Cornelia Zanger (Hrsg.) Erfolg mit nachhaltigen Eventkonzepten
GABLER RESEARCH Markenkommunikation und Beziehungsmark...
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Cornelia Zanger (Hrsg.) Erfolg mit nachhaltigen Eventkonzepten
GABLER RESEARCH Markenkommunikation und Beziehungsmarketing Herausgegeben von Prof. Dr. Cornelia Zanger
In den letzten Jahren sind am Lehrstuhl für Marketing und Handelsbetriebslehre an der TU Chemnitz über 20 Dissertationen zu verschiedenen Forschungsgebieten im Marketing entstanden, die bis auf wenige Ausnahmen im Gabler Verlag veröffentlicht werden konnten. Einen Schwerpunkt stellten Studien zu innovativen Fragen der Markenkommunikation wie Eventmarketing, Sponsoring oder Erlebnisstrategien dar. Ein weiteres zentrales Thema waren Arbeiten zum Beziehungsmarketing, die sich beispielsweise mit jungen Zielgruppen, der Entstehung von Vertrauen und mit der Markenbeziehung beschäftigten. Mit dieser Reihe sollen die Forschungsarbeiten unter einem thematischen Dach zusammengeführt werden, um den Dialog mit Wissenschaft und Praxis auszubauen. Neben Dissertationen, Habilitationen und Konferenzbänden, die am Lehrstuhl der Herausgeberin entstehen, steht die Reihe auch externen Nachwuchswissenschaftlern und etablierten Wissenschaftlern offen, die empirische Arbeiten zu den Themenbereichen Markenkommunikation und Beziehungsmarketing veröffentlichen möchten.
Cornelia Zanger (Hrsg.)
Erfolg mit nachhaltigen Eventkonzepten Tagungsband zur 2. Konferenz für Eventforschung an der TU Chemnitz
RESEARCH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2012 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 201 2 Lektorat: Marta Grabowski | Viktoria Steiner Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-3075-0
Vorwort Die 2. Wissenschaftliche Konferenz zum Thema "Eventforschung" an der TU Chemnitz führte am 03.11.2010 wieder 220 Vertreter der Eventforschung und der Eventpraxis zum fruchtbaren Dialog und zum Networking zusammen. Eventforscher suchen den Austausch mit Praktikern und Eventpraktiker interessieren sich für Forschungsergebnisse, so könnte das kurze Resümee der 2. Auflage der wissenschaftlichen Konferenz Eventforschung an der TU Chemnitz lauten. Mit 14 Vorträgen und einer spannenden Podiumsdiskussion gelang es, den neuesten Stand der Eventforschung zu präsentieren und Schlaglichter auf aktuelle Probleme der Eventpraxis zu setzen. Ein beachtetes aktuelles Thema war die Entwicklung von Events im Zeitalter von Facebook, Twitter, Youtube & Co., die kreative Rolle der Eventteilnehmer bei der Gestaltung virtueller Events und der zunehmend hybride Charakter von Events. Aufgegriffen wurde auch ein Thema, das alle, aber besonders die mit der Eventbranche Verbundenen im Sommer 2010 sehr betroffen gemacht hat: Die Katastrophe der Loveparade – eine regionale Chance wurde zur nationalen Katastrophe. Mit etwas zeitlichem Abstand konnte die Frage nach den Ursachen gestellt werden, um eine Wiederholung solch tragischer Ereignisse in Zukunft zu vermeiden. In vier thematischen Sessions wurden ausgewählte Ergebnisse der Eventforschung vorgestellt. Ein Vortragsblock beschäftigte sich mit neuen Eventformen und der Vernetzung von Wissen in der Eventbranche. In einer zweiten Session wurden neue Sichten auf das Phänomen Event diskutiert. So gab es Denkanstöße aus kommunikationswissenschaftlicher und sozialpsychologischer Perspektive sowie aus Sicht des Ansatzes der Service Dominant Logic. Ein dritter Vortragsblock widmete sich Mega-Events wie dem Projekt RUHR 2010 oder dem Melt!-Festival und ihrer Analyse. Der vierte Vortragsblock beschäftigte sich schließlich mit neueren Forschungen zur Wirkung von Events. So wurden u. a. Ansätze zur Messung von Lern- und Aufklärungseffekten bei Events, zur Messung von Medieneffekten von Public Events und zur ökonomischen Wirkungsanalyse diskutiert.
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Vorwort
Im Mittelpunkt einer kritischen Diskussionsrunde stand das Thema Nachhaltigkeit von Eventkonzepten. Was bedeutet Nachhaltigkeit von Events? Wie ökologisch nachhaltig sind Event- und Messekonzepte? Wie ökonomisch und sozial nachhaltig können bzw. müssen Events sein? Welche Chancen bieten nachhaltige Messe- und Eventkonzepte? Insgesamt machte die 2. Wissenschaftliche Konferenz Eventforschung deutlich, dass die Eventforschung als junges Forschungsgebiet hohe Anziehungskraft besitzt und Wissenschaftler und Praktiker in einen sehr nützlichen Gedankenaustausch bringt. Ich freue mich deshalb ganz besonders, dass es auch für die 2. Wissenschaftliche Konferenz Eventforschung gelungen ist, die anspruchsvollen Beiträge aller Referenten und die Ergebnisse der Podiumsdiskussion im vorliegenden Konferenzband zusammenzufassen, um sie interessierten Wissenschaftlern und Praktikern zugänglich zu machen. Für ihre Mitwirkung an der Konferenz und ihre wissenschaftlich anregenden Beiträge zu diesen Konferenzband darf mich wiederum ganz herzlich bei allen Autoren bedanken. Mein ganz besonderer Dank gilt dem Konferenzteam des Lehrstuhls für Marketing und Handelsbetriebslehre für die Konferenzorganisation unter der Leitung von Frau Simone Sprunk sowie der Verantwortlichen für Programm und Konferenzband, Frau Pia Furchheim. Ich hoffe, Sie sind neugierig geworden auf unseren Konferenzband. Nun wünsche ich Ihnen eine anregende Lektüre und darf Sie schon heute zur 3. Konferenz „Eventforschung“ am Freitag, dem 28.10.2011, herzlich an die Technische Universität Chemnitz einladen.
Cornelia Zanger
Inhalt Nachhaltigkeit von Eventkonzepten – Ergebnisse der Podiumsdiskussion ............... Cornelia Zanger Loveparade 2010 – Eine regionale Chance wird zur nationalen Katastrophe – eine Branche betreibt Ursachenforschung.................................................................. 11 Elmar Funke User Generated Events.................................................................................................. 23 Dagobert Hartmann Events als Kommunikationsinstrument im Hochschulmarketing................................. 37 André Schneider Flashmob Marketing – Inszenierte Blitz-Events als Instrumente der emotionalen Markenkommunikation................................................................................................. 55 Sören Bär Wissensmanagement in der Veranstaltungsbranche – Potentiale wikibasierter Lösungen zur Kompetenzsicherung.............................................................................. 85 Siegfried Paul, Thomas Sakschewski Event und soziale Nachhaltigkeit. Denkanstöße aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht................................................................... 101 Ulrich Wünsch Eventmarketing unter sozialpsychologischer Betrachtung – Gruppenerlebnisse in der Live-Kommunikation ........................................................................................127 Antje Wolf, Ulrike Jackson, Kim Detlefsen Die Identifizierung von Sponsoren und Nicht-Sponsoren eines sportlichen Großereignisses........................................................................................................... 145 Hans Pechtl
Cornelia Zanger Nachhaltigkeit von Eventkonzepten – Ergebnisse der Podiumsdiskussion
C. Zanger (Hrsg.), Erfolg mit nachhaltigen Eventkonzepten, DOI 10.1007/978-3-8349-6885-2_1, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
Nachhaltigkeit von Eventkonzepten – Ergebnisse der Podiumsdiskussion
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Nachhaltigkeit von Eventkonzepten – Ergebnisse der Podiumsdiskussion Teilnehmer an der Podiumsdiskussion: x
RA Elmar Funke ĺ Funke Müller Rechtsanwälte, Düsseldorf
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Axel von Hagen ĺ von Hagen Messebau - Messestand Design, Blomberg und Vorsitzender des FAMAB Verband Direkte Wirtschaftskommunikation e.V. Rheda-Wiedenbrück
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Michael Hosang ĺ Studieninstitut für Kommunikation, Düsseldorf
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Hendryk Martin ĺ Marketingleiter Melt! Festival, Gräfenhainichen
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Christian Seidenstücker ĺ JOKE Event AG Bremen und Präsident des ISES Europe
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Prof. Dr. Cornelia Zanger ĺ Technische Universität Chemnitz, Lehrstuhl Marketing und Handelsbetriebslehre, Chemnitz
Moderation: Peter Blach ĺ Blachreport Die Thema Nachhaltigkeit/Sustainability ist eines der großen gesellschaftlichen Themen der letzten Jahrzehnte und wird mit Blick auf aktuelle klimatische, demografische und sozialpolitische Entwicklungen auch in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen. Die Nachhaltigkeitsdiskussion geht auf die von den Vereinten Nationen eingesetzte Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (auch „Brundtland-Kommission“ nach ihrer Vorsitzenden, der ehemaligen norwegischen Ministerpräsidentin, genannt) zurück. Die „Brundtland-Kommission“ entwickelte den Leitgedanken der nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development) und erklärte im Jahre 1987, dass „Entwicklung zukunftsfähig zu machen, heißt, dass die gegenwärtige Generation ihre Bedürfnisse befriedigt, ohne die Fähigkeit der zukünftigen Generation zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen zu können." (Report of the World Commission on Environment and Development: “Our Common Future”, 1987, Part I „The Global Challenge“)
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Untersetzt wird dieses Leitkonzept durch das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit, das ökologische Nachhaltigkeit mit ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit verbindet. Die Nachhaltigkeitsdiskussion hat in den letzten Jahrzehnten alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erreicht. Insofern ist es folgerichtig, dass sich auch die Messe- und Eventbranche diesem Thema stellt. Am Beispiel von Mega-Events wie Sportgroßveranstaltungen oder Musikfestivals aber auch Messen und großen Kongressen wird deutlich, dass der verantwortungsbewusste Umgang mit allen Ressourcen große Auswirkungen auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft hat. Ziel der Podiumsdiskussion war es deshalb, die Frage der „Nachhaltigkeit von Eventkonzepten“ aus möglichst verschiedenen Perspektiven mit den Konferenzteilnehmern zu diskutieren. Im Podium stellten sich Vertreter von Event- und Messeagenturen und Verbänden im Eventbereich ebenso wie der Veranstalter eines Musikfestivals, ein auf Eventrecht spezialisierter Rechtsanwalt und Vertreter der Ausbildung und der Eventforschung moderiert von einem Eventjournalisten der Diskussion. Im Fokus der Podiumsdiskussion standen mit Blick auf die begrenzte Diskussionszeit folgende Schwerpunktthemen: (a) Welches Nachhaltigkeitsverständnis herrscht in der Eventbranche? (b) Welche Ansätze zur Konzeption nachhaltiger Messe- und Eventkonzepte existieren? (c) Wie ist die Akzeptanz des Nachhaltigkeitsgedankens durch die eventveranstaltenden Unternehmen und die Eventteilnehmer einzuschätzen? (d) Wer trägt die Verantwortung für die Nachhaltigkeit von Eventkonzepten? (e) Ist eine Zertifizierung von nachhaltigen Eventkonzepten geplant? (f) Welche Beiträge leisten die Ausbildung und die wissenschaftliche Forschung zur Implementierung des Nachhaltigkeitsgedankens in der Eventbranche?
Im Folgenden werden die grundlegenden Gedanken und Anregungen zu den einzelnen Schwerpunkten konzentriert dargestellt.
Nachhaltigkeit von Eventkonzepten – Ergebnisse der Podiumsdiskussion
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(a) Welches Nachhaltigkeitsverständnis herrscht in der Eventbranche? Ausgangspunkt der Diskussion war das o. g. Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit mit ökologischer Nachhaltigkeit in Bezug auf Natur und Umwelt, ökonomischer Nachhaltigkeit im Sinne von Wohlstand für alle und die soziale Nachhaltigkeit, d. h. die lebenswerte Gesellschaft für alle. Die Diskutanten sind sich einig, dass Nachhaltigkeit ein viel strapaziertes Wort in der Live Kommunikation und in gewisser Weise auch ein Modethema ist. Allerdings wird deutlich, dass Nachhaltigkeit auch ein gesellschaftlicher Trend ist, dem sich die Eventbranche nicht verschließen kann und mit dem heute Standards und Normen gesetzt werden, die als Benchmarks für die Bewertung von Eventkonzepten dienen müssen. Im Schwerpunkt wird in der Event- und Messebranche beim Begriff Nachhaltigkeit vorrangig auf die ökologische Nachhaltigkeit der Konzepte geachtet. Als Beispiel wird auf eine Studie der Oxford University verwiesen, die ermittelt hat, dass durch die Anund Abreise der Teilnehmer an Musikfestivals 43 Prozent der CO2-Emmission im Musikmarkt entstehen. Daraus ergibt sich unmittelbarer Handlungsbedarf für die Veranstalter von Musikfestivals. Dies gilt jedoch auch genauso für alle anderen Eventund Messeveranstalter, die Teilnehmer erwarten, die aus größerer Entfernung anreisen. (b) Welche Ansätze zur Konzeption nachhaltiger Messe- und Eventkonzepte existieren? Die Teilnehmer an der Podiumsdiskussion berichten aus ihren Arbeitsbereichen exemplarisch über ökologisch nachhaltige Konzepte. Für den Messebereich verweist Axel von Hagen auf ganz einfache und praktische Ansätze wie den Mehrfacheinsatz von Materialien und Bauteilen, um Abfall zu vermeiden, oder auf Sammeltransporte von Messebauern zu Montagen oder Demontagen, um die CO2-Emmission zu minimieren. Für den Eventbereich berichtet Christian Seidenstücker über die Auswahl von Dienstleistern unter dem Aspekt der Ökologie, die Wiederverwendung von Materialien wie beispielsweise Teppichen und den Einsatz energiesparender Lichttechnik wie LED oder den Einbau von Zeitschaltuhren und Bewegungsmeldern, um Energie zu sparen. Hendryk Martin informiert über das Melt! Festival mit jährlich 25.000 Besuchern und stellt zwei Ansätze zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit dar. Einerseits kann der Festival Veranstalter selbst zur ökologischen Nachhaltigkeit beitragen, indem er beispielsweise den Vorteil nutzt, dass Ferropolis, die Location, auf der das Melt!
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Festival stattfindet, an das Schienennetz angebunden ist. Große Teile des Bühnenaufbaus oder der Beleuchtung usw. kommen ebenso per Zug wie das Bier aus Warstein. Erneuerbare Energien werden für die Musikproduktion eingesetzt. Andererseits kann der Festival Veranstalter umweltgerechte Angebote für die Festival Besucher entwickeln wie die Buchungsmöglichkeit einer An- und Abreise per Zug oder ökologische Essensangebote. Hier entscheidet der Teilnehmer letztendlich selbst über einen eigenen Beitrag zur Nachhaltigkeit des Events. Deutlich wird auch, dass nicht in allen Ländern die gleichen Forderungen nach nachhaltigen Messe- und Eventkonzepten bestehen. Axel von Hagen berichtet von einer Messe in Fernost. Bei der Entwicklung des Standkonzeptes für einen Auftraggeber wurde großer Wert auf die Verwendung recyclebarer Materialien gelegt und für die Möbel erfolgte eine Nachnutzung durch Schulen. Das betraf aber nur diesen einen Stand. Alle anderen Stände in der 20.000 m2 großen Halle wurden nach Messeabschluss mit Bulldozern einfach zusammengeschoben. Insgesamt kann festgehalten werden, dass zahlreiche Einzelüberlegungen und aktivitäten zur ökologischen Nachhaltigkeit von Messen und Events existieren. Ganzheitliche ökologische Konzepte wie beim Melt! Festival fehlen jedoch in der Breite. (c) Wie ist die Akzeptanz des Nachhaltigkeitsgedankens durch die eventveranstaltenden Unternehmen und die Eventteilnehmer einzuschätzen? Die Vertreter der Agenturen betonen, dass ökologische Eventkonzepte im Spannungsfeld der Kundenbeziehung stehen. Nur wenn der Kunde ebenfalls Nachhaltigkeit fordert und auch bereit ist ggf. höhere Kosten in Kauf zu nehmen, ist ökologische Nachhaltigkeit in der Eventbranche gegenwärtig plan- und realisierbar. In ca. 30 bis 40 Prozent der Kundengespräche ist Nachhaltigkeit bereits ein Thema. In den letzten 1 bis 1 1/2 Jahren, so wird eingeschätzt, fordern insbesondere große Unternehmen messbare Angaben zum Thema Nachhaltigkeit innerhalb der Ausschreibung. Dies erstreckt sich i. d. R. bis auf die Auswahl der Dienstleister. Die Diskutanten sehen, dass zwar ein Prozess des Bewusstseinswandels bei den eventveranstaltenden Unternehmen als Auftraggeber der Agenturen begonnen hat, man aber noch am Anfang einer längerfristigen Entwicklung steht. Da Nachhaltigkeit immer Engagement erfordert sowie Zeit und Geld kostet, machen auch große Unternehmen, die das Thema Nachhaltigkeit auf die Agenda setzen, bei den Budgets
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dafür dann doch wieder Abstriche machen, so dass es oft beim Lippenbekenntnis bleibt. Die höchste Akzeptanz bei den Eventteilnehmern wird bei der Zielgruppe der so genanten Lohas erwartet, die bereit sind, für nachhaltige Eventkonzepte auch mehr Geld auszugeben. Die Akzeptanz des Nachhaltigkeitsgedankens sowohl bei auftraggebenden Unternehmen, Messeveranstaltern und Messe- und Eventbesuchern weist im internationalen Vergleich Unterschiede auf. Im deutschen und europäischen Umfeld ist die ökologische Sensibilität wesentlich höher als beispielsweise in Asien. Unterstützung erhofft sich die Eventpraxis auch von der Ausbildung von Studenten, die zukünftig in Verantwortung auf Seiten des Auftraggebers oder bei Messebau- und Eventagenturen stehen. (d) Wer trägt die Verantwortung für die Nachhaltigkeit von Eventkonzepten? Sehr intensiv wurde über die Fragen der Verantwortung und der Glaubwürdigkeit von Eventkonzepten unter dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit diskutiert. Cornelia Zanger führte in diesem Zusammenhang aus, dass die Verantwortung nicht nur, wie in der Diskussion bereits gefordert beim Management liegen kann, sondern dass grundsätzlicher gedacht werden sollte und mindestens drei Ebenen betrachtet werden müssen. Die oberste Ebene ist die Sensibilität für die ökologische Nachhaltigkeit von Messen und Events im gesamtgesellschaftlichen Kontext. Ein gutes Beispiel kann der deutsche Pavillon, das deutsche Engagement auf der Expo in Shanghai sein. Eine einfache sofort verständliche Botschaft, Deutschland, die aussendet: „World in Balance“ und sagt, dass die Menschen aller Nationen sich weltweit am Gedanken der Nachhaltigkeit entsprechend beteiligen müssen. Nur dann kann die Zukunft der Menschheit gesichert werden. Die nächste Ebene ist die Verantwortung der Manager. Auf der Chefetage muss der Nachhaltigkeitsgedanke verinnerlicht sein und darf nicht nur im Unternehmensleitbild stehen. Und schließlich folgt als dritte Ebene, die individuelle Ebene jedes einzelnen Mitarbeiters, der sich engagieren muss bis hin in den persönlichen Bereich. Hendryk Martin verweist als Beispiel für persönliche Verantwortung auf Künstler wie Radio Head oder Jack Johnsen, die keine Konzerte in Locations geben, die nicht mit erneuerbaren Energien arbeiten.
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Kontovers wird auf eine Anfrage aus dem Publikum das Thema „Green washing“ diskutiert, d. h. die Möglichkeit zur CO2-Kompensation, wenn sich der CO2-Ausstoß nicht vermeiden lässt. Für das Melt! Festival berichtet Hendryk Martin von der für 2011 geplanten Installation einer Solaranlage für die Stromerzeugung für die Bühnentechnik. Axel von Hagen berichtet ebenfalls über die Installation einer Solaranlage mit dem Ziel ökologische Kompetenz und Werthaltungen gegenüber dem Kunden zu signalisieren. Allerdings berichten die Agenturvertreter ebenfalls, dass in Kundengesprächen die Nachhaltigkeitsorientierung nicht immer glaubhaft erscheint. Christian Seidenstücker führt aus, dass sich häufig bei Agenturpräsentationen beim Auftraggeber am Ende der Leiter Marketing meldet: „Ja eine Frage hab ich da noch, wie sehen Sie das denn mit dem Thema Nachhaltigkeit? Was können wir denn da machen?“. Von der Agentur werden entsprechende Vorschläge erwartet. Und alle nicken in der Runde und sagen: „Ja, stimmt, das ist gut. Fahrgemeinschaften, tolle Idee!“ „Ja, nicht den Ort wählen, der am schönsten ist, sondern den geographisch Ort wählen, an dem der geringste logistische Aufwand entsteht.“ „Bahncards für die Mitarbeiter ausgeben, auch toll“, „aber, was kosteten das?“ Bei der Budgetfrage ebbt die Diskussion leider oft ab und der Kunde ist nicht bereit, sich mit den vielen sinnvollen kleinen Dingen zu beschäftigen, die zur ökologischen Nachhaltigkeit beitragen würden. Und am Ende ist es oft so, dass herauskommt: „Gut, dass wir drüber gesprochen haben, aber wir machen es doch so wie bisher.“ Im Publikum wird dieses Dilemma der Glaubwürdigkeit der Nachhaltigkeitsorientierung von Unternehmen ebenfalls gesehen. Glaubwürdig sind Unternehmen nur dann, wenn Nachhaltigkeit ein gelebter Unternehmenswert und Teil der Markenpositionierung ist. Ist dies nicht der Fall, ist die Ernsthaftigkeit der Bemühungen des Unternehmens um Nachhaltigkeit im Bereich der Eventkommunikation anzuzweifeln. (e) Ist eine Zertifizierung von nachhaltigen Eventkonzepten geplant? Aus dem Publikum kam die Frage nach einem Qualitätsmanagement für Messe- und Eventkonzepte mit Vorgaben zur Nachhaltigkeit. Als Beispiel wurde auf die ökologischen Vorgaben der Aktion „Green Goal“ zur Fußball WM 2006 in Deutschland verwiesen. Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion sind sich einig darüber, dass Nachhaltigkeit nicht durch Sanktionen und Zwang im Messe- und Eventbereich etabliert werden kann, sondern Überzeugung voraussetzt. Elmar Funke verweist auf den Nachhaltigkeitsleitfaden des FAMAB und auf Arbeitskreise der AUMA, die den
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Unternehmen Handreichungen geben, um eigenen Konzepte und Prozesse mit Blick auf deren ökologische Nachhaltigkeit zu hinterleuchten. Bisher gibt es in Deutschland keine offiziellen, staatlich anerkannten Standards zur Zertifizierung der Nachhaltigkeit von Messen und Events. Aus dem Publikum wird auf die ISO-Zertifizierung des evangelischen Kirchentages, dessen CO2-Kompensation bereits 98 Prozent erreicht, und die geplante ISO-Norm für die Olympiade 2012 in London hingewiesen. Elmar Funke führt aus, dass ihm für Deutschland keine Arbeiten an einer verbindlichen Zertifizierungsrichtlinie bekannt sind. Allerdings ist eine Zertifizierung auf freiwilliger Basis im Gespräch. Dazu wurden bereits Kontakte zu entsprechenden Zertifizierungsstellen aufgenommen. Ein Arbeitskreis des FAMAB wird einen Kriterienkatalog für ein branchenspezifisches Nachhaltigkeits-Zertifikat von Agenturen bis 2011 entwickeln. (f) Welche Beiträge leisten die Ausbildung und die wissenschaftliche Forschung zur Implementierung des Nachhaltigkeitsgedankens in der Eventbranche? Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion stimmten darin überein, dass Ausbildung und Forschung einen wichtigen Beitrag zu weiteren Etablierung des Nachhaltigkeitsgedankens in der Messe- und Eventbranche leisten müssen. Michael Hosang betont die Notwendigkeit der Integration von Fragen der Nachhaltigkeit wie CO2-Neutralität in die Curricula der Ausbildung im Messe- und Eventbereich. Das Thema Nachhaltigkeit gehört einfach zu den Soft Skills in diesem Bereich. Die wissenschaftliche Forschung steht im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit von Messe- und Eventkonzepten noch am Anfang. Es wird auf das von 2002 bis 2005 am Wuppertal Institut bearbeitete Forschungsprojekt „Eventkultur und Nachhaltigkeit“ verwiesen. Deutlich wird aber auch, dass die Diskussion über ökologische Nachhaltigkeit nicht getrennt von der Frage der Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit von Messe- und Eventveranstaltern mit Nachhaltigkeitsanspruch behandelt werden kann. Cornelia Zanger verweist darauf, dass die Nachhaltigkeit von Messe- und Eventkonzepten als „added value“ betrachtet werden kann. Wenn es gelingt kreative, wirksame Messe- und Eventkonzepte für den Kunden zu entwickeln und diese um die Komponente der ökologischen Nachhaltigkeit anzureichern, kann ein echter Wettbewerbsvorteil für die Agenturen entstehen, den der Kunde auch bereit ist zu honorieren. Für die Agenturen bedeutet dies, dass der
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Nachhaltigkeitsgedanke nicht nur von der Agenturmitarbeitern, sondern auch von allen Dienstleistern mitgetragen werden muss. Die Vertreter der Forschung werden in diesem Zusammenhang von den Praktikern aufgefordert, Instrumente zur Messung der Wirkung und des wirtschaftlichen Erfolgs dieser Strategie zu entwickeln. Die lebendige, von Peter Blach durch interessante Fragestellungen spannend moderierte Podiumsdiskussion machte eine Reihe von Aufgaben und Arbeitsschritten auf dem Weg zu nachhaltigen Eventkonzepten deutlich: Nachhaltigkeit in Event- und Messekonzepten darf weder dem Zufall überlassen sein, noch Stückwerk bleiben. Notwendig sind ganzheitliche Konzepte, die den Nachhaltigkeitsgedanken durchgängig umsetzen. Der Nachhaltigkeitsgedanke ist bisher in der Messe- und Eventbranche sehr stark auf die ökologische Nachhaltigkeit konzentriert. In der Diskussion wurde jedoch auch die Langfristigkeit von Kundenbeziehungen und Kooperationsbeziehungen mit Dienstleistern gefordert, um die ökonomische Nachhaltigkeit von Messe- und Eventkonzepten zu stärken. Die Vervollkommnung der Methoden zur Wirkungsmessung von Events und Messen bei den Teilnehmern bzw. Besuchern ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu höherer ökonomischer Nachhaltigkeit. Insgesamt waren sich die Teilnehmer an der Podiumsdiskussion einig: Das Thema Nachhaltigkeit ist für die Messe- und Eventbranche in hohem Maße wettbewerbsrelevant. Agenturen und Dienstleister, die jetzt innovative Angebote für nachhaltige Events und Messeauftritte entwickeln, liegen im Trend und haben Vorteile im Wettbewerb zu erwarten.
Elmar Funke Loveparade 2010 – Eine regionale Chance wird zur nationalen Katastrophe – eine Branche betreibt Ursachenforschung (schriftliche Fassung des Vortrags)
C. Zanger (Hrsg.), Erfolg mit nachhaltigen Eventkonzepten, DOI 10.1007/978-3-8349-6885-2_2, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
Loveparade 2010 – Eine regionale Chance wird zur nationalen Katastrophe
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Wer ist verantwortlich? Veranstalter, Stadt Duisburg und Polizei schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu, wer ist juristisch für die Katastrophe verantwortlich? Auf dem Rücken der Opfer begeben sich die Beteiligten in ein Milieu von Unschuldsbeteuerungen und gegenseitigen Schuldzuweisungen. Sicherungsmaßnahmen bei Events x
Kontrolle der Location einschließlich Ein- und Ausgänge/Nahbereich der Umgebung/Parkplätze
x
Gewährleistung eines trockenen, rutschsicheren Untergrundes im Besucherbereich
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Gewährleistung ausreichender Beleuchtung
x
Gewährleistung von Fluchtwegen und Notausgängen
x
Vorausschauende Organisation (z.B. Trennung von Fanblöcken, Berücksichtigung von massenpsychologischen Effekten)
x
Ausreichende Anzahl an Polizisten, Ordnern, Feuerwehrleuten, Sanitätern, Notärzten etc.
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Hinreichende Veranstaltungsabsicherung (z.B. Wellenbrecher, Plexiglaswände, Absperrungen, Abstandszonen)
x
Untersuchung der Besucher nach Waffen und Wurfgegenständen (nur bei Risikoveranstaltungen)
Verantwortlicher Genehmigungsinstanz - OB Sauerland (Stadt Duisburg) Der Oberbürgermeister gibt an, keine persönliche Verantwortung zu tragen, da er angeblich nicht detailliert mit der Veranstaltungsplanung und -genehmigung befasst war. Er sieht die Hauptverantwortung beim Veranstalter. Rechtliche Einschätzung Der Oberbürgermeister ist die oberste Baubehörde, es liegen Dokumente vor, die eine Teilnahme des Bürgermeisters an verschiedenen Sitzungen zur Loveparade belegen,
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der ehemalige Polizeipräsident und die zuständige Baudezernentin haben in seiner Anwesenheit auf die Fluchtwegproblematik hingewiesen. Aber auch ohne diese Kenntnisse trägt der Oberbürgermeister die Verantwortung, da die Veranstaltung in seine Genehmigungszuständigkeit fällt und er die Verantwortung für die Sicherheit der Bürger in seiner Stadt trägt. Ohne Genehmigung der Behörden hätte die Loveparade nicht stattgefunden. Schwerwiegende Fehler der Stadt Duisburg Fehlende Gewährleistung der gesetzlichen Vorgaben durch die Versammlungsstättenverordnung NRW – keine Vorkehrungen für Besucherzählungen, fehlende Kameraüberwachung, keine Überprüfung der Veranstalter hinsichtlich der Securityzahl x
Warum wurden die Floats nicht auf die ohnehin gesperrte Autobahn gelenkt?
x
Genehmigung wurde erst am Veranstaltungsmorgen erteilt! (üblicher Vorlauf 6 Monate)
x
Das Nadelöhr Tunnel konnte sogar von Laien von vornherein als Sicherheitsrisiko erkannt werden, der standardmäßig gebotene zweite Ein- / Ausgang fehlte bzw. war nur für VIPs zugänglich.
x
Die Telekommunikation wurde schlecht koordiniert. Es wurde keine Vorrangschaltung für die Mobiltelefone der Polizeibeamten beantragt, in der Paniksituation war das Mobilnetz überlastet, auch die Polizei hatte keinen Empfang.
x
Vorwarnung: OB hätte durch die von Sicherheitsbedenken getragene Absage durch die Obersbürgermeisterin der Stadt Bochum im Jahr 2009 gewarnt sein müssen.
Verantwortlicher: Veranstalter - Herr Schaller (Lopavent GmbH) Herr Schaller verweist auf die Genehmigung durch die Behörden und gibt an, die Polizei habe schwere Fehler – insbesondere durch unnötige und zu lang anhaltende Absperrungen – begangen, außerdem habe der Kontaktbeamte keine Telefonanbindung an die Security gehabt, dies hätte schließlich zu den Todesopfern und Verletzten geführt.
Loveparade 2010 – Eine regionale Chance wird zur nationalen Katastrophe
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Rechtliche Einschätzung: Der Veranstalter hat massiv Druck ausgeübt, um Befreiungen und Lockerungen in Bezug auf Sicherheitsbestimmungen und Gesetze wie die Versammlungsstättenverordnung NRW zu erhalten, ohne ungeeignete Location hätte die Polizei gar nicht einschreiten müssen, scheinbar wurde auch die vorgeschriebene Zahl beim Securitypersonal nicht eingehalten. Zudem war die Sicherheit auf dem Veranstaltungsgelände originäre Pflicht von Lopavent, das Gesamtkonzept für die Besuchersicherheit liegt immer in der Verantwortung des jeweiligen Veranstalters. Schwerwiegende Fehler des Veranstalters x
Falsche Auswahl der Location, kein ausreichendes Fluchtwegekonzept, zu wenige Sicherheitskräfte, Außerachtlassen massenpsychologischer Effekte.
x
Keine Einrichtung von Kameraüberwachung, Besucherzählung. Kein erkennbares Crowdmanaging, keine Panikforschung, kein Notfallplan.
x
BGH: Den Veranstalter einer Massenveranstaltung trifft die Pflicht zur Sicherung des Zu- und Abgangs der Besucher (vgl. BGH NJW 1990, S. 905), dies gilt auch im Hinblick auf Gefahren für Nachbargrundstücke, die von Zuschauern, die Abgrenzungen umgehen oder überwinden, ausgehen (vgl. BGH NJW 1980, S. 223).
Polizei Die Polizisten verweisen auf die Alleinverantwortung des Veranstalters auf dem Veranstaltungsgelände, sie hätten lediglich deeskalierend eingegriffen, um Schlimmeres zu vermeiden. Rechtliche Einschätzung Die Polizei ist für die Sicherheit der Bürger verantwortlich. Dies gilt zunächst für den gesamten öffentlichen Raum, allerdings endet diese Verantwortung auch nicht an den Grenzen des Veranstaltungsgeländes. Spätestens bei ersten Anzeichen für die Gefährdung von Leib und Leben ergab sich für die Polizei die Eilzuständigkeit für den Eingriff. Sind hierbei durch fehlende bzw. eingeschränkte (keine eingerichtete Vorrangschaltung) Kommunikation mit den privaten Securityleuten, überflüssige
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Elmar Funke
Absperrungen und Einsatzfahrzeuge zusätzliche Behinderungen aufgetreten, ist auch hier eine Verantwortlichkeit zu bejahen. Fehler der Polizei Fehlende Einmischung im Vorfeld, eindringliche Einwirkung auf die Behördenverantwortlichen, notfalls Untersagung der Veranstaltung wegen Gefährdung von Bürgern. Der Kontaktbeamte verfügte angeblich zu Veranstaltungsbeginn nicht über ein mit dem Veranstalter kompatibles Funkgerät. Die Mobiltelefone der Polizei wurden nicht in Vorrang geschaltet. Waren alle Absperrungen in Bezug auf Zeitraum und Länge angezeigt? Die Zahlen x
Die Nutzungsänderungsgenehmigung wurde für 250.000 Besucher erteilt.
x
Die vorgeschriebene Ordnerzahl im Bereich der Rampe: 150.
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Sonderbauverordnung: für 220.000 Besucher müssen 440 Meter Fluchtweg nachgewiesen werden.
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Eine Veranstaltungshaftpflichtversicherung wurde über 7,5 Mio. EUR für Personenschäden abgeschlossen.
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Die Angaben zu den Besucherzahlen schwanken, es kann von einer Zahl zwischen 400.000 und 1,4 Mio. Besuchern ausgegangen werden.
x
Die tatsächliche Zahl unbekannt, nach Zeugenaussagen und Videobeweisen deutlich niedriger.
x
Der Veranstalter hatte 155 Meter Fluchtweg nachgewiesen.
x
Der tatsächliche Personenschaden ist derzeit nicht bezifferbar, aber um ein Vielfaches höher.
Loveparade 2010 – Eine regionale Chance wird zur nationalen Katastrophe
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Öffentlich-rechtliche Verantwortung Öffentlich rechtlich ergibt sich die Haftung der Verantwortlichen aus verschiedenen Rechtsgrundlagen: Stadt Die Stadt Duisburg war oberste Baubehörde und genehmigende Instanz. Rechtsgrundlagen für eine Haftung: x
VersStättVO NRW
x
BauO NRW
x
Nutzungsänderung als Verwaltungsakt
Veranstalter Veranstalter ist nach Definition des Bundesgerichtshofes derjenige, der die organisatorische und finanzielle Verantwortung für einen Event trägt (vgl. BGH NJW 1970, S. 2060). Fraglos war Lopevent Veranstalter der Loveparade. In der Regel ist der Veranstalter auch für das Verhalten seiner Organe (§ 31 BGB) und seiner Mitarbeiter und Beauftragten (Erfüllungsgehilfen, § 278 BGB/Verrichtungsgehilfen, § 831 BGB) verantwortlich (vgl. Funke/Müller 2009, Rz. 730). Der Veranstalter benötigt Genehmigung von der Stadt, versucht Befreiungen und Lockerungen zu erhalten. Rechtsgrundlagen für eine Haftung: x
Genehmigungsumfang
x
Auflagen sind einzuhalten
Polizei Subsidiäre Haftung, da die Veranstaltung in dieser Form überhaupt nicht hätte stattfinden dürfen. Rechtsgrundlagen für eine Haftung: x
für die Sicherheit der Bürger verantwortlich
x
PolizeiG NRW
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Zivilrechtliche Verantwortung Zivilrechtlich ergibt sich die Haftung der Verantwortlichen aus verschiedenen Rechtsgrundlagen: Stadt Rechtsgrundlagen für eine Haftung: x
aus deliktsrechtlicher Amtshaftung
x
§§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG
Veranstalter Rechtsgrundlagen für eine Haftung: x
aus Delikt/Organisationsverschulden
x
§§ 823 I, 831 BGB
x
Haftung für Verrichtungsgehilfen
x
§§ 823 II BGB i.V.m. §§ 222, 229 StGB
x
gegenüber Kooperationspartnern und Subdienstleistern zusätzlich aus Vertrag
x
§ 278 BGB Haftung für Erfüllungsgehilfen
Polizei Rechtsgrundlagen für eine Haftung: x
aus deliktsrechtlicher Amtshaftung
x
§§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG
Strafrechtliche Verantwortung Neben den oben genannten zivilrechtlichen Haftungstatbeständen, kann die schuldhafte Verletzung seiner Verkehrssicherungspflichten für die Verantwortlichen
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auch strafrechtliche Konsequenzen haben. Dem Veranstalter obliegt eine Verkehrssicherungspflicht in Bezug auf die Gefahren, die von seiner Veranstaltung ausgehen (vgl. BGH NJW 1975, S. 533). Diese Verkehrssicherungspflicht beinhaltet eine Pflicht zum Handeln zur Gefahrenabwehr auf Grund der selbst gesetzten Gefahr und der für die Gefahrenquelle übernommen Verantwortung. Diese Verantwortung trifft nicht nur den Veranstalter selbst, sondern auch die einzelne Person, die die Erfüllung der mit der Verkehrssicherungspflicht zusammenhängenden Aufgaben übernimmt (vgl. Funke/Müller 2009, Rz. 801). Strafrechtlich ergibt sich die Haftung der Verantwortlichen aus verschiedenen Rechtsgrundlagen: Stadt Rechtsgrundlagen für eine Haftung: x
Fahrlässige Tötung, fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen
x
§§ 222, 229, 13 StGB
Veranstalter Rechtsgrundlagen für eine Haftung: x
Fahrlässige Tötung, fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen
x
§§ 222, 229, 13 StGB
Polizei Rechtsgrundlagen für eine Haftung: x
Fahrlässige Tötung, fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen
x
§§ 222, 229, 13 StGB
Gegenseitige Schuldzuweisungen Können die Verantwortlichen durch ein Ablenken von der eigenen Verantwortung der Haftung insgesamt entgehen? Hinsichtlich der Haftung bei Veranstaltungen hat die Rechtsprechung innerhalb der letzten Jahre sehr strenge Maßstäbe gesetzt. Veranstalter und Organisatoren von Veranstaltungen haben bei ihren Planungen und Vorbereitungen stets das besondere
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Elmar Funke
Haftungsrisiko zu berücksichtigen, das sich aus der geplanten Veranstaltung ergeben kann (vgl. Funke/Müller 2009, Rz. 774). Antwort: x
Nein, §§ 830, 840 I BGB: Mittäter und Beteiligte haften als Gesamtschuldner
x
§ 830 I BGB: Haben mehrere durch eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung einen Schaden verursacht, so ist jeder für den Schaden verantwortlich. Das Gleiche gilt, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von mehreren Beteiligten den Schaden durch seine Handlung verursacht hat.
Loveparade 2010 – Eine regionale Chance wird zur nationalen Katastrophe
21
Literaturverzeichnis FUNKE, E.; MÜLLER, G. (2009): Handbuch zum Eventrecht, 3. Aufl., Köln 2009.
Dagobert Hartmann User Generated Events
1
Einleitung
2
Paradigmenwechsel im Marketing
3
2.1
Budgetshift in Online-Medien
2.2
Pepsi Refresh Project – User Generated Content
2.3
Das neue Kommunikationsmodell – „many-to-many“
Live und Virtual Communication 3.1
Ford Explorer – der virtuelle Launch
3.2
Die perfekte Symbiose – live plus virtual
3.2.1.
3.3 4
Integrierte Planung erforderlich
3.2.1.1
Maßnahmen vor der Veranstaltung
3.2.1.2
Maßnahmen während der Veranstaltung
3.2.1.3
Maßnahmen nach der Veranstaltung
Ford Fiesta Movement – das „365 Community Event“
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
C. Zanger (Hrsg.), Erfolg mit nachhaltigen Eventkonzepten, DOI 10.1007/978-3-8349-6885-2_3, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
User Generated Events
25
1 Einleitung „Consumers are beginning in a very real sense to own our brands and participate in their creation … we need to learn to let go.“ A. G. Lafley, ehemaliger CEO von Procter & Gamble Mit dem Social Web steigt die Macht des Konsumenten. Jeder kann heute problemlos eigene Inhalte produzieren und verbreiten. Die Marketingmanager hingegen verlieren langsam, aber sicher ihr angestammtes Kommunikationsmonopol. Dieser „Machtwechsel“ ist irreversibel und wird unsere Marketingkultur nachhaltig verändern. So fordert Lafley zu Recht: „We need to ‚reinvent‘ the way we market to consumers.“ Auch die Live Communication wird sich angesichts des rasanten digitalen Wandels „neu erfinden“ müssen. In Zukunft werden verstärkt „hybride“ Veranstaltungsformate entstehen, die reales und virtuelles Erleben miteinander kombinieren. Diese Weiterentwicklung hin zur virtuellen Kundenintegration zeichnet sich bereits in den USA ab und kommt mit einer gewissen Zeitverzögerung auch nach Deutschland. Der vorliegende Beitrag versucht, diesen nächsten Entwicklungsschritt der Live Communication zu skizzieren. Dazu wurden über 400 Marketingentscheider über die Zukunftsaussichten der Live Communication befragt. Die Expertenurteile der deutschen Marketingmanager werden um Case Studies aus den USA ergänzt, die zeigen, welche Trendentwicklungen auch hierzulande zu erwarten sind.
2 Paradigmenwechsel im Marketing Seit Jahren zeichnet sich ein schleichender Paradigmenwechsel im Marketing ab. Uniplan LiveTrends wollte wissen, in welchem Umfang Budgets verlagert werden und welche „neuen“ Spielregeln für die zukünftige Marketingkommunikation gelten. 2.1 Budgetshift in Online-Medien Die Wirtschaftskrise und der Medienwandel haben den Konsolidierungsdruck auf die Kommunikationsportfolios erhöht. Viele Unternehmen haben die Kommunikationsbudgets Instrumenteübergreifend gekürzt und ausschließlich in das kostengünstige Internet investiert. Als große Budgetblöcke waren vor allem die klassische Werbung, aber auch die Messen und Events vom Streichkonzert betroffen. Noch investieren die Unternehmen den Löwenanteil der Budgets in die klassische Werbung. Doch knapp ein Viertel der befragten Marketingentscheider ist der Meinung, dass das Internet die klassische Werbung als neues Leitinstrument ablösen wird. Laut der Mediaagentur OMD wird dieser Wendepunkt bereits in 2011 (progressives Szenario) bzw. spätestens
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Dagobert Hartmann
in 2012 (konservatives Szenario) erreicht sein (vgl. OMD, 2009). Dann investieren die Unternehmen erstmals mehr in Online-Werbung als in TV-Commercials. Nach der Krise haben sich viele Unternehmen an das niedrige Budgetniveau gewöhnt und überdenken systematisch ihre traditionelle Budgetierungspraxis: Sie nehmen Abstand von der Einweg-Kommunikation und der Push-Information und setzen stattdessen auf den Dialog und die Interaktion mit dem Kunden. Abb. 1: Budgetshift in der Marketingkommunikation Budgetkürzung 2009
Ranking nach Budgetanteil
Klassische Werbung Messebeteiligung
-12,3 % -11,7 %
Neue Medien
7,7 %
Events Sponsoring Promotions Public Relations Direct-Mailings
Budgeterhöhung 2009
-10,2 % -14,1 % -9,5 % -5,7 % -7,8 % ø -10,8 % Kommunikationsbudget
„Um wie viel Prozent wird sich Ihr Budget für die folgenden Instrumente in diesem Geschäftsjahr (2009) verringern bzw. erhöhen?“
Quelle: Uniplan
2.2 Pepsi Refresh Project – User Generated Content Ein Blick über den Atlantik zeigt, wohin die Reise geht. In 2010 überraschte Pepsi Cola die Marketingwelt mit einem Strategiewechsel (vgl. Warren, 2009). Der Getränkehersteller verzichtete nach 23 Jahren auf seine traditionellen TV-Commercials zum Super Bowl. Das Endspiel der National Football League ist mit über 100 Mio. Zuschauern das bedeutendste Sport- und Werbeereignis der USA. Zu dem Megaevent wurden von Pepsi Cola in den letzten Jahren eigene TV-Spots mit Megastars wie Cindy Crawford oder Britney Spears produziert. Stattdessen investierte der Getränkekonzern über 20 Mio. Dollar in Social Media-Aktivitäten. Über die Online-Plattform „www.refresheverything.com“ konnten die User gemeinnützige Projekte aus unterschiedlichen Lebensbereichen vorschlagen und ihre Stimme für die favorisierten Projekte abgeben. Insgesamt haben bis Ende 2010 über 350 Projektvorschläge jeweils ein Spendengeld zwischen 5.000 und 250.000 Dollar erhalten. Mit dem Pepsi Refresh-Projekt hat der Getränkekonzern einen neuen Kurs eingeschlagen – der sich am besten unter dem Schlagwort vom „telling“ zum „doing“ subsumieren
User Generated Events
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lässt. Statt standardisierte Werbebotschaften an ein Millionenpublikum zu richten, etabliert Pepsi Cola eine soziale Austauschplattform und übernimmt als Förderer von gemeinnützigen Projekten eine wichtige Rolle im Alltag der Konsumenten. 2.3 Das neue Kommunikationsmodell – „many-to-many“ Mit dem Voranschreiten des Social Webs werden die Kunden nicht nur souveräner und unabhängiger („empowered customer“), sondern wandelt sich auch unser Kommunikationsmodell grundlegend. Gab es früher einen Sender, der seine Botschaft an definierte Empfänger sendete („one-to-many“), so ist heute in der Web 2.0-Ära jeder Empfänger auch gleichzeitig ein Sender („many-to-many“). Unternehmen sind nur noch ein Sender unter vielen, deren Botschaften in Konkurrenz zu den Usergenerierten Beiträgen stehen. Die Kunden sind die neuen Autoritäten und Multiplikatoren im Markt. Unternehmen können Kommunikation nur noch anstoßen und einen Rahmen setzen, aber nicht mehr vollständig kontrollieren. Diesen Kontrollverlust zu akzeptieren, fällt vielen Marketingverantwortlichen schwer. Sie müssen lernen, die Zügel der Marketingkontrolle lockerzulassen und einen Teil der Wertschöpfung in die Hände der Konsumenten zu geben. Dabei werden die Unternehmen, die die Kundenintegration als Chance und nicht als Bedrohung sehen, langfristig einen nicht zu imitierenden Wettbewerbsvorteil erlangen. Abb. 2: Das neue Kommunikationsmodell - "many-to-many"
Quelle: Uniplan
3 Live und Virtual Communication Welchen Stellenwert wird die Live Communication in Zukunft bei der Neuausrichtung der Kommunikationsportfolios einnehmen? Wird diese mit zunehmender Verbreitung der Virtual Communication einem Substitutionsdruck unterliegen? Oder können durch
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Dagobert Hartmann
die intelligente Verknüpfung beider Kommunikationsarten neue Synergiepotentiale erschlossen werden? 3.1 Ford Explorer – der virtuelle Launch In den USA bricht Ford mit den traditionellen Regeln der Markenführung (vgl. Grove, 2010): Am 26. Juli 2010 enthüllten Mike Rowe vom Discovery Channel und Alan Mully, der CEO des Automobilkonzerns, den Ford Explorer exklusiv auf Facebook. Um der Marke ein menschliches Gesicht zu geben, präsentierten Ford-Mitarbeiter weitere Details des Automobils in Online-Videos. Das Interesse der User war so hoch, dass sich bereits vor dem offiziellen Launch über 30.000 Fans auf Facebook angemeldet haben, um an der Verlosung eines Ford Explorers teilzunehmen. Dies ist das erste Mal, dass ein großer Automobilkonzern auf den traditionellen Launch auf einer Automobilmesse verzichtet und eine Weltpremiere virtuell im Internet zeigt. Ein halbes Jahr später wurde der virtuelle Pre-Launch durch eine Offline-Roadshow in mehreren großen Städten der USA ergänzt. Durch die Facebook-Kampagne schaffte es Ford, frühzeitig eine treue Fan-Community aufzubauen, die dann problemlos für die spätere Roadshow-Teilnahme aktiviert werden konnte. Ein virtueller Produktlaunch kann also die Begehrlichkeit für ein Nischenprodukt wecken, aber eine Testfahrt im realen Leben (d. h. eine echte Produkterfahrung) nicht ersetzen. 3.2 Die perfekte Symbiose – live plus virtual Doch ist in Zukunft alles nur noch digital? Welche Rolle spielt die Live Communication im Web 2.0-Zeitalter? Uniplan LiveTrends fragte die Entscheider nach dem Verhältnis der beiden Kommunikationsarten. So sind nur 10 % der Befragten der Meinung, dass virtuelle Welten in Zukunft physische Veranstaltungen ersetzen werden. Die Virtual Communication scheint die Live Communication also nicht zu kannibalisieren, sondern ganz im Gegenteil: Knapp zwei Drittel betonen, dass mit zunehmender Virtualisierung der Kommunikation das Bedürfnis nach persönlicher Begegnung im echten Leben zunehmen wird. Es geht also nicht um ein „Entwederoder“, sondern um ein „Sowohl-als-auch“ der beiden Kommunikationsarten. Doch worin liegen nun die besonderen Stärken von Live Communication sowie den digitalen und sozialen Medien? Uniplan LiveTrends legte den Befragten eine Liste mit fünfzehn Kriterien vor. Das Ergebnis ist eindeutig: Die Live Communication punktet beim Thema Vertrauensaufbau. Ist sie doch in der Lage, dem Kunden im persönlichen Gespräch das Gefühl zu geben, ernst genommen und wertgeschätzt zu werden. Sie schafft zudem das, was selbst das beste Interneterlebnis nicht leisten kann: eine Marke
User Generated Events
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mit allen Sinnen erlebbar zu machen. Gerade in der multisensorischen Inszenierung liegt der enorme Wirkungsvorteil der Live Communication. Denn je mehr Sinne innerhalb eines Markenerlebnisses angesprochen werden, desto intensiver wird die Marke erinnert und desto nachhaltiger wird die Bindung zwischen Konsument und Marke. Abb. 3: Leistungsprofil der Live und der Virtual Communication Top-3-Kriterien
Überlegenheit Live Com
71,8 %
Vertrauensaufbau Multisensualität
67,1 %
Kundenbindung
64,9 %
Bottom-3-Kriterien
Bildung von Communities Reichweite Kontaktkosten
Überlegenheit Virtual Com
81,2 % 79,2 % 76,2 %
„Bei welchem der folgenden Kriterien ist die Live Communication der Virtual Communication überlegen?“
Quelle: Uniplan
Die Social Media hingegen erzielen bei gegebenen Kosten eine hohe Reichweite, die weit über die von traditionellen Medien hinausgehen kann. Darüber hinaus sind sie in der Lage, für Nutzer mit gleichen Interessengebieten „communities of choice“ zu formen. Genau in diesem Punkt stimulieren sich Social Media und Live Communication gegenseitig. Rund zwei Drittel der Befragten sind der Meinung, dass Online-Communities starke Anreize zur persönlichen Begegnung auf realen Veranstaltungen („mass mingling“) bieten. Beide Instrumente ergänzen sich also ideal und unterstützen sich gegenseitig in ihrer Wirkung. Der Schlüssel zum Wirkungserfolg liegt in der Bündelung der jeweiligen Stärken sowie der intelligenten Verknüpfung der beiden Dialoginstrumente. 3.2.1 Integrierte Planung erforderlich Wurden Kunden bislang auf Events und Messen nur punktuell angesprochen, so geht es in Zukunft darum, einen kontinuierlichen und nachhaltigen Kundendialog zu führen. Durch die Integration von Online-Kanälen lässt sich der Lebenszyklus von Live Communication erheblich verlängern. So ist es möglich, den Kundendialog schon
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Dagobert Hartmann
lange vor der eigentlichen Veranstaltung zu initiieren und ihn noch lange danach weiter aufrechtzuerhalten. Durch die virtuelle Kundenintegration entstehen neue „hybride“ Veranstaltungsformate, die reale und virtuelle Elemente miteinander kombinieren. Um diese aufeinander abzustimmen, bedarf es einer integrierten Planung über alle Phasen – vor, während und nach – einer Veranstaltung. Abb. 4: Integration von Live und Virtual Communication
VOR
Blogs / Foren Social Networks Video Sharing Mobile Media Gaming Virtuelle Welten „Buzz“ / „WoM“ User Generated Content Crowdsourcing etc.
WÄHREND
NACH
Physische Veranstaltung
Æ Dialog über alle Phasen + Integration des Kunden!
Quelle: Uniplan
3.2.2 Maßnahmen vor der Veranstaltung Social Media sind ein wirkungsvolles Promotion-Instrument: Nicht mehr die Unternehmen, sondern die Nutzer selbst verbreiten – als authentische Multiplikatoren – die Informationen über die Veranstaltung im Netz. Die persönliche Einladung über das soziale Netzwerk erfährt dabei einen höheren Stellenwert als eine traditionelle Anzeige oder ein standardisiertes Mailing. Unternehmen sind nicht mehr auf ihre eigenen Datenbanken angewiesen, sondern haben ein wachsendes Netzwerk, das das Event oder die Messe für sie im Netz promotet. Durch den Viraleffekt der Netzwerke lässt sich die Reichweite von Live Communication erheblich verlängern. Darüber hinaus kann bereits in der Planungsphase das Feedback der User eingeholt und die Veranstaltung frühzeitig an die Kundenbedürfnisse angepasst werden. Über Engagement-Taktiken wie Votings, Gaming, Videosharing etc. kann der User eigene Inhalte produzieren und als „Co-Creator“ aktiv in das Eventdesign mit eingebunden werden.
User Generated Events
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3.2.3 Maßnahmen während der Veranstaltung Dank immer ausgereifterer Streaming-Technologien können Events und Messen in Echtzeit ins Internet übertragen werden. Neben den anwesenden Teilnehmern können auch die virtuellen User an der Live-Inszenierung teilhaben. Dabei bleibt es nicht beim reinen „Broadcasting“, sondern über „Backchannels“ können die virtuellen Teilnehmer mit den Anwesenden vor Ort interagieren. Dabei helfen vor allem mobile Internetanwendungen, die Dynamik und Interaktion zu steigern und einer Veranstaltung im wahrsten Sinne des Wortes neues „Leben“ einzuhauchen. Die Erfahrungen – aus den USA – zeigen, dass der „virtual compagnion“ das „face-2-face-event“ nicht kannibalisiert, sondern positiv beeinflusst. Denn die virtuellen Teilnehmer können sich selbst einen Eindruck von der Qualität der Veranstaltung machen und sind – eine positive Bewertung vorausgesetzt – beim nächsten Mal eher bereit, selbst vor Ort live dabei zu sein. 3.2.4 Maßnahmen nach der Veranstaltung Nach dem Event geht es darum, das Live-Erlebnis in der digitalen Welt weiter fortzuführen. Der einmal begonnene Kundendialog darf nicht abreißen und ist über Blogs, Foren und Websites weiterzuführen. So können fehlende Inhalte als Follow-Up bereitgestellt, Fotos der Teilnehmer oder Videos der Key Note Speaker hochgeladen oder per Fragebogen Feedback zur Veranstaltung eingeholt werden. Auf diese Weise lässt sich nicht nur die Identifikation der Teilnehmer („Ich-war-dabei-Effekt“) stärken, sondern auch die Bereitschaft, an einer Folgeveranstaltung teilzunehmen. Im besten Falle lassen sich feste Communities um Veranstaltungen herum aufbauen. LiveAuftritte sind dann nicht mehr länger punktuelle Ereignisse, die einen oder wenige Tage dauern, sondern werden zu Dialogplattformen, die mehrere Wochen oder sogar Monate „on air“ sind. Im Idealfall ist ein ganzjähriger dauerhafter Kundendialog („365 Tage Kommunikation“) möglich. 3.3 Ford Fiesta Movement – das „365-Community Event“ In den USA ist Ford mit dem „Fiesta Movement“ einen neuen Weg bei der Markteinführung gegangen (vgl. Effie, 2010). Bei dieser „grassroots“-Kampagne wurde das neue Modell inklusive Benzin und Versicherung kostenlos in die Hände von 100 Meinungsführern gegeben. Die einzige Bedingung für die „social agents“ war, einmal im Monat eine sogenannte „mission“ (mal mit bzw. mal ohne Ford Fiesta) zu erfüllen sowie Videos und Fotos der Mission über Facebook, Twitter, YouTube, Flickr etc. zu verbreiten. Um die passenden Testfahrer zu finden, startete der CEO Alan Mullay auf
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Dagobert Hartmann
der NAIS (North American International Auto Show) in Detroit einen einmaligen Bewerbungsaufruf. Für die sechsmonatigen Testfahrten meldeten sich über 4.000 Interessenten, aus denen die 100 Meinungsführer ausgewählt wurden. Ohne einen Dollar an Mediabudget auszugeben, hat die Social Media-Kampagne ein enormes „Buzz“ im Netz erzeugt: Über 31.000 einzelne Inhalte wie Video- und Foto-Uploads wurden erstellt und damit insgesamt über 3,7 Mio. „views“ auf YouTube und 2,8 Mio. „tweets“ auf Twitter erzielt. Durch die Ansprache der 100 „influencer“ hat Ford es geschafft, die User über ein Jahr lang zu involvieren. Ein solches nachhaltiges Kundeninvolvement wäre durch einen traditionellen „Offline-Testdrive“ nicht zu erreichen gewesen. Dank des enormen Anfangserfolges sind weitere Fortsetzungsrunden des „Fiesta Movement“ geplant. Damit gelingt es Ford, um den neuen Fiesta herum eine dauerhafte Eventserie mit einer festen Fan-Community zu etablieren.
4 Schlussbetrachtung Mit dem digitalen Medienwandel entwickelt sich auch die Live Communication weiter. In Zukunft wird diese immer mehr mit der Virtual Communication „verschmelzen“. Es entstehen neue „hybride“ Veranstaltungsformate, die die Grenzen zwischen realem und virtuellem Erleben aufheben. Durch die Integration der digitalen und sozialen Kanäle lässt sich der Lebenszyklus von Live Communication erheblich verlängern. Events und Messen sind in Zukunft nicht mehr länger punktuelle „SolitärEreignisse“, sondern werden zu medial vernetzten „Ganzjahresveranstaltungen.“ Der ehemals passive Kunde erlangt eine aktive Rolle und wird zum Co-Produzenten, Ideengeber, Meinungsbildner und Markenbotschafter. Live-Auftritte werden auf diese Weise zu attraktiven „Content-Lieferanten“, die ihre volle Kraft in den virtuellen Medien entfalten. Damit avanciert die Live Communication im Idealfall zum zentralen Referenzpunkt („Epizentrum“) für die gesamte Marketingkommunikation. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. Um mehr „socialness“ in die Live Communication zu bringen, ist ein kultureller Wandel in den Unternehmen notwendig. Die Marketingverantwortlichen müssen lernen, die Kontrolle über die Marken ein Stück weit an die neuen Autoritäten im Markt, die Konsumenten, abzugeben – oder um mit A. G. Lafley zu sprechen: „We need to learn to let go.“
User Generated Events Anhang 1: Pepsi Cola Refresh Everything Project
Anhang 2: Ford Explorer Facebook Reveal
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User Generated Events
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Literaturverzeichnis DOVER, M.; MOFFITT, S. (2010): Wiki Brands, Reinvent Your Company In A Customer-Drivern Marketplace, New York u. a. 2010. EFFIE WORLDWIDE (2010): 2010 Gold Effie Winner, Fiesta Movement (siehe: http://www.effie.org/winners/showcase/2010/4279). GOSSIEAUX, F.; MORAN, E. K. (2010): The Hyper-Social-Organisation, Eclipse Your Competition By Leveraging Social Media, New York u. a. 2010. GROVE, J. V. (2010): Inside The Ford Explorer Facebook Reveal, Blogbeitrag auf mashable vom 26.07.2010 (siehe: http://mashable.com/2010/07/26/ford-explorerfacebook-reveal). HARTMANN, D. (2008): Wertschöpfung durch Live Communication, in: Herbrand, N. O. et al. (Hrsg.): Schauplätze dreidimensionaler Markeninszenierung, Stuttgart, S. 119–134. HARTMANN, D. (2011): Live Communication und Social Media – die perfekte Symbiose‚ in: MRSG Marketing Review St. Gallen, Sonderheft Live Communication, 28. Jahrgang, Ausgabe Nr. 02/2011, S. 34–39. HETTLER, U. (2010): Social Media Marketing, Marketing mit Blogs, Sozialen Netzwerken und weiteren Anwendungen des Web 2.0, München 2010. KIRCHGEORG, M.; BRUHN, M.; HARTMANN, D. (2011): Substitution oder Integration: Live Communication im Wandel der Kommunikationsportfolios, in: MRSG Marketing Review St. Gallen, Sonderheft Live Communication, 28. Jahrgang, Ausgabe Nr. 02/2011, S. 7–13. KIRCHGEORG, M.; SPRINGER, C.; BRÜHE, C. (2009a): Live Communication Management, Ein strategischer Leitfaden zur Konzeption, Umsetzung und Erfolgskontrolle, Wiesbaden 2009. KIRCHGEORG, M.; ERMER, B.; BRÜHE, C.; HARTMANN, D. (2009b): LiveTrends 2009/10, live@virtuell – neue Formen des Kundendialogs, Köln und Leipzig 2009. LI, C.; BERNOFF, J. (2009): Facebook, You Tube, Xing & Co. Gewinnen mit Social Technologies (Titel der amerikanischen Originalausgabe: Groundswell. Winning in a World Transformed by Social Technologies), München 2009. OMD (2009): Media Map 2010–2020, Düsseldorf, 2009 http://www.media-map.de bzw. http://www.omdgermany.de).
(siehe
auch:
QUALMAN, E. (2010): Socialnomics. Wie Social Media Wirtschaft und Gesellschaft verändern (Titel der amerikanischen Originalausgabe: Socialnomics. How social media transforms the way we live and do business), Heidelberg u. a. 2010. WARREN, M. (2009): Pepsi to Skip Super Bowl Ads in Favor of $20M Social Media Campaign, Blogbeitrag auf mashable vom 23.12.2009 (siehe: http://mashable.com/2009/12/23/pepsi-super-bowl/).
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Dagobert Hartmann
WEINBERG, T. (2009): Social Media Marketing, Strategien für Twitter, Facebook & Co. (deutsche Bearbeitung der amerikanischen Originalausgabe: The New Community Rules, Marketing on the Social Web), Köln u. a. 2009.
André Schneider Events als Kommunikationsinstrument im Hochschulmarketing
1
Einleitung
2
Events als Kommunikationsinstrument im Hochschulmarketing
3
Ziel und Methodik der umfragebasierten Untersuchung
4
Ergebnisse der Studie
5
4.1
Institutioneller Rahmen des Eventmarketing
4.2
Ziele des Eventmarketing
4.3
Veranstaltungstypen
4.4
Veranstaltungsstätte
4.5
Eventaktivitäten
4.6
Vernetzung des Instruments
4.7
Erfolgskontrolle
4.8
Perspektiven des Eventmarketing an Hochschulen
Fazit 5.1
Zusammenfassung der Ergebnisse
5.2
Professionalisierungsmöglichkeiten
5.3
Zukünftiger Forschungsbedarf
Literaturverzeichnis
C. Zanger (Hrsg.), Erfolg mit nachhaltigen Eventkonzepten, DOI 10.1007/978-3-8349-6885-2_4, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
Events als Kommunikationsinstrument im Hochschulmarketing
39
1 Einleitung In den letzten Jahren ist die Entwicklung im Hochschulsektor durch umfassende Struktur- und Wettbewerbsveränderungen gekennzeichnet. Tradierte Hochschulen sehen sich auf ihrem angestammten Umfeld vollkommen neuen, nicht nur nationalen, sondern auch internationalen Wettbewerbern ausgesetzt. Neue Bildungskonzepte und Leistungskategorien entstehen. Demnach ist ein zunehmender Wettbewerbsdruck auf die Hochschulen zu verzeichnen. Das klassische Umfeld und Strukturen in der Hochschullandschaft sind deutlich in Bewegung geraten, wenig ist so wie es einst war. Damit gewinnt eine klare Positionierung, Strategieausrichtung und Kommunikation hinsichtlich einer positiven Entwicklung und das langfristige Überleben der Hochschulen an Bedeutung. Die Entwicklungen fordern die Hochschulen und insbesondere ihre Kommunikation nach innen und außen in einem ganz neuen Ausmaß. Demzufolge müssen sich Hochschulen in einem komplexen System von Austauschbeziehungen mit eigenen Identitäten entwickeln und sich als unverkennbare Bildungsinstitutionen mit eigenen prägnanten Profilen gegenüber ihren Ziel- und Anspruchsgruppen präsentieren. Im kommunikativen Netzwerk gewinnt hierbei vor allem das Marketing und die Öffentlichkeitsarbeit an Bedeutung und hat zunehmend vielfältige Aufgaben zu erfüllen. In diesem Kontext erkennen immer mehr Hochschulen, dass die Kommunikation in der Lage ist, ihren Erfolg im Wettbewerbsumfeld nachhaltig positiv zu beeinflussen. Für ihre Ziele und Ergebnisse wie auch für die gesellschaftliche Reputation gewinnt die Kommunikation als strategischer Erfolgsfaktor zunehmend an Bedeutung. Die steigende Anzahl von wissenschaftlichen Beiträgen und Studien zur Problemstellung des Marketing und der Kommunikation der Bildungseinrichtungen spiegeln diesen Zusammenhang wider (vgl. Schneider 2010; Bernecker 2007; Bühler u.a. 2007; Wefers 2007; Arndt 2006; Brüser 2006; Bode 2006; Julius 2006; Voss/Gruber 2006; Gerhard 2004; Jenckel 2005; Escher 2001). Neben der Entwicklungsdynamik der Hochschulumwelt und den veränderten Wertvorstellungen der Ziel- und Anspruchsgruppen kann festgehalten werden, dass insbesondere die Entwicklungen auf den Medienmärkten prägend für die vergangenen Jahre war. In der Hochschullandschaft herrscht ein Kommunikationswettbewerb, der sich in einem Überangebot an Informationen auf der Seite der Zielgruppen und auch in einem sinkenden Interesse an der klassischen Werbung dokumentiert.
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André Schneider
Das Kommunikationsmanagement der Hochschule muss sich den aus den Veränderungsprozessen ergebenden Chancen und Risiken der Kommunikationsmärkte stellen. Aufgrund der aufgezeigten Änderungen des Verhaltens und der Werte der Ziel- und Anspruchsgruppen und der gesellschaftlichen Erwartungen an die Hochschulen, wird der Erfolg der Institutionen in Zukunft ganz wesentlich von der gesellschaftlichen Akzeptanz der Marketingaktivitäten der Hochschule abhängen. Insbesondere diese Entwicklungen führten bei den Hochschulen zur Etablierung neuer kommunikationspolitischer Instrumente im Rahmen des Hochschulmarketing. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang das Eventmarketing. Trotz seiner organisatorischen Eigenständigkeit werden Events bei ihrem Einsatz inhaltlich, formal und zeitlich mit den anderen Kommunikationsinstrumenten abgestimmt. Dies kann beispielsweise mit der Werbung, der Öffentlichkeitsarbeit oder den Messen erfolgen (vgl. Zanger 2008, S. 288; Zanger/Sistenich 1996). In diesem Zusammenhang ist nicht nur das Bestreben vieler Organisationen im Bereich der Wirtschaft, möglichst viele Bereiche des direkten Kontaktes mit den Ziel- und Anspruchsgruppen einer so genannten „Eventisierung“ zu unterwerfen, um eine stärkere Aufmerksamkeit und Emotionalisierung zu erreichen (vgl. Zanger/Klaus 2004). Vielmehr setzen auch die Hochschulen immer mehr auf dieses Kommunikationsinstrument im Rahmen ihrer Marketing- und PR-Aktivitäten (vgl. Keupp 2007, S. 1189f.).
2 Events als Kommunikationsinstrument im Hochschulmarketing Die Inszenierung von erlebnisorientierten Veranstaltungen als eines der Instrumente der Kommunikationspolitik von Hochschulen kann unter dem Begriff des Eventmarketing zusammengefasst werden. Das Eventmarketing stellt einen Prozess der zielorientierten, systematischen Planung dar, welcher eine konzeptionelle und organisatorische Vorbereitung, Realisierung sowie Nachbereitung von erlebnisorientierten Veranstaltungen im Rahmen der Kommunikationspolitik von Hochschulen beinhaltet. Ein Marketing-Event ist in diesem Zusammenhang ein von der Hochschule selbst initiiertes Ereignis, das dem Adressaten (interne und externe Zielgruppen) in Form einer Veranstaltung oder Aktion, hochschul-, studien- oder forschungsbezogene Kommunikationsinhalte erlebnisorientiert vermitteln soll, indem mittels multisensualer Ansprache eine Aktivierung der Adressaten für die Aufnahme der Inhalte der Kommunikation und deren emotionalen Verankerung im Gedächtnis erreicht wird (vgl. Zanger 2010, S. 5; Zanger/Drengner 2009, S. 197).
Events als Kommunikationsinstrument im Hochschulmarketing
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3 Ziel und Methodik der umfragebasierten Untersuchung Das zentrale Anliegen der vorliegenden Studie ist, den Status quo von Marketingevents für Hochschulen auf empirischer Ebene aufzuzeigen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollen einen Beitrag für eine größere Transparenz leisten, Optimierungspotentiale sowie die Handlungsempfehlungen aufzeigen, um nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für die Hochschulpraxis einen Beitrag zur Professionalisierung des Eventmarketing im Rahmen des Hochschulmarketing zu leisten. Vor der Durchführung der Datenerhebung galt es, die Frage nach dem Untersuchungsansatz, Untersuchungsbereich und Kreis der Befragten zu stellen. Für die Ermittlung des Status quo von Marketing-Events an deutschen Hochschulen ist eine hinreichend große Stichprobe aus der Gesamtzahl der Verantwortlichen für das Eventmarketing an den Hochschulen in Deutschland notwendig. Um dies sicherstellen zu können, wurde eine standardisierte schriftliche Fragebogenerhebung über das Internet als Untersuchungsansatz ausgewählt. Dabei wurde ein Fragebogen mit geschlossenen und offenen Fragen genutzt. Den Untersuchungsbereich bilden dem Untersuchungsobjekt der vorliegenden Arbeit entsprechend alle deutschen Hochschulen. In Deutschland wurden im Jahr 2010 insgesamt 371 Hochschulen verschiedener Größen und Trägerschaft gezählt. Zum Kreis der Befragten gehörten Hochschulmitglieder, die für das Eventmanagement an den Hochschulen zuständig sind. Unter diesen waren Mitglieder der Hochschulleitung und -verwaltung, Leiter der Marketing- und Pressestellen sowie Mitarbeiter aus diesen Bereichen. Die durchgeführte empirische Studie richtete ihren Fokus auf die Themenbereiche der Rahmenbedingungen für den Einsatz, der Situation des Eventmarketing zur Konzeption, Planung, Durchführung und Kontrolle, der heutigen und zukünftige Bedeutung sowie des Optimierungs- und Handlungsbedarfs aus Sicht der deutschen Hochschulen. Die Datenerhebung erfolgte im Zeitraum vom 5. April bis zum 15. Mai 2010 in Form einer Online-Erhebung. Es wurde ein Anschreiben an 1.123 Angehörige aus den Bereichen der Leitung, Verwaltung sowie den Presse- und Marketingstellen aller deutschen Hochschulen übersandt, die mittels einer Onlinerecherche identifiziert worden waren.
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André Schneider
Die statistische Aufbereitung der erhobenen Daten wurde mit Hilfe der Analysesoftware SPSS 17.0 durchgeführt. Nach Bereinigung der Daten, vor allem von unvollständig ausgefüllten Fragebögen, konnte in den weiteren Analysen eine auswertbare Stichprobe von n=184 genutzt werden. Dies entspricht einer Stichprobenausschöpfung von 16 Prozent. Dieses Ergebnis ist sehr positiv zu bewerten, insbesondere vor dem Hintergrund der personellen Kapazitätsengpässe an den Hochschulen und des für die Bearbeitungszeit erforderlichen hohen Zeitaufwandes von ca. 30 bis 35 Minuten.
4 Ergebnisse der Studie 4.1 Institutioneller Rahmen des Eventmarketing Hinsichtlich der organisationalen Zuordnung des Eventmarketing in der Organisationsstruktur der Hochschulen zeigt sich, dass in 36 Prozent der Nennungen dieses im Bereich der Abteilung für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verankert ist. Weiterhin sind 22 Prozent in der Abteilung für Hochschulmarketing organisiert. Über eine eigene Eventmarketingabteilung verfügen nur 4 Prozent der Hochschulen. Im Bereich des Rektorrats bzw. des Präsidiums ist das Eventmarketing in 25 Prozent der Hochschulen organisatorisch zugeordnet. Lediglich in 3 Prozent der Nennungen wird auf den Bereich der Verwaltungsleitung verwiesen. Bezüglich der Personalsituation stehen an mehr als der Hälfte der deutschen Hochschulen zwei bis drei Mitarbeiter für das Thema Eventmarketing zur Verfügung. Nur ein Mitarbeiter kann in 39 Prozent der befragten Hochschulen für das Eventmarketing bereitgestellt werden. Mit vier bis fünf Mitarbeitern sind nur 6 Prozent ausgestattet. Mehr als fünf Mitarbeiter können nur rund 1 Prozent der Hochschulen aufweisen. Hinsichtlich der Entwicklung der Personalsituation im Eventmarketing an den Hochschulen ist festzustellen, dass bei jeder zweiten Hochschule die Mitarbeiterzahl in den letzten drei Jahren gestiegen ist. In 44 Prozent ist die Personalsituation über den Betrachtungszeitraum konstant geblieben. Lediglich 6 Prozent der Hochschulen haben einen Rückgang der Mitarbeiterzahlen zu verzeichnen. 4.2 Ziele des Eventmarketing Das Eventmarketing eignet sich in Bezug auf die Zielerreichung vor allem zum Erreichen affektiv-orientierter Ziele. Dies liegt insbesondere an der spezifischen Kommunikationsqualität des Instruments. Zu den affektiv-orientierten Zielen können
Events als Kommunikationsinstrument im Hochschulmarketing
43
beispielsweise die Positionierung der Hochschule oder von Studienangeboten durch Emotion oder auch der Aufbau und die Befriedigung von Beziehungen zwischen Absolventen und der Hochschule gezählt werden (vgl. Drengner 2008, S. 41; Bruhn 1997, S. 793f.). Weiterhin können über die erlebnisorientierte Gestaltung bzw. die erlebnisorientierte Einbeziehung der Zielgruppen in den Prozess der Kommunikation auch kognitivorientierte Ziele im Fokus der Marketing-Events stehen. Die Steigerung der Bekanntheit der Hochschule oder die Vermittlung von Informationen zu neuen Studienangeboten gehören beispielsweise zu diesen Zielen (vgl. Zanger/Drengner 2009, S. 200). Dementsprechend nutzen Hochschulen regelmäßig Events, um Abiturienten über ihr Angebot an Bachelor- und Masterstudiengängen zu informieren. Empirische Wirkungsanalysen haben gezeigt (vgl. Drengner 2008; Martensen u.a. 2007; Mau/Silberer/Weihe 2006; Lasslop 2003), dass das Eventmarketing auch zur Beeinflussung komplexer Konstrukte (z.B. Image, Einstellung) geeignet ist. Diese Konstrukte, die sowohl affektive als auch kognitive Komponenten enthalten, sind wiederum verhaltenswirksam und tragen somit indirekt zur Unterstützung konativer Ziele bei (vgl. Zanger/Drengner 2009, S. 200f.). Befragt nach den Zielen, die bei den Events an Hochschulen im Vordergrund stehen, legen die Verantwortlichen auf die Erhöhung der Bindung der Zielgruppen, Studentenanwerbung, Imageverbesserung sowie die Medienresonanz als sehr wichtig eingestuft (vgl. Abb. 1). Eher seltener konzentrieren sich die Events auf den kurzfristigen ökonomischen Erfolg der veranstaltenden Hochschulen. Die erstgenannten Zielsetzungen besitzen im Gegenteil einen hauptsächlich strategischen Charakter. Dies bestätigt sich auch bei der Fragestellung, welche Wirkung sich die Hochschulen vom Einsatz des Eventmarketing versprechen. Hierbei ergab sich, dass insgesamt 98 Prozent der Studienteilnehmer dem Instrument einen mittelfristigen bis langfristigen Erfolgsbeitrag zusprechen. Nur 2 Prozent sahen für das Eventmarketing eine kurzfristige Erfolgswirkung. Demzufolge wird das Eventmarketing von den Befragten der Hochschulen weniger als operatives, sondern vielmehr als strategisches Kommunikationsinstrument betrachtet.
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André Schneider
Abb. 1: Bedeutung von Eventzielen an Hochschulen „Wie wichtig sind die folgenden Ziele für das Eventmarketing an der Hochschule?“ Erhöhung der Bindung an die Hochschule (n = 181)
2,49
Studentenanwerbung (n = 182)
2,47
Verbesserung des Images (n = 180)
2,42
Medienresonanz (n = 181)
2,33
Mitarbeitermotivation (n = 178)
1,71
Präsentation von Ergebnissen der Forschung (n = 170)
1,52
Drittmittelanwerbung (n = 174)
1,39
0 = nicht wichtig 1 = weniger wichtig 2 = wichtig 3 = sehr wichtig
0
1
2
3
4.3 Veranstaltungstypen Im Rahmen des Eventmarketing wird an den Hochschulen eine Vielzahl von verschiedenen Typen von Veranstaltungen durchgeführt. Diese lassen sich in interne und externe Veranstaltungen differenzieren. Die nach extern orientierten Veranstaltungen haben primär die Akquisition der Zielgruppen und deren Bindung zum Ziel. Hierzu zählen beispielsweise Tag der offenen Tür, Informationstage, Roadshows, Veranstaltungen an Schulen und in Unternehmen, Messen- und Ausstellungen sowie Kinder-, Bürger- und Seniorenstudienveranstaltungen. Die intern orientierten Events dienen der erlebnisorientierten Informationsvermittlung, Motivationssteigerung sowie der Identifikation gegenüber den Mitgliedern der Hochschule. Ein Beispiel hierfür sind Ausflüge bzw. Reisen zu sehen. Bei verschiedenen Veranstaltungen handelt es sich jedoch um Mischformen, die interne und externe Adressaten gleichsam ansprechen. Diese Veranstaltungen richten sich an Mitarbeiter und Geschäftspartner sowie an die Medien, welche öffentlichkeitswirksam über das Ereignis berichten sollen. Pressekonferenzen, Tagungen, Seminare, Symposien und Konferenzen sind Beispiele dieser Kategorie. Zudem werden anlassorientierte Events ausgerichtet. Jubiläen, Festakte, Graduierungen, Preisverleihungen, Absolvententreffen oder auch Im- und Exmatrikulationen zählen zu diesen Veranstaltungstypen.
Events als Kommunikationsinstrument im Hochschulmarketing
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Befragt nach der Nutzungshäufigkeit der verschiedenen Veranstaltungstypen im Eventmarketing an Hochschulen ergeben sich die in der Abbildung 2 dargestellten Ergebnisse. Besonders häufig werden Veranstaltungen an Schulen organisiert, wobei über 60 Prozent der Befragten mehr als fünf Veranstaltungen dieses Typs im Jahr durchführen. Aus Sicht der Verantwortlichen wird der Veranstaltungstyp der Roadshow sehr selten für das Hochschulmarketing genutzt. Dennoch setzen verschiedene Hochschulen diesen Veranstaltungstyp erfolgreich ein. So werden beispielsweise von der TU Chemnitz regelmäßig Roadshows mit dem „Future Truck“ inszeniert. Im Rahmen dieser Events sollen z.B. Schüler für Technik und Naturwissenschaften begeistert und über Studienmöglichkeiten an der Universität an verschiedenen Orten in Deutschland informiert werden. Abb. 2: Nutzung von Veranstaltungstypen pro Jahr „Wie häufig nutzen die Hochschulen im Rahmen des Hochschulmarketing die folgenden Typen von Veranstaltungen im Jahr?“ Veranstaltungen an Schulen (n = 179) Ausstellungen (n = 180) Tagungen/ Konferenzen (n = 178)
7
20
8
28
3
37
16
Pressekonferenzen (n = 179)
22
1
42
24
35
36
23
34
1–2
25
23
14
21
73
0
26
12
62
Roadshows (n = 164) Anzahl der Veranstaltungstypen/ Jahr
61
29
Kinder-/ Seniorenuniversität (n = 176) Tag der offenen Tür (n = 181)
12
3–4
1 5
>5
Angaben in Prozent
4.4 Veranstaltungsstätte Mit der Wahl des Veranstaltungsstätte bzw. der Location besitzt die Hochschule die Chance, einen Themenbezug herzustellen und die Umsetzung des Eventkonzeptes mittels passenden Ambientes zu unterstützen (vgl. Inden-Lohmar 2007, S. 103; Inden 1993, S. 113). Durch die Schaffung von Atmosphäre und dem Ambiente kann die
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André Schneider
Veranstaltungsstätte für den Erfolg der Marketing-Events einen wichtigen Beitrag leisten (vgl. Erber 2005, S. 173f.). Abhängig von dem Eventanlass, Motto, Inhalt, Eventtyp sowie der Zielgruppe der Marketing-Events bieten sich neben den eigenen Hochschulgebäuden, eine Vielzahl von hochschulexternen Locations an. Die eigenen Gebäude der Hochschule zählen zu den am häufigsten genutzten Veranstaltungsstätten im Eventmarketing. So werden in 84 Prozent der Fälle mehr als fünf Events pro Jahr in diesen Locations inszeniert. Häufig werden weiterhin Messenund Kongresscenter, Museen sowie Firmengebäude von Hochschulpartnern genutzt. Sehr selten nutzen die Hochschulen hingegen solche Veranstaltungsorte wie Kinosäle, Konzerthallen und Opern, Sporthallen und Sportanlagen sowie Kirchen. Abb. 3: Nutzung von Veranstaltungsstätten pro Jahr „Wie häufig nutzen Hochschulen zur Veranstaltung von Marketing-Events die folgenden Locations im Jahr?“ Hochschulgebäude (n = 182)
3
13
27
Messen/ Kongresscenter (n = 175)
25
26
40
Firmengebäude von Partnern (n = 170)
32
54
Rathäuser (n = 171)
20
6
14
7
33
70
Sporthallen/ Sportanlagen (n = 163)
22
34
47
Museum/ Ausstellungen (n = 174)
8
23
74
Kirchen (n = 163) Anzahl der Veranstaltungen/ Jahr
84
0
1–2
5 2
24
3–4
5
2
>5
Angaben in Prozent
4.5 Eventaktivitäten Rund ein Fünftel der Hochschulen richtet im Jahr bis zu fünf Events aus. Bei 79 Prozent der Befragten werden teilweise deutlich mehr Marketing-Events inszeniert. Nur ein Sechstel der Hochschulen veranstalten mehr als 20 Events im Jahr, davon aber lediglich 1 Prozent mehr als 50 Veranstaltungen.
Events als Kommunikationsinstrument im Hochschulmarketing
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Für die Zukunft rechnen rund 55 Prozent der Verantwortlichen zukünftig mit einem Anstieg der Eventaktivitäten an der Hochschule. Zudem prognostizieren 44 Prozent der Befragten, dass die Anzahl der inszenierten Veranstaltungen konstant bleiben werden. 4.6 Vernetzung des Instruments Die Abstimmung des Eventmarketing mit anderen Kommunikationsinstrumenten kann auf inhaltliche, formale und zeitliche Weise erfolgen. In 92 Prozent der Nennungen erfolgt eine starke bis sehr starke inhaltliche Integration mit allen Maßnahmen, die das Eventmarketing mit den anderen Instrumenten der Hochschulkommunikation thematisch verbindet. Eine starke bis sehr starke formale Integration geben 76 Prozent der Hochschulen an. Die zeitliche Abstimmung des Eventmarketing mit den anderen Instrumenten sowie der Gewährleistung der zeitlichen Kontinuität wird von den befragten in 63 Prozent der Fälle als stark bis sehr stark bezeichnet. Somit findet im Eventmarketing eine stärkere formale als inhaltliche sowie zeitliche Integration statt. 4.7 Erfolgskontrolle Angesichts der vielfältigen, teils auch kostenintensiven Veranstaltungen, welche im Rahmen des Eventmarketing an deutschen Hochschulen eingesetzt werden, stellt sich die Frage nach der Effizienz und Effektivität dieses Einsatzes. Dies ist insbesondere aufgrund der personellen und finanziellen Ressourcenbeschränkungen ein bedeutender Aspekt. Von den befragten Hochschulen führen 58 Prozent eine Erfolgskontrolle durch. Demnach nutzen 42 Prozent die Erfolgskontrolle im Rahmen des Eventmarketing nicht, wobei 21 Prozent für die Zukunft eine Kontrolle geplant haben. Als häufigste Gründe dafür, dass keine Erfolgskontrolle durchgeführt wird, wird der zeitliche Aspekt in 42 Prozent sowie das Nichtvorhandensein eines geeigneten Instruments in 44 Prozent aufgeführt. Für nur 7 Prozent besteht aus eigener Ansicht keine Notwendigkeit der Kontrolle, gar 3 Prozent empfinden die Maßnahme der Evaluation als zu teuer. Zur Erfolgskontrolle werden die Befragung der Teilnehmer in 89 Prozent, die Beobachtung der Kontaktzahlen in 86 Prozent, die Befragung der eigenen Mitarbeiter in 70 Prozent sowie die Auswertung von Medienberichten in 65 Prozent der Nennungen als die häufigsten Verfahren eingesetzt. In nur 14 Prozent der Fälle fließen auch Urteile externer Gutachter bei der Evaluation ein. Auch die Erfolgsmessung
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André Schneider
anhand ökonomischer Kennzahlen wird nur von einem Viertel der Befragten als Kontrollinstrument eingesetzt. Um den Erfolg des Einsatzes vom Eventmarketing bestimmen zu können, sind klar definierte Ziele für die Marketing-Events eine notwendige Voraussetzung. Die Studie ergab, dass 79 Prozent der befragten Hochschulen messbare Ziele formulieren. Nur ein Fünftel der Teilnehmer der Studie können nicht auf konkrete Ziele zurückgreifen. 4.8 Perspektiven des Eventmarketing an Hochschulen Auf die Frage, welches der Kommunikationsinstrumente in Zukunft am stärksten an Bedeutung für das Hochschulmarketing gewinnen wird, gaben die Teilnehmer der Befragung in 62 Prozent der Fälle die Online-Kommunikation an. Mit 10 Prozent der Nennungen stehen das Eventmarketing und die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit deutlich hinter der Online-Kommunikation zurück. Keinen Bedeutungszuwachs wird hingegen den Instrumenten der klassischen Werbung sowie der Verkaufsförderung von den Hochschulen zugesprochen (vgl. Abb. 4). Abb. 4: Zukünftige Bedeutung der Kommunikationsinstrumente im Hochschulmarketing „Welches Kommunikationsinstrument wird in Zukunft am stärksten an Bedeutung gewinnen? Online-Marketing
62
Eventmarketing
10
Öffentlichkeitsarbeit / PR
10
Direkt-Kommunikation
7
Sponsoring
6
Interne Kommunikation
3
Messen- und Ausstellungen
2
Klassische Werbung
0
Angaben in Prozent, n = 182
Die Ergebnisse der Befragung, über die zukünftige Bedeutung der einzelnen Kommunikationsinstrumente, sind in Abbildung 5 dargestellt. Ein deutliches
Events als Kommunikationsinstrument im Hochschulmarketing
49
Wachstum wird für die Online-Kommunikation prognostiziert. Den Instrumenten der Hochschulkommunikation, wie beispielsweise der Internen Kommunikation, dem Eventmarketing oder auch der Öffentlichkeitsarbeit, wird ebenfalls ein Bedeutungszuwachs zugesprochen. Obwohl nur 2 Prozent der Studienteilnehmer die Messen- und Ausstellungen als das Instrument mit der stärksten zukünftige Bedeutung angesehen haben, sehen die Verantwortlichen dennoch, dass die Bedeutung in Zukunft auf einen bleibendes Niveau bleiben wird. Lediglich der Werbung wird in den nächsten Jahren durch die Hochschulen ein Bedeutungsverlust zugesprochen. Abb. 5: Zukünftige Entwicklung der Kommunikationsinstrumente hinsichtlich der Bedeutung
„Wie beurteilen Sie die zukünftige Entwicklung der folgenden Kommunikationsinstrumente hinsichtlich der Bedeutung für das Hochschulmarketing? Online-Marketing (n=178)
1,98
Interne Kommunikation (n = 178)
1,54
Eventmarketing (n = 178)
1,53
Sponsoring (n = 169)
1,47
Öffentlichkeitsarbeit / PR (n = 182)
1,41
Direkt-Kommunikation (n = 171)
1,35
Messen- und Ausstellungen (n = 179)
1,12
Klassische Werbung (n = 177)
0,50
Die Bedeutung nimmt …
0 ab
1 gleich
2 zu
5 Fazit 5.1 Zusammenfassung der Ergebnisse Das Eventmarketing hat sich an den Hochschulen als innovatives Instrument innerhalb der Kommunikationspolitik in den letzten Jahren gut etabliert. Fast 80 Prozent der Hochschulen richten mehr als fünf Events im Jahr aus. Ein Sechstel veranstaltet sogar mehr als 20 Events pro Jahr. Für die Zukunft offenbaren sich nach den Studienergebnissen für die Zukunft noch Wachstumspotentiale. So rechnen rund 55 Prozent der Verantwortlichen zukünftig mit einem Anstieg der Eventaktivitäten an der
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André Schneider
Hochschule. Dies kann auch mit Hilfe der Befragungsergebnisse hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung der Bedeutung des Eventmarketing bestätigt werden. Es prognostizierten in der Studie über 56 Prozent eine Zunahme und fast 40 Prozent mit einer gleich bleibenden Bedeutung des Instrumentes. Die organisatorische Verankerung des Eventmarketing liegt bei über 60 Prozent der befragten Hochschulen in den Abteilungen für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bzw. für Marketing. Nur in rund ein Viertel der Fälle liegt das Eventmarketing im Verantwortungsbereich des Rektorats bzw. Präsidiums. Die Personalsituation liegt bei mehr als der Hälfte der Einrichtungen bei einer Stärke von zwei bis drei Mitarbeitern. Jedoch steht in 39 Prozent der Hochschulen nur ein Mitarbeiter für das Thema zur Verfügung. Weiterhin hat sich in der Studie gezeigt, dass die Mehrzahl der Hochschulen das Eventmarketing als strategisches Instrument auffasst. Weniger als 3 Prozent der Befragten sehen lediglich einen kurzfristigen Wirkungshorizont des Instruments im Hochschulmarketing. 5.2 Professionalisierungsmöglichkeiten Auf Basis der gewonnen Erkenntnisse der empirischen Studie sowie des aktuellen Stands der wissenschaftlichen Forschung zum Thema des Event- und Hochschulmarketing werden im Folgenden Handlungsempfehlungen und Optimierungspotentiale für die Hochschulpraxis aufgezeigt. Mit der Inszenierung von Marketing-Events besteht das Ziel, den Eventbesuchern die Markenbotschaften bzw. Leistungen des Veranstalters stets in einem besonderen neuen, oftmals überraschenden Kontext zu präsentieren und diese damit bewusst aus der Alltagswirklichkeit zu führen. Die Intensität der Aktivierung liegt in der Größe der Differenz zum Alltagsleben und im Gelingen einer zielgruppenorientierten emotionalen Umsetzung der Kommunikationsinhalte begründet (vgl. Zanger 2008, S. 288). Der praktischen Umsetzung in der Hochschulpraxis kann die Auswahl des Veranstaltungsortes diesen Effekt positiv beeinflussen. Die empirische Studie ergab, dass die am häufigsten genutzte Eventlocations die eigenen Gebäude der Hochschulen darstellen. Weiterhin werden Messe- und Kongresscenter, Museen oder Gebäude von Unternehmen genutzt. Der Integration des Eventmarketing in der Hochschulkommunikation kommt eine zentrale Bedeutung zu, da sich durch die integrierte Kommunikation eine Vielzahl von
Events als Kommunikationsinstrument im Hochschulmarketing
51
Vorteilen ergibt. Die wesentlichen Vorteile eines aufeinander abgestimmten Einsatzes der Instrumente liegen beispielsweise in der Nutzung von Synergieeffekten, Kosteneinsparungen, stärkere Profilierung und Differenzierungswirkung der Hochschule sowie einer geringeren Gefahr der Irritation der Zielgruppen durch Widersprüche in der Kommunikation. Die Abstimmung des Eventmarketing mit andern Instrumenten der Hochschulkommunikation kann auf inhaltliche, formale und inhaltliche Weise erfolgen. Die inhaltliche Integration umfasst sämtliche Maßnahmen, die das Eventmarketing mit anderen Kommunikationsinstrumenten der Hochschulkommunikation thematisch verbindet, wodurch eine Widerspruchsfreiheit und gegenseitige Verstärkung der inhaltlichen Aussagen erreicht werden soll (vgl. Nufer 2007, S. 87). Die vorliegenden Ergebnisse der Studie weisen auf eine sehr hohe inhaltliche Integration des Eventmarketing hin. So erfolgt in fast 92 Prozent der Fälle eine starke bis sehr starke inhaltliche Abstimmung. Im Rahmen der formalen Integration sind bestimmte Gestaltungsprinzipien bei der Wiedergabe von Zeichen und Farben der Hochschulen einzuhalten, die für ein einheitliches Auftreten hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbildes der Einrichtungen unabdingbar sind. Rund 76 Prozent der Befragungsteilnehmer gaben eine starke bis sehr starke formale Integration der Events an. Demzufolge kann für fast ein Viertel der Hochschulen ein Optimierungsbedarf hinsichtlich der Abstimmung mit dem hochschulspezifischen Corporate Designs angestrebt werden. Die zeitliche Integration bezieht sich zum einem auf die Sicherstellung der zeitlichen Abstimmung zwischen den verschiedenen Instrumenten der Kommunikationspolitik zum anderen auf die Gewährleistung der zeitlichen Kontinuität innerhalb des Eventmarketing. Innerhalb der integrierten Kommunikation ergibt sich anhand der Studienergebnisse, wobei nur lediglich rund 63 Prozent der Hochschulen sich auf einem zufrieden stellenden Niveau befinden, für die zeitliche Abstimmung der höchste Optimierungsbedarf. Hierfür bietet sich als Hilfsmittel eine Termin- und Ereignisplanung an, die unter anderem auch integrativer Bestandteil eines eventspezifischen Projektmanagements sein kann. Um der umfassenden und nicht nur operativen, sondern auch strategischen Aufgabenfülle im Bereich des Eventmarketing gerecht zu werden, reicht es nicht nur eine angemessene personelle Ressourcenausstattung sicherzustellen sowie die Quantität anzupassen bzw. zu verbessern, sondern vor allem auch die fachliche Qualifikation der Mitarbeiter anzuheben. Deshalb muss die kontinuierliche Möglichkeit zur Weiterbildung gewährleistet sein. Aber auch die Zusammenarbeit mit
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André Schneider
externen Agenturen- und Dienstleistern sowie den hochschulinternen Fachbereichen kann als Möglichkeit für einen Erfahrungs- und Wissenstransfer genutzt werden. 5.3 Zukünftiger Forschungsbedarf Nach der zusammenfassenden Darstellung der Forschungsergebnisse dieser Arbeit und den praxisrelevanten Implikationen für das Eventmarketing an Hochschulen sollen im Folgenden einige Gedanken und Ansatzpunkte für weiteren Forschungsbedarf im Themenkomplex dieser Arbeit aufgezeigt werden. Da die Thematik des Eventmarketing für Hochschulen von der Marketingwissenschaft bislang weder systematisch noch umfassend bearbeitet worden ist, ergibt sich für die Zukunft ein umfangreicher Forschungsbedarf. Mögliche Ansatzpunkte für zukünftige vertiefende empirische Forschungsarbeiten lassen sich an verschiedenen Stellen der Studie finden, wie beispielsweise im Bereich der Erfolgsfaktorenforschung hinsichtlich des Eventmarketing für Hochschulen. Kennzeichnend für die Entscheidungsfindung auf Grundlage kritischer Erfolgsfaktoren ist die Überzeugung, dass trotz der Multidimensionalität und Multikausalität der Erfolg des Eventmarketing an den Hochschulen auf einige wenige zentrale Faktoren zurückgeführt werden kann. Durch das Wissen um den Ursprung des Erfolgs des Eventmarketing ist für die Hochschulpraxis ein direkter Nutzen ableitbar. Jedoch fehlt aktuell vielen Hochschulen eine empirische Entscheidungsgrundlage, auf deren Basis diese in Erfolg versprechende Maßnahmen investieren können. Nachdem durch die Untersuchung erstmals umfassende Ergebnisse für das Thema Eventmarketing an Hochschulen in Deutschland vorliegen, stellt sich die Frage nach möglichen Übereinstimmungen und Unterschieden in einem Vergleich mit verschiedenen Ländern. Die in dieser Studie gemachten Ausführungen, gefundenen Resultate und formulierten Empfehlungen basieren jedoch ausschließlich auf der Sicht der veranstaltenden Hochschulen. Eine Betrachtung hinsichtlich der verschiedenen Zielgruppen der Marketing-Events, wie z.B. Absolventen, Studenten oder auch Professoren, ist somit vernachlässigt worden. Hier könnten vertiefende empirische Studien helfen, mehr darüber zu erfahren, welche konkreten Anforderungen die Zielgruppen an ein professionelles und erfolgreiches Eventmarketing stellen. Wichtige Hinweise für strategische Entscheidungen sowie für die operative Gestaltung solcher Anlässe könnten so gewonnen werden.
Events als Kommunikationsinstrument im Hochschulmarketing
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Sören Bär Flashmob Marketing – Inszenierte Blitz-Events als Instrumente der emotionalen Markenkommunikation 1
Einführung und Problemstellung
2
Flashmobs und Flashmob Marketing – theoretische Grundlagen
3
4
2.1
Entstehung und Begriffsdefinition
2.2
Arten von Flashmobs und ihre Bedeutung für das Marketing
2.3
Einordnung des Flashmob Marketing
2.4
Flashmobs als (Marketing-)Events
Die Wirkung des Flashmob Marketing 3.1
Die Nutzung von Sozialtechniken zur Aktivierung
3.2
Steigerung der Markenbekanntheit
3.3
Erfolgskontrolle beim Flashmob Marketing
Fazit
Literaturverzeichnis
C. Zanger (Hrsg.), Erfolg mit nachhaltigen Eventkonzepten, DOI 10.1007/978-3-8349-6885-2_5, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
Flashmob Marketing
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1 Einführung und Problemstellung Bahnhof Liverpool Street Station in London am 15. Januar 2009 um 11:00 Uhr: Nachdem kurz zuvor noch eine der üblichen Bahnhofsdurchsagen erfolgt war, ertönt plötzlich wie aus dem Nichts laute Musik aus den Lautsprechern, und einige Passanten beginnen augenblicklich zu tanzen. Weitere Menschen schließen sich blitzartig an. Die tanzende Menschenmenge wird innerhalb kürzester Zeit immer größer. Hunderte Menschen tanzen eine perfekte Choreographie mit allgemein bekannten Bewegungen aus verschiedenen Musikstilen und –epochen, wie Walzer, 80er Jahre-Musik etc. Nach etwa zwei Minuten Spektakel stoppt die Musik, der Tanz endet abrupt, und die Passanten entfernen sich ohne Zögern. Danach sieht die Szenerie wieder exakt so aus wie zuvor, als ob sich nichts ereignet hätte (vgl. Scheele 2010, S. 138). Der Hintergrund dieses scheinbar völlig spontanen Geschehens enthüllt sich kurze Zeit später. Die Deutsche Telekom hat den so genannten „T-Mobile Dance“-Flashmob im Rahmen der Kampagne ’’Life’s for Sharing’’ für ihre Mobilfunktochter in achtwöchiger akribischer Vorbereitungszeit inszeniert, 350 professionelle Tänzer dafür engagiert und mit zehn Kameras gefilmt. War vor Ort noch kein unmittelbarer Bezug zur Marke T-Mobile erkennbar, so erfolgte die Auflösung, als der Film unmittelbar danach bereits auf dem Portal YouTube zu sehen war. Etwa ein halbes Jahr später hatten sich schon mehr als 13 Millionen Internet-User den „T-Mobile Dance“ online angeschaut. Der Werbespot im Flashmob-Stil gewann darüber hinaus den ’’TV Commercial of the Year Accolade’’ bei den British Television Advertising Awards. Am 08. November des gleichen Jahres 2009 kurz vor 12:00 Uhr veranstaltete die Deutsche Telekom den Flashmob „Chor ohne Grenzen” im Hauptbahnhof Leipzig, bei dem über 1000 Menschen, animiert vom der amerikanischen Chorleiter James Wood, die „Ode an die Freude“ aus der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven anstimmten. Als Slogan für die Kampagne diente „Grenzen gab’s gestern” – damit sollte der Bezug zum Mauerfall 20 Jahre zuvor hergestellt werden. In Leipzig war Paul Potts, der Star aus der britischen Talentshow „Das Supertalent”, der bereits 2008 in einem Werbespot der Telekom mitgewirkt hatte, anwesend, erschien plötzlich aus der Zuschauermenge auf der Treppe und stimmte mit in den Gesang ein, was für Begeisterung sorgte. Für Video-Aufnahmen wurden vor Ort 17 Kameras eingesetzt, und aus den Mitschnitten entstand dann ein Telekom-Werbespot, der die Emotionen der Anwesenden darstellte und sich damit im Einklang mit dem Claim und Gesamtkonzept des Unternehmens „Erleben, was verbindet” befand. Der Spot hatte bereits zwei Tage später Premiere auf verschiedenen Fernsehsendern und erfuhr ebenfalls eine hohe Resonanz im Internet...
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Sören Bär
Tendenzen der Marktsättigung und Probleme der Differenzierung von Angeboten und Produkten aufgrund hoher allgemeiner Qualitätsstandards und ähnlicher oder sogar identischer und somit austauschbarer Leistungskomponenten und Produktingredienzien zeigten sich bereits in der Mitte der 1980er Jahre deutlich (vgl. KroeberRiel 1984, S. 210 f.). Des Weiteren war schon damals eine zunehmende Informationsüberlastung des Menschen zu verzeichnen, was besondere Anforderungen an die Werbung stellte, um vom Individuum wahrgenommen zu werden. Marken und entsprechend die Markenkommunikation gewannen stark an Bedeutung. Kroeber-Riel erkannte die Notwendigkeit, Marken, Produkte und ganze Unternehmen zu inszenieren, damit sie sich wie Leuchttürme von der Konkurrenz abheben (vgl. Kroeber-Riel 1989, S. 78 ff.). Da sich eine Unterscheidung von Angeboten und Produkten anhand rationaler Kriterien seither immer schwieriger gestaltete, konzentrierte man sich auf die Schaffung emotionaler Werte als Zusatznutzen für die Konsumenten (vgl. Konert 1986, S. 187 f.). In diesem Kontext profilierten sich zahlreiche Marken und Unternehmen durch Erlebnismarketing (vgl. Weinberg 1992). Die Erlebnisorientierung der Gesellschaft (vgl. Schulze 1992, 2005) ist ein Trend, der unvermindert anhält und sich in den letzten Jahren sogar noch verstärkt hat. Schulze interpretiert in seiner kultursoziologischen Studie die Pluralisierung der Lebensstile als Zeichen einer neuen sozialen Differenzierung. Der neue Imperativ heißt „Erlebe dein Leben!“, was die Herausbildung verschiedener, auf Erlebnisse ausgerichteter Milieus impliziert (vgl. Schulze 2005). Eventmarketing dient unter diesen Voraussetzungen dazu, erlebnisorientierte Veranstaltungen – Events – zu inszenieren, um Marken, Produkte und Unternehmen emotional aufzuladen und eine Aktivierung der potenziellen Kunden zu erreichen (vgl. Zanger/Sistenich 1996, S. 234). Das zunehmende Versagen massenmedialer Kommunikation und die Reizüberflutung der Konsumenten durch die klassischen Werbeformen haben die Aufgabe für Unternehmen, sich von Konkurrenten abzuheben und Einzigartigkeit nachzuweisen, in jüngerer Vergangenheit noch zusätzlich erschwert. Kommunikationspolitik muss sich zwangsläufig am Zeitgeist orientieren, um den gegenwärtigen Gesprächs- und Gedankeninhalt der Zielgruppe zu erreichen. Das Methodenspektrum hat sich diesbezüglich von der passiven Nutzung hin zur aktiven Beeinflussung aktueller Phänomene und Trends gewandelt. Es gilt abzusichern, dass Informationen nicht nur gesendet, sondern auch wahrgenommen und verarbeitet werden. Nachdem eine Vielzahl von Kommunikationsmedien und -kanälen zur Übertragung zur Verfügung steht, geht es nunmehr darum, die besten Empfangsmöglichkeiten beim Rezipienten zu gewährleisten. Dafür sind zwei Ausprägungen denkbar. Zum einen sollte das
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Informationsdesign weiterentwickelt werden. Für ein relativ junges Kommunikationsinstrument wie das Eventmarketing bedeutet das, die nonverbale Informationsübertragung und die multisensuale Wirkung so zu gestalten, dass die Werbebotschaft noch latenter den Weg in die Köpfe potenzieller Kunden findet. Zum anderen lässt sich das Kommunikationsverhalten der Menschen im digitalen Zeitalter besser analysieren, so dass in der Ära des Web 2.0 Verbraucher selbst als Werbeträger und Sender von Informationen zum Einsatz kommen. Die Förderung von Markenbewusstsein und -präferenzen kann in einer Social Media-Welt zu viralen Effekten führen. Die große Bedeutung von Empfehlungen, von Mundpropaganda, ist schon sehr lange bekannt, aber die soziale Vernetzung im Internet ermöglicht nunmehr eine potenzierte Reichweite der Customer-to-Customer-Kommunikation. Zudem bietet sich virtuell die Möglichkeit der Personifizierung von Marken oder Unternehmen, was zur Schaffung neuer Vertrauensebenen führen kann. Das frühzeitige Erkennen und Generieren relevanter Trends ist außerordentlich wertbringend und bietet Chancen auf Alleinstellungsmerkmale und eine Innovationsführerschaft im Kommunikationskontext. Gesellschaftliche Entwicklungen und Moden haben seit jeher Einfluss auf die Gestaltung der Kommunikationspolitik ausgeübt, ihre Relevanz steigt jedoch, wenn grundlegende Bestandteile der Kommunikationsinstrumente selbst von Trends betroffen sind. Dies geschieht, wenn sich das Kommunikationsverhalten und die Erreichbarkeit der Menschen ändern. Es ist deshalb heute von essenzieller Bedeutung zu wissen, über welche Medien und Kanäle Menschen Informationen tatsächlich empfangen. Für einen großen Teil der Menschen ist das Abrufen von Neuigkeiten ihrer Kontakte in sozialen Netzwerken mittlerweile fest in den Kommunikationsalltag integriert. Sie nutzen Online-Tools, um sich miteinander zu vernetzen, Neuigkeiten zu verbreiten, Erfahrungen und Ideen auszutauschen und sich über Marken, Produkte, Dienstleistungen und Unternehmen zu äußern. Diesen sozialen Trend, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die vernetzten Menschen Technologien nutzen, um die Informationen, die sie benötigen, aus ihrem Netzwerk zu erhalten und nicht von den Unternehmen selbst, bezeichnet man als Groundswell (vgl. Li/Bernoff 2008). Die große Bedeutung dieser Netzwerk-Kommunikation wurde bereits 1973 durch Granovetter (vgl. Granovetter 1973) erkannt und beschrieben, durch die neuen Technologien lassen sich nun nahezu unbegrenzte Reichweiten der Verbreitung erzielen. Für die Unternehmen ging es somit darum, ihre Markenkommunikation diesen Veränderungen anzupassen, was sie nach neuen Varianten der Kommunikation suchen ließ, die eine Ansprache der Zielgruppe ermöglichen. Mithilfe der Bildung von Analogien entstand die Idee, die Werbung in klassischen Medien durch die bereits in
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anderem Zusammenhang ohne kommerzielle Absichten erprobten Flashmobs zu ergänzen, die aufsehenerregend genug sind, um den dringend erforderlichen Kontakt mit der Zielgruppe direkt herzustellen. Dabei bietet sich die Möglichkeit zur aktiven und emotionalen Interaktion. Dialog und Interaktion eröffnen also Chancen zu Austauschprozessen mit (potenziellen) Kunden und zur emotionalen Kundenansprache. Der massenwirksame Charakter von Flashmobs begründet darüber hinaus ihre Attraktivität für die mediale Aufbereitung und Verwertung, insbesondere in Form von Videoclips, die auf Social Media-Portalen wie YouTube im Internet eingestellt werden und durch Weiterleitung der Links und Empfehlungen an Freunde und Bekannte starke Verbreitung finden. Die Weiterempfehlung kann historisch als älteste Form der Werbung angesehen werden, die schon lange existierte, bevor Gutenberg den Buchdruck erfand und Marconi das Radio entwickelte. Doch erst mit dem Durchbruch des Internets hat sich Word of Mouth quasi zu einer neuen Ausprägung der Werbung weiterentwickelt (vgl. Plummer 2007, S. 385). Im Folgenden soll untersucht werden, welche Ziele Unternehmen mit geplanten Flashmobs, die quasi Blitz-Events darstellen, verfolgen.
2 Flashmobs und Flashmob Marketing – theoretische Grundlagen 2.1 Entstehung und Begriffsdefinition Es ist umstritten, wie Flashmobs ursprünglich entstanden sind. Offenbar liegen ihre Wurzeln in New York. Es wird zwar in einigen Quellen zuweilen von Vorläufern in den Niederlanden Anfang der 1990er Jahre berichtet, doch als geistiger Urheber gilt Bill Wasik, der Senior Editor des New Yorker Harper’s Magazine. Er gab als Grund dafür an, dass er damit den Beweis der Konformität so genannter hipper junger Menschen, die sich bewusst gegen soziale Normen und Konventionen stellen, erbringen wollte. Ihm ging es darum, das Bestreben junger Menschen, unbedingt Teil eines Trends bzw. einer Trendbewegung zu sein, aufzuzeigen und dabei zu karikieren. Im New Yorker Warenhaus Macy’s Department Store erschien am 17. Juni 2003 überraschend eine Gruppe von mehr als hundert Menschen und fragte nach einem Liebesteppich für ihre Kommune. Danach begaben sich die Teilnehmer in verschiedene Richtungen, versammelten sich aber später wiederum in der Hotellobby, um für 15 Sekunden zu applaudieren, ohne dass für Betrachter der Szenerie eine Ursache dafür erkennbar gewesen wäre. Wasik als Organisator hatte durch Mundpropaganda, das Versenden von SMS und Emails sowie Einträge in
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verschiedenen Foren und Blogs über die Idee informiert und zur Teilnahme geworben sowie zwei Wochen zuvor einen Test veranstaltet (vgl. Shirky 2008, S. 165). Er gab aber seine Identität zunächst nicht preis, sondern bekannte sich erst etwa drei Jahre später zu seiner Rolle als Initiator (vgl. Wasik 2006). Der Begriff Flashmob wurde jedoch zuerst als ein Neologismus von Sean Savage verwendet, worauf auch Wasik verwies (vgl. Savage 2006a). Savage ließ sich dabei von Howard Rheingolds Buch ’’Smart Mobs: The Next Social Revolution’’ beeinflussen (vgl. Rheingold 2002). Rheingold beschreibt die Bedeutung, die neue Medien für die Menschen haben, und zeigt auf, dass diese neue soziale Handlungsformen ermöglichen. Dieser Gedanke wurde später von Shirky aufgegriffen, der die wachsende Bedeutung neuer Medien für soziale und gesellschaftliche Transformationen prognostiziert (vgl. Shirky 2008). Die Anregung für die Begriffsfindung lieferte eine Science Fiction Short Story aus dem Jahre 1973 mit dem Namen ’’Flash Crowd’’ (vgl. Wasik 2006). Savage erwähnt, dass er nicht die erste Person war, welche die Begriffe ’’flash’’ und ’’mob’’ zusammen verwendet hat, sondern dass dies bereits im 19. Jahrhundert in Australien geschah und damit eine australische Subkultur von weiblichen Gefängnisinsassen bezeichnet wurde. Dabei wurde Bezug genommen auf den Jargon, den diese Frauen benutzten – ’’Flash Language’’. Allerdings erfolgte dies mit dem Verweis auf eine bestimmte Gruppe der Gesellschaft, nicht auf ein Event. Zudem gab es keine anderen Ähnlichkeiten zum modernen Gebrauch des Begriffes Flashmob (vgl. Savage 2006b). Die Flashmobs fanden in relativ kurzer Zeit eine große Resonanz und weltweit viele Nachahmer. Die Begeisterung ebbte zwischenzeitlich etwas ab, doch seit 2007 erleben Flashmobs eine Renaissance, und in den letzten Jahren hat ihre Anzahl stetig zugenommen. Im Internet und insbesondere in den sozialen Netzwerken ist eine Reihe von eigens für Flashmobber eingerichteten Portalen und Communities zu finden. Der Begriff Flashmob setzt sich zusammen aus dem englischen Wort ’’flash’’ für Blitz und ’’mob’’, das vom lateinischen ’’mobilis’’ abgeleitet wird und für Beweglichkeit/Mobilität steht. Es wird damit eine sich zusammenrottende Menschenmenge beschrieben. Flashmob lässt sich demzufolge mit „Blitzmeute“, „Blitzpöbel“ oder „Blitzauflauf“ ins Deutsche übersetzen. Die grundlegenden Charakteristika von Flashmobs werden in der folgenden Definition des Verfassers zusammengefasst: Als Flashmobs bezeichnet man kurze, scheinbar spontane Menschenaufläufe auf öffentlichen oder halböffentlichen Plätzen, bei denen sich die Teilnehmer üblicherweise vorher nicht persönlich kennen, deren Organisation über Social
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Communities, Weblogs, per email oder durch mobile Kommunikation erfolgt, die einer Inszenierung folgen, in einer außergewöhnlichen, spektakulären Performance gipfeln und meist medial nachbereitet bzw. verwertet werden. Der Begriff der Inszenierung verdeutlicht den Bezug zur Kunst und insbesondere zum Theater. Alle begrifflichen Erweiterungen, Modifikationen und metaphorischen Übertragungen lassen sich auf die theatralische Aufführung als den genuinen Ort der Ästhetik einer Inszenierung zurückführen. Bezeichnet wird ein Vorgang, der zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort stattfindet und sich an ein bestimmtes Publikum wendet. Jede Aufführung eines Flashmobs stellt damit in gewisser Hinsicht ein einmaliges theatralisches Ereignis von besonderer Intensität und mit einem spannungsvollen prozessualen Zusammenwirken zwischen konzeptualer und performatorischer Ebene dar (vgl. Früchtl/Zimmermann 2001, S. 30 ff.). Flashmobs lassen sich als hybride Erscheinungen einordnen. Es werden Elemente der Live und der Virtual Communication miteinander verknüpft. Der hybride Charakter zeigt sich zum einen in der Vorbereitung/Organisation über Social Communities, Weblogs, per email oder durch mobile Kommunikation und zum anderen durch die mediale Aufarbeitung und Verwertung. Virtual und Live Communication ergänzen und stimulieren sich dabei symbiotisch. Der Vorteil der Live Communication durch Flashmobs liegt in der multisensualen Ansprache des Besuchers bzw. Teilnehmers. Out of Home wird im Idealfall eine starke Emotionalisierung bei den vor Ort unmittelbar Beteiligten erzielt (vgl. Kirchgeorg/Springer/Brühe 2009, S. 21), sofern sie nicht für die Mitwirkung bzw. Anwesenheit angeworben und bezahlt wurden. Die Reichweite ist allerdings gering, so dass durch die Web 2.0-Instrumente und Integration der Online-Kanäle der Lebenszyklus eines Flashmobs deutlich verlängert werden und auch eine mediale Ausdehnung erfolgen kann. Die Massenwirkung setzt online ein, wenn bei gelungenen Kampagnen teilweise Millionen von Menschen vor Computerbildschirmen oder auf Smartphone-Displays das Ereignis nacherleben können, wobei jedoch nur visuelle und auditive Reize wirken, eine multisensuale Stimulation also nicht geschehen kann. Nachdem im Vorfeld Buzz erzeugt wurde, ist es auch während des Blitz-Events möglich, Teilnehmer und Besucher vor Ort per Live Stream mit virtuellen Teilnehmern zu vernetzen (vgl. Uniplan 2010) bzw. das Smartphone als Massenkommunikationsmittel einzusetzen und damit das Live-Ereignis zu einem digitalen Event zu machen (vgl. Behrendt 2010, S. 16).
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Zur Beantwortung der Frage, warum Menschen an Flashmobs teilnehmen und diese eine relativ große Popularität besitzen, bietet es sich an, das Theater als Modell für die soziale Welt heranzuziehen und Unterschiede zwischen der Theater- und Alltagswelt herauszuarbeiten. Nach Erving Goffman (vgl. Goffman 1959) versuchen Menschen permanent, in Interaktionen ein gewisses Bild von sich zu vermitteln, da ihnen bewusst ist, dass sie beobachtet werden. Goffman folgert, dass alle Menschen prinzipiell immer Theater spielen bzw. eine Performance liefern und sich eine Fassade schaffen, indem sie ein standardisiertes Ausdrucksrepertoire mit Bühnenbild und Requisiten einsetzen. Er entwickelte dafür den Begriff des Impression Management. Laut Goffmans Auffassung gibt es für etablierte soziale Rollen jeweils bereits derartige Fassaden, in denen sich die Erwartungen und Stigmatisierungen widerspiegeln, die für die entsprechende Rolle existieren (vgl. Goffman 1959, S. 22ff.). Daraus lässt sich schlussfolgern, dass aktive Teilnehmer an Flashmobs aus ihrer gewohnten Routine ausbrechen und zumindest für kurze Zeit einfach eine andere Rolle spielen möchten. Da sie sich dabei jedoch in einer (organisierten) Masse befinden, fällt der Wechsel weniger radikal aus, und sie verfügen über ein Alibi für ihr Handeln. Man kann dies auch mit Richard Sennetts Theorie des öffentlichen Ausdrucks begründen, die sich auf konkrete Vorgänge im öffentlichen Verhalten, in Sprache und Kleidung bezieht und bei der er sich an der Öffentlichkeit des Ancien Régime orientiert, in der Menschen im Wesentlichen als Schauspieler auftreten und Ausdruck als eine Darstellung von Emotionen gewertet wird (vgl. Sennett 1974). 2.2 Arten von Flashmobs und ihre Bedeutung für das Marketing Flashmobs mit kommerziellem Hintergrund oder zur Verfolgung eines konkreten politischen oder gesellschaftlichen Ziels bezeichnet man als Smart Mobs. Der Begriff Smart Mob (schlauer Mob) wurde vom amerikanischen Medientheoretiker Howard Rheingold im Jahre 2002 geprägt (vgl. Rheingold 2002). Smart Mobs zeichnen sich durch eine ausgefeilte Dramaturgie und Inszenierung aus. Sie dienen in erster Linie der Markenkommunikation bzw. zur politischen/gesellschaftlichen Willensbekundung und werden deshalb mit hohem Aufwand und langfristig vor- und medial nachbereitet (vgl. Kümmel 2003, S. 1). Fun Mobs (Spaßmobs) haben hingegen in erster Linie die kurzzeitige Selbstinszenierung bzw. -darstellung der Teilnehmer zum Ziel. Sie bieten Spaß, Entertainment ohne tieferen Sinn und stellen damit ein Phänomen mit unmittelbarem Bezug zu Erscheinungen wie Casting-Shows und Karaoke-Wettbewerben dar.
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Es lassen sich zwei Ausprägungen des Flashmob Marketing unterscheiden. In Abhängigkeit von der Wirkung auf potenzielle Konsumenten differenziert man zwischen direktem und indirektem Flashmob Marketing. Direktes Flashmob Marketing ist dadurch gekennzeichnet, dass die Wirkung durch die aktive Teilnahme oder das passive Erleben unmittelbar am Ort des Geschehens erzielt wird. Der Großteil der Flashmobs mit direkter Wirkung hat Non-Profit-Charakter. Diese Flashmobs genießen häufig Kult-Status unter Jugendlichen und beziehen ihren Reiz im Wesentlichen aus der Möglichkeit, Spaß zu haben und dem Alltag zu entfliehen. Es handelt sich überwiegend um Fun-Flashmobs. Diese sind durch die Elemente Dance, Battle – damit ist ein Wettkampf zwischen verschiedenen Parteien, z.B. in Form einer organisierten Kissen- oder Ballonschlacht, gemeint, ohne dass Gewaltanwendung geschieht – oder Schock geprägt. Eine weitere Form der Non-Profit-Flashmobs sind Political Flashmobs, die mit dem Ziel durchgeführt werden, politische und ideologische Statements abzugeben. Der kubanische Staatschef Fidel Castro nutzte z.B. im Jahr 2005 die Katastrophe, welche der Hurrikan „Katrina“ in den USA auslöste, um 1.500 weiß gekleidete Ärzte aufmarschieren zu lassen, die sich mit olivgrünen Rucksäcken bereit für humanitäre Hilfe im Nachbarland zeigten. Diese medienwirksame Aktion brachte ihm in kurzer Zeit ca. 50.000 Eintragungen bei Google. Political Flashmobs haben allerdings vor allem in Zeiten des Wahlkampfes Hochkonjunktur. Häufig werden dabei Schock-Elemente und humorvolle Ideen instrumentalisiert. Meist distanzieren sich die Initiatoren von Absichten zur Gewinnerzielung. Non-Profit-Flashmobs verfolgen somit keine kommerziellen Interessen, sondern dienen vielmehr der Erreichung sozialer, kultureller oder wissenschaftlicher Zielsetzungen. Profit-Flashmobs werden dagegen gezielt als Marketinginstrument von Unternehmen eingesetzt. Sie stellen darauf ab, potenzielle Konsumenten auf eine Marke bzw. ein Unternehmen und seine Produkte bzw. Dienstleistungen aufmerksam zu machen. Gelingt es, während des Flashmobs mehrere Sinne der Besucher/Teilnehmer anzusprechen, kann dies zu einer intensiven Markenwahrnehmung und -erinnerung führen. Auch dafür bedient man sich der Elemente Dance, Battle oder Schock. Mittelbar wird angestrebt, die Produkt- bzw. Leistungsverkäufe zu erhöhen. Dieses Ziel kann unterstützt werden, indem während des Flashmobs Produktproben oder Give Aways ausgegeben werden, also zusätzlich Verkaufsförderung betrieben wird. Online-Flashmobs stellen die neueste Form des Flashmobbing dar. Die Aktivierung und Information von Flashmob-Interessenten und potenziellen Teilnehmern erfolgt sehr häufig über das Internet. Es lag somit nahe, Flashmobs auch online zu etablieren.
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Es ergibt sich der Vorteil, dass die Teilnahme für Interessenten unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsort möglich ist. Online-Flashmobs können sowohl mit kommerziellem als auch mit nicht-kommerziellem Hintergrund durchgeführt werden. Als erste Aktion wurde der Fernseh-Werbespot zu ’’Alice DSL’’ einfach wörtlich genommen. Hunderte von Menschen sendeten am 08.12.2006 eine email-Anfrage an Alice DSL, um für nicht einmal 40 € im Monat eine schöne junge Blondine zu mieten… Darüber hinaus wurden die Ausprägungen Gästebuch-Flashmob und ChatFlashmob – die gezielte Überflutung von Gästebüchern oder Chatrooms mit einer hohen Zahl von Einträgen zu ein und demselben Thema – entwickelt. Auch in diesen Fällen bildet die Erregung von Aufmerksamkeit das zentrale verbindende Element, wobei die Kreativität der Initiatoren stets einen hohen Stellenwert einnimmt. Abbildung 1 gibt einen Überblick über das direkte Flashmob Marketing. Abb. 1: Direktes Flashmob Marketing
Direktes Flashmob Marketing
Profit
Dance
Non-Profit
Battle
Schock
Political
Schock
Fun
Dance
Battle
Schock
Online
email
Foren/Chat
Gästebuch
Quelle: eigene Darstellung
Beim indirekten Flashmob Marketing wird die Wirkung hingegen erst mittelbar durch die Berichterstattung in den Medien oder über die Online-Dokumentation durch Videos über Portale wie YouTube erzielt. Je origineller, aufsehenerregender und massenkompatibler die Videos sind, desto höhere Zugriffsraten lassen sich erreichen. Die mittlerweile mehr als 22,5 Millionen Zugriffe auf den „T-Mobile Dance“ auf YouTube liefern dafür ein Beispiel.
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2.3 Einordnung des Flashmob Marketing Flashmob Marketing ist in den Bereich des Guerilla-Marketing einzuordnen. Dieser Begriff wurde in den 1980er Jahren von Jay Conrad Levinson (vgl. Levinson 1992) eingeführt. Guerilla-Marketing lässt sich als ein Dialog, als interaktiver Prozess, über den sich Beziehungen entwickeln, kennzeichnen (vgl. Levinson 2008, S. 23). Flashmobs werden dementsprechend mit dem Ziel durchgeführt, durch ungewöhnliche Ideen und auf unkonventionellem Wege größtmögliche Aufmerksamkeit bei den Konsumenten zu erregen. Das geschieht durch überraschende und spektakuläre Aktionen. Diese sind besondere Höhepunkte, zeitlich begrenzt und dadurch nur selten wiederholbar (vgl. Patalas 2006, S. 49ff.). Es ist der Bezug zum Offline-GuerillaMarketing gegeben, das im Out of Home (Offline-)-Bereich stattfindet. Insbesondere ist Flashmob Marketing dabei dem Sensation Marketing zuzuordnen, dem am ehesten durch außergewöhnliche Events entsprochen wird. Diese sprengen den Rahmen des Gewohnten, erregen Aufsehen und lösen „Aha“-Effekte in den Köpfen der potenziellen Kunden aus. Damit sorgen sie dafür, dass die Werbebotschaft stärker wahrgenommen wird. Das Besondere am Sensation Marketing ist, dass die Aktionen nicht wiederholbar sind und lediglich einmalig durchgeführt werden können, weil ihnen sonst das Außergewöhnliche und Spektakuläre verloren ginge. Der originelle Überraschungseffekt ist entscheidend für den Erfolg. Dieser sollte unmittelbar erreicht werden, darüber hinaus ist aber durch Berichterstattung über die Aktion und Online-Video-Dokumentationen eine möglichst hohe Medienpräsenz zu gewährleisten, um eine hohe Reichweite und Weiterverbreitung der Aufsehen erregenden Ausnahmeaktion durch Public Relations und Mundpropaganda zu sichern (vgl. Drees/Jäckel 2008, S. 33f.). Des Weiteren ist eine Verbindung des Flashmob Marketing mit dem Online-GuerillaMarketing zu erkennen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei Viral Marketing und Mobile Marketing. Abbildung 2 zeigt die entsprechende Einordnung des Flashmob Marketing. Viral Marketing basiert auf den evolutionären Grundlagen der Memetik. Memetik ist die Theorie der Replikation und Verbreitung von (Marketing-)Botschaften. Richard Dawkins (vgl. Dawkins 1996) verwendete 1976 den Begriff „Mem“ als Analogie zu Darwins Theorie der Evolution und zum Begriff des Gens für eine kleine Informationseinheit, z.B. eine Idee, eine Mode oder ein Schlagwort, die Menschen dazu bewegt, sie weiterzuleiten. Die intensive Verbreitung wird dadurch intensiviert, dass der Austausch prinzipiell zwischen beliebigen Individuen unbegrenzt möglich ist.
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Abb. 2: Einordnung des Flashmob Marketing Flashmob Marketing
OfflineGuerilla-Marketing
Sensation Marketing
OnlineGuerilla-Marketing
Viral Marketing
Mobile Marketing
Quelle: eigene Darstellung
Als Replikationsmechanismus wirkt dabei die menschliche Fähigkeit zur Nachahmung bzw. Imitation von Verhaltensmustern, Normen, Werten, Ideen, Melodien, Moden etc., wodurch für Mitmenschen und Folgegenerationen neue Vorgaben und Standards gesetzt werden. Auf diese Weise konnten komplexe Überlebensstrategien entwickelt und von Generation zu Generation weitergegeben werden. Bei unvollkommenen Replikationsmechanismen können jedoch auf ähnliche Weise Mutationen in Form von Gerüchten und Legenden verbreitetet werden. Von besonderem Interesse für die Markenkommunikation ist die Selektion, denn nicht alle Informationen verbreiten sich auf diese Weise, sondern viele werden nicht übertragen (vgl. Langner 2009, S. 20 f.). Es stellt sich die Frage, worin die Gründe dafür liegen. Bei Viral Marketing handelt es sich um eine moderne Form der Mundpropaganda über das Internet ohne Unterstützung durch klassische Werbemedien, also um das gezielte Auslösen von Word of Mouth. Eine hohe Zahl von Internet-Nutzern besucht eine neue Website aufgrund einer Empfehlung, wenn diese von Personen gegeben wird, die den Rezipienten bekannt sind (vgl. Mau/Schulz/Silberer 2008, S. 18). Wissen oder vermuten die Empfänger allerdings, dass die Nachricht werblichen Charakter trägt bzw. von einem kommerziellen Unternehmen kommt, löschen sie diese häufig sofort. Die Response Rates auf emails mit Marketing-Inhalt sind stetig im Sinken begriffen (vgl. Phelps et al. 2004, S. 334). Virulente Botschaften zeichnen sich durch außergewöhnliche Inhalte ohne vordergründig werblichen Charakter aus, welche die Menschen zur Weiterleitung motivieren, und lassen sich im Internet somit durch Mundwerbung sehr schnell verbreiten (vgl. Helm 2000, S. 379). Das Internet kann als konstitutives Medium für virales Marketing angesehen werden. Durch das Internet kann jedes Individuum Inhalte kommunizieren und liefern, jeder Mensch mit
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Internetzugang kann somit zum Verteiler werden (vgl. Anderson 2009, S. 64). Dies bezeichnet man als digitales Word of Mouth- bzw. ’’Word of Mouse’’-Marketing. Bestandteile des Viral Marketing sind das Kampagnengut, die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen, das Setzen von Weiterempfehlungsanreizen und das zielgruppenspezifische Streuen (Seeding) der Botschaft. Das Kampagnengut ist nicht das eigentliche Produkt oder die Leistung des Unternehmens, sondern dient dazu, Interesse und Aufmerksamkeit zu wecken, die Aktivierung herbeizuführen und zur Weiterleitung zu motivieren. Es sollte für Entertainment und Spaß sorgen, nach Möglichkeit etwas Neues, Einzigartiges beinhalten, einen Nutzen bieten, kostenlos bereitgestellt werden und einfach übertragbar sein (vgl. Langner 2009, S. 38 ff.). Unter Seeding im Internet versteht man die Platzierung viraler Botschaften in geeigneten Communities, Weblogs oder Foren. Zum einen steigt die Bedeutung von Online-Flashmobs, die auf dem viralen Prinzip basieren und damit sehr schnell eine starke Verbreitung finden. Vergleichbar mit einer Epidemie nimmt die Verbreitung, einmal in Gang gesetzt, exponentiell zu und ist im Extremfall nicht mehr zu kontrollieren und aufzuhalten. Die Teilnehmer allein sorgen dafür. Motive der Weiterleitung, also für die Versendung von ’’Pass-Along-emails’’, sind Spaß und Unterhaltung, Empathie und Altruismus sowie Beziehungsmanagement. Die exponentielle Verbreitung von Werbebotschaften ähnlich einem Virus (vgl. Langner 2009, S. 16) bezeichnet man als Viral Advertising. Wird eine bestimmte kritische Masse erreicht, so kann sich eine Kampagne ohne weiteren Einsatz von Mitteln eigenständig epidemisch ausbreiten. Dieser Punkt – der so genannte ’’Tipping Point’’ – wird von Malcolm Gladwell in seinem gleichnamigen Buch beschrieben. Gladwell kam zu der Erkenntnis, dass sich Krankheiten und Trends nach ähnlichen Gesetzmäßigkeiten ausbreiten. Insbesondere beschreibt er den Moment, bei dessen Erreichen eine modische oder soziale Lawine entsteht (vgl. Gladwell 2000). Es werden Text-, Bild-, Audio- und Videodateien gleichzeitig dargeboten und mit einer hohen Dynamik verbreitet. Dadurch kann auch der Massenmarkt angesprochen werden. Zum anderen wird das virale Marketing im Internet auch genutzt, um OfflineFlashmobs bekannt zu machen und eine möglichst hohe Teilnehmerzahl dafür zu generieren, also ’’Buzz’’ (vgl. Rosen 2000) bzw. Online-Word of Mouth zu erzeugen. Buzz Marketing soll den Impuls zur Weiterempfehlung liefern, so dass die Empfänger zur weiteren Verbreitung motiviert werden. Insbesondere rücken Social Communities dabei in den Focus des Interesses, und es ergeben sich Ansatzpunkte für Community Marketing. Für eine effektive Gestaltung des Flashmob Marketing sind deshalb
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Multiplikatoren als Opinion Leaders von hoher Bedeutung. Derartige OnlineMeinungsführer (Viral Mavens) – so genannte E-Fluentials – zeichnen sich durch Selbstbewusstsein, Experimentierfreude und soziale Kompetenz aus, erkennen und setzen neue Trends. Sie gelten als Beispiel für eine Vielzahl von Menschen, werden in hohem Maße respektiert, sind aufgrund ihres Spezialwissens zu bestimmten Marken, Produkten oder Leistungen glaubwürdig und somit in der Lage, den Erfolg einer Flashmobkampagne durch gezielte Aussagen und Empfehlungen überproportional positiv zu beeinflussen, weil sie ihr Wissen aus Prestige- bzw. Statusgründen gern teilen und somit eine hohe Kommunikationsaktivität zeigen. Sie kennen Umgangsformen, Verhaltenscodices und Vorlieben in der Community und können deshalb auch Ideen, (kommerzielle) Produkte oder Marken in die Community einführen. Identifizieren sich Multiplikatoren mit dem geplanten Flashmob und der Marke, ist die Erfolgswahrscheinlichkeit der gesamten Kampagne deutlich höher. Sind Opinion Leaders von der Qualität oder Außergewöhnlichkeit einer Marke, eines Produktes oder einer Dienstleistung überzeugt, empfehlen sie diese weiter und werden bei entsprechender Begeisterung sogar zu Brand-Evangelisten. Es wird also eine zweistufige Kommunikation betrieben, wobei zunächst die Communities über Opinion Leaders angesprochen werden und dann der Zugriff auf den Massenmarkt über die Communities erfolgt (vgl. Schneckenberger/Boysen/Reinecke 2007, S. 33). Starke Unterstützung bei der Bekanntmachung von Offline-Flashmobs wird auch durch die Ausschöpfung der Möglichkeiten mobiler Kommunikation im Rahmen des Mobile Marketing geleistet. Darunter werden Marketingmaßnahmen subsumiert, die unter Verwendung drahtloser Telekommunikation (z.B. mittels Bluetooth Marketing – Bereitstellung von Content für Bluetooth-fähige Endgeräte via Hotspots oder W-LAN) und mobiler Endgeräte (z.B. Mobiltelefon, Handheld-Computer, Personal Digital Assistants) umgesetzt werden. Mobile Marketing wird als Zukunftstrend im Bereich der Kommunikation angesehen. Gründe dafür sind die starke und weiterhin wachsende Verbreitung von Mobiltelefonen, die unmittelbare Verfügbarkeit des Gerätes sowie die messbare Response, z.B. auf versandte Werbe-SMS. Des Weiteren kann der potenzielle Kunde überall und sofort auf Aufforderungen reagieren, und eine Marke, die mittels Mobile Marketing wirbt, wird unmittelbar mit technologischer Innovation assoziiert. Nachteilig könnte sich wie bei allen Instrumenten der Direktwerbung das Problem der vom Rezipienten empfundenen Belästigung (Wahrnehmung als SMSSpam) auswirken. Smartphones bieten zahlreiche Kommunikationsfeatures, darunter email, SMS und Instant Messengers, wie ICQ, Google Talk oder Windows Live Messenger. Mit
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Anwendungen wie Facebook und Twitter können Gruppen von Menschen weltweit in Kontakt bleiben und sich über Neuigkeiten austauschen. Zusätzlich existiert bei Smartphones oft auch eine Messenger-Funktion zum Anlegen von Gruppen, die der Vernetzung aller Gruppenmitglieder dient. Mit der Aussendung einer einzigen Nachricht können somit alle Gruppenmitglieder gleichzeitig informiert werden. Dies ist ein entscheidender Vorteil bei der Organisation von Flashmobs. Generell ist der einfache und mühelose Transfer von Informationen ein wichtiger Faktor für den Erfolg viraler Kampagnen, was durch die Einbindung email-basierter Anwendungen, wie z.B. „Send it to a friend“-Schaltflächen, gefördert werden kann. Mit einem Klick lässt sich ein email-Formular öffnen, das es ermöglicht, mit geringem Aufwand über interessante Inhalte zu informieren (vgl. Grunder 2003, S. 540). Auch für die schnelle mediale Darstellung und Verbreitung der Flashmobs leisten moderne Smartphones Hilfe durch Tools, mit denen Erlebnisse live aufgezeichnet und unverzüglich im Internet veröffentlicht werden können, um andere Menschen daran teilhaben zu lassen. 2.4 Flashmobs als (Marketing-)Events Um entscheiden zu können, ob Flashmobs als (Marketing-)Events eingeordnet werden können, ist es sinnvoll, deren konstitutive Merkmale zur Prüfung heranzuziehen. Smart Mobs in der Ausprägung als kommerzielle bzw. (Profit-)Flashmobs werden von Unternehmen mit dem Ziel der emotionalen Bindung der Teilnehmer an die mit dem Unternehmen/der Marke verbundene Erlebniswelt initiiert, ohne dass ein vordergründiger werblicher bzw. Verkaufscharakter erkennbar ist. Dies geschieht mit der Intention, die symbolische Markenwelt emotional erlebbar zu gestalten und dadurch eine Beeinflussung der Einstellung und letztlich des Verhaltens zu forcieren. Die unmittelbare aktive Integration der Teilnehmer betont die dialogische Interaktionsorientierung der Flashmobs. Sie besitzen hohes Abwechslungspotenzial und bieten teilnehmenden Menschen die Möglichkeit, sich kurzzeitig aus ihren Rollen und Schemata des Alltags zu lösen. Je größer sich beim einzelnen Individuum die Differenz zur Alltagswirklichkeit darstellt, desto höher sind der Grad der persönlichen Aktivierung und die emotionale Beteiligung, also der Erregungs- bzw. Spannungszustand, der die Aufnahmebereitschaft für die Kommunikationsinhalte determiniert. Die Kontaktintensität vor Ort ist hoch. Die für Events typische Zielgruppenfokussierung erfolgt bei Flashmobs in erster Linie im Rahmen der medialen Verwertung, indem ein entsprechendes Seeding auf Social Media-Portalen, in Communities, Foren oder Weblogs vorgenommen wird. Flashmob-Marketing hat
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inzwischen Aufnahme und Einbindung in die Kommunikationsstrategie mehrerer renommierter Unternehmen erfahren (vgl. Zanger 2001, S. 836 f.). Es kann konstatiert werden, dass Flashmobs hinsichtlich ihrer Wirkung auf die potenziellen Konsumenten den Charakter eines hybriden Events besitzen. Sie werden sorgfältig vorbereitet, es wird eine Dramaturgie für den Ablauf entwickelt, und es erfolgen eine Inszenierung sowie eine mediale Verwertung. Dadurch werden Interesse und Aufmerksamkeit erzeugt. Unterhaltung, Vergnügen und emotionales Erleben stehen im Vordergrund. Wenn die Flashmob-Aktion beginnt, sind die Passanten meist so überrascht, dass all ihre Sinne angesprochen und aktiviert werden. Der Erlebniswert ist hoch, Emotionen werden geschürt, die Neugier wird geweckt, und die Angesprochenen werden für Informationen empfänglich gemacht. Der Erfolg einer Flashmob Marketing-Kampagne ist in starkem Maße abhängig vom Unterhaltungswert des Flashmob-Events. Wie bei jedem Event entscheidet der subjektive Eindruck darüber, ob das Erlebte an Freunde und Bekannte weitergegeben wird. Je höher der Unterhaltungswert vor Ort und bei Betrachtung der Videoclips im Internet empfunden wird, desto größer ist auch das Potenzial für Word of Mouth-Kommunikation.
3 Die Wirkung des Flashmob Marketing 3.1 Die Nutzung von Sozialtechniken zur Aktivierung Eine Ansammlung von Menschen weist in bestimmten Situationen und unter gewissen Bedingungen andere Eigenschaften und ein anderes Verhalten auf als die Individuen, die diese Gemeinschaft bilden. Dabei entsteht eine Art Gemeinschaftsseele, die Gedanken und Gefühle der Einzelpersonen finden eine einheitliche, gleichgerichtete Orientierung. Le Bon hat für dieses Phänomen die Begriffe organisierte Masse sowie psychologische Masse geprägt. Die Psychologie der Masse unterscheidet sich von der einzelner Menschen. Die organisierte/psychologische Masse stellt quasi ein einziges Wesen dar und unterliegt dem psychologischen Gesetz von der seelischen Einheit der Massen. Das zufällige Zusammenfinden von vielen Personen an einem Ort ist jedoch für die Entstehung einer psychologischen Masse nicht ausreichend, sondern dafür bedarf es des Einflusses bestimmter Reize. Ursachen für die besonderen Eigenschaften sind die Macht der Menge und die Anonymität des Individuums in ihr, was zu einem sinkenden persönlichen Verantwortungsgefühl führt, die geistige Übertragung von Gefühlen und Handlungen sowie die Beeinflussbarkeit (vgl. Le Bon 2009, S. 29 ff.). Als besondere Merkmale bei der Mehrzahl organisierter/psychologischer Massen führt Le Bon u.a. Triebhaftigkeit, Beweglichkeit, Erregbarkeit, Beeinflussbarkeit,
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Leichtgläubigkeit, Überschwang und Einseitigkeit der Gefühle an (vgl. Le Bon 2009, S. 40 ff.). Um Menschen vor Ort zur aktiven Teilnahme an einem Flashmob zu aktivieren, müssen sie also durch Reize beeinflusst werden. Man nutzt dafür so genannte Sozialtechniken zur Aktivierung. Dies sind nach Kroeber-Riel physisch intensive Reize, emotionale Reize und überraschende Reize (vgl. Kroeber-Riel/Esch 2004, S. 172 ff.). Physisch intensive Reize werden bei Flashmobs durch die schiere Größe der Menschenmasse, die Lautstärke der meist eingesetzten Musik sowie die bunte Vielfalt der Anwesenden gesetzt. Emotionale Schlüsselreize, die bei Flashmobs zum Einsatz kommen könnten, um eine Aktivierung herbeizuführen, sind Kinder, Archetypen, Erotik und Tiere. Überraschende Reize setzen auf Neuheiten, Originalität, Skurrilität und Verfremdungstechnik in Videoclips. Bei derartigen Ausprägungen der Flashmobs und deren filmischer Dokumentationen wird auf die zeitlich begrenzte Bereitschaft des Menschen zur Aufnahme der Information abgestellt, die es optimal zu nutzen gilt. Es sind die Voraussetzungen für die Motivation zur Verhaltensänderung und damit die Erzielung eines Lerneffektes herzustellen. Damit eine Werbebotschaft erinnert sowie eine Steigerung der Markenbekanntheit erzielt wird und es zur angestrebten Motivation für eine Verhaltensänderung kommt, muss der Träger der Information physisch intensiv und unterhaltend sein. Dazu bietet das Medium Film bzw. der Einsatz von Videoclips mehr Möglichkeiten als nahezu alle anderen Informationsträger: x
Durch bewegte Bilder wird Dynamik erzeugt.
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Polarisierende Abläufe sorgen für Spannung und Action.
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Einprägsame Bildmotive rufen erlernte Schemavorstellungen auf.
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Eine Rahmenhandlung generiert ein entsprechendes Erlebnisumfeld.
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Es wird Ton in Form von Geräuschen, Musik und Stimmen eingesetzt.
Das Internet als aktivierungsfähiges Kommunikationsmittel zeichnet sich durch Multimedialität, Multifunktionalität, Interaktivität und Individualität aus und eignet sich aufgrund dieser Attraktivität für den Konsumenten zur Verbreitung von Flashmobs.
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3.2 Steigerung der Markenbekanntheit Die Steigerung der Markenbekanntheit ist das oberste Ziel, welches mit Flashmob Marketing verfolgt wird. Die Erregung von Aufmerksamkeit allein reicht dafür allerdings nicht aus, der Flashmob muss auch einen Inhalt transferieren und damit den Bezug zur Marke herstellen. Gelingt dies, setzen sich die bei einem Flashmob Anwesenden unbewusst sich mit dem jeweiligen Unternehmen, dem Produkt oder der Dienstleistung sowie insbesondere der Marke auseinander, während sie sich durch den Flashmob unterhalten lassen oder sich sogar spontan daran beteiligen. Gelingt es zudem, durch den Flashmob positive Assoziationen mit der Marke herzustellen, lässt sich eine Imageverbesserung erreichen. Im Vorhinein ist allerdings unbedingt zu prüfen, ob eine Affinität zwischen der geplanten Flashmob-Aktion und der Marke besteht, so dass ein positiver Imagetransfer erwartet werden kann, denn die Passfähigkeit (Fit) bzw. die Affinität zwischen Stammobjekt – dem Flashmob als Blitzevent – und dem Transferobjekt (Eventobjekt) – der Marke – ist dafür eine elementare Voraussetzung (vgl. Glogger 1999, S. 143 ff.). Selbst ein vordergründig gelungener Flashmob kann zu einer Markenerosion oder einer Verwässerung der Vorstellungen zur Marke und damit zu einer Positionierungsaufweichung und letztlich zu einer Schwächung des Markenwertes führen, wenn kein Fit zwischen dem Inhalt der Flashmob-Aktion und der Markenidentität gegeben ist. Beim Eventmarketing können zwei Ausprägungen auftreten. Ein Imagefit ist gegeben, wenn durch die Teilnehmer Übereinstimmungen zwischen Denotation und/oder Konnotation von Marketing-Event (Flashmob) und Eventobjekt erkannt werden. Der Verwendungsfit ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass sich ein thematischer Zusammenhang zwischen dem Event und dessen Veranstalter herstellen lässt, wobei die Konzepte Produkt-, Know-how-, Anlass- und Zielgruppenaffinität denkbar sind (vgl. Drengner 2006, S. 112 f.). Die Besonderheit bei Flashmobs ist, dass die (nicht informierten) Teilnehmer durch die Inszenierung überrascht werden. Aufgrund des blitzartigen Ablaufes sind sie auch nur begrenzt in der Lage, während des Ereignisses Informationen und Wissen zu sammeln. Die Zurückhaltung bzw. vage Streuung von Informationen ist vom Veranstalter beabsichtigt, um einen geplanten spektakulären Ablauf des Blitzevents zu erreichen. Der Imagetransfer vom Flashmob auf die Marke kann und soll nicht simultan mit dem Live-Erlebnis, sondern erst durch die mediale Verwertung über einen Videoclip erzielt werden. Dies tritt jedoch nur ein, wenn durch das Flashmob-Video Emotionen ausgelöst sowie Informationen über die Marke bzw. das Unternehmen übermittelt werden und die Rezipienten die Verbindungslinie zwischen Flashmob und Marke/Unternehmen annehmen bzw. diese miteinander
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assoziieren können. In diesem Fall wird in einem zweidimensionalen Eigenschaftsbzw. Positionierungsraum die Distanz zwischen Ist- und Soll-Image durch den Transfer der Emotionen auf die Marke verringert (vgl. Nufer 2007, S. 167 ff.). Eventmarketing (und damit auch Flashmob Marketing) ist geeignet zum (medialen) Aufbau und zur Verfestigung von Marken-Mythen. Die Teilnahme am Event bietet den Konsumenten die Möglichkeit zur aktiven/passiven Beteiligung an der symbolischen Markenwelt. Durch das Event kann die symbolische Markenwelt in die emotionale Erlebniswelt transferiert werden. Setzen Lernprozesse ein, wird die symbolische Markenwelt Teil der Alltagswirklichkeit des Konsumenten. Es lässt sich die Ebene der dialogischen Kommunikation erreichen (vgl. Zanger/Sistenich 1996, S. 236). Im Rahmen der Veranstaltung und Inszenierung von Flashmobs kann insbesondere auch der Grundstein für einen Markenkult gelegt werden. Kult ist als Komplementärbegriff zum Mythos zu verstehen. Beide stehen im Verhältnis von Text und Applikation zueinander. Während der Mythos die erzählende symbolische Ordnung des Markeninhaltes bezeichnet, bezieht sich Kult auf die Ausprägung des Inhaltes in Inszenierung, Handlung und Aktion. Der Mythos stellt somit quasi den Inhalt für den Kult bereit, wobei es beim Kult aber ebenfalls stets um symbolische Handlungen geht (vgl. Cancik/Mohr 2000, S. 489). Der mediale Bezug des Kults lässt sich trennen in die Ebenen von Produktion und Rezeption. Beim Markenkult wird einerseits der Content von Marketing-Spezialisten bereitgestellt und inszeniert, andererseits von Verbrauchern abgerufen, die sich damit identifizieren, die Inhalte evtl. imitieren oder sogar entsprechende Rituale entwickeln (vgl. Andree 2010, S. 101 f.). Auf der Ebene der Produktion ist eine deutliche Differenzierung zu beachten, da Kult in erster Linie im Zusammenhang mit symbolischen Figuren, die stark polarisieren und so nur die Wahl zur Annahme oder Ablehnung lassen, entsteht. Um Einzigartigkeit nachzuweisen, ist also die Codierung radikaler, polarisierender Angebote erforderlich, die Attribute wie klassisch, ursprünglich, authentisch oder sogar skurril aufweisen. Dies lässt sich mit Flashmobs sehr gut verwirklichen. Des Weiteren ist ein gewisser Kanon, also eine inhaltliche Verbindlichkeit und formale Festlegung, beizubehalten. Der Prozess der Kanonisierung führt zu einer Immunisierung von Content gegenüber Veränderung und Abweichung. Bei der Entwicklung einer Flashmob-Idee ist somit darauf zu achten, dass sich diese im Einklang mit dem Kanon der Marke befindet. Bei langfristig und aufwändig geplanten kommerziellen Flashmobs, wie z.B. den T-Mobile Flashmobs, entstehen hohe Kosten, so dass die Anforderungen an die Inszenierung ebenfalls groß sind. Insbesondere der mediale Content muss spektakulär, einzigartig und mitreißend sein, damit die
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Zielsetzung der kommunikativen Wirkung, die in der Generierung eines ökonomischen Mehrwerts besteht, erfüllt werden kann. Die Inszenierung sollte vor allem im Videoclip zahlreiche faszinierende Details als Einzelbotschaften enthalten, welche die Hauptaussage in verschiedenen Facetten erscheinen lassen und unterstützen. Die Intermedialität bzw. intermediale Übersetzung ist für die Erzeugung jeden Kults erforderlich. Es lässt sich somit feststellen, dass die Affinitäten zum Marketing und damit der Markenkommunikation auf der Seite der Produktion hergestellt werden müssen (vgl. Andree 2010, S. 101 ff.). Es ist dabei zu berücksichtigen, dass unterschiedliche Formen von Flashmobs sich für differenzierte Produkte, Dienstleistungen und Marken eignen. Für Marken in den Bereichen Freizeitwirtschaft, Familie und Freunde lassen sich z.B. Battle-Flashmobs nutzen. Dance-Flashmobs passen hingegen vor allem zu (Tele-)Kommunikation, Musikevents, darunter Tanzveranstaltungen und Konzerte, sowie zu Single- bzw. Albumveröffentlichungen von Künstlern. Flashmob Marketing ist bisher noch nicht systematisch von Unternehmen genutzt worden. Vorreiter – und damit gewissermaßen First Mover – waren O2, Coca-Cola und – wie bereits erwähnt – die Deutsche Telekom bzw. T-Mobile. Mittlerweile haben aber auch andere Unternehmen das Potenzial erkannt, ihre Marken über Flashmobs emotional zu kommunizieren. Als Nachahmer traten in letzter Zeit Fiat, Sony Ericsson, Red Bull und Volvo in Erscheinung. Flashmobs bilden für die Unternehmen die Schnittstelle zwischen den potenziellen Kunden und dem Produkt bzw. der Dienstleistung. Der Reiz für die Firmen, Flashmobs als Marketinginstrument zu nutzen, liegt im vergleichsweise geringen Kostenaufwand und der effektiven Wirkung. Durch kreative Inszenierung eines Flashmobs können auch Zielpersonen erreicht werden, die klassische Werbung ablehnen. Durch Flashmobs lassen sich also Werbeblockaden umgehen. Das Marketingpotenzial erhöht sich durch die filmische Dokumentation der Flashmobs. Im Internet kann dann eine viel größere potenzielle Nutzergemeinde auf den Film zugreifen und dadurch die Markenbotschaft aufnehmen bzw. damit erreicht werden. Das Risiko, dass sich zu wenig Menschen an einem Flashmob beteiligen, wird mittlerweile häufig dadurch vermieden, dass man spezielle Anreize für Teilnehmer setzt oder sogar Akteure als Claqueure direkt bei entsprechenden Dienstleistungsunternehmen bucht, die über eine Datenbank rasch zu mobilisierender Personen verfügen. Dieses Vorgehen, das aufgrund des ConvenienceAspektes mittlerweile von Unternehmen recht häufig gewählt wird, bezeichnet man als Rent a Crowd-Business.
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Witz und Überraschungseffekt dienen als Weiterleitungskatalysatoren, haben aber nur dann strategische Bedeutung, wenn Bezüge zur Marke erkennbar sind. Beim legendären Moorhuhn-Schießen von Jonny Walker wurden zwar sehr hohe Kontaktzahlen erreicht, doch die Markenbekanntheit konnte nicht signifikant gesteigert werden, wodurch sich auch kein positiver Absatzeffekt ergab. Mysterien bzw. Gerüchte und Unsicherheit über den Absender – also den Veranstalter eines Flashmobs – können das Interesse jedoch zusätzlich schüren, wobei es sich fördernd auswirkt, wenn im Video Andeutungen zur Marke bzw. dem Unternehmen gemacht werden (vgl. Willhardt 2008, S. 39). Eine Besonderheit des Online-Flashmob Marketing – und des Viral Marketing generell – ist allerdings, dass sich der Sender nicht in jedem Fall sofort zu erkennen gibt bzw. geben muss, sondern zuweilen zunächst abwartet, welchen Erfolg der Clip im Internet hat und wie die Reaktionen darauf ausfallen, um Risiken für den Markenwert zu vermeiden. Erst bei einer positiven Entwicklung wird dann der Markenname des Flashmob-Initiators veröffentlicht. Die beschriebene Wirkungskette beim Flashmob Marketing ist in der folgenden Abbildung 3 dargestellt. Abb. 3: Wirkungskette des Flashmob Marketing Inszenierung eines einzigartigen Erlebnisses Seelische Einheit der Masse Starke Erinnerungswirkung bei Teilnehmern Online-Video-Dokumentation Emotionalisierung der Marke Imagetransfer Langfristige Wirkung
Quelle: eigene Darstellung
Die Grafik bildet dabei den Idealfall mit langfristiger (positiver) Wirkung für die Markenkommunikation ab, die sich allerdings nur bei optimalem Verlauf einstellt. 3.3 Erfolgskontrolle beim Flashmob Marketing Die Erfolgskontrolle im Eventmarketing sollte eine Überprüfung des Grades der Erreichung von definierten Zielen implizieren. Dabei lassen sich Vorbereitungs-, Entwicklungs-, Inszenierungs- und Nachbereitungsphase des Events und Ziele mit
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operativem und eher strategischem Charakter differenzieren. Es können Kontaktziele im Vorfeld und bei der Durchführung des Events (Anzahl der Teilnehmer im Verhältnis zur Anzahl der Anmeldungen), ökonomische Größen (Absatz, Umsatz, Gewinn, Marktanteil) und außerökonomische Kommunikationsziele (Markenbekanntheit, innere Markenbilder, Einstellung, Aufmerksamkeit, Aktivierung, emotionale Bindung) unterschieden werden (vgl. Zanger 1998, S. 78). Die Ergebniskontrolle erfolgt in erster Linie mit Bezug auf die Inszenierungs- und Nachbereitungsphase von Events und ist auf zwei Dimensionen möglich. Die Ereignisdimension untersucht kurzfristige Wirkungen bei den Event-Teilnehmern, z.B. Aktivierung, Interaktion, Einzigartigkeit und Originalität, und beinhaltet somit die unmittelbare Beurteilung der Inszenierung, von einzelnen Showelementen, der Organisation und der Veranstaltung insgesamt und damit die Bewertung, ob die Teilnehmer Gefallen am Event gefunden haben bzw. es eine Faszination auf sie ausgeübt hat. Die Markendimension bezieht sich auf die kurz- und langfristigen Wirkungen beim Empfänger im Hinblick auf die Marke, das Produkt oder das Unternehmen, wie z.B. ungestützte Erinnerung, Glaubwürdigkeit und Image. Dabei ist also die Frage zu beantworten, ob das Markenbild wahrgenommen wurde und die eigentliche Event- bzw. Markenbotschaft bei der Zielgruppe angekommen ist (vgl. Zanger/Drengner 2000, S. 42 ff.). Ist dabei ein positives Resultat zu verzeichnen, entsteht häufig auch Kaufinteresse beim Konsumenten, welches zum wünschenswerten Kauf der Marke bzw. des Produktes oder der Inanspruchnahme der Dienstleistung und damit zur finalen Verhaltenswirkung führen kann. Kurzfristige Wirkungen auf der Ereignis- und Markendimension lassen sich während des Flashmobs durch Beobachtung der Teilnehmer sowie unmittelbar nach dem Flashmob durch deren Befragung prüfen. Die langfristige Wirkung auf der Markendimension ist neben der späteren Befragung von Teilnehmern, wenn deren Kontaktdaten bekannt sind, vor allem bei Personen zu untersuchen, die nicht am Flashmob teilgenommen, sondern auf dessen mediale Aufbereitung zugegriffen haben (vgl. Zanger/Drengner 1999, S. 32 f.). Bei Befragungen von Event-Teilnehmern während der laufenden Veranstaltung können Messprobleme auftreten. Insbesondere spielen dabei technische Gründe (Lautstärke, Beleuchtung) eine Rolle. Zudem sind Störungen von Teilnehmern mitten im Live-Erlebnis problematisch. Interviews nach dem Event scheitern hingegen oft daran, dass die Teilnehmer den Veranstaltungsort so schnell wie möglich verlassen wollen. Bei schriftlichen Erhebungen im Nachgang über die Versendung von Fragebögen ergibt sich die Einschränkung, dass die Erinnerung an die Veranstaltung
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möglicherweise bereits nicht mehr lückenlos ist. Zudem ist die Motivation zur Rücksendung eines Fragebogens gering, so dass die Rücklaufquoten oft sehr niedrig ausfallen. Die Kontrolle des langfristigen Erfolges von Events gestaltete sich zudem über viele Jahre hinweg aufgrund von Zurechnungsproblemen recht schwierig (vgl. Zanger/Drengner 1999, S. 36). Angesichts der medialen Verwertung von Flashmobs durch die Produktion von Videoclips bzw. Werbespots, die teilweise im Fernsehen ausgestrahlt, aber in erster Linie auf Social Media-Portalen, wie z.B. YouTube, eingestellt werden, sollten Methoden der langfristigen Erfolgskontrolle im Internet im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, zumal das Internet auf dem Weg ist, sich als neues Leitmedium zu etablieren. Es bietet die Möglichkeit zur direkten (automatischen) Erfolgsmessung. Des Weiteren ist aufgrund der technologischen Möglichkeiten keine Zustimmung zur Beteiligung an der Erfolgskontrolle erforderlich. Quantitative Methoden zur Erfolgskontrolle beinhalten die Nutzung von verschiedenen Kennzahlen. Diese basieren auf Server-Abfragen oder ServerAnfragen. Zu den Server-Abfragen zählen Page Impressions, Downloads, Zähl-PixelAbrufe und Klicks. Bei aus Server-Anfragen abgeleiteten Kennzahlen lassen sich Visits, http-Requests, Empfehlungs-Skripte und Verweildauern differenzieren. Qualitative Methoden umfassen die Ermittlung der inhaltlichen Berichterstattung über die Videoclips sowie die Häufigkeit der Erwähnung oder Verlinkung des Videos in Weblogs, Foren, eZines und Offline-Magazinen. Partner- und Zielgruppenportale spielen ebenfalls eine besondere Rolle für die Feststellung der Wahrnehmung. Die Aufzeichnung des Benutzerverhaltens über mehrere Seiten einer Website wird unter dem Begriff Online Tracking zusammengefasst. Dies kann zum einen statisch über vom Browser automatisch versendete Dateien erfolgen. Die Aufzeichnung und Analyse so genannter Log-Dateien ermöglicht die Erstellung einer Zugriffsstatistik auf der Grundlage von Daten, die vom Browser bereitgestellt werden. Es lassen sich Browser und Betriebssystem, Browsersprache, IP-Adresse oder die Adresse einer verweisenden Seite für den jeweiligen User ermitteln, so dass Rückschlüsse auf dessen Navigation gezogen werden können. Tracking-Cookies lassen es zu, Besuche auf Websites nach Computer zu klassifizieren. Dadurch können verlässlichere Bewegungsprofile als mittels Log-Dateien erstellt und sogar Aktivitäten von Computern über die Domain hinaus verfolgt werden. JavaScript und XMLhttpRequest ermöglichen dagegen die Ermittlung und Auswertung dynamischer und komplexerer Daten. Dazu gehören die Positionen einer Seite, an denen Mausklicks erfolgen, sowie das Scrollverhalten. So lässt sich erkennen, ob ein
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Besucher ein Video tatsächlich angesehen oder einen Online-Artikel gelesen hat und wie lange er sich jeweils aufhält.
4 Fazit Es ist schwierig zu prognostizieren, ob der aktuelle Trend zum Flashmob Marketing auch in Zukunft anhalten wird. Flashmobs werden derzeit bereits nahezu weltweit praktiziert. Sie besitzen im Moment Kultcharakter, aber es besteht auch die Gefahr, dass durch einen hohen Bekanntheitsgrad der ursprüngliche Reiz des Neuen und Außergewöhnlichen verloren geht. Im Zusammenhang damit bliebe auch der Überraschungseffekt aus, der den eigentlichen Vorteil des Flashmob Marketing gegenüber anderen Marketinginstrumenten ausmacht. Es würden sich Abnutzungseffekte ergeben. Wenn eine große Zahl von Unternehmen Flashmob Marketing für sich entdecken sollte, wird sich dessen besondere Wirkung schnell verbrauchen. Je stärker die Kommerzialisierung des Flashmobbing voranschreitet, desto weniger Menschen werden die Bereitschaft und den Idealismus aufbringen, weiterhin freiwillig bzw. unvoreingenommen an derartigen Aktionen teilzunehmen. Denn auslösend für die Entstehung von Flashmobs war schließlich der Wunsch von Akteuren, Grenzen zu überschreiten, aus der Normalität auszubrechen und sich von der breiten Masse abzuheben. Diese Motivation verschwindet, wenn Flashmobs die Alltäglichkeit droht. Es existieren mittlerweile bereits Gruppierungen, die sich gegen die kommerzielle Nutzung von Flashmobs einsetzen. Flashmobs werden sich verändern müssen, um sich ihren innovativen Charakter zu bewahren. Es ist allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die intelligentesten FlashmobKampagnen weiterhin eine hohe Zahl an Teilnehmern mobilisieren und sich somit durchsetzen können.
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Siegfried Paul, Thomas Sakschewski Wissensmanagement in der Veranstaltungsbranche – Potentiale wikibasierter Lösungen zur Kompetenzsicherung
1
Einleitung
2
Barrieren
3
4
2.1
Begriffsabgrenzung
2.2
Technische, organisationale und menschliche Barrieren
2.3
Informationsasymmetrien durch externe Kräfte
Wikis als Instrumente des Wissensmanagements 3.1
Erfolgsmodell Wikipedia
3.2
Probleme betrieblicher Wikis
Fazit
Literaturverzeichnis
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Wissensmanagement in der Veranstaltungsbranche
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1 Einleitung Die Erfassung der notwendigen und die Weitergabe der wichtigsten Informationen entscheiden über Erfolg und Misserfolg einer Veranstaltung. Das Verständnis für eine strukturierte und somit replizierbare Methode der Informationserfassung und -weitergabe, als Grundlage eines Wissensmanagements steckt in der Veranstaltungsbranche dennoch in den Kinderschuhen. Das hat viele Ursachen: Zeitmangel, die Zwänge des Projektgeschäfts, der hohe Anteil an implizitem Wissen, mangelndes Prozesswissen oder die fehlende Integration von Lösungsmöglichkeiten im Web 2.0 sind da nur einige Gründe; nicht zuletzt fehlt es an einem Instrument, das die besonderen Anforderungen der Branche berücksichtigt. Das Forschungsprojekt „Wissensbasierte Projektplanung mit dem Wissensstrukturplan“ von Siegfried Paul und Thomas Sakschewski entwickelt einen branchenspezifischen Methodenkatalog, um daraus ein Instrument für ein Wissensmanagement in der Veranstaltungsbranche zu erarbeiten, das die aktuellen Entwicklungen und Erkenntnisse aus Projektmanagement, Organisationslehre und Netzwerktheorie einbezieht. Der Beitrag veranschaulicht an Hand der Barrieren und Hindernisse bei der Einführung eines Wissensmanagements, die für den Informationsfluss relevanten Faktoren der Veranstaltungsbranche. Hierbei wird gezeigt, dass gerade die offene, netzwerkorientierte Struktur mit einem hohen Anteil an externen Mitarbeitern, die Methodenfrage für ein Wissensmanagement in besonderem Maße aufwirft. Am Beispiel der Einführung eines Unternehmenswikis wird daraufhin demonstriert, welche organisationalen und strukturellen Maßnahmen berücksichtigt werden müssen, um die Potentiale virtueller sozialer Netzwerke für ein betriebsinternes Wissensmanagement auszunutzen. Im letzten Schritt wird erörtert, wie durch Erweiterung um kompetenzorientierte Informationen ein Standardinstrument des Projektmanagements, der Projektstrukturplan, für eine wissensbasierte Projektplanung genutzt werden kann.
2 Barrieren 2.1 Begriffsabgrenzung „Barrieren und Schwierigkeiten, die im Umgang mit Wissen zu beachten sind, spielen aus meiner Sicht eine wachsende Rolle. Es ist eben alles andere als selbstverständlich, dass Menschen ihr gutes Wissen täglich feinsäuberlich in die Intranets der Organisation einpflegen.“ (Roehl/Romhardt 2000, S. 53) Als Barrieren werden all diejenigen hemmenden Einflüsse verstanden, die den erfolgreichen Wissenstransfer
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behindern oder einschränken. Die Wirkgrößen dabei liegen bei den Personen im Unternehmen, im Informationsfluss zwischen den Mitarbeiten und zwischen Mitarbeiter und Führungsebene, der Zugänglichkeit und Nutzbarkeit der unterstützenden technischen Systeme sowie der Aufbau- und Ablauforganisation. Aus dieser Aufzählung lässt sich ableiten, dass Barrieren unterschiedlich klassifiziert werden können. Für Probst et al (Probst et al. 2006) gelten als Voraussetzung für ein erfolgreiches Wissensmanagement eine wissensorientierte Unternehmenskultur, in der funktionale und hierarchische Barrieren abgebaut sind. Die primäre Herausforderung ist deshalb nicht die Steuerung der Wissensarbeit, sondern vorhandene Widerstände und Zielkonflikte abzubauen. Die Formulierung von normativen Zielen und der Einsatz adäquater Anreizsysteme sind unverzichtbare Instrumente, für welche die Führung verantwortlich ist. Trotz sehr unterschiedlicher Ansätze zur Klassifizierung der Barrieren (vgl. Rump 2001; Barson et al. 2000; Bullinger et al. 1998) ergibt sich eine große Deckungsgleichheit verschiedener Ansätze bei einer Einordnung der Barrieren in die drei größeren Klassen: Technik, Organisation und Mensch. 2.2 Technische, organisationale und menschliche Barrieren Die Informations- und Kommunikationstechnik als wesentliche technische Barriere kann vor allem bei der Wissensverteilung und der Wissensnutzung eine Rolle spielen, aber sie haben als notwendige Bedingung keine wesentliche Bedeutung. Am bedeutendsten ist dabei der Mangel an Benutzerfreundlichkeit, der sich vor allem in einer ungenügenden Benutzeroberfläche äußert. Weiterhin können ein Ruf von Instabilität des Systems und unzuverlässige Software, lange Antwortzeiten, eine erzwungene Einführung, unangemessener Support und mangelnde Schulung, Liefermängel und die Abwesenheit von Zusatznutzen die Nutzung von technischen Wissensmanagementlösungen behindern. Eine Gefahr für den Erfolg von Wissensmanagementaktivitäten liegt eher darin, dass viele Projektverantwortliche für Wissensmanagement aus dem Bereich Informationstechnologie entstammen und unter Umständen beim Wissensmanagement einseitig den Einsatz von Informationstechnologie betonen. Aber auch der Einsatz ausgereifter IT-Lösungen im falschen Kontext, d.h. ohne Berücksichtigung verhaltenswissenschaftlicher Erkenntnisse, und die Tatsache, dass Organisationen ihre ITStrategie nicht im Sinne des Wissensmanagements formulieren, können Probleme verursachen. Außerdem ist eine unzureichende Akzeptanz der technischen Systeme seitens der Mitarbeiter ein kritischer Faktor.
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Als besondere Faktoren für KMUs aus der Veranstaltungsbranche kann hier ergänzt werden, dass nur ein geringes Investitionspotenzial vorhanden ist und dieses aus Zeitund Ressourcengründen ungern für umfangreiche Einführungs- und Schulungsmaßnahmen ausgegeben wird. Ein noch größeres Gewicht hat die geringe Planbarkeit und damit schwierige Abbildung von Standardprozessen. Prozessmodelle sind zwar grundsätzlich für die Planung, Steuerung und Kontrolle hilfreich, die Erstellung aber ist mit einem enormen Aufwand verbunden, da im Grunde für jedes Projekt ein Großteil der Prozesse neu modelliert werden muss (Fünffinger et al. 2002, S. 298). Ein weitere Barriere besteht in der Problematik einer bruch- und störungsfreien Informationsweitergabe über die Grenzen des Unternehmens hinweg, denn die Besonderheiten einer flexiblen auf wechselnde Partnerschaften und Kooperationen beruhende, Netzwerk orientierte Arbeitsweise in der Veranstaltungsbranche führt immer wieder an die Grenzen zahlreicher Schnittstellen unterschiedlicher Konfiguration wie die Schwierigkeiten der Datenweitergabe von CAD Dateien, die Führung betriebsinterner Bibliotheken oder die Schwierigkeiten einer durchgängigen Versionshistorie bei wichtigen Planungs- sowie Steuerungsdokumenten und programmen. Böhl unterteilt die organisationalen Barrieren in Hemmnisse des horizontalen und des vertikalen Informationsflusses. Folgen wir dieser Unterteilung lassen sich im horizontalen Informationsfluss drei Barrieren ausmachen: Arbeitsteiligkeit, informelle Machtpositionen und Fluktuation. Arbeitsteilige Strukturen, die prinzipiell notwendig sind, behindern den Überblick über das gesamte Vorhaben und vermehren den Kommunikationsaufwand an den Schnittstellen zwischen den Abteilungen. Anderseits lassen sich hier die als personenorientierte Barrieren beschriebenen Phänomene des Gruppenzusammenhalt, des Group Thinkings, mit dem Ergebnis der gezielten Sicherung eines Informationsvorsprungs, auch auf Arbeitsgruppen und Abteilungen übertragen. Informelle Machtpositionen ergeben sich aus diesem Prozess und lassen sich durch die Ansätze der Netzwerktheorie zwar genau beschreiben, aber kaum verhindern. In der Veranstaltungsbranche sind die Bedingungen zur Entstehung derartiger Machtpositionen besonders günstig, da gerade hier Mitarbeiter häufig alleine mit einer Aufgabe betraut werden und sie häufig eine längere Betriebszugehörigkeit aufweisen. Dies führt dazu, „dass Spezialisten, die über den Arbeitsmarkt nur schwer zu rekrutieren sind, organisationales Wissen in erheblichem Umfang besitzen. Damit besteht eine potenziell hohe Gefahr von Wissensverlusten durch Weggang von Mitarbeitern.“ (Böhl 2001, S. 75)
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Als Barrieren im vertikalen Informationsfluss nennt Böhl Angst vor Sanktionen, Fehlervertuschung, Bevormundung der Mitarbeiter, Verschwiegenheit und Frustration. Gerade die enge und sehr häufig persönliche Beziehung zur (nächst)höheren Führungsebene befördern das bewusste Zurückhalten von Informationen und die Fehlervertuschung. Gleichzeit bedingt die geringe Personalstärke und eine zumeist flache Hierarchie in der Veranstaltungsbranche eine sehr begrenzte Aufstiegsmöglichkeit. Häufig bedeutet die inhabergeführte Gesellschaftsform der KMUs, dass der Aufstieg eine natürliche, eine familiäre Grenze hat, ab der ein Aufstieg nur durch Partnerschaft und Teilhabe an der Unternehmensführung möglich ist. Vor diesem Hintergrund ist auch die Barriere der Bevormundung von Mitarbeitern zu verstehen, denn inhabergeführte Unternehmen haben die Tendenz, Entscheidungskompetenzen personenfixiert zu belassen und nicht auf Basis rationaler Notwendigkeiten zu verteilen. Durch die hohe Spezialisierung und die häufige Konzentration auf einige, wenige Key Kunden ist das grundlegend partnerschaftliche Verhalten zwischen Mitarbeitern und Führungskräften durch ein gegenseitiges Misstrauen geprägt, in dem die Mitarbeiter wichtige Prozessinformationen zurück halten und Führungskräfte Organisationsinformationen wie die wirtschaftliche Situation des Unternehmens nicht Preis geben. Sich beziehend auf die Unmöglichkeit auch bei höchstem Aufwand das komplette implizite Wissen zu explizieren, wird die ungleichgewichtige Verteilung von Informationen wie bei Probst et al. (2006, S. 194 und 231f) und die von Wildemann (2000, S. 58) als Fähigkeitsbarriere bezeichnete Schwierigkeit von Böhl (2001, S. 67f) als das Problem, wirklich alles zu kommunizieren mit zwei menschlichen Barrieren veranschaulicht: Zum einen die natürlichen Teilungsgrenzen und fehlende Möglichkeiten zur Beschreibung und Vermittlung von Wissen. Als Teilungsgrenzen werden hier die Grenzen verstanden, bis zu denen eine Explizierung von Wissen noch sinnvoll und effektiv ist. Ab einer gewissen Informationstiefe und einer Informationsbreite kann die Weitergabe, die Teilung von Wissen nicht mehr wirtschaftlich betrachtet werden. Zum anderen nennt Böhl ökonomische Grenzen, ab denen die maximale Weitergabe von Wissen weder für den einzelnen Funktionsträger umsetzbar ist, denn die Verteilung aller interessanten Informationen an den gesamten oder potenziellen Nutzerkreis führt zwangsläufig zu einer mengenmäßigen Überlastung, noch im Sinne des Unternehmens wirtschaftlich sinnvoll ist. Das personengebundene Wissen lässt sich in zwei große Bereiche gliedern: Der eine Teil besteht aus dem Wissen, welches zumeist sprachlich zugänglich ist und anderen
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Personen vermittelt werden kann. Dieses deklarative oder explizite Wissen kann prinzipiell externalisiert werden, jedoch muss zum einen der Wissensträger zunächst zur Externalisierung motiviert werden. Zum anderen fällt es dem Wissensträger schwer oder ist im schlimmsten Fall gar nicht in der Lage, das externalisierte Wissen auch so aufzubereiten, dass es auch für andere verständlich ist. Zudem ist sich ein Wissensträger eventuell gar nicht bewusst, dass Teile seines Wissens für andere nützlich oder hilfreich sein könnten (Nichtbewusstsein von Wissen). Eine Externalisierung wird also durch den Wissensträger ohne besondere Aufforderung durch die Organisation und die technische und organisatorische Vorbereitung des Transfers gar nicht erst in Erwägung gezogen. Der andere große Teil des personengebundenen Wissens ist das Wissen über Fertigkeiten, auch als prozedurales oder implizites Wissen, verstecktes oder unterbewusstes Wissen bezeichnet. Es ist nicht sprachlich zugänglich. Der Wissensträger verfügt also über mehr Wissen, als er fähig ist mitzuteilen. Erfahrungswissen zu externalisieren, stellt daher eine besonders schwer beeinflusbare personengebundene Barriere für die Einführung eines Wissensmanagements dar. Romhardt (1998, S. 141) beschreibt in diesem Zusammenhang ein wichtiges kulturelles Phänomen, das die Nutzung von Wissen und den Wissenserwerb gerade in innovativen Projekten stark behindert, als Not-inventedhere-Syndrom. Mitarbeiter zeigen demzufolge ein geringes Interesse Lösungen von Kollegen, insbesondere von ihnen unbekannten oder neuen Kollegen, anzunehmen und an ihnen weiter zuarbeiten. Hier spielen Eitelkeiten, die Diskrepanz von Selbstbild und Fremdbild sowie Ehrgeiz eine ganz wichtige Rolle. Mitarbeiter und in besonderem Maße externe Kräfte, die projektbezogen arbeiten, und Teile ihres Wissens dem Unternehmen zur Verfügung stellen, ermöglichen Kollegen bzw. den Mitarbeitern des beauftragten Unternehmens erst den Zugriff und die Verwendung, wodurch neue Handlungsmöglichkeiten für kommende Projekte erst eröffnet werden. Wer sein Wissen teilt, verliert an Macht, denn er gibt damit die Exklusivität der Entscheidungsund Handlungsmöglichkeiten auf. Auf diese Exklusivität des Wissens oder zumindest das Wissensungleichgewicht beruht aber Status und Prestige der Mitarbeiter. Dies führt eher dazu, dass Wissen wie ein Schatz gehortet wird, anstatt es mit Kollegen zu teilen. Auch wenn Mitarbeiter untereinander in einer Konkurrenz um Aufstiegsmöglichkeiten stehen, was ja eine zwingende Folge des gängigen hierarchisch-pyramidalen Systems ist, muss davon ausgegangen werden, dass dies für die Wissensteilung kontraproduktiv ist (Disterer 2000, S. 540f). Als inadäquate Motivation kann eine weitere menschliche Barriere
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beim Wissenstransfer beschrieben werden. Einsatz und Nutzung von Instrumenten des Wissensmanagements beruhen auf dem Prinzip, dass Mitarbeiter Mühe in Zeit und Aufwand aufwenden, um Wissen zu explizieren, andererseits aber auch davon profitieren, dass sie selbst für kommende Projekte auf diese Wissenssammlung zugreifen können oder für vorhandene Fragen auf bestehende Informationen zurück greifen können. Sind die Beschäftigungsverhältnisse wie in der Veranstaltungsbranche üblich projektbezogen und zeitlich begrenzt, fällt diese Motivation weg. Das Prinzip eines gegenseitigen Gebens und Nehmens wirkt nicht. Dem einzelnen Mitarbeiter wird daher kaum zu vermitteln sein, warum gerade er jetzt Mehrarbeit auf sich nehmen soll, um zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht auch von der Wissenssammlung zu profitieren. Das Nutzenversprechen einer Wissenssammlung ist vielen Mitarbeitern einfach zu vage, als dass sie die Mehrarbeit bereitwillig investieren würden. In der erfahrungsorientierten Veranstaltungsbranche, in der viele Aufgaben lediglich aufgrund von einmal gemachten Lernprozessen individuell gelöst werden, gilt dies in besonderem Maße, denn kleine mittelständische und insbesondere Kleinstbetriebe sind strukturell durch ein an Personen gebundenes Wissen geprägt. Dieses gebündelte, implizite Wissen wird weitestgehend nicht kommuniziert, und ist meist kaum direkt beschreibbar. 2.3 Informationsasymmetrien durch externe Kräfte Die Risiken der Arbeit mit externen Mitarbeitern sind unterschiedlich verteilt. Einerseits riskiert der freie Mitarbeiter eine einseitige Abhängigkeit von einem einzelnen Auftraggeber, anderseits kann der Auftraggeber in noch größerem Maße als bei abhängig Beschäftigten von einer Differenz zwischen unternehmerischen und individuellen Interessen ausgehen. Die Ausnutzung des Informationsvorsprungs durch den Agenten, bei der er sein opportunistischen Verhalten während der Leistungserstellung nicht offenbart, wird Moral Hazard genannt (vgl. Kaiser/Paust/ Kampe 2007; Schreyögg 2003). Eine 100-prozentige Deckung der Interessen von Beschäftigten und Unternehmen kann es nicht geben, doch die Annahme ist berechtigt, dass bei externen Kräften der Interessensdivergenz größer ist als bei abhängig Beschäftigten. Daraus resultierende hidden actions müssen nicht auf ein amoralisches Verhalten beruhen, wie es der Begriff des Moral Hazard nahe legt, sondern kann situativ begründet sein, wenn z.B. eine Qualität oder ein Leistungsumfang vereinbart war, aber bei der Umsetzung erkennbar ist, dass der vereinbarte Leistungsumfang für die geplanten Zweck unnötig oder sich der Agent als Auftragnehmer durch den Prinzipal als Auftraggeber bereits durch den Werkvertrag übervorteilt fühlt.
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Unter Berücksichtigung dieses Informationsungleichgewichts muss als besondere Barriere für einen Wissenstransfer die Rolle der externen Mitarbeiter berücksichtigt werden, denn die Veranstaltungsbranche ist geprägt von einem hohen Anteil selbstverantwortlicher, selbstorganisierter Arbeit. Das neue arbeitsorganisatorische Leitbild des unternehmerischen Subjekt, des Intrapreneurs oder Arbeitnehmers mit „entrepreneurial spirit“ (Rastetter 2006) ist hier schon lange gelebte Wirklichkeit. Dies ist Folge zahlreicher Faktoren wie wechselnde Einsatzorte, flache Hierarchien bei großer eigener Verantwortung, variierende Kooperationspartner, Arbeit im Team oder geringer Anteil an explizitem Anweisungen oder Arbeitsplatzbeschreibungen. Man darf nicht vernachlässigen, dass dieses „Intrapreneurship“ auch stärkeren Druck bedeutet, da unternehmerische Zwänge auf das Individuum übertragen werden, doch ist der grundsätzliche Vorteil der vermehrten Freiheit kaum zu überschätzen. Das Management externer Kräfte stellt einerseits eine Herausforderung und zum anderen eine Erleichterung dar. Eine Herausforderung ist sie, da von freien Mitarbeitern ein höherer Grad an Selbstständigkeit und Selbstorganisation erwartet werden kann, bei gleichzeitig größerer Divergenz von eigenen und Unternehmenszielen. Die Instrumente zur Durchsetzung von Direktiven und zur Kontrolle sind daher komplexer als in einem Beschäftigungsverhältnis mit Weisungsbefugnis und den damit verbundenen Disziplinierungsmöglichkeiten. Ein transparenter, zielorientierter Führungsstil mit vorab festgelegter Abgabe von Zwischenergebnisse und Kontrollen ist hier sinnvoll. Schwieriger gestaltet sich dabei die Frage nach der Zugänglichkeit zu Unternehmensressourcen und der damit einher gehenden Risikoabschätzung, welche Ressource auch von Externen einsehbar sein soll. Schließlich kann davon ausgegangen werden, dass der aufgrund seiner Kompetenzen beschäftigte externe Mitarbeiter auf Basis von vergleichbaren Problemsituationen ebenfalls für einen Wettbewerber arbeitet und so organisationales Wissen nach außen tragen könnte (Kaiser/Paust/ Kampe 2007, S. 17ff). Auch wenn das Risikopotenzial für den Abfluss unternehmerischer Kompetenzen hoch sein kann, sollte dabei nicht vergessen werden, dass die externen Mitarbeiter selbst als fokale Akteure betrachtet werden können, die einen anderen, leichteren Zugang zu Personen und Kompetenzen anderer Netzwerke und Organisationen besitzen. Diese Betrachtungsweise berücksichtigt das Management externer Mitarbeiter als Chance für das einzelne Unternehmen, und damit als Vergrößerung des sozialen Kapitals.
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Zur Wissensgenerierung durch den Einsatz externer Mitarbeiter können prinzipiell zwei Strategien des Wissenstransfers genutzt werden: Die Kodifizierung und die Personalisierung. Die Kodifizierung im Sinne einer Explizierung von implizitem Wissen durch eine ausführliche Dokumentation ist in der Veranstaltungsbranche nur begrenzt umsetzbar. Zeitdruck, die große Bedeutung von impliziten Methoden- und Fachkompetenzen und die Schwierigkeiten, in Bezug auf Detailgenauigkeit und Standardisierung eine einheitliche Berichtsform zu finden, erschweren das Vorgehen zusätzlich zu einer grundsätzlichen Abneigung gegen ein als Kontrolle empfundenes Dokumentationswesen. Die Strategie der Personalisierung bietet daher größere Chancen, denn durch den direkten Austausch zwischen internen und externen Mitarbeitern wird ein gemeinsamer Kontext unterstützt (Kaiser/Paust/Kampe 2007, S. 108). Die Unternehmensführung muss jedoch Raum, Zeit und Werkzeuge für eine Personalisierung externen Wissens durch entsprechende Maßnahmen schaffen, wie die Förderung und Anrechnung der Kommunikationszeit als Arbeitszeit bei informellen Kontakten oder im gemeinsamen Projektbüro.
3 Wikis als Instrumente des Wissensmanagements 3.1 Erfolgsmodell Wikipedia Zunehmend bestimmen virtuelle, soziale Netzwerke nicht nur den privaten Alltag, sondern auch das Verhalten in Organisationen (Tapscott/Williams 2007). Selbst der massive Widerstand der altehrwürdigen Enzyklopädisten des Wissens der Brockhäuser und British Encyclopaedia verzögerten die totale Durchdringung von Wikipedia und unzähligen weiteren Wikis aller Bereiche der Wissenserzeugung und -weitergabe nur unmerklich. Heute greift selbst online im ersten Schritt kaum jemand mehr zu einer Fachbibliothek. Mit einem monatlichen Wachstum von 2% bei 14,8 Millionen Artikel und 1,05 Millionen Wikipedianern weltweit (Stand 2009)1 liegt kaum etwas näher, als Wikis zum Allheilmittel für ein betriebliches Wissensmanagement zu empfehlen und statt teurer Speziallösungen schnell ein Wiki auf den Server aufzuspielen. Aus Sicht der ökonomischen Handlungstheorie ist die hohe Beteiligungsrate bei Wikipedia kaum zu erklären, weil die Grundvoraussetzungen wie der Nutzen eines hohen Anteils von Beteiligten, die Geschlossenheit der Gruppe als Garant für kollektives Handeln oder der Lösung des Trittbrettfahrerproblems dazu fehlen. Für den Erfolg der Beteiligungen aus netzwerkanalytischer Sicht entwickelt Stegbauer (Stegbauer 2009) ein Modell, das
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Alle Zahlen unter: http://stats.wikimedia.org/DE/ (Stand: 01-02-2010)
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die Rational-Choice-Theorie weiterentwickelt und zwischen der individuellen Mikroebene und der gesellschaftlichen Makroebene eine Mesoebene des Handelns in der Gruppe beschreibt, das Mikro- und Makroebene verbindet. Er modifiziert so die Colemansche Badewanne um ein netzwerktheoretisches Gedankengerüst, in dem die durch die Beteiligung zu erringende Positionierung zum wesentlichen Motiv des persönlichen Handelns wird. „Sind Positionen bereits besetzt, ist es schwer für Neulinge in eine solche Position zu kommen. Das bedeutet, dass auch bei Projekten, die nach ihrer Ideologie freie Zugänglichkeit versprechen und eine Art „Basisdemokratie“ pflegen, das Senioritätsprinzip nicht zu hintergehen ist. Je länger jemand „dabei“ ist, umso mehr Möglichkeiten hat er, Meriten zu verdienen.“ (Stegbauer 2009, S. 60) Ein weiterer Faktor ergänzt das Modell von Stegbauer zur Erklärung des Phänomens der Kooperation, denn nicht nur wird das Verhalten des Einzelnen über die errungene Rolle aus der Position bestimmt, sondern auch das kollektive Verhalten ist in einer sozialen Formation, die aus mehreren Personen besteht, anders, denn das Verhalten der Gruppe referenziert sich selbst. Das, was die Menschen in der Umwelt über die Verhaltensweisen der Gruppe denken, tritt dabei in den Hintergrund. Die Distinktionsmacht wird hier nicht durch Kleidung, Hautfarbe oder Schicht definiert, sondern allein in der gemeinsamen Arbeit an einer Idee, die größer als der Einzelne ist. Die Weisheit der Massen, ist also im eigentlichen Sinne kein Massen- sondern ein Gruppen- und Cliquenphäomen, das sich über das Modell der modifizierten Colemanschen Badewanne sehr genau beschreiben lässt. 3.2 Probleme betrieblicher Wikis Bei der Einführung eines Unternehmenswikis als Instrument für Wissensmanagement im Betrieb müssen einige wesentliche Unterschiede zwischen Wikipedia und einem Unternehmenswiki berücksichtigt werden. Ein grundlegender Widerspruch besteht im partizipatorischen Selbstverständnis eines Wikis. Während die technologische Plattform von Wikipedia entwickelt wurde, um die weltweit größte frei zugängliche Online Enzyklopädie entstehen zu lassen, hat ein Unternehmenswiki keinerlei enzyklopädischen Anspruch, sondern soll Mitarbeiter und Führungskräfte dabei unterstützen, Arbeitsabläufe und Prozesse, begleitende Gesetze und Vorschriften, Regeln und Dokumente zu sammeln und im Unternehmen den Kollegen zur Verfügung zu stellen. Die Ansprüche an die aufgeführten Artikel sind daher viel mehr pragmatischer und zweckgebundener Natur als bei Wikipedia, denn sie sollen schnell und effizient im direkten Problemfall Unterstützung oder Lösung bieten (Ebersbach/Krimmel/Warta 2008, S. 138). Auf der Autoren-Ebene liegt ein
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wesentlicher Unterschied zwischen Wikipedia und Unternehmenswiki in der fehlenden Anonymität. Während registrierte Nutzer pseudonym anhand ihres LoginNamens zumindest netzbezogen identifiziert werden können, bleiben viele Nutzer vollständig anonym und sind lediglich über eine IP-Adresse identifizierbar, die nur über Umwegen eine personelle Zuordnung erlauben. In einem Unternehmenswiki können zumeist alle Nutzer identifiziert und so entanonymisiert werden. Die Autoren sind unternehmensintern bekannt und stehen somit meist mit ihrem Realnamen und auch mit ihrer Position für das Geschriebene ein. Da die Gruppe der möglichen Autoren – auf die Organisation beschränkt – überschaubar bleibt, kann selbst bei einer pseudonymen Autorenschaft von einer leichten Zuordnung ausgegangen werden. Die identifizierbare Autorenschaft hat weit gehende Konsequenzen, die am ehesten organisational zu erklären sind. Während im demokratisch-partizipatorischen Selbstverständnis von Wikipedia der Autor allein durch Qualität, Umfang und Anzahl der Artikel an Prestige gewinnt, widersprechen sich im Unternehmenswiki heterarchische und hierarchische Organisationsprinzipien. Der Beitrag eines Vorgesetzten muss und wird anders gelesen und bewertet als der eines Kollegen oder eines Mitarbeiters. Diese widerstrebenden Prinzipien führen zwangsläufig zu Interessenskonflikten und unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben, die schlussendlich sogar die Legitimation des Unternehmenswikis als Ganzes in Frage stellen können. Gefördert wird dieser „Misstrauensvorschuss“ durch eine zumeist unfreiwillige, fremde und von oben angeordnete Teilnahme. Aus Sicht der teilnehmenden Experten muss ebenfalls berücksichtigt werden, dass deren fachlich korrekten Artikel durch kooperative Bearbeitungen eher verwässert, vielleicht sogar gekapert werden könnten. Eine Gefahr, die im von Eifersüchteleien, Bereichsegoismen und Barrieren geprägten Umfeld von Organisationen durchaus real ist. Aus Unternehmenssicht kann schon das Grundmodell einer offenen Bibliothek problematisch sein, denn dies verlangt den Mut zur Transparenz, den Mut zu einer offenen diskursorientierten Unternehmenskultur, den Mut zu offenen Strukturen. Diese Vielzahl einschränkender Bedingungen zeigt schon, dass Richters (Richter 2008, S.151) Einlassung „Wikis einführen – ist doch ganz leicht“ nur ironisch gemeint sein kann. Richter stellt drastisch fest: „Ein Wiki ist ein offenes, tolerantes System, welches Transparenz und Mitbestimmung fördert, aber von den Nutzern auch fordert. Organisation von unten, ein hoher Partizipationsanteil der Nutzer an Strukturen und Inhalten sowie die Freiheit, das System nach eigenen Nutzenaspekten gestalten zu können, ist von der Unternehmensleitung mit allen
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Konsequenzen zu fördern. Unter anderem indem sie ein fester Bestandteil im Einführungsprozess sind.“ (Richter 2008. S.152) Die aktuellen Untersuchungsergebnisse zur Einführung eines Unternehmenswikis belegen diese grundsätzlichen Schwierigkeiten sehr genau. Ebersbach, Krimmel und Warta (Ebersbach/Krimmel/Warta 2008) untersuchten das erste Jahr der Einführung eines Wikis, dem Wiki Space „Reliability Engineering Book of Knowledge“ (ReEBoK) bei Robert Bosch. Selbst in der Einführungsphase, in der das noch junge interne Medium des Wissensmanagements einen hohen Neuigkeitswert für alle Mitarbeiter hatte, wurden fast die Hälfte aller Artikel nach Erstellung nicht mehr bearbeitet wurden. Besonders hervor zu heben ist, dass von 857 Artikeln nur 309 von mehr als einem Autor erstellt wurden und von denen weisen 191 Artikel lediglich zwei Autoren aus. Von einem kollaborativen Werkzeug kann daher lediglich bei 357 Artikel gesprochen werden. Der Durchschnitt liegt entsprechend niedrig bei nur 1,5 Autoren je Artikel. Betrachten wir die wichtigsten Aktivitätszeiten, dann werden 66% aller Editiervorgänge nachmittags nach 12 Uhr und 56% aller neuen Seiten in diesem Zeitraum erstellt. Im Wochenverlauf ist die Aktivitätskurve der aktiven Wiki-Nutzung gegenläufig einem zu vermutenden Aktivitätsverlauf der „eigentlichen“ Arbeit. Während zum Wochenbeginn am Montag die meisten Bearbeitungen erfolgen und am Freitag immerhin noch, wenn auch um ein Drittel weniger, eine hohe Aktivität zu verzeichnen ist, sinkt die Aktivität in der Wochenmitte auf weniger als die Hälfte (Ebersbach/Krimmel/Warta 2008). Zu einem ähnlichen Ergebnis bezüglich der mangelnden Kollaboration kommt Müller (Müller 2009, S. 231ff) in ihrer graphentheoretische Analyse der Einführung eines Unternehmenswikis. Inhalte werden von einer einzelnen Person eingetragen und gepflegt, eine gemeinsame Bearbeitung und inhaltliche Anreicherung findet nur in geringem Umfang oder gar nicht statt. Doch bei einer Auswertung der Nutzungen in Bezug auf Nutzergruppen, Artikel und Anzahl der Revisionen verliert die Aussage jedoch schnell an Eindeutigkeit. Unternehmenskultur, -struktur und -größe scheinen im wesentlichen Maße den Erfolg zu beeinflußen. Das belegen auch die Ergebnisse von Blaschke (Blaschke 2008), der die Einführung eines Unternehmenswikis in einer Innovationsagentur untersuchen konnte. 2006, ein Jahr nach der Einführung, kommt er auf eine ganz andere Anzahl von Artikeln (1.482 Seiten) mit einer wesentlich umfangreicheren Anzahl von Bearbeitungen (10.149 Bearbeitungen). Die absolute Anzahl der Autoren ist mit ebenfalls 57 Mitarbeitern zwar identisch mit dem Wiki Space „Reliability Engineering Book of Knowledge“ (ReEBoK) bei Robert Bosch,
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doch gemessen an der Gesamtzahl aller Mitarbeiter, 70 Mitarbeiter bei der Agentur, Mehrere Tausend bei Bosch, sehr unterschiedlich. Ein weiterer Unterschied besteht in der Projektorientierung. Trotz der sehr unterschiedlichen quantitativen Aussagen zur Nutzung und der sehr verschiedenen Organisationsform kommt Blaschke zu einem ähnlichen Fazit wie bei der Einführung eines Unternehmenswikis bei Robert Bosch, dass die „Frage nach dem Erfolg des dargestellten Wikis aus Sicht der vielleicht erhofften Kollaboration verneint werden muss.“ (Blaschke 2008, S. 201) Durch die unterschiedlichen Analysemethoden können Rückschlüsse über Erfolgsfaktoren für ein Unternehmenswiki gemacht werden, denn Blaschke 2008 und Müller 2009 beziehen in der Analyse nicht nur die Rollen innerhalb des Wikis ein, sondern korrelieren diese mit den funktionalen Rollen. Formelle und informelle Rollen überlappen sich zwar, sind aber nicht konsequent identisch. Die nur technische Einführung eines Unternehmenswikis als Instrument des Wissensmanagements führt nicht automatisch zu einer Verbesserung der Kooperation und einer Externalisierung des Wissens des Einzelnen. Ganz im Gegenteil bleiben die grundlegenden Barrieren erhalten, wenn bei der Einführung eines Wikis als Werkzeug des Wissensaustauschs die Organisation nicht mitberücksichtigt wird. Die Bedeutung der Betriebsorganisation und Unternehmenskultur für den Erfolg von Unternehmenswikis wird unterstrichen durch eher technische Beschreibungen zur Implementierungsproblematik in mittelständischen Unternehmen in so verschiedenartigen Branchen wie in der IT Beratung (Wunderl/Vetter 2010), der Forschung im Pharmabereich (Zaltenbach et al. 2010), des Maschinenbaus (Seren/Dückert 2009) oder einem Dienstleisters für die betriebliche Weiterbildung (Thiele/Meckes 2009.)
4 Fazit Erst wenn mit der Einführung auch ein Strukturwandel erfolgt oder die Integration in einem Transparenz geprägten, auch in der formellen Organisation flexiblen, heterarchischen Umfeld erfolgt und der dynamische Wissensspeicher eines Unternehmenswiki, um operative Instrumente wie einem Wissensstrukturplan (Sakschewski/Wedel 2008) ergänzt wird, um eine stärkere Prozessorientierung zu erreichen, kann die Erfolgsgeschichte von Wikipedia auch in ihrer Short-Form weiter geschrieben werden. Die Veranstaltungsbranche bietet in vielen Teilen dieses Umfeld – hier besonders genannt ist der hohe Grad an Rollenflexibilität und Positionierung durch Fachkompetenz sowie die flexiblen, zeitlich befristeten, projektgebundenen Beschäftigungen – und bietet sich daher für die Einführung eines Unternehmenswikis in besonderem Maße an.
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Ulrich Wünsch Event und soziale Nachhaltigkeit. Denkanstöße aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht
C. Zanger (Hrsg.), Erfolg mit nachhaltigen Eventkonzepten, DOI 10.1007/978-3-8349-6885-2_7, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
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„Nahrungsnetze und andere ökologische Abhängigkeiten bilden daher einen Urtyp der Kommunikation.“ (Andreas Weber)
Einleitung Freundlicherweise werden meine zerstreuten Gedanken im Programm als „Denkanstöße aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive“ bezeichnet, dafür einen herzlichen Dank. Dieser Vorgabe möchte ich dann gerecht werden. Vielleicht auf mäandernden Umwegen und als eine Art erster Expedition, die initiierende Anregungen wie äußerst lückenhafte Erkenntnisse erbringen möchte.
Quelle: U. Wünsch1
Zur Methode: Um das Feld der Anstöße und Assoziationen zu vergrößern und das zu erforschende Gebiet medial weiter optimiert zu markieren, werde ich zu meinem Vortrag einige Bilder zeigen, die vielleicht willkürlich, aber zumindest für mich sinnvoll, einige Aspekte aus ergänzendem Blickwinkel präsentieren2.
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Copyright für alle Abbildungen: Ulrich Wünsch.
2 Diese sind hier für die verschriftlichte Lese-Version des Vortrags an den Schaltstellen einer Präsentation über Datenwiedergabegerät (Dia-Show) in den Text eingefügt, um zumindest die Abbildung der teils farbigen Bilder schwarz-weiß zu simulieren.
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Im übertragenen Sinn bindet das vorangestellte Motto3 den Nahrungsbeschaffer „Event“ mit den haushalterischen gesellschaftlichen Vernetzungen zusammen und weist diese unhintergehbaren Notwendigkeiten als Kommunikation aus. Oder kurz gesagt: Geben und Nehmen sind die Urgesten der Event-Kommunikation. Für den Bereich der Sozialen Nachhaltigkeit, der hier zur Debatte stehen soll, sind diese Gesten zentral. Ich beabsichtige also, aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht – und diese verstehe ich durchaus auch als eine sozialwissenschaftliche – über einen Aspekt von „Event“ zu sprechen, der seit einigen Jahren die Öffentlichkeit, die Unternehmen und damit auch die deren Events ausrichtende Dienstleistungsbranche bewegt: Eben die „sozialen Nachhaltigkeit“.
Bevor ich näher darauf eingehe, möchte ganz kurz mein Verständnis von Nachhaltigkeit ausweisen, um dann befreiter formulieren zu können. Grundlegend, so scheint mir, ist über das Verhältnis von Natur und Kultur nachzudenken, was ja im Kontext der Nachhaltigkeitsdebatten und durch diese selber durchaus geschieht: Kultur sinnt über Natur nach. Das Verhältnis beider scheint mir nicht antagonistisch zu sein, denn Kultur erwächst aus Natur, ist vom Menschen
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Das im Vortrag hier zitiert wurde.
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bearbeitete Natur. Der so genannte ganzheitliche Ansatz, auch mit dem Terminus „Gaia“ verbunden, behagt mir allerdings nicht. Mir scheint, es geht um grundlegende Vermittlungsprozesse von notwendig Ausdifferenziertem, wie um das unhintergehbare Aufeinander-Bezogensein von Natur und Kultur. Erkenntnisse aus der Biologie, etwa die des Konstruktivismus bei Maturana und Varela (1987) wie auch der Neurowissenschaften (Weber 2007), zeigen, dass es nicht um ein eher unscharfes Ganzes geht, sondern um Verbindungen und Rückkopplungen von Getrenntem, die im Sinne von Alter und Ego der Etablierung wie Bewältigung von Mitwelt dienen. Mitwelt wiederum scheint mir als Begriff angebrachter zu sein als Umwelt. Es gibt für uns, die Menschen, nichts anderes als das bezogene Miteinander im Gegenüber von Natur und Kultur. Und möglicherweise, so könnte man meinen, hat die Natur den Menschen erfunden, um so aus sich heraustreten und über sich nachdenken zu können. Soweit zum Hintergrund. Nun zum Vordergrund:
Ich werde, ausgehend von dem Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit, das die Trias Ökologie-Ökonomie-Soziales in ein Gleichgewicht stellt, einen Teilaspekt jenes Modells beleuchten und für unser Gebiet, die Events, die Frage stellen: Kann ich zumindest oberflächlich einzelne Bedingungen fixieren, die Event und soziale Nachhaltigkeit koppeln? Mir scheint, dass die soziale Nachhaltigkeit von Events in der Praxis zunächst einmal behauptet wird, und ich möchte darüber nachdenken, ob und wie dies belegt und zusammengebunden werden kann. Um dies zu klären, scheint es mir im Hinblick auf Event notwendig, einen Begriff von sozialen Systemen und der Kommunikation in ihnen zu haben – den möchte ich mit Niklas Luhmann (2008, 1994,
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1987) gewinnen – und es scheint nötig, noch spezifischer einen Begriff des sozialen Systems Event zu besitzen: Hier schlage ich erkenntnisleitend den Terminus „Fest“ vor.
Ein weiterer Aspekt, den ich in diese Vorüberlegung und Feldlimitierung einfließen lassen möchte, ist der der Ikonographie. Mir scheint die Diskussion um Nachhaltigkeit von Abbildern – also Images – geprägt zu sein, denen Beweiskraft zugebilligt wird. Somit bewegen wir uns im Bereich der Ästhetik. Unter diesem Begriff der „Ästhetik“ verstehe ich vordringlich kommunikationsbasierte Aufmerksamkeitslenkung und nicht das Kunstschöne oder Erhabene in der Tradition der Aufklärung. Wahrnehmung, also „aistestis“ im Ursprungswortsinn als Aufmerksamkeitsgenerierung wie -steuerung qua
zeichenbasiertem Geschehen, ist der Gegenstand der Ästhetik. Die öffentliche wie forschende Betrachtung sozialer Nachhaltigkeit (ebenso wie der von Event) muss sich, neben anderem, der Prüfung von Imaginiertem ebenso wie der Prüfung von Aufmerksamkeitsbeschaffung widmen. Das mentale Abbild, das von einem Event bleibt und für das sich etwa die Werbewirkungsforschung in Form der geronnenen Einstellung interessiert, ist ästhetische Ausweisungen fixierter Wahrnehmung, die im Vorgang einer Erzählung wieder hervorgeholt werden kann. Für die hier vorgelegten Denkanstöße sollen Bilder ebenso als Differenz-Initiatoren dienen wie Worte. Beiden eignet Symbolcharakter wie Zeichenhaftigkeit. Sie stellen als Metapher tropische Umformungen von Wahrnehmungsmustern dar, die Menschen
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bei der Kommunikation behilflich sind, um ihre Mitwelt im Prozess der Verständigung gestaltend zu erfassen. Ein Beispiel:
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Diesen Beleg schulde ich dem Medientheoretiker und praktischem Künstler Alexander Kluge. In seinem Film „Deutschland im Herbst“ sagt dazu eine Off-Stimme: „Je länger man ein Wort anschaut, desto ferner schaut es zurück: - - - - Deutschland“. Hiermit möchte ich auf symbolische Interaktion wie auf den Zeichenprozess verweisen, in dem beide, Wort wie Bild, als Werkzeug der Kommunikation verankert sind. Sicher sind in 30 Minuten keine erschöpfenden Aussagen zu diesem doch recht breiten Themenfeld zu gewinnen, doch scheint mir ein erstes sprunghaftes Andenken sinnvoll zu sein. Sinnvoll auch für die Praxis, denn die Themenkomplexe der Nachhaltigkeit werden jene beeinflussen, respektive werden die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme, die diese Themenkomplexe zum Erscheinen gebracht haben, die Event-Praxis einen ganze Weile begleiten. Um all dies etwas näher zu beleuchten, werden Erkenntnisse der englischsprachige Event-Forschung betrachtet. Damit wäre die Einleitung beendet und es folgt der Hauptteil.
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Hauptteil Das Konzept der drei Säulen der Nachhaltigkeit, das das Thema soziale Nachhaltigkeit auf die Agenda setzte, entstammt dem Brundtlandt-Report für die Vereinten Nationen von 1988 und wurde auf der Rio-Konferenz 1992 fixiert; es soll hier vorausgesetzt werden. Die Bundesregierung hat es in ihr Programm aufgenommen und für die Entwicklung Deutschlands operationalisiert. Die Event-Praxis ist somit betroffen. Die ökologische Seite des Modells ist häufig besprochen, die ökonomische ist der Fokus deutlicher Aufmerksamkeit, allein die soziale Säule bleibt obskur. Sie gestaltet sich komplexer, komplizierter, weniger faktisch und fassbar, somit ein wenig „unangenehmer“. Dies beginnt bereits mit dem Begriff „sozial“. Was ist darunter zu fassen? Jedwede menschliche Gemeinschaft? Das, was die Soziologie untersucht? Das, was im Alltagsgebrauch mit „sozial“ ebenfalls konnotiert wird: Die Gerechtigkeit? Ich schlage hier pragmatisch vor, „sozial“ auf Formen und das Funktionieren von Gesellschaft zu beziehen. „Sozial“ weist auf Verbindungen und Wechselwirkungen hin, die entstehen, wenn mehr als zwei Menschen zusammenkommen und in einen formalisierten Kontakt treten.
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Vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit wird „sozial“ mit Generationengerechtigkeit gleichgesetzt. Dies bedingt allerdings ein erkenntnistheoretisches Problem: Da man die Zukunft nicht kennt, kann man kaum wissen, was der nächsten oder übernächsten Generation gerecht wird oder was diese als gerecht anerkennen würde. Erneut pragmatisch möchte ich meinen: Gerecht wäre es, die Zahl der Wahlmöglichkeiten zu erhöhen, statt sie zu verringern. Nichts anderes meint wohl „Diversität“; und diese beflügelt auch soziale Gefüge. Für uns soll hier gelten: Die von Verteilungskämpfen um Aufmerksamkeit geprägten Diskussionen über soziale Nachhaltigkeit müssen und sollen der Politik wie den Medien überlassen werden als Austragungsorte eines moralisch bestimmten Diskurses (vgl. Griessler/Littig 2005). Es bleibt im Hinblick darauf anzuerkennen, was Luhmann beobachtet: „In dem Maße, als technische Eingriffe die Natur verändern und daraus Folgeprobleme für die Gesellschaft resultieren, wird man nicht weniger, sondern mehr Eingriffskompetenz entwickeln müssen, sie aber unter Kriterien praktizieren müssen, die die eigene Rückbetroffenheit einschließen.“ (2008: 26) Wenden wir uns nun der Grundierung von Event zu. Events sind Ausdruck wie Werkzeug sozialer Gefüge. Als Werkzeug transformieren sie soziale Zustände. Als Ausdruck übersetzen und vermitteln sie. Kurz: Events können als Medien begriffen werden. Spezifischer noch: Sie können als ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium, wie es Niklas Luhmann definiert (vgl. 1987), gefasst werden. Ich bin der Meinung, dass neben etwa „Geld“ oder „Liebe“, die unter diese Kategorie fallen, auch „Fest“ als Urmodell und kategorialer Ausweis von Event ein
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symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium darstellt. Und ebenso „Event“, der unter den heutigen Bedingungen der Ökonomie der Nachfolger von „Fest“ geworden ist. Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien erfüllen zwei wesentliche Funktionen. Sie stellen zum einen Anschlussfähigkeit von Kommunikation her und sichern sie; nur so kann Kommunikation auf Kommunikation folgen. Zum zweiten reduzieren sie die Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation; denn dass überhaupt jemand sich für dieses spezifische Produkt interessiert oder gerade mit diesem anderen Kontakt aufnimmt, ist höchst unwahrscheinlich, gemessen an der Zahl ähnlicher Produkte, die alle die gleiche Funktion haben und das gleiche Bedürfnis erfüllen, oder an der Zahl möglicher anderer Gesprächspartner auf der Welt.
Feste, respektive Events, sorgen also dafür, dass Kommunikation sich ereignet. Als systemtheoretisch begründete Leitdifferenz für „Fest“ möchte ich das Begriffspaar Freude/Ernst vorschlagen. „Freude“, modern auch als Vergnügen oder Spaß oder Fun gefasst und in der Freizeit angesiedelt, und „Ernst“, modern im Bereich Notwendigkeit und der Arbeit angesiedelt und vom Bereich der Freizeit deutlich abgegrenzt, sind die Antagonisten der nicht nur semantischen Differenzierung, die derart von der Gesellschaft vorgenommen wird. Diese Unterscheidung taucht zu Beginn der Moderne etwa bei Goethe auf: „Tages Arbeit! Abends Gäste! Saure Wochen! Frohe Feste!“ (1976: 223) oder in Hegels Diktum von der Prosa der Verhältnisse, die der bürgerlichen Gesellschaft eigen ist und die als die normative Kraft des Faktischen bei uns Heutigen zuhause ist.
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Events produzieren und kommunizieren ebenso soziale wie ökonomische Gelegenheiten, die stetem Wandel, der wiederum von „Event“ selbst stimuliert wird, unterliegen. Es geht mithin um rückbezügliche Prozesse, die notwendig unscharf und unabgeschlossen bleiben. Fixierung und Finalisierung im Sinne von „Verstanden haben“ würde hier a) ein Ende der Kommunikation bedeuten, denn Verstehen ist final, Verständigung hingegen nachhaltig, und b) somit die Chancen auf neue Zukünfte (gleich Geschäfte) deutlich beschränken. Unter die Leitdifferenz „Freude/Ernst“ gestellt, bedeutet dies: Nur Unschärfe produziert die nötige Freude, die sich der Unabgeschlossenheit und dem offenen Horizont, der stets weitere Ausfahrten zu anderen Reichtümern und fernen Ländern verheißt, verdankt. „Ernst“ wäre die scharfe Schließung aller Prozesse, das Ende festlicher Kommunikation und aller Möglichkeitsformen der Zukunft. Gerade dies kann Event nicht wollen.
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Die englischsprachige wissenschaftliche Eventliteratur hat sich in den letzten fünf Jahren verstärkt mit dem Thema der sozialen Nachhaltigkeit befasst. Ähnliches ist mir in oder aus Deutschland nicht bekannt. 2005 fand an der schottischen Napier University eine Konferenz mit dem Titel „Festivals and Events: Beyond Economic Impact“ statt, was vermuten lässt, dass das im Konferenztitel zitierte Phänomen bereits eine Weile beobachtbar war, so dass es überhaupt in die reflektierenden Wissenschaften eingehen konnte. In englischsprachigen Event-Untersuchungen bewegte man sich nach der Betonung der ökonomischen und der Management-Seite nun auf soziologische Betrachtungen zu. Diese waren in Deutschland zuvor schon angestellt worden, etwa in dem grundlegenden Werk „Erlebnisgesellschaft“ von Schulze (1997) oder in Einzelfallstudien von Gebhardt/Hitzler/Pfadenhauer (2000). Zudem hatte sich das Projekt „Eventkultur und Nachhaltigkeit“ des Wuppertal Instituts 2002 bis 2005 gezielt mit den sozialen Aspekten einer nachhaltigen Eventkultur auseinandergesetzt (vgl. Lucas 2007). Einige Unterschiede in den Ansätzen und im Erkenntnisinteresse sind festzustellen: Die Untersuchungen deutscher Wissenschaftler richteten sich eher kultursoziologisch aus, während die englischsprachigen Wissenschaftler einen sozioökonomischen Angang wählten. Exemplarisch ist hier das Sonderheft 11/2007 der fachwissenschaftlichen Zeitschrift „Event Management“ zu diesem Thema wie die Zahl der Beiträge mit ähnlichem Thema auf der Event-Konferenz 2010 in Leeds: Global Events Congress IV.
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Mit dem von politisch bestimmten Diskussionen geprägten Terminus der „Legacy“ wird in englischsprachigen Event-Untersuchungen bedacht, was bleibt, wenn die Olympischen Spiele vorbei, der Fußballweltmeister feststeht und die letzte Feuerwerksrakete der Kulturhauptstadt Europas abgeschossen wurde. „Legacy“ und soziale Nachhaltigkeit wird gleichgesetzt; ein etwas voreiliger Schluss, denkt man etwa an die als „weiße Elefanten“ bekannten leerstehenden Gebäude der Olympischen Spiele in Athen und anderorts. Event wird im Sinne eines Werkzeugs zudem von der Politik die Rolle eines Katalysators für Strukturwandel zugedacht. Als Kommunikationsmedien dienen sie im „social engineering“ dem „social marketing“ (vgl. Kotler/Roberto 1991), das den Einstellungswandel bei Bürgern oder Konsumenten steuern soll. Der prozesshafte Charakter und die unvorhersehbare Unabgeschlossenheit von Kommunikation konterkarieren die Sicherheit, mit der Event hier instrumentalisiert wird. Ebenso wird die Empfängerbedingtheit der Kommunikation wie die Abnutzung von Zeichen, egal ob als Bild oder Wort, kaum in Untersuchungen bedacht. Und schließlich trägt die Leitdifferenz Freude/Ernst dazu bei, dass das Faktische und Langfristige, somit der nachhaltige „Ernst“, von Event geschieden wird, so dass ein langfristiger Einstellungswandel kaum zu erhoffen ist, betrachtet man den Menschen als ökonomisch denkend handelndes rationales Wesen. Die Problematik eines Antagonismus von Konsumptionsund Nachhaltigkeitsverhalten wird in der englischsprachigen Event-Forschung kaum thematisiert (exemplarisch Raj/Musgrave 2009), jedoch nicht gänzlich negiert: „... events that foster consumptive attitudes, cannot be justified in this context (sustainable development, d. Verf.) (Getz 2007: 343). Die Studie von Eugen Buss und Anne Pollmann im Rahmen des Projekts „Eventkultur und Nachhaltigkeit“ griff bereits 2004 das Thema auf (vgl. Pollmann 2007) und wies auf vier Typen von Events, EventKonsumption und Event-Verhalten hin. Der inzwischen breiter diskutierte Begriff der Suffizienz (vgl. BUND et al. 2008) wie der der Resilienz wird im Kontext von Veranstaltungen in Zukunft zu untersuchen wie zu beachten sein. Sie spielen für die Ausweisung von sozialer Nachhaltigkeit eine wesentliche Rolle. Dass Events Stolz und Gemeinschaftsgefühl erzeugen, wird von der Mehrzahl der englischsprachigen Forschung akzeptiert (exemplarisch Hede 2007; Reid 2007; Small 2007; Wood 2007). Es geht im gesellschaftlichen Kontext darum, mittels EventKommunikation soziale Kohäsion zu erzeugen und das virulente gesellschaftliche Problem zu lösen, dass eine nur noch und extrem individualistisch oder besser solipsistisch verfasste Gesellschaft irgendwann aufhört, eine Gesellschaft zu sein (vgl.
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Meyerhoff/Schwarze 2007). Denn in einer derartigen Gesellschaft wird Kommunikation unwahrscheinlich, da Beobachtung und Reflexion durch andere letztlich störend auf den einzelnen Einzelnen wirkt (Narziss beobachtet nur sich selbst), so dass Feste und Events keine Anschlussmöglichkeiten mehr produzieren können. Soziale Nachhaltigkeit wäre also geradezu ein immanenter Bestandteil von Events, da diese per definitionem Menschen zusammenbringen und so Kommunikation ermöglichen.
Unter dem Aspekt der Kohäsionsbestimmung wird mittels Befragungen (exemplarisch Garcia/Melville/Cox 2009) konstruiert, dass durch Events ein sense of community entstünde (ebd.) und dass sie als catalysts of change (ebd.) fungieren. Die Messung jenes Aspekts der sozialer Nachhaltigkeit bedient sich der Methoden der quantitativen Sozialforschung, jedoch werden in der englischsprachigen Literatur die Stimmen lauter, die neben dem Einsatz der Faktorenanalyse auf die Chancen qualitativer Methoden verweisen, die die kaum theoriebasierte Hypothesenbildung kritisieren und die eine reflektiertere Herangehensweise fordern (vgl. Reid 2007 und Haug/Gerlitz 2007). Beispielhaft für ein unreflektiertes Vorgehen definiert Small (2007) mit der Social Impact Perception Scale eine willkürlich Zusammenstellung von Faktoren, die sicher nicht alle unter sozialer Nachhaltigkeit verortet werden können (ebd.: 51). Inzwischen hat sich im englischsprachigen Event-Kontext der stakeholder dialogue als Mittel fundierterer Hypothesenerzeugung etabliert (vgl. u.a. Tassiopoulos/Johnson 2009).
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In der deutschsprachigen Event-Literatur spricht man eher von der Aktivierungswirkung von Events (vgl. Herbrand 2009 und Wünsch/Thuy 2007), sie ebenfalls als Agens von Änderung begreifend. Aus dem Bereich der Sozialbewegungen und der Sozialtechniken stammt ein verwandter Begriff, der gerade für die soziale Nachhaltigkeit weniger die einseitige Verhaltenssteuerung meint, sondern die nur gemeinschaftlich qua Feedback mögliche Erstellung einer Mitwelt in Verständigung anspricht: Die Partizipation. Die Chancen partizipatorischer Eventkultur loten Hennig Wilts et al. aus (2007). Ihre Kernaussage lautet: Wenn Events auf Teilnahme setzen, wie es die Betonung der Aktivierungswirkung von Events ausweist, dann ist Partizipation ein Grundmerkmal von Event und muss bereits im Vorfeld erkannt, definiert, kreiert, erwartet und in der Planung berücksichtigt werden, um einen Erfolg begründen, sichern aber auch messen zu können. Der Begriff der Corporate Social Responsibility, kurz CSR, nimmt die Partizipation von Unternehmen an Gesellschaft ernst. Die Europäische Union definiert CSR als freiwillige Aktivität(en) von Unternehmen, mithilfe derer soziale Belange und Umweltbelange in die Unternehmenstätigkeit und in die StakeholderWechselbeziehungen zu integrieren. Die Event-Praxis entspricht dem Bedarf nach verantwortlichen Sozialaktionen mit der (zeitweiligen) Ausweisung einer Kategorie von „Social Events“ innerhalb der Clusterung des Branchenpreises EVA. Es sind Veranstaltungen, die etwas Soziales (gleich Gutes) für Bedürftige generieren. Etwa das Anstreichen von Schulen, das Mitbringen von Hilfsgütern, das Bauen von
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Brücken. Teils wird dies öffentlich als PR-Aktion getan, teils wird auf die motivatorische Innenwirkung etwa bei Jubiläen gesetzt (vgl. Wünsch/Thuy 2007). Ob diese Aktivitäten unter das Rubrum der sozialen Nachhaltigkeit fallen, bleibt forschend zu hinterfragen. Fokussiertes Engagement – sei es als Stiftung mit sozialem Zweck oder als ausgewiesenes Unternehmensziel mit gesichert finanziertem Programm – ist ein Unterfangen, das näher an den relevanten Kriterien von Nachhaltigkeit liegt: Denen der Langfristigkeit und Mehrmaligkeit oder Wiederholbarkeit4. Eine beispielhafte partizipatorische Veranstaltung wie das Lernfest“ (vgl. www.lernfest2010.de) knüpft an den gekannten sozialen Duktus des Festes an und trägt durch jährlich erneuerte Vernetzung von Freude am Lernen, Regionalem im Konnex mit Belangen der Wirtschaft gerade durch Beachtung der Sozialstruktur der Teilnehmenden zur Bildung von symbolischem und sozialem Kapital in der Region wie der einzelnen Besucher bei.
Ein chancenreicher Weg zur Bestimmung sozialer Nachhaltigkeit von Events eröffnet sich mit dem gerade erwähnten Begriff des symbolischen Kapitals nach Bourdieu oder des sozialen Kapitals nach Putnam (vgl. Arcodia/Whitford 2006; Dillard/Dujon/King 2009; Haug/Gerlitz 2007; Mutlak/Schwarze 2007). Diese für die Event-Branche nutzbar zu machen und ebenso fundierte wie einsichtige Kategorien für eine solide Bestimmung auszuweisen, sei es über quantitative oder qualitative Methoden, wäre
4 Es bliebe hier zumindest zu überlegen, ob „Event“ mit seiner Fixierung auf das „Neue“ und „Außergewöhnliche“ nicht als grundsätzlich antagonistisch zu „Nachhaltigkeit“ zu denken wäre.
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sicher eine Aufgabe anwendungsbezogener Wissenschaft. Dieses Konzept, das sich forschend auf den Bereich der kulturellen und sozialen Praxis bezieht, sieht in Beziehungen des Individuums als der grundlegenden Form symbolischen Kapitals die entscheidenden Faktoren für die Positionierung des Einzelnen im sozialen Feld (vgl. Bourdieu 1970). Einladungen zu Events, Bekanntschaften, Reputation, Ehre – all dies sind Währungseinheiten des symbolischen Kapitals. Sie bedürfen allein der Übereinkunft, das etwas wertvoll sei und der gemeinsamen Wahrnehmungen dieser Kategorien (vgl. Bourdieu 1998). Die Lebensstilforschung zeigt, dass und wie über das Symbolische soziale Unterschiede ebenso wie Gemeinsamkeiten hergestellt werden.
Soziales Kapital wiederum ist ein „Vermögen, das in die Ordnung der Gemeinschaft eingelassen ist“ (BUND 2008: 235). Das Wohlbefinden einer Gesellschaft hängt von den sozialen Beziehungsmustern und dem Beziehungsvermögen – als Kapital wie Können – dieser ab (ebd.). Starke Nahbeziehungen in der Realwelt bewirken hohe Zufriedenheitswerte; diese Nahbeziehungen sind auf Events zu gestalten und zu steuern. Als Gast bei einem Fest, um hier wiederum das Urmodell von Event zu zitieren, erzielen Ausrichtende wie Teilnehmende gleichsam automatisch Wertschätzung der Person wie der Anwesenheit (vgl. Bahr 1994). Gastfreundschaft ist die Umschreibung für die Formkategorie sozialen Kapitals, das in der Geste des Gastes wie des Gastgebers ausgetauscht wird. Events sorgen dafür, dass Verständigung über diesen Tausch erfolgen kann und in der symbolischen Aktion des Festes wird Gesellschaft hergestellt.
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Zu jenen symbolischen Aktionen, die eng an Event anschließen, gehört auch ein Phänomen, das Thorstein Veblen (1987) Ende des 19. Jahrhunderts beobachtete: Die conspicious consumption. Der demonstrative Konsum der feinen Leute, die Verschwendung von Materiellem, dient über das Symbolische etwa eines noch größeren Anwesens, einer noch opulenteren Hochzeit, eines noch „goldeneren“ und „neueren“ Automobils der Etablierung von sozialem Kapital. Heutige Events stehen unter öffentlichem Verdacht, gerade jenes Geschäft zu betreiben. Sie werden es, betrachtet man diesen Aspekt, schwer haben, sich nachhaltig als nachhaltig zu etablieren. Die Kategorie der als Kommunikationstreiber und Anschlussbeschaffer gleichsam inkorporierten sozialen Nachhaltigkeit aber weist einen Ausweg über den Gemeinschafts- und Festcharakter von Events, ebenso die besprochenen partizipatorischen Ansätze.
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Kommunikationstheoretisch betrachtet wird im Begriff des Symbols das symbolische Kapital als zeichengesteuerter Wahrnehmungsprozess an die Ästhetik angebunden. Die Informationstheorie Batesons (1987) zeigt: Sich unterscheiden und etwas bedeuten ist ein und dasselbe; ein Individuum sein, heißt sich unterscheiden. Aber es bedarf eben der anderen, um sich unterscheiden zu können; ohne Gesellschaft oder zumindest Gruppe ist das Individuum bedeutungslos. Nur in der Wahrnehmung entstehen Differenz und Person.
Der Gesellschaftsbeobachter Georg Simmel bringt Ästhetik und Soziologie überein (vgl. 2008: 806 ff). Geselligkeit gilt ihm als die Grundlage der Gesellschaft (vgl. 1911) und im Fest kommt die Geselligkeit der Gesellschaft zu sich. Das Gesellige hat keinen sachlichen Zweck, es ist Kunst und Spiel nahe (ebd. 4). Die Geselligkeit eines Festes ist ein Kunstwerk, in dem die Menschen Vergesellschaftung spielen und somit testen, Regeln erfinden, Symmetrien und Ordnungen erproben und in Begegnungen soziales Kapital anhäufen. Welchen Gestus die größere Zahl einer modernen Gesellschaft und welche Qualität diese gegenüber einer überschaubaren Gruppe zeitigt, machte sich Simmel anhand der Festkultur zu Beginn des 20. Jahrhunderts klar: „In demselben Maße aber, in dem die Quantität der Elemente dem höheren Individuell-Seelenhaften keine Stätte mehr gibt, muss man das Manko dieser Reize durch Steigerung der äußerlichen und sinnlichen auszugleichen suchen.“ (1908 a: 51) Der Befund einer „Steigerungskultur“, der für die Event-Industrie der 1990-er Jahre gilt, wird hier vorweggenommen. Die Nahrungsnetze, die Events darstellen, kommen ebenfalls in
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den ästhetisch gereizten Blick: Essen und Trinken werden als Vereinigungsmittel grundsätzlich disparater Kreise gesehen (1908 b). Hier sind bereits die Anfänge des Event-Programms der Postmoderne zu erkennen. Damit wäre der Hauptteil beendet, kommen wir zum Schluss.
Schluss Endend möchte ich, das bisher Gesagte sicher nicht rundend, sondern weiter öffnend, eine kurze Bemerkung zur Ästhetik der sozialen Nachhaltigkeit machen. Wenn wir also Event als Kommunikationsphänomen und symbolisch generalisiertes Medium anerkennen, dann wird es darauf ankommen, die Metaphern zu befragen, die in Event und Events wirken und die durch sie in geselligen gesellschaftlichen Umlauf gesetzt werden. Dies kann meist durch die Beobachtung der Beobachter geschehen, wie durch die genaue, womöglich phänomenologische Betrachtung des von ihnen fixiert Imaginierten, sei es als Wort oder Bild. Vor allem, so scheint mir, sollte eine Untersuchung von Gesten als abgeschlossenen inszenierten und gerahmten Handlungssequenzen geschehen, denen man zudem ritualisierten oder zumindest habitualisierten Charakter zurechnen muss. Für Event sind dies die erwähnten Gesten von Geben und Nehmen, aber auch des Lachens, des Begrüßens, des Abschieds, des Abbildens, des Ortes, des Trinkens und andere mehr (vgl. Flusser 1994).
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Gerade die Thematik der sozialen Nachhaltigkeit scheint, wie bereits gesagt, von gestischen Bildern geprägt und beherrscht zu sein. Damit rückt für diese die Ästhetik und damit das Wahrnehmungsgeschehen und die Aufmerksamkeitslenkung näher an das Zentrum der Problematik von Maßnahmen-Gestaltung und Bedarf-Vorhersage. Events könnten hier Spielplätze sozialer Nachhaltigkeit werden, da gerade sie Freude und Ernst scheiden, was die Gelegenheit der Re-entry von Ernst in die Event-Freude eröffnet, aber auch den Transfer von Freude in ernste Angelegenheiten. Praktisch gesprochen: Unter diversen Event-Formaten neigen Konferenzen und Kongresse beispielhaft dazu, beides paradigmatisch zuzulassen.
Event mit Bezug zur sozialen Nachhaltigkeit wird also nicht nach schönen Bildern fragen oder nach schönen, also klugen oder gar weisen Bemerkungen – sondern nach Musterbrüchen und Partizipation, somit nach den Wahrnehmungsprozessen, die gleichzeitig Zeichenprozesse sind, da es um verständigende Verarbeitung der Mitwelt geht, um das Aushalten von Transformation und Paradoxie.
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Antje Wolf, Ulrike Jackson, Kim Detlefsen Eventmarketing unter sozialpsychologischer Betrachtung – Gruppenerlebnisse in der Live-Kommunikation
1
Einleitung und Zielsetzung
2
Gruppenkohäsion
3
Soziale Aktivierung 3.1
Soziale Erleichterung
3.2
Soziales Faulenzen
4
Deindividuation
5
Gruppenpolarisation
6
Fazit
Literaturverzeichnis
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1 Einleitung und Zielsetzung Familien, Verbindungen, politische Organisationen, religiöse Vereinigungen, Sportmannschaften, Teilnehmer einer Bürgerversammlung, Kommilitonen, Freunde: sie alle gelten als Gruppen. Gruppenzugehörigkeit gehört zu einem angeborenen Bedürfnis, das sich in allen Gesellschaften wiederfindet. Schon in jungen Jahren und besonders in der jugendlichen Lebensphase wird das Leben des Individuums durch die Suche nach der eigenen Identität und den Aufbau von Gemeinschaften und Freundeskreisen geprägt. Sogenannte Bezugsgruppen üben einen starken Einfluss auf Einzelne aus und Menschen stehen oft unter einem starken Druck, sich dieser Bezugsgruppe anzupassen, um akzeptiert zu werden und sich dazugehörig zu fühlen. Heutzutage hat die Vergemeinschaftungssehnsucht kaum noch etwas mit dem Gemeinschaftsverständnis traditioneller Milieus (Familie, Verwandtschaft, Gemeinde usw.) zu tun. Der Erlebniskonsument von heute sucht hauptsächlich „Verbündete für seine Interessen, Kumpane seiner Neigungen, Partner für seine Projekte, Komplementäre seiner Leidenschaften. Er sucht Gesinnungsfreunde.“ (Willems 2000, S. 54) Zusätzlich führt der Wertewandel unsere Gesellschaft weg von der Konsumorientierung zur Erlebnisorientierung, von der Versorgungsgesellschaft zur Erlebnisgesellschaft. Vor diesem Hintergrund spielt das Kommunikationsinstrument Eventmarketing eine wesentliche Rolle, um Zielgruppen auf einer emotionalen Ebene anzusprechen und Werbebotschaften und Markenimages in Erlebniswelten zu übertragen und damit gleichzeitig das Gefühl von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit zu bieten. Darüber hinaus erhält der Teilnehmer durch die Gemeinschaft eines Events die Chance zur Selbstinszenierung der eigenen Individualität und der sozialen Anerkennung (vgl. Willems 2000, S. 55). Was wäre ein Rockkonzert ohne die armschwingenden, mitsingenden, tanzenden Massen? Was wäre ein Event ohne das starke Zusammengehörigkeitsgefühl der Eventgemeinschaft? Obwohl das Gruppenerlebnis ein so wesentlicher und wichtiger Bestandteil eines Events ist, wurden bis auf das Rollenverhalten im Eventgeschehen
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kaum sozialpsychologische Erkenntnisse auf das Eventmarketing übertragen.1 Dabei ist es heute wichtiger denn je, die Wirksamkeit von Eventmaßnahmen eingehend und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu analysieren, da neue Formen der Ansprache zu einer weiter wachsenden Konkurrenz im Kommunikationsmarkt führen. „Es ist damit zu rechnen, dass das Internet noch in diesem Jahrzehnt zum neuen Leitmedium avanciert.“ (Uniplan 2010, o.S.). Die Untersuchung „LiveTrends 2009/2010 kommt ebenso zu dem Schluss, dass „(…) die Live Communication dann verlieren wird, wenn sie sich nicht auf ihre Stärken konzentriert. Sie wird ihren besonderen Nutzen (…) klar herausstellen und verteidigen müssen.“ (Kirchgeorg/Springer/Brühe 2009, S. 274) Die virtuelle Kommunikation ist ebenso wie die Live-Kommunikation dialogorientiert. Beide ermöglichen zweiseitige Kommunikationsprozesse, „mit denen sich langfristige Beziehungen zwischen Unternehmen und Kunden aufbauen lassen (…).“ (Kirchgeorg/Springer/Brühe 2009, S. 10) Der Nutzenvorteil der LiveKommunikation ergibt sich aus der direkten Teilnahme der Zielgruppen am Kommunikationsprozess, die ein unmittelbares Gruppenerlebnis ermöglicht. Insbesondere das Kommunikationsinstrument Eventmarketing ermöglicht es, den Menschen das Gefühl von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit zu bieten. Soll dieses sozialpsychologische Potential des Eventmarketing voll genutzt und bei der Konzeption und Umsetzung von Eventmaßnahmen berücksichtigt werden, müssen die wesentlichen Prozesse, die sich innerhalb einer Gruppe abspielen, verstanden werden. Im Mittelpunkt der Betrachtungen steht daher die Frage, welche sozialpsychologischen Gruppenfaktoren die Teilnehmer eines Events beeinflussen und inwieweit es möglich ist, diese sozialpsychologischen und gruppenorientierten Anwendungen in die Eventpraxis zu übertragen und in der Konzeption von Eventmaßnahmen zu berücksichtigen.
1
Im Vordergrund der wissenschaftlichen Betrachtungen steht seit Mitte der 1990er Jahre in Deutschland die Wirkungserklärung der Live-Kommunikation mit Hilfe verhaltens-wissenschaftlicher Erkenntnisse. Auf sozialpsychologische Aspekte wird ergänzend verwiesen, so z.B. auf das Phänomen der Deindividuierung bei Nickel/Esch (2007, S. 77); Hinweise zum Forschungsstand der soziologischen Betrachtung von Emotionen finden sich bei Schlesinger (2010, S. 136f.).
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2 Gruppenkohäsion Ein wichtiger Faktor der Gruppenzusammensetzung und der Aufrechterhaltung der Gruppenmitgliedschaft ist der Grad der Gruppenkohäsion. „Unter Gruppenkohäsion versteht man die Bindung an eine Gruppe bzw. ihre Attraktivität.“ (Bierhoff 2002, S. 114) Erwartungsgemäß verbleiben die Gruppenmitglieder bei wachsender Gruppenkohäsion umso wahrscheinlicher in der Gruppe, nehmen an Gruppenaktivitäten teil und versuchen, neue gleichgesinnte Mitglieder anzuwerben (vgl. Aronson/Wilson/ Akert 2008, S. 279). Die Gruppenkohäsion beruht zudem auf unterschiedlichen Faktoren, die die Bindung an die Gruppe erhöhen. Dies sind vor allem äußere Bedrohungen, die die Existenz der gesamten Gruppe infrage stellen, aber auch Erfolge, die die Gruppe in der Vergangenheit erreicht hat, die Entstehung einer befriedigenden Rollenverteilung, ein hohes Ausmaß an gemeinsam verbrachter Zeit und die Schwierigkeit oder die Hürde, überhaupt Mitglied einer Gruppe zu werden (vgl. Bierhoff 2000, S. 342). Gruppenkohäsion kann zum einen in die interpersonelle Attraktion, zu der individuelle Präferenzen zählen, und zum anderen in die soziale Attraktion, die sich aus der Gruppenmitgliedschaft ableitet, unterteilt werden. Es kommen sowohl negative als auch positive Konsequenzen der Gruppenkohäsion vor. Zu den negativen Auswirkungen gehören beispielsweise Fehlentscheidungen, basierend auf einer ungünstigen Gruppendynamik, die insbesondere bei autoritärer Führung entstehen (vgl. Gruppendenken nach Janis). Die Freude über die Zugehörigkeit zur Gruppe, die Teilnahme an Gruppenaktivitäten und die Akzeptanz der Gruppenziele zählen hingegen zu den positiven Konsequenzen (vgl. Bierhoff 2000, S. 343). Best Practise: Adidas Streetball Challenge Ein klassisches Beispiel hierfür stellt die Adidas Streetball Challenge dar. Adidas sollte bei den Jugendlichen als Trendmarke positioniert werden. Ziel war eine Verjüngung der Marke. Vor allem Jugendliche sollten durch diesen markenspezifischen Event angesprochen werden. Streetball gilt seit den 1990er Jahren als eine Trendsportart, die Freiheit und Attraktivität versprach. Die Jugendlichen wurden durch das modische Streetwear und das musikalische Umfeld begeistert und überzeugt. Streetball entsprach dem damaligen Zeitgeist und Lebensgefühl der Jugendlichen, das weit über das eigentliche Spiel hinausreichte (vgl. Runau 2007, S. 188ff.).
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Die spezielle Kleidung, die eigene Sprache und die spezielle Rap-Musik hoben die Streetballer von anderen Jugendszenen ab.2 Adidas zu tragen und Mitglied dieser Streetball-Szene zu werden, war folglich für viele Jugendliche sehr attraktiv und es war etwas Besonderes, dieser Gruppe anzugehören.
3 Soziale Aktivierung Die bloße Gegenwart anderer Menschen kann eine Reihe interessanter Auswirkungen auf das menschliche Verhalten haben. Eine Beobachtung ist, dass das Zusammensein mit anderen die Leistung beeinflusst (vgl. Aronson/Wilson/Akert 2008, S. 280). Dieses Phänomen wird als soziale Aktivierung bezeichnet. Obwohl dieser Terminus nahelegt, dass sich die Anwesenheit anderer förderlich auf Leistungen auswirkt, bezieht sich der Begriff sowohl auf Leistungssteigerungen als auch auf Leistungsverschlechterungen (vgl. Bierhoff 2000, S. 343). 3.1 Soziale Erleichterung Bei der Erforschung der Leistungsbeeinflussung wurde nachgewiesen, dass bei einer gut beherrschten Aufgabe besser abgeschnitten wird, wenn andere Menschen zugegen sind, als allein. Für dieses Phänomen hat sich der Terminus „soziale Erleichterung“ (social facilitation) eingebürgert, nämlich die Tendenz, dass Menschen bei einfachen Aufgaben besser, bei schwierigen Aufgaben schlechter abschneiden, wenn sie sich in Gegenwart anderer befinden und ihre individuelle Leistung messbar ist (vgl. Aronson/Wilson/Akert 2008, S. 280ff.). Der Grund dafür ist, dass die Gegenwart anderer die physiologische Erregung erhöht. Der Körper erhält also mehr Energie. Wenn solche Erregung besteht, ist es leichter, etwas Leichtes, aber schwieriger, etwas Komplexes zu tun oder neu zu erlernen. Es existieren drei Theorien, warum die Anwesenheit anderer Erregung auslöst. Der erste Erklärungsansatz postuliert, dass die Anwesenheit anderer die Menschen aufmerksamer macht. Da Menschen oft nicht berechenbar sind, befindet man sich in ihrer Gegenwart in einem Zustand höherer Aufmerksamkeit. Diese Aufmerksamkeit oder Wachsamkeit bewirkt eine leichte Erregung (vgl. Aronson/Wilson/Akert 2008, S. 282).
2
Zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Szenen als Vergemeinschaftungsform sei in diesem Zusammenhang auf die Arbeiten von Sistenich (1999) und Schulze (1995) verwiesen.
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Ein weiterer Erklärungsansatz ist die Theorie der Bewertungsangst von Cotrell. Diese geht davon aus, dass die bloße Anwesenheit anderer nur dann eine soziale Erleichterung auslöst, wenn die anderen Personen ihre Aufmerksamkeit auf die Leistung richten und diese beobachten (vgl. Bierhoff 2000, S. 344). Der dritte Erklärungsansatz, die Ablenkungs-Konflikt-Theorie, konzentriert sich darauf, wie sehr andere ablenkend wirken können (vgl. Bierhoff 2000, S. 344). Diese Theorie ähnelt in gewisser Hinsicht der These, dass man in Gegenwart anderer aufmerksam sein muss, setzt den Akzent aber auf die Vorstellung, dass jede Ablenkungsquelle – die Anwesenheit anderer Menschen ebenso wie der Partylärm aus der Wohnung über einem – die Menschen in eine Konfliktsituation versetzt, weil es schwierig ist, zwei Dinge gleichzeitig aufmerksam zu verfolgen. Diese geteilte Aufmerksamkeit bewirkt Erregung (vgl. Aronson/Wilson/Akert 2008, S. 282). Die drei genannten Theorien, die sich mit den Auswirkungen der bloßen Anwesenheit anderer befassen, ergänzen sich in ihren Aussagen. Die Anwesenheit anderer allein kann schon einen aktivierenden Einfluss ausüben, der zusätzlich durch die Bewertung und durch die Ablenkung verstärkt werden kann (vgl. Bierhoff 2000, S. 345). 3.2 Soziales Faulenzen Bei der sozialen Erleichterung richtet die Anwesenheit anderer gleichsam einen Scheinwerfer auf den Einzelnen und löst bei ihm Erregung aus. Wer hingegen mit anderen zusammen ist, kann in einer Gruppe auch untergehen und weniger auffallen, als wenn er allein ist, und sollte daher entspannter werden (vgl. Aronson/Wilson/Akert 2008, S. 283). Weil niemand sagen kann, wie gut die erbrachte Leistung ist, dürfte man weniger Bewertungsangst haben und daher auch weniger motiviert dazu sein, das Beste zu geben. Dieses Phänomen wurde von Latané als „soziales Faulenzen“ (social loafing) bezeichnet (vgl. Bierhoff 2000, S. 246). Es handelt sich hierbei um die Tendenz, dass Menschen bei einfachen Aufgaben schlechter, bei schwierigen Aufgaben jedoch besser abschneiden, da sich die Identifizierbarkeit der individuellen Leistung in der Gruppe verringert (vgl. Aronson/Wilson/Akert 2008, S. 384; Bierhoff 2000, S. 346). Je nach Schwierigkeitsgrad der Aufgaben muss also entschieden werden, ob die Eventteilnehmer einzeln oder in Gruppen aktiv mit einbezogen werden sollten.
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Abb. 1: Soziale Erleichterung und soziales Faulenzen Soziale Erleichterung Individuelle Anstrengungen können beurteilt werden
Gegenwart anderer
Wachsamkeit Bewertungsangst Ablenkung - Konflikte
Leistungssteigerung bei einfachen Aufgaben Erregung Eingeschränkte Leistung bei komplexen Aufgaben
Soziales Faulenzen Individuelle Anstrengungen können nicht beurteilt werden
Keine Bewertungsangst
Eingeschränkte Leistung bei einfachen Aufgaben Entspannung
Leistungssteigerung bei komplexen Aufgaben
Quelle: in Anlehnung an Aronson/Wilson/Akert (2008, S. 283)
Mitarbeiter-Events werden oft dazu eingesetzt, internen Zielgruppen in ChangeProzessen neue Aufgaben gruppenorientiert und interaktiv zu vermitteln. Hierzu ein aktuelles Beispiel: Best Practise: “Mission: Service 24h. Redesigned” „Service 24h“ ist der Mobilitätsservice von Mercedes-Benz. Um Kunden im Pannenfall noch schneller und effektiver helfen zu können, wird unter Führung des Customer Assistance Center (CAC) von Mercedes-Benz ein neuer, GPS-gestützter Einsatz- und Koordinationsprozess eingeführt. Im Rahmen einer Eventreihe sollen die Mitarbeiter der Mercedes-Benz Customer Assistance Center in Europa mit den veränderten Abläufen und der neuen Soft- und Hardware bekannt gemacht werden und das neue System praxisorientiert einüben. Gleichzeitig gilt es, Akzeptanz und Motivation für das neue System zu schaffen. Die Agentur Jung von Matt/relations entwickelte im Auftrag ihres Kunden ein mobiles Film-Studio, in dem die Teilnehmer als „Schauspieler“ einen (fiktiven) Film über einen Einsatz „drehen“: „Mission: Service 24h. Redesigned“. Dabei sollen sie die neuen Service 24h-Anforderungen und das Zusammenspiel aller Beteiligten kennen lernen. Der erste Teil des Films endet mit einem Pannenfall, die Teilnehmer „drehen“ nun den zweiten Teil: Sie bearbeiten in Gruppen mit der neuen Hard- und Software den Notruf aus dem Film und werden so praxisnah mit allen Abläufen und Techniken des neuen „Service 24h. Redesigned.“ vertraut gemacht.
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Abb. 2: Mission: Service 24 h. Redesigned.
Quelle: http://www.famab.de/eva/teilnehmer/list_ma/detail.html?id=272281
Die Konzeption der Events lässt die Mitarbeiter die Herausforderungen des neuen Systems in Gruppen erleben und lösen. Der Einzelne steht hier nicht unter Bewertungsdruck, sondern kann sich in seiner Rolle, in die er als Schauspieler eintaucht, voll und ganz der Lösung des Problems widmen. Mit Hilfe des Phänomens des sozialen Faulenzens kann somit erklärt werden, was in der Eventpraxis seit Jahren erfolgreich umgesetzt wird: Schwierige bzw. komplexe Aufgaben können im Rahmen einer Eventgemeinschaft in Gruppen erfolgreich gelöst werden. Die Stärkung des Wir- und Gemeinschaftsgefühls sowie das Schaffen gemeinsamer Gesprächsthemen sind weitere positive Effekte, die sich aus diesen Teamerlebnissen ergeben.
4 Deindividuation Neben dem Einfluss auf die Leistung kann die Teilnahme an einem Event auch eine Deindividuation bewirken, also eine Lockerung der normalen Verhaltenszwänge beim Einzelnen, wenn er sich nicht in einer Gruppe befindet, die zu einem Anstieg von impulsiven und von der gesellschaftlichen Norm abweichenden Handlungen führt (vgl. Aronson/Wilson/Akert 2008, S. 285). Dabei geht die Wahrnehmung als individuelle Person verloren und wird durch die Gruppenmitgliedschaft ersetzt. Indem sich die einzelne Person mit der Gruppe identifiziert, tritt dann ein Verlust an Selbstaufmerksamkeit ein (vgl. Bierhoff 2000, S. 355). Es wird dabei weniger bewusst gehandelt, es werden persönliche Werte und Einstellungen vorübergehend „vergessen“ und gleichermaßen die Individualität oder „Identität“ oft zugunsten einer neuen „Gruppenidentität“ verloren (vgl. Herkner 1991, S. 486). Nach Le Bon entsteht eine Massenseele, wenn der Einzelne in der Masse das
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Gefühl großer Macht erlebt und wenn zusätzlich ein Prozess der geistigen Übertragung eintritt, bei dem sich ein gemeinsames Gefühl oder eine gemeinsame Handlungsweise auf alle Gruppenmitglieder überträgt. Als Folge des Selbstaufmerksamkeitsverlusts tritt ein Verlust an Selbstregulation auf, durch den es zur Vernachlässigung von Normen, einem Mangel an Selbstverstärkung und einem Mangel an Zukunftsplanung kommt. Dadurch tritt wiederum eine erhöhte Beeinflussbarkeit durch die umgebende Situation und die Emotionen, die durch sie ausgelöst werden, ein (vgl. Bierhoff 2000, S. 355f.). Solche Verhaltensweisen sind meist mit Situationen gekoppelt, die durch Anonymität, Gruppen, Diffusion der Verantwortung, physiologische Erregung, veränderte Bewusstseinszustände, starke emotionale Aktivierung, ein Übermaß an sensorischen Stimuli und Neuartigkeit oder Unstrukturiertheit gekennzeichnet sind. Deindividuiertes Verhalten wird von den Individuen in der Situation als positiv (selbstverstärkend) gewertet (vgl. Nickel/Esch 2007, S. 77; Bierhoff 2000, S. 356). Abb. 3: Enthemmung des Verhaltens durch Deindividuation Deindividation bedingt durch
Gruppenkohäsion Erregung
Private SelbstAufmerksamkeit (-)
Enthemmtes Verhalten
Rechenschaftspflicht reduziert durch
Annonymität Diffusion der Verantwortung
Öffentliche SelbstAufmerksamkeit (-)
Quelle: Bierhoff (2000, S. 358)
Diese Art des Verlusts der Selbstaufmerksamkeit ist besonders bei Musik- und Sportevents zu erkennen. Der Sportzuschauer ist insofern involviert, dass er aktiv seinem Erleben Ausdruck verleiht und zwar durch Klatschen, Raunen, Pfeifen, Brüllen, Singen und durch kommentierendes Reden mit anderen Zuschauern (vgl. Bette/Schimank 2000, S. 309). Die Zuschauer sind vom Geschehen auf dem Spielfeld fasziniert und feuern ihre Mannschaft an, dadurch vergessen sie mehr und mehr ihre eigene Lage, wer sie sind und welche Verantwortung sie als Mensch tragen (vgl. Bierhoff 2000, S. 355). Es geht bei der durch den Sport erzeugten Spannung nicht um quälende Ungewissheit, sondern um einen angenehmen „Thrill“. Da dem Zuschauer selbst keine Konsequenzen oder negative Auswirkungen drohen (besonders keine weitreichenden
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Konsequenzen für sein weiteres Leben), kann er den Nervenkitzel des Wettkampfs unbelastet selbstvergessend genießen (vgl. Bette/Schimank 2000, S. 310). Wird nun die emotionale Vergemeinschaftung von Events betrachtet, fällt an sportlichen Ereignissen zunächst auf, dass sie den Zuschauern Möglichkeiten eines affektiven Sich-Auslebens bieten. Dies gilt nicht zuletzt dann, wenn die Favoriten einer Zuschauergruppe schlechte Leistungen erbringen, über die sich dann gemeinsam geärgert werden kann (vgl. Bette/Schimank 2000, S. 312). Spannung und Kampf sind die beiden Komponenten, die die Affektivität der Zuschauer hervorrufen. Wenn der Wettkampf spannend verläuft und der Sieger nicht vorausschaubar ist, schaukeln sich Begeisterung, Anfeuerung und Mitleiden beziehungsweise Mitfreuen der Zuschauer unaufhaltsam hoch; kommt es jedoch zur Niederlage der eigenen Mannschaft, können auch aggressive Emotionen bei den Zuschauer ausbrechen. Dadurch, dass die Stimmung sich den Sportmannschaften auf dem Feld mitteilt, entweder durch Anfeuern und Ausbuhen, wirken die Zuschauer unbewusst ins sportliche Geschehen hinein, beeinflussen unter Umständen sogar den Ausgang des Wettkampfs (vgl. Bette/Schimank 2000, S. 313). Best Practise: Fußball WM 2006/Euro 2008 Die Begeisterung der Zuschauer kann aber auch über das Spiel hinausgehen, dies zeigte die Fußball WM 2006 in Deutschland. Es herrschte im gesamten Land eine ausgelassene Gesamtstimmung. In diesem Eventkontext fanden zahlreiche MitarbeiterEvents statt, die vor allem für Motivationszwecke genutzt wurden. Gruppenaufgaben und Teambuilding standen hier im Vordergrund und die positive Stimmung der WM konnte hierauf übertragen werden. Abb. 4: Sportevents - Fanmeile Public Viewing Euro 2008
Quelle: http://www.berchtesgadener-land.com/www/live/wwwdom/parser,id,1224,nodeid,368.html; www.mopo.de/bilder/photogalerien/1086_4.jpg
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Auch das Open-Air-Festival Wacken ist anschauliches Beispiel für den Faktor der Deindividuation. Seit nunmehr 20 Jahren ist es mit über 70.000 Besuchern das größte Heavy Metal Festival der Welt. Auch hier entsteht eine neue Gruppenidentität und ein Verlust an Selbstaufmerksamkeit. Die Heavy Metal-Fans mit häufig langen Haaren und ähnlicher Kleidung werden durch die umgebende Situation des Open-AirFestivals und durch andere Besucher beeinflusst. Das resultiert aus der sehr hohen Gruppenkohäsion vor Ort, aber auch durch die Anonymität durch das Aussehen und die Kleidung, die laute Musik und die starke emotionale Aktivierung. Somit fällt es ihnen leichter, ihre alltäglichen Normen für eine gewisse Zeit zu vergessen und in die Welt des Heavy Metal einzutauchen. Es geht um das kollektive Gesamterlebnis, das mindestens für drei Tage anhält und auch nach dem Bühnenprogramm im Vordergrund steht. Abb. 5: Open-Air-Festival: Wacken
Quelle: http://d1.stern.de/bilder/unterhaltung/2009/31/wacken_haare_maxsize_735_490.jpg
Zuweilen treten die Normen einer bestimmten Gruppe, der man angehört, in Konflikt mit den Normen anderer Gruppen oder der Gesellschaft insgesamt. Die Meta-Analyse von Postmes & Spears (1998) ergab, dass Menschen bei höherer Deindividuation auch in höherem Grade Gruppennormen befolgen. Wenn Gruppenmitglieder zusammen und deindividuiert sind, neigen sie eher dazu, die Gruppennormen zu befolgen als die anderen Normen. Demnach reduziert die Deindividuation nicht nur die Wahrscheinlichkeit, dass ein Einzelner herausgegriffen und zur Rechenschaft gezogen wird, sondern sie steigert auch die Bereitschaft, die gruppenspezifischen Normen zu befolgen (vgl. Aronson/Wilson/Akert 2008, S. 286). Ausschreitungen bei Fußballspielen durch Hooligans stehen immer häufiger an der Tagesordnung. Verliert die eigene Mannschaft, kommt es vor, dass Fans sich nicht unter Kontrolle haben und zu aggressivem Verhalten tendieren. Rockkonzerte erlauben, wie der Sport, ein weit ungehemmteres affektives SichAusleben. Allerdings geht es bei diesen Events vornehmlich um positive, „sozial
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verträgliche“ Emotionen, während der Sport eben auch Raum für Aggressionen wie beispielsweise Hooliganism schafft (vgl. Bette/Schimank 2000, S. 312). Auf Konzerten oder Festivals entsteht keine Wettbewerbssituation wie beim Fußball oder anderen Sportarten, sondern das gemeinsame Erleben und die gleichen Interessen stehen im Vordergrund. Es besteht also keine Ambition einer gegnerischen Mannschaft gegenüberzutreten. Deindividuation führt daher nicht zwangsläufig zu aggressivem oder antisozialem Verhalten; es kommt vielmehr auf die Norm der entsprechenden Gruppe an. Abb. 6: Ausschreitungen versus friedliches Zusammensein
Quelle: http://www.neo1.ch/uploads/pics/hooligans_neu.jpg; http://p4.focus.de/img/gen/4/8/ 1248861333_ jpeg-2li50148-20090728-img_21922386_1106703_1_dpa_Pxgen_r_700xA.jpg
Folglich ist es wichtig, die betreffenden Normen bei der Konzeption eines Events zu berücksichtigen. Es ist nicht nur von Bedeutung, die einzelnen Erwartungen und Wünsche des einzelnen Eventteilnehmers zu betrachten, sondern auch ein schon im Vorwege bestehendes Gemeinschaftsgefühl und eine bestehende Gruppenkohäsion und die damit verbundenen Gruppennormen zu analysieren. Diese sollten sodann im Vorwege gefördert werden, um die Vorteile der Deindividuation noch weiter nutzen zu können.3
5 Gruppenpolarisation Die Neigung von Gruppen, Entscheidungen zu treffen, die extremer ausfallen als die ursprüngliche Neigung ihrer Mitglieder – hin zu größerem Risiko, wenn die Mitglieder ursprünglich zum Risiko neigten, und zu größerer Vorsicht, wenn die Mitglieder ursprünglich zur Vorsicht neigten –, wird als Gruppenpolarisierung bezeichnet (vgl.
3
Gleichzeitig müssen jedoch auch Maßnahmen entwickelt werden, um gegen negative Überzeugungen und problematische Normen gegensteuern zu können.
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Bierhoff 2000, S. 360). Zur Gruppenpolarisierung kommt es nach Aronson/Wilson/ Akert (2008, S. 295) vor allem aus zwei Gründen: x
x
Nach dem Modell der überzeugenden Argumente liefern alle Individuen der Gruppe eine Reihe von Argumenten, von denen die anderen Individuen einige noch nicht bedacht hatten, obwohl die ihre ursprüngliche Empfehlung unterstützen. Die Einstellung der Gruppe wird umso extremer, je mehr und überzeugendere Argumente von den Mitgliedern eingebracht werden. Nach dem Modell der sozialen Vergleichsprozesse sondieren die Teilnehmer einer Gruppendiskussion zunächst die Meinung der anderen. Um von den anderen gemocht und akzeptiert zu werden, nehmen viele Probanden dann eine Position ein, die der allgemeinen Meinung ähnelt, aber etwas extremer ausfällt. Auf diese Weise stützt das Individuum die Einschätzung der Gruppe und stellt zugleich sich selbst in einem positiven Licht dar.
Wird also während oder auch nach dem Event über eine Band, über die Umsetzung des Events oder aber auch den Spaß-Faktor diskutiert und geredet, schaukeln sich die Eventteilnehmer häufig gegenseitig immer höher, um die allgemeine Meinung, ob nun positiv oder negativ, der Gruppe noch intensiver zu vertreten als jeder andere. Somit steigt die Gruppenkohäsion und das gelungene Event beispielsweise wird in ein noch besseres Licht gerückt, als es eigentlich war. Denn dadurch, dass jeder Teilnehmer versucht, die anderen in seiner Wortwahl und in seinen Empfindungen zu überragen, wird die Veranstaltung unbewusst idealisiert (vgl. Sader 1994, S. 17). Schon bei der Konzeption von Eventmaßnahmen sollte darauf geachtet werden, dass den Teilnehmern ausreichend Raum und Zeit geboten wird, das Erlebte in der Gemeinschaft zu „verarbeiten“. Die Möglichkeit ungezwungener Zusammenkünfte („Get-Together“) während und/oder nach der Veranstaltung sollte daher in der Dramaturgie von Events fest verankert sein. Die Einbeziehung virtueller Kommunikationsmaßnahmen bietet weitere Möglichkeiten, die positiven Effekte der Gruppenpolarisation im Rahmen von LiveErlebnissen gezielt zu nutzen und zu fördern. Mit Hilfe sozialer Netzwerke, InternetForen, Blogs etc. können den Teilnehmern eines Events auch über die Veranstaltung hinaus Plattformen angeboten werden, die einen weiteren Austausch über das Erlebte ermöglichen.
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Insbesondere Social Media-Anwendungen eignen sich dazu, Beziehungen auf- und auszubauen: „So lässt sich im Vorfeld über Blogs und Netzwerke „Buzz“4 für eine Veranstaltung aufbauen. Während einer Messe oder eines Events ist es möglich, per Live Stream sowohl Besucher vor Ort als auch virtuelle Teilnehmer miteinander zu vernetzen. Über Online Communities können die Teilnehmer zudem über die eigentliche Veranstaltung hinaus in Kontakt bleiben.“ (Uniplan 2010, o.S.)
6 Fazit Sozialpsychologische Erkenntnisse können dazu beitragen, die Wirksamkeit von LiveMaßnahmen weiter zu verbessern. Diesem Aspekt kommt aufgrund der aktuellen Veränderungen in der Kommunikationslandschaft eine besondere Bedeutung zu. Obwohl verlässliche Aussagen zur weiteren Entwicklung des Kommunikationsmarktes im Detail schwierig sind, zeigen aktuelle Untersuchungen grundlegende Veränderungen auf, die sich durch die zunehmende Digitalisierung der Kommunikation ergeben (vgl. Kirchgeorg/Springer/Brühe 2009, S. 274). Verfolgt man die aktuelle Diskussion um das Thema Virtual Communication, scheint technisch mittlerweile fast alles möglich - treffen wir uns in Zukunft also live im Netz? „Eine Substitution von physischen Veranstaltungsplattformen durch virtuelle Begegnungswelten sehen nur 10% der Experten als realistisch an. Allerdings betonen 67%, dass bisherige Live Com-Veranstaltungen durch Informations- und Unterhaltungsplattformen im Internet ergänzt werden.“ (Kirchgeorg/Springer/Brühe 2009, S. 274). Es kommt also zukünftig noch mehr darauf an, die besondere Wirkungsweise jeder Kommunikationsmaßnahme genau zu kennen, um ihren Einsatz in Kombination mit anderen Instrumenten im Sinne integrierter Konzepte gezielt planen zu können. Für die Eventpraxis bietet die sozialpsychologische Betrachtung von Maßnahmen der Live-Kommunikation neue Erkenntnisse und damit weitere Argumente für diese Form der direkten, unmittelbaren Kommunikation. Anhand der ausgewählten sozialpsychologischen Aspekte konnte dargestellt werden, dass sich aus der Interaktion in der Gruppe, aus dem Wir-Gefühl und aus dem wechselseitigen Rollenverhalten, das auf die Gruppe einwirkt, Effekte ergeben, die nur eine Gruppe
4
Begeisterung, Vorfreude
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hervorbringen kann. Mit Aristoteles lässt sich sagen: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“
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Hans Pechtl Die Identifizierung von Sponsoren und Nicht-Sponsoren eines sportlichen Großereignisses
1
Einleitung
2
Darstellung des Untersuchungsansatzes
3
2.1
Operationalisierung der Identifizierungsfähigkeit eines Probanden
2.2
Determinanten der Identifizierungsfähigkeit
2.3
Aufstellung eines Strukturmodells
Aufbau der empirischen Untersuchung 3.1
Datenerhebung und Struktur der Stichprobe
3.2
Messung der Determinanten der Identifizierungsfähigkeit
4
Die Identifizierungsfähigkeit der Probanden
5
Schätzung des Strukturmodells
6
Ein Trost für Sponsoren
7
Zusammenfassung der Ergebnisse
Literaturverzeichnis
C. Zanger (Hrsg.), Erfolg mit nachhaltigen Eventkonzepten, DOI 10.1007/978-3-8349-6885-2_9, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
Die Identifizierung von Sponsoren und Nicht-Sponsoren
147
1 Einleitung Als eine zentrale Voraussetzung für das Erreichen der Ziele des Sponsorings von Sportevents darf angesehen werden, dass Nachfrager in der Lage sind, die Sponsoren wiederzuerkennen bzw. sie von Nicht-Sponsoren oder sogar Ambusher zu unterscheiden. Dies soll als Identifizierungsfähigkeit einer Person bezeichnet werden, die Gegenstand der folgenden empirischen Studie ist. Zur Operationalisierung dieser Identifizierungsfähigkeit werden vier Identifizierungsscores spezifiziert und für einen Probanden mit Hilfe von Recognitiontests gemessen. Die Probanden erhielten hierfür Unternehmensnamen vorgelegt und mussten angeben, ob dieses Unternehmen Sponsor (EUROTOP-Partner) oder Nicht-Sponsor der Fußballeuropameisterschaft (EURO 2008) war. Darüber hinaus interessiert in dieser Studie, welche Determinanten einer Person Einfluss auf seine Identifizierungsfähigkeit nehmen: Als solche Einflussgrößen werden das Sportevent-Involvement eines Probanden, sein kommerzielles SporteventWissen und seine Einstellung gegenüber Sponsoring bzw. Ambushing betrachtet. Das konzeptionelle Design dieser Studie unterscheidet sich vom traditionellen Untersuchungsansatz in diesem Forschungsgebiet, der auf Basis der aggregierten Antworten der Probanden in einer Stichprobe für einzelne Unternehmen Wiedererkennungs- und Verwechslungsquoten analysiert.1 Diese Unternehmen sind entweder Sponsoren, Nicht-Sponsoren oder Ambusher hinsichtlich des untersuchten Sportevents (vgl. bspw. McDaniel/Kinney 1998; Preuß 2005; Sandler/Shani 1989, 1993). In dieser Studie findet hingegen eine Analyse auf Ebene des Individuums statt: Die Identifizierungsfähigkeit eines Probanden ergibt sich aus der Aggregation seiner Antworten im Recognitiontest bezogen auf alle vorgelegten Unternehmens. Ein solches Untersuchungsdesign erlaubt auf einfachem Weg die Einbeziehung weiterer Merkmale des Probanden als potentielle Erklärungsgrößen seiner Identifizierungsfähigkeit. Der nächste Abschnitt stellt den verwendeten Untersuchungsansatz näher vor und entwickelt ein kurzes Hypothesensystem bezogen auf Einflussfaktoren der Identifizierungsfähigkeit eines Probanden. Danach werden der Aufbau der empirischen Untersuchung und die statistischen Ergebnisse vorgestellt.
1
Zu einer ausführlichen Darstellung des state-of-art im Zusammenhang mit der Wiedererkennung und Verwechslung von Sponsoren und Nicht-Sponsoren (Ambusher) bei Sportevents vgl. bspw. Pechtl/Niemann (2009).
148
Hans Pechtl
2 Darstellung des Untersuchungsansatzes 2.1 Operationalisierung der Identifizierungsfähigkeit eines Probanden Die Operationalisierung der Identifizierungsfähigkeit eines Probanden basiert auf folgendem Recognitiontest: Ein Proband erhält in einer Befragung eine Liste von Unternehmensnamen, die bezogen auf ein bestimmtes Sportevent als Sponsoren auftreten; die Liste führt aber auch Unternehmen auf, die sich bezogen auf das Sportereignis nicht als Sponsoren betätigen oder vielleicht sogar als Ambusher auftreten. Aufgabe des Probanden ist es, die vorgelegten Unternehmen danach zu klassifizieren, ob sie Sponsoren oder Nicht-Sponsoren des betreffenden Sportevents sind. Um ein bloßes Raten des Probanden bei diesem Recognitiontest zu verhindern, ist zusätzlich die Antwortkategorie „weiß nicht“ vorgegeben. Der Proband nimmt folglich nur dann eine Einordnung eines Unternehmens vor, wenn er sich über dessen Sponsoren- bzw. Nicht-Sponsorenschaft relativ sicher ist. Anhand der vorgenommenen Klassifizierung und der tatsächlichen Sponsorenschaft (Nicht-Sponsorenschaft) eines Unternehmens, lassen sich bezogen auf die Gesamtzahl der in der Liste aufgeführten Unternehmen vier Identifizierungsscores abgrenzen: x
Korrekte Wiedererkennung eines Sponsors: Wie viele Sponsoren, die in der Unternehmensliste enthalten sind, hat der Befragte korrekt wiedererkannt?
x
Korrekte Wiedererkennung eines Nicht-Sponsors: Wie viele der vorgelegten Nicht-Sponsoren hat der Befragte zutreffend als „NichtSponsor“ erkannt?
x
Verwechslung eines Sponsors: Dieser Identifizierungsscore stellt darauf ab, wie viele Sponsoren der Befragte fälschlicherweise als NichtSponsor eingestuft hat. Ein Sponsor, der nicht als solcher wiedererkannt wird, hat es folglich nicht erreicht, seine Sponsorenschaft bei diesem Befragten kognitiv zu verankern.
x
Verwechslung eines Nicht-Sponsors: Damit wird erfasst, wie viele der vorgelegten Nicht-Sponsoren der Befragte fälschlicherweise für einen Sponsor gehalten hat. Je höher dieser Identifizierungscore ist, desto anfälliger erscheint dieser Proband dafür, auf Ambusher „hereinzufallen“.
Die Identifizierung von Sponsoren und Nicht-Sponsoren
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Diese vier Identifizierungsscores bilden unterschiedliche Facetten der Wiedererkennung von Sponsoren und Nicht-Sponsoren eines Sportevents ab: Die Identifizierungsfähigkeit eines Probanden umfasst somit seine Wiedererkennungsfähigkeit (korrekte Wiedererkennung von Sponsoren und Nicht-Sponsoren), aber auch seine Verwechslungsanfälligkeit (fälschliche Klassifizierung von Unternehmen als Sponsoren bzw. Nicht-Sponsoren). Die Antwortkategorie „weiß nicht“ hat hierbei zur Folge, dass Wiedererkennungs- und Verwechslungshäufigkeiten nicht notwendigerweise (perfekt) negativ miteinander korreliert sind. Die vier Identifizierungscores sollen deshalb nicht zu einem globalen Wissensscore aggregiert werden.2 Im Sinne einer sprachlichen Regelung gilt allerdings zunächst, dass unter einer „guten“ Identifizierungsfähigkeit eine vergleichsweise große (geringe) Anzahl an richtigen Wiedererkennungen (Verwechslungen) verstanden wird. 2.2 Determinanten der Identifizierungsfähigkeit Eine Reihe von Studien hat einen positiven Zusammenhang zwischen dem Involvement eines Probanden gegenüber dem Sportevent (Sportevent-Involvement) und der Wiedererkennungsfähigkeit eines Event-Sponsors festgestellt (vgl. die Studienübersicht bei Pitts/Slattery 2003, S. 49, Miloch/Lambrecht 2006, S. 150 oder die Studie von Grohs et al. 2004, S. 129): Personen mit einem hohen SporteventInvolvement setzen sich – verglichen mit weniger involvierten Personen – intensiver mit Informationen über das Sportevent auseinander und nehmen eine größere Informationsmenge wahr. Teil dieser Informationsmenge können die Sponsorennamen sein. Dies müsste den höher involvierten Befragten erlauben, sowohl mehr Unternehmen auf einer vorgelegten Liste danach zu diskriminieren, ob sie Sponsor oder Nicht-Sponsor sind, als auch eine genauere Klassifizierung der betreffenden Unternehmen vorzunehmen. Die betreffende Hypothese lautet damit: H1: Das Sportevent-Involvement Probanden.
fördert
die
Identifizierungsfähigkeit
eines
Im Zusammenhang mit Sponsoring und Ambushing wurden Probanden in einigen Studien zu ihrem Wissensstand bezogen auf die Rechte von Sponsoren befragt und
2
Einen ähnlichen Messansatz für die richtige Identifizierung von Event-Sponsoren und die fälschliche Verwechslung von Nicht-Sponsoren (Ambusher) haben Zanger et al. (2005, S. 29-39) und Drengner/Sachse (2005, S. 80) mit ihrem „Verwirrungskoeffizienten“ vorgestellt, der allerdings Wiedererkennung und Verwechslung zu einer Kennzahl zusammenfasst.
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hierbei ein sehr geringes Wissen konstatiert (vgl. bspw. Lyberger/McCarthy 2001, Preuß 2005, Shani/Sandler 1998). In Weiterführung eines solchen rechtlich geprägten Hintergrundwissens zu Sponsoring lässt das kommerzielle Sportevent-Wissen eines Probanden abgrenzen, das Kenntnisse über die wirtschaftlichen Aspekte des Sportereignisses beinhaltet. Eine Person, die sich mit ökonomischen Sachverhalten des Sportevents beschäftigt, dürfte auch ein besseres Wissen über die betreffenden Sponsoren haben, verglichen mit einer Person, die sich mit diesen Aspekten nicht befasst. Zudem erscheint plausibel, dass das Sportevent-Involvement eine „treibende“ Kraft für eine Beschäftigung mit der kommerziellen Seite des Sportevents sein könnte. Damit lauten die beiden nächsten Hypothesen: H2: Das kommerzielle Sportevent-Wissen fördert die Identifizierungsfähigkeit eines Probanden. H3: Das Sportevent-Involvement fördert das kommerzielle Sportevent-Wissen. Ein dritter Forschungsansatz in der Literatur hat sich mit der Einstellung von Probanden gegenüber Sponsoring und Ambushing beschäftigt (vgl. bspw. Lyberger/McCarthy 2001, Shani/Sandler (1998, Zanger et al. 2005). Der Grundtenor dieser Studien ist, dass Probanden Sponsoring überwiegend positiv beurteilen, während gegenüber Ambushing eine eher neutrale (gleichgültige) Haltung vorherrscht. In diesem Kontext lässt sich vermuten, dass die Einstellung zu beiden Marketingstrategien negativ miteinander korreliert ist: Je positiver jemand Sponsoring sieht, desto negativer ist seine Einstellung gegenüber Ambushing. Zudem könnte die jeweilige Einstellung die Identifizierungsfähigkeit beeinflussen: Je positiver jemand gegenüber Sponsoring bzw. je negativer er gegenüber Ambushing eingestellt ist, desto mehr könnte sich diese Person bemühen, Sponsoren und Nicht-Sponsoren eines Sportevents auseinander zu halten. Ferner erscheint a priori plausibel, dass ein höheres Sportevent-Involvement zu einer positiveren (negativeren) Einstellung gegenüber Sponsoring (Ambushing) führt, da diese Marketingaktionen die Finanzierung bzw. Durchführung eines Sportevents erleichtern (erschweren). Damit ergibt sich folgendes „Set“ an Hypothesen: H4: Eine positive Einstellung gegenüber Sponsoring fördert die Identifizierungsfähigkeit eines Probanden. H5: Eine positive bzw. weniger negative Einstellung gegenüber Ambushing vermindert die Identifizierungsfähigkeit eines Probanden.
Die Identifizierung von Sponsoren und Nicht-Sponsoren
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H6: Das Sportevent-Involvement fördert eine positive Einstellung gegenüber dem Sponsoring. H7: Das Sportevent-Involvement fördert eine negative Einstellung gegenüber Ambushing. H8: Die Einstellungen gegenüber Sponsoring und Ambushing sind gegenläufig zueinander ausgeprägt: Eine positive Einstellung gegenüber Sponsoring korreliert mit einer negativen Einstellung gegenüber Ambushing (vice versa). 2.3 Aufstellung eines Strukturmodells Diese soeben formulierten Hypothesen lassen sich in ein Strukturmodell integrieren, das Gegenstand der folgenden statistischen Schätzung ist. Abb. 1: Strukturmodell der empirischen Untersuchung
SporteventInvolvement
+
+ Einstellung gegenüber Sponsoring
Identifizierungsfähigkeit
+ -
-
+
Einstellung gegenüber Ambushing
+
Kommerzielles Sportevent-Wissen
Aus methodischer Sicht erlaubt das Strukturmodell die Unterscheidung von direkten und indirekten Wirkungseinflüssen: So wirkt das Sportevent-Involvement auf die Identifizierungsfähigkeit einer Person sowohl direkt als auch indirekt über die Beeinflussung anderer Determinanten wie dem kommerziellen Sportevent-Wissen ein. Zudem lassen sich die postulierten Einflussbeziehungen simultan schätzen.
152
Hans Pechtl
3 Aufbau der empirischen Untersuchung 3.1 Datenerhebung und Struktur der Stichprobe Die Datenerhebung fand drei Wochen nach dem Endspiel der Fußballeuropameisterschaft 2008 (Fußball-EM 2008) in vier Städten (Greifswald; Stuttgart; Waiblingen; Wittstock) statt und dauerte etwa zweieinhalb Wochen. Die Studie verwendete einen standardisierten, schriftlichen Fragebogen, den die Befragten selbst ausfüllten. Ein anwesender Interviewer leistete dem Befragten jedoch Hilfestellungen bei etwaigen Unklarheiten im Verständnis von Fragen. Die Bearbeitung des Fragebogens nahm in der Regel zwischen fünf und zehn Minuten in Anspruch. Die Auswahl der Probanden erfolgte auf´s Geratewohl, wobei die Probanden an unterschiedlichen Orten der betreffenden Städte (z.B. Einkaufsstraßen, Parkanlagen, vor öffentlichen Gebäuden) von den Interviewern angesprochen wurden. Folglich liegt der Studie ein Convenience Sample zugrunde. Die Studie basiert auf insgesamt 302 befragten Personen. 52% der Befragten sind Frauen. Der jüngste Befragte war 15 Jahre, der älteste 82 Jahre alt. Der Mittelwert des Alters der Befragten liegt bei 36,8 Jahren, der Median bei 32 Jahren. Im Unterschied zu einigen Vorgängerstudien umfasst die Stichprobe damit einen sehr breiten Bevölkerungsausschnitt und ist nicht auf a-priori Sportevent-affine Zielgruppen beschränkt. Zudem liegt in dieser Studie verglichen mit Vorgängerstudien ein etwas größerer zeitlicher Abstand zwischen dem Sportevent und dem Befragungszeitpunkt vor. Als Sponsoren der EURO 2008 wurden die sechs EUROTOP-Partner (MasterCard; Carlsberg; McDonald’s; Coca-Cola; JVC; Hyundai/Kia) betrachtet. Um eine Verzerrung der Ergebnisse durch die Marktprominenzhypothese zu vermeiden, erhielt jeder Sponsor einen hinsichtlich Bekanntheit und Branchenbezug gleichwertigen „Gegenspieler“, der kein Sponsor der EURO 2008 war.3 Die jeweiligen Gegenspieler bezogen auf den Sponsor waren: Visa (MasterCard), Bitburger (Carlsberg), Burger King (McDonalds), Pepsi (Coca-Cola), Panasonic (JVC), VW (Hyundai/Kia). In der
3
Gemäß dieser Hypothese tendieren Probanden im Sinne einer Heuristik dazu, bekannten Unternehmen Sponsorenschaften zuzuschreiben (vgl. bspw. Grohs et al. 2004).
Die Identifizierung von Sponsoren und Nicht-Sponsoren
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Namenliste traten Sponsoren und Nicht-Sponsoren allerdings in einer zufälligen Reihenfolge auf, weshalb die Paarbildung nicht unmittelbar ersichtlich war. 3.2 Messung der Determinanten der Identifizierungsfähigkeit Das Sportevent-Involvement wurde durch drei Fragen operationalisiert: das generelle Interesse an Sportgroßereignissen im Fußball, das Interesse an der EURO 2008, jeweils mit einer 5-poligen Rating-Skala gemessen, und die Anzahl der gesehenen Spiele, für die fünf Häufigkeitskategorien vorgegeben waren. Die Messung des kommerziellen Sportevent-Wissens basierte auf der Nennung des Geldbetrags, den die EUROTOP-Partner für den Erwerb der Sponsoringrechte zu bezahlen hatten. Dieser Betrag lag bei 26 Mio. Euro (Wikipedia 2008). 49,7 % der Probanden hatten keine Vorstellung von der Höhe des Sponsoringinvestments und gaben keinen Geldbetrag an. Unter den restlichen Probanden mit einer Antwort unterschätzte fast jeder diesen Geldbetrag sehr stark: 27,6% nannten Geldbeträge unter einer Million Euro, nur 9,9% setzten für das Sponsoringinvestment zwischen 5 Millionen und 100 Millionen Euro an. Niemand der 302 Befragten kannte den korrekten Betrag. Wenngleich man – zumindest gemessen an dieser Frage – den Probanden nur schwerlich „Wissen“ über die Höhe des Sponsoringinvestments zubilligen kann, wurde dennoch eine Klassifizierung der Antworten vorgenommen: Probanden ohne eine Geldangabe erhielten den Wert -1 für ihr Sportevent-Wissen, Probanden mit einer Angabe zwischen 5 und 50 Millionen Euro den Wert +1. Allen anderen, die zwar eine Geldangabe gemacht hatten, aber völlig „daneben lagen“, wurde der Wert 0 zugewiesen. Die Messung der Einstellung gegenüber Sponsoring und Ambushing basierte auf je vier Statements, die die Probanden mit einer 5-poligen Skala beantworten konnten. Da der Fachterminus des „Ambushing“ unter den Probanden als nur wenig bekannt vorauszusetzen war, ging den Fragen zur Einstellungsmessung eine Passage voran, in der Ambush-typische Sachverhalte vorgestellt wurden.4 Die Antworten wurden mit -2 bis +2 kodiert, wobei höhere Werte eine positivere Einstellung signalisieren. Tabelle 1 zeigt die Mittelwerte der Antworten auf die vorgelegten Statements.
4
Ambushing wurde hierzu umschrieben mit: „Unternehmen, die eine Sportveranstaltung nicht (mit Geld) unterstützen, diese dennoch für ihr Marketing nutzen“.
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Tab. 1: Einstellung zu Sponsoring und Ambushing Statement x x x x x x x x
Mittelwert
Finanzielle Unterstützung von Sportgroßveranstaltungen durch Sponsoren Auftreten der Sponsoren bei jeder Übertragung des Sportevents Alleiniges Verkaufsrecht von Sponsorprodukten in Stadien Alleiniges Verkaufsrecht von Sponsorprodukten auf Fanmeilen
0,97 0,18 -0,60 -0,59
Nutzen des Sportevents durch Ambushing-Unternehmen Vorspiegeln von Sponsorenschaft Ambusher sind clever Ambusher schaden den Sponsoren
-0,34 -1,05 0,38 -1,03
Die Mittelwerte zeigen, dass die Probanden Sponsoring bzw. Ambushing nicht gleichförmig positiv oder negativ sehen: Die finanzielle Unterstützung eines Sportevents durch Sponsoren wird relativ stark begrüßt, während die monopolistische Nutzung der Verkaufsrechte durch die Sponsoren als durchaus negativ empfunden wird. Das Vorspiegeln von Sponsorenschaft durch Ambusher und der Umstand, dass Ambusher Sponsoren schaden, weist eine eindeutig negative Bewertung auf, dennoch sehen die Probanden Ambusher – im Durchschnitt – als clevere Akteure an. Bemerkenswert ist hierbei, dass die Probanden die monopolistische Nutzung der Verkaufsrechte durch die Sponsoren signifikant negativer bewerten als die Tatsache, dass Ambusher ein Sportevent – „ohne dafür zu bezahlen“ – für ihre eigenen Zwecke nutzen (p < 0,01, t-Tests). Da das Sportevent-Involvement sowie die Einstellung zu Sponsoring bzw. Ambushing mit mehreren Indikatoren gemessen wurden, diente eine konfirmatorische Faktorenanalyse (AMOS) dazu, die Indikatoren zum jeweiligen Faktor zu aggregieren5 und die diesbezüglichen Faktorwerte als Messwerte des Konstrukts bei einem Probanden zu gewinnen. Die Kennwerte dieser Faktorenanalyse zeigen einen akzeptablen Fit hinsichtlich der Messung der drei Konstrukte (CMIN/DF = 2.35; RMSEA =0,066; CFI = 0,947; vgl. allgemein hierzu bspw. Homburg et al. 2008, S. 565).
5
Die beiden Statements zu den Verkaufsrechten der Sponsoren wurden zu einem Indikator mit Hilfe einer Durchschnittsbildung der Antworten zusammengefasst, da die Antworten sehr stark korrelierten (r=0,809) und somit nahezu redundante Informationen liefern.
Die Identifizierung von Sponsoren und Nicht-Sponsoren
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4 Die Identifizierungsfähigkeit der Probanden Im Durchschnitt klassifizierten die Probanden 4,64 der vorgegebenen 12 Unternehmensnamen. Folglich sahen sie sich bei 7,36 der 12 Namen, d.h. bei etwas über 60% der vorgelegten Namen, nicht in der Lage, angeben zu können, ob es sich um einen Sponsor oder Nicht-Sponsor oder Nicht-Sponsor handelte. 25,8% der Probanden konnten keinen einzigen Sponsor korrekt wiedererkennen, lediglich 3% erinnerten sich in diesem Recognitiontest zutreffend an alle sechs Sponsoren. Hinsichtlich der vier Identifizierungsscores wurden im Durchschnitt 2,33 der sechs Sponsoren und 1,26 der Nicht-Sponsoren richtig erkannt; 0,31 der sechs Sponsoren ordneten die Probanden fälschlicherweise den Nicht-Sponsoren und 0,74 der sechs Nicht-Sponsoren fälschlicherweise den Sponsoren zu. Insgesamt erscheint damit die Wiedererkennungsfähigkeit der Probanden bezogen auf Sponsoren und NichtSponsoren gering, allerdings ist auch der Fall der fälschlichen Zuordnung im Durchschnitt selten. Grund jeweils hierfür ist, dass die Probanden bezogen auf einen Unternehmensnamen zumeist überhaupt keine Vorstellung (Erinnerung) hatten, ob ein Sponsor oder Nicht-Sponsor vorlag. Dies stellt die Zielerreichung Sponsorings zweifellos in Frage, wenn sich die Nachfrager größtenteils kaum daran erinnern können, wer Sponsor des Events war. Zugleich macht es sie anfällig gegenüber Ambushing-Maßnahmen, da sie bei einem Unternehmen nur selten erkennen, dass es sich um keinen Sponsor des Events handelt.
5 Schätzung des Strukturmodells Das Strukturmodell der Abbildung 1 wurde mit AMOS geschätzt. Tabelle 2 gibt eine Übersicht zu den standardisierten Schätzparametern (Pfadkoeffizienten), die den Wirkungseinfluss der Determinanten auf die vier Identifizierungsscores quantifizieren. Zusätzlich ist für das Sportevent-Involvement in Tabelle 2 in Klammern der gesamte Wirkungseinfluss ausgewiesen, der sich aus dem direkten sowie der Summe der indirekten Effekte ergibt.
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Tab. 2: Pfadkoeffizienten des Strukturmodells Determinante
I1
I2
I3
I4 0,216*** (0,270)
x
Sportevent-Involvement
0,378*** (0,470)
0,296*** (0,388)
0,115* (0,176)
x
Kommerzielles Sportevent-Wissen
0,252***
0,292***
0,151**
0,064
x
Einstellung gegenüber Sponsoring
-0,003
0,046
0,061
-0,003
x
Einstellung gegenüber Ambushing
0,049
0,019
-0,048
0,049
I1: Korrekte Wiedererkennung eines Sponsors; I2: Korrekte Wiedererkennung eines Nicht-Sponsors; I3: Verwechslung eines Sponsors; I4: Verwechslung eines Nicht-Sponsors. ***: signifikant auf p < 0,01; **: signifikant auf p < 0,05; *: signifikant auf p < 0,1.
Korrespondierend mit Hypothese H1 beeinflusst das Sportevent-Involvement positiv die Identifizierung von Sponsoren und Nicht-Sponsoren. Allerdings weisen die Schätzparameter auch aus, dass ein höheres Sportevent-Involvement zu einer größeren Anzahl an Verwechslungen führt, d.h. ein Sponsor wird für einen Nicht-Sponsor bzw. ein Nicht-Sponsor für einen Sponsor gehalten. Dieser Wirkungseinfluss, den die positiven Vorzeichen der betreffenden Schätzparameter anzeigen, ist konträr zu Hypothese H1. Ursache für dieses Ergebnis ist, dass mit steigendem SporteventInvolvement die Anzahl der Klassifizierungen ansteigt: Je höher involviert ein Proband ist, desto sicherer fühlt er sich offensichtlich, beurteilen zu können, ob ein vorgelegter Unternehmensname ein Sponsor oder Nicht-Sponsor ist. Eine größere Anzahl an Klassifizierungen führt deshalb zu einer höheren Zahl an „Treffern“, aber auch zu mehr Fehlklassifizierungen. Die Größenordnung der betreffenden Schätzparameter zeigt hierbei an, dass die Anzahl der „Treffer“ stärker als die Anzahl der „Nieten“ ansteigt. Eine zum Sportevent-Involvement analoge Wirkungsstruktur liegt für das kommerzielle Sportevent-Wissen vor; allerdings ist die Einflussstärke schwächer als beim Sportevent-Involvement. Hypothese H2 lässt sich damit nur für die korrekte Wiedererkennung von Sponsoren bzw. Nicht-Sponsoren bestätigen. Entgegen den Hypothesen H4 und H5 hat die Einstellung gegenüber Sponsoring bzw. Ambushing keinen Einfluss auf die Identifizierungsfähigkeit des Probanden. Eine positive Einstellung zum Sponsoring schlägt sich damit nicht in einer besseren Wiedererkennung der Sponsoren nieder.
Die Identifizierung von Sponsoren und Nicht-Sponsoren
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Hinsichtlich der Interdependenz der Determinanten der Identifizierungsfähigkeit (Hypothesen H3, H6, H7 und H8) weist die Schätzung des Strukturmodells einen signifikanten positiven Einfluss des Sportevent-Involvements auf das kommerzielle Sportevent-Wissen (E = 0,319; p < 0,01) sowie auf die Einstellung gegenüber dem Sponsoring aus (E = 0,220, p < 0,01). Die Hypothesen H3 und H6 sind damit bestätigt. Das Sportevent-Involvement beeinflusst hingegen nicht signifikant die Einstellung gegenüber dem Ambushing; ebenso besteht keine signifikante „Korrelation“ zwischen den Einstellungen gegenüber Sponsoring und Ambushing; somit sind die Hypothesen H7 und H8 abzulehnen. Die Bewertung des Sponsorings und des Ambushing stellen damit zwei voneinander unabhängige Konstrukte dar. Hinsichtlich der Erklärungsgüte des Strukturmodells liegen zwar auf p < 0,05 signifikante, wenngleich nicht sonderlich hohe Werte vor: Das Bestimmtheitsmaß für die Wiedererkennung der Sponsoren (Nicht-Sponsoren) beträgt R²=0,282 (R²=0,227), für die Verwechslung der Sponsoren (Nicht-Sponsoren) liegt es bei R²=0,057 (R²=0,120).
6 Ein Trost für Sponsoren In einer Zusatzfrage im Fragebogen erhielten die Probanden folgende Entscheidungssituation vorgelegt: Zwei Produkte unterscheiden sich nicht in Qualität und Preis, ein Produkt wird von einem Sponsor eines Sportevents offeriert, das andere Produkt von einem Ambusher. Ausgehend von diesem Szenario sollten die Probanden eine „forced choice“-Entscheidung treffen. 81,0% der Befragten wählten in diesem Szenario das Sponsorenprodukt und nur 19,0% das Ambusherprodukt. Ferner zeigte sich hinsichtlich der Einstellung zu Sponsoring ein auf p < 0,01 signifikanter Mittelwertunterschied (t-Test): Probanden, die das Produkt des Sponsors bevorzugen, weisen eine signifikant bessere Einstellung zu Sponsoring auf als Probanden mit der Präferenz für das Ambusherprodukt (0,357 versus -0,396). Eine positive Einstellung gegen Sponsoring schlägt sich demnach in einer erhöhten Präferenz für das Sponsorenprodukt bzw. niedrigeren Präferenz für das Ambusherprodukt nieder. Damit besitzt die Einstellung der Nachfrager gegenüber Sponsoring eine wichtige Marketingbedeutung für Sponsoren, selbst wenn sie die Identifizierungsfähigkeit der Nachfrager nicht beeinflusst. Dieses Ergebnis zur Präferenz der Probanden ist jedoch unter dem methodischen Vorbehalt zu sehen, dass eine relativ abstrakte und fiktive Produktwahl vorlag.
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7 Zusammenfassung der Ergebnisse Insgesamt liefern Befunde dieser Studie ein für Sponsoren enttäuschendes Bild, was die Identifizierungsfähigkeit der Nachfrager angeht: Wie der betreffende Identifizierungsscore zeigt, ist in der Stichprobe die Wiedererkennung von Sponsoren – kurze Zeit nach Ende des Events – zumindest im Durchschnitt der Probanden gering. Dies unterstreicht, dass auch nach Ende des Events der Tatbestand der Sponsorenschaft weiterhin am Markt vermittelt werden muss. Ferner zeigte sich, dass stärker in den Event involvierte Personen und Personen mit größerem (kommerziellen) Wissen zwar mehr Sponsoren und Nicht-Sponsoren richtig zu erkennen vermögen, sie aber zugleich häufiger Verwechslungen begehen: Eine Person, die einen NichtSponsor explizit für einen Sponsor hält, erscheint hierbei „anfälliger“, auf etwaige Ambushing-Aktionen dieses Unternehmen „hereinzufallen“, verglichen mit einer Person, die ein Unternehmen überhaupt nicht als Sponsor oder Nicht-Sponsor einordnen kann. Hoch-involvierte Nachfrager erscheinen demnach „gefährdeter“ für Ambushing. Eine positive Einstellung gegenüber Sponsoring wird dem Sponsor nicht durch eine höhere Wiedererkennungsfähigkeit der Probanden „vergolten“. Zudem impliziert eine positive Einstellung gegenüber dem Sponsoring keine korrespondierende negative Einstellung gegenüber dem Ambushing. Beide Einstellungen sind voneinander unabhängig. Ursache könnte sein, dass Ambushing ein relativ neuartiges Phänomen für Nachfrager darstellt und offensichtlich nicht zwangsläufig als Gegenpart zum Sponsoring assoziiert wird. Die Metapher, wonach Ambushing „der dunkle Zwilling“ des Sponsorings sei, trifft somit auf Ebene der Konsumentenwahrnehmung (noch) nicht zu.
Die Identifizierung von Sponsoren und Nicht-Sponsoren
159
Literaturverzeichnis DRENGNER, J.; SACHSE, M. (2005): Die Wirkung von Ambush-Marketing: Ausgewählte Ergebnisse einer empirischen Untersuchung anlässlich der FußballEuropameisterschaft 2004, in: Horch, H.-D.; Hovemann, G.; Kaiser, S.; Viehbahn, K. (Hrsg.), Perspektiven des Sportmarketing, Köln 2005, S. 71-87. GROHS, R.; WAGNER, U.; VSETECKA, S. (2004), Assessing the effectiveness of sport sponsorships – an empirical examination, in: Schmalenbachs Business Review, Vol. 56, 2004, S. 119-138. HOMBURG, C.; KLARMANN, M.; PFLESSER, C. (2008), Konfirmatorische Faktorenanalyse, in: Herrmann, A. / Homburg, C. / Klarmann, M. (Hrsg.), Handbuch der Marktforschung, 3. Aufl. Wiesbaden 2008, S. 271-303. LYBERGER, M. K.; MCCARTHY, L. (2001), An assessment of consumer knowledge of, interest in, and perceptions of ambush marketing strategies, in: Sport Marketing Quarterly, Vol. 10, 2001, Nr. 2, S.10-17. MILOCH, K. S.; LAMBRECHT, K. W. (2006): Consumer awareness of sponsorship at grassroots sports events, in: Sport Marketing Quarterly, Vol. 15, Nr. 3, 2006, S. 147-154. MCDANIEL, S. R.; KINNEY L. (1998): The implications of recency and gender effects in consumer response to ambush marketing, in: Psychology & Marketing, Vol. 15, S. 385-403. PECHTL, H.; NIEMANN, K. (2009): Sponsoring und Ambushing – eine verhaltenswissenschaftliche Analyse, Wirtschaftswissenschaftliche Diskussionspapiere 03/09, Universität Greifswald 2009. PITTS, B. G.; SLATTERY, J. (2003): An examination of the effects of time on sponsorship awareness levels, in: Sport Marketing Quarterly, Vol. 13, Nr. 1, 2004, S. 43-54. PREUß, H. (2005): Sponsoring und Konsumentenverhalten: Eine olympische Perspektive, in: Horch, H.-D.; Hovemann, G.; Kaiser, S.; Viehbahn, K. (Hrsg.): Perspektiven des Sportmarketing, Köln 2005, S. 229-248. SANDLER, D. M.; SHANI, D. (1989): Olympic sponsorships vs. ambush marketing: who gets the gold?, in: Journal of Advertising Research, August/September, S. 9 – 14. SANDLER, D. M.; SHANI, D. (1993): Sponsorship and the olympic games: the consumer perspective, in: Sport Marketing Quarterly, Vol. 11, Nr. 3, 1993, S. 38-43. SHANI, D.; SANDLER, D. M. (1998): Ambush-Marketing: Is confusion to blame for the flickering of the flame?, in: Psychology & Marketing, Vol. 15, 1998, S. 367-383. WIKIPEDIA (2008), Fußball-Europameisterschaft 2008, de.wikipedia.org/wiki/FußballEuropameisterschaft_2008 (Abruf am 25. 11. 2010). ZANGER, C.; DRENGNER, J.; SACHSE, M. (2005): Eventreport 2004, Chemnitz 2005.
Gregor Betz Mega-Event-Macher. Organisieren von Großereignissen am Beispiel der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010.
1
Einführung
2
Die ‚Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 GmbH’
3
Politisierung
4
Expansion
5
Temporalität
6
Ausblick
Literaturverzeichnis
C. Zanger (Hrsg.), Erfolg mit nachhaltigen Eventkonzepten, DOI 10.1007/978-3-8349-6885-2_10, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
Mega-Event-Macher
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1 Einführung In Zeiten des demografischen Wandels, der Globalisierung und geringer werdender Spielräume der öffentlichen Haushalte greifen Städte und Regionen aus verschiedenen Gründen immer öfter zum Instrument von Großereignissen. Neben ihrer Wirkung im weltweiten Wettbewerb um Aufmerksamkeit erhoffen sich Städte durch Events einen Ausweg aus dem immer öfters vorherrschenden (stadt-)gesellschaftlichen System negativer Konsense und Minderheiteninteressen, eine Sichtbar-Machung von Stadtpolitik und eine zumindest temporäre Integration und Identifizierung der Stadt (Häußermann/Siebel 1993). Olympische Spiele und Weltmeisterschaften, Internationale Bauausstellungen und nicht zuletzt der Titel der Europäischen Kulturhauptstadt sind nur einige Beispiele für solche komplexen, aufwändigen, meist kostspieligen und mit hohen Risiken versehenen Ereignisse. In der Literatur zu Events und Eventmanagement herrscht Konsens darüber, dass Events der Organisation bedürfen. Allerdings werden selten theoretisch die typischerweise divergierenden Ansichten und Ziele der am Organisieren von Events beteiligten Akteure reflektiert (vgl. etwa Allen et al. 2002, Behrens-Schneider und Birven 2003, Dressler 2004). Auch in der Literatur zum Marketing von Events wird zwar der Frage nachgegangen, wie ein Event die jeweiligen Kommunikationsbotschaften möglichst ‚aufregend’ vermitteln kann (vgl. etwa Inden 1993, Kinnebrock 1993, Zanger 2001, Zanger/Sistenich 1996). Doch darüber, was Organisieren eines Events impliziert, wie sich Lenkung und Steuerung von Events vollziehen und welche organisationalen Aspekte dabei virulent werden, herrscht bis heute in der Eventforschung weitestgehend Unklarheit. Zwar können zu diesen Fragen im Folgenden lediglich Ansätze einer Antwort geliefert werden. Allerdings werden drei Aspekte des ‚Organisierens von Großereignissen’ am Beispiel der ‚Mega-EventMacher’ der ‚Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010’ aus einer organisationssoziologischen Perspektive betrachtet. Erstens ist festzustellen, dass die Kulturhauptstadt in ein hoch politisiertes Akteursfeld eingebunden war, welches sich im Kern zwischen zwei Interessenpolen aufspannte und erhebliche Auswirkungen auf die Führungsstruktur, den Organisationsaufbau und die inhaltliche Orientierung der Kulturhauptstadt hatten. Zweitens musste sich die Organisation zunächst selber aufbauen, doch die massive, ‚unnatürliche’ Expansion der Organisation hatte erhebliche Auswirkungen auf seine Funktionsweise. Und drittens war die Kulturhauptstadt-Organisation zeitlich befristet und somit als ‚temporäre Organisation’ mit seinen spezifischen Eigenheiten zu betrachten.
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Gregor Betz
2 Die ‚Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 GmbH’ Die Organisation ‚Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 GmbH’ (im Folgenden RUHR.2010 GmbH) wurde zwischen Januar 2009 und Juni 2011 in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Forschungsprojekts am Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie der TU Dortmund erforscht.1 Seit Januar 2009 gewährte sie dem Projektteam einen intensiven Einblick in die Organisation, so dass ein ethnografisches Forschungsdesign angewendet werden konnte. Zentrale Methoden waren dabei die teilnehmende Beobachtung (vgl. Bachmann 2009), flankiert von narrativen Interviews (vgl. Loch/Rosenthal 2002; Holtgrewe 2009) sowie Dokumenten- und Artefaktanalysen (vgl. Vogd 2010, S. 52f; Froschauer 2009). Die RUHR.2010 GmbH wurde im Dezember 2006 gegründet. Zweck der Organisation war „die Förderung der Kunst und Kultur mit dem Ziel einer Fortentwicklung der kommunalen und regionalen Kulturstrukturen“ im Ruhrgebiet und sollte verwirklicht werden „insbesondere durch die Realisierung des Projekts ‚Essen für das Ruhrgebiet – Europäische Kulturhauptstadt 2010’ (…)“. (RUHR.2010 GmbH 2008, § 2 Absatz 1-2). Verstanden wurde die Kulturhauptstadt von den Verantwortlichen aber "nicht als ein reines Festivalevent, sondern vor allem als regionales Entwicklungsprojekt mit europäischer Dimension" und als "Beitrag zur Entwicklung der Metropole Ruhr" (Ruhr.2010 2007, S. 3; Betz 2011). In die Organisation ging das seit 2002 agierende und zuletzt sechs Mitarbeiter umfassende ‚Kulturhauptstadt-Bewerbungsbüro’ des Regionalverbands Ruhr auf (vgl. zur Kulturhauptstadt-Bewerbung des Ruhrgebiets: Betz 2008, Scheytt 2006). Ab 2007 wurde das Team stark erweitert und umfasste in der Spitze Anfang 2010 über 150 Mitarbeiter. Geleitet wurde die Organisation durch eine operativ agierende zweiköpfigen Geschäftsführung und einem vierköpfigen künstlerischen Direktorat. Aus 2.200 eingereichten Projektvorschlägen aus der Region wurde zunächst unter Anwendung der drei Kriterien Nachhaltigkeit, Modellhaftigkeit für Europa sowie der Vernetzung (interkommunale Vernetzung, europäische Vernetzung, Sparten-übergreifende Vernetzung etc.) 300 Projekte ausgewählt. Um diese herum wurde eine Gesamtdramaturgie mit Programmbotschaften gestrickt und eine Marketing- und Kommunikationsstrategie entwickelt. Als Kernbotschaft der
1
Nähere Informationen zum Projekt „Management multipler Divergenzen. Begleitstudie zur Organisation und Koordination des Mega-Event-Projekts ‚Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010’“ finden sich unter www.hitzlersoziologie.de. Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle meinen Kollegen Prof. Dr. Ronald Hitzler, Dr. Gerd Möll und Dr. Arne Niederbacher sowie meiner Freundin Nona Weiße.
Mega-Event-Macher
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Kulturhauptstadt kommunizierte die RUHR.2010 GmbH, dass man basierend auf der Vergangenheit des Ruhrgebiets (‚Mythos Ruhr begreifen’) mit den Mitteln von Kunst und Kultur eine Metropole neuen Stils prägen wolle (‚Metropole gestalten’), die Impulse für ein integriertes und vereintes Europa ausstrahle (‚Europa bewegen’. vgl. RUHR.2010 GmbH 2009).
3 Politisierung Die RUHR.2010 GmbH war in eine komplexe institutionelle Konstellation eingebunden. Der Kulturbegriff des Titels Kulturhauptstadt Europas ist äußerst weit interpretierbar. Die europäische Kommission gibt bewusst wenig inhaltliche Vorgaben an die inhaltliche Gestaltung und Ausrichtung des einjährigen Festivals, so verfügt die austragende Stadt oder Region über ein Höchstmaß an Souveränität bei der Ausgestaltung der Kulturhauptstadt (Siebel 2010; Selle 2002), was zugleich politische und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse unausweichlich macht. Die umsetzende Organisation wird dadurch zum Objekt sowie zur Arena für Rangeleien, Verteilungsund Interessenkonflikte im politischen Mehrebenen-System und wird mit einem Höchstmaß an divergierenden Interessen, Vorstellungen und möglichen Interpretationsweisen des Titels konfrontiert (Benz 2004). Dieses politisierte Institutionengefüge hat wiederum – der neo-institutionalistischen Organisationstheorie folgend (Walgenbach 2006) – Auswirkungen auf die Organisation, welche sich in der Funktionsweise der Organisation und ihrer Führungsstruktur ablesen lassen. Konkret ließen sich bei der RUHR.2010 GmbH – neben den unzähligen Partikularinteressen einzelner Akteure – zur allgemeinen Ausrichtung und Orientierung der Kulturhauptstadt zwei größere Akteursblöcke mit ihrer spezifischen Handlungslogik (Fürst 2004, S. 48; Betz 2008, S. 200) identifizieren. Auf der einen Seite standen die Kommunen und ihre Kultureinrichtungen sowie als zentralistisches Sprachrohr der 53 Kommunen der Regionalverband Ruhr. Kommunen sind territorial orientierte Akteure, die lokalistisch geprägt und an kommunale Interessen und Entscheidungen gebunden sind. Kommunalpolitiker stehen unter einem Legitimationsdruck, der sich durch Legislaturperioden und Wahlzyklen zeitlich äußert. Der Regionalverband Ruhr wird zwar strukturell vom Land legitimiert und geprägt, wird aber inhaltlich durch die Kommunen gesteuert und über eine kommunale Umlage finanziert. Lediglich durch einen Konsens unter den Ruhrkommunen ist der Regionalverband handlungsfähig und vertritt dann kommunale Interessen. Die Kommunen (und damit der Regionalverband) vertraten bei der Vorbereitung und Entwicklung der Kulturhauptstadt ihr Interesse an einem möglichst breit aufgestellten
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Programm mit möglichst prominenter Position ihrer eigenen Stadt. Sie wollten in der Kulturhauptstadt sowohl gegenüber ihren Bürgern, als auch nach außen hin – nicht zuletzt in Abgrenzung und Konkurrenz zu den anderen Ruhr-Städten – als eigenständige Stadt sichtbar sein. Ein zweiwöchiger Mega-Event irgendwo im Ruhrgebiet hätte der politischen Legitimation und Reputation von Politik und Verwaltung wenig genutzt, sie forderten dagegen eine Berücksichtigung ihrer kommunalen Strukturen als Beitrag zu ihrer nachhaltigen Sicherung. Nicht zuletzt sollte die Einbindung der gesellschaftlichen Akteure ihrer Stadt einer positiv gestimmten politischen Kultur in ihrer Kommune dienlich sein. Eine Gruppe, die in der Akteurskonstellation wenig gehört wurde, stellen die frei schaffenden Künstler dar. Tendenziell waren sie auch an einer polizentrischen Lösung interessiert, Künstler sind zudem auch Bürger und Wähler, so dass sie am ehesten der Akteursgruppe der Kommunen zuzurechnen sind. Dem gegenüber standen das Land sowie Akteure aus der Wirtschaft, die etwa als Sponsoren in der Akteurskonstellation eine wichtige Rolle spielten. Das Land hatte ein Interesse an einem großen ‚Paukenschlag‘ in Form eines Mega-Events, der das ganze Bundesland weit über die Landes- und Bundesgrenzen hinaus zum Glänzen bringen sollte. Eine Stärkung der regionalen Ebene ist für das Land stets eher problematisch, da es stets den Vorwurf anderer Regionen befürchten muss, es würde eine bestimmte Region bevorteilen. Die Unternehmen verbanden mit der Kulturhauptstadt insbesondere Marketinginteressen durch Sponsoring, welche sie ebenso durch die überregionale Wirkung eines Events am stärksten als erreichbar sahen. Ihr Interesse an der Polizentrizität, am ‚Quartier’ ist prinzipiell gering, vielmehr erhofften sie sich, Projekte der Kulturhauptstadt als Marketingevents für ihre Zwecke mitnutzen zu können. Es lag also ein Akteursfeld mit zwei Interessenschwerpunkten vor: Zum einen das Interesse an einem Großereignis mit internationaler Strahlkraft; zum anderen das Interesse an einem regionalen Entwicklungsprojekt mit polizentrischer und nachhaltiger Ausrichtung. Aus diesen zwei inhaltlich-konzeptionellen Modellen ergaben sich zwangsläufig zwei völlig unterschiedliche mögliche Organisationstypen und organisationale Vorgehensweisen. Ein international strahlendes Großereignis impliziert eine monistische Führungsstruktur und eine deduktive Vorgehensweise (deduktiv-monistisches Modell). Zu Beginn steht eine inhaltliche Gesamtidee eines künstlerisch starken und
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unabhängigen Intendanten. Diese inhaltliche Idee wird ausgearbeitet und darauf basierend konkrete Projekte um diese Idee herum entwickelt, gesucht oder aus einem vorhandenen Pool an vorgeschlagenen Ideen ausgewählt. Um die notwendige Qualität zu gewährleisten, müssen dann Qualitätskriterien aus den Projekten heraus entwickelt und umgesetzt werden. Die Kulturhauptstadt (oder ein anderes Großereignis) wird demnach dann als erfolgreich bewertet, wenn die internationale Strahlkraft – also der Paukenschlag – erreicht wurde, wenn also die Medienberichterstattung qualitativ und quantitativ hoch waren, die Zuschauerzahlen stiegen sowie viele Quellmärkte erreicht wurden. Eine polizentrisch und nachhaltig ausgerichtete Strategie hingegen impliziert ein induktives Vorgehen – also von den Einzelprojekten aus – mit einer pluralistisch aufgestellten Führung und Organisation (induktiv-pluralistisches Modell). Im Zentrum dieses Modells steht, endogene und dezentral in der Region vorhandene Potenziale zu wecken und zu nutzen, um regionale Lerneffekte zu erzeugen und eine langfristige Entwicklung ‚von unten’ anzustoßen. In einer ersten Phase wird dazu aufgerufen, – ggf. zu einem allgemein gehaltenen Oberthema – hochwertige und innovative Projektideen einzureichen. Aus diesen wird dann eine Auswahl getroffen, wobei es eben um die endogenen Potenziale, die Modellhaftigkeit für die Region und die Innovativität des Projektes geht. Anschließend bringt man die ausgewählten Projekte in eine Ordnung, in der sie Sinn ergeben oder eine Geschichte erzählen, um sie schließlich nach außen hin kommunizieren zu können. Bewertet wird ein solches Projekt anhand der Nachhaltigkeit der Projekte, der regionalen Durchdringung sowie erzeugter Lerneffekte. Beide Führungs- und Organisationsmodelle sind idealtypisch zu verstehen. Die RUHR.2010 GmbH folgte bei ihrer Programmentwicklung tendenziell dem induktivpluralistischen Modell, wobei hier die Kriterien für die Projektauswahl in Form von Qualitätskriterien konkretisiert wurden. Die vorher bekannt gegebenen Voraussetzungen für Projekte Nachhaltigkeit, Vernetzung und Modellhaftigkeit für Europa sind aber keine inhaltlichen Vorgaben, auch wenn sie deduktiv auf die Projekte angewandt wurden. Aus den eingereichten Projekten wurden bis März 2009 300 Projekte ausgewählt und anschließend versucht, sie in eine nach außen verständliche Ordnung zu bringen und eine ‚Geschichte’ darum zu stricken.
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Abb. 1: Idealtypische Führungs- und Organisationsmodelle Induktiv-pluralistisches Modell
Deduktiv-monistisches Modell
Programmatische Idee
Endogene und polizentrische Potenziale wecken
Glanz durch (Inter-)Nationalen Paukenschlag.
Akteure
Kommunen und Regionalverband
Land und Privatwirtschaft
Führungsstruktur
Geschäftsführer-DirektorenModell
Intendanten-Modell
Organisationsstruktur
Pluralistisch
Monistisch
Vorgehensweise
Induktiv – von den Projekten zum Programm
Deduktiv – vom Programm zu den Projekten
1
Projktaufruf
1. Entwicklung der Gesamtidee
2
Projektauswahl
3
Programmintegration
Phasen
2. Operationalisierung der Gesamtidee 3. Projektentwicklung
Bewertungskriterien
Nachhaltigkeit der Projekte, regionale Durchdringung, Lerneffekte
Medienberichterstattung, Zuschauerzahlen, erreichte Quellmärkte
Legitimationsproblem
Keine kurzfristig und unmittelbar messbaren Effekte
Keine nachhaltige Wirkung
Sowohl das induktiv-pluralistische als auch das deduktiv-monistische Modell liefen – von den jeweiligen Akteuren vertreten – von Beginn an mit der Kulturhauptstadt mit und lieferten in unterschiedlichen Phasen erhebliches Konfliktpotenzial. Die erste Bewerbungssituation auf Landesebene gegen die Konkurrenten Köln und Münster zwang das Land zunächst zu Neutralität und Zurückhaltung, so dass die Kulturhauptstadt zunächst klar induktiv-pluralistisch angelegt war. Noch am Tag des NRW-Zuschlags im Mai 2005 begann das Land allerdings, sich massiv in die inhaltliche Ausrichtung einzumischen: Ein erbitterter Streit begann, der unter dem Begriffspaar ‚Hochglanz vs. Offenporigkeit’ subsumiert werden kann. Dabei ging es nur vordergründig um die Papierwahl für die zu erstellende Bewerbungsbroschüre der Bundesausscheidung. Dahinter standen eben die beiden grundsätzlichen Konzepte, die sich in konträren Konzeptionen der inhaltlichen und konzeptionellen Ausrichtung, der Projektschwerpunkte sowie der Bildsprache äußerten. Die eine Seite wollte das wahre
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Gesicht der Region mit Schwerpunkt auf die Ecken und Kanten – positiv ausgedrückt die Orte mit Entwicklungspotenzial – der Region zeigen, die anderen hingegen plädierten für eine Highlight-Präsentation und eine Demonstration der vorhandenen (hoch-) kulturellen Exzellenz. Bereits zu diesem Zeitpunkt versuchte das Land schon, den damaligen Moderator der Bewerbung Dr. Georg Költzsch durch einen anderen zu ersetzen und somit in die Organisations- und Führungsstruktur einzugreifen. Nachdem das Ruhrgebiet im April 2006 durch die EU-Jury endgültig zur Kulturhauptstadt ernannt wurde, entbrannte ein weiterer, im Herbst dann auch über die Medien hitzig ausgetragener Streit um die Führungsstruktur der zu gründenden RUHR.2010 GmbH. Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung schrieb am 10.11.2006 unter dem Titel „Ärger um die Kulturhauptstadt“: „Bei den Planungen zur ‚Kulturhauptstadt Europa 2010’ zeichnet sich ein heftiger Streit zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und den Kommunen ab.“ Das Land hatte den USAmerikanischen Opernregisseur Peter Sellars als Kulturhauptstadt-Intendanten angefragt und ihm angeboten, ein mit einem Budget von 16 Millionen Euro ausgestattetes sechswöchiges Festival zu verantworten und zeigte sich fest entschlossen, „dieses Vorhaben auch gegen den Widerstand der Mitgesellschafter durchzusetzen“ (Ohne Autor 2006). Allerdings hätte ein solches Festival einen Großteil des Kulturhauptstadt-Etats verbraucht und nur wenige Eigenprojekte aus der Region ermöglicht, wogegen sich die Kommunen und der Regionalverband vehement zur Wehr setzten. Sie favorisierten die schließlich auch umgesetzte Struktur mit einer operativ agierenden Geschäftsführung und vier nebenamtlichen künstlerischen Direktoren für die künstlerische Gestaltung und Umsetzung. Das Land konnte allerdings durchsetzen, dass dem vormaligen Moderator der KulturhauptstadtBewerbung und zu der Zeit noch als solcher aktiven Kulturdezernenten der Stadt Essen, Prof. Dr. Oliver Scheytt, mit dem ehemaligen Intendanten des WDR Dr. Fritz Pleitgen ein national und in der internationalen Medienlandschaft gut vernetzter Geschäftsführer zur Seite gestellt wurde. Insgesamt ist jedoch festzustellen, dass sich das induktiv-pluralistische Modell in der Führungs- und Organisationsstruktur klar durchgesetzt hat. Beide Führungs- und Organisationsmodelle bergen allerdings ein Problem in sich: Egal, welches Modell sich letztendlich durchsetzen wird, es wird stets auch Verfechter des anderen Modells geben, die stets den Sinn und Erfolg der gewählten Strategie in Frage stellen werden. Und wenn sich kein Modell klar durchsetzen sollte, so wird ein Projekt wie die Kulturhauptstadt schnell von allen Seiten als inkonsequent, ineffektiv
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und verwaschen in Frage gestellt werden. Beide Modelle haben gegenüber der Öffentlichkeit ein Legitimationsproblem, da sie von den Akteuren der anderen Seite öffentlich kritisch bewertet werden. Dies kann dann dazu führen – und so war es auch bei der Kulturhauptstadt –, dass das Modell mindestens in der Außenkommunikation, wenn nicht gar in den inhaltlichen Schwerpunkten kippt. So auch bei der Kulturhauptstadt: In der öffentlichen Wahrnehmung wurden insbesondere Großprojekte diskutiert, etwa die spektakuläre Eröffnungsfeier, das Theaterprojekt ‚Odyssee Europa’, der ‚!Sing – Day of Song’, die Schachtzeichen, das ‚Stillleben – Ruhrschnellweg’ oder die ‚Symphonie der Tausend’. Sowohl in der internen Diskussion als auch in der Präsentation nach außen wurden regelmäßig die Länge des täglich ausgewerteten Pressespiegels betont und die Anzahl der Besucher und Touristen kommuniziert. Das jeweilige Legitimationsproblem der beiden Modelle ergibt sich jeweils aus ihrer Logik heraus: So ist das Problem bei einer indiktuvpluralistischen Vorgehensweise, dass Effekte schwer Messbar und in Zahlen auszudrücken sind und wenn überhaupt erst mehrere Jahre nach Ende des Events sichtbar werden. Bis dahin werden Erfolg oder Misserfolg des Großereignisses aber schon längst medial ausgehandelt und für die Geschichtsbücher verewigt worden sein. Andersherum verhält es sich beim deduktiv-monistischen Modell: Ebenso medial wird hier vorausschauend eine fehlende Nachhaltigkeit und verpuffende Wirkungen attestiert und von den Befürwortern einer indiktiv-pluralistischen Struktur als Bestätigung ihres eigenen Ansatzes angeführt. So lässt sich auch bei der Kulturhauptstadt beobachten, dass durch die Politisierung und die legitimatorische Logik die RUHR.2010 GmbH in ihrer Kommunikation und Außendarstellung vor allem entsprechend dem deduktiv-monistischen Modell auftritt und die ursprüngliche Vorgehensweise dadurch verwässert wurde.
4 Expansion Am 28.12.2006 wurde die ‚Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 GmbH’ offiziell gegründet. Die Mitarbeiter des vormaligen Bewerbungsbüros wurden übernommen, die Geschäftsführung sowie die Direktion ernannt sowie die Organisation Schritt für Schritt aufgebaut. Gleichzeitig standen bereits die ersten inhaltlichen Herausforderungen an. So stapelten sich in den Räumen der RUHR.2010 GmbH von Akteuren der Region ausgearbeitete Projektideen und summierten sich bis Oktober 2007 auf über 2200 Projektvorschläge. Sie alle mussten gesichtet, bewertet und beschieden sowie anschließend betreut und weiterentwickelt werden. Doch eine solche Aufgabe kann nur eine halbwegs funktionierende Organisation meistern. Was aber ist
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eine Organisation? Eine Organisation lässt sich als ein relativ stabiles soziales Gefüge bezeichnen, welches durch situativ legitimierte und ständig von neuem bestätigte und angepasste Handlungs- und Kommunikationsmuster eine ordnende gesellschaftliche Tätigkeit durchführt. Diese immerfort währende Konstruktion und Rekonstruktion von Legitimationsstrukturen und Handlungsmuster basiert stets auf der kollektiven Handlungsvergangenheit sowie der jeweiligen situativen Wahrnehmung durch die in einer Situation beteiligten Akteure (Pfadenhauer 2008, S. 27). Doch eine kollektive Handlungsvergangenheit gab es bei der RUHR.2010 GmbH nicht bzw. nur in Grundzügen. Zwar waren durch die beschlossene Führungsstruktur, durch die Bewerbungsvergangenheit sowie bestimmte inhaltliche Vorgaben erste Pflöck eingeschlagen. Doch die für das gemeinsame Organisieren wichtigen direkten gemeinsamen Handlungsmuster der nun miteinander arbeitenden Personen existierten nicht (Betz/Hitzler/Möll 2011). Die RUHR.2010 GmbH versuchte, die massive Expansion von sechs Mitarbeitern im Jahr 2006 auf über 150 im Jahr 2010 mit unterschiedlichen Instrumenten zu bewältigen oder abzufangen. Im Jahr 2006 wurden Organisationsberater beauftragt, gemeinsam mit den vorhandenen Mitarbeitern eine Organisationsstruktur für die noch nicht gegründete Gesellschaft zu entwickeln. Allerdings zeigte sich, dass selbst mit detaillierten Rollenbeschreibungen für jede einzelne Position im Organigramm die Organisation nicht einfach durch die geeignete Besetzung der Position mit Leben gefüllt, die auf dem Papier vorhandene Struktur nicht lediglich aktiviert werden kann. Dass Handlungs- und Kommunikationsmuster nicht auf einem schlüssigen Konzept, sondern auf geteilter Handlungsvergangenheit basiert wurde aus Sicht mehrerer Organisationsmitglieder unterschätzt. Die wöchentlichen Teamsitzungen und Geschäftsführerbesprechungen, die zweiwöchentlichen Programmkonferenzen sowie die unzähligen anderen regelmäßig tagenden Gremien wie etwa die Marketingkonferenz oder der Jour Fix Sponsoring konnten zwar die Transparenz innerhalb der Organisation erheblich erhöhen und auch zum Aufbau von geteilten Handlungsmustern beisteuern, konnten die fehlende Handlungsvergangenheit allerdings auch nicht ersetzen. Ein weiterer unterstützender Faktor war ein gewisses Maß an Personalfluktuation zwischen den einzelnen Organisationseinheiten. Praktikanten eines Teams wurden in einem anderen Team fest angestellt, Mitarbeiter eines Projektes nach Projektende mit einer neuen anderweitigen Aufgabe betraut und kurzfristig auf besondere Aufgaben durch interne Verschiebungen reagiert. Dies trug nicht unerheblich zu einem gesamtorganisationalen Verständnis einzelner Personen
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und Teams und zu einer Verfestigung von Kommunikationsprozessen zwischen verschiedenen Teams bei. Insgesamt lässt sich aber feststellen – und so wird es auch von Organisationsmitgliedern immer wieder geäußert –, dass die Organisation sich sehr heterogen entwickelt hat. Teaminterne Führungsstile etwa reichen von basisdemokratischen bis hin zu stark hierarchisierten Entscheidungsstrukturen. Dies hat zur Folge, dass auch die Kommunikation zwischen den Organisationseinheiten sehr unterschiedlich verlaufen. So schilderte etwa ein Mitarbeiter des kaufmännischen Bereichs, dass allgemein verbindliche Prozesse von den Organisationseinheiten sehr unterschiedlich interpretiert wurden und sich somit mit der Zeit zu jeder Organisationseinheit unterschiedliche Abläufe eingespielt hätten. Zur Heterogenisierung trug zudem bei, dass die Expansion räumlich nicht aufzufangen war und sich die Organisation in der Spitze über fünf Standorte verteilte. Neben vielen anderen technisch-materialisierten Problemen (Vogd 2009, S. 38) beeinflusste die räumliche Zersiedelung das Wir-Gefühl sowie die Kommunikationsprozesse zwischen den einzelnen Teams. Durch die entstandene Heterogenität wird die in temporären Organisationen ohnehin schon bestehende Komplexität (Goodman 1981) noch weiter erhöht. Dies verkompliziert effektives organisationales Handeln sowie die transparente Steuerung einer Organisation erheblich.
5 Temporalität „Time matters“ überschreiben Bakker und Janowicz-Panjaitan (2009) ihren Aufsatz über den Einfluss zeitlicher Befristung in temporären Organisationen. Die zeitliche Befristung einer Organisation, wie sie bei der RUHR.2010 GmbH vorhanden ist, beeinflusst ohne Frage die zeitliche Wahrnehmung, Bindung und Motivation der Mitarbeiter sowie die Funktionsweise und den Aufbau der Organisation. Auf individueller Ebene befänden sich Organisationsmitglieder in temporären Organisationen in einer Schutzblase, geschützt vor dem Schatten der Zukunft und den Lasten der Vergangenheit (Bakker/Janowicz-Panjaitan 2009, S. 128). Diese Abkopplung von Zeit erhöhe den Fokus auf die Aufgabe und verringere Ängste vor Scheitern, wodurch mehr Mut für Experimente möglich sei. Temporäre Organisationen seien daher fähiger zu kreativen Lösungen und innovativen Ergebnissen (Bakker/Janowicz-Panjaitan 2009, S. 133ff; Vgl. zu temporären Organisationen auch Packendorff 1995 sowie Lundin/Söderholm 1995). Doch gleichzeitig bedeutet die zeitliche Befristung tendenziell eine Anreizverringerung, eine
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solche Beschäftigung einzugehen. Denn eine langfristige Jobsicherheit kann eine temporäre Beschäftigung nicht liefern. Personalrekrutierung und Mitarbeiterbindung sind zentrale Aufgaben für Organisationen im Allgemeinen und für temporäre Organisationen wie die RUHR.2010 GmbH im Speziellen. Doch wie gelang es der RUHR.2010 GmbH, Mitarbeiter zu rekrutieren, bzw. welche Motivationsstruktur lag bei den Mitarbeitern der Eventorganisation vor, aus welchen Personengruppen gelang eine Mitarbeiterrekrutierung? Bei der RUHR.2010 GmbH ließen sich vier Gruppen von Mitarbeitern feststellen. Die erste Gruppe lässt sich als ‚Personen in Unsicherheit’ bezeichnen. Personen in Unsicherheit sind solche potenziellen Mitarbeiter, deren vormalige Situation prekärer ist als die Situation einer befristeten Anstellung. Dazu gehörten zum einen Berufsanfänger, die nach Studium oder Ausbildung über noch keinerlei fundierte Berufserfahrung verfügten und für die eine Anstellung in der temporären Organisation einen Berufseinstieg bedeutete. Die Auswahl wurde dabei insbesondere über vorangestellte Praktika in der Organisation getroffen. Die Vielzahl von Praktikanten und Freiwilligen in der Organisation bildete einen üppigen Pool potenzieller Berufseinsteiger in eine Festanstellung. Zum anderen gehörten zu dieser Personengruppe Personen, die sich aus welchen Gründen auch immer auf dem Arbeitsmarkt schwer taten. Für die galt also: ein befristeter Job ist besser als gar kein Job. Insbesondere der Prestige, der ‚Mythos’, der durch die meist besondere Aufgabe einer temporären Organisation – gerade bei Eventorganisationen – ausgeht dient dabei als besonderer Anreiz. Die zweite Personengruppe war die Gruppe der ‚ausgeliehenen Professionellen’. Sie rekrutierten sich aus den Gesellschaftern (vorwiegend Stadt Essen und Regionalverband Ruhr) sowie Sponsoren. Für diese Gruppe von Mitarbeitern spielte die zeitliche Befristung keine Rolle, da sie über ein ‚Rückkehrrecht’ in die alte Organisation verfügten und somit die Beschäftigung bei der RUHR.2010 GmbH als willkommene Abwechslung betrachten konnten. Hinzu kam als drittes die Gruppe der ‚professionellen Freelancer’. Diese Personen arbeiteten meist Selbstständig von zeitlichen Befristungen. Sie agieren hoch professionell, verfügen über ein hohes Maß an Expertise und fordern dafür auch eine entsprechende Entlohnung. Sie genießen meist die Abwechslung und Vielseitigkeit der
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Herausforderungen ihrer Tätigkeiten. Hierbei handelt es sich meist um prototypische ‚Arbeitskraftunternehmer’ (Voß/Pongratz 1998). Schließlich ist die Gruppe der ‚ambitionierten Personen’ zu nennen. Hierbei handelte es sich um Personen, die sich mit der neuen Tätigkeit eine neue Herausforderung und einen Aufstieg auf der Karriereleiter erhofften. Insbesondere für Führungspositionen in der Organisation waren solche Personen geeignet, wobei stets auch die Gefahr vorhanden ist, Personen zu überschätzen bzw. mit der neuen Aufgabe zu überfordern. Es wird also deutlich, dass für temporäre Organisationen lediglich sehr spezifische Personengruppen in Frage kommen. Dabei lässt sich feststellen, dass es wohl ‚die Mischung macht’. Eine zu hohe Anzahl ‚professioneller Freelancer’ wird für die meisten Organisationen nicht bezahlbar sein und können zudem neue Schwierigkeiten bergen, da deren Rollen und Erwartungen bereits relativ gesetzt sind. Insbesondere die Kürze der Zeit, in der eine temporäre Organisation in der Regel mit rapidem Tempo expandiert stellt dabei für die Rekrutierung und Einbindung des Personals eine weitere Herausforderung dar.
6 Ausblick Am Beispiel der Kulturhauptstadt RUHR.2010 konnte gezeigt werden, dass Eventorganisationen höchst komplexe Gebilde sind. Es wurde gezeigt, dass eine Eventorganisation nicht schlichtweg ‚ausgerufen’, durch Personal gefüllt werden kann und dann inhaltlich tätig wird, sondern der Organisationsaufbau ein komplexer sozialer Prozess ist. Dieser soziale Prozess beinhaltet zum einen ein hohes Maß an politischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzung mit den eigentlichen Zielen und der Vorgehensweise der Organisation. Dieser Aushandlungsprozess hat erhebliche Folgen für den Aufbau, die Führungsstruktur und die Vorgehensweise der Organisation. Zweitens besteht eine Organisation nicht dann, wenn sie auf dem Papier strukturiert wird, sondern wenn sie von den Organisationsmitgliedern gelebt und sich in konkreten Kommunikationsakten und Handlungen äußert. Diese Handlungsmuster müssen sich allerdings erst entwickeln, etablieren und basieren auf einer kollektiven Handlungsvergangenheit. Diese Handlungsvergangenheit kann nicht erfunden werden. Welche Mechanismen, wie intensivierter Kommunikation oder einer Fluktuation von Mitarbeitern innerhalb der Organisation, dabei geholfen haben und welche Strategien zum Organisationsaufbau die Organisation gewählt hat wurde gezeigt. Drittens bedeutet die zeitliche Befristung eine Minderung der Motivation potenzieller Mitarbeiter, eine Beschäftigung einzugehen. Der Organisation stehen daher spezifische
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Personengruppen für ihre Personalrekrutierung zur Verfügung, andere hingegen nicht. Die Beschäftigung in temporären Organisationen ist für viele Mitarbeiter eine besondere Chance – etwa des Berufseinstiegs oder des Aufstiegs in eine Führungsposition. Für andere Personengruppen hingegen mag sie weniger attraktiv sein. Vorliegender Aufsatz hat lediglich einige erste Fragen betrachten und beantworten können. Forschungsbedarf liegt allerdings noch in vielen Bereichen vor. So wurde die Eventorganisation abgesehen vom politischen Umfeld relativ isoliert von seiner Umwelt betrachtet. Allerdings ist die Eventorganisation hochgradig abhängig von anderen Akteuren. Wie funktioniert die konkrete Zusammenarbeit zwischen einem relativ permanenten kommunalen Institutionengefüge und einer plötzlich in diesem Feld herumwirbelnden, zentralen und zeitlich befristeten Eventorganisation? Auch die Frage des Organisationsaufbaus konnte bisher lediglich angerissen werden. Wie entsteht eine handlungsfähige und stabile Organisation? Wie kann der Aufbau einer Organisation aktiv unterstützt werden? Welche Instrumente der Organisationsberatung können dabei wirken? Um diese und ähnliche Fragen werden sich die Forschungsbemühungen im Projekt ‚Management multipler Divergenzen’ an der Technischen Universität Dortmund in nächster Zeit drehen.
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Hansjörg Gaus, Christoph Emanuel Müller Eventaufklärung zum Klima schonenden Mobilitätsverhalten
1
Einleitung
2
Theoretischer Rahmen
3
4
2.1
Modell Teilnehmer
2.2
Modell Zuschauer
Empirische Untersuchung 3.1
Studie Teilnehmer
3.2
Studie Zuschauer
Diskussion der Ergebnisse
Literaturverzeichnis
Danksagung: Die in diesem Beitrag dargestellten Forschungsergebnisse wurden im Rahmen des Projekts „Starke Verbraucher für ein gutes Klima“ im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes e.V. (vzbv) gewonnen. Die Autoren danken dem vzbv für die freundliche Unterstützung dieses Publikationsvorhabens.
C. Zanger (Hrsg.), Erfolg mit nachhaltigen Eventkonzepten, DOI 10.1007/978-3-8349-6885-2_11, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
Eventaufklärung zum Klima schonenden Mobilitätsverhalten
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1 Einleitung In diesem Beitrag werden Vorgehensweise, Ergebnisse und Implikationen einer empirischen Untersuchung vorgestellt, die im Rahmen der begleitenden Evaluation eines umfangreichen Projekts zur Verbraucheraufklärung, -beratung und -bildung im Bereich des Klimaschutzes durchgeführt wurde. Dieses Projekt wurde getragen vom Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv), den 16 Verbraucherzentralen der Bundesländer sowie fünf weiteren Verbraucherverbänden; finanziert wurde es durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit aus Mitteln der Nationalen Klimaschutzinitiative Ein spezieller Schwerpunkt des Klimaprojekts lag auf Informations- und Beratungsansätzen, die Verbraucher persönlich beteiligen, was in der Literatur zur Umweltaufklärung und -bildung als wesentlicher Erfolgsfaktor für die Beeinflussung umweltfreundlichen Verhaltens genannt wird (vgl. Gardner/Stern 2002; Zelezny 1999). Umgesetzt wurde dieses Prinzip u. a. in Gestalt von „Eventaufklärungskonzepten“, worunter wir Interventionen zur Umweltaufklärung verstehen, die die direkte persönliche Erfahrung eines abstrakten Zusammenhangs zwischen Konsumentenverhalten und Klimaschutz ermöglichen und damit zu gewünschtem Verhalten motivieren. Ein Beispiel dafür ist das hier betrachtete Eventkonzept „Muskelkraft betriebene Modellrennbahn“, das in den Jahren 2009 und 2010 auf Informationsständen bei Großveranstaltungen wie der Internationalen Automobilausstellung (IAA), dem Ökumenischen Kirchentag oder der Kieler Woche eingesetzt wurde. Dieses basiert auf der anschaulichen Modellierung des Zusammenhangs zwischen der Leistung eines Autos und seinem CO2-Ausstoß. Bei den Rennen treten vier Teilnehmer gegeneinander an, indem sie mit Fahrrädern ihre Modellautos antreiben. Eine Computersteuerung bewirkt, dass die Teilnehmer umso stärker in die Pedale treten müssen, je größer der CO2-Ausstoß des gewählten Automodells in der Realität ist. Diese Zusammenhänge werden den Teilnehmern und Zuschauern zusätzlich durch die Moderation und elektronische Anzeigen verdeutlicht. Die wirkungsorientierte Evaluation einer solchen Intervention zur Umweltaufklärung umfasst zwei unterschiedliche Logiken (vgl. Bamberg/Gumbl/Schmidt 2000). In einem ersten Analyseschritt ist es von Interesse, ob überhaupt Wirkungen erzielt werden. Ist dies der Fall, ist ein zweiter Analyseschritt sinnvoll, der die Erarbeitung und empirische Prüfung eines theoretischen Wirkungsrahmens umfasst. Dieser zweite
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Analyseschritt, mit dem sich Erfolgs- bzw. Einflussfaktoren identifizieren lassen, die Hinweise für die praktische Ausgestaltung von Interventionen geben, ist Gegenstand der folgenden Ausführungen. Für die Teilnehmer und Zuschauer des Modellbahnrennens werden Wirkungsmodelle formuliert und empirisch getestet. Aus den Befunden können abschließend Schlussfolgerungen für die Optimierung der Gestaltung solcher Aufklärungsevents sowie die weitere Forschung abgeleitet werden.
2 Theoretischer Rahmen Die Ausgangspunkte für den theoretischen Rahmen der empirischen Untersuchung bilden das Eventkonzept und die damit verfolgten Ziele, Informationen zu vermitteln, die Teilnehmer und Zuschauer zum Nachdenken anzuregen und neugierig zu machen im Hinblick auf mehr Informationen zum Zusammenhang zwischen Autofahren und Klimaschutz. Diese Aspekte fassen wir zusammen zum für beide Modelle zentralen Konstrukt des Lern- und Aufklärungseffekts. Dieses stellt kein rein theoretisch hergeleitetes Konstrukt dar, sondern ist ein pragmatischer Ansatzpunkt zur mikropsychologischen Evaluation und der Erfassung der Informationsverarbeitung der Teilnehmer und Zuschauer des Modellbahnrennens. Allerdings unterstützen zahlreiche Publikationen die Bedeutung der drei Bestandteile des Lern- und Aufklärungseffekts (vgl. z. B. Orams 1997; Boerschig/De Young 1993; Hines/Hungerford/Tomera 1986/1987). Weiterhin sollen die Teilnehmer und Zuschauer zu klimafreundlichem Verhalten bezüglich Automobilkauf und -nutzung, aber auch zur Inanspruchnahme von Informations- und Beratungsangeboten motiviert werden. Dies wird erfasst durch Verhaltensintentionen, verstanden als motivationale Variablen, die den Wunsch repräsentieren, sich in einer spezifischen Weise zu verhalten (vgl. Hines et al. 1986/1987). Verhaltensintentionen stellen die finale Variable beider Modelle dar, da wir wegen der Kürze und Oberflächlichkeit der Interaktion nicht davon ausgehen, dass ein direkter Einfluss auf tatsächliches Verhalten wahrscheinlich ist (vgl. Storksdieck/Ellenbogen/Heimlich 2005). 2.1 Modell Teilnehmer Um Erkenntnisse darüber ableiten zu können, wie der Lern- und Aufklärungseffekt und damit potentiell auch die Verhaltensintentionen beeinflusst werden, müssen ursächliche Faktoren für den Lern- und Aufklärungseffekt spezifiziert und deren Einflüsse überprüft werden. Da die Teilnahme am Modellbahnrennen freiwillig ist, eignen sich zur Erklärung des dadurch induzierten Lern- und Aufklärungseffekts vor
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allem Faktoren intrinsischer Motivation (vgl. z. B. Deci/Ryan 1985). Zudem bestehen keine extrinsischen Anreize für einen erfolgreichen Lern- und Aufklärungsprozess. Es ist daher anzunehmen, dass lediglich diejenigen Rennteilnehmer viel lernen und gut aufgeklärt werden, die die hierfür benötigte Motivation bereits mitbringen oder sich während ihrer Teilnahme durch verschiedene Faktoren intrinsisch motivieren lassen. Als intrinsisch motivierende Faktoren werden zunächst affektive Konstrukte in Betracht gezogen. Verschiedene Literaturstränge belegen, dass der Einfluss des FlowErlebnisses, verstanden als sehr angenehmer psychischer Zustand der „holistic sensation that people feel when they act with total involvement“ (Csikszentmihalyi 1975, S. 36), zu einer Steigerung von Lernleistungen führen kann (vgl. z. B. Hoffman/Novak 2009, 1996; Choi/Kim/Kim 2007; Engeser/Rheinberg/Vollmeyer/Bischoff 2005; Schüler 2007; Skadberg/Kimmel 2004). Ein zweites affektives Konstrukt, das die Teilnehmer des Modellbahnrennens intrinsisch zu höheren Lernleistungen motivieren kann, stellen positive Emotionen dar (vgl. Pekrun 1992). Einerseits kann durch die Stimulation emotionaler Vorgänge eine nachhaltigere Verankerung von Informationen erreicht werden (vgl. Lee/Sternthal 1999; Bryan/Mathur/Sullivan 1996; Sylwester 1994; Bower 1992). Andererseits unterstützen positive Emotionen kognitive Informationsverarbeitungsprozesse, indem sie die Aufmerksamkeit steigern und so eine intensivere Auseinandersetzung mit der Thematik fördern (vgl. Frenzel/Götz/Pekrun 2009). Schließlich kann die Erfahrung positiver Emotionen zu einer effektiveren Internalisierung der übermittelten Botschaften führen und damit zu einer größeren Wahrscheinlichkeit, dass vermittelte Inhalte auch umgesetzt werden (vgl. Orams 1997). Die Stimulierung positiver Emotionen ist daher ein probates Mittel, um Lern- und Aufklärungsprozesse der Teilnehmer zu unterstützen und zu fördern (vgl. Pooley/O’Connor 2000; Iozzi 1989a, 1989b). Weiter sollte die vorliegende Evidenz zum Zusammenhang zwischen der Erfahrung eines Flow-Erlebnisses und positiven Emotionen berücksichtigt werden. In unterschiedlichen Zusammenhängen hat sich bereits gezeigt, dass das Flow-Konstrukt nicht nur einen positiven Zusammenhang mit dem Konstrukt der positiven Emotionen aufweist, sondern positive Emotionen auch als Mediatoren des Flow-Einflusses auf andere Variablen fungieren können (vgl. Drengner/Gaus/Jahn 2008; Konradt/Filip/Hoffman 2003; Meyer/Turner 2002; Csikszentmihalyi 1999; Csikszentmihalyi/LeFevre 1989).
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Aus den vorangegangenen Ausführungen können drei Hypothesen abgeleitet werden: H1.1: Je stärker das Flow-Erlebnis während der Teilnahme am Modellbahnrennen ist, desto größer ist der Lern- und Aufklärungseffekt. H1.2: Je stärker die empfundenen positiven Emotionen während der Teilnahme am Modellbahnrennen sind, desto größer ist der Lern- und Aufklärungseffekt. H1.3: Je stärker das Flow-Erlebnis während der Teilnahme am Modellbahnrennen ist, desto stärker sind die empfundenen positiven Emotionen. Auch die folgende Hypothese beschreibt den Einfluss eines Konstrukts auf den Lernund Aufklärungseffekt, das im Rahmen intrinsischer Motivation wirkt. Dabei handelt es sich um die vom Teilnehmer einer Eventaufklärungsmaßnahme subjektiv wahrgenommene Themenrelevanz. Diese stellt im Gegensatz zu Flow-Erlebnis und positiven Emotionen ein kognitives Einstellungskonstrukt dar, das als motivationaler Einflussfaktor zur Informationsverarbeitung betrachtet werden kann (vgl. Celsi/Chow/Olson/Walker 1992; Petty/Cacioppo 1986, 1981). Wahrgenommene Themenrelevanzen sind relativ stabile, über die Zeit hinweg andauernde Strukturen persönlich relevanten Wissens, die im Langzeitgedächtnis verankert sind. Die persönliche Relevanz wird häufig als die wichtigste oder sogar einzige Komponente von Involvement betrachtet, einem bedeutenden Einflussfaktor kognitiver Informationsverarbeitung (vgl. Celsi/Olson 1988). Die Beeinflussung von Einstellungen und damit indirekt auch die Beeinflussung von Verhalten „hängt vom Stellenwert ab, den ein Thema für die Beteiligten hat, und damit von ihrer Bereitschaft, sich mit dem Problem auseinander zu setzen“ (Scheuthle/Kaiser 2003, S. 585). Damit ist die Themenrelevanz vor allem in informellen Lernsettings, wo Lernprozesse auf den persönlichen Interessen, Motivationen und Wissensbedürfnissen basieren, von großer Erklärungskraft (vgl. Storksdieck et al. 2005). Ajzen/Brown/Rosenthal (1996, S. 44) stellen dem entsprechend fest: “Only when the message addresses an issue of personal relevance is the receiver likely to process the information carefully.” Es wird daher angenommen, dass eine höhere persönliche Relevanz die intrinsische Motivation zur Informationsverarbeitung und damit den Lern- und Aufklärungseffekt verstärkt. Die zu überprüfende Hypothese lautet: H1.4: Je höher die wahrgenommene Themenrelevanz eines Teilnehmers des Modellbahnrennens ist, desto größer ist der Lern- und Aufklärungseffekt.
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Neben den Einflussfaktoren auf Seiten der Teilnehmer des Modellbahnrennens sollte auch die Gestaltung des Eventkonzepts für die Intensität des erfahrenen Lern- und Aufklärungseffekts von Bedeutung sein. Es bedarf sicherlich keiner komplexen theoretischen Erklärung, um nachvollziehen zu können, dass mit einer anschaulicheren Darstellung des zu vermittelnden Zusammenhangs eine positive Beeinflussung des Lern- und Aufklärungseffekts einhergehen sollte (vgl. Scheuthle/Kaiser 2003). Daher wird folgende Hypothese formuliert: H1.5: Je besser das Modellbahnrennen einem Teilnehmer den Zusammenhang zwischen dem gewählten Automodell und seinem CO2-Ausstoß veranschaulicht, desto größer ist der Lern- und Aufklärungseffekt. Die letzte Modellhypothese postuliert schließlich den eingangs erwähnten Zusammenhang zwischen dem erfahrenen Lern- und Aufklärungseffekt und den Verhaltensintentionen (vgl. z. B. Oliver/Lee 2010; Litman 2005; Litman/Jimerson 2004; Skadberg/Kimmel 2004; Hines et al. 1986/1987): H1.6: Je größer der Lern- und Aufklärungseffekt ist, desto stärker sind die Verhaltensintentionen. Abbildung 1 fasst das gesamte Hypothesengefüge des Modells für die Teilnehmer grafisch zusammen. Bevor dessen empirische Überprüfung erläutert wird, wird zunächst noch das Modell für die Zuschauer vorgestellt.
3 Modell Zuschauer Neben den Teilnehmern am Modellbahnrennen sind auch die Zuschauer eine wichtige Zielgruppe, da hier sehr viel mehr Verbraucherkontakte erreicht werden können. Das Modell für die Zuschauer ist allerdings simpler (siehe Abbildung 2), nicht zuletzt aus pragmatischen Gründen, weil die Live-Befragungssituation einen möglichst kurzen Fragebogen erforderte. Als Einflussvariablen auf den Lern- und Aufklärungseffekt werden die Veranschaulichung des modellierten Zusammenhangs (H2.1) sowie, Erkenntnissen aus der Forschung zum Eventmarketing folgend (vgl. Drengner et al. 2008; Drengner 2003), die wahrgenommene Attraktivität des Modellbahnrennens (H2.2) untersucht. Auch hier wird davon ausgegangen, dass ein erreichter Lern- und Aufklärungseffekt die Verhaltensintentionen im Sinne des Klimaschutzes positiv beeinflusst (H2.3).
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Die zu prüfenden Hypothesen lauten: H2.1: Je besser das Modellbahnrennen einem Zuschauer den Zusammenhang zwischen einem Automodell und seinem CO2-Ausstoß veranschaulicht, desto größer ist der Lern- und Aufklärungseffekt. H2.2 Je größer die Attraktivität des Modellbahnrennens für einen Zuschauer ist, desto größer ist der Lern- und Aufklärungseffekt. H2.3: Je größer der Lern- und Aufklärungseffekt ist, desto stärker sind die Verhaltensintentionen.
4 Empirische Untersuchung Bei Einsätzen des Eventkonzepts Modellrennbahn auf Großveranstaltungen wurden insgesamt 66 erwachsene Teilnehmer sowie 66 erwachsene Zuschauer im Anschluss an ein Rennen gebeten, einen standardisierten Fragebogen auszufüllen. Zur Messung der Modellkonstrukte wurden so weit wie möglich bestehende Skalen an den speziellen Untersuchungsgegenstand angepasst. Dazu wurden neben Literaturanalysen bei einem Vorab-Termin teilnehmende Beobachtungen sowie informelle Gespräche mit Teilnehmern und Zuschauern durchgeführt. Die einzelnen Items waren als Statements formuliert, zu denen die Befragten den Grad Ihrer Zustimmung auf fünfstufigen Ratingskalen angeben sollten (von „trifft überhaupt nicht zu“ bis „trifft voll und ganz zu“). 4.1 Studie Teilnehmer Die vier Dimensionen des Flow-Konstrukts (Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein, Selbstvergessenheit, Verändertes Zeitgefühl, Vollkommene Konzentration) wurden mit acht Items aus Drengner/Sachse/Furchheim (2009, 2008) gemessen (z. B. „Während meiner Teilnahme war meine ganze Aufmerksamkeit auf das Rennen gerichtet“). Positive Emotionen wurden mit vier Items nach Diener/Emmons 1985 und Diener et al. 1999 erfasst (z. B. „Während meiner Teilnahme hatte ich Spaß“). Die drei Items des Lern- und Aufklärungseffekts sind entfernt angelehnt an Skadberg/Kimmel (2004) (z. B. „Durch meine Teilnahme habe ich viel über den Zusammenhang zwischen der Leistung eines Autos und seinem CO2Ausstoß gelernt“). Alle anderen Operationalisierungen folgen eigenen Überlegungen, wobei die Verhaltensintentionen mit vier Items gemessen wurden (z. B. „In Zukunft werde ich beim Kauf eines Autos den CO2-Ausstoß stärker berücksichtigen“), die Themenrelevanz mit zwei Items (z. B. „Für mich ist es wichtig, dass mein
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Mobilitätsverhalten klimafreundlich ist“) und die Veranschaulichung mit einem Item („Durch meine Teilnahme wurde mir der Zusammenhang zwischen Automodell und CO2-Ausstoß anschaulich verdeutlicht“). Zur Schätzung der Modellparameter wurde auf die Strukturgleichungsmodellierung mittels Partial-Least-Squares (PLS) unter Anwendung von SmartPLS (vgl. Ringle/Wende/Will 2005) zurückgegriffen. Zum einen eignet sich PLS für die Analyse kleiner Stichproben, weil es ohne strenge Verteilungsannahmen auskommt (vgl. Fornell/Bookstein 1982) und zum anderen erlaubt PLS die Spezifizierung sowohl formativer als auch reflektiver Messmodelle (vgl. Diamantopoulos/Winklhofer 2001). Dies ist bedeutsam, weil hier das mehrdimensionale Flow-Erlebnis, der Lern- und Aufklärungseffekt sowie die Verhaltensintentionen als formative Konstrukte in das Modell einbezogen werden. Der Grund liegt darin, dass die zur Messung dieser Konstrukte verwendeten Items bzw. Dimensionen nicht als austauschbar angesehen werden und daher nicht notwendig hoch korreliert sein müssen (vgl. Diamantopoulos/Winklhofer 2001). Bevor die postulierten Wirkungshypothesen getestet werden können, muss zunächst die Güte der Messmodelle für die einzelnen Konstrukte überprüft werden. Da sich reflektive und formative Konstrukte in ihrer Konzeption deutlich voneinander unterscheiden, erfolgt die Beurteilung der Güte der Messmodelle anhand unterschiedlicher Kriterien. Der PLS-Ansatz erlaubt außerdem, ein Konstrukt nur anhand eines einzigen Indikators zu messen. Die Werte des Konstrukts müssen dann nicht geschätzt werden, sondern entsprechen den Ausprägungen des Indikators. Da das Konstrukt Veranschaulichung nur anhand eines Indikators gemessen wurde, ist eine Überprüfung des Messmodells dem entsprechend nicht möglich. Die nachfolgende Tabelle 1 zeigt die zur Evaluation der reflektiven Messmodelle betrachteten Größen. Alle Werte für Reliabilität, Konvergenz- und Diskriminanzvalidität liegen über den erforderlichen Grenzwerten (vgl. Hair et al. 2006; Fornell/Larcker 1981). Lediglich ein Indikator für positive Emotionen (E1) weist eine etwas zu niedrige Faktorladung auf.
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Tab. 1: Evaluation der reflektiven Messmodelle (Teilnehmer) Konstrukt/Item E1 E2 E3 E4 T1 T2
M
SD
Positive Emotionen 4,833 0,376 4,167 1,001 3,970 0,960 3,500 1,113 Themenrelevanz 3,500 1,071 3,939 0,959
Faktorladung
FaktorAVE F-L-K R2 reliabilität 0,843 0,579 0,58>0,45 0,447
Q2 0,245
0,562*** 0,817*** 0,820*** 0,812*** 0,923*** 0,898***
0,907
0,829 0,83>0,20
-
-
*** = p < 0.01; Standardfehler via Bootstrapping (66 Fälle, 1000 Wiederholungen, Individual Sign Changes) F-L-K = Fornell-Larcker-Kriterium (AVE > Korr2) PLS-Algorithmus: Path Weighting Scheme
Im nächsten Schritt werden die formativen Messmodelle betrachtet. Da es sich hierbei prinzipiell um gewichtete Indizes handelt, bei denen die einzelnen Items nicht frei austauschbar sind, kommen bei der Evaluierung andere Kriterien als bei reflektiven Messmodellen zur Anwendung. Im Gegensatz zu den Konstrukten Verhaltensintentionen sowie Lern- und Aufklärungseffekt, die anhand von formativen Indikatoren (Items) operationalisiert werden, handelt es sich beim Flow-Erlebnis um ein Konstrukt zweiter Ordnung (vgl. Jarvis/Mackenzie/Podsakoff 2003), das auf der zweiten Ebene formativ durch vier verschiedene Dimensionen operationalisiert wird. Die einzelnen formativen Indikatoren werden auf der ersten Ebene reflektiv durch jeweils zwei Items gemessen. Damit der PLS-Algorithmus angewendet werden kann, werden daher zunächst Konstruktwerte für die vier Dimensionen von Flow mit Hilfe der Hauptkomponentenanalyse geschätzt. Die geschätzten Konstruktwerte können dann als formative Indikatoren zur Spezifizierung der jeweiligen Flow-Dimensionen herangezogen werden. Neben den Faktorgewichten, den maximalen Korrelationen nach Pearson und den Varianzinflationsfaktoren werden auch T-Werte ausgewiesen, die auf Basis eines durch das Bootstrap-Verfahren geschätzten Standardfehlers berechnet wurden. Aus Tabelle 2 geht hervor, dass bei allen formativen Messmodellen die Multikollinearität kein Problem darstellt. Auffällig ist, dass beim Flow-Erlebnis und den Verhaltensintentionen nicht signifikante Faktorgewichte geringer Stärke auftreten. Diese Items gehen somit weniger stark gewichtet in die Schätzung der Konstruktwerte ein. Die Items mit geringem Gewicht könnten prinzipiell aufgrund fehlender
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Signifikanz eliminiert werden, werden hier aber Rossiter (2002) folgend in der Skala belassen, da Items in formativen Messmodellen nicht austauschbar sind. Ebenso wenig erzwingt das negative Faktorgewicht des Items VI2 eine Eliminierung, da bei formativen Indikatoren weder ein spezifisches Muster der Vorzeichen (also positiv vs. negativ) noch der Stärke der Korrelationen notwendig ist (vgl. Diamantopoulos/Winklhofer 2001). Tab. 2: Evaluation der formativen Messmodelle (Teilnehmer) Konstrukt/Item
M
Bewusstsein Konzentration Verschmelzen Zeit
-
L1 L2 L3
3,136 3,212 3,061
VI1 VI2 VI3 VI4
3,621 3,394 2,652 2,682
SD
Faktorgewicht T-Wert Flow 0,681*** 4,124 0,324* 1,696 -0,020 0,193 0,354** 2,008 Lern- und Aufklärungseffekt 1,288 0,327** 2,392 1,234 0,504*** 4,090 1,226 0,338** 2,472 Verhaltensintentionen 1,250 0,335* 1,797 1,036 -0,143 1,066 1,222 0,770*** 3,861 1,255 0,151 0,818
r (max)
VIF
0,548 0,351 0,548 0,282
1,76 1,18 1,47 1,09
0,601 0,693 0,693
1,57 2,49 1,92
0,497 0,497 0,700 0,700
1,52 1,38 2,01 2,17
R2 -
Q2 -
0,633
0,442
0,455
0,189
*** = p < 0.01; ** = p < 0.05; * = p < 0.1 (zweiseitiger Test); Standardfehler via Bootstrapping (66 Fälle, 1000 Wiederholungen, Individual Sign Changes) r (max) = Höchste Korrelation zwischen den formativen Indikatoren VIF = Variance Inflation Factor PLS-Algorithmus: Path Weighting Scheme
Der Betrachtung der Messmodelle folgt im nächsten Schritt die eigentliche Prüfung des Hypothesengefüges. In Abbildung 1 sind die Pfadkoeffizienten und die zugehörigen T-Werte in Klammern aufgeführt.
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Abb. 1: Modell Teilnehmer Veranschaulichung
Positive Emotionen
0,241** (H2) (2,010)
Lern- und Aufklärungseffekt
0,669*** (H3) (11,180)
Flow
Totaler Effekt 0,197** (1,760)
0,498*** (H5) (5,123)
0,035 (H1) (0,366)
0,675*** (H6) (9,665)
Verhaltensintentionen
0,343*** (H4) (4,125)
Themenrelevanz
Quelle: eigene Darstellung (*** p < 0,01; ** p < 0,05)
Aus der Tabelle 2 kann entnommen werden, dass der Lern- und Aufklärungseffekt erhebliche Varianzanteile in den Verhaltensintentionen der Teilnehmer erklärt (R2= 0,455). Weiter kann der Lern- und Aufklärungseffekt in hohem Maße durch seine Einflussvariablen erklärt werden (R2= 0,633). Die Inspektion der Pfadstärken offenbart, dass dabei der stärkste Einfluss von der gelungenen Veranschaulichung des Zusammenhangs zwischen Automodell und CO2-Ausstoß ausgeht; aber auch die Themenrelevanz und die positiven Emotionen haben einen signifikanten Einfluss. Flow hat keinen direkten Einfluss auf den Lern- und Aufklärungseffekt, erklärt aber erhebliche Varianzanteile der positiven Emotionen (R2= 0,447) und übt darüber hinaus einen signifikanten indirekten Effekt aus. Insgesamt können somit fünf der sechs Hypothesen über direkte Einflüsse bestätigt werden. Die Hypothese 1 muss zwar abgelehnt werden, zumindest ein indirekter Einfluss kann aber konstatiert werden. 4.2 Studie Zuschauer Für die Messung des Lern- und Aufklärungseffekts sowie der Verhaltensintentionen der Zuschauer wurden dieselben Skalen verwendet wie bei den Teilnehmern. Die Veranschaulichung wurde hingegen bei den Zuschauern mit insgesamt drei Items erfasst, die auf eigenen Überlegungen basieren. Das im Zuschauer-Modell zusätzlich eingeführte Konstrukt „Attraktivität des Modellbahnrennens“ wurde mit drei Items in
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Anlehnung an die Operationalisierung der Eventbeurteilung in Drengner (2003) gemessen (z. B. „Das Modellbahnrennen finde ich attraktiv“). Die Modellprüfung erfolgte analog zur Teilnehmer-Studie. Die Ergebnisse werden in den Tabellen 3 und 4 dargestellt. Wiederum werden alle erforderlichen Gütekriterien erfüllt. Tab. 3: Evaluation der reflektiven Messmodelle (Zuschauer) Konstrukt/Item V1 V2 V3 A1 A2 A3
M
SD
Veranschaulichung 3,318 0,979 4,045 0,902 4,185 0,827 Attraktivität 4,636 0,598 4,379 0,924 4,697 0,525
Faktorladung
Faktorreliabilität 0,815
AVE
F-L-K
R2
Q2
0,598
0,60>0,28
-
-
0,778
0,539
0,54>0,26
-
-
0,659*** 0,871*** 0,775*** 0,728*** 0,751*** 0,724***
*** = p < 0.01; Standardfehler via Bootstrapping (66 Fälle, 1000 Wiederholungen, Individual Sign Changes) F-L-K = Fornell-Larcker-Kriterium (AVE > Korr2) PLS-Algorithmus: Path Weighting Scheme
Tab. 4: Evaluation der formativen Messmodelle (Zuschauer) Konstrukt/Item
M
L1 L2 L3
3,375 3,652 3,606
VI1 VI2 VI3 VI4
4,429 4,045 2,470 2,970
SD Faktorgewicht T-Wert Lern- und Aufklärungseffekt 1,228 0,279 1,038 1,183 0,779*** 2,510 1,051 0,022 0,128 Verhaltensintentionen 0,893 0,600* 1,773 1,101 0,465 1,628 1,218 0,123 0,381 1,172 0,132 0,512
r (max)
VIF
0,674 0,674 0,457
1,91 1,94 1,32
0,593 0,593 0,350 0,238
1,63 1,59 1,20 1,09
R2 0,420
Q2 0,222
0,069
0,041
*** = p < 0.01; ** = p < 0.05; * = p < 0.1 (zweiseitiger Test); Standardfehler via Bootstrapping (66 Fälle, 1000 Wiederholungen, Individual Sign Changes) r (max) = Höchste Korrelation zwischen den formativen Indikatoren VIF = Variance Inflation Factor PLS-Algorithmus: Path Weighting Scheme
Im Fall der Zuschauer wird die Varianz im Lern- und Aufklärungseffekt durch zwei Variablen zu immerhin 42% erklärt (R2= 0,42), die beide hoch signifikante Einflüsse ausüben. Der Lern- und Aufklärungseffekt kann aber nur knapp sieben Prozent der Varianz in den Verhaltensintentionen aufklären (R2= 0,069). Auch wenn die Inspektion der Pfadstärken in Abbildung 2 zur Annahme aller drei Hypothesen führt,
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übt der Lern- und Aufklärungseffekt lediglich einen geringen Verhaltensintentionen aus.
Einfluss auf die
Abb. 2: Modell Zuschauer
Veranschaulichung
0,42*** (H1) (3,259)
Lern- und Aufklärungseffekt
Attraktivität
0,263** (H3) (2,309)
Verhaltensintentionen
0,385*** (H2) (2,840)
Quelle: eigene Darstellung (*** p < 0,01; ** p < 0,05)
5 Diskussion der Ergebnisse Es zeigt sich, dass die geglückte Veranschaulichung des zu vermittelnden Zusammenhangs zwischen Verbraucherverhalten und Klimaschutz ein zentraler Erfolgsfaktor eines solchen Eventaufklärungskonzepts ist und zwar sowohl bei den Teilnehmern als auch bei den Zuschauern. Die Einflüsse von Flow und positiven Emotionen der Teilnehmer auf den Lern- und Aufklärungseffekt sind zwar schwächer, aber ebenfalls nicht zu vernachlässigen. Die Bedeutung dieser emotionalen Elemente wird auch durch die zusätzlich zur quantitativen Erhebung mittels teilnehmender Beobachtung gewonnenen qualitativen Erkenntnisse unterstützt. Sowohl für die Rekrutierung weiterer Teilnehmer, aber auch für das Anziehen und Halten von Zuschauern ist der sichtliche Spaß der aktuellen Teilnehmer zentral. Der deutliche Einfluss der Themenrelevanz auf den Lern- und Aufklärungseffekt, zeigt, dass es für die Eventaufklärung besonders Erfolg versprechend ist, für das Thema vorsensibilisierte Verbraucher anzusprechen, weil diese die Klimaschutzbotschaft besser aufnehmen und verarbeiten als diejenigen, die nur den Spaß suchen. Bei den Zuschauern ist neben der Veranschaulichung auch die Attraktivität des Eventkonzepts ein wesentlicher Erfolgsfaktor für den erreichten Lern- und Aufklärungseffekt. Allerdings werden hier Grenzen deutlich, da die motivierende Wirkung bezüglich der Verhaltensintentionen gering ist. Es ist also wichtig, sowohl im
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Zusammenhang mit dem Modellbahnrennen als auch in den weiteren Aktivitäten am Stand die Bedeutung der Botschaft für das individuelle Verbraucherverhalten noch deutlicher werden zu lassen. Neben Maßnahmen, die bereits umgesetzt werden, wie einer professionellen Moderation, sind auch weitere technische Optimierungen zur Information der Zuschauer denkbar. Weiter stellt sich die Frage, wie der Bogen vom Modellbahnrennen zu den am Stand zahlreich vorhandenen Informations- und Beratungsangeboten noch besser geschlagen werden kann. Insgesamt zeigt sich, dass gelungene Eventaufklärungskonzepte wie das Modellbahnrennen erhebliche Potentiale für die Verbraucheraufklärung zum Klimaschutz besitzen und es konnten wesentliche Stellschrauben zu ihrer Optimierung identifiziert werden. Es gibt aber auch weiteren Forschungsbedarf, z. B. hinsichtlich des Vergleichs unterschiedlicher Eventaufklärungskonzepte hinsichtlich ihrer Erfolgsfaktoren und Wirkungen oder der Frage der Stabilität und weiteren Konsequenzen der Wirkungen. Bei der Würdigung der Ergebnisse ist zu beachten, dass die empirischen Untersuchungen nicht im Labor, sondern live unter herausfordernden Bedingungen durchgeführt wurden. Daher sind Laborexperimente zur Untermauerung der Befunde wünschenswert. Abschließend kann festgestellt werden, dass unsere Untersuchung auch Fragen aufgeworfen hat, die für das Eventmarketing relevant sind, so z. B. was Teilnehmer von Events eigentlich wie lernen. Hier lohnen sich weitere Forschungsanstrengungen.
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Julia Köhler, Jan Drengner Eine kritische Betrachtung der ökonomischen Wirkungsanalyse von Veranstaltungen – Darstellung von Fallstricken und ihren Konsequenzen am Beispiel der Bob- und Skeleton- WM 2008 in Altenberg
1
Einleitung
2
Grundlagen regionalökonomischer Wirkungstheorien
3
4
2.1
Entstehung des regionalökonomischen Effektes
2.2
Analyse von Quelle, Herkunft und Ziel veranstaltungsbezogener Ausgaben
Empirische Untersuchung 3.1
Untersuchungsobjekt
3.2
Untersuchungsregion
3.3
Datengrundlage
3.4
Untersuchungsergebnis
Illustration ausgewählter Fallstricke ökonomischer Wirkungsanalysen anhand der empirischen Untersuchung 4.1
Überblick
4.2
Fallstricke, die zu einer Überschätzung der ökonomischen Effekte führen
4.3
Fallstricke, die zu einer Unterschätzung der ökonomischen Effekte führen
5
Zusammenfassung
6
Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
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Ökonomische Wirkungsanalyse von Veranstaltungen
203
1 Einleitung Seit mehr als 20 Jahren beschäftigen sich Wissenschaft und Praxis mit der Bestimmung ökonomischer Effekte von Großveranstaltungen, wie z.B. Olympischen Spielen, Weltmeisterschaften und Weltausstellungen (vgl. z.B Preuß u.a. 2010; Matheson/Baade 2006; Gelan, 2003; Delpy/Li, 1998; Crompton, 1995; Burgan/Mules 1992). Das große Interesse an diesem Forschungsfeld resultiert vor allem daraus, dass Veranstaltungen ab einer bestimmten Größe nachhaltige ökonomische Effekte in der austragenden Region generieren können. Jedoch ist nicht zwangsläufig mit den gewünschten wirtschaftlichen Effekten zu rechnen, weshalb eine sorgfältige Evaluation mithilfe ökonomischer Wirkungsanalysen notwendig ist. Die Zielstellung dieser Wirkungsanalysen besteht darin, realistische Schätzungen der ökonomischen Effekte vorzunehmen und damit eine valide Entscheidungsgrundlage für die Planung und Ausrichtung von Veranstaltungen zu liefern. In der Praxis werden ökonomische Wirkungsstudien indessen häufig für politische Zwecke genutzt, beispielsweise um Investitionen aus öffentlichen Mitteln zu rechtfertigen, die Umverteilung von Ressourcen zu begründen oder die Akzeptanz für die Ausrichtung von Großveranstaltung zu erhöhen (vgl. Baade/Matheson 2004, S. 345f.; Delpi/Li 1998, S. 231; Crompton/McKay 1994, S. 33). Viele Autoren kritisieren in diesem Zusammenhang, dass die veröffentlichten Ergebnisse oftmals auf „großzügigen“ Berechnungen basieren, die Außenstehende meist nicht oder nur ungenügend nachvollziehen können (vgl. Crompton 2006; Preuss/Solberg 2006; Lee/Taylor 2005; Preuss 2005; Crompton/Lee/Shuster 2001; Crompton 1995). Dies ist u.a. auf die hohe Komplexität ökonomischer Wirkungsanalysen zurückzuführen. So sind beispielsweise zur Gewinnung valider Ergebnisse unterschiedliche Daten (z.B. Höhe und Herkunft veranstaltungsbezogener Ausgaben) bei mehreren durch die Veranstaltung betroffenen Akteuren (z.B. Besucher, Einheimische, Eventdienstleister) zu erheben. Diese gilt es unter Berücksichtigung sektoraler Wirtschaftsstrukturen und regional-wirtschaftlicher Verflechtungen auf verschiedenen Wertschöpfungsstufen miteinander zu verrechnen. Eine weitere Herausforderung besteht darin, die Untersuchungsregion sorgfältig abzugrenzen (vgl. Frechtling 2006, S. 29; Crompton 1995, S. 25). Darüber hinaus ist das Vorgehen bei der Berechnung der ökonomischen Effekte sehr komplex und immer noch weitestgehend uneinheitlich, obwohl in der Vergangenheit bereits ein umfassendes Instrumentarium an validen Methoden der ökonomischen
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Julia Köhler, Jan Drengner
Wirkungsforschung entwickelt wurde (vgl. Carlsen/Getz/Soutar 2001, S. 248; Dwyer u.a. 2001, S. 196f.;). Den Grund für die mangelnde Konsistenz ökonomischer Wirkungsstudien bilden u.a. verschiedene methodische Fallstricke, die bei einer bewussten oder unbewussten Missachtung die Ergebnisse erheblich verzerren können. Um einer unsachgemäßen Anwendung ökonomischer Wirkungsanalysen entgegenzuwirken und eine kritische Auseinandersetzung mit den Aussagen derartiger Studien zu ermöglichen, werden im Folgenden am Beispiel der Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaften 2008 einige solcher Fallstricke diskutiert. Damit wird zum einen die Transparenz von ökonomischen Wirkungsanalysen erhöht, so dass diese auch für Außenstehende nachvollziehbar sind. Zum anderen leisten die nachfolgenden Betrachtungen einen Beitrag zur Vereinheitlichung des methodischen Vorgehens ökonomischer Wirkungsanalysen, um zukünftig die Vergleichbarkeit der Resultate solcher Studien zu verbessern.
2 Grundlagen regionalökonomischer Wirkungsanalysen 2.1 Entstehung des regionalökonomischen Effektes Generell führen Großevents zu Zahlungsflüssen zwischen verschiedenen Anspruchsgruppen wie z.B. Besuchern, Sponsoren, Händlern oder der öffentlichen Hand. So geben Besucher beispielsweise Geld für Essen, Getränke oder Merchandising aus, während Händler in diesen Bereichen wiederum Geld einnehmen. Dieses Geld muss jedoch nicht zwangsläufig ökonomische Wirkungen in der Austragungsregion generieren. Der regionalökonomische Nettoeffekt bezieht sich lediglich auf die veranstaltungsbedingten Ausgaben, die als neues Geld in die Region fließen (vgl. Crompton/Lee/Shuster 2001, S. 81; Crompton 1995, S. 15). Er beschreibt somit die wirtschaftliche Nettoveränderung, die durch die veranstaltungsbezogenen Ausgaben in der Austragungsregion entsteht, wie z.B. regionale Wertschöpfungs- und Einkommenssteigerung (vgl. Crompton/McKay 1994, S. 33). Diese wirtschaftliche Veränderung wird auf unterschiedlichen Stufen wirksam, die sich in Primär- und Sekundäreffekt unterscheiden lassen. Der Primäreffekt beruht auf den durch die Veranstaltung erzeugten direkten und indirekten Effekten für die Austragungsregion (vgl. Preuß 1999, S. 48). Der direkte Primäreffekt erwächst aus der zusätzlichen Nachfrage, die unmittelbar bei der Bereitstellung der veranstaltungsbezogenen Güter und Dienstleistungen entsteht (vgl. Preuß 1999, S. 48). Hierzu zählen beispielsweise die für die Durchführung des Events erforderlichen Investitionen, Planungs- und
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operative Kosten, die Einnahmen durch Eintrittsgelder, Lizenzen und Verwertungsrechte oder die touristische Nachfrage von auswärtigen Eventbesuchern im Veranstaltungsumfeld (z.B. Übernachtungen, Gastronomie). Im Allgemeinen erbringen die Veranstalter jedoch nicht alle eventbezogenen Leistungen selbst. Vielmehr werden Aufträge z.B. für Bühnenbau, Catering und Sicherheit an externe Dienstleister vergeben, womit es auch bei diesen Unternehmen zu Umsätzen kommt. Diese veranstaltungsbedingte Nachfrage, die auf der Vorleistungsebene entsteht, führt zu einem indirekten Primäreffekt (vgl. Preuß u.a. 2010, S. 43; Hamm 1999, S. 313). Die Umsätze, die auf der direkten und indirekten Wirkungsebene durch Konsum- und Investitionsausgaben bei den an der Veranstaltung beteiligten regionalen Unternehmen entstehen, generieren zusätzliche Wertschöpfung in der Austragungsregion. Die betroffenen Unternehmen leiten einen Teil dieser Wertschöpfung in Form von Löhnen an ihre Beschäftigten weiter, womit bei dieser Gruppe der privaten Haushalte Einkommen erzeugt wird. Das Nettoeinkommen, welches nach Abzug des gesparten Geldes verbleibt, geben die privaten Haushalte auf einer dem Primäreffekt nachgelagerten Stufe für konsumtive Zwecke aus. Auch diese Ausgaben generieren bei den regional ansässigen Unternehmen wiederum Wertschöpfung, die erneut zu Einkommen bei privaten Haushalten führt. Von den erwirtschafteten Einkommen wird wieder ein Teil in Konsumgüter investiert. Damit entsteht durch die Veranstaltung ein Wertschöpfungskreislauf, der sich über mehrere Runden wiederholt. Die in diesem Prozess generierten ökonomischen Wirkungen werden als Sekundäreffekt bezeichnet (vgl. Kramer 1993, S. 165f). Im Rahmen des vorliegenden Beitrages steht ausschließlich der ökonomische Primäreffekt im Mittelpunkt der Diskussion. Um diesen Effekt für die Veranstaltungsregion zu bestimmen, ist es notwendig, die Quelle, die Herkunft und das Ziel der eventbezogenen Ausgaben zu prüfen (vgl. Preuss 2005, S. 285f.; Tyrrell/Johnston 2001, S. 94). Dieses Vorgehen wird anhand von Abbildung 1 im Folgenden näher beleuchtet.
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Julia Köhler, Jan Drengner
Abb. 1: Theoretischer Rahmen für die regionalökonomische Wirkungsmessung Ausgaben von Time Switchers, Casuals
Ausgaben von Einwohnern
Ausgaben von Home-Stayers
Ausgaben auswärtiger Besucher
Ausgaben von Geschäftsbesuchern
Öffentliche Mittel
Veranstaltung
Austragungsregion
Sponsoring Geldflüsse zwischen lokalen Unternehmen/ lokale öffentliche Gelder
Einnahmen auswärtiger Lieferanten/Händler neues Geld und potentieller Geldabfluss aus der Region Æ Aufnahme in die Berechnung des ökonomischen Effektes der Veranstaltung regional und zeitlich umverteiltes Geld sowie Geldabfluss aus der Region Æ Ausschluss aus der Berechnung des ökonomischen Effektes der Veranstaltung
2.2 Analyse von Quelle, Herkunft und Ziel veranstaltungsbezogener Ausgaben Zu den Hauptquellen des ökonomischen Primäreffektes gehören die Ausgaben von Besuchern der Veranstaltung. Hierbei handelt es sich um Ausgaben, die diese Anspruchsgruppe auf der Veranstaltung (z.B. für Essen und Getränke) oder in der Veranstaltungsregion (z.B. für Hotels oder Gastronomie) tätigt. Bei der Erfassung dieser Ausgaben ist zwischen Geschäftsbesuchern und Freizeitbesuchern zu unterscheiden. Die Gruppe der Geschäftsbesucher umfasst alle Personen, die aufgrund ihres Berufes an dem Event teilnehmen und von ihrem Arbeitgeber finanzielle Zuschüsse zu ihren Veranstaltungsausgaben erhalten. Personen, die den Event in ihrer Freizeit besuchen und die Veranstaltungsausgaben selbst finanzieren, werden hingegen als Freizeitbesucher bezeichnet (vgl. Solberg/Andersson/Shibli 2002, S. 163). Freizeitbesucher lassen sich nach ihrer Herkunft weiterhin in auswärtige und einheimische Besucher unterteilen. Diese Unterscheidung ist für die Ermittlung der regionalwirksamen Ausgaben relevant, weil bei einheimischen Besuchern davon auszugehen ist, dass diese Personen das Geld auch ohne den Event in der Region ausgeben würden und somit keine neuen finanziellen Mittel in die Region einführen (vgl. Crompton/Lee/Shuster 2001, S. 81; Tyrrell/Johnston 2001, S. 95) (vgl.
Ökonomische Wirkungsanalyse von Veranstaltungen
207
Abb. 1). Aus diesem Grund sind die Ausgaben der Einwohner aus der Wirkungsanalyse auszuschließen. Eine Sonderrolle nehmen in diesem Zusammenhang die sog. Home Stayers ein. Dieser Begriff beschreibt die Einwohner, die entweder wegen des Events in der Region bleiben und damit z.B. auf einen Urlaub oder einen anderen Ausflug verzichten, oder diejenigen, die das Ereignis auch an einem anderen Ort besuchen würden. In beiden Fällen verhindert die Veranstaltung, dass diese Einwohner Geld aus der Region ausführen, weshalb die Ausgaben dieser Gruppe in die Analyse einbezogen werden müssen (vgl. Preuß/Kurscheidt/Schütte 2009, S. 59; Preuss 2005, S. 287f.) (vgl. Abb. 1). Auch bei den auswärtigen Freizeitbesuchern erzeugen nicht alle veranstaltungsbedingten Ausgaben per se einen ökonomischen Mehrwert für die Veranstaltungsregion. So reisen beispielsweise Personen nicht wegen des Events, sondern aus anderen Gründen in die betreffende Region (z.B. Urlaub, Familienbesuch). Während ihres Aufenthaltes besuchen diese sog. Casuals die Veranstaltung an Stelle einer anderen Aktivität, die sie sonst in der Region unternommen hätten (z.B. Besuch eines Museums). Es ist somit wahrscheinlich, dass diese Individuen ohnehin Geld in der Region ausgeben (vgl. Preuss 2005, S. 288; Crompton 1995, S. 27;). Ein ähnlicher Fall betrifft die Besuchergruppe der sog. Time Switchers. Diese Gruppe von Touristen hat bereits in der Vergangenheit eine Reise in die Veranstaltungsregion geplant und lediglich den Zeitpunkt ihres Besuches verschoben, um das Event erleben zu können (vgl. Preuss 2005, S. 288; Crompton 1995, S. 27). Somit ist die Veranstaltung auch in diesem Fall nicht der primäre Grund für den Besuch der Austragungsregion. Die Ausgaben der Casuals und Time Switchers werden somit auch unabhängig von dem Event in der Region getätigt und sind deshalb aus der Berechnung auszuschließen (vgl. Crompton/Lee/Shuster 2001, S. 80; Crompton 1995, S 27f.; Burgan/Mules 1992, S. 704) (vgl. Abb. 1). Wie Abbildung 1 zeigt, gibt es neben den auswärtigen Freizeitbesuchern (ausgenommen Casuals und Time Switchers) und den Home Stayers weitere potentielle Quellen, die zu ökonomischen Effekten für die Veranstaltungsregion führen können. Hierunter fallen u.a. Geschäftsbesucher (z.B. Medienvertreter, Offizielle und Athleten), Sponsoren, Händler oder die öffentliche Hand (vgl. Dwyer/Forsyth/Spurr 2005, S. 352; Dwyer u.a. 2000, S. 177f.). Diese Gruppen sind direkt oder indirekt an der Erstellung des Events beteiligt und generieren somit ebenfalls
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veranstaltungsbedingte Ausgaben. Auch hier gilt es zu untersuchen, welche geographische Herkunft die getätigten Ausgaben haben und wo der durch diese Wirtschaftssubjekte hervorgerufene Zahlungsfluss schließlich endet. Bezieht beispielsweise der Veranstalter das Catering für seine Mitarbeiter von einem lokalen Dienstleister, so handelt es sich bei den dadurch ausgelösten Zahlungsströmen um eine Umverteilung finanzieller Mittel innerhalb der Veranstaltungsregion. Da somit kein neues Geld in die Region fließt, sind solche veranstaltungsbedingten Zahlungen zwischen lokalen Wirtschaftssubjekten aus der Wirkungsanalyse auszuklammern. Ferner generieren die an der Umsetzung des Ereignisses beteiligten Unternehmen und Organisationen Umsätze, die die Region wieder verlassen (vgl. Preuß 1999, S. 53). Zahlt der Veranstalter z.B. Geld an auswärtige Dienstleister (z.B. Bühnenbau oder Absperrungen), dann verlässt dieses Geld wieder die Region. Somit wird es nicht in der Veranstaltungsregion wirksam und darf deshalb ebenfalls nicht in die ökonomische Wirkungsanalyse einbezogen werden.
3 Empirische Untersuchung 3.1 Untersuchungsobjekt Zur Illustration verschiedener Fallsticke ökonomischer Wirkungsanalysen werden im Folgenden die Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaften als Untersuchungsobjekt herangezogen. Die Sportgroßveranstaltung wurde im Februar 2008 in Altenberg, Sachsen ausgetragen und konnte in einem Zeitraum von zwei Wochen ca. 17.000 Zuschauer und knapp 2.000 Geschäftsbesucher verzeichnen. Zu den Geschäftsbesuchern gehörten u.a. Athleten, Trainer, Betreuer, Medienvertreter, Offizielle, Helfer bzw. Mitarbeiter und VIP-Gäste. 3.2 Untersuchungsregion Eine wichtige Voraussetzung für eine valide regionalökonomische Wirkungsanalyse besteht in der sorgfältigen Abgrenzung der Untersuchungsregion, da die Größe des definierten Betrachtungsraumes die Ergebnisse entscheidend beeinflussen kann. Je kleiner die Analyseregion gewählt wird, desto größer wird die Gruppe der auswärtigen Besucher, womit mehr neues Geld in die Region fließt. Ebenfalls ist es in diesem Fall wahrscheinlicher, dass mehr auswärtige Unternehmen an dem Event beteiligt sind, deren Einnahmen die Region wieder verlassen. Umgekehrt verhält sich dieser Sachverhalt mit wachsender Größe der Untersuchungsregion (vgl. Crompton 1995, S. 25; Burgan/Mules 1992, S. 706). Die Wahl der Größe des Betrachtungsraumes steuert
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209
somit den Umfang des ökonomischen Effektes, was wiederum Potential für Manipulationen bietet. Zur Festlegung der Untersuchungsregion werden in der Literatur drei Abgrenzungskriterien vorgeschlagen: das Homogenitäts-, das Funktionalitäts- und das Planungskriterium (vgl. Maier/Tödtling 2002, S. 17). Nach dem Homogenitätskriterium werden Teilgebiete zu homogenen Regionen zusammengefasst, die sich hinsichtlich bestimmter Indikatoren ähneln. Es werden hier beispielsweise sozioökonomische Indikatoren, wie die Arbeitslosenquote oder das Einkommensniveau, herangezogen. Das Funktionalitätskriterium kommt zur Anwendung, wenn Gebietseinheiten nach bestimmten Indikatoren eng miteinander in Verbindung stehen, d.h. eine hohe wechselseitige Abhängigkeit aufweisen. So werden z.B. eine Stadt und die umliegenden Gebiete, aus denen ein bestimmter Prozentsatz der Bevölkerung in die Stadt zum Arbeiten pendelt, zu einer Arbeitsmarktregion zusammengefasst. Ein weiteres Kriterium der Gebietsabgrenzung stellt das Planungskriterium dar. Hierbei erfolgt die Grenzziehung anhand administrativer Vorgaben, wie z.B. Gemeinde, Stadt oder Landkreis (vgl. Maier/Tödtling 2002, S. 17). Im vorliegenden Fall wurde das Planungskriterium zur Gebietsabgrenzung herangezogen und die Untersuchungsregion entsprechend der administrativen Grenzen der Stadt Altenberg definiert. 3.3 Datengrundlage Die Erhebung der veranstaltungsbedingten Besucherausgaben erfolgte mit verschiedenen Methoden. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die eingesetzten Erhebungsinstrumente und die jeweils erfassten Inhalte. Im Folgenden werden die Stichproben der einzelnen Befragungen beschrieben.
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Tab. 1: Zusammenfassung der Befragungsinhalte nach Erhebungsinstrument
Freizeitbesucherbefragung x Ticketart x Besuchergruppengröße x Besucherausgaben auf dem WM-Gelände und in Altenberg x Übernachtungsverhalten x Aufenthaltsdauer x Besuchertypen (Geschäftsbesucher, Freizeitbesucher: auswärtige Besucher, Einwohner, Casuals Time Switchers, Homestayers) x Soziodemografika
Geschäftsbesucherbefragung
Befragung regionaler Unternehmen
x Besucherausgaben auf Befragung der Beherbergungsunterdem WM-Gelände und nehmen in Altenberg x Anzahl der im Eventzeitraum beherbergten Freizeit- und Geschäftsx Übernachtungsverhalten besucher (Ø Anzahl pro Nacht, x Aufenthaltsdauer Anzahl insgesamt) x Soziodemografika x Ø Übernachtungsausgaben von Freizeit-und Geschäftsbesuchern pro Nacht x Ø Ausgaben der Freizeit- und Geschäftsbesucher für Verköstigung pro Tag Befragung regionaler Taxiunternehmen x Anteil veranstaltungsbezogener Taxigäste x Ø Anzahl veranstaltungsbezogener Taxifahrten pro Tag x Ø Ausgaben veranstaltungsbezogener Taxigäste pro Fahrt
Befragung der Freizeitbesucher Zunächst wurde eine Vor-Ort-Befragung mit 551 Freizeitbesuchern durchgeführt. Bei dieser kamen mehrsprachige Fragebögen zum Einsatz, die die Befragten selbst ausfüllten. Neben der Bereitstellung deutscher und englischer Fragebögen erschien auch die Verwendung tschechischer Fragebögen sinnvoll, da aufgrund der räumlichen Nähe des Veranstaltungsortes zu Tschechien mit einer großen Zahl tschechischer Besucher gerechnet wurde. Die Fragebögen für die Freizeitbesucher wurden von Interviewern an verschiedenen Stellen auf dem Festivalgelände ausgegeben. Die Stichprobe der Freizeitbesucher (551 Befragte) umfasste bezogen auf das Geschlecht 58,4 Prozent weibliche und 41,6 Prozent männliche Teilnehmer. Sie deckte nahezu alle Altersgruppen (von unter 20 bis über 70 Jahre) ab, wobei das durchschnittliche Alter 44,5 Jahre betrug. Die Herkunft der Befragten zeigte, dass die Weltmeisterschaften vor allem bei deutschen Besuchern auf Interesse stießen. So kamen 95,8 Prozent der Freizeitbesucher aus Deutschland, was – bezogen auf alle 17.126 Besucher des Ereignisses – 16.411 Personen entspricht. Davon stammten 13.665 Personen aus dem näheren Einzugskreis der Veranstaltung, d.h. aus Sachsen sowie den angrenzenden Bundesländern (PLZ-Bereich 0) und 2.746 Besucher aus dem übrigen Bundesgebiet. Aus dem Ausland reisten insgesamt 715 Besucher an.
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Abbildung 2 zeigt die Besucherstruktur der Freizeitbesucher. Es wird ersichtlich, dass 94,9 Prozent (16.253 Personen) der Freizeitbesucher von außerhalb der Region anreisten. Knapp die Hälfte dieser Besucher gehörte der Gruppe der Casuals und Time Switchers an und kam somit nicht ausschließlich wegen den Weltmeisterschaften in die Region. Der Anteil der Personen, die Altenberg nur wegen des Sportereignisses besuchten, betrug 45,8 Prozent. Abb. 2: Besucherstruktur laut Erhebung (n=1475)
Auswärtige Besucher
Casuals und Time Switchers 49,1%
aufgrund von WM in Region 45,8%
Einheimische Besucher
Home Stayers 3,0%
unabhängig von WM in Region 2,1%
Wie aus Abbildung 2 weiterhin hervorgeht, belief sich die Zahl der einheimischen Besucher lediglich auf 5,1 Prozent (873 Personen). Auffallend ist hier, dass mehr als die Hälfte der Einwohner Home Stayers waren. Dieser hohe Anteil lässt sich auf die regionale Sportaffinität der einheimischen Bevölkerung zurückführen. So besitzt der Bob- und Skeletonsport in der Region Altenberg aufgrund der Sportanlage und der Identifikation mit regionalen WM-Athleten viele Fans, die die Weltmeisterschaften auch in einem anderen Ort besucht hätten bzw. extra wegen dem Sportereignis in der Region geblieben sind. Befragung der Geschäftsbesucher Zur Befragung der Geschäftsbesucher wurden 200 mehrsprachige Fragebögen (Deutsch, Englisch, Tschechisch) in deren Unterkünften verteilt. Insgesamt nahmen jedoch nur 20 Geschäftsbesucher an der Befragung teil, was einer Rücklaufquote von 10 Prozent entspricht.
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Die Stichprobe der Geschäftsbesucher setzte sich zu einem Großteil aus Athleten (45 Prozent) und Jury-Mitgliedern (20 Prozent) zusammen. Zu den weiteren Personengruppen gehörten Sportpersonal, z.B. Therapeuten und Trainer sowie Angehörige. Der Altersdurchschnitt der Befragten lag bei 42,8 Jahren, wobei die Alterspanne von 25 bis 65 Jahre reichte. Ungefähr die Hälfte der Geschäftsbesucher stammte aus Österreich (26,3 Prozent) und der Schweiz (21,2 Prozent). Die übrigen Teilnehmer ließen sich relativ gleichmäßig den Ländern Deutschland, Großbritannien, Kanada, Niederlande, Italien und den USA zuordnen. Telefonbefragung regionaler Wirtschaftsunternehmen Aufgrund des geringen Stichprobenumfangs der Geschäftsbesucher und zur Validierung der bei der Besucherbefragung erhobenen Daten wurden zusätzlich Telefoninterviews mit den Beherbergungsunternehmen sowie den Taxiunternehmen der Analyseregion durchgeführt. Es handelte sich hierbei um eine Vollerhebung, bei der 59 Beherbergungsunternehmen - darunter 22 Hotels, 33 Pensionen/Gasthäuser und 4 Jugendherbergen sowie 6 Taxiunternehmen - der Analyseregion befragt wurden. Von den insgesamt 65 lokalen Unternehmen gaben 51 eine Auskunft. Daten des Veranstalters Darüber hinaus wurden die Einnahmen (z.B. durch Tickets, Standmieten, Merchandising, Sponsoring) und Aufwendungen (z.B. für Bahnmiete und –betrieb, Personal) des Veranstalters in die Studie einbezogen. 3.4 Untersuchungsergebnis Die auf diesen Wegen erhobenen Daten dienen als Grundlage zur Berechnung des ökonomischen Effektes. In einem mehrstufigen Verfahren wurde in Anlehnung an das Vorgehen bei Gelan (2003, S. 413ff.) ein konservativer Schätzwert des ökonomischen Gesamteffektes von ca. 1,5 Millionen Euro ermittelt. Dieser Wert schließt alle zu demonstrierenden Fallstricke aus und dient deshalb für die folgenden Betrachtungen als Referenzpunkt. Es sei darauf hingewiesen, dass bei der Berechnung des Effektes an einigen Stellen mit Vereinfachungen gearbeitet wurde, da die notwendigen Daten z.T. nicht verfügbar waren. So lagen kaum regionalisierte volkswirtschaftliche Daten vor, weshalb bei der Wirkungsbestimmung auf nationale Statistiken zurückgegriffen wurde. Darüber hinaus musste aufgrund fehlender Informationen auf die Berücksichtigung von Steuern und Abschreibungen verzichtet werden.
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4 Illustration ausgewählter Fallstricke ökonomischer Wirkungsanalysen anhand der empirischen Untersuchung 4.1 Überblick Die Diskussion der nachfolgenden Fallstricke orientiert sich an Abbildung 3. Die Abbildung illustriert - ausgehend von dem konservativ ermittelten Referenzwert in Höhe von 1,5 Millionen Euro (vgl. Abschnitt 3.4) - die durch den jeweiligen Fallstrick bedingte Verzerrung des ökonomischen Effektes. Es werden sowohl die Fallstricke betrachtet, die zu einer Überschätzung der Wirkungen führen, als auch diejenigen, die eine Unterschätzung zur Folge haben. Abb. 3: Fallstricke ökonomischer Wirkungsanalysen und ihre Konsequenzen dargestellt anhand der Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaften 2008
-100%
-80%
-60%
-40%
-20%
Fallstrick 1
0%
20%
2,1%
Fallstrick 4
1,0%
Fallstrick 5
100%
5,5%
Fallstrick 6
62,2%
Fallstrick 7
Fallstrick 10
80%
37,3%
Fallstrick 3
Fallstrick 9
60%
1,5%
Fallstrick 2
Fallstrick 8
40%
-0,9% -41,6% -22,4% -1,1% Verzerrung des ökonomischen Gesamteffektes in % (Referenzwert: 1,5 Mio. Euro)
Legende Fallstrick 1: Aufnahme der Ausgaben von Einwohnern Fallstrick 2: Aufnahme der Ausgaben von Casuals und Time Switchers Fallstrick 3: Aufnahme von zwischen lokalen Unternehmen umgeschichteten Ausgaben Fallstrick 4: Aufnahme von lokalen öffentlichen Mitteln Fallstrick 5: Aufnahme der Einnahmen auswärtiger Händler Fallstrick 6: Aufnahme der Einnahmen auswärtiger Lieferanten/Produktionsunternehmen Fallstrick 7: Ausschluss der Ausgaben von Home Stayers Fallstrick 8: Ausschluss der Ausgaben von Geschäftsbesuchern Fallstrick 9: Ausschluss der Ausgaben auswärtiger Sponsoren Fallstrick 10: Ausschluss der Ausgaben auswärtiger Händler
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4.2 Fallstricke, die zu einer Überschätzung der ökonomischen Effekte führen Fallstrick 1: Aufnahme von Einwohnern in die Berechnung Zu einer Überschätzung der ökonomischen Effekte von Veranstaltungen kommt es in einem ersten Fall, wenn bei der Wirkungsanalyse fälschlicherweise die Ausgaben von Einwohnern (ausgenommen der Gruppe der Home Stayers) in die Berechnung aufgenommen werden. Da diese Anspruchsgruppe kein neues Geld in die Region bringt und auch keinen potentiellen Geldabfluss aus der Region verhindert, ist sie aus der Analyse auszuschließen. Bei den Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaften betrug der Einwohneranteil (ohne Home Stayers) 2,1 Prozent. Abbildung 3 veranschaulicht, dass es mit einem Wert von 1,5 Prozent zu einer geringen positiven Verzerrung des Ergebnisses kommen würde, wenn die Ausgaben dieser Gruppe in die Berechnung einbezogen werden (vgl. Abb. 3, Fallstrick 1). Fallstrick 2: Aufnahme von Casuals und Time Switchers in die Berechnung Fallstrick 2 bezieht sich auf die unberechtigte Aufnahme von Casuals und Time Switchers in die Berechnung. Wie bereits erläutert, sollten alle Ausgaben eliminiert werden, die auch ohne die Veranstaltung in der Region aufgetreten wären. Ökonomische Wirkungen sind daher immer unter Ausschluss von Time Switchers und Casuals zu berechnen, da die Ausgaben dieser Gruppen nicht auf den Event zurückzuführen sind, sondern lediglich eine zeitliche Verlagerung von Ausgaben oder eine Substitution anderer Ausgaben in der Region repräsentieren. Für das hier untersuchte Sportgroßereignis gehörten knapp 50 Prozent der Besucher einer diesen beiden Gruppen an. Dies lässt sich unter anderem darauf zurückführen, dass die Region Altenberg eine beliebte Wintersportregion für Touristen darstellt. Da die Weltmeisterschaften im Februar 2008 während der Ferienzeit stattfanden, waren neben den WM-Besuchern auch viele Urlauber präsent, deren primärer Besuchsgrund nicht das Sportgroßereignis, sondern der Winterurlaub war. Die inkorrekte Aufnahme dieser Casuals und Time Switchers in die Berechnung würde zu einer Überschätzung der ökonomischen Effekte von knapp 40 Prozent führen (vgl. Abb. 3, Fallstrick 2). Fallstrick 3: Aufnahme von zwischen lokalen Unternehmen umgeschichteten Ausgaben in die Berechnung Zu einer positiven Verzerrung der Ergebnisse kann es ebenfalls kommen, wenn fälschlicherweise Ausgaben in die Analyse aufgenommen werden, die sich aus
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veranstaltungsbezogenen Zahlungsflüssen zwischen lokalen Unternehmen bzw. Unternehmen der Austragungsregion ergeben. Zahlt z.B. ein lokaler Eventhändler dem ortsansässigen Veranstalter Standgebühren, dann erzeugen diese Einnahmen des Veranstalters keinen ökonomischen Mehrwert für die Austragungsregion, da es sich hierbei lediglich um eine Umverteilung finanzieller Mittel handelt. Es ist somit notwendig, diese Ausgaben aus der Berechnung auszuschließen. Bezogen auf die Bobund Skeleton-Weltmeisterschaften würde eine Aufnahme dieser Umschichtungen in die Berechnung das Ergebnis um 2,1 Prozent verzerren (vgl. Abb. 3, Fallstrick 3). Fallstrick 4: Aufnahme von lokalen öffentlichen Mitteln in die Berechnung Die Erkenntnisse aus Fallstrick 3 treffen nicht nur auf Wirtschaftsunternehmen, sondern auch auf den öffentlichen Sektor zu. Demnach sind öffentliche Mittel, die von administrativen Institutionen aus der Untersuchungsregion stammen, aus der Berechnung auszuschließen. Diese Subventionen führen lediglich zu einer regionalen Umverteilung von Geld. Auch die vorliegende Sportgroßveranstaltung wurde zu geringen Teilen aus öffentlichen Mitteln der Kommune gefördert. Wie Abbildung 3 verdeutlicht, würde eine Missachtung von Fallstrick 4 zu einer Überschätzung von 1 Prozent führen (vgl. Abb. 3). Fallstrick 5 + 6: Aufnahme von Einnahmen auswärtiger Unternehmen in die Berechnung Eine weitere Fehlerquelle, die das Ergebnis ökonomischer Wirkungsanalysen beeinflussen kann, ist die Aufnahme von Einnahmen auswärtiger Unternehmen in die Berechnung. Bei den Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaften kamen ca. 80 Prozent der Händler nicht aus der Veranstaltungsregion. Dies bedeutet, dass die Ausgaben, welche Besucher bei diesen Händlern tätigten, die Region wieder verließen. Folglich ist dieses Geld aus der ökonomischen Analyse auszuschließen. Eine unberechtigte Integration der auswärtigen Händlereinnahmen in die Berechnung würde den ökonomischen Effekt der Weltmeisterschaften um 5,5 Prozent erhöhen (vgl. Abb. 3, Fallstrick 5). Das gleiche Vorgehen ist auch bei auswärtigen Unternehmen anzuwenden, die an der Produktion des Events beteiligt sind (z.B. Anbieter von Bühnentechnik, Cateringfirmen oder Werbeagenturen). Im vorliegenden Fall erfolgte die Erstellung des Sportgroßereignisses hauptsächlich durch auswärtige Unternehmen. Diese Eventdienstleister wurden vom lokalen Veranstalter bezahlt, womit eine erhebliche
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Geldsumme die Region wieder verließ. Würden die Einnahmen dieser Unternehmen fälschlicherweise in die Berechnung eingeschlossen, käme es zu einer Überschätzung der ökonomischen Wirkung um mehr als 60 Prozent (vgl. Abb. 3, Fallstrick 6). 4.3 Fallstricke, die zu einer Unterschätzung der ökonomischen Effekte führen Fallstricke, die eine Unterschätzung der ökonomischen Effekte zur Folge haben, wurden in der Literatur bisher nur wenig diskutiert (vgl. Solberg/Andersson/Shibli 2002), da die Kritik in erster Linie den durch Überschätzung geprägten Studien galt. Im Sinne einer möglichst genauen Wirkungsabschätzung sind jedoch alle potentiellen Fallstricke zu berücksichtigen, die die Ergebnisse verzerren können. Fallstrick 7: Ausschluss der Ausgaben von Home Stayers aus der Berechnung Eine Unterschätzung der ökonomischen Effekte tritt dann ein, wenn verschiedene Anspruchsgruppen der Veranstaltung nicht in die Wirkungsanalyse einbezogen werden. Dies kann z.B. beim Ausschluss einer bestimmten Einwohnergruppe des Austragungsortes der Fall sein. Wie in Kapitel 2 diskutiert, sind nicht alle Einwohner zwingend aus der Analyse auszuschließen. Einheimische, die der Gruppe der Home Stayers angehören können in die Modellrechnung einfließen, da deren Ausgaben einen potentiellen Geldverlust für die Region darstellen. Im vorliegenden Fall sind drei Prozent der Grundgesamtheit der Gruppe der Home Stayers zuzuordnen. Da dies knapp 60 Prozent der an dem Event teilnehmenden Einwohner entspricht, lässt sich schlussfolgern, dass die Sportgroßveranstaltung das Geld von der Mehrheit der einheimischen Besucher in der Region halten konnte. Wie in Abschnitt 4.1 bereits erwähnt, ist der hohe Anteil dieser Gruppe auf die sportaffine einheimische Bevölkerung zurückführen. Würden die Ausgaben dieser Home Stayers nicht berücksichtigt, hätte dies eine leichte Unterschätzung von 0,9 Prozent zur Folge (vgl. Abb. 3; Fallstrick 7). Fallstrick 8: Ausschluss der Ausgaben von Geschäftsbesuchern aus der Berechnung Ein weiterer Fallstrick besteht darin, dass Wirkungsstudien häufig nur die Ausgaben von Freizeitbesuchern in die Analyse einbeziehen, während die Ausgaben von Geschäftsbesuchern vernachlässigt werden (vgl. Solberg/Andersson/Shibli 2002, S. 151). Ein möglicher Grund für die Nichtbeachtung dieser Anspruchsgruppe könnte darin liegen, dass die Datenbeschaffung bei Geschäftsbesuchern mit Schwierigkeiten verbunden ist. So zeigt die vorliegende Fallstudie, dass von 200 potentiellen
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Befragungsteilnehmern lediglich 20 Personen den Fragebogen beantworteten (vgl. Abschnitt 4.1). Wie bereits erwähnt, wurde aufgrund dieser geringen Beteiligung zusätzlich eine Telefonbefragung der lokalen Unternehmen durchgeführt, um die Validität der Ergebnisse der Stichprobe der Geschäftsbesucher zu überprüfen. Wie aus den Abbildungen 4a und 4b hervorgeht, zeigte der Vergleich der Ergebnisse beider Datenquellen nur eine geringe Differenz in der Höhe der durchschnittlichen Übernachtungsausgaben, jedoch große Abweichungen bezüglich der Länge des Aufenthaltes. Diese Unterschiede beruhen in erster Linie auf dem geringen Umfang der Stichprobe der Geschäftsbesucher sowie ihrer einseitigen Zusammensetzung. So nahmen fast ausschließlich sportliche Akteure an der schriftlichen Befragung teil, während Medienvertreter – deren Anteil ca. 40 Prozent an der Geschäftsbesucherzahl betrug – die Beantwortung verweigerten. Abb. 4: Vergleich ausgewählter Ergebnisse von Unternehmens- und Geschäftsbesucher-befragung Abb. 4a: Ø Aufenthaltsdauer der Geschäftsbesucher in Tagen
Abb. 4b: Ø Ausgaben der Geschäftsbesucher pro Hotelübernachtung in €
12
60,00 €
10
50,00 €
8
40,00 €
6
30,00 €
4
20,00 €
2
10,00 €
0
0,00 € Befragung Unternehmen
Befragung Geschäftsbesucher
Befragung Unternehmen
Befragung Geschäftsbesucher
Aufgrund der Schwächen der Stichprobe der Geschäftsbesucher wurden schließlich die Daten der Telefonbefragung für die Ausgabenberechnung herangezogen. Die Wahl dieses Vorgehens lässt sich zum einen damit begründen, dass die Telefonbefragung der regionalen Unternehmen konservativere Werte als die schriftliche Befragung der Geschäftsbesucher hervorbrachte (vgl. Abb. 4a/4b). Zum anderen konnte die Güte der Telefonbefragung bereits mit der Freizeitbesucherbefragung bestätigt werden, wie die Abbildungen 5a und 5b verdeutlichen. So weisen die beiden Befragungen sowohl hinsichtlich der Aufenthaltsdauer als auch in Bezug auf die durchschnittlichen Übernachtungsausgaben eine hohe Übereinstimmung auf, womit die Ergebnisse der Telefonbefragung als valide einzustufen sind.
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Abb. 5: Vergleich ausgewählter Ergebnisse von Unternehmens- und Freizeitbesucher-befragung Abb. 5a: Ø Aufenthaltsdauer der Freizeitbesucher in Tagen und nach Beherbergungsform
Abb. 5b: Ø Ausgaben der Freizeitbesucher pro Hotel-/Pensionsübernachtung in € 40,00
5 4
30,00
3 2
20,00 10,00
1 0
0,00 Befragung Unternehmen
Hotel
Befragung Freizeitbesucher Pension
Befragung Unternehmen Hotel
Befragung Freizeitbesucher Pension
Abbildung 3 illustriert den Einfluss der Geschäftsbesucherausgaben auf den ökonomischen Effekt der Bob- und Skeleton Weltmeisterschaften 2008. Es wird ersichtlich, dass die Geschäftsreisenden mehr als 40 Prozent des ökonomischen Effektes generieren, obwohl sie mit einem Umfang von knapp 2000 Personen nur ungefähr elf Prozent der Gesamtbesucherzahl umfassen. Dieses Ergebnis lässt sich unter anderem damit begründen, dass Geschäftsbesucher finanzielle Unterstützung von ihren Arbeitgebern erhalten, um ihre Ausgaben zu decken. Deswegen haben sie nicht den gleichen Anreiz wie Freizeitbesucher, ihre Kosten gering zu halten. Hinzu kommt, dass Geschäftsbesucher oftmals längere Aufenthaltszeiten aufweisen. Dies gilt insbesondere für Sportgroßereignisse, bei denen Offizielle, Athleten und Medienvertreter häufig schon vor Beginn des Events anreisen und erst nach vollständiger Beendigung des Events die Region wieder verlassen. Dies verdeutlicht, dass Geschäftsbesucher einen großen ökonomischen Mehrwert für die Austragungsregion leisten können. Eine Nichtberücksichtigung dieser Gruppe kann deshalb zu einer erheblichen Unterschätzung führen, die im vorliegenden Fall bei 41,6 Prozent liegt (vgl. Abb. 3, Fallstrick 8). Fallstrick 9 + 10: Ausschluss der Ausgaben auswärtiger Sponsoren und Händler aus der Berechnung Neben den Geschäftsbesuchern existieren noch weitere Akteure, die regionalwirksame Ausgaben tätigen, bei der ökonomischen Wirkungsmessung jedoch nicht immer Berücksichtigung finden (vgl. Lee/Taylor 2005; Chhabra/Sills/Cubbage 2003; Gelan 2003). Es handelt sich hierbei z.B. um auswärtige Sponsoren und auswärtige Händler (vgl. Dwyer u.a. 2000, S. 178). Ein Ausschluss dieser Gruppen hätte in vorliegendem Fall ebenfalls eine Verzerrung des ökonomischen Effektes zur Folge. So würde der Ausschluss auswärtiger Sponsoren zu einer Unterschätzung der
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ökonomischen Effekte von über 20 Prozent führen (vgl. Abb. 3, Fallstrick 9). Die Nichtberücksichtigung der für die Standmiete angefallenen Ausgaben der auswärtigen Händler würde in einer leichten Unterschätzung von 1,1 Prozent resultieren (vgl. Abb. 3, Fallstrick 10). 4.4 Zusammenfassung Abbildung 6 illustriert zusammenfassend den Fehlerspielraum, der bei der Missachtung aller o.g. Fallstricke für das analysierte Fallbeispiel entsteht. Dieser reicht von einer Unterschätzung der regionalökonomischen Effekte um 66 Prozent bis zu einer Überschätzung der Effekte um mehr als 100 Prozent und verdeutlicht das Ausmaß, mit dem ökonomische Wirkungsanalysen bewusst oder unbewusst verzerrt werden können. Die Ursachen für eine potentielle Wirkungsüberschätzung liegen bei den Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaften vor allem bei den Ausgaben von Casuals und Time Switchers sowie den Einnahmen auswärtiger Produktionsunternehmen des Events. Werden diese fälschlicherweise in die Berechnung eingeschlossen, kommt es zu einer erheblichen Steigerung des ökonomischen Effektes. Eine Unterschätzung der ökonomischen Wirkungen wäre in erster Linie auf die fehlende Berücksichtigung der Ausgaben von Geschäftsbesuchern sowie den Ausschluss auswärtiger Sponsorengelder zurückzuführen. Abb. 6: Potentieller Fehlerspielraum bei der Berechnung des regionalökonomischen Gesamteffektes der Bobund Skeleton-Weltmeisterschaften 2008
Unterschätzung
Konservative Schätzung
Überschätzung
-66,0%
1,5 Mio €
109,6%
Hauptquellen : • Ausgaben von Geschäftsbesuchern • Ausgaben auswärtiger Sponsoren
Hauptquellen: • Ausgaben von Casuals und Time Switchers • Einnahmen auswärtiger Produktionsunternehmen
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5 Fazit und Ausblick Wie hier am Beispiel der Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaften 2008 dargestellt, existiert bei ökonomischen Wirkungsanalysen von Veranstaltungen eine Reihe von Fallstricken, die die Validität derartiger Studien in Frage stellen und Raum für Fehlinterpretationen bieten. So führen z.B. die Aufnahme der Ausgaben von Casuals, Time Switchers und/oder Einwohnern sowie die Aufnahme der Einnahmen auswärtiger Unternehmen zu einer Überschätzung der ökonomischen Effekte. Die Nichtberücksichtigung wichtiger Anspruchsgruppen, insbesondere Geschäftsbesucher und auswärtige Sponsoren, resultiert hingegen in einer Unterschätzung der Wirkungen. Darüber hinaus birgt auch die Abgrenzung der Untersuchungsregion Manipulationspotential, indem z.B. durch die Wahl einer möglichst kleinen Analyseregion der ökonomische Effekt nach „oben“ verzerrt wird. Dies verdeutlicht, dass die Ergebnisse ökonomischer Wirkungsstudien immer einer kritischen Prüfung zu unterziehen sind. Häufig werden die dargestellten Interpretationsspielräume zur Verwirklichung politischer Interessen genutzt, beispielsweise um Veranstaltungsgegner zu überzeugen oder öffentliche Fördermittel zu legitimieren (vgl. Crompton 1995, S. 16). Dieses Dilemma der ökonomischen Wirkungsanalyse spiegelt das folgende Zitat wider: „Reviewing the stream of mischievous studies masquerading under the rubric of economic impact one is reminded of Macbeth‘s lament in Act V, Scene V: „It is a tale told by an idiot, full of sound and fury, signifying nothing“ (Shakespeare 1959, p. 868). However, the tales are not told by idiots; they are, for the most part, told by knowledgealbe people who recognize that the general public and elected officials (audiences they are targeting) are frequently hopelessly deficient in their level of economic literacy. […] The only practical countermeasure is to alert people to the unethical procedures that can be used in economic impact analyses“(Crompton 2006, S. 80). Ergänzend zur kritischen Würdigung der ökonomischen Wirkungsanalyse sollen abschließend noch ein paar Empfehlungen für zukünftige Wirkungsstudien gegeben werden. Abgesehen von den in diesem Fallbeispiel aufgezeigten Akteuren können für die ökonomische Analyse von Großveranstaltungen weitere Gruppen, wie z.B. Runaways, Changers oder Cancellers relevant sein (vgl. Preuß/Kurscheidt/Schütte 2009, S. 59f.; Preuß 2005, S. 288). Dabei handelt es sich um Bewohner oder
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Touristen, die die Region während des Eventzeitraumes meiden. Diese Gruppen wurden im aktuellen Fall nicht betrachtet, da sie in erster Linie für Mega-Events wie Olympische Spiele oder Fußballweltmeisterschaften eine Rolle spielen. Es sei an dieser Stelle ebenfalls darauf hingewiesen, dass die monetären Effekte des Infrastrukturausbaus (z.B. Subventionen für den Neubau von Straßen oder die Sanierung von Sportanlagen, vgl. hierzu z.B. Baade/Matheson 2004; Preuß 1999) in der vorliegenden Untersuchung keine Berücksichtigung fanden, da lediglich die Kurzzeitwirkungen von Großveranstaltungen im Fokus standen. Neben den einzubeziehenden Akteuren bzw. Ausgaben sind auch potentielle Fehlerquellen zu beachten, die die Erhebungsinstrumente ökonomischer Wirkungsanalysen betreffen. Denkbar ist in diesem Zusammenhang unter anderem, dass bei den Besucherbefragungen Erinnerungsfehler auftreten, d.h. Besucher sich nicht mehr an die korrekten Ausgaben erinnern, die sie bei dem Event getätigt haben. Dieser Fehler lässt sich reduzieren, indem Befragungen direkt im Anschluss an den Event durchgeführt und klare sowie erschöpfende Ausgabenkategorien vorgegeben werden. Für die Diskussion weiterer Fehlerquellen sei an dieser Stelle auf Stynes/White (2006) verwiesen. Abschließend ist festzuhalten, dass nur transparente ökonomische Wirkungsanalysen eine valide Entscheidungsgrundlage für die Planung und Ausrichtung von Veranstaltungen liefern können. Anwender ökonomischer Wirkungsanalysen müssen deshalb offenlegen von welchen Prämissen die Wirkungsberechnung ausgeht und welche Methoden und Datenquellen im Rahmen der Analyse genutzt wurden, um Entscheidungsträgern eine objektive Qualitätsbeurteilung sowie eine angemessene Interpretation der Ergebnisse zu erlauben.
Ökonomische Wirkungsanalyse von Veranstaltungen
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Anja Scheske
Abschied von der Kennziffer – Begrüßung der Werte. Zur Rolle des Eventcontrollings bei der Entwicklung nachhaltiger Eventkommunikation
1. Effektivität, Effizienz und Nachhaltigkeit von Events 1.1.
Effektivität
1.2.
Effizienz
1.3.
Nachhaltigkeit
2. Soziologischer Exkurs: Kommunikation unter den Bedingungen disparater Wertekanons 2.1.
Eventkommunikation zwischen Elysion und Babylon
2.2.
Innere und äußere Vielfalt
2.3.
Marketingevents – multiple Optionen und Asymmetrie
2.4.
Paradigma der Sachbezogenheit und Paradigma der Begegnung
3. Eventcontrolling zwischen Empirie und Hermeneutik 4. Wie kann das Eventcontrolling zum „Werte-Treiber“ im Eventmanagementprozess werden? 4.1.
Selbstbeobachtung im Eventmanagementprozess
4.2.
Artefaktanalyse als strukturierte Selbstbeobachtung
5. Perspektive: Intuition, Achtsamkeit, nachhaltige Eventkommunikation Literaturverzeichnis
C. Zanger (Hrsg.), Erfolg mit nachhaltigen Eventkonzepten, DOI 10.1007/978-3-8349-6885-2_13, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
Abschied von der Kennziffer
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»Hallihallo! Ich bin die gute Fee, und du hast nicht fünf, nicht vier, nicht drei, nicht zwei, nein, heute hast du nur einen Wunsch frei!« »Nur einen? Okay. – Aber so billig kommst du mir nicht davon. Ich wünsche mir nämlich was Nachhaltiges: Ich will ein Glückspilz sein!« (Touché by Tom, taz online 21.08.2010)
1 Effektivität, Effizienz und Nachhaltigkeit von Events Die zentralen Fragen des Eventcontrollings richten sich auf die Effektivität, die Effizienz und die Nachhaltigkeit von Events als „Interfaces“ (Bergmann 2005) zwischen Anbietern und Nachfragern. – In Bezug auf die Bestimmung von Effektivität und Effizienz werden im Folgenden immanente methodische Schwierigkeiten des Eventcontrollings aufgezeigt. Der multivalent gebrauchte Nachhaltigkeitsbegriff wird kritisch beleuchtet und erweiternd auf die Kernfunktion von Marketingevents angewandt, auf die Kommunikation selbst. 1.1 Effektivität Der Begriff bezeichnet die Tatsache, dass Handlungsziele erreicht werden, und darüber hinaus das Ausmaß der Zielerreichung. Unabhängig von den Operationalisierungsansätzen der konkreten Messungen fragt das Eventcontrolling, in welchem Umfang die vom Veranstalter definierten Kommunikationsziele erreicht werden. In der Praxis gehen Effektivitätsüberlegungen a priori davon aus, Eventanbieter und Eventnachfrager bzw. -teilnehmer kommunizierten dialogartig „auf Augenhöhe“, d.h. die Kommunikation zwischen beiden Seiten gründe sich auf mindestens ein gemeinsames Paradigma. Daraus wird abgeleitet, Kommunikation generell und somit auch Eventkommunikation könne als kausaler, monodirektionaler Wirkungszusammenhang betrachtet werden. Im Eventmarketing wird vorausgesetzt, das durch ein Event bereitgestellte „Material“ würde von den Teilnehmern zu bestimmten Erlebnissen verarbeitet (vgl. Schulze 2000) und die Teilnehmer würden während des Events oder in seiner Folge ein bestimmtes, vom Veranstalter intendiertes Verhalten zeigen. Insofern beziehen sich Effektivitätsprüfungen per definitionem regelmäßig auf den Umfang der Zielerreichung, nur selten aber darauf, ob Kommunikation überhaupt stattgefunden hat.
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1.2 Effizienz Bei der Feststellung der Effizienz von Events geht es um die Messung und Optimierung des Verhältnisses von Aufwand und Ertrag. Während der für Planung und Durchführung von Events erforderliche Aufwand sich in der Regel recht einfach monetär quantifizieren und darstellen lässt, besteht auf der Ertragsseite das prinzipielle Problem, qualitative Faktoren (z.B. Image, Loyalität) wie quantitative (z.B. Besucherzahl, Umsatz) zu behandeln. Zur Lösung dieses Problems steht eine Reihe von Ansätzen der Kennzahlenbildung zur Verfügung (Lasslop 2003). Die Aussagekraft von Kennzahlen und Kennzahlensysteme wird durchaus auch kritisch gesehen: „Ein Kennzahlensystem kann nicht das situativ gesteuerte Kommunikationsmanagement ersetzen – aber unterstützen“ (Rolke 2005). Das liegt vor allem daran, dass Kennzahlen wie der „Return on Communication“ sich zwar für Zwecke des unternehmensinternen oder -externen Benchmarkings eignen, aber „nichts über die tatsächliche Wirkung einer Kommunikationsmaßnahme aus[sagen], wie über die Abbildung in den semantischen Netzwerken in den Köpfen der Konsumenten oder über affektive und kognitive Reaktionen“ (Scheske 2008). Alle genannten Instrumente leiden zusätzlich unter dem Umstand, dass Wirkungen und Erträge nur selten ad hoc, sondern erst im Zeitablauf eintreten oder sichtbar gemacht werden können. Insbesondere stellen sich Eventwirkungen und Eventerträge nicht synchron zu den Berichtsintervallen der betriebswirtschaftlichen Reportingsysteme ein. Das Eventcontrolling unterliegt betrieblichen Zweckmäßigkeiten. Kommunikationserfolge werden dann bestimmt, wenn sie berichtet werden müssen – unabhängig davon, wann sie tatsächlich eintreten. 1.3 Nachhaltigkeit Die Dominanz betrieblicher Rationalität führt auch zu einem zweckorientierten Verständnis des Begriffes Nachhaltigkeit, soweit er sich auf Eventkommunikation bezieht. Beispiele dafür finden sich sowohl in der Fachliteratur „Nachhaltigkeit aus der Sicht des Marketing sind Kommunikationswirkungen wie Bekanntheit und Image des Eventveranstalters sowie ökonomische Wirkungen durch Steigerung der Absatzzahlen.“ (Zanger 2010) als auch in der Praxis: „Unsere Antwort auf die veränderten Marktbedingungen heißt nachhaltige Markenkommunikation. Sie setzt die Ressourcen des Unternehmens und der Umwelt bewusst, sparsam und zielgerichtet ein. […] So wird nachhaltige Kommunikation vor allem eins: äußerst effizient.“ (Adgreen 2010) – Der Anspruch nachhaltig zu handeln richtet sich also primär auf innere Ressourcen des Unternehmens, und zwar solche, die praktischerweise mess-
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und zählbar sind. Damit wird Nachhaltigkeit der Eventkommunikation zu einer Funktion der Effizienz, was für die Selbsterhaltung des Veranstalters durchaus zweckmäßig ist. Nachhaltigkeit wird wie Effektivität und Effizienz mithilfe metrischer Größen quantifiziert, z.B. indem man den Stromverbrauch des eingesetzten Equipments in Kilowattstunden misst oder die Kohlendioxid-Bilanz eines Events aufstellt, letzteres auch unter Berücksichtigung der während des Events verzehrten Mahlzeiten (Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis 2009). An Beispielen wie diesem fällt auf, dass Nachhaltigkeit offenbar nicht als prozesshaftes, sondern als diskontinuierliches Phänomen betrachtet wird, das sich anlässlich punktueller Messungen manifestiert. Darüber hinaus wird in der Praxis des Eventmanagements zuweilen mit tautologischen Definitionen von Nachhaltigkeit gearbeitet: „Green Events berücksichtigen während des gesamten Organisationsablaufs Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekte.“ (BMLFUW) – Nachhaltigkeit wird hier nach dem Muster verstanden, ein Event sei dann nachhaltig, wenn es Nachhaltigkeitskriterien erfüllt und/oder wenn es Nachhaltigkeit thematisiert. Für die folgenden Betrachtungen aussagefähiger sind solche Definitionen, die sowohl den prozesshaften Charakter als auch den gesellschaftlichen Kontext von Events berücksichtigen: „Die Übertragung des Nachhaltigkeitsansatzes (sustainable development) auf den Eventbereich bedeutet Nachhaltigkeit auf drei Ebenen: Ökonomische Nachhaltigkeit, Ökologische Nachhaltigkeit, Soziale Nachhaltigkeit.“ (Zanger 2010) Begriffsbestimmung: Nachhaltige Eventkommunikation Wenn das Eventcontrolling außer ex-post gewonnenen und kontrollierend-wertenden Informationen auch vorausschauend „Handlungsempfehlungen für die Kommunikationspolitik“ (Zanger 2010) geben soll, so erfordert dies eine Fokussierung auf den funktionalen Kern des Eventmarketings, auf die Kommunikation selbst. Unter nachhaltiger Kommunikation ist dann zu verstehen, dass Form und Inhalt der jeweils aktuellen kommunikativen Akte geeignet sind, die Bedingungen für künftige Kommunikation zu erhalten und zu optimieren. In umgangssprachlicher Paraphrase: Wenn ich heute mit jemandem kommuniziere, sollte ich darauf Wert legen, dass er mir auch morgen wieder zuhören kann und möchte. – Auf dieser Sprachebene wird besonders deutlich, dass Eventkommunikation nicht zwischen abstrakten Einheiten, sondern zwischen Menschen stattfindet.
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Aus einer stärkeren Fokussierung auf die sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit ergibt sich für das Eventcontrolling ein Aufgabenzuwachs. Zur Evaluierung der Nachhaltigkeit von Events muss es sich Kenntnisse darüber verschaffen, wer mit wem unter welchen Bedingungen kommuniziert. Damit verbunden ist eine Erweiterung des Blickfeldes über die „klassischen“ quantitativen Parameter hinaus. Stärker als bisher wird sich das Eventcontrolling außer mit ökonomisch-materiellen auch mit den gesellschaftlichen, immateriellen Werten zu befassen haben.
2 Soziologischer Exkurs: Kommunikation unter den Bedingungen disparater Wertekanons Werte – genauer: die Wertvorstellungen der Menschen – als entscheidungs- und handlungsleitende Maßstäbe prägen alle gesellschaftlichen Prozesse, und gleichzeitig unterliegen sie ihnen. Gesellschaftliche Vielfalt ist auch Wertevielfalt. Simmel konstatiert ein menschliches „Interesse an der Differenziertheit, das also die Grundlage des eigenen Wertbewusstseins und des praktischen Handelns bildet“ und geht davon aus, „dass dies Interesse hinreichend praktisch wird, um eine Differenzierung auch da zu erzeugen, wo eigentlich kein sachlicher Grund dazu vorliegt“. (Simmel 1890) Eine Schwierigkeit bei der Betrachtung von Wertvorstellungen als relevante Faktoren des Eventmanagementprozesses besteht darin, dass sie nicht einheitlich sind, und dass sie nicht erschöpfend in den Kategorien von Mittel und Zweck erfasst werden können. Soweit es überhaupt sinnvoll ist, immaterielle Werte zu „messen“, werden dafür andere Instrumente als die bei der Evaluation ökonomischer Parameter eingesetzten notwendig sein. Als erster Schritt einer Annäherung an solche Instrumente ist ein Blick auf die gesellschaftlichen Bedingungen der Kommunikation zwischen Event-Anbietern und Event-Nachfragern sowie auf die Wertewirklichkeit ihrer kommunikativen Beziehungen nützlich. Daraus lassen sich Anhaltspunkte für Aussagen über die Wertekanons von Eventanbietern und Eventnachfragern gewinnen. 2.1 Eventkommunikation zwischen Elysion und Babylon Ob auf „harte“ empirische Daten oder Wunschdenken Bezug nehmend – Kommunikationsprofis haben ein Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen. Eine allgemeine Hinwendung zu „soften“ Faktoren ist ihnen nicht entgangen. Zwar hatte Kroeber-Riel als einer der ersten Marketingtheoretiker die Rolle der Emotionalität für das Verbraucherverhalten thematisiert, doch seine Metapher von Bildern als gezielte „schnelle Schüsse ins Gehirn“ ist ergänzt worden um dialogorientierte Ansätze. Diese
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beruhen auf der Annahme, Marketing- und Eventkommunikation sei Interaktion zwischen „gleichen“ Partnern. Vor diesem Hintergrund enstehen Visionen einer immer harmonischeren Zukunft: „Es geht um einen Megatrend. Die nächsten 150 Jahre werden davon beeinflusst sein. Und was wird anders? Alles ein bisschen. Durch eine mehr menschliche, emotionale und intuitive Kraft legen sich die Hauptschalter in ein neues Zeitalter gerade wie von selbst um. Klick.“ (Elfmann 2010) – Beobachtungen der aktuellen Wirklichkeit lassen nicht nur solche Prognosen fraglich erscheinen, sondern auch die Prämisse der „partnerschaftlichen“ Kommunikation. So verweist der von der Gesellschaft für Konsumforschung erhobene „Vertrauensindex 2010“ Marketingfachleute, Manager und Werbefachleute auf die hintersten Ränge. Ihnen vertrauen jeweils nur ca. 30% der Bevölkerung. Noch schlechter schneidet nur die Gruppe der Politiker mit 17% ab (GfK 2010). Mag also die nach außen gerichtete Kommunikation der Unternehmen auch zu messbaren wirtschaftlichen Erfolgen beitragen, als inniger Dialog zwischen Mitgliedern ein- und derselben Wertegemeinschaft ist sie kaum zu bezeichnen. Den Marketingtreibenden gibt das erkennbare Vertrauensdefizit Anlass, sich mit dem eigenen Werteverständnis zu befassen und es zunächst als eines von mehreren möglichen Paradigmen zu akzeptieren. Es wäre jedoch irreführend, würden sie dabei von einer Art freien Wettbewerbs gleichberechtigter Wertesysteme und deren praktischer Handlungskonsequenzen ausgehen. Bereits der im Rahmen des vorliegenden Beitrags oberflächliche Blick auf einige soziologische Ansätze zur Beschreibung der gesellschaftlichen Wirklichkeit zeigt ein differenzierteres Bild der Bedingungen, unter denen Eventmarketing treibende Organisationen und deren Stakeholder miteinander kommunizieren. 2.2 Innere und äußere Vielfalt Eventkommunikation manifestiert sich in Inszenierungen. Dies kann einerseits verstanden werden als inszenierte Wirklichkeit (vgl. Fiebach 2008). Andererseits stellen Events aber auch Inszenierungen von Möglichkeiten dar, und dies in mehrfacher Hinsicht. Bereits die Entscheidung, ob und in welchem Maße Events als Kommunikationskanal genutzt werden sollen, hat eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen. Weiterhin sind die Durchführung von Events und die Teilnahme daran für Anbieter und Nachfrager in der Regel nicht obligatorisch. Optionale Vielfalt besteht ferner hinsichtlich der Realisierungsmöglichkeiten von Marketingevents und erst recht hinsichtlich ihrer Deutung durch alle Beteiligten. Hinzu kommt, dass die zu beobachtende Vielfalt in zwei Sphären stattfindet: zum einen gibt es die äußere
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Vielfalt der in zeitlicher Nachbarschaft veranstalteten und zuweilen miteinander konkurrierenden Events, zum anderen die innere Vielfalt der inszenatorischen Komponenten des einzelnen Events. Illustrieren lässt sich insbesondere die innere Vielfalt an Hand eines idealtypischen Firmen-Events: Ein mittelständisches Unternehmen lädt an einem Sonnabend seine rd. 700 Mitarbeiter, deren Lebenspartner, Vertreter ausgewählter Lieferanten und Kunden, der Handelskammer sowie der Medien zu einem Jahresmeeting in ein Kongresszentrum. Nach einem Informationsteil mit Referaten der Vorstandsmitglieder über Weltmarkt, Geschäftsverlauf, personelle Veränderungen und Organisatorisches gibt es ein mehrgängiges Dinner, unterbrochen von Auftritten unterschiedlicher Unterhaltungskünstler. Im Anschluss stehen unterschiedliche Motto-Räume zum Feiern zur Verfügung: Dessert-, Kaffee- Kuchenbüffets, Bierzelt, Karibische Bar, American Bar (für Raucher), Jahrmarkt mit „Haut-den-Lukas“, Schießbuden, Dosenwerfen u.ä. sowie eine Tanzfläche mit DJ und Live-Musik. Hinzu kommen Auftritte diverser Kleinkünstler (Walking Acts, Porträtzeichner). – Die äußere oder öffentliche Vielfalt in der Eventkommunikation ist durch einfache Beobachtung kaum zu konkretisieren. Dazu bedarf es eines hohen Aufwands für systematische Erhebungen. Anzumerken ist an dieser Stelle nur, dass die von ihren Anbietern als Marketingevents intendierten Veranstaltungen in der Wahrnehmung der Nachfrager immer auch mit der großen Zahl sonstiger organisierter Erlebnismöglichkeiten konkurrieren. 2.3 Marketingevents – multiple Optionen und Asymmetrie Marketingevents, so zielgerichtet und exklusiv sie auch sein mögen, finden stets im gesellschaftlichen Kontext statt. Und mehr noch, sie erfüllen ökonomische und kulturelle Funktionen in der Gesellschaft. Man kann also davon ausgehen, dass es Kongruenzen zwischen Marketingevents und allgemeinen gesellschaftlichen Phänomenen gibt. Dazu gehört die im vorigen Abschnitt beobachtete Vielfalt der Handlungs- und Erlebnismöglichkeiten. Der St. Gallener Soziologe Peter Gross beschreibt ein für unsere heutige Gesellschaft als werteprägend wirksames „Dreipunkteprogramm der Moderne“ (Gross 1994). Es beinhaltet „die Steigerung der Handlungsmöglichkeiten, die Teilhabe an den Handlungsmöglichkeiten und die Garantierung minimaler Teilhabe an den eröffneten Handlungsmöglichkeiten“ (a.a.O.) und resultiert in der „Multioptionsgesellschaft“. Diese konfrontiert, so Gross, das Individuum immer öfter mit komplexen Auswahlproblemen sowie mit dem Druck, „weiterzugehen, zu überschreiten, mehr zu begehren, zu wollen“ (a.a.O.) Dabei ist der
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Einzelne zunehmend auf sich allein gestellt und kann sich immer weniger auf einen Orientierungsrahmen aus verpflichtenden Elementen verlassen. Allgemeine Deregulierung und die Auflösung von Obligationen führen nicht notwendig zum Verlust aller Werte, aber zu deren Egalisierung. Alles ist möglich, man weiß nur nicht recht, was man als nächstes tun soll. Orientierungshilfe erhofft der individualisierte Mensch sich von Organisationen und deren Vorgaben. Gross zufolge ist diese Hoffnung trügerisch: „Ordnungen, Regeln, Pläne sind Ersatzinstitutionen, keine Institutionen. Sie kompensieren verlorene Ordnungen.“ (a.a.O.) Die auf Transzendenz bezogenen Sinnstrukturen und Wertekanons, wie man sie z.B. aus den Religionen kennt, werden durch rationale Alltagserwägungen verdrängt. „Was man tut, tut man nicht mehr, um das ewige Leben oder die irdische Glückseligkeit zu erlangen, sondern um Programme, Ablaufstrukturen, Organisationsziele, Termine einzuhalten und zu erfüllen. Verfahren »kanalisieren« und ermöglichen Kommunikation und garantieren das Zustandekommen nicht von Sinn, sondern von Entscheidungen.“ (a.a.O.) – Auch wenn man die von Gross vorgelegte Beschreibung der Gesellschaft nicht in aller Radikalität nachvollzieht, führt sie doch zu der berechtigten Annahme, dass die Individuen als Eventnachfrager an die Eventanbieter als Organisationen hohe Erwartungen in punkto Sinn- und Wertorientierung haben, die über ein reines „Ich will etwas erleben“ hinausgehen. Doch das Verhältnis zwischen individuellen Eventnachfragern und organisierten Eventanbietern weist Eigenschaften auf, die der Erfüllung solcher Erwartungen möglicherweise im Weg stehen. Wesentliche Unterschiede zwischen Individuen und Organisationen als gesellschaftliche bzw. wirtschaftliche Akteure hat Coleman (Coleman 1982) herausgearbeitet: Organisationen oder „korporative Akteure“ haben einen sie konstituierenden Daseinszweck, sie verfügen über festgeschriebene Zielsetzungen und Wertekanons, an denen sie ihre Entscheidungen und ihr Handeln ausrichten können. Dies macht sie für individuelle Akteure zu möglichen Sinnvermittlern und „Lebenshelfern“, doch damit entsteht keine Beziehung des Austauschs zwischen Gleichen. Organisationen können dank ihrer Anonymität die Verantwortung für mögliche Folgen ihres Handelns auf Individuen abwälzen oder sich ihr weitgehend entziehen. Organisationen profitieren von der Zusammenlegung von Ressourcen und daraus erwachsenden Synergiewirkungen. Individuen, die sich auf ihrer Suche nach Orientierung an Organisationen wenden oder sich ihnen anschließen, sind aus der Sicht der Organisationen im Wesentlichen austauschbar. Umgekehrt gilt dies nicht, denn aus der Sicht individueller Akteure sind Organisationen
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unausweichlich die einzige Lösung für bestimmte Alltagsprobleme. Auswahlmöglichkeiten zwischen einzelnen Organisationen gibt es zwar (Beispiel Krankenversicherung), doch bei näherem Hinsehen ähneln solche Alternativen der Wahl zwischen Scylla und Charybdis. Mit Coleman (a.a.O.) lässt sich also von einer ausgeprägten Asymmetrie des Verhältnisses zwischen Individuum und Organisation sprechen. In Bezug auf die Kommunikation zwischen Anbietern von Marketingevents, die in der Regel als Wirtschaftsunternehmen oder andere Organisationen in Erscheinung treten, und Individuen als Nachfragern solcher Events kann man von einer „Asymmetrie der Werte“ ausgehen: Während Eventanbieter sozusagen konstitutionell bedingt auf der Grundlage eines explizit formulierten Wertekanons handeln, sind die Eventnachfrager auf der Suche nach Wertorientierungen für ihre Entscheidungen zwischen unendlich vielen Erlebnisoptionen. Doch die Wahlfreiheit ist nur eine bedingte; ohne organisierte Anbieter gibt es kein Eventerlebnis. 2.4 Paradigma der Sachbezogenheit und Paradigma der Begegnung Unter Bezug auf Tönnies (vgl. Tönnies 2005) beschreibt Schulze zwei gegensätzliche, in der heutigen Gesellschaft nebeneinander wirksame Paradigmen (Schulze 2003). Das könnensgerichtete Paradigma der Sachbezogenheit stellt die „objektiven“ Fähigkeiten des Ich in den Vordergrund und betrachtet das Du als „Kunden“, d.h. als jemanden, der hauptsächlich über zweckrationalen Bedarf definiert ist. Es lenkt das Wahrnehmungsinteresse auf die Welt des Materiellen. – Im seinsgerichteten Paradigma der Begegnung versteht sich das Ich als ein die Gemeinschaft mit anderen bejahendes „Selbst“. Das Du wird als „Gegenüber“ begriffen, für das (ebenso wie für das Ich) Emotion und Intuition wesentliche Motive sind. Statt der Frage „Was kann ich?“ ist hier die Frage „Wer bin ich?“ maßgeblich für Denken und Handeln. Individuen sind nicht eindeutig auf eines der Paradigmen festzulegen; ihr Alltagsverhalten bezieht sich in wechselnder Ausprägung auf beide. In Wirtschaftsunternehmen dominiert das Paradigma der Sachbezogenheit. Das kollektive Handeln eines Unternehmens und das der Mitarbeiter ist naturgemäß am Können und am Materiellen orientiert. In Unternehmen ist kein Platz für Unschärfen und spontane Selbstveränderungen. – Zur Illustration der Disparitäten, die aus dem Nebeneinander beider Paradigmen erwachsen, setzt Schulze den kommerziell rationalisierten Erlebnismarkt (Schulze 2003; vgl. auch: Schulze 2000, S. 417 ff.) in Kontrast zu solchen Lebenssituationen, in denen Menschen einander „als Gegenüber“
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betrachten wollen, mit dem „Vermögen, den anderen in seiner Besonderheit zu sehen und spontan auf die Oszillationen seines Innenlebens im Hier und Jetzt zu reagieren“. (Schulze 2003, S. 225) Was kann dies für die Eventkommunikation bedeuten? – „Das Defizit seinsgerichteter im Verhältnis zu könnensgerichteter Kommunikation hat eine einfache Ursache: Seinsbezogen gibt es mehr mitteilenswerten Inhalt, aber weniger Mitteilbares.“ (Schulze 2003, S. 216) Der Umkehrschluss – die Marktkommunikation überbringe viel Mitteilbares mit nur wenig mitteilenswertem Inhalt – muss als Anfangsverdacht vom Eventcontrolling ernst genommen und genauer Prüfung unterzogen werden. Allerdings weist Schulze auf prinzipielle Probleme einer solchen Prüfung hin: „Die klassische empirische Wissenschaft sucht nach einfachen Modellen und empirisch falsifizierbaren Aussagen. Das Paradigma des Selbst ist ihr zutiefst fremd: Singularität, unergründlicher Facettenreichtum, […] Unschärfe von Selbstbeschreibungen, Untrennbarkeit von Beobachter und Beobachtungsgegenstand.“ (Schulze 2003 S. 217) – Eine wichtige Aufgabe für das Eventcontrolling wird darin bestehen, sich Methoden zur Beobachtung von Unschärfen und gangbare Wege der Selbstbeobachtung im Eventmanagementprozess zu erschließen.
3 Eventcontrolling zwischen Empirie und Hermeneutik Das Eventcontrolling bedient sich sowohl ökonomischer Kennzahlensysteme (Rolke 2005) als auch quantitativer und qualitativer Instrumente empirischer Forschung. Diese umfassen z.B. Besucherzählungen, Teilnehmerbefragungen, Wegeverlaufsanalysen, Medien-Resonanz-Analysen u.v.a.m. Aus Ex-post-Betrachtungen sollen neben den betriebswirtschaftlich relevanten Daten zukunftstaugliche Lösungen zur wiederum ökonomischen Optimierung der Kommunikationspolitik abgeleitet werden. Folgt man Simmel in seinen Gedanken zur hermeneutischen Kraft der Wirtschaftswissenschaft, dann bedarf es zur Annäherung an die „Ganzheit einer Realität“ (Simmel 2009) interdisziplinärer Sichtweisen. Folgerichtig werden Versuche erkennbar, aufgrund gesellschafts- und geisteswissenschaftlicher Überlegungen zu einer „Horizonterweiterung“ des Eventcontrollings beizutragen. (z.B. Melametrix 2010) Gleichzeitig ist aber auch eine Art freiwilliger Selbstbeschränkung bei der Auswertung und Reflexion der gewonnenen Daten zu erkennen. Der European Communication Monitor 2010 zeigt, dass sich zwar rund drei Viertel der „Communication Professionals“ für die gemessene Außenwirkung der Unternehmenskommunikation
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interessieren. Lediglich ein Viertel von ihnen jedoch wendet die Ergebnisse des Kommunikationscontrollings auf interne Faktoren wie den „Impact on Strategic and/or Financial Targets“ bzw. den „Impact on Tangible and/or Intangible Ressources“ an. (Zerfass et al. 2010). – Dies wohlwollend als Ausdruck erfolgreicher Kundenorientierung zu verstehen, wäre weit entfernt von einer erstrebten „Ganzheit einer Realität“; es weist vielmehr auf eine schwach ausgeprägte Bereitschaft zur Selbstbeobachtung hin. Dass es in Unternehmen darüber hinaus auch Ungereimtheiten im Umgang mit den kollektiven und individuellen Wertvorstellungen gibt, darauf deuten die Ergebnisse einer Befragung junger Führungskräfte hin. Fast 40% der Befragten geben an, die Werte ihres Unternehmens deckten sich nicht mit ihren privaten Wertvorstellungen. Ein etwa ebenso großer Anteil findet die Werte des Unternehmens nicht oder nicht ausreichend durch die Unternehmenskommunikation dargestellt, und „die Glaubwürdigkeit und Wahrhaftigkeit der Unternehmenskommunikation ist für etwa die Hälfte mindestens defizitär“. (Wertekommission 2009) Vor dem Hintergrund des bisher Gesagten sehen sich Eventcontroller zum einen mit der Schwierigkeit konfrontiert, „objektiv“ etwas zu messen, das teilweise nicht stattfindet bzw. im Lichte prinzipieller Überlegungen nicht stattfinden kann, nämlich den Erfolg von Kommunikation zwischen Akteuren, die aufgrund disparater Wertekanons zumindest phasenweise nicht dieselbe Sprache sprechen. Zum anderen konzentriert das Eventcontrolling seine Beobachtungen überwiegend auf Materielles und auf Wirkung nach außen. Sein Verstehen ist aus dem Paradigma der Sachbezogenheit heraus auf Objekte und auf „Kunden“ gerichtet. Die Herausforderung liegt darin, sich als Eventanbieter durch Selbstbeobachtung die eigenen Werte bewusst zu machen und die Beziehungen zu den Eventnachfragern als empathische Begegnung zu gestalten.
4 Wie kann das Eventcontrolling Eventmanagementprozess werden?
zum
„Werte-Treiber“
im
Eventkommunikation hat zwar in der Praxis einen Anteil von rund 20% an der Unternehmenskommunikation (FME Eventklima 2009), wird jedoch als fester Bestandteil der integrierten Kommunikation verstanden. Da es sich um eine relativ „junge“ Form der Unternehmenskommunikation handelt, gilt ihrer Erfolgskontrolle besondere Aufmerksamkeit. Insofern können von Überlegungen zum Eventcontrolling in besonderem Maße Impulse ausgehen, die auf andere Kommunikationsformen
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abstrahlen. Eventkommunikation kann für sich einen höheren Grad an Direktheit als andere Kommunikationsformen beanspruchen. Sie hat sozusagen den Finger am Puls der Zielgruppen. Das kann auch für das Eventcontrolling gelten, wenn es seiner klassischen empirischen Aufgabe zusätzliche hermeneutische Akzente gibt. Wie oben bereits gesagt ist Verstehen zunächst ein nach innen gerichteter Vorgang. Damit dieser zu nachvollziehbaren Ergebnissen führen kann, ist es nicht ausreichend, von „allem ein bisschen“, eine „menschliche, emotionale und intuitive Kraft“ (Vgl. 2.1) zu mobilisieren. – Ein Ansatz für die „Werte-Introspektion“ des Eventcontrollings lässt sich aus dem von Bergmann vorgelegten Konzept des Transaktionsnutzens (Bergmann 2005) entwickeln. Unsere Aufmerksamkeit gilt dabei allerdings nicht den Adressaten des Eventmarketings, sondern den Akteuren des Eventkommunikation treibenden Unternehmens selbst, sowie deren Leitmotiven und Werterwartungen. Welchen Transaktions- und Erlebnisnutzen gewinnen die Akteure und das Unternehmen für sich selbst aus der Eventkommunikation? Welche individuellen und kollektiven Wertvorstellungen sind dabei relevant? – Im Unterschied zu klassischen empirischen Verfahren gibt es bei dieser Herangehensweise keinen Anspruch auf Objektivität. Die Akteure werden sich selbst zu beobachten haben, und die gegenseitige Bedingtheit ihrer Wertvorstellungen und Handlungen. Eventcontroller können den Beobachtungsprozess anregen, ihn am Leben halten kann nur das Unternehmen als Ganzes. Die zu erwartenden Ergebnisse der Selbstbeobachtung lassen sich mit einem Satz charakterisieren: „The observation creates the reality.“ (Pirsig 1995) – Selbstbeobachtung erzeugt Wertewirklichkeit – ein Ziel, das es Schritt für Schritt zu erreichen gilt. 4.1 Selbstbeobachtung im Eventmanagementprozess Selbstbeobachtung soll hier verstanden werden als ein Prozess, den die beteiligten Akteure ausgehend von einer im größtmöglichen Umfang intrinsischen Motivation selbst betreiben. Dies schließt betriebswirtschaftlich-technologisch fundierte Ansätze des Change Managements aus, jedenfalls insoweit, wie sie Veränderungsprozesse in der Organisation eines Eventanbieters überwiegend als von der Unternehmensleitung und/oder externen Beratern initiierte und durchgesetzte Top-down-Maßnahmen verstehen. Hinzu kommt, dass Selbstbeobachtung, auch wenn sie strukturiert erfolgt, zunächst „ergebnisoffen“ sein muss. Insofern sind Begriffe wie Change Management oder ‚Geplanter Wandel’ zunächst fehl am Platze. Wenn bei der Selbstbeobachtung teleologische Überlegungen eine Rolle spielen, so können sie erst während der Beobachtung entstehen und gegebenenfalls als deren Ergebnisse formuliert werden. Im
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Fokus stehen nicht Organisations-, sondern Sinn- und Wertstrukturen. Die Tücke des Objekts liegt darin, dass Sinnstrukturen nur selten offen zu Tage treten und darüber hinaus die Interdependenzen der für den Eventmanagementprozess relevanten Wertvorstellungen, Entscheidungen und Handlungen sehr komplex sind. Die Komplexität resultiert jedoch aus den weißen Flecken auf der Landkarte der Selbstwahrnehmung. Die Selbstbeobachtung wird den Komplexitätsgrad zunächst sogar noch erhöhen. Dies geschieht jedoch in der Erwartung, dass die Suche nach latenten Sinnstrukturen und deren Kenntnis zu einer Reduzierung der Komplexität führen. Was man kennt und womit man vertraut ist, das ist geeignet, das Leben einfacher zu machen. 4.2 Artefaktanalyse als strukturierte Selbstbeobachtung Nach Luhmann bestehen Organisationen aus kommunizierten Entscheidungen (Luhmann 2000), die wiederum in Form von Artefakten in Erscheinung treten. Der Artefaktbegriff soll hier recht weit gefasst werden, um im Zusammenhang mit Marketingevents neben allen von anthropogenen Gegenständen im weitesten Sinne (Texte, Symbole, Gebäude, technische Ausstattungsmerkmale) auch natürliche oder naturbelassene Materialien sowie prozessartige Phänomene (Musik, Inszenierungsabläufe) zu erfassen, wie sie bei Events anzutreffen sind. Kurz gesagt, unter Artefakten verstehen wir „künstlich geschaffene Zeichen, die in ihrem Bestehen eine soziale Produktion voraussetzen“ (Froschauer 2002). Artefakte erfüllen gleich mehrere Funktionen. Sie machen Kommunikations- und Entscheidungsprozesse sichtbar. Artefakte ermöglichen durch ihre Existenz Anschlusskommunikationen aus – dazu gehören auch ihre Analyse und deren Evaluation. Und schließlich sind Artefakte auch „in die Zukunft gerichtete Kommunikationsmittel, durch die selektive Informationen an potentielle Adressaten gerichtet werden.“ (a.a.O.) Die Artefaktanalyse konzentriert sich also auf die Art und Weise, wie in der Organisation „Eventanbieter“ mit Artefakten umgegangen wird. Das Hauptaugenmerk richtet sich zunächst auf die im einzelnen Artefakt sichtbar werdenden Entscheidungen, hier in einer schematischen tabellarischen Übersicht in Anlehnung an Froschauer (a.a.O.):
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Warum wurde das Artefakt hergestellt? Anlass
Welche Idee liegt dem Artefakt zugrunde?
Herstellung
Auf welche Weise wurde das Artefakt hergestellt? Wie hat die Organisation das Artefakt in das Event integriert?
Gebrauch
Wofür wird das Artefakt beim Event bzw. in der Organisation verwendet? Wie wird es verändert, wiederverwertet oder zerstört?
Sinnhaftigkeit
Welche Bedeutungen werden dem Artefakt in Bezug auf das Event / in der Organisation zugeschrieben? Welche Erwartungen werden mit dem Artefakt verknüpft?
Organisation
Welche Funktionen und Wirkungen hat das Artefakt beim Event und in der Organisation?
Damit sind grob die Dimensionen der Artefaktanalyse bezeichnet. Eine detaillierte Darstellung der weiteren Arbeitsschritte (Auswahl der zu untersuchenden Artefakte, praktische Durchführung der Untersuchung, Fein- und Strukturanalyse, Interpretation) ist weiterführenden Beiträgen vorbehalten. An dieser Stelle geht es vornehmlich darum, die Artefaktanalyse als zur Rekonstruktion latenter Sinnstrukturen von Marketingevents geeignetes Werkzeug vorzuschlagen, das zwar einen relativ hohen Zeitaufwand erfordert, aber als Instrument der qualitativen Forschung auch einen hohen Ertrag verspricht. Die Artefaktanalyse, ex post angewandt auf ausgewählte Veranstaltungen, kann über die Freilegung latenter Sinnelemente dazu beitragen, den inneren Transaktionsnutzen sowie die damit verknüpften Wertvorstellungen der Organisation „Eventanbieter“ und der in ihr zusammengeschlossenen Menschen für die gemeinsame Reflexion erkennbar zu machen. Von großer Bedeutung für Ex-nuncBetrachtungen ist dies insofern, als dass die Gesamtheit der bei einem Marketingevent verwendeten Artefakte das „Interface“ zu den Wertvorstellungen der Eventteilnehmer, zu den Adressaten der Marketingkommunikation darstellen. Die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Kommunikation zwischen Anbietern und Nachfragern korreliert positiv mit dem Grad an Empathie für die Wertvorstellungen des jeweils anderen. Die Artefakte eines Marketingevents sind der sinnlich wahrnehmbare Ausdruck dieser Korrelation.
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5 Perspektive: Intuition, Achtsamkeit, nachhaltige Eventkommunikation Die Freilegung der Wertvorstellungen einer Organisation und ihre Reflexion sind nur zum Teil mittels rational bestimmter Vorgehensweisen zu bewerkstelligen. Der innere Diskurs einer Organisation über die kollektiven und individuellen Wertvorstellungen wird sich, über die Artefaktanalyse hinaus, auch vermehrt intuitiver Instrumente zu bedienen haben. Zum einen entspricht das der Natur des Gegenstandes, denn Wertvorstellungen sind stark mit Affekten verknüpft, und zum anderen können Intuitionen durchaus als rational verwertbares Handlungswissen angesehen werden. Intuitionen sind mehr als spontane Geistesblitze. Sie „begegnen der externen Komplexität mit der internen Komplexität unbewusster Prozesse und setzen beides zueinander in Beziehung“ (Hänsel et al. 2002). Allein schon das Benennen empfundener Intuitionen kann unbewusste Annahmen über die „Wirklichkeit“, z.B. auch über die Erlebniswünsche von Eventnachfragern, der bewussten Reflexion zugänglich machen. Auch können sie in multioptionalen Entscheidungssituationen zur Handlungssicherheit beitragen. Das Gewahrwerden der eigenen Intuitionen ist ein erster Schritt für Eventanbieter zur Kultivierung achtsamer, d.h. akzeptierender Wahrnehmung der Eventnachfrager und ihrer
Werthaltungen.
Wenn
Eventanbieter
Achtsamkeit
für
ihre
eigenen
Wertvorstellungen entfalten, eröffnet ihnen das die Möglichkeit, Eventnachfrager immer weniger als „Kunden“ (vgl. Abschnitt 2.3) zu sehen und immer mehr als Menschen, die etwas wert sind, auch wenn sie gerade nichts brauchen. Damit wird eine wichtige Voraussetzung für nachhaltige Eventkommunikation geschaffen, für eine Kommunikation also, die darauf bedacht ist, Bedingungen für erfolgreiche Anschlusskommunikationen zu schaffen und zu bewahren. Neben die quantitative Erfassung des Return on Communication (RoC) tritt eine qualitative Kategorie zur Erfassung der Werthaltigkeit der Eventkommunikation. Um zu betonen, dass nachhaltige und werthaltige Kommunikation ihre Zielgruppen als „Gegenüber“ mit eigener Würde versteht, wird vorgeschlagen, diese Kategorie mit dem Begriff Worthiness of Communication (WoC) zu bezeichnen. Das ist ein qualitativer
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Kennwert, bei dem es nicht so sehr darauf ankommt, ob und wie man ihn numerisch darstellen kann. Kriterien für die Werthaltigkeit ihrer Kommunikation können Eventanbieter nur aus ihrem eigenen Wertekanon ableiten. Objektive Maßstäbe sind den quantifizierbaren wirtschaftlichen Erfolgen vorbehalten.
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Valentin Belentschikow, Julia Köhler, Ruth Geier Zur Bedeutung der Messung von Medieneffekten im Rahmen der Wirkungskontrolle von Veranstaltungen
1. Einleitung 2. Theoretische Grundlagen 3. Empirische Untersuchung 4. Ergebnisse der empirischen Untersuchung 5. Zusammenfassung und Ausblick Literaturverzeichnis
C. Zanger (Hrsg.), Erfolg mit nachhaltigen Eventkonzepten, DOI 10.1007/978-3-8349-6885-2_14, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2012
Zur Bedeutung der Messung von Medieneffekten
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1 Einleitung Die Ausrichtung von Sportgroßereignissen wie den Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften gewinnt für Tourismusregionen zunehmend an Bedeutung. Neben dem Potential, die Wirtschaft und den Tourismus zu stimulieren, sind derartige Veranstaltungen vor allem in der Lage, ein großes Medieninteresse auf nationaler und internationaler Ebene zu erzeugen (vgl. Matheson/Baade 2006; Getz 2008). Während sich die meisten Wirkungsstudien auf die Messung von ökonomischen Veranstaltungseffekten wie z.B. der regionalen Einkommens- und Wertschöpfungssteigerung konzentrieren (vgl. Burgan/Mules 1992; Crompton 1995; Matheson/Baade 2006), wurde den Medienwirkungen von Sportgroßereignissen bisher nur wenig Beachtung geschenkt (vgl. Chalip/Green/Hill 2003; Hede/Turner 2005). Dennoch wächst sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis die Forderung nach einer stärkeren Betrachtung dieses Wirkungsfeldes (vgl. Green/Costa/Fitzgerald 2003; Getz/Fairley 2004). Dies resultiert daraus, dass die Medienberichterstattung in zahlreiche veranstaltungsbezogene Wirkungsprozesse eingebunden ist und somit ein großes Wirkungspotential für die Veranstaltung sowie den Austragungsort besitzt. So ist es beispielsweise denkbar, dass die Berichterstattung eines sportlichen Ereignisses zur Bekanntheitssteigerung oder zur Verbesserung der Attraktivität bzw. des Images eines Veranstaltungsortes beiträgt. Dies kann wiederum dazu führen, dass mehr Touristen die Region besuchen und durch die damit verbundenen Ausgaben schließlich die regionale Wirtschaft stimuliert wird. Bei den Einwohnern des Austragungsortes lassen sich durch eine positive Medienpräsenz einer Veranstaltung unter anderem Bürgerstolz erzeugen und das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken. In Folge kann sich die Akzeptanz der einheimischen Bevölkerung für die Ausrichtung zukünftiger Veranstaltungen erhöhen. Diese Beispiele verdeutlichen, welcher Stellenwert den Medieneffekten in der Wirkungskette von Großveranstaltungen zukommt und wie wichtig somit deren Kontrolle ist. Obwohl in der Literatur bereits zahlreiche Medieneffekte identifiziert wurden, mangelt es noch weitgehend an fundierten Untersuchungen zu diesen Wirkungen (vgl. Green/Costa/Fitzgerald 2003, S. 338). In den meisten Fällen werden quantitative Medienresonanzanalysen durchgeführt, die ökonomische Größen wie z.B.
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Reichweiten, Häufigkeiten oder Äquivalenzwerte1 erfassen. Diese Analysen lassen jedoch nur bedingt Aussagen über den Erfolg bzw. die Zielerreichung einer Veranstaltung zu. Um umfassende Aussagen über die veranstaltungsbezogenen Medienwirkungen zu treffen, müssen zusätzlich qualitative Daten in die Wirkungsmessung einbezogen werden. Da die Auswertung dieser Daten nicht standardisiert erfolgen kann und somit einen höheren zeitlichen und inhaltlichen Aufwand erfordert, finden qualitative Ansätze in bisherigen Studien nur wenig Anwendung (vgl. Fredline/Jago/Deery 2003, S.23; Scott/Smith 2005, S.88). Aufbauend auf diesen Problemstellungen, diskutiert der vorliegende Beitrag die medialen Wirkungen von sportlichen Großereignissen am Beispiel der Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaften 2008 in Altenberg. Im Vordergrund der Untersuchung stehen dabei das erzeugte Medieninteresse, die Themenagenda der Berichterstattung sowie das medial verbreitete Image der Veranstaltung. Im Rahmen der Medienanalyse wurden sowohl quantitative als auch qualitative Methoden eingesetzt.
2 Theoretische Grundlagen Nachrichtenwerttheorie Die Nachrichtenwerttheorie beschäftigt sich mit der Frage, wie Medieninhalte zustande kommen bzw. was ein Ereignis zur Nachricht macht (vgl. Raupp/Vogelsang 2009, S. 43). Dabei werden, ausgehend von den in den Medien vermittelten Ereignissen, Rückschlüsse auf die Selektionskriterien gezogen, die Journalisten bei der Nachrichtenauswahl heranziehen. Bei diesen Auswahlkriterien handelt es sich um bestimmte Ereignismerkmale, die als sog. Nachrichtenfaktoren bezeichnet werden (vgl. Kunczik/Zipfel 2001, 245f.). Es existieren in der Kommunikationswissenschaft verschiedene Kataloge von Nachrichtenfaktoren, die auf der Basis inhaltsanalytischer Untersuchungen entwickelt wurden. Als zentrale Faktoren haben sich in diesem Zusammenhang u.a. Aktualität, Prominenz, Personalisierung, geographische und soziale Nähe sowie Negativismus herausgestellt. Je mehr dieser Nachrichtenfaktoren in einem bestimmten Umfang auf ein Ereignis zutreffen, desto höher ist sein Nachrichtenwert und desto
1
Äquivalenzwerte geben die Medienresonanz eines Ereignisses in monetären Größen an, d.h. Medienpräsenz eines Ereignisses wird mit Kosten für eine vergleichbare Anzeige oder einen vergleichbaren Werbespot bewertet (vgl Raupp/Vogelsang 2009, S. 108).
Zur Bedeutung der Messung von Medieneffekten
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wahrscheinlicher ist es, dass das Ereignis in den Medien veröffentlicht wird (vgl. Raupp/Vogelsang 2009, S. 43, Kunczik/Zipfel 2001, 245f.). Bei der Nachrichtenselektion im Rahmen von Sportereignissen kommt einigen Nachrichtenfaktoren eine Schlüsselrolle zu. Demnach lässt sich ein hoher Nachrichtenwert hier vor allem über die Faktoren Personalisierung und Prominenz erzielen. Diese beiden Größen bestimmen nicht nur, ob ein Beitrag erscheint, sondern auch, wo er platziert und in welchem räumlichen oder zeitlichen Umfang er veröffentlicht wird (vgl. Schierl/Bertling 2007, S. 156). Die Bedeutung des Nachrichtenfaktors Personalisierung ist überwiegend auf die Kommerzialisierung des Mediensystems zurückzuführen (vgl. Loosen 1998, S. 117ff.). Massenmedien müssen abstrakten Berichterstattungsinhalten ein persönliches Profil verleihen, um das Publikum möglichst schnell für ihr Angebot zu sensibilisieren und sich von anderen Angeboten zu differenzieren. Zu berichtende Ereignisse werden deshalb um eine oder mehrere namentlich genannte Personen aufgebaut, wobei deren persönliche Schicksale und Emotionen ins Zentrum des Interesses gerückt werden (vgl. Schierl/Bertling 2007, S. 160ff.). Eine verstärkte Wirkung haben diese Personalisierungsstrategien, wenn sich die erzählten Geschichten um Stars oder Prominente drehen (vgl. Stiehler 2003, S. 167). Gedächtnispsychologische Imagetheorie Um die medialen Imageeffekte von Veranstaltungen erfassen und auswerten zu können, ist es notwendig, ihren Entstehungsprozess und ihre Wirkungsweise im menschlichen Gehirn zu kennen. Die Basis hierfür liefert die gedächtnispsychologische Imagetheorie. Nach den Erkenntnissen der Gedächtnispsychologie wird das Wissen von Individuen über Objekte, Tatsachen, Situationen etc. in semantischen Netzwerken gespeichert (vgl. Haberlandt 1994, S. 134ff ). Diese semantischen Netzwerke werden auf der Basis von Knoten und Kanten gebildet. Bei einem Knoten handelt es sich je nach Gegebenheit zum Beispiel um einen Gegenstand, eine Person oder eine Eigenschaft, die in Form eines Wortes oder einer Wortgruppe näher bestimmt wird (vgl. Schermer 1998, S. 146f ). Diese Knoten können kognitive Informationen und Emotionen enthalten (vgl. Bower 1981, S. 115). Als Kanten werden die gedanklichen Verbindungen bzw. Assoziationen bezeichnet, die zwischen den einzelnen Knoten bestehen (vgl. Schermer 1998, S. 146).
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Semantische Netzwerke bestehen aus klar abgegrenzten Teilen, die größere thematisch zusammenhängende Wissensbereiche repräsentieren. Diese sog. Schemata können sich auf Objekte, Sachverhalte, Ereignis- und Handlungsfolgen beziehen (vgl. Esch 2006, S. 86; Schermer 1998, S. 161). Abbildung 1 zeigt ein beispielhaftes Schema für eine Veranstaltung. Abb. 1: Beispiel eines semantischen Netzwerkes dargestellt an einer Veranstaltung freundlich luxuriös
Einwohner
exotisch
teuer Stadt X
glaubwürdig
Marke Y
gutes Essen sportlich umweltorientiert
Veranstaltung X junge Besucher
Veranstalter X
bekannt
innovativ
Marke Z
witzig
Werbekampagne für Marke Z
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Drengner 2008, S. 91 Anmerkung: Knoten sind eingerahmt, Kanten mit Verbindungslinien und das Schema gestrichelt dargestellt
Auch das Image wird in Form eines begrenzten semantischen Netzwerkes aus sachhaltigen Merkmalen (Denotationen) und nichtsachhaltigen bzw. emotionalen Merkmalen (Konnotationen) im Gedächtnis von Individuen dargestellt. Es soll deshalb für das weitere Vorgehen mit dem Begriff des Schemas gleichgesetzt werden (vgl. Nickel 1997, S. 85). Soll ermittelt werden, welches Image ein Individuum mit einem Meinungsgegenstand, z.B. einer Sportveranstaltung verbindet, muss der Assoziationsprozess untersucht werden, der die einzelnen Imageknoten miteinander in Beziehung setzt. Am Anfang dieses Prozesses steht die Aktivierung des mentalen Abbildes des entsprechenden Objektes im semantischen Netzwerk. Diese kann durch einen wahrgenommenen äußeren Reiz (z.B. ein Plakat einer Sportveranstaltung) oder durch eine selbst motivierte Beschäftigung des Individuums mit dem Meinungsobjekt (z.B. das Anschauen eines Sportereignisses im Fernsehen) ausgelöst werden. Die Aktivierung
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erstreckt sich zunächst auf die Knoten, deren Assoziationen besonders stark sind. Die Stärke ist vor allem davon abhängig, wie oft diese Verknüpfungen in der Vergangenheit bereits aktiv waren (vgl. Hätty 1989, S. 197). So ist beispielsweise anzunehmen, dass bei Sportfans stärkere Assoziationen zu einer bestimmten Sportart oder Sportveranstaltung vorhanden sind als bei Personen, die sich wenig oder kaum mit Sport beschäftigen. Mit zunehmender Ausbreitung der Verknüpfungen im semantischen Netzwerk wird die Aktivierung schwächer, weshalb nur die kognitiven und emotionalen Merkmale des Schemas erregt und bewusst werden, die sich nah genug am Ausgangspunkt befinden (vgl. Schermer 1998, S. 151). Je eingehender sich dieser Assoziationsvorgang vollzieht, desto mehr Knoten werden aktiviert und in das Image integriert (vgl. Drengner 2008, S. 92). Da sich der vorliegende Beitrag mit dem Image beschäftigt, welches von den Medien über ein Objekt bzw. einen Sachverhalt vermittelt wird, müssen die Besonderheiten medialer Images bzw. medialer Imagebeeinflussung berücksichtigt werden. Die Medien haben einen großen Einfluss darauf, ob und wie Images über Unternehmen, Produkte, Städte, Personen etc. an die Öffentlichkeit kommuniziert werden. Die mediale Imagekonstruktion wird dabei einerseits durch die Selektionsprozesse der Journalisten bestimmt, d.h. die Journalisten wählen die zu veröffentlichenden Informationen anhand ihres Nachrichtenwertes aus und geben damit die Publikumsagenda vor (vgl. Kunzcik/Zipfel 2001, S. 245; Bentele 1992, S. 159f.). Andererseits entscheiden Journalisten auch darüber, welche Tonalität (positiv, negativ, neutral) die Images in den Medien erhalten. Die Medien vermitteln folglich immer ausgewählte, durch Journalisten und Öffentlichkeitsarbeit bestimmte Imagefacetten eines Meinungsgegenstandes
3 Empirische Untersuchung Untersuchungsgegenstand Gegenstand der Untersuchung war die Hauptberichterstattung der Bob- und Skeleton Weltmeisterschaften 2008 in Altenberg. Der Zeitraum der Hauptberichterstattung erstreckte sich vom 09.02.2008 bis zum 25.02.2008. In dieser Zeit wurden die Beiträge zu dem Sportgroßereignis exemplarisch in vier deutschen Abonnementzeitungen sowie bei drei öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten untersucht. Dabei setzte sich das Korpus der Printmedien aus 179 Artikeln der Tageszeitungen Freie Presse (regional),
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Sächsische Zeitung (regional), Frankfurter Allgemeine Zeitung (überregional) und Süddeutsche Zeitung (überregional) zusammen2. Das Materialkorpus im TV-Bereich bestand aus 34 Beiträgen der öffentlich-rechtlichen Programme ARD, ZDF (überregional) und MDR (regional). Es wurden also sowohl bei den Printmedien als auch im TV-Bereich regionale und überregionale Medien einbezogen, um möglichst repräsentative Ergebnisse über die Hauptberichterstattung zur Bob- und Skeleton-WM auf nationaler Ebene zu erhalten. Methodik Um die Auswirkungen massenmedialer Berichterstattung zu erfassen, hat sich die Medienresonanzanalyse als Standardinstrument etabliert (vgl. Raupp/Vogelsang 2009, S. 93; Besson 2008, S. 18). Mittels reiner Frequenzanalysen werden die Basis- und Strukturdaten des Medienechos erhoben, z.B. Anzahl, Auflage und Reichweite. Die Erfassung von Inhaltsdaten (Tonalität, transportierte Botschaften etc.) durch multidimensionale Analyseverfahren ermöglicht es, Rückschlüsse auf das vermittelte Medienimage zu ziehen (vgl. Paine 2007, S.34f). Derartige Imageanalysen finden in der Praxis durch ihren hohen Aufwand nur bedingt Anwendung, oft bleibt es bei quantitativen Reichweitenanalysen (vgl. PR Trendmonitor 2/2007, S. 47). Auch die vorliegende Untersuchung basiert auf einer Medienresonanzanalyse. Das Medieninteresse für die Bob- und Skeleton Weltmeisterschaften 2008 wurde dabei quantitativ mittels verschiedener Häufigkeitsanalysen ermittelt. Die Grundlage hierfür bildeten die in Tabelle 1 zusammengefassten Indikatoren. Für die Analyse der Berichterstattungsthemen wurde ein Methodenmix gewählt. Die Bildung der Themenkategorien erfolgte zunächst mit Hilfe eines qualitativen Vorgehens (vgl. Tabelle 1). Dabei ergaben sich 14 Themenkategorien für die TVAnalyse und 16 Kategorien für die Analyse der Printmedien, die in einem Codebuch erschöpfend definiert wurden. Das entwickelte Kategoriensystem diente dann als Grundlage für die quantitative Analyse der Berichterstattungsthemen. Demnach wurden einem Artikel oder einem Beitrag entsprechend der im Codebuch festgelegten Regeln eine oder mehrere Themenkategorien in ihrer spezifischen Ausprägung zugeordnet. Im Anschluss konnten die Häufigkeiten der verschiedenen Themen erfasst
2 Bei der Bildung des Korpus wurden nur die Artikel berücksichtigt, bei denen die Bob- und SkeletonWeltmeisterschaften 2008 das Hauptthema bilden.
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werden. Ausgehend von dieser Häufigkeitsverteilung ließen sich die dominierenden Nachrichtenfaktoren für die Berichterstattung bestimmen.
Tab. 1: Untersuchungsdesign zur Erfassung der Medieneffekte Medieninteresse Häufigkeitsanalysen Printmedien
Häufigkeitsanalysen TV
x x x x x x
x x x x x
Anzahl der Beiträge pro Tageszeitung Umfang der Beiträge (in cm2) Anzahl der Bilder Ressort Darstellungsformen Tägliche Anzahl der Beiträge pro Tageszeitung während des gesamten Untersuchungszeitraumes
Anzahl der Beiträge pro Sender Umfang der Beiträge (in min.) Format Darstellungsformen Tägliche Anzahl der Beiträge pro Sender während des gesamten Untersuchungszeitraumes
Berichterstattungsthemen Qualitatives Vorgehen zur Entwicklung des Kategoriensystems x x x x
Definition der Analyseeinheiten Theoriegeleitete Konstruktion thematischer Hauptkategorien Festlegen von Ausprägungen, Definitionen und Codierregeln zu den einzelnen Kategorien in einem Codebuch Materialdurchlauf und Überarbeitung der Kategorien
Quantitatives Vorgehen zur Erfassung der Berichterstattungsthemen x x x
Themenanalyse anhand des entwickelten Kategoriensystems und des Codebuches Häufigkeitsanalyse der Themen Bestimmung der relevanten Nachrichtenfaktoren
Imageanalyse Qualitative Inhaltsanalyse zur Ermittlung des Images x x x x x x x
Definition der Analyseeinheiten Extraktion der Analyseeinheiten aus dem Untersuchungsmaterial Generalisierung und Reduktion der extrahierten Analyseeinheiten Zusammenfassung der reduzierten Analyseeinheiten auf dem angestrebten Abstraktionsniveau Zusammenstellung der neuen Aussagen als Kategoriensystem Bewertung der Analyseeinheiten anhand einer Skala mit den Ausprägungen eindeutig positiv (2), positiv (1), neutral (0), negativ (-1) und eindeutig negativ (-2) Rücküberprüfung am Ausgangsmaterial
Die Untersuchung des Medienimages der Sportveranstaltung sowie ihres Austragungsortes Altenberg erfolgte ausschließlich auf der Basis eines qualitativen Vorgehens in Form einer Inhaltsanalyse (vgl. Tabelle 1). Im Sinne einer Totalerhebung wurden aus dem Korpus zunächst alle Sätze extrahiert, welche die Begriffe „Altenberg“, „Weltmeisterschaften“, „WM“ und deren Komposita (z.B. WM-Titel) enthielten. Danach wurden die extrahierten Analyseeinheiten generalisiert und um irrelevante Aussagen reduziert. Im Anschluss galt es, die Textelemente auf
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verschiedenen Abstraktionsniveaus zu denotativen und konnotativen Imagedimensionen zu verdichten und ein neues System aus den dabei entstandenen Kategorien zu bilden. Schließlich wurde eine Bewertung der Analyseeinheiten anhand der in der dargestellten Skala vorgenommen. Am Ende des Analyseprozesses erfolgte eine Überprüfung der inhaltlichen Kategorien am Ausgangsmaterial.
4 Ergebnisse der empirischen Untersuchung Analyse des Medieninteresses Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung belegen, dass die Bob- und SkeletonWeltmeisterschaften 2008 in Altenberg sowohl in den Printmedien als auch im Fernsehen eine große mediale Aufmerksamkeit erzielten. Während in den untersuchten Printmedien 179 Artikel zu dem Sportereignis veröffentlicht wurden, strahlte das Fernsehen 32 Beiträge mit einem Gesamtumfang von knapp acht Stunden aus. Ein besonders großes Medieninteresse ließ sich auf regionaler Ebene nachweisen. So handelte es sich bei ungefähr 88% der Zeitungsartikel um Beiträge aus regionalen Abonnementzeitungen. Dieses Phänomen lässt sich in erster Linie auf den Nachrichtenfaktor Nähe zurückführen. Im Gegensatz zu den Printmedien weist das Fernsehen nicht nur auf regionaler, sondern vor allem auf überregionaler Ebene ein großes mediales Interesse an der Sportgroßveranstaltung auf. Wie sich herausstellte, hängt dies primär mit den verkauften Rechten für die Übertragung des Sportereignisses zusammen. Neben dem großen Berichterstattungsinteresse auf Seiten der Medien zeigte sich, dass die Bob- und Skeleton-WM 2008 auch bei den Rezipienten eine große Aufmerksamkeitswirkung erzielte. So verfolgten im gesamten Berichterstattungszeitraum ca. 19,3 Millionen Menschen das Sportereignis im Fernsehen, was einem Marktanteil von ca. 14,7% entspricht. In der Zeitung lasen ungefähr 45,0 Millionen3 über die Weltmeisterschaften. Diese hohen Reichweiten verwundern insofern, als es sich bei den Sportarten Bob und Skeleton eher um randständige Mediensportarten handelt4. Ein Grund für das wachsende Interesse der Rezipienten an diesen
3
Die Ermittlung der Reichweiten erfolgte auf der Grundlage einer konservativen Rechnung. Ausgangspunkt bildete hier die Annahme, dass Artikel in dem Ressort Sport von 50% der Leser rezipiert werden, während Beiträge im Lokal- und Politikteil sowie auf dem Titelblatt bei allen Lesern auf Aufmerksamkeit stoßen.
4
So belegt ein Ranking des DOSB zum Berichterstattungsvolumen nach Sportarten im Jahr 2007, dass der Bobsport bei der ARD auf Rang 18, beim ZDF hingegen auf Position 10 rangiert. Skeleton
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Sportangeboten könnte in der zunehmenden Personalisierung des Sports liegen. Durch die personenbezogene Berichterstattung wird der Mediensport unterhaltungsorientierter und somit attraktiver. Analyse der Berichterstattungsthemen Die Personalisierungstendenzen bestätigten sich auch im Rahmen der Themenanalyse. Sowohl im Print- als auch im TV-Bereich wurde ein großer Einfluss der Nachrichtenfaktoren Personalisierung und Prominenz festgestellt. Abb. 2: Themenanalyse in der Print- und TV-Berichterstattung 17,5%
Deutsche Athleten*
16,0%
Wettkämpfe
Soziale Effekte Hintergründe Bob- und Skeletonsport Rennschlitten- und Bobbahn Altenberg Akteure aus Sport und Politik*
2,0%
Organisation
2,0%
6,1% 7,1% 5,1% 4,4%
Ausländische Athleten* WM -Vorfeld
Sicherheit
0,5% 2,1%
Kommunikation Region Altenberg
1,0%
Technik
0,0%
11,7%
3,9%
1,0%
1,5% 0,5% 1,5% 1,0% 1,4%
Infrastruktur
23,0%
9,7% 8,7% 9,2% 9,7% 8,2% 10,2% 7,9%
Rahmenprogramm
Wirtschaftliche Effekte
22,4%
3,8%
5,0%
10,0%
15,0%
Tageszeitung
20,0%
25,0%
TV
Anmerkung: * Indikatoren für Personalisierung und Prominenz
Demnach geht aus der Themensetzung in den Printmedien hervor, dass sich knapp ein Drittel der Beiträge auf Personen bezieht (vgl. Abbildung 2). Im Zentrum der personalisierten Berichterstattung stehen vor allem die deutschen Athleten. Im Rahmen der Lokalberichterstattung lässt sich in diesem Zusammenhang sogar eine verstärkte Thematisierung regional bekannter Sportler feststellen. Diese umfangreiche
erfährt als Mediensport kaum Aufmerksamkeit. Während es in der ARD das Schlusslicht bildet, wurde es in das Ranking des ZDF gar nicht aufgenommen (vgl. DOSB 2007).
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mediale Auseinandersetzung mit den „nationalen und regionalen Helden“ wird durch Referenzen auf ausländische Athleten und Akteure aus Sport und Politik ergänzt. Letzteres Themengebiet beinhaltet dabei in erster Linie Beiträge über ehemalige erfolgreiche Sportler sowie prominente Politiker. Im Vergleich zu den Printmedien berichten die TV-Sender sogar in 36,1% der Beiträge über Personen (vgl. Abbildung 2). Auch hier richtet sich der Fokus auf die deutschen Athleten. Die ausländischen Athleten erhalten nur etwa halb so viel Aufmerksamkeit, womit ihnen jedoch eine deutlich höhere Bedeutung als in der Berichterstattung der Tageszeitungen zukommt. Darüber hinaus werden auch in der TV-Berichterstattung Akteure aus Sport und Politik thematisiert. Die starke Fokussierung der Medienberichterstattung auf Personen, insbesondere bekannte deutsche Sportler, aber auch ausländische Athleten und prominente Politiker, zeigt, dass die Nachrichtenfaktoren Personalisierung und Prominenz einen entscheidenden Einfluss bei der Auswahl der Medieninhalte für die Bob- und Skeleton-WM 2008 ausgeübt haben. Dies bestätigt den hohen Stellenwert dieser Nachrichtenfaktoren im Rahmen der Sportberichterstattung. Neben dem Mehrwert, den die Anwendung dieser beiden Selektionskriterien für Medienunternehmen liefern kann (z.B. Steigerung des Unterhaltungswertes und des persönlichen Profils), ist es auch möglich, dass der Veranstalter und die Veranstaltungsregion von derartigen Personalisierungsstrategien profitieren. So wäre es beispielsweise denkbar, dass populäre Sportler eine bisher wenig oder kaum beachtete Sportart bekannter und beliebter machen. Dafür sprechen auch die im vorhergehenden Absatz dokumentierten Reichweiten. Ferner können erfolgreiche Athleten aus der Veranstaltungsregion durch ihre Medienpräsenz dazu beitragen, die Bekanntheit der Region zu steigern und einen Imagegewinn für die Region zu erzielen. Möglicherweise konnte auch der Veranstaltungsort Altenberg von derartigen Werbeeffekten profitieren. Imageanalyse Die Imageanalyse zeigte, dass die Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaften 2008 in den Medien ein sehr positives Image erhielten, das auch auf den Austragungsort Altenberg übertragen wurde. Den Ausgangspunkt hierfür bildete die gemeinsame mediale Präsenz der Einstellungsobjekte „Weltmeisterschaften“ und „Altenberg“. So wurden im Rahmen der WM-Berichterstattung das Wort „Altenberg“ und die Wortgruppe „Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaften“ zu einer gemeinsamen Wortverbindung zusammengefügt, die verschiedene Formen wie beispielsweise „Weltmeisterschaften
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im Bob und Skeleton in Altenberg“, „Altenberger WM“ oder „Bob- und Skeleton-WM in Altenberg“ angenommen hat. Aus dieser Wortverbindung ergaben sich in Bezug auf das Image vor allem für den Austragungsort Altenberg Vorteile. So kann dieser durch die enge Verknüpfung mit dem Einstellungsgegenstand „Bob-und-Skeleton-WM“ von einem medialen Imagetransfer profitieren. Dabei werden die WM-bezogenen ImageKnoten im Rahmen der Medienberichterstattung auf das Meinungsobjekt Altenberg übertragen und dort im semantischen Netzwerk verankert. Somit ergeben sich die in Abbildung 3 exemplarisch dargestellten Überschneidungen. Abb. 3: Schemata der Bob- und Skeleton-WM und des Austragungsortes Altenberg vielfältig
spannend internationales Flair
innovativ
attraktive Tourismusregion
impulsgebend
exzellente Sportatmosphäre …
Bob-& Skeleton-WM …
viele Fans
kulturell
sicher
organisiert
engagierte Gastgeber erfahrene Gastgeber
…
Altenberg attraktive Weltsportdestination
weltweit größte Bobbahn Besucherzuspruch
separate Knoten der Imageobjekte WM und Altenberg gemeinsame Knoten der Imageobjekte WM und Altenberg
Neben den semantischen Netzwerken der untersuchten Einstellungsobjekte lieferte die Imageanalyse auch Aussagen über die Stärken und Schwächen des Sportereignisses und seines Austragungsortes. In Abbildung 4 ist das Stärken-Schwächen-Profil der Bob- und Skeleton-WM dargestellt. Wie aus diesem hervorgeht, können sich in den Medien acht positive Imagefacetten durchsetzen, während nur vier negative Imagetendenzen vermittelt werden. Die positiven Imageausprägungen variieren dabei erheblich hinsichtlich des Ausmaßes ihrer medialen Verbreitung, wobei die aufmerksamkeitsstarken Facetten dominieren. Insgesamt ergibt sich für den Meinungsgegenstand „Weltmeisterschaften“ das Image eines erfolgreichen, effektvollen und gut organisierten Ereignisses, welches zahlreiche sportliche und kulturelle Höhepunkte bot. Neben den positiven Assoziationen wiesen einzelne Imagefacetten auch auf zukünftigen Verbesserungsbedarf hin. Demgemäß
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sollte der Veranstalter künftig u.a. bemüht sein, die technischen Rahmenbedingungen von Sportveranstaltungen zu verbessern. Abb. 4: Imageprofil der Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaften 2008 2,0
eindeutig positiv
herausragend
erfolgreiche deutsche Athleten
1,5 exzellente Sportatmosphäre
1,0
attraktives Kulturprogramm
0,5
Heim-WM
positiv
effektvoll
impulsgebend sportlich anspruchsvoll
0,0 -0,5
organisiert
-1,0
neutral
chancenarme ausländische Athleten
ausbaufähig
negativ
schwierige Ausgangsbedingungen
-1,5 -2,0 0
10
20
30
40
50
60
70
eindeutig negativ
80
90
Wie das Profil in Abbildung 5 illustriert, kann auch der Meinungsgegenstand Altenberg von einer sehr wohlwollenden Berichterstattung profitieren. Das Medienimage von Altenberg lässt sich dabei einerseits auf die Imageknoten zurückführen, die es mit dem Meinungsgegenstand „Bob- und Skeleton-WM“ teilt. Andererseits kann der Kurort im Rahmen der WM-Berichterstattung eigene, vorwiegend positiv geprägte Image-Knoten hervorbringen. Das Gesamtprofil dieser Imageknoten zeichnet sich durch sieben Stärken aus, während nur zwei Schwächen zu dokumentieren sind. Eine Imagefacette bewegt sich im neutralen Bereich. Hinsichtlich der Verbreitung der Imagedimensionen in den Medien lassen sich beim Altenberger Image ähnliche Aussagen treffen wie beim Imageprofil der Weltmeisterschaften. So reicht die Medienpräsenz der positiven Imagefacetten von sehr stark bis sehr schwach, wohingegen die negativen Imageausprägungen nur in geringem Maße vertreten sind.
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Abb. 5: Imageprofil des Austragungsortes Altenberg 2,0
eindeutig positiv
1,5
international anerkannt beeindruckende WM 2008
1,0
positiv
attraktive attraktive Weltsportdestination Tourismusregion sportlich anspruchsvoll
0,5 Spitzensportregion
0,0
Eldorado für deutsche Schlittenathleten
exzellente Sportatmosphäre
neutral entwick- chancenarme ausländische lungsSchlittenathleten fähig
-0,5 -1,0
negativ
-1,5 -2,0
eindeutig negativ
0
20
40
60
80
100
120
140
Bei einer inhaltlichen Betrachtung des Images wird deutlich, dass sich der Austragungsort Altenberg vor allem als attraktive und international anerkannte Weltsportdestination mit exzellenten sportlichem Flair in das Zentrum des Interesses setzen konnte. Weiterhin wurde Altenberg als touristisch attraktiver Ort wahrgenommen. An wenigen Stellen weist das Imageprofil auch auf Schwächen bzw. Entwicklungspotential hin. Demnach sollte die Stadt Altenberg zukünftig versuchen, regionale Netzwerkstrukturen für den Veranstaltungstourismus zu schaffen und das wirtschaftliche Potential derartiger Events besser zu nutzen. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die Bob- und SkeletonWeltmeisterschaften 2008 einen positiven Gesamteindruck in der Öffentlichkeit hinterlassen haben, von dem auch der Austragungsort Altenberg profitieren konnte. Dies verdeutlicht, dass Sportgroßveranstaltungen das Potential haben, das Image des Austragungsortes medial zu beeinflussen. Es muss jedoch an dieser Stelle angemerkt werden, dass das vermittelte Medienimage nicht zwangsläufig mit dem Image in der Öffentlichkeit übereinstimmen muss. Die Wahrnehmung des Medienimages ist in starkem Maße von den Rezipienten abhängig. Die dargestellten semantischen
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Netzwerke und Imageprofile können deshalb immer nur mögliche Verflechtungen im Gedächtnis der Rezipienten repräsentieren.
5 Zusammenfassung und Ausblick Zusammenfassend zeigen die gewonnenen Ergebnisse, dass Medienanalysen wichtige Aussagen über eine Reihe von Veranstaltungseffekten erlauben und somit einen bedeutenden Stellenwert bei der Wirkungsanalyse von Veranstaltungen einnehmen sollten. So geben Reichweitenanalysen beispielsweise Auskunft über die Bekanntheit und die Beliebtheit einer Sportveranstaltung oder einer Sportart. Themenanalysen können Hinweise auf die Bedeutung von Nachrichtenfaktoren, in vorliegendem Fall die Faktoren Nähe, Personalisierung und Prominenz, geben. Diese Informationen können z.B. für die zukünftige Pressearbeit des Veranstalters hilfreich sein, um gezielt Nachrichten zu setzen bzw. um eine möglichst hohe Resonanz in den Medien zu erzielen. Schließlich hat die empirische Untersuchung auch gezeigt, dass die Analyse der Medienberichterstattung wertvolle Aussagen zum Medienimage von Veranstaltungen und ihren Austragungsorten hervorbringen kann. Demnach konnten nicht nur Stärken und Schwächen der Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaften 2008 und des Ortes Altenberg aufgedeckt werden, sondern es ließ sich auch ein medialer Imagetransfer von der Veranstaltung auf den Austragungsort nachweisen. Dies zeigt, dass Sportgroßveranstaltungen in der Lage sind, Einfluss auf das Medienimage von Austragungsorten zu nehmen. Dieses Wirkungspotential lässt sich im Rahmen bestehender Standortmarketingkonzepte sinnvoll nutzen. Demnach ist es beispielsweise denkbar, dass eine umfangreiche und positive Medienpräsenz externe Zielgruppen wie potentielle Besucher, Sponsoren und Investoren auf die Attraktivität des Austragungsortes aufmerksam macht. Kommt es dadurch zu einem Besuch der Tourismusdestination, können bei regionalen Anbietern touristischer Leistungen wiederum wirtschaftliche Effekte entstehen. Ein Ziel von Veranstaltern und Austragungsorten muss es deshalb sein, Sportgroßveranstaltungen zu nutzen, um die veranstaltende Region positiv ins Zentrum des öffentlichen Interesses zu rücken. Kritisch ist für die vorliegende Studie anzumerken, dass die untersuchten medialen Effekte aufgrund ihrer komplexen Wirkungszusammenhänge nicht vollständig abgebildet werden konnten. So ermöglichte die Analyse der Medieneffekte vorwiegend Aussagen auf medialer Seite, beispielsweise über das erreichte Medieninteresse und die medial vermittelten Images der Einstellungsobjekte. Auf Rezipientenseite konnten hingegen nur Aussagen über die erzielten Reichweiten getroffen werden. Die komplexen inhaltlichen Wirkungsprozesse, die bei den
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Rezipienten ablaufen, ließen sich mit der vorliegenden Untersuchung nicht nachweisen. Zukünftige Forschungsvorhaben sollten sich deshalb intensiver auf die ganzheitliche Erfassung der medialen Effekte konzentrieren und auch die Wirkungsprozesse beim Rezipienten einbeziehen. Weiterhin ist es notwendig, den Fokus stärker auf qualitative Methoden zur Erfassung der Medieneffekte zu richten. Während bisherige Studien eher auf einseitigen quantitativen Medienanalysen (z.B. Ermittlung der Reichweiten oder des Werbeäquivalenzwertes) basieren (vgl. Dwyer u.a. 2000; Higham 1999), konnte die vorliegende Fallstudie zeigen, welchen Beitrag die qualitative Inhaltsanalyse im Rahmen der Evaluation der veranstaltungsbezogenen Medienberichterstattung leisten kann. Eine umfassende Analyse der medialen Wirkungen von Veranstaltungen sollte demnach immer einen Methodenmix aus quantitativen und qualitativen Verfahren verwenden.
Zur Bedeutung der Messung von Medieneffekten
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