GORDON BLACK Band 5
Eine Braut für Dracula von Norman Thackery
Sie hatten ihn in eine Falle gelockt und ihm einen bez...
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GORDON BLACK Band 5
Eine Braut für Dracula von Norman Thackery
Sie hatten ihn in eine Falle gelockt und ihm einen bezahlten Killer geschickt. Als er starb, hatte er dennoch das beste Geschäft seines Lebens gemacht und eine andere Art von Unsterblichkeit erlangt. Der Preis dafür erschien ihm lächerlich gering. Jede Woche eine Braut für den Fürsten der Blutsauger. Das war annehmbar. Dafür besaß er das Wohlwollen seines unheimlichen Gönners und hatte Muße, sich seiner fürchterlichen Rache an jenen hinzugeben, die ihm den Killer geschickt hatten. Er fühlte sich sicher, denn er war ein gehorsamer Diener Draculas.
Ein grauenvolles, an- und abschwellendes Geheul jagte Ed Sheldon eisige Schauer über den Rücken. Betroffen blieb er stehen und reckte den Hals aus dem Kragen der Uniformjacke. Seit zwanzig Jahren ging er hier Streife, aber solche unheimlichen Laute hatte, er noch nie vernommen. Es hörte sich gerade so an, als sei ein Wolf los. Oder zwei.
Aber wie sollten ausgerechnet Wölfe nach Manhattan hereinkommen und hier durch die Straßen schleichen? Der nächste Zoo, wo es vielleicht Wölfe gab, lag mehr als drei Meilen entfernt oben im Central Park. Sicher war sich Ed Sheldon aber nicht, ob sie dort solche Biester hielten. Der Central Park hatte nie zu seinem Revier gehört. Da oben kannte er sich nicht aus. Wenn es dort aber Wölfe gab, dann waren sie so sicher eingesperrt, daß sie niemals ausreißen und durch die Stadt streifen konnten, davon war er überzeugt. Er lauschte in den trüben Herbstabend und empfand ein Frösteln, als wieder das unheimliche Heulen durch die Straßen klang. Die Quelle konnte er nicht feststellen. Nicht einmal die ungefähre Richtung. Es drang von überall her, und es war so klar und deutlich, daß ihm der ungute Gedanke kam, es könnte aus menschlichen Kehlen stammen. Er hatte keine Ahnung, was ihn darauf brachte. Es war eine spontane Eingebung, weil ihm keine bessere Erklärung in den Sinn kam. Über den dummen Gedanken erschrak er fast noch mehr als über das entsetzliche Heulen. Das fehlte noch, daß er sich verrückt machen ließ! Ein derartiges Geheul brachte doch kein Mensch zustande! Wahrscheinlich hielt sich ein verschrobener Bewohner dieser Gegend ein größeres Haustier, das die entsetzlichen Töne produzierte. Denn das war Greenwich Village und galt immer noch als das Künstlerviertel von New York, auch wenn das Künstlervölkchen fast gänzlich fortgezogen war. Es hatte einer gewissen Schicht von Leuten Platz machen müssen, die viel Geld besaßen, aber wenig Geschmack. Zu diesen Geschmacksverirrungen zählte auch, daß man sich möglichst exotische Hausgenossen hielt. Vierbeinige natürlich. Erst vor ein paar Wochen hatte Ed Sheldon einen fast ausgewachsenen Alligator beim Sonnenbaden auf dem Rasen
vor einem neuenglischen Backsteinhaus gesehen, und die spleenige Besitzerin hatte dabeigesessen und das Mistvieh mit Schokoladekeksen gefüttert. Und was ihm gelegentlich der Wind aus den umzäunten Gärten an Gerüchen in die Nasenlöcher wehte, das duftete wahrhaftig nicht nach Rosen, eher nach Raubtieren. In der Mac Dougal-Allee hinterm Washington Square Park wohnte sogar ein Bursche, der jeden Nachmittag zwischen drei und fünf Uhr zwei Geparde an der Leine spazieren führte. Von denen wußte er, wie große Raubkatzen rochen. Ob sie aber solche gräßlichen Töne hervorbrachten, wußte er nicht. Jetzt war auch nicht die Zeit, zu der der Mann mit den Tieren draußen war. Jedenfalls war er ihm noch nie am Abend begegnet. Wieder kam das schreckliche Heulen von allen Seiten. Ed Sheldon schaute zu den erleuchteten Fenstern. Waren die Leute denn taub? Hörten sie das Jaulen nicht? Ihm richtete es jedenfalls die Nackenhaare auf, und das wollte schon etwas heißen. Das Jaulen endete in einem klagenden Heulen. So gottverlassen, daß Ed Sheldon an eine verdammte Seele dachte. Dann verebbte der Ton, und vom Washington Square drang das ferne dumpfe Rumoren des abendlichen Autoverkehrs in die Straße. Ed Sheldon zog weiter seine Runde. Aufmerksamer als sonst blickte er auf die Häuser, die Fenster, Türen und Gärten. In der Minetta Lane manövrierte ein Mann seinen Wagen in die enge Garage. Das alte Greenwich Village war nicht für gewaltige Blechkarossen und Straßenkreuzer gebaut worden. Ed Sheldon grüßte hinüber. Soweit er wußte, managte der Mann eine Schallplattenfirma und verdiente sein Geld praktisch im Schlaf. Leute von den Broadway-Theatern lebten hier. Ein paar
Sternchen, die es im Musikgeschäft erst noch zu was bringen wollten. Und hochkarätige Finanzmenschen, die drunten in der Wall Street ihr Büro mit den Angestellten hatten. Ed Sheldon kannte die Leute von Greenwich Village nicht alle mit Namen, aber viele vom Ansehen. Er stutzte, als er aus dem Haus an der Ecke Waverly Plaza ein gurgelndes Stöhnen vernahm. Gerade, als würde jemand seinen letzten Schnaufer tun. Die Straßenbeleuchtung war miserabel, New York war arm. Das Haus lag in völliger Dunkelheit. Sonst kamen um diese Zeit immer noch Autos vorbei. Ihr Scheinwerferlicht wäre Ed Sheldon gerade recht gewesen. Aber heute war es wie verhext. In der Ferne rumorte der Verkehr, zwei Querstreifen weiter rollte ein ganzer Schwung Autos gemächlich über die Kreuzung, bloß hier kam nicht eines vorbei. Er überquerte die menschenleere Straße und näherte sich dem dunklen Haus. Es war alt und schmalbrüstig, und wenn er’s recht bedachte, waren ihm in den zurückliegenden vier oder fünf Jahren keine Bewohner aufgefallen. Leerstehende Häuser in Greenwich Village gab es tatsächlich. Meist blieben sie aber nicht lange leer. Entweder wurden sie zu sündhaft teuren Preisen umgebaut oder junge Leute zogen mit ein paar Apfelsinenkisten, etwas Geschirr und zwei Taschen voller Klamotten ein. Das war dann illegal. Aber Ed Sheldon drückte in solchen Fällen gerne ein Auge zu. In diesem Haus befand sich jedenfalls jemand. Er hörte wieder dieses schreckliche Stöhnen. Da konnte jemand böse gestürzt sein. Möglich war natürlich auch, daß hier ein Einbrecher sein Glück versucht hatte und in der Dunkelheit gegen ein Hindernis gerannt war. Auch Greenwich Village wurde von solchen Burschen, die ihren Mitmenschen die Wohnung
ausräumten, wie andere Wohngegenden in der Riesenstadt heimgesucht. Darin machte das Viertel keine Ausnahme. Ed Sheldon hatte schon eine stattliche Zahl von Einbrechern erwischt. Aber die Zunft starb anscheinend nie aus. Unaufhörlich drängte Nachwuchs ins Fach. Es ging ihm mächtig gegen den Strich, wenn die Burschen ausgerechnet in seinem Revier Beutezüge unternahmen. Sein Ziel war es, Greenwich Village sauberzuhalten. Was man ausgerechnet in diesem Haus, das schon so lange leer stand, an mitnehmenswerter Beute zu finden hoffte, blieb ihm ein Rätsel. Eine Taschenlampe hatte er nicht dabei. Er riß ein Streichholz an und beleuchtete das grünspanbezogene Messingschild am Pfeiler des Gartentores. Alle diese Häuser hier besaßen winzige Vorgärten mit einem richtigen Zaun oder einer Mauer. Prentiss. Das konnte er entziffern. Der Name ließ etwas in ihm klingen, und dann fiel ihm die düstere Geschichte ein. Prentiss war ein Erfinder gewesen, ein ganz eigenartiger Kauz, der kaum mit jemand aus der Nachbarschaft Kontakt gehabt hatte. Aber ein sehr erfolgreicher Mann war er gewesen. Seine Erfindungen hatten allesamt etwas getaugt, und er hatte sogar mit bekannten Industriekonzernen und mit der NASA Geschäfte gemacht. Jemand hatte ihn dann allerdings durch schmutzige Tricks an den Bettelstab gebracht, und er war verbittert und in Armut gestorben. Nicht hier, das wußte Ed Sheldon genau. Aus dem jämmerlichen Zustand des Hauses zu schließen gab es keine Erben. Keine jedenfalls, die den Wunsch hatten, in dem Haus zu leben oder ihr Geld in seine Erhaltung zu stecken. Auch sonst hatte sich nie jemand um das Gebäude gekümmert. Nicht mal die Leute, die sich gern illegal
einnisteten. Zumindest war ihm in dieser Richtung nichts aufgefallen. Er klinkte die rostige Gartentür auf. Sie quietschte abscheulich. Wenn wirklich Einbrecher im Haus waren, dann waren sie jetzt jedenfalls gewarnt. Roter zuckender Lichtschein überflutete plötzlich die Fassade. Schräg gegenüber hatte Watkins die kitschige Leuchtreklame seiner Theaterkneipe eingeschaltet. Ed Sheldon war für das milde Licht dankbar. Es ließ ihn einiges erkennen, und das war besser als nichts. Hinter dem säulengeschmückten Treppenaufgang stand die Haustür sperrangelweit auf. Sonst war das nie der Fall. Mit angehaltenem Atem lauschte er auf Geräusche. Das gurgelnde Stöhnen, das ihn über die Straße gelockt hatte, wiederholte sich nicht. Es deutete auch nichts darauf hin, daß eventuelle Einbrecher hinten hinaus türmten und einen verletzten Komplizen mitschleppten. Und dieses grausige Heulen ließ sich auch nicht mehr vernehmen. Trotzdem gefiel Ed Sheldon die Sache nicht. In zwanzig langen Dienstjahren hatte er einen besonderen Sinn dafür entwickelt, ob und wann eine Situation brenzlig war oder nicht. Brenzlig traf nicht genau das, was er empfand. Da war etwas im Haus, das spürte er. Es war eher unheimlich, weniger gefährlich. Er musterte die Fassade. Die Läden drohten sich von den Angeln zu lösen, die Fensterkreuze hatten die Farbe abgestoßen. Aber die Scheiben waren ganz. Und die Fenster geschlossen. Hinter keinem entdeckte er eine Bewegung oder das Gesicht eines Eindringlings, der vorsichtig Nachschau hielt, wer die Gartentür hatte quietschen lassen. Vorsorglich legte Ed Sheldon die rechte Hand auf die
Ledertasche, in der seine großkalibrige Dienstwaffe steckte. Falls man ihn heimlich beobachtete, zog man hoffentlich aus dieser eindeutigen Geste die richtigen Schlüsse. Energisch schritt er den Stufen zwischen den verwitternden Säulen entgegen. Erst aus unmittelbarer Nähe fielen ihm die Spuren des Verfalls so richtig auf. Im Tageslicht sah das Haus irgendwie freundlicher und besser erhalten aus. Er knurrte, um sich über die düsteren Empfindungen hinwegzuhelfen. Auf den Stufen raschelten dürre Blätter unter seinen Schuhen. In der Haustür blieb er stehen und lauschte ins Innere des Gebäudes. Es knackte irgendwo im Gebälk. Ed Sheldon wartete zwei volle Minuten. Vor dem roten Licht, das die Leuchtreklame von Watkins in die Straße streute, war er im Türrahmen für einen im Haus lauernden Gegner nicht zu übersehen. Er baute darauf, daß der die Nerven verlor. Aber nichts geschah. Da tastete Ed Sheldon um den Türstock nach dem Lichtschalter. Seine Finger trafen auf einen Porzellankörper aus den Anfängen der Elektrifizierung. Der Schalter saß auf dem bröckelnden Putz. Er drehte vergeblich. Vielleicht war nur dieser Schalter nicht in Ordnung, aber Ed Sheldon fürchtete, daß das ganze Haus ohne Stromversorgung war. Er trat ein. Vorsichtig und tastend setzte er seine Schritte. Der Fußboden schien intakt, er knarrte nur abscheulich. Ein seltsam süßlicher Geruch wurde wahrnehmbar. Kein Verwesungsgeruch. Der Polizist wußte, wie Leichen rochen, die schon eine Weile an einem Ort lagen. Er griff wieder zur Streichholzschachtel. Im selben Augenblick hörte er ein seidiges Schwirren aus der Tiefe des Hauses. Es näherte sich gedankenschnell. Da flog
zweifelsfrei etwas herum. Fledermäuse! dachte Ed Sheldon. Müssen eine ganze Menge sein! Bevor er ein Streichholz anreißen konnte, traf ihn ein eisiger Lufthauch. Dann war das seidige Schwirren genau vor seinem Gesicht, und etwas berührte seine linke Schulter. Im nächsten Augenblick schrie Ed Sheldon vor Schmerzen und vor Schreck auf. Nadelspitze Krallen bohrten sich durch die Uniformjacke in seine Achsel. Zentnerlasten schienen sich auf ihm niederzulassen. Keuchend ging er in die Knie. Der Schmerz in der linken Achsel breitete sich rasend schnell aus und brannte wie Feuer. Ein spitzes Fauchen schlug ihm ins Gesicht. Er schlug entsetzt um sich. Den linken Arm brachte er gar nicht richtig hoch. Mit der rechten Faust traf er einen festen großen Körper. Schärfer und tiefer bohrten sich die Krallen in seine Schulter. Ed Sheldon schwang die Faust wie einen Hammer. In seinem Kopf dröhnte es, und sein Herz pochte wie rasend. Etwas peitschte auf ihn ein und versuchte ihn zu Boden zu drücken. Er bildete sich ein, daß es entsetzlich große Schwingen waren. Das Grauen schüttelte ihn. Immer wieder traf er mit der Faust. Die nadelscharfen Krallen ließen jedoch nicht seine Schulter los. Verzweifelt angelte er nach seiner Pistole. Als er das kalte Metall auf der Handfläche spürte, wich die Panik von ihm. Er holte aus und schmetterte die Waffe auf das unheimliche Wesen, das ihn angriff. Ein mörderischer Stoß schleuderte ihn rückwärts. Ed Sheldon strauchelte und stürzte längelang hin. Zugleich löste sich der quälende Griff von seiner Schulter. Auch das Gewicht drückte nicht mehr auf ihn. Aus hervorquellenden Augen sah er über sich eine riesige
Fledermaus. Das rote Reklamelicht von gegenüber sickerte zur Haustür herein und ließ ihn das Wesen besser erkennen. Es war wahrhaftig eine Fledermaus. Aber sie war so groß wie ein Mensch. Und sie hatte einen richtigen Menschenkopf! Ed Sheldon fürchtete, übergeschnappt zu sein, als er das aufgerissene Maul und die dolchartigen Eckzähne sah. Es kam ihm vor, als würde dieses grausige Wesen grinsen und ihn verhöhnen. Mächtige Schwingen schlugen auf und nieder und hielten das Wesen in der Luft. Unter dem Leib bemerkte der Polizist stummelartige Gliedmaßen, an deren Ende handlange gekrümmte Krallen im diffusen Licht schimmerten. Von Grauen gepackt starrte Ed Sheldon zu diesem Wesen hinauf. Heftiger schlugen die Schwingen, die sich durch den ganzen Raum zu spannen schienen. Eisige Luftzüge streiften sein schweißüberströmtes Gesicht. Dann strich das Monstrum über ihn hinweg in Richtung Haustür. Erst jetzt besann sich Ed Sheldon auf die Pistole in seiner Hand. Er rollte sich herum und wollte feuern. Fast erstarrte ihm das Blut in den Adern. Vor dem hellen Rechteck der Tür sah er, wie das riesige geflügelte Wesen von einem Augenblick zum anderen schrumpfte. Als es die Größe eines Raubvogels erreicht hatte, schwang es sich mit lautlosem Flügelschlag aus der Tür und entschwand. *** Im ersten Moment wollte Ed Sheldon schwören, daß alles gar nicht wahr war, daß er bloß schlecht träumte und daheim im
Bett lag. Aber da waren die bestialischen Schmerzen in der linken Achsel. Und worauf er lag, war nicht sein bequemes Bett, sondern der Fußboden in einem seltsamen alten Haus in Greenwich Village. Außerdem hielt er seine Pistole in der Hand. Ächzend stand er auf. Es wurmte ihn, daß er nicht geschossen hatte. Eine dumpfe Ahnung sagte ihm jedoch, daß seine Kugeln kaum etwas ausgerichtet hätten. Er torkelte gegen die nächste Wand. Zitternd lehnte er sich an. Dieses fürchterliche Wesen mit dem Menschenkopf und den langen Zähnen mußte einem Horrorfilm entsprungen sein. So was gab’s in Wirklichkeit doch gar nicht! Aber er hatte es mit eigenen Augen gesehen. Und es hatte ihn angegriffen. Die Schmerzen in seiner linken Achsel und das sickernde Blut waren ja schließlich nicht bloß eine lebhafte Einbildung. Er kämpfte gegen das Entsetzen und die Furcht an und lauschte zwischen seinen keuchenden Atemzügen in das dunkle Haus hinein. Vielleicht lauerte da noch so eine teuflische Überraschung. Teuflisch! Das war genau die richtige Bezeichnung. Das Wesen war der reinste Teufelsspuk! Nach einer Weile hatte sich Ed Sheldon so weit beruhigt, daß er überlegen konnte, was er unternehmen mußte. Wenn er die geisterhafte Geschichte auf der Wache erzählte, warfen sie ihn wegen erwiesenen Schwachsinns aus dem Dienst. Die blutende Achsel würden sie als Resultat eines Zusammenstoßes mit einem Messerstecher betrachten. Mit der Geschichte von der menschengroßen Fledermaus konnte er also nicht daherkommen, ganz ausgeschlossen. Aber vielleicht fand er einen Beweis, der ihn in die Lage
setzte, seine Story zu erhärten. Womöglich war dieses verdammte unheimliche Prentiss-Haus der Schlupfwinkel dieses geflügelten Monsters. Er suchte nach den Streichhölzern. Die hatte er verloren, als ihn das Wesen attackierte. Aber weit konnten sie nicht sein. Er entdeckte die Schachtel mitten in der rötlichen Lichtbahn, die zur Tür hereinfiel. Zwei Atemzüge später brannte ein Streichholz. Und genau im selben Augenblick hörte er ein Geräusch wie von einer hastig geschlossenen Tür. Ed Sheldon wirbelte herum. Das Streichholzflämmchen drohte zu erlöschen. Die Haustür war nicht zugefallen, wie er zunächst befürchtete. Also war das Geräusch im Haus entstanden. Und das nicht zufällig, darauf wollte er wetten. Hier ging etwas vor, das das Licht zu scheuen hatte! Jemand hielt sich im Haus verborgen! Ed Sheldon war nach dem Schreck gerade in der richtigen Stimmung, um Streit anzufangen. Egal, mit wem. Er hielt Streichhölzer bereit und entdeckte einen weiteren Lichtschalter. Aber auch der war tot. Damit traf seine Befürchtung zu, daß das Haus tatsächlich ohne Strom war. Das Streichholz brannte ab und versengte ihm Daumen und Fingerkuppe. Hastig riß er ein neues Hölzchen an. Denn er hatte etwas entdeckt. Er befand sich in einer Art Halle. Und erstaunlicherweise waren noch die Möbel vorhanden. Auf einer bemalten Truhe stand ein dreiarmiger Kerzenleuchter. Die Kerzen darauf waren zur Hälfte abgebrannt. Wählerisch war er nicht, ihm reichten sie. Er tappte hinüber und zündete sie an. Überall lag der Staub dick herum. Sogar auf dem Leuchter. Das milde warme Kerzenlicht nahm dem Haus eine Menge
von seiner düsteren Ausstrahlung. Ed Sheldon spürte, daß sich Blut über seinem Hosenbund sammelte. Er knöpfte die Uniformjacke auf, das Hemd und löste die Krawatte. Energisch legte er die linke Achsel frei. Das entsetzliche Wesen hatte ihn ganz schön erwischt. Vorne direkt unterm Schlüsselbein sah er ein Loch, aus dem Blut pulste. Er biß die Zähne zusammen und griff nach hinten, weil er den Kopf nicht so weit drehen konnte. Dort hatten die Krallen drei Löcher hinterlassen. Er ertastete sie. Soweit er spürte, bluteten sie längst nicht so stark wie das Loch vorne. Ihm reichte es dennoch. Er zerrte das Taschentuch heraus, legte es zusammen und machte einen notdürftigen Verband. Wenn er sich nicht allzu heftig bewegte, mußte er eine Weile halten. Und irgendwann mußte ja die Blutung gerinnen und zum Stillstand kommen. Behutsam zerrte er das Hemd über die verletzte Achsel, streifte die Jacke hoch und probierte die Beweglichkeit des linken Armes aus. Bäume konnte er nicht ausreißen, das war ihm schon klar, aber den Leuchter konnte er damit tragen. Die Pistole nahm er in die rechte Hand. Dann sah er sich um. Der Staub, den er auf Truhe und Leuchter entdeckt hatte, bedeckte auch den Fußboden in der Halle. Er sah seine eigenen Fußtritte und die Stelle, wo er gestürzt war. Da war aber noch eine Spur, und sie rührte von wesentlich kleineren Füßen her. Sie stammte auch nicht von Halbschuhen, sondern von Stöckelschuhen. Eine Frau war in dieses Haus gegangen! Nur herein, denn die Spur führte nicht wieder hinaus. Ed Sheldon fielen eine ganze Menge gruselige Dinge ein. Hatte diese riesige Fledermaus mit dem Menschengesicht etwa die Frau in dieses Haus getrieben? Unwillkürlich zog er die Achseln hoch. Der stechende
Schmerz signalisierte ihm, daß er gerade diese Bewegung besser unterließ. Er folgte der Spur bis in den Hintergrund der Halle. Dort befanden sich vier Türen. An der rechten Seite der Halle führte zudem eine Holztreppe zu einer Galerie und zu den obenliegenden Räumen hinauf. Die Treppe war seit Jahren nicht mehr benutzt worden. Der Staub verriet es. Ed Sheldon ging systematisch vor, nachdem er merkte, daß hinten in der Halle weniger Staub lag und sich die Spur der Frauenschuhe auf einem muffig riechenden Läufer aus Wolle verlor. Er stieß die nächste Tür auf und leuchtete hinein. Das war die Küche des Hauses, mit einem Herd in der Mitte und noch fast komplett eingerichtet. Der zweite Raum enthielt den Abgang zum Keller. Auf diesen Stufen lag zwar kein Staub, dafür war der Treppenschacht fast gänzlich mit Spinnweben zugehängt. Da wäre nicht mal eine Fliege durchgekommen, geschweige denn ein Mensch oder eine riesige Fledermaus. Ed Sheldon klinkte die dritte Tür auf. Der Raum war ein großes Wohnzimmer. An der rechten Wand gab es einen bogenartigen Durchgang. Dahinter schien sich eine Art Bibliothek zu befinden, denn der Polizist sah im flackernden Kerzenlicht bis zur Decke reichende Regale und ein paar Bücher. Die vierte Tür im Hallenhintergrund wies direkt in die Bibliothek. Ohne daß der Umweg über das Wohnzimmer gemacht werden mußte. In der Küche waren die beiden Fenster geschlossen. In der Bibliothek gab es nur eines, und das war auch fest verriegelt, wie Ed Sheldon feststellte. Blieb also nur noch das große Wohnzimmer, wo die Frau sein konnte. Er hob den Leuchter höher, gerade so weit, wie es die Schmerzen zuließen.
Und dann sah er sie zwischen abgedeckten Möbeln auf dem Boden liegen. Er hatte es insgeheim befürchtet. Dennoch verharrte er in einem Augenblick furchtbarer Erstarrung. Sie war rothaarig, und er kannte sie. Sie wohnte in der Gay Street, nur drei Ecken entfernt. Ihr Name war Debbie Brian. Sie tanzte an einem der großen Broadway-Theater. Das heißt, mit dem Tanzen war’s vorbei. So, wie sie dalag, pflegten nur Tote zu liegen. Ed Sheldon atmete flach ein, bevor er sich ihr vorsichtig näherte, um keine Spuren zu verderben. Sie war tot, daran zweifelte er nicht mehr. Sie schien leicht gestorben zu sein, denn auf ihrem Gesicht entdeckte er einen fast glücklichen Zug. Und sie lag nicht verkrümmt, sondern wie jemand, der sich entspannt. Ihre Kehle war blutig und aufgebissen, und seitlich am Hals über der rechten Schlagader bemerkte er Löcher, wie er sie in der linken Achsel hatte. Die quirlige Debbie war von einem Blutsauger umgebracht worden! Und er hatte mit diesem Blutsauger einen Zusammenstoß gehabt. Er stutzte. Das Gesicht der Toten kam ihm etwas verändert vor. Nicht, daß er sie nicht für Debbie Brian gehalten hätte, aber ihm war, als sei sie älter, als er bisher, immer geglaubt hatte. Es konnte auch daran liegen, daß sie sonst immer geschminkt und adrett zurechtgemacht war und jetzt nicht. Es gab keine Spuren, die Ed Sheldon ruinieren konnte. Er ging neben Debbie Brian in die Knie, stellte den Leuchter ab und hoffte, vielleicht doch noch eine Spur Leben in ihr zu finden. Erschrocken zuckte seine Hand zurück, als er die Eiseskälte des Körpers wahrnahm. Dann begriff er, warum das Mädchen ihm so verändert
erschien. Debbie Brian war regelrecht ausgetrocknet. Wie eine Mumie. Ohne daß sie merklich zusammengeschrumpft oder gewelkt war. Das Blut an ihrer Kehle war trocken und bröckelte unter seinen behutsam tastenden Fingern ab. Ed Sheldon fürchtete, irrsinnig zu werden. Alles, was er hier feststellte, waren glatte Unmöglichkeiten. Und dennoch waren sie Tatsache. Er mußte die Mordkommission verständigen, daran führte kein Weg vorbei. Und das beste war, er erzählte denen gar keine lange Geschichte, sondern beschränkte sich darauf, er hätte das Mädchen tot gefunden. Er widerstand der Versuchung, die Hände des Mädchens zu falten. Etwas hielt ihn davon ab. Überhaupt merkte er, wie wieder das Grauen hochkam. Diese Augen der Toten! Wie die ihn anschauten! Das waren nicht die gebrochenen Augen, wie er sie von anderen Toten kannte. Diese schienen noch zu leben. Aber das, entschied er, war ganz ausgeschlossen. Er ergriff den Leuchter, denn in jedem Fall wollte er noch die Tür ausfindig machen, die er hatte zuschlagen hören. Drunten im Keller konnte es nicht gewesen sein, weil ja die Spinnweben im Treppenschacht nicht zerrissen waren. Und oben im Haus war seit einer kleinen Ewigkeit niemand mehr gewesen, denn der Staub auf den Stufen war unberührt. Vielleicht gab’s eine verborgene Treppe. Alte Häuser hatten mitunter ihre Geheimnisse. Also suchte er systematisch. Erst in der Halle, dann in der Küche und immer so fort. Er stieß weder auf eine geheime Tür noch auf ein verborgenes Treppenhaus. Und nicht einmal der Schacht des Speiseaufzuges brachte ihn weiter. Der Schacht schien eine Verbindung zwischen Keller und
oberem Stockwerk darzustellen. Jedoch war die Aufzugkiste nicht mehr vorhanden, und auch die Seilzüge waren entfernt. Ein halbwegs geschickter Kletterer konnte sich vielleicht zum oberen Stockwerk hochstemmen. Ed Sheldon zögerte keinen Augenblick. Spuren hin, Spuren her, er hatte die Tür zugehen hören, und auf seine Ohren konnte er sich verlassen. Also untersuchte er das obere Stockwerk gründlich. Vom Speiseaufzugschacht führten keine Fußtritte weg und keine hin. Die Räume waren möbliert, aber in einem unbeschreiblichen Zustand. Das Dach mußte mehrere schadhafte Stellen aufweisen, denn es hatte durchgeregnet, und an verschiedenen Stellen war der Deckenputz heruntergebrochen. Die Tapeten hatten sich von den Wänden gelöst, der Teppichboden war verdreckt und fleckig, stockig und moderig. Der Polizist inspizierte auch noch den Dachboden. Mutiger geworden, weil nichts passierte, machte er sich zum Keller auf. Vom Speicher hatte er ein Lattenstück zur Beseitigung der Spinnweben mitgebracht. Ein seltsamer Laut erfüllte plötzlich das Haus. Wie ein tiefes, sehnsuchtsvolles Seufzen. Ed Sheldon kam es vor, als sei der Laut aus dem Wohnzimmer gekommen, wo die Tote lag. Wieder empfand er Grauen und Furcht. Hier spielten sich Dinge ab, die er nicht verstand. Er leuchtete ins Wohnzimmer. Debbie Brian lag unverändert am selben Ort. Aber ihm war, als würden sich ihre Augen bewegen und ihn mit Blicken verfolgen. Den Laut vernahm er nicht mehr. Mit dem Lattenstück fegte er die Spinnweben im Treppenschacht beiseite und wickelte sie teilweise auf das Holz auf. Aus dem Keller schlug ihm eine Luft entgegen, die zum
Schneiden dick war. Außerdem stank sie nach Moder und Fäulnis und war kühl und feucht. Er schüttelte sich. Er kannte angenehmere Orte. Hinter den Türen fand er in den Kellerräumen unbeschreibliches Gerümpel aufgetürmt. Prentiss schien nichts weggeworfen zu haben. Nicht einmal Zeitungen und zerbrochene Möbel. Und wenn er all die herumliegenden Flaschen selber geleert hatte, dann hatte er einen ordentlichen Zug am Leibe gehabt. Ein Raum schien als Werkstatt gedient zu haben. Feuchtraumkabel waren verlegt, Schaltkästen waren an den Wänden befestigt, zwei alte Tische waren übersät mit Drahtrollen, Lötmaterial, Blechstücken und Formteilen aus Kunststoff. Kartons waren in der Kellerfeuchtigkeit geplatzt, elektrische und elektronische Bauteile samt gedruckten Schaltplatten quollen daraus hervor. Das alles machte mehr einen trostlosen als einen unheimlichen Eindruck. Von einem Versteck keine Spur. Etwas mehr wunderte sich Ed Sheldon im Raum nebenan über die alten Gefriertruhen, die kunterbunt neben- und übereinander standen. Wofür mochte Prentiss die bloß gebraucht haben? Intakt waren sie natürlich auch nicht mehr. An manchen war die Verkleidung abgeschraubt, an anderen der Dämm- und Isolierstoff herausgenommen, und wieder andere waren ohne Motor und Verdampfer. Etwas wütend schlug Ed Sheldon da und dort gegen Wände, auch wenn das Mauerwerk nicht so aussah, als könnte es einen verborgenen Zugang enthalten. Das Ergebnis war unbefriedigend. Er fand keinen versteckten Eingang, keinen geheimen Raum, überhaupt nichts in dieser Richtung. Er hegte nunmehr Zweifel, ob er wirklich eine Tür hatte zuschlagen hören. Am Ende hatten ihm seine Nerven einen Streich gespielt.
Auf dem Rückweg inspizierte er ein gemauertes Geviert, das bis zur Kellerdecke hinaufreichte. Es schien nachträglich aufgeführt worden zu sein; es paßte jedenfalls nicht in die Kellerräumlichkeiten. Mit aufkeimendem Argwohn betrachtete Ed Sheldon die eiserne Klappe, die sich in Kniehöhe befand. Die Öffnung erschien ihm groß genug, um einen Menschen hindurchkriechen zu lassen. Er setzte den Leuchter auf den Boden, hielt die Pistole bereit und riß die gußeiserne Klappe auf. Ein schwarzes Ruß- und Ascheloch gähnte ihn an. Er hatte den Ascheabwurfschacht von der Kaminfeuerung oben gefunden. Aber keinen geheimen Raum. Er haute die Klappe zu und stieg ins Erdgeschoß hinauf. Es wurde Zeit, daß er das Auffinden der Leiche an seine Wache meldete. Debbie Brian war wahrscheinlich schon vor Tagen umgebracht worden, so vertrocknet, wie sie aussah. Bis vorgestern war es in New York heiß und trocken gewesen, ein typischer Altweibersommer. Im Haus hatte sich die Wärme gestaut und hatte aus dem Mädchen eine halbe Mumie gemacht. Der verdammte Blutsauger schien bloß dagewesen zu sein, um sich zu überzeugen, daß er kein Blut mehr holen konnte. Oder um auf ein neues Opfer zu lauern. Auf ihn! Oder das höllische Wesen hauste hier. Eine eisige Faust schien nach Ed Sheldons Herz zu greifen und es zusammenzupressen, als er wieder dieses unheimliche Seufzen vernahm. Jetzt war er ganz sicher. Es kam aus dem Wohnzimmer. Als er hineinleuchtete, sah er Debbie Brians Leiche unverändert am Boden liegen. Aber die Augen blickten zu ihm in der Tür herüber. Er sagte sich, daß es wie vorhin auch ein Reflex der
tanzenden Kerzenflammen war. Besser vielleicht, er versuchte, ihr die Augen zuzudrücken. Erst als er den Kerzenständer abgesetzt hatte und neben der Leiche kniete, merkte er, daß die rechte Hand der Toten eine ganz andere Lage hatte als vorhin. Da hatte sie auf dem Boden geruht. Jetzt lag sie halb auf dem Leib. Ed Sheldon widerstand gerade noch dem Drang, aus dem Haus zu stürzen. Er sagte sich, daß er sich vorhin eben getäuscht hatte, obgleich er wußte, daß es nicht wahr war. Debbie Brian war tot, gar keine Frage. Aber ihre Augen lebten. Und auf einmal sah der Polizist, wie sich die Nasenflügel hoben. Als könnte die Tote riechen. Als schnupperte sie nach einem ganz bestimmten Duft. Dann öffneten sich auf geisterhafte Art die trockenen blutleeren Lippen. Der Blick der Augen wurde verlangend und gierig. Erst in diesem Moment begriff Ed Sheldon. Sein Blut, das in Hemd und Uniformjacke gesickert war und vielleicht immer noch unter dem behelfsmäßigen Verband herausdrückte, lockte die halb zur Mumie vertrocknete Debbie Brian. Fast erstarrte ihm das Blut in den Adern, als er auch noch ihre rechte Hand hochkommen sah. Die Finger krümmten sich. Wie eine Klaue streckte sie die Hand nach seiner Schulter aus. Ed Sheldons Nerven machten nicht länger mit. Der Polizist stieß einen gellenden Schrei aus und floh aus dem unheimlichen Prentiss-Haus. *** Er gehorchte nur seinem Instinkt, und der sagte ihm, er solle erst mal aus der Nähe des Hauses verschwinden. Das tat Ed Sheldon. Dann besann er sich darauf, daß er auf Streife war.
Die Mordkommission mußte her, natürlich! Und den Mund mußte er halten, was das gespenstische Drumherum betraf. Der nächste Polizeirufkasten war zu weit entfernt. Er hastete über die Straße auf die Theaterkneipe zu. Watkins besaß schließlich auch ein Telefon. Und es schadete bestimmt nicht, wenn er sich einen harten Drink einverleibte, bevor er der Mordkommission Rede und Antwort stand. Hank Watkins polierte Gläser und schien unverhältnismäßig stark erschreckt zu sein, als Ed Sheldon in die Theaterkneipe stolperte. Es war kein einziger Gast da. Sonst waren um diese Tageszeit meist schon zwei Tische besetzt. Wenn man zu Watkins auch erst spät am Abend ging, ein paar durstige Seelen pflegten meist schon ab dem späten Nachmittag herumzuhocken. Hank Watkins erfaßte mit einem Blick, daß mit Ed Sheldon etwas nicht in Ordnung war. Er dachte, daß er Ärger auf der Straße gehabt hatte. »Hallo, Ed! Ein schlechter Abend für Wirte und Polizisten«, meinte er und schickte einen bezeichnenden Blick durch seine Kneipe. »Das Telefon!« sagte Sheldon keuchend. »Und vorher einen knallharten Drink ohne Soda!« Hank Watkins stellte keine dummen Fragen. Im Handumdrehen hatte er einen Drink bereit. Er fischte sogar die Eiswürfel aus dem Glas heraus, als er Sheldons knappe, aber scharfe Handbewegung sah. Ed Sheldon kippte den doppelstöckigen Whisky in einem Zug hinunter und angelte nach dem Telefon, das Watkins ihm auf die Theke stellte. Er wählte seine Wache an. »Patrolman Ed Sheldon, gerade Ecke Waverly Plaza und Christopher Street«, meldete er sich, und am Knurren hörte er, daß Charly Keegan jetzt den Platz hinter dem großen Pult auf
der Wache einnahm und die Telefonanrufe erledigte. »Bin in der Kneipe von Watkins, Charly. Schick mir die Mordkommission her. Im Prentiss-Haus gegenüber liegt eine Tote. – Wer? Natürlich kenne ich sie. Debbie Brian, wohnt irgendwo in der Gay Street. – Nein, ich habe gar nichts gesehen. Wie es mir vorkommt, ist sie schon ein paar Tage tot. – Ja, klar, weil sie ausgetrocknet ist, verstehst du? Also, schick die Jungens her, ich warte auf der Straße vor dem Haus.« Er legte auf. Dann schaute er Watkins an. »Gib mir noch einen, Hank. Ich bilde mir ein, ich habe ihn nötig.« Hank Watkins hatte inzwischen die blutgetränkte Uniformjacke entdeckt und aus Ed Sheldons schiefer Schulterhaltung die richtigen Schlüsse gezogen. »Einen Arzt hast du nötig, zum Teufel! Was ist passiert? Pech gehabt?« Wie unter einem Fieberschauer schüttelte sich Ed Sheldon. »Glück, Hank, Glück habe ich gehabt.« Er hielt das leere Glas hin. Hank Watkins goß aus der Flasche ein. Ein skeptischer Blick traf den Streifenpolizisten. Sie kannten sich seit vielen Jahren. Sie waren nicht gerade dicke Freunde, aber sie respektierten sich. »Sag mal, Ed, das mit Debbie Brian, habe ich das richtig verstanden? Das Mädchen soll tot sein?« Ed Sheldon stierte auf die goldgelbe Flüssigkeit in seinem Glas. »Du hast es doch gehört, Hank. Frag mich besser nichts dazu, sonst verliere ich den Verstand.« Hank Watkins machte ein Gesicht, als sei das schon passiert. Er griff zu einem Glas. »Ich denke, ich habe auch einen nötig.« Er goß sich zwei Finger hoch ein und stärkte sich mit einem herzhaften Schluck. »Bist du sicher, daß es Debbie Brian ist, Ed?« Der Polizist stierte ihn an. »Absolut sicher.« »Und sie soll schon ein paar Tage tot sein?«
»Sagte ich doch. Sie sieht schon ziemlich ausgetrocknet aus, aber sie ist noch nicht verwest.« Ed Sheldon nippte an seinem Drink. Dann faßte er Watkins ins Auge. »Eine ganz ehrliche Frage, Hank: Habe ich einen Dachschaden?« »Inwiefern?« Ed Sheldon ächzte und ließ die verletzte Achsel hängen. »Sie hat mich nämlich angesehen, Hank! Verstehst du? Sie hat ihre Augen bewegt! Und dann hat sie auch noch die Hand nach mir ausgestreckt! Mir ist fast das Herz stehengeblieben. Ich habe gedacht, ich sehe Gespenster. Mann, das kann ich doch meinen Leuten gar nie erzählen!« »Wahrhaftig nicht.« Hank Watkins nickte bekümmert zu seinen Worten. Es klang, als wollte er etwas ganz anderes sagen. Er zögerte, dann fügte er leise hinzu: »Falls es dich beruhigt, Ed, du hast keinen Dachschaden. Ich habe nämlich vor ungefähr einer Stunde Debbie Brian noch gesehen. Sie war putzmunter und sehr lebendig und kam vom Village Square herunter. Und sie hatte einen riesigen Schäferhund bei sich. Das hat mich ja eigentlich mächtig gewundert, denn sie kann Hunde nicht ausstehen.« »Was?« machte Ed Sheldon verstört. »Du hast dich bestimmt geirrt, Hank. Sie liegt drüben in dem alten Haus. Bestimmt schon seit Tagen. Jemand hat ihr die Kehle durchgebissen.« »Die Kehle?« fragte Hank Watkins schnappend. »Hast du Debbie Brian angefaßt? Wie war sie?« »Eiskalt und demzufolge tot, wenn du das meinst. Ich verstehe nicht, wieso sie sich dennoch bewegt hat.« Ed Sheldon schüttelte den Kopf. Hank Watkins hatte einen sehr strengen und sehr nachdenklichen Ausdruck im Gesicht, als er die Hand nach dem Telefon ausstreckte. »Ich will mich ja nicht in deine Arbeit einmischen, Ed, aber ich glaube fast, das ist gar kein Fall für die Polizei.«
»Sondern?« fragte Ed Sheldon, und er merkte, wie ihn das Grauen wieder zu überwältigen drohte. Hank Watkins schoß einen Blick zur Tür, als fürchte er dort einen Lauscher. Mit gedämpfter Stimme sagte er: »Ich kenne ‘nen Mann, der beschäftigt sich mit solchen Sachen. Er kommt regelmäßig her. Und ich glaube, er kannte Debbie Brian sogar.« Ed Sheldon mißverstand den Wirt. »Laß die Finger vom Telefon, Hank. Wir wollen nicht, daß auch noch ein Privatschnüffler in der gruseligen Sache herumrührt.« Hank Watkins hatte schon den Finger in der Wählscheibe. »Das ist kein Detektiv, Ed. Eigentlich ist er Anwalt, aber die meiste Zeit verwendet er darauf, Geister zu jagen.« Es war gut, daß sich Ed Sheldon in diesem Moment an der Theke festhielt. Hank kannte einen Geisterjäger? War denn plötzlich ganz Manhattan verrückt geworden? Er brütete vor sich hin, während Hank mit einem Mister Black telefonierte und sich wie ein Verschwörer anstellte. Und schließlich drang in seinem verwirrten Kopf durch, was Hank über den Schäferhund und Debbie Brian gesagt hatte. Als der Wirt auflegte, fragte er dumpf: »War es tatsächlich ein Schäferhund, Hank?« »Das denke ich aber doch. Du hättest das Biest mal jaulen hören sollen! Mann, mir hat es fast die Schuhe ausgezogen.« Ed Sheldon nickte, und ein zufriedener Ausdruck hielt Einzug in seinem Gesicht. »Ich hab’s gehört, aber es war ein Wolf und kein Hund.« Und dann war ihm alles egal. Er zeigte auf seine linke Achsel. »Das stammt von einer Fledermaus, und die war so groß, daß sie gar nicht durch deine Eingangstür gepaßt hätte.« Er erwartete, daß Hank Watkins ein grimmiges Gelächter anstimmte. Doch der Wirt blieb die Ruhe selbst. Er nickte sogar höchst verständig und sagte: »Es gibt mehr seltsame Dinge zwischen Himmel und Erde, als wir uns träumen lassen,
Ed. Bist du gebissen worden?« Der Polizist schüttelte den Kopf. »Es ist mit den Krallen passiert.« »Dein Glück!« Hank Watkins atmete hörbar auf. Ed Sheldon faßte Argwohn. »Sag mal, verstehst du was von solchen Sachen?« Der Wirt drückte sich um die Antwort. Er hob lauschend den Kopf. In der Ferne war das an- und abschwellende Jaulen einer Polizeisirene zu hören. Es kam unverkennbar näher. »Deine Leute sind im Anmarsch, Ed. Richte es so ein, daß du hinterher noch mal auf ‘nen Sprung hereinschaust. Mister Black hat nämlich versprochen, sofort herzukommen.« *** Sie kamen mit drei Fahrzeugen – eins von der Wache und zwei vom Stadthaus. Ed Sheldon wies die Leute ein, und dann war er nur noch Statist. Die Mordkommission nahm das heruntergekommene Prentiss-Haus vorübergehend in Besitz und durchstöberte es vom Keller bis zum Dachboden. Eds Kollegen von der Wache hielten die Neugierigen zurück, die sich nun doch einfanden, und gingen dann in der Nachbarschaft von Tür zu Tür, um zu fragen, ob man was gehört oder gesehen oder sonst wahrgenommen hatte. Schließlich wurde Ed Sheldon aufgerufen, seine Aussage zu machen. Von einem Stromaggregat führten Kabel ins Haus, drinnen brannten Scheinwerfer. Die schmerzende Helligkeit vertrieb die düstere Atmosphäre aus allen Winkeln des Hauses. Ed Sheldon hatte Zeit genug gehabt, sich alles genau zu überlegen. Der Captain, der die Ermittlungen an sich gezogen hatte, sah nicht so aus, als würde er ihm die grausigen Begleitumstände
bei der Entdeckung des Mordes abkaufen. Also richtete sich Ed Sheldon danach. Er machte seine Angaben knapp und präzise. Das mochten diese hochnäsigen Burschen von der Mordkommission. Der Captain ließ die Aussage mitschreiben und machte sich selber Notizen. »Und es war nur die offene Haustüre, die Sie aufmerksam gemacht hat, Sheldon?« fragte er. Ed Sheldon wiegte den Kopf. »Seit Jahren war diese Haustür zu, Sir. Ich dachte, jemand hätte sich eingenistet, als ich sie plötzlich offenstehen sah. Na, und dabei habe ich Debbie Brian gefunden.« Der Captain nagte unzufrieden an der Unterlippe. Sein Kugelschreiber zeigte unvermittelt auf Ed Sheldons linke Schulter. »Sie bluten, wissen Sie das?« Ed Sheldon versuchte, mit einer geringschätzigen Handbewegung die Angelegenheit zu überspielen. »Nicht der Rede wert, Sir.« »Wo haben Sie das her?« Der Captain erwies sich als sehr hartnäckig. Jetzt mußte Ed Sheldon lügen. Er hatte bedacht, daß man ihn deswegen fragen könnte. Die Erklärung kam ihm glatt und schnell von der Zunge. »Ein kleiner Zusammenstoß, Sir. Auch in diesem Viertel treibt sich leider Gesindel herum. Sie waren zu dritt, hatten ein Messer und waren schneller als ich. Wenn Sie es wünschen, mache ich einen Bericht darüber. Aber richtig gesehen habe ich die Kerle nicht, und in diesem Viertel sind sie meines Wissens noch nie in Erscheinung getreten.« Der Captain machte sich wieder Notizen. »Wo war das?« »Minetta Lane, vor ungefähr einer Stunde«, antwortete Sheldon ohne das geringste Zögern. »Ich habe von dem Stich nicht einmal etwas gemerkt. Zunächst jedenfalls nicht«, fügte er hinzu, als er die ungläubig gewölbten Brauen des Captains bemerkte. »Eigentlich ist mir erst hier in diesem Haus aufgegangen, daß man mich angekratzt hat. Mir ist es etwas
trüb vor den Augen geworden, und dann habe ich gespürt, daß sich Blut über dem Hosenbund gestaut hat. Ich habe mich selber verbunden.« Der Captain wiegte den Kopf. »Sie sind ein ziemlich harter Brocken, was?« »Anders hätte ich den Dienst nicht zwanzig Jahre lang durchgestanden, Sir.« Der Captain machte eine unmißverständliche Handbewegung. »Jedenfalls lassen Sie den Arzt einen Blick auf die Verletzung werfen! – Sie kennen doch die Leute hier. Hatte Debbie Brian Feinde? Oder gibt es da vielleicht einen abgeblitzten Verehrer?« Ed Sheldon war erst mal heilfroh, daß der Captain nicht länger auf der Achselverletzung herumritt. Er bildete sich ein, der Sache gerade noch die Spitze genommen zu haben, bevor der Captain wirklich indiskrete Fragen zu stellen begann. Der Captain sah zwar aus, als könnte er nicht bis fünf zählen, aber das war Tarnung. Der hatte was auf dem Kasten. »So familiär bin ich mit den Bürgern nun auch wieder nicht«, gab Ed Sheldon zur Antwort. »Auf Ihre beiden Fragen kann ich nur sagen – ich weiß es nicht.« »Sobald sich das traurige Ereignis hier rumgesprochen hat, werden die Leute reden«, meinte der Captain. »Also sperren Sie die Ohren auf, Sheldon.« Mit einer Handbewegung entließ er den Streifenpolizisten. Als er sah, daß Sheldon sich in Richtung Haustür absetzte, rief er ihn zurück. »Der Arzt ist meines Wissens noch im Wohnzimmer. Also bitte!« »Yeah, zum Teufel!« knurrte Ed Sheldon und sah einen Mann von der Straße hereineilen und hastig auf den Captain einreden. Schlagartig herrschte gespannte Erwartung in der Halle unter den Leuten von der Mordkommission. Ed Sheldon gewann den Eindruck, daß er einem bedeutenden Augenblick
beiwohnte, wenn er dablieb. Der Captain wurde auch tatsächlich ziemlich blaß um die Nase und sagte wütend zu seinem Mitarbeiter, der gerade hereingestürmt war: »Das ist doch ganz ausgeschlossen, Sims! So, wie sie aussieht, ist sie doch schon mindestens vier, fünf Tage tot. Da kann sie doch nicht heute vormittag auf der Probe gewesen sein!« Der Mann war unerschütterlich. »Die Zeugen sind glaubwürdig, Captain. Ich habe die dumpfe Ahnung, wir müssen von vorn beginnen.« Zornig hieb der Captain auf den Tisch. »Dann überprüfen wir erst mal die Wohnung dieser Debbie Brian in der Gay Street. Vielleicht sitzt die Dame vergnügt daheim, und die Tote hier ist eine Unbekannte, die nur zufällig eine große Ähnlichkeit mit der Brian hat. An die Arbeit! Sie gehen rüber in die Gay Street, Sims!« Ed bedurfte keines besonders feinen Gespürs, um zu merken, daß dicke Luft herrschte. Ed Sheldon hielt den Mund. Die Tote war Debbie Brian, dafür wollte er seine rechte Hand hergeben. Er verspürte nur keine Lust, der Blitzableiter für die schlechte Stimmung des Captains zu sein. Hank Watkins hatte also nicht gesponnen, als er behauptete, er hätte Debbie Brian mit einem riesigen Hund noch am Abend in dieser Straße gesehen. Das klang glaubwürdig, nachdem es andere Zeugen gab, die Debbie am Morgen auf der Theaterprobe gesehen hatten. Ed Sheldon fühlte sich hundeelend, als ihm die Konsequenz voll bewußt wurde. Dann lag das rothaarige Mädchen nicht schon seit Tagen hier im Prentiss-Haus, sondern erst seit einer Stunde oder etwas mehr. Und es war wirklich von diesem schrecklichen geflügelten Monster umgebracht worden! Weshalb hatte Watkins von einem Hund gesprochen? Wie ein fliegender Hund hatte das Wesen doch nicht ausgesehen! Der Polizist fühlte sich nicht besonders, als er ins
Wohnzimmer ging, um seine Verletzung vom Polizeiarzt begutachten zu lassen. Der Fotograf und der Trupp von der Spurensicherung kamen ihm entgegen. Debbie Brians Leiche war jetzt zugedeckt, und neben ihr kniete eine Frauengestalt und legte Besteck in eine Arzttasche zurück. Allmächtiger! schoß es Ed Sheldon durch den Kopf. Das ist ja eine Ärztin! So was gibt’s ja auch nur bei der New Yorker Polizei! Er wollte die Ärztin gerade ansprechen, als er Augenzeuge eines unglaublichen Vorganges wurde. Die Ärztin beugte sich nämlich über die Tote, schob die Arme unter ihren Kopf und zog sie zu sich hoch. Und dann bot sie der Toten ihre Kehle dar. Ed Sheldon kniff die Augen zu und riß sie ganz weit wieder auf. Das Bild blieb. Er sah, daß sie nur zu dritt im Zimmer waren – die Ärztin der Mordkommission, er – na, und die Leiche von Debbie Brian. Er glaubte nicht länger, daß es eine Leiche war. Debbie Brian hatte ihn ja schon mit ihren Blicken verfolgt, hatte nach dem Blut aus seiner linken Achsel geschnuppert und hatte die Hand nach ihm ausgestreckt. Das war ein Geist. Oder ein Dämon. Aber nie im Leben eine Leiche! Und jetzt biß dieses Gespenst, das wie Debbie Brian aussah, der Polizeiärztin in die Kehle. Ein schmatzendes Geräusch erreichte Sheldons Ohren. Er stand starr vor Schreck und Entsetzen. Die Ärztin schien sein Eintreten nicht gehört zu haben. Sonst hätte sie kaum getan, was sie jetzt tat. Er starrte auf ihren Rücken. War die Ärztin am Ende auch ein Dämonenwesen, das Debbie Brian fast wie eine Mutter ihr Baby säugte? Aber auf eine entsetzliche Art!
Dreh jetzt nicht durch, alter Junge! sagte er sich. Du hast heute bloß deinen schlechten Tag! Für alles gibt es eine ganz natürliche Erklärung! In der Halle begann der Captain zu lärmen. Er putzte jemand ganz fürchterlich herunter. Dann wurde hinter Ed Sheldon die Tür aufgestoßen, und ein Mann rannte ihm fast in den Rücken. Fasziniert beobachtete Sheldon, wie geschickt die Polizeiärztin die Spuren ihres Treibens verbarg. Sie schirmte Debbie Brian mit dem Oberkörper ab, ließ sie zu Boden sinken und kramte dann in ihrer Bereitschaftstasche herum. Sie hatte verteufelt gut gehört, daß jemand ins Zimmer gekommen war. Nur hatte sie nicht mitbekommen, daß sie einen Zuschauer gehabt hatte. »Ja?« erkundigte sie sich mit einer unduldsamen Stimme. »Ich habe hier noch zu tun und wünsche keine Störung!« »Der Captain sagt, wir sollen sie jetzt wegbringen!« knurrte hinter Ed Sheldon eine Stimme. »Wenn ich fertig bin, nicht eher«, gab die Ärztin zurück und wandte den Kopf. Aber so, daß ihre Kehle nicht zu sehen war. Ed Sheldon war sicher, nie zuvor so eiskalte Augen gesehen zu haben. Die Ärztin kam ihm auch blaß vor; ihre Gesichtshaut war fast durchsichtig. Natürlich blieb das auch dem hereingestürmten Mann von der Mordkommission nicht verborgen. Der kannte schließlich die Ärztin. »Ist Ihnen nicht gut, Doktor Womack?« erkundigte er sich. »Wenn’s mir schlechtgeht, werde ich es schon sagen«, fauchte Dr. Womack den Mann an. Der merkte nichts. Dafür paßte Ed Sheldon doppelt gut auf. Die Ärztin hatte gefunden, was sie in ihrer Bereitschaftstasche die ganze Zeit gesucht hatte. Mit einer unglaublich geschickten Bewegung wischte sie sich über die
Kehle; dann schnippelte sie einen Streifen Pflaster von einer Rolle und pappte ihn, während der Mann ahnungslos hinausging, auf die Bißstelle. Und blitzschnell streifte sie den Kragen ihres Pullovers hoch und verdeckte alle Spuren. In dieser Sekunde schien sie zu spüren, daß noch jemand im Räum war. Aber Ed Sheldon hatte sich schon umgedreht, als sie herumfuhr. Er gab sich den Anschein, als würde er in die Halle schauen und als hätte ihn nie interessiert, was im Wohnzimmer geschah. Er ging hinaus, als hätte er einen Besenstiel verschluckt. An dem Captain ging er vorbei, ohne ihn zu sehen. Erst als er draußen auf der Straße anlangte, begann er zu rennen, als seien alle Furien hinter ihm her. Seine Zähne schlugen wie im Fieber aufeinander, als er die Theaterkneipe erreichte und Hank Watkins mit besorgtem Gesicht hinter der Theke gewahrte. Auf einem Barhocker saß ein Gast, der aussah wie Steve McQueen in seinen besten Jahren. Der Filmschauspieler McQueen war seit ein paar Jahren tot, aber darauf wollte sich Ed Sheldon nicht mehr verlassen. Vielleicht war es neuerdings üblich, daß die Toten nach Belieben auferstanden. Er hielt jetzt alles für möglich. Hank Watkins kam mit der Flasche und einem Glas. »Verdammt, Ed, du siehst aus, als hättest du ‘ne Verabredung mit dem Teufel gehabt! Hier, trink noch einen.« Er machte mit der Flasche eine Bewegung in Richtung auf seinen Gast. »Das ist Mister Gordon Black, und er ist der einzige Geisterjäger, den ich kenne.« *** Ed Sheldon brauchte fünf Minuten und zwei Drinks, um Zutrauen zu dem Geisterjäger zu fassen.
Der Mann ließ ihn reden und hörte zu, ohne ihn einmal zu unterbrechen. Nur in den Augen zeigte sich mehrmals ein erstaunter Ausdruck. Ed Sheldon war schließlich mit der Schilderung seiner schaurigen Erlebnisse fertig und fragte dumpf und voller Resignation: »Bin ich etwa verrückt, Mister Black?« Der Geisterjäger schüttelte den Kopf. »Nein. Sie sind nur durcheinander, und das kann ich verstehen. – Haben Sie die Verletzung versorgen lassen?« »Von dieser Polizeiärztin? Mann, ich bin nicht lebensmüde!« »Ihr Glück, Sheldon, daß sie die Achsel nicht hergezeigt haben. Die Frau hätte sofort erkannt, daß die Wunden nicht von einem Messer stammen. Ich bringe Sie zu einem Arzt, der Sie zusammenflickt. Der Mann ist verschwiegen. Normalerweise macht er solche Arbeit nicht, aber hier geht es um besondere Dinge.« »Sie scheinen eigenartige Beziehungen zu haben.« Ed Sheldon wurde dienstlich. Gordon Black lächelte geduldig. »In den letzten Tagen hatten wir in Manhattan zwei Fälle, die sich genau so abgespielt haben wie bei Debbie Brian.« Er fügte erklärend hinzu: »Oder fast genau so. Es handelte sich um zwei junge und besonders hübsche Frauen, und jedesmal vor ihrem Tod wurden sie zusammen mit einem großen Hund gesehen. Nachbarn haben sogar das Heulen der Hunde geschildert.« Ed Sheldon schüttelte den Kopf. »Davon weiß ich nichts.« »Das war auch in einem anderen Revier. Eine Tote fand man in den Docks auf der West Side, die andere in einem Gewächshaus auf dem Gelände des Veteranen-Hospitals an der zweiunddreißigsten Straße, und beide hatten sie eine zerbissene Kehle.« Der Polizist winkte matt ab. »Sie brauchen es nicht so deutlich zu erklären, Mann. Ich weiß, wie so was aussieht!«
Gordon Black warf einen Blick auf Hank Watkins. Einen fragenden Blick, weil er nicht wußte, wie weit er gehen konnte in seinen Erklärungen. Der Wirt nickte. »Aber Sie wissen nicht alles, Sheldon«, fuhr Gordon Black fort. »Beide Frauen waren einwandfrei tot. Wenige Tage, nachdem die Polizei dies festgestellt hatte, hat man die Frauen aber wieder auf der Straße gesehen.« Dem Polizisten quollen die Augen aus den Höhlen. »Unmöglich!« »Alles ist möglich«, widersprach Gordon Black. »Dafür haben Sie doch in den letzten zwei Stunden genügend Beweise erlebt.« Ed Sheldon schluckte angestrengt. Er bedachte die Konsequenzen, und die waren grauenhaft. »Heißt das, ich kann Debbie Brian irgendwann auf der Straße begegnen, obgleich sie eigentlich tot ist?« »Rechnen Sie damit!« versetzte der Geisterjäger. »Wie gut sind Ihre Beziehungen zur Mordkommission?« »Schlecht«, knurrte Sheldon. »Wer hat mit der Truppe schon gern zu tun?« »Da haben Sie auch wieder recht. Ich habe gerade die zwei Fälle erwähnt. Können Sie in Erfahrung bringen, welcher Polizeiarzt mit der Mordkommission am jeweiligen Fundort war?« »Das kann ich«, versprach Ed Sheldon. Dann stutzte er. »Fundort? Heißt das, der Tatort ist mit dem Fundort nicht identisch?« »Soweit mir bekannt ist, hat man die Tatorte noch gar nicht gefunden.« Ed Sheldon zeigte in Richtung Tür. »In diesem Punkt gibt es da drüben keine Zweifel. Das Mädchen ist im Haus umgebracht worden.« »Hat die Mordkommission das festgestellt?«
»Das sage ich.« Ed Sheldon stieß sich mit dem rechten Daumen gegen die Brust. »Wegen der Fußspur.« »Welche Fußspur?« Gordon Black und der Wirt schauten sich an. »Die von Debbie Brian. Sie führt ins Haus, aber nicht heraus. Inzwischen ist sie natürlich zertrampelt, aber ich habe sie genau gesehen. Eine Tote kann doch nicht in ein Haus laufen.« Das war allerdings eine zwingende Schlußfolgerung. Gordon Black hätte sich gerne das Haus von Prentiss angesehen, aber die Mordkommission warf ihn hochkant hinaus, wenn er dort jetzt auftauchte. Seine ganze Hoffnung war, daß das Gebäude nicht versiegelt wurde. »Ich bringe Sie jetzt erst mal zu dem Arzt, von dem ich gesprochen habe«, sagte er. »Wie lange geht Ihr Dienst?« »Bis Mitternacht.« »Und beginnt morgen?« »Um acht Uhr früh.« »Sobald Sie etwas wegen des Polizeiarztes herausgefunden haben, rufen Sie mich an.« Gordon Black gab dem Polizisten seine Karte. »Sie können mich rund um die Uhr erreichen.« Und an den Wirt gewandt sagte der Geisterjäger: »Schreibe die Drinks auf meine Rechnung. Ich bin bald zurück.« Gordon Black hatte seinen Wagen um die Ecke stehen. Als er und Ed Sheldon die Theaterkneipe verließen, brach drüben gerade die Mordkommission auf. Ed Sheldon packte den Geisterjäger am Arm und zeigte auf die Frau, die im Scheinwerferlicht die Stufen zwischen den Säulen herabkam. »Das ist sie!« keuchte er. »Man kann’s natürlich nicht sehen, sie hat den Pulloverkragen hochgezogen. Warum hat sie das getan, Mister Black? Was hat das alles zu bedeuten?« »Ich kann weder das eine noch das andere beantworten«,
gab der Geisterjäger zurück. »Ich suche selber nach einer Erklärung. Wie lange ist Doktor Womack im Polizeidienst?« »Keine Ahnung. Aber lange sicher noch nicht. Ich habe sie heute ja zum ersten Mal gesehen.« Die Ärztin schien zu spüren, daß sie beobachtet wurde. Sie blieb stehen. Und sie schaute genau herüber. Auf Anhieb hatte sie die Richtung gefunden, aus der sie angestarrt wurde! Ed Sheldon wurde die Sache noch unheimlicher, als sie schon war. Zudem bekam er ein mulmiges Gefühl. Gordon Black spürte den Anprall einer Haßwelle! Er konnte sich nicht entsinnen, je zuvor soviel Zorn und Feindschaft gespürt zu haben. Dr. Womack stieg in einen Wagen. Das Fahrzeug setzte sich gleich darauf in Bewegung und entschwand in Richtung unteres Manhattan. Die Mordkommission kehrte zum Polizeihauptquartier in der Centre Street zurück. Aber noch eine ganze Weile empfand Gordon Black diese fremdartige Ausstrahlung, die von drüben kam. Das gab ihm zu denken. Die Frau, die er als Quelle im Verdacht hatte, war doch fort! Sollte das heißen, da drüben in dem Haus war noch etwas? Ed Sheldon wollte weiter und sagte ungeduldig: »Haben Sie noch nie der Mordkommission zugesehen? Jetzt sind nur noch Techniker da. Wegen der Scheinwerfer und so.« Drüben wurde abgebaut. Gordon Black sah es. »Ja, wir fahren gleich los, Sheldon, es ist nicht weit. Und sie haben wirklich das ganze Haus durchsucht und nichts entdeckt?« »Denken Sie, ich würde Ihnen etwas verschweigen?« brauste der Streifenpolizist auf. »Selbst die Burschen von der Spurensicherung haben nichts gefunden, und sie waren besser ausstaffiert als ich mit meinem Kerzenleuchter.« Gordon Black fischte die Wagenschlüssel aus der Tasche. »Kommen Sie. Und seien Sie nicht so empfindlich.«
»Kunststück. Nach dem, was ich heute mitgemacht habe.« *** Der Arzt wohnte ein paar Blocks weiter. Er gab sich zugeknöpft und machte ein unfreundliches Gesicht, aber er verstand sein Fach und flickte Ed Sheldon die Achsel zusammen, setzte ihm eine Spritze, legte ihm einen soliden Verband an und gab ihm ein paar Tabletten mit für den Fall, daß starke Schmerzen auftraten. Gordon Black setzte den Polizisten dann am Washington Square Park ab, weil Ed Sheldon bis Mitternacht seine Runden drehen mußte. Der Geisterjäger kehrte zur Waverly Plaza zurück. Vor dem alten Prentiss-Haus stand kein Fahrzeug mehr, die Fenster waren dunkel, die Neugierigen hatten sich verlaufen. Aber in der Nachbarschaft war es dafür noch hinter den Fenstern hell. Für die nächste Zeit hatten die Leute reichlich Gesprächsstoff. Gordon Black schlenderte am Prentiss-Haus vorbei. Seine Sinne waren empfangsbereit. Wenn da noch etwas im Haus war, dann konnte er darauf hoffen, es zu spüren. Er empfand nichts. Gerade, als sei das Haus tot. Blitzschnell schaute er nach rechts und links. Niemand war auf der Straße, und die Beleuchtung war schlecht. Er öffnete das Gartentor und hob es an, weil er sich erinnerte, daß der Polizist es als quietschend beschrieben hatte. Er lauschte. Im Haus knackte es dumpf. Die starken Scheinwerfer hatten Hitze erzeugt, nun kühlte Gebälk aus und zog sich knackend zusammen. Nur ein schreckhaftes Gemüt konnte darin einen geisterhaften Laut hören. Mit lautlosen Schritten eilte er die Stufen hoch. Sein Feuerzeug flammte auf.
Die Tür war nicht versiegelt. Sie war nicht einmal verschlossen. Mangels eines passenden Schlüssels wohl. Mehr wollte er gar nicht wissen. Er kehrte um und ging hinüber zur Theaterkneipe von Hank Watkins. Inzwischen war der Abend vorgerückt, und es hatten sich Gäste eingefunden. Der große Ansturm erfolgte aber immer erst, wenn die Theater schlossen. Bei Watkins trafen sich Besucher, Schauspieler, Autoren, und meist kamen auch Leute vom technischen Personal. Es fand sich häufig ein ganz munteres Völkchen ein. Hank Watkins mußte jetzt zwar schon die Hände rühren, er fand aber zwischendurch Muße, sich mit dem Geisterjäger über die gespenstischen Vorkommnisse zu unterhalten. Oder richtiger, dem Anwalt Gordon Black eine Menge Fragen zu beantworten. Wie denn dieser verdammte große Hund ausgesehen habe, zum Beispiel. »Na, du bist gut! Wie ein Hund eben. Bloß zwei Nummern größer, als so einer sonst ist.« Gordon Black war unzufrieden. »Und Debbie? Wie hat sie ausgesehen? Was hat sie für ein Gesicht gemacht? Wie hat sie sich bewegt?« Hank Watkins knurrte etwas von Kreuzverhör, aber er dachte nach. Dann wedelte er mit dem Wischlappen herum. »Du hast wohl einen besonderen Sinn für diese Dinge, was? Schätze, deine Verteidigungen vor Gericht haben dich verdorben. Du vermutest immer gleich ein Motiv hinter Belanglosigkeiten.« »Belanglos? Debbie ist tot, und sie würde sich sehr wundern, wenn sie dich hören könnte, Hank. Also komm mit der Antwort rüber und blase nicht eine Menge warmen Wind durch die Kneipe.« »Wenn sie wirklich tot ist«, erwiderte Hank voller Skepsis. »Was ich von den beiden anderen Fällen weiß, läßt mich zweifeln. Und was Ed Sheldon über Debbie und die Ärztin
erzählt hat, macht mir Angst, ehrlich.« Der Geisterjäger wurde ungehalten. Hank war ein praktisch veranlagter Mensch und zierte sich sonst nicht. Jetzt aber krümmte er sich wie ein Wurm am Angelhaken und machte Ausflüchte. »Du hast noch nie im Leben vor etwas Angst gehabt«, sagte Gordon Black. »Also erzähle mir nicht, das hätte sich schlagartig geändert. Was war mit Debbie? Wenn es etwas Nachteiliges war, ändert es auch nichts daran, daß sie jetzt tot ist.« Hank Watkins kämpfte noch immer mit sich. Aber endlich sagte er sehr zögernd: »Na, sonst war sie doch immer die Freundlichkeit in Person, und sie ist immer gern hier reingekommen. Heute abend machte sie den Eindruck, als hätte sie einen neben sich gehen, wenn du verstehst, was ich meine. Als ob sie gepusht hätte.« »Rauschgift?« »Sie war ganz abwesend, sie hat nicht mal auf meinen Gruß reagiert. Hat mich angeguckt, als wäre ich aus Glas und sie könnte durch mich hindurchsehen. Und dazu hat dieser verdammte Köter ganz schaurig geheult.« Watkins war sichtlich erleichtert, daß es heraus war. Er führte eine Bestellung aus und kam zurück. »Und welche Richtung hat sie genommen?« forschte der Geisterjäger. »Die Straße runter. Lange habe ich ihr und dem Vieh nicht nachgesehen, ich mußte ja hier Ordnung machen.« Gordon Black hatte einen nachdenklichen Ausdruck im Gesicht. »Sie kann also auch über die Straße gegangen sein und im Prentiss-Haus verschwunden sein.« »Durchaus möglich«, stimmte Watkins zu. Der Geisterjäger hatte auch nicht angenommen, daß Debbie Brian aus freien Stücken in dieses entsetzliche Haus gegangen war. Jemand oder etwas hatte ihren Willen beeinflußt, hatte
Debbie übernommen und sie dem geflügelten Blutsauger ausgeliefert. Neue Gäste kamen herein. Sie hatten wohl unterwegs oder vor der Tür von der entsetzlichen Tat vernommen und überschütteten Hank Watkins mit einem Schwall Fragen. Dem Geisterjäger war es ganz lieb, daß er etwas Zeit zum Nachdenken fand. Er zog sich mit einem Glas ans Ende der Theke zurück, wo schummriges Licht herrschte und einen nicht jeder gleich erkannte, der zur Tür hereinschneite. Diese drei mehr als seltsamen Morde schienen auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun zu haben. Vor allem war die Behauptung nicht aufrechtzuerhalten, es seien Morde gewesen. Wenigstens in zwei Fällen. Das Mädchen, das man in den Docks gefunden hatte, war eine biedere Verkäuferin aus einem Kaufhaus in der Innenstadt gewesen und in keinem, Falle der Typ, der sich an den Docks herumtrieb. Bess Menlo war ihr Name. Bei der Polizei war sie ein unbeschriebenes Blatt gewesen. Was sich von der anderen Toten nicht behaupten ließ, die man im Gewächshaus des Veteranen-Hospitals gefunden hatte. Baby Jane Fleming war seit ihrem vierzehnten Lebensjahr ein respektabler Sumpfvogel gewesen und hatte es bis zu ihrem gewaltsamen Ableben auf wenigstens ein Dutzend Affären mit New Yorker Unterweltgrößen gebracht. Ein Luder mit anderen Worten. Kaum hatte die Mordkommission die beiden Leichen eingesammelt und ins Schauhaus verfrachtet, waren Bess Menlo und Baby Jane wieder in ihrer gewohnten Umgebung aufgetaucht. Korrekterweise zwei Tage später. Es war nicht viel an die große Glocke gehängt worden, aber Gordon Black wollte schwören, daß hinter den Polizeikulissen noch immer der Staub flog und daß man den Skandal liebend gern unter den Teppich kehren wollte. Denn das sah doch so aus, als hätten ausgekochte Polizisten
zwei junge Frauen für tot angesehen, die in Wahrheit sehr lebendig waren. In einer grimmigen Anwandlung überlegte der Geisterjäger, ob er den Polizeigewaltigen nicht den Vorschlag machen sollte, im nachhinein die beiden noch für scheintot zu erklären. Erwiesenermaßen gab es keine Verbindung zwischen Bess Menlo und Baby Jane Fleming zu irgendeinem Zeitpunkt. Gordon Black wollte fast schwören, daß dies auch auf Debbie Brian zutraf. Und bei Debbie mußte erst mal abgewartet werden, ob sie aus dem Totenreich zurückkehrte und sich unter die Lebenden einreihte. Wenn ja, war das keineswegs ein natürlicher Vorgang. Aber was war bei diesen ganzen Ereignissen noch natürlich? Eine Gemeinsamkeit der drei Fälle sprang ins Auge – sowohl Bess Menlo als auch Baby Jane Fleming und Debbie Brian hatte man unmittelbar vor ihrem »Tod« in Begleitung eines riesigen Hundes gesehen. Nur ein harmloses Gemüt konnte annehmen, daß der Hund die Mädchen zu Tode gebissen hatte. So ein gewaltiges Tier hätte jeder Beute nicht bloß die Kehle zerbissen, sondern den ganzen Hals zerfetzt. Aus der Schilderung des Patrolman Ed Sheldon wußte der Geisterjäger von dem geflügelten Monstrum, dieser gigantischen Fledermaus mit dem Menschengesicht. Ob im Falle Bess Menlos und Baby Janes ebenfalls eine Fledermaus aufgetreten war, entzog sich Gordon Blacks Kenntnis. Es gab keinen Zeugen, jedenfalls war ihm keiner bekannt. Und demzufolge war alles, was er vermutete, pure Spekulation. Bei Debbie Brians »Tod« war die riesige Fledermaus zugegen gewesen, mit Sicherheit auch beteiligt. Bei Bess Menlo und Baby Jane konnte er diese Frage nicht beantworten. Hank Watkins hatte seine neuen Gäste versorgt und kam in den schummrigen Winkel ans Ende der Theke.
»Wenn du so ein Gesicht machst, dann ist was im Busch«, orakelte er und goß dem Geisterjäger noch einen Schuß nach. »Ich widerspreche dir nicht«, meinte Gordon Black. »Drei Fälle in ganz kurzer Zeit. Ich fürchte, auch bei Debbie kommt die Polizei nicht weiter. Wie gut hast du Prentiss gekannt?« »Nicht besonders gut«, räumte Hank Watkins ein. »Er war nicht gesellig, und wenn er trank, hat er das woanders besorgt, zu mir kam er nie rein.« »Wie war er?« Der Wirt senkte die Stimme. »Du denkst, er könnte ein Hexenmeister gewesen sein?« »Ich sehe den Anfang einer Spur. Und dieser Anfang ist in einem alten Haus. Diese Chance lasse ich mir nicht entgehen.« »Paß nur auf, daß du nicht auf die Finger geklopft kriegst«, warnte Watkins. »Ich meine, es ist ein Zufall, daß Debbie in sein Haus gelockt wurde. Und außerdem ist er schon vor Jahren gestorben, und bisher war Ruhe. Warum sollte sein Geist gerade jetzt rührig werden? Und dann noch so? Prentiss war ein seltsamer Vogel, aber bestimmt kein Mann, der seinen Haß bis ins Jenseits mitnahm und deswegen keine Ruhe findet.« »Das ist deine Meinung. Ich habe eine andere. Jemand hat ihn an den Bettelstab gebracht. Ein guter Grund zum ewigen Haß. Weißt du zufällig, wer es war?« Entsetzt winkte Watkins ab. »Er hat mit vielen Leuten Geschäfte gemacht, aber du kannst mich auf den Kopf stellen, ich kenne keinen einzigen Namen.« »Wo ist er gestorben?« »In Chicago. Wellman hat seine Angelegenheiten geordnet, er war auch zweimal hier.« »Welcher Wellman?« »Hadley Wellman.« Watkins stöpselte die Flasche zu. Gordon Black schaute unwillig. »Diese schmierige Laus? Zum Teufel, ich muß schon sagen, dann hat Prentiss aber
seltsame Bekannte gehabt!« »Ich habe mich damals auch sanft gewundert, wie Hadley Wellman dazu kam, den Nachlaß zu ordnen. Es hat aber niemand Anstoß daran genommen. Ich dachte damals, die Sache ginge in Ordnung.« »Den werde ich mir morgen vorknöpfen!« versprach Gordon Black. Hadley Wellman war einer von den Burschen, die zu saftigen Zinssätzen Kautionsgelder an Untersuchungsgefangene herausgaben. Und Wellman war dafür bekannt, daß er ausschließlich für die New Yorker Unterwelt arbeitete. Wellman und Prentiss, das ging irgendwie nicht zusammen. Allein wegen der Unmöglichkeit dieser Kombination war Wellman eine Überprüfung wert. Und was, um alles in der Welt, hatte Wellman im Nachlaß von Prentiss zu ordnen gehabt? Er fuhr direkt von der Theaterkneipe zum Polizeihauptquartier in der Centre Street und fragte sich zu der Mordkommission durch, die den Fall Debbie Brian bearbeitete. Es ging allmählich auf Mitternacht, doch davon war im Gebäude nichts zu spüren. Es herrschten Hektik und Unruhe. Je weiter die Nacht fortschritt, desto kräftiger blühte in Manhattan das Verbrechen. Für die Polizei war das immer die Zeit der schlimmsten Arbeit. Ein Captain Lansky führte die Ermittlungen im Mordfall Debbie Brian. Als er von seinem späten Besucher erfuhr, daß der Anwalt war, ging er automatisch in Verteidigungsstellung. Wenn bei ihm Anwälte auftauchten, wollten sie doch nur einen Verhafteten gegen Kaution loseisen. Gordon Black räumte die Vorbehalte des Captains aus. »Ich komme wegen Debbie Brian, ich habe sie gekannt«, sagte er. Lansky wurde zugänglicher, blickte aber unmißverständlich
auf die Uhr. »Dann schießen Sie los, Mann! Meine Zeit ist knapp. Wir haben im Durchschnitt jede Stunde einen Einsatz. Können Sie irgendwelche nützlichen Angaben machen?« »Das wohl nicht, so gut habe ich Debbie Brian nun auch wieder nicht gekannt. Vor allem weiß ich nicht, mit wem sie privaten Umgang pflegte. Ich schätze, das dürfte auch von untergeordneter Bedeutung sein. Der Schlüssel liegt woanders.« Lansky bekam den feindlichenn Blick. »Hören Sie, lassen Sie uns unsere Arbeit machen, tun Sie die Ihre. Noch was?« Gordon Black lächelte hintersinnig. »Ich beschäftige mich auch mit der Aufklärung übersinnlicher Vorgänge, Captain.« Lansky grinste milde. So, wie man etwa über einen Schwachkopf lächelt. »Und der Fall Debbie Brian ist so ‘n übersinnlicher Vorgang? Mann, Sie haben ja eine Macke! Verschwinden Sie, ich habe keine Zeit, mir den Blödsinn anzuhören!« »Sie haben zwei Fälle am Bein, in denen Sie nicht weiterkommen. Ich meine die Polizei allgemein. Bess Menlo und Baby Jane Fleming. Das meine ich mit übersinnlich. Oder finden Sie eine vernünftige Erklärung dafür, daß zwei zweifelsfrei tote Frauen plötzlich wieder munter herumspazieren?« Lansky wurde beinahe grün im Gesicht. »Kein Kommentar!« Dann zeigte er auf die Tür. Gordon Black erhob sich. »Wenn Sie verhindern wollen, daß auch Debbie Brian plötzlich wieder herumwandelt, dann sollten Sie eine Bibel in ihr Kühlfach im Leichenschauhaus legen. Gegen Untote ist das ein sehr wirksames Mittel.« Lansky sprang hinter seinem Schreibtisch auf und nahm eine drohende Haltung ein. »Ich gehe schon«, versprach der Geisterjäger. »Meine Karte lasse ich Ihnen hier. Ich habe so das Gefühl, daß Sie mich bald anrufen werden.« Er ging zur Tür und drehte sich dort um.
»Wie lange ist Doktor Womack eigentlich bei der Mordkommission?« »Ein halbes Jahr. Warum fragen Sie?« Lansky hielt die Karte des Rechtsanwaltes und Geisterjägers in der Hand. »Ohne besonderen Grund. Ich sah die Dame heute abend aus diesem alten Haus kommen – na, Sie wissen schon. Wo war sie zuvor?« »Weiß ich nicht, und es interessiert mich auch nicht. Pamela ist ein guter Arzt, das genügt. Wir sind hier kein Familienzirkel, wo jeder im Privatleben des anderen herumschnüffelt.« Gordon Black machte ein Gesicht, als könnte er kein Wässerchen trüben. »Sie können mich übrigens Tag und Nacht erreichen, Captain.« Er hob die Hand und verließ den engen Raum, den Lansky zur Verfügung hatte. Auf dem Flur klopfte er sich eine Zigarette aus der Packung. Über den zeitweiligen Aufenthalt dieser Doktor Pamela Womack holte er doch besser Auskünfte ein. Wenn Ed Sheldon sich die Geschichte nicht aus den Fingern gesaugt hatte, dann hatte sie Debbie Brian ihr Blut zu trinken gegeben! Dann war sie eine Hexe. Oder ein Dämon, der körperliche Gestalt angenommen hatte. Und dann war Debbie Brian mit Sicherheit eine Untote. Captain Lansky konnte noch sein blaues Wunder erleben. *** Einer Eingebung folgend verließ er nicht das Gebäude, sondern fragte einen grauhaarigen Sergeant nach Dr. Womack. »Im kleinen Labor sicher«, meinte der Mann und machte eine unbestimmte Bewegung mit dem Daumen über die Achsel, Auf der ganzen Etage gab es kein Labor. Gordon Black begriff schließlich, daß der Sergeant auf die
Aufzüge hingewiesen hatte. Neben dem Klingelknopf vom ersten Stockwerk stand dann, was er suchte. Er fuhr hinunter und überzeugte sich, daß er sein Hexenmesser griffbereit hatte. Für alle Fälle. Das kleine Labor war eine schmuddelige Küche, in der allerlei Beweisstücke in Lösungen gekocht wurden. Der Geisterjäger zählte sechs Beschäftigte. Sie blickten ihn wegen seines Eindringens böse an. Dann entdeckte er die Polizeiärztin in einem kleinen Glaskasten. Sie hantierte dort mit einer farbigen Lösung unter einer Abzughaube. Obgleich sie ihm den Rücken zukehrte, reagierte sie, als hätte sie auch hinten im Kopf Augen. Sie fuhr herum. Gordon Black erschrak vor ihrem mörderischen Blick, den sie ihm durch das Fenster zuwarf. Dann spürte er die Eiseskälte, die nach ihm griff. Die Ärztin griff ihn an! Auf gedanklicher Ebene. Er hatte das Gefühl, sie wollte ihm ein Stück vom Gehirn aus dem Schädel reißen. Ihre Gedankenströme begannen seinen Körper zu lähmen. Sie hatte erfaßt, daß er eine Gefahr für sie war. Sie wollte ihm zuvorkommen. Nur unter größter Anstrengung gelang es ihm, die Hand unters Jackett zu schieben und den Griff des Hexenmessers zu umfassen. Sie zog sich so schnell vom ihm zurück, daß er ihre Panik spürte. Unvermittelt startete sie einen zweiten Angriff, als er schon annahm, sie hätte aufgegeben. Ihre Willensströme waren auf sein Herz gezielt. Sie wollte einen tödlichen Stillstand herbeiführen. Er spürte die Stiche und empfand Todesangst. In seiner Brust war schlagartig ein Gefühl, als sei dort ein leerer Raum entstanden. Dr. Pamela Womack grinste höhnisch.
In einer Reflexbewegung förderte der Geisterjäger das Hexenmesser ans Licht und machte mit der Klinge das Bannzeichen gegen die Ärztin. Ihr Gesicht veränderte sich auf grauenhafte Weise. Ihre Haut wurde transparent, der knöcherne Schädel wurde sichtbar. Und darin saßen die fast glühenden Augen, die in einem unversöhnlichen Haß brannten. Gordon Black murmelte einen Bannfluch. Die Frau zuckte wie unter Peitschenschlägen zusammen. Sie wandte sich ab und zog abwehrend die Achseln hoch. Der Geisterjäger atmete erleichtert auf, als sein Herz zu rasen begann und ihm der Schweiß auf die Haut trat. Das war verteufelt knapp hergegangen. Diese Frau war ein Dämonenwesen, und sie hatte unvorstellbare Kraft. Für den Augenblick war zwar die Gefahr gebannt, aber er mußte jetzt ständig auf der Hut sein. Sie wußte, daß er ihren Angriffen etwas entgegenzusetzen hatte. Sie würde sich bessere Methoden ausdenken. Ihre zwei vehementen Angriffe machten ihm klar, daß sie wußte oder instinktiv spürte, was seine Absichten waren. Sie wollte verhindern, daß er das Geheimnis um die untoten Frauen lüftete. Die Beschäftigten im Labor hatten von dem Intermezzo nichts mitbekommen. Zufällig hob ein junger Mann den Kopf und sah das Messer in der Hand des Eindringlings. Er erschrak. Dann schlug er Alarm: »Vorsicht, ‘n Verrückter! Nehmt ihm das Messer weg!« Seine Stimme drang durch Türen und Wände. Gordon Black grinste entschuldigend in die Runde und ließ das Messer verschwinden. »Nichts für ungut!« Er flüchtete aus dem Labor, als er sah, wie sich die Mitarbeiter mit eisernen Stativstangen und Hockern bewaffneten und ihn einzukreisen suchten. Auf dem Flur kamen schon zwei Polizisten angaloppiert. Sie
schauten mißtrauisch und lauschten dem Gebrüll aus dem Labor. Geistesgegenwärtig sagte Gordon Black: »Er ist da runter!« Er zeigte unbekümmert weiter den Flur entlang. Die Patrolmen spurteten los, und er eilte in die Gegenrichtung. *** Jetzt in der Nacht konnte er nicht viel unternehmen. Die Stellen, die ihm hätten Auskunft geben können, waren am Tag besetzt. Er rief seine Mitarbeiterin Hanako Kamara an. Sie war jetzt daheim, nachdem sie zwei Stunden lang im Büro vergeblich auf seine Rückkehr gewartet hatte, wie sie ihm vorhielt. »Es hat sich nicht ergeben«, wich er aus. »Aber Hanks Anruf hat mich auf eine ganz heiße Spur gebracht. Kann ich dich noch sehen?« »Im Büro? Muß das sein?« »Bei mir. Oder bei dir, es spielt keine Rolle. Ich muß dich mit dem Fall bekannt machen. Ich fürchte, es wird eine Neuauflage wie bei Bess Menlo oder Baby Jane.« Hanako überlegte lange, ob es schicklich war, ihn jetzt noch daheim zu empfangen. »Dann komm zu mir«, bot sie an. »Wo bist du jetzt?« »Am Union Square, und ich … Warte mal, bitte!« Urplötzlich hatte der Geisterjäger das Gefühl, im Telefonhäuschen beobachtet zu werden. Er starrte hinaus. Der Verkehr wälzte sich in kaum abreißendem Strom den Broadway hinauf und hinab. Die meisten Theater hatten gerade geschlossen, das Publikum strebte jetzt anderen Orten der Vergnügung zu. Und das wurde natürlich mit dem Auto bewerkstelligt. Es ging zu wie beim morgendlichen Stoßverkehr, wo alles in die Stadt drängte.
Gordon Black vermochte nichts Auffälliges zu entdecken. Da war niemand, der ihn beobachtete. Der behelmte Motorradfahrer, der zwanzig Schritte weiter im Laternenschein an seiner Maschine herumfummelte, zählte nicht. Aber seitwärts zu den Büschen der kümmerlichen Grünanlage hin bewegte sich etwas. Zweige wippten. Glühende Augen starrten aus dem Gewirr zu Gordon Black hin. Er dachte sofort an die Ärztin. Aber die konnte es nicht sein, die war doch im Labor des Polizeihauptquartiers in der Centre Street drunten. Ein riesiger Hund streifte jetzt gut sichtbar durchs Gebüsch und schaute immer wieder zur beleuchteten Telefonzelle. »Hanako? Hörst du noch?« fragte der Geisterjäger. Tiefes Mißtrauen hatte ihn erfaßt. »Egal, wer vor deiner Tür auftaucht, du läßt ihn nicht ein, bevor ich nicht da bin. Versprich es mir!« »Huh!« machte seine Mitarbeiterin. »Das klingt ja fast bedrohlich. Also beeil dich, Gordon.« Er hängte auf und behielt den Hund im Auge, weil er an die Schilderung von Hank Watkins dachte und an die Beobachtungen, als Bess Menlo und Baby Jane Fleming mit einem riesenhaften Hund unterwegs gewesen waren. Ein blöder Zufall, sagte er sich. Mach dich nicht selber verrückt! In New York gibt es vermutlich etliche Millionen Hunde und einige Tausend von dieser Sorte! Kaum streckte er die Hand nach der Tür aus, schoß der Hund aus dem Gebüsch. Das hielt der Geisterjäger nun nicht mehr für einen Zufall, denn der verdammte Köter verlegte ihm genau den Weg zu seinem Wagen. Um den Motorradfahrer kümmerte sich das Biest überhaupt nicht. Und dann beobachtete der Geisterjäger eine grausige Verwandlung. Der Hund wurde mehr und mehr einem Wolf
ähnlich! Und was für einem! Der Kopf nahm das Aussehen eines menschlichen Gesichtes an – gerade, wie Ed Sheldon es von der entsetzlichen Fledermaus im Prentiss-Haus geschildert hatte. Die Züge belebten sich, verzerrten sich zu einem höhnischen, überlegenen Grinsen. Der Mund klaffte, weiße Reißzähne schimmerten im Laternenlicht. Vampirzähne! Blitzartig entstand im Kopf des Geisterjägers die zwanghafte Vorstellung von Dracula, dem Grafen des Schreckens. Soweit ihm bekannt war, beliebte der sich je nach den Erfordernissen in einen Wolf oder eine Fledermaus zu verwandeln oder auch in Menschengestalt aufzutreten. Aber Dracula war drüben in Europa zu Hause, und hier war Amerika. Für den Meister aller Vampire gab es zwar keine Grenzen und keine räumlichen Entfernungen, aber nie hatte der Geisterjäger auch nur vage Hinweise darauf erhalten, daß Dracula je in Amerika ein Gastspiel gegeben hätte. Anhänger hatte Dracula ohne Frage. Gordon Black kannte indes nicht einen; er hatte nie mit ihnen zu schaffen gehabt. Der Dämonenwolf mit dem haarigen Menschengesicht duckte sich zum Sprung, als der Geisterjäger energisch die Zelle verließ. Genau in diesem Moment war auch der Motorradfahrer mit seiner kleinen Reparatur fertig und schwang sich auf den Feuerstuhl, ohne einen Blick an seine Umgebung zu verschwenden. Gordon Black knirschte mit den Zähnen. Er hatte darauf gebaut, daß der Mann das Untier erblickte und Lärm machte. Und daß er dann die Chance bekam, zu seinem Wagen zu sausen. Das Hexenmesser hatte gegen die Polizeiärztin schon gute Dienste geleistet. Am Ende nützte es auch gegen den Dämonenwolf!
Kaum griff der Geisterjäger unter das Jackett, da stieß der Wolf ein gräßliches Heulen aus, kroch unter wütendem Knurren rückwärts und verschwand in den Büschen. Sekunden später raschelte dort nicht mehr ein Blatt. Die Büsche standen unbewegt und friedlich. Gordon Black ging kein Risiko ein. Er nahm das Messer zur Hand und legte es im Wagen auf den Beifahrersitz. Der Zwischenfall war noch gut abgelaufen. Er war überzeugt, daß Dr. Pamela Womack ihm den Dämon auf den Hals gehetzt hatte, um ihn auszuschalten, bevor er bei seinen Ermittlungen in Gefilde vordrang, die grausige Geheimnisse bargen. Während er in Richtung Central Park kurvte, stellte er gefährliche Überlegungen an. Noch hatte er den Überraschungseffekt bei seinen Aktionen auf seiner Seite, wobei er überzeugt war, daß die Polizeiärztin nur einer seiner Gegenspieler war. Wenn er vielleicht noch in dieser Nacht im Prentiss-Haus mit seinen Nachforschungen begann? Auch wenn die Mordkommission und die Spurensicherung keinen versteckten Raum ausfindig gemacht hatten und zuvor Ed Sheldon vergeblich herumgesucht hatte – wenn da eine Tür geklappt hatte, gab es auch einen verborgenen Raum. Und je eher er den fand, desto besser. Im Rückspiegel konnte er ein Licht beobachten. Es folgte ihm seit dem Union Square in gleichbleibendem Abstand. Ein Wagen mit einem defekten Scheinwerfer wahrscheinlich, aber doch ein merkwürdiger Zufall. In der Nähe der Grand Station sah er dann, daß es gar kein Auto war, sondern ein Motorrad. Wie ein Stich ging es ihm durch den Magen. Der Motorradfahrer, der an seiner Maschine herumgewerkelt hatte, während er in der Telefonzelle Hanako angerufen hatte! Statt die Richtung zu seinem Büro oder zu Hanakos
Wohnung einzuschlagen, fuhr der Geisterjäger einmal um den nächsten Block und rauschte dann auf der zweiundvierzigsten Straße nach Westen zu den Docks. Das fehlte noch, daß er den Leithammel machte und einen Verfolger zur Wohnung seiner Mitarbeiterin führte! Oder sah er die Dinge nur viel schärfer und mißtrauischer? Der einzelne Scheinwerfer verschwand aus dem Rückspiegel. Gordon Black atmete auf. Er hatte sich geirrt. Oder doch nicht? Zwischen den Doppelscheinwerfern der Autos fädelte sich wieder der Motorradfahrer auf seiner Maschine heraus und hängte sich hinter ihn. Gordon Black kitzelte das Gaspedal. Der Abstand vergrößerte sich, aber der Motorradfahrer blieb dran. Jetzt wollte es der Geisterjäger ganz genau wissen. Er unterquerte den West Side Highway in fast verkehrswidrigem Tempo und bog in eine der düstersten Gegenden vor Manhattan ein. Hier brannte es häufig. Verkohlte leere Ruinen von ehemaligen düsteren Mietskasernen reckten ihre Fassaden in den Nachthimmel. Hier waren umfangreiche Sanierungsmaßnahmen geplant, aber vorläufig war es Spekulationsgebiet, und mit gelegten Bränden wurden hartnäckige Mieter rücksichtslos vertrieben. Er lenkte den Wagen in eine tote Straße, wo nicht mal mehr die Beleuchtung funktionierte. Hart stieg er auf die Bremse, schob den Rückwärtsgang ein und ließ den Wagen mit ausgeschalteter Beleuchtung auf die eben verlassene Straße zurückrollen. Der Motorradfahrer zischte daher, verlangsamte das Tempo, legte sich in die Kurve – und sah das Auto zu spät. Er krachte mit der Maschine noch seitlich gegen das Wagenheck. Wie der Teufel war Gordon Black draußen. Das
Hexenmesser nahm er mit. Viel hatte der unverschämt neugierige Fahrer nicht abgekriegt. Er rappelte sich schon wieder auf. Und er hob mühelos seine schwere Maschine vom Boden auf. Der Geisterjäger ging ihn mit vorgehaltenem Messer an und hörte ein tierisches Fauchen unter dem Helm hervor. Blitzschnell griff er zu und riß dem Fahrer den Helm vom Kopf. Eine Fülle blonder Haare quoll ihm entgegen. Im diffusen Licht der nächsten Straßenlampe sah er ein totenbleiches Mädchengesicht! Bess Menlo! Ihr Foto war in allen Boulevardzeitungen abgebildet gewesen. Jeder Zweifel war ausgeschlossen. Sie war es. Eine Untote! Ihr bleicher Mund klaffte auf, Vampirzähne wuchsen in Sekundenschnelle hervor. Gordon Black sah unter dem Kinn die Bißstelle. Sie glänzte, als würde sie wieder bluten. Mit dem Hexenmesser machte er das Kreuzeszeichen vor dem Gesicht, das sich zur Fratze verzerrte. Ein schrecklicher Schrei entfloh dem Mund der Untoten. Sie krümmte sich, wandte den Kopf ab und stieß satanische Flüche aus. Dann torkelte sie kraftlos in die finstere Straße hinein. Gordon Black verfolgte sie, bis er sicher war, daß er sie so geschwächt hatte, daß sie nicht ihre dämonische Macht über ihn breiten konnte. Wimmernd brach sie vor einer Hausruine zusammen. Er kehrte um, riß die Zündkabel am Motorrad ab und schraubte den Tankdeckel auf. Gluckernd ergoß sich Benzin auf die Straße. Dem Helm verpaßte er einen Fußtritt, daß der Kopfschutz über die gesamte Fahrbahn flog. Dann hastete er hinter das Steuer und sah zu, daß er aus der
Gegend wegkam. Erst als er eine stärker befahrene Straße erreichte, merkte er, daß ihm das Hemd am Leibe klebte. Er bedauerte, daß Captain Lansky nicht Zeuge gewesen war. Der Mann hätte jetzt wohl eine andere Einstellung zu den geisterhaften Vorfällen gefunden. Mit dem seitlich eingedrückten Wagenheck konnte er ihn allerdings kaum überzeugen. Lansky verdächtigte ihn höchstens der Unfallflucht und hielt ihn für einen vollends übergeschnappten Zeitgenossen. Zwar konnte Gordon Black keinen weiteren Verfolger entdecken. Zur eigenen und zu Hanakos Sicherheit fuhr er aber viele Umwege, und den Wagen stellte er zwei Blocks von Hanakos Wohnung entfernt ab. *** Seine Mitarbeiterin war eine reinblütige Asiatin und ein bildhübsches Geschöpf. Bei ihrem Anblick bekamen die meisten Männer Gedanken, über die man besser nicht redete. Hanako öffnete erst, nachdem Gordon ihr zweimal versichert hatte, daß er es war. Sie ließ ihn sogar den Namen einer wenig bekannten Schutzgöttin der Weißen Magie nennen. Danach erst war ihr Mißtrauen ausgeräumt. Der Geisterjäger zog ausdrucksvoll die Brauen hoch, als er die mit geweihten silbernen Kugeln geladene Pistole in ihrer Hand entdeckte. »Drücke nur nicht aus Versehen ab«, mahnte er, »mir ist in den letzten Stunden schon genug Unheil zugestoßen.« Hanako schaute auf den Flur, bevor sie die Tür schloß. Nachdenklich musterte sie den Geisterjäger. »Ich dachte mir gleich, daß etwas nicht stimmt«, sagte sie endlich. »Wobei nicht stimmt?« »Mit deinem zweiten Anruf.«
»Zweiter Anruf? Ich habe nur einmal angerufen.« »Das dachte ich mir dann auch. Aber es war deine Stimme. Ich sollte ins Büro kommen.« Gordon Black griff sich an den Kopf, bevor er ziemlich verwirrt Platz nahm. »Eine Männerstimme?« forschte er. Dann kam ihm seine Frage albern vor. Hanako hatte doch gesagt, daß sie seine Stimme gehört zu haben glaubte. »Dein Glück, daß du die Wohnung nicht verlassen hast.« Er unterrichtete seine Mitarbeiterin in knapper Form über die Vorfälle. Den Anruf von Hank Watkins im Büro hatte sie noch mitbekommen. Hanako verfiel nicht in Panik. Sie bewahrte kühles Blut und entnahm einem Geheimfach in ihrem Schrank getrocknete Pflanzen. Ein durchdringender, aber nicht unangenehmer Duft entströmte ihnen und breitete sich sofort in der Wohnung aus. Umsichtig verteilte Hanako die Zweige, legte welche bei jeder Zimmertür auf den Boden und hängte die restlichen Stengel an die Fenster. »Ihr nennt es Wolfskraut«, erklärte sie. »Frische Pflanzen sind besser, aber die bekommt man hier nicht. Das Kraut wirkt gegen Vampire und Blutsauger aller Art. Es ist zehnmal stärker als Knoblauch.« Gordon Black ließ sie gewähren und überlegte, wie der zweite Anruf hatte zustande kommen können. Jemand hatte versucht, Hanako in die Falle zu locken. Sie wäre wahrscheinlich nie bis zum Büro gekommen. Er schöpfte Verdacht und zog seine Karten aus der Tasche. Natürlich hatte er als gewissenhafter Anwalt seine zwei Geschäftsnummern samt Anschrift aufdrucken lassen. Und für dringende Anrufe waren außerdem seine Privatnummer und die von Hanako vermerkt. Gottlob ohne Anschrift. Eine Karte hatte er Captain Lansky hinterlassen. Sollte die Polizeiärztin sich die Karte beschafft haben? Das
wollte er nicht ausschließen. Er entsann sich des Augenblicks im Labor, als sie ihn mit mentalen Kräften angegriffen hatte. Er hatte geglaubt, sie würde ihm das Gehirn aus dem Kopf reißen. Jetzt war ihm der Sachverhalt klar. Sie hatte in seinem Gedächtnis geplündert! Sie hatte ihn mit Ed Sheldon gesehen, als sie aus dem Prentiss-Haus gekommen war. Und als er dann auch noch im Polizeihauptquartier in der Centre Street aufgetaucht war, hatte sie die Gefahr erkannt. Da Lansky die Mordkommission am Ort geleitet hatte, konnte sie davon ausgehen, daß er bei dem Captain Auskünfte zu erlangen versucht hatte. Und da sie mit Sicherheit geistigen Kontakt mit den untoten Geschöpfen hatte, war sie durch Bess Menlo von dem Anruf aus der Telefonzelle am Union Square informiert gewesen und hatte auch erfahren, daß die Verfolgung durch den provozierten Unfall gescheitert war. Den Anruf mußte indes ein Mann besorgt haben. Dr. Womack mochte über viele entsetzliche Fähigkeiten verfügen, aber nicht über die Möglichkeit, ihre Stimme zu verändern. Der Geisterjäger wollte wetten, daß die Ärztin die Karte mit den Telefonnummern auf dem Schreibtisch von Lansky gefunden und sofort gehandelt hatte. Hanako hatte alle Fenster gegen eindringende Dämonen gesichert und kuschelte sich in ziemlich aufregender Art in die Ecke ihres gemütlichen Sofas. Sie hatte sich ebenfalls Gedanken gemacht. »Was steckt dahinter, Gordon?« »Wer, Mädchen, nicht was! Bess Menlo und Baby Jane Fleming sind mit Sicherheit Untote. Debbie Brian wird es auch bald sein, und diese Teufelsärztin scheint die Geschöpfe zu leiten und zu dirigieren.« Er erklärte ihr seine Überlegungen,
wie der zweite Anruf seiner Meinung nach zustande gekommen war. »Aber da ist ein Mann. Oder ein männliches Wesen. Sheldon ist von einer riesigen Fledermaus angegriffen und verletzt worden. Und dann ist jeweils der riesige Hund gesichtet worden. Das sind keine Spinnereien, ich habe das Biest ebenfalls gesehen. Bess Menlo war als Motorradfahrer getarnt in unmittelbarer Nähe. Also kann sie es nicht gewesen sein. Das Gesicht der Bestie hat eindeutig männliche Züge getragen. Mit anderen Worten steht jemand noch hinter der Teufelsärztin. Ich habe schon an Dracula gedacht.« »Dracula?« Hanako zog erschauernd die Achseln hoch. »Mir kommt es auch unwahrscheinlich vor, aber in der Dämonenwelt ist nichts unmöglich. Dracula ist in der Lage, in einer der Gestalten der satanischen Dreifaltigkeit zu erscheinen und kann innerhalb dieses Rahmens immer wieder die Gestalt wechseln. Er tritt als Fledermaus auf, als Wolf – na ja, und eben als Dracula.« »Schon. Aber wie sollte er nach Amerika gelangt sein?« »Das habe ich mich auch gefragt. Ich denke, der Schlüssel liegt bei Prentiss. Wir werden uns intensiv mit ihm befassen. Wo er gestorben ist und wie. Und zu diesem Zwecke werden wir in aller Herrgottsfrühe Hadley Wellman auf die Bude rücken.« Hanako schaute betreten. »Was hat denn dieser widerliche Mensch mit der Angelegenheit zu schaffen?« »Angeblich hat er sich um den Nachlaß von Prentiss gekümmert. Das erscheint mir so unwahrscheinlich, wie wenn jemand behaupten würde, der selige Al Capone sei auferstanden und ziehe als Vorsänger der Heilsarmee durch die Elendsviertel der Stadt.« Hanako nickte ernsthaft. »Höchst unwahrscheinlich. Bist du in diesem Prentiss-Haus gewesen?« »Nur an der Tür. Das Haus ist unversiegelt geblieben. Weiß der Himmel, was mich davon abgehalten hat, hineinzugehen.«
»Sehen wir es uns zusammen an.« Hanako entwickelte Tätigkeitsdrang. Abwehrend hob der Geisterjäger die Hand. »Nur am Tage, Mädchen. Wir kennen unsere Gegner nicht genau, wir wissen nicht, mit wie vielen wir es zu tun haben, wir wissen nicht einmal, worum es geht. Bei Nacht sind sie uns über, jeder unserer Schritte kann uns ins Verderben führen. Wir sind auf Tageslicht angewiesen.« Hanako verstand. Am Tage waren Untote machtlos. Sie mußten an einem dunklen Ort ruhen. Erst wenn sich die Dunkelheit herabsenkte, erwachten sie zu gespenstischem Leben. Voller Tatendrang waren sie dann in den Stunden um Mitternacht. Dann waren sie unterwegs und brachten das Böse. »Ist Mister Sheldon nicht in Gefahr?« fragte sie plötzlich. »Kaum. Er kann den Geschöpfen nicht gefährlich werden. Außerdem hatte er schon seine Begegnung, und zwar mit dem Meister der Untoten, wie ich die Sache einschätze. Hätte Sheldon getötet werden sollen, wäre das im Prentiss-Haus geschehen. Er ist aber nur verletzt worden. Eine Warnung, nehme ich an. Und da der Meister ihn verschmäht hat, ist Sheldon somit für die Geschöpfe tabu. Sie werden ihm kein Haar krümmen.« Hanako ließ die Zungenspitze über die vollen Lippen gleiten. Es sah sehr verlockend aus. Aber der Geisterjäger hatte keine Verwendung für Verlockungen. Nach geraumer Zeit meinte die Asiatin: »Vielleicht wurde er verschont, weil er ein Mann ist. Überlege mal – bisher ist nur Frauen und Mädchen dieses entsetzliche Schicksal bereitet worden.« »Daran könnte auch etwas sein«, räumte Gordon Black ein. »Man hat Dracula durch die Zeiten hindurch immer nur als Liebhaber junger schöner Frauen beschrieben. Wo und wann ihm eine gefiel, holte er sie sich. Männer überließ Dracula als
Geste des Dankes seinen Helferkreaturen. Die armen Teufel, die gebissen wurden, verwandelten sich denn selber in Untote und Blutsauger und reihten sich in Draculas Gefolgschaft ein.« Hanako dachte über seine Ausführungen nach. Gordon Black hatte mit wenigen Worten den Kern des Problems geschildert. Auf den Polizisten Ed Sheldon angewandt bedeutete es, daß ihm von Dracula selber kaum Gefahr drohte. Aber der Blutgraf konnte Sheldon für seine teuflische Anhängerschar freigeben. »Wie lange hat der Mann Dienst?« fragte sie. Der Geisterjäger schaute auf die Uhr. »Wenn ihn nichts aufgehalten hat, ist er längst daheim im Bett. Sein Dienst endete um Mitternacht.« Hanako schwang die Beine vom Sofa. »Das war das Stichwort. Wir sollten auch schlafen gehen. Ich mache dir hier das Bett zurecht. Ich glaube, ich habe sogar einen Pyjama für dich.« Sie richtete für den Geisterjäger im Handumdrehen die Schlafstatt her und hängte drei ineinander verschlungene Holzringe an einem Faden an die Wand. Plötzlich verharrte sie. »Und du bist ganz sicher, daß dir Bess Menlo auf dem Motorrad gefolgt ist?« »Jedenfalls sah sie so aus wie das in den Zeitungen abgebildete Mädchen. Ich habe ein ausgeprägtes Gedächtnis für Gesichter. Und sie hatte die entsetzliche Wunde an der Kehle, die wie frisch aussah.« »Du hättest sie nicht nur vertreiben sollen«, tadelte die Asiatin. »Vielleicht hätte sie dir verraten, wer ihr Meister ist.« »In dem Augenblick war ich froh, daß ich sie los war«, gestand Gordon Black. »Was ist das?« Er deutete auf die Holzringe. »Ein japanisches Amulett. Es ist aus einer Wurzel eines zweitausendjährigen heiligen Baumes geschnitzt und schützt vor der Macht des Bösen.«
»Und du hast keines?« Hanako lächelte das unergründliche Asiatenlächeln. »Ich habe mein Dogu.« Sie zog sich in ihr Schlafzimmer zurück. Gordon Black lag lange wach. Der Duft des Wolfskrautes legte sich fast betäubend auf seine Lunge, aber er wirkte irgendwie beruhigend auf die Nerven. Wie lange er dann geschlafen hatte, wußte er nicht zu sagen, als ihn das Gefühl einer Gefahr hochschrecken ließ. Er wußte sofort, daß sie zur Stelle waren. Jene Wesen, die in das Geheimnis verwoben waren, das das Prentiss-Haus umgab. Sie waren in der Nähe, aber sie drangen nicht bis zu ihm. Er hörte ihr aufgeregtes Wispern und spürte ihren Haß. Das Wolfskraut! Sie konnten nicht in die Wohnung eindringen, der betäubende Duft hielt sie ab. Vor dem Fenster waren wenigstens zwei Wesen. Er konnte sie nicht sehen, spürte aber ihre Anwesenheit. Zu gern wären sie hereingekommen. Und wie es sich anhörte, weilten ebenfalls zwei vor der Wohnungstür auf dem Flur. Er bedauerte, daß er die Dämonenpeitsche nicht bei sich hatte. Die lag gut gesichert in einem besonderen Tresor in seinem Büro. An die kam er jetzt nicht heran. Nicht in der Nacht, wo die Untoten ihre größte Macht hatten. Das gehässige Wispern störte ihn. Er vermutete, daß die Polizeiärztin Dr. Womack dabei war. Und ganz sicher Bess Menlo und Baby Jane Fleming. Über die Identität der vierten Untoten konnte er nur Spekulationen anstellen. Eine Weile ließ er die Wesen gewähren. Dann stand er auf, pirschte zum Fenster und sagte laut die erste Anrufung Adonays auf. Ein jammervolles Heulen war die Antwort, und dann sah er zwei uhugroße Vögel sich von der Fensterbank draußen
erheben und mit lautlosem Flügelschlag in die dunkle Straßenschlucht tauchen, wo nur ganz tief unten ein paar stecknadelkopfgroße Lichtpunkte glimmten. Das waren Straßenlampen. Vor der Wohnungstür war jetzt ebenfalls Ruhe. Wenig später hörte der Geisterjäger durch das Mauerwerk des Wolkenkratzers das dezente Surren des Fahrstuhles. Das Geräusch entfernte sich und erstarb. Nobel, dachte er ergrimmt, sie gehen mit der Zeit und fahren Fahrstuhl wie unsereins! *** Kurz nach sieben Uhr hatte Hanako ein bärenstarkes Frühstück fertig. Vor den Fenstern stand ein Tag, der halbwegs sonnig zu werden versprach, soweit die ewige Dunstglocke über Manhattan eben Sonne in die tiefen Straßenschluchten gelangen ließ. »Sie waren diese Nacht da, ich habe sie gespürt«, sagte Hanako fast beiläufig und goß Kaffee aus. »Die Wohnung haben sie zielsicher gefunden«, meinte Gordon Black mißgestimmt. »Du mußt sie so sicher machen, daß sie während deiner Abwesenheit nicht eindringen und dir eine Falle stellen können.« »Ist schon geschehen.« Der Geisterjäger schnupperte. Es roch nicht mehr so durchdringend und allesüberlagernd nach Wolfskraut. Er schaute sich um. Die getrockneten Zweige waren verschwunden. Dafür hingen jetzt Silberfigürchen an jedem Fenster und über jeder Tür. »Die hättest du diese Nacht schon aufhängen sollen«, meinte er. »Das Kraut hat extrem stark geduftet.« Hanako überhörte den sanften Tadel. »Ich muß sie erst
weihen. Deswegen bin ich schon seit zwei Stunden auf. Es ist eine sehr langwierige und anstrengende Zeremonie.« Sie war eine Meisterin der fernöstlichen Magie. Und sie führte Rituale aus, bei denen Gordon Black nicht einmal Zeuge sein durfte. Er hatte es längst aufgegeben, solche asiatischen Geheimnisse zu enträtseln. Hauptsache, sie hatten ihre Wirkung und dienten ihm und Hanako im Kampf gegen die Mächte der Finsternis und des Bösen. Der Geisterjäger deutete mit dem Kaffeelöffel auf das Fenster. »Da waren zwei, ich hätte sie gerne begrüßt, aber sie zogen es vor, als große Vögel davonzugleiten. Die anderen sind Fahrstuhl gefahren.« Als er nach dem Teller mit dem köstlich duftenden gebratenen Speck griff, schrillte das Telefon. Hanako schaute ihn etwas ratlos an und hob die Achseln. Dann zog sie den Telefonapparat zu sich heran und meldete sich. Ihre Brauen gingen in die Höhe, über ihrer Nasenwurzel bildete sich eine kleine Falte. Sie deckte die Sprechmuschel ab. »Gordon, kennst du einen Captain Lansky?« Der Geisterjäger hatte das Gefühl, jemand stoße ihm eine eiskalte Faust in den Magen. Wenn Lansky ihn um diese Zeit unter der letzten der möglichen Telefonnummern zu erreichen suchte, dann mußte er schwerwiegende Gründe dafür haben. Denn in herzlichem Einvernehmen hatten sie sich gestern abend wahrhaftig nicht getrennt. Gordon Black nickte und schluckte den Bissen runter, ließ sich von Hanako den Hörer reichen und sagte: »Für so anhänglich habe ich Sie nicht gehalten, Captain. Guten Morgen!« »Den Präsidenten erreiche ich vermutlich leichter als Sie!« knurrte Lansky am anderen Ende der Leitung. Seine Stimme klang heiser und übernächtigt. »Seit fünfzehn Minuten
telefoniere ich hinter Ihnen her.« Gordon Black grinste flüchtig. Lansky hatte säuberlich und gewissenhaft die auf der Karte aufgeführten Telefonnummern durchprobiert. Daß er ihn ausgerechnet morgens kurz nach sieben Uhr in der Wohnung seiner Mitarbeiterin endlich erreichte, ließ den Captain mit Sicherheit falsche Schlüsse ziehen. »Nun haben Sie mich ja erreicht«, meinte der Geisterjäger gemütlich. »Und wo drückt Sie der Schuh?« Lansky hustete gekünstelt. »Können Sie – sagen wir in einer Stunde – in meinem Büro sein?« »Ich habe für heute andere Pläne«, erwiderte Gordon Black und dachte an Hadley Wellman, die schmierigste Laus von ganz Manhattan. Lansky knurrte erbost und irgendwie betroffen. Gordon Black gewann den Eindruck, daß der Captain ganz schön in der Klemme saß und Hilfe brauchte, daß er sich aber lieber die Zunge abbiß, als daß er die Bitte aussprach. »Ich würde Sie nur ungerne vorladen lassen«, sagte Lansky. Er atmete hart und schwer. Gordon Black kannte die Gesetze genau. Die waren schließlich sein Metier. Der Captain konnte ihn tatsächlich Vorladen lassen, wenn es anders nicht ging und wenn er sich eine wesentliche Aussage davon erhoffte. »Wir können uns bestimmt gütlich einigen«, sagte der Geisterjäger. »Legen Sie jetzt auf, Captain. Ich rufe zurück.« Er hatte gute Gründe für dieses Vorgehen. In der Nacht hatte Hanako einen Anruf entgegengenommen, den angeblich er gemacht hatte. Sogar die Stimme hatte gestimmt. Am anderen Ende der Leitung brauchte jetzt nicht unbedingt Captain Lansky zu sitzen. »Hören Sie, Black, Ihre Spielchen…« Der Anwalt und Geisterjäger erstickte Lanskys Protest im Keim. »Legen Sie auf. Kein Kommentar. Ich erkläre es Ihnen
später.« Er unterbrach die Verbindung. Hanako griff schon nach der Kladde, in der die wichtigsten New Yorker Telefonnummern notiert waren. Sie sagte Gordon die Nummer der Polizei in der Centre Street vor, und er wählte sie. Die Polizeizentrale verband ihn wie gewünscht mit Lansky. »Was soll der Quatsch?« brauste Lansky auf. Seine Stimme klang immer noch zerknittert und übernächtigt. »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen oder warum sonst komplizieren Sie einen einfachen Telefonanruf?« »Ich wollte mich lediglich vergewissern, daß Sie mein Gesprächspartner sind«, antwortete der Anwalt. »So, und jetzt sagen Sie mir, warum ich zu Ihnen kommen soll. Vielleicht können wir die Sache auch so regeln.« Er hatte es fast befürchtet. Lansky verstand nicht den Sinn des Rückrufes. »Wer sollte sich denn sonst unter meinem Namen melden, zum Teufel? Das möchte ich niemand geraten haben!« brauste der Captain auf. Dann druckste er herum. »Sagen Sie, Black, was hat Sie bewogen, mir den Rat zu geben, der weiblichen Leiche aus dem Prentiss-Haus eine Bibel in das Tiefkühlfach mitzugeben?« Gordon Black ahnte Schlimmes. Er zwang sich zur Ruhe. »Ich beschäftige mich mit übersinnlichen Vorgängen, das habe ich Ihnen doch erklärt. Sie bezeichnen es als Spuk oder sonstwie. Ich verstehe etwas von solchen Dingen. Was ist passiert?« Erst waren nur Lanskys harte Atemstöße zu vernehmen. Dann ertönte seine etwas gequälte Stimme: »Hätte ich bloß auf Sie gehört, Mann! Die Tote ist aus dem Schauhaus verschwunden.« Lansky ließ ein Ächzen folgen. »Das ändert die Lage natürlich, Captain. Wir sind in einer Stunde bei Ihnen.« »Wer ist wir?« knurrte Lansky.
»Meine Mitarbeiterin wird mich begleiten.« Gordon Black ließ sich auf keine Debatte ein und legte auf. Hanako schaute den Geisterjäger aus großen Augen an. »Debbie Brian«, sagte er. »Ich wette, sie war heute nacht mit hier. Lansky ist ein Hornochse.« »Er ist unwissend«, wollte Hanako den Captain entschuldigen. »Erkläre du ihm nicht zuviel«, warnte Gordon Black. »Wenn ein New Yorker Polizist erst einmal neugierig geworden ist, fragt er dir glattweg ein Dutzend Löcher in den Bauch.« Sie beendeten das Frühstück ziemlich hastig. »Wir fahren im Büro vorbei«, bestimmte der Anwalt. »Diesmal will ich besser gerüstet sein.« Bevor sie die Wohnung verließen, hängte ihm Hanako ein Säckchen aus Rohseide um den Hals. Selber trug sie auch ein solches Gebilde. Sein Inhalt knisterte wie altes Heu. Durchdringender Duft stieg auf. Die Asiatin hatte das Wolfskraut in die Säckchen gefüllt. Sie hatte noch drei vorbereitet und steckte sie in ihre geräumige Umhängetasche. »Für wen sind die gedacht?« erkundigte sich Gordon Black. »Eines für deinen Freund Sheldon«, meinte sie. »Ich glaube, er ist ein guter Mann. Das Wolfskraut schützt ihn.« *** Aus seiner Anwaltskanzlei nahm Gordon Black die Dämonenpeitsche und einen handtellergroßen Spiegel mit. Er bestand nicht aus Glas, sondern aus hochglanzpoliertem Silber und war verzerrungsfrei. Außerdem packte er noch seine Pistole und eine leistungsstarke Taschenlampe ein. Statt zur Centre Street zu fahren, kurvte der Anwalt in die
Gegend der Docks auf der West Side. Auf Anhieb fand er die Ecke, wo er Bess Menlo auf seinen Wagen hatte aufprallen lassen. Er zeigte Hanako die Scherben der zersplitterten Motorradlampe. Hier herrschte nicht viel Verkehr, die Scherben lagen noch fast alle in der Fahrbahn. Im Rinnstein entdeckte er sogar noch den Tankverschluß. Aber das Motorrad und der Helm waren fort. Und Bess Menlo war natürlich auch über alle Berge. Der Geisterjäger glaubte nicht einmal, daß der Ort, an dem die Untote den Tag verbrachte, in dieser Gegend lag. Tageslicht vertrugen diese Geschöpfe nicht oder nur unter Qualen. Er hatte einen sanften Verdacht, aber über den redete er nicht einmal mit Hanako. Von der West Side aus nahm er die Route durch Greenwich Village, stoppte vor Ed Sheldons Wache und fragte drinnen, welche Strecke der Patrolman üblicherweise ging. Der Desk-Sergeant schaute in einem Plan nach. »Jetzt müßte er am Abingdon Square sein, von da geht er die Bleeker Street runter. Warum?« »Vielleicht brauche ich ihn. Ich bin auf dem Weg zur Centre Street und will eine Aussage machen. Sheldon könnte sie bestätigen.« »Aussage? Weswegen?« »Die Tote gestern abend in dem alten Haus in der Waverly Plaza.« Der Desk-Sergeant schaute bekümmert. »Scheußliche Sache das. Na, Ed hat aber kaum über den Abend gesprochen.« »Kann ich mir denken nach dem Schrecken«, sagte Gordon Black verständnisvoll. Er wandte sich dem Ausgang zu. Der Sergeant rief ihm nach: »Wenn er mit Ihnen kommt, dann soll er gefälligst hier anrufen, wir müssen dann ‘nen Mann rausschicken, der seine Streife geht, klar?«
»Ich werde ihn daran erinnern.« Zehn Minuten später ließ der Geisterjäger seinen Wagen die Bleeker Street hinabrollen. Schon von weitem sah er Ed Sheldon gehen. »Ist er das?« fragte Hanako. Statt einer Antwort stoppte Gordon Black neben dem Polizisten. »Morgen, Sheldon! Die Nacht gut verbracht?« Mißtrauisch hatte sich der Polizist umgedreht. Er musterte die Asiatin, ließ dann ein anerkennendes Knurren hören und widmete seine Aufmerksamkeit jetzt dem Wagenlenker. »Oh, Sie sind das? Na, ich habe bessere Nächte verbracht, kann ich Ihnen sagen.« »Schmerzen?« »Auch. Ganz schlimm waren die Gedanken. Ich meine…« Ed Sheldon warf einen unsicheren Blick, auf Gordon Blacks Begleiterin. »Reden Sie nur, Sheldon. Das ist Miß Kamara, sie weiß Bescheid.« Der Polizist schien erleichtert zu sein. »Also ehrlich, ich habe heute morgen noch gedacht, ich hätte alles bloß geträumt. Aber die Schmerzen haben mir den guten Glauben schnell ausgetrieben.« »Kann ich mir denken. Ich möchte Sie zu Captain Lansky mitnehmen, wir sind gerade auf dem Weg zu ihm. Ich schätze, heute können Sie ihm die Wahrheit auftischen. Er ist reif dafür.« »Der? O Mann, der reißt mir den Kopf ab, wenn ich ihm jetzt erkläre, ich hätte ihm gestern nur die halbe Wahrheit gesagt.« Ed Sheldon begann zu schwitzen. »Ich biege das schon hin«, versprach Gordon Black. »Sie sollen Ihrer Wache Bescheid geben, wenn Sie mitkommen. Die wollen jemand herschicken.« »Ist Vorschrift«, brummte Ed Sheldon und rief von einer nur wenige Schritte entfernten Polizeirufsäule aus an. Dann dachte er wieder an den Captain von der Mordkommission, und seine
Magenbeschwerden nahmen zu. »Ist Lansky am Ende ein Freund von Ihnen?« »Das nicht, aber er hat die Chance, es heute zu werden«, orakelte der Geisterjäger, stieg aus und ließ Sheldon auf den Rücksitz kriechen. »Was haben Sie über Doktor Womack herausgebracht?« Sheldon ächzte, während Gordon Black losfuhr. »Sie war sowohl bei Bess Menlo als auch bei Baby Jane im Einsatz. Diese Mädchen hat man auch nachts gefunden. Oder gegen Morgen.« Bei dem Geisterjäger klingelten sämtliche Alarmglocken. »Hat Doktor Womack immer nur Nachtdienst?« »Scheint so«, räumte Sheldon ein. »Fragen Sie doch Lansky, der muß es ganz genau wissen.« »Das werde ich. Sheldon, über Ihre Beobachtung hinsichtlich der Ärztin bewahren Sie vorläufig noch Schweigen. Zu viel verkraftet der Captain nicht.« »Hm! Was ist überhaupt los?« Der Patrolman kratzte sich am Kopf und gab seinem Unbehagen Ausdruck. »Debbie Brian ist aus dem Leichenschauhaus spurlos verschwunden.« Ed Sheldon wackelte mit dem Kopf. »Wissen Sie, in dieser gottverdammten Stadt wundert mich eigentlich gar nichts mehr. – Entschuldigen Sie, Miß!« Dann schnupperte er. »Rauchen Sie Stoff, Black? Ich will doch nicht hoffen, daß Sie mich da in was reinziehen!« Gordon Black faßte lachend das Seidensäckchen, das er um den Hals trug, hob es hoch und zeigte es dem Polizisten nach hinten. »Ein hervorragender Schutz gegen große Fledermäuse mit Menschengesichtern und scharfen Krallen. Sie bekommen auch eines. Tragen Sie es, bis ich Ihnen sage, Sie können es ablegen. Tag und Nacht, sogar unter der Dusche, Sheldon. Und das ist kein Spaß.« Ed Sheldon ging mit sich zu Rate. »Also, wenn ich gestern
nicht mit eigenen Augen das fliegende Monster und dann die Ärztin bei der Toten gesehen hätte, würde ich sagen, daß Sie ‘nen Sprung in der Scheibe haben! Gibt es wirklich Geister und so ‘n Zeug?« »Ja, Sheldon, und ich weiß, wovon ich rede«, erklärte Gordon Black mit großem Ernst. »Dann her mit dem Ding!« verlangte Ed Sheldon. Sein Gesicht drückte aus, daß er aber nicht so recht überzeugt war. Seine Bedenken wuchsen, als sie das Hauptquartier der Polizei erreichten. Allerdings aus anderen Gründen. Captain Lansky wartete in seinem kleinen Büro. Nachdem seine drei Besucher eingetreten waren, herrschte drangvolle Enge. Lansky faßte den Patrolman ins Auge. »Ihren Bericht habe ich immer noch nicht in Händen!« Gordon Black machte beschwichtigende Gesten. »Wir haben Mister Sheldon mitgebracht, weil er eine ergänzende Aussage machen will. Zu den Vorgängen um Debbie Brian. – Schießen Sie los, Sheldon.« Der Streifenpolizist aus Greenwich Village schilderte flüssig und ohne Ausschmückungen sein Erlebnis unmittelbar vor der Entdeckung der Toten. Die Aussage unterschied sich in nichts von seiner Erzählung in Hank Watkins’ Theaterkneipe, was den Geisterjäger außerordenlich zuversichtlich stimmte. Damit war nämlich bewiesen, daß Sheldon ein sehr realistisch denkender und wahrheitsliebender Mann war. Mit anderen Worten ein zuverlässiger Zeuge. So ein Mensch war Gold wert. Lansky hörte nur zu. Seine Augen, quollen allerdings hervor. Als Sheldon nichts mehr zu erklären hatte, fragte er schnappend: »Sind Sie noch bei Trost, Mann? Wann gehen Sie in Pension?« »In vier Jahren«, versetzte Sheldon verunsichert. »Gehen Sie jetzt!« empfahl Lansky rüde. »Sie spinnen ja!«
Ed Sheldon schaute kreuzunglücklich. Gordon Black dämpfte die hochgehenden Wogen. »Sheldon, zeigen Sie dem Captain die Achsel!« Das tat der Polizist. Er lüftete sogar die Verbände an. Lansky bekam schmale Augen. »Wenn Sie mir die Löcher gestern abend gezeigt hätten, hätte ich Ihnen auf den Kopf zu gesagt, daß die nicht von einem Messer herrühren.« Er hob die Nase und schnupperte. Er schaute den Patrolman streng an. »Sind Sie in was reingetreten?« »Das ist ein besonderes Kraut und hilft gegen Blutsauger und große Fledermäuse, die arglose Polizisten anfallen«, sagte Gordon Black und zeigte das rohseidene Säckchen. »Dürfen wir Ihnen eines zum persönlichen Gebrauch überlassen?« »Bleiben Sie mir mit dem Quatsch vom Leibe!« schimpfte Lansky. »Tja, dann können Sie gehen, Sheldon.« »Mir wäre lieb, er würde bleiben«, sagte der Geisterjäger. »Ich habe nämlich auch eine Aussage zu machen.« Er begann mit dem Umstand, daß man Bess Menlo, Baby Jane Fleming und nun auch Debbie Brian zuletzt mit einem riesigen Hund oder Wolf gesehen hatte. Dann schilderte er sein Erlebnis am Union Square und wie er Bess Menlo vorsätzlich in einen Unfall verstrickt hatte. Schließlich ließ er Hanako von dem mysteriösen zweiten Anruf berichten, und dann erzählten sie beide, wie sie in der vergangenen Nacht in Hanakos Wohnung von den Untoten belagert worden waren. Das Detail, daß zwei untote Frauen in Vogelgestalt fortgeflogen waren, schenkte sich der Geisterjäger, nachdem ihm der bissige Ausdruck im Gesicht des Captains auffiel. Er stieß auf baren Unglauben. Lansky war ein Realitätsmensch. Was nicht sein konnte, durfte eben nicht sein. »Wenn ich Ihnen noch eine Weile zuhöre«, giftete der Captain den Anwalt an, »bin ich wahrscheinlich Kolumbus und habe heute morgen Amerika entdeckt! Also Schluß jetzt mit dem Quatsch! Melden Sie sich meinetwegen zu einer
Fernsehshow, Sie werden der Knüller des Jahres. Die Leute mögen so etwas. Aber mich verschonen Sie damit, klar?« »Ich wollte Ihnen nur helfen, die Dinge besser zu verstehen. Eine Frage, Captain: Gestern abend habe ich Ihnen doch meine Karte gegeben. Wo lag die, sagen wir, bis Mitternacht?« »Dann will ich Ihnen auch eine Frage stellen, Mister Black — was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, als Sie mit einem Messer in unser Labor hier im Haus eingedrungen sind und dort herumgefuchtelt haben? Man hat eine sehr genaue Beschreibung des Mannes geliefert, ich wußte auf Anhieb, daß Sie der Eindringling waren. Doktor Womack hat sich bei mir über Ihr unglaubliches Benehmen beschwert.« »Sie war hier oben?« fragte Gordon Black. »In diesem Raum?« »Wo sonst?« knurrte Lansky. »Und meine Karte lag auf dem Schreibtisch?« »Ja. Was wollen Sie damit sagen?« »Nichts, Captain.« »Das will ich Ihnen auch geraten haben! Überhaupt machen Sie einen seltsamen Eindruck auf mich. Heute früh schon Ihr komischer Rückruf, und jetzt Ihre beleidigenden Fragen. Hoffentlich muß ich es nicht bedauern, Sie wegen der blöden Geschichte hergerufen zu haben.« »Richtig, Debbie Brian ist Ihnen abhanden gekommen. Wie ist es geschehen?« Hilflos hob Lansky die Achseln. »Das Kühlfach war verschlossen. Heute früh sollte sie autopsiert werden. Kein Mensch will wissen, wie die Leiche herausgekommen ist. Fingerabdrücke haben uns nicht weitergebracht. Nur die vom Personal.« »Das wundert mich nicht«, sagte Gordon Black gelassen. »Wie war es bei Bess Menlo und Baby Jane Fleming?« Captain Lansky schien plötzlich stark magenleidend zu sein. »Bess Menlo ist auch aus ‘nem Kühlfach vom
Leichenschauhaus verschwunden, allerdings erst nach zwei Tagen. Die Fleming hingegen ist dort gar nicht erst angekommen. Der Leichenwagen, der sie transportiert hatte, war leer.« Gordon Black räusperte sich diskret. »Na ja, in der Polizeispitze muß man sich aber doch Gedanken gemacht haben, wieso das passieren konnte. Und wie. Und man muß noch viel mehr nachgedacht haben, als die beiden jungen Frauen plötzlich wieder aufgetaucht sind, als sei gar nichts geschehen.« Lansky guckte sauer. »Hat man, Mister Black, hat man. Interessiert Sie das Resultat? Man hat mir vorgeworfen, ich hätte die Ermittlungen schlampig geführt.« »Das hat Sie nicht ruhen lassen, stelle ich mir vor«, meinte der Anwalt und Geisterjäger weise. »Sie sind natürlich los wie vom Affen gebissen und haben Bess Menlo und Baby Jane Fleming vernommen.« »Ist doch logisch, oder hätten Sie anders gehandelt? Wissen Sie, welche Erklärung mir die zwei Mädchen angeboten haben, und das unabhängig voneinander? Ihnen sei plötzlich schlecht gewesen, dann seien sie ohnmächtig geworden, sie könnten sich an nichts erinnern und seien in ihrer Wohnung wach geworden.« Lansky schlug entrüstet mit der Hand auf den Schreibtisch. »Und haben keine Ahnung, wer sie da hingebracht hat. Das stinkt! Jemand führt uns an der Nase herum.« Der Geisterjäger schüttelte den Kopf. »Suchen Sie nicht nach Gründen, die verstandesmäßig zu fassen sind, Captain. Nehmen Sie die Vorfälle hin, wie sie sich abgespielt haben. Welchen Eindruck machten die Mädchen auf Sie?« In Lanskys Augen tauchte ein Hoffnungsschimmer auf. »Als ob sie irgendwie unter Strom stehen. Mit ‘nem leichten Knall. Sprachen auch langsam. Es war heller Tag, aber sie ließen die Vorhänge zugezogen. Erst hatte ich den Verdacht, da leimt
mich jemand, weil ich die Gesichter nicht richtig sehen konnte. Aber sie waren es. Ich ließ mir die Halswunden zeigen. Und ich habe ihnen Fingerabdrücke abgenommen. Eindeutig.« Er stützte den Kopf auf. »Eines hat mich gewundert: Die Mädchen wußten nicht, wie sie zu den Halswunden gekommen sind. Also sagen Sie jetzt mal was, gestern abend haben Sie doch behauptet, Experte für übersinnliche Dinge zu sein!« »Was soll ich groß sagen, wenn Sie doch nicht auf mich hören?« entgegnete Gordon Black. »Hätten Sie eine Bibel in das Kühlfach gelegt, wäre Debbie Brian jetzt wahrscheinlich noch da, und wir wüßten einiges mehr. Ich kann Ihnen vorerst nur empfehlen, ihre Adresse unter Beobachtung zu halten. Schätze, das Mädchen taucht irgendwann auf. Und gibt an, sich an nichts zu erinnern.« Lansky machte ein paar schnaubende Atemzüge. »So weit bin ich mit meinen Überlegungen auch gediehen. Ich habe Leute in Debbie Brians Wohnung in der Gay Street geschickt. Sie ist leer.« »Sie müssen Geduld haben«, empfahl Gordon Black. »Geduld?« Lansky lachte gallenbitter auf. »Mann, ich bin seit dreißig Stunden im Einsatz, ich hätte vor sechs Stunden Feierabend gehabt. Da ist es mit der Geduld nicht mehr weit her.« Der Anwalt und Geisterjäger nickte verständnisvoll. »Geben Sie mir Bescheid, sobald Debbie Brian in der Nähe ihrer Wohnung auftaucht. Wir sollten sie zusammen aufsuchen …« Die Tür wurde ungestüm aufgerissen, ein uniformierter Polizist steckte den Kopf herein und rief: »Captain, jetzt hat’s auch Enzo den Sizilianer erwischt. Mitsamt seiner Leibwache. Irgendwie ist Gas ins Haus geströmt. Und vor ein paar Minuten ist vor dem Trump Tower mit einem Riesenknall Lem Shivers samt Rolls-Royce in die Luft geflogen.« Lansky schraubte sich aus dem Stuhl hoch und angelte nach dem Hut. »Ich habe ja nichts dagegen, wenn die Burschen zu
ihren Ahnen versammelt werden, mich ärgert nur, daß wir auch noch Arbeit mit ihnen haben. Okay, Mann, ich komme.« Zufällig schaute Gordon Black in diesem Moment auf Ed Sheldon. Der machte ein ganz verblüfftes Gesicht, und es sah aus, als wollte er etwas sagen. Aber dann kniff er die Lippen zusammen. Und Captain Lansky zuckte die Achseln. »Sie sehen, Mister Black, es gibt wichtigere Dinge, als sich über Spukgeschichten Gedanken zu machen.« »Dennoch glaube ich, daß Sie mich bald wieder anrufen«, orakelte Gordon, Black. Er verließ mit Hanako und Ed Sheldon des kleine Büro. Der Captain folgte auf dem Fuß und trommelte seine Leute zusammen. *** Gordon Black vergaß nicht, wie Ed Sheldon reagiert hatte. Entweder hatte es mit Enzo dem Sizilianer zu tun oder mit Lem Shivers. Beide Männer waren hochkarätige Unterweltbosse gewesen. Es war vorauszusehen, daß um ihre Nachfolge blutige Bandenkriege entbrannten. Als sie im Wagen saßen, sagte der Geisterjäger: »Ich setze Sie in Greenwich Village ab, Sheldon. – Hm, was hat Sie in Lanskys Büro eigentlich so verblüfft?« Hanako warf den Kopf herum. Ihre Brauen gingen in die Höhe. Ed Sheldon zupfte an der Nase. »Es hat sicher nichts zu bedeuten. Lem Shivers war der Vater von Bess Menlo. Ich dachte, der Captain wüßte das.« »Was?« Um ein Haar stieg der Geisterjäger auf die Bremse. »Wenn das ein Scherz ist, dann ist er verdammt schlecht, Sheldon.« Der Patrolman schaute beleidigt. »Mit solchen Sachen
mache ich keine Scherze! Als Lem Shivers noch ein kleines Kirchenlicht war, hat er ‘n Jahr oder zwei mit einer Tänzerin aus ‘nem Nachtclub zusammen gelebt. Ich weiß nicht, warum er sie nicht geheiratet hat, jedenfalls ist aus der Verbindung ‘n Kind hervorgegangen.« »Bess Menlo?« »Ja, und ich weiß, daß Lem Shivers sehr an ihr gehangen hat, auch wenn er mit Geld sehr sparsam umgegangen ist. Zweimal im Jahr ist er zu ihr gefahren – zu ihrem Geburtstag und zu Weihnachten. Aber sie hat trotzdem den Familiennamen der Mutter behalten und nicht seinen angenommen.« »Fallen Ihnen zu Baby Jane Fleming und Debbie Brian auch zufällig solche erstaunlichen Verbindungen ein?« Ed Sheldon schüttelte den Kopf. »In der Unterwelt ist alles ‘n bißchen enger verwoben, aber da können Sie doch kein Motiv draus basteln.« »Wie eng?« »Na, Baby Jane ist ‘ne Weile mit Shivers rumgezogen, aber die war ja nicht wählerisch. Und ihm konnten die Mädchen nie jung genug sein. Zu Debbie Brian fällt mir aber ehrlich nichts ein.« »Falls doch, dann rufen Sie mich an oder sagen Sie Hank Watkins Bescheid, Sheldon.« Der Patrolman versprach es. Gordon Black setzte ihn in seinem Revier ab und fuhr mit Hanako die Fifth Avenue hinauf zum Trump Tower. Das war der derzeit exklusivste Wohnturm in New York. Dort wohnten zum Beispiel Leute wie der Regisseur Steven Spielberg, der Filme wie »Der weiße Hai«, »Unheimliche Begegnungen der dritten Art«, »Jäger des verlorenen Schatzes« oder »E.T. – der Außerirdische« gemacht hatte. Gordon war mal auf einer Party bei ihm in der luxuriösen Stadtwohnung gewesen.
Einer der Parkplätze war abgesperrt. Gordon Black und Hanako mischten sich unter die neugierigen Zuschauer. Die Mordkommission war da, die Spurensicherung und ein paar scharfäugige Burschen von der Sprengstoffabteilung. Der Geisterjäger hörte etwas herum. Demnach hatte Lem Shivers hier eine Wohnung. In der hatte er auch die Nacht verbracht. Als er ohne Leibwächter und Chauffeur herunterkam und seinen Rolly-Royce startete, trat er mit einem infernalischen Knall seine Himmelfahrt an. Der Wagen war ein zerfetzter schwarzverkohlter Haufen Schrott, um den noch kniehoch der Löschschaum lag. Ein paar noble Fahrzeuge in der Nachbarschaft waren ebenfalls zerstört. Wie durch ein Wunder war außer Shivers niemand zu Tode gekommen. In der Menge sah Gordon Black ein paar Gesichter, die einen bevorzugten Platz im New Yorker Gangster-Album einnahmen. Einen, der mit den illegalen Wettbüros in Verbindung gebracht wurde, hörte der Geisterjäger sagen: »Ein wahrer Jammer, daß das Big Jack nicht mehr erleben kann. Heute wäre ein besonderer Tag für ihn.« Gordon Black schenkte diesen Worten keine sonderliche Beachtung. Er achtete weit mehr darauf, wen Lansky als Arzt mitgebracht hatte. Es war ein junger Mann mit traurig herabhängendem Schnauzbart. Er kam eben mit Lansky von dem schaumumgebenen Schrotthaufen herüber und gab zwei stämmigen Männern einen Wink. Die holten eine Zinkwanne aus dem Leichenwagen und bargen die Überreste von Lem Shivers. Lansky stand dabei und sah aus, als sei er tausend Jahre alt. Der endlose Dienst hatte ihn ausgehöhlt und zermürbt. Gordon Black zog sich mit Hanako aus der Menge zurück.
Dr. Pamela Womack war also nicht dabei. Der Verdacht des Geisterjägers gegen sie erhärtete sich. Sie schien also wirklich das Tageslicht zu scheuen, wie es die Art der Vampire war. *** Hadley Wellman war nicht nur eine schmierige Laus, er wohnte auch in einer schmierigen Gegend. Gordon Black stellte den Wagen zwei Ecken davor ab, winkte einen Halbwüchsigen in Nietenjacke heran und riß vor dessen Augen eine Fünf-Dollar-Note in zwei Teile. Eine Hälfte gab er dem Burschen. »Den Rest gibt’s, wenn ich den Wagen ohne Beule und unaufgebrochen vorfinde«, sagte er trocken und ging mit seiner Mitarbeiterin die düstere Straße hinunter. Der Halbwüchsige pfiff ihnen nach und machte eine deftige Bemerkung über Hanako. Hadley Wellman hatte seinen Geldverleih im dritten Stock eines häßlichen Backsteinhauses eingerichtet, aber über der zerbröckelnden Steintreppe von der Straße herauf sein Werbeschild herausgehängt. Ein Betrunkener pennte auf den Stufen, eine dicke Frau mit einem blauen Auge bettelte Gordon Black um einen Dollar an. Er gab ihr einen halben. Sie verdammte ihn dafür, aber sie eilte dem Imbiß an der Ecke zu, wo es Bier in Dosen gab. Gordon Black seufzte. Dies hier war wirklich das Viertel der Hoffnungslosigkeit. Wer hier landete, kam nicht mehr aus dem Sumpf frei. Es wunderte ihn, daß Wellman nie Ansätze gemacht hatte, aus der Gegend wegzuziehen. Andererseits war der Bursche hier sicher. Hier war er geboren, hier hatte er seine Freunde, und ohne Frage ließ er für die manchmal einen Krümel von seinem Tisch fallen. Und wer von Hadley Wellman Geld brauchte, der war
wirklich im Druck und kam auch in diese üble Gegend. Im Flur fiel die Tapete von den Wänden. Ein Hausmeister, oder was immer er war, schlief schnarchend hinter dem geschlossenen schmutzigen Glasfenster seiner Loge. Einen Aufzug gab es natürlich nicht. Auf dem Podest im zweiten Stockwerk lag ein gelbhäutiger junger Mann und drückte sich gerade einen Schuß in die Armvene. Gordon Blacks zuschnappende Hand kam zu spät. Der junge Mann lächelte und wandte dem Mann und der Frau sein vom Heroin zerstörtes Gesicht zu. Er hatte sein Dope, er war jetzt der versöhnlichste Mensch auf der Welt. »O Gott!« hauchte Hanako. »Es ist ein beschissenes Leben«, kommentierte Gordon Black derb, aber treffend. Hadley Wellman hatte ein selbstgemaltes Pappschild an seine Wohnungstür genagelt. Auf stürmisches Klingeln reagierte er allerdings nicht. »Er scheint ausgegangen zu sein«, vermutete Hanako. »Um diese Tageszeit finden die Vorführungen vor den Untersuchungsrichtern statt, da wird die Ausbeute der Nacht durchgesiebt, und das ist die Hauptgeschäftszeit für Wellman. Der Kerl muß da sein!« Gordon Black drückte gegen die Tür. Zu seinem Erstaunen schwang sie auf. Penetranter ekelhafter Geruch drang aus der Wohnung. Gordon Black warf einen entsetzten Blick auf Hanako. »Bleib du besser draußen«, sagte er und preßte sich das Taschentuch vor die Nase. Er drang vorsichtig in die Wohnung vor. Im Flur, im Bad und in der Küche brannte Licht, im Wohnzimmer nur eine Stehlampe. Hier war der Gestank am schlimmsten. Und dann sah Gordon Black den Geldverleiher, der gegen Wucherzinsen den Gangstern Geld lieh, damit sie gegen Kaution vom Richter auf freien Fuß gesetzt wurden. Hadley Wellman war an einen Sessel gefesselt. Die
Hosenbeine waren ihm am Knie abgeschnitten, die Ärmel aus dem Hemd gerissen. Um Arme und Beine wanden sich blanke Drähte, die sich in einem elektrischen Stecker vereinigten. Der Stecker saß im Stromanschluß in der Wand. Es war ein primitiver elektrischer Stuhl, aber er hatte die ihm zugedachte Aufgabe erfüllt. Hadley Wellman war tot. Er mußte entsetzlich gestorben sein. Und nicht sofort. Beine und Arme waren völlig verbrannt. Über seinen Mund war ein Tuch geknotet. Der Mörder hatte dafür Sorge getragen, daß die Nachbarn im Haus nichts von Wellmans furchtbarem Todeskampf hörten. Die Spuren deuteten darauf hin, daß ein Kampf vorausgegangen war. Etliche Möbel waren umgeworfen, andere durchwühlt. Gordon Black hütete sich, etwas zu verändern oder zu berühren und Fingerabdrücke zu hinterlassen. Als er allerdings auf dem ebenfalls durchwühlten Schreibtisch von Wellman einen Zettel sah, konnte er der Versuchung nicht widerstehen. »Jetzt ist die Reihe an Dir, Hadley. Du stirbst heute nacht.« Kurz und bündig stand diese Drohung auf dem Zettel. Wellman schien sie nicht für schwerwiegend genommen zu haben. Das war ein tödliches Versäumnis geworden. Besonders bemerkenswert fand der Geisterjäger, daß die Todesdrohung in schwungvoller Handschrift verfaßt war. So schwungvoll, daß sie kaum verstellt sein konnte. Der Verfasser war ohne Frage auch der Mörder von Wellman. Bloß schien er nicht daran gedacht zu haben, daß man ihn anhand der Schrift und der bestimmt vorhandenen Fingerabdrücke identifizieren konnte. Gordon Black zögerte lange. Es juckte ihn, den Zettel mit der Ankündigung an sich zu bringen. Andererseits wollte er sich Leute wie Lansky nicht zum Feind machen. Also ließ er die düstere Botschaft, wo sie war, faßte
behutsam den Telefonhörer mit dem Taschentuch, um keine Fingerabdrücke zu zerstören, nahm einen Kugelschreiber und wählte die Nummer der Polizei. Er schätzte, das Lansky mit seinen Leuten noch am Trump Tower war. Nach zwei Minuten war er über eine Funkleitung mit dem Captain verbunden. »Sieht nicht so aus, als kämen Sie schnell in die Centre Street zurück, Captain«, sagte er und erklärte in zwei Sätzen, wie er Wellman vorgefunden hatte. »Verändern Sie nichts!« knurrte Lansky. »Bleiben Sie, wo Sie gerade sind. Ich komme mit meiner Truppe rüber.« *** Lansky faßte den Zettel mit der Drohung mit einer Pinzette an. »Nummer drei«, knurrte er dazu, und seine rotgeränderten Augen bekamen einen häßlichen Ausdruck. »Drei?« erkundigte sich Gordon Black, während um ihn herum die Mordkommission ihre Tätigkeit entfaltete und Hanako von einem Polizisten an der Wohnungstür abgewimmelt wurde. »In Lem Shivers’ hochfeiner Wohnung fanden wir ebenfalls so einen Wisch«, erklärte Lansky. »Und Enzo der Sizilianer hatte seinen sogar in der Tasche. Was uns natürlich auf den Gedanken brachte, jemand könnte auch an der Gasleitung gefummelt haben. Ein Kollege bearbeitet den Fall, ich kann mich ja nicht zerreißen.« »Und wurde gefummelt?« fragte Gordon Black gespannt. Lansky zierte sich, als sollte er ein Staatsgeheimnis ausplaudern. Er gab sich einen Ruck. »In Enzos Hauptquartier gibt es gar keine Gasleitung. Nur im Nachbarhaus. Jemand hat sich die Mühe gemacht, dort einen Stutzen anzuzapfen und Gas durch einen Plastikschlauch in Enzos Treffpunkt zu leiten.«
Wütend schlug er auf die Folie, in der mittlerweile der Zettel geborgen war. »Überall derselbe Wortlaut.« »Eine Unterweltfehde«, meinte Gordon Black. »In der vergangenen Woche hatten wir schon etliche Fälle, wo Unterweltgrößen ganz überraschend abgetreten sind. Jetzt haben wir den verdammten Job, nachzuprüfen, ob sie ebenfalls solche netten Drohungen bekommen haben. Und dann dürfen wir den Kerl aufspüren, der alles eingefädelt und durchgeführt hat. So, und jetzt erklären Sie mir mal, wie Sie ausgerechnet zu Wellman kommen? An Zufälle glaube ich nämlich schon lange nicht mehr.« »Ich auch nicht«, versicherte Gordon Black mit feiner Ironie. »Mir wurde zugetragen, daß Wellman seinerzeit die Regelung der Angelegenheiten von Mister Prentiss nach dessen Ableben übernommen hatte. Das kam mir so unwahrscheinlich vor, daß ich Wellman selber dazu hören wollte. Ich bedaure, daß das Gespräch nicht mehr zustande gekommen ist.« »Ach, der Teufel soll Sie und Ihre Gespenster holen!« fauchte Lansky. »Oder pflegen Ihre Gespenster Bomben in Autos zu legen und elektrische Stühle zu bauen?« »Warum nicht? Sie können ja auch Aufzug fahren«, versetzte der Geisterjäger, und bevor der Captain endgültig explodieren konnte, fügte er rasch hinzu: »Wußten Sie, daß Lem Shivers der Vater von Bess Menlo war?« Lansky schaute den Anwalt und Geisterjäger an, als hätte der den Verstand verloren. Dann schnappte er nach Luft wie ein Karpfen, der versehentlich an Land gesprungen ist. »Ich werde hier kaum noch benötigt«, meinte Gordon Black, »ich überlasse Ihnen dann die Wohnung.« Er kam bis zur Tür, bevor Lansky die Sprache wiederfand. »Black, zum Teufel, so warten Sie doch! Haben Sie noch mehr solche Knüller auf der Pfanne?« »Sie haben doch den gesamten Polizeiapparat hinter sich, nicht ich, Captain. Überprüfen Sie mal, ob es nicht in den
anderen Fällen ebenfalls solche verblüffenden Verbindungen gibt. Und ob die Fälle untereinander nicht wiederum in einem Zusammenhang stehen. Das ist doch eine brauchbare Theorie, meinen Sie nicht?« »Von Theorien habe ich die Nase voll!« knurrte Lansky. »Jeder Klugscheißer kommt daher und will mir erklären, wie ‘ne Kuh aussieht. Aber eine machen kann er nicht. Wollen Sie mich über Ihre Pläne informieren?« »Gerne, sobald ich welche habe«, sagte Gordon Black ausweichend. Lansky hielt ihn nicht länger auf. *** Er stellte das Auto neben Hank Watkins’ Theaterkneipe ab und sondierte erst mal die Lage. Nach dem Vorfall am vorhergehenden Abend warfen die Leute bestimmt viel häufiger als sonst einen Blick auf das heruntergekommene Prentiss-Haus und gaben sich dem Empfinden eines wohligen Grusels hin. Hanako hängte sich eine Tasche um, die diverse Geräte enthielt, darunter auch den silbernen Spiegel. Sie spähte mit ihrem Chef und Brötchengeber über die Straße. »Was wollen wir noch finden, Gordon? Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Spurensicherung der Mordkommission auch nur das Barthaar einer Maus übersehen hat.« »Die Jungens haben Beweise gesucht, mit denen sie einen Mörder überführen können, wenn sie ihn erst mal haben. Wir suchen keine Beweise.« Ein Mann führte drüben seinen Hund am Haus vorbei und verschwand dann um die Straßenecke in Richtung Sheridan Square. Zwei Sportwagen zischten dann die Waverly Plaza entlang. Gordon Black mimte mit Hanako ein Spaziergängerpaar und bummelte mit ihr auf die andere Seite hinüber und dann in
Richtung Prentiss-Haus. Die Gartentür stand auf. »Los!« zischte er und war mit drei Sätzen durch den Vorgarten zwischen den Portalsäulen. Hanako schaffte es nicht ganz so schnell. Daß die Polizei das Haus nicht versiegelt oder verschlossen hatte, hatte der Geisterjäger schon in der Nacht festgestellt. Er schob die Tür auf und trat wachsam und witternd ins Haus. Hanako öffnete die Tasche, um im Notfall rasch ein geeignetes Werkzeug herausnehmen zu können. Eine düstere unheilvolle Stille herrschte im Haus, Sie sog sogar den Schall der Schritte regelrecht auf. Gordon Black konnte ermessen, wie es Ed Sheldon ums Herz gewesen war, als er gestern hier drin von der riesigen Fledermaus mit dem Menschenkopf angegriffen wurde. Dabei war es jetzt heller Tag. Ein Ächzen und Stöhnen stieg unvermittelt aus der Tiefe des Hauses auf und drang von allen Seiten auf den Geisterjäger und Hanako ein. Gordon Black hatte so halb damit gerechnet, daß er hier auf ein unirdisches Wesen stoßen würde, dennoch richteten sich seine Nackenhaare auf. Das Ächzen und Stöhnen ging in einen Laut über, der Zorn und Wut und Sorge ausdrückte. Gordon Black konnte sich vorstellen, wovor der Geist oder das Wesen, das sich im Haus verbarg, Sorge empfand. Er trug mächtige Hilfsmittel bei sich, und das Wesen spürte die Macht, die ihnen innewohnte. Für Sekunden trat Stille ein. Dann erklang ein sonderbares Brüllen. Schreckhafte Naturen hätten jetzt Hals über Kopf das Haus verlassen und wären nie zurückgekommen. »Ich dachte mir schon so was«, sagte Gordon Black leise zu Hanako. »Scheint hier der Schlupfwinkel der Fledermaus zu sein. Sheldon sah sie kleiner werdend bei der Haustür hinausflattern, aber sie muß später zurückgekommen sein.
Fangen wir unterm Dach an!« Er wollte zur Treppe in der Halle hinüber, als Hanako etwas entdeckte und ihn zurückhielt. »Gordon, sieh doch nur!« Ihre Hand wies zu Boden. Er hatte gestern mit eigenen Augen eine Unzahl Menschen in diesem Haus gesehen, und die hatten in dem überall liegenden Staub ihre Spuren hinterlassen. Sogar Ed Sheldon hatte diesen verdammten Staub ausdrücklich erwähnt. Jetzt war alles wieder eingestaubt. Als sei nie eine Mordkommission bei der Arbeit gewesen. Als seien hier nie zwei Dutzend Füße herumgetrampelt. »Wir sind richtig«, sagte der Geisterjäger. »Dem Wesen haben die Störungen gestern mißfallen, es hat sich Mühe gegeben, alle Spuren dieses störenden Besuches zu tilgen.« »Aber warum wurde dann Debbie Brian ins Haus gelockt, Gordon?« »Warum und von wem, das ist eine gute und berechtigte Frage. Beginnen wir mit unserer Arbeit, vielleicht erhalten wir die Antwort.« Sie stiegen bis zum Dach hinauf. Das Brausen der Riesenstadt drang abgeschwächt bis in die trostlosen Räume hier oben. Gordon Black baute auf die Wirkung des stark duftenden Wolfskrautes. Wenn sich hier ein Vampir verbarg, in welcher Gestalt auch immer, konnte er diesem Geruch nicht standhalten und mußte sich zu erkennen geben. Weil der Geisterjäger wußte, wie rasch man von Vampiren, Geistern und Untoten überrascht und überlistet werden konnte, hielt er seine Dämonenpeitsche bereit. Er ließ sie nicht ihre furchtbare Macht entfalten. Er wappnete sich lediglich. Ein scharfer Luftzug pfiff durch den Dachboden und knallte die Tür zur Treppe zu. Das Wesen wehrte sich. Es setzte seinerseits seine Kräfte ein.
Gordon und Hanako hörten sogar, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte. Bloß entfernten sich keine Schritte. Es waren ja auch keine heraufgekommen. Der Geisterjäger wollte mit der furchtbaren Peitsche eine Bewegung gegen die Tür machen. Hanako winkte ab und hielt ihr Dogu gegen das Schlüsselloch. Die geheimnisvolle Figur aus ihrer Heimat entfaltete ihre Kraft. Kreischend drehte sich der Schlüssel, die Tür war wieder auf. Ein spitzer, durchdringender Laut war die Antwort, fast eine Art Vogelschrei. Nur viel höher und schärfer. Ungestört konnten der Geisterjäger und Hanako die Durchsuchung fortsetzen. Das Wesen hatte gespürt, daß es mit Widerstand rechnen mußte. Es hielt sich zurück. Als Gordon Black und die Asiatin zum oberen Stockwerk hinabstiegen, spürten sie fast körperlich die Anwesenheit eines feindlich gesinnten Wesens. Es blieb unsichtbar, aber es belauerte sie. Ein widerliches Schmatzen erklang. Dann klapperte unten eine Tür. »Nicht mit uns«, sagte Gordon Black. »Es will, daß wir uns trennen. Mädchen, du gehst nie weiter als fünf Schritte von mir weg, egal, was geschieht.« Sie durchstöberten die Räume im Obergeschoß und leuchteten in den Schacht des Speisenaufzuges. Ein eisiger Windstoß fuhr ihnen ins Gesicht. »Wir werden ihm lästig«, sprach Hanako. Gordon Black brachte mit einem roten Fettstift da und dort Symbole an, die in der Weißen und Schwarzen Magie bannende Wirkung besaßen. Er wollte verhindern, daß das Wesen sie zum Narren hielt und hier herauf flüchtete, wenn sie unten suchten. Die Symbole sollten verhindern, daß das Wesen in ihren Rücken gelangte. Nach einer halben Stunde standen sie wieder unten in der
Halle. Das Wesen schien sich ganz zurückgezogen zu haben. Sie spürten es nicht mehr. Es konnte auch eine Finte sein, und es schlug bei nachlassender Wachsamkeit blitzschnell zu. Die Bibliothek zeigte keine Spuren im Staub auf dem Fußboden und auf den Möbeln auf, und das Wohnzimmer, wo Ed Sheldon die gräßlich zugerichtete Debbie Brian gefunden hatte, sah aus, als sei es seit Jahren nicht von Menschen betreten worden. Jeder, der dem bloßen Augenschein traute, mußte die felsenfeste Überzeugung gewinnen, daß dieses Haus schon lange nicht mehr aufgesucht worden war. Das bestärkte den Geisterjäger in der Ansicht, daß sich hier der Schlupfwinkel des Wesens befand. Er stocherte im Kamin herum, pochte gegen Mauerwerk und achtete auf Symbole, wie sie gerne von den Mächten des Bösen benützt wurden. Aber er fand nicht einen positiven Hinweis. In der Küche konnte er ebenfalls nichts entdecken. Er brachte seine Zeichen an und hängte eines von den Seidensäckchen vor die Öffnung des Speisenaufzuges. Ein dumpfes Grollen, das ohnmächtige Wut ausdrückte, war die sofortige Reaktion. »Es ist noch da«, sagte er überflüssigerweise. »Jetzt nehmen wir uns den Keller vor.« Ein unglaublicher Modergeruch schlug ihnen entgegen. Sie arbeiteten sich von Raum zu Raum vor und staunten nicht wenig über das Gerümpel, das Prentiss angehäuft hatte. Aus den Resten seiner Erfindertätigkeit schloß Gordon Black, daß Prentiss ein unglaublich vielseitiger Mann gewesen war und sich auf fast allen technischen Gebieten versucht hatte. Es wollte ihm nicht in den Kopf, daß ein solches Genie keine schriftlichen Notizen und Aufzeichnungen hinterlassen haben sollte. War das die Nachlaßregelung gewesen, die Hadley Wellman
vorgenommen hatte? Hatte er die Aufzeichnungen an sich gebracht oder für einen Auftraggeber gestohlen? Er mußte unbedingt den ungläubigen Lansky auf die lange zurückliegende Geschichte ansetzen. Vielleicht ergab sich daraus ein Motiv für den entsetzlichen Tod von Wellman. Das war natürlich eine ziemlich windige Annahme, und sie hatte noch mehr Löcher als ein Netz. Wie paßten dann die anderen Verbrechen in das Bild? Der Gasmord an Enzo dem Sizilianer und seiner Leibwache? Die Bombe in Lem Shivers’ Wagen? Und überhaupt diese Morddrohungen? Gordon Black hatte das Gefühl, daß es da enge Zusammenhänge gab und daß auch die Fälle der drei Mädchen dazugehörten. Er fand nur nicht den Faden, an dem er das verworrene Knäuel aufrollen konnte. Unvermittelt wurde der Geisterjäger angegriffen. Eine wütende Gewalt prallte gegen seine Hand, die die Taschenlampe hielt. Es war wie ein Schlag. Es fehlte nicht viel, und er hätte die Lampe fallen lassen. Es war kein körperlicher Angriff. Er war mit mentalen Kräften erfolgt, denn er sah keinen Gegner. »Wir sind auf der richtigen Spur«, stieß er hervor und untersuchte den Raum besonders gründlich. Der Angriff wiederholte sich nicht. Grübelnd betrachtete er die Gefriertruhen. Prentiss mußte mit ihnen experimentiert haben, und er hatte ihnen benötigte Aggregate und Bauteile entnommen und den Rest einfach stehenlassen. Gordon Black reichte Hanako die Taschenlampe und die Dämonenpeitsche und rückte die Gefriertruhenreste von der Wand ab. Das Gemäuer dahinter war uralt und wies keine Tür oder eine andere Öffnung auf. Dennoch wollte er nichts versäumen und ließ Hanako mit dem Dogu die Wand untersuchen.
Hinter der Mauer befand sich absolut nichts. Hanako schüttelte den Kopf. »Wenn es hier ein Versteck gibt und wenn Mister Sheldon wirklich eine zugehende Tür gehört hat, dann befindet sich die Öffnung woanders.« Sie durchsuchten noch einmal sämtliche Räume. Das Wesen ließ sie gewähren. Es schien sich seiner Genugtuung hinzugeben, weil sie sein Versteck nicht aufgespürt hatten. Gordon Blacks Blick blieb auf dem gemauerten Geviert haften, das ihm Ed Sheldon als die Ascheabwurfanlage des Kamins geschildert hatte. Kaum machte er etliche Schritte darauf zu, erhob sich ein eisiger Sturm, der ihm den Dreck und Staub nur so in die Augen blies. Er erschauerte, als er auch wieder dieses Gefühl hatte, jemand versuche, ihm ein Stück Gehirn aus dem Schädel zu reißen. Es war wesentlich schwächer als in der Nacht in der Centre Street, aber es ließ ihn sofort an die seltsame Polizeiärztin denken. »Die Peitsche, schnell!« rief er keuchend und taumelte schon. Der eisige Sturm, der in diesem Keller gar nicht physikalisch erklärbar war, drohte ihn in Richtung Kellertreppe zu wirbeln. Hanako war schon mit dem Rücken gegen einen Mauervorsprung geprallt und drohte das Gleichgewicht zu verlieren. Sie reckte ihm die Dämonenpeitsche entgegen. Gordon Black konnte sie gerade noch ergreifen. Er ließ nur eine Schnur herausschießen und hielt sich den Peitschenschaft vor die Stirn. Das quälende Zerren und Ziehen hörte schlagartig auf, aber der Sturm fauchte weiter. Die gefesselte Macht der Dämonenpeitsche blockierte den Angriff, lähmte aber nicht den Willen des Wesens. Er stemmte sich gegen den Sturm. »Sieht nicht so aus, als hätten wir es mit einem Dämon zu tun!« rief er Hanako zu, die
die Augen mit den Händen schützte. »Halte dich an mir fest! Wir müssen uns an das Ascheloch vorarbeiten. Sheldon hat etwas übersehen.« »Nicht nur der!« gab Hanako schnappend und nach Atem ringend zurück. Sie klammerte sich an den Geisterjäger, und tief gegen diesen teuflischen Sturm gestemmt kämpften sie sich voran. Gestank von Fäulnis und Moder pfiff ihnen entgegen, aus der Abwurfanlage wurden die letzten Aschereste gerissen und ihnen ins Gesicht geschleudert. Gordon Black drohte mit der Dämonenpeitsche. Er glaubte, ein höhnisches Lachen zu vernehmen. Aber weil Hanako nichts sagte, räumte er einen Irrtum seinerseits ein. Oder nur er konnte dieses gemeine Lachen hören. Er faßte Hanako um die Taille und hielt sie neben sich, damit sie nicht fortgewirbelt wurde. Nun war ihm auch die wütende Reaktion klar. Hier befand sich der Hort dieses unheimlichen Wesens, und es wollte mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln verhindern, daß die beiden Menschen seinem Versteck zu nahe kamen. Hanako begriff, was Gordon wollte. Sie hatte eine Hand frei und hielt das Dogu gegen das Mauerwerk. Sie erzielte damit einen verblüffenden Effekt. Der eisige, tödliche Sturm teilte sich und strich an ihnen vorbei, und das Mauerwerk begann sich knackend zu bewegen. Das Dogu entfaltete seine Kraft und öffnete Schlösser und Zuhaltungen. Immer weiter schwang die gesamte Abwurfanlage herum. Ein dunkler Spalt klaffte bis zur Kellerdecke hinauf. Mit einem dumpfen Dröhnen stieß die herumschwenkende Mauer an und rührte sich nicht mehr. Aber der Eingang war breit genug, um einen Menschen einzulassen. Dämmriges unwirkliches Licht sickerte aus einem verborgenen Raum. Ein letzter heulender Sturmstoß brauste heraus und verebbte
mit einem Ton, der wie klagendes Jammern ertönte. Hanako zerrte mit der freien Hand eines der Wolfskrautsäckchen aus der umgehängten Tasche und hielt es zusammen mit dem Dogu vor sich. Plötzlich schien der Boden zu wanken und zu schwanken, ein Dröhnen und Pochen drang aus dem Mauerwerk, als wollte im nächsten Augenblick das ganze Haus einstürzen. Gordon Black und seine Mitarbeiterin wichen nicht von der Stelle. Nach der Schätzung des Geisterjägers befand sich dieser geheime Raum außerhalb der Grundmauern des alten Hauses. Wahrscheinlich unter dem rückwärtigen Garten. Er schien auch erst nachträglich geschaffen worden zu sein, denn seine Wände waren aus Beton aufgeführt und nicht aus Sandsteinquadern. Er maß nicht mehr als zehn Schritte in der Länge und vielleicht sechs in der Breite. Woher das Licht sickerte und wie es entstand, konnten Gordon Black und Hanako nicht ausmachen. Es war auch nicht von Bedeutung. Sie kannten sich mit unirdischen Erscheinungen aus und suchten nicht hinter jedem Phänomen eine einleuchtende Erklärung. Das dämmrige Licht jedenfalls ließ sie ein Lager erkennen, auf dem eine Gestalt ausgestreckt und wie in Totenstarre lag. Gordon Black brauchte nur einen Blick auf sie zu werfen, um Bescheid zu wissen. Es war Lanskys Polizeiärztin Dr. Pamela Womack. Sie war ein Vampir und ruhte hier, bis sich draußen die Dunkelheit herabsenkte und sie ihrem Trieb folgen konnte. Blutsauger hatten am Tag keine Macht, und Tageslicht war für sie tödlich, wenn sie ihm lange genug ausgesetzt wurden. Neben dem Lager stand ein Gebilde, das der Geisterjäger im ersten Moment für einen mißglückten Sarkophag hielt. Erst dann erkannte er, daß es sich um eine Gefriertruhe handelte, wie etliche im Kellerraum nebenan standen. Sie war nicht angeschlossen. Es gab kein Kabel, die
Anzeigen waren tot und das Aggregat stumm. Hanako wollte darauf zugehen und den Deckel anlüften. Gordon Black hielt sie zurück. Er deutete auf die Ärztin. Dr. Womack hatte die Augen geöffnet und beobachtete ihre Bewegungen. Ihre Blicke waren voller Haß. Er ließ sich von Hanako das Säckchen geben, weil er seines, das er am Hals trug, gerne an seinem Platz wollte. Dr. Womack schien den Duft des Wolfskrautes zu wittern. Sie versuchte sich zu bewegen. Langsam hob sie den rechten Arm. Aber es war eine mühevolle Bewegung. Sie begriff, welche Gefahr ihr von dem duftenden Säckchen drohte. Blitzschnell ging der Geisterjäger neben ihr in die Knie. Ihre Blicke drohten ihn zu erdolchen, und ganz hinten in ihren Augen erkannte er ihre namenlose Furcht. Mit knapper Not entging er ihrer Hand, die nach seinem Gelenk griff. Ihr Mund hatte sich schon geöffnet, ihre Eckzähne schoben sich lang und länger hervor, bereit, sich in sein Fleisch zu graben und den Weg zu seinem sprudelnden Blut freizulegen. Er hatte kein Erbarmen mit ihr und riß ihren Pulloverkragen herab, bis ihre Kehle frei lag. Sie trug noch das Pflaster, das Ed Sheldon erwähnt hatte. Mit ihren mentalen Kräften unternahm sie noch einmal einen verzweifelten Angriff. Er spürte das Wühlen und Bohren im Gehirn und wurde fast ohnmächtig. Sie war stark, und die Angst verlieh ihr gigantische Kraft. Er mußte die Dämonenpeitsche zu Hilfe nehmen, um die Attacke abzuwehren. Kaum erlahmten ihre Versuche, ihn um den Verstand zu bringen, band er ihr blitzschnell das Säckchen um den Hals und knotete es auf der Kehle. Ein Wimmern entrang sich ihrem Mund. Ihr Gesicht wurde fahl und die Nase spitz, die Haut nahm ein Aussehen wie durchsichtiges Wachs an.
Gordon Black wußte, daß sie ihm nicht mehr schaden konnte. Sie starb, er brauchte ihr nicht einmal einen Pflock aus Mistelholz ins Herz zu stoßen. Vielleicht lebte sie noch eine oder auch zwei Stunden, aber ihr Ende war sicher. Den Knoten konnte sie nicht mehr lösen und das Säckchen nicht mehr entfernen. Vampire starben, wenn sie mit Wolfskraut in Berührung kamen. Ein Klagen und Heulen schien aus den Betonmauern zu dringen. Es war so verderblich wie der falsche Gesang der Sirenen. Wer ihm erlag, war unrettbar verloren. Der Vampir, der Dr. Womack war, appellierte an das Mitleid. Hanako ließ sich fast überwältigen. Gordon Black schüttelte den Kopf. Er war unerbittlich. Dr. Womack stellte keine Gefahr mehr dar. Er öffnete den Deckel der stillgelegten Gefriertruhe. Entsetzt prallte er zurück. Hanako stieß einen leichten Schrei aus und ließ beinahe Dogu und Tasche fallen. »Den Spiegel, schnell!« schrie der Geisterjäger. Von Grauen gepackt begann die Asiatin in der Tasche zu wühlen. Das Innere der Truhe schimmerte in einem rötlichen milden Licht. Sie war wie ein kostbarer Sarg mit Samt ausgeschlagen. Auf diesen Samt gebettet lag eine Männergestalt, völlig in schwarzes Tuch gehüllt. Und sogar in einen Umhang, wie es dem Geisterjäger auf den ersten Blick vorkam. Aber dann sah er, daß es Flügel waren. Richtige Flügel. Gefaltet und an diesen Körper gepreßt, als wollten sie ihn wärmen und schützen. Das bleiche bärtige Gesicht trug aristokratische Züge und drückte eine gewisse Blasiertheit aus. Die Augen waren geschlossen.
Etwas berührte den Geisterjäger am Ellbogen. Das Herz blieb ihm fast stehen. Endlich merkte er, daß es Hanako war, die ihm den silbernen Spiegel zu reichen versuchte. Er griff blind danach und murmelte dabei alle Bannsprüche gegen Vampire, die er kannte. Dieses Wesen in der Truhe war Dracula. Er wußte es, ohne daß sich die Gestalt ihm vorstellte. Die ganze Zeit hatte er diese dumpfe düstere Ahnung gehabt, daß der Fürst aller Blutsauger bei den Vorgängen um Bess Menlo, Baby Jane Fleming und Debbie Brian seine Finger mit im Spiel hatte. Gordon Black reckte den Spiegel über das bärtige Gesicht und beobachtete die Züge. Sie zuckten nicht, sie blieben starr und zeigten nur dieses blasierte Lächeln. »Hast du noch ein Wolfskrautsäckchen?« fragte der Geisterjäger keuchend. »Du hast es eigentlich für den Captain gedacht gehabt!« »Dem ist nicht zu helfen, der glaubt nicht an so was«, knurrte Gordon Black. Er nahm das Seidensäckchen in Empfang und drückte es Dracula unter die spitze Nase. Ein Schwall eisiger Luft stieg aus der Truhe auf. Aber die starre Gestalt mit den angelegten Fledermausflügeln rührte sich nicht. Gordon Black hob eine der Schwingen etwas an. Sie fühlte sich weich und samtig an und war doch von einer unvorstellbaren Kälte. Unter der Schwinge sah er die Hände Draculas. Und die krallenförmigen Fingernägel. Er wollte schwören, daß sie genau auf die Löcher in Ed Sheldons linker Achsel paßten. Weshalb der Fürst der Blutsauger nicht auf das Wolfskraut reagierte, blieb ihm unerfindlich. Er stieß mit dem Schaft der Dämonenpeitsche die Krallenhände an. Sie zuckten nicht einmal. Lähmendes Entsetzen ergriff von ihm Besitz.
Hatte Dracula diese Hülle verlassen und weilte an einem anderen Ort? Hatte er die Gefahr geahnt und sich beizeiten in Sicherheit gebracht? Der Geisterjäger traute ihm zu, daß er im Verlaufe vieler Jahrzehnte unendlich viele Fähigkeiten zu seinen Künsten dazuerworben hatte und mittlerweile ungemein wandlungsfähig war. Und unsterblich. Einmal wurde das dadurch bewiesen, daß er sich mühelos, wie es schien, hierher nach Amerika begeben hatte. Und weiter war Dracula immer wieder als besiegt und tot gemeldet worden und war doch jedesmal davongekommen. Gordon Black hielt den Silberspiegel hoch über die reglose Gestalt und ging neben der Truhe in die Knie, bis er die spiegelnde Fläche und darin das bärtige Antlitz sehen konnte. Er ächzte und richtete sich sofort auf. Ein Vampir, der nur in Starre verfallen war, oder wenn er zu vollem Leben erwacht war, spiegelte sich niemals. Dieser Körper spiegelte sich, »Hanako, er hat uns eine leere Hülle hinterlassen. Er ist auf und davon!« Wie um es zu bestätigen, erklang von oben bitterböses Gelächter. Dann schlug eine Tür zu. Zu spät begriffen der Geisterjäger und seine Helferin, daß Draculas Geist oder seine teuflische Seele die ganze Zeit im Haus gewesen war und ihnen zugesehen hatte. Andererseits hatten sie aber den eisigen Sturm am eigenen Leib verspürt, und Dr. Womack hatte bestimmt nicht die Kraft besessen, um die Mächte der Finsternis und des Bösen für sich einzuspannen. Dracula hatte den Sturm befohlen. Wahrscheinlich war er sogar mit Hilfe dieses Sturmes aus seinem Versteck entkommen. Gordon Black band der verlassenen Hülle das Säckchen mit Wolfskraut um den Hals und deponierte es auf der Brust, um Dracula die Rückkehr in diesen Körper unmöglich zu machen.
Dann schlug er den Deckel der Truhe zu. Dr. Womack gab immer noch schwache Zeichen von sich. Sie war zäh, sie kämpfte. Der Geisterjäger hielt zur Kontrolle den Silberspiegel über sie und warf einen Blick hinein. Er konnte ihr Spiegelbild nicht sehen, nur seines. Ihr leises Wimmern schnitt ihm ins Herz. Er brachte es nicht über sich, sie unbarmherzig in die Verdammnis versinken zu lassen. Hanako reichte ihm ein silbernes Kruzifix. Er reckte es über die Vampirärtzin und sprach mit leiser Stimme die barmherzige Anrufung. Ein fernes Grollen schien die unwillige Antwort Adonays zu sein auf diese unverdiente Fürsprache. »Geleite sie gnädig hinüber, großer Adonay!« fügte der Geisterjäger hinzu, und noch einmal dröhnte aus geisterhafter Ferne ein Grollen. *** Captain Lansky war nicht zu bekehren, und mit ihm war auch nicht zu argumentieren. Vor allem nicht in seiner augenblicklichen Verfassung. Wegen der Verbrechen in der Unterwelt hatten seine Nerven nicht gerade gelitten. Was ihm zusetzte, war der Druck von oben. Inzwischen walzten die Mittagsblätter und die Fernsehund Radiostationen von New York die Geschehnisse breit. Was Lansky wirklich zu schaffen machte, waren der fehlende Schlaf und die Unmengen Kaffee, die er inzwischen in sich hineingeschüttet hatte. Er empfing den Anwalt und Geisterjäger und dessen Begleiterin mit einem lästerlichen Fluch und stützte das stoppelbärtige Kinn in die Hände. »Sie zwei haben mir jetzt gerade noch gefehlt. Schon wieder ‘n Mord entdeckt, wie?«
»Nein, in diesem Punkt kann ich Sie beruhigen«, versicherte Gordon Black, aber er konnte Lanskys Mißtrauen nicht restlos ausräumen. »Können Sie für eine Stunde oder so Ihre Arbeit hier im Stich lassen?« »Mann, Sie sind gut!« knurrte der Captain gereizt. »Die Unterwelt zettelt einen Krieg an, und ich soll mir wieder Ihre blödsinnigen Geschichten anhören. Darauf läuft es doch hinaus, oder?« Gordon Black wollte sich nicht festlegen. »Es würde vielleicht Licht in einige Dinge bringen.« »Mit anderen Worten wollen Sie Ihre Mitarbeit anbieten?« »So kann man’s natürlich auch sehen.« Als der Captain keine Einwendungen machte, fuhr der Geisterjäger fort: »Sicher wissen Sie, wo Doktor Womack wohnt? Ich hätte diese Dame gerne aufgesucht, und es liegt mir sehr viel daran, daß Sie dabei sind, Captain.« »Wozu?« »Das wissen Sie spätestens in einer Stunde. Es richtet sich allerdings danach, wo die Dame wohnt.« »Irgendwo in der Stuyvesant Town, glaube ich«, sagte Lansky erstaunlich friedfertig. »Das mit den Drohungen bei den anderen Burschen hat Ihnen wohl der Teufel eingegeben?« »Ich habe nur meinen Verstand gebraucht.« Der Geisterjäger wurde hellhörig. »Dann sind also solche Drohungen ergangen?« Lansky hob die rechte Hand und spreizte zwei Finger in die Höhe. »Zwei dieser Wische haben wir noch sicherstellen können. Einer war bereits vernichtet. Das betrifft die Verbrechen in der vergangenen Woche. Ich bilde mir ein, Sie wissen mehr darüber, als Sie zugeben wollen.« »Ich bin ahnungslos und unschuldig, das schwöre ich«, beteuerte Gordon Black. »Vielleicht ja, vielleicht nein«, orakelte Lansky. »Die Fingerabdrücke waren jedenfalls ein Schuß in den Ofen.«
»Welche Fingerabdrücke?« Der Geisterjäger war nicht ganz im Bilde. »Auf den Drohungen«, krächzte Lansky und nahm einen Schluck Kaffee. »Entweder bringt mich diese verdammte Brühe um oder der Ärger. – Sie sagten doch, Mann, vielleicht gäbe es Zusammenhänge. So ganz hirnverbrannt war das nämlich gar nicht. Aus Ihnen könnte noch ein guter Kriminalist werden.« »Ich verstehe jetzt kein Wort mehr. Klären Sie mich auf«, bat Gordon Black. Der Captain setzte ein gönnerhaftes Gesicht auf. »Na, Sie hatten mich da auf eine Idee gebracht. Die ganzen Burschen, die in den letzten zehn Tagen zur Hölle gefahren sind, hatten sich vielleicht einen gemeinsamen Feind gemacht. Also habe ich mal in dieser Richtung auf den Busch klopfen lassen. Und da ist ‘ne Menge ans Licht gekommen, kann ich Ihnen verraten. Sie haben alle mächtig gegen Linus Jack Bickford gestänkert, der bis vor einem halben Jahr der dickste Bursche im Rauschgiftgeschäft war. Weiß der Teufel, wie sie es auch noch geschafft haben, den Kerl nach Europa zu locken. Jedenfalls sind einige seiner Rauschgifttransporte hochgegangen, und da wollte er wohl selber nach dem Rechten sehen. Das ist ihm nicht bekommen. Er hat irgendwo auf dem Balkan eine Kugel gefangen und ist nach ein paar Tagen daran gestorben.« »Das kommt vor«, gab Gordon Black zu. Lansky knurrte. Seine rotgeränderten Augen tränten. »Jetzt kommt’s, halten Sie sich bloß gut auf dem Stuhl fest. Baby Jane Fleming war seine letzte Freundin, sie scheint ihm auch den Floh ins Ohr gesetzt zu haben, er müßte nach Europa rüber und sich selber um den Nachschub kümmern. Baby Jane hat aber für Shivers und Enzo und all die anderen Galgenvögel gearbeitet. Ein regelrechtes Komplott, um Big Jack abzuservieren, und sie war der Lockvogel…«
»Bitte, wie war der Name?« Dem Geisterjäger stieß der Name auf. Den hatte er heute doch schon mal am Trump Tower gehört. »Linus Jack Bickford. In der Branche hieß er immer nur Big Jack. Also, wo war ich stehengeblieben? – Yeah, die Burschen haben ihn also umgepustet. Irgend ein Killer, den sie ins Flugzeug gesetzt haben. Solche Hundesöhne erwischen wir nur per Zufall. Jedenfalls hat Big Jack noch verfügt, daß er nach Amerika zurückgebracht wird. Er kam tiefgefroren als Leiche an und wurde bei so einer komischen Firma, die Verstorbene einfrostet und zu einem vereinbarten Datum auftaut, aufs Lager genommen. Sie haben von dem Quatsch ja gehört – unheilbare Krankheiten, die man vielleicht in fünfzig Jahren kurieren kann. Es haben schon eine Menge Leute ein irrsinnige Geld dafür ausgegeben, daß sie eines Tages auftauen und dann geheilt werden. Ich glaube nicht daran. Big Jack hat auch so einen Vertrag gehabt, ehrlich. Zu Vorzugskonditionen, denn er ist an der Firma beteiligt. Hat irgend so ein Vereisungspatent eingebracht, das er vor Jahren Prentiss abgegaunert hat…« Es war wirklich gut, daß Gordon Black fest auf dem Stuhl saß. Die Nachricht erschütterte ihn. Und Hanako erging es nicht anders. Captain Lansky registrierte es mit einer gewissen Freude. »Jetzt haben Sie ja Ihren Prentiss in der Geschichte drin. Aber mit Spuk und Geistern und übersinnlichem Kram hat das alles nichts zu tun. Prentiss ist vor Jahren schon gestorben, und er hatte nicht mal mehr einen lausigen Cent in der Tasche.« »Dieser Big Jack um so mehr, denke ich.« Dieses Thema schien Lansky nicht so recht zu gefallen. Jedenfalls machte er ein unwilliges Gesicht. »Der ist aus der Geschichte nicht raus. Leider! Denn die Fingerabdrücke auf den Wischen sind von ihm. Dabei ist der Kerl doch steif und hart wie ein Eisberg. Und mausetot obendrein. Und die Schwachköpfe von Schriftsachverständigen wollen schwören,
daß es auch seine Handschrift ist. Den Fall gesetzt, der Kerl ist am Leben, dann hätten wir es mit einem Rachefeldzug gegen seine Konkurrenten zu tun. Er ist aber nicht am Leben, er liegt gefroren in dieser Firma in einem Tank. Ich hatte zwei Leute hingeschickt.« »Dann kann es nur an einem Wunder liegen, daß seine Fingerabdrücke auf die Drohungen geraten sind«, versetzte Gordon Black herzlos. »Wir sollten jetzt einmal nach einem anderen System vorgehen.« »Nach Ihrem, was?« »Erraten. Und es wäre möglich, daß Sie Dinge erleben, die Sie auch mit vielen Worten Ihren Vorgesetzten niemals erklären können. Wir sollten jetzt gemeinsam handeln. Sofort, Captain. Jede Minute ist kostbar.« Lansky blickte halb listig und halb ablehnend. »Ich habe bei der Anwaltskammer Erkundigungen über Sie eingezogen. Sie beschäftigen sich zeitweise mit sehr seltsamen Sachen.« »Wenn Sie Geisterjagd als seltsam betrachten, haben Sie recht«, bestätigte Gordon Black. »Sie werden auf Ihre Kosten kommen.« Lansky griff zum Telefon und ließ sich die genaue Anschrift von Dr. Pamela Womack geben. *** Die Wohnung war leer. Der Geisterjäger hatte es erwartet und war nicht enttäuscht. Er wußte ja, wo die Vampir-Ärztin zu finden war. Lansky grinste anzüglich. »Das fängt ja heiter an. Eine Demonstration in Geisterkunde habe ich mir anders vorgestellt.« »Sehen Sie sich lieber mal um«, empfahl Gordon Black. »Hier gibt’s eine Menge Schubladen. Die Frau hat ein Geheimnis.«
»Jede Frau hat mindestens ein Dutzend Geheimnisse«, spottete der Captain. Aber er suchte in der Wohnung, zog Schubladen auf und kramte. Plötzlich stieß er einen Ruf aus und starrte ungläubig auf ein Bündel Papiere. Wie besessen begann er die Schriftstücke zu sichten. »Ich glaube, ich gehe noch vor diesem Sheldon in Pension«, murmelte er dann und ließ sich in einen Sessel fallen. »Sie kann gar nicht Doktor Womack sein! Hier, sehen Sie sich das an! Die richtige Doktor Womack hat vor fünfzig Jahren ihren Doktor an der Universität von Florida gemacht und müßte jetzt stattliche fünfundsiebzig sein! Ich glaube, ich drehe durch. Wer ist die Frau denn?« »Ein Vampir einer ganz besonderen Art. Sheldon sagte mir, sie sei seit einem Jahr bei der Polizei. Das harmoniert irgendwie nicht, es stört meine Überlegungen.« »Er phantasiert. Seit einem halben Jahr ist sie im Polizeidienst!« fauchte Lansky. Gordon Black war wie elektrisiert. »Captain, jetzt kommt es auf Sie an! Wann genau ist sie eingetroffen? Vor Big Jacks eisiger Rückkehr oder danach?« »Danach. Ich weiß es genau, weil ich an dem Tag, als sie sich vorgestellt hat, den Bericht über Big Jack auf dem Tisch liegen hatte. Und da war der Mann schon tiefgefroren.« »Dann ist sie wahrscheinlich aus Europa mitgekommen, und durch Bickfords Verbindungen ist sie auf die Figur und den Namen der richtigen Doktor Womack gestoßen. Vielleicht kennt Bickford sogar die richtige Ärztin.« »Wie denn? Der Kerl ist doch tot!« Gordon Black schüttelte den Kopf. »Daran sollten Sie besser nicht mehr glauben. Ich sehe etwas klarer. Das Stichwort haben Sie mir gegeben. Balkan! Bickford ist auf dem Balkan von einem Killer angeschossen worden, und er lebte noch einige Tage. Er muß in dieser Frist Kontakt mit Dracula
bekommen haben und hat mit ihm eine Art Teufelspakt geschlossen. Er liefert dem Fürsten aller Blutsauger Mädchen, und dafür Verleiht ihm Dracula eine Art Leben und setzt ihn damit in die Lage, Rache an seinen Gegnern zu nehmen, die ihn in die Falle gelockt haben.« »Sie sind übergeschnappt!« sagte Lansky dumpf und schaute Hanako hilfesuchend an. »Gehen solche Anfälle bei ihm schnell vorüber?« Die Asiatin versuchte, beruhigend zu lächeln. »Er sagt die Wahrheit, Captain! Es ist eine schlimme Wahrheit.« Lansky vergrub den Kopf in die Hände und stierte dumpf vor sich hin. »Dracula ist mit Big Jacks Körper herübergekommen«, sagte Gordon Black. »Dazu auch dieses Wesen, das Sie als Doktor Womack in Ihrem Team hatten. Solche Pakte sind gar nicht so selten. Man erkennt sie meist nur nicht. Bickford nahm Rache. Er muß irgendeine Möglichkeit haben, aus seinem Gefriertank herauszusteigen und umzugehen. Er hat Bess Menlo für seinen Gönner Dracula in eine Falle gelockt, und er hatte damit einen Teil seiner Rache erreicht. Denn Lem Shivers soll sehr an seiner Tochter gehangen haben. Und ebenso verfuhr er mit Baby Jane, die ihn ja direkt verraten hat. Wie Debbie Brian in diesen Regen geraten ist, weiß ich noch nicht, aber ich fürchte, auch da gibt es eine enge Beziehung. Solange Bickford oder Big Jack seinem Gönner Dracula nur immer eine neue Braut besorgt, kann er nebenbei seine Rache betreiben. Enzo, Shivers und wie sie alle geheißen haben. Wer verdächtigt schon einen toten und tiefgefrorenen Mann? Aber seine Handschrift und seine Fingerabdrücke haben ihn verraten. Auch Gespenster und Dämonen stolpern manchmal über einen winzigen Fehler.« »Hören Sie auf!« brüllte Lansky plötzlich los. »Sie machen es sich verdammt einfach! Tote können Ihren Quatsch nicht widerlegen.«
»Ich habe Sie gewarnt, und es kommt noch schlimmer. Ich habe auch eine Theorie zu diesem Wesen, das Sie als Doktor Womack gekannt haben. Gestalten wie Dracula haben ein Gefolge. Ich nehme an, der Vampir zählte dazu, oder er war dazu ausersehen, für die Erschaffung neuer Vampire zu sorgen. Sheldon konnte nämlich beobachten, wie die angebliche Ärztin der vermeintlich toten Debbie Brian die Kehle zum Biß und zum Blutsaugen dargeboten hat. Ein Vampir, der sein Blut gibt und einen von Dracula gebissenen Menschen mit tödlicher Sicherheit zu einem neuen Vampir umwandelt. Denn das sind Bess Menlo und Baby Jane inzwischen – Vampire. Und Debbie Brian ebenso. Sie werden wie eine Seuche sein und das Verderben übers Land streuen. – Sie glauben mir kein Wort, ich merke es. Dann kommen Sie nur mit, Captain! Kommen Sie nur!« Lansky hielt die Papiere fest und wankte wie ein Traumwandler hinter dem Geisterjäger her. Auf dem Flur vor den Aufzügen mußte ihn Hanako sogar stützen. *** Sie fuhren zum Prentiss-Haus in der Waverly Plaza. Lansky übergab sich, als er die angebliche Ärztin Dr. Womack mit den Vampirzähnen auf dem Lager neben der Truhe sah. Sie war tot, und sie hatte sich noch mehr verändert. Sie sah ungemein zerbrechlich aus. Als Lansky mit dem Fuß gegen das Lager stieß, zerfiel der Körper zu Staub. Mit einem irren Aufschrei wollte der Captain flüchten. Gordon Black konnte ihn gerade noch festhalten. Auf der Straße wäre es zu einem Auflauf und in der Folge unweigerlich zu einem Skandal gekommen, der mit Lanskys Hinauswurf aus dem Polizeidienst geendet hätte.
Er gönnte dem Mann ein paar Minuten, damit er sich halbwegs von dem tiefgreifenden Schock erholen konnte. »Nur damit Sie begreifen, Captain, daß ich genau weiß, wovon ich spreche«, sagte er und gab seiner Stimme einen beruhigenden Klang. Mit der linken Hand stützte er Lansky, in der rechten hielt er die Dämonenpeitsche. Mit einem Angriff mußte er jederzeit rechnen. Hanako war ebenfalls auf der Hut. Lansky hob den müden Kopf. »Schlagen Sie mir eins auf den Schädel, Black, damit ich zu mir komme! Das darf doch alles gar nicht wahr sein! Das gibt es doch nicht!« »Weil die meisten Menschen es nicht verstehen? Das wäre zu einfach, Captain. Sie träumen nicht. Ich will Ihnen auch zeigen, was oder wen ich mit dem Fürsten der Blutsauger meinte. Dracula gibt sich die Ehre! Oder besser seine verlassene Hülle. Noch besser vielleicht: eine seiner verlassenen Hüllen. Ich schätze, es gibt unzählige davon auf der Erde.« Der Geisterjäger hob den Deckel der Truhe hoch. Captain Lansky stierte hinein. Dann kam endlich der Blackout für ihn. Er verdrehte die Augen und sackte in Gordon Blacks Armen zusammen. Nach fast zweitägigem ununterbrochenem Dienst hatte ihm die Fledermaushülle dieses Dracula den Rest gegeben. *** Die verlassene Hülle hatte ihren Zweck als Vorzeigeobjekt erfüllt. Der Geisterjäger entnahm Hanakos Tasche einen Brandsatz aus Schwefel und entzündete ihn. Dann warf er ihn auf die Fledermausgestalt und sah zu, wie das blaue Feuer die Hülle verzehrte. Ein eigenartiger Gestank breitete sich aus, und aus der Truhe stieg es wie Höllendampf auf. Gordon Black lud sich den Captain auf die Schulter und schleppte ihn nach oben. Lansky sah nur wie ein Leichtgewicht
aus, in Wahrheit wog er schwer wie Blei. Er setzte ihn vor der Haustür zwischen den Säulen auf die Stufen und ließ die frische Luft ihr Werk tun. Nach ein paar Minuten begann sich der Captain zu regen und schlug die Augen auf. »Immer noch Sie?« knurrte er den Geisterjäger an und machte die Augen wieder zu. »Ich träume immer noch.« Aber dann zischte ein Sportwagen am Haus vorbei und wurde an der Ecke so hart abgebremst, daß die Reifen kreischten. Da entschied Lansky, daß er wohl doch nicht träumte. Er rappelte sich hoch und hielt sich an einer Säule fest. Endlich wandte er den Kopf und schaute Gordon Black an. »Wie beurteilen Sie meine Zukunftsaussichten, wenn ich einen Bericht über das mache, was ich da erlebt habe?« »Nicht sehr günstig«, sagte der Geisterjäger mit glasklarem Durchblick. »Wer verlangt überhaupt einen Bericht von Ihnen? Ich nicht. Und was Doktor Womack betrifft – dieses Wesen – es verschwinden tagtäglich Menschen, warum nicht auch mal eine Polizeiärztin?« Lansky gab einen dumpfen Laut von sich, den Gordon Black nach Belieben auffassen konnte. Er legte ihn als Zustimmung aus. »Ich denke, wir sind schon länger als eine Stunde unterwegs«, murrte der Captain. »Fahren Sie mich zum Hauptquartier.« »Noch nicht. Erst haben wir weitere Besuche zu machen.« »Bei Ihren Vampir-Mädchen?« fragte Lansky und schüttelte sich. »Es sind nicht meine Vampir-Mädchen, aber Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dabeibleiben könnten. Das verhindert eventuelle Mißverständnisse.« Lansky ergab sich in sein Schicksal. »Mit mir können Sie es
ja machen!« maulte er. »Aber bilden Sie sich nichts darauf ein. Ich bin nämlich jetzt selber gespannt, was da auf uns wartet!« Es war heller Tag, und Gordon Black durfte mit einiger Berechtigung annehmen, daß die Mädchen sich jeweils in der abgedunkelten Wohnung aufhielten. Debbie Brians Wohnung lag nur ein paar hundert Schritte entfernt. Angeblich war sie in der Frühe nicht dagewesen, aber Gordon Black verließ sich besser nicht darauf. Er glaubte nur noch das, was er mit eigenen Augen sah, und selbst da war er sich nicht sicher. Hanako öffnete mit Hilfe des Dogu die Wohnungstür und wurde von einem fauchenden und vampirzähnezeigenden Wesen angegriffen, das nur noch wenig Ähnlichkeit mit der Debbie Brian hatte, die der Geisterjäger kannte. Captain Lansky griff unters Jackett und brachte die leere Hand zum Vorschein. Seine Pistole lag in seiner Schublade, das Achselholster war leer. Gordon Black rief einen Bannspruch, aber das satanische Gelächter aus dem Mund des Wesens machte ihm klar, daß er mit so einfachen Mitteln nicht Herr über das Böse wurde. Hanako hielt dem Vampir den Silberspiegel vor. Das half. Mit einem winselnden Schrei flüchtete das Wesen in die Wohnung zurück. Gordon Black holte mit der Dämonenpeitsche aus, als er sah, daß das Wesen nach einem kleinen Behälter griff, der aus Glas war und in dem es zu brodeln und zu wallen begann. Lansky und Hanako waren in die Wohnung gefolgt. Der Captain erfaßte instinktiv die Gefahr und schrie: »Tun Sie doch was, Black!« Der Geisterjäger ließ schon die Schnüre der Peitsche niederzischen. Mit einem gräßlichen Aufschrei krümmte sich das Wesen. Es begann sich aufzulösen und versuchte im letzten Augenblick noch, den Glasbehälter ins Zimmer zu werfen.
Wie von Gedanken bewegt und beseelt schlängelten sich die Schnüre der Peitsche blitzschnell in die Höhe, ringelten sich um den Behälter und hielten ihn fest, bis er sich zusammen mit der Gestalt des Vampirs aufgelöst hatte. Lansky wischte sich über die Augen. Er starrte die Peitsche an. »Was ist denn das, Black?« »Vergessen Sie, daß Sie es je gesehen haben.« »Das ist ja schlimmer als ‘ne Superwaffe!« »Es ist eine Peitsche, und sie ist uralt. Es sind die Kräfte, die ihr innewohnen. Mehr kann ich Ihnen auch nicht erklären.« Lansky nickte, aber seine Augen verrieten, daß er kaum etwas verstand. »Wenn sie das Glas geworfen hätte, wäre es uns schlecht ergangen, was, Black?« »Nicht nur uns«, bestätigte der Geisterjäger. »Wir suchen jetzt Bess Menlo auf.« »Ich möchte mich hier aber noch etwas umsehen«, sagte Lansky eigensinnig. Er hatte als Kriminalist ein Gespür für Situationen, in denen er fündig wurde. Es dauerte auch nicht lange, bis er ein paar Briefe und Fotos hinter Büchern in einem Regal fand. »Da schau her!« Er hielt die Bilder dem Geisterjäger hin. Das Mädchen auf den Fotos war Debbie Brian. Den rundlichen Mann mit dem Schnurrbart kannte Gordon Black nicht. Er hob die Achseln. »Enzo!« krächzte der Captain. »Jetzt dämmert mir auch, daß er Geld in irgend so ein Theater steckte. Wetten, daß an diesem Theater Debbie Brian getanzt hat?« »Die Wette haben Sie wahrscheinlich schon gewonnen. Big Jack nimmt furchtbare Rache, er verschont nicht einmal die Freundinnen seiner Feinde. Captain, wir haben noch viel vor. Stecken Sie die Bilder ein oder werfen Sie sie aus dem Fenster, aber kommen Sie endlich!«
*** Bess Menlo gab ihnen ein Rätsel auf. Sie hielt sich nämlich nicht in der Wohnung auf. Dafür war Baby Jane Fleming da. Und sie fuhr auf sie los wie eine Furie. Sie witterte Blut, und es war ihr gleichgültig, von wem sie es bekam. Sie entschied sich für den Captain, weil der so günstig stand. Sie überrumpelte alle und hing schon an Lanskys Kehle, bevor der Geisterjäger die Peitsche zum Schlag erhoben hatte. Aber dann wurde sie von der Titanengewalt der Peitschenschnüre buchstäblich im letzten Augenblick in die Finsternis geschleudert Ihr gellender Schrei zitterte noch im Raum nach, als sie sich schon längst aufgelöst hatte. Lansky stand noch immer steif und starr vor Entsetzen und griff sich endlich an die Kehle, wo er schon die dolchartigen Zähne des Vampirs gespürt hatte. Da war nichts, kein Biß, keine Wunde, kein Blut, auch kein Schmerz. »Sie haben Glück gehabt, gratuliere!« sagte Gordon Black trocken. »Sie war unglaublich flink.« Der Captain knirschte mit den Zähnen. »Seien Sie bloß froh, daß ich jetzt kein Vampir werde! Andernfalls hätte ich mir nämlich mit Wonne Ihren Hals ausgesucht. – Im Ernst, wäre ich ein Vampir geworden?« Gordon Black nickte. Und dann sagte er: »Und dann müßte ich auch Sie vernichten, weil Sie eine riesige Gefahr für alle Menschen darstellen würden.« »Ein wirklich netter Mensch sind Sie!« sagte Lansky giftig. »Sieht so aus, als sei Ihnen Bess Menlo entwischt, was? Ich könnte beinahe Schadenfreude empfinden. Aber eben nur beinahe.« Gordon Black schaute ihn grimmig an. »Wünschen Sie sich lieber, daß wir sie schnell finden.«
»Na, vielleicht sitzt sie in dieser obskuren Firma und hält Big Jack das Händchen, während er langsam auftaut«, spottete Lansky. »Ich versuche, Ihre Erklärungen in meine Vorstellungen umzusetzen.« Der Captain wußte selber nicht recht, wie ihm geschah, als der Geisterjäger ihn plötzlich ganz freundlich anschaute. »Das ist Ihr erster positiver Beitrag, Captain. Haben Sie die Adresse im Kopf?« »Welche?« Lansky kam so schnell nicht mit. »Dieser Firma, die Leute einfriert gegen das Versprechen, sie irgendwann wieder aufzutauen.« »Habe ich, aber wir sollten uns besser mit Schußwaffen eindecken«, meinte Lansky. »In der Umgebung der Firma ist es nicht geheuer.« »Bitte? Was heißt nicht geheuer?« forschte Gordon Black. »Erinnern Sie sich, daß ich von zwei Polizisten sprach, die ich zu der Firma geschickt habe? – Die haben nämlich auch in der Umgebung herumgehorcht und Anwohner befragt und was eben ein guter Polizeidetektiv so unternimmt. Sie haben erfahren, daß sich ein riesiger Wolf beim Firmengelände herumtreibt. Zu allen möglichen Zeiten, tags und nachts.« Gordon Black nickte gelassen. »Gegen diesen Wolf hilft keine Pistole und keine herkömmliche Kugel. Erinnern Sie sich jetzt, was Zeugen über die drei Mädchen ausgesagt haben, als man sie offiziell zum letztenmal gesehen hat? In Begleitung eines riesigen Hundes! Das war kein Hund, das war dieser Wolf. Und der Wolf war kein anderer als Big Jack!« Lansky blies die Backen auf. »Jetzt reicht’s aber! Schluß mit dem Unsinn!« »Waren die letzten zwei Stunden Unsinn, Captain? Was Sie nicht wissen können – männliche Vampire nehmen häufig Wolfsgestalt an, wenn sie auf der Jagd nach Beute sind. Und Big Jack ist auf der Jagd. Er bringt seine alten Feinde um, und er muß Dracula bei Laune halten und ihm immer wieder
frisches Blut zuführen. Das ist auch eine Jagd. Er hat bisher diese Mädchen ausgewählt, mit deren Tod oder scheinbarem Tod er seine Feinde am härtesten treffen konnte, bevor er ihnen ebenfalls ein Ende bereitete.« »Das – das wäre teuflisch!« stieß Lansky keuchend aus. »Big Jack ist auch ein Teufel! Sagen Sie mir, wie ich fahren muß!« Sie benötigten eine halbe Stunde, die Firma unterhielt ihr dubioses Tiefgefriergeschäft in der Bronx. Als Lansky seine Polizeimarke vorzeigte, wurden die Leute nervös und wollten ihn erst einmal loswerden mit der Bemerkung, es seien ja schon Polizisten dagewesen. Der Captain gab ein paar Unfreundlichkeiten von sich und hatte die Genugtuung, daß er mit dem Geisterjäger und der Asiatin an die Geschäftsleitung weitergereicht wurde. Es ging gemessen und pietätvoll zu wie bei einem Bestattungsunternehmen. Kaum ein lautes Wort wurde gesprochen. Gordon Black hatte den dumpfen Verdacht, daß etwas passiert war. Lansky war hundemüde und nicht so zart besaitet wie die Geschäftsführer der Firma. »Schmieren Sie mir doch keinen Honig um den Bart!« brauste er auf. »Ich will diesen Tank von Linus Jack Bickford sehen, mehr nicht. Allerdings mit eigenen Augen, und ich wäre Ihnen verbunden, wenn das gleich geschieht.« »Also, Captain, wirklich, wir sind untröstlich. Es ist uns ein Rätsel«, jammerte der Seniorchef der Firma, der auch noch dazustieß. »Mir auch, Gentlemen. Ich habe nämlich keine Ahnung, warum Sie so laut Klage führen!« sagte Lansky unduldsam. »Wir wußten nicht, daß der Tank eine solche Einrichtung enthält«, jammerte der Seniorchef weiter. »Mister Bickford hat diesen Tank seinerzeit in diesem Zustand in die Firma bringen
lassen. Wir müssen jede Verantwortung ablehnen.« »Guter Mann, sagen Sie mir doch erst einmal, worum es geht und was passiert ist!« sagte Lansky und machte ein leidendes Gesicht. Der Seniorchef faßte sich. »Eine Auftaueinrichtung muß sich mehrmals unkontrolliert in Betrieb gesetzt haben. Wir können für den verblichenen Mitinhaber Bickford keinerlei Konservierungsgarantien abgeben.« »Wer sollte die auch verlangen?« meinte Lansky. »Zeigen Sie uns mal den Tank.« Man schien froh zu sein, der Polizei einen Teil der Verantwortung aufhalsen zu können. Jedenfalls dauerte es keine fünf Minuten, bis der Captain, Gordon Black und Hanako in eine Art Maschinenhalle geführt wurden. Der Anblick war eigentlich ernüchternd. Es gab viel Technik zu sehen, reif überzogene Leitungen, die zu Löchern in der Betondecke führten oder im Boden verschwanden, und etliche Tanks, die wie die Spitze einer Weltraumrakete aussahen. Manche waren bereift, andere nicht. Gordon Black schätzte, daß die nicht bereiften Behälter noch für steinreiche Kunden reserviert waren, die sich den Luxus gönnen wollten, nach dem irdischen Ableben vereist zu werden, um eines Tages wieder zum Leben erweckt zu werden – wenn’s möglich war und auch klappte. Der Seniorchef, der selber die Führung machte, wies auf einen besonders prächtigen Tank. Er war nicht bereift. »Hier, bitte sehr! Das ist das vorläufige Heim unseres lieben Verblichenen Bickford.« Er erklärte noch mit technischen Schlagworten, wie seiner Meinung nach die Abschaltung erfolgt sein konnte. Gordon Black interessierte das nicht. Er staunte nur. Wenn Prentiss diese Erfindungen gemacht hatte, dann war der Mann ein Genie gewesen. Und Bickford ein Lump, daß er den Mann um die Früchte seines Erfinderlebens gebracht hatte.
In seine Gedanken hinein sagte Hanako plötzlich: »Vorsicht, Gordon, da ist etwas, ich kann es spüren! Ganz in unserer Nähe!« Er schreckte hoch und wußte sofort, was sie meinte. Eine unwirkliche Kälte machte sich breit. Eben war es in der Halle aber noch angenehm temperiert gewesen. Der Seniorchef stieß plötzlich einen Schrei aus und deutete auf einen riesigen Wolf, der mit selbstverständlicher Gelassenheit um einen Tank herumtrabte. Als würden hier jeden Tag Wölfe spazierengehen. Er entwickelte sich aber sehr schnell zu einem rasenden Teufel und hetzte mit weiten Sprüngen herum. Hanako hatte die Pistole mit den geweihten Silberkugeln in der Hand und zielte auf den Schädel des Tieres. Sie drückte dreimal ab. Der Wolf überschlug sich im Sprung und blieb mit einem gräßlichen Heulen auf der Seite liegen. Und dann begann eine entsetzliche Verwandlung mit ihm. Die Haare fielen von ihm ab, der Körper bewegte sich zuckend und nahm andere Formen an. Zwei Minuten später lag dort ein Mensch auf dem Betonboden und blutete aus drei Löchern in der Stirn. Er war tot, ohne Frage. Schreiend lief der Seniorchef der Firma davon. Selbst Lansky, der sich vorgenommen hatte, sich über gar nichts mehr zu wundern, wurde vom Grauen geschüttelt. Den toten Mann am Boden kannte er. Das war Linus Jack Bickford, genannt Big Jack, einstmals der größte Rauschgifthändler von New York, bis ihn ein Killer drüben in Europa erschossen hatte. Lansky hörte ein seltsames Klappern und schaute sich um. Dann erst merkte er, daß das Geräusch von seinen aufeinanderschlagenden Zähnen herrührte. Ein Schrei wie eine Verwünschung riß den Captain herum. Der Geisterjäger Gordon Black stand mit schlagbereit
erhobener Peitsche, und diese Hanako zielte über den gestreckten Arm mit der Waffe auf einen fledermausartigen Schatten, der durch die Halle strich und neben dem Tank etwas vom Boden hochriß, das wie eine Frau aussah. Mit einem satanischen Kreischen schwang sich der Schatten in die Höhe. Bis zum Dach hinauf. Im nächsten Augenblick war er verschwunden. Lansky sah, wie leichenblaß der Geisterjäger war. »Zum Teufel, Black, was war denn das nun schon wieder?« »Bess Menlo, fürchte ich. Sie ist entwischt. Wir werden den Kampf gegen sie aufnehmen müssen. Irgendwann, irgendwo.« Lansky wurde böse. »Halten Sie mich nicht für beschränkt. Da waren zwei Schatten. So eine verdammte Fledermaus wie im Prentiss-Haus in der Truhe im Keller. Die hier war verdammt mobil. Und das Mädchen!« Gordon Black ließ die Achseln hängen. »Das war Dracula. Eine Braut ist ihm geblieben. Er hat sie in Sicherheit gebracht.« »Dracula, hm? So sieht der in Wirklichkeit aus? Kommt er zurück, Black?« »Hoffentlich nicht, Captain. Wir werden mit seiner Braut genug zu schaffen kriegen, eine düstere Ahnung sagt mir das!« Lansky zwinkerte und deutete auf die Peitsche. »Mit dem alten Ding da werden Sie es schon schaffen, Black. Ich habe Geisterjäger bisher für einen sehr unseriösen Beruf gehalten, aber jetzt denke ich, der Job hat Zukunft.« Er grinste, aber in seinen Augen spiegelte sich immer noch das Grauen. ENDE
Gordon Black erscheint im Wolfgang Marken Verlag GmbH & Co., Eintrachtstraße 110-118, 5000 Köln 1, Fernruf 16 48-1. – Anzeigenleitung: Josef Neuen. Verantwortlich für den Anzeigenteil: Jochen Gebhard.
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