Rolf Isermann (Hrsg.)
Elektronisches Management motorischer Fahrzeugantriebe Elektronik, Modellbildung, Regelung und D...
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Rolf Isermann (Hrsg.)
Elektronisches Management motorischer Fahrzeugantriebe Elektronik, Modellbildung, Regelung und Diagnose für Verbrennungsmotoren, Getriebe und Elektroantriebe Mit 318 Abbildungen und 24 Tabellen PRAXIS | ATZ/MTZ-Fachbuch
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Vieweg +Teubner | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Ewald Schmitt | Elisabeth Lange Vieweg+Teubner ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.viewegteubner.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: Klementz Publishing Services, Gundelfingen Umschlagbild: 4-Zylinder Dieselmotor 2,2 l Hubraum zur Verfügung gestellt von Daimler Medien Druck und buchbinderische Verarbeitung: MercedesDruck, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-8348-0855-4
V
Vorwort Vorwort Die stark gestiegenen Forderungen zur Erhöhung der Leistung und zur Senkung des Kraftstoffverbrauchs und Emissionen führen bei Verbrennungsmotoren neben konstruktiven und thermodynamischen Verbesserungen zu einer Zunahme von Mess- und Stellgrößen. Damit steigt die Komplexität der Steuerungs-, Regelungs- und Diagnosefunktionen an. Der Entwurf, die Erprobung und Implementierung dieser Managementfunktionen erfordert deshalb verstärkt ein systematisches Vorgehen, umfassende Modellbildungsund Simulationstools und effiziente Applikationsmethoden. Die aktuellen Entwicklungen sind geprägt durch eine mechatronische Gesamtbetrachtung des Antriebsstranges. Dieses Buch ist aufgrund einer Tagung mit dem Haus der Technik e.V., Essen, im März 2009 an der Technischen Universität Darmstadt entstanden. Nach einer Übersicht der allgemeinen mechatronischen Entwicklungen bei Verbrennungsmotoren und Hybridantrieben wird im Teil A eine Übersicht elektronischer Motorsteuerungen gegeben. Dabei wird auf die Architektur und Funktionen der Software für Otto- und Dieselmotoren eingegangen und es wird das Management moderner Pkw-Dieselmotoren und ihre zukünftige Entwicklung beschrieben. Der Teil B enthält Beiträge zur Modellbildung und Simulation. Die Gemischbildung und Verbrennung wird anhand von theoretischen Modellen verschiedener Dimensionen und ihrer Simulation für Parameterstudien und experimentelle Analysen betrachtet. Für Dieselmotoren mit Common-Rail Einspritzung folgt eine dynamische Modellbildung für das Luftsystem, die Verbrennung und den Turbolader in Form von Mittelwert- und arbeitstakt-synchronen Modellen zur Echtzeit-Simulation. Zur experimentellen Modellbildung auf Prüfständen in Teil C wird sowohl die stationäre als auch dynamische (instationäre) Vermessung mit verschiedenen Methoden wie z.B. dem Design of experiments und der Anwendung bestimmter neuronaler Netzmodelle beschrieben. Dann werden aktuelle Anforderungen und Ansätze zur Implementierung als Plattformkonzepte angegeben und ihre Realisierung in der Prüfstandsautomatisierung betrachtet. Die vieldimensionalen und komplexen Steuerungs- und Regelungsfunktionen erfordern zunehmend einen modellgestützten Entwurf. Der Teil D beginnt mit der Funktionsentwicklung und Kalibration für aufgeladene Ottomotoren und erläutert die Schritte vom Konzept bis zur Realisierung am Beispiel der Ladedruckregelung. Dann wird eine nichtlineare modellgestützte Ladedruck- und Abgasrückführ-Regelung für Dieselmotoren beschrieben. Eine weitere modellgestützte Methodik mit nichtlinearen dynamischen Vorsteuerungen und einer Verbrennungsschwerpunkt-Regelung mit Brennraumdrucksensoren erlaubt eine homogene Kompressionszündung eines Dieselmotors (HCCI) im Teillastbereich, wodurch eine starke Reduktion von NOx und Partikel möglich wird. Es folgt eine Beschreibung der Steuerungs- und Regelungsfunktionen von modernen Automatik-
VI
Vorwort
getrieben mit hydraulischem Strömungswandler, Überbrückungskupplung und optimierten Schaltvorgängen. Hybrid- und Brennstoffzellen-Antriebe erfordern eine umfangreiche Optimierung, die besonders durch Simulationen zu bewältigen sind. Deshalb wird in Teil D zunächst eine energetische Bewertung verschiedener Betriebsstrategien von Verbrennungsmotor, Elektromotor und Batterien in Form von Kosten erläutert. Eine modellgestützte Systementwicklung im Hinblick auf die Komponenten und optimale Betriebsweisen erlaubt den Vergleich verschiedener Hybridkonzepte. Dann wird auf die Regelung von parallelen und leistungsverzweigten Hybridantrieben eingegangen. Eine objektorientierte Modellbildung und Simulation erlaubt dabei Vergleiche und eine Optimierung für bekannte und unbekannte Fahrrouten. Brennstoffzellenantriebe benötigen, neben der Drehmoment-Steuerung mit den Hauptstellgrößen Wasserstoff- und Luftstrom, mehrere Regelungen für das thermische und elektrische System. Dabei werden modellgestützte Methoden zur Entwicklung vom model-in-the loop bis zum hardware-in-the loop eingesetzt. Prozessmodelle mit virtuellen Sensoren erlauben eine Einsparung von Sensoren und ermöglichen Diagnosefunktionen. Die zunehmende Komplexität der Fahrzeugantriebe erfordert parallel zur Entwicklung von Steuerungs- und Regelungsfunktionen eine umfassende Diagnose. In Teil D wird eine Diagnoseentwicklungsmethodik für die vorgeschriebenen OBD-Funktionen (OnBoard-Diagnose) behandelt. Dabei werden die Schritte von der Anforderungsanalyse, über die Funktionen, Implementierung und Testpläne beschrieben. Die eingesetzten Tools werden sowohl für die On-Board- als auch Werkstattdiagnose erläutert. Dann wird zunächst für einen DI-Benzinmotor mit homogener und geschichteter Verbrennung gezeigt, wie man mit nichtlinearen Prozess- und Signalmodellen durch gleichzeitige Auswertung mehrerer Sensorsignale verschiedene Fehler diagnostizieren kann. Eine entsprechende Methodik mit Signalanalysen wird für das Common-Rail-System eines Dieselmotors beschrieben, um Fehler der Einspritzpumpe oder der Injektoren zu diagnostizieren. Die einzelnen Kapitel sind als individuelle Beiträge zu betrachten, die die Sicht des jeweiligen Autors darstellen. Sie enthalten sowohl theoretische Ansätze als auch praktische Ergebnisse und sind aktuelle Beispiele für das umfassende Gebiet des elektronischen Managements von Fahrzeugantrieben. Der Herausgeber dankt allen Autoren für die interessanten Beiträge und dem Verlag für die sehr gute Zusammenarbeit. Darmstadt, Januar 2010
Rolf Isermann
VII
Autorenverzeichnis Autorenverzeichnis Dipl.-Ing. Bernhard Baaser
Adam Opel GmbH, GM Alternative Propulsion Center Europe, Rüsselsheim
Dr. Thomas Burkhardt
Continental Automotive AG, Regensburg
Dr. Joachim Bußhardt
Adam Opel GmbH, GM Alternative Propulsion Center Europe, Rüsselsheim
Dipl.-Wirtsch.-Ing. Sebastian Clever
Institut für Automatisierungstechnik, TU Darmstadt
Dipl.-Ing. (FH) René Diener
Robert Bosch GmbH, Stuttgart
Dr. Jürgen Dingl
Continental Automotive AG, Regensburg
Christoph Eisath
Continental Automotive AG, Regensburg
Dr. Volker Formanski
Adam Opel GmbH, GM Alternative Propulsion Center Europe, Rüsselsheim
Dr.-Ing. Martin Fritz
Robert Bosch GmbH, Plochingen
Dr.-Ing. Wolf-Dieter Gruhle
ZF Friedrichshafen AG, Friedrichshafen
Dr.-Ing. Michael Hackner
Robert Bosch GmbH, Stuttgart
Dipl.-Ing. Thomas Huber
Robert Bosch GmbH, Stuttgart
Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. Rolf Isermann
Institut für Automatisierungstechnik, TU Darmstadt
Dipl.-Ing. Hinrich Kötter
TRW Automotive, Global Control Functions, TechCenter Düsseldorf
Dipl.-Ing. Martin Kohlhase
CLAAS Selbstfahrende Erntemaschinen GmbH, Harsewinkel
Dipl.-Ing. Gerhard Landsmann
Adam Opel GmbH, GM Powertrain Germany GmbH, Rüsselsheim
Dr. rer. nat. Walter Lehle
Robert Bosch GmbH, Stuttgart
Dipl.-Ing. Michael Leykauf
Adam Opel GmbH, GM Alternative Propulsion Center Europe, Rüsselsheim
VIII
Autorenverzeichnis
Dipl.-Ing. (FH) / Dipl.-Wirt.-Ing. (FH) Eike Martini
AVL List GmbH, Graz, Österreich
Dr. rer. nat. Frank Mertins
IAV GmbH, Berlin
Dipl.-Ing. Konstantin Neiß
Daimler AG, Sindelfingen
Dipl.-Ing. Karl von Pfeil
John Deere Werke, Mannheim
Dr.-Ing. Volker Ricken
Robert Bosch GmbH, Stuttgart
Dr.-Ing. Siegfried Saenger Zetina
Daimler AG, Sindelfingen
Dipl.-Ing. Sascha Schäfer
Adam Opel GmbH, GM Alternative Propulsion Center Europe, Rüsselsheim
Dr.-Ing. Torsten Scholt
Daimler AG, Sindelfingen
Dr. Gerhard Schopp
Continental Automotive AG, Regensburg
Dipl.-Ing. Alexander Schreiber
Institut für Automatisierungstechnik, TU Darmstadt
Dr. Roland Schwarz
Continental Automotive AG, Regensburg
Dipl.- Math. Heiko Sequenz
Institut für Automatisierungstechnik, TU Darmstadt
Dr. Stefan Sinsel
Adam Opel GmbH, GM Alternative Propulsion Center Europe, Rüsselsheim
apl. Prof. Dr.-Ing. habil. Gunnar Stiesch MAN Diesel SE, Augsburg Dr.-Ing. Harald Stuhler
Bosch Engineering GmbH, Abstatt
Dr.-Ing. Matthias H. Wellers
AVL Powertrain UK Ltd., Basildon, Essex, United Kingdom
Dr.-Ing. Markus Willimowski
Robert Bosch GmbH, Schwieberdingen
Dipl.-Ing. Sebastian Zahn
Institut für Automatisierungstechnik, TU Darmstadt
IX
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 1 Mechatronische Fahrzeugantriebe ...................................................................... 1.1 Aktuelle Entwicklungen bei Verbrennungsmotoren ..................................... 1.2 Steuerung und Regelung von Verbrennungsmotoren ................................... 1.3 Mechatronische Komponenten ..................................................................... 1.4 Modellbildung und Simulation ..................................................................... 1.5 Diagnose ...................................................................................................... 1.6 Hybridisierung .............................................................................................. 1.7 Zusammenfassung ........................................................................................
A
1 2 7 13 19 25 27 32
Elektronische Steuerung und ihre Realisierung
2 Aufbau und Anpassung der Motorsteuerungs-Software für Otto- und Dieselmotoren ...................................................................................... 2.1 Anforderungen an Motorsteuerungs-Systeme .............................................. 2.1.1 Anforderungen an moderne Motoren ................................................ 2.1.2 Anforderungen an Motorsteuerungen ................................................ 2.2 Aufbau von Systemen zur Steuerung von Otto- und Dieselmotoren ............ 2.2.1 Aufbau des Motorsteuerungs-Systems .............................................. 2.2.2 Aufbau des Motorsteuergerätes ......................................................... 2.2.3 Signalfluss der Motorsteuerung ......................................................... 2.3 Architektur der Motorsteuerungs-Software .................................................. 2.3.1 Sichtweisen der Software-Architektur ............................................... 2.3.1.1 Statische Sicht der Motorsteuerungs-Software ..................... 2.3.1.2 Dynamische Sicht der Motorsteuerungs-Software ............... 2.3.1.3 Funktionale Sicht der Motorsteuerungs-Software ................ 2.3.2 Merkmale der Architektur ................................................................. 2.4 Struktur der Motorsteuerungs-Software ....................................................... 2.5 Parametrierung der Motorsteuerungs-Software ............................................ 2.5.1 Ablauf der Parametrierung ................................................................ 2.5.2 Klassifizierung der Parametrierungsaufgaben ................................... 2.5.3 Herausforderungen bei der Parametrierung ....................................... 2.5.4 Modellbasierte Applikation ............................................................... 2.5.5 HiL-Anwendungen ............................................................................ 2.6 Entwicklungstrends von Motorsteuerungs-Systemen ................................... 2.6.1 Trends der Motorentwicklung ........................................................... 2.6.2 Trends der Entwicklung von Motorsteuerungs-Systemen ................. 2.6.2.1 Komplexitätsbeherrschung – Standardisierung .................... 2.6.2.2 Neue Anforderungen ............................................................
38 38 38 39 41 41 42 44 46 46 46 47 48 49 50 53 53 54 55 56 59 59 59 60 60 63
X
Inhaltsverzeichnis
2.7
2.6.2.3 Low Price Vehicles ............................................................... 63 2.6.2.4 Individuelle Lösungen .......................................................... 63 Zusammenfassung ......................................................................................... 64
3 Steuerung und Regelung Pkw-Dieselmotoren – Stand und zukünftige Anforderungen ................................................................ 3.1 Die Dieselmotor-Steuerung Gestern – Heute –Morgen ................................ 3.2 Die Abgasgesetzgebung als Treiber für Innovation im Bereich der Dieselmotor-Steuerung ........................................................ 3.3 Das vorhomogenisierte Brennverfahren als Alternative zur NOx-Abgasnachbehandlung ................................................................... 3.4 Zukünftige Anforderungen an die Dieselregelung ........................................ 3.4.1 Brennraumdruckbasierte Dieselmotor-Steuerung; Sensoren und Funktionen .................................................................. 3.4.2 Niederdruck-Abgasrückführung ........................................................ 3.4.3 Direkt angetriebene Piezo-Einspritzdüsen ......................................... 3.5 Die GM „In-House-Controls“-Strategie ........................................................ 3.6 Zukünftige Entwicklungstrends in der Motorsteuerung ............................... 3.7 Zusammenfassung und Ausblick ..................................................................
B
67 67 69 71 73 74 76 79 80 82 84
Modellbildung und Simulation von Verbrennungsmotoren
4 Modellansätze für die Simulation von Gemischbildung und Verbrennung .... 4.1 Thermodynamische (nulldimensionale) Modelle ......................................... 4.2 Phänomenologische (quasi-dimensionale) Modelle ..................................... 4.3 CFD-Codes ................................................................................................... 4.3.1 Erhaltungsgleichungen ...................................................................... 4.3.2 Spray-Modellierung ........................................................................... 4.3.3 Dieselmotorische Diffusionsverbrennung ......................................... 4.3.4 Ottomotorische Vormischverbrennung ............................................. 4.4 Schadstoffbildung ......................................................................................... 4.4.1 Stickoxid-Bildung ............................................................................. 4.4.2 Rußbildung ........................................................................................ 4.5 Zusammenfassung ........................................................................................
88 89 90 92 92 93 96 98 99 99 100 101
5 Mittelwert- und Arbeitstaktsynchrone Simulation von Dieselmotoren ........... 5.1 Mittelwert-Motormodell ............................................................................... 5.1.1 Luft- und Abgaspfad .......................................................................... 5.1.2 Turbolader ......................................................................................... 5.1.3 Zylindergruppe .................................................................................. 5.2 Arbeitstaktsynchrones Motormodell ............................................................. 5.2.1 Luft- und Abgaspfad .......................................................................... 5.2.2 Zylindergruppe ..................................................................................
103 104 105 108 113 115 115 116
Inhaltsverzeichnis
5.3
5.4 5.5
Echtzeitsimulationssystem ............................................................................ 5.3.1 Echtzeitrechnersystem ....................................................................... 5.3.2 Echt- und Ersatzlasten ....................................................................... 5.3.3 Motorsteuergerät ................................................................................ Simulationsergebnisse .................................................................................. Zusammenfassung ........................................................................................
C
Modellbildung durch Motorvermessung auf Prüfständen
XI
120 121 121 122 123 125
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen .... 6.1 Versuchsplanung ........................................................................................... 6.1.1 Rastervermessung .............................................................................. 6.1.2 Klassische Versuchspläne .................................................................. 6.1.3 Space-filling Designs ......................................................................... 6.1.4 D-optimale Versuchspläne ................................................................ 6.2 Modellbildung .............................................................................................. 6.2.1 Polynome ........................................................................................... 6.2.2 Neuronale Netze für die stationäre Modellbildung ............................ 6.3 Modellanalyse ............................................................................................... 6.3.1 Der F-Test zur Regressorselektion .................................................... 6.3.2 Gütemaße zur Beurteilung stationärer Modelle ................................. 6.3.3 Resamplingverfahren ......................................................................... 6.3.4 Umgang mit Ausreißern .................................................................... 6.3.5 Grafische Methoden zur Beurteilung stationärer Modelle ................. 6.4 Optimierung der Steuerung (ein Beispiel) .................................................... 6.4.1 Grundlagen evolutionärer Algorithmen ............................................. 6.4.2 Mutation ............................................................................................ 6.4.3 Rekombination .................................................................................. 6.4.4 Selektion und Nebenbedingungen ..................................................... 6.4.5 Optimierungsbeispiel mit evolutionären Algorithmen ...................... 6.5 Zusammenfassung ........................................................................................
130 131 132 132 133 134 137 138 141 144 146 148 149 151 152 155 157 158 159 160 161 162
7 Dynamische Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen . 7.1 Struktur der modellbasierten dynamischen Motorvermessung ..................... 7.2 Variationsraumvermessung .......................................................................... 7.3 Aufstellung des Kandidatensets (Rasterung des Variationsraums) ............... 7.4 Auswahl der Amplituden .............................................................................. 7.4.1 D-optimale Versuchspläne ................................................................ 7.4.2 Raumabdeckende Versuchspläne (Space-Filling Designs) ............... 7.5 Reihenfolge der Messpunkte für die dynamische Vermessung .................... 7.6 Quasistationäre Motorvermessung ................................................................ 7.7 Generierung dynamischer Anregungssequenzen ..........................................
167 168 170 171 172 172 173 174 176 179
XII
Inhaltsverzeichnis
7.7.1 Sprungfunktionen .............................................................................. 7.7.2 Rampen .............................................................................................. 7.7.3 Pseudo-Rausch-Binär-Signale (PRBS) .............................................. 7.8 Kombinierte Vermessungsstrategien ............................................................ 7.8.1 Einheitliches Bezeichnungsschema für dynamische Vermessungsstrategien .................................................. 7.8.2 ADN – Pseudo-Rausch-Binär-Signale mit D-optimalen Amplituden 7.8.3 SLN – Sprünge in lokal linearen Bereichen basierend auf LOLIMOT ......................................................................................... 7.8.4 ALN – APRB-Identifikationssignal mit angepassten Amplituden .... 7.8.5 AEN – Dynamische Vermessung auf Basis von ECU-Stellgrößen ... 7.9 Dynamische Modellbildung des Verbrennungsmotors ................................. 7.9.1 Local linear model tree – LOLIMOT ................................................ 7.9.2 Hinging Hyperplane Tree-Baummodelle – HHT .............................. 7.9.3 Parametrische Volterra-Reihe und Hammerstein-Modelle ................ 7.9.4 Extraktion der Stationärwerte aus dynamischen Modellen ............... 7.10 Modellanalyse – Geeignete Kriterien zur Gütebewertung ............................ 7.11 Anwendungsbeispiele ................................................................................... 7.12 Zusammenfassung ........................................................................................
183 186 187 187 189 190 190 192 193 194 197
8 Implementierung von Motorvermessungsmethoden für die Prüfstandsautomatisierung .................................................................................. 8.1 Herausforderung in der Kalibrierung ............................................................ 8.2 Smart Calibration Ansatz .............................................................................. 8.3 Methodische Lösungen ................................................................................. 8.3.1 Besser, schneller und weniger Messen .............................................. 8.3.1.1 Besser Messen ...................................................................... 8.3.1.2 Schneller Messen .................................................................. 8.3.1.3 Weniger Messen ................................................................... 8.3.2 Arbeiten in allen Entwicklungsumgebungen ..................................... 8.4 Implementierung neuer Methoden in SW-Produkte ..................................... 8.5 Zusammenfassung ........................................................................................
200 200 201 202 202 202 205 207 208 209 211
D
179 179 180 181 181 182
Modellgestützter Entwurf von Steuerung und Regelung für Verbrennungsmotoren und Antriebsstrang
9 Funktionsentwicklung und Kalibration für aufgeladene Motoren – Modellbasiert vom Konzept bis zur Serie ........................................................... 9.1 Modulares Konzept der Motorsteuerung EMS 2 .......................................... 9.2 Der modellbasierte Funktionsansatz ............................................................. 9.3 Modulare und modellbasierte Funktionen zur Aufladung am Beispiel von Serienlösungen .......................................................................................
214 215 216 217
Inhaltsverzeichnis
XIII
9.3.1 Abgasturbolader mit Wastegate ......................................................... 9.3.1.1 Verdichter, Turbine, Wastegate ............................................ 9.3.1.2 Statische und dynamische Leistungsbilanz ...................... 9.3.1.3 Abgasgegendruck .............................................................. 9.3.1.4 Ladedruckregelung ............................................................ 9.3.2 Abgasturbolader mit variabler Turbinengeometrie (VTG) ................ 9.3.3 Kompressoraufladung ........................................................................ Werkzeuge zur Simulation und Kalibration .................................................. Zusammenfassung ........................................................................................
217 219 221 222 223 223 227 229 231
10 Modellgestützte Ladedruck- und Abgasrückführ-Regelung von Dieselmotoren ........................................................................................................ 10.1 Modellbildung .............................................................................................. 10.1.1 Lokal lineare Modellstruktur ............................................................. 10.1.2 Parameterschätzung ........................................................................... 10.1.3 Lokal lineare Zustandsraumdarstellung ............................................. 10.1.4 Identifikation des Dieselmotors ......................................................... 10.2 AGR-/VTG-Regelungsentwurf ..................................................................... 10.2.1 Vorsteuerung ..................................................................................... 10.2.2 Reglerentwurf .................................................................................... 10.2.3 Prüfstandsergebnisse ......................................................................... 10.3 Zusammenfassung ........................................................................................
233 235 235 238 239 239 244 244 250 253 256
9.4 9.5
11 Brennraumdruckregelung von Dieselmotoren mit homogener Kompressionszündung (HCCI) ....................................................... 11.1 Die (teil-)homogene Dieselverbrennung ....................................................... 11.2 Der Versuchsträger ....................................................................................... 11.3 Realisierung der homogenen Kompressionszündung an einem seriennahen Dieselmotor ............................................................... 11.3.1 Untersuchung der homogenen Kompressionszündung und Wahl der Regelgrößen ....................................................................... 11.3.2 Brennraumdruckbasierte Berechnung der Verbrennungsschwerpunktlage ................................................... 11.3.3 Brennraumdruckbasierte AGR-Raten-Berechnung ........................... 11.4 Modellbildung des Luftsystems zur Regelung der homogenen Dieselverbrennung ........................................................................................ 11.4.1 Identifikation des Luftsystems des Dieselmotors .............................. 11.5 Regelung der homogenen Dieselverbrennung .............................................. 11.5.1 Entwurf einer modellbasierten Vorsteuerung zur Regelung des Luftsystems im homogenen Dieselbetrieb .................. 11.5.2 Regler zur Regelung des Luftsystems im homogenen Dieselbetrieb 11.5.3 Regelung der Verbrennungsschwerpunktlage ................................... 11.6 Ergebnisse der Regelung .............................................................................. 11.7 Zusammenfassung .........................................................................................
259 260 262 263 264 269 269 271 275 277 277 279 280 282 285
XIV
Inhaltsverzeichnis
12 Steuerung und Regelung von Automatikgetrieben ............................................ 12.1 Auswahl des richtigen Ganges ...................................................................... 12.2 Schaltablaufsteuerung ................................................................................... 12.3 Geregelte Wandlerkupplung ......................................................................... 12.4 Standabkopplung .......................................................................................... 12.5 Zukünftige Rolle des Automatikgetriebes im Antriebsstrang ....................... 12.6 Zusammenfassung ........................................................................................
E
288 288 290 296 302 303 304
Steuerung und Optimierung von Hybrid- und Brennstoffzellen-Antrieben
13 Energetische Bewertung von Betriebsstrategien im Hybrid-Antriebsstrang .. 13.1 Eine einfache Beispielrechnung .................................................................... 13.2 Bewertung einzelner Hybridmodi: spezifische Kosten und Ersparnisse ....... 13.3 Vergleich von Hybridmodi im Fahrzyklus ................................................... 13.4 Prädiktive Strategie ....................................................................................... 13.5 Nichtprädiktive Strategie .............................................................................. 13.6 Hybridmodi und Schaltung ........................................................................... 13.7 Grenzen und Erweiterung der Methodik ....................................................... 13.8 Zusammenfassung ........................................................................................ 13.9 Anhang: Parametrierung des Modells ...........................................................
308 309 310 314 316 319 321 323 324 326
14 Modellgestützte Hybrid Systementwicklung – Modellierung und Optimierung ........................................................................... 14.1 Verschiedene Hybridkonzepte ...................................................................... 14.2 Modellierung und Simulation ....................................................................... 14.3 Optimierung .................................................................................................. 14.4 Ergebnisse ..................................................................................................... 14.5 Zusammenfassung ........................................................................................
328 328 330 334 336 339
15 Regelung ausgewählter Hybridtopologien: parallel und leistungsverzweigt ... 15.1 Hybridantrieb im Allgemeinen ..................................................................... 15.2 Anforderungen an die Betriebsstrategie ........................................................ 15.2.1 Energie- und Leistungsmanagement-Funktionen .............................. 15.2.2 Drehmomentpfad- und Gangsynchronisations-Funktionen ............... 15.2.3 Hardwarespezifische Maßnahmen ..................................................... 15.3 Softwareentwicklungsprozess ....................................................................... 15.4 Steuerung und Regelung des Hybridantriebsstrangs ..................................... 15.4.1 Genereller Funktionsumfang ............................................................. 15.4.1.1 Steuergerätexterne Berechnung (Offline) ........................... 15.4.1.2 Steuergerätinterne Berechnung (Online) ............................ 15.4.2 Parallel-Antrieb ................................................................................. 15.4.2.1 Systemarchitektur ............................................................... 15.4.2.2 Funktionsumfänge ..............................................................
341 341 343 343 344 344 345 346 346 346 347 347 347 348
Inhaltsverzeichnis
15.4.2.3 Koordination ....................................................................... 15.4.2.4 Versuch ............................................................................... 15.4.3 Leistungsverzweigter Antrieb ............................................................ 15.4.3.1 Systemarchitektur ............................................................... 15.4.3.2 Funktionsumfänge .............................................................. 15.4.3.3 Koordination ....................................................................... 15.4.3.4 Versuch ............................................................................... 15.5 Zusammenfassung ........................................................................................ 16 Modellbasierte Steuerung, Regelung und Diagnose von Brennstoffzellenantrieben ..................................................................................... 16.1 Die Umweltstrategie von General Motors .................................................... 16.2 Die Brennstoffzelle als Fahrzeugantrieb: Funktionsweise ............................ 16.3 Steuerung und Regelung des Brennstoffzellenantriebs ................................. 16.4 Modellgestützte Betriebsweise und Fehlerdiagnose ..................................... 16.4.1 Rekonstruktion nicht oder schwer messbarer Größen ....................... 16.4.2 Modellgestützte Diagnosen ............................................................... 16.4.3 Anwendungsbeispiel 1: Pumpendiagnose mittels Volumenstrombestimmung im Kühlkreislauf ................................... 16.4.4 Anwendungsbeispiel 2: Modellbasierte Bestimmung des Stickstoffanteils im Anodenkreis ....................................................... 16.5 Steuerungs- und Software-Entwicklungsmethodik ....................................... 16.5.1 Einsatz der Simulationstechnik in der Vorentwicklungsphase .......... 16.5.2 Einsatz der Simulationstechnik in der Produktentwicklungsphase .... 16.5.3 Controller Tests an HIL-Simulatoren ................................................ 16.5.4 Echtzeitsimulationsumgebungen an Testständen .............................. 16.6 Zusammenfassung ........................................................................................
F
XV
349 350 351 351 353 356 359 361
363 363 365 367 370 371 371 372 375 381 381 382 383 384 384
Diagnose von Verbrennungsmotoren
17 Diagnoseentwicklungsmethodik am Beispiel Dieselsystem ............................... 17.1 Status Quo ..................................................................................................... 17.2 Entwicklungsmethodik bei der On-Board Diagnose .................................... 17.2.1 Prozesselemente der OBD Entwicklung im Systementwicklungsprozess .............................................................. 17.2.2 System-Anforderungsanalyse und Konzeptentwicklung ................... 17.2.3 Systementwicklungsunterstützende Elemente und integrierte Entwicklung ..................................................................... 17.2.4 Systemfreigabe Plattform .................................................................. 17.3 Entwicklungsmethodik Werkstattdiagnose ................................................... 17.3.1 Systementwicklung Werkstattdiagnose ............................................. 17.3.2 Systemintegration Werkstattdiagnose ...............................................
388 388 391 392 392 393 393 394 394 398
XVI
Inhaltsverzeichnis
17.4 Toolunterstützung im Diagnose-Entwicklungsprozess ................................. 17.4.1 Toolunterstützung für die DMA ........................................................ 17.4.2 Entwicklungsumgebung für testerbasierte Diagnosefunktionen und Diagnosesequenzen .................................................................... 17.4.3 Standardisierte Prüfsprache zum Austausch von Diagnoseinhalten .. 17.5 Zusammenfassung ........................................................................................
400 401
18 Modellgestützte Fehlerdiagnose eines DI-Benzinmotors ................................... 18.1 Fehlererkennung im Ansaug- und Abgassystem .......................................... 18.1.1 Modellierung mit lokallinearen Netzmodellen .................................. 18.1.2 Erzeugen von Residuen und Symptomen .......................................... 18.1.3 Betriebspunktabhängige Fehlererkennung ........................................ 18.1.4 Diagnose im Ansaug- und Abgassystem ........................................... 18.2 Fehlererkennung im Raildrucksystem .......................................................... 18.2.1 Waveletanalyse des Raildrucksignals ................................................ 18.2.2 Analyse des Drehzahlsignals ............................................................. 18.2.3 Fehlererkennung und -diagnose im Raildrucksystem ........................ 18.3 Fehlererkennung im Zündungssystem .......................................................... 18.4 Gesamtdiagnosesystem ................................................................................. 18.5 Zusammenfassung ........................................................................................
408 409 410 411 412 415 416 417 419 420 421 423 423
19 Modellgestützte Fehlererkennung und Diagnose für Common-Rail-Einspritzsysteme ........................................................................... 19.1 Modellbasierte Fehlererkennung und Diagnose ........................................... 19.1.1 Grundlagen ........................................................................................ 19.2 Fehlererkennungsmodul „Common-Rail-Einspritzsystem“ .......................... 19.2.1 Druckaufbau im Hochdruckspeicher ................................................. 19.2.1.1 Volumenstrom von der Hochdruckpumpe .......................... 19.2.1.2 Volumenstrom durch das Druckregelventil ........................ 19.2.1.3 Volumenströme zu den Injektoren ...................................... 19.2.2 Analyse des Common-Rail-Drucksensorsignals ............................... 19.2.3 Modellbasierte Fehlererkennungsalgorithmen .................................. 19.2.3.1 Residuum „Mittlerer Common-Rail-Druck“ ....................... 19.2.3.2 Gleichmäßigkeitsresiduen ................................................... 19.2.3.3 Residuum „Kraftstoffförderung“ ........................................ 19.2.4 Versuchsergebnisse ........................................................................... 19.2.5 Anwendbarkeit des Fehlererkennungsmoduls bei unterschiedlicher Systemkonfiguration ............................................. 19.3 Zusammenfassung und Ausblick ..................................................................
403 404 405
426 426 426 429 430 432 434 435 437 442 443 445 445 446 449 452
Sachwortverzeichnis .................................................................................................... 455
1
1 Mechatronische Fahrzeugantriebe ROLF ISERMANN
Aufgrund steigender Kraftstoffpreise und der Klimabelastungen durch Fahrzeuge ist in die übliche technische Weiterentwicklung der Fahrzeugantriebe ein intensiver Schub gekommen. Die allgemeinen Entwicklungen müssen dabei in einem weltweiten Rahmen gesehen werden. Die Weltbevölkerung nimmt pro Jahr um etwa 78 Millionen Menschen zu [1]. Ein Großteil des wachsenden Energiebedarfs wird jedoch auch in nächster Zeit durch fossile Energieträger gedeckt. Bild 1-1 zeigt die statische Reichweite verschiedener Energieträger nach bekannten, nutzbaren Reserven und bekannten Ressourcen, die heute nicht wirtschaftlich genutzt werden können. Hiernach beträgt die Reichweite der Reserven von Erdöl etwa 40–60 Jahre. Man erwartet die maximale Erdölförderung, den sogenannten „peak oil“, etwa für 2015–2025 und danach einen schnellen Abstieg der konventionellen Erdölförderung.
Bild 1-1: Statische Reichweite verschiedener Energieträger [2]
Die weitere Reduktion des Kraftstoffverbrauchs der Fahrzeuge bekommt deshalb eine stark zunehmende Bedeutung. Hieran sind die CO2-Emissionen direkt gekoppelt, die mit 2,32 kg/l für Benzin, 2,65 kg/l für Dieselkraftstoff und 2,2 kg/l für Autogas entstehen. Der verkehrsbedingte Transport in Deutschland trägt mit etwa 21% aller CO2-Emissionen bei, davon 11,9% für Pkw und 6% für Nfz. Die CO2-Emissionen zur Energieerzeugung sind mit etwa 43–45% sehr viel höher. Der Anteil der privaten Haushalte ist 14%, und der Anteil von Industrie und Handel 25% [Angaben: Umweltbundesamt, 2007 und ADAC Motorwelt 4/2007]. Zur Reduktion des Verbrauchs von fossilen Energieträgern und der CO2-Emissionen müssen somit alle Verbraucher beitragen.
2
1 Mechatronische Fahrzeugantriebe
Ein weiterer ständiger Entwicklungsschwerpunkt ist die Reduktion der Emissionsgrenzwerte für CO, HC, NOx und Partikel. Bild 1-2 zeigt die zulässigen Grenzwerte für Diesel-Pkw. Es wurden besonders bei Benzinmotoren große Fortschritte in den letzten etwa 10–20 Jahren gemacht. Die kommenden Forderungen der CARB und EU sind für Dieselmotoren jedoch sehr groß und zum Teil an der Grenze des Messbaren. Die Leistungsdichte der Verbrennungsmotoren hat sich in den letzten 20 Jahren stark vergrößert, bei Dieselmotoren z.B. von etwa 30 kW/l (1985) auf über 60 kW/l (2005), besonders durch Turboaufladung mit Ladeluftkühlung. Sehr große Fortschritte wurden durch Direkteinspritzung beim Benzinmotor, verbunden mit Schicht- oder Mager- und Homogenbetrieb und durch Common-Rail-Dieseleinspritzung beim Dieselmotor mit sehr hohen Drücken (350–2000 bar) erreicht. Das Speichereinspritzsystem Common Rail ermöglicht, dass der Einspritzdruck unabhängig von der Motordrehzahl und der Einspritzmenge erzeugt werden kann. Ferner sind dadurch Mehrfacheinspritzungen durch die schnell ansteuerbaren Magnet- oder Piezo-Einspritzventile flexibel realisierbar, um besonders Emissionen und Geräuschabstrahlung weiter zu senken.
Bild 1-2: Emissionsgrenzwerte für Diesel-Pkw [3]
1.1 Aktuelle Entwicklungen bei Verbrennungsmotoren Die aktuellen Anforderungen an Verbrennungsmotoren lassen sich wie folgt zusammenfassen: Reduktion von Verbrauch und CO2-Emission Reduktion von spezifischen Emissionen (HC, CO, NOx, Partikel, Staub) Wirkungsvolle Abgasnachbehandlungs-Systeme
1.1 Aktuelle Entwicklungen bei Verbrennungsmotoren
3
Gutes Fahrverhalten (Drehmoment-Kennlinie und Dynamik) Höhere spezifische Leistung (Downsizing, Aufladung) Geringere Reibung Nebenaggregate: Minimierung Energieverbrauch Reduktion von Schwingungen und Geräusch Diese Anforderungen werden zunächst durch konstruktive Maßnahmen wie z.B. Einspritzstrahlformung, Brennraum- und Kolbengeometrie, Ein- und Auslassventile und ihre Steuerzeiten und durch Aufladung gelöst.
a) Maßnahmen bei Benzinmotoren Variable Ventiltriebe Bei Benzinmotoren lassen sich zunächst Verbesserungen durch variable Ventiltriebe (VVT: variable valve timing), besonders bei den Einlassventilen erreichen. Die klassische Phasenverschiebung mit Verdrehung der Nockenwelle dient primär zur Drehmomenterhöhung durch früheres oder späteres Öffnen der Einlassventile in Abhängigkeit der Drehzahl und Last. Um jedoch die durch die Drosselklappe entstehenden Ladungswechselverluste im Teillastbereich zu reduzieren, sind Ventile mit variablen Steuerzeiten (Öffnungswinkel) und Hub erforderlich. So kann die Frischluftmasse bei geöffneter Drosselklappe allein durch früheres oder späteres Schließen der Einlassventile gesteuert werden. Ferner lässt sich durch Verschiebung der Überschneidung von Ein- und Auslassventilen der Restgasgehalt und damit über eine interne Abgasrückführung das Emissionsverhalten verbessern. Ein verstellbarer Ventilhub in zwei Stufen oder kontinuierlich erlaubt noch weitere Möglichkeiten einer möglichst drosselfreien Laststeuerung [4–6, 45]. Tabelle 1-1 gibt einen Vergleich verschiedener variabler Ventiltriebe (VVT). Der Kraftstoffverbrauch lässt sich bei reinem Nockenwellen-Phasensteller um 3–4%, durch Hubumschaltung um 5–7%, durch kontinuierlich variablen Hub um 8–10% und durch elektromechanische oder elektrohydraulische Verstellung um 14–16% verbessern. Entsprechende Verbesserungen ergeben sich beim Drehmoment. In Bezug auf nicht zu hohe Komplexität stellt die Hubumschaltung einen günstigen Kompromiss dar. Tabelle 1-1: Vergleich verschiedener variabler Ventiltriebe [7] Variabler Ventiltrieb
Phasensteller
Hubraumschalter
Kontinuierl. variabl. Hub
UNIAIR Vollsyst.2
EMVS Vollsyst.1
EHVV Vollsyst. 1
Einsparung Kraftstoff
3–4%
5–7%
8–10%
7–10%
14–16%
16%
HC-Emission
–20%
–20%
–25%
–25%
–25%
–30%
Drehmoment
+3%
+5%
+7%
+7%
+9%
+11%
Komplexität
{ Hydraulik
– Umschaltung
–– Mechanik
––– Hydraulik
–––– Aufsetzen
–––– Hydraulik
Basis: Kompaktklasse, 4 Zyl.: NEFZ, Ein-/Auslassphasensteller. 1 Incl. Zylinderabschaltung, 2 UNIAIR Vollsystem: 2 Aktoren/Zylinder, Einlass/Auslass hVVT
4
1 Mechatronische Fahrzeugantriebe
Downsizing Durch eine Verkleinerung des Hubraums (Downsizing) eines Benzinmotors erreicht man zunächst für ein gegebenes Fahrzeug einen Betrieb in einem Drehmoment-DrehzahlBereich mit kleinerem spezifischem Verbrauch (Entdrosselung) und eine kleinere Reibleistung. Um das Drehmoment im unteren Drehzahlbereich zu erhöhen und die Leistung insgesamt zu erhöhen, schließt das Downsizing meist eine Turbo- oder mechanische Kompressoraufladung ein. Dies bedeutet z.B. die Reduktion des Hubraums von 2 l auf 1.3 l und eine Anhebung des Mitteldrucks pme von 6 bar auf 9 bar. Ein Vergleich verschiedener Benzinmotoren zeigt, dass der Downsizingfaktor mindesten 1,3 sein muss und dass eine weitere Betriebspunktverlagerung zu höheren Drehmomenten durch eine Anhebung der Gesamtübersetzung zu erreichen ist, um eine Reduktion der CO2-Emission um ca. 11% zu erreichen [8]. Modifikation der Brennverfahren Im Vergleich zur klassischen Saugrohreinspritzung und stöchiometrischer Verbrennung mit Ȝ = 1 und Dreiwegekatalysator können für Benzinmotoren durch Direkteinspritzung und optimierte Brennverfahren Einsparungen im Kraftstoffverbrauch erreicht werden, Tabelle 1-2. Zunächst ist mit variablen Ventilsteuerzeiten und Ventilhüben eine Reduktion von etwa 10% möglich. Eine weitere Verbesserung um etwa 16% lässt sich durch „Downsizing“ mit Turboaufladung erreichen. Neue Hochdruckinjektoren (pmax =120 bar) mit Piezoaktorik erlauben eine verbesserte Versprühung im Brennraum, eine geschichtete Gemischbildung (Magerkonzept) und damit ein Betrieb Ȝ > 1 im Teillastbereich. Dies führt zu einer Verbesserung um etwa 15% [9, 10]. Ein neueres Brennverfahren ist die homogene Selbstzündung (HCCI: homogenous charge compression ignition) mit Temperaturanhebung durch erhöhten Restgasanteil über frühes Schließen des Auslassventils und frühes Einspritzen. Durch frühes Auslassschließen und spätes Einlassöffnen erreicht man eine Rekompression mit einer ersten Einspritzung in einem Teillastbereich bis 40% [11]. Dies erfordert jedoch eine Brennraumdruck-Regelung [12] und vollvariable Ventiltriebe und lässt eine Verbrauchsreduktion bis 13–19 % erwarten, bei Wegfall des NOx-Katalysators. Eine Zusammenfassung der einzelnen Maßnahmen zur CO2-Reduktion ist Tabelle 1-2 zu entnehmen.
b) Maßnahmen bei Dieselmotoren Common-Rail-Direkteinspritzung und Abgasrückführung Bei Dieselmotoren stehen außer einer weiteren Verbrauchssenkung besonders die Reduktion von NOx und Partikeln im Vordergrund. Aktuelle Entwicklungsschritte sind z.B. Common-Rail-Einspritzung mit hohen Drücken (2200 bar), Mehrfacheinspritzung zur Verbesserung der Verbrennung, der Emissionen und des Geräuschs, auch mit Piezoinjektoren, und Aufladung mit Frischluftkühlung.
1.1 Aktuelle Entwicklungen bei Verbrennungsmotoren
5
Tabelle 1-2: CO2-Reduktionspotential von Benzinmotoren durch verschiedene Einspritzverfahren, Bremsverfahren und Aufladung [9, 10]. (Basis: 4 Zylinder, VH = 2l, NEDC Fahrzyklus) Einspritzsystem
Brennverfahren
Ventiltrieb
Aufladung
Saugrohr
λ=1 homogen
____
____
DI + VVT/VVL
DI
λ =1 homogen
VVT VVL
____
DI+TC+VVT (Downsizing)
DI
λ =1 homogen
VVT
TC
DI strahlgeführt
λ 1 mager geschichtet
VVT
____
15%
DI
λ 1
VVT VVL
____
13–19%
Standard (Referenz)
DI + Piezoeinsp. + VVT DI + HCC + VVT
HCCI
CO2-Reduktionspotential 0% 10% 16%
DI: direct injection; VVT: variable valve train (camphasing); VVL: variable valve lift; TC: turbocharging
Durch eine Erhöhung der Abgasrückführrate und Abgaskühlung wird NOx gesenkt. Eine zu starke Vergrößerung dieser Hochdruck-Abgasrückführung reduziert jedoch die Turboladerleistung. Deshalb bietet sich eine Ergänzung durch eine Niederdruck-Abgasrückführung an, die das Abgas nach dem Partikelfilter entnimmt und über einen Kühler vor dem Verdichter einführt. Dadurch lassen sich hohe Abgasrückführraten mit guter Mischung von Luft und Abgas und niedriger Temperatur durch den Ladeluftkühler erreichen, was zu einer hohen Zylinderfüllung führt [13, 14, 15]. Bild 1-3 zeigt wie dadurch die Zahl der Mess- und Stellgrößen ansteigt und eine modellbasierte Steuerung und Regelung erforderlich macht. Die Common-Rail-Einspritzung mit elektromagnetischen und piezoelektrischen Injektoren erlaubt dabei Mehrfacheinspritzungen mit kleinen Voreinspritzungen, großen Haupteinspritzungen und kleinen Nacheinspritzungen, um Drehmoment, Emissionen und Geräusch zu optimieren, siehe Bild 1-4a. Dabei ergeben sich in Abhängigkeit von Drehmoment und Drehzahl unterschiedliche Einspritzimpuls-Kombinationen, Bild 1-4b.
Bild 1-3: Mess- und Stellgrößen für einen Pkw-Dieselmotor mit VTG-Turbolader, Hochdruckund Niederdruck-Abgasrückführung [14]
6
a)
1 Mechatronische Fahrzeugantriebe
b)
Bild 1-4: Einspritzverläufe für Dieselmotoren. a) Vor-, Haupt- und Nacheinspritzungen [13]; b) Einspritzkombination in Abhängigkeit von Drehmoment und Drehzahl [15]
Modifikation der Brennverfahren Eine homogene Kompressionszündung (HCCI) wird durch eine frühe Einspritzung und eine hohe Abgasrückführrate im Teillastbereich erreicht. Dies hat wegen der günstigen Verbrennung eine starke Reduktion von NOx und Partikeln zur Folge, verursacht aber ein höheres Geräusch und erfordert zur Einhaltung der engen Betriebsgrenzen eine Brennraumdruck-Regelung. Aufladung Der Einsatz von zwei Turboladern mit einem kleinen und einem großen Durchmesser erlaubt einen Betrieb mit jeweils besten Wirkungsgraden, einen hohen mittleren Ladedruck über einen großen Drehzahlbereich und bringt im niederen Drehzahlbereich eine bessere Beschleunigung. Dabei werden die Turbolader über pneumatisch gestellte Klappen umgeschaltet [16]. Auch bei Dieselmotoren ist durch die Steigerung der spezifischen Leistung ein gewisses Downsizing möglich. Abgasnachbehandlung Besonders große Anstrengungen gelten der Abgasnachbehandlung, z.B. durch die Kombination von Oxidationskatalysator zur Minderung von CO, HC, NOx und Partikel, und Partikelfiltern, besonders bei Nfz-Motoren. Eine Alternative ist das selektive katalytische Reduktionsverfahren (SRC) mit Eindüsung von Harnstoff als wässrige Lösung. Um die NOx-Emissionen um 90% ohne Zusatzmittel zu reduzieren, ist für einen aktuellen PkwDieselmotor in einer USA-Ausführung der Einsatz von Oxi-Katalysator, Partikelfilter, NOx-Speicherkatalysator und H2S-Katalysator erforderlich, siehe Bild 1-3. Die modellgestützten Regelungen erfordern 2 Ȝ-Sensoren und 3 Temperatursensoren. Ein Betriebsartenmanagement koordiniert zwei Normal- und acht Abgasnachbehandlungs-Betriebsarten mit drei Regenerationsbetrieben [14].
1.2 Steuerung und Regelung von Verbrennungsmotoren
7
1.2 Steuerung und Regelung von Verbrennungsmotoren Nach der Festlegung der thermodynamischen und mechanischen Grundeigenschaften ist die vom Betriebspunkt (Last, Drehzahl) abhängige Steuerung und Regelung zu entwerfen. Bilder 1-5 und 1-6 zeigen die in den letzten Jahrzehnten gestiegene Zahl an Sensoren und Aktoren bei Benzin- und Dieselmotoren. Dabei ist die Zunahme elektronisch gesteuerter Komponenten wie z.B. Zündung, Einspritzung und Abgasnachbehandlung deutlich zu erkennen. Ein Teil der Entwicklungen wurde durch die einsetzende AbgasGesetzgebung bewirkt, zunächst in den USA (CARB: clean air act) 1983, ab 1993 in verschiedenen Stufen (tiers) für LEV (Low Emission Vehicles), ULEV (Ultra Low Emission Vehicles) und SULEV (Super Ultra Low Emission Vehicles) und durch die europäischen Vorschriften EURO 1 (1992), EURO 2 (1996), EURO 3 (2000), EURO 4 (2005), und EURO 5 (2009). In Planung ist EURO 6 (2014). Das elektronische Steuergerät (ECU: electronic control unit) beeinflusst den Start, Leerlauf, Warmlauf und normalwarmen Motorbetrieb mit Teil- und Volllast. Die Zahl der Haupt-Stellgrößen hat bei Benzinmotoren seit etwa 1960 von 3 auf 6–8 und bei Dieselmotoren von 2 auf 5–9 zugenommen. Die für die Steuerung und Regelung wichtigsten Sensoren stiegen bei beiden Motoren von etwa 3 auf 8. Zusammen mit den Sensoren in den Aktoren, in Einspritzpumpe, Kraftstoffversorgung, Abgasrückführung, Aufladung, Umgebung usw. verarbeitet die ECU etwa 15–25 Messgrößen und stellt 20–30 Stellgrößen ein. Die Zunahme an Steuerungsfunktionen zeigt der Daten- und Programmumfang der digitalen Motorsteuergeräte. 1991 verwendete man 16 bit Prozessoren mit 40 kbyte Programm und 8 kbyte Daten. 2002 sind es 32 bit Prozessoren mit 500 kbyte Programm und 70 kbyte Daten, was einer Verdoppelung alle 3 Jahre entspricht. Bild 1-7 zeigt die Entwicklung des Steuergeräteumfangs von 1989 bis 2005. In diesem Zeitfenster von etwa 15 Jahren sind die Kennwerte um folgende Faktoren angestiegen: Speicher 1:13; Rechenleistung (MIPS) 1:30; Applikationsparameter 1:10 [13]. Tabelle 1-3 gibt einen weiteren Vergleich für 1995 und 2005 an. Zurzeit darf man davon ausgehen, dass etwa 40–50% des Softwareumfangs auf die On-Board-Diagnose entfällt. Diese Entwicklung wurde besonders durch die vielen Variabilitäten verursacht, die verbesserte Brennverfahren ermöglichen. Beim Benzinmotor zeigt sich dies in der Optimierung von z.B. Ventilsteuerwinkel und Ventilhüben und zusammen mit Einspritzungen in Verbindung mit lastabhängigem Schicht-, Mager- oder Homogen-Betrieb. Beim Dieselmotor sind Ventilsteuerwinkel und Mehrfacheinspritz-Kombinationen, AGR-Rückführrate und Ladedruck in Verbindung mit strahlinduzierter Zündung und zukünftig eventuell homogener Kompressionszündung mit Brennraumdruck-Regelung zu einem Gesamtoptimum zu bringen. Hinzu kommen die unterschiedlichen Regenerationszyklen der Abgasnachbehandlung. Die Bilder 1-8 und 1-9 stellen eine schematische Anordnung der Sensoren, Aktoren und des Steuergerätes eines modernen Benzin- und Dieselmotors für Personenkraftwagen dar (siehe auch Kapitel 2). Diese Bilder zeigen jeweils Luftpfad, Verbrennungsmaschine, Abgaskanal, Einspritzpumpe, Tanksystem mit Kraftstoffversorgung und die Verbindungen von und zu dem elektronischen Steuergerät. Hieraus kann man mit einigen wichtigen Stell- und Messgrößen erste grobe Signalflussbilder mit einer Unterscheidung von Steuerungen und Regelungen angeben, Bilder 1-10 und 1-11.
8
1 Mechatronische Fahrzeugantriebe
Bild 1-5: Zunahme von Sensoren und Aktoren bei Benzinmotoren
Bild 1-6: Zunahme von Sensoren und Aktoren bei Dieselmotoren
1.2 Steuerung und Regelung von Verbrennungsmotoren
9
Bild 1-7: Entwicklung des Steuergeräte-Umfangs [13]
Tabelle 1-3: Zur Entwicklung des Steuergeräte-Umfangs Jahr Programmzeilen
1995
2005
44.000
690.000
Speicher
0,25 MByte
1 bis 6 MByte
Prozessor
C196, 16 Bit
TriCore, 32 Bit
Taktfrequenz
20 MHz
80 MHz
Funktionen
3100
5200
Applikationsparameter
1800
7200
Aktoren
22
31
Sensoren
17
25
Bild 1-8: Schematische Anordnung der Sensoren, Aktoren und Steuergerät bei Benzinmotoren mit Direkteinspritzung und λ = 1 Betrieb [Quelle: Bosch 2008]
10
1 Mechatronische Fahrzeugantriebe
Bild 1-9: Schematische Anordnung der Sensoren, Aktoren und des Steuergerätes bei Dieselmotoren mit Common-Rail-Direkteinspritzung und VTG-Turboauflader [Quelle: Bosch 2008]
Bild 1-10: Grobes Signalflussbild für einen Benzinmotor
1.2 Steuerung und Regelung von Verbrennungsmotoren
11
Bild 1-11: Grobes Signalflussbild eines CR-Dieselmotors
Als messbare Haupt-Regelgrößen stehen beim Benzinmotor (ohne Aufladung) lediglich der Luftstrom, die Luftzahl Ȝ und die Kühlwassertemperatur zur Verfügung, so dass nur hierfür geschlossene Regelkreise möglich sind. Die für das Fahrverhalten wichtige Ausgangsgröße Drehmoment wird primär durch Steuerungen beeinflusst und zwar so, dass als Nebenbedingungen minimale Abgaskomponenten (z.B. HC, CO und NOx) entstehen. (Diese werden dann durch einen intakten Dreiwege-Katalysator mit einer Ȝ = 1 Regelung fast vollständig eliminiert.) Steuerungen haben den Vorteil, dass die gesteuerten Größen nicht messbar sein müssen, und dass keine Stabilitätsprobleme auftreten. Die Steuerungsfunktionen müssen jedoch sehr genau an die Motoren angepasst sein, was Zusatzsteuerungen in Abhängigkeit einer größeren Anzahl von Einflussgrößen, wie z.B. Drehzahl, Luftdruck und -temperatur, Öl- und Kühlwassertemperatur erforderlich macht. Für Benzinmotoren wurde 1997 die sogenannte drehmomentorientierte Struktur eingeführt [17–19]. Zu ihrer Realisierung sind zunächst Modelle für das innere Drehmoment Mi für optimale Verbrennungsbedingungen (Zündwinkel und Ȝ = 1) erforderlich. Abweichungen durch andere Zündwinkel und Ȝ werden durch Reduktionsfaktoren („Wirkungsgrade“ genannt) mittels Multiplikation berücksichtigt. Nach Subtraktion von Drehmomentverlusten durch Ladungswechsel, Reibung und Nebenaggregate (Schleppmoment) ergibt sich das Kurbelwellen-Drehmoment Mcs, im Folgenden „Drehmomentmodell“ genannt. Bild 1-12 zeigt ein vereinfachtes Signalflussbild für die drehmomentorientierte Steuerung, die u.a. 3D-Kennfelder verwendet. Zunächst wird das gewünschte KurbelwellenDrehmoment Mcs,des durch das Fahrkennfeld in Abhängigkeit von Fahrpedalstellung und Drehzahl bestimmt. Dann werden zur Berechnung des gewünschten inneren Drehmomentes Mi,des das Schleppmoment und zusätzliche Drehmomentanforderungen durch Motorbetriebsart, zusätzliche Nebenaggregate und Antriebsstrang addiert. Zur Steuerung des gewünschten inneren Drehmomentes erfolgt eine Auftrennung in das Soll-Basisdrehmoment Mcharge,des durch die Luftfüllung, das dynamisch wegen der Trägheit des Luftkanals und der Drosselklappe verzögert ist, und ein Soll-Zusatzdrehmoment Mig,des, das durch Stellung des Zündwinkels und der Einspritzmenge kurbelwellensynchron arbeitet und daher dynamisch schnell eingreift. Dieser schnelle Eingriff ist z.B. bei der Leerlauf-
12
1 Mechatronische Fahrzeugantriebe
drehzahl-Regelung für den Start und für die Antriebsschlupf-Regelung (ASR) erforderlich. Die Umsetzung dieser Sollwerte in Stellgrößen erfolgt über die „Drehmomentmodelle“ des vermessenen Motors. So wird aus dem Soll-Basisdrehmoment Mcharge,des durch Inversion des Drehmomentmodells der erforderliche Luftmassenstrom und durch Inversion des Drosselklappenmodells und E-Gas-Regelung die Drosselklappenstellung bestimmt. Aus dem Soll-Zusatzdrehmoment folgt durch Inversion des Drehmomentmodells die Einspritzmenge und der Zündwinkel, wobei der gemessene Luftstrom eine wichtige Eingangsgröße ist. Diese Steuerungen werden durch mehrere Drehmomentbegrenzungen und eine Ȝ-Regelung für stöchiometrischen Ȝ = 1-Betrieb und eine Klopfgrenz-Regelung ergänzt.
Bild 1-12 Drehmomentorientierte Steuerung und Regelung von Benzinmotoren [17] (ohne Aufladung): MCS,des Drehmoment-Sollwert Kurbelwelle; Mi,des Sollwert inneres Moment; m air,des Sollwert Luftbeladung durch Drosseleinstellung (Basiswert), langsamere Dynamik; ϕig Zündwinkel (schnelle Dynamik), ti Einspritzzeit
Bei Dieselmotoren wurde ebenfalls eine drehmomentorientierte Struktur eingeführt. Diese wird normalerweise ergänzt durch Regelungen für den Luftstrom mit dem Abgasrückführventil, für den Ladedruck mit dem Bypassventil (Wastegate) oder der Turbinenleitschaufel (VTG) und für die Kühlflüssigkeitstemperatur mit dem Kühlstrom-Ventil. Das Drehmoment wird entsprechend dem Benzinmotor primär gesteuert unter besonderer Berücksichtigung von NOx und Partikel. Wegen der Trägheit von Turboladern spielt das dynamische Verhalten eine besondere Rolle. Dabei können dynamische Vorsteuerungen eine schnellere Drehmomenterzeugung bewirken [20]. Zum Teil wird eine Rauchbegrenzungs-Regelung bei Beschleunigungsvorgängen realisiert, um zu geringen Luftüberschuss und damit Rußbildung zu vermeiden [21]. Insgesamt enthalten die Motorsteuergeräte etwa 100–150 Kennfelder und Kennlinien, die für gegebene Motoren, auch in Abhängigkeit vom jeweiligen Bau- und Entwicklungszustand genau angepasst werden müssen (Kalibrierung genannt). Neben diesen Haupt-Steuerungen und -Regelungen sind noch eine Vielzahl an unterlagerten oder ergänzenden Regelungen und Steuerungen realisiert, wie z.B. Positionsrege-
1.3 Mechatronische Komponenten
13
lungen für die Stellventile von Luftstrom, AGR und Turbolader, den Nockenwellenwinkel und Druckregelungen für die Kraftstoffzufuhr und Schmieröl. Für besondere Betriebszustände kommen noch Klopfgrenzregelung, Leerlaufdrehzahlregelung und Warmlaufregelung, Sekundärluftsteuerung und Katalysatorheizungsregelung hinzu.
1.3 Mechatronische Komponenten Der Begriff Mechatronik steht für die Integration von Mechanik, Elektronik und Informationsverarbeitung in einem System oder in einer Komponente. Dabei erfolgt die Lösung einer Aufgabe sowohl auf mechanischem als auch digital-elektronischem Weg, mit dem Ziel, eine optimierte Einheit zu erzeugen [22]. Im Bereich von Verbrennungsmotoren ist dies zunächst bei einzelnen Komponenten wie z.B. Einspritzsystemen und Aktoren zu beobachten. Beispiele sind die mikroelektronische Einspritzung und Zündung (1989), elektrische Drosselklappe (1991), Direkteinspritzsysteme bei Dieselmotoren (1989) und Benzinmotoren (1999), variabler Ventiltrieb mit elektronischer Verstellung von Spreizung und Hub (2001). Bild 1-13 gibt eine Übersicht der mechatronischen Komponenten von modernen Verbrennungsmotoren.
Bild 1-13: Mechatronische Komponenten moderner Verbrennungsmotoren
14
1 Mechatronische Fahrzeugantriebe
Aktoren und Antriebe Bild 1-14 zeigt den grundsätzlichen Aufbau eines mechatronischen Aktors, bestehend aus Stellantrieb, Stellglied, Sensor und Regelung. Im Allgemeinen wird ein Energie- oder Materiestrom gestellt. Der erforderliche Stellantrieb benötigt dazu eine Hilfsenergie, die elektrisch pneumatisch oder hydraulisch ist. Die Regelung kann aus einem Hilfsregler (z.B. Position) und einem Hauptregler (z.B. Luftstrom) bestehen (Kaskaden-Regelung), Bild 1-15. Bei pneumatischen Aktoren wird in der Regel auf eine Positionsregelung verzichtet.
Bild 1-14: Elektromechanischer Aktor als mechatronisches System [22]
Bild 1-15: Grundstruktur eines geregelten Aktors [22]
Tabelle 1-4 gibt eine Übersicht von mechatronischen Aktoren und Antrieben für Verbrennungsmotoren, die nach dem Bereich ihrer Wirkung: Luftsystem, Einspritzung, Verbrennung, Abgassystem, Kühlung, Schmierung und Nebenaggregate, unterteilt sind. Dabei können folgende Typen von mechatronischen Komponenten unterschieden werden:
1.3 Mechatronische Komponenten
15
A) Aktoren mit elektrischer, pneumatischer oder hydraulischer Stell-Hilfsenergie B) Schaltende Einspritzventile und Magnetventile C) Elektrische Antriebe, Pumpen und Gebläse Die Eigenschaften der Aktoren (Typ A) sind in Tabelle 1-5 in einer weiteren Übersicht dargestellt. Mit Bezug auf die Steuerung oder Regelung der mechatronischen Komponenten lassen sich weiter aufteilen: (1) Dezentrale Mechatronik-Komponenten (Aktoren und Antriebe mit lokaler Integration von Sensorik, Elektronik und Verstärker) Beispiele: Einspritzpumpen, Elektrisches Drosselventil, AGR-Ventil, Generator (2) Zentral gesteuerte Aktoren, Schaltventile (durch zentrales Steuergerät direkt gesteuert) Beispiele: Pneumatische Aktoren, elektrisch gestellte Klappen, Abstellventil, AGR-Kühler-Bypass-Ventil. (3) Zentral gesteuerte Antriebe Beispiele: Kraftstoffpumpe, Ölpumpe, Sekundärluftgebläse, Kühlergebläse, Starter Somit ist die mechatronische bauseitige und funktionsseitige Integration bei der Gruppe (1) vollzogen. Bei den Gruppen (2) und (3) wird die Steuerung vom zentral angeordneten Steuergerät (ECU) durchgeführt. Hier ist eine Messung der gestellten Position oder des gestellten Stromes und damit eine Signalrückführung in das Steuergerät meist nicht realisiert. Diese Komponenten sind dann zwar funktionsseitig mit dem Steuergerät integriert, aber bauseitig getrennt von der Elektronik angeordnet. Einige Eigenschaften verschiedener Aktorprinzipien werden in Tabelle 1-5 verglichen. Die verschiedenen Aktoren mit elektrischer, pneumatischer und hydraulischer Hilfsenergie haben jeweils besondere Vorzüge, z.B. im Hinblick auf Einbaufähigkeit, Stellgüte und Kosten, siehe auch [22]. Die Entwicklungen zeigen ein Vordringen elektrischer Aktoren für kleinere Leistungen (z.B. AGR-Ventil, VTG-Steller), ein Verbleib hydraulischer Aktoren für große Leistungen (z.B. Nockenwellensteller), während pneumatische Aktoren wegen des Wegfalls des Saugrohrunterdrucks bei entdrosselten Benzinmotoren und bei Dieselmotoren und wegen nicht ausreichender Stellgüte zunehmend durch elektrische Aktoren ersetzt werden. Sensoren Die Erfassung der physikalischen und chemischen Größen eines Verbrennungsmotors erfolgt über speziell entwickelte Sensoren. Auch hier ist eine zunehmende Integration von Sensorelement mit der Auswertelektronik zu beobachten, siehe Bild 1-16. Man unterscheidet dabei folgende Integrationsstufen [23]: (1) Sensorelement mit Signalaufbereitung und ADU (Analog-Digital-Umsetzung) im Steuergerät (konventionell) (2) Sensorelement mit analoger Auswertelektronik im Sensor (analoge Verbindung zum Steuergerät) (3) Sensorelement mit digitaler Auswertelektronik am Sensor (binäre oder digitale Busübertragung) (4) Sensorelement mit Signalaufbereitung, ADU und Mikrorechner am Sensor (digitale Busübertragung)
16
1 Mechatronische Fahrzeugantriebe
Tabelle 1-4: Mechatronische Aktoren und Antriebe für Verbrennungsmotoren GS: Gasoline engine, DS: Diesel engine
A
Komponenten
Luftsystem
Einspritzsystem
Verbrennungssystem
Abgassystem
Kühlung Schmierung
Elektrische Aktoren
El. Drossel
Niederdruckventil
Ventilhub (DS)
VTG-Steller
Kühlstromventil
Pneumatische Aktoren
Klappen (Ladung, Saugrohr)
AGR-Ventil
Hochdruckventil (Rail)
Nebenaggregate
Heizstromventil
Stellklappen (Ladungsbewegung)
Wastegate VTG AGR-Ventil
Hydraulische Aktoren
NW-Steller
EinspritzSchaltventile
elektromagnetisch
Harnstoff (SCR)(DS)
piezoelektrisch
Dieselkraftstoff (Regeneration PF)
Magnetschaltventile
Abstellventil (DS)
AGR-Kühler BypassVentil
B
SCRDosiermodul (DS) Elektrische Antriebe Elektrische Pumpen C
El. Generator El. Starter Luftunterdruckpumpe
Sekundärluftpumpe (GS)
Kühlmittelpumpe
Klimakompr.
Harnstoffpumpe(DS) Mechanische Pumpe
Verdichter (TL) Kompressor
Einspritzpumpe
Turbine (VTG)
Kraftstoffpumpe Ventilator
Ölpumpe
Klimakompressor
Hydraulisch
Rotationsmotor
3 – 5 bar
> 1000
Überdruck 6 – 8 bar
Zylinder
Zylinder
< 100
< 300
Unterdruck 0,1 – 0,8 bar
12 V, 24 V
Elektromotor DC, BLDC Torque
Leistung [W]
Membran
130 – 160 V
Piezoelement
Pneumatisch
12 V, 24 V
Elektromagnet
Elektrisch
HilfsenergiePotential
Bauform
Hilfsenergie
1000 – 2500
200 – 400
5 – 25
40 – 130
500
50
Leistungsgewicht1 [W/kg]
Mittel Gut
Mittel
Mittel
Mittel
Gut
–
Mittel
rotatorisch
Gut
Gut
Gut
Mittel
Gut
Gut
translator.
Eignung für Bewegung
Tabelle 1-5: Einige Eigenschaften verschiedener Aktoren für Verbrennungsmotoren 1 Ohne Hilfsenergieerzeugung und Leitungen
– Gut
– Schnell
– Mittel
– Mittel
– Gut
– Mittel
– Gut
– Sehr schnell
– Mittel
– Schnell
– Präzision
– Dynamik
Stellgüte
Nachteile
Kosten
Große Stellkräfte Systemaufwand
Hysterese
Nichtlinear
Überdruckpumpe
Einfacher Aufbau Unterdruckpumpe
Mit Getriebe rot. Getriebe oder lin. Kleiner Stellbereich ohne Getriebe
Kosten
Einfacher Aufbau Kleine Stellwege
Haltestrom
Hysterese
Einfacher Aufbau Nichtlinear
Vorteile
1.3 Mechatronische Komponenten 17
18
1 Mechatronische Fahrzeugantriebe
Bild 1-16: Zur Integration der Sensorik [22]: a) Konventionelle Messkette; b) Integrierte Sensorkomponente mit digitaler Auswertung
In Tabelle 1-6 sind einige Eigenschaften verschiedener Sensoren zusammengestellt. Zur klassischen Anordnung (1) gehören z.B. die Erfassung von Drehzahl, Klopfen und Temperaturen. Integrierte Sensortypen der Integrationsstufe (2) sind z.B. Winkel- und Drehzahlsensoren. Zur Integrationsstufe (3) und teilweise (4) zählen Druck- und Durchflusssensoren. Die Ausgangssignale der verschiedenen Sensorelemente sind entweder elektrische Spannungen oder Ströme in analoger, werteproportionaler oder frequenzproportionaler Form. Eine Auswertelektronik mit Hilfsenergie-Versorgung vom Bordnetz erzeugt bei der Integrationsstufe (2) ein z.B. kennlinienkorrigiertes, gefiltertes und verstärktes Signal zur Übertragung in das Steuergerät. Wird das Sensorelement mit einer digitalen Auswerteelektronik in Form eines IC (integrated circuit) oder ASIC (application specific integrated circuit) versehen, Integrationsstufe (3), dann können nach einer ADU (AnalogDigital-Umsetzung) aufwendigere Auswertealgorithmen eingesetzt werden und es kann eine störsignalunempfindliche binäre Übertragung oder eine digitale Bus-Übertragung zum Steuergerät erfolgen. Wenn das Sensorelement mit ADU und einem Mikrorechner einschließlich PROM (programmierbarer Speicher) integriert wird (Integrationsstufe (4)), lassen sich z.B. Störsignale mit erfassen, kompensieren und digital filtern, statische und dynamische Korrekturen ausführen, Exemplarstreuungen bei der Herstellung durch individuelle Kalibrierung reduzieren [24], Mittelwerte berechnen, Ausreißer eliminieren usw. Man bezeichnet diese integrierten Sensorsysteme auch als „intelligent“ oder „smart sensors“ [22]. Die bauseitige Integration der Elektronik mit dem Sensor kann dabei hybrid (mit mehreren elektronischen Bauelementen der Halbleitertechnik, z.B. auch ASIC) oder monolithisch in Form der Mikrosystemtechnik (MEMS: Micro Electronic Mechanical Systems) als Kombination von Mikroelektronik und Mikromechanik erfolgen [24]. Die Vorteile der dezentralen digitalen Signalverarbeitung am Sensorort sind z.B. Entlastung des Steuergeräts, einheitliche, flexible und busfähige Schnittstellen, höhere Genauigkeit durch Störsignalkompensation und individuelle Kalibrierung sowie eine weitgehend störsignalsichere Übertragung.
1.4 Modellbildung und Simulation
19
Tabelle 1-6: Sensorbauarten und Integration mit Elektronik für Verbrennungsmotoren (Beispiele) Messgröße
Messort (Beispiele)
Messbereich (Beispiele)
Messprinzip (Beispiele)
Technologie
Drehzahl
Kurbelwelle
30–7000 U/min
Indukt. Inkrem.
Magnetspule
Weg,Winkel
Nockenwelle
Beschleunigung
Motorblock
3–25 kHz
Piezoelektrisch Seism. Masse
Niederdruck
Luftkanal
0,1–10 bar
Piezoresistiv
Si-Membran
Hochdruck
Rail
100–2200 bar
Resistiv
Stahlmembran
Durchfluss
Luftkanal
Thermisch
Temp.-abh. Widerst.
Ölstand
Kurbelwanne 10–100 mm
Integrationsstufe Keine
Analoge Elektronik
Digitale Elektronik
X
⎯
⎯
⎯ X
X ⎯
⎯ ⎯
⎯ ⎯
⎯ ⎯
X
⎯
⎯
X
X
⎯
⎯
Mechanisch
Indukt., Halleff.
–1200 kg/h
X
Thermisch Luft, Kühlmittel, Abgas
–40–150 °C –40–1100 °C
resistiv Thermoelement
NTC, PTC
X X
⎯ ⎯
⎯ ⎯
Sauerstoff
Abgaskanal
λ: 0,8–1,2
galv. Sauerstoffzelle
Festkörperelektrolyt
X
⎯
⎯
NOx
Abgaskanal
λ: 0,7–8
galv. aktiv. Elektr.
ZrO2-Keramik
X
⎯
⎯
⎯ X
X
Temperatur
Chemisch
Elektrisch Spannung
Steuergerät
ADU
⎯
Strom
Steuergerät
Messwiderstand
⎯
X
1.4 Modellbildung und Simulation Der Entwurf und die Erprobung der Vielzahl von Steuerungs- und Regelungsfunktionen erfordert eine systematische Vorgehensweise unter Einschluss von Modellbildung und Messungen an Prüfständen und in Fahrzeugen. Bild 1-17 zeigt ein detailliertes Signalflussbild eines Dieselmotors. Dabei werden nur die wichtigsten Ein- und Ausgangsgrößen der Aktoren und der einzelnen Motorkomponenten dargestellt. Die Motorkomponenten sind im Bezug auf die physikalisch stark zusammenhängenden Größen bzw. Motorteile als (integrierte) Motor-Teilprozesse wie Frischgas-Prozess (Beladung und AGR-Mischung), Verbrennungs-Prozess, Abgasnachbehandlungs-Prozess, Kühl- und Schmier-Prozess zusammengefasst. Dies erlaubt die Gestaltung von Modellmodulen, nicht nur für die modellgestützte Regelung und Steuerung,
20
1 Mechatronische Fahrzeugantriebe
sondern auch für die modellgestützte Diagnose. Dieses Bild zeigt jedoch nicht alle Wirkzusammenhänge, da die Kopplungen zwischen den Komponenten bzw. Teilprozessen nicht eingetragen sind. Bild 1-18 stellt die aus einer physikalischen Modellbildung hervorgehenden Signalflüsse in einem sogenannten Mehrpol-Schema dar [22, 25]. Diese detaillierte Betrachtung ist z.B. erforderlich für eine arbeitstaktsynchrone Hardware-in-theloop Simulation [25].
Bild 1-17: Feiner strukturiertes Signalflussbild eines CR-Dieselmotors mit Aktoren, Komponenten und Motorteilbereichen
1.4 Modellbildung und Simulation
21
Bild 1-18: Detailliertes Signalflussbild eines CR-Dieselmotors als Mehrpol-Schema ohne Abgasnachbehandlung und Einspritzsystem [25]
Eine auf physikalischen und chemischen Gesetzen beruhende theoretisch-physikalische Modellbildung der einzelnen Vorgänge eines Verbrennungsmotors ist zwar im Prinzip näherungsweise möglich, enthält aber eine große Zahl von nur ungenau bekannten Parametern. Deshalb ist es für den Entwurf der Steuerungen und Regelungen zweckmäßiger, die Modellstruktur aus den theoretischen Modellen zu übernehmen und die Parameter experimentell zu ermitteln (semi-physikalische Modelle) oder das Ein-Ausgangsverhalten rein experimentell durch Identifikationsmethoden bzw. Parameterschätzmethoden zu bestimmen, vgl. Bild 1-19.
Bild 1-19: Experimentelle Modellbildung von Verbrennungsmotoren durch Identifikationsmethoden
22
1 Mechatronische Fahrzeugantriebe
Die meisten Steuerungsfunktionen werden über die stationäre Vermessung des Motors auf Motorenprüfständen ermittelt. Dabei werden nach der Bestimmung von fahrbaren Grenzwerten die Stellvariablen wie z.B. Luftmenge, Zündzeitpunkt, Einspritzmenge, Einspritzzeitpunkt, Raildruck, AGR-Rate und Nockenwellenstellung für die Ausgangsgrößen Drehmoment, Verbrauch und Emission in Abhängigkeit der Drehzahl entweder nach Rasterkennfeldern oder mit Design-of-Experiment (DoE)-Methoden systematisch eingestellt. Eine folgende Mehrgrößen-Optimierung liefert dann nach mehreren Schritten eine optimierte Steuerkennfeldbedatung [9, 26]. Hinzu kommen dynamische Funktionen, die zum Teil auch in Fahrversuchen optimiert werden. Da aber die Zahl der Stell- und Einflussgrößen weiter zunimmt und das dynamische Verhalten wegen des wirklichen Fahrbetriebs und den Fahrzyklen-Zertifizierungstests wichtiger wird, (der NEDC Fahrzyklus, z.B. enthält 48 % Dynamikanteile) ist eine auf parametrischen Modellen beruhende Darstellung des Motorverhaltens eine Alternative zu nichtparametrischen Kennfeldern. Als parametrische Mehrgrößen-Modelle kommen für das nichtlineare stationäre Verhalten algebraische Polynome oder bestimmte (neuronale) Netzmodelle in Betracht. Zur Abbildung des dynamischen Verhaltens können Polynome durch Differential- oder Differenzengleichungen ergänzt werden (z.B. HammersteinModell) oder dynamische neuronale Netze eingesetzt werden [22, 27]. Die einzelnen Schritte bei der Vermessung von Verbrennungsmotoren auf Prüfständen, von der Versuchsplanung bis zur Modellvalidierung sind im Bild 1-20 dargestellt. Die Verstellung der einzelnen Stell- oder Eingangsgrößen kann stationär erfolgen, also sprungförmig mit Abwarten des Einschwingzustandes, quasistationär mit langsam kontinuierlichem Verstellen, oder dynamisch mit schnell aufeinander folgenden Sprungfunktionen oder anderen Testsignalen, siehe Bild 1-21. Ziel dabei ist, umfassende Mehrgrößenmodelle in verkürzter Messzeit zu erhalten. Zur Entwicklung der umfangreichen Funktionen im Steuergerät kann man nach einem sogenannten V-Modell vorgehen, Bild 1-22. Hierbei sind verschiedene Simulationsumgebungen zu unterscheiden. Um die Funktionsentwicklung im Labor und nicht am Motorenprüfstand durchführen zu können, wird hierbei eine Simulation des Motors auf leistungsfähigen Rechnern eingesetzt, vgl. Bild 1-23. Das heißt, dass das stationäre und dynamische Verhalten des Motors in Form mathematischer Modelle zur Verfügung stehen muss. Dann kann man einige Funktionen mit einer Offline-Simulation z.B. auf einem PC vorentwickeln. Am Motorprüfstand werden dann mit einem Control-Prototyping-System (leistungsfähiger Echtzeit-Rechner mit Hochsprache) Teile der Motorsteuerung im Bypass zu einer (früheren) Motorsteuerung erprobt. Wenn die Funktionen feststehen, erfolgt die Codierung für den Ziel-Steuerungsrechner in der jeweiligen Mikroprozessorsprache (z.B. Assembler). Der Funktionstest der entwickelten Steuerung kann dann zunächst wieder im Labor mit einer Hardware-in-the-loop-Simulation erfolgen. Hierbei werden das Steuergerät und seine Funktion zusammen mit anderen Echtteilen, wie z.B. verschiedenen Aktoren (E-Gas, Nockenwellensteller, Drallsteller, Saugrohrsteller, Turboladersteller und Einspritzsystem) und in Echtzeit simuliertem Motor mit Sensorsignalen getestet. Die Sensorsignale müssen dabei mit besonderen elektronischen Schaltungen vom Simulationsrechner künstlich angesteuert, erzeugt werden. Das einsatzfähige Steuergerät wird dann im Rahmen der Applikation für den betreffenden Motor parametriert, wozu der Motor am Motorenprüfstand mit Steuergerät ausführlich vermessen wird. Dann kann die Er-
1.4 Modellbildung und Simulation
23
probung der Motorsteuerung im Fahrzeug erfolgen. Die verschiedenen Simulationstechniken erlauben nicht nur das Arbeiten im Labor, sondern eine parallele Entwicklung von Motor, Sensoren und Aktoren und zahlreichen Tests bezüglich Umweltbedingungen, ungewöhnlichen Betriebszuständen, Sensor-, Kabel-, Bordnetz- und Aktorstörungen. Insgesamt gesehen spielt also die Modellbildung von Verbrennungsmotoren zur Simulation und Optimierung eine bedeutende Rolle.
Bild 1-20: Schritte bei der Vermessung von Verbrennungsmotoren [28]
Bild 1-21: Übersicht verschiedener Methoden zur experimentellen Modellbildung von Verbrennungsmotoren [27]
24
1 Mechatronische Fahrzeugantriebe
Bild 1-22: Entwicklung mechatronischer Funktionen nach einem V-Modell
Bild 1-23: Verschiedene Kopplungen von Motor und Elektronik zum mechatronischen Entwurf
1.5 Diagnose
25
1.5 Diagnose Durch die Zunahme an motorischen Komponenten wie z.B. Turbolader, Abgasrückführung, verschiedenen Brennverfahren, Abgasnachbehandlung und durch die Zunahme von Sensoren und Motormanagement-Funktionen ist die Komplexität moderner Verbrennungsmotoren stark gestiegen. Deshalb müssen auch wesentlich mehr Überwachungsund Diagnosefunktionen entwickelt und implementiert werden. Die gesetzlich vorgeschriebene On-Board-Diagnose (OBD, EOBD) beschränkt sich auf emissionsrelevante Komponenten und Funktionen wie z.B. Sensoren, Aktoren, AGR, Lecks und Verbrennungsaussetzer. Dabei werden elektrische Signalpfade und Plausibilitäten geprüft, Prüfsignale eingegeben und verschiedene Grenzwerte überprüft. Dies wird in Werkstätten durch Off-Board-Diagnose-Systeme ergänzt. Um den Umfang der erkennbaren Fehler zu erhöhen und insbesondere die Diagnosetiefe zu verbessern, können signalmodell- und prozessmodellbasierte Methoden entwickelt werden. Bild 1-24 gibt eine Übersicht der möglichen Methoden, [28]. Dabei werden die Veränderungen von z.B. Schwingungssignalen (z.B. Luftstrom, Drehzahl) analysiert oder es werden Änderungen im Übertragungsverhalten zwischen Ein- und Ausgangssignalen durch Methoden der Parameterschätzung oder Paritätsgleichungen bestimmte Symptome erzeugt, Bild 1-25. Aus verschiedenen Symptomen kann dann auf unterschiedliche Fehler geschlossen werden (z.B. Lecks im Luftkanal). Dabei empfiehlt sich eine an bestimmten Teilbereichen des Motors orientierte modulare Struktur, Bild 1-26, [25, 29, 30]. Bild 127 zeigt z.B. die zur modellbasierten Fehlerdiagnose im Luftsystem eines Dieselmotors verwendeten Seriensensor-Signale, um mit 3 über nichtlineare Paritätsgleichungen erzeugte Symptome 5 verschiedene Fehler (Lecks, Verstopfungen, AGR-Ventilfehler) zu diagnostizieren.
Bild 1-24: Übersicht von Methoden zur Fehlererkennung
26
1 Mechatronische Fahrzeugantriebe
Bild 1-25: Modellgestützte Fehlererkennung mit Symptomerzeugung und Fehlerdiagnose
Bild 1-26: Modulare Fehlererkennung und Fehlerdiagnose am Beispiel eines Dieselmotors
1.6 Hybridisierung
27
Bild 1-27: Modellgestützte Fehlerdiagnose für das Luftsystem eines Dieselmotors
1.6 Hybridisierung Um Verbrauch und Emissionen weiter zu senken, werden zunehmend Kombinationen von Verbrennungskraftmaschinen (VKM) mit Elektromotoren (EM) zum Antrieb von Kraftfahrzeugen entwickelt oder sind schon am Markt. Die resultierenden hybriden Fahrzeugantriebe (HEV: hybrid electrical vehicle) ermöglichen den Einbau von Motoren mit reduzierter Leistung, Betrieb des Verbrennungsmotors in Bereichen besten Wirkungsgrades, Beschleunigung oder Fahren mit Elektromotor und regeneratives Bremsen. Dabei unterscheidet man folgende Grundstrukturen, vgl. Bild 1-28: A) Serieller Hybridantrieb B) Paralleler Hybridantrieb C) Leistungsverzweigender Hybridantrieb Die Klassifikation bezieht sich auf den Energiefluss (nicht auf die geometrische Anordnung). Beim seriellen Hybridantrieb treibt die VKM einen Generator (GEN) an, der eine Batterie lädt und den Strom für einen EM liefert, der allein auf die Antriebsräder wirkt. Die VKM wird überwiegend stationär bei bestem Wirkungsgrad betrieben. Wegen der
28
1 Mechatronische Fahrzeugantriebe
mehrfachen Energiewandlung ist diese Struktur für Pkw nicht geeignet, wird aber bei Diesellokomotiven oder Stadtbussen eingesetzt. Ein paralleler Hybridantrieb erlaubt den gleichzeitigen (parallelen) Antrieb mit VKM und EM. Der EM ist zwischen VKM und Radantriebswellen angeordnet und arbeitet entweder als Motor oder lädt als Generator eine Batterie. Wenn der EM direkt mit dem Kurbelwellenschwungrad verbunden ist, wird dieser als Starter/Generator bezeichnet. Dann ist allerdings ein elektrisches Fahren mit Schleppverlusten der VKM verbunden. Dies wird günstiger mit einer zweiten Kupplung zwischen Schwungrad und EM. Dann ist ein elektrisches Fahren und regeneratives Bremsen ohne Schleppverlust möglich.
Bild 1-28: Grundstrukturen von Hybridantrieben
Der leistungsverzweigende Hybridantrieb ist eine Kombination aus der seriellen und parallelen Struktur. Ein nach der VKM angebrachtes leistungsverzweigendes Planetengetriebe erlaubt einen Teil der Leistung der VKM mechanisch an den Abtrieb und den anderen Teil an einen Generator abzugeben. Eine direkte Drehmomentabgabe des VKM an die Abtriebswelle ist wegen des Planetengetriebes nur möglich, wenn die EM als Generator Leistung aufnimmt. Die generatorische Leistung muss dann direkt an die EM und zum Abtrieb abgegeben werden, oder kann zum Teil zum Laden der Batterie verwendet werden. Der Antrieb des Kfz erfolgt also kombiniert über die VKM und die EM und erlaubt daher mehrere Freiheitsgrade der Optimierung, allerdings auf Kosten des Aufwandes. Der leistungsverzweigende HEV erlaubt eine stufenlos einstellbare Übersetzung zwischen VKM und der Abtriebswelle, ähnlich einem CVT-Getriebe. Da jedoch das elektrische Fahren mit zweifachen Energiewandlungsverlusten stattfindet und ein optimaler Betrieb über den ganzen Fahrbereich mit großen Geschwindigkeitsspannen nicht möglich ist, ergeben sich (bisher) lediglich im Stadtverkehr Verbrauchseinsparungen. Bei Überlandverkehr resultieren keine Einsparungen und bei Autobahnverkehr ein höherer Verbrauch [31]. Eine Erweiterung des leistungsverzweigenden HEV ergibt sich mit einer zweiten Fahrstufe durch ein zweites Planetengetriebe mit der Möglichkeit einer direkten rein mechanischen Übersetzung [32]. Durch zwei CVT-Übersetzungen dieses Dual-
1.6 Hybridisierung
29
mode-Hybridantriebes [33] kann ein optimaler Betrieb über große Geschwindigkeitsbereiche verwirklicht werden, allerdings auf Kosten eines noch größeren Aufwandes. Aus diesen Energiefluss-Strukturen ergeben sich verschiedene Grade der Hybridisierung: micro, mild, medium oder strong, vgl. Tabelle 1-7. Der Hybridisierungsgrad H = Pel/Pges kann hierbei als Verhältnis der elektrischen zur Gesamtleistung angegeben werden. Der Micro-Hybrid (Nel < 5 kW) hat eine parallele Struktur und einen Starter/Generator an der Kurbelwelle oder einen gewöhnlichen Starter und einen verstärkten riemengetriebenen Generator. Durch eine Start/Stopp-Funktion ergeben sich Kraftstoff-Einsparungen an Ampeln. Ein Mild-Hybrid oder Medium-Hybrid ist ebenfalls in paralleler Struktur angeordnet, z.B. als Starter/Generator mit größerer Leistung (Nel < 15 kW) und einer Kupplung. Damit wird außer Start/Stopp ein Anfahren und Beschleunigen (Boosten, mit schwächerer VKM) bei niederen Drehzahlen und eine Regeneration beim Bremsen möglich. Ein Strong-Hybrid kann als parallele Struktur mit zwei Kupplungen oder leistungsverzweigend mit noch größerer elektrischer Leistung (Nel § 30 bis 60 kW) und größerer Batteriekapazität ausgeführt sein. Damit wird zusätzlich elektrisches Fahren, z.B. in der Stadt, möglich.
Tabelle 1-7: Verschiedene Daten für Hybrid- und Elektroantriebe von Personenkraftwagen (Bereichsangaben aus verschiedenen Veröffentlichungen) Leistung [kW]
Speicherkapazität [kWh]
Spannungen [V]
Hybridisierungsgrad
NiMH
Li-Ion
<5
0,8 – 1,5
12
< 5%
11 – 38
5 – 21
<10
0,8 – 1,5
12 / 42
< 10%
11 – 38
5 – 21
Mediumhybrid
10 – 30
1,0 – 2,0
12 / 144
< 20%
14 – 50
6 – 28
Stronghybrid
30 – 100
1,5 – 3,0
12 / 200 / 500
< 30%
21 – 75
30 – 60
Plug-inHybrid
40 – 120
5 – 15
12 / 200 / 500
< 30%
71 – 380
30 – 200
Electric Vehicle
30 – 80
15 – 40
120
220 – 500
100 – 500
Microhybrid Mildhybrid
Masse [kg]
Sowohl beim Entwurf der Komponenten als auch bei der Optimierung von Betriebsstrategien kommen alle Stufen einer mechatronischen Gesamtbetrachtung zur Anwendung. Erste wesentliche Effekte sind der Einsatz von kleineren VKM und deren Betrieb in Bereichen mit besserem spezifischem Verbrauch und ein Ausgleich des kleineren Beschleunigungsvermögens durch die EM (Boosten). Bei Benzinmotoren steht in der Regel die Reduktion des Verbrauchs im Vordergrund. Dies wird z.B. erreicht durch elektrisches Fahren bei kleinen Lasten und Zuschalten des Generators zur VKM bei mittleren Lasten. Bei Dieselmotoren ist bei niederen Lasten z.B. ein gemeinsamer Betrieb von VKM und GEW zur Lastpunktanhebung und bei mittleren Leistungen von VKM und EM zur Lastpunktabsenkung anzustreben, um NOx zu reduzieren. In beiden Fällen ergeben sich also alternierende Motor- und Generatorbetriebe der EM mit häufigen Lade- und Entladevor-
30
1 Mechatronische Fahrzeugantriebe
gängen der Batterien. Beim regenerativen Bremsen im Generatorbetrieb zur Ladung der Batterie ist zu beachten, dass das maximale Bremsmoment des Generators mit abnehmender Drehzahl zunimmt und deshalb die mechanische Reibbremsleistung zunächst stärker, aber gegen Ende weniger zugeschaltet werden muss [32]. Ferner spielen der Ladezustand der Batterie und die Einflüsse auf ABS und ESP-Regelungen eine wesentliche Rolle. Insgesamt ist die Optimierung des Betriebsmanagements eine sehr umfangreiche Aufgabe, bei der Modellbildung und Simulation erforderlich sind [34–37]. Eine entscheidende Rolle bei HEV spielt der elektrische Energiespeicher, entweder als Batterie oder Kondensator (SuperCap). Einige wichtige Eigenschaften der Batterien sind außer Speicherkapazität und entnehmbarer Leistung, die Masse, Spannung, Lebensdauer und die Kosten, vgl. Tabelle 1-8. In Bild 1-29 ist die spezifische Leistung in Abhängigkeit der spezifischen Energie dargestellt. Dabei zeigen die Lithium-Ionen Batterien mit 70–160 Wh/kg im Vergleich zu Nickelmetallhybrid-Batterien (NiMH) mit etwa 40–70 Wh/kg und Blei-Säure-Batterien mit 30–50 Wh/kg die besten Kapazitätswerte pro Masse [38]. SuperCaps (Doppelschicht-Kondensatoren) haben eine kleine spezifische Kapazität, aber ermöglichen kurzzeitig große spezifische Leistungen (z.B. zum Boosten oder für ETurbolader) [39]. Derzeitig werden vorwiegend NiMH-Batterien für Hybridfahrzeuge eingesetzt (Toyota, Honda, Ford). Sie haben eine mittlere Leistungsdichte, im teilgeladenen Zustand keine Beeinträchtigung der Lebensdauer und relativ hohe Wirkungsgrade. Allerdings besitzen sie eine hohe Selbstentladung, einen starken Leistungsabfall bei niederen Temperaturen und dürfen nicht überladen werden. Die höchsten Energie- und Leistungsdichten haben Li-Ionen-Batterien. Sie verfügen über eine 3-fach höhere Zellenspannung als NiMH-Batterien, eine geringere Selbstentladung und haben eine etwa 50% kleinere Masse, ein 30% kleineres Volumen und sind schneller ladbar. Für Batterien mit hohen Leistungsdichten müssen der konstruktive Aufbau und die sicherheitsgerechte Verpackung besonders im Hinblick auf die Crash-Sicherheit und die Gefahren durch Explosion und Brand berücksichtigt werden. Ferner muss ein Kühlsystem (Luft, Flüssigkeit) integriert sein. Auch die erheblichen Beschränkungen (z.B. UNRegulations SP 310) für den Transport besonders von Lithium Batterien sind zu beachten. Das Batteriemanagement benötigt einen großen Umfang von Spannungs-, Strom-, Temperatur-Überwachung und Überstromsicherung bis zu optimierten Lade-EntladeZyklen. Das Management der Lade-Entlade-Zyklen hat einen großen Einfluss auf die Lebensdauer der Batterien. Zum einen sind Überladung und Tiefentladungen zu vermeiden, um die Batterien nicht in kurzer Zeit zu zerstören. Um eine Regeneration bei Bremsvorgängen durchführen zu können, wird die Batterie im Mittel auf etwa 50–70% geladen. Bei NiMh (Li-Ion) Batterien beträgt die Lebensdauer bei einer Entladetiefe von 5% etwa 14000 (7000) Zyklen und sinkt bei 25% Entladetiefe auf 4000 (2000) Zyklen [32]. Da über 10 Jahre Betrieb mit mehr als 300.000 Zyklen zu rechnen ist, sind die Änderungen der Ladezustände bisher deshalb auf wenige Prozent zu beschränken. Ferner nimmt die Lebensdauer einer Li-Ionen-Batterie von 10 Jahren bei 30 °C auf 2,7 Jahre bei 60 °C ab [40]. Deshalb ist die Kühlung wichtig. Das HEV-Bordnetz besteht aus mindestens zwei Teilnetzen, einem konventionellen 12-VBordnetz (Karosserie) und einem Traktions-Bordnetz höherer Spannung, z.B. 42 V, 200 V, 500 V. Ein DC/DC-Wandler verbindet beide Netze, um das 12-V-Netz zu versorgen und
1.6 Hybridisierung
31
Spannungseinbrüche zu kompensieren. Dabei wird der Gleichstrom der Traktionsbatterie in einen hochfrequenten Wechselstrom gewandelt und über einen Transformator auf 12 V umgesetzt und gleichgerichtet [32]. Die Dauerleistung ist z.B. 3 kW.
Tabelle 1-8: Daten elektrischer Speicher für Hybrid- und Elektroantriebe (aus verschiedenen Veröffentlichungen)
BleiSäure
Spannung pro Zelle [V]
Energiedichte [Wh/kg]
Spezifische Leistung [W/kg]
LebensdauerZyklen (VollEntladung)
Kosten Euro/kWh
Anmerkungen
2,12
30 – 50
150 – 400
500 – 1000
100 –150
AGM1) od. Gel-Elektrolyt Hoher Ladezustand erforderlich Keine große Ladeströme Selbstentladung: 2–15% /Monat
NiMH
1,25
40 – 70
200 – 1000
> 2000
200 – 600
Hohe Selbstentladung (20%/Monat) Leistungsverlust bei niederen Temperaturen Große Zellenzahl
Li-Ion
3,6
70 – 160
300 – 1500
> 1000
700 – 850
Kleine Selbstentladung (5%/Monat) Explosions- und Brandgefahr Größere Ladeströme
SuperperCaps
2,7 – 3,1
15 – 20
3000 – 15000
> 500 000
8000
Begrenzter Temperaturbereich Hohe Zyklenzahl Hohe Selbstentladung (10% Tag) Hohe Ladeströme
1)AGM: Absorbent Glass Mat (Glasvlies)
Als Elektromotoren sind drehmomentgeregelte, permanent erregte Synchron- oder Asynchronmotoren vorgesehen. Die Regelung erfolgt dabei über DC-AC-Umrichter (inverter), der aus dem Gleichstrom des Traktionsnetzes ein frequenzvariables, dreiphasiges Drehstromsystem erzeugt, bzw. im Generatorbetrieb umgekehrt. Bei einer permanent erregten Synchronmaschine werden aus dem Gleichspannungs-Traktionsnetz in einem Pulswechselrichter über z.B. IGBT-Leistungsschalter (100–400 V) in Abhängigkeit der gemessenen Rotorposition in den drei Phasen der Statorwicklungen sinusähnliche Stromverläufe erzeugt und damit ein Drehfeld für den Rotor. Eine feldorientierte Regelung ermöglicht eine Drehmoment- oder Drehzahl-Regelung [32]. Hybridantriebe benötigen mehrere zusätzliche Kühlsysteme. Der Elektromotor kann Kühlmitteltemperaturen bis etwa 110 °C ertragen und wird daher mit einer E-Pumpe an den VKM-Kühlkreislauf angeschlossen. Umrichter und DC/DC-Wandler benötigen wegen einer Begrenzung auf 65 °C einen eigenen Kühlmittelkreislauf mit E-Pumpe. Die Batterien erfordern eine Temperatur unter ca. 40 °C. Eine Temperierung erfolgt z.B. über eine Flüssigkeits- oder Luft-Kühlung (Abluft, Klimaanlage) oder bei tiefen Temperaturen auch eine Heizung.
32
1 Mechatronische Fahrzeugantriebe
Bild 1-29: Spezifische Leistung in Abhängigkeit der spezifischen gespeicherten Energie verschiedener elektrischer Energiespeicher (Ragone-Diagram) [40]
Die Hybridisierung beeinflusst auch die Nebenaggregate, wie z.B. elektrische Antriebe, Lenkung, Unterdruckerzeugung für ein hydraulisches Bremssystem und den Klimakompressor. Dadurch erzielbare Verbrauchseinsparungen wurden z.B. in [41] untersucht. Neuere Angaben enthält [42]. Die zu erwartenden Verbrauchseinsparungen werden für den NEDC-Zyklus wie folgt angegeben: Start-Stopp: 3–5%, Regeneratives Bremsen (1–2,5%), Micro-Hybrid: 5–8%, Mild-Hybrid: 12–20%, Strong-Hybrid: 20–30% [40]. Bei Elektrofahrzeugen rechnet man für die Reichweite und ein Fahrzeug der Golf-Klasse bei NiMH-Batterien zurzeit mit 7 km/100 kg Batteriemasse und bei Li-Ionen Batterien mit 21 km/100 kg [43]. Damit benötigt man für 50 km Reichweite Batterien mit 715 bzw. 240 kg.
1.7 Zusammenfassung Nach einer kurzen Betrachtung aktueller Entwicklungen bei Verbrennungsmotoren wird auf die gestiegenen Anforderungen des elektronischen Motormanagements eingegangen. Die Zunahme an Stellgrößen und Messgrößen im Zusammenhang mit variabel einstellbaren motorischen Teilprozessen wie Einspritzsystemen, Aufladung, Abgasrückführung, Ventiltrieben und Abgasnachbehandlung hat die Komplexität stark erhöht. Im Motorsteuergerät zeigt sich dies durch eine große Zunahme an softwarebasierten Funktionen, die nicht nur eine größere Rechenleistung erfordern, sondern auch ein methodisches Vorgehen bei Entwurf und Kalibrierung. Die präzise Steuerung der einzelnen Abläufe wird von mechatronischen Aktoren und Antrieben unterstützt. Dabei entwickelt sich eine bauseiti-
1.7 Zusammenfassung
33
ge und funktionsseitige Integration mit der Elektronik. Eine Integration vor Ort findet auch bei einem Teil der Sensoren in Form einer Signalvorverarbeitung statt. Diese Dezentralisierung der Informationsverarbeitung entlastet das zentrale Steuergerät und erhöht die Präzision und die Bearbeitungsgeschwindigkeit und steigert die Zuverlässigkeit der Signalübertragung. Da der Entwurf und die Erprobung einer Vielzahl von Steuerungs- und Regelungsfunktionen verschiedene mathematische Modelle für das stationäre und dynamische Motorverhalten erfordert, wird das grundsätzliche Vorgehen bei der Vermessung auf Prüfständen kurz umrissen und eine Übersicht der zugehörigen Identifikationsmethoden gegeben. Die zugenommene Komplexität der Verbrennungsmotoren erfordert auch eine verbesserte Diagnose bei Störungen. Hier lassen sich durch Methoden auf der Basis von Signalmodellen und Prozessmodellen die bekannten OBD-Funktionen ergänzen. Zur Senkung von Verbrauch und Emissionen wird zurzeit intensiv an der Entwicklung von hybridisierten Fahrzeugantrieben gearbeitet. Hierzu wird eine kurze Übersicht der Grundstrukturen gegeben und es werden einige Eigenschaften und Daten der Elektromotoren, Leistungselektronik und Batterien betrachtet. Die Entwicklung von Hybridantrieben ist stark geprägt durch eine interdisziplinäre Gesamtoptimierung im Sinne der Mechatronik.
Literatur [1] [2]
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1.7 Zusammenfassung
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A Elektronische Steuerung und ihre Realisierung
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2 Aufbau und Anpassung der MotorsteuerungsSoftware für Otto- und Dieselmotoren HARALD STUHLER, VOLKER RICKEN, RENÉ DIENER
Die Erfüllung steigender Kundenansprüche und strenger gesetzlicher Vorgaben hinsichtlich der Verringerung des Kraftstoffverbrauchs, der Reduzierung von Schadstoffemissionen, der Erhöhung von Fahrsicherheit, Fahrleistung und Fahrkomfort ist untrennbar mit dem Einzug elektronischer Systeme in moderne Kraftfahrzeuge verbunden. Die elektronischen Systeme bestimmen zunehmend den Kundennutzen und werden für die Differenzierung der Automobilhersteller untereinander immer wichtiger. Daher sind sie ein wesentlicher Erfolgsfaktor moderner Kraftfahrzeuge. Eine der wichtigsten Aufgaben elektronischer Systeme ist die Regelung des Antriebsstrangs; hierzu gehören die Motorsteuerung sowie die Getriebesteuerung. Hinsichtlich der aktiven Fahrsicherheit sind Fahrdynamikregelungen wie z.B. das Antiblockiersystem (ABS) und das Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) besonders wichtig. Weitere elektronische Systeme im Bereich Karosserie sind für die passive Sicherheit (z.B. Rückhaltesysteme) sowie für Komfortfunktionen zuständig. Nicht zuletzt kommen zunehmend Infotainment-Anwendungen wie z.B. Navigations- und Audiosysteme zum Einsatz. Die Vernetzung der verschiedenen elektronischen Systeme ermöglicht übergreifende Regelungsfunktionen. Betrachtet man zum Beispiel die Adaptive-Cruise-Control (ACC), bei der Abstand und Relativgeschwindigkeit zum vorausfahrenden Fahrzeug geregelt werden, müssen Motordrehmoment, Getriebeparameter und Bremsmomente koordiniert beeinflusst werden. Dies bedeutet, dass bei Architektur und Auslegung eines einzelnen Systems verschiedene Interaktionen mit anderen elektronischen Systemen berücksichtigt werden müssen. Im vorliegenden Beitrag werden elektronische Systeme zur Regelung von Otto- und Dieselmotoren anhand der Schwerpunkte Systemanforderungen und Systemaufbau, Software-Architektur, -Funktionsgliederung und -Parametrierung sowie Entwicklungstrends beschrieben. Anforderungen, Aufbau und Wirkungsweise dieser Systeme sind sinngemäß auch auf andere Systeme in einem Fahrzeug übertragbar.
2.1 Anforderungen an Motorsteuerungs-Systeme 2.1.1 Anforderungen an moderne Motoren Moderne Motoren für Fahrzeugantriebe müssen sehr hohe Anforderungen im Hinblick auf sehr unterschiedliche Kriterien erfüllen. Die Erwartungen des Endkunden, die Interessen des Fahrzeugherstellers und gesetzliche Vorgaben bilden die Basis für diese Kriterien, die zumeist in deutlicher Wechselwirkung zueinander stehen und deren Gewichtung
2.1 Anforderungen an Motorsteuerungs-Systeme
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untereinander stark marktspezifisch geprägt ist. In Bild 2-1 sind beispielhaft wichtige Kriterien und zugehörige Anforderungen dargestellt. Es ist offensichtlich, dass die Erfüllung dieser Anforderungen nur in Form eines ziel- und marktspezifisch abgestimmten Kompromisses erreicht werden kann. Die zunehmend hohe Vielfalt an Anforderungen und ihrer ziel- und marktspezifischen Gewichtungen führte gerade in den letzen Jahren zu einer großen Vielfalt an Fahrzeugantrieben und deren Motoren, wobei hier insbesondere der ausgehend von Basiskonzepten und -motoren vorgenommenen Variantenbildung eine sehr große Bedeutung zukam.
Bild 2-1: Anforderungen an moderne Motoren
2.1.2 Anforderungen an Motorsteuerungen Aus den Anforderungen an Motoren für Fahrzeugantriebe lassen sich die Anforderungen an zugehörige Motorsteuerungs-Systeme direkt ableiten. Insbesondere die sehr hohen Anforderungen im Bereich der Abgasemissionen, welche seit einigen Jahren mit detaillierten Gesetzesvorschriften zur Eigendiagnose des Motors hinsichtlich abgasemissionsrelevanter Fehler verbunden ist (On-Board Diagnose, OBD), sowie auch die gestiegenen Anforderungen hinsichtlich Kraftstoffverbrauchsminderung bei gleichzeitig hoher Fahrleistung haben zu einer starken Zunahme der Komplexität von MotorsteuerungsSystemen geführt. Weiterhin steht die Motorsteuerung im Verbund mit anderen Systemen, welche zur Steuerung/Regelung des Fahrverhaltens (z.B. Getriebe, ABS, ESP, Lenkunterstützung) oder anderer Funktionen des Fahrzeugs (z.B. Innenraum-Klimatisierung) dienen. Dieser Steuergeräte-Verbund zieht Anforderungen an die Kommunikation der Steuergeräte untereinander nach sich. Die erwähnte Variantenvielfalt von Basismotoren, die durch die Anpassung an das jeweilige Anwendungsziel (Markt, Leistungs-
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2 Aufbau und Anpassung der Motorsteuerungs-Software für Otto- und Dieselmotoren
stufe, Fahrzeugplattform etc.) begründet ist, beinhaltet üblicherweise auch eine Anpassung der Motorsteuerung. Diese kann sowohl deren Sensoren und Aktuatoren als auch deren Software-Funktionen betreffen und erfordert eine hohe Flexibilität des Motorsteuerungs-Systems. Betrachtet man den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs, so ist im Sinne einer Minderung von Wartungs- und Reparaturkosten zudem eine effiziente Werkstattdiagnose sicherzustellen. Der Motorsteuerung kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu, da sie in Ergänzung zur erwähnten On-Board Diagnose auch weitere Fehler des Motors erkennen und in Verbindung mit den zugehörigen Bedingungen, unter denen die Fehler auftreten, in einem Fehlerspeicher ablegen muss (vgl. hierzu entsprechende Beiträge im Abschnitt F des vorliegenden Buches). Als wesentliche Anforderungen an moderne Motorsteuerungs-Systeme ergeben sich somit: Darstellung hochkomplexer Motorsteuerungs-Funktionen bei angemessenem Applikationsaufwand (Aufwand zur Parametrierung der Motorsteuerungs-Software), aufwandsoptimierte Darstellung und Beherrschung einer hohen Variantenvielfalt (Motor, Motorsteuerungs-Komponenten, Motorsteuerungs-Funktionen), die aufgrund unterschiedlicher marktspezifischer Anforderungen (z.B. Kraftstoffqualität, Abgasemissonsgesetzgebung, Motorleistungsklasse) hervorgerufen wird, Bereitstellung definierter Schnittstellen sowohl für Sensorik und Aktuatorik der Motorsteuerung als auch für die Kommunikation mit anderen Steuerungs/RegelungsSystemen im Fahrzeug (Steuergeräte-Verbund) sowie mit Werkstatt-Testgeräten, Bereitstellung von Funktionen zur gesetzlich geforderten On-Board Diagnose sowie zur effizienten Fehlererkennung in der Werkstatt. Allgemein befinden sich Motorsteuerungs-Systeme in einem Spannungsfeld, das einerseits durch stetig steigende Anforderungen an Anzahl, Komplexität und Flexibilität der Motorsteuerungs-Funktionen sowie Zuverlässigkeit der Motorsteuerung insgesamt und andererseits durch die Notwendigkeit zur einfachen, kostengünstigen Darstellung dieser Motorsteuerungs-Funktionen aufgespannt wird. Neben der anforderungsgerechten Gestaltung von Aktuatoren, Sensoren und Motorsteuergerät kommt insbesondere im Hinblick auf Flexibilität und Komplexitätsbeherrschung der Architektur und Struktur von MotorsteuerungsSoftware eine sehr große Bedeutung zu. Weiterhin ist die Parametrierung der Motorsteuerungs-Funktionen heutzutage zwingend mit dem Einsatz zugehöriger, hochentwickelter Parametrierungs-Methoden verbunden – nur hierdurch lässt sich der Aufwand zur Parametrierung der Motorsteuerungs-Software trotz steigender Komplexität der Funktionalitäten in Grenzen halten.
2.2 Aufbau von Systemen zur Steuerung von Otto- und Dieselmotoren
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2.2 Aufbau von Systemen zur Steuerung von Otto- und Dieselmotoren 2.2.1 Aufbau des Motorsteuerungs-Systems Systeme zur Steuerung von Otto- und Dieselmotoren (vgl. Bilder 2-2 und 2-3) bestehen aus Sensoren, Aktuatoren sowie einem elektronischen Motorsteuergerät und dessen zugehörige Motorsteuerungs-Software. Mit Hilfe der Sensoren werden sowohl der Betriebszustand des Motors erfasst (z.B. Motorlast, -drehzahl, -temperatur), als auch weitere Größen, die zur Steuerung des Motors erforderlich sind (z.B. Masse und Temperatur der angesaugten Luft, Kraftstoff/Luft-Verhältnis). Die Signale der vorhandenen Sensoren werden im Motorsteuergerät aufbereitet und plausibilisiert. Die aufbereiteten Sensorsignale sind Eingangsgrößen für die im Motorsteuergerät implementierten SoftwareFunktionen, mit deren Hilfe die Sollwerte der Ausgangsgrößen in Abhängigkeit von Motorbetriebszustand, Fahrerwunsch (Fahrpedalstellung) und ggf. Anforderungen weiterer Fahrzeugsubsysteme (z.B. Getriebesteuerung, Fahrdynamikregelung) berechnet werden. Durch die Aktuatoren schließlich werden die berechneten Sollwerte zur Steuerung des Motors (z.B. Kraftstoff-Einspritzmenge, Zündzeitpunkt, Nockenwellenposition, Ladedruck) am Motor eingestellt bzw. eingeregelt und somit Betriebsart und -zustand des Motors beeinflusst.
Bild 2-2: Motorsteuerungs-System eines Ottomotors mit Benzin-Direkteinspritzung und Turboaufladung
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2 Aufbau und Anpassung der Motorsteuerungs-Software für Otto- und Dieselmotoren
Bild 2-3: Motorsteuerungs-System eines Dieselmotors mit Common-Rail-Direkteinspritzung, Abgasrückführung und Turboaufladung
2.2.2 Aufbau des Motorsteuergerätes Das Motorsteuergerät besteht aus unterschiedlichen elektronischen Baugruppen. In Bild 2-4 ist der prinzipielle Aufbau eines Steuergerätes am Beispiel eines Ottomotors dargestellt. Das Motorsteuergerät wird üblicherweise über das Hauptrelais von der Fahrzeugbatterie bzw. dem Fahrzeugbordnetz mit Strom versorgt, gleichzeitig stellt es für verschiedene Sensoren die Versorgungsspannung (üblicherweise 5 V) zur Verfügung. Die Sensorsignale werden über digitale Eingänge (für digitale bzw. pulsartige Sensorsignale, z.B. Nockenwellenposition) oder über A/D-Wandler (für analoge Sensorsignale, z.B. Luftmassenstrom, Drosselklappenposition) eingelesen. Für Sensorsignale, die eine komplexere Aufbereitung erfordern (z.B. Motordrehzahl, Klopfsensoren) stehen spezielle elektronische Eingangsbausteine zur Verfügung. Die Aktuatoren werden über Endstufen angesteuert, die ebenfalls üblicherweise direkt im Motorsteuergerät verbaut sind. Wesentliche Ausgänge eines Ottomotor-Steuergerätes sind die Digitalausgänge für die Ansteuerung der Zündspulen, diverse Analogausgänge zur Ansteuerung von Einspritzventilen und Aktuatoren zur Verstellung von Motorgrundparametern (z.B. Nockenwellenposition, Saugrohrumschaltung) sowie Analogausgänge zur Ansteuerung von Zusatzaggregaten (Sekundärluftpumpe, Kühlergebläse). Bei Motoren mit elektronischer Drosselklappe (E-Gas) wird deren Ansteuerung über eine H-Brücke vorgenommen.
2.2 Aufbau von Systemen zur Steuerung von Otto- und Dieselmotoren
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Bild 2-4: Motorsteuergerät (Ottomotor)
Die Verarbeitung der Sensorsignale und weiterer Eingangsgrößen der Motorsteuerung sowie die Berechnung der Ansteuersignale und weiterer Ausgangsgrößen der Motorsteuerung erfolgt durch den Mikroprozessor des Steuergerätes. Die hierzu erforderlichen Algorithmen sind im Flash-Speicher des Steuergerätes abgelegt. Ein spezielles CANModul sowie ggf. weitere Module für andere Bussysteme (z.B. FlexRay) übernehmen die Schnittstellenfunktion für die mit anderen Steuergeräten auszutauschenden Signale. Sämtliche durch die Motorsteuerungs-Algorithmen berechneten Größen („Variablen“) werden in die Zellen des RAM-Speichers geschrieben. Dieser flüchtige Speicher des Motorsteuergerätes wird jedoch beim Abstellen des Motorsteuergerätes gelöscht. Um sicherzustellen, dass wichtige berechnete Größen, die beim Neustart des Motors wieder zur Verfügung stehen müssen (z.B. Adaptionswerte, Werte des Fehlerspeichers), erhalten bleiben, erfolgt das Abstellen des Motorsteuergerätes nicht zeitgleich mit dem Abstellen des Motors, sondern erst nach einer Verzugszeit. Innerhalb dieser Verzugszeit („Steuergeräte-Nachlauf“) werden die interessierenden Größen vom flüchtigen Speicher (RAM) in den nichtflüchtigen Speicher des Motorsteuergerätes (EEPROM) übertragen. Der Aufbau eines Steuergerätes für Dieselmotoren ist prinzipiell identisch, jedoch sind die Eingangsbausteine und Endstufen an die Besonderheiten des selbstzündenden Brennverfahrens angepasst. Insbesondere entfallen hier die Endstufen für die Zündspulen und der Eingangsbaustein zur Auswertung der Klopfsensor-Signale. Zudem sind die Endstufen zur Ansteuerung von Kraftstoff-Hochdruckpumpe und Kraftstoffinjektoren aufgrund der veränderten Anforderungen beim Dieselmotor anders ausgeführt.
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2 Aufbau und Anpassung der Motorsteuerungs-Software für Otto- und Dieselmotoren
2.2.3 Signalfluss der Motorsteuerung Der Signalfluss der Motorsteuerung ist in Bild 2-5 am Beispiel der Laststeuerung eines Ottomotors mit elektronischer Drosselklappe dargestellt. Die Laststeuerung basiert auf dem Drehmoment des Motors. Ausgehend von der Drehmomentanforderung, die durch das Fahrpedal vorgegeben wird, sowie weiterer Eingangssignale, die für die Laststeuerung relevant sind (z.B. Fahrgeschwindigkeitsregelung, Fahrdynamikregelung, Nebenaggregate), erfolgt zunächst eine Koordination der Drehmomentanforderungen. Ergebnis dieser Koordination ist das geforderte Soll-Moment des Motors, welches zu seiner Realisierung mit Hilfe eines Momenten-Modells als Eingangsgröße an die MotorsteuerungsFunktionen zur Berechnung von erforderlicher Luftfüllung und Kraftstoffmenge sowie des zugehörigen Zündwinkels und ggf. weiterer Motorsteuerungs-Parameter weitergegeben wird. Diese Sollwerte werden dann an die Steuergeräte-Funktionen für die zugehörigen Subsysteme übergeben, in denen schließlich – üblicherweise unter Einbindung weiterer Eingangsgrößen – die Ausgabewerte für die Motorsteuerungs-Aktuatorik bestimmt werden (Luftfüllung: Drosselklappenwinkel und Aktuierung von Aufladesystemen, Kraftstoffdosierung: Einspritzdauer und -zeitpunkt der Kraftstoffinjektoren, Zündung: Zündwinkel etc.).
Bild 2-5: Signalfluss der Motorsteuerung (Beispiel: Laststeuerung Ottomotor)
Beim Dieselmotor liegt ein prinzipiell ähnlicher Signalfluss der Motorsteuerung vor, wie sich wiederum am Beispiel der Laststeuerung zeigt (vgl. Bild 2-6). Als Basis der Laststeuerung dient auch hier das Motor-Drehmoment, welches ebenfalls über ein entsprechendes Modell berechnet wird. Bedingt durch das entdrosselte, selbstzündende Brennverfahren des Dieselmotors entfallen im Vergleich zum Ottomotor jedoch – wie bereits
2.2 Aufbau von Systemen zur Steuerung von Otto- und Dieselmotoren
45
erwähnt – die Drosselklappe und die elektrische Zündung als Aktuatoren zur Laststeuerung; stattdessen treten Zeitpunkte/Mengen und Druck der Kraftstoffeinspritzung sowie die Regelung von Ladedruck und Abgasrückführung in den Vordergrund.
Bild 2-6: Signalfluss der Motorsteuerung (Beispiel: Laststeuerung Dieselmotor)
Anhand der dargestellten Beispiele geht hervor, dass der Signalfluss innerhalb der Motorsteuerung durch mehrere Schritte geprägt ist. Ausgehend von Eingangssignalen sowie physikalisch basierten Modellen für bestimmte Motorzustandsgrößen erfolgt die Koordination und Priorisierung von Anforderungsgrößen, ein Abgleich von Soll- und IstZuständen sowie die Vorgabe von Sollwerten für Motorzustandsgrößen. Letztere werden in zugehörigen Subsystemen der Motorsteuerung schließlich zur Berechnung und Ausgabe der jeweils relevanten Motorsteuerungsgrößen verwendet. Durch eine geeignete Architektur und Struktur der Motorsteuerungs-Software sowie durch robuste Prozesse zur Software-Entwicklung, Parametrierung und Qualitätssicherung muss sichergestellt werden, dass die im vorherigen Abschnitt 2.1 beschriebenen Anforderungen an Motorsteuerungs-Systeme erfüllt werden. Detaillierte Darstellungen von Motorsteuerungs-Systemen für Otto- und Dieselmotoren einschließlich ihrer einzelnen Subsysteme und Komponenten finden sich z.B. in [1] und [2]. Die Entwicklung von Software für Fahrzeuganwendungen wird z.B. in [3] behandelt.
46
2 Aufbau und Anpassung der Motorsteuerungs-Software für Otto- und Dieselmotoren
2.3 Architektur der Motorsteuerungs-Software 2.3.1 Sichtweisen der Software-Architektur Die Architektur eines Software-Systems beschreibt einerseits die strukturierte und hierarchische Anordnung der Systemkomponenten zusammen mit den Verbindungen, die zwischen den Komponenten bestehen; dies wird als statische Sicht bezeichnet. Des Weiteren beinhaltet sie die Beschreibung der zeitlichen Abarbeitung von Aufgaben oder die Art, in welcher der Signalfluss durch die Komponenten zieht; dies wird als dynamische Sicht bezeichnet. Die funktionale Sicht schließlich beschreibt die logischen oder physikalischen Zusammenhänge, beziehungsweise die Signalflüsse. Diese drei Sichtweisen (vgl. Bild 2-7) werden im Folgenden anhand der Motorsteuerungen Bosch ME(D)17 (Ottomotoren) bzw. EDC17 (Dieselmotoren) erläutert [4].
Bild 2-7: Sichtweisen der Software-Architektur
2.3.1.1 Statische Sicht der Motorsteuerungs-Software Die statische Sicht beschreibt wie erwähnt die strukturierte und hierarchische Anordnung der Softwarekomponenten des Motorsteuerungs-Systems. In Bild 2-8 ist die hierarchische Anordnung der ME(D)17/EDC17 Motorsteuerungs-Software abgebildet. Die Architektur besteht aus der hardware-unabhängigen Anwender-Software (ASW), der BasisSoftware (BSW) sowie weiteren Elementen, die z.B. für die Sicherheitsüberwachung zuständig sind oder Service-Routinen bereitstellen (Application Supervisor, Central Elements, Integration Packages). Die Hardware-unabhängige Anwender-Software ist in Fahrzeug- und Motorfunktionen untergliedert, wobei die Architektur-Komponenten der Motorfunktionen für Motor- und Applikationsingenieure besonders wichtig sind, da in
2.3 Architektur der Motorsteuerungs-Software
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diesen das Motorverhalten modelliert und abgestimmt wird. Die Basis-Software stellt die Verbindung zu den einzelnen Hardwarebausteinen des Steuergerätes her und stellt der Anwender-Software entsprechende Ein- und Ausgabefunktionen zur Verfügung. Über die Basis-Software werden Sensordaten eingelesen und die Stellwerte für die Aktuatoren ausgegeben. Sie enthält dazu hardwarespezifische Software, Diagnose, Kommunikation, Device Encapsulation und Komplextreiber. Letztere werden üblicherweise für die Ansteuerung von Einspritzung und Zündung sowie die Auswertung der Klopfsensoren verwendet.
Bild 2-8: Hierarchische Gliederung der Motorsteuerungs-Software Bosch ME(D)17/EDC17
2.3.1.2 Dynamische Sicht der Motorsteuerungs-Software Die dynamische Sicht beschreibt die zeitliche Abarbeitung der Aufgaben (Tasks). Die verschiedenen Systemzustände werden mit Hilfe eines Zustandsautomaten dargestellt; die einzelnen Zustände sind das Booten des Steuergeräts, die Initialisierung der verschiedenen Tasks, die Ausführung der Tasks sowie das Herunterfahren des Systems. In Bild 2-9 ist der zeitliche Verlauf vom Booten des Systems bei Einschalten der Zündung bis zum Herunterfahren des Steuergerätes (ECU-Shutdown) nach Abstellen des Motors dargestellt. Nach Einschalten der Zündung wird zunächst in der Bootphase des Motorsteuergerätes der Boot-Block ausgeführt; dabei werden der Controller initialisiert, Checksummen-
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2 Aufbau und Anpassung der Motorsteuerungs-Software für Otto- und Dieselmotoren
und Hardware-Tests durchgeführt sowie kundenspezifische Boot-Funktionen ausgeführt. Es folgt die Initialisierung des Systems und es werden die für eine Motorsteuerung typischen Tasks gestartet. In Bild 2-9 sind kurbelwellensynchrone Tasks in der obersten Zeile dargestellt. In diesem Zeitraster erfolgt zum Beispiel die Berechnung der Ausgabesignale für Zündung und Einspritzung. In den folgenden Zeilen sind die in festen Zeitabständen ablaufenden Tasks markiert. Die unterschiedliche Rasterung ist wichtig, um Prozessorlaufzeit zu sparen. So ist beispielsweise eine Berechnung der Umgebungstemperatur im 1000 ms-Raster völlig ausreichend. Die Berechnung von Sollmomenten und Gebergrößen muss hingegen deutlich öfter erfolgen, um schnelle Änderungen physikalischer Größen ausreichend genau modellieren zu können. Letzter Zustand ist das Herunterfahren des Systems nach Abschalten des Motors, bei dem u. a. wichtige Größen der Motorsteuerung in den nichtflüchtigen Speicher des Steuergerätes geschrieben werden (vgl. Abschnitt 2.2).
Bild 2-9: Dynamische Sicht der Motorsteuerungs-Software
2.3.1.3 Funktionale Sicht der Motorsteuerungs-Software Die funktionale Sicht beschreibt die Signalflüsse im System. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Darstellung der realisierten Steuer- und Regelstrategien, der Koordinationsstrategien, Betriebsarten, Zustände und Zustandsübergänge. In Bild 2-10 ist ein Beispiel der funktionalen Sicht auf Funktionsebene dargestellt. Eine Darstellung der funktionalen Sicht auf Systemebene wurde bereits in Bild 2-5 und Bild 2-6 vorgestellt. Diese Darstellungen sind geeignet für die Entwicklung eines Systemkonzeptes und die Einbettung neuer Funktionalitäten in das Gesamtsystem. Sie gestatten die Analyse von regelungstechnischen Zusammenhängen, die schrittweise Kalibrierung der Softwareparameter und bildet die Grundlage für Systemtests.
2.3 Architektur der Motorsteuerungs-Software
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Bild 2-10: Beispiel einer funktionalen Sicht der Motorsteuerungs-Software
2.3.2 Merkmale der Architektur Die Architektur der Motorsteuerungs-Software bestimmt ganz wesentlich deren nichtfunktionale Eigenschaften wie Modifizierbarkeit, Skalierbarkeit, Wartbarkeit, Sicherheit und Performance des Gesamtsystems. Nichtfunktionale Anforderungen und deren Gewichtung untereinander sind als Grundlage für Architekturentscheidungen in einer frühen Phase festzulegen und stabil zu halten. Für die Priorisierung der nichtfunktionalen Anforderungen heutiger MotorsteuerungsSoftware gilt, dass bezüglich Sicherheit und Zuverlässigkeit keine Kompromisse erlaubt sind. Die nichtfunktionalen Anforderungen Ressourcenbedarf, Änderbarkeit, Zugriffsschutz und Wiederverwendung sind zentrale Themen; die Gewichtung der einzelnen Anforderungen untereinander hängt von Geschäftsmodell, Organisationsform und Entwicklungsprozess ab. Eine Bewertung ist wichtig, da nicht alle Anforderungen gleichzeitig optimal erfüllt werden können. So muss für die Architektur-Anforderungen nach Änderbarkeit (z.B. bei spezifischen Kundenanforderungen), Wiederverwendung (Nutzung standardisierter Module) und Einfachheit (geringe Komplexität) ein tragfähiger Kompromiss bezüglich ihrer Gewichtung gefunden werden.
50
2 Aufbau und Anpassung der Motorsteuerungs-Software für Otto- und Dieselmotoren
Eine weitere wichtige Anforderung an die Architektur ist, den Anforderungen der OEM nach Differenzierung durch Software Rechnung zu tragen. Dies bedeutet, dass Software-Eigenentwicklungen der OEM integrierbar sein müssen, die IP-Rechte (IP = Intellectual Properties) der OEM zu wahren sind und Softwaremodule vom OEM gegebenenfalls auch Zulieferer-übergreifend in mehreren Projekten nutzbar sein müssen [5]. Die Architektur liefert die Basis für den Aufbau und die Gestaltung der SteuergeräteSoftware. Durch die passende Strukturierung der Software-Pakete und -Funktionen werden Abhängigkeiten reduziert und die Komplexität beherrschbar gemacht.
2.4 Struktur der Motorsteuerungs-Software Im vorigen Abschnitt 2.3 wurde bereits die hierarchische Struktur einer MotorsteuerungsSoftware am Beispiel der ME(D)17/EDC17 dargestellt (vgl. Bild 2-8). Dabei wurde hervorgehoben, dass innerhalb der Hardware-unabhängigen Anwender-Software („ASW“, „Application Software“) das Motorverhalten mit Hilfe der Motorfunktionen („Engine Functions“) abgebildet und gesteuert bzw. geregelt wird. Die Modelle und Algorithmen der Motorfunktionen stellen somit für Motorentwicklungs- und Applikationsingenieure den entscheidenden Bereich der Motorsteuerung dar, in dem letztlich im Rahmen der durch Motor- und Motorsteuerungs-Hardware vorgegebenen Randbedingungen die Abstimmung des Motors auf die projektspezifischen Zielsetzungen vorgenommen wird. Wie aus Bild 2-11 hervorgeht, sind die Motorfunktionen der ME(D)17/EDC17 hierzu zunächst gemäß den Subsystemen, d.h. den funktionalen Hauptgruppen eines Motors, in fünf Architektur-Komponenten („AC“, „Architecture Components“) unterteilt: Luftsystem („Air System“) Kraftstoffsystem („Fuel System“) Einspritzsystem („Injection System“) Verbrennungssystem („Combustion System“) Abgassystem („Exhaust System“). Die einzelnen Architektur-Komponenten beinhalten nun sogenannte Funktionspakete („BC“, „Base Components“), die zur Verhaltensbeschreibung und Steuerung/Regelung des zugehörigen Motor-Subsystems erforderlich sind. So besteht die in Bild 2-11 hervorgehobene Architektur-Komponente für das Luftsystem („Air System“) beispielsweise aus einem Funktionspaket, das zur Beschreibung des physikalischen Subsystemverhaltens dient („Air System Model“), Funktionspaketen, in denen die Berechnung von Sollwerten vorgenommen wird (z.B. der Sollwert für die Füllung des Motors bzw. der Zylinder mit Luft und ggf. zurückgeführtem Abgas: „Engine Charge Setpoint Calculation“) sowie Funktionspaketen, in denen die Steuerung/Regelung des Subsystems auf gewünschte Sollwerte erfolgt (z.B. die zum Sollwert der Füllung gehörige Füllungsregelung des Motors: „Engine Charge Control“).
2.4 Struktur der Motorsteuerungs-Software
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Bild 2-11: Struktur der Motorsteuerungs-Software
Innerhalb der Funktionspakete sind schließlich die einzelnen Motorsteuerungs-Funktionen („FC“, „Functional Components“) gebündelt. Diese Motorsteuerungs-Funktionen enthalten die Algorithmen, Variablen und Parameter bzw. Festwerte, die zur Darstellung einer bestimmten Funktionalität der Motorsteuerung erforderlich sind. Wie wiederum aus Bild 2-12 hervorgeht, besteht beispielsweise das zuvor erwähnte Funktionspaket des Luftsystem-Modelles („Air System Model“) aus sämtlichen Motorsteuerungs-Funktionen, die zur Beschreibung des physikalischen Subsystemverhaltens notwendig sind. Dies sind beispielsweise die Funktionen zur Berechnung des Gaszustandes im Saugrohr („AirMod_IntMnf“), des Gasmassenstromes vom Saugrohr in die Zylinder („AirMod_DetCylCh“), der Abgasrückführrate („Air-Mod_EGR“) sowie weitere Motorsteuerungs-Funktionen, die zur Subsystemverhaltensbeschreibung erforderlich sind oder zur Fehlererkennung und -adaption (hier z.B. Saugrohrleckage) dienen. Die Entwicklung einer Motorsteuerungs-Funktion erfolgt üblicherweise ausgehend von einer physikalischen Beschreibung der darzustellenden Funktionalität verbunden mit der Identifikation der Einflussgrößen (vgl. Bild 2-12). Auf Basis dieser Beschreibung wird eine in der Regel physikalisch-logisch basierte Modellierung der Funktionalität vorgenommen. Hierbei richten sich Art und Umfang des verwendeten Modells und dessen Einflussgrößen (Variablen und Festwerte bzw. Parameter) insbesondere nach der erforderlichen Modellgenauigkeit, den verfügbaren Steuergeräte-Ressourcen und dem zulässigen
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2 Aufbau und Anpassung der Motorsteuerungs-Software für Otto- und Dieselmotoren
Parametrierungsaufwand. Diese Modellierung der Funktionalität stellt letztlich die eigentliche Motorsteuerungs-Funktion dar. Sie wird mit Hilfe geeigneter SoftwareEntwicklungstools erstellt und in einen Funktions-Quellcode übersetzt. Als Teil des Programm-Codes der gesamten Motorsteuerungs-Software wird die MotorsteuerungsFunktion schließlich im Motorsteuergerät abgelegt.
Bild 2-12: Beispiel einer Motorsteuerungs-Funktion (physikalische Beschreibung der Funktionalität, physikalisch basiertes Modell der Funktionalität und Funktions-Quellcode)
Die obige Beschreibung der Motorsteuerungs-Software lässt deren streng hierarchische und modulare Gliederung erkennen. Gleichzeitig ist jedoch offensichtlich, dass Inhalt und Umfang der Motorsteuerungs-Funktionen von den Freiheitsgraden des Motors und von den Komponenten der Motorsteuerung selbst, d.h. dem Art und Umfang der eingesetzten Sensoren und Aktuatoren, abhängig sind. Innerhalb der zuvor skizzierten ArchitekturKomponente Luftsystem sind die Ausführungen der Motorsteuerungs-Funktionen beispielsweise davon abhängig, ob der Motor mit einer Aufladung, einer Abgasrückführung oder anderen Freiheitsgraden ausgestattet ist, die Einfluss auf das Luftsystem des Motors haben, und ob zur Berechnung der vom Motor angesaugten Luftmasse ein Luftmassensensor, ein Saugrohrdrucksensor oder andere Eingangssignale genutzt werden können. Unterschiedliche physikalische Zusammenhänge, die durch die jeweils einzubeziehenden
2.5 Parametrierung der Motorsteuerungs-Software
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motorischen Freiheitsgrade begründet sind, und unterschiedliche Arten und Umfänge von verfügbaren Eingangssignalen und Stellgrößen müssen durch dazu passende Funktionsvarianten abgebildet werden. Zwar bleibt hierbei die Struktur der MotorsteuerungsSoftware erhalten, die Handhabung der aufgrund des Anstiegs der motorischen Freiheitsgrade zunehmenden Anzahl an erforderlichen Varianten von Funktionspaketen und Motorsteuerungs-Funktionen stellt jedoch in Verbindung mit der zunehmenden Komplexität der Motorsteuerungs-Funktionen an sich, die ebenfalls durch den Anstieg der motorischen Freiheitsgrade hervorgerufen wird, immer höhere Anforderungen an heutige und zukünftige Motorsteuerungs-Systeme. Hierauf wird in Abschnitt 2.6 noch näher eingegangen. Insgesamt enthalten heutige Motorsteuerungs-Systeme mehr als 80 Funktionspakete mit mehr als 400 Motorsteuerungs-Funktionen; der Umfang der MotorsteuerungsSoftware beträgt mittlerweile mehr als 3 Millionen Code- und Beschreibungszeilen. Im Rahmen einer Motor-Serienentwicklung bzw. des Motorsteuerungs-ApplikationsProzesses sind dadurch bis zu mehr als 10.000 Parameter der Motorsteuerungs-Software anzupassen, wobei ein Anteil von ca. 50% allein auf die gesetzlich geforderte On-Board Diagnose (OBD, Erkennung abgasemissionsrelevanter Fehler des gesamten Motor- und Abgassystems) zurückzuführen ist. Die sehr hohe Anzahl der anzupassenden Motorsteuerungs-Software-Parameter erfordert den Einsatz hochentwickelter ParametrierungsMethoden, um einen wirtschaftlichen, ressourcen- und zeitaufwandsminimierten Motorsteuerungs-Applikations-Prozess sicherzustellen. Geeignete Methoden zur Parametrierung der Motorsteuerung werden im nachfolgenden Abschnitt 2.5 vorgestellt.
2.5 Parametrierung der Motorsteuerungs-Software Architektur und Funktionen der Motorsteuerung erhalten erst durch projektspezifisch angepasste bzw. optimierte Parametrierung der Motorsteuerungs-Funktionen (Anpassung von Festwerten, Kennlinien und Kennfeldern der Motorsteuerungs-Software) die erforderlichen Eigenschaften zur optimalen Steuerung des Motors. Die Parametrierung, oftmals auch als Applikation bezeichnet, ist somit ein ganz wesentlicher Bestandteil der Motorsteuerungs-Software.
2.5.1 Ablauf der Parametrierung Die Parametrierung bzw. Applikation kann entsprechend der Reihenfolge im Arbeitsablauf unterteilt werden: Basisanpassung Grundanpassung von Steuergerätemodellen und Sollwerten im stationären Motorbetrieb. Die Daten hierfür werden überwiegend mit Hilfe von Motorprüfstandsversuchen ermittelt, bei denen der Motor hauptsächlich stationär betrieben wird.
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2 Aufbau und Anpassung der Motorsteuerungs-Software für Otto- und Dieselmotoren
Instationärabstimmung Übertragung der Basisanpassung in das Fahrzeug und Anpassung des transienten Verhaltens, inklusive der Start-, Abgasemissions- und Fahrverhaltensparametrierung. Diagnose Parametrierung der Motorsteuerungs-Eigendiagnose, insbesondere bezüglich abgasemissionsrelevanter Fehler (On-Board Diagnose, OBD). Überwachung Applikation der Überwachung sicherheitsrelevanter Motorsteuerungs-Funktionen (E-Gas). Freigabe Freigabe der parametrierten Motorsteuerungs-Software und der projektspezifischen Komponenten des Motorsteuerungs-Systems für den Betrieb im Serieneinsatz. Überprüft werden die Gesamtheit aller Parameter und deren Zusammenspiel unter anderem im Rahmen von Erprobungsfahrten, welche die Tauglichkeit des Gesamtsystems unter extremen Bedingungen, wie z.B. Hitze, Kälte und Höhe, sicherstellen. Die Arbeitsumfänge können teilweise parallel abgearbeitet werden, bestimmte Aufgaben unterliegen jedoch einer gewissen Reihenfolge.
2.5.2 Klassifizierung der Parametrierungsaufgaben Die geeignete Methode für die Ermittlung der Funktions-Parameter hängt von der zu bearbeitenden Aufgabe und den Randbedingungen ab. Dabei können die Aufgabengruppen und die damit verbundenen Möglichkeiten zur Parametrierung wie folgt unterschieden werden, wobei hier kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird: Reglerparametrierung (Ladedruckregelung, Lageregelungen von Stellern etc.) Die Anpassung der Reglerparameter für z.B. die Ladedruckregelung erfolgt am realen System durch Sprunganregungen, Schwingversuche und klassische Reglerauslegungsmethoden. Das bedeutet, dass eine Parametrierung dieser Funktionen ein vorhandenes reales System erfordert. Komponentenparametrierung (Sensoren, Aktuatoren) Demgegenüber gibt es auch Parameter, die bereits am Schreibtisch ermittelt werden können, bevor das reale System zur Verfügung steht. Das sind etwa Sensorkennlinien, geometrische Größen oder Komponenten-Daten. Darunter fallen auch Parameter, die im Lauf der Entwicklung nicht mehr geändert werden dürfen, da sie die Betriebssicherheit bestimmter Komponenten gewährleisten. Modellparametrierung (Füllungsmodell, Drehmoment-Modell etc.) In der Motorsteuerung gibt es physikalisch basierte Modelle, die bestimmte Größen des Systems modellieren. Das sind entweder Größen, die man nicht messen kann oder Größen, auf deren Messung man aus wirtschaftlichen Gründen im Serienfahrzeug gern verzichtet. Zur Parametrierung dieser Modelle muss das System entsprechend vermessen werden, um die Systemantworten bei der Verstellung der Eingangsparameter zu erfassen. Aus diesem Ein-/Ausgangsverhalten werden dann toolgestützt die Parameter
2.5 Parametrierung der Motorsteuerungs-Software
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ermittelt, mit denen sich das Modell im Motorsteuergerät möglichst genauso verhält, wie das reale System. Motoreinstellgrößen (Nockenwellenposition, Ladedruck etc.) Dieser Teil befasst sich mit der klassischen Motoroptimierung, d.h. dem Auffinden der optimalen Kombination aller Stellgrößenwerte des Motors, wie Nockenwellenpositionen, Beginn der Einspritzung, Kraftstoffdruck, Zündwinkel usw. Hier konnten in der Vergangenheit durch eine vollständige Rastervermessung des Motors die optimalen Stellgrößenwerte ermittelt werden. Mit zunehmender Anzahl an Stellgrößen, also an den Freiheitsgraden des Motors, ist die Vollrasterung jedoch nicht mehr praktikabel, so dass man sich neuer Ansätze, wie der statistischen Versuchsplanung, bedient (siehe auch Abschnitt 2.5.4). Vorsteuer-/Sollwerte (Verlaufsformungen, Startparameter etc.) In eine ähnliche Richtung geht auch die Parametrierung der Startfunktionen. Der Motorstart ist ein rein vorgesteuerter Ablauf. Die dazu nötigen Sollwerte werden in Startversuchen ermittelt, bei denen neben den Umgebungsbedingungen wie Umgebungstemperatur und Luftdruck auch die Kraftstoffqualität eingehen. Schwellwerte (Diagnoseschwellen, Umschaltungen, Hysteresen etc.) Schwellwerte finden sich zum Beispiel im Bereich der Diagnosefunktionen. Hier werden während der Parametrierung definierte Grenzmuster oder Fehlerteile eingebaut, bzw. Fehlerfälle simuliert. Die Schwellen werden dann so angepasst, dass ein gerade noch zulässiges Grenzmuster unterhalb der Auslöseschwelle bleibt, während ein fehlerhaftes Teil als defekt erkannt und eingestuft wird.
2.5.3 Herausforderungen bei der Parametrierung Um einerseits den Aufwand bei der Parametrierung zu verringern, die Anzahl der nötigen Versuchsträger zu reduzieren sowie das Systemverständnis zu erhöhen und die weiter steigende Komplexität zu beherrschen (siehe Bild 2-13), und andererseits eine weitere Verbesserung der Parametrierungsqualität zu erreichen, gibt es in den Applikationsabteilungen im Hause Bosch schon seit Beginn der Motorsteuerungs-Entwicklung eine Methoden- und Toolentwicklung. Diese Methoden- und Toolentwicklung verläuft immer parallel zu den Parametrierungsaufgaben und ist auf die oben genannten Ziele ausgerichtet. Erst durch leistungsfähige Methoden und Tools können trotz der ständigen Zunahme von Komplexität und Umfang der Motorsteuerungs-Funktionen sowie auch deren breitere Anwendung die Arbeitsumfänge in einem überschaubaren Zeitrahmen mit einer hohen Qualität bearbeitet werden. Die Methodenentwicklung unterstützt die Applikation mit Hilfsmitteln, welche den Bearbeiter von Routine-Aufgaben entlasten, ihn bei der Auswahl der besten Parameter unterstützen oder die ihn erst durch die Verwendung angepasster Algorithmen in die Lage versetzen, bestimmte Umfänge überhaupt bearbeiten zu können. Neben den klassischen Applikationstools gibt es leistungsfähige Datenbanken zur Verwaltung der Applikationsdaten, mit deren Hilfe z.B. eine Erstbedatung oder eine Datenplausibilisierung erfolgen kann.
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2 Aufbau und Anpassung der Motorsteuerungs-Software für Otto- und Dieselmotoren
Bild 2-13: Zunahme der Komplexität in der Motorsteuerungs-Software am Beispiel der Anzahl zu bedatender Funktions-Parameter
2.5.4 Modellbasierte Applikation Aus den oben genannten Gründen ist es ein wichtiges Ziel der ApplikationsmethodenEntwicklung, die Parametrierung bestimmter Umfänge der Motorsteuerungs-Software nicht mehr am realen System, sondern an einem Modell des realen Systems durchzuführen [6, 7]. Dieses in Bild 2-14 schematisch dargestellte Vorgehen bietet einige Vorteile, jedoch auch gewisse Herausforderungen. Neben der Zeitersparnis kommt den Punkten Komplexitätsbeherrschung und Systemverständnis ein wichtiger Anteil zu.
Bild 2-14: Schematische Darstellung der modellbasierten Applikation [8]
Nicht zu vernachlässigen ist der Aufwand zur Erstellung der System-Modelle sowie deren Parametrierung. Dabei sind die Anforderungen bezüglich der Modellgenauigkeit vergleichsweise hoch. Gegenüber einer generellen Trendaussage zur Systemauslegung muss die Vorhersage des Systemverhaltens zu Applikationszwecken sowohl qualitativ als auch quantitativ deutlich genauer sein.
2.5 Parametrierung der Motorsteuerungs-Software
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Diese Anforderungen bedingen beispielsweise hinsichtlich der Modellierung des Motorverhaltens einen eigenen Ansatz. Die zugrundeliegende Physik, Chemie, Thermodynamik und Strömungsmechanik im Verbrennungsmotor kann mit der heute verfügbaren Rechenleistung nicht in einem Modell dargestellt werden, welches in wenigen Sekunden Antworten liefern können muss, eventuell sogar in Echtzeit. Um diesen Konflikt aufzulösen, werden hier sogenannte datenbasierte Modelle verwendet, welche als Basis einen mathematischen Algorithmus verwenden, der mit der zu beschreibenden Physik in keinerlei Beziehung steht. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Black-BoxModellen. Parametriert werden diese Modelle mit Messungen, bei denen alle Steller des Systems innerhalb ihrer physikalischen Grenzen und den Laufgrenzen des Motors variiert werden. Der mathematische Algorithmus lernt dabei das Systemverhalten aus den Messdaten und kann dieses Verhalten übertragen und generalisieren (Systemidentifikation). Damit ist es möglich, durch Interpolation Modellvorhersagen an Punkten ohne Messdaten zu bekommen. Das Ergebnis wird dann als Ein-/Ausgangsverhalten dargestellt. Um nicht alle rechnerisch möglichen Kombinationen der Steller vermessen zu müssen, bedient man sich der Methode DoE (Design of Experiments), der statistischen Versuchsplanung. Damit kann die Anzahl der nötigen Messungen erheblich reduziert werden. Allerdings liegt es auf der Hand, dass die Anzahl der nötigen Messungen mit der im System befindlichen Systemordnung und der Anzahl der vorhandenen Freiheitsgrade des Motors korrelieren. In der Regel sind jedoch die Zusammenhänge am Verbrennungsmotor von niedriger Systemordnung, so dass die Anzahl der notwendigen Messungen in der Praxis tatsächlich um Größenordnungen geringer sind, als eine Vollrasterung bei vergleichbarer Genauigkeit. In Bild 2-15 ist eine sogenannte Intersection-Ansicht des Motorverhaltensmodells dargestellt. Die Ansicht bietet sich an, wenn mehrere Dimensionen in einem 2D-Plot dargestellt werden sollen. Man sieht unten die Eingangsgrößen (Freiheitsgrade), wie Motordrehzahl und -last, Ein- und Auslassnockenwellenpositionen sowie Kraftstoffdruck und Beginn der Einspritzung. Links sind mögliche Ausgangsgrößen aufgetragen. In der Intersection-Ansicht kann man nun den Verlauf der Ausgangsgrößen über den Eingangsgrößen ablesen. Im Bild ist deutlich zu erkennen, dass z.B. eine Veränderung des Einspritzbeginns von 300 °KW hin zu 340 °KW in Verbindung mit den hier vorliegenden Werten der restlichen Eingangsgrößen zu einem deutlichen Anstieg der Rußemission führen würde. Hat man das Verhalten des Motors in einem Modell abgebildet, wird ein Optimieralgorithmus angewendet. Die optimalen Einstellungen aller Verstellgrößen unter Berücksichtigung von bestimmten Randbedingungen (z.B. zulässige Grenzen für die Motorlaufruhe), also der Zielfunktion, ermittelt. Damit kann man sicherstellen, ein globales Optimum für z.B. den Kraftstoffverbrauch erreicht zu haben und an Hand des Modells lässt sich weiterhin aufzeigen, dass eine Veränderung der einen oder anderen Stellgröße keine Verbesserung mehr hinsichtlich der Zielfunktion bewirkt. Ein solcher Ablauf ist in Bild 2-16 schematisch dargestellt. Mit der Visualisierung der Ergebnisse kann auch das Systemverhalten, genauer gesagt die Sensitivität der Ausgangs- bzw. Zielgrößen gegenüber Änderungen an den Eingangsgrößen bewertet werden. Weiterhin erhält man eine Aussage über die Robustheit des Optimums. Dies wiederum mündet in eine robuste Applikation und damit in eine erhöhte Qualität der Parametrierung.
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2 Aufbau und Anpassung der Motorsteuerungs-Software für Otto- und Dieselmotoren
Bild 2-15: Intersection-Ansicht für eine bestimmte Einstellung der Stellgrößen
Bild 2-16: Globale Optimierung der Motoreinstellparameter
2.6 Entwicklungstrends von Motorsteuerungs-Systemen
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2.5.5 HiL-Anwendungen Ein weiterer Bereich ist die Systemsimulation mit Hilfe eines HiL-Simulators (HiL: Hardware in the Loop), wie dem LabCar der Fa. ETAS. Der HiL-Simulator bietet die Möglichkeit, das Motorsteuergerät mit vollständigem Software-Funktionsumfang zu betreiben und jedes beliebige Fahrmanöver wiederholbar darzustellen. Dabei werden alle Eingangssignale und das Verhalten des Fahrzeugs mit Hilfe von Modellen nachgebildet. Um den HiL-Simulator für die Parametrierung ausgewählter Umfänge der Motorsteuerungs-Software nutzen zu können, sind in den zugrundeliegenden Modellen für Motorund Triebstrangverhalten sowie dem Verhalten der Abgasnachbehandlungssysteme entsprechende Anpassungen und Erweiterungen vorzunehmen, um die Effekte, die für die Parametrierung der Software nötig sind, abbilden zu können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die verwendeten Modelle bezüglich der Rechenzeit den Anforderungen der Echtzeitumgebung gerecht werden. Steht ein solcher HiL-Simulator mit den entsprechenden Modellen und einer zugehörigen Modellparametrierung zur Verfügung, ist es beispielsweise möglich, AbgasTestzyklen zu fahren oder das Fahrverhalten sowie verschiedene Diagnosefunktionen zu parametrieren. Dabei stellen die gefundenen Daten lediglich einen sehr guten Startwert dar, der im Fahrzeug in jedem Fall noch überprüft werden muss. Es sind auch Optimierungsschleifen realisierbar, allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Echtzeitumgebung für umfangreiche Optimierungsläufe nicht prädestiniert ist, da die Simulationsgeschwindigkeit auf die Echtzeit begrenzt ist. Im reinen Offline-Modus sind Rechenzeiten deutlich unterhalb der Echtzeit möglich, weshalb Optimierungsläufe vorzugsweise dort gerechnet werden. Anhand der vorangegangenen Ausführungen wurde deutlich, dass der Parametrierung der Steuergeräte-Funktionen eine wichtige Aufgabe zukommt. Dabei lag und liegt die Aufgabe der Parametrierung stets im Spannungsfeld von Zeitaufwand, Komplexitätsbeherrschung sowie erforderlicher Genauigkeit und hoher Qualität. Nicht zuletzt aus diesen Gründen ist eine die Entwicklung von komplexen Motorsteuerungs-Funktionen begleitende Neu- und Weiterentwicklung von Parametrierungsmethoden- und -tools unerlässlich.
2.6 Entwicklungstrends von Motorsteuerungs-Systemen 2.6.1 Trends der Motorentwicklung Die Entwicklung von Motorsteuerungs-Systemen wird wesentlich durch Entwicklungen der zugehörigen Motoren und des gesamten Fahrzeug-Antriebsstranges geprägt. Ausgehend von den in Abschnitt 2.1 bereits genannten Anforderungen an Fahrzeugmotoren (vgl. Bild 2-1) werden aus heutiger Sicht folgende Aspekte für die Entwicklung von zukünftigen Motoren und Fahrzeug-Antriebskonzepten von besonders großer Bedeutung sein:
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2 Aufbau und Anpassung der Motorsteuerungs-Software für Otto- und Dieselmotoren
Minderung der CO2-Emission Das zunehmende Bestreben zur Absenkung der globalen CO2-Emission hat im Bereich der Fahrzeuge zu einer Vielfalt von technischen Lösungen und Lösungsansätzen geführt, die sowohl den Motor selbst (z.B. Brennverfahren, Aufladung, Ventilsteuerung) als auch den Kraftstoff (zunehmende Bedeutung alternativer Kraftstoffe mit niedrigem CO2-Bildungspotential, z.B. Erdgas oder Kraftstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen), das gesamte Fahrzeugantriebskonzept (z.B. Hybrid-Antriebe, Elektrofahrzeuge) sowie weitere Systeme des Fahrzeugs (z.B. das elektrische Bordnetz) einbeziehen. Aufgrund der stark steigenden Bedeutung einer möglichst geringen CO2-Emission von Fahrzeugen, welche Ausdruck in entsprechenden Gesetzgebungen in den unterschiedlichen Regionen der Welt findet, ist von weiteren technisch aufwändigen Entwicklungen verbunden mit einem hohen Marktanpassungsgrad auszugehen, so dass insgesamt Komplexitätsgrad und Variantenvielfalt von Fahrzeugantrieben auch zukünftig weiter zunehmen werden. Einführung von Niedrigstpreis-Fahrzeugen (Low Price Vehicle, LPV) In einigen Märkten der Welt, insbesondere Asien, ist die Darstellung von Individualmobilität bei gleichzeitig sehr geringen Fahrzeugkosten von zentraler Bedeutung. Aufgrund des sehr hohen Kostendruckes werden hier üblicherweise einfache Fahrzeug-, Antriebs- und Motorkonzepte eingesetzt, die mit einfachen, kostengünstigen (Motor-) Steuerungs-Systemen ausgestattet werden können. Aus diesen Entwicklungstrends der Fahrzeug-Antriebstechnik ergeben sich somit zwei wesentliche Entwicklungsrichtungen für zukünftige Motorsteuerungs-Systeme: Während die Darstellung hocheffizienter Antriebssysteme mit möglichst niedriger CO2-Emission Motorsteuerungs-Systeme erfordert, die durch ihre Leistungs- und Anpassungsfähigkeit der Komplexität und Variantenvielfalt dieser Antriebskonzepte gerecht werden, sind für Niedrigstpreis-Fahrzeuge Motorsteuerungs-Systeme von Bedeutung, die sich durch niedrigste Entwicklungs-, Komponenten- und Applikationskosten auszeichnen.
2.6.2 Trends der Entwicklung von Motorsteuerungs-Systemen 2.6.2.1 Komplexitätsbeherrschung – Standardisierung Moderne Kraftfahrzeuge besitzen elektronische Systeme zur Regelung von Antriebsstrang, Fahrdynamik und passiver Sicherheit. Weiterhin kommen auch elektronische Systeme für Komfortfunktionen sowie verschiedene Infotainment-Anwendungen zum Einsatz. In Bild 2-17 sind die verschiedenen Systeme sowie deren Vernetzung skizziert.
2.6 Entwicklungstrends von Motorsteuerungs-Systemen
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Bild 2-17: Elektronische Systeme in modernen Kraftfahrzeugen sowie deren Vernetzung
Um die zunehmende Komplexität beherrschbar zu machen, ist es erforderlich, Softwarearchitektur sowie Softwaremodule zu standardisieren und somit einen hohen Wiederverwendungsgrad von gut getesteter, qualitativ hochwertiger Software zu gewährleisten. Folgende Themen sind dabei besonders wichtig: AUTOSAR (AUTomotive Open Systems ARchitecture) Seit mehreren Jahren arbeiten verschiedene OEM, Steuergerätehersteller, Software-, Tool- und Halbleiterfirmen zusammen an der Verbesserung und Einführung des AUTOSAR-Standards [9]. AUTOSAR gibt eine offene Softwarearchitektur für Kraftfahrzeuganwendungen vor. Dieser Standard ermöglicht eine flexible Anpassung der Steuergerätefunktionen an die Anforderungen der Kunden und ihre unterschiedlichen Plattformen. Durch das Vereinheitlichen und Abstrahieren der Software aus der Hardware wird eine verbesserte Flexibilität und Wiederverwendung erzielt; der Austausch sowie die Verschiebung von Softwarekomponenten werden unterstützt. Damit das Steuergerät einfacher an die Anforderungen angepasst werden kann, entkoppelt AUTOSAR die Anwendungssoftware (ASW) von der Hardware. Dies geschieht mit Hilfe einer Schichtenarchitektur der Software und standardisierten Funktionen der Softwarebasisschicht (BSW). Die Softwareanwendung verwendet die BSW-Funktionen und kann über eine AUTOSAR-standardisierte Schnittstelle mit anderen Anwendungen verbunden werden. Betrachtet man die in Bild 2-8 dargestellte statische Sicht auf die MotorsteuerungsSoftware der ME(D)17/EDC17, so ist erkennbar, dass die wesentlichen Architekturgrundsätze hier bereits umgesetzt sind. Die weitere Einführung von AUTOSAR wird mit Nachdruck verfolgt. Es existieren heute innerhalb des Hauses Bosch bereits erste
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Versionen einer über die verschiedenen Geschäftsbereiche einheitlichen BasisSoftware CUBAS (Common UBK Basic Software); für die Entwicklung der neuen Steuergerätegeneration ist die Einführung von AUTOSAR ein erklärtes Entwicklungsziel. Software-Sharing Das Software-Sharing bietet den OEM die Möglichkeit, eigene Softwaremodule in Steuergeräten unterschiedlicher Zulieferer einzusetzen. Dadurch sind erhebliche Entwicklungskosten- und Zeitvorteile für den OEM möglich, weil in verschiedenen Plattformen unterschiedlicher Zulieferer einheitliche Standard-Module eingesetzt werden können. Gleichzeitig dienen diese Softwaremodule der Differenzierung zu anderen Automobilherstellern und die Intellectual Properties (IP) des OEM werden bewahrt. Bereits heute werden Softwarekomponenten von OEM in erheblichem Umfang in die Steuergeräte-Software der Zulieferer integriert. Hierzu ist für jede SoftwareKomponente eine normierte Beschreibung der verschiedenen Architektursichten (statische Sicht, dynamische Sicht und funktionale Sicht) erforderlich. Die Entwicklungsprozesse müssen synchronisiert werden und eine kompatible Toolumgebung ist erforderlich. Nicht zuletzt sind Nutzungsrechte und Haftungsfragen vertraglich abzustimmen. Insgesamt wird das Software-Sharing immer mehr an Bedeutung gewinnen. Software-Pakete Um die Komplexität der Software auch in Zukunft beherrschen zu können, ist die konsequente Weiterentwicklung der Paketstruktur (siehe Bild 2-11) unerlässlich. Durch die Kapselung („Information-Hiding“) werden mehrere kleinere Softwarefunktionen, die untereinander starke Abhängigkeiten besitzen, zu einem Paket zusammengefasst, welches nach außen nur eine geringe Anzahl von Schnittstellen aufweist. Dadurch wird die innere Komplexität eines solchen Teilsystems nach außen verborgen und es genügt, wenn ein kleines Spezialisten-Team das Software-Paket bearbeitet, die anderen Teams können sich auf die nach außen sichtbaren Schnittstellen konzentrieren. Sind einheitliche und stabile Schnittstellen zu diesen Paketen vorhanden, so können Software-Pakete relativ einfach ausgetauscht werden. Dies bietet große Vorteile bei der Programmstandsentwicklung, wenn der Kunde neue Komponenten oder Features einführen möchte und die entsprechenden Software-Pakete bereits für andere Projekte entwickelt wurden. Um also gut getestete, qualitativ hochwertige Software zu gewährleisten, wird in Zukunft dem Gedanken einer kundenspezifischen Software-Plattform mit standardisierten, austauschbaren Paketen eine noch größere Bedeutung zukommen. Software-Parametrierung Um die Komplexität der Software-Parametrierung zu beherrschen, sind – wie in Abschnitt 2.5 dargestellt – schon heute Verfahren wie die modellbasierte Applikation unerlässlich; die Bedeutung sowie der Einsatz von toolgestützter Parametrierung wird stetig zunehmen. Weiterhin wird eine deutliche Verschiebung der Parametrieraufgaben vom Fahrzeug an den Motorprüfstand und vom Motorprüfstand in Richtung HiL-Tests stattfinden. Ursache hierfür ist die eingeschränkte Verfügbarkeit aktueller Versuchsträger, da die Erstellungskosten der Versuchsträger sehr hoch sind und auch der Zeitbedarf zum Aufbau der Versuchsträger mit den reduzierten Gesamt-Entwicklungszeiten kollidiert.
2.6 Entwicklungstrends von Motorsteuerungs-Systemen
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2.6.2.2 Neue Anforderungen Neue Anforderungen an Motorsteuerungs-Systeme kommen aus der Elektrifizierung des Antriebsstrangs. Dabei führt der Weg vom konventionellen Verbrennungsmotor über Hybridfahrzeuge (HEV), Plug-in Hybrid Electric Vehicles (PHEV) weiter zu Elektrofahrzeugen mit Range Extender und später zu reinen Elektrofahrzeugen (EV). Besonders die Elektrofahrzeuge werden aktuell oft diskutiert; verschiedene Förderprogramme und Entwicklungsaktivitäten auf nationaler und europäischer Ebene wurden gestartet. Bezüglich der Motorsteuerung sind hierdurch keine prinzipiellen Probleme zu erwarten. Es stellt sich allerdings die Frage, ob in Zukunft eher skalierbare, modulare Systeme zur Regelung des elektrifizierten Antriebsstrangs zum Einsatz kommen oder ob mehrere anwendungsoptimierte Systeme für Fahrzeugleitrechner, Verbrennungs- und Elektromotor, Inverterregelung, Batteriesteuerung etc. miteinander vernetzt werden. Um die funktionale Sicherheit von elektronischen Systemen im Kraftfahrzeug zu gewährleisten, wird für etwa 2011 die verbindliche Einführung der ISO 26262 (Road vehicles – functional safety) erwartet. Die funktionale Sicherheit bezeichnet den Teil der Gesamtsicherheit, der von der korrekten Funktion des sicherheitsbezogenen elektronischen Systems abhängt. Die ISO 26262 wird ein Prozess-Rahmenwerk und Vorgehensmodell zusammen mit geforderten Aktivitäten und Arbeitsprodukten sowie anzuwendenden Methoden definieren. Besonders hinsichtlich der Nischenanwendungen wird der Aufgabe des „Safetymanagements“ eine neue Bedeutung zukommen. 2.6.2.3 Low Price Vehicles Wie in Absatz 2.6.1 bereits hervorgehoben wurde, ist besonders für die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) die Bereitstellung von kostengünstigen Lösungen ein wesentlicher Markttreiber. Dabei ist es nicht ausreichend, bestehende elektronische Systeme günstig anzubieten, vielmehr muss eine spezifische, marktorientierte Entwicklung stattfinden. Beispiele solcher marktorientierter Entwicklungen im Hause Bosch sind auf der Ottomotor-Seite die Value Motronic [10] und auf der Dieselmotor-Seite das angepasste Common Rail System (CRS) [11]. Sowohl die Value Motronic als auch das angepasste CRS sind vollwertige Systeme zur Regelung von Otto- und Dieselmotoren. Da die Entwicklung hinsichtlich der Kostenoptimierung erfolgte, wurden die Software sowie der Parametrieraufwand im Vergleich zu heutigen High-End-Steuergeräten deutlich reduziert und die für diesen Markt nicht unbedingt benötigten Features und Variabilitäten entfernt. Eine konsequente Weiterentwicklung von Software, Hardware sowie auch Komponenten ist erforderlich, um auf diesen Märkten konkurrenzfähig zu sein und weitere Verbesserungen hinsichtlich Kraftstoffverbrauch und Emissionen umzusetzen. 2.6.2.4 Individuelle Lösungen Im Absatz 2.6.2.1 wurde das Thema Komplexitätsbeherrschung und Standardisierung mit dem Fokus auf Volumenprojekte mit Otto- und Dieselmotoren diskutiert. In Bild 2-18 sind exemplarisch verschiedene Nischenanwendungen dargestellt, für die individuelle Lösungen auf der Basis erprobter Großserientechnik gefordert werden. Die Nutzung von Großserientechnik bietet Kostenvorteile auch für Kleinserien; Qualitätsstandards, Werk-
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zeuge und Arbeitsprozesse werden hohen Anforderungen gerecht. Andererseits erfordern die Nischenanwendungen sehr individuelle Anpassungen und somit Engineering Dienstleistungen mit hoher Flexibilität von der ersten Studie bis zur Freigabe der Produktion in den Werken. Einige Beispiele von Nischenanwendungen sind in Bild 2-18 dargestellt. Klassische Nischenprodukte sind Sportwagen mit hoher Zylinderzahl und hoher Maximaldrehzahl; typischerweise werden hier 2-Steuergeräte-Konzepte verwendet. Der Einsatz von E-Gas bietet neue Möglichkeiten für Jetskis und Motorräder. Werden Verbrennungsmotoren aus Straßenfahrzeugen für Luftfahrt-Anwendungen eingesetzt wurde, ist eine zusätzliche Zertifikation nach Luftfahrtnormen erforderlich. Für die Blockheizkraftwerke sind hohe Standzeiten erforderlich und betrachtet man die Fahrdynamikregelung, so haben hier Traktoren und „Fun-cars“ besondere Anforderungen. Alle Beispiele basieren auf bewährter Großserientechnik (Komponenten, Steuergerät, Software, Methoden etc.). Für die dargestellten Nischenanwendungen der Motorsteuerung sind aber weiterhin flexible und individuelle Lösungen sowohl hinsichtlich Software als auch hinsichtlich ihrer Parametrierung erforderlich.
Bild 2-18: Nischenanwendungen für Motorsteuerungs-Systeme
2.7 Zusammenfassung Hohe Anforderungen hinsichtlich Kraftstoffverbrauch, Abgasemissionen, Fahrleistungen, Komfort und Eigendiagnose eines Fahrzeugmotors haben in Verbindung mit einer zunehmenden Vielfalt anwendungsspezifischer Motor-Varianten sowie der Notwendigkeit
2.7 Zusammenfassung
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zur verstärkten Vernetzung der in einem Fahrzeug enthaltenen Steuerungs-/Regelungssysteme zu einer Zunahme der Komplexität von Motorsteuerungs-Systemen geführt. Zur Beherrschung dieser Komplexität ist ein modularer und skalierbarer Aufbau der Motorsteuerungs-Software in Verbindung mit definierten Schnittstellen für Sensorik und Aktuatorik der Motorsteuerung, für die Motorsteuerungs-Funktionen bzw. -Funktionsmodule selbst sowie für die Kommunikation mit anderen Steuerungs/RegelungsSystemen im Fahrzeug (Steuergeräte-Verbund) erforderlich. Die Architektur der Motorsteuerungs-Software bestimmt ganz wesentlich deren nicht funktionale Eigenschaften, insbesondere die Modifikations-Flexibilität und die Leistungsfähigkeit des gesamten Motorsteuerungs-Systems. Durch einen modularen, skalierbaren Aufbau der Motorsteuerungs-Software muss eine einfache Einbindung varianten- und kundenspezifischer Funktionsumfänge sichergestellt werden. Weiterhin müssen auch fremde Software-Module integrierbar sein, um den Anforderungen der Automobilhersteller nach einer „Differenzierung durch Software“ sowie einer Zuliefererübergreifenden Software-Nutzung in mehreren Projekten Rechnung zu tragen. Zur Beherrschung der zunehmenden Software-Komplexität ist die Struktur der Motorsteuerungs-Software streng hierarchisch und modular gegliedert. Innerhalb der Hardware-unabhängigen Anwender-Software der Bosch ME(D)17/EDC17 existieren verschiedene Hierarchie-Ebenen: Gemäß den funktionalen Hauptgruppen eines Motors (Luft-, Kraftstoff-, Einspritz-, Verbrennungs- und Abgassystem) sind die Motorfunktionen in fünf Architektur-Komponenten unterteilt. Diese Architektur-Komponenten beinhalten sogenannte Funktionspakete, die zur Verhaltensbeschreibung und Steuerung/Regelung des zugehörigen Motor-Subsystems erforderlich sind. Innerhalb der Funktionspakete sind schließlich die einzelnen Motorsteuerungs-Funktionen gebündelt. Inhalt und Umfang der Motorsteuerungs-Funktionen sind zwar von der jeweiligen Motor- und Motorsteuerungs-Hardware abhängig, sie beeinflussen die Struktur der MotorsteuerungsSoftware jedoch nicht. Die Modelle und Algorithmen der Motorsteuerungs-Funktionen stellen für Motorentwicklungs- und Applikationsingenieure den Bereich der Motorsteuerung dar, in dem letztlich im Rahmen der durch Motor- und Motorsteuerungs-Hardware vorgegebenen Randbedingungen die Abstimmung des Motors auf die projektspezifischen Zielsetzungen vorgenommen wird. Vor dem Hintergrund einer kosten- und zeitaufwandsminimierten Parametrierung der Motorsteuerungs-Software (Applikation) kommt den modellbasierten Applikationsmethoden eine große Bedeutung zu. Mit Hilfe geeigneter Modelle zur Beschreibung des Motorverhaltens, die auf der Basis möglichst weniger Messungen am realen Versuchsträger mit hinreichender Genauigkeit anpassbar sind, ist es möglich, die Parametrierung von Motorsteuerungs-Funktionen vorzunehmen und somit die Anzahl erforderlicher Versuchsträger zu reduzieren sowie deren Nutzung auf ein Minimum zu beschränken. Je nach Applikationsaufgabe sind zur Parametrierung/Verifikation von ausgewähltem Umfängen der Motorsteuerungs-Software zudem der Einsatz einer Offline-Simulation oder, sofern die Steuergeräte-Funktionen Teil der Systembetrachtung sind, der Einsatz eines HiL-Simulators zusätzliche Applikationshilfsmittel, die der Komplexitätsbeherrschung dienen. Als wesentliche Entwicklungstrends der Motorsteuerungs-Software sind aus heutiger Sicht die Einführung des AUTOSAR-Standards und das Software Sharing, d.h. die
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2 Aufbau und Anpassung der Motorsteuerungs-Software für Otto- und Dieselmotoren
Einbindung kundeneigener Softwaremodule in Steuergeräte unterschiedlicher Zulieferer, zu nennen. Abseits dieser Hauptentwicklungsrichtungen ist davon auszugehen, dass ein an Bedeutung gewinnender Markt für Nischenanwendungen individuelle Lösungen auf Basis erprobter Großserientechnik verlangen wird. Der Fortschritt im Bereich der Elektrofahrzeuge wird zudem die Entwicklung völlig neuer Motor- bzw. Antriebssteuerungsfunktionen erfordern, die in heutige Software-Plattformen zu integrieren sind.
Literatur [1]
Robert Bosch GmbH (Hrsg.): Ottomotor-Management, 3. Auflage. Wiesbaden: Vieweg Verlag, 2005 [2] Robert Bosch GmbH (Hrsg.): Dieselmotor-Management, 4. Auflage. Wiesbaden: Vieweg Verlag, 2004 [3] Schäuffele, J.; Zurawka, T.: Automotive Software Engineering. Wiesbaden: Vieweg Verlag 2006 [4] Hammel, C.; Jessen, H.; Boss, B.; Traub, A.; Tischer, C.; Hönninger, H.: A Common Software Architecture for Diesel and Gasoline Engine Control Systems of the new generation EDC/ME(D)17. SAE-Paper 2003-01-1048 [5] Tischer, C.; Hammel, C.; Weichel, B.; Ferber, S.: Offene Software Systeme basierend auf der EDC/ME(D)17 Architektur. VDI-Kongress Elektronik im Kraftfahrzeug. Baden-Baden, 2003 [6] Unland, S.; Stuhler, H.; Stuber, A.: Neue effiziente Applikationsverfahren für die physikalisch basierte Motorsteuerung ME7. In: MTZ Motortechnische Zeitschrift 59 (1998) 11, S. 744–751 [7] Schüler, M.; Hafner, M.; Isermann, R.: Einsatz schneller neuronaler Netze zur modellbasierten Optimierung von Verbrennungsmotoren. In: MTZ Motortechnische Zeitschrift 61 (2000) 10, S. 704–711 und 61 (2000) 11, S. 798–805 [8] Schulmeister, U.; Bossler, M.; Huber, T.; Johannaber, M.; Kruse, T.; Ulmer, H.: Ausweitung neuer modellbasierter Methoden im Applikations- und Entwicklungsprozess. 2. Internationales Symposium für Entwicklungsmethodik. Wiesbaden, 2007 [9] Heinecke, H.; Schnelle, K.-P.; Fennel, H.; Bortolazzi, J.; Lundh, L.; Leflour, J.; Maté, J.-L.; Nishikawa, K.; Scharnhorst, T.: AUTomotive Open System ARchitecture – An Industry-Wide Initiative to Manage the Complexity of Emerging Automotive E/E-Architectures. SAE-Paper 2004-21-0042 [10] Bäro, S.; Kallerhoff, T.; Lang, E.: ValueMotronic – Motorsteuerung für neue Märkte. VDI-Kongress Elektronik im Kraftfahrzeug. Baden Baden, 2007 [11] Dürnholz, M.; Busch, R.; Baskaran, R.; Kulkarni, S. L.; Anthony, G.: Bosch Common Rail System für Kleindieselmotoren in Wachstumsmärkten. 30. Int. Wiener Motorensymposium. Wien, 2009
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3 Steuerung und Regelung Pkw-Dieselmotoren – Stand und zukünftige Anforderungen GERHARD LANDSMANN
Als Rudolf Diesel seinen Motor 1893 zum Patent anmeldete, konnte er sich vermutlich nicht das Ausmaß der Komplexität vorstellen, die ein moderner Diesel heute erreicht. Zum Standard-Systembestandteil aktueller EURO5-Dieselmotoren zählen heute folgende Technologien, die jede für sich als Meilenstein in der Entwicklung des Dieselmotors gelten dürfen und ohne die die konsequente Weiterentwicklung hin zu abgas- und verbrauchsärmeren Dieselmotoren nur schwer vorstellbar erscheint: Brennverfahren mit Direkteinspritzung ohne Vorkammer Turbolader mit variabler Turbinengeometrie Vollelektronisch geregelte Hochdruck Common-Rail Einspritzanlagen Abgasrückführung mit hocheffizienten, geregelten AGR-Kühlern Abgasreinigungssysteme mit Oxidationskatalysatoren und Partikelfiltern Vollelektronische digitale Dieselsteuerung und -regelung Verbrennungsregelung mit Brennraumdrucksensoren Dieser Beitrag gibt einen kurzen Überblick über die Entwicklung der Dieselregelung bis heute (Stand EURO5) und skizziert einen möglichen Migrationsweg von EURO5 nach EURO6 durch konsequente Weiterentwicklung des vorhomogenisierten Diesel-Brennverfahrens als Alternative zur NOx-Abgasnachbehandlung mit Urea-SCR-Katalysator. Hierbei wird ebenso näher auf die Weiterentwicklung der brennraumdruckbasierten Verbrennungsregelung eingegangen wie auf die Weiterentwicklung des Luftsystems hin zu höheren AGR-Raten mit der zugehörigen Regelung als auch auf die Chancen und Möglichkeiten der neuen direktangesteuerten Piezo-Einspritztechnologie. Des Weiteren wird die GM „in-house“-EMS Strategie vorgestellt und abschließend ein Ausblick auf zukünftige Trends in der Weiterentwicklung der Dieselregelung gegeben.
3.1 Die Dieselmotor-Steuerung Gestern – Heute – Morgen Die Systemkomplexität des mechatronischen Systems Dieselmotor hat sich seit der Erfindung des Dieselmotors 1893 kontinuierlich gesteigert, sie nahm aber insbesondere innerhalb der letzten 20 Jahre deutlich zu. Nach der Erfindung des Dieselmotors 1893 lag der Hauptfokus der Entwicklung auf dem Kraftstoffsystem. Die Dieseleinspritzung wurde seit Beginn der Serienfertigung durch Bosch ab 1927 über eine Reiheneinspritzpumpe mechanisch/hydraulisch gesteuert,
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3 Steuerung und Regelung Pkw-Dieselmotoren – Stand und zukünftige Anforderungen
die den Dieselmotor durch das größere nutzbare Drehzahlband fahrzeugtauglich machte; später, ab ca.1962, über eine Axialkolben-Verteilereinspritzpumpe. Die Einspritzpumpen übernahmen hierbei sowohl die Mengenförderung und Einspritzdruckerzeugung als auch die Steuerung des Einspritzzeitpunktes. Die Glühkerze verhalf ab 1935 dem „Diesel“ zu erträglichen Kaltstartfähigkeiten („Diesel-Gedenkminute“) und blieb für lange Zeit die einzige elektrische Systemkomponente des Dieselmotors. Dadurch konnte der Dieselmotor erstmals auch in Konkurrenz zum Ottomotor seinen Einzug in die Personenkraftwagen (1936 Mercedes 2,6l IDI) halten, galt dort jedoch über Jahrzehnte als sparsame drehmomentstarke aber leistungsschwache Antriebe für Pkw, die vorzugsweise im Anhängerbetrieb ihre Drehmomentvorteile ausspielen konnten. Ab 1986 kamen dann erstmals elektronische Pumpensteuergeräte hinzu, die die bis dahin rein mechanische Steuerung der Verteilereinspritzpumpe um kalibrierbare Korrekturfunktionen erweiterten.
Bild 3-1: Dieselmotor-Steuerung – Historische Übersicht
Mit der Einführung einer einheitlichen europäischen Abgasgesetzgebung ab 1983 wurde der Druck auf die Automobilindustrie weiter erhöht, die Abgasemissionen von Dieselmotoren kontinuierlich zu reduzieren. Als Folge daraus wurde insbesondere das DieselHochdruckeinspritzsystem revolutioniert: Pumpe-Düse-Einheiten, auch Unit-Injector genannt, erlaubten in Europa ab 1994 bessere Kraftstoffzerstäubung durch höhere Einspritzdrücke und eine präzisere Zumessung der Einspritzmenge aufgrund der besseren hydraulischen Anbindung der Pumpe an die Einspritzdüse. Der Unit-Injector erlaubte zudem bereits Voreinspritzer zur Reduzierung der Verbrennungsgeräusche. In den USA hatte GM bereits 1985 ein erstes Unit-Injector System in Produktion.
3.2 Die Abgasgesetzgebung als Treiber für Innovation im Bereich der Dieselmotor-Steuerung
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Ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung der Einspritzsysteme war die Einführung des Common-Rail-Systems, das ab 1997 erstmals bei Fiat Pkw-Motoren zum Einsatz kam. Es erlaubte grundsätzlich Einspritzvorgänge zu beliebigen Zeitpunkten und machte damit neben der Haupteinspritzung sowohl mehrere Voreinspritzer (Pilot & PreInjection) als auch mehrere Nachspritzer (Post & After-Injection) zur Unterstützung der Abgas-Nachbehandlung möglich. Das Common-Rail System hat sich aufgrund seiner technischen Vorteile heute auf breiter Front durchgesetzt. Als Folge konnte bis 2005 mit der EURO4, verglichen mit dem Stand 1983, bereits ca. 96% der Abgasemissionen von Dieselmotoren reduziert werden (s. Bild 3-2).
Bild 3-2: Entwicklung der Abgasgrenzwerte seit 1983
3.2 Die Abgasgesetzgebung als Treiber für Innovation im Bereich der Dieselmotor-Steuerung Der Weg zur Realisierung der folgenden EURO5 Abgasgrenzwerte für Partikel und NOx war durch die bis dahin zur Verfügung stehenden Komponententechnologien klar umrissen: Die Partikelemissionen wurden durch den DPF effektiv reduziert Die Reduzierung der NOx-Emissionen, soweit möglich ohne zusätzliche Systeme im Abgassystem; d.h. Reduzierung der NOx-Rohemissionen bereits während der Verbrennung
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3 Steuerung und Regelung Pkw-Dieselmotoren – Stand und zukünftige Anforderungen
Bild 3-3: Entwicklungsschritte von EURO4 nach EURO6
GM hat hierfür das vorhomogenisierte Brennverfahren entwickelt, im Weiteren auch PCCI (= Premixed Combustion Compression Ignition) oder LTC (= Low Temperature Combustion) genannt, das eine zuverlässige Absenkung sowohl von NOx- als auch Partikelemissionen bereits während der Verbrennung erlaubt und dadurch in einigen Applikationen die Verwendung einer speziellen Abgas-Nachbehandlung für NOx vermeidet. Auf das vorhomogenisierte Brennverfahren wird im Folgenden noch näher eingegangen. Für den zukünftigen Übergang von EURO5 nach EURO6, der durch eine weitere Reduzierung der NOx-Grenzwerte unter Beibehaltung der Grenzwerte für Partikel gekennzeichnet ist, zeichnen sich zwei Lösungswege ab: 1. Verwendung eines SCR-Katalysators mit Urea-Einspritzung 2. Reduzierung der Rohemissionen durch Weiterentwicklung des vorhomogenisierten Brennverfahrens, applikationsspezifisch ergänzt um einen NOx-Speicherkatalysator Die NOx-Reduktion durch das SCR-Verfahren (SCR = Selective Catalytic Reduction) unter Nutzung von flüssigem oder festem Harnstoff als Reduktionsmittel wurde bereits in verschiedenen Veröffentlichungen vorgestellt [3]. Sie erlaubt einen hohen Konvertierungswirkungsgrad und gilt daher als der sichere Weg zur Erreichung der EURO6 Grenzwerte, ohne den Motorbetrieb zu beeinträchtigen und ohne den Kraftstoffverbrauch zu erhöhen. Als nachteilig für das SCR-System gelten der hohe technische Aufwand für die UreaEinspritzung und den SCR-Katalysator im Abgassystem sowie der separate Tank für das
3.3 Das vorhomogenisierte Brennverfahren als Alternative zur NOx-Abgasnachbehandlung
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Reduktanzmittel. Dies erhöht die Systemkosten erheblich und erschwert daher den Einsatz bei kleinen Dieselmotoren im sehr kostensensitiven kleinen Fahrzeugsegment. GM entwickelt das SCR-System für Dieselmotoren, arbeitet jedoch alternativ speziell für kleine und mittlere Hubraumklassen an einer weiteren Verbesserung des vorhomogenisierten Brennverfahrens. Neben der reinen Verschiebung der Nominalwerte der Abgasemissionen in das EURO6-Zielfenster muss jedoch zunehmend auf die Größe des Streubandes der Emissionen geachtet werden; eine Verkleinerung der Streuungs-Wolke durch geringe Komponententoleranzen, aber auch durch neue regelungstechnische Konzepte wird für EURO6 erforderlich sein.
3.3 Das vorhomogenisierte Brennverfahren als Alternative zur NOx-Abgasnachbehandlung Der prinzipielle Vergleich der vorhomogenisierten- und der konventionellen Verbrennung ist in Bild 3-4 dargestellt.
Bild 3-4: Prinzip der vorhomogenisierten Verbrennung
Die konventionelle Dieselverbrennung beginnt nach einem kurzen Zündverzug im Bereich der Einspritzstrahlen aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Gemischaufbereitung mit lokal fettem Gemisch und daher einer unvollkommenen Verbrennung. Dadurch entstehen hohe Partikel-Anteile (grauer Bereich), die im weiteren Verlauf der Verbren-
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3 Steuerung und Regelung Pkw-Dieselmotoren – Stand und zukünftige Anforderungen
nung nur zu einem geringen Teil nachverbrannt werden können. Im weiteren Verlauf der Verbrennung entstehen aufgrund der besseren Gemischaufbereitung weniger Partikel, jedoch nehmen mit steigender lokaler Verbrennungstemperatur die Stickoxide zu. Bei der vorhomogenisierten Verbrennung geht es also im Wesentlichen um zwei Punkte: 1. Eine Verbesserung der Gemischaufbereitung vor Beginn der Verbrennung zur Reduzierung der Partikelerzeugung 2. Eine Absenkung der Verbrennungstemperatur zur Reduzierung der Stickoxide. Punkt 1 wird in der unteren Teillast (< 4 bar BMEP), wie in Bild 3-5 dargestellt, durch eine frühe Einspritzung, wodurch mehr Zeit für die Gemischhomogenisierung zur Verfügung steht. Der Zündverzug wird dadurch deutlich vergrößert, da die Zündbedingungen durch Kompressionsdruck und -temperatur bestimmt werden und weniger durch den Einspritzbeginn. Der genaue Zündbeginn wird durch Steuerung der Gemischtemperatur über die Abgasrückführung eingestellt. Punkt 2, die Absenkung der lokalen Verbrennungstemperaturen, wird durch Steigerung der Abgasrückführrate bei gleichzeitiger Verbesserung der AGR-Kühlung erreicht.
Bild 3-5 Einspritzverlauf und Brennverlauf für PCCI und konventionelle Dieselverbrennung bei niedrigen Lasten < 4 bar BMEP
Bei höheren Lasten (> 4 bar BMEP) lässt sich nicht mehr genügend Abgasrückführrate erzeugen, um die Verbrennungslage geeignet zu steuern. Daher muss in diesem Lastbereich auf eine späte Einspritzung, wie in Bild 3-6 gezeigt, zurückgegriffen werden. Hierdurch werden zwar die angestrebten Ziele hinsichtlich NOx- und Partikelemissionen erreicht, die Stabilität der Verbrennung muss jedoch durch eine Verbrennungsregelung mit Brennraumdrucksensoren sichergestellt werden und die erzielten Emissionsverbesserungen gehen zu Lasten des Kraftstoffverbrauchs und des Verbrennungsgeräusches. Dieser Zielkonflikt begrenzt die Anwendbarkeit der vorhomogenisierten Verbrennung mit später Einspritzung auf Teillast-Betriebspunkte des Motors und erfordert entsprechende Modewechsel-Strategien für den Übergang zwischen vorhomogenisierter und konventioneller Verbrennung.
3.4 Zukünftige Anforderungen an die Dieselregelung
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Bild 3-6 Einspritzverlauf und Brennverlauf für PCCI und konventionelle Dieselverbrennung bei mittleren Lasten > 4 bar BMEP
Ein Abgasrückführsystem mit AGR-Kühler und Kühler-Bypass ist daher fester Bestandteil der EURO5-Systemarchitektur wie die Verwendung von je einem Brennraumdrucksensor pro Zylinder. Die Brennraumdrucksensoren sind in den Glühkerzen integriert.
3.4 Zukünftige Anforderungen an die Dieselregelung Die zukünftigen Anforderungen zum Erreichen der zukünftigen EURO6-Abgasgrenzwerte auf Basis der vorhomogenisierten Verbrennung lassen sich wie folgt zusammenfassen: Erweiterung des Betriebsbereichs des vorhomogenisierten Brennverfahrens hin zu größeren Lasten durch Weiterentwicklung des Luftsystems – Erhöhung der Abgas-Rückführrate durch Niederdruck-AGR – Erhöhung des Luftüberschusses bei niedrigen Drehzahlen und hohen Motorlasten durch 2-stufige Aufladung Verbesserung der Verbrennungsregelung, basierend auf Brennraumdrucksensoren Verbesserung der Gemischaufbereitung durch Weiterentwicklung des Einspritzsystems, insbesondere der Einspritzdüsen DeNOx Abgasnachbehandlung per NOx-Speicherkatalysator je nach Applikation
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3 Steuerung und Regelung Pkw-Dieselmotoren – Stand und zukünftige Anforderungen
Bild 3-7: Systemkomponenten zukünftiger Motorsteuerungen
3.4.1 Brennraumdruckbasierte Dieselmotor-Steuerung; Sensoren und Funktionen Wie bereits im vorigen Abschnitt erläutert, werden Brennraumdrucksensoren benötigt, um die vorhomogenisierte Verbrennung zu regeln und zu stabilisieren. Als Messprinzip sind derzeit piezoresistive Sensoren der ersten Generation in Produktion, die für die Anwendung am Dieselmotor in die Glühkerze integriert sind (Bild 3-8). Die zweite Generation von Brennraumdrucksensoren mit piezoelektrischem oder optischen Messverfahren befinden sich derzeit bei GM in der Entwicklung.
Bild 3-8: Glühkerze mit integriertem Brennraumdrucksensor [Quelle: Beru]
3.4 Zukünftige Anforderungen an die Dieselregelung
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Diese neuen großserientauglichen Sensoren beinhalten neben dem eigentlichen Sensorelement auch die Auswerteelektronik, die die Schnittstelle zum Steuergerät darstellen, sowie Kompensations- und Korrekturfunktionen für Offset, Temperaturdrift, Linearität und Signalfilterung sowie einfache Diagnosefunktionen. Bild 3-9 stellt den Verbrennungsregelkreis schematisch dar:
Bild 3-9: Typische Konfiguration einer Verbrennungsregelung
Der Block „Pressure Processing & Analysis“ berechnet nach entsprechender Signalfilterung aus dem Brennraumdrucksignal die erforderlichen Kenngrößen, die die aktuell abgelaufene Verbrennung beschreiben: Schwerpunktlage MFB50, Indiziertes Drehmoment, Brennbeginn, Verbrennungsstabilität. Mit Hilfe dieser Kenngrößen werden die Regelung der Schwerpunktlage, Injektor Mengenabgleich, Anpassung der AGR-Rate, Spitzendruckregelung, Drehmomentregelung, sowie Systemdiagnosen wie Aussetzer- und Kraftstoffqualitätserkennung (Cetanzahl) durchgeführt. Bild 3-10 illustriert das Verhalten des Brennraumdruckes bei abgeschalteter und aktiver Verbrennungslage-Regelung, die den Schwerpunkt der Verbrennung über die Anpassung des Einspritzbeginns auf einen vorzugebenden Sollwert regelt und damit eine Gleichstellung der Zylinder bewirkt. Dieser Sollwert kann über für den jeweiligen Betriebspunkt des Motors individuell vorgegeben werden. Die dargestellte Gleichstellung der Zylinder wirkt jedoch nicht nur stabilisierend auf den Motorbetrieb bei vorhomogenisierter Dieselverbrennung, sondern reduziert zudem die Exemplarstreuung der Emissionen im gesamten Betriebsbereich des Motors, also auch bei konventioneller Dieselverbrennung. Bild 3-11 zeigt die Wirkung der Verbrennungslageregelung auf die Streuung von NOx/Partikel-Rohemissionen (links) und Kraftstoffverbrauch/Verbrennungsgeräusch (rechtes Bild) jeweils ohne und mit eingeschalteter Regelung der Verbrennungsschwerpunktlage dar.
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3 Steuerung und Regelung Pkw-Dieselmotoren – Stand und zukünftige Anforderungen
Bild 3-10: Brennraumdruckverläufe ohne und mit Verbrennungslageregelung
Bild 3-11: Emissionsstreuwolken Partikel über NOx (links) und Verbrennungsgeräusch über Kraftstoffverbrauch (rechts) mit Verbrennungsschwerpunktlage (hell) und ohne (dunkel)
Die Verbrennungslageregelung hat damit einen nachweislich positiven Effekt auf die Kompensation der Alterung und Exemplarstreuung von Dieselmotoren und kann so einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung des EURO6-Zielfensters insbesondere für die Optimierung von NOx- und Partikelemissionen leisten.
3.4.2 Niederdruck-Abgasrückführung Wie bereits gezeigt, ist eine optimierte Abgasrückführung besonders für den Betrieb des Dieselmotors mit vorhomogenisierter Verbrennung von entscheidender Bedeutung zur Reduzierung der NOx-Rohemissionen. Eine typische Konfiguration für das Luft-/AGRSystem für EURO5 mit zugehöriger Steuerungsarchitektur ist in Bild 3-12 gezeigt. Dieses Steuerungssystem regelt drei Hauptaktoren (AGR-Ventil EGR, Drosselklappe DTV und variabler Turbolader VNT) über nur zwei Hauptsensor-Informationen: Ladedruck und Sauerstoff-Konzentration im Einlasskanal. Die Regelung von AGR- und Luftpfad wird durch die Sauerstoff-Konzentration (O2concentration) im Einlasskanal als Führungsgröße koordiniert, da sie, wie in Bild 3-13 gezeigt, unabhängig vom Motor-Betriebspunkt sehr gut mit den NOx-Rohemissionen korreliert ist.
3.4 Zukünftige Anforderungen an die Dieselregelung
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Bild 3-12: Typisches AGR-System Steuerungssystem für EURO5
Bild 3-13: Zusammenhang zwischen Sauerstoffkonzentration (%O2) und NOx-Rohemission
Die Sauerstoffkonzentration wird nicht direkt durch einen Sauerstoff-Sensor gemessen, sondern durch Modellierung und Bilanzierung der Luft- und Abgasmassenströme in Echtzeit berechnet. Es handelt sich hier also um einen sog. „virtuellen“ Sensor. Zur weiteren Optimierung des vorhomogenisierten Brennverfahrens wird für zukünftige Emissionierungen der Einsatz eines zweiten Kreises zur Abgas-Rückführung auf der Niederdruckseite von Abgas- und Ansaugsystem, das sog. Niederdruck-AGR, erwogen. Bei der Niederdruck-AGR wird das Abgas hinter der Turbine und dem Partikelfilter dem Abgasstrang entnommen und vor dem Kompressor der Ansaugluft hinzugefügt. Der Vorteil: die Niederdruck-AGR erlaubt durch Rückführung von kühlerem Abgas eine höhere
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3 Steuerung und Regelung Pkw-Dieselmotoren – Stand und zukünftige Anforderungen
Rückführrate bei niedrigeren Ladungstemperaturen. Da zudem das rückgeführte Abgas durch den Partikelfilter praktisch keine Partikel enthält werden entsprechende Ablagerungen im Ansaugtrakt (insbes. Kompressor) vermieden. Als nachteilig wirkt sich dagegen die hohe Verzögerung der Strecke für die Steuerung der Niederdruck Abgasrückführung im motorischen Instationärbetrieb aus, die durch eine entsprechende Regelung des Hochdruck-AGR-Kreises kompensiert werden muss. Eine zweistufige Turbo-Aufladung, bestehend aus Hochdruck-VGT und NiederdruckTurbolader mit fester Geometrie, stellt einen hohen Luftüberschuss im gesamten Drehzahl-/Lastbereich sicher. Bild 3-14 zeigt den prinzipiellen Aufbau eines solchen Systems, in dem je zwei Luftsteuerklappen (Throttle 1 und 2) und AGR-Steuerventile (HPEGR-Valve und LPEGRValve) sowie VGT mit Bypass-Steuerklappen aus nur drei physikalischen Hauptgrößen, der Sauerstoff-Konzentration, dem Ladedruck und der Niederdruck-AGR-Rate sowie diverser weiterer Hilfsgrößen stationär wie instationär regelungstechnisch optimiert werden müssen.
Bild 3-14: Luftsystem mit Niederdruck-AGR und zweistufiger Aufladung
Es ist naheliegend, dass sich die Messung der erforderlichen Haupt- und Hilfsgrößen durch eine Vollausstattung mit Sensoren aus wirtschaftlichen Gründen verbietet. Daher ist es erforderlich, dass basierend auf einer komplexen Streckenmodellierung die Zustandsgrößen Druck, Temperatur, Massenstrom für die kritischen Punkte des Luft/AGRSystems als virtuelle Sensoren in Echtzeit berechnet werden. Die Auswahl, welche Zustandsgrößen gemessen und welche berechnet werden, ist Aufgabe einer applikationsspezifischen Optimierung, die nicht zuletzt neben der regelungstechnischen Aufgabe der funktionalen Optimierung den Anforderungen der jeweiligen Diagnoseanforderungen der Gesetzgeber Rechnung tragen muss.
3.4 Zukünftige Anforderungen an die Dieselregelung
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3.4.3 Direkt angetriebene Piezo-Einspritzdüsen Direkt angetriebene Piezo-Einspritzdüsen (DA Piezo Injektor) stellen einen weiteren Meilenstein in der Weiterentwicklung von Diesel-Einspritzsystemen dar. Bisherige Diesel-Einspritzdüsen verwenden einen, mit Hilfe eines magnet- oder auch piezo-betätigten Ventils modulierten, hydraulischen Steuerdruck zum Öffnen und Schließen der Einspritzdüse. Der Öffnungs- und Schließvorgang der Düsennadel folgt daher nur indirekt der elektrischen Ansteuerung und wird durch verschiedene Randbedingungen des hydraulischen Systems negativ beeinflusst. Im Gegensatz hierzu gibt es bei direkt angetriebenen Piezo-Einspritzdüsen eine mechanische oder hydraulische steife Verbindung zwischen der Düsennadel und dem PiezoElement. Dadurch ist es möglich, die elektrisch beliebig steuerbare Ausdehnung des Piezo-Elementes direkt und linear in eine entsprechende Bewegung der Düsennadel umzusetzen. Als Folge kann die Nadel nicht nur komplett geöffnet und geschlossen werden, wie bei bisherigen Injektoren, sondern es lassen sich auch beliebige Zwischenpositionen mit steuerbarer Geschwindigkeit anfahren und halten. Weitere günstige Eigenschaften sind das extrem schnelle Öffnen und Schließen der Düsennadel sowie die Fähigkeit durch das Fehlen jeglicher hydraulischer Verzögerungen (Dwell-Time) bis zu acht Einspritzvorgänge pro Zyklus sehr flexibel in der Abfolge gestalten zu können. Die pro Einspritzvorgang abgesetzte Menge kann sehr gut mit nur geringer Streuung reproduziert werden und ist praktisch unabhängig von Schwingungen des Einspritzdruckes. Zudem hat der direkt angetriebene Piezo-Injektor keine Leckage, d.h. die HochdruckKraftstoffpumpe kann bis zu 30% in der Pumpenleistung reduziert werden. Die Tabelle 3-1 zeigt eine Übersicht über die charakteristischen Eigenschaften der verschiedenen Einspritzdüsentechnologien:
Tabelle 3-1: Vergleich charakteristischer Eigenschaften verschiedener Dieselinjektoren Feature Needle Speed Max. Rail Pressure Max. Injection events
Servo Hydraulic
Indirect Piezo
Direct piezo
0,5 m/s
1 m/s
3 m/s
1600 – 1800 bar
1800 bar (2000 bar)*
2000 bar
5
6
8
Min. Mass injected
1 mg/stroke
0.8 mg/stroke
0.5 mg/stroke
Mass injected*
10 mg/stroke
19 mg/stroke
15 mg/stroke
Return mass flow [%] (Injector closed)
30% mass injected
0%
0%
Return mass flow [%] (During injection)
50% mass injected
20% mass injected
0%
In Bild 3-15 sind typische Beispiele für unterschiedliche Einspritzmuster dargestellt, die mit DA-Piezo-Injektoren möglich werden. Die Auswirkung dieser zusätzlichen Freiheitsgrade in der Einspritzsteuerung hinsichtlich ihrer Auswirkung auf Emissionen und Kraftstoffverbrauch wurden bereits zum Teil bewertet.
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3 Steuerung und Regelung Pkw-Dieselmotoren – Stand und zukünftige Anforderungen
Bild 3-15: Verschiedene Formen der Ansteuerung von direktgetriebenen Piezo-Einspritzdüsen
Die Vorteile des DA-Piezo-Injektors im vollen Umfang nutzbar zu machen, erfordert entsprechend ausgelegte Treiber-Endstufen mit entsprechender Firmware, die in der Lage sind, die Position der Düsennadel in Echtzeit zu kontrollieren sowie eine optimierte Ansteuerstrategie für den jeweiligen Motorbetriebspunkt.
3.5 Die GM „In-House-Controls“-Strategie Wie bereits aus dem vorher Gesagten zu entnehmen ist, ist auch bei der Steuerung des Dieselmotors die Bedeutung des Motorsteuerungssystems stetig gewachsen. Bereits heute basieren ca. 90% der Innovationen im Kraftfahrzeug, und am Dieselmotor im Besonderen, auf der elektronischen Steuerungstechnik oder werden von ihr ermöglicht. Gleichzeitig werden zirka 50% der heutigen Kosten eines Dieselmotors von dessen Motorsteuerung verursacht. Es ist daher ein sehr naheliegender Gedanke, das zunehmend unverzichtbar werdende Gebiet der Motorsteuerung als strategische Kernkompetenz des Motorenherstellers zu
3.5 Die GM „In-House-Controls“-Strategie
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betrachten und die Entwicklungsverantwortung für das gesamte Motorsteuerungssystem zu übernehmen. GM hat bereits Anfang der 90er Jahre diese Entscheidung getroffen und mit der nordamerikanischen Fahrzeugflotte beginnend eigene Motorsteuerungssysteme entwickelt. 2007 waren beispielsweise 8 Millionen Benzinmotoren mit GM-eigenen Steuergeräten im Feld. Vorteile dieses Vorgehens sind: Bestmögliches Kosten/Nutzen-Verhältnis Kostenoptimierung auf Komponentenebene statt auf Systemebene Standardisierung und Deproliferation der EMS Systeme und Wiederverwendbarkeit von Funktionalitäten und Applikationen Vorteile in Qualität, Zuverlässigkeit, Entwicklungszeit und Entwicklungskosten Schutz der strategisch relevanten Produktrechte Das V-Model Schema in Bild 3-16 zeigt die Abdeckung der EMS Systemverantwortung vor 1992, als der größte Teil der Systemverantwortung bei System-Partnern lag. Seit 2003 deckt GM den kompletten, im V-Modell repräsentierten Entwicklungsumfang auch für die Entwicklung von Dieselmotorsteuerungen in vollem Umfang ab. GM ist damit weltweit der einzige Fahrzeughersteller, der die komplette Entwicklungshoheit und damit das Know-how für Motorsteuerungen im eigenen Haus besitzt.
Bild 3-16: V-Modell-Abdeckung durch GM
Das erste GM in-house Steuerungssystem für Dieselmotoren D1 wird für EURO5 Dieselmotoren ausgelegt sein. Das Steuergerät beinhaltet integrierte Treiber für die Glühkerzen, Eingänge für Brennraumdrucksensoren und unterstützt aufgrund der Flexibilität und Anpassbarkeit der Softwarefunktionen alle marktgängigen Common-Rail Magnetventil-
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3 Steuerung und Regelung Pkw-Dieselmotoren – Stand und zukünftige Anforderungen
Einspritzdüsen-Technologien. Die Komponentenspezifikation (inkl. Steuergeräte-Hardware) sowie die komplette Systemfunktionalität und -software wurden von GM entwickelt. Hierbei nutzt die D1-Softwareentwicklung die verfügbare globale GM SoftwareLibrary. D1 ist der Beginn einer Familie GM-eigener globaler Diesel-Motorsteuerungssysteme, die nach den europäischen EURO5 4-Zylinder-Dieselmotoren auch 3-, 4-, 6- und 8zylindrige GM-Diesel-Applikationen für zukünftige Abgasgesetzgebungen abdecken wird und hierfür sowohl die in dieser Präsentation vorgestellten technischen Lösungen wie Piezo-Injektoren, Niederdruck-AGR und Brennraumdruckregelung beinhalten wird, als auch zweistufige Turboaufladung und NOx-Abgas-Nachbehandlungssysteme wie Urea-SCR- oder alternativ NOx-Speicher-Katalysatoren.
3.6 Zukünftige Entwicklungstrends in der Motorsteuerung Die Anforderungen an die Steuerung von Dieselmotoren aufgrund sich verschärfender Abgasgrenzwerte und Kraftstoffverbrauchsvorgaben werden auch nach Inkrafttreten der nächsten Gesetzgebungsstufe weiter zunehmen. Die damit einhergehende Zunahme der Systemkomplexität von Sensoren und Aktoren wird nur durch die konsequente Anwendung und Umsetzung modellbasierter regelungstechnischer Konzepte und Verfahren beherrschbar sein. Bereits heute finden Motor-Teilmodelle, z.B. Drehmomentmodelle, Saugrohrmodelle, Drosselklappen-Modelle, Wandfilmmodelle usw. Anwendung in modernen Motorsteuerungen. Wie bereits am Beispiel der Steuerung des AGR-Systems gezeigt, werden modellbasierte virtuelle Sensoren verwendet, um physikalische Größen, wie die Sauerstoffkonzentration im Saugkanal, zu berechnen, deren direkte Messung technisch zu aufwendig oder nicht wirtschaftlich ist. Dieser Trend wird sich sowohl für Anwendungen beim Dieselmotor als auch beim Ottomotor weiter verstärken. Wir werden bei zukünftigen Generationen von Motorsteuergeräten komplett implementierte Motormodelle haben, die den gesamten Umfang relevanter thermodynamischer Zustandsgrößen des Dieselmotors, insbesondere Luftsystem, Verbrennung und Abgassystem, mit hinreichender Genauigkeit in Echtzeit abbilden und als virtuelle Sensoren den Motorprozess steuern werden, s. Bild 3-17. Für diese Aufgabenstellung eignen sich typischerweise unter anderem Mittelwertmodelle, künstliche Neuronale Netze oder Regressionsgleichungen. Die verbleibenden realen Sensoren werden im Wesentlichen zur Plausibilisierung und Adaptierung der Modelle sowie zur Herstellung von Redundanzen für die On-Board-Diagnose dienen. Die technischen Vorteile der modellbasierten Regelung liegen insbesondere in einer verbesserten Prozessführung im motorischen Instationärbetrieb und automatisierten Kalibrierbarkeit sowohl des Stationärbetriebes als auch des Instationärbetriebes.
3.6 Zukünftige Entwicklungstrends in der Motorsteuerung
83
Bild 3-17: Modell-prädiktive Dieselmotorsteuerung
Für die System-Diagnose werden modellbasierte Ansätze eine eindeutigere Fehlerzuordnung zu speziellen Kombinationen von Fehlersymptomen ermöglichen und damit zu einer Vereinfachung der Fehlersuche in den Werkstätten im Feld beitragen. Die Parametrierung dieser Modelle wird eine weitere Verfeinerung automatisierter Testverfahren (z.B. DOE) erforderlich machen, die neben einer Vereinfachung und Beschleunigung der Testdurchführung zunehmend auch dem Aspekt der Modellierung instationärer Betriebszustände Rechnung tragen wird. Die mit der Einführung modellbasierter Ansätze verbundene Zunahme rechenintensiver Algorithmen wird natürlich von der Entwicklung der Rechenleistung zukünftiger Mikrokontroller-Generationen abhängen. Bild 3-18 zeigt die prognostizierte Entwicklung der Leistungsfähigkeit von Single-Core- und Dual-Core-Architekturen verschiedener Hersteller von Mikrokontrollern bis 2020. Das Gesetz von Moore, demzufolge sich die Rechenleistung alle zwei Jahre verdoppelt und damit zu einem exponentiellen Wachstum der Rechenleistung führt, hat sich heute relativiert. Die weitere Miniaturisierung der Halbleiterstrukturen und die daraus resultierende Erhöhung der Rechenleistung für Single-Core-Architekturen scheint an den Grenzen des heute physikalisch Machbaren angelangt zu sein. Trotzdem wird die Rechenleistung auch zukünftig durch Anwendung von Dual-/Quad-Core-Technologien weiter ansteigen, nun jedoch mit geringerer Rate. Diese Entwicklung wird insbesondere getrieben durch die Consumer-Industrie, Personal Computer und mobile Kommunikation. Die Au-
84
3 Steuerung und Regelung Pkw-Dieselmotoren – Stand und zukünftige Anforderungen
tomobilelektronik wird in diesem Windschatten in den Vorteil ausreichender Rechenleistung zu konkurrenzfähigen Kosten kommen. Modellbasierte Regelungsarchitekturen für die Steuerung von Dieselmotoren werden unmittelbar von dieser Entwicklung profitieren.
Bild 3-18: Leistungsentwicklung zukünftiger Mikrokontroller
3.7 Zusammenfassung und Ausblick Der Dieselmotor ist bereits heute ein mechatronisches System höchster Komplexität. Diese Komplexität wird auch zukünftig insbesondere durch die in diesem Beitrag vorgestellten motorseitigen Maßnahmen wie die vorhomogenisierte Dieselverbrennung mit NiederdruckAGR und Brennraumdruck-Regelung sowie direkt-angesteuerte Piezo-Injektoren zur Reduzierung der Abgasemissionen und des Kraftstoffverbrauchs weiter zunehmen. Grundvoraussetzung für die Realisierung der vorhandenen Lösungskonzepte ist die weiter zunehmende Leistungsfähigkeit zukünftiger Mikrokontroller als Herzstück der Motorsteuergeräte. Mittel- bis langfristig werden sich in den Motorsteuergeräten modellbasierte, prädiktive Steuerungs- und Regelungsstrukturen durchsetzen. GM ist mit der vorgestellten „In-House-Controls“-Strategie sehr gut aufgestellt, um diese zukünftigen Herausforderungen an den Dieselmotoren hinsichtlich Kraftstoffverbrauch und Emissionen mit hauseigenen maßgeschneiderten Lösungen innerhalb des Steuerungssystems bestehen zu können.
3.7 Zusammenfassung und Ausblick
85
Literatur [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8]
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B Modellbildung und Simulation von Verbrennungsmotoren
88
4 Modellansätze für die Simulation von Gemischbildung und Verbrennung
4 Modellansätze für die Simulation von Gemischbildung und Verbrennung GUNNAR STIESCH
Die numerische Simulation motorischer Verbrennungsprozesse stellt ein sehr nützliches Werkzeug in der Motorenentwicklung dar, das heute in breitem Umfang eingesetzt wird. Im Vergleich zur ausschließlichen Durchführung experimenteller Untersuchungen erlaubt die numerische Simulation eine schnellere und kostengünstige Vor-Auslegung motorischer Systeme mit Hilfe umfangreicher Parameterstudien. Die aufwendigeren experimentellen Studien können dann gezielt auf die Bereiche konzentriert werden, die anhand der Berechnungsergebnisse das größte Potential erwarten lassen. Darüber hinaus bietet die numerische Simulation die grundsätzliche Möglichkeit, jede beliebige Prozessvariable zu jedem Zeitpunkt an jedem gewünschten Ort auszugeben. Damit ist eine Datenvielfalt gegeben, die allein mit experimentellen Untersuchungen nicht zu erreichen wäre, die aber für das genaue Verständnis der komplexen Teilprozesse der Gemischbildung und Verbrennung sehr hilfreich oder sogar notwendig ist. Je nach vorliegender Aufgabenstellung innerhalb der Motorenentwicklung kommen verschiedene Kategorien von Verbrennungsmodellen zum Einsatz. Diese unterscheiden sich im Detaillierungsgrad der abgebildeten Unterprozesse aber auch in der notwendigen Rechenzeit, Bild 4-1. Im Folgenden werden die verschiedenen Modellansätze erläutert und ihre Möglichkeiten und Grenzen anhand von Berechnungsbeispielen aufgezeigt.
Bild 4-1: Modellkategorien bei der Verbrennungssimulation
4.1 Thermodynamische (nulldimensionale) Modelle
89
4.1 Thermodynamische (nulldimensionale) Modelle Thermodynamische Zylindermodelle beruhen auf der vereinfachenden Annahme, dass der gesamte Brennraum zu jedem Zeitpunkt als ideal durchmischt betrachtet werden kann. Daher werden keine räumlichen Temperatur- und Konzentrationsverteilungen im Brennraum aufgelöst, und der zeitlich veränderliche Brennraumzustand kann mit Hilfe von zwei gewöhnlichen Differentialgleichungen für die Massen- und Energiebilanzen sowie mit einer thermischen Zustandsgleichung, die den Zusammenhang zwischen innerer Energie und Temperatur herstellt, beschrieben werden. Der Vorteil dieser Modellkategorie sind extrem kurze Rechenzeiten von deutlich weniger als einer Sekunde pro Motorumdrehung. Es existieren jedoch zwei wesentliche Einschränkungen. Aufgrund der Annahme des homogen durchmischten Brennraums können keine Aussagen über die Schadstoffemission eines Motors getroffen werden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die für die Schadstoffbildung maßgeblichen chemischen Reaktion exponentiell, also extrem nicht-linear, von der Temperatur abhängen. Deshalb sind die lokal auftretenden Spitzentemperaturen für die tatsächliche Rate der Schadstoffbildung entscheidend, und die Kenntnis der räumlich gemittelten Zylindertemperatur ist nicht ausreichend. Darüber hinaus ist es mit thermodynamischen Modellen nicht möglich, den Brennverlauf z.B. aus der Kenntnis des Einspritzgesetzes vorauszuberechnen, da wesentliche Teilprozesse der Gemischbildung und Verbrennung im Modell nicht abgebildet werden. Anstatt dessen muss dem Modell ein experimentell ermittelter ErsatzBrennverlauf entweder als Werte-Tabelle oder mit einer mathematischen Approximation (z.B. VIBE- oder Polygon-Hyperbel-Ersatzbrennverlauf) vorgegeben werden. Entsprechend dieser Modelleigenschaften, werden thermodynamische Zylindermodelle heute vorwiegend bei den Aufgabenstellungen eingesetzt, bei denen extrem kurze Rechenzeiten unbedingt notwendig sind. Dies sind z.B. umfangreiche Parametervariationen, oder auch instationäre Betriebszustände, die sich über viele Motorumdrehungen hinziehen und bei denen der einzelne Zylinder nur eine von vielen Komponenten des abzubildenden Antriebssystems darstellt. Als Beispiel ist in Bild 4-2 eine Lastaufschaltung von 50% auf 100% Nennlast eines mittelschnelllaufenden Dieselmotors im Generatorbetrieb mit Hilfe von Fahrpedalstellung, Abgasgegendruck, Turboladerdrehzahl und Motordrehzahl dargestellt. Ein Standard-Anwendungsfall für thermodynamische Zylindermodelle ist weiterhin die sog. Brennverlaufsanalyse. Dabei wird ein experimentell ermittelter Druckverlauf vorgegeben, und die Energiebilanz des Brennraums wird quasi in umgekehrter Reihenfolge nach der kurbelwinkelabhängigen Verbrennungsrate aufgelöst. Hierbei sei jedoch darauf hingewiesen, dass zur Bestimmung dieses „experimentellen“ Brennverlaufs immer auch die Modellierung der in der Energiebilanz enthaltenen Wandwärmeverluste notwendig ist. Damit wirkt sich ein Fehler bei der Berechnung des Wärmeübergangs direkt auf die Qualität des ermittelten Brennverlaufs aus. Insbesondere bei Teillastbetriebspunkten, bei denen der relative Anteil des Wärmeübergangs bezogen auf den Brennverlauf zunimmt, können damit bereits Unsicherheiten im „experimentell“ ermittelten Brennverlauf enthalten sein.
90
4 Modellansätze für die Simulation von Gemischbildung und Verbrennung
Bild 4-2: Lastaufschaltung von 50 auf 100% eines Stationärmotors im Generatorbetrieb [1]
4.2 Phänomenologische (quasi-dimensionale) Modelle Es ist das Ziel der phänomenologischen Verbrennungsmodelle, neben der zeitlichen auch eine quasi-dimensionale räumliche Temperaturverteilung als Grundlage für die Schadstoffbildung zu berechnen. Zusätzlich sollen die entscheidenden Teilprozesse der Gemischbildung und Verbrennung so genau abgebildet werden, dass auch eine Vorausberechnung des Brennverlaufs aus einem gegebenen Einspritzverlauf ermöglicht wird. Als wesentliche Einschränkung besteht jedoch generell die Tatsache, dass das dreidimensionale turbulente Strömungsfeld im Motor nicht explizit berechnet wird, sondern dass dessen Einfluss auf Gemischbildung und Verbrennung allenfalls durch einfache qualitative Kenngrößen abgeschätzt wird. Es sind mehrere verschiedene Ansätze für phänomenologische Verbrennungsmodelle in der Literatur vorgestellt worden, die z.B. in [2] genauer erläutert und diskutiert werden. An dieser Stelle soll beispielhaft auf das häufig verwendete Paket-Modell eingegangen werden [3, 4]. In diesem Modell wird der Einspritzstrahl in viele kleine Zonen (sog. Pakete) eingeteilt, in denen jeweils unterschiedliche Temperaturen und Zusammensetzungen vorliegen, Bild 4-3. Es werden nun sämtliche für die Gemischbildung und Verbrennung wichtigen Teilprozesse separat für jedes Strahlpaket berechnet. Dies sind die Beimischung von Frischluft in den Strahl, die mit Hilfe einer halbempirischen Formel für
4.2 Phänomenologische (quasi-dimensionale) Modelle
91
die Eindringtiefe des Strahls unter Annahme der Impulserhaltung eines Pakets abgeschätzt wird. Weiterhin werden die Zerstäubung des eingespritzten Kraftstoffs in kleine Tropfen, die Aufheizung und Verdampfung dieser Tropfen, der Zündverzug und die chemische Umsatzrate paketabhängig vorausberechnet. Mit Hilfe von Massen- und Energiebilanzen für jedes einzelne Paket können dann die quasi-dimensionalen Konzentrations- und Temperaturverteilungen bestimmt werden. Der Zylinderdruck wird dabei aufgrund der hohen Schallgeschwindigkeit im Brennraum als räumlich konstant angenommen. Schließlich können die Bildungsraten für Stickoxide und Ruß auf Basis der verschiedenen Paketzustände berechnet werden.
Bild 4-3: Schematische Darstellung des Paketmodells nach Hiroyasu [3]
Aufgrund der bereits sehr detaillierten Beschreibung der genannten Teilprozesse der Gemischbildung und Verbrennung ist es mit diesem Modellansatz möglich, den Brennverlauf und den daraus resultierenden Druckverlauf im Zylinder aus der Kenntnis des Einspritzgesetzes voraus zu berechnen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die im Modell enthaltenen Konstanten zuvor für einen exemplarischen Lastpunkt des zu beschreibenden Motors abgestimmt wurden. In Bild 4-4 sind beispielhaft die vorausberechneten Brenn- und Druckverläufe für einen schnelllaufenden Schiffsdieselmotor mit trapezförmigem Einspritzverlauf dargestellt. Es ist zu erkennen, das insbesondere die charakteristische Aufteilung des Brennverlaufs in Vormisch- und Diffusionsverbrennung abgebildet werden kann. In einer Erweiterung des Paket-Ansatzes wurde zusätzlich die Möglichkeit geschaffen, den Einfluss einer Voreinspritzung auf den Verbrennungsablauf vorauszusagen [5]. Dies ist in Bild 4-5 exemplarisch für einen Nfz-Dieselmotor dargestellt. Der Einfluss einer frühen Voreinspritzung auf den Verbrennungsablauf, nämlich eine frühe Vorverbrennung sowie eine schnell einsetzende Hauptverbrennung, die nahezu ohne Vormischanteil abläuft, ist deutlich zu erkennen. Während eine einfache Voreinspritzung noch mit dem vereinfachten phänomenologischen Ansatz zufriedenstellend abgebildet werden kann, ist dies für mehrere abgesetzte Voreinspritzungen oder auch Nacheinspritzungen kaum möglich. Dies ist im Wesentlichen auf den Verzicht der Modellierung des 3D-Turbulenzfeldes zurückzuführen, das im realen Motor einen wesentlichen Einfluss auf die Interaktion verschiedener Einspritzpulse hat. Derartige Aufgabenstellungen bleiben deshalb den im folgenden erläuterten CFDCodes vorbehalten.
92
4 Modellansätze für die Simulation von Gemischbildung und Verbrennung
Bild 4-4: Berechnete und experimentell ermittelte Brenn- und Druckverläufe eines schnelllaufenden Schiffsdieselmotors. n = 1500/min, pme = 17,3 bar [4]
0.16
6000
0.14 0.12
pcyl
0.10
dQch
0.08
4000
0.06 2000
0.04 0.02
100
80
60
40
injection rate [mg/ms]
cylinder pressure [kPa]
experiment simulation
120
heat release rate [kJ/°CA]
8000
20
dminj/dt 0 -40
-20
0
20 40 60 crank angle [°ATDC]
80
0.00 100
0
Bild 4-5: Berechnete und experimentell ermittelte Brenn- und Druckverläufe eines Nfz-Motors mit Voreinspritzung. n = 1500/min, pme = 9,2 bar [5]
4.3 CFD-Codes 4.3.1 Erhaltungsgleichungen Die sog. CFD-Codes (Computational Fluid Dynamics) lösen das dreidimensionale turbulente Strömungsfeld im Brennraum auf, indem üblicherweise die Reynolds-gemittelten Navier-Stokes-Gleichungen auf einem Gitter-Netz mit einer Zellweite in der Größenordnung von 1 mm numerisch gelöst werden. Zur Abschätzung der turbulenten Schwankun-
4.3 CFD-Codes
93
gen, die aufgrund ihrer kleinen Größe nicht direkt vom Netz aufgelöst werden können, werden sog. Turbulenzmodelle eingesetzt. Dabei ist generell zu beachten, dass diese Turbulenzmodelle auf die jeweils vorliegenden Strömungsverhältnisse angepasst werden müssen. Geschieht dies nicht in ausreichender Qualität, werden sowohl die Ergebnisse der Spray- als auch der Verbrennungsrechnung direkt davon beeinträchtigt, da beide Vorgänge stark von der Turbulenz beeinflusst werden. Damit kommt der Qualität von Turbulenzmodellen eine sehr große Bedeutung bei der Modellierung motorischer Prozesse zu. Theoretisch ist es zwar möglich, auch die kleinsten turbulenten Wirbel mit Längenskalen in der Größenordnung mit 10 μm auf einem entsprechend feinmaschigen Netz direkt aufzulösen, um damit die o.g. Turbulenzmodellierung zu umgehen. Dies würde bei einem Brennraum mit 10 cm Bohrung jedoch ein Berechnungsgitter mit ca. 1012 Gitterzellen erfordern. Eine sinnvolle und mit heutigen Computersystemen handhabbare Anzahl von Gitterzellen liegt aber nur bei etwa 106, und selbst bei der zu erwartenden weiteren Steigerung der Rechenleistung ist eine Zunahme von 6 Größenordnungen in absehbarer Zeit nicht denkbar. Bei den reaktiven 2-Phasenströmungen in motorischen Brennräumen treten innerhalb der Erhaltungsgleichungen für Spezies-Massen, Energie und Impuls (Navier-StokesGleichungen) sog. Quellterme auf, die den Einfluss von Kraftstoffsprays und chemischen Reaktionen auf die Erhaltungsgrößen angeben. Zum Beispiel lautet die Transportgleichung für eine Spezies-Dichte ρm in Abhängigkeit der Zeit t und der Raumkoordinaten xi: ∂ ( ρm / ρ ) · ∂ρ m ∂ ( ρ mui ) ∂ § spray comb + − ¨ ρD ¸ = ρ m + ρ m , i = 1, 2, 3 ∂t ∂xi ∂xi © ∂xi ¹
(4.1)
Die beiden Quellterme für Einspritzung und Verbrennung auf der rechten Seite von (4.1) müssen mit entsprechenden Untermodellen abgebildet werden.
4.3.2 Spray-Modellierung Da ein typisches Spray eines direkteinspritzenden Motors aus bis zu 108 Brennstofftropfen mit mittleren Durchmessern von 10 bis 20 μm besteht, ist eine direkte Auflösung im Sinne einer direkten numerischen Simulation (DNS) nicht möglich. Stattdessen wird eine G statistische Beschreibung verwendet, die die Wahrscheinlichkeit angibt, an einem Ort x G G G zur Zeit t einen Tropfen mit einer Geschwindigkeit zwischen v und v + dv , mit einer Temperatur zwischen T und T + dT und mit einem Radius zwischen r und r + dr anzutreffen: wahrscheinliche Tropfenanzahl G G G = f ( x , v , r , T , t ) d v d r dT Volumen
(4.2)
Dabei wird f als Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion (probability density function, pdf) bezeichnet. Die Entwicklung von f könnte nun im Prinzip durch Integration einer Transportgleichung von f gelöst werden, die grundsätzlich ähnlich zur Transportgleichung ei-
94
4 Modellansätze für die Simulation von Gemischbildung und Verbrennung
nes Skalars (z.B. der Spezies-Dichte) ist und die neben der zeitlichen Ableitung, dem konvektiven und dem diffusiven Term noch Quellterme für Tropfenzerfall, -kollision und -verdampfung enthält. Diese Transportgleichung von f wird allgemein als Spray-Equation bezeichnet [6]. Das Problem bei der Integration dieser Transportgleichung besteht allerdings darin, dass f im Gegensatz zu einem Skalar außer von den drei Raumkoordinaten xi und der Zeit t zusätzlich von den drei Geschwindigkeits-Komponenten vi, vom Tropfenradius r und der Tropfentemperatur T abhängt. Das bedeutet, dass die pdf insgesamt 9dimensional ist und dass bei einer Diskretisierung jeder unabhängigen Variablen in nur zehn Gitterpunkte ein Netz von insgesamt 109 Gitterpunkten notwendig wäre. Daher scheidet dieses direkte Integrationsverfahren für die meisten technischen Anwendungen aus. Eine praktikable Möglichkeit zur Integration der Spray-Equation und damit zur Lösung von f stellt das sog. Discrete Droplet Model dar [7], das auf der Monte-Carlo Methode (auf Zufallszahlen basierend) beruht. Dabei wird das gesamte Spray durch nur ca. 104 stochastische Partikel repräsentiert (sog. Parcels), die als charakteristisch für die gesamte Tropfenverteilung im Spray angenommen werden. Die Anfangseigenschaften dieser Parcels werden dabei durch Zufallszahlen belegt, die entsprechend der Anfangsform der Tropfen-pdf f gewichtet sind. Die zeitliche Entwicklung der Eigenschaften jedes einzelnen Parcels wird dann in Lagrange’scher Betrachtungsweise berechnet, so dass in der Summe aller Parcels eine Näherung für die Integration der gesamten pdf resultiert. Der wesentliche Vorteil des Discrete Droplet Models ist neben seiner Anschaulichkeit – ein Parcel sieht für den Betrachter genauso aus wie ein Tropfen – und der damit verbundenen einfachen Handhabung die Tatsache, dass anstatt von ca. 108 Tropfen nur ca. 104 Parcels berechnet werden müssen. Es existieren jedoch auch Nachteile dieser Methode, insbesondere eine Netzabhängigkeit der Ergebnisse in Düsennähe. Um die Lebensgeschichte eines Tropfens bzw. Parcels von der Einspritzung bis zu seiner vollständigen Verdampfung zu beschreiben, sind verschiedene Untermodelle notwendig. Dazu gehören die Abbildung des Primärzerfalls in Düsennähe, des Sekundärzerfalls von bereits bestehenden Tropfen, des Impulsaustausches zwischen Tropfen und Gasphase, der Tropfenverdampfung sowie von Tropfenkollisionen und Tropfen-WandInteraktionen. Eine ausführliche Diskussion all dieser Teilprozesse ist z.B. in [2] enthalten. Das Standard-Verfahren zur Beschreibung des Primärzerfalls ist die sog. BlobMethode in Kombination mit dem Kelvin-Helmholtz Modell (Bild 4-6) [8]. Dabei werden dem Berechnungs-Raum kontinuierlich sehr große Tropfen zugeführt, deren Anfangsdurchmesser dem effektiven Durchmesser der Düsenbohrung entspricht. Auf der Oberfläche dieser Tropfen bilden sich Instabilitäten aus, die schließlich zum Abscheren kleinerer Sekundärtropfen führen. Dies bedeutet jedoch, dass nur der aerodynamische Strahlaufbruch berücksichtigt wird und dass die Einflüsse von Flüssigkeitsturbulenz und Kavitation vernachlässigt werden. Damit ist es z.B. nicht möglich, asymmetrische Sprays zu berechnen, die bei realen Einspritzdüsen aufgrund einer ungleichmäßigen Verteilung von Kavitationszonen im Spritzloch entstehen können. Für ein Primärzerfallsmodell, dass auch asymmetrische Sprays abbilden kann, sowie für eine weiterführende Diskussion der Spray-Modellierung sei auf [9] verwiesen.
4.3 CFD-Codes
95
Bild 4-6: a) Primärzerfall nach der Blob-Methode, b) Sekundärzerfall mit Ausbreitung von KelvinHelmholtz-Störungen an der Flüssigkeitsoberfläche [8]
Um die erforderliche Rechenzeit für die Simulationsrechnung zu optimieren, ist es bei dieselmotorischen Sprays mit einer zentral angeordneten Mehrlochdüse üblich, nicht den gesamten Brennraum mit sämtlichen Einspritzstrahlen über einen Umfang von 360° abzubilden. Anstatt dessen wird nur ein Sektor des Brennraums über einen Teilwinkel abgebildet, der genau einer Einspritzkeule entspricht, also z.B. 360°/6 = 60° bei einer 6Loch-Düse oder 360°/8 = 45° bei einer 8-Loch-Düse. Die Einspritzkeule wird dabei genau mittig in diesen Sektor gelegt, und an den beiden Seiten des Sektors werden rotationssymmetrische Randbedingungen vorgegeben. Das bedeutet, dass alle Stoff-, Energieund Impulsströme, die den Sektor auf der einen Seite verlassen, auf der gegenüberliegenden Seite wieder in den Sektor eintreten. Bild 4-7 zeigt exemplarisch die berechnete Spraykeule eines Nutzfahrzeug-Dieselmotors mit 4-Loch Einspritzdüse und drallbehaftetem Brennverfahren. Es ist zu erkennen, dass die Spray-Tropfen, die den Sektor am unteren Rand verlassen, oben wieder in den Berechnungsraum eintreten.
Bild 4-7 Strahlausbreitung auf einem 90°-Sektor eines Nutzfahrzeug-Dieselmotors mit 4-Loch-Einspritzdüse
96
4 Modellansätze für die Simulation von Gemischbildung und Verbrennung
4.3.3 Dieselmotorische Diffusionsverbrennung Einen relativ einfachen und bei Dieselmotoren häufig verwendeten Ansatz zur Beschreibung der turbulenten Diffusionsverbrennung stellt das sog. Zeitskalen- bzw. EddyBreakup-Modell dar, das ursprünglich für vorgemischte Flammen aufgestellt [10] und später auch für Diffusionsflammen angepasst wurde [11]. Dabei wird die Reaktionsrate, also die zeitliche Änderung der Massenkonzentration ρi einer Spezies i, berechnet, indem die Differenz zwischen der tatsächlichen Massenkonzentration und der Massenkonzentration bei chemischem Gleichgewicht durch eine charakteristische Zeit geteilt wird, die zum Erreichen des Gleichgewichts notwendig ist: eq
ρ − ρi dρi =− i τ char dt
=−
ρi − ρieq τ lam + f ⋅ τ trb
(4.3)
Dabei setzt sich die charakteristische Zeit τchar aus einem laminaren Anteil τlam, der den Einfluss der Reaktionskinetik in Abhängigkeit von Temperatur und Zusammensetzung beschreibt, und aus einem turbulenten Anteil τtrb zusammen. Dieser berücksichtigt, dass sich die Edukte erst auf der Mikroskala durch turbulente Dissipation vermischen müssen, bevor sie reagieren können. Der Verzögerungsfaktor f strebt in Abhängigkeit der lokalen Konzentration der Verbrennungsprodukte von Null nach Eins und kennzeichnet damit den Übergang von der anfänglich vorgemischten zur späteren mischungskontrollierten Verbrennung. Es zeigt sich, dass das Zeitskalen-Verbrennungsmodell geeignet ist, um Umsatz- und Energiefreisetzungsraten bei der dieselmotorischen Verbrennung vorauszuberechnen. Damit ist auch eine zufriedenstellende Vorhersage des Zylinderdruckverlaufs gegeben sowie eine Vorhersage der räumlichen Temperaturverteilung im Brennraum, Bilder 4-8 und 4-9. Allerdings besteht mit dem Zeitskalen- oder Eddy-Breakup-Modell eine sehr starke Abhängigkeit der Brennrate vom eingesetzten Turbulenzmodell, da die turbulente Zeitskala als direkt proportional zum Verhältnis aus turbulenter kinetischer Energie k und deren Dissipationsrate ε berechnet wird: τ trb ~ k / ε . Damit wirken sich Fehler bei der Berechnung der turbulenten Kenngrößen direkt auf die Qualität des Verbrennungsmodells aus. Eine weitere Einschränkung des Zeitskalen-Modells besteht darin, dass nur sehr einfache Reaktionsmechanismen berücksichtigt werden können – in der Regel ein ZweiSchritt-Mechanismus von Kraftstoff über CO zu CO2. Dies ist unter anderem auf die stark vereinfachende Annahme zurückzuführen, dass alle chemischen Reaktionen mit der selben Zeitkonstante τchar auf das chemische Gleichgewicht zustreben. Diese Annahme ist bei komplexen Reaktionsmechanismen nicht mehr gerechtfertigt. Eine Methode, um das turbulente Strömungsfeld in komplexen dreidimensionalen Brennraum-Geometrien mit detaillierter Reaktionskinetik zu kombinieren, ohne dass der dabei resultierende Rechenaufwand inakzeptabel groß wird, stellen die sog. FlameletModelle dar. Für eine genaue Beschreibung sei auf [12] verwiesen.
4.3 CFD-Codes
97
Bild 4-8: Brenn- und Druckverlauf eines mittelschnelllaufenden Großdieselmotors bei 100% Last
Bild 4-9: Temperaturverteilung im Brennraum eines mittelschnelllaufenden Großdieselmotors. n = 750 rpm, 100% Last, 385 °KW
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4 Modellansätze für die Simulation von Gemischbildung und Verbrennung
4.3.4 Ottomotorische Vormischverbrennung Die vorgemischte Verbrennung in homogen betriebenen Ottomotoren ist durch die Ausbreitung einer dünnen Flammenfront gekennzeichnet, die durch die Zündenergie an der Zündkerze initialisiert wird und von dort durch den Brennraum fortschreitet. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit hängt dabei sowohl von der reaktionskinetisch bestimmten laminaren Flammengeschwindigkeit ab als auch ganz entscheidend von der lokal vorherrschenden Turbulenz. Dieser Zusammenhang ist schematisch in Bild 4-10 dargestellt. Die Interaktion der turbulenten Wirbel mit der Flammenfront bewirkt eine Faltung der Flammenfront. Dadurch wird die effektive Oberfläche Al der Flammenfront im Vergleich zur Fläche At der Einhüllenden vergrößert, und das pro Zeiteinheit eingenommene Volumen der Flamme steigt. Damit steigt auch die effektive (turbulente) Flammengeschwindigkeit, d.h. die Geschwindigkeit mit der sich die Einhüllende der Flammenfront ausbreitet. Da es nicht möglich ist, die gefaltete Flammenfront und damit ihre Oberfläche direkt aufzulösen, wird weiterhin mit der kleineren Oberfläche der Einhüllenden At gerechnet. Diese wird zur Bestimmung der Umsatzrate jetzt jedoch mit einer sog. turbulenten Flammengeschwindigkeit multipliziert, die die laminare Flammengeschwindigkeit um genau den Faktor übertrifft, um den die gefaltete Oberfläche größer ist als die Einhüllende. Dieser Faktor kann mit Hilfe von charakteristischen Turbulenzgrößen modelliert werden, z.B. [13]. Er ist damit jedoch wieder stark von der Genauigkeit des verwendeten Turbulenzmodells abhängig.
Bild 4-10: Beschleunigung der Flammenfront durch turbulente Faltung [2]
Die Kenntnis der turbulenten Flammengeschwindigkeit reicht allein noch nicht aus, um den Verbrennungsablauf im Ottomotor vollständig zu charakterisieren. Zusätzlich zur chemischen Umsetzung treten auch konvektive und diffusive Speziestransportströme auf, die die Ausbreitung der Flammenfront beeinflussen. Häufig werden sog. Flame Area Evolution Models eingesetzt, z.B. das „G-Equation Model“ [14] oder das „Coherent Flame Model“ [15]. Bei diesen Modellansätzen wird eine Transportgleichung für die Reaktionsfortschrittsvariable c gelöst, die zwischen Null für unverbranntes und Eins für vollständig verbranntes Gemisch variiert. Diese Transportgleichung erhält die chemische Reaktionsrate als Quellterm, die wiederum von dem Verhältnis von turbulenter zu laminarer Flammengeschwindigkeit beeinflusst wird. Dieses Verhältnis kann entweder wie oben beschrieben durch einen einfachen halb-empirischen Ansatz an charakteristische
4.4 Schadstoffbildung
99
Turbulenzgrößen gekoppelt werden, oder es kann eine weitere Erhaltungsgleichung für die Flammenfrontdichte Σ, d.h. für die laminare Flammenoberfläche pro Volumen, gelöst werden. Dabei bewirken die turbulenten Wirbel durch Flammenfaltung eine Vergrößerung von Σ und damit der turbulenten Flammengeschwindigkeit. Die Verbrennung selbst bewirkt eine Reduzierung von Σ durch Selbst-Annihilation. Die Vorhersagequalität dieser Flame Area Evolution Models ist bei Ottomotoren mit äußerer Gemischbildung sehr zufriedenstellend. Insbesondere können Details der Flamme wie z.B. die Flammenfrontdicke besser beschrieben werden, als dies mit den einfacheren (aber schnelleren) Zeitskalen-Modellen möglich ist, die im vorherigen Abschnitt für die dieselmotorische Verbrennung beschrieben wurden, die aber auch häufig für Ottomotoren eingesetzt werden.
4.4 Schadstoffbildung Die Modellierung der motorischen Schadstoffbildung beschränkt sich heute weitgehend auf Stickoxide und Ruß. Dies liegt zum einen daran, dass diese Komponenten bei Dieselmotoren die größte Herausforderung in Bezug auf die Einhaltung der Schadstoffgrenzwerte darstellen. Andererseits ist aber auch eine Vorhersage und eine genaue Aufschlüsselung der übrigen wesentlichen Schadstoffkomponenten, die fast alle auf einer unvollständigen Verbrennung beruhen (z.B. unverbrannte HC’s, teiloxidierte HC’s, CO etc.) mit heutigen Methoden so gut wie nicht möglich.
4.4.1 Stickoxid-Bildung Die Berechnung der Stickoxidbildung beruht in den meisten Fällen auf der thermischen NO-Bildung, die mit dem erweiterten Zeldovich-Mechanismus beschrieben wird, z.B. [2]. Der größte Anteil der motorischen Stickoxide (bis zu 95% bei konventionellen Brennverfahren) wird über diesen Mechanismus gebildet, dessen Geschwindigkeit exponentiell von der Temperatur abhängt und daher vorwiegend im Bereich der heißen Verbrennungsprodukte abläuft. Der Zeldovich-Mechanismus umfasst lediglich drei Reaktionsgleichungen und erfordert daher nur einen relativ geringen Rechenaufwand. Die Vorhersagequalität bei konventionellen Brennverfahren ist zufriedenstellend unter der Voraussetzung, dass auch der Brennverlauf und die damit verbundene Temperaturverteilung im Motor ausreichend gut abgebildet wird. Der kleinere Anteil der Stickoxide wird unter motorischen Bedingungen durch den sog. Prompt-NO Mechanismus direkt in der Reaktionszone gebildet. Die Reaktionsgeschwindigkeit für diesen Mechanismus ist nicht so sehr von der Temperatur sondern vielmehr von der CH-Konzentration in der Flamme abhängig, die besonders bei Brennstoffüberschuss ansteigt. Die Bestimmung dieser Komponente bei der numerischen Simulation ist jedoch nur mit erheblich größerem Aufwand verbunden, und die Ungenauigkeiten bei der
100
4 Modellansätze für die Simulation von Gemischbildung und Verbrennung
Berechnung sind entsprechend wesentlich größer als beim thermischen NO. Es ist jedoch zu beachten, dass insbesondere bei Brennverfahren mit sehr hoher Abgasrückführung, der Anteil des Prompt-NO gegenüber dem thermischen NO deutlich zunehmen kann, so dass dann eine Modellierung beider Anteile sinnvoll ist.
4.4.2 Rußbildung Die dieselmotorische Rußbildung ist in erster Linie dadurch gekennzeichnet, dass zunächst in den inneren Strahlbereichen unter lokalem Sauerstoffmangel sehr große Mengen an Ruß gebildet werden, die während der späteren Verbrennung aufgrund der besseren Vermischung mit dem Luftsauerstoff und mit OH-Radikalen wieder oxidiert werden. Die Rußkonzentration, die schließlich vom Motor emittiert wird, beträgt oft nur wenige Prozent oder sogar nur Bruchteile eines Prozents der maximalen im Brennraum auftretenden Konzentration, Bild 4-11. Zur Beschreibung dieser Phänomene existieren zwei Klassen von Rußmodellen: die quasi-globalen Modelle, die die Bildung und Oxidation mit wenigen globalen Reaktionsschritten beschreiben (im einfachsten Fall eine Gleichung für die Bildung und eine für die Oxidation), und die detaillierten Modelle, die auch die Abläufe auf Molekularebene genauer auflösen.
Bild 4-11 Charakteristischer zeitlicher Verlauf der Rußkonzentration im Brennraum
Erwartungsgemäß sind die quasi-globalen Modelle auf eine genaue Anpassung von empirischen Parametern für den jeweils zu beschreibenden Anwendungsfall angewiesen. Mit detaillierten Modellen konnten dagegen unter vereinfachten Randbedingungen, z.B. in stationären Diffusionsflammen, sehr gute Ergebnisse auch im Sinne von Vorausberechnungen erzielt werden [16]. Für motorische Anwendungen ist die Vorhersagegenauigkeit dieser komplexen Modelle allerdings oft nur wenig besser als die der quasi-globalen, weil sich durch den oben beschriebenen zeitlichen Ruß-Konzentrationsverlauf im Motor ein generelles mathematisches Problem ergibt. Die endgültige Rußemission ist nur eine sehr kleine Differenz zwischen zwei großen Werten, nämlich der Bildung und der Oxidation. Damit sind bezogen auf die kleine Differenz stets sehr große relative Fehler zu erwarten, selbst wenn die beiden großen Werte mit zufriedenstellender Genauigkeit berechnet werden. Insgesamt ist der heutige Stand der Rußmodellierung so zu bewerten, dass qualitative Trends über Verbesserungen oder Verschlechterungen vorausgesagt werden können. Bei quantitativen Vorausberechnungen über die Rußkonzentration im Abgas können jedoch leicht Fehler um den Faktor 2 auftreten.
4.5 Zusammenfassung
101
4.5 Zusammenfassung Die Modellierung von Gemischbildung und Verbrennung wird für Parameterstudien im Rahmen der Motorvorauslegung, zur Abbildung komplexer, aus mehreren Teilsystemen bestehender Antriebssysteme und zur Detailanalyse von Experimenten eingesetzt. Je nach Aufgabenstellung kommen dabei nulldimensionale, phänomenologische oder multidimensionale CFD-Codes zum Einsatz, die sich in Modelltiefe und Speicherplatz- bzw. Rechenzeitanforderungen stark unterscheiden. Die nulldimensionalen Modelle sind aufgrund kurzer Rechenzeiten besonders für schnelle Brennverlaufsanalysen, umfangreiche Parameterstudien und zur Abbildung transienter Betriebszustände geeignet. Phänomenologische Modelle können darüber hinaus die Wärmefreisetzung und in Grenzen die Schadstoffbildung in Abhängigkeit der Haupt-Einflussparameter voraussagen. Multidimensionale CFD-Codes werden dagegen bevorzugt zur Detailanalyse von Experimenten eingesetzt, da mit ihnen jede Prozessvariable an jeder beliebigen Position des Brennraums ausgewertet werden kann, wodurch ein genaues Verständnis der komplexen Zusammenhänge während der Verbrennung erleichtert wird.
Literatur [1]
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102
4 Modellansätze für die Simulation von Gemischbildung und Verbrennung
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103
5 Mittelwert- und Arbeitstaktsynchrone Simulation von Dieselmotoren SEBASTIAN ZAHN
Getrieben durch die immer restriktiveren Anforderungen an das Emissions- und Verbrauchsverhalten moderner Verbrennungsmotoren steigt die Komplexität von Motormanagementsystemen mit jeder Modellgeneration an. Damit geht nicht nur eine Zunahme des Softwareumfangs von Steuergeräten sondern zugleich ein deutlicher Anstieg des Applikations-, Vermessungs- und Testaufwandes einher. Zur Effizienzsteigerung des Software- und Funktionsentwicklungsprozesses haben sich daher in der Automobilindustrie sowie in Forschungsinstituten verschiedene modell- und simulationsbasierte Methoden wie die Model-in-the-Loop (MiL) Simulation, die Software-in-the-Loop (SiL) Simulation, das Rapid Control Prototyping (RCP) sowie die Hardware-in-the-Loop (HiL) Simulation etabliert. In diesem Beitrag steht die Hardware-in-the-Loop Simulation im Vordergrund. Sie ist zu einem Standard für den Test der Steuergeräte-Funktionalität einschließlich der OBDFunktionen geworden. Daneben gewinnt auch die HiL-basierte Bedatung von Steuergeräten zunehmend an Bedeutung [1]. Führt man sich vor Augen, dass der Applikationsprozess je nach Antriebskonzept bis zu 27 Monate betragen kann [2], birgt die Vor- bzw. Endbedatung im Labor ein großes Potential. Je nach vorhandener Infrastruktur kann ein HiL-Simulator zudem in Kombination mit einem RCP-System zur Funktionsentwicklung im Steuergerätebypass genutzt werden. Der Kern eines jeden HiL-Testsystems für Motorsteuergeräte ist ein Simulationsmodell des Verbrennungsmotors. Hierbei können zwei Klassen unterschieden werden. Für den Test konventioneller Motormanagementsysteme mit einer kennfeldbasierten Steuerung der Verbrennung werden sogenannte Mittelwertmodelle (mean value engine model, MVEM) verwendet. Diese vernachlässigen die zyklische Arbeitsweise der Verbrennungskraftmaschine und bilden die Prozessgrößen (Drehmoment, Luftmassenstrom etc.) über ein Arbeitsspiel gemittelt ab. Zur Entwicklung und zum Test zukünftiger Steuergeräte, die über zylinderdruckbasierte Funktionen zur Verbrennungsregelung verfügen, sind hingegen arbeitstaktsynchrone Motormodelle (crank angle synchronous engine model, CASEM) erforderlich. Diese berechnen innermotorische Größen wie den Zylinderdruck kurbelwinkelsynchron und zylinderindividuell und stellen sie dem Steuergerät im geschlossenen Kreis zur Verfügung. Mit der Kenntnis der kurbelwinkelaufgelösten Luftmassenströme durch die Ein- und Auslassventile wird darüber hinaus der Entwurf von Steuergerätefunktionen für Motoren mit (voll-)variablen Ventiltrieben deutlich vereinfacht.
104
5 Mittelwert- und Arbeitstaktsynchrone Simulation von Dieselmotoren
Bild 5-1: Konfiguration des Luft- und Abgaspfades
Die Modellentwicklung für HiL-Anwendungen ist von einem Trade-Off zwischen Modellgüte, Rechenbedarf und Parametrierungsaufwand geprägt. Zum einen muss das Modell die Forderung nach einer korrekten physikalischen Nachbildung des realen Motors erfüllen. Zum anderen bedingt der Betrieb im geschlossenen Kreis mit dem Steuergerät die harte Echtzeitfähigkeit des Motormodells. Letzterer Punkt grenzt die Menge der möglichen Modellansätze stark ein. Der erforderliche Parametrierungsaufwand entscheidet schließlich über einen produktiven Einsatz der HiL-Methodik im Entwicklungsprozess. Eine Effizienzsteigerung innerhalb der Software- und Funktionsentwicklung (speziell im Applikationsprozess) ist dabei an die frühe Verfügbarkeit und schnelle Gewinnung der Modellparameter mittels weniger Prüfstandsmessungen geknüpft. Als Lösung des vorgenannten Zielkonfliktes können weitestgehend parametrische Modelle auf Basis physikalischer Gesetzmäßigkeiten angesehen werden. Im Folgenden werden ein Mittelwertmodell sowie ein arbeitsspielaufgelöstes Modell eines Vierzylinder-Pkw-Dieselmotors vorgestellt. Eine Anpassung der Modelle an Ottomotoren ist ohne großen Aufwand möglich. Nach der Beschreibung der Modellgleichungen wird am Beispiel des HiL-Simulators des Instituts für Automatisierungstechnik auf den typischen Aufbau eines HiL-Testsystems eingegangen. Ein Vergleich von Mess- und Simulationsdaten komplettiert das Kapitel.
5.1 Mittelwert-Motormodell Das Mittelwertmodell untergliedert sich in Untermodelle für den Luft- und Abgaspfad, den Abgasturbolader sowie die Zylindergruppe. Der Kraftstoffpfad sowie das Kühlsystem werden zur Minimierung des Rechenaufwandes nur soweit nachgebildet, wie es für den Betrieb eines Steuergeräts im geschlossenen Kreis unbedingt erforderlich ist.
5.1 Mittelwert-Motormodell
105
Tabelle 5-1: Modellansätze zur Berechnung des Luft- und Abgaspfades 0D-Modelle
1D-Modelle
3D-Modelle
Vertreter
quasi-stationäre Methode, Füll- und Entleermethode
Charakteristikenmethode, Differenzenverfahren
CFD-Ansätze
Strömungsvorgänge
(quasi-) stationär
instationär
instationär
Modellkomplexität
gering
hoch
sehr hoch
Rechenzeit
klein
mittel
groß
Echtzeitfähigkeit
ja
nein
nein
Anwendung
Regelungsentwurf, HiL-Simulation, Diagnose, Parameterstudien
Parameterstudien, Motorentwicklung
Motorentwicklung
5.1.1 Luft- und Abgaspfad Bild 5-1 zeigt die typische Konfiguration des Luft- und Abgaspfades eines modernen DIDieselmotors einschließlich der wichtigsten Mess- und Stellgrößen. Der Motor ist mit einem Abgasturbolader mit variabler Turbinengeometrie (VTG), einem Ladeluftkühler sowie einer externen Abgasrückführung ausgestattet. Zur Modellierung des Systems stehen verschiedene Modellansätze zur Verfügung, die in Tabelle 5-2 zusammengefasst sind [3, 4, 5]. Für HiL-Anwendungen scheiden ein- und dreidimensionale Verfahren wegen ihres großen Rechenbedarfs und der fehlenden Echtzeitfähigkeit aus. Als Standard hat sich hier der Ansatz konzentrierter Parameter (Füll- und Entleermethode) durchgesetzt. Dieser beschreibt den Luft- und Abgaspfad als eine alternierende Abfolge von Speicherbausteinen (Saugrohr, Abgaskrümmer, Luftleitungen) und Drosselstellen (Ventile, Filter,… ). Eingangsgrößen der Behälterbausteine sind neben den zu- und abfließenden Massenströmen die spezifische Enthalpie sowie die Gaszusammensetzung der Zuströme. Ausgangsgrößen sind Behältertemperatur und -druck sowie die behälterinterne Gaszusammensetzung. In die Drosselersatzmodelle gehen neben der Temperatur des anströmenden Gases die Drücke in den vor und nach der Drossel angeordneten Speicherelementen ein. Zu den Ausgangsgrößen zählen der austretende Massenstrom sowie die spezifische Enthalpie der Gasströmung. Bild 5-2 zeigt den sich ergebenden Signalflussplan der Luft- und Abgasführung. Im Vorgriff auf die Abschnitte 5.1.2 und 5.1.3 sind in der Abbildung bereits das Turboladermodell sowie das Modell der Zylindergruppe dargestellt
a) Ersatzmodell Behälter Die Speicherelemente im Luft- und Abgaspfad wie z.B. verschiedene Abschnitte der Luft- und Abgasleitung können im allgemeinen Fall als instationäres offenes thermodynamisches System mit p Massen- und Enthalpiezuflüssen und q Massen- und Enthalpieabflüssen betrachtet werden. Die Massenbilanz ist gegeben durch dmBeh = dt
p
q
i =1
j =1
¦ m zu,i −¦ m ab,j .
(5.1)
106
5 Mittelwert- und Arbeitstaktsynchrone Simulation von Dieselmotoren
Bild 5-2: Signalflussplan der Luft- und Abgasführung (Ursache-Wirkungsplan)
Aus dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik folgt unter Vernachlässigung der kinetischen Energie der Gasströme dU Beh = dt
p
q
i =1
j =1
¦ hzu,i m zu,i −¦ hab,jm ab,j + Q GW .
(5.2)
Die Änderung der inneren Energie U setzt sich demnach aus der Summe der zufließenden Enthalpieströme, der Summe der abfließenden Enthalpieströme und dem Wandwärmestrom Q GW zusammen. Die innere Energie U sowie die spezifischen Enthalpien hzu und hab werden über einen Polynomansatz nach Justi [6] in Abhängigkeit der Gastemperatur und des Verbrennungsluftverhältnisses bestimmt. Die Beschreibung der Wandwärmeverluste erfolgt über den Newton’schen Ansatz Q GW = α GW AGW (TW − TG ) mit TG = TBeh .
(5.3)
Dabei bezeichnet αGW den Wärmeübergangskoeffizienten, AGW die Wärmeaustauschfläche und TW die mittlere Wandtemperatur. Sie wird über ein dynamisches Wandtemperaturmodell ermittelt. Löst man die Massenbilanz Gl. (5.1) nach der Gasmasse mBeh und die Energiebilanz Gl. (5.2) nach der Behältertemperatur TBeh auf, so ergibt sich der Behälterdruck aus der idealen Gasgleichung zu
5.1 Mittelwert-Motormodell
pBeh =
107
R mBehTBeh . VBeh
(5.4)
Hier steht VBeh für das Behältervolumen und R für die spezifische Gaskonstante. Als Zustandsgröße zur Charakterisierung der momentanen Gaszusammensetzung im Behälter wird der Luftmassenanteil xBeh = mL,Beh / mBeh eingeführt, der als Verhältnis der im Behälter eingeschlossenen Luftmasse mL,Beh zu der gesamten gespeicherten Gasmasse mBeh definiert ist. Die Zustandsdifferentialgleichung kann zu dxBeh 1 = dt mBeh
ª p º « ( xi − xBeh ) m zu,i » «¬ i =1 »¼
¦
(5.5)
bestimmt werden, wobei xi den Luftmassenanteil der zuströmenden Massenströme bezeichnet. Das für die Berechnung der spezifischen inneren Energie notwendige (lokale) Verbrennungsluftverhältnis ergibt sich aus λBeh =
xBeh , Lst (1 − xBeh )
(5.6)
wobei Lst für den stöchiometrischen Luftbedarf steht (Lst ≈ 14,5). Die Gln. (5.1) bis (5.6) gelten allgemein für alle Speicherbausteine des Luft- und Abgaspfades. Im Falle der luftführenden Komponenten des Einlasssystems können die Beziehungen allerdings vereinfacht werden: Aufgrund des niedrigen Temperaturniveaus sind Wandwärmeverluste vernachlässigbar ( Q GW = 0 ). Zudem können die innere Energie UBeh sowie die spezifischen Enthalpien hzu und hab mittels konstanter spezifischer Wärmekapazitäten (cp,L, cv,L) gemäß UBeh = cv,L TBeh mBeh bzw. hzu/ab = cp,L Tzu/Beh abgeschätzt werden.
b) Ersatzmodell Drossel Die Druckdifferenz zweier benachbarter Behälter ruft einen Massenstrom durch die dazwischenliegende Drosselstelle hervor, dessen Größe vom Strömungswiderstand der Drossel abhängt. Zur Berechnung des Massenstroms werden die Durchflussgleichungen für reibungsbehaftete, inkompressible Strömung m Dr = μ ⋅ Abez ⋅
2 ⋅ pzu R ⋅ Tzu
pzu − pab
(5.7)
bzw. reibungsbehaftete, kompressible Strömung m Dr = μ ⋅ Abez ⋅
pzu R ⋅ Tzu
2 κ +1 º 2κ ª «( Π ) κ − ( Π ) κ » κ − 1 «¬ »¼
κ º º ª ª pab § 2 · κ −1 » » « « mit Π = min « max « ,¨ ¸ » ,1» pzu © κ + 1 ¹ « « »¼ »¼ ¬ ¬
(5.8)
108
5 Mittelwert- und Arbeitstaktsynchrone Simulation von Dieselmotoren
herangezogen. Dabei bezeichnet μ den Durchflussbeiwert, Abez einen geometrischen Bezugsquerschnitt und κ den Isentropenexponenten von Luft bzw. Verbrennungsgas. Aufgrund der niedrigen Strömungsgeschwindigkeiten und des niedrigen Druckabfalls werden Drosselstellen mit konstantem Öffnungsquerschnitt wie der Luftfilter, die Kühler sowie der Abgastrakt durch Gl. (5.7) beschrieben. Drosselstellen mit variabler Querschnittsfläche (Drosselklappe, AGR-Ventil) werden mit Gl. (5.8) modelliert. Hier treten insbesondere für kleine Stellpositionen hohe Strömungsgeschwindigkeiten (Ma > 0,3) und große Differenzdrücke auf. Als Bezugsquerschnitt Abez wird für die letztere Gruppe der aus Geometriebeziehungen bestimmte Öffnungsquerschnitt Ageo in Abhängigkeit des normierten Stellwegs s eingesetzt. Unter Annahme einer nahezu isenthalpen Expansion gilt unter Vernachlässigung der kinetischen Energien am Drosselein- und austritt hab = hzu .
(5.9)
Beim Ladeluft- und AGR-Kühler kommt es durch die Wärmeübertragung zu einer Enthalpieminderung, die durch hab = hzu + qK mit qK < 0
(5.10)
ausgedrückt werden kann. Die abgeführte, spezifische Wärme qK wird über ein vereinfachtes Wärmetauschermodell bestimmt.
5.1.2 Turbolader Die komplexen Vorgänge in den beiden Strömungsmaschinen des Abgasturboladers werden heute im Rahmen der Simulationsrechnung üblicherweise durch Kennfelder beschrieben, welche von den Turboladerherstellern zur Verfügung gestellt werden. Die Kennfelder werden unter stationären Bedingungen (stationäre Gasströmung, konstante Gastemperaturen) auf Heißgasprüfständen separat für Verdichter und Turbine ermittelt. Sie liegen zumeist nur für mittlere bis hohe Turboladerdrehzahlen vor. Die Herstellerkennfelder sind damit kaum geeignet, die realen Gegebenheiten bei der Kopplung des Abgasturboladers an den Verbrennungsmotor (pulsierender Massenstrom, variierende Abgastemperatur, sehr niedrige Turboladerdrehzahlen, erhöhter Abgasgegendruck durch Abgasnachbehandlungssysteme) widerzuspiegeln. Zu den Schwächen der klassischen kennfeldbasierten Modellierung gehört zudem die Annahme adiabater Zustandsänderungen in den Strömungsmaschinen, die – wie bereits mehrere Untersuchungen gezeigt haben [7 – 9] – nicht gerechtfertigt ist. Der Wärmefluss von der heißen Turbinenseite zur kalten Verdichterseite wirkt sich insbesondere bei kleinen Massenströmen und niedrigen Turboladerdrehzahlen auf das Prozessverhalten aus. Als Beitrag zur Erhöhung der Simulationsgüte wird hier ein alternativer Ansatz präsentiert, der die Strömungsmaschinen physikalisch, auf Basis der eindimensionalen Stromfadentheorie [10, 11] modelliert. Das thermische Verhalten wird dabei explizit mittels eines Wärmeübergangsmodells berücksichtigt. Um die realen Bedingungen beim Betrieb des
5.1 Mittelwert-Motormodell
109
Turboladers am Verbrennungsmotor zu beschreiben, wird das Modell mit Messdaten vom Motorenprüfstand (anstelle von Messdaten vom Heißgasprüfstand) parametriert. a) Verdichtermodell Wie zuvor angemerkt ruft der Temperaturgradient zwischen der Turbinen- und der Verdichterseite einen Wärmeeintrag in den Verdichter hervor. Die Wärmezufuhr an die Ansaugluft erfolgt dabei über den gesamten Strömungspfad des Verdichters. Zur Reduktion der Modellkomplexität wird auf eine örtlich aufgelöste Modellierung der Wärmeübertragung verzichtet. Stattdessen wird die übertragene Wärmemenge in zwei Anteile qV =
Q V = qVE + qVA m V
(5.11)
aufgespalten, die dem (modellierten) Luftstrom konzentriert an zwei Stellen des Strömungspfades aufgeprägt werden [8, 9, 12]. Die spezifische Wärme qVE entspricht dem Wärmeanteil der am Verdichtereintritt d.h. vor dem eigentlichen Kompressionsprozess zugeführt wird. Dahingegen ist qVA der Wärmeanteil, der am Verdichteraustritt von der Luft aufgenommen wird. Beide Wärmeübertragungsprozesse werden als isobar betrachtet. Der Verdichtungsprozess selbst wird als irreversibel adiabat angenommen. Bild 5-3 zeigt das h-s-Diagramm. Der Index „t“ steht für totale Größen. Mit dem Sternsymbol „*“ sind Zustandsgrößen vor der eintrittsseitigen Wärmezufuhr qVE bzw. nach der austrittsseitigen Wärmezufuhr qVA gekennzeichnet. Diese Größen bilden auch die Schnittstelle zum Luft- und Abgaspfadmodell.
Bild 5-3 Diabater Verdichtungsprozess im h-s-Diagramm
Die Änderung der Totalenthalpie ΔhVt,adi entspricht der dem Verdichterlaufrad zugeführten technischen Arbeit aV. Diese kann über die aus dem Drehimpulssatz abgeleitete Hauptgleichung der Turbomaschinen nach Euler berechnet werden: aV = uV2 cV2,u − uV1 cV1,u .
(5.12)
Hierbei stehen uV1 und uV2 für die Umfangsgeschwindigkeiten des Laufrades und cV1,u und cV2,u für die Umfangskomponenten der Absolutströmung an der Saug- bzw. Druckkante des Laufrades. Die Strömungsverhältnisse sind aus den Geschwindigkeitsplänen in Bild 5-4 ersichtlich. Radseitenreibung wird in Gl. (5.12) vernachlässigt.
110
5 Mittelwert- und Arbeitstaktsynchrone Simulation von Dieselmotoren
Bild 5-4: Geschwindigkeitsdreiecke des Verdichters; a) Laufradeintritt, b) Laufradaustritt
Geht man vom Regelfall drallfreier Zuströmung aus (cV1,u = 0) so vereinfacht sich die Hauptgleichung zu aV = uV2 cV2,u .
(5.13)
Die Umfangsgeschwindigkeit am Laufradaustritt ist durch uV2 = π d V2 nATL
(5.14)
gegeben, wobei dV2 den Laufradaußendurchmesser angibt. Aus Bild 5-4 kann die Umfangskomponente der Absolutströmung an der Laufraddruckkante zu cV2,u = μ cV2,u,th = μ (uV2 + cV2,m cot β V2,S )
(5.15)
bestimmt werden. Der Minderleistungsfaktor μ beschreibt dabei die Abweichung des realen Relativströmungswinkels βV2 vom geometrischen Laufschaufelwinkel βV2,S am Laufradaustritt. In der Literatur sind zahlreiche Ansätze zur Berechnung des Minderleistungsfaktors aufgeführt. Hier wird ein klassischer Ansatz nach Stodola [13] verwendet, welcher um einen Korrekturterm erweitert wird. Unter Vernachlässigung der Schaufelversperrung bestimmt sich die Meridiankomponente der Absolutgeschwindigkeit cV2,m in Gl. (5.15) mittels der Kontinuitätsgleichung zu cV2,m =
m V
ρ V2 π d V2 bV2
.
(5.16)
Dabei steht ρV2 für die spezifische Dichte und bV2 für die Laufradbreite (Kanalbreite) am Laufradaustritt. Einsetzen von Gln. (5.14), (5.15) und (5.16) in Gl. (5.13) liefert für die Verdichterleistung § · m n PV = m V aV = μ m V ¨ (π d V2 nATL ) 2 + V ATL cot β V2,S ¸ . ρ b V2 V2 © ¹
(5.17)
5.1 Mittelwert-Motormodell
111
Ist die Leistung PV bekannt, so kann die spezifische Enthalpie am Verdichteraustritt durch Umstellen der Energiebilanz ǻhVt,dia* = hV5t* − hV0t* = qVE + ǻhVt,adi + qVA
(5.18)
zu hV ≈ hV5t* = hV0t* +
PV + Q V . m V
(5.19)
berechnet werden. Die spezifische Enthalpie am Verdichtereintritt ergibt sich aus der Temperatur des anströmenden Gases gemäß hV0t* = cp,LTV0t* ≈ cp,LT1. Als letzte Ausgangsgröße ist der Verdichtermassenstrom zu bestimmen. Da dieser als nahezu unbeeinflusst von Wärmeübertragungseffekten angesehen werden kann, wird hier ein klassischer Kennfeldansatz §p · m V,bez = f KF ¨ V5t , nATL,bez ¸ © pV0t ¹
(5.20)
in Abhängigkeit des Totaldruckverhältnisses und der Turboladerdrehzahl gewählt. Der Index „bez“ kennzeichnet auf Referenzbedingungen (pRef, TRef) bezogene Größen. b) Turbinenmodell Ähnlich zur Vorgehensweise beim Verdichter wird die Zustandsänderung in der Turbine als Kombination einer isobaren Wärmeabfuhr vor der Entspannung (Wärmeanteil qTE), einer irreversibel adiabaten Expansion und einer isobaren Wärmeabfuhr nach dem Entspannungsprozess (Wärmeanteil qTA) beschrieben. Für die spezifische Schaufelarbeit erhält man wiederum aus der Euler'schen Kreiselradhauptgleichung (T3: Laufradeintritt, T4: Laufradaustritt) aT = uT4 cT4,u − uT3 cT3,u = −uT3 cT3,u
(5.21)
Dabei wird drallfreie Abströmung am Laufradaustritt angenommen (Bild 5-5). Für die Umfangsgeschwindigkeit am Laufradeintritt gilt uT3 = π d T3 nATL ,
wobei dT3 den Außendurchmesser des Turbinenlaufrades angibt.
Bild 5-5: Geschwindigkeitsdreiecke der Turbine; a) Laufradeintritt b) Laufradaustritt
(5.22)
112
5 Mittelwert- und Arbeitstaktsynchrone Simulation von Dieselmotoren
Die Umfangskomponente der Absolutgeschwindigkeit cT3,u wird anders als beim Verdichter über den Absolutströmungswinkel αT3 bestimmt: cT3,u =
cT3,m tan ĮT3
= cT3,m cot ĮT3 .
(5.23)
Der Strömungswinkel αT3 ist maßgeblich durch die Position der verstellbaren Leitschaufeln vorgegeben, welche durch den Anstellwinkel αVTG ausgedrückt wird. Der Anstellwinkel lässt sich aus einem Geometriemodells des Leitrades als Funktion des normierten Stellwegs sVTG ableiten. Einsetzen von Gln. (5.22) und (5.23) in Gl. (5.21) liefert zusammen mit der Kontinuitätsgleichung gemäß cT3,m =
m T ρT3 π d T3 bT3
(5.24)
die gesuchte Beziehung für die Turbinenleistung PT = m T aT = −
m T 2 nATL cot α T3 . ρT3 bT3
(5.25)
Hier steht ρT3 für die spezifische Dichte und bT3 für die Laufradbreite (Kanalbreite) am Laufradeintritt. Analog zur Verdichterseite folgt für die spezifische Enthalpie am Turbinenaustritt hT ≈ hT5t* = hT0t* +
PT + Q T . m T
(5.26)
Der Turbinenmassenstrom wird über die Durchflussgleichung für kompressible Strömung, Gl. (5.8), berechnet.
c) Wärmeübergangsmodell Mit Hilfe des Wärmeübergangsmodells werden die Wärmeabgabe der Turbine ( Q T ) sowie der Wärmeeintrag in den Verdichter ( Q V ) nachgebildet. Um den Rechenaufwand zu begrenzen, werden die komplexen Wärmeübertragungsmechanismen im Turbolader durch einen vereinfachten Ansatz gemäß Bild 5-6 beschrieben. Eine Wärmeübertragung zwischen Turbine und Verdichter durch natürliche Konvektion und durch Strahlung wird dabei ebenso vernachlässigt wie die Wärmeleitung in der Turboladerwelle. Der von der Turbine abgeführte Wärmestrom Q T = Q T-U + Q T-L
(5.27)
setzt sich aus einem Wärmestrom an die Umgebung Q T-U und einem Wärmestrom an das Lagergehäuse Q T-L zusammen. Der Wärmestrom ins Lagegehäuse spaltet sich wiederum in einen Anteil auf, der in den Verdichter eingetragen wird, einen Verlustanteil an die Umgebung sowie einen Anteil, der an das Lageröl übergeht:
5.1 Mittelwert-Motormodell
Q T-L = Q L-V + Q L-U + Q L-Öl .
113
(5.28)
Im Falle des Verdichters werden Wärmeverluste an die Umgebung vernachlässigt, so dass gilt: Q V = Q L-V .
(5.29)
Die Berechnung der einzelnen Teilströme in den Gln. (5.27) bis (5.29) kann an dieser Stelle aus Platzgründen nicht ausführlich dargestellt werden. Es sei auf die Arbeiten von Bohn [14] und Shaaban [9] verwiesen. Die Bedatung des Wärmeübergangsmodells basiert auf dem Vergleich einer stationären Kalt- und Heißmessung am Motorenprüfstand.
Bild 5-6 Schematische Darstellung der Wärmeströme im Turbolader
d) Laufzeugmodell Die Dynamik des Turboladers ist durch die Massenträgheit des Laufzeugs bedingt. Unter Anwendung des Drehimpulssatzes ergibt sich für die Turboladerdrehzahl 2
§ 1 · PT + PV + PR . nATL = − ¨ ¸ © 2π ¹ nATL J ATL
(5.30)
Hierbei steht JATL für das Trägheitsmoment des Laufzeugs und PR für die Reibleistung der Wellenlager. Die Reibleistung wird mittels physikalischer Reibmodelle für die hydrodynamisch geschmierten Radial- und Axialgleitlager des Turboladers berechnet.
5.1.3 Zylindergruppe Wie bereits zu Beginn erläutert, beschreibt ein Mittelwertmodell den Arbeitsprozess eines Verbrennungsmotors stark vereinfacht. Die Ausgangsgrößen des Zylindermodells stellen über ein Arbeitsspiel und über alle Zylinder gemittelte Werte dar.
114
5 Mittelwert- und Arbeitstaktsynchrone Simulation von Dieselmotoren
a) Motordrehmoment Das Motordrehmoment ist für einen Viertaktmotor durch M Mot =
zVh ( pmi − pmr ) 4π
(5.31)
gegeben, wobei z für die Zylinderzahl und Vh für das Zylinderhubvolumen steht. Die Berechnung des indizierten Mitteldrucks pmi erfolgt über den Innenwirkungsgrad ηi gemäß pmi =
ηi mB H u Vh
.
(5.32)
Hier bezeichnet mB die Einspritzmenge pro Hub und Hu den unteren Kraftstoffheizwert. Der Innenwirkungsgrad ηi ist von der Motordrehzahl, der Gaszusammensetzung und dem Einspritzwinkel abhängig. Im betrachteten Betriebsbereich kann der Einfluss des Einspritzwinkels vernachlässigt werden, so dass näherungsweise ηi = f KF ( nMot , mB , mL )
(5.33)
gilt, wobei mL die Luftmasse pro Hub angibt. Die Bestimmung des Reibmitteldrucks pmr in Gl. (5.31) erfolgt über einen Ansatz nach Schwarzmeier [15]. Für den Test und die Entwicklung von Steuergerätefunktionen, die das Drehzahlsignal auswerten (z.B. Laufruheregelung/Zylindergleichstellung), reicht es nicht aus, ein über ein Arbeitsspiel konstantes Motormoment auszugeben. Für diese Anwendungen ist eine Modellerweiterung notwendig, die den qualitativen Verlauf des Drehmoments über dem Kurbelwinkel nachbildet. In der Regel erfolgt dies über einfache mathematische Formfunktionen z.B. nach Sinsel [16], welche auf das mittlere Drehmoment aufmoduliert werden. b) Zylinderfüllung Das Ansaugverhalten des Motors kann über das Modell einer volumetrischen Pumpe beschrieben werden. Der angesaugte Luftmassenstrom ergibt sich zu m Mot =
1 1 p2E , ȜA nMot zVh ȡ2E = ȜA nMot zVh RVG T2E 2 2
(5.34)
wobei λA für den Luftaufwand, p2E für den Ladedruck und T2E für die Ladelufttemperatur steht. Der Luftaufwand charakterisiert die Strömungsverluste im Einlassventilbereich und im Zylinder und wird als Kennfeld in Abhängigkeit der Motordrehzahl, des Ladedrucks und des Abgasgegendrucks aus Messdaten identifiziert ȜA = f KF ( nMot , p2E , p3 ) .
(5.35)
c) Abgasenthalpie Die Enthalpie des Abgases unmittelbar hinter den Auslassventilen folgt aus der Enthalpiebilanz hA = h2E + ǻh .
(5.36)
5.2 Arbeitstaktsynchrones Motormodell
115
Die Enthalpiezunahme Δh wird dabei durch ein Kennfeld ǻh = f KF (nMot , mB , mL )
(5.37)
approximiert. Wie beim Innenwirkungsgrad wird die Abhängigkeit vom Einspritzwinkel an dieser Stelle nicht berücksichtigt.
5.2 Arbeitstaktsynchrones Motormodell 5.2.1 Luft- und Abgaspfad Arbeitstaktsynchrone Motormodelle unterscheiden sich von den Mittelwertmodellen zum einen durch eine deutlich detailliertere, physikalische Beschreibung der zylinderinternen Vorgänge einschließlich des Ladungswechsels, zum anderen durch eine wesentlich höhere zeitliche Auflösung. Der damit verbundene Anstieg der Rechenlast lässt in der Regel keine Erhöhung der Modelltiefe des Luft- und Abgaspfadmodells sowie des Turboladermodells zu, so dass die in den Kap. 5.1.1 und 5.1.2 aufgeführten Modellansätze für die arbeitsspielaufgelöste Simulation übernommen werden. Als unabhängige Variable der Modellgleichungen kann dabei entweder die Zeit t oder der Kurbelwellenwinkel ϕ gewählt werden. Die Umrechnung ist durch ϕ = ωMot ⋅ t , dϕ = ωMot ⋅ dt
(5.38)
gegeben, wobei ωMot für die Winkelgeschwindigkeit der Kurbelwelle steht. Um die Rechenkapazität des Echtzeitrechnersystems voll auszuschöpfen und die Simulation von Motorstartvorgängen (Δϕ = 0) zu ermöglichen, wird der Zeit t an dieser Stelle der Vorzug gegeben. Bedingt durch die im Vergleich zu einem Mittelwertmodell deutlich verkürzte Simulationsschrittweite (ΔtCASEM ≈ 0,1 ΔtMVEM) können mit einem arbeitsspielaufgelösten Motormodell auch die durch den zyklischen Arbeitsprozess hervorgerufenen Schwingungen im Ansaug- und Abgastrakt nachgebildet werden. Bild 5-7 zeigt beispielhaft simulierte Verläufe des Ladedrucks sowie der Turboladerdrehzahl über dem Kurbelwinkel.
Bild 5-7: Simulierte Verläufe von a) Ladedruck und b) Turboladerdrehzahl über dem Kurbelwinkel, Arbeitspunkt nMot = 1450 1/min, qb = 7 mm3
116
5 Mittelwert- und Arbeitstaktsynchrone Simulation von Dieselmotoren
5.2.2 Zylindergruppe Zur Simulation des motorischen Innenprozesses werden verschiedene Modellierungsverfahren eingesetzt, die sich grob in empirische, phänomenologische und dreidimensionale Ansätze untergliedern lassen (Tabelle 5-2) [17 – 19]. Aufgrund der geringen Rechenleistung von Echtzeitrechnersystemen kommen für die HiL-Simulation nur empirische Modelle in Frage. Eine Ausnahme bilden nulldimensionale phänomenologische Ansätze, die ebenfalls eine Berechnung des Verbrennungsprozesses in Echtzeit erlauben. Eine Einschränkung stellt hier allerdings die erforderliche genaue Kenntnis des Einspritzverlaufs dar. Aus diesem Grunde wird der Klasse der empirischen Modelle der Vorzug gegeben, und ein Einzonenmodell angesetzt. Tabelle 5-2: Modellansätze zur Berechnung des motorischen Innenprozesses empirische Modelle
phänomenolog. Modelle
Dimensionen
0
0–2
3D-Modelle 3
Zonen
1–2
eine bis mehrere hundert Zonen
50.000 bis 2.000.000
Verbrennungsprozess
Ersatzbrennverlauf (Vibe, Doppel-Vibe, Polygon-Hyperbel,…)
Strahlausbreitung, Gemischbildung, einf. Reaktionskinetik
CFD, komplexe Reaktionskinetik
Modellkomplexität
gering/ erhöht
hoch
sehr hoch
Rechenzeit für ein ASP
Millisekunden
Millisekunden bis
Minuten bis Tage
Echtzeitfähigkeit
ja/ nein
(ja)/ nein
nein
Anwendung
Regelungsentwurf, HiL-Simulation, Diagnose, Parameterstudien
Brennverfahrensentwicklung, Parameterstudien
Brennverfahrensentwicklung, Grundlagenforschung
Minuten
a) Grundgleichungen des Einzonenmodells Die Beschreibung des als homogen durchmischt betrachteten Systems lehnt sich an die Modellierung der Behälter im Luft- und Abgaspfad an (Kap. 5.1.1) und beruht auf der Bilanzierung von Masse, Energie und Gaszusammensetzung. Als Bilanzraum wird der durch den Zylinderkopf, die Zylinderwandung und den Kolben begrenzte, zyklisch volumenveränderliche Brennraum festgelegt (Bild 5-8). Unter Berücksichtigung von Rückströmvorgängen über das Ein- und Auslassventil ergibt sich die Massenbilanz für einen Zylinder zu dmZ = m EV,vor + m AV,rück + m B − m EV,rück − m AV,vor . dt
(5.39)
Die Terme m EV,vor und m EV,rück bezeichnen die Vorwärts- und Rückwärtströmung durch das Einlassventil, m AV,vor und m AV,rück die Vorwärts- und Rückwärtströmung durch das Auslassventil. Der zugeführte Kraftstoffmassenstrom ist durch m B gegeben. Leckageverluste zwischen Brennraum und Kurbelgehäuse werden vernachlässigt. Die Energiebilanz des Brennraums wird durch
5.2 Arbeitstaktsynchrones Motormodell
117
Bild 5-8 Einzonenmodell des Zylinders
dU Z = Q B + Q GW + PZ + hEV,vor m EV,vor + hAV,rück m AV,rück dt − hEV,rück m EV,rück − hAV,vor m AV,vor
(5.40)
beschrieben. Die Gleichung weist im Vergleich zu Gl. (5.2) zwei zusätzliche Terme auf. Der Term Q B steht für die Energiefreisetzung durch die Verbrennung. Die an den Kolben abgegebene Leistung ist durch PZ gegeben. Sie kann durch PZ = − pZ
dVZ dV = − pZ ωmot Z dt dϕ
(5.41)
ausgedrückt werden. Die Berechnung der inneren Energie sowie der spezifischen Enthalpien in Gl. (5.40) erfolgt wiederum über den Ansatz nach Justi [6]. Unter der Annahme einer vollständigen Umsetzung des eingebrachten Kraftstoffes kann der Zusammenhang zwischen der Brennstoffmasse und der Wärmefreisetzung über die Beziehung m B =
1 QB Hu
(5.42)
wiedergegeben werden, wobei Hu für den unteren Kraftstoffheizwert steht. Löst man die Differentialgleichungen (5.39) und (5.40) nach der Gasmasse mZ und der Zylindertemperatur TZ auf, so folgt für den Druckverlauf im Zylinder pZ =
RVG mZ TZ . VZ
(5.43)
Hierbei gibt RVG die spezifische Gaskonstante von Verbrennungsgas an. Die Gemischzusammensetzung im Brennraum wird über den Luftmassenanteil xZ mit dxZ 1 ª( x2E − xZ ) m EV,vor + ( x3 − xZ ) m AV,rück − xZm B º¼ = mZ ¬ dt
(5.44)
118
5 Mittelwert- und Arbeitstaktsynchrone Simulation von Dieselmotoren
beschrieben, wobei x 2E und x3 die Luftmassenanteile im Saugrohr und im Abgaskrümmer bezeichnen. Die Umrechnung in das Verbrennungsluftverhältnis λZ erfolgt mittels Gl. (5.6). b) Ladungswechsel Die Ladungswechselorgane werden durch das Drosselersatzmodell mit variablem Querschnitt beschrieben. Als Stellsignal wird der Ventilhub h eingeprägt. Zur Berücksichtigung der Vorwärts- und Rückwärtsströmung wird für jede Strömungsrichtung eine Durchflussgleichung (5.8) angesetzt. Wärmeübergänge in den Einlasskanälen werden nicht berücksichtigt. Die Wärmeverluste in den Auslasskanälen werden dem Abgaskrümmer zugerechnet. Die Drosselung selbst kann dann als isenthalp betrachtet werden. Der geometrische und vom Ventilhub abhängige Öffnungsquerschnitt der Ladungswechselorgane wird als Mantelfläche eines Kegelstumpfes approximiert: Ageo (ϕ ) = π h(ϕ )cos β [ di + 0,5 h(ϕ )sin 2 β ] .
(5.45)
Dabei ist di der innere Ventilsitzdurchmesser, β der Ventilsitzwinkel und h(ϕ) der Ventilerhebungsverlauf. Durch Variation von h(ϕ) ist die Simulation variabler Ventiltriebe möglich. c) Wandwärmeübergang Der Wärmeübergang zwischen Verbrennungsgas und Zylinderwandung setzt sich aus einem konvektiven und einem Strahlungsanteil zusammen. In der Regel wird der Strahlungsanteil nur implizit durch Aufwertung des konvektiven Wärmeübergangskoeffizienten berücksichtigt. Der zeitliche Verlauf des örtlich gemittelten Wärmeüberganges wird wie beim Behälterersatzmodell durch den Newton’schen Ansatz gemäß Q GW = α GW
n
¦ Ai (TW − TZ ) = α GW AGW (TW − TZ )
(5.46)
i =1
bestimmt. Die Wärmeaustauschfläche AGW umfasst dabei alle den Brennraum begrenzenden und vom Arbeitsgas beaufschlagten Oberflächen Ai. Dazu zählen die Zylinderkopffläche, die vom Kolben freigegebene Fläche der Laufbuchse sowie die Kolbenbodenoberfläche. Nach Hohenberg [20] ist zusätzlich die Oberfläche im Spalt des Feuerstegs zu berücksichtigen. Die mittlere Wandtemperatur TW wird mittels des empirischen Ansatzes [21] TW = 360 + 9 ⋅ λL 0,4 nmot d K
[K]
(5.47)
abgeschätzt. Dabei ist λL der Liefergrad und dK der Kolbendurchmesser. Für die Berechnung des Wärmeübergangskoeffizienten αGW in Gl. (5.46) wird der Ansatz nach Woschni/Huber [22] gewählt α GW = 127,93 d B−0,2 pZ0,8 vZ0,8 TZ−0,53 .
(5.48)
5.2 Arbeitstaktsynchrones Motormodell
119
Dabei steht dB für den Bohrungsdurchmesser, pZ für den Zylinderdruck und TZ für die Zylindertemperatur. Die charakteristische Geschwindigkeit vZ im Brennraum ergibt sich gemäß 2 ª ª TZ,ES § Vc · −0,2 º »º « , 1 2 vZ = max «C1 cK,m + C2 Vh p p C c − + ( Z Z,0 ) 1 K,m « ¨ V ¸ pmi »» » . « pZ,ESVZ,ES © Z¹ ¬ ¼¼ ¬
(5.49)
Hier bezeichnet cK,m die mittlere Kolbengeschwindigkeit, pZ,0 den Zylinderdruck im Schleppbetrieb, Vh das Hubvolumen pro Zylinder, Vc das Kompressionsvolumen pro Zylinder und VZ das mit dem Kurbelwinkel veränderliche Zylindervolumen. Die mit dem Index „ES“ versehenen Größen geben den Gaszustand im Zylinder bei Verdichtungsbeginn (Einlass schließt) an. Für den indizierten Mitteldruck pmi ist in Gl. (5.49) stets ein Wert größer gleich Eins in der Einheit bar einzusetzen: pmi = max [pmi,1]. Die Konstanten C1 und C2 erhält man durch Anpassung an Messwerte. Der in die Berechnung der charakteristischen Geschwindigkeit eingehende Schleppdruckverlauf pZ,0 wird über eine Polytropenbeziehung ermittelt. Hierbei wird der Verlauf des Polytropenexponenten über dem Kurbelwinkel fest vorgegeben (vgl. [23]). d) Verbrennung Empirische Simulationsmodelle wie das Einzonenmodell basieren auf Ersatzbrennverläufen, die den zeitlichen Verlauf der Energiefreisetzung im Zylinder als Funktion maßgebender Parameter wie beispielsweise Verbrennungsbeginn und Verbrennungsdauer beschreiben. Die Anpassung der Parameter an den aktuellen Motorbetriebspunkt erfolgt in der Regel analytisch mit Hilfe empirischer Umrechnungsvorschriften. In diesem Projekt wird aufgrund des geringen Rechenaufwandes und der Robustheit des Ansatzes gegenüber Toleranzen in den Funktionsparametern die klassische VibeFormfunktion [24] gewählt. Das Simulationsmodell bildet eine konventionelle Dieselverbrennung mit einer Vor- und einer Haupteinspritzung ab. Die Vorverbrennung wird durch eine einfache Vibe-Funktion approximiert dQB,VV dϕ
=
H u mB,VV ǻϕBD,VV
a ( mVV
ª ϕ − ϕBB,VV º + 1) « » ¬« ǻϕBD,VV ¼»
mVV +1 mVV − a¨§ ϕ −ϕBB,VV ¸· ¨ ǻϕBD,VV ¸ ¹ e ©
(5.50)
mit ϕ BB,VV ≤ ϕ ≤ ϕBB,VV + ǻϕBD,VV .
Hierbei entspricht mB,VV der Voreinspritzmenge und Hu dem unteren Kraftstoffheizwert. Die vorzugebenden Vibe-Parameter sind der Verbrennungsbeginn ϕBB,VV, die Verbrennungsdauer ΔϕBD,VV und der Formfaktor mVV. Der Umsetzungsfaktor a wird zu 6,908 gesetzt. Aufgrund der geringen umgesetzten Kraftstoffmenge und des langen Zündverzuges in der Vorverbrennung kann davon ausgegangen werden, dass die Vorverbrennung als reine Vormischflammenverbrennung mit nahezu symmetrischem Verlauf beschrieben werden kann. Der Formparameter wird daher zu mVV = 2 angenommen. Zur Erhöhung der Abbildungsgenauigkeit wird die Hauptverbrennung durch Superposition zweier Vibe-Funktionen modelliert. Die erste Vibe-Funktion (HV1) beschreibt den
120
5 Mittelwert- und Arbeitstaktsynchrone Simulation von Dieselmotoren
Premixed-Anstieg des Brennverlaufs. Die zweite Vibe-Funktion (HV2) gibt die Diffusionsverbrennung wieder. Der Doppel-Vibe-Ansatz lässt sich in der Form dQB,HV1 dϕ
=
H uξ mB,HV ǻϕBD,HV1
ª ϕ − ϕBB,HV1 º a ( mHV1 + 1) « » ¬« Δϕ BD,HV1 ¼»
mHV1 +1 mHV1 − a§¨ ϕ −ϕBB,HV1 ·¸ ¨ ǻϕBD,HV1 ¸ ¹ e ©
(5.51)
mit ϕBB,HV1 ≤ ϕ ≤ ϕBB,HV1 + ǻϕBD,HV1 dQB,HV2 dϕ
=
H u (1 − ξ ) mB,HV ǻϕBD,HV2
a ( mHV2
ª ϕ − ϕBB,HV2 º + 1) « » «¬ ǻϕBD,HV2 »¼
mHV2 +1 mHV2 − a§¨ ϕ −ϕBB,HV2 ·¸ ¨ ¸ e © ǻϕBD,HV2 ¹
(5.52)
mit ϕ BB,HV2 ≤ ϕ ≤ ϕBB,HV2 + ǻϕ BD,HV2 dQB,HV dϕ
=
dQB,HV1 dϕ
+
dQB,HV2 dϕ
(5.53)
schreiben, wobei mBH,V die Haupteinspritzmenge darstellt. Auch hier sind die Parameter Verbrennungsbeginn ϕBB,HVi, Verbrennungsdauer ΔϕBD,HVi und Formfaktor mHVi mit i∈[1,2] zu bestimmen. Ferner ist der Faktor ξ vorzugeben, der den anteiligen Energieumsatz der ersten Vibe-Funktion beschreibt. Den in die Energiebilanz Gl. (5.40) eingehenden Wärmestrom Q B erhält man mittels der Umrechnung dQB,HV · § dQ Q B = ¨ B,VV + ¸ ωmot . d dϕ ¹ ϕ ©
(5.54)
Die Änderung der Vibe-Parameter in Abhängigkeit geänderter Motorbetriebsbedingungen wird ähnlich zu [25] mit LOLIMOT-Modellen [26] beschrieben, welche mit Daten der Druckverlaufsanalyse trainiert werden. Eingangsgrößen der Modelle sind globale Prozessgrößen wie Einspritzbeginn, Einspritzdauer, Motordrehzahl, Ladedruck etc.
5.3 Echtzeitsimulationssystem Im Folgenden soll am Beispiel des HiL-Simulators des Instituts für Automatisierungstechnik (IAT) der typische Aufbau eines HiL-Testsystems vorgestellt werden. Der Simulator setzt sich aus einem dSPACE-Echtzeitrechnersystem, einem Motorsteuergerät (Prüfling), Echt- und Ersatzlasten sowie einem ETAS Applikations- und/oder RapidPrototyping-System zusammen. Ferner umfasst das System zwei Host-PC, die zur Visualisierung, Experimentsteuerung, Messdatenaufzeichnung und Testautomatisierung verwendet werden (Bild 5-9).
5.3 Echtzeitsimulationssystem
121
Bild 5-9: Systemstruktur des IAT HiL-Simulators
5.3.1 Echtzeitrechnersystem Das dSPACE-Echtzeitrechnersystem besteht aus zwei DS1005 Prozessorboards, zwei DS2210 HIL I/O Boards und einem DS814 Linkboard zur Kommunikation mit dem Host-PC. Die Echtzeitberechnung des Motormodells erfolgt auf den beiden Prozessorboards. Diese sind jeweils mit einem Motorola PowerPC 750 Prozessor mit einer Taktfrequenz von 480 MHz bzw. 750 MHz bestückt und als Multiprozessorsystem konfiguriert. Die DS2210 HIL I/O Boards sind speziell für Motor- und Fahrdynamikanwendungen entwickelte Schnittstellenkarten zur Anbindung des realen Steuergerätes an das Testsystem. Die Karten setzen sich im Wesentlichen aus einem Sensor- und AktuatorInterface, einer Einheit zur Berechnung kurbelwinkelabhängiger Signale und einer Kommunikationseinheit zusammen. Die bei früheren HiL-Systemen notwendige externe Signalkonditionierung [16, 27] kann weitestgehend entfallen. Mit der hier dargestellten Hardwarekonfiguration gestaltet sich die Echtzeitberechnung des in Kap. 5.1 vorgestellten Mittelwertmodells als unkritisch. Beim arbeitsspielaufgelösten Motormodell (Kap. 5.2) ist eine Simulationsschrittweite von Δt ≈ 170μs erreichbar. Dies entspricht einer Auflösung von 1 °KW bei einer Motordrehzahl von nMot = 1000 1/min bzw. 6 °KW bei nMot = 6000 1/min.
5.3.2 Echt- und Ersatzlasten Die OBD-Funktionen des Steuergerätes überwachen sämtliche ECU Ausgänge auf Kurzschlüsse und Kabelbrüche. Um ein Ansprechen der Diagnosefunktionalität beim HiLTest des Steuergerätes im Normalbetrieb zu verhindern, ist es erforderlich, die Ausgänge
122
5 Mittelwert- und Arbeitstaktsynchrone Simulation von Dieselmotoren
mit einer Last zu versehen. Hierbei können je nach Empfindlichkeit der Diagnosefunktionen sowohl Echtteile (Echtlasten) als auch Ersatzlasten zum Einsatz kommen [2]. Bild 5-10 zeigt die in einem 19 Zoll Rack (Aktuatorbox) verbauten Echtteile und Ersatzlasten des betrachteten HiL-Testsystems. Bis auf die Injektoren sind alle relevanten Aktoren als Echtteile vorhanden. Die Injektoren werden durch induktive Ersatzlasten nachgebildet. Zur Bestimmung des Einspritzbeginns sowie der Einspritzdauer werden die vom Steuergerät in die vier Injektor-Ersatzlasten eingeprägten Injektorströme mittels einer Strommesskarte erfasst und über eine Komparatorschaltung in ein binäres Einspritzsignal umgewandelt. Dieses wird von einem der beiden DS2210 HIL Boards eingelesen. In ähnlicher Weise wird der Ansteuerstrom des Railruckregelventils (DRV) erfasst, und dem Motormodell zur Verfügung gestellt.
Bild 5-10: Echt- und Ersatzlasten des IAT HiL-Simulators (Aktuatorbox)
5.3.3 Motorsteuergerät Als Prüfling wird exemplarisch ein Applikationssteuergerät EDC16C8 von Bosch eingesetzt. Dieses bietet serienmäßig noch keine Funktionen zur Brennraumdruckerfassung und -auswertung. Das Steuergerät ist mit einem Emulatortastkopf (ETK) von ETAS ausgerüstet, der einen lesenden und schreibenden Zugriff auf Variablen und Parameter des Steuergeräteprogramms ermöglicht. In Verbindung mit einem RCP-System kann der Emulatortastkopf zudem zur Funktionsentwicklung im Bypass genutzt werden. Bei Verwendung des arbeitsspielaufgelösten Motormodells lassen sich auf diese Weise neue brennraumdruckbasierte Regelungs- und Steuerungsfunktionen (Zylindergleichstellung, Schwerpunktlageregelung etc.) oder kurbelwinkelaufgelöste Diagnoseverfahren realisieren und testen.
5.4 Simulationsergebnisse
123
5.4 Simulationsergebnisse Um die Abbildungsgenauigkeit der beiden vorgestellten Motormodelle zu demonstrieren, werden nachfolgend Simulationsergebnisse mit Messdaten vom Motorenprüfstand des Instituts für Automatisierungstechnik verglichen. Der verwendete Versuchsträger ist ein Opel 1,9L Common-Rail-Dieselmotor. Zur Bewertung des Mittelwertmodells wird der standardisierte europäische MVEGTestzyklus (Motor Vehicle Emissions Group) herangezogen. Bild 5-11 zeigt einen Ausschnitt des Zyklus zwischen 590 s und 860 s. Dargestellt sind die gemessenen und simulierten Verläufe des Luftmassenstromes m HFM , der Turboladerdrehzahl nATL, des Ladedrucks p2E sowie der Abgastemperatur T3. Der Luftmassenstrom und die Turboladerdrehzahl werden korrekt wiedergegeben. Die Drehzahl des Turboladers weist selbst im Leerlauf und im Schwachlastbereich des Motors nur geringe Abweichungen auf. Hier zahlt sich der neue physikalische Ansatz gemäß Kap. 5.1.2 zur Modellierung des Abgasturboladers aus. Beim Ladedruck sind geringe Differenzen in den Spitzenwerten augenscheinlich. Als Grund für Abweichungen der Abgastemperatur können Ungenauigkeiten bei der Modellierung der Abgasenthalpie und der Wandwärmeverluste im Abgaskrümmer angesehen werden. Insgesamt kann die Modellgüte als gut bezeichnet werden. Simulationsergebnisse des arbeitsspielaufgelösten Motormodells zeigt Bild 5-12. Hier sind der Zylinderdruckverlauf sowie der Brennverlauf exemplarisch für einen Arbeitspunkt im unteren Lastbereich (nMot = 2000 1/min, qb = 11 mm3 ) dargestellt. Der Druckverlauf zeigt eine gute Übereinstimmung. Der Spitzendruck wird nicht ganz getroffen. Der relative Fehler beträgt hier etwa 5%. Während der Ladungswechselphasen sind minimale Abweichungen zu erkennen. Der simulierte Brennverlauf bildet die Vorbrennung korrekt ab. Die Hauptverbrennung wird durch die beiden Vibe-Funktionen ebenfalls angemessen approximiert. Geringe Vibe-typische Abweichungen treten in der langen Ausbrandphase auf. Um die Leistungsfähigkeit des Modells über einen größeren Drehzahl-/Lastbereich bewerten zu können, werden für 40 stationäre Arbeitspunkte die Verbrennungskenngrößen Schwerpunktlage ϕQ50, mittlerer indizierter Druck pmi und Spitzendruck pZ,max aus dem gemessenen und dem simulierten Zylinderdruck bestimmt und gegenübergestellt (Bild 513). Die genannten Kenngrößen dienen bei zylinderdruckbasierten Motormanagementsystemen üblicherweise als Regelgrößen für die Verbrennungsregelung, bzw. werden für Überwachungs- und Diagnosezwecke genutzt. Die Motordrehzahl variiert in den betrachteten Betriebspunkten zwischen 850 1/min und 2800 1/min. Das Motormoment deckt den Bereich 0 Nm bis 110 Nm ab. Die Schwerpunktlage ϕQ50 zeigt eine sehr gute Übereinstimmung über den gesamten Lastbereich. Von zwei Ausreißern abgesehen, liegt die Abweichung zwischen dem gemessenen und dem simulierten ϕQ50 bei unter 1,5 °KW. Der simulierte Mitteldruck pmi liegt stets unter dem gemessenen. Die Differenz nimmt mit steigender Last zu. Der berechnete Spitzendruck pZ,max trifft die Messwerte im Mittellastbereich sehr gut. Wie beim Mitteldruck ergeben sich Abweichungen bei höheren Lasten. Diese sind auf die relativ große Simulationsschrittweite sowie Ungenauigkeiten bei der Parametrierung des Verbrennungsmodells zurückzuführen. Die Modellgüte des arbeitsspielaufgelösten Modells kann zusammenfassend als angemessen für den Steuergerätetest und die Funktionsentwicklung bewertet werden.
124
5 Mittelwert- und Arbeitstaktsynchrone Simulation von Dieselmotoren
Bild 5-11: Simulationsergebnisse des Mittelwertmodells: Ausschnitt aus dem MVEG-Zyklus
Bild 5-12: Simulationsergebnisse des arbeitsspielaufgelösten Motormodells: Kurbelwinkelsynchrone Verläufe von a) Zylinderdruck und b) Brennverlauf, Arbeitspunkt nMot = 2000 1/min, qb = 11 mm3; DVA: Druckverlaufsanalyse
5.5 Zusammenfassung
125
Bild 5-13: Simulationsergebnisse des arbeitsspielaufgelösten Motormodells : Verbrennungskennwerte für 40 stationäre Arbeitspunkte
5.5 Zusammenfassung Die HiL-Simulation ist zu einem festen Bestandteil des Software- und Funktionsentwicklungsprozesses für Motorsteuergeräte geworden. Insbesondere im Bereich der Applikation wird ihr Stellenwert in Zukunft weiter anwachsen. Eine Ausweitung der HiL-basierten Kalibrierung hängt allerdings maßgeblich von der Verfügbarkeit von Motormodellen ab, die sich durch eine adäquate Modellgüte, eine schnelle Berechnung und einen geringen Parametrierungsaufwand auszeichnen. Zwei Motormodelle, die diesen Anforderungen genügen, wurden in diesem Kapitel vorgestellt. Anwendungsbereich des Mittelwertmodells ist der Funktionstest konventioneller Motorsteuergeräte mit einer kennfeldbasierten Steuerung der Verbrennung. Das arbeitsspielaufgelöste Modell zielt auf die Entwicklung und den Test zukünftiger brennraumdruckbasierter Motormanagementsysteme ab. Neben den Modellansätzen wurde der typische Aufbau eines HiL-Testsystems vorgestellt. Anhand von Simulationsbeispielen konnte die hohe Abbildungsgüte der beiden Modelle nachgewiesen werden. Diese ist u.a. auf einen neuen, physikalisch-parametrischen Ansatz zur Beschreibung des Abgasturboladers zurückzuführen. Eine ausführliche Beschreibung des HiL-Simulators ist in [28] enthalten.
126
5 Mittelwert- und Arbeitstaktsynchrone Simulation von Dieselmotoren
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5.5 Zusammenfassung
127
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C Modellbildung durch Motorvermessung auf Prüfständen
130
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen HINRICH KÖTTER, HEIKO SEQUENZ
Die kontinuierliche Verschärfung der gesetzlichen Vorgaben bezüglich Emissionen stellt die Motorenentwickler vor neue Herausforderungen (Bild 6-1, [1, 2]). Gleichzeitig ist zu erwarten, dass sich der langfristige Trend der letzten Jahren bei den Kraftstoffpreisen [3] trotz kurzzeitiger Schwankungen fortsetzen wird (Bild 6-1 rechts, Jahresmittelwerte). Auf die steigenden Kraftstoffpreise sowie die Verpflichtungen bezüglich der CO2Emissionswerte kann dauerhaft nur mit Kraftstoff sparenden Motoren reagiert werden.
Bild 6-1: Entwicklung gesetzlicher Vorgaben und der Kraftstoffpreise
Die Motorenentwicklung kann diese Anforderungen unter anderem durch Einführung neuer Freiheitsgrade - wie Mehrfacheinspritzungen - erfüllen. Dafür müssen jedoch die Stellgrößen während des Motorbetriebs laufend dem aktuellen Fahrzustand angepasst werden. Die Anpassung / Verstellung der einzelnen Größen geschieht anhand mehrdimensionaler Funktionen, welche im Motorsteuergerät in Form von Kennfeldern hinterlegt wurden. Um diese Funktionen aufstellen zu können, muss zunächst mit Hilfe mathematischer Zusammenhänge formuliert werden, wie sich die Eingangsgrößen (z.B. Menge der 1. Voreinspritzung) auf die Ausgangsgrößen (z.B. Stickoxide) auswirken. Eine analytische Herleitung dieser Zusammenhänge ist bisher, besonders aufgrund des nur mit sehr hohem Zeitaufwand zu modellierenden Verbrennungsprozesses, kaum möglich. Deshalb bedient man sich Verfahren der experimentellen Modellbildung um den Motor zu optimieren. In diesem Kapitel wird der prinzipielle Ablauf einer solchen Vermessung mit der anschließenden Optimierung von Verbrennungsmotoren gezeigt (Bild 62). Auf die Punkte Versuchsplanung, Modellbildungsverfahren, Gütekriterien und Optimierungsverfahren wird im Folgenden eingegangen.
6.1 Versuchsplanung
131
Bild 6-2: Ablauf der stationären Motorvermessung
6.1 Versuchsplanung Bei der Versuchsplanung an Motorenprüfständen spielt nicht nur das stationäre, nichtlineare Verhalten eine Rolle. Zu beachten ist stets, dass das System aus Prüfstandsregelung, Motor und Messgeräten auch Dynamiken beinhaltet [4, 5]. Da die zeitabhängigen Anteile bei stationären Vermessungsverfahren die Messungen stören, wird nach der Variation von Stellgrößen eine gewisse Zeit bis zur Messung gewartet, Bild 6-3a. Nach dieser sogenannten Einschwingdauer ist das System im Gleichgewicht. Somit wird pro Messpunkt eine feste Zeit benötigt, die sich aus Einschwing- und Messvorgang zusammensetzt. Bei dem stationären Messpunkt handelt es sich um einen Mittelwert mehrerer Messungen.
Bild 6-3: Vorgehensweisen bei stationären Messungen; a) Messvorgang (links), b) Hauptstellgrößen eines Dieselmotors (rechts)
Die stationären Messungen werden in Betriebspunkten durchgeführt, die meist durch Moment und Drehzahl definiert sind, Bild 6-3b. Für jeden dieser Betriebspunkte müssen mit Hilfe von Identifikationsverfahren lokale Modelle der wichtigsten Ausgangsgrößen (Verbrauch, Emissionen) ermittelt werden. Dazu werden die Stellgrößen zunächst nach einem Muster (Versuchsplan) verstellt. Das einfachste Muster ist ein Raster [6, 7], welches im Folgenden genauer erklärt wird.
132
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
6.1.1 Rastervermessung Bei der Rastervermessung wird jede Stellgröße auf einer vorzugebenden Anzahl von Stufen (Levels) eingestellt. Trägt man eine Stellgröße auf einer Achse auf, so kann sie also diskrete Werte in äquidistanten Abständen annehmen. Nachdem jeder Stellgröße die diskreten Stufen vorgegeben wurden, werden nun alle Stellgrößenkombinationen berechnet, welche ein Raster ergeben. Ein Beispiel ist in Bild 6-4a zu sehen. Dort wurden für die Stellgrößen u1 und u2 elf Stufen vorgegeben. Die Kombination aller Stufen der beiden Stellgrößen ergibt ein Raster mit 121 Stellgrößenkombinationen / Messpunkten.
Bild 6-4: Vorgehensweisen Rastervermessung; a) Versuchsplan (links), b) Fluch der Dimension (rechts)
Werden mehr als zwei Stellgrößen verwendet, so ist zu sehen, dass bei der Rastervermessung zwischen der Anzahl der Stellgrößen und der Anzahl der Messpunkte ein exponentieller Zusammenhang [8] existiert, der auch als „Fluch der Dimension“ bezeichnet wird. In Bild 6-4b ist dieser Zusammenhang dargestellt, wobei die Werte entlang der Z-Achse logarithmisch aufgetragen wurden. Die in Bild 6-4b aufgezeigte Anzahl Versuchspunkte ist ein Maß für die benötigte Messzeit, die mit der Anzahl der Stellgrößen also ebenfalls exponentiell zunimmt. Somit ist die Rastervermessung nur für die Vermessung von Zusammenhängen mit wenigen Stellgrößen geeignet. Deshalb wurden Versuchspläne entwickelt, die nach anderen geometrischen Mustern zu erstellen sind. Diese werden im nächsten Abschnitt beschrieben.
6.1.2 Klassische Versuchspläne Bei den klassischen Versuchsplänen wird davon ausgegangen, dass sich der Motor linear oder quadratisch verhält. Um die Anzahl der Versuchspunkte zu reduzieren, werden weiterhin Annahmen über das Vorhandensein von Wechselwirkungen zwischen den Eingangsgrößen getroffen. Als Beispiel für die klassischen Versuchspläne sind in Bild 6-5
6.1 Versuchsplanung
133
verschiedene Ausprägungen der zentral zusammengesetzten Versuchspläne, englisch central composite design (CCD), gezeigt. Bei CC-Designs wird eine würfelförmige Anordnung der Versuchspunkte mit einer sternförmigen Anordnung so kombiniert, dass die Mittelpunkte dieser Pläne zusammenfallen. Der Mittelpunkt bzw. Zentralpunkt wird ebenfalls als Versuchspunkt genutzt.
Bild 6-5: CC-Designs (central composite design)
Die Anzahl der Versuchspunkte steigt bei CCD-Versuchsplänen weniger stark an als bei Rastervermessungen, nichtsdestotrotz erhöht sich die Anzahl der Redundanzpunkte bezogen auf die zur Bestimmung der Parameter notwendigen Punkte stark. Je nach Lage der Stern- und Eckpunkte wird zwischen central composite faced (CCF), central composite circumscribed (CCC) und central composite inscribed (CCI) designs unterschieden (Bild 6-5). Für weitere Erklärungen sei auf die Literatur hingewiesen [9 – 13]. Klassische Versuchspläne sind für die moderne Motorvermessung nur wenig relevant, da sie entweder nicht in der Lage sind stark nichtlineare Zusammenhänge zu berücksichtigen oder im Extremfall mit der Rastervermessung übereinstimmen, also dem "Fluch der Dimension" unterliegen. Eine weitere Alternative stellen die raumfüllenden Versuchspläne dar (space-filling Design).
6.1.3 Space-filling Designs Da der mathematische Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsgrößen im Voraus nicht genau bekannt ist, sind mathematisch modellbasiert optimierte Versuchsentwürfe nur iterativ möglich. Ein anderer Ansatz ist, den Versuchsraum möglichst gut durch Messpunkte abzudecken. Da Rastermessungen – wie bereits erwähnt – zu aufwendig sind, werden space-filling Designs verwendet. Solche Verfahren sind aus der Computersimulation bekannt [14]. Im einfachsten Fall handelt es sich dabei um Zufallszahlen. Eine in der Motorvermessung gelegentlich eingesetzte Methode ist das latin hypercube sampling (lhs). Dabei versucht ein Algorithmus beispielsweise den euklidischen Abstand einer vorzugebenden Anzahl an Versuchspunkten zu maximieren. Dieses Problem kann jedoch in endlicher Zeit meist nur unvollständig gelöst werden, so dass der sich ergebende Versuchsplan das geforderte Kriterium (maximaler euklidischer Abstand) nicht immer erfüllt. Weiterhin hat die Praxis gezeigt, dass sich die D-optimalen Versuchspläne besser
134
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
eignen als Space-filling Designs. Die D-optimalen Pläne werden deshalb im Folgenden ausführlich beschrieben.
6.1.4 D-optimale Versuchspläne Die D-optimalen Pläne gehören zu den optimalen Plänen, einer Reihe von Designs, die auf der Optimierung bestimmter mathematischer Kriterien beruhen. Das mathematische Kriterium für die Konstruktion D-optimaler Pläne wird in diesem Abschnitt erklärt, Kenntnisse über das Verfahren der Kleinsten Quadrate, welches in Abschnitt „Polynome“ vorgestellt wird, sind jedoch hilfreich [15]. Bei dem Verfahren der Kleinsten Quadrate kann die Kovarianzmatrix der geschätzten Parameter șˆ = ª¬c0 , c1, c2 , c1,1...º¼ durch die Gleichung
()
(
cov șˆ = σ 2 U T U
)
−1
(6.1)
berechnet werden. Dabei ist U die Regressormatrix, also die Matrix, in deren Spalten die verschiedenen Stellgrößen und Kreuzterme etc. stehen und deren Reihen die einzelnen Messpunkte enthalten. Die Mess-Störungen (z.B. Rauschen) werden durch die Varianz σ2 berücksichtigt. Demzufolge kann die Varianz eines einzelnen geschätzten Parameters mit var ( ci ) = σ 2 ( uii )
(6.2)
berechnet werden, wobei uii das i-te Diagonalelement der Matrix (UTU)–1 ist. Die Varianz der geschätzten Parameter hängt somit zum einen von den Mess-Störungen, zum anderen aber auch von der Regressormatrix und somit von der Lage der Messpunkte ab. Durch eine geschickte Versuchsplanung kann man also die Varianz der Parameter minimieren. Dazu sollten die Versuchspunkte so gewählt werden, dass det((UTU)–1) minimal wird bzw.
(
det U T U
)
(6.3)
maximiert [16] wird, wodurch auch die Diagonalelemente uii minimiert werden. Die Maximierung der Determinante gab dem Kriterium seinen Namen (D-optimal) [9, 16]. Die Berechnung einer D-optimalen Matrix geschieht in der Praxis nicht analytisch sondern anhand von Algorithmen. Dazu muss einerseits eine Anzahl an möglichen Versuchspunkten vorgegeben werden (Kandidatensatz), andererseits muss eine Modellannahme getroffen werden, um eine Regressormatrix konstruieren zu können. Der Algorithmus vergleicht konkurrierende Datensätze und wählt den D-optimalen aus. Hierzu werden die Determinanten der entsprechenden Datensätze bestimmt und verglichen.
6.1 Versuchsplanung
135
Bild 6-6: Zum D-optimalen Design; a) nicht D-optimal (links), b) D-optimal (rechts)
Zum besseren Verständnis des Kriteriums wird Bild 6-6 betrachtet. In diesem einfachen Beispiel stehen für den Versuch vier mögliche Messpunkte (u = 1, 2, 3, 4), die Kandidatenpunkte, zur Verfügung. In der Grafik Bild 6-6a wurden die Punkte 2 und 3, in Grafik Bild 6-6b die Punke 1 und 4 als Versuchspunkte ausgewählt. Wie zu sehen ist, kann abhängig von Messabweichungen (Störsignalen) das Regressionsmodell (hier eine Gerade) variieren. Der Einfluss der Störsignale auf die Schätzung kann jedoch durch die Lage der Messpunkte vermindert werden. In Bild 6-6b geschieht dies durch Auswahl der äußeren Punkte 1 und 4. Ein solcher Plan ist D-optimal, da er die Varianz der Modellparameter minimiert. Dabei wird angenommen, dass die Varianz der Mess-Störungen für alle Messpunkte gleich ist. Der Zusammenhang zwischen Kandidatenpunkten und Designpunkten wird anhand eines zweiten Beispiels genauer erläutert. Zunächst wird eine Modellannahme in Form eines algebraischen Polynoms getroffen: y = c0 + c1u1 + c2u2 + c3u12 + c4u2 2 + c5u23 + c6u2 4 + c7u25 + c8u1u2
(6.4)
Es wurde somit angenommen, dass die Stellgröße u1 leicht nichtlineares Verhalten aufweist, wohingegen u2 stark nichtlinear wirkt. Daraus ergeben sich die neun Spalten der Kandidaten- und auch der späteren D-optimalen Versuchsmatrix, für jeden Parameter ci je eine Spalte. Zur Aufstellung der Kandidatenmatrix müssen nun die potentiellen Versuchspunkte vorgegeben werden, was analog zu der Vorgehensweise bei einer Rastervermessung geschieht. Dazu muss eine Anzahl an Stufen (Levels) für jede Stellgröße/Achse vorgegeben werden, in die die Achse unterteilt wird. In diesem Beispiel wurde zu der Ordnung der Eingänge jeweils die Zahl drei addiert, um so die Anzahl der Levels vorzugeben. Somit ergeben sich für u1 fünf Achsenunterteilungen und für u2 acht Unterteilungen. Um die Kandidatenmatrix (Bild 6-7a) zu erstellen, müssen nun lediglich noch die Grenzen der Stellgrößen vorgegeben werden, hier u1 = [1,5] und u2 = [1,8].
Bild 6-7: Zweidimensionales Beispiel; a) Kandidatenpunkte (links), b) D-optimale Versuchspunkte (rechts)
136
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
Es handelt sich bei der Kandidatenmatrix also um eine 9 x 40-Matrix (40 potenzielle Messpunkte für 9 Parameter), aus der eine D-optimale 9 x 9-Matrix (9 Messpunkte für 9 Parameter) ermittelt wird. Für die Stellgrößen ergeben sich dann z.B. die Messpunkte nach Bild 6-7b. Während die Stellgröße u1 auf den Stufen 1, 3 und 5 variiert wird, ergeben sich für u2 Verstellungen auf den Stufen 1, 2, 3, 5, 6, 7, 8. Dadurch wird die stärkere Nichtlinearität in der Größe u2 berücksichtigt. In der Praxis zieht der Algorithmus also die benötigte bzw. vorgegebene Anzahl an Vermessungspunkten aus dem Kandidatensatz und berechnet die Determinante der Informationsmatrix. Dies wird für verschiedene Kombinationen von Versuchspunkten durchgeführt, bis schließlich die Kombination mit der maximalen Determinante ausgewählt wird. Dieses Verfahren ist nur durch den Einsatz von Rechnern möglich. Allerdings können auch mit ihrer Hilfe aus zeitlichen Gründen nicht alle Versuchspunktkombinationen getestet werden, so dass der Algorithmus durch ein definiertes Kriterium selbst die Berechnung abbricht. Der Abbruch des Suchvorganges kann dazu führen, dass die optimale Kombination von Versuchspunkten nicht immer gefunden werden kann. Als populärer Suchalgorithmus sei an dieser Stelle der „Einfache Austausch“ [9] genannt, bei dem zunächst eine beliebige Regressormatrix aus dem Kandidatensatz erstellt wird. Dazu werden z.B. zufällig Zeilen aus der Kandidatenmatrix ohne Zurücklegen gezogen. Nun wird der erste Messpunkt der Regressormatrix nacheinander durch jeden Messpunkt der Kandidatenmatrix ersetzt und nach jeder Ersetzung wird die Determinante berechnet. Anschließend wird der erste Messpunkt der Regressormatrix durch den Messpunkt aus der Kandidatenmatrix ersetzt, der zu dem höchsten Wert der Determinante geführt hat. So wird mit jedem Messpunkt der Regressormatrix verfahren. Das Verfahren ist in Bild 6-8 illustriert.
Bild 6-8: Algorithmus „Einfacher Austausch“
6.2 Modellbildung
137
Ein weiterer Algorithmus ist das Detmax-Verfahren von Mitchell [9]. Mitchell rät dem Anwender des Detmax-Verfahrens die mehrmalige Durchführung, um eine möglichst D-optimale Lösung zu erlangen. Näheres zum Algorithmus ist in [9] und [16] zu finden. Zu beachten ist bei der D-optimalen Versuchsplanung, dass der Kandidatensatz umfangreich genug gewählt wird, um einen optimalen Plan bekommen zu können. Es ist kritisch anzumerken, dass auch dieser Versuchsplan auf einem bestimmten Modell aufbaut, so dass in der Anwendung ein systematischer Fehler auftreten kann. Weiterhin ist der Verlauf der Algorithmen durch zufällige Initialisierungen nicht deterministisch. Dieser Nachteil hat andererseits den Vorteil, dass in der Praxis die Versuchsplanung so oft wiederholt wird, bis der Anwender mit der Verteilung der Punkte zufrieden ist und ein sehr großer Determinantenwert erzielt werden konnte. Ferner sei anzumerken, dass eine gleiche Verteilung von Mess-Störungen angenommen wurde. Trifft dies in der Praxis nicht zu, muss das Verfahren entsprechend angepasst werden. Als Vorteil der Doptimalen Versuchsplanung ist zu nennen, dass die Einbeziehung von bereits vermessenen Versuchspunkten (Inclusions) sowie von nicht orthogonalen Versuchsraumgrenzen möglich ist [9]. Inclusions werden in der Form eingebunden, dass sie fest in die Regressorenmatrix aufgenommen werden und nicht von einem Algorithmus durch andere Kandidatenpunkte ersetzt werden können. Die Einhaltung von Versuchsraumgrenzen kann durch entsprechende Vorgaben bei der Aufstellung der Kandidatenmatrix erreicht werden. Die D-optimale Versuchsplanung zeigt einerseits theoretische Schwächen. Andererseits stellt sie eine nachvollziehbare und in der Praxis erfolgreiche Vorgehensweise zur Planung von Versuchen mit wenig Messpunkten dar. Bei der Planung von Experimenten am Motorenprüfstand werden zu den aus der D-optimalen Planung ermittelten Messpunkten noch einige Punkte hinzugefügt. Dabei handelt es sich unter anderem um die sogenannten Wiederholpunkte. Diese Punkte werden während der Vermessung in regelmäßigen Abständen gemessen, so dass bei der späteren Auswertung Aussagen über auftretende Messoder Prozess-Störungen möglich sind. Für die stationäre Modellbildung müssen Wiederholpunkte jedoch entfernt werden, da andernfalls eine zu starke Gewichtung des entsprechenden Messpunktes vorliegen würde.
6.2 Modellbildung Da physikalische Modelle gerade hinsichtlich der Emissionen im Bereich der Verbrennungsmotoren nur eingeschränkt verfügbar und nicht ohne Messungen möglich sind, werden experimentelle Methoden der Modellbildung (Identifikationsmethoden) eingesetzt [15 – 18].
138
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
Bild 6-9: Vorgehensweise bei der stationären Modellbildung
Die Vorgehensweise wird mit Hilfe von Bild 6-9 erklärt. Der Verbrennungsmotor ist ein sogenanntes MIMO-System (Multiple Input – Multiple Output). Das heißt, dass sich bei Anregung des Systems durch Variation der Eingangsgrößen u mehrere Ausgangsgrößen y – wie z.B. Stickoxide und Kohlenmonoxid – verändern. Die Ein - und Ausgangsgrößen werden aufgezeichnet und nach Abschluss der Versuche zur Modellbildung verwendet. Die Versuche werden jeweils in verschiedenen Betriebspunkten durchgeführt, wobei Drehzahl und Moment durch Regelungen konstant gehalten werden. Aus den aufgezeichneten Messpunkten können nun Modelle für jeweils einen Ausgang identifiziert werden. Das MIMO-System wird also durch mehrere MISO-Modelle (Multiple Input – Single Output) abgebildet. Ziel der Identifikation ist es, die Modelle jeweils so anzupassen, dass der Unterschied e zwischen dem System-Ausgang y und dem Modell-Ausgang yˆ möglichst gering ist [15], Bild 6-9. Die Anpassung des Modells kann dabei auf verschiedene Arten erfolgen. Die wichtigsten Ansätze zur Modellbildung sollen hier aufgezeigt werden.
6.2.1 Polynome Der am häufigsten verwendete Ansatz bei der experimentellen Modellbildung von Verbrennungskraftmaschinen ist der Polynomansatz. Dabei werden die Parameter eines Polynoms so angepasst, dass durch die resultierende Funktion Messpunkte approximiert werden. Zur Anpassung / Schätzung der Parameter wird meist das Verfahren der kleinsten Quadrate (KQ) [15], englisch Least-Squares (LS), verwendet. Dabei geht man von einem Modell in folgender Form aus y = c0 + c1 u1 + c2 u2 + c1,2 u1 u2
(6.5)
beziehungsweise in Matrixschreibweise y = Uθ, mit θ = [c0, c1, c2, c1,2]T. Nach Anwendung der Parameterschätzung können die approximierten Ausgangswerte yˆ durch die Eingänge U und die geschätzten Parameter șˆ berechnet werden. Zur Erklärung des Verfahrens der Kleinsten Quadrate werden die Abweichungen zwischen den geschätzten
6.2 Modellbildung
139
Ausgangswerten und den gemessenen Ausgangswerten betrachtet. Diese Abweichungen e, auch als Residuen bezeichnet, lassen sich ausdrücken durch e = y − Ușˆ . Ziel des LSVerfahrens ist es, die Fehlerquadratsumme eT e = ¦ e 2 zu minimieren. Dies lässt sich durch folgende Gleichung ausdrücken:
(
F (șˆ ) = eTe = y − Ușˆ
) ( y − Ușˆ ) = y Ty + șˆ T UT Ușˆ − 2șˆ T UT y T T
(6.6)
Um das Minimum – also die geringste Fehlerquadratsumme – zu errechnen, leitet man zweimal diese Gleichung ab und erhält zunächst die erste
()
∂F șˆ = 2U T Ușˆ − 2U T y ∂șˆ
(6.7)
und anschließend die zweite Ableitung
( ) = 2U T U
∂F 2 șˆ
(6.8)
∂șˆ
Da die zweite Ableitung immer größer als Null ist und damit die hinreichende Bedingung erfüllt wird, muss nur die erste Ableitung Null gesetzt werden. Nach Nullsetzen und Umstellung erhält man die Schätzgleichung nach dem Verfahren der kleinsten Quadrate [15]:
(
șˆ = U T U
)
−1
UT y
(6.9)
Bei der Schätzung von Parametern nach dem Least-Squares Verfahren können auch nichtlineare Zusammenhänge abgebildet werden. Dazu muss das mathematische Modell lediglich linear in den Parametern sein, nicht aber in den Variablen. So kann durch eine Transformation der obigen Gleichung, z.B. c3u3 = c3u12, ein quadratischer Term in Form eines zusätzlichen Einganges hinzugefügt werden. Eine Variable eines Polynoms – beispielsweise eine Stellgröße (u1), eine Wechselwirkung (u1u2) oder ein quadratischer Term (u12) – sowie der konstante Term, werden Regressoren genannt. Die Regressormatrix U hat dann z.B. folgende Gestalt haben: ª1 u1,1 « «1 u1,2 U=« # «# «1 u 1,m ¬
u2,1
2 u3,1
u2,2
2 u3,2
#
#
u2,m
u3,2 m
ur ,1 º » " ur ,2 » » % # » " ur ,m »¼ "
In den Spalten stehen dabei die r Regressoren, in einer Zeile die zu einem Messpunkt gehörenden Werte der Regressoren, wobei m Versuchspunkte gemessen wurden. Die erste Spalte, gefüllt mit Einsen, wird zur Schätzung der Konstante (Offset) benötigt.
140
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
Bild 6-10: Regressor-Auswahlverfahren; a) vorwärts (links), b) rückwärts (Mitte), c) schrittweise Selektion (rechts)
Um mit Hilfe der Regressorenmatrix die Parameter nach Gleichung (6.9) zu bestimmen, müssen also zunächst die in dem Polynom enthaltenden Terme und damit die Struktur des Polynoms festgelegt werden. Die Strukturauswahl bzw. die Auswahl der relevanten Regressoren erfolgt über spezielle Algorithmen [19, 20]. Eine Möglichkeit wäre es, mit allen denkbaren Regressormatrizen Schätzungen durchzuführen und die Güte der Regressionen z.B. über die quadrierten Residuen zu bestimmen, um anschließend die Struktur der besten Schätzung als Polynomstruktur anzunehmen. Dies ist aber aufgrund hoher Rechenzeiten nicht möglich, da 2r Kombinationen mit r Regressoren möglich sind. Für z.B. 60 potentielle Regressoren ergibt sich daraus eine neunzehnstellige Anzahl an verschiedenen Regressormatrizen. Eine wesentlich schnellere Möglichkeit der Regressorenauswahl stellt die sogenannte Vorwärtsauswahl da, Bild 6-10a. Der Algorithmus beginnt mit lediglich einem Regressor als Polynomstruktur. Dieser erste Regressor kann z.B. die Konstante oder der Regressor, der am besten mit dem Ausgang korreliert, sein. Nun wird mit diesem Term und jedem der weiteren potenziellen Regressoren eine aus zwei Spalten bestehende Regressorenmatrix gebildet. Nach Schätzung der Polynomparameter wird jeweils ein Gütekriterium berechnet. Der Regressor, welcher die Modellqualität am meisten verbesserte, wird anschließend als
6.2 Modellbildung
141
zweiter Term fest in das Polynom integriert. Während der nächsten Iteration wird dann ein dritter Regressor herausgesucht. Dieser Prozess wird unterbrochen, sobald die Verbesserung der Modellqualität einen vorher definierten Schwellwert nicht mehr übersteigt oder alle potentiellen Regressoren in das Polynom aufgenommen wurden. Der Algorithmus der „Rückwärtsauswahl“ (Bild 6-10b) beginnt dagegen mit einem Polynom, welches alle potenziellen Regressoren beinhaltet. In jedem Iterationsschritt wird der Regressor aus der Polynomstruktur entfernt, der die Modellqualität am wenigsten verbessert. Dieser Vorgang wird so lange fortgesetzt, bis die Elimination eines weiteren Regressors die Modellqualität um mehr als einen definierten Schwellwert senkt. Die schrittweise Regression (Bild 6-10c) ist eine Kombination aus Vorwärts- und Rückwärtsauswahl. Das Polynom wird zunächst äquivalent zur Vorwärtsauswahl initialisiert. Nach jeder Vorwärtsauswahl eines Regressors wird jedoch ein Iterationsschritt der Rückwärtsauswahl durchgeführt. Für die Wahl des Modellgütekriteriums gibt es zahlreiche Möglichkeiten. So können Informationskriterien oder Gütekriterien, wie sie in Abschnitt 6.3 beschrieben werden, Verwendung finden. Im Rahmen der Forschungsvorhaben wurde der so genannte F-Test verwendet (siehe Abschnitt 6.3.1).
6.2.2 Neuronale Netze für die stationäre Modellbildung Künstliche Neuronale Netze [21] sind aus der Idee entstanden, natürliche Neuronale Netze und somit Teile von Gehirnzellen nachzubilden. Neuronale Netze entstehen durch Verbindung einzelner Neuronen. Ein natürliches Neuron (Nervenzelle) besteht aus dem Zellkörper der den Zellkern enthält. Vereinfacht dargestellt befinden sich an dem Zellkörper die Dendriten, über die die Zelle Signale empfängt. Signale von der Zelle können über das Axon ausgegeben werden. Die Vernetzung mehrerer Neuronen findet über Synapsen statt, die das Bindeglied zwischen dem Axon einer Zelle und den Dendriten anderer Zellen darstellen. Die Signalverarbeitung in einem Neuron ist in Bild 6-11 dargestellt. Die Bezeichnungen beinhalten sowohl die technischen als auch die äquivalenten biologischen Termini.
Bild 6-11: Zur Erklärung der Neurons
142
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
Durch die Synapsen verstärkte oder abgeschwächte Signale von anderen Zellen erreichen den Zellkern über die Dendriten. Erreicht die Summe der Signale eine gewisse Stärke, so wird von dem Neuron selbst ein Signal erzeugt. Dieser Vorgang wird als Aktivierung bezeichnet. Das Signal wird über das Axon bis zu den Synapsen geleitet und dort verstärkt bzw. abgeschwächt, bevor es andere Zellen erreicht. Der Freischnitt des Systems erfolgt eingabeseitig bei künstlichen Neuronen an verschiedenen Stellen. Zum einen gibt es Neuronale Netze, bei denen die Eingänge gewichtet werden, also vor den Synapsen liegen. Zum anderen kann auch nach den Gewichten w freigeschnitten werden, so dass die Eingänge den Dendriten entsprechen. Die Eingangssignale werden zunächst durch den Eingangsoperator vorverarbeitet. Dabei kann es sich z.B. um eine Summation handeln. Die erzeugte Aktivierung wird durch die Aktivierungsfunktion verarbeitet. Über das Axon/den Ausgang wird das generierte Signal wiederum an die Synapsen/Gewichte weitergeleitet. Neuronale Netze können z.B. in die Kategorien Multi-Layer-Perzeptrons (MLPs) und Radiale Basisfunktionen Netze (RBF-Netze) unterteilt werden. Multi-Layer Perzeptrons (MLP) können beliebige Funktionen zur Aktivierung besitzen. Meist handelt es sich um sigmoide Funktionen. Die Netze bestehen aus gewichteten Netzeingaben, die durch den Eingangsoperator summiert werden und die Aktivierungsfunktion anregen, Bild 6-12a. Die Ausgänge der ersten Neuronenschicht sind die Eingänge der nächsten Neuronenschicht. Es folgt eine beliebige Anzahl von Neuronenschichten. Der Ausgang des in Bild 6-12a dargestellten Multi-Layer Perzeptrons ergibt sich zu M § § 2 γ ¨ w2 + yˆ = φ ¨ w02 + wm ¨ ¨ m0 m =1 © ©
¦
p
· · ¸, ¸ ¹ ¹
¦ w1mj u j ¸¸ j =1
(6.10)
wobei γ die Aktivierungsfunktion (Sigmoide) ist und Φ die Gewichtung des Ausgangs. Eine große Herausforderung bei der Approximation mit Multi-Layer-Perzeptrons ist die Anpassung der Gewichte. Dabei handelt es sich um ein nichtlineares Optimierungsproblem [22].
Bild 6-12: Topologie Neuronaler Netze nach [23]; a) MLP, eine Schicht (links), b) RBF (rechts)
Als zweiter Vertreter der Neuronalen Netze sind die "Radialen Basisfunktionen-Netze" (RBF). Der Name leitet sich aus den Aktivierungsfunktionen dieser Netze ab. Es handelt sich dabei um lokal begrenzte, im unnormierten Zustand symmetrische Basisfunktionen, typischerweise Gaußfunktionen.
6.2 Modellbildung
y=
1( x − c ) − e 2σ 2
143
2
(6.11)
Dabei ist x die Aktivierung, c der Center der Gaußglocke und σ die Standardabweichung. Das RBF-Netz besteht aus den Eingaben, der Neuronenschicht und der Ausgabeschicht, Bild 6-12b. Der wichtigste Unterschied zum MLP besteht darin, dass die Eingänge nicht gewichtet werden und somit das nichtlineare Optimierungsproblem vermieden werden kann. Allerdings muss ein Verfahren implementiert werden, dass die Center und Standardabweichungen der Gaußglocken festlegt. Die Neuronenausgänge hingegen werden gewichtet und zum Netzausgang summiert, wobei sich diese Ausgangsgewichte über eine Regression bestimmen lassen. Der Zusammenhang zwischen Eingängen und Ausgängen lässt sich über die Beziehung 1 T § − ( u − cm ) ¦ ( u − c m ) · M 2 ¨ ¸ m y = φ ¨ w0 + wm e ¸ ¨ ¸ m =1 © ¹
¦
(6.12)
bei RBF-Netzen berechnen. LOLIMOT [24, 23] ist ein am Institut für Automatisierungstechnik der TU Darmstadt entwickeltes spezielles Neuronales Netz, ähnlich zum RBF-Netz. Anschaulich dargestellt werden lokal lineare Modelle erstellt und diese mit normierten radialen Basisfunktionen (normierten Gaußglocken) gewichtet. Im Gegensatz zu herkömmlichen RBF-Netzen werden die Gewichte wi also durch lineare Modelle ersetzt. Dies wird in Bild 6-13 veranschaulicht. Die Parameter Standardabweichung und Center werden bei LOLIMOT über einen Partitionierungsalgorithmus vorgegeben, der festlegt, welches Neuron in welchem Bereich des Eingangsraumes aktiv ist bzw. darüber hinaus bestimmt, wie viele Neuronen in gewissen Gebieten des Eingangsraumes notwendig sind, um die Ausgänge gut abzubilden.
Bild 6-13: Modellbildung mit LOLIMOT
Der in Bild 6-14 dargestellte Algorithmus funktioniert iterativ. Die Iterationsschritte verlaufen wie folgt:
144
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
– Der Unterraum (das Neuron oder Teilmodell), welcher die schlechtesten Ergebnisse erzielt, wird neu partitioniert. – Dazu teilt der Algorithmus den Unterraum achsen-orthogonal in allen denkbaren Richtungen und testet jeweils die Verbesserung. – Die Teilung / das Neuron, welches die Modellbildung am meisten verbessert, wird beibehalten.
Bild 6-14 Partitionierungsalgorithmus von LOLIMOT nach [23]
Bei jeder Iteration wird so dem Netz ein neues Neuron bzw. lineares Teilmodell hinzugefügt, bis ein Abbruchkriterium erfüllt wird. Bevor die gewonnenen statischen Modelle zur Berechnung optimaler Stellgrößen verwandt werden können, müssen die Modelle validiert werden. Verschiedene Möglichkeiten zur Modellanalyse werden im folgenden Abschnitt näher erläutert.
6.3 Modellanalyse Die Beurteilung von Modellen stellt in der Praxis eine große Herausforderung dar, da das „wahre Modell“ unbekannt ist und das Motorverhalten aus zeitlichen Gründen nur an bestimmten Koordinaten untersucht werden kann. Zur Beurteilung eines Modells stehen bei allen Modellansätzen die Messwerte yi, die entsprechenden berechneten Werte yˆ und die Anzahl der Messwerte N zur Verfügung. Die Abweichung zwischen diesen Werten soll über alle Punkte summiert und anschließend quadriert als Quadratsumme bezeichnet werden. Aus den Messwerten und den mit dem Modell berechneten Werten lässt sich auf einfache Weise eine erste Kennzahl berechnen. Die Summe der quadrierten Abweichungen (Residuen) zwischen Messwerten und Schätzwerten wird „nicht erklärte Quadratsumme“ bzw. „Quadratsumme der Residuen“ genannt oder mit dem englischen Begriff sum of squared errors (SSE) bezeichnet:
6.3 Modellanalyse
145
N
SSE =
¦ ( yi − yˆi )2
(6.13)
i =1
Zwei weitere Kenngrößen erhält man, wenn man den Mittelwert in die Betrachtungen einbezieht, Bild 6-15. Es handelt sich zum einen um die Quadratsumme der Abweichungen zwischen Schätzwerten und Mittelwert (der Quadratsumme der Regression, engl. sum of squares of the regression (SSR)), zum anderen kann die quadrierte Differenz zwischen Messwerten und Mittelwert berechnet werden, also die Gesamtquadratsumme, engl. sum of squares total (SST).
Bild 6-15: Quadratsummenzerlegung
N
SSR =
¦ ( yˆi − y )2
(6.14)
i =1
SSR =
N
N
N
i =1
i =1
i =1
¦ ( yi − y )2 = ¦ ( yˆi − y )2 + ¦ ( yi − yˆi )2
(6.15)
Gleichung (6.15) wird als Quadratsummenzerlegung bezeichnet. Sie ergibt sich nicht ohne weiteres aus den Betrachtungen, besitzt aber für die hier vorgestellten Zusammenhänge Gültigkeit. Für die Anwendung in der Motorvermessung werden jeweils die gemessenen Werte einer Ausgangsgröße und die der Stellgrößen zu einem Modell verarbeitet. Zusätzlich wird der Mittelwert aus den Ausgangsgrößendaten ermittelt, so dass die Quadratsummen berechnet werden können. Die Quadratensummenzerlegung wird zur Schaffung neuer Kriterien genutzt. So basieren der F-Test im Rahmen der Varianzanalyse und das Bestimmtheitsmaß auf dieser Betrachtung. Es mag zunächst nicht einleuchtend erscheinen, weshalb der Mittelwert y in die Betrachtungen eingeschlossen wird. Erst durch Einführung des Mittelwerts ist jedoch eine Zerlegung der Gesamtabweichung möglich. Generell ist man bei der Modellbildung
146
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
bestrebt, einen hohen erklärten Anteil und einen geringen nicht erklärten Anteil zu erhalten. Dabei ist jedoch die Overfitting-Problematik zu beachten. Bei Regressionsmodellen kann auch die mit ANOVA (analysis of variance) abgekürzte Varianzanalyse genutzt werden [20, 25]. In Tabelle 6-1 ist ein ANOVA-Schema dargestellt. In der ersten Spalte steht die Quelle der Abweichungen, in der zweiten Spalte die beschriebenen Quadratsummen. In der dritten Spalte wird die Anzahl der Freiheitsgerade eingeführt (Degress of Freedom, df). Dabei steht P für die Anzahl der Parameter im Modell (ohne Offset) und N für die Anzahl der Messungen. Da die Abweichung relativ zum Mittelwert berechnet wird, geht ein Freiheitsgrad bei der Bestimmung von SST verloren. Tabelle 6-1: ANOVA Source of Variation
Sum of squares
Degrees of Freedom (df)
Mean Square
F MSR/MSE
Regression
SSR
P
MSR = SSR/df
Residual
SSE
N-1-P
MSE = SSE/df
Total
SST
N-1
Bei der Berechnung des nicht erklärten Anteils der Quadratsumme SSE ist ein P+1dimensionales Gleichungssystem bei der Schätzung der Modellparameter zu lösen, so dass sich die Anzahl der Freiheitsgrade um P+1 reduziert. Die aufgrund der Regression entstehende Varianz MSR ist abhängig von den geschätzten Parametern P. Deshalb ergibt sich der in der vierten Spalte stehende mean square für die Regression, also die entsprechende Varianz, durch SSR/df. Der mean square error MSE ist die durch die Residuen erklärte Varianz SSE/df. Zu bemerken ist an dieser Stelle, dass sich die Freiheitsgrade genauso zerlegen lassen wie die Quadratsummen, dieses für die Varianzen aber nicht gilt. In der letzten Spalte wird der F-Wert dargestellt. Der F-Wert kann für einen F-Test genutzt werden, der im folgenden Kapitel erklärt wird.
6.3.1 Der F-Test zur Regressorselektion Ein statistischer Test dient dazu Hypothesen zu überprüfen. Dazu muss zunächst die so genannte Nullhypothese H0 formuliert werden. Eine denkbare Nullhypothese wäre z.B., dass die Varianzen zweier Stichproben gleich sind H0: σ1 = σ2. Die so genannte Alternativhypothese würde dann lauten, dass die Varianzen nicht gleich sind H1: σ1 σ2. Entscheidet man sich im Rahmen eines Tests für die Alternativhypothese H1 obwohl die Nullhypothese H0 gilt, so nennt man dies α-Fehler (oder Fehler erster Art). In Tabelle 6-2 sind diese Zusammenhänge dargestellt [20].
6.3 Modellanalyse
147
Tabelle 6-2: Statistisches Testen Es gilt Entscheidung für
H0
H1
H0
ok
β-Fehler
H1
α-Fehler
ok
Um die Nullhypothese H0 überprüfen zu können muss eine Wahrscheinlichkeit α für den α-Fehler festgelegt werden. Da ein entsprechender Fehler nach Möglichkeit ausgeschlossen werden soll, wird α z.B. oft mit 0,05 festgelegt. Allerdings darf α auch nicht zu niedrig gelegt werden, da der Test dann sehr dazu neigt eine Entscheidung zu Gunsten von H0 zu treffen. Signifikanztests werden häufig zur Auswahl von Polynomtermen verwendet. So wird beim partiellen F-Test (Gleichung (6.16)) überprüft, ob sich durch einen neuen Polynomterm die Modellqualität über eventuell vorhandene Mess-Störungen (Rauschen) hinaus signifikant verbessert. Dazu wird die Streuungszerlegung betrachtet. Verglichen werden der durch den neuen Polynomterm hinzukommende erklärte Anteil der Streuung – also die Differenz der erklärten Streuungen mit und ohne den neuen Term - und der nicht erklärte Anteil der Streuung ohne neuen Polynomterm. Da bei einem F-Test [26] die Gleichheit zweier Varianzen überprüft wird (Nullhypothese H0: σ1 = σ2), müssen die Streuungen durch die ihnen zugehörigen Freiheitsgrade dividiert werden. Für den durch eine Variable zusätzlich erklärten Varianzanteil MSRdiff ergibt sich der Freiheitsgrad df1 = 1. Der nicht erklärte Varianzanteil MSEold ist abhängig von der Anzahl Messpunkte N und der Polynomterme m. Daraus folgt df2 = N – m. Die Testgröße F lässt sich dann einfach nach Gleichung (6.16) berechnen [25, 27]. F =
MSRdiff ( SSRnew − SSRold ) = MSEold SSEold / ( N − m )
(6.16)
Die Funktionsweise des statistischen Testens ist in Bild 6-16 dargestellt. Geprüft wird, ob bei einer F-Verteilung mit den vorgegebenen Freiheitsgraden (df1, df2) der Schwellwert α überschritten wird. Dazu wird aus dem nach Gleichung (6.16) berechneten F-Wert der zugehörige p-Wert berechnet. Ist dieser Wert niedriger als α, so muss die Nullhypothese (σ1 = σ2) abgelehnt werden, der entsprechende Term würde also in das Polynom aufgenommen [20]. Merksatz: „If p is low, reject H0“.
148
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
Bild 6-16: F-Test zur Hypothesenüberprüfung
6.3.2 Gütemaße zur Beurteilung stationärer Modelle Der erwähnte Mean Square Error (MSE) basiert auf demselben Fehler (SSE) wie das häufig verwendete LS-Schätzverfahren und ist deshalb sicherlich grundsätzlich ein geeignetes Kriterium für entsprechende Schätzungen. Es sollte bei Verwendung des MSE jedoch bedacht werden, dass größere Abweichungen stärker gewichtet werden als kleine. Dies führt dazu, dass Ausreißer hohe Auswirkungen haben. Durch die Quadrierung des Fehlers wird zwar die Gefahr abgewendet, dass sich Residuen mit unterschiedlichem Vorzeichen ausgleichen, allerdings wird der Fehler nicht mehr in denselben Einheiten angezeigt wie die Daten. Um den Fehler in denselben Einheiten darzustellen, wird die Wurzel aus dem MSE gezogen und es entsteht der RMSE (Root Mean Square Error). Weiterhin besteht die Möglichkeit die Fehlermaße zu normieren. Teilt man den SSE durch den SST, so erhält man den normalized mean square error (NMSE), also das Verhältnis der Summe der nicht erklärten quadrierten Abweichungen zur Summe der gesamten quadrierten Abweichungen:
¦ i =1( yˆi − yi )2 = SSE NMSE = N ¦ i =1( yi − y )2 SST N
(6.17)
Eine gute Approximation zeichnet sich durch einen NMSE-Wert nahe Null aus, eine schlechte durch einen Wert der knapp unter eins liegt. Durch Wurzelziehen erhält man den z.T. verwendeten NRMSE (normalized root mean square error). Ein verbreitetes Gütekriterium ist das Bestimmtheitsmaß R2 [8, 25]. Es setzt die durch das Modell erklärte Quadratsumme in das Verhältnis zur Gesamtquadratsumme:
6.3 Modellanalyse
149
¦ i =1( yˆi − y )2 = SSR N ¦ i =1( yi − y )2 SST N
R2 =
(6.18)
Entsprechend ist ein Wert nahe 1 bei der Berechnung von R2 ein Indikator für ein gutes Modell, ein Wert von Null steht für eine schlechte Modellannahme. NMSE und Bestimmtheitsmaß sind durch den Zusammenhang R2 + NMSE = 1 miteinander verbunden, so dass die Berechnung eines Wertes genügt. Vorteile der beiden Maße sind die Beschränktheit auf das Intervall [0,1] und die Homogenität. Unter Homogenität wird die Eigenschaft verstanden, dass eine Multiplikation von Beobachtungs- und Messwerten mit einem Faktor zu keiner Veränderung des Gütekriteriums führt [28]. Dies ist vor allem für Vergleiche wichtig. Oft ist es wünschenswert zu erfahren, wie die Qualität eines Modells in bestimmten Bereichen des Eingangsraumes einzuschätzen ist. Dazu werden Konfidenz- und Prognoseintervalle verwendet. Das Konfidenzintervall zeigt das Intervall auf, in dem der Erwartungswert von y(u0) mit der Wahrscheinlichkeit 1 – α liegt und kann nach Gleichung (6.19) berechnet werden [19].
(
)
K = yˆ ( u0 ) ± tα /2,N-P s uT0 UT U u0
(6.19)
Das Prognoseintervall hingegen veranschaulicht ein Intervall, in dem eine neue Beobachtung von y(u0) mit der Wahrscheinlichkeit 1 – α liegt (Gleichung (6.20)) nach [19]).
(
)
P = yˆ ( u0 ) ± tα /2,N-P s 1 + uT0 U T U u0
(6.20)
Neben den bereits erwähnten Gütemaßen finden auch die so genannten Informationskriterien bei der Bestimmung der Modellqualität Verwendung. Insbesondere bei der Regressorauswahl von Polynomen oder der Strukturanpassung von Neuronalen Netzen werden Kennzahlen wie Akaike`s Information Criterion (AIC) eingesetzt. Bei diesen Kriterien wird zu dem Modellfehler ein Maß für die Komplexität des Modells hinzuaddiert. Somit wird bei gleichem Modellfehler ein einfacheres Modell einem komplexeren Modell vorgezogen. Dadurch sollen sowohl der Varianz- als auch der Biasfehler minimiert werden. Die Aussagekraft der bisher beschriebenen Gütekriterien lässt sich durch so genannte Resamplingverfahren steigern.
6.3.3 Resamplingverfahren Die Berechnung der Gütemaße lediglich auf Basis der Daten die zur Modellbildung genutzt wurden, ist nicht immer sinnvoll. So kann es z.B. vorkommen, dass ein Schätzer bei gleicher Anzahl von Messdaten und zu ermittelnden Parametern zwischen den Messdaten interpoliert (Bild 6-17, schwarze Linie). Der SSE und alle darauf aufbauenden Kriterien würden bei der Beurteilung entsprechend ein sehr gutes Modell anzeigen. Deshalb ist man bei der Validierung von Modellen bestrebt, Daten zur Modellbildung (Trainingsdaten) und andere Daten zur Berechnung
150
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
der Modellgüte (Generalisierungs-/Validierungsdaten) zur Verfügung zu haben. Aus Zeit- und Kostengründen ist es jedoch gerade bei der Motorvermessung nicht immer möglich, zwei Datensätze zur Modellbildung und Bewertung zur Verfügung zu stellen.
Bild 6-17: Modellüberprüfung mit Validierungsdaten
Deshalb wird häufig die Kreuzvalidierung eingesetzt [29]. Dabei wird der gesamte Trainingsdatensatz in mehrere Datensätze aufgeteilt. Üblich ist zum Beispiel die Aufteilung in zehn Datensätze, was als 10-fach Kreuzvalidierung (10-fold cross validation (CV)) bezeichnet wird. Zum besseren Verständnis ist in Bild 6-18 eine Dreifach-Kreuzvalidierung gezeigt, die wie folgt abläuft.
Bild 6-18: Resampling-Verfahren am Beispiel der Kreuzvalidierung
Zunächst wird der Originaldatensatz in drei Datensätze aufgeteilt. Nun werden 3 Durchläufe gestartet, bei denen jeweils zwei Datensätze als Trainingsdaten zur Modellbildung und jeweils einer der drei Datensätze zur Simulation/Vorhersage eingesetzt werden. Aus dem Originaldatensatz (Messdaten) und den Vorhersagedaten können Gütekriterien berechnet werden.
6.3 Modellanalyse
151
Eine andere Form der Aufteilung wählt das leave-one-out-Verfahren (loo), auch Jackknife genannt. Jeder Datenpunkt ist dabei ein eigener Datensatz (1000 Messungen = 1000 Durchläufe). Der PRESS-Wert [19] (predicted residual error sum of squares) ist ein Sonderfall des jackknife-Verfahrens, bei dem das verwendete Kriterium der SSE ist. Für den PRESS-Wert existiert eine effektive Möglichkeit der Berechnung, die auf lediglich einer Parameterschätzung basiert: § yi − yˆi ¨ PRESS = ¨ i =1 ¨ 1 − uiT U T U © N
¦
(
)
· ¸ −1 ¸ ui ¸ ¹
2
(6.21)
Die Idee der PRESS-Statistik ist somit, den Wert yi, an welchem das Residuum gebildet werden soll, nicht bei der Bestimmung der Parameter einzubeziehen. Zur Vorhersage yˆ i an dem Messpunkt i wird yi also nicht bei der Modellbildung berücksichtigt, sodass der Fehler unabhängig von dem Messwert ist. Mit dem PRESS-Wert kann auch ein Bestimmtheitsmaß mit Hilfe von Resampling-Verfahren berechnet werden, wobei eine mehrfache Parameterschätzung nicht erforderlich ist. 2 =1− Rpredicted
PRESS
¦ i =1( yi − y )2 N
(6.22)
Auch für Modelle die nicht nach dem LS-Verfahren, sondern nach dem Weighted Least Squares Algorithmus geschätzt werden, gibt es entsprechende Kennzahlen [30]. Es sei hier weiterhin erwähnt, dass als drittes Resamplingverfahren die so genannte BootstrapMethodik verwendet werden kann [31].
6.3.4 Umgang mit Ausreißern Der Umgang mit Ausreißern wird ausführlich in [32] untersucht. Aus diesem Grund wird an dieser Stelle auf eine ausführliche Betrachtung verzichtet. Es sollen lediglich die standardisierten Residuen ei´ (engl. studentized residuals) als Methode zur Ausreißerentfernung betrachtet werden. Sie werden üblicherweise mit Hilfe der PRESS-Statistik berechnet. Dabei ist s die geschätzte Standardabweichung. ei′ =
yi − yˆi
(
s 1 − uiT U T U
)
−1
(6.23) ui
Überschreiten die standardisierten Residuen einen bestimmten Schwellwert, z.B. 2, so wird der zugehörige Datenpunkt aus dem Datensatz entfernt und die Modellbildung wiederholt. Die Idee der standardisierten Residuen ist in Bild 6-19 dargestellt. Gezeigt wird die Normalverteilung der standardisierten Residuen. Um Ausreißer zu entfernen werden alle Punkte außerhalb des grauen Bereiches entfernt ( ei′ > 2 ). Dabei wird in Kauf genommen, dass möglicherweise auch dann einige Datenpunkte entfernt werden, wenn keine
152
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
Ausreißer vorhanden sind. Bei der Berechnung der studentisierten Residuen wird die PRESS-Statistik nicht nur auf die Residuen, sondern auch auf die Standardabweichung angewandt. Noch einfacher und intuitiver als die vorgestellten Kennzahlen lassen sich grafische Methoden zur Modellgütebestimmung einsetzen.
Bild 6-19 Ausreißererkennung
6.3.5 Grafische Methoden zur Beurteilung stationärer Modelle Die Beurteilung der Modellqualität mit Hilfe grafischer Methoden bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten. Die einfachste Darstellung ist der XT-Plot (Bild 6-20a) [33]. Hier werden die Messungen über die Messfolge aufgetragen. Grobe Ausreißer können in einer solchen Grafik bereits erkannt werden. Sind zusätzlich Wiederholpunkte markiert (hier Rauten), so können auch Drift-Phänomene beobachtet werden. Weiterhin können die Messungen auf Quereinflüsse (z.B. durch Temperaturen) überprüft werden, in dem beobachtet wird, ob die entsprechenden Größen während der Messung konstant blieben.
Bild 6-20: Einfache grafische Validierungsmethoden; a) XT-Plot (Amplitude – Messfolge) (links), b) Measured vs. Predicted Plot (rechts)
6.3 Modellanalyse
153
Im Measured vs. Predicted Plot (Bild 6-20b) werden die aus dem Modell berechneten Ausgangsgrößen über den gemessenen Größen aufgetragen. Die Schwankungen um diese Diagonale geben Auskunft über die Modellqualität im Bezug auf systematische Fehler (Bias) und stochastische Störungen. Würde ein biasfreies Modell vorliegen und wären die Messwerte nicht mit Mess-Störungen (Rauschen) behaftet, so müssten die Punkte auf einer 45°-Linie liegen, die üblicherweise in der Grafik eingezeichnet wird. Besonders starke Abweichungen einzelner Messungen können auf Ausreißer hinweisen. Treten Abweichungen in einem bestimmten Wertebereich stark gehäuft auf, so lässt dies die Vermutung zu, dass es sich hier um einen Modellfehler handelt. Über Wiederholpunkte kann im Measured vs. Predicted Plot erkannt werden, wie stark der Einfluss von Mess-Störungen ist. Der Intersection Plot ermöglicht die Visualisierung der Abhängigkeit zwischen verschiedenen Eingangsgrößen und einer bestimmten Ausgangsgröße, Bild 6-21. Dazu wird ein Punkt (intersection point) im mehrdimensionalen Eingangsraum ausgewählt.
Bild 6-21: Intersection Plot (Schnittdarstellung); a) 3D-Darstellung (links), b) 2D-Schnitte für Schnittpunkt 6 (rechts)
Durch diesen Punkt wird parallel zu der Achse jeder Eingangsgröße eine Schnittebene gelegt. Diese Schnittebenen werden nebeneinander grafisch dargestellt, wobei oft Zusatzinformationen - wie z.B. Prognoseintervalle - eingezeichnet werden. In Bild 6-21 ist ein zweidimensionales Beispiel zu sehen. Es wurden zusätzlich Prognoseintervalle berechnet (Gleichung (6.20)) und visualisiert, Bild 6-21b. Da zu einem Schnittpunkt nur ein Teil des mathematischen Modells betrachtet werden kann, ist eine Interaktionsmöglichkeit vorgesehen, um einen neuen Schnittpunkt auszuwählen. Dabei handelt es sich zum Beispiel um ein Fadenkreuz im Intersection Plot, mit dem ein neuer Wert jeweils einer Eingangsgröße per Mausklick ausgewählt werden kann. Entsprechend werden dann die Grafiken für diesen neuen Schnittpunkt angepasst. Eine vollständige Visualisierung des Versuchsraumes ist jedoch bei vielen Eingangsgrößen kaum durchzuführen, da die Anzahl der zu untersuchenden Schnittpunkte mit der Anzahl der Eingangsgrößen exponentiell steigt („Fluch der Dimension“). Der Normal Probability Plot (Bild 6-22) ist intuitiv anzuwenden, der theoretische Hintergrund ist jedoch im Vergleich zu den anderen Grafiken komplexer. Oft wird die Annahme getroffen, dass das Rauschen und somit die Residuen des biasfreien Modells nor-
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6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
malverteilt sind. Daraus ergibt sich als Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion (probability density function = pdf) für die Modellfehler die typische Gaußglocke. Das Integral dieser Funktion ergibt die kumulative Verteilungsfunktion (cumulative distribution function = cdf). Durch eine neue Skalierung der Ordinate kann diese Funktion in die Form einer Gerade überführt werden. Der Normal Probability Plot baut auf dieser Skalierung und der Darstellung der Normalverteilung als Gerade auf. Hierzu wird die Wahrscheinlichkeit bei N Messwerten in N Stufen zwischen 0 und 1 unterteilt ((i – 0,5)/N), wobei i die Zählvariable für die i-te Stufe ist. Über die Normalverteilung werden die zu den Wahrscheinlichkeiten gehörigen theoretischen Werte der Zufallsvariablen (hier standardisierte Residuen) bestimmt. Die theoretischen Werte der standardisierten Residuen werden über die berechneten Residuen geplottet (rechte Skala in Bild 6-22b). Wird die Skala der y-Achse wie beschrieben angepasst, dann kann sie statt mit den Residuenwerten der Standardnormalverteilung auch mit den dazugehörigen Wahrscheinlichkeitswerten beschriftet werden (linke Skala in Bild 6-22a), da ein fester Zusammenhang zwischen der Zufallsvariable und der Wahrscheinlichkeit besteht. Liegen die eingezeichneten Punkte auf einer Gerade, so kann die Annahme der Normalverteilung bestätigt werden.
Bild 6-22: Normal Probability Plot; a) Herleitung (oben), b) für stationär gemessene Werte (unten)
Eine andere Methode der visuellen Überprüfung von Modellen ist z.B. die Residuen über die gemessenen oder vorhergesagten Werte aufzutragen. Die daraus abzuleitenden Aussagen lassen sich jedoch auch aus dem Measured vs. Predicted Plot entnehmen. Weitere Techniken sind z.B. der Interaction Plot (der Einfluss von Wechselwirkungen auf einen Ausgang wird betrachtet) oder die dreidimensionale Darstellungen der Modelle. Diese Methoden spielen jedoch eine untergeordnete Rolle.
6.4 Optimierung der Steuerung (ein Beispiel)
155
Ist die Güte der ermittelten Modelle nicht akzeptabel, so muss die Modellbildung mit veränderter Parametrierung der Identifikationsalgorithmen durchgeführt werden. Anschließend werden die Modelle erneut beurteilt. Liegen gute Ergebnisse vor, so kann die Anwendung der Modelle erfolgen.
6.4 Optimierung der Steuerung (ein Beispiel) Die Optimierung der Steuerfunktionen des Motors wird in Bezug auf den Verbrauch durchgeführt, mit der Bedingung, dass die gesetzlichen Emissionsvorgaben eingehalten werden. In der Einleitung wurden bereits die Grenzwerte der Emissionen dargestellt. Diese Emissionsgrenzwerte dürfen am Ende eines Fahrzyklus nicht überschritten werden. Entsprechende Fahrzyklen werden ebenfalls gesetzlich vorgegeben [1, 34, 35]. Der MVEG-Test (Motor Vehicle Emission Group) ist derzeit gültiger Standard in Europa, Bild 6-23a. Der Zyklus besteht zum einen aus Teil I, der sich aus vier Stadtfahrtsegmenten von je 195 Sekunden Dauer zusammensetzt. Diese Segmente werden UDC (Urban Driving Cycle) genannt. Teil II ist ein außerstädtischer Zyklus und wird üblicherweise mit EUDC (Extra Urban Driving Cycle) bezeichnet. Um einen Motor auf den entsprechenden Zyklus zu optimieren, werden z.B. 10 charakteristische stationäre Betriebspunkte (Last/Drehzahl) ausgesucht, die besonders häufig in diesem Zyklus vorkommen, Bild 6-23b. Die Extraktion der entsprechenden Betriebspunkte setzt Daten des Fahrzeugs voraus, in dem der zu optimierende Motor später verbaut wird. So sind Fahrwiderstände und Getriebeübersetzungen zu beachten. Die Betriebspunkte werden zur Optimierung entsprechend ihres Vorkommens im Fahrzyklus gewichtet. In Bild 6-23b wird dies durch die Größe der Fläche der markierten Betriebspunkte gekennzeichnet.
Bild 6-23: Fahrzyklus-Optimierung; a) MVEG (links), b) 10-Mode-Test (rechts)
156
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
Somit lässt sich das Optimierungsziel beispielsweise wie folgt definieren: Gesucht werden die optimalen Einstellungen von z.B. 6 Stellgrößen (z.B. AGR, VTG) in 10 Betriebspunkten, so dass bei Gewichtung (mit den Gewichten wi) der einzelnen Betriebspunkte der Verbrauch (BE) minimal ist und die gesetzlichen Vorgaben erfüllt werden. Mathematisch betrachtet ergibt sich folgendes Optimierungsproblem: Zielfunktion: f ( u1,1,..., u6,10 ) = w1BE1 ( u1,1,..., u6,1 ) + ... + w10 BE10 ( u1,10 ,..., u6,10 )
(6.24)
Nebenbedingungen: N1 ( u1,1,..., u6,10 ) = w1NOX1 ( u1,1,..., u6,1 ) + ... + w10 NOX10 ( u1,10 ,..., u6,10 ) ≤ G1
(6.25)
N 2 ( u1,1,..., u6,10 ) = w1HC1 ( u1,1,..., u6,1 ) + w1NOX 1 ( u1,1,..., u6,1 ) + "
(6.26)
N3 ( u1,1,..., u6,10 ) = w1CO1 ( u1,1,..., u6,1 ) + ... + w10CO10 ( u1,10 ,..., u6,10 ) ≤ G3
(6.27)
N 4 ( u1,1,..., u6,10 ) = w1PM1 ( u1,1,..., u6,1 ) + ... + w10 PM10 ( u1,10 ,..., u6,10 ) ≤ G4
(6.28)
" + w10 HC10 ( u1,10 ,..., u6,10 ) + w10 NOX10 ( u1,10 ,..., u6,10 ) ≤ G2
Hier sind Nm die Funktionen, mit denen die Nebenbedingungen abgebildet werden und Gm die Grenzwerte, die sich aus den gesetzlichen Bestimmungen ergeben. Bei der Implementierung werden die Nebenbedingung üblicherweise so umgestellt, dass sich ein Grenzwert von Null ergibt: gm = Nm – Gm 0 [36]. Die zu minimierende Funktion f(u) wird Zielfunktion genannt und ist die gewichtete Summe der Verbräuche in den einzelnen Betriebspunkten. Es ist zu beachten, dass die Stellgrößen nur in einem begrenzten Bereich variiert werden können, der zudem in jedem Betriebspunkt unterschiedlich ausfällt. Daraus ergeben sich folgende Schranken: sun ≤ u ≤ sob
(6.29)
Der Stellgrößenvektor u besteht dabei z.B. aus 10 x 6 = 60 Stellgrößen. Der Vektor sun besteht aus den 60 unteren Schranken, der Vektor sob aus den 60 oberen Schranken. Da die Nebenbedingungen und die Zielfunktion mit Hilfe nichtlinearer Modelle approximiert werden, handelt es sich hier um ein nichtlineares Optimierungsproblem. Das bedeutet, dass unter Umständen mehrere lokale Minima vorhanden sind. Gradientenabstiegsverfahren, die in Richtung des steilsten Abstiegs ein Optimum suchen, können deshalb nicht ohne weiteres eingesetzt werden, da sie nur nach einem lokalen, aber nicht nach dem globalem Optimum suchen. Eine Möglichkeit besteht darin, ein StartpunktGitter über den Eingangsraum zu legen und den Algorithmus entsprechend oft zu starten. Bei dieser Vorgehensweise steigt aber die Anzahl der Startpunkte und somit der Funktionsaufrufe – wie bei der Rastervermessung – exponentiell. Deshalb werden zur Lösung von nichtlinearen Optimierungsproblemen oft Evolutionäre Algorithmen verwendet.
6.4 Optimierung der Steuerung (ein Beispiel)
157
6.4.1 Grundlagen evolutionärer Algorithmen Evolutionäre Algorithmen ahmen den Prozess der Evolution aus der Natur nach. Dazu werden zunächst verschiedene Startpunkte (z.B. zufällig) aus dem Eingangsraum gewählt. Im Fall der Optimierung von Verbrennungsmotoren handelt es sich um Vektoren mit beispielsweise 6 * 10 Elementen, wobei die Werte der Elemente für die sechs Stellgrößen (z.B. AGR, VTG ...) in den 10 Betriebspunkten stehen (u = [u1,1,...,u6,10]). Einen solchen Vektor, der eine potentielle Lösung darstellt, nennt man Individuum. Die Startvektoren sind die erste Elterngeneration. Nachdem die Elterngeneration erzeugt wurde, können die typischen Mechanismen eines evolutionären Algorithmus durchgeführt werden [37 – 39]. Selektion: Mit Hilfe der sogenannten Fitnessfunktion wird die Güte der einzelnen Individuen bestimmt. Bei einer Optimierung ohne Schranken und Nebenbedingungen entspricht die Fitnessfunktion der Zielfunktion. Übertragen auf den Verbrennungsmotor bedeutet dies, dass für die verschiedenen Startvektoren (Individuen der Elterngeneration) der Verbrauch berechnet wird. Eine bestimmte Anzahl von Individuen mit den geringsten Fitnessfunktionswerten (Verbrauch) wird selektiert um weitere Lösungen (Nachkommen) zu erzeugen. Rekombination: Bei der Rekombination werden die Komponenten von zwei oder mehr Elternvektoren zu einem Nachkommensvektor gleicher Länge kombiniert. Dies kann z.B. durch Mittelwertbildung einzelner Elemente der Vektoren geschehen (intermediäre Rekombination) oder durch Auswahl einzelner Elemente, was als diskrete Rekombination bezeichnet wird. Bei dieser Lösung würde z.B. die Stellung des AGR-Ventils in Betriebspunkt von Elter 1 übernommen, während das PWM-Tastverhältnis des Turboladers als Stellgröße von Elter 2 stammen könnte. Mutation: Die erzeugten Kinder werden leicht verändert. Dadurch können auch Bereiche des Eingangsraumes nach einer Lösung durchsucht werden, die durch Rekombination nicht erreicht werden. Es handelt sich also um eine lokale Suche. Die beschriebenen Mechanismen (Bild 6-24) gelten für die verschiedenen Ausprägungen evolutionärer Algorithmen. Für das hier vorliegende Problem könnten genetische Algorithmen oder evolutionäre Strategien eingesetzt werden. Der Hauptunterschied zwischen den Methoden besteht darin, dass genetische Algorithmen die Vektorenwerte mit Hilfe eines Alphabets codieren. Dies kann z.B. eine binäre Codierung sein, in der im Falle des Verbrennungsmotors dann die Stellgrößenwerte vorliegen. Bei 60 Variablen, die durch eine binäre Codierung präzise abgebildet werden sollen, entstehen dabei sehr lange Ausdrücke, deren Verarbeitung sehr aufwendig ist. Bei derartigen Problemen wird vorgeschlagen Real Coded Genetic Algorithms (RCGA) [40] zu verwenden, bei denen die Variablen nicht codiert werden. So besteht in diesem Punkt kein Unterschied mehr zwischen einer evolutionären Strategie und genetischen Algorithmen. Ein weiterer Gegensatz besteht nach [41] und [40] darin, dass bei genetischen Algorithmen historisch gesehen die Rekombination eine primäre Rolle, die Mutation eine sekundäre Rolle spielt. Aber auch diese Unterschiede verschwinden bei neueren Implementierungen zunehmend. Die verschiedenen Mechanismen werden im Folgenden konkretisiert.
158
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
Bild 6-24: Mechanismen Evolutionärer Algorithmen
6.4.2 Mutation Die Mutation bei evolutionären Strategien kann z.B. nach folgender Gleichung durchgeführt werden: ∗ ui,j,z ( l + 1)
mutierter Nachkomme
= ui,j,z ( l + 1) +
Nachkomme
σ i,j,z ( l + 1)
Mutationsweite
∗
zi,j,z N
Zufallszahl
(6.30)
Auf den Verbrennungsmotor übertragen bedeutet dies beispielsweise für das Element ∗ u1,3,23 (500): Die Stellgröße i = 1 = AGR im Betriebspunkt j = 3 der potenziellen Lösung z = 23 (Individuum 23) wird in der Generation l = 499 + 1 mutiert. Die Mutation besteht aus der Mutationsweite σi,j,z(l + 1) multipliziert mit einer normalverteilten Zufallszahl zi,j,z. In der Praxis können die Indizes i und j zu dem Index i zusammengefasst werden, da evolutionäre Strategien blind sind und es sich bei den 6 Stellgrößen in 10 Betriebspunkten lediglich um 60 Variablen handelt. Auf binär codierte genetische Algorithmen kann die vorgestellte Vorgehensweise nicht angewendet werden, da nur Nullen und Einsen als Werte in Frage kommen. Bei Verwendung von Real Coded Genetic Algorithms können diese oder verwandte Methoden jedoch eingesetzt werden, wodurch die Grenzen zwischen den genetischen und den evolutionären Ansätzen weiter verschwimmen. Als Beispiel sei hier die Non-uniform Mutation genannt [40, [42]. Dabei ergibt sich Variable ui∗ des Individuums z in der Generation l + 1 zu
6.4 Optimierung der Steuerung (ein Beispiel)
u ( l + 1) + Δ ( l + 1, sob,i − ui , z ( l + 1) ) wenn τ = 0 ∗ l + 1 = ° i,z ui,z , ( ) ® °¯ ui,z ( l + 1) + Δ ( l + 1, ui,z ( l + 1) − sun,i ) wenn τ = 1
159
(6.31)
wobei τ zufällig der Wert 0 oder 1 zugewiesen wird. Der Mutationsterm ergibt sich zu b § § l +1 · · ¨1− ¸ ¸ ¨ g Δ ( l + 1, y ) = y ¨1 − r © max ¹ ¸ ¨ ¸ © ¹
(6.32)
mit y = sob,i – ui,z(l + 1) oder y = ui,z(l + 1) – sun,i. Hier ist r eine Zufallszahl auf dem Intervall [0,1] und b ein Tuning-Parameter, der die Abhängigkeit von der Anzahl der Generationen bestimmt. Die Anzahl der Generationen muss bei dieser Art von Mutation als gmax vorgegeben werden. Dieser Parameter kann gleichzeitig als Abbruchkriterium verwendet werden.
6.4.3 Rekombination Die Rekombination wird bei Anwendung von genetischen Algorithmen auch Crossover genannt. Crossover ist ein Begriff aus der Genetik, der den Austausch genetischer Informationen beschreibt. An dieser Stelle soll ein solches Crossover-Verfahren beschrieben werden, welches den RCGA zugeordnet wird, aber sich prinzipiell auch auf evolutionäre Strategien anwenden lässt. Es handelt sich um den Simulated Binary Crossover [40, 43]. Dabei ergeben sich Nachkommenswerte ui,1(l + 1) und ui,2(l + 1) der Variable i durch die entsprechenden Elternwerte ui,1(l) und ui,2(l) nach folgenden Gleichungen: ui,1 ( l + 1) = 0,5 ( (1 + β ) ui,1 ( l ) + (1 − β ) ui,2 ( l ) )
(6.33)
ui,2 ( l + 1) = 0,5 ( (1 − β ) ui,1 ( l ) + (1 − β ) ui,2 ( l ) )
(6.34)
Der Parameter β wird durch 1 ° ( 2r )η +1 ° 1 β =® ·η +1 1 °§ °¨¨ 2 (1 − r ) ¸¸ ¹ ¯©
wenn r ≤ 0,5
(6.35) sonst
berechnet. Der Tuningfaktor η muss nicht negativ gewählt werden und ist ein Maß für die Wahrscheinlichkeit Nachkommen zu erzeugen, die ihren Eltern ähnlich sind [40]. Die Zufallszahl r ist auf dem Intervall [0,1] gleichverteilt.
160
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
6.4.4 Selektion und Nebenbedingungen Die Auswahl von Elternindividuen erfolgt auf Basis der Fitnessfunktion F(u). Zum einen spielt bei der Berechnung der Zielfunktion f(u) (hier der Verbrauch) eine große Rolle, zum anderen soll sich der Fitnessfunktionswert verschlechtern, sobald Nebenbedingungen verletzt werden. Ein verbreitetes Verfahren ist das Einführen von Straftermen (Penaltytermen) zu der Zielfunktion: F ( u ) = f ( u ) + cP ( u )
(6.36)
Dabei ist P (u ) =
¦ ( max ( 0, gm | ( u )) )
2
(6.37)
mit den (normierten) Nebenbedingungen gm und der Konstante c, die speziell bei einer iterativen Vorgehensweise im Rahmen von Gradientenverfahren schrittweise erhöht wird. Bei evolutionären Algorithmen spielt diese Konstante eine untergeordnete Rolle. Der Nachteil der Strafterme ist, dass sie die Zielfunktion stark verzerren. Deshalb ist folgende in [44] vorgeschlagene und in [40] umgesetzte Methode vorzuziehen: Es wird eine sogenannte paarweise Turnierselektion durchgeführt, bei der zwei Individuen verglichen werden und das bessere Individuum zwei Nachkommen erhält. Die Vorgehensweise verläuft nach folgenden Regeln: 1. Eine Lösung die keine Nebenbedingungen verletzt, wird einer Lösung die Nebenbedingungen verletzt vorgezogen. 2. Unter zwei Lösungen, die die Nebenbedingungen nicht verletzen, wird diejenige mit dem besseren Fitnesswert gewählt. 3. Verletzen beide Individuen die Nebenbedingungen, so wird diejenige Lösung gewählt, bei der die Verletzung weniger groß ist. Vorteilhaft bei diesem Umgang mit den Nebenbedingungen ist auch, dass kein Tuningparameter verwendet wird. Die Fitnessfunktion setzt sich hier aus der Zielfunktion (Verbrauch) und der Summe der normierten Nebenbedingungen zusammen, wobei die Nebenbedingungen wie bereits erklärt umgestellt werden gm = Nm – Gm 0. ° f ( u ) F (u) = ® °¯ f max +
¦ gm ( u )
falls g m ( u ) ≤ 0, sonst
(6.38)
Dabei ist fmax eine Konstante, die größer oder gleich dem größtmöglichen Wert der Zielfunktion f(u) ist. Der beste Wert der Fitnessfunktion F(u) ist bei dem hier vorgestellten Problem der niedrigste Wert. Ein generelles Problem bei der Rekombination und Mutation ist, dass ElternIndividuen mit guten Eigenschaften durch die beiden Mechanismen zerstört werden und durch eventuell schlechtere Nachkommen ersetzt werden. Um dies zu verhindern, sollten sogenannte Eliten gebildet werden. Dies bedeutet, dass eine vorzugebende Anzahl von Eltern nicht den Mechanismen Mutation, Rekombination und Selektion unterworfen werden, sondern direkt einen Platz in der nächsten Generation erhalten. Eine weitere Schwierigkeit bei evolutionären Algorithmen ist die verfrühte Konvergenz: Ein Individuum mit
6.4 Optimierung der Steuerung (ein Beispiel)
161
hohem Fitnesswert erzeugt schnell viele Nachkommen, so dass sich nach wenigen Generationen die gesamte Population im Bereich dieses lokalen Optimums befindet. Damit ein Algorithmus die Möglichkeit erhält auch in anderen Bereichen der Eingangsraumes nach Optima zu suchen, wird das sogenannte Niching [40] eingesetzt. Die Idee ist es, über viele Generationen Nischen und somit eine hohe Diversität der Individuen zu erhalten. Diese Nischen werden in der Praxis dadurch erzeugt, dass Individuen selektiert werden, zwischen denen eine Mindestdistanz liegt. Diese normierte Distanz wird durch d1,2 =
n 1 § ui,1 − ui,2 · ¨ ¸ n i =1 ¨© sob,i − sun,i ¸¹
¦
2
(6.39)
berechnet. In der vorgestellten Selektion kann Niching wie folgt integriert werden: Wenn beide Individuen keine Nebenbedingung verletzen, wird die Distanz d1,2 berechnet. Ist die Distanz kleiner als die kritische Distanz dkrit, so wird das Individuum mit der besseren Fitness ausgewählt. Ist die Distanz größer, so wird ein anderes Individuum zum Vergleich ausgewählt. Wird nach nf Wiederholungen kein Individuum innerhalb der kritischen Distanz gefunden, so wird das erste Individuum ausgewählt.
6.4.5 Optimierungsbeispiel mit evolutionären Algorithmen Für dieses Optimierungsbeispiel wurden Daten der Firma AVL verwendet, bei denen ein Common-Rail Dieselmotor mit Abgasrückführung und variabler Turbinengeometrie vermessen wurde [47]. Es handelt sich um Messdaten, bei denen die für die Nebenbedingungen relevanten Größen bereits auf die für Optimierung relevanten Einheiten (g/km) umgerechnet wurden. Die Modellbildung erfolgte mit Polynomen, die Überprüfung der Modellgüte durch das Bestimmtheitsmaß. Für die Optimierung wurde ein Real Coded Genetic Algorithm verwendet. Es wurden für die Schritte Selektion – Rekombination – Mutation die in den entsprechenden Abschnitten erklärten Methoden implementiert. Die Grenzen wurden wie folgt abgefangen: Bei der Rekombination und Mutation wurden die Tuning-Parameter (wie die Mutationsschrittweite) so eingestellt, dass nur relativ geringe Verletzungen der Grenzen möglich sind. Sollten die Grenzen überschritten werden, so werden die Variablen auf die Grenzen gesetzt. Während der Vermessungen wurden die Größen Piloteinspritzmenge, Piloteinspritzzeitpunkt, Ladedruck, Haupteinspritzzeitpunkt, Luftmasse und Raildruck verstellt. Für diese Größen galt es, die optimalen Einstellungen in 10 Betriebspunkten zu finden. Die optimalen Einstellungen für andere außer den optimierten Betriebspunkten wurde mit der in [17] vorgestellten Interpolationsmethode gefunden, die gleichzeitig das errechnete Kennfeld glättet. Für die Extrapolation wurde einer Stützstelle außerhalb des Interpolationsbereiches der Wert des nächsten Nachbarn zugeordnet. Die Ergebnisse sind in Bild 6-25 dargestellt. Die Glättung durch Interpolation erscheint widersprüchlich, da die Optimierungsergebnisse ohne Rücksicht auf die gesetzlichen Vorgaben modifiziert werden. Es hat sich jedoch gezeigt, dass sich diese Methode kaum auf die Optimierungsergebnisse auswirkt. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Kriterien zur Glattheit im Optimierungsalgorithmus zu berücksichtigen, wie es in [45] beschrieben wird.
162
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
Bild 6-25: Optimierte Steuerkennfelder für einen CR-Dieselmotor nach [46]
6.5 Zusammenfassung Im Rahmen dieses Kapitels wurde eine systematische Vorgehensweise zur stationären Motorvermessung vorgestellt. Die vier Haupt-Schritte des workflows – Versuchsplanung, Modellbildung, Modellanalyse, Optimierung – wurden detailliert beschrieben. Im Abschnitt Versuchsplanung wurde neben klassischen DoE-Methoden insbesondere das Doptimale Design ausführlich erklärt. Weiterhin wurde die automatisierte Modellbildung mit Polynomen behandelt und kurz auf Neuronale Netze eingegangen. Die in diesem Beitrag vorgestellten Modellanalyse-Verfahren umfassen sowohl grafische Methoden als auch Kennzahlen, welche einfach und verständlich eingesetzt werden können. Abschließend wurde die Optimierung des stationären Verhaltens eines Dieselmotors bezüglich
6.5 Zusammenfassung
163
eines Fahrzyklus gezeigt. Zur Lösung des nichtlinearen Optimierungsproblems wurde ein Evolutionärer Algorithmus verwandt. Dieses Kapitel bezog sich auf das stationäre Motorverhalten. In Zukunft wird es jedoch auch von Interesse sein das dynamische Verhalten des Motors zu optimieren, wozu eine Trennung der Messgeräte- und Motordynamik notwendig ist (Bild 6-26) [4, 17].
Bild 6-26: Dynamiken am Motorenprüfstand
Dazu ist die Dynamik der Messgeräte zu identifizieren. Die dynamischen Modelle sind erforderlich, um Regler und dynamische Steuerungen automatisiert zu bedaten. Diese Aufgabe stellt besonders hohe Anforderungen an die Genauigkeit der dynamischen Modelle, siehe Kapitel 7. Neben dynamischen Methoden weisen auch Online-Verfahren Potenzial zur Verbesserung von Vermessungsverfahren auf. So gibt es erste Ansätze, bei denen die Parametrierung von Versuchsplänen entfällt, da die zu vermessenden Punkte online ausgewählt werden. Um den Automatisierungsgrad in Zukunft weiter erhöhen zu können wird es jedoch auch von entscheidender Bedeutung sein, dass Messgeräte und Prüfstandshardware wartungsarm und zuverlässig arbeiten.
164
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
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6.5 Zusammenfassung
165
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166
6 Stationäre Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
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167
7 Dynamische Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen ALEXANDER SCHREIBER
Die stark zunehmenden gesetzlichen und wirtschaftlichen Vorgaben zur Senkung von Kraftstoffverbrauch und Abgasemissionen stellen große Anforderungen an die weitere Entwicklung von Benzin- und Dieselmotoren. Hierbei sind grundlegende Fortschritte durch Konstruktion und auslegungsbedingte Maßnahmen im Bereich der Einspritzung, Gemischaufbereitung, Aufladung, Brennverfahren und Abgasnachbehandlung zu erreichen. Ein wesentlicher Teil dieser Verbesserungen wird jedoch durch eine Zunahme von Variabilitäten erreicht wie z.B. verstellbaren Vor-, Haupt- und Nacheinspritzungen, variablem Raildruck, variablen Nockenwellensteuerwinkeln, Ventilhüben, Drall-/Tumbleklappen sowie verstellbaren Abgasturbinen, Abgasrückführströmen und Abgasnachbehandlungssystemen. Dadurch steigt die Zahl der Stellglieder (Aktoren) stark an. Hinzu kommen zusätzliche Sensoren wie z.B. für Luftzahl, NOx, Brennraumdruck, Abgastemperatur und Abgasdruck. Deshalb nimmt der Umfang der Steuerungs-, Regelungs- und Diagnosefunktionen in der Motorelektronik (ECU) stark zu. Bild 7-1 zeigt als Beispiel den Signalfluss für die gesteuerten und geregelten Größen eines Dieselmotors in einer beispielhaften Prüfstandsumgebung. Die Gesamtoptimierung sowohl der Auslegungsparameter der Motoren als auch der Steuerung und Regelung kann nur auf Motorenprüfständen und nur zum Teil mit physikalischen Modellen und Simulationen erfolgen. Sie erfordert wegen der stark nichtlinearen und von den Betriebsarten (homogen, geschichtet, selbst- oder fremdzündend) abhängigen Verhalten umfangreiche Maßnahmen in verschiedenen Bauzuständen und -komponenten des Motors. Eine früher übliche KennfeldRastervermessung ist bei der großen Zahl an Variationen zeitlich nicht mehr durchführbar. Deshalb werden zurzeit hauptsächlich Methoden des Design of Experiments (DoE) mit algebraischen Polynommodellen eingesetzt. Diese sind aber auf relativ glatte Kennfelder für das statische Verhalten beschränkt und wenig flexibel. Neben den im vorherigen Kapitel vorgestellten stationären Methoden, gewinnen dynamische Methoden zunehmend an Bedeutung. Da die Steuerungs- und Regelungsfunktionen im Hinblick auf vorgeschriebene, länderspezifische Fahrzyklen optimiert werden und etwa 50% der Emissionen und des Verbrauchs in dynamischen (transienten) Zuständen erfolgen, wird die Modellierung des dynamischen Verhaltens zu einem notwendigen Teil der Motorkalibrierung. Darüber hinaus ermöglicht eine dynamische Vermessung eine signifikante Reduktion der benötigten Prüfstandszeit. Durch die Erstellung mathematischer Modelle, die sowohl das dynamische als auch das stationäre Verhalten des Motors adäquat beschreiben können, ist dann die Parametrierung und Optimierung der Steuerungsfunktionen offline möglich (rig-to-lab-Strategie) [1, 2]. Die Kombination hochdynamischer Motorenprüfstände, schneller Abgasmesstechnik und neuer Vermessungsstrategien mit innovativen Algorithmen zur Modellbildung ist damit ein wichtiger Aspekt zur Einhaltung künftiger Emissionslimits und Verbrauchsanforderungen.
168
7 Dynamische Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
Bild 7-1: Signalflussbild für einen Motorenprüfstand mit Dieselmotor, Prüfstandsvermessungssystem, ECU-Sollwertvorgabe und Bypass-Funktionsentwicklungssystem
7.1 Struktur der modellbasierten dynamischen Motorvermessung Der grundsätzliche Ablauf der experimentellen Modellbildung von Verbrennungsmotoren ist in Bild 7-2 dargestellt. Zunächst werden im Verlauf einer Variationsraumvermessung die fahrbaren Bereiche des Motors ermittelt. In die Versuchsplanung gehen dann neben dem Variationsraum die Begebenheiten des Prüfstandes, der Verstellmöglichkeiten, der vorhandenen Messstellen, Verbrauchs- und Abgasmesssysteme, Luft- und Kühlwasser-Konditionierung, Prüfstandsregelung, Datenaufzeichnung usw. ein. Aufgrund des Vorwissens aus ähnlichen Vorgängermotoren können dann eine Grundbedatung eines Prüfstandssteuergeräts erfolgen und fahrbare Betriebszustände festgelegt werden. Es schließen sich Hauptmessung(en), Modellbildung, Modellanalyse und Modellvalidierung an, auf die im Folgenden näher eingegangen wird, und als Ziele verschiedene Anwendungen wie z.B. Änderungen der Motorauslegung, Bedatung der Steuerungen, Regelungen und Diagnosefunktionen.
7.1 Struktur der modellbasierten dynamischen Motorvermessung
169
Bild 7-2: Einzelne Schritte bei der modellbasierten Vermessung von Verbrennungsmotoren und in diesem Kapitel behandelte Methoden
Eine allgemeine Übersicht einiger bedeutender Vermessungsmethoden ist in Bild 7-3 dargestellt. Die wichtigsten stationären Methoden wurden im vorherigen Kapitel ausführlich behandelt, eine Übersicht quasistationärer und dynamischer Methoden wird im Folgenden gegeben.
Bild 7-3: Auswahl verschiedener Vermessungsmethoden für die Anwendung auf Motorprüfständen
170
7 Dynamische Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
7.2 Variationsraumvermessung Eine notwendige Voraussetzung für die Vermessung des Verbrennungsmotors, sowohl stationär als auch dynamisch, ist eine möglichst genaue Kenntnis der Stellgrößenbereiche des Motors. Nicht alle prinzipiell möglichen Stellgrößenkombinationen des Motors sind fahrbar oder ermöglichen einen beschädigungsfreien Betrieb. Das Überschreiten bestimmter Grenzen resultiert z.B. in zu hohen Zylinderspitzendrücken, Temperaturen und Turboladerdrehzahlen und führt zu einer Beschädigung des Motors. Neben diesen „harten“ Grenzen, existieren noch sogenannte „weiche“ Grenzen, die ebenfalls nicht überschritten werden dürfen, wie z.B. zu hohe Emissionen oder Geräusche des Motors. Die Gesamtheit dieser Grenzen wird als Variationsraum bezeichnet. Eine übliche Methode zur Bestimmung des Variationsraums ist das sternförmige Abfahren in vorgegebenen Schritten bis zum Erreichen der Grenzwerte [3], Bild 7-4a. Zur Einsparung von Messzeit wird in [4] eine Messmethode vorgeschlagen, bei der der Versuchsraum iterativ mit einer adaptiven Schrittweitensteuerung bestimmt und dazu in orthogonalen Richtungen vermessen wird. Dazu werden die Grenzwertverletzungen mittels eines Polynoms zweiter Ordnung vorhergesagt und der Variationsraum iterativ ermittelt, Bild 7-4b. Eine weitere Alternative zur schnellen Ermittlung des Variationsraums ist die im nächsten Kapitel dargestellte Continuous Limit Approach (CLA)-Methode. Die dabei erhaltenen zulässigen Stellgrößenkombinationen werden in der Regel in Form einer sogenannten konvexen Hülle [5] dargestellt. Ein großer Vorteil dieser Darstellung ist die einfache Modellierung und Auswertung der erhaltenen Hülle, was sich insbesondere im benötigten Rechenaufwand niederschlägt. Der in [6] vorgestellte Quickhull-Algorithmus ermöglicht die Berechnung und Auswertung der Hüllen in geringer Rechenzeit und steht z.B. direkt in MATLAB zur Verfügung. Mit der Kenntnis des Variationsraums ist es möglich, die verwendeten Versuchspläne entsprechend anzupassen. Für die hier vorgestellten Strategien geschieht dies durch eine geeignete Generierung der Kandidatenpunkte (candidate set).
Bild 7-4: Ermittlung des Variationsraums: a) sternförmige (links) und b) iterativ-prädiktive Methode (rechts)
7.3 Aufstellung des Kandidatensets (Rasterung des Variationsraums)
171
7.3 Aufstellung des Kandidatensets (Rasterung des Variationsraums) Liegt eine Beschreibung des zulässigen Variationsraums vor, muss anschließend für die im Folgenden dargestellten Verfahren zur Messpunktauswahl ein sogenannter Kandidatensatz (candidate set), also eine Anzahl zulässiger Eingangsgrößenkombinationen erstellt werden. Dieser Kandidatensatz sollte dabei möglichst viele Wertekombinationen enthalten, um die Güte des entstehenden Versuchsplans zu erhöhen. Dieser auch als Rasterung des Variationsraums bezeichnete Vorgang, wird üblicherweise durch das Bilden eines (Hyper-)Würfels zwischen den minimalen und maximalen Werten jeder Eingangsgröße durchgeführt, Bild 7-5a. Im Sinne einer statistischen Versuchsplanung stellen diese Raster vollfaktorielle Versuchspläne dar (siehe [7, 8]). Je nach Dimensionalität und Form des vorliegenden Variationsraums kann es allerdings vorkommen, dass nur wenige der so erzeugten Punkte tatsächlich innerhalb des Variationsraums liegen. Als Beispiel wurde für einen direkteinspritzenden Ottomotor für einen festen Arbeitspunkt ein würfelförmiges Raster mit jeweils 7 Stufen für jede der drei Eingangsdimensionen, also insgesamt 343 Rasterpunkten generiert. Dabei liegen jedoch lediglich 77 Punkte innerhalb des Variationsraums, also lediglich 22,5% der Rasterpunkte. Diese Anzahl würde üblicherweise eine feinere Rasterung notwendig machen, was zu einem starken Anstieg der benötigten Rechenzeit führt. Deshalb wurde eine alternative Methode zur Generierung von Kandidatenpunkten entwickelt, die sphärische Rasterung. Analog zu den bekannten Kugelkoordinaten im dreidimensionalen Raum R3 lassen sich n-dimensionale Kugelkoordinaten herleiten. Die Herleitung dieser Polarkoordinaten im n-dimensionalen Raum ist mit Ansätzen der Integrationstheorie durchzuführen und beinhaltet die bekannten zwei- und dreidimensionalen Kugelkoordinaten. Für eine genaue Herleitung sei z.B. auf [9] verwiesen. Ergänzt man diese Beziehung noch um einen dimensionsabhängigen Radius ergibt sich eine auf den Variationsraum angepasste sphärische Rasterung. Durch die Verwendung mehrerer (Norm-)Radien, lässt sich nun die in Bild 7-5b exemplarisch gezeigte Erzeugung eines Kandidatensets durchführen. Dieser Ansatz erlaubt zum einen eine bessere Anpassung an den Variationsraum (durch den zusätzlichen Freiheitsgrad der Radien), zum anderen lässt sich die Überprüfung der Kandidatenpunkte signifikant beschleunigen. Üblicherweise wird zur Beurteilung der Lage eines Kandidatenpunktes das Hypervolumen der konvexen Hülle einmal ohne und einmal mit dem ausgewählten Punkt herangezogen. Liegt der gewählte Punkt innerhalb der Hülle ändert sich ihr Volumen im Rahmen der numerischen Genauigkeit nicht, liegt er außerhalb wird das Volumen größer. Bei der Verwendung würfelförmiger Raster muss dabei jeder Punkt einzeln überprüft werden. Die Verwendung sphärischer Raster ermöglicht nun eine Gruppierung der Punkte. Zunächst wird jede Radienschale komplett zur Hüllkurve hinzugefügt. Solange diese innerhalb der mit Hülle liegt, ändert sich das berechnete Volumen nicht. Erst wenn eine Radienschale Punkte außerhalb der Hülle enthält, ist eine Einzelprüfung notwendig. Prinzipiell lässt sich ein solches Vorgehen zwar auch für würfelförmige Raster implementieren, die dafür notwendigen Sortieralgorithmen würden allerdings den Vorteil der Rechenzeit zunichte machen. Darüber hinaus lässt sich mit der sphärischen Rasterung bereits für re-
172
7 Dynamische Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
lativ grobe Radien und Winkeldiskretisierungen eine hohe Anzahl an geeigneten Kandidatenpunkten erzeugen.
Bild 7-5: Möglichkeiten zur Rasterung des Variationsraums: a) würfelförmige (links) und b) sphärische Rasterung (rechts)
7.4 Auswahl der Amplituden Nach der Rasterung des Variationsraums werden nun aus den erzeugten Kandidatensets Messpunkte ausgewählt. Dabei wird zunächst die Wahl der Amplituden, also der statische Teil des Anregungssignals betrachtet. In diesem Zusammenhang wird auf etablierte Ansätze aus dem Bereich der statistischen Versuchsplanung (Design of Experiments – DoE) zurückgegriffen. Eine genauere Beschreibung dieser Methoden findet sich im vorherigen Kapitel. Im Folgenden werden lediglich die wichtigsten Aspekte ausgewählt.
7.4.1 D-optimale Versuchspläne Die Verwendung D-optimaler Versuchspläne [10, 11] ist in der statistischen Versuchsplanung weit verbreitet. Der Versuchsplan wird dabei unter Annahme einer Modellordnung für ein polynomiales Modell des Prozesses erstellt: p
yˆ = c0 +
p
p
p
p
p
¦ wi ui + ¦¦ wi,j ui u j + ¦¦¦ wi,j,k ui u j uk + ! i =1
i =1 j =1
i =1 j =1 k =1
(7.1)
7.4 Auswahl der Amplituden
173
Für einen D-optimalen Messplan werden die Messpunkte aus einer Reihe von möglichen Punkten so ausgewählt, dass die Determinante der Fisher-Informationsmatrix maximiert wird: det ( M ) → max
(7.2)
Die Fisher-Informationsmatrix ist dabei das Produkt der Regressionsmatrix mit ihrer Transponierten und ein elementarer Teilterm der standardmäßig verwendeten Parameterschätzung mit der Methode der kleinsten Fehlerquadrate: M = Ψ TΨ
∝
( cov (Θˆ ))
−1
(7.3)
Durch die Maximierung der genannten Determinante wird eine Minimierung der Parameterkovarianz erreicht und somit die Genauigkeit der Parameterschätzung verbessert. Ein iterativer Algorithmus bestimmt hierzu ausgehend von einer zufälligen Auswahl möglicher Messpunkte das Element mit dem geringsten Einfluss auf den Wert der Determinante, entfernt dieses aus dem Versuchsplan und ersetzt es durch das Element aus dem Kandidatenset, welches den größten Einfluss auf den Wert der Determinante hat. Dieses Austauschverfahren wird solange wiederholt, bis keine Verbesserung des Versuchsplans mehr möglich ist (der Algorithmus konvergiert gegen eine bestimmte Güte) oder eine vorgegebene Höchstzahl an Iterationen erreicht ist (siehe letztes Kapitel). Zur Beurteilung der Güte dient hierbei das D-Optimalitätskriterium: Deff =
( (
ln det Ψ TΨ
))
n
(7.4)
Hierbei bezeichnet Ψ die Regressionsmatrix und n die Anzahl der Terme der Regressionsmatrix (Anzahl der Regressoren). Wie in [2] und im letzten Kapitel gezeigt wird, liegen die Messpunkte bei der Verwendung D-optimaler Pläne tendenziell mehr am Rand des Variationsraums.
7.4.2 Raumabdeckende Versuchspläne (Space-Filling Designs) Im Falle sehr hochdimensionaler Versuchsräume oder ungenügenden Vorwissens ist mitunter die Verwendung eines Versuchsplans sinnvoll, der den möglichen Versuchsraum möglichst gleichmäßig abdeckt. Zu diesem Zweck sind D-optimale Pläne nur wenig geeignet, da aufgrund des Auswahlverfahrens die Messpunkte generell an den äußeren Rändern des zulässigen Versuchsraums platziert werden. Darüber hinaus basieren Doptimale Versuchspläne auf einer Ordnungsannahme des gewählten Modellansatzes, die der Benutzer vor Erstellung des Versuchsplans festlegen muss. Eine Alternative besteht hier in der Verwendung sogenannter Space-Filling designs wie z.B. dem Latin Hypercube Sampling [11]. Hierbei wird zunächst zufällig eine vorgegebene Anzahl Messpunkte aus einem Kandidatenset gewählt und anschließend mittels eines Algorithmus der mini-
174
7 Dynamische Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
male Abstand der Messpunkte zueinander maximiert. Alternative Algorithmen verwenden ein Verfahren zur Minimierung der Korrelation der Messpunkte untereinander. Eine Mischform bilden die sogenannten Stratified Latin Hypercube Designs. Hierbei kann für jede Eingangsdimension eine feste Anzahl der Variationen vorgegeben werden, für nicht vorgegebene Dimensionen werden die Messpunkte nach dem Latin Hypercube Sampling-Verfahren verteilt. Bild 7-6a zeigt einen beispielhaften Versuchsplan mit Latin Hypercube Sampling und Bild 7-6b ein Stratified Latin Hypercube Sampling. An diesen Bildern werden die Schwächen dieses Verfahrens deutlich. Aufgrund der zufälligen Auswahl der Messpunkte kann hier nicht sichergestellt werden, dass der Versuchsraum gleichmäßig abgedeckt ist. Deshalb werden im Folgenden hauptsächlich D-optimale Versuchspläne verwendet.
Bild 7-6: Raumabdeckende Versuchspläne: a) Latin Hypercube Sampling (links), b) Stratified Latin Hypercube Sampling (rechts)
7.5 Reihenfolge der Messpunkte für die dynamische Vermessung Die Auswahl der Messpunkte z.B. nach dem D-Optimalitätskriterium ergibt keine Aussage über eine geeignete Reihenfolge der Messpunkte, da zur Auswahl der Messpunkte die Determinante der Fisher-Informationsmatrix verwendet wird. Nach allgemeinen Rechenregeln für Determinanten gilt, dass det(A) = det(A)T, det(ATA) = det(AT).det(A) sowie dass eine Vertauschung zweier Zeilen lediglich zu einer Änderung des Vorzeichens der Determinante führt. Damit führt eine Änderung der Reihenfolge der Messpunkte zu keiner Änderung der D-Optimalität. Die Reihenfolge der Messpunkte ist jedoch für die dy-
7.5 Reihenfolge der Messpunkte für die dynamische Vermessung
175
namische Vermessung von großer Bedeutung. Um ein geeignetes Kriterium für die Reihenfolge der Messpunkte innerhalb des Messplans zu erhalten, werden verschiedene Ansätze vorgestellt: 1. Sortierung nach minimalem Punktabstand (min) 2. Sortierung nach maximalem Punktabstand (max) 3. Sortierung nach mittlerem Punktabstand (avg) 4. Temperaturoptimale Verstellstrategie (temp) In Bild 7-7 und Bild 7-8 sind diese vier Ansätze jeweils für ein zweidimensionales Beispiel dargestellt. Für die Verwendung bei der Identifikation von Verbrennungsmotoren haben sich die Ansätze avg und temp als besonders geeignet herausgestellt. Die Sortierung der Messpunkte nach ihrem mittleren Abstand sorgt für eine gleichmäßigere Belastung der Bauteile des Motors, während die temperaturoptimale Verstellstrategie durch eine Minimierung der thermischen Einschwingzeit die notwendige Messdauer reduziert. Diese Reduktion der Einschwingzeit wird dadurch ermöglicht, dass bevorzugt Stellgrößen mit kleinerem Einfluss auf Brennraum- und Abgastemperatur variiert werden. Die temperaturoptimale Verstellstrategie ist besonders bei der betriebspunktübergreifenden Vermessung sinnvoll. Für die für eine Bedatung der Steuerkennfelder verwendeten Methoden, bietet sich eine Sortierung nach dem mittleren Punktabstand an.
Bild 7-7: Zweidimensionales Beispiel zur Reihenfolge der optimalen Messpunkte für dynamische Vermessung: Sortierung nach a) minimalem (links) und b) maximalem Punktabstand (rechts)
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7 Dynamische Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
Bild 7-8: Zweidimensionales Beispiel zur Reihenfolge der optimalen Messpunkte für dynamische Vermessung: Sortierung nach a) mittlerem (links) und b) temperaturoptimalem Punktabstand (rechts)
7.6 Quasistationäre Motorvermessung Eine Alternative zum sprungförmigen Verstellen der Stellgrößen und Abwarten des eingeschwungenen Zustands stellt das langsame kontinuierliche Verstellen dar [13 – 15]. Diese quasistationäre Vermessung stellt den Übergang von der stationären Motorvermessung zu dynamischen Strategien dar. Dabei erfolgt die Messdatenaufzeichnung nicht mehr nur für einen kleinen Teil der Messung (Bild 7-9a), sondern kontinuierlich über die gesamte Messung, Bild 7-9b. Ändert man eine Eingangsgröße nach einer Rampenform mit konstanter Stellgeschwindigkeit relativ langsam (etwa 90 s über den Stellbereich) dann folgen die Ausgangsgrößen mit einem kleinen Schleppfehler infolge des trägen dynamischen Verhaltens, Bild 7-10. Unter der Annahme, dass der Schleppfehler bei einer in umgekehrter Richtung verlaufenden Rampe (Rückmessung) gleich groß ist, lässt sich durch Mittelwertbildung von Hinmessung und am Umkehrpunkt gespiegelter Rückmessung der Schleppfehler näherungsweise kompensieren [15]. Bei zwei Stellgrößen verstellt man z.B. jeweils eine Größe, hält die andere konstant und fährt so mäanderförmig durch den Messbereich, Bild 7-11a. Durch rückwärtiges Abfahren zur Schleppfehlerkompensation entsteht der gespiegelte zeitliche Verlauf, Bild 7-11b. Eine Anwendung dieser Methode für die Modellierung von sfc (Verbrauch), NOx und Opazität eines Dieselmotors in Abhängigkeit von den Stellgrößen Brennbeginn und Luftmasse mit einem statischen LOLIMOT-Modell für 20 Betriebspunkte (Mi,nj) zeigte, dass pro Betriebspunkt 27 min. Messzeit erforderlich waren [15]. Eine Rastervermessung hätte in derselben Zeit nur etwa 13 Messpunkte (4 x 3) geliefert mit deutlich weniger Informationsgehalt.
7.6 Quasistationäre Motorvermessung
177
Bild 7-9: Messdatenaufzeichnung für a) stationäre (links) und b) dynamische Vermessung (rechts)
Bild 7-10: Quasistationäre Vermessung mit Rampenfunktionen: a) Verlauf von Ein- und Ausgangsgröße (links) und b) Mittelung durch Hinmessung und geeignete Rückvermessung (rechts)
Bild 7-11: Quasistationäre Vermessung für 2 Stellgrößen, die sequenziell verstellt werden, entsprechend einem 5 x 5-Raster: a) Rasterlinien für Hinmessung (links), b) zeitlicher Stellgrößenverlauf für Hin- und Rückmessung (rechts) [15]
178
7 Dynamische Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
Um weiter Messzeit einzusparen, können die Stellgrößen mit verschiedener Stellgeschwindigkeit gleichzeitig kontinuierlich verstellt werden. Bild 7-12 zeigt hierzu ein Beispiel mit 3 Stellgrößen. Eine Stellgröße wird relativ schnell verstellt, die anderen entsprechend langsamer um den gesamten Vermessungsraum abzudecken. Wenn für die relativ schnell verstellte Stellgröße 10 s für den Stellbereich verwendet werden, ergeben sich für die dritte Stellgröße 360 s pro Stellbereich und insgesamt für Hin- und Rückmessung 1440 s oder 24 min. Dieses quasistationäre Vermessungsverfahren bietet sich insbesondere für die lokale Modellbildung bis zu 3 Stellgrößen für jeweils konstanten Betriebspunkt (Mi,nj) an. Grundsätzlich eignet sich die quasistationäre Vermessung gut für Prozesse mit kleinen Zeitkonstanten. Die Festlegung der Rampenanstiegszeit muss sorgfältig durchgeführt werden und die Zeitkonstanten des Prozesses berücksichtigen. In [16] wird deshalb eine Rampenanstiegszeit von 60–120 s über den Stellbereich zur Identifikation von Drosselstellen mit variablem Querschnitt (z.B. AGR-Ventil) empfohlen. Erhöht man die Stellgeschwindigkeit im Vergleich zur quasistationären Vermessung, dann ist das dynamische Verhalten geeignet anzuregen und im identifizierten Modell zu berücksichtigen. Die Generierung geeigneter dynamischer Anregungssequenzen wird im folgenden Abschnitt dargestellt.
Bild 7-12: Quasistationäre Vermessung für 3 Stellgrößen bei gleichzeitiger Variation der Eingänge
7.7 Generierung dynamischer Anregungssequenzen
179
7.7 Generierung dynamischer Anregungssequenzen Zur Anregung der Prozessdynamik werden bei der Identifikation dynamischer Prozesse [17] verschiedene Signalarten verwendet. Im Folgenden werden nun einige geeignete Anregungsarten dargestellt.
7.7.1 Sprungfunktionen Sprungfunktionen sind die einfachsten Anregungssignale. Sie können bei Bedarf ohne Verwendung eines Signalgenerators durch sprungförmiges Verstellen des Stellsignals erzeugt werden. Sprungfunktionen regen primär den niederfrequenten Anteil der Dynamik an, erfassen aber das stationäre Verhalten bei genügend langer Haltezeit sehr genau [17].
7.7.2 Rampen Da bei vielen industriellen Stellsystemen die Stellzugriffe für jede Variationsgröße sequentiell, d.h. nacheinander erfolgen, kann eine sprungförmige Anregung dazu führen, dass der zulässige Stellbereich zeitweise verlassen wird und der Motor in Bereichen betrieben wird, die eine sinnvolle Messwerterfassung verhindern. Dieses Verhalten kann vermieden werden, indem die Messpunkte nicht sprungförmig (wie in Bild 7-13a dargestellt), sondern in Rampen angefahren werden. Bild 7-13b zeigt eine solche rampenförmige Variation. Nach [17] ist die dabei zulässige Rampenanstiegszeit tR bei einem zulässigen Modellfehler von 1% bei der Bestimmung der Zeitkonstanten des Prozesses gegeben durch: tR ≤
0,5
ωmax
(7.5)
wobei ωmax die höchste für die Identifikation relevante Frequenz darstellt. Erhöht man den zulässigen Fehler durch die Verwendung des Rampensignals auf 5% so ergibt sich eine zulässige Anstiegszeit von: tR ≤
1,1
ωmax
(7.6)
Diese Fehlerbetrachtung resultiert aus der Abweichung der Spektren von Sprung und Rampen und gilt für eine weiterhin sprungförmige Variationsannahme bei der Modellbildung. Wird das rampenförmige Signal direkt zur Identifikation verwendet, kann der Einfluss der Rampenanstiegszeiten dann vernachlässigt werden, solange weiterhin alle Prozesszeitkonstanten angeregt werden.
180
7 Dynamische Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
Bild 7-13: Variation der Stellgrößen und zulässiger Versuchsraum: a) sprungförmige Variation (links), b) rampenförmige Variation (rechts)
7.7.3 Pseudo-Rausch-Binär-Signale (PRBS) Für beschränkte Eingangsamplituden, wie sie bei allen technisch realisierbaren Prozessen vorliegen, sind rechteckförmige Anregungssignale gut geeignet, da sie den zulässigen Stellgrößenbereich vollständig ausnutzen und zu kleinsten Fehlern durch überlagerte Störungenführen [17]. Binärsignale sind die bekannteste Untergruppe der Rechtecksignale. Pseudo-Rausch-Binär-Signale (im Folgenden mit PRBS bezeichnet) gehören zu diesen binären Signalen. Sie werden mit Hilfe von rückgekoppelten Schieberegistern erzeugt. Zu den PRBS-Signalen gehören auch die sogenannten Maximum-Length-Binary-Signale (MLB). Sie entstehen durch geeignete Rückkopplungen in den Schieberegistern erzeugt. Bild 7-14 zeigt die Erzeugung eines solchen Signals [17]. Augrund des stark nichtlinearen Verhaltens des Verbrennungsmotors müssen Signale mit verschiedenen Amplituden verwendet werden. Dies führt zu Amplitudenmodulierten Pseudo-Rausch-Binär-Signale (APRBS). PRB- und APRB-Signale sind besonders für die Identifikation hochdynamischer Prozesse geeignet, da aufgrund der pseudo-zufälligen Anregung ein breites Frequenzspektrum angeregt wird.
Bild 7-14: Erzeugung eines Pseudo-Rausch-Binär-Signals nach [17]
7.8 Kombinierte Vermessungsstrategien
181
7.8 Kombinierte Vermessungsstrategien Aus den beschriebenen Verfahren zur stationären und dynamischen Anregung können nun verschiedene für den Verbrennungsmotor geeignete kombinierte Strategien abgeleitet werden:
7.8.1 Einheitliches Bezeichnungsschema für dynamische Vermessungsstrategien Bislang wurden zur Bezeichnung neuer Vermessungsstrategien hauptsächlich willkürliche Namen verwendet. Dies erschwert die Erweiterung und Klassifikation dieser Strategien, so dass eine Einordnung neuer Ansätze nur schwer möglich ist. Darüber hinaus spielen die verwendeten Modellbildungsverfahren oftmals eine große Rolle und werden üblicherweise nicht in die Bezeichnung der Vermessungsstrategien mit einbezogen. Aus diesem Grund wird im Folgenden ein vereinheitlichtes Schema zur Bezeichnung dynamischer Vermessungsstrategien vorgestellt. Die Bezeichnung einer kombinierten Strategie besteht dabei auch aus drei Buchstaben: Der erste Buchstabe kennzeichnet die Form des Anregungssignals (die dynamische Anregung), der zweite Buchstabe die Auswahl der Amplituden und der dritte Buchstabe die verwendete Modellierungstechnik. Die einzelnen Zuordnungen sind dabei in Tabelle 7-1 aufgeführt. Tabelle 7-2 zeigt eine exemplarische Auswahl kombinierter Vermessungsstrategien. Dabei sind aus Gründen der Übersichtlichkeit lediglich Strategien für die Modellbildung mit Netzmodellen und Hammerstein-Strukturen angegeben, eine Bezeichnung mit anderen Modelltypen ergibt sich entsprechend. Die im Folgenden beschriebenen Strategien sind hervorgehoben.
Tabelle 7-1: Bezeichnungsschema für kombinierte Vermessungsstrategien Dynamische Anregung
Auswahl der Amplituden
Sprünge (STEP)
Reduziertes Raster (GRID) G
Netzmodelle (allgemein)
N
D-optimaler Plan
D
Hammerstein-Struktur
H
S
Rampen (RAMP) R APRBS
A
Modellbildung
ECU-Stellgrößen (ECU)
E
Polynommodelle
P
LOLIMOT-Struktur
L
LOLIMOT
L
Space-filling design
S
Param. Volterra-Reihe
V
Tabelle 7-2: Auswahl kombinierter Vermessungsstrategien für Verbrennungsmotoren Amplitudenauswahl
D-optimaler Plan
ECU-Stellgrößen
LOLIMOT-Struktur
Sprünge
SDN/SDH
SEN/SEH
SLN/SLH
Rampen
RDN/RDH
REN/REH
RLN/RLH
APRBS
ADN/ADH
AEN/AEH
ALN/ALH
Dynamische Anregung
182
7 Dynamische Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
7.8.2 ADN – Pseudo-Rausch-Binär-Signale mit D-optimalen Amplituden Durch die Kombination D-optimaler Versuchspläne, einer geeigneten Sortiermethodik und der Verwendung von Sprungfunktionen entsteht eine zur schnellen dynamischen Vermessung geeignete Strategie. Im Gegensatz zu klassischen stationären Messstrategien wird dabei auf ein Einschwingen der Messgröße verzichtet und die benötigte Messzeit dadurch erheblich reduziert. Die stationären Endwerte der Messgröße können hierbei aus dem dynamischen Modell abgeleitet werden. Um eine bessere dynamische Anregung des Prozesses über den gesamten Betriebsbereich zu erhalten, ist die Verwendung von PRB-Signalen geeignet. Diese Methodik ist vor allem für die Bedatung und Optimierung von Regelungsalgorithmen in der ECU anzuwenden, da in diesem Fall das dynamische Verhalten des Prozesses einen großen Einfluss auf die Güte des Regelkreises hat. Kombiniert man DoE-Methoden mit den beschriebenen PRB-Signalen, lässt sich ein neues Identifikationssignal generieren. Dazu sind die folgenden Schritte notwendig: 1. Variationsraumbestimmung: Zunächst wird eine Bestimmung des Variationsraumes für den gewählten Arbeitspunkt durchgeführt. Dabei werden die in Abschnitt 7.2 beschriebenen Ansätze und Methoden verwendet. 2. Erzeugung eines Kandidatensatzes: Anschließend wird der Eingangsraum in ein Raster mit frei wählbarer Schrittweite und Rastermethode (siehe Abschnitt 7.3) eingeteilt. 3. Korrektur des Kandidatensatzes: Das erzeugte Raster wird nun auf Basis des ermittelten Variationsraumes korrigiert. Dabei können entweder die außerhalb der Variationsraums liegenden Punkte entfernt oder aber schrittweise in Richtung des Mittelpunkts des Variationsraums verschoben werden, bis alle Punkte innerhalb des Variationsraums liegen. 4. Auswahl eines D-optimalen Messplans aus dem korrigierten Kandidatensatz: Nun wird eine vorgegebene Anzahl Messpunkte aus dem Kandidatensatz ausgewählt. Die Auswahl der Punkte erfolgt dabei auf Basis des D-Optimalitäts-Kriteriums. 5. Generierung eines PRBS: Anschließend wird ein Pseudo-Rausch-Binär-Signal der Registerlänge n = log2(M) + 1 generiert, wobei M die Anzahl der Messpunkte bezeichnet. 6. Bestimmung der Reihenfolge der Amplitudenwerte: Die ausgewählten Amplituden des D-optimalen Designs werden nun in eine gewünschte Reihenfolge gebracht. Diese Reihenfolge kann auf Basis eines der in Abschnitt 7.5 beschriebenen Kriterien gewählt werden. 7. Aufmodulieren der D-optimalen Amplituden auf das PRBS: Schließlich wird noch jedem Sprung des PRB-Signals ein Wert des D-optimalen Designs zugeordnet, bzw. umgekehrt jedem Punkt des D-optimalen Plans wird eine Haltezeit, die sich aus dem PRBS ergibt zugewiesen. Bild 7-15 zeigt schematisch die Generierung eines Messplans nach der ADN-Methodik. In Bild 7-15a ist der zulässige Bereich für die Messpunktauswahl dargestellt (Variations-
7.8 Kombinierte Vermessungsstrategien
183
raum), Bild 7-15b zeigt die D-optimale Auswahl der Messpunkte. Anschließend werden die Messpunkte entsprechend eines Sortierkriteriums ausgewählt (Bild 7-15c) und abschließend auf ein PRB-Signal aufmoduliert (Bild 7-15d).
Bild 7-15: Entwurf eines APRB-Signals mit D-optimaler Amplitudenverteilung (ADN): a) Ermittelter Variationsraum (oben links), b) D-optimale Auswahl der Amplituden (oben rechts), c) Bestimmung der Reihenfolge (unten links), d) Modulation des PRBS (unten rechts)
7.8.3 SLN – Sprünge in lokal linearen Bereichen basierend auf LOLIMOT Die in [18] vorgestellte dynamische Vermessungsstrategie trennt die Identifikation der Prozessdynamik von der Identifikation der stationären Nichtlinearität. Durch diese Aufteilung kann ein verbessertes Anregungssignal zur Identifikation des dynamischen Motorverhaltens auf Basis der bekannten stationären Nichtlinearitäten erreicht werden.
184
7 Dynamische Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
Als Beispiel soll hier die Erstellung eines dynamischen Versuchplanes für ein Ladedruckmodell in Abhängigkeit von Drehzahl und eingespritztem Kraftstoffvolumen dienen. Aus Vorwissen (vorhandene Messdaten oder Kennfelder eines ähnlichen Motors) wird ein LOLIMOT Modell trainiert. Die Teilung des Eingangsraumes in lokal lineare Bereiche repräsentiert dann das nichtlineare Motorverhalten, Bild 7-16. Für die Verteilung der Messpunkte wird ein 2k-faktorieller Plan (Würfel) benutzt [8]. Die Messpunkte werden anhand eines bestimmten Wertes der LOLIMOT-Zugehörigkeitsfunktion in jedem lokal linearen Modell platziert, Bild 7-17. Der Hauptvorteil, die Verteilung der Messpunkte anhand der Zugehörigkeitsfunktion vorzunehmen, ist die automatische Verteilung der Messpunkte in den interessierenden Bereichen bei mehr als 5 Dimensionen. In diesem Beispiel werden die Messpunkte bei 90% der Zugehörigkeitsfunktion für alle Dimensionen platziert. Wird nur eine kleine Anzahl von lokalen Modellen benutzt (gröbere Teilung, breite Zugehörigkeitsfunktionen), kann ein höherer Wert benutzt werden um eine ausreichende Anregung zu erhalten. Bei einer größeren Anzahl von Teilmodellen (feine Teilung, schmale Zugehörigkeitsfunktionen kann ein geringerer Wert, z.B.: 40% gewählt werden.
Bild 7-16: a) Stationäres Kennfeld für den Ladedruck eines VTG-Turboladers (links) und b) resultierendes Teilungsschema für ein Ladedruckmodell (rechts)
Bild 7-17: a) Zugehörigkeitsfunktionen der Teilmodelle (links) und b) Teilung des Eingangsraumes mit Messpunkten (rechts)
7.8 Kombinierte Vermessungsstrategien
185
Anschließend werden die gewählten Messpunkte zu einer Messsequenz zusammengefügt (Bild 7-18). Ein Vorteil dieser Messsequenz ist, dass sie dahingehend modifiziert werden kann, dass zu jedem Zeitpunkt (außer bei Wechsel des Teilmodells) nur ein Eingang des Motors verändert wird. Diese orthogonale Eigenschaft des Messplans erleichtert die Identifikation des Motors, da alle Einflüsse eines Eingangs unabhängig von den anderen Eingängen betrachtet werden können. Werden bei dem Wechsel der Teilmodelle Zwischenpunkte in den Messplan eingefügt, kann ein vollständig orthogonaler Messplans generiert werden. Diese Zwischenpunkte werden dadurch erzeugt, dass für jede StellgrößenDimension ein Punkt in den Messplan eingefügt wird. Dabei wird jeweils immer nur eine Eingangsgröße variiert. Somit entsteht ein vollständig orthogonaler Messplan. Dieser eignet sich auch zur Identifikation der Stellsysteme und Sensorik am Motorenprüfstand. Bild 7-19 zeigt als Beispiel hierfür einen nicht-orthogonalisierten Messplan und die entsprechende vollständige Orthogonalisierung mit Zwischenpunkten.
Bild 7-18: Identifikation des dynamischen Ladedruckmodells p2 in Abhängigkeit von Motordrehzahl nmot und Kraftstoffvolumen qB
Bild 7-19: Orthogonalisierung eines Messplans für SLN-Strategie: a) Nicht-orthogonaler Messplan (links), b) orthogonalisierter Messplan mit Zwischenpunkten (rechts)
186
7 Dynamische Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
Die gesamte Vermessungszeit für diese Messstrategie berechnet sich zu: Tmeas = nLLMTHT 2 p
(7.7)
mit nLLM Anzahl der lokal linearen Teilmodelle, THT Haltezeit in einem Messpunkt und p Anzahl der Eingangsdimensionen. Es ist hier anzumerken, dass die Messzeit sowohl mit 2p von der Anzahl der Eingänge, aber auch mit nLLM von der Anzahl der Teilmodelle abhängt. Dies bedeutet, wenn eine geringere Modellgüte für die gewünschte Anwendung ausreicht, kann die Messzeit durch eine geringere Anzahl von Teilmodellen verkürzt werden.
7.8.4 ALN – APRB-Identifikationssignal mit angepassten Amplituden Für eine hohe Modellgüte ist es zweckmäßig, für jede Stellgröße eine eigene Amplitude des APRB-Signals in Abhängigkeit vom Arbeitsbereich des Motors vorzugeben. Steht Vorwissen über die zu modellierenden Teile des Motors zur Verfügung, können diese Amplituden mittels eines LOLIMOT-Netzes bestimmt werden [19]. Dabei kann das Vorwissen in verschiedenen Formen vorliegen: Messwerte und Kennfelder eines ähnlichen Motors oder Messwerte aus der Vermessung des Variationsraums. Mit diesen Messwerten wird ein LOLIMOT-Netz mit der zu vermessenden Größe als Ausgang trainiert und die Verteilung der lokal linearen Modelle des Netzes bezüglich der Eingänge (z.B. eingespritztes Kraftstoffvolumen qB und Drehzahl nmot) ausgelesen. Die Grenzen der lokal linearen Modelle bilden die minimale und maximale Amplitude des APRBSignals, das dann zur Modulation des Arbeitspunkts verwendet wird (Bild 7-20). Die gesamte Vermessungszeit berechnet sich zu:
Tmeas = nLLM THT a
(7.8)
Es ist anzumerken, dass bei diesem Ansatz die Gesamtzeit der Messung nur von der Anzahl der Teilmodelle nLLM, der Haltezeit THT und der Länge des verwendeten PRBSignals a abhängt.
Bild 7-20: Entwurf eines Identifikationssignals mit angepassten Amplituden (ALN)
7.9 Dynamische Modellbildung des Verbrennungsmotors
187
7.8.5 AEN – Dynamische Vermessung auf Basis von ECU-Stellgrößen Liegt bereits eine stationär kalibrierte Motorsteuerung vor, besteht eine weitere Möglichkeit der dynamischen Anregung mit APRB-Signalen in der Aufmodulation auf die vom (grob) applizierten Steuergerät gelieferten Stellsignale (Bild 7-21). Der Anwender kann mittels der minimalen und maximalen Amplitude des APRBS-Signals die Abweichung vom Serienstand wählen. Um die stationäre Genauigkeit des mit dieser Methode erhaltenen dynamischen Modells zu erhöhen, kann der Versuchsplan um stationäre Messpunkte erweitert werden. Hier wird dann der aktuelle Arbeitspunkt über eine gewisse Verweilzeit gehalten. Diese in [1] vorgestellte Methode erfordert die höchsten Vorkenntnisse der hier dargestellten Methoden. Sie bietet sich deshalb dann an, wenn eine Stationärbedatung des Motors ohnehin vorliegt oder von Vorgängermotoren übernommen werden kann. Zur Reduktion der insgesamt benötigten Messzeit sind die in den vorherigen Abschnitten genannten Verfahren hingegen besser geeignet.
Bild 7-21: Dynamische Motorvermessung auf Basis von ECU-Stellgrößen [1]
7.9 Dynamische Modellbildung des Verbrennungsmotors In diesem Abschnitt werden geeignete Identifikationsverfahren für dynamische nichtlineare Prozesse vorgestellt. Es werden grundsätzlich Verfahren verwendet, die für eine schnelle dynamische Modellbildung geeignet sind und eine gute Interpretierbarkeit aufweisen.
188
7 Dynamische Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
Grundsätzlich sind zwei Arten zum Bilden mathematischer Modelle zu unterscheiden: Die theoretische und experimentelle Modellbildung. Bei der theoretischen Modellbildung entstehen Modelle, die die inneren Zusammenhänge des Systems beschreiben (sogenannte White-Box-Modelle). Die experimentelle Modellbildung liefert Modelle, die den Zustand eines Systems anhand von Eingangs- und Ausgangssignalen beschreiben. Dabei sind die inneren Zusammenhänge des Systems unbekannt, deshalb spricht man in diesem Zusammenhang auch von Black-Box-Modellen. Mischformen dieser beiden Ansätze zur Modellbildung werden als Grey-Box-Modelle bezeichnet. Da eine analytische (theoretische) Herleitung der dynamischen Zusammenhänge insbesondere für Emissionsmodelle lediglich eingeschränkt möglich ist und mit hohem Zeitaufwand verbunden ist, werden im Folgenden lediglich experimentelle (datengetriebene) Modelle betrachtet. Die experimentelle Modellbildung, auch als Identifikation bezeichnet, bestimmt das mathematische Modell aus Messungen. Innere Zusammenhänge bleiben dabei unberücksichtigt. Um aus den gemessenen Größen eine formale Prozessbeschreibung gewinnen zu können, ist man auf Vorkenntnisse über die Prozessstruktur angewiesen. Diese a-priori-Kenntnisse müssen entweder bekannt sein (z.B. aus vorangegangenen Modellbildungen) oder zunächst abgeschätzt werden. Nun muss der Prozess mit geeigneten Eingangssignalen angeregt werden. Danach werden die Parameter des Prozessmodells mittels geeigneter Methoden (z.B. Least-Squares-Verfahren) so angepasst, dass der Ausgangs- oder der Gleichungsfehler minimal wird [17]. In Bild 7-22 sind einige Modellierungsansätze für die experimentelle nichtlineare dynamische Modellbildung dargestellt. Die wichtigsten werden im Folgenden erläutert. Dabei wird berücksichtigt, dass diese Modelle gut interpretierbar sind und die Integration physikalischer Kenntnisse prinzipiell ermöglichen.
Bild 7-22: Nichtlineare dynamische Modelle und ihre Eignung für die Modellbildung von Verbrennungsmotoren
7.9 Dynamische Modellbildung des Verbrennungsmotors
189
7.9.1 Local linear model tree – LOLIMOT Neuronale Netze sind eine künstliche Anlehnung an die biologischen Neuronen des menschlichen Gehirns. Viele der standardmäßig verwendeten neuronalen Netze wie z.B. Multilayer-Perzeptrons (MLP) sind nicht transparent, d.h. sie sind nicht physikalisch interpretierbar, weisen eine geringe Konvergenzgeschwindigkeit auf und benötigen eine große Rechenzeit. Aus diesen Gründen wurde eine spezielle Netzstruktur mit schnell konvergierenden Parameterschätzmethoden entwickelt. Sie erlaubt eine automatische Adaption der Modellstruktur an das Prozessverhalten und benötigt nur geringe Rechenzeit. Lokal lineare Netzmodelle des Typs LOLIMOT (LOcal LInear MOdel Tree) approximieren komplexe nichtlineare statische und dynamische Systeme durch lokal lineare Modelle [2, 20]. Die Ausgänge der einzelnen Modelle werden mit einer Gewichtsfunktion (normierte Gaußfunktionen) multipliziert und aufsummiert: M
y=
¦Φ i ( u ) ⋅ ( w0i + w1i ⋅ u1 + w2i ⋅ u2 + " + wpi ⋅ up )
(7.9)
i =1
Die Gewichtsfunktionen bestimmen den Anteil eines einzelnen lokalen Modellausgangs am nichtlinearen Gesamtausgang des Modells [20]. Der Konstruktionsalgorithmus von LOLIMOT basiert auf einer achsenorthogonalen Teilung des Eingangsraumes. Dies erlaubt ein schnelles Training und den Einsatz von bewährten Parameterschätzmethoden. Andererseits hat dies den Nachteil, dass nichtlineare Zusammenhänge die nicht orthogonal im Eingangsraum verlaufen, nur mit einer größeren Anzahl von lokalen Modellen darzustellen sind. Dieser Modellansatz ist zunächst rein statisch. Um auch dynamische Modelle zu erstellen wird eine externe Dynamik eingeführt (Bild 7-23). Damit kann unter Beibehaltung aller Vorteile der statischen Ansätze ein lokales dynamisches Modell der Ordnung n geschätzt werden: y (k ) = b0 + b1u ( k − 1) + b2u ( k − 2) + ! + bmu ( k − m) −a1 y (k − 1) − a2 y (k − 2) − " an y ( k − n)
Bild 7-23: Prinzip der externen Dynamik [20]
(7.10)
190
7 Dynamische Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
7.9.2 Hinging Hyperplane Tree-Baummodelle – HHT Ein Nachteil der LOLIMOT-Modelle ist die achsenorthogonale Teilung des Eingangsraum, Bild 7-24a. Dies führt dazu, dass nichtlineare Zusammenhänge die nicht orthogonal im Eingangsraum sind, nur mit einer größeren Anzahl von lokalen Modellen darzustellen sind. Aus diesem Grund wurden die Hinging Hyperplane Netzwerke entwickelt, die den Eingangsraum auch achsenschräg teilen können, Bild 7-24b [21]. Im eindimensionalen Fall werden als Teilmodelle Linien verwendet. Der Schnittpunkt beider Linien ist der sogenannte „Hinge“ (Scharnier), von dem der Name Hinging Hyperplanes abgeleitet wurde. Da eine solche Funktion mit einem Schnittpunkt unstetig und nicht differenzierbar ist, wird der Übergang zwischen den Teilmodellen geglättet. Hierzu dienen wieder Gewichtungsfunktionen. Im Gegensatz zu LOLIMOT werden hier logarithmische Sigmoid-Funktionen verwendet: sig ( k ) =
1 1 + e− k
(7.11)
Die achsenschräge Teilung des Eingangsraums verlangt jedoch den Einsatz eines nichtlinearen Optimierers. Dadurch steigt die benötige Rechenzeit zur Erstellung der Modelle gegenüber LOLIMOT stark an (ca. um den Faktor 10). Aus diesem Grund sollten die HHT-Modelle nur verwendet werden, falls die achsenorthogonale Teilung zu ungenügenden Ergebnissen führt.
Bild 7-24: a) Achsenorthogonale (links) und b) achsenschräge Teilung des Eingangsraums (rechts)
7.9.3 Parametrische Volterra-Reihe und Hammerstein-Modelle Die parametrische Volterra-Reihe wie sie in [17, 20] erläutert und z.B. in [22] zur Modellbildung eines Verbrennungsmotors vorgeschlagen wird, stellt eine vereinfachte Version des Kolmogorov-Gabor-Polynoms dar. Die Darstellungsform des Kolmogorov-
7.9 Dynamische Modellbildung des Verbrennungsmotors
191
Gabor-Polynoms ist eine allgemeine Modellierung für nichtlineare dynamische Systeme. Da diese Form aufgrund des notwendigen Berechnungsaufwands und der Problematik einer nichtlinearen Dynamik in der Regel nicht sinnvoll ist, wird die parametrische Volterra-Reihe formuliert als: y ( k ) = f ( u ( k − 1) ,!, u ( k − m ) ) − a1 y ( k − 1) ,!, am y ( k − m )
(7.12)
Die Nichtlinearität des Systems wird dabei wie in Gl. (7.12) ersichtlich, lediglich durch die Prozesseingänge abgebildet, die Dynamik des Prozesses (in Form der Rückkopplungen) wird linear modelliert. Durch diese Vereinfachung können einige der Nachteile des Kolmogorov-Gabor-Polynoms umgangen werden. Die Anzahl der notwendigen Regressoren und damit der notwendige Rechenaufwand zur Bestimmung des Modells kann signifikant verringert werden und die Stabilität des Modells kann aufgrund des linearen dynamischen Anteils einfach bestimmt werden. Als nichtlineare Funktion der Eingänge bieten sich z.B. Polynome 2. Ordnung an, wie in [22] dargestellt. Eine genauere Herleitung findet sich in [17, 23]. Ein Blockschaltbild dieser Modellstruktur ist in Bild 7-25 dargestellt. Das Blockschaltbild verdeutlicht auch die Nachteile der parametrischen Volterra-Reihe: Die notwendige Anzahl an Parametern ist groß im Vergleich mit lokalen Modellierungsansätzen wie z.B. LOLIMOT, die Interpretierbarkeit wird durch die dynamischen Wechselwirkungen eingeschränkt und der rückgekoppelte Teil des Modells wird lediglich linear betrachtet.
Bild 7-25: Blockschaltbild der parametrischen Volterra-Reihe für ein SISO-System mit u(k)q–h = u(k–h) (nach [17])
192
7 Dynamische Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
Vernachlässigt man die Produktterme mit Zeitverschiebungen innerhalb der Struktur der parametrischen Volterra-Reihe, setzt also h = 0, so entsteht das verallgemeinerte Hammerstein-Modell [17]. Ein Blockschaltbild der entsprechenden Struktur ist in Bild 7-26 dargestellt. Vereinfacht man diese Struktur noch weiter durch die Reduktion auf eine gemeinsame Zählerdynamik und eine statische Nichtlinearität in Form eines Polynoms p-ten Grades so erhält man das bekannte einfache Hammerstein-Modell. Hammerstein-Modelle sind ebenfalls gut zur Identifikation von Verbrennungsmotoren geeignet und wurden z.B. in [24] zur Modellierung verschiedener Emissionen eines Dieselmotors verwendet.
Bild 7-26: Blockschaltbild des verallgemeinerten Hammerstein-Modells mit u(k)q–1 = u(k–1) (nach [17])
7.9.4 Extraktion der Stationärwerte aus dynamischen Modellen Da ein großer Anteil des Kalibrierprozesses in der Optimierung der Kennfelder der ECU besteht ist es sinnvoll die stationären Endwerte des dynamischen Modells direkt berechnen zu können, ohne für jeden Prozessschritt aufwendige Simulationen durchführen zu müssen. Für die Verwendung von LOLIMOT-Modellen soll diese Berechnung hier dargestellt werden. Existieren keine Teilungen im Ausgangsraum kann der stationäre Endwert des dynamischen Modells durch die Überlagerung der Endwerte der lokalen Teilmodelle bestimmt werden. Exemplarisch wird hier das Teilmodell y1 eines SISOProzesses betrachtet. Es besitzt die Differenzengleichung: yˆ1 ( k ) = b0 + b1u ( k ) + b2u ( k − 1) − a1 yˆ ( k − 1)
(7.13)
Für einen stationären Zustand gilt u(k) = u(k–1) sowie unter der Annahme stabiler Teilmodelle yˆ1 ( k ) = yˆ1 ( k − 1) . Dann kann die Ausgangsgleichung des Modells umgeschrieben werden zu: yˆ1,Stat ( k ) = b0 + b1u ( k ) + b2u ( k ) − a1 yˆ1,Stat ( k ) ⇔ (1 + a1 ) yˆ1,Stat ( k ) = b0 + ( b1 + b2 ) u ( k )
(7.14)
7.10 Modellanalyse – Geeignete Kriterien zur Gütebewertung
193
Oder vereinfacht yˆ1,Stat ( k ) =
b0 b +b + 1 2 u (k ) 1 + a1 1 + a1
(7.15)
Mit der angegebenen Gleichung kann der stationäre Ausgangswert durch Überlagerung aller Teilmodelle aus dem dynamischen Modell direkt berechnet werden.
7.10 Modellanalyse – Geeignete Kriterien zur Gütebewertung Bei der Gütebeurteilung und Analyse dynamischer Verbrennungsmotormodelle sind viele der aus der stationären Modellbildung bekannten Verfahren wie z.B. Kreuzvalidierung und Intersection-Plot nicht anwendbar. Auch ein Measured vs. Predicted Plot (siehe Kapitel 6) kann nur zur Beurteilung der stationären Güte des Modells herangezogen werden. Neben der Betrachtung der dynamischen Signalverläufe (y-t-Plot) sind also numerische Kriterien notwendig um die Güte der erstellten Modelle zu beurteilen. Die standardmäßig in der LOLIMOT-Toolbox verwendeten Verlustfunktionen dienen sämtlich der Minimierung des quadratischen Fehlers. Für die Modellbildung von Verbrennungsmotoren ist es hingegen oftmals sinnvoll die Streuung des Modellfehlers zu minimieren. Um dies zu realisieren, wurden zwei neue Verlustfunktionen zur Modellanalyse in die Modellbildung integriert [25]: a) Die Standardabweichung des Modellfehlers (standard deviation of model error): J STDRES =
N −1
¦ ( ( y(k ) − yˆ (k ) ) − ( y − yˆ ) )
1 N − 1 k =1
2
(7.16)
b) die Standardabweichung des Modellfehlers relativ zum Prozessausgang (standard deviation of model error relative to measured output data) J STDREL =
N −1 § y (k ) − yˆ (k ) y − yˆ · 1 − ¨ ¸ N − 1 k =1 © y (k ) y ¹
¦
2
(7.17)
Hierbei bezeichnet N die Anzahl der Datenpunkte, y den gemessenen Prozessausgang sowie yˆ den simulierten (berechneten) Modellausgang.
194
7 Dynamische Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
7.11 Anwendungsbeispiele Abschließend werden als Beispiel für die Anwendung der dargestellten Methoden exemplarisch einige Ergebnisse dargestellt. Alle dargestellten Vermessungen erfolgten am institutseigenen Motorenprüfstand für einen Common-Rail-Dieselmotor mit VTGTurbolader und externer Abgasrückführung (Opel Z19JTD). Dieselmotoren werden üblicherweise mit Luftüberschuss betrieben (λ > 1). Dadurch ist die Umwandlung der Stickoxide (NO und NO2) im Oxidationskatalysator nur bedingt möglich. Eine Reduktion der Stickoxid-Emissionen bereits während der Verbrennung ist somit eine wichtige Aufgabe der Kalibrierung. Als Beispiel für die vorgestellten Methoden soll in diesem Abschnitt die Bildung eines Modells der Stickoxid(NOx)-Emissionen für einen Common-Rail Turbodiesel-Motor mit externer Abgasrückführung gezeigt werden. Bild 7-27 zeigt die verwendete Stellgrößensequenz für ein NOx-Modell. Für dieses Beispiel wurde die Vermessung anhand der ALN(APRBS-LOLIMOT-Netzmodell)Methodik durchgeführt. Rechts dargestellt ist ein y-t-Plot für die Generalisierung des Modells. Zur Generalisierung der Modelle werden grundsätzlich nur Daten verwendet, die nicht zur Erstellung des Modells verwendet wurden [19].
Bild 7-27: a) ALN(APRBS-LOLIMOT-Netzmodell)-Versuchsplan (links) und b) Generalisierungsergebnisse für NOx = f(nMot, qB, mL, p2, ϕHE) (rechts)
Bild 7-28a zeigt eine Stellgrößensequenz und die gemessene NOx-Konzentration für die Verwendung der SLN(STEP-LOLIMOT-Netzmodell)-Methodik. Das Vorwissen zur Messplanerstellung wurde hier durch eine schnelle Rastervermessung für nMot = 1500 – 2500 min–1 und qB = 0 – 30 mm3/Hub durchgeführt. Gemessen wurden Drehzahl, Kraftstoffmenge, Luftmasse, Ladedruck und Einspritzwinkel der Haupteinspritzung. Diese Größen dienen auch als Eingangsgrößen für die dynamische Modellbildung. Als globale Verlustfunktion (NRMSE) für die Trainingsdaten ergibt sich für dieses Modell JNRMSE = 0,085, für die als Generalisierung verwendete Rastervermessung JNRMSE = 0,33893. Der
7.11 Anwendungsbeispiele
195
hohe Wert der Verlustfunktion für die Generalisierungsdaten ist hierbei irreführend, beachtet man die fehlende Berücksichtigung von weiteren relevanten Stellgrößen, wie z.B. Voreinspritzmenge und -winkel. Das Generalisierungsergebnis des NOx-Modells ist in Bild 7-28b zu sehen [18].
Bild 7-28: a) SLN(STEP-LOLIMOT-Netzmodell)-Versuchsplan (links) und b) Generalisierungsergebnisse NOx = f(nMot, qB, mL, p2, ϕHE) (rechts)
Als abschließendes Beispiel für die vorgestellten Methoden wird im Folgenden die Verwendung der ADN(APRBS-D-optimal-Netzmodell)-Methodik gezeigt. Die Vermessung des Motors erfolgte mit einem ADN-Signal für den Arbeitspunkt nMot = 2000 min• 1 und qB = 20 mm3/Hub [25]. Auf Basis des bestimmten fünfdimensionalen Variationsraums wurde anschließend ein angepasstes Identifikationssignal erzeugt. Als statische Modellstruktur wurde dabei ein quadratisches Modell angenommen und ein D-optimaler Messplan mit 32 Punkten für den Ladedruck, die (Soll-)Luftmasse, den Einspritzwinkel, sowie die Voreinspritzzeit und -menge erstellt. Die minimale Haltezeit für jede Stellgrößenkombination wurde dabei auf 5 s festgelegt, die gesamte Vermessungsdauer betrug 11,8 min. Die verwendete Stellgrößensequenz ist in Bild 7-29 dargestellt. Auf Basis dieses Datensatzes wurde eine Modellbildung mit LOLIMOT durchgeführt. Erste Untersuchungen zeigen, dass signifikante Nichtlinearitäten nur in den Variablen NOx( k ) =
(
2 ( k − 2), f p2 ( k − 2), mL ( k − 1),ϕ HE ( k − 1), mL2 ( k − 1), ϕHE 2 ( k − 2), q 2 ( k − 1) ΔtVE VE
auftreten, wobei
)
p2 – (Soll-)Ladedruck [hPa], mL – (Soll-)Luftmasse [mg/Hub], ϕHE – Einspritzwinkel der Haupteinspritzung [°KW], ΔtVE – Einspritzzeitpunkt der Voreinspritzung [μs] und qVE – Voreinspritzmenge [mm3/Hub].
(7.18)
196
7 Dynamische Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
Bild 7-29: ADN(APRBS-D-optimal-Netzmodell)-Stellgrößensequenz für den Arbeitspunkt nMot = 2000 miní1 und qB = 20 mm3/Hub
Bild 7-30a zeigt die (dynamische) Generalisierung eines Modells mit 10 lokalen Teilmodellen. Als Generalisierungsdatensatz dient hierbei eine Rastervermessung. Als Güte des Modells für die Generalisierungsdaten ergibt sich hier JNRMSE = 0,1363.Der maximale Fehler beträgt dabei 74,46 ppm (entspricht 9,87% des maximalen Messwertes), der mittlere Fehler 3,66 ppm (entspricht 0,78% des mittleren Messwertes, bzw. 0,49% des maximalen Messwertes). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass der Generalisierungsdatensatz mit 4000 s Messdauer im Vergleich zu 711,4 s des Trainingsdatensatzes mehr als fünfmal so lang ist, die Generalisierung also über einen wesentlich größeren Zeitraum erfolgte als die eigentliche Vermessung. Bild 7-30b zeigt einen Measured vs. Predicted Plot der Generalisierung, d.h. die simulierten Emissionswerte werden über den tatsächlichen Messdaten aufgetragen. Im Fall eines fehlerfreien Modells würde dies die Darstellung einer Gerade mit der Steigung 1 (45°) ergeben.
7.12 Zusammenfassung
197
Bild 7-30: a) Generalisierungsergebnis (links) und b) Measured vs. Predicted Plot des NOx– Modells für nMot = 2000 miní1 und qB = 20 mm3/Hub
7.12 Zusammenfassung Durch die Kombination von speziell auf die Eigenschaften von Verbrennungsmotoren angepassten Anregungssignalen mit schnellen Identifikations- und Auswertemethoden ist es möglich, auch hochdimensionale Zusammenhänge schnell und zuverlässig zu modellieren. Die dargestellten Methoden und Ansätze sind auch für industrielle Prüfstände geeignet und wurden bereits erfolgreich zur Kalibrierung von Verbrennungsmotoren angewandt. Die erstellten Modelle sind in der Lage das dynamische und stationäre Verhalten des Motors gut zu beschreiben und erlauben gegenüber herkömmlicher stationärer Vermessung eine signifikante Zeitersparnis bei gleichzeitiger Eignung der Modelle für dynamische Anwendungen, wie z.B. Reglerentwurfsverfahren und dynamische Steuerungen. Zur Generierung geeigneter Kandidatenpunkte innerhalb des Variationsraums hat sich die sphärische Rasterung als bessere Alternative zur üblichen würfelförmigen Rasterung erwiesen. Die Auswahl der Amplituden sollte anhand D-optimaler Pläne erfolgen. Als dynamische Anregung sind einfache Sprungfunktionen oder PRBS sinnvoll. Zur Vermeidung von Variationsraumverletzungen durch sequentielle Stellsysteme ist eine rampenförmige Variation der Stellgrößen zu empfehlen. Da die D-optimalen Pläne keine Aussage über eine geeignete Reihenfolge der Messpunkte geben können, bietet sich eine Sortierung der Messpunkte nach mittlerem Punkteabstand an. Zur dynamischen Vermessung am Prüfstand sowie Messdatenkonvertierung und – fusion sind industrielle Messsysteme geeignet. Die Messdatenaufbereitung sollte bei Abgasanalysatoren mindestens eine Kompensation der Totzeiten umfassen. Dabei hat sich eine anfängliche Analyse auf Basis eines Sprungversuchs in Kombination mit einem mo-
198
7 Dynamische Motorvermessung mit verschiedenen Methoden und Modellen
dellbasierten Ansatz durch Anpassung des Zählerpolynoms nach [17] als zielführend erwiesen. Eine geeignete Reduktion der Abtastrate kann in der Regel durch einfache Reduzierung der Messpunkte erfolgen, auf eine aufwändige Tiefpass-Filterung der Daten kann meist verzichtet werden. Lediglich bei stark verrauschten Daten bieten sich nicht-kausale Filter wie z.B. median- oder Wavelet-Filter an. Wie die Prüfstandsergebnisse zeigen, existieren mehrere geeignete Verfahren für die dynamische Modellbildung der Verbrennungsmotoren. Dabei erweist sich eine Vermessung mit der ADN-Methodik und eine Modellbildung mit LOLIMOT, ergänzt um erweiterte Regressorbildung, Regressorauswahlverfahren, alternative Fehlermaße und mit schneller Berechnung der Stationärwerte als bester Kompromiss zwischen Modellgüte, Rechenaufwand und Interpretierbarkeit. Das vorgestellte einheitliche Bezeichnungsschema erleichtert die Unterscheidung der verschiedenen Verfahren und ermöglicht eine einfache Einordnung neuer Vermessungsstrategien.
Literatur [1]
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7.12 Zusammenfassung
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200
8 Implementierung von Motorvermessungsmethoden für die Prüfstandsautomatisierung EIKE MARTINI, MATTHIAS WELLERS Antriebsstrang Applikationsprozesse werden zunehmend kritischer. Die steigenden Erwartungen an ein Fahrzeug und die Kundenzufriedenheit sind der treibende Faktor für Verbesserungen, insbesondere hinsichtlich der transienten Performance, des Fahrverhaltens und der Reduzierung des Verbrauchs. Gleichzeitig müssen striktere EmissionsGrenzwerte erfüllt werden. Dies führt zwangsläufig zu einer komplexeren Antriebsstrang-Hardware, einschließlich Sensoren und Aktuatoren. Steuergeräte werden immer leistungsfähiger, Modelle immer komplexer, die Anzahl von parametrierbaren Labels in den Modellen steigt ständig. Das Gesamtsystem Mechanik, Hydraulik, Thermodynamik und Elektronik und die Interaktion der einzelnen Komponenten wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor für Projekte. Deshalb wurde ein Smart-Calibration-Prozess entwickelt. „Smart Calibration ist ein verfolgbares und wieder verwendbares Konzept, welches die Qualität und die Effizienz der Applikation steigert. Basierend auf qualitativ hochwertigen Messergebnissen können diese schnellstmöglich hereingefahren und die notwendige Anzahl der Messungen auf ein Minimum reduziert werden. Darüber hinaus dürfen einzelne Entwicklungsschritte nicht an die klassischen Entwicklungsumgebungen gebunden sein. Eine Flexibilisierung schafft deutliche Fortschritte in Effektivität und Effizienz. Ohne durchgängige Plattform Lösungen mit professionellen Produkten kann eine nachhaltige Produktivitätssteigerung im weltweiten Wettbewerb nicht realisiert werden.
8.1 Herausforderung in der Kalibrierung Die Vorgehensweise in der Kalibrierung ist meist noch intuitiv und wenig systematisch. Es fehlen oft vorgeschriebene Prozesse und den Prozess unterstützende Hilfsmittel. Der herkömmliche, pragmatische Ansatz zur Durchführung der Applikation erfolgt für viele Funktionen nach dem „Trial and Error“-Prinzip: Der Applikationsingenieur versucht durch Verändern von Parametern im Modell empirisch die Ist- auf die Soll-Größe abzugleichen. Das vollständige Verständnis für die Funktion und die physikalischen Zusammenhänge werden nicht oder nur zum Teil in Betracht gezogen. Diese Vorgangsweise wird immer häufiger auch dann verwendet, wenn die Funktionen innerhalb der ECU/TCU (Engine/Transmission Control Unit) komplexer und undurchschaubarer werden. Vor allem dynamische Modelle, deren Wirkungsweisen sich meist nicht auf den ersten Blick erschließen, der anhaltende Trend zur Modularisierung und der Einsatz von neuronalen Netzen in Steuergeräten erschweren die Arbeit des Applikationsingenieurs. Rückkopplungen, Dynamikglieder und diverse Ein- und Ausschaltbedingun-
8.2 Smart Calibration Ansatz
201
gen lassen moderne Funktionen zu sehr komplexen Gebilden werden. Dies führt dazu, dass es, abhängig von der individuellen Erfahrung des Entwicklungsingenieurs, zum Teil deutlich unterschiedliche Bedatungsergebnisse geben kann. Diese können zum Teil weit entfernt von den physikalisch plausiblen Kennfeldern und Kennlinien liegen. Da in komplexen Funktionen die Ausgangsgröße meist wesentlich von mehreren Parametern beeinflusst wird, können bei der beschriebenen Vorgehensweise unterschiedliche Kalibrationen zu gleichen oder sehr ähnlichen Ergebnissen führen. Wirken etwa zwei Kennlinien additiv auf die Referenzgröße und sollen diese appliziert werden, kann eine Zuordnung oft nicht mehr eindeutig getroffen werden. Zum Beispiel kann in der ersten Kennlinie der Wert 20% und in der zweiten Kennlinie der Wert 45% als optimal angesehen werden. Auch die umgekehrte Variante wäre denkbar. Das Ergebnis wäre in beiden Fällen 65%. Ob diese Kalibrierung jedoch unter Berücksichtigung aller denkbaren Umgebungsbedingungen oder Fahrmanöver gleich neutral wirkt bleibt meist zu beweisen. Diese Probleme treten meist in Funktionen auf, die spät im Applikationsprozess bearbeitet werden. Ein Grund dafür liegt darin, dass diese Funktionen oft Fehler aus vorangegangenen Arbeitsschritten korrigieren müssen. Von Anschaulichkeit, physikalischem Hintergrund oder Lehrbuchverständnis ist hier beinahe nichts mehr übrig. Ändern sich Bauteile muss meist die gesamte Kalibrierung wiederholt werden, da das System durch die beschriebene Vorgehensweise ein hohes Maß an Instabilität aufweisen kann. Da oft auch die Trennung zwischen Regler und Regelstrecke außer Acht gelassen wird, ist der Zusatzaufwand für solche Entwicklungsschleifen meist unumgänglich. Mit physikalisch basierten Funktionsstrukturen wird nun versucht, diese Entwicklungsschleifen bei Änderung der Regelstrecke (Motor/Getriebe) auf ein Minimum zu reduzieren. Wird hierbei vom Applikationsingenieur die oben beschriebene Vorgehensweise gewählt, so kann auch dieser Ansatz nicht greifen, da physikalisch motivierte Parameter wie z.B. Wandwärmeübergänge in einem Katalysatortemperaturmodell so lange variiert werden, bis die modellierte Temperatur den Sensormesswerten möglichst nahe kommt. Die so eingestellten Parameter liegen damit oft weit außerhalb der physikalischen Plausibilitätsbereiche. Das Modell kann aber dennoch bezogen auf die Messdaten eine sehr hohe Güte aufweisen. Schleifen sind somit wiederum unvermeidlich. Für alle Anwendungen – unabhängig von der technologischen Komplexität von Antriebssystem- und -steuerung – ist die effiziente und deterministische Durchführung des Kalibrationsprozesses ein Schlüsselthema zur Beherrschung steigender Variantenzahl und wettbewerblicher Differenzierung.
8.2 Smart Calibration Ansatz Als Reaktion auf diese Problematik wurde der Smart-Calibration-Prozess entwickelt. „Smart Calibration“ ist ein verfolgbares und wieder verwendbares Konzept, welches die Qualität und die Effizienz der Applikation steigert. Darüber hinaus werden strukturierte, nachvollziehbare und wieder verwendbare Applikationsergebnisse und Datenstände er-
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8 Implementierung von Motorvermessungsmethoden für die Prüfstandsautomatisierung
zeugt. Die wesentlichen etablierten Abstimmungsprozesse sind in die Bereiche der stationären und transienten Abstimmung gegliedert. Zielsetzung der AVL-Aktivitäten war es, die Stärken des Vorgehens bei der stationären Abstimmung mit neuen Konzepten des transienten Versuchsvorgehens zu verbinden, um so einen durchgängigen PowertrainAbstimmungsprozess hervorzubringen. Smart Calibration ist die Kombination von Konzepten, Know-how und Tools in einem Powertrain-Applikationsprozess. Die Basis für den Erfolg des neuen Ansatzes der Abstimmungsmethodik ist die Mischung aus neuen, innovativen Prozessen, Expertenwissen und der Bereitstellung von robusten und professionellen Produkten am Markt. Gleichzeitig ist die Erhaltung der Flexibilität durch den Einsatz von einfach adaptierbaren Concept-Tools wesentlicher Bestandteil. Darüber hinaus dürfen Entwicklungsschritte nicht mehr an die dafür klassischen Entwicklungsumgebungen gebunden sein. Im Zuge der Entwicklung des Smart-Calibration-Prozesses entstehen Lösungen für Dieselkalibrierung, Ottokalibrierung sowie bei Getriebe- und Abgasnachbehandlungsthemen, welche standardmäßig in Serienprojekten eingesetzt werden.
8.3 Methodische Lösungen 8.3.1 Besser, schneller und weniger Messen Aufbauend auf höchstmöglicher Messqualität sind Verfahren notwendig, welche die Messzeit auf ein Minimum reduzieren. Darüber hinaus sind Methoden nötig, die Messungen nach Möglichkeit vermeiden oder nur so viele wie absolut erforderlich benötigen.
8.3.1.1 Besser Messen Die Basis von jeder Entwicklungsarbeit stellt die Qualität der Messergebnisse dar. Werden Ergebnisse nicht reproduzierbar, stabil oder mit nötiger Messgenauigkeit generiert, so folgen unnötige Entwicklungsschleifen wodurch die Projektkosten deutlich steigen. Schlimmer noch wäre es, wenn die mangelnde Qualität der Messergebnisse nicht sofort erkannt wird und in den späteren Schritten der Entwicklung zu Fehlinterpretationen und Fehlentscheidungen führt. Daher ist die Qualität der Messergebnisse von grundlegender Bedeutung für alle weiteren Maßnahmen. Dieses Thema scheint zwar auf den ersten Blick trivial, bereitet aber in der Praxis häufig massive Probleme. Ohne eine solide Basis können nachfolgende Schritte zum schnelleren oder weniger messen nicht erfolgreich sein. So sind etwa die Medienregler (Wasser, Luft, Kraftstoff etc.) immer mit der Qualität einzustellen, die technisch möglich ist. Konstante bzw. schnellstmöglich eingeregelte Randbedingungen sind unerlässlich für ein reproduzierbares und exaktes Messergebnis.
8.3 Methodische Lösungen
203
So ist es z.B. technisch möglich, dass die Temperatur der Ladeluft bei einem normierten Abnahmeverfahren innerhalb von 30 Sekunden ein Toleranzband von +/- 1 °C erreicht, Bild 8-1.
Bild 8-1: Einregelung der Wassertemperatur; a) langsame Temperaturregelung (links), b) schnelle Temperaturregelung (rechts)
Eine lange Einregelzeit der Medien verlängert die Messzeit unnötig oder verändert das Messergebnis in nicht unerheblichem Maße. Die Auswirkung von schlecht aufgebauten und abgestimmten Ansaugluftregelungen auf die Emissionen ist in Bild 8-2 dargestellt.
Bild 8-2: Auswirkungen von Schwankungen der Ansaugluft auf NOx Emissionen
Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass die durchgeführten Messungen schnellstmöglich geprüft werden und ggf. eine Neumessung oder eine Wartung der Messgeräte eingeleitet wird. Die Vorgehensweise bei der Datenplausibilisierung stützt sich dabei auf folgende Vorgehensweise:
204
8 Implementierung von Motorvermessungsmethoden für die Prüfstandsautomatisierung
Zunächst müssen die Messdaten und Einheiten in einem standardisierten Format mit entsprechender Quantisierung abgetastet und abgespeichert werden. Neben der üblichen Mittelwertsbildung gehören hierzu auch statistische Größen, wie Standardabweichung und die eventuelle Änderung während der Messung. Weiters kann eine Stationärmessung erst dann ausgelöst werden, wenn die Sollwerte aller Einstellgrößen konstant und stabil sind. Im nächsten Schritt muss das System in der Lage sein, selbstständig zu überprüfen, ob ein eingeschwungener Zustand der Ausgangsgrößen (Emissionen, Temperaturen etc.) sowie der Medientemperaturen und -drücke vorhanden ist. Solange dies nicht der Fall ist darf eine Messung nicht freigegeben werden. Wird nun gemessen, müssen die Daten auf drei Arten gleichzeitig kontrolliert werden. Zum einen ist die grundlegende Frage, ob während der Messung überhaupt Daten von allen angeschlossenen Messgeräten geliefert werden. Ist dies nicht der Fall kann davon ausgegangen werden, dass ein benötigtes System ausgefallen ist und der verantwortliche Mitarbeiter der Gerätewartung umgehend informiert werden muss, bzw. muss auf ein Ersatzsystem umgeschaltet werden. Liegen nun Daten vor, so muss geprüft werden, ob der gemessene Wert überhaupt sinnvoll sein kann. Also, ob der Wert z.B. innerhalb des Messbereichs oder innerhalb erwarteter Größenordnungen liegt. Ist auch dies der Fall, muss der Messwert durch eine Reihe von Abfragen und Vergleichen mit anderen ggf. redundanten Messwerten auf Plausibilität geprüft werden. Sind diese Prüfungen positiv absolviert, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Ergebnis ausgegangen werden, welches einen gewissen Qualitätsstandard erfüllt. Ist dies nicht der Fall, so müssen umgehend Maßnahmen getroffen und Benachrichtigungen gesendet werden, insbesondere im Automatikbetrieb. Um nachhaltig die Effizienz zu erhöhen, empfiehlt sich auch die automatische Dokumentation von Fehlern in einer Datenbank. Somit können Hauptfehlerursachen erkannt und behoben werden, sowie Fehler und deren Behebung nachverfolgt werden. Gespeicherte Daten können in weiterer Folge in einem Prüffeld gesammelt und zentral ausgewertet werden, um etwaige Fehlerursachen zu diagnostizieren und den Gesamtprozess zu verbessern. Das frühzeitige Erkennen von Störungen, Ausfällen oder Fehlern ist für die Effizienzsteigerung von Prüffeldern und die Sicherstellung einer hohen Datenqualität im Kalibrierprozess von zentraler Bedeutung. Schätzungen über verlorene Prüfstandszeiten aufgrund von Systemausfällen und fehlerhaften Messungen belaufen sich zwischen 10 und 40%. Aus dieser Motivation heraus wurde ein Produkt für Kunden geschaffen, welches die Anforderungen einer umfassenden Überwachung und Fehlerdiagnose am Prüfstand und Motor abdeckt – das PUMA Online Diagnose Device, kurz PODD.
8.3 Methodische Lösungen
205
Bild 8-3: Vorgehen bei der Datenplausibilisierung
8.3.1.2 Schneller Messen Im Zuge von bisherigen Messverfahren werden die Sollwerte in Stufen verstellt. Vor der Messung wird, wie im vorigen Abschnitt beschrieben, geprüft, ob stationäre Bedingungen vorliegen. Wenn dies der Fall ist, wird eine bestimmte Zeit gemessen. Nachteile sind hierbei: Eine lange Einschwingzeit von 1-3 Minuten oder mehr pro Punkt Unsicherheit, ob alle Werte schon in Beharrung sind oder zu lange Stabilisierungszeit, falls Werte schon lange in Beharrung sind Messzeit ist pro Punkt üblicherweise nicht angepasst Messzeit ist im Vergleich zur Prüflaufzeit sehr gering (ca. 25%) Betriebsgrenzen werden durch stufenweises Verstellen schnell und evtl. deutlich überschritten während des Verstellvorganges werden keine Daten gesammelt/überwacht.
206
8 Implementierung von Motorvermessungsmethoden für die Prüfstandsautomatisierung
Einen ersten Ansatz zur Beschleunigung von stationären Messungen stellte das CMS Verfahren dar. Es bildete die Grundlage für die SDS (slow dynamic slope) Methode. Hierbei werden die Stellgrößen nicht mehr in diskreten Schritten sondern in kontinuierlichen Rampen eingestellt [6]. Die Rampenzeit und die eingesetzte Messtechnik muss dabei so gewählt werden, dass immer annähernd der Stationärwert gemessen wird. Durch die Benutzung eines Echtzeitsystems am Prüfstand und eines schnellen ECU Zugangs ist es möglich, neun und mehr Stellgrößen gleichzeitig zu verstellen mit Datenraten von mindestens 1 kHz. Die oben genannten Nachteile werden mit diesem Verfahren weitestgehend kompensiert. Die Messzeit kann um ca. 65% reduziert werden und durch die kontinuierliche Aufnahme von Daten entspricht die Messzeit der Prüflaufzeit. Gleichzeitig können die Betriebsgrenzen exakt detektiert werden und es kann sofort reagiert werden. Die Herausforderung beim Einsatz dieser Methode ist aber der Umgang mit der enormen Menge an Daten, die in wenigen Stunden Prüflaufzeit gesammelt wird. Um diesen Nachteil zu umgehen und dennoch die Zeitvorteile der SDS Methode zu nutzen, wurde das CLA (continuous limit approach) Verfahren entwickelt. Hierbei ist lediglich die Anfahr- und Einstellstrategie basierend auf der SDS Methode, wodurch die Betriebsgrenzen schnell und exakt gefunden werden können. Eine Messung wird jedoch wie bisher im stationären eingeschwungenen Zustand durchgeführt. Hierdurch können vorhandene Werkzeugketten weiter genutzt werden und es sind keine Qualifizierungsmaßnahmen für die Entwicklungsingenieure nötig. Der Zeitvorteil bei der Messung liegt immer noch bei 40% gegenüber der Standardmethode.
Bild 8-4: Messung mit CLA zur Ermittlung der Betriebsgrenzen
8.3 Methodische Lösungen
207
Eine weitere Verkürzung der Messzeit ist nur noch möglich, indem nicht mehr abgewartet wird bis der stationäre Endwert erreicht wird. Dieser muss aus einem dynamischen Modell prädiziert werden. Hierfür werden sehr kurze Anregungen in allen Stellgrößen gleichzeitig gefahren und die dynamischen Verläufe der Messdaten mit einem Rekorder aufgezeichnet [7]. Vorher müssen ggf. die Betriebsgrenzen des Motors bekannt sein, die dann wiederum mit der CLA Methode ermittelt werden können. Üblicherweise ist dies nur nötig bei Motoren mit engen Betriebgrenzen, wie z.B. Ottomotoren im Schichtbetrieb. Die aus der dynamischen Vermessung gewonnenen Daten müssen bearbeitet werden und es wird ein dynamisches Modell gebildet. Auf Basis dieses Modells kann dann das stationäre Verhalten berechnet werden. Aufgrund der Anregungssignale wurde diese Methode auch AFS (Amplitude modulated fast Steps) genannt. Interessant ist, dass diese Methode auch die Möglichkeit bietet, neben dem stationären Verhalten des Motors auch das dynamische Verhalten zu identifizieren. Dies wird zukünftig noch an Bedeutung gewinnen, da neue strengere Emissionsgesetzgebungen nur noch zu erreichen sein werden, wenn das Hauptaugenmerk auf der Optimierung des dynamischen Verhaltens liegt.
8.3.1.3 Weniger Messen Es ist immer zu prüfen, ob eine Vermessung am Prüfstand oder im Fahrzeug irgendwie vermeidbar ist. Oft können die nötigen Informationen aus Daten von Vorgängermotoren oder aus Berechnungsergebnissen erzielt werden. Die Qualität der Vorausberechnung mit Ladungswechselwerkzeugen hat heute schon eine beachtliche Qualität erreicht. Wenn Interaktionen vom Motor nicht nötig sind kann die Untersuchung oft auch am HiL (Hardware-in-the-Loop) Prüfstand durchgeführt werden. Oft werden Untersuchungen am Prüfstand oder im Fahrzeug nur dazu verwendet, die Funktion der ECU zu verstehen oder zu prüfen. Ist eine Messung unumgänglich, muss zumindest die Anzahl der Messungen auf das absolut nötige Minimum reduziert werden. Insbesondere durch die DoE (Design-ofExperiments) Methode kann die Anzahl der zu vermessenden Punkte oft deutlich reduziert werden. Insbesondere dann, wenn ein Vorwissen dahingehend über den zu vermessenden Motor besteht, wo große Nichtlinearitäten zu erwarten sind und wo nicht. Basierend auf diesem Wissen kann dann der Versuchsplan optimal angepasst werden, so dass in Bereichen großer Nichtlinearität viel gemessen wird und in Bereichen mit annähernd linearem Verhalten wenig. Bei einer Beschränkung auf sehr wenige Daten muss aber beachtet werden, dass die Messqualität wie in 8.3.1.1 beschrieben höchsten Anforderungen genügen muss. Um den Kalibrations- bzw. Versuchsingenieur bei dieser anspruchsvollen Aufgabe zu TM unterstützen, wurde das Konzept der intelligenten Prozeduren – iProcedures – entwickelt, welche die Schritte von Versuchsplanung, Versuchsdurchführung, Modellbildung und Optimierung aufgabengerecht abbilden und auch adaptive Verfahren unterstützen, die eine hohe Verfügbarkeit geeigneter Daten und Modelle gewährleisten. Ist eine Messung einmal durchgeführt und sind die Ergebnisse verwendbar und plausibel müssen die Daten so weiterverarbeitet werden, dass eine Kalibrierung des Steuergerä-
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8 Implementierung von Motorvermessungsmethoden für die Prüfstandsautomatisierung
tes daraus wird. Es muss an dieser Stelle klar festgehalten werden, dass Applikationswerkzeuge niemals das Wissen und die Erfahrung von Entwicklungsingenieuren ersetzen werden können. Allerdings ist es möglich, dass Entwicklungsingenieure bei Ihrer Arbeit durch geeignete Methoden und Werkzeuge unterstützt werden können, um sich auf die Kernaufgaben zu konzentrieren und damit effektiv und effizient arbeiten zu können. Darüber hinaus können durch einheitliche Methoden und Werkzeuge Standardisierungen von Arbeitsprozessen und Ergebnisqualitäten erzielt werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn modellbasierte Kalibration durchgängig eingesetzt wird. Dabei werden zunehmend globale Modelle eingesetzt, die beispielsweise intelligente neuronale Netze (INNTM) zur Anwendung bringen. Hierzu sei auf aktuelle Veröffentlichungen verwiesen [4, 5].
8.3.2 Arbeiten in allen Entwicklungsumgebungen Die meisten Entwicklungsaufgaben sind heute an eine bestimmte Entwicklungsumgebung gebunden. So wird z.B. Fahrbarkeitskalibrierung meist im Fahrzeug durchgeführt, Emissionsentwicklung wird auf der Fahrzeugrolle abgewickelt und Basiskalibrierung ist eine typische Arbeit für den Motorenprüfstand. Ob diese Entwicklungsumgebung für die Aufgabe optimal ist wird meist nicht mehr hinterfragt. Kosten, Qualität und Zeitaspekte alternativer Entwicklungsumgebungen bleiben daher meist unberücksichtigt. Ebenso werden die jeweiligen Entwicklungsschritte erst bei vollständiger Verfügbarkeit eines Motors oder eines Fahrzeuges gestartet. So wird z.B. die Fahrbarkeitsabstimmung meist erst in einem komplett aufgebauten Fahrzeug durchgeführt. Bei der Wahl der Entwicklungsumgebung sollten also neben Qualitäts-, Zeit- und Kostenaspekten auch die Verfügbarkeit der Umgebung in die Entscheidung einbezogen werden. Hierbei ist nicht zwingend Frontloading, also die Verlagerung in Umgebung mit höherem Simulationsanteil gemeint. Es kann durchaus auch sinnvoll sein, Arbeiten vom Motorenprüfstand auf den Rollenprüfstand oder auf die Straße zu verlegen. In einer unabhängigen Markstudie wurde nach der aktuellen und der zukünftigen Bedeutung der Entwicklungsumgebungen für Motor- und Getriebekalibrierung gefragt (vergleiche Bild 8-5). Hierbei konnten folgende Erkenntnisse gewonnen werden: Die Bedeutung für MiL/SiL/HiL steigt zukünftig. Die Bedeutung der Entwicklungsumgebung Straße wird sinken. Die Bedeutung des Rollenprüfstandes wird in der Motorkalibrierung steigen und in der Getriebekalibrierung abnehmen. Die Bedeutung von MiL/SiL/HiL ist heute beim Getriebe deutlich wichtiger als beim Motor und insbesondere MiL/SiL wird beim Getriebe auch noch deutlich stärker in der Bedeutung steigen als beim Motor. Eine wichtige Voraussetzung für die effiziente Nutzung verschiedener Entwicklungsumgebungen ist eine vertraute und durchgängige Werkzeugumgebung [3].
8.4 Implementierung neuer Methoden in SW-Produkte
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Bild 8-5: Flexible Zuordnung von Aufgaben zu Entwicklungsumgebungen
8.4 Implementierung neuer Methoden in SW-Produkte Von großer Bedeutung für die Effektivität des Smart-Calibration-Konzept ist der Prozess, mit dem neue Methoden in die ausrollbaren und weltweit unterstützten Produkte einfließen. Erst diese ermöglichen in Verbindung mit der entsprechend verfügbaren Supportkompetenz eine industrielle und langfristige Nutzung mit signifikantem Return on Invest. Durch systematisches Einbringen bewährter Methoden wächst der Funktionsumfang der Produkte im Einklang mit den Anforderungen aus dem Kalibrationsprozess. Gleichzeitig wird sichergestellt, dass eine prozesssichere Entwicklung und Qualitätssicherung erfolgt – die Produktentwicklung ist gemäß CMMI zertifiziert – und der Usability sowie der Offenheit für kundeneigene Lösungen höchste Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der Unterschied des Smart-Calibration-Konzepts zu anderen Ansätzen ist die Lösung des Zielkonflikts zwischen der Notwendigkeit einer schnell verfügbaren, problemspezifischen Software (mit den zugehörigen Support-Funktionen) und einer Software-Lösung, die robust genug zur Ausstattung eines gesamten Prüffelds ist und nachhaltig unterstützt wird. Der Smart-Calibration-Ansatz stellt somit sowohl für die Innovation, als auch für die industrielle Umsetzung einzigartige Lösungen zur Verfügung:
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8 Implementierung von Motorvermessungsmethoden für die Prüfstandsautomatisierung
Durch Weiterleitung der Ideen aus der Konzeptphase eines neuen Applikationsprozesses wird während einer intensiven Prototypenphase der Austausch zwischen der Methodikentwicklung und der Produktentwicklung sichergestellt. In einer zentralen Produktentwicklungsphase wird die neue Methodik in einen durchgängigen Prozess eingebettet, Bild 8-6. Smart-Calibration-Lösungen geben dem Kunden die Möglichkeit, neue Prozesse viel schneller zu implementieren als bisher. Solch ein Prozess beinhaltet normalerweise neue Konzepte, Prototypen-Tools und existierende Produkte. Eine gemeinsame Entwicklung mit Kunden kann neue Konzepte identifizieren oder die Möglichkeiten der Tools demonstrieren, die erfolgreich in hauseigenen AVL-Projekten zum Einsatz kommen. Alle Prototypen können für den Kunden zugänglich eingesetzt werden, sobald sie als Concept Tools die entsprechende Reife erlangt haben.
Bild 8-6: Smart Calibration: Creating Solutions
Dabei sind bestimmte Produkte als „Single Point of Entry“ definiert, insbesondere CAMEO für Kalibrations- und Optimierungsaufgaben und deren Workflow, DRIVE zur Identifikation und Bewertung dynamischer Fahrzustände und CRETA als Werkzeug für das Management der Applikationsdaten. Für alle diese Produkte kommt ein stringentes Releasemanagement zur Anwendung. Damit wird sowohl für den einzelnen Anwender, als auch für die Programm- und Unternehmensverantwortlichen eine langfristige Perspektive sichergestellt. Ausroll- und Qualifikationsprogramme sind planbar und effektiv umsetzbar, da eine weltweit verfügbare Supportkompetenz verfügbar ist und im Rahmen des Smart-Calibration-Programms
8.5 Zusammenfassung
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weiter ausgebaut wird. Für international tätige Automobilunternehmen wird damit auch eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse verschiedener Entwicklungsstandorte erreicht.
8.5 Zusammenfassung Applikationsprozesse werden bereits heute verstärkt im Labor, bzw. im Büro durchgeführt, parallel dazu werden die Fahrzeugversuche reduziert. In Zukunft wird eine weitere Verlagerung der Applikationstätigkeiten in das Büro stattfinden. Die optimierten Parameter können direkt in einen neuen Datensatz gespielt und durch das Kalibriersystem in die ECU geladen werden, die damit fertig für die Verifikation ist. Die Anzahl der Verifikationstests kann signifikant reduziert werden, da die Qualität der Applikation bereits aus der Simulation berechnet werden kann. Smart Calibration ist eine Umgebung, in der innovative Lösungen für Probleme in Applikationsprojekten entstehen und aus denen in weiterer Folge global ausrollbare Produkte weiterentwickelt werden. Das Prinzip von Smart Calibration ist die Kombination von drei fundamentalen Komponenten während eines Projektes: Prozess, Know-how und Tools. Diese einzigartige Kombination erlaubt Kalibrierprobleme zu lösen, wofür einfache Änderungen der Labels einer ECU Regelstruktur nicht ausreichend sind. Die SmartCalibration-Lösung ist ein prozessorientierter Ansatz, der Know-how aus der Thermodynamik, Regelungstechnik und Versuchmethodik einbringt um das physikalische Phänomen besser zu verstehen. Diese Problemlösungskompetenz wird manifestiert, indem man Concept Tools (Software Lösungen) rasch entwickelt, um spezifische Aufgaben zu lösen. In weiterer Folge werden diese spezifischen Lösungen in weltführende Produkte wie CAMEO, DRIVE, VSM und CRETA eingebaut, die wiederum in Projekte eingesetzt werden.
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8 Implementierung von Motorvermessungsmethoden für die Prüfstandsautomatisierung
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D Modellgestützter Entwurf von Steuerung und Regelung für Verbrennungsmotoren und Antriebsstrang
214
9 Funktionsentwicklung und Kalibration für aufgeladene Motoren – Modellbasiert vom Konzept bis zur Serie GERHARD SCHOPP, THOMAS BURKHARDT, JÜRGEN DINGL, ROLAND SCHWARZ, CHRISTOPH EISATH
An die Funktionen der elektronischen Motorsteuerung (EMS) zur Steuerung und Regelung der Komponenten werden höchste Ansprüche gestellt, um – neben der Erfüllung der länderspezifischen Diagnose- und Abgasgesetzgebungen – eine für den Kunden akzeptable Fahrbarkeit bei geringst möglichem Kraftstoffverbrauch zu gewährleisten. Insbesondere der weltweite Trend bei Ottomotoren zu direkt einspritzenden Turbomotoren, dem sogenannten „Turbo Downsizing“, aber auch die große Herausforderung an Dieselmotoren zur Erfüllung der Abgasgesetzgebung, resultieren in hoch komplexen Lösungen mit einer großen Anzahl von Freiheitsgraden für die Ansteuerung und Regelung der Aktuatoren. Um den dafür notwendigen Applikationsaufwand zu minimieren und die erforderliche Komplexität zu beherrschen, kommen modellbasierte Funktionen in Kombination mit modernen Funktionsentwicklungs- und Applikationsmethoden zum Einsatz. Der Beitrag beschreibt den grundsätzlichen Aufbau der Steuer-Software, die praktische Umsetzung des modellbasierten Funktionsansatzes an einigen Serienlösungen für aufgeladene Motoren und zeigt die dafür notwendigen Entwicklungswerkzeuge wie Streckenmodelle zur Simulation sowie moderne Applikationswerkzeuge, die eine zeiteffiziente und qualitativ hochwertige Bedatung der SW-Funktionen ermöglichen. Bei den heute üblichen kurzen Entwicklungszeiten ist der applikative Aufwand für die Funktionsbedatung eine nicht zu unterschätzende Größe. Bei dem Umfang an Funktionen und Daten, die mittlerweile in einer Motorsteuerung existieren, ist die Applikationsfreundlichkeit mit entscheidend für das Fahrergebnis [1]. Modellbasierte Funktionen bieten dem Applikationsingenieur hier einen Vorteil, da sie an den Schnittstellen physikalische Werte austauschen, die zum Abgleich mit Messwerten verglichen werden können. Eine weitere Stärke des modellbasierten Ansatzes ist, dass nicht mehr wie bisher in Kennfeldern Faktoren abgelegt werden, die mit einer Eingangsgröße multipliziert ein Ergebnis liefern, sondern dass das physikalische Verhalten eines kleinen Subsystems in einem formelmäßigen Zusammenhang beschrieben wird. Da die Rechnung im Steuergerät im Gegensatz zum Sensor keine nennenswerte zeitliche Verzögerung hat, müssen Sensorsignale oft nur mehr zum stationären bzw. quasistationären Abgleich eines schnellen Modells herangezogen werden. Die Systemdiagnose ergibt sich in solchen Fällen aus der Abweichung von berechneten Modellwerten und tatsächlichen Messwerten. 9 Funktionsentwicklung und Kalibration für aufgeladene Motoren
9.1 Modulares Konzept der Motorsteuerung EMS 2
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9.1 Modulares Konzept der Motorsteuerung EMS 2 Die stetig steigende Komplexität bei verkürzten Entwicklungszeiten von Motorsteuerungen verlangten nach einem Umdenken bei der funktionalen Systemarchitektur. So wurde im Rahmen des Übergangs auf eine 32bit Controller Generation die Gelegenheit genutzt, neue Wege zur Steigerung der Produktivität zu gehen. Damit einhergehend erfolgte auch eine Anpassung der Entwicklungsmethodik und der -werkzeuge. Außerdem wurden die bisherigen Geschäftsmodelle in der Zusammenarbeit mit den Automobilherstellern angepasst, da diese die Möglichkeiten der Software zur stärkeren Differenzierung nutzen wollen und daher verstärkt eigene Softwaremodule einbringen. Die daraus entstandene generische Systemplattform für Powertrain Systeme ist eine offene Systemarchitektur, die sogenannte elektronische Motorsteuerung EMS2, Bild 9-1.
Bild 9-1: Hierarchische Strukturierung der Steuerungssysteme
Durch die kontinuierliche Anwendung der klar definierten Schnittstellen werden der notwendige Austausch einzelner Funktionsblöcke und die Erweiterbarkeit ermöglicht. Diese Definitionen dienen auch als Grundlage für die Einbindung von Fremdkonstrukten, die sowohl von Automobilkunden aber auch von Dritten stammen können. Da die Variantenvielfalt als Mittel der Marktdifferenzierung weiter zunimmt, war ein Augenmerk auf die Konfigurierbarkeit von Teilfunktionen und größerer Strukturen zu legen. Nur damit ist die Nutzbarkeit für verschiedene Systeme wie z.B. Saugrohr- oder Direkteinspritzer leistbar. Dazu war eine Abkehr von der bei 16-Bit-Systemen gehandhabten „losen Kopplung“ von Funktionen mit vielen wechselseitigen Abhängigkeiten zu einer streng an funktionaler Kohärenz orientierten Funktionsblöcken mit stringenten Schnittstellen-Definitionen notwendig, dem sogenannten Aggregatekonzept. Siehe hierzu Bild 9-2.
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9 Funktionsentwicklung und Kalibration für aufgeladene Motoren
Bild 9-2: Kapselung von Funktionsblöcken mit stringenter Schnittstellendefinition
9.2 Der modellbasierte Funktionsansatz Der klassische Ansatz ist dadurch charakterisiert, das die Abhängigkeit des Gesamtsystems von den Einflussgrößen zunächst bei Normalbedingungen, also z.B. Normaldruck, Normaltemperatur etc., nur durch experimentelle Erfassung, rein mathematisch und ohne physikalischen Hintergrund beschrieben wird. Jede Abweichung von den Normalbedingungen muss über Korrekturkennfelder erledigt werden. Je komplexer das System, je höher die Anzahl der Einflussparameter auf das System, desto höher ist die Anzahl dieser Korrekturkennfelder, und desto undurchschaubarer wird die gesamte Abbildung. Aus dieser Problematik entstand der modellbasierte Ansatz beruhend auf der Kenntnis der Naturgesetze, welche die Modellstruktur vorgeben [2]. Natürlich kann die Physik bei diesem Ansatz auch nur mit endlicher Genauigkeit abgebildet werden, was im Wesentlichen durch die zur verfügbaren Rechner-Ressourcen bestimmt ist. Um die geforderte Modellpräzision trotzdem zu erreichen, werden die Modelle wiederum mit experimentellen Kennfeldern unterstützt. Jedoch sind diese gegenüber dem klassischen Ansatz in der Anzahl deutlich reduziert, so dass damit auch der Kalibrieraufwand sinkt. Dies ist die eigentliche Motivation für die Anwendung der modellbasierten Struktur, Bild 9-3. In diesem Zusammenhang steht auch, dass Diagnose und Adaption auf physikalischen Parametern basieren, und damit einfacher und klarer abgebildet werden können. Weiterhin verringert sich der Applikationsaufwand durch die Gliederung in physikalische Teilsysteme beim Austausch einzelner Komponenten während der Entwicklungsphase.
9.3 Modulare und modellbasierte Funktionen zur Aufladung am Beispiel von Serienlösungen 217
Bild 9-3: Kennfeldbasierter Funktionsansatz im Vergleich zum modellbasierten Funktionsansatz
9.3 Modulare und modellbasierte Funktionen zur Aufladung am Beispiel von Serienlösungen 9.3.1 Abgasturbolader mit Wastegate Wie das Bild 9-4 schematisch darstellt, werden Kennfelder, die vom Laderhersteller bereits aus Messungen an Prüfständen erstellt werden, direkt in der Motorsteuerung abgebildet. Weiters werden Geometriedaten und die Ansteuerungscharakteristik der Wastegate-Steuerung übernommen. Diese Methode führt zu einer erheblichen Reduktion im Zeitaufwand für die Applikation, insbesondere wenn während der Entwicklungsphase des Motors die Turbine oder der Verdichter, zum Teil mehrfach, getauscht werden. Außerdem kann man gute Voraussagen für den Motorbetrieb in der Höhe treffen. Aus dem physikalischen Modell wird die Laderdrehzahl des Laufzeugs berechnet, wodurch der Komponentenschutz gegen Überdrehzahl – insbesondere in der Höhe – gegeben ist. Über die Berechnung der Laderdrehzahl wird in der Folge noch berichtet. In Bild 9-5 sind die Funktionsblöcke des Turboladermodells und der Fluss der Berechnung dargestellt. Für jede im Aufladesystem vorhandene Hardware-Komponente existiert ein Software-Modell. Die im System verwendeten Sensoren, der Luftmassensensor oder der Saugrohrdrucksensor, der Ladedrucksensor sowie der Umgebungsdrucksensor werden zum Systemabgleich der einzelnen Modelle herangezogen.
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9 Funktionsentwicklung und Kalibration für aufgeladene Motoren
Bild 9-4: Nutzung von Kennfeldern des Turboladerherstellers in der Motorsteuerung
Bild 9-5: Die Funktionsblöcke zur Steuerung des Turboladers mit Wastegate
Aus dem Saugrohrmodell (Intake Manifold Model) werden der Sollwert für die Luftmasse (Setpoint Air Mass) und der Sollwert für den Ladedruck (Setpoint Boost Pressure) and das Turbo-Modell als Eingangsgrößen geliefert. Daraus wird über ein inverses Modell des Ladeluftkühlers (Inverse Intercooler Model), das inverse Verdichtermodell (Inverse Charger Model), das inverse Turbinenmodell (Inverse Turbine Model) sowie das inverse
9.3 Modulare und modellbasierte Funktionen zur Aufladung am Beispiel von Serienlösungen 219
Wastegate-Modell die Stellgröße für die Wastegate-Ansteuerung berechnet und als PWM Signal ausgegeben. Abweichungen des gemessenen Ladedrucks (Measured Boost Pressure) von der Stellgröße (Setpoint Boost Pressure) werden über den Ladedruckregler ausgeglichen und als Korrekturwert (Closed Loop Control) der Stellgröße für die WastegateAnsteuerung überlagert. Im sogenannten „Turbo Charger Model“ wird aus dem gemessenen Ladedruck und der aktuellen Luftmasse (Modellwert am Saugrohrdrucksensor oder Luftmassensensor abgeglichen) die aktuelle Laderdrehzahl berechnet. Ebenso wird über das Abgasgegendruckmodell (Exhaust Back Pressure Model) und das Wastegate-Modell der aktuelle Abgasgegendruck ermittelt und an das Saugrohrmodell (Intake Manifold Model) zurückgeliefert. Wie schon oben erwähnt, ist ein wesentliches Charakteristikum des Ansatzes, dass die Mess- und Geometriedaten für Turbine, Verdichter und Wastegate vom Hersteller des Turboladers übernommen werden.
9.3.1.1 Verdichter, Turbine, Wastegate Der thermodynamische Prozess der Verdichtung wird beim Abgasturbolader in der Regel über den Ansatz einer isentropen Verdichtung beschrieben. Die Güte der Verdichtung ist über ihren Wirkungsgrad definiert, der von den Zuständen um den Verdichter abhängt. Dabei handelt es sich um die Drücke und Temperaturen vor und nach dem Verdichter, dem Massen- bzw. Volumenstrom durch den Verdichter und der sich in dem Betriebspunkt einstellenden Abgasturboladerdrehzahl und dem Wirkungsgrad. Für die im Ottomotorenbereich heute fast ausschließlich verwendeten Radialverdichter ergibt sich ein in Bild 9-6 beispielhaft gezeigtes Kennfeld. Die Informationen aus diesem Kennfeld werden in der Motorsteuerung zur Berechnung von Modellgrößen für die Turboladerregelung benötigt.
Bild 9-6: Physikalischer Hintergrund des Verdichters [Quelle: 3K-Warner]
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9 Funktionsentwicklung und Kalibration für aufgeladene Motoren
Es wird die aktuelle Verdichterdrehzahl aus den folgenden vorhandenen Sensor- bzw. Modellgrößen berechnet: – Luftmassenstrom in den Verdichter – Umgebungsdruck – Ladedruck – Umgebungstemperatur
Bild 9-7: Physikalischer Hintergrund der Turbine [Quelle: 3K-Warner]
Um den physikalischen Gesetzmäßigkeiten auch hier Rechnung zu tragen, werden diese Größen in die entsprechenden Verdichterkenngrößen umgerechnet (z.B. Eintrittsluftdichte, reduzierter Volumenstrom und Druckverhältnis am Verdichter). Als besonderer Vorteil stellt sich dabei heraus, dass durch diese Vorgehensweise mit Berechnung des aktuellen Betriebspunktes im Verdichterkennfeld eine Berechnungsroutine implementiert werden konnte, die besonders markante Betriebszustände wie Pumpen und Stopfen des Verdichters nicht nur erkennt, sondern die durch präventive Maßnahmen bei gleichzeitig minimaler Einbuße der Dynamikperformance in der Lage ist, sie zu verhindern. Den zweiten Kernpunkt des Aufladungsprozesses stellt der Antrieb des Verdichters dar, der beim Abgasturbolader durch die Turbine im Abgastrakt realisiert ist. Parallel zum Verdichtungsprozess beschreibt man die thermodynamischen Vorgänge an der Turbine über den Ansatz einer isentropen Expansion. Die Güte der Expansion ist über ihren
9.3 Modulare und modellbasierte Funktionen zur Aufladung am Beispiel von Serienlösungen 221
Wirkungsgrad definiert, der mit den Zuständen an der Turbine beschrieben werden kann. In der Regel wird dieser thermodynamische Wirkungsgrad mit dem mechanischen Gesamtwirkungsgrad des Abgasturboladers verknüpft, wobei durch die mechanische Kopplung des Verdichter- und des Turbinenrades über die Welle auf eine Unterscheidung zwischen mechanischem Verdichter- und Turbinenwirkungsgrad verzichtet wird. Die Darstellung erfolgt ebenfalls in Form eines Kennfelds wie es in Bild 9-7 dargestellt ist. In der Motorsteuerung wird dann mit der aus dem Verdichtermodell gewonnenen Drehzahlinformation auf das Durchflussverhalten und das Druckverhältnis über der Turbine geschlossen. Ebenso werden die Wirkungsgrade in die Turbinenleistungsberechnung miteinbezogen. Besondere Aufmerksamkeit verdient hierbei auch die Gegenüberstellung von Verdichter- und Turbinenleistung im dynamischen Fall, bei dem die im Laufzeug gespeicherte Rotationsenergie sichtbar wird. Diese Leistungsbetrachtung zeigt somit die Vorgehensweise bei der Bestimmung einer optimalen Ladedruckregelung auf, da die Leistungsbilanzierung am Abgasturbolader die direkte thermodynamische Kopplung zum Motor ermöglicht. Die Modellierung der Wastegate-Ansteuerung (Stellglied) und damit der reduzierten Querschnittsfläche des Bypass um die Turbine beruht auf den Grundgleichungen der Mechanik und der Thermodynamik. Sie berücksichtigt Hystereseeffekte und das Verzögerungsverhalten aller beteiligten Komponenten.
9.3.1.2 Statische und dynamische Leistungsbilanz Im Besonderen beim dynamischen Verhalten des Gesamtsystems spielt die thermodynamische Kopplung zwischen Abgasturbolader und Motor eine zentrale Rolle, da man hier eine sehr hohe Zahl an Freiheitsgraden bei der Wahl des temporären Betriebspunkts sowohl des Motors als auch des Abgasturboladers hat. Die Leistungsbilanzierung ist der Ausgangspunkt der allgemeinen Beschreibung der Abgasturboaufladung durch die erste Turboladerhauptgleichung. Die qualitative Darstellung der ersten Turboladerhauptgleichung verdeutlicht die physikalischen Zusammenhänge, d.h. die Abhängigkeit des Verdichterdruckquotienten von den Zuständen um den Verdichter und der Turbine und dem Gesamtwirkungsgrad des Abgasturboladers:
§p p2 T3 · * = f ¨ 4 ,ηATL ¸ p1 T1 ¹ © p3 p = Druck T = Temperatur * ηATL = ηATL ⋅ m Turbine / m Lader ηATL = Gesamtwirkungsgrad des Abgasturboladers In Umkehrung dieser Gleichung lässt sich der Abgasturboladerwirkungsgrad ermitteln (bei Kenntnis der Zustandswerte um Verdichter und Turbine bei stationärem Betrieb). Die zweite Hauptgleichung der Abgasturboaufladung zeigt die physikalischen Zusammenhänge bei Ermittlung des reduzierten Massenstroms durch die Turbine, die unter an-
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9 Funktionsentwicklung und Kalibration für aufgeladene Motoren
derem eine Eingangsgröße in das Turbinenkennfeld darstellt und zur Berechnung der Massenstromaufteilung zwischen Wastegate und Turbine dient: mT
T3 §p · = As,T ⋅ f ¨ 3 , κ T ¸ p3 © p4 ¹
Diese Massenstromaufteilung dient wiederum als Basis für eine massenbilanzierte Abgasgegendruckermittlung, wie sie im folgenden Unterkapitel ausgeführt ist. In Bild 9-8 werden die grundlegenden physikalischen Zusammenhänge des Abgasturboladers für eine Leistungsbilanz für stationären und im Ansatz für einen instationären Betrieb ausgeführt – diese bilden die Basis für die Modelle, die in der Motorsteuerung gerechnet werden. N T −1 ⎤ ⎡ ⎢ ⎛ p4 ⎞ N T ⎥ PT = m T ⋅ ΔhsT ⋅ KsT ⋅ KmT mit ΔhsT = cpT ⋅ T3 ⎢1 − ⎜ ⎟ ⎥ p ⎥ ⎢ ⎝ 3⎠ ⎣ ⎦ N − 1 L ⎡ ⎤ 1 ⎢⎛ p2 ⎞ N L ⎥ PL = m L ⋅ ΔhsL ⋅ mit ΔhsL = cpL ⋅ T1 ⎢⎜ − 1⎥ ⎟ p KsL ⋅ KmL ⎢⎝ 1 ⎠ ⎥ ⎣ ⎦
P = M ⋅Z ΔP M acc. = Z
M acc. = J turbo ⋅ Z Bild 9-8: Momentengleichgewicht am Laufzeug
9.3.1.3 Abgasgegendruck Der aktuell vorhandene Abgasgegendruck wird über die Bilanzierung der zu- und abfließenden Massenströme berechnet:
p exh =
Rg ⋅ Texh Vexh
( m eng − m WG − m tur )
Der in den Abgastrakt einströmende Massenstrom meng berechnet sich aus dem in die Zylinder einfließenden Luftmassenstrom und der eingespritzten Kraftstoffmenge. Der Turbinenmassenstrom mtur wird abhängig von der Turbinendrehzahl und dem Druckverhältnis vor und nach der Turbine modelliert. Das Modell des Wastegate-Massenstromes mWG entspricht einer Drosselung in Abhängigkeit der Wastegate-Position und des Druckver-
9.3 Modulare und modellbasierte Funktionen zur Aufladung am Beispiel von Serienlösungen 223
hältnisses. Die Differentialgleichung aus der Bilanzgleichung kann dann nach dem Abgasgegendruck vor der Turbinen pexh aufgelöst werden. 9.3.1.4 Ladedruckregelung Ziel der modellbasierten Ladedruckregelung ist es, die Einflüsse aller Zustandsgrößen zu erfassen sowie deren Auswirkungen im Sinne einer Steuerung im Voraus zu berechnen. Damit kann die Auswirkung sofort beim Auftreten einer Störgröße kompensiert werden, noch bevor man sie am Ausgang der Regelstrecke als Ladedruckabweichung sieht. Die Ladedruckregelung besteht aus einem Modell des Verdichters, das den gewünschten Betriebspunkt nachbildet, einem inversen Modell der Turbine, das die geforderten Druckverhältnisse an der Turbine sowie den auftretenden Massenstrom durch die Turbine berechnet und einem inversen Modell des Wastegate inklusive Aktorik, das die benötigte Ansteuerung der Aktorik berechnet. Zusätzlich wird noch ein PID-Regler verwendet, um Modellungenauigkeiten und Toleranzen der Regelstrecke und der Sensorik auszugleichen. Das Verdichtermodell basiert auf den Daten, die (z.B. vom Turboladerhersteller) aufgrund einer Vermessung des Turboladers gewonnen werden. Mit Hilfe dieser Daten sowie den Turboladerhauptgleichungen wird – wie bereits erwähnt – aus dem Umgebungsdruck, den Sollwerten für Ladedruck und Luftmassenstrom sowie der Ansauglufttemperatur vor dem Verdichter die geforderte Verdichterleistung errechnet. Die geforderte Verdichterleistung wird durch den PID-Regler multiplikativ korrigiert und bestimmt die Sollleistung für die Turbine. Dieser Ansatz folgt aus der Turboladerhauptgleichung PVerdichter, statisch = PTurbine, statisch Das inverse Modell der Turbine basiert ebenfalls auf den Daten, die vom Turboladerhersteller aufgrund einer Vermessung des Turboladers gewonnen werden. Anhand der Abgastemperatur vor der Turbine, der Laderdrehzahl, des momentanen Abgasmassenstromes vom Motor, des gewünschten Luftmassenstromes, des Umgebungsdruckes sowie der geforderten Turbinenleistung werden der Druck vor und nach Turbine im Sollbetriebspunkt und der geforderte Massenstrom durch das Wastegate berechnet. Das inverse Modell des Wastegate berechnet aus der Abgastemperatur, den Drücken vor und nach Turbine und dem geforderten Massenstrom eine Sollposition für das Wastegate. Anhand dieser Position und der Drücke vor und nach Turbine lässt sich eine Betätigungskraft bestimmen, aus der über ein inverses Modell der Aktorik unter Berücksichtigung des Versorgungsdruckes (hier der Ladedruck) sowie der Bordnetzspannung die notwendige Ansteuerung berechnet wird. Der PID-Regler arbeitet mit der Regelgröße Ladedruck, seine Parameter sind motordrehzahlabhängig.
9.3.2 Abgasturbolader mit variabler Turbinengeometrie (VTG) Ein energetisch günstigeres Ladedruckregelverfahren als die Wastegate-Regelung stellt die sogenannte Variable Turbinengeometrie (VTG) dar. VTG ermöglicht es durch die Veränderung von Anströmwinkel und -geschwindigkeit am Turbinenradeintritt die Tur-
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binenleistung zu regeln, [3]. Bei der VTG ermöglichen die drehbar angeordneten Leitschaufeln zwischen dem Spiralgehäuse und dem Turbinenlaufrad eine Querschnittsveränderung in der Turbine. Dabei führt ein Aufstauen des Abgasmassenstroms durch das Schließen der Leitschaufeln zu einem hohen Enthalpiegefälle über der Turbine und ermöglicht bereits bei niedrigen Motordrehzahlen einen hohen Ladedruck, wenngleich sich der Motorgesamtwirkungsgrad in diesem Bereich um ca. 3% verschlechtern kann [4]. Bei hohen Motordrehzahlen wird durch das zunehmende Öffnen der Leitschaufeln der Strömungsquerschnitt vergrößert. Der Vorteil der VTG-Regelung gegenüber der WastegateRegelung liegt darin, dass immer der gesamte Abgasmassenstrom über die Turbine geleitet wird und zur Leistungsumsetzung genutzt werden kann. Bei hoher Motordrehzahl entstehen dadurch Verbrauchsvorteile von bis zu 8% [4, 5]. Trotz des hohen technischen Aufwands und der damit verbundenen Kosten konnte sich diese Form der Ladedruckregelung in den zurückliegenden Jahren gegenüber der Wastegate-Regelung beim Dieselmotor im Großserieneinsatz durchsetzen. Beim Ottomotor sind die Anforderungen, vor allem durch die hohe Abgastemperatur von nahezu 1000 °C , bedeutend größer. Es gibt jedoch mittlerweile auch Serieneinsätze bei Sportmotoren. Die Ansteuerung der verstellbaren Leitschaufeln erfolgt entweder durch eine Druckdose, die über ein vom Steuergerät getaktetes elektropneumatisches Ventil mit Druck beaufschlagt wird, oder direkt über einen elektrischen Stellmotor. In Bild 9-9 sind die Funktionsblöcke des Turboladermodells und der Fluss der Berechnung dargestellt. Analog wie beim Wastegate-Lader, existiert für jede im Aufladesystem vorhandene HardwareKomponente ein Software-Modell.
Bild 9-9: Die Funktionsblöcke des Turboladermodells mit variabler Turbinengeometrie
9.3 Modulare und modellbasierte Funktionen zur Aufladung am Beispiel von Serienlösungen 225
Während die Steuerung eines Turboladers mit Wastegate primär mit der Aufteilung des vom Motor gelieferten Abgasmassenstroms auf Turbine und Wastegate arbeitet, muss man beim Turbolader mit variabler Turbinengeometrie, dessen Turbinendurchsatz nicht beeinflussbar und gleich dem Motordurchsatz ist, direkt den Turbinenwirkungsgrad beeinflussen. Diese im Vergleich zum Wastegate-Lader prinzipiell andere Einflussnahme auf den Laderbetriebspunkt erfordert in der Motorsteuerung für einen Turbolader mit variabler Turbinengeometrie entsprechend angepasste Algorithmen zur Turbinenansteuerung, während die auf den verdichternahen Funktionen (Soll-Leistungs- und SollDrehzahlberechnung, Drehzahlüberwachung, Pumpvermeidung, Grundladedruckadaption) genau gleich wie beim Wastegate-Lader sind. Prinzipiell werden auch bei VTG die vom Hersteller gelieferten Kennfelder zur Steuerung von Verdichter und Turbine verwendet. Um das vom Hersteller gelieferte Turbinenkennfeld in der Motorsteuerung effizient anwenden zu können wird dieses transformiert. Grundidee ist, aus dem nicht interpolierbaren Kennfeld durch entsprechende Umrechnung ein interpolierbares Kennfeld zu erzeugen. Das auf Bild 9-10 links in seiner Standardform dargestellte Turbinenkennfeld eines Turboladers mit variabler Turbinengeometrie zeigt in einer oberen Kurvenschar den Turbinenwirkungsgrad und in einer unteren Kurvenschar einen normierten Turbinendurchsatz für alle relevanten Turbinendruckverhältnisse, Laderdrehzahlen und Turbinenaktuatorpositionen. Aus dieser Standardform lässt sich nicht direkt ablesen, welche Turbinenaktuatorposition man einstellen muss, um die für einen geforderten Sollladedruck nötige Laderleistung und -drehzahl zu erreichen. Es ist in dieser Form praktisch unmöglich, zwischen vermessenen Betriebspunkten sinnvoll zu interpolieren. Es wurde eine Transformation des Turbinenkennfelds gefunden, indem für jeden vermessenen Turbinenbetriebspunkt mit Hilfe der Turbinenleistungsgleichung aus der Standardform des Turbinenkennfelds ein Leistungsfaktor und ein normierter Turbinendurchsatz berechnet wird und diese beiden Kenngrößen in einem Diagramm gegeneinander aufgetragen werden. In diesem transformierten Turbinenkennfeld (Bild 9-10 rechts) gruppieren sich alle Punkte gleicher Turbinenaktuatorposition jeweils auf deutlich voneinander getrennten Linien. Damit lässt sich in der Motorsteuerung Turbinenaktuatorposition als zweidimensionales Kennfeld über Turbinenleistungsfaktor und normiertem Turbinendurchsatz ablegen. Für die Turboladervorsteuerung kann damit für einen konkreten Sollladedruck im inversen Verdichtermodell die dafür nötige Laderdrehzahl und Laderleistung und daraus im inversen Turbinenmodell der dafür nötige Turbinenleistungsfaktor und normierte Turbinendurchsatz berechnet werden. Aus dem beschriebenen Kennfeld kann dann die im konkreten Motorbetriebspunkt zum Erreichen des geforderten Ladedrucks nötige Turbinenaktuatorposition ausgelesen werden, Bild 9-11.
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9 Funktionsentwicklung und Kalibration für aufgeladene Motoren
Bild 9-10: Transformation des Turbinenkennfeldes
Bild 9-11: Berechnung der Leitschaufelposition an der Turbine
9.3 Modulare und modellbasierte Funktionen zur Aufladung am Beispiel von Serienlösungen 227
9.3.3 Kompressoraufladung Wie bei den oben beschriebenen Modellen wird auch bei der Modellierung der Kompressoraufladung das vom Hersteller gelieferte Verdichterkennfeld verwendet. Weiters werden Geometriedaten und die Ansteuerungscharakteristik der Umluftklappe (Drosselstelle) im Steuergerät abgebildet, Bild 9-12.
Bild 9-12: Abbildung von Kennfeldern des Laderherstellers in der Motorsteuerung
Bild 9-13 zeigt die Funktionsblöcke des Aufladesystems sowie den prinzipiellen Fluss der Berechnung. Der Vorsteuerwert für die Umluftklappe (Recirculation Flap RF Precontrol) wird im sogenannten „Inverse Charger Model“ aus einer Luftmassenbilanz errechnet. Von der bei einer bestimmten Drehzahl vom Verdichter gelieferten Luftmasse, wird jene Luftmasse abgezogen die in den Zylinder gelangen soll (Setpoint Air Mass). Die Differenzmasse muss über die Umluftklappe an den Eingang des Verdichters zurückgeführt werden. Im inversen Modell für die Umluftklappe (Inverse RF Model) wird entsprechend dieser Differenzmasse eine Klappenposition (RF Precontrol) berechnet. Im „Charger Model“ erfolgt aus der Lagerückmeldung der Umluftklappe die Berechnung der tatsächlich über das Umluftventil (RF) strömenden Luftmasse (RF Actual Mass Flow). Aus der vom Verdichter geförderten Luftmasse und Luftmasse über das Umluftventil wird die Zylinderluftmasse berechnet und schließlich daraus der Ladedruck (Actual Boost Pressure). Dieser Modellwert für den Ladedruck wird mit dem gemessenen Ladedruck (Measured Boost Pressure) verglichen. Die Differenz ist Eingang für den Regler, welcher die Lastvorsteuerung (Inverse Charger Model) und Lasterfassung (Charger Model) entsprechend korrigiert.
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9 Funktionsentwicklung und Kalibration für aufgeladene Motoren
Bild 9-13: Funktionsblöcke der Kompressoraufladung
Durch den konsequent modularen Ansatz kann eine Laststeuerung für einen Saugmotor über definierte Schnittstellen um eine Aufladevariante erweitert werden, Bild 9-14. Ausgehend vom Saugrohrmodell (Intake Manifold Model) für Saugmotoren werden die Schnittstellen einfach über Konfigurationsschalter in der Software an die Aufladevariante angepasst.
Bild 9-14: Anpassung des Saugrohrmodells an eine Variante der Aufladung
9.4 Werkzeuge zur Simulation und Kalibration
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9.4 Werkzeuge zur Simulation und Kalibration Für komplexe, insbesondere regelungstechnische, Aufgabenstellungen ist die Kenntnis des Systemverhaltens eine Grundvoraussetzung. Häufig sind Motoren bzw. Fahrzeuge zum frühen Zeitpunkt der Entwicklung nicht ausreichend verfügbar, so dass das schon für die Konzeptphase notwendige Verständnis der Regelstrecke nicht erlangt werden kann. Es kommt auch vor, dass aufgrund begrenzter Messmöglichkeiten oder für die Messung nicht ausreichend stabiler Randbedingungen der Motorversuch nicht hinreichende Ergebnisse zum vollständigen Verständnis der Regelstrecke liefert. Daher empfiehlt sich in vielen Fällen der Einsatz von physikalisch basierten Streckenmodellen bereits in der Konzeptphase um in einer Closed Loop Simulation von Beginn an die Steuer- bzw. Regelfunktion möglichst vollständig zu entwerfen [6]. Ferner ist ein solches Modell äußerst hilfreich bei der phänomenologischen Untersuchung von Problemstellungen wie diese während der weiteren Entwicklungsphase auftreten können. Dabei müssen natürlich Berechnungsansätze gewählt werden, welche hinsichtlich der Modellgenauigkeit und des Rechenaufwandes einen brauchbaren Kompromiss darstellen, so dass in der gegebenen Entwicklungszeit eine hohe Effizienz erreicht wird. Das Bild 9-15 zeigt beispielhaft ein Streckenmodell wie es in der Motorfunktionsentwicklung bei Continental zur Simulation des Luftpfades zum Einsatz kommt. Dieses basiert auf Matlab-Simulink und besteht grundsätzlich aus einem Fahrermodell (Driver Model) welches das Fahrprofil inklusive der Schaltpunkte modelliert. Es besteht weiters aus einem Fahrzeugmodell (Vehicle Model), welches die Trägheit von Fahrzeug- und Antriebsstrang berücksichtigt und daraus mit der Getriebe- und Achsübersetzung die Fahrzeugbeschleunigung sowie die resultierende Fahrzeuggeschwindigkeit ermittelt. Das Steuergerätemodell (ECU Model) berechnet mit den darin hinterlegten Motorsteuerungsfunktionen aus den aktuellen Betriebsgrößen die Stellgrößen für die im Motormodell (Engine Model) modellierten Aktuatoren, z.B. Drosselklappenstellung, WastegateStellung, Einspritzmenge und Zündzeitpunkt. Das Motormodell (die Regelstrecke) bildet in diesem Fall das Systemverhalten des Luftpfades ab, d.h. es berechnet die Luftmasse die in den Motor strömt mit ihren charakteristischen Größen wie Ladedruck, Saugrohrdruck, Lufttemperatur, Abgastemperatur und Volumenstrom. Mit Hilfe dieser Simulation kann die im Steuergerätemodell abgebildete Vorsteuerung und Reglerstrategie für Drosselklappe und Wastegate optimiert und eingschränkt auch bedatet werden. Zur effizienten Offline-Bedatung der einzelnen SW-Funktionen kommen, sozusagen um den Motor herum, eine Reihe von Kalibrationswerkzeugen zum Einsatz, die innerhalb Continental entwickelt wurden, Bild 9-16. Der Großteil dieser Werkzeuge ist auf die einzelnen Aggregate und Funktionen abgestimmt. In vielen Fällen ist, aufgrund der Fülle an Daten die aus der Motorvermessung anfallen, die Bedatung der Software ohne entsprechendes Werkzeug (SW Tools) praktisch nicht mehr möglich. Dies gilt zum Beispiel für das Saugrohrmodell, das Turboladermodell oder das Drehmomentmodell. Zusätzlich existieren Werkzeuge für generische Aufgaben wie Datenvorverarbeitung, Design of Experiments DoE und Stützstellenoptimierung.
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9 Funktionsentwicklung und Kalibration für aufgeladene Motoren
Bild 9-15: Streckenmodell zur Simulation des Luftpfades
Großes Augenmerk wird auch auf die sogenannte Online-Optimierung im Fahrzeug gelegt. Das heißt ein Datensatz, der vom Motor- oder Komponentenprüfstand stammt, wird im Fahrzeug optimiert, indem man mit dem DoE-Verfahren ausgewählte Motorbetriebspunkte auf der Straße oder auf dem Rollenprüfstand stationär anfährt. Die so ermittelten Daten werden Offline ausgewertet und die Kennfelder für die realen Fahrbedingungen optimiert. Beispielsweise ist die Luftmasse die in den Brennraum gelangt durch die klimatischen Verhältnisse im Motorraum beinflusst, die am Motorprüfstand nicht genau so eingestellt werden können wie diese im realen Fahrbetrieb vorliegen.
9.5 Zusammenfassung
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Bild 9-16: Kalibrationswerkzeuge
9.5 Zusammenfassung Am Beispiel der Steuerung und Regelung von aufgeladenen Verbrennungsmotoren wurde gezeigt: Um die Komplexität der Anforderung an die Steuerung von Verbrennungsmotoren zu beherrschen und dabei den nötigen Kalibrationsaufwand zu minimieren – ist die SW streng nach der funktionalen Zusammengehörigkeit in Funktionsblöcken mit stringenten Schnittstellendefinitionen organisiert, das sogenannte Aggregatekonzept EMS2, – wird konsequent der modellbasierte Funktionsansatz im Zusammenhang mit Streckenmodellierung fortgesetzt, – finden modellgestütze Kalibrationsmethoden Anwendung und werden weiterentwickelt. Nur die möglichst detaillierte und physikalisch korrekte Nachbildung der Betriebszustände und Eigenschaften der Bauteile ermöglicht beispielsweise die vereinfachte und kalibrationserleichtende Darstellung von Schutz- und Diagnosefunktionen, gegebenfalls eine Vorbedatung vor dem ersten Motoreinsatz oder die zielorientierte Untersuchung von Phänomenen im Motorbetrieb und deren Beherrschung.
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9 Funktionsentwicklung und Kalibration für aufgeladene Motoren
Literatur [1] [2] [3] [4]
[5]
[6]
Egger, K.: Elektronik als zuverlässige Schlüsseltechnologie für zukünftige Antriebskonzepte. 26. Wiener Motorensymposium, 28.–29. April 2005 Isermann, R.: Identifikation dynamischer Systeme, Band I. Springer-Verlag von Rüden, K.: Beitrag zum Downsizing von Fahrzeug-Ottomotoren. Dissertation an der Technischen Universität Berlin, Dezember 2004 Guzella, L. et al.: Wirkungsgradsteigerung durch Hubraumreduktion und Hochaufladung für kleinvolumige Ottomotoren, Downsizingkonzepte für Otto- und Dieselmotoren. Haus der Technik, München, 2000 Isermann, R. et al.: Modellgestützte Reglerentwicklung für Abgasturbolader mit variabler Turbinengeometrie an einem DI-Dieselmotor. In: MTZ Motortechnische Zeitschrift, 61 (2000) 3 Offer, T.; Hardes, S.; Isailovski, Z.; Serway, R.; Siedel, R.: Paradigmenwechsel bei Test und Simulation physikalisch basierter Steuergerätefunktionen. Tagung Simulation und Test in der Funktions- und Softwareentwicklung für die Automobiltechnik. Haus der Technik, Berlin, 30.09. und 1.10.2003
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10 Modellgestützte Ladedruck- und Abgasrückführ-Regelung von Dieselmotoren KARL VON PFEIL
Zur Erfüllung der Abgasgesetzgebung bei gleichzeitiger hoher Fahrleistung und Beschleunigung sind moderne Pkw-Dieselmotoren mit externer Abgasrückführung (AGR) und mit Abgasturbolader mit variabler Turbinengeometrie (VTG) ausgestattet, siehe Bild 10-1. Der über ein Ventil stellbare AGR-Massenstrom wird zur Senkung der Stickoxidemissionen eingesetzt und der Turbolader wird hauptsächlich zur Steigerung des Ladedrucks und damit zur Leistungssteigerung verwendet. Mittels VTG wird der Turbolader an den Motorbetriebspunkt angepasst. Hierzu wird über einen elektrisch oder pneumatisch betätigten Aktor die Turbinenleitschaufelstellung und damit die wirksame Turbinenströmung verstellt.
Bild 10-1 Schema des Motors uAGR : AGR-Stellsignal uVTG : VTG-Stellsignal sAGR : AGR-Ventilposition sVTG : VTG-Stellposition n : Motordrehzahl mB : Einspritzmenge p2 : Ladedruck L : Luftmassenstrom m
Da AGR- und Turbinenmassenstrom beide durch das Abgas gespeist werden, sind die Massenströme verkoppelt. Damit wirkt sich eine Turbinenverstellung nicht nur auf den Lade- und Abgasgegendruck aus, sondern – durch das veränderte AGR-Druckgefälle – auch auf den AGR-Massenstrom. Umgekehrt wirkt sich eine Veränderung des AGRMassenstroms auch auf den Turbinenmassenstrom und damit auf den Ladedruck aus. Es handelt sich also im regelungstechnischen Sinne um ein gekoppeltes Mehrgrößensystem. Das Ziel der AGR und VTG besteht darin, die Menge und Zusammensetzung der Zylinderfüllung in jedem Betriebspunkt genau zu dosieren. Da diese Größen allerdings nicht direkt messbar sind, werden für Pkw meist der Ladedruck und der Luftmassenstrom als Regelgrößen verwendet. Anstatt von AGR-/VTG-Regelung, wie allgemein üblich, müsste
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10 Modellgestützte Ladedruck- und Abgasrückführ-Regelung von Dieselmotoren
man deshalb korrekterweise von einer Ladedruck-/Luftmassenstrom-Regelung sprechen. Alternativ können jedoch auch andere Regelgrößen wie z.B. der AGR-Massenstrom [1] oder die AGR-Rate [2, 3] verwendet werden. Stetig steigende Anforderungen an die Reduktion der Schadstoffemissionen und erhöhte Leistung von aufgeladenen Dieselmotoren stellen neue Anforderungen an die Regelgüte dieser Ladedruck-/Luftmassenstrom-Regelung. Die direkte Reglerparametrisierung am Prüfstand wird deshalb und aufgrund der notwendigerweise steigenden Komplexität (nichtlineares Verhalten, Kopplung) der Regelung in Zukunft immer zeitaufwändiger und schwieriger. Dieses Problem soll durch den Einsatz modellbasierter Methoden gelöst werden, da diese sowohl die Untersuchung und Entwicklung von neuen Reglerstrukturen durch Simulationen als auch ein systematisches Vorgehen bei der Applikation bei gleichzeitig reduzierter Prüfstandszeit ermöglichen. In diesem Beitrag wird die in Bild 10-2 dargestellte Methodik für den Entwurf einer Luftpfadregelung basierend auf lokal linearen Modellen vorgestellt. Anhand einer dynamischen Motorvermessung wird in Abschnitt 10.1 die Identifikation des Luftpfads vorgestellt. Die identifizierten Modelle können entweder als parameterveränderliche Übertragungsmatrix dargestellt oder in eine Zustandsraumdarstellung transformiert werden. Statt einer Identifikation können die Modelle auch aus einem physikalischen Luftpfadmodell durch Linearisierung in verschiedenen Arbeitspunkten gewonnen werden. In Abschnitt 10.2 erfolgen der Entwurf einer lokal linearen Vorsteuerung sowie der Entwurf von dezentralen PI(D)-Reglern. Alternativ wird eine lokal lineare IMC-Regelung (Internal Model Control) vorgestellt. Die Ergebnisse der verschiedenen Regelungsstrukturen werden anhand von Prüfstandsmessungen dargestellt.
Bild 10-2: Übersicht der Regelungsentwurfsmethodik basierend auf lokal linearen Modellen. Die in schwarz aufgeführten Verfahren werden in diesem Beitrag behandelt.
10.1 Modellbildung
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10.1 Modellbildung In mehreren Veröffentlichungen erfolgt eine Modellbildung des Luft- und Abgastrakts von aufgeladenen Dieselmotoren auf Grundlage physikalischer Gleichungen [4, 5]. Die aufgrund dieser theoretischen Modellbildung entstandenen Modelle werden wegen ihrer guten Interpretierbarkeit als ,,white-box“-Modelle bezeichnet. Sie sind in diesem Fall stark nichtlinear, wobei die Anzahl der Zustände je nach Detaillierungsgrad zwischen 3 und 8 variiert. Da ein Reglerentwurf basierend auf diesen nichtlinearen Modellen schwierig ist, wird der Reglerentwurf auch anhand vereinfachter, datenbasierter Modelle durchgeführt, wie z.B. mit linearen Mehrgrößenprozessen 1. Ordnung [1] oder anhand von Hammerstein-Modellen 2. Ordnung [6], die für jeweils einen Betriebspunkt, bestimmt durch Drehzahl n und Drehmoment M, gültig sind. In diesem Beitrag wird die nichtlineare, datenbasierte Modellbildung (Identifikation) des Luft- und Abgastrakts vorgestellt, aus der in der Regel sogenannte ,,blackbox“Modelle wie neuronale Netze resultieren, die nur das Ein-/Ausgangsverhalten beschreiben. Das hier verwendete nichtlineare LOLIMOT-Modell (LOcal LInear Model Tree) [7], welches auf lokal linearen Teilmodellen basiert, stellt einen Kompromiss zwischen diesen beiden Modelltypen dar und wird deshalb als ,,grey-box“-Modell bezeichnet. Es wird ebenfalls anhand von Messdaten trainiert, ist jedoch interpretierbar und auch das Einbringen von physikalischem Vorwissen in die Modellbildung ist möglich. Der größte Vorteil für den späteren Reglerentwurf aber ist, dass aufgrund der lokal linearen Eigenschaften lineare Reglerentwurfsverfahren anwendbar sind, wie in Abschnitt 10.2 dargestellt. Im Vergleich zu den vereinfachten Modellen beschreibt LOLIMOT das Verhalten im gesamten Betriebsbereich des Motors. Zudem können mit LOLIMOT aufgrund der allgemeinen Modellstruktur nichtlineare Effekte beschrieben werden, die mit den anderen vereinfachten Modellen nicht dargestellt werden können. Die Hammerstein-Struktur [6] kann z.B. keine Verstärkungsänderung zwischen Stellsignal und Regelgröße aufgrund einer Variation der jeweils anderen Stellgröße wiedergeben. Somit kann diese auch den Vorzeichenwechsel der Verstärkung zwischen VTG-Stellsignal und Luftmassenstrom bei verändertem AGR-Stellsignal nicht beschreiben [8].
10.1.1 Lokal lineare Modellstruktur Im Folgenden wird die LOLIMOT-Methode mit zwei Erweiterungen näher vorgestellt, wobei vor allem die Modellstruktur im Vordergrund steht. Der Konstruktionsalgorithmus zur Bestimmung der Aktivierungsfunktionen, basierend auf einer achsenorthogonalen Partitionierung des Eingangsraums, bei dem sukzessive Teilmodelle in stärker nichtlineare Bereiche hinzugefügt werden, soll hier nicht näher erläutert werden (siehe dafür z.B. [7]). Er zeichnet sich jedoch im Vergleich zu anderen lokalen Modellansätzen, wie z.B. Clustering-Verfahren, durch seinen sehr geringen Rechenaufwand aus. Im Weiteren werden aus Platzgründen alle Modellgleichungen nur für SISO-Prozesse dargestellt, eine
236
10 Modellgestützte Ladedruck- und Abgasrückführ-Regelung von Dieselmotoren
Erweiterung auf Mehrgrößenprozesse (MIMO) ist jedoch einfach möglich. So wird ein SISO-Prozess m-ter Ordnung mit Eingang u(k) und Ausgang y(k) durch den allgemeinen lokal linearen Modellansatz yˆ (k ) =
L
¦ ( b1ju(k − 1) + ! + bmju(k − m) − a1j yˆ (k − 1) − ! − amj yˆ (k − m) + ζ j )Φ j ( z(k ) ) j =1
(10.1) beschrieben, wobei die Aktivierungsfunktionen Φj(z) normierte Gaußglocken sind, die den Gültigkeitsbereich der Teilmodelle angeben, und z der den aktuellen Arbeitspunkt beschreibende Eingangsvektor ist, der auch als z-Regressor bezeichnet wird. Die verzögerten Eingänge u(k–i) und verzögerten Ausgänge y(k–i) werden als x-Regressoren bezeichnet. Die L Teilmodelle sind lokal lineare Differenzengleichungen, die durch die Aktivierungsfunktionen zu einem Gesamtmodell überlagert werden. Es sei angemerkt, dass die Differenzengleichung und damit die Teilmodelle aufgrund des Offsetterms ζj nicht wirklich linear sind, sondern vielmehr affin. Sie werden dennoch meist und auch im Weiteren als linear bezeichnet. Sie können deshalb auch durch das linear parameterveränderliche (LPV) Modell
yˆ(k ) = b1 ( z (k ) ) u (k − 1) + " + bm ( z (k ) ) u (k − m) "
− a1 ( z (k ) ) y (k − 1) − ! − am ( z (k ) ) y (k − m) + ζ ( z (k ) ) ,
(10.2)
beschrieben werden, wobei für die arbeitspunktabhängigen Modellparameter gilt: bi ( z (k ) ) =
L
¦ bijΦ j ( z(k ) )
(10.3)
j =1
und ai ( z (k ) ) und ζ ( z (k ) ) analog definiert sind. Werden alle verzögerten Eingänge u(k–i) und Ausgänge y(k–i) als z-Regressoren verwendet, ist das Modell ein universeller Approximator. In der Praxis ist dieser Ansatz nicht anwendbar, da die notwendige Anzahl der Teilmodelle und deshalb die Anzahl der Parameter und Datenpunkte exponentiell mit der Anzahl der z-Regressoren steigt. Außerdem sind die Daten im Eingangsraum meist nicht ausreichend verteilt. Falls der Prozess im Wesentlichen nichtlinear in den Eingängen ist, sollte z(k) = [u(k–1)] gewählt werden. Um den durch die reduzierte Anzahl der z-Regressoren hervorgerufene Verlust der Modellgüte zu verhindern, wird in [9, 10] eine erweiterte lokal lineare Modellstruktur vorgeschlagen, auf die im Folgenden eingegangen wird. Die erste Erweiterung betrifft die Änderung der Modellparameter mit dem Arbeitspunkt. Anstatt diese alle zur gleichen Zeit k zu ändern, werden sie jeweils mit der Verzögerung i des zugehörigen x-Regressors u(k–i)oder y(k–i) geändert, d.h. exemplarisch gilt für die Terme der Differenzengleichung:
b1 ( z ( k − 1) ) u (k − 1)
statt b1 ( z ( k ) ) u ( k − 1),
a2 ( z (k − 2) ) yˆ ( k − 2) statt a2 ( z (k ) ) yˆ ( k − 2).
(10.4)
10.1 Modellbildung
237
Diese verzögerte Parameteränderung verbessert die Modellgüte in der Praxis deutlich, wenn der Prozess mindestens eine dynamische Ordnung n = 2 hat, nichtlinear im Eingang ist und schnelle Arbeitspunktwechsel und damit schnelle Parameteränderungen aufweist. Für diesen Fall sollte als z-Regressor z(k) = [u(k)] gewählt werden. Motiviert werden kann die verzögerte Parameteränderung damit, dass die Linearisierung eines diskreten Hammerstein-Modells ebenfalls eine verzögerte Parameteränderung aufweist [10]. Außerdem kann diese Modellstruktur im Gegensatz zur Standardform in eine minimale Zustandsraumdarstellung in Beobachternormalform transformiert werden. Die zweite Erweiterung betrifft die Struktur des Offset-Terms. In der lokal linearen Standardform nach Gl. (10.1) wird nur ein Offset-Term für jedes lokale Teilmodell geschätzt, da er nur das statische Verhalten des Teilmodells beschreibt. Wird das lokal lineare Teilmodell in Gl. (10.2) allerdings, wie in Bild 10-3a dargestellt, in eine Übertra~ gungsfunktion transformiert, wird deutlich, dass der Offset ζ (z (k ) ) einen dynamischen Effekt hat, da er mit der Offset-Übertragungsfunktion 1 A ( q, z (k ) ) mit A ( q, z (k ) ) = 1 + a1 ( z (k ) ) q −1 + ! + am ( z (k ) ) q − m
(10.5)
gefiltert wird, wobei q −1 den Zeitverzögerungsoperator beschreibt: q −1x(k ) = x(k − 1) . Die Offset-Übertragungsfunktion besitzt die gleiche Nennerdynamik wie die Eingangsübertragungsfunktion B ( q, z (k ) ) A ( q, z (k ) ) mit B ( q, z (k ) ) = b1 ( z (k ) ) q −1 + ! + bm ( z (k ) ) q − m ,
(10.6)
hat allerdings keine Zählerdynamik. Da sich der Modellausgang aus der Summe der Ausgänge von Eingangs- und Offset-Übertragungsfunktionen ergibt, kann die Eingangsübertragungsfunktion nicht mit der linearisierten Prozessdynamik übereinstimmen. Dies ist allerdings das Ziel beim lokal linearen Modellansatz. Der Standard-Modellansatz kann also Prozesse mit signifikanter Zählerdynamik (z.B. kontinuierlichen Nullstellen) nicht korrekt beschreiben. Um dieses Problem zu beheben, wird der Offset, wie in Bild 10-3b dargestellt, mit einer separaten Zählerdynamik ausgestattet: Ζ ( q, z (k − i ) ) = ζ1 ( z (k − 1) ) q −1 + ! + ζm ( z (k − m) ) q − m ,
(10.7)
so dass jedes Teilmodell mehrere Offsetterme ζi besitzt. Das gesamte Modell mit verzögerter Parameteränderung und neuer Offsetstruktur ist somit gegeben in LPV-Form durch: yˆ (k ) = b1 ( z (k − 1) ) u (k − 1) + ! + bm ( z (k − m) ) u (k − m) − a1 ( z (k − 1) ) yˆ (k − 1) − ! (10.8) − a ( z (k − m) ) yˆ (k − m) + ζ ( z (k − 1) ) + ! + ζ ( z (k − m) ) . m
1
m
238
10 Modellgestützte Ladedruck- und Abgasrückführ-Regelung von Dieselmotoren
Bild 10-3: Parameterveränderliche „Übertragungsfunktion“ der lokal linearen Modelle: a) Modell in Standardform, b) Modell mit verzögerter Parameteränderung und Offset-Zähler-Dynamik
10.1.2 Parameterschätzung Zur Schätzung der Teilmodellparameter kann prinzipiell zwischen zwei Strukturen unterschieden werden: die Gleichungsfehleranordnung, welche den Standard darstellt sowie die Ausgangsfehleranordnung. Die Gleichungsfehleranordnung, auch als seriellparalleles oder NARX (Nonlinear AutoRegressive with Exogeneous input) Modell bezeichnet, hat den großen Vorteil, dass der Modellfehler linear von den zu optimierenden Parametern abhängt, wenn auch das Modell linear in den Parametern ist. Da die lokal lineare Standardform nach Gl. (10.1) diese Bedingung erfüllt, können die Parameter mit der direkten Methode der kleinsten Quadrate (LS) in einem Schritt berechnet werden. Allerdings kann bei gestörten Messdaten die Identifikation mit dem NARX-Modell problematisch sein, da sie zu einem systematischen Parameterfehler (Bias) führt. Diesen Nachteil hat die Ausgangsfehleranordnung nicht, die auch als paralleles oder NOE-(Nonlinear Output Error) Modell bezeichnet wird. Allerdings ist der Modellfehler nichtlinear in den Parametern, weshalb iterative, nichtlineare Optimierungsverfahren verwendet werden müssen. Unter Beibehaltung der quadratischen Gütefunktion entsteht ein nichtlineares Least Squares (NLS) Problem, welches standardmäßig durch den Levenberg-Marquardt Algorithmus [11] gelöst wird. Hierbei handelt es sich um ein lokales, gradientenbasiertens Optimierungsverfahren, für das die Ableitungen analytisch oder durch finite Differenzen berechnet werden können. Initialisiert wird der Algorithmus mit den Parametern eines NARX-Modells. Das NOE-Modell bietet den Vorteil einer besseren (biasfreien) Parameterschätzung bei gestörtem Prozessausgang. Weiterhin ergeben sich Vorteile, wenn die Struktur des Modells mit dem realen Prozess nicht exakt übereinstimmt, z.B. im Fall einer dynamischen Untermodellierung (Modellordnung < Prozessordnung), was in der Praxis aufgrund einer geringeren Varianz der Parameterschätzung meist der Fall ist. Ein Nachteil des NOEModells ist allerdings, dass die notwendige nichtlineare Optimierung den Rechen- und Speicherbedarf stark erhöht und in lokale Minima konvergieren kann. Im Gegensatz zur Standardstruktur kann die erweiterte Modellstruktur nach Gl. (10.8) nur in der NOE-Struktur optimiert werden, weil diese nicht in eine pseudo-lineare Form transformiert werden kann.
10.1 Modellbildung
239
10.1.3 Lokal lineare Zustandsraumdarstellung Um die Zustandsraummethoden der Regelungstechnik anwenden zu können, ist es sinnvoll die lokal linearen Modelle in E/A-Darstellung in die lokal lineare Zustandsraumdarstellung x(k + 1) = A(z )x(k ) + B(z )u(k ) + Ȅ( z ) y (k )
= C(z )x(k )
(10.9)
zu transformieren. wobei sich die parameterveränderlichen Systemmatrizen A (z ) =
L
¦Φ j (z(k ))A j ,
B( z ) =
j =1
C(z ) =
L
¦Φ j (z(k ))C j , j =1
L
¦Φ j (z(k ))B j , j =1
Ȅ(z ) =
L
(10.10)
¦Φ j (z(k ))ȗS,j j =1
aus einer gewichteten Überlagerung der Teilmodell-Systemmatrizen ergeben. Die Teilmodelle in E/A-Darstellung müssen so in eine Zustandsraumdarstellung transformiert werden, dass sich für das lokal lineare Zustandsraummodell das gleiche Verhalten ergibt wie für das lokal lineare E/A-Modell. Die lokal lineare Modellstruktur mit verzögerter Parameteränderung nach Gl. (10.8) besitzt eine minimale Zustandsraumdarstellung in Beobachternormalform. Bemerkenswert ist, dass die verzögerte Parameteränderung in der E/A-Darstellung einer gleichzeitigen Parameteränderung im Zustandsraum entspricht. Für die Überführung in den Zustandsraum wird einfach jedes lokale Teilmodell in Beobachternormalform transformiert. Lokal lineare Modelle in Standform nach Gl. (10.1) können hingegen nur in eine generalisierte Zustandsraumdarstellung transformiert werden, die keine Minimalrealisierung darstellt. Trotz der damit verbundenen lokalen Pol/Nullstellen-Kürzung, kann das System prinzipiell für den Entwurf einer Zustandsregelung verwendet werden [12].
10.1.4 Identifikation des Dieselmotors Zur Identifikation des Luftpfads werden die Motorbetriebspunkte (αped,i, nj) rasterförmig variiert und das AGR-Ventil und der VTG-Turbolader mit APRB-Signalen (Amplitudenmoduliertes-Pseudo-Rausch-Binär-Signalen) angeregt. Die APRB-Signale, die speziell zur Identifikation von nichtlinearen Prozessen entwickelt wurden, bestehen aus einer Hintereinanderreihung von Sprungfunktionen mit unterschiedlicher Amplitude und Haltezeit [13]. Ziel dieser Signale ist es, den Prozess mit einem breiten Frequenzspektrum und gleichverteilten Amplituden anzuregen. Die Amplituden der APRB-Signale werden für jeden Betriebspunkt auf ihre Fahrbarkeit hin angepasst. Mit einer minimalen Impulsdauer der APRB-Signale von 0,8 s ergibt sich eine dynamische Motorvermessung von ca. 60 min Dauer für alle Betriebspunkte. Ein Ausschnitt des Anregungssignals ist in Bild 10-4 dargestellt. Die minimale Impulsdauer von 0,8 s wurde gewählt, da die für die Rege-
240
10 Modellgestützte Ladedruck- und Abgasrückführ-Regelung von Dieselmotoren
lung relevanten Zeitkonstanten des Luftpfades in dieser Größenordnung liegen [10]. Das viel trägere thermische Verhalten des Motors wird mit dieser Anregung nicht identifiziert, es spielt jedoch für die Reglerparametrisierung keine dominierende Rolle. Die Motorversuche wurden am dynamischen Motorenprüfstand des Instituts für Automatisierungstechnik der TU Darmstadt durchgeführt. Als Versuchsträger diente ein Common-Rail-Dieselmotor (Opel/Fiat JTD 1.9 l, EDC16 Motorsteuerung) mit einem elektrischen positionsgeregelten AGR-Ventil und einem pneumatisch betätigten VTGTurbolader, bei dem die AGR- und VTG-Aktoren über ein Rapid-Control-PrototypingSystem der Fa. dSpace direkt angesteuert werden können. Bei der Identifikation werden für den Ladedruck und die Luftmasse je ein Modell in PDT2-Struktur und jeweils 20 Teilmodellen angesetzt. Die Modelleingänge sowie die zRegressoren sind jeweils die Motordrehzahl n, die Gaspedalstellung αped, die AGRVentilposition sAGR und die VTG-Stellposition sVTG. Die Identifikation wird mit einer Abtastzeit T0 = 0,02 s durchgeführt, um die Messdatenanzahl zu reduzieren und damit eine globale Ausgangsfehlerschätzung für den gesamten Messdatensatz zu ermöglichen. Da die Regelung mit einer Abtastzeit von T0 = 0,01 s arbeiten soll, werden die Modelle nachträglich auf diese Abtastzeit umgerechnet [7].
Bild 10-4: Ausschnitt des Identifikationssignals bei dem die Motorbetriebspunkte rasterförmig variiert werden und die Soll-AGR-Ventilposition und VTG-Stellsignal mit APRB-Testsignalen angeregt werden
10.1 Modellbildung
241
Die Parameterschätzung erfolgt mit der erweiterten lokal linearen Modellstruktur nach Gl. (10.8) in Ausgangsfehleranordnung. Identifikationsstudien anhand eines physikalischen Luftpfadmodells sowie von Messungen in einem Arbeitspunkt zeigen, dass die Güte der identifizierten Modelle bei Verwendung der erweiterten Struktur deutlich gegenüber der Standardform in Gleichungsfehleranordnung gesteigert werden kann. Darüber hinaus lässt sich zeigen, dass nur in der erweiterten Struktur die Modellparameter mit der linearisierten Prozessdynamik übereinstimmen [9, 10]. Bild 10-5 zeigt einen Vergleich zwischen Messung und Simulation anhand eines unabhängigen Generalisierungsdatensatzes, der bzgl. der Anregung die gleichen Eigenschaften besitzt wie der Trainingsdatensatz. Die Modellausgänge stimmen sehr gut mit den gemessenen Prozessausgängen überein. Die etwas größeren Modellabweichungen des Ladedrucks sind auf eine Lose im VTG-Leitapparat zurückzuführen, d.h. auf ein Spiel zwischen dem vom VTG-Aktor betätigten Gestänge und den Leitschaufeln. Die lokal linearen Modelle können diesen Effekt nicht beschreiben, da er durch die gemessene VTGPosition nicht erfasst wird. Da die VTG-Position einen größeren Effekt auf den Ladedruck hat als auf die Luftmasse, ist die Lose im Wesentlichen im Ladedruck zu beobachten.
Bild 10-5: Ausschnitt eines unabhängigen Generalisierungsdatensatzes
Anhand von gemessenen und simulierten AGR- und VTG-Sprungantworten wird in Bild 10-6 die Prozess- und Aktordynamik bei n = 2000 U/min und αped = 20% veranschaulicht und mit der Modelldynamik verglichen. Hierfür sind in Bild 10-6a VTG-Sprung-
242
10 Modellgestützte Ladedruck- und Abgasrückführ-Regelung von Dieselmotoren
antworten für jeweils drei unterschiedliche AGR-Ventilpositionen dargestellt und umgekehrt in Bild 10-6b AGR-Sprungantworten für drei unterschiedliche VTG-Positionen (jeweils Generalisierungsdaten). Man erkennt, dass der positionsgeregelte elektrische AGR-Aktor deutlich schneller ist als der pneumatische VTG-Aktor. Da der VTG-Aktor gesteuert betrieben wird, ergibt sich eine stationäre Abweichung zwischen VTG-Stellsignal und -position. Mit dem Öffnen des AGR-Ventils erhöht sich der AGR-Massenstrom nahezu unverzögert, wodurch sich der Einlassbehälter füllt und der Ladedruck zunächst ansteigt. Da allerdings gleichzeitig der Turbinenmassenstrom und damit die Turbinenleistung verringert werden, sinken der Verdichtermassenstrom und somit auch der Ladedruck. Dieses Absenken wird allerdings aufgrund der Turboladerträgheit verzögert, wodurch sich ein nicht-phasenminimales Verhalten zwischen der AGR-Ventilposition und dem Ladedruck ergibt. Der Vergleich zwischen den simulierten und gemessenen Sprungantworten bestätigt, dass die Modelle die Prozessdynamik sehr gut beschreiben. Das nicht-phasenminimale Verhalten sowie der Vorzeichenwechsel der Verstärkung zwischen VTG-Position und Luftmasse in Abhängigkeit der AGR-Ventilposition gibt das Modell korrekt wieder.
Bild 10-6: VTG- und AGR-Sprungantworten des identifizierten lokal linearen Modells im Vergleich zur Messung am Prüfstand bei n = 2000 U/min und αped = 20%
10.1 Modellbildung
243
Das identifizierte Modell beschreibt das Verhalten zwischen den Stellpositionen und den Regelgrößen. Wird das dynamische Verhalten des AGR- und VTG-Aktors jeweils durch ein Verzögerungsglied 1. Ordnung abgebildet, kann das identifizierte Luftmassen- und Ladedruckmodell in E/A-Darstellung in das lokal lineare Zustandsraummodell in Beobachternormalform x(k + 1) = A(z )x(k ) + B(z )u(k ) + Bd (z )d(k ) y (k ) = C(z )x(k )
(10.11)
transformiert werden, wobei der Vektor u = [uVTG, uAGR]T die Stellgrößen und y = [p2, mL]T die Regelgrößen beschreiben. Die Motordrehzahl, die Pedalstellung und der Offset sind in dem Vektor d = [n, αped, 1]T zusammengefasst, der aus regelungstechnischer Sicht als Störgröße interpretiert werden kann. Der Arbeitspunkt z des identifizierten Modells besteht aus der Motordrehzahl, Gaspedalstellung, AGR-Ventilposition und VTG-Stellposition (z = [n, αped, sAGR, sVTG]). Wenn für einen Motorbetriebspunkt (n, αped) der stationäre Arbeitspunkt zstat berechnet und in Gl. (10.11) eingesetzt wird, erhält man eine lokale Linearisierung für jenen Betriebspunkt. Damit wird aus einer parameterveränderlichen Differenzengleichung eine für diesen Betriebspunkt gültige, lineare Differenzengleichung. Somit ergibt sich für das linearisierte und ins Kontinuierliche transformierte Übertragungsverhalten zwischen den Stell- und Regelgrößen: K11 (TD11s + 1) § ¨ § Δ p2 ( s) · ¨ (T11s + 1)(T12 s + 1)(TA1s + 1) ¨ ¸= K 21 (TD21s + 1) © ΔmL ( s) ¹ ¨ ¨ T s + ( © 21 1)(T22 s + 1)(TA1s + 1)
K12 (TD12 s + 1) · (T11s + 1)(T12 s + 1)(TA2 s + 1) ¸¸ § ΔuVTG ( s) · , ¸ ¨© ΔuAGR ( s ) ¸¹ K 22 (TD22 s + 1) ¸ (T21s + 1)(T22 s + 1)(TA2 s + 1) ¹
(10.12) wobei TA1 und TA2 die Zeitkonstanten der Aktoren sind und die übrigen Parameter den Luftpfad beschreiben. (Die Modellstruktur wird hier aus Übersichtlichkeitsgründen im Kontinuierlichen dargestellt, obwohl das Modell und der Regelungsentwurf im Diskreten erfolgt). Werden die Modellparameter über den Arbeitsbereich des Motors aufgetragen, ergeben sich glatte Verläufe, aus denen die Nichtlinearität des Prozesses veranschaulicht werden kann. Besonders nichtlinear verhält sich die Verstärkung K11 zwischen VTGStellsignal und Ladedruck, die sich mit dem Arbeitspunkt ca. um den Faktor 15 ändert. Eine Analyse der lokalen MIMO-Teilmodelle (Multiple Inputs Multiple Outputs) zeigt, dass diese zwei invariante Übertragungsnullstellen (z1 = –1/TIN1, z2 = –1/TIN2) besitzen, wobei für fast alle Teilmodelle eine der beiden „instabil“ ist, d.h. die Modelle nichtphasenminimal sind. (Für MIMO-Systeme besteht kein einfacher Zusammenhang zwischen den Übertragungsnullstellen und den Elementnullstellen der Übertragungsfunktionen Gij. Die Übertragungsnullstellen können durch Lösen des verallgemeinerten Eigenwertproblems berechnet werden.) Wie im nächsten Abschnitt dargelegt, hat diese Systemeigenschaft wichtige Auswirkungen auf den Regelungsentwurf.
244
10 Modellgestützte Ladedruck- und Abgasrückführ-Regelung von Dieselmotoren
10.2 AGR-/VTG-Regelungsentwurf Als Regelung soll die in Bild 10-7 dargestellte Struktur bestehend aus Vorsteuerung und Regler eingesetzt werden. Mit dieser Struktur kann das Führungs- und Störverhalten unabhängig voneinander vorgegeben werden. Außerdem besteht die Möglichkeit, die Regler abzuschalten und den Luftpfad z.B. im Leerlauf nur gesteuert zu betreiben.
Bild 10-7: Kombination von Steuerung und Regelung für einen Mehrgrößenprozess
Das Ziel der Luftpfadregelung ist, die in den Zylinder strömende Gasmenge und Gaszusammensetzung genau zu dosieren und an den Betriebspunkt anzupassen und dadurch das Emissionsverhalten des Motors gezielt zu beeinflussen. Als Messgrößen werden üblicherweise der Ladedruck und der Luftmassenstrom verwendet. Statt der Luftmasse kann auch der AGR-Massenstrom oder die NOx-Konzentration gemessen werden. Im Folgenden werden als Regelgröße der Ladedruck und die Luftmasse verwendet. Die vorgestellte Methodik lässt sich aber auch direkt auf andere Regelgrößen wie z.B. der AGR-Rate übertragen [14]. Im Folgenden wird zunächst auf den Entwurf der Vorsteuerung eingegangen und anschließend der Entwurf des Reglers vorgestellt.
10.2.1 Vorsteuerung Der Stand der Technik für die Steuerung von Verbrennungsmotoren sind kennfeldbasierte Strukturen. In Abhängigkeit des Motorbetriebspunkts wird das stationäre Stellsignal uVS aus einem Kennfeld ausgelesen und anschließend mittels Korrekturkennfelder an die Umgebungsbedingungen angepasst. Optional wird das resultierende Signal anschließend gefiltert, wobei die Parameter des Filters ebenfalls betriebspunktabhängig in Kennfeldern gespeichert sind. Als Filter kann beispielsweise ein PDT1-Glied eingesetzt werden, wodurch sich eine dynamische Steuerung ergibt. Diese Struktur ist in Bild 10-8 links vereinfacht ohne Korrekturkennfelder dargestellt. Die Sollwerte für die Regelung werden auf gleiche Weise generiert wie die Vorsteuerung, vgl. Bild 10-8 rechts. Als Sollwertfilter können sowohl Tief- als auch Hochpassfilter verwendet werden. Für die Ladedruckregelung wird meist ein Verzögerungsglied 1. oder 2. Ordnung verwendet, welches das Übertragungsverhalten des gesteuerten Systems approximiert. Dieses Vorgehen nach dem Ansatz der Modellfolgeregelung bewirkt, dass die Regeldifferenz bei einem Sollwertsprung
10.2 AGR-/VTG-Regelungsentwurf
245
gering bleibt und die Regelung lediglich die Ungenauigkeiten der Vorsteuerung ausgleicht. Ohne Sollwertfilter greifen Vorsteuerung und Regelung gleichzeitig ein, was zu einem Überschwingen der Regelgröße führt. Charakteristisch an dieser kennfeldbasierten Steuerungsstruktur ist, dass die Sollwerte und die Vorsteuerung unabhängig voneinander berechnet werden.
Bild 10-8: Kennfeldbasierte Vorsteuerung und Sollwertbildung
Modellbasierte Vorsteuerung Bei einer modellbasierten Vorsteuerung errechnet sich das Stellsignal uVS auf Grundlage eines Streckenmodells und des Sollwerts ysoll. Bild 10-9 zeigt zwei mögliche Steuerungsstrukturen für lineare Systeme mit Stellbeschränkung. Der hier als klassische Vorsteuerung bezeichnete Ansatz in Bild 10-9a beruht auf einer direkten Inversion des Streckenmodells GM und der Vorgabe einer Wunschübertragungsfunktion Gw, die das Verhalten zwischen Soll- und Regelgröße vorgibt. Diese muss so gewählt werden, dass die Übertragungsfunktion der Vorsteuerung −1 GVS = Gw GM
(10.13)
realisierbar ist. Ist das Streckenmodell GM aufgrund eines nicht-minimalphasigen Verhaltens nicht vollständig stabil invertierbar, kann es zumindest näherungsweise invertiert werden.
a) Klassische Vorsteuerung.
b) Zustandsreglerbasierte Vorsteuerung
Bild 10-9: Möglichkeiten zur Implementierung von dynamischen Vorsteuerungen
Statt einer expliziten Modellinversion, kann diese auch implizit erfolgen, indem ein Regler an einem Streckenmodell eingesetzt wird. Bild 10-9b zeigt diese Steuerungsstruktur bestehend aus einem Streckenmodell, einem konstanten Zustandsregler K sowie einem konstanten Vorfilter F zur Sicherung der stationären Genauigkeit. Die Eingänge des Streckenmodells werden von einem Modell der Stellbeschränkung begrenzt. Das Stellsignal des geregelten Modells wird als Vorsteuersignal uVS verwendet, der Ausgang des Mo-
246
10 Modellgestützte Ladedruck- und Abgasrückführ-Regelung von Dieselmotoren
dells als gefilterter Sollwert ySoll,f. Die Verwendung eines Zustandsreglers bietet sich an, da alle Modellzustände xM bekannt sind. Noch wichtiger ist allerdings, dass der Zustandsregler keine dynamischen Elemente besitzt, wodurch ein Regler-Windup aufgrund von Stellbegrenzungen vermieden wird. Für lineare Strecken ohne Stellbeschränkung lassen sich die beiden Steuerungsstrukturen ineinander überführen. Sind allerdings Stellbeschränkungen wirksam, können sich erhebliche Unterschiede ergeben. Bei der klassischen Struktur bleibt die Stellbeschränkung bei der Modellinversion unberücksichtigt. Das ohne Stellbegrenzung resultierende Stellsignal wird lediglich am Ausgang der Vorsteuerung durch die Begrenzung beschnitten. Dies kann zu einem sehr ungünstigen Regelverhalten führen, wie im Folgenden an einem Beispiel gezeigt wird. Bei der zustandsreglerbasierten Vorsteuerung ist ein Modell der Stellbeschränkung in der Vorsteuerung integriert, indem das Stellsignal des Streckenmodells begrenzt wird, siehe Bild 10-9b. Dadurch basiert die Zustandsrückführung auf Modellzuständen xM, die jenen der realen Strecke entsprechen und die tatsächlich auf den Prozess wirkenden Stellgrößen widerspiegeln. Bei dieser indirekten Streckeninversion erfolgt die Berechnung des Stellsignals uVS = F ySoll – K xM also unter Berücksichtigung der Stellbeschränkung. Erreichen die Systemzustände xM bei einem Sollwertsprung aufgrund einer Stellbeschränkung nur sehr langsam ihre Stationärwerte, so nähert sich auch das Stellsignal nur langsam dem stationären Wert. Im Gegensatz zur klassischen Vorsteuerung „weiß die Zustandsrückführung also, wo sich der Prozess befindet und reagiert auf geeignete Weise“. Dies führt normalerweise zu einer im Vergleich zur klassischen Vorsteuerung verbesserten Regelgüte. Wird bei der zustandsreglerbasierten Steuerung das unbeschränkte Stellsignal als Eingang des Streckenmodells verwendet und dafür das Stellsignal uVS am Ausgang der Vorsteuerung begrenzt, entspricht diese Struktur der klassischen Vorsteuerung. Die Stellbeschränkung im Regelkreis der zustandsreglerbasierten Vorsteuerung ist ein nichtlineares Übertragungsglied, welches beim Ansprechen zu unerwünschten Schwingungen oder gar zur Instabilität des Regelkreises führen kann. Akademische Beispiele hierfür sind z.B. in [15] zu finden. Da der Zustandsregler keine dynamischen Elemente besitzt, können sich dessen Zustände nicht aufwickeln. Die durch die Stellbegrenzung resultierenden Probleme sind somit auf die Dynamik der Strecke zurückzuführen. Deshalb wird in diesem Fall von Strecken-Windup gesprochen [15]. Ursache dieser Probleme ist, dass sich die Streckenzustände so weit aufladen, dass sie sich anschließend aufgrund des begrenzten Stellsignal nicht rechtzeitig entladen können. Auch wenn StreckenWindup zur Instabilität der Vorsteuerung führen kann, tritt es nach [16] nur selten auf und wurde bei der Anwendung des Luftpfads nicht beobachtet. Es ist besonders dann damit zu rechnen, wenn das geregelte System im Vergleich zum freien deutlich schneller ist. Tritt Strecken-Windup bei stabilen Regelstrecken auf, kann dies immer vermieden werden, indem die Reglerverstärkung reduziert wird. Vergleich der Steuerungsstrukturen an einem einfachen Beispiel Im Folgenden wird die Regelgüte der klassischen und zustandsreglerbasierten Steuerungsstruktur an einem einfachen SISO-Beispiel verglichen. Als Streckenmodell dient das System 2. Ordnung
10.2 AGR-/VTG-Regelungsentwurf
GM ( s ) =
1 (T1s + 1)(T2 s + 1)
247
(10.14)
mit T1 = 1 s und T2 = 0,2 s. Dies entspricht grob dem Übertragungsverhalten zwischen VTG-Stellsignal und Ladedruck. Das Stellsignal sei in diesem Beispiel bei 0 und 1,5 begrenzt. Die Parameter beider Strukturen werden so bestimmt, dass sich ohne Stellgrößenbeschränkung die Wunschübertragungsfunktion Gw ( s ) =
1 (Tw s + 1)2
(10.15)
zwischen Soll- und Regelgröße ergibt. Die Zeitkonstante Tw dient als Entwurfsparameter, der variiert wird. Die Übertragungsfunktion der klassischen Vorsteuerung ergibt sich somit zu: −1 ( s ) = GVS ( s ) = Gw ( s )GM
(T1 + 1)(T2 + 1) . (Tw s + 1) 2
(10.16)
Die zustandsreglerbasierte Vorsteuerung bestehend aus der Rückführmatrix K und dem konstanten Vorfilter F wird in diesem SISO-Beispiel durch Vorgabe der beiden Pole λw1 = λw2 = –1/Tw z.B. nach der Ackermann-Formel entworfen [17]. Bild 10-10 zeigt das Regelverhalten der beiden Strukturen auf einen Sollwertsprung bei Variation der Wunschzeitkonstante Tw.
Bild 10-10: Vergleich der Vorsteuerungsstrukturen für einen Beispielprozess
248
10 Modellgestützte Ladedruck- und Abgasrückführ-Regelung von Dieselmotoren
Bei der klassischen Vorsteuerung wird mit der Verringerung der Wunschzeitkonstante die Amplitude des unbeschränkten Stellsignals immer größer, wohingegen die Zeit, in der diese großen Stellsignale wirken, immer kürzer werden. Wird das Stellsignal durch eine Stellbeschränkung beschnitten, wird deshalb die Stellenergie bei einer Verringerung der Wunschzeitkonstante immer kleiner. Dies hat zur Folge, dass die Systemantwort entgegen des Wunschverhaltens immer langsamer wird. Für Wunschzeitkonstanten von ungefähr Tw < 0,1 s ist das Systemverhalten sogar langsamer als bei Verwendung einer statischen Steuerung. Im Gegensatz dazu zeigt die zustandsreglerbasierte Steuerung das gewünschte Regelverhalten. Wird die Wunschzeitkonstante Tw verringert, erhöht sich die Stellenergie und das System erreicht schneller den stationären Endwert. In diesem Beispiel kann die Wunschzeitkonstante der zustandsreglerbasierten Steuerung bis auf Tw = 0,017 s verringert werden, ohne dass sich ein ungünstiges Regelverhalten aufgrund von Strecken-Windup ergibt. Die Applikation der klassischen Vorsteuerung ist aufgrund des gegensätzlichen Verhaltens von Wunsch- und Systemverhalten deutlich schwieriger als die der zustandsreglerbasierten Vorsteuerung. Außerdem hängt die optimale Applikation der klassischen Vorsteuerung auch von dem Sollwertverlauf ab. Wird die Amplitude der Sollwertsprünge verringert, sinkt der Einfluss der Stellbegrenzung und folglich kann die Vorsteuerung durch die Reduzierung der Wunschzeitkonstante dynamischer appliziert und die Regelgüte verbessert werden. Dieses einfache Beispiel verdeutlicht, dass die zustandsreglerbasierte Steuerung beim Ansprechen von Stellbegrenzungen deutliche strukturelle Vorteile gegenüber der klassischen Steuerung bietet und deren Applikation einfacher ist. Lokal lineare Vorsteuerung mit teilweiser Führungsentkopplung Für die Anwendung der zustandsreglerbasierten Vorsteuerung auf den nichtlinearen Luftpfad wird für jedes lokale Teilmodell offline eine Zustandsrückführmatrix Ki entworfen. Dem lokal linearen Ansatz folgend, wird der Zustandsregler anschließend in jedem Zeitschritt durch eine Überlagerung der lokalen Reglermatrizen berechnet, die anhand der Aktivierungsfunktionen der lokalen Teilmodelle gewichtet werden. Somit ergibt sich für die Vorsteuerung (ohne Berücksichtigung der Stellbegrenzung): u VS (k ) = −
L
¦Φi (z(k ))K i xM (k ) + v(k ) = −K (z)xM (k ) + v(k ).
(10.17)
i =1
Der Vektor v(k), siehe Bild 10-9b, wird so berechnet, dass die Vorsteuerung bzgl. des Modells stationär genau ist. Hierfür muss für den stationären Zustand xs die Beziehung C(z )xs (k ) = y soll (k )
(10.18)
erfüllt sein. Wird der stationäre Modellzustand aus Gl. (10.11) berechnet, wobei als Eingang u Gl. (10.17) verwendet wird, ergibt sich nach Einsetzen in Gl. (10.18) und einer algebraischen Umformung: v ( k ) = ( C( z ) M ( z ) B ( z ) )
−1
( y soll (k ) − C(z)M(z)Bd (z)d(k ) )
= F(z )y soll (k ) − Fd (z )d(k )
(10.19)
10.2 AGR-/VTG-Regelungsentwurf
249
mit −1
M ( z ) = ( I − A ( z ) + B ( z )K ( z ) ) .
(10.20)
Die Matrizen F(z) und Fd(z) können als Sollwert- bzw. Störgrößenfilter interpretiert werden. Um die stationäre Genauigkeit der Vorsteuerung uVS(k) zu sichern, können diese Matrizen im Gegensatz zur Rückführmatrix K(z) nicht durch eine gewichtete Überlagerung berechnet werden, sondern müssen zu jedem Zeitschritt nach Gl. (10.19) und Gl. (10.20) bestimmt werden. Hierfür müssen in jedem Zeitschritt zwei Matrizeninversionen in Kauf genommen werden. Der zentrale Punkt bei dem Entwurf der Vorsteuerung ist die Berechnung des Zustandsreglers Ki jedes Teilmodells. Dies kann prinzipiell mit allen linearen Reglerentwurfsverfahren erfolgen, wie Polvorgabe, oder Riccati-Entwurf [14]. Im Hinblick auf ein gutes Führungsverhalten und eine einfache Applikation scheint eine Führungsentkopplung sinnvoll. Für nicht-minimalphasige Systeme wie den Luftpfad kann durch eine konstante Zustandsrückführung keine stabile vollständige Entkopplung erzielt werden. Stattdessen kann auf eine teilweise Entkopplung ausgewichen werden [18]. Wird dieses Verfahren auf den Luftpfad angewandt, wird die Reglermatrix jedes linearen Teilmodells so entworfen, dass sich als Führungsübertragungsverhalten zwischen den Soll- und Regelgrößen
§ p2,soll · § p2 · ¸ ¨ ¸ = Gw ¨ m © mL ¹ © L,soll ¹
(10.21)
das diskrete Äquivalent zu der kontinuierlichen Übertragungsmatrix
Gw
§ (TIN1s + 1) ¨ T s α ( 1)( + 11 1T12 s + 1)(α1TA1s + 1) =¨ ¨ 0 ¨ ©
· s f12 ( s, s 2 , a21 , a22 ) ¸ (T11s + 1)(α1T12 s + 1)(α1TA1s + 1)(α 2T21s + 1)(α 2TA2 s + 1) ¸ ¸ 1 ¸ (α 2T21s + 1)(α 2TA2 s + 1) ¹
(10.22) ergibt. Die Entkopplung ist unvollständig, da eine Kopplung zwischen der Sollluftmasse und dem Ladedruck besteht (Gw12 0). Die Zeitkonstanten der Übertragungsmatrix entsprechen jenen des Streckenmodells nach Gl. (10.12). Die Zeitkonstante TIN1 gehört zu der „instabilen“ invarianten Nullstelle des Streckenmodells, die durch die Zustandsrückführung nicht verschoben werden kann. Mit den Applikationsparametern α1 und α2 werden die dominanten Streckenzeitkonstanten verschoben. Die schnellste Zeitkonstante T11 des Ladedruckmodells ist so klein, dass sie nicht verschoben wird. In der Funktion f12(s,s2,a21,a22), die die Verkopplung Gw12 maßgeblich beeinflusst, tauchen die frei wählbaren Parameter a21 und a22 auf, die im Entwurf genutzt werden, die Verkopplung zu minimieren. Für detaillierte Informationen zu dem Reglerentwurf sei auf [18] verwiesen. Der Vorteil des Entwurfs mittels teilweiser Entkopplung besteht neben dem guten Führungsverhalten in der einfachen Applikation. Dem Applikateur stehen lediglich die zwei Parameter α1 und α2 zur Verfügung, die angeben, um welchen Faktor das System durch die Steuerung beschleunigt werden soll. Somit ist die Applikation sehr einfach und intuitiv.
250
10 Modellgestützte Ladedruck- und Abgasrückführ-Regelung von Dieselmotoren
10.2.2 Reglerentwurf Stand der Technik für die Luftpfadregelung ist der Einsatz dezentraler PID-Regler [2]. Neben den klassischen PID-Reglern sind in der Literatur aber auch Mehrgrößenregelkonzepte veröffentlicht, wie z.B. modellprädiktive Regelungen [1, 6] oder robuste HRegelungen basierend auf linear-parameterveränderlichen (LPV) Modellen [19]. Ähnlich zur Vorsteuerung kann prinzipiell ein lokal linearer Zustandsregler, wie z.B. ein Riccati-Regler, in Verbindung mit einem Beobachter eingesetzt werden. Da der Regler durch den Einsatz der dynamischen Vorsteuerung allerdings nur kleine Abweichungen ausgleichen muss, ist eine vergleichsweise einfache Reglerstruktur ausreichend. Dezentrale Kennfeld-PI(D)-Regler Als Reglerstrukturen werden dezentrale PI(D)-Regler eingesetzt, wobei die Luftmasse über das AGR-Ventil und der Ladedruck durch den VTG-Aktor geregelt werden, siehe Bild 10-11. Eine Umkehrung der Zuordnung ist aufgrund des Vorzeichenwechsels der Verstärkung zwischen VTG-Stellsignal und Luftmasse bei Verstellung des AGR-Ventils nicht praktikabel, da in diesem Fall auch das Vorzeichen der Luftmassenreglerverstärkung mit dem Arbeitspunkt verändert werden müsste. Zur Regelung des Ladedrucks wird ein PID-Regler verwendet, für die Luftmassenregelung ist ein PI-Regler ausreichend. Um die starke Nichtlinearität, besonders des Turboladers, zu berücksichtigen, werden die Reglerparameter betriebspunktabhängig in Kennfeldern abgelegt.
Bild 10-11: Blockschaltbild der dezentralen Regelung mit Prozess
Zur Applikation der PID-Regler wird das lokal lineare Streckenmodell in verschiedenen Arbeitspunkten lokal linearisiert. Anschließend erfolgt für jeden Betriebspunkt ein linearer Reglerentwurf anhand der Methode des sequentiellen Schließens der Regelkreise [20].
10.2 AGR-/VTG-Regelungsentwurf
251
Dadurch kann der Reglerentwurf für den Mehrgrößenprozess auf den Entwurf zweier SISO-Regelkreise zurückgeführt werden. Als Entwurfsmethode der SISO-Regelkreise eignet sich der Kompensationsentwurf, bei dem das Führungsübertragungsverhalten vorgegeben wird [21]. Unter vereinfachenden Streckenannahmen, wie z.B. nur der Berücksichtigung des stationären Koppelverhaltens der Strecke, können die Reglerparameter direkt aus den Streckenparametern berechnet werden [9]. Alternativ besteht die Möglichkeit den Kompensationsentwurf anhand der vollständigen Strecke ohne vereinfachenden Annahmen durchzuführen. Die resultierenden Regler hoher Ordnung werden anschließend auf die Form von PI(D)-Reglern reduziert. Die hierzu eingesetzte Ordnungsreduktion basiert auf einer gewichteten LSApproximation des Kompensationsreglers im Frequenzbereich, wobei die Frequenzgewichtung so gewählt wird, dass die mittlere quadratische Abweichung der Sprungantwort des mittels Kompensationsregler und PID-Regler geschlossenen Systems näherungsweise minimal ist [22]. Da der Entwurf lediglich auf algebraischen Gleichungen und einer LSSchätzung beruht, kann das sequentielle Schließen mit geringem Rechenaufwand auch iterativ wiederholt werden. Die Applikation der PI(D)-Regler besteht, wie beim Entwurf der Vorsteuerung, darauf, die Geschwindigkeit der geschlossenen Regelkreise im Vergleich zu dem ungeregelten System vorzugeben. Bei Anwendung dieses Verfahrens ergeben sich glatte Reglerkennfelder. Der proportionale Verstärkungsfaktor der Regler ist in etwa invers proportional zur Streckenverstärkung K11 bzw. K22. Zustandsraumbasierte IMC-Regelung Im vorigen Abschnitt wurde der Entwurf einer Regelung mit zwei Freiheitsgraden bestehend aus Vorsteuerung und Regler diskutiert. Bezüglich des Rechen- und Speicherplatzbedarfs sowie des Applikationsaufwands bietet eine Struktur mit einem Freiheitsgrad Vorteile. Um dennoch eine Umschaltung zwischen geregelten und gesteuerten Betrieb zu ermöglichen, kann eine Internal Model Control (IMC)-Struktur verwendet werden, für die unterschiedliche Realisierungsmöglichkeiten bestehen. In Bild 10-12a ist die klassische IMC-Struktur dargestellt, die aus dem IMC-Filter KIMC und einem Streckenmodell besteht. Die Übertragungsfunktion des IMC-Filters KIMC wird wie eine klassische Vorsteuerung entworfen, d.h. sie basiert auf einer direkten Modellinversion. Deshalb besitzt diese IMC-Struktur beim Ansprechen einer Stellbegrenzung die gleichen ungünstigen Eigenschaften wie die klassische Vorsteuerung. Im Vergleich zeigt Bild 10-12b eine zustandsraumbasierte IMC-Struktur, die im Englischen auch als model-state feedback control bezeichnet wird [23]. Die Idee dieser Struktur besteht darin, den IMC-Filter nicht wie eine klassische Steuerung zu entwerfen, sondern wie eine zustandsreglerbasierte Steuerung. Der IMC-Filter setzt sich somit aus dem Strecken- und Stellbegrenzungsmodell, der konstanten Zustandsrückführung K und dem konstanten Vorfilter F zusammen. Da die Stellbegrenzung in der Steuerung integriert ist, zeigt die zustandsraumbasierte IMCRegelung beim Ansprechen von Stellbegrenzungen die gleichen Vorteile wie die zustandsreglerbasierte Vorsteuerung. Im Unterschied zur klassischen IMC-Regelung hat das Prozessmodell beim zustandsraumbasierten Verfahren eine doppelte Funktion. Außer der Berechnung des Modellausgangs yM dient es auch der Berechnung der Zustände für die Zustandsrückführung und ist somit Teil des IMC-Filters.
252
10 Modellgestützte Ladedruck- und Abgasrückführ-Regelung von Dieselmotoren
a) Klassische IMC-Regelung
b) Zustandraumbasierte IMC-Regelung
Bild 10-12: Vergleich verschiedener IMC-Reglerstrukturen
Die zustandsraumbasierte IMC-Regelung kann genau wie die zustandsreglerbasierte Vorsteuerung auf lokal lineare Modelle übertragen werden. Unter Berücksichtigung des Störgrößenvektors d ergibt sich die lokal lineare zustandsraumbasierte IMC-Struktur nach Bild 10-13. Da die Vorsteuerung bzgl. des Streckenmodells stationär genau ist, ist auch die stationäre Genauigkeit der IMC-Regelung gesichert. Ein Umschalten zwischen geregelten und gesteuerten Betrieb wird erreicht, indem die Rückführung der Differenz aus Strecken- und Modellausgang unterbrochen wird, siehe Bild 10-13. Die Zustandsrückführmatrix K kann prinzipiell nach allen Verfahren entworfen werden, wie z.B. mittels Riccati-Entwurf. Es bietet sich allerdings, wie bei der Vorsteuerung, eine teilweise Führungsentkopplung an. Damit unterscheidet sich die IMC-Regelung von der Vorsteuerung lediglich in der Rückführung y(k) – yM(k).
Bild 10-13: Lokal lineare zustandsraumbasierte IMC-Regelung
10.2 AGR-/VTG-Regelungsentwurf
253
10.2.3 Prüfstandsergebnisse Alle Regelungskonzepte wurden am Motorenprüfstand erprobt. Die Regelungen sind auf einem Rapid-Control-Prototyping-Systems der Fa. dSpace in Simulink realisiert. Die lokal lineare zustandsraumbasierte Vorsteuerung und die IMC-Regelung sind in allgemeingültigen S-Funktionen in C umgesetzt. Die Wirkungsweise der zustandsreglerbasierten Vorsteuerung wird in Bild 10-14 anhand von gemessenen Sollwertsprüngen des Ladedrucks (links) und der Luftmasse (rechts) deutlich. Zum Erreichen der stationären Genauigkeit werden dezentrale PI(D)Regler eingesetzt. Man erkennt, dass die Regelgrößen den durch die Vorsteuerung gefilterten Sollwertverläufen p2sollf bzw. mLsollf sehr gut folgen. Ein Vergleich der Stellsignale uVTG und uAGR mit denen der Vorsteuerung (uVTG,VS und uAGR,VS) macht deutlich, dass die Regler nur sehr geringfügig eingreifen. Wird die Vorsteuerung in Kombination mit anderen Reglern eingesetzt, ergeben sich nur sehr geringfügige Unterschiede. Der Mehrgrößencharakter der Vorsteuerung bzw. deren entkoppelnde Eigenschaft wird besonders anhand der Luftmassen-Sollwertsprünge deutlich. Eine Verringerung der Luftmasse, beispielsweise, wird durch ein Öffnen des AGR-Ventils erreicht. Damit dadurch der Ladedruck nicht absinkt, schließt die Vorsteuerung zeitgleich mit dem Öffnen des AGR-Ventils die VTG. Aufgrund des unvollständigen Entkopplungsentwurfs der Vorsteuerung wird der durch das Öffnen des AGR-Ventils verursachte kurzzeitige Ladedruckanstieg (nicht-phasenminimles Verhalten zwischen AGR-Position und Ladedruck) nicht vollständig kompensiert. Deshalb bleibt der von der Vorsteuerung gefilterte Ladedruck-Sollwert p2sollf bei Luftmassen-Sollwertsprüngen in Bild 10-14 rechts oben nicht konstant, sondern passt sich an das nicht-phasenminimale Prozessverhalten an. Dies ist sinnvoll, damit der Regler die VTG nicht öffnet und der Ladedruck nach dem kurzeitigen Druckanstieg nicht unter den Sollwert abfällt. Um die Unterschiede einer Regelung mit Vorsteuerung gegenüber einer ohne darzustellen, wird in Bild 10-15 die Regelgüte der PI(D)-Regler ohne Vorsteuerung, mit der von PI(D)-Regler mit zustandsreglerbasierter Vorsteuerung sowie der einer IMCRegelung verglichen. Alle Regelkonzepte zeigen ein stabiles Regelverhalten. Die PI(D)Regler ohne Vorsteuerung zeigen auf Luftmassenänderungen Abweichungen im Ladedruck, die durch die Vorsteuerung deutlich reduziert werden. Das Führungsverhalten beim Absenken der Luftmasse kann durch die Vorsteuerung wegen des Schließens der VTG verbessert werden, weil dadurch der Abgasgegendruck und damit die Verstärkung zwischen der AGR-Position und der Luftmasse erhöht wird. Auch das Führungsverhalten des Ladedrucks kann durch die Vorsteuerung verbessert werden. Vergleicht man die Regelgüte der PI(D)-Regler mit dynamischer Vorsteuerung mit der der IMC-Regelung, ergeben sich nur geringe Unterschiede.
254
10 Modellgestützte Ladedruck- und Abgasrückführ-Regelung von Dieselmotoren
Bild 10-14: Prüfstandsergebnisse der zustandsreglerbasierten Vorsteuerung in Kombination mit dezentralen PID-Reglern bei n = 2000 U/min und αped = 20%
Alle Regelungen wurden auch erfolgreich im neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) erprobt. Exemplarisch werden in Bild 10-16 die PI(D)-Regler mit statischer Vorsteuerung mit der IMC-Regelung im außerstädtischen Teil des NEFZ verglichen, wobei stationäre Phasen zu Gunsten einer besseren Darstellung der dynamischen Übergänge verkürzt dargestellt sind. Man erkennt, dass die IMC-Regelung dem Ladedruck und LuftmassenSollwerverlauf in transienten Übergängen besser folgt als die PID-Regler. Wird statt der statischen eine dynamische Vorsteuerung verwendet, ähnelt das Regelverhalten dem der IMC-Regelung (nicht dargestellt). Damit wurde gezeigt, dass die Regelungen im gesamten Betriebsbereich eine hohe Regelgüte aufweisen. Die zustandsraumbasierte lokal lineare Vorsteuerung und IMC-Regelung benötigen im Vergleich zu den klassischen kennfeldbasierten Strukturen sowohl einen höheren Speicher- wie auch Rechenbedarf. Trotzdem scheint der Einsatz dieser Strukturen in einem Seriensteuergerät mit begrenzten Ressourcen geeignet. Vor allem der Rechenbedarf der lokal linearen Strukturen ist im Vergleich zu anderen in der Literatur vorgeschlagenen Mehrgrößenregelungsansätzen, wie z.B. der modellprädiktiven Regelung, relativ gering.
10.2 AGR-/VTG-Regelungsentwurf
255
Bild 10-15: Vergleich der Regelgüte von dezentralen PI(D)-Reglern ohne Vorsteuerung (hellgrau strichpunkt), PI(D)-Reglern mit dynamischer Vorsteuerung (dunkelgrau) und einer zustandsraumbasierten IMC-Regelung (schwarz) anhand von Prüfstandsmessungen bei n = 2000 U/min und αped = 20%
Bild 10-16: Vergleich der PI(D)-Regler mit statischer Vorsteuerung (dunkelgrau) mit der zustandsraumbasierten IMC-Regelung (hellgrau) im außerstädtischen Teil des NEF-Zyklus (konstante Phasen sind zur besseren Darstellung der dynamischen Phasen verkürzt dargestellt). Schwarz gestrichelt: Sollwertverlauf
256
10 Modellgestützte Ladedruck- und Abgasrückführ-Regelung von Dieselmotoren
10.3 Zusammenfassung Es wurde der Entwurf verschiedener Ladedruck- und AGR-Regelungskonzepte basierend auf einer datenbasierten Identifikation des Luft- und Abgastraktes von Dieselmotoren vorgestellt. Als Modellstruktur wurden lokal lineare Modelle mit verzögerter Parameteränderung in Ausgangsfehleranordnung verwendet. Diese Modelle in E/A-Darstellung können in eine lokal lineare Zustandsraumdarstellung in Beobachternormal transformiert werden. Als Vorsteuerung wurde eine lokal lineare zustandsreglerbasierte Vorsteuerung vorgestellt, die beim Ansprechen von Stellbegrenzungen strukturelle Vorteile gegenüber einer klassischen Vorsteuerung besitzt. Die Vorsteuerung wurde so entworfen, dass sich eine teilweise Führungsentkopplung ergibt. Als Regler wurden dezentrale PI(D)-Regler verwendet, die mittels sequentiellen Schließens nach der Kompensationsmethode entworfen wurden. Alternativ zu der Struktur bestehend aus Vorsteuerung und Regler wurde eine zustandsraumbasierte lokal lineare IMC-Regelung vorgestellt. Alle vorgestellten Strukturen zeichnen sich durch eine einfache und intuitive Applikation aus. Prüfstandsergebnisse machen deutlich, dass eine modellbasierte Vorsteuerung oder eine IMC-Regelung eine bessere Regelgüte aufweist als eine klassische Struktur bestehend aus statischer Vorsteuerung und dezentralen PI(D)-Reglern. Im Hinblick auf den geringeren Implementierungsaufwand ist die IMC-Struktur gegenüber einer dynamischen Vorsteuerung mit PI(D)-Reglern vorteilhaft.
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258
10 Modellgestützte Ladedruck- und Abgasrückführ-Regelung von Dieselmotoren
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11 Brennraumdruckregelung von Dieselmotoren mit homogener Kompressionszündung (HCCI) MARTIN KOHLHASE
In den letzten Jahren ist die Zahl der neu zugelassenen Dieselfahrzeuge stark gestiegen. Diese Entwicklung ist zum einen darauf zurückzuführen, dass der Dieselmotor im Vergleich zum Ottomotor einen besseren thermischen Wirkungsgrad aufweist. Einhergehend damit ist der Kraftstoffverbrauch und somit der CO2-Ausstoß im Gegensatz zum Ottomotor deutlich geringer. Zum anderen hat der Dieselmotor im Bereich Fahrspaß und -komfort durch Einzug der Direkteinspritzung basierend auf Common-Rail-Systemen und durch effiziente Abgasturbolader mit variabler Turbinengeometrie (VTG) deutlich an Akzeptanz gewonnen. Neben der besseren Effizienz des Dieselmotors ist jedoch die Einhaltung zukünftiger Abgasgrenzwerte im Vergleich zum Ottomotor mit λ = 1-Konzept und 3-WegeKatalysator deutlich aufwendiger und teurer geworden. Der Ausstoß von Kohlenmonoxid (CO) und unverbranntem Kohlenwasserstoff (HC) wird derzeit mit effizienten Oxidationskatalysatoren deutlich verringert. Die Einhaltung von Ruß- (PM) und Stickoxidemissionsgrenzwerten (NOx) ist jedoch nur mit sehr teueren Systemen möglich. Abgasnachbehandlungssysteme wie z.B. Partikelfilter, NOx-Speicherkatalysatoren bzw. DeNOxKatalysatoren nach dem SCR (Selective Catalytic Reduction)-Verfahren ermöglichen die Einhaltung der zukünftigen Abgasnormen [1]. Durch den Einsatz dieser kostspieligen Komponenten wird der Dieselmotor in der Anschaffung immer teurer und verliert gegenüber dem Ottomotor seine Wirtschaftlichkeit. Das Ziel ist es somit, die Wirtschaftlichkeit des Dieselmotors zu erhalten, indem Abgasnachbehandlungssysteme möglichst klein ausfallen. Nicht verbrauchsneutrale Regenerationsintervalle sollen möglichst groß werden. Dies kann im Wesentlichen nur durch innermotorische Maßnahmen erreicht werden. Einhergehend mit innermotorischen Maßnahmen steigt die Anzahl an Stellgrößen. Zusätzlich ergeben sich wiederum neue Möglichkeiten zur Steuerung und Regelung des Luftsystems sowie der Verbrennung, wobei die Anforderungen an die Genauigkeit der Steuer- und Regelungssysteme zusätzlich steigen. Durch die Entwicklung von Low-Cost-Brennraumdrucksensoren für den Serienbetrieb ergeben sich neue regelungstechnische Möglichkeiten zur Regelung der Verbrennung und zur Realisierung von innermotorischen Maßnahmen zur Reduktion von Ruß- und Stickoxidemissionen [2, 3]. 11 Brennraumdruckregelung von Dieselmotoren
260
11 Brennraumdruckregelung von Dieselmotoren
11.1 Die (teil-)homogene Dieselverbrennung Um die Wirtschaftlichkeit des Dieselmotors weiter zu sichern, stellen innermotorische Maßnahmen, wie die homogene Dieselverbrennung, welche eine gleichzeitige Reduktion von Stickoxid- und Rußemissionen bei gleich bleibender Effizienz ermöglichen, eine Alternative bzw. einen Zusatz zu aufwendigen Abgasnachbehandlungssystemen dar. Der Zielkonflikt zwischen der Reduktion von Stickoxid und Ruß, wie er bei einem herkömmlichen Dieselmotor vorkommt, und in Bild 11-1a dargestellt ist, wird in bestimmten Teillastbereichen aufgehoben, indem keine örtlich fetten Gemische während der Kraftstoffumsetzung und keine Temperaturen über ca. 2000 K sowie Bereiche nahe Stöchiometrie auftreten. Das Ziel ist es somit, die Bereiche im Temperatur-Äquivalenzraten-Diagramm mit hoher Ruß- bzw. Stickoxidbildung, wie sie in Bild 11-1b dargestellt sind, zu vermeiden.
Bild 11-1: Ruß- und Stickoxidbildung bei konventioneller und homogener Dieselverbrennung: a) Ruß-Stickoxid-Zielkonflikt bei konventioneller Dieselverbrennung, b) Temperatur-Äquivalenzraten-Diagramm mit Betriebsbereichen der konventionellen und der homogenen Dieselverbrennung (HCCI/HCLI) [1, 4]
Zur Realisierung einer stickoxid- und rußfreien Verbrennung gibt es verschiedene Verfahren. Das Hauptziel dabei ist es, eine möglichst gute Homogenisierung des LuftKraftstoff-Gemisches zu erhalten. Es gibt Verfahren mit äußerer und innerer Gemischbildung, wobei bei der inneren Gemischbildung weiter zwischen Verfahren mit früher und später Einspritzung unterschieden wird. Verfahren, bei denen dem Luft-KraftstoffGemisch möglichst viel Zeit zur Homogenisierung gegeben wird (Einspritzung 90° bis 140° Kurbelwinkel vor OT), werden als HCCI (Homogeneous-Charge-CompressionIgnition)-Verfahren bezeichnet. Ein weiteres homogenes Brennverfahren, welches in diesem Abschnitt vorgestellt und an einem seriennahen Dieselmotor realisiert wurde, ist das HCLI (Homogeneous Charge Late Injection)-Verfahren [1, 4, 5]. Hierbei wird versucht,
11.1 Die (teil-)homogene Dieselverbrennung
261
einen möglichst großen Zündverzug zu erzielen, damit, im Gegensatz zur konventionellen Dieselverbrennung, deutlich früher vor dem oberen Totpunkt eingespritzt werden kann. Fette Bereiche werden somit reduziert und der Anteil der erwünschten mageren Gemischbereiche bei einer geringeren Verbrennungstemperatur vergrößert. Zur Steuerung des Zündzeitpunktes arbeitet das Verfahren mit sehr hohen AGR-Raten im Bereich von 50% bis 80%. Daher ist dieses Verfahren nur im eingeschränkten Teillastbereich realisierbar. Das Ziel ist es, die Einspritzung sowie die Kraftstoffaufbereitung von der Verbrennung mittels hoher AGR-Raten und somit durch einen langen Zündverzug zeitlich voneinander zu trennen. Zum Vergleich sind die Einspritzstrategie der konventionellen und der homogenen Dieselverbrennung (HCLI) sowie die jeweiligen differentiellen und integralen Heizverläufe in Bild 11-2 abgebildet.
Bild 11-2: Vergleich der Verbrennung bei konventioneller und homogener Dieselverbrennung im Arbeitspunkt n = 2000 min–1 und qB = 10mm3/Hub: a) Differentieller Heizverlauf und zeitlicher Ablauf der Einspritzung, b) Integraler Heizverlauf
Die zeitliche Trennung von Einspritzung und Verbrennung bei einer Blockeinspritzung und im homogenen Betrieb wird im Bild 11-2a deutlich. Es zeigt sich, dass die homogene Verbrennung zu Beginn deutlich langsamer im Vergleich zur konventionellen Verbrennung abläuft. Weiterhin weist der differentielle Heizverlauf der homogenen Verbrennung im Gegensatz zur konventionellen keine Diffusionsverbrennung auf. Zur zeitlichen Trennung von Einspritzung und Verbrennung und somit zur Realisierung der homogenen Dieselverbrennung gibt es eine Vielzahl von Maßnahmen. Folgende Maßnahmen haben einen Einfluss auf den Zündverzug [1, 6]: – AGR-Rate (Niederdruck- sowie Hochdruckabgasrückführung) – Ladedruck (ein- oder zweistufige Aufladung) – Temperatur im Einlassbehälter – Ladungsbewegung (Kolbenmulde [5], Drallklappen) – Einspritzstrategie – Verdichtungsverhältnis – Kraftstoffeigenschaft,
262
11 Brennraumdruckregelung von Dieselmotoren
wobei die weiteren Punkte einen Einfluss auf die Dauer der Einspritzung haben, die ebenfalls maßgeblich für die Trennung von Einspritzung und Verbrennung ist [6]: – Raildruck – Hydraulischer Durchfluss – Anzahl der Lochdüsen im Injektor [5]. Im Weiteren wird der Schwerpunkt auf die Regelung der homogenen Dieselverbrennung gelegt, die für einen seriennahen Common-Rail-Dieselmotor ausgelegt und an diesem getestet wird.
11.2 Der Versuchsträger Motorversuche zur Steuer- und Regelung der homogenen Dieselverbrennung wurden am Motorprüfstand des Instituts für Automatisierungstechnik der TU Darmstadt (IAT) durchgeführt. Als Versuchsträger diente ein seriennaher vollindizierter Common-RailDieselmotor der Firma Opel (Opel JTD 1,9 l) mit AGR-Ventil, Drosselklappe und VTGTurbolader. Zur Indizierung wurden piezoelektrische Drucksensoren der Firma Kistler verwendet, die mittels Glühkerzenadapter in den Brennraum eingebracht wurden.
Bild 11-3: Der Versuchsträger mit Seriensensorik und -aktorik sowie Zusatzsensorik
11.3 Realisierung der homogenen Kompressionszündung an einem seriennahen Dieselmotor
263
Bild 11-3 zeigt schematisch den Versuchsträger mit den Serienaktoren AGR-Ventil uAGR, Drosselklappe uDK, VTG-Turbolader uVTG und dem Common-Rail-System mit den Verstellparametern Einspritzmenge der Voreinspritzung qVE, Einspritzmenge der Haupteinspritzung qHE, Einspritzwinkel ϕEB der Haupteinspritzung und dem Raildruck pRail, den Seriensensoren Luftmasse mL, Ladedruck p2, Temperatur T2 im Einlassbehälter, Weg des AGR-Ventils sAGR, Luft-Kraftstoff-Verhältnis λ und der Drehzahl n sowie der zusätzlichen Temperaturmessung im Abgaskrümmer T3,, den Zusatzwegsensoren sDK und sVTG, den Zusatzmesssystemen NOx-Sensor, Opazimeter (Op), Rußsensor (Ruß), Kraftstoffmessung bB und Drehmomentenflansch MMot. Die Brennraumdrucksignale pZyl werden über herkömmliche Ladungsverstärker mit Hilfe eines am IAT entwickelten Indiziersystems gemessen. Das Indiziersystem ist auf einem Rapid-Control-PrototypingSystem der Firma dSpace implementiert, welches mit einer FPGA-basierten Hardwarekarte zur kurbel- und zeitsynchronen Zylinderdruckmessung ausgestattet ist. Um reproduzierbare Ergebnisse am Prüfstand zu bekommen und zusätzlich die Güte der Steller sowie gleichzeitig auch die der implementierten Regelungen zu verbessern, werden das AGR-Ventil, die Drosselklappe und der VTG-Turbolader Weg-geregelt betrieben. Durch die Wegregelung werden Temperaturabhängigkeiten, Hysterese durch Reibung, Lose und andere nichtlineare Eigenschaften verringert. Weiterhin wird sichergestellt, dass die Aktoren unabhängig von allen Einflussfaktoren für z.B. eine datenbasierte Modellbildung stets verwendbare Ergebnisse liefern. Die implementierten Wegregler werden so eingestellt, so dass der jeweilige geschlossene Regelkreis ein annähernd PT1-förmiges Führungsverhalten aufweist.
11.3 Realisierung der homogenen Kompressionszündung an einem seriennahen Dieselmotor Zur Realisierung der homogenen Dieselverbrennung in einem möglichst großen Teillastbereich sind eine Vielzahl konstruktiver Maßnahmen durchzuführen und hinsichtlich einer effizienten homogenen Dieselverbrennung zu optimieren [5]. Neben diesen Maßnahmen sind gleichermaßen eine Regelung der Verbrennung sowie eine Regelung des Luftsystems bzw. der Zylinderfüllung für jeden homogen betriebenen Dieselmotor notwendig. Der Betrieb der homogenen Dieselverbrennung ist nur in sehr schmalen Stellbereichen des Einspritzsystems sowie des Luftsystems realisierbar. Kleinste Abweichungen von den Sollwerten haben einen großen Einfluss auf die Emissionen oder können sogar zu einer instabilen Verbrennung führen. Neben einer sehr guten Sollwertfolge muss die Regelung zusätzlich einen sauberen und stoßfreien Übergang von homogener zu konventioneller Dieselverbrennung und umgekehrt gewährleisten.
264
11 Brennraumdruckregelung von Dieselmotoren
Bild 11-4: NEDC (New European Driving Cycle)-Testzyklus: a) Geschwindigkeitsprofil, b) Betriebspunkte mit homogener (dunkel) und mit konventioneller (hell) Dieselverbrennung, c) Anzahl der Betriebspunkte mit homogener (dunkel) und konventioneller (hell) Verbrennung
Im Hinblick auf den Entwurf einer solchen Regelung stehen in diesem Kapitel die methodischen Untersuchungen der homogenen Dieselverbrennung, der systematische Entwurf einer Regelung für den homogenen Betrieb und die Regelung des Übergangs im Vordergrund. Unabhängig von der Größe des homogen fahrbaren Teillastbereichs ist das methodische Vorgehen beim Reglerentwurf und bei der Wahl der Stell- sowie Regelgrößen weitestgehend identisch und auf andere Motoren, die hinsichtlich einer homogenen Dieselverbrennung konstruktiv optimiert sind, übertragbar. Weiterhin haben Untersuchungen an dem unter Abschnitt 11.2 erläuterten Serienmotor gezeigt, dass eine homogene Dieselverbrennung in 75% der Betriebspunkte des europäischen Testzyklus (NEDC) realisierbar ist und gefahren werden kann. Bild 11-4a zeigt das Geschwindigkeitsprofil des europäischen Testzyklus. In Bild 114b sind sowohl die gesamten als auch die im Homogenbetrieb fahrbaren Betriebspunkte für den verwendeten Versuchsmotor dargestellt. Die Histogramme in Bild 11-4c zeigen die Verteilung sowie die Anzahl der homogenen Betriebspunkte gegenüber den gesamten Zykluspunkten bezüglich Motordrehzahl nMot und Gesamteinspritzmenge qB.
11.3.1 Untersuchung der homogenen Kompressionszündung und Wahl der Regelgrößen Die homogene Dieselverbrennung wird derzeit, aufgrund ihres großen Potentials, eine quasi stickoxid- und rußfreie Verbrennung zu besitzen, intensiv untersucht [7]. Dabei hat
11.3 Realisierung der homogenen Kompressionszündung an einem seriennahen Dieselmotor
265
sich gezeigt, dass es aufgrund der lokalen Gegebenheiten im Zylinder meist an mehreren Stellen kurz hintereinander zur Selbstzündung kommt, wobei sich die Zündherde zusätzlich gegenseitig beeinflussen. Einfache Einzonenmodelle reichen zur Beschreibung der Verbrennung nicht mehr aus. Nur mit komplexen Mehrzonenmodellen, die teilweise auf phänomenologischen Modellansätzen basieren, kann die homogene Verbrennung sowie die Emissionsbildung annähernd beschrieben werden. Diese komplexen Modelle dienen zurzeit zum Verständnis der homogenen Verbrennung und können zur Steuerung bzw. Regelung dieser nur schwer oder gar nicht eingesetzt werden. Die aus verfahrenstechnischer Sicht idealen Zustände, wie z.B. die Konzentrationen der einzelnen Gaskomponenten (Sauerstoff, Inertgas etc.), die Temperaturen und (Partial-) Drücke in den einzelnen Zonen sowie der Homogenisierungsgrad, können im realen Serienbetrieb nur sehr schwer erfasst bzw. genau beeinflusst werden. Hinsichtlich der Regelung der homogenen Dieselverbrennung ist es notwendig, direkt oder indirekt messbare Regelgrößen zu definieren, mit denen eine homogene Verbrennung stabil betrieben werden kann. Im Hinblick auf den Serienbetrieb ist es erstrebenswert, bereits bewährte Seriensensoren zur Regelung einzusetzen. Da der Motor im homogenen Betrieb mit einem sehr großen Zündverzug an seiner Verbrennungsgrenze betrieben wird, reichen die zurzeit eingesetzten Seriensensoren nicht mehr aus. Durch die sehr hohen AGR-Raten nehmen die Verbrennungsschwankungen stark zu. Es werden somit Informationen bzw. Messgrößen benötigt, die von Arbeitsspiel zu Arbeitsspiel zur Verfügung stehen und eine Aussage über den Zustand der Verbrennung geben. Mittels eines zusätzlichen Brennraumdrucksignals können neben Druckkennwerten weitere Merkmale zur Regelung der homogenen Verbrennung abgeleitet werden. Daher wird ein serientauglicher Brennraumdrucksensor für den Serieneinsatz der homogenen Verbrennung notwendig. Anhand des Brennraumdrucks in den Zylindern sowie der Seriensensorik (siehe Bild 11-3) können folgende Größen gemessen oder bestimmt werden, die wiederum eine Aussage über die Verbrennung liefern bzw. einen Einfluss auf die Gemischbildung und somit auf die homogene Verbrennung haben: – Luftmasse mL – Zurückgeführte Abgasmasse mAGR – Abgasrückführrate rAGR – Ladedruck p2 – Beginn der Verbrennung ϕBV bzw. 5%-Umsatzlage ϕQ5 – Zündverzug ΔϕZV – Verbrennungsschwerpunktlage bzw. 50%-Umsatzlage ϕQ50 – indizierter Mitteldruck pmi. Die zur Realisierung der homogenen Verbrennung verwendbaren Stellgrößen sind im Folgenden aufgelistet: – Einspritzwinkel ϕEB – Anzahl der Einspritzungen, deren Menge qi, und deren zeitlicher Ablauf ϕi – Raildruck pRail – AGR-Ventil uAGR – Drosselklappe uDK – VTG-Turbolader uVTG.
266
11 Brennraumdruckregelung von Dieselmotoren
Bei der Wahl der Regelgrößen und einhergehend damit auch der Stellgrößen, ist zum einen der Einfluss der Stellgröße auf die Regelgröße zu beachten. Zum anderen sollte der Regelbereich möglichst groß sein. Bild 11-5 zeigt idealisiert den Stellbereich zweier Stellgrößen u1 und u2 sowie den dazugehörigen Regelbereich der Regelgrößen y1 und y2. Im besten Fall befindet sich der Sollwert y = [y1, y2] möglichst mittig vom Regelbereich, der aufgrund der Stellgrößenbegrenzung bzw. durch Systemgrenzen eingeschränkt ist. Da der Motor im homogenen Betrieb sehr dicht an der Verbrennungsgrenze betrieben wird, sind Regelgrößen zu suchen, die einen Regelbereich aufspannen, der trotzdem eine Variation der Sollwerte zulässt, wobei eine gleichzeitige Reduktion von Stickoxid- und Rußemissionen weiterhin gewährleistet wird.
Bild 11-5: Exemplarisch idealisierte Darstellung des begrenzten Stellbereichs sowie des aus dem Stellbereich resultierenden begrenzten Regelbereichs mit Sollwert im Mehrgrößenfall (2 Stellgrößen; 2 Regelgrößen)
Aus verschiedenen Gründen, wie z.B. der Geometrie des Einlassbehälters, kommt es zu großen Ungleichverteilungen des zurückgeführten Abgases in den verschiedenen Zylindern [6]. In Abhängigkeit vom Zündverzug ist somit der Einspritzbeginn zylinderindividuell einzustellen, um somit eine gleiche Verbrennungscharakteristik aller Zylinder zu gewährleisten. Als eine mögliche Regelgröße kann dafür der Brennbeginn ϕBV bzw. die 5%-Umsatzlage ϕQ5 verwendet werden. Zahlreiche Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass die Detektion des Brennbeginns im Vergleich zu anderen Merkmalen deutlich aufwendiger und anfälliger bzgl. Messfehlern ist [3, 8]. Als Ersatzgrößen für den Brennbeginn können Druckkennwerte, wie z.B. der Winkel ϕpmax, bei dem der Druck maximal ist, oder Werte aus dem Differenzdruck Δp verwendet werden. In diesem Kapitel wird zur Regelung der homogenen Verbrennung die Verbrennungsschwerpunktlage (50%-Umsatzlage) ϕQ50 als Regelgröße benutzt. Sie ist im Vergleich zum Brennbeginn robust berechenbar und zusätzlich ein gut interpretierbares Verbrennungsmerkmal. Zur Konditionierung des angesaugten Gases können das AGR-Ventil, die Drosselklappe und der VTG-Turbolader eingesetzt werden. Bei der konventionellen Dieselverbrennung wird die Drosselklappe nur in Sonderfällen betätigt, wie z.B. beim Abstellen des Motors, um das „Nachdieseln“ zu verringern oder beim Abbrennen eines Partikel-
11.3 Realisierung der homogenen Kompressionszündung an einem seriennahen Dieselmotor
267
filters [1]. Im Serienbetrieb hat sich die Regelung der Luftmasse mL und des Ladedrucks p2 über die Stellglieder AGR-Ventil und VTG-Turbolader durchgesetzt [9]. Der Ladedruck ist ein Maß für die gesamte Zylinderfüllung, wobei die Luftmasse den Anteil der Frischluft im Zylinder repräsentiert. Alternativ zu diesen Größen könnten die Luftmasse mL und die zurückgeführte Abgasmasse mAGR bzw. die Abgasrückführrate rAGR als Regelgrößen verwendet werden, die auch hinsichtlich der homogenen Dieselverbrennung Vorteile bieten. Bei der homogenen Dieselverbrennung ist es wichtig, den Anteil des zurückgeführten Abgases und die Frischluftmasse genau einzustellen, so dass der Zündverzug möglichst groß wird und dass Einspritzung und Verbrennung entkoppelt werden. Bild 11-6 zeigt exemplarisch in einem Arbeitspunkt (n = 2000 min–1 und qb = 10 mm3/Hub) mögliche Regelgrößen wie Luftmasse mL, die zurückgeführte Abgasmasse mAGR, die AGR-Rate rAGR und den Zündverzug ΔϕZV bei Variation des AGR-Ventils und der Drosselklappe bei stetiger Verbrennung, wobei der VTG-Turbolader jeweils im „offenen“ oder „geschlossenen“ Zustand betrieben wird. Weiterhin sind der Einfluss auf die Stickoxid- und Rußemissionen sowie der mögliche Regelbereich im homogenen Dieselbetrieb dargestellt. Aufgrund der bekannten Stickoxid-Ruß-Schere, die im konventionellen Betrieb auftritt und die im homogenen Dieselbetrieb überwunden werden muss, ist der mögliche Regelbereich bei homogener Verbrennung sehr klein. Der Übergang von konventioneller zu homogener Dieselverbrennung ist in Bild 11-6f und Bild 11-6g dargestellt. Die Stickoxid-Ruß-Schere ist deutlich zu erkennen. Erst bei sehr hohen AGR-Raten ist der Zündverzug so groß, dass eine homogene Gemischaufbereitung gewährleistet ist, wobei die Stickoxid- sowie die Rußemissionen gleichzeitig abnehmen. Die Luftmasse mL darf in Abhängigkeit der Einspritzmenge einen bestimmten Wert nicht unterschreiten und stellt daher eine wichtige Messgröße (bzw. Zustandsgröße) dar. Aufgrund dessen wird die Luftmasse, wie bei der konventionellen Verbrennung, als Regelgröße verwendet. Als weitere mögliche Regelgröße steht der Zündverzug ΔϕZV zur Verfügung. Wie jedoch in Bild 11-6c deutlich wird, reduziert sich der Regelbereich unter Verwendung des Zündverzugs im homogenen Betrieb praktisch auf nur eine Kennlinie. Folglich wird der Zündverzug als Regelgröße ausgeschlossen und dient lediglich als grobes Maß für den Grad der Homogenisierung bzw. zur Beurteilung der Verbrennung. Im Gegensatz zur zurückgeführten Abgasmasse mAGR sind die Stickoxidemissionen im gesamten Bereich annähernd linear von der AGR-Rate rAGR abhängig und weisen eine deutlich geringere Varianz auf (vergleiche Bild 11-6d und Bild 11-6e). Daher und hinsichtlich einer übertragbaren Regelungsstruktur für den konventionellen Betrieb wird die AGR-Rate als weitere Regelgröße favorisiert und im Weiteren eingesetzt. Nur durch eine Drosselung im Ansaugtrakt können die hohen und für die homogene Verbrennung notwendigen AGR-Raten über ein entsprechendes Druckgefälle über das AGR-Ventil erzielt werden. Die Drosselklappe und das AGR-Ventil sind somit die Hauptstellglieder zur Regelung der Luftmasse und der AGR-Rate. Da der VTGTurbolader im geschlossenen Betrieb und bei geöffnetem AGR-Ventil die AGR-Rate zusätzlich erhöht, wird dieser gesteuert betrieben. Der Raildruck, der ebenfalls einen Einfluss auf die Emissionen hat, wird im homogenen Betrieb auf 1400 bar eingestellt, wobei die Einspritzung aus einer Blockeinspritzung besteht.
268
11 Brennraumdruckregelung von Dieselmotoren
Bild 11-6: Untersuchung der homogenen Dieselverbrennung zur Wahl der Regelgrößen im Arbeitspunkt n = 2000 min–1 und qB = 10mm3/Hub: a) AGR-Rate über Luftmasse, b) AGR-Masse über Luftmasse, c) Zündverzug über Luftmasse, d) Stickoxidemissionen in Abhängigkeit der AGRRate, e) Stickoxidemissionen in Abhängigkeit der AGR-Masse, f) Ruß- und Stickoxidemissionen beim Übergang von konventioneller zu homogener Dieselverbrennung, g) Ruß- und Stickoxidemissionen in Abhängigkeit der AGR-Rate
11.3 Realisierung der homogenen Kompressionszündung an einem seriennahen Dieselmotor
269
11.3.2 Brennraumdruckbasierte Berechnung der Verbrennungsschwerpunktlage Die Verbrennungsschwerpunktlage bzw. die 50%-Umsatzlage ϕQ50 wird zur Regelung der homogenen Dieselverbrennung eingesetzt, damit bei zylinderindividuellen Unterschieden in der AGR-Rate eine gleich bleibende Verbrennungscharakteristik erzielt wird. Die Verbrennungsschwerpunktlage errechnet sich aus dem integralen Heizverlauf. Dabei ist die Schwerpunktlage ϕQ50 der Winkel, bei dem der integrale Heizverlauf
QH (ϕ ) =
ϕ =ϕAÖ
¦
ϕ =ϕEB
ΔQH (ϕ )
(11.1)
den Wert Q50 (ϕQ50 ) =
max ( QH (ϕ ) ) − min ( QH (ϕ ) ) 2
+ min ( QH (ϕ ) )
(11.2)
annimmt. Der integrale Heizverlauf QH(ϕ) berechnet sich aus dem differentiellen Heizverlauf c · c § ΔQH (ϕ ) = ¨ 1 + V ¸ ⋅ p (ϕ ) ⋅ ΔV (ϕ ) + V ⋅ V (ϕ ) ⋅ Δp (ϕ ) R ¹ R ©
(11.3)
nach Hohenberg [10], wobei R die individuelle Gaskonstante und cV(T) die spezifische Wärmekapazität bei konstanter Temperatur T ist.
11.3.3 Brennraumdruckbasierte AGR-Raten-Berechnung Die AGR-Rate rAGR =
mAGR , mAGR + mL
(11.4)
die sich im Einlassbehälter einstellt, berechnet sich allgemein anhand des Quotienten aus zurückgeführter Abgasmasse mAGR und der Gesamtgasmasse mMot = mAGR + mL, bestehend aus Frischluftmasse mL und zurückgeführter Abgasmasse mAGR. Diese AGR-Rate wird als Maß für die mittlere AGR-Rate in den jeweiligen Zylindern verwendet, da der Restgasanteil im Zylinder als vernachlässigbar klein angenommen wird. Weiterhin wird die Dynamik der Gemischbildung im Einlassbehälter, aufgrund des sehr geringen Volumens, vernachlässigt, so dass zur vereinfachten Berechnung der AGR-Rate auch die Massenströme verwendet werden können [1]. Zur Berechnung der AGR-Rate steht der Luftmassenstrom m L im Ansaugrohr als Messgröße zur Verfügung, wohingegen der zurückgeführte Abgasmassenstrom m AGR im Serienbetrieb nicht gemessen wird und eine Messung nur mit großem Aufwand und ho-
270
11 Brennraumdruckregelung von Dieselmotoren
hen Kosten verbunden ist. Alternativ kann die AGR-Rate rAGR anhand anderer Messgrößen, wie z.B. des Drucks p2 und der Temperatur T2 im Einlassbehälter sowie des Drucks pZyl im Zylinder, mit dem der Abgasgegendruck p3 oder die Gasmasse im Zylinder bestimmt werden, berechnet werden. Zusätzlich sind einfache, am Motorprüfstand ermittelte Modelle notwendig, mit denen die Berechnungen adaptiert bzw. Dynamiken der Sensoren kompensiert werden. Die Gasmasse im Zylinder kann einfach betrachtet über die Zustandsgleichung p (ϕES ) ⋅ V (ϕES )
mZyl =
(11.5)
R ⋅ T (ϕES )
idealer Gase berechnet werden, wobei ϕES der Winkel bei „Einlass schließt“ ist. Untersuchungen in unterschiedlichsten Arbeiten haben gezeigt, dass zum einen Druckwerte kurz vor dem oberen Totpunkt bessere Zylinderfüllungsergebnisse liefern [11, 12]. Zum anderen liefert eine Mittelung über mehrere Druckwerte bessere Ergebnisse. Unter der Annahme einer polytropen Zustandsänderung § V (ϕ ) · p (ϕES ) = p (ϕ ) ⋅ ¨¨ ¸¸ © V (ϕES ) ¹
n
(11.6)
während der Kompression und durch Mittelung kann die Gasmasse im Zylinder mZyl =
1 R ⋅ V n −1 (ϕES ) ⋅ T (ϕES )
⋅
1 N ⋅ p (ϕi ) ⋅ V n (ϕi ) N i =1
¦
(11.7)
anhand N Druckwerten im Bereich des oberen Totpunktes berechnet werden. Der angesaugte gesamte Gasmassenstrom m Mot =
1 ⋅ mZyl ⋅ nMot ⋅ z 2
(11.8)
berechnet sich somit anhand der jeweiligen Gasmasse mZyl im Zylinder, der Motordrehzahl nMot und der Anzahl der Zylinder z. Die AGR-Rate rAGR =
m Mot − m L m Mot
(11.9)
wird somit anhand des gemessenen Luftmassenstroms und über den, mittels des Brennraumdrucks bestimmten, angesaugten Gesamtgasmassenstrom berechnet.
11.4 Modellbildung des Luftsystems zur Regelung der homogenen Dieselverbrennung
271
11.4 Modellbildung des Luftsystems zur Regelung der homogenen Dieselverbrennung Zur Realisierung der homogenen Dieselverbrennung im Serienbetrieb und einhergehend damit, zur Mehrgrößenregelung von Abgasrückführrate rAGR und Luftmasse mL, ist ein Modell des Luftsystems vom Dieselmotor notwendig. Modelle des Luftsystems können auf theoretischem oder experimentellem Weg gewonnen werden. Die theoretischen Modelle, auch als White-Box-Modelle bezeichnet, basieren auf physikalisch-chemischen Zustandsgleichungen, Bilanzgleichungen für Masse, Energie und Impuls etc. Die durch eine Identifikation erzeugten experimentellen Modelle basieren im Gegensatz zu den physikalischen Modellen allein auf Messdaten. Diese sogenannten Black-Box-Modelle beschreiben das Ein-/Ausgangsverhalten des Systems, wobei die identifizierten Parameter oft physikalisch nicht interpretierbar sind. Eine Kombination aus beiden Modellierungsansätzen sind die so genannten Gray-Box-Modelle. In einigen Beiträgen zur z.B. Ladedruck- und Luftmassenregelung werden nichtlineare physikalische Gray-Box-Modelle des Luftpfads erstellt und zum Reglerentwurf verwendet. Im Gegensatz dazu, wird in diesem Kapitel die Dynamik des Luftpfads durch einen datenbasierten lokal-affinen (lokal-linearen) Modellierungsansatz abgebildet, wobei die Modellstruktur aus physikalischen Ansätzen folgt. Die verwendete Modellstruktur ist in Bild 11-7 dargestellt.
Bild 11-7: Blockschaltbild eines lokal-affinen Zustandsraummodells in parameterveränderlicher Form
Hierbei handelt es sich um ein lokal-affines Zustandsraummodell in parameterveränderlicher Form, das aus der gewichteten Überlagerung von linearen Zustandsraummodellen entsteht. Dabei wird deren Zustandsgleichung mit einem vektoriellen Offset ξZ(z(k)) und
272
11 Brennraumdruckregelung von Dieselmotoren
der Modellausgang mit dem Offsetvektor ξA(z(k)) additiv überlagert. Der Vektor z(k) beschreibt den Arbeitspunkt, z.B. Drehzahl n und Einspritzmenge qB (Pedalstellung αPed). Ist der zu beschreibende Prozess nichtlinear in den Eingängen, so werden die Eingänge u als weitere Arbeitspunkte hinzugefügt. Somit ergibt sich z.B. der Vektor z(k) = [u, n, qB], der im Weiteren auch als z-Regressor bezeichnet wird. Das lokal-affine Zustandsraummodell wird durch die Gleichungen
x ( k + 1) = A ( z ( k ) ) x ( k ) + B ( z ( k ) ) u ( k ) + ȟ Z ( z ( k ) )
y ( k ) = C ( z ( k )) x ( k ) + D ( z ( k )) u ( k ) + ȟA ( z ( k )) ,
(11.10)
mit x = x0, beschrieben, wobei A ( z ( k )) =
M
¦ Φ j ( z ( k )) ⋅ A j
(11.11)
j =1
die arbeitspunktabhängige Systemmatrix ist. Dabei stellen M die Anzahl der Teilmodelle und Φj(z(k)) die Aktivierungsfunktion des j-ten Teilmodells dar. Die Matrizen B(z(k)), C(z(k)), D(z(k)) sowie ξZ(z(k)) und ξA(z(k)) sind analog zu A(z(k)) definiert. Die Aktivierungsfunktionen
Φ j ( z ( k )) =
μ j ( z ( k ))
(11.12)
M
¦ μm ( z ( k ) )
m =1
werden normiert, wobei §
1 ( z1 − c j1 ) ¨¨ 2 σ 2j1 ©
μ j ( z ( k ) ) = exp ¨ −
2
2· · § ¸ ⋅ ! ⋅ exp ¨ − 1 ( zn z − c jn z ) ¸ 2 ¸¸ ¨¨ 2 ¸¸ σ jn z ¹ © ¹
(11.13)
mehrdimensionale, achsen-orthogonale Gauss-Funktionen, wie sie auch beim bekannten Identifikationswerkzeug LOLIMOT (Local Linear Modell Tree) eingesetzt werden, sind [13]. Die Aktivierungsfunktionen spezifizieren die Gültigkeit der Teilmodelle. Um die Parameter bzw. die Systemmatrizen des lokal-affinen Zustandsraummodells nach Gleichung (11.10) zu ermitteln, sind rechenintensive nichtlineare Schätzverfahren notwendig. Um vorerst die Komplexität und den Rechenaufwand zu reduzieren, werden zur Schätzung bekannte lokal-lineare Ein-/Ausgangsmodelle mit einer bewährten LSSchätzung verwendet, wie sie in [13, 14] dargestellt sind. Diese können durch eine Transformation in eine nichtminimale Zustandsraumrealisierung umgewandelt werden [15]. Zudem können die Parameter als Initialisierung für ein strukturoptimiertes Modell, welches dann in eine minimale Zustandrealisierung umwandelbar ist, eingesetzt werden. Zur Schätzung dieser Parameter ist jedoch ein nichtlineares Optimierungsverfahren notwendig, da die Parameter nichtlinear in den Ausgangsfehler eingehen. Ein Zustandsraummodell bietet im Gegensatz zum Ein-/Ausgangsmodell hinsichtlich des Entwurfs einer Vorsteuerung sowie der Regelung eine deutlich größere Entwurfsviel-
11.4 Modellbildung des Luftsystems zur Regelung der homogenen Dieselverbrennung
273
falt und weiterhin die Möglichkeit, durch einfache Strukturen eine Anti-WindupFunktionalität bei Stellgrößenbegrenzung zu realisieren [16]. Im Weiteren werden Systeme mit D(z(k)) = 0, ξZ(z(k)) = 0 und ξA(z(k)) = ξ(z(k)) betrachtet. Grundlegende Arbeiten im Bereich lokal-lineare bzw. lokal-affine Modellbildung sowie im Bereich Strukturoptimierung mit schnellen Konstruktionsalgorithmen hat [13] geleistet. Diese Verfahren wurden von [14] aufgegriffen, erweitert und verbessert. Weiterhin wurde in [14] bewiesen, dass lokal-affine parameterveränderliche Differenzengleichungen y (k ) =
n
¦
i =1
bi ( z ( k − i ) ) u ( k − i ) −
n
¦
i =1
fi ( z ( k − i ) ) y ( k − i ) +
n
¦ ξi ( z ( k − i ) ) , (11.14) i =1
die hier der Einfachheit halber im Eingrößenfall bzw. im SISO (Single-Input-SingleOutput)-Fall dargestellt werden und n die Ordnung des Systems ist sowie die Parameter bi ( z ( k − i ) ) =
M
¦ bij ( z ( k − i ) ) ⋅ Φ j ( z ( k ) )
(11.15)
j =1
und analog dazu fi ( z ( k − i ) ) und ξi ( z ( k − i ) ) sich verzögert ändern, in eine minimale Zustandsraumrealisierung ª0 « «1 x ( k + 1) = « «# «0 ¬
ª bn ( z ( k ) ) º ª ξn ( z ( k )) º − fn ( z ( k ) ) º » « » « » " 0 − f n −1 ( z ( k ) ) » «bn −1 ( z ( k ) ) » «ξ n −1 ( z ( k ) ) » » x(k ) + « » u (k ) + « » % # # # # » « » « » « b1 ( z ( k ) ) » « ξ1 ( z ( k ) ) » " 1 − f1 ( z ( k ) ) »¼ ¬ ¼ ¬ ¼ " 0
(11.16)
y ( k ) = [ 0 " 0 1] x ( k )
mit gleichzeitiger Parameteränderung in Beobachternormalform überführt werden können. Diese Überführbarkeit wird im Weiteren zur Parameterschätzung genutzt. Bild 11-8 zeigt schematisch als Ablaufdiagramm das Vorgehen zur Bedatung der Modellstruktur aus Bild 11-7 am Beispiel des Luftsystems. Die zur Schätzung generierten Daten werden zu Beginn normiert, z.B. auf den Mittelwert μ = 0 und die Standardabweichung σ = 1 oder in das Intervall [0, 1], um damit numerische Eigenschaften sowie die Konvergenz der Optimierung zu verbessern. In einigen Fällen ist es zusätzlich sinnvoll, die Daten mittels einer nichtlinearen Funktion zu transformieren, um ein besseres Schätzergebnis zu erzielen. Mit den aufbereiteten Daten wird anhand des Schätzwerkzeugs LOLIMOT ein dynamisches lokal-affines Ein-/Ausgangsmodell in Form von parameterveränderlichen Übertragungsfunktionen geschätzt. Durch eine einfache LS-Schätzung anhand der Glei2 chungsfehleranordnung werden die Parameter durch Minimieren des Fehlers ¦ eARX bestimmt. Der Vorteil hierbei ist, dass die Parameter in einem Schritt berechnet werden können. Nachteilig ist jedoch, dass die Identifikation anhand der Gleichungsfehlerstruktur bei Messrauschen zu einem systematischen Parameterfehler (bais) führt.
274
11 Brennraumdruckregelung von Dieselmotoren
Bild 11-8: Ablaufdiagramm der Identifikation zur datenbasierten Modellbildung des Luftsystems
11.4 Modellbildung des Luftsystems zur Regelung der homogenen Dieselverbrennung
275
Mittels des LOLIMOT-Konstruktionsalgorithmus wird der z-Regressorraum iterativ so partitioniert bzw. die Zentren der Aktivierungsfunktionen so gelegt, dass der Ausgangsfehler des Gesamtmodells minimal bzgl. der Struktur und der Anzahl der Teilmodelle wird [13]. Diese Teilung des z-Regressorraums wird für die im nächsten Schritt folgende Ausgangsfehlerschätzung (OE-Schätzung) zur weiteren Optimierung fest vorgegeben. Da die Parameter nichtlinear in den Fehler
2 ¦ eOE
eingehen, sind zur Optimierung nichtli-
neare Verfahren notwendig. Der Vorteil liegt jedoch in einer baisfreien Schätzung. Zur Initialisierung der OE-Schätzung werden die Parameter aus der vorherigen LS-Schätzung verwendet. Um die Modellgüte weiter zu verbessern, werden strukturelle Erweiterungen speziell für Prozesse mit schnellen Arbeitspunktwechseln, wie sie in [14] vorgeschlagen sind, durchgeführt. Zum einen wird eine verzögerte Änderung der Teilparameter realisiert. Im Gegensatz zur vorherigen Schätzung, bei der sich die Parameter gleichzeitig zum Zeitpunkt k in Abhängigkeit von z(k) ändern, werden die Parameter mit der Verzögerung i des dazugehörigen x-Regressors u(k–i) oder y(k–i) verzögert. Zum anderen wird eine Offset-Zähler-Dynamik eingeführt, die das Ein-/Ausgangsverhalten verbessert und die Interpretierbarkeit erhöht [14]. Diese Offset-Zähler-Dynamik ist nur mit einer Modellstruktur mit verzögerter Parameteränderung möglich. Der Vorteil dieser Struktur macht sich speziell bei schnellen Arbeitspunktwechseln bemerkbar. Nach Beendigung der Schätzung wird das Ein-/Ausgangsmodell in eine minimale Zustandsraumrealisierung (siehe beispielhaft Gl. (11.16)) überführt, bei der sich die Parameter im Gegensatz zum vorherigen Modell nicht verzögert ändern.
11.4.1 Identifikation des Luftsystems des Dieselmotors Die in Abschnitt 11.3 ausgewählten Regelgrößen für den homogenen Dieselbetrieb neben der Verbrennungsschwerpunktlage sind die Luftmasse mL und die Abgasrückführrate rAGR, die im Weiteren als Ausgangsgrößen y = [mL, rAGR] zur Identifikation des Luftsystems verwendet werden. Als Eingangsgrößen zur Identifikation werden die Stellglieder AGR-Ventil uAGR und Drosselklappe uDK verwendet. Damit die Dynamik des Luftsystems unabhängig von der Aktorendynamik identifiziert wird, werden die Position des AGR-Ventils sAGR sowie die Position der Drosselklappe sDK, im Gegensatz zum Tastverhältnis der jeweiligen pulsweitenmodulierten Eingangsspannungen der jeweiligen Stellglieder, als Eingangsgrößen zur Identifikation benutzt. Für eine gute Schätzung sind möglichst sprungartige Änderungen dieser Eingangsgrößen vorteilig. Aufgrund dessen werden die Aktoren zur Identifikation Weg-geregelt betrieben. Sollwertsprünge führen somit zu einer annähernd sprungartigen Änderung der Position des jeweiligen Stellers. Die Dynamik der Steller bzw. des Weg-Regelkreises wird dem Modell nach der Identifikation hinzugefügt. Zur Regelung der Luftmasse mL und der Abgasrückführrate rAGR werden die Drosselklappe und das AGR-Ventil eingesetzt, obwohl mit Hilfe des VTG-Turboladers ebenfalls die Luftmasse sowie die AGR-Rate bei geöffnetem AGR-Ventil beeinflusst werden können. Die sehr hohen ARG-Raten sind jedoch nur mittels der Drosselklappe bei voll geöffnetem AGR-Ventil zu erreichen. Der Turbolader hat im homogenen Betrieb nur einen kleinen Einfluss, der jedoch hinsichtlich der Regelung und deren Güte zu berücksichtigen ist.
276
11 Brennraumdruckregelung von Dieselmotoren
Die Identifikation wird, wie in Bild 11-8 dargestellt, durchgeführt. Dazu ist es notwendig, den Prozess mit geeigneten Signalen anzuregen, um damit, unabhängig von Prozessrauschen sowie Messrauschen, die Parameter des Modells mit den gewählten Schätzmethoden zuverlässig zu identifizieren. Im Gegensatz zum gängigen PRB (Pseudo-RauschBinär)-Signal, welches auch mit amplitudenmodulierten Sprunghöhen für nichtlineare Prozesse eingesetzt wird, wird hier ein AGRB (Amplitude-modulated-GeneralizedRandom-Binary)-Signal verwendet [14]. Der Vorteil liegt in dem sehr glatten Verlauf des Leistungsdichtespektrums bis zur Nyquist-Frequenz. Somit ist gewährleistet, dass der Prozess zum einen in einem weiten Frequenzbereich und zum anderen mit einer möglichst gleichförmigen Amplitudenverteilung (Gleichverteilung) angeregt wird. Bild 11-9 zeigt einen Ausschnitt von den zur Identifikation verwendeten normierten Anregungssignalen sAGR und sDK sowie die gemessenen und geschätzten Ausgangsgrößen mL und rAGR. Der Vergleich zwischen Generalisierungsdaten und simuliertem Modell zeigt die hohe Modellgüte, die mit dieser Identifikation erzielt werden kann.
Bild 11-9: Auszug aus dem AGRB-Signal zur Identifikation des Luftsystems und Vergleich der Generalisierungsdaten mit den simulierten Modellausgängen im Arbeitspunkt n = 2000 min–1 und qB = 10mm3/Hub
11.5 Regelung der homogenen Dieselverbrennung
277
11.5 Regelung der homogenen Dieselverbrennung Die Luftmasse mL, die Abgasrückführrate rAGR und die Verbrennungsschwerpunktlage ϕQ50 sind die ausgewählten Regelgrößen für den homogenen Dieselbetrieb. Im Weiteren wird zunächst der Focus auf die Regelung von Luftmasse und Abgasrückführrate gelegt, wobei im Anschluss daran die Regelung der Verbrennungsschwerpunktlage erläutert wird. Bei der Wahl einer geeigneten Regelungsstruktur für das Luftsystem steht die Erweiterbarkeit der Struktur im Hinblick auf Systeme mit mehr als zwei Ein- und Ausgängen, wie z.B. bei einem Luftsystem mit zweistufiger Aufladung und Niederdruck-Abgasrückführung, mit im Vordergrund. Die verwendete Regelungsstruktur ist in Bild 11-10 dargestellt. Sie besteht aus einem Mehrgrößenregler und einer nichtlinearen modellbasierten Vorsteuerung, die zum einen aus den Sollwerten ysoll den Vorsteuervektor uVS berechnet und zum anderen die gefilterten Sollwerte ysoll,f für die Regelung ausgibt. Diese Struktur bietet den Vorteil, dass durch die Vorsteuerung das Führungsverhalten gut ausgelegt werden kann, wobei zusätzlich der Regler hinsichtlich des Störverhaltens eingestellt wird. Diese Struktur wird daher als Struktur mit zwei Freiheitsgraden (Two-Degrees-of-FreedomStructure) bezeichnet. Eine ebenfalls wichtige Voraussetzung an die Regelungsstruktur ist die Berücksichtigung der Stellgrößenbegrenzung sowie die möglichst optimale Ausnutzung des Stellbereichs, um damit eine hohe Regelgüte zu erzielen.
Bild 11-10: Regelungsstruktur zur Regelung des Luftsystems im homogenen Dieselbetrieb
11.5.1 Entwurf einer modellbasierten Vorsteuerung zur Regelung des Luftsystems im homogenen Dieselbetrieb Das zuvor in Abschnitt 11.4 erstellte nichtlineare Luftpfadmodell basiert auf einem lokalaffinen Zustandsraumsystem in parameterveränderlicher Form. Dieses nichtlineare Modell kann dazu verwendet werden, eine nichtlineare modellbasierte Vorsteuerung für nichtlineare Mehrgrößensysteme zu entwerfen, die Stellgrößen ausgibt, welche den begrenzten Stellbereich gut ausnutzen, und Sollwerte für eine unterlagerte Regelung generiert. Bild 11-11 zeigt diese Vorsteuerung mit Berücksichtigung der Stellgrößenbegrenzung fSat(x) und des Offsets ξ.
278
11 Brennraumdruckregelung von Dieselmotoren
Bild 11-11: Struktur der nichtlinearen modellbasierten Vorsteuerung
Die Vorsteuerwerte
(
u VS = fSat −K ( z ( k ) ) ⋅ x M + v ( z ( k ) )
)
(11.17)
für nichtlineare MIMO-Systeme werden anhand einer Zustandsrückführung K(z(k)) und mittels eines adaptiven Vektors v(z(k)), zur Gewährleistung der Sollwertfolge, online berechnet. Der im jeweiligen Abtastschritt aktive Zustandsregler K ( z ( k )) =
M
¦ Φ j ( z ( k )) ⋅ K j
(11.18)
j =1
berechnet sich, analog zu den Systemmatrizen (A(z(k)), B(z(k)), C(z(k)), D(z(k))) aus Abschnitt 11.4 durch Überlagerung mit normierten Gauss-Funktionen Φj(z(k)). Die lokalen Zustandsrückführungen Kj werden offline für jedes lokale Zustandsraummodell (Aj, Bj, Cj, Dj) berechnet. Dazu stehen unterschiedliche Reglerdesign- bzw. Parametriermethoden, wie z.B. Polzuweisung, Entkopplungsentwurf etc. zur Verfügung. In diesem Kapitel wird eine optimale Zustandsrückführung Kj durch Lösen der Matrix-RicattiGleichung mit den vorgegebenen Gewichtungsmatrizen (Qj, Rj) berechnet [17]. Dabei gewichtet die Matrix Qj die Regelgrößen und die Matrix Rj die Stellgrößen. Neben den Gewichtungsmatrizen haben die Wertebereiche der jeweiligen Ausgangsgrößen sowie der Zustände und der jeweiligen Eingangsgrößen einen starken Einfluss auf das Gütekriterium und somit auf den Reglerentwurf. Die Luftmasse mL und die AGR-Rate rAGR haben einen stark unterschiedlichen Wertebereich. Dieser Einfluss wird reduziert, indem das anhand normierter Ausgangsgrößen identifizierte Modell zum Reglerentwurf verwendet wird. Zusätzlich wird der Einfluss der Eingangsgrößen reduziert, indem an Stelle von u mit uˆ = K S ⋅ u
(11.19)
11.5 Regelung der homogenen Dieselverbrennung
279
gerechnet wird, wobei KS die statische Verstärkungsmatrix der Strecke ist. Der Reglerentwurf wird somit mit den Systemmatrizen (A, BK S−1, C) durchgeführt. Der sich aus ˆ wird über eine Transformation mit K −1 in den der Berechnung ergebende Regler K S − 1 ˆ Regler K = K S ⋅ K umgerechnet [17]. Der Vektor ( z ( k ) ) B ( z ( k ) ) −1 ⋅ y soll ( k ) − C ( z ( k ) ) V ( z ( k )) ȟ ( z ( k )) v ( z ( k )) = C ( z ( k )) V
(
= V ⋅ y soll ( k ) − F ⋅ ȟ ( z ( k ) )
) (
)
(11.20) errechnet sich online und ergibt sich wiederum anhand des Sollwertes ysoll(k) des Offsetvektors ξ(z(k)) und der Systemmatrizen (A(z(k)), B(z(k)), C(z(k))), wobei für die Hilfsmatrix ( z ( k ) ) = I − A ( z ( k ) ) + B ( z ( k ) ) K ( z ( k ) ) −1 V
(
)
(11.21)
gilt [15].
11.5.2 Regler zur Regelung des Luftsystems im homogenen Dieselbetrieb Zusätzlich zur nichtlinearen modellbasierten Vorsteuerung wird, wie in Bild 11-10 gezeigt, eine Regelung entworfen, welche die Filterwerte ysoll,f als Sollwerte erhält. Da die Filterwerte in diesem Fall dem Modellausgang des identifizierten Luftpfadmodells entsprechen, kann aufgrund dessen der Regler hinsichtlich Störverhalten ausgelegt werden. Lediglich Modellunsicherheiten beeinflussen den Regler zusätzlich zu den Störungen, die auf die Regelstrecke wirken. Aufgrund der hohen Modellgüte des in Abschnitt 11.4 identifizierten Luftpfadmodells ist die Regeldifferenz e = ysoll,f – y bei Sollwertfolge annähernd Null. Daher können einfache Reglerstrukturen eingesetzt werden, die modellbasiert oder empirisch am Prüfstand eingestellt werden können. In der Vergangenheit wurde bereits gezeigt, dass einfache kennfeldbasierte PID-Regler für eine Luftmassen- und Ladedruckregelung geeignet sind und eine für den Fahrzyklus gute Regelgüte liefern [9, 18]. Auch zur Regelung der homogenen Dieselverbrennung hat sich gezeigt, dass dezentrale PID-Regler zur Regelung des Störverhaltens und zur Kompensation der Modellunsicherheiten eine hohe Regelgüte haben, wobei in diesem Fall die Reglerparameter empirisch am Motorprüfstand eingestellt werden. Dabei werden die Regler sequentiell geschlossen, wobei zuerst der AGR-Raten-Regler, aufgrund der höheren Dynamik der AGRRegelstrecke G22, geschlossen wird. Die Struktur des realisierten Mehrgrößenreglers ist in Bild 11-12 gezeigt. Neben den dezentralen Reglern werden eine statische Entkopplung und ein Anti-Windup realisiert.
280
11 Brennraumdruckregelung von Dieselmotoren
Bild 11-12: Regelungsstruktur, bestehend aus dezentralen PID-Reglern (R11 und R22), einer statischen Entkopplung (R21 und R12) sowie einer Anti-Windup-Funktionalität
Zur Identifikation der Regelstrecke wurden die Eingangsgrößen über einen zuvor bestimmten nichtlinearen Zusammenhang zwischen jeweiliger Stell- und Ausgangsgröße transformiert, um somit eine höhere Modellgüte zu erzielen. Folglich müssen die über die nichtlineare modellbasierte Vorsteuerung berechneten Vorsteuerwerte uVS über die jeweilige Inverse zurück transformiert werden. Diese Rücktransformation wird zugunsten der Reglerparametrierung nach der Addition aus Vorsteuerwert und Reglerstellgröße durchgeführt (siehe Bild 11-12). Somit kann auf eine arbeitspunktabhängige Anpassung der Reglerparameter, über z.B. ein Kennfeld, verzichtet werden.
11.5.3 Regelung der Verbrennungsschwerpunktlage Die verwendete Regelungsstruktur zur Regelung der Verbrennungsschwerpunktlage ist in Bild 11-13 dargestellt. Sie basiert auf einer Vorsteuerung und einem adaptiven Rasterkennfeld, welches abhängig von der Regelabweichung die Vorsteuerung korrigiert und die Korrekturwerte betriebspunktabhängig speichert [8, 19].
Bild 11-13: Regelungsstruktur zur Regelung der Verbrennungsschwerpunktlage ϕQ50
11.5 Regelung der homogenen Dieselverbrennung
281
Bild 11-14: Zweidimensionales Rasterkennfeld mit den Stützstellenpositionen c1,1,...c1,M1 bzw. c2,1,...c2,M2 und den Stützstellenhöhen Θk,l
p Das adaptive Rasterkennfeld besteht im Allgemeinen aus M = ∏ i =1 M i Stützstellen, durch die ein nichtlinearer Zusammenhang abgebildet werden kann. Sie befinden sich auf äquidistanten und orthogonal zueinander liegenden Gitterlinien. Die Anordnung der Gitterlinien sowie die Stützstellenhöhen werden im Steuergerät abgelegt. In der Regel werden zweidimensionale Kennfelder (p = 2) verwendet. Das heißt, das Kennfeld besitzt zwei arbeitspunktspezifische Eingangsgrößen x und y. Das Bild 11-14 zeigt ein solches Rasterkennfeld mit den Stützstellenpositionen c1,1,...c1,M1 bzw. c2,1,...c2,M2 und den Stützstellenhöhen Θk,l, wobei k,l = 1,...,M1,2 ist. Zur Berechnung des Kennfeldausgangs
u ( x , y ) = Θ k ,l ⋅
Ak +1,l +1 A
+ Θ k +1,l ⋅
Ak ,l +1 A
+ Θ k ,l +1 ⋅
Ak +1,l A
+ Θ k +1,l +1 ⋅
Ak ,l A
(11.22)
im Betriebspunkt (x,y) werden nur die benachbarten Stützstellen Θk,l, Θk+1,l, Θk,l+1 und Θk+1,l+1 berücksichtigt und diese mit den Teilflächen Ak+1,l+1, Ak,l+1, Ak+1,l und Ak,l, welche auf die Gesamtfläche A normiert sind, gewichtet. Die Teilflächen Ak +1,l +1 = ( c1,k +1 − x ) ⋅ ( c2,l +1 − y ) Ak ,l +1 = ( x − c1,k ) ⋅ ( c2,l +1 − y )
Ak +1,l = ( c1,k +1 − x ) ⋅ ( y − c2,l )
(11.23)
Ak ,l = ( x − c1,k ) ⋅ ( y − c2,l )
ergeben sich aus den Stützstellenpositionen und den arbeitspunktspezifischen Größen (x,y).
282
11 Brennraumdruckregelung von Dieselmotoren
Die Gesamtfläche
A = Ak +1,l +1 + Ak ,l +1 + Ak +1,l + Ak ,l
(11.24)
wird aus den Teilflächen bestimmt. Die Berechnung des Kennfeldausgangs kann allgemein als Basisfunktionenansatz u ( x, y ) =
M
¦ wi ⋅ Φi ( x, y, c )
(11.25)
i =1
geschrieben werden, wobei wi die Stützstellenhöhen und Φi(x,y,c) die Basisfunktionen bzw. die normierten Teilflächen sind. Die Stützstellenhöhen wi ( k + 1) = wi ( k ) + β ⋅ e ( k ) ⋅
¦
(
)
Φ i x, y , c M Φ 2 x, y , c j =1 j
(
)
(11.26)
werden zur Regelung mit dem NLMS (Normalized-Least-Mean-Squares)-Verfahren, welches eine gleich bleibende Fehlerreduktion gewährleistet, in Abhängigkeit der Regelabweichung e(k) adaptiert. Dabei ist β eine einzustellende Lernrate und Φi(x,y,c) die Gewichtungsfunktion bzw. die normierte Teilfläche. Damit in jedem Adaptionsschritt eine gleich bleibende Fehlerreduktion erreicht wird, wird die Gewichtungsfunktion, wie in Gl. (11.26) dargestellt, normiert. Wird nun die Gl. (11.22) in Gl. (11.26) eingesetzt, so ergibt sich nach kurzer Umformung u ( k + 1) = u ( k ) + β ⋅ e ( k ) .
(11.27)
Das adaptive Kennfeld wirkt somit in einem festen Arbeitspunkt wie ein herkömmlicher I-Regler, der aufgrund des statischen Ein-/Ausgangsverhaltens ϕQ50 = f(ϕEB) = aϕEB+b der Regelstrecke die geforderte Regelgüte liefert [19]. Die Verbrennungsschwerpunktlage ϕQ50 wird bei konventioneller Dieselverbrennung in der Regel in Abhängigkeit des Arbeitspunktes (Einspritzmenge qB bzw. αped und Drehzahl n) eingestellt. Im homogenen Betrieb hat die Luftmasse zusätzlich einen großen Einfluss auf die Verbrennungsschwerpunktlage ϕQ50, da die Verbrennung mit sehr hohen AGR-Raten und geringer Luftmasse betrieben wird. Daher wird eine Vorsteuerung entworfen, die in Abhängigkeit der Einspritzmenge, der Drehzahl und des gemessenen Luftmassestroms m L den Einspritzwinkel weitestgehend vorsteuert. Die Vorsteuerung basiert auf einem statischen Kennfeld und einer Dynamikkompensation von Luftmasse zu Einspritzwinkel.
11.6 Ergebnisse der Regelung Die Ergebnisse der Regelung der homogenen Kompressionszündung entstanden am Motorprüfstand des Instituts für Automatisierungstechnik der TU Darmstadt. Die Mehrgrö-
11.6 Ergebnisse der Regelung
283
ßenregelung der Luftmasse und der AGR-Rate wurden auf einem RCP (Rapid-ControlPrototyping)-System von dSpace implementiert, wobei die Regelung der Verbrennungsschwerpunktlage auf einem RCP-System von ETAS realisiert und im Bypass betrieben wurde. Das Bild 11-15 zeigt die Regelgrößen Luftmasse mL und AGR-Rate rAGR beim Übergang von konventioneller zu homogener Dieselverbrennung und umgekehrt. Die Regelgrößen folgen den, durch die nichtlineare modellbasierte Vorsteuerung, gefilterten Sollwerten ysoll,f = [mL,f, rAGR,f] sehr gut. Die Vorsteuerung nutzt den eingeschränkten Regelbereich vollständig aus. Der Regler reagiert lediglich auf Modellunsicherheiten und Störungen, die auf den Prozess wirken. Neben den Vorsteuergrößen uVS und den Stellgrößen des Reglers uR sind die Wege des AGR-Ventils sAGR und der Drosselklappe sDK, die unterlagert geregelt sind, dargestellt.
Bild 11-15: Ergebnisse der Luftpfad-Regelung zur Realisierung der homogenen Kompressionszündung am Dieselmotor. Der Zeitschrieb zeigt den Übergang von konventioneller zu homogener Dieselverbrennung und umgekehrt, mit den Regelgrößen Luftmasse mL und AGR-Rate rAGR, den Stellgrößen, bestehend aus Vorsteuergrößen uVS und Stellgrößen des Reglers uR im Arbeitspunkt n = 2000 min–1 und qB = 10 mm3/Hub
Das Bild 11-16 zeigt die Ergebnisse der Verbrennungsschwerpunktlageregelung bei Übergang von homogener zu konventioneller Dieselverbrennung und umgekehrt. Die mittlere Grafik 11-16b repräsentiert das Verhalten der Vorsteuerung ohne adaptives Kennfeld als I-
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11 Brennraumdruckregelung von Dieselmotoren
Regler. Sie ist stationär genau und folgt dem Sollwert ϕQ50,soll von 10° Kurbelwinkel im Mittel gut. Auch die Dynamikkompensation liefert gute Ergebnisse im Bereich der Übergänge. Die untere Grafik 1-16c zeigt die Ergebnisse der gesamten Regelung. Durch das adaptive Kennfeld werden Ungleichverteilungen der AGR-Rate in den einzelnen Zylindern, die einen großen Einfluss auf die Verbrennungsschwerpunktlage haben, ausgeregelt. Weiterhin ist zu erkennen, dass die Dynamik in den Übergängen verbessert wird. Bild 11-17 zeigt die Unterschiede in den Ruß- und Stickoxidemissionen sowie im Drehmoment in einem festen Arbeitspunkt (n = 2000 min–1 qB = 10 mm3/Hub), wobei 100% der Bezugspunkt bei konventioneller Dieselverbrennung ist. Im stationären Arbeitspunkt können die Ruß- und Stickoxidemissionen gleichzeitig und deutlich gesenkt werden, wobei das Drehmoment M bei konstanter Einspritzmenge gleich bleibt. Die Emissionen im dynamischen Betrieb zeigt Bild 11-18. Zur Bewertung wurde der NEDC-Testzyklus am Prüfstand abgefahren sowie die kumulierten und auf den Luftmassenstrom bezogenen Rohemissionen betrachtet. Dabei wurde der Motor im Mischbetrieb und somit, je nach Arbeitspunkt, mit homogener oder konventioneller Dieselverbrennung betrieben. Es zeigt sich, dass die Ruß- sowie die Stickoxidemissionen im Vergleich zum stationären Betrieb zunehmen, jedoch deutlich geringer sind als beim herkömmlichen Betrieb des Dieselmotors. Die Zunahme gegenüber dem stationären Betrieb liegt zum einen in den Übergängen zu homogener bzw. konventioneller Dieselverbrennung begründet. Zum anderen sind in den kumulierten Emissionen 25% der Betriebspunkte mit konventioneller Dieselverbrennung betrieben worden.
Bild 11-16: Ergebnisse der Verbrennungsschwerpunktlageregelung zur Realisierung der homogenen Kompressionszündung am Dieselmotor. Der Zeitschrieb zeigt: a) den Übergang von konventioneller zu homogener Dieselverbrennung und umgekehrt, b) den Betrieb der Vorsteuerung ohne adaptives Kennfeld, c) die komplette Regelung der Verbrennungsschwerpunktlage ϕQ50 mit Vorsteuerung und adaptivem Kennfeld als I-Regler im festen Arbeitspunkt n = 2000 min–1 und qB = 10 mm3/Hub
11.7 Zusammenfassung
285
Bild 11-17: Vergleich der Rohemissionen und des Drehmomentes M (bei konstanter Einspritzmenge) bei homogener und konventioneller Dieselverbrennung im stationären Betrieb bei einer Drehzahl n = 2000 min–1 und einer Einspritzmenge von qB = 10 mm3/Hub
Bild 11-18: Vergleich der Ruß- und Stickoxidrohemissionen im NEDC-Testzyklus bei konventioneller Verbrennung und im Mischbetrieb, bestehend aus homogener (HCLI) und konventioneller Dieselverbrennung
11.7 Zusammenfassung Die homogene Dieselverbrennung (Kompressionszündung) stellt eine innermotorische Maßnahme dar, mit der eine gleichzeitige Reduktion von Ruß- und Stickoxidemissionen bei gleich bleibendem Wirkungsgrad erzielt werden kann. Für einen stabilen homogenen Dieselbetrieb im Serienfahrzeug wird die Messung des Brennraumdrucks zur Berechnung von Verbrennungsmerkmalen zur Regelung notwendig. In diesem Kapitel wird die Verbrennungsschwerpunktlage zur Regelung der homogenen Verbrennung aus dem Druck extrahiert. Über eine Vorsteuerung und ein adaptives Rasterkennfeld, das wie ein IRegler im festen Arbeitspunkt wirkt, wird die Verbrennungsschwerpunktlage arbeitsspielsynchron geregelt.
286
11 Brennraumdruckregelung von Dieselmotoren
Das vom Zylinder angesaugte Gasgemisch und damit die Luftmasse und die Abgasrückführrate haben einen großen Einfluss auf die homogene Verbrennung und den Grad der Homogenisierung. Deshalb müssen sie genau einstellbar geregelt werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die Luftmasse und die AGR-Rate zur Realisierung des homogenen Dieselbetriebs neben der Verbrennungsschwerpunktlage als weitere Regelgrößen eignen. Mittels eines datenbasierten lokal-affinen Modellansatzes wird das Luftsystem mit der Drosselklappe und dem AGR-Ventil als Eingangsgrößen sowie der Luftmasse und der AGR-Rate als Ausgangsgrößen abgebildet. Dabei wird die AGR-Rate anhand des Brennraumdrucks bestimmt. Durch die datenbasierte Modellbildung wird ein Zustandsraummodell in parameterveränderlicher Form erzeugt, das eine minimale Zustandsraumrealisierung besitzt und zur Regelung eingesetzt wird. Mit der nichtlinearen modellbasierten Vorsteuerung, die auf dem identifizierten parameterveränderlichen Zustandsraummodell basiert, werden Vorsteuerstellgrößen sowie gefilterte Sollwerte zur Regelung berechnet. Für die Regelung werden dezentrale PID-Regler eingesetzt, die statisch entkoppelt werden. Aufgrund der hohen Modellgüte und somit der hohen Güte der Vorsteuerung wird der Regler bezüglich Modellunsicherheiten und Störungen ausgelegt. Die Regelung wurde am Motorprüfstand des Instituts für Automatisierungstechnik der TU Darmstadt realisiert und an einem seriennahen Common-Rail Dieselmotor getestet. Im stationären sowie im dynamischen Betrieb (im NEDC-Testzyklus) konnte eine gleichzeitige Reduktion von Ruß- und Stickoxidemissionen bei gleich bleibender Effizienz realisiert werden.
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288
12 Steuerung und Regelung von Automatikgetrieben WOLF-DIETER GRUHLE
Automatikgetriebe sind mittlerweile zu einem integralen Bestandteil des Antriebsstranges geworden und tragen mit ihrer Betriebsweise und den vielfältigen Möglichkeiten der elektronischen Steuerung und Regelung maßgeblich zu einer komfortablen, wirtschaftlichen und umweltschonenden Betriebsweise bei. Neben der konstruktiven Gestaltung der Automatikgetriebe, wie Radsatzauslegung und wirkungsgradoptimierte Komponenten bestimmen Steuerung und Regelung zunehmend entscheidende Merkmale des Produkts und seiner Funktionsweise. Eine wesentliche Funktionalität, die der Fahrer spürt, ist die Auswahl des richtigen Ganges. Hier müssen unterschiedliche Kriterien wie Leistung, Fahrbarkeit und Kraftstoffverbrauch berücksichtigt werden, um die Schaltpunkte in allen Fahrsituationen optimal zu gestalten. Ebenso wichtig ist der Wechsel von einem Gang zum nächsten. Auch dieser Vorgang wird vom Fahrer bewusst wahrgenommen. Eine optimale Schaltqualität in allen Betriebspunkten ist die Aufgabe der Schaltqualitätssteuerung. Die Kupplungsdrücke zur Modulation der Drehmomente sind in Verbindung mit der Drehmomentsteuerung des Verbrennungsmotors optimal auf die Betriebspunkte (Zug, Schub, Last, Drehzahl) anzupassen. Eine umweltschonende Betriebsweise des Automatikgetriebes wird neben einer optimalen Schaltpunktauslegung auch dadurch ermöglicht, dass prinzipbedingte Verluste durch konstruktive und regelungstechnische Verfahren minimiert werden. Deshalb besitzen moderne Automatikgetriebe heute eine Wandlerüberbrückungskupplung, die den Wandlerschlupf, je nach Betriebspunkt, ganz ausschaltet, oder über eine Schlupfregelung einen weitestgehend überbrückten Zustand herstellt. Weiter werden die Stillstandsverluste minimiert, indem über eine sog. Standabkopplung der Wandlerschlupf eliminiert wird, indem die Getriebeeingangskupplung in einen nahezu geöffneten Zustand geregelt wird. Insgesamt sind moderne Automatikgetriebe durch konstruktive und regelungstechnische Maßnahmen soweit ausgereift, dass sie Handschaltgetrieben in Bezug auf Komfort und Wirtschaftlichkeit in nichts nachstehen und zum Teil sogar überlegen sind.
12.1 Auswahl des richtigen Ganges Der Gang des Getriebes legt in Verbindung mit Motorcharakteristik und Fahrwiderstand die Antriebsleistung und das Beschleunigungsvermögen des Fahrzeugs fest. Wesentliche Kriterien für diese Festlegung sind maximal mögliche Fahrleistung und günstigster Verbrauch. Darüber hinaus soll unabhängig vom gewählten Schaltprogramm stets die maxi-
12.1 Auswahl des richtigen Ganges
289
male Leistung verfügbar sein, was über die Kickdown-Funktion dargestellt wird. Im Sinne eines harmonischen Fahrverhaltens soll Schaltpendeln in allen Fahrsituationen vermieden werden. Das Schaltprogramm wird in Form von Kennlinien der Gaspedalstellung (Laststellung) über der Fahrgeschwindigkeit dargestellt. Sie werden ermittelt, indem man aus den Leistungs- und Verbrauchsdaten des Verbrennungsmotors, den Wandlerkennlinien, den Getriebeübersetzungen und den Fahrzeugdaten die Grenzkurven optimalen Verbrauchs einerseits und der optimalen Leistungsausnutzung andererseits ermittelt. Dies führt zu zwei unterschiedlichen Schaltprogrammen mit einer Hysterese zwischen der jeweiligen Hoch- und Rückschaltkennlinie. Bild 12-1 zeigt den prinzipiellen Verlauf für ein 6-Ganggetriebe.
Bild 12-1: Schaltkennlinien eines 6-Ganggetriebes mit Economy- (oben) und Sportprogramm (unten); Hochschaltung: durchgezogene Linie, Rückschaltung: gestrichelte Linie
290
12 Steuerung und Regelung von Automatikgetrieben
Während man früher die grundsätzliche Charakteristik (E oder S) mit einem Programmwahltaster selbst anwählen konnte, geht heute die Tendenz dahin, auch diesen Vorgang zu automatisieren. Dazu gibt es zwei Funktionsbereiche, zum einen die selbsttätige Bestimmung des Schaltprogramms, wobei heute nicht nur zwei, sondern fünf oder mehr Sätze von Schaltkennlinien zur Darstellung von Zwischenstufen realisiert werden. Zum anderen werden je nach Fahrsituation unabhängig von der Gangwahl aus der Schaltkennlinie direkte Beeinflussungen des Ganges vorgenommen, um spontan auf bestimmte Ereignisse reagieren zu können. Zur Schaltprogrammauswahl werden Größen herangezogen, aus denen man durch Auswerten bestimmter Signalcharakteristika den Fahrertyp sowie sein Verhalten charakterisieren kann. Dies sind z.B. Gaspedalaktivität, Längs- und Querbeschleunigung oder Bremsaktivität. Zur Berücksichtigung von Sondersituationen werden z.B. Gaspedalgradient, Kurvenfahrt o.ä. berücksichtigt. Außerdem werden bestimmte Fahrsituationen wie Warmlauf, Stop&Go, Niedrigreibwert usw. identifiziert und zur Gangbeeinflussung herangezogen. Alle diese Funktionen gestatten es, bei grundsätzlich gleicher Getriebe-Hardware unterschiedliches Fahrverhalten darzustellen. Die Möglichkeiten sind so vielfältig, dass ein manuelles Eingreifen, wie es früher üblich war, praktisch nicht mehr notwendig ist. Um die Attraktivität des Automatikgetriebes weiter zu erhöhen, werden manuelle Eingriffsmöglichkeiten heute trotzdem angeboten. Dabei sind Begrenzungen möglich, d.h automatisches Schalten bis zum limitierten Gang, oder eine direkte Gangwahl. Letztere werden als absolute Vorgabe, z.B. über einen Wählhebel, oder als relative Vorgabe über eine Tippfunktion realisiert. Auf diese Weise hat der Fahrzeughersteller viele Möglichkeiten, das Automatikgetriebe entsprechend seiner Fahrzeugcharakteristik attraktiv darzustellen.
12.2 Schaltablaufsteuerung Schaltungen von Automatikgetrieben (und Doppelkupplungsgetrieben) finden als sogenannte Lastschaltungen statt, d.h. der Fahrer bleibt während der Schaltung auf dem Gas. Der Gangwechsel erfolgt durch Übergabe des Kraftflusses von einem Reibelement (Kupplung oder Bremse, im Folgenden nur noch Kupplung genannt) zum nächsten. Der spezielle Aufbau des Getriebes mit mehreren Reibelementen, Bild 12-2, ermöglicht diese Art der Schaltung ohne Unterbrechung des Kraftflusses [1]. Die Aktuierung der Reibelemente erfolgt elektrohydraulisch, wobei elektrische Druckregler als Schnittstelle zwischen elektronischem und hydraulischem Steuergerät einen elektrischen Strom in einen hydraulischen Druck umsetzen. Nachfolgende Kupplungsventile dienen als hydraulische Verstärker, um den erforderlichen Volumenstrom bereitzustellen. Bevor eine Kupplung ein Drehmoment übertragen kann, müssen erst die Leitungen vom hydraulischen Steuergerät bis zum Kolbenraum befüllt und die Kraft der Rückdruckfeder überwunden werden.
12.2 Schaltablaufsteuerung
291
Bild 12-2: ZF-Automatikgetriebe 6HP26, Darstellung der wesentlichen Komponenten mit Getriebeschema
Solange an der Kupplung eine Drehzahldifferenz besteht, lautet der Zusammenhang zwischen Druck p und Moment M einer rutschenden Kupplung: M = z · μ · r · A · p,
(12.1)
wobei z die Lamellenzahl, μ der Reibwert, r der Radius und A die Fläche der Kupplung ist. Die grundlegenden Abläufe einer Lastschaltung werden am Beispiel einer ZugHochschaltung behandelt. Die Schaltung, Bild 12-3, besteht neben der Füllphase aus einer Lastübernahme (Wechsel von einer Kupplung zu einer anderen) und dem eigentlichen Gangwechsel, d.h. der Drehzahlangleichung der Eingangsdrehzahl ne im neuen Gang (Rutschphase). Dabei ist ne je nach Getriebebauart die Turbinendrehzahl (Automatikgetriebe mit Wandler) oder die Motordrehzahl (Doppelkupplungsgetriebe). Weitere Eingangsgrößen der elektronischen Getriebesteuerung sind die Abtriebsdrehzahl nAb, die Motordrehzahl nMot, das Drehmoment des Motors MMot und die Stellung des Fahrpedals (Gaspedals) Įped.
292
12 Steuerung und Regelung von Automatikgetrieben
Bild 12-3: Grundsätzlicher Verlauf einer Lastschaltung mit charakteristischem Verlauf von Drücken und Drehzahlen (Beispiel Zug-Hochschaltung in den direkten Gang)
Eine wesentliche Stellgröße zur Beherrschung der Lastschaltung ist der Druck der zuschaltenden Kupplung p2, der zum einen das Eingangsmoment Me (Produkt aus Motormoment MMot und Wandlerverstärkung ȝW) abstützen muss, und zum anderen das dynamische Moment aufbringen muss, das die Drehzahlreduzierung während des Gangwechsels bewirkt. Bei diesem Vorgang spielen Kriterien wie Reibarbeit und Reibleistung, Schleifzeit ts und Fahrzeuglängsbeschleunigung eine Rolle. Damit werden die teils gegenläufigen Anforderungen aus Kupplungsbelastung und Schaltkomfort berücksichtigt. Zur Berechnung des Schaltdrucks p2 wird zunächst angenommen, dass die Lastübernahme abgeschlossen ist (p1 = 0, M1 = 0), und dass sich die Fahrzeuggeschwindigkeit während der Rutschphase nicht wesentlich ändert. Dann ergibt sich folgende Momentenbilanz: J e ⋅ 2π ⋅ ne = M e − M 2 .
(12.2)
Dabei bezeichnet Je das eingangsseitige Trägheitsmoment, Me das eingangsseitige Drehmoment und M2 das Drehmoment an der zuschaltenden Kupplung K2.
12.2 Schaltablaufsteuerung
293
Man erkennt, dass für Me = M2 die rechte Seite Null wird, damit ist ne konstant. Das ist genau am Ende der Lastübernahme der Fall. Für M2 > Me wird die rechte Seite negativ, was einen abfallenden Drehzahlgradient zur Folge hat. Unter der Annahme, dass die Drehzahl ne näherungsweise geradlinig innerhalb der Schleifzeit ts von i1 · nAb nach i2 · nAb abfällt, ergibt sich für den Schaltdruck p2 M Mot ⋅ μ W − J e ⋅ 2π ⋅ (i2 − i1 ) p2 =
z⋅μ ⋅r⋅ A
nAb ts
(12.3)
Aus dieser Gleichung lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen: Der linke Term beschreibt die Abstützung des Eingangsmoments, der rechte Term den dynamischen Anteil für die Drehzahländerung. Er ist definitionsgemäß negativ, führt also zu einem größeren Druck. Je kürzer die Schaltzeit ts ist, desto größer muss der Schaltdruck werden. Dieser Tendenz sind aus physikalischen und konstruktiven Gründen Grenzen gesetzt. Wird der Druck zu groß, also die Schaltung zu kurz, erhöht sich die Reibleistung, und die Kupplung kann durch Hotspots geschädigt werden, außerdem ergibt sich eine schlechtere Schaltqualität. Andererseits kann die Schaltung auch nicht beliebig lang gemacht werden. Dieser aus Sicht der Schaltqualität zunächst günstige Fall kann aber durch eine zu hohe Schaltarbeit zum Verbrennen der Kupplung führen. Ein typischer Wert für die Schleifzeit ist ts = 0,5 s. Weiter ist zu beachten, dass der Druck p2 proportional zum Abtriebsmoment ist, und damit direkt die Schaltqualität beeinflusst. Dieser physikalische Effekt wird als Momentenüberhöhung direkt vom Fahrer wahrgenommen. Die Druckabstimmung hat also so zu erfolgen, dass einerseits die Schaltung nicht zu lang wird, und andererseits der Schaltruck (Momentenüberhöhung) nicht zu groß wird. Die Beeinflussung zweier Zielgrößen mit einer Stellgröße erfordert immer einen gewissen Kompromiss. Für eine weitere Optimierung wird deshalb eine zusätzliche Stellgröße geschaffen. Aus der obigen Gleichung ist ersichtlich, dass man durch eine Reduzierung des Motormoments MMot den Schaltdruck so anpassen kann, dass sowohl Schleifzeit als auch Schaltqualität optimal eingestellt werden können. Die Beeinflussung des Motormoments erfolgt durch Verstellung des Zündwinkels bei Benzinmotoren und der Einspritzzeit bei Dieselmotoren. Hierzu gibt die Getriebesteuerung während der Rutschphase einen Stellbefehl an die Motorsteuerung, die kurzzeitig und hochdynamisch die geforderte Momentenreduzierung ausführt. Gleichung (12.3) beschreibt als eindeutige Rechenvorschrift die Ermittlung des Schaltdrucks für jeden Last- und Drehzahlfall. Aufgrund von Mess-Ungenauigkeiten der Drehzahlen, die sich entweder direkt (nAb) oder indirekt über das Wandlerkennfeld (nMot, nT) auswirken sowie Änderungen relevanter Größen über der Lebensdauer ist eine einmalige Bestimmung der Parameter für alle Streuungen und Toleranzlagen nicht ausreichend. Als wesentliche Größe ist hier der Reibwert ȝ der Kupplungslamellen zu nennen. Wird er zu groß, ist auch das Kupplungsmoment zu groß, die Schaltung wird hart und unkomfortabel. Bei zu kleinem Reibwert wird das Kupplungsmoment zu klein, es besteht die Gefahr, dass die Schaltung zu lang wird und die Kupplung verbrennt. Viele Parameter beeinflussen den Reibwert. Dabei sind sowohl die Lamellen als auch das Öl (Grundöl, Additive) entscheidend. Über die Alterung und Verschmutzung kommen weitere Effekte
294
12 Steuerung und Regelung von Automatikgetrieben
über der Lebensdauer dazu. Da man keinen eindeutig reproduzierbaren Zusammenhang angeben kann, sind steuerungs- und regelungstechnische Maßnahmen erforderlich, um diese Schwankungen auszugleichen. Ähnlich ungünstig wirken sich Abweichungen des Motormoments MMot aus, die durch ungenaue Kenntnis oder durch den Einfluss von Nebenverbrauchern die Schaltung stören und damit die Schleifzeit ungünstig beeinflussen. Es liegt daher nahe, zusätzlich zu der gesteuerten Schaltdruckbestimmung über Gleichung (12.3) eine Regelung einzuführen, die die beschriebenen Effekte ausgleicht. Als geeignete Regelgröße hat sich die Ableitung der Eingangsdrehzahl
ne =
dne dt
herausgestellt, denn die Schleifzeit ts steht erst am Ende der Schaltung zur Verfügung. Da für jede Schaltung die Drehzahlen, die Übersetzungen und die vorgegebene Schleifzeit bekannt sind, lässt sich ein Sollwert für die Ableitung der Eingangsdrehzahl eindeutig angeben. Zusammen mit dem gesteuerten Schaltdruck aus Gleichung (12.3) ergibt sich das in Bild 12-4 dargestellte Blockschaltbild für die „geregelte Lastschaltung“. Man erkennt neben dem gesteuerten Anteil des Schaltdrucks p2, St (nach Gl. (12.3)) den Reglerdruck pR, der die Abweichung des Drehzahlverlaufs der Eingangsdrehzahl ausregelt. Als Regelgröße muss die Ableitung dieser Drehzahl über ein D-T1-Filter ermittelt werden.
Bild 12-4: Blockschaltbild der geregelten Lastschaltung
Diese Anordnung bietet den Vorteil, dass bei einer Schaltung, die durch eine oder mehrere der oben genannten Einflüsse verstimmt ist, bereits während der Schaltung ein korrigierender Eingriff über den Regeldruck erfolgt, Bild 12-5. Falls beispielsweise der Reibwert der Kupplung μ zu klein ist, wird damit auch das Kupplungsmoment zu klein, was zu einem flacheren Drehzahlgradienten führt. Durch den unmittelbar eingreifenden Reg-
12.2 Schaltablaufsteuerung
295
ler wird der Schaltdruck p2 erhöht, und der Drehzahlverlauf wird wieder dem ursprünglichen Verlauf angeglichen. Es ist zu beachten, dass auf diese Weise die Sollschleifzeit nicht ganz erreicht wird. Diese minimale Abweichung wird jedoch mit Rücksicht auf die Schaltqualität in Kauf genommen, und der Schaltverlauf ist immer noch deutlich besser als ohne Reglereingriff.
Bild 12-5: Typischer Verlauf einer geregelten Lastschaltung bei Abweichung des Kupplungsreibwertes
Eine weitere Verbesserung der Schaltung lässt sich erreichen, wenn man dafür sorgt, dass der gesteuerte Anteil des Schaltdrucks gleich zu Beginn der Schaltung im richtigen Maß eingestellt wird. Dann braucht der Regler gar nicht erst einzugreifen bzw. sein Eingriff kann deutlich geringer ausfallen. Der Grundgedanke dieses Ansatzes ist die Tatsache, dass Änderungen des Motormoments oder des Reibwertes (z.B. aufgrund von Alterung) keine hochdynamischen Vorgänge sind. Somit lassen sich Erkenntnisse von einer Schaltung zur nächsten übertragen und die Schaltdrücke passen sich langfristig an solche Veränderungen an. Beim Entwurf einer solchen Adaption [2] benötigt man zunächst ein geeignetes Adaptionskriterium. Da eine direkte Bestimmung z.B. des Reibwertes nicht möglich ist, muss ein indirektes Kriterium gewählt werden. In diesem Fall stellt der gemittelte Reglerdruck ein geeignetes Maß dafür dar, wie groß die Abweichungen im Schaltungsablauf waren, und wie viel Eingriff durch den Regler erforderlich war. Man erhält den gemittelten Reglerdruck durch Integration und Division durch die Schleifzeit: t
pR =
1 S ⋅ pR (t ) ⋅ dt tS ³ 0
(12.4)
296
12 Steuerung und Regelung von Automatikgetrieben
Der so ermittelte Wert wird gefiltert und in einer Tabelle abgelegt. Hier wird typischerweise für jede Schaltung eine definierte Anzahl von Werten in Abhängigkeit von Last und Drehzahl vorgesehen. Auf diese Weise kann jede Schaltung (bzw. die jeweils beteiligte Kupplung) individuell und betriebspunktabhängig adaptiert werden. Das Einschreiben der Druckwerte in diese Tabelle kann nur unter bestimmten Bedingungen erfolgen. Diese sorgen dafür, dass die Adaption nicht durch andere Effekte gestört wird. Es werden nur solche Schaltungen berücksichtigt, deren Drehmoment oberhalb einer bestimmten Schwelle lag, wenn die Drehmomentänderung während der Schaltung nur klein war, und wenn kein Wechsel der Schaltungsart (Zug-Schub) vorkam. Das Auslesen der adaptierten Druckwerte findet allerdings bei jeder Schaltung statt. Die hier beschriebenen Verfahren zur Steuerung, Regelung und Adaption gelten nicht nur für die Zug-Hochschaltung, sondern sinngemäß auch für die Zug-Rückschaltung und für die Schubschaltungen. Bei der Zug-Rückschaltung wird der Anteil des dynamischen Moments abgezogen, damit die Drehzahl auf den neuen Synchronpunkt hochlaufen kann. Bei den Schubschaltungen gelten vergleichbare Vorgänge mit umgekehrtem Vorzeichen des Momentenflusses.
12.3 Geregelte Wandlerkupplung Der hydrodynamische Drehmomentwandler ist bis heute ein bewährtes Element zur Verbindung des Verbrennungsmotors mit dem Automatikgetriebe, Bild 12-6.
Bild 12-6: Hydrodynamischer Drehmomentwandler mit Wandlerüberbrückungskupplung (WK)
12.3 Geregelte Wandlerkupplung
297
Er ermöglicht ein weiches komfortables Anfahren, bietet bei entsprechender Lastanforderung eine Überhöhung des Drehmoments und dämpft die Drehungleichförmigkeiten, die durch die diskontinuierliche Arbeitsweise des Verbrennungsmotors entstehen. Diesen Vorteilen steht ein entscheidender Nachteil gegenüber. Die Arbeitsweise des Wandlers beruht auf einer bauartbedingten Drehzahldifferenz zwischen der Pumpe (mit dem Motor verbunden) und der Turbine (mit dem Getriebe verbunden). Zur Vermeidung der damit verbundenen Verlustleistung wurde die Wandlerüberbrückungskupplung (WK) eingeführt, die ab einer bestimmten Drehzahl geschlossen wird. Ein Schließen der WK ist bei tiefen Drehzahlen nicht mehr zulässig, da die Drehungleichförmigkeiten des Verbrennungsmotors nicht mehr genügend gedämpft werden. Aus diesem Grund wurde die geregelte Wandlerkupplung (GWK) entwickelt. Sie ermöglicht durch Regelung auf einen minimalen Schlupf einen nahezu überbrückten Betrieb, bei gleichzeitig ausreichender Dämpfung der Drehungleichförmigkeit. Auf diese Weise konnten die Betriebsbereiche, in denen die WK überbrückt ist, deutlich erweitert werden, Bild 12-7.
Bild 12-7: Betriebszustände einer Wandlerüberbrückungskupplung (WK), Prinzipdarstellung
Neben dem offenen Betrieb beim Anfahren und dem vollständig überbrückten Zustand bei hohen Drehzahlen gibt es nun bei mittleren Drehzahlen einen schlupfgeregelten Betrieb. Zusätzlich wird in diesem Drehzahlbereich bei hohen Lastanforderungen die Möglichkeit einer offenen WK zugelassen, um die Momentenüberhöhung des Wandlers für Beschleunigungsvorgänge zu nutzen. Die zusätzliche Kraftstoffeinsparung hängt außer von der Größe des Betriebsbereichs „Geregelt“ auch von der Aufenthaltsdauer in diesem Bereich ab und kann je nach Abstimmung mehrere Prozent betragen. Aufgrund der Ähnlichkeit der Darstellung der Bereiche (Moment bzw. Motorlast über Drehzahl) wie bei den Schaltkennlinien (Bild 12-1) werden auch die WK-Zustände über entsprechende Kennlinien parametriert. In Bezug auf das Fahrverhalten ist eine gemeinsame Abstimmung der Schalt- und WK-Kennlinien erforderlich. Im Zustand „WK geregelt“ wird nach einem Füllvorgang (ähnlich wie bei den Schaltkupplungen) das Moment an der WK über einen kontinuierlichen hydraulischen Druck eingestellt. Als Regelgröße wird die Differenzdrehzahl nd = nMot – nT zwischen Motor-
298
12 Steuerung und Regelung von Automatikgetrieben
und Turbinendrehzahl gewählt. Die ursprüngliche Regelkreisstruktur enthielt einen PIRegler sowie eine Vorsteuerung, die im Wesentlichen die Einflüsse des Motormoments berücksichtigt, Bild 12-8.
Bild 12-8: Regelkreis der geregelten Wandlerüberbrückungskupplung (GWK). Regelgröße nd = nMot – nT
Die Anforderungen an die Dynamik des Regelkreises sind recht hoch. Zum einen muss der Druck an der WK sehr schnell auf die vom Fahrer vorgegebenen Änderungen des Motormoments reagieren, zum andern muss unbedingt vermieden werden, dass die Wandlerkupplung bei ungünstigen dynamischen Vorgängen „zufällt“, was sofort zu unkomfortablem Brummen führt. Bei einer Sollwertvorgabe von ca. 50 1/min ist diese Gefahr schnell gegeben, weshalb weitere Sonderfunktionen zum Beherrschen dieser Fälle realisiert wurden. Insbesondere schnelle Gasrücknahme und Pendeln um den lastlosen Zustand waren durch Sonderfunktionen zu berücksichtigen [3]. Warum genügt bereits eine so kleine Differenzdrehzahl, um die Drehschwingungen zu dämpfen, und wie ist der Sollwert geeignet festzulegen? Der physikalische Hintergrund liegt in der Amplitude der Drehungleichförmigkeit Δn = Δω/2π, die durch den diskontinuierlichen Aufbau des Drehmoments im Verbrennungsmotor entsteht. Nur jeder 4. Takt pro Zylinder ist ein Arbeitstakt, d.h. alle 2 Umdrehungen tritt in jedem Zylinder ein Arbeitstakt auf. Entsprechend der Zylinderzahl N ergeben sich pro Umdrehung N/2 Arbeitstakte. Die gemessene Motordrehzahl ist üblicherweise ein Mittelwert, der die Drehungleichförmigkeiten nicht enthält, siehe Prinzipdarstellung in Bild 12-9. Der Sollwert für die Differenzdrehzahl wnd zwischen der mittleren Motordrehzahl und der Turbinendrehzahl ist nun so vorzugeben, dass selbst beim Minimum der ungleichförmigen Motordrehzahl immer noch ein Abstand zur Turbinendrehzahl verbleibt, Bild 12-9. Dabei muss ein gewisser Sicherheitsabstand addiert werden, um Streuungen und Lebensdauereffekte ausreichend zu berücksichtigen.
12.3 Geregelte Wandlerkupplung
299
Bild 12-9: Grundsätzlicher Verlauf der Drehzahlen an der geregelten Wandlerüberbrückungskupplung
Die Größe der Drehungleichförmigkeit ist also ein Maß für den Sollwert der Differenzdrehzahl. Neben der o.g. Abhängigkeit von der Zylinderzahl kommen natürlich noch weitere motorspezifische Einflüsse dazu. Dazu zählen in erster Linie das grundlegende Prinzip des Motors (Benziner oder Diesel), aber auch weitere Spezifika, wie die Art der Einspritzung, der Zündung usw. Weiter hängen die Werte vom Betriebspunkt ab, was sich typischerweise durch Last und Drehzahl ausdrückt. Aus diesem Grund wird der Sollwert üblicherweise in einem entsprechenden Kennfeld wnd = f(MMot, nMot) dargestellt. Die Werte schwanken dabei zwischen 30 1/min und 80 1/min. Das dynamische Verhalten der GWK hängt in entscheidendem Maße von der Vorsteuerung ab, denn hier werden die wesentlichen Einflüsse des Motormoments berücksichtigt, Bild 12-8. Das Motormoment ist die Größe, die der Fahrer hochdynamisch beeinflussen kann. Je besser diese Vorsteuerung ausgelegt ist, desto besser folgt der Druck an der WK den Vorgaben, und desto weniger braucht der Regler aufgrund von Abweichungen der Regelgröße einzugreifen. Im Idealfall gilt für das Moment an der Wandlerkupplung MWK = rWK · AWK · ȝ · pWK = MMot
(12.5)
Dabei wurde Gleichung (12.1) für die Lamellenzahl z = 1 angewendet. Damit ergibt sich als idealisierte Gleichung für die Vorsteuerung als Beziehung zwischen Motormoment und WK-Druck, Bild 12-10 pSt = pWK =
1 ⋅ M Mot = K WK ⋅ M Mot . rWK ⋅ AWK ⋅ μ
mit KWK = 1/rWK · AWK · μ .
(12.6)
300
12 Steuerung und Regelung von Automatikgetrieben
Bild 12-10: Blockschaltbild für die Adaption der Vorsteuerung der GWK
Ähnlich wie bei der geregelten Lastschaltung spielt auch bei der geregelten Wandlerkupplung der Reibwert ȝ eine entscheidende Rolle. Er kann sich durch Einfluss verschiedener Betriebsparameter und infolge von Alterung ändern, was sich nachteilig auf die Regelqualität auswirken kann. Wenn z.B. der Reibwert ȝr, der sich real an der Kupplung einstellt, kleiner wird, ist der von der Vorsteuerung berechnete Druck pSt kleiner als für diesen Betriebspunkt erforderlich. Aufgrund des kleineren Moments MWK an der WK wird die Differenzdrehzahl ansteigen. Dies führt zu einem Eingreifen des Reglers, der die Differenzdrehzahl wieder auf den Sollwert zurückführt. Somit ist die Größe des Reglereingriffs bzw. der Unterschied zwischen pWK und pSt ein Maß dafür, wie stark die Vorsteuerung vom ursprünglichen theoretischen Wert abgewichen ist. Diese Abhängigkeit wird in einer Adaptionsfunktion ausgenutzt, um den Wert der Vorsteuerung KWK an die geänderten Verhältnisse anzupassen. KWK = KWK, alt + FAdapt · (pWK – pSt)
(12.7)
Dabei wird mithilfe eines Adaptionsfaktors FAdapt die Druckdifferenz bewertet und der Faktor der Vorsteuerung KWK entsprechend korrigiert. Für diesen Vorgang werden nur stationär eingeregelte Zustände oberhalb einer bestimmten Lastschwelle herangezogen, um aussagekräftige Werte zu bekommen. Da es sich hier um langsam veränderliche Vorgänge handelt, wird der Adaptionsfaktor hinreichend klein gewählt, um die Gefahr von Instabilität der Adaption auszuschließen. Es sei noch vermerkt, dass es sich hier um eine „Adaption mit Rückführung“ handelt, denn es gibt keine eindeutige Abhängigkeit des Wertes der Vorsteuerung KWK von der sich verändernden Größe, hier der reale Reibwert ȝr. Vielmehr muss das veränderte Merkmal aus anderen messbaren Signalen des Regelkreises identifiziert werden. Obwohl das Adaptionsgesetz selber relativ einfach ist, muss es im Betrieb über der Lebensdauer sorgfältig validiert werden. Die beschriebene Reglerstruktur lässt sich in einigen Punkten spürbar verbessern, sowohl was die Funktion (Stelldynamik) betrifft, als auch was Auslegung, Entwurf und damit Applikationsfreundlichkeit betrifft. Vor diesem Hintergrund wird der Ansatz auf eine modellbasierte Struktur umgestellt, Bild 12-11.
12.3 Geregelte Wandlerkupplung
301
Bild 12-11: Blockschaltbild für die modellbasierte Regelung der Wandlerkupplung
Die beschriebene Struktur enthält ein vollständiges Modell des Antriebsstrangs. Zur Berücksichtigung aller bekannten messbaren Einflüsse wird aus dem inversen Modell ein Vorsteuermoment als gesteuerter Pfad aufgeschaltet. Zur Berücksichtigung weiterer Einflüsse werden Beobachter eingesetzt, welche das Lastmoment bzw. während der Gangschaltungen die Schaltmomente der beteiligten Kupplungen zur Verfügung stellen. Ein Störmomentbeobachter schätzt alle Einflüsse, die durch die Abweichung zwischen Modell und Realität entstehen. Eingangsgrößen des primären Beobachters sind die primären Drehmomente (Motor, Pumpe, Wandlerkupplung), die Eingangsgrößen des sekundären Beobachters die sekundären Drehmomente des Wandlers (Turbine, Wandlerkupplung und Abtrieb). Weiterhin wird zur Verbesserung der Stelldynamik ein Druckbeobachter eingesetzt. Grundlage ist hier ein nichtlineares Modell 2. Ordnung, welches das hydraulische Ansteuersystem beschreibt. Die Zeitkonstante dieses Systems hängt wesentlich von der Temperatur, aber auch vom Absolutdruck ab und wird entsprechend berücksichtigt, was zu einer verbesserten Stelldynamik führt. Die Eingangsgrößen des Druckbeobachters sind der Solldruck und die Drehzahlen von Motor und Turbine. Das Modell enthält grundsätzlich das primäre Trägheitsmoment, die Momentenübertragung von Wandler und Wandlerkupplung und je nach Gang eine Federsteifigkeit der Antriebswellen. Das Lastmoment geht entweder direkt ein, oder während ablaufender Gangschaltungen indirekt über das Kupplungsmoment der beteiligten Kupplungen [4]. Die modellbasierte Vorgehensweise bietet darüber hinaus den Vorteil, dass gegenüber dem oben beschriebenen Ansatz die Anzahl der Parameter um ca. 50% reduziert werden kann, und die Parameter zudem physikalisch interpretierbar sind.
302
12 Steuerung und Regelung von Automatikgetrieben
12.4 Standabkopplung Die Wirtschaftlichkeit des Antriebsstrangs ist nicht nur beim Fahren von Interesse. Aufgrund relativ hoher Stillstandsanteile im heutigen Straßenverkehr müssen auch dort die Betriebspunkte so eingestellt werden, dass die Verlustleistung minimiert wird. In Position D des Wählhebels wird die gesamte Verlustleistung im Wandler erzeugt, denn der Motor rotiert und die Turbine steht still, Bild 12-12.
Bild 12-12 Grundlegende Zusammenhänge der Drehzahlen bei Stillstand
Bringt man nun die Getriebe-Eingangskupplung (A) in einen Schlupfzustand, steigt zwar deren Verlustleistung, aber die des Wandlers nimmt ab. Bei vollständiger Öffnung dieser Kupplung (entspricht Position N) verschwindet die Verlustleistung. Ziel ist nun, die Summe der beiden Verlustleistungen (Wandler und Kupplung A) soweit zu minimieren, dass sich trotz deutlichem Vorteil bzgl. des Wirkungsgrads keine fahrdynamischen Nachteile bemerkbar machen. Diese können dann entstehen, wenn das Moment der Kupplung A soweit abgesenkt wird, dass die Gefahr des Entleerens besteht. In diesem Fall müsste die Kupplung beim Anfahren erst wieder gefüllt werden, was unerwünschte Verzögerungen zur Folge hat. Aus diesem Grunde wird die Kupplung auf leichten Schlupf gehalten, damit sie befüllt bleibt, und beim Anfahren sehr schnell zugeschaltet werden kann, Bild 12-13. Der Betriebspunkt der Standabkopplung muss so gewählt werden, dass bei allen Toleranzlagen die Kupplung A immer befüllt bleibt. Aus diesem Grunde ist ein völliges Ausschalten der Verluste nicht möglich. Wie Bild 12-13 zeigt, ist jedoch durch die beschriebene Maßnahme eine Reduzierung der Gesamt-Verlustleistung von 3,7 kW (bei geschlossener Kupplung A) auf etwa 1,1 kW (bei geregelter Standabkopplung) möglich.
12.5 Zukünftige Rolle des Automatikgetriebes im Antriebsstrang
303
Bild 12-13: Betriebspunkt der Standabkopplung (- - - -) zur Minimierung der Verlustleistung
12.5 Zukünftige Rolle des Automatikgetriebes im Antriebsstrang Die Darstellung der Funktionen zur Steuerung und Regelung von Automatikgetrieben zeigt, dass es mittlerweile eine intensive Vernetzung von Mess- und Stellgrößen der verschiedenen elektronischen Systeme gibt. Dies betrifft nicht mehr nur Signale, die direkt dem Antrieb zuzuordnen sind (Motordrehzahl und -moment, Motoreingriff), sondern auch Signale der Fahrdynamik, um über die Bestimmung der Sportlichkeit das Fahrerverhalten zu identifizieren (Kurvenerkennung, Querbeschleunigung, Schlupfwerte). Damit stellt das Automatikgetriebe ein wichtiges Bindeglied zwischen Verbrennungsmotor, Antriebsstrang und Fahrzeug dar. Dies gilt nicht nur im Sinne mechanischer Übertragung von Drehmomenten und Drehzahlen, sondern auch im Sinne funktionaler Vernetzung im Fahrzeug, Bild 12-14. Obwohl derzeit der Antriebsstrang eine Weiterentwicklung vom rein verbrennungsmotorischen Antrieb zum Hybridantrieb erfährt, wird das Automatikgetriebe weiterhin seine Berechtigung haben. Ein Elektromotor zwischen Verbrennungsmotor und Getriebe, als Ersatz oder Ergänzung zum Wandler eröffnet neue Möglichkeiten der Kraftstoffeinsparung und der Funktionsgestaltung. Ein intelligentes vernetzungsfähiges Automatikgetriebe ist die Grundlage für interessante Weiterentwicklungen im Hybridbereich.
304
12 Steuerung und Regelung von Automatikgetrieben
Bild 12-14: Mehr Funktionalität durch Vernetzung
12.6 Zusammenfassung Die elektronische Steuerung von Automatikgetrieben erbringt einen erheblichen Beitrag für eine komfortable, wirtschaftliche und umweltschonende Betriebsweise von Kraftfahrzeugen. Der Gang des Getriebes legt in Verbindung mit Motorcharakteristik und Fahrwiderstand die Antriebsleistung und das Beschleunigungsvermögen des Fahrzeugs fest. Verschiedene Schaltprogramme berücksichtigen die unterschiedlichen Kriterien „verbrauchsorientiert“ und „leistungsorientiert“. Neben der manuellen Wahl der Schaltprogramme gibt es heute überwiegend Steuerungs- und Regelungs-Algorithmen, die unter Berücksichtigung von Fahrerverhalten und Fahrsituation die entsprechenden Schaltstrategien schnell und automatisch anpassen. Die Schaltungen von Automatikgetrieben finden als Lastschaltungen ohne Zugkraftunterbrechung statt. Sie bestehen neben der Füllphase aus einer Lastübernahme (Wechsel von einer Kupplung zu einer anderen) und dem eigentlichen Gangwechsel, d.h. der Drehzahlangleichung im neuen Gang. Zur Sicherstellung der Kriterien Kupplungsbelastung und Schaltkomfort werden verschiedene steuerungs- und regelungstechnische Maßnahmen ergriffen, um die Schaltqualität unter allen Betriebsbedingungen sicherzustellen. Wesentliche Funktion ist die Regelung der Lastschaltung mit der Regelgröße Drehzahl-
12.6 Zusammenfassung
305
gradient und den Stellgrößen Kupplungsdruck und Motormoment. Als langfristige Funktion wirkt eine Adaption des gesteuerten Anteils des Schaltdrucks aufgrund der Stärke des Reglereingriffs. Die Wandlerüberbrückungskupplung eliminiert den Wandlerschlupf ab einer bestimmten Drehzahl. Neben einem vollständigen Überbücken bei hohen Drehzahlen wird zunehmend ein quasi-überbrückter Zustand bei niedrigen Drehzahlen realisiert. Dabei werden kleine Differenzdrehzahlen eingeregelt, um einerseits die Drehungleichförmigkeiten des Verbrennungsmotors wegzufiltern und andererseits die Verlustleistung weitestgehend zu eliminieren. Das ursprüngliche Regelkonzept mit PI-Regler, Vorsteuerung und Sonderfunktionen wurde weiterentwickelt in Richtung modellbasierte Regelung. Diese verarbeitet in stärkerem Maße die Kenntnisse über die Regelstrecke (Struktur, Parameter) und erreicht somit in einem geschlossenen Ansatz mit weniger Parametern ohne viele Sonderfunktionen eine bessere Funktionalität. Die modellbasierte Reglerstruktur enthält ein inverses Modell der Regelstrecke als Vorsteuerung, sowie mehrere Beobachter zur besseren Berücksichtigung der temperaturabhängigen Dynamik der Hydraulik und zur Berücksichtigung weiterer Einflüsse aus dem Getriebe. Aufgrund relativ hoher Stillstandsanteile im heutigen Straßenverkehr müssen auch hier die Betriebspunkte so eingestellt werden, dass die Verlustleistung minimiert wird. Durch Einregeln der Getriebe-Eingangskupplung in einen leichten Schlupfzustand können die Verluste im Wandler und an der Kupplung weitestgehend eliminiert werden, ohne fahrdynamische Nachteile durch verzögertes Gangeinlegen hinnehmen zu müssen. Der Beitrag schließt mit einem Ausblick über die zunehmende Vernetzung zwischen Antriebsstrang und Fahrwerk und die Weiterentwicklung der Funktionalitäten im Hybridbereich.
Literatur [1]
[2] [3]
[4]
Wagner, G.; Scherer, H.: Die 6-Gang-Automatgetriebebaureihe von ZF – Ein Beitrag zu höherem Kundennutzen, zur Ressourcenschonung und zur Reduzierung der Umweltbelastung bei minimiertem Aufwand. 17. Internationale AVL Tagung „Motor und Umwelt“, 8.–9. September 2005, Graz, Österreich Reif, K.: Automobilelektronik – Eine Einführung für Ingenieure. Wiesbaden: Vieweg+Teubner Verlag, 2009 Gruhle, W.-D.; Jauch, F.; Knapp, T.; Rüchardt, C.: Modellgestützte Applikation einer „Geregelten Wandlerüberbrückungskupplung“ in PKW-Automatgetrieben. VDI-Tagung „Getriebe in Fahrzeugen“, VDI-Berichte Nr. 1175, 1995 Tenbrock, F.; Rossmann, T.; Neumann, D.; Jauch, F.; Gierer, G.: Modellbasierte Funktionsentwicklung und Applikation am Beispiel einer Wandlerüberbrückungskupplung. 2. Symposium „Steuerungssysteme für den Antriebsstrang von Kraftfahrzeugen“, 9. und 10. September, Berlin, 1999
E Steuerung und Optimierung von Hybrid- und Brennstoffzellen-Antrieben
308
13 Energetische Bewertung von Betriebsstrategien im Hybrid-Antriebsstrang FRANK MERTINS
Für die energetische Effizienz von Hybridfahrzeugen ist neben der Anordnung und Beschaffenheit der energiespeichernden und -wandelnden Komponenten vor allem die Betriebsstrategie entscheidend. In diesem Beitrag werden parallele Hybridtriebstränge mit Verbrennungsmotor und E-Maschine in folgender Anordnung betrachtet: Verbrenner⎯Kupplung 1⎯E-Maschine⎯Kupplung 2⎯Getriebe (Bild 13-1). Die vorgestellte Methodik geht von der energetischen Bewertung eines Betriebsmodus des Hybrid-Antriebsstrangs aus, bei der dieser mit dem konventionellen Betrieb verglichen wird. Hieraus ergeben sich Wechselkurse, bspw.: – für eine Lastpunktanhebung spezifische Kosten, d.h. Mehraufwand an Kraftstoff pro erzielter Batterieladung und – für Elektrisches Fahren spezifische Ersparnisse, d.h. Einsparung an Kraftstoff pro verbrauchter Batterieladung. Dabei wird in keiner Weise auf andere Fahrsituationen zu anderen Zeitpunkten Bezug genommen, der Wechselkurs hängt nur vom jeweiligen Fahrzustand ab, etwa beschrieben durch Drehzahl n und Momentenwunsch T am Getriebeeingang und kann als Kennfeld über n und T abgelegt werden. Der dimensionslose Wechselkurs macht die Effizienz von Betriebsmodi bei Änderung der Komponenten vergleichbar: So bewirkt bspw. für einen gegebenen Fahrzustand (n und T) eine Änderung der Batterieeigenschaften eine Änderung des Entladungswirkungsgrades und damit des Wechselkurses für Elektrisches Fahren. Die Wechselkurse erlauben ferner die Bewertung vorhandener Hybridstrategien daraufhin, inwieweit die günstigsten Wechselkurse realisiert wurden. Im Hybridbetrieb wird permanent Ladung gegen Kraftstoff eingetauscht und umgekehrt, hierbei können spezifische Kosten und Ersparnisse direkt miteinander verglichen werden. Hierauf aufbauend kann für einen gegebenen Fahrzyklus eine prädiktive Strategie entwickelt werden, indem obere bzw. untere Schwellen für spezifische Kosten bzw. Ersparnisse festgelegt werden, für welche sich der jeweilige Betriebsmodus gerade noch lohnt. Ziel dabei ist eine Verbrauchsreduktion unter der Nebenbedingung ausgeglichener Ladungsbilanz. Macht man die Schwellen abhängig vom Ladezustand der Batterie, lassen sich auch nichtprädiktive Strategien entwickeln, für welche der Fahrzyklus nicht bekannt zu sein braucht und für die, die Ladungsbilanz im zeitlichen Mittel ausgeglichen ist. Hierdurch kann insbesondere erreicht werden, dass der Arbeitsbereich der Batterie nicht zu groß wird. Ein wesentlicher Aspekt der vorgestellten Methodik ist also die energetische Bewertung der einzelnen Betriebsmodi, ohne auf verschiedene Zeitpunkte referenzieren zu müssen, um dann petrochemische Kosten bei Beladung mit petrochemischen Ersparnissen bei Entladung zu verrechnen. Im Vergleich hierzu geht Stiegeler [1] von einer Kostenfunktion aus, welche neben der energetischen Bewertung von vorneherein auch den Batterieladezustand berücksichtigt. Hierbei muss der Rekuperation als Wandlung von ki-
13.1 Eine einfache Beispielrechnung
309
netischer in elektrische Energie eine Erzeugung dieser kinetischen Energie rechnerisch entgegengesetzt werden, wobei mittlere Kosten für die Beschleunigung angenommen werden. Ähnlich verbindet Kleimaier mit seinem Ansatz einer Online-Gütefunktion [2] und auch von Grundherr [3] die Aufwände für Erzeugung und Verbrauch von elektrischer Energie zu verschiedenen Zeitpunkten, indem etwa Annahmen über mittlere Kosten getroffen werden.
Bild 13-1 Paralleler Hybridtriebstrang: – Verbrenner – Kupplung 1 – E-Maschine – Kupplung 2 – Getriebe Über die Kupplung 1 kann der Verbrenner vom Antriebsstrang abgekuppelt werden. Bei offener Kupplung 2 kann die E-Maschine den Verbrenner anwerfen.
13.1 Eine einfache Beispielrechnung Bild 13-2 zeigt das Beispiel einer sogenannten Lastpunktanhebung. Man sieht die effektive Verbrennerleistung aufgetragen über der petrochemischen Leistung, welche sich aus Kraftstoffmassenstrom [g/s]× Heizwert [J/kg] ergibt. Die Kurve entspricht verschiedenen Betriebspunkten bei der Motordrehzahl 2000 rpm. Der Punkt links unten (Arbeitspunkt) sei der aktuelle Betriebsspunkt mit x als petrochemischer und y als effektiver Leistung. Man kann die petrochemische Leistung nun um Δx anheben, resultierend in einer effektiven Mehrleistung Δy, und erreicht dann einen neuen Betriebspunkt (Lastanhebung). Das Verhältnis Δy/Δx = 46%, d.h. die pro eingesetzter petrochemischer Extraleistung Δx erzielte effektive Mehrleistung Δy bezeichnet man auch als den differenziellen Wirkungsgrad des Verbrenners. Das Verhältnis y/x = 27% ist der Wirkungsgrad am Arbeitspunkt und der Punkt rechts oben (Bestpunkt) der optimale Kennfeldpunkt mit Wirkungsgrad 42%. Die zusätzliche Energie muss natürlich für einen echten Bedarfsfall gespeichert
310
13 Energetische Bewertung von Betriebsstrategien im Hybrid-Antriebsstrang
werden. Hierfür wird angenommen, dass ein Generator die mechanische Leistung in eine Batterie lädt. Wenn man jeweils Wirkungsgrade (mechanisch ˇ elektrisch, elektrisch ˇ elektrochemisch) von jeweils 92% annimmt ergibt sich ein differenzieller Wirkungsgrad der Kette von 0,46 · 0,92 · 0,92 = 38.9%. Nimmt man ferner an, dass zu einem späteren Zeitpunkt der gleiche Arbeitspunkt im Verbrenner durch rein elektrische Traktion ersetzt werden soll, wieder mit Wirkungsgraden (elektrochemisch ˇ elektrisch, elektrisch ˇ mechanisch) von jeweils 92% so hat man einen Gesamtwirkungsgrad für die Nutzung der petrochemischen Extraleistung von 0,46 · 0,92 · 0,92 · 0,92 · 0,92 = 33%. Dem steht der schlechtere Wirkungsgrad am Arbeitspunkt von 27% gegenüber. Durch den Tausch Extrakraftstoff gegen Extraladung gefolgt von einem späteren Tausch Ladungsverbrauch gegen Kraftstoffsenkung kann also insgesamt Kraftstoff gespart werden.
Bild 13-2 Beispiel einer Lastpunktanhebung
13.2 Bewertung einzelner Hybridmodi: spezifische Kosten und Ersparnisse Die Kette der Energieumwandlungen beim Hybridantrieb ist: petrochemisch ˇ thermisch ˇ mechanisch Ø elektrisch Ø elektrochemisch (-statisch), elektrochemisch bezieht sich hier auf eine Batterie, elektrostatisch auf ein sogenanntes SuperCap als Speichermedium. Eine Betriebsstrategie legt fest unter welchen Bedingungen einzelne Betriebsmodi wirksam werden, d.h. auch in welcher Richtung die Kette der Energieumwandlungen stattfindet. Die Betriebsmodi seien hier noch einmal aufgelistet.
13.2 Bewertung einzelner Hybridmodi: spezifische Kosten und Ersparnisse
311
Konventionelles Fahren (Conventional): petrochemisch ˇ thermisch ˇ mechanisch⎯elektrisch⎯elektrochemisch (-statisch), Elektrisches Bremsen (ElectricBrake): petrochemisch⎯thermisch⎯ mechanisch ˇ elektrisch ˇ elektrochemisch (-statisch), (rein) Elektrisches Fahren (ElectricDrive): petrochemisch⎯thermisch⎯mechanisch ˝ elektrisch ˝ elektrochemisch (-statisch), Elektrisch Unterstütztes Fahren (ElectricAssist): petrochemisch ˇ thermisch ˇ mechanisch ˝ elektrisch ˝ elektrochemisch (-statisch), Lastpunktanhebung (ChargeViaICE): petrochemisch ˇ thermisch ˇ mechanisch ˇ elektrisch ˇ elektrochemisch (-statisch). Die in diesem Beitrag betrachteten Hybridbetriebsstrategien sollen vor allem unter dem Aspekt des Verbrauchs, d.h. unter energetischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Wesentliche Randbedingungen hierbei sind – Beachtung eines gegebenen Fahrzyklus – Ladungsneutralität im zeitlichen Mittel Die im Einführungsbeispiel gemachte Rechnung zu Lastpunktanhebung und anschließendem Elektrischem Fahren sollte demonstrieren, dass sich der Tausch Extrakraftstoff zur Batteriebeladung gegen Antrieb durch Batterieentladung prinzipiell lohnen kann. Dabei wurde in einer Rechnung angenommen in welchem Zustand die Lastpunktanhebung und der Verbrauch der Extrabatterieladung jeweils erfolgen soll. Dies ist insofern problematisch, als in die Rechnung Fahrzustände zu verschiedenen Zeitpunkten eingehen. In einer realen Fahrsituation haben in der Regel allerdings weder Fahrer noch Fahrzeug zuverlässige Information über mögliche zukünftige Fahrzustände (eine Ausnahme kann bspw. ein Linienverkehr bilden). Um die Chance zu haben, nicht alle Zustände – insbesondere der Erzeugung und des Verbrauchs von Batterieladung – gleichzeitig betrachten zu müssen, ist ein Konzept gefordert, durch welches die Hybridmodi zunächst isoliert für sich bewertet werden können. Hierzu ist erst einmal eine energetische Bewertung bzw. Optimierung (inklusive aller Verluste) der unterschiedlichen Hybridbetriebsmodi vorzunehmen. Man weiß nicht unter welchen Bedingungen eine durch Extrakraftstoff erzeugte Extrabatterieladung verbraucht wird, man kann aber den Preis der erzeugten Batterieladung (eingesetzter Kraftstoff bzw. eingesetzter Kraftstoff pro Zeit) bzw. den spezifischen Preis (eingesetzter Kraftstoff pro erzeugter Batterieladung) bestimmen. Um einen dimensionslosen spezifischen Preis zu erhalten, könnte man auch die eingesetzte petrochemische Leistung (Erhöhung Kraftstoffmassenstrom × Heizwert) ins Verhältnis zur Batterieladeleistung (Beladungsstrom × interne Batteriespannung) setzen. Analog kann für das rein Elektrische Fahren, bzw. für das Elektrisch Unterstützte Fahren eine Einsparung (eingesparter Kraftstoff bzw. eingesparter Kraftstoff pro Zeit) bzw. eine spezifische Einsparung (eingesparter Kraftstoff pro verbrauchter Batterieladung) betrachtet werden. Analog zum spezifischen Preis wird die spezifische Einsparung dimensionslos indem die eingesparte petrochemische Leistung (Absenkung Kraftstoffmassenstrom × Heizwert) ins Verhältnis
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13 Energetische Bewertung von Betriebsstrategien im Hybrid-Antriebsstrang
zur Batterieentladeleistung (Entladungsstrom × interne Batteriespannung) gesetzt wird. Zusammengefasst ergeben sich spezifische Kosten bzw. spezifische Ersparnisse gemäß Mehrverbrauch Kraftstoff Ersparnis Kraftstoff ª Liter º bzw. Mehrbeladung Batterie Mehrentladung Batterie «¬ Ah »¼
(13.1)
Die Bezeichnung Mehrbeladung- bzw. entladung berücksichtigt bspw., dass über das Bordnetz ohnehin schon die Batterie entladen wird. Äquivalent aber dimensionslos kann formuliert werden:
petrochemische Mehrleistung petrochemische Leistungsabsenkung ª PetroWatt º bzw. « AmpereVolt » Mehrbeladeleistung Mehrentladeleistung ¬ ¼ (13.2) Die petrochemische Leistung ergibt sich aus Kraftstoffmassenstrom [kg/s] × Heizwert [J/kg]. Die Einheit PetroWatt/AmpereVolt ist eigentlich dimensionslos, soll aber auf das Verhältnis von petrochemischer zu elektrochemischer Leistung hinweisen. Das Kraftstoff-Ladungsverhältnis (13.1) mag etwas direkter vorstellbar sein, ein wesentlicher Vorteil der dimensionslosen Beschreibung (13.2) ist allerdings die größere Universalität. So sind bspw. zwei Systeme mit verschiedener Batteriespannung – etwa 200 V und 400 V – direkt vergleichbar. Sieht man zunächst einmal von ohmschen Verlusten ab, so halbieren sich bei gleichen Batterieleistungen die Batterieströme und verdoppeln sich die spezifischen Kosten gemäß (13.1), wohingegen sie gemäß (13.2) gleich bleiben. Bei Berücksichtigung der ohmschen Verluste weist der Unterschied der dimensionslosen spezifischen Kosten gerade deren Einfluss aus. Es sei noch darauf hingewiesen, dass der Kehrwert der spezifischen Kosten nach (13.2) der differenzielle Wirkungsgrad für Batteriebeladung durch den Verbrenner ist. Mit spezifischen Kosten und Ersparnissen hat man ein Werkzeug, um die Effizienz von Batteriebeladung und Batterienutzung jeweils für sich zu beurteilen. Unter Verbrauchsgesichtspunkten sind natürlich möglichst kleine spezifische Kosten zur Batteriebeladung und möglichst große spezifische Ersparnisse zur Batterienutzung erstrebenswert. Letztlich hat man spezifische Kosten und Ersparnisse miteinander zu vergleichen: so bringt es nur Verbrauchsvorteile, wenn die spezifischen Kosten der Ladungserzeugung kleiner sind als die zu einer entsprechenden Ladungsnutzung gehörenden spezifischen Ersparnisse. Die spezifischen Ersparnisse bei rein Elektrischem Fahren sind eindeutig, da die effektive Verbrennerleistung rein elektromotorisch aufgebracht wird (hierbei wurde vorausgesetzt, dass gegenüber konventionellem Betrieb der Gang nicht geändert wird). In Bild 13-3 ist das angedeutet durch den Pfeil zum Kennfeld-Ursprung, der Verbrenner wird ausgekuppelt und bleibt dann nach kurzer Zeit ohne effektives Drehmoment stehen. Im Falle einer Lastpunktanhebung (Pfeil nach oben in Bild 13-3) gibt es mehrere Möglichkeiten. Von Null bis zur Begrenzung durch das Verbrennerkennfeld bzw. das maximale generatorische Moment der E-Maschine, sowie der maximalen Beladeleistung der Batterie sind alle Lastpunktanhebungen prinzipiell möglich. Verschiedene Anhebungen des Verbrennermoments führen zu verschiedenen Generatormomenten und zu verschiedenen Batterieladungsströmen und damit in der Regel zu verschiedenen differenziellen Wirkungsgraden des Verbrenners dηVerbrenner bzw. verschiedenen Wirkungsgraden für Generator ηGenerator und Batterie ηBatterie und da-
13.2 Bewertung einzelner Hybridmodi: spezifische Kosten und Ersparnisse
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mit zu verschiedenen spezifischen Kosten 1/(dηVerbrenner · ηGenerator · ηBatterie)1. Es wird entschieden, dass im Folgenden die Lastpunktanhebung mit optimalen (d.h. minimalen) spezifischen Kosten verwendet wird. Analoges gilt für das Elektrisch Unterstützte Fahren (Pfeil nach unten in Bild 13-3), auch hier wird entschieden, dass im Folgenden optimale (d.h. maximale) spezifische Ersparnisse verwendet werden.
Bild 13-3 Hybridmodi im Motorkennfeld
Bild 13-4 zeigt das Kennfeld für (rein) Elektrisches Fahren. Eingezeichnet sind auch die Begrenzungen des Betriebs von Verbrenner und E-Motor. Nur unterhalb letzterer kann (rein) Elektrisches Fahren stattfinden. Die Isolinien zeigen Betriebspunkte gleicher spezifischer Ersparnis an. So kann an den drei markierten Betriebspunkten jeweils durch Umschalten auf rein elektrische Traktion 3,4, 3,0 und 2,6 PetroWatt pro eingesetztes AmpereVolt eingespart werden. Bild 13-5 zeigt das Kennfeld der optimalen spezifischen Kosten für Lastpunktanhebung. Die 5 markierten Punkte entsprechen Betriebspunkten beim Konventionellen Fahren, sie können somit als Ausgangspunkte einer Lastpunktanhebung betrachtet werden. Die Pfeile zeigen auf die angehobenen Lastpunkte, welche einem optimalen spezifischen Preis entsprechen. Der spezifische Preis ist an der jeweiligen Isolinie abzulesen, auf welcher der Ausgangspunkt liegt. Für Elektrisch Unterstütztes Fahren ergibt sich ein entsprechendes Kennfeld. Die Kennfelder für spezifische Kosten bzw. Ersparnisse haben neben Drehzahl und Moment die Bordnetzlast als dritte Eingangsgröße. Dabei ist z.B. bei Lastpunktanhebung direkt ins Bordnetz eingespeiste Energie nicht mit Batterie(ent)ladeverlusten verbunden.
wird schlechter für höhere Lastpunktanhebungen, ebenso ηBatterie (höhere Ladeströme höhere ohmsche Verluste), ηGenerator hat das Optimum eher bei mittleren bzw. hohen Momenten.
1 dη
Verbrenner
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13 Energetische Bewertung von Betriebsstrategien im Hybrid-Antriebsstrang
Bild 13-4 Kennfeld der spezifischen Ersparnisse für rein Elektrisches Fahren. An den Punkten kann durch Umschalten auf rein Elektrisches Fahren jeweils 3,4, 3,0 und 2,6 PetroWatt pro eingesetztes AmpereVolt eingespart werden. Die Begrenzung des E-Motors markiert auch den Bereich rein Elektrischen Fahrens.
Bild 13-5 Kennfeld der optimalen spezifischen Kosten für Lastpunktanhebung. Die 5 Punkte entsprechen Ausgangspunkten einer Lastpunktanhebung (Konventionelles Fahren). Ein Pfeil zeigt jeweils auf den angehobenen Lastpunkt mit optimalem spezifischem Preis. Diese optimalen spezifischen Kosten sind an den Isolinien (auf welchen die 5 Ausgangspunkte liegen) ablesbar.
13.3 Vergleich von Hybridmodi im Fahrzyklus Bisher wurde für einzelne Betriebsmodi wie Elektrisches Fahren und Lastpunktanhebung eine Bewertung über spezifische Ersparnisse bzw. spezifische Kosten vorgestellt. Natürlich ist ein Umschalten auf Elektrisches Fahren bzgl. des Kraftstoffverbrauchs umso günstiger, je höher die spezifische Ersparnis ist. Analog ist eine Lastpunktanhebung umso
13.3 Vergleich von Hybridmodi im Fahrzyklus
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effizienter, je niedriger die spezifischen Kosten sind. Von Interesse ist natürlich vor allem ein Vergleich von Lastpunktanhebung und Elektrischem Fahren. Wie im einführenden Beispiel erläutert wurde, muss die durch Lastpunktverschiebung zusätzlich erzeugte Energie elektrisch gespeichert werden, um dann bei Gelegenheit durch rein Elektrisches (bzw. Elektrisch Unterstütztes) Fahren verbraucht zu werden. Bild 13-6 zeigt die letzten 600 Sekunden eines Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ). Der Abbildung liegt die Simulation der Längsdynamik eines Hybridfahrzeugs im rein konventionellen Betrieb zu Grunde, welche zu jeder Zeit Drehzahl und effektives Moment des Verbrennungsmotors liefert. Aus Drehzahl und effektivem Moment kann dann über die oben vorgestellten Kennfelder der (optimalen) spezifischen Ersparnisse bzw. Kosten für Elektrisches Fahren, Elektrisch Unterstütztes Fahren und Lastpunktanhebung für jeden Zeitpunkt ein potenzieller Wert für spezifische Ersparnisse bzw. Kosten bestimmt werden. Diese potenziellen Werte sind in Bild 13-6 dargestellt. Man sieht sofort, dass im NEFZ die spezifischen Kosten für Lastpunktanhebung immer höher sind als die spezifischen Ersparnisse für Elektrisch Unterstütztes Fahren. Ein Tausch Extrakraftstoff zur Ladungserzeugung (Lastpunktanhebung) gegen Kraftstoffersparnis durch Ladungsverbrauch (Elektrisch Unterstütztes Fahren) lohnt sich also ganz offensichtlich nicht, denn die Ladungserzeugung durch Kraftstoff ist hier immer teurer als die Kraftstoffersparnis durch Ladungsverbrauch. Anders sieht es aus beim Vergleich von Lastpunktanhebung und Elektrischem Fahren. Es gibt viele Zeitpunkte an denen die spezifische Ersparnis signifikant höher ist als die spezifischen Kosten zu anderen Zeitpunkten. Wie im einführenden Beispiel gesehen wurde, kann der Tausch Lastpunktanhebung gegen Elektrisches Fahren also durchaus lohnen. Im Folgenden soll deshalb Elektrisch Unterstütztes Fahren nicht weiter betrachtet werden, sondern der Fokus soll auf dem Tausch Lastpunktanhebung gegen rein Elektrisches Fahren liegen.
Bild 13-6 Spezifische Kosten und Ersparnisse im Fahrzyklus. Der Tausch Elektrisches Fahren bei 600 s gegen Lastpunktanhebung bei 870 s lohnt!
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13 Energetische Bewertung von Betriebsstrategien im Hybrid-Antriebsstrang
13.4 Prädiktive Strategie Aus den obigen Betrachtungen lässt sich eine erste Betriebsstrategie für Hybridbetrieb entwickeln. Diese Strategie ist prädiktiv, d.h. es geht die Kenntnis des kompletten Fahrverlaufs gemäß Bild 13-6 ein. Die wichtigste Quelle elektrischer Energie ist natürlich das Elektrische Bremsen (Rekuperation), da hier keine Kraftstoffkosten entstehen. In den Bremsphasen des Fahrzyklus wird möglichst viel der Bremsleistung über die E-Maschine im generatorischen Betrieb realisiert. Details werden weiter unten behandelt (z.B. ob mit ausgekuppeltem oder mit geschlepptem Verbrenner rekuperiert wird), es soll hier nur vorausgesetzt werden, dass sich die Bremswunschleistung eindeutig aus dem Fahrzyklus bzw. dem entsprechenden Fahrerbremswunsch ergibt. Ferner soll angenommen werden, dass in Standphasen der Verbrennungsmotor ausgeschaltet wird (Start-Stopp). Des Weiteren sollte man die so erzeugte Batterieladung dQEBremsen > 0 möglichst effektiv durch Elektrisches Fahren verbrauchen, d.h. mit Zuständen möglichst hoher potenzieller spezifischer Ersparnis. Hieraus ergibt sich ein Schwellenwert SEFahren0. Es wird für alle Zustände mit spezifischen Ersparnissen oberhalb SEFahren0 Elektrisches Fahren umgesetzt, woraus sich ein Ladungsverbrauch dQEFahren0 < 0 ergibt. Der Schwellenwert SEFahren0 wird nun so gewählt, dass dQEBremsen + dQEFahren0 = 0, d.h., dass die Batterieladung über den Zyklus ausgeglichen ist. Da die Lastpunktanhebung als weitere Ladungsquelle zur Verfügung steht, kann für Elektrisches Fahren sogar ein noch niedrigerer Schwellenwert SEFahren für erlaubte spezifische Einsparungen gewählt werden. Hierdurch ergibt sich ein Ladungsverbrauch für Elektrisches Fahren dQEFahren < 0 (dQEFahren < dQEFahren0). Die gesamte durch Elektrisches Bremsen und Elektrisches Fahren umgesetzte Ladungsmenge ist dann dQ = dQEBremsen + dQEFahren < 0. Jetzt hat man aus den übriggebliebenen Zeitpunkten (d.h. Zeitpunkte, für welche sich nicht Elektrisches Fahren gemäß der Schwelle SEFahren ergibt) möglichst effizient Zustände für eine Lastpunktanhebung auszuwählen, um die fehlende Ladung auszugleichen. Hierfür fordert man für alle verbliebenen Zustände spezifische Kosten kleiner als ein Schwellenwert SLastanhebung, woraus sich eine Beladung dQLastanhebung > 0 ergibt. SLastanhebung wird so gewählt, dass dQEBremsen + dQEFahren + dQLastanhebung = 0, sodass die Gesamtladung ausgeglichen ist. Die Schwelle SLastanhebung ergab sich aus der Schwelle SEFahren und Ladungsneutralität. Man kann SEFahren nun so variieren, dass der sich über spezifische Kosten und Ersparnisse ergebende Gesamtverbrauch minimal wird. Das Vorgehen soll noch einmal nach Priorität geordnet zusammengefasst werden: 1) Möglichst oft Start-Stopp und Elektrisches Bremsen, Ladung dQEBremsen > 0 2) Immer Elektrisches Fahren, wenn spezifische Ersparnis ≥ SEFahren Ladung dQEFahren < 0 3) Immer Lastpunktanhebung, wenn spezifische Kosten < SLastanhebung, dQLastanhebung > 0, dabei ist SLastanhebung so zu wählen, dass dQEBremsen + dQEFahren + dQLastanhebung = 0. 4) Schritt (3) hängt von Schritt (2) ab, d.h. vom gewählten SEFahren. Letzteres ist so zu wählen, dass der Gesamtverbrauch minimal wird.
13.4 Prädiktive Strategie
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Es sei bemerkt, dass dieser Algorithmus zur Ermittlung einer prädiktiven Strategie nicht die energetischen Kosten des Wechsels Verbrenner aus / an berücksichtigt. Für ein konkretes Beispiel wurden entsprechend diesem Algorithmus prädiktive Hybridstrategien für verschiedene Zyklen entwickelt. Anhand von veröffentlichten Parametern wurde ein Modell für einen BMW X5 Diesel (3-l-Reihensechszylindermotor) implementiert. Hierbei sind insbesondere verschiedene Verlustkennfelder, sowie eine Schaltstrategie erforderlich. Für die nicht vorhandenen Parameter und die Hybridkomponenten wurden Annahmen getroffen, welche im Anhang aufgeführt sind. Insbesondere wurde die konventionelle Schaltstrategie verbrauchsoptimiert. Weitere Randbedingungen sind – Die konventionelle Längsdynamik wurde per inverser Simulation ausgeführt (aus der Sollgeschwindigkeit werden Beschleunigungen und Kräfte berechnet, und hieraus dann Drehmomente und Drehzahlen am Verbrenner) – Die Rechnung geht vom betriebswarmen Zustand aus, d.h. es wurde kein Aufheizverhalten simuliert. Ferner wurde ein automatisiertes Schaltgetriebe angenommen (also kein Wandler). Beides bedingt neben der Unvollständigkeit der Fahrzeugparameter signifikante Abweichungen vom gemessenen Verbrauch. – Aufbauend auf der konventionellen Simulation wurden gemäß obigem Algorithmus für die verschiedenen Szenarien prädiktive Hybridstrategien entwickelt. Tabelle 13-1 zeigt die Ergebnisse für verschiedene Fahrzyklen und Bordnetzlasten. Es sei angemerkt, dass letztendlich der Verbrauch des Hybridbetriebs mit dem des konventionellen Systems zu vergleichen ist. Allerdings erfordert die vorgestellte Methodik als Zwischenschritt den Vergleich der Hybridbetriebsmodi mit konventionellem Betrieb (um mit spezifischen Kosten und Ersparnissen arbeiten zu können). Da sich das konventionelle Fahrzeug und das Hybridfahrzeug in der Masse unterscheiden (wenigstens durch Batterie und E-Maschine), ist dieser Vergleich nur sinnvoll, wenn sich der konventionelle Betrieb auf das Hybridsystem bezieht. Deshalb werden im Folgenden sowohl Verbräuche des konventionellen Systems, als auch des konventionell betriebenen (schwereren) Hybridsystems betrachtet. Im Einzelnen ergibt sich: 1.) Spalte: betrachteter Fahrzyklus, NEDC (New European Driving Cycle) oder FTP-72 (Federal Test Procedure). 2.) Spalte: geforderte Bordnetzlast. 3.) Spalte: Verbrauch für das konventionelle System (zu den Abweichungen zur Messung s.o.). Die Verbrauchserhöhungen durch Bordnetzlast ergeben sich aus einem angenommenen differenziellen Wirkungsgrad des Verbrenners von 45% und einem Generator-Wirkungsgrad von 70%. Die Bordnetzlast dividiert durch beide Wirkungsgrade ergibt dann eine zusätzliche petrochemische Leistung, welche in Verbrauch/Strecke umgerechnet werden kann. 4.) Spalte: Verbrauch des Hybridsystems im konventionellen Betrieb. Durch die zusätzlichen Komponenten erhöht sich die Trägheit und über das Gewicht auch die Rollreibung, was beides einen höheren Verbrauch bedingt. Hier wurde nur der Verbrauch für Bordnetzlast Null angegeben. Es ist noch zu definieren, wie im konventionellen Betrieb des Hybridsystems das Bordnetz zu versorgen ist. Im Folgenden soll angenommen werden, dass im konventionellen Betrieb die Bordnetzleistung ge-
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13 Energetische Bewertung von Betriebsstrategien im Hybrid-Antriebsstrang
nau durch rekuperierte Energie gedeckt wird, der Verbrauch im konventionellen Betrieb des Hybridsystems also unabhängig von der Bordnetzlast ist. 5.) Spalte: Verbrauch des Hybridsystems gemäß der prädiktiven Strategie. Spalte 9 enthält die Verbrauchsreduktion des Hybridbetriebs (Spalte 5) gegenüber konventionell betriebenem Hybridsystem (Spalte 4), und Spalten 6 bis 8 enthalten die Aufteilung dieser Verbrauchsreduktion auf (A) Start-Stopp, (B) Elektrisches Fahren aus der verfügbaren Bremsenergie und (C) Elektrisches Fahren aus der durch Lastpunktanhebung gewonnenen Ladung. 6.) Spalte: Verbrauchsreduktion durch Start-Stopp. Das Ergebnis resultiert aus einer Extrapolation des Verbrauchs-Kennfelds auf Leerlaufdrehzahl. Man beachte, dass auch im konventionellen System der Wandler wegfällt. 7.) Spalte: Elektrisches Fahren aus der verfügbaren Bremsenergie (sinkt mit zunehmender Bordnetzlast, da ja ein Teil der Bremsenergie dem Bordnetzbedarf zugeschlagen wird, s.o. zu Spalte 5). 8.) Spalte: Elektrisches Fahren aus der durch Lastpunktanhebung gewonnenen Ladung. 9.) Spalte: Verbrauchsreduktion (A+B+C) gegenüber konventionellem Betrieb des Hybridsystems (Spalte 5). 10.) Spalte: relative Verbrauchsabsenkung des Hybridbetriebs gegenüber dem Verbrauch des konventionellen Systems (Spalte 3). Allgemein überwiegt der Beitrag von Elektrischem Fahren versus Elektrischem Bremsen (Spalte 7) dem von Elektrischem Fahren versus Lastpunktanhebung (Spalte 8)2. Allerdings gewinnt die Lastpunktanhebung mit zunehmender Bordnetzlast an Bedeutung, da immer größere Teile der rekuperierten Energie dem Bordnetz zur Verfügung zu stellen sind. Der Betrachtung liegt eine Priorisierung zugrunde von 1. Elektrischem Bremsen zur Versorgung der Bordnetzlast, 2. Elektrischem Bremsen, um Elektrisches Fahren zu ermöglichen, und 3. des Tauschs Lastpunktanhebung gegen Elektrisches Fahren. Diese Priorisierung ergibt sich zum einen aus der kostenlosen Bereitstellung der Bremsenergie, zum anderen aus der Forderung elektrischer Energie seitens des Bordnetzes, welche sinnvollerweise zunächst durch ohnehin schon vorhandene Energie in elektrischer Form befriedigt werden sollte. Trotz der niedrigen Priorisierung der Lastpunktanhebung in der Aufspaltung sieht man deutlich, dass die betrachtete Strategie einen signifikanten Beitrag der Lastpunktanhebung ergibt. Der Beitrag reicht von 0,12 bis 0,51 l/100km. Der Rechnung lag eine Strategie des Elektrischen Bremsens mit ausgekuppeltem Verbrenner zugrunde. Schleppt man den Verbrenner beim Bremsen mit, so erniedrigt sich das Rekuperationspotenzial, und entsprechend sollte die Lastpunktanhebung an Bedeutung gewinnen3. Der Simulation liegt ferner eine auf Verbrauch und nicht auf Fahrbarkeit optimierte Im NEDC bei PESystem = 0 W, stehen dem Beitrag Elektrischen Bremsens −1,54 l/100 km (Spalte 7) der Beitrag der Lastpunktanhebung von −0,22 l/100 km (Spalte 8) gegenüber. Die Beiträge der Ladung sind 1,1 Ah (Elektrisches Bremsen) und 1,3 Ah (Lastpunktanhebung), allerdings wird die gebremste Ladung gegen Elektrisches Fahren mit günstigeren spezifische Ersparnissen getauscht. 3 Verzichtete man ganz auf Elektrisches Bremsen, so wäre im NEDC bei P ESystem = 0 W der Beitrag der Lastpunktanhebung (Spalte 8) etwa −0,6 l/100 km, was gegenüber −0,22 l/100 km eine wesentliche Erhöhung darstellt. Ursache sind die größeren spezifischen Ersparnisse, gegen welche getauscht würde. 2
13.5 Nichtprädiktive Strategie
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Schaltstrategie zugrunde. Eine weniger verbrauchsoptimierte Schaltstrategie sollte zu einer weiteren Erhöhung des Potenzials für Lastpunktanhebungen führen. Tabelle 13-1: Prädiktive Strategie für verschiedene Zyklen mit Verbrauch und Einsparungen
13.5 Nichtprädiktive Strategie Die oben entwickelte prädiktive Strategie setzt die Kenntnis des kompletten Fahrzyklus voraus. Die Strategie ist definiert durch Schwellenwerte SEFahren bzw. SLastanhebung für Elektrisches Fahren bzw. Lastpunktanhebung. Diese Schwellen liegen in etwa bei 3, variieren aber mit dem zugrunde liegenden Fahrzyklus und der Bordnetzlast. Eine nichtprädiktive Strategie sollte langfristig (bzw. im zeitlichen Mittel) Ladungsneutralität gewährleisten. Dies kann man dadurch sicherstellen, dass SEFahren monoton fallend mit dem Ladezustand SOC (State of Charge) der Batterie angenommen wird. Für eine relativ volle Batterie ist es auch bei etwas geringeren spezifischen Ersparnissen sinnvoll, die Batterie zu entladen, umgekehrt sollte für eine leerer werdende Batterie die Hürde, d.h. der Schwellwert für Elektrisches Fahren steigen, d.h. SEFahren höher werden. Analog sollte auch die Schwelle SLastanhebung für Lastpunktanhebung mit dem SOC monoton fallen: bei voller werdender Batterie sollte eher gezögert werden, bei leerer werdender Batterie auch bei höheren spezifischen Kosten geladen werden. Konkret kann man für gegebene Bordnetzlast Mittelwerte der Schwellen SEFahren bzw. SLastanhebung (aus der prädiktiven Strategie) für die verschiedenen Zyklen bilden und diese als Schwellen für einen idealen Batterieladezustand (bspw. SOCideal = 55%) annehmen. Man setzt also einen mit steigendem SOC monoton fallenden Verlauf der Schwellen an. Bild 13-7 zeigt den verwendeten Verlauf der Schwellen für eine Bordnetzlast von 800 W. Die nichtprädiktive Strategie lässt sich dann formulieren als nach Priorität geordnete Entscheidungen zu jedem Zeitpunkt t: 1) Wenn möglich Start-Stopp und Elektrisches Bremsen, ansonsten 2) Elektrisches Fahren, wenn spezifische Ersparnis ≥ SEFahren (SOC(t)), ansonsten 3) Lastpunktanhebung, wenn spezifische Kosten < SLastanhebung (SOC(t)).
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13 Energetische Bewertung von Betriebsstrategien im Hybrid-Antriebsstrang
Bild 13-7 Schwellen für spezifische Kosten (Lastpunktanhebung) und spezifische Einsparungen (Elektrisch Fahren) in Abhängigkeit vom SOC bei 800 W Bordnetzlast
Tabelle 13-2 zeigt die Ergebnisse. Man erhält etwa gleich gute Ergebnisse wie in der prädiktiven Strategie. Hierzu ist zu bemerken, dass für die nichtprädiktiven Ergebnisse über mehrere wiederholte Zyklen gerechnet wurde. Es wird ja nur langfristig, bzw. im zeitlichen Mittel, Ladungsneutralität gefordert. Langfristig bleibt das System durch die beschriebene Strategie innerhalb seiner Grenzen, der dabei begrenzt mögliche SOC-Hub (ΔSOC = SOCEnde – SOCAnfang) verteilt sich auf sehr viele Zyklen und wird in seiner Umrechnung auf den Verbrauch immer unbedeutender. Simuliert man jedoch nur über einige Zyklen, so ist aus dem SOC-Hub für jeden Teilzyklus, z.B. durch lineare Regression, der jeweilige Verbrauch zu korrigieren (positiver SOC-Hub führt hierbei zu Verbrauchsminderung). So wurden die Ergebnisse in Tabelle 13-2 in den meisten Fällen durch Simulieren von 5 wiederholten Zyklen4 generiert. Es überrascht, dass die Ergebnisse der nichtprädiktiven Strategie nur um maximal 0,3 Prozentpunkte schlechter sind! Das könnte auf die folgenden zwei Effekte zurückzuführen sein, welche mit der Priorität Elektrischen Fahrens gegenüber Lastpunktanhebung zu tun haben: (1) In der prädiktiven Strategie werden zunächst bis zu einer gewissen Schwelle SEFahren die Zustände Elektrischen Fahrens ausgewählt. Die Schwelle für Lastpunktanhebung SLastanhebung soll dann zu einer neutralen Ladung führen. Im letzteren Falle ist das teilweise nur möglich, wenn SLastanhebung etwas höher als SEFahren ist, was eigentlich ungünstig ist; (2) wiederholter Wechsel von Elektrischem Fahren und Lastpunktanhebung in einem Lastpunkt (bzw. Lastbereich) mit großer Differenz von spezifischen Ersparnissen und Kosten ist ausgeschlossen, obwohl hier u.U. gute Einsparungen zu erwarten wären. Im Falle der nichtprädiktiven Strategie wird diese strenge Priorität durch die veränderlichen Schwellen etwas aufgeweicht, so dass die beiden beschriebenen Effekte in ihrer Wirkung vermindert werden. 4 Alternativ erhält man die gleichen Ergebnisse, wenn man die Zyklen für verschiedene SOCAnfangswerte simuliert. Hieraus ergeben sich verschiedene ΔSOC und zugehörige Verbräuche, durch Inter- bzw. Extrapolation auf ΔSOC = 0 erhält man dann den SOC-neutralen Verbrauch.
13.6 Hybridmodi und Schaltung
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Tabelle 13-2: Vergleich prädiktive / nichtprädiktive Strategie für verschiedene Zyklen
13.6 Hybridmodi und Schaltung Elektrisches Bremsen. In den vorgestellten Rechnungen wurde eine Anpassung der Schaltkennlinien im Bremsfalle (negatives Radwunschmoment) so umgesetzt, dass der generatorische Betrieb möglichst im Optimum des Kennfeldes stattfindet. Elektrisches Fahren. Grundlegend ist es möglich, die Schaltstrategie auch für das Elektrische Fahren anzupassen, so dass der motorische Betrieb der E-Maschine möglichst im Wirkungsgradoptimum stattfindet. Dabei wäre eine signifikante Verbrauchsenkung zu erwarten. Lastpunktanhebung. Ferner kann man untersuchen ob sich Lastpunktanhebung und gleichzeitiges Schalten lohnt. Hierzu ist Bild 13-8 zu betrachten. Man sieht die effektive Leistung über der petrochemischen Leistung des Verbrenners dargestellt. Die drei Linien beschreiben mögliche Fahrzustände in den verschiedenen Gängen 1, 2 und 3, aber mit gleicher Fahrzeuggeschwindigkeit. Der momentane Betrieb des Verbrenners im 2. Gang ist durch den linken Punkt markiert, der mittlere Punkt (nach rechts oben verschoben) beschreibt eine Lastpunktanhebung um 15 kW im 2. Gang. Der rechte Punkt markiert ebenfalls einen um 15 kW angehobenen Lastpunkt, aber mit zusätzlicher Schaltung in den 1. Gang; eine entsprechende Hochschaltung in den 3.Gang bei gleichzeitiger Lastpunktanhebung um 15 kW ist nicht möglich, da man hier die Kennfeldgrenzen verlassen würde (wäre es möglich, würde man zumindest die Brummgrenzen unterschreiten). Man sieht, dass der differenzielle Wirkungsgrad des Verbrenners im Falle der Schaltung schlechter ist: dηVerbrenner 2ˇ1 = 0,351 und dηVerbrenner 2ˇ2= 0,414. Ferner ergibt sich für den Wirkungsgrad des Generators: ηGenerator 2ˇ1 = 0,845 und ηGenerator 2ˇ2 = 0,934, oder in der Gesamtbetrachtung (die Batterieverluste vernachlässigend): dη2ˇ1 = dηVerbrenner 2ˇ1 · ηGenerator 2ˇ1 = 0,297 dη2ˇ2 = dηVerbrenner 2ˇ2 · ηGenerator 2ˇ2 = 0,387
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13 Energetische Bewertung von Betriebsstrategien im Hybrid-Antriebsstrang
Bild 13-8 Lastpunktanhebung mit und ohne Gangwechsel. Der Arbeitspunkt wird hier um 15 kW angehoben. Herunterschalten ist hier nicht möglich, Hochschalten ist energetisch ungünstiger!
D.h. der spezifische Preis (als Kehrwert des differenziellen Wirkungsgrades dη2ˇn) erhöht sich beim gleichzeitigen Schalten. Was den Verbrenner betrifft, gibt es eine grundlegende Tendenz, dass der differenzielle Wirkungsgrad schlechter wird mit Herunterschaltung, die entsprechende Verbindung in Bild 13-8 wird im Allgemeinen flacher. Das kann zwar prinzipiell durch bessere Generatorwirkungsgrade ausgeglichen werden, aber wenn schon der differenzielle Wirkungsgrad des Verbrenners schlecht ist, werden die spezifischen Kosten generell zu hoch sein. Man schließt, dass bei gleichzeitigem Schalten und Lastpunktanheben kaum signifikante Verbesserungen zu erwarten sind. Etwas anders sieht die Situation bei sehr großer Generatorleistung aus, der Wechsel vom zweiten in den ersten Gang verringert dann den differenziellen Wirkungsgrad nicht signifikant. Elektrisches Unterstützen. Auch wenn bisher vernachlässigt ist Elektrisches Unterstützen natürlich generell sinnvoll in dem Fall, dass der Verbrenner nicht ausgekuppelt werden kann (Mild-Hybrid), die Bremsenergie also nicht durch Elektrisches Fahren verbraucht werden kann. Hierzu betrachte man Bild 13-9. Der Arbeitspunkt im 1. Gang liegt bei 22 kW petrochemischer bzw. 5 kW effektiver Leistung. Durch Elektrisches Unterstützen könnte der Verbrenner auf die effektive Leistung von 0 kW abgesenkt werden, wobei etwa 10,2 kW als petrochemische Leerlaufschleppleistung übrigblieben (rechter Punkt auf x-Achse). Um die verbleibende petrochemische Leistung zu verringern, wäre ein Hochschalten bei gleichzeitigem Absenken der effektiven Verbrennerleistung denkbar (linker Punkt), wobei etwa 4,2 kW petrochemische Leerlaufleistung verblieben. Nimmt man für die Batterie und die E-Maschine pauschal Wirkungsgrade von 90% an, so ergeben sich spezifische Ersparnisse von (22 – 10,2)/5 · 0,92 ≈ 1,9 bzw. (22 – 4,2)/5 · 0,92 ≈ 2,9 ohne und mit Hochschalten, früheres Hochschalten ist also signifikant günstiger. Für eine realistischere Betrachtung hätte man zum einen Kennfelder der spezifischen Ersparnis ohne und mit Hochschalten und typische Anfahrszenarien zu betrachten. Zum anderen sind im Mild-Hybrid E-Maschine und Batterie auf kleinere Leistungen ausgelegt, was die hier diskutierte Möglichkeit Elektrischen Unterstützens drastisch eingeschränken dürfte.
13.7 Grenzen und Erweiterung der Methodik
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Bild 13-9 Elektrisches Unterstützen mit und ohne Gangwechsel. Der Arbeitspunkt im ersten Gang wird hierbei um 5 kW auf die effektive Leerlaufleistung 0 kW abgesenkt, gleichzeitiges Hochschalten ist energetisch günstiger!
13.7 Grenzen und Erweiterung der Methodik Optimum der spezifischen Kosten versus Optimum der Ladungsmenge? Die bisher vorgestellte Methodik bezieht nur die Lastpunktanhebung mit optimalen spezifischen Kosten ein, die absolute Menge an umgesetzter Ladung wird zunächst nicht betrachtet. Beim Elektrischen Fahren ist das nicht relevant, da die dabei umzusetzenden Ladungsmengen eindeutig sind. Beim Lastpunktanheben könnte man sich aber im Prinzip folgendes Szenario vorstellen: Spezifische Kosten, welche nur geringfügig über dem Optimum liegen (bspw. bis zu 3%), ermöglichen einen um 20% höheren Ladungsumsatz. Insgesamt würde mehr Elektrisches Fahren ermöglicht, und der Gesamtverbrauch sänke u.U. Wenn spezifische Kosten > A · optimale spezifische Kosten (bspw. A = 1,03) und Strom > B · Strom am Optimum (bspw. B = 1,2) sollte die entsprechende Lastpunktanhebung dem spezifischen Kostenoptimum vorgezogen werden. In bisherigen Versuchen konnte auf diese Weise allerdings keine signifikante Verbrauchsverbesserung erzielt werden. Elektrisches Fahren wird gegenüber Lastpunktanhebung priorisiert! In der bisherigen Strategie wird zunächst ausgewertet, ob Elektrisches Fahren zu wählen ist, bevor Lastpunktanhebung in Erwägung gezogen wird. Ein zyklischer Betrieb, d.h ein wiederkehrender Wechsel von Elektrischem Fahren und Lastpunktanhebung für einen gewissen Lastbereich ist in der hier beschriebenen prädiktiven Strategie ausgeschlossen. Insbeson-
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13 Energetische Bewertung von Betriebsstrategien im Hybrid-Antriebsstrang
dere in Lastbereichen, in denen gleichzeitig die spezifischen Kosten und Ersparnisse günstig sind, würde sich ein solcher zyklischer Betrieb aus energetischen Gründen anbieten. In der nichtprädiktiven Strategie sollte hingegen die SOC-Abhängigkeit der Schwellwerte, Lastpunktanhebung und Elektrisches Fahren im selben Lastbereich zu unterschiedlichen Zeiten ermöglichen. Eine Verbesserung der Strategie wäre evtl. möglich, wenn die Priorität des Elektrischen Fahrens aufgegeben würde und bspw. der größere Abstand zum Schwellwert über die Priorität entscheidet (wenn die spezifischen Kosten weiter unter als die Ersparnisse über der jeweiligen Schwelle lägen, würde Lastpunktanhebung bevorzugt). Die vorgestellte Methodik ist auch auf Topologien mit E-Maschine(n) an der Achse anwendbar. Die dargestellte Vorgehensweise lebt vom Bezug zum konventionellen Betrieb als Referenzzustand. Bei der Anwendung der Methodik auf leistungsverzweigte Hybride würde konventionelles Fahren im wesentlichen bedeuten, dass der Batterieladezustand beibehalten wird, somit sich alle E-Maschinen elektrisch kompensieren. Bisher wurden verschiedene dynamische Effekte nicht abgebildet. Hier wäre insbesondere das Aufheizen der Komponenten zu nennen und das Turboloch5 für aufgeladene Verbrenner. Auch bessere Modelle für die Batterie wären denkbar. Die bisherige Methodik berücksichtigt nicht die Häufigkeit von Verbrenner-Starts. Hieraus könnte ein signifikanter negativer Einfluss auf den Verbrauch resultieren. Häufige Verbrenner-Starts sollten bspw. durch Hysteresen des elektromotorischen bzw. verbrennungsmotorischen Betriebs unterbunden werden können.
13.8 Zusammenfassung Es geht letztlich um den Tausch Ladung gegen Kraftstoff! – Die Hybridbetriebsmodi werden mit dem konventionellem Betrieb verglichen. Hieraus ergeben sich für Lastpunktanhebung spezifische Kosten als Kraftstoffmehrverbrauch pro erzielter Batterieladung und für Elektrisches Fahren spezifische Ersparnisse als Kraftstoffminderverbrauch pro verbrauchter Batterieladung. Durch die Einführung von spezifischen Kosten bzw. spezifischen Ersparnissen werden die Hybridmodi zunächst jeweils für sich bewertbar. So ist eine Lastpunktanhebung um so effizienter, je niedriger der spezifische Preis ist. Entsprechend ist Elektrisches Fahren umso effizienter, je höher die spezifische Einsparung ist. Darüber hinaus wird auch bewertbar, ob sich der Tausch einer Ladungserzeugung durch Lastpunktanhebung gegen einen Ladungsverbrauch durch Elektrisches Fahren lohnt. Das ist nur dann der Fall, wenn 5 Durch Elektrisches Unterstützen kann man dem Turboloch entgegenwirken. Abstimmung und energetische Bewertung erfordern dann eine entsprechende Modellierung.
13.8 Zusammenfassung
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Kraftstoffaufwand pro Beladung unter der Kraftstoffersparnis pro Entladung liegt, d.h. der spezifische Preis unter der spezifischen Einsparung liegt, ansonsten erhöht sich der Verbrauch gegenüber konventionellem Fahren. – Auf einen Fahrzyklus bezogen können zunächst die günstigsten Zeitpunkte für Elektrisches Fahren gesammelt werden (spezifische Ersparnis oberhalb eine Schwelle SEFahren), die entsprechende Entladung ist dann durch Elektrisches Bremsen (umsonst!), sowie durch Lastpunktanhebung (spezifische Kosten unterhalb einer Schwelle SLastanhebung) auszugleichen. Variiert man SEFahren und damit auch SLastanhebung so ergibt sich ein Punkt minimalen Verbrauchs. Die so gewonnene prädiktive Strategie ist durch die beiden Schwellen SEFahren und SLastanhebung festgelegt. – Variert man diese Schwellen monoton fallend mit dem SOC, so kann die Batterieladung in der Nähe des Optimums gehalten, im zeitlichen Mittel ladungsneutral gefahren und zwischen verschiedenen Zyklen (mit verschiedenen Schwellen für eine prädiktive Strategie) vermittelt werden. Diese nichtprädiktive Strategie ist u.U. etwas weniger effizient als die prädiktive, allerdings nicht mehr vom Zyklus abhängig. – Das betrachtete Szenario ergibt einen signifikanten Einfluss der Lastpunktanhebung. – Die vorgestellte Methodik ermöglicht eine Vorauslegung von Hybridsystemen. Hierzu reicht ein konventionelles Modell der Längsdynamik, bzw. entsprechende Drehmoment- und Drehzahlverläufe aus. Eine Hybridbetrachtung kann über Kennfelder spezifischer Kosten und spezifischer Ersparnisse hierauf aufsetzen, ohne ein detailliertes dynamisches Hybrid-Modell zu benötigen6. Es soll nicht ohne einen Ausblick geschlossen werden: – Die Prädiktive Strategie ist z.B. auf den Linienverkehr anwendbar (bspw. für Schienenfahrzeuge). – Eine Schaltoptimierung für Elektrisches Fahren sollte mit der prädiktiven und nichtprädiktiven Strategie verbunden werden. – Statt der Optimierung des Verbrauchs, d.h. Minimierung CO2 + CO + CHx – kann auch ein Emissionsmix optimiert werden, bspw. Minimierung x1 · CO2 + x2 · CO + x3 · CHx + x4 · PM + x5 · NOx , die spezifischen Kosten bzw. Ersparnisse ergeben sich, indem die Erhöhung bzw. Erniedrigung der zeitlichen Änderung des Emissionmixes auf die Batterieleistung bezogen wird. Insbesondere kann man untersuchen, inwiefern sich zur Verminderung von Emissionsspitzen in Beschleunigungsphasen Elektrisches Unterstützen lohnt (Phlegmatisierung).
6
Benötigt werden lediglich: für den Verbrenner das Verbrauchskennfeld, für die E-Maschine Verlustkennfelder (motorisch und generatorisch), für die Batterie Verlustwiderstände und Coulombsche Wirkungsgrade sowie entsprechende Leistungsgrenzen.
326
13 Energetische Bewertung von Betriebsstrategien im Hybrid-Antriebsstrang
13.9 Anhang: Parametrierung des Modells Im Folgenden sollen die zitierten und geschätzten Parameter aufgeführt werden. Der Verbrenner ist im Zusammenhang dieser Arbeit vor allem über sein Kraftstoffverbrauchskennfeld zu beschreiben. Es wurde das Kennfeld für den 3-l-Reihensechszylindermotor aus [4] verwendet. Leergewicht (2180 kg), Getriebeübersetzung (4,171, 2,340, 1,521, 1,143, 0,867, 0,691), Hinterachsübersetzung (3,91), dynamischer Reifenradius (r = 0,35m) wurden dem BMW X5 Katalog für die Motorisierung 3.0d entnommen [5], sowie cw · A = 0,35 · 2,7·m2 = 0,945 m2 aus [6]. Die noch fehlenden Parameter sind im wesentlichen die Rollreibungskoeffizienten, die Triebstrangwirkungsgrade, sowie die Schaltstrategie. Für die Rollreibungskoeffizienten wurde angenommen f0 = 0,0120 und f1 = 3 · 10–4/(m/s), woraus sich die Rollreibungskraft gemäß Froll = m · g · (f0 + f1 · v) ergibt. Für den Triebstrang wurde unabhängig von Gang, Last und Drehzahl ein Wirkungsgrad η = 0,9 angenommen. Die Schaltstrategie wurde verbrauchsoptimiert. Wesentliche Nebenbedingungen waren die Brummgrenze bei einer Motordrehzahl von 1000 rpm und das Vermeiden von Pendelschaltungen in den betrachteten Zyklen, was durch einen Abstand der jeweiligen Kennlinie (Radwunschleistung über Geschwindigkeit) für hochschalten g ˇ g + 1 und rückschalten g + 1 ˇ g sichergestellt wurde. Auf gute Fahrbarkeit wurde bei der Festlegung der Schaltkennlinien keine Rücksicht genommen. Ferner mussten für die Hybridkomponenten Batterie und E-Maschine Annahmen getroffen werden. Die Batterie hat eine Kapazität von 31 Ah, eine Leerlaufspannung U = 400 V (Ucell = 3,7 V) und eine Masse von 94 kg (Daten gemäß Herstellerangaben für den Li-Polymer-Akku SLPB 78216216H von Kokam Co., Ltd, [7]). Ferner wurde ein Coulombscher Wirkungsgrad ηCoulomb = 0,98 und ein Gesamtwiderstand R = 0,2 Ω (Rcell = 1,85 mΩ) angenommen. Die Wirkungsgrade ηLaden und ηEntladen für Be- und Entladen der Batterie sind dann gegeben durch
ηLaden =
2 1 + 1 + 4 R Pel / V 2
ηCoulomb und η Entladen =
1 + 1 + 4 R Pel / V 2 2
mit Pel als effektiver (äußerer) elektrischer Leistung der Batterie. Für die E-Maschine (permanent erregte Synchchronmaschine) wurde von [8] Gebrauch gemacht. Die Verluste bzw. Wirkungsgrade η sind Drehzahlen n und Drehmomenten T zugeordnet, mit maximalem Wirkungsgrad ηmax = 0,895. Das Kennfeld wurde nun für die vorliegende Anwendung skaliert: – Drehzahlen: Stauchung n ˇ n · 0,6, – Drehmomente: Streckung T ˇ T · 1,6, – Die Wirkungsgrade werden transformiert gemäß η ˇ 0,94·(η/ηmax)1,1, d.h. der maximale Wirkungsgrad wurde erhöht, aber das Optimum schmaler. – Drehmomente wurden auf 150 Nm begrenzt, mechanische Leistungen auf 30 kW. – Die Verluste für motorischen Betrieb wurden gespiegelt für generatorischen Betrieb übernommen. – Als Masse wurde 75 kg angenommen. Es ergibt sich das Kennfeld in Bild 13-10.
13.9 Anhang: Parametrierung des Modells
327
Bild 13-10 Wirkungsgradkennfeld E-Maschine
Danksagung
Der Autor bedankt sich bei Prof. M. Lindemann und S. Gerson für kritische Diskussionen.
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14 Modellgestützte Hybrid Systementwicklung – Modellierung und Optimierung THOMAS HUBER
Im Bereich der Hybridfahrzeugentwicklung wird nach wie vor intensiv an Konzepten zur Verbrauchseinsparung und Reduzierung von Emissionen gearbeitet. Gleichzeitig sollen „Fahrspaß“ und Komfort solcher Fahrzeuge verbessert werden. Für verschiedene Anwendungen sind unterschiedlichste Hybridkonzepte denkbar und sinnvoll. Trotz dieser Variantenvielfalt und den daraus resultierenden technischen Anforderungen sind die Kosten eines Hybridfahrzeugs zu minimieren, wobei ein wesentlicher Aspekt bei der Kostenreduzierung die Stückzahl ist. Bei der Entwicklung von Komponenten steht daher, neben den technischen Anforderungen, deren vielseitige Einsetzbarkeit im Vordergrund. Grundlage für den Vergleich von Hybridkonzepten ist der Einsatz von Simulationstechniken und Optimierungsverfahren. Mit Hilfe von mathematischen Modellen der Komponenten Verbrennungsmotor, Getriebe, Batterie und elektrischer Antrieb erfolgt unter Verwendung einer adaptiven Betriebsstrategie die Beschreibung des Zusammenwirkens der einzelnen Komponenten im Systemverbund. Die Simulation dient unter anderem zur Bestimmung von Kraftstoffverbrauch und Fahrleistungen für gegebene Hybridkonzepte und Komponentenauslegungen. Damit kann jeder Komponentenauslegung ein bestimmter Nutzen und ein dazugehöriger Aufwand zugewiesen werden. Mit diesen Informationen wird ein datenbasiertes Modell erstellt, das einen quantifizierbaren Zusammenhang zwischen den Auslegungsparametern der einzelnen Komponenten und Nutzen bzw. Aufwand im Systemverbund herstellt. Durch ein geeignetes Optimierungsverfahren wird für jedes Hybridkonzept die ParetoFront der optimalen Komponentenauslegungen für beliebige Aufwand/Nutzen-Gewichtungen bestimmt. Diese Pareto-Fronten ermöglichen den objektiven Vergleich unterschiedlicher Hybridkonzepte und beinhalten zudem die zugrunde liegenden optimalen Komponentenauslegungen. Das vorgestellte modellgestützte Vorgehen wird bei der Robert Bosch GmbH zur Ableitung der bestmöglichen Komponentenauslegungen, insbesondere für die Baureihen leistungsfähiger elektrischer Antriebe zur Integration in den Antriebsstrang oder in das Getriebe sowie zum Einsatz als elektrischer Achsantrieb, angewendet.
14.1 Verschiedene Hybridkonzepte Hybridantriebe bieten die Möglichkeit einer zusätzlichen Verbrauchseinsparung gegenüber konventionellen Fahrzeugantrieben. Derzeit werden unterschiedliche Konzepte diskutiert, wie elektrische Antriebe in den Antriebsstrang integriert werden können. Dabei stellt sich die Frage, welches dieser Konzepte zum optimalen Hybridfahrzeug führt. Zur
14.1 Verschiedene Hybridkonzepte
329
Beantwortung dieser Frage wird eine Übersicht der Konzepte benötigt sowie eine Methode, um verschiedene Konzepte miteinander zu vergleichen. Am bekanntesten ist der Vergleich auf funktionaler Ebene. Es werden im Wesentlichen die Kategorien Start/Stopp System, Mild Hybrid und Strong Hybrid unterschieden, Bild 14-1.
Bild 14-1: Funktionaler Vergleich von Hybridsystemen
Bezüglich Kraftstoffeinsparung zeigen die Strong Hybride die besten Voraussetzungen. Zudem kann eine gewisse Fahrtstrecke rein elektrisch und damit vollständig emissionsfrei zurückgelegt werden. Das optimale Hybridfahrzeug zur Kraftstoffeinsparung ist also ein Strong Hybrid. Ein weitergehender Ansatz zum Vergleich von Hybridfahrzeugen wurde in [1, 2] vorgestellt. Analog zur Vorgehensweise des QFD (Quality Function Deployment) wurden verschiedene Kriterien entwickelt und untereinander gewichtet. Die Kriterien werden für jedes Hybridkonzept bewertet und danach zu verschiedenen Kategorien wie z.B. Kraftstoffverbrauch, Fahrspaß oder Zusatzaufwand zusammengefasst. Durch Gewichtung der Kategorien untereinander wurde der Parallelhybrid als optimales Hybridfahrzeug bezüglich Kraftstoffeinsparung und Zusatzaufwand ermittelt. Serielle und leistungsverzweigende Hybridfahrzeuge schnitten in diesem Vergleich schlechter ab. Ein Parallelhybrid kann auf unterschiedliche Art und Weise realisiert werden. Einen Überblick gibt Bild 14-2. Bei den P1 und P2 Parallelhybriden ist die E-Maschine koaxial zum Verbrennungsmotor angeordnet. Der P2-HEV besitzt zusätzlich eine Kupplung zwischen E-Maschine und Verbrennungsmotor, um diesen während dem elektrischen Fahren komplett vom Antriebsstrang zu trennen. Der AS-HEV kombiniert einen konventionellen Antriebsstrang auf einer angetriebenen Achse mit einem elektrischen Achsantrieb auf der anderen Achse. Beim TS-HEV ist die E-Maschine an ein Teilgetriebe eines Doppelkupplungsgetriebes angebunden. Der TS-HEV ist dabei zwingend auf ein Doppelkupplungsgetriebe an-
330
14 Modellgestützte Hybrid Systementwicklung –Modellierung und Optimierung
gewiesen, die anderen Topologien können mit beliebigen Getrieben kombiniert werden. Der P1-HEV ist ein Mild Hybrid, die anderen Konzepte sind Strong Hybride. Nach Anwendung von funktionsbasierten und kriterienbasierten Vergleichsmethoden wird die Suche nach dem optimalen Hybridfahrzeug demnach eingeschränkt auf P2HEV, TS-HEV und AS-HEV. Bisher wurden nur grundlegende Eigenschaften der Hybridkonzepte miteinander verglichen. Der Einfluss der Komponenten, insbesondere die Auslegung des E-Antriebs und der Batterie, wurde bisher vernachlässigt. In den folgenden Abschnitten wird eine Methode vorgestellt wie die Auslegung der Komponenten beim Vergleich verschiedener Hybridkonzepte berücksichtigt werden kann.
Bild 14-2: Verschiedene Topologien von Parallelhybriden
14.2 Modellierung und Simulation Um verschiedene Eigenschaften eines Hybridfahrzeugs zu quantifizieren ist der Einsatz von Simulationsmodellen notwendig. Einzige Alternative dazu wäre der Aufbau von vielen Prototypfahrzeugen, um einzelne Effekte nachmessen zu können. Bei den Simulationsmodellen stehen zwei Dinge im Vordergrund. Erstens muss jede Komponente im Hybridfahrzeug im Rahmen einer anwendungsspezifischen Genauigkeit abgebildet werden und zweitens müssen die Querkopplungen und das Zusammenspiel der Komponenten untereinander berücksichtigt werden. Eine Veranschaulichung zeigt Bild 14-3.
14.2 Modellierung und Simulation
331
Bild 14-3: Komponenten und Wechselwirkungen im Hybridfahrzeug
Zur Bestimmung des Kraftstoffverbrauchs genügt es, die einzelnen Komponenten im Wesentlichen durch Wirkungsgradkennfelder abzubilden. Je nach Hybridtopologie gilt es, eine andere Anordnung von elektrischem Antrieb, Verbrennungsmotor und Getriebe abzubilden. Bild 14-4 zeigt beispielhaft die Anordnung für einen P2-HEV.
Bild 14-4: Simulationsmodell für den P2-HEV
Als Ansatz für die Verbrauchssimulation dient die sogenannte Rückwärtssimulation [4]. Bei diesem Ansatz wird der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung umgekehrt. Ausgangspunkt sind die gewünschte Beschleunigung und die momentane Fahrzeuggeschwindigkeit. Mit entsprechenden Modellen für Fahrzeug, Rad/Achse, Getriebe, Kupplung, elektrischer Antrieb, Batterie und Verbrennungsmotor können damit die zugehörigen Betriebspunkte für Verbrennungsmotor und elektrischen Antrieb bestimmt werden. Zusätzlich zu diesem „Rückwärtspfad“ gibt es einen „Vorwärtspfad“. Sollwerte werden entlang dem Rückwärtspfad an die jeweils nächste Komponente weitergeleitet. Falls innerhalb eines Komponentenmodells eine Begrenzung erreicht wird, also z.B. die Batterie die angebotene elektrische Energie nicht mehr aufnehmen kann, wird diese entlang dem
332
14 Modellgestützte Hybrid Systementwicklung –Modellierung und Optimierung
Vorwärtspfad weitergegeben. In unserem Beispiel würde daraufhin der elektrische Antrieb die Generatorleistung zurücknehmen. Der große Vorteil der Rückwärtssimulation ist die Unabhängigkeit von einem Fahrermodell. Für eine Vorwärtssimulation, bei der Drehmomente von Verbrennungsmotor und elektrischem Antrieb zu Änderungen der Fahrzeugbewegung führen, ist ein solches Fahrermodell unabdingbar. Zum Vergleich verschiedener Auslegungsvarianten von Hybridfahrzeugen ist die Rückwärtssimulation vorteilhaft, da unterschiedliche Fahrerreaktionen nicht berücksichtigt werden müssen. Die Simulationsumgebung beinhaltet neben den Eigenschaften und physikalischen Kopplungen der Komponenten auch die Betriebsstrategie, die das Zusammenspiel von Verbrennungsmotor und elektrischem Antrieb beschreibt. Aufgabe der Betriebsstrategie ist die Minimierung des Kraftstoffverbrauchs. Dazu ist eine koordinierte Ansteuerung von Verbrennungsmotor und elektrischem Antrieb notwendig. Die Betriebsstrategie gibt dazu die optimale Leistungsaufteilung zwischen den Antriebsaggregaten vor, insbesondere auch die Entscheidung, ob rein elektrisch gefahren wird. Bild 14-5 zeigt eine schematische Übersicht.
Bild 14-5: Betriebsstrategie für Hybridfahrzeuge
Der Grundgedanke der Betriebsstrategie ist die Verwendung eines Äquivalenzwerts für elektrische Energie [5]. Damit kann elektrische Energie in ein Kraftstoffäquivalent umgerechnet und gemeinsam mit dem Kraftstoffverbrauch des Verbrennungsmotors in einer Optimierungsrechnung berücksichtigt werden. Die Betriebsstrategie ist stark abhängig von der Auslegung von Verbrennungsmotor, Batterie und elektrischem Antrieb. Zudem besitzt das zurückzulegende Fahrprofil einen großen Einfluss. Aus diesen Gründen wird ein Adaptionsschema verwendet, um die Betriebsstrategie jeweils den Gegebenheiten in einem spezifischen Hybridfahrzeug anzupassen. Bildet man die Parameter eines vorhandenen Hybridfahrzeugs in der Simulationsumgebung ab, können Simulationsergebnisse mit Rollenmessungen verglichen werden. Bild 14-6 zeigt einen solchen Vergleich. Die dicken Linien zeigen den kumulierten Verbrauch, die dünnen Linien zeigen den jeweiligen Momentanverbrauchswert. Unterschiede in den Momentanverbrauchswerten treten nur zu Beginn und am Ende der Messung auf. Über weite Strecken sind Messung und Simulation deckungsgleich. Die Abweichung im Gesamtergebnis liegt unter 4 %, obwohl einige Fahrzeugparameter nicht messtechnisch bestimmt werden konnten und nur Näherungswerte zur Verfügung standen.
14.2 Modellierung und Simulation
333
Bild 14-6: Vergleich zwischen Simulation und Rollenmessung
Um weitere systematische Fehler beim Einsatz von Simulationsmodellen zu verringern, wird jedes Simulationsergebnis für ein Hybridfahrzeug nur mit dem Simulationsergebnis des entsprechenden konventionellen Fahrzeugs mit gleichen Fahrwiderständen, Getriebe und Verbrennungsmotor verglichen. Die Verwendung dieser differentiellen Ergebnisse stellt sicher, dass nur der Einfluss von Hybridtopologie und Auslegung der Hybridkomponenten im weiteren Vorgehen berücksichtigt werden. Bild 14-7 zeigt abschließend einen Überblick über Eingänge und Ausgänge, die bei der Modellierung und Simulation eine Rolle spielen. Zudem wird veranschaulicht, dass die Simulationsumgebung als Abbildung zwischen gegebenen Eingängen und erwarteten Ausgängen aufgefasst werden kann. Dieser Aspekt wird im folgenden Abschnitt erneut aufgegriffen.
Bild 14-7: Übersicht der Simulationsumgebung für Hybridfahrzeuge
334
14 Modellgestützte Hybrid Systementwicklung –Modellierung und Optimierung
14.3 Optimierung Die Frage nach dem optimalen Hybridfahrzeug wurde bisher noch nicht beantwortet. Vor einer Antwort muss die Fragestellung präzisiert werden. Im Folgenden ist das Hybridfahrzeug optimal, das die größtmögliche Kraftstoffeinsparung mit dem geringst möglichen Zusatzaufwand erreicht. Zur Bestimmung des optimalen Hybridfahrzeugs muss also eine multikriterielle Optimierungsaufgabe gelöst werden. Da sich beide Ziele (maximale Kraftstoffeinsparung und minimaler Zusatzaufwand) widersprechen existiert keine eindeutige Lösung, sondern eine Menge gleichwertiger Kompromisse [6]. Bild 14-8 veranschaulicht diese sogenannten Pareto-optimalen Lösungen.
Bild 14-8: Veranschaulichung der Pareto-Front
Alle möglichen Lösungen links und oberhalb von B dominieren B. Genauso dominiert B alle Lösungen rechts und unterhalb. Andere Lösungen sind indifferent gegenüber B. Die Menge der Pareto-optimalen Lösungen oder Pareto-Front besteht dann aus allen Lösungen, die nicht durch andere Lösungen dominiert werden. Beim Vergleich verschiedener Hybridkonzepte muss auch der Einfluss der Komponentenauslegungen berücksichtigt werden. Ein elektrischer Antrieb, der für einen P2 Hybrid ausgelegt wurde, ist vielleicht nicht die beste Wahl für einen TS Hybrid. Darum sind die Auslegungsparameter für Hybridkomponenten wichtige Eingangsgrößen für die Optimierungsaufgabe. Zielgrößen der Optimierung sind, wie schon angeführt, die Kraftstoffeinsparung oder CO2 Reduktion und der Zusatzaufwand für die Realisierung des Hybridfahrzeugs. Mit dieser Formulierung der Optimierungsaufgabe vereinfacht sich der Vergleich verschiedener Hybridkonzepte auf den Vergleich der entsprechenden ParetoFronten. Bild 14-9 veranschaulicht den Ablauf des Optimierungsprozesses mit dem die ParetoFronten berechnet werden. Zu Beginn werden der Fahrzeugtyp, die Hybridtopologie und
14.3 Optimierung
335
ein Fahrzyklus vorgegeben. Unter diesen Randbedingungen wird in einer Simulationsumgebung der Einfluss von Auslegungsparametern der Hybridkomponenten (z.B. maximales Moment des elektrischen Antriebs und Leistung der Batterie) auf den Kraftstoffverbrauch und den Zusatzaufwand abgebildet. Diese Ergebnisse gehen in die Zielfunktion der Optimierungsaufgabe ein. Ein Optimierungsalgorithmus bestimmt die nächsten Variationen der Auslegungsparameter und der nächste Durchlauf startet.
Bild 14-9: Einbindung der Simulationsumgebung in den Optimierungsprozess
Nach Ablauf dieses Prozesses liegen die besten Komponentenauslegungen vor. Ein weiterer Simulationslauf mit diesen als Eingangsgrößen liefert neben der erreichbaren Kraftstoffeinsparung auch die Betriebspunkte aller Hybridkomponenten für die angegebenen Randbedingungen. Zur Lösung der Optimierungsaufgabe und damit der Bestimmung der Pareto-Fronten eignen sich evolutionäre Algorithmen [6]. Nachteilig an diesen Verfahren ist lediglich der Rechenaufwand. Zur Bestimmung der gesamten Pareto-Front muss die Zielfunktion sehr oft berechnet werden. Grundlage jeder Berechnung ist dabei das Ergebnis eines Simulationsdurchlaufs mit den entsprechenden Auslegungsparametern als Eingangsdaten. Der Zeitaufwand für die Bestimmung einer Pareto-Front für eine Kombination aus Fahrzeugtyp, Fahrzyklus und Hybridtopologie beträgt ungefähr 50 Stunden auf einem handelsüblichen Computer (2 GHz Prozessor, 1 GB Arbeitsspeicher). Der größte Anteil an dem Zeitaufwand entfällt auf die Simulationszeit für eine spezifische Hybridauslegung, also die Bestimmung der CO2 Reduzierung in Abhängigkeit verschiedener Eingangsgrößen. Hier kommt wieder ein Aspekt aus Bild 14-7 ins Spiel, die Simulationsumgebung als Zusammenhang zwischen Eingangsgrößen und Ausgangsgrößen. Es liegt nahe, diesen Zusammenhang durch ein Modell zu beschreiben, um ihn schneller und einfacher auswerten zu können. Grundlage eines solchen Modells sind nicht physikalische Gesetze sondern nur Eingangs- und Ausgangsdaten. In der Applikation von Verbren-
336
14 Modellgestützte Hybrid Systementwicklung –Modellierung und Optimierung
nungsmotoren wird dieses Vorgehen häufig eingesetzt, man spricht dabei von datenbasierter Modellierung [6]. Bild 14-10 zeigt schematisch, wie die Simulationsumgebung im Optimierungsprozess durch datenbasierte Modelle ersetzt werden kann.
Bild 14-10: Ersatz der Simulationsumgebung durch datenbasierte Modelle
Durch den Einsatz von datenbasierten Modellen anstelle der Simulationsumgebung reduziert sich der Zeitaufwand für die Bestimmung einer Pareto-Front auf ungefähr 5 Stunden. Die Kombination einer Simulationsumgebung für Hybridfahrzeuge mit Verfahren zur datenbasierten Modellierung und der Einsatz von evolutionären Algorithmen ermöglichen den objektiven Vergleich verschiedener Hybridkonzepte anhand ihrer Aufwand/Nutzen Pareto-Fronten.
14.4 Ergebnisse Die Methoden aus den vorherigen Abschnitten werden nun dazu verwendet für ein Fahrzeug der Kompaktklasse die optimale Hybridauslegung zu bestimmen. Die Basisdaten des verwendeten Fahrzeugs sind in Tabelle 14-1 aufgeführt. Mit den angegebenen Daten wird zuerst ein konventionelles Fahrzeug in der Simulationsumgebung nachgebildet. Sämtliche Hybridauslegungen werden mit diesem Referenzfahrzeug verglichen, um die jeweilige Kraftstoffeinsparung und den benötigten Zusatz-
14.4 Ergebnisse
337
aufwand zu bestimmen. Als Fahrprofil wird der neue europäische Fahrzyklus (NEFZ) verwendet.
Tabelle 14-1: Konventionelles Referenzfahrzeug Fahrzeugklasse
Kompaktklasse (ähnlich VW Golf)
Verbrennungsmotor
2,0 l 4 Zylinder Benzinmotor, Saugrohreinspritzung, 100 kW
Gewicht
1400 kg
Getriebe
6 Gang Doppelkupplungsgetriebe
Bordnetzverbraucher
350 W
Für die Suche nach dem optimalen Hybridfahrzeug wird das konventionelle Fahrzeug um einen elektrischen Antrieb und die Batterie erweitert. Die Eckdaten für die Hybridkomponenten sind in Tabelle 14-2 angegeben. Die Angaben zum Drehmoment und der Leistung des elektrischen Antriebs beschreiben den Bereich in dem nach der optimalen Hybridauslegung gesucht wird. Ziele der Auslegung sind maximale Kraftstoffeinsparung und minimaler Zusatzaufwand. Die Pareto-Front und die korrespondierenden Auslegungen des elektrischen Antriebs sind in Bild 14-11 zu sehen.
Tabelle 14-2: Erweiterung Hybridantrieb Antriebsstrangtopologie
P2-HEV, AS-HEV, TS-HEV
E-Antrieb
Permanenterregte Synchronmaschine
Batterie
Li-Ion, 5,5 Ah
Drehmoment E-Antrieb
50–250 Nm
Leistung E-Antrieb
5–40 kW
Bild 14-11: Pareto-Front für einen P2-HEV und korrespondierende Auslegung des elektrischen Antriebs
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14 Modellgestützte Hybrid Systementwicklung –Modellierung und Optimierung
In der linken Grafik sieht man die besten Kompromisse zwischen maximaler CO2 Einsparung und minimalem zusätzlichem Aufwand als schwarze Linie. Im schraffierten Bereich sind weitere Auslegungen denkbar, die jedoch entweder weniger CO2 Einsparung oder mehr Zusatzaufwand mit sich bringen. In der rechten Grafik sieht man die Auslegungsvarianten, die den Einsparungen und Aufwänden der Pareto-Front zugrunde liegen. Die dünn eingezeichneten Höhenlinien verbinden Auslegungsvarianten mit gleicher CO2 Einsparung. Jeder Punkt in der rechten Grafik hat genau eine Entsprechung in der linken Grafik, da jede Kombination von Maximalmoment und Leistung den Zusatzaufwand festlegt und jeweils einem Wert für CO2 Einsparung entspricht. In Bild 14-9 wurde schon angedeutet, dass mit der Simulationsumgebung auch die Betriebspunkte für einzelne Hybridkomponenten bestimmt werden können. Für eine spezielle Auslegung des P2-HEV mit einem elektrischen Antrieb von 25 kW und 140 Nm Maximalmoment sind in Bild 14-12 die Betriebspunkte von Verbrennungsmotor und elektrischem Antrieb während eines NEFZ aufgetragen.
Bild 14-12: Betriebspunktverteilung von Verbrennungsmotor und elektrischem Antrieb im NEFZ
Die beiden Bilder zeigen jeweils die Aufenthaltsdauer in einem bestimmten Bereich des Wirkungsgradkennfelds. Die Werte für den Wirkungsgrad sind dabei durch dünne schwarze Höhenlinien gegeben. Der Verbrennungsmotor wird dabei oft in dem Bereich mit sehr gutem Wirkungsgrad betrieben. Aus der Betriebspunktverteilung des elektrischen Antriebs kann man zum Beispiel ableiten, an welchen Stellen Wirkungsgradverbesserungen die größte Auswirkung auf den Kraftstoffverbrauch haben. Wie schon in Abschnitt 14.2 erwähnt können die Pareto-Fronten für verschiedene Hybridtopologien dazu verwendet werden die Topologien untereinander zu vergleichen. Durch die Pareto-Fronten ist dabei sichergestellt, dass für jede Topologie die geeigneten Komponentenauslegungen berücksichtigt werden. Bild 14-13 zeigt die Pareto-Fronten für AS, TS und P2-HEV im Überblick.
14.5 Zusammenfassung
339
Bild 14-13: Vergleich der Pareto-Fronten von P2, AS und TS-HEV
Im Vergleich der Hybridtopologien fällt auf, dass der TS-HEV im Vergleich zum P2HEV gleiche oder bessere Kraftstoffeinsparungen bei einem geringeren Zusatzaufwand bietet. Der geringere Zusatzaufwand begründet sich dadurch, dass beim P2-HEV eine zusätzliche Kupplung in den Antriebsstrang integriert werden muss, wogegen beim TSHEV der elektrische Antrieb direkt an das Doppelkupplungsgetriebe angebracht werden kann. Durch die spezielle Anordnung des elektrischen Antriebs kann dieser beim TSHEV in einem besseren Wirkungsgradbereich als beim P2-HEV betrieben werden. Das erklärt den kleinen Verbrauchsvorteil für den TS-HEV. Der AS-HEV schneidet bei der CO2 Einsparung etwas schlechter ab als TS-HEV und P2-HEV. Durch die Anordnung des elektrischen Antriebs an der Hinterachse kann die Batterie im AS-HEV nur nachgeladen werden, wenn entweder Bremsenergie zurückgewonnen wird oder der Verbrennungsmotor mehr Leistung erzeugt als zum Vortrieb benötigt wird und der überschüssige Anteil über die Straße zum elektrischen Antrieb an der Hinterachse transferiert wird. Bei diesem Transfer treten im Vergleich zur Anbindung des elektrischen Antriebs an der Kurbelwelle zusätzliche Verluste auf, die sich negativ auf die Kraftstoffeinsparung auswirken.
14.5 Zusammenfassung Die hier vorgestellten Verfahren der Modellierung, Simulation und Optimierung werden im Rahmen der modellgestützten Hybrid Systementwicklung eingesetzt. Ausgangspunkt ist die physikalisch basierte Modellierung der einzelnen Hybridkomponenten. Durch die Be-
340
14 Modellgestützte Hybrid Systementwicklung –Modellierung und Optimierung
schreibung von Wechselwirkungen zwischen den Komponenten werden Simulationsmodelle für verschiedene Hybridtopologien erstellt. Ein Kernstück der Simulationsmodelle ist die adaptive Betriebsstrategie für Hybridfahrzeuge, die sich an die jeweilige Auslegung der Komponenten Verbrennungsmotor, Batterie und elektrischer Antrieb anpasst. In der Simulationsumgebung werden der Kraftstoffverbrauch und der Zusatzaufwand für jede Komponentenauslegung bestimmt. Diese beiden Ergebnisse dienen als Grundlage für eine multikriterielle Optimierung. Durch den Einsatz von datenbasierten Modellen zur Beschreibung des Kraftstoffverbrauchs in Abhängigkeit der Komponentenauslegung wird der Zeitaufwand für die Optimierungsrechnung deutlich reduziert. Durch den Einsatz von evolutionären Algorithmen wird für jedes Hybridkonzept die Pareto-Front der optimalen Komponentenauslegungen bestimmt. Diese Pareto-Fronten werden zum objektiven Vergleich der AS, TS und P2 Hybridtopologien verwendet. Zudem beinhalten sie die jeweils besten Komponentenauslegungen für diese Hybridtopologien. Zusammen mit Simulationen zu den Betriebspunkten von Hybridkomponenten fließen diese Informationen in die Entwicklung von elektrischen Antrieben für Hybridfahrzeuge ein.
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341
15 Regelung ausgewählter Hybridtopologien: parallel und leistungsverzweigt SIEGFRIED SAENGER ZETINA, TORSTEN SCHOLT, KONSTANTIN NEIß
Hybridfahrzeuge gewinnen zunehmend an Bedeutung, vor allem wegen der Möglichkeit zur Kraftstoffeinsparung, aber auch wegen ihrer zusätzlichen Agilität aufgrund der kurzfristig erreichbaren erhöhten Drehmomente. Durch die flexible Gestaltung von elektrischen Maschinen, Batterien und Nebenaggregaten lassen sich unter Beibehaltung des Standardbauraums verschiedene Antriebsstrangkonzepte realisieren. Um diese steuern und regeln zu können, ist eine bibliothekenbasierte und flexible Software-Architektur notwendig. In diesem Beitrag werden anhand zweier Praxisbeispiele die Gemeinsamkeiten, die Komplexität und die Unterschiede bei der Steuerung und Regelung von zwei zunächst verschiedenen Hybridantriebssträngen, parallel-mild Hybrid und leistungsverzweigt-voll Hybrid, vorgestellt.
15.1 Hybridantrieb im Allgemeinen Hybridantriebsstränge bestehen aus zwei Energieumwandlungsmaschinen wie z.B. einer Verbrennungskraftmaschine, mindestens einer elektrischen Maschine oder einem hydraulischen Motor, einem Langzeitspeicher wie Benzin und einem Kurzzeit-Energiespeicher in Form von Batterien, Kondensatoren oder hydraulischem Tank. Hybride werden nach ihrem Leistungsfluss in folgende Konfigurationen aufgeteilt: seriell, parallel, leistungsverzweigt oder aktuell als eine optimale Kombination aller Grundkonfigurationen. Hybridantriebsstränge werden sehr stark nach kundenorientierten Kriterien, wie Nutzwert gegenüber dem konventionellen Fahrzeug, wirtschaftlichen Kriterien, wie Zeit und Kosten für Entwicklung, Produktion, Wartung und Entsorgung und nach den technischen Kriterien wie Kraftstoffverbrauch, maximaler Beschleunigung, Getriebespreizung optimiert. Bild 15-1 stellt ein Hybridgetriebe als Verbindung zwischen Verbrennungsmotor, Batterie und Rad dar. Der optimale Hybridantrieb entsteht im Wesentlichen aus der Kombination von unkonventionellen Antrieben (elektrisch oder hydraulisch) mit konventionellen Getrieben, Schaltgetrieben mit diskreten Übersetzungsverhältnissen (Stirnrad- und Planetengetrieben) und kontinuierlich verstellbaren Getrieben (Kegelrad, Reibrad) oder Leistungsverzweigung durch das Planetengetriebe. Der Hybridantriebsstrang wird unter gegebenen Bauraumbeschränkungen für eine bestimmte Fahrzeugklasse entworfen. Als erste Idee lässt sich der herkömmliche konventionelle Antriebsstrang mit elektrischen Maschinen, einer Batterie und Leistungselektronik ergänzen. Dadurch entstehen mehrere Möglichkeiten ohne in der Serienfertigung der konventio-
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nellen Antriebsstränge insbesondere der des konventionellen Getriebes große Modifizierungen vornehmen zu müssen. Bauteile und Stückzahlen könnten die zusätzlichen elektrischen Komponenten kompensieren.
Bild 15-1: Hybridantrieb als Drehzahl- und Drehmomentwandler [1]
Das Bild 15-2 zeigt verschiedene Hybridgetriebevarianten, die hauptsächlich aus konventionellen Getrieben entstanden sind und eine gewisse Modularität und Skalierbarkeit der elektrischen zu verbrennungsmotorischen Leistungswahl (wie 40 kW E-Maschine sowohl für 200 kW als auch 250 kW Verbrennungsmotor) anbieten könnten. Aus Bild 15-2 lassen sich die einfachen Varianten von den komplexen unterscheiden. Sie ermöglichen Zusatzfunktionalitäten wie Start und Stopp des Verbrennungsmotors. Als Beispiel wird bei (1) im Bild hingewiesen, das ein herkömmliches Automatikgetriebe mit einer elektrischen Maschine an der Kurbelwelle schematisch darstellt. Diese Variante wird als P1-Mild-Hybrid gekennzeichnet. Andere Varianten ermöglichen das elektrische Fahren durch die mechanische Abkopplung der Getriebeeingangswelle (Verbrennungsmotor) mit dem Abtrieb. Jedoch lässt sich ein Hybridgetriebe von Grund auf entwerfen, wie es bei (2) im Bild dargestellt wird. Hier erlaubt die Getriebekinematik die freie Verstellung der Verbrennungsmotordrehzahl unabhängig von der Fahrzeuggeschwindigkeit mit einer variablen aber geringen elektrischen Leistungsverzweigung von einer zur anderen elektrischen Maschine. Andere Zusatzfunktionen sind das elektrische Fahren und Start/Stopp des Verbrennungsmotors während der Fahrt. Diese Variante wird als leistungsverzweigtes Hybridgetriebe charakterisiert. In Folgenden werden für die Varianten (1) und (2) die jeweils notwendigen Bestandteile für die Betriebsstrategie beschrieben. Die Getriebevarianten lassen sich in einer objektorientierten Simulationsumgebung darstellen, die Betriebsstrategie wird als Hauptfunktion vereinfacht dargestellt. Sie dient der Analyse der Freiheitsgrade, zeigt Gemeinsamkeiten und Potenziale. Die Modelle lassen sich dann für das Entwickeln und Testen von Softwarefunktionen in einer Serienentwicklung erweitern.
15.2 Anforderungen an die Betriebsstrategie
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Bild 15-2: Mögliche Konfigurationen basierend auf dem konventionellen Getriebe [2]
15.2 Anforderungen an die Betriebsstrategie Die Antriebe wie der Verbrennungsmotor, die elektrischen Maschinen mit Batterie und die Kupplungen mit hydraulischen Ventilen werden nach physikalischen Leistungsgrenzen beschränkt. So kann der kurzzeitige Energiespeicher wie z.B. die Batterie die Hauptfunktionen des Hybridantriebsstrangs wie das Boosten, Rekuperieren, Verbrennungsmotor Start/Stopp und Gangwahl modifizieren.
15.2.1 Energie- und Leistungsmanagement-Funktionen Die Energiemanagement-Funktionen berücksichtigen hauptsächlich den kurzzeitigen Energiespeicher: die Batterie. Der Batterieladeanteil (State of Charge / SOC) und Batteriegesundheitszustand (State of Health / SOH) werden hiermit beobachtet und gegebenenfalls geregelt. Wahl der optimalen Leistungsverteilung: Hier wird die erforderliche Verteilung der verbrennungsmotorischen Hauptleistungsträger mit der elektrischen Leistung bestimmt. Bei einer notwendigen Bedarfsleistung am Rad wird die Leistung der zwei Hauptquellen (Verbrennungsmotor und Batterie) addiert. Wenn der Verbrennungsmotor weniger als die notwendige Radleistung generiert, wird diese von der Batterie erzeugt. Darunter stehen Funktionen wie das elektrische Fahren, das von der Batterieleistung und Batterieenergie abhängt.
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Automatischer Start/Stopp: Hier wird entschieden, wann der Verbrennungsmotor zubzw. abgeschaltet werden soll. Dahinter stehen nicht nur energetische Gründe, auch Komfort, Kühlmitteltemperatur und Diagnostik-Funktionen spielen eine besondere Rolle. Wahl des optimalen Gangs: Für die Wahl des optimalen Gangs gibt es unterschiedliche Kriterien. Auf der einen Seite stehen Komfortaspekte wie Geräusch, Schaltruhe und Reproduzierbarkeit, auf der anderen stehen die energetischen Aspekte wie minimaler Kraftstoffverbrauch und Emissionen. Sie müssen in der Betriebsstrategie berücksichtigt und gewichtet werden. Wahl der optimalen VM-Drehzahl: Die Wahl der optimalen VerbrennungsmotorDrehzahl unter mechanisch kontinuierlicher Übersetzungsänderung (engl. CVT) und unter elektrisch unterstützter Triebstrangübersetzungsänderung (ECVT / EVT) wird seit geraumer Zeit als Optimierungsproblem betrachtet.
15.2.2 Drehmomentpfad- und Gangsynchronisations-Funktionen Die Drehmomentpfad-Funktionen sorgen dafür, dass die Drehmomente der verschiedenen Antriebe, wie Verbrennungsmotor, Kupplungen und elektrische Maschinen zu gegebenem Zeitpunkt das verlangte Drehmoment abgeben. Sie sind hauptsächlich für die Beschleunigung und den Fahrkomfort zuständig. Wenn ein Eingriff des Fahrdynamikreglers für die Hybridantriebsstrategie verlangt wird, werden die Drehmomente schneller aber auch weniger komfortabel koordiniert. Weiterhin lassen sich die DrehmomentKoordinations-Funktionen je nach Fahrprogramm (Komfort, Sport oder Kraftstoffminimal) beliebig ändern. Bei einem Getriebe mit mehreren Gängen sind die automatische Synchronisation und das Schalten von einem festen Gang in den nächsten von großer Bedeutung. Sie definieren hauptsächlich das Empfinden von Komfort für den Fahrer. Weiterführende Literatur zu diesem Thema: [1–5].
15.2.3 Hardwarespezifische Maßnahmen Verbrennungsmotor: Die Betriebsstrategie kann an den Verbrennungsmotor angepasst werden. So ist das Verbrennungsmotor-Maximalmoment stark höhenabhängig. Bei einem Dieselmotor ist nicht nur der Verbrauch relevant sondern auch die Emissionen. Im Benzinmotor ist die Katalysatorwarmlaufstrategie wichtig für die Emissionsverminderung. Für die Hybridstrategie ergeben sich bestimmte verbrauchsgünstige VM-Drehzahl- und Drehmoment-Betriebspunkte, allerdings können sie im Realbetrieb zum Klopfen des Verbrennungsmotors führen oder Eigenfrequenzen im Antriebsstrang anregen. Batterie und elektrische Maschinen: Ein besonderer Schwerpunkt wird auf die Hardware der Batterie gelegt. Eine Spannungsregelung ist z.B. bei einer Li-Ion (Lithium Ion) Batterie wichtiger als in einer NiMH (Nickel-Metall-Hydrid) Batterie.
15.3 Softwareentwicklungsprozess
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Fahrzeug – Chassis – Bremse: Die fahrzeugspezifischen quer- und längsdynamischen Stabilitätskontrollen sollen in der Betriebsstrategie berücksichtigt werden, zwei wichtige Themen sind die Bremsenergie-Rückgewinnung durch die Umwandlung der kinetischen Energie in chemische Energie sowie die schnellen Drehmomenteingriffe unter querdynamischen Stabilitätsbedingungen (ESP-ABS). Die Verteilung des Bremsmoments in regeneratives und mechanisches Reib-Moment wird vom Bremsensteuergerät übernommen. Das maximal regenerative Moment wird lediglich vom Hybridsteuergerät berechnet und an das Bremsensteuergerät über CAN (Controller Area Network) gesendet. Nebenaggregate: Das Betreiben von Hochvolt- (300 V) und Niedervolt-Nebenaggregaten (12 V) muss in der Grundfunktionalität berücksichtigt werden. Auch Funktionen wie das Aufladen der Niedervoltbatterie oder das mögliche Starten des Verbrennungsmotors über die Niedervoltbatterie soll von einer Leistungselektronik (DC-DC Wandler) in Betracht gezogen werden.
15.3 Softwareentwicklungsprozess Ein Softwareentwicklungsprozess ist notwendig für die qualitätsgerechte Auslegung der Betriebsstrategie. Für die mechatronische Entwicklung des Hybridgetriebes wird ein sogenanntes V-Modell der VDI 2206 [6] Richtlinie verwendet. Das V-Modell gliedert sich in die folgenden Entwicklungsphasen: das anforderungsgerechte Systementwickeln, darauf folgend die bereichs- oder bauteilspezifische Optimierungsphase. Bei erfolgreichem Abschluss jeder Phase folgt eine Integrationsphase mit den dazugehörigen Verifizierungs- und Validierungsaufgaben. Die Unterteilung der Softwareentwicklung kann nach Hardwareteilen, Steuergerätearchitektur, oder Hauptfunktionalitäten durchgeführt werden. Am erfolgreichsten ist eine Kombination aus den dreien. Die Softwareentwicklung bedient sich verschiedener rechnergestützten Entwicklungsmethoden um den Entwurf, Implementierung und den Test durchführen zu können. Die rechnergestützte Modellierung der Hardwarekomponenten ist hier ein besonderes Werkzeug um das System kennen zu lernen, die Anforderungsalgorithmen zu entwickeln und die Software zu testen. Die Modellierungsmethodik und der Ansatz zur Analyse der Systeme sind in jeder Applikation unterschiedlich. Es gibt statische und dynamische Modelle, die je nach Aufgabe als Streckenmodell zusammen mit dem dazugehörigen Regler oder mit dem Steuerungsproblem in einer Simulation betrieben werden können. Für ein Getriebemodell mit mehreren Gängen ist ein statisches Modell ausreichend, wenn der Kraftstoffverbrauch berechnet werden soll. Hier erfolgt das Schließen und der Wechsel der Getriebegleichungen von einem Rechenzustand zum nächsten ohne die Ereignisse in der Hydraulik beim Füllen einer Kupplung zu berücksichtigen.
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Ein dynamisches Modell ist notwendig wenn z.B. die Schaltdynamik (z.B. Einfluss der Trägheiten, Torsionen und Dämpfung) im Getriebe untersucht werden. Hierzu siehe z.B. [7].
15.4 Steuerung und Regelung des Hybridantriebsstrangs Ein Hybridantriebsstrang kann nicht mehr durch den Fahrer über Hebel, Pedale oder Knöpfe allein betätigt werden. Eine grundlegende Betriebsstrategie übernimmt diese Rolle und bietet neben der wirtschaftlichsten Verwendung der Antriebsleistung Komfort beim Fahren. Bei einem Hybridantrieb übernimmt die Betriebsstrategie nicht nur wie bei einem Automatikgetriebe die Wahl des Gangs, sondern auch die Wahl der Batterie- und Verbrennungsmotorleistung, was sich mathematisch, heuristisch oder als Kombination beider bestimmen lässt.
15.4.1 Genereller Funktionsumfang Für eine kraftstoffoptimale Betriebsstrategie ist das Lösen einer Zielfunktion mit Nebenbedingungen notwendig. Die Berechnung einer sogenannten Kostenfunktion, auch Gütemaß genannt, kann in Echtzeit für die aktuelle Fahrleistungsanforderung bzw. für eine gegebene Strecke unter Berücksichtigung der empfohlenen Richtgeschwindigkeit einer im Voraus geplanten Route bestimmt werden. Unterschiedliche Lösungswege dieses Optimierungsproblems sind in der Literatur aufgeführt (wie [8]). Darauf folgt die Entscheidung die Zielfunktion steuergerätintern oder -extern zu lösen.
15.4.1.1 Steuergerätexterne Berechnung (Offline) Zykluswissende Berechnung: Das exakte Leistungsoptimum lässt sich nur für einen im Voraus bekannten Fahrzyklus ermitteln. Die Betriebsstrategie und die Energienutzung der Batterie kann hiermit nach dem gegebenen Zyklus optimiert werden. Allerdings können die Ergebnisse nur als globales Minimum für einen bestimmten Fahrzyklus gesehen werden. Akausale Berechung: Hiermit lässt sich die optimale Verteilung berechnen, wobei die Berechnung bei verschiedenen Batterieladungszuständen bestimmt wird. Verschiedene Kennfelder entstehen und lassen sich für eine Betriebsstrategie verwenden. Nachteilig ist jedoch, dass alle Kombinationsmöglichkeiten im Voraus bestimmt werden müssen. So ist das Langzeitbetreiben der Komponenten unter Leistungsbeschränkung, Hitze und Höheneffekten nicht eindeutig oder nur durch aufwändige Experimente bestimmbar.
15.4 Steuerung und Regelung des Hybridantriebsstrangs
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15.4.1.2 Steuergerätinterne Berechnung (Online) Berechnung für eine bekannte Fahrroute: Durch die Verwendung von satellitenbestimmten Koordinaten (GPS) können nicht nur aktuelle sondern auch zukünftige Straßenbedingungen und Verkehrssituationen in die Regelung und Betriebsstrategie eingehen, was bei Hybridfahrzeugen und besonders bei zukünftigen Plug-in-Hybriden gewinnbringend eingesetzt werden kann. Die Regelung über eine geplante Route wurde in [9 und 10] für einen Parallelantrieb gezeigt. Akausale Berechung: Hier werden die Beschränkungen und aktuellen Gegebenheiten der Hardwarekomponenten in Echtzeit berücksichtigt. Somit können Langzeiteffekte wie Verschleiß oder Temperatur und Höhe berücksichtigt werden. Die Komponenten müssen allerdings eine gesonderte Funktion besitzen, die Gegebenheiten zu identifizieren und an die Hauptsteuerung weiterzuleiten.
15.4.2 Parallel-Antrieb 15.4.2.1 Systemarchitektur Der Triebstrang aus Bild 15-3 wird über Momente gesteuert, die vom Fahrer vorgegeben werden. Um elektrische Aggregate in einem Triebstrang betreiben zu können, müssen die technischen Fähigkeiten dieser Komponenten (Batterie und E-Maschinen mit Leistungselektronik) stets bekannt sein. Die hier genutzte Methode bedient sich einer Prädiktion der verfügbaren Momente anhand der von der Batterie gemeldeten Leistung und der von der Leistungselektronik daraus berechneten Momente. Die Bilanzierung der elektrischen Leistungen erfolgt dabei im sogenannten Energiemanagement. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine optimale Ausnutzung der elektrischen Komponenten des Triebsstrangs.
Bild 15-3: Struktur Mild-Hybrid (engl. AT = Automatic Transmission / EM = Electric Machine / P1 = Parallelstruktur 1 nach dem Verbrennungsmotor vor dem Getriebeeingang)
Die Koordination der Einzelsysteme erfolgt durch die sogenannte Betriebsstrategie. Diese wird im beschriebenen Projekt in der Motorsteuerung gerechnet. Die Software- und Systemarchitektur des Mild-Hybrids werden schematisch in Bild 15-4 dargestellt. Das Energiemanagement meldet der Leistungselektronik (E-Maschine) zwei verschiedene Leistungsbereiche (Strom und Spannung), die daraus mögliche verstellbare Momentenbereiche (minimal, maximal) berechnet. Die möglichen verstellbaren Momentenbereiche werden in kurzfristige und längerfristige Bereiche unterschieden. Die Leistungselektronik kann jedoch auf Basis „innerer“ Zustände der Leistungselektronik inkl. E-Maschine
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(z.B. die Temperatur des IGBT’s) den theoretisch zur Verfügung stehenden Momentenbereich weiter einschränken.
15.4.2.2 Funktionsumfänge Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs dient der Verbesserung der Energieeffizienz und der Abgaszusammensetzung. Die dazu genutzten technischen Konzepte sind der automatische Start/Stopp, Boosten, Rekuperieren und die Lastpunktverschiebung. Die drei letzten Punkte kommen nur bei fahrendem Fahrzeug mit kraftschlüssigem Anfahrelement zum Einsatz. Automatischer Start/Stopp: Aufgrund der Triebstrangkonfiguration ist der rein elektrische Betrieb nicht möglich. Dies wird jedoch teilweise durch die automatische Abschaltung des Verbrennungsmotors bei kleinen Geschwindigkeiten kompensiert. Technisch wird dies durch die Elektrifizierung der motornahen Hilfsaggregate (Lenkung, Klimaanlage, Unterdruckpumpe der Bremsanlage) unterstützt. Wenn das Fahrzeug gebremst ausrollt, wird bei einer geringen Geschwindigkeit der Verbrennungsmotor abgeschaltet. Die Abschaltung des Motors setzt dabei die Freigabe aller beteiligten Komponenten voraus. Wenn der Fahrer die Bremse löst und Vortrieb anfordert, wird der Motor gestartet und es kann unverzüglich Moment generiert werden.
Bild 15-4: Software- und Systemarchitektur Parallelantrieb
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Hybridfahrt: Unter dem Begriff Hybridfahrt versteht man die gemeinsame Nutzung der verschiedenen Aggregate (Verbrennungsmotor, elektrischer Antrieb) innerhalb des Antriebsstranges zur Verbesserung der Energieeffizienz und der Abgaszusammensetzung. Für einen integrierten Startergenerator erfolgt die Koordination über die Betätigung von Fahrpedal und Bremspedal. Durch die Wahl der Momentenprädiktion ist die optimale Nutzung des Potenzials des Triebstrangs gewährleistet. In diesem Zustand werden folgende Betriebsarten angefahren: Boosten: Unter dem Begriff Boosten versteht man das temporäre Zudosieren elektrischer Leistung im Fahrbetrieb. Dabei wird die in der Batterie gespeicherte elektrische Energie genutzt. Diese wurde zuvor mit hohem Wirkungsgrad durch die Rekuperation der kinetischen Energie des Fahrzeugs gewonnen. Rekuperation: Die im fahrenden Fahrzeug enthaltene kinetische Energie wird in einem konventionellen Fahrzeug allein durch Reibung (Schleppmoment des Verbrennungsmotors bzw. Reibmoment der Betriebsbremse) abgebaut. Die Elektrifizierung und die hier gewählte Triebstrangkonfiguration ermöglicht die Rückgewinnung der kinetischen Energie in Form von elektrischer Energie. Diese wird in der Batterie zwischengespeichert. Die Koordination zwischen dem Bremssystem und dem hybridischen Triebstrang erfolgt durch die Betriebsstrategie. Dabei werden über die oben beschriebene Momentenprädiktion die möglichen Momentengrenzen des Triebstrangs ermittelt. Diese werden dem Bremssystem mitgeteilt. Dies ist in der Lage, die Aufteilung auf die klassische mechanische Bremse und den Triebstrang frei zu variieren. Die Möglichkeit Energie zurückzugewinnen besteht jedoch nur so lange der Abtrieb Kraftschluss mit dem elektrischen Aggregat hat. Bei einem Anhaltevorgang wird dieser Kraftschluss kurz vor Stillstand des Fahrzeugs aufgehoben. Es ist eine der wesentlichen Herausforderungen diesen Sachverhalt im Gesamtsystem abzustimmen. Lastpunktverschiebung: Die variable Aufteilung des geforderten Vortriebsmoments zwischen Verbrennungsmotor und E-Maschine wird Lastpunktverschiebung genannt. Die Summe der beiden Istmomente übersteigt dabei nicht das vom Fahrer angeforderte Vortriebsmoment. Eine Verschiebung in generatorische Richtung (Laden der Batterie) ermöglicht es, die Abgaszusammensetzung zu beeinflussen und den Motor über das geforderte Antriebsmoment hinaus zu belasten und den Arbeitspunkt zu verändern. Die Verschiebung in motorische Richtung (Entladen der Batterie) bietet die Möglichkeit, überschüssige Batterieladung abzubauen und dabei den Arbeitspunkt des Verbrennungsmotors zu verändern.
15.4.2.3 Koordination Die Steuerung des Gesamtsystems berücksichtigt folgende Zusammenhänge: – Maximale Rückgewinnung kinetischer Energie. – Wohldosierter Einsatz des Boostens bei kleinen Drehzahlen und hohen Lastanforderungen.
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– Ist die Batterie teilweise gefüllt, wird im Teillastbereich eine Lastpunktverschiebung hin zur partiellen bis zur kompletten Entlastung des Verbrennungsmotors führen. – Ist die Batterie vollständig gefüllt, wird ebenfalls im Volllastbereich eine Lastpunktverschiebung zur Entlastung durchgeführt. – Eine Belastung des Verbrennungsmotors wird nicht durchgeführt.
15.4.2.4 Versuch Die folgenden Messungen zeigen die letzten 400 Sekunden des NEFZ für die grundlegenden Verfahren der Momentensteuerung. Bild 15-5 zeigt den zeitlichen Verlauf für das Fahrpedal und der Geschwindigkeit in dem Bereich des NEFZ. In Bild 15-6 können einige der oben genannten Prinzipien der Ansteuerung abgelesen werden. Zu Beginn des Verlaufs wird der Motor über die E-Maschine gestartet. Im Zeitbereichen z.B. t = 840 s wird das Sollmoment MSoll auf den Verbrennungsmotor und die E-Maschine verteilt. Das Sollmoment des Verbrennungsmotors wird um den Beitrag des E-Motors verringert. In der Schlussbremsung bei ca. 1140 s ist der Rekuperationsanteil zu erkennen.
Bild 15-5: Zeitlicher Verlauf Fahrpedal und Geschwindigkeit
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Bild 15-6: Zeitlicher Verlauf der Sollmomente für E-Maschine und Verbrennungsmotor
15.4.3 Leistungsverzweigter Antrieb Bei einem leistungsverzweigten Getriebe (Bild 15-7) wird die Leistung des Verbrennungsmotors sowohl über einen elektrischen als auch über einen mechanischen Pfad übertragen.
Bild 15-7: Systemstruktur Leistungsverzweigt (engl. AT = Automatic Transmission / Geared Neutral = Verbrennungsmotor bleibt immer am Getriebe angeschlossen / Power Split = Leistungsverzweigung)
15.4.3.1 Systemarchitektur Das Two-Mode-Hybrid ist ein System mit zwei EVT-Bereichen und 4 Gängen mit festen Übersetzungsverhältnissen. Der mechanische Kern dieses Two-Mode-Hybridgetriebes und die Kupplungschaltstruktur sind in Bild 15-8 dargestellt.
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Bild 15-8: Two-Mode-Hybrid (3D Bild aus [14])
Der einfach- und der zweifach-leistungsverzweigte EVT-Bereich (M1 und M2 / M = Mode) werden durch das Betätigen einer Kupplung C1 oder C2 geschaltet. Das ermöglicht eine stufenlos variable Verbrennungsmotor-Drehzahl und volle HybridFunktionalitäten über den gesamten Betriebsbereich des Fahrzeugs. Zusätzlich zu diesen beiden EVT-Hybrid-Betriebsarten stehen vier feste Gänge zur Verfügung, die einen parallelen Hybridbetrieb erlauben. Der parallele Hybridbetrieb wird durch den Einsatz von zwei weiteren Kupplungen ermöglicht (C1 oder C2 plus C3 oder C4). Der 1. Gang besitzt die größte Übersetzung. Der 2. Gang ist ein wichtiger Gang, denn er dient der Schaltung zwischen Mode 1 und Mode 2. Im 3. Gang drehen alle Antriebe (elektrische Maschine und Verbrennungsmotor) gleich zueinander. Im 4. Gang besteht die Möglichkeit, einen der Elektromotoren mechanisch abzukoppeln, um den Wirkungsgrad beim Fahren mit hoher Geschwindigkeit zu maximieren. Vorteil dieses Systems ist die Möglichkeit zum regenerativen Bremsen sowie das stufenlose Übersetzungsverhältnis des EVT-Modes. Weiterhin stehen trotzdem feste Übersetzungsverhältnisse zur Verfügung, die einen hohen Getriebewirkungsgrad erreichen. Durch die Nutzung des Planetensatzes stehen in der Regel zwei Dreh-Freiheitsgrade zur Verfügung, so dass entweder eine feste oder eine variable Übersetzung gebildet werden kann. Die variable Übersetzung entsteht durch die Leistungsverzweigung und umwandlung zwischen elektrischen Maschinen und Planetensatz. Mit Hilfe einer als Generator funktionierenden elektrischen Maschine findet eine Primärumsetzung der mechanischen in elektrische Energie statt. Entlang der kinematischen Kette steht die zweite elektrische Maschine, die die von dem Generator produzierte elektrische Leistung in mechanische Leistung umwandelt und zum Antreiben verwendet. Durch die Änderung der Kinematik (z.B. durch das Schalten in einen festen Gang) werden die Nachteile z.B. das schwache Anfahren oder der höhere elektrische Leistungsbedarf bei hohen Geschwindigkeiten minimiert.
15.4 Steuerung und Regelung des Hybridantriebsstrangs
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15.4.3.2 Funktionsumfänge Steuergerätarchitektur: Bild 15-9 stellt eine allen anderen Steuergeräten gegenüber übergeordnete Hybridbetriebsstrategie dar. Alle anderen Steuergeräte entlang des Antriebsstrangs sind dem HCU Steuergerät untergeordnet.
Bild 15-9: Hierarchische Betriebsstrategie
Im leistungsverzweigten Hybridgetriebe ist diese Architektur empfehlenswert, da nicht nur die Drehmomente für die Leistungsabgabe koordiniert werden sondern auch die Übersetzung der Verbrennungsmotordrehzahl geregelt wird. Zielfunktion optimales Leistungsmanagement mit Nebenbedingungen: Eine Möglichkeit ist, den Verbrennungsmotor entlang einer vom Antriebsstrang betrachteten verbrauchsoptimalen Trajektorie zu betreiben. Wenn die Batterieleistung ignoriert wird, kann das Hybridgetriebe wie ein CVT-Getriebe betrieben werden. Darin ließe sich die Regelung mit der Radleistung als Fahrervorgabe und die Verstellung der Übersetzung mit einer Schaltstrategie verwirklichen. Ein weiteres Problem ist die Kompensation der Trägheit des Verbrennungsmotors, die sich durch die schnelle Verstellung der elektrischen Maschinen korrigieren ließe und eine Zugkraftunterbrechung vermeiden würde. Die gesamten Verluste des Antriebsstranges ergeben sich durch Summation der Einzelverluste aller Komponenten: PV = PVG + PVEM1 + PVEM2 + PVM + PVB
(15.1)
Die Einzelverluste der Antriebskomponenten sollen im Folgenden ermittelt werden. Bei der Berechnung der Leistungsverluste ist zu beachten, dass die einer Antriebskomponente zugeführte Leistung jeweils mit negativem Vorzeichen und die von einer Antriebskom-
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ponente abgegebene Leistung jeweils mit positivem Vorzeichen versehen ist. Der Antriebsstrangleistungspfad ist schematisch in Bild 15-10 dargestellt.
Bild 15-10: Leistungsfluss und Verlust im leistungsverzweigten Antriebsstrang
Eingetragen sind die Leistungsflüsse zwischen den einzelnen Komponenten sowie deren Leistungsverluste. Das Differential wird im Antriebsstrangmodell nicht mitberücksichtigt, da dessen Leistungsverluste nur von der Fahrzeuggeschwindigkeit und -leistung abhängen. Die vom Antriebsstrang abgegebene Leistung Pab = na ⋅ M ab ist also als Leistung am Differentialeingang zu verstehen. Analytische Funktionen zur Darstellung der Leistungsverluste der Antriebskomponenten lassen sich einfach herleiten. Diese sind von verschiedenen Systemgrößen abhängig ( nEM , M EM , PB ). Wünschenswert ist allerdings eine Darstellung der Gesamtverluste des Antriebsstranges gemäß Gleichung (15.1) als Funktion der VerbrennungsmotorDrehzahl und des Verbrennungsmotor-Drehmomentes. Weiterhin wird die Verlustfunktion von der Abtriebsdrehzahl, dem Abtriebsdrehmoment und dem Getriebemode (Mode 1/Mode 2) abhängen. Die Verlusttterme der Komponenten lässt sich mit quadratischen Funktionen approximieren. Zur Vereinfachung der Schreibweise wird im Folgenden die VerbrennungsmotorDrehzahl mit x und das Verbrennungsmotor-Drehmoment mit y bezeichnet: x := nVM , y := M VM .
Das Verfahren zur Kennfeldapproximation kommt auch bei den genannten Antriebsstrangkomponenten zum Einsatz und wird allgemein am Beispiel der quadratischen Funktion der Getriebeplansch- und Leerlaufverluste erläutert. f ( x, y ) = a1 x 2 y 2 + a2 x 2 y + a3 x 2 + a4 xy 2 + a5 xy + a6 x + a7 y 2 + a8 y + a9
(15.2)
Als Ergebnis der Funktionsapproximation erhält man die Koeffizienten der quadratischen Funktion (1) (9) aGCVT1 = (aG ,! aG ) bzw. aGCVT2 CVT1 CVT1
für den EVT1 bzw. EVT2 Modus.
15.4 Steuerung und Regelung des Hybridantriebsstrangs
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Insgesamt lautet die gewünschte Darstellung der Leistungsverluste: PVEVTi ( x, y, nab , M ab ) = PVGEVTi ( x, y, nab , M ab ) + PVEM1EVTi ( x, y, nab , M ab ) + ! ! + PVEM2EVTi ( x, y, nab , M ab ) + PVM EVTi ( x, y, nab , M ab )) + PVBEVTi ( x, y, nab , M ab )
(15.3)
Die Verbrennungsmotor- und Getriebeverluste sind bereits in der gewünschten kinematischen Darstellung gegeben. Die beiden E-Maschinen und die Batterie werden nachfolgend betrachtet. Grundlage für die Darstellung der Einzelverluste der E-Maschinen und der Batterie als Funktion von x und y sind die Getriebegleichungen, die die Zusammenhänge zwischen der Verbrennungsmotor- Drehzahl bzw. dem -Drehmoment und der Drehzahl und dem Drehmoment der E-Maschinen angeben. Als Beispiel wird die Kinematik und Kinetik im EVT1-Mode1 dargestellt. Drehzahlen im EVT-Mode 1: nEM1 = b1 ⋅ x − b2 ⋅ nab
(15.4)
nEM2 = b3 ⋅ nab
(15.5)
Drehmomente im EVT- Mode 1: M EM1 = −c1 ⋅ y
(15.6)
M EM2 = −c2 ⋅ y − c3 ⋅ M ab
(15.7)
Die Koeffizienten bi und ci hängen von den Zähnezahlen der beiden Planetengetriebe ab. Mit Ausnahme von b7 und c4 sind alle Koeffizienten positiv. Die Drehmoment-Beschränkungen sollen ebenfalls durch Funktionen f (nEM ) approximiert werden. Es werden Polynomfunktionen bis maximal fünften Grades entsprechend der folgenden Gleichung verwendet. y = a1limEM x5 + a2limEM x 4 + a3limEM x3 + a4limEM x 2 + a5limEM x + a6limEM
(15.8)
Addiert man nun die einzelnen Verlustfunktionen, so erhält man die Gesamtverluste des Antriebsstranges gemäß der oben angegebenen Gleichung (15.3). Für eine Optimierung ist die so ermittelte Zielfunktion wegen der Batterieverluste allerdings problematisch. Stellt man die Gesamtverluste für verschiedene Abtriebszustände (nab , M ab ) in beiden EVT-Modi graphisch über x und y dar, lässt sich kaum eine Abweichung von der quadratischen Charakteristik feststellen. Dies liegt darin begründet, dass die Batterieverluste gegenüber den sehr hohen Verlusten des Verbrennungsmotors innerhalb des zulässigen Betriebsbereiches des Verbrennungsmotors kaum ins Gewicht fallen. Aus diesem Grunde soll die endgültige Zielfunktion erneut auf dem Wege einer Approximation gefunden werden. Die Summen der Einzelverluste an diskreten Motorbetriebspunkten (x, y) dienen dazu als Stützstellen. Die Approximation geschieht wiederum mit Hilfe der Methode der kleinsten Quadrate. Das Approximationsverfahren liefert die Koeffizienten ai der endgültigen Zielfunktion. Das Kennfeld soll durch eine quadratische Funktion f(x, y) gemäß approximiert werden. Zur Bestimmung der zunächst unbekannten Koeffizienten a, wird die Methode der kleinsten Quadrate verwendet.
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f ( x, y ) = a1 x 2 y 2 + a2 x 2 y + a3 x 2 + a4 xy 2 + a5 xy + a6 x + a7 y 2 + a8 y + a9 = (a1 y 2 + a2 y + a3 ) x 2 + (a4 y 2 + a5 y + a6 ) x + (a7 y 2 + a8 y + a9 )
(15.9)
15.4.3.3 Koordination Zielfunktion: Wahl von optimaler Übersetzung und Gang: Die Zielfunktion der Optimierung ist zu einer quadratischen Funktion bestimmt worden. Da sie somit eine konvexe Funktion ist, weist sie ein globales Minimum auf. Die Funktion ist durch Nebenbedingungen beschränkt. !
J ( x, y ) = PVCVTi ( x, y, no , M o ) = min
(15.10)
Nebenbedingungen: Der zulässige Betriebsbereich des Verbrennungsmotors ist durch die maximalen und minimalen Drehmomentkennlinien, die höhenabhängig sind, und durch die maximalen und minimalen Drehzahlen beschränkt. Betrachtet man aber das Gesamtsystem, so wird der Bereich der gültigen Betriebspunkte durch die elektrischen Maschinen und insbesondere durch die zulässige Batterieleistung weiter eingeschränkt. Zur Berechnung des zulässigen Betriebsbereiches der elektrischen Maschinen als Funktion von x, y, no und M ab werden wie zuvor bei der Zielfunktion die Getriebegleichungen eingesetzt. Man erhält damit die Koeffizienten der Nebenbedingungen, die nun neben den ai lim EM auch von nab , M ab und dem EVT- Mode abhängen. Die Drehzahlbeschränkungen der E-Maschinen werden ebenfalls über die Getriebegleichungen auf Drehzahlbeschränkungen des Verbrennungsmotors umgerechnet. Alle Nebenbedingungen der E-Maschinen sind sowohl als Funktion von nEM und M EM aufgeführt. Batteriebeschränkungen sind in der Form PBmin ≤ PB ≤ PBmax gegeben. Da die Batterieleistung durch eine quadratische Funktion gegeben ist, ist eine Umwandlung in einen Ausdruck dieser Beschränkungen gemäß folgender Ungleichung nicht eindeutig. f u (nVM , nab , M ab ) ≤ M VM ≤ fo ( nVM , nab , M ab )
(15.11)
Im Bild 15-11 sind die Batterieleistungsgrenzen und die elektrische Maschinen-Drehmomente für die dazugehörigen Wunschbetriebsdrehzahlen nab (Ausgangsgeschwindigkeit) und -momenten Mab (Ausgangsmoment) dargestellt. Die Drehzahl- und Drehmomentbeschränkungen sind folglich als Nebenbedingungen der Optimierung zu sehen.
15.4 Steuerung und Regelung des Hybridantriebsstrangs
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Bild 15-11: Systembeschränkungen (nab = 25 km/h, Mab = 450 Nm) Bsp.
Lösung der Zielfunktion: Sowohl die Zielfunktion als auch die Nebenbedingungen hängen vom Abtriebszustand ( nab , M ab ) und dem EVT-Mode ab. Die Suche nach dem optimalen Betriebspunktes des Verbrennungsmotors läuft wie folgt ab: – Vorgabe eines Abtriebszustandes (nab , M ab ) – Berechnung der Zielfunktionen bei gegebenem Abtriebszustand für beide EVT-Modi – Berechnung der Nebenbedingungen bei gegebenem Abtriebszustand für beide Modi – Bestimmung des Optimums Pvt(x,y) beider Zielfunktionen unter den gegebenen Nebenbedingungen – Wahl des Optimums des besseren EVT-Modes als optimalen Betriebspunkt bei gegebenem Abtriebszustand – Über einem Raster von Abtriebszuständen (nab , M ab ) werden Kennlinien der optimalen Verbrennungsmotor-Betriebspunkte erstellt. Ein Programm berechnet hierzu zunächst entweder online oder offline, in welchem EVT-Gang ein gegebener Abtriebszustand überhaupt durch den Antriebsstrang realisiert werden kann. Ist dies der Fall, werden die Zielfunktionen und Nebenbedingungen für beide EVT-Modi für diesen Abtriebszustand ermittelt und der optimale Betriebspunkt errechnet. Anschließend wird der optimale EVT-Mode bestimmt. Bild 15-12 zeigt über dem gegebenen Raster von Abtriebszuständen, welcher EVT-Mode für ein verlustoptimiertes Fahren einzustellen ist.
358
15 Regelung ausgewählter Hybridtopologien: parallel und leistungsverzweigt
Bild 15-12: Zugkraftgeschwindigkeitsdiagramm und verbrauchgünstigste Gänge – Modi (Masse 2500 kg, VM 200 kW und Batterie 36 kW. Graustufen zeigen Mode 1 EVT, Mode 2 EVT und Mode 1 EVT bei der E-Fahrt [2]
Ebenfalls ist angegeben, falls ein rein elektrisches Fahren bei ausgeschaltetem Verbrennungsmotor möglich bzw. günstiger ist. Weiterhin sind die Fahrwiderstandslinien für verschiedene Steigungen und die maximalen Abtriebsdrehmomentlinien der festen Gänge inklusiv Boosten eingezeichnet. Wird das System im 1. Gang betrieben, verbessert sich das Beschleunigungsverhalten und das Fahren unter Last im Vergleich zu den EVT-Bereichen (wie z.B. an Steigungen, beim Anhängerbetrieb oder bei Volllastbeschleunigung). Obwohl es nicht im Bild dargestellt wird, lassen sich die EVT-Betriebspunkte mit dem optimalen festen Gang vergleichen und einen überall besten Gang für jedes Ausgangsdrehmoment und Fahrzeuggeschwindigkeit generieren. Da die Leistung vom Motor zum Getriebeausgang auf mechanischem Weg übertragen wird, sind manche feste Gänge in bestimmten Fahrsituationen trotz der variablen Verstellung der Verbrennungsmotordrehzahl in einem EVT-Mode energetisch günstiger. Bild 15-13 zeigt die dazugehörige Verbrennungsmotor-Drehzahl- und -Drehmomentpaare für jede beliebige Ausgangsgeschwindigkeit/Bedarfsradkraft in einem 3-dimensionalen Kennfeld für die EVT-Mode 1 und 2.
15.4 Steuerung und Regelung des Hybridantriebsstrangs
359
Bild 15-13: Verbrauchgünstigste Drehzahl und Drehmomente des Verbrennungsmotors Mode 1/2 [11]
Schaltungsregelung: Die dazugehörige Funktion wird in [12] vorgestellt. Applikation der Zielfunktion: Die Zielfunktion lässt sich applizieren, indem in der Zielfunktion alle Kosten mit anderer Gewichtung berücksichtigt werden. Applikation für Kraftstoffverbrauch: Betrachtet wird als Beispiel der NEFZ.
15.4.3.4 Versuch In diesem Abschnitt wird die Funktion Gang/Mode-Verbrennungsmotorübersetzungsfunktion im Two-Mode erläutert. Für die Überprüfung der Funktion wird als Beispiel der NEFZ-Zyklus verwendet. Bild 15-14 stellt das NEFZ-Geschwindigkeitsprofil über der Zeit schematisch dar.
Bild 15-14: NEFZ-Geschwindigkeitsprofil
Zu bemerken bleibt, dass die Betriebsstrategie die bereits beschriebene Funktion (Kostenfunktionberechnung) in Echtzeit berechnen kann und damit Ausweichmöglichkeiten anbieten kann, wenn eine Funktion (in diesem Fall Motor Start/Stopp) nicht zur Verfügung
360
15 Regelung ausgewählter Hybridtopologien: parallel und leistungsverzweigt
stehen kann oder die Batterie aufgeladen werden muss. Der Softwareentwicklungsprozess sieht die Durchführung von Tests in einer Simulationsumgebung vor, damit eine Software im Prototypfahrzeug überprüft werden kann. In diesem Fall wird eine objektorientierte Simulationsumgebung verwendet wie in [10] vorgestellt wurde. Die folgenden Verbrennungsmotorkennfelder (Bild 15-15) veranschaulichen jeweils die Resultate der vorgestellten optimalen Prinzipfunktion in der Simulationsumgebung und die dazugehörigen Messergebnisse der implementierten Software im Fahrzeug.
Bild 15-15: Simulation (links) und Messung (rechts) eines NEFZs
Die wichtigen Unterschiede der Messergebnisse zur Simulationsumgebung werden in zwei Fällen unterteilt: jeweils die von der Software ungünstig gewählten Betriebspunkte des Verbrennungsmotors bei hohen Drehzahlen und niedrigen Drehmomenten bzw. die Betriebspunkte bei niedrigen Drehzahlen und hohen Drehmomenten. Zum ersten Fall gehören die hochdrehenden Punkten der Synchronisation und Schaltungen zwischen Modi und festen Gängen. Sie sind seltener in den Resultaten der Simulationsumgebung zu erkennen, da die Simulationsumgebung die Schaltung schneller durchführt. Beim zweiten Fall werden die verbrauchsgünstigsten Bereiche des Verbrennungsmotors bei niedrigen Drehzahlen und hohen Momenten bei den Messungen nicht erkennbar da diese Bereiche im reallen Verbrennungsmotor das Klopfen begünstigen würde und langfristig zum Motorschäden und schlechteren Wirkungsgrad führen könnte. Trotz kleinerer Ausgangsleistungen Pab wird weiterhin der Verbrennnugsmotor mit der Hilfe des leistungsverzweigten Getriebes und der Lastpunktverschiebung in effizienten Bereichen (hohes Moment, geringe Drehzahl) betrieben. Da die Kostenfunktion die Summe der Antriebsstrangsverluste minimiert, werden nicht immer die vom Verbrennungsmotor günstigsten Betriebsbereichen gewählt, sondern die insgesamt für den Antriebsstrang minimalen Verluste ausgewählt. Bild 15-16 stellt die statistische Verteilung des verbrauchsgünstigsten Gangs- oder Mode für den NEFZ Zyklus mit der dafür verwendeten Betriebsstrategie dar.
15.5 Zusammenfassung
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Bild 15-16: Statistische Verteilung des optimalen Gangs bzw. Mode für den NEFZ mit/ohne Start/Stopp
15.5 Zusammenfassung Die Betriebsstrategien beider Hybridantriebsstränge besitzen auf den ersten Blick zunächst mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede: Motor Start/Stopp, Boosten, Verbesserung des Verbrennungsmotorsbetriebsbereichs durch Lastpunktverschiebung, Optimierung der Schaltpunkte etc. Die Wahl des besten Ganges bzw. der besten Übersetzung bleibt bei beiden Konzepten als Freiheitsgrad und als Kennungsmerkmal. So ist bei einem Mild- bzw. Parallelhybrid das Potenzial, die Schaltpunkte im Vergleich zum konventionellen Antriebsstrang zu optimieren geringer als bei einem Leistungsverzweigten. Die verbrennungsmotorische Lastpunktverschiebung kann in einem Parallelhybrid einfacher gestalten werden, da der Applikationsaufwand sich zwischen Gangwahl und Lastpunktverschiebung trennen lässt. Bei einem Leistungsverzweigten ist das nicht der Fall. Allerdings erlaubt die zusätzliche Freiheit, die Übersetzung zu verstellen und den Kraftstoffverbrauch weiter zu senken. Eine Optimierung der Betriebsstrategie durch Aufsummieren und Minimierung der Verlustterme scheint zunächst komplexer und für die Einführung eines Serienprodukts riskanter zu sein. Jedoch ist es gewinnbringend, wenn die Freiheitsgrade höher als die zur Verfügung stehenden Erfahrungswerte sind, die eine heuristische Betriebsstrategie benötigt. Die Regelung des Parallelhybrids lässt sich als “add-on“ zur herkömmlichen Strategie und Architektur eines Antriebsstrangs darstellen. Auf der anderen Seite ist bei einer Betriebsstrategie mit mehr Unbekannten wie bei dem Leistungsverzweigten eine Neudefinition der Software- und Steuergerätearchitektur notwendig, was den Entwicklungsaufwand erhöht.
Abkürzungen CVT Continuously Variable Transmission EVT Electrically assisted Variable Transmission / Elektrisch unterstützte Übersetzungsänderung)
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15 Regelung ausgewählter Hybridtopologien: parallel und leistungsverzweigt
Literatur [1] [2] [3]
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363
16 Modellbasierte Steuerung, Regelung und Diagnose von Brennstoffzellenantrieben JOACHIM BUßHARDT, BERNHARD BAASER, VOLKER FORMANSKI, SASCHA SCHÄFER, STEFAN SINSEL
Steigende Bevölkerungszahlen und damit zunehmender Energiebedarf stellen eine große Herausforderung für Menschheit und Umwelt dar. Mit steigendem Wohlstand ist auch ein stärkeres Bedürfnis nach Mobilität und damit ein höherer Energieverbrauch verbunden. Die derzeitigen enormen Steigerungen des Bruttoinlandsproduktes in China und Indien – zwei Ländern, die zusammen mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung stellen – lassen auch zukünftig ungebrochene Steigerungen des Weltenergieverbrauches erwarten. Dies gilt für alle Bereiche, besonders aber für den Verkehrssektor. Letzterer stellt mit seinem signifikanten Anteil am Energieverbrauch sowie den damit einhergehenden Emissionen und seinem hohen Wachstumspotenzial ein besonderes Handlungsfeld dar. Insbesondere wegen der in diesem Sektor zu erwartenden ansteigenden CO2-Emissionen stehen Effizienzverbesserungen und die Entwicklung alternativer Antriebe im Vordergrund. Dabei spielt die Brennstoffzelle als Fahrzeugantrieb eine entscheidende Rolle, da sie einen hohen Systemwirkungsgrad mit fehlenden CO2- und Schadstoffemissionen verbindet. Wegen der hohen Komplexität sind dabei moderne Steuerungs-, Regelungs- und Diagnoseverfahren von besonderer Bedeutung, auf die in diesem Beitrag näher eingegangen wird. Neben einigen grundlegenden Konzepten wird an Hand zweier Beispiele das Potenzial modellgestützter Methoden aufgezeigt.
16.1 Die Umweltstrategie von General Motors General Motors verfolgt eine dreigeteilte Strategie, um die Effizienz von Antriebssystemen zu erhöhen, den Schadstoffausstoß zu verringern und das Automobil schließlich ganz aus der Umweltdiskussion zu lösen, Bild 16-1. Die Entwicklung der Wasserstoffund Brennstoffzellen-Technologie ist ein wichtiger Teil dieser Strategie. Denn wir sind überzeugt, dass wir mit dieser Antriebsform, bei der ein geräuscharmer Elektromotor das Auto antreibt und lediglich Wasserdampf als Reaktionsprodukt aus der Brennstoffzelle den Auspuff verlässt, zu einer nachhaltigen Mobilität gelangen und gleichzeitig die Abhängigkeit von fossilen Energieressourcen verringern können. Auf dem Weg dahin können wir schon jetzt Fortschritte erzielen, indem wir konventionelle Verbrennungsmotoren mit modernen Verbrennungsverfahren optimieren, alternative Kraftstoffe einsetzen und sowohl die Hybridtechnologie, als auch reine Elektroantriebe zur Serienreife bringen. Aus sogenannten Well-to-Wheel-Studien, die den Energieverbrauch und die Treibhausgas-Emissionen für verschiedene Kraftstoffe und Antriebssysteme von der Primär-
364
16 Modellbasierte Steuerung, Regelung und Diagnose von Brennstoffzellenantrieben
energiequelle („Well“) bis zum Rad („Wheel“) betrachten, lassen sich folgende Aussagen ableiten [1]: – Mit fossilen Kraftstoffen lassen sich mit optimierten Verbrennungsmotoren die Treibhausgas-Emissionen im Vergleich zu heute maximal um 30% senken. – Mit Brennstoffzellen lassen sich mit fossilen Kraftstoffen die Treibhausgas-Emissionen bis zu 50% reduzieren. – Nur mit erneuerbaren Kraftstoffen lassen sich die Treibhausgas-Emissionen um mehr als 50% senken. Aber: Erneuerbare Kraftstoffe werden zunächst teurer sein als die fossilen Kraftstoffe heute. Daher sollten sie in Verbindung mit dem effizientesten Energiewandler verwendet werden: der Brennstoffzelle.
Bild 16-1: Die Umweltstrategie zu alternativen Antrieben von General Motors
Um die Vision einer Wasserstoffwirtschaft und einer auf Brennstoffzellen-Technologie beruhenden Mobilität zu realisieren, arbeiten weltweit etwa 600 Wissenschaftler und Ingenieure bei General Motors im Rahmen der GM Fuel Cell Activities (FCA) in Forschungszentren in Deutschland, Japan und den USA an dieser Thematik. Der deutsche Standort GM Alternative Propulsion Center Europe (GMAPCE) in Mainz-Kastel mit etwa 230 Mitarbeitern ist verantwortlich für die Entwicklung des Antriebssystems und dessen Integration ins Fahrzeug sowie die Entwicklung von Wasserstoffspeichersystemen und Hochspannungsbatterien. Ziel ist es, den Brennstoffzellenantrieb im kommenden Jahrzehnt zur Marktreife zu entwickeln.
16.2 Die Brennstoffzelle als Fahrzeugantrieb: Funktionsweise
365
16.2 Die Brennstoffzelle als Fahrzeugantrieb: Funktionsweise Neben einem hohen absoluten Wirkungsgrad zeigt die Brennstoffzelle auch eine Wirkungsgradcharakteristik, die sie für den Einsatz als Fahrzeugantrieb prädestiniert. Der Wirkungsgradvorteil im Vergleich zum Verbrennungsmotor liegt insbesondere im Bereich niedriger Leistungen, der bei üblichen Fahrprofilen überwiegt. Dabei emittiert sie keinerlei Schadstoffe und setzt kein Kohlendioxid frei, weil als Kraftstoff reiner Wasserstoff verwendet wird [2]. Ein weiterer Vorteil ist die wesentlich leisere Arbeitsweise. In der Brennstoffzelle erfolgt die kontrollierte, elektro-chemische Reaktion von Wasserstoff und Sauerstoff zu Wasser unter Freisetzung von elektrischer Energie. Durch die Verwendung eines Katalysators läuft die Reaktion bereits bei niedrigen Temperaturen, idealerweise 60 bis 80 °C ab. Es handelt sich somit um die Umkehrung der Elektrolyse. Bild 16-2 zeigt den Aufbau und das Prinzip einer Polymer-Elektrolyt-Membran-Brennstoffzelle (PEM-BZ), der aufgrund der hohen Leistungsdichte heute das größte Potenzial für die mobile Anwendung zugeschrieben wird.
Bild 16-2: Das Prinzip der Brennstoffzelle [3]
Die beiden Reaktionspartner Wasserstoff und Sauerstoff – in diesem Fall Luftsauerstoff – werden über feine Kanäle, die sich in den Bipolarplatten befinden, der Brennstoffzelle zugeführt. Die aus leitfähigem Material, zum Beispiel Stahl, Titan oder Graphit hergestellten Bipolarplatten geben der Zelle ihre mechanische Struktur und bilden sowohl den Pol, als auch den Gegenpol zweier aneinander liegenden Zellen. Das angrenzende, aus porösem Material bestehende Diffusionsmedium bewirkt eine Gleichverteilung des Wasserstoffs und des Sauerstoffs und fördert den Abtransport des in der Kathode entstehenden Wassers.
366
16 Modellbasierte Steuerung, Regelung und Diagnose von Brennstoffzellenantrieben
Das Kernstück der PEM-Brennstoffzelle ist die Polymer-Elektrolyt-Membran mit beidseitig aufgedampften, etwa 10 μm dicken Katalysatorschichten. Letztere bilden die Anode und die Kathode. Die Einheit aus Membran, Anode und Kathode wird MembraneElectrode-Assembly (MEA) genannt. Die Membran ist ausschließlich für Protonen, also H+-Ionen, durchlässig. Das Oxidationsmittel Sauerstoff ist räumlich vom Brennstoff Wasserstoff, der als Reduktionsmittel dient, getrennt. Der Wasserstoff wird an der Anode katalytisch unter Abgabe von Elektronen e– zu Protonen H+ ionisiert. Diese gelangen durch die Ionen-Austausch-Membran zur Kathode. Die Elektronen werden aus der Brennstoffzelle abgeleitet und fließen über einen elektrischen Verbraucher, zum Beispiel einen Elektromotor, zur Kathode. Dort wird der Sauerstoff durch Aufnahme der Elektronen und eines Protons zu Anionen OH- ionisiert, worauf unmittelbar die Kombination mit den restlichen Protonen zu Wasser stattfindet. Die chemischen Reaktionsgleichungen für die beiden Teilschritte und die Gesamtreaktion lauten: Anode: 2H2 ˇ 4H+ + 4e–
(16.1)
Kathode: O2 + 4H+ + 4e– ˇ 2H2O
(16.2)
Gesamtreaktion: 2H2 + O2 ˇ 2H2O
(16.3)
-
Eine solche Brennstoffzelle hat einen Wirkungsgrad von bis zu 70%. Durch Schichtung vieler Einzelzellen entsteht ein Brennstoffzellenstapel (engl. Stack), der je nach Anzahl und Anwendung über eine Leerlaufspannung von mehreren Hundert Volt verfügt. Der maximal abzugebende Strom hängt von der Größe der Zelle ab. Somit lässt sich die Nennleistung eines Brennstoffzellenstapels durch die Variation der Zellenanzahl und deren Größe konstruktiv auslegen. In der Brennstoffzelle wird die in chemischer Form gespeicherte Energie des Wasserstoffs unter Mitwirkung von Sauerstoff in elektrische Energie gewandelt, Bild 16-3. Dazu wird der Wasserstoff aus dem Wasserstoff-Hochdruckspeicher mittels Injektoren der Anode zugeführt, während ein Kompressor die Kathode mit Umgebungsluft und somit mit dem notwendigen Sauerstoff versorgt. Das entstehende Produktwasser wird teilweise zur Befeuchtung des Sauerstoffs genutzt, der Rest wird mit der überschüssigen Umgebungsluft nach außen geblasen. Ein Umrichter wandelt die entstehende Gleichspannung in eine Wechselspannung um, die in einem Dreiphasen-Drehstrommotor in für den Antrieb des Fahrzeuges nutzbare, mechanische Energie umsetzt wird. Während frühere Generationen von GM-Brennstoffzellenfahrzeugen den Antriebsmotor ausschließlich mittels Brennstoffzelle mit elektrischer Energie versorgten, wird im aktuellen Modell, dem HydroGen 4, eine zur Brennstoffzelle parallele Hochspannungsbatterie genutzt. Mit diesem hybriden Antriebskonzept wird die Energierückgewinnung durch regeneratives Bremsen und somit eine vom Fahrprofil abhängige Senkung des Wasserstoffverbrauchs ermöglicht. Der dazu notwendige bidirektionale Energiefluss ist in Bild 16-3 durch den Doppelpfeil zwischen der Hochspannungsbatterie und der Antriebsmaschine dargestellt.
16.3 Steuerung und Regelung des Brennstoffzellenantriebs
367
Bild 16-3: Speicherung, Wandlung und Fluss unterschiedlicher Energieformen in einem Brennstoffzellen-Antriebssystem
16.3 Steuerung und Regelung des Brennstoffzellenantriebs Ein Brennstoffzellenantrieb wird wie ein Verbrennungsmotor drehmomentgeführt betrieben, siehe Bild 16-4. Aus regelungstechnischer Sicht stellt er somit ein Drehmomentstellglied dar [4]. Aus dem Fahrerwunsch wird ein Drehmomentsollwert errechnet, der direkt dem Elektroantrieb vorgegeben wird. Dieser verfügt über eine interne Drehmomentregelung, die den gewünschten Wert einstellt und in Verbindung mit der aktuellen Drehzahl mechanische Leistung an die Antriebswellen abgibt. Die dazu notwendige elektrische Leistung wird von der Brennstoffzelle und der Hochspannungsbatterie geliefert. Ein Regelalgorithmus stellt sicher, dass deren vorgegebene Spannungsfenster weder unter- noch überschritten werden. Während die maximale Leistungsabgabe der Batterie durch ihren Ladungszustand und Betriebsparameter, wie zum Beispiel ihre Temperatur, vorgegeben ist, wird die verfügbare elektrische Leistung der Brennstoffzelle durch die Versorgung mit Wasserstoff und Luftsauerstoff bestimmt. Dynamisch begrenzend wirkt sich dabei die Luftversorgung aus, was durch die Trägheit des Kompressorrotors und der Luft sowie deren Kompressibilität verursacht wird. Auf der anderen Seite gibt die Brennstoffzelle einen Teil der in ihr erzeugten elektrischen Leistung direkt an den Kompressor ab. Dieser Sachverhalt äußert sich systemdynamisch als Mitkopplung und ähnelt somit dem Verhalten eines Dieselmotors mit Turboaufladung. Durch die konstruktive Auslegung des Kompressors und die Verwendung dynamischer physikalischer Prozessmodelle bei der Steuerung, bzw. Rege-
368
16 Modellbasierte Steuerung, Regelung und Diagnose von Brennstoffzellenantrieben
lung wird eine hohe Dynamik des Gesamtsystems erzielt und gleichzeitig die Stabilität des Regelkreises garantiert. Neben der Einhaltung bestimmter Spannungsgrenzen für die Brennstoffzelle und die Hochspannungsbatterie sind deren Innentemperaturen wichtige Betriebsgrößen. Sowohl bei der Reaktion in der Brennstoffzelle, als auch beim Laden und Entladen der Batterie wird Wärme freigesetzt, die nach außen abgeführt werden muss. Dies ist in Bild 16-4 durch entsprechende Pfeile dargestellt. Temperaturregelungen in beiden Komponenten stellen sicher, dass vom Betriebspunkt abhängige Sollwerte nicht unter- oder überschritten werden. Insbesondere die Brennstoffzelle stellt hohe Anforderungen an die Regelgüte, da die verwendete Polymer-Elektrolyt-Membran in einem sehr engen Temperaturfenster betrieben werden muss. Bei Überhitzung können irreparable Schäden an der Membran entstehen, die zum Ausfall des gesamten Brennstoffzellenstapels führen würden. Auf Maßnahmen zur Vermeidung und Diagnose dieser kritischen Betriebszustände wird in Abschnitt 16.4 noch näher eingegangen.
Bild 16-4: Drehmomentgeführte Betriebsweise eines Brennstoffzellenantriebs: Stellgrößen und Medienströme [2]
Wie bereits zu Beginn dieses Abschnitts erwähnt, stellt der Brennstoffzellenantrieb wie auch der Verbrennungsmotor regelungstechnisch eine Führungsgrößenregelung für das abzugebende Drehmoment dar. Beide Antriebskonzepte verfolgen das Ziel, dem vom Fahrer vorgegebenen Sollwert möglichst verzögerungsfrei zu folgen. Allerdings wird dies durch zwei völlig unterschiedliche Betriebsweisen realisiert, Tabelle 16-1. Beim Verbrennungsmotor werden die Medienströme (Kraftstoff und Luft) getaktet und in Chargen zerteilt. Für die Steuerung und Regelung bedeutet dies, dass die Stelleingriffe in
16.3 Steuerung und Regelung des Brennstoffzellenantriebs
369
Abhängigkeit von der Position der Kurbelwelle – also ereignisbasiert – erfolgen müssen. Dies führt zu einer von der Motordrehzahl abhängigen Taktfrequenz und somit bei zunehmender Drehzahl zu hohen Anforderungen an die Rechenleistung des Steuergerätes. Im Gegensatz dazu werden die Medien Wasserstoff und Luft der Brennstoffzelle kontinuierlich zugeführt, wofür zeitdiskrete Steuerungs- und Regelungskonzepte geeignet sind. Eine Abhängigkeit der Prozessorauslastung von der Antriebsdrehzahl besteht somit nicht. Betrachtet man bei beiden Antrieben das abgegebene Drehmoment als Regelgröße eines unterlagerten Regelkreises, so stellen Verbrennungsmotor und Brennstoffzellenantrieb Multiple-Input-Single-Output (MISO)-Systeme dar. Dabei hat der Verbrennungsmotor neben den Stellgrößen Kraftstoffmenge und Luftmassenstrom gegenüber der Brennstoffzelle noch zwei weitere Einflussgrößen, nämlich den Einspritz-, bzw. Zündzeitpunkt des Kraftstoffs und bei aufgeladenen Motoren die Stellgrößen des Turboladers. Der Entwickler verfügt somit über mehrere Stellgrößen, die in das Regelkonzept mit eingebunden werden können, um das Ausgangsverhalten gezielt zu beeinflussen. Erkauft wird dieser Vorteil mit einer höheren Komplexität des Regelkreises. Im Vergleich dazu scheint die Drehmomentregelung eines Fahrzeugantriebs mit Brennstoffzellen auf den ersten Blick geringere Ansprüche an die Regelung zu stellen. Bezüglich der Stellgrößen Wasserstoff- und Luftmassenstrom trifft diese Aussage zu. Betrachtet man allerdings die Vielzahl weiterer interner Regelgrößen und Betriebsvariablen, deren wichtigste Beispiele in Tabelle 16-1 aufgeführt und denen eines Verbrennungsmotors gegenübergestellt sind, werden die hohen Anforderungen an die Steuerung und Regelung deutlich. Tabelle 16-1: Vergleich von Verbrennungsmotor und Brennstoffzellenantrieb aus regelungstechnischer Sicht
370
16 Modellbasierte Steuerung, Regelung und Diagnose von Brennstoffzellenantrieben
Die Stöchiometrie, also das Verhältnis von Sauerstoff zu Wasserstoff in der Zelle, wird mittels gemessenem Luftmassenstrom und errechnetem Wasserstoffstrom eingestellt. Der Berechnung liegt ein Modell der Einspritzdüse und die gemessene Druckdifferenz über der Düse zu Grunde. Dies ist eines von zahlreichen Beispielen für die Anwendung von Echtzeitmodellen bei der Prozessführung von Brennstoffzellen. Weitere, auf physikalischen Modellen basierende Konzepte, insbesondere zur Fehlerdiagnose, werden in Abschnitt 16.4 näher erläutert. Eine weiterere wichtige Betriebsvariable für die Brennstoffzelle ist die relative Feuchte in der Kathode. Diese muss auf einen für die Polymer-Elektrolyt-Membran optimalen Wertebereich geregelt werden. Eine zu geringe relative Feuchte führt zum Austrocknen und somit zur Zerstörung der Membran. Bei einem zu hohen Wert entsteht Flüssigwasser, das sich als Tropfen in den feinen Kanälen der Kathode niederschlägt und die Gleichverteilung der Luft stört. Bei der Regelung der Feuchte wird deren Abhängigkeit von der Brennstoffzellentemperatur und dem Kathodendruck genutzt. Ihr Wert steigt bei zunehmendem Druck und sinkender Temperatur und sinkt im umgekehrten Fall. Druck und Temperatur stellen somit die Stellgrößen für den Feuchteregelkreis dar. Das bei der Reaktion von Wasser- und Sauerstoff entstehende Produktwasser ist eine Störgröße. Erschwerend kommt hinzu, dass die Sollwerte für Druck und Temperatur lastabhängig geändert werden, während die Feuchte möglichst konstant gehalten werden soll. Insbesondere bei der für Fahrzeuge typischen, hochdynamischen Betriebsweise werden hohe Anforderungen an die Regelgüte gestellt. So wird beispielsweise für die Temperaturregelung eine maximale Regelabweichung von einem Kelvin vom Sollwert spezifiziert. Mit Hilfe dynamischer Prozessmodelle zur Vorsteuerung und Störgrößenaufschaltung und weiterer modellbasierter Methoden werden diese Anforderungen erreicht. Auf den Einsatz dieser Modelle wird im folgenden Abschnitt näher eingegangen.
16.4 Modellgestützte Betriebsweise und Fehlerdiagnose Bei General Motors wurde von Beginn der Brennstoffzellenentwicklung an auf die Verwendung stationärer und dynamischer Modelle gesetzt, die die physikalischen und elektro-chemischen Zusammenhänge in einer Brennstoffzelle abbilden. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, schon während der Entwurfs- und Analysephase einer neuen Systemgeneration, also bevor erste Komponenten vorliegen, unterschiedliche Konzepte zu simulieren, zu bewerten und zu vergleichen. Weiterhin werden in dieser Entwicklungsphase bereits erste Regelungs- und Steuerungsansätze erprobt, um zum Beispiel Fragen zur Steuerbarkeit oder Beobachtbarkeit zu beantworten, die für den späteren Betrieb wichtig sind. Diese Vorgehensweise ist unter der Bezeichnung „Frontloading“ bekannt. Daneben werden Echtzeitversionen dieser Prozessmodelle direkt im Regel-, Steueroder Diagnosealgorithmus verwendet. Dies hat zum einen den Vorteil, dass die Software fast ohne Kennfelder auskommt und im Vergleich zu einer Verbrennungsmotorsoftware wesentlich weniger Kalibrierparameter enthält. Zudem haben viele Parameter eine physikalische oder chemische Bedeutung, was die Kalibrierarbeit transparenter macht.
16.4 Modellgestützte Betriebsweise und Fehlerdiagnose
371
Zum anderen eröffnen modellgestützte Konzepte aber auch die Möglichkeit, völlig neue Betriebsweisen und Diagnoseverfahren zu realisieren. Folgende Anwendungen wurden in unseren Fahrzeugen implementiert und sind seit Jahren im Einsatz.
16.4.1 Rekonstruktion nicht oder schwer messbarer Größen In einem Brennstoffzellenantrieb tritt neben den bekannten mechanischen und elektrischen Größen und Messwerten auch eine Vielzahl verfahrenstechnischer und chemischer Größen auf, die im Automobilbereich eher unüblich sind. So sind beispielsweise gewisse chemische Stoffe wie die Wasserstoffkonzentration in feuchten Gasgemischen nur im Labormaßstab messbar, jedoch nicht im Fahrzeug, zumindest nicht zu vertretbaren Kosten. Die direkte Messung der Temperatur, der relativen Feuchte oder der Gaszusammensetzung im Inneren des Brennstoffzellenstapels ist nahezu unmöglich. Abhilfe können hier Modelle der Subsysteme oder Komponenten schaffen, indem die nicht oder schwer messbaren Größen aus anderen Messwerten und dem Modell rekonstruiert werden. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von „virtuellen Sensoren“. Diese Methode kann selbstverständlich auch zur Reduktion der Anzahl realer Sensoren eingesetzt werden, wodurch sich die Kosten für Sensorik verringern und sich die Systemzuverlässigkeit erhöhen lässt. Ein Beispiel hierfür sind Temperatursensoren im Kühlmittelkreislauf, deren Messwerte durch Transportmodelle bestimmt werden.
16.4.2 Modellgestützte Diagnosen Im Bereich der On-Board-Diagnostik werden Modelle eingesetzt, wie zum Beispiel zur Sensordiagnose. Dabei wird der vom Sensor gemessene Wert mit dem errechneten Wert des virtuellen Sensors verglichen. Weichen die Ergebnisse voneinander ab, kann auf einen Sensorfehler geschlossen werden. Mit diesem Verfahren lassen sich insbesondere fehlerhafte Temperatursensoren zuverlässig erkennen; es ist aber auch gut für die Diagnose von Massen- und Volumenstromsensoren geeignet. Abnehmende Kühl- oder Heizleistungen von Wärmetauschern, Heizern und Kühlern lassen sich über Wärmebilanzmodelle des Kühlmittelkreislaufs erkennen, um dann präventiv entsprechende Wartungsarbeiten durchzuführen. Abschließend sei in dieser kurzen Aufzählung die Wasserstoffleckdiagnose mit Hilfe eines Verbrauchsmodells genannt. Die Menge des verbrauchten Wasserstoffs wird berechnet und mit der insgesamt abgegebenen Energie verglichen. Korrelieren die Werte nicht, lässt dies auf Undichtigkeiten im Brennstoffzellensystem oder im Wasserstoffspeicher schließen. Dies ist aus Sicherheitsgründen aber nur eine begleitende Maßnahme. Redundant werden Leckagen über Wasserstoffmelder erkannt. Im Folgenden werden zwei Beispiele näher erläutert, um die Leistungsfähigkeit modellgestützter Verfahren auch quantitativ aufzuzeigen.
372
16 Modellbasierte Steuerung, Regelung und Diagnose von Brennstoffzellenantrieben
16.4.3 Anwendungsbeispiel 1: Pumpendiagnose mittels Volumenstrombestimmung im Kühlkreislauf In einem Brennstoffzellensystem, das als Fahrzeugantrieb ausgelegt ist, ist es aufgrund der sehr dynamischen Lastpunkte äußerst wichtig, den Kühlmittelstrom zu kennen und auf diesen Einfluss nehmen zu können, um so das System immer in einem für die Haltbarkeit und die Zuverlässigkeit der Einzelkomponenten günstigen Betriebsbereich zu halten. In Bild 16-5 ist im Wesentlichen die Verknüpfung der Signale des Kühlkreislaufes mit dem Rest des Brennstoffzellensystems (ohne Batterie) dargestellt. Für den Kühlkreislauf ist es wichtig, dass der Volumenstrom einen geforderten lastabhängigen Mindestwert nicht unterschreiten darf, um eine gleichmäßige Durchströmung der Kanäle mit einer entsprechenden Kühlwirkung in den einzelnen Zellen zu gewährleisten. Dies ist besonders wichtig, da es sonst in den Zellen zu lokaler Überhitzung, sogenannten „Hot-Spots“ kommen kann. Diese würden die Lebensdauer einer Zelle entscheidend verringern. Deshalb wurde in früheren Systemen ein Volumenstromsensor eingesetzt. Allerdings genügen sämtliche auf dem Markt verfügbaren Sensoren nicht den Kriterien für automobile Anwendungen in Bezug auf Kosten, Genauigkeit, Zuverlässigkeit usw.
Bild 16-5: Signalfluss eines Brennstoffzellenantriebs; M Moment; H Enthalpiestrom; U Spannung; I Strom; ω Winkelgeschwindigkeit; Δp Druckdifferenz; V Volumenstrom; Ctrl Steuergrößen; FMU Fuel Management Unit
Im Folgenden wird ein Verfahren beschrieben, mit dem der Volumenstrom auf Grundlage von Pumpenmessgrößen bestimmt werden kann [5]. Dies kann als „Pumpe-als-SensorPrinzip“ bezeichnet werden. Dabei werden die Spannung U(t) und der Strom I(t) des drehzahlgeregelten Gleichstrommotors mit dessen Drehzahl n(t) gemessen, um sowohl mit einem speziellen Motor-Kennfeld, als auch einer Pumpen-Kennlinie auf den Volumenstrom V (t ) zu schließen. Die elektrisch angetriebene Pumpe wird also in diesem Fall
16.4 Modellgestützte Betriebsweise und Fehlerdiagnose
373
als Sensor verwendet. Die hier beschriebene Methodik bezieht sich auf das Patent „Coolant Flow Estimation by an Electrically Driven Pump“ [6]. Im Wesentlichen beruht das Verfahren auf der Beschreibung des hydraulischen Verhaltens der Pumpe mittels dimensionsloser Kenngrößen, die in diesem Fall die Lieferzahl ϕ, die Druckzahl ψ und die Leistungszahl λ sind. Die Lieferzahl, die einen dimensionslosen Volumenstrom darstellt, wird definiert als das Verhältnis von Volumenstrom V zu dem Produkt aus Querschnittsfläche mal Umfangsgeschwindigkeit u. Unter Verwendung der seitlichen Laufradfläche
A = π ⋅ D22 4 und der äußeren Laufradumfangsgeschwindigkeit u2 = 2π ⋅ n ⋅ D2 2
ergibt sich für die Lieferzahl
ϕ=
V 4 ⋅ V = . 2 A ⋅ u2 π ⋅ n ⋅ D23
(16.4)
Zur Kennzeichnung des Druckes wird die Druckzahl ψ proportional dem Verhältnis der spezifischen Förderarbeit Y = g ⋅ H zum Quadrat der äußeren Laufradumfangsgeschwindigkeit u2 definiert.
ψ =
2Y 2⋅ g ⋅H = 2 (π ⋅ n ⋅ D2 )2 u2
(16.5)
Die Leistungszahl λ bezieht das Produkt aus ψ und ϕ auf den Pumpenwirkungsgrad ηP.
λ=
ψ ⋅ϕ ηP
(16.6)
Das Produkt aus ψ mal ϕ wird als dimensionslose hydraulische Leistung bezeichnet. λ stellt dann nach Division mit dem Pumpenwirkungsgrad die dimensionslose Wellenleistung dar, die von der Welle des Motors an das Pumpenlaufrad übergeben wird. Der Pumpenwirkungsgrad bezieht sich hierbei rein auf den hydraulischen Teil des Motor-PumpeSystems. Das heißt, er ist gleichbedeutend mit dem Laufradwirkungsgrad. Der Zusammenhang λ = f (ϕ ) lässt sich aus einer Vermessung des Motor-PumpeSystems am Prüfstand ermitteln. Um dieses nicht-parametrische Modell zur Volumenstrombestimmung verwenden zu können, setzt man die Gleichungen (16.4) und (16.5) in Gleichung (16.6) ein. Weiter verwendet man die folgende Beziehung für den Gesamtwirkungsgrad η und formt diese nach ηP um.
η = ηMot ⋅ ηP =
Pout ρ ⋅ g ⋅ H ⋅ V = Pin U ⋅I
(16.7)
374
16 Modellbasierte Steuerung, Regelung und Diagnose von Brennstoffzellenantrieben
Man erhält daraus als Berechnungsformel für λ:
λ=
2⋅ g ⋅H 4 ⋅ V U ⋅ I ⋅ ηMot 8 ⋅ U ⋅ I ⋅ ηMot ⋅ ⋅ = 2 3 2 (π ⋅ n ⋅ D2 ) π ⋅ n ⋅ D2 ρ ⋅ g ⋅ H ⋅ V π4 ⋅ D25 ⋅ ρ ⋅ n3
(16.8)
Da der Motorwirkungsgrad ηMot, der ebenfalls aus einer Prüfstandsvermessung gewonnen wird, als eine Funktion ηMot = f(Pin,n) mit Pin = U · I dargestellt werden kann, lässt sich die Leistungszahl λ(t) für jeden Betriebspunkt aus den Größen Spannung U(t), Strom I(t) und Drehzahl n(t) bestimmen. Mit Hilfe der gemessenen Pumpenkennlinie ϕ = f–1(λ) und der Definition für die Lieferzahl ϕ aus Gleichung (16.4) lässt sich der von der Pumpe geförderte Volumenstrom Vˆ (t ) berechnen.
π2 ⋅ D23 Vˆ = ⋅ n(t ) ⋅ ϕ (t ) 4
(16.9)
Bild 16-6: Validierung des modellbasierten Volumenstromsensors; Vergleich der Volumenströme und Darstellung des relativen Fehlers
Bild 16-6 zeigt die Validierung des vorgestellten Verfahrens anhand von Prüfstandsmessdaten. Hierbei wurde mit dem Brennstoffzellensystem ein bestimmtes Leistungsprofil abgefahren, wobei der aufgezeichnete Volumenstrom im oberen Teil von Bild 16-6 dargestellt ist. Ebenso ist der modellierte Volumenstromwert abgebildet. Die Abschnitte, in denen der Modellausgang auf Null gesetzt wurde, sind Bereiche, in denen das Verfahren aufgrund von fehlerbehafteten Eingangsgrößen, Herstellungstoleranzen und Modellungenauigkeit durch eine übergeordnete Systemüberwachung abgeschaltet wird. Im unteren Teil sieht man den relativen Fehler zwischen gemessenem und berechnetem Wert aufgetragen. Der mittlere quadratische Fehler liegt hier bei etwa 7%. Damit lässt sich der
16.4 Modellgestützte Betriebsweise und Fehlerdiagnose
375
Volumenstrom nur mit Messgrößen des Gleichstrommotors auf etwa ±10% in einem Bereich V >100 ltr/min berechnen. Generell gilt, dass die Güte stark von dem zugrunde liegenden Motorkennfeld bzw. der Pumpenkennlinie abhängt und dass besonders für hohe Leistungsbereiche zuverlässige Ergebnisse geliefert werden.
16.4.4 Anwendungsbeispiel 2: Modellbasierte Bestimmung des Stickstoffanteils im Anodenkreis Als zweites Beispiel wird beschrieben, wie nicht messbare Größen des Anodenkreises mit Hilfe eines Modells ermittelt und zum gesteuerten Betrieb der Brennstoffzelle verwendet werden. Wie bereits in Abschnitt 16.2 erwähnt wurde, bewirkt das Diffusionsmedium eine Gleichverteilung des Wasserstoffs über dem Katalysator in der Anode, damit die Reaktionsoberflächen möglichst vollständig und gleichmäßig genutzt werden, siehe Bild 16-2. Als zusätzliche Maßnahme wird immer etwas mehr Wasserstoff zugeführt, als zur angeforderten Leistung notwendig ist. Dies würde aber bedeuten, dass fortwährend ein kleiner Teil des Wasserstoffs mit dem Anodenabgas unverbraucht abgegeben wird. Dies ist natürlich unerwünscht, weil sich dadurch der Verbrauch erhöht und Wasserstoff in die Umgebung gelangt. Deshalb wird das Anodenabgas erneut durch die Brennstoffzelle geleitet, um den Restwasserstoff zu verbrauchen. Bild 16-7 zeigt schematisch den Anodenkreislauf und die wichtigsten Mess- und Steuergrößen. Frischwasserstoff wird mit dem rezirkulierten Restgas gemischt und in die Anode geleitet. Dort reagiert ein Großteil des Wasserstoffs mit dem Kathodensauerstoff zu Wasser. Das verbleibende Restgas verlässt die Anode und wird, nachdem in einem Wasserseparator überschüssiges Wasser abgeschieden wurde, mittels einer Rezirkulationspumpe erneut der Anode zugeführt.
Bild 16-7: Anodenrezirkulationskreis einer Brennstoffzelle: Stoffströme ( V Volumenstrom; yN2 Stickstoffanteil im Anodengas) und Messgrößen (Δp Pumpendruckdifferenz; n Pumpendrehzahl; T Anodengaseingangstemperatur; p Anodengasausgangsdruck)
376
16 Modellbasierte Steuerung, Regelung und Diagnose von Brennstoffzellenantrieben
Die Polymer-Elektrolyt-Membran ist nicht nur für Protonen, sondern auch für Wasser und Stickstoffmoleküle N2 durchlässig. Der Stickstoff stammt aus der Luft in der Kathode. Dieser Effekt, der als „Cross-over“ bezeichnet wird, führt zu einem langsamen Anstieg der Stickstoffkonzentration in der Anode und somit zu einer Verdünnung des Wasserstoffs. Ab einem Stickstoffanteil von über 50% verringert sich der Wirkungsgrad der Zelle deutlich, sie kann instabil und schließlich funktionsunfähig werden. Deshalb verfügt der Anodenkreis über ein elektrisches Entgasungsventil, über das von Zeit zu Zeit stickstoffreiches Restgas in die Umgebung abgegeben wird, so dass der Wasserstoffanteil wieder ansteigt. Neben einer ausreichenden Wasserstoffkonzentration ist eine Mindestrezirkulationsrate für den stabilen Betrieb der Brennstoffzelle erwünscht. Darunter versteht man das Volumenstromverhältnis von rezirkuliertem Gasgemisch V zu hinzugefügtem Frischwasserstoff. Um beide Größen, die Wasserstoffkonzentration und die Rezirkulationsrate, für einen stabilen und effizienten Betrieb gesteuert einstellen zu können, müssten sie gemessen werden. Allerdings gibt es zur Zeit noch keine zuverlässigen Sensoren, die für den Einsatz in der feuchten Umgebung innerhalb der Brennstoffzelle geeignet wären. Es wurde deshalb ein Verfahren entwickelt und zum Patent angemeldet [7], mit dem die Wasserstoff-, bzw. Stickstoffkonzentration im Anodenkreislauf sowie die Rezirkulationsrate basierend auf einem Gasströmungsmodell und einfachen Messgrößen errechnet und zur Ansteuerung des Entgasungsventils genutzt werden kann. Messgrößen sind die von der Pumpe erzeugte Druckdifferenz Δp, die Pumpendrehzahl n sowie die Anodengaseingangstemperatur T und der Anodengasausgangsdruck p. Die Sensoren sind in Bild 16-7 als schwarze Kreise dargestellt. In der Anode liegt ein laminarer Volumenstrom vor, da die Kanäle in den Bipolarplatten sehr viel länger sind als ihr Durchmesser. Es besteht somit ein linearer Zusammenhang zwischen dem Druckabfall Δpanode und dem Volumenstrom V : Δpanode = k ⋅ μ ⋅ V
(16.10)
wobei k eine von der Kanalgeometrie abhängige Konstante darstellt. Für den Volumenstrom und die dynamische Viskosität werden deren Mittelwerte V und μ verwendet. Für sie gilt:
1 V = ⋅ (Vin + V out ) 2
μ=
(16.11)
· 1 § ⋅ ¨ yi,in ⋅ μi,in (T ) + yi,out ⋅ μi,out (T ) ¸ ¸ 2 ¨© i i ¹
¦
¦
(16.12)
Vin und V out sind die Volumenströme am Anodeneingang, bzw. -ausgang. yi ist der Anteil des Gases i im Anodengas. Wie man aus Gleichung (16.12) erkennt, ist die mittlere dynamische Viskosität μ von den Gasanteilen yi und der Temperatur T abhängig. Bild 16-8 links zeigt den Druckabfall über der Anode in Abhängigkeit vom mittleren Volumenstrom im Rezirkulationskreis. Weiterhin ist der Zusammenhang für zunehmende dynamische Viskosität dargestellt. Bei zunehmendem Stickstoffanteil yN2 und gleichem
16.4 Modellgestützte Betriebsweise und Fehlerdiagnose
377
mittleren Volumenstrom nimmt der Druckabfall in der Anode aufgrund der höheren dynamischen Viskosität des Stickstoffs im Vergleich zum Wasserstoff zu. Die Kennlinie der Rezirkulationspumpe wird, wie auch im Beispiel in Abschnitt 16.4.3, auf einem Prüfstand gemessen. Bild 16-8 rechts zeigt einen typischen Verlauf der Pumpendruckdifferenz bei veränderlichem Massenstrom. Auch hier ist die Abhängigkeit der Kennlinie von Variablen gezeigt, nämlich von der Pumpendrehzahl n und der Dichte ρ, die ihrerseits eine Funktion des Stickstoffanteil yN2 und des Pumpenausgangsdrucks ppump ist.
Bild 16-8: Kennlinienscharen des Differenzdrucks an der Anode (links) und der Rezirkulationspumpe (rechts) in Abhängigkeit von Stoffeigenschaften und Betriebsvariablen
Wie schon in Abschnitt 16.4.3 werden auch hier die normierte Druckzahl ψ und die normierte Lieferzahl ϕ verwendet. Die Definition der Druckzahl entspricht Gleichung (16.5) mit den dort angegebenen Variablen und Parametern:
ψ =
2 ⋅Y 2 ⋅Y = 2 u (n ⋅ D ⋅ π)2
(16.13)
Wegen des kompressiblen Mediums setzt sich die spezifische Förderarbeit Y allerdings in diesem Fall aus zwei Anteilen zusammen, nämlich aus der Änderung der spezifischen Enthalpie Δh durch die Kompression des Gasgemischs und der Arbeit zur Beschleunigung des Gases von der Geschwindigkeit c1 vor der Rezirkulationspumpe auf die Geschwindigkeit c2 nach der Pumpe: c 2 − c12 Y = Δh + 2 2
(16.14)
Für kleine Verhältnisse des Pumpeneingangs- zum Pumpenausgangsdruck gilt für Δh: Δh =
Δp
ρ
(16.15)
Weiterhin kann in Gleichung (16.14) die Beschleunigungsarbeit gegenüber der Kompressionsarbeit vernachlässigt werden. Durch Einsetzen der Gleichungen (16.14) und (16.15) in (16.13) folgt für die Druckzahl näherungsweise:
378
16 Modellbasierte Steuerung, Regelung und Diagnose von Brennstoffzellenantrieben
ψ =
2 ⋅Y 2 ⋅Y 2 ⋅ Δp = ≈ 2 2 u (n ⋅ D ⋅ π) ρ ⋅ (n ⋅ D ⋅ π)2
(16.16)
Darin sind die Pumpendruckdifferenz Δp und die Pumpendrehzahl n Messgrößen, die normierte Druckzahl ψ und die Dichte ρ sind unbekannt. Die Dichte, die sich mit dem Druck im Rezirkulationskreis ändert, ist definiert als
ρ=
m V
(16.17)
mit der Gasmasse m und dem zugehörenden Gasvolumen V. Letzteres lässt sich aus der Gasgleichung bestimmen: V =
nV RT p
(16.18)
wobei nV die Anzahl der Gasmoleküle im Volumen V und R die Gaskonstante bedeuten. Die Gesamtmasse m aus Gleichung (16.17) ergibt sich als Summe der Einzelmassen mi der Gasanteile i: mi = ni ⋅ MWi
(16.19)
mit der Anzahl der Moleküle ni und dem Molekulargewicht MWi im Gasanteil i. Durch Einsetzen der Gleichungen (16.18) und (16.19) in Gleichung (16.17) ergibt sich für die Dichte ¦ ni ⋅ MWi = p⋅ ρ = p⋅ nV RT
¦
ni ⋅ MWi nV RT
(16.20)
Die Dichte ist somit eine Funktion des Drucks p, der Temperatur T sowie der Wasserstoff- und Stickstoffkonzentrationen yH2 und yN2.
ρ = f ( yH2 , yN2 , p, T )
(16.21)
Zur Beschreibung des Volumenstroms im Rezirkulationskreis wird auf die normierte Lieferzahl nach Gleichung (16.4) zurückgegriffen, wobei hier der Volumenstrom V2 am Pumpenausgang verwendet wird.
ϕ=
4V2 D3 ⋅ π2 ⋅ n
(16.22)
Die Gleichungen (16.16), (16.20) und (16.22) stellen ein System zur Bestimmung der Unbekannten yN2, ρ und V2 dar, was im Folgenden zunächst graphisch veranschaulicht wird. Bild 16-9 links zeigt den Zusammenhang der normierten Lieferzahl ϕ und der normierten Druckzahl ψ bei Variation der Pumpendruckdifferenz Δp und des Volumenstrom V2 . Durch die normierte Darstellung wird die Kennlinienschar aus Bild 16-8 rechts in eine Kennlinie abgebildet. Durch Linearisierung um den Arbeitspunkt der Pumpe ergibt sich
16.4 Modellgestützte Betriebsweise und Fehlerdiagnose
379
die dargestellte Gerade. Geht man wieder auf die dimensionsbehafteten Größen Δp und V2 über, so entsteht eine Schar von Kennlinien, deren Lage im Diagramm aber nur noch vom unbekannten Stickstoffgehalt yN2 abhängt. Alle anderen Größen sind messbar.
Bild 16-9: Links: Normierte Druck-Durchflusskennlinie der Rezirkulationspumpe mit linearisiertem Arbeitsbereich. Rechts: Druck-Durchfluss-Kennlinienschar der Rezirkulationspumpe in Abhängigkeit vom Stickstoffanteil im Anodengas
Beide Diagramme, Bild 16-8 links und Bild 16-9 rechts, stellen die Abhängigkeit des Differenzdrucks bei vorgegebenem Volumenstrom dar, wenn sich der Stickstoffanteil im Anodengas ändert. Legt man sie übereinander, erhält man die Lösung als Schnittpunkt zweier Kennlinien für einen aktuell gemessenen Differenzdruck Δpact über der Pumpe, Bild 16-10. Dabei liegt die Annahme zu Grunde, dass der Druckabfall über dem Wasserseparator und der Verrohrung im Vergleich zum Anodendruckabfall vernachlässigbar ist, siehe Bild 16-7.
Bild 16-10 Graphische Lösung als Schnittpunkt der Pumpen- und der Anodenkennlinie
Das Gleichungssystem aus (16.16), (16.20) und (16.22) kann nicht analytisch gelöst werden. Deshalb ist im Steuergerät ein iterativer Algorithmus implementiert. Dieser geht von einer Anfangskonzentration für den Stickstoff aus und berechnet daraus sukzessive den Volumenstrom durch die Anode, die Gasdichte am Pumpenausgang und daraus einen neuen, besseren Wert für die Stickstoffkonzentration. Da sich diese, abgesehen vom Entgasen, nur relativ langsam ändert, wird nach wenigen Iterationen ein stabiler Wert erreicht. Überschreitet dieser einen bestimmten Grenzwert, wird das Entgasungsventil für kurze Zeit getriggert, um den überschüssigen Stickstoff abzublasen. Außer der Stickstoffkonzentration wird gleichzeitig der Volumenstrom in der Anode berechnet, der durch Ansteuerung der Pumpe an den jeweiligen Lastfall angepasst werden kann.
380
16 Modellbasierte Steuerung, Regelung und Diagnose von Brennstoffzellenantrieben
Bild 16-11 zeigt die Ergebnisse eines Stickstoffakkumulationstests, die an einem Brennstoffzellensystemprüfstand erzielt wurden. Dabei wird der Stickstoffanteil bei geschlossenem Entgasungsventil kontinuierlich erfasst. Aufgetragen sind die gemessenen und berechneten Stickstoffkonzentrationen am Ausgang der Rezirkulationspumpe vor der Mischstelle mit dem Frischwasserstoff und am Anodeneingang. Nach dem Testbeginn steigt der Stickstoffanteil kontinuierlich an und erreicht nach etwa 3000 Sekunden seinen Endwert von 70 bis 75%. Dieser entspricht somit annähernd dem Wert für Luft (79%) auf der Kathodenseite. Zum Zeitpunkt 4000 Sekunden wird mehr Leistung von der Brennstoffzelle gefordert, was zu einer höheren Wasserstoffzugabe führt. Am Anodeneingang (hinter der Mischstelle) sinkt somit der Stickstoffanteil, während er am Anodenausgang wegen des erhöhten Wasserstoffverbrauchs ansteigt. Die absoluten Abweichungen zwischen gemessenem und berechnetem Wert betragen maximal 5% im quasi-stationären Betrieb, im dynamischen Fall, zum Beispiel bei Lastwechsel, steigt der Fehler auf bis zu 10%. Etwas größere Fehler ergeben sich während des Öffnens des Entgasungsventils, weil dies nicht im Modell berücksichtigt ist. Dies ist aber auch nicht notwendig, weil nach dem Entgasen der Stickstoffgehalt auf unkritische Werte gesunken ist. Das Verfahren wurde in einer Flotte von Brennstoffzellenfahrzeugen über drei Jahre eingesetzt. Es hat sich in der Praxis sehr gut bewährt, erwies sich im täglichen Betrieb als sehr robust und ist ausreichend genau.
Bild 16-11: Stickstoffakkumulationstests. Testbedingungen: Pumpendrehzahl n konstant, variable Leistung des Brennstoffzellensystems, Entgasungsventil geschlossen
16.5 Steuerungs- und Software-Entwicklungsmethodik
381
16.5 Steuerungs- und Software-Entwicklungsmethodik Die Steuerungsentwicklung für den Brennstoffzellen-Antrieb verläuft in einem durchgängigen Entwicklungsprozess, der sich am klassischen V-Modell anlehnt. Dabei kommt dem nahtlosen Einsatz der Simulationstechnik in allen Phasen des Entwicklungsprozesses eine besondere Bedeutung zu.
16.5.1 Einsatz der Simulationstechnik in der Vorentwicklungsphase Schon zu Beginn eines neuen Fahrzeug-Entwicklungsprogramms sind umfangreiche Systemmodelle erforderlich, anhand derer der komplette Brennstoffzellen-Antriebsstrang in seinem Systemverhalten bis zu einem beachtlichen Reifegrad weiterentwickelt wird. Auf Grundlage zahlreicher Simulationstests werden verschiedene Fahrzeug-/Antriebsarchitekturen und -konfigurationen untersucht und diese nach den bekannten Kriterien bewertet, wie z.B. Fahrleistung, Leistungseffizienz, Fahrbarkeit und technischer Aufwand. Erst nach der Entscheidung für das zu realisierende Antriebsstrangkonzept werden die technischen Anforderungen auf Subsystem- und Komponentenebene herunter gebrochen und an die zuständigen Fachabteilungen weitergegeben. Auf diese Weise können erheblich Kosten und Zeit im Prototypen-Bau eingespart werden. Bei der Umsetzung des o.a. simulationsgetriebenen Entwicklungsansatzes hat sich im Laufe der Jahre gezeigt, dass eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsgruppen System Engineering, System Modeling und Controls Engineering ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg ist. So werden schon in der Spezifikationsphase von System Engineering bestimmte Auslegungsvarianten des Antriebsstrangs in Verbindung mit bestimmten Betriebsstrategien für eine simulative Erprobung in Auftrag gegeben. In enger Abstimmung, jedoch in getrennten Entwicklungsprozessen werden in der System-ModelingGruppe die Prozessmodelle und in der Controls-Gruppe die Steuerungsalgorithmen entwickelt und dann zu einem Systemmodell integriert. Aus der Sicht von Controls Engineering handelt es sich hier um eine klassische Model-in-the-Loop-Applikation (MIL), da die Steuerungsalgorithmen in Form eines Simulinkmodells-hier noch in einer vorläufigen Prototyp-Variante-im geschlossenen Kreis mit einem Prozessmodell betrieben werden. Die MIL-Applikationen werden, wie in Bild 16-12 dargestellt, zunächst auf Komponenten- und Subsystem-Ebene umgesetzt. Ziel ist es aber immer, möglichst schnell die Gesamtsystem-Ebene zu erreichen, um wie schon oben erwähnt, der Gruppe System Engineering eine Untersuchungsplattform für das Gesamtfahrzeugverhalten bereitzustellen. Mit den Jahren wurde ein fundiertes Spezialwissen über Brennstoffzellenantriebe aufgebaut. Mit dem Modellierungswerkzeug MATLAB®/Simulink® wurde ein geschlossenes Simulationsmodell des Gesamtsystems entwickelt. Es besteht aus Komponenten für das Brennstoffzellen-Antriebssystem (Fuel Cell Propulsion System, FCPS), dem entsprechenden FCPS-Controller, der Fahrzeugplattform (Vehicle Plant Model) und der Restbus-Simulation weiterer Steuergeräte. Das Brennstoffzellen-Antriebssystem FCPS selbst gliedert sich wiederum in verschiedene Teilsysteme (Electric Storage System, Fuel Cell
382
16 Modellbasierte Steuerung, Regelung und Diagnose von Brennstoffzellenantrieben
System, Electric Traction System, Cooling System, H2 Storage System und Driver Interface). Das Modell für die Fahrzeugplattform entspricht weitgehend der Ausführung der Serienvariante des Verbrennungsfahrzeugs.
Bild 16-12: „Road-to-Lab-to-Math“ – vom simulierten zum realen Brennstoffzellenantrieb
16.5.2 Einsatz der Simulationstechnik in der Produktentwicklungsphase Mit Abschluss der Vorentwicklungsphase beginnt die eigentliche Produktentwicklung. Für Controls Engineering bedeutet dies, die bereits existierenden Steuerungsalgorithmen für den Einsatz im Serien-Controller bzw. in einem Bypass-Prototyping Controller weiter auszubauen und zur Serienreife zu führen. Dies geschieht in einem fest vorgegebenen Entwicklungs- und Freigabeprozess, in dem bis zum „Start of Production“ (SOP) im 6–8 Wochenzyklus immer wieder neuer Steuergeräte-Code für die Validierung in verschiedenen Testumgebungen produziert wird. Bei den Validierungsarbeiten kommt wiederum der MIL-Simulation eine entscheidende Bedeutung zu, da mit dieser schon in einer frühen Phase des Freigabeprozess-Zyklus die Algorithmen – hier noch im Simulink-Format – auf handelsüblichen PCs mit standardisierten Testprogrammen ausgiebig getestet werden können. Die erforderlichen Prozessmodelle müssen dabei immer wieder an die ständig wachsenden Anforderungen hinsichtlich der Algorithmen angepasst und verfeinert werden. Eine große Herausforderung stellt die MIL-Integrationsprozedur, also die Kopplung des Simulink-Steuerungsmodells mit dem Simulink-Prozessmodell, dar. Die Verknüp-
16.5 Steuerungs- und Software-Entwicklungsmethodik
383
fung beider Teilmodelle erfolgt über virtuelle Sensor- und Aktuatorsignale sowie über virtuelle CAN-Signale, die sich bei einem vollständigen Brennstoffzellen-Antriebsstrangmodell in Summe schnell auf mehrere hundert I/O-Verbindungen aufaddieren können. Hierzu wurde eine spezielle Matlab-Toolbox mit komfortabler Bedienerführung entwickelt, die den MIL-Integrations-Ingenieur bei der Wartung und Anpassung der Signalschnittstellen erheblich unterstützt. So kann ein Austausch des Steuerungsmodells inklusive der erneuten Wiederinbetriebnahme in 1–2 Stunden (je nach I/O-Anpassungsaufwand) vollzogen werden. Neben Controls Engineering hat auch wiederum der Bereich System Engineering ein starkes Interesse an den immer verfeinerten MIL-Modellen. So können die Simulationsergebnisse mit Messungen an Testständen und Versuchsfahrzeugen verglichen und die Gültigkeit der den Modellen zugrunde liegenden Annahmen überprüft werden. Gegebenenfalls sind Korrekturen oder Anpassungen notwendig, bevor mit verbesserter Modellgüte weitere Simulationsuntersuchungen fortgesetzt werden. Somit profitieren beide Kundengruppen von wechselseitigen und intensiven MIL-Simulationsarbeiten: – System-Engineering profitiert von der zyklischen Integration von immer verfeinerten und ausgereifteren Steuerungsmodellen. – Controls Engineering profitiert von ständigen Modell-Validierungsarbeiten getrieben durch System Engineering.
16.5.3 Controller Tests an HIL-Simulatoren Nach umfangreichen Off-line-MIL-Simulationen am Arbeitsplatz erfolgt der Steuergerätetest in einer Hardware-in-the-Loop-Testumgebung (HIL). Hierzu wird das SimulinkSteuerungsmodell mit Hilfe des Embedded Coders von Mathworks in den Ziel-Code für den Serien-Controller und das Prozessmodell für den Betrieb auf die dSpaceEchtzeitplattform übersetzt. Die virtuellen I/O-Schnittstellensignale aus dem MIL-Model werden durch echte Signal-I/O und CAN-I/O über die HIL-Simulator-Peripherie ersetzt. Da es sich bei den MIL- und HIL-Umgebungen um die gleichen Steuerungs- und Prozessmodelle sowie um ähnliche Modellinfrastrukturen handelt, ergeben sich für den Nutzer folgende Vorteile: – Für die MIL- und HIL-Modell-Integration kommen ähnliche und aufeinander abgestimmte Software-Integrationsprozeduren zum Einsatz. Daher ist für den Umstieg zwischen MIL- und HIL-Umgebungen nur ein minimaler Arbeitsaufwand notwendig. – Software Testläufe können in der MIL-Umgebung vorgetestet werden, bevor sie in der aufwändigeren HIL-Umgebung wiederholt bzw. fortgesetzt werden. Diese Vorgehensweise erhöht die produktive Auslastung des HIL-Simulators und erleichtert erheblich die eventuell notwendige Fehlersuche. – MIL- und HIL- Simulationsergebnisse können direkt miteinander verglichen werden.
384
16 Modellbasierte Steuerung, Regelung und Diagnose von Brennstoffzellenantrieben
16.5.4 Echtzeitsimulationsumgebungen an Testständen Die Entwicklungsverantwortung für die einzelnen Teile des Brennstoffzellen-Antriebssystems ist auf mehrere Standorte verteilt. Aufgrund der Parallelentwicklung der Systemkomponenten an verschiedenen Standorten steht an den Antriebstestständen vor Ort nicht immer das komplette Brennstoffzellen-Antriebssystem zur Verfügung. Um dennoch die Antriebskomponenten im Systemzusammenhang unter realistischen Fahrzeugbedingungen testen zu können, wurden alle Antriebsteststände mit einer Echzeitsimulationsumgebung ausgestattet, die alle fehlenden Antriebsstrangkomponenten inklusive der Fahrzeugplattform in Form von Echtzeitmodellen ersetzt. Realisiert ist diese Umgebung in Form eines HIL-Simulationssystems, das umfangreiche Schnittstellen zu den verbauten Fahrzeug-Steuergeräten und zur Teststandssteuerung bereitstellt. Die Modelle werden zum großen Teil aus den MIL-/HIL-Modellen übernommen, wobei individuelle Teilmodelle aktiviert bzw. deaktiviert werden können, je nach dem ob die betreffende Komponente als Realteil am Teststand zur Verfügung steht oder nicht. Mit der beschriebenen Verfahrensweise können beispielsweise komplette Antriebsstrangsysteme bestehend aus dem elektrischen Antrieb, dem Kühlsystem, der Fahrbatterie und diversen Spannungswandlern aber noch ohne dem eigentlichen Brennstoffzellensystem als Energielieferant in Betrieb genommen werden. Letzeres wird vom beschriebenen Echtzeitsimulationssystem in Kopplung mit einem am Teststand verbauten Stromrichter abgebildet. Die Echtzeitsimulationsumgebung liefert für die Systementwicklung und den Teststandsbetrieb folgende Vorteile: – Antriebsstrang-Komponenten sowie deren Steuerungssysteme können schon vor deren Systemintegration unter realistischen Fahrzeugbedingungen erprobt werden. – Alle statischen und dynamischen Kopplungen sowohl auf der Steuerungsseite (sog. Querschnittsfunktionen) als auch auf der Prozessseite können abgebildet werden. – Betriebsstrategien sowie Leistungs- und Verbrauchscharakteristiken können schon vor der vollständigen Systemintegration getestet werden. – Die verbauten Steuergeräte benötigen keine spezielle Teststands-Softwarekonfiguration, sondern können die identische Softwareversion wie im Fahrzeug verwenden. Mit diesen Errungenschaften lassen sich schon frühzeitig eine höhere Reife und Qualität auf Subsystem-Ebene erzielen, was den Aufwand bei der späteren Systemintegration nachweislich erheblich verringert.
16.6 Zusammenfassung Im Rahmen der Umweltstrategie von General Motors spielt die Brennstoffzelle als Fahrzeugantrieb eine entscheidende Rolle, da sie der effizienteste Energiewandler ist und weder Schadstoffe noch das Treibhausgas Kohlendioxid freisetzt. Wegen der hohen Sys-
16.6 Zusammenfassung
385
temkomplexität müssen zum Betrieb moderne Steuerungs-, Regelungs- und Diagnoseverfahren eingesetzt werden. Während bei Verbrennungsmotoren eine große Anzahl von vermessenen Kennfeldern verwendet wird, wird in diesem Beitrag das Potenzial modellgestützter Methoden aufgezeigt. Insbesondere statische und dynamische Prozessmodelle mit physikalischen Parametern vereinfachen und verkürzen die Kalibrierung des Antriebes, ermöglichen die Rekonstruktion nicht oder schwer messbarer Größen, die dann zum Betrieb oder zur On-Board-Fehlerdiagnose verwendet werden, oder ermöglichen den Ersatz realer durch sogenannte „virtuelle Sensoren“, um die Kosten des Antriebs zu reduzieren und dessen Zuverlässigkeit zu erhöhen. Auf zwei Anwendungen wird näher eingegangen und ihr Potenzial aufgezeigt: Im ersten Beispiel „Pumpendiagnose mittels Volumenstrombestimmung im Kühlkreislauf“ wird der Kühlmittelvolumenstrom mittels einfach zu messender Pumpen- und Motorgrößen Spannung, Strom und Drehzahl bestimmt. Das zugrunde liegende Modell des hydraulischen Kreises basiert auf den dimensionslosen Kenngrößen Lieferzahl, Druckzahl und Leistungszahl sowie dem Motorkennfeld und der Pumpenkennlinie. Der mittlere quadratische Fehler dieser Methode liegt bei etwa ±10% in einem Bereich V >100 ltr/min. Damit lassen sich auch Pumpenfehler, die sich auf den Volumenstrom auswirken, zuverlässig erkennen. Im zweiten Beispiel „Modellbasierte Bestimmung des Stickstoffanteils im Anodenkreis“ wird erläutert, wie die unbekannte, im Fahrzeug nicht messbare Stickstoffkonzentration im Anodenrezirkulationskreis aus einem Gasströmungsmodell bestimmt und zur Steuerung des Brennstoffzellensystems verwendet wird. Die Eingangsgrößen des Modells sind die Druckdifferenz zwischen Aus- und Eingang der Rezirkulationspumpe, die Pumpendrehzahl sowie Temperatur und Druck an der Anode. Sämtliche Messgrößen lassen sich mit einfachen und kostengünstigen Sensoren erfassen. Die Validierung des Verfahrens ergab absolute Fehler von etwa 5% im quasi-stationären und 10-15% im dynamischen Betrieb. Es ist damit ausreichend genau für den Fahrzeugeinsatz. Abschließend wird die Controls- und Software-Entwicklungsmethodik vorgestellt. Entscheidend ist dabei die konsequente Umsetzung des „Road-to-Lab-to-Math“-Konzeptes, das bei GMAPCE durch die durchgängige Kette moderner Entwicklungstools wie MILund HIL-Simulationen gekennzeichnet ist. Dadurch wird nachweislich der Zeitaufwand trotz steigender Qualitätsanforderungen verringert. Sämtliche vorgestellte Verfahren werden seit Jahren in unterschiedlichen Fahrzeuggenerationen eingesetzt und haben in Flottenanwendungen ihre Alltagstauglichkeit bewiesen. Mit der aktuellen vierten Generation HydroGen 4, von der weltweit mehr als 100 Exemplare in Betrieb sind, wurde kürzlich die Marke von einer Million Kilometern überschritten. Auch in Zukunft wird General Motors auf modellgestützte Verfahren setzen, sie weiterentwickeln und noch verstärkt für kommende Brennstoffzellen- und andere alternative Antriebe einsetzen.
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16 Modellbasierte Steuerung, Regelung und Diagnose von Brennstoffzellenantrieben
Literatur [1]
[2] [3] [4] [5]
[6] [7]
Choudhury, R.; Weber, T.; Schindler, J.; Weindorf, W.; Wurster, R.: Well-to-Wheel Analysis of Energy Use and Greenhouse Gas Emissions of Advanced Fuel/Vehicle Systems – A European Study – Results. 15. World Hydrogen Energy Conference, Yokohama, Japan, 28.06.2004, www.lbst.de/gm-wtw Grebe, U.; Bork, M.; Formanski, V.; Schmidt, Ch.: Systemvergleich – Brennstoffzelle und Hubkolbenmotor. AVL Tagung Motor und Umwelt, Graz, 07.09.2001 von Helmolt, R.: Manuskript zur Vorlesung Wasserstofftechnik und Brennstoffzellen. Hochschule Darmstadt, Sommersmester 2008 Schmidt, Ch.: Simulation Based Method for Developing Fuel Cell Propulsion Controls Systems. IFAC-Mechatronics 2000, Darmstadt, 18.09.2000 Schäfer, S.; Willimowski, P.; Maier, O.; Weispfenning, Th.; Isermann, R.: Modellbasierte Volumenstrombestimmung zum Betrieb eines Brennstoffzellen-Kühlsystems. AUTOREG 2006, Wiesloch, 08.03.2006 Schäfer, S. et al.: Coolant Flow Estimation by an Electrically Driven Pump. US Patentanmeldung Nr. 2007/0065690 A1, 2007 Baaser, B. et al.: Anode Loop Observer for Fuel Cell Systems. US Patentantrag Nr. 12/115688, 2008
F Diagnose von Verbrennungsmotoren
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17 Diagnoseentwicklungsmethodik am Beispiel Dieselsystem MARTIN FRITZ, MICHAEL HACKNER, WALTER LEHLE, MARKUS WILLIMOWSKI
Während Produktentwicklungsprozesse weitgehend etabliert und die einschlägige Literatur dazu nahezu unüberschaubar wird, sind Empfehlungen zu Methoden- oder Prozessen zur Erreichung guter und vor allem messbarer Diagnosequalität eher rar. So fehlt vielmals ein entwicklungsintegrierter Diagnoseansatz, der nicht nur eine frühzeitige Erkennung und Behebung von Diagnoselücken ermöglicht, sondern auch ein ebenso frühes Anforderungsmanagement, ein Applikations-, Validierungs-, und Testerintegrationskonzept mitsamt einer Erstellung der geführten Fehlersuche enthält. Folglich ist eine intensive Zusammenarbeit von Funktions- bzw. Systementwicklung und der Serviceentwicklung über die Fahrzeugentwicklungsphasen hinweg unerlässlich. Der vorliegende Beitrag soll die Diagnoseentwicklungsmethodik anhand von Beispielen aus der Praxis der Robert Bosch GmbH verdeutlichen. Aufgezeigt wird ein Arbeitskonzept, das die gesamte Diagnoseentwicklung über die Entwicklung der OBD, der Systemkonzeptentwicklung und der Systemintegration aufzeigt. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der toolgestützten Methodenentwicklung.
17.1 Status Quo Effiziente und schlanke Prozesse zur Ausarbeitung und Umsetzung neuer Diagnosemethoden sind notwendiger denn je. Immer komplexer werdende Fahrzeugsysteme erfordern eine Diagnoseentwicklung, die subsystemübergreifend ist und damit eine enge Kooperation zwischen Komponenten-, Subsystementwicklung, Qualitätssicherung, Softwareentwicklung und Serviceentwicklung erfordert. Der Trend geht bei einzelnen OEMs hin zu einer zeitlich vorgezogenen Diagnoseentwicklung und damit früherer Verschmelzung von Software-Entwicklung mit der Fehlersuchbaum-Erstellung sowie der Verschmelzung von bisher getrennter On- und Off-Board Diagnose [1, 2]. Weiterhin sind Ansätze zur funktionsorientierten Diagnose erkennbar [3]. Dennoch ist für die Mehrheit der OEMs und der Zulieferer immer noch festzustellen, dass vorwiegend ein Entwicklungsansatz zum Einsatz kommt, bei dem On-Board Funktionsentwicklung und Off-Board Serviceentwicklung nicht parallel zum Zeitpunkt der Funktionsspezifikation starten. Die einseitige Fokussierung einer Diagnoseprozesskette auf ein Diagnose-Datenformat, ein Diagnose-Laufzeitsystem oder eine funktionsorientierte Ausrichtung der On-Board Diagnose greift zu kurz. Beim herkömmlichen Ansatz sind Systemwissen und Diagnosekompetenz über mehrere Organisationseinheiten verteilt. Die Entwicklungsprozesse für die On- und Off-Board Diagnose haben zudem meist zeitlichen Versatz. Das Arbeiten in der Werkstatt ist oft
17.1 Status Quo
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noch fehlercodezentriert, eine symptombasierte Unterstützung ist bestenfalls rudimentär verwirklicht. Was gänzlich fehlt, ist eine zwischen Lieferant und OEM abgestimmte, austauschbare und standardisierte Prüfsprache zur Beschreibung der Prüflogik und -abläufe. Ein Schritt in die richtige Richtung sind erste Standardisierungsbemühungen in ISO, die es derzeit in Form von UUDS (Unified Usage of Diagnostic Sequences) zur Standardisierung von Diagnosesequenzen (OTX) gibt. Wie eine durchgängige Lösung für die Diagnose von Automotive-Systemen inklusive Prüfsprachumsetzung und Datenintegration in ODX aussehen kann wird in [4] gezeigt. Vorteil einer solchen durchgängigen Lösung wäre die einheitliche Integration von Prüfabläufen (geführte Fehlersuche) mittels der Prüfsprache OTX in jede OEMWerkstatttesterumgebung. So wird beispielsweise bislang ein beim Lieferanten erstellter Prüfablauf inklusive Prüfwerten häufig durch unterschiedliche Vorgehensweisen und Übergabeformate bei der Integration von Prüfabläufen beim OEM nicht zielführend verändert oder sogar neu, aber mit falschen Prüfwerten erstellt. Zu einem umfassenden Diagnoseprozess gehört auch eine Diagnosefähigkeitsaussage, welche aus Werkstattkriterien und unter anderem auch aus einer Diagnosequalitätsaussage resultieren kann. Bislang orientieren sich die Messwerte für die Diagnosequalität aber eher an werkstattgewichteten Kriterien, wie etwa kFf-Quoten (kFf: kein Fehler feststellbar), der Anzahl der Wiederholreparaturen oder der Werkstattdiagnose-Dauer. Zum Zeitpunkt, wo ein System spezifiziert wird, werden Kriterien, wie etwa ein kundenwahrnehmbares Symptom oder die Frage des Vorhandenseins einer Diagnoselücke sowie Maßnahmen zu deren Behebung in der Regel aber noch nicht betrachtet. Entscheidend ist, dass servicerelevante Messgrößen in die Diagnosefähigkeitsbewertung schon zu einem Zeitpunkt eingehen müssen, an dem erst die Systemspezifikation vorliegt. Wie die o.g. Beispiele zeigen, darf eine Diagnoseentwicklungsmethodik nicht nur prozessbegleitend aufgesetzt werden, sondern sie muss zeitlich verzahnt an dem Punkt ansetzen, wo die Systemanforderungen klar sind, die sich zum einen aus gesetzlichen Rahmenbedingungen oder zum anderen aus Anforderungen an Tauschbedingungen in der Werkstatt (Definition der kleinsten tauschbaren Einheit) ergeben. Im Rahmen der On-Board-Diagnose (OBD) werden alle Komponenten und Systeme, die zu einer Verschlechterung der Abgasemissionen führen, während des Fahrzeugbetriebs überwacht. Hierzu werden bereits in heutigen Motorsteuerungssystemen mit den verfügbaren Diagnosen in der Regel Steuergerätefunktionen, Signalpfade und teilweise Endstufen überwacht. Darüber hinaus verfolgt die On-Board-Diagnose noch weitere wichtige Ziele. Ein grundlegendes Ziel ist selbstverständlich die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen, welche letztendlich in der Abspeicherung des detektierten Fehlers, und der Fahrerinformation via MIL mündet. Durch das Bereitstellen von Ersatzwerten nach erfolgter Diagnose können weitere wichtige Zwecke erfüllt werden: dies sind im Wesentlichen die Erhöhung der Sicherheit bzw. Verfügbarkeit des Fahrzeuges, der Schutz von Bauteilen vor Schädigung oder Zerstörung, und die Minimierung der Emissionsüberschreitung auf ein vertretbares Maß. Weitere Vorteile der OBD bestehen in der Erhöhung der Qualität durch eine gezielte Bandende-Diagnose sowie in der Erleichterung der Durchführung der regelmäßigen Abgasuntersuchung (AU). Ein sehr wichtiges Ziel der OBD ist die genaue Fehlerlokalisierung, d.h. es soll möglichst genau die kleinste austauschbare Einheit detektiert werden. Erst hierdurch kann eine gezielte, zeitsparende und
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17 Diagnoseentwicklungsmethodik am Beispiel Dieselsystem
kostengünstige Fehlerbehebung erfolgen. Nicht immer kann die OBD eine Komponente eindeutig im Fehlerfall lokalisieren. Als Ursache hierfür sind u.a. die begrenzte Anzahl von Sensoren sowie die limitierten SG Ressourcen zu nennen. Wo die OBD an ihre Grenzen stößt, sind daher – über die gesetzliche geforderte OBD hinaus – Diagnose- und Prüfroutinen verknüpft mit der geführten Fehlersuche für eine komfortable und präzise Off-Board-Diagnose im Service. Die Werkstattdiagnose wiederum nimmt die Anforderungen auf, die sich aus dem gesetzlichen Rahmen oder den Diagnosemöglichkeiten der OBD-Funktionen ergeben und integriert diese im Rahmen des Entwicklungsprozesses in Werkstattdiagnosepflichtenhefte. Die Pflichtenhefte sind Startpunkt für die Analyse der Diagnosemöglichkeit jedes (Teil-)Systems, woraus im Ergebnis eine Diagnosefähigkeitsaussage für den Status Quo als auch eine Aussage für die Diagnosefähigkeit in der Zukunft getroffen wird, sofern alle Diagnosemöglichkeiten tatsächlich umgesetzt werden. Hierbei ist anzumerken, dass zwischen der Diagnosefähigkeit, die ein Lieferant zur Verfügung stellen kann und der tatsächlich für den Endkunden in der Werkstatt verfügbaren Diagnosefähigkeit ein signifikanter Unterschied bestehen kann was folgendes Bild 17-1 verdeutlicht.
Bild 17-1: Einflussbereiche auf Diagnosefähigkeit von Lieferant und OEM
Man erkennt aus Bild 17-1 neben den getrennten Einflussbereichen von Lieferant und OEM auch nicht nur die Wirkkette der Diagnose, sondern auch die Schnittstelle an welcher bislang verschiedenste Übergabeformate für die Integration von Prüfabläufen des Lieferanten beim OEM zum Einsatz kommen. Die Güte des Diagnoseergebnisses hängt von der seitens des OEM bereitgestellten Technik, den mehr oder weniger gut gelebten Prozessen beim OEM, und zudem sehr vom Ausbildungsstand der handelnden Personen in der Werkstatt ab. Die Diagnosefähigkeitsaussage deckt die Nichtfunktion der kleinsten tauschbaren Einheiten ab, so dass erkannte Diagnoselücken rechtzeitig durch neue Diagnosemethoden geschlossen werden können. Die Analyse ist nicht nur Startpunkt der Methodenentwicklung, die sowohl On-Board als auch Off-Board ansetzen kann, sondern auch Startpunkt der Diagnosesystemintegration. Hierbei sind erste Überlegungen zu treffen, wo die zu entwickelnden Prüfungen in der geführten Fehlersuche zu platzieren sind. Dabei spielt auch eine Rolle, welcher Ort für die Ausführung einer Diagnosemöglichkeit in Frage kommt. Eine Übersicht der verschiedenen Diagnosemodule gibt das Bild 17-2.
17.2 Entwicklungsmethodik bei der On-Board Diagnose
391
Bild 17-2: Diagnosemodule On- und Off-Board
Speziell bei den in Bild 17-2 dargestellten Diagnosefunktionen gibt es Anteile, die sowohl im Steuergerät, im Tester oder sogar in externen Prüfmitteln oder in variablen Anteilen an mehreren Orten ablaufen können. Man erkennt aus den obigen Ausführungen, dass sowohl bei Zulieferern als auch bei den Herstellern Verbesserungspotenziale vorhanden sind. Im Folgenden wird die Entwicklungsmethodik bei der Robert Bosch GmbH für die On-Board Diagnose und deren Verzahnung mit der Werkstattdiagnose in Abschnitt 17.2 aufgezeigt. Die aus der OBD abgeleiteten Diagnosemöglichkeiten für die Werkstattdiagnose und der Prozess der Neuentwicklung wird im Abschnitt 17.3 behandelt, wo auf die Systementwicklung und die Systemintegration für die Werkstatt-Diagnose eingegangen und die Methodenentwicklung anhand von ausgewählten Funktionsbeispielen dargestellt wird. Abschließend gibt Abschnitt 17.4 einen Ausblick auf aktuell im Einsatz befindliche und zukünftige Tools zur Unterstützung des Diagnose-Entwicklungsprozesses bei der Robert Bosch GmbH im Bereich Dieselsysteme.
17.2 Entwicklungsmethodik bei der On-Board Diagnose Die enge Verknüpfung zwischen On- und Off-Board-Diagnose spielt im Entwicklungsprozess eine zentrale Rolle. Hierbei stellt die gesetzlich geforderte OBD die Basis für ein durchgängiges Diagnosekonzept dar. Voraussetzung für die Sicherstellung hoher Qualitätsstandards von OBD Lösungen ist dabei die Berücksichtigung der speziellen OBDAnforderungen im Entwicklungsprozess. Der Prozess „System Engineering“ setzt durch die Definition von Rollen, Aktivitäten und Entwicklungsprodukten die Rahmenbedingungen für die Entwicklung von Diagnoselösungen in mechatronischen Systemen. Die Elemente des Prozessportfolios zeigt Bild 17-3 in Anlehnung an das V-Modell [4].
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17 Diagnoseentwicklungsmethodik am Beispiel Dieselsystem
Bild 17-3: Systementwicklungsprozess – Prozess Portfolio
17.2.1 Prozesselemente der OBD Entwicklung im Systementwicklungsprozess Zentrale Elemente der Systementwicklung sind die System-Anforderungsanalyse mit Konzeptentwurf (System Requirements Analysis and Concept Design) sowie die SystemFreigabe (System Release). Das Prozesselement „Integrierte Entwicklung“ (Integrated Development) fasst die integrierenden Elemente Systemintegration und Systemstruktur zusammen [5]. System-FMEA und Simulation sind als unterstützende Prozesse (System Engineering Support) zusammengefasst.
17.2.2 System-Anforderungsanalyse und Konzeptentwicklung Schwerpunkt des Teilprozesses System-Anforderungsanalyse und Konzeptentwurf ist neben dem systemübergreifenden Requirements Management die featurebasierte Anforderungsanalyse. Die Anforderungen an die OBD vom Gesetzgeber und Kunden werden erfasst, analysiert und interpretiert sowie in einem zentralen Systemlastenheft dokumentiert. Die featurebasierte Strukturierung ermöglicht dabei die Wiederverwendung auf Anforderungsebene (Spezifikation, Prüfkriterien, Traceability- und andere Beziehungen), reduziert Kosten und Time to Market, und erhöht die Testtiefe und damit die Qualität. Der Featurebaum steht dabei als Referenz zur Verfügung, um die Vollständigkeit von Anforderungen oder Lastenheften zu prüfen. Für neue Anforderungen werden Konzepte entwickelt. Daraus abgeleitet werden die Anforderungen an die Domänen (Software, Hardware, Komponente) in Form von Zulieferer-Lastenheften formuliert und zur Implementierung der Systemelemente übergeben. Als Bestandteil des Lastenhefts werden bereits in dieser Prozessphase Prüfkriterien durch die anfordernde Stelle definiert, die als Basis für die spätere SystemFreigabe (System Release) dienen. Die Ergebnisse der Systementwicklungsprojekte werden im zentralen – entsprechend Systemstruktur als Featurebaum strukturierten SystemPflichtenheft dokumentiert.
17.2 Entwicklungsmethodik bei der On-Board Diagnose
393
Bild 17-4 zeigt die Einbettung der Entwicklungsprozesse für die Domänen Software und Applikation, Hardware und Komponenten in den Entwicklungsablauf der Systementwicklung. Für die Entwicklungsprozesse in den Domänen existieren eigenständige Prozessbeschreibungen.
Bild 17-4: Systementwicklungsprozess – System- und Domänenebene
17.2.3 Systementwicklungsunterstützende Elemente und integrierte Entwicklung Als unterstützende Prozesselemente der Systementwicklung dienen die System-FMEA und Simulation. Die System FMEA hat hierbei die Aufgabe die Fehlermöglichkeiten des Systems zu ermitteln und Vermeidungs- sowie Entdeckungsmaßnahmen abzuleiten. Durch Simulation erfolgt unterstützend die Untersuchung des Systemverhaltens auf Modellebene, z.B. wenn die Komponenten in einer frühen Konzeptphase noch nicht verfügbar sind oder Versuchsträger nicht frühzeitig bereitstehen. Das Prozesselement „System Integration“ beschreibt ferner die zeitliche und technische Integration der Systementwicklung. Hierbei erfolgt die Meilensteinplanung mit Terminen, die Vereinbarung mit den Produktbereichen sowie der Funktionsentwicklung zur Integration der entwickelten Lösungen aus den Domänen in einen Bosch eigenen Versuchsträger.
17.2.4 Systemfreigabe Plattform Der Teilprozess „Systemfreigabe“ legt Aktivitäten für die Freigabe (Verifikation und Validierung) von „Gesamtsystemen“ fest. Nach Abschluss der Umsetzung der Anforderungen in den Domänen Software, Hardware und Komponenten und Gesamtintegration der entwickelten Lösungen erfolgt die finale Freigabe der Gesamtentwicklung im Pilotprojekt. Hierbei erfolgt die Verifikation gegenüber den Anforderungen, ausgehend von den in den Lastenheften formulierten Prüfkriterien. Damit wird sichergestellt, dass die entwickelten Lösungen in der Fahrzeugumgebung auch im Hinblick auf Querwirkungen im System den Anforderungen genügen.
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17 Diagnoseentwicklungsmethodik am Beispiel Dieselsystem
17.3 Entwicklungsmethodik Werkstattdiagnose Aufsetzend auf die OBD-Systementwicklung erfolgt die Entwicklung von steuergerätebasierten, testerbasierten sowie Off-Board gestützten Diagnosemöglichkeiten idealerweise parallel, derart, dass die Entwicklung einer Diagnosemöglichkeit beginnend mit Systemanforderung bzw. Testdefinition sowohl steuergeräteseitig als auch testerseitig gleichzeitig erfolgt. Aus Werkstattdiagnosesicht sind dies zwei nebeneinander ablaufende und durchgängige Prozesse, die im Folgenden näher beschrieben werden sollen.
17.3.1 Systementwicklung Werkstattdiagnose Wird eine neue Generation eines Einspritzsystems entwickelt, so wird sowohl für die Komponenten als auch für das System der Entwicklungsstand der Diagnose bewertet. Die Bewertung erfolgt dann, wenn eine erste Komponenten- bzw. Systemdefinition vorliegt. Demzufolge sollte die Variantenauswahl soweit eingeschränkt sein, dass die zur Freigabe anstehenden Einspritzsysteme höchstens zwei Auswahlvarianten aufweisen, bei welchen der Transfer von Diagnosemethoden von einer zur anderen Systemvariante noch möglich sein sollte. Die Feststellung der Diagnosefähigkeit und die Erkennung von eventuellen Diagnoselücken erfolgt mit der Diagnose-Möglichkeiten-Analyse (DMA). Diese kommt für die Diagnoseentwicklung des gesamten Antriebsstranges zur Anwendung. Hierbei werden ausgehend von einzelnen Komponenten die Fehler, welche zu kundenwahrnehmbaren Symptomen führen, deren Ursachen, die Auftretenswahrscheinlichkeit des Fehlers sowie bereits vorhandene Diagnosemöglichkeiten, wie etwa ein Fehlerspeichereintrag mit steuergerätespezifischem Fehlerpfad hinterfragt. Hierbei werden zu jeder Kombination von Komponente, Fehler, Ursache und Symptom die verschiedenen Diagnosemöglichkeiten nach Diagnosequalität und zeit- bzw. kostengerechter Werkstattanwendbarkeit bewertet. Der Teilnehmerkreis bei einer DMA setzt sich aus System- bzw. Komponentenverantwortlichen, Personen mit Applikationshintergrund, Werkstattpersonal und Diagnosefachexperten zusammen. Aus Auftretenswahrscheinlichkeit, Diagnosequalität und kostengerechter Anwendbarkeit lässt sich unter anderem die Diagnosefähigkeit für Komponenten und Systeme ableiten. Ist diese für das betrachtete System zu niedrig, wird im Teilnehmerkreis nach neuen Diagnosemöglichkeiten gesucht und entsprechend neue Vorschläge bewertet. Die Erfahrung zeigt, dass dabei mehrere Ideen generiert werden, deren Umsetzbarkeit in einem nachfolgenden Schritt am Fahrzeug geprüft werden muss. Es hat sich gezeigt, dass es von Vorteil ist, wenn die Diagnoseentwicklung integraler Bestandteil parallel zu System- und Komponentenentwicklung ist. Werden aus der DMA Anforderungen an System- oder Komponente gestellt, die – sofern kostenseitig umsetzbar – eine Komponenten- oder Systemänderung zur Folge haben, können diese noch rechtzeitig in den Entwicklungsprozess eingespeist werden. Das folgende Bild 17-5 zeigt das Phasendiagram zum Ablauf der DMA.
17.3 Entwicklungsmethodik Werkstattdiagnose
395
Bild 17-5: Schema zum Ablauf der DMA
Zunächst ist vor Durchführung der DMA das Tauschkonzept festzulegen, vgl. Schritt 1. Es empfiehlt sich zudem in einem weiteren Schritt 2 Fehlerbilder von System und Komponente mit bereits vorhandenen Diagnosemethoden abzugleichen. So kann in einem ersten Überblick klar werden, ob die vorhandenen Diagnosemethoden nicht schon alle Fehlerbilder abdecken können. Nach Durchführung der DMA werden toolbasiert, vgl. Abschnitt 17.4.1, die neuen Methoden dokumentiert, Maßnahmen vereinbart sowie Verantwortliche und vorläufige Entwicklungstermine festgelegt. In einem nachgelagerten Schritt können aus den vorliegenden DMA-Daten beliebige Zuordnungen erzeugt werden, Schritt 5. Von Interesse sind insbesondere Zuordnungen, die als Basis zur Erstellung der geführten Fehlersuche dienen, z.B. die Zuordnung Symptom zu Ursache oder Diagnosemethode zu Ursache. Abschließend kann gemäß Bild 17-5, Schritt 6 ein Diagnosefähigkeitsnachweis für das betrachtete (Teil-)System geführt werden, der eine prozentuale Bewertung der Diagnosefähigkeit ermöglicht. Die Durchführung der DMA mit Ideengenerierung und Bewertung von vorhandenen bzw. neuen Methoden ist nach Bild 17-5 mit dem Schritt 4 beendet. Von hier an kann mit der Funktionsentwicklung begonnen werden, was in Bild 17-6 zunächst schematisch dargestellt wird. Der erste Schritt kann – je nach Reifegrad der Diagnoseidee – eine Validierungsphase am Fahrzeug sein. In der Regel schließt sich dann ein Partitionierungsschritt an, der auch toolgestützt einzelne Funktionen oder Funktionsteile zwischen Motorsteuergerät oder Tester verteilt [6]. Da die Produktentwicklung zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen ist, bleibt genügend Zeit für die Einspeisung von Anforderungen an die Komponenten- bzw. Systementwicklung. Mit Vorliegen der System- bzw. Funktionsanforderung muss mit der Abbildung einer neuen Funktion in die geführte Fehlersuche begonnen werden. Dies hat zur Folge, dass Softwareentwicklung und Fehlersuchbaumerstellung nicht wie früher sequentiell, sondern mehr und mehr parallel erfolgen, was in Bild 17-6 dargestellt ist.
Bild 17-6: Prozessschritte bei der Diagnoseentwicklung
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17 Diagnoseentwicklungsmethodik am Beispiel Dieselsystem
Bild 17-7 zeigt die Diagnoseentwicklung, welche sich nach dem Schritt 4 im Anschluss an die DMA anschließt, vgl. Bild 17-5. Für die aus der DMA generierten Diagnosemethoden werden steuergeräte- und testerseitig zeitgleich Spezifikationen erstellt und in parallel laufende Entwicklungsprozesse eingespeist. Da Diagnosefunktions- und Serviceentwickler eng zusammenarbeiten, können Rekursionen vermieden und Entwicklungszeiten kurz gehalten werden. Der erste gemeinsame Test von Steuergeräte- und Testersoftware inklusive Kommunikation kann weit vor Erstellung des ersten Master-Eproms erfolgen. Durch diesen frühen Beginn der Diagnoseentwicklung bleibt genügend Zeit für eine erste systemspezifische Softwareanpassung als auch eine systemspezifische Applikation von Diagnosefunktionen mit einem Entwicklungstester, welche auch die Diagnosevalidierung durch Einbau defekter Teile bzw. Fehlersimulation mit anschließender Symptomerfassung am Fahrzeug einschließt.
Bild 17-7: Parallele Entwicklung von steuergerätebasierten Diagnosemöglichkeiten und testerbasierter Software
Die Analyse und Strategie von Diagnosekonzepten bei der Entwicklung einer Diagnosemethode soll im Folgenden an einem Praxisbeispiel aus der Test- bzw. Funktionsentwicklung näher erläutert werden. Zur Illustration soll der Hochlauftest dienen, der eine motorsteuergerätebasierte Funktion für das Einspritzsystem darstellt, wodurch die Erkennung und injektorspezifische Zuordnung von Einspritzmengenfehlern möglich wird. In Bild 17-8 ist das Ergebnis einer DMA am Beispiel des Symptoms „unrunder Motorlauf“ dargestellt. Als fehlerhafte Komponente wird hierbei der Common Rail Injektor betrachtet. Dieser kann durch einen mechanischen Fehler bedingt unter hoher Last nicht mehr die richtige Einspritzmenge zumessen. Dies äußert sich z.B. in einem für den Fahrer merkbaren o.g. Symptom. Bei relativ hoher Auftretenswahrscheinlichkeit des Fehlers,
17.3 Entwicklungsmethodik Werkstattdiagnose
397
kann die On-Board Diagnose zwar die Fehlfunktion als Einspritzmengenfehler außerhalb einer Mengentoleranz feststellen, liefert aber für hydraulische Probleme des Einspritzsystems in der Regel keine konkrete Angabe für die kleinste zu tauschende Einheit. Das bedeutet für die Werkstatt, dass man den Fehler zwar erkennen, aber nicht dem Injektor zuordnen kann. Nutzt man alleine den Fehlerspeichereintrag als Diagnoseinformation, sind folglich Fehlausbauten und eine hohe Instandsetzungswiederholrate zu erwarten. Die bei OEMs vielfach praktizierte Vorgehensweise in der Werkstatt ist nun, die injektorspezifischen Einspritzkorrekturmengen aus dem Motorsteuergerät unter Leerlaufbedingungen auszulesen und ggf. zusätzlich einen Kreuztausch von Injektoren vorzunehmen. Dies führt im vorliegenden Fall aber nicht weiter, weil sich Einspritzmengenfehler wie im Beispiel nur bei Teil- oder Volllast darstellen und unter Leerlaufbedingungen sich das System unauffällig verhält. Der darauf folgende Kompressionstest führt zwar nicht zum defekten Injektor, hilft aber Kompressionsfehler auszuschließen. Als Abhilfemaßnahme wird zur Komponentendetektion eine neue steuergerätebasierte Diagnosefunktion Hochlauftest erörtert und als zielführend bewertet. Da diese Diagnosemethode zur Lokalisierung der kleinsten tauschbaren Einheit Injektor dient, ist im Bild 17-8 die Methode mitsamt Bewertung kursiv dargestellt.
Bild 17-8: Praxisbeispiel aus der Diagnoseprozessentwicklung: Umgang mit Injektormengenfehlern
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17 Diagnoseentwicklungsmethodik am Beispiel Dieselsystem
Das oben geschilderte Vorgehen ist als Prozess im Geschäftsbereich Dieselsysteme mittlerweile etabliert und dient nicht nur zur Bewertung vorhandener Diagnosemöglichkeiten, sondern auch als Katalysator von Produktinnovationen. Natürlich werden auch weiterhin bewährte Entwicklungswege, die sich auch durch Denkanstöße aus Feldfällen oder durch Anfragen von OEMs ergeben, parallel beschritten und danach diese Ideen wiederum mit der DMA bewertet. Für die Funktionsverteilung gemäß Bild 17-6 ist für den Hochlauftest die Abtastrate des Drehzahlsignals das entscheidende Beurteilungskriterium. Daher wird der Test vollständig im Motorsteuergerät implementiert. Die anschließende Ideen-Validierung im Rahmen der Funktionsentwicklung erfolgt durch Vorversuche am Fahrzeug mit üblichen Entwicklerwerkzeugen wie z.B. INCA oder ASCET. Dazu gehören die Ermittlung der Detektionsfähigkeit, Fahrzeug- bzw. Feldstreuungen sowie Abhängigkeiten des Tests von Fahrzeugvarianten. Der Detektionsnachweis im konkreten Beispiel Hochlauftest wird durch Verstellung von zylinderselektiven Mengensollwerten geführt, wodurch das Symptom unrunder Motorlauf erzeugt wird. Nach Umsetzung des Hochlauftests in Software wird im Schritt Applikation, vgl. Bild 17-6, die Grundbedatung durchgeführt um ein sicheres Durchlaufen des Tests unter allen Bedingungen zu gewährleisten. Die anschließende Feinbedatung dient der Grenzwertfestlegung, die kundenspezifisch durch Fehlerteile aus dem Feld, manipulierte Teile oder durch Vertrimmung von Kenndaten erfolgen kann. In der Regel wird die Vertrimmung der Einspritzmengen beim Hochlauftest begleitet von umfangreichen Symptomfahrten, mit welchen der Ausbaugrenzwert ermittelt werden kann. Es ist üblich, dass man den erstmaligen Einsatz von neuen Diagnosefunktionen im Rahmen einer Entwicklungskooperation zusammen mit einem OEM durchführt, was für diesen häufig auch einen einfachen Einstieg in neue Diagnosetechnologien bietet. Umgekehrt ergeben sich durch die Rückmeldung von OEMs bei vermehrt auftretenden Fehlerfällen im Rahmen kontinuierlicher Verbesserung Möglichkeiten, mit neuen steuergeräte- oder testerbasierten Diagnosefunktionen zu reagieren. Im Rahmen des Diagnoseentwicklungsprozesses bei Bosch wurden zwei Möglichkeiten geschaffen, um auf solche Fehlerfälle im Feld nach SOP (Start Of Production) reagieren zu können. So gibt es die Möglichkeit, durch temporäre Bedatungsänderungen über den Tester dem Steuergerät Parametersätze zu übergeben, um während Werkstattaufenthalten auf veränderte Fehlersituationen im Feld reagieren zu können. Eine einmal vor SOP durchgeführte Diagnosefunktionsbedatung ist damit nicht für ein Fahrzeugleben festgeschrieben, sondern flexibel an neue Feldsituationen anpassbar, was u.a. auch für den hier dargestellten Hochlauftest gilt. Noch flexibler wird man mit dynamischen Testmodulen, die für jeden ansprechbaren Sensor bzw. Aktor die Möglichkeit bieten, sich gänzlich neue über Tester konfigurierbare Diagnoseprüfungen zusammenzustellen.
17.3.2 Systemintegration Werkstattdiagnose Wie in Abschnitt 17.3.1 diskutiert wurde, erfolgen Spezifikation und Integration von Diagnosefunktionen im Tester (Bosch und OEM) parallel. Für das o.g. Beispiel Hochlauftest heißt das, dass die in der Steuergerätespezifikation definierten Funktionsschnitt-
17.3 Entwicklungsmethodik Werkstattdiagnose
399
stellen gleichzeitig für die Testerspezifikation übernommen werden. Dazu gehören auch Beschreibungen zur Startanforderung des Tests, zum Senden temporärer Applikationsparameter oder zur Weiterverarbeitung von Ergebnissen des Hochlauftests im Tester. Zu den Aufgaben der Systemintegration gehört nicht nur die Bereitstellung einer Testerumgebung zum Start und zur Ergebnisrückmeldung von steuergerätebasierten Anwendungen wie den Hochlauftest, sondern auch die Bereitstellung marktgerechter Prüfgeräte und Off-Board Werkzeuge. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist ein in der Entwicklung befindliches Lambdasondenprüfgerät, welches zur Prüfung von Sprungsonden und Breitbandsonden angewendet werden soll. Dieses Gerät kann unabhängig von einem bereits verfügbaren steuergerätebasierten Lambdasondentest eingesetzt werden und deckt damit auch ältere Fahrzeuggenerationen ab. Ziel ist hierbei die Erkennung von elektrischen und mechanischen Defekten der Lambdasonde. Die Diagnosemethode beruht auf der elektrischen Prüfung der Sensorleitungen und Sensorelemente (Nernst-/Pumpzelle und Diffusionsbarriere) mit einer Adaption an die Sonde und einem automatischen Testablauf mit Ergebnisprotokoll. Die Komponentenprüfung erstreckt sich auf die Diagnose von elektrischen und dynamischen Fehlern (Verschmutzung, Alterung und Drift) und kann im isolierten Betrieb der Sonde außerhalb des Systemverbunds (Steuergerät und Fahrzeugkabelbaum) erfolgen. Daher bietet sich diese Diagnosemöglichkeit im ein- und ausgebauten Fahrzeugzustand an. Bild 17-9 zeigt ein Funktionsmuster des handlichen Prüfgerätes.
Bild 17-9 Muster des Lambdasondenprüfgerätes für Sprungsonden und Breitbandsonden
Ein weiterer Prozessschritt besteht in der Erstellung von Konzepten und der Pilotintegration robuster Fehlersuchstrategien in Werkstatttester. Die bereitgestellte Testerumgebung sowie die entwickelten Prüfgeräte werden bei der Systemintegration in modulare Fehlersuchbäume zusammengeführt, die Bestandteil der geführten Fehlersuche werden. Ein wesentliches Element des Prozessschrittes Systemintegration ist das Konzept der erweiterten geführten Fehlersuche (e-gFS), vgl auch [7]. Dieses benutzt einen symptomorientierten Einstieg in die geführte Fehlersuche mit dem Fehlerspeichereintrag als Zusatzinformation. Die Fehlerspeichereinträge werden in verschiedene Kategorien (z.B. Elektrik-, Kraftstoff-, Luft- und Abgassystem) klassiert, wodurch ein direkter Diagnoseeinstieg in das fehlerrelevante (Teil-)System möglich ist. Die Fehlersuche ist regelbasiert und bietet ergebnisabhängige Verzweigungen an. Alle Funktionstests werden symptomabhängig in die geführte Fehlersuche integriert, wobei
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17 Diagnoseentwicklungsmethodik am Beispiel Dieselsystem
Funktionstests für ganze Subsysteme als Eingangsprüfung dienen. Als Beispiel für das Einspritzsystem sei hierbei der steuergerätebasierte Hochdrucktest genannt, der das Einspritzsystem als ganzes an definierten Prüfpunkten auf Funktion prüft und Hinweise für den Einsatz weiterer, zum Teil bauteilspezifischer Prüfungen gibt. Zudem werden sowohl durch die Vorklassierung als auch durch subsystemübergreifende Tests Einzeldiagnoseschritte reduziert und damit der Prüfablauf verkürzt.
17.4 Toolunterstützung im Diagnose-Entwicklungsprozess Um die beschriebenen Diagnose-Entwicklungsschritte effizient durchführen zu können, ist eine durchgängige Toolunterstützung erforderlich. Die Darstellung aller während des Diagnose-Entwicklungsprozesses erforderlichen Werkzeuge würde den Rahmen dieser Darstellung sprengen. Bild 17-10 gibt einen Überblick zu der bei Bosch entwickelten Diagnose-Entwicklungstoolkette „Bosch Diagnostic Solution“ beginnend von der Diagnoseanalyse in Form der DMA über die Unterstützung des Funktionsentwurfs und der Funktionsentwicklung bis hin zum Autorensystem, in dem sämtliche Diagnose-Inhalte integriert und verknüpft sowie für die Anwendung auf dem Ablaufsystem publiziert werden. Eine ausführliche Darstellung dieser gesamten Toolkette wird in [6] und [8] gegeben. Im Folgenden sollen die Aspekte der Toolunterstützung für die Durchführung der DMA sowie für die Entwicklung von testerbasierten Diagnosefunktionen und Diagnosesequenzen vertieft werden.
Bild 17-10: Darstellung der Diagnosemöglichkeiten
17.4 Toolunterstützung im Diagnose-Entwicklungsprozess
401
17.4.1 Toolunterstützung für die DMA Neben organisatorischen Aspekten, die ein DMA-Tool unterstützen muss, liegen Schwerpunkte zum einen bei den zu betrachtenden kundenwahrnehmbaren Symptomen, deren Definition durchaus Zulieferer- oder OEM-spezifisch sein kann und zum anderen in der Festlegung des zu betrachtenden Systems mit den darin enthaltenen Komponenten. Da sowohl bei Lieferanten als auch beim OEM in der Regel viele Teilsysteme zu betrachten sind, liegt es aus Gründen der Datenkonsistenz und der Weiterverwendbarkeit von Daten nahe eine datenbankbasierte Lösung zu verwenden. Sowohl Diagnoseinhalte als auch Auswahllisten können XML-basiert abgelegt werden. Das Bild 17-11 zeigt den Grundaufbau des Analyseprogrammes mit einem oben angeordneten Navigationsbalken, der Elemente hinsichtlich Speicherung, Datenauswahl, Datensatzeingabe und Diagnosemöglichkeiten enthält. Für die Auswertung sind Auswertematrizen zur Zuordnung von u.a. Symptom und Ursache oder ganze Ergebnisprotokolle automatisch erzeugbar. Es können zudem Grundeinstellungen vorgenommen werden, wie etwa die Vorgabe von Symptom-, Komponenten-, System- und Bewertungslisten sowie eine Vorauswahl von auswählbaren Fehlerpfaden. Ein linker Frame dient zur Navigation, während in einem rechten Frame Abfragen durchgeführt werden. Wie in Bild 17-11 gezeigt, sind das Fragen nach kundenwahrnehmbarem Symptom, Entwicklersymptom, Fehler, Ursache sowie Ursache in anderem (Teil-)System.
Bild 17-11: Abfrage von Symptom, Fehler und Ursache innerhalb des DMA-Tools
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17 Diagnoseentwicklungsmethodik am Beispiel Dieselsystem
Bild 17-12: Darstellung der Diagnosemöglichkeiten
Jeder Komponente wird ein Datensatz zugeordnet, der sich aus Symptom, Fehler, Ursache, Auftretenswahrscheinlichkeit, Fehlererkennung und diversen Diagnosemöglichkeiten zusammensetzt, vgl. Bild 17-12. Jede Diagnosemöglichkeit wird mit Namen und Beschreibung erfasst sowie nach Anwendungsart klassifiziert. Neben rein prozessorientierten Abfragen wird der Systemeinfluss auf die Diagnosemethode und die Verträglichkeit der gewählten Methode mit dem System geprüft. Der nicht zu unterschätzende Vorteil bei einer toolbasierten Durchführung einer DMA liegt in der Möglichkeit der automatischen Generierung von Verknüpfungen zwischen Symptom, Ursachen, Fehlercodes und Diagnosemethoden, die eine gute Grundlage für die Entwicklung der geführten Fehlersuche darstellen. Da die Bewertungen für Qualität und Anwendbarkeit für jede Diagnosemöglichkeit vorliegen, ist es leicht, daraus eine Diagnosefähigkeitsaussage für jedes (Teil-)System zu generieren.
17.4 Toolunterstützung im Diagnose-Entwicklungsprozess
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17.4.2 Entwicklungsumgebung für testerbasierte Diagnosefunktionen und Diagnosesequenzen Gemäß Bild 17-7 folgt nach der DMA und dem Funktionsentwurf die Entwicklung von steuergerätebasierten oder testerbasierten Diagnosefunktionen sowie die Erstellung von Diagnoseabläufen in Form von Diagnosesequenzen bis hin zur geführten Fehlersuche. Für die Entwicklung von Steuergeräte-Software gibt es heute etablierte Entwicklungsprozesse und -tools die teilweise eine graphisch unterstützte Erstellung von Funktionen mit anschließender automatischer Codegenerierung (OTX) ermöglichen. Eine entsprechende Toolunterstützung auf Seiten der Software-Entwicklung für den Tester hat sich aktuell noch nicht in größerem Umfang durchgesetzt, Standardisierungsbemühungen gibt es derzeit allerdings schon. Um diese Lücke zu schließen, wird in einer künftigen Diagnose-Entwicklungsumgebung ein sogenannter Sequenzeditor zum Einsatz kommen (Bild 17-13), mit dem parallel zur Steuergeräte-Software auch die TesterSoftware entwickelt und mittels Rapid Prototyping verifiziert und validiert werden kann.
Bild 17-13: Graphisch unterstützte Entwicklung von Diagnosesequenzen
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17 Diagnoseentwicklungsmethodik am Beispiel Dieselsystem
Durch die Trennung von graphischer Software-Entwicklung und Codegenerierung kann ablauffähiger Code für unterschiedliche Zielplattformen erzeugt werden. Dieses Feature und die Möglichkeiten der Wiederverwendung von Funktionsmodulen, die in Bibliotheken des Sequenzeditors gepflegt werden können, unterstützen eine effiziente Entwicklung von Software für den Diagnosetester. Aus den einzelnen steuergeräte- und testerbasierten Diagnosefunktionen lassen sich im nächsten Schritt komplexere Diagnoseabläufe, sogenannte Diagnosesequenzen, für die Anwendung in der Werkstatt erstellen. Auch für diesen Entwicklungsschritt ist eine Unterstützung durch den beschriebenen Sequenzeditor vorgesehen. Die erwähnten Features wie Codegenerierung, Rapid Prototyping und Re-use sind auch auf der Ebene von Sequenzen nutzbar und hilfreich. Um aus den einzelnen Diagnosesequenzen geführte Abläufe für den Diagnosetechniker in der Werkstatt zu erstellen, ist die Verknüpfung der Sequenzen mit weiteren Diagnoseinformationen wie Schaltplänen, Reparaturanleitungen, Teilekatalogen etc. erforderlich. Diese Integration aller für die Diagnoseanwendung in der Werkstatt erforderlichen Informationen erfolgt im nachgeschalteten Schritt der Redaktionierung.
17.4.3 Standardisierte Prüfsprache zum Austausch von Diagnoseinhalten An dieser Stelle ergibt sich die Frage nach der Portierbarkeit und elektronischen Weiterverarbeitbarkeit der erstellten und bereits getesteten Diagnoseinhalte zwischen den einzelnen an der Diagnose-Entwicklung und -Nutzung Beteiligten. Was heute mittels ODX für Diagnosedaten möglich ist, die durchgängige Weitergabe und Nutzung von Diagnosedaten über Entwicklung, Produktion und Service, muss auch für Diagnoseinhalte wie testerbasierte Diagnosefunktionen und Diagnosesequenzen z.B. in OTX möglich sein. Die Diagnoseinhalte werden gemäß Stand der Technik in Java oder einem proprietären Format erzeugt und genutzt. Damit kann allerdings die Übertragbarkeit und Wiederverwendung auf anderen Zielsystemen nicht gewährleistet werden. Die Antwort auf die obige Frage ist also eine standardisierte, plattformunabhängige Prüfsprache, die die Beschreibung von Funktionen und Sequenzen erlaubt. Hierzu sind Grundelemente zur Beschreibung bspw. von Aufrufen von Diagnoseservices, logischen und arithmetischen Operatoren und Elementen für die Nutzerinteraktion erforderlich. Die Repräsentation der Prüfsprache erfolgt in einem XML-Schema, was eine einfache Portierbarkeit und elektronische Weiterverarbeitbarkeit ermöglicht. Der wesentliche Nutzen einer solchen standardisierten Prüfsprache liegt damit im Effizienzgewinn bei der Diagnose-Entwicklung durch Re-Use von Diagnose-Inhalten über die einzelnen Domänen Entwicklung, Produktion und Service eines OEM, der Weitergabe und einfachen Re-Use zwischen verschiedenen OEMs sowie der Weitergabe von Diagnose-Inhalten zwischen Zulieferer und OEM, vgl. Bild 17-14.
17.5 Zusammenfassung
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Bild 17-14: Austausch von Diagnoseinhalten innerhalb eines OEM, zwischen OEMs und zwischen Zulieferer und OEM
17.5 Zusammenfassung Im Beitrag wurde der gesamte Bogen der Diagnose-Entwicklung von der OBDEntwicklung über die Systemkonzeptentwicklung Werkstattdiagnose, die Systemintegration mit der Prüfmittelentwicklung, der Umsetzung von Werkstattdiagnosefunktionen auf dem Tester, der Erstellung der geführten Fehlersuche bis zu einer durchgängigen Entwicklungsumgebung Diagnose gespannt. Der erste Schritt der Diagnose-Entwicklung ist die OBD-Entwicklung als Bestandteil der Systementwicklung von Motorsteuerungssystemen. Die Motivation für die OBD liegt einerseits in der Überwachung von Komponenten und Systemen, die zu einer Verschlechterung der Abgasemissionen führen können, um die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. Andererseits hat die OBD aber auch das Ziel einer möglichst genauen Fehlerlokalisierung als Grundlage für eine effiziente und effektive Fehlerbehebung im Service. Im Beitrag wurde der Entwicklungsprozess für die OBD im Rahmen der Systementwicklung von der Anforderungsanalyse bis Freigabe gemäß des V-Modells vorgestellt sowie die Auswirkungen und Beziehungen der OBD-Entwicklung zu den Entwicklungsprozessen in den einzelnen Domänen SW, HW, Komponenten dargestellt.
406
17 Diagnoseentwicklungsmethodik am Beispiel Dieselsystem
Die Entwicklung der Werkstattdiagnose setzt auf die OBD-Systementwicklung auf. Ziel der Werkstattdiagnose ist es, die Werkstatt in die Lage zu versetzen, im Fehlerfall die kleinste austauschbare Einheit zuverlässig lokalisieren zu können. Startpunkt der Entwicklung von Werkstattdiagnose ist die Diagnose-MöglichkeitenAnalyse (DMA), mittels der eine Bewertung der Diagnosefähigkeit des betrachteten Systems durchgeführt wird und die die systematische Identifikation von Diagnoselücken ermöglicht. Auf Basis der DMA-Ergebnisse erfolgt die Entwicklung von steuergerätebasierten oder testerbasierten Service-Diagnosefunktionen, die Erstellung geführter Diagnoseabläufe bis hin zu einer kompletten geführten Fehlersuche. Der Diagnosephilosophie der sogenannten e-gFS (erweiterte geführte Fehlersuche) liegt dabei ein symptomorientierter Einstieg in die Fehlersuche unter Nutzung der Fehlerspeichereinträge als ergänzende Information zu Grunde. Mit dem Hochlauftests für ein Diesel-Einspritzsystem wurde ein Praxisbeispiel für den erläuterten Entwicklungsablauf vorgestellt. Zur Umsetzung der beschriebenen Entwicklungsmethodik für Werkstatt-Diagnose ist eine geeignete Entwicklungsumgebung erforderlich. Es wurde ein Gesamtkonzept für eine durchgängige Prozess- und Toolkette Diagnose von der Entwicklung bis zur Anwendung im Service vorgestellt. Die Tools zu Unterstützung der DMA sowie der Entwicklung von testerbasierten Diagnosefunktionen und von geführten Diagnosesequenzen wurden vertiefend vorgestellt. Ein wesentliches Element für eine künftig noch effizientere Zusammenarbeit der unterschiedlichen Entwicklungsstellen und Nutzer von Diagnose-Inhalten ist das Konzept einer standardisierten Prüfsprache OTX zur Beschreibung von Diagnoseabläufen als Ergänzung den zum bereits etablierten ODX-Standard.
Literatur [1]
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17.5 Zusammenfassung
[6]
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407
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408
18 Modellgestützte Fehlerdiagnose eines DI-Benzinmotors MICHAEL LEYKAUF
Die steigende Komplexität von Verbrennungsmotoren mit einer wachsenden Anzahl von Aktoren und Sensoren benötigt neue und verbesserte Methoden der Fehlererkennung und Fehlerdiagnose. Die zurzeit eingesetzten On-Board-Diagnose-Verfahren decken meist nur emissionsrelevante Bereiche ab, und ermöglichen keine detaillierte Diagnose aller Motorenbereiche, weil sie oftmals auf einfachen Grenzwertüberwachungs- und Plausibilitätsverfahren von gemessenen Signalen beruhen [1–4]. Wie schon in [5–9] gezeigt, erlauben prozess- und signalmodellbasierte Methoden eine genauere Fehlererkennung und -diagnose. Basierend auf diesen und den speziellen Ergebnissen für Ottomotoren [9] zeigt dieses Kapitel die Ergebnisse für einen direkteinspritzenden Ottomotor mit homogenem und geschichtetem Brennverfahren. Bild 18-1 zeigt ein generelles Schema für die signal- und prozessmodellbasierte Fehlererkennung und -diagnose. Signalbasierte Fehlererkennungsmethoden analysieren einzelne Signale Y mit z.B. Fourier- oder Wavelet-Analyse, und erzeugen daraus Amplituden oder Frequenzen als Merkmale. Prozessmodellbasierte Fehlererkennungsverfahren verwenden die Eingangssignale U und die Ausgangssignale Y und werten ihre Zusammenhänge mit Paritätsgleichungen, Parameter- oder Zustandsschätzmethoden aus. Aus dem Vergleich der beobachteten Merkmale mit deren Nominalwerten werden dann analytische Symptome S gebildet. Diese Symptome sind die Basis für die folgende Fehlerdiagnose mit Klassifikations- oder Inferenzverfahren. Eine Auswahl dieser Methoden wird für einen direkteinspritzenden Ottmotor verwendet.
Bild 18-1: Schema der prozess- und modellbasierten Fehlererkennung und -diagnose: a) signalmodellbasierte Fehlererkennung, b) prozessmodellbasierte Fehlererkennung [10]
18.1 Fehlererkennung im Ansaug- und Abgassystem
409
18.1 Fehlererkennung im Ansaug- und Abgassystem Physikalisch basierte Modelle benötigen mehrere experimentell bestimmte Parameter und Korrekturfaktoren in Form von mindestens zweidimensionalen Kennfeldern. Eine Alternative dazu ist die direkte Anwendung von nichtlinearen Modellen zur Identifikation. Dies wurde in [9] und [11] untersucht. Ein direkteinspritzender Ottomotor VW FSI 1,6 l (max. Leistung 81 kW, max. Drehmoment 155 Nm) wurde als Versuchsmotor verwendet. Der Motor schaltet nach der Warmlaufphase lastabhängig in verschiedene Betriebsarten: Homogen- (λ = 1), Homogen-mager- (λ = 1,5) und Schichtbetrieb (λ > 2). Bild 18-2 zeigt die Seriensensoren des untersuchten Motors und Sensoren am Prüfstand.
Bild 18-2: Sensoren des Versuchsmotors und Sensoren am Prüfstand – Sensoren: m 1 Luftmassenstrom; Ta Ansauglufttemperatur; p2 Saugrohrdruck; αDK Drosselklappenwinkel; sAGR AGR-VentilPosition; sLBK Position der Ladungsbewegungsklappe; ϕKW Kurbelwellenwinkel (Hochaufgelöste Drehzahl); T3 Abgastemperatur; λ Lambdawert; nASM, MASM Drehzahl und Drehmoment der Asynchronmaschine
Typische Fehler des Ansaug- und Abgassystems sind Leckagen oder ein erhöhter Strömungswiderstand hervorgerufen durch z.B. verstopfte Filter oder zugesetzte Katalysatoren. In [9] wurde gezeigt, wie diese Fehler an einem herkömmlichen Ottomotor mit Saugrohreinspritzung erkannt werden können. Um die direkte Übertragbarkeit der entwickelten Methoden auf andere Motortypen darzustellen, werden hier ebenfalls lokallineare Netzmodelle für die Modellbildung verwendet.
410
18 Modellgestützte Fehlerdiagnose eines DI-Benzinmotors
18.1.1 Modellierung mit lokallinearen Netzmodellen Der Vorteil der universellen Einsetzbarkeit lokallinearer Netzmodelle zeigt sich vor allem für die verschiedenen Betriebsbereiche des Motors. Wichtig bei allen Identifikationsmethoden ist die genügende Abdeckung des Eingangsraumbereiches durch die Anregung, um eine hinreichende Modellgenauigkeit zu erzielen. Trainiert wird für die Ausgangsgrößen Luftmassenstrom m 1 und Saugrohrdruck p2 jeweils ein LOLIMOT-Netz mit mehreren Eingängen und einem Ausgang (MISO-Struktur), wobei jeweils ein Modell für jede Betriebsart erstellt wurde, Bild 18-3.
Bild 18-3: Nichtlineare MISO-LOLIMOT Modelle für a) Luftmassenstrom und b) Saugrohrdruck
Die anregenden Stellsignale für die Vermessung im Homogen-Betrieb sind exemplarisch in Bild 18-4 gezeigt, und decken den Drehzahl-Last-Bereich n = 1200...4000 1/min und M = –10...150 Nm ab. Dabei wurde ein Signal kontinuierlich, rampenförmig verstellt, mit einer Hin- und Rückmessung pro Betriebszustand.
Bild 18-4: Stellsignale zur Vermessung, (oben) Motordrehzahl (unten) Pedalwert
18.1 Fehlererkennung im Ansaug- und Abgassystem
411
Der mittlere Fehler der identifizierten LOLIMOT-Modelle zwischen den gemessenen und simulierten Ausgängen ist maximal 3 Prozent bezogen auf die Validierungsdaten [11].
18.1.2 Erzeugen von Residuen und Symptomen Differenzen zwischen Messgröße und Modellausgangsgröße für den Luftmassenstrom m 1 , den Saugrohrdruck p2 und der Ausgang der Lambdaregelung uλ (Korrekturfaktor) werden als Residuen verwendet, um Paritätsgleichungen einzuführen: rint1 = rm1 = m 1 − m 1,Modell rint 2 = rp2 = p2 − p2,Modell
(18.1)
rexh1 = rλ = uλ − 1
Das Residuum Saugrohrdruck rp2 ist z.B. bei einer Leckage nach der Drosselklappe positiv, weil aufgrund des Unterdrucks im Fehlerfall Luft in den Ansaugbereich einfließt und damit der Druck ansteigt. Die Residuen werden zur Symptombildung einer Vorverarbeitung unterworfen. Sie enthält eine Tiefpassfilterung und eine Ausblendung, wenn das Residuum in einem bestimmten Betriebsbereich nicht verwendbar ist. Dieses gefilterte Residuum ist dann ein Eingang in ein Kennfeld, mit dem in Abhängigkeit von Betriebsart, Drehzahl und Drehmoment, betriebspunktabhängige Grenzwerte zur Erzeugung von Symptomen gebildet werden, Bild 18-5.
Bild 18-5: Erzeugung von Residuen und Symptomen, deren Ausblendung und Filterung
Insgesamt werden entsprechend Gl. (18.1) drei Symptome für die Fehlererkennung im Ansaug- und Abgassystem verwendet: – Sint1 Luftmassenstrom, – Sint2 Saugrohrdruck, – Sexh1 Ausgang der Lambdaregelung im Homogenbetrieb.
412
18 Modellgestützte Fehlerdiagnose eines DI-Benzinmotors
18.1.3 Betriebspunktabhängige Fehlererkennung Da die Ausgangssignale p2, m 1 und die Stellgröße der Lambdaregelung uλ vom Betriebspunkt [Mi, nj] des Motors abhängen, wurden alle Fehlerfälle im gesamten jeweiligen Bereich analog zu den Messungen zur Modellbildung vermessen. Zu den Fehlern gehörten große und kleine Leckagen vor und nach Drosselklappe und unterschiedliche Blenden vor dem Vorkatalysator zur künstlichen Erhöhung des Abgasgegendruckes um eine erhöhte AGR-Rate zu simulieren. Aus diesen Messungen wurde jeweils ein statisches Kennfeld für die Größen Luftmassenstrom und Saugrohrdruck erstellt. Als Beispiel ist in Bild 18-6 das berechnete Kennfeld des Saugrohrdrucks im Homogen-Betrieb im fehlerfreien Fall gezeigt. Die Messdaten des Saugrohrdrucks sind als schwarze Linien dargestellt, die Zwischenwerte das durch LOLIMOT erzeugte Kennfeld.
Bild 18-6: Kennfeld des Saugrohrdrucks p2 im gesamten Betriebsbereich im fehlerfreien Fall im Homogenbetrieb (schwarze Linien: Messdaten). Gitterlinien: durch LOLIMOT erzeugtes Kennfeld
Die Berechnung der Differenz zwischen den erstellten Kennfeldern des fehlerfreien zum fehlerbehafteten Fall, liefert die entsprechenden Residuen nach Gl. (18.1) im gesamten Betriebsbereich des Motors. Die Kennfelder wurden für den Homogen- und Schichtbetrieb erstellt. Bild 18-7 zeigt die Größe der Residuen des Saugrohrdrucks und des Luftmassenstroms aufgrund verschiedener Leckagedurchmesser (d = 1...3 mm) nach der Drosselklappe im Homogenbetrieb. Man erkennt deutlich die Abhängigkeit der möglichen Fehlererkennung vom Betriebspunkt des Motors. Mit einer logischen Und-Verknüpfung der beiden korrespondierenden Residuen rm1 und rp2 bei gleichem Fehler, erhält man die Bereiche in denen die Fehlererkennung in
18.1 Fehlererkennung im Ansaug- und Abgassystem
413
Abhängigkeit von der Residuengröße möglich ist. Dies wird später für die abschließende Fehlerdiagnose verwendet. Bild 18-8 zeigt diese berechneten Bereiche für die Erkennung von Leckagen im Homogen-Betrieb, in denen der jeweilige Residuenausschlag mindestens 10 Prozent im Vergleich zum fehlerfreien Fall ist. Die Leckagen nach Drosselklappe lassen sich vor allem im niederen Lastbereich im Homogen-Betrieb diagnostizieren. Diese Auswertung ist auch im Leerlaufbetrieb des Motors in einer Werkstatt anwendbar. Die Erkennung von Leckagen vor Drosselklappe ist dagegen nur im höheren Lastbereich möglich. Generell sind natürlich größere Leckagen besser erkennbar als kleinere.
Bild 18-7: Kennfeld von zwei Residuen hervorgerufen durch unterschiedlich große Leckagedurchmesser (d = 1...3 mm) nach Drosselklappe im gesamten Betriebsbereich im Homogenbetrieb: a) Residuum Saugrohrdruck, b) Residuum Luftmassenstrom
Die Residuen-Kennfelder von Bild 18-7 können verwendet werden um Grenzwerte in Abhängigkeit des Betriebsbereichs des Motors zu generieren. Dies vergrößert den möglichen Bereich der Fehlererkennung. Bild 18-9 zeigt das Residuum des Saugrohrdrucks für verschiedene stationäre Arbeitspunkte aus dem MVEG-Fahrzyklus im Schicht- und Homogenbetrieb für eine Leckage mit 3 mm Durchmesser nach der Drosselklappe. Der Fehler war während der gesamten Messung eingebracht. Im Schichtbetrieb ist das Residuum wegen der weiter geöffneten Drosselklappe nur kurzzeitig größer als der Grenzwert. Dagegen ist das Residuum im Homogenbetrieb im niederen Lastbereich signifikant größer als der jeweilige betriebspunktabhängige Grenzwert.
414
18 Modellgestützte Fehlerdiagnose eines DI-Benzinmotors
Bild 18-8: Bereiche zur zuverlässigen Erkennung von Leckagen mit verschiedenen Durchmessern nach und vor Drosselklappe im Homogen-Betrieb: a) Leckagen nach Drosselklappe, b) Leckagen vor Drosselklappe
Bild 18-9: Residuum Saugrohrdruck rp2 für eine Leckagen nach Drosselklappe (d = 3 mm) für Arbeitspunkte im MVEG-Fahrzyklus im Schicht- und Homogenbetrieb und Grenzwerte in Abhängigkeit vom Drehzahl-Last-Punkt des Motors
18.1 Fehlererkennung im Ansaug- und Abgassystem
415
18.1.4 Diagnose im Ansaug- und Abgassystem Die resultierende Diagnose für die Fehlerart und -größe basiert auf allen entwickelten Symptomen und verwendet Fuzzy-Logik Wenn-Dann-Regeln [10]. Den Symptomen werden dazu Zugehörigkeitsfunktionen μ(Si) zugewiesen. Bild 18-10 zeigt ein Beispiel für die Diagnose eines Fehlers Leckage nach Drosselklappe. Das Ergebnis nach der Akkumulation ist ein Singleton für die Möglichkeit eines Lecks nach der Drosselklappe. Die drei Residuen rm1, rp2 und rλ aktivieren Zugehörigkeitsfunktionen und einen UND-Fuzzyoperator (Minimumfunktion) zur Akkumulation um eine Möglichkeit für einen bestimmten Fehler zu berechnen. Um ein Symptom bei den Zugehörigkeitsfunktionen „stark positiv/negativ“ des FuzzyDiagnose-Systems voll ausschlagen zu lassen, müssen 80 Prozent des zu erwartenden Residuenausschlages auftreten. Die betriebspunktabhängigen Kennfelder wurden aus den zuvor gezeigten Kennfeldern berechnet. Folgende Fuzzy-Regelbasis für das Ansaug- und Abgassystem wurde ermittelt, basierend auf den Ergebnissen aus den Bildern 18-5 bis 18-7: – Wenn Sint1 negativ UND Sint2 neutral UND Sexh1 positiv (Homogenbetr.) DANN Leckage vor Drosselklappe – Wenn Sint1 negativ UND Sint2 positiv UND Sexh1 positiv (Homogenbetr.) DANN Leckage nach Drosselklappe (d = 2 mm) – Wenn Sint1 negativ UND Sint2 stark positiv UND Sexh1 positiv (Homogenbetr.) DANN Leckage nach Drosselklappe (d = 3 mm) – Wenn Sint1 neutral UND Sint2 positiv DANN erhöhte AGR-Rate Die unterschiedlichen Fehler-Symptom-Muster ermöglichen die Diagnose von Leckagen vor und nach der Drosselklappe und ein erhöhter AGR-Massenstrom hervorgerufen durch ein gedrosseltes Abgassystem. Die Symptome und die resultierende Fuzzy-Logik-Auswertung werden in Bild 18-10 für den Fehler einer Leckage nach Drosselklappe gezeigt. Wenn der Singleton einen Wert von 0,8 überschreitet wird ein Leck diagnostiziert. Dies ist sowohl im Schicht- und Homogenbetrieb des Motors möglich.
Bild 18-10: Fuzzy-Logik-Auswertung am Beispiel des Fehlers Leckage nach Drosselklappe d = 3 mm
416
18 Modellgestützte Fehlerdiagnose eines DI-Benzinmotors
Bild 18-11: Ergebnis der Fuzzy-Logik-Auswertung am Beispiel des Fehlers Leckage nach Drosselklappe d = 3 mm im Schicht- und Homogenbetrieb. Sobald das Ergebnis den Wert 0,8 übersteigt, wird der Fehler in diesem Betriebspunkt erkannt.
Bild 18-11 zeigt diese Auswertung für einen Messdatensatz mit den in Bild 18-9 gezeigten Betriebspunkten im Schicht- und Homogenbetrieb. Der Fehler wird vor allem im Homogenbetrieb in mehreren Arbeitspunkten erkannt.
18.2 Fehlererkennung im Raildrucksystem Das Kraftstoffsystem des Versuchsmotors besteht aus dem Niederdruckteil (mit Kraftstoffpumpe und Kraftstofffilter) und dem Hochdruckteil mit den Komponenten Hochdruckpumpe, Kraftstoffrail, Einspritzventilen (Injektoren), Raildrucksensor und Druckregelventil, Bild 18-12.
18.2 Fehlererkennung im Raildrucksystem
417
Bild 18-12: Aufbau des Kraftstoffsystems
Die einzige Messgröße des Kraftstoffsystems, die dem Motorsteuergerät zur Verfügung steht, ist der Raildruck prail, welcher am Prüfstand mit einer Auflösung von 1° KW gemessen wurde. Das Ziel ist zu untersuchen welche Art von Fehlern im Hochdruckteil des Kraftstoffsystems, wie z.B. Einspritzmengenfehler, durch die Verwendung des hochaufgelösten Raildrucks und des Drehzahlsignals erkannt werden können.
18.2.1 Waveletanalyse des Raildrucksignals Der Raildruck ist ein periodisches Signal mit verschiedenen darin enthaltenen Frequenzen und instationären Anteilen, Bild 18-13. Für die Analyse eines nichtstationären periodischen Signals kann die Short-Time-Fourier-Transformation oder die Waveletanalyse verwendet werden [10, 12, 13]. Die Wavelet-Transformation verwendet Basisfunktionen – sogenannte MotherWavelets – die zeitlich mit dem Faktor a skaliert (Dilatation) und zeitlich mit τ verschoben (Translation) werden können. Die zeitkontinuierliche Wavelet-Transformation (CWT) mit der Mother-Wavelets-Funktion Ψ ist definiert als
CWT (a,τ ) =
∞
§t −τ · y (t )Ψ ¨ ¸ dt a −∞ © a ¹
1
³
(18.2)
Das Raildrucksignal wurde für die Erkennung von zu wenig eingespritztem Kraftstoff in einen Zylinder mit dem einfachen Haar-Wavelet (doppelter Rechteck-Impuls) und dem Morlet-Wavelet analysiert. Das Morlet-Wavelet ist definiert als
Ψ Morlet (t ) = Ce−t
2 /2
cos(t ) .
(18.3)
Bild 18-13 a) und b) zeigen, dass Unterschiede zwischen dem Hochdrucksignal im fehlerfreien Fall und mit einem Fehler von 30% geringerer Einspritzmenge in Zylinder 1 nur schwer erkennbar sind. Jedoch kann die Waveletanalyse diese kleinen Änderungen erkennen. In Bild 18-13 c) und d) sind die Wavelet-Koeffizienten CWT(a,τ) mit verschie-
418
18 Modellgestützte Fehlerdiagnose eines DI-Benzinmotors
denen Faktoren a und zeitlichen Verschiebungen τ zu sehen. Der Faktor a korrespondiert dabei mit der Frequenz 1/f. Im Falle eines Einspritzmengenfehlers bei einer Einspritzfrequenz von finj = 50 Hz, können CWT-Koeffizienten bei f = 12,5 Hz beobachtet werden, welche gerade einem Viertel der Einspritzfrequenz entsprechen, und direkt einem Zylinder mit geringerer Einspritzmenge entsprechen, Bild 18-13 b), d). Da die Einspritzfrequenz durch die Motordrehzahl bekannt ist muss nur ein spezifischer Koeffizient CWT(finj/4,τ) berechnet werden. Positive Ergebnisse konnten mit diesem Verfahren im Betriebsbereich n = 1200...3000 1/min und M > 80 Nm bei einem eingebrachtem Fehler von 20–30% zu geringer Einspritzmenge in einem Zylinder am Prüfstand erhalten werden. Für die Fehlererkennung wird das folgende Residuum aus dem aktuell berechneten Wavelet-Koeffizienten mit dem Koeffizienten im fehlerfreien Fall (abgelegt in einem Kennfeld) berechnet:
rinj1 = CWT ( finj / 4,τ ) − CWT ( finj / 4,τ )norm
(18.4)
Das Residuum wird dann verwendet um das Symptom Sinj1 für eine zu gering eingespritzte Kraftstoffmenge in einen Zylinder ab einem Motormoment von M > 80 Nm zu berechnen. Sinj1 wird zu +1 gesetzt wenn für das das Residuum rinj1 > 0,5 gilt.
Bild 18-13 a) Raildruck bei n = 1500 1/min und M = 90 Nm; b) gleicher Arbeitspunkt mit 30% geringerer Einspritzmenge in Zylinder 1; c) Wavelet-Koeffizienten im fehlerfreien Fall; d) Wavelet-Koeffizienten bei Mindereinspritzmenge
18.2 Fehlererkennung im Raildrucksystem
419
18.2.2 Analyse des Drehzahlsignals Eine weitere Methode um Fehler der Verbrennung zu erkennen ist die Analyse der Motordrehzahl. Das Motordrehzahlsignal wurde mit 1 °KW-Auflösung gemessen und wurde bereits in anderen Projekten verwendet [14]. Die Kopplung zwischen Motor und der Asynchronmaschine des Prüfstandes machen dabei die Messung nicht so ausgeprägt wie im Fahrzeug, wo die Verbindung weniger steif ist und die Drehzahl nicht durch einen Elektromotor geregelt wird und sich dadurch größere Amplituden ergeben. Bild 18-14 zeigt das Drehzahlsignal über 720° KW mit 15% geringerer Einspritzmenge in Zylinder 1. Man sieht deutlich die geringere Drehzahlamplitude des ersten Zylinders im Vergleich zu den Zylindern 2 bis 4. Die Amplitude wird berechnet mit ΔnZyl − i = max[ΔnZyl − i ] − min[ΔnZyl − i ]
(i = 1! 4) .
(18.5)
Bild 18-14: Hochaufgelöster Drehzahlverlauf eines Arbeitsspiels bei n = 1500 1/min und M = 70 Nm mit 15% weniger Einspritzmenge in Zylinder 1 (am Motorenprüfstand)
Bild 18-5 zeigt die berechneten Drehzahlamplituden über 70 Arbeitsspiele mit dem gleichen Einspritzmengenfehler in Zylinder 1. Die Amplitude von Zylinder 1 ist, nachdem der Fehler ab Arbeitspielnummer 20 eingebracht wurde, kleiner als die Amplitude der übrigen Zylinder. Um die zyklische Variation der Amplituden zu dämpfen wird bei der Fehlererkennung die Drehzahlamplitude mit der Amplitude im fehlerfreien Fall über 5 Arbeitsspiele gemittelt verglichen (Moving Average Filter): rΔnZyl −i =
1 4 ¦ [ΔnZyl − i (k ) − ΔnZyl − i,KF ] 5 k =0
(i = 1! 4)
(18.6)
420
18 Modellgestützte Fehlerdiagnose eines DI-Benzinmotors
Bild 18-5: Drehzahlamplitude der Zylinders 1–4, n = 1500 1/min und M = 70 Nm mit 15% geringerer Einspritzmenge in Zylinder 1. Fehler nach 20 Arbeitsspielen eingebracht (am Motorenprüfstand)
Das Symptom Smec1 wird zu –1 gesetzt, wenn die Änderung der Amplitude eines Zylinders größer als 15 1/min ist. Dieses Symptom lässt sich schnell berechnen und ist relativ empfindlich für zylinderspezifische Änderungen der Verbrennung, speziell im Fahrzeug [6, 14].
18.2.3 Fehlererkennung und -diagnose im Raildrucksystem Basierend auf der Waveletanalyse des Raildrucksignals und der Analyse des Drehzahlsignals können drei Symptome generiert werden: – Sinj1 = 1 wenn rinj1 > 0,5: Einspritzbetrieb zur Erkennung von einer zu geringen Einspritzmenge in einen Zylinder (Sinj1 = 0 sonst) – Waveletanalyse des Raildrucksignals. Erkennbare Änderungen 20–30% Mindermenge. – Sinj2 = 1 wenn rinj2 > 5 (Sinj2 = 0 sonst). Modell des Raildrucks im Schubbetrieb (keine Einspritzung) für Informationen über die Hochdruckpumpe (siehe [11]). – Smec1 = –1 wenn rΔn-Zyl-i < –15 1/min der Drehzahlamplitude (Smec1 = 0 sonst) – hochaufgelöste Messung des Drehzahlsignals. Erkennbare Änderungen 10% Mindermenge. Die Diagnose verwendet für dieses Teilsystem eine binäre Logik. Die Algorithmen verwenden gespeicherte Messdaten mit 1° KW Auflösung über mehrere Arbeitsspiele. Die Waveletanalyse verwendet 200 Arbeitsspiele. Eine Diagnose ist bei einer 20–30% zu geringen Einspritzmenge möglich. Für die Erkennung mit dem Drehzahlsignal sind nur wenige gespeicherte Arbeitsspiele nötig (5 waren bei n = konst ausreichend). Das Drehzahlsignal kann auch mit einer geringeren Auflösung von 3° KW und 6° KW ausgewertet werden. Eine geringere Auflösung des gemessenen Raildrucksignals zur Erkennung von Einspritzmindermengen ist hingegen nicht möglich.
18.3 Fehlererkennung im Zündungssystem
421
18.3 Fehlererkennung im Zündungssystem Eine weitere Quelle von Fehlern im Verbrennungssystem ist das Zündungssystem. Dazu wurde die Zündenergie über die Schließzeit der Zündspulen für alle vier Zylinder des DIMotors gleichzeitig über das Steuergerät vermindert. Es wurden verschiedene Arbeitspunkte im mittleren und oberen Lastbereich im Schicht- und Homogenbetrieb untersucht. Dabei interessierte besonders der Übergangsbereich zwischen einer normalen Zündung und einer messbar schlechteren Zündung. Die Untersuchungen wurden im Schichtbetrieb durchgeführt. Die Symptomerzeugung erfolgte über die Drehzahlamplitude, da diese ein Maß für die abgegebene Leistung des jeweiligen Zylinders ist. Die Drehzahlamplitude der Zylinder wurde über 300 Arbeitsspiele (AS) ausgewertet. In Bild 18-16 sind für den Arbeitspunkt n =1500 1/min, M = 55 Nm im Schicht-Betrieb die Drehzahlamplituden aller vier Zylinder im fehlerfreien Fall (Bild 18-16 a) Schließzeit tSZ = 2,6 ms) und bei einer Verringerung der Schließzeit tSZ um 80 Prozent (Bild 18-16 b) tSZ = 0,5 ms) dargestellt. Im Fehlerfall sind die Drehzahlamplituden aller vier Zylinder kurzzeitig von einem mittleren Wert von 65 1/min auf weniger als die Hälfte (30 1/min) ohne einen Übergangsbereich reduziert. Durch die parallelen Messungen mit einer Indizierkerze konnte gezeigt werden, dass in diesen Fällen nur ein Schleppdruckverlauf entsteht, und deshalb keine Zündung und Verbrennung stattfand. Das heißt, das Gemisch zündet oder es zündet nicht, was einen vollen Aussetzer bedeutet.
Bild 18-16: Drehzahlamplituden der Zylinder 1–4, n = 1500 1/min und M = 55Nm im Schichtbetrieb, a) fehlerfreier Fall: Schließzeit der Zündspulen tSZ = 2,6 ms, b) Fehlerfall: Schließzeit der Zündspulen tSZ = 0,5 ms
422
18 Modellgestützte Fehlerdiagnose eines DI-Benzinmotors
Aus der Standardabweichung s(ΔnZyl–i) und dem Mittelwert ΔnZyl − i der Drehzahlamplituden, Gl. (18.7), lässt sich der Variationskoeffizient COV berechnen, Gl. (18.8). 1
ª 1 N 2 º2 σ (ΔnZyl − i ) = « ΔnZyl − i − ΔnZyl − i ) » ( ¬« N − 1 i =1 ¼»
¦
COVΔnZyl −i =
σ (ΔnZyl − i ) ΔnZyl − i,mittel
⋅ 100%
mit
(i = 1! 4)
ΔnZyl − i =
1 N
N
¦ ΔnZyl − i (18.7) i =1
(18.8)
Bild 18-17 zeigt wie der COV von der Reduzierung der Schließzeit abhängt. Bis zu einer Verringerung von 70 Prozent ist keine Änderung sichtbar. Erst nach einer Reduzierung von 75 Prozent und mehr, vergrößert sich der COV signifikant aufgrund der Zündaussetzer.
Bild 18-17: Variationskoeffizient der Drehzahlamplituden der Zylinder 1–4, n = 1500 1/min und M = 55 Nm im Schichtbetrieb für verschiedene Schließzeiten der Zündspulen
Eine größere Reduktion der Zündenergie kann somit durch das Symptom Smec1 der Drehzahlamplitude erkannt werden, genauso wie bei Einspritzmengenfehlern. Allerdings resultiert im Unterschied zu 30% geringerer Einspritzmenge bei diesen Versuchen bei einer stark reduzierten Zündenergie von vier Zylindern in einer drastischen Verkleinerung der Drehzahlamplitude.
18.5 Zusammenfassung
423
18.4 Gesamtdiagnosesystem Tabelle 18-1 fasst die entwickelten Symptome für die verschiedenen untersuchten Fehler des Ansaugsystems, des Einspritzsystems und des Zündsystems zusammen. Die FehlerSymptom-Muster zeigen, dass die untersuchten Fehler detektierbar und voneinander isolierbar sind. Daher können sie diagnostiziert werden, teilweise auch mit zugehöriger Fehlergröße. Eine reduzierte Einspritzmenge und Aussetzer aufgrund von Zündungsfehlern können voneinander durch die Auswertung der Drehzahl und des Raildrucks separiert werden.
Sint1
Sint2
Sexh1
Sinj2
Sinj1
Smec1
Luftmassenstrom
Saugrohrdruck
Ausgang Lambdaregelung
Raildruck (Schubbetrieb)
Raildruck (Einspritzbetrieb)
Drehzahlampl.
homogen
geschichtet
Tabelle 18-1: Fehler-Symptom-Tabelle für einen DI-Benzinmotor (++ stark positives Symptom, + positives Symptom, – negatives Symptom, – – stark negatives Symptom, o keine Symptomänderung, d don’t care, 9 anwendbar, 8 nicht anwendbar)
Leckage vor Drosselklappe
–
o
+
9
9
Leckage nach Drosselklappe (2 mm)
–
+
+
9
9
Leckage nach Drosselklappe (3 mm)
–
++
+
9
9
AGR-Massenstrom durch Blende erhöht
o
+
d
9
9
Symptom:
Fehler:
Betriebsart
Einspritzmindermenge in einem Zylinder
d
+
–
9
8
Geringere Fördermenge der Hochdruckpumpe
–
o
o
(9)
(9)
Reduzierte Zündenergie
d
o
––
9
9
18.5 Zusammenfassung Die entwickelten Fehlerdiagnosemethoden für den betrachteten DI-Benzinmotor konzentrierten sich auf die Fehlererkennung im Ansaugsystem, Raildrucksystem und Zündsystem. Es wurde gezeigt, wie Leckagen vor und nach Drosselklappe durch die Messung von Luftmassenstrom, Saugrohrdruck und Ausgang der Lambdaregelung im Homogenund Schichtbetrieb erkannt werden können. Die Erkennung unterschiedlich großer Le-
424
18 Modellgestützte Fehlerdiagnose eines DI-Benzinmotors
ckagen hängt vom Betriebspunkt des Motors ab. Es ist zudem möglich, eine zu hohe Abgasrückführrate hervorgerufen z.B. durch einen zugesetzten Katalysator oder Schalldämpfer und einen Fehler am AGR-Ventil zu detektieren. Die Frequenzanalyse des Raildrucksignals mittels Waveletanalyse und die Bestimmung der Amplitude des Drehzahlsignals erlauben die Erkennung einer zu geringen Einspritzmenge eines Zylinders. Weiterhin wurde gezeigt wie eine zu geringe Zündenergie durch Auswertung des Drehzahlsignals detektiert werden kann. Die Fehlerdiagnose beruht auf einer Fuzzy-Logik-Auswertung der Symptome im Ansaugsystem. Für die Diagnose der anderen Fehler wurde eine binäre Logik verwendet. Es wird darauf hingewiesen, dass nur Seriensensoren für die Fehlerdiagnose verwendet wurden, mit einer höheren Auflösung des Raildruck- und Drehzahlsignals. Das Verfahren lässt sich auch für eine geringere Auflösung des Drehzahlsignals mit 3° KW oder 6° KW anwenden. Folgende Fehler können mit den genannten Signalen und Analysemethoden erkannt und diagnostiziert werden: – Fehler „Leckage vor und nach Drosselklappe“ und „zu hohe AGR-Rate“ Benötigte Messsignale: Luftmassenstrom, Saugrohrdruck und Ausgang der Lambdaregelung Symptome: Sint1, Änderung des Luftmassenstroms, Sint2, Änderung des Saugrohrdrucks, Sexh1, Änderung des Ausgangs der Lambdaregelung Analysemethode: Paritätsgleichungen mit lokallinearen neuronalen Netzmodellen, Fuzzy-Logik-basierte Diagnose – Fehler „geringe Einspritzmenge in einem Zylinder“ Benötigte Messsignale: Raildruck und Drehzahl (beide mit 1° KW Auflösung) Symptome: Sinj1, Waveletanalyse des Raildrucks im Einspritzbetrieb, Sinj2, Amplitude des Raildrucksignals im Schubbetrieb, Smec1, Änderung der Drehzahlamplitude Analysemethode: Paritätsgleichungen mit Signalmodellen (Waveletanalyse), Diagnose durch binäre Logik – Fehler „reduzierte Zündenergie“ Benötigtes Messsignal: Drehzahl (mit 1° KW Auflösung) Symptom: Smec1, Änderung der Drehzahlamplitude Analysemethode: Paritätsgleichungen mit Signalmodellen (Drehzahlamplitude), Diagnose durch binäre Logik.
Literatur
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426
19 Modellgestützte Fehlererkennung und Diagnose für Common-Rail-Einspritzsysteme SEBASTIAN CLEVER
Moderne Pkw-Dieselmotoren sind mit verschiedensten komplexen mechatronischen Komponenten ausgestattet. So kommen neben Abgasrückführsystemen zur Minderung der Stickoxidemissionen und Turboladern zur Steigerung der Leistungsdichte insbesondere elektronisch gesteuerte Mehrfach-Einspritzsysteme zum Einsatz. Deshalb erhöht sich die Bedeutung einer umfassenden Fehlererkennung und Diagnose, zusätzlich zu den bekannten OBD- und EOBD-Vorgaben, im Rahmen steigender Anforderungen an die Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit. Um diese Anforderungen zu erfüllen, bieten sich modellbasierte Verfahren an. Ihr Stand in verschiedenen Gebieten wird zum Beispiel in [1– 6] beschrieben. Mit dem Einsatz modellgestützter Fehlererkennungsverfahren bei Verbrennungsmotoren beschäftigen sich beispielsweise [7–18]. Einerseits erlaubt der Einsatz dieser modernen Verfahren einen tiefen Einblick in den Zustand des überwachten Prozesses, andererseits ist für die Entwicklung dieser Funktionen eine relativ genaue Prozesskenntnis Voraussetzung. Für den Dieselmotor bietet sich deshalb eine modulare Entwicklung der Fehlererkennungs- und Diagnose-Funktionalität an. Bild 19-1 zeigt eine solche modulare Struktur eines Fehlermanagementsystems für Dieselmotoren, [7, 12, 16, 18]. Dabei wird der Motor in mehrere Teilprozesse unterteilt, für die je ein Fehlererkennungsmodul entwickelt wird. Anschließend werden die Ergebnisse dieser Fehlererkennungsmodule in einem Diagnosesystem zusammengeführt, [1, 19]. Die einzelnen Fehlererkennungsmodule beinhalten mehrere Fehlererkennungsfunktionen, mit denen Fehler in dem jeweiligen Teilprozess erkannt werden können. Gegenstand dieses Kapitels ist ein solches Fehlererkennungsmodul für ein Common-RailEinspritzsystem als Teil eines Fehlermanagement-Gesamtkonzepts.
19.1 Modellbasierte Fehlererkennung und Diagnose 19.1.1 Grundlagen Modellbasierte Fehlererkennungsverfahren nutzen die Abhängigkeiten verschiedener messbarer Signale eines Prozesses mit Hilfe mathematischer Modelle aus, um Informationen über den Prozesszustand zu gewinnen, Bild 19-2, [20]. Der Gesamtprozess setzt sich aus einer gewissen Anzahl Aktoren, dem eigentlichen physikalischen Prozess und aus verschiedenen Sensoren zusammen. Als messbare Signale stehen in der Regel die Eingangsgrößen u und Ausgangsgrößen y zur Verfügung. Mit Hilfe modellgestützter Fehlererkennungsverfahren werden aus diesen Signalen Merkmale berechnet. Diese Merkmale werden so ausgelegt, dass sie im Fehlerfall ihren Wert im Vergleich zum fehlerfreien Fall ändern.
19.1 Modellbasierte Fehlererkennung und Diagnose
427
Bild 19-1: Modularer Aufbau eines Fehlererkennungs- und Diagnosesystems für Dieselmotoren
Die modellgestützten Fehlererkennungsverfahren lassen sich unterteilen in prozessmodellbasierte und signalmodellbasierte Verfahren. Erstere zeichnen sich durch die Nutzung mehrerer Ein- und Ausgangssignale in Prozessmodellen aus. Zu diesen Fehlererkennungsverfahren zählen unter anderem die Fehlererkennung mittels Parameterschätzung, die Paritätsgleichungen und die Zustandsgrößenbeobachter. Zu den am häufigsten eingesetzten und einfachsten prozessmodellbasierten Verfahren zählen die Paritätsgleichungen. Bei diesen wird das Prozessverhalten durch ein festes Modell abgebildet, dessen Struktur und Parameter im Voraus bekannt sind [20]. Dieses Modell wird parallel zum modellierten Prozess berechnet, Bild 19-3.
428
19 Modellgestützte Fehlererkennung und Diagnose für Common-Rail-Einspritzsysteme
Bild 19-2: Modellbasierte Fehlererkennung und Diagnose
Bild 19-3 Paritätsgleichungen
Das zugehörige Merkmal ergibt sich aus der Differenz von gemessenem Prozessausgang und Modellausgang und wird als Residuum bezeichnet: r (t ) = y (t ) − yˆ(t )
(19.1)
Bildet das Modell den Prozess exakt nach, so bleibt das Residuum Null bis ein Fehler auftritt. Eine Abweichung von Null im Fehlerfall stellt folglich ein Merkmal der Auswirkung des Fehlers auf den Prozess dar. Als Resultat einer Abweichung dieses Residuums
19.2 Fehlererkennungsmodul „Common-Rail-Einspritzsystem“
429
von seinem normalen Wert erhält man ein analytisches Symptom. Ein analytisches Symptom stellt also die Auswirkung eines Fehlers auf das beobachtete Merkmal dar. Signalmodellbasierte Verfahren können immer dann eingesetzt werden, wenn Ausgangssignale harmonische oder regellose Schwingungen enthalten, die durch Fehler beeinflusst werden, [20]. Zum Einsatz kommen zum Beispiel die Korrelations- und Fourieranalyse. Ein weiteres wichtiges signalmodellbasiertes Fehlererkennungsverfahren ist die in [21] vorgestellte Gleichmäßigkeitsanalyse für periodische Signale.
19.2 Fehlererkennungsmodul „Common-Rail-Einspritzsystem“ Das untersuchte Common-Rail-Einspritzsystem ist in Bild 19-4 dargestellt. Es handelt sich um ein sogenanntes Speichereinspritzsystem, bei dem die Injektoren zeitunabhängig und mit variablem Kraftstoffdruck von einem Hochdruckspeicher (Common-Rail) mit Kraftstoff versorgt werden, [22]. Der Kraftstoff wird von einer elektrischen Vorförderpumpe aus dem Tank gefördert und auf ca. 0,5 MPa (5 bar) vorverdichtet. Nachdem der Kraftstoff gefiltert wurde strömt er zur Hochdruckpumpe, die durch den Zahnriemen angetrieben wird. Bei dieser speziellen Pumpe handelt es sich um eine Radialkolbenpumpe mit drei Kolben. Der Volumenstrom in diese Pumpe wird durch ein Mengenregelventil gesteuert. Dessen Ansteuerstrom wird durch das Motorsteuergerät gemessen. Der Kraftstoff wird in der Hochdruckpumpe auf das Common-Rail-Druckniveau (30–180 MPa
Bild 19-4: Struktur des Common-Rail-Einspritzsystems mit den wichtigsten Variablen
430
19 Modellgestützte Fehlererkennung und Diagnose für Common-Rail-Einspritzsysteme
bzw. 300–1800 bar) verdichtet und strömt dann in den Hochdruckspeicher. Von dort aus strömt der Kraftstoff zu den einzelnen Injektoren, die ihn in die Zylinder einspritzen. Der Druck im Hochdruckspeicher wird von einem Drucksensor erfasst und kann mittels eines Druckregelventils gesteuert werden. Dessen Ansteuerstrom wird ebenfalls von der ECU gemessen. Die im Weiteren benötigten Größen sind I MRV Ansteuerstrom des saugseitigen Mengenregelventils, I DRV Ansteuerstrom des Druckregelventils, nMot Motordrehzahl, ϕ Kurbelwellenwinkel, uInj Solleinspritzmenge, pCR Druck im Hochdruckspeicher (Common-Rail).
19.2.1 Druckaufbau im Hochdruckspeicher Im Folgenden werden die grundlegenden Zusammenhänge des Druckaufbaus im Common-Rail beschrieben. Die Massenbilanz unter der Annahme konzentrierter Parameter ergibt für das Common-Rail, [23] und Bild 19-5: m HDP − m DRV −
4
¦ m Inj, j = m CR
(19.2)
j =1
mit m HDP m DRV
Kraftstoffmassenstrom, der aus den drei Kolben der Hochdruckpumpe in den Hochdruckspeicher strömt Kraftstoffmassenstrom durch das Druckregelventil
4
¦ m Inj, j
Kraftstoffmassenstrom zu den vier Injektoren
m CR
Änderung der im Common-Rail gespeicherten Kraftstoffmasse
j =1
Bild 19-5 Massenströme vom und auf den Hochdruckspeicher
19.2 Fehlererkennungsmodul „Common-Rail-Einspritzsystem“
431
Die Änderung der im Common-Rail gespeicherten Kraftstoffmasse kann auch durch die Dichteänderung des Kraftstoffs ausgedrückt werden, da das Volumen des Hochdruckspeichers quasi konstant bleibt: m CR = VCR ⋅
mit VCR
dρCR dt
(19.3)
Volumen des Hochdruckspeichers
dρCR Änderung der Kraftstoffdichte dt Mit Hilfe des Elastizitätsmoduls kann folgender Ausdruck für die Druckänderung in Abhängigkeit der Dichteänderung des Kraftstoffs angegeben werden:
dp =
E
ρ
⋅ dρ
(19. 4)
mit dp Druckänderung E Elastizitätsmodul ρ Dichte dρ Dichteänderung Unter Verwendung der Gleichungen (19.2)–(19.4) und der zu den Masseströmen zugehörigen Volumenströme findet man folgenden Ausdruck für die Druckänderung im Common-Rail: dpCR E § = CR ·¨ VHDP − VDRV − dt VCR ¨ ©
mit dpCR dt
4
·
j =1
¹
¦ VInj, j ¸¸
(19.5)
Druckänderung
ECR
Druck- und temperaturabhängiges Elastizitätsmodul
VHDP
Volumenstrom von der Hochdruckpumpe
VDRV
Volumenstrom durch das Druckregelventil
4
¦ VInj, j
Volumenströme zu den Injektoren
j =1
Diese Volumenströme regen den Common-Rail-Druck periodisch an. Daraus resultiert eine spezielle Signalcharakteristik des Hochdrucksensors. In stationären Betriebspunkten wird diese Charakteristik im Wesentlichen durch die periodische Kraftstoffförderung und die periodischen Einspritzvorgänge bestimmt. Dies ist Gegenstand des Abschnitts 19.2.2. Im Folgenden werden die einzelnen Volumenstromanteile aus (19.5) genauer untersucht.
432
19 Modellgestützte Fehlererkennung und Diagnose für Common-Rail-Einspritzsysteme
19.2.1.1 Volumenstrom von der Hochdruckpumpe Bei der hier untersuchten Hochdruckpumpe handelt es sich um eine 3-ZylinderRadialkolbenpumpe, Bild 19-6 und [22]. Diese Pumpe besteht aus drei konzentrisch um die Antriebswelle angeordneten Pumpenelementen. Die Kolben der Pumpenelemente werden durch einen auf der Antriebswelle sitzenden Exzenter aufwärts und mit Hilfe der Rückstellkraft einer am Kolben befestigten Feder abwärts bewegt. Während der Abwärtsbewegung der Kolben gelangt Kraftstoff durch ein Einlassventil in das jeweilige Pumpenelement. Anschließend wird der Kraftstoff durch die Aufwärtsbewegung des Kolbens verdichtet und das Einlassventil schließt. Übersteigt der Druck im Pumpenzylinder den Common-Rail-Druck, öffnet das Auslassventil über das der Kraftstoff auf das CommonRail gepumpt wird. Die Antriebswelle wird über den Zahnriemen mit einem Übersetzungsverhältnis von 2:3 bezüglich der Kurbelwelle angetrieben. Das heißt, dass zu jeder Einspritzung beziehungsweise alle 180° KW eines der drei Pumpelemente Kraftstoff fördert. Der Zusammenhang zwischen dem Drehwinkel der Exzenterwelle und der Kurbelwelle ist folgendermaßen gegeben:
χ =
2 ⋅ϕ 3
(19.6)
mit χ: Winkel der Exzenterwelle in °KW Die drei Pumpenelemente fördern pro Umdrehung jeweils einmal ihr gesamtes Zylindervolumen. Wird die durch die diskontinuierliche Förderung der drei Pumpenelemente hervorgerufene Förderstrompulsation vernachlässigt, ergibt sich der Förderstrom der Hochdruckpumpe zu: 2 VHDP = 3·λHDP ·nExzenter ·VH,Zyl,HDP = 3·λHDP · ·nMot ·VH,Zyl,HDP 3
(19.7)
mit
λHDP
nExzenter VH,Zyl,HDP
volumetrischer Wirkungsgrad der Pumpe Exzenterdrehzahl Zylindervolumen eines Pumpenelements
Der volumetrische Wirkungsgrad beschreibt die Abweichungen des Förderstroms vom theoretischen Förderstrom. Diese Abweichungen entstehen zum Beispiel durch Leckagen und freie, gelöste Luft im Kraftstoff, [24]. Insbesondere die Leckverluste hängen auch vom Förderdruck und damit vom Common-Rail-Druck ab.
19.2 Fehlererkennungsmodul „Common-Rail-Einspritzsystem“
433
Bild 19-6: Schnitt der 3-Zylinder-Radialkolbenpumpe „CP1H“ von Bosch
Der Förderstrom der Hochdruckpumpe kann zusätzlich saugseitig durch ein Drosselventil (Mengenregelventil MRV) beeinflusst werden, Bild 19-7. Das Mengenregelventil ist vor den Einlassventilen der Hochdruckpumpe angebracht und steuert die, durch die Pumpe geförderte Kraftstoffmenge. Der Volumenstrom, der durch das Mengenregelventil strömt, kann durch die folgende Drosselgleichung beschrieben werden:
2ΔpMRV VMRV = α MRV AMRV
ρ
mit VMRV
α MRV AMRV ΔpMRV
ρ
Kraftstoffvolumenstrom durch das Mengenregelventil Durchflussbeiwert Öffnungsquerschnitt Druckdifferenz zwischen Ventileinlass- und auslass Kraftstoffdichte
(19.8)
434
19 Modellgestützte Fehlererkennung und Diagnose für Common-Rail-Einspritzsysteme
Bild 19-7 Schnitt des Mengenregelventils
pND: Vorförderdruck
Bild 19-8: Haupteinflussgrößen auf die Erzeugung des Volumenstroms von der Hochdruckpumpe
Durch die gezielte Änderung des Volumenstroms ändert sich der Druck vor den druckgesteuerten Einlassventilen der Hochdruckpumpe. Da die Einlassventile erst öffnen, nachdem der Druck im Zylinder den Druck in der Saugleitung unterschreitet, kann auf diese Weise der Nutzhub der drei Zylinder verstellt werden [25, 26]. Der Volumenstrom von der Hochdruckpumpe hängt also im Wesentlichen von der Motordrehzahl, dem Öffnungsquerschnitts des Mengenregelventils, dem Vorförderdruck und dem Common-Rail-Druck ab, Bild 19-8. 19.2.1.2 Volumenstrom durch das Druckregelventil Das Druckregelventil ist ein elektromagnetisch angetriebenes Kugelventil, Bild 19-9. Der Volumenstrom, der durch das Druckregelventil strömt, hängt im Wesentlichen vom Öffnungsquerschnitt des Ventils und dem Common-Rail-Druck ab, Bild 19-10. Er lässt sich ebenfalls durch eine Drosselgleichung beschreiben:
2ΔpDRV VDRV = α DRV ADRV
ρ
mit
α DRV ADRV ΔpDRV
Durchflussbeiwert Öffnungsquerschnitt Druckdifferenz zwischen Ventileinlass- und Auslass
(19.9)
19.2 Fehlererkennungsmodul „Common-Rail-Einspritzsystem“
435
Bild 19-9: Schnitt des Druckregelventils
Bild 19-10 Haupteinflussgrößen auf den Volumenstrom durch das Druckregelventil
19.2.1.3 Volumenströme zu den Injektoren Mittels der vier Injektoren wird Kraftstoff in die einzelnen Zylinder eingespritzt. Der Beginn der Einspritzung, deren Dauer und die Anzahl der Einspritzungen wird durch das Steuergerät vorgegeben. Der Injektor, insbesondere der Raum um die Injektornadel und der Raum oberhalb der Nadel (FCC), wird über das Common-Rail mit Kraftstoff versorgt. Die Funktion der betrachteten Magnetventil-Injektoren (Bild 19-11) kann in drei Betriebsbereiche unterteilt werden: Injektor geschlossen In diesem Zustand wird das Magnetventil nicht angesteuert. Die Kraftstoffdrücke im Raum FCC und an der Druckschulter sind gleich. Die vom Raum FCC auf die Nadel wirkende Druckkraft und die Federkraft überschreiten die auf die Druckschulter wirkende Druckkraft. Dadurch wird die Nadel auf die Düsenöffnungen gepresst. Injektor öffnet Um den Injektor zu öffnen wird das Magnetventil angesteuert. Dadurch strömt Kraftstoff aus dem Raum FCC und der Druck sinkt. Die vor der Kammer angebrachte Drossel ist so ausgelegt, dass dieser Druckabfall nicht über den Zulauf vom Common-Rail kompensiert wird. Nach kurzer Zeit übersteigt die auf die Druckschulter wirkende Druckkraft die entgegengesetzt wirkenden Kräfte so dass der Injektor öffnet und für die Dauer der Ansteuerung des Magnetventils geöffnet bleibt.
436
19 Modellgestützte Fehlererkennung und Diagnose für Common-Rail-Einspritzsysteme
Injektor schließt Sobald das Magnetventil nicht länger angesteuert wird und deshalb der Volumenstrom durch das Ventil gestoppt wird, baut sich der Druck im Raum FCC wieder auf. Sobald die daraus resultierende Druckkraft zuzüglich der Federkraft die entgegengesetzt wirkende Druckkraft überschreitet, schließt der Injektor. Der Volumenstrom zu einem der Injektoren setzt sich also aus der Einspritzmenge und der Rücklaufmenge zusammen, die wiederum von den Öffnungsdauern des Injektors und des Rücklaufventils abhängen. Als Maß hierfür kann die Solleinspritzmenge herangezogen werden, Bild 19-12. Für eine detaillierte Beschreibung der Vorgänge innerhalb des Injektors sei zum Beispiel auf [27] verwiesen.
Bild 19-11 Prinzip des magnetventilgesteuerten Injektors
Bild 19-12 Haupteinflussgrößen auf den Volumenstrom durch einen Injektor
19.2 Fehlererkennungsmodul „Common-Rail-Einspritzsystem“
437
19.2.2 Analyse des Common-Rail-Drucksensorsignals Die diskontinuierlichen Kraftstoffströme von der Hochdruckpumpe und zu den Injektoren ruft eine spezielle Kleinsignalcharakteristik des Common-Rail-Drucksensorsignals hervor. Diese Signalcharakteristik wird im Folgenden mit Hilfe der Fourierreihenentwicklung untersucht. Die Fourierreihe ist folgendermaßen definiert [23]:
y (t ) = mit y (t ) aν , bν ω0 = 2πf 0 f0
∞ ∞ a0 + aν cos(νω0t ) + bν sin(νω0t ) 2 ν =1 ν =1
¦
¦
(19.10)
Periodisches Signal Fourierkoeffizienten Charakteristische Kreisfrequenz Grundfrequenz
Die reellen Fourierkoeffizienten sind folgendermaßen definiert: aν (νω0 ) =
2 Tr
bν (νω0 ) =
2 Tr y (t ) sin(νω0t )dt Tr 0
Tr
³0
y (t ) cos(νω0 t )dt
³
(19.11)
(19.12)
mit Tr Periodendauer Die Periode, über die integriert wird, muss ein Vielfaches der Grundperiode sein: Tr = r·
1 , r = 1, 2,... f0
(19.13)
Aus den beiden Fourierkoeffizienten kann die Amplitude der Schwingung mit der zugehörigen Frequenz berechnet werden: Ay (νω0 ) = aν2 + bν2
mit Ay (νω0 ) Amplitude der Schwingung mit der Frequenz νω0
(19.14)
438
19 Modellgestützte Fehlererkennung und Diagnose für Common-Rail-Einspritzsysteme
Zur Berechnung der Amplitude aus Messdaten müssen Gl. (19.11) und (19.12) diskretisiert werden: aν (νω0 ) ≈
2 Lr
Lr −1
bν (νω0 ) ≈
2 Lr
Lr −1
Lr =
¦ y(kT0 ) cos(νω0 kT0 )
(19.15)
k =0
¦ y(kT0 ) sin(νω0 kT0 )
(19.16)
k =0
«N» Tr , rmax = « » T0 ¬ L1 ¼
(19.17)
mit T0 Abtastrate N Signallänge Für die Analyse der Charakteristik des Common-Rail-Druck-Signals ist es zweckmäßig, das Signal statt über der Zeit über den Kurbelwellenwinkel aufzutragen. Der Zusammenhang zwischen diesen Domänen ist folgendermaßen gegeben:
ϕ =t⋅ mit nMot
ϕ
360nMot 60
(19.18)
Motordrehzahl in U/min Kurbelwellenwinkel
Bild 19-13 zeigt das Amplitudenspektrum des Hochdrucksensorsignals einer Messung, während der der Motor in einem stationären Betriebspunkt ohne Einspritzung betrieben wurde. Das Mengenregelventil und das Druckregelventil wurden gesteuert betrieben. Der Mittelwert des Signals wurde im Amplitudenspektrum vernachlässigt. Zusätzlich sind die Werte der wichtigsten Variablen angegeben. Es ist deutlich zu sehen, dass die Messung hauptsächlich durch eine Schwingung bestimmt ist. Diese Schwingung besitzt die Periodendauer in Kurbelwellenwinkel Erste Pumpenperiode
τ Kolben = 180° KW
(19.19)
Diese Schwingung wird durch die Radialkolben-Hochdruckpumpe erzwungen. Diese Pumpe besitzt drei Pumpkolben, die radial um einen Exzenter angeordnet sind. Sie wird über den Zahnriemen angetrieben und ist intern mit einem Verhältnis von 2:3 bezüglich der Kurbelwelle übersetzt. Das heißt, dass zu jeder Einspritzung beziehungsweise alle 180° KW eines der drei Pumpelemente Kraftstoff fördert und dadurch den Druck im Hochdruckspeicher zu der in Bild 19-13 gezeigten Schwingung anregt.
19.2 Fehlererkennungsmodul „Common-Rail-Einspritzsystem“
439
Bild 19-13: Amplitudenspektrum und ein Ausschnitt aus dem zugehörigen Hochdrucksensorsignal im Schubbetrieb. Die durch die drei Pumpenelemente der Radialkolbenhochdruckpumpe erzwungene Schwingung bei 180° KW ist deutlich zu sehen.
Normalerweise fördern die drei Pumpelemente die gleiche Kraftstoffmenge in einem stationären Betriebspunkt. Unterscheiden sich die geförderten Kraftstoffmengen, so ändert sich die Periodendauer des periodischen Common-Rail-Drucksignals, Bild 19-14. Da jedes der Pumpelemente nach 540°KW einmal Kraftstoff gefördert hat ergibt sich die neue Periodendauer zu Zweite Pumpenperiode τ HDP = 540° KW
(19.20)
Wenn die Injektoren Kraftstoff in die Zylinder einspritzen, lassen sich weitere Periodendauern identifizieren, Bild 19-15. Da es sich beim untersuchten Dieselmotor um einen Vierzylindermotor handelt, spritzt alle 180° KW ein Injektor Kraftstoff ein. Ist der Kraftstoffmassenstrom zu allen Injektoren identisch, regt dies den Common-Rail-Druck zu einer Schwingung mit der folgenden Periodendauer in Kurbelwellenwinkel an: Erste Einspritzperiode
τ Inj = 180° KW
(19.21)
440
19 Modellgestützte Fehlererkennung und Diagnose für Common-Rail-Einspritzsysteme
Bild 19-14: Amplitudenspektrum und ein Ausschnitt aus dem zugehörigen Hochdrucksensorsignal im Schubbetrieb. Der Einfluss der ungleichmäßigen Kraftstoffförderung der drei Pumpenelemente bei 540° KW ist deutlich zu sehen.
Gemäß Gl. (19.2) ist die Änderung der Kraftstoffmasse im Hochdruckspeicher gleich der Summe der ein- und ausströmenden Massen. Dabei überlagern sich die durch die Hochdruckpumpe und die Injektoren erzeugten periodischen Schwingungen additiv. Aus dieser Überlagerung entsteht wieder ein periodisches Signal, dessen Periode gleich dem kleinsten gemeinsamen Vielfachen (kgV) der einzelnen Schwingungen ist, [21]. Sind die Fördermengen der einzelnen Pumpenelemente gleich, ist das resultierende CommonRail-Drucksignal also periodisch mit: Erste Summenperiode
τ Kolben,Inj = kgV(τ Kolben ,τ Inj ) = 180° KW
(19.22)
mit kgV(τ Kolben ,τ Inj ) : kleinste gemeinsame Vielfache der Periodendauern τ Kolben und
τ Inj
Unterscheiden sich die Fördermengen, so findet sich die Periodendauer Summenperiode Pumpe
τ HDP,Inj = 540° KW
(19.23)
19.2 Fehlererkennungsmodul „Common-Rail-Einspritzsystem“
441
Bild 19-15: Amplitudenspektrum und ein Ausschnitt aus dem zugehörigen Hochdrucksensorsignal während Kraftstoff eingespritzt wird. Der Einfluss des ungleichmäßigen Kraftstoffstroms zu den Injektoren bei 720° KW ist deutlich zu sehen.
Die Kraftstoff-Volumenströme zu den Injektoren können sich ebenfalls unterscheiden. Dann wird das Common-Rail-Drucksignal zu einer Schwingung mit der folgenden Periode angeregt, Bild 19-15: Zweite Einspritzperiode
τ Bank = 720° KW
(19.24)
Aus der Überlagerung mit der durch die Hochdruckpumpe angeregten Schwingung finden sich analog zu Gl. (19.22) und (19.23) die beiden Periodendauern Summenperiode Injektor
τ Kolben,Bank = 720° KW
(19.25)
Zweite Summenperiode
τ Sup = τ HDP,Bank = 2160° KW
(19.26)
Da die Amplituden der durch die Hochdruckpumpe und die Injektoren erzeugten Common-Rail-Druckschwingungen klein im Vergleich zum Mittelwert des Common-RailDrucks sind, kann vereinfachend angenommen werden, dass der Kraftstoffmassenstrom durch das Druckregelventil in einem stationären Betriebspunkt näherungsweise konstant ist:
442
19 Modellgestützte Fehlererkennung und Diagnose für Common-Rail-Einspritzsysteme
dmDRV ≈ konstant, da pCR Ap CR ,180 dϕ
(19.27)
mit pCR Mittlerer Common-Rail-Druck Ap CR ,180 Amplitude der Hauptschwingung des Common-Rail-Drucks Deshalb hat der Massenstrom durch das Druckregelventil keinen Einfluss auf die Oszillation des Hochdrucksensorsignals. In Bild 19-16 sind die wesentlichen Einflüsse nochmals illustriert. Die Nummern von 1-4 im oberen Teil der Abbildung kennzeichnen den jeweiligen Injektor der gerade Kraftstoff einspritzt. Ebenso bezeichnen die Ziffern von 1-3 im unteren Teil die Hochdruckpumpenelemente die zu den jeweiligen Zeitpunkten Kraftstoff auf das Common-Rail fördern. Um einerseits die durch die unterschiedlichen Kraftstoffmassenströme zu den Injektoren erregte Schwingung und andererseits die durch die ungleichmäßige Kraftstoffförderung angeregte Oszillation zu illustrieren, wurden unterschiedliche Amplituden der jeweiligen Anteile angenommen: Der Kraftstoffmassenstrom zu den Injektoren 1 und 4 ist kleiner als zu den Injektoren 2 und 3. Außerdem ist die Fördermenge von Pumpenelement 2 kleiner als die Mengen der beiden anderen Elemente. Dadurch entstehen die Schwingungen mit den Periodendauern 540° KW, 720° KW und 2160° KW.
Bild 19-16: Schema der durch die Hochdruckpumpe und die Injektoren erzeugten Common-RailDruckschwingungen
19.2.3 Modellbasierte Fehlererkennungsalgorithmen Innerhalb des Fehlererkennungsmoduls „Common-Rail-Einspritzsystem“ werden vier Merkmale durch geeignete Signalverarbeitung berechnet, Bild 19-17: Die Residuen „Mittlerer Common-Rail-Druck“ und „Kraftstoffförderung“ werden mit Hilfe geeigneter Paritätsgleichungen bestimmt. Bei den Residuen „Gleiche Pumpmengen“ und „Gleiche Einspritzmengen“ kommt die Gleichmäßigkeitsanalyse [21] zum Einsatz. Diese Fehlererkennungsalgorithmen sind Gegenstand des folgenden Abschnitts.
19.2 Fehlererkennungsmodul „Common-Rail-Einspritzsystem“
443
Bild 19-17: Schema des Fehlererkennungsmoduls „Common-Rail-Einspritzsystem“
19.2.3.1 Residuum „Mittlerer Common-Rail-Druck“ Bild 19-18 zeigt ein Blockdiagramm des Hochdruckaufbaus im Common-Rail, Gl. (19.5) und Bilder 19-8, 19-10, 19-12. Gegenstand der folgenden Betrachtung ist das Großsignalverhalten des Common-Rail-Drucksignals. Die in Abschnitt 19.2.2 beschriebenen Schwingungen werden dazu mit einem geeigneten Tiefpassfilter aus dem Drucksignal entfernt. Zudem wird angenommen, dass sich das System in einem stationären Betriebspunkt befindet. In diesem Betriebspunkt ist die zeitliche Ableitung des Drucks Null. Basierend auf den physikalischen Vorüberlegungen kann nun ein datenbasiertes Modell für den Common-Rail-Druck gefunden werden. Einige der in Bild 19-18 aufgeführten Eingangsgrößen werden messtechnisch nicht erfasst. Aus diesem Grund wird die in Bild 19-19 gezeigte Modellstruktur verwendet. Dabei wird angenommen, dass der Vorförderdruck konstant ist und deshalb nicht als Eingangsgröße verwendet werden muss. Weiterhin wird angenommen, dass die Öffnungsquerschnitte der Ventile ungefähr proportional zum gemessenen Anregungsstrom der elektromagnetischen Stellantriebe ist. Daher werden die Stromsignale als Eingangssignale für das Modell verwendet.
444
19 Modellgestützte Fehlererkennung und Diagnose für Common-Rail-Einspritzsysteme
Bild 19-18: Druckaufbau im Common-Rail
Der gemessene Common-Rail-Druck hängt wie beschrieben auch vom jeweiligen Elastizitätsmodul ab. Der Elastizitätsmodul ändert sich in Abhängigkeit des jeweiligen Drucks und der Kraftstofftemperatur, siehe z.B. [28, 27]. Für die Eigenschaften des Dieselkraftstoffs finden sich in der Literatur geeignete Modelle, z.B. [29, 30]. Da insbesondere die Kraftstofftemperatur am Prüfstand nicht angeregt werden kann, wird ein solches Modell verwendet um den Einfluss der Temperatur und des Drucks auf den Elastizitätsmodul abzuschätzen. Zu diesem Zweck wird der gemessene Common-Rail-Druck mit Hilfe des Modells für den Elastizitätsmodul auf den Elastizitätsmodul bei einem bestimmten Druck (z.B. 400 bar) und einer bestimmten Temperatur (z.B. 40 °C) bezogen. Als Ersatzwert für die nicht gemessene Temperatur des Kraftstoffs auf dem Common-Rail wird die gemessene Temperatur des Kraftstoffs im Kraftstofffilter herangezogen. Die datenbasierte Modellbildung und Identi¿kation des Common-Rail-Drucks erfolgt hier vorzugsweise mit dem neuronalen Netz vom Typ LOLIMOT, [31, 32]. Mit Hilfe dieses Modells kann folgende Paritätsgleichung aufgestellt werden: rInj,1 = pCR, korr − f pCR, korr ( I MRV , nMot , I DRV , uInj )
(19.28)
mit pCR, korr Großsignal des Common-Rail-Drucksignals bezogen auf den Zustand bei 400 bar und 60 °C TKF Kraftstofftemperatur im Kraftstofffilter
Bild 19-19: Modellstruktur für das Modell des mittleren Common-Rail-Drucks
19.2 Fehlererkennungsmodul „Common-Rail-Einspritzsystem“
445
19.2.3.2 Gleichmäßigkeitsresiduen Die Residuen „Gleiche Pumpmengen“ und „Gleiche Einspritzmengen“ werden mit Hilfe der Gleichmäßigkeitsanalyse [21] berechnet. Mit Hilfe dieser Analyse kann das Common-Rail-Drucksignal auf Periodizität mit bestimmten Periodendauern überprüft werden. In Abschnitt 19.2.2 wurden vier charakteristische Periodendauern der Common-RailDruckschwingungen identifiziert: Erste Summenperiode
τ Kolben ∨ Inj = 180° KW
Summenperiode Pumpe
τ HDP ∨ Inj = 540° KW
Summenperiode Injektor
τ Kolben ∨ Bank = 720° KW
Zweite Summenperiode
τ Sup = τ HDP ∨ Bank = 2160° KW
Damit lassen sich prinzipiell vier Gleichmäßigkeitsresiduen erzeugen. Das Gleichmäßigkeitsresiduum für die Erste Summenperiode (180° KW) ist nur im fehlerfreien Zustand Null. Das Residuum für die Periode 540° KW ist im fehlerfreien Fall und für ungleichmäßige Pumpmengen ebenfalls Null. Dahingegen reagiert es auf ungleichmäßige Einspritzmengen. Das Residuum für die Periode 720° KW reagiert nur auf ungleiche Pumpmengen. Die Überwachung der zweiten Summenperiode reagiert auf keinen der betrachteten Fehler. Zur Unterscheidung der ungleichen Pumpmengen und der ungleichen Einspritzmengen genügt also die Überwachung zweier der ersten drei Perioden. Dabei ist es zweckmäßig die Perioden 540° KW und 720° KW zu überwachen, da die entsprechenden Residuen nur auf die jeweiligen Fehler reagieren. Damit lassen sich die beiden Residuen „Gleiche Pumpmengen“ und „Gleiche Einspritzmengen“ angeben als: rInj, 2 =
ϕ 1 540° KW ³ϕ − 540° KW
( pCR (ϕ ) − pCR (ϕ + 540° KW) )2 dt
(19.29)
rInj, 3 =
ϕ 1 ³ 720° KW ϕ − 720° KW
( pCR (ϕ ) − pCR (ϕ + 720° KW) )2 dt
(19.30)
19.2.3.3 Residuum „Kraftstoffförderung“ Für das Residuum „Kraftstoffförderung“ wird die Amplitude der periodischen Schwingung mit der Periode 180° KW im Schubbetrieb ausgewertet. Die Amplitude dieser Schwingung stellt, solange kein Kraftstoff in die Zylinder eingespritzt wird, ein Maß für den durch die Hochdruckpumpe geförderten Kraftstoffstrom dar; der Kraftstoffstrom durch das Druckregelventil wird näherungsweise konstant angenommen, Gl. (19.27). Die mittlere Amplitude dieser Schwingung über die Summenperiode Pumpe (540° KW), als Maß für den durch die Pumpe strömenden Kraftstoffvolumenstrom, hängt im Wesentlichen vom Vorförderdruck, dem Öffnungsquerschnitt des Mengenregelventils, der Drehzahl und dem Common-Rail-Druck ab, Bild 19-8. Die Amplitude kann mit den Annahmen, die beim Residuum „Mittlerer Common-Rail-Druck“ getroffen wurden, aus Messdaten identifiziert werden. Die entsprechende Modellstruktur zeigt Bild 19-20.
446
19 Modellgestützte Fehlererkennung und Diagnose für Common-Rail-Einspritzsysteme
Bild 19-20: Modellstruktur für das Modell der Amplitude der 180° KW-synchronen CommonRail-Druckschwingung
Die mittlere Amplitude über 540° KW kann folgendermaßen berechnet werden: A180 pCR ,540
2 §§ ϕ · ¨¨ 2 ¸ pCR (ϕ ) cos (ωτ Kolben ⋅ ϕ ) dϕ + =¨ ¨ ¸ ¨ © 540° KW ϕ − 540° KW ¹ ©
³
ϕ § · 2 ¨ pcr (ϕ ) sin (ωτ Kolben ⋅ ϕ ) dϕ ¸ ¨ 540° KW ¸ ϕ − 540° KW © ¹
³
1 2 ·2
(19.31)
¸ ¸ ¸ ¹
mit
ωτ Kolben = A180 pCR ,540
2⋅π 180° KW
Amplitude der Schwingung mit der Winkelfrequenz ωτ Kolben berechnet über
die Periode τ HDP Die Identifikation des Modells für die Schwingungsamplituden erfolgte mit Hilfe lokalpolynomialer Modelle auf Basis des LOLIMOT-Teilungsalgorithmus, [33]. Damit kann folgende Paritätsgleichung berechnet werden: rInj,1 = A180 p
CR ,540
− f A180
pCR ,540
( I MRV , nMot , I DRV )
(19.32)
19.2.4 Versuchsergebnisse Im Folgenden werden einige Versuchsergebnisse vorgestellt. Die Versuche wurden am Motorenprüfstand an einem 4-Zylinder Dieselmotor von Opel durchgeführt. Drei Fehler wurden in das System eingebracht: – Um eine verringerte Fördermenge eines Pumpelements zu simulieren, wurde die Rückholfeder des entsprechenden Kolbens manipuliert. – Um einen verstopften Kraftstofffilter zu simulieren, wurde der Kraftstoffzufluss vor dem Mengenregelventil gedrosselt. – Unterschiedliche Kraftstoffströme zu den Injektoren wurden durch eine Änderung der Solleinspritzmenge eines Injektors simuliert.
19.2 Fehlererkennungsmodul „Common-Rail-Einspritzsystem“
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Die Ergebnisse der Fehlererkennung an exemplarischen Betriebspunkten zeigt Bild 19-21. Nachdem ein Fehler eingefügt und die Messung durchgeführt wurde, wurde der Versuchsmotor gestoppt. Anschließend wurde der Fehler behoben und der nächste Fehler eingefügt. Daraufhin wurde der Versuchsmotor gestartet und die nächste Messung durchgeführt. Zusätzlich wurden Messungen des fehlerfreien Common-Rail-Systems an verschiedenen Betriebspunkten in die Abbildung eingefügt. Die grau hinterlegten Flächen markieren die Werte der Residuen, die als fehlerfrei angenommen werden. Ihre Grenzen wurden experimentell am Prüfstand unter der Voraussetzung, dass einerseits möglichst kleine Fehler erkannt werden können und andererseits Störungen keine Fehlalarme auslösen, festgelegt.
Bild 19-21: Ausschlag der Residuen für verschiedene Fehler an exemplarischen Betriebspunkten
Wie Bild 19-21 zu entnehmen ist, können alle eingebrachten Fehler erkannt werden. Wenn die Fördermenge eines Pumpenelements reduziert wird, reagieren die Residuen „Gleiche Pumpmengen“ und „Kraftstoffförderung“. Der verstopfte Kraftstofffilter kann mit Hilfe der Residuen „Mittlerer Common-Rail-Druck“ und „Kraftstoffförderung“ er-
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19 Modellgestützte Fehlererkennung und Diagnose für Common-Rail-Einspritzsysteme
kannt werden. Auf die reduzierte Einspritzmenge reagiert das Residuum „Gleiche Einspritzmengen“. Da die für die Paritätsgleichungen verwendeten Modelle auf Basis einiger Annahmen (Verwendung der Anregungsströme statt der Öffnungsquerschnitte der Ventile, konstanter Vorförderdruck, Kraftstofftemperatur am Kraftstofffilter gleich der Kraftstofftemperatur im Common-Rail) aus Messdaten identifiziert wurde, sind die Schwankungen der Residuen 1 „Mittlerer Common-Rail-Druck“ und 4 „Kraftstoffförderung“ größer als die Schwankungen der Gleichmäßigkeitsresiduen. Die hier vorgestellten Fehlererkennungsverfahren wurden in den folgenden Betriebspunkten getestet:
Tabelle 19-1: Betriebsbedingungen, für die die Fehlererkennungsalgorithmen getestet wurden
Die Fehler-Symptom-Tabelle 19-2 soll einen Eindruck vermitteln, welche und wie viele Fehler mit Hilfe der vorgestellten Fehlererkennungsverfahren erkannt und diagnostiziert werden können. Die Symptome wurden aus den vorgestellten Residuen folgendermaßen bestimmt:
sInj,i
+ 1, if rInj,i > rInj,i °° − = ®−1, if rInj,i < rInj,i °0 sonst °¯
mit + , r− rInj,i Inj,i
(19.33)
Grenzwerte, die den Wertebereich der Residuen bestimmen, für die der Pro-
zess als fehlerfrei angenommen wird Tabelle 19-2 kann entnommen werden, dass durch die Kombination der Fehlererkennungsergebnisse in einem Fehlerdiagnosesystem, die meisten Fehler voneinander unterschieden werden können. Zudem können alle hier betrachteten Fehler voneinander unterschieden werden, wenn mehrere Betriebspunkte berücksichtigt werden. Die Anwendung verschiedener weitergehender Fehlerdiagnoseverfahren wird zum Beispiel in [19] beschrieben. Die betriebspunktabhängige Berücksichtigung mancher Symptome wird ausführlich in [34] dargestellt.
19.2 Fehlererkennungsmodul „Common-Rail-Einspritzsystem“
449
Tabelle 19-2: Fehler-Symptom-Tabelle für das Fehlererkennungsmodul „Common-Rail-Einspritzsystem“
19.2.5 Anwendbarkeit des Fehlererkennungsmoduls bei unterschiedlicher Systemkonfiguration Neben dem hier betrachteten Common-Rail-Einspritzsystem CP1H von Bosch mit magnetventilgesteuerten Injektoren gibt es eine ganze Reihe weiterer Systemvarianten sowohl von Bosch als auch von anderen Zulieferern, [35–37]. Die verschiedenen Systeme unterscheiden sich vor allem in – der Art der Druckerzeugung (unterschiedliche Hochdruckpumpentypen), – des Common-Rail-Druckregelkonzepts (ausschließlich saugseitige Mengenregelung, ausschließlich Druckregelung, kombiniert), – der Art der Injektoren (magnetventilgesteuert, piezoresistiv) und der Anzahl der Zylinder.
450
19 Modellgestützte Fehlererkennung und Diagnose für Common-Rail-Einspritzsysteme
Die vorgestellten Fehlererkennungsverfahren lassen sich für den Großteil der verschiedenen Systemkonfiguration adaptieren. Insbesondere die paritätsraumbasierten Residuen „Mittlerer Common-Rail-Druck“ und „Kraftstoffförderung“ lassen sich ohne Weiteres auf die verschiedenen Systeme übertragen. Gegebenenfalls sind die Eingangsgrößen für die Modelle der jeweiligen Variante anzupassen. So fällt bei den beiden EinstellerRegelkonzepten jeweils einer der Eingänge für den Öffnungsquerschnitt des jeweiligen Ventils weg. Da bei den betrachteten Konzepten ausschließlich Verdrängerpumpen mit maximal drei Zylindern zum Einsatz kommen, kann auch die Amplitude der CommonRail-Druck-Schwingung weiterhin beobachtet werden. Die Anwendbarkeit der Gleichmäßigkeitsresiduen auf die verschiedenen Pumpen- und Zylinder-Kombinationen muss ebenfalls für den Einzelfall untersucht werden. Tabelle 19-3 zeigt dies exemplarisch für zwei Pumpentypen und drei bis acht Zylindern. Der erste Pumpentyp „CP4“ von Bosch wird ausführlich in [35] beschrieben. Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine Radialkolbenpumpe. Anders als bei der im Abschnitt 19.2.1.1 vorgestellten Hochdruckpumpe „CP1H“ (Bild 19-6) wird die Pumpe über den Zahnriemen und eine Nockenwelle mit Doppelnocken angetrieben. Die Pumpe wird als Ein- und Zweizylinderpumpe ausgeführt. Laut [35] kann eine einspritzsynchrone Förderung der Pumpe durch die Wahl eines geeigneten Übersetzungsverhältnisses bei drei bis acht Zylindern erreicht werden. Daher wurde bei der Untersuchung angenommen, dass die Pumpe der Zylinderzahl entsprechend übersetzt ist. Zudem wurde angenommen, dass die Nockenwelle der Pumpe symmetrisch ist und keine Exzentrität aufweist. Dadurch wird beispielsweise eine ungleichmäßige Abnutzung der Nocken ausgeschlossen. Theoretisch würde eine ungleichförmige Bewegung der Nockenwelle zu einer weiteren Periode führen, die auch mit Hilfe der Gleichmäßigkeitsanalyse überwacht werden könnte. Bei dem zweiten Pumpentyp handelt es sich um die bereits beschriebene „CP1H“ von Bosch. In der Tabelle ist ebenfalls der Pumpentyp „CP3“ aufgeführt, dessen für diese Untersuchung wesentlichen Merkmale (Drei-Kolben-Pumpe über einen Exzenter angetrieben) gleich der der CP1H sind. Beide Pumpentypen sind ausführlich in [38] beschrieben. Bei Systemen, bei denen die Hochdruckpumpe nur einen Pumpenkolben besitzt, lassen sich mit Hilfe der Gleichmäßigkeitsanalyse selbstverständlich keine Unterschiede zwischen den Pumpmengen verschiedener Pumpenelemente feststellen. Die Überwachung auf unterschiedliche Einspritzmengen ist aber ohne weiteres möglich. Bei Systemen, bei denen die Summenperiode Pumpe und die Summenperiode Injektor zwar ungleich der Ersten Summenperiode aber ganzzahlige Vielfache voneinander sind, ist eine Unterscheidung der beiden Fehler durch die Überwachung der beiden kleinsten Periodendauern möglich. Dabei reagiert das Gleichmäßigkeitsresiduum der Ersten Summenperiode auf beide Fehler und das zweite Residuum nur auf einen der Beiden (für die untersuchten Fälle ist dies immer der Einspritzmengenfehler). Desweiteren kann in den Fällen, in denen die Summenperiode Pumpe und die Summenperiode Injektor keine ganzzahligen Vielfache voneinander sind, die Überwachung analog Abschnitt 19.2.3.2 über diese beiden Perioden durchgeführt werden. Für die Tabelle 19-3 lässt sich insgesamt feststellen, dass eine Unterscheidung der beiden Fehlertypen dann möglich ist, wenn 1. die Hochdruckpumpe mehr als ein Pumpelement besitzt, 2. mindestens drei verschiedene Periodendauern auftreten können.
Tabelle 19-3: Übertragbarkeit der Gleichmäßigkeitsresiduen auf andere Systemkonfigurationen
19.2 Fehlererkennungsmodul „Common-Rail-Einspritzsystem“ 451
452
19 Modellgestützte Fehlererkennung und Diagnose für Common-Rail-Einspritzsysteme
19.3 Zusammenfassung und Ausblick Zunächst wurde ein modulares Fehlererkennungs- und Diagnosekonzept für Dieselmotoren vorgestellt. Anschließend wurde das Konzept der modellbasierten Fehlererkennung kurz erläutert. Nach der Vorstellung des untersuchten Common-Rail-Einspritzsystems, insbesondere der Analyse der Signalcharakteristik, wurden vier Fehlererkennungsalgorithmen für das Common-Rail-Einspritzsystem vorgestellt. Mit Hilfe dieser Algorithmen ist es möglich verschiedene Fehler im System zu erkennen. Zuletzt wurde auf die Anwendbarkeit der vorgestellten Verfahren auf andere Systemkonfigurationen eingegangen und festgestellt, dass die Verfahren auf eine große Zahl unterschiedlicher Konfigurationen übertragen werden können. Eine mögliche Erweiterung der Fehlererkennungsverfahren ist die Berücksichtigung dynamischer Betriebszustände bei dem Residuum „Mittlerer Common-Rail-Druck“. Dadurch wäre der Betriebsbereich in dem das Residuum ausgewertet werden kann größer. Zudem sollte das Residuum „Kraftstoffförderung“ betriebspunktabhängig ausgewertet werden, um den in Tabelle 19-2 gezeigten Vorzeichenwechsel bei einigen Fehlern aufzulösen. Letztlich sollten die einzelnen Symptome gemeinsam in einer automatischen Fehlerdiagnose verarbeitet werden, um auf die zugrunde liegenden Fehler zu schließen, Bild 19-1 und [1, 19].
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Sachwortverzeichnis Sachwortverzeichnis A Abgasgegendruck 222 Abgas-Gesetzgebung 7 Abgasnachbehandlung 6 Abgaspfad 105, 115 Abgasrückführung(AGR) 4, 233 –, Hochdruck- 5 –, Niederdruck- 5 Abgassystem 409 Abgasturbolader mit variabler Turbinengeometrie (VTG) 223 ff., 233 – mit Wastegate 217 ff. Ablaufsystem 400 Abtriebsmoment 293 Adaption 295 Adaptionsfunktion 300 Adaptionsgesetz 300 ADU (Analog-Digital-Umsetzung) 18 AFS (amplitude modulated fast steps) 207 AGRB (Amplitude-modulated-GeneralizedRandom-Binary)-Signal 276 AGR-Rate 269 –, Anpassung 75 Aktivierungsfunktion 272 Aktor 7, 8, 14 f., 17 – mit elektrischer, pneumatischer oder hydraulischer Stell-Hilfsenergie 15 –, mechatronischer 16 Algorithmen, evolutionäre 157 ANOVA (analysis of variance) 146 Ansatz, modellbasierter 216 Ansaugsystem 409 Anti-Windup 279 Antrieb 15 –, alternativer 363 –, elektrischer 15 –, leistungsverzweigter 351 ff. –, paralleler 347 ff. Anwender-Software (ASW) 46, 50 Application Software 50 Applikationsergebnis 201 Applikationsingenieur 201 Applikationsmethoden-Entwicklung 56
Architecture Components (AC) 50 Architektur 353 –, Komponenten 50 ASIC (application specific integrated circuit) 18 Asynchronmotoren, permanent erregter 31 Aufladung 6 –, 2-stufige 73 Ausgangsfehlerschätzung (OE-Schätzung) 275 Ausreißer 151 Austausch, einfacher 136 AUTOSAR (AUTomotive Open Systems ARchitecture) 61 B Base Components (BC) 50 Basisanpassung 53 Basisfunktionenansatz 282 Basis-Software (BSW) 46 Batterie 30, 326, 341 Batteriebeladung 312 Batterieladezustand 324 Batterieladung 308, 316 Batterieleistungsgrenze 356 Batteriemanagement 30 Benzin-Direkteinspritzung 41 Benzinmotoren 11 Beobachter 301 Berechnung, zykluswissende 346 Bestimmtheitsmaß 148 Betriebspunkt 443 Betriebspunktverteilung 338 Betriebsstrategie 308 ff., 361 – für Hybridfahrzeuge 332 Bewertung, energetische 308 ff. Bipolarplatte 365 Black-Box-Modell 57, 271 Boosten 349 Boot-Block 47 Bordnetz 30 Bosch Diagnostic Solution 400 Breitbandsonde 399 Bremsen, regeneratives 28, 30, 366 Bremsmoment 345
456 Brennbeginn 75 Brennraumdruckregelung 4, 259 Brennraumdrucksensor 73 Brennstoffzelle 363 Brennstoffzellenantrieb 364 Brennverfahren 4 –, vorhomogenisiertes 70 Brennverlauf 91 Brennverlaufsanalyse 89 Bypass-Prototyping 382 C CAN-Modul 43 central composite design (CCD) 133 CFD-Codes 92 f. CLA (continuous limit approach) 206 Closed Loop Simulation 229 CO2-Emission 1 CO2-Reduktionspotential 5 Common Rail System 63 Common-Rail-Dieseleinspritzung 2, 4, 42 Common-Rail-Druckniveau 429 Common-Rail-Drucksensorsignal 437 Common-Rail-Einspritzsystem 426 Concept Tools 211 Control-Prototyping-System 22 Crossover 159 CVT (continuously variable transmission) 344, 361 D Dämpfung 297 Datenbank 204 Datenplausibilisierung 203, 205 Datenqualität 204 Datenstand 201 DC/DC-Wandler 30 DC-AC-Umrichter (inverter) 31 Design of Experiment (DoE) 22, 57, 167, 207 Detmax-Verfahren 137 Diagnose 25, 54, 415, 426 Diagnoseablauf 404 Diagnoseentwicklung 388 Diagnoseentwicklungsmethodik 388 Diagnosefähigkeitsaussage 389 f., 402 Diagnosefunktion 25 –, steuergerätebasierte 397, 403 –, testerbasierte 403 f.
Sachwortverzeichnis Diagnosekonzept 396 Diagnoselücke 389 Diagnosemethode 388 Diagnosemöglichkeit 94 Diagnose-Möglichkeiten-Analyse (DMA) 394 Diagnoseprüfung, konfigurierbare 398 Diagnosesequenz 404 Diagnosesystem 426 Dieselmotor 12, 426 Dieselmotor-Steuerung, brennraumdruckbasierte 74 Dieselverbrennung, (teil-)homogene 260 Differenzdrehzahl 300 Differenzengleichung, lokal-affine parameterveränderliche 273 Differenzierung durch Software 50 Diffusionsmedium 365 Diffusionsverbrennung 96 Direkteinspritzung 2, 4 Discrete Droplet Model 94 DMA-Tool 401 D-optimal 134 Downsizing 4 DPF 69 Drehmoment, indiziertes 75 Drehmomentanforderung 44 Drehmomentregelung 75 Drehungleichförmigkeit 297 Druckbeobachter 301 Druckregelventil 430 Druckschwingung 445 Drucksensor 430 Druckzahl 373 dynamisch 22 E Echtzeitfähigkeit 104 Echtzeitplattform 383 Echtzeitrechnersystem 121 Echtzeitsimulationssystem 120 Echtzeitsystem 206 Echtzeitumgebung 59 ECU Regelstruktur 211 ECU/TCU (Engine/Transmission Control Unit) 200 ECU-Shutdown 47 ECVT (electric continuously variable transmission) 344 Eddy-Breakup-Modell 96
Sachwortverzeichnis Eigenschaften, nichtfunktionale 49 Ein /Ausgangsmodell, lokal-affines 273 Einsparung, spezifische 311 Einspritzmenge 436 Einspritzmuster 79 Einspritzsystem 426 Einspritzventil 15 Einspritzvorgang, periodischer 431 Einzonenmodell 116 Elastizitätsmodul 431, 444 Elektrisch Unterstütztes Fahren 311, 315, 322 f. Elektrisches Bremsen 311, 316, 318, 321 Elektrisches Fahren 308, 311, 314 ff., 318, 321, 323, 358 Elektroantrieb 363 elektro-chemisch 370 Emission, kumulierte 284 Emissionsgrenzwert 2 Energiemanagement-Funktion 343 Energierückgewinnung 366 Energiespeicher, elektrischer 30 Energieträger 1 –, Reichweite verschiedener 1 Engine Functions 50 Entwicklersymptom 401 Entwicklungsumgebung 208 Erhaltungsgleichung 93 Ersatzbrennverlauf 116, 119 EVT (electrically assisted variable transmission) 344, 361 EVT-Mode 1 355 F Fahrwiderstandslinien 358 Fahrzeugantrieb, hybrider 27 Fahrzeugleitrechner 63 Fahrzyklus 155 Fahrzyklus (NEFZ), neuer europäischer 254, 350, 359 Fehler 401, 426 Fehlerdiagnose 370, 408 Fehlererkennung 408, 426 –, Methoden 25 –, modellgestützte 26 –, modulare 26 Fehlererkennungsalgorithmus 442 Fehlererkennungsfunktion 426 Fehlererkennungsmodul 426,442
457 Fehlererkennungsverfahren, modellgestütztes 427 Fehlerspeicher 43 Fehlersuchbaumerstellung 395 Fehlersuche, geführte 395, 399 –, regelbasierte 399 Fehlersuchstrategie 399 Fehler-Symptom-Muster 415 Festwert 53 Fitnessfunktion 160 Flammengeschwindigkeit 98 Flash-Speicher 43 Fluch der Dimension 132 Fourieranalyse 429 Fourierkoeffizient 437 Fourierreihenentwicklung 437 Freigabe 54 Freiheitsgrade des Motors 52 Frontloading 370 F-Test 146 f. Führungsentkopplung 249 Füll- und Entleermethode 105 Functional Components (FC) 51 Funktionsentwicklungsprozess 103 Funktionspakete 50 Funktions-Quellcode 52 Funktionsverteilung 398 Fuzzy-Logik 415 G Gangwechsel 291 Gasmassenstrom 270 Gebläse 15 Generatorwirkungsgrade 322 Gesamtverbrauch 316 Getriebe-Eingangskupplung 302 Gleichmäßigkeitsanalyse 429 Gleichmäßigkeitsresiduum 445 Gleichungsfehleranordnung 273 Grenzwert, betriebspunktabhängiger 411 Gütemaße 148 f. H Hardware-in-the-Loop (HIL) 383 Hardware-in-the-Loop Prüfstand 207 Hardware-in-the-Loop Simulation 20, 22, 103 HCCI (Homogeneous-Charge-CompressionIgnition) 260 HCLI (Homogeneous Charge Late Injection) 260 Heizverlauf 261
458 HIL-Simulator 59, 120 Hinging Hyperplane Netzwerk 190 Hochdruckpumpe 429 Hochdrucksensor 431 Hochdruckspeicher (Common-Rail) 429 Hochlauftest 398 Hochspannungsbatterie 364 Hubumschaltung 3 Hybridantrieb 303, 328, 341 –, Dual-mode- 29, 352 –, leistungsverzweigender 27, 341, 351 –, paralleler 27, 329, 347 –, serieller 27, 329 Hybrid-Antriebsstrang 308 ff. Hybridbetrieb, Verbrauch 317 f. –, Verbrauchsreduktion 318 Hybridbetriebsstrategie 353 Hybridfahrzeug 341 Hybridgetriebe 342 Hybridgetriebevarianten 342 Hybridisierung 27 Hybridisierungsgrad 29 Hybridkonzepte 328 Hybridmodi 310 ff. – im Fahrzyklus 314 – im Motorkennfeld 313 –, Schaltung 321 –, spezifische Kosten und Ersparnisse 310 ff. Hybridstrategie, nichtprädiktive 319 f., 325 –, prädiktive 316, 320,, 325 Hybridsystem, Parametrierung 326 f. –, Vergleich 329 –, Vorauslegung 325 Hybridtechnologie 363 I IC (integrated circuit) 18 Identifikation 234, 275 Identifikationsmethoden 21 IMC-Regelung (Internal Model Control) 234, 251 Initialisierung 47 Injektor 429 f. –, Mengenabgleich 75 Instationärabstimmung 54 Integration, bauseitige und funktionsseitige 15 Integrationsstufe 15 Intersection Plot 153
Sachwortverzeichnis K Kalibration, modellbasierte 208 Kalibrierung 12, 201 Kaskaden-Regelung 14 Katalysatorheizungsregelung 13 Katalysatorwarmlaufstrategie 344 Kelvin-Helmholtz Modell 94 Kennfeldapproximation 354 Kennfelder 12, 53 Kennfeld-PI(D)-Regler 250 Kennlinie 53 Kleinsignalcharakteristik 437 Klopfen 344 Klopfgrenzregelung 12 f. Kompensationsentwurf 251 Komponentenparametrierung 54 Kompressionstest 397 Kompressionszündung (HCCI) 74, 263 f., 259 –, homogene 6 Kompressoraufladung 227 Kondensator (SuperCap) 30 Konfidenzintervall 149 Koordinationsstrategie 48 Kraftstoff, alternativer 363 Kraftstoffdruck 429 Kraftstoffförderung, periodische 431 Kraftstoffmassenstrom 430 Kraftstoffsystem 416 Kraftstofftemperatur 444 Kreuzvalidierung 150 Kurzzeit-Energiespeicher 341 L Ladedruckregelung 223 Ladeluft 203 Ladungswechselverlust 3 Lambda-Regelung, Ȝ-Regelung 12 Lambdasonde 399 Lambdasondenprüfgerät 399 Lastpunktabsenkung 29 Lastpunktanhebung 29, 308 ff., 311 ff., 318, 321, 323 Lastpunktverschiebung 349, 360 Lastschaltung 290 –, geregelte 294 Laststeuerung 44 Lastübernahme 291 leave-one-out-Verfahren 151 Leerlaufdrehzahlregelung 13
Sachwortverzeichnis Leistungsbilanz, dynamische 221 –, statische 221 Leistungsfluss 354 Leistungsmanagement 353 Leistungsmanagement-Funktion 343 Leistungsverluste 355 Leistungsverteilung 343 Leistungszahl 373 Lieferzahl 373 Li-Ionen-Batterie 30 LOLIMOT (LOcal LInear MOdel Tree) 189, 235, 272 f. LOLIMOT-Konstruktionsalgorithmus 275 LOLIMOT-Netz 410 Lösung der Zielfunktion 357 Low Price Vehicle (LPV) 60 LS-Schätzung 273 LTC ( Low Temperature Combustion) 70 Luftpfad 105, 115 Luftpfadregelung 234 M Magerkonzept 4 Magnetventil 15 Maßnahme, innermotorische 259 Mechatronik 13 –, Entwurf 24 –, Komponenten 13, 15 Mehrgrößenregelung 271 Mehrgrößenregler 279 Membrane-Electrode-Assembly (MEA) 366 MEMS (Micro Electronic Mechanical Systems) 18 Mengenregelventil 429 Merkmal 429 Messgenauigkeit 202 Messgerät 203 Messqualität 202 Messverfahren 205 Messzeit 202 Methode der kleinsten Quadrate 355 Methode, modellgestützte 363 Methode, quasistationäre und dynamische 169 Methodikentwicklung 210 Micro-Hybrid 29 Mikroelektronik 18 Mikromechanik 18 Mikroprozessor 43
459 Mild Hybrid 29, 329, 347 Mittelwertmodell 103 f. Mobilität, nachhaltige 363 Mode 1 352 Mode 2 352 Model-in-the-Loop (MiL) Simulation 103 Model-in-the-Loop-Applikation (MIL) 381 Modell des Antriebsstrangs 301 –, datenbasiertes 57, 336 –, dynamisches 207 –, experimentelles 21 271 –, physikalisches 21 –, physikalisch basiertes 45 –, semi-physikalisches 21 –, theoretisches 21 Modellanalyse 144 ff., 168 Modellbildung 19, 137 ff., 168 –, experimentelle 23, 168 Modellierung 330 ff. Modellkategorie 88 Modellparametrierung 54 Modellvalidierung 168 Momenten-Modell 44 Momentenüberhöhung 297 Motoreinstellgrößen 55 Motorenprüfstand 167 Motormanagementsystem 103 Motormodell, arbeitstaktsynchrones 103, 115 Motorsteuergerät 41 f., 429 Motorsteuerungs-Funktionen 51 Motorsteuerungs-Software, Architektur 65 –, dynamische Sicht 47 –, funktionale Sicht 48 –, Parametrierung 53, 65 –, statische Sicht 46 –, Struktur 65 Motorsteuerungs-Systeme 38 ff. Motorvermessung 130 ff. Motorvermessungsmethoden 200 ff. Motorzustandsgröße 45 Mutation 157 f. MVEG-Test (Motor Vehicle Emission Group) 155 MVEG-Testzyklus 123 N Navier-Stokes-Gleichung 93 Nebenbedingung 356 Netzmodell, lokallineares 410
460 Neuronale Netze 141 ff. Niching 161 Niederdruck-Abgasrückführung 73, 76 NiMH-Batterien 30 NLMS (Normalized-Least-Mean-Squares) 282 Nockenwellen-Phasensteller 3 Normal Probability Plot 153 NOx-Emission 69 NOx-Speicherkatalysator 70 O OE-Schätzung 275 Off-Board-Diagnose 25 Offline-Simulation 22, 65 On-Board Diagnose(OBD) 7, 25, 39 f., 388 f., 408 On-Board-Diagnostik 371 Optimierung 155 ff., 334 ff., 356 Optimierungsaufgabe 210 Optimum 357 Ottomotor, direkteinspritzender 409 OTX 389, 403 P Paket-Modell 90 Parallelhybriden 330 Parameterschätzmethoden 21 Parameterschätzung 238, 427 Parametrierungs-Methoden 53 Pareto-Front 334, 337, 339 Paritätsgleichung 11, 427 Partikelemission 69 PCCI (Premixed Combustion Compression Ignition) 70 Periodendauer, charakteristische 445 Piezo-Einspritzdüse, direkt angetrieben 79 Planetensatz 352 Plausibilität 204 Polymer-Elektrolyt-MembranBrennstoffzelle (PEM-BZ) 365 Polynom 138 Polynomfunktion 355 Powertrain-Applikationsprozess 202 PRESS-Wert 151 Prognoseintervall 149 Programm-Codes 52 PROM (programmierbarer Speicher) 18 Prompt-NO 99
Sachwortverzeichnis Prozessmodell, physikalisches 367 Prüfablauf 389 Prüflaufzeit 205 Prüflogik 389 Prüfsprache 389 Prüfstandsautomatisierung 200 ff. Pseudo-Rausch-Binär-Signal 180 Pulswechselrichter 31 Pumpe 15 Pumpe-als-Sensor-Prinzip 372 Pumpendiagnose 372 Q Quadratsummenzerlegung 145 Qualitätssicherung 209 quasistationär 22 R Radialkolbenpumpe 429 RAM-Speicher 43 Rapid Control Prototyping (RCP) 103 Rasterkennfeld 22, 281 –, zweidimensionales 281 Real Coded Genetic Algorithms (RCGA) 157 Rechenzeit 88 f., 95 Reduktionsverfahren (SRC), selektive katalytisches 6 Regelbereich 266 Regelung der Schwerpunktlage 75 –, drehmomentorientierte 12 –, Haupt- 12 –, modellbasierte 78, 305 –, unterlagerte 12 Reglerparametrierung 54 Regression, schrittweise 141 Regressorenauswahl 140 Regressorselektion 146 f. Reibwert 293 Rekombination 157, 159 Rekuperation 349 Rekuperationsanteil 350 Rekuperationspotenzial 318 Resamplingverfahren 149 ff. Residuum 411 Restbus-Simulation 381 Rezirkulationspumpe 380 Rezirkulationsrate 36 Road-to-Lab-to-Math 385 Rollenmessungen 332 f.
Sachwortverzeichnis Rücklaufmenge 436 Rückwärtsauswahl 141 Rückwärtssimulation 331 Ruß- und Stickoxidbildung 260 Rußbildung 100 S Safetymanagement 63 Sauerstoff-Konzentration 76 Schadstoffbildung 89, 99 Schaltdruck 293 Schaltkomfort 292 Schaltprogramm 289 Schaltpunkt 288 Schaltqualitätssteuerung 288 Schaltungsart 296 Schaltverlauf 295 Schichtenarchitektur 61 Schleifzeit 292 Schwellwerte 55 Schwerpunktlage MFB50 75 Schwingung 443 –, harmonische 429 SCR-Katalysator 70 SDS (slow dynamic slope) 206 Sekundärluftsteuerung 13 Selbstzündung, homogene 4 Selektion 157, 160 Sensor 7 f., 15 –, virtueller 77, 371 Sensorbauart 19 Sensordiagnose 371 Signalcharakteristik 431, 437 Signalfluss 44 –, CR-Dieselmotor 20, 21 –, Dieselmotor 19 Signalverarbeitung 442 Simulation 19, 330 ff. –, numerische 88 Simulationsanteil 208 smart sensor 18 Smart-Calibration-Prozess 200 Software, problemspezifische 209 Software-Architektur 46 Softwareentwicklungsprozess 103, 345 Software-Entwicklungstools 52 Software-Funktion 40 Software-in-the-Loop (SiL) Simulation 103 Softwaremodul 50
461 Software-Pakete 62 Software-Parametrierung 62 Software-Sharing 62 Solleinspritzmenge 436 Space-filling Design 133, 173 Speichereinspritzsystem 429 Spezifikationsphase 381 Spitzendruckregelung 75 Spray-Modellierung 93 f. Sprungfunktion 182 Sprungsonde 399 Stabilisierungszeit 205 Standabkopplung 288, 302 Start/Stopp 316, 318 f., 329, 344, 348 Start/Stopp-Funktion 29 Starter/Generator 28 stationär 22 Stellantrieb 14 Stelldynamik 301 Stellglied 14 Stellgrößenbegrenzung 277 Steuer- und Regelstrategie 48 Steuergerät (ECU), elektronisches 7 Steuergeräte-Umfang 9 Steuergeräte-Verbund 39 Steuerung, drehmomentorientierte 11, 12 –, Haupt- 12 –, unterlagerte 12 Steuerungsfunktionen, Parametrierung und Optimierung 167 Stickoxidbildung 99 –, thermische 99 Stickoxid-Ruß-Schere 267 Stickstoffkonzentration im Anodenkreislauf 376 Streckenmodell 229 Stromfadentheorie 108 Strömungsfeld, turbulentes 92 Strong Hybrid 29, 329 Struktur mit zwei Freiheitsgraden (Two-Degreesof-Freedom-Structure) 277 –, modulare 426 Strukturauswahl 140 Supportkompetenz 210 SW-Produkte 209 Symptom 394, 411 –, analytisches 429 –, kundenwahrnehmbares 401 Symptomerzeugung 26 Synchronmotor, permanent erregter 31
462 Systemauslegung 56 Systementwicklung 394 Systemintegration 398 System-Modell 56 Systemsimulation 59 Systemverhalten 56 T Temperatur-Äquivalenzraten-Diagramm 260 Temperaturverteilung 90, 97 Testmodul, dynamisches 398 Testzyklus (NEDC), europäischer 264 Tippfunktion 290 Traktions-Bordnetz 30 Turbo Charger Model 219 Turbolader 108 ff. Turbulenzmodell 93, 96, 98 Two-Mode-Hybrid 352 U Überwachung 54 Überwachungsfunktion 25 Ursache 401 V Value Motronic 63 Variationsraumvermessung 168, 170 Ventilhub, verstellbarer 3 Ventiltrieb, variabler 3 Verbrauchskennfeld 326 Verbrennung, vorgemischte 98 Verbrennungskenngrößen 123 Verbrennungsmodell 88, 96 Verbrennungsmotor, aktuelle Entwicklungen 2 –, Steuerung und Regelung 7 Verbrennungsmotorkennfelder 360 Verbrennungsregelung 73 Verbrennungsschwerpunktlage 266, 269 Verbrennungsstabilität 75 Verfahren, modellbasiertes 426 –, prozessmodellbasiertes 427 –, signalmodellbasiertes 427, 429
Sachwortverzeichnis Verifikationstest 211 Vermessung von Verbrennungsmotoren 22 f. –, stationäre 22 Vermessungsmethoden 169 Vernetzung 303 Versuchsplan, D-optimaler 134, 172 f. Versuchsplanung 131, 168 –, statistische 57 Vibe-Formfunktion 119 V-Modell 22, 24, 345 Vorförderpumpe, elektrische 429 Vorsteuer-/Sollwerte 55 Vorsteuerung 244, 277, 298 –, modellbasierte 277 W Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion 93 Wandlerkupplung, geregelte 296 Wandlerüberbrückungskupplung 288 Warmlaufregelung 13 Wasserstoffspeichersystem 364 Wasserstoffwirtschaft 364 Waveletanalyse 417 Wechselkurs, dimensionsloser 308 Werkstattdiagnose 40, 394 ff Wirkungsgrad 326 –, differenzieller 309, 312, 322 Wirkungsgradkennfeld 327, 338 Z Zahnriemen 429 Zeldovich-Mechanismus 99 Zielfunktion 356 Zündungssystem 421 Zugehörigkeitsfunktion 415 Zustandsänderung, polytrope 270 Zustandsautomat 47 Zustandsgrößenbeobachter 427 Zustandsraummodell, lokal-affines 271 f. Zustandsregler 278 Zustandsrückführung 278 Zylinder-Gleichstellung 75 Zylindergruppe 113, 116 Zylindermodell, thermodynamisches 89