um den Feind auszuspionieren.“ Tygins murmelte etwas, das so klang wie: „Das haben sie nun davon!“ Karthal durchbohrte ihn mit einem kalten Blick. Dann wandte sie sich wieder der Konsole zu. „Mist!“ fluchte sie plötzlich. „Was ist?“ fragte der Doktor halbherzig. „Das Logbuch ist durch einen ziemlich komplizierten Code gesichert. Aber vielleicht kann ich ihn umgehen...“ Tygins warf ihr einen mißtrauischen Blick zu. Die Cardassianerin lächelte dünn. „Keine Angst - nur weil ich bestimmte Codes knacken kann, bin ich noch lange keine Agentin des Obsidianischen Ordens! Ich hab lediglich ein paar Semester Computerwissenschaften studiert.“ „Und Sie haben Ihr Studium abgebrochen?“ „Ja.“ „Und sind zum Militär gegangen?“ „Genau.“ „Warum eigentlich?“ wollte der Doktor wissen. „Ich könnte jetzt sagen, daß ich mein Volk verteidigen wollte, als der Krieg gegen die Föderation ausbrach...“ „Wenn ich mich nicht täusche, ist das eine ziemlich ungewöhnliche Entscheidung für eine cardassianischen Frau.“ 84
„Deshalb hab’ ich es getan“, erwiderte Karthal. „Sie müssen wissen, daß die cardassianische Gesellschaft Jahrtausende lang wunderbar funktioniert hat, weil der Männer sich aus so konstruktiven Dingen wie der Wissenschaft und der Kindererziehung rausgehalten haben und Frauen dafür verzichteten, durch den Schlamm zu robben und auf Leute zu schießen. Diese äußerst sinnvolle Geschlechterrollenverteilung ist durch die Militärdiktatur leider aus den Angeln gehoben worden. Statt männlichen Kriegshäuptlingen und weiblichen Friedenshäuptlingen plus einem Detaba-Rat, der etwas mehr zu tun hatte, als dafür zu sorgen, daß irgend welche Politiker, die im Grunde auch nur Marionetten des Militärs sind, mit mindestens 95 % gewählt werden, gibt es an der Spitze nur noch uniformierte Kerle mit Allmachtsphantasien ... Jedenfalls war das vor der Zivilistenrevolte so. Wie es jetzt aussieht, weiß ich nicht ... Ich persönlich bin nie größenwahnsinnig genug gewesen, um die Welt retten zu wollen. Aber um zu glauben, daß ich das Militär ein wenig unterminieren könnte, hat mein Größenwahn gereicht.“ „Klingt so, als hätten Sie Ihre Probleme mit dem System gehabt“, bemerkte Tygins nachdenklich. „Nein, hatte ich nicht. Ich lebe schließlich noch“, konterte Karthal lakonisch. Eine Nachricht von Jerad unterbrach die Diskussion der beiden. „Ich habe eine Cardassianerin mit einer Messerwunde im Bauch. Sie ist bewußtlos, aber am Leben“, berichtete der Trill. „Ich lasse sie auf unsere Krankenstation beamen“, sagte Dr. Tygins. „Was haben Sie sonst noch gesehen, Jerad?“ fragte Karthal. „Nur Tote. Drei Frauen, zwei Männer.“ Karthal rechnete die Zahlen schnell im Kopf zusammen. „Fünf Tote, plus den beiden, die ich gefunden habe, dazu drei Überlebende - macht zehn. Das war die gesamte Crew.“ „Gut, beamen wir zurück“, sagte Jerad „Nichts lieber als das!“ meinte Karthal. Der Doktor nickte zustimmend. *** „Können Sie sie aufwecken?“ fragte Karthal. Dr. Tygins nickte und führte das Hypospray zögernd zum Hals der Patientin. Einen Moment hielt er inne, als überlegte er, wie sein Injektor all die Schuppen durchdringen sollte... „Mir scheint, Sie haben nicht allzu viel Erfahrung mit der Behandlung von Cardassianern!“ bemerkte Karthal. „Mein Wissen ist völlig ausreichend“, entgegnete der Doktor frostig. Kurz darauf ertönte das leise Zischen des Hyposprays. Die Cardassianerin auf der Diagnoseliege schlug langsam die Augen auf. Ihr Blick weitete sich vor Überraschung, als sie in das Gesicht der Frau blickte, die sich besorgt über sie beugte... „Belora? Bist du das wirklich?“ „Ja, Lanara, ich bin’s!“ erwiderte die andere Cardassianerin sanft. „Aber... Was machst du hier? Ich muß wohl Halluzinationen haben ... Zur Hölle mit diesen widerlichen klingonischen Schlächtern und ihren verkeimten Bat’leths! Bestimmt hab’ ich mir ‘ne Pilzinfektion zugezogen, als dieser Kerl mir sein Schlachtermesser in die Eingeweide gejagt hat! Deswegen phantasiere ich auch...“ Karthal rüttelte ihre Cousine vorsichtig an der Schulter. „Lanara... du phantasierst nicht!“ Als der Doktor hinzutrat, schnellte Lanara hoch und riß ihre Augen noch weiter auf, als Belora es je für möglich gehalten hätte. „Was sind Sie denn?“ fragte sie verwundert. „Ich bin ein Mensch“, erwiderte Tygins leicht ungehalten. „Und nun legen Sie sich bitte wieder hin und lassen mich die Nachuntersuchung durchführen!“ „Sie sind nicht unser Arzt“, stellte Lanara fest. „Natürlich nicht!“ konterte Tygins noch eine Spur ungeduldiger. „Du bist nicht mehr auf dem Panora-Observatorium, sondern auf einem Schiff der Sternenflotte“, erklärte Karthal. „Sternenflotte ... ich hätte nie gedacht, daß die Föderation mein Notsignal empfangen würde.“ 85
„Du hast es gesendet?“ hakte Karthal nach. Lanara nickte schwach. „Wir... wir wurden geentert“, begann sie mit erstickter Stimme zu erzählen. „Die Klingonen waren überall! Sie grölten irgendwelche ... Schlachtenlieder und schlugen mit ihren Bat’leths um sich. Sie... sie waren voll im Blutrausch. Es schien ihnen egal zu sein, wen sie niedermetzelten ... Es war grauenvoll, Belora! Ich sah, wie zwei Klingonen die Projektleiterin in die Zange nahmen, sie als Spionin und ptagh beschimpften... Dann...“ Lanara schluckte. „Dann schnitten sie ihr die Kehle durch. Ich stand einen Moment wie angewurzelt daneben und war unfähig, mich zu rühren. Aber dann schien irgendwas den Bann gebrochen zu haben und ich rannte.“ Ihre Lippen verzogen sich zu einem humorlosen Grinsen. „Ich weiß, das klingt nicht gerade heroisch, aber ich bin schlicht und einfach in Panik aus der Zentrale gerannt. Auf diese Weise lief ich im wahrsten Sinne des Wortes ins Messer eines Klingonen ... Ich hatte noch die Kraft, mich zum nächsten Com-Terminal zu schleppen, aber ich schaffte es lediglich, die Tastenkombination für den automatischen Notruf zu drücken. Dann ... wurde alles schwarz.“ „Du hast gut reagiert!“ lobte Karthal ihre Cousine. „Das ist relativ“, entgegnete Lanara trocken. „Was ist mit den anderen?“ wagte sie dann zu fragen. Karthal nannte ihr die Namen der beiden Überlebenden. „Und die anderen sind alle... tot?“ „Es tut mir leid ... ja“, antwortete Karthal. Lanara wandte sich ab. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Belora hatte keine Idee, was sie tun sollte, um sie zu trösten. „Sie werden sich noch etwas schwach fühlen, Miss Tormak, aber Ihre Verletzungen sind jetzt vollständig geheilt“, mischte sich Dr. Tygins ein. „Zumindest die physischen...“ „Danke“, murmelte Lanara abwesend. „Ihre Kolleginnen haben wir bereits auf die Station zurück gebeamt“, fuhr der Doktor fort. „Wenn Sie möchten, können Sie sich den beiden jetzt anschließen.“ „Nein!“ rief Lanara Tormak. Es klang fast wie ein Hilfeschrei. „Bitte, schicken Sie mich nicht dorthin zurück! Das ertrage ich nicht!“ Karthal seufzte. „Wenn das so ist, haben wir ein Problem! Captain Lairis möchte nämlich umgehend ins Territorium der Föderation zurückfliegen.“ „Na und? Irgendwie werde ich schon nach Hause kommen“, entgegnete Lanara. „Überlege dir genau, was du tust!“ mahnte Karthal. „Wenn ich mich nicht täusche, gibt es einen Klasse-M-Planeten auf unserem Weg... Devora V.“ schaltete sich der Doktor ein. „Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst!“ rief Karthal entgeistert. „Auf Devora V lautet der Maquis praktisch in jeder dunklen Ecke! Dort können wir keine cardassianische Zivilistin aussetzen!“ „Bitte, rede nicht über mich, als wäre ich nicht hier!“ fuhr Lanara dazwischen. „Entschuldige!“ murmelte Karthal und verdrehte genervt die Augen. „Ich könnte es einrichten, daß Ihnen niemand etwas antut, Miss Tormak“, sagte Tygins. „Ach ja? Wie denn?“ fragte Karthal skeptisch. „Ich war früher oft auf dieser Welt“, erklärte der Doktor. „Und ich habe dort Beziehungen.“ Karthal blickte ihn mißtrauisch an. „Beziehungen? Doch nicht etwa zum Maquis?“ Tygins schwieg. „Ich finde, Sie schulden mir jetzt einen Antwort!“ bohrte die Cardassianerin nach. „Ich schulde Ihnen gar nichts“, entgegnete der Doktor gleichmütig. Dann wandte er sich wieder Lanara Tormak zu: „Wie Sie sehen, gibt es nur drei Möglichkeiten: entweder, wir beamen Sie zurück zum Observatorium, oder wir setzten sie in der cardassianischen Kolonie auf Devora V ab oder Sie kommen mit uns.“ „Habe ich keine Zeit, mir das zu überlegen?“ fragte Lanara unsicher. „Doch“, erwiderte Karthal. „Du hast exakt so viel Zeit, bis wir Devora V erreichen.“ „Dann laß ich mich wohl besser auf den Planeten beamen“, meinte Lanara. „Belora...“ rief sie dann und richtete sich vorsichtig auf. „Wie wär’s, wenn du mit mir kommst? Ich meine... Wer 86
weiß, wann du das nächste mal die Gelegenheit hast, nach Cardassia zu fliegen? Vor allem, da die Klingonen immer mehr Grenzgebiete erobern...“ Karthal überlegte. „Ich weiß nicht... Ich würde mich ja gern der Illusion hingeben, daß man auf Cardassia schon sehnsüchtig auf mich gewartet hat, aber...“ „Nur weil du mit der Sternenflotte zusammengearbeitet hat, wird man dich noch lange nicht behandeln wie eine Aussätzige, die an der lissepianischen Eiterbeulengrippe leidet!“ konterte Lanara. „Im Gegenteil: Cardassia ist zur Zeit auf die Hilfe der Föderation angewiesen. Der Detapa-Rat wird froh sein, jemanden wie dich auf seiner Seite zu haben!“ „Ich denke darüber nach“, erwiderte Karthal. Lanara lächelte. „Du hast exakt so viel Zeit, bis wir Devora V erreichen.“ *** „Captain, da enttarnt sich ein klingonischer Bird of Prey Backbord voraus!“ meldete Prescott. „Verdammter Mist!“ fluchte Lairis. „Hat er uns entdeckt?“ Der Sicherheitschef machte ein zerknirschtes Gesicht. „Ich fürchte ja ... Captain, sie rufen uns! Soll ich antworten?“ Lairis schüttelte den Kopf. „Soll ich die Tarnvorrichtung wieder einschalten?“ Der Captain überlegte einen Moment. Die DEFENDER, die sich gerade aus den Andockklammern des Panora-Observatoriums gelöst hatte, war im Begriff, auf Warp zu gehen. Vielleicht war es in der Tat das Vernünftigste, das Schiff zu tarnen und sich mit Höchstgeschwindigkeit aus dem Staub zu machen. Allerdings... „Die Klingonen dürfen nicht erfahren, daß die Sternenflotte über eine Tarnvorrichtung verfügt“, entschied sie schließlich. „Gut, dann zerstören wir das Schiff!“ rief Karthal. Lairis fuhr zu ihr herum. „Das werden wir nicht!“ „Captain, bei allem Respekt - aber es heißt ‘sie oder wir’!“ konterte die Cardassianerin. „Ich sehe nur zwei Optionen: entweder wir tarnen uns oder wir zerstören das Klingonen-Schiff!“ „Dann sehen Sie ganz offensichtlich nicht alle Optionen, liebe Glin Karthal“, entgegnete Lairis mit verblüffender Ruhe. Die anderen Brückenoffiziere sahen ihren Captain erwartungsvoll und leicht zweifelnd an. In Kart-hals Blick überwog ganz eindeutig der Zweifel. „Dann klären Sie uns doch bitte über die ‘weiteren Optionen’ auf!“ verlangte die Cardassianerin. „Natürlich“, entgegnete Lairis. „Lieutenant Yumiko - Sie fliegen ein paar eindrucksvolle Schlängellinien und lassen von Zeit zu Zeit etwas Warp-Plasma aus den Gondeln ab! Wenn wir so tun, als wären wir kampf- und manövrierunfähig, werden uns die Klingonen in Ruhe lassen.“ „Ach, meinen Sie?“ hakte Karthal mit schneidender Stimme nach. „Die Klingonen haben einen strengen Ehrenkodex - und dazu gehört auch, wehrlose Schiffe nicht anzugreifen“, erklärte Lairis. „Ehrenkodex?“ rief Karthal wütend. Sie schien plötzlich jede Selbstbeherrschung verloren zu haben. „Ich habe auf Panora gesehen, wie weit es mit Ihrem Ehrenkodex her ist! Diese Barbaren waren sich nicht zu schade, wehrlose Frauen aufzuschlitzen! Woher nehmen Sie also die Gewißheit, daß sie uns nicht angreifen werden?“ „Glin Karthal...“ begann Jerad beschwichtigend. „Was wir auf dem Observatorium gesehen haben, war grauenvoll - aber beim Nahkampf verlieren Klingonen oft die Kontrolle. Sie werden dann von ihren räuberischen Instinkten übermannt und sind in diesem Moment nicht sehr wählerisch, was ihre ... Gegner betrifft. Bei einer Raumschlacht ist die Situation allerdings ganz anders...“ „Ach, die armen Klingonen!“ spottete Karthal. „Man muß nachsichtig mit Ihnen sein, denn sie können schließlich nichts für ihre räuberischen Instinkte! Es waren ja auch nur Cardassianer, 87
die sie auf Panora abschlachtet haben...“ Ihre Stimme bekam einen gefährlichen Unterton. „Ist es nicht das, was Ihnen dabei im Hinterkopf rumspukt?“ „Ganz bestimmt nicht, Glin Karthal!“ versicherte Lairis. „Also, aus Ihrem Mund klingt das am allerwenigsten glaubwürdig, Captain!“ erwiderte die Cardassianerin kalt. „Ehrlich gesagt, ist mir egal, wie glaubwürdig irgendwas in Ihren Ohren klingt, Karthal!“ konterte Lairis fast ebenso frostig. „Ich werde auf keinen Fall auf das klingonische Schiff feuern! Wenn wir es zerstören, wird man nämlich anhand der Energiesignatur feststellen können, daß es Sternenflotten-Phaser waren! Noch sind wir nicht in Krieg mit den Klingonen - und ich möchte nicht schuld daran sein, wenn es so weit kommt!“ „Krieg ist das einzige, was diese Kerle verstehen!“ entgegnete Karthal in eiskaltem Ton. In den Augen des Captains lag ein gefährliches Funkeln. „Verlassen Sie augenblicklich meine Brücke, wenn Sie nichts konstruktives beizutragen haben!“ „Mit Vergnügen, Captain!“ zischte Karthal verächtlich. „Vielleicht nutze ich die Zeit, um in Ruhe meine Sachen zu packen!“ „Sie wollen uns also verlassen?“ fragte Lairis. Sie klang überrascht und eine gewisse diebische Freude mischte sich in ihre Stimme. „Ich war lange nicht mehr auf Cardassia, und ich bin gerade in der Gegend... Also - wenn wir das Devora-System erreicht haben, werden Sie mich los! Es sei denn...“ Karthal warf einen schrägen Blick auf den Hauptbildschirm. „Die Klingonen fegen uns vorher aus dem Weltall!“ „Das werden Sie nicht!“ konterte Lairis mit fester Stimme. „Ich sehe nicht ein, weshalb ich Ihnen in dieser Hinsicht vertrauen sollte!“ erwiderte Karthal. „Wollen Sie vielleicht ein Shuttle nehmen und allein zum Devora-System fliegen?“ fragte Lairis mit seidenweicher Stimme. „Allerdings - bei eventuellen unangenehmen Begegnungen mit Klingonen sind Sie dann ganz auf sich gestellt!“ Karthal stieß ein zorniges Schnauben aus und stürmte von der Brücke. Als sie im Turbolift verschwunden war, atmete der Captain erleichtert auf. „Auf nimmer Wiedersehen, Sie impertinente cardassianische Wüstenechse!“ murmelte sie. Dann wandte sie sich zu ihrer Navigatorin um. „Lieutenant - nehmen sie Kurs auf die Sonne!“ Sämtliche Brückenoffiziere drehten sich abrupt zu Lairis um. Einige ließen die Kinnlade herunter klappen, andere schnappten erschrocken nach Luft. „Bei allem Respekt, Ilana - aber ich will meine ruhmreiche Sternenflotten-Karriere nicht als Preßkohle beenden!“ entgegnete Jerad. „Ich versichere dir - das wirst du nicht!“ erwiderte Lairis mit einem aufmunternden Lächeln. „Unsere Schilde können in der Korona mindestens zehn Minuten lang halten. Das dürfte reichen, um die Klingonen abzulenken. Sie werden denken, wir hätten die Kontrolle über das Schiff verloren und wären in der Sonne verschmort. Wenn sie das Interesse an uns verloren haben, tarnen wir das Schiff und fliegen zurück.“ „Nun ja, das klingt logisch“, meinte T’Liza. „Also, Lieutenant - fliegen Sie das Schiff in die Korona!“ Captain Lairis blickte ernst in die Runde. „Und nicht vergessen - Schlängellinien! Liefern Sie den Klingonen eine gute Show!“ Lieutenant Yumiko folgte dem Befehl. Es zeigte sich, daß der Captain recht hatte. Die Klingonen machten keine Anstalten, zu feuern - doch sie folgten der DEFENDER in sicherem Abstand. „Ich weiß nicht, wie lange ich ihre Sensoren noch täuschen kann“, sagte Prescott. „Noch zwanzig Sekunden bis zur Korona“, verkündete Jerad. „Bei diesen Interferenzen dürften die Klingonen eigentlich keine vernünftigen Werte mehr von uns kriegen...“ „Da wäre ich mir nicht so sicher“, meinte Lairis. „Ich fliege jetzt in die Korona“, sagte Lieutenant Yumiko. „Gut“, erwiderte Lairis. „Alle verfügbare Energie auf die Schilde transferieren!“ „Ay, Captain.“
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Doch Lairis hatte sich geirrt. Die Klingonen verloren in keiner Weise das Interesse an der DEFEN-DER... Wie eine Katze vor einem Mauseloch lauerte der Bird of Prey am Rande der Sonnenkorona. Zuerst schien es, als würden sich die Klingonen nicht tiefer in das flammende Inferno hineinwagen - doch dann näherte sich das Schiff mit 1/10 Impuls... „Captain, was sollen wir jetzt machen?“ fragte Prescott. „Wie lange halten unsere Schilde noch?“ konterte Lairis mit einer Gegenfrage. „Zwei Minuten.“ „Und wenn wir noch ein paar Kilometer tiefer in die Chromosphäre fliegen?“ „Dreißig Sekunden vielleicht...“ Prescott kam nicht umhin, seinen Captain entgeistert anzublicken. „Sie ... Sie meinen...“ „Ich meine, dann dürften die klingonischen Sensoren mit ziemlicher Sicherheit versagen. Wenn sie uns nicht mehr registrieren, tarnen wir uns.“ „Ja, aber ... wenn wir uns tarnen und gleichzeitig die Schilde aufrechterhalten, reicht die Energie garantiert nicht mehr, um das Schiff zu wenden!“ „Wir brauchen es nicht zu wenden“, entgegnete Lairis seelenruhig. „Unsere Tarnvorrichtungen verändert die Struktur der Materie.“ „Ilana...“ begann Jerad unsicher. „Heißt das, du willst mitten durch die Sonne fliegen?“ „Richtig!“ „Wollten Sie so etwas nicht vermeiden, Captain?“ fragte Prescott vorsichtig. „Manchmal muß man seine Pläne leider ändern“, konterte Lairis. „Hoffentlich ist unsere Tarnvorrichtung so zuverlässig, wie das Sternenflottenkommando behauptet!“ rief Jerad. Seine Stimme klang überhaupt nicht mehr cool. „Prescott - aktivieren Sie die Tarnvorrichtung“, befahl Lairis. „Yumiko - beschleunigen Sie schrittweise auf Viertel Impuls.“ Die DEFENDER ließ die glühenden Gaswolken der Korona hinter sich und tauchte in einen Strudel aus purem Feuer. Blendendes orangerotes Licht überflutete die Brücke. Auf dem Bildschirm beobachtete die Crew mit ehrfürchtigem Schweigen, wie die immer heißer glühende Materie einen wilden, hemmungslosen Tanz vollführte. Die unvorstellbaren Naturgewalten des Kosmos schienen das winzige, unbedeutende Raumschiff einfach mit sich zu reißen... Feuer ... Flammen ... Glut ... Plasma ... rot ... gelb ... gleißend ... tödlich ... eine alles verzehrende Hitze ... unglaubliche Energien, die Leben erschaffen und vernichten konnten... Die DEFENDER flog mitten hindurch, ohne tatsächlich von all dem berührt zu werden... Dann lichteten sich die wild durcheinander wirbelnden Flammenstrudel. Sie machten zuerst den leuchtenden Plasmaschlieren der Korona Platz und dann der friedlichen Schwärze des Alls. Einige Crewmitglieder atmeten hörbar auf. „Wow!“ rief Prescott und schüttelte sich leicht. „Gewöhnen Sie sich bloß nicht dran, Commander!“ entgegnete Lairis. Da bemerkte sie, daß Glin Karthal sich inzwischen wieder auf der Brücke eingefunden hatte. „Na, das ging ja schnell!“ bemerkte die Bajoranerin. „Ich habe meine Sachen noch nicht gepackt“, erwiderte Karthal. „Ich hielt es für vernünftiger, Sie zuerst um Landurlaub zu bitten.“ Lairis bekam große Augen. „Sie wollen uns also doch nicht verlassen, sondern nur ein paar Wochen Urlaub nehmen?“ „Enttäuscht, Captain?“ „Sagen wir: überrascht“, entgegnete Lairis diplomatisch. „Apropos überrascht - ich hätte nicht damit gerechnet, daß wir dieses Wahnsinnsmanöver tatsächlich überleben! Herzlichen Glückwunsch, Captain!“ Ein flüchtiges Lächeln erschien auf Karthals Gesicht. „Meiner Ansicht nach wäre es trotzdem effizienter gewesen, das Schiff zu zerstören und seine Trümmer in die Sonne zu schießen!“ „Ach, meinen Sie wirklich?“ gab Lairis zurück. „Während wir damit beschäftigt gewesen wären, diesen ganzen Raumschrott einzusammeln und in die Sonne zu schießen, wäre vermutlich eine Armada von klingonischen Kriegsschiffen zur Beerdigung aufgetaucht!“ 89
Karthal verdrehte die Augen. „Ich gebe es auf, mich mit Ihnen zu streiten, Captain!“ „Sehr vernünftig von Ihnen!“ entgegnete Lairis trocken. „Glin Karthal, da trifft gerade eine Nachricht aus Cardassia für Sie ein“, rief Prescott in diesem Moment. „Es ist Ihr Sohn!“ Karthal eilte zum nächsten Com-Terminal und schaltete auf Empfang. „Mutti, du muß unbedingt nach Hause kommen, wenn es geht!“ erklang Turos helle, kindliche Stimme. „Papa geht es nicht gut!“ Karthal seufzte. Ich wußte, der Suff wird Jorel noch mal umbringen! dachte sie. „Ich hatte sowieso vor, eine Weile Urlaub auf Cardassia zu machen“, sagte sie dann zu ihrem Sohn. „Ich komme so bald wie möglich, Schatz!“ Später, nachdem sie Marc und TLiza „Auf Wiedersehen“ gesagt und Lanara mit einiger Mühe dazu gebracht hatte, sich von Jerad zu trennen, machte sie sich mit ihrem Gepäck auf den Weg zum Transporterraum. Als sie sich von Lairis verabschiedete, runzelte die Bajoranerin kurz die Stirn. „Stimmt was nicht, Captain?“ fragte Karthal. „Ich wollte Ihnen nur zur Vorsicht raten“, erwiderte Lairis. „Es gibt zur Zeit allerlei reaktionäre Terroristengruppen auf Cardassia, deren Feindbild Nummer eins die Föderation ist...“ „Sie meinen den ‘Wahren Weg’?“ „Zum Beispiel. Der ‘Wahre Weg’ wartet sicher nur darauf, jemanden wie Sie endlich in die Finger zu kriegen. Sehen Sie zu, daß Sie in keine Falle tappen!“ Karthal blickte den Captain empört an. „Ich habe die Nachricht selbst geprüft. Sie ist echt!“ „Mag sein. Aber passen Sie trotzdem auf sich auf!“ „Leben Sie wohl, Captain“, erwiderte die Cardassianerin steif. Dann stieg sie zu ihrer Cousine auf die Transporterplattform. „Viel Glück!“ sagte Lairis. „Ihnen auch!“ erwiderte Karthal. „So wir ich Layton einschätze, werden Sie es brauchen!“ „Energie!“ befahl der Captain. Die beiden Cardassianerinnen lösten sich in einem silbrigen Flirren auf. „Und nun fliegen wir nach Hause. Warp 8!“ ordnete Lairis an. Jerad grinste. „Warp 8? Du hast es ja mächtig eilig, vors Kriegsgericht zu kommen!“ „Darüber denke ich nicht nach“, konterte Lairis. „Aber - egal wie - ich werde verhindern, daß die LAKOTA auf die DEFIANT feuert!“ Der Trill nickte bedächtig. „Hoffen wir, daß es noch nicht zu spät ist!“
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10. Kapitel Captain Benteen verdrängte ihre Zweifel. Sie schob sie in eine dunkle Ecke ihres Bewußtseins ab - so wie man einen Haufen Müll sorglos unter ein Möbelstück schob, wenn man keine Lust hatte, richtig aufzuräumen. Admiral Layton mochte ein kluger Mann und ein hervorragender Offizier sein, doch möglicherweise schoß er über das Ziel hinaus... Benteen seufzte. Hätte man sie noch vor einem Jahr gefragt, ob sie sich jemals an einer Verschwörung gegen die Regierung der Föderation beteiligen würde, hätte sie dem vorwitzigen Fragesteller wohl ein paar Zähne ausgeschlagen. Verschwörung... In den Augen der Verfassung war Layton ein Krimineller - und sie, Captain Erica Benteen, war nichts weiter als seine Komplizin. Es sei denn, der Admiral hatte recht und die Crew der DEFIANT war tatsächlich durch Formwandler ausgetauscht worden... Es sei denn, Benteen verweigerte seinen Befehl und kehrte augenblicklich um... Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. Nein... sie hatte während ihrer gesamten Laufbahn als Sternenflottenoffizier noch nie einen Befehl verweigert - und sie wollte nicht ausgerechnet in diesem Augenblick damit anfangen! Nicht jetzt, wo die Föderation so sehr von Feinden eingekreist war wie nie zuvor! Das Dominion... die Klingonen... was die Romulaner im Schilde führten, konnte man auch nie wissen... Alles hing nun von einer starken, funktionsfähigen Sternenflotte ab! Nein... die Sternenflotte zu schwächen, war das letzte, was Benteen wollte. Sie war schließlich nicht Sisko oder Lairis oder Kilari Kayn - oder wie diese ganzen realitätsfernen Knalltüten auch immer heißen mochten... Benteen richtete ihren Blick auf den Hauptbildschirm der LAKOTA. Ein kleines, flaches Schiff, in der Form ähnlich einer abgebrochenen Speerspitze, war darauf erschienen. Die U. S. S. DEFIANT... Benteen atmete tief durch und hoffte, daß sie das, was sie nun befahl, nicht eines Tages bitter bereuen würde. „LAKOTA an DEFIANT - kehren Sie augenblicklich um oder wir eröffnen das Feuer!“ *** „Die Lakota zielt mit ihren Waffen auf unseren Warpantrieb!“ rief Kira, gleichzeitig überrascht und sehr empört. Miles O’Brien, der Chefingenieur, wandte sich abrupt zu ihr um. „Die bluffen doch nur! Das ist ein Föderationsschiff! Die werden nicht auf uns feuern!“ „Ich hoffe, Sie haben recht, Chief!“ erwiderte Dr. Julian Bashir. Der Ausdruck in den großen, braunen Augen des jungen Schiffsarztes schien förmlich nach einem Wunder zu schreien. „Wir halten den Kurs!“ ordnete Worf an. „Wir sind jetzt in Waffenreichweite!“ verkündete Kira. „Schilde hochfahren!“ befahl der klingonische Commander mit seiner tiefen, grollenden Stimme. Ein Phasertreffer erschütterte die DEFIANT und zwang alle Besatzungsmitglieder, sich an den Lehnen ihrer Sitze festzuhalten. „Schadensbericht?“ fragte Worf. Lieutenant Commander Dax studierte sorgfältig ihre Konsole. „Die Backbordschilde sind bei 60 Prozent!“ berichtete die Trill. „So wie es aussieht, wurden die Waffen verstärkt“, meinte O’Brien nachdenklich. „Das ist ganz schön viel Feuerkraft für ein Schiff der Excelsior-Klasse!“ „Können wir uns tarnen?“ fragte Kira. „Dazu müßten wir die Schilde runter fahren“, entgegnete Worf. „Also, davon würde ich abraten!“ rief Bashir, als ein weiterer Ruck durch das Schiff ging. „Sollen wir auf volle Geschwindigkeit gehen?“ schlug Dax vor. O’Brien runzelte skeptisch die Stirn. „Also, wenn sie an ihren Waffen rumgebastelt haben wer weiß, was dann ihr Warp-Antrieb drauf hat!“ 91
Worf überlegte einen Moment. Das Argument des Chiefs war nicht von den Hand zu weisen... „Rufen Sie sie“, befahl er schließlich. Dax kam seiner Anordnung nach - jedoch ohne Erfolg. „Keine Antwort.“ Worf unterdrückte ein Knurren. Der nächste Phasertreffer warf die DEFIANT fast aus der Bahn. Eine Plasmaleitung zerbarst. Dicker, weißer Qualm entwich mit einem penetranten Zischen. „Sie versuchen, unseren Warp-Antrieb unbrauchbar zu machen!“ rief Kira. Bashir eilte währenddessen zu einem Verletzten und brachte ihn auf die Krankenstation. O’Brien drehte sich langsam zu Worf um. Sein Blick ruhte gleichzeitig hoffnungsvoll und skeptisch auf der stoischen Miene des Klingonen. „Was sollen wir tun, Commander?“ Worf zögerte. Sein Gesicht spiegelte kaum Emotionen wieder, doch er schien eindeutig mit sich selbst zu ringen... Inzwischen blickten fast alle Mitglieder der Brückencrew zu ihm auf und warteten auf eine Antwort... Worf verzog kaum merklich das Gesicht und knurrte leise. „Wir kämpfen!“ verkündete er schließlich.8 *** Das All schien zu wabern, wo die DEFENDER sich enttarnte. Für einen Moment hörten die gleißenden Phaserblitze auf. Die DEFIANT und die LAKOTA verharrten bewegungslos im Raum, belauerten sich wie zwei Raubtiere, die im nächsten Augenblick aufeinander losgehen wollten. „Ich fasse es nicht!“ murmelte Captain Lairis. „Dieses Miststück hat doch tatsächlich auf die DEFIANT gefeuert!“ Jerad seufzte frustriert. „Und was sollen wir jetzt tun? Auf die LAKOTA feuern?“ „Kommt nicht in Frage!“ entgegnete Lairis mit scharfer Stimme. „Ich riskiere doch wegen dieser Benteen keinen Bürgerkrieg!“ Prescott sah Lairis mit einem langen, schrägen Blick aus den Augenwinkeln an. „Denken Sie, daß es soweit kommt, Captain?“ „Ich hoffe doch nicht!“ erwiderte Lairis. Das Gespräch wurde durch ein Com-Signal unterbrochen. „Captain, die LAKOTA ruft uns!“ meldete Prescott. Lairis seufzte. „Auf den Schirm!“ Benteens junges, weiches Gesicht verzog sich zu einem spöttischen Lächeln. „Wie ich sehe, haben Sie auf die Dauer doch keine Lust, ‘Commander Talok auf der Flucht’ zu spielen, Lairis!“ Das Lächeln der Bajoranerin geriet noch eine Nuance ironischer als das des Captains der LAKOTA. „Erstens war ich nicht auf der Flucht und zweitens: Der Typ heißt Trelok“, konterte sie. „Aber eigentlich bin ich nicht gekommen, um mit Ihnen über romulanische Trivialliteratur zu diskutieren, sondern um diesen Wahnsinn hier zu beenden!“ „Ach tatsächlich?“ konterte Benteen. „Ich sehe nicht, wie Sie hier irgendwas beenden sollten, ohne auf uns zu schießen!“ Sie lächelte triumphierend. „Und das wollen Sie doch nicht! Oder?“ „Sie sollten Captain Lairis nicht unterschätzen!“ unterstützte Jerad seine Kommandantin. „Sie ist nämlich so etwas wie eine Expertin für unkonventionelle Lösungen und kommt auf Dinge, die den meisten Normalsterblichen nie im Leben einfallen würden!“ Lairis lächelte ihren Ersten Offizier dankbar an. „Hör nicht auf, Jerad! Komm, gib mir noch ein bißchen Süßholz! Ich brauch’ das jetzt!“ Benteen räusperte sich laut vernehmbar. „Captain Lairis Ilana - Sie haben doch hoffentlich nicht vergessen, daß Sie sich wegen Befehlsverweigerung vorm Kriegsgericht verantworten müssen...“ „Wie sollte ich das vergessen!“ murmelte Lairis. Sie trat näher an den Bildschirm heran und bemühte sich um einen festen Blick. „Captain Benteen, ich übernehme die volle Verantwortung für diese ... Aktion und bin bereit, gemäß den Gesetzen der Föderation und den Vorschriften
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Die gesamte Szene wurde entnommen aus: Star Trek - Deep Space Nine, Episode 89: „Das verlorene Paradies“.
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der Sternenflotte die Konsequenzen zu tragen. Allerdings ... meine Crew hat lediglich Befehle befolgt. Ich bitte Sie, das zu berücksichtigen!“ „Die Beteiligung Ihrer Crew zu untersuchen ist nicht mein Job, sondern der des Kriegsgerichts.“ Benteen deutete ein spöttisches Lächeln an. „Ich hoffe, das war eben kein Versuch, Bedingungen zu stellen! Ihnen ist doch sicher klar, daß ich gezwungen bin, auf die DEFENDER zu feuern, wenn Sie sich nicht umgehend auf mein Schiff beamen lassen!“ „Natürlich“, erwiderte Lairis gleichmütiger, als man es ihr in dieser Situation zugetraut hätte. In Benteens Augen glitzerte unverhohlene Schadenfreude. „Also, bis bald in unserer Arrestzelle, Captain! Einen angenehmen Aufenthalt wünsche ich Ihnen!“ Dann wurde die Verbindung beendet. „Am liebsten würde sie mich wohl exekutieren!“ brummte Lairis. Die anderen Brückenoffiziere schwiegen. Es war kein gespanntes, andächtiges Schweigen, wie in dem Augenblick, als sie phasenverschoben durch die Sonne geflogen waren. Es war das betretene Schweigen der Resignation. Lairis blickte nachdenklich zum Bildschirm. „Ich frage mich nur, warum die DEFIANT nicht die Ablenkung ausnutzt und verschwindet...“ „Ganz einfach, Captain: Weil ihr Warp-Antrieb defekt ist“, antwortete Prescott. Lairis wandte sich schmunzelnd zu ihm um. „Ich mag zwar eine Expertin für unkonventionelle Lösungen sein - aber auf die einfachen Antworten komm’ ich immer zu allerletzt!“ Jerad berührte sie sanft an der Schulter. „Unsere ‘Verstärkung’ müßte gleich hier sein, Ilana.“ Lairis nickte gedankenverloren. „Ich hoffe, dein Plan funktioniert!“ „Das hoffe ich auch!“ Lairis deutete ein Lächeln an. „Es ist eine verrückte, unkonventionelle Lösung. Du weißt, so was liegt mir am besten!“ Mit einem wehmütigen Blick drehte sie sich zu ihrem Sicherheitschef um. „Sie müssen mich wohl zum Transporterraum begleiten...“ „Aber Captain....“ protestierte Prescott. „Tun Sie ‘s!“ Lairis Stimme war unvermittelt schärfer geworden. Prescott folgte dem Befehl nur sehr widerwillig. Captain Lairis ließ ihren Blick ein letztes Mal über die Brückencrew schweifen. „Tja, ich wünschte, mir würde für diesen Augenblick irgendwas denkwürdiges einfallen, aber Reden zu halten, war noch nie meine Stärke ... Ich könnte jetzt sagen, daß ich dieses Schiff vermissen werde, daß ich trotz allem die Sternenflotte vermissen werde - und daß ich in den letzten zwei Wochen das Privileg hatte, mit der besten Crew zu dienen, die ein Captain sich wünschen kann...“ Sie seufzte. „Selbst das klingt mir zu banal! Ich fürchte, ich kann mit Worten nicht beschreiben, wieviel mir unsere gemeinsamen Erfahrungen bedeuten... Es fällt mir einfach nichts angemessenes ein, um Ihnen allen für Ihre Unterstützung zu danken... Alles, was ich noch sagen möchte, ist: Für mich sind Sie mehr, als nur Crewmitglieder - und das werden Sie auch immer sein! Also...“ Sie schluckte und lächelte ein wenig hilflos. „Besucht mich mal in New Zealand, Leute!“ Zögernd wandte sie sich zum gehen. Bevor sie den Turbolift betreten konnte, kam Jerad impulsiv auf sie zu und umarmte sie. „Es hätte nicht so enden dürfen, Ilana“, begann er. „Ich weiß zwar nicht, was ich tun soll, um dich da raus zu holen aber...“ „Ist schon gut“, unterbrach sie ihn sanft. „Ich hoffe, euer nächsten Captain gerät nicht so leicht in Schwierigkeiten wie ich!“ „Unser nächster Captain muß sich verdammt anstrengen, um dich zu ersetzten!“ Jerad verzog das Gesicht. „Nein ... falsch! Ich fürchte, es ist gar nicht möglich, dich zu ersetzen!“ „Willst du mir schmeicheln, damit ich mich besser fühle?“ „Hast du nicht behauptet, du brauchst das jetzt?“ konterte Jerad. Dann schüttelte er langsam den Kopf. „Das wären dann drei Captains in zwei Wochen! Wenn das so weitergeht, werde ich noch einen Spickzettel für die ganzen Namen brauchen!“ Lairis deutete ein ironisches Lächeln an. „Ach, und du wolltest ein vereinigter Trill werden? Wenn du dir nicht einmal ein paar Namen merken kannst, dann laß das lieber sein!“
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Jerad seufzte leise. „Aus mir wird sicher kein vereinigter Trill mehr! Die SymbioseKommission war ganz offensichtlich der Meinung, daß ich ihren Ansprüchen nicht genüge. Jemand, der nicht einmal seine Hormone soweit unter Kontrolle hat, daß er die Finger von seinen Kadetten läßt, verdient halt kein so edles Geschöpf wie einen Symbionten...“ Der Gesichtsausdruck des Captains veränderte sich von einer Sekunde zu anderen. Hatte vorhin noch ein gewisser Abschiedsschmerz, gepaart mit Lairis’ üblicher Selbstironie darin gelegen, wirkte sie nun plötzlich völlig verschlossen. „Tut mir leid“, murmelte Jerad zerknirscht. „Ich wollte dir keine Schuldgefühle einreden.“ „Das weiß ich doch“, entgegnete Lairis. Dann lächelte sie wieder. „Außerdem - Man kann nie wissen, was kommt!“ „Das ist wahr!“ Lairis löste sich widerstrebend aus seinen Armen. „Ich muß jetzt gehen! Admiral Laytons beißwütiges kleines Schoßtierchen kann es sicher kaum erwarten, mich endlich hinter Schloß und Kraftfeld zu bringen!“ Inzwischen waren auch T’Liza und Dr. Tygins neben sie getreten. In den Augen der Vulkanierin spiegelte sich ein Verständnis wieder, das weit über die Mischung aus Empörung und Mitgefühl im Blick von Prescott, Jerad oder van Emden hinausging. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß das, was wir persönlich unter Gerechtigkeit verstehen, manchmal mit Gesetzen oder Vorschriften kollidiert“, begann sie. „Auch ich weiß im Moment nicht, wie ich verhindern soll, daß Sie für etwas bestraft werden, das aus Sicht von Moral und Logik richtig ist... Also kann ich nur hoffen, daß die Vernunft am Ende siegen wird.“ Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Mal sehn - vielleicht ist es am Ende Admiral Layton und nicht Sie, der in New Zealand Kommunikatoren zusammen löten wird!“ „Das hoffe ich auch“, sagte Tygins. „Und falls nicht - Grüßen Sie meine Schwester von mir!“ Bevor Lairis nachhaken konnte, was der Doktor damit gemeint hatte, schlossen sich die Türen des Turbolifts. *** Benteen erwartete Lairis im Transporterraum der LAKOTA und betrachtete sie mit einer Mischung aus Faszination und Verachtung. „So, jetzt begleiten Sie uns bitte, Captain! Wenn Sie vernünftig sind, werden wir sogar auf die Handschellen verzichten!“ Lairis konnte sich ein spöttisches Lächeln nicht verkneifen. „Heißt das, ich darf nicht treten und schreien? Nicht einmal ein ganz kleines bißchen?“ Benteen würdigte sie keiner Antwort. Flankiert von drei Sicherheitsoffizieren marschierte Lairis zu ihrer Zelle. Dort wartete bereits Kilari Kayn. Als die Trill den Captain erblickte, sprang sie auf und nahm Haltung an. Die Bajoranerin runzelte die Stirn, wodurch sich auch die Riffeln auf ihrem Nasenrücken ein wenig zusammenzogen. „Lassen Sie den Quatsch, Kadett, man wird mich sowieso degradieren!“ De Trill entspannte sich ein wenig, blickte jedoch überrascht auf. „Man hat Sie ebenfalls unter Arrest gestellt? Aber ... ich dachte, Sie wären hier, um mir Fragen zu stellen oder so was...“ „Das hatte ich ursprünglich sogar vor“, entgegnete Lairis. „Aber man hat mich nicht mit Ihnen reden lassen.“ Die blauen Augen der Trill blickten noch irritierter. „Sie sind doch Kilari Kayn, oder?“ hakte der Captain nach. „Ja, Sir!“ Lairis verzog abfällig das Gesicht. „Bitte, nennen Sie mich nicht ‘Sir’! Dieses ganze StarfleetProtokoll stinkt mich inzwischen so an...“ „Okay ... Captain.“ Braves Mädchen! dachte Lairis. „Sagen Sie, woher kennen Sie eigentlich meinen Namen?“ fragte Kilari vorsichtig. „Weiß jetzt etwa die halbe Sternenflotte, daß ich sozusagen auf die schiefe Bahn geraten bin?“
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„Nein, das denke ich nicht“, versicherte Lairis ihr. „Ich habe nur ... ein paar Nachforschungen über die ‘Red Squad’ angestellt.“ Bei dem Wort „Red Squad“ zuckte die junge Trill sichtlich zusammen. „Sie wollen jetzt sicher wissen, was passiert ist und warum ich ... hier bin.“ „Ja, das würde mich schon interessieren“, gab Lairis zurück. Kilari begann stockend zu erzählen. Der Captain nickte langsam und nachdenklich, als die Trill mit ihrer Geschichte fertig war. „Sie haben das richtige getan, Kadett!“ „Das hoffe ich“, meinte Kilari. „Darf ich Sie etwas fragen, Captain...“ Kilari runzelte nachdenklich die Stirn, als versuchte sie verzweifelt, sich an etwas bestimmtes zu erinnern. „Captain ...?“ „Lairis Ilana“, stellte die Bajoranerin sich vor. „Der kommandierende Offizier der U.S.S. DEFENDER?“ fragte die Trill mit große Augen. „Ja, das war ich mal“, entgegnete Lairis und verzog die Lippen zu einem flüchtigen, bitteren Lächeln. „Und wieso ... ?“ „Befehlsverweigerung.“ Kilari grinste. „Da haben wir ja schon mal was gemeinsam!“ „Ich schätze, Sie würden meine Geschichte auch gern hören, Kadett...“ „Nur, wenn Sie wollen, Captain“, versicherte Kilari schnell. „Ich beginne am besten ganz am Anfang, denn wir haben viel Zeit tot zu schlagen...“ Lairis erzählte von ihren Gesprächen mit Admiral Layton, schilderte ihre Erlebnisse während des Energieausfalls und berichtete nicht zuletzt, was Captain Sisko über die „Red Squad“ herausgefunden hatte. „Sie haben auch das richtige getan“, meinte Kilari. Der Captain seufzte. „Das, was wir persönlich unter Gerechtigkeit verstehen, kollidiert halt manchmal mit Gesetzen und Vorschriften“, zitierte sie die Worte T’Lizas. „Es ist fast wie bei Shakespeare: Die Helden werden bestraft, weil sie moralisch richtig handeln und gehen an den Folgen ihrer guten Taten zugrunde...“ „Shakespeare war ein Pessimist“, meinte die Trill. „Das bin ich auch.“ „Tatsächlich, Captain?“ „Natürlich. Ich rechne stets mit dem schlimmsten. Auf diese Weise kann ich nie enttäuscht werden. Ich führe ein Leben voller positiver Überraschungen.“ Kilari blickte sie zweifelnd an. „Bei allem Respekt - aber das ist eine ziemlich merkwürdige Philosophie, Captain!“ „Wenn dein Heimatplanet fünfzig Jahre lang von den Cardassianern besetzt wird, bleiben solche merkwürdigen Philosophien nicht aus“, konterte Lairis. „Und ... was erwarten Sie jetzt?“ fragte die Trill. „Was wohl? Man wird uns vors Kriegsgericht stellen, mir mein Offizierspatent wegnehmen, Sie von der Akademie werfen und uns beide für ein paar Jahre nach New Zealand schicken...“ Kilari senkte den Blick. „Ich würde Ihnen zwar gern widersprechen, aber...“ „Neuseeland soll sehr schön sein!“ „Ja, aber diese Fußringe sind ziemlich lästig...“ Lairis zog die Augenbrauen hoch. „Sagen Sie bloß, Sie haben damit Erfahrungen gemacht?“ Kilari lächelte. „In diesem Leben nicht...“ „Vielleicht kommt es ja doch nicht so schlimm, wie wir denken“, meinte Lairis. „In diesem Augenblick ist Captain Sisko vielleicht beim Präsidenten und überzeugt ihn davon, diesem Layton endlich die Grenzen zu zeigen...“ Kilari schüttelte langsam und traurig den Kopf. „Nein, wohl eher nicht ... Ich hab’ vorhin mitgekriegt, wie sich zwei Wachen unterhalten haben. Sisko war zwar beim Präsidenten, aber ... er wurde als Wechselbalg entlarvt und in eine Zelle gesperrt.“ Lairis blickte die Trill entsetzt an. „Das ist doch wohl nicht wahr ... oder?“ 95
Kilari zuckte die Schultern. „Es kann natürlich sein, daß sie den Bluttest gefälscht haben...“ „Wissen Sie zufällig, wer diesen Bluttest durchgeführt hat?“ „Captain Benteen.“ „Benteen!“ Lairis sprach diesen Namen aus, als wäre es ein Fluch, der Pest und Cholera brachte. Da wurde das Schiff von einem Phasertreffer durchgerüttelt. Kilari mußte Lairis festhalten, weil diese sonst von der Bank gefallen wäre. „Danke, Kadett!“ sagte sie. Die Trill warf ihr einen schrägen Blick zu. „Würde es Ihre Prinzipien sehr verletzen, wenn Sie mich Kilari nennen?“ „Ich mache meine Prinzipien nie an irgendwelchen Namen fest“, konterte Lairis. Kilari lächelte. „Gut, Captain ... Oder sollte ich ‘Ilana’ sagen?“ „Wenn Sie es möchten, Kadett - ich meine ... Kilari...“ Ein weiterer heftiger Stoß erschütterte die LAKOTA. Ein ohrenbetäubender Knall ertönte. Lairis und Kilari zuckten erschrocken zusammen. Die Trill hatte ihre Hände auf die Ohren gepreßt. „Ich sehe mal nach, was hier passiert ist“, sagte Lairis. „Meinen Sie, es war hier ... in der Zelle?“ fragte Kilari. Wie zur Antwort strömte grünlicher Dampf aus der Wand. Eine der Gasleitungen war geplatzt. „Es sieht aus wie Tachonin“, bemerkte Lairis. Wäre sie nicht so sehr mit der kaputten Leitung beschäftigt gewesen, hätte sie das Entsetzen in den Augen der Trill bemerkt... „Tachonin?“ rief Kilari entgeistert. „Sind Sie sicher?“ „Ohne Tricorder? Natürlich nicht!“ Lairis wandte sich besorgt zu ihrer Zellengenossin um. „Alles in Ordnung, Kilari?“ Die Trill schüttelte kaum merklich den Kopf. In ihrem Gesicht zeigte sich die blanke Panik. „Tachonin ist ein tödliches Gift!“ erwiderte sie tonlos. „Zumindest für Trill...“ Lairis reagierte sofort. „Wache!“ rief sie und legte ihre ganze Autorität in dieses eine Wort. Der Posten - ein junger, menschlicher Fähnrich - bewegte träge den Kopf. „Ja, Captain?“ fragte er, sichtlich desinteressiert. „Sie müssen sofort das Kraftfeld ausschalten!“ rief Lairis. „Ach, und wieso? Damit Sie beide einen Spaziergang durch ‘s Schiff machen können?“ „Verdammt, das ist nicht witzig!“ fuhr Lairis den jungen Sicherheitsoffizier an. „Hier ist eine Tachonin-Leitung geborsten - und Tachonin ist lebensgefährlich für Trill! Also, meinetwegen behalten Sie mich hier - aber lassen Sie Kilari raus!“ Lairis warf einen Seitenblick auf das blonde Mädchen. Kilari würgte und hustete, daß ihr die Tränen in die Augen traten. „Verdammt, sehen Sie nicht, was mit ihr passiert!“ schrie die Bajoranerin den Fähnrich an. Der Wachposten warf kurz einen Blick in die Zelle. Für einen Moment wirkte er bestürzt, doch dann nahm sein Gesicht wieder einen ruhigen, distanzierten Ausdruck an. „Wie kann ich sicher sein, daß Sie beide nicht irgendeine Show abziehen, um hier rauszukommen?“ „Hören Sie zu, wir sind Sternenflottenoffiziere und keine Schmierenkomödianten, Sie...“ Lairis schluckte alle Schimpfwörter, die ihr auf der Zunge lagen, herunter. Die Trill gab ein qualvolles Röcheln von sich. Ihre Beine knickten ein und sie ging in die Knie. Dabei griff sie sich an die Kehle, als wollte sie das tödliche Gas mit Gewalt aus ihrer Luftröhre quetschen... Lairis stürzte zu ihr. „Halten Sie durch, Kilari! Es wird alles wieder gut! Bitte, halten Sie durch, okay! Ich hole Sie hier raus...“ Sie hätte vor Frust fast geschrien, als ihr klar wurde, wie hohl und abgedroschen ihr Worte klangen. Kilari wand sich in Krämpfen. Sie war kaum noch ansprechbar. Die Bajoranerin spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten. Ein harter Knoten bildete sich in ihrer Kehle. „Bitte, Fähnrich...“ Ihre Stimme klang mit einem Mal gar nicht mehr zornig, sondern geradezu flehend. „Tut mir leid, Ma’am, aber Captain Benteens Befehl lautete, Sie beide auf keinen Fall aus dieser Zelle rauszulassen.“ „Zur Hölle mit Captain Benteen und ihren Idiotischen Befehlen!“ schrie Lairis. „Wollen Sie schuld am Tod dieses Mädchens sein? Wollen Sie Ihr Leben lang die Leiche vor sich sehen?“ 96
Sie beugte sich über Kilari und strich ihr eine feuchte, blonde Haarsträhne aus dem verzerrten, bläulich verfärbten Gesicht. Eine sinnlose, sentimentale Geste, die dem Mädchen vermutlich nicht einmal mehr Trost spendete. „Nein, Captain, Ich ... äh...“ „Dann lassen Sie endlich dieses scheiß Kraftfeld runter!“ fauchte Lairis. „Oder ich werde Sie eines Tages mit Ihren eigenen Eingeweiden erwürgen - das schwöre ich bei den Propheten und dem himmlischen Tempel! Und mit Benteen werde ich etwas anstellen, was sich nicht einmal der fieseste Cardassianer ausdenken könnte!“ Der Fähnrich starrte die Bajoranerin mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen an. Unter anderen Umständen hätte sein schockierter Gesichtsausdruck Lairis zu einem süffisanten Grinsen veranlaßt... „Was glotzen Sie so dämlich? Schalten Sie das Kraftfeld ab und helfen sie uns!“ brüllte sie statt dessen. Der Wachmann riskierte einen weiteren Blick. „Oh mein Gott!“ rief er entsetzt, als er sah, wie Kilari sich am Boden wand und verzweifelt nach Luft schnappte. Da vergaß er seine Befehle, stürzte zur nächsten Konsole und betätigte den Schalter für das Kraftfeld. Inzwischen waren zwei weitere Sicherheitsleute herbeigeeilt. „Was war denn das für einen Geschrei?“ fragte einer. Lairis hatte vergessen, wie durchdringend und unangenehm schrill ihre Stimme klingen konnte, wenn sie richtig wütend war. „Hier gibt es einen medizinischen Notfall!“ rief sie. „Also, bewegen Sie Ihre Hintern her!“ Die beiden Männer gehorchten und Kilari wurde auf die Krankenstation gebeamt. Einer der Sicherheitsoffiziere trat unsicher an Lairis heran. „Alles in Ordnung, Captain?“ „Blöde Frage!“ fauchte die Bajoranerin. Der junge Mann wich erschrocken vor ihr zurück. *** Die Schlacht zwischen der LAKOTA und der DEFIANT tobte unerbittlich weiter. Ein drittes Sternenflottenschiff hielt sich abseits wie ein unbeteiligter Zuschauer bei einem Gladiatorenkampf. Doch der erste Eindruck täuschte. Die Crew der U. S. S. DEFENDER war keineswegs unbeteiligt, keiner war bereit, den Daumen zu heben oder zu senken, niemand favorisierte irgend eine Partei, denn jeder an Bord wußte, daß es bei diesem Kampf nur Verlierer geben konnte. Commander Jerad hielt sich strikt an Lairis’ Anweisung, nicht zu feuern. Es war das mindeste, was er noch für seinen Captain tun konnte. Dennoch... Es war verdammt hart, zuzusehen, wie zwei Schiffe der eigenen Flotte sich wie Todfeinde gegenseitig beschossen. Leider waren Jerads Appelle an Benteen und Worf, das Feuer einzustellen, bisher fruchtlos gewesen. Er dachte an die letzte Nachricht, die Admiral Layton an Captain Benteen geschickt hatte, bevor das Subraum-Kommunikationssystem der LAKOTA ausgefallen war. Der Admiral hatte befohlen, die DEFIANT mit allen Mitteln aufzuhalten - notfalls sogar mit Quantentorpedos... Die Sensoren zeigten an, daß der Warp-Antrieb der DEFIANT inzwischen wieder funktionierte. Würde Benteen tatsächlich fertigbringen, das Schiff zu zerstören, falls es auf Warp gehen sollte? Jerad schüttelte kaum merklich den Kopf. Captain Lairis mochte dieser Frau jede Dummheit zutrauen, sofern sie vom Sternenflottenkommando abgesegnet war - doch er selbst hegte trotz allem Zweifel. Benteen hatte zwar brav „Ay, Sir“ gesagt, als Layton seinen Befehl erteilt hatte doch bis jetzt schien sie sich nicht daran zu halten. Trotzdem wünschte Jerad, er könnte noch auf etwas anderes hoffen als Benteens Vernunft... „Commander, ein Schiff der Sternenflotte nähert sich mit Warpgeschwindigkeit“, meldete Prescott in diesem Augenblick. „Es ist die U. S. S. CASABLANCA!“ „Na endlich!“ rief der Trill erleichtert. Welches höhere Wesen auch immer das Universum kontrollieren mochte - es hatte auf seine Wünsche reagiert. ***
Persönliches Computerlogbuch, Captain Lairis Ilana, Sternzeit 49247.53 97
Ich habe es nicht geschafft, Admiral Layton aufzuhalten. Ich habe auch versagt, als es darum ging, den Kampf zwischen der LAKOTA und der DEFIANT zu beenden - und ich war völlig außerstande, Kilari zu helfen... Vielleicht habe ich nichts anderes verdient, als in New Zea-land zu verrotten. Zumindest bilde ich mir nicht mehr ein, ich wäre dazu bestimmt, die Werte der Föderation zu retten... Die Propheten haben mich wohl gerade auf den Boden der Tatsachen zurück gezerrt... Lairis seufzte frustriert und nahm einen Schluck Wasser aus dem Glas neben dem Terminal. „Ach, Mist ... Computer - Logbucheintrag löschen!“ Der Sicherheitschef der LAKOTA hatte die Gefängniszelle räumen lassen und Captain Lairis in einem der Gästequartiere unter Arrest gestellt. Hier verfügte sie über eine komfortable Einrichtung, einen Nahrungsreplikator und sogar über begrenzten Computerzugang. Aber selbst wenn die beiden Wachen vor der Tür nicht gewesen wären, selbst wenn kein Haftbefehl der Sternenflotte gegen Lairis Ilana vorliegen würde... Sie hätte sich dennoch wie eine Gefangene gefühlt. Lairis starrte apathisch aus dem Fenster. Dort draußen war es schwarz, ein paar Sterne funkelten und von Zeit zu Zeit zuckte ein Phaserblitz auf. Nichts davon interessierte sie wirklich. Lediglich zwei Fragen beschäftigten sie: „Hat Devereaux meine Nachricht erhalten?“ und „Hat Kilari Kayn überlebt?“ Was die erste Frage betraf: Devereaux war zwar sehr zuverlässig - aber das selbe konnte man von den Kommunikationssystemen der CASABLANCA leider nicht behaupten. Und was Kilari anging... Lairis betete für sie. Im Grunde sah sie nur aus dem Fenster, weil sie hoffte, daß irgendwann, wenn sie es am wenigsten erwartete, ihr vertrautes, altes Schiff vorbei fliegen würde... Ihr Schicksal lag nur in den Händen von Devereaux, Jerad und nicht zuletzt Captain Benteen. Das behagte ihr überhaupt nicht. Sie war es gewohnt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, statt untätig herumzusitzen und abzuwarten... In einem Anfalls spontaner Wut packte sie das Wasserglas und schleuderte es mit voller Wucht gegen die Wand. Es zersprang in Dutzende kleine Scherben. Der Krach hatte wohl die Wachen aufgeschreckt, denn einer der Männer steckte besorgt seinen Kopf zur Tür rein. „Stimmt was nicht, Captain?“ Lairis zwang sich, langsam ein und aus zu atmen. „Ähm ... Nein ... Aber Sie müssen wohl noch den Punkt ‘Zerstörung von Föderationseigentum’ auf meine Anklageliste setzen.“ Der Sicherheitsoffizier runzelte kurz die Stirn, zog sich jedoch ohne Kommentar zurück. Lairis wandte sich wieder dem Fenster zu. *** „Captain, die CASABLANCA ruft uns!“ Benteen zögerte einen Moment. „Auf den Schirm!“ befahl sie schließlich. „CASABLANCA an LAKOTA! Ich bin Captain Charles Devereaux. Im Auftrag des Sternenflottenkommandos befehle ich Ihnen, Ihre Mission sofort abzubrechen!“ Benteen zeigte sich betont unbeeindruckt. „Sie haben einen Auftrag vom Sternenflottenkommando, Captain? Sind Sie sicher, daß Sie nicht in Wirklichkeit zum Raumschifffriedhof fliegen?“ „Alles zu seiner Zeit, Captain Benteen“, entgegnete Devereaux cool. „Bevor ich die CASABLANCA verschrotten lasse, muß ich erst meine Mission erfüllen.“ „Wie soll ich sicher sein, daß Sie tatsächlich vom Sternenflottenkommando geschickt worden sind?“ fragte Benteen mißtrauisch. „Bitte verraten Sie mir einen Grund, weshalb ich Ihnen das abkaufen sollte!“ „Sind wir etwa schon so tief gesunken, daß wir einander nicht mehr trauen können?“ rief Devereaux. „Verdammt, das ist genau das, was das Dominion bezwecken will - merken Sie das nicht? Wir sind Sternenflottenoffiziere! Wir sollten auf der selben Seite stehen...“ 98
„Captain, die DEFIANT versucht, auf Warp zu gehen!“ meldete der Kommunikationsoffizier. Benteen murmelte einen Fluch. „Verdammt! Devereaux sollte uns ablenken - und weiter nichts! Ich hätte wissen sollen, daß diese Lairis noch ein As im Ärmel hat!“ Dann wandte sie sich an ihren Waffenoffizier: „Lieutenant - Quantentorpedos abfeuern!“ Der Mann hinter taktischen Konsole zögerte. Seine Hand, die sich zunächst wie automatisch in Richtung Waffenkontrolle bewegte, zuckte plötzlich zurück. „Das war ein Befehl!“ ertönte Benteens scharfe Stimme. „Ay, Sir!“ sagte der Lieutenant widerwillig. „Das lasse ich nicht zu!“ gellte Devereaux’ Stimme durch das Com-System. Die CASABLANCA vollzog eine halbe Rolle und schob sich hochkant zwischen die DEFIANT und die LAKOTA. Wie eine riesige Dart-Scheibe hing sie für Sekunden in der Flugbahn des Torpedos. Captain Benteens Augen weiteten sich vor Entsetzen. „Halt! Stop! Nicht schießen!“ schrie sie den Waffenoffizier an. „Zu spät“, entgegnete der Lieutenant ausdruckslos. Der Torpedo hatte sich bereits aus der Röhre gelöst. Ein greller, weißer Kugelblitz, der unaufhaltsam auf das Diskussegment der CASABLANCA zu raste... Die Schilde des alten Schiffes flimmerte kurz auf, aber sie waren zu schwach. Die leuchtende weiße Kugel kollidierte mit der Außenhülle. Wie ein Wassertropfen, der auf eine ebene Fläche geprallt war, schien der Torpedo plötzlich breit zu laufen... Ein grelles, weißes Feuer fraß binnen Sekunden das ganze Schiff. Die CASABLANCA wurde von der Wucht Dutzender, kleiner Explosionen auseinandergerissen. Brennende Trümmer knallten gegen die Schilde der LAKOTA und der DEFIANT... Benteen starrte mit leerem Blick auf den Monitor. Das hätte auf keinen Fall passieren dürfen... War die CASABLANCA voll bemannt gewesen oder hatte sie lediglich eine Rumpfcrew an Bord gehabt? Wie viele Personen hatten wohl gerade ihr Leben verloren? Fünf oder fünfhundert? Benteen entschied, daß Zahlen in diesem Fall keinen Unterschied machen durften. „Feuer einstellen! Wir brechen den Angriff auf die DEFIANT ab“, befahl sie ihrer Crew. Ihr Erster Offizier blickte sie fragend an. „Aber wenn doch Formwandler an Bord sind...“ „Und wenn nicht?“ konterte Benteen. „Ich bin jetzt für den Tod von Sternenflottenoffizieren verantwortlich - und ich möchte nicht riskieren, daß das noch einmal passiert!“ Die Crew schien sich mit ihrer Erklärung zufriedenzugeben. Nicht nur das... Einige der Brükkenoffiziere waren ganz offensichtlich erleichtert. „Rufen Sie die DEFIANT und versuchen Sie, die Subraumkommunikation wieder herzustellen!“ befahl Benteen. „Ich muß mit Admiral Layton sprechen.“ *** „Haben Sie sie?“ fragte Jerad ungeduldig und blickte dem Transporterchief, Fähnrich Natalie Wilkins, neugierig über die Schulter. Die junge Frau zögerte einen Moment mit ihrer Antwort. „Ja ... ich denke schon ... Oh nein... Verdammter Mist!“ „Probleme, Fähnrich?“ hakte der Trill alarmiert nach. „Ihre Muster destabilisieren sich!“ erwiderte die junge Frau. Ein schriller, panischer Unterton lag in ihrer Stimme. Jerad fühlte mit ihr. Fähnrich Wilkins hatte zweieinhalb Jahre lang mit Devereaux und den anderen Offizieren zusammen gedient. Der Commander war sich nur nicht sicher, ob Wilkins’ persönliche Betroffenheit in diesem Fall sie motivierte oder behinderte... „Transferieren Sie noch mehr Energie in die Musterpuffer!“ befahl er. „Das mache ich ja schon, aber...“ Ein flirrendes Summen ertönte von der Transporterplattform her. Sechs halb durchsichtige Gestalten zeichnete sich in einem Energieflimmern ab. Jerad und Wilkins strahlten. Doch dann wurden die Gestalten zunehmend durchsichtiger. Das Lächeln auf dem Gesicht des Fähnrichs erstarb. „Oh nein, ich verliere sie...“ „Alle verfügbare Energie auf die Transportermatrix umleiten!“ rief der Trill. 99
Fähnrich Wilkins gehorchte. Das Flirren wurde stärker, die Schemen gewannen immer deutlicher an Kontur - bis schließlich alle verirrten Moleküle und Atome zu ihrem angestammten Platz zurückgefunden hatten... Sechs Humanoide materialisierten sich auf der Plattform. Drei Frauen, drei Männer... Es waren Captain Devereaux und die Rumpfcrew der U.S.S. CASABLANCA. Jerad ging Devereaux entgegen und schüttelte ihm freudestrahlend die Hand. „Ein Glück - es hat funktioniert! Sie haben uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt, Captain!“ Devereaux grinste jungenhaft. „Ich weiß! Es war nicht Teil des Plans, daß wir Kamikaze spielen. Aber ich sah leider keinen anderen Weg, Benteen zur Vernunft zu bringen, Commander...“ „Jerad Silgon“, stellte der Trill sich vor. „Sagen Sie, soll das bedeuten, daß die Ärmste jetzt glaubt, sie hätte ein Sternenflottenschiff mit 500 Besatzungsmitgliedern zerstört?“ Devereaux nickte. „Was immer sie jetzt glaubt - sie hat aufgehört, zu feuern.“ Jerad grinste nun ebenfalls. „Das war ein verdammt waghalsiges Manöver! Sie haben sich wohl von Captain Inserras Logbüchern inspirieren lassen...“ „Faszinierende Lektüre!“ meinte Devereaux. „Schade, daß ich Corazón nie kennengelernt habe! Sie war sicher eine tolle Frau, obwohl...“ Er schmunzelte. „... sie offenbar nicht sehr pfleglich mit ihrem Schiff umgegangen ist. Ich schätze, sie wird die Hauptaktien daran haben, daß die CASABLANCA verschrottet werden sollte, während andere Schiffe der Excelsior-Klasse noch munter durch die Galaxis fliegen und mit Quantentorpedos rumballern.“ In diesem Augenblick meldete sich Jerads Kommunikator. „Commander, hier trifft eine Nachricht von der LAKOTA ein, die speziell für Sie bestimmt ist“, sagte Prescott. „Gut, ich komme!“ Der Trill runzelte die Stirn. Eine Nachricht speziell für ihn? Was konnte das wohl sein? Er begab sich eilig zur Brücke, gefolgt von Devereaux. Jerad hatte erwartet, mit Captain Benteen zu sprechen, doch auf dem Monitor erschien eine ktarianische Frau in einem blauen Arztkittel. Sie nannte schnell ihren Namen - eine bizarre Folge von Konsonanten, die der Trill sich nicht zu merken vermochte - und kam dann augenblicklich zur Sache. „Es ist ein Notfall, Commander, und Sie sind der einzige Trill weit und breit...“ begann sie. „Geht es um eine Symbionten-Verpflanzung?“ unterbrach Jerad sie scharf. Die Ärztin nickte bedrückt. „Es ist ein wahrer Glücksfall, daß Sie in der Nähe sind, Commander! Wie ich hörte, haben Sie sogar das Initiaten-Training für Trill Wirte absolviert.“ „Ja, habe ich“, erwiderte Jerad. „Wissen Sie, vor zehn Jahren und unter anderen Umständen wäre ich vor Freude an die Decke gesprungen, aber...“ „Ich verstehe Sie, Commander“, unterbrach ihn die Ärztin. „Aber ich fürchte, Sie haben keine andere Wahl.“ „Ich weiß“, erwiderte Jerad ruhig. Dann aktivierte er seinen Kommunikator. „Fähnrich Wilkins beamen Sie Kilari Kayn auf die Krankenstation der DEFENDER!“ *** Prescott, der nun das Kommando auf der Brücke hatte, nahm die nächste Nachricht von Captain Benteen entgegen. „Es ist vorbei“, sagte die Kommandantin der LAKOTA nur. Ihre Stimme war völlig ausdruckslos. „Soll das heißen, Layton wurde abgesägt?“ hakte Prescott nach. Er konnte sich nicht verkneifen, schadenfroh zu grinsen. Benteen nickte kurz. „Captain Sisko ist aus der Sicherheitszelle ausgebrochen und hat den Admiral mit vorgehaltenem Phaser zum Rücktritt gezwungen.“ In ihren vorhin so neutralen Tonfall mischte sich jetzt eine unverkennbare Prise Ärger. Prescotts Grinsen wurde noch eine Spur breiter. Er fand manchmal, daß Lairis etwas zu freimütig mit den Vorschriften der Sternenflotte umging - doch offenbar war sie in dieser Hinsicht noch lange nicht die Schlimmste... „Sie scheinen das ja alles mächtig amüsant zu finden!“ entfuhr es Benteen.
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„Entschuldigen Sie, Ma’am! Ich freue mich nur, daß wir das Paradies am Ende doch noch gerettet haben“, erwiderte Prescott. „Übrigens - wenn Sie nichts dagegen haben, hätten wir jetzt gern unseren Captain zurück!“ *** Captain Lairis stieg lächelnd von der Transporterplattform herab, als sie sah, daß Jerad auf sie wartete. „Wie du siehst, ist die DEFENDER wieder meine - und ich habe vor, sie sehr lange zu behalten!“ Ein weiches, fast feminines Lächeln huschte über das Gesicht des Trill. „Darüber bin ich sehr froh“, erwiderte er. Die beiden umarmten sich. „Ich hatte noch gar keine Gelegenheit, dir zu danken, Ilana...“ Lairis fuhr irritiert zurück. „Mir zu danken? Wofür?“ „Dafür, das du versucht hast, mein Leben zu retten.“ „Kilari...“ flüsterte die Bajoranerin tonlos. „Sie lebt in mir weiter“, tröstete der Trill sie. Lairis starrte ihren Ersten Offizier an, als wäre ihm plötzlich eine zweite Nase gewachsen. Es fiel ihr nicht leicht, zu verarbeiten, was sie gerade erfahren hatte: Kilaris war tot, Jerad eine völlig neue Person ... „Du meinst ... du bist...“ „Vereinigt“, beendete Jerad den Satz. „Dr. Tygins hat den Kayn-Symbionten in meinen Körper verpflanzt, als Prescott mit Benteen über deine Freilassung verhandelt hat.“ „Wie ist es eigentlich ... vereinigt zu sein?“ fragte Lairis. „Es ist...“ Jerad suchte nach Worten. „Ich weiß nicht... Eigentlich kann man es nicht beschreiben. Am Anfang ist es vor allem verwirrend.“ „Das kann ich mir gut vorstellen!“ „Vor allem muß ich mich daran gewöhnen, wieder ein Mann zu sein“, sagte Jerad. Lairis warf ihm einen verwunderten Blick zu. „Du bist jetzt schon seit 43 Jahren ein Mann!“ „Und vorher war ich über hundert Jahre lang eine Frau“, konterte der Trill. Lairis deutete ein Lächeln an. „Du mußt mir bei Gelegenheit mal alles über deine vorherigen Wirte erzählen“, sagte sie. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es ist, so viele Leben hinter sich zu haben! Das muß einfach ... überwältigend sein!“ Jerad nickte langsam. „Das ist es auch ... Ich erinnere mich plötzlich an Dinge, wie ich sie als Jerad Silgon nie hätte erleben können - wie zum Beispiel die Geburt meiner Tochter vor 52 Jahren... Ich erinnere mich an Ereignisse, die seit 200 Jahren Geschichte sind... Es treibt mich manchmal fast in den Wahnsinn, aber es ist ungeheuer faszinierend! Allerdings... wie ich in dieser Zelle erstickt bin, würde ich liebend gern vergessen!“ Lairis verzog wütend das Gesicht. „Ich werde diesen verblödeten Fähnrich wegen fahrlässiger Tötung verklagen - und Benteen gleich dazu!“ Jerad runzelte nachdenklich die Stirn. „Benteen wird sich sowieso vor Gericht verantworten müssen“, meinte er. „Soviel ich weiß, sitzt Admiral Layton bereits in Untersuchungshaft.“ „Apropos Benteen - wie habt ihr sie eigentlich dazu gebracht, diesen wahnwitzigen Angriff auf die DEFIANT abzubrechen?“ Jerad schmunzelte und berichtete von Captain Devereaux’ tollkühnem Manöver. „Nun ja, Devereaux ist schon immer ein Schlitzohr gewesen“, meinte Lairis. „Trotzdem hätte er wenigstens ein Wort darüber verlieren sollen, was er vorhat! Dann hätten wir ihn rechtzeitig rausbeamen können, ohne daß es in eine Zitterpartie ausartet...“ „Stimmt, es wäre beinahe schiefgegangen“, erwiderte Jerad. „Aber so ist das nun mal mit spontanen Einfällen.“ „Was denkst du - wie wird Benteen reagieren, wenn Sie erfährt, daß Devereaux und die anderen überlebt haben?“ Der Trill grinste. „Sie wird wütend sein - und zwar sehr wütend!“ „Das fürchte ich auch. Bis jetzt glaubt sie noch, sie wäre für den Tod von unschuldigen Sternenflottenoffizieren verantwortlich. Aber statt dessen hat sie nur ein altes Schiff zerstört, das 101
ohnehin auf dem Weg zur Schrottpresse war...“ Lairis stieß ein kurzes, abgehacktes Lachen aus. „Sie wird nicht nur wütend sein - Sie wird uns hassen!“ „Viel Feind - viel Ehr’!“ zitierte Jerad. Lairis seufzte. „Etwas weniger Ehre und dafür mehr Seelenfrieden täte mir eigentlich ganz gut!“ „Dann hättest du aber nicht Captain eines Kriegsschiffes werden sollen!“ entgegnete der Trill. „Ich hab’ mir diesen Job nicht ausgesucht - den hat Layton mir übergeholfen, schon vergessen?“ konterte Lairis. „Dir wurde dein Kommando übergeholfen und mir mein Symbiont...“ „Ich wurde Captain der DEFENDER, weil mich ein verbrecherischer Admiral für seinen Club der Verschwörer bekehren wollte und du wurdest ein vereinigter Trill, weil die arme Kilari infolge dieses ganzen Wahnsinns sterben mußte...“ sinnierte Lairis weiter. „Sieht so aus, als gehörten wir beide nicht zu den Leuten, die aufgrund ihrer Fähigkeiten weiterkommen.“ „Aber zumindest haben wir die Chance, unsere Fähigkeiten zu beweisen“, entgegnete Jerad. „Und so wie ich das sehe, haben wir sie schon mehr als einmal unter Beweis gestellt. Also...“ Er grinste. „Es lebe das Vitamin B!“ „Und der Zufall!“ ergänzte Lairis. „Man sollte sich zwar auf keines von beiden verlassen - aber manchmal geht es halt nicht ohne!“ meinte der Trill. Die Bajoranerin lächelte. „Wer bin ich, um mich mit einem 200 Jahre alten Wurm zu streiten?“ „Mein Captain“, erwiderte Jerad mit todernster Miene.
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11. Kapitel Der Prozeß gegen Admiral Layton, Captain Benteen und die anderen Verschwörer stand noch bevor, aber das Leben auf der Erde normalisierte sich. Der Ausnahmezustand war aufgehoben worden und die Menschen schienen wieder zur Tagesordnung überzugehen. Doch der Schein täuschte, denn die letzten Tage waren an niemandem spurlos vorüber gegangen... Captain Lairis und ihre Freunde saßen in der „Blue Planet Taverne“, zusammengedrängt an einem kleinen, runden Tisch. Die Videowände zeigten gletscherbedeckte Berge, einen zugefrorenen See und meterhohe Tannen mit Schneehäubchen auf den Zweigen. Ein wahrhaft skurriles Szenario, wenn man bedachte, daß die Temperatur im Raum mindestens 23 °C betrug. „Sagen Sie, stimmt es, daß Jaresh Indio zurücktreten will?“ fragte Lieutenant van Emden. „Soviel ich weiß, will er noch die paar Monate bis zur nächsten Wahl durchhalten und danach in Pension gehen“, erwiderte Dr. Tygins. „Captain Sisko hat mir erzählt, Indio hätte schon lange keine Lust mehr. Nach der Affäre mit Layton wird er wohl endgültig die Nase voll haben“, meinte Lairis. „Was denkst du, wer der nächste Präsident wird?“ wollte Julianna wissen. Lairis zuckte nur mit den Schultern. „Willy Jhawiiiin hat sich als Kandidat aufstellen lassen“, meldete sich T’Liza. Prescott grinste. „Ein Buckelwal als Föderationspräsident? Das wär’ doch mal was neues!“ „Ich würde ihn wählen!“ sagte Jerad. „Ich auch“, pflichtet Lairis ihm bei. „Jhawiiin ist ein Mann des Friedens“, bemerkte Tygins nachdenklich. „Aber er wird trotzdem verhindern, daß das Dominion uns überrennt. Seine Spezies wurde schon einmal fast vernichtet, wegen einer aggressiven Rasse, die sich für was besseres gehalten hat...“ Van Emden und Prescott senkten verschämt die Blicke. Wie fast alle Menschen wurden sie sehr ungern daran erinnert, daß ihre Vorfahren einen Völkermord begangen hatten. Weil die Zivilisation der Wale nicht auf Technologie aufgebaut war, hatte die Menschen nichts weiter als Tiere in ihnen gesehen, die man getrost zu Filets verarbeiten konnte. „Wie geht ‘s eigentlich Misty?“ fragte Prescott, als wollte er von dem unangenehmen Thema ablenken. „Sie lebt sich ganz gut ein.“ Der blonde Ingenieur grinste. „Ehrlich gesagt, hat sie sogar schon an meiner Tapete gekratzt!“ „Sie markiert ihr Revier“, bemerkte der Doktor todernst, während die anderen lachten. „Mir ist es übrigens gelungen, den Code für Edwardsons Sicherheitsbox zu knacken“, berichtete Jerad. „Ach tatsächlich?“ wunderte sich van Emden. „Karthal und ich haben uns geschlagene drei Stunden mit dem Ding ‘rumgeplagt! Schließlich mußten wir aufgeben.“ „Vijana, mein vorletzter Wirt, war eine ziemlich gute Computerspezialistin“, erklärte Jerad. „Und? Was war nun in der Box?“ fragte Lairis neugierig. „Definitiv keine Konstruktionspläne für unsere Tarnvorrichtung! Obwohl die Wechselbälger etwas in der Art angenommen haben müssen - sonst wären sie nicht wie besessen hinter dem Ding her gewesen...“ Prescott verdrehte die Augen. „Bitte spannen Sie uns nicht auf die Folter, Commander Silgon!“ „Commander Kayn“, verbesserte Jerad. „Ach ja, richtig ... Also, was war da drin?“ „Zwei Datenpads. Auf dem einen waren Edwardsons Konferenzunterlagen gespeichert, das andere enthält Beweise, die Layton endgültig das Genick brechen...“ „Zum Beispiel?“ 103
„Seinen Plan, die Energieversorgung zu sabotieren, konkrete Anweisungen für den Notstands-erlaß, die Namen der Offiziere, die direkt an seiner Machtergreifung beteiligt waren...“ „Das bedeutet, daß Captain Edwardson ein Verbündeter Laytons war?“ hakte Lairis nach. „Mehr als das. Er war Laytons rechte Hand - und zwar in viel stärkerem Maße, als es Benteen je gewesen ist!“ „Ich hoffe, dieses ganze Pack wird sehr lange im Gefängnis schmoren!“ rief Tygins. „Ich weiß nicht, ob ‘Pack’ das richtige Wort ist, Doktor“, entgegnete Prescott. „Ich bin immer noch überzeugt, daß Layton irregeleitet war und seine Offiziere nur Befehle befolgt haben.“ „Du bist ein unverbesserlicher Optimist, Jeremy!“ meinte van Emden. „Man sollte die Macht von Befehlen nicht unterschätzen“, konterte der Sicherheitschef. „Also, ich mußte zwar schon eine Menge Befehle befolgen, die nicht allzu viel Sinn gemacht haben - aber noch nie einen, wo ich das Gefühl hatte, daß es von Grund auf falsch ist!“ mischte sich Jerad ein. „Und ich weiß, wovon ich rede! Ich hatte sechs Leben - und vier davon als Sternenflottenoffizier!“ Lairis nickte. „Ich kann Sie gut verstehen, Commander Prescott ... Ich würde das Ganze auch liebend gern als Ausrutscher abbuchen, aber ich fürchte, so einfach ist es nicht.“ „Der Captain hat recht“, schaltete sich Dr. Tygins ein. „Die Menschen besitzen seit mehreren tausend Jahren eine hochentwickelte Ethik - obwohl sie in der Vergangenheit manchmal schlimmere Dinge getan haben als die Cardassianer. Aber ihre Ethik wurde immer wieder durch Hungersnöte oder Kriege erschüttert...“ „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, murmelte Julianna. Damit brachte sie das Problem ebenso schnodderig wie präzise auf den Punkt - in einer Weise, wie es eigentlich nur ein Teenager vermochte. „Ein Zitat von einem klassischen Dichter der Erde“, versicherte Lairis schnell, bevor sich irgend jemand über den Wortschatz ihrer Tochter mokieren konnte. „Ich denke, die meisten Greueltaten wurden aus religiösem oder politischem Fanatismus begangen - nicht aus Verzweiflung“, widersprach Prescott. „Und ich denke, die Menschen haben sich dem Fanatismus zugewandt, weil sie verzweifelt waren“, konterte Lairis. „Das war bei meinem Volk nicht anders: Die cardassianische Besatzung hat aus friedlichen Bauern Terroristen und religiöse Fanatiker gemacht. Viele Bajoraner waren aus Haß auf die Cardis zu Dingen fähig, die sie sich früher nicht einmal in ihren düstersten Phantasien ausmalen konnten...“ „Sie meinen, ein kleiner Layton steckt in uns allen?“ hakte van Emden nach. „Möglicherweise“, antwortete Lairis. „Ich denke, bei Layton ist verschiedenes zusammengekommen: Machtgelüste einerseits, die Angst vor dem Dominion andererseits und vielleicht sogar der ehrliche Wunsch, die Föderation zu beschützen...“ „Mit anderen Worten: Die Werte der Föderation sind nichts weiter als eine dünne, spröde Lackschicht“, versuchte Jerad zu interpretieren. „’Dünn’ oder ‘spröde’ möchte ich sie nicht nennen - aber es ist definitiv eine Lackschicht.“ „Und du meinst, die Bedrohung durch das Dominion hätte diese Lackschicht jetzt ... aufplatzen lassen?“ fragte Julianna unsicher. Lairis wandte sich ihrer Tochter zu. „Aufgeplatzt ist sie sicher nicht, Schatz - aber ein paar Kratzer hat sie schon abbekommen!“ Sie bemühte sich um ein zuversichtliches Lächeln. „Wie du weißt, hat die Menschheit praktisch alles überwunden, was ihre Zivilisation von innen heraus zerstören könnte: Hunger, Diktaturen oder Bürgerkriege gibt es seit 300 Jahren nicht mehr ... Was bleibt, ist die Bedrohung durch äußere Feinde.“ „Das Dominion ist wohl größte Bedrohung, die die Föderation je erlebt hat - abgesehen von den Borg“, meinte Prescott. „Das bedeutet, wir müssen vielleicht Krieg führen, um unsere Werte zu retten“, sagte Tygins und seine Miene verdüsterte sich. „Das gefällt mir gar nicht!“ „Wem gefällt das schon“, entgegnete Jerad mürrisch. „Die Föderation ist auf Humanismus und Toleranz aufgebaut - und genau das geht im Krieg den Bach runter!“ 104
T’Liza hatte sich zu diesem Thema noch gar nicht geäußert. Sie rührte gedankenverloren in ihrem alkoholfreien Fruchtcocktail und starrte ausdruckslos vor sich hin. „Bedrückt Sie irgendwas, Counselor?“ fragte Lairis. Die Vulkanierin zögerte mit ihrer Antwort. Es widerstrebte ihr, vor den anderen Crewmitgliedern - und besonders vor Julianna - auszusprechen, was ihr die ganze Zeit in Kopf herumging... „Bitte, T’Liza... wenn es eine reine Privatangelegenheit ist, dann behalten Sie es meinetwegen für sich. Aber mein Gefühl sagt mir, daß es uns alle angeht!“ „Ilana hat recht. Sie erniedrigen uns, wenn Sie uns Informationen vorenthalten“, sagte Jerad. T’Liza blickte überrascht auf. „Sie kennen die Lehren Suraks?“ „Mein zweiter Wirt, Parim, war 23 Jahre lang Botschafter auf Vulkan“, erklärte der Trill. „Wer war eigentlich Ihr erster Wirt?“ fragte van Emden. „Toras. Er war Richter am Obersten Gerichtshof von Trill.“ „Und alle anderen waren Sternenflottenoffiziere?“ Lairis schmunzelte. „Scheint so, als hätte dein Symbiont einen Faible für Staatsdiener!“ T’Liza schwieg noch immer. Sie hoffte, das Gespräch würde nun ein Wendung nehmen und sich um Jerads frühere Wirte drehen. Doch alle wandte sich mit erwartungsvollem Minen der Vulkanierin zu. „Der Krieg gegen das Dominion wird sich nicht vermeiden lassen“, begann sie. „Das fürchte ich auch“, erwiderte Lairis. Die anderen schwiegen betreten. „Ich fürchte es nicht nur - ich weiß es“, fuhr die Vulkanierin fort. Lairis bekam große Augen. „Woher?“ „Vor über achtzig Jahren hatte einer unserer Clanältesten einen Wahrtraum. Er sah darin einen bläulich leuchtenden Quell der Entropie, aus dem gestaltlose Wesen und Krieger ohne Clan hervorquellen. Es hieß: ‘Der ganze Quadrant wird verwüstet, Vulkan wird brennen und der Wind wird die Gebeine seiner Bewohner mit Asche bedecken. Viele Vulkanier werden ergeben auf den Tod warten und die Lematyas werden sie zerfleischen. Andere werden die Waffen der Vorzeit gegen die Eroberer richten und viele töten. Am Ende wird Vulkan frei sein, aber seine Kultur wird von Grund auf zerstört. Plünderer und Mörder werden durch die Ruinen ziehen und die Lehren Suraks wird man nicht mehr achten. Überlebende werden sich selbst töten aus Ekel am Leben. Frauen werden sich weigern, Kinder zu gebären. Männer werden ihre Bindung nicht mehr achten. Ein Mann namens Andal wird unseren Planeten vor der Barbarei retten und eine neue Lehre begründen. Aus dem Leid wird neues Licht erwachsen’9.“ T’Liza beendete ihren Monolog. Im ganzen Raum schien plötzlich eine Friedhofsstille zu herrschen, obwohl von den Nebentischen munteres Geplapper und Gelächter herüber klang. Jetzt saßen sie inmitten einer englischen Parklandschaft an einem strahlenden Sommertag. Als wollte sie sich über die düstere Prophezeiung lustig machen, schien die Sonne von einem wolkenlosen, blauen Himmel herab. T’Liza ließ den Blick über die Gesichter ihrer Freunde schweifen. In den Augen von Lairis und deren Tochter lag kaum verhüllte Panik. Prescott und van Emden schauten gleichzeitig ängstlich, beeindruckt und ungläubig. Dr. Tygins’ Miene wirkte schwermütig, die von Jerad fast so undurchdringlich wie die eines Vulkaniers. „Bei allem Respekt, Counselor - aber ich bin nicht sicher, was ich davon halten soll“, begann Prescott. „Prophezeiungen, wahre Träume, vulkanische Hellseher...“ Er schüttelte den Kopf. „Also, ob wir das Sternenflottenkommando damit hinterm Ofen vor gelockt kriegen...“ Lairis brachte ihn mit einer einzigen Handbewegung zum Schweigen. „Prophezeiungen sollte man ernst nehmen!“ meinte sie. „Sie denken also, diese... Prophezeiung bezieht sich auf das Dominion?“ vergewisserte sich van Emden. „Gestaltlose Wesen und Krieger ohne Clan...“ wiederholte Lairis mit düsterer Miene. „Wechselbälger und Jem’Hadar“, interpretierte Jerad. 9
Aus: Anneliese Wipperling: „Der weite Weg zur Erde“.
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„Vorta haben auch keine Familien. Sie werden geklont“, ergänzte die Bajoranerin. „Also, ich weiß nicht...“ meinte Prescott. „Das Ganze ist ein Traum, den ein alter Vulkanier vor achtzig Jahren geträumt hat... Okay, nehmen wir mal an, dieser Mann hatte tatsächlich Visionen von der Zukunft... Die Zukunft ist schließlich etwas, das sich ständig im Fluß befindet. Es ist nicht gesagt, daß die Prophezeiung in dieser Form wahr werden muß...“ „Außerdem klingt sie für mich ganz schön vage und verschwommen“, sagte van Emden. „Im Gegensatz zu den alten bajoranischen Texten ist dieser Traum so klar wie ein Missionsbericht der Sternenflotte!“ konterte Lairis. „Sieht so aus, als müßtest du die Religion wechseln, Ilana“, versuchte Jerad die bedrückende Atmosphäre durch einen Scherz aufzulockern. Doch niemand lachte. „T’Liza, hat Ihr Clanältester vielleicht auch angedeutet, wann... sich dieser ‘Quell der Entropie’ öffnen soll?“ fragte Tygins. „Er sagte damals nur, daß die älteste Mutter unseres Clans nicht mehr am Leben sein würde, genauso wenig wie meine alten menschlichen Freude. Meine Mutter und mein Stiefvater würden allerdings noch leben. Ich und meine Geschwister würden längst erwachsen sein...“ „Hm... Vulkanier leben mehr als doppelt so lange wie Menschen“, grübelte Tygins. „Zeitlich könnte es also hinkommen.“ „Heißt das, Sie glauben auch an diese Prophezeihung?“ fragte Prescott. „Ich möchte sie zumindest nicht ganz von der Hand weisen“, erwiderte der Doktor. „Beim Medizinstudium lernte ich, daß einige wenige Vulkanier in der Lage sind, in ihren Träumen die Zukunft vorauszusehen. Ein faszinierendes medizinisches Rätsel, für das man bis heute noch keine fundierte wissenschaftliche Erklärung gefunden hat...“ „T’Liza, in Ihrer Personaldatei steht, daß ihr Stiefvater vom Volk der Turuska abstammt...“ hakte Jerad nach. „Ihr Stiefvater ist gar kein Vulkanier?“ wunderte sich van Emden. „Doch“, entgegnete T’Liza knapp. „Die Turuska sind ein vulkanischer Volksstamm, der schon in der Wüste gelebt hat, bevor die Sonneneruption vor tausenden von Jahren einen Großteil meiner Heimatwelt verbrannt hat.10“ „Parim hatte während seiner Zeit als Botschafter mit einigen Turuska zu tun. Daher weiß ich, daß dieses Volk über ungewöhnliche mentale Fähigkeiten verfügt“, ergänzte Jerad. „Kurz: Ich halte es auch nicht für ausgeschlossen, daß ein Mitglied des Hauses Boras den DominionKrieg in einem Traum vorhergesehen hat.“ „Das würde aber bedeuten, daß Vulkan vom Dominion erobert wird...“ Julianna blickte alarmiert auf. „Und wenn die Jem’Hadar bis Vulkan verstoßen, dann vielleicht auch bis zur Erde...“ „Das liegt im Bereich des Möglichen.“ erwiderte T’Liza. „Aber wenn es Sie tröstet: In der Prophezeihung heißt es auch, daß die Eroberer schließlich von Vulkan vertrieben werden.“ „Und was ist mit dem Rest der Föderation?“ fragte Tygins. „Die Logik gebietet nur eine Schlußfolgerung: Vulkan könnte niemals allein als freie Welt im Territorium des Dominion überleben. Wenn also Vulkan am Ende frei sein wird, dann wird auch der Rest der Föderation frei sein.“ „Heißt das, daß die Föderation am Ende gewinnt?“ hakte Prescott nach. Er schien diesem „Traum eines alten Vulkaniers“ gegenüber gleich etwas aufgeschlossener zu sein. „Ich bin mir nicht sicher, ob man diesen Krieg überhaupt ‘gewinnen’ kann, Lieutenant Commander“, erwiderte T’Liza. „Aber wir werden überleben!“ sagte Lairis mit fester Stimme. „Fragt sich nur, unter welchen Bedingungen...“ murmelte der Doktor. „Zumindest werden wir nicht für den Rest aller Zeiten vom Dominion platt gemacht“, entgegnete Julianna. „Das ist doch schon mal positiv, oder?“ „Die Kleine hat recht! Wir sollten nicht gleich den Teufel an die Wand malen“, meinte Marc.
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Siehe: Anneliese Wipperling: „Der weite Weg zur Erde“.
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Bevor Julianna dagegen protestieren konnte, daß man sie „Kleine“ nannte, fragte Jerad. „Wer ist eigentlich dran mit Getränke ausgeben?“ „Ich“, antwortete Prescott. „Wer will alles einen ktarianischen Sherry?“ Fünf Hände gingen hoch. „Gut. Also fünf mal ktarianischen Sherry, einen Cidre für Julianna und einen alkoholfreien Fruchtcocktail für unsere vulkanische Prophetin.“ „Überbringerin der schlechten Nachricht eines Propheten“, korrigierte T’Liza. Sie bedauerte in diesem Moment, daß Vulkanier keinen Alkohol vertrugen. Zu gern hätte sie jetzt - ganz unlogisch - ihr Hirn ein wenig umnebelt. Seit über achtzig Jahren lebte sie nun mit der Last ihres Wissens. Sie hatte zunächst nicht vorgehabt, diese Last mit anderen zu teilen. Doch nun hatte sie es getan - nicht weil sie der Neugier von Lairis und Jerad erlegen war, sondern weil sie wußte, daß der Krieg nicht mehr in weiter Ferne lag, sondern unmittelbar bevorstand. Aus der Crew der DEFENDER war nun eine Schicksalsgemeinschaft geworden, die - angetrieben von düsteren Zukunftsvisionen - alles versuchen mußte, um das Dominion aufzuhalten. Eine ungeheure Verantwortung... „Ich finde, wir sollten das Thema wechseln“, schlug van Emden vor. „Was glauben Sie, was Glin Karthal wohl gerade macht?“ *** Sie war zu Hause. Die Silhouette der Stadt, ein einziges Ineinanderfließen von Braun- und Grautönen, hob sich kaum vom Hintergrund des wolkenverhangenen grauen Himmels ab. Belora Karthal steuerte mit ihrem gemieteten Gleiter auf einen öffentlichen Shuttleparkplatz zu. Beinahe zögernd öffnete sie die Luke und stieg aus. Lanara Tormak auf der „Beifahrerseite“ tat es ihr gleich. Das erste, worauf Karthals Blick fiel, war ein riesiger, ovaler Bildschirm an einer sandfarbenen Hauswand. Solche öffentlichen Bildschirme gab es überall auf Cardassia. Zur Zeit der Militärdiktatur hatte man sie benutzt, um Propagandasendungen zu übertragen - und im Augenblick sah es so aus, als hätte sich an dieser Tatsache nichts geändert. Gul Dukat hielt gerade eine seiner flammenden, eloquenten Reden und forderte das Volk von Cardassia zum rigorosen Kampf gegen die Klingonen auf. Karthal runzelte die Stirn. „Irgendwie fand ich diese Dinger...“ Sie deutete auf den Bildschirm. „... schon immer recht lästig. Ich war wohl der naiven Annahme verfallen, die Zivilregierung hätte sie abschalten lassen.“ „Du hast dich doch früher nie über diese Bildschirme beschwert“, wunderte sich Lanara. Karthal warf ihrer Cousine einen spöttischen Blick zu. „Du weißt genau, was früher mit Leuten passiert ist, die sich über irgendwas beschwert haben!“ „Ja, natürlich“, versicherte Lanara schnell. Möglicherweise hast du es gewußt, aber du hast es sehr erfolgreich verdrängt, dachte Karthal. Im Grunde beneidete sie ihre Cousine. Wenn man sich, wie sie, lediglich mit Protosternen und Raumanomalien beschäftigte, war es selbst auf Cardassia nicht schwer, Konflikte mit dem Zentralkommando oder der herrschenden Auffassung von Politik zu vermeiden. Karthal hätte ebenfalls die Chance gehabt, in diesem Elfenbeinturm der Wissenschaft zu leben um irgendwann ein genauso naives, politisch unbedarftes Geschöpf zu werden wie Lanara. Doch sie hatte sich diesen bequemen Weg selbst verbaut, indem sie zum Militär gegangen war. Irgend etwas auf die leichte Art zu bewältigen, war ihr schon immer schwer gefallen. Genau wie jetzt... Jeder andere an ihrer Stelle hätte sich gefreut, endlich nach Hause zu kommen. Jeder andere hätte Wärme und Zufriedenheit empfunden, wenn ihm alles so vertraut erschienen wäre... Karthal jedoch hatte nicht damit gerechnet, ihre alte Heimat wiederzuerkennen. Aber weder die neue Zivilregierung, noch die Allianz mit der Föderation oder der Krieg gegen die Klingonen schienen sonderlich tiefe Spuren im Antlitz Cardassias hinterlassen zu haben. „Und du möchtest tatsächlich auf die DEFENDER zurückkehren?“ fragte Lanara. „Nicht unbedingt - aber ich halte mir diese Möglichkeit offen“, erwiderte Karthal. „Weißt du, diese Lairis mag zwar eine impulsive, unberechenbare Kratzbürste sein - die typische Bajora-
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nerin halt - aber dennoch hat sie weitaus mehr Führungsqualitäten als viele dieser aufgeblasenen Guls, unter denen ich früher gedient habe.“ „Also ziehst du genauso in Betracht, hier zu bleiben?“ Karthal nickte nur. Als Captain Lairis sich geweigert hatte, das Klingonenschiff zu zerstören, war sie für einen Moment der glasklaren Überzeugung gewesen, daß ihre eigenen Ansichten mit denen der Sternenflotte schlicht inkompatibel waren. In diesem Moment der Klarheit hatte sie es kaum erwarten können, nach Cardassia zurückzukehren. Doch das Glücksgefühl, das sich einstellen sollte, wenn sie durch die vertrauten Straßen ihrer Heimatkolonie auf Korva II ging, blieb nun aus... Vielleicht hatte T’Liza die Situation richtig erkannt, und Karthal war noch nie sehr tief im cardassianischen Boden verwurzelt gewesen. Um das herauszufinden, war sie hier. Vielleicht würde es ihr helfen, Jorel und Turo wiederzusehen... T’Liza hatte vor allem in einem Punkt recht: Sie mußte irgendwo Halt finden, sie mußte diesem Zustand, zwischen den Welten zu treiben, endlich ein Ende setzen. Es war an der Zeit, eine klare Entscheidung treffen: entweder für Cardassia oder für die Föderation. Entscheidungen sollte man jedoch nicht fällen, ohne vorher genügend Informationen zu sammeln. Ansonsten wäre es für Karthal unmöglich, die Frage zu beantworten, ob Cardassia sie noch akzeptierte. Oder ob sie Cardassia noch akzeptieren konnte... „Du hast immer noch Angst, daß du zu Hause nicht willkommen sein könntest“, bemerkte Lanara nachdenklich und bewies damit, daß sie ihre Cousine durchschaut hatte. „Sagen wir mal, das cardassianische Militär ist nicht sehr nachsichtig, wenn es um Fehltritte geht“, erwiderte Karthal. „Da kann man eine steile Karriere hinter sich gebracht haben und mit 28 zum Glin Dritten Grades befördert werden - aber sobald man in einem unpassenden Moment eine unpassende Meinung äußert oder ein paar mal zu oft Eigeninitiative zeigt, landet man auf einem ‘Schiff der Verdammten’ wie der KAL RANOR und mit der steilen Karriere ist es vorbei. Was denkst du - Wieviel Toleranz wird man dann wohl einem cardassianischen Offizier entgegenbringen, der sich mehr oder weniger freiwillig der Sternenflotte angeschlossen hat?“ „Aber wir haben jetzt Demokratie“, entgegnete Lanara. „Der Detapa-Rat ist auf jeden Fall liberaler als das Zentralkommando...“ „Ich bezweifle, daß der Detapa-Rat sonderlich großen Einfluß auf das Militär hat“, unterbrach Karthal ihre Cousine. „Tja, das kann ich nicht beurteilen“, gab Lanara unsicher zurück. Inzwischen standen sie vor den schweren Toren der Militärbasis. Lanara verabschiedete sich und beamte zum nächsten Raumhafen. Als der Pförtner Karthals Identifikationschip einlas, warf er ihr einen schmalen mißtrauischen Blick zu. Doch wenigstens verkniff er sich jeglichen Kommentar. Karthal unterdrückte ein Stöhnen. Ganz offensichtlich war ihr Ruf ihr vorausgeeilt - bis hin zum geringsten Unteroffizier, der Wachdienst im Pförtnerhaus schob... Männer - und vereinzelt auch Frauen - in cardassianischen Standard-Militäruniformen liefen an ihr vorbei. Es war niemand darunter, den sie kannte - und darüber war sie ziemlich froh. Als sie durch das Gartentor zu ihrem kleinen Haus trat, kam ihr die Geistesverschmelzung mit T’Liza wieder in den Sinn. Wurzeln... Wortwörtlich gesehen konnte in Karthals Vorgarten nichts Wurzeln schlagen. Sie hatte den Boden schon vor Jahren mit verschiedenfarbigen, dreieckigen Steinplatten versiegeln lassen. Darauf standen nun ein Tisch, vier Stühle und mehrere abstrakte Skulpturen. Pflanzen wuchsen hier nicht. Karthal öffnete die Tür, und im nächsten Moment kam Turo ihr entgegen gerannt. Er schlang die Arme um ihre Taille und lachte glücklich. Karthal schien es jedoch, als ob sein Lachen reichlich gezwungen klang. Hoffentlich war Jorels Zustand nicht so schlimm, daß ihm nicht mehr geholfen werden konnte! Sie blickte besorgt zu ihrem Sohn herunter. „Also, wie geht es Papa?“ Turo nahm seine Mutter bei der Hand und zog sie mit sich ins Schlafzimmer. Jorel lag vollständig angekleidet im Bett. Eine halbvolle Flasche Kanar war ihm aus der Hand gerutscht, und ihr klebriger, rötlich-brauner Inhalt ergoß sich nun über den Teppich, der - wenn 108
Belora sich richtig erinnerte - vor Äonen einmal pastell-lila gewesen war. Jorel schien nicht wahrzunehmen, daß seine Frau und sein Sohn gerade den Raum betreten hatte. Karthal trat mit einem Tricorder an ihn heran und überprüfte seine Lebenszeichen. „Kein Grund zur Panik, mein Schatz“, sagte sie anschließend zu Turo. „Er ist nur wieder einmal sternhagelvoll.“ „Ich weiß“, erwiderte der Junge leicht zerknirscht. „Ich... es tut mir leid, daß ich dich so erschreckt habe. Ich wollte doch nur, daß du wieder nach Hause kommst.“ Karthal verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte Turo wütend an. „Ich wäre auch nach Hause gekommen, ohne daß du mich dermaßen für dumm verkaufst!“ „Es... es tut mit so leid“, stammelte er. „Ich dachte wirklich, Papa wäre krank!“ Karthal entspannte sich ein wenig. „Schon gut, mein Kleiner.“ Doch dann kniff sie mißtrauisch die Augen zusammen. „Was machst du überhaupt hier? Solltest du nicht im Internat sein?“ „Sie haben die Ferienzeiten geändert“, antwortete Turo schnell. Zu schnell, wie es Belora erschien... Plötzlich schloß sich die Tür mit einem leisen Zischen. Karthal fuhr herum. War der Mechanismus defekt? „Du hast Cardassia verraten!“ rief der Junge und seine Augen verengten sich. „Sie haben Gehirnwäsche mit dir gemacht, damit du für die Sternenflotte arbeitest, und dich gezwungen, unter einer Bajoranerin zu dienen!“ „Das ist doch völliger Schwachsinn!“ entgegnete sie empört und bemühte sich dabei krampfhaft um eine feste Stimme, einen Tonfall, der über jeden Zweifel erhaben war. „Das Austauschprogramm war eine Idee unserer eigenen Regierung - und ich habe nicht das Geringste getan, um Cardassia zu schaden!“ „Du lügst!“ rief Turo und sein kleines Gesicht verzog sich zu einer häßlichen Fratze. „Du hast mit dem Feind zusammengearbeitet! Nur deshalb bist du noch am Leben!“ „Turo, bitte... das ist nicht wahr!“ beteuerte Karthal. „Und ob es wahr ist! Die Männer, die mir das erzählt haben, wissen alles!“ „Niemand weiß alles!“ konterte Karthal. „Be...lo...ra?“ lallte Jorel, der just in diesem Moment aufgewacht war. „Bist ... du ... das?“ Karthal achtete nicht auf ihren Mann. Sie hatte nur Augen für Turo, der unvermittelt auf eine Stelle an seinem Unterarm drückte. „Sie werden gleich hier sein“, verkündete er. „Wer wird gleich hier sein?“ fragte Karthal. Sie ahnte schlimmes. Wie zur Bestätigung materialisierten sich plötzlich zwei uniformierte Männer in ihrem Schlafzimmer. „Keine Angst, sie werden dir helfen! Du wirst vergessen, was die von der Sternenflotte dir angetan haben! Du wirst wieder eine von uns sein!“ rief Turo. In seinen hellen, leuchtenden Augen spiegelte sich der blanke Fanatismus. Einer der Männer zerrte Jorel aus dem Bett, der andere verdrehte Belora die Arme auf dem Rücken, so daß es ihr schier unmöglich war, sich aus seiner Umklammerung zu befreien. „Hey!“ protestierte Turo. „Wieso nehmen Sie meinen Vater mit? Er hat doch gar nichts getan!“ „Vielleicht wollen sie ihm ja auch nur helfen“, entgegnete Karthal frostig. „Vielleicht schicken sie ihn sogar zu einer kostenlosen Entziehungskur...“ Die beiden Männer ignorierten sowohl sie als auch den kleinen Jungen. Einer von ihnen drückte ein paar Knöpfe an einem Gerät, das Karthal als Ort-zu-Ort-Transporter identifizierte. „Es wird alles wieder gut, Mutti! Sie werden euch nichts tun!“ rief Turo. „Es wird alles gut!“ Doch Karthal sah, wie die fanatische Zuversicht langsam aus den Augen des Jungen wich und einer Spur von Mißtrauen und Angst Platz machte. Dann zerfaserte der Raum um sie.
To be continued...
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Und es geht weiter ... Star Trek – Defender, Band 2: „Schonungslose Wahrheit“ Wegen einer kritischen Meinungsäußerung landet Glin Belora Karthal auf der KAL RANOR, einem Schiff, das als inoffizielle Strafkolonie für unbequeme Militärangehörige gilt. Dort erlebt sie die Schattenseiten des Systems, dem sie bisher treu gedient hat. Der sexuellen Obsession ihres Vorgesetzten ausgeliefert, beginnt für Karthal eine schlimme Zeit der Erniedrigung und Folter. Die einstige Karriere-offizierin schlägt sich endgültig auf die Seite der Unterdrückten und Entrechteten ihres Volkes. Mit ihrer Entscheidung, als Austauschoffizier bei Sternenflotte unter einem bajoranschen Captain zu dienen, sorgt die Cardassianerin für beträchtlichen Wirbel. Als sie ihrem eigenen Sohn auf den Leim geht und nach Cardassia reist, werden sie und ihr Mann vom „Wahren Weg“ entführt. Ein alter Bekannter von der KAL RANOR konfrontiert sie brutal mit ihrer Vergangenheit. Doch dann geschehen äußerst merkwürdige Dinge – und Karthal bekommt eine Chance zu überleben...
(„Schonungslose Wahrheit“ von Adriana Wipperling,182 S. ab 18 Jahre!)
Star Trek – Defender, Band 3: „Mit der Seele eines Trill“ Commander Jerad Kayn, dessen vorheriger Trill-Wirt Kilari Mitglied der Kadetten-Elitetruppe „Red Squad“ war, muss bei einem Prozess gegen die Mitverschwörer Admiral Laytons aussagen. Jerad fliegt zur Erde – ohne zu ahnen, in welche Gefahr er sich begibt ... Zwei Tage später taucht er wieder auf, krank und völlig desorientiert. Offenbar hat er ein schreckliches Erlebnis hinter sich, an das er sich beim besten Willen nicht erinnern kann. Doch es kommt noch schlimmer: Der Trill beginnt unter einer Art multiplen Persönlichkeitsstörung zu leiden, wobei er abwechselnd die Identitäten früherer Wirte seines Symbionten annimmt. Counselor T’Liza weiß keinen Rat und bittet den vulkanischen Gedankentechniker Aron um Hilfe. Plötzlich wird die DEFENDER von Klingonen angegriffen und die Lage spitzt sich dramatisch zu. Captain Lairis erkennt, dass der Layton-Prozess, die Klingonen-Krise und Jerads Krankheit in einem perfiden Zusammenhang stehen – und dass nicht die Klingonen ihr wahrer Feind sind. Als Aron in den Erinnerungen von Jerad nach Antworten sucht, stößt er auf einen Skandal, der so ungeheuerlich ist, dass er den Zusammenhalt der Föderation erschüttern könnte ...
(„Mit der Seele eines Trill“ von Adriana Wipperling,136 S., 9,
Coming soon! Star Trek – Defender, Band 4: „Verrat und Widerstand“: Ein Schock für Captain Lairis: Während Akorem Lan auf Bajor das alte Kastensystem wieder einführt, erhält die Kommandantin der USS Defender einen Brief mit folgenschwerem Inhalt. Lairis steht plötzlich vor der Wahl, entweder die Sternenflotte zu verlassen oder ihre bajoranische Staatsbürgerschaft einzubüßen. Zusammen mit ihrer Tochter Julianna fliegt sie nach Bajor, um herauszufinden, was Heimat für sie bedeutet. Der Besuch ruft jedoch schlimme Erinnerungen an die Besatzungszeit in ihr wach. Und nicht nur das ... Seit Akorems Machtübernahme herrscht ein brutales, fundamentalistisches Regime in der Provinz Rakhanta. Schon bald muss Lairis um ihr Leben fürchten ... 110
Dieser und weitere Romane sind im Star Trek Fan-Klub "Star Trek Forum" erschienen und können dort als Fanzine bezogen werden. Kontakt: Uschi Stockmann • Otto-Heinrichs-Str. 6 • 38442 Wolfsburg Tel: (05362) 62867 • Fax: (05362) 63069 • E-mail:
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