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Eine Nacht für Korsaren
Anfang Januar 1600, Florida-Straße, westlich der Cat Cays. Der...
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Davis J.Harbord
Eine Nacht für Korsaren
Anfang Januar 1600, Florida-Straße, westlich der Cat Cays. Der Kommandant der spanischen Kriegsgaleone „El Toison de Oro“ was soviel wie „Das Goldene Vlies“ heißt - stiefelte nervös auf dem Achterdeck hin und her. Seit Tagen tat er das schon. Manchmal sogar nachts, so daß die Offiziere in ihren Kammern unter dem Achterdeck bei dem ewigen Hinundhermarsch über ihren Köpfen keine Ruhe fanden. „Wo bleiben die bloß?“ fuhr der Kommandant seinen Dritten Offizier an. In den letzten Tagen hatte er das bestimmt schon hundertmal gefragt. Und ebenso oft hatte der jeweilig Befragte erwidert, daß er das auch nicht wisse. Frage - Antwort, es war immer die gleiche Leier. Acht spanische Schatzgaleonen ankerten bei den Cat Cays, bewacht von der „El Toison de Oro“. Sie warteten auf die Rückkehr von drei Kriegsgaleonen, die vor Tagen ostwärts gesegelt waren, um das Piratenversteck des Philip Hasard Killigrew auszuräuchern - sozusagen mit Stumpf und Stiel. Die Hauptpersonen des Romans: Jonny Warwick - wird in den Bund der Korsaren aufgenommen und auf den Namen „Krümelchen“ getauft. Thorfin Njal - erhält Gelegenheit, als nordischer Riesenschneemann. Karl von Hutten - bringt einen spanischen Handelsschiffskapitän dazu, Korsaren „fette Beute“ zu wünschen. Arne von Manteuffel- begibt sich in die Höhle des Löwen und Neuigkeiten aus. Don Miguel de Teixera - ist von Sturheit besessen und muß dafür einen tödlichen Preis zahlen.
1. Mit Stumpf und Stiel! Für den Befehlshaber der drei ostwärts gesegelten Kriegsgaleonen hatte nicht der geringste Zweifel daran bestanden, daß man das Seeräubernest mit Glanz und Gloria ausheben und die Piraten über die Klinge springen lassen würde. Den Ruhm, den Seewolf zur Strecke gebracht zu haben, hatte der Befehlshaber, Don Lucian de Arellano y Aragon, ganz für sich allein einheimsen wollen. Daher hatte er es auch nicht für nötig gehalten, Don Miguel de Teixera, den Kommandanten der „El Toison de Oro“, in das Geheimnis einzuweihen, wo sich der Piratenschlupfwinkel befand. „Es genügt, daß ich es weiß“, hatte er Don Miguel de Teixera auf dessen Frage von oben herab erklärt. Basta!
Eine folgenschwere Antwort, denn sie bedeutete, daß der Kommandant der „El Toison de Oro“ nicht in der Lage war, eine große Jolle loszuschicken, um erkunden zu lassen, wo die drei Kriegsgaleonen mit ihrem Befehlshaber abgeblieben waren. In längstens drei Tagen hatte Don Lucian zurück sein wollen, als ruhmbedeckter Kriegsheld, versteht sich. Diese Frist war längste verstrichen. Und noch etwas hatte der siegessichere Don Lucian befohlen. Daß nämlich der Konvoi, dessen Ziel Spanien war, hier den Cat Cays auf seine Rückkehr zu warten habe. Dabei hätte man zu diesem Zeitpunkt bereits bei den Bermudas sein können. Die Kapitäne der Schatzgaleonen wurden ungeduldig, ebenso Offiziere und Mannschaften, und gleiches galt für die gesamte Crew der „El Toison de Oro“. Außerdem bedeutete jeder verplemperte
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Tag dieser nutzlosen Warterei, daß Proviant und Trinkwasser vermindert wurden, ohne daß man dem Ziel um eine müde Meile näher gerückt war. Das konnte schwere Folgen haben, wenn man widrige Winde hatte oder gar in eine Flaute geriet. Auch das hatte Don Miguel de Teixera dem Befehlshaber zu bedenken gegeben. Und wie hatte die Antwort gelautet? „Dann müssen die Rationen eben gekürzt werden.“ Basta! So marschierte Don Miguel de Teixera an diesem Vormittag, Anfang Januar also, auf seinem Achterdeck auf und ab, stierte immer wieder in kurzen Pausen durch sein Spektiv nach Osten, dachte nach, und seine Laune verschlechterte sich von Stunde zu Stunde. Das hing zum Teil damit zusammen, daß er keinen Entschluß fassen konnte. Er hatte bereits überlegt, einfach ankerauf zu gehen und mit dem Konvoi die Reise fortzusetzen. Sie hatten ja lange genug auf den ehrenwerten Befehlshaber gewartet. Und die Drei-Tage-Frist war auch verstrichen. Aber Don Miguel scheute die Verantwortung bei einem solchen Entschluß. Sich selbst gegenüber entschuldigte er sich mit dem Argument, daß eine einzelne Kriegsgaleone nicht in der Lage sein konnte, acht mehr oder weniger schlecht armierte Handelsgaleonen gegen Angriffe wildentschlossener Piraten zu verteidigen. denn abzuschirmen. Sie brauchten nur von mehreren Seiten anzugreifen, und schon würde das der Anfang vom Ende sein. Das mindeste zum Schutz eines AchtSchiffe-Konvois waren tatsächlich zwei Kriegsgaleonen, die wenigstens die Flanken des Geleitzuges abdecken konnten. Und von Havanna war keine Verstärkung zu erwarten. Der Gouverneur hatte gerade noch zwei Kriegsgaleonen auf Anforderung Don Lucias detachieren können, die dem Befehlshaber beim Angriff auf den Piratenschlupfwinkel zur Verfügung stehen sollten. Mehr Schiffe – für einen möglicherweise tatsächlich
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vernichtenden Schlag gegen das Piratenunwesen – hatte der Gouverneur nicht aufgebracht. Wenn dafür keine Schiffe vorhanden waren, dann erst recht nicht für den Konvoi. Don Miguel konnte sich nicht erinnern, sich jemals in einer ähnlich verfahrenen Situation befunden zu haben. Er konnte nicht vor und zurück. Doch, zurück schon, nämlich nach Havanna. Doch das wäre ja wohl ein schlechter Witz gewesen, dahin zurückzusegeln, von wo man aufgebrochen war. Im übrigen wurden die Schatzgüter mehr als dringend von der Krone gebraucht. Die Staatskassen waren leer, die Schuldenberge drückten. Es sah gar nicht gut aus in Spanien. Die Gouverneure in den spanischen Gebieten der Neuen Welt hatten geheime Order, noch mehr aus den Silberbergwerken, den Goldminen, der Perlenfischerei herauszuholen als bisher – und natürlich die Schätze der Eingeborenen zu plündern. Was brauchten diese Wilden goldene Götzenstatuen, silbernen Schmuck und Edelsteine? Aber Spanien bräuchte sie, das königliche, herrschaftliche Spanien, die Krone aller Königreiche! Don Miguel zerrte an seinem Spitzbart, stiefelte zur Backbordseite, hieb dort die Faust aufs Schanzkleid, drehte sich um, marschierte zurück und blieb vor dem Dritten Offizier stehen, einem dürren, langen Mann mit grämlichem Gesicht. Da Don Miguel nicht sehr groß war, mußte er zum Dritten hochsehen. Ein Unding, daß ein Kommandant zu seinem Dritten Offizier aufschauen mußte. Auch das ärgerte Don Miguel. „Und? Und?“ schnauzte er, nachdem der Dritte erwidert hatte, er könne sich auch nicht erklären, warum die drei Kriegsgaleonen noch nicht zurückgekehrt seien. „Ist das alles, was Sie mir zu sagen haben?“ Das Gesicht des Dritten wurde noch grämlicher. Jetzt war er mal wieder der Unglücksrabe, auf dem der Kornmandant herumhackte. Das ging immer reihum. Wer gerade wachhabender Offizier war, an dem
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ließ Don Miguel seine schlechte Laune aus. Dabei waren sie, die Offiziere der „El Toison de Oro“, in keiner Weise für die derzeitige Situation verantwortlich. „Nein, mehr habe ich nicht zu sagen“, erwiderte der Dritte mürrisch, „es sei denn der Hinweis auf die Möglichkeit, daß die drei Kriegsgaleonen überhaupt nicht mehr zurückkehren.“ Don Miguel schob den Kopf vor und stierte zum Dritten hoch, als habe er 'sich verhört. „Wie bitte?“ zischte er. „Daß sie überhaupt nicht mehr zurückkehren? Sind Sie verrückt, Senor?“ Der Dritte erklärte, daß er nicht verrückt sei – jedenfalls glaube er das und gab zu bedenken, daß auch eine Niederlage nie ganz auszuschließen sei. „Sie wollen behaupten“, polterte -Don Miguel los, „Don Lucian und unsere drei Kriegsgaleonen seien von dem Piratenpack besiegt worden?“ „Das behaupte ich nicht, Senor Capitan“, erwiderte der Dritte steif, „sondern ich sage lediglich, daß mit einer solchen Möglichkeit gerechnet werden muß. Ich bitte, den feinen Unterschied zu beachten.“ „Papperlapapp!“ schnappte Don Miguel, knallte die Hände auf den Rücken und marschierte wieder los – zum Steuerbordschanzkleid. Dann abrupte Kehrtwendung und zurück bis zum Dritten. Erneutes Aufschauen zu ihm. „Unsere Kriegsgaleonen sind unbesiegbar, verstanden?“ „Und warum sind dann unsere siegreichen Schiffe noch nicht zurückgekehrt?“ fragte der Dritte höhnisch und zugleich beleidigt. Mit dieser Frage war man wieder da, wo man angefangen hatte. Man redete sozusagen im Kreis. Außerdem empfand der Kommandant die Antwort des Dritten als unbotmäßig, wenn nicht gar als aufsässig. „Ich verbitte mir Ihren frechen Ton!“ schnarrte er. „Steht Ihnen nicht zu Ihrem Kommandanten gegenüber. Fasse das als Insubordination auf. Neigen zur Widerrede, wie?“ „Nein,”
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„Scheint mir aber doch so.“ „Sie fragen mich, und ich versuchte, auf Ihre Frage zu antworten, indem ich auf die Möglichkeit hinwies, daß unsere Schiffe eine Niederlage erlitten und versenkt wurden“, sagte der Dritte störrisch. „Und ich sagte, daß unsere Schiffe unbesiegbar seien!“ schrie der Kommandant den Dritten an. „Ja – wie unsere Armada“, sagte der Dritte grimmig. Don Miguel zuckte zurück, als habe er eine Ohrfeige erhalten. Er war nämlich 1588 dabei gewesen und hatte noch heute Alpträume. „Da soll ja El Lobo del Mar den Angriff der Brander angeführt haben, nicht wahr?“ fragt der Dritte tückisch und hieb weiter in diese Kerbe. „Derselbe El Lobo del Mar, den jetzt Don Jucian überfallen wollte ...“ „Schweigen Sie!“ brüllte Don Miguel außer sich. Es war genau jener Branderangriff vor Calais gewesen, den er als junger Teniente nur knapp überlebt hatte. Einer jetzt fälligen Disziplinarstrafe für „ungebührliches“ Reden entging der Dritte, denn der Ausguck schrie eine Sichtmeldung. * „Jolle der ‚Valencia' mit Kurs auf uns!“ Don Miguel fluchte, denn ihm schwante neuerlicher Ärger. Der Kapitän der „Valencia“ war nicht nur der älteste Schiffsführer der voraus von der „El Toison de Oro“ ankernden acht Schatzgaleonen, sondern es mangelte ihm auch an dem nötigen Respekt gegenüber der königlichen Marine und deren Vertretern. Tatsächlich war Kapitän Jose Silva ein salzwassergetränktes Rauhbein, das kein Blatt vor den Mund nahm, am allerwenigsten vor den Senores der Marine, von Ausnahmen natürlich abgesehen. Aber er zählte weder Don Lucian noch Don Miguel zu den Ausnahmen. Im übrigen hatte er nicht verhehlt, was er von der Sonderaktion Don
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Lucians gegen den Piratenschlupfwinkel hielt, nämlich gar nichts. „Was denn!“ hatte er gewettert. „Don Lucian ist doch nur auf Orden und eine Beförderung scharf – und auf das verdammte Kopfgeld!“ Damit hatte er den Nagel genau auf den Kopf getroffen. Dieser obstinate Bursche war also jetzt im Anmarsch, wie Don Miguel mit einem Blick durchs Spektiv feststellte. Die Jolle näherte sich von Backbord voraus, und Silva saß selbst an der Pinne – eine Funktion, die kein Kommandant eines spanischen Kriegsschiffes ausüben würde. Das war eine Sache der unteren Chargen. Don Miguel rümpfte die Nase. Na ja, dieser Silva konnte eben seine Herkunft nicht verleugnen. Als Seemann hatte er angefangen, war dann Bootsmann und schließlich Kapitän geworden, Kapitän einer eigenen Frachtgaleone. Möchte wissen, wie er sich das Geld für den Kauf eines solchen Schiffes zusammengegaunert hat, dachte Don Miguel. Daß jemand eisern sparte und sich das Geld auf ehrliche Art und Weise verdiente, wollte nicht in den Kopf des Don Miguel, zumal er selbst keine Gelegenheit ausließ, sich nebenbei zu bereichern. Zum Beispiel kungelte er mit dem Proviant- und Zahlmeister an Bord der „El Toison de Oro“, und das hatte sich schon bestens ausgezahlt. Juan Vargas, der Proviant-- und Zahlmeister, brauchte bei den Proviant- und Soldanforderungen beim Marineamt nur den Mannschaftsbestand etwas zu manipulieren, das heißt, zu erhöhen – und schon rollten die Talerchen aus dem Füllhorn, nämlich der Kasse des Marineamtes. Man betrog schamlos die eigene Administration – und damit die Krone, in deren Dienst man stand. Und ein Don Miguel wunderte sich, daß die Staatskassen leer waren, obwohl er sehr genau wußte, daß die Kungelei überall betrieben wurde, nicht nur bei der Marine. Es waren Hunderte von Polypenarmen, die
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zulangten und dem Königreich das Mark aus den Knochen sogen. Die Jolle war heran an Backbord, und Kapitän Silva rief – wie es Brauch war – zum Achterdeck hoch: „Bitte an Bord kommen zu dürfen!“ Don Miguel ignorierte die Bitte und rief stattdessen zurück: „Was wollen Sie, Silva? Ich habe zu tun und keine Zeit für längere Gespräche!“ Jose Silva lachte polternd. Es schüttelte ihn direkt, und die ganze Jolle wackelte. Er war ein großer und starker Mann mit einen kantigen, bärtigen Gesicht und scharfen grauen Augen. Kopf- und Barthaare waren silbergrau. „Soll das ein Witz sein, Teixera?“ rief er zu Don Miguel hoch. „Was haben Sie denn zu tun? Ich habe nur gesehen, daß Sie in den letzten Tagen von morgens bis abends auf Ihrem Achterdeck hin und her gerannt sind! Damit erschöpfte sich Ihre Tätigkeit, also erzählen Sie mir keinen Quatsch - von wegen, keine Zeit zu haben. Kann ich jetzt an Bord kommen, oder ist es bei der Marine nunmehr üblich, die Kapitäne anderer Schiffe wie Lakaien abzufertigen?“ „Was wollen Sie, verdammt noch mal?“ brüllte Don Miguel ein zweites Mal. Seine Gesichtsfarbe hatte das Rot einer überreifen Tomate. „Na gut!“ donnerte Kapitän Silva. Er hatte eine prächtige Baßstimme, und laut genug war sie auch. „Ist mir auch recht, wenn Ihre ganze Besatzung zuhört und erfährt, was ich Ihnen zu sagen habe! Wir, die Kapitäne der acht Galeonen, haben beschlossen, Ihnen noch eine Frist von drei Tagen zu geben. Wenn bis dahin nichts passiert, gehen wir ankerauf - mit Kurs Spanien. Ob Sie hier weiter ankern und die Zeit vertrödeln wollen, ist Ihr Bier. Es interessiert uns nicht! Haben Sie das kapiert, Sie Admiral, Sie?“ Der „Admiral“ war natürlich reiner Hohn, und der so Angesprochene hüpfte vor Wut am Backbordschanzkleid hoch. „Das ist Meuterei!” schrie er. „Wer es wagen sollte, ohne meinen Befehl den Konvoi zu verlassen oder sich sonst wie
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eigenmächtig zu verhalten, den stelle ich vors Kriegsgericht!“ „Da müssen Sie acht Kapitäne vors Kriegsgericht stellen, Admiral!“ rief Jose Silva. „Möchte mal wissen, wer dann die Schiffe führen soll, ganz abgesehen davon, daß wir das Recht zu eigenen Entscheidungen haben, wenn sich herausstellt, daß der stellvertretende Geleitzugführer ein Nichtstuer ist, der unsere kostbare Zeit mit Warten verplempert!“ „Wollen Sie mich beleidigen?“ schrie Don Miguel. Dem Kapitän Silva platzte der Hemdkragen, und er dröhnte: „Es geht hier nicht um Ihre eigene unwichtige Person, sondern um einen Schatzkonvoi, der nach Spanien gebracht werden soll. Wenn Sie dazu nicht in der Lage sind, dann sind wir gezwungen, selbst zu handeln. Das hat mit Meuterei nichts zu tun! Geht das in Ihren Holzkopf, Teixera?“ Wieder hüpfte Don Miguel am Schanzkleid hoch – allein schon deswegen, weil ihn dieser ungehobelte Mensch mit dem Nachnamen anredete, als sei er, der königliche Capitan, ein Ziegenhirte – und das bereits zum zweitenmal. Außerdem entging ihm nicht, daß sein Schiffsvolk verstohlen grinste, was ihn noch mehr in Harnisch brachte. Er vergaß, daß er diese Situation selbst provoziert hatte. Es gehörte zu den Regeln seemännischer Konventionen, daß man einem anderen Kapitän das Anbordgehen nicht verweigerte, wenn dieser darum bat. Das hatte Kapitän Silva in aller Form getan. Don Miguel hingegen hatte diese Regel grob mißachtet, aber er war weit davon entfernt, das einzusehen: Ein Capitan der königlichen Marine stand turmhoch über dem Kapitän eines Frachtschiffes – so wollte es die göttliche Ordnung nach Meinung Don Miguels. Er schrie: „Ich verbitte mir Ihre rüden Reden, Kerl, und warne Sie! Treiben Sie's nicht zu weit. Sie und die anderen Kapitäne haben weiter nichts zu tun als zu gehorchen und sich meinen Anweisungen zu fügen. Ich selbst habe Befehl von Don
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Lucian, hier auf seine Rückkehr zu warten. Das gilt genauso für die Kapitäne des Konvois.“ „Und wie lange wollen Sie noch warten – vielleicht bis die Proviantlasten und Trinkwasserfässer leer sind?“ höhnte Kapitän Silva. „Oder bis unsere Schiffe zu Muschelbänken geworden sind?“ „Ich werde Ihnen mitteilen lassen, wann wir weitersegeln“, beschied Don Miguel. „Zu gütig, Euer Ehren, aber danach fragte ich nicht. Ich fragte, wie lange Sie noch warten wollen, und ich verlange, verdammt noch mal, eine präzise Antwort!“ „Sie haben gar nichts zu verlangen!“ brüllte Don Miguel. „So weit kommt es noch, daß dahergelaufene Frachtschiffer meinen, uns Offizieren der Marine auf der Nase herumtanzen zu können!“ „Ihre Offiziersnasen sind auch nicht besser als unsere, Admiral!“ donnerte Kapitän Silva. „Und wir dahergelaufenen Frachtschiffer haben zumindest gelernt, Entscheidungen zu treffen und danach zu handeln, was man von Ihnen leider nicht behaupten kann. Sie berufen sich auf einen Befehl, der längst überholt ist, nur Sie haben das noch nicht kapiert. Vielleicht freunden Sie sich mal mit der Tatsache an, daß Ihr Don Lucian was auf seine hochwohlgeborene Offiziersnase gekriegt hat und samt seiner Schiffe und Mannschaften nicht mehr zurückkehrt. Piraten haben nämlich unter anderem die Eigenschaft, sich aufs Kämpfen zu verstehen - wieweit das auf Ihre Marine zutrifft, sei dahingestellt. So, und jetzt frage ich Sie, was Sie zu tun gedenken, wenn eine Rückkehr der drei Schiffe nicht mehr zu erwarten ist? Denn dann ist der Befehl Don Lucians gegenstandslos geworden.“ „Ich habe nicht die Absicht, meine diesbezüglichen Pläne hier in aller Öffentlichkeit mit Ihnen zu diskutieren!“ schrie Don Miguel wütend. „Deshalb bat ich ja auch darum, an Bord kommen zu dürfen“, erwiderte Kapitän Silva trocken. Er tippte lässig an seinen Hut und rief: „Habe die Ehre, Admiral! Wenn die Frist von drei Tagen verstrichen
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ist, gehen wir acht Kapitäne ankerauf und empfehlen uns. Und das sage ich Ihnen gleich: Sie werden uns nicht davon abhalten, es sei denn, Sie wollen sich mit acht Schatzgaleonen herumschlagen und auf Landsleute schießen lassen! Versuchen Sie's mal, wir ziehen nicht den Schwanz vor Ihnen ein!“ Und damit ließ Kapitän Silva die Jolle zu seinem Schiff zurückpullen. Für das Geschrei Don Miguels hatte er nur ein verächtliches Lächeln übrig. 2. Fast um dieselbe Zeit saßen etwa 150 Meilen weiter in ostnordöstlicher Richtung die Männer des der Korsaren in ihrem Stützpunkt auf der Bahama-Insel Great Abaco an der Cherokee Bay zusammen. Natürlich dort, wo sie dies bei solchen Gelegenheiten immer taten, nämlich in der „Rutsche“ des Old Donegal O’Flynn, einem Pfahlbau, der als gemütliche Schenke eingerichtet war. In Abwesenheit des „Admirals“ waltete hinter dem Tresen Mary O'Flynn, geborene Snugglemouse, ihres Amtes, tatkräftig unterstützt von Don Antonia de Quintanilla, der einst spanischer Gouverneur auf Kuba gewesen war. Sie hatten Grund zu Feiern, die Mannen des Bundes. Denn es war Edmond Bayeux und seien zwölf normannischen Schrats gelungen, die von sieben Engländern gestohlene „Empress of Sea II.“ wieder in Besitz zu nehmen und mit der ebenfalls gestohlenen Ladung von einundzwanzig Schatzkisten unbeschadet zum Stützpunkt zurückzusegeln. Von den sieben Engländern hatte nur einer überlebt - der Seemann Jonny Warwick. Er saß ebenfalls hier in der „Rutsche“, allerdings mit einem Schulterdurchschuß, den ihm sein Landsmann Milton Smithfield verpaßt hatte, um zu verhindern, daß Warwick die Korsaren warnte. Denn Smithfield und seine Kumpane hatten geplant, den Standort des Stützpunktes der Korsaren gegen klingende Münzen an die Spanier zu
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verraten. Doch da hatte Jonny Warwick nicht mehr mitgespielt, denn im Grunde war er ein anständiger Kerl. Smithfield hatte ihn brutal auf einer der Andros-Inseln niedergeschossen und liegengelassen, wahrscheinlich in der Annahme, er wäre tot. Wenn nicht, wäre er verletzt und ohne Hilfe sowieso umgekommen. Aber Indianer vom Stamm der Arawacks hatten ihn gefunden und zu ihrem Pfahlbaudorf gebracht, wo sich der Medizinmann um seine Verletzung gekümmert hatte. Dann hatte ihn Coanabo, der Häuptling des Stammes, mit dem Auslegerboot nach Great Abaco bringen wollen, doch unterwegs waren sie auf den zurückkehrenden Edmond Bayeux gestoßen, und dieser nahm den Verletzten zu sich an Bord. Einen weiteren Erfolg für den Bund der Korsaren hatte der Wikinger Thorfin Njal zu verbuchen. Er hatte nach der Jolle fahnden sollen, mit der acht Spanier geflohen waren, die den Überfall der drei Kriegsgaleonen unter Don Lucian auf den Korsaren-Stützpunkt überlebt hatten. Die sechs Engländer auf der gestohlenen „Empress“ und diese acht Spanier, die versucht hatten, mit der Jolle nach Havanna zu gelangen, waren eine latente Gefahr für den Stützpunkt geworden – denn jetzt kannten sie die genaue Position des „Piratenschlupfwinkels“. Die Korsaren mußten mit neuerlichen Angriffen rechnen – irgendwann, und darum hatten sie sowohl nach der „Empress“ als auch nach der Jolle mit den acht Spaniern gesucht. Der Wikinger war ebenfalls fündig geworden – unten an der Südspitze der Insel Eleuthera. Seine Mannen hatten die Jolle in Trümmer geschossen, die acht Spanier waren getötet worden. Heute morgen war der Wikinger mit seinem Schwarzen Segler in den Stützpunkt zurückgekehrt, zusammen mit Jean Ribault, der mit der „Empress of Sea III.“ und fünf Männern seiner Stammcrew nach den Flüchtigen gesucht hatte. Jean Ribault wußte bereits, was mit Jonny Warwick geschehen war, aber das hatte er dem Wikinger wohlweislich verschwiegen.
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So war es kein Wunder, daß der kauzige und urgewaltige Nordmann zu knurren begann, als er Jonny Warwick am Tisch von Edmond Bayeux und seinen zwölf normannischen Riesenkerlen gesichtet hatte. Weil er dessen abenteuerliche Geschichte nicht kannte – vor allem nicht Warwicks radikale Abkehr von den verräterischen Plänen seiner ehemaligen Gefährten –, mußte er annehmen, die Bayeux-Mannen hätten ihn als Gefangenen eingebracht, damit er jetzt verurteilt werden könnte. „Der Kerl gehört an den nächsten Baum!“ legte er auch schon los .und stieß den rechten Arm anklagend und auf Warwick gerichtet vor. An diesen Arm hätten sich sechs Männer hängen können, ohne daß der nach unten gesackt wäre. „Dort kann er mit des Seilers Tochter Hochzeit feiern, dieser Erzschurke, der uns, seine Lebensretter, verraten hat!“ „So? Hat er das?“ fragte Jean Ribault kühl. Der Wikinger überhörte die Frage, weil ihn etwas anderes beschäftigte, nämlich das nicht übersehbare breite Grinsen der normannischen Schrats, das geradezu herausfordernd wirkte. „Da gibt's überhaupt nichts zu grinsen!“ polterte er. „Jedenfalls nicht, wenn ich ein Todesurteil . ausspreche.“ „Amen“, sagte Jean Ribault. „Was?“ Der Wikinger fuhr zu ihm herum. „Ich sagte Amen, mein Guter“, erwiderte Jean Ribault sanft. „Setz dich erst Mal auf deinen Fellhintern und laß uns darüber beraten, ob wir Jonny Warwick in den Bund der Korsaren aufnehmen, was uns das Aufhängen natürlich ersparen würde, nicht wahr?“ Der Wikinger glotzte wie die Kuh Vorm neuen Hoftor. Außerdem kratzte er sich an seinem Kupferhelm, wie er das immer tat, wenn ihn etwas aus der Kursrichtung brachte, etwas Unvorhergesehenes, das nicht in seiner Planung lag. Das Kratzen am Helm sorgte bei: den Mannen des Edmond Bayeux für noch mehr Heiterkeit, ebenso bei Jean Ribaults Kerlen und allen anderen, die hier zusammensaßen.
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„Krabbeln sie wieder unter deinem Topf?“ fragte Jean Ribault anzüglich. „Wer krabbelt?“ lautete die etwas verwirrte Gegenfrage des Wikingers, „Na, die Tierchen, die unter dem Eimer auf deinem Schädel Siedlungen angelegt haben“, sagte Jean Ribault. „Da sind keine Tierchen“, entgegnete der Wikinger, nun schon etwas gereizter. „Der Profos Carberry behauptet das auch immer ...“ „Ich weiß.“ Jean Ribault nickte. „Er hat deine Tierchen auch schon. getauft und nennt sie Thorfin Njals nordische Riesenläuse.“ Der Wikinger holte schon tief Luft, und alle wußten, daß jetzt „Thors Hammer“ mit Blitz und Donner einschlagen würde. Dem war aber nicht so. Die Luft entsäuselte sanft Und ebenso sanft sagte der Wikinger: „Ah ja, so-so, hm-hm.“ Dann lächelte er, schritt zum Tresen und holte sich seinen Bierhumpen, den Mary O'Flynn bereits, als aufmerksame Schankwirtin und vertraut mit den Trinkgewohnheiten ihrer Gäste, gefüllt hatte. „Danke, Ma'am“, sagte er und süffelte den Humpen genüßlich aus. Es schmeckte mal wieder, das Bierchen, das sie faßweise bei dem dicken. Diego, dem Wirt der „Schildkröte“ auf Tortuga, zu ordern pflegten. Ganz ruhig drehte er sich wieder um, streifte Jonny Warwick mit einem kurzen Blick und faßte Jean Ribault ins Auge. Er sagte: „Wenn ich richtig verstanden habe, wollt ihr diesen Mann in unseren Bund aufnehmen. Daraus darf ich wohl schließen, daß ihr darüber bereits gesprochen habt. Fairerweise darf ich dann wohl erwarten, daß man mich darüber aufklärt und nicht im dunkeln herumtappen läßt. Also? Ich höre.“ Sieh einer an, dachte Jean Ribault etwas beschämt. Ich wollte dich ein bißchen aufs Kreuz legen, Thorfin Njal, aber das hat wohl nicht geklappt. Außerdem hatte ich auch die Todesstrafe für Jonny Warwick gefordert und mich dabei viel sturer aufgeführt.
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Laut sagte er: „Wir haben Beweise, daß Jonny Warwick den Verrat der anderen Kerle verhindern wollte. Darum wurde er von Milton Smithfield, dem früheren Dritten Offizier der abgesoffenen ,Glorious` niedergeschossen. Das war unten bei einer der Andros-Inseln. Indianer von Coanabos Stamm fanden ihn. Als er wieder bei Besinnung war, berichtete er Coanabo von dem geplanten Verrat und wünschte, sofort hierher gebracht zu werden, um uns warnen zu können. Er konnte nicht wissen, daß der Überfall bereits stattgefunden hatte. So bleibt als Tatsache, daß er immerhin gewillt war, zu verhindern, daß wir von den Spaniern überrascht würden. Dafür, so kann man sagen, setzte er sein Leben aufs Spiel. Ich schlage vor, ihn in den Bund der Korsaren aufzunehmen – wenn er das will. Er hat die Freiheit, das selbst zu entscheiden.“ Jean Ribault blickte zu Jonny Warwick hinüber. Der stand auf. Er fragte nicht, was denn wäre, wenn er eine Aufnahme in den Bund ablehnen würde. Er sagte mit fester Stimme: „Ich möchte eurem Bund beitreten und habe nicht die Absicht, nach England zurückzukehren. Meine Eltern leben nicht mehr. Bei euch fühle ich mich wohl – und ich glaube, ihr könnt euch auf mich verlassen, auch wenn ich zu jenen gehörte, die euch bestahlen. Dafür bitte ich um Verzeihung.“ Ein paar Sekunden herrschte Schweigen in der ganzen Runde, und es war der Wikinger, der es unterbrach. Er rief: „Hand hoch, wer dafür ist, daß Jonny Warwick bei uns aufgenommen wird?“ Und er riß gleich selbst den eigenen Arm hoch, jenen, den er auf Warwick mit der Aufforderung gerichtet hatte, ihn an den nächsten Baum zu knüpfen. Alle Arme flogen hoch. Es gab keine Gegenstimme. Dem Jonny Warwick wurde es schwach in den Knien, und er mußte sich setzen. „Damit“, donnerte der Wikinger mit seiner Löwenstimme, „ist Jonny Warwick einstimmig in den Bund der Korsaren aufgenommen!“ Und er stampfte auf den Seemann zu, um ihm die Hand zu schütteln
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und „Thors Hammer“ auf die rechte Schulter zu schmettern. Jean Ribault sprang im letzten Moment noch hinzu, um den Schulterschlag zu verhindern. Er fing den niedersausenden „Hammer“ ab und fauchte: „Bist du verrückt, du Wüstling? Seine Schulter ist verletzt. Soll die Schußwunde wieder aufplatzen?“ Da kratzte sich der Wikinger zum zweiten Male am Helm und murmelte: „Hab ich doch schon glatt vergessen.“ Und mit einer seltsam weichen Gebärde berührte er die linke Schulter Jonny Warwicks und sagte: „Tut mir leid, mein Junge. Bin manchmal etwas ungestüm, meine es aber nicht so. Wie wär's, möchtest du, wenn du wieder auf dem Damm bist, auf meinem Schiff fahren?“ „Sir“, erwiderte Jonny Warwick, druckste ein bißchen und fügte verlegen hinzu: „Wenn ich darf, möchte ich gern auf dem Schiff der Normannen anmustern, obwohl ich keiner bin.“ „Da mußt du aber noch 'ne Menge wachsen“, sagte der Wikinger grinsend und war in keiner Weise beleidigt. „Und die Kerle werden dir bestimmt einen niedlichen Namen verpassen.“ „Miette!“ dröhnte Edmond Bayeux, was seine Schrats veranlaßte, wie Schlachtrösser loszuwiehern und sich auf ihre mächtigen Schenkel zu klopfen. „Und was heißt das bitte?“ fragte der Wikinger stirnrunzelnd. „Krümelchen“, erwiderte Jean Ribault grinsend. Da war wieder was los in der „Rutsche“. Sie barst nahezu von dem Gelächter. Und die Schratmannschaft der „Stöpselchen“, „Würstchen“, „Kügelchen“, „Zwirnsfaden“, „Füchslein“, „Däumling“ und wie sie alle hießen, wurde um einen neuen Namen bereichert: „Miette“ – „Krümelchen“. Dabei war Jonny Warwick ein recht großer Mann, aber auch an den „Kleinsten“ der Bayeux-Crew reichte er noch nicht heran – an den Schiffszimmermann „Petit Pouce“, den „Däumling“ mit sechs einviertel Fuß Körperlänge.
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Die Schrats gackerten und gickerten wie dumme Jungs und sahen zu, ihr neues „Krümelchen“ fleißig zu taufen – mit Rum, versteht sich, obwohl dieses hochprozentige Zeug nun wirklich nicht die richtige Medizin für einen Schußverletzten war. Diese urigen Kerle sahen das naturgemäß anders. Für sie war Rum Medizin. Wäre der Kutscher der Arwenacks in der „Rutsche“ gewesen, er hätte Zustände gekriegt. Zwar taufte der riesige Pater David, der im Bund der Korsaren die Seelsorge übernommen hatte, die neuen Erdenbürger im Stützpunkt mit klarem Quellwasser, aber dafür hatten die Schrats im Falle ihres „Krümelchens“ nun überhaupt kein Verständnis. Es ging also hoch her in der „Rutsche“, bis sich Edmond Bayeux, der Kapitän der Schrats, in voller Größe erhob und sich mit Donnerstimme Gehör verschaffte. Und dann ließ er eine „Bombe“ platzen. Bisher hatte er davon nichts gesagt und diesen Zeitpunkt abgewartet. Er grinste in die Runde, als Ruhe eingekehrt war und ihn alle gespannt anschauten. „Freunde!“ verkündete er. „Ich möchte euch eine kurze Geschichte erzählen, aber es ist nicht gesponnen, sondern die reine Wahrheit.“ „Nicht geflunkert?“ fragte der Wikinger augenzwinkernd. „Nicht geflunkert“, beteuerte der normannische Riese. „Außerdem sind alle meine Jungs Zeuge dieser Geschichte. Also hört gut zu. Ein Konvoi, beladen mit vielen hübschen und glitzernden Sächelchen, der von Havanna aus in die Florida-Straße segelte, hatte Spanien zum Ziel. Doch im Bereich der Cat Cays mußte er ankern, weil ein bestimmtes Schiff aufgetaucht war – mit Leuten an Bord, die den Konvoi-Führer dringend zu sprechen wünschten. Als Folge dieser Besprechung beorderte der Konvoi-Führer, ein gewisser Don Lucian de Arellano y Aragon, Capitan der Kriegsgaleone ,Salvacion`, zwei weitere Kriegsgaleonen aus Havanna zum Ankerplatz des Konvois und segelte mit seinem Flaggschiff und diesen beiden
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Schiffen ostwärts, um eine gewisse Räuberhöhle auszuheben, deren Lage die zuvor genannten Leute – übrigens sechs an der Zahl –dem Don Lucian verraten hatten. Der Don Lucian war ein Schlitzohr, denn er hatte ihnen für den Verrat einen ,biblischen Lohn' versprochen. Und er hielt auch sein Versprechen. Sie bekamen ein Säckchen, das dreißig Silbertaler enthielt, lumpige dreißig Silbertalerchen – der Lohn des Judas Ischariot, als er den Herrn verriet –und wurden davongejagt. Mächtig sauer waren sie, das kann ich euch sagen. Denn sie hatten sich von ihrem Verrat viel, viel mehr versprochen, und jetzt waren sie die Geleimten. Indessen segelte Don Lucian mit seinen drei Schiffen also ostwärts, was er nicht hätte tun sollen, denn die bösen Räuberchen bereiteten ihm ein Höllenfeuer.“ Edmond Bayeux grinste wieder. „Aber die Geschichte kennt ihr sicher, oder?“ „Und ob – und ob!“ dröhnte der Wikinger. „Aber dein Vortrag ist noch nicht zu Ende, wie?“ „Erraten, mein in Fell gekleidetes Wurzelmännchen“, erwiderte der Riese, der tatsächlich den Wikinger noch um einiges überragte. „Meine Geschichte ist noch nicht zu Ende. Sie setzt sich dort fort, wo die Judas Ischariots das Pech hatten, dieser Räuberbande zu begegnen. Vor lauter Freude darüber töteten sie sich teils selbst, teils wurden sie von Haien verspeist. Einer von ihnen beichtete noch seine Sünden und die seiner Kumpane, bevor er starb. So erfuhren wir von dem Verrat und dem Konvoi, der westlich der Cat Cays ankert und den Befehl hat, die Rückkehr des Don Lucian abzuwarten. Ist das nicht eine schöne Geschichte?“ Eine andächtige Stille herrschte in der „Rutsche“. Und dann ging das ganz große Grinsen um. Sie hatten alle kapiert, welchen Kern die Geschichte des Edmond Bayeux enthielt, einen sehr süßen und verlockenden Kern. Der Wikinger brachte es gleich auf den Punkt. „Wie viele Silber-Schiffchen?“ erkundigte er sich.
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„Acht, mein Freund“, erwiderte Edmond Bayeux, „und nur bewacht von einer Kriegsgaleone mit dem sinnigen Namen ,El Toison de Oro'.“ „Du glaubst, die ankern jetzt immer noch bei den Cat Cays?“ fragte Jean Ribault. Edmond Bayeux nickte. „Das glaube ich ganz sicher. Ihr kennt doch die spanische Marine. Befehl ist Befehl, an dem darf nicht gerüttelt werden. Also wird gewartet, möglicherweise bis Proviant und Trinkwasser aufgebraucht sind und ein neuer Entschluß gefaßt werden muß. Wir könnten in ungefähr zwanzig Stunden bei den Cat Cays sein, wenn wir durch den Nordwest-Providence-Kanal segeln.“ „Klingt gar nicht schlecht“, sagte Jean Ribault etwas nachdenklich, „bis auf die Tatsache, daß wir für diesen Raid alle unsere Schiffe einsetzen müßten – die ‚Isabella', den Schwarzen Segler, die ,Wappen von Kolberg`, die ‚Pommern', die ,Golden Hen', die ,Le Griffon', die ,Empress zwei' und die ,Empress drei'. Acht Schiffe gegen acht Schatzgaleonen und eine Kriegsgaleone, also acht gegen neun. Das wird ein bißchen knapp, Freunde!“ „Die Kriegsgaleone übernehme ich!“ polterte der Wikinger los. „Die putzen wir mit unseren Fünfundzwanzigpfündern von der See, daß es nur so qualmt.“ ;,Kein Einspruch“, sagte Jean Ribault gelassen, „trotzdem fehlt uns ein Schiff, denn wir müssen gleichzeitig losschlagen, und das bei Nacht, denn die ,Wappen von Kohlberg' und die ‚Pommern' – Arnes Schiffe – dürfen keinesfalls identifiziert werden; Das würde unter Umständen Arnes Position in Havanna gefährden, wo beide Schiffe offiziell als friedliche Handelsfahrer seiner Faktorei bekannt sind. Um einer Erkennung vorzubeugen, sollten die ‚Wappen' und die ‚Pommern' vielleicht sogar besser hierbleiben, zumal bei Teilnahme aller Schiffe unser Stützpunkt völlig entblößt wäre. Was meinst du, Arne?“ Arne von Manteuffel, Vetter Philip Hasard Killigrews und Herr des Handelshauses von Manteuffel in Kolberg mit spanisch
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genehmigter Niederlassung in Havanna auf Kuba, tatsächlich aber Agent für den Bund der Korsaren, winkte ab. „Kein Problem, Jean“, erwiderte er. „Wenn wir bei Nacht angreifen, sehe ich da keine Schwierigkeiten. Außerdem könnte ich nach dem Raid dann gleich nach Havanna zurückkehren – mit der ‚Wappen', mit der ich mich beim Hafenkommandanten für eine Reise nach Deutschland abgemeldet hatte. „ Er lächelte. „Wird ja Zeit, daß ich mich mal wieder um meine Geschäfte in Havanna kümmere, nicht wahr?“ „Geschäfte ist gut“, sagte Jean Ribault lachend, wurde wieder ernst und fügte hinzu: „Trotzdem halte ich es für bedenklich, mit acht Schiffen neun andere anzugreifen.“ Er blickte sich um. „Was meint ihr?“ 3. „Vorsicht ist der bessere Teil der Tapferkeit“, erwiderte Karl von Nutten, und einige Männer nickten zustimmend. „Unsinn!“ erklärte der Wikinger mit seiner Polterstimme. „Sobald ich mit meinen Kanonen die Kriegsgaleone weggepustet habe, steht die Partie gleich – acht gegen acht.“ Jean Ribault seufzte. „Was ich an dir immer so schätze, Thorfin, das ist dein grenzenloser Optimismus“, sagte er. „Und damit verbunden dein großes Maul!“ „Werd' nicht frech, Franzose“, grollte der Wikinger, „sonst geraten wir wirklich mal aneinander.“ Jean Ribault blickte ihn scharf an und erwiderte: „Es ist richtig, daß die Partie gleich steht, sobald du – wie du dich auszudrücken beliebst – die Kriegsgaleone weggepustet hast. Aber genau das ist der Punkt. Ich als Kapitän wäre mir gar nicht so sicher, ob mir das Wegpusten auf Anhieb gelingt. So etwas hängt, ganz sachlich gesprochen, von der Trefferquote der ersten Salve ab. Gut, du haust mit einer Breitseite von zwölf Fünfundzwanzigpfündern drauf. Das ist schon was. Aber ob du auch zwölf Treffer
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erzielst, dafür kannst du keine Garantie übernehmen.“ „Meine Kerle treffen!“ tönte der Wikinger. „Oder sie werden von Thors Hammer getroffen!“ „Vollmundig wie immer“, sagte Jean Ribault und seufzte ein zweites Mal. „Und wenn sie nicht treffen? Da braucht nur ein derartiger Seegang zu herrschen, daß von einem sauberen Zielen schon keine Rede mehr sein kann. Das weißt du genauso gut wie ich. Was dann bleibt, das sind Glückstreffer, wenn überhaupt.“ „Ihr streitet euch um des Kaisers Bart“, sagte jetzt Siri-Tong, die Rote Korsarin. „Euer Problem ist ganz einfach zu lösen. Es handelt sich um eine einzige Galeone, auf die keins unserer Schiffe angesetzt werden kann, solange Thorfin mit der Kriegsgaleone beschäftigt ist. Diese eine Galeone kann trotzdem angegriffen und geentert werden – nämlich mit zwei großen Jollen und entsprechenden Mannschaften. Alles klar?“ Jean Ribault blickte sie verblüfft an, dann klatschte er sich an die Stirn und sagte: „Natürlich, so einfach ist das. Und unsereiner hat ein Brett vorm Kopf. Geniale Idee, Madame! Ich bin entzückt, verehrte Lady!“ Und er verbeugte sich galant. „Hör auf, hier herumzubalzen, du schmalziger Gockel!“ fuhr ihn der Wikinger an. Er empfand etwas Väterliches für die Rote Korsarin und wurde immer fuchsteufelswild, wenn sie – in welcher Form und von wem auch immer – angehimmelt wurde. Unstrittig war die beeindruckende und auch wilde Schönheit dieser Frau, einer Eurasierin mit etwas schräggestellten schwarzen Mandelaugen, ausgeprägten Wangenknochen und einem feinen Gesicht. Mit Vorliebe trug sie rote Blusen, und das hatte zu ihrem Beinamen führt. Sie war schlank und geschmeidig und eine hervorragende Degenfechterin, was fast alle Gegner zu spät feststellten. Ja, Jean Ribault verehrte diese schöne Frau, war sich aber klar darüber, daß Siri-
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Tong nie mehr als eine gute Freundin für ihn sein würde. Denn da gab es ein Band zwischen ihr und Philip Hasard Killigrew, das unzertrennbar war. Achtung und Respekt vor diesen beiden Menschen ließen den Franzosen nie zuweit gehen, dazu war er auch viel zu sehr ritterlicher Kavalier. Das schloß nicht aus, ihr dann und wann seine Verehrung zu zeigen – wie gerade jetzt. Aber er brauchte den nordischen Poltermann nicht anzugehen, das tat die Rote Korsarin. Kühl sagte sie: „Für ein bißchen Balzen ist jede Frau empfänglich, Thorfin Njal, und es stände dir gut an, dieses auch bei Gotlinde zu tun, obwohl ich mir schlecht vorstellen kann, wie du als schmalziger Gockel wirkst. Könnte sein, daß Gotlinde davonrennt, wenn du plötzlich die galante Harfe zupfst.“ Das Bild war treffend gewählt. Sich den Nordmann vorzustellen, wie er, behelmt und in Felle gekleidet, an der Harfe zupfte, war einfach köstlich –und absurd noch dazu. Und die Mannen glucksten und prusteten, die Schrats allerdings wieherten. Jean Ribault verbiß sich ein Lachen, um den guten Wikinger nicht noch mehr aus der Fassung zu bringen. Denn der stand lausig verbiestert vor der Theke und wußte nicht recht, ob er jetzt lostoben oder mitlachen sollte. Schließlich drehte er sich einfach zur Theke um, langte sich seinen inzwischen wieder gefüllten Humpen und labte sich an dem süffigen Bier. Danach sagte er über die Schulter zu SiriTong: „Wenn du mir 'ne Harfe besorgst, kann ich ja mal üben – zupf-zupf-zupf !“ „Die müßte für dich wohl extra gebaut werden“, sagte Siri-Tong spitz, „und mit passenden Saiten versehen sein, so dick wie Ankerleinen!“ „Nachdem das geklärt ist“, sagte Jean Ribault und kämpfte gegen seine Heiterkeit an, „sollten wir uns jetzt darüber einigen, wer welches Schiff übernimmt ...“ Der Wikinger fuhr herum. „Ich natürlich meinen Schwarzen Segler, du, du Harfenzupfer, du!“
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Jean Ribault hob beide Hände. „Ja doch, ja doch, das will dir auch keiner wegnehmen. Aber wir haben schließlich noch sieben andere Schiffe, nicht wahr?“ Der Wikinger hielt es für unter seiner Würde, das zu bestätigen. Er hatte sich wieder dem Tresen zugewandt, um eine erneute Labung vorzunehmen. „Er schmollt mit uns“, stellte Jean Ribault fest und schaute auf das breite Kreuz des Wikingers. „Nun gut – die Kapitäne. Wer übernimmt die ‚Isabella' der Arwenacks?“ „Ich!“ Die Rote Korsarin hob den Arm. „In Ordnung, Madame:“ Jean Ribault nickte ihr lächelnd zu. „Das richtige Schiff für eine gute Kämpferin.“ „Balzgockel!“ zischte der Wikinger über die Schulter. Er konnte es nicht lassen. Jetzt brauste die Eurasierin auf und rief scharf: „Ich verbitte mir diese ständigen und durch nichts berechtigten Schimpfereien, Kapitän Njal! Mir ist die höfliche Art Jean Ribaults wesentlich lieber als deine verdammte Großmäuligkeit. Und kümmere du dich besser darum, daß dein Viermaster rechtzeitig seeklar ist. Beim letzten Auslaufen waren Jean Ribault und Edmond Bayeux längst hinter der Kimm, bevor du deinen Schlorren aus der Bucht bugsiert hattest. Ein Trauerspiel war das! Von der Blamage ganz abgesehen, die du zu verantworten hast. Wäre der Seewolf hier, er hätte dir den Marsch geblasen, das kann ich dir versichern!“ Da zog der Wikinger endlich den behelmten Kopf ein. Man konnte es von hinten sehen. „Dreh dich zu mir um!“ schrie die Rote Korsarin. „Was ist das für ein ruppiges Benehmen, einer Frau, die dir was zu sagen hat, den Fellhintern zuzuwenden, du Flegel!“ Sie hämmerte die Faust auf die Tischplatte. „Sind wir hier in einer Kneipe von Fuhrknechten und Hafenstreunern?“ Der Wikinger drehte sich um. Mächtig eingeschrumpft war er jetzt. „Schon gut, schon gut“, murmelte er. „Was unser letztes Auslaufen betrifft, da habe ich die Kerle bereits auf Trab gebracht. Das passiert nicht wieder.“
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„Passiert nicht wieder“, wiederholte der Stör, der die merkwürdige Eigenart hatte, die letzten Worte seines Kapitäns nachzuplappern, als müsse er sie bestätigen. Der Wikinger warf ihm einen drohenden Blick zu, vermied es aber, erneut loszupoltern. Der Stör biß sich auf die Lippen. Dabei hatte er sich fest vorgenommen, nie wieder in seinen alten Fehler zu verfallen. In der letzten Zeit hatte das auch gut geklappt, nur jetzt war ihm das wieder rausgerutscht, weil er so erregt war. Wegen der Roten Korsarin, die den Kapitän so zusammengestaucht hatte. Wie Thors Hammer! Ein verstohlenes Grinsen ging wieder um. Jean Ribault räusperte sich und fuhr fort: „Edmond Bayeux führt natürlich wie immer die ,Le Griffon' und Arne von Manteuffel die ,Wappen von Kolberg`. Bleiben noch die ‚Pommern', die ,Golden Hen', die ,Empress zwei' und die ,Empress drei`.“ „Nicht zu vergessen die beiden Jollen“, sagte der Wikinger. „Richtig, Thorfin“, sagte Jean Ribault, „hatte ich fast schon wieder vergessen. Fangen wir gleich damit an. Wer übernimmt die Jollen?“ Karl von Hutten und der Boston-Mann hoben die Arme. Auch die Kapitäne für die restlichen vier Schiffe waren schnell gefunden – ein Zeichen dafür, daß es an Schiffsführern, die ihr Handwerk verstanden, im Bund der Korsaren nicht mangelte. Oliver O'Brien würde die „Pommern“ führen, Jean Ribault selbst die „Golden Hen“, Jerry Reeves die „Empress of Sea II.“ und die „Empress of Sea III.“ Gustave Le Testu. Im Stützpunkt würden dieses Mal nur Hesekiel Ramsgate mit seinen acht Männern von der Werft sowie Don Antonio und Pater David zurückbleiben und den Schutz für die Frauen mit ihren Kindern übernehmen. Aber niemand rechnete mit einem Überfall. Sie besprachen die Einzelheiten des Raids und beschlossen, noch am Mi-¬' tag
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auszulaufen. Es gehörte zu ihren Gepflogenheiten, die Schiffe stets seeklar zu haben, insofern brauchten sie keine langen Vorbereitungen. Nur Frischwasser wurde noch übernommen und der Proviant ergänzt. Horrido! * Tatsächlich gelang es dem Wikinger, mit seinem Schwarzen Segler, genannt „Eiliger Drache über den Wassern“, als erster die Bucht zu verlassen. „Wenn ihr das nicht schafft“, hatte er seine Kerle angeknurrt, „dann habt ihr's bei mir bis in alle Ewigkeit verschissen, dann bleibt euch nur noch der Kriechgang – bei Rumentzug, Wasser und Brot. Und Thors Hammer in Form einer Neunschwänzigen wird euch täglich das Fell gerben, das verlauste!“ Ja, sie hatten rangeklotzt, die Kerle, daß es eine wahre Pracht war. Ohne viel Geschrei oder Gebrüll, eher stumm und verbissen, aber voller Wut, es den anderen zu zeigen. Schließlich war ihr Kapitän von der Roten Korsarin heruntergeputzt worden wie der letzte Stallknecht, der zu dämlich ist, eine Pferdebox auszumisten. Erst als sie unter allen Segeln draußen vor der Bucht im Wind dümpelten und auf die anderen warteten, löste sich ihre Spannung, und ein Hohngelächter empfing das nächste Schiff, das nach ihnen die Bucht verließ –die „Isabella IX.“ unter der Roten Korsarin. Die ließ sich allerdings nicht erschüttern. Sie winkte zum Schwarzen Segler hinüber und rief mit ihrer klaren Stimme: „Bravo, Freunde! Warum nicht immer so?“ „Ein ,nicht immer' gibt's nicht mehr!“ donnerte der Wikinger. „Abwarten, Thorfin Njal!“ rief die Rote Korsarin zurück. „Einmal ist keinmal. Außerdem wollten wir euch gern den Vortritt lassen, sonst hätte es zuviel Gedrängel gegeben!“ „Daß die Weiber immer das letzte Wort haben müssen“, sagte der Wikinger erbost, ermannte sich und warf der Roten Korsarin
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ein galantes Kußhändchen zu. Es sah trotzdem so aus, als puste er ein dickes Federkissen in die Luft. Die Rote Korsarin lachte schallend. Immerhin, die Stimmung war gut, sehr gut sogar. Die richtige Stimmung, um eine Kriegsgaleone zu versenken und acht Schatzschiffchen zu rupfen. Jetzt würden sie es sein, die hart austeilten. Zwar hatten sie den Überfall blutig und verlustreich für die Spanier abgeschlagen, aber sie hatten vorher durch die Verräter zwei Schiffe verloren, und von den Spaniern unter Don Lucian waren die Werft Hesekiel Ramsgates und einige Hütten zerschossen worden. Grund genug für sie, jetzt den Spieß umzudrehen und sich das zu holen, was ihnen geradezu angeboten wurde. Da kam Freude auf nach dem Schock des Überfalls. Sie sammelten auf „Reede“ vor der Cherokee Bay. Auf der Landzunge, von der ihre Bucht abgeschirmt wurde, standen die Frauen und Kinder sowie die Männer und winkten, als die Schiffe in Kiellinie südwärts segelten, zur Südspitze der Insel, die sie runden würden, um auf Westkurs zu gehen. An der Spitze segelten die beiden „Aufklärer“ des Bundes der Korsaren – die „Empress of Sea II.“ und die „Empress of Sea III,“. Beide Kapitäne, Jerry Reeves und Le Testu, kannten die Gewässer um Great Abaco und die anderen BahamaInseln von ihren unzähligen Patrouillenfahrten her. Längst waren von den verschiedenen Kapitänen bei diesen Fahrten die vorhandenen Seekarten verbessert oder ergänzt worden. In dieser Beziehung war der Bund der Korsaren, was diesen Teil der karibischen Gewässer betraf, den Spaniern haushoch überlegen. Nicht zuletzt war das ein Verdienst Philip Hasard Killigrews, der den Männern des Bundes eingehämmert hatte, sie müßten ihr Seegebiet kennen – um kämpfen zu können oder um zu überleben. Und das Überleben, hatte er gemahnt, ist für uns vielleicht eines Tages wichtiger als das Kämpfen. Er war ein Mann mit Visionen. Vielleicht beruhte darauf seine
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dominierende Stellung im Bund der Korsaren. Auch wenn er mit seiner Crew in fernen Gewässern segelte, er war immer gegenwärtig. Den beiden kleinen Karavellen folgten die „Le Griffon“ und die „Golden Hen“ – beide ebenfalls vom Karavellentyp –, die „Wappen von Kolberg“ und die „Pommern“ – beides Galeonen mit starker Armierung –und schließlich die „Isabella IX.“ der Seewölfe, die jetzt unter dem Kommando der Röten Korsarin stand, sowie der Viermaster „Eiliger Drache über den Wassern“. Dieses Schiff konnte gewissermaßen als das Flaggschiff des Bundes der Korsaren betrachtet werden, obwohl sich der Wikinger eine solche Rolle nie angemaßt hätte. Aber dieses Schiff aus eisenhartem Holz, eine Kombination von Dschunke und Galeone, war mit seinen 24 schweren Kanonen tatsächlich das „Schlachtschiff“ der Korsarenflotte. Wer von den Frauen bis zuletzt aus- harrte und winkte, das war Gotlinde, die Frau des Wikingers, eine königliche Erscheinung im hohen Wuchs, blondhaarig mit einem Rotstich und einem klaren Gesicht. Ihr Langhaar flatterte im Nordostwind, und ihre rechte Hand war erhoben. Der Wikinger stand am Steuerbordschanzkleid des Achterdecks und hatte vergessen, was er zuvor über „die Weiber“ gesagt hatte. Er winkte zurück, und er wußte, daß alles gut war, so gut, wie es sich ein Mann nur wünschen konnte. Dort drüben stand „Thule“, das er auf Island, der Heimat seiner Frau, gefunden und mit in die Karibik genommen hatte. Jeder Abschied konnte der letzte sein. Niemand wußte, ob er die Gnade haben würde, zurückkehren zu dürfen. Die Gesetze der See diktierten das Schicksal jener, die sich hinauswagten. Und der Kampf, zu dem sie sich entschlossen hatten – mit der See und dem Gegner. O ja, die Rückkehr war ungewiß. Und dieses Wissen verlangte von dem, der ausfuhr, und dem, der zurückblieb, ein
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manchmal übermenschliches Maß von Disziplin und Selbstbeherrschung. „Komm zurück“, flüsterte die Frau auf der Landzunge, ohne daß sich ihre Lippen bewegten. Der Wikinger nickte, als habe er diese Worte gehört, und er sagte: „Verlaß dich drauf, ich komme zurück.“ Da blieb auch der Stör stumm, der rechts hinter dem Wikinger stand und den Abschied miterlebte. Er stand immer noch da, als der Wikinger sich umdrehte und die Landzunge mit der Frau nur noch ein flirrender Schemen im Glast der Mittagssonne war. Die Wirklichkeit kehrte zurück, und der Wikinger sagte grollend: „Hast du nichts anderes zu tun, als zu glotzen?“ „Nein“, sagte der Stör, begriff im selben Moment, daß er das Verkehrte erwidert hatte und verbesserte hastig: „Doch, ich muß noch nachsehen, ob die Spektive alle geputzt sind, Kapitän.“ „Nein, dann doch“, sagte der Wikinger. „Du hast nach Gotlinde geglotzt, gib es zu, du glotzäugiger Prielwurm!“ „Du kannst mir nicht verbieten, deiner Frau einen letzten Blick zuzuwerfen, Kapitän“, sagte der Stör trotzig. „Nein, das kann ich nicht“, murmelte der Wikinger. „Da hast du recht.“ Er kratzte sich am Helm, schnüffelte nach dem Wind und sagte übergangslos: „Feines Wetterchen heute.“ Der Stör, sehr verwundert über die manchmal merkwürdigen Reaktionen seines Kapitäns, bestätigte, daß man über das Wetter nicht klagen könne. Dämlicherweise fügte er hinzu, daß es ein Wetter sei, um Helden zu zeugen. Was auch immer er damit meinte, dem Wikinger kam die Galle hoch. „Wird Zeit“, donnerte er, „daß wir dir ein Weib besorgen, du Molch! Aber Gotlinde anglotzen und davon schwafeln, Helden zu zeugen! Ich zeug dir gleich was, du Armleuchter!“ „Das – das hatte mit Gotlinde nichts zu tun, Kapitän“, stotterte der Stör. „Ich – ich bitte um Verzeihung. Das Wetter meinte
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ich, nur das Wetter, nichts anderes, ehrlich!“ „Quassel nicht, Kerl“, sagte der Wikinger. „Du bist reif, daß wir dich unters Ehejoch bringen, da kannst du dann genug herumglotzen und was bestaunen.“ Er räusperte sich donnernd. „Blond? Schwarzhaarig oder so rothaarig wie Mary? Vollbusig – oder was? Red schon, was es sein soll, damit wir für dich nicht die Falsche an Land ziehen.“ „Blond – mit Rothaartönung“, sagte der Stör verschämt. Der Wikinger schnaubte. „Wie Gotlinde, eh?“ „So – so ungefähr, Kapitän.“ „Ha! dröhnte der Wikinger. Und noch einmal: „Ha! So was Ausgefallenes! Und wo sollen wir ein solches Weib herzaubern?“ Das wußte der Stör auch nicht. Ja, da war guter Rat teuer. Etwas wurde dem Wikinger in aller Deutlichkeit klar: er hatte eine Frau – und mit ihr das Zwillingspärchen Thyra und Thurgil. Aber seine Mannen wie zum Beispiel Arne, Eike, Olig und natürlich der Stör? Verdammt, verdammt, dachte der riesige Nordmann und kratzte sich wieder mal am Helm, da muß ich mir wohl wirklich was einfallen lassen. „Mal sehen“, murmelte er. 4. Zu diesem Zeitpunkt, als die Schiffe der Korsaren die Südspitze von Great Abaco rundeten und auf Westkurs gingen – Wind aus Nordosten, also günstig –, marschierte Capitan Don Miguel de Teixera, Kommandant der „El Toison do Oro“, wieder auf dem Achterdeck hin und her. In ihm brodelte es. Was sich dieser lausige Emporkömmling von Handels-Kapitän ihm gegenüber erlaubt hatte, war an Dreistigkeit kaum noch zu überbieten. Er durfte das nicht hinnehmen. Dieser Kerl hatte gewagt, sich geringschätzig über die Kampfkraft der königlichen Flotte auszulassen, ja, sie sogar zu bezweifeln, was als eine
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ungeheuerliche Verhöhnung aufzufassen war – eine Beleidigung für alle Offiziere. Die Ehre war beschmutzt, jawohl! Don Miguel war ein sehr engstirniger Mensch. Statt nunmehr darüber nachzudenken, was wegen des ihm anvertrauten Konvois zu tun sei, sann er über die beschmutzte Ehre nach. Sie war ihm wichtiger als der Konvoi, dessen Lage mit jedem Tag nutzloser Warterei vor Anker bedrohlicher wurde. Daß sich die Kapitäne und ihr Sprecher Jose Silva sogar verständnisvoll und großzügig gezeigt hatten, als sie ihm die Drei-Tage-Frist einräumten, entging ihm völlig. Man muß sich das vorstellen: ein Offizier im Capitansrang erhielt drei Tage Zeit, um nur einen einzigen Entschluß zu fassen! Er brauchte nur den Befehl zu geben, ankerauf und auf Heimatkurs Spanien zu gehen, nicht mehr und nicht weniger. Das Schicksal oder der Verbleib von drei Kriegsschiffen, die sich auf eine fragwürdige Piratenjagd begeben hatten, hatte ihn nicht mehr zu interessieren, seit die Wartefrist verstrichen war. Aber er klammerte sich an den Befehl des Don Lucian, daß der Konvoi hier vor Anker liegenzubleiben habe, bis die Kriegsgaleonen zurückgekehrt seien. Und jetzt verrannte er sich in die fixe Idee, die „beschmutzte Ehre“ säubern zu müssen. Das mit der Ehre war eine Sache für sich und kaum in Einklang mit den korrupten Kungeleien des ehrenwerten Capitans zu bringen. Mit der „Kampfkraft“ einer Flotte hatte sie gar nichts zu tun. Die Kampfkraft war eine Frage des Materials, des Drills, der Tüchtigkeit der Stückmeister, der Menge von Pulver und Kugeln. Wenn man sich verschossen hatte und die Munitionskammern leer waren, gab's keine Kampfkraft mehr. Dann konnte man kapitulieren oder „ehrenvoll“ für König und Vaterland sterben. Wegen der beschmutzten Ehre faßte der Capitan einen sehr dummen Entschluß. „Der Kerl ist zu verhaften!“ schnarrte er den Dritten Offizier an. „Ich werde ihn vor ein Bordgericht stellen, verstanden?“
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Wer mit dem „Kerl“ gemeint war, das wußte der Dritte Offizier, aber er stellte sich trotzdem dumm. Er hielt es gegenüber diesem Kommandanten für eine gute Taktik, nicht gleich in rasende Aktivitäten zu verfallen, sondern die Dinge erst mal in die Länge zu ziehen. „Welcher Kerl?“ fragte er. „Der Dingsda, dieser Silva!“ erwiderte Don Miguel gereizt. „Vor ein Bordgericht, Senor Capitan?“ fragte der Dritte mit dem nötigen Erstaunen in der Stimme. „Was hat er denn verbrochen?“ Fast wäre Don Miguel wieder hochgehüpft. „Sie waren Zeuge!“ schrie er. „Er hat unsere Ehre beschmutzt!“ „Meine nicht“, sagte der Dritte, „mit mir hat er gar nicht gesprochen, nur mit Ihnen. Ich fand alles sehr vernünftig, was er Ihnen gegenüber äußerte. Daß die Kapitäne endlich weitersegeln wollen, kann ich verstehen. Trotzdem haben sie noch drei Tage zugegeben. Und Kapitän Silva hat ähnlich argumentiert wie ich, als er darauf hinwies, es sei damit zu rechnen, daß unsere drei Kriegsgaleonen gar nicht mehr zurückkehren. Ich glaube, wir müssen dieser Tatsache ins Auge sehen ...“ Er brach ab und hatte mit seiner Taktik wieder mal Erfolg gehabt. Sein Retter nahte – in Gestalt des Ersten Offiziers, der jetzt die Wache übernahm und ihn ablöste. Damit war er, der Dritte Offizier, aus der Schußlinie, und der Kommandant konnte nunmehr auf dem Ersten herumhacken. Zur Zeit schnappte Don Miguel allerdings nach Luft und war weit davon entfernt, der Empfehlung seines Dritten zu folgen, nämlich der Tatsache ins Auge zu sehen, daß eine Rückkehr der drei Kriegsgaleonen nicht mehr zu erwarten war. „Melde mich auf Wache!” sagte der Erste und zirkelte einen Gruß. „Melde mich von Wache!“ sagte der Dritte, grüßte ebenfalls korrekt, vollführte eine Kehrtwendung und schritt zum Niedergang des Achterdecks.
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Zwar rechnete er damit, zurückgepfiffen zu werden, aber dem war nicht so. Aufatmend verschwand er im Schott zu den Offizierskammern. Aber er hörte noch, wie jetzt der Erste angefahren wurde: „Der Kerl ist zu verhaften!“ Du meine Güte! dachte der Dritte. Es wiederholt sich alles, nur mit dem Unterschied, daß der Erste von den Vorgängen mit Kapitän Silva rein gar nichts wußte, denn er hatte in der Koje dem Schlaf gehuldigt, was ihm als Freiwächter auch nicht zu verübeln war. Außerdem lag das Schiff vor Anker, was vom Dienst und der Bordroutine her in etwa der Hafenliegezeit entsprach. Im übrigen war der Erste im Unterschied zum Dritten ein stämmiger Mensch und etwa so groß wie der Kommandant. Er war ruhig und bedächtig und ließ auch mal die Fünf grade sein. Allerdings war er wie der Dritte der Ansicht, daß man längst hätte ankerauf gehen müssen. Hier wurde mit der Warterei nur wertvolle Zeit vertrödelt. Jetzt fragte er verdutzt: „Welcher Kerl, Senor Capitan?“ Geduldig hörte er sich die ganze Litanei an – bis hin zur „beschmutzten Ehre“ und begriff nur eins: daß der Kommandant nämlich auf dem besten Weg war, Unruhe zu stiften, wenn er den ältesten und erfahrensten Kapitän des Konvois verhaften ließ. Der Erste kannte Jose Silva und hielt ihn, abgesehen von anderen Qualitäten, für einen hervorragenden Seemann und Navigator. Und diesen Mann wollte der Kommandant verhaften lassen und vor ein Bordgericht stellen! Du lieber Gott, dachte der Erste. Und ihm war klar, daß Kapitän Silva dem Kommandanten unverblümt die Meinung gesagt hatte, ohne Girlanden und Zierwerk, wie das seine Art war. Beschmutzte Ehre? Das war ja lachhaft. Der Kommandant konnte die Wahrheit nicht vertragen – das war's. Vorsichtig sagte der Erste: „Ich bitte zu bedenken, Senor Capitan, daß Sie den Comodoro verhaften lassen wollen.“ Comodoro war ein Geschwaderführer,
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beziehungsweise der erprobte älteste Kapitän einer Reederei. In diesem Fall traf das erstere zu, denn Jose Silva fuhr auf eigene Rechnung. „Na und?“ fauchte Don Miguel. „Für mich ist dieser Bursche kein Comodoro, sondern nichts weiter als ein kleiner Handelsschiffer, der die Frechheit hat, sich groß aufzuspielen.“ „Wie Sie sagten, hat er die anderen Kapitäne hinter sich“, gab der Erste zu bedenken. „Interessiert mich nicht!“ Es sollte dich aber interessieren, dachte der Erste und sagte: „Ich rate von einer Festnahme ab, Senor Capitan. Wir brauchen den Mann, wenn wir weitersegeln …“ „Von Weitersegeln kann gar keine Rede sein“, unterbrach ihn Don Miguel wütend. „Wir bleiben hier, bis unsere Schiffe zurückgekehrt sind. Ich habe einen Befehl, und ich denke nicht daran, diesen Befehl zu mißachten. Das sollten auch Sie sich hinter die Ohren schreiben. Befehl und unbedingter Gehorsam sind die Grundpfeiler unserer bewährten Marine. Wer an diesen Grundpfeilern rüttelt oder sie untergräbt, ist ein Schädling, der unnachsichtlich zur Rechenschaft gezogen werden muß. Merken Sie sich das, Erster!“ „Jawohl, Senor Capitan“, sagte der Erste unbeeindruckt, denn die Befehls-undGehorsams-Leier pflegte der Kommandant bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit herunterzubeten, und das hing allen Offizieren zum Halse heraus. „Und was schätzen Sie, wann unsere Schiffe zurückkehren – in einer Woche, in einem Monat, in zwei Jahren? Und wenn die Ankertrossen verrottet und zerfressen sind, wenn wir vor Hunger auf unseren Schuhsohlen kauen und vor Durst wahnsinnig werden – wollen Sie dann immer noch unbedingten Gehorsam üben?“ „Verbitte mir Ihr dummes Gerede, Kerl!“ schnauzte der Kommandant. „Lassen Sie jetzt die Jolle aussetzen und mit Bootssteurer, sechs Rudergasten und vier Seesoldaten bemannen. Werde Ihnen
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zeigen, wie man mit Meuterern umspringt, die unsere Ehre beschmutzen!“ * Die acht Schatzgaleonen lagen in Kiellinie vor Anker, an der Spitze oben im Norden die „Valencia“, das Schiff des Kapitäns Silva. Da die „El Toison de Oro“ am Ende des Konvois ankerte, mußte die Jolle erst mal sieben Galeonen passieren, ehe sie die „Valencia“ erreichte. Nach vielen Tagen trostlosen Wartens war das Auftauchen der Jolle für die Kerle auf den Galeonen ein Ereignis besonderer Art, denn daß sich eine Marine-Jolle zeigte, war noch nicht dagewesen. Sonst war es umgekehrt. Die Jollen oder Beiboote der Galeonen hatten ihre Kapitäne zu Besprechungen zum Flaggschiff zu bringen. Im übrigen war längst bekannt, welches Ergebnis der Besuch Kapitän Silvas am Vormittag bei Capitan de Teixera gehabt hatte. Silva hatte es beim Zurückpullen jedem Kapitän zugerufen. Daß diese Jolle mit vier Seesoldaten unter Waffen besetzt war, ließ vermuten, daß man keineswegs die Absicht hatte, Enten zu jagen. Außerdem saß der hochwohlgeborene Capitan de Teixera höchstpersönlich in der Jolle. Nein, er saß nicht, er thronte auf einem Segeltuchkissen, stocksteif, als habe er einen Ladestock verschluckt, und mit deutlichem Abstand zum Bootssteurer, um seine Erhabenheit zu betonen. Die Kerle auf der letzten Galeone – die zuerst von der Jolle passiert wurde – fingen damit an. „Buuuh!“ grölten sie. „Buuuh!“ Dazwischen waren auch Zurufe zu hören – keine freundlichen, sondern von jener Art, wie sie Seeleuten eigen ist, denen es an Verbalinjurien noch nie gemangelt hat. „Scheißkerl!“ war auch dabei. Von einem „adligen Hurenbock“ war ebenfalls die Rede. Und daß er mit seiner Großmutter „Liebe“ machen möge – sie drückten das wesentlich vulgärer und drastischer aus –, gehörte ebenso zum Repertoire dieser rauhen Kerle.
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Die sechs Rudergasten pullten mit verbissenem Gesicht, die vier Seesoldaten sahen eher hölzern aus, der Bootsmann, der die Jolle steuerte, schwitzte, und der Senor Capitan, dem alle diese Freundlichkeiten galten, zeigte eine Gesichtsfarbe, die jener der Hafergrütze nicht unähnlich war. Na, und seine Miene! Sie sollte seine Erhabenheit ausdrücken, mit der er über den Dingen stand. Aber sie war nichts weiter als verzerrt. Wut und Zorn prallten auf Arroganz und Dünkel. Hier sprach die Stimme des Volkes, des Schiffsvolks, die der sehr ehrenwerte Senor Capitan noch nie zur Kenntnis genommen hatte – nur in Form von Zahlen, die, wenn sie überhöht wurden, Pfründe darstellten. Die Konfrontation von zwei Welten war brutal. Die Kerle schlugen es dem Mann, der für ihre sinnlose Warterei verantwortlich war, um die Ohren. Natürlich hatten sie Angst, aber nicht vor diesem Mann oder vor der Macht, die er verkörperte. Nein, ihre Angst war viel kreatürlicher: Sie wollten weiter und die Fahrt hinter sich bringen, eine Fahrt, die jedesmal in der Hölle enden konnte – in der Dursthölle, in der Sturmhölle oder in der Enterhölle. Eins wußten sie und nutzten es aus: Dieser Mann dort konnte gar nichts tun, wenn sie ihn anpöbelten und beschimpften. Dieser Mann konnte nicht die Besatzung von acht Galeonen festnehmen und bestrafen, nein, diese Macht hatte er nun wirklich nicht. Darum setzte sich der Spießrutenlauf der Jolle fort, von Schiff zu Schiff. Und wohl noch nie war ein hochwohlgeborener Capitan, ein Offizier der königlichen Marine, derart gedemütigt worden. Auf der dritten Galeone stieg ein riesiger Kerl aufs Schanzkleid, zog die Hose runter und zeigte dem Capitan den nackten Hintern. Jetzt war die sogenannte Ehre mehr als hundertfach beschmutzt, sie war sogar obszön besudelt worden. Und wie war das nun mit dem Senor Capitan? Hatte er Einsichten gewonnen?
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„Wir sollten umkehren, Senor Capitan“, sagte der Bootsmann gepreßt. „Mit Verlaub, sie sind alle gegen uns.“ Da zog Don Miguel eine Pistole aus dem Waffengurt und knirschte: „Vorwärts! Wer meutert, wird erschossen!“ Die Geste war bemerkt worden. Sie passierten gerade die fünfte Galeone. Und von dort dröhnte ein Hohngelächter über die See. Aber das war noch nicht alles. Auch ein Schuß krachte, ein Musketenschuß, abgefeuert von dem Kapitän dieser Galeone. Von dem Kapitän! Die Kugel fetzte eine Feder vom prächtigen Hut Don Miguels und demonstrierte ihm nachdrücklich, daß er hier zu kuschen und kleine Brötchen zu backen hatte. Er begriff immer noch nichts. Er fuhr achtern hoch, schüttelte die Faust und schrie: „Ich stelle Sie vors Kriegsgericht, Sie Meuterer!“ Der Kapitän, auch so einer vom Kaliber Jose Silvas, lachte schallend und brüllte zurück: „Stehe gern zur Verfügung, Admiral! Aber dazu müssen Sie mich erst mal holen! Und wenn Sie noch weiter das Maul aufreißen, halte ich beim nächsten Schuß etwas tiefer! Kapiert?“ Die Hafergrützenfarbe im Gesicht des Capitans war zu weißer Kirchentünche geworden. Er sackte auf das Segeltuchkissen und murmelte: „Unerhört!“ „Kehren wir um, Senor Capitan?“ fragte der Bootsmann voller Hoffnung. Nichts da! Die Lektion war noch nicht beendet. Don Miguel war ein Schüler, dem es an rascher Auffassungsgabe mangelte, was allerdings mit seinen abstrusen Herrschaftsvorstellungen zusammenhing: den gottgewollten Verhältnissen von Befehlshabern zu jenen, die der Gnade teilhaftig wurden, gehorchen zu dürfen. So wollte es die Ordnung dieser Welt, und Don Miguel fühlte sich aufgerufen, dieser Ordnung zu ihrem Recht zu verhelfen. Und da lag nun die „Valencia“, das Spitzenschiff des ankernden Konvois. Eine feine Galeone, sauber in Schuß von vorn bis achtern, von den Mastspitzen bis zum
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Kiel. Der Kapitän hatte das Schiff im Dock von Havanna gründlich überholen lassen. Wer den Blick dafür hatte, der wußte auf Anhieb, daß dieses Schiff nur unter dem Kommando eines Vollblutseemanns stehen konnte. Don Miguel übersah das. Er wollte es auch gar nicht sehen. Die Jakobsleiter hing mittschiffs über der Steuerbordseite. Don Miguel befahl dem Bootsmann, sie anzusteuern. Die Jolle glitt längsseits, zwei Bootsgasten hielten sie fest. Don Miguel schritt zu Taten und enterte auf. Die vier Seesoldaten hatten ihm zu folgen. Dieser Mann verletzte ein zweites Mal die seemännischen Konventionen. Er bat nicht darum, an Bord kommen zu dürfen. O nein, er nahm sich das Recht, es einfach zu tun. Ein Capitan der königlichen Flotte hatte es nicht nötig, einen Frachtschiffer um etwas zu bitten. Don Miguel stieg durch die Pforte im Schanzkleid auf die Kuhl, blickte sich hoheitsvoll um und schnarrte: „Dieser Silva ist mir vorzuführen!“ Die grimmigen Gesichter der Kerle, die ihn umstanden, übersah er. Schiffsvolk, nicht wahr? Nummern oder Zahlen, die man manipulierte, um sich daran zu bereichern. Hinter Don Miguel bauten sich die vier Seesoldaten auf, die Musketen unter dem Arm. Ihre Gesichter waren nicht mehr hölzern, eher drückten sie Beklemmung aus. Sie sollten den Kapitän verhaften. Fragte sich nur, wie sie das anstellen sollten – angesichts von etwa dreißig Kerlen, die keineswegs so wirkten, als ließen sie sich die Wurst vom Brot klauen. An der Balustrade des Achterdecks tauchte die wuchtige Gestalt des Kapitäns auf. Er sagte mit Freundlichkeit: „Sie dürfen sich aufs Achterdeck bemühen, Teixera, wenn Sie mich sprechen wollen.“ „Sie sind verhaftet!“ schmetterte Don Miguel. „Begeben Sie sich sofort hinunter in die Jolle! Ein Bordgericht wird ...“ Dabei blieb es. Hinter Don Miguel klirrten Musketen zu Boden, und die vier Seesoldaten hingen in den eisernen Griffen von je drei äußerst handfesten Kerlen, die ihnen die Arme auf den Rücken preßten.
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Bei dem Klirren war Don Miguel herumgefahren. Jetzt zuckte seine Rechte zum Waffengurt, wohin er die Pistole gesteckt, hatte, um die Hände beim Aufentern frei zu haben. Als er sie gezogen hatte, krachte ihm eine Faust aufs Handgelenk, und die Pistole polterte auf die Planken. Der Kerl, der sie ihm weggeschlagen hatte, grinste bis zu den Ohren. „Immer schön langsam, Admiral“, sagte er voller Heiterkeit. „Bei uns an Bord wird nicht herumgeballert. So was mögen wir nicht, weil wir friedliche Seefahrer sind.“ „Was erlauben Sie sich?“ schrie Don Miguel. „Sie sind auch verhaftet!“ Er erntete ein weiteres Hohngelächter. Als es verstummte, sagte der Kapitän: „Hauen Sie ab, Teixera. Und denken Sie an die Drei-Tage-Frist. Wir halten sie, wie versprochen, ein. Aber dann gehen wir ankerauf.“ Er nickte seinen Kerlen zu, und sie bugsierten den ehrenwerten Capitan ohne viel Federlesens zur Schanzkleidpforte. Ob er wollte oder nicht, er mußte abentern – oder sie würden ihn hinunterstoßen. Genauso folgten die vier Seesoldaten. Ihre Rückfahrt wurde ein erneuter Spießrutenlauf. Die Blamage war vollkommen. 5. Die acht Schiffe des Bundes der Korsaren glitten am Morgen des neuen Tages in die große Bucht der Bahama-Insel Bimini, die an der Ostküste hufeisenförmig eingeschnitten war. Sie hatten hier schon oft geankert, um Einzelfahrer oder Konvois abzufangen, die durch die Florida-Straße segelten und meist bei den Bermudas auf Ostkurs gingen. Die nördlichste Insel der Cat Cays lag nur etwa sieben Meilen südlich von Bimini – ein Katzensprung von einer Stunde Segelzeit bei raumem Wind wie jetzt aus Nordosten. Sie setzten die beiden großen Jollen aus, die vom Schwarzen Segler und der „Isabella“ mitgeführt worden waren, und
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Jean Ribault ließ es sich richt nehmen, in die Jolle Karl von Huttens überzusteigen, um an der Erkundungsfahrt teilzunehmen. Denn, so war es abgesprochen, von Hutten sollte mit der Jolle nach Süden aufklären, um den genauen Standort des ankernden Konvois festzustellen. Eine Jolle fiel weniger auf als eine Karavelle, auch wenn diese vom Mini-Typ der „Empress“-Schiffe war, die sonst zur Aufklärung eingesetzt wurden. Bei Sichtung einer Jolle war man weniger alarmiert. Das konnten Fischer sein – auf jeden Fall kein gefährlicher Gegner. Da der Konvoi westlich der Cat Cays ankern sollte, steuerte Karl von Hutten an der Pinne der Jolle einen Kurs, der auf die Ostseite der Kette von kleinen Inselchen führte. Mit an Bord befanden sich außer Karl von Hutten und Jean Ribault nur noch zwei Mann – Fred Finley und Mel Ferrow, beide harte Kämpfer mit entsprechender Erfahrung. Mel Ferrow war noch dazu ein rücksichtsloser Haijäger. Die riesige Narbe von der Bißwunde eines Hais auf Rücken und Schulter dieses Mannes zeugte davon. Die Inseln der Bahamas ragen als spitzen der bis dicht unter die Meeresoberfläche aufsteigenden Bänke aus der See. Die Westküsten von Bimini und den Cat Cays fallen steil und tief ab und bilden dort die eine Grenze der Großen Bahama Bank, deren Ostseite wiederum äußerst flach ist – die damaligen spanischen Seefahrer sprachen von „bajamar“, was soviel wie „seichtes Meer“ bedeutet. Auch das war einer der Gründe, warum Karl von Hutten die Ostseite der Cat Cays ansteuerte. Er segelte mit der Jolle über ein flaches Gewässer, das von einer Galeone kaum befahren werden konnte. Bei einer Entdeckung brauchten sie allenfalls mit einer Verfolgung durch Jollen zu rechnen, und mit denen konnten sie es allemal aufnehmen. Als nach einer Stunde die nördlichste Insel der Cat Cays gesichtet wurde, luvte Karl von Hutten an, und zwar bis zur äußersten Grenze der Sichtweite mit dem Spektiv. Als diese Grenze erreicht war, fiel er wieder ab auf Parallelkurs zu den Cays, die
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sich von Nordnordwest hinunter nach Südsüdost erstreckten. Mel Ferrow hockte vorn vor dem Pfahlmast der Jolle und spähte durch den Kieker zu den Cays hinüber. Er hatte scharfe, wasserhelle Augen und war ein verläßlicher Beobachter. Sie waren alle vier gespannt. Vielleicht würde ihr ganzes Unternehmen ein Schlag ins Wasser sein, denn absolut sicher war keineswegs, ob der Konvoi dort hinten noch vor Anker lag. Ganz nüchtern sagte sich Jean Ribault – trotz der Bemerkung von Edmond Bayeux über spanische Gehorsamspflichten –, daß der Konvoi längst weitergesegelt sein konnte. Als Konvoiführer hätte er das jedenfalls getan. Er war skeptisch, aber das sagte er den anderen nicht. Fast zuckte er zusammen, als Mel Ferrow zischte: „Ich hab sie! Von mir aus genau Steuerbord querab!“ Jean Ribault setzte sein Spektiv ans Auge, richtete es westwärts, suchte einige Sekunden und entdeckte dann zwischen zwei Inseln drei hauchdünne Nadelspitzen. Links von ihnen tauchten drei weitere auf – und dann wieder drei. „Tatsächlich“, murmelte er und ließ das Spektiv sinken. „Da hüpft doch glatt das Brathuhn aus der Pfanne! Diese Narren! Sind die noch zu retten?“ „Jetzt nicht mehr“, erwiderte Karl von Hutten grimmig. Das lag in seiner Art. Sein Feind war Spanien –nicht die einzelnen Menschen, aber das System der Ausbeutung der Neuen Welt, die Verachtung gegenüber den Eingeborenen, die Methoden, sie zu knechten oder gar auszurotten. „Soll ich auf Kurs bleiben?“ „Ja.“ Jean Ribault wandte sich Mel Ferrow zu: „Bitte zählen, wie viele Schiffe es sind, Mel. Und versuche zu erkennen, wo die Kriegsgaleone ankert.“ „Geht klar, Kapitän“, sagte Mel Ferrow, rieb sich das Auge, mit dem er durch den Kieker gespäht hatte, und setzte ihn erneut an. „Hätte nicht gedacht, daß sie noch da sind“, sagte Jean Ribault jetzt doch.
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„Pessimist, wie?“ unkte Karl von Hutten, grinste und fügte hinzu: „Aber ich gestehe, daß ich auch angenommen hatte, sie wären längst auf und davon gesegelt.“ „Na bitte.“ Fred Finley, sonst recht schweigsam, sagte fest verträumt: „Ein Konvoi, gespickt mit Gold und Silber und sonstigen Herrlichkeiten bis unter die Ladeluken, das ist schon was. Das ist mehr als ein Schluck aus der Pulle. Wenn wir das alles eingesackt haben, könnten wir uns zur Ruhe setzen und Däumchen drehen.“ „Gerade du“, sagte Jean Ribault voller Heiterkeit. Er hatte recht – Fred Finley war der echte Korsar, noch dazu einer mit der schwarzen Klappe über dem rechten Auge und einem roten Kopftuch, das nach Piratenart geknüpft war. „Man muß auch mal an sein Alter denken“, murmelte Fred Finley. „Dann denk mal an Old Donegal“, schlug Jean Ribault vor. Fred Finley wurde munter. „Wie alt ist er eigentlich?“ „Das mögen die Götter wissen“, erwiderte Jean Ribault. „Ich hab ihn mal gefragt. Muß etwa zwei Jahre her sein. Da hat er mich angeknurrt und erklärt, gegen mich alten Knacker sei er noch ein Jüngling, ein Spring-ins-Feld, von dem ich mir ein paar Scheiben abschneiden könne.“ Fred Finley lachte schallend. „Typisch Old Donegal!“ Mel Ferrow meldete sich: „Acht Galeonen, Kapitän! Sie ankern in Kiellinie, am Schluß die Kriegsgaleone. Es stimmt genau, was Edmond Bayeux berichtet hat.“ „Danke, Mel. Anluven, Karl, wir segeln zurück.“ Jean Ribault griff nach der Seekarte und zeichnete dort den Standort des ankernden Konvois ein. Fred Finley holte Fock- und Großschot durch, während Karl von Hutten höher an den Wind und auf Kreuzkurs ging ostwärts, so daß sie sich schnell von den Cays entfernten. Mel Ferrow behielt den jetzt achteren Sektor im Auge, aber dort tat sich nichts. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit waren sie nicht
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gesichtet worden. Die Sonne stand im Südosten. Spiegelreflexe von nach Osten gerichteten Spektiven waren nicht erkennbar gewesen. Jean Ribault rollte die Seekarte zusammen und verstaute sie unter der Achterducht. Dann holte er eine Kruke hervor und meinte: „Ich taube, wir haben uns einen guten Schluck verdient, wie?“ Er reichte die Kruke über die Duchten hinweg Mel Ferrow, der als erster einen gluckern durfte. Rum vom feinsten! Die Kruke ging reihum, und alle vier grinsten sich an - bei Mel Ferrow vereiste das Grinsen plötzlich, und seine wasserhellen Augen wurden schmal. Jean Ribault drehte den Kopf nach rechts dorthin, wohin Mel Ferrow narrte. An Steuerbord zersägte eine Dreiecksflosse die See, etwa vier Bootslängen von der Jolle entfernt. dem klaren Wasser war der lange, schlanke Fischleib deutlich zu erkennen. Er glitt nahezu mühelos durchs Wasser, parallel zur Jolle. „Mel!“ sagte Jean Ribault warnend. „Laß ihn sausen. Wir sind nicht auf Haifischjagd.“ Er kannte - den Tick dieses Mannes, der selbstmörderisch genug war, es auch mit dem größten Hai aufzunehmen. Und der dort an Steuerbord war ein kapitaler Bursche. „Wenn er uns rammt, gilt das nicht, Kapitän“, sagte Mel Ferrow mit knirschenden Zähnen. Das lange, beidseitig scharf geschliffene Messer hatte er bereits in der Rechten. Seine hellen Augen waren unverwandt auf den Hai gerichtet. Jean Ribault stand von der Achterducht auf, nahm einen Riemen, hob ihn hoch und knallte das Blatt mit Wucht an Steuerbord aufs Wasser. Als es klatschte, schnellte der Hai nach rechts und pfeilte nach Süden ab. „Schade!“ stieß Mel Ferrow enttäuscht hervor. „Weißt du, was du bist?“ knurrte Jean Ribault. „Ein verrückter Hund bist du! Eines Tages hat dich einer am Wickel, der
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besser und stärker ist als du. Und dann siehst du ganz schön alt aus.“ „Noch viel älter wird er dann nicht“, meinte Fred Finley sachlich und dachte wieder an Old Donegal. Mel Ferrow schwieg. Mit einem langen Schlag über Backbordbug erreichten sie nach mehr als einer Stunde die Ostbucht von Bimini. * Sie wollten nach Mitternacht angreifen, was bedeutete, daß sie noch den ganzen Tag mit Schlaf und Ruhe zubringen konnten. Nur ein Ausguck war auf einem Hügel an Land postiert, der die See ringsum, insbesondere den südlichen Sektor, zu überwachen hatte. Es war bezeichnend für die Gelassenheit der Mannen, daß sie sich fast alle aufs Ohr hauten und schliefen. Schon bald war die Bucht von einem Grummeln erfüllt – Schnarchtönen, die aus den Rümpfen der Schiffe drangen, vermischt mit jenen an Oberdeck, wo sich ebenfalls einige langgestreckt hatten. Der Wikinger thronte auf seinem „Sesselchen“. Es war so getauft worden, obwohl dieses holzgeschnitzte Ungetüm keineswegs einer solchen Bezeichnung entsprach. Drei Männer von normaler Größe hätten auf dem „Sesselchen“ bequem Platz gehabt. Der kleine schmächtige Mike Kaibuk, ein Mitglied der Crew und ein ziemliches Schandmaul, hatte sich einmal in Abwesenheit des Wikingers auf das geheiligte Möbel gesetzt und damit ein dröhnendes Gelächter ausgelöst. Es hatte ausgesehen, als säße eine Maus auf einer Riesenschaukel. Auch der Wikinger raspelte und sägte, den behelmten Kopf an die Rückwand seines „Sesselchens“ gelehnt. Die Rückwand hätte als Floß dienen können, mit Platz für vier Männer. Oder als Scheunentor. Es war eine Idylle, die sich erst auflöste, als das abendliche Backen und Banken ausgerufen wurde.
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So war denn auch die Prozedur fällig, die sich jeden Abend abspielte, seit der Wikinger in der Nacht des Jahrhundertwechsels im Rum seines Glaskelches vier Kakerlaken entdeckt hatte. Den Rum hatte Rod Bennet, genannt Cookie, der Koch der Crew, kurz vor Mitternacht in das Kapitänsglas gegossen, und zwar in der Kombüse, in der Heerscharen von Kakerlaken hausten. Da war „Thors Hammer“ auf den armen Koch niedergesaust, und anschließend hatten ihn die Kerle auch noch verdroschen, weil der Kapitän „die Sauerei“ in der Kombüse nicht nur Cookie, sondern ihnen allen vorgeworfen und eine Rumsperre verhängt hatte. Die Rumsperre war inzwischen aufgehoben, aber Cookie mußte allabendlich beim Kapitän erscheinen und ihm auf einem Tablett die Tagesausbeute an erlegten Kakerlaken vorzeigen. Ferner mußte er eine Liste führen, auf der die Zahl der täglich zu Tode gebrachten Tierchen verzeichnet war. Letzteres hatte den Zweck, festzustellen, ob der Koch fleißig gewesen war. Ein Vergleich mit den Ergebnissen der vergangenen Tage gab darüber sofort Auskunft. So erstieg denn auch an diesem Abend, nachdem das Essen ausgegeben war, der Kakerlakenjäger Cookie das Achterdeck, um dem Kapitän die Jagdstrecke des Tages zu präsentieren. Die äußeren Folgen von „Thors Hammer“ und von den Fäusten der Crew waren immer noch bemerkenswert. Das Gesicht des Köchleins schillerte in den verschiedensten Farben, die Nase war noch dick, und die Beule auf dem Kopf hatte sich nur unwesentlich verkleinert. „Zur Stelle, Kapitän“, meldete Cookie und hielt dem Wikinger das Tablett hin, eins mit Messinggriffen an den Seiten - das Messing war sogar geputzt. Der Wikinger nahm das Tablett entgegen er saß immer noch auf seinem „Sesselchen“ -, stellte es auf seine Knie und beugte sich vor. Er zählte, und nach jeder Zahl schob er die erlegte Kakerlake mit dem Zeige nach rechts, wo sich das Häufen während es links schrumpfte.
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„Vierundvierzig“, sagte er und schaute auf. „Und wie viele waren es gestern?“ Cookie nahm die Kladde, die er unter den rechten Arm geklemmt hatte, schlug sie auf, schaute nach und sagte mit belegter Stimme: „Sechsundfünfzig, Kapitän.“ „Und vorgestern?“ Erneuter Blick in die Kladde. Antwort: „Einundsiebzig, Kapitän.“ Die Stimme klang noch belegter. „Soso, vorgestern einundsiebzig, mal an: Und vorvorgestern, Rod Bennet?“ „Cookie hätte bereits nachgeschaut und sagte mit schwacher Stimme: „Neunundneunzig, Kapitän.“ „Neunundneunzig, einundsiebzig, sechsundfünfzig, vierundvierzig“, zählte der Wikinger auf, „innerhalb von vier Tagen ein Rückgang um mehr als die Hälfte. Hast du dafür eine Erklärung, Rod Bennet?“ „Ich kann mir das nur so erklären“, stotterte Cookie, „daß - daß die Tierchen verschreckt sind. Kaum betrete ich die Kombüse, und sie sehen mich, da huschen sie auch schon weg.“ „Würde ich auch tun, wenn ich dich sehe“, sagte der Wikinger trocken, „aber nicht, weil ich verschreckt bin.“ „Du bist ja auch keine Kakerlake, Kapitän“, sägte der Koch treuherzig. Der Wikinger runzelte die Stirn. „Wenn du frech werden willst, kriegst du gleich eine geschmiert, Rod Bennet!“ Hastig versicherte Cookie, daß ihm nichts ferner läge als das, und der Kapitän habe nun wirklich nicht die geringste Ähnlichkeit mit einer Kakerlake, ehrlich! „Weiß ich selbst“, knurrte der Wikinger und reichte dem Stör, der neben ihm stand, das Tablett. „Außenbords mit den Biestern - wie immer.“ „Wie immer“, wiederholte der Stör und beeilte sich, die Tierchen über Bord zu kippen. Auch das war eine bewußte Maßnahme, denn der Wikinger hatte unterstellt, der Koch könnte so schlitzohrig sein, ihm die Jagdbeute der Vortage „unters Hemd zu jubeln“, wie er das damals formuliert hatte.
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„Alle versenkt!“ meldete der Stör, als er vom Schanzkleid zurückkehrte. „Danke, Stör“, sagte der Wikinger und faßte ihn ins Auge. „Was hältst du von diesem miesen Tagesergebnis, mein Guter?“ Der Stör war kein Mann, der andere in die Pfanne haute, auch wenn der Koch der Crew ein Schmierlappen war und seine Kochkünste einen Hund zum Jammern bringen konnten. Er sagte: „Der Rückgang kann damit zusammenhängen, daß die Biester wirklich gewitzter geworden sind. Tatsache ist, daß sie sofort in irgendwelche Ritzen flitzen, sobald sie gestört werden – wie zum Beispiel beim Betreten der Kombüse. Wenn das auch noch heftig geschieht, sind sie weg wie der Blitz. Das erleben wir selbst immer wieder. Cookie müßte sich eine neue Taktik ausdenken.“ „Du glaubst nicht, daß er schon wieder dem Nichtstun und Faulsein huldigt?“ fragte der Wikinger. Der Stör wich aus und erwiderte: „Ich würde mir das an seiner Stelle nicht mehr erlauben. Er hat ja auch büßen müssen und kräftige Senge bezogen.“ „Zu Recht“, sagte der Wikinger. Der Stör stimmte zu und sagte: „Aber seine Kombüse ist jetzt blitzblank. Vielleicht hat auch das die Kakerlaken verstört, und sie haben sich verzogen.“ „Fragt sich, wohin“, murmelte der Wikinger und blickte wieder den Koch an. „Fällt dir eine neue Taktik ein, um die Biester zu schnappen, Rod Bennet?“ „Ich müßte sie ködern, Kapitän“, erwiderte Cookie, räusperte sich und fügte hinzu: „Hab schon drüber nachgedacht, warum sich die Viecher ausgerechnet in deinem Glas versammelt hatten. Ich hatte es als erstes vollgeschenkt und nahm mir dann die Mucks vor. Da hatten sie Zeit genug, in dein Glas zu steigen. Ich denke, daß sie Rum mögen – wie wir auch, ähem.“ Erneutes Räuspern. „Vor allem du“, äußerte der Wikinger grimmig. Cookie überhörte es geflissentlich und fuhr fort: „Petite Saucisse, der Koch bei den
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Normannen, so wurde mir erzählt, soll den Biestern in der Kombüse mit einer Schale voller Rum und Zuckerrohrsirup zu Leibe rücken und damit gute Erfolge haben. Die Kakerlaken berauschen sich daran und überstehen das nicht. Petite Saucisse soll dafür ganz starken Rum nehmen, wurde mir gesagt.“ „So was!“ Der Wikinger schüttelte etwas irritiert den behelmten Kopf. „Besaufen sich also, die Biester. Wie die alten Nordmannen.“ Er räusperte sich ebenfalls und zupfte an seiner Nase. „Na gut, dann solltest du mal die Methode von Petite Saucisse anwenden, Rod Bennet.“ „Kann ich nicht“, sagte der Koch kläglich. „Du hast verboten, daß ich an den Rum gehe, Kapitän.“ „Dafür genehmige ich dir den Rum, Rod Bennet!“ dröhnte der Wikinger. „Aber nur dafür! Verstanden?“ „Jawohl, Kapitän, nur dafür“, versicherte der Koch. 6. Eine Stunde vor Mitternacht wurden die Anker gehievt. Ein Schiff nach dem anderen verließ die Bucht. Es war eine Nacht für Korsaren, denn der Sichelmond war von Wolken verdeckt. Aber diese Männer hatten keine Schwierigkeiten mit der Navigation. Sie kannten das Gewässer. Die beiden Jollen mit Karl von Hutten und dem Boston-Mann samt einer jeweils achtköpfigen Crew gingen als erste Schiffe auf Kurs, und zwar direkt südwärts. Für sie war nicht nötig, von Westen her anzugreifen, wie es bei den acht größeren Schiffen der Fall war, welche die Flachwasserzone meiden mußten. Diese beiden Jollen hatten den Auftrag, sich so dicht wie möglich an die erste Galeone des Konvois anzunähern und loszuschlagen, sobald der Wikinger mit dem Schwarzen Segler seine erste Breitseite auf die Kriegsgaleone abgefeuert hatte. Von dieser Breitseite hing viel ab.
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Sicher war, daß sie Verwirrung stiften würde – nicht nur auf der „El Toison de Oro“ selbst, sondern auch auf den acht Ankerliegern. Deren Ankerposten würden nach achtern zu der Kriegsgaleone starren, dorthin, wo es krachte und blitzte. Genau das war der Moment für die sieben anderen Schiffe und die bei Jollen des Bundes der Korsaren, sich jeweils auf die ihnen zugeteilte Galeone zu stürzen. Das alles war eine Frage der exakten Zeitübereinstimmung, und die Kapitäne der Schiffe hatten das nach dem Backen und Banken noch einmal beraten und genau besprochen. Wenn der Wikinger mit seinem Schiff querab der „El Toison de Oro“ Steuerbordbreitseite in den Wind drehte, mußten die sieben anderen Schiffe bereits auf Enterkurs liegen. Es war abgesprochen, daß die Wikinger kurz vor dem Aufschießer in den Wind drei Blinkzeichen nach Norden geben sollte. Die beiden Jollen verschwanden südwärts in der Dunkelheit dieser Nacht. Die acht anderen Schiffe gingen zunächst auf Südwestkurs. Dieses Mal segelte „Eiliger Drache über den Wassern“, das schwarze Schiff des Wikingers, an der Spitze. Ihm folgten in Kiellinie die „Isabella IX.“, die „Wappen von Kolberg“, die „Pommern“, die „Le Griffon II.“, die „Golden Hen“ sowie die beiden „Empress“-Schiffe. Sämtliche Lichter an Bord dieser Schiffe waren gelöscht – bis auf eine spezielle Hecklaterne – eine Konstruktion Hesekiel Ramsgates –, die so abgeschirmt war, daß sie nach achtern lediglich einen Lichtsektor von dreißig Grad bildete, also fünfzehn Grad nach beiden Seiten. Zudem war die einzige hintere Glasscheibe dieser Laterne rot getönt. Die Rudergänger sahen vor sich nur ein rotes Auge in der Dunkelheit, dem sie folgten. Und das mußten sie mit einem Abstand tun, der einer knappen Schiffslänge entsprach. Blieben sie zurück, dann verschwand das rote Auge. Diese von Hesekiel Ramsgate erfundenen Hecklaternen hatten sich bisher bestens
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bewährt und waren natürlich nur für die Fahrt in Kiellinie bestimmt. Für keins der neun vor Anker liegenden spanischen Schiffe würde das Rotlicht zu sehen sein. Umgekehrt war es anders, und man konnte es als Leichtsinn bezeichnen: alle neun spanischen Schiffe hatten Ankerlaternen gesetzt, jene Lampen, die ein Rundumlicht zeigten. Es war fast zu schön, um wahr zu sein, als die Korsaren die neun Ankerlichter nach einer knappen Stunde sichteten: es erleichterte den Kapitänen der Korsarenschiffe den Anlauf auf den jeweiligen Gegner. Sie staffelten in Kiellinie näher an den Konvoi heran, und jeder Kapitän faßte das für ihn bestimmte Schiff ins Auge. Die Entermannschaften standen bereit, bis an die Zähne bewaffnet. Der Viermaster des Wikingers war das idealste Schiff für Nachtangriffe: der schwarze Rumpf und die schwarzen Segel waren in der Dunkelheit eine Tarnung, wie sie besser nicht sein konnte. Der Wikinger hatte sein „Sesselchen“ verlassen, stand am Backbordschanzkleid des Achterdecks und starrte aus schmalen Augen hinüber zu der Kriegsgaleone „El Toison de Oro“. Das dortige Ankerlicht, auf halber Höhe des Fockmastes gesetzt, warf einen Lichtschimmer über die Back und Teile der Kuhl. Als der Wikinger den Besanmast der „El Toison de Oro“ von seiner Position aus genau querab peilte, winkte er dem Rudergänger zu. Es war eine Bewegung, die mit der Hand einen Halbkreis andeutete. Auf schießen! hieß das. Olig, der am Ruder stand, nickte und stemmte sich gegen den Pinnenausleger. Der Bug des Viermasters drehte nach Backbord. Am Heckschanzkleid gab Eike –wie Olig, der Stör und Arne ein enger Gefolgsmann des Wikingers – die drei vereinbarten Blinkzeichen nach Norden zu den anderen Schiffen. Die Geschützmannschaften des Viermasters lauerten an den Fünfundzwanzigpfündern der
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Steuerbordseite. Alle Kanonen beider Seiten waren längst ausgerannt. Die zwölf Geschützführer griffen zu den Lunten. Inzwischen zeigte der Bug des Viermasters direkt auf die Backbordseite der „El Toison de Oro“, drehte aber weiter, immer weiter, bis er nach Nordosten wies und „Eiliger Drache über den Wassern“ im Wind lag. Ein paar Männer hatten die Segel sofort aufgegeit und verzurrt, so daß sie im Wind nicht knatterten. Mit auslaufender Fahrt glitt der Viermaster nordostwärts und parallel zur Kriegsgaleone dahin. Seine Entfernung zur „El Toison de Oro“ betrug knapp achtzig Yards. „Feuer frei!“ sagte der Wikinger mit verhaltener Stimme. Jeder Geschützführer hatte das Ziel bereits aufgefaßt und seine Kanone gerichtet. Sie zündeten nahezu gleichzeitig ihre zwölf Stücke. Was folgte, glich einem Vulkanausbruch. Zwölf feuerrote Lanzen stießen aus den Mündungen, ein ohrenbetäubendes Donnern dröhnte über die See. Ein, zwei Herzschläge lang war die Steuerbordhälfte des Viermasters in rotes Licht getaucht – ein schaurigschöner Anblick bei dem Schwarz dieses Schiffes. Vielleicht sahen es der wachhabende Offizier und die Ankerwache noch, bevor die zwölf schweren Fünfundzwanzigpfünderbrocken, noch glühendheiß, in die Backbordseite der Kriegsgaleone krachten und fürchterliche Verheerungen anrichteten. Holz barst, Planken brachen, Teile des Schanzkleides wurden wegrasiert. Die ungeheure Wucht der Einschläge hieben den Rumpf der „El Toison de Oro“ nach Steuerbord, und als er zurückschnellte, flog die Ankerlaterne vom Fockmast und zerplatzte auf der Kuhl. Brennendes Öl lief nach allen Seiten. Der Großmast knarrte. In Höhe der Nagelbank hatte er einen Volltreffer erhalten und war eingeknickt. Als die Galeone nach Backbord zurückschwang, brach er an der Knickstelle und prallte mit
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Getöse querschiffs an Backbord ins Wasser. Jean Ribaults Sorgen waren unbegründet gewesen. Die Breitseite hatte voll getroffen. Olig legte Ruder, und mit immer noch auslaufender Fahrt drehte der Viermaster langsam nach Backbord. Die Segel wurden aus dem Gei genommen. In dem Augenblick, in dem „Eiliger Drache über den Wassern“ der „El Toison de Oro“ das Heck zeigte, stieg eine Feuersäule in den Nachthimmel, und die Kriegsgaleone explodierte in einem Glutball. Da mußte eine der glutheißen Kugeln in eine Pulverkammer geflogen sein und dann die Zündung hervorgerufen haben. Der Wikinger war baff und murmelte: „Das war Thors Hammer!“ Einen weiteren Kommentar konnte er nicht geben, weil Thors Hammer auch ihn nicht verschonter Aus dem Nachthimmel regnete es Trümmerstücke, und die Ironie des Schicksals wollte es, daß ein noch intaktes Mehlfaß auf seinen Helm krachte und dabei zerplatzte. Der Wikinger versank stumm in einer weißen Wolke. „Den Kapitän hat's erwischt!“ schrie der Stör und mußte husten, weil ihm Mehlstaub in die Lungen drang. Trotzdem stieß er in die weiße Wolke vor, tastete herum, hustete weiter, kriegte ein Bein zu fassen, umklammerte es und zerrte den Kapitän aus dem Dunst. Der Wikinger war von oben bis unten weiß. Sein Helm war verbeult und saß schief. Immerhin – ohne den Kopfschutz hätte der Schädel Thorfin Njals böse ausgesehen, und es war fraglich, ob er diesen Hammer Thors überstanden hätte. Der Helm hatte ihn vor dem Schlimmsten bewahrt. Er war nur bewußtlos. Eike und Arne stürzten heran und prallten zurück, als sie diesen nordischen Riesenschneemann sahen. „Zum Teufel, was ist denn das?“ fragte Arne entsetzt. „Mehl“, sagte der Stör lakonisch, „was denn sonst? Meinst du, hier schneit's, du
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Blödian? Holt Rum und glotzt nicht so dämlich!“ *
Noch bevor das Höllengetöse der Breitseite und die dann folgende Explosion der Pulverkammer losgebrochen waren, hatten sich die beiden Jollen unter Karl von Hutten und dem Boston-Mann an die Steuerbordseite der „Valencia“ gelegt, die Mannen waren lautlos auf geentert, und der Boston-Mann hatte dem dösenden Ankerposten einen Belegnagel über den Kopf gezogen. Innerhalb einer Minute war der Mann geknebelt und gefesselt. Die Männer verteilten sich über Deck und besetzten die Niedergänge, die ins Schiff führten. Sie kannten sich auf Galeonen aus, kein Problem. Auf dem Achterdeck am Niedergang zu den Kammern des Kapitäns und der Offiziere bezogen Karl von Hutten und der Boston-Mann Stellung. Alles war bisher in völliger Stille vor sich gegangen. Nicht einmal das Tappen der Füße war vernehmbar gewesen, weil alle barfuß waren. Im Vorschiff wurde geschnarcht, von achtern drangen ebenfalls Schnarchtöne an Deck. Die beiden Männer am Achterschott grinsten sich an. Sie hatten dieses Schiff bereits so gut wie in ihrer Gewalt und konnten alles in Ruhe abwarten. Knapp zehn Minuten später war es soweit. Im Süden blitzte die Breitseite des Schwarzen Seglers auf – eines Geisterschiffes aus dieser Sicht –, und grollender Donner rollte über die See. Kurz darauf stieg die Feuersäule in den Himmel und beleuchtete schlagartig die Szenerie, während die „El Tosion de Oro“ von der Explosion in der Pulverkammer zerrissen wurde. Im Licht dieses gigantischen Feuerwerks waren die sieben Schiffe der Korsaren zu sehen, die klar zum Entern bei den sieben Galeonen längsseits glitten. Das Achterdecksschott auf der „Valencia“ prallte auf. Ein großer, starker Mann stürmte an Deck, gelangte aber nicht weit,
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weil Karl von Hutten blitzschnell den rechten Fuß vorgestreckt hatte. Der Mann stolperte und stürzte, fluchte und schnellte noch im Liegen herum. Er starrte in die beiden Mündungen einer doppelläufigen Pistole. Karl von Hutten hatte sie auf ihn gerichtet. „Nur ruhig“, sagte er sanft. „Es passiert Ihnen nichts, wenn Sie friedlich bleiben. Anderenfalls kann ich für nichts garantieren. Sind Sie der Kapitän?“ „Ja“, knurrte der Mann. „Name?“ „Jose Silva.“ Am Schott stoppte der Boston-Mann zwei Offiziere, ließ sie langsam vortreten und entwaffnete den einen, der eine Pistole in der Rechten hielt, aber viel zu verdattert war, sie einzusetzen. „Noch jemand unten?“ fragte er freundlich. Beide Offiziere schüttelten stumm Köpfe. Vorn, beim Niedergang zur Back, gab's Gerangel, aber das war's auch schon. Der glatzköpfige Barry Winston rief nach achtern: „Vorn alles klar, Kapitän! Hab ihnen gesagt, was ihnen blüht, falls sie aufmüpfig werden sollten!“ „Danke, Barry.“ Karl von Hutten wandte sich dem Kapitän zu und musterte ihn: Ein gutes Gesicht, dachte und sagte: „Wir beschlagnahmen Ihre Ladung, Senor Silva, das heißt, daß Sie sich von ihr trennen müssen.“ „Piraten, wie?“ Karl von Hutten lächelte. „Sagen lieber Korsaren, Senor Silva. Wir sind keine blutrünstigen Schlagetots. Allerdings ist Ihre Kriegsgaleone soeben in die Luft geflogen ...“ Der Kapitän lachte stoßartig. eine bestimmt nicht. „Dieser Idiot hat zulange gewartet.“ „Wie bitte?“ „Ach nichts.“ Aber dann brach es doch aus Jose Silva heraus. „Wir hätten längst bei den Bermudas sein können, aber diese Affen von der Marine mussten unbedingt auf Piratenjagd gehen...“ Er unterbrach sich und starrte Karl von Hutten an. „Sind Sie der Seewolf?“
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Von Huttens Gesicht blieb unbewegt. „Seewolf? Kenne ich nicht. Wer soll das sein?“ „Ein Kollege von Ihnen“, sagte der Kapitän erbittert. „Hätte mich nur interessiert ob er die drei Kriegsgaleonen, die seinen Schlupfwinkel ausheben sollten, zu den Fischen geschickt hat. Dann hätte ich nämlich recht gehabt. Aber das nutzt mir jetzt auch nichts mehr. Darf ich aufstehen?“ „Ich habe nichts dagegen, vorausgesetzt, Sie bleiben weiterhin friedlich, Senor Silva.“ „Ich weiß, wann ich verloren habe“, knurrte Kapitän Silva. „Verdammt, daß mir das passieren mußte! Jetzt kann ich wieder von vorn anfangen.“ „Ihr Schiff, Senor Silva?`“ „Ja, mein Schiff, habe schwer schuften müssen, um es mir vor sechs Jahren kaufen zu können.“ Der Kapitän schüttelte den Kopf. „Alles für die Katz.“ „Es bleibt Ihnen erhalten, Senor Silva“, sagte Karl von Hutten. „Allerdings unter einer Bedingung.“ Der Kapitän hob 'den Kopf. „Und die wäre?“ „Sie übernehmen Besatzungen von drei Galeonen Ihres Konvois und bringen sie zurück nach Spanien. Die Besatzungen von drei Weiteren Galeonen steigen auf die Galeone um, die hinter Ihnen ankert. Diese und Ihre Galeone entlassen wir, die sechs anderen werden versenkt, nachdem wir die Ladungen übernommen haben. Proviant und Trinkwasser bringen die Mannschaften mit, die zu Ihnen und der anderen Galeone übersteigen. Schauen Sie hinüber, bei den anderen Galeonen wird bereits umgeladen.“ Jose Silva starrte zu den Schiffen des Konvois. Dort herrschte tatsächlich rege Betriebsamkeit. Weitere Laternen waren entzündet worden – allerdings nicht bei jenen beiden Galeonen, an denen die „Wappen von Kolberg“ und .die „Pommern“ längsseits lagen. Dort stiegen die Mannschaften schon in die ausgesetzten Boote, während andere noch
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mit Proviant und Wasserfässern beladen wurden. „Teufel, Teufel“, murmelte der Kapitän fast bewundernd. „Sie haben wohl an alles gedacht, wie?“ „Ich gebe zu, daß wir vorher imitier alles genau planen, Senor Silva“, sagte Karl von Hutten. „Riskante Abenteuer sind nicht unsere Sache.“ „Und jetzt sind Sie ein reicher Mann!“ „Mag sein“, erwiderte Karl von Hutten fast gleichgültig, „aber das ist nebensächlich. Wir kapern nicht, um uns die Nasen vergolden zu können.“ „Sondern?“. Karl von Huttens Gesicht verkantete sich. „Wir kämpfen gegen jenes Spanien, das die Neue Welt rücksichtslos ausbeutet und die eingeborene Bevölkerung ausrottet oder allenfalls versklavt, was aber aufs gleiche hinausläuft. Jede Gold-, Silberoder sonstige Schatzladung, die Spanien nicht erreicht, zwingt Ihr mörderisches Ausbeutungssystem ein kleines Stück mehr in die Knie.“ Der Kapitän hatte den Kopf gesenkt und schweigend zugehört. Jetzt blickte er Karl von Hutten wieder an und sagte: „Sie hassen Spanien, Senor?“ „Spanien nicht“, entgegnete Karl von Hutten, „aber jene, die dieses Ausbeutungssystem funktionieren lassen – Ihre Gouverneure, Ihre Söldner, Ihre Folterknechte.“ „Durch mich funktioniert dieses System auch, Senor“, sagte der Kapitän. Karl von Hutten nickte. „Das ist richtig. Aber wie ich Sie einschätze, werden Sie über das, was ich Ihnen sagte, nachdenken.“ Und jetzt lächelte er. „Ich glaube sogar, daß Sie es künftig ablehnen werden, von Ihren Landsleuten geraubte und erpreßte Schatzgüter nach Spanien zu bringen.“ „Das glaube ich fast auch“, murmelte der Kapitän. „Ich habe diese Seite der Medaille noch nie betrachtet. Wurde wohl Zeit, daß sie mir mal jemand präsentierte.“ „Sie können ganz neu anfangen, Senor Silva“, sagte Karl von Hutten. „Was haben Sie geladen?“
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„Kisten mit Gold- und Silberbarren.“ „Dann bleiben zwei Kisten mit Goldbarren im Schiff zu Ihrer Verfügung, Senor Silva. Vielleicht verhelfen sie Ihnen zu einem neuen Start –abseits des Systems. Vielleicht aber auch schenken Sie den einen oder anderen Barren einer Witwe oder einer Mutter, deren Mann oder Sohn von. der Reise in die Neue Welt nicht mehr zurückkehrte. Deren Familien haben Zuwendungen nötiger als Ihre Krone und jene, die an der mörderischen Ausbeutung beteiligt und vor lauter Gier schon nicht mehr normal sind. Ganz abgesehen davon, daß diese Schmarotzer sowieso schon genug haben, um ein fettes Leben führen zu können.“ „Gut“, sagte der Kapitän; „gut. Ich weiß, was Sie meinen.“ Und spontan streckte er Karl von Hutten die Rechte hin. „Danke, Senor!“ Es war schon merkwürdig. Da schüttelten sich ein Korsar und ein spanischer Handelsschiffkapitän die Hände, obwohl eben dieser Korsar das Schiff dieses Kapitäns im Handstreich gekapert hatte und die gesamte Ladung beschlagnahmte bis auf zwei Kisten mit Goldbarren. Den beiden Offizieren, die alles mitgehört hatten, stand der Mund offen. 7. „Leinen wahrnehmen!“ dröhnte eine Stimme. Aber es war nicht die Stimme des Wikingers, sondern die seines Gefolgsmannes Arne, der zu diesem Zeitpunkt den Viermaster führte. Der Wikinger saß in seinem „Sesselchen“, weiß bepudert von oben bis unten. Er war noch ziemlich dösig, und um seinen Kopf summten Hornissen ein Lied, dessen Melodie er nicht unbedingt als angenehm empfand. Immerhin durfte sich der nordische Riesenschneemann am Rum laben. Es schwammen keine Kakerlaken im Kapitänsglas. Der Stör hatte genau
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aufgepaßt - und auch gekostet, wie sich das gehört. „Eiliger Drache über den Wassern“ ging an der Backbordseite der „Valencia“ längsseits, wie das vorher abgesprochen worden war. Die Leinen wurden wahrgenommen und belegt. Sowohl die Marinen Karl von Huttens und des BostonMannes als auch die Kerle an Bord des Viermasters grinsten bis zu den Ohren. Die ersteren, als sie den Weißpuderkapitän im „Sesselchen“ entdeckten, die letzteren, weil sie sich freuten, daß alles geklappt hatte. Schließlich hatten sie ja die spanische Kriegsgaleere „weggepustet“, wie das ihr Kapitän vorher in der „Rutsche“ prophezeit hatte. Na bitte! Dem Kapitän Silva quollen nahezu die Augen aus den Höhlen angesichts dieses merkwürdigen Viermasters, der in kein Schema paßte, und wegen der Kerle an Bord, die ebenfalls in kein Schema einzuordnen waren. Allein vier von denen waren in Felle gekleidet und trugen an den Füßen und Beinen Riemensandalen nach Wikinger art. Und da war das „Sesselchen“ mit dem behelmten und weißen Riesen, der einen doch ziemlich großen Glaskelch schwenkte, in dem etwas schwappte. Möglicherweise war es Rum, weil die Flüssigkeit bräunlich schimmerte. Verrückt, dachte der Kapitän, völlig verrückt. Mit sanfter Stimme sagte Karl von Hutten: „Senor Silva, dürfte ich Sie jetzt bitten, die Frachtluken öffnen zu lassen, damit die Leute auf dem Viermaster 'die Ladung übernehmen können?“ „Natürlich“, sagte der Kapitän hastig, trat an die Querbalustrade des Achterdecks und gab seine Befehle. Seine Männer gehorchten flink, bewacht von den scharfen Augen jener wilden Kerle, die sie am Schott zum Logis unter der Back in Empfang genommen hatten, als sie nach draußen stürmen wollten. „Es wird kein Widerstand geleistet!“ dröhnte die Stimme ihres Kapitäns. „Wir erhalten freien Abzug nach Spanien, und je
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eher ihr die Ladung übergeben habt, desto früher können wir auf Heimatkurs gehen! Ist das klar?“ „Jawohl, Kapitän!“ schrien die Männer erleichtert, spuckten in die Hände und krempelten die Hemdsärmel auf. Und sie klotzten ran. Das Ladegeschirr wurde ausgeschwenkt, die Luken wurden geöffnet, Männer kletterten hinunter in die Laderäume, schoben Kisten unter die Luken, kanteten sie zum Unterfangen der Heißtropps, und schon schwebte die erste Kiste nach oben, wurde an der Laderah nach Backbord geschwenkt und senkte sich über der Kuhl des Viermasters nach unten, wo sie von kräftigen Pranken entgegengenommen und in den Laderäumen verstaut wurde. Das gleiche geschah auf allen anderen Schiffen – mit Ausnahme jener beiden Galeonen, an denen die „Wappen von Kolberg“ und die „Pommern“ längsseits lagen. Dort waren die spanischen Mannschaften bereits von Bord, und die Deutschen besorgten die Übernahme der Schatzkisten allein, ohne Hilfe der Spanier. Der Grund für diese Maßnahme resultierte aus der Überlegung, die Spanier nicht zuviel von den beiden deutschen Schiffen erkennen zu lassen. Der Teufel saß im Detail – und wenn es der Teufel wollte, dann erkannte irgendein Mann von der Besatzung dieser beiden Galeonen eines der beiden deutschen Schiffe womöglich wieder, und das würde peinlich für Kapitän und Besatzung - Arne von Manteuffel werden. Aber Arne war sich sicher, daß die Kerle kaum etwas registriert hatten. Der Schock saß noch in den Knochen, ihnen und ihrer Schiffsführung. Sie waren froh gewesen, ihr Schiff unter großzügiger Mitnahme von Proviant und Trinkwasser verlassen und zu den beiden vorderen Galeonen pullen zu dürfen. Die Befehle dazu hatten sie in klarer spanischer Sprache erhalten, allerdings mit der Drohung, daß ihr Leben keinen Pfifferling mehr wert sei, sollten sich ihre Kapitäne der Aufforderung widersetzen, an Bord der beiden Galeonen nach Spanien zurückzukehren.
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Da hatten die Kerle in den Booten sogar gejubelt. Rückkehr nach Spanien? Sofort! Nichts anderes hatten sie sich ja gewünscht, seit ihre Schiffe hier vor Anker gegangen waren und sie vergeblich auf die zur Piratenjagd abgesegelten drei Kriegsgaleonen gewartet hatten. Und jetzt waren Piraten hier zur Stelle – vielleicht gar jene, denen die Jagd der drei Kriegsgaleonen gegolten hatte. Und sie hatten mit einer einzigen Breitseite ihren letzten Schutz, die „El Toison de Oro“, vernichtet und ihre Galeonen im schnellen Handstreich gekapert. Sie mußten mit dem Teufel im Bunde stehen, auch wenn sie großzügig Pardon gewährt hatten. Nein, keinem dieser Spanier fiel es ein, in dieser Situation 'auch noch genau die Schiffe zu mustern, von denen sie überfallen worden waren. Die Jollen und Beiboote dieser beiden Galeonen strebten mit hastigem Riemenschlag zu den beiden vordersten Schiffen. Und sie warteten gehorsam, bis ihnen zugerufen wurde, daß sie übersteigen dürften. Indessen räumten die Mannen von Arne von Manteuffel und Oliver O'Brien die beiden Galeonen aus, und Kiste für Kiste verschwand in den Laderäumen der „Pommern“. Beide Kapitäne und Mannschaften hatten keine Schwierigkeiten gehabt, die jeweilige Galeone zu besetzen und deren Besatzung davon zu überzeugen, daß jeder Widerstand zwecklos wäre. Mit der Vernichtung der „El Toison de Oro“ war den meisten sowieso das Herz in die Hose gerutscht. Bei ein paar Aufmüpfigen da und dort hatte eine harte Faust oder ein niedersausender Belegnagel nachdrücklich dafür gesorgt, daß es besser wäre, die Dinge so zu nehmen, wie sie nun einmal waren. Die Mannen der „Wappen von Kolberg“ und der „Pommern“ schufteten im Schweiße ihres Angesichts und schafften es innerhalb von zwei Stunden, die beiden Galeonen zu entladen. Aber nicht nur das: auf die „Pommern“, die in den Stützpunkt zurückkehren würde, wurde auch das
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verbracht, was nur irgendwie brauchbar war: Segeltuchballen, Tauwerk, Pulverfässer samt Munition, Waffen, Werkzeug, Kombüseninventar, Farben, Geschirr, Weinfässer – kurz alles, was an beweglichem Gut auf einer Galeone mitgeführt wurde. Gleiches geschah bei den anderen Galeonen. Da die beiden „Empress“Schiffe unter Jerry Reeves und Le Testu nicht so große Laderäume wie die anderen Schiffe des Bundes hatten, gingen die „Isabella“ und die „Golden Hen“ bei den von ihnen gekaperten Galeonen längsseits und räumten sie mit aus. Es ging fast wie auf einem Markt zu. Inzwischen waren die Mannschaften der sechs Galeonen auf die „Valencia“ und die hinter ihr liegende Galeone übergestiegen und hatten auch ihren Proviant samt der Trinkfässer an Bord gehievt. Da die Laderäume dieser beiden Galeonen nunmehr leer waren, boten sie genügend Platz für die Mannschaften der sechs anderen Galeonen samt der Vorräte. Karl von Hutten verabschiedete sich von Kapitän Silva, in dessen Kammer die Korsaren eigenhändig zwei Goldkisten geschleppt hatten. „Ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt und eine glückliche Heimkehr, Kapitän Silva“, sagte er lächelnd. „Und bitte verzeihen Sie, daß wir Sie und Ihre Mannschaft so unsanft geweckt haben.“ „Was sein muß, muß sein“, erwiderte der Kapitän grinsend, kratzte sich am Hinterkopf und fügte hinzu: „Fast beneide ich Sie - Korsar müßte man sein.“ „Keine schlechte Idee, Kapitän“, sagte Karl von Hutten. „Vielleicht werden Sie's gegen das System!“ „Gegen das System“, bestätigte Kapitän Silva, zwinkerte mit den Augen und sagte leise: „Grüßen Sie den Seewolf von mir!“ Karl von Hutten zog die Augenauen hoch, aber der Kapitän winkte ab und sagte: „Ich habe viel über diesen Mann gehört, Senor. Das alles hier trägt seine Handschrift, .eine saubere Handschrift, alle Achtung. Ich respektiere jeden, der bei einer solchen
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Aktion auch noch Fairneß zeigt. Dafür möchte ich mich bedanken.“ „Keine Ursache“, murmelte Karl von Hutten und schwang sich als letzter seiner Mannen von Bord. Die beiden Jollen waren bereits achtern am schwarzen Segler vertäut. * „Alle Leinen los und ein!“ befahl auf dem Achterdeck des Viermasters. „Ruder mittschiffs.“ „Ruder mittschiffs“, wiederholte Olig am Pinnenausleger. Die Leinen wurden losgeworfen, der Viermaster driftete achteraus, bis Olig das Ruder nach Steuerbord legte und der Bug des Schiffes nach Backbord drehte, unterstützt von der jetzt angebraßten Fock. Der Viermaster schor von der „Valencia“ ab und nahm allmählich Fahrt voraus auf, als die Segel getrimmt wurden. Auf der „Valencia“ und der dahinterliegenden Galeone wurden die Anker gehievt und die Segel gesetzt. Es ging auf vier Uhr morgens zu - ein erster heller Schimmer zeigte sich an der östlichen Kimm. Der Viermaster lag in Warteposition, als die beiden Galeonen an seiner Steuerbordseite unter vollen Segeln nordwärts glitten. Die Kerle standen dichtgedrängt am Backbordschanzkleid und winkten. Und was tat Kapitän Silvia? Er legte die Hände an den Mund und brüllte: „Gute Fahrt und fette Beute, ihr Himmelhunde!“ „Danke!“ rief Karl von Hutten zurück und lachte über das ganze Gesicht. Und sie winkten alle zurück, die Mannen auf „Eiliger Drache über den Wassern“. „Was, wie?“ grummelte der Wikinger, immer noch dösig auf seinem „Sesselchen“ sitzend: „Wünschen uns fette Beute? Sind die ein bißchen huppdie-hoppdie, diese verrückten Dons?“ Er rappelte sich aus dem „Sesselchen“ hoch, schaute sich wackelnd um und verlangte zu wissen, was hier überhaupt los sei.
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„Alles in Ordnung, Kapitän“, sagte der Stör hastig. „Setz dich bitte wie- der hin. Du mußt dich schonen. Dir ist ein Mehlfaß auf den Helm gefallen, und du warst 'ne Weile weg.“ „War in Walhall“, murmelte der Wikinger und sackte zurück auf seinen Thron. „Mehlfaß?“ Er blickte an sich hinunter und klopfte auf das weiße Fell. Im Nu hüllte ihn eine weiße Wolke ein, was ihn erzürnte. Husten mußte er auch. „Scheißnebel!“ keuchte er. Der Stör wedelte mit den Armen, um die Schwaden zu vertreiben. Der Wind half mit, und der Wikinger tauchte wieder auf. „Laß das!“ bollerte er den Stör an, der immer noch wedelte. „Kann Hampelmänner nicht ausstehn!“ So ganz allmählich schien er wieder in Form .zu kommen. Zumindest nahm er dankbar den Rum an, den der Stör ihm reichte. Während die beiden Galeonen oben im Norden immer kleiner wurden, ließ Arne nach Süden abdrehen und segelte mit den anderen Schiffen des Bundes zurück. Dort war man nicht müßig geblieben. Die gekaperten Galeonen waren leer und total ausgeräumt. Sogar die Spieren und Rahen hatten die Mannen abgetakelt und an Bord der eigenen Schiffe verbracht. Die sechs Galeonen. sahen echt gerupft aus. Aber im Stützpunkt konnte man eben alles brauchen. Die Galeonen waren angebohrt worden und versanken langsam. Jean Ribault und die Rote Korsarin hatten überlegt, eine Galeone nicht zu versenken und für das eigene Geschwader zu vereinnahmen, zumal sie ja die „Persante“ und die „Nuestra Senora de Compostela“ durch die Brandstiftung der „Glorios“-Kerle verloren hatten. Aber dann hatten sie davon Abstand genommen. Die Galeonen waren nur dürftig armiert und keine Kampfschiffe. Für Beutefahrten waren sie ungeeignet und auch zu langsam. So ging eine Galeone nach der anderen in die Tiefe, und die See schloß sich über ihnen. Für die spanische Krone würden sie
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nicht mehr segeln, und auch das war ein Erfolg für den Bund der Korsaren. Sie sammelten sich bei dem Schwarzen Segler, der jetzt unweit der Versenkungsstellen ankerte, und legten sich im Päckchen längsseits. Die Kapitäne stiegen hinüber auf das Schiff des Wikingers und gelangten so in den Genuß, einen weißen Riesen bewundern zu können. Der Stör berichtete schon zum x-ten Male, daß seinem Kapitän ein Mehlfaß von der verdammten Kriegsgaleone auf den Helm gefallen wäre, und hätte er nicht den Helm getragen, dann wäre jetzt Heldentrauer angesagt. Die Kapitäne sahen das allerdings mehr von der heiteren Seite und hatten für das „hätte“ und „wäre“ nicht viel übrig. Man mußte das ja nicht gleich zur „Heldentrauer“ aufpolieren. „Soso, ein Mehlfaß“, sagte Jean Ribault. „Was es nicht alles gibt. Stell dir vor, Thorfin, es wäre ein Honigfaß gewesen.“ „Oder eins voller Pfeffer“, schlug Edmond Bayeux grinsend vor. „Dann würdest du noch weinen, wenn wir längst im Stützpunkt sind.“ „Dämlicher Quatsch“, knurrte der Wikinger. Wer den Schaden hatte, brauchte für den Spott nicht zu sorgen. Das war's. Jean Ribault zog eine Buddel aus dem Wams und reichte sie dem Wikinger. „Für dich, Thorfin“, sagte er lächelnd. „Ihr habt ein prächtiges Manöver gefahren und noch prächtiger geschossen. Jeder Schuß ein Treffer! Respekt - Respekt. Als die Kriegsgaleone in die Luft flog, wußte ich, daß wir's geschafft haben. Ein Raid, wie ihn auch Hasard nicht besser hingekriegt hätte. Mit eurer Breitseite war alles entschieden. Verluste haben wir nicht, auch keine Verletzungen. Du bist der einzige, der was einstecken mußte. Nimm's nicht so tragisch, aber komisch siehst du trotzdem aus.“ Da begann auch der Wikinger zu grinsen. „Danke“, sagte er, „herzlichen Dank. Ich bin sehr gerührt, daß wir mal gelobt werden.“ Er schüttelte die 3uddel. „Rum?“
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Jean Ribault nickte. „Aus Diegos Spezialkeller, wo er die guten Sachen hortet und nur herausrückt, wenn man ihm freundlich zuredet. Na, du weißt schon.“ „Der Hundesohn“, brummelte der Wikinger, entkorkte die Buddel, nahm einen Schluck, schmatzte genießerisch und gab die Buddel weiter. „Auf unseren Sieg“, sagte er. „Und das ist wirklich ein gutes Tröpfchen. Wie Samt und Seide.“ Er wandte den Kopf. „Stör! Rum für alle!“ „Rum für alle!“ wiederholte der Stör und erntete dieses Mal keinen drohenden Blick wegen seiner Eigenart, die letzten Worte des Kapitäns nachzusprechen. Er enteilte, kehrte aber wieder um, weil ihm etwas eingefallen war. „Cookie auch?“ fragte er. „Der auch, aber nur einen Fingerhut voll, klar?“ „Verstanden, Kapitän!“ Der Wikinger stutzte und kratzte sich am Helm. Dieser Stör! Jetzt hätte er erwidern müssen:... nur einen Fingerhut klar. Und da sagt der Kerl: Verstanden, Kapitän! Der Stör feixte und trabte ab. „Sonst quasselt er alles nach“, sagte der Wikinger kopfschüttelnd, „nur diesmal nicht. Ist der Kerl krank?“ „Putzmunter“, erwiderte Jean Ribault lachend. „So langsam scheint er zu kapieren, daß er sich das Nachquasseln abgewöhnen muß.“ „Schade“, sagte der Wikinger seufzend. „Da hat man sich an was gewöhnt, und schon muß man sich wieder umstellen.“ Sie lachten alle. Sie waren auch locker und gelöst. Die Spannung wich, das Lauern, das Bereitsein zum Sprung. Die Schlacht so man sie überhaupt eine solche nennen konnte - war vorbei. In den Laderäumen stapelten sich Kisten und Truhen - eine sagenhafte Beute. Ja, sie spürten Genugtuung, natürlich. Sie hatten sich gerächt für den Überfall auf ihren Stützpunkt. Und die Gefahr einer Wiederholung war ausgemerzt, zumindest für längere Zeit. Allerdings, eine absolute Sicherheit gab es nicht. „Also“, sagte Arne von Manteuffel, „dann heißt es für mich wohl, Abschied von euch zu nehmen und in die Höhle des Löwen zu
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steuern. Ich werde mich dem neuen Gouverneur vorstellen und ihm auch gleich eine Hiobsbotschaft überbringen – daß ich nämlich in der Straße von Florida auf ein Trümmerfeld von Wrackteilen gestoßen sei, aber noch einen sterbenden Schiffbrüchigen aufgefischt hätte. Von ihm hätte ich erfahren, daß sein Konvoi von Seeräubern überfallen und restlos vernichtet worden wäre, ebenso drei Kriegsgaleonen, die einen Piratenschlupfwinkel hätten ausheben sollen. Was haltet ihr davon?“ „Das könnte den Gouverneur aufstacheln, erneut aktiv zu werden“, sagte Jean Ribault etwas skeptisch. „Genau das ist der Zweck, Jean“, sagte Arne von Manteuffel lächelnd. „Denk mal nach. Er wird gewissermaßen gezwungen sein, etwas zu unternehmen. Was immer er auch tun wird – ich kann es euch per Brieftaube melden, so daß ihr entsprechend reagieren könnt. Außerdem möchte ich herausfinden, ob ihm irgendetwas über die Lage des Stützpunktes bekannt ist. Das kann ich nur, wenn ich ihm von der Vernichtung seines Konvois berichte und ihn dann aushorche – vielleicht mit dem Stichwort ,Seewolf`, von dem der sterbende Schiffbrüchige gesprochen hat.“ „Gut, sehr gut, Arne“, sagte die Rote Korsarin. „Ich halte das für eine glänzende Idee. Vor allem erscheint mir auch interessant, etwas über den neuen Gouverneur zu erfahren. Was ist er für ein Mann? Korrupt? Sauber? Tapfer oder feige? Ein Eisenfresser? Du weißt schon, was ich meine.“ „Klar“, erwiderte Arne. Sie waren alle einverstanden mit seinem Vorschlag. Auch Jean Ribault. Eine halbe Stunde später trennten sie sich. Arne von Manteuffel ging mit der „Wappen von Kolberg“ auf Havanna-Kurs, die Schiffe der Korsaren steuerten den Nordwest-Providence-Kanal an, durch den sie dann ostwärts Great Abaco anliegen konnten. 8.
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Die „Wappen von Kolberg“ lief nach guter Fahrt mit Raumschotswinden am Nachmittag des nächsten Tages Havanna an und wurde bereits auf der Reede von zwei Wachbooten abgefangen und aufgefordert, in den Wind zu gehen. Arne kannte die Formalitäten, hatte allerdings gehofft, sie würden ihm erspart bleiben. Schließlich war die „Wappen von Kolberg“ den Hafenbehörden bekannt, ebenso wie ihr Eigner, der Kaufherr von Manteuffel mit Handelsniederlassung in Havanna. Das eine Wachboot mit einem Teniente der Küstenwache an Bord segelte heran. Arne kannte den Mann und der ihn auch. Denn er rief zu ihm hinauf: „Tut mir leid, Senor de Manteuffel! Ich habe Befehl jedes einlaufende Schiff zu durchsuchen, die Ladung festzustellen und darauf einen Versicherungszoll zu erheben!“ „Versicherungszoll?“ rief Arne zurück. „Was ist das denn für ein Zoll?“ „Erzähl ich Ihnen gleich, Senor de Manteuffel.“ Der Teniente wirkte verschnupft. „Darf ich an Bord kommen?“ „Natürlich, Teniente! Ich lasse an Backbord die Jakobsleiter ausbringen!“ Hein Ropers, der Bootsmann Arnes, auf der Kuhl der „Wappen“ zeigte schon klar und öffnete die Pforte im Schanzkleid. Arne wandte sich zu seinem Ersten Offizier um, Renke Eggens. „Was hältst du davon, Renke?“ Der grinste nur und erwiderte: „Was können wir froh sein, keine Kisten vom Konvoi an Bord zu haben, Kapitän! Da würden wir ganz schön dumm dastehen.“ „Du sagst es. Laß einen Treibanker ausbringen und die Segel aufgeien, Renke. Ich gehe auf die Kuhl, um den Teniente zu empfangen.“ „Aye, Sir!“ Sie hatten sich bereits angewöhnt, diese englische Bestätigung zu benutzen. Arne drehte sich noch mal um. „Bitte nur noch auf Deutsch oder spanisch, Renke. Wir müssen aufpassen!“ „Jawohl, Kapitän, verdammt, das mir so rausgerutscht.“
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„Eben drum“, sagte Arne und enterte zur Kuhl ab. Hein Ropers' Mannen hatten bereits die Jakobsleiter ausgebracht und nahmen die Vor- und Achterleine des Wachbootes wahr, die an Klampen belegt wurden. Der Teniente erschien auf der Kuhl, ein schlanker Mann mit einem offenen Gesicht. Er grüßte korrekt, und Arne sagte: „Willkommen an Bord, Teniente.“ „Willkommen in Havanna, Senor de Manteuffel. Hatten Sie eine gute Fahrt?“ „Wie man's nimmt.“ Arne rieb sich die Stirn. „Vorgestern stießen wir oben in der Florida-Straße bei den Cat Cays auf ein ziemlich großes Trümmerfeld von Schiffsteilen und entdeckten noch einen Mann, schwerverwundet, auf einer Gräting. ,Wir bargen ihn ab, und er behauptete, zu einem Konvoi zu gehören, der nach Spanien gehen sollte. Er faselte auch was von drei Kriegsschiffen. Jedenfalls sollen in der Nacht Piraten mit mehreren Schiffen über den Konvoi hergefallen sein und ihn vernichtet haben. Kurz danach starb der Mann, und wir übergaben ihn der See. Wir suchten nach weiteren Überlebenden - ergebnislos. Böse Geschichte, wie?“ „Verdammt!“ murmelte der Teniente. „Das muß der Konvoi unter Capitan Don Lucian de Arellano y Aragon gewesen sein.“ „Ja, den Namen nannte der Mann“, sagte Arne. „Der soll angeblich mit drei Kriegsgaleonen den Konvoi in Stich gelassen haben, um irgendeinen Piratenschlupfwinkel auszuheben. Er sprach von El Lobo del Mar. Kann das sein? Der Mann fieberte nämlich stark.“ „Es stimmt“, sagte der Teniente düster.. „Das wird der Gouverneur gar nicht gern hören, schätze ich. Sie müssen ihm das persönlich mitteilen. Ich werde das veranlassen.“ Arne nickte. „Gut, wenn das gewünscht wird, stehe ich gerne zur Verfügung. Sie finden mich in meiner Faktorei am Hafen. Was ist nun mit diesem ominösen Versicherungszoll?”
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„Eine Order unseres neuen Gouverneurs, Senor de Manteuffel“, sagte der Teniente, und da lag so eine Art Sarkasmus in seiner Stimme. „Er versichert den Kapitänen der einlaufenden Schiffe, daß sie und ihre Ladungen. unter seinem persönlichen Schutz stehen. Dafür verlangt er den sogenannten Versicherungszoll, der zehn Prozent vom Wert der Ladung beträgt.“ „Wie bitte?“ zischte Arne – er war Wirklich wütend. „Zehn Prozent vom Wert der Ladung? Wird hier Wegelagerei betrieben? Oder was? Und wer erhält diese Zollgebühr?“ „Der Gouverneur“, erwiderte der Teniente unglücklich. „Sauber“, knurrte Arne von Manteuffel, „wirklich sauber. Für nichts und wieder nichts kassiert der ehrenwerte Gouverneur einen willkürlich erhobenen Versicherungszoll. Bei uns in Deutschland sagt man dazu: er sahnt ab. Persönlicher Schutz? Daß ich nicht lache! Bisher haben wir uns bei Unruhen im Hafen immer selbst verteidigen müssen, mit Erfolg, wohlgemerkt. Und die sehr ehrenwerten Gouverneure zogen es vor, diese Unruhen in ihrer doppelt und dreifach abgesicherten Residenz auszusitzen. Das ist die Wahrheit, verdammt noch mal!“ „Weiß ich“, sagte der Teniente gepreßt, „und ich verstehe Ihren Zorn, Senor de Manteuffel. Aber ich kann ja nicht zum Gouverneur hingehen und ihm erklären, was ich von diesem verdammten Zoll halte, nicht wahr? Aber wir müssen diesen Mist ausbaden und uns von den Kapitänen die Leviten lesen lassen.“ „Entschuldigung, Teniente“, sagte Arne, „es liegt mir fern, Sie attackieren zu wollen, aber das mit diesem Versicherungszoll ist wirklich ein starkes Stück. Er hat sich damit eine Pfründe geschaffen, dieser Gouverneur. Was ist er für ein Mann?“ „Der Versicherungszoll sagt doch schon alles“, erwiderte der Teniente.. „Stimmt. Ich muß mich wieder entschuldigen. War auch eine dumme Frage. Es steht mir nicht zu, Sie über den Gouverneur auszuhorchen. Wie heißt er?“
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„Don Miguel de Sarmiento.“ „Na gut. Wollen Sie jetzt die Ladung besichtigen und die Papiere sehen?“ „Wenn ich darum bitten darf.“ „Schon klar, Teniente.“ Arne ließ die Ladeluken öffnen und von Renke Eggens die Ladepapiere bringen. Mit dem Teniente stieg er hinunter und zeigte ihm die diversen Posten. Da waren Ballen mit englischem Leinen, Kisten mit Steingut aus Holland, mit Werkzeug aus Deutschland, mit erlesenem Geschirr aus Dänemark und schließlich Tauwerk verschiedener Stärke von einer Seilerei aus Hamburg. Daß er mit genau dieser Ladung bereits vor ein paar Monaten aus Havanna ausgelaufen war, wußten nur seine Männer - und die feixten oben an Deck in den Himmel. Der Teniente taxierte anhand der Papiere den Warenwert, hielt ihn betont niedrig, und Arne bezahlte die zehn Prozent, ohne mit der Wimper zu zucken. Kleine Fische, dachte er, wenn ich das mit dem Beutegut von acht gerupften Galeonen vergleiche. Trotzdem war jetzt schon klar, daß es sich bei dem neuen Gouverneur um einen korrupten Hundesohn handelte, der sich auf diese infame Weise bereicherte. Sie kletterten zurück an Deck, und der Teniente verabschiedete sich. „Es tut mir leid, Senor de Manteuffel“, sagte er. „Und Sie können mir glauben, daß ich diese Art von Dienst zum Kotzen finde.“ „Dann sollten Sie den Dienst quittieren, Teniente“, sagte Arne von Manteuffel, und er meinte es ohne Ironie. „Denn eines Tages geraten Sie in die Zwickmühle Ihres Gewissens, weil Sie einer Order gehorchen, die durch nichts gerechtfertigt ist - es sei denn Sie vertreten die Ansicht, der Gouverneur habe ein Recht darauf, die Kapitäne auszuplündern. Anders kann man das ja wohl nicht nennen, und da drücke ich mich noch sehr schonend aus.“ „Wenn ich den Dienst quittiere, sitze ich auf der Straße“, sagte der Teniente bedrückt. „Ich stamme aus keiner wohlhabenden Adelsfamilie mit soundsovielen Landgütern Spanien.“
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„Verstehe“, sagte Arne, „aber vielleicht finden Sie irgendwann den Absprung. Wer arbeiten will, sitzt nicht unbedingt auf der Straße. Irgendein Weg findet sich immer. Darüber sollten Sie nachdenken. Eine Entscheidung können nur Sie selbst treffen. Wissen Sie, ich habe immer wieder festgestellt, daß es Soldaten gibt, denen es schwerfällt, sich von ihrer Denkweise zu lösen. Sie sind gewohnt, von ihren Vorgesetzten Befehle zu erhalten und diese auszuführen, nicht mehr und nicht weniger. Und das stumpft ab. Es gibt noch was anderes als Schießen, Hauen und Stechen. Aber das ist meine persönliche Meinung. Wenn Sie wollen, können wir uns später mal darüber unterhalten, einverstanden?“ „Einverstanden.“ Der Teniente grüßte und enterte ab. Die „Wappen von Kolberg“ durfte einlaufen. *
Eine Brieftaube war am Vortag in den Schlag der Faktorei eingefallen und hatte vom Stützpunkt die Nachricht gebracht, daß die „Wappen von Kolberg“ nach einer gewissen Unternehmung Havanna ansteuern werde. Seitdem standen Jussuf, der Türke, Brieftaubenzüchter und „Hausmeister“ der Faktorei, sowie Jörgen Bruhn, der Schreiber und Sekretär Arnes, abwechselnd oben am Dachfenster und spähten mit einem Spektiv zur Reede. Es war Jussuf, der an diesem Nachmittag die heransegelnde „Wappen von Kolberg“ sichtete und nach unten polterte, um die Freudenmeldung zu verkünden. Jörgen Bruhn, am Schreibpult seines Raumes neben dem Arbeitszimmer Arne von Manteuffels, zuckte zusammen, als der keineswegs magere, sondern recht korpulente und kräftige Türke zu ihm hereinplatzte. Er war sonst gar nicht schreckhaft –und mit den Fäusten oder dem Degen konnte er genauso gut umgehen wie mit dem Federkiel. Dabei war er intelligent und ein kühler Rechner.
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„Mann!“ stieß er hervor. „Geht das nicht leiser? Ich habe gerade Zahlen zusammengezählt ...“ „Sie sind da!“ schrie Jussuf. „Die ‚Wappen' mit unserem Meister!“ Jörgen Bruhn flitzte ohne ein weiteres Wort vom Stehpult weg, stieß Jussuf zur Seite und fegte die Treppen zum Dachgeschoß hoch. Jussuf hatte das Spektiv auf dem Fensterbrett liegenlassen. Er griff danach, richtete es auf die Reede, die von hier aus phantastisch zu überblicken war, und spähte hindurch. Und da fand er die „Wappen von Kolberg“, die gerade beidrehte. Unmittelbar bei ihr befanden sich zwei Wachboote. „Tatsächlich“, murmelte er. „Na endlich. Und ihr habt den Konvoi gerupft, eh?“ Er lachte vor sich hin, während Jussuf hinter ihm herankeuchte und ihm die Hand auf die Schulter legte. „Na?“ fragte der Türke. „Sind sie's?“ „Klar sind sie's, jetzt kommt endlich wieder Leben in die Bude!“ Diese Bemerkung stimmte, denn Jussuf und er hatten darniedergelegen, mit schwerem Fieber. Der Teufel mochte wissen, was das gewesen war. Isabella Fuentes hatte sie gesundgepflegt, jenes bildhübsche Mädchen, das die Seewölfe aus der Gewalt spanischer Deserteure befreit und zu Arnes Faktorei gebracht hatten. Das war vor etwa sechs Jahren gewesen. Seitdem nahm Isabella die hausfraulichen Pflichten in der Faktorei wahr. Nicht nur das. Sie wußte, daß die drei Männer in der Faktorei – zusammen mit den Seewölfen und dem Bund der Korsaren – gegen Spanien kämpften. Und es waren spanische Deserteure gewesen, die über sie hergefallen waren. Grund genug für sie, die Schlimmes erlitten hatte, sich auf die Seite der Korsaren gegen Spanien zu stellen. Sie war eine gute Kundschafterin. Wenn sie auf dem Markt einkaufte, horchte sie sich um, tratschte mit den anderen Frauen – vor allem jenen, die in der Residenz des Gouverneurs arbeiteten –, und erfuhr auf
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diese Weise viele, was für ihre Freunde wichtig war. Jussuf war ihr väterlicher Freund. Zu Jörgen Bruhn empfand sie mehr. begegnete ihm aber mit Sprödigkeit. Den Kaufherrn bewunderte sie und wußte, daß er für sie unerreichbar war. Aber diese drei Männer und das Mädchen verband etwas, das schlicht mit einem unbedingten Vertrauen füreinander zu bezeichnen war. Auch Treue lag darin. In der Faktorei hatte Isabella Fuentes eine neue Heimat gefunden, seit ihr Vater und ihr Bruder als Fischer in einem Hurrikan auf See geblieben waren. Auch sie huschte ins Dachgeschoß, denn es war ihr in der Küche nicht entgangen, daß Jussuf etwas entdeckt hatte. Er hatte laut genug geschrien. „Sind sie's?“ fragte sie. „Ja“, sagte Jussuf, faßte sie um die Hüften und wirbelte sie über den Dachboden. „Na-na-na!“ mahnte Jörgen Bruhn. ..Wir sind hier nicht auf einem Tanzfest, Leute!“ „Juchhu!“ schrie Isabella und hatte glänzende Augen. Und dann hustete sie. Aus den Dielen des Dachbodens stieg nämlich Staub auf. „Siehste!“ sagte Jörgen Bruhn. -Das kommt von eurem Getobe auf dieser Tenne. Wird Zeit, daß die mal entstaubt wird.“ Das „Tanzfest“ erstarrte. „Oh!“ sagte Isabella. „Hier oben bin ich lange nicht gewesen.“ „Eben.“ Jörgen Bruhn nickte. „Und dann sollten wir überlegen, was wir unserem Kapitän auftischen und kredenzen, wenn er dieses gastliche Haus endlich wieder betritt. Was schlägst du vor, Isabella?“ „Garnelen! Über Holzkohlenglut gesottene Garnelen mit Knoblauchsoße! Und einen guten Wein! Und Weißbrot!“ „Phantastisch! Hast du denn Garnelen im Haus?“ „Heute vormittag frisch auf dem Markt gekauft!“ Und damit fegte Isabella nach unten. Jörgen Bruhn räusperte sich. Jussuf auch. Beide blickten sich an. Und dann lachten sie.
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Eine halbe Stunde später standen sie auf der Pier am Liegeplatz der „Wappen von Kolberg“, der für die Manteuffel-Faktorei reserviert war –direkt vor dem Handelshaus, das Arne von Manteuffel noch seinerzeit über den damaligen Gouverneur Don Antonio de Quintanilla erworben hatte, mit ein bißchen Schmiergeld versteht sich. Es war ein festes Haus mit soliden Mauern, zwei Etagen, Dachgeschoß, Keller und einem geräumigen Hinterhof, wo sich auch der Taubenschlag mit Jussufs Lieblingen befand. Eine hohe Mauer grenzte den Hinterhof zu einer Hafennebenstraße ab. Aber auch dort war ein Zugang zur Faktorei, nämlich ein solides Rundbogentor, durch das Jussuf und Isabella schon häufig in die Faktorei geschlüpft waren, wenn sie vorn am Hafen nicht gesehen werden wollten. Für Arnes Spionagezwecke war die Faktorei ideal gelegen. Man konnte alles beobachten, was im Hafen vor sich ging – oder draußen auf Reede, wenn ein Konvoi zusammengestellt wurde. Und man konnte hinten durch das Hoftürchen nahezu unbemerkt die Faktorei verlassen oder betreten. Jussuf und Isabella waren die beiden Späher Arnes und hatten ihm –und damit dem Bund der Korsaren –schon unschätzbare Dienste geleistet. Jussuf, ein auf seine Art liebenswürdiges Schlitzohr, hatte zudem die Fähigkeit, in verschiedenen Rollen auf treten zu können, mal als Fuhrknecht oder Straßenhändler, mal als Seemann oder Hafenarbeiter. Beide hatten also sozusagen das Ohr am Puls der Hafenstadt Havanna, und sie hörten das Gras wachsen. Als Kundschafter waren sie unersetzlich. Beide verhielten sich völlig unauffällig, und nie hatte ein Verdacht bestanden, sie könnten noch etwas anderes als harmlose Mitbürger sein. Jetzt also warteten Jörgen Bruhn und Jussuf am Liegeplatz, um die Leinen wahrzunehmen und die Freunde zu begrüßen. Natürlich waren sie von den Mannen auf der „Wappen von Kolberg“
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bereits entdeckt worden – Jörgen Bruhn hatte früher zur Crew gehört –, und da ging auch schon das Winken und Rufen los. Die „Wappen von Kolberg“ fuhr in dem großen Hafenbecken einen Kringel und glitt mit auslaufender Fahrt und aufgegeiten Segeln an die Pier, so daß ihr Bug bereits wieder zur Hafeneinfahrt wies. Wie immer demonstrierten Kapitän und Mannschaft ein sauberes Anlegemanöver und hatten darauf verzichtet, sich von Jollen an die Pier schleppen zu lassen, wie das die meisten Galeonenkapitäne vorzogen. Eine Galeone unter Segeln in einen Hafen und an die Pier zu bringen, war immer ein seemännisches Meisterstück – und ein Leckerbissen für Schaulustige, die etwas davon verstanden. Allzu häufig waren Galeonen in die Pier gekracht oder sonst wo im Hafen gelandet, je nach den Windverhältnissen. Und ihre Kapitäne und Mannschaften hatten zum Schaden auch noch Hohngelächter geerntet – mit den typischen Empfehlungen, doch lieber einen Schubkarren zu schieben, statt zur See zu fahren. Hier war zu dieser Stunde nur anerkennendes Gemurmel zu hören. Die Leinen flogen an Land, und Jörgen Bruhn und Jussuf schoben die eingespleißten Augen über die Steinpoller. An Bord holten die Mannen die Leinen mit „Hau-ruck!“ durch und belegten sie. Auch Springs wurden verfahren, um die Galeone sicher zu vertäuen. Die Stelling wurde durch die Mittschiffspforte an Backbord ausgebracht, und das war immer der Zeitpunkt zu einem Umtrunk der Mannen. Ihr Schiff lag an der Pier, und wieder war eine Reise glücklich beendet. Das Land hatte sie wieder – die See war gnädig gewesen, diese launische See, die zur brüllenden Hölle werden konnte. 9.
Gegen zehn Uhr am nächsten Morgen meldete sich der Teniente in der Faktorei und brachte die Nachricht, der Gouverneur erwarte dringend den Besuch des
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deutschen Kaufherrn. Eine Kutsche stehe bereits draußen zu seiner Verfügung. Arne von Manteuffel hatte das nicht anders erwartet und damit gerechnet, daß der Gouverneur sofort reagieren würde. „Ich soll Sie begleiten, Senor de Manteuffel“, sagte der Teniente aufgeräumt. „Ah!“ sagte Arne. „Verstehe! Da entfällt heute der Dienst draußen auf Reede, der dazu angetan ist, eine gewisse Übelkeit zu verspüren.“ „So ist es“, erwiderte der Teniente und grinste, „ganz abgesehen davon, daß mich der Senor Gouverneur nun auch einmal zur Kenntnis genommen hat. Ich hatte mich noch gestern abend in der Residenz gemeldet, um den Gouverneur sprechen zu dürfen. Natürlich wurde ich abgewimmelt. Der sehr Ehrenwerte habe keine Zeit, dringende Dienstgeschäfte und so weiter. Dabei saß er im Lustgarten seiner Residenz am Brunnen, ließ sich von in Hirtengewänder gekleideten Knaben auf der Flöte Melodien vorspielen und schaute noch nicht erblühten Mädchen zu, die nach den Melodien einen Reigen tanzten. Die Mädchen trugen durchsichtige Schleier ähem!“ Er räusperte sich. Arne starrte den Teniente an, als glaube er, der habe den Verstand verloren. Oder er selbst habe sich verhört. „Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen“, sagte der Teniente, der merkte, daß der Kaufherr erhebliche Zweifel an seinem Bericht hatte. „Man ließ mich sofort ein, als ich darauf hinwies, ich hätte eine Meldung über den Konvoi Don Lucians zu überbringen. Als ich zum Brunnen trat, verscheuchte der Gouverneur die Mädchen und Knaben. Die Knaben waren sehr hübsch, die Mädchen elfenhaft.“ „Höchst sonderlich“, murmelte Arne kopfschüttelnd, „flötenspielende Hirtenknaben und reigentanzende Mädchen. Sollte das eine Theateraufführung gewesen sein?“ „Nein, Senior de Manteuffel“, erwiderte der Teniente. „Ein Lakai sagte mir, das halte der Gouverneur jeden Abend so,
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angeblich, um sich zu entspannen und neue Kraft für sein schweres Amt zu sammeln.“ „Aha!“ Arne schüttelte wieder den Kopf, als könne er das Gehörte immer noch nicht fassen. „Sagen. Sie, Teniente, ist der Gouverneur verheiratet?“ „Nein.“ ,,Hm-hm, dann wollen wir mal.“ Arne gab Jörgen Bruhn noch ein paar Anweisungen und verließ mit dem Teniente die Faktorei.. Die Kutsche war ein Vierspänner, und hübsch anzusehen. Arne wußte, daß sie für Gäste des Gouverneurs eingesetzt wurde. Am Aufwand, der in der Residenz betrieben wurde, hatte sich offenbar nichts geändert, seit der neue Gouverneur das Zepter führte. Von den Trittstufen hinten an der Kutsche sprangen zwei geschniegelte Lakaien, hasteten vor und rissen beidseits die Türchen auf. „Zur Residenz!“ befahl der Teniente dem Kutscher und stieg mit Arne ein. Die Lakaien schlossen die Türchen und sprangen hinten wieder auf. Die Kutsche setzte sich in Bewegung. „Fahre zum erstenmal in meinem Leben in so einem Ding“,, sagte der Teniente. „Und? Gefällt's Ihnen?“ fragte Arne. „Nein“, erwiderte der Teniente fast hart. „Ich ziehe den Pferdesattel vor. Diese Art der Beförderung mag ich nicht. Man sitzt in einem Gefängnis und läßt sich transportieren. Und wenn ich die Blicke der Leute da draußen sehe, dann weiß ich, was sie denken.“ „Was denn?“ „Verachtung, zum Teil Haß, vielleicht auch Neid oder Erbitterung“, sagte der Teniente nachdenklich. „Jedem da draußen ist bekannt, daß diese Kutschen für den Gouverneur fahren. Zehn davon stehen in den Remisen der Residenz, dafür vierzig Pferde, zehn Kutscher und zwanzig Lakaien, die Stallburschen erst gar nicht gerechnet. Die Pferde brauchen Futter, das Kutschenpersonal muß verpflegt und bezahlt werden. Wenn ich die ganzen Kosten dafür zusammenzähle, dann steigt mir die Galle hoch. Oder sehen Sie das anders, Senor de Manteuffel?“
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„Keineswegs.“ Arne lächelte. „Für einen Teniente im Dienst der Krone und des Gouverneurs sind das ziemlich rebellische Gedanken, mein Lieber. Allerdings versichere ich Ihnen, daß diese Gedanken bei mir gut aufgehoben sind.“ Er änderte das Thema. „Wie hat denn der Gouverneur die Hiobsbotschaft aufgenommen?“ Der Teniente lachte- vor sich hin. „Wie wohl? Er war so richtig schön außer sich. Es war mir eine innere Freude, das erleben zu dürfen. Außerdem wollte er wissen, ob auch die ,El Toison de Oro` unter Capitan de Teixera vernichtet worden sei. Ich konnte ihm die Frage nicht beantworten, weil Sie die ,El Toison de Oro' nicht besonders erwähnt hatten. Sie war zur Sicherung bei dem ankernden Konvoi geblieben.“ „Eine Kriegsgaleone?“ fragte Arne. „Ja.“ „Die ist nach einer Breitseite in die Luft geflogen, laut Aussage des Sterbenden“, äußerte Arne. „Warum interessierte den Gouverneur gerade dieses Schiff?“ „Weil sich von ihm persönliche Güter an Bord befanden, die nach Spanien gebracht werden sollten“, erwiderte der Teniente. „Der Gedanke, sie könnten nunmehr auf dem Grund des Meeres ruhen, zerriß ihn fast. Die Menschen, die ihr Leben verloren, interessierten ihn nicht, nur seine persönlichen Güter. Ein dehnbarer Begriff, nicht wahr? Ich schätze, daß es sich nicht um schmutzige Wäsche oder zerlöcherte Strümpfe handelte, die in Spanien gewaschen und gestopft werden sollten.“ „Sondern?” „Um beiseite geschaffte Schatzgüter“, sagte der Teniente erbittert. ”Was denn sonst?“ „Ein schlimmer Vorwurf, Teniente“, sagte Arne ernst. „Und ich rate Ihnen, das nirgendwo so offen zu äußern wie eben. Sie könnten in Teufels Küche geraten. Außerdem haben Sie keine Beweise, sondern nur einen Verdacht.“ „Doch, ich habe einen Beweis“, sagte der Teniente verbissen. „Nämlich die Gelder von diesem verdammten
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Versicherungszoll. Sie müssen ihm persönlich ausgehändigt werden.“ Arne schüttelte den Kopf. „Das ist kein Beweis. Er kann jederzeit behaupten – und vielleicht zaubert er dafür sogar Zeugen hervor –, daß er diese Gelder für wohltätige Zwecke verwende und ausgebe. Oder zum Ausbau der Befestigungen. Oder für sonst was, das mit persönlicher Bereicherung überhaupt nichts zu tun hat. Wenn Sie versuchen, das alles mal ganz nüchtern und sachlich zu beachten, dann werden Sie mir recht geben. Sie mögen den Gouverneur nicht, stimmt's?“ „Ja.“ „Wenn Sie überleben wollen, Teniente“, sagte Arne, „dann halten Sie Ihre Zunge zurück und verbergen besser, was Sie denken. Gerade im Kameradenkreis. Wenn einer das aufschnappt, was Sie mir gesagt haben, dann stehen Sie gleich vorm Kriegsgericht. Und Sie können sich auch nicht mal verteidigen, weil Sie keine Beweise haben. Teniente gegen Gouverneur! Was meinen Sie wohl, wer den längeren Hebel hat? Und vor allem die Macht!“ „Der Gouverneur“, knirschte der Teniente. „Na also. Wie verhält sich das mit Ihren Kameraden? Was sind das für Leute?“ „Die einen sind ehrgeizige Speichellecker, die anderen denken so wie ich. Wir wissen genau, mit wem wir über was sprechen. Wir sind Männer mit zwei Gesichtern. Wenn wir unter uns sind, zeigen wir unser wirkliches Gesicht. Das andere ist eine Maske.“ Guter Vergleich, dachte Arne und sagte: „Trotzdem kann es einem der anderen mal gelingen, unter Ihre Maske zu schauen. Und dann bleibt dahingestellt, ob jene, die Sie als Ihre Kameraden einschätzen, zu Ihnen halten. Vielleicht fallen einige um und reißen Sie noch mehr rein. Auch das wäre der Anfang vom Ende.“ „Verdammter Mist“, knurrte der Teniente. „Dem kann ich nicht widersprechen“, sagte Arne und lächelte in sich hinein. Er hatte wieder einiges erfahren oder ein Mosaiksteinchen gefunden, das irgendwann einmal vielleicht ein Bild
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ergab, wenn andere Steinchen hinzugefügt wurden. Da gab es also Offiziere, die schon jetzt gegen den neuen Gouverneur eingestellt waren. Und es gab wie überall jene, in denen der Ehrgeiz brannte, den sie mit Liebedienerei und Beflissenheit kompensierten, eine ganz üble Mischung. Und gefährlich dazu. Die Kutsche rasselte in den Innenhof der Residenz und hielt. Schon waren die beiden Lakaien zur Stelle und rissen die Türchen auf. Arne und der Teniente stiegen aus. Ein Oberlakai stelzte heran und verkündete säuerlich, der Senor Gouverneur warte bereits. Arne klopfte ihm auf die Schulter. „Fliegen konnten wir leider nicht, mein Bester.“ „Bitte mir zu folgen“, sagte der Oberlakai mit eingeschnappter Miene und stelzte wieder los * Don Miguel de Sarmiento saß hinter einem riesigen Tisch und war beschäftigt. Zumindest tat er so. Und er geruhte auch nicht, aufzusehen, als der Oberlakai den Kaufherrn und den Teniente zur Audienz anmeldete. „Ja-ja“, sagte er ungnädig und ließ Arne und den Teniente an der vergoldeten Tür stehen, die der Oberlakai hinter ihnen behutsam schloß, als dürfe der Senor Gouverneur nicht erschreckt werden. Arne marschierte einfach quer durch den Raum – es war eher ein Saal – auf den Schreibtisch zu, verhielt vor ihm und sagte freundlich: „Sie wollten mich sprechen, Senor Gouverneur? Hier bin ich. Meine Zeit ist knapp. Wir sind gestern nach langer Reise eingelaufen, und da ist noch eine Menge zu tun, was Sie sicher verstehen werden. Und ich will Ihnen keine unnötige Zeit rauben. Ihnen geht es genauso – oder gar noch schlimmer, nicht wahr?“ „Ähem!“ äußerte Don Miguel etwas irritiert. Er hatte sich den Beginn der Audienz wohl anders vorgestellt – indem man nämlich Besucher erst mal warten
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ließ, um dadurch die eigene Bedeutung hervorzuheben. Arne sah vor sich einen hageren Geierkopf mit spitzem Kinn, verkniffenem Mund und stechenden Augen, ein Gesicht, das keine Sympathie erweckte, eher Abscheu. Als Knabe hätte er vor diesem Mann keine Flöte gespielt, sondern ihm was gehustet. In den stechenden Augen schimmerte etwas Bösartiges. Schlangenaugen, dachte Arne, obwohl er sich sonst hütete, Tiere mit Menschen zu vergleichen. „Setzen Sie sich“, sagte Don Miguel und deutete auf einen Sessel vor dem Tisch. Den Teniente übersah er. Arne setzte sich. Don Miguel hüstelte, fixierte den deutschen Kaufherrn, hüstelte wieder und klopfte mit dem rechten Zeigefingernagel auf die Tischplatte. Es sah aus, als picke er dort nach Körnern. „Mir wurde berichtet“, sagte er, „Sie seien in der Florida-Straße bei den Cat-CayInseln auf Schiffstrümmer gestoßen, die vermuten ließen, es handelte sich um die Reste eines von Piraten überfallenen Konvois. Stimmt das?“ Arne nickte. „Das stimmt, aber von einer Vermutung kann keine Rede sein. Der Teniente wird Ihnen sicherlich mitgeteilt haben, daß wir einen schwerverletzten Mann abbargen. habe keinen Zweifel, daß die Aussage dieses Mannes der Wahrheit entsprach. Danach handelte es sich um einen Konvoi von acht Schiffen, der, bewacht von einer Kriegsgaleone, westlich der Cat Cays ankerte. Dort auch stießen wir ja auf das Trümmerfeld. Was wir bei der Aussage des Mannes zunächst nicht begriffen, das war sein Vorwurf, man hätte den Konvoi im Stich gelassen. sprach von einem Don Lucian, der mit drei Kriegsgaleonen davongesegelt wäre, um angeblich einen Piratenschlupfwinkel auszuheben. Er redete von einem El Lobo del Mar, einem berüchtigten Piraten. Nun gut. Der Konvoi sollte auf die Rückkehr der drei Kriegsgaleonen warten. Man wartete offenbar vergeblich. Stattdessen wurde der ankernde Konvoi vor drei Tagen in der
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Nacht angegriffen, und zwar offenbar von mehreren Schiffen. Alle Konvoischiffe wurden versenkt, auch die Kriegsgaleone, die nach einer Breitseite in die Luft flog. er sterbende Mann sagte, dieser El Lobo del Mar hätte die Piraten anführt – was mir logisch erscheint, weil es sich ja um jenen Piraten handelt, der ausgehoben werden sollte. Folglich muß er auch die drei Kriegsgaleonen vernichtet haben. Und danach fiel er über den Konvoi her. vielleicht erfuhr er von einem Überlebenden der drei Kriegsgaleonen, der Konvoi ankerte. Aber das ist eine Spekulation von mir.“ Der Finger, der einem gekrümmten Schnabel glich, hatte die ganze Zeit über weiter auf der Tischplatte nach Körnern gepickt. Als Arne die explodierte „El Toison de Oro“ erwähnte, hatte sich das Picken zu einem schnellen „Tack-tacktack“ verstärkt. Er hatte es genau registrieren können. Auch in den Schlangenaugen war kurz etwas aufgetaucht – Wut! Arne schwieg und hörte sich das Picken an. Es war ein Geräusch, das einen die Wände hochtreiben konnte. Aber Arne ließ sich nichts anmerken. Don Miguel hüstelte wieder. Dann fragte er: „Würden Sie die Aussage dieses Mannes als zuverlässig bezeichnen?“ Arne überlegte und sagte nachdenklich: „Ich glaube, daß ein Mann, der das Ende seines Lebensweges erreicht hat – und das weiß –, die Wahrheit spricht. Insofern bejahe ich Ihre Frage. Ich sollte ihm mein Wort darauf geben, daß ich in Havanna von dem Drama berichte. Er wünschte sogar, man möge an diesem El Lobo del Mar Rache nehmen. Er solle endlich gepackt und aufgehängt werden!“ Der Gouverneur reagierte merkwürdig – er kicherte. „Nichts würde ich lieber tun!“ rief er dann fast hysterisch. „Aber da müßte ich erst mal wissen, wo ich den Kerl finde!“ Arne polterte eine Steinlast von der Seele. Seiner Miene war davon nichts anzumerken. Vielmehr mimte er Verblüffung.
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„Das wissen Sie nicht?“ stieß er hervor. „Aber dieser Don Lucian muß es doch gewußt haben ...“ Don Miguel winkte ab, fast verächtlich. „Der ja. Er erfuhr es von irgendwelchen englischen Lumpenhunden, die den Schlupfwinkel des Piraten kannten und ihm die Lage verrieten. Von mir verlangte Don Lucian lediglich Verstärkung, die ich ihm in Form von zwei Kriegsgaleonen samt Zugabe von Seesoldaten zur Verfügung stellte. Aber er hielt es nicht für nötig, mir für den Fall der Fälle die Lage dieses Piratennestes mitzuteilen.“ Fast gehässig fügte er hinzu: „Geschieht ihm recht, daß er vernichtet wurde – dieser Dilettant! Bildete sich wohl ein, die Kopfgeldprämie kassieren zu können. Wollte Admiral werden, der Narr! Und jetzt das!“ Erneutes schnelles und hartes Körnerpicken. „Wußte dieser Mann nichts über den Schlupfwinkel? Zumindest muß er doch gesehen haben, in welche Richtung die drei Kriegsgaleonen segelten.“ „Letzteres stimmt“, sagt Arne dreist und ohne rot zu werden. „Er äußerte, die drei Schiffe wären auf Westkurs gegangen.“ „Auf Westkurs?“ fragte Don Miguel verdutzt. Arne nickte. „Ja, hinüber nach Florida. Mir erschien das gar nicht so absurd. Vor der Küste dort liegt eine Kette kleinerer Inseln, wo sich Schlupfwinkel einrichten ließen. An Ihrer Stelle, mit Verlaub, Senor Gouverneur, würde ich dort suchen lassen. Diesem Piratenunwesen muß endlich ein Ende bereitet werden. Wir Kauffahrer fühlen uns nicht mehr sicher. Die Fahrt durch die Florida-Straße kann ich nicht anders als eine Angstpartie bezeichnen. Schlagen Sie zu – einen größeren Gefallen können Sie uns gar nicht tun!“ „Mit was?“ fragte Don Miguel wütend. „Mit zwei lächerlichen Kriegskaravellen, über die ich noch verfüge? Die Krone hat mir Kriegsschiffe versprochen. Und wo sind sie? Ich habe noch keine gesehen! Ich kämpfe auf verlorenem Posten!“ So siehst du gerade aus, du von Flöten bespielter und von Elfen in durchsichtigen Schleiern umtanzter Bastard! dachte Arne
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und sagte anteilnehmend: „Fürwahr, Senor Gouverneur, Sie haben es nicht leicht. Eine verdammte Situation, in der Sie sich befinden. Aber ich hoffe doch sehr, daß ich Ihnen mit meinen Informationen wenigstens etwas helfen konnte, was ja unter anderem der Zweck meines Besuches war, auch wenn ich Ihnen eine traurige Nachricht überbringen mußte, die ich persönlich sehr bedauere.“ Don Miguel erhob sich hinter seinem Riesentisch, umschritt ihn, trat zu Arne und schüttelte ihm die Hand. Arne war natürlich sofort aufgestanden. „Danke, Senor de Manteuffel!“ Zum ersten Male geruhte der Gouverneur, Arne direkt anzusprechen. „Ich danke Ihnen wirklich. Ihre Informationen waren sehr nützlich für mich. Ich hörte von Ihrem guten Einvernehmen mit dem damaligen Gouverneur Don Antonio de Quintanilla. Ich lege Wert darauf, daß dieses gute Einvernehmen fortgesetzt wird.“ „An mir soll es nicht liegen, Senor Gouverneur”, sagte Arne und verbeugte sich höflich. „Schließlich war es Don Antonio, der es mir ermöglichte, hier meine Handelsniederlassung aufzubauen. Das verpflichtet mich zu Dank, der selbstverständlich auch Ihnen gilt.“ Gut gebrüllt, Arne, dachte er, als er wieder zusammen mit dem Teniente in die Kutsche im Hof stieg, um sich zur Faktorei zurückbringen zu lassen.
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Der Teniente schien anderer Ansicht zu, sein, nachdem sich die Kutsche in Fahrt gesetzt hatte. Bissig sagte er: „Dem haben Sie ganz schön Honig um den Bart geschmiert, Senor de Manteuffel.“ „Mein lieber Freund“, erwiderte Arne gelassen und in aller Ruhe, „dann werde ich Ihnen mal eine deutsche Spruchweisheit verkünden. Sie lautet: Auch krumme Wege führen zum Ziel! Kapiert?“ Als er an der Faktorei ausstieg, schaute der Teniente immer noch verdattert drein. „Nachdenken!“ riet ihm Arne und tippte sich an den Kopf. „Und erst dann urteilen, Teniente!“ * Am Abend dieses Tages verließ eine Brieftaube die Faktorei Arne von Manteuffels. Die Nachricht, die sie nach Great Abaco überbrachte, lautete: „Gut in H. gelandet. Neuer Gouverneur Don Miguel de Sarmiento. Gefährlicher, unberechenbarer Mann. Habe ihm empfohlen, an der östlichen Südküste Floridas nach Schlupfwinkel Seewolf zu suchen. Tatsächlicher Stützpunkt ihm unbekannt. In Havanna nur zwei Kriegskaravellen. Verstärkung aus Spanien wird erwartet. Alle gesund und wohlauf. Melde mich wieder, sobald neue wichtige Nachrichten. A. v. M.“
ENDE