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Eines Mannes Ehre
Capitan de la Cuesta hatte den Fehler begangen, seine beiden Kriegsg...
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Seewölfe 437 1
Frank Moorfield
Eines Mannes Ehre
Capitan de la Cuesta hatte den Fehler begangen, seine beiden Kriegsgaleonen gegen die schiffbrüchigen Engländer auf der Grand-Cays-Insel einzusetzen, nachdem diese abgelehnt hatten, zu kapitulieren. Im Breitseitenfeuer der beiden Galeonen flogen die Hütten der Engländer auseinander, auch ein paar Palmen und Mangroven wurden geknickt. Die Spanier schossen mit Kanonenkugeln nach Spatzen, denn die Engländer hatten sich aus der Schußweite zurückgezogen. Viel zu sehr mit ihrem Inselbeschuß beschäftigt, achteten die Spanier nicht darauf, was sich auf See zusammenbraute. Von dort rauschte nämlich ein düsterer Zweidecker heran — mit ausgerannten Kanonen. Und daß Siri-Tongs Mannen zu schießen verstanden, hatten sie oft genug bewiesen. Die Hauptpersonen des Romans: Henry Duke of Battingham, Sir John Killigrew, Charles Stewart – diese drei ehrenwerten Gentlemen stehen vor einem Kriegsgericht. Sir Edward Tottenham – der Kommandant der ,,Orion“ zieht die Konsequenzen und handelt wie ein Ehrenmann. Siri-Tong – verhilft den schiffbrüchigen Engländern zu einem neuen Schiff. Capitan de la Cuesta – sieht sich bereits an der Rah baumeln, kommt aber mit einem blauen Auge davon. Philip Hasard Killigrew – erhält von seinem Profos einen Blumenstrauß.
1. Man schrieb den 24. August im Jahre des Herrn 1594. Die Nachmittagssonne brannte heiß vom tiefblauen Himmel der Karibik. Den Männern, die sich mit ihren Waffen hinter zerklüfteten Felsen und dichtem Gestrüpp verschanzt hatten, rann der Schweiß in Strömen über die Gesichter. „Verstehen Sie, was da vor sich geht, Sir?“ fragte nun Marc Corbett, der Erste Offizier der ehemaligen „Orion“, nachdem er seine Muskete nachgeladen hatte. Sir Edward Tottenham, der Kommandant, schüttelte nachdenklich den Kopf, denn auch für ihn waren die Ereignisse vor dem Ufer der Nordbucht noch immer sehr verwirrend. Fast schien es, als habe die Hölle ihre Pforten geöffnet, seit die beiden spanischen Kriegsgaleonen Kurs auf die einsam gelegene Insel genommen hatten, die zu den Grand Cays gehörte. Wie aufgeplusterte Schwäne, die zischend und fauchend Nesträuber vertreiben wollten, waren die Schiffe vor die Buchteinfahrt
gesegelt, wo ihnen die Wracks der „Orion“ und der „Dragon“ den Weg versperrten. Dann waren sie hintereinander -den Bug jeweils nach Westen gerichtet - vor Anker gegangen und hatten die Schiffbrüchigen zur Kapitulation aufgefordert. Da die Engländer jedoch abgelehnt hatten, sich in spanische Gefangenschaft zu begeben, hatte Capitan Don Gregorio de la Cuesta schließlich den Feuerbefehl gegeben. In kurzer Zeit hatten die Backbordbreitseiten der beiden Kriegsschiffe die Hütten der Engländer zerschmettert. Die schweren Kanonenkugeln wirbelten riesige Sandfontänen hoch und zerfetzten zahlreiche Stämme von Palmen und Farnbäumen. Selbst das Mangrovendickicht, das stellenweise das Ufer überwucherte, war unter anhaltenden Beschuß genommen worden. Die Dons hatten sich ziemlich wild gebärdet und fürwahr ein eindrucksvolles Feuerwerk geboten. Aber eben auch nur das, denn die Mannschaften und Offiziere der „Orion“ und der „Dragon“, denen
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dieser Angriff gegolten hatte, lagen außerhalb des Schußbereiches der spanischen Kanonen in Deckung. Aber nicht der ungestüme Angriff hatte bei den Engländern Verwunderung ausgelöst, sondern das erneute Auftauchen jenes düsteren Zweideckers, der schon vor dem Angriff der beiden Kriegsgaleonen die „Orion“ und die „Dragon“ versenkt hatte. Diesmal jedoch war das kampfstarke Schiff, das einer feuerspeienden Festung glich, wie ein düsterer Racheengel auf die spanischen Galeonen losgegangen und hatte den schiffbrüchigen Engländern damit unerwartete Schützenhilfe geleistet. Was aber hatte das alles zu bedeuten? Was bezweckte man auf dem Zweidecker damit? Auf diese Fragen wußte noch niemand so recht eine Antwort - weder Sir Edward Tottenham und Marc Corbett noch Arthur Gretton, der Erste Offizier der „Dragon“. Die Engländer hatten sich nach den ergebnislosen Verhandlungen mit den Spaniern an strategisch wichtige Punkte der Insel zurückgezogen, so zum Beispiel an gut getarnte Stellen der West- und Ostseite der Bucht. Dort waren die Scharfschützen in Stellung gegangen, nachdem man sich dazu entschlossen hatte, den Angreifern die Stirn zu bieten. Das war ihrer Meinung nach immer noch besser, als den Rest seines Lebens auf einer spanischen Galeere oder aber in irgendeinem Bergwerk zu verbringen. Tottenham und Corbett hatten die Führung auf der Westseite übernommen, Gretton auf der Ostseite. Er führte das Kommando über die Mannschaft der „Dragon“, seit man ihren Kapitän, den grobschlächtigen und rücksichtslosen Charles Stewart, wegen seiner üblen Machenschaften gefangen gesetzt hatte. An der Südseite der Bucht hatten sich nur wenige Männer „eingegraben“ und das spanische Kanonenfeuer stoisch über sich ergehen lassen. Es war deshalb nicht verwunderlich, daß die Dons, die sich vorwiegend auf die Hütten und das Stranddickicht konzentriert hatten, in gewissem Sinne mit Kanonen nach
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Spatzen schossen. Daß die mühsam errichteten Hütten dabei zu Bruch gegangen waren, beeindruckte die beiden Schiffsmannschaften nicht sonderlich, denn die konnte man notfalls wieder aufbauen. Charles Stewart, den gefangenen Kapitän der „Dragon“, hatte man unter Bewachung ins Inselinnere gebracht. Auch die Jollen, die man nach der Versenkung der beiden Schiffe hatte retten können, befanden sich außerhalb des direkten Gefahrenbereichs: Im Grunde genommen waren die Engländer jetzt froh, daß die „Orion“ und die „Dragon“ als Wracks die Buchteinfahrt versperrten oder doch zumindest stark einengten. Gewissermaßen war das ein Vorteil für sie, denn die gesunkenen Schiffe hatten den Spaniern das Manövrieren erschwert und ein Einlaufen in die Bucht verhindert. Unter diesen Voraussetzungen hatten die Chancen der Engländer, „ihre“ Insel zu verteidigen, gar nicht so schlecht gestanden, und manch einem von ihnen war ein Grinsen über das Gesicht gehuscht, als das heftige Kanonenund Drehbassenfeuer der Spanier das Uferdickicht zerrupft hatte. Ja, es war ihnen sogar gelungen, sechs Boote der Dons, die auf der Insel landen wollten, mit gezieltem Musketenfeuer zu durchlöchern. Die Soldaten hatten Mühe gehabt, zu ihren Schiffen zurückzuschwimmen. Dann aber war plötzlich dieser Zweidecker aufgetaucht und hatte sich auf die beiden Kriegsgaleonen gestürzt - und das mit durchschlagendem Erfolg. Ja, das gut armierte Schiff war wie der Teufel über die Spanier gekommen, deren Aufmerksamkeit sich voll auf das Stranddickicht konzentriert hatte. Innerhalb kurzer Zeit waren die Decks der östlich ankernden Galeone durch das Drehbassenfeuer des Zweideckers leergefegt worden. Dem davorliegenden Kriegsschiff war es noch schlechter ergangen, denn seine Ankertaue waren zerfetzt worden, so daß es achteraus trieb und sich mit schweren Treffern in der hinter ihm ankernden Galeone verfing.
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Obwohl die Engländer für das Geschehen noch keine Erklärung gefunden hatten, waren sie in lautes Beifallsgebrüll ausgebrochen. Am liebsten hätten sie der schwarzhaarigen Frau und ihren Mannen an Bord des Zweideckers vor Begeisterung die Hände geschüttelt. Doch während das düstere Schiff nach seinem Überraschungsangriff nach Westen ablief, hatten sie die aus dem Wasser ragenden Masten der „Orion“ und der „Dragon“ daran erinnert, daß auch sie selber schon auf sehr unliebsame Weise Bekanntschaft mit diesem Schiff geschlossen hatten. Marc Corbett, der hinter einem Felsbrocken kauerte, wandte sich an seinen Kapitän. „Sir“, sagte er, „was immer diese bemerkenswerte Frau bewogen haben mag, die Spanier anzugreifen -sie hat uns damit zu einer einmaligen Chance verholfen. Ich finde, daß wir diese Chance schleunigst nutzen sollten.“ „Wie meinen Sie das?“ fragte Sir Edward Tottenham mit einem leichten Stirnrunzeln. „Wenn wir jetzt schnell und entschlossen handeln, Sir“, erwiderte Corbett, der die Gunst der Stunde blitzartig erkannt hatte, „müßte es möglich sein, eine der beiden angeschlagenen Galeonen zu entern.“ „Zu entern?“ Sir Edward warf seinem ersten Offizier einen verwunderten Blick zu. „Wie kommen Sie auf diese Idee, Mister Corbett? Wir sind zwar eine stattliche Anzahl von Männern, aber wir dürfen dennoch nicht vergessen, daß wir es mit zwei gut ausgerüsteten Kriegsschiffen zu tun haben. Ich möchte auf jeden Fall ein Blutvergießen in unseren Reihen vermeiden.“ „Das ehrt Sie, Sir“, sagte Corbett. „Durch das Eingreifen des Zweideckers hat sich unsere Situation jedoch ganz entscheidend verbessert. Auch unser Musketenfeuer hat die Spanier sicherlich davon überzeugt, daß sie die Insel nicht so einfach überrennen können. Zur Zeit aber sind sie stark mit sich selber beschäftigt. Eine bessere Chance, eine der beiden Galeonen
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zu entern, wird sich uns nie wieder bieten ...“ „Hm.“ Sir Edward nickte. „Genaugenommen haben Sie recht, Corbett.“ Die Blicke des Kommandanten der gesunkenen „Orion“ schweiften zu den beiden Kriegsgaleonen hinüber, um die es gegenwärtig schlecht bestellt war. Sie waren völlig ineinander verhakt. Die westliche Galeone hing regelrecht an der anderen. Der Zweidecker hatte die Bugund Heckankertrosse zerschossen, so daß sie bei dem derzeit herrschenden Südwestwind gegen die hinter ihr ankernde Galeone getrieben war. Ihre Backbordseite hing längsseits der Steuerbordseite der anderen. Die Rahen waren ineinander verfangen. Außerdem hatte die westliche Galeone bedenkliche Treffer in der Wasserlinie empfangen. Tottenham konnte sich gleich den anderen Männern lebhaft vorstellen, wie dort unter Deck fieberhaft gearbeitet wurde, um die gefährlichen Lecks abzudichten. Marc Corbett, dem es unter den Nägeln brannte, riß den Kapitän aus seinen Gedanken. „Was werden Sie unternehmen, Sir?“ fragte er voller Ungeduld. „Meiner Meinung nach sollten wir keine Zeit verlieren.“ Sir Edward Tottenham nickte abermals. „In Ordnung, Mister Corbett. Unsere Lage sieht nicht gerade rosig aus, deshalb dürfen wir in der Tat nicht wählerisch sein. Ich denke ebenfalls, daß wir die Gunst der Stunde nutzen sollten. Bitte, veranlassen Sie, daß Mister Gretton die nötigen Instruktionen erhält.“ Das ließ sich Marc Corbett nicht zweimal sagen. Er beauftragte sofort einen Meldegänger, sich so rasch wie möglich zur Ostseite der Bucht durchzuschlagen, um Arthur Gretton, der sich dort mit einem Teil der „Dragon“-Mannschaft verschanzt hatte, die Entscheidung Tottenhams mitzuteilen. Unter der Crew der „Orion“ stieß der Entschluß, eine Galeone zu entern, auf lebhafte Zustimmung. Die Männer wußten
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zwar, daß dies ein äußerst riskantes Unternehmen war, aber sie waren sich auch darüber im klaren, daß sie eine solche Chance so rasch nicht wieder erhalten würden. „Die Boote“, sagte Corbett. „Wir müssen schleunigst die Boote holen und in Strandnähe bringen.“ „Veranlassen Sie das, Mister Corbett“, sagte Sir Edward. „Aber die Männer sollen vorsichtig sein und die Deckungen gut ausnutzen, damit die Spanier unsere Absicht nicht zu früh erkennen. Außerdem sind wir ohne die Boote aufgeworfen und sitzen bis zum Jüngsten Tag auf dieser Insel fest.“ Der Erste Offizier brachte die Männer sofort in Bewegung. Jeder hatte inzwischen begriffen, um was es ging, und jeder wußte auch, daß die Jollen das einzige „Kapital“ waren, über das sie verfügten. Sie waren in ihrer derzeitigen Situation mehr wert als zahlreiche Kisten mit Gold und Edelsteinen. Deshalb hatte man die insgesamt acht Boote noch vor dem Beschuß der Dons weiter ins Inselinnere gebracht und dort gut versteckt. Das wiederum hatte sich in doppelter Hinsicht als klug erwiesen. Zum einen wären nach dem massiven Angriff höchstens noch Trümmerstücke davon übrig, zum anderen wären die Boote - im Falle einer Landung - den Spaniern in die Hände gefallen. So aber hatten sich die Engländer die Möglichkeit offengehalten, in der Nacht mit den Jollen zu einer anderen Insel überzusetzen. Daß sich ihnen jetzt die Chance bot, zu einem weiteren wirksamen Gegenschlag auszuholen, nachdem sie die Landungsboote der Spanier leck geschossen hatten, stimmte die Mannen zuversichtlich. Schließlich waren sie kein kleines, hilfloses Häuflein, sondern beide Schiffsmannschaften bildeten zusammen eine Kampftruppe von etwa 160 Mann. Und allesamt waren sie rauhe Kämpfer, die zudem noch von der Aussicht beseelt wurden, sich' jetzt ein Schiff erobern zu können. Kein Wunder, daß sie kräftig in
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die Hände spuckten, als sie aufbrachen, um die Jollen aus ihren Verstecken zu holen. Marc Corbett führte die Männer an, während Sir Edward Tottenham vorerst mit einem Beobachtungstrupp hinter den Felsen der Westseite zurückblieb. 2. „Klar zur Wende!“ Die Stimme der Roten Korsarin tönte hell wie eine Schiffsglocke über die Decks der „Caribian Queen“. Ihr langes, pechschwarzes Haar wehte im handigen Südwestwind und ergänzte hervorragend ihre übrige Erscheinung. Die schlanke Eurasierin stand auf dem Achterdeck und stützte die Hände in die Hüften. Ihren Mund umspielte ein Lächeln: Sie war zufrieden mit dem bisherigen Ergebnis ihres Überraschungsangriffes. Und sie lobte im stillen wieder einmal die Schlagkraft und Beweglichkeit ihres Schiffes. Die Culverinen und Drehbassen, die Tromblons, Musketen und Pistolen waren nachgeladen worden, dafür hatte Henry Scrutton, der Stückmeister, bereits gesorgt. Alle an Bord wußten, was der Befehl zur Wende zu bedeuten hatte. Barba, der finster dreinblickende Steuermann, warf Siri-Tong einen fragenden Blick zu. „Du bist heute wieder einmal sehr gründlich, Madam“, sagte er. „Zuerst hast du den Dons unsere Backbordseite präsentiert, und jetzt gedenkst du ihnen wohl auch noch zu zeigen, wie ihnen unsere Steuerbordseite schmeckt, nicht wahr?“ „Du hast es erraten, Barba“, erwiderte die Rote Korsarin. „Ich bin nicht für halbe Sachen, und wenn ich mich für eine bestimmte Strategie entschieden habe, dann werden Nägel mit Köpfen gemacht. Das muß aber nicht unbedingt heißen, daß ich die Galeonen der Spanier um jeden Preis versenken will. Es gibt wahrhaftig auch noch andere Wege, den Senores zu zeigen, wohin der Hase läuft.“ Barba wurde hellhörig.
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„Das Versenken wäre wohl nur noch ein Kinderspiel“, sagte er, denn auch er hatte beim Ablaufen gesehen, daß die westliche Galeone stark beschädigt und die andere getrieben war. „Wenn wir denen noch ein paar Löcher durch die Planken pusten, werden sie der ‚Orion' und der ‚Dragon' rasch Gesellschaft leisten.“ Henry Scrutton, dessen fingerlange Narbe über der rechten Augenbraue weithin sichtbar war, enterte zum Achterdeck auf. „Die Männer an den Geschützen sind bereit, Madam“, meldete er. „Von uns aus kann das Tänzchen fortgesetzt werden. Ich finde sogar, daß die Gelegenheit sehr günstig ist. Daß die eine Galeone jetzt längsseits der anderen liegt und sie damit zur Seeseite hin abdeckt, dürfte die Dons während unseres Angriffs nicht gerade begeistern.“ Siri-Tong lächelte zufrieden. „Wenn überhaupt, kann nur die an der Seeseite liegende Galeone feuern. Viel zu befürchten ist jedoch auch von ihr nicht wie sich die beiden Schiffe ineinander verhakt haben. Sie krängt so stark nach Steuerbord, daß ihre Stücke auf dieser Seite höchstens noch ins Wasser schießen würden.“ Barba winkte ab. „Die können es sich überhaupt nicht leisten, eine Kanone zu zünden, sonst fallen die beiden lecken Särge schon durch die Erschütterung auseinander.“ Barba, der wie ein wüster Schlägertyp aussah, jedoch ein grundanständiger und aufrechter Mann war, rieb sich die riesigen Pranken. Vor dem ersten Angriff hatte er der Sache noch skeptischer gegenübergestanden, weil es ihm etwas schwergefallen war, sein Feindbild einer gewissen Rangordnung zu unterwerfen. Wenn sich schon die Engländer nicht unbedingt als Freunde erwiesen hatten, warum sollte man dann den Spaniern was aufs Haupt geben, nur weil sie sich ebenfalls um diese „Freunde“ kümmerten? Barba hatte seine Ansichten etwas korrigiert, nachdem man sich an Bord der „Caribian Queen“ darauf geeinigt hatte, daß einem die Engländer wohl doch etwas
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näherstanden als die Spanier. Eigentlich trug bei den Engländern nur die hochnäsige Adelsclique die Schuld an den Streitereien. Sonst gab es auch eine Menge prächtiger Kerle unter den Offizieren und Schiffsmannschaften, die es verdienten, gegen die angreifenden Spanier in Schutz genommen zu werden. Wenn man es recht überlegte, waren nur die „Adelsaffen“ sowie Sir John mitsamt seinem Anhang und Charles Stewart; der wüste Kapitän der „Dragon“, so richtige Lumpenkerle. So hatte sich die „Caribian Queen“ nur um der anständigen Männer willen mit den Spaniern angelegt, deren Landsleute mit der Schlangen-Insel auch nicht gerade menschenfreundliche Ziele verfolgt und ihnen einen gnadenlosen Kampf geliefert hatten. Von Zeit zu Zeit befand sich Barba jedoch immer noch in einem Zwiespalt der Gefühle, wenn es darum ging, den Engländern Schützenhilfe zu leisten. Nach dem ersten durchschlagenden Erfolg gegen die Dons waren diese Gefühle jedoch etwas in den Hintergrund getreten. Siri-Tong strich sich eine schwarze Haarsträhne aus der Stirn. „Na schön“, sagte sie. „Unser zweiter Angriff wird den Dons wohl zeigen, daß sie sich hier ein wenig zuviel vorgenommen haben. Zwar können wir den Angriff nur auf die seeseits liegende Galeone unternehmen, aber das dürfte die Lage auch schon endgültig entscheiden.“ „Das meine ich auch, Madam“, sagte Henry Scrutton, während die übrige Crew bereits hart zupackte, um die „Caribian Queen“ auf Gegenkurs zu bringen. Schon wenig später rauschte die „Caribian Queen“, den Südwestwind ausnutzend und über Backbordbug liegend, auf die Kriegsgaleonen zu. Alle Mann waren auf Stationen. Andy Fulham, der kleine, rundliche Koch aus Twickenham an der Themse, hatte abermals kleine, gußeiserne Becken mit glühenden Holzkohlen aus der Kombüse gebracht und an den Geschützen verteilen lassen. Die Mannen an den Steuerbord-Culverinen hielten bereits die
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Luntenstöcke in der Hand. Es sah nicht gerade gut aus für die Dons, und die Gesichter der rauhen Gesellen an Bord des Zweideckers verhießen alles andere als einen Freudentanz. Barba hatte sich mit finsterem Gesicht an einer Heckdrehbasse postiert. Ray Chiswell, der Schiffszimmermann aus Brighton an der englischen Südküste, hatte das Ruder übernommen und bewegte kraftvoll den riesigen Kolderstock. Siri-Tong hatte das Messingspektiv ans Auge gesetzt, um die Vorgänge an Deck der spanischen Kriegsschiffe zu beobachten. Die Wuhling, die sie sah, entlockte ihr ein Kopfschütteln. Die Dons hatten das erneute Heransegeln des fremden Zweideckers ohne Zweifel bemerkt und wußten sehr wohl, was die Stunde geschlagen hatte. * Don Gregorio de la Cuesta, dem Capitan des Zweierverbandes, glänzte der Schweiß auf der Stirn. Mit einer fahrigen Bewegung strich er sich über das glatt zurückgekämmte Haar. „Teufel auch!“ flüsterte er. „Dieses verdammte Schiff kehrt tatsächlich zurück. Mögen alle Heiligen uns beistehen.“ Der Erste Offizier, ein gedrungener Typ, der meist ein überlegenes Grinsen zur Schau trug, schluckte hart. „Die scheinen in der Tat noch nicht genug zu haben, Senor Capitan!“ stieß er erregt hervor. Das Grinsen war längst aus seinem Gesicht verschwunden. „Wir werden alle Hände voll zu tun haben, um dieses hartnäckige Gesindel abzuwehren. Ich werde mich sofort darum kümmern, daß die Geschütze einsatzbereit sind.“ Don Gregorio schüttelte erbittert den Kopf. „Tun Sie das vorsichtshalber“, sagte er. „Aber ich schätze, daß es uns nicht viel nutzen wird. Wir wühlen mit unseren Kanonenkugeln höchstens das Wasser auf. Um dem Zweidecker gefährlich werden zu können, fehlt uns der richtige Schußwinkel. Richten Sie Ihr Hauptaugenmerk lieber auf die
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Drehbassen, Musketen und Tromblons. Wir müssen in der Tat auf alles gefaßt sein.“ „Jawohl, Senor Capitan, ich werde sofort alle Männer zusammentrommeln.“ Der Kommandant nickte zustimmend. „Nur die Männer an den Pumpen und die Zimmerleute müssen wohl oder übel auf ihren Posten bleiben“, bemerkte er. Der Erste Offizier gab die Befehle Don Gregorios weiter. Die Wuhling auf den Decks der beiden Kriegsschiffe verstärkte sich noch. Einige Männer bekreuzigten sich, als sie den heransegelnden Zweidecker erblickten. Sie wußten sehr wohl, daß sie in ihrer gegenwärtigen Situation nur eine geringe Chance gegen jenes düstere Schiff hatten. In Windeseile wurde alles herbeigeschleppt, was die Waffenkammer aufzubieten hatte. Viele Männer zeigten unverhohlene Angst. Auch dem Zweiten Offizier war deutlich anzusehen, daß er schon freudvollere Tage erlebt hatte. Der dickliche Mann mit dem feisten Gesicht war kreidebleich geworden. „Es wäre sicherlich besser gewesen, wir hätten uns nicht mit dem Lumpenpack da drüben auf der Insel angelegt, Senor Capitan“, sagte er keuchend, nachdem er vom Quarterdeck zum Achterdeck aufgeentert war. „Offensichtlich haben wir damit dieses Teufelsschiff auf den Plan gerufen.“ Don Gregorio de la Cuesta legte die Stirn in Falten. „Was soll das heißen?“ fragte er scharf. Nur mühsam gelang es ihm, die eigene Nervosität zu verbergen. „Wollen Sie etwa die Richtigkeit meiner bisherigen Entscheidungen anzweifeln?“ „Nein, nein, Senor Capitan!“ Der feiste Kerl geriet ins Stottern. „Na-natürlich nicht. Aber - aber unsere Lage ist nicht gerade die beste ...“ „Das habe ich inzwischen selber bemerkt“, sagte Don Gregorio frostig. „Kümmern Sie sich lieber um Ihre eigentlichen Aufgaben, statt hier unsinnige Behauptungen aufzustellen, die dazu angetan sind, die Moral unserer Mannschaften zu schwächen. Haben Sie das verstanden?“
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„Ver-verstanden, Senor Capitan“, tönte es mit brüchiger Stimme. Dann drehte sich der Zweite um und enterte eilig zum Quarterdeck ab. Don Gregorio de la Cuesta. setzte sich mit dem Kapitän der zweiten Galeone in Verbindung, um wenigstens noch die nötigsten Absprachen zu treffen. Doch es war unmöglich, eine bestimmte Abwehrtechnik zu entwickeln, zumal die beiden Schiffe nicht nur hart angeschlagen, sondern auch manövrierunfähig waren. So wurden die Soldaten und Mannschaftsmitglieder, die nicht unbedingt zum Lenzen gebraucht wurden, mit Tromblons und Musketen bewaffnet und hinter die Schanzkleider gescheucht. Sobald sich der Zweidecker in der Reichweite der Musketenkugeln befand, gab Don Gregorio den Feuerbefehl. Er, der sonst stolz und aufrecht seinen Platz auf dem Achterdeck einzunehmen pflegte, kauerte sich ebenfalls auf die Planken, um sich vor dem hereinbrechenden Inferno zu schützen. * Weder die Musketenschüsse noch das Krachen der Drehbassen konnten die „Caribian Queen“ zurückhalten. Auch die wilden Flüche und Verwünschungen, die dem Zweidecker entgegengebrüllt wurden, hatten keine Wirkung bei Siri-Tong und ihrer harten Crew. Die Mannen wußten, daß sie den längeren Arm hatten und daß die Dons mit Imponiergehabe von ihrer aussichtslosen Lage ablenken wollten. Barba, der bereits mit brennendem Luntenstock an einer Heckdrehbasse ausharrte, warf der Roten Korsarin einen ungeduldigen Blick zu. „Wie steht's, Madam?“ rief er. „Wenn ich noch ein bißchen warte, versenge ich mir die Fingerspitzen und fliege selber in die Luft.“ Dabei huschte ein breites Grinsen über sein wildes Gesicht. Siri-Tong schenkte ihm ein kurzes Lächeln, und das war Öl auf sein Haupt. Ein Lächeln von Madam - so ähnlich
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mußte das Paradies einmal ausgesehen haben, in dem Adam und Eva einst lebten. Zumindest war Barba dieser Meinung. Und beileibe nicht nur er. Die Rote Korsarin wartete den richtigen Zeitpunkt ab. Erst als die „Caribian Queen“ querab auf etwa fünfzig Yards Distanz an die spanischen Galeonen herangesegelt war, hob sie die rechte Hand. „Feuer frei!“ tönte es Sekunden später über die Decks, und nahezu gleichzeitig senkten Henry Scrutton und die Männer an den Steuerbordgeschützen und Drehbassen ihre brennenden Luntenstöcke auf die Zündkanäle. Augenblicke danach wurde das riesige Schiff wie von einer unsichtbaren Faust durchgeschüttelt. Die schweren Eisenkugeln der Steuerbordkanonen stoben mit einem unheimlichen Brüllen und Fauchen aus den gußeisernen Rohren und schlugen mit Urgewalt in die Steuerbordseite der seewärts liegenden Galeone. Ein infernalisches Krachen und Bersten erfüllte die Luft. Holztrümmer, Segeltuchfetzen und Teile von Masten und Rahen wurden hochgewirbelt und klatschten schließlich ins Wasser, denn die Verhakung der Rahen löste sich plötzlich teilweise sogar mit Gewalt, infolge der rapiden Krängung. Die Steuerbordseite der Galeone war von den Kugeln des Zweideckers regelrecht aufgebrochen worden. Über die Decks der spanischen Schiffe dröhnte ein vielstimmiger Aufschrei. Das Wasser schoß durch die Lecks und Löcher in die Unterdecksräume. Dichter Pulverqualm wölkte auf und brannte den Männern in den Augen. Dann wurden die Schwaden jedoch vom Wind in kleine, grauschwarze Fetzen zerrissen und seewärts getrieben. Die Scharen von Möwen, die die Schiffe umsegelt hatten, stoben kreischend auseinander. Siri-Tong erblickte deutlich Don Gregorio de la Cuesta, der wild gestikulierend seine Befehle brüllte. Aber die nutzten nicht mehr viel. Bereits jetzt war abzusehen, daß
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das Schiff nicht mehr zu retten war. Deshalb dachten die Soldaten und Crewmitglieder auch nicht mehr an eine Verteidigung - wozu auch? Rette sich wer kann - so lautete jetzt die Devise, allen Kommandos, die Don Gregorio brüllte, zum Trotz. Die Wuhling war unbeschreiblich. Etlichen Männern gelang es, auf die andere Galeone hinüberzuhangeln. Einige erreichten das Schiff durch einen gewagten Sprung. Weit mehr stürzten jedoch ins Wasser oder gelangten nicht mehr rechtzeitig genug an Deck, weil sie in den unteren Räumen mit dem Lenzen der eindringenden Wassermassen beschäftigt waren und schon seit einiger Zeit an den Pumpen Knochenarbeit geleistet hatten. Die „Caribian Queen“ aber halste und drehte den Bug nach Norden hoch. „Wann folgt der nächste Streich, Madam?“ wollte Barba wissen. Siri-Tong zuckte mit den Schultern. „Warten wir's ab“, sagte sie lakonisch, denn durch den Kieker hatte sie gesehen, was sich drüben an Land abspielte, und womit sie eigentlich nicht gerechnet hatte. Im Gegensatz zu den Spaniern, die weder Zeit noch Gelegenheit hatten, die Strandregion der Insel im Auge zu behalten, hatte sie trotz des kurzen Gefechts nicht versäumt, nach den Engländern Ausschau zu halten. Und das mit Erfolg. Es war ihr nicht entgangen, daß sich dort einiges tat. Henry Scrutton, der mit seinen Mannen hervorragende Arbeit an den Geschützen geleistet hatte, enterte abermals auf das Achterdeck, um zu hören, was es weiter zu tun gab, während in den beiden Kanonendecks eifrig die Kanonenrohre gewischt wurden, um die Stücke so schnell wie möglich nachzuladen. „Du hältst Ausschau nach den Engländern, Madam?“ Der Stückmeister warf Siri-Tong einen fragenden Blick zu. „Meine lieben Landsleute sitzen wahrscheinlich da drüben im Gebüsch und wagen nicht, den kleinen Finger zu rühren. Offenbar haben Sie Schiß vor uns, Madam, was man ihnen kaum verdenken kann.“
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„Du irrst dich, Henry“, erwiderte SiriTong. „Mir scheint eher, die Kerle haben die Gunst der Stunde genutzt.“ Sie reichte ihm den Kieker und Henry Scrutton setzte ihn sofort ans Auge. „Du meine Güte!“ entfuhr es ihm Augenblicke später. „Die haben tatsächlich etwas vor. Weißt du was, Madam? Die Burschen werden mir langsam wieder etwas sympathischer.“ Siri-Tong nickte. „Man braucht wohl nicht zu raten, warum sie so eilig ihre Jollen heranschleppen. Sie werden versuchen, die andere Galeone zu entern. Und diese Idee finde ich - von ihrer Warte aus gesehen - gar nicht schlecht. Die Chancen stehen sogar recht gut dafür, denn die Dons haben im Augenblick mit sich selber genug zu tun.“ Barbas Gesicht verdüsterte sich. Die alten Zweifel, ob es richtig war, den Engländern indirekt zu helfen, kehrten zurück. „Ich nenne das verrückt, Madam“, sagte er, „einfach verrückt. Schließlich sind wir extra noch einmal von den Pensacola Cays hierher gesegelt, um mit den Engländern wegen des nächtlichen Überfalls auf die ‚Isabella' noch ein Hühnchen zu rupfen, und jetzt arbeiten wir diesen Burschen geradezu in die Hände. Es tut mir leid, Madam, aber ich finde das einfach bescheuert, jawohl!“ Barba war wütend geworden, und er wußte auch warum. Die Engländer wollten den Seewolf, den ihre eigene Königin, Elisabeth I., mit einem Kaperbrief ausgestattet und zum Ritter geschlagen hatte, zur Strecke bringen. Und er, Barba, war jetzt womöglich im Begriff, den Kerlen zu einem Schiff zu verhelfen. Zeitweise verstand er die Welt nicht mehr. Die Rote Korsarin legte ihm die Hand auf die Schulter. „Du solltest Hasards Landsleute trotzdem nicht alle über einen Kamm scheren“, sagte sie beschwichtigend. „Bei allem Verständnis für deine Argumente - du weißt so gut wie ich, daß es unter diesen Engländern eine ganze Reihe von anständigen Kerlen gibt, die nicht verdient haben, den Dons in die Hände zu fallen.
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Den adeligen Rädelsführern haben wir das schmutzige Handwerk ja bereits gelegt, und gerade deshalb sollten unsere Rachegefühle gegen die Schiffsmannschaften der Vernunft weichen. Wir wollen uns schließlich nicht mit der Adelsclique auf eine Stufe stellen, nicht wahr?“ Siri-Tong spielte damit auf den hinterhältigen Haufen um Sir Andrew und Sir Henry an, von denen allerdings der erstere inzwischen tot und der letztere als Gefangener auf der „Caribian Queen“ weilte. Der dritte Schurke, nämlich der alte Killigrew, befand sich als Gefangener auf der „Isabella IX.“, dem Schiff der Seewölfe. Barba stieß einen Knurrlaut aus. „Wahrscheinlich hast du wieder einmal recht, Madam“, entgegnete er. „Vielleicht halte ich die Dinge wirklich nicht genau genug auseinander. Die Mannen, die unter dem Kommando dieser Adelsaffen fuhren, mußten wohl oder übel nach deren Musik tanzen, zumindest, was das einfache Decksvolk betrifft.“ „So sehe ich das auch, Barba“, sagte Henry Scrutton. „Und ich muß zugeben, daß mein Zorn auf meine Landsleute schon größer gewesen war als jetzt. Ich habe mich inzwischen auch daran gewöhnt, die Dinge etwas nüchterner zu betrachten.“ „Als Engländer fällt dir das wahrscheinlich leichter“, meinte Barba und setzte ein Grinsen auf. „Mein Dickschädel aber ist ein bißchen härter, und manche Dinge brauchen eben etwas länger, bis sie da durch sind.“ Siri-Tong lehnte sich gegen die Querbalustrade des Achterdecks. Die oberen Knöpfe ihrer roten Bluse hatte sie geöffnet, weil die Sonne heiß vom Himmel brannte. „Ich glaube, daß es in dieser Angelegenheit noch einiges zu klären gibt“, fügte sie ergänzend hinzu. „Wie meinst du das, Madam?“ fragte Barba. „Nun, ich kann eigentlich nicht mehr so recht glauben, daß die Mannschaften und Offiziere der ‚Orion' und der ‚Dragon'
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immer noch darauf versessen sind, Hasard als Gefangenen nach England zu bringen.“ Barba blickte sie verwundert an. „Warum sollten sie das denn nicht mehr sein? Schließlich war es doch von Anfang an das Ziel dieser Burschen gewesen, den Seewolf gefangen nach England zu schaffen, und zwar nur wegen der haltlosen Vorwürfe und Anschuldigungen dieser verdammten Adelsclique, die sich zudem noch persönlich daran bereichern wollte. Hat der versuchte Überfall in der vergangenen Nacht das nicht bestätigt?“ Siri-Tong schüttelte den Kopf. „Nicht unbedingt“, erwiderte sie. „Ich denke sogar, daß es mit diesem Überfall eine andere Bewandtnis hat, zumal bis auf den Kapitän der ‚Dragon' und einen Adeligen nur Kerle aus der Horde des alten Killigrew in der Jolle hockten.“ „Hm“, meinte Barba nachdenklich. „Ein bißchen merkwürdig ist das schon. Vielleicht sollte man das bei Gelegenheit einmal klären, um endlich zu erfahren, was bei den Engländern eigentlich läuft. So langsam weiß man nämlich schon nicht mehr, wie man dran ist. Was man auch tut es kann immer verkehrt sein.“ Siri-Tongs ebenmäßiges Gesicht wirkte entschlossen. „Wir werden das schon noch herausfinden“, sagte sie. „Trotzdem meine ich, wir sollten nicht verhindern, daß die Engländer die spanische Galeone kapern falls ihnen das überhaupt gelingt. Vielleicht sind sie dankbar, dann ein Schiff zu haben, mit dem sie aus der Karibik verschwinden können. Gute Erinnerungen werden sie an diese Reise ohnehin nicht knüpfen. Die meisten werden froh sein, wenn sie das alles hinter sich haben.“ Barba wiegte den Kopf hin und her. „Gegen ihr Verschwinden hätte wohl niemand etwas einzuwenden, es wäre das Vernünftigste für sie und für uns. Wenn ihnen die spanische Galeone dabei hilft meinetwegen, meinen Segen sollen sie haben. Zum Teufel, du hast mich wieder einmal überzeugt, Madam.“
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„Das hat aber ziemlich lange gedauert“, bemerkte Henry Scrutton mit einem Augenzwinkern. „Halt du dich da gefälligst raus, du Rohrkrepierer“, brummte Barba und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Allein dein englischer Vorname macht dich schon höchstverdächtig, den Kerlen in die Hand zu arbeiten. Großer Gott, wie kann man nur Henry heißen. Da fehlt nur noch der Sir, und wir hätten es schon wieder mit einem Sir Henry zu tun. Kann man das noch aushalten, Madam?“ Siri-Tongs Mandelaugen blitzten belustigt auf. „Ich denke schon. Solange unser Sir Henry nicht damit anfängt, ständig daneben zu schießen, nehmen wir sogar diesen Vornamen in Kauf, oder?“ „Schon gut, schon gut.“ Barba seufzte. „Ihr wißt ja, daß ich hart im Nehmen bin.“ Henry Scrutton und Barba enterten zur Kuhl ab. Es gab noch eine Menge für sie zu tun, zumal sie wußten, daß die „Caribian Queen“ zunächst nur nach Norden ablief, um die weitere Entwicklung der Dinge abzuwarten und dann notfalls erneut einzugreifen. 3. Bei den Spaniern herrschte das reine Chaos. Die seewärts treibende Galeone lief voll Wasser und würde in kurzer Zeit sinken. Durch den erneuten Angriff des Zweideckers hatte es Tote und Verletzte gegeben. Selbst Don Gregorio de la Cuesta, der es samt seinen Offizieren noch geschafft hatte, auf die andere Galeone überzuwechseln, sah in mancher Hinsicht aus wie ein gerupftes Huhn. Sein Uniformrock war durch umherfliegende Holztrümmer am linken Ärmel aufgerissen worden. Über seine Stirn zog sich eine blutige Schramme, der er jedoch kaum Beachtung schenkte. Den furchterregendsten Anblick bot der Zweite Offizier, dessen feistes Gesicht von Ruß und Pulver geschwärzt war.
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Über die Decks der inselseits ankernden Galeone dröhnten laute Flüche. Dem davonsegelnden Zweidecker wurden wilde Drohungen und Verwünschungen nachgebrüllt. Manche Männer, die dem Tod nur um Haaresbreite entgangen waren, kniffen stumm die Lippen zusammen und schickten ein stilles Stoßgebet zum Himmel. Ihre bleichen Gesichter wurden immer noch von der Angst geprägt, die sie durchgestanden hatten. Wußte der Himmel, was als Nächstes geschah. Die meisten waren davon überzeugt, daß der kampfstarke Zweidecker abermals wenden würde, um auch noch die eine verbliebene Galeone zu versenken. Don Gregorio de la Cuesta war außer sich vor Wut. „Die Bastarde haben ein regelrechtes Zielschießen auf uns veranstaltet!“ stieß er hervor. „Es sollte mich nicht wundern, wenn das üble Piratenweib, das den Zweidecker befehligt, auch noch versuchen würde, uns auszuplündern. Irgendetwas muß sie mit ihren Angriffen bezwecken.“ „Vielleicht steht sie mit den Engländern drüben auf der Insel im Bunde“, sagte der Zweite und wischte sich über sein kohlrabenschwarzes Gesicht. „Unsinn!“ erwiderte Don Gregorio. „Die beiden Schiffe der Engländer wurden ebenfalls versenkt. Wahrscheinlich hatte auch da der Zweidecker die Hände im Spiel. Fast drängt sich der Eindruck auf, daß die Piraten Schätze auf dieser gottlose Insel versteckt haben und deshalb jeden vertreiben wollen, der sich ihn nähert.“ „Diese Möglichkeit ist nicht von der Hand zu weisen“, bemerkte de Kapitän der inselseits ankerndes Galeone mit blassem Gesicht. „Di Frau auf dem Achterdeck des Piratenschiffes muß schon ein Teufelsweib sein.“ „Wem sagen Sie das!“ stieß Dor Gregorio wütend hervor. „Es mal zwar ungewöhnlich sein, daß ein Schiff von einer Frau kommandier wird, aber damit wird dieser Zweidecker nicht minder gefährlich für uns. Wenn man uns auch noch diese Galeone abschießt, die ohnehin
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beschädigt ist, werden wir selber zu dieser verdammten Insel hinüberschwimmen müssen. Nur fragt sich dann, ob uns die Engländer überhaupt an Land gehen lassen. Wir stecken in einer verteufelten Situation, Senores.“ Daran hegte niemand einen Zweifel, und alle Offiziere waren sich darüber im klaren, daß sie im Falle eines erneuten Angriffs mit dem ihnen verbliebenen Schiff alles auf eine Karte setzen mußten. Der Kapitän der Galeone brüllte nach Absprache mit de la Cuesta den Befehl zum Ankerhieven über die Decks. Das Schiff mußte schleunigst Abstand zu der sinkenden Galeone gewinnen und manövrierfähig werden. Gleichzeitig wurde die totale Gefechtsbereitschaft angeordnet. Doch die Senores auf dem Achterdeck sollten bei ihren Vorbereitungen empfindlich gestört werden, und zwar von ganz anderer Seite, als sie erwartet hatten. Der Kapitän des Schiffes war es, der plötzlich mit ausgestrecktem Arm zur Insel hinüberdeutete. „Verdammt!“ entfuhr es ihm mit heiserer Stimme. „Die Engländer scheinen uns angreifen zu wollen.“ Jetzt wandten auch die übrigen Offiziere ihre Aufmerksamkeit der Bucht zu und sahen die Bescherung -viel zu spät allerdings, um dem Enterangriff noch ausweichen zu können. Die Boote der schiffbrüchigen Engländer waren schon zu nahe heran. „Wie es scheint, sind wir in eine klug aufgestellte Falle gestolpert“, sagte der Zweite Offizier Don Gregorios. „Der Zweidecker muß wohl doch etwas mit den englischen Bastarden zu tun haben. Kaum drehte er nach Norden hoch, da werden wir auch schon von der Insel her angegriffen. Ich fresse einen Besen, wenn das keine abgesprochene Sache war, Senor Capitan.“ Fast schien es, als habe der Zweite mit dem rußgeschwärzten Gesicht diesmal recht, auch wenn es da noch einige Ungereimtheiten gab, für die man noch keine Erklärung gefunden hatte.
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„Wir haben jetzt keine Zeit, über diese Vorgänge lange zu diskutieren“, sagte Don Gregorio erregt. „Ob wir in eine Falle gestolpert sind oder nicht, ist in unserer gegenwärtigen Lage ohne Bedeutung. Wichtig ist nur, daß wir alles tun, um diese Sache zu überstehen. Was ist mit der Gefechtsbereitschaft?“ Der Kapitän des Kriegsschiffes vollführte eine hilflose Geste. „Meine Männer sind noch vollauf damit beschäftigt, die Galeone wieder gefechtsklar zu machen“, erwiderte er. „Solange unsere Schiffe ineinander verhakt waren, war das nicht in vollem Ausmaße möglich gewesen.“ Don Gregorios Gesicht wurde rot vor Zorn. „Dann bringen Sie Ihre Schlafmützen gefälligst auf Vordermann!“ brüllte er wenig vornehm. „Wenn wir weitere Zeit verplempern, haben wir keine Chance mehr!“ Die Wuhling auf der Kriegsgaleone Seiner Majestät, des Königs von Spanien, nahm kein Ende. * Die Engländer hatten den zweiten Angriff der „Caribian Queen“ auf die spanischen Kriegsgaleonen mit größter Genugtuung beobachtet, und nahezu alle waren abermals in lautes Freudengeheul ausgebrochen, als sie sahen, welch verheerende Folgen der Angriff gehabt hatte. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, wann die zerschossene Galeone sinken würde. Noch während die Kanonen des Zweideckers krachten, waren die Männer von der „Orion“ und der „Dragon“ mit ihren acht Jollen aus dem Uferdickicht hervorgebrochen und hatten die Boote über blitzschnell untergelegte handige Baumstämme zum Wasser gerollt. Dann waren sie auf das Kommando Marc Corbetts hin hineingesprungen und auf Teufel komm raus losgepullt. Sir Edward Tottenham hatte sich den Mannen angeschlossen. Er war von der Westseite her noch rechtzeitig auf den Trupp Marc
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Corbetts gestoßen, der die Boote aus dem Versteck geholt hatte. An die 120 Mann waren es, die sich auf die acht Boote verteilt hatten. Die restlichen nahezu vierzig Kämpfer waren auf der Insel zurückgeblieben, um mit ihren Musketen den Kameraden Feuerschutz zu geben. „Die Galeone kann jeden Moment sinken“, sagte Marc Corbett. „Fast sieht es so aus, als habe der Zweidecker die andere absichtlich für uns übriggelassen.“ Er saß auf der achteren Ducht einer Jolle, über seinen Knien lag eine feuerbereite Muskete. Sir Edward zog die Stirn kraus. „Hoffentlich haben Sie recht, Mister Corbett. Wenn der Zweidecker allerdings zurückkehrt und erneut angreift, bevor es uns gelungen ist, die Galeone zu entern, werden wir viel Glück brauchen.“ Die Nachmittagssonne webte einen flirrenden Hitzeschleier über der Bucht. Den Rudergasten, die echte Knochenarbeit leisteten, floß der Schweiß in Strömen über den Körper. Hinzu kamen die lästigen Moskitos, die in Ufernähe manch einem der Männer ein Fluchen entlockten. Dennoch wußten sie, auf was es ankam. Sie trieben die Boote mit allen zur Verfügung stehenden Kräften durch das kabbelige Wasser. Marc Corbett, der die Galeone scharf beobachtete, entging die plötzliche Wuhling an Bord nicht, als sich die Boote schon ziemlich dicht an sie herangeschoben hatten. „Die Dons scheinen uns bemerkt zu haben“, sagte er zu Sir Edward. Über sein braungebranntes Gesicht huschte ein spöttisches Grinsen. In stillen hatte er sich längst über die Schlafmützigkeit der Spanier gewundert. „Schade“, sagte Sir Edward. „Ich dachte schon, sie merken es erst nachdem wir sie ins Wasser geworfen haben.“ Auch auf dem Gesicht des sonst so ernsten Mannes lag ein Lächeln. „Wir müssen von jetzt an mit ihrer Gegenwehr rechnen“, fuhr Marc Corbett fort. Danach gab er den Befehl an die Scharfschützen, bei der ersten Reaktion der
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Spanier das Feuer zu eröffnen. Mit dem Trupp, der an Land geblieben war und sich je zur Hälfte auf die West- und Ostseite der Bucht verteilt hatte, war vereinbart worden, daß beim ersten Schuß, der fiel, mit dem Deckungsfeuer begonnen werden sollte. „Mit ihren Kanonen können die Dons jetzt schon nichts mehr anfangen“, sagte Marc Corbett triumphierend. „Wir liegen bereits unterhalb ihres Schußwinkels, sie können höchstens noch über unsere Köpfe schießen ...“ Mitten in seine Worte hinein blitzten auf der Galeone die ersten Musketenschüsse auf. Für die Engländer war das das Zeichen, den beabsichtigten Enterkampf einzuleiten. „Feuer!“ brüllte Marc Corbett. Gleich darauf krachten auch die Musketen und Tromblons der eigenen Scharfschützen. Wie das der Erste Offizier der früheren „Orion“ mit seinen Mannen abgesprochen hatte, feuerten nicht alle auf einmal, sondern stufenweise - getrennt nach den einzelnen Jollen. Während die einen schossen, waren die anderen schon wieder dabei, ihre Musketen nachzuladen. Auch am West- und Ostufer der Bucht krachten plötzlich die Musketen. Die Spanier befanden sich plötzlich in einem Kugelhagel, der von drei Seiten auf sie einprasselte. Mitten in das Getöse hinein brüllte plötzlich eine Kanone an der Backbordseite der Galeone auf. Eine Feuerzunge stach aus dem Rohr und trieb die schwere Eisenkugel fauchend über die Köpfe der Engländer weg. Sie schlug viele Yards hinter ihnen ins Wasser der Bucht. Offenbar hatten die Dons die Einsatzmöglichkeiten der Geschütze überschätzt. Die Wirkungslosigkeit der Kugel schien sie jetzt davon überzeugt zu haben, daß auf die kurze Distanz mit den Kanonen nichts mehr auszurichten war. Sie schwiegen deshalb, dafür aber begannen zwei Drehbassen zu wummern, die schwenkbar auf das Schanzkleid montiert waren und eine weit größere Gefahr darstellten.
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Weder Marc Corbett noch Sir Edward oder Arthur Gretton konnten verhindern, daß einige Männer getroffen wurden. Zwei sanken tot, drei andere verletzt von den Duchten. Die Scharfschützen nahmen die Seesoldaten an den Drehbassen sofort verstärkt unter Feuer, um sie in Deckung zu zwingen. Dabei trafen sie zwei mit ihren Musketenkugeln. Niemand konnte die anrückenden Engländer aufhalten. Noch bevor die Spanier weiteres Unheil anrichten konnten, hatten die Engländer die Kriegsgaleone erreicht. Den Dons war nicht einmal die Zeit geblieben, die Anker zu lichten. Als sie die Angreifer gesichtet hatten, mußten sie sich zunächst auf die Gefechtsbereitschaft konzentrieren, aber nicht einmal dazu hatte die Zeit ausgereicht. Jetzt kam ein neuer Umstand hinzu, der ebenfalls nicht geeignet war, die Kampfmoral zu stärken. Die von der „Caribian Queen“ zusammengeschossene Galeone begann zu sinken. Das Schiff war ein Stück seewärts abgetrieben und lag stark nach Steuerbord gekrängt im Wasser. Zunächst wurde das Vorschiff überflutet, nur das Heck ragte noch aus dem Wasser und bot einen gespenstischen Anblick. Wohl jeder - ob Spanier oder Engländer - hatte das Sterben eines Schiffes schon miterlebt. Trotzdem kroch allen ein kalter Schauer über den Rücken, als auch das Heck mit einem lauten Zischen und Gurgeln versank. Wenig später ragten hur noch die Mastspitzen aus dem Wasser. Planken, Taue und leere Fässer wurden an die Oberfläche getrieben. Die Engländer rissen sich schon nach wenigen Sekunden von diesem Anblick los. Sie hatten die ankernde Galeone erreicht und mußten jetzt alles auf eine Karte setzen. Ihr weiteres Schicksal hing vom Gelingen dieser Aktion ab, darüber war sich jeder von ihnen klar. Trotz des Widerstandes der Spanier flogen die ersten Enterhaken an der Backbordseite hoch und verkrallten sich im Holz des
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Schanzkleides. Die Männer hangelten in Windeseile nach oben, um sich den Weg an Bord freizukämpfen. Der eigentliche Enterkampf begann. Die Dons versuchten, sich mit einem letzten Aufbäumen zu verteidigen. Don Gregorio de la Cuesta und die anderen Senores von den Achterdecks beider Kriegsschiffe brüllten pausenlos Befehle. Wo es nötig war, feuerten sie die Seesoldaten und Mannschaftsmitglieder an oder drohten mit drakonischen Strafen für den Fall des Zurückweichens. Dennoch war die spanische Abwehr eine recht schwache Angelegenheit. Die eh schon genervten Männer waren dem Überraschungsangriff der Engländer nicht mehr gewachsen, ihre Kampfmoral hatte bereits zu stark gelitten. Obwohl ein harter Kampf, Mann gegen Mann, tobte, obwohl Pistolenschüsse krachten und das Metall der Blankwaffen gegeneinander klirrte, war es nur ein kurzer Kampf. Auch die beiden Kommandanten und die Offiziere hatten sich mit ihren Degen ins Getümmel gestürzt. Die beiden Offiziere der gesunkenen Galeone waren zum Quarterdeck abgeentert, wo sie in Unterstützung des Kapitäns dieses verbliebenen Schiffes versuchten, die aufenternden Engländer zurückzudrängen. Aber es war ihnen kein großer Erfolg beschieden. Im Gegenteil - die Spanier wurden mehr und mehr über die Decks gedrängt, die Verteidigung galt immer mehr der eigenen Person als dem Schiff. Auch Marc Corbett, Sir Edward und Arthur Gretton waren in heftige Degenduelle verwickelt, nachdem es ihnen gelungen war, die Decksplanken der Galeone zu betreten. Marc Corbett, der tatkräftige Erste Offizier der „Orion“, stürmte den Backbordniedergang hinauf, der vom Quarterdeck zum Achterdeck führte. Er hatte sich nicht getäuscht, der Befehlshaber der Spanier befand sich dort und warf sich ihm sofort entgegen. Don Gregorio de la Cuesta schwitzte heftig. Der Schweiß aber brannte höllisch
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in der blutverschmierten Schramme, die er an der Stirn empfangen hatte. Der aufgeschlitzte Ärmel seines Uniformrockes verlieh ihm ein recht ramponiertes Aussehen. Ein harter Degenkampf entbrannte, in dessen Verlauf sich Don Gregorio als gewandter Kämpfer erwies. „Stirb, Engländer!“ keuchte er und versuchte, Marc Corbett den Degen in die Brust zu stoßen. Dieser parierte jedoch den Angriff geschickt. „Ich denke nicht daran, Ihnen diesen Gefallen zu tun, Senor!“ rief er zurück. Dann drang er auf de la Cuesta ein und trieb ihn ein Stück zum Steuerbordschanzkleid hinüber. Der Capitan wich zunächst zurück, doch dann fand er seinen Rhythmus wieder und riskierte erneut einige heftige Ausfälle. Marc Corbett mußte in der Tat höllisch aufpassen, aber er fing sich rasch wieder und bot dem Spanier die entsprechenden Paraden. Trotzdem konnte er nicht verhindern, daß ihm die Degenspitze Don Gregorios die linke Seite der Uniformjacke in Fetzen riß. Dieser winzige Erfolg schien den Capitan zu beflügeln - zumindest für kurze Zeit. Er kämpfte mit verbissenem Gesicht, seine zusammengekniffenen Augen spiegelten Wut und Haß wider. Marc Corbett konnte es ihm nicht einmal verdenken, wenn er bedachte, welche Schlappen dieser Mann in den letzten Stunden schon hatte einstecken müssen. Aber auch er selber war ein wendiger Kämpfer, der sich von einigen Stofffetzen nicht beeindrucken ließ. Seine Ausfälle wurden immer häufiger. Er trieb den Capitan vor sich her in Richtung Querbalustrade. Dann geschah es plötzlich. Marc Corbett, der soeben einen gefährlichen Degenstoß abgewehrt hatte, traf die rechte Hand Don Gregorios mit einem raschen Hieb. Der Spanier stöhnte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf, dann polterte sein Degen auf die Planken.
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Noch bevor er sich danach bücken konnte, setzte ihm Marc Corbett die Spitze seiner Waffe an den Hals. „Halt, Senor!“ befahl er mit harter Stimme. Sein Gesicht strahlte äußerste Entschlossenheit aus. „Wenn Sie nicht aufgeben, muß ich Sie töten.“ Die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht, zumal Corbett die spanische Sprache einigermaßen gut beherrschte. Don Gregorio gab sein Vorhaben mit wütendem Gesicht auf. „Zum Teufel mit Ihnen, Engländer!“ „Leider muß ich Ihnen auch diesen Gefallen verweigern“, sagte Corbett. „Aber ich weiß, daß Sie selber zu ihm sehen werden, wenn Sie sich meinen Anordnungen widersetzen oder aber irgendeinen Trick versuchen. Stellen Sie sich mit dem Rücken gegen die Balustrade!“ Mit der Degenspitze am Hals dirigierte er ihn an den gewünschten Ort. „Was verlangen Sie?“ keuchte der Capitan. Seine Augen funkelten vor Zorn. „Zunächst einmal, daß Sie sich mit Ihren Leuten ergeben, und zwar bald, wenn Sie ein größeres Blutvergießen vermeiden wollen. Streichen Sie die Flagge und geben Sie Ihren Soldaten und Seeleuten den Befehl, die Waffen zu strecken!“ „Ich denke nicht daran!“ Die Wangenmuskeln des Spaniers zuckten. „Dann sehen Sie sich um“, sagte Corbett. „Das Schiff ist bereits innerhalb der nächsten Minuten in unserer Hand. Sollen wegen Ihrer Dickschädeligkeit noch weitere Männer sterben? Na los, sehen Sie sich alles an. Ich erlaube Ihnen, sich langsam umzudrehen, damit Sie das Schiff überblicken können.“ De la Cuesta drehte sich um und vermied dabei jede hastige Bewegung, zumal er jetzt die Degenspitze des englischen Offiziers am Rücken spürte. Der Engländer hatte tatsächlich recht, sie hatten keine Chance mehr, das Schiff auf Dauer zu verteidigen. Die Angreifer waren zu überraschend und in zu großer Anzahl erschienen.
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„Wie steht's, Senor?“ fragte Marc Corbett. „Ich gebe Ihnen zehn Atemzüge lang Zeit, den Kampf zu beenden.“ Der Capitan schluckte hart. „Na gut“, sagte er schließlich mit belegter Stimme. „Ich habe keine andere Wahl.“ Gleich darauf dröhnte seine Stimme über die Decks. Er forderte seine Landsleute auf, den Kampf sofort einzustellen Und sich zu ergeben. Zu spät wurde Don Gregorio klar, daß er in jüngster Vergangenheit einen gewaltigen Bock geschossen hatte. Statt die schiffbrüchigen Engländer, die sich bei seinem Eintreffen auf der Insel verschanzt hatten, anzugreifen, hätte er sich zuerst den beiden Schiffen widmen sollen, von denen dieser grobschlächtige Bootsmann O'Leary gesprochen hatte, den er zusammen mit noch fünfzehn anderen Kerlen in einer Jolle aufgegriffen und unter Druck ausgehorcht hatte. Dem Bootsmann nach sollten sich zwei Schiffe - darunter sogar das Schiff Philip Hasard Killigrews, des legendären Seewolfs - in einer Bucht der Pensacola Cays befinden. Genau diese beiden Schiffe hätte er zuerst und überraschend angreifen und ausschalten müssen, so sagte er sich jetzt in später Erkenntnis, um zu verhindern, daß sie ihn - wie es jetzt geschehen war bei dem Landeunternehmen überfielen. Denn jener düstere Zweidecker mußte eins jener beiden Schiffe sein, daran gab es für ihn keinen Zweifel mehr. Zwar hatte der verdammte Bootsmann behauptet, die schiffbrüchigen Engländer auf der Insel hätten nichts mit den Mannschaften des Killigrew auf den beiden Schiffen zu tun - im Gegenteil, den Schiffbruch habe man gerade diesem Killigrew zu verdanken, ihm und einem blutrünstigen Piratenweib, das einen Zweidecker kommandiere. Aber in diesem Fall mußte der Bootsmann gelogen haben, meinte de la Cuesta und wußte nicht, daß gerade das ein Irrtum war. Die Offiziere, Seesoldaten und Männer der Besatzung traf der Befehl Don Gregorios teils wie ein Schock, teils fühlten sie sich
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aber auch erleichtert, denn viele von ihnen hatten längst begriffen, daß sie das Schiff nicht auf Dauer verteidigen konnten. Der Kampf wurde augenblicklich eingestellt. Die Blicke der Spanier waren auf das Achterdeck gerichtet, wo Don Gregorio an der Querbalustrade stand, hinter ihm ein englischer Offizier. Auf die Anweisung Marc Corbetts hin wiederholte der Capitan seinen Befehl, die Waffen zu strecken. Der eigentliche Kapitän der Galeone, der sich noch auf dem Quarterdeck befand, schien sich in seiner Rolle nicht sonderlich wohlzufühlen. „Nehmen Sie mich als Geisel!“ rief er. „Ich bin der Kapitän dieses Schiffes!“ „Danke für Ihr freundliches Angebot, Senor“, erwiderte Marc Corbett, „aber ich denke, Ihr Verbandsführer befindet sich bei uns in besten Händen. Vorausgesetzt, man befolgt seine Anordnungen und kapituliert. Lassen Sie Ihre Waffen auf die Planken fallen!“ Die Spanier gaben sich endgültig geschlagen. Die Degen, Säbel, Cut-lasse, Messer und Pistolen fielen polternd und klirrend auf die Decksplanken. Die Engländer überwachten den Vorgang. Viele stimmten laute Hochrufe an, denn ihr Enterkampf hatte den gewünschten Erfolg gehabt: das spanische Kriegsschiff war in ihrer Hand. Doch die Begeisterung sollte nicht lange dauern, denn schon in den nächsten Augenblicken breitete sich schlagartig neue Verwirrung aus Verwirrung an beiden Fronten. 4. Don Gregorio de la Cuesta verstand plötzlich die Welt nicht mehr, als der düstere Zweidecker – noch während seine Soldaten die Waffen streckten - wie eine geisterhafte Erscheinung fast längsseits der Galeone auftauchte - drohend, mit ausgerannten Stücken und besetzten Drehbassen. Marc Corbett, Sir Edward und die übrigen Mannen der englischen Crews waren nicht
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weniger verblüfft, denn auch sie hatten im Getümmel des Enterkampfes nicht mehr auf den Zweidecker geachtet, der in nördliche Richtung davongesegelt war. O Lord, jetzt würde sich zeigen, welche Ziele dieses unheimliche Schiff verfolgte. Die Situation spitzte sich dramatisch und beängstigend zu. Warum war der Zweidecker zurückgekehrt? Wollte er auch noch dieses Schiff versenken oder gar entern? Oder wollte man verhindern, daß es die Engländer als Prise nahmen? Diese Fragen lagen ihnen schwer auf der Seele. Don Gregorio de la Cuesta und seine Offiziere allerdings waren in diesem Augenblick fest davon überzeugt, doch in eine Falle geraten zu sein. Das alles sah zu sehr nach Absprache zwischen dem Zweidecker und den Engländern aus. Umso mehr überraschte sie kurze Zeit später das, was tatsächlich geschah. Jetzt war sie deutlich zu sehen - jene schlanke, rassige Frau, bei der es sich wohl um das „blutrünstige Piratenweib“ handeln mußte, von dem der Bootsmann gesprochen hatte. Don Gregorios Augen hefteten sich wie gebannt auf den Körper dieser Frau, die auf dem Achterdeck stand. Sir Edward hatte sich gerade zu Marc Corbett und dem gefangenen spanischen Capitan auf das Achterdeck begeben, als auch er wie angewurzelt stehenblieb und zu dem düsteren Schiff mit den beiden Kanonendecks hinüberstarrte. Plötzlich geriet Bewegung in die Gestalt der Frau, die mit verschränkten Armen vor der Querbalustrade des Achterdecks verhielt. In ihrer Nähe stand ein wüst aussehender Mann, der an einen brutalen Schläger erinnerte. „Streicht die Flagge, Engländer!“ rief die Frau mit schneidender Stimme. „Wenn ihr diese Aufforderung nicht befolgt, jagen wir eine volle Breitseite in die Galeone!“ Sir Edward und Marc Corbett erblaßten. Don Gregorio aber atmete erleichtert auf, denn nach den Worten des „Piratenweibes“ hatte es den Anschein, als wolle sie die Engländer zur Strecke bringen. Diese Illusion wurde jedoch gleich wieder zerstört.
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„Das gleiche gilt natürlich auch für die Spanier“, fuhr die Frau fort, „für den Fall, daß sie Lust verspüren sollten, den Spieß noch einmal umzudrehen.“ Jetzt erschlaffte auch die Gestalt de la Cuestas. „Verdammt!“ murmelte er erschüttert und wirkte ziemlich hilflos, denn jetzt hatte er überhaupt keinen Durchblick mehr. Wem wollte dieses rassige Weib denn nun an den Kragen - den Engländern oder den Spaniern? Oder gar allen beiden? Auch die Mannen der „Orion“ und „Dragon“ standen samt ihren Offizieren ziemlich belämmert da und wußten im Augenblick nicht, Wie sie sich verhalten sollten. „Eine äußerst unangenehme Situation“, sagte Sir Edward mit einem raschen Seitenblick auf den spanischen Kommandanten und seine Leute. „Sind die Geschütze nicht wenigstens teilweise einsatzbereit?“ „Das schon, Sir“, erwiderte Marc Corbett, ohne die Frau auf dem Zweidecker aus den Augen zu lassen. „Womöglich könnten wir jetzt den Zweidecker mit einer Breitseite eindecken. Bei dieser Entfernung von knapp dreißig Yards wäre das wohl kaum ein Problem, aber ich fürchte, daß die Kerle da drüben auf jeden Fall schneller wären als wir. Im Gegensatz zu uns haben sie gewissermaßen die Hand am Drücker, und wer bei dieser kurzen Distanz zuerst schießt, hat gewonnen.“ „Hm, wirklich verdammt unangenehm“, murmelte Sir Edward. „Und daß die Kerle auf dem Zweidecker zu schießen verstehen, ist uns ja inzwischen allzu sattsam bekannt. Wir würden höchstwahrscheinlich den kürzeren ziehen. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als die Befehle dieses Frauenzimmers zu befolgen, so sehr uns das auch widerstreben mag.“ Für weitere Erörterungen blieb den beiden Männern von der „Orion“ keine Zeit, denn die Stimme der Roten Korsarin tönte erneut zu ihnen herüber. „Na, haben Sie sich meinen Befehl gründlich genug überlegt, Senores und
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Gentlemen? Wenn meiner Anordnung nicht sofort Folge geleistet wird, werde ich den Feuerbefehl geben, vielleicht beschleunigt das Ihre Entscheidungsfreudigkeit.“ „Was erwarten Sie von uns, Madam?“ ließ sich jetzt Marc Corbett vernehmen. „Daß auch ihr Engländer sofort die Waffen fallen laßt!“ rief Siri-Tong zurück. „Danach werdet ihr zehn Engländer und zehn Spanier bestimmen, die die Waffen einsammeln und auf der Kuhl anhäufen.“ Marc Corbett wandte sich zu Sir Edward. „Tut mir leid, Sir, aber diese Frau scheint es tatsächlich ernst zu meinen. Wenn wir nicht gehorchen, wird es noch größeren Ärger geben.“ „Veranlassen Sie das, was nötig ist“, sagte Sir Edward mit starrem Gesicht. „Wir kommen ohnehin nicht drum herum.“ Der Erste Offizier gab einige Befehle, und die Mannen, deren Enterkampf so hervorragend geglückt war, ließen verhalten fluchend und zähneknirschend die Waffen fallen -wie es zuvor schon die Dons getan hatten. Marc Corbett bestimmte die Männer, die das Waffenarsenal einzusammeln hatten. Nachdem das geschehen war, wandte er sich an Siri-Tong. „Ihr Befehl wurde ausgeführt, Madam!“ meldete er. „Es wird niemand Widerstand leisten. Doch alle an Bord dieser Galeone, ob Engländer oder Spanier, wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns erklären könnten, was Sie mit dieser Aktion bezwecken. Schätze gibt es auf diesem Schiff mit Sicherheit nicht, es handelt sich um eine spanische Kriegsgaleone. Wir, die Engländer, haben sie gekapert, weil wir als Schiffbrüchige eine Möglichkeit suchten, diese Insel zu verlassen. Zudem haben uns die Spanier massiv angegriffen, wie Sie wissen.“ „Noch ist es nicht an der Zeit, Rechtfertigungen vorzubringen“, sagte Siri-Tong kalt. „Was ich mit dieser Aktion bezwecke, wird Ihnen schon sehr bald klarwerden. Ich verlange nämlich, daß die beiden Kommandanten und die Offiziere
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der ‚Orion` und ‚Dragon' an Bord meines Schiffes kommen.“ Marc Corbett zeigte klar. „Bedauerlicherweise kann der Kommandant der früheren ‚Dragon' diesen Befehl nicht befolgen, Madam!“ rief er dann. „Mister Stewart befindet sich nämlich als Gefangener an Land.“ Als Gefangener? Siri-Tong war überrascht, aber sie verbarg diese Überraschung. „Dann lassen Sie ihn holen!“ befahl sie. „In Ordnung, Madam!“ tönte es zurück. „Wir werden uns sofort darum kümmern.“ Marc Corbett beauftragte Arthur Gretton damit, den schurkischen Charles Stewart von der Insel zu holen und bei dieser Gelegenheit auch die Mannen, die dort verblieben waren, von der derzeitigen Lage zu unterrichten. Wenig später wurde ein englisches Boot mit Arthur Gretton an Bord von sechs unbewaffneten Rudergasten zur Insel gepullt. Ein weiteres Boot nahm Sir Edward und die übrigen Offiziere an Bord, um sie zu dem Zweimaster hinüberzubringen. * Die Rote Korsarin musterte die Gentlemen mit eisigen Blicken. Die Männer konnten nicht verhindern, daß sie ein flaues Gefühl in der Magengegend verspürten. Alle hatten sich inzwischen auf der „Caribian Queen“ eingefunden, einschließlich des abgesetzten Kommandanten der „Dragon“, Charles Stewart, den man gefesselt an Bord gebracht hatte. Während sich Siri-Tong an der Querbalustrade des Achterdecks aufhielt, hatten sich die Gentlemen unten auf der Kuhl in einer Reihe aufstellen müssen. So blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als zu der Frau hochzuschauen. In der Tat hatte sich das die Rote Korsarin - sehr zur Genugtuung Barbas - einfallen lassen, um die Offiziere bewußt zu brüskieren. „Knien sollten sie, Madam“, hatte Barba geflüstert, „knien wie auf einer Kirchenbank.“
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Das aber war ihr wohl doch etwas zu weit gegangen, denn es lag nicht in ihrer Absicht, die Männer zu demütigen. Vielmehr ging es ihr darum, die Lage endgültig zu klären und die Ränke und üblen Machenschaften, mit denen die Engländer in der letzten Zeit den Seewolf und seine Männer verfolgt hatten, zu beenden. Nach kurzem Schweigen räusperte sich Siri-Tong und verschränkte dann abermals die Arme. Ihre mandelförmigen, etwas schräggestellten Augen musterten die Engländer ohne jegliche Scheu. Indem sie sich sämtliche Floskeln ersparte, kam sie ohne Umschweife zur Sache. „Sie, Mister Corbett“, begann sie, „haben vorhin nach dem Zweck dieser Aktion gefragt. Ich habe Ihnen eine Antwort versprochen, doch dazu ist es allerdings nötig, daß ich etwas weiter aushole und auf Ereignisse der letzten Zeit zurückgreife. Vielleicht werden Sie und die anderen Gentlemen mich dann verstehen.“ „Wir werden uns die größte Mühe geben, Madam“, entgegnete Corbett und deutete sogar eine leichte Verbeugung an. Er, der draufgängerische und tatkräftige Mann, konnte nicht verhindern, daß ihm diese Frau eine ganze Menge Respekt einflößte. O ja, das mußte schon eine ganz besondere Frau sein, die es schaffte, einen solch imposanten Dreimaster mit zwei Kanonendecks zu befehligen und alle die rauhen Kerle, die bei ihr fuhren, im Zaum zu halten. Corbett konnte ihr im stillen die Bewunderung nicht versagen, auch wenn er jetzt - wie die anderen - mit bangem und erwartungsvollem Gesicht zum Achterdeck hochstarrte. „Da sind also“, fuhr die Rote Korsarin fort, „vier englische Kriegsschiffe und eine Karavelle in die Karibik ausgelaufen, mit dem Auftrag, nach Philip Hasard Killigrew, den man den Seewolf nennt, zu fahnden, ihn zu fangen und nach England zu verbringen, um ihn dort - man höre und staune - wegen Betruges, Unterschlagung sowie Hoch- und Landesverrats vor ein Gericht zu stellen. Eigentlich sollte man annehmen, dass man in England
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Ehrenmänner mit diesem Auftrag betraut hat. Doch kaum hatten diese fünf Schiffe die Bahama-Inseln erreicht, fielen diese Ehrenmänner, die der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen sollten, über eine spanische Handelsgaleone her, welche, wohlbemerkt, bereits die Flagge gestrichen hatte, und schossen sie brutal zusammen. Mehr noch: Die Besatzung wurde massakriert, nachdem ein gewisser, an dem Unternehmen beteiligter John Killigrew und seine Mannschaft die Galeone geentert hatten ...“ „Eben“, unterbrach sie der stiernackige und verschlagen aussehende Charles Stewart und hielt seine gefesselten Hände hoch. „Das war Killigrew, Madam, und wir sind nicht für ihn verantwortlich.“ „Schweigen Sie!“ fuhr ihn Siri-Tong mit harter Stimme an. „Ich habe Sie nicht nach Ihrer persönlichen Meinung gefragt. Außerdem kann ich mir gut vorstellen, daß gerade Sie als letzter das Recht haben, den ersten Stein nach einem anderen zu werfen.“ Damit hatte die Rote Korsarin den Nagel auf den Kopf getroffen. Die anderen Männer nickten bestätigend zu ihren Worten, und Arthur Gretton, der Stewart abgesetzt hatte, warf ihm sogar einen zornigen Blick zu. „Dieser Mann, John Killigrew“, fuhr SiriTong unbeirrt fort, „plünderte die spanische Galeone aus, zumal sich dort eine Ladung Goldbarren befand. Um diese Beute für sich behalten zu können, nahm er aus den Reihen seiner Verbündeten einen gewissen Sir Andrew Clifford als Geisel und setzte sich unbehelligt mit seiner Karavelle und der Goldbeute von dem Verband ab. Danach feierte man an Bord der Karavelle den grandiosen Coup - der selbstverständlich mit dem eigentlichen Auftrag nicht das geringste zu tun hatte –, indem man sich sinnlos betrank und außerdem den Entschluß faßte, nach Süden zu segeln, wo man auf den Inseln Frauen zu finden hoffte. Genauer gesagt: Man war entschlossen, irgendwo Indianerweiber aufzutreiben, über die man das Recht zu haben glaubte, sie nach Gutdünken
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vergewaltigen zu können. Sir Andrew Clifford hingegen konnte mit einer nachgeschleppten Jolle von der Karavelle fliehen und wurde schließlich von Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, aufgegriffen. Ins Verhör genommen, berichtete dieser 'Ehrenmann', mit welchem Ziel die fünf Schiffe aus England ausgelaufen waren. So erfuhr Philip Hasard Killigrew, den vom Charakter her ganze Welten von seinem früheren Pflegevater, John Killigrew, trennen; von den ungeheuerlichen Beschuldigungen, die gegen ihn am königlichen Hof erhoben worden waren.“ Arthur Gretton unterbrach die Rote Korsarin. „Wenn ich dazu etwas bemerken darf, Madam“, sagte er mit ausgesuchter Höflichkeit. „Es war nicht unsere Aufgabe und lag auch nicht in unserer Macht, den Wahrheitsgehalt dieser Anschuldigungen, die Sie gerade angesprochen haben, zu überprüfen.“ Siri-Tong schüttelte zornig den Kopf. „Wollen Sie damit sagen, daß Sie und auch diese anderen Männer sich einer Strafexpedition großen Ausmaßes angeschlossen haben, ohne von deren Richtigkeit und Notwendigkeit überzeugt zu sein?“ „Äh - nein, Madam, das wollte ich damit nicht sagen“, erwiderte Gretton sichtlich verlegen. „Man hat uns vielmehr deren Richtigkeit glaubhaft versichert.“ „Das kann ich mir lebhaft vorstellen“, sagte Siri-Tong. „Offensichtlich hat man deren Notwendigkeit sogar der englischen Königin glaubhaft versichert, sonst hätte sie wahrscheinlich niemals diesem Unternehmen zugestimmt. Fest steht auf jeden Fall, daß Sir Andrew Clifford und Sir Henry Battingham, zwei Männer von Adel, aber nicht mit adliger Gesinnung, die Anstifter dieser Intrige waren. Das gleiche trifft auf John Killigrew, den dritten im Bunde, zu. Drei Verbrecher haben es demnach fertiggebracht, einen anderen Mann in Abwesenheit zu verleumden, schmutzige Verdächtigungen auszusprechen und zu erreichen, daß ein
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Verband zu seiner Gefangennahme in Marsch gesetzt wurde.“ Siri-Tong schwieg hier einen Moment. Sie hatte ruhig und sachlich gesprochen. Jetzt aber wurde ihr Ton eine Nuance schärfer. „John Killigrew und seine Mannschaft“, fügte sie hinzu, „wurden in der Bucht dieser Insel von Philip Hasard Killigrew und mir gestellt und überwältigt. Als Ehrenmann forderte der Seewolf, dessen Gradlinigkeit und Fairneß selbst den Spaniern ein Begriff ist, Genugtuung für die schändlichen Verleumdungen seiner Person. Ich habe ihm abgeraten mit der Begründung, Lumpen könnten einem Mann ohne Fehl und Tadel nicht die Ehre nehmen. Doch der Seewolf blieb bei seiner Entscheidung, und ich mußte sie akzeptieren, denn wer eines Mannes Ehre verletzt, muß auch bereit sein, dafür geradezustehen und zu kämpfen. Ich weiß nicht, inwieweit ich von Ihnen erwarten kann, mir in diesem Punkt beizupflichten ...“ „Natürlich müssen wir Ihnen da beipflichten, Madam“, sagte Marc Corbett. Sir Edward und Arthur Gretton nickten bestätigend, während Charles Stewart nur höhnisch grinste. „Sehen Sie“, sagte Siri-Tong, „nicht mehr und nicht weniger als das forderte Philip Hasard Killigrew von diesen beiden Männern. Jetzt konnten sie ja zeigen, wie ernst ihre Absicht war, im Auftrag der Krone einen Betrüger, Hoch- und Landesverräter zu stellen und im Kampf Mann gegen Mann ihr Ziel durchzufechten. Philip Hasard Killigrew ließ ihnen sogar die Wahl der Waffen. Sir Andrew Clifford als erster wählte die Pistole, John Killigrew den Säbel. Das Pistolenduell fand dort drüben am Strand statt. Die Duellanten sollten sich Rücken an Rücken und mit geladener Pistole aufstellen, dann losmarschieren und durften sich erst umdrehen und schießen, wenn der Befehl ,Feuer frei!' gegeben wurde. Aber was tat der Ehrenmann Andrew Clifford? Nach etwa vier Schritten drehte er sich um und schoß Philip Hasard Killigrew eine Kugel in den Rücken.
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Clifford büßte für diese feige Tat, denn er wurde von einem Pfeil durchbohrt, den ein Mann aus der Crew des Seewolfs abgeschossen hatte. Dieser Pfeilschuß ersparte uns, Clifford an die Rah zu hängen. Alles weitere wissen Sie, Gentlemen. Was ich jedoch noch nicht weiß, das möchte ich jetzt von Ihnen erfahren: Warum hat dieser Mann“, SiriTong deutete auf Charles Stewart, „zusammen mit Männern aus der Crew des John Killigrew in der letzten Nacht noch einmal versucht, das Schiff des Seewolfs zu überfallen? Hatte er dazu einen Auftrag?“ Es war abermals Marc Corbett, der einen Schritt vortrat und erregt den Kopf schüttelte. „Nein, einen Auftrag hatte er nicht, Madam“, sagte er mit zorniger Stimme. „Mister Stewart hat auf eigene Faust gehandelt, nachdem wir uns zuvor von ihm getrennt hatten. Und nicht nur von ihm hatten wir uns getrennt, sondern auch von der Mannschaft des John Killigrew und von der Adelsgruppe um Sir Henry Battingham. Wir ließen Mister Stewart mit einer der Jollen abziehen. Wir wollten mit ihm nichts mehr zu tun haben, denn er hatte seine Besatzung im Stich gelassen, als die ‚Dragon' sank. Für uns war das Grund genug, uns von ihm zu trennen, zumal er vorher versucht hatte, die ‚Orion' zu entern, weil sein Schiff im Gefecht beschädigt worden war ...“ „Lüge, alles Lüge!“ rief Charles Stewart dazwischen. „Die Kerle wollen sich Ihnen gegenüber nur herausreden, Madam!“ Barba, der mit verschränkten Armen einige Schritte hinter Siri-Tong stand und die Gesprächsszene mit unbewegtem Gesicht verfolgte, setzte sich in Bewegung. „Soll ich diesen Kerl zur Ruhe bringen, Madam?“ fragte er. Siri-Tong vollführte eine abwehrende Geste. „Laß es, Barba“, erwiderte sie. „Wenn es nötig sein sollte, daß du dir die Hände an einem solchen Mann beschmutzt, sage ich es dir.“
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Barba trat wieder zurück, nicht ohne dem grobschlächtigen Stewart einen finsteren und vielversprechenden Blick zuzuwerfen. „Darf ich weiterreden, Madam?“ fragte Marc Corbett höflich. „Fahren Sie fort.“ Siri-Tong nickte mit ernstem Gesicht. Der Erste Offizier der „Orion“ räusperte sich. „Heute morgen kehrte Mister Stewart allein zurück und forderte uns auf, mit den Jollen Ihre beiden Schiffe bei den Pensacola Cays zu überfallen. Wir lehnten das jedoch ab und setzten ihn gefangen.“ „Und was geschah mit der Jolle und den Kerlen von John Killigrew?“ fragte SiriTong. Marc Corbett lächelte beinahe schadenfroh. „Die Burschen warfen Stewart hier bei der Insel außenbords und segelten davon. Vermutlich, weil sie sich in den Besitz von zwei Goldkisten setzen wollten, die Stewart dem ‚ehrenwerten' Sir Henry Battingham mehr oder weniger entwendet hatte, bevor die ‚Dragon' unterging.“ „Interessant!“ entfuhr es der Roten Korsarin. Dann warf sie Charles Stewart, der sie mit haßerfüllten Augen anstarrte, einen verächtlichen Blick zu. Nach kurzem Überlegen gab sieden Befehl, den spanischen Verbandsführer auf die „Caribian Queen“ zu holen. „Mal sehen“, sagte sie, „was unsere spanischen Freunde zu berichten haben.“ * Kurze Zeit danach hatte sich auch Don Gregorio de la Cuesta zu der Reihe derer gesellt, die nervös von der Kuhl zum Achterdeck hochblickten. Auch er tat es mit recht gemischten Gefühlen, denn im stillen rechnete er mit allem - selbst mit dem Schlimmsten. Was sollte er schon als spanischer Kapitän von den Engländern zu erwarten haben? Oder noch schlimmer: was würde sich dieses Piratenweib wohl einfallen lassen? O ja, Don Gregorio fühlte sich ganz und gar nicht wohl in seiner Haut, und als man ihn auf den Zweidecker
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gebracht hatte, waren seine Knie regelrecht weich geworden. „Wie ist Ihr Name, Senor?“ fragte SiriTong, die die spanische Sprache sehr gut beherrschte. „Don Gregorio de la Cuesta“, lautete die Antwort, „Kommandant der Kriegsgaleone ...“ „Schon gut“, unterbrach ihn Siri-Tong, die von Adelstiteln und hochtrabenden Amtsbezeichnungen nicht sehr viel hielt. „Ich erwarte, daß Sie mir einige Fragen wahrheitsgemäß beantworten. Vergessen Sie dabei nicht, daß Sie sich in meiner Gewalt befinden.“ Bei diesem Hinweis schluckte Don Gregorio, obwohl er diesen Umstand bisher noch keinen Augenblick vergessen hatte. „Ich werde wahrheitsgemäß antworten, Senora.“ Siri-Tong konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, wenn sie auf die Kuhl hinunterblickte. Da standen sie, die Befehlshaber und Kommandanten, die sonst so Großen und Mächtigen. Aufgereiht wie die Hühner auf der Stange, wirkten sie zerknirscht, nervös und verunsichert. Vor allem das hagere Gesicht des Spaniers zeigte eine auffallende Blässe. „Nun, Senor“, fuhr sie fort, „ich möchte wissen, ob es ein Zufall war, daß Sie mit Ihren beiden Kriegsgaleonen hier auf die schiffbrüchigen Engländer gestoßen sind.“ Don Gregorio schüttelte den Kopf. „Nein, das war kein Zufall, Senora“, erwiderte er. „Meine Schiffe befanden sich im Fort St. Augustine an der amerikanischen Ostküste. Als der englische Verband vorbeisegelte, erhielt ich den Auftrag, auszulaufen, um - nun ja, um die Absichten der Engländer zu überprüfen ...“ „Aha“, sagte Siri-Tong. „Und was sollten Sie nach dieser Überprüfung, wie Sie das nennen, tun? Sollten Sie nach St. Augustine zurückkehren, um Bericht zu erstatten?“ „Nein, Senora, das heißt, später schon, aber ...“
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„Aber?“ „Zunächst hatte ich, wie bereits gesagt, den Auftrag, den Engländern nachzuspüren. Dann sollte ich Havanna anlaufen und den Gouverneur wegen dieses Verbandes warnen.“ „Und wie erfuhren Sie dann, daß es auf dieser Insel schiffbrüchige Engländer gab?“ Der Capitan zuckte hilflos mit den Schultern. „Das ergab sich fast von allein, Senora“, berichtete er. „Wir sichteten am heutigen Vormittag eine mit Westkurs segelnde Jolle, die wir stoppten und durchsuchten. Dabei entdeckten wir zwei Kisten mit Goldbarren, die den Stempel der Münze von Potosi aufwiesen. Wir waren deshalb davon überzeugt, es mit Piraten zu tun zu haben und sahen uns genötigt, die Jollenbesatzung gefangen zu nehmen. Dabei erfuhren wir durch das Verhör eines englischen Bootsmanns, der O'Leary heißt, daß es auf dieser Insel schiffbrüchige Engländer gäbe. Da die Grand Cays nicht weit entfernt waren, sind wir hierher gesegelt.“ Siri-Tongs Hände ballten sich zu Fäusten. „War das alles, was Sie von diesem O'Leary erfahren haben?“ Der Spanier senkte einen Augenblick den Kopf, dann aber redete er weiter, wohl wissend, daß er keine andere Wahl hatte. „Nein, das war nicht alles, Senora. Der Bootsmann berichtete auch über die Ziele und Aufgaben des englischen Verbandes, und - und er sagte auch, wo El Lobo del Mar, der Seewolf, zu finden sei. Daraufhin habe ich die Engländer drüben auf der Insel zur Kapitulation aufgefordert. Angegriffen habe ich sie erst, nachdem sie sich geweigert hatten, sich zu ergeben.“ Die Rote Korsarin nickte. Alle Mosaiksteinchen paßten überraschend gut zusammen, deshalb war sie auch davon überzeugt, daß Don Gregorio die Wahrheit gesagt hatte. „Den Ausgang dieses Kampfes kenne ich“, fuhr sie fort. „Wie aber sah Ihr weiteres Vorhaben aus im Hinblick auf das, was O'Leary ausgeplaudert hatte?“
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„Danach“, erwiderte der Spanier, ,,wollte ich versuchen, den Seewolf zu finden und zu stellen, und zwar noch vor der Fahrt nach Havanna.“ „Gerade so hatte ich mir das gedacht“, sagte Siri-Tong. „Wie viele Kerle befanden sich bei O'Leary, und was geschah mit ihnen?“ „Es waren sechzehn, Senora. Ich nahm sie als Gefangene zunächst an Bord meines Schiffes, dann aber wurden sie von der Galeone da drüben wegen der besseren Platzverhältnisse übernommen. Dort befinden sie sich jetzt noch in der Vorpiek hinter Schloß und Riegel.“ Marc Corbett und die anderen Engländer, die dem in Spanisch geführten Gespräch folgen konnten, horchten auf. Siri-Tong aber traf ihre ernten Entscheidungen. „Ich danke Ihnen, Senor, daß Sie meine Fragen wahrheitsgemäß beantwortet haben“, sagte sie. „Und nun sollen Sie erfahren, was mit Ihnen und Ihren Landsleuten geschehen soll.“ Don Gregorios Gesicht verkrampfte sich in banger Erwartung. Was, um Himmels willen, hatte sich dieses Piratenweib ausgedacht? Eigentlich war diese Frau nicht nur hübsch und energisch, sondern machte auch einen anständigen Eindruck. Irgendwie wollte das landläufige Bild einer Piratin nicht zu ihr passen. Aber das konnte auch täuschen, das würde sich gleich herausstellen, „Sie werden mit Ihren Männern die Galeone verlassen“, entschied sie. „Die englischen Gefangenen, die Sie in die Vorpiek gesperrt haben und bei denen es sich um Lumpenkerle des Mister John Killigrew handelt, werden Sie mitnehmen.“ Süffisant fügte sie hinzu: „Ich betrachte diese Kerle nach wie vor als Ihre Gefangenen.“ Don Gregorio sah sie verblüfft an. Hatte sie wirklich gesagt, er könne die Galeone verlassen? Bei Gott, und er hatte sich im Geiste schon an einer Rah baumeln sehen! „Im übrigen“, fuhr die Rote Korsarin fort, „können Sie Ihre Jollen mit an Land nehmen, ebenso Hieb- und Stichwaffen. Die Mitnahme von Schußwaffen erlaube
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ich nicht. Andererseits habe ich nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie einige Werkzeuge mitnehmen wollen, um die Hütten wieder aufzubauen, die Sie selber zerschossen haben. Für immer werden Sie wohl nicht auf dieser Insel festsitzen, denn Sie haben ja die Möglichkeit, eine Jolle zur Küste von Florida hinübersegeln zu lassen, um von St. Augustine Hilfe anzufordern.“ Don Gregorio de la Cuesta atmete erleichtert auf. Tonnenschwere Lasten fielen ihm von der Seele, obwohl es nicht gerade erfreulich war, sein Schiff aufgeben zu müssen und auf einer Insel ausgesetzt zu werden. Aber er hatte Schlimmeres erwartet - für sich und seine Landsleute. Offenbar hatte er doch den richtigen Eindruck von dieser Frau gewonnen, die gemäß den Schilderungen des englischen Bootsmannes ein „blutrünstiges Piratenweib“ sein sollte. O'Leary hatte ohne Zweifel stark übertrieben. Er selbst war inzwischen fast schon geneigt, ein Prachtweib in ihr zu sehen. Für einige Augenblicke floß Don Gregorio fast über vor Dankbarkeit, ja, er fühlte sich sogar genötigt, einen erlesenen Kratzfuß zu zelebrieren. „Ich danke Ihnen zutiefst für Ihre Großzügigkeit, Senora“, sagte er, „und ich bin entzückt, Sie kennengelernt zu haben. Ich kann nur versichern, daß Sie mich und meine Landsleute fair behandelt haben.“ Darüber wunderten sich auch die Engländer, die ebenfalls weit Schlimmeres erwartet hatten. Als erster räusperte sich Marc Corbett. „Ich muß Sie darauf hinweisen, Madam“, sagte er, „daß sich drüben an Land noch etwa vierzig unserer Leute befinden, die zurückgeblieben sind, um uns Feuerschutz zu geben.“ „Nachdem sie sich ergeben haben, werden sie herübergeholt auf die spanische Galeone“, sagte Siri-Tong. „Ihre Waffen sind in einem gesonderten Boot unterzubringen.“ Mit dieser Entscheidung hatte Marc Corbett gerechnet, aber da war noch etwas, was geklärt werden mußte.
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„Außerdem, Madam“, fuhr er fort, „befinden sich noch sieben Gentlemen aus dem Kreis des Sir Henry Battingham sowie zwölf Kerle des John Killigrew auf der Insel ...“ „Dort werden sie auch bleiben“, unterbrach ihn Siri-Tong schroff. „Meinetwegen können sie den Spaniern Gesellschaft leisten.“ Don Gregorio de la Cuesta wurde von der Roten Korsarin entlassen, um das Übersetzen zur Insel zu organisieren. Einige Mannen von der „Caribian Queen“ wurden damit beauftragt, die Vorgänge zu überwachen. 5. Siri-Tong wandte sich erneut den Engländern zu. Diesmal sprach sie direkt Charles Stewart an, der mit verbissenem Gesicht auf die Planken stierte. „Was haben Sie mit Ihrem Überfall auf das Schiff des Seewolfs bezweckt, Mister Stewart?“ Stewart hob den Kopf und grinste spöttisch. „Das ist - mit Verlaub gesagt - eine dämliche Frage, Madam“, erwiderte er geradezu provozierend. „Denn erstens einmal haben wir von Ihrer Majestät, der Königin, den Auftrag gehabt, einen Betrüger, Spion und Verräter namens Philip Hasard Killigrew zu fangen und nach England zu bringen. Zweitens hätte sich durch den Überfall für uns die Möglichkeit ergeben, uns in den Besitz von zwei Schiffen zu bringen, da die eigenen, die ‚Orion' und die ‚Dragon', ja bekanntlich von Ihnen versenkt wurden. Im übrigen, Madam, bin ich es als Offizier gewohnt, die Befehle Ihrer Majestät auszuführen. Ich sehe deshalb überhaupt nichts Verbrecherisches an meiner Handlungsweise, im Gegenteil - es wäre ein Akt des Ungehorsams gegen die Königin gewesen, wenn ich nicht so gehandelt hätte, wie ich es getan habe.“ Marc Corbett fuhr empört dazwischen. „Was dieser Kerl hier behauptet, ist ungeheuerlich, Madam. Er dreht und
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wendet den Spieß, wie es ihm in den Kram paßt und findet sogar noch Entschuldigungen für seine niederträchtige Verhaltensweise. Außerdem stimmt es nicht, daß ein Befehl Ihrer Majestät, der Königin, vorliegt. Er kann keinen Beweis dafür erbringen, denn ein schriftlicher Befehl oder Auftrag der Königin für die Gefangennahme Sir Hasards existiert höchstwahrscheinlich nicht. Mein Kommandant, Sir Edward“, er deutete mit einer Kopfbewegung auf ihn, „hat jedenfalls weder von der Königin noch vom Lordadmiral einen solchen Befehl erhalten.“ „Das ist sehr interessant, Mister Corbett“, sagte Siri-Tong. „Auf welche Tatsachen stützen Sie Ihre Behauptungen?“ „Nun, ich sagte ja bereits, daß der ‚Orion' kein schriftlicher Befehl vorlag. Außerdem haben bereits die Kapitäne Rooke und Wavell, die Kommandanten der ,Centurion` und der 'Eagle`, von Sir Henry Battingham verlangt, einen solchen Auftrag einsehen zu dürfen, aber Sir Henry hat das abgelehnt und sich damit herausgeredet, Sir Andrew Clifford sei im Besitz dieser königlichen Order.“ „Wurde das jemals überprüft?“ „Nein, Madam, denn Sir Andrew war zu diesem Zeitpunkt bereits Geisel des John Killigrew und konnte demzufolge nicht befragt werden. Deshalb nahmen wir zunächst an, daß Ihre Majestät Sir Henry oder Sir Andrew vielleicht nur eine mündliche Order erteilt hat und darauf vertraute, daß diese sich bei den Kornmandanten der vier Kriegsgaleonen durchsetzen würden.“ „Das ist eine sehr schwache Vermutung“, bemerkte Siri-Tong, „wenn nicht sogar eine sehr haltlose, mit der man lediglich versucht hat, seine Handlungsweise moralisch zu rechtfertigen. Immerhin aber führen die Spuren immer wieder zu diesem Mister Clifford und Mister Battingham, die ich eingangs als die Urheber der ganzen Intrigen bezeichnet habe.“ „Das mag durchaus sein, Madam, aber uns fehlte eben immer der Beweis für unsere Vermutungen, und solange wir nicht das
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Gegenteil beweisen konnten, mußten wir uns dem vermeintlichen Willen der Königin unterordnen ...“ Siri-Tong sah Marc Corbett scharf an. „Mußten Sie das wirklich, Mister Corbett?“ Der Erste Offizier der früheren „Orion“ senkte für einen Augenblick den Kopf. „Nun ja, Madam, einige haben auch anders gehandelt. Die Kapitäne Rooke und Wavell zum Beispiel zogen aus dem Fehlen einer schriftlichen Order die Konsequenzen und verließen den Verband - das sei um der Wahrheit willen gesagt.“ Die Rote Korsarin richtete jetzt ihren Blick auf Sir Edward Tottenham, den Kommandanten der „Orion“. „Und welche Meinung vertreten Sie, Mister Tottenham?“ fragte sie mit etwas Spott in der Stimme. Sie hatte längst erkannt, daß dieser Mann nicht nur sehr zurückhaltend, sondern auch ein Zögerer war und froh sein konnte, einen so tüchtigen und geradlinigen Kerl wie seinen Ersten Offizier zur Seite zu haben. Sir Edward gab sich einen Ruck und bemühte sich, der Frau auf dem Achterdeck in die Augen zu sehen. „Ich muß meinem Ersten Offizier beipflichten, Madam. Es gibt höchstwahrscheinlich keine schriftliche Order Ihrer Majestät, der Königin. Infolgedessen hatte ich mich inzwischen entschlossen, auch eine mögliche mündliche Order zu ignorieren, da sie ja als solche für mich nicht verbindlich ist. Sollte ich je nach England zurückkehren, werde ich einen ausführlichen Bericht über den Verlauf des unseligen Unternehmens anfertigen und den Lordadmiral darauf hinweisen, daß es ein grober Fehler war, vier Kriegsgaleonen Ihrer Majestät ohne einen verantwortlichen Befehlshaber und ohne eine klare Order in See gehen zu lassen, noch dazu in der stillen Erwartung, die vier Kommandanten würden sich einer Gruppe von Höflingen unterordnen, die weder von der Seefahrt noch von der entsprechenden Kriegführung eine Ahnung haben.“
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Marc Corbett bedachte seinen Kapitän mit einem überraschten Blick. Donnerwetter, sagte er sich, mir scheint, der Alte hat inzwischen einiges dazugelernt. Aber es sollte noch besser kommen, denn Sir Edward Tottenham redete weiter - mit knarrender, erbitterter Stimme. „Leider habe ich viel zu spät erkannt, daß es den Höflingen bei einer Gefangennahme Philip Hasard Killigrews nur darum gegangen wäre, sich dessen angebliche Schatzbeute anzueignen. Seine eigentliche Person wäre für diese Männer nur das Mittel zum Zweck gewesen. So ungeheuerlich diese Behauptung auch klingen mag - sie entspricht der Wahrheit. Das Versprechen, diese Schatzbeute später der Königin abzuliefern, war nichts anderes als reine Heuchelei, denn diese ehrlosen Burschen hätten genau das Gegenteil davon getan. Das gleiche muß ich leider auch in bezug auf Mister Stewart sagen, der meines Erachtens vor ein Kriegsgericht gehört ...“ Charles Stewart, der Sir Edward haßerfüllt ansah, begann augenblicklich zu toben. „Das ist eine Unverschämtheit!“ brüllte er. „Dieser Mann lügt, ich werde ihm das Maul stopfen, jawohl!“ Dann versuchte er, sich trotz seiner Handfesseln auf Tottenham zu stürzen und ihm die Fäuste ins Gesicht zu schlagen. Aber der hünenhafte Barba war bereits beim ersten Wort Stewarts den Niedergang hinuntergesprungen. Er hatte mit dieser unbeherrschten Reaktion des vierschrötigen Mannes gerechnet und kriegte ihn, noch bevor er sein Vorhaben ausführen konnte, am Kragen zu packen. Sir Edward war einige Schritte zurückgewichen, sein Gesicht drückte Abscheu und Verachtung aus. Der riesige Barba hielt Stewart mit beiden Pranken am Kragen fest und zog ihn ein Stück zu sich hoch. „Geh schön artig auf deinen Platz zurück, du schmieriger Strolch“, sagte er mit gefährlich klingender Stimme. „Und achte ein wenig auf das, was du hier redest, sonst könnte es passieren, daß dir plötzlich ein paar Zähne fehlen.“
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Mit Schwung stieß er den ehemaligen Kapitän der „Dragon“ auf seinen Platz zurück. Stewart wäre dabei beinahe gestrauchelt und gestürzt. Er stieß einen leisen Fluch hervor und preßte dann die Lippen zu schmalen Strichen zusammen, Barbas muskulöse Gestalt hatte ihn wohl doch davon überzeugt, daß es besser war, zunächst einmal etwas zurückhaltender zu sein. Außerdem verspürte er nicht die geringste Lust, sich vor den Augen der Offiziere und der Mannschaften eine Tracht Prügel einzuhandeln. Auch Sir Edward nahm wieder seinen alten Platz ein. „Ich danke Ihnen“, sagte er kurz zu Barba. Und zu Siri-Tong gewandt, fügte er hinzu: „Ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe, Madam. Es handelt sich weder um Lügen noch um Verleumdungen. Ich verbürge mich dafür.“ Siri-Tong nickte. „Die Ereignisse der letzten Tage bestätigen Ihre Worte nur zu deutlich. Ich habe deshalb allen Grund, Ihnen Glauben zu schenken.“ * Nach dem Gespräch mit Sir Edward sorgte die Rote Korsarin für eine weitere Überraschung. „Holt diesen O'Leary herüber!“ befahl sie. „Wir werden auch ihn noch hören, bevor er mit den Spaniern zur Insel übersetzt.“ Der Boston-Mann, ein großer, hagerer Engländer, der im linken Ohr einen goldenen Ring trug und zu den zuverlässigsten Leuten auf Siri-Tongs Schiff gehörte, übernahm die Aufgabe, den Bootsmann auf die „Caribian Queen“ zu holen. Barba nahm wenig später den klotzigen Mann am Schanzkleid in Empfang und brachte ihn zu den anderen Männern auf der Kuhl. O'Leary stutzte einen Moment, als er die ihm wohlbekannten Offiziere sah. Dann pendelten seine Blicke zwischen ihnen und der Frau auf dem Achterdeck hin und her. Plötzlich zog ein verächtliches Grinsen
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über sein Gesicht, und er spuckte laut und vernehmlich auf die Planken. Das hätte er besser nicht tun sollen, denn schon eine Sekunde später fegte ihn eine gewaltige Maulschelle Barbas regelrecht von den Füßen. Er torkelte ein Stück über die Kuhl, dann krachte sein Körper auf die Planken. Aus seinen Mundwinkeln sickerte Blut. Dennoch war O'Leary überraschend schnell wieder auf den Beinen. „Das tust du kein zweites Mal mit mir, du Bastard!“ rief er keuchend und warf sich Barba mit geschwungenen Fäusten entgegen. „Das wird sich gleich zeigen, du Großmaul!“ knurrte Barba. Dann zuckten seine Fäuste abermals blitzschnell vor. O'Leary wurde mit elementarer Gewalt über die Kuhl gefegt, als habe eine Kanonenkugel seine Brust getroffen. Bevor er sich versah, lag er erneut auf den Planken. Diesmal stöhnte er mit schmerzverzerrtem Gesicht auf und brauchte etwas länger, um sich aufzurappeln. Barba packte auch ihn am Kragen und beförderte ihn zu seinem ursprünglichen Platz zurück. „Zunächst einmal wischst du säuberlich deine Spucke weg!“ befahl er mit drohendem Unterton. „Auf unserem Schiff herrscht nämlich Ordnung, Dreckschweine werden hier nicht geduldet.“ O'Leary starrte ihn entgeistert an, sein linkes Auge schwoll langsam zu. Sein Zögern wurde jedoch nicht geduldet. „Was ist?“ fuhr Barba ihn an. „Soll ich dich als Putzlappen benutzen und die Planken mit dir aufwischen?“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, packte er O'Leary und zwang ihn kraftvoll in die Knie. Vor den Augen aller mußte er die Spucke wieder aufwischen. Viele Mannen aus der Crew und sogar die englischen Offiziere wandten sich angeekelt ab. „So“, sagte Barba, nachdem die „Arbeit“ beendet war. „Jetzt kannst du dir überlegen, ob es sich auszahlt, hier herumzuspucken. Und eins merke dir
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noch: Leuten wie mir spuckt man nicht ungestraft vor die Füße.“ „Das hat nicht dir gegolten“, beteuerte O'Leary und deutete mit einem Kopfnicken auf seinen Nebenmann, „sondern diesem Hurensohn namens Stewart.“ In Stewarts Gesicht begann es zu zucken, aber er hielt sich eisern zurück, obwohl er sich jetzt am liebsten auf O'Leary gestürzt hätte. Doch er wollte es tunlichst vermeiden, sich schon wieder mit Barba anzulegen. Zumindest hatte er es als Genugtuung empfunden, daß O'Leary seine Spucke wieder aufwischen mußte. Deshalb schwieg er jetzt verbissen und behandelte den Bootsmann wie Luft. Den anderen Männern entging das gespannte Verhältnis der beiden Engländer nicht. Sie konnten sich inzwischen auch zusammenreimen, was die Ursache dafür war. Die scharfe Stimme Siri-Tongs glättete zunächst die Wogen. „Ich hoffe, Sie haben begriffen, wie man sich an Bord unseres Schiffes zu benehmen hat, Mister O'Leary“, sagte sie. „Spucker mögen wir hier nämlich genauso wenig wie Lügner. Demnach erwarte ich von Ihnen, daß Sie mir wahrheitsgemäß eine Frage beantworten. Was, zum Beispiel, bezweckte Ihr spezieller Freund, Charles Stewart, mit dem Überfall auf die ‚Isabella', das Schiff des Seewolfs?“ Jetzt wurde O'Leary erstaunlicherweise gesprächig - offenbar genauso gesprächig wie beim Verhör durch die Spanier. Jedenfalls dachte er nicht im geringsten daran, Charles Stewart in Schutz zu nehmen. „Stewart?“ fragte er und begann spöttisch zu grinsen. „Der war nur scharf auf die Goldladung der ,Lady Anne`.“ „Und was hatte das mit dem Überfall zu tun?“ „Nun ja, er wollte den Seewolf als Geisel nehmen und dann mit der ‚Isabella' hinter der ,Lady Anne' hersegeln“, berichtete O'Leary. „Dieses Schiff aber“, er deutete auf die Planken der „Caribian Queen“, „hätte er natürlich vorher versenkt und alle
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über die Klinge springen lassen, was denn sonst!“ „Verdammter Lügner!“ brüllte Stewart entgegen seinen bisherigen Vorsätzen. Sein Gesicht war rot vor Wut geworden. Wäre Barba nicht abermals dazwischengefahren, hätte er sich mit seinen gefesselten Händen auch auf O'Leary geworfen. Barba warf Siri-Tong einen ungeduldigen Blick zu. „Was tun wir mit diesen Rübenschweinen, Madam?“ fragte er. „Die beiden Halunken sind schwieriger zu hüten als ein Sack voll Flöhe.“ Siri-Tong traf ihre Entscheidung. „Wir brauchen O'Leary nicht mehr“, erwiderte sie. „Ein Verräter wie er, der seine eigenen Landsleute bei den Dons in die Pfanne haut, gehört zwar an die Rah, aber das wäre für einen Kerl seiner Sorte wahrscheinlich zu milde. Er ist meiner Meinung nach in den Händen der Spanier besser aufgehoben. Also, bringt ihn zu den Dons zurück. Von mir aus kann er ihnen künftig die Stiefel polieren oder in einem Bergwerk nach Gold graben. Es ist nicht meine Sache, ihn abzuurteilen.“ „Das ist eine kluge Entscheidung, Madam“, entgegnete Barba grinsend. „Machen wir ihn also dem spanischen Capitan zum Abschiedsgeschenk. Er scheint sich ja bisher ganz prächtig mit ihm verstanden zu haben.“ Siri-Tongs Anordnungen wurden durchgeführt. O'Leary wurde auf die spanische Galeone zurückgebracht und sollte dort zusammen mit seinen Kumpanen und den Spaniern zur Insel verfrachtet werden. „Meinetwegen soll sich de la Cuesta mit diesen Ratten herumärgern“, sagte sie. „Vermutlich werden sie in Zukunft wenigstens nützliche Arbeit verrichten. Ob sie der spanischen Gefangenschaft widerstehen, bleibt ihrer eigenen Härte überlassen.“ Die Entscheidung der Roten Korsarin war kompromißlos. Jeder wußte, daß die üble Bande kein anderes Schicksal verdient hatte, es sei denn ein schlimmeres.
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Nur Charles Stewart war zunächst etwas anderes zugedacht. Er durfte Duke Henry of Battingham in der Vorpiek der „Caribian Queen“ Gesellschaft leisten. Die englischen Offiziere verfolgten das konsequente „Großreinemachen“ der vermeintlichen Piratin mit Verblüffung und gaben ihr im stillen völlig recht. Dennoch hing immer noch die bange Frage, was mit ihnen selber geschehen würde, wie ein Damoklesschwert über ihren Köpfen. Wieder war es Barba, der die entscheidende Frage an die Rote Korsarin richtete. „Was geschieht mit diesen Gentlemen, Madam?“ Siri-Tong ließ sich mit der Beantwortung einen Moment Zeit. Dann aber huschte ein Lächeln über ihre Züge. „Wir hatten eine ziemlich offene Aussprache miteinander“, sagte sie dann. „Und ich habe das Gefühl, daß wir die Fronten klar abgesteckt und Licht in die Ereignisse gebracht haben.“ Zu Sir Edward gewandt, fügte sie hinzu: „Ich überlasse Ihnen die spanische Kriegsgaleone, Sir Edward - jedoch nur unter der Bedingung, daß Sie sich zunächst mir unterstellen, und zwar solange, bis Sir Hasard in der Lage sein wird, eine Entscheidung über das Schicksal John Killigrews, Henry Battinghams und Charles Stewarts zu treffen.“ Marc Corbetts Gesicht entspannte sich zusehends, und schon öffnete er den Mund, um der Roten Korsarin für diese Entscheidung zu danken. Doch diesmal war Sir Edward entschlußfreudiger. „Einverstanden, Madam“, sagte er knapp. Dann atmete er im Verein mit seinen Offizieren erleichtert auf. 6. Inzwischen war es Abend geworden. Die Sonne schickte sich an, hinter der Kimm zu versinken. Ihr rotgoldenes Licht überschüttete die Wassermassen der Karibischen See mit silbrigem Glanz.
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Die kleine Insel, die zu den Grand Cays gehört, bot nach dem spanischen Beschuß am Nachmittag einen friedlichen und beschaulichen Anblick. Die Zweige der Farnbäume und die Wipfel der Palmen bewegten sich in der leichten Brise, die nach der Hitze des Tages etwas Abkühlung brachte. Das Geschrei von Möwen und Reihern überlagerte die Bucht. Der Schein trog jedoch, der Frieden war nur scheinbar vorhanden -zumindest, was die Spanier und ihre englischen Gefangenen betraf, die ihnen die Rote Korsarin großzügigerweise überlassen hatte. Ja, das „blutrünstige Piratenweib“, das sich gar nicht als solches erwiesen hatte, war im Ansehen der Spanier gewaltig gestiegen. Die Frau war nicht nur äußerst fair zu ihnen gewesen, sondern hatte offenbar auch unter den Engländern für klare Verhältnisse gesorgt. Auch wenn es ihnen ganz und gar nicht paßte, daß sie ihre Schiffe verloren hatten, konnten sie ihr dennoch nicht die Anerkennung versagen. Die Engländer hatten die spanische Kriegsgaleone in Besitz genommen. Die Spanier jedoch waren unter der Führung Don Gregorios und unter Aufsicht von Siri-Tongs Mannen zur Insel gepullt. Ihre Hieb- und Stichwaffen hatten sie mitgenommen, ebenso einige Werkzeuge und die Gefangenen. Die Dons wußten sehr wohl, daß sie mit einem blauen Auge davongekommen waren, denn die vermeintliche „Piratin“ hatte ihnen sogar die Chance gelassen, nicht für immer auf diesem entlegenen Eiland festsitzen zu müssen. Don Gregorio entschied, daß gleich nach Anbruch des nächsten Tages eine Jolle nach St. Augustine segeln sollte, um Hilfe zu holen. Das friedliche Bild, das die Insel in der Abenddämmerung bot, sollte sich jedoch ziemlich rasch verändern. Kaum hatten die ausgesetzten Spanier ihre Gefangenen an Land gebracht, begann es unter diesen gewaltig zu brodeln und zu gären. Zuviel hatte sich da in der letzten Zeit an Wut, Haß und Rachegefühlen
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aufgestaut, als daß die Kerle hätten ruhig bleiben können. Zudem schmeckte es ihnen nicht, daß sie als Gefangene der Spanier, von denen sie nichts Gutes erwarteten, auf dem Eiland gelandet waren. Sie konnten sich lebhaft vorstellen, was ihnen in Zukunft blühte. So schoben sie sich gegenseitig die Schuld für die Misere zu - mit den Fäusten, denn etwas anderes stand ihnen kaum zur Verfügung. Im Handumdrehen war am Strand eine wüste Prügelei im Gange, und zwar mit den zwölf Kerlen aus der Mannschaft John Killigrews, die wegen Überladung der Jolle Stewarts auf dem Eiland hatten zurückbleiben müssen, als dieser mit O'Leary und den fünfzehn anderen sowie Sir Robert Monk und Joe Doherty „von der Fahne“ gegangen war. Als die Kerle jetzt ihre sechzehn Kumpane entdeckten, fielen sie trotz der spanischen Bewachung über sie her - ungeachtet der Tatsache, daß sie jetzt alle „im selben Boot“ saßen. Ganz besonders hatten es die zwölf schlagkräftigen Burschen auf den Bootsmann O'Leary und die beiden ferkelgesichtigen Killigrew-Söhne, Simon Llewellyn und Thomas Lionel, abgesehen. So geschah es, daß die achtundzwanzig Kerle wie wilde Stiere aufeinander losgingen. O'Leary, der schon beim Verhör auf der „Caribian Queen“ erheblichen Ärger mit Barba gehabt hatte, schwang wie ein Wilder die Fäuste und stieß wütende Flüche aus. Aber das nutzte ihm nicht allzu viel, denn die drei Kerle. die gleichzeitig an ihm hingen, waren auch für einen harten Brocken wie ihn nicht leicht zu verdauen. „Hört auf, ihr verdammten Idioten!“ brüllte er. „Sonst werden euch die Dons an die Rah hängen!“ „Hier gibt es keine Rah!*' brüllte einer zurück. „Nur prächtige Palmen, und daran hängt es sich besonders für goldgierige Bootsleute sehr angenehm!“ „Und du wirst der erste sein, der daran baumelt und die Kokosnüsse runterschüttelt“, fügte ein anderer hinzu.
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„So ein Scheißkerl wie du gehört schon wegen seiner hinterhältigen Visage aufgehängt!“ In der Tat mußte O'Leary viel einstecken zumindest im Verhältnis zu dem, was er austeilte. Die Spanier hatten nicht einmal etwas gegen die wilde Keilerei einzuwenden. Sie kümmerten sich nicht um die ausgeschlagenen Zähne, die dicht gehämmerten Klüsen und schiefen Nasenbeine, solange sich die Raufbolde auf ihre eigenen Landsleute beschränkten. Don Gregorio sah nicht den geringsten Grund, dagegen einzuschreiten - im Gegenteil, die meisten Dons schauten grinsend zu und gönnten den Engländern die Beulen und Schrammen von Herzen. „Die Kerle sollen ihr Pulver ruhig verschießen“, meinte Don Gregorio, „umso besser lassen sie sich hinterher fesseln und in Gewahrsam nehmen.“ Ja, es ging hoch her in der Abenddämmerung. Sand und Geröll wurden aufgewirbelt, Steine flogen durch die Luft, und mitunter wurden Zweige und Knüppel aus dem Dickicht gefetzt. Dazwischen klatschte der eine oder andere Körper ins Wasser. Auch die beiden ferkelgesichtigen Söhne des John Killigrew bezogen harte Dresche. Besonders der ältere, Simon Llewellyn, wurde von zwei Decksleuten kräftig verbleut. Er hieb zwar wie ein Besessener um sich, trat, biß und kratzte nach allen Seiten, aber eine wirkliche Chance hatte er dennoch nicht. Sein verkommenes Gesicht erinnerte an eine reife Tomate, das rötliche Haar stand wirr in alle Richtungen. Gerade jetzt erinnerte er mit seinen blaßblauen Augen, der Himmelfahrtsnase und den aufgeworfenen Lippen an eine Ferkelschnauze. Als ihm ein harter Faustschlag in die Magengrube fuhr und zu Boden schleuderte, sah er nicht nur aus wie ein Ferkel, sondern quiekte auch wie ein solches. Sein jüngerer Bruder, Thomas Lionel, der noch etwas dümmlicher und plumper war, bezog ebenfalls harte Dresche. Ein bulliger Decksmann zahlte ihm einige Unverschämtheiten heim - mit Zinsen. Und
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als der Bursche mit einem gewaltigen Fußtritt ins Wasser der Bucht befördert wurde, schrie er, als hätte man ihn gevierteilt. Überhaupt wurde die Prügelei immer wilder und unkontrollierter. Hatte sich zu Beginn jeder noch seinem „speziellen Freund“ zugewandt, von dem er glaubte, ihm einiges heimzahlen zu müssen, so prügelte sich am Schluß schon jeder mit jedem. Als die Kräfte schließlich erlahmten, krochen einige auf allen vieren aus dem Wasser, darunter der jüngere Killigrewsproß. Etliche lagen besinnungslos am Boden, einige torkelten noch, bis ihnen jemand einen Stoß vor die Brust versetzte und sie ebenfalls umkippten. Am ärgsten hatte es die Adelsclique erwischt, die Gentlemen saßen mit ihren durchlauchten Hinterteilen im Dreck und jammerten laut über die „Unbill“, die man ihnen angetan hatte. Die Spanier amüsierten sich köstlich und vergaßen sogar eine Zeitlang die eigene Misere. Vielen sah man deutlich an, daß sie am liebsten mitgemischt hätten, denn schließlich hatten auch sie den Engländern einige Unannehmlichkeiten zu verdanken. Don Gregorio de la Cuesta hielt seine Leute jedoch zurück. „Wenn sie sich selber windelweich prügeln, brauchen wir das nicht zu tun“, sagte er. „Außerdem werden sie bald lernen, ihre Kräfte für nützlichere Dinge einzusetzen. Bei harter Arbeit für die spanische Krone werden ihnen die Flausen schon vergehen.“ Daran zweifelte niemand. denn die Dons waren ohnehin dafür bekannt, daß sie nicht gerade zimperlich mit ihren Gefangenen umgingen und sie zumeist harte Fronarbeit leisten ließen. Der nächste Zwischenfall ließ nicht lange auf sich warten. Nachdem sich einige der Raufbolde mit blutigen Schrammen und zugeschwollenen Augen aufgerafft hatten, erhob sich auch Sir James Sandwich, einer der sieben adeligen Nichtstuer aus dem Kreis des Sir Henry, und klopfte sich den Dreck aus den
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Kleidern. Dann bog er ächzend das Kreuz gerade und betastete sein lädiertes Gesicht. Da dieses ziemlich verlebt war, wirkte der dünne und sehr blasse Adelige, der höchstens fünfundzwanzig Lenze zählte, wesentlich älter, als er war. Trotz der Hiebe, die er empfangen hatte, schien er jedoch nichts von seiner grenzenlosen Arroganz eingebüßt zu haben. Nachdem Sir James den spanischen Capitan entdeckt hatte, hinkte er auf ihn zu. „Senor“, sagte er in einem herrischen Ton, „Sie haben Tadel verdient!“ Don Gregorio de la Cuesta warf dem ramponierten Burschen, der sich die ganze Zeit über zusammen mit sechs anderen Adeligen auf der Insel befunden hatte, einen verdutzten Blick zu. „Und weshalb, wenn ich fragen darf?” Sir James hob die Nase und räusperte sich. „Obwohl Sie gesehen haben, wie der niedrige Pöbel über mich und einige andere Ehrenmänner hergefallen ist, haben Sie nicht eingegriffen.“ „Warum hätte ich eingreifen sollen?“ fragte Don Gregorio und lächelte spöttisch. ..Die Prügelei hat sich ausschließlich unter euch Engländern abgespielt. Die Gründe dafür sind mir nicht bekannt. Außerdem gehört es zu meinen Prinzipien, mich sowenig wie möglich in anderer Leute Angelegenheiten einzumischen.“ „Sie haben eine merkwürdige Einstellung, Senor“, erklärte Sir James hochmütig. „Aber wie dem auch sei -ich erwarte von Ihnen, daß Sie sofort dafür sorgen, daß man mich und die sechs anderen Gentlemen auf die Galeone übersetzt, die von meinen Leuten erobert worden ist.“ Don Gregorio wurde stutzig. „Wer sind Sie überhaupt?“ fragte er. „Oh, das wissen Sie nicht?“ Das blasse Bürschchen tat regelrecht beleidigt. „Ich bin Sir James Sandwich, ein enger Vertrauter des Duke Henry of Battingham. Infolgedessen habe ich ein Anrecht darauf, als Gentleman behandelt zu werden. Mein Platz ist da drüben auf der Galeone und nicht hier auf dieser unangenehmen Insel. Meine Landsleute können nicht auf meinen
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Rat und Beistand verzichten. Also, Senor, kommen Sie Ihrer Verantwortung nach, und lassen Sie mich mit meinen Begleitern übersetzen.“ Don Gregorio wurde in der Tat wankelmütig. Kleidung und Benehmen des Engländers ließen durchaus darauf schließen, daß er einer der Adeligen war. Als Blaublütiger hatte er außerdem selber ein Gespür da- für. Doch - hatte der arrogante Bursche tatsächlich ein Anrecht darauf, zur Galeone hinübergepullt zu werden? Wenn ja, warum hatte er dann die Insel nicht zusammen mit den anderen Engländern verlassen? Oder gehörte er gar nicht zu ihnen? Don Gregorio beschloß, bei der Senora auf dem Achterdeck nachfragen zu lassen. Er wollte in seiner gegenwärtigen Lage keinen Fehler begehen, den er hernach bereuen müßte. Also beauftragte er seinen Ersten Offizier, eine Jolle zu bemannen, sie zu dem Zweidecker pullen zu lassen und die Senora zu den Ansprüchen eines gewissen Sir James Sandwich zu befragen. Sir James paßte das Ganze überhaupt nicht. „Warum lassen Sie mich und meine Freunde nicht sofort zur Galeone bringen?“ fragte er schnippisch. „Was soll das alles? Mißtrauen Sie mir etwa? Ist das der Dank für die Großzügigkeit, die man Ihnen und den anderen Spaniern erwiesen hat? Ich bestehe darauf, sofort diese Insel verlassen zu können!“ Don Gregorios Gesicht wurde abweisend. „Sie werden sich gedulden müssen, Senor“, gab er zur Antwort. „Ich werde mich vergewissern, ob Ihre Angaben der Wahrheit entsprechen. In kurzer Zeit werden wir es wissen.“ Sir James Sandwich mußte warten, etwas anderes blieb ihm nicht übrig. Er konnte es auch nicht riskieren, einen weiteren Streit vom Zaun zu brechen. Aber er verspürte ebenfalls keine Lust, mit den Spaniern auf dieser Insel zu bleiben. Wer wußte schon, ob es stimmte, daß man ihn und seine Leute den Dons überlassen hatte. Das konnte auch ein bösartiges Gerücht sein. Er jedenfalls würde alles Erdenkliche versuchen, um auf die Galeone zu
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gelangen - wenn es sein mußte, sogar als Gefangener. Hauptsache, man war den Händen der Spanier entronnen. Bis zur Rückkehr der Jolle begab er sich mit beleidigtem Gesicht zu seinen Getreuen, die ihm an Arroganz nicht nachstanden, auch wenn sie in dieser Stunde absolut keinen Grund dazu hatten, die Nasen hoch zu tragen. Nach der Prügelei, in die man sie hineingezogen hatte, glichen sie eher einer Schar gerupfter Gockel als vornehmen Gentlemen. Kaum hatte die Jolle am Ufer angelegt und war auf den Sand gezogen worden, erhob sich Sir James von dem Felsbrocken, auf dem er wie ein Pascha gethront hatte, und begab sich zu de la Cuesta. „Warum läßt man das Boot nicht gleich im Wasser?“ begehrte er zu wissen. „Ich bin nicht geneigt, noch länger auf das Übersetzen zu warten. Meine Geduld ist bereits sehr strapaziert worden, Capitan!“ Don Gregorio blickte seinen Ersten fragend an. Doch der schüttelte grinsend den Kopf. „Dieser Bursche und seine sechs Freunde gehören zwar zu einer Gruppe Adeliger“, berichtete er, „doch die Senora auf dem Zweidecker läßt ausrichten, daß die Kerle mit dem Ziel in die Karibik gesegelt seien, sich an den Spaniern zu bereichern. Daher sei es nur recht und billig, wenn sie auch bei uns bleiben würden. Des weiteren schlug die Senora vor, diese Herren. die bisher in Hofkreisen verkehrt hätten, doch der englischen Königin gegen ein Lösegeld zum Rückkauf anzubieten.“ Don Gregorio begriff die Ironie dieses Vorschlags sofort und begann schallend zu lachen. Sir James Sandwich jedoch wurde noch blasser. „Das ist unglaublich!“ stieß er hervor. „Einfach unerhört! Ich akzeptiere diese Antwort nicht - nein, auf keinen Fall! Wer garantiert mir, Capitan, daß Ihr Offizier nicht lügt?“ Jetzt aber legte der Erste die Stirn in düstere Falten und trat einen Schritt auf Sir James zu. Seine rechte Hand legte sich wie zufällig auf den Griff seines Degens.
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„Wenn Sie mir noch ein einziges Mal unterstellen, ein Lügner zu sein, Engländer, dann war das Ihre letzte Unterstellung, die Sie in Ihrem jämmerlichen Leben ausgesprochen haben. Vergessen Sie nicht, daß Sie ein Gefangener sind. Auf einen Bastard mehr oder weniger kommt es uns gewiß nicht an.“ Don Gregorio de la Cuesta nickte bestätigend. „Mein Offizier hat recht, Engländer. Reißen Sie sich zusammen. Wir haben uns mit Ihnen bereits mehr Mühe gegeben, als wir das sonst zu tun pflegen. Wir haben uns über Sie erkundigt, und Sie haben die Antwort gehört.“ „Die Antwort dieses Piratenweibes!“ keifte Sir James wütend. „Warum haben Sie nicht bei Sir Edward nachgefragt? Er ist der Kommandant der ‚Orion' gewesen, und die ‚Orion' war mein Schiff!“ „Ihr Schiff?“ Don Gregorio lachte abermals. „Sie scheinen sehr von sich eingenommen zu sein, Senor. Doch davon abgesehen hat Ihr früherer Kommandant zur Zeit keine Befehlsgewalt. Er mußte sich der Senora auf dem Zweidecker unterstellen, auch wenn er unser Schiff behalten durfte. Die Senora hat die Entscheidungsgewalt, und sie hat - wie Sie gehört haben - in Ihrem Fall eine Entscheidung getroffen. Also, belästigen Sie mich nicht weiter. Meine Geduld mit Ihnen und Ihrem arroganten Benehmen ist jetzt ebenfalls zu Ende.“ „Das werden Sie bereuen, Capitan!“ „Wollen Sie mir etwa drohen?“ „Das nicht“, erwiderte der blasse Bursche. „Aber als Mann von Stand und Adel bin ich nicht irgendein hergelaufener Decksmann. Ich kann erwarten, von Ihnen als Ehrenmann behandelt zu werden.“ Don Gregorios Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. „O ja, das können Sie“, sagte er. „Am besten, wir beginnen jetzt gleich mit der Behandlung, zumindest solange es noch einigermaßen hell ist. Morgen, nach Tagesanbruch, können wir dann damit weitersehen.“
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„Was wollen Sie damit sagen?“ begehrte das Bürschchen auf. „Damit will ich sagen, daß Sie jetzt zusammen mit Ihren ehrenwerten Freunden und Landsleuten hart zupacken werden, um die Hütten wieder aufzubauen. Schließlich möchten wir alle ein Dach über dem Kopf haben, solange wir mit dieser Insel vorlieb nehmen müssen.“ Sir James Sandwich war völlig entgeistert. „Sie - sie meinen“, stotterte er, „daß - daß ich beim Aufbau der Hütten mitarbeiten soll? So wie der gewöhnliche Pöbel?“ „Genau das meine ich“, erwiderte Don Gregorio, „denn für mich gehören Sie zum gewöhnlichen Pöbel -Sie und Ihre blasierten Freunde. Und jetzt verschwinden Sie, und sehen Sie zu, daß Sie mit der Arbeit anfangen! Wenn Sie nicht ordentlich zupacken, wird Ihre Essensration gestrichen.“ Sir James, der allmählich begriff, daß von nun an ein anderer Wind wehte, wankte kreidebleich zu seinen Freunden hinüber, die ihm erwartungsvoll entgegenblickten. Die Mitteilung über die Art ihres gemeinsamen Schicksals entlockte den Gentlemen ein entsetztes Gejammer. Den Spaniern vermittelte diese Reaktion jedoch lediglich ein Gefühl der Genugtuung. Jetzt waren sie wieder am Zug, und sie würden den arroganten Nichtstuern schon zeigen, was es hieß, im Schweiße des Angesichts sein Brot zu verdienen. Die Decksleute der „Orion“ und „Dragon“, die sich jetzt auf der spanischen Galeone befanden und beobachteten, was an Land vor sich ging, grinsten von einem Ohr zum anderen. „In dieser buckligen Welt scheint es doch noch eine Art ausgleichende Gerechtigkeit zu geben, Sir“, sagte einer von ihnen zu Marc Corbett. Der Erste Offizier wußte nur zugut, was der Mann damit sagen wollte. Denn auch er selber war der Meinung, daß ihnen diese hochnäsigen Laffen lange genug auf der Nase herumgetanzt waren. Die Hauptbeschäftigung dieser Gentlemen war der Müßiggang gewesen. Fasttäglich hatten
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sie sich bei zügellosen Freß- und Saufgelagen amüsiert, herumgegrölt, und den Züchtigungen der Decksmannen, die sie meist selber provoziert hatten, mit genüßlicher Freude zugesehen. Noch vor Einbruch der Dunkelheit verließen die „Caribian Queen“ und die erbeutete Kriegsgaleone die Insel, in deren Nordbucht soviel geschehen war, und segelten ostsüdostwärts zu den Pensacola Cays. 7. Auch am 27. August brannte die Sonne so heiß wie an den Tagen zuvor. Flimmernde Hitzeschleier, die das Atmen erschwerten, hatten sich über die Pensacola Cays gelegt. Die „Isabella IX.“, die ranke Dreimastgaleone der Seewölfe, lag noch immer in der stillen Südbucht der östlichsten Insel. Die „Caribian Queen“ und die spanische Beutegaleone, die jetzt unter Kapitän Edward Tottenham fuhr, waren schon vor knapp drei Tagen eingetroffen und in unmittelbarer Nähe vor Anker gegangen. An der Leeseite der „Isabella“ balgte sich eine Schar von Möwen kreischend um die Küchenabfälle, die Mac Pellew über Bord geschüttet hatte. Vom nahen, dschungelbewachsenen Ufer her war außer dem Lärm der Vögel das monotone Konzert eines Millionenheeres von Zikaden zu hören. Fast wirkte der schlanke Dreimaster, auf dem es sonst recht lebhaft zuging, wie ein Geisterschiff. Die Mannen der Crew verhielten sich sehr leise. Manche, darunter auch der bullige Profos Edwin Carberry, schlichen über die Decks, als müßten sie auf Eiern gehen. Die Gesichter der Männer waren ernst - am meisten die der Zwillingssöhne des Seewolfs, die sonst immer zu einem Spaß aufgelegt waren. Es wurde allgemein nur das Nötigste geredet, jeder versuchte, sich - so gut es eben ging - zu beschäftigen. Die Freiwächter hockten zumeist auf der Kuhl oder auf der Back und dösten vor sich hin, weil es an Deck immer noch erträglicher
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war als in den stickigen Mannschaftsräumen. Selbst Sir John, der karmesinrote Aracanga-Papagei, der beim letzten Glasen der Schiffsglocke von einem kurzen Landausflug zurückgekehrt war, hockte müde auf der Vormarsrah. Arwenack, der Schimpanse, und Plymmie, die Wolfshündin, hatten sich ein schattiges Plätzchen auf der Kuhl gesucht. Alles Leben war wie gelähmt auf der „Isabella“. Die Atmosphäre war gedämpft, und die Mannen hatten auch ihren Grund, sich still und ruhig zu verhalten. Dieser Grund war Philip Hasard Killigrew, der Seewolf. Der über sechs Fuß große und breitschultrige Mann mit dem schwarzen Haar und den eisblauen Augen hatte tagelang mit dem Tod gerungen, nachdem ihm Sir Andrew Clifford auf heimtückische Weise eine Pistolenkugel in den Rücken geschossen hatte. Seit Tagen lag der Seewolf im Fieber. Der schmalbrüstige Kutscher hatte sich mit Hilfe Mac Pellews und der Zwillinge nahezu pausenlos um ihn bemüht. Seit Eintreffen der „Caribian Queen“ und der spanischen Galeone hatte sich auch der Schiffsarzt der gesunkenen „Orion“ mit eingeschaltet und ging dem Kutscher zur Hand. Auch wenn in den letzten Tagen, in denen der Verwundete absolute Ruhe brauchte, kaum jemand die Krankenkammer betreten hatte, weilten die Gedanken der Männer doch ständig bei dem Mann, der mit blassem Gesicht in der Koje lag. Dabei kochte es in ihnen, und manch einer hätte dem feigen und heimtückischen Sir Andrew Clifford noch jetzt den Hals umgedreht, wenn er eine Möglichkeit dazu gehabt hätte. So aber war der Earl of Cumberland durch einen Pfeil Batutis getötet worden, und zwar unmittelbar im Anschluß an seine verbrecherische Tat. „Wir hätten diesem blaukarierten Rübenschwein schon viel früher den durchlauchten Hals langziehen sollen“, bemerkte Edwin Carberry, der auf einer Taurolle hockte und das narbige Gesicht in die Hände gestützt hatte.
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Al Conroy, der schwarzhaarige Stückmeister der „Isabella“, der sich ebenfalls auf der Kuhl niedergelassen hatte, nickte mit düsterem Gesicht. „Batutis Pfeil war viel zu schade für diesen Kerl“, sagte er. „Man hätte ihn solange kielholen sollen, bis er freiwillig abgedankt hätte.“ Solche und ähnliche Gedanken beschäftigten die Mannen immer wieder, solange die Ungewißheit über das Schicksal Philip Hasard Killigrews an ihnen fraß. Sie wußten, daß das Leben des Seewolfs immer noch auf der Kippe stand, obwohl der Kutscher die dicht vor dem Herzen sitzende Pistolenkugel herausgeholt hatte. Die Gefahr, daß Hasard seine letzte große Reise antreten könnte, bestand nach wie vor, auch wenn es dem Kutscher zusammen mit dem Schiffsarzt der „Orion“ gelungen war, den Eiter von der Operationswunde abfließen zu lassen und die Wunde zu desinfizieren. Würde es jetzt vielleicht mit Hasard aufwärts gehen? Die Mannen warteten ungeduldig auf eine Beantwortung dieser Frage, aber der Kutscher weilte bereits seit mehr als zwei Stunden in der Krankenkammer. Hatte das Gutes oder Schlechtes zu bedeuten? „Sie werden unseren Kapitän doch hoffentlich nicht mit der stinkenden schwarzen Salbe einschmieren, die der Kutscher zusammengebraut hat.“ Edwin Carberry zog ein mitleidiges Gesicht. Er selbst hatte vor dem Inhalt der zahlreichen Töpfe und Flaschen des Kutschers einen höllischen Respekt. „Warum eigentlich nicht?“ fragte Al Conroy. „Hauptsache, das Zeug hilft. Wenn ich in so einer beschissenen Lage wäre, würde ich mich notfalls mit Kamelmist einreiben lassen vorausgesetzt, es wäre gut für die Heilung.“ Ed warf ihm einen skeptischen Blick zu und schob sein amboßartiges Rammkinn vor. Allein schon der Gedanke, dem Kutscher sowie seinen Arzneien und Instrumenten über Tage hinweg ausgeliefert zu sein, war ihm unerträglich.
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Dabei war der blonde und schmalbrüstige Mann, dessen richtigen Namen niemand kannte, ein äußerst tüchtiger Feldscher. Auch der Arzt der „Orion“ schien einiges auf dem Kasten zu haben. Trotzdem rieselte dem Profos ein kalter Schauer über den Rücken, wenn er an all die geheimnisvollen Utensilien dachte, die die Schiffsärzte in ihren Kisten und Truhen aufbewahrten. Er litt deshalb ganz besonders mit dem verletzten Seewolf und stellte sich zuweilen die ausgefallensten Dinge vor, die die „Salbenmischer“ seiner Meinung nach mit ihm trieben. Als der Kutscher nach dem nächsten Glasen der Schiffsglocke endlich auftauchte, blickten ihm die Mannen mit banger Erwartung entgegen. Vor allem Ed zog ein Gesicht, das an einen kranken Hund erinnerte. Um die Lippen des Kutschers huschte ein Lächeln. „Hasards Zustand hat sich leicht gebessert“, berichtete er. „Er hat zwar immer noch Fieber, aber die Wunde eitert nicht mehr. Ich denke, wir können zuversichtlich sein.“ Die Männer atmeten auf und fühlten sich plötzlich um tonnenschwere Lasten erleichtert. Sie hatten ja nicht erwartet, daß Hasard noch heute die Krankenkammer verlassen und zum Achterdeck aufentern würde, aber auf eine Besserung hatten sie schon sehnsüchtig gehofft. Insofern hatte ihnen der Feldscher eine gute Nachricht übermittelt. Es ging dem Seewolf besser, und das stimmte die Arwenacks zuversichtlich und hob ihre Stimmung doch um einiges. Auch Siri-Tong und ihre Crew atmeten fast hörbar auf, als Ben Brighton, Hasards Stellvertreter, ihnen die Nachricht des Kutschers übermittelte. * Drei Tage später, am 30. August 1594, waren die Arwenacks völlig aus dem Häuschen. Die beiden „Salbenmischer“, wie Edwin Carberry die Feldschere nannte, hatten sich nicht geirrt. Die Hoffnungen,
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welche die Männer in den letzten Tagen gehegt hatten, waren berechtigt gewesen. Es ging von Tag zu Tag aufwärts mit dem Seewolf. Das Fieber sank, die Wunde eiterte nicht mehr und begann zu heilen. Die Mannen hatten gerade das morgendliche Backen und Banken hinter sich gebracht, und sich an den kräftigen Speckpfannkuchen gelabt, die Mac Pellew und die Zwillinge zubereitet hätten, als der Kutscher die Nachricht überbrachte, auf die sie alle schon lange gewartet hatten. Die Andeutungen, die er bereits am Vortag verkündet hatte, schienen sich zu bestätigen: Die Arwenacks durften heute ihren Kapitän endlich am Krankenbett besuchen. Edwin Carberry grinste von einem Ohr zum anderen, wodurch sein zernarbtes Gesicht noch fürchterlicher aussah. Er hieb dem Kutscher begeistert die rechte Pranke auf die Schulter. „Eins kann ich dir sagen, du Salbenschmierer!” röhrte er. „So gern wie diesmal bin ich noch nie in die Krankenkammer gegangen, das kannst du mir glauben. Selbst wenn du sämtliche Planken dort mit deiner stinkenden schwarzen Salbe eingeschmiert hättest, könnte mich niemand zurückhalten. Noch etwas, Kutscher: Daß du unseren Kapitän wieder aufgemöbelt hast, das wird dir hier an Bord keiner vergessen, jawohl.“ Der Kutscher war sich darüber im klaren, daß diese Worte aus dem Mund des äußerlich so ruppigen, innerlich aber herzensguten Edwin Carberry ein großes Lob darstellten. Dennoch hob er abwehrend die Hände. „Nur langsam, Mister Carberry. Das ist nicht allein mein Verdienst, sondern alle an Bord unserer Lady haben daran mitgearbeitet. Auch der Feldscher der .Orion' hat gute Arbeit geleistet und Mac, unser alter Griesgram, hat viele Stunden lang mitgeholfen. Außerdem hat er in der Kombüse doppelt soviel schuften müssen als sonst. Und nicht zuletzt habt ihr alle durch euer rücksichtsvolles Verhalten einen guten Teil dazu beigetragen.“
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„Dem Großlord sei Dank, daß es jetzt mit dieser Rücksichtnahme vorbei ist“, sagte Ed. „So langsam spürt man nämlich Wespen unter dem Hintern, wenn man immer nur herumhockt und auf die nächsten Nachrichten wartet oder aber wie eine blonde Tanzmaid auf den Zehenspitzen, schweben muß, wenn man mal von vorn nach achtern gehen muß.“ Die Männer grinsten. „Du wärst mir schon die richtige Tanzmaid“, sagte der bullige Smoky. „Und auf Zehenspitzen möchte ich dich auch mal schweben sehen, Mister Carberry. Da würde ich schon eher auf einen Tanzbären tippen.“ Die Arwenacks lachten, ihre frühere gute Laune kehrte zurück. Die Aussicht, daß Hasard irgendwann wieder gesund in ihrer Mitte weilen würde, hob ihre Stimmung ganz gewaltig. Der Kutscher vollführte eine beschwichtigende Geste. „Nun mal langsam, Leute“, sagte er lächelnd. „Mit der Rücksichtnahme ist es beileibe noch nicht vorbei. Hasard braucht noch immer sehr viel Ruhe, und bis ihr ihm wieder mal so richtig auf die Schulter hauen könnt, kann es schon noch ein bißchen dauern. Ich erwähne das nur, damit keiner von euch auf die Idee verfällt, es zu tun, wenn ihr ihn nachher besucht.“ Edwin Carberry starrte prompt auf seine Pranken, die mittleren Schmiedehämmern glichen, und grinste dann verlegen, denn wenn er ehrlich gegen sich selber war, hatte er genau das vorgehabt. Verdammt, es würde ihm unheimlich gut tun, dem Seewolf mal wieder in alter Freundschaft so richtig auf die Schulter klopfen zu können. Aber er war natürlich auch so zufrieden, Hauptsache es ging aufwärts mit Hasard, damit auf der „Isabella“ bald wieder der „Normalzustand“ hergestellt werden konnte. Es war schon ein Kreuz, über Tage hinweg auf sämtliche deftigen Flüche zu verzichten. So was mußte die Gesundheit ruinieren, daran gab es. gar keinen Zweifel. Sir John, der zunächst müde von der Vormarsrah geäugt hatte, glaubte wohl, auf
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der Kuhl gäbe es was Besonderes, weil sich dort alle Mannen um den Kutscher geschart hatten. Er flatterte deshalb von seinem Stammplatz herunter und ließ sich auf der linken Schulter Edwin Carberrys nieder. „Scheißwetter heute!“ krächzte er, und Carberry zuckte zusammen. Als die anderen zu grinsen begannen, verscheuchte er den Vogel. „Verschwinde, du Schnarcheule, und halte deinen vorlauten Schnabel!“ Doch Sir John stellte wieder einmal unter Beweis, daß er bei Carberry einiges gelernt hatte und lud diesen, noch während er zum Vormars hochflatterte, lauthals zum „Backbrassen“ ein. Kurze Zeit später war es soweit, die Crew der „Isabella IX.“ durfte Philip Hasard Killigrew in der Krankenkammer besuchen. Natürlich hatte man auch SiriTong und die Mannen von der „Caribian Queen“ rechtzeitig benachrichtigt. Sittsam wie Kavaliere, denen das erste Rendezvous mit einer hübschen Maid bevorstand, pilgerten die rauhen Männer zur Back, wo sich die Krankenkammer neben der Kombüse befand. Dann sahen sie ihn, den Seewolf. Von Kissen gestützt saß er in der Koje, um die „Rübenschwein-Parade“, wie Ed das Ereignis kurzerhand bezeichnet hatte, abzunehmen - eine Parade von Männern, die vor Verlegenheit und Freude nicht wußten, ob sie grinsen oder heulen sollten. Da war keiner, der nicht rote Augen hatte. Selbst jetzt bewegten sie sich vorsichtig, und jene, die sich sonst am härtesten gebärdeten, waren buchstäblich weich wie Butter, schnäuzten sich, rieben sich über die Augen und hätten ihren Kapitän am liebsten umarmt oder ihm eben die Pranken auf die Schulter gedroschen. Aber da paßte der Kutscher auf wie ein Luchs, wobei er besonders seinen Freund Carberry im Visier hatte. Doch dabei entdeckte er erst, was Ed mitgebracht hatte, und er glaubte im wahrsten Sinne des Wortes, seinen Augen nicht trauen zu können: Es waren Blumen. Jawohl, einen Strauß Blumen hatte der Profos der
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„Isabella“ mitgebracht. Und er hatte sie selbst an Land gepflückt, ohne sich um das Grinsen der übrigen „Affenärsche“ und „Rübenschweine“ zu kümmern. Mit feuchten Augen legte der bullige Kerl mit dem Amboßkinn und Narbengesicht den Blumenstrauß seinem Kapitän vorsichtig auf die Bettdecke, als er endlich an der Reihe war. Danach rieb er sich verlegen die Pranken. „Für dich, Sir“, murmelte er überflüssigerweise. „Freut mich, daß du wieder auf den Beinen - äh - wollte sagen, daß es dir wieder besser geht. Du weißt ja, Unkraut vergeht nicht, und außerdem, Sir, bist du ja noch viel zu jung zum - na ja, du weißt schon, nicht wahr? Am liebsten würde ich dir jetzt auf die Schulter hauen, aber da hat unser Knochenflicker leider was dagegen. Dafür werden wir aber das größte Faß Rum anstechen, sobald du wieder aus der Koje steigen kannst, das verspreche ich dir ...“ Der Kutscher warf Ed einen grimmigen Blick zu und wedelte unmißverständlich mit der Hand. „Danke, Ed“, sagte Hasard, und über sein bleiches, fast durchsichtiges Gesicht zog ein schwaches Lächeln. „Ich freue mich schon darauf.“ „Und ich erst. Sir!“ Carberry warf dem Kutscher einen vielsagenden Blick zu, der soviel hieß wie: „Na, siehst du!“ Dann verzog er sich. Daß der Kutscher hinterher was von einer Krankheit namens „Rederitis“ sagte, störte ihn nicht im geringsten. Er war sogar mächtig stolz darauf, Hasard einige nette Sachen gesagt zu haben. Außerdem war er glücklich, weil sein Kapitän ihn angelächelt hatte. Trotzdem, so sagte sich Ed, war Hasard ziemlich schmal geworden. Da würden sich die Kombüsenhengste mächtig anstrengen müssen, um ihn wieder aufzupäppeln. Und noch etwas hatte Edwin Carberry entdeckt: graue Strähnen im schwarzen Schläfenhaar des Seewolfs. Bei dem Gedanken daran fuhr er sich reflexartig über den eigenen wirren Haarschopf. Dennoch war Carberrys Freude ungetrübt, und das nächste
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„Rübenschwein“, das ihm über den Weg lief, nämlich Big Old Shane, kriegte einen kraftvollen Prankenhieb auf die Schulter. „Du ziehst ein Gesicht, als hätten dir die Hühner die Körner weggefressen“, tadelte Carberry. „Bevor du die Krankenkammer betrittst, solltest du die Stirnfalten ruhig mal in die andere Richtung legen, damit unser Kapitän ein bißchen aufgeheitert wird. Was soll er denn denken, wenn wir alle schnäuzend durch die Gegend laufen, was, wie? Der hält uns ja glatt für Heulsusen.“ Big Old Shane, der ehemalige Waffenschmied der Feste Arwenack, versprach, sich den weisen Rat zu Herzen zu nehmen. Siri-Tong hatte sich bewußt als letzte in die lange Reihe der Besucher gestellt, denn sie hatte dringend etwas mit dem Seewolf zu besprechen. Sie wollte ihn beileibe nicht strapazieren, aber sie mußte wenigstens seine Entscheidung hören, damit all die unerfreulichen Ereignisse der letzten Zeit bereinigt werden konnten. Auch sie sah die grauen Haare und das schmal gewordene Gesicht des Seewolfs, als sie endlich bei ihm war. Trotzdem war sie froh wie alle anderen, daß es aufwärts mit ihm ging. „Du hast Neuigkeiten mitgebracht?“ fragte er mit leiser Stimme. Siri-Tong nickte lächelnd. „Das kann man wohl sagen“, erwiderte sie. Dann berichtete sie in kurzen Worten über die Geschehnisse bei den Grand Cays. Sie schilderte den Untergang der „Orion“ und der „Dragon“, den Verrat O'Learys und Charles Stewarts und den wütenden Angriff der beiden spanischen Kriegsgaleonen, von denen man eine versenkt und die andere als Prise genommen hatte. Zum Abschluß sprach sie kurz über das Verhör der englischen Offiziere und über die Entscheidungen, die sie zunächst bezüglich der Engländer und Spanier getroffen hatte. Sie erinnerte den Seewolf daran, daß sich jetzt Sir Henry of Battingham, Charles Stewart und John
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Killigrew in der Hand des Bundes der Korsaren befanden. Hasard überlegte eine Weile, nachdem er Siri-Tong aufmerksam zugehört hatte. Ja, er dachte sogar ziemlich lange nach. Sein Gesicht wirkte dabei ernst und verschlossen. „Ich will nichts mehr mit diesen Leuten zu tun haben“, sagte er schließlich. „Übergebt sie Kapitän Tottenham.“ Siri-Tong wiegte den Kopf hin und her. „Tottenham ist mitschuldig“, entgegnete sie dann. „Zumindest war er es bis zu dem Zeitpunkt, an dem er zuließ, daß die ,Santa Cruz', die bereits die Flagge gestrichen hatte, zusammengeschossen wurde.“ Hasard schüttelte den Kopf. „Trotzdem“, sagte er. „Wir sind nicht die Richter eines Duke of Battingham, eines John Killigrew oder eines Charles Stewart. England soll selber über sie urteilen oder zu Gericht sitzen. Wir tun es nicht. Es ist nicht unsere Sache.“ Siri-Tong, die eine besondere Zuneigung mit Hasard verband, verstand ihn nur zu gut. „Ich glaube, du hast die richtige Entscheidung getroffen“, sagte sie. „Ich werde dafür sorgen, daß deinem Wunsch entsprochen wird.“ Bald darauf setzte die Rote Korsarin zu der spanischen Beutegaleone über und berichtete Kapitän Tottenham, was Philip Hasard Killigrew gesagt hatte. Sir Edward hörte sich schweigend an, was sie ihm mitteilte. Siri-Tong konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß dieser Mann sich sehr verändert hatte. Auch er überlegte lange und mit ernstem Gesicht. Dann aber ließ er Marc Corbett, seinen Ersten Offizier, rufen. „Kraft meiner Funktion als Kommandant dieser Galeone“, sagte er, „ordne ich hiermit ein Kriegsgericht gegen den Duke Henry of Battingham, Sir John Killigrew und Charles Stewart an. Bitte, Mister Corbett, sorgen Sie dafür, daß dieses Gericht so rasch wie möglich zusammentritt.“ „Aye, aye, Sir“, erwiderte Corbett und verließ die Kapitänskammer.
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Der Himmel über den Pensacola Cays war etwas bedeckt. Die Hitze verwandelte sich nach und nach in drückende Schwüle. Zeitweise hatte es den Anschein, als bahne sich ein Regenguß oder aber ein Gewitter an. Seit dem Besuch Siri-Tongs auf der spanischen Galeone, die jetzt den Engländern gehörte, war eine gute Stunde vergangen. Die drei Gefangenen, die von dem eingesetzten Kriegsgericht abgeurteilt werden sollten, befanden sich auf der Kuhl des Schiffes. Das Kriegsgericht, das unter kurzem Trommelwirbel zusammengetreten war, bestand aus den Offizieren der beiden versenkten Galeonen „Orion“ und „Dragon“. Sir Edward führte den Vorsitz. Die Angeklagten standen nebeneinander. Die Hände hatte man ihnen gefesselt. Ihre Reaktion auf die Tatsache, daß man sie vor Gericht gestellt hatte, war unterschiedlich. Sir Henry hatte ein arrogantes Lächeln aufgesetzt, weil er sich Tottenham haushoch überlegen glaubte. Charles Stewarts Blick war haßerfüllt, und auch John Killigrew konnte seine Wut nicht verbergen. Trotz seiner Handfesseln erweckte er den Eindruck, sich auf die Offiziere stürzen und eine Prügelei beginnen zu wollen. Sir Edward verlas die Anklage. Die Männer der Crew hatten sich ausnahmslos an Deck versammelt, um Zeugen der Verhandlung zu sein. „Die Anklage“, begann Sir Edward mit fester Stimme, „lautet in allen drei Fällen: Verletzung der Ehre Englands, Mißbrauch von Kriegsgaleonen Ihrer Majestät, der Königin, zum Zwecke der persönlichen Bereicherung sowie Verletzung der Ehre und Würde des Sir Philip Hasard Killigrew, eines von Ihrer Majestät zum Ritter geschlagenen Mannes. Mit der Verletzung seiner Ehre wurde auch die Ehre Ihrer Majestät in Frage gestellt und beleidigt.“
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Sir Henry warf Tottenham einen hochnäsigen Blick zu. „Ich muß Sie darauf hinweisen, Sir Edward“, sagte er, „daß diese Anklagen nicht stichhaltig sind. Besonders der letzte Anklagepunkt, Mister Stewart, Sir John und ich hätten die Ehre und Würde des Piraten Killigrew verletzt, ist geradezu lächerlich. Dieser Philip Hasard Killigrew ist kein Mann von Ehre, sondern ein Betrüger, Hoch- und Landesverräter ...“ Sir Edward unterbrach den Duke of Battingham. „Welche Beweise haben Sie für diese Anschuldigungen vorzubringen, Sir Henry?“ Der Angeklagte stieß ein kurzes Lachen aus. , „Ich denke, der Auftrag Ihrer Majestät, diesen Mann festzunehmen und nach England zu bringen, ist wohl Beweis genug für die Stichhaltigkeit meiner Vorwürfe. Oder wollen Sie etwa behaupten, die Königin habe uns aufgrund haltloser Verdächtigungen losgeschickt? O nein, Ihre Majestät wußte sehr wohl, was sie tat. Aus diesem Grund bin ich mir auch keiner Schuld bewußt. Ich habe nichts anderes getan, als den Auftrag Ihrer Majestät auszuführen. Wenn mir das bis zur Stunde noch nicht gelungen ist, dann nur deshalb, weil Leute wie Sie, die eigentlich denselben Auftrag verfolgen sollten, mich daran gehindert haben.“ „Sir Henry hat recht“, sagte Charles Stewart plötzlich. „Man hat uns daran gehindert, die königliche Order auszuführen. Wie wollen wir unser Ziel erreichen, wenn man uns wie Verbrecher fesselt und einsperrt! Ich verlange sofortige Freilassung.“ „Ich schließe mich dieser Forderung an!“ ließ sich Sir John Killigrew mit rauher Stimme vernehmen. „Es ist eine Schande, wie Abgesandte Ihrer Majestät behandelt werden.“ Sir Henry nickte eifrig. „Sie sehen“, fügte er den Worten Killigrews hinzu, „daß diese Gentlemen genauso empört sind wie ich. Statt uns zu
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unterstützen, will man uns Straftaten unterschieben und pauschal aburteilen.“ „Hier wird niemand pauschal verurteilt“, entgegnete Sir Edward scharf, „auch wenn die Hauptanklagepunkte auf Sie alle zutreffen. Das Gericht wird sich sehr wohl noch mit den Vergehen jedes einzelnen beschäftigen. Dabei wird sich zeigen, ob Ihre Westen wirklich so weiß sind, wie Sie, Sir Henry, das hinzustellen versuchen. Außerdem frage ich Sie, Sir Henry: Welche Beweise können Sie für die Existenz der königlichen Order vorbringen? Sie wurden bereits wiederholt gebeten, das entsprechende Schriftstück Ihrer Majestät oder des Lordadmirals vorzuzeigen. Schon die Kapitäne Rooke und Wavell hatten Einsicht in diese Order verlangt, aber vergebens, und deshalb haben sich die Gentlemen vom Verband abgesetzt. Weder Sie noch Sir Andrew Clifford, der bereits einen anderen Richter gefunden hat, waren jemals in der Lage, Ihre Behauptungen durch das entsprechende Schriftstück zu belegen. Vielmehr haben Sie alle am Verband beteiligten Kommandanten durch Ihre Behauptungen getäuscht. Auch ich muß gestehen, daß ich lange Zeit an das Vorhandensein einer königlichen Order geglaubt habe. Nur deshalb habe ich mich dazu bewegen lassen, mich an dem Unternehmen zu beteiligen. Jetzt aber bin ich dankbar, daß mir durch die Ereignisse der letzten Zeit und durch die Aussagen verschiedener Personen die Augen geöffnet wurden. Sie aber, Sir Henry, waren es, der das Unternehmen zusammen mit Sir Andrew durch Verleumdungen und Intrigen in Gang gesetzt hat, nur um sich im Sinne der Anklage persönlich zu bereichern. Eine Order Ihrer Majestät haben Sie vorgeschoben, um Ihre wirklichen Ziele zu vertuschen. Diese Ziele aber sind hier in der Karibik sehr bald offenbar geworden.“ „Das ist ungeheuerlich!“ begehrte Sir Henry auf. „Es existiert nämlich wirklich eine schriftliche Order Ihrer Majestät ...“ „Sind Sie in der Lage, diese dem Gericht vorzulegen?“ fragte Sir Edward.
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„Nein. Sie war zuletzt in den Händen von Sir Andrew und muß im Wirbel der Ereignisse verlorengegangen sein.“ „Aha“, sagte Sir Edward. „Das wichtige Schriftstück ging ganz einfach verloren, ohne jemals vorgezeigt worden zu sein. Ich hoffe, Sie sind sich der Lächerlichkeit Ihrer Behauptungen bewußt. Sir Henry. Ich fahre nun damit fort, die Anklagepunkte im einzelnen vorzutragen -auch um den Vorwurf einer pauschalen Verurteilung zu widerlegen.“ „Ich bleibe dabei, im Auftrag Ihrer Majestät gehandelt zu haben“, beharrte Sir Henry. „Deshalb hat niemand das Recht, mir etwas vorzuwerfen.“ „Da Sie bis zur Stunde den Nachweis dafür schuldig geblieben sind, kann das Gericht diese Aussage nicht akzeptieren“, fuhr Sir Edward fort. „Dagegen aber haben Sie, Sir Henry, sich im einzelnen für Lüge, Betrug und Rechtsanmaßung zu verantworten. Sie haben Sir Hasard in England verleumdet, Sie haben die übrigen Kommandanten des Verbandes belogen und betrogen, indem Sie behaupteten, eine Order Ihrer Majestät zu besitzen, und Sie haben sich durch Ihre Eigenmächtigkeit auch der Rechtsanmaßung schuldig gemacht. Dabei haben Sie in allen Punkten aus niedrigen Beweggründen gehandelt, weil Sie ausschließlich Ihre persönliche Bereicherung im Auge hatten.“ „Unglaublich!“ stieß Sir Henry hervor. Aber er konnte nicht vermeiden, daß sein Gesicht eine Spur blasser wurde. „Sir John Killigrew werden im einzelnen Raub, Entführung und Desertion vorgeworfen“, fuhr Sir Edward unbeirrt fort. „Er hat sich im Hinblick auf die spanische Handelsgaleone in räuberischer Weise bereichert, hat Sir Andrew Clifford entführt und als Geisel genommen und ist vom Verband desertiert, um seine privaten Ziele zu verfolgen. Um eine angeblich vorhandene Order Ihrer Majestät kümmerte er sich nicht, offenbar weil er wußte, daß eine solche gar nicht existierte.“ John Killigrew, dieser gewalttätige Mann mit dem verschlagenen Gesicht, das eine
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bläulich-rote Knollennase zierte, begann hämisch zu lachen. „Welch ein Geschwätz!“ stieß er hervor. „Was soll das ganze Theater mit dieser Gerichtsverhandlung? Natürlich habe ich den verdammten Dons ein bißchen in die Taschen gegriffen, das weiß jeder. Da ich vermeiden wollte, daß mir die anderen Gentlemen das Zeug abjagten, habe ich mich eben vom Verband abgesetzt. Na und? Was soll das ganze Hin- und Hergerede - unser Unternehmen hat eine Menge Geld gekostet, das sollte schließlich wieder reinkommen. Jeder von uns hat doch im stillen gehofft, bei der Sache den Rahm abschöpfen zu können, oder?“ Seine Augen ruckten fragend von einem zum andern, und als er nur ablehnende Gesichter sah, zog er eine wütende Grimasse. „Sie sind im Vergleich zu Sir Henry bemerkenswert offen, Sir John“, stellte Tottenham fest. „Sie haben soeben selber bestätigt, daß Sie sich hauptsächlich deshalb an der Jagd nach Philip Hasard Killigrew beteiligt haben, weil Sie Ihre persönlichen Geschäfte im Auge hatten. Sicherlich hatte es Ihnen dabei auch die Schatzbeute angetan, die Sir Hasard legal, im königlichen Auftrag, verwahrt.“ „Der Bastard hat doch genug Reichtümer gehortet!“ brüllte Sir John wütend. „Den hätte es nicht erschüttert, wenn wir ihm einen Teil davon abgejagt hätten.“ „Schweigen Sie jetzt!“ fuhr ihn Tottenham an. „Sonst muß ich Sie abführen lassen.“ Sofort traten zwei Männer auf den alten Killigrew zu und legten ihm die Hände auf die Schultern. Als er noch einen wilden Fluch ausstieß, packten sie ihn an den Oberarmen. „Mit diesen Worten“, sagte Sir Edward, „haben Sie sich im Sinne der Anklage für schuldig bekannt. Indem Sie Sir Hasard selbst die Schatzbeute abjagen wollten, die er als Korsar Ihrer Majestät bis zur Übergabe zu verwalten hat, haben Sie sogar räuberisches Interesse am Eigentum der Königin bekundet.“
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Sir John Killigrew murmelte abermals einen Fluch vor sich hin und bedachte Tottenham mit einem wilden Blick. Der aber wandte sich jetzt an Charles Stewart. „Sie, Mister Stewart“, begann er, „haben sich wegen Raubes, Meuterei und Vernachlässigung Ihrer Pflichten als Kommandant der ‚Dragon' zu verantworten.“ Charles Stewart hörte sich die Anklage mit einem spöttischen Grinsen an, zumal er kaum etwas zur Entkräftung vortragen konnte. Offiziere und Besatzung der „Orion“ und „Dragon“ waren Zeuge seiner verbrecherischen Handlungen geworden, daran ließ sich im Nachhinein nichts mehr ändern. Wohl oder übel mußten sich die drei Angeklagten die weiteren Ausführungen Tottenhams, der jetzt auf die Einzelheiten einging, anhören. Lediglich Stewart und Killigrew mußten noch einmal zur Ruhe ermahnt werden. Nach mehr als zwei Stunden zog sich das Gericht zur Beratung in die Kapitänskammer zurück, während die Angeklagten unter strenger Bewachung auf der Kuhl blieben. Die Beratung dauerte eine knappe halbe Stunde, dann erschien das Kriegsgericht zur Urteilsverkündung. Ein kurzer Trommelwirbel wies auf das Erscheinen der Offiziere hin. Die Mitglieder des Kriegsgerichtes zogen ernste Gesichter, als sie ihre Plätze einnahmen. Sir Henry hingegen schien noch nicht so recht an den Ernst der Sache zu glauben. Er setzte nach wie vor ein hochnäsiges Lächeln auf und warf den Offizieren überhebliche Blicke zu. Charles Stewart stieß ein leises Knurren aus, und John Killigrew versuchte, verächtlich auf die Planken zu spucken. Er handelte sich jedoch dafür einen Rippenstoß seines Bewachers ein. Sir Edward räusperte sich. „Das Kriegsgericht Ihrer Majestät, der Königin von England“, sagte er mit lauter Stimme, „ist einstimmig zu dem Entschluß gelangt, daß sich die Angeklagten, Sir
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Henry of Battingham, Sir John Killigrew und Mister Charles Stewart, in allen Punkten der Anklage schuldig gemacht haben. Sie werden deshalb - ebenso einstimmig - zum Tod durch Erschießen verurteilt. Das Urteil ist sofort zu vollstrecken.“ Diese Worte schlugen ein wie eine Breitseite. Besonders Sir Henry schien im Vertrauen auf seinen Adelsrang als Duke of Battingham nicht mit diesem Urteil gerechnet zu haben. Er hatte wohl geglaubt, daß es niemand wagen würde, Hand an ihn zu legen. Umso mehr schmetterte ihn jetzt dieses Urteil nieder. Das hochnäsige Lächeln verschwand augenblicklich aus seinem Gesicht. Er wurde aschfahl, seine Lippen begannen zu beben. Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. „Das ist ungeheuerlich!“ schrie er. „Ich bin Duke Henry of Battingham, und wer es wagt, mir auch nur ein Haar zu krümmen, wird sich in England verantworten müssen. Ich erkenne dieses Urteil nicht an!“ Auch Charles Stewart begann zu brüllen und überhäufte die Mitglieder des Kriegsgerichtes mit wüsten Flüchen und unflätigen Beschimpfungen. Aber das alles half den drei Halunken nicht. Niemand beachtete ihre Proteste. Die Crewmitglieder, die Zeugen der Verhandlung geworden waren, trugen unbeteiligte Mienen zur Schau. Im stillen aber empfanden sie Genugtuung. Sir Henry, Sir John und Charles Stewart waren rechtsgültig zum Tode verurteilt worden und wurden auf Befehl des Gerichts sofort auf eine Jolle gebracht. Eine weitere Jolle wurde dem Erschießungskommando zur Verfügung gestellt. Schließlich wurden die beiden Boote zum Ufer gepullt. Wenig später dröhnten die Salven der Exekution über die Bucht. Die drei Männer, die beutelüstern und mit hinterhältigen Plänen in die Karibik aufgebrochen waren, hauchten ihr Leben unter den Schüssen des Pelotons aus. Sir Henry starb als Feigling, nämlich
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jammernd. Sir John und Stewart hingegen brüllten wie wilde Stiere, bevor die Kugeln sie zum Verstummen brachten. * Kurz vor der Mittagszeit hatte sich der Wolkenhimmel über den Pensacola Cays weiter verdichtet, die Schwüle nahm ständig zu. Den Männern auf den drei Schiffen brach der Schweiß aus allen Poren. Als die beiden Jollen vom Ufer zurückkehrten, stand Sir Edward mit unbewegtem Gesicht auf dem Achterdeck und stützte sich auf den Handlauf der Querbalustrade. Nachdem man ihm den Vollzug des Todesurteils gemeldet hatte, wandte er sich Marc Corbett zu. „Damit wurde ein weiterer Beitrag zur Wiederherstellung der Ehre Ihrer Majestät und der Ehre Sir Hasards geleistet“, sagte er. Der Erste Offizier nickte mit ernstem Gesicht. „Sie haben ihre Strafe verdient“, entgegnete er. „Es bleibt nur zu hoffen, daß sie dies vor ihrem Tod noch eingesehen haben.“ Sir Edward wandte sich um. „Übernehmen Sie vorerst das Kommando, Mister Corbett. Ich werde mich für eine Weile in meine Kammer zurückziehen.“ „Aye, Sir.“ Marc Corbett blickte seinem Kapitän nach, als dieser auf die Achterdecksräume zuschritt. Sir Edward wirkte müde und erschöpft. Die Kriegsgerichtsverhandlung schien ihn ziemlich strapaziert zu haben. Der Erste nahm die Zügel in die Hand, um zunächst dafür zu sorgen, daß alles an Bord wieder in gewohnten Bahnen verlief. Noch standen überall kleine Gruppen von Männern herum und debattierten über das Urteil. Aber es war niemand unter ihnen, der es nicht gebilligt hätte. Die gesamte Crew war sich darüber im klaren, daß die Hingerichteten den Bogen weit überspannt hatten. Alle hatten miterlebt, daß es sich nicht auszahlte, wenn man bestimmte
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Grenzen überschritt - selbst dann nicht, wenn man einen Adelstitel trug. Marc Corbett gab einige Befehle, die Männer kehrten zu ihrer Arbeit zurück. Auch der Koch verholte mit seinen Helfern wieder in die Kombüse, denn es war an der Zeit, an das mittägliche Backen und Banken zu denken. Corbett enterte wieder zum Achterdeck auf, doch dabei stoppte er abrupt seine Schritte. Irgendwo unter Deck war plötzlich ein Schuß gefallen. Das Geräusch war zwar nur gedämpft zu hören gewesen, aber er hatte es deutlich vernommen. Wenn ihn nicht alles täuschte, hatte es sich um einen Pistolenschuß gehandelt. Wer, zum Teufel, hatte diesen Schuß abgefeuert? Und warum? Marc Corbett fand dafür keine Erklärung. Arthur Gretton, der sich noch auf dem Achterdeck aufhielt, sah Corbett fragend an. „War das nicht ein Schuß, Mister Corbett?“ Der Erste Offizier nickte. „Er könnte in den Achterdecksräumen gefallen sein. Wir sollten die Angelegenheit sofort überprüfen und notfalls Sir Edward Meldung erstatten.“ Die beiden Männer betraten wenig später den Gang, der das Achterkastell in zwei Hälften teilte. Doch dort war alles still, niemand schien sich in der Nähe aufzuhalten, auch die einzelnen Kammern waren leer. „Merkwürdig“, sagte Arthur Gretton. „Vielleicht haben wir uns getäuscht.“ „Nein.“ Corbett schüttelte entschieden den Kopf. „Das war ein Schuß, daran gibt es keinen Zweifel. Am besten, wir befragen Sir Edward. Er müßte ihn ebenfalls gehört haben.“ Wenig später klopfte er an das Schott der Kapitänskammer. Aber es erfolgte keine Antwort. Sollte sich Sir Edward hingelegt haben und sofort eingeschlafen sein? Corbett klopfte abermals, diesmal etwas kräftiger. Aber es rührte sich auch jetzt nichts. Die beiden Offiziere blickten sich fragend an.
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„Sir Edward!“ rief Corbett dann. „Mister Gretton und ich möchten Sie gern sprechen!“ Alles blieb still, beinahe schon gespenstisch still. Der Erste öffnete kurzentschlossen das Schott - und blieb wie angewurzelt stehen. Über seinen Rücken kroch ein eiskalter Schauer. Für einen Moment war er wie gelähmt. Arthur Gretton, der ihm über die Schulter blickte, erging es nicht anders. „Großer Gott“, murmelte er, „Sir Edward!“ In der Mitte des Raumes stand ein schwerer Eichentisch, der fest im Boden verankert war. Auf dem Stuhl davor saß Sir Edward Tottenham. Sein Oberkörper war nach vorn auf die Tischplatte gesunken. Die rechte Hand umklammerte noch den Griff einer Steinschloßpistole, aus einer Schläfenwunde sickerte Blut. über dem Raum hing der Geruch von Pulverdampf. Sir Edward Tottenham war tot. Die beiden Offiziere begriffen rasch, was hier geschehen war. Aber warum hatte sich ihr Kapitän eine Kugel durch den Kopf gejagt? Mit bleichen Gesichtern näherten sie sich dem Tisch. Vor dem Toten lag ein Schriftstück, das mit einem Tintenfaß beschwert worden war. „Er hat einen Brief hinterlassen“, murmelte Marc Corbett. „Wahrscheinlich geht daraus hervor, warum er das getan hat.“ Mit spitzen Fingern griff er nach dem Schreiben und begann mit gedämpfter Stimme vorzulesen: „Pensacola Cays, am 30. August 1594. Was Sir Henry of Battingham, Sir John Killigrew und Mister Charles Stewart aus niedrigsten Beweggründen getan haben, verabscheue ich zutiefst und bedaure sehr, daß es überhaupt geschehen konnte. Doch diese drei Männer haben dafür mit dem Leben bezahlt. Der Gerechtigkeit wurde in ihrem Falle Genüge getan. Aber ich, Edward Tottenham, kann mich selbst von Schuld nicht freisprechen. Auch ich habe anfangs den Verleumdungen und Intrigen gegen Sir Philip Hasard Killigrew
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geglaubt und bin leichtfertig davon ausgegangen, daß sich tatsächlich eine schriftliche Order Ihrer Majestät in den Händen Sir Henrys oder Sir Andrews befände. Zu spät habe ich erkannt, daß ich wie die Kapitäne Rooke und Wavell dem Verband hätte den Rücken kehren sollen. Stattdessen wurde ich aus Leichtgläubigkeit, Gedankenlosigkeit und wohl auch aus Unwissenheit mitschuldig an dem, was geschehen ist. Da ich als Vorsitzender des Kriegsgerichtes darauf bestanden habe, daß die Verantwortlichen der Gerechtigkeit zugeführt werden, muß auch ich selber der Gerechtigkeit die Ehre geben und mich im Sinne der Anklage für schuldig erklären. Ich bedaure von ganzem Herzen, daß die Intrigen. die - Gott sei's geklagt - von England ausgegangen sind, einem Ehrenmann wie Sir Philip Hasard Killigrew beinahe das Leben gekostet hätten. Ich bitte ihn hiermit in aller Form um Vergebung. Das Kommando über die spanische Kriegsgaleone übergebe ich hiermit meinem treuen und sachkundigen Ersten Offizier. Mister Marc Corbett, und bitte für meine Person uni eine Bestattung auf See. Ich möchte nicht an Land in der Nähe jener Männer beigesetzt werden, die Englands Ehre, die Ehre Ihrer Majestät und die Ehre Sir Hasards so sehr beschmutzt haben. Ich kann leider nicht anders handeln und übernehme mit meinem Freitod die Verantwortung für das, was geschehen ist. Gott sei uns allen gnädig - Edward Tottenham.“ Die beiden Offiziere schluckten hart und schwiegen einen Moment. Dem Brief Sir Edwards war nichts mehr hinzuzufügen. Er hatte sich als ein Mann von Ehre erwiesen
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und als einziger freiwillig die Verantwortung übernommen. Obwohl sie den Schritt, den er getan hatte, sehr bedauerten, empfanden sie in diesem Augenblick einen tiefen Respekt vor diesem Mann. * Einige hatten es als Vorzeichen betrachtet, daß an diesem Tag düstere Wolken am Himmel aufgezogen waren, und fühlten sich jetzt in ihren Ahnungen bestätigt. Auf den Decks der ehemals spanischen Galeone herrschte eine bedrückende Stille. Die Männer sprachen nur mit gedämpfter Stimme. Sie alle waren erschüttert von der Nachricht, die Marc Corbett übermittelt hatte. Auch auf der „Caribian Queen“ und der „Isabella IX.“ hatte man die Kunde mit Betroffenheit vernommen. Der Seewolf, der gerade mit Siri-Tong und Ben Brighton einige Pläne für die nächste Zukunft besprochen hatte, lehnte sich erschöpft in die Kissen zurück. „Sir Edward hat wie ein Ehrenmann gehandelt“, sagte er mit nachdenklichem Gesicht. „Schade, daß er nicht mehr am Leben ist. Es wäre ein Segen für England, wenn es noch mehr solche Männer gäbe.“ Bereits am nächsten Tag, dem 1. September im Jahre des Herrn 1594, herrschte in der stillen Bucht Aufbruchsstimmung. Während die Galeone der Engländer unter dem Kommando Marc Corbetts die Anker lichtete, um nach England zurückzusegeln und die sterblichen Überreste Sir Edwards auf See zu bestatten, nahmen die „Caribian Queen“ und die „Isabella“ Kurs auf die Schlangen-Insel...
ENDE